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Full text of "Reallexicon der deutschen Altertumer"

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Reallexicon  der  deutschen 
Altertümer,  2e,  umgearb.  Aufl 

Ernst  Götzinger 


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I  teallexicoi 


Deutschen  Altertumer. 


Sn  Hand-  und  Nachschlagebueh  der  Kulturgeschichte 

des  deutschen  Volkes 


henrbeitet  von 


Dr.  E.  Götzinger 


Zweite  vollständig  umgearbeitete, 

vermehrte  und 

illustrierte  Auflage. 


Leipzig,  iH8r». 
\  i .  r  |  ;i.  lt    ron  Woldemar  Urban. 


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Reallexicon 

der 

Deutschen  Altertümer. 


Hand-  und  Nachschlagcbuck  der  Kulturgeschichte 
des  deutschen  Volkes 

bearbeitet  von 

Dr.  E.  Götzinger. 


Zweito  vollständig  umgearbeitete  Auflage 
mit  157  Illustrationen. 


Leipzig, 

Verlag  von  Waldemar  Urban. 

1885. 


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Alle  Reihte  vorbehalten. 


Druck  toii  Metrrcr  &  Willig  In  l.el|.zifr 


Aus  dem  Vorwort 

zur  ersten  Auflage. 


„Das  'Reallexikon  deutscher  Altertümer  macht  keinen 
Anspruch  auf*  selbständige  fach  wissenschaftliche  Forschung; 
die  letztere  läge  sowohl  ausserhalb  des  Umfanges  des  Werkes, 
als  noch  viel  mehr  ausserhalb  der  Arbeit  und  Kraft  seines 
Verfassers.  £s  stützt  sich  deshalb  das  ganze  Werk  auf 
die  Arbeiten  anerkannter  Forscher,  wobei  von  Kontroversen 
mögliehst  Umgang  genommen  wurde.  Die  angeführten  Quellen 
sind  also  nicht  dazu  bestimmt,  den  Umfang  der  vorhandenen 
Litteratur  irgendwie  zu  erschöpfen,  ein  solches  wäre  hier  ein 
eitles  Unternehmen;  sondern  dieselben  sollen  teils  mitteilen, 
woher  der  Verfasser  sich  Rats  erholt  hat,  teils  denjenigen 
I^sern,  welche  den  Originaldarstellungen  näher  rücken  wollen, 
einen  ersten  sichern  Weg  besonders  zu  solchen  Schriften  wei- 
sen,, wo  die  Quellen  in  weiterem  Umfange  angeführt  sind. 
Iii  der  Auswahl  dieser  Quellen  sind  dem  Verfasser  bewährte 
Freunde  bereitwillig  zu  Dienste  gestanden;  doch  hat  er  sich 
von  Anfang  an  nicht  verhehlt,  dass  ihm  vorläufig  manches, 
älteres  sowohl  als  neues,  entgehen  werde;  von  neueren  Werken 
aber  musste  manches  deshalb  bei  Seite  gelogt  werden,  weil  sie 
für  ein  Werk  wie  das  vorliegende  noch  zu  wenig  abschliessende 
Resultate  der  Forschung  enthielten;  denn  wenn  unserer  Arbeit 
auch    das  Bemühen  zu  Grunde  liegt,  sich  auf  der  Höhe  der 


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IV  Vorwort  zur  rrstni  Auflage. 

gegenwärtigen  Forschung  zu  halten,  so  will  sie  doch  auch  kein 
Fundort  neuaufgebrachter  Hypothesen  sein,  sondern  im  grossen 
und  ganzen  solche  Kenntnisse  und  Ansichten  vermitteln,  iür 
welche  bewährte  Forschor  und  Schriftsteller  als  Zeugen  ange- 
zogen werden  können.  Es  muss  zugegeben  werden,  dass  bei 
der  befolgten  Methode  manche  Artikel  verwandten  Inhaltes  in 
ihrer  Auffassung  sich  einigermaßen  ausschliessen ,  es  schien 
dies  aber  thunlicher  und  bei  der  jedesmaligen  Nennung  der 
Quelle  gewissenhafter  und  ehrlicher,  als  wenn  überall  der  Ver- 
such gemacht  worden  wäre,  verschiedene  Anschauungen  durch 
allerlei  Mittel  und  Mittelchen  künstlich  in  eins  zu  verschmelzen. 

In  der  Auswahl  der  aufzunehmenden  Artikel  war  eine 
gewisse  Unsicherheit  nicht  zu  vermeiden;  sie  haftet  jedem  ähn- 
lichen Werke  an.  Wurden  auch  von  vornherein  historische 
Persönlichkeiten,  Örtlichkeiten,  Landgebiete  und  Namen  ethno- 
graphischer Natur  ausgeschlossen,  so  blieb  doch  noch  oft  zwei- 
felhaft, ob  ein  Artikel  in  das  Fach  der  Altertümer  und  nicht 
vielmehr  in  dasjenige  der  Geschichte  oder  des  Wörterbuches 
gehöre  und  blieb  in  solchen  Fällen  die  Aufnahme  oder  Ab- 
weisung desselben  vom  Takte  des  Verfassers  und  vom  Umfange 
der  vorhandenen  Hilfsmittel  abhängig.  Wie  zahlreiche  Alter- 
tümer Hessen  sich  nennen,  die  heute  noch  jeder  kulturhistori- 
schen Bearbeitung  ermangeln,  und  wie  viele  mögen  zwar 
bearbeitet,  aber  in  schwer  zugänglichen  Büchern,  Zeitschriften 
u.  dergl.  mehr  oder  weniger  versteckt  sein?  Doch  dürfte  die 
geschehene  Auswahl  dem  Bedürfnisse  wissensbegieriger  Leser 
im  ganzen  entsprechen.  Dass  auch  der  Umfang  der  einzelneu 
Artikel  oft  von  der  Beschaffenheit  der  Quellen  abhängig  ist, 
versteht  sich  von  selbst. 

Gegenüber  einem  Wörterbuch  des  klassischen  Altertums 
hat  ein  ähnliches  für  das  Mittelalter  bestimmtes  Werk  mehr 
als  eine  Schwierigkeit  zu  überwinden.  In  ungleich  höherem 
Masse  als  in  der  antiken  Welt  liegt  im  Mittelalter  fast  alles 
im  Fluss  der  Kntwickelung,  so  dass  Anschauungen,  Sitten, 
Gebräuche,    Sachen,    Zustände   dor  verschiedensten  Natur  oft 


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Vorwort  zur  eraten  Auflage. 


V 


von  der  urgermanischen  Zeit  durch  zahlreiche  Entwickelungs- 
stufen  bis  dahin  durchgeführt  werden  wollen,  wo  sie  aufhören 
Altertum  zu  sein.  Noch  charakteristischer  aber  ist  für  das 
Mittelalter,  dass  die  sachlichen  Altertümer  oft  so  augen- 
fällig hinter  der  beweglichen  Welt  der  Sitte,  des  Gemütes,  des 
Rechtes,  der  religiösen  Auffassung  zurücktreten,  was  alles 
deutlich  darzustellen  ungleich  schwieriger  ist  als  die  plastische 
Welt  des  konkreten  Lebens;  und  doch  handelt  es  sich  in 
einem  Werke  wie  das  vorliegende  nicht  sowohl  um  Einführung 
in  den  ,, Geist  des  Mittelalters",  sondern  die  Formen  dieses 
Geistes  sollen  sich  demjenigen  öffnen,  der  Toilnahme  und  Ver- 
ständnis dafür  entgegenbringt.  Auch  die  zahlreichen  Berüh- 
rungen des  deutschen  Mittelalters  mit  anderen  Völkern,  von 
den  Kelten  herab  zu  den  Iren,  Angelsachsen,  Skandinaviern, 
Franzosen  und  Italienern  erschworen  eiuo  einheitliche  und 
kompakte  Darstellung,  und  nicht  minder  der  durch  die  land- 
schaftlichen Zustande  bedingte  Unterschiede,  zumal  von  Obor- 
und  Niederdeutschland. 

Wenn  es  nun  auch  nicht  zu  vermeiden  war,  dass  an 
verschiedenen  Orten  dieses  Werkes  gewisse  Einseitigkeiten  zu 
Tage  treten,  so  ist  anderseits  nicht  zu  vergessen,  dass  über 
der  schwer  zu  kontrollierenden  Mannigfaltigkeit  auch  eine  Ein- 
heit der  Anschauung  ihre  ebenso  grosso  Berechtigung  hat;  sie 
soll  die  einzelnen  divergierenden  Strahlen  in  eino  gemeinsame 
Lichtquelle  sammeln.  In  diesem  Sinne  und  Geiste  war  der 
Verfasser  zu  arbeiten  bemüht." 

Vorliegende  Worte,  ursprünglich  als  Prospekt  nach  der 
Beendigung  des  ersten  Vierteiles  des  Real  Wörterbuches  verfasst, 
mögen  hier  wiederholt  und  durch  einige  weitere  Anmerkungen 
ergänzt  werden.  Manchem  Leser  dürfte  eine  gewisse  Ungleich- 
heit in  der  Darstellungsweise  und  Behandlung  der  einzelnen 
Artikel  aufgefallen  sein,  und  zwar  nicht  bloss  bei  solchen 
Artikeln,  die  ich  mir  von  befreundeter  Hand  ausarbeiten  liess, 
sondern  auch,  was  weitaus  bei  den  meisten  der  Fall  ist,  in 
den   von  mir  bearbeiteten;  manches  ist  kürzer  und  knapper 


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Vi  Vorwort  zur  ersten  Auflage. 

ausgefallen,  als  wohl  erwartet  werden  durfte,  anderes  breiter 
und  ausgiebiger  geworden;  hier  sind  mehr  bloss  die  Umrisse 
gezeichnet,  dort  manches  beigebracht,  was  zur  besseron  Unter- 
scheidung von  Schatten  und  Licht  dient;  diese  Erscheinung 
ist  bloss  bis  zum  Ausgange  des  Mittelalters,  jene  bis  ins  acht- 
zehnte Jahrhundert  durchgeführt;  auch  den  besonderen  Ton 
eines  Quellenschriftstellers  durchschimmern  zu  lassen,  wurde 
nicht  ängstlich  vermieden.  Was  dem  Ganzen  dadurch  au  Ein- 
heit der  Behandlung  abgeht,  gewinnt  vielleicht  das  Einzelne 
an  Frische  und  Mannigfaltigkeit,  zumal  für  denjenigen  Leser, 
dem  auch  in  solchen  Dingen  ein  charakteristischer  Gesichtszug 
behagt.  Und  das  letztere  wird  ja  wohl,  wie  ich  mir  dachte, 
bei  der  Mehrzahl  meiner  Leser  der  Fall  sein;  denn  von  vorn- 
herein war  es  nicht  auf  Gelehrte  von  Beruf  abgesehen,  son- 
dern auf  Freundo  und  Liebhaber  des  deutschen  Altertums, 
welche,  ohne  besoudero  Studien  dieser  Art  zu  pflegen,  einen  in 
seiner  Art  ausgiebigen  Ratgeber  gerne  zur  Seite  haben.  Gab 
ich  mir  Mühe,  diesen  im  allgemeinen  das  anzubieten,  was  nach 
meiner  Erfahrung  gewünscht  und  erwartet  wird,  und  in  einer 
Form,  welche  den  Leser  anspricht,  so  sollte  doch  auch  der 
Ernst  einer  wissenschaftlich -historischen  Methode  nicht  zu  ver- 
kennen sein. 

Bei  der  durch  die  Lieferungsausgabe  bedingten  stück- 
weisen  Ausarbeitung  des  Real  Wörterbuches  war  es  unmöglich, 
von  Anfang  an  die  Auswahl  aller  aufzunehmenden  Artikel  fest- 
zustellen und  es  musste  bei  zahlreichen  Stichwörtern  vorläufig 
bloss  auf  einen  folgenden  Artikel  verwiesen  werden;  bei  dessen 
Stolle  im  Alphabet  angekommen,  stellte  es  sich  dann  manchmal 
heraus,  dass  aus  diesem  und  jenem  Grunde  ein  besonderer  Ar- 
tikel unthunlich  sei  und  der  dahin  gehörige  Stoff  besser  unter 
einem  grösseren  Ganzen  untergebracht  werde.  Die  Folge  da- 
von war,  dass  von  jenen  Verweisungen  einige  im  Stich  lassen; 
als  ohne  Zweifel  willkommener  Ersatz  fiir  diesen  Mangel  wurde 
die  Ausarbeitung  eines  eingehenden  Registers  ins  Auge  ge- 
nommen und  durchgeführt,  ein  Verzeichnis,  das  nun  jene  im 


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Vorwort  zur  zweiten  Auflage. 


Vi! 


Buche  selbst,  besonders  in  der  ersten  Hälfte,  sich  vorfindenden 
Verweisungen  überhaupt  unnötig  macht  und  den  Nutzen  uud 
Gebrauch  des  Buches  wesentlich  erhöhen  dürfte. 

Dass  vieles  noch  der  Verbesserung  bedarf,  dass  noch 
manche  Artikel  fehlen,  manche  Bücher  und  JSchriften  neu  her- 
beigezogen werden  müssen,  dass  manche  ältere  Quelle  durch 
eine  neuere  zu  ersetzen  ist  u.  dgl.,  ist  mir  längst  klar  gewor- 
den. Einige  Rezensenten  hatten  die  Freundlichkeit,  mich  in 
dieser  Beziehung  auf  Einzelheiten  aufmerksam  zu  machen  und 
auch  an  wohlwollenden  brieflichen  Berichtigungen  freundlicher 
Leser  hat  es  jetzt  schon  nicht  gefehlt.  Gern  richte  ich  hier 
die  fernere  Bitte  an  die  Leser,  dass  sie  mir  in  dieser  Hinsicht 
xum  Behuf  einer  neueu  Auflage  behilflich  sein  möchten. 

Ich  will  endlich  nicht  sehliesscn  ohne  einen  herzlichen 
Dank,  einesteils  an  die  Mitarbeiter,  welche,  meist  ehemalige 
Schüler  von  mir,  gern  und  hilfreich  mir  beisprangen,  andern- 
teils  an  die  Vorsteher  der  beiden  hiesigen  Bibliotheken,  der 
Stadt-  und  Stiftabibliothek,  deren  Geduld  und  Aufmerksamkeit 
ich  in  hohem  Masse  in  Anspruch  nehmen  durfte. 

St.  Gallen,  Oktober  1882. 

Dr.  Ernst  Götzinger. 


Vorwort 

zur  zweiten  Auflage. 

Was  diese  zweite  Auflage  vor  der  ersten  auszeichnet,  ist 
vornehmlich  eine  grössere  Stoflffiülle,  sowohl  durch  Erweiterung 
einzelner  schon  vorhandener  Artikel,  besonders  aber  durch  viele 
neue  Artikel  vermittelt.  Die  Erweiterung  betrifft  sehr  ver- 
miedene Gebiete,  ich  nenne  namentlich  Stadtrechts- Altertümer, 


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vjji  Vorwort  zur  zweiten  Auflage. 

wofür  das  schöne  Buch  von  Gen  gl  er  reiche  Ausbeute  bot;  gern 
hätte  ich,  dem  Wunsche  eines  Rezenseuten  Folge  gebend,  die 
kirchlichen  Altertümer  ausgiebiger  behandelt  und  z.  B.  Artikel 
über  die  verschiedenen  Sakramente  und  Sakramentalien  dem 
Buche  einverleibt;  ich  sah  mich  schliesslich  trotz  vieles  Nach- 
suchens ausser  stände  dies  so  zu  thun,  wie  es  für  ein  Real- 
lexicon  sich  gebührte;  denn  protestantischerseits  scheint  es  bis 
jetzt  an  ausgiebiger  Behandlung  solcher  Objekte  zu  mangeln, 
und  katholische  Schriftsteller  betrachten  die  genannten  Gegen- 
staude eben  kaum  als  „Altertümer".  Zum  Auseinandernehmen  ein- 
zelner grösserer  Artikel,  wie  sie  ebenfalls  vorgeschlagen  wurde, 
konnte  ich  mich  nicht  entschliessen,  obgleich  ich  wiederholt  die 
ungleichartige  Behandlung  eingestehe,  welche  auf  einzelnen  Ge- 
bieten sich  vorfindet;  aber  das  Buch  hat  nun  einmal  ein  Ge- 
sicht mit  kleinen  und  mit  grossen  Runzeln,  und  soll  diese 
Physiognomie  nicht  aufgeben.  Dagegen  habe  ich,  um  Platz 
zu  gewinnen  und  mehrfach  ausgesprochenen  Bedenken  Raum 
gebend,  die  Übersetzung  der  Germania  gestrichen;  nicht  alle 
Leser  werden  damit  einverstanden  sein.  An  abschliessende 
Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  deutschen  Altertumskunde  ist  eigent- 
lich überhaupt  kaum  zu  denken;  und  es  bleibt  der  Ausspruch 
Herders  vom  Jahre  1777,  der  sich  in  dem  Aufsatz  über  die 
„Ähnlichkeit  der  mittleren  englischen  und  deutschen  Dicht- 
kunst" vorfindet,  namentlich  in  seinen  Schlussworten  immer  noch 
zu  Recht  bestehen:  „Unsere  ganze  mittlere  Geschichte  ist  Patho- 
logie, und  meistens  nur  Pathologie  des  Kopfes,  d.  i.  des  Kaisers 
und  einiger  Reichsstande.  Physiologie  des  ganzen  National- 
körpers —  was  für  ein  ander  Ding!  und  wie  sich  hierzu 
Denkart,  Bildung,  Sitte,  Vortrag,  Sprache  verhielt, 
welch  ein  Meer  ist  da  noch  zu  beschiHen  und  wie  schöne 
Inseln  und  unbekannte  Flecke  hie  und  da  zu  linden!" 

St.  Gallen,  im  November  1884. 

Der  Verfasser. 


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Alphabetisch  nirht  verzeichnete  Artikel  sirvl  im  Sehlussregistcr 

aufzusuchen. 


A. 


Abenteuer,  aus  franz.  die  aren- 
füre,  welches  seinerseits  von  inittel- 
laL  adrentura  kommt.  Dieses  fran- 
zösische Wort,  welches  eine  erfun- 
dene, wunderbare,  den  Geist  der 
Romantik  atmende  Geschichte  be- 
zeichnete, verdrängte  die  früheren 
deutschen  Namen  sage,  spei,  maere, 
tief,  und  bedeutete  nun  auch  im 
Deutschen  als  die  Aren  /iure  die 
höfische,  ritterrnässige,  romantische, 
wunderbare  Erzählung,  im  Gegen- 
sätze zu  den  Erzählungen  der  ein- 
heimischen Sage,  die  immer  noch 
einigen  Anspruch  an  die  Wahrheit 
ihrer  Begebenheit  machten:  sodann 
eine  solche  Begebenheit  selber,  die  der 
Ritter  durch  mimten  soll  aufzusuchen 
verpflichtet  ist,  mhd.  Aren  Hure  suo- 
chen,  befugen,  nach  Äventiure  riten, 
gen,  die  äventiure  ertcerl>en.  er- 
striten,  holn,  nemen,  brechen  u.  dgl. 
Personifiziert  erseheint  die  urenfiure 
oft  in  Ausdrücken  wie:  wie  uns 
die  Äventiure  sagt,  erzählt,  meldet, 
und  als  ein  selbständiges  weibliches 
Wesen  von  göttlicher  Schönheit,  fro 
Äventiure;  sie  kann  sich  durch  einen 
Ring,  den  sie  anzieht,  unsichtbar 
machen,  und  so  zieht  sie  durch  alle 
Lande,  beobachtet  den  Lauf  der 
Welt  und  erscheint  bisweilen  dem 
erzählenden  Dichter,  ihm  Aufschlus« 
über  das  zu  geben,  was  er  zu  wissen 
verlangt.  Recht  im  Gegensatze  zu 
dieser  dem  französischen  Gedanken- 
kreis entstammenden  Bedeutung  des 
Wortes  brauchen  die  Schreiber  des 
Nibelungenliedes  das  Wort  in  der 

Reallextcon  der  deutschen  Altertümer. 


Bedeutung  von  Kapitel,  aber  nur 
die  Schreiber;  im  Text  erscheint  das 
Wort  nicht.  Spätere  Zeiten  machten 
das  Wort  zu  einem  Neutrum,  das 
A  benteuer,  Ebentheuer,  sogar  Abend- 
tlieuer,  mit  Anlehnung  an  Abend 
und  theuer,  und  benannten  damit 
jedes  seltsame,  auffallende  Ereignis. 
—  Im  15.  Jahrhundert  ist  abenlure 
der  Name  des  Schützenpreises  bei 
Gcsellenschiessen.  Aventuriers  oder 
Aventurieren  ist  der  Name  zahl- 
reicher Romane  aus  dein  17.  und 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhun- 
derts, die  zu  den  sog.  Robinsonaden 
zählen ;  dahin  gehört  schon  der  aben- 
teuerliche Simplicissimus  des  Chri- 
stoffel  von  Grimmelshausen  163i); 
später  gab  es  einen  deutschen,  einen 
lustigen,  einen  reisenden,  einen 
schweizerischen,  bremischen,  euriö- 
sen,  dänischen,  Dresdener,  Leipziger 
Avcnrurier.    Vgl.  Goedeke,  £  511. 

Aberglaube ,  mhd.  abergloube 
aus  obergloube,  wie  aber  Aide  (Aber- 
acht) ans  olterAhtc;  erscheint  erst 
gegen  Ende  des  Mittelalters,  in  der 
lutherischen  Bibelübersetzung  bloss 
einmal,  Apostelgesch.  25,  19,  aber- 
gläubig  ebenfalls  einmal,  Apostel- 
gesch.' 17,22.  Das  Wort  ist  durch  das 
lateinische  Wort  superstitio,  super- 
sfifiosus  hervorgerufen  und  ihm  nach- 
\  gebildet.  Aberglaube  ist  sowohl 
Gegensatz  dessen,  was  der  rechte, 
wahre  Glaube  oder  was  man  dafür 
hält,  glaubt,  als  dessen,  was  die  ver- 
nünftige Naturerkenntnis  als  wahr 
erkannt   zu    haben   überzeugt  ist. 

I 


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Abt. 


Das  Mittelalter  mit  seiner  unwider- 
sprochenen Gläubigkeit  kannte  den  | 
Aberglauben  meist  nur  im  ersteren 
Sinne  und  nannte  ihn  Zauberei  oder 
Hexenglaube,  je  nachdem  er  mehr 
handelnd  oder  bloss  meinend  auf- 
trat; erst  die  Reformationszeit,  die 
ja  zugleich  einen  kräftigen  Auf- 
schwung der  natürlichen  AVeltauf- 
fassung  bezeichnet,  machte  den  Be- 
triff de.«  Aberglaubens  allgemeiner; 
Luther  zählt  in  der  Auslegung  der 
10  Gebote  einen  ganzen  Katalog 
abergläubiger  Handlungen  und  Vor- 
stellungen auf.  Vadian,  von  dem 
Mönchsstand  (  Werke,  I,  57,  5  ff.) 
schreibt:  Item  was  allen  Pfarrern 
eingebonden,  das*  si  iren  hefolhnen 
UHaertonen  den  heidesehen  altfränki- 
schen aberglauben  zuo  iceren  sieh 
undementen  sollend,  und  nämlich  die 
schämen  opfer  für  die  toten,  item 
das  Jossen  oder  Walsen  das  ellieh 
Franken  oder  AI  menneranfanas  einer 
jeden  handlang  im  brauch  haftend, 
das  man  hei  unsern  Zeilen  noch  das 
lossbuochen  oder  buochlossen  heisst, 
von  welchem  missbrauch  manch  An- 
nonius  (Aimoinus,  monachus  Floria- 
cencis,  f  1008,  der  eine  hisforia  Fran- 
coru m  schrieb,  ist  gemeint  I  hin  und 
har  ouch  schreibt,  item  das  warsagen, 
das  voqclgsang  und  den  vogelßug, 
das  selzam  segnen,  zuo  welchem  si 
der  heiigen  martrer  namen  bruchtend, 
sam  es  christenlich  geacht  werden 
solte,  und  dass  man  keine  zwangfür 
anrüsten  und  damit  die  miss  tater 
an  das  Hecht  ze  bringen  understan 
söltc,  wie  bei  unsrer  väfer  Zeiten  noch 
vorhanden  getreten,  da  abergloübig 
leut  und  onholden  vermeinen' wellen, 
man  könne  über  ein  hell  feuer  weiss 
was  henken  und  darzuo  etliche  wort 
sprechen  und  streich  tuon,  dadurch 
ein  mensch  etwas  zuo  tuon  oder  zuo 
lasten  gezwungen  werde.  Die  der  Re- 
formation folgenden  Zustände  waren 
nicht  geeignet,  dem  Aberglauben 
psychologisch  und  historisch  gerecht 
zu  werden;  die  Hexenprozesse  sind 
in  katholischen  wie  in  protestanti- 


schen Landen  gleich  verbreitet.  Erst 
die  Aufklärung  nahm  sich,  indem  sie 
gegen  den  Glauben  eiferte,  auf  ihre 
Weise  des  Aberglaubens  an;  eine 
historische  und  psychologische  Wür- 
digung dieser  Erscheinung  war  der 
neuen  Zeit  aufbehalten.  Das  beste 
Werk  darüber  ist:  Wuttke,  der  deut- 
sche Volksaberglaube  der  Gegen- 
wart, Berlin,  1869.  Vgl.  Grimm, 
Myth.,  Kap.  35.  Schindler,  der  Aber- 
glaube des  Mittelalters.  Breslau  1858. 

Abt,  vom  syrischen  Worte  abba, 
Vater,  in  die  kirchlieh-latein. Sprache 
aufgenommen  und  von  da  in  alle 
europäischen  Sprachen  übergegan- 
gen, ahd.  abbat,  mhd.  abltct,  ahtmt, 
apt,  abt,  ist  ein  Name  eines  Kloster- 
vorstehers,  neben  manchen  andern, 
wie  preshyter,  prior,  guardian,  prae- 
positus  (Propst),  major-,  vgl.  schon 
Vadian  von  dem  Mönchsstand,  deut- 
sche hist.  Schriften,  I,  70,  18  ff.  Da 
in  derfränkischen  und  karolingischen 
Zeit  alle  Klöster  des  Abendlandes 
dem  Benediktinerorden  angehörten, 
gab  es  während  dieser  Zeit  bloss 
Benediktineräbte;  vom  Amte  des 
Abtes  handelt  Caput  II  der  Bene- 
diktinerregel: f/na/is  delyeat  esse  ab- 
bas,  in  dessen  St  Gallischer  Inter- 
linearversion (Hattemer,  St.  Gallische 
Denkmale,  I,  36)  der  Name  al>bas 
unübersetzt  geblieben  oder  durch 
fatar  wiedergegeben  worden  ist.  Die 
Benediktinerinnen  hatten  ihre  Äb- 
tissinnen. Das  Recht  der  Abtwahl 
stand  zwar  gesetzlich  den  Mönchen 
des  Klosters  zu,  kam  aber  selten 
wirklich  zur  Ausübung;  in  den  könig- 
lichen Klöstern  ernannte  regelmässig 
der  König  den  Abt.  Häufig  gelangte 
sogar  Name,  Würde  und  Einkommen 
eines  Abtes  durch  königliche  Beleh- 
nung in  die  Hand  eines  Laien,  an 
dessen  Statt  dann  regulierte  Unter- 
äbte, Dekane  oder  Prioren  das  K  loster 
leiteten.  Als  sich  infolge  der  Klo- 
sterreform der  Benediktincrorden 
in  reformierte  und  nichtreformierte 
Klöster  spaltete,  behielten  die  refor- 
mierten den  Namen  Abt  bloss  fiir 


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Acht  —  Ackerbau. 


3 


den  Vorsteher  des  Stammklosters  bei, 
die  übrigen  Klöster  erhielten  einen 
Prior ,  j/roaftba*  oder  eoabba*.  Die 
Äbte  der  nicht  reformierten  Klöster 
wurden  kleine  Monarchen,  hielten 
eigenen  Hofstaat  und  gelangten  zum 
Teil  in  den  ReiehsfÜrstenstand,  wie 
die  Äbte  von  Fulda,  Kempten,  St. 
Emmeran  in  Regensburg,  St.  Gallen, 
Einskdeln,  die  Äbtissinnen  zu  Gan- 
dersheim, Quedlinburg,  Herford.  Von 
spatern  Orden  nannten  nur  wenige 
ihre  Vorsteher  Abt,  darunter  die 
Cisterzicnser,  Bernhardiner,  Trap- 
pisten,  Grandmontaner,  Prämonstra- 
tenser.  Ein  Kloster,  dessen  Vorsteher 
Abt  oder  Äbtissin  heisst,  ist  eine 
Abtei,  mittellat.  abbalia,  ahd.  abba- 
teia,  mhd.  abbeteie,  aptei,  ab  fei.  Das 
Amtszeichen  des  Abtes  war  ein  dem 
Bischofsstab  ähnlicher  Stab,  der  je- 
doch nicht  nach  aussen,  sondern  ein- 
wärts gebogen  war,  um  anzudeuten, 
dass  sich  die  Macht  des  Abtes 
ausschliesslich  auf  das.  Kloster  be- 
schränke. Einzelnen  Äbten  wurde 
von  den  Päpsten  das  Recht  zuge- 
standen, sich  des  bischöflichen  Or- 
nates zu  bedienen. 

Acht,  ahd.  die  ähta,  mhd.  die  ahte 
oder  aehte,  heisst  die  im  altdeutschen 
Rechte  vorhandene  Gesetz-  oder 
Rechtloserklärung.  Schon  in  der 
fränkischen  Zeit  konnte,  ein  Ver- 
brecher zur  Strafe  aus  dem  gemei- 
nen Frieden  oder  aus  des  Königs 
Schutz  gesetzt  werden;  die  Strafe 
hiess  ton ;  den  sie  traf,  tearau*,  Wolf, 
weil  der  Wolf  das  friedlose  Tier 
ist;  der  so  gestrafte  verlor  sein  Ver- 
mögen, keiner  durfte  ihm  Brot  und 
Obdach  reichen  und  jeder  ihn  un- 
gestraft töten.  Die  Strafe  konnte 
vom  Gericht  oder  vom  König  aus- 
gesprochen werden.  Nur  den  vom 
Köni^  ausgesprochenen  ban  nennt 
der  Sachsenspiegel  ahte-,  den  vom 
Gericht  ausgesprochenen  nennt  er 
verfe*tung ,  während  der  Schwabcn- 
spiegel  beides  ähte  heisst;  den  Ge- 
ächteten ,  mhd.  aehter,  durfte  nie- 
mand länger  als  eine  Nacht  behal- 


ten, ihm  weder  Obdach,  Schutz  noch 
sonst  etwas  verabreichen;  er  konnte 
auch  an  gebundenen  oder  gefriede 
ten  Tagen  vom  Kläger  verhaftet, 
und  wenn  er  sich  zur  Wehr  setzte, 
erschlagen  werden.  Bloss  der  vom 
König  verhängten  Acht  folgte  nach 
Jahr  und  Tag  die  oberukte,  nhd. 
Aberacht,  welche  alles  Recht  und 
allen  Frieden  entzog. 

Ackerbau.  Man  nimmt  allgemein 
an,  dass  schon  die  alten  Germanen 
sowohl  die  Wohnart  in  Einzelhöfen 
( Einöden)  kannten,  die  noch  in  West- 
falen und  im  deutschen  Süden  vor- 
kommt, als  diejenige  in  eigentlichen 
Dörfern.  Gut.  das  thaurp  —  Bauland, 
Feld,  stimmt  mit  griecn.  ivgHrj  = 
Gedränge,  Lärm,  lat.  turba  =  Menge, 
Haufen,  ahd.  u.  mhd.  dorf,  nieder- 
deutsch rfo/yj;  andere  Namen  sind 
got  reih*,  ahd.  irieh ;  got.  haim*,  ahd. 
neima;  got.  baurgx,  abd.  bürg.  In 
den  Dörfern  im  engem  Sinne  nah- 
men kleinere,  durch  Geschlecht-  oder 
Stammesfreundschaft  verbundene 
Genossenschaften  einen  grössern  oder 
kleinem  Landstrich  in  Besitz.  Im 
Ganzen  haben  sich  die  Verhältnisse 
auf  diesem  Lebensgebiete  wenig  ver- 
ändert, und  was  während  des  Mittel- 
alters Sitte  und  Recht  ist,  wird  meist 
sehr  alten  Ursprunges  sein. 

In  jeder  Gemeinde  ist  Privat- 
eigentum  und  Gemeindeeigentum  zu 
unterscheiden.  Alles,  was  der  Ein- 
zelne im  Dorfe  besass,  Haus  und 
Hofstätte,  Ackerland  und  Recht  in 
der  gemeinen  Mark  hiess  ahd.  die 
huoba,  kuopa,  mhd.  die  huobe,  huofe, 
nhd.  Hube  und  Hufe,  davon  mhd. 
der  huober,  als  Familienname  Hul>er 
erhalten.  Andere  Bezeichnungen  sind 
Lo*,  Pflug,  Hof,  man*u*.  Auf  der 
Hufe  ruhte  das  Recht  der  Einzelnen 
in  der  Gemeinschaft,  sie  war  die 
Grundlage  der  Freiheit.  Zum  Unter- 
schied seines  Gutes  und  Hauses  von 
anderen  bediente  sich  der  Freie  nach 
alter  Sitte  eines  Zeichens,  hantmdl, 
hantgemäl,  welches  auch  ab  Name 
für  aen  Grundbesitz  selber  erscheint, 

1* 


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4 


Ackerbau. 


siehe  den  Art.  Hau*-  und  Hofmarke.  |  die  zugehörigen  Grundstück«»,  Acker, 
Ein  anderer  sehr  alter  Name  ist  odal,  Wiesen ,  W  einberge ,  Waldstücke. 
uodal  —  ererbter  Grundbesitz.  Die  !  Diese  hatten  ursprünglich  ein  be- 
Hufe konnte  später  dcrTcilung  unter- 1  stimmtes  gleiches  Mass,  das  aber 
liegen,  doch  war  Teilung  jedenfalls  zwischen  20,  30  und  40  Morgen  (  = 
nicht  beliebt;  man  suchte  vielmehr  soviel  als  man  mit  einem  Gespann 
dem  Bedürfnis  durch  Anlage  neuer  an  einem  Morgen,  später  Tage  pflü- 
Hufen  und  Dörfer  zu  genügen.  Die  \  gen  kann)  Tageirerken  oder  Jucft- 
Gemeinschaft  des  Landes  begründete  arten  wechselte;  Königshufen  fin- 
manche  Gemeinschaft  des  Lebens,  den  sich  zu  60  und  120  Morgen. 
Bei  den  salischen  Franken  war  die  Das  für  den  Ackerbau  bestimmte 
Niederlassung  im  Dorfe  an  die  Zu-  Feld  wurde  ursprünglich  gemeinsam 
Stimmung  aller  Gemeindegenossen  j  angelegt  und  sodann,  nicht  selten 


gebunden.  Die  Mitglieder  des  Dorfes 
waren  zu  gegenseitiger  Hilfe  und 
Unterstützung  verpflichtet,  z.  B.  durch 
Zeugnis  vor  Gericht.  Von  jeher  hat- 
ten die  Dörfer  ohne  Zweifel  einen 
Vorsteher,  von  den  Mitgliedern  er- 
wählt. Der  zur  Beratung  gemein- 
schaftlicher Angelegenheiten  be- 
stimmte Platz  war  durch  eine  Linde 


nach  dem  Loose,  jedem  einzelnen 
Genossen  sein  Anteil  zugemessen. 
Wenn  das  anfangs  bebaute  Land 
nicht  ausreichte,  wurde  ein  neues 
Feld  gebrochen  und  gleichmässig 
verteilt,  so  dass  jeder  den  gleichen 
Anteil  an  gutem  und  geringerem, 
an  fettem  und  magerem,  nahem  und 
entfernterem  Boden  hatte.  Für  die 


ausgezeichnet.  Eine  gerichtliche  Be-  Abmessung  der  einzelnen  Acker- 
deutung dieser  Versammlungen  war  flächen  war  Messung  mit  dem  Seil, 
nicht  vorhanden ;  das  war  Sache  der  im  skandinavischen  Norden  Sonnen- 
Centenen,  die  meist  umfangreicher  ge-  teilung  genannt,  üblich,  im  Gegen- 


wesen  sein  werden  als  die  Dorfschaft. 

Der  erste  Teil  der  Hube  ist  die 
Harn-  und  Hofstatt.  Das  Haus,got.  nur 
einmal  in  gud-hüs,  Gotteshaus,  vor- 
kommend, dagegen  in  allen  andern 
germanischen  Dialekten  hus  lautend, 
ist  verwandt  mit  ahd.  hut,  Haut,  von 
einer  Wurzel  die  hedecken ,  bergen 
bedeutet;  der  gleichen  Wrurzel  ent- 
stammt Hütte.  Es  war  aus  Holz 
und  bildete  anfänglich  nur  einen  ein- 


satz  gegen  die  Hammerteilung ,  die 
auf  dem  Wurf  eines  Hammers  be- 
ruhte. 

Ks  war  aber  das  Ackerfeld  jeder 
Gemeinde  in  drei  Fluren  eingeteilt, 
deren  jede  einen  eigenen  Acker- 
complex  bildete,  so  zwar  dass  dieser 
je  nach  der  Lage  und  Beschaffenheit 
des  Bodens  wieder  in  besondere  Ge- 
winne, Breiten  und  Kampe  zerfallen 
mochte.  Die  Einteilung  des  Acker- 


zigen  Raum.  Das  deckend«'  Material  landes  in  die  drei  Fluren  begründete 


war  Stroh  oder  Schilf.  Edlere  Aus 
drücke  für  Häuser  wohlhabender 
Leute  sind  sal,  türm,  bürg.  Hof, 
formelhaft  alliterierend   mit  Haus 


das  Dreifeldersystem,  welches  überall 
zur  Anwendung  kam,  wo  Germanen 
sich  sesshaft  machten.  Die  einzelne 
Flur  nannten  die  Sachsen  eine  Kop- 


verbunden ,  verwandt  mit    grieeh.  I  pel   (daher   Koppelwirtschaft)  aus 


xijnoc  Garten,  lat.  eampus,  heisst 
der  eingefriedigte  Wirtschaftsplatz 
am  Hause.  Der  Platz,  auf  dem  Haus 
und  Hof  stehen,  heisst  hovasfaf,  hora- 
reiti.  Umzäunt  wie  sie  war,  galt 
sie  als  ein  für  die  Gemeinweide  ge- 
schlossenes Gut,  das  in  höherm 
Frieden  lag  (siehe  den  Art.  Friede,  c). 
Der  zweite  Teil  der  Hube  sind 


franz.  eonple,  die  Thüringer  einen 
Schlag,  die  Alemannen  und  Baiern 
eine  Zeige,  die  Franzosen  une  sole. 
Die  Dreifelderwirtschaft  bestand  nun 
darin,  dass  alle  Äcker,  welche  zu 
einer  Flur  gehörten,  in  einem  Zeit- 
räume von  drei  Jahren,  der  sich 
periodisch  wiederholte ,  derselben 
Kulturfolge    unterliegen  mussten. 


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Ackerbau. 


5 


Zwei  Jahre  hintereinander  wurde 
die  Zeige  bepflanzt,  und  zwar  das 
erste  Jahr  mit  Winterfrucht ,  das 
zweite  Jahr  mit  Sommerfrucht ,  das 
dritte  Jahr  blieb  sie  unbesäct  u.  s.  f. 
Der  ungenützte  Zustand  der  dritten 
Feldperiode  hiess  Brache,  nieder- 
sächsisch  Driesch;  dieselbe  wurde  bei 
sorgfältiger  Kultur  dreimal  gepflügt; 
waren  zuerst  die  Stoppeln  des  zwei- 
ten Jahres  durch  eine  erste  Pflügung 
umgebrochen,  so  kam  dann  das  zweite 
Pflügen,  das  Falgen  oder  Felgen, 
und  nachdem  der  Brachacker  gedüngt 
war.  das  Saatpflügen.  Ruhte  der 
Brachacker  in  Alemannien  und  Bai- 
ern  mehrere  Jahre  hindurch,  so  dass 
ihn  Unkraut,  Dorn  und  Gesträuch 
erfüllten,  so  sagte  man,  er  liege  in 
Egerten,  und  er  unterlag  in  solchem 
Zustande  dem  gemeiuen  Weiderecht, 
zuletzt  konnte  er  in  das  Gemein- 
eigentum zurückfallen.  Das  mit 
W  iuter-  oder  Sommerfrucht  bewach- 
sene Land  hiess  in. den  genannten 
Gebieten  Euch  oder  Osch,  and.  ezzi.sk, 
Saarfeld.  Der  Fortbestand  des  Masses 
einer  Hube  hing  meist  vom  Willen  od. 
von  der  ökonomischen  Stellung  des 
Eigentümers  ab.  In  Klosterurbarien 
dauern  die  alten  Güter  bis  ins  17. 
Jahrh.;  kleinere  Eigentümer  sahen 
»ich  früh  genötigt,  ihre  Huben  durch 
Verkauf,  Erbsehaftsteilung  zu  schmä- 
lern, oder  sie  vergrösserten  sie  urn- 
gekehrt durch  Erwerb  neuer  Grund- 
stücke. —  Ebenfalls  zur  Hube  und 
zum  Sondereigentum  wurden  Wie- 
sen gerechnet,  deren  Ertrag  man 
nach  Fudern,  Lasten  oder  Mannmad 
(was  ein  Mann  an  einem  Tage 
mähen  mag)  berechnete;  sie  lagen 
zerstreut  bald  beim  Dorfe,  bald  zwi- 
schen Äckern,  bald  im  Walde,  bald 
an  Abhängen,  wo  immer  die  erfor- 
derliche Wässerung  möglich  war. 
Früh  findet  man  auch  Waldung  im 
Privatbesitz  und  zur  Hube  gehörig, 
ebenso  Wein-,  Obst-  und  Kraut- 
gärten. 

Der  dritte  Teil  der  Hube  be- 
schlägt den  Anteil  an  def  gemeinen 


Mark.  Jeder  vollberechtigte  Dorf- 
markgenosse  war  befugt,  das  für 
ihn  notwendige  Holz  zum  Kochen, 
Heizen,  Bauen  und  für  seine  Gerät- 
schaften, Werkzeuge  und  Zäune  aus 
dem  gemeinen  Walde  zu  beziehen, 
wofür  mit  der  Zeit  besondere  Verein- 
barungen notwendig  wurden,  siehe 
den  Art.  Markgenossenschaft.  Zum 
Rechte  der  Markgenossen  gehörte 
auch  Jagd,  Fischerei  und  Bienen- 
fang. Sodann  erstreckte  sieh  das 
gemeine  Nutzungsrecht  auf  jede  Art 
von  Gewässern,  auf  Quellen,  Brun- 
nen, Bäche  und  Flüsse,  auf  Kies- 
und  Saudgruben,  Torf-  und  Thon- 
gruben, Kalk-  und  Steinbrüche.  Wer 
dessen  bedurfte,  konnte  Gemeinde- 
land durch  Ausreuten  in  sein  Privat- 
eigentum verwandeln,  was  dann 
^Seugcreut,  niutc  qeriute,  nocale  hiess. 
Endlieh  hatte  jeder  Markgenosse  das 
Weiderecht  auf  der  gemeinen  Mark, 
wozu  die  Waldfrüchte,  Eicheln,  Bu- 
cheln,  Hagenbutten,  Schlehen,  Hasel- 
nüsse, Holzäpfel  gehörten,  die  zur 
Schweinemast  benutzt  wurden.  Der 
Weide  standen  aber  auch  die  Privat- 
grundstüekc  offen,  sobald  Früchte 
und  Heu  davon  genommen  waren, 
also  in  der  Braehzelge  den  ganzen 
Sommer  über,  in  den  beiden  andern 
Zeigen  nach  der  Ernte.  Die  beiden 
letztern  Zeigen  wurden  mit  Zäunen 
geschlossen,  sobald  sie  besäet  wa- 
ren, die  Winterzeig  gewöhnlieh  um 
Galli  (16.  Okt.),  die  Sommerzeig  um 
Walpurgä  (1.  Mai).  Ging  durch  eine 
Zeige  eine  Strasse,  welche  der  Zaun 
überschritt,  so  musstc  dort  ein  Fall- 
tor unterhalten  werden,  ein  von 
Stangen  gemachter  Gatter,  der,  ge- 
öffnet, von  selbst  wieder  zufiel;  das 
Fallthor  diente  dem  öffentlichen  Ver- 
kehr, während  andere  Dnrchgangs- 
gatter,  Bürden  genannt,  solchen 
Besitzern  dienten,  deren  Grundstücke 
von  der  Strasse  entfernt  lagen.  Nach 
der  Ernte  waren  die  Felder  dem  Vieh 
zur  Weide  geöffnet.  Alte  Namen 
für  die  gemeinen  Nutzungen  sind 
Wun  und  Weid,  Trieb  und  Trat, 


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6 


Adel. 


Weg  und  Steg,  Stock  und  Stein,  doch  heute  meist  als  historisch  an- 

Wasser  und  Wasserleitungen.  genommen,  schon  von  Tacitus  in  der 

In  späterer  Zeit  kamen  halbe,  Germania  25  erwähnt  (super  ingenuoa 

Drittels-  und  Zweidrittelshuben  vor,  et  nobile«).  Eine  mythische  Abstam- 

verkleinerte  Huben,  für  die  wie  es  mung  und  Erklärung  des  Adels,  wie 

scheint  die  Namen  Sehupissen,  mhd.  sie  das  Rigsmal  der  alten  Edda  ent- 

sehuopözen   und  T^u  nagten  in  Ver-  hält,  lässt  sieh  auf  deutschem  Boden 

Wendung  kamen.  nicht  nachweisen;  seine  Bedeutung 

Was  die  von  den  Deutschen  an-  ist  eine  historische ;  er  wurzelt  in  der 

gebauten  Getreidearten  betrifft,  so  Vergangenheit,  vielleicht  in  einer  fer- 

scheint  die  älteste  Art  der  ] laber  neren  Vergangenheit  des  Volkes.  Er 

zu  sein,  Habermus  wird  schon  von  ,  besteht  aus  einzelnen  Geschlechtern, 

Pf  intus,  bist.  nat.  18,  44,  als  die  die  das  Volk  höher  ehrt  als  die  übri- 

Hauptspeise  der  Deutschen  genannt.  gen  Genossen,  deren  Ursprung  aber 

Den  nördlichen  Germanen  war  Gerste  im  Dunkeln  liegt,  wie  der  Ursprung 

das  Hauptgetreide,   sie  dient  zur  des  Volks  und  seiner  Gliederung,  des 

Bierbereitung,  zu  Futter  für  Vieh  Staats  und  seiner  Ordnung  selbst, 

und  Geflügel,  zu  Graupen  und  Grütze  Die  Adligen  oder  Edelfreien  unter- 

und  zu  Brod.  Beide  Getreidearten,  hielten  grosse  Gefolgschaften;  ihre 

Haber  und  Gerste,  sind  Sommer-  Stimme  natte  besonderes  Gewicht  in 

früchte.  Auf  sie  kamen  als  Winter-  der  Gauversammlung.  Sie  besassen 

fruchte  Wintergerste  und  Roggen,  das  Führeramt,  vorzugsweise  auch 

Von  den  Römern  lernten  deutsche  das  Priestertum ;  in  ihren  stattlicher 

Stämme  den  Dinkel  oder  Spelz  und  gebauten  Hallen  sammelten  sieh  die 

den  Weizen  kennen.    Mischelkorn  '  Freien  zu  glänzenden  Gastmahlen 

bestand  wohl  meistens  aus  Roggen  und  Festlichkeiten.    Das  Wehrgeld 

und  Weizen  oder  aus  Spelz  und  des  Adligen,  schon  ahd.  adating,  ede- 

Weizen.  Unter  den  Hülsenfrüchten  fing,  ist  höher  als  das  der  Freien, 

waren  Bohnen,  Linsen,  Erbsen  und  Aus  dem  Adel  werden  die  Könige 

Wecken  die  Beliebtesten.  gewählt.  Regelmässig  waren  die  Ad- 

Nach  den  Getreidearten   sagte  figen  besser  bewaffnet  und  von  Die- 

man  statt  Winter-  und  Sommerzeig  nern  umgeben;  bei  den  Stammen,  die 

Boggen-  und  Haberzeig  und  unter-  zu  Fuss  kämpften,  erschienen  sie  bis- 

schied  sodann  Früchte  m  Grosssaat,  weilen  zu  Pferd.  Ausgezeichneter 

worunter    man  die   Winterfrüchte  Adel  gereichte  schon  den  Jünglingen 

Roggen,  Spelz,  Weizen  und  Mischel-  zum 'S  orteil,  junge  Adlige  liebten  den 

frucht   verstand,    und   Sehmalsaat,  I  Krieg,  sie  suchten  ihn  auf  in  der 

worunter  man  Sommerfrüchte,Gerste.  Ferne,  wenn  daheim  Friede  herrschte. 

Haber  und  Hülsenfrüchte  begriff*.  Adlige,  besonders  Jungfrauen,  wur- 

Nach  Waitz,  Verf.  Gesch.  I,  Cap.  4  1  den  gem  zu  Geiseln  genommen,  die 

und   namentlich   Job.  Meyer,   Ge-  Vermählung  mit  dem  Adligen  wurde 

schichte  des  schweizerischen  Bundes-  besonders  gesucht,  und  er  nahm  wohl 
rechtes.    Bd.  1,  S.  210—229.  Win- 1  eben  deshalb  mehr  als  eine  Frau, 

terthur  1878.    Vgl.  desselben  Pro-  Übrigens  war  die  Stellung  und  Zahl 

gramm  „Die  drei  Zeigen".  Frauen-  des  Adels   bei  den  verschiedenen 

feld  1880.  Stämmen  sehr  verschieden.   Die  sa- 

Adel,  altd.  das  adal,  mhd.  das,  lischen  Franken  hatten  keinen  Adel 

selten  der  adel ,  verwandt  mit  ahd.  ausser  der  königlichen  Familie,  bei 

nodal  =  Vaterland,  Erbgut.  Es  sind  den  Baiern  waren  nur  fünf  adlige  Ge- 

zu  unterscheiden:  sehlechter,  die  Sachsen  und  Goten 

1)  der  urgermanisehe  Adel,  zwar  hatten  einen  sehr  zahlreichen  Adel, 

von  manchen  Forschern  bestritten,  2)  Übergang  ins  Mittelalter,  An- 


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Adel.  7 

fanae  des  Dienstadels.  Mit  der  Neu-  sehn  des  Geschlechts  abhängig,  ohne 

oildting  der  fränkischen  Monarchie  dass  damit  ein  bestimmter  rechtlicher 

verliert  der  alte  Geburtsadel  seine  Vorzug  verbunden  wäre.  Besonderen 

Bedeutung:  wo  er  sich,  wie  bei  den  Einfluss  indessen  auf  die  allmähli- 

Baiern  und  Sachsen,  in  einigen  Ge-  che  Neubildung  des  mittelalterlichen 

schlechtem  erhalt  und  von  den  frän-  Adels  gewinnen  die  Institute  des 

loschen  Königen   anerkannt  wird,  Benefizial Wesens,  der  Vasallität  und 

vermischt  er  sich  mit  dem  sich  jetzt  der  Immunität. 

neu  bildenden  Stande,  der  kein  Ge-  a)  Beneßziaheejten.  Beneßeium, 
burtsstand  ist,  sondern  ein  Dienst-  eigentlich  Wohlthat,  ist  der  Empfang 
adel.  ein  Stand  der  Bevorzugten  und  von  Land  zu  Niessbrauch.  Es  wird 
Vornehmen.  Er  bildet  eine  von  den  verliehen  entweder  von  einer  geitt- 
Freien  aufwärts  bis  zum  Throne  des  liehen  Stiftung,  ursprünglich  einem 
Königs  aufsteigende  Aristokratie,  gewöhnlichen  Landbauern,  später 
durch  Amt,  persönlichen  Dienst  oder  und  immer  häufiger  einem  angesehe- 
Empfang  königlicher  Güter  auage-  neu  Manne,  der  es  entweder  mit 
zeichnet.  Diese  Neubildungen  be-  den  Knechten,  welche  bisher  darauf 
ginnen  auf  fremdem,  erobertem  Bo-  wohnten,  empfing  oder  selbst  solche 
den ,  in  Gallien ,  und  sind  von  dort  hinsetzte  und  nun  seinerseits  die  Lei- 
MM  auf  alten  deutschen  Boden  ver-  stungenentgegennahm,zudcueudiese 
pflanzt  worden.  Die  Treue  und  An-  gehalten  waren.  Der  regelmässige 
nängiichkeit  an  den  König  ist  eine  Zins  ist  seit  Karl  d.  Gr.  ein  doppelter 
besondere  Pflicht  dieser  Bevorzugten.  Zehnte,  neben  welchem  noch  andere 
Im  einzelnen  lassen  sich  unterschei-  Leistungen  vorkommen,  Unterhal- 
den: Übertragung  von  kirchlichem  tung  kirchlicher  Gebäude,  Dienste, 
Grundbesitz  als  Schenkung,  als  Geschenke,  Kriegspflicht;  die  Per- 
Wohlthat,  beneßeium,  auf  Bitten,  zum  son  des  Empfängers  kann  hohem 
Nießbrauch ,  Schenkungen  des  Kö-  oder  niederein, geistlichem  oder  welt- 
nigs  als  Wohlthat,  in  der  Voraus-  lichem  Stande  angehören.  Oder  von 
setzung,  da&s  der  Beschenkte  dem  :  trettlielien  Grundbesitzern ;  in  diesem 
Könige  treu  und  ergeben  sei,  Er-  Falle  fehlten  gesetzliche  Vorsehrif- 
in  den  besondern  Schutz  des  ten,  und  alles  war  gegenseitiger  Ver 


rvomes. 


önigs,  Aufnahme  ins  Gefolge  des  einbarung  oder  der  sich  bildenden 
Königs,  Übernahme  eines  Amtes, .  Gewohnheit  überlassen.  Oder  vom 
z.  B.  des  Majordomus,  des  Herzogs '  König,  in  welchem  Falle  auf  dem 
und  des  Grafen.  Der  Name  Adel  er- 
scheint in  dieser  Periode  sehr  selten; 
man  findet  entweder  Namen  beson- 
derer Dienstklass»  n  .  wie  rassi,  an- 
trustiones,  von  trustis  verbundene  j  benszeit,  oder  gegen  die  Bedingung 
Schar,  leudes.  ßdeles,  homines,  oder  ausdauernder  Treue  und  Ergcben- 
Nainen  allgemeinerer  Natur,  wie  viri  heit  Kein  B.  durfte  verkauft,  ver- 
maanißei.  venerabiles,  illustres  riri,  schenkt  oder  sonst  veräussert,  ila- 


königlichen beneßeium  kein  Zins  zu 
lasten  pflegte.  Häufig  kommt  Ver- 
wandlung des  B.  in  Eigentum  vor, 
manchmal  ausdrücklich  nur  auf  Le- 


majores,  majores  natu,  honorati,  pri- 
ores, primäres,  prima rii,  primi,  pri- 
t,  potentes,  mag ni,  principe*,  pro 


gegen  konnte  es  an  andere  in  glei- 
cherweise übertragen  werden.  Auch 
andere  Gegenstände  konnten  als  B. 
eeres,  optimales.  geliehen  werden,  namentlich  Kirchen 

3 1  Die  Zeit  der  Karolinger.  Noch  und  Klöster,  au  Geistliche  wie  an 
immer  ist  in  dieser  Periode  die  Ari-  Weltliche,  bei  welch  letztern  es  allein 
stokratie  kein  abgeschlossener  Stand,  I  auf  den  Genuas  der  Einkünfte  an- 
wechselt in  ihren  Mitgliedern,  ist  im  i  kam,  sodann  Forstrechte,  Fische- 
einzelnen von  Abstammung  und  An-  reien,  Zölle,  während  Verleihung  von 


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8 


Adel. 


Gerichtsbarkeit  als  B.  in  dieser  Pe- 
riode meist  nicht  vorkommt.  Auch 
Ämter,  namentlich  Grafschaften  wur- 
den als  Benejieia  behandelt.  Das  B. 
hat  für  deu  Verleiher  wie  für  den 
Belieheneu  einen  persönlichen  Cha- 
rakter und  gilt  deshalb  nur  für  die 
Lebenszeit  beider;  doch  war  Neu- 
verleihung Kegel,  besonders  dann, 
wo  der  Beliehene  sich  mit  dem  von 
ihm  geschenkten  Eigentum  belehnen 
liess  (vreearie). 

b)  Vasallität.  Die  7i  omtnendation 
oder  der  Eintritt  in  die  Vasallität, 
d.  i.  in  den  Schutz,  mundium.  eines 
andern,  erfolgte  durch  einen  symbo- 
lischen Akt  in  der  Weise,  dass  einer 
seile  •  Hände  zusammengefaltet  in  die 
des  Schutzherrn  legte,  welcher  Hand- 
lung das  Treuversprechen  folgte.  Der 
Kommendierte  heisst  rassus  oder  ra- 
satlus,  wahrscheinlich  aus  dem  Kel- 
tischen, auch  gasindus,  hämo.  Mit 
seltenen  Ausnahmen  sind  es  regel- 
mässig Freie,  die  in  die  Vasallität 
treten;  die  Verhältnisse  sind  nach 
dem  Stande  des  Herrn  sehr  ver- 
schieden. Vasallen  können  wieder 
Vasallen  haben ;  es  giebt  königliche, 
herzogliche,  gräfliche,  bisehöfliche, 
äbtische.  Wer  ein  Beneßeium  em- 
pfangen hat,  muss  sich  in  die  Va- 
sallität begeben,  abgesehen  von  nie- 
dern  bäuerlichen  Verhältnissen  und 
Preearien.  fcin  und  derselbe  Mann 
kann  mehrern  Herren  als  Vasall  ver- 
pflichtet sein.  Der  Tod  löst  die  Va- 
sallität unter  allen  Umständen,  so- 
wohl beim  Herrn  als  bei  dem  Vasall; 
Nachfolger  und  Söhne  müssen  sie 
von  neuem  geben  und  eingehen.  Der 
Herr  hat  dem  Vasallen  Schutz  zu 
leisten,  vertritt  ihn  vor  Gericht,  hat 
eine  gewisse  Gerichtsbarkeit  über 
ihn;  die  Vasallität  ist  ein  serrifium, 
ein  Dienst.  Di*'  eigentliche  Ver- 
pflichtung war  treue,  der  Dienst  ein 
verschiedener,  entweder  um  die  Per- 
son des  Herrn,  oder  nur  für  gewisse 
Geschäfte,  wobei  der  Vasall  auf  sei- 
nem Hofe  wohnen  konnte.  Als  Mit- 
tel, die  mächtigen  territorialen  Ge- 


walten in  eine  sichere  Abhängigkeit 
vom  fränkischen  Königtum  zu  setzen, 
sehlug  man  auch  den  Weg  ein,  die 
Inhaber  derselben,  die  Herzöge,  zur 
vasallitischen  Huldigung  anzuhalten, 
ebenso  die  höhern  Beamten,  Äbte, 
üischöfe. 

c)  Immunität.  Sie  ist  ursprüng- 
lich eine  Freiheit  von  Abgaben  und 
Leistungen,  wurde  aber  mit  der  Zeit 
zu  einem  Inbegriff  von  Hoheitsrech- 
ten für  die  Besitzer,  geistliche  Stifter 
oder  hohe  Weltliche.  Sie  steht  zuerst 
nach  altem  Herkommen  den  könig- 
lichen Gütern  zu,  deshalb  auch  den- 
jenigen Klöstern,  die  vollständig  in 
den  Besitz  des  Königs  übergingen, 
und  einzelnen  Personen.  Die  t  rei- 
heit  von  den  Leistungen  an  den  Staat 
führte  zu  einem  Ausschluss  der  öffent- 
lichen Beamten,  zu  einer  Übertra- 
gung ihrer  Rechte  an  die  Inhaber 
uer  Immunität.  Sie  bezieht  sich  auf 
Land  und  Leute,  auf  die  Besitzungen 
und  auf  die  ansässigen  Menschen, 
also  auch  auf  die  Benefizien;  später 
wird  sie  auch  auf  Zölle  und  innen 
verwandte  Abgaben  ausgedehnt.  Da- 
gegen ist  der  Heerdienst  und  Wach- 
dienst ausgenommen.  Dadurch  dass 
die  mit  der  I.  behafteten  königlichen 
Güter  und  kirchliehen  Stiftungen 
auch  eigene  Gerichtsbarkeit  ernal- 
ten,  bekommen  sie  den  Charakter 
besonderer,  von  dem  übrigen  Körper 
des  Reichs  abgetrennter  Gebiete  oder 
Herrschaften. 

4)  Vom  Aussterben  der  Karo- 
linger but  zur  Ausbildung  der  Lehens- 
Verfassung.  Einen  abgeschlosseneu 
Stand  des  Adels  hatte  die  Karo- 
lingerzeit noch  nicht  gekannt;  auch 
die  im  engereu  Sinu  Mittelalter  ge- 
nannte Periode  kennt  einen  solchen 
Stand  im  rechtlichen  Sinne  nicht. 
Dagegen  bildet  es  den  Kitterstand 
aus  und  in  und  mit  ihm  denjenigen 
Stand,  der  durch  seine  gesellschaft- 
lichen Verhältnisse,  seine  Bildung 
und  Kunst  der  Träger  eines  ge- 
schlossenen Kulturlebens  wird.  Die- 
ses wird  besonders  durch  die  Aus- 


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Adel. 


9 


bÜdung  der  Ministerialen  bedingt. 
Ursprünglich  ist  Ministeriell,  Dienst- 
mann, mnd.  dienestman,  plur.  dienest- 
man  und  dienest) 'iu te ,  ein  einfacher 
Diener  im  eigentlichen  Sinne  des 
Wortes,  ohne  Rücksicht  auf  die  Art 
des  Dienstes,  im  Hause  um  den  Herrn 
oder  auf  dem  Einzelhofe,  ob  niedrig 
oder  höher  und  deshalb  ehrenvoll. 
Besonderes  Ansehen  genoss  der  Hof- 
dienst, bei  grössern  Landbesitzern 
der  Rossdienst,  die  Teilnahme  am 
Kriegsdienst,  die  jeden,  der  ihn 
leistete,  über  die  alten  Genossen  zu 
höherer  Ehre  und  zu  besserem  Rechte 
erhob.  Solche  Leute  heissen  servi, 
Knechte,  servitores,  famuli,  minist  ri, 
ministeriales,  die  Kriegsdienst  Lei- 
stenden milites.  Mit  der  Zeit  kam 
die  Bildung  dieser  Leute  zu  einer 
bestimmten  Anerkennung,  zu  einem 
Abschluss.  Es  gab  ein  Recht,  einen 
Stand  der  Ministerialen.  Das  frühere 
Dersönliche  Verhältnis  wurde  ein 
dauerndes,  erbliches:  neben  dem 
Prinzip  der  Dienstbarkeit  wirkte  das 
Prinzip  persönlicher  Freiheit.  Zwar 
sind  nie  M.  zu  Dienst  verpflichtet, 
haben  einen  Herrn,  heissen  seine 
Diener,  aber  der  Dienst  selbst  heisst 
ein  freier;  die  Bedeutung  der  Unter- 
ordnung und  Abhängigkeit  tritt  zu- 
rück, wenn  der  Herr  nicht  als  Per- 
son, König,  Bischof,  Graf,  gedacht 
wird,  sondern  als  eine  Macht,  eine 
Kirche,  Bistum,  Abtei,  das  Reich, 
eine  Grafschaft.  In  vielen  Fällen 
sind  die  M.  an  bestimmte  Güter  ver- 
knüpft, stehen  deshalb  im  Gegen- 
satz zu  den  Freien,  den  Vasallen, 
die  im  engeren  Sinne  nobiles  heissen. 
In  Bezug  auf  ihren  Anteil  am  Kriegs- 
dienst dagegen  werden  sie  jenen 
gleichgestellt  und  heissen  dann  auch 
nobile*.  Von  den  Landbauern,  auch 
wenn  diese  frei  waren,  unterschied 
sie  die  ritterliche  Rüstung  und  Tracht. 
Hinwiederum  hat  der  Herr  über  sie 
ein  Verfügungsrecht,  verschenkt  und 
vertauscht  sie,  d.  h.  er  überträgt 
die  Rechte,  die  er  über  sie  hat.  Es 
hat  sich  für  sie  eine  besondere  Ge- 


richtsbarkeit ausgebildet.  Eine  be- 
sondere Art  des  Dienstes  ist  der  Hof- 
dienst, beim  König  und  bei  den 
Grossen,  die  Hauptdienste  sind  Käm- 
merer, Truchsess,  Schenk  und  Mar- 
schall, daneben  Jägermeister,  Küchen- 
meister und  Bannerträger.  Die  Ent- 
schädigung für  den  Dienst  ist  anfang- 
lich Unterhalt;  besonders  wichtig  aber 
wird,  dass  allmählich  an  seine  Stelle 
Land  als  Benejicium  tritt.  Mit  be- 
stehenden Amtern  und  Diensten 
wurden  bestimmte  Benetizien  ver- 
bunden. Von  den  Besitzungen,  zu 
denen  die  Ministerialen  gehören, 
oder  von  den  Gütern,  die  sie  haben, 
empfangen  sie  später  den  Samen, 
der  mit  der  Zeit  ¥  amilienuame  wird. 
Da  zu  Anfang  die  Beziehung  auf 
den  Herrenhof  überwog,  waren 
|  solche  Namen  auch  verschiedenen 
Familien  gemeinschaftlich.  Auch 
Eigengut  kaun  der  Ministcrial  haben, 
ebenso  Knechte  und  abhängige  Leute, 
die  ihn  als  Knappen  in  den  Krieg 
begleiten.  Durch  Kriegsdienst  über- 
haupt sind  sie  zu  Ansehen,  Reich- 
tum und  Macht  gekommen,  sie  bil- 
deten einen  Teil  des  Ritterstandes, 
der  in  dieser  Zeit  emporkam.  Die 
durch  gleiches  Recht  und  gleichen 
Dienst  verbundenen  M.  bilden  eine 
Genossenschaft,  sie  bilden  die  Be- 
satzung von  Burgen,  oft  mit  dazu 
verwendeten  Benefizien  versehen; 
eine  .Anzahl  M.  pflegten  Bischöfe 
und  Äbte  am  Sitze  des  Stiftes  zur 
Abwehr  und  zu  sonstigen  Hilfsleistun- 
gen bereit  zu  halten. 

In  den  Ritterstand  treten  nun 
auch  ein  freie  Leute,  namentlich 
freie  Grundbesitzer,  die  sich  zahl- 
reich erhalten  haben:  besonders  sie 
heissen  nohiles;  man  spricht  von 
freiem  Adel  und  vom  Adel  der  Frei- 
heit. Sie  stehen  im  allgemeinen  im 
Gegensatz  zu  dem  gemeinen  Volk 
der  Bauern.  Es  giebt  aber  hier  sehr 
verschiedene  Stufen.  Voran  steht 
die  freie  Geburt  von  freien  Eltern, 
von  einem  freien,  alten,  vornehmen 
Geschlecht:  Familiennamen  solcher 


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10 


Adel. 


i 


Geschlechter  sind  im  11.  Jahrh.  auf- 
ekommen,  zunächst  in  den  höhern 
^ebenskreisen,  wo  sie  sich  auf  Güter 
und  Schlösser  bezogen,  die  der  Fa- 
milie angehörten;  doch  wechselten 
sie  noch  in  den  folgenden  Genera- 
tionen oder  bei  Brüdern. 

Wichtig  für  den  Stand  der  Freien 
war  die  Art  des  Kriegsdienstes  und 
die  damit  verbundene  und  zusam- 
menhängende Lebensart.  Leistung 
des  schwergerüsteten  Rossdienstes 
erschien  als  ausgezeichnet  und  war 
besonderer  Ehre  teilhaftig,  so  sehr, 
dass  allmählich  die  Verschiedenheit 
des  Geburtsrechtes  in  den  Hinter- 
grund gedrängt  wurde.  Der  Begriff 
des  Ritters  macht  sich  ohne  Rück- 
sicht auf  andere  Verhältnisse  gel- 
tend, zuerst  in  Lothringen.  Cha- 
rakteristisch für  alle,  die  zu  diesem 
Stande  gerechnet  wurden,  ist  die 
Schwertleite  (siehe  diese),  die  Um- 
ctirtung  mit  dem  Schwert.  Anfäng- 
lich Recht  der  Freien  überhaupt,  ist 
die  Bekleidung  mit  den  Waffen 
oder  die  Wehrhaftmachung  jetzt  in 
dieser  Form  für  diejenigen  üblich 

f reworden,   welche  den  Rossdienst 
eisteten  und  zwar  für  Alle  vom 
König  bis  zum  Ministerialen  herab. 

Soweit  kam  die  Bedeutung  des 
Ritterstandes,  das«  Adel  zuletzt  Rit- 
terstand war,  auch  der  Ministerial 
war  als  Ritter  adlig;  der  freie  Grund- 
besitzer, der  den  Rossdienst  nicht 
übte,  war  ebendeshalb  nicht  adlig. 

Den  höchsten  Grad  der  Auszeich- 
nung gab  Freiheit  mit  ritterlichem 
Leben  verbunden.  Der  freie  Ritter 
heisst  freier  Herr,  auch  wohl  bloss 
Herr,  haro,  fri.  Durch  Amt  und 
Würde  steht  über  dem  Freien  der 
prineeps,  der  Fürst,  seit  Heinrich  IV '. 
die  vorherrschende Bezeichnung,ohne 
dass  damit  vorläufig  eine  bestimmt 
umgrenzte  Stellung  ausgedrückt 
wäre.  Zu  den  geistlichen  Fürsten 
gehören  Erzbischöfe,  Bischöfe,  Abte 
der  unmittelbar  unter  dem  König 
stehenden  Klöster:  weltliche  Fürsten 
sind  Herzöge,  Grafen,  Pfalz-  und 


Markgrafen.    Sie  bilden 
eine  Art  Amtsadel  gegenüber  dem 
Ritteradel. 

5)  Übergang  in  die  neue  Zeit. 
Die  doppelte  Klassifikation  der  Per- 
sonen nach  dem  Prinzip  der  Freiheit 
und  demjenigen  des  Kriegsdienstes 
erhielt  sich  bis  in  das  15.  Jahrhun- 
dert. Daneben  erhob  sich  unver- 
merkt eine  neue  Unterscheidung 
nach  den  thatsächliehen  Verhältnis- 
sen und  Beschäftigungen,  aus  wel- 
cher die  Unterscheidung  in  den 
hohen  Reichsadel  und  den  niederen 
Adel  hervorging.  Jener  bestand  aus 
Fürsten,  Grafen,  freien  Herren  oder 
Baronen,  von  welch  letztern  die 
meisten  seit  dem  15.  Jahrhundert  den 
Grafentitel  annahmen.  Eine  wich- 
tige Veränderung  entstand  aber  da- 
durch, dass  die  Kaber  anfingen, 
die  gräfliche  und  freiherrliche  Würde, 
künstlich  an  bloss  ritterbürtige  Fa- 
milien zu  verleihen.  Der  niedere 
Adel  bestand  aus  solchen,  die  freie 
Grundeigentümer,  Vasallen  oder 
Ministerialen  gewesen  waren  und 
ritterliche  Lebensart  führten.  Durch 
die  Veränderung  des  Kriegswesens 
fiel  die  ritterliche  Lebensart  weg, 
und  der  Adel  blieb  nun  bloss  als 
ein  ausgezeichneter  Geburtsstand 
bestehen.  Auch  der  niedere  Adel 
wurde  zahlreich  durch  kaiserliche 
Gnadenbriefe,  besonders  an  reiche 
Kaufleute,  sog.  Pfeffersäcke,  Be- 
sitzer von  Schlössern,  verliehen. 
Auch  die  juristische  Doktorwürde 
erteilte  dem  Träger  den  niederen 
Adel.  Eine  besondere  Klasse  des 
niederen  Adels  bildete  die  Reich*- 
ritter schaft.  Aus  den  Freien,  die 
sich  in  den  Städten  erhalten  hatten, 
?ing  das  städtische  Patriziat  hervor, 
ie  Geschlechter;  sie  hatten  zum 
Teil  eigenen  Grundbesitz,  wurden 
Ritter  und  nahmen  Lehen. 

«)  Eine  eigentümliche  Erschei- 
nung zeigt  sich  t-eit  dem  14.  Jahrh.  im 
hohen  Adel,  insofern  hier  im  Gegen- 
satz zu  der  diesem  Stande  besonders 
gefährlichen  Auflösung  und  Zersplit- 


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Adel. 


11 


terung  der  Familien  die  Ausbildung 
einer  entern  Familiengenossenschait 
angestrebt  und  mit  der  Zeit  durch- 
geführt wird.  Die  Verfassung  dieser 
Adelsfamilien  entwickelte  sich  als 
eine  Mischung  der  Haus-  und  Ge- 
schlechtaverfassung. Im  Weitosten 
Sinn  wurden  auch  Frauen  und  Kog- 
naten zur  Familie  gerechnet,  aber 
nur  ab  Schutz-  oder  Vassivgenossen. 
Eigentliche  Trägerin  des  genossen- 
schaftlichen Verbandes  und  Hechtes 
war  die  Gesamtheit  der  aus  den  Ag- 
naten —  den  Verwandten  gleichen 
Stammes  und  Namens  —  gebildeten 
Vollgenossen.  Die  wesentlichsten  Be- 
fugnisse aber,  welche  aus  der  ge- 
nossenschaftlichen Einheit  flössen, 
standen  bei  einem  unwiderruflich 
und  nach  festen  Rechtssätzen  be- 
stimmten Oberhaupt,  dessen  Bestel- 
lung vom  Gesamt  willen  der  Genossen 
vollkommen  unabhängig  war.  Dieses 
Haupt  deg  Hauses  war  der  realere  »de 
Herr.  Seine  Stellung  verdankte  er 
seiner  Geburt,  er  war  also  Organ  der 
Familieneinheit  aus  eigenem  Recht. 
Als  die  Quelle  der  Verfassung  in 
ihrer  Verbindlichkeit  für  den  Ein- 
zelnen galt  endlich  die  Jahrhunderte 
überdauernde  Einheit  der  Familie, 
die  unter  dem  Namen  Jfaus  in  den 
Familien  vertragen  und  Verordnun- 
gen seit  dem  14.  Jahrh.  bezeic  hnet 
wird.  Das  Hausrecht  bildete  sich 
teils  aus  den  Hausverordnungen  des 
Familienoberhauptes,  anderseits  aus 
den  Haus-  oder  Stammverträgen, 
Einigungen ,  Erb  Verträgen  u.  s.  w., 
die  von  der  Gesamtheit  des  Ge- 
schlechts oder  einer  Linie  desselben 
errichtet  wurden,  und  bezog  sich  auf 
die  Succession  in  das  Hausvermögen, 
•las  Erbrecht  überhaupt,  auf  Witwen- 
versorgung, auf  Bestimmungen  über 
Namen,  Stand,  Rang,  Titel,  Religion, 
Mittel  zur  Erhaltung  der  Einigkeit 
und  verwandtschaftlichen  Liebe,  so- 
wie des  äussern  Glanzes  der  Familie 
und  Ähnliches. 

Nur  in  sehr  vereinzelten  Fällen 
gelang  dem  niedern  Adel  eine  Ab- 


schliessung  seiner  Familien  zu  Ge- 
nossenschaften nach  dem  Vorbilde 
der  hochadligen  Häuser;  doch  fan- 
den sich  hier  andere  Formen  ge- 
nossenschaftlicher Verbindungen,  die 
Ritterbünde  und  Adelsgesellschaf- 
ten,  dann  die  sogenannten  Ganerb- 
sehaften, aus  mhd.  tj  an  erbe,  d.  i.  Ge  +• 
an  -f  Erbe  =  Mitanerbe,  bei  denen 
eine  Gesamtheit  von  Teilnehmern 
zur  gemeinsamen  Innehabung  und 
Verteidigung  einer  Burg  oder  einer 
ähnliehen  Besitzung  verbunden  war. 
Die  unter  den  Gemeinern  (Teilha- 
bern) geschlossenen  Verträge  pfleg- 
ten unter  dem  Namen  der  Burgfrie- 
den nicht  nur  die  Vermögens  Verhält- 
nisse, sondern  auch  die  persönlichen 
Beziehungen  der  häufig  zu  derselben 
Familie  gehörigen  und  meist  auf  der 
gemeinsamen  Burg  in  enger  Lebens- 
gemeinschaft wohnenden  Gemeiner 
zu  ordnen,  regelten  die  Lasten  der 
Bewachung,  des  Baues,  der  Verwal- 
tung und  Verteidigung  der  Burg,  so- 
wie anderseits  die  Einziehung  und 
Verteilung  der  Nutzungen. 

Besser  erreichte  schliesslich  der 
niedere  Adel  das  angestrebte  Ziel 
der  Familienerhaltung  durch  das  In- 
stitut der  Judeikom misse.  Dieselben 
konnten  erst  unter  dem  Einflüsse  des 
römischen  Rechtes  entstehen,  das  die 
Begründung  derartiger  Verhältnisse 
am  Familieugut  unter  dem  Gedanken 
und  den  Formen  einer  l'eifiignng  von 
Todes  treffen  mit  ausnahmsweise  weit- 
tragender Wirkung  gestattete. 

Abschnitt  6  nach  Gierke,  Rechts- 
geschichte der  deutschen  Genossen- 
schaft; §  39. 

Das  Hauptwerk  über  den  Adel  des 
Mittelalters  ist  ll'aitz,  Deutsche  Ver- 
fassungsgeschichte, in  8  Bänden,  wo 
sowohl  die  reiche  Litteratur  über 
diesen  Gegenstand  als  die  zahlrei- 
chen Kontroversen  behandelt  sind. 
Sonst  seien  noch  Grimm,  Deutsche 
Rechtsaltertümer,  S.  265  ff.,  dieWerke 
von  Dahn,  Arnold,  Kaufmann,  Gierke 
und  die  deutschen  Rechtsgescbiehten 
von  Walter  und  Zöjai  erwähnt. 


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12  Adler.  —  Agnus. 


Adler  war  schon  bei  den  orien-  Rolle;  namentlich  erscheint  er  hier 

talischen  Völkern  wie  bei  Griechen  als  aufwiegender  einköpfiger  Adler, 

und  Römern  Symbol  des  Sieges  und  mit  offenem  Schnabel,  ausgesehlage- 

der  Herrschaft,  Begleiter  des  Zeus,  ner  Zunge,  mit  ausgereckten Fäugeii, 

Ähnlich  erscheint  er  in  der  deut-  erhobenen  Flügeln  und  ornamental 

sehen  Mythologie  als  Bote  und  Bc-  behandeltem  Schwanz,    den  Kopf 

gleiter  Wodans.   In  Odins  Saal  hing  meist  nach  rechts  gewendet.  Schna- 

an  der  westlichen  Thür  ein  Wolf  bei  und  Kralleu  sind  oft  rot;  oft  hat 

und  darüber  »-in  Adler.  Karl  d.  Gr.  |  er  Kleesteugel  in  den  Füssen, 
soll  zu  Aachen  im  Gipfel  des  Pala-       Häufig  wurden  die  Evangelien- 

stes  einen  ehernen  Adler  aufgestellt  pulte   auf  dem   Lettner   und  die 

haben,  der  einen  Bezug  zum  Winde  selbständigen   tragbaren  Lesepulte 

hatte;  denn  der  Sturmwind  wurde  so  gestaltet,  dass  die  Pultfläche  von 

fem  in  Gestalt  des  Adlers  gedacht,  den  Flügeln  eines  Adlers  gebildet, 

er  seine  Klauen  in  die  Wolken  j  oder  das  Pultbrett  von  einem  Adler 

schlagt.   Nordische  Götter  und  Rie-  getragen  wurde.    Müller  und  Mo- 

sen  le^en  ein  Adlerkleid  an.  ///r.v,  Arch.  Wörterbuch.  Anzeiger 

Reiche  Verwendung  fand  der  Ad-  f.  Kunde  d.  d.  V.  1864.  Xr.  1—4. 
ler  in  der  christlichen  Kunst.  Im  Agrnus  Bei.  Die  eigentlichen 
Alten  Testamente  erscheint  er  als  Gotteslammchen  oder  symbolischen 
Symbol  Gottes,  der  sein  Volk  auf  Abbildungen  Christi  (Joh.  1.  29), 
Adlers  Flügeln  trägt;  als  Symbol  welche  der  Papst  im  ersten  Jahre 
des  zwiefältigen  Geistes  Gottes  (nach  seiner  Regierung  und  hernach  in,  ie- 
2.  Könige  2,  9)  wird  der  zwrikdjifii/c  dem  siebenten  Jahre  weiht,  werden 
Adler  dem  Propheten  Elisa  beige-  von  dem  Wachse,  welches  von  den 
geben.  Augustin  deutet  den  Adler  als  geweihten  Osterkerzen  übrig  bleibt, 
Raubvogel  auf  die  flüstern  Mächte,  bereitet.  Am  Osterdienstag  weihet 
welche  die  Seele  rauben,  Dante  mit  der  Papst  nach  verrichtetem  Hoch- 
dem  Löwen  zusammen  auf  die  bei-  amte  in  weissem  Ornat,  die  von 
den  Naturen  Christi.  Als  Attribut  Silber  und  Perlen  strahlende  Bi- 
Johannis des  Evang.  ist  er  der  zum  schofsmütze  auf  dem  Haupte,  ein 
Himmel  anstrebende,  sich  selbst  ver-  grosses  silbernes  Becken  voll  Was- 
jüngende  Vogel  der  Sonne,  dann,  ser,  indem  er  unter  andern  Gebeten 
weil  Johannes  der  Evang.  der  theo-  auch  eiues  spricht,  welches  sonst 
logus  hiess,  Emblem  der  Theologie  niemand  sprechen  darf.  Nachdem 
überhaupt  und  als  solches  dem  hl.  er  nun  über  dieses  Weihwasser 
Augustin,  dem  Schutzpatron  der  kreuzweise  unter  besonders  dazu  vor- 
Theologie, beigegeben.  geschriebenen  Gebeten  etwas  heili- 
Ala  Feldzeichen  erscheint  der  Ad-  ges  Ol  gegossen  hat,  reicht  man  ihm 
ler  zuerst  bei  den  Persern,  dann  als  12  mit  ( Jotteslämmehen  angefüllte 
Feldzeichen  der  römischen  Legionen,  goldene  Becken,  welche  er  ebenfalls 
Den  zweiköpfigen  Adler  nahmen  zu-  unter  verschiedenen  Gebeten  ein- 
erst  die  orieutalisch-römischen  Kai-  segnet.  Hierauf  setzt  er  sich  auf 
ser  als  Reichsinsignien  an,  um  da-  einen  Armstuhl  nieder  und  taucht 
durch  ihre  Ansprüche  auf  beide  rö-  die  ihm  von  seinen  Dienern  gereich- 
mische Reiche  anzudeuten;  von  da  ten  Gotteslämmchen  in  das  geweihte 
ging  er  mit  dem  Titel  eines  römi-  Wasser,  welche  die  assistierenden 
sehen  Kaisers  auf  den  deutscheu  Kardinäle,  mit  feinen  Chorhemden 
Kaiser  über.  Seitdem  der  Adler  als  angethan,  mit  ihren  vorgebundeuen 
Amtszeichen  in  die  Wappen  vieler  Tüchern  trocknen  und  von  aufwar- 
deutscher Reichsfürsten  überging,  tenden  Prälaten  nacheinander  auf 
spielt  er  in  der  Heraldik  eine  grosse  grosse  mit  feinen  Tüchern  bedeckte 


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Akademie.  —  Akrostichon. 


13 


Tafeln  legen   lassen.     Dann  stellt 
der  Papst  wieder  auf  und  entfernt 
web  nach  gesprochenem  Gebete ;  die 
Ciotte»\ammehen  aber  werden  in  die 
Becken  eelegt  und  wohl  verwahrt. 
Gelegentlich  beschenkt  hernach  der  j 
Papst  damit  vornehme  Standesper- 1 
sonen,  Gesandte,  Pilger  u.  deL  wel-  ' 
che  sie  nicht  verkaufen  oder  mit 
Falben  bemalen  dürfen,  ohne  in  die  ' 
Strafe  des  Bannes  zu  verfallen.  Fran- 
zösische Goldmünzen  im  Mittelalter 
trugen  ein  Annu*  Dei,  sie  hiessen 
auch  mutone*\  in  der  Griechischen 
Kirche  heisst  das  Kelchtuch  Agnus , 
Dei.  Im  Volksglauben  spielt  es  eine  1 
grosse    Rolle,    Einsiedler-  Mirakel- 
oücber,  Kriegsgeschichten,  Hcxcn- 
bücher  erwähnen  es.     Siehe  Jiir- 
1 Ufrer  in  der  Alem.  X,  154—163. 

Akademie  als  gelehrte  Gesell- 
schaft ist  ein  Kind  der  italienischen  I 
Renaissance.  Der  Humanist  Pom- 
ponius  Lfitus,  gest.  1487,  stiftete  1408 
die  Römische  Akademie  ursprüng- 
lich als  einen  freien  und  an  kein 
festes  Institut  geknüpften  Verein ; 
man  führte  darin  antike,  besonders 
Plautinische  Stücke  auf,  feierte  jähr- 
lich den  Gründungstag  der  Stadt 
Rom,  auch  das  Gedächtnis  eines  ver- 
storbenen Mitgliedes,  durch  einen 
Gottesdienst  und  eine  lateinische 
Rede;  ein  obligater  Schmaus  mit 
Disputationen  und  Recitationen  be- 
schfoss  regelmässig  das  Fest.  Der 
Römischen  nach  wurden  in  zahl- 
reichen andern  Städten  Italiens  solche 
Akademien  gestiftet,  z.  B.  in  Neapel 
und  Florenz.  Gegen  die  Mitte  des 
16.  Jahrhundert.«  tritt  an  die  Stelle 
der  lateinischen  Poesie  die  italieni- 
sche, deren  Verse  jetzt  vorgelesen 
werden,  und  deren  Pflege  überhaupt 
das  Ziel  der  Vereinigung  bildet;  das 
periodische  Gastmahl  und  die  Auf- 
führung von  Dramen  bleiben  be- 
stehen. Vgl.  Burkhardt,  Renaissance, 
220.  Die  berühmteste  dieser  Aka- 
demien ist  die  1582  zu  Florenz  ge- 
stiftete Acadrmia  della  cru*ea,  d.  i. 
die  Grüsen-  oder  Kleien-Akademie, 


weil  sie  die  Kleie  der  Sprache  von 
dem  gesunden  Mehl  zu  scheiden 
trachtet;  ihr  Hauptverdienst  ist  die 
Herstellung  eines  jetzt  noch  gelten- 
den Wörterbuches,  zuerst  1612  er- 
schienen. Ausser  diesen  litterari- 
schen Akademien  im  engeren  Sinne 
gab  es  noch  manche  andere,  wie  die 
1457  zu  Florenz  gestiftete  platonische 
Akademie.  Diese  italienischen  Aka- 
demien sind  das  Muster  der  fast  in 
allen  europäischen  Staaten  gegrün- 
deten Akademien  geworden;  Sprach  - 
akademien  sind  die  fruchtbringende 
Gesellschaft  oder  der  Palmenorden, 
1617  zu  Weimar  gestiftet;  die  auf- 
richtige Tannengesellschaft,  1633  zu 
Strassburg  gestiftet;  die  deutschge- 
sinnte Genossenschaft,  1643  zu  Ham- 
burg, die  Gesellschaft  der  Pegnitz- 
schläfer oder  der  gekrönte  Blumen- 
orden zu  Nürnberg,  1644:  der  Elb- 
schwanenorden zu  Wedel  im  Hol- 
steinischen, 1656;  sodann  zahlreiche 
Collegia  Musira ,  in  der  Schweiz 
(auch  in  Deutschland?!,  Zürich  1613, 
St.  Gallen  1621,  Winterthur  1629, 
ferner  gelehrte  Gesellschaften  im 
weiteren  Sinne,  z.  B.  die  Leopol - 
dinische  Akademie  der  Naturfor- 
scher, 1652  von  Ban8chius  zu  Wien 
unter  dem  Namen  Aeademia  na/u- 
rae  rurioxomm  gegründet,  Akademie 
von  Paris,  1666. 

Akrost  ichon,  eine  poetische  Spie- 
lerei, wonach  die  Anfangs-  oder  End- 
buchstaben eines  Gedichtes  zusam- 
men ein  oder  mehrere  Wörter  bil- 
den, kommt  schon  bei  den  Griechen 
vor,  und  Epicharmus,  ein  sizilischer 
Komödiendichter  im  5.  Jahrh.  v.Chr., 
wird  als  Erfinder  angegeben.  Das 
Akrostichon  war  in  der  lateinischen 
Mönchspoesie  .besonders  bei  Wid- 
mungsgedichten sehr  beliebt  und 
kam  daher  auch  in  deutsche  Ge- 
dichte; Otfrieds  erstes  Wnlmungs- 
gedicht  ergiebt  sowohl  mit  den  An- 
fangs- als  mit  den  Endbuchstaben 
die  Worte:  Ludottuieo  orten  falimm 
rerjnorum  w/i  sif  §alui  aeterno,  das 
zweite    ebenso  Salomoni  epitcopo 


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14 


Alamode.  —  Aicheime. 


Otfridus,  das  dritte  Otfridus  Wizan-  Hilfe  themischer  Prozesse  unedle 
bürgen* is  monachus  Hartmuate  et  Metalle  in  edle,  Gold  oder  Silber,  zu 
Werinberto  sancti  Gal/i  monasterii  verwandeln.  Wahrscheinlich  haben 
monachis-,  unter  den  höfischeu  Dich-  diese  Bestrebungen  in  Ägypten  be- 
tern  wenden  u.  a.  Gottfried  v.  Strass-  gönnen ;  und  man  nannte  später 
bürg  und  Rudolf  v.  Ems  das  Spiel  einen  Ägypter  Herme*  Trismegistos 
an;  in  ähnlicher  Art  hat  Philipp  oder  Mercurius  den  Begründer  der 
Nicolai  seinem  Liede:  Wie  schön  Alchemie.  Schriften  aber,  welche 
leuchtet  der  Morgenstern,  Anfangs-  die  Metallveredluug  zu  ihrem  haupt- 
buchstaben  der  Strophen  gegeben,  sachlichen  Gegenstand  haben,  findet 
die  zugleich  die  Anfangsbuchstaben  man  zuerst  in  griechischer  Sprache 
des  Namens  sind,  dem  das  Lied  ge-  im  5.  Jahrh.  vom  8.  Jahrh.  au  be- 
widmet ist;  bekannt  ist  das  schönere  schäftigt  diese  Kunst  die  Araber. 
Wortspiel  in  Paul  Gerhards:  Befiehl  und  erst  von  ihnen  kam  sie  zu  den 
du  deine  Wege.  |  Europäern.  Zweck  ist  stets,  die  Mit- 

Alamode  war  das  Schlagwort  tel  zu  finden,  wodurch  unedle  Me- 
des  StutzertumB  seit  Mitte  der  20er  talle  in  edle  verwandelt  werden, 
Jahre  des  17.  Jahrh.;  es  bezeichnet  auf  chemischem  Wege  ein  Präparat, 
die  volle  Parteinahme  für  den  fran-  den  Stein  der  Weisen,  darzustellen, 
zösischen  Geschmack  in  der  Klei-  welches  in  seiner  höchsten  Vollkom- 
dung  gegenüber  der  altern,  „alt-  menheit  Quecksilber  und  jedes  ge- 
väterischen"  Sitte.  Gegen  diese  Ala-  sehmolzene  unedle  Metall  in  Gold 
modetracht  und  die  damit  verbun-  verwandelt,  in  einem  niederen  Zu- 
deue  geistige  Richtung  erhob  sich  ein  stände  der  Vollkommenheit  diesel- 
umfangreiener  litterarischer  Kampf:  ben  nur  in  Silber  umändert,  und 
1629  erschien  ein  Altmodischer  Ä"£y. >  endlich,  noch  als  Arzneimittel  ge- 
der-Teuffel,  Frankfurt  a.  M ,  von  braucht,  alle  Krankheiten  heilt,  den 
Kaplan  F.llinqer,  dem  andere  ähn-  Körper  verjüngt  und  das  Leben  ver- 
liehe Bücher  folgten,  bis  16b0.  Durch  längert.  Nach  der  ersten  alchemi- 
Figuren  auf  „Fliegenden  Blättern" 1  stischen  Theorie  der  Araber  sind 
suchte  man  die  neue  Tracht  dem  '  alle  Metalle  zusammengesetzt  und 
Spott  der  Menge  anheimzugeben;  zwar  finden  sich  in  allen  zwei  Be- 
die  Tracht  wurde  darin  u.  a.  als  standteile,  von  deren  Mengeverhält- 
Monsieur  Allamode  personifiziert,  nis  und  verschiedenem  Grade  der 
In  dieser  Art  wirkten  auch  Mosche-  Reinheit  die  Natur  des  Metalls  ab- 
roschs  Wunderliche  und  wahrhaftige  hängt;  sie  heissen  Schtcefel  und 
Gesichte,  worin  der  Alamode-Kelir-  Quecksill>er,  womit  aber  nicht  der 
aus  lebendig  geschildert  wird,  Lau-  gewöhnliche  Schwefel  und  das  ge- 
renbergs  Satiren,  Logaus  Epigramme  wohnliche  Quecksilber  gemeint  sind, 
( Alamode-Kleider,  Alamode-Sinnen,  obgleich  sie  darin  in  grosser  Menge 
wie  sichs  wandelt  aussen,  wandelt  enthalten  sein  sollen.  Unter  ihrem 
sichs  auch  innen),  Abraham  a  Santa  Mercurius  scheinen  die  Alchemisten 
Clara.   Weiss,  Kostümk.  III,  1044  ff.  den  Begriff  des  Unzersetzbaren  und 

Alchemie,  mhd.  alchemie,  afcha-  zugleich  die  Eigenschaft  des  Metall- 

mie,  aus  mitteilst,  alchimia,  alche-  glänze*  und  der  Dehnbarkeit,  der 

mia,  welches  aus  griech.  die  chemeia  Metallizität ,  unter  Sulfur  den  Be- 

=  Saft,  Flüssigkeit,  von  che'ein  gies-  griff  der  Zersetzbarkeit,  der  |Ver- 

sen,  durch  Vermittlung  der  Araber  j  änderlichkeit  verstanden  zu  haben, 
und  daher  mit  dem  arabischen  Ar- 1  Über  die  Natur  eines  Stoffes  giebt 

tikel  al.  Man  versteht  darunter  die  j  das  Feuer  am  besten  Auskunft.  Je 

vom  4.  bis  in  den  Beginn  des  16.  nach  dem  Grade  der  Fixierung  des 

Jahrh.  gehenden  Bestrebungen,  mit  Schwefels  und  des  Quecksilbers  ist 


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Alexandersage.  —  Alexandriner. 


15 


die  Schmelzbarkeit  der  Metalle  ver- 
schieden, die  Farbe  hängt  vom 
Schwefel  ab.  Der  bedeutendste  Che- 
miker der  Araber  ist  Geber  im  8. 
Jahrh.;  andere  sind  Rhazes,  Avi- 
cenHa.  Avenzcoar,  Afbukases;  christ- 
liche Alchemisten  AUtertu*  Magnus, 
Roger  Baco,  Arnoldus  Villanova  nun, 
Raymundu*  Lullus,  alle  im  13.  Jahrh. 
Es  sind  meist  Mönche,  die  ihre  Ex- 
perimente in  den  Klöstern  machten, 
denen  zwar  im  Anfang  des  14.  Jahrh. 
die  Betreibung  der  Alchemie  durch 
eine  päpstliche  Bulle  verboten  wurde. 
Im  15.  Jahrh.  tritt  als  dritter  Be- 
ßtandteil  zu  Quecksilber  und  Schwe- 
fel das  &tlz,  welches  wieder  nicht 
mit  dem  gemeinen  Salz  identisch 
ist  Die  Goldinacherei  hat  zwar  noch 
mehrere  Jahrhunderte  lang  Anhänger 
gefunden;  in  der  wissenschaftlichen 
Naturlehre  wurde  sie  aber  schon 
seit  Paracehu*  (1493—1541)  abge- 
löst durch  die  Chemie  in  der  Rich- 
tung als  Jatroehemie,  zufolge  wel- 
cher sie  sich  in  den  Dienst  der  Heil- 
kunde stellt.  Aus  ihr  ist  dann  mit 
der  Zeit  die  moderne  Wissenschaft 
der  Chemie  erwachsen.  Kopp,  Ge- 
schichte der  Chemie,  Bd.  1  und 
ebders.,  die  Entwicklung  der  Chemie 
der  neueren  Zeit,  5—32,  und  ebders., 
Beiträge  zur  Geschichte  der  Chemie. 
Braunschweig  1869. 

Alexandersage,  gehört  zu  den- 
jenigen Stoffen  des  höfischen  Künste 
epos,  die  man  Schulepen  nennt,  d.  h. 
Epen,  die  ihren  Stoff  den  schul- 
mäßsigen  Studien  des  Altertums  ver- 
danken. Vergleiche  Aneide.  Die 
Hauptquelle  der  lateinisch  sowohl 
als  nordfranzösisch  bearbeiteten 
Alexandergedichte  war  der  falsche 
Kallisthenes,  ursprünglich  griechisch 
geschrieben  und  später  ins  Latei- 
nische übertragen.  Vom  französi- 
schen Alexanderlied  von  Alberich 
von  Bisinzo,  Mönch  zu  Clugny  um 
1138,  Aubri  de  Besancon  hat  man 
nur  den  Anfang;  erhalten  sind 
aus  dem  12.  Jahrh.  die  Alexandcr- 
Ueder  des  Alexandre  de  Bernay  und 


LamJjerl  litors.  Nach  Albrccht 
verfasste  der  Pfaffe  Lamprecht,  ein 
Weltgeistlicher,  um  die  Mitte  des 
12.  Jahrh.,  ein  deutsches  Alexander- 
lied, das  durch  seine  kräftige,  treu- 
herzige und  naive  Darstellung  über- 
rascht. Es  erzählt  Alexanders  Her- 
kunft und  Jugend,  den  Zug  nach 
Asien,  die  Siege  über  Darius  und 
Porus,  deu  Zug  ins  Land  der  Zau- 
ber und  Wunder,  wo  die  Mädchen 
aus  den  Blumen  wachsen  und  ein 
Blumeuleben  führen;  in  das  Para- 
dies einzutreten,  wehrt  ihn  ein  jü- 
discher Greis;  Alexander  kehrt  zu- 
rück, regiert  noch  12  Jahre  weise 
und  massig  und  stirbt.  Eine  andere 
Bearbeitung  derselben  Sage  ist  von 
Rudolf  von  JCms  zwischen  1230  und 
und  1241  abgefasst,  einem  Nach- 
ahmer Gottfrieds  von  Strassburg. 

Alexandriner  ist  der  eine  von 
den  beiden  Versen  des  altfranzösi- 
schen höfischen  Epos;  während  der 
beliebtere  Vers  ein  aehtsilbiger,  ist 
der  Alexandriner  ein  sechssilbiger 
Vers;  man  vermutet,  dass  er  das 
Muster  des  Nibelungenverses  ge- 
wesen sei;  den  Namen  hat  er  von 
einem  Alexanderliede  oder  von  dem 
Dichter  Alexander  von  Bernay.  Die 
Franzosen  hielten  an  ihm  fest  und 
machten  ihn  zum  sogenannten  he- 
roischen Versmas  in  Epos  und  Drama. 
Opitz  führte  den  Alexandriner  als 
heroischen  Vers  in  die  deutsche 
Poesie  ein.  Er  sagt  von  ihm  in  der 
deutschen  Poeterei,  Kap.  7:  „Unter 
den  jambischen  Versen  sind  die  zu- 
vörderst zu  setzen,  welche  man 
Alexandrinische  von  ihrem  ersten 
Erfinder,  der  ein  Italiener  soll  ge- 
wesen seyn,  zu  nennen  pfleget,  und 
I  werden  anstatt  der  Griechen  und 
j  Römer  heroische  Verse  gebraucht: 
|  Ob  gleych  Ronsard  Vers  communs 
die  gemeinen  Verse  hierzu  tüchtiger 
zu  sein  vermeinet;  weil  die  Alexan- 
drinischen  wegen  ihrer  Weitläufig- 
keit der  ungebundenen  und  freyen 
Rede  zu  sehr  ähnlich  sind,  wann 
sie  nicht  ihren  Mann  finden,  der  sie 


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16 


St.  Alexius.  —  Allegorie. 


mit  lebendigen  Farben  herauszu-  liehen  Haus  zu  Rom  nach  Asien, 
streichen  weiss.  Weil  aber  dieses !  verteilte  sein  Gut  unter  die  Armen 
einem  Poeten  zustehet  und  die,  über  und  lebte  17  Jahre  in  Edessa  als 
welcher  Vermögen  es  ist,  nicht  ge-  Bettler.  Nach  Rom  zurückgekehrt, 
zwungen  sind,  sich  damit  zu  ärgern,  bettelte  er  in  seines  Vaters  Haus 
unsere  Sprache  auch  ohne  dies  in  und  wurde  von  den  Knechten  unter 
solche  Enge  der  Wörter  wie  die  ]  die  Treppe  verwiesen  und  mit  Uli- 
Französische  nicht  kann  gebracht  rat  beworfen.  Erst  im  Augenblick 
werden,  müssen  und  können  wir  sie  des  Todes  wurde  er  erkannt.  Vgl. 
anstatt  der  heroischen  Verse  gar  St.  Alexius  Leben  in  acht  gereimten 
wohl  behalten,  inmassen  dann  auch  mittelhochdeutschen  Behandlungen, 
die  Niederländer  zu  thun  pflegen,  herausgeg.  von  Massman  in  Bd.  IX 
Der  Weibliche  Vers  hat  dreyzehn,  der  Bibliothek  der  Deutschen  Nat. 
der  Männliche  hat  zwölf  Silben;  wie  Lit.  Quedlinburg  1843. 
der  jamhus  (rimet.fr.  Es  muss  aber  Nach  ihrem  Schutzheiligen  Alexius 
allezeit  die  sechste  Sylbe  eine  eae- 1  nannten  sich  die  Begharden  (siehe 
mr  oder  Abschnitt  haben  und  man-  j  den  bes.  Artikel)  auch  Alexianer. 
culinae  terminationis ,  das  ist  ent-  Allegorie,  d.  i.  diejenige  Dar- 
weder  ein  einsylbig  Wort  sein  oder  stellungsweise,  die  ein  Objekt  Ver- 
den Accent  in  den  letzten  Sylben  mittelst  eines  ihm  ähnlichen  darstellt, 
haben.  Zum  Exempel:  hatte  im  Mittelalter  eine  sehr  grosse 
Dich  hatte  Jupiter,  |  nicht  Paris  ihm  ,  Ausdehnung  und  Anwendung,  sowohl 

erkohren,  in  den  bildenden  Künsten  als  in  der 

Und  würdauch  jetzt  ein  Schwan  wann  Poesie.    Schon  das  Ceremoniell  des 

dich  kein  Schwan  gebohrcn.  christlichen  Gottesdienstes,  verschie- 

Du  heissest  Helena  |  und  oist  auch  dene  Dogmen  und  besonders  die 

so  geziert,  Auslegungsweise  der  Bibel  waren 

Und  wärest  Du  nicht  keusch .  |  Du  gesättigt  von  allegorischer  Darstel- 

würdest  auch  entführt."  hing  und  Auffassung;  wie  man  sie 
Von  Opitz  an  diente  der  Alexan-  denn  in  Otfrieds  Evangelienharmonie 
driner  in  strophischen  Gedichten  so-  und  in  den  Predigten  und  Traktaten 
wohl  (Sonett)  als  in  unstrophischeu  der  Mystiker  überall  zerstreut  findet. 
Versenais  typischer  Vers  der  mannig-  Schon  im  2.  Jahrh.  war  die  sinn- 
faltigsten 1)iehtungsarten:  Drama,  bildliche  Schrifterklärung  Gegen- 
Epos,  Didaktik.  Gelegenheitsgedicht,  stand  eines  ausführlichen  systema- 
Epistel,  Epigramm,  Elegie  bedienten  tischen  Werkes,  des  ursprünglich 
sich  seiner.  Erst  um  die  Mitte  des  griechisch  geschriebenen,  jetzt  nur 
18.  Jahrhunderts  begann  man  seiner  in  lateinischer  Version  vorhandenen 
müde  zu  werden:  die  Leipziger  Dich- 1  Clavis  des  hl.  Meli(o,  Bischof  von 
ter  mischten  ihn  nur  noch  willkür-  Saides  unter  Mark  Aurel;  es  ist  die 
lieh  in  jambische  Verse  verschiede-  Grundlage  der  mystischen  Natur- 
ner Länge,  Klopstock  ersetzte  ihn  geschiente  des  Mittelalters.  —  Die 
in  der  Messiade  durch  den  Hexa  höfische  Poesie  ist  der  Allegorie  nicht 
meter,  Lessing  im  Nathan  durch  den  besonders  günstig;  doch  gehört  Wolt- 
Fünffüs8ler.  Goethe  schrieb  als  rams  Parzifa  1  in  diese  Richtung,  da 
Student  in  Leipzig  die  Laune  der  die  ganze  Erzählung  ein  Bild  davon 
Verliebten  noch  in  Alexandrinern,  geben  soll,  wie  der  Mensch  von  der 
im  Jahre  1767.  tumphrif  durch  den  ztrifel  zur  gaelde^ 
St.  Alexius ,  Held  einer  ver-  aus  der  Unerfahrenheit  durch  den 
breiteten  Legende,  lebte  unter  den  Zweifel  zur  Versöhnung  gelange. 
Kaisern  Arcadius  und  Honorius,  floh  |  Ganz  allegorisch  ist  auch  der  frau- 
in der  Hochzeitnacht  aus  dem  väter-  I  zösische  Itoman   de  Ja   Hose  von 


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Alliterierender.  1 7 

Guiflaume  de  Ix>rris,  fortgesetzt  von  der  Allegorie  von  neuem  günstiger, 
Jean  de  Metina,  Mitte  des  13.  Jahrh.,  wovon  der  zweite  Teil  des  Faust  das 
lange  ein  Lieblingsbuch  der  Fran-  beste  Exempel  sein  dürfte, 
zosen.  In  den  folgenden  Zeiten  Im  engeren  Sinne  ist  Allegorie 
wächst  mit  der  Abnahme  rein  dar-  der  Name  eines  Tropus,  wodurch 
stellender  Kunst  die  Freude  an  der  ein  Gegenstand  nebst  den  Eigen- 
Allegorie,  man  erfindet  die  Blumen-  schaften,  die  ihm  anhangen,  und  den 
spräche;  die  Liebeslust  wird  in  un-  Wirkungen,  die  er  ausübt,  in  einein 
zahligen  Formen  verallegorisiert;  das  einheitlichen,  zusammenhängenden 
Schachzabelbuch  des  Konrad  von  Hilde  ausgemalt  wird.  Auch  das 
Ammenhausen  (1337)  ist  eine  durch  Gedicht,  dem  ein  solcher  Tropus  zu 
das  Schachspiel  versinnbildlichte  Grunde  liegt,  z.  H.  Schillers  Mäd- 
Darstellung  des  Lebens;  ebenso  die  chen  aus  der  Fremde,  Pegasus  im 
Jagd  des  Hademar  von  Laber.  —  Joche,  trügt  den  Namen  der  Allegorie. 
Noch  stärker  zeigt  sich  der  Gebrauch  Über  Allegorie  in  der  bildenden 
der  Allegorie  in  der  italienischen  Kunst  vgl.  Otte,  Handbuch  der  kirehl. 
Renaissance  und  in  denjenigen  natio-  Kunst-Archäologie.  882.  890. 
nalen  Künsten,  die  von  ihr  aus  ge-  Allltterierender  oder  stabrei- 
ptlanzt  worden  sind.  Besonders  die  mender  Vers  ist  der  Vers  des  nlt- 
Beliebtheit  der  antiken  Mythologie  germanischen  Epos,  sowohl  der 
bei  den  italienischen  Künstlern  und  Skandinavier  als  der  Deutschen  und 
Dichten»  brachte  eine  Unzahl  alter  Angelsachsen.  Er  besteht  aus  zwei 
und  neuerfundener  allegorischer  Dar  Hälften,  deren  jede  zwei  gramma- 
stellungen  und  Personen  auf;  Dantes  tisch  und  bcgritVIieh  bedeutende, 
göttliche  Komödie  war  selber  eine  stark  aeeentuierte  Silben  enthält,  an 
grosse  Allegorie  und  enthielt  zahl-  die  eich  eine  beliebige  Anzahl 
reiche  allegorische  Einzeldarstcllun-  schwachaeccntuierter  Silben  äu- 
gen; die  Malerei  und  die  plastische  schmiegt;  die  beiden  Halhverse  wer- 
Darstellung  durch  lebende  Personen  den  durch  den  Stabreim,  d.  i.  durch 
bei  Festaufzügen  u.  dergl.  brachte  den  Gleichlaut  der  Anfangsbuch - 
mit  Vorlieb*;  Allegorisches.  Vergl.  staben  der  gehobenen  Silben  oder 
Burckhardt,  Kultur  der  Renaissance,  Stäbe  so  verbunden,  dass  meist  auf 
322  ff.  Der  Einfluss  der  italienischen  I  den  ersten  Halbvers  ein,  auf  den 
Allegorie  zeigt  sieh  nun  doppelt  stark  |  zweiten   zwei   Stäbe    fallen;  doch 


in  der  deutschen  Kunst;  Maximilians 
Theuerdank  ist  rein  allegorisch,  Hans 


kommen  auch  die  Stabverhältnisse 
1,  1;  2,  1;  2,  2  vor;  die  Vokale  Wer- 


tteils hat  fast  alle  Tugenden  und  den  alle  als  gleichlautig  behandelt. 

Laster,  Zustände  und  Begebenheiten  Die  ganze  altskandinavische  Littc- 

•les  menschlichen  Lebens  allegorisch  ratur  baut  sich  aus  stabreimenden 

behandelt;  ebenso  die  Malerei,  die  Versen  auf,  die  allmählich  freilich 

Glasmalerei  u.  a.;    vieles  darunter  verkünstelten  und  das  formal-rhvth- 

mit  Geist.  Die  Opitzische  Zeit  macht  mische  Leben  dieser  Dichtung  er- 

«•8  nicht  anders,  nur  dass  es  ihr  meist  starren  machten.    Auch  die  ganze 

au  erfinderischem   Geist   gebricht,  angelsächsische    Poesie,  Reowulf, 

Erst  das  frischere  Leben  der  Auf-  Kynewulf,Kädmon,  ist  allitterierend. 

klärunpspcriodc  und  besonders  die  Von  Überresten  deutscher  stabrei- 

ßiüte  des  Dramas  drängen  allmählich  inender  Verve  sind  zu  nennen  einige 

die  Allegorie  zurück,  wobei  zumal  Runensprüehe,  die  Merseburger  Zau- 

Lessiugs  darauf  bezügliche  Unter-  berlieder,  das  Hildcbrandslied,  der 

Richlingen  im  Laokoon  wirksam  sind.  Anfang  des  Wessobrunner  Gebetes, 

Die  antikisierende  Richtung  Goethes  Muspilli,  der  Heliand.  Verdrängt 

und  der  Geist  der  Romantik  werden  wurde   die   Allitteration  besonders 
ttcalleiicon  der  deutschet)  Alterlumer.  •_' 


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18 


Aliud.  -  Altar. 


durch  otfried  dadurch,  doss  der 
Endreim  au  seine  Stelle  trat,  ein 
Umstand,  der  ohne  Zweifel  für  sich 
allein  schon  viel  zum  Untergange 
der  alten  epischen  Dichtungen  bei- 
trug. Die  AUitteration  hat  sieh  von 
der  epischeu  Zeit  her  in  mannig- 
fachen Redensarten  besonders  der 
Rechtsspruche  erhalten:  Mann  und 
Maus,  Kind  und  Kegel,  ab  und  auf, 
niet-  uud  nagelfest,  Haus  uud  Hof, 
Wind  und  Wetter,  gerammelt  in 
Grimms  Reehtsaltertiimern,  6  ff.;  so- 1 
dann  findet  sie  sich  als  malerisches 
Element  in  Dichtungen  mit  End-  , 
reim  ziemlich  zahlreich  z.  13.  im  Ni- 
belungenlied; auch  die  mittellatei- 
nische Poesie  hat  manches  stabrei- 
mende Gedicht  hervorgebracht.  Erst 
die  neuere  Romantik  machte  wieder 
Versuche,  den  alliterierenden  Vers 
neuerdings  einzuführen,  dahin  ge- 
hört Fouques  Heldcnspiel :  Sigurd 
der  Schlangentöter,  besonders  aber 
in  neuerer  Zeit  das  Nibelungenlied 
und  Ilildebrands  Heimkehr  von  Wil- 
helm Jordan.  Vgl.  Ferdinand  Vet- 
ter, Über  die  germanische  Allitte- 
rationspoesie,  Wien  1N72,  und  Wil- 
helm Jordan ,  der  epische  Vers  der 
Germanen  und  sein  Stabreim,  Frank- 
furt a.  M.  1K<»8. 

\l lud.  mittellat.  aflo(liumy  alt- 
fränkisch alodis,  aus  al  —  ganz  und 
das  6t,  Eigentum,  Besitz.  Das  Wort 
findet  sich  zuerst  in  der  späteren 
Merowingerzeit  und  bezeichnetEigen- 
gut  oder  Erbgut  im  Gegensatz  zu 
Benefieium. 

Almanuch,  durchs  Romanische 
aus  den«  Arabischen  entlehnt,  wo 
(tf  ( Artikel l  und  nuimuh,  eutweder 
als  Geschenk,  Neujahrsgesehenk 
oder  als  Berechnung  erklärt  wird. 
Im  15.  Jahrb.  hiess  man  so  astro- 
nomische Kalendertafeln,  die  früh 
gedruckt  erschienen.  Die  Franzosen 
fugten  zuerst  diesen  Kalendarieu 
allerlei  Beigaben  anderer  Natur  an, 
und  der  seit  1765  erscheinende  Al- 
nniiHtr  tff  .t  Mutes  wurde  das  Vorbild 
des  von  Christian  Boie  1770  zuerst 


herausgegebeneu  Göttinger  Musen- 
almanaches  und  des  ebenfalls  1770 
erschienenen  Leipziger  Musenalma- 
nachs von  Chr.  H.  Schmid.  Es  folg- 
ten noch  zahlreiche  lokale  Alma- 
naehe, von  Frankfurt,  Berlin,  Wien, 
Pfalzbaicrn,  Leinberg,  zum  Teil  un- 
ter dem  Namen  Blumen  lese.  Unter 
den  spätem  ist  der  Schillersche,  1790 
—1800,  der  berühmteste  geworden. 

Altar,  vom  lat  altare,  Opfer- 
tisch. Der  Gote  verdeutschte  Altar 
mit  hunsl-aatath*  =  Opferstätte,  der 
Angelsachse  mit  viaoed  —  Tempel- 
bett; althd.  dl/an,  mittelhd.  der 
alier.  Der  Ursprung  des  Altars 
hängt  mit  dem  Reliquien-  und  Hei- 
ligenkultus zusammen,  der  schon  in 
den  Katakomben  gefeiert  wurde. 
Auch  die  ältesten  Kirchen  waren 
eigentlich  Grabheiligtümer,  die  sich 
über  den  Ruhestätten  der  Märtyrer 
erhoben.  An  die  Stelle  des  Sarko- 
phags, der  in  den  Katakomben  schon 
als  Tisch  für  die  Totenspenden  und 
die  Gedächtnisfeier  gedient  hat,  tritt 
jetzt  der  Altar,  auf  welchem  das 
Opfer  des  neuen  Testamentes  und 
die  Gebete  dargebracht  werden.  Der 
Altar  ist  entweder  ein  Sarkophag, 
der  den  heiligen  Leichnam  um- 
schliesst,  oder  er  ist  ein  Opfertisch 
über  dem  Gruftraum,  in  welchen  man 
öfters  durch  eine  Öffnung  hinab- 
schauen  konnte.  Über  dem  Altar  er- 
hebt sich  das  CYWmm,  ein  von 
Säulen  getragener  Baldachin  mit 
Vorhängen,  die  nach  der  heiligen 
Handlung  gesehlossen  wurden.  Von 
dem  Stcindache  des  C  Hborium  hän^t 
über  dem  Tische  ein  Gefäss,  die 
l'yjrhy  herunter,  zur  Aufbewahrung 
des  heiligen  Brotes.  Auelf  in  der 
Kirche  des  Mittelalters  ist  der 
Altar  entweder  ein  Sarg  oder  ein 
Tisch,  in  beiden  Fällen  bedeckt 
mit  d«*r  aus  einem  Stück  gehaue- 
nen Platte,  in  oder  unter  welcher 
das  Scjntichrum,  eine  quadratische 
Vertietung,  die  Reliquien  n*-bst 
der  Wreihung8urkunde  enthält.  Dazu 
Fig.  1,  Altar  aus  der  Allerhciligen- 


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Altar. 


10 


kapellc    zu     Regensburg.     Selten  tabulum  diente    dann    bloss  noch 
entbehrte  die   Mensa  eines  weite-  als  Staffel  oder  Predella,  als  Basis 
reu  Schmuckes.     Man   behing  sie  des  Schreines.     Das  ist  die  Form 
mit  Tüchern  und  Stickereien,  umgab  j  des  gotischen  Altarbaues  bis  ins 
sie  wohl  auch  mit  Reliefs  von  Holz  j  16.  Jahrh.;  auf  der  Mensa  ruht  die 
und  Stein  oder  maskierte,  bei  reichern  Predella,  ein  langes  und  niedriges 
Mitteln,  d;is  ganze  mit  kostbaren  trogähnliches  Gehäuse,  das  in  der 
Metallen,    wobei    die    vornehmste  Regel  mit  gesehweiften  Fronten  seit- 
Zierde  die  Bekleidung  der  Schau-  wärts  über  die  Mensa  ausladet  und, 
seite  mit  dem  Atttipendium  bildete,  nach  vorn  geöffnet,  eine  Reihe  von 
Die  zunehmende   Vorliebe  für  die  Bildwerken  oder,  verschliessbar,  die 
Aufstellung  von  Reliquien  erklärt  Relirjuiare  enthält.    Darauf  erhebt 
es,  dass  schon  in  romanischer  Zeit  sich  der  Schrein,  ein  solcher  vier- 
eine neue  Form  des  Altars  in  Auf-  eckiger  Kasten,  mit  Statuen  ausge- 


Fig.  1.    Altar  aus  der  AllerheiligeuKapelle  zu  Regensburg. 


gelangte;  sie  bestand  darin, 
«las*»  mau  über  der  Mensa  als  Rück- 
wand eine  hochaufragende  Mauer, 
refahulum,  errichtete,  die  von  vorn 
wieder  mit  kostbaren  Zeugen,  Skulp- 
turen oder  getriebenen  Metallen  ge- 
schmückt, einen  geeigneten  Staud- 
ort für   die   Reliquien   bot.  Eine 
weitere  Neuerung  brachte  die  goti- 
sche Periode,  indem  man  über  dem 
r*tabidnm    einen    zweiten  Aufsatz 
in    Form    eines    Tabernakels  er- 
stellte oder  einen  versehliessbaren 
Sehrein    von    Holz,    der  nunmehr 
die  Reliquien   einschloss ;   das  rc- 


setzt  und  mit  Flügeln  versehen,  die 
man  aussen  mit  Bildern  und  inwen- 
dig mit  Reliefs  zu  verzieren  pHegto. 
Otters  ist  der  Verschluss  ein  doppel- 
ter. Solche  Altäre  heisaen  Wandel- 
altdre.  Das  Ganze  bekrönt  ein  luf- 
tiger Aufbau  von  Streben,  Filialen 
und  Baldachinen  mit  einem  oft 
verschwenderischen  Reichtum  von 
Statuetten  und  Ornamenten  ge- 
schmückt. Siehe  Fig.  2.  Altar  aus 
der  Augustinerkirche  zu  Nürnberg. 
Schon  in  den  altchristlichen  Jahr- 
hunderten war  es  Sitte  geworden, 
in  einer  Kirche  mehrere  Altäre  auf- 

2* 


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Fig.  2.    Altar  au»  der  Augustinerkirclie  zu  Nürnberg. 

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Alter  «les  Lebens  und  alte  Leute. 


21 


zustellen,  bis  auf  50.  Ausser  den  tudtotiicher,  manutergia,  dienten  dem 
vielen  Nebenaltüren,  welche  als  Stif-  Priester  beim  Messopfer  zur  Hand- 
tungen  von  Privaten  und  Korpora-  wasehung;  ebenso  grössere  Hand- 
tionen  in  den  Abseiten  und  den  sie  tüchcr,  welche  in  der  Sakristei  an  be- 
begleitenden Kapellen  ihre  Aufstel-  weglichen  Köllen  aufgehängt  waren, 
lung  erhielten,  waren  es  jeweilig  Die  Kommunion tüeher  wurden  von 
zwei  Altäre,  die  in  bedeutenden  den  zu  beiden  Seiten  des  Altars 
Kirchen  eine  besondere  Ausstattung  knicenden  Ministranten  der  Länge 
erhielten,  der  Fron-  oder  Hochaltar  nach  vor  den  Kommunikanten  aus- 
in der  Tiefe  des  Chores  und  der  vor  gespannt,  seit  dem  1«.  Jahrb.  zur 
der  Westseite  der  Chorschranke  oder  Bedeckung  der  Kommunikantenbank 
des  Lettners  befindliche  Kreuz-  oder  verwendet.  In  früherer  Zeit  diente 
f.aienaUar.  Der  letztere,  für  den  ein  Kissen  dem  Missale  zur  Un- 
Gottesdienst der  Laien  bestimmt,  terlage  und  schützte  die  kostbaren 
war  gewöhnlich  von  einem  Kreuze  Einbände  des  Messbuches.  Die  Stu- 
überragt,  das  man  jetzt  noch  zu-  fen  des  Altares  und  den  Fussboden 
weilen  bald  frei  sehwebend  von  dem  des  Chores  ptlcgt'e  mau  endlich  mit 
Gewölbe  herunterhängen  oder  auf  Teppichen  zu  bedecken.  Hahn,  bil- 
der  anderen  Kante  des  Lettners  dende  Künste  in  der  Schweiz,  S.  723. 
zwischen  Standbildern  Mariä  und  des  Otte,  Handbuch  der  kirchl.  Archäo- 
Evaugelisten Johanneserrichtetsieht.  logie.  Absehn.  31.  —  Lübke,  Vor- 
Xeben  dem  Kreuz,  das  später  seinen  schule  zum  Studium  der  kirchlichen 
Platz  auf  der  Mensa  selbst  fand,  !  Kunst,  Teil  III. 
wurden  seit  dem  12.  Jahrh.  zwei  Alter  des  Lehen*  u.  alte  Leute. 
Altarleuehter  aufgestellt.  Die  Gliederung  des  Lebens  ist  nach 
Mannigfaltig  sind  die  aus  Textil-  der  Anschauung  des  Mittelalters, 
Stoffen  hergestellten  Bekleidungen  welches  hierin  wesentlich  mit  anti- 
des  Altars.  Nach  kirchlicher  Vor-  ken  Anschauungen  übereinkommt. 
Schrift  muss  zunächst  die  obere  Platte  entweder  eine  dreifache :  kintheit,  ju- 
des  Altartisches  mit  einfachen  Lein-  gent,  alter,  oder  eine  vierfache:  ktnt- 
tüehern  bedeckt  werden,  und  zwar  heil,  juqent,  manheit,  alter,  in  ein- 
dreifach; zuerst  kommen  zwei  untere  zelnen  Italien  eine  noch  mehrfache. 
Tücher  von  derberem  Stoff,  welche  Besonders  beliebt  ist  eine  solche,  Wei- 
denau die  Grösse  der  obern  Platte  che  einen  Fortschritt  von  zehn  zu 
nahen,  und  dann  das  feinere  darüber  zehn  Jahren  annimmt  ;  der  bekannte 
gebreitete  Leintuch,  mappa,  das  an  Spruch  von  den  zehn  Lebensaltern 
den  Seiten  mit  den  geschmückten  lässt  sich  seit  dem  15.  Jahrh.  naeh- 
Kändern  herabhängen  muss.    Nach  weisen. 

Beendigung  des  Messopfers  wurde  Fester  begrenzt  sind  diejenigen 
im  Mittelalter  die  oberste  Altardecke  Lebensabschnitte,  welche  durch  Sitte 
herabgenommen  und  für  die  übrige  und  Recht  gezogen  werden,  wobei 
Tageszeit  durch  das  Vesperaltuch  übrigens  die  Altersunterschiede  bloss 
ersetzt,  das  in  Deutschland  rot-  oder  für  den  freien  Mann  gelten,  nicht 
dankelbraune  Farbe  zu  tragen  pflegte,  für  den  Unfreien  und  das  Weib. 
Antipendien  heissen  die  Hekleidun-  Das  Alter,  mit  dem  nach  germani- 
gen der  Seitenwände  des  Altars,  siehe  scher  Sitte  die  Kindheit  schliesst  und 
den  bes.  Artikel.  In  den  altern  Zei-  die  luacheidcnen,  die  kenntlichen,  die 
ten,  bis  gegen  das  12.  Jahrh.,  schlos-  j  verxunnenlichen  Jahre  beginnen,  ist 
sen  Vorhänge  den  Ciboricnaltar  zwi-  das  zwölfte  Jahr;  wo  das  siebente 
sehen  den  Säulen  ab,  wie  jene  frühern  genannt  wird,  ist  römisches  Recht 
Bekleidungen  zum  Teil  aus  kostbaren  im  Spiel.  Nach  germanischen  Quellen 
Stoffen  hergestellt.   Hand-  und  La-  währt   Unzurechnungsfähigkeit  bis 


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22 


Amadis  von  Frankreich.  —  Ambo. 


zum  zwölften  Jahr.  Vollständig  frei- 
lich wurde  die  Zurechnung  für  den 
Knaben  erat  mit  dem  15.  Jahre,  wäh- 
rend für  Mädchen  die  Frist  um  drei 
.Jahre  früher  angesetzt  war.  In  die- 
sem Alter  endigte  der  Unterricht 
des  Knaben  und  er  wurde  mündig', 
einen  Vormund  setzt  er  nur  noch, 
wenn  er  es  selbst  wünscht  und  wen 
er  wünscht;  als  Sohn  und  Erbe  eines 
Königs  kann  er  jetzt  ohne  Reichs- 
verwescr  herrschen.  Nur  in  einzelnen 
besondern  Rechten,  wie  dem  lango- 
bardischen  und  sächsischen,  war  die 
Mündigkeit  auf  das  12.  oder  18.  Jahr 
gestellt.  Wer  das  Alter  der  Mündig- 
keit erreicht  hatte,  hiess  zu  geinen 
Jahren  gekommen,  gejährt  oder  jäh- 
rig;  die  Zahl  von  12  oder  15  Jahren 
heisst  Jahrzahl,  anni  legitimi,  acta«. 
Doch  blieb  der  Sohn  auch  jetzt  noch, 
solange  der  Vater  lebte  und  er  un- 
abgesondert in  dessen  Hause  wohnte, 
in  väterlicher  Dienstbarkeit,  zusam- 
men mit  dem  Gesinde.  Zum  vollen 
Mannosrceht  gclaiigte  der  Sohn  erst 
mit  dem  20.,  die  Tochter  zu  ihrem 
vollen  Hechte  mit  dem  15.  Jahr. 
Heide  hiessen  jetzt  zu  ihren  Tagen 
gekommen.  In  diesem  Alter  erhielt 
der  freie  Sohn  die  feierliche  Ertei- 
lung und  Anerkennung  des  Waffen  - 
rechtes,  die  Wehrhaftigkeit.  Doch 
wurde  im  Verlaufe  des  Mittelalters 
diese  Frist  der  20  Jahre  mehr  und 
mehr  verwischt  und  ihre  Wirkungen 
auf  das  15.  oder  13.  Jahr  zurück- 
verlegt, sodass  z.  B.  der  Sachse  schon 
im  10.  Jahrb.  vom  12.  Jahr  an  dem 
Heerbann  folgen  musste. 

Das  Alter  des  Mannes  im  vollen 
Sinne  des  Wortes  reichte  bis  zum 
60.  Jahre,  von  da  an  hiess  er  nach 
meinen  Tagen,  über  srinen  Tagen,  das 
Alter  beginnt.  Der  00jährige  Edle 
ist  weder  zum  Kampfe  vor  Gericht, 
noch  zum  ritterlichen  Lehndienst 
mehr  verbunden.  Das  Wergeid  nimmt 
von  da  an  wieder  ab.  eine  neue  Un- 
mündigkeit tritt  ein ,  «1er  60  jährige 
hat  das  Recht  sich  einen  Vormund 
zu  netzen  und  mtiss  für  irgend  wel- 


che Rechtshandlung,  wenn  es  be- 
gehrt wird/  sieh  ausweisen,  dass  er 
an  Leib  und  (^eist  noch  ein  gewisses 
Mass  von  Manneskraft  besitze.  Ja 
die  eigentlichen  Greise  verfielen  wie- 
derum in  Dienstbarkeit.  Man  bat 
Nachricht,  dass  auch  bei  den  Ger- 
manen, z.  B.  den  Herulern,  Greise 
aus  Erbarmen  getötet  wurden,  na- 
mentlich wo  Hungersnot  mitwirkte. 
Nach  H'aekernaqef,  die  Lebensalter. 
Vgl.  GWm»,  Rechtsaltcrtüm.,  S.486ff. 

Amadis  von  Frankreich  ist  der 
Held  des  xnani/trhen  Romanes,  »lei- 
den Umschwung  der  Ritterepopöe 
zum  Ritterroman  bezeichnet,  ur- 
sprünglich wahrscheinlich  in  portu- 
giesischer Sprache  durch  den  Ritter 
Vasco  de  Lobeira  von  Oporto,  gest. 
1403,  verfasst,  wurde  er  durch  Gar- 
cia Ordonnez  de  Montalvo  um  1460 
ins  Spanische  überarbeitet  und  um 
d.  J.  1500  im  Drucke  herausgegeben. 
Der  Held  des  Buches  ist  Amadis, 
Sohn  des  Königs  Perion  von  Frank- 
reich und  der  Eliscna,  einer  Tochter 
des  Königs  Ga Vinter  von  Bretagne, 
Hauptgegenstand     die  Liebesge- 
schichte zwischen  Amadis  und  Oriana, 
einer  Tochter  des  Königs  Lisuart 
von  Frankreich.    Schon  von  dem 
j  genannten    spanischen  Bearbeiter 
|  fortgesetzt,  erweiterten  französische 
i  Übersetzer  das  Buch  auf  die  Roman- 
I  reihe  von  24  Büchern.    Auch  in  der 
I  deutschen  Übersetzung,  welche  von 
156'.»  bis  15!»4  in  24  Bänden  erschien, 
1  wurde  der  galante  Ritterroman  mit 
j  seiner  unglaublichen  Weitschweifig- 
keit  das  Lieblingsbuch  des  deut- 
schen Adels.  Ausgabe  des  1.  Buches 
in  der  Bibliothek  des  litt.  Vereins, 
Bd.  10. 

Ambo,  ein  griechisches  Wort, 
eigentlich  Rand,  Erhöhung,  bedeutet 
in  erster  Linie  den  Plate,  der  sich 
vom  Altarraum  aus  in  daa  Schiff 
der  Kirche  erstreckt;  er  ist  von 
Schranken  umgeben  und  durch  Stufen 
erhöht,  und  dient  für  die  niedere 
Geistlichkeit,  die  Sänger  und  Vor- 
leser.  In  zweiter  Linie  heisst  Ambo 


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Ambrosianischer  Lobgesang.  —  Angang. 


23 


der  kathederartige  Aufbau,  der,  in 
einigen  Kirchen  doppelt,  über  den 
Schranken  dea  erstgenannten  ältern 
und  einfachem  Ambo  sich  erhob. 
Derselbe  war  mit  einem  doppelten 
Stufengang  und  einem  Lesepulte  ver- 
sehen. Wo  zwei  Ambonen  vorhan- 
den waren,  war  der  rechts  vorn  Altar 
gelegene  höhere  und  reicher  ge- 
schmückte zur  Vorlesung  des  Evan- 
geliums, der  kleinere  zur  Vorlesung 
der  Epistel  bestimmt;  war  nur  einer 
da,  so  enthielt  er  ein  höheres  Pult 
für  das  Evangelium,  ein  niedrigeres 
für  die  Epistel.  Aus  dem  Ambo 
gingen  später  der  Lettner  und  die 
Kanzel  hervor. 

Ambrosia  nl  seh  er  Lob^esang 
heisst  der  fälschlich  dem  Ambrosius 
und  Augustinus  zugesehriebene  Hym- 
nus Je  Ueum  lamlamu*.  Wahr- 
scheinlich ist  es  eine  von  Ambrosius 
für  seinen  Kirchenchor  gefertigte 
lateinische  Übersetzung  eines  alten 
morgen  ländischen  Abendgesanges. 
Er  verbreitete  sich  bald  im  ganzen 
Abendland  als  der  Hauptspalm  des 
abendländischen  Christentums;  Be- 
nedikt von  Nursia  nahm  ihn  in  das 
Brevier  seines  Ordens  auf. 

A  neiden  sind  höfische  Kitterepen, 
welclie  den  Virgil ischen  Aneas  und 
seine  Abenteuer  im  Geiste  des  Rit- 
tertums zum  Gegenstände  haben. 
Die  französische  Aneide  des  1  xerre 
<? Aurerffnr  igt  verloren.  Erhalten 
ist  die  nach  französischen  Quel- 
len verfaaste  deutsche  Aneide  oder 
Eneit  des  Heinrich  von  Veldeke,  der 
als  der  Begründer  der  höfischen 
Ritterepik  gilt  und  besonders  das 
Motiv  der  Minne  in  daa  Epos  ein- 
führte. Das  deutsche  Gedicht  lässt 
den  Aneas  aus  Troja  fliehen  und 
zur  Dido  gelangen,  die  ihn  durch 
Liebe  zu  fesseln  sucht.  Durch  die 
Götter  an  seine  höhere  Bestimmung 
erinnert,  entflieht  Aneas  in  das  Land 
des  Königs  Latinus  in  Italien;  um 
dessen  Tochter  Lavinia  kämpft 
Aneas  einen  Zweikampf  mit  Tur- 
nus, dem  Lavinia  schon  versprochen 


ist.  Den  Gipfelpunkt  des  Gedichtes 
bildet  die  Minne  zwischen  Äneus 
und  Lavinia,  die  schliesslich  die 
Stammeltcrn  des  Komultis  und  Itc- 
mus werden.  Neueste  Ausgabe  von 
Behaghcl,  Heilbronn  1882. 

Angang,  mhd.  ttncqanc,  auch 
iriderqanc,  mderlouf  heisst  eine  im 
Mittelalter  weit  verbreitete  Art  von 
Aberglauben,  wornach  der  Gegen- 
stand, auf  deu  man  frühmorgens, 
beim  ersten  Ausgang  oder  beim 
Unternehmen  einer  Keise  unerwar- 
tet stie8s,  sei  es  Tier,  Mensch  oder 
Sache,  Heil  oder  Unheil  bezeichnete 
und  das  Beginnen  fortzusetzen  oder 
aufzugeben  mahnte.  So  weit  der 
Angang  Menschen  betrifft,  so  galt 
als  unheilbringend  der  Angang  eines 
alten  Weibes,  einer  Frau  mit  flie- 

S Mideu  Haaren  oder  aufgelöster 
opf binde,  eines  geweihten  Prie- 
sters, eines  Blinden,  Hinkenden  und 
eines  Bettlers;  für  gut  galt  dagegen 
der  Angang  eines  Hockeriehten  und 
Aussatzigen ,  und  die  Begepiung 
eines  Gehenden  günstiger  als  die 
eines  Reitenden,  ungünstig  aber  die 
eines  Wassertragenden.  Von  Tier- 
angängen  gilt  als  günstiges  Zeichen 
der  heulende  und  tortgehende  UV/', 
dessen  Begegnen  Mut  und  Hoffnung 
einflösst,  während  der  feige  furcht- 
same Maxe  als  entmutigendes  Zei- 
chen betrachtet  wird.  Dem  Wolf 
zur  Seite  stehen  Jfirxch,  Eher  u.  Bar. 
Des  Funktest  Angang  wird  verschie- 
den gedeutet.  Wer  bei  frühem  Aus- 
gang Sc/itreiuen  begegnet,  wird  un- 
willkommen sein,  wer  Schafen,  will 
kommen;  oder  es  heisst:  als  will- 
kommener Gast  wird  der  Wanderer 
empfangen  werden,  wenn  ihm  die 
Schafe  rechter  Hand,  als  unwill- 
kommener, wenn  sie  ihm  linker  Hand 
aufstossen.  Noch  feiner  ausgebildet 
war  der  Angang  der  1'oacf.  Nament- 
lich waren  unter  den  Wegvogeln 
(  so  heissen  diejenigen,  deren  Begeg- 
nen vorbedeutungsvoll  ist)  die  krim- 
memlen  Iiaubröqel  von  Bedeutung, 
die  über  andere  Vögel  Sieg  errangen, 


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24 


Annalen.  —  Annolied. 


folglich  auch  den  Helden  Sieges- 
crfolg  weissagen  konnten,  daher  spie- 
len auch  in  Träumen  Raubvögel  die 
erste  Rolle.  Fliegen  zur  rechten 
Jla/nl  galt  wie  bei  den  Alten  so 
auch  im  Mittelalter  für  glücklieh, 
zur  Unken  unglücklich.  Besonders 
häufig  wird  die  Krake  genannt,  dann 
Eh/er,  Schwalbe.    Eine  be- 


Sjtecht, 
sondere 


Art  des  Vogelangangs  ist 


der  Uherfluff  einiger  \  (»gel:  gefeier- 
ten Helden  gaben  Adler  Schatten 
vor  der  Sonne  durch  Überbreiten 
ihrer  Flügel.  Oft  ist  es  nicht  der 
Fing  und  Augaug  der  Wegvögel, 
was  dem  Menschen  Heil  oder  Ün- 
heil  bringt,  sondern  ihr  Aufenthalt 
an  der  Wohnstätte  der  Menschen. 
Schwalbe  und  Storch  sind  Glücks- 
vögel; ein  Leichroffel  oder  Trauer- 
roffel  ist  die  Knie,  die  deshalb  auch 
Klagemuhme,  Klagemutter,  Klage- 
weil» heisst.  Von  leblosen  (»egen- 
ständen dieser  Art  werden  in  erster 
Linie  Flammen  für  weissagend  ge- 
halten; wenn  sie  sich  den  Kriegern 
an  Helm  oder  Speer  setzten,  galten 
sie  als  Vorzeichen  d»*s  Sieges.  Sonst 
galten  besonders  gefundene,  gebet- 
telte (»der  gestohlene  Sachen  als 
heilsam  oder  schädlich.  Grimm, 
Mythologie,  Kap.  35.  U'uttke,  Volks- 
aberglaiibe       262  ff. 

Annalen  heisst  eine  wichtige 
Gattung  mittelalterlicher,  lateinisch 
geschriebener  Geschichtsquellen;  es 
sind  ursprünglich  chronologische 
kurze  Notizen,  welche  die  Missio- 
näre auf  die  überall  verbreiteten 
Ostertafeln  sehrieben,  deren  Rand 
von  selbst  dazu  aufforderte,  neben 
der  Jahreszahl  kurze  Nachrichten 
einzutragen.  Man  findet  sie  zuerst 
in  Italien,  Irland  und  England,  seit 
Karl  d.  Gr.  in  Deutschland.  Mit 
den  Ostertafeln  wurden  die  Rand- 
bemerkungen abgeschrieben  und 
gingen  so  von  einem  Kloster  an  das 
andere  über;  man  verband  sie,  setzte 
sie  fort  und  ergänzte  sie  aus  andern 
Schriftstellern.  Man  unterscheidet 
Reichs-  oder  Königliche  Annalen, 


die  am  Königlichen  Hofe  entstan- 
den sind,  und  lokale  Klosterannalen. 
Zu  den  ersteren  gehören  die  Anna- 
len von  S.  Amand,  Annale*  Mosel - 
tani.  die  Lorscher  Annalen,  die  An- 
nalen Einhards,  deren  Urheberschaft 
durch  den  Geschichtschreiber  Karls 
d.  Gr.  zwar  nicht  allgemein  aner- 
kannt wird.  Klosterannalen  lokaler 
Natur  sind  sehr  zahlreich.  Aus  die- 
sen Annalen  sind  mit  der  Zeit  die 
ausführlichen  Chroniken,  Caxu*. 
Getto,  Chronica  des  Mittelalters  ent- 
standen. Die  Annalen  sind  heraus- 
gegeben von  Pertz  im  ersten  Bande 
der  Monument <i  ( iermauiae  hixtorica, 
1 82t> ;  siehe  Wattenbach,  deutsche 
Gcschichtsquellen  im  Mittelalter. 

Anna ten  heissen  im  Mittelalter 
1.  eine  Abgabe  des  Ordinierten  an 
den  Ordinierenden,  die  bis  zur  Höhe 
des  ersten  Jahreseinkommens  ge- 
steigert werden  durfte,  von  Prie- 
stern, Abten  und  Bischöfen  geleistet 
werden  mnsste  und  allmählich  an 
den  Papst  kam;  man  hiess  sie 
meist  xerritia.  2.  die  Abgabe  der 
Hälfte  der  ersten  Jahreseinnahme, 
welche  die  Bischöfe  von  den  von 
ihnen  verliehenen  Pfründen  erhielten 
und  ebenfalls  mit  der  Zeit  an  den 
Papst  abtraten.  Diese  zweite  Art 
hiess  im  engeren  Sinne  annata. 
Über  beide  Abgaben,  die  mit  der 
Zeit  denselben  rsamen  annata  er- 
hielten, führte  die  vorreformatorische 
Zeit  heftige  Klagen;  die  Annaten 
im  engern  Sinne  sollten  nach  einem 
Beschlüsse  des  Konstanzer  Konzils 
aufhören,  wenn  sie  weniger  als  24 
Goldgülden  betrügen,  was  in  Deutseh- 
land uci  allen  päpstlichen  Pfründen 
eintraf ;  die  Serritien  bestanden  fort, 
und  sie  sind  es,  denen  die  vielen 
Klagen  späterer  Zeit  galten. 

Anniversarien  sind  kirchliche 
Stiftungen  für  jährliche  Fürbitte  zu 
Gunsten  von  Abgestorbenen;  sie 
kamen  im  11.  Jahrh.  auf. 

Annolied  betitelt  sich  ein  mittel- 
alterliches, in  niederdeutscher  Mund- 
art verfasstes  Gedicht  eines  unbe- 


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Antichrist.  —  Antonierherrn. 


25 


kannten  Verfassers,  das  sich  zur  Auf- 
gabe stellt,  den  1075  gestorbenen 
heil.  Anno,  Erzbisehof  von  Köln, 
d«  n  Zeitgenossen  als  einen  grossen 
und  wahren  Heiligen  vorzuführen; 
der  Dichter  seheint  ein  Geistlicher 
»ler  Diöeese  Köln  cewesen  zu  sein 
und  noch  irn  11.  Jahrh.  gelebt  zu 
haben.  Das  Gedicht  hat  durch  die 
rasch  und  kräftig  fortschreitende  Be- 
wegung einen  poetischen  Wert.  Nach 
vorausgenommener  Einleitung,  die 
von  Erschaffung  der  Welt  und  dem 
Süudenfall  anhebt,  dann  die  Thaten 
Casars  und  Augustus  und  der  Vor- 
gänger Annos  besingt,  kommt  das 
Geflieht  auf  die  Regierung  des  heil. 
Bischofs  selber  zu  sprechen  und 
schilt  die  undankbaren  Zeitgenossen, 
welche  die  Grösse  und  Heiligkeit 
seines  Helden  nicht  erkannt  haben. 
Der  erste  Herausgeber  der  Dichtung 
war  Opitz,  1639,  Ausgabe  von  Bez- 
zenberger  1848. 

Antichrist,  mhd.  auch  mit  Anleh- 
nung an  rüde:  endechrist.  Die  Lehre 
vorn  Antichrist,  schon  bei  den  Juden 
als  Pseudomessias  vorgebildet,  kam 
früh  mit  dem  Christentum  in  die 
deutsche  Bildung;  besonders  in  der 
Auffassung,  wonach  er  am  Ende  der 
Welt  den  grossen  Kampf  mit  Christus 
bestehen  wird,  an  welchem  auf  bei- 
den Seiten  übermeusehliche  Helden 
teilnehmen,  namentlich  der  Erzengel 
Michael  und  Elias,  wahrscheinlich 
nach  dem  Brief  Judae,  v.  9,  wo  der 
Erzengel  Michael  mit  dem  Teufel  um 
den  Leichnam  Mosis  zankt.  Die  be- 
kannteste deutsche  Darstellung  der 
Antichrist-Sage  ist  das  Gedicht  vom 
lünqnfen  Tage  oder  MuttpiUi.  u.  a.  ab- 
gedruckt in  Mulle  nhoff und  Scheret; 
Denkmäler  deutscher  Poesie  und 
Prosa,  wo  in  der  Erläuterung  zahl- 
reiche andere  deutsche  Dichtungen 
v«>rn  Antichrist  nachgewiesen  sind. 

Schritten  über  fliesen  Gegenstand 
riebt  es  in  Poesie  und  Prosa  das  ganze 
Mittelalter  hindurch,  so  von  der  Frau 
Ava,  gestorben  1 127.  Siehe  Wacker- 
nagels Literaturgeschichte,  §  55. 


Auch  Frida  ni  es  Bescheidenheit  hat 
einen  Abschnitt  (49 1  Von  dem  ende- 
chrisfe,  dazu  die  Anmerkungen  in 
der  Ausgabe  von  Bczzenberger, 
Halle  1872,  p.  401  ff.  Das  älteste  in 
Deutschland  aufgefundene  Myste- 
rium ist  der  ludus  paschati*  de  ad- 
rett tu  et  i uteri  tu  Antichrist i '.  Seit 
dem  14.  Jahrhundert  fanden  die 
Gegner  des  Papsttums,  Wik leff,Huss, 
und  ganz  allgemein  die  Reformato- 
ren den  Antichrist  im  Papste.  Auch 
<«in  Brants  Narrenschiff,  103,  ist  vom 
Kndrhrisf  die  Rede. 

Antipendiuni  heisst  der  gestickte, 
gewirkte  oder  gewobene  Vorhang 
oder  Zierbehang  für  die  Vorderseite 
de-s  Altars,  Altarbehang.  Früher 
gefaltet,  wurden  sie  später,  um  die 
gestickten  Darstellungen  deutlicher 
ins  Auge  fallen  zu  lassen,  ohne  Fal- 
ten autgehängt,  etwa  auch  auf  Rah- 
men gespannt  und  vor  der  Vorder- 
seite des  Altars  {frontale)  bloss  auf- 
gestellt. 

Antiphon,  Wechselgesang,  war 
ursprünglich  eine  Gesangsweise  der 
Israeliten  und  ging  früh  in  den 
christlichen  Gcsangskult  über.  Nach 
der  späteren  Kirchenpraxis  verstand 
man  unter  Antiphon  nur  die  Auf- 
forderung zum  \Vechselgesang.  also 
denjenigen  Vers  oder  Spruch,  wel- 
chen der  Vorsänger  anzustimmen 
hatte  und  der  am  Scliluss  des  (tan- 
zen vom  Gesammtchor  wiederholt 
wurde.  Schon  Ambrosius  stellte  ein 
Antijdtonariitm  mit  den  dazu  gehöri- 
gen Gesangstexten  auf,  eine  spätere 
vollständigere  und  noch  heute  ge- 
brauchte Sammlung  verdankt  man 
Gregor  d.  Gr.  Die  Antiphone  sind 
Bibelverse  oder  klassische  Stellen 
aus  Bibelversen ,  welche  den  Inhalt 
des  Psalms  kurz  bezeichnen  oder 
ihm  die  bestimmte  Beziehung  auf 
den  festlichen  Tag  oder  die  Kirchen- 
jahreszeit verleihen. 

Aiitoiiierherrcii  oder  Hospita- 
titer  den  heiligen  Antonius.  Gegen 
Ende  des  11.  Jahrhunderts  wütete 
in  Frankreich  eine  Krankheit,  die 


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26 


Antrustio.  —  Apostel. 


man  (las  Feuer  des  heiligen  Antonius 
nannte,  weil  man  von  diesem  Hei- 
ligen Kettung  hoffte.  Als  der  ein- 
zige Sohn  eines  Edelmanns  in  der 
Dauphiuc,  Gaston,  von  dieser  Krank- 
heit befallen  wurde,  that  der  Vater 
über  deu  Reliquien  des  Heiligen  ein 
Gelübde,  dass  er,  wenn  der  Sohn 
genese,  sein  ganzes  Vermögen  zum 
Hosten  der  an  dieser  Krankheit  Lei- 
denden verwenden  würde.  Beides 
geschah,  und  der  Vater  Gastons 
wurde  mit  acht  Gefährten  selbst 
Krankenwärter.  Anfangs  waren  es 
bloss  Laien;  Innocens  Iii.  gab  ihnen 
1208  die  Erlaubnis,  eine  Kirche  zu 
bauen,  und  Honorius  III.  gestattete 
1228  den  Mitgliedern  die  Ablegung 
des  Mönchsgelübdes.  Bonifaz  III. 
machte  sie  zu  regulierten  Kanoni- 
kern und  gab  ihnen  die  Regel  des 
heiligen  Augustin.  Gewöhnlich 
nannte  man  sie  Antoniusherren;  als 
Ordenstracht  trugen  sie  ein  schwar- 
zes Gewand  mit  einem  daraufgehef- 
teten himmelblauen  emaillirten  T, 
nach  Ezech.  9,  4.  Beim  Almosen- 
sammeln  trugen  sie  ein  Glöckchen 
an  ihrem  Halse.  Das  Volk  pflegte 
ihnen  jährlich  ein  Schwein  zu  ver- 
ehren, welches  Tier  dem  heil.  An- 
tonius geweiht  ist.  Der  Orden  brei- 
tete sich  schnell  aus;  die  Prioren 
nannten  sie  Komture  und  der  Abt 
von  St.  Anton  zu  Vienna  war  Gross- 
meister. Hagenhach  in  Herzogs  Real- 
Encvkl. 

Antrustio,  abgeleitet  von  frusfis, 
die  verbundene  Schar  und  besonders 
die  der  Gcfolgsgenossen ,  ist  in  der 
Merowinger  Zeit  der  Name  desjeni- 
gen, der  zur  Gefolgschaft  des  Königs 
gehört;  er  heisst  auch  Y/W/genosse, 
eonrira.  Die  Aufnahme  in  dieTrustis 
erfolgte  durch  die  Formel:  „Es  ist 
recht,  (hv*s  wer  uns  unverletzte  Treue 

felobt,  unseres  Schutzes  geniesse. 
Jnd  weil  jener  Getreue  nach  Got- 
tes Willen  kommend  dort  in  unse- 
rem Palast  mit  seinen  Waffen  in 
unsere  Hand  tiefolge  und  Treue  be- 
schworen  hat;   deshalb   durch  die 


gegenwärtige  Urkunde  befehlen  und 
bcschliessen  wir,  dass  jener  oben- 
erwähnte hinfüro  unter  die  Zahl  der 
Antrustionen  gerechnet  werde.  Und 
wenn  jemand  sich  erfrechen  sollte, 
ihn  zu  töten,  so  wisse  er,  dass  er 
sein  Wehrgeld  mit  600  solidi  zu 
zahlen  schuldig  befunden  werde." 
Dieses  Wehrgeld  ist  dreimal  so  gross 
wie  das  der  gewöhnlichen  Freien. 
Sonst  hatten  die  Antrustionen  das 
gleiche  Recht  und  Gericht  mit  den 
übrigen  Freieu,  sie  sind  auch  nicht 
erblich  und  bilden  keinen  Staud  des 
Adels.  Es  sind  Freigeborene ,  die 
in  dieses  Verhältnis  eintraten.  Nur 
der  König  hat  Antrustionen.  Mit 
der  Ausbildung  des  Lehenswesens 
verschwindet  dieses  nur  den  Franken 
bekannte  Institut.    Siehe  Waitz. 

Apollonius  von  Tyrus  heisst  ein 
im  Mittelalter  weit  verbreiteter  Sa- 
genstotf,  der  die  Erlebnisse  einer 
nach  allen  Richtungen  hin  ausein- 
ander gerissenen  Fürstenfamilie  be- 
handelt, welcher  doch  schliesslich 
Wiedervereinigung  und  dauerndes 
Glück  bescheert  wird.  Ursprünglich 
ein  griechischer  Roman,  wurde  der 
Stoff  in  verschiedenen  Sprachen  in 
Prosa  und  Versen  bearbeitet,  deutsch 
um  1300  von  dem  Wiener  Arzte 
Heinrich  von  Neuenstadt,  unter  dem 
Titel:  Apollonius  von  Tvrland.  Aus 
der  lateinischen  Bearbeitung  des 
Gottfried  von  Viterbo  ging  das  V  olks- 
buch:  „Die  Historie  des  Königs  Apol- 
lonia, Augsburg  1471  hervor.  Vgl. 
Hagen,  der  Roman  vom  König  Apol- 
lonius. 1878. 

Apostel  wurden  in  der  ältesten 
Zeit  der  christlichen  Kunst  als  zwölf 
Schafe  dargestellt,  in  deren  Mitte 
Christus  als  das  Lamm  Gottes  auf 
einer  Anhöhe  steht.  Seit  dem  (5.  Jahrb. 
erscheinen  sie  als  männliche  Gestal- 
ten, alle  einander  gleich,  in  Tunika 
und  Gürtel,  häufig  mit  Mantel,  Schu- 
hen und  Sandalen,  jeder  mit  einem 
Schaf,  Christus  in  der  Mitte,  oder 
als  zwölf  ehrwürdige  Männer  ohne 
unterscheidende  Attribute.  Die  Rei- 


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Apostel. 


27 


heufolge  ist  verschieden,  auch  findeu 
sich  statt  Judas  Isehariotli  Paulus, 
.statt  Simon  Zelothes  und  Matthias 
Markus  und  Lukas.  In  solcher  Zahl 
findet  man  sie  auf  grossem  Kir- 
chengerätschaften, Altären,  Kan- 
zeln, Reliquienschreinen,  Grabdenk- 
mälern, an  den  Pfeilern  des  Mittel- 
schiffes der  Kirchen.  Einer  alten 
Sage  gemäss  versammelten  sich  die 
Apostel  vor  ihrer  Zerstreuung  und 
um  das  apostolische  Glaubensbe- 
kenntnis festzustellen,  was  in  der  Art 
dargestellt  wurde,  dass  man  jedem 
von  ihnen  auf  einem  Spruchband 
einen  bestimmten  Teil  des  Bekennt- 
nisses beilegte.  Die  Charakteristik 
der  einzelnen  Apostel  ist  folgende: 

Pelms  und  l'aulus,  sehr  Ott  mit- 
einander neben  Christus  oder  Maria 
oder  den  Evangelisten,  Pelms  ein 
kräftiger  Greis  von  mittlerer  Statur, 
breiter  Stirn,  derben  Gesichtszügen, 
kurzem  grauem  Haar,  dickem  ge- 
kräuseltem Hart,  oft  auch  bei  kahlem 
Scheitel  mit  dicht  im  Kreise  herum- 
wachsendem Haar.  Sein  Attribut 
ist  zuerst,  wie  bei  allen  Aposteln, 
ein  Spruchband  oder  Buch,  später 
«in  Kreuz  in  der  einen,  das  Evan- 
gelium in  der  andern  Hand,  seit  dem 
s.  Jahrb.  die  Schlüssel,  selten  einen 
«»der  drei,  gewöhnlieh  zwei.  Paulus 
von  kleiner  magerer  Statur,  mit 
Adlernase,  hoher  Stirn,  funkelnden 
Augen,  langem  ovalem  Gesieht,  brau- 
nem Haar,  spitz  herabhängendem 
Hart.  Die  Attribute  sind  12  Köllen, 
nach  der  Zahl  seiner  Episteln,  ein 
«►der  zwei  Schwerter,  als  Hindeutung 
auf  seinen  Märtyrertod  und  als 
Soh wert  des  Geistes. 

Andrea*,  ein  bejahrter  Mann, 
Petrus  ähnlich,  dessen  Bruder  er  ist, 
mit  herabwallendem  weissem  Haar 
und  gespaltenem  Bart,  mit  dem  Evan- 
gelium und  etwa  seit  dem  14.  Jahrb. 
mit  dem  schrägen  Balkenkreuz  in 
der  Hand,  au  dem  er  den  Mftrtvrer- 
tod  fand, 

Jakof/us  der  Allere,  Bruder  des 
Apostels  und  Evangelisten  Johannes, 


hat  manchmal  Familienähnlichkeit 
mit  Christus,  kurzes  braunes  Haar 
und  Bart,  wird  seit  dem  VA.  Jahrb. 
gewöhnlich  als  Pilger  von  Konipo- 
stella  dargestellt,  mit  Pilgerstab, 
woran  die  Pilgertasche  hängt,  die 
Pilgermuschcl  am  Hut  oder  auf  der 
Brust. 

Johanne.*.  Sohn  des  Zebedäus  und 
jüngerer  Bruder  des  älteru  Jacobus, 
des  Heilandes  Lieblingsjüngcr.  An- 
fangs bildete  man  ihn  bejahrt  mit 
langem  weissem  Bart,  später  jugend- 
lich und  unbärtig,  von  zarter  Kör- 
perbildung und  mildem  Ausdruck. 
Als  Apostel  trägt  er  in  der  Hand 
einen  Kelch,  aus  dem  sich  eine 
Schlange  herauswindet ,  weil  er  der 
Tradition  nach  einen  Giftbeeheroblie 
Nachteil  trank. 

Philippus  erscheint  gewöhnlieh 
jugendlieh,  unbärtig  oder  mit  kur- 
zein Bart  und  freundlichem  Antlitz; 
als  Attribut  hat  er  ein  Antoniuskreuz 
oder  einen  langen,  oben  mit  einem 
Kreuz  endigenden  Stab. 

Bartholomäus ,  der  Apostel  von 
Indien,  wird  bejahrt  dargestellt.  Aber 
mit  schwarzem  Lockenhaar  und  star- 
kem schwärzlichem  Bart,  das  Evan- 
gelium des  Matthäus  in  der  linken, 
ein  grosses  Messer  in  der  rechten 
Hand,  bisweilen  über  dem  Arm  seine 
eigene  Haut  tragend,  selten  mit 
Lanze  oder  Beil. 

Thomas ,  genannt  der  Zwilling 
oder  der  ungläubige,  erseheint  bald 
jugendlich  und  unbärtig,  bald  als 
gereifter  Mann  mit  kurzem  Bart; 
seit  dem  13.  Jahrb.  trägt  er  als  Attri- 
but ein  Winkelmass,  weil  er  für 
einen  indischen  König  einen  Palast 
gebaut  haben  soll,  oder  eine  Lanze, 
durch  die  er  den  Märtyrertod  erlitt. 

Matthäus  bejahrt,  mit  weissem 
Bart,  einen  Beutel  in  der  Hand,  weil 
er  Zöllner  gewesen  wrar.  Als  Zei- 
chen seines  Märtyrertodes  hat  er  ein 
Schwert  oder  ein  Beil,  oder  er  trägt 
den  einem  Winkelmass  ähnlichen 
Visitierstab  des  Zöllners. 

.laknhns  der  Jüngere,  Sohn  des 


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Apostel. 


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29 


Fig.  9.     Bartholomaus.        Fig.  10.  Thomas. 


Fig.  11.  Matthäus. 


Fig.  13.  Simon  Zelote».    Fig.  14.   Judas  Thaddäus. 


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30 


Apostelbrüder.  —  Apsis. 


Alphäus,  dessen  Gattin  Maria's 
Schwester  war.  Kr  wird  daher  in 
den  Gesichtszügen  dein  Heiland  ähn- 
lich dargestellt.  Seine  Attribute  sind 
Tuchwalkerstange  oder  Keule,  ver- 
mittelst welcher  ihn  der  wütende 
Pöbel  zu  Jerusalem  erschlagen  ha- 
ben soll. 

Simon  Zelotcs,  nach  der  Tradition 
ein  Bruder  des  Judas  Thaddäus; 
beide  sollen  unter  den  Hirten  ge- 
wesen sein,  denen  der  Engel  die  Ge- 
burt des  Heilandes  verkündigt,  wes- 
halb sie  gewöhnlich  bejahrt  darge- 
stellt wurden.  Ihre  gewöhnlichen 
Attribute  sind  Säge  und  Hellebarde 
(oder  Keule),  die  Werkzeuge  ihres 
Todes. 

Matthias,  der  an  der  Stelle  des 
Judas  Ischarioth  nachgewählte  Apo- 
stel, wird  in  der  Reihe  der  Apostel 
meist  durch  Paulus  ersetzt.  Lanze 
oder  Axt,  die  Werkzeuge  seines  To- 
des, sind  seine  Attribut«'. 

Judas  I.scharioth  erscheint  nur 
da,  wo  die  Evangelien  es  ausdrück- 
lich angeben,  mit  rotem  Bart  und 
Haar,  zuweilen  mit  einem  Teufel 
auf  der  Schulter,  der  ihm  ins  Ohr 
flüstert;  seine  Kleidung  ist  meist  ein 
schmutzig  gelbes  Gc  wand.  Nach  Mül- 
ler und  Mothrs,  Arch.  Wörterbuch. 
Vgl.  Organ  f.  christl.  Kunst  1871. 

Apostelbrtider,  Apostelorden, 
Apostoliker  heisst  eine  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  13.  Jahrh.  in  Ober- 
italien entstandene  ketzerische  Sekte, 
gestiftet  durch  Gerhard  Segarelli, 
einen  Handwerker  in  Parma.  Von 
dem  Franziskaner  Orden,  in  den  er 
einzutreten  wünschte ,  abgewiesen, 
beschloss  er,  das  arme  Leben  der 
Jünger  Jesu  nachzuahmen,  und  grün- 
dete zu  dem  Ende  eine  apostolische 
Gemeinschaft.  Vom  Papst  und  den 
Bischöfen  verfolgt,  predigten  die 
Apostelbrüder  gegen  die  Hierarchie 
und  die  Gebrechen  der  Kirche;  Sega- 
relli selbst  wurde  im  J.  1300  ver- 
brannt, doch  dauerte  namentlich 
unter  dem  Nachfolger Scgarclli's,  Dol- 
cino,  die  Sekte  noch  ziemlich  lange. 


Oft  verbanden  sie  sich  mit  Frati- 
cellen  und  Bcgharden. 

Apostellöflfel  hiessen  LötFel,  die 
am  Stiel  mit  der  Figur  eines  Apostels 
oder  der  heil.  Jungfrau  endeten.  Sie 
gehörten  zu  den  heil.  Geräten,  um 
bei  der  Messe  dem  Wein  einige 
Tropfen  Wasser  beizumischen.  Ein 
volles  Besteck  bestand  aus  13  Löffeln, 
einer  mit  der  Maria,  die  12  andern 
mit  den  Aposteln.  Sic  dienten  auch 
als  Patengeschenke. 

Apotheke  bedeutete  zuerst  jeden 
Kram-,  also  auch  Tuch-,  Schuh- 
macherladen u.  dgl.;  im  14.  Jahrh. 
verengt  sich  der  Begriff  zu  einem 
Spezereiladen ,  in  welchem  Hülsen- 
früchte, Gewürze,  Arzneistoffe,  Kon- 
fekt, Wachs  u.  dgl.  verkauft  wur- 
den; aus  dem  Inhaber  solcher  Läden 
wird  dann  ein  gelernter  Bereiter 
von  Arzneien,  ein  Meister;  es  hängt 
das  damit  zusammen,  dass  man 
ursprünglich  fast  nur  vegetabilische 
Arzneistoffe  gebrauchte  und  erst 
später  mit  dem  Fortschreiten  der 
Chemie  und  der  häufiger  werdenden 
Anwendung  von  mineralischen  Stof- 
fen eine  wissenschaftliche  Thätigkeit 
aufkommt.  Im  15.  Jahrh...  beginnt 
man  die  Apotheken  durch  Arzte  be- 
aufsichtigen zu  lassen  und  polizei- 
liche Vorschriften  über  Taxen  u.  dgl. 
aufzustellen;  die  älteste  bekannte 
Apotheker- Ordnung  ist  die  Frank- 
furter v.  J.  1461,  welche  zum  Muster 
zahlreicher  anderer  wurde.  Die 
Arzneistoffe  wurden  ausser  den  ein- 
heimischen vorzugsweise  von  Vene- 
dig bezogen;  sie  zerfielen  in  einfache 
und  gemengte.  Siehe  h'rirak,  deut- 
sches Bürgertum  im  Mittelalter,  I, 
60  ff.,  wo  auch  die  älteste  Apotheker- 
Ordnung  abgedruckt  ist.  Kohl,  Altes 
und  Neues,  Bremen  1871,  Abschn.  y. 

Federking,  Geschichte  der  Phar- 
mazie.   Göttingen,  1874. 

Apsis,  aus  gricch.  apsis  oder  h<tj>- 
sis  =  Verbindung,  Rundung,  Gewölbe, 
daraus  mittellat  absida,  ahd.  absida, 
apsita.  mhd.  mit  Anlehnung  au  ab  und 
sitc;  die  absite  oder  apsitc,  ursprüng- 


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A(juamanilla.  Arkebusierer. 


^1 


Jicfa  die  Altar-Nische  der  Basilika. 
Sie  heisst  auch  cvncka,  tribunal,  sanc- 
fuarium  oder  saneta  sanc  forum,  weil 
der  Hochaltar  darin  steht.  Im  goti- 
schen Baustil  hört  die  Apsis  auf, 
ein  organisch  gesondertes  Glied,  eine 
nelbatandige  Vorlage  des  Altarhauses 
zu  sein,  und  der  Altarraum  ist  bloss 
ein  Bestandteil  des  hohen  Chores, 
das  Allerheiligstc  desselben. 

Aquamanilia,  Wasserge fasse  zum 
Häudewaschen,  die  in  Form  der  ver- 
schiedenartigsten Tiere  gebildet  sind, 
gelten  gewöhnlich  ausnahmslos  als 
zum  kirchlichen  Gebrauche  bestimmt. 
Altere  Formen,  wie  ein  Gefäss  im 
Dome  zu  Aachen  in  Gestalt  eines 
männlichen,  mit  Epheu  bekränzten 
Kopfes,  erinnern  noch  an  die  Antike, 
später  wurden  vorzugsweise  Tiergc- 
stalten  beliebt,  Löwen,  Greif«*,  Hunde, 
Pferde,  phantastische  Tiere,  auch  fin- 
den sich  Kitter  zu  Pferde  mit  voller 
Rüstung. 

Areoipoeta,  Erzpoet,  nennt  sich 
der  Hauptvertreter  der  mittelalter- 
lichen Vaganteiipoesie.  Er  besass 
dVn  Vornamen  W  alther,  stammte  aus 
ritterlichem  Geschlecht  und  gcno.^s 
die  besondere  Gunst  Rainalds  von 
L)as.*el,  des  Erzbischofs  von  Köln 
und  Kanzlers  Kaiser  Friedrich  I. 
IHe  Vermutung  Gieseb recht's,  dass 
der  Archipoeta  identisch  sei  mit 
Walther  von  Lille  oder  von  Chätil- 
lon,  welcher  durch  seine  Alexandreis 
•lie  Klassiker  aus  den  Schulen  ver- 
drängte, ist  von  Ifubattch,  die  latei- 
nischen Vagantenlieder  des  Mittel- 
alters, Görlitz  1870,  widerlegt  wor- 
den. Der  Archipoeta  feiert  in  glän- 
zenden Versen  den  Kaiser  Friedrich 
Barbarossa  als  den  Herrn  der  Welt, 
den  Fürsten  aller  Fürsten,  Hort  der 
Sicherheit  und  Ordnung;  zugleich 
aber  jammert  der  sehr  sinnenlustige 
Poet  über  seine  Armut  und  wird 
nicht  müde,  seine  Gönner  anzubet- 
teln. Von  ihm  stammt  das  Lied 
Mihi  est  propositum  in  taberna  mori. 
Heine  Gedichte  sind  zuerst  herausge- 
geben worden  durch  J.  Grimm,  Ge- 


dichte des  Mittelalters  auf  K.  Fried- 
rich I.,  Berlin  1844,  wiederholt  in 
J.  Grimms  kl.  Schriften,  Bd.  III. 
1—102. 

Archivwesen.  Die  kirchlichen 
Archive  reichen  viel  höher  hinauf, 
als  die  weltliehen.  Sie  enthalten 
zwei  Bestandteile,  einesteils  die  Privi- 
legien, Schenkungen,  Vertrags-Ur- 
kunden, richterliche  Entscheide,  au- 
dernteils  die  aus  der  eigenen  Thätig- 
keit  hervorgehenden  Konzepte,  Re- 
gister, Akten  aller  Art;  jenes  sind 
die  Urkunden,  dieses  «lie  Hajistratur. 
Die  ersten  Spuren  des  päpstlichen 
Archivs  gehören  dein  4.  Jahrb.  an. 
Infolge  des  päpstlichen  Exils  nach 
Aviguon  ging  tast  das  ganze  Archiv 
zu  Grunde.  Erst  von  Innoeenz  III. 
an  sind  die  Originalregister  in  2010 
Bänden  vorhanden.  Die  zahllosen 
Kirchen-  und  Klosterarchive  wurden 
meist  sehr  sorgfältig  verwahrt;  oft 
wurden  die  Hauptprivilegien  mit  dem 
Schatze  vereinigt,  daher  sie  am  zahl- 
reichsten auf  uns  gekommen  sind. 
Die  Siegel  schützte  man  durch  Um- 
hüllung von  Werg,  Beutel  von  Leder 
oder  anderem  Stoff.  Um  die  zu 
häufige  Einsicht  in  die  Originale  zu 
umgehen,  legte  man  Kopialbüehcr 
an.  Bei  weltliehen  Fürsten  war  es 
Sitte,  die  wichtigsten  Dokumente  in 
einem  Stifte  zu  verwahren,  die  deut- 
schen Karolinger  benutzten  dafür 
die  Kapell«'  zu  Regensburg.  Bei  dem 
Wandern  desHofes  lagen  die  Archiv- 
stücke oft  sehr  zerstreut,  «Ii«'  laufen- 
den Akten  und  wichtigen  Urkunden 
führte  der  Hof  mit  sieh.  In  den 
Städten  legte  man  von  Anfang  an 
grossen  Wert  auf  ein  geordnetes 
I  Archivweseu;  zur  Aufbewahrung  be- 
'  nutzte  man  das  Rathaus  oder  die 
I  Pfarrkirche.  Wattenbach,  Schrift- 
1  wesen,  VII. 

Arkebusierer,  von  französ.  archc 
bitte,  dieses  aus  dem  altitalienischen 
arcabouza,  lat.  archibuxo,  zusammin- 
I  gesetzt  aus  ital.  archi  —  lat.  arci  - des 
Bogens,  u.  ital.  der  bnffio,  Loch,  also 
|  eigentlich    Feuerrohr    mit  Loch, 


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32 


Armbrust.  —  Armenpflege. 


deutsch  Hakenbüchse.  Im  (  legen-  i  1 3.  Jahrh.  in  Aufnahme,  in  den  Kriegen 
satz  zur  Muskete  oder  dem  Hand-  der  Städte  gegen  den  Adel.  Philipp 
röhr,  das  der  Schütze  allein  mit  den  August  ( llöO— 1233)  schuf  in  Frank- 
Händen  handhaben  konnte,  ist  es  reich  die  ersten  Armbrustschützen- 
das  Handgeschütz,  welches  zum  Auf-  Kompagnien.  Besonders  in  den  Nie- 
legen einen  Stand-  oder  G  abelstock  er-  j  derlanden  war  die  Wafle  beliebt,  man 
forderte.  Arkebusirer sollen  in  Frank-  belebte  die  Übungen  durch  Feste; 
reich  durch  Franz  1.  um  1544,  im  spa-  13t»4  wurde  zu  Tournay  ein  grosses 
nisch-niederländischen  Heere  durch  Wettschiessen  abgehalten;  ähnlich  in 
Alha um  1567  eingeführt  worden  .«ein.  Deutschland,  wo  mancherorts  die 
Sie  wurden  ihrer  Unbequemlichkeit  Bürger  einen  Teil  des  Zwingers  zwi- 
halber  in  Holland  um  1600,  bei  den  I  scheu  Stadtmauer  und  Stadtgraben 
Schweden  durch  Gustav  Adolf  und  '  zu  ihren  Übungen  inne  hatten.  Das 
seit  den  40er  Jahren  des  17.  Jahr-  Ziel  pflegte  ein  aus  Holz  geschnitzter 
hunderts  überhaupt  mehrenteils  ab-  Vogel  zu  sein,  auf  einer  langen  Stange 
geschafft.  Die  Ausrüstung  des  Arke-  befestigt.  In  der  Schweiz  haben  sich 
busierers  bestand  aus  dem  eisernen  in  einigen  Städten  Armbrust-  oder  Bo- 
Brust-  und  Kückenstück,  nebst  genschützengescllsehaften  bis  heute 
Sturmhaube,  die  letztere  später  erhalten.  Während  die  Armbrust 
durch  einen  breitkrempigen  Hut  er-  für  die  Verteidigung  fester  Plätze 
setzt,  der  Arkebuse  an  einem  (^uer-  gute  Dienste  that,  kam  sie  für  die 
baudelier,  dem  Schwert,  Pistolen  Verwendung  im  offenen  Felde  nie- 
und  Zubehör.  mala  recht   auf;   schoss  auch  der 

Armbrust .  mhd.  das  ((rtnhrtt.il,  j  Bogen  weniger  stark,  so  schoss  er 
armhro*/,  durch  Anlehnung  au  Ar/u  doch  viel  schneller  als  die  Annbrust; 
gebildet  aus  mittellat.  arhatUla,  voll-  auch  konnte  der  Armbrustschütze 
ständiger  arcuhalixta  —  Bogen- Wurf-  in  seinein  Köcher  nur  1*  Bolzen  fort- 
masehme,  aus  lat.  <trcu#  der  Bogen  schaffen,  während  der  Bogenschütze 
und  eriech.  ballet n  —  werfen.  I  24  Pfeile  trug,   <i eigentlich  werfen 

Die  Armbrust  ist  eine  Weiter-  die  Armbrustschützen  im  Kampfe  die 
entw  ickclung  des  Bogens,  indem  der-  Warte  weg  oder  bedienen  sich  ihrer 
selbe  an  einen  Schaft  befestigt  w  ard,  als  Keule.  Noch  schwerfälliger  wurde 
welcher  im  oberen  Drittteil  seiner  der  Gebrauch  der  Waffe,  wenn  ihr 
Länge  in  einem  vierseitigen  Aus-  Inhaber  mit  einem  oder  zwei  Kuech- 
schnitte  (Nussbrunnen)  eine  um  eint;  ;  ten  als  Spanner  in  den  Kampf  zog. 
Welle  drehbare  Nuss  hatte,  hinter  j  Müller  und  Mothes,  Wörterbuch, 
welcher  die  Sehne  zurückgezogen  und  J,ifni*,  Geschichte  des  Kriegs- 
und  eingelegt,   die  Nuss  dagegen  wesens. 

durch  die  in  ihr  unten  «»inliegende  Armenpflege.  Die  Armenpflege 
Abzug.sstauge  festgehalten  wurde,  ist  ein  wesentlich  christliches  Institut. 
Die  wesentlichsten  Teile  der  Ann-  sie  beruht  auf  dem  Gebot  der  Näch- 
brust sind  also  der  Bolzen,  anfangs  stenlicbc,  hat  mit  dem  Staat  nichts 
von  Holz  dann  von  Horn,  endlich  zu  thun  und  wendet  sich  bloss  au 
von  Stahl  hergestellt,  ferner  der  die  Individuen;  sie  besteht  in  Privat- 
eichene Schaft  mit  der  Nuss,  dem  almosen  und  deren  Sicherung,  also 
Kern  und  dem  Schlüssel  od.  Drücker,  im  Stiftungswesen.  Die  Armeu- 
sowie  endlich  die  Sehne.  Die  Arm-  Stiftungen  wurden  der  leichten,  wohl* 
brüst  war  schon  den  Goten  bekannt,  feilen  und  sicheren  Verwaltung  wegen 
Für  den  Adel  und  die  Fürsten  war  au  bleibende  Korporationen  ange- 
sie  zunächst  Jagd waffe,  für  den  schlössen,  kleinere  mehr  au  Kirchen, 
Bürger  Turm-  und  Mauerw  ehr.  Als  grössere,  wie  Spitäler,  an  Gemeinden. 
Kriegswafle  kam  sie  namentlich  im  i  Durch  die  Anknüpfung  an  die  Kirche 


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Artillerie. 


33 


e  rhielt  die  Armenpflege  den  religiösen 
Charakter  und  war  eine  wirksame 
Aufmunterung  zu  neuen  Armen- 
stiftungen. 

1)  Kirchliche  Armenpflege.  Arm 
ist  erstens  der  Gegensatz  von  rieh 
in  dessen  zwei  Bedeutungen,  vor- 
nehm, mächtig  —  und  reich  an  Gut; 
daher  arm  mhd.  sowohl  den  Mann 
von  geringem  Stande,  den  hörigen 
Bauer,  arme  Hute,  als  denjenigen, 
der  nichts  besitzt,  bedeutet,  den 
armen  Dürftigen,  den  Bettler,  lat. 
juiuperes,  egeni,  pauperes  mendicantes 
kvttialim.  die  an  den  Thüren  betteln. 
Die  Armenpflege  erstreckte  sich 
meist  auf  diese  zweite  Klasse,  und 
zwar  sowohl  auf  die  ansässigen  oder 
Ortsarmen  als  auf  die  wandernden 
Armen  oder  Pilger.  Aus  der  ersten 
Klasse,  den  armen  Unten,  gingen  die 
armen  Schüler  hervor,  pauperes  Scho- 
laren, die  auch  in  ständige  und  wan- 
dernde eingeteilt  wurden.  Die  stän- 
digen besuchten  die  Kirchenschule 
und  waren  zum  Chorgesang  verbun- 
den. Man  unterschied  solche,  die 
nur  Brot  bekamen,  und  solche,  wel- 
chen man  Kost  gab.  Aus  den  armen 
Schülern  wurde  die  niedrige  Geist- 
lichkeit gross  gezogen,  die  von  der 
Pfründe  des  Altars  lebte,  dem  sie 
diente. 

Die  Armenpflege  zieht  Satural- 
rtrPflegung  der  Geldausteilung  vor, 
und  zwar  werden  rohe  Nahrungs- 
mittel seltener  erwähnt  als  fertige. 
Die  Natural  Verpflegung  hiess  spende 
aus  mittellat.  spenda,  welches  mit 
Speise  aus  lat.  expendere  kommt, 
während  Geldalmosen  gewöhnlich 
(dnujsen,  eleemosunae  heissen.  Die 
Spende  geschah  häufiger  in  Weiss- 
hrot  als  in  Schwarzbrot,  weil  man 
dadurch  der  Absicht  des  Spenders 
besser  nachkam.  Es  gab  einmalige 
SjK'nden  und  solche,  die  sich  über 
das  ganze  .Jahr  erstreckten.  Grund- 
satz* war,  die  Spenden  öffentlich  zu 
verteilen,  auf  dem  Kirchhof,  am 
Grabmal  des  Stifters,  in  der  Kirche. 
Die  Armen  mussten  daher  bei  der 

RMlIexivon  der  deutschen  Altertümer. 


Seelenmesse  anwesendsein, schwache 
und  kranke  Hausarme  ausgenommen. 
Die  Stiftungsbriefe  hiessen  litterae 
penales  von  poena,  d.  i.  Strafe  für 
den  Nichtvollzug  der  Stiftung. 

2)  In  der  Gemeinde- Armenpflege 
herrscht  ebenfalls  der  Unterschied 
zwischen  Spenden  und  Almosen.  Die 
besonderen  Anstalten  zur  Bekösti- 
gung der  Armen  sind  die  Spitäler, 
deren  man  reiche  Spitäler,  d.  i.  Pf  rund - 
häti8er,  und  arme  Spitäler.  Armen- 
häuser unterschied.  (Iber  die  Annen 
ausser  den  Spitälern  war  ein  Aus- 
schluss angeordnet.  Wo  die  Refor- 
mation eingeführt  wurde,  pflegte  die 
Obrigkeit  sofort  durch  ein  besonderes 
Mandat  eine  Armenordnung  aufzu- 
stellen, besonders  damit  die  Ver- 
mächtnisse frommerund  mildthätiger 
Vorfahren  nicht  mehr  zu  einem 
prunkenden  Gottesdienste  und  für 
unwürdige  Geistliche  verwendet  wür- 
den. Vgl.  Kesslers  Sabbata,  I,  02. 
Man  stiftete  einen  öffentlichen  Al- 
mosenkasten ,  stellte  eine  Armenbe- 
hörde  auf,  richtete  in  den  Kirchen 
einen  Almosenstock'  ein  (daher  Stock- 
amt) und  verordnete  für  die  Haupt- 
gottesdienste  ein  Einsammeln  von 
Almosen  durch  das  },&ickliu,  den 
Klingelbeutel.  JJone,  (Iber  die  Ar- 
menpflege vom  13.  bis  16.  Jahrh.  in 
der  Zeitschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrheins, 
Bd.  1.  —  Krirqk,  Deutsches  Bür- 
gert. I,  161. 

Artillerie  kommt  als  Kollektiv- 
name für  Geschütz  im  Anfang  des 
16.  Jahrb.  auf,  bei  Vadian  artellari 
(etwa  1530),  bei  andern  Artelerei 
und  Artillerie }  aus  franz.  die  arfil- 
ferie,  provenz.  artilharia,  span.  artil- 
leria,  ital.  artiglieria  —  Geschütz,  von 
franz.  der  arfitlcr,  span.  der  artilleru, 
iteil.  der  artigliere  ~  Stückgiesser, 
Gesehützsoldat,  welches  auf  provenz. 
artilha,  Festungswerk  und  zuletzt 
auf  Ableitung  von  lat.  ars,  Kunst, 
im  Mittellateinischen  auch  soviel  als 
Geschütz  zurückzuführen  ist.  S.  Wei- 
gand.  Eine  Umdeutschung  des  nicht 
verstandenen  Artillerie  scheint  ar- 

3 


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34 


Artillerie. 


iv/W,  ai  hUri,  ark  olfei  zu  sein.    Der  seiner  Bewaffnung,  und  Dichter  und 

Ausdruck  Artillerie  kommt  ungefähr  Denker,  die  in  ihnen  eine  freche  An- 

zur  selben  Zeit  wie  die  Feuerwaffen  massuug  göttlicher  Attribute  sahen, 

in  allgemeinere  Aufnahme,  doch  ist  betrachteten  die  neue  Waffe  mit  un- 


Pig,  17.    Orgclgeseliütz.  Fig.  18.  Orgelgesehüt/. 


er  älter  als  die  Feuerwaffe  und  bei  günstigen  Blicken.    Eine  rationelle 

den  Franzosen  schon  unter  Louis  IX.  Trennung  von  Handwaffen  und  Ge- 

iim  1228  bekannt,  als  Gesamtname  schützen  ist  bei  den  geringen  Kali- 

der  Wurfgeschosse.  Der  Adel,  der  in  bern  der  frühesten  Feuerwaffen  kaum 

den  Feuerrohren  eine  Beschränkung  durchzuführen.   Als  Mittelding  zwi- 


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Artillerie. 


35 


sehen  Handwaffe  und  Geschütz  ging 
wohl  zunächst  die  Holzkanone  hervor  ; 


Fig.  19.  Orgelgescliülz. 


erscheint  sodann  der  Wurfkessel 
oder  Mörser,  dadurch  verlängert, 


Fig.  20.  Steinbüdise. 


Fig.  II.    Steinbüchse.  Fig.  22.  SteinbUchac. 

»■in  gestielter  llandmörser  wurde  ]  dass  man  entweder  dem  Geschütz 
Huer  arabischen  Waffe,  der  Madfaa,  |  vorn  ein  Mundstück  ansetzte,  oder, 
whgeliilder.  Als  schweres  Geschütz  i  indem  man  den  Wtirfkessel  in  einen 

3* 


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36 


Artussage. 


Cylinder  hineinschob;  in  jenem  Fall 
hatte  mau  einen  Vortier-,  in  diesem 
Fall  einen  Hinterlader.  Allmählich 
ging  man  zu  sehlankern  Formen 
über.  Gegossen  wurden  die  Ge- 
schütze zuerst  über  einen  Kern,  schon 
im  15.  Jahrh.  bohrte  man  aber  in 
I  Vutsehland  Geschütze.  Das  Material 
ist  anfangs  Stabeisen,  später  Bronze. 
Vorherrschende  Typen  giebt  es  bis 
gegen  1450  kaum,  man  schwankt 
von  einem  Extreme  zum  anderen,  von 
sehr  kurzen,  kesselartigen  zu  langen, 
schlangengleichen  Kohren.  Erst  ge- 
gen Ende  des  15.  Jahrh.  lassen  sich 
bestimmt  benannte  Arten  von  Ge- 
schützen deutlicher  unterscheiden. 

1.  Büeh*e,  Bhd.puhsa,  mhd.  f>uh*e, 
lat.-griech.  ju/.ri.s,  ursprünglich  eine 
Ulis  hartem  /y*/c//*bauinholz  gedrehte 
Kapsel,  welche  sieh  sehraubt.  Man 
unterscheidet  Steinbüchel!  für  Stein- 
kugeln und  K/olzhüehsen  für  Kugeln 
aus  Eisen,  Bronze  und  Blei,  Loth- 
büchsen  schiessen  bloss  Blei. 

2.  Metze  n,  ahd.  mhd.  tnez  =  Mass, 
Gefüss,  Trinkgefäss,  also  gleichbe- 
deutend mit  Kanone  aus  lat.  ran  tut  = 
Röhre,  Triukgesehirr. 

3.  Ellbogen*  beschütze t  in  Form 
von  Winkelhaken  mit  horizontalem 
Rohr  als  Kammer  und  senkrecht 
emporstehendem  Rohr  als  Flug. 

4.  Mörser,  Tümmler  oder  Böller, 
anfangs  selten,  da  die  alten  Wurf- 
maschinen denselben  Zweck  wohl- 
feiler erfüllten;  seit  dem  16.  Jahrh. 
werden  sie  behufs  Werfen  von  Feuer- 
kugeln häufiger.  Tümmler  und  Böl- 
ler sind  Mörser  kleineren  Kalibers. 

5.  Hauptbückscn ,  Scharf metzen 
oder  Mauerbrecher ,  zum  Brech- 
sei] usse  bestimmt,  seit  dem  Ende  des 
14.  Jahrh.  eine  besondere  Zierde  der 
Fürsten  und  Städte. 

6.  Kammerfmchsen  mit  beweg- 
licher Ladebüchse,  die  durch  vor- 
gesteekten  Keil  odcrSchraubgewinde 
im  Rohre  befestigt  wurde,  auch  Vog- 
ler, Vögler  genannt,  in  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrh.  häufig. 

7.  Jfaufnitz,  Hawnitz,  Hauft'nitt, 


Haubitz,  von  den  Hussiten  in  Nach- 
ahmung und  Verkürzung  der  gegen 
sie  zahlreich  angewandten  Kammer- 
büchsen  erfunden  und  mit  Verstüm- 
melung des  deutschen  Wortes  llaupt- 
hürhse  benannt.  Es  ist  ein  Vorder- 
lader, teils  mit,  teils  ohne  abgesetzte 
Pulverkammer. 

8.  Karlaunen  oder  Quartanen, 
Viertel xhüehxen,  durch  Verlängerung 
der  Hauptbüchse  bei  Verminderung 
des  Kalibers  entstanden. 

9.  Sehlangen,  franz.  Serpentine*, 
mit  sehr  langem  Rohr. 

10.  Fallen,  Falkaunen,  Valkc- 
netlin,  Falkonett,  leichtere  Feld- 
schlangen. 

11.  Hagelhüchten  oder  Orqelge- 
tchiitze.  Vereinigung  mehrerer  Rohre 
auf  einer  Achse. 

12.  R epetiergexch  ii  fz. 

In  Bezug  auf  die  Fortsehaftung 
des  Geschützes  unterschied  man  Tar- 
raxbüchsen,  d.  i.  solche,  deren  Fahr- 
zeuge nicht  bloss  zum  Transport, 
sondern  auch  als  Schiessgerüste, 
Tarras,  dienten  und  Karrenoiirhsen. 
von  nur  einem  Pferde  gezogen. 

Die  Figuren  15—32  entstammen 
einer  Münchner  Bilderhandschrift 
vom  Jahr  c.  1350,  die  statt  des  Textes 
bloss  Unterschriften  enthält.  Erklärt 
und  abgebildet  im  Anzeiger  f.  Kunde 
d.  d.  Vorzeit.  1860.  Nr.  11. 

Das  älteste  deutsche  Buch  über 
Artillerie  ist  das  Feuerwerkslnu'h  des 
Abraham  von  Memmingen,  1414; 
auf  ihn  folgt  der  Pfälzer  Martin  Merz, 
dessen  Kriegsbuch  aus  dem  Jahre 
1472  stammt.  Nach  Jahns,  Handbuch 
einer  Geschichte  des  Kriegswesens. 

Artussage,  der  beliebteste  und 
alisgebildetste  Sagenkreis  der  höfi- 
schen Weltlitteratur.  Französisch 
sprechende  anglo-normannische  Dich- 
ter brachten  den  Stoff  in  England 
auf,  wo  sie  ihn,  von  Quellen  zweiten 
Ranges  abgesehen,  in  einer  lateinisch 
geschriebenen  Clironik  fanden,  die 
( iottfried,  Erzdiakon  von  Monmouth, 
um  das  Jahr  1140  niedergeschrieben 
hatte,  und  die  den  Titel  trägt:  dt 


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Artussage. 


37 


angine  et  ye*tis  rerutn  Britanniae-, 
deutsch  übersetzt  von  Sau  Marte, 
Halle.  1854.  Darin  wird  die  Ge- 
schichte von  99  Herrschern  des  alten 
Britanniens  erzählt,  von  dein  Stamm- 
vater der  Briten,  Brutus,  einem  Enkel 
des  Aneas,  au,  bis  zu  Codwallader  am 
Ende  di*  7.  Jahrh.  Es  ist  ein  sagenhaf- 
te*, märchen volles  Buch,  dem  das  Be- 
streben zu  G  runde  liegt  seinen  Gegen- 
stand und  durch  ihn  sein  Heimatland 
mit  Glanz  zu  umgeben;  indem  der 
Geschichtschreiber  seinen  Stoff  mit 
dem  klassischen  und  biblischen  Al- 
tertum verknüpft,  bemüht  er  sich 
durch  Zusammenstellung  wunder- 
barer, rührender,  tragischer  Momente 
den  Eindruck  lückenloser  Vollstän- 
digkeit und  Zuverlässigkeit  hervor- 
zubringen. Bis  auf  Milton  ist  das 
Buch  die  Quelle  der  englischen  Ge- 
schichtschreiber gewesen;  sein  elfter 
König  ist  Lear,  dessen  Töchter 
Gonerilla,  Regan  und  Cordailla 
sind;  der  69ste  ist  Cymbeline,  der 
91stc  Artus  oder  Arthur,  der  den 
erobernden  Sachsen  im  6.  Jahrhun- 
dert glücklichen  Widerstand  leistete. 
Uber  ihn  als  geschichtliche  Persön- 
lichkeit handelt  Lappenberg,  Ge- 
schichte Englands,  I,  103  ff.  Von 
den  historisch-nationalen  Zügen  des 
Königs  Artus  ist  jedoch  in  der  höfi- 
schen Sa^e  keine  Spur  zurückgeblie- 
ben ,  vielmehr  wurde  er  zum  Ideal 
des  ritterlichsten ,  freigebigsten, 
frömmsten  Königs  ausgebildet;  er 
ist  der  alle  überstrahlende  Artus, 
die  Blume  der  Könige,  der  Stolz 
und  Ruhm  und  einstige  Heiland 
seines  Landes,  der  mit  dem  Beistand 
des  gewaltigen  Zauberers  Merlin 
über  alle  Feinde  siegreich  war,  über 
Sachsen,  Deutsche  und  selbst  über 
den  Kaiser  der  Römer,  Lucius  Tibe- 
rius ;  sein  Ruhm  verbreitet  sich  über 
die  Erde:  an  Macht,  Glanz  und  Frei- 
gebigkeit ist  ihm  kein  König  ver- 
gleichbar; er  baut  Kirchen,  Paläste 
und  Städte.  Gastmahle,  Spiele  und 
Furniere  drangen  sich  an  seinem 
Hofe,  der  das  Vorbild  aller  Ritter 


wird.  Bei  einem  gläuzenden  Pfingst- 
feste,  das  er  in  seiner  Hauptstadt 
Carleon  feiert,  huldigen  ihm  die  40 
Könige  der  Erde.  Sein  Glanz  wird 
nur  getrübt  durch  die  Untreue  seiner 
Gemahlin  Ginevra  und  den  Verrat 
seines  Neffen  Modred.  Der  Ausbau 
der  Artussage  schliesst  sich  an  die 
ihr  vorausgehende  Karlssage  an. 
Während  Karl  mehr  der  fränkische 
Held  war,  wurde  Artus  der  anglo- 
normannische;  vorzüglich  das  Motiv 
der  Minne  konnte  hier  viel  freieren 
Spielraum  gewinnen  als  in  den  im- 
mer noch  einigermassen  historischeu 
Karlsdichtungen,  zumal  die  verbo- 
tene Minne.  Von  der  Karlssage  ent- 
lehnte die  Artussage  die  Tafelrunde 
mit  ihren  12  Paladinen;  aus  andern 
bretonischen  Sagen  Hossen  der  Artus- 
sage neue  Gestalten,  Stoffe  und  Mo- 
tive zu,  Parzival,  Tristan,  so  dass 
zuletzt  ein  weiter  umfangreicher 
Sagenkomplex  daraus  sich  gestaltete. 
Während  die  Gedichte  der  Karls- 
sage bei  den  französischen  Dichtern 
chanxon*  de  qexte  heissen,  erhalten 
die  Artusgeoichte  den  Namen  Ro- 
man* d.  h.  ein  Gedicht  in  der  roma- 
nischen Vulgärsprache  gegenüber 
lateinischen  Dichtungen.  Die  ersten 
Artusromane  sind  in  Prosa  geschrie- 
ben, die  gereimten  folgen  auf  sie. 
Der  berühmteste  und  fruchtbarste 
französische  Schriftsteller  auf  diesem 
Gebiete  ist  Ch reden  de  Trut/e*;  seine 
Romane  Krek,  Chevalier  au  Hon, 
Tristan,  Laneefot  de  fac,  l'erehrvat. 
Erst  in  Frankreich  verband  sich  die 
Graalsage  (s.  diese)  mit  der  Artus- 
sage. Das  älteste  deutsche  Gedicht 
der  Artussage  ist  der  nur  unvoll- 
ständige Tristan  des  Eilhard  von 
Oberrje,  Dienstmann  Heinrich  des 
Löwen;  dann  folgt  der  La nzetot  des 
Ulrich  von  Zazikoven  aus  dem  Thur- 

E1U,  der  durch  einen  1 194  für  Richard 
öwenherz  gestellten  Geisel  mit  der 
Quelle  bekannt  geworden  war;  der 
nächste  ist  Hartmaun  von  Aue  mit 
dem  Krer  und  Ttvein  nach  Chrefim 
de  Troyes-,  Nachahmung  des  licet  n 


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38 


Ärzte.  —  Äsen. 


und  ebenfalls  der  Artussage  ange- 
hörig ist  der  WigaloU  des  Wirnt 
von  Oravenben/ .  Mit  der  Graalsage 
verbunden,  erscheint  die  Artussage 
in  Wolframs  von  Eschenbach  Parzi- 
val  und  'fiturcl;  das  beliebteste  Ar- 
tusgedicht aber  wurde  Gottfrieds 
von  Strassburg  Tristan  und  holde, 
fortgesetzt  von  Ulrich  von  Türheini 
und  Heinrich  von  Freiberg.  Mit 
dem  ausgehenden  Rittertum  verlor 
sich  auch  die  Freude  an  der  Artus- 
sage; in  einem  umfangreichen  und 
genaltlosen  Gedicht  des  Malers  Ul- 
rich Füterer  von  1287  ist  die  Sage 
zum,,  letztenmal  behandelt  worden. 

Arzte.  Ahd.  der  arzdt,  mhd. 
arzdt  und  arzet,  vom  lat.  der  archi- 
dler,  dieses  aus  griech.  archiatros 
Erzarzt,  erster  Leibarzt;  die  ältere 
deutsche  Benennung  war  got.  lekeis, 
leikeit,  ahd.  lähhi,  woraus  mhd.  ld- 
chenaere,  der  Besprechcr,  Zauberer, 
als  Geschlechtsnaine  Lachner  erhal- 
ten. Die  frühesten  Arzte  in  Deutsch- 
land waren  Geistliche,  besonders  in 
den  Klöstern ;  auch  Frauen  verstan- 
den sich  wohl  auf  gewisse  Teile  der 
ärztlichen  Kunst,  darunter  besonders 
Hebammen;  auch  Scharfrichter  wer- 
den genannt.  Das«  man  den  Ärzten 
schon  früh  wenig  traute,  zeigt  Frei- 
dank; Bescheidenheit,  Abschnitt  23 
von  arz/tten  und  siechen.  In  den 
Städten  waren  anfänglich  ebenfalls 
Geistliche  Ärzte  und  neben  ihnen 
besonders  Juden.  Sie  hiessen  an- 
fänglich Magister,  Meister,  seit  dem 
Eime  des  15.  Jahrh.  Doktor,  lat. 
medicus  oder  physicus,  deutsch  auch 
bttocharzdf.  wuntarzdf,  Leibarzt.  In 
den  Städten  hatte  man  seit  dem  14. 
Jahrh.  einen  bestellten  Stadtarzt. 
Früh  kommen  Ärzte  für  besondere 
Krankheiten  vor,  Augenarzte,  Stein-, 
Bruch-  oder  ] lodenseh neider,  Zahn- 
ärzte oder  Zähnebrecher.  Auch  Tier- 
ärzte kennt  man  seit  dem  14,  Jahrh., 
meist  in  Verbindung  mit  dem  Hand- 
werke des  Hufschmiedes.  —  Die  me- 
dizinischen Kenntnisse  gab  im  Be- 
ginne des  Mittelalters  neben  der  Er- 


fahrung und  dem  Aberglauben  das 
Studium  medizinischer  Werke  des 
Altertums;  das  berühmteste  dersel- 
ben war  das  lifjer  de  naturali  facttl- 
tafe  oder  das  arzinbuoch  Ypocratis, 
eine  Sammlung  ärztlicher  Vorschrif- 
ten mit  angehängtem  botanischen 
Glossar.  Diesem  und  ähnlichen  un- 
ter dem  Namen  des  Hippocratcs  oder 
Aristoteles  oft  abgeschriebenen  Arz- 
neibüchern folgt  im  15.  Jahrh.  das 
Arzneibuch  Ortolfs  von  Baierland, 
die  Meinauer  ^aturlehre  und  das 
Buch  der  Sa  für  des  Reqensburger 
Domherrn  Konrad  von  "Megenberg, 
ebenso  verschiedene  Kräuterbüeher. 
Die  erste  wissenschaftliche  Schule 
der  Medizin  wurde  im  Jahre  1150 
zu  Salcrno  gegründet;  die  zweite 
wurde  die  zu  Montpellier,  mhd.  Mum- 
pclier,  beide  schon  in  Hartmanus 
Armem  Heinrich  genannt.  Eine 
freiere  medizinische  Wissenschaft 
wurde  durch  Theophrastus  Parazel- 
sus  im  Beginn  des  16.  Jahrh.  ein- 
geleitet. Krieqk,  deutsches  Bürger- 
tum, I,  1  ff.,  U'ackernagel,  Littera- 
tur  §  90. 

Aschermittwoch,  dies  cineris  et 
cilicii,  der  erste  Tag  der  40tägigen 
Fasten  vor  Ostern.  Nachdem  die 
am  Palmsonntage  vorigen  Jahres 
geweihten  Palmen  oder  andere 
Zweige  zu  Asche  verbrannt  worden, 
wird  diese  vor  Beginn  der  Messe  in 
einem  Gefäss  auf  den  Altar  gestellt 
und  den  am  Altar  knieenden  Laien 
vom  Priester  mit  den  Worten  auf 
das  Haupt  gestreut:  Memento  humo, 
f/uia  pufris  es  et  in  pul  verein  rever- 
teris.  Anfangs  war  die  Ceremonie 
nur  den  zur  Kirchenbusse  Verurteil- 
ten vorgeschrieben;  &eit  wann  die 
Sitte  sich  auf  allle  Gläubigen  aus- 
dehnte, lässt  sich  nicht  genau  an- 
geben, im  11.  Jahrh,  bestand  sie 
allgemein  zu  recht. 

Äsen,  der  altnordische  Name  der 
einen  Götterklasse,  der  die  Wanen 
gegenüberstehen;  got.  und  ahd.  der 
ans.  Zu  den  Asen  zählten  ausser 
Wodan  sämtliche  oberen  Götter  und 


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Astrologie. 


89 


Göttinnen  mit  Ausnahmt  der  Wanen 
genannten  Freyr  und  Freya.  Asen 
und  Wanen  führten  miteinander 
einen  Krieg,  der  durch  einen  Frie- 
denssehluss  beigelegt  wurde,  demzu- 
folge Njördr  und  seine  Kinder  Freyr 
und  Freya  den  Asen  zu  Geiseln  ge- 
geben wurden,  während  der  Äse 
flönir,  0dhiii8  Bruder,  in  gleicher 
Eigenschaft  zu  den  Wanen  kam. 
Müllenhoff  deutet  die  beiden  Götter- 
klassen auf  zwei  verschiedene  Götter- 
knlte  und  deren  Vereinigung  zu  Einem 
System.  Die  Wanen  gehören  den 
gotischen  Völkern,  die  Asen  den 
Westgermanen;  Mannhardt  sieht  in 
den  Wanen  und  Asen  zwei  verschie- 
dene Stufen  der  germanischen  My- 
thenbildung. Siehe  Mannhardt,  die 
Götter  der  deutschen  und  nordischen 
Völker,  S.  69  und  73. 

Astrologie  wurde  im  Altertum 
derjenige  Wissenszweig  genannt, 
welcher  sich  zum  Ziele  setzte, 
die  Beziehungen  der  Bewegungen 
der  Himmelskörper  zu  den  Vor- 
gängen auf  der  Erdoberfläche  zu 
ergründen.  In  diesem  Sinne  war 
der  Ausdruck  Astrologie  mit  Astro- 
nomie früher  synonym,  so  noch  bei 
Aristoteles.  Im  Orient,  wo  der  Ur- 
sprung der  Astrologie  freilich  in 
einer  Zeit,  aus  der  uns  Urkunden 
fehlen,  zu  sucheu  ist,  ist  der  Verlauf 
der  Witter  ungaerscheinuugen  in  den 
verschiedenen  Jahreszeiten  ein  so 
regelmässiger ,  dass  sich  sehr  leicht 
und  ungezwungen  Beziehungen  zu 
den  Konstellationen  am  Himmels- 
gewölbe ergaben.  Über  die  Natur 
dieser  Beziehungen  konnte  die  da- 
malige Zeit  freilich  noch  nicht  die 
richtigen  Ideen  haben.  Es  ist  z.  B. 
vollkommen  richtig,  dass  damals  die 
Sonne  im  Sternbild  des  Löwen  ihre 
prösste  Kraft  erreichte,  das»  bei 
ihrem  Eiutritt  in  dasjenige  des  Was- 
sermanns die  Regenzeit  begann 
u.  s.  w.,  aber  die  Annahme  ist  eben 
durchaus  falsch,  dass  es  die  in  jenen 
Himmelszeichen  stehenden  Sterne 
waren,  welche  der  Sonne  die  er- 


höhte Kraft  verleihen  oder  die  Nie- 
derschläge veranlassen  etc.  Es  war 
also  in  diesem  System  der  sogenann- 
ten natürlichen  Astrouomie  Wahres 
und  Falsches  mit  einander  verkettet , 
und  die  Wissenschaft  hat  eine  schwere 
und  grosse  Aufgabe,  das  Unrichtige 
wieder  auszuscheiden  und  auf  die 
wahren  Ursachen  der  Vorgänge  auf 
der  Erde  hinzuweisen.  Neben  dieser 
natürlichen  Astrologie  gelangte  aber 
auch  die  sogenannte  judizieritche  A. 
zur  Ausbildung,  deren  Ursprung  in 
der  Religion  liegt.  Nach  acr  alten 
chaldäischcu  Auffassung  waren  die 
Sterne  himmlische  Geister,  und  man 
verehrte  sie  als  solche.  Die  Priester 
brachten  den  Gestirndienst  in  ein 
förmliches  System.  Der  griechische 
Gesehichtsehreiber  Diodor  von  Sici- 
lien  sagt  (  II,  31),  dass  nach  der  An- 
sieht der  Chaldäer  die  Planeten  auf 
die  Geburt  des  Menschen  den  gröss- 
ten  Einrluss  ausüben,  im  Guten  wie 
im  Schlimmen  und  durch  die  Be- 
obachtung und  Erkenntnis  ihres  We- 
sens seien  sie  (die  Priester)  vorzüg- 
lich imstande  zu  wissen,  was  den 
Menschen  zustossen  werde.  Die  äus- 
sern Erscheinungen  der  Planeten 
boten  allerdings  der  Phantasie  Stoff 
zur  Ausbildung  eines  astrologischen 
Systems,  und  dieses  wurde  eben  bei- 
behalten, als  später  die  Planeten 
nicht  mehr  als  die  Götter  selbst, 
sondern  nur  noch  als  ihre  Symbole, 
betrachtet  wurden,  ja  sogar  als  je- 
der Zusammenhang  mit  Mvthologie 
und  Religion  verschwunden  war. 
In  Griechenland  fand  die  Astro- 
logie erst  Eingang,  als  unter 
dem  Einfluss  der  Philosophie  der 
Glaube  an  die  einheimischen  alten 
Götter  ins  Schwanken  geriet.  Die 
schwärmerischen  Lehren  der  Neu- 
platoniker  riefen  eine  ganze  Reihe 
von  sogenannten  geheimen  Wissen- 
schaften (Dämonologie,  Nekroman- 
tic,  Cheiromantie  u.  s.  w.)  hervor, 
welche  alle  zur  Astrologie  in  ein 
gewisses  Verhältnis  traten.  Als  Auto- 
rität sollte  der  gefeierte  alexandri- 


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40 


nischc  Gelehrte  Claudius  Ptolemäus 
selten.  Es  ist  indessen  fast  unzwei- 
felhaft, dass  unter  den  ihm  zuge- 
schriebenen astrologischen  Schriften 
nur  die  eine  wirklich  von  ihm 
stammt,  die  „apparen/iac  stellarum 
inerrantium**  eine  Art  meterolog. 
Kalenders,  welche  die  Lehren  der 
natürlichen  Astrologie  enthält;  und 
dass  namentlich  der  sogen.  Tctra- 
biblos  ihm  untergeschoben  wurde. 
Hei  den  Römern  war  die  iudizierische 
Astrologie  mehr  gefürchtet  als  ge- 
achtet. Durch  die  ganze  Kaiserzeit 
hindurch  spielen  die  astrologischen 
Prophezeiungen,  obwohl  gesetzlich 
verboten,  eine  grosse  Rolle.  Cicero 
war  einer  der  wenigen,  welcher 
sie  mit  trefflicher  Waffe,  derjenigen 
der  Vernunft,  bekämpfte.  Später 
finden  wir  die  Astrologie  in  ihrer 
höchsten  Blüte  bei  den  Arabern. 
Der  sogen.  Fatalismus,  die  Lehre 
von  der  Vorausbestimmung  aller 
Schicksale  des  einzelnen,  musste  der 
Astrologie  die  weiteste  Ausbildung 
und  Verbreitung  sichern.  Auf  den 
islamitischen  Schulen  wurde  daher 
die  Astrologie  und  das  Nativität- 
<>der  Horoskopstellen,  d.  h.  die  Be- 
stimmung des  Lebenslaufes  des  Neu- 
geborenen aus  der  Konstellation  der 
Geburtsstunde,  öffentlich  als  Kunst 
gelehrt.  Die  arabische  Astrologie 
faud  im  12.  und  13.  Jahrhundert 
auch  im  christlichen  Europa  Ein- 
gang, trotzdem  die  Kirche  von  An- 
fang an  eine  oppositionelle  Stellung 
gegen  sie  eingenommen  hatte,  da 
sie  mit  dem  Prinzip  der  Willensfrei- 
heit im  Widerspruch  stand.  Al- 
phous  X.  von  Castilien  und  Lud- 
wig XI.  von  Frankreich  waren  eif- 
rige Astrologen.  Ersterer  leistete 
damit  auch  der  Astronomie  grosse 
Dienste.  Wenn  auch  ausschliesslich 
im  Dienste  der  Sterndeuterei  ver- 
anlasst, so  war  doch  die  Berechnung 
neuer  astronomischer  Tafeln,  welche 
bis  auf  Kepler  die  besten  waren, 
von  grosser  Wichtigkeit  für  die 
theoretischen  Untersuchungen  über 


den  Lauf  der  Planeten.  Wie  früher 
in  Bagdad,  so  wurde  später  auch 
auf  den  hohen  Schulen  zu  Padua 
und  Bologna  die  Astrologie  in  streng 
wissenschaftlicher  Form  gelehrt.  Es 
sei  hier  ferner  nur  au  die  Namen 
Guido  Bonatus,  Nostradamus,  Car- 
danus, Pietro  di  Abano,  Agripna 
von  Nettesheim  erinnert,  die  alle 
unzertrennlich   mit  der  Astrologie 
verknüpft  sind.     Am  meisten  be- 
günstigten die  Höfe  die  Astrologie, 
wo  es  geradezu  als  unerlässlich  galt, 
hochgestellten  Personen  das  Horo- 
skop zu  stellen.    Schiller  führt  uns 
in  seinem  Wallenstein  ein  Beispiel 
dieses  ganz  allgemeinen  Gebrauchs 
vor.    In  sehr  enge  Beziehungen  zur 
Astrologie  trat  die  Alchemie;  es  ist 
kein  Zufall,  dass  in  den  unterirdi- 
schen Gewölben  der  Uranienburg, 
wo  Tycho  seine  denkwürdigen  Pla- 
netenbeobachtungen  anstellte,  gleich- 
zeitig grosse  Laboratorien  der  Al- 
chemie dienten.  Zu  betonen  ist,  dass 
nicht  etwa  das  copernikanische  Welt- 
system als  solches  der  Astrologe 
den  Todesstoss  gab,  sondern  erst 
die  Kcplerschen  Gesetze.  Copemi- 
eui  -  gab  auch  berichtigenden  Auf- 
schluss  über  di«'  Stellung,  die  Distan- 
zen und  die  Bewegungen  der  Pla- 
neten.   Die  Ursachen  der  letztem 
aber  hat  er  nicht,  ja  nicht  einmal 
die  Form  derselben  ermittelt.  Erst 
Kepler  leitete  die  Bewegungen  der 
Himmelskörper  aus  den  physischen 
Bedingungen  der  wirkenden  Kräfte 
ab,  und  damit  erst  war  der  Astro- 
logie der  Boden  entzogen.   Die  Zeit 
und  Not  hat  freilich  auch  Kepler 
zuweilen    veranlasst,  astrologische 
Spekulationen  zu  machen,  aber  oft 
genug  hat  er  sich  darüber  ausgespro- 
chen, was  er  eigentlich  von  der  Kunst 
halte,  um  deren  Ausübung  man  ihn 
so  oft  gebeten.   Nachdem  durch  die 
Werke  Keplers  und  des  späteren 
Newton  der  Astronomie  der  Weg 
deutlich  vorce/.cichnet  war,  der  sie 
von   ihrer  Mutter,  der  Astrologie 
trennte,  musste  natürlich  das  stolze 


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Asyl.  Aussatz. 


41 


Lehrgebäude  der  letzteren  zerfallen. 
Einzelne  Trümmer  derselbeu  haben 
sich  indessen,  wenn  auch  nach  man- 
cherlei Metamorphosen,  bis  auf  un- 
ser»* Zeit  erhalten  und  bilden  noch 
heutzutage  einen  wesentlichen  Teil 
des  Volksaberglaubens.    R.  B. 

Asyl,  aus  griech.-lat.  asylttm, 
Freistitte  für  Verbrecher;  als  solche 
palt  bei  den  Hebräern  sowohl  als 
bei  den  Griechen  und  Römern  der 
Tempel,  besonders  der  Altar;  das 
Christentum  behielt  diese  Einrich- 
tung bei,  ahd.  heisst  die  Freistätte 
hMaf,  uihd.  rridehüs,  vridestat. 
rlüktestat.  rriheit.  Dieses  Recht  ist 
auch  in  die  deutschen  Volksrechte 
und  Kapitularien  aufgenommen  wor- 
den, doch  wurden  Bestimmungen 
gegen  den  Missbrauch  dieser  Ein- 
richtungen getroffen.  Siehe  Vadian, 
vom  Mönchsstand,  deutsche  histo- 
rische Schriften,  I,  81,  20  ff.  In 
manchen  Städten  heissen  ganze 
Platze  U,  dgl.,  die  zu  einer  Kirche 
gehören,  Freiheit.  Die  Reformation 
Hess  das  Asvlrecht  eingehen,  und 
es  wurde  allmählich  auch  in  den 
katholischen  Staaten  aufgehoben. 

Athis  u.  Prophilias  heisst  ein 
im  Mittelalter  vielfach  behandelter 
Novellenstoff:  eiu  Freund  liebt  des 
Freundes  Gattin,  der  Freund  opfert 
»ich,  geht  nach  Rom  und  vergilt 
dort  dem  Freunde  seine  Liebe  durch 
Freundestreue.  Die  Fragmente  eines 
deutschen  (iedichtes  von  unbekann- 
tem Verfasser  sind  von  W.  Grimm 
herausgegeben. 

Augustiner,  der  vierte  Bettel- 
orden, aus  meist  in  Italien  zerstreut 
lebenden  Augustiner-Eremiten  oder 
Einsiedlern  des  heil.  Augustin  in 
der  Mitte  des  13.  Jahrh.  zu  einem 
Uesamtorden  vereinigt  und  1256  be- 
stätigt; mau  unterschied  männliche 
und  weibliche,  beschuhte  und  un- 
beschuhte; die  Ordenskleidung  ist 
schwarz.  Obgleich  sie  wie  die  Do- 
minikaner, Franziskaner  und  Kar- 
meliter zu  den  Bettelorden  gezählt 
wurden,  durften  sie  doch  liegende 


Güter  besitzen.  Luther  und  Abra- 
ham a  Santa  Clara  gehörten  dem 
Orden  an. 

Aussatz,  die  bekannte,  aus  dem 
Orient  stammende  Krankheit  heisst: 
ahd.  hruf,  ruf,  hrudmuchf,  mi*aUuht% 
mhd.  meist  misekuht,  aus  franz.  mi- 
sellus,  von  mi*er,  elend;  daneben 
kommen  masehuht  und  muxrltuhf 
vor.  Der  Aussatz  wurde  als  Strafe 
Gottes  angesehen,  der  damit  Be- 
haftete wurde  aus  der  Gesellschaft 
ausgestossen,  durfte  den  öffentlichen 
Gottesdienst  nicht  besuchen,  verlor 
die  Freiheit  und  die  Verfügung  über 
Hab  und  Gut,  daher  der  Name  mhd. 
uzsetze,  d.  i.  der  Ausgesetzte,  lat. 
projieiendu-x  oder  projectus,  auch 
| \  austvärtiff ,  (jckersierh ,  xititdcntiech, 
feldxierh,  siech  allein.  Die  Aus- 
sätzigen durften  auf  Almosen  aus- 
gehen, doch  mit  eigentümlicher  Klei- 
dung, Hut  und  Klapper;  zum  Al- 
inosenempfangcn  und  Trinken  hat- 
ten sie  einen  hölzernen  Napf.  Eigene 
Anstalten  wurden  für  sie  von  ein- 
zelnen, von  Klöstern,  von  Städten 
errichtet,  siechhus,  mhelhu*,  vor 
der  bewohnten  Ortschaft  liegend, 
mit  eigener  Kapelle,  manchmal  unter 
einem  aussätzigen  Meister,  wodurch 
diese  Häuser  einen  klösterlichen 
Charakter  bekamen;  sie  waren  dem 
heil.  Jacob  oder  heil.  Lazarus  ge- 
weiht; ein  eigener  Ritterorden  des 
heil.  Lazarus  wurde  für  ihre  Ptlege 
gegründet.  Später  wurden  diese  An- 
stalten, als  die  Krankheit  ausging, 
zu  Krankenhäusern  überhaupt.  Galt 
zwar  der  Aussatz  als  durch  natür- 
liche Mittel  unheilbar  und  begnügte 
|  man  sich  eben  darum  mit  der  Ab- 
sonderung der  Kranken,  so  war  das 
•  Mittelalter  von  der  Heilkraft  über- 
■  natürlicher  Mittel  überzeugt;  dazu 
gehörten  in  erster  Linie  das  unmit- 
telbare Eingreifen  Gottes,  in  zahl- 
reichen Legenden  erzählt,  dann 
Schlangen  und  besonders  das  Blut 
unschuldiger  Kinder;  höchste  Rein- 
heit sollte  höchste  Unreinheit  hei- 
len; auch  Tau  vom  Himmel  kommt 


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Ave  Marie.  —  Badewesen. 


42 


vor.  Die  bekannteste  mittelalter- 
liche A  ussatz-Legende  ist  Hartmanns 
von  Aue  armer  Heinrich. 

Ave  Maria  oder  der  englische  | 
Gruss  besteht  aus  dem  Grusse  Ga- 
briela au  Maria,  den  Worten  Elisa- 
beths au  Maria,  Luc.  1,  42;  aus 
Jesus  Christus,  Amen,  von  UrbauIV. 
hinzugesetzt,  aus  dem  im  Jahre  150« 
zugesetzten  Gebete:  Sancta  Maria, 
ora  pro  nobi*  peevatoribm ,  mater 
J)ci  und  aus  dem  Zusatz  der  Fran- 
ziskaner: nunc  et  in  hora  mortis,  \ 
amen.  Er  war  anfanglich  ein  Teil 
der  Messe  am  vierten  Adventssonn- 
tage; als  allgemeines  Gebet  kannte 
das  frühere  Mittelalter  den  eng- 
lischen Gruss  noch  nicht,  weshalb 
er  auch  nicht  in  den  zahlreichen 
altdeutschen  liturgischen  Schrift- 
werken sich  findet  Johann  XXII. 
befahl  1326  das  regelmässige  Beten 
des  Grusses,  doch  machten  ihn  erst 
die  Bettelorden  allgemein,  und  in 
der  Reformation  wurde  er  ein  sicht- 


bares Unterscheidungszeichen  der 
beiden  Rcligionsparteicn. 

Axt,  mlid.  axi  aus  dem  gleich- 
bedeutenden lat.  a*cia-,  der  ahd. 
Name  ist  partd,  mhd.  harte,  vou 
hart,  weil  das  Eisen  vom  Stiel  iu 
Bartgcstalt  herabhängt;  ein  anderer 
Name  ist  Beil,  ahd.  pihit,  mhd.  hihel, 
bil.  Die  Axt  war  eine  allgemeine 
Waffe  der  germanischen  Völker, 
welche  dieselbe  nicht  bloss  zum 
Kampf  in  der  Nähe  gebrauchten, 
;  sondern  auch  mit  grosser  Sicherheit 
in  weite  Ferne  zu  schleudern  wuss- 
ten.  Bei  den  Franken  heisst  das 
Wurfbeil  Francisca.  Beim  ersten 
Anlaufe  schleuderten  die  Franken 
das  Beil  auf  den  Gegner,  zertrüm- 
merten dadurch  seineu  Schild  und 
stürzten  sich  nun  mit  dem  Schwert 
auf  ihn.  Sie  war  natürlich  auch 
Hiebwaffe  und  stellte  sich  in  dieser 
Bedeutung  neben  den  Streithammer, 
der  bei  den  Skandinaviern  sehr  be- 
liebt war. 


B. 

Bade wesen.  Schon  die  alten  Ger-  um  die  Hüften;  tteaken  mute  stri- 
maneu  liebten  das  freie  offene  Bad  chen  sind  die  Hauptsachen  beim 
in  Flüssen  und  Seen,  Tacit.  Genn.  Bade.  Auch  gemeinsames  Bad  von 
22,  und  es  blieb  durch  das  ganze  Männern  und  Frauen  war  in  der 
Mittelalter  bis  gegen  das  18.  Jahrb.  höfischen  Zeit  schon  bekannt,  wobei 
im  Gebrauch;  Karl  d.  Gr.,  Otto  II.  die  Frauen  den  schönsten  Konf- 
und  Friedrich  Barbarossa  waren  als  schmuck  anhatten.  Eigene  Bade- 
gute Schwimmer  gerühmt.  Daneben  zimmer  gab  es  in  den  Burgen  selten, 
war  das  künstliche  Bad  beliebter  In  den  Städten  wurden  die  Bade- 
ais jetzt,  was  wohl  damit  zusammen  stuben  öftentliehe  Anstalten  zur  Un- 
hängt,  dass  man  bei  meist  wollenen  terhaltung  und  zum  Vergnügen.  Der 
oder  noch  schwerern  Kleidern  die  Handwerksmann  pflegte  am  Samstag 
Leibwäsche  seltener  zu  wechseln  ver-  Abend  ein  Bad  zunehmen.  Privat- 
inochte.  Dem  Ritter  pflegte  nach  badestuben  gab  es  sogar  in  Baueru- 
der Einkehr  in  eine  Burg  ein  Bad  häusern.  Im  15.  Jahrb.  gehörte  es 
bereitet  zu  werden.  Mädchen  be-  zur  Etikette,  am  Schlüsse  eines  Fe- 
dienten  nach  der  Sitte  der  Zeit  den  stes  die  Eingeladenen  in  eine  öffent- 
Badenden.  Siehe  Figur  23.  Ehe  liehe  Badestube  zu  führen;  das  ge- 
man  ins  Bad  stieg,  band  man  schah  auch  bei  Hochzeiten,  was  mau 
eiuen   Questeu,   ein  Reisigbüsehcl,  zu  Nürnberg  die  Batita  Je  oder  das 


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Badeweseu. 


43 


Verbaden  der  Leufe  nannte.  Uutcr 
♦'inem  i$eelf>ad  verstand  man  ein»? 
Stiftung,  aus  deren  Zinsen  Armen 
«las  Badogeld  bezahlt  wurde.  Die 
künstlichen  Bäder  waren  teils  Wo* 
lerbdder,  teils  Schwei**-  oder  Daniftf- 
Iföder.  Die  letztem,  nimmt  man  an, 
seien  durch  die  Kreuzfahrer,  die 
Dampfbäder  von  Russland  her  in 
Aufnahme  gekommen.  Die  Dämpfe 
wurden  durch  das  Begiessen  heisser 


sei.  Beim  Eintritt  in  die  Schwitz- 
stube erhielt  der  Badende  einen  Rei- 
sigbüschel oder  Wedel,  um  sich  wäh- 
rend des  Schwitzens  zu  peitschen. 
Er  legte  oder  setzte  sich  auf  eine 
der  terrassenförmigen  Bänke;  hier 
wurde  er  mit  Tüchern  gerieben,  mit 
den  Fingernägeln  gekratzt,  mit  dem 
Büschel  gestrichen  und  mit  lauem 
Wasser  oder  mit  Lauge  übergössen, 
mit  Seife  gewaschen,  wobei  man  auf 


Fig.  23.    Ritter  im  Und,  aus  einer  Handschrift  des  14.  Jahrb. 


Steine  mit  warmem  Wasser  erzeugt. 
Die  Badestuben  standen  bloss  an 
den  durch  die  Obrigkeit  festgesetzten 
Tagen  offen,  meist  am  Montag  oder 
Dienstag,  Donnerstag  und  Samstag. 
An  der  Mischung  der  Geschlechter 
fand  man  nichts  Anstössigcs,  so- 
wenig als  an  weiblicher  Bedienung. 
An  den  Badetagen  gingen  in  man- 
chen Städten  Ausrufer  morgens  in 
den  Strassen  umher  und  machten, 
manchmal  durch  Homstössc,  bekannt, 
dass  eine  gewisse  Badeatube  geöffnet 


das  Waschen  und  Kämmen  des 
Kopfes  Wert  legte.  Nach  dem  Ende 
des  Bades  pHegtc  mau  Mich  durch 
den  Bader  den  Bart  scheren  und 
das  Haar  schneiden  zu  hissen.  Ein 
Schlaf  und  ein  Mahl  folgte  zuletzt. 
Mit  dem  15.  Jahrh.  kommt  das  Bade« 
wesen  in  Abnahme;  die  Gründe  sind 
der  steigende  Preis  des  Holzes,  das 
Eindringen  der  Lustseuche,  der  häu- 
figer werdende  Gebram  h  der  Mine- 
ralbiider.  Die  Mineralbäder  heissen 
im  Mittelalter  natürliche Bader,  Bad- 


44  Balder.  —  Ball. 


brunueu,  Heilbäder,  Wildhtider.  Sie  Als  die  Götter  nun  mit  Balder,  der 
kamen  besonders  im  15.  Jahrh.  auf.  mitten  im  Kreise  vor  ihnen  stand. 
Z(tj>/>erf,  über  das  mittelalterliche  Kurzweil  trieben  und  naclTihm  schoa- 
Badewesen,  Archiv  f.  Kunde  österr.  Ben,  hieben  und  Steine  warfen,  ohne 
Geschieh usuellen.  Bd.  2t.    Krieyk,  dass  es  ihm  schadete,  verdross  es 
deutsches  Bürgertum,  II,  1.  —  Schulz,  Loki.    Er  erfuhr  von  jener  Staude, 
hölisehes  Leben,  I,  168.    Gemjler,  riss  sie  aus  und  gab  sie  Hother,  dem 
Seelbäder,  in  d.  Zcitschr.  f.  deutsehe  blinden   Bruder  Balders.  Hotfaer 
Kulturgeschichte.  Neue  Folge.  1873.  nahm  den  Mistelzweig  und  schoss 
S.  570  ff.  Wciithofd,  deutsche  Frauen,  damit  nach  Balder  aut  Lokis  listigen 
2.  Aufl.,  II,  112—118.  Rat,   Balder,  davon  getroffen,  sank 
Balder,  eine  germanische  mann- ,  tot  zur  Erde.    Als  das  die  Götter 
liehe  Gottheit,  auch  PAol,  Vol  ^e-  j  sahen ,  standen  sie  alle  sprachlos, 
nannt,  ein  Gott  der  Jahresfülle  im  und  aus  Schmerz  vergasen  sie  ihn 
Sommer,  altnordisch  Baidur.   Er  ist  aufzuheben.    Dann  begannen  sie  sc» 
der  Sohn  Odhiu*  und  der  Friqy,  \  heftig  zu  weinen,  dass  keiner  dem 
der  Gott  der  Frömmigkeit  und  Un-  anderen    seinen    Schmerz  klagen 
schuld.    Kr  ist  so  licht  und  lieblich  konnte.  Als  sie  sich  erholt,  brachten 
von  Antlitz,  dass  weithin  heller  Glanz  [  sie  Balders  Leiche  auf  Hringhomy 
von  ihm  ausstrahlt,  Leib  und  Haare  das  grösste  aller  Schiffe;  es  al>er  vom 
von  reinster  Schönheit.    Niemand  Strande  zu  stossen,  um  die  Leiche 
vermochte  ihn  je  zu  tadeln,  so  weise  zu  verbrennen,  gelang  ihnen  nicht, 
und  milde  ist  er  und  zugleich  der  bis  ein  Kiesenweib,  aus  Jötuulieiin 
beredteste  der  Asen.    Aber  die  he-  herbeigerufen,  das  Schiff  im  ersten 
sondere  Eigenschaft  wohnt  ihm  bei,  Anfassen  weit  vorwärts  stiess,  dass 
dass  seine  Urteilssprüche   niemals  Feuer  aus  den  Walzen  fuhr  und  die 
gehalten  werden  können.   In  seinein  Länder  zitterten.    Bei  diesem  An- 
himmlischen  Wohnsitz  UreSdhabUk  blick  brach  Xanna  vor  Jammer  das 
wird  nichts  Unreines  geduldet.  Sein  Herz,  dass  sie  starb.  Da  ward  auch 
Weib  ist  die  treue  Xanna,  d.  h.  die  sie  auf  den  Scheiterhaufen  gelegt 
Kühne.  B.  wurde  überall  im  Norden  und  Feuer  darunter  angezündet, auch 
verehrt.  In  Xorwegen  hatte  er  einen  Balders   Hengst,  vollkommen  ge- 
weitberühmten Tempel,  liatdrshatfi,  schirrt,  zum  Scheiterhaufen  geführt. 
Baldersgehege,  eine  eingehegte  Fried-  Balder  wird  als  das  Licht  in  seiner 
stätte,  die  niemand  schädigen  durfte.  Herrschaft  gedeutet,  sein  Tod  als 
Die  Sage  von  seinem  Tode  ist  eng  Xeigedes  Lichts.  Sein  Bruder  Hother, 
mit  der  germanischen  Mythe  vom  als  das  Dunkel  des  Winters,  ist  licht- 
Weltuntergang  verbunden;  B.  War  .los;  seine  einzige  Waffe,  die  an  ihm 
erschreckt  über  seine  Träume,  dass  haftet,  ist  ein  Symbol  des  düsteren 
seinem  Leben  und  damit  allen  Göt-  Winters.  Die  Mistel,  die  im  Winter 
tern  Gefahr  drohe;  da  hielten  diese  wächst  und  reift,  die  darum  auch 
Rat  und  beschlossen,  ihm  Sicherheit  das  Lieht  nicht  zu  fördern  scheint, 
gegen  alle  Gefahr  zu  erwirken.  So  ist  allein  für  Balder  nicht  in  Pflicht 
nahm  Frigg  Eide  von  Feuer  und  genommen.    Vgl.  Grimm  und  Sim- 
Wasser,  von  Eisen  und  Erzen,  Stei-  rock,  Manhardt,  Götterlehre,  253. 
neu  und  Erden,  von  Baumen,  Krank-        Ball  =  Tanzfest,  aus  ital.  der 
heiten  und  Giften,  dazu  von  allen  balto,  franz.  der  bat  =  Tanz,  vom 
vierfussigen  Tieren.  Vögeln  u.  Wür-  ital.  ballarc,  tanzen,  aus  mittellaf. 
mern.  das«  sie  Balders  schonen  woll-  baf/arc,  welches  nach  dem  in  Gross- 
ten,  —  nur  von  einer  Staude,  östlich  griechenland  und  Sizilien  üblichen 
von  Walhalla,  Mistiltein  genannt,  griech.  ballhein  =  tanzen,  hüpfen, 
als  zu  jung,  nahm  er  keinen  Eid.  vom  griech.  bat  lein  =  werfen  gebil- 


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Hallade.  —  Ballwerfen. 


45 


<lef  ist.  Im  Deutschen  kommt  das  Schiller  versuchte  sich,  und  im  Wett- 
Wort  Hall  für  Tanzfest  nicht  vor  eifer  mit  ihm  wieder  Goethe,  eben- 
»lem  17.  Jahrh.  vor  und  ist,  anfangs  falls  an  solchen  lyrisch -epischen 
»  in  französisches  Vergnügen  der  Hüte,  Dichtungen,  die  besonders  den  Mu- 
vun  da  allmählich  in  die  nichthöfi-  senahnanacli  von  1797  füllen  und 
sehen  Kreise  gedrungen.  durch  Schillers  Rezension  der  Bür- 
Ballade;  oallada  von  hallare,  gerschen  Gedichte  veranlasst  wor- 
tnnzen  im  Provenzalisehen  und  im  den  sind.  Der  letzte  klassische  Bal- 
altital.  des  12.  Jahrh.  halte (a  ist  ein  ladendichter  ist  dann  Unland  ge- 
Ivrisches  Gedicht  von  geringem  Um-  worden.  Echtermeyer  hat  in  der 
fange,  dem  Sonett  und  Madrigal  ver-  Einleitung  zu  seiner  Auswahl  deut- 
wandt; ähnlich  sind  die  ha  f  fades  der  scher  Gedichte  einen  theoretischen 
Franzosen,  die  seit  Moliere  ausser  Unterschied  zwischen  Ballade  und 
Gebrauch  kamen.  Denselben  Namen,  Romanze  aufzustellen  gesucht,  ohne 
gaben  die  Engländer  ihren  Rücksicht  auf  den  historischen  Ur- 
lyrisch-epischen Volksliedern,  die  im  Sprung  beider  Benennungen  und 
allgemeinen  den  altern  deutsehen  ohne  Rücksicht  darauf,  wie  die  Dich- 
Irriseb-epischen  Volksliedern  des  16.  |  ter  selbst  diese  Namen  angewandt 
Jahrh.glichen  und  ebenso  den  schwe-  haben.  Siehe  Wackernagel,  Poetik, 
dischen  und  dänischen;  sie  wurden  Rhetorik  und  Stilistik,  Halle  1873, 
pjsuugen,  entnahmen  den  epischen  pag.  98. 

Stoß'  meist  ohne  bewährte  Unter-  Ballet,  aus  ital.  halletto,  dem 
Scheidung  dem  noch  nicht  ausgestor-  Dim.  von  der  /><7//o  =  Tanz,  Tanzfest, 
Unen  mythischen  Volksglauben  oder  findet  seinen  Ursprung  in  den  Pan- 
der  öffentlichen  Geschichte  odereiner  tomimen  der  alten  Römer.  Künst- 
engeren Begebenheit  des  Einzel-  leriseh  ausgebildet  wurde  das  Ballet 
leoens,  dem  Abschiede,  dem  Wieder-  zuerst  in  Italien  im  16.  .lahrh.  au 
sehen,  dem  Tod  u.  dgl.,  mit  lyrischer  den  Höfen,  wobei  Fürsten,  Prin- 
Betonung  des  Empfindungs-  und  Ge-  zen  und  Prinzessinnen  tanzten,  dekla- 


fuhblebens.  Während  die  deutschen 


mierten  und  sangen.    Seit  der  Zeit 


Lieder  dieser  -Art  zum  Teil  ausge-  gehört  es  zu  den  glänzendsten  Fest- 
storben, zum  Teil  unter  der  einseiti-  lichkeiten  der  modernen  europäischen 
gen  Pflege  des  niederen  Volkes  ver-  Höfe. 

dornen  waren,  besonders  durch  den  Ballwerfcu   oder  Ballen  war 

Einrluss  der  Bänkelsänger,  hatten  die  im  Mittelalter  besonders  bei  der 

schottisch-englischen  Balladen  ihre  Jugend  und  dem  weibliehen  Ge- 

Keinheit  besser  gewahrt.  Daher  kam  schlecht  im  Ansehen ;  ob  es  auch 

es,  dass  Bürger,  besonders  durch  am  Hofe  betrieben  wurde,  Lst  zweifei- 

ftreys  Refique*  of  ancient  poetnf  haft.  Sobald  im  Frühling  die  Wittc- 

veranlasst,  teils  englische  Balladen  rung  erlaubte,  ins  Freie  zu  gehen, 

verdeutschte  ( Bruder  Graurock  und  begann  das  Ballspiel :  nach  Walther 

die  Pilgerin,  der  Kaiser  und  der  Abt),  v.  d.  V.:  suche  ich  die  megde  ander 

teils  selbständige  Dichtungen  der  Art  slraze  den  bal  \  werfen,  ' so  kaeme 

verfasste.  Herder  nahm  ausser  zahl-  uns  der  vögele  schal.  Vornehmlieh 

reichen  Percyschen  und  andern  Bai-  Nithart  von  Rüwental  hat  in  seinen 

laden,  besonders  die  Volkslieder,  die  Dorfliedern  Szenen  aus  dem  länd- 

»ich  in  den  Shakespeareschen  Dra-  liehen  Ballwerfen  dargestellt.  Der 

men  finden,  in  seine  Sammlung  auf;  Ball  war  aus  buntem  Leder  zusam- 

durch  sie  und  dänische  Balladen  der  uvengefliekt  und  doch  so  hart,  dass 

Herderschen  Sammlung  ist  Goethe  ein  gut  treffender  Wurf  schmerzen 

zu  seinen  frühem  Balladen,  König  in  konnte.    Er  wird  zugeworfen  und 

Thüle,  Erlkönig,  angeregt  worden;  |  aufgefangen.  Uebrigens  übten  auch 


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46 


Bann.  —  Barden. 


ritterliche  Jünglinge  das  Ballspiel  Kirche  zu.  Es  ist  bekannt,  wie  die 
als  Leibesübung.  In  den  südlichen  Päpste  des  Mittelalters  in  ihrem 
Städten  wurden  im  IG.  Jahrh.  saal-  Kampfe  mit  dem  Kaiserthum  den 
artige  Häuser  gebaut,  in  denen  die  Bann  missbrauchten  und  dafür  harte 
Männer  das  Ballspiel  bei  jedem  Vorwürfe  zu  hören  bekamen,  z.  B. 
Wetter  üben  konnten:  dieselben  von  Walther  von  der  Vogelweide, 
gingen  im  17.  Jahrhundert  wieder  Der  über  eine  ganze  Gemeinde  ver- 
ein. Weinhold.  deutsehe  Frauen,  hängte  Kirchenbann  heisst  Interdikt. 
II.  AuH.  II,  173-  176.  Rar,  das,  bezeichnete  bei  den 
Bann,  von  ahd.  pannan,  das  Ge-  Meistersängern  eine  bestimmte  Art 
rieht  bezeichnen,  durc  h  Ladung  ver- 1  des  Gesanges .  über  dessen  Beschaf- 
bindlich  machen,  davon  ahd.  der  fenheit  und  Ursprung  wir  keine  be- 
jutn,  hau,  mhd.  der  bau.  bedeutet  im  stimmte  Auskunft  haben.  Grimm, 
altdeutschen  Rechte  die  Befugnis,  Wörterbuch,  I,  1121. 
zur  Erhaltung  der  Ordnung  und  zur  j  Barbara,  Heilige,  nach  der  Le- 
Ausführung  der  Gesetze  Machtbc-  !  gende  aus  Nikomedia  in  Kleinasien 
fehle  und  \  erordnungen  zu  erlassen,  gebürtig,  wurde  als  Christin  vom 
deren  Nichtbefolgung  eine  Busse  Landpfieger  scheusslieh  misliandelt, 
nach  sich  zog;  diese  Busse,  regel-  Hüchtete  in  einen  Stollen,  belehrt*' 
mässig  60  solid i,  später  60  Schillinge,  hier  die  Bergknappen  und  wurde 
heisst  ebenfalls  hau ;  geht  diese  Bc  endlich  von  uirem  eigenen  heidni- 
fugnis  vom  König  aus,  so  heisst  sie  sehen  Vater  enthauptet.  Sie  wird 
hönif/xbaiin.  Diejenige  Befugnis  des  bei  Gewittern  angerufen,  gilt  als 
Königs  die  über  Leben  und  Tod  Patronin  der  dem  Blitz  verwandten 
richtete,  hiess  Bluthann  und  konnte  Artillerie,  sowie  der  Bergleute.  Ihr 


wie  der  Königsbann  auf  den  Grafen 
und  das  Grafengericht  übertragen 
werden  oder  auf  den,  dem  Grafen- 


Tag  ist  der  4.  Dezember. 

Barden  waren  ein  abgeschlosse- 
ner und  geheiligter  Sängerstaud  bei 


gcwalt  übertragen  war,  wie  Klöster,  den  Kelten,  der  in  Irland  und  Wales 
Stifte,  freie  Herren  und  Städte.  Eine  sich  bis  in  die  neuere  Zeit  erhielt, 
andere  Bedeutung  von  Bann  war  Ganz  unstatthaft  wurden  diese  schon 
im  altdeutschen  Rechte  die  Fried-  von  antikcnSchriftstcllcrn,  Strabo  4. 
losigkeit,  die  über  den  ausgesprochen  4,  Ammian.  Ma  reell.  15,  !*  genannten 
wurde,  dessen  man  zur  Bestrafung  Barden  den  alten  Deutschen  zug<>- 
und  Genugtuung  nicht  habhaft  wer-  schrieben,  indem  man  sich  auf  nie 
den  konnte;  daraus  hat  sich  später  Stelle  in  Tacitus  Germania,  Kap.  3, 
die  Acht  (siehe  diese)  entwickelt,  berief:  Sunf  Ulis  quoqne  rarmimt. 
Hann  als  Ausschliessung  aus  der  quorum  re/afu,  (/nun  bardifits  rocanf, 
kirchlichen  Gemeinschaft  war  schon  aeeendunt  animos  futuraeque  jwfjnar 
im  jüdischen  Gesetze  vorgebildet  |  fortnnam  ipso  ran/u  aufjnranfnr ; 
und  kam  von  daher  in  die  christ-  dieses  Wort  bardifus,  das  den  Vor- 
liebe Kirche,  mit  zwei  Graden,  ex-  trag  bezeichnet,  wird  als  Schildge- 
eommuniealio  minor  oder  kleiner  sang,  altn.  hardhi— Schild  oder  als 
Bann  und  exeommttni ratio  major.  Tiarttreise  erklärt.  Klopstock  und 
anafltema  oder  grosser  Bann;  jener  Gerstenberg  sind  die  Gründer  der 
sehliesst  bloss  von  der  Teilnahme  patriotischen,  aus  der  lebendigen 
an  den  Sakramenten,  dieser  aus  Gegenwart  in  die  Urzeit  flüchtenden 
der  Gemeinschaft  der  Gläubigen  Bardenpoesie;  Klopstock  machte 
ganz  aus.  Die  Befugnis  des  Bannes  aus  Barde  ein  Wort  hardiet  (zwei- 
Hteht  dem  Bisehof  für  die  Diözese,  silbig),  das  Bardengesang  bedeuten 
dem  Kardinal  für  die  Kirchen  seines  sollte.  Herder  hat  am  kräftigsten 
Titels  und  dem  Papst  für  die  ganze  gegen  das  Bardenunwesen  geeifert. 


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Barfüsscr.  —  Barlaam. 


47 


Barfllsser,  mhd.  harnwz,  auch 
ttarfof,  ist  kein  Ordensname,  viel- 
mehr heissen  Mönche  verschiedener 
Orden  so,  welche  zum  unbeschuhten 
(»eben  verpflichtet  sind,  besonders 
die  Franziskaner,  doch  gingen  zu 
Zeiten  auch  die  Karmeliter,  Augusti- 
ner, Kapuziner  barfass.  In  der 
Schweiz  hiessen  die  Franziskaner 
allgemein  Barfüsser,  ihre  Klöster 
BarfüsserklÖster. 

Barlaam  und  Josaphat  heisst 
eine  im  Mittelalter  weit  verbreitete 
Legende,  die  bei  uns  namentlich 
durch  ein  ausgedehntes  um  1220 
verfasstes  Gedicht  des  Rudolf  von 
Em*  bekannt  geworden  ist.  fn  In- 
dien, erzahlt  die  Legende,  herrscht 
der  grausame  ehristcnverfolgende 
König  Aveuier;  nach  langer  kinder- 
loser Ehe  wird  ihm  ein  Sohn,  Joga- 
phaf,  geboren,  den  er,  siebenjährig,  in 
einen  herrlichen  Palast  einschliesst ; 
denn  ein  Steraseher  hatte  phrophe- 
zeit,  der  Sohn  werde  sich  einst  tau- 
fen, um  ewigen  Besitz  das  König- 
reich hinter  sich  lassen  und  ein  herr- 
liches Reich  erwerben.  In  dem  Pa- 
läste nun  ist  der  Knabe  umgeben 
von  allem  was  Lust  und  Freude  be- 
reiten kann,  und  man  trägt  Sorge, 
dass  jegliche  Kenntnis  von  Alter, 
Krankheit  und  Tod  ihm  fern  bleibt 
Nach  eiuigcr  Zeit  gestattet  ihm  sein 
Vater  auszufahren,  und  da  sieht  er 
zwei  Manner.  einen  Lahmen  und 
«inen  Blinden.  Er  fragt,  was  das 
für  Menschen  seien,  und  erfährt,  dass 
sie  an  Krankheit  litten.  Alsdann 
fragt  er  weiter,  ob  alle  Menschen 
den  Krankheiten  ausgesetzt  seien, 
und  ob  man  voraus  wisse,  wer  von 
Krankheiten  leiden  und  wer  davon 
frei  bleiben  werde,  und  da  er  die 
Wahrheit  hört,  wird  er  traurig  und 
kehrt  nach  Hause.  Bei  einer  zweiten 
Ausfahrt  begegnet  er  einem  Greise 
mit  runzliehem  Angesicht  und  schlot- 
ternden Beinen,  gebückten  Ganges, 
zahnlos  und  stotternd.  Wiederum 
fragt  er,  was  das  alles  bedeute?  und 
vernimmt,  dass  dies  das  Loos  aller 


Menschen  sei,  dass  niemand  dem 
Alter  entgehen  könne  und  am  Ende 
alle  Menschen  sterben  müssen.  Er 
kehrt  alsdann  nach  Hause  zurück, 
um  über  den  Tod  nachzudenken, 
bis  zuletzt,  als  Kaufmann  verkleidet, 
der  alte  fromme  Einsiedler  fiar/aam 
erscheint  und  ihn  in  der  I^ehre  Christi 
unterrichtet.  Josaphat  lässt  sich  von 
Barlaam  taufen.  Nachdem  der  Vater 
vergebens  versucht  hat,  durch  eine 
Disputation  mit  Gelehrten  und  durch 
sinnüche  Wollust  den  Sohn  vom 
Christentum  abzubringen ,  ent- 
schlicsst  er  sich,  ihm  die  Hälfte  des 
Reiches  zu  übergeben ;  ja  es  gelingt 
dem  Sohn  zuletzt,  den  Vater  ganz 
zu  belehren.  Nach  dessen  Tode  ver- 
zichtet er  selbst  auf  das  Reich, 
scheidet  in  die  Wüste,  wo  er  teuf- 
lischen Anfechtungen  mannhaft 
widersteht,  auch  seinen  Lehrer  Bar- 
laam wiederfindet.  Nachdem  er  mit 
diesem  fastend  und  betend  eine  Zeit 
lang  in  der  Wüste  gelebt,  stirbt  zuerst 
Barlaam ,  später  nach  .'t.Yjährigem 
Wüstenaufenthalt    auch  Josaphat. 

Die  Erzählung  von  Barlaam  und 
Josaphat  war  von  Johann**  Dorna»' 
renn*  um  700  griechisch  bearbeitet 
worden  und  ging  durch  zahlreiche 
Uebersetzungen  ms  Syrische,  Ara- 
bische, Äthiopische,  Armenische, 
Hebräische,  Lateinische,  Französi- 
sche, Italienische,  Altnordische,  Eng- 
lische, Böhmische  und  Polnische 
über.  Als  Quelle  der  Legende  hat 
man  aber  die  sagenhafte  Lebens- 
beschreibung des  Buddha,  die  sog. 
Laiita- Vistara  nachgewiesen:  ohne 
Zweifel  eine  der  merkwürdigsten 
Uebergänge  auf  dem  Gebiete  des 
Religionswesens,  dass  das  Leben 
des  Begründers  des  Buddhismus, 
sowie  das  durch  ihn  vervollkomm- 
nete Asketeiileben  und  Mönchstnm 
mit  den  sieh  daran  knüpfenden  Leh- 
ren der  Armut,  Bezwingung  der 
Sinne  und  Keuschheit  zu  einer  der 
verbreitetsten  Heiligen-Geschichten 
der  ganzen  morgeu-  und  abendländ- 
ländischen     Christenheit  werden 


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48 


Barmherzige  Brüder.  —  Baron. 


konnte.  Felix  TAebrccht  in  Eberts 
Jahrb.  f.  roman.  und  engl.  Litera- 
tur IL  —  P.  Cassel,  Literatur  und 
Symbolik,  S.  152— 228.  Leipzig  1884. 
Das  Gedicht  Rudolfs  herausgegeben 
von  Pfeiffer,  Leipzig  1843,  die  fran- 
zösische Bearbeitung  des  Gui  de 
Cambrai  in  Bd.  75  der  Bibliothek 
d.  lit.  Vereins  zu  Stuttgart. 

Barmherzige  Bruder,  ein  katho- 
lischer Mönchsorden,  gestiftet  durch 
den  Portugiesen  Johann  Ciudad,  geb. 
149f>,  gest.  1550,  der  1450  in  Gra- 
nada in  einem  gemieteten  Hause 
Arme  verpflegte  und  allmählich  einen 
Verein  ähnlich  wirkender  Genossen 
zur  Armen-  und  Krankenpflege  grün- 
dete; 1572  anerkennt  Pius  V.  die 
Religiösen -Gesellschaft  nach  der 
Regel  Augustinus,  in  brauner,  dann 
schwarzer  Tracht.  Von  Spanien 
kommt  der  Orden  nach  Italien,  von 
da  nach  Deutsehland,  Polen  und 
Frankreich,  frfres  de  la  charite-,  er 
besitzt  in  Äladrid,  Rom,  Neapel, 
Mailand,  Paris,  Wien,  Prag  grosse 
Hospitäler. 

Barmherzige  Schwestern, 
de  la  eharite  oder  de  la  miscricorde, 
früher  auch  xoeurs  yrises  genannt, 
heisst  ein  von  Vineenz  von  Paul  um 
1630  gestifteter  Frauenverein  für 
Krankenpflege  der  Armen,  1633 
durch  den  Erzbischof  von  Paris  zu 
einer  selbständigen  Genossensehaft 
erhoben  und  vom  Papst  1668  be- 
stätigt. Das  Gelübde  soll  kein  i 
lebenslängliches  acin ,  sondern  jähr- 
lich erneuert  werden.  Nach  Deutsch- 
land kamen  sie  erst  1811. 

Barockstil;  das  deutsche  Wort 
barock  ist  erst  im  18.  Jahrhundert 
aus  franz.  barnque  —  schief rund  (von 
Perlen ),  sonderbar,  dieses  vom  portug. 
der  ha roeeo  =  rohe ,  ungleiche  Perle, 
eigentlich  unebener  Fels,  entlehnt. 
Unter  Barockstil  versteht  man  die- 1 
jenige  Form  des  Renaissance-Stiles, 
die  der  Blüte  der  Renaissance  oder 
der  Hoch-Renaissance  folgt.  Sie 
wird  dadurch  charakterisiert,  dass ! 
die   Baukunst    von    den  strengen 


schematischen  Regeln  der  älteren 
Kunst  absah  und  nach  individueller 
Willkür  aus  den  römischen  Bau- 
gliedern ein  neues,  brillantes  und 
geistreiches,  aber  der  strengen  Form 
entbehrendes  Ganze  zusammensetzte. 
Als  Anfänger  des  Barockstiles  gelten 
Michel  Angelo,  besonders  aber  Lo- 
renzo  Beruiui  und  Franc.  Barromiui. 
Die  Zeit  dieses  Stiles  ist  etwa  von 
1620  au  bis  1730.  Zu  ihr  gehört  in 
der  kirchlichen  Baukunst  der  sogen. 
.Jesttitenstil.  Die  Fassaden  dieser 
Kirchen  zeigen  meist  zwei  Säulen- 
stellungen übereinander,  die  obere 
bedeutend  kleiner  als  die  untere  und 
die  Strebebogen  durch  willkürliche 
Schnörkel  verdeckt.  Andere  Eigen- 
heiten sind  gewundene  Säulen,  ge- 
brochene, zerstückte  Giebel,  ge- 
schweifte Fenster  und  Giebel  mit 
einer  schneckenartigen  Einfassung, 
abenteuerliche,  gesen  weifte  Aufsätze, 
die  Gliederungen  reich  überladen, 
die  Ornamente  oft  willkürlich  und 
verwildert,  das  Gradlinige  überhaupt 
verbannt  und  sogar  im  Grundriss 
durch  krumme,  geschwungene  Linien 
ersetzt.  Die  letzte  Ausartung  des 
Barockstiles  heisst  Rokoko-  oder 
Zopfstil.  In  der  deutschen  Dich- 
tung sind  die  beiden  Spät-Renais- 
sancestile  durch  die  erste  und 
zweite  schlesische  Dichterschule 
repräsentiert.  Siehe  Fig.  24 :  Kathe- 
drale in  St.  Gallen  und  Fig.  25. 
westlicher  Pavillon  des  Dresdner 
Zwinger. 

Baron,  mhd.  der  bam »,  aus  franz. 
der  baron,  welches  mit  ital.  der  ba- 
rone  aus  mittellat,  der  baro,  haroni* 
kommt,  woneben  auch  der  barm; 
dieses  aber  kommt  nach  Müllenkoff 
aus  keltisch  bar  =  Mann.  Das  Wort 
baro,  das  sonst  allgemein  den  Mann 
bezeichnete,  erscheint  zuerst  bei  den 
Alemannen  und  bezeichnet  einen 
I  lörigen,  wie  die  Zusammensetzungen 
barman,  baririj),  barxehalk,  barliulr. 
Später  benennt  es  neben  zahl- 
reichen andern  Namen  einen  Freien 
höheren  Standes,  der  weder  Graf 


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Baron. 


50 


noch  Fürst  war,  sei  es,  dass  er  Lehna-  zösischen  und  Italienischen.  SpÄter 
mann  eines  höheren  Mannes,  Vasall  scheint  sich  das  auch  in  der  höti- 


Fig.  26.  Westlicher  Pavillon  dea  Dresdener  Zwingers.  (Kuu»thist.  Bilderbogen.^ 

u.  dgl.  war  oder  nicht;  es  kommt  sehen  Zeit  seltener  ajebranchte  Wort 
mit  dieser  Bedeutung  aus  dem  Fran- 1  wieder  verloren  underst  im  17.  Jahrh. 


Googl 


Bart.  —  Basilika. 


51 


neuerdings  für  Freiherr  eingebür- 
gert zu  haben. 

Bart.  Bei  den  alten  Germanen 
galt  nach  Taeit.  Genn.  31.  gekürztes 
Haar  und  geschorener  Bart  als 
Zeichen  der  Unfreiheit  oder  des 
Verlustes  der  Ehre;  die  Langobar- 
den trugen  den  Namen  vom  langen 
Barte:  die  Sachsen  dagegen  trugen 
6.   Jahrh.    keinen   Bart.  Die 


im 


trugen 


Karolingischen  Herrscher 
verschnitteues  Haar  und  Schnurr- 
barte, und  noch  von  Otto  I.  wird 
berichtet,  dass  er  gegen  den  alten 
Braach  den  Bart  nicht  schor,  son- 
dern völlig  trug.  Andere  Beispiele 
findet  man  ebenfalls  nur  unter  den 
höchsten  Standen  weltlicher  uud 
geistlicher  Art;  die  mittlem  Klassen 
gingen  bartlos,  wahrend  die  unter- 
sten und  mit  ihnen  die  Juden  wie- 
der bebartet  waren.  In  der  Ritter- 
schaft der  Hohenstaufeuzeit  und  dem 
hohem  Bürgertum  herrschte  gänz- 
liche Bartlosigkeit ,  bis  tief  ins 
14.  Jahrh  ,  wo  die  Mode  sich  wieder 
den  Barten  günstig  erwies,  so  dass 
Bartlosigkeit  Ausnahme  wurde.  Im 
16.  Jahrh.  trug  man  in  Deutsch- 
land entweder  Vollbarte  oder  nach 
spanisch -französischer  Mode  den 
blossen  Lippen-  oder  zugespitzten 
Kinnbart,  welch  letzterer  schliesslich 
in  zahlreichen  Formen  ein  wesent- 
liches Merkmal  des  französischen  j 
Stutzertunis  wurde.  Falk,  Haar  und 
Bart  der  Deutschen,  Anzeiger  des 
germ.  Mus.  1858. 

Basilianer  sind  Mönche  nach 
der  Hegel  Basilius'  d.  Gr.  829—37«. 
Die  von  ihm  griechisch  verfassten 
Regeln  versuchten  zum  ersten  Mal, 
das  Mönchswesen  in  bestimmte  ge- 
setzliche Formen  zu  bringen;  sie 
fanden  im  Morgenlande  grosse  Ver- 
breitung, während  sie  im  Abend- 
lande vom  Benediktinerorden  bei 
Seite  gestellt  und  nur  in  wenigen 
Klöstern  als  besondere  Ordensregel 
zum  Ausdrucke  gelangten. 

Basilika.    Diese  alte  Form  des 
Gotteshauses  wurde  frü- 


her allgemein  aus  der  Form  der  alt- 
römischen  forensischen  Basiliken  ab- 
geleitet, Sitzuugslokalen  für  die  rich- 
terlichen Behörden.  Diese  Annahme 
ist  in  neuerer  Zeit  widerlegt  worden, 
und  man  leitet  jetzt  die  cliristliche 
Basilika  von  Räumen  des  römischen 
Privathauses  ab.  Diese  sind  eines- 
teils die  Oed,  Exedren  oder  Tri  Cli- 
men, grosse  Säle,  die  zur  Repräsen- 
tation, zur  geselligen  Vereinigung 
und  mitunter  zur  Tafel  dienten.  Ihre 
Lage,  hinter  einem  Hofe,  gewöhn- 
lich dem  Peristole,  sicherte  die  dort 
Versammelten  vor  der  Gefahr  der 
Überraschung.  Andernteils  gab  es 
in  den  Palästen  vornehmer  Kömer 
wirkliche  Haus-  oder  Privatbasiliken, 
die  der  Christengemeinde  übergeben 
und  zur  Grundlage  von  Kirchen  wur- 
den. Die  christliche  Basilika  besteht 
aus  dem  Atrium,  dem  SchiJJe  uud 
dem  Chore.  Das  Atrium,  durch  wel- 
ches der  Zugang  nach  der  Kirche 
führt,  der  Autenthalt  der  Büssenden, 
ist  ein  auf  drei  Seiten  von  Säulen- 
hallen umgebener  Vorhof,  dem  sich 
als  vierte  Seite  die  Vorhalle  der  Ba- 
silika anschliesst.  In  seiner  Mitte 
steht  ein  Brunneu,  Kantharus,  behufs 
Reinigung  der  Kirchenbesucher.  Das 
Innere  der  Basilika  besteht  in  der 
Regel  aus  mehreren,  gewöhnlich  drei, 
langgestreckten  und  parallel  neben- 
einander laufenden  Räumen,  dem 
Hauptschiffe  uud  den  beiden  meist 
halb  so  breiten  und  medrigeren  Ab- 
seiten, Neben-  oder  Sciteuscbiffen. 
Die  Stützen,  welche  dieselben  tren- 
nen, sind  meistens  Säulen,  in  ältester 
Zeit  durch  horizontale  Stemmbalken 
oder  Architrave,  seit  dem  4.  Jahrh. 
vermittelst  Rundbögen  verbunden. 
Das  Mittelschiff  steigt  meist  in  Form 
eines  von  Fenstern  durchbrocheucn 
Hochbaues  über  die  Seitenschiffe 
empor  und  schliesst  in  den  ältesten 
Kirchen  mit  einer  flachen  kassettier- 
ten  Holzdecke  ab;  snätere  Bauten 
zeigen  das  Dachgebälkc,  geschnitzt 
und  gemalt,  unverschalt.  Die  Schiffe 
sind  der  Aufenthaltsort  der  Laien. 

4* 


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52 


Batzen.  -  Bauhütten. 


Den  Abschluss  erhält  das  Langhaus  geprägte  Münze  mit  dem  Bätz.  dem 
durch  den  Triumphbogen,  einen  Bären,  d.  i.  dem  Wappentiere  Berns 
grossen  Rundbogen,  der  das  Mittel-  versehen,  von  4  Kreuzer  Wert;  sie 
schiff  in  seiner  ganzen  Breite  über-  verbreitete  sich  schnell  allgemein  im 
spannt.  Der  Chor  besteht  aus  einem  südlichen  Deutschland  und  behielt 
hälbrunden  Ausbau,  an  Höhe  und  den  Namen,  ohne  dass  der  Bär  dar- 
Breite  der  Grösse   des  Triumph-  auf  abgebildet  war.  Soweit  als  mit 

1    Kreuzern  gerechnet 
auch  der  Batzen 


bogens  entsprechend;  er  heisst  tri-  Gulden 

huna  oder  concha,  häufiger  absis  oder  wurde, 

apti*.  Auch  die  Seitenschiffe  haben  breitet, 
oft  solche  Ausbaue.    Der  Chor  des       Hau  Mitten.   Die  frühern  mittel- 

Langschiffes  ist  das  Sanctuarium,  er  alterlichen  Bauten  auf  kirchlichem 

liegt  mehrere  Stufen  höher  als  das  Gebiete  gehen  von  Geistlichen  aus. 

Schiff  und  dient  für  die  Priester-  die  erst  mit  der  Zeit  Laienhilfe,  an- 


schaft.  Je  reicher  sieh  diese  ent- 
wickelte, desto  wünschbarer  wurde 
die  Vergrösserung  dieses  Raumes. 
Man  fügte  deshalb  die  Apsi*  nicht 
mehr  unmittelbar  an  das  Hauptschiff, 
sondern  stellte  zwischen  Schiff  und 
Apsi*  einen  zu  beiden  Seiten  über 
das  Langschiff  vortretenden  Quer- 
bau, das  Quer-  oder  Kreuzschiff'.  Der 
mittlere  Raum  desselben,  die  Vie- 
rung, diente  der  niedern  Geistlich 


fangs  zu  niedrigen  Diensten ,  bei- 
zogen. Im  13.  Jahrb.,  frühestens  im 
12.,  vereinigten  Bich,  wie  die  andern 
Berufsleute,  so  auch  die  Maurer  und 
Steinmetzen  zu  Bruderschaften,  In- 
nungen und  Zünften.  Die  erste  wird 
im  J.  1258  in  Paris  erwähnt.  Die 
häufigen  Wanderungen,  welche  die 
damaligen  Architekten  unternahmen, 
vermittelten  einen  Rapport  zwischen 
den  einzelneu  Korporationen  und 


keit,  die  Flügel  den  vornehmen  Man-  riefen  einen  einheitlichen  Verband 
nern  und  Frauen.    War  ein  Kreuz-  in  grösserem  Umfange  ins  Leben. 

Zum  ersten  Male  geschah  dieses 
1459  zu  Regensburg.  Das  Gebiet, 
über  das  sich  dieser  Verband  er- 
streckte, bestand  aus  vier  Distrikten 
oder  Provinzen,  für  welche  Strass- 
burg,  Köln,  Wien  und  Bern  (später 
Zürich)  als  Hauptorte  bezeichnet 
wurden.  Diese  Verbrüderungen,  nach 


schiff  nicht  anzubringen,  so  erhöhte 
man  den  vordem  Raum  der  Schiffe 
und  schloss  sie  mit  Gittern  ab,  als 
Aufenthalt  der  psallierenden  Brüder. 
Rechts  und  links  erhob  sich  eine  Kan- 
zel, die  eine  zum  Verlesen  der  Evan- 
elien,  die  andere  zum  Vortrage  aus 
en  Episteln.  Der  abgegrenzte  Kaum 


dt 


der  Nebenschiffe  diente  dann  den  dem  auf  der  Baustelle  befindlichen 


weltlichen  Vornehmen.  Der  Altar 
lag  in  der  Mitte  des  Chores  (d.  h. 
Apsis  und  abgeschlossener  Raum  des 
Schiffes);  vor  dem  Halbrunde  der 
Apsis  hinter  dem  Altar  (siehe  dieses 
Wort),  in  der  Rundung  der  Apsis, 
sind  stufenförmig  die  Sitze  für  die 


Werkhause  „Bauhütten"  genannt, 
beziehen  sieh  in  erster  Linie  auf  die 
Regulierung  der  Berufsverhältnisse. 
Der  Vorsteher  der  Hütte  ist  der 
Meister,  unter  Umständen  durch  den 
Parlierer  vertreten.  Der  M<  ister 
verteilt  die  Arbeiten,  bestimmt  Be- 


Geistlichen  angebracht,  und  in  der  ginn  und  Beendigung  derselben  und 
steht  erhöht  die  Ka-  vertritt  zugleich  das  Amt  eines  Rich- 


Mitte  desselben 
thedra,  ein  marmorner  Thronsessel, 
von  welchem  der  Bischof  seine  Pre 
digten  zu  halten  pflegte.  Nach  Hahn, 
bildende  Künste.  73  ff. 

Batzen,  ursprünglich  der  Batze, 
mittellat.  bacio,  tmeius,  bacSnus,  eine 


ters  und  Hüters  der  Ordnung.  Im 
Ferneren  enthalt  die  Ordnung  die 
Gesetze  und  Bedingungen  für  die 
Gesellen,  Lehrlinge  und  Handlanger 
und  wer  sonst  bei  dem  Bau  beschäf- 
tiget ist.  Hat  der  angehende  Maurer 


kleine,  zuerst  gegen  1492  zu  Bern  seine  Lehrzeit  beendigt,  so  empfän 


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Befestigung  der  alten  Germanen. 


53 


er  nebet  den  Erkennungszeichen, 
durch  die  er  sich  als  Angehöriger 
des  Bundes  legitimiert,  ein  {bestimm- 
tes Monogramm,  das  Werkzeichen, 
welches  neben  seinem  Namen  in  das 
Gesellenbuch  eingetragen  wird.  Die- 
ses Montxjramm  od.  Steinmetzzeichen 
war  gleichsam  sein  Wappen,  mit 
dem  er  seine  Arbeiten  bezeichnete, 
und  das  er,  Anstellung  suchend,  als 
Probe  der  Geschicklichkeit  in  den 
Stein  zu  meisseln  hatte.  Solche 
Chiffern,  meist  aus  einfachen  Linien, 
kreuzförmig  und  diagonal  in  den  ver- 
schiedensten Kombinationen  zusam- 
mengesetzt, kommen  beinahe  an  je- 
dem spatmittelalterlichen  Bauwerke 
vor  und  sind  auch  mitunter  zu  Wap- 
penzeichen geworden.  Neben  diesen 
Vorschriften,  die  sich  auf  das  Berufs- 
wesen beziehen,  fehlt  es  auch  nicht 
an  solchen,  welche  auf  Erhaltung 
und  Förderung  christlichen  Wandels, 
des  Anstanden  und  der  Sitte  zielen. 
Das  Institut  der  Bauhütten  erhielt 
sich  lange  über  das  Mittelalter  hinaus. 

Die  günstigen  Wirkungen  der 
Bauhütten  liefen  darin,  dass  sie  dem 
Berufsleben  eine  höhere  Weihe  ga- 
ben, die  Erfahrungen  der  Kunst  von 
Generation  zu  Generation  überliefer- 
ten. Die  tüchtige  Behandlung  des 
Details  in  den  Monumenten  aus  spät- 
gotischer Zeit  ist  zunächt  als  Ergeb- 
nis dieser  handwerklichen  Überlie- 
ferungen zu  betrachten,  Genauigkeit 
und  Sauberkeit  der  Ausfuhrung  wur- 
den bis  spät  als  Haupterfordernisse 
betrachtet.  Hinwieaer  zeigt  sich 
darin  ein  Sinken  der  Kunst,  dass 
das  persönliche,  individuelle  freie 
Schalten  der  Phantasie,  wie  es  die 
früheren  Baumeister  besessen  hat- 
ten, hier  zurücktritt.  Alles  geschieht 
während  der  Zeit  der  Bauhütten  mit 
handwerksmassiger  Tüchtigkeit.  Des- 
halb überall  dieselben  Gurtungen, 
Gewölbeformen,  Pfeilergliederungen 
und  Masswerkkombinationen.  Die 
geheimen  Ceremonien,  die  sich  an 
die  Bauhütten  knüpfen  und  denen 
zufolge  die  Freimaurer  ihren  Orden 


aus  den  Bauhütten  abzuleiten  pfleg- 
ten, sind  durchaus  untergeordneter 
Natur.  Nach  Hahn,  bild.  K.  in  d. 
Schweiz,  40  ff.  Das  Hauptwerk 
Schnaase,  Gesch.  d.  bild.  Künste, 
IV,  222  ff.  Vgl.  Gierke,  Genossen- 
schaftsrecht, 1,  408. 

Befestigungen  der  alten  Ger- 
manen. Die  alten  Germanen  be- 
sassen  keine  befestigten  Wohnulätze, 
Burgen  u.  dgl.;  doch  bauten  sie  zum 
Zwecke  der  Beherrschung  wichtiger 
Zugänge  oder  ganzer  Terrain- 
abschnitte Befestigungen,  die  mau 
in  3  Gruppen  teilen  kann.  1)  Ge- 
schlossene Einzelwerke.  Diese  benu- 
tzen möglichst  den  Vorteil  der  Natur, 
Gewässer  und  Sümpfe,  Felsabstürze, 
Waldungen,  besonders  steil  abfal- 
lende Höhen,  sei  es  mit  oder  ohne 
Wall.  Man  unterscheidet  Rinqicälle 
auf  den  Gipfeln  isolierter  flöhen, 
Steinringe,  auch  Wallburgen  genannt, 
aus  gesammelten,  meist  zerbrochenen 
Steinen  zusammengehäuft,  Erdschan- 
zen mit  oder  ohne  Graben,  teils  in 
ovaler,  häufiger  in  kreisrunder  Form. 
2)  Befestigungen  Grösserer  und  klei- 
nerer Abschnitte  des  Terrains,  meist 
in  der  Form  des  Halbmondes  und 
gewöhnlich  auf  Vorsprungskuppen 
zwischen  der  Einmündung  eines 
Seitenthaies  in  ein  Hauptthal;  in 
ebenen  Gegenden  sind  sie  gewöhn- 
lich auf  zwei  oder  drei  Seiten  von 
Wasser  und  Sümpfen  umgeben, 
Wasserfmrgen  und  Sumpfburgen, 
Cäsar,  B.  G.  6,  5.  Ausschliesslich 
zu  Warten  und  Signalposten  sind 
die  sog.  Spitzwälle  bestimmt.  Ein 
mehrfach  vorkommender  Name  für 
die  Rundwälle  ist  Hagas,  in  einigen 
alten  Städten  Brandenburgs  und 
Sachsens  als  Name  der  Umgebungen 
noch  erhalten.  Es  sind  das  Beweh- 
rungen der  Rundwälle  mit  einem 
Hage  oder  einer  Hecke,  auch  Ricke, 
Schlag,  Gebück  und  Hackelwerk  ge- 
nannt. Nach  Tacitus  Germ.  16.  pfleg- 
ten die  Germanen  ihre  Gehöfte  mit 
undurchdringlichen  Dornwällen  ab- 
zuschliessen.  Vgl.  die  Namen  Hagc- 


) 


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54 


Begharden.  —  Beichte. 


buche,  Hagedom,  Hagebuttdoni, 
Hagerosc.  3)  Land-  und  Grenz- 
wehren.  Deren  älteste  Form  ist 
ebenfalls  der  Hagen  und  das  Gebiiek. 
Das  letztere  ist  ein  bis  50  Schritt 
breiter  Waldstreifen,  in  welchem 
man  die  Baume  in  verschiedenen 
Höhen  gekappt  und  dann  den  neuen 
Ausschlag  zur  Erde  niedergebogen 
und  dicht  verflochten  hatte.  Indem 
diese  Bäume  so  verwuchsen,  ent- 
stand ein  undurchdringliches  Hackel- 
werk. Andere  Landwehren  ziehen 
sich  als  heckebestandener  Erdwall, 
als  Wall  in  Erde  oder  in  Stein  zu- 
weilen mehrere  Meilen  lang  in  ebenen 
Gegenden  hin,  bald  mit,  bald  ohne 
vorgelegte  Graben,  je  nach  der  Be- 
sehaffenneit  des  Bodens.  Sie  bilden 
heute  zum  Teil  noch  die  Grenzen 
von  Gemeinden,  Bezirken  und  grös- 
seren Landgebieten.  Nach  Jahns, 
Geschichte  des  Kriegswesens,  456  ff. 

Begharden,  Begrlnen;  mhd.  be- 
qehart,  beqhart,  beqine,  auch  bequine, 
beqwine,  beqein.  Seit  dem  12.  Jahrh. 
bildeten  sich  in  den  Niederlanden 
Frauengesellschaften,  um  in  gemein- 
samer Wohnung,  naen  einfacher  Re- 
gel, aber  ohne  Gelübde,  ein  frommes 
Leben  zu  führen.  Die  männerver- 
zehrenden Kreuzztige  und  die  begin- 
nende Vorliebe  für  beschauliches 
Leben  wirkten  dazu.  Der  Ursprung 
des  Namens,  lat.  beqhinae,  bequftae, 
ist  ungewiss;  vgl.  die  Wörterbücher 
von  Grimm  und  Schmel/er.  Die  Be- 
ginenhöfe,  auch  Klöster  genannt, 
waren  anfangs  ausserhalb  der  Städte 
angelegt,  erst  später  findet  man  sie. 
auch  innerhalb  der  Mauern;  sie  heis- 
sen  auch  sam/ungen,  samnungen  und 
einigungen;  die  dazu  gehörigen 
Frauen  behielten  einzeln  die  Ver- 
fügung über  ihr  Vermögen,  standen 
unter  einer  Vorstehcnn  (Mutter), 
lebten  einfach,  die  Unbemittelten 
von  ihrer  Hände  Arbeit;  später  er- 
hielten sie  eigene  Kapellen  und  Kir- 
chen. Seit  dem  13.  Jahrh.  findet 
man,  obgleich  in  geringerer  Anzahl, 
auch  Männervercine  derselben  Art, 


begharden.  Um  mehr  Schutz  zu  fin- 
den, traten  diese  freien  Gesellschaf- 
ten später  meist  dem  dritten  Orden 
der  Franziskaner  oder  der  Domini- 
kaner bei,  daher  der  Name  Feld- 
nonnen,  und  ergaben  sich  nun  auch 
dem  Bettel,  verbanden  sich  etwa 
auch  mit  Sektierern,  so  dass  der 
Name  begharde  zum  Ketzernamen 
wurde.  Für  beghard  kam  seit  dem 
14.  Jahrh.  auch  der  Name  Lolhard 
auf.  Schmidt  in  Herzogs  Realency- 
klopädie.  Kriegk,  Deutsches  Bürger- 
tum, I,  97  ff, 

Belm  i  misch,  Behmisch,  B£- 
haitnsch,  heisst  im  15.  und  16.  Jahrh. 
in  ganz  Süddeutschland  eine  Art 
Groschen. 

Bcichtbttcher,  libri  poenitentia- 
les,  sind  in  der  merowingischen  und 
karolingischen  Zeit  zuerst  in  Eng- 
land aufgekommen;  aus  der  kirch- 
lichen Praxis  hervorgegangen,  stel- 
len sie  in  ähnlicher  Form  wie  die 
Volksrechte  (lege*  barbarorum)  das 
weltliche  Strafrecht,  das  herrschende 
System  der  Kirchenstrafen  und  Bus- 
sen dar,  welches  sich  hinsichtlich 
der  eigentlichen  Verbrechen  durch- 
gängig an  die  germanische  Auffas- 
sungsweise anscnliesst.  Die  bedeu- 
tenasten sind  die  angelsächsischen 
Beichtbücher,  darunter  eines  dem 
Beda  renerabilis,  ein  anderes  dem 
Columban,  doch  mit  Unrecht,  zuge- 
schrieben wird;  deutsche  von  Ka- 
banus Maurus. 

Beichte,  von  ahd,  bijehan,  be- 
kennen, mhd.  die  biht  und  bihf*>, 
Bekenntnis;  davon  das  Verb  bthten 
und  bihtiqaere.  Schon  in  den  ersten 
Jahrhunderten  der  christlichen 
Kirche  wurde  es  Gebrauch,  dass 
ausgesehlosseneGemcindeglieder.  um 
wieder  aufgenommen  zu  werden,  als 
Anfang  ihrer  Busse  das  Vergehen, 
um  dessenwilien  sie  exkommuniziert 
waren,  vor  der  versammelten  Menge 
bekannten.  Aber  auch  die  Mitglie- 
der der  Kirche  selbst  pflegten  bald 
vor  dem  Genuss  des  Abendmahles 
sich  durch  Sündenbekenntnisse  zu 


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Beichtstühle.  —  Beinkleider. 


55 


erleichtern.  Im  frühem  Mittelalter  weise.  Die  Hosen  hatten  die  Gestalt 
wurde  am  Aschermittwoch  zur  Er-  von  Kreuzbinden,  welche  je  nach 
Öffnung  der  Quadra^esimalfasten  ein  dem  höhern  Range  an  Höhe  und 
öffentlicher  Gottesdienst  abgehalten,  künstlicher  Windung  zunehmeu. 
bei  welchem  nach  den  Einzelbeich-  Karl  d.  Gr.  trug  linnene  Unterhosen, 
ten  mit  teils  vorgängiger,  teils  nach-  darüber  Beinkleider  mit  Binde;  das 
folgender  Ansprache  zuletzt  von  Volk  überhaupt  kleidete  sich  ent- 
Alien oder  gewöhnlicher  vom  Prie-  weder  ebenso,  oder  es  trug  nach 
ster  für  Alle  ein  Beichtformular  ge-  byzantinischer  Art  lange  Strümpfe 
meiusam  gesprochen  wurde ;  die  vielen  in  der  Weise  der  Tricots  ois  zur  Mitte 
althochdeutschen  Beichtformeln  (u.  a.  der  Oberschenkel,  wo  sie  mit  Schnür- 
abgedruckt  hei  Müllenhoff'u.  Scherer,  rieinen  au  den  Bruch  angeheftet 
Denkmäler  deutscher  Poesie  und  wurden,  oder  ähnliche  weite  Bein- 
Prosa)  zeigen ,  dass  dieser  Gottes-  kleider,  wie  die  heutigen  sind,  welche 
dienst  zu  den  wenigen  in  der  Volks-  auch  den  Unterleib  umschlossen, 
spräche  verhandelten  gehörte.  Als  Immer  erstreckte  sich  das  Beinkleid 
Forderung  tritt  die  bei  diesem  Got-  unterwärts  entweder  über  den  gan- 
tesdienste  vorausgesetzte  Privat-  oder  zen  Fuss,  oder  die  Zehen  blieoen 
Spezialbeichte  schon  im  8.  oder  9.  unbekleidet.  Die  weite  pumphosen- 
Jahrh.  auf.  Zu  allgemeiner  Sanktion  artige  Beinbekleidung  war  Tracht 
gelangte  die  Privatbeichte  aber  erst  der  Armem.  Die  Tricots  oder  Lang- 
durch  das  Laterankonzil  von  1215.  |  Strümpfe  waren  von  Wolle  oderSeide, 
Speziell  hatten  die  Dominikaner  und  stets  nur  gewoben  und  buntfarbig, 
Franziskaner  Vollmacht,  überall  entweder  eintönig,  meist  rot.  oder 
Beichte  zu  hören,  was  mannigfachen  1  durch  einzelne  Streifen  und  Linien 
Widerspruch  der  Weltgeistlichkeit  verziert,  oder  beide  Beinlängen  ver- 
hervorrief. |  schieden  gefärbt.     In  den  hohen 

Beichtstühle  sind  zuerst  im  15. 1  Ständen  verschwand  allmählich  der 

Jahr h.  in  Frankreich  aufgekommen,  Bruch  ganz,  man  trug  hier  bloss 

in  Deutschland  nicht  vor  der  zwei-  noch  eng  anliegende  Tricots,  die  oben 

ten  Hälfte  des  16.  Jahrh.  an  dem  Hüftgürtel  befestigt  wurden. 

Beinkleider.  Die  alten  Germa-  Mit  dem  Auftreten  des  französischen 
nen  entbehrten  noch,  abgesehen  von  Kleidergeschmackes  vom  Beginn  des 
der  ohne  Zweifel  auch  bei  ihnen  ,  1 4.  Jahrhunderts  an,  der  sich  durch 
vorhandenen  Hüftbedeckung,  dem  das  Prinzip  eng  anliegender  Kleider 
bruoch,  der  eigentlichen  Beinbeklei-  kennzeichnet,  wurde  die  enge  Lang- 
dung; vom  König  der  Langobarden,  hose  womöglich  noch  enger,  so  dass 
Adeloald,  wird  erzahlt,  dass  er  zu-  Schamkapseln,  franz.  hraquettes, 
erst  Hosen  getragen  habe  und  dass  deutsch  Latz,  nötig  wurden;  auch 
die  Langobarden  fortan  gerade  diese  I  das  war  französisch,  dass  man  die 
Bekleidung,  hoxis  genannt,  vor  allem  1  Beinlinge  entweder  über  dem  Knie 
schätzten.  Dieses  Wort  bezeichnet  trennte  und  beide  Teile  durch  Nesteln 
die  enganliegende  Bedeckung  des  und  Bänder  verband,  oder  über  die 
Unterschenkels,  gegenüber  der  Hüft-  ganzen  Hosen  noch  eigene  Ober- 
bedeckung, aha.  pruoch,  und  ist  scheukelhosen  in  verschiedener  Fär- 
durch  die  germanischen,  romani-  bung  und  Veizierungsweise  zog.  Im 
sehen  und  keltischen  Sprachen  ver-  16.  Jahrhundert  machte  sich  in 
breitet;  seine  ursprüngliche  Bedeu-  Deutschland  wie  in  den  übrigen 
tuug  und  die  eigentliche  Heimat  ist  Ländern  Europas  ein  Wandel  zu 
dunkel.  Die  Annahme  der  Hosen  bequemerer  Tracht  hin  geltend, 
durch  die  Langobarden  ist  aber  Oberkleider  und  Beinkleider  wurden 
Nachahmung  römischer  Bekleidungs-  weit.  Diese  Bekleidungsart  ging  von 


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56 


Beinkleider. 


der  jugendlichen  freien  Bürgerschaft 
und  den  Söldnern  aus.  Das  lange 
Beinkleid  wurde  zuerst  vor  den 
Knieen  ausgeschnitten  oder  ge- 
schlitzt, dann  unter  den  Hüften  und 
längs  den  Schenkeln  zerschnitten. 
Der  Schutz  vor  der  Witterung  wie 
der  öffentliche  Anstand  verlangte 
aber,  dass  man  die  Schlitze  mit  Zeug 
unterlegte.  Weiter  ging  es  an  die 
enge  Oberschenkelhose,  die  eben- 
falls zerschnitten  und  bis  zu  den 
Knieen  verlängert  wurde,  bloss  die 
Unterschenkelhose  blieb  eng,  die 
Oberechenkelhose  zerschlitzte  man 
teils  zu  verschiedenen  Figuren,  teils 
zu  verschieden  breiten,  senkrechten 
oder  wagerechten  Streifen;  die  Fi- 
guren waren  Dreiecke,  Vierecke, 
Sechsecke,  Kreuze,  Sterne,  Blumen, 
Blätter,  überall  in  den  buntesten 
Farben  verziert  und  die  beiden  Bcin- 
längen  wie  früher  oft  ganz  verschie- 
den geschnitten  und  gefärbt.  Gegen 
diese  zerschnittenen  flogen  vornehm- 
lich wendete  sich  überall  die  Sitten- 
polizei, einzelne  Rcfonnationsman- 
date  verboten  sie,  ebenso  die  Reichs- 
tage von  Augsburg  in  den  J.  1530 
u.  1548.  In  einer  vom  Hat  zu  St. 
Gallen  im  Jahre  1527  erlassenen 
Ordnung  heisst  es:  JEi  ist  uf gesetzt 
und  verordnet,  dass  alle  bürg  er  und 
imconer,  so  zerhoteen  oder  abqehowen 
hosen  oder  wamesser  habend,  diesel- 
ben zerhownen  hosen  und  wamesser 
widerumh  zuosamen  negen  sollen  las- 
sen und  hinfur  kain  zerhoteen  hosen 
noch  wamesser  tragen  sollend  an 
3  pfd.  denar  zuo  buoss  ron  jedem 
mal,  so  dick  (oft)  das  beschickt  Man 
sol  och  weder  hie  noch  anderswa  kain 
zerhowne  klaider  machen  lassen  und 
mag  man  die  schnider  darumb  aiden. 
Dessglichen  sol  och  kain  schnider 
kainem  burger  ain  so  groben  und 
wuosten  lalz  an  die  hosen,  sunder 
hinfur  zimlich  machen,  an  dieselben 
buoss.  Dr.  Andreas  Musculus,  Pro- 
fessor zu  Frankfurt,  gab  im  J.  1556 
eine  von  ihm  gehaltene  Predigt  im 
Druck  heraus:  Vom  zerlöcherten, 


Zucht-  und  Ehrvergessenen  pludrig- 
ten  Hosenteufel,  Vermahnung  und 
Warnung.  Die  Sache  wurde  aber 
eher  arger;  während  man  den  un- 
tern Stoff  durch  die  Men^e  der 
Schlitze  bis  jetzt  nur  leichthin  her- 
vorgezogen hatte,  vereinfachte  man 
jetzt  die  Schlitze  nach  Zahl  und  Ge- 
staltungsweise, erweiterte  sie  ansehn- 
lich und  bauschte  die  untern  Stoffe 
aus  ihnen  in  möglichster  Breite  her- 
aus, so  dass  sie  überall  sackartig, 
flatternd  herabhingen.  Das  war  die 
eigentliche  Pluderhose;  sie  soll  1553 
im  Lager  des  Kurfürsten  Moritz  von 
Braunschweig  vor  Magdeburg  ent- 
standen sein.  Die  Landsknechte 
trugen  sie  so,  dass  die  Schlappen 
bis  zu  den  Knöcheln  herabhingen 
und  für  den  Unterstoft  bis  40  EUen 
Tuch  verwendet  wurde.  Mit  dem 
Erlöschen  des  freien  Söldnertunis 
erlosch  endlich  diese  Tracht,  am 
längsten  wahrte  sie  in  der  Schweiz. 
Selbst  verstand  lieh  nahmen  nicht  alle 
Stände  an  dieser  Verzerrung  Anteil, 
doch  kam  die  Pluderhose  auch  bei 
Studenten,  Bürgern,  Adligen,  Hand- 
werksgesellen vor,  während  andere 
Kreise  die  älteren  Formen  des  Bein- 
kleides beibehalten  hatten.  Seidene 
gestrickte  Hosen  oder  eigentliche 
Tricots,  die  aus  England  oder  Frank- 
reich kamen,  gab  es  in  Deutchland 
seit  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts. 
In  derselben  Periode  fing  man  in 
Deutschland  an,  dem  versteiften 
spanischen  oder  spanisch-französi- 
schen Hosengeschmack  zu  huldigen. 
Selten  trug  man  jedoch  die  glatten 
oder  mit  Bandstreifen  dicht  über- 
zogenen, völlig  straff  ausgepolsterten 
Kundwülste:  zumeist  fanden  die  aus 
breiten  Bändern  mit  lockerer  Unter- 
fütterung bestehenden  kurzen  Hosen 
Eingang,  nächstdem  aber  die  von 
den  Hüften  bis  zu  den  Knieen  sich 
verjüngende  ausgepolsterte  Pump- 
hose als  auch  die  völlig  faltenloee, 
unten  durchaus  offene  Kniehose.  Im 
17,  Jahrhundert  kam  mitdemStutzer- 
tura  die  französische  Unterrock- Hose 


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Belagerung. 


57 


auf,  als  Umschluss  der  Oberschenkel- 
hose, nahezu  weibischer  Natur,  durch- 
gängig der  Länge  nach  mehrfach 
gefältelt  Bloss  die  Landbevölke- 
rung und  die  für  sich  abgesehloss- 
neren  alten  Reichs-  und  Handels- 
städte behielten  Reste  des  alther- 
kömmlich Bestehenden,  während  an 
den  Höfen  und  in  den  höhern  Stän- 
den, besonders  dem  Beamtenstand, 
der  französische  Geschmack  regierte, 
bis  mehr  und  mehr  eine  allgemeine 
Ausgleichung  der  europäischen  Mo- 
den eintrat.  Weiss,  Kostümkunde. 
Müller  und  Mothts,  Wörterbuch, 
Artikel  Beinkleider. 

Belagerung.  Nicht  minder  als 
in  der  Kunst  der  Befestigung  ist  das 
Mittelalter  in  der  Belagerungkunst 
von  den  Überlieferungen  der  Römer 
abhängig.  Alle  während  des  mero- 
vingiacben  und  karolingischen  Zeit- 
alters niiteruommeneneu  Belagerun- 
gen arbeiten  mit  den  Mitteln  der 
antiken  Kriegskunst,  und  zwar,  wie  es 
scheint,  mit  abnehmenden  Verständnis 
derselben.  Neuer  Aufschwung  kommt 
in  die  Belagerung  erst  während  der 
Kreuzzüge  and  zwar  vorzugsweise 
durch  dieTeilnahme  italienischer  Mei- 
ster. Bis  dahin  hatte  die  fehdeartige 
Kriegsführung,  sowie  der  Mangel 
technischer  Kenntnisseden  Angreifer 
entweder  lediglich  auf  den  geicalt- 
sam-e-n  Sturm  oder  auf  die  blosse 
Blvckade  hingewiesen ;  das  Verständ- 
nis für  Belagerungsmaschinen  war 
in  dem  Masse  verloren  gegangen, 
das»  man  lieber  zur  Verstärkung  der 
Blockade  Gegenburgen ,  sogar  aus 
Stein,  errichtete,  ilrst  bei  der  Be- 
lagerung von  Nicäa  im  J.  1097  hört 
man  wieder  von  Maschinen.  Der 
Gang  einer  regelrechten  vollstän- 
digen Belagerung,  (mhd.  geluje,  be- 
sezze\  ist  jetzt  und  im  weitern  Ver- 
laufe des  Mittelalters  folgender :  Zu 
erst  versucht  man  womöglich  den 
Platz  durch  Überrumpelung  zu  ge- 
winnen, sei  es  durch  Einschlagen 
der  Thore,  durch  Herabreissen  der 
Zugbrücken    mit   schweren  Lang- 


hacken oder  durch  Leiferersteigung, 
welch  letztere  das  ganze  Mittelalter 
hindurch  eine  ausserordentlich  hohe 
Bedeutung  hatte.  Siehe  Figur  26  aus 
Stumpfs  Eidgenössischer  Chronik. 
Gelang  weder  das  eine  noch  das 
andere,  so  ging  man  daran,  die 
Gräben  auszufüllen  mit  Erde,  Stroh, 
Gebäuderesten  und  dergleichen,  zu 
welchem  Ende  man,  um  von  den 
Verteidigern  ungestört  zu  sein,  die 
Katze  konstruierte,  ein  auf  Rädern 
zu  bewegendes  hölzernes  Blockhaus. 
War  der  Graben  ausgefüllt,  so  wie- 
derholte man  den  Versuch  der  Über- 
rumpelung oder  man  rückte  mit  den 
Maschinen  vor,  wobei  es  auszuwählen 
galt  zwischen  direktem  Zerstören  des 
Zingels  mittelst  Mauerbrecheni,  oder 
Unterminieren,  und  regelmässigem 
"Angriff  mit  hölzernen  Türmen  und 
Wurfmaschinen. 

Die  technischen  Hilfsmittel,  deren 
man  sich  bei  Belagerungen  bediente, 
hiessen  anheere,  machinae,  ingenia. 

Die  Baukunst  der  Kriegsmaschi- 
nen entwickelte  sich  besonders  in  Ita- 
lien und  kam  von  da  namentlich  durch 
die  Kreuzzüge  ins  übrige  Europa. 
Sämtliches  Antwerk  zerfällt  in  3  Ar- 
ten: Machinae  oppugnatoriae,  machi~ 
nae  jaculaforiae  und  machinae  tec- 
toriae. 

Tax  den  machinae  oppugnatoriae 
oder  Stosszeug  zum  Mauerbrechen 
gehören  der  seit  Urzeiten  stets  im 
Gebrauch  gebliebene  Widder  oder 
Sturmbock,  der  Tarant.  d.  h.  der 
Mauerbohrer,  der  Fuchs  und  der 
Krebs. 

Die  machinae  jaculaforiae  oder  das 
Schuss-  und  Wurf-Zeug  zerfällt  in 

a)  Geschütze  für  rasanten  Schuss: 
Die  Stand  -Armbrust ,  auch  Bück-, 
Turm-,  Wagarmbrust  oderder  Spann- 
wagen genannt,  um  Bolzen  oder 
Steiukugeln  zu  schiessen,  und  die 
Hutten,  ahd.  ruoda,  Stange,  säulen- 
artige Gestelle  mit  kolossaler  stähler- 
ner Schnepperfeder,  welche  den  auf 
der  Säule  liegenden  Pfeil  hinweg- 
schnellte; sie  heissen  auch  Katapulte 


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Belagerung. 


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Belagerang, 


59 


und  dienen  besonders  für  Abschiessen 
von  Brandpfeilen. 

b)  Geschütze  zum  Bogenwürfe.- 
Die  Bleide%  mhd.  bltde,  der  Iribock, 
mhd.  driboc,  der  Schleuderkasten,  die 
Mange  und  die  Marga,  Maschinen, 
deren  besondere  Eigentümlichkeiten 
zum  Teil  schwer  oder  kaum  zu  be- 
stimmen sind. 

Die  vorzüglichste  Munition  der 
Gewerfe  waren  Steine,  wo  möglich 
in  runder  Gestalt,  oft  von  kolossaler 
Grosse;  statt  der  Steine  nahm  man 
auch  Stangen,  mit  Nägeln  beschla- 
gene Balken,  mit  Brennstoffen  an- 
gefüllte Fässer,  Leichname  von  Vieh, 
um  Seuchen  zu  erzeugen,  ferner  mit 
Brandzünder  versehene  Wurfsteine 
oder  glühende  Eisenstücke. 

Das  Wurfzeug  hatte  nicht  die 
Bestimmung,  Bresche  zu  schiessen, 
sondern  Dächer  und  Gewölbe  zu 
zertrümmern,  Brand  zu  stiften  u.  dgl. 
Seine  Anwendung  reicht  bis  ins 
15.  Jahrhundert. 

Weit  enger  und  unmittelbarer 
als  das  mittelalterliche  Wurfzeug, 
sch  Hessen  sich  die  Machinae  tectoriae 
an  die  antike  Tradition  an.  Es  zer- 
fallen aber  diese  Annäherungs-  und 
Deckungsmittel  in  drei  Arten,  fahr- 
bahre Holzbrustwehren ,  bedeckte 
Stände  oder  Hallen  und  Kolltürme. 
Die  bedeckten  St&nde,  welche  bei  den 
Römern  musculi,  Mäuschen  hi essen, 
nannte  das  Mittelalter  Katzen,  die 
Belagerungstürme  heissen  auch  Berq- 
friede,  mhd.  bercvrit,  oder  Ebenhöhe, 
da  sie  mindestens  gleiche  Höhe  mit 
der  zu  erstürmenden  Mauer  haben 
mussten.  Am  häufigsten  kommen 
Türme  von  drei  Geschossen  vor, 
deren  oberstes  eine  Fallbrücke  hatte, 
während  das  unterste  gelegentlich 
einen  Widder  aufnahm.  Unter  Um- 
ständen machte  man  den  Versuch, 
einen  T^irm  auf  Kähnen  zu  erbauen. 

Häufig  war  der  Angriff  durch  die 
Talparii,  Minierer,  sei  es  um  die 
Mauer  durch  Untergrabung  zum  Ein- 
sturz zu  bringen,  sei  es  um  unter- 
irdisch in  den  festen  Platz  zu  kommen. 


Oft  waren  die  genannten  Angriffs- 
mittel ungenügend  zur  Eroberung 
von  festen  Plätzen,  und  ihre  Über- 
!  gäbe  nur  durch  Aushungern  unter 
i  Anwendung  der  Blokade  zu  erlangen. 
!  In  diesem  Falle  pflegte  sich  der  An- 
greifer stets  durcn  Laufgräben  gegen 
Überfalle  zu  sichern.  Mehrere  Lager, 
deren  jedes  mit  einer  Enceinte  um- 
geben war,   hiessen  Bastide  oder 
Bastille. 

Was  nun  die  Massregeln  der 
Verteidigung  betrifft,  so  waren  die 
Besatzungen  in  erster  Linie  besorgt, 
sich  gegen  Überrumpelung  sicher  zu 
stellen.  Zu  dem  Ende  schloss  man 
gern  einen  möglichst  ausgedehnten 
Umkreis  durch  eine  leicht-  Ver- 

5>fäblung  oder  eine  Hecke  ab,  die 
jßtze.  Unter  Umständen  legte  man 
beim  Anrücken  des  Feindes  im  Sinne 
offensiver  Defensive  noch  im  letzten 
Augenblicke  ein  Aussenwerk,  mhd. 
hämit,  an,  das  in  einer  Vcrpfählung 
bestand.  Die  Absicht  Widerstand 
leisten  zu  wollen,  kündete  der  Be- 
lagerte durch  Aufziehung  von  Fahnen 
über  Thoren  und  Türmen  und  durch 
Aufstellung  von  Wappenschildern 
zwischen  den  Zinnen  an.  Auf  die 
Mauer  wurden  Schilde,  Schirme, 
Mäntel  oder  hölzerne  Brust  wehre, 
Blöcke,  Balken,  Steine,  Öl,  Wasser, 
ungelöschter  Kalk  u.  dgl.,  überhaupt 
diejenigen  Materialien  gebracht,deren 
man  zunächst  gegen  den  gewaltsamen 
Angriff  bedurfte.  Bei  förmlichem 
Angriffe  bediente  sich  die  Vertei- 
digung derselben  Wurfmaschinen  wie 
die  Angreifer,  besonders  aber  der 
Ausfälle-,  gegen  den  Minenan^riff 
war  die  Anwendung  von  Contreminen 
allgemein.  Der  letzte  Rückzug  einer 
Besatzung  konnte  aus  der  Stadt  in 
die  Burg,  aus  einer  Burg  in  den 
grossen  Turm  geschehen.  Unter- 
irdische Gän^e  führten  von  da  manch- 
mal ins  Freie. 

Langsam  gewann  die  Anwendung 
der  Feuerwaffen  im  Belagerungs- 
kriege Raum.  Zunächst  verwendete 
mau  die  Büchsen  an  Stelle  des  Wurf- 


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60 


Ben  ediktiner-Örden . 


zeugcs,  um  Steine  oder  Feuerwerks- 
körper zu  schleudern;  Breche  zu 
vermittelst  der  neuen  Büchsen 
erst  später.  Man  warf  daher 
iweren  Projectile  unter  einem 
grossen  Winkel  über  die  Mauer,  den 
Kernschuss  verwendete  man  nur  ge- 
gen die  Thore.  Die  Aufstellung  der 
Belagerer  ging  noch  in  sehr  geringer 
Entfernung  von  den  Mauern  vor  sich, 
wobei  die  Sicherung  der  Geschütze 
durch  die  alten  Schutzdächer  geschah. 
Die  Angrifföbatterien  wuraen  aus 
Stücken  groben  und  kleinen  Kalibers 
gebildet,  wobei  die  letzteren  dazu 
dienten,  den  Feind  während  der  Zeit 
zu  beschäftigen,  während  welcher 
man  die  erstem  zum  Laden  zurück- 
brachte. Im  allgemeinen  war  bis 
in  den  Anfang  des  15.  Jahrh.  die 
Verteidigung  dem  Angriffe  noch  über- 
legen, zumal  da  die  Städte  bereits 
mit  einer  namhaften  Zahl  von  Feuer- 
eesch ützen  versehen  waren,  während 
die  Belagerer  gewöhnlich  nur  über 
die  alten  Maschinen  geboten. 

Von  bedeutender  Wirkung  auf 
die  Fortschritte  im  Belagerungswesen 
war  die  in  Frankreich  seit  der  Mitte 
des  15.  Jahrh.  aufkommende  An- 
wendung der  gegossenen  Kugeln  an- 
statt der  steinernen,  wodurch  das 
Brechclegen  sehr  abgekürzt  wurde, 
und  die  rationelle  Anwendung  von 
Laufgraben  als  Annäherungsmittel. 
Seitdem  treten  die  Holzdeckungen 
zurück  und  die  Holzblendungen  der 
Geschütze  werden  durch  Tonnen  er- 
setzt, die  mit  Erde  gefüllt  sind,  bald 
darauf  findet  man  auch  die  Sehanz- 
körbe  in  allgemeinem  Gebrauch. 

Die  während  des  16.  Jahrh.  statt- 
findende Reform  des  Fortifikations- 
wesens  hatte  auch  ein  modernes 
System  des  Angriffes  und  der  Ver- 
teidigung im  Gefolge.  Nach  Jahns, 
Gesch.  a.  Kriegswesens. 

Benediktiner-Orden.  Sein  Stif- 
ter ist  Benedikt  von  Nursia  im  Nea- 

Solitanischen,  480—543,  der  Gründer 
es  Klosters  Monteeassino  bei  Neapel ; 
die  Regel,  die  er  den  Mönchen  dieses 


Klosters  gab,  bezweckte  nicht  die 
Gründung  eiues  Ordens,  denn  der 
Mönchsstand  galt  noch  als  eigener, 
ungeteilter  Stand,  es  handelte  sich 
bloss  um  die  besonderen  Vorschriften, 
durch  die  das  Leben  der  Mönche 
dieses  oder  jenes  Landes  oder  Klo- 
sters geregelt  werden  sollte.  Auch 


andere  Klosterregeln,  wie  die  des 
hl.  Basilius,  des  hl.  Columbanf  des 
Casarius  von  Arles,  bewirkten  kei- 
nen besonderen  Orden.  Die  durch 
die  irischen  Mönche  in  Deutschland 

gestifteten  Klöster  hatten  anfänglich 
ie  Regel  des  hl.  Columban,  deren 
harte  Ascese  und  die  häufige  An- 
wendung der  Prügelstrafe  es  all- 
mählich dahin  brachten,  dass  man 
im  7.  und  8.  Jahrh.  mehr  und  mehr 
,  auf  die  Regel  des  hl.  Benedikt  griff; 
I  sie  war  milder,  klarer  gefasst  und 
brauchbarer  als  jene.  In  St  Gallen 
nahm  Othmar  die  Benediktinerregel 
auf  Wunsch  Pipins  an,  in  Fulda 
führte  sie  Bonifaz  ein;  Karls  d.  Gr. 
Synoden  verpflichteten  die  Mönche 
darauf.  Eine  deutsche  Interlinear- 
version der  aus  73  Kapiteln  be- 
stehenden Regel,  die  aus  dem  8.  Jahrh. 
stammt  und  einem  nicht  nachweis- 
baren Mönche  Kero  zugeschrieben 
wurde,  ist  bei  Hattemer,  St.  Gallische 
Sprachdenkmäler,  I,  15  ff.,  abge- 
druckt, eine  mitteldeutsche  Ueber- 
setzung  des  13.  Jahrh.  in  der  Zschr.  f. 
deutsches  Altert.,  Bd.  XVI,  S.  224 
bis  279.  Nach  der  Regel  des  hl. 
Benedikt  steht  an  der  Spitze  der 
Anstalt  der  Abt  mit  monarchischer 
Gewalt,  dem  gegenüber  die  Kongre- 

Eation  und  die  ältern  Brüder  bloss 
eratende  Stimme  haben.  Die  Abts- 
wahl gehört  in  der  Regel  den  Mön- 
chen und  ist  ihnen  durch  besondere 
Privilegien  gesichert.  Die  nächsten 
Beamten  nach  dem  Abt  sind  Propst 
und  Dechant,  beide  durch  den  Abt 
absetzbar:  der  Propst,  Vertreter  des 
Abt  es,  hatdie  Ökonomie,  der  Dechant 
die  Disziplin  unter  sich.  Ihre  Wahl 
geht  von  den  Mönchen  aus.  Unter 
dem   Propst    steht    der  cellariu*, 


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Benediktiner-Orden. 


61 


Kellermeister.  Die  Wache  am  Thor  | 
hat  der  Pförtner.  Die  Zahl  der  i 
Mönche  ist  unbestimmt  Dienende 
Brüder  giebt  es  nicht,  die  Mouche 
sind  zu  allen  Dienstleistungen  ver- 
pflichtet; das  Kloster  soll  deshalb 
möglichst  alle  Lebensbedürfnisse 
umschüessen.  Vgl.  den  Bauriss  des 
Klosters  St  Gallen  vom  Jahre  820, 
herausgegeben  von  F.  Keller,  Zürich 
1844.  Die  Besorgung  der  Küche 
wechselt  wöchentlich  unter  den 
Mönchen.  Handwerk  und  Ackerbau 
liegt  den  Mönchen  ob.  Privatbesitz 
ist  verboten,  alles  ist  allen  gemein, 
und  der  Abt  teilt  iedem  nach  Be- 
dürfnis zu.  Als  Kleidung  ist  vor- 
geschrieben Kutte  cuculla,  Hemd 
tunica,  Überwurf  »capulare.  Als 
Speise  gestattet  die  Regel  zwei 
Schüsseln  Gemüse,  Obst,  junge  Ge- 
wächse, Brot ;  Fleisch  nur  für  Kranke 
und  Schwache ;  Wein  gehört  eigent- 
lich für  Mönche  nicht,  doch  werden 
die  Mönche,  sagt  die  Regel,  sich 
denselben  nicht  wohl  nehmen  lassen, 
deshalb  ist  taglich  eine  Mass  {hemina) 
erlaubt.  Allmählich  gestattete  man 
sich  mehr  Bedürfnisse,  zumal  an  be- 
sonderen Tagen,  bei  Besuch.  Der 
Aufnahme  ins  Kloster  geht  eine 
jährliche  Prüfungszeit  voran.  Ohlati 
sind  Kinder,  die  von  den  Eltern  früh 
dem  Klosterleben  übergeben  werden, 
ihre  Zahl  war  gross,  und  ihr  Unter- 
richt gab  die  erste  Veranlassung  zu 
den 'Klosterschulen.  MecluJti  heissen 
solche,  die  sich  besonderer  Ascese 
wegen  in  ein  Gemach  einschliessen 
Hessen.  Die  Regel  Benedikts  nimmt 
auf  Frauenklöster  keine  Rücksicht, 
doch  wurden  auch  die  ebenfalls  schon 
lang«1  bestehenden  Nonnenklöster 
derselben  Regel  unterstellt;  immerhin 
sind  die  Frauenklöster  minder  selb- 
ständig und  mehr  vom  Bischof  ab- 
hängig. Die  Benediktinerklöster 
des  8.,  9.  und  10.  Jahrhunderts  sind 
die  Hauptträger  der  Bildung  im 
fränkischen  Reiche;  was  die  Zeit 
an  Erziehung,  Wissenschaft,  Dich- 
tung, bildender  Kunst,  Musik  und 


Geschichtschreibung  hervorbrachte, 
ist  meist  ihr  Werk.  Fulda,  St.  Gallen, 
Corwey,  Reichenau  und  zahlreiche 
andere  Klöster  sind  Zentralpunkte 
des  geistigen  Lebens.  Man  findet 
sie  u.  a.  zusammengestellt  und  be- 
schrieben in  den  Kirchengeschichteu 
von  Rettberq  und  Friedrich  und  in 
Deutschlands  Geschichtsquellen  von 
Watlenbach.  Im  10.  Jahrh.  fingen 
sie  an  zu  verweltlichen;  der  durch 
Karl  d.  Gr.  hervorgerufene  Bildungs- 
eifer ermattete;  die  Ausbildung  des 
Lchnstaates,  der  Reichtum  an  Land 
und  Leuten,  der  sich  in  ihnen  an- 
gehäuft hatte ,  schob  die  Interessen 
der  Bildung  und  Erziehung,  der 
Religion  und  Wissenschaft  in  den 
Hintergrund,  und  Interessen  welt- 
licher Art  traten  vor.  Die  Klöster 
standen  meist  auf  des  Kaisers  Seite ; 
der  Zusammenhang  mit  Rom  hatte 
sich  gelockert.  Dagegen  trat  nun 
eine  Reaktion  ein;  der  päpstliche 
Stuhl  suchte  in  seinem  Sinne  zu  re- 
formieren, die  Klöster  zu  Kongre- 
gationen unter  einer  Zentralregie- 
rung zu  sammeln,  das  speeifisch 
religiöse  Leben  zu  heben,  die  Kloster- 
regeln zu  schärfen.  Der  Hauptsitz 
dieser  Bestrebungen  wurde  das  Klo- 
ster Clugny,  Clunvacum,  in  Burgund, 
von  Herzog  Wilhelm  von  Aquita- 
nien 910  gestiftet  und  zuerst  von 
Berno,  dann  von  Odo  927—941  ge- 
leitet Diese  reformierten  Benedik- 
tiner- oder  CY«ntare/w<?r-Klöster  wa- 
ren von  aller  bischöflichen  Gewalt 
befreit,  einzig  dem  Stuhl  zu  Rom 
untergeben;  der  gesammte  Orden 
stand  unter  dem  Abt  von  Clugny, 
dem  Archiabbcus  des  Archimonasterti, 
strenge  klösterliche  Ascese  trat  an 
die  Stelle  freier  humaner  Bildung 
im  Sinne  der  Karolingischen  Zeit 
Die  deutschen  Könige  selber  waren 
übrigens  der  Reform  nicht  durchaus 
abgeneigt;  unter  den  Klöstern  aber 
trat  jetzt  eine  Spaltung  in  reformierte 
und  nichtreformierte  ein.  Die  der  Re- 
formation widerstanden,  verweltlich- 
ten in  der  höfischen  Periode  in  hohem 


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62 


Benediktionen. 


Masse,  kirchliches  Leben,  Schule  und 
Wissenschaft  hörte  auf,  und  die 
Äbte  beteiligten  sich  als  Reichs- 
fursten  hauptsächlich  an  den  Reichs- 
händeln.  Ein  besonders  belehren- 
des Beispiel  für  das  Verhältnis  der 
Cluniacenser  und  der  alten  Benedik- 
tiner bieten  die  St.  Gallischen  Kasus 
Ekkeharts  I V. ;  Konrad  II.  hatte  dem 
Kloster  1034  einen  Cluniacenser  Abt 
aus  Lothringen  aufgedrungen,  gegen 
dessen  Reform  bestreb  ungen  die  altera 
Mönche  eiferten  und  murrten;  zum 
Beweise  aber,  wie  tüchtige,  vortreff- 
liche Blüten  das  Kloster  unter  der 
freiem  Regel  hervorgebracht  hatte, 
schrieb  Ekkehart  IvT  seine  Kasus, 
in  denen  er  das  Klosterleben  St. 
Gallens  so  plastisch  dargestellt  hat. 
Siehe  die  Einleitungen  zu  der  latei- 
nischen und  deutschen  Ausgabe 
Ekkeharts  von  G.  Meyer  von  Kno- 
nau.  Die  Cluniacenser  Reform 
fand  ihre  Hauptstütze,  was  Deutsch- 
land anbelangt,  in  den  Klöstern 
des  Schwarzwaldes,  und  hier  be- 
sonders in  Hirschau,  von  wo  aus 
sich  die  strenge  Regel  nach  allen 
Seiten  verbreitete ;  alte  Klöster  wur- 
den reformiert,  neue  gegründet. 
Hirschauer  Mönche  kamen  nach 
Reichenbach  und  St  Georgen  im 
Schwarzwald ,  nach  Schaffnausen, 
Petershausen,  Pfafers,  Fischingen, 
Weilheim,  Zwifalten,  Blaubeuren, 
Isny.  Wiblingen,  Ochsenhausen, 
Komourg  in  Franken,  Fischbachau 
und  Scheiern,  Prüfening  und  Ens- 
dorf in  Bayern,  nach  dem  Petcrs- 
berg  bei  Erfurt,  Reinhardsbrunn, 
Goseck,  Hasungen  und  Magdeburg, 
nach  Admont  in  Steiermark,  St.  Paul 
in  Kärnthen.  Otto  von  Bamberg 
führte  in  allen  seinen  Klöstern  die 
Hirschauer  Regel  ein.  Derselben 
Richtung  gehörte  St.  Blasien  im 
Schwarzwald  an.  Hier  wurde  Hart- 
mann, früher  Probst  von  St.  Nicola 
bei  Passau,  des  Gegeukönigs  Rudolf 
Kaplan,  Mönch  und  Prior;  dann  aber 
101)4  Abt  von  Götweih,  wohin  er 
eine  Kolonie  aus  St.  Blasien  führte, 


und  bald  wurden  ihm  auch  St.  Lam- 
bert in  Steiermark,  Kempten,  St.  Ul- 
rich und  Afra  in  Augsburg  anver- 
traut. Nach  Krein8münster  kamen 
Mönche  aus  Gottesau,  einer  Hirsch- 
auer Kolonie  im  Sprengel  von  Speier. 
Bischof  Burchara  von  Basel  aber 
unterwarf  1105,  eingedenk  der  alten 
Freundschaft  und  innigen  Verbin- 
dung, das  von  ihm  gestiftete  Kloster 
St  Alban  bei  Basel  unmittelbar  dem 
Abte  von  Clugny.  S.  Wattenbach, 
Geschichtsquellen  II,  §  6.  In  die 
gleiche  Periode  mit  der  Cluniacenser 
Reform  fallt  die  Gründung  selbstän- 
diger Orden,  welche  die  neue  römi- 
sche Ascese  in  noch  engere  Formen 
bannten,  z.  B.  die  Orden  von  Vallom- 
brosa,  Chartreux,  der  Wilhelmiten, 
Cistercienser.  Siehe  die  besonderen 
Artikel.  Noch  geringer  wurde  die 
Bedeutung  des  Beneuiktinerordens, 
als  im  13.  Jahrh.  die  Bettelorden 
aufkamen.  Seit  dem  14.  Jahrh.  be- 
mühten sich  verschiedene  Synoden 
um  die  Reform  des  Ordens,  nament- 
lich hob  das  Konstanzer  Konzil  die 
alte  Sitte  auf,  nur  adelige  Novizen 
aufzunehmen.  Eine  bleibende  Re- 
form brachte  in  Deutschland  erst 
die  Richtung  der  Bursfelder  Kon- 
gregation oder  Union  zu  stände.  Es 
war  dies  ein  Verein  von  75  Bene- 
diktinerklöstera  in  Norddeutschland, 
der  aber  auch  in  Süddeutschland 
weitreichenden  Einfluss  besass;  seine 
Stifter  waren  Johann  von  Hagen, 
1439—1469  Abt  des  Klosters  Burs- 
felde bei  Göttingen,  und  Joh.  Bu*ch. 
Das  Basler  Konzil  bestätigte  1440 
diese  Organisation,  die  für  das  sitt- 
liche und  wissenschaftliche  Leben 
des  Ordens  sehr  segensreich  war. 
Später  erwarb  sich  die  Konqegmtion 
von  St.  Maurus,  1618  durch  Lorenz 
Bernhard,  Mönch  zu  St  Vannes,  ge- 
stiftet, unsterbliche  Verdienste  durch 
reiche  wissenschaftliche  Forschung; 
ihr  Hauptkloster  war  St.  Germain 
des  Pres  bei  Paris. 

Benediktionen,  Segnungen,  sind 
sakramentsähnliche   heilige  Hand- 


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Beowulf. 


63 


lungen,  durch  welche  die  Gnade 
Gottes  für  Personen  und  der  heil- 
same Gebrauch  für  Sachen  erfleht 
wird.  Die  Benediktion  erfolgt  vor- 
züglich durch  das  Bezeichnen  mit 
dem  Kreuze,  Anrufung  des  heiligen 
Geistes,  Auflegung  der  Hände,  Be- 
sprengung  mit  Weihwasser,  Beräu- 
cbern  und  Aussprechen  der  in  ein- 
zelnen Ritualbücbern ,  libri  benedic- 
tionales.  gesammelten  Formeln.  Sol- 
cher Bücner  giebt  es  eine  grosse 
Menge,  Ekkehard  von  St.  Gallen  hat 
z.  B.  eigene  Benedictionet  ad  memas 
geschrieben,  die  in  Band  3  der  Mit- 
teil- d.  Züricher  antiqu.  Gesellsch. 
abgedruckt  sind. 

Beowulf,  ein  angelsächsisches 
Heldengedicht  aus  dem  Ende  des 
7.  oder  dem  Anfang  des  8.  Jahrh. 

Der  Inhalt  des  Gedichtes  ist  fol- 
gender: Über  die  Dänen  herrscht 
Skylo,  aus  dem  Geschlechte  der 
S  k'e  finge.  Von  den  Meereswogen  ist 
er  als  Kind  hergeworfen  worden  an 
Dänemarks  Küsten,  als  König  sollte 
er  sterben  und  mit  Kleinodien  über- 
häuft  wird  er  nach  seinem  Tode  in 
reichgeschmücktera  Schiffe  wieder 
dem  Elemente  überlassen,  das  ihn 
hergebracht.  Dessen  vierter  Nach- 
folger ist  H  rodgar.  Er  lifsst  eine 
ger&umige  Halle  errichten,  Heorot 
genannt,  deren  Wände  täglich  von 
dem  Jubel  der  zechenden  Kitter  uud 
von  den  süssen  Tönen  der  Harfe 
widerhallen.  Doch  nur  zu  bald  soll 
da.«»  fröhliche  Leben  der  Vasallen 
des  Königs  verstummen.  Von  Neid 
gepeinigt,  dass  des  Herrschers  Man- 
nen in  solcher  Freude  leben  können, 
während  er  selbst  einsam  in  düste- 
rem Moorgrund  seine  Tage  hinbrin- 
gen miiss,  macht  sich  em  Unhold, 
Grendel  mit  Namen,  auf,  dringt  des 
Nachts,  wenn  nach  dem  Methgelage 
in  tiefem  Schlaf  die  Kämpeu  ruhen, 
ein  in  die  Halle  und  schleppt  30 
der  Schläfer  mit  sich  in  seine  Be- 
hausung. Entsetzen  fasst  am  andern 
Morgen  die  Dänen,  und  als  in  der 
folgenden  Nacht  wieder  eine  Anzahl 


ihrer  Freunde  der  Wut  des  Raub- 
tiers zum  Opfer  fallen,  da  fliehen 
sie  schreckensbleich  die  unheimliche 
Stätte.  Wohl  berät  sich  oft  der  greise 
Herrscher  gramschwer  mit  seinen 
Vertrauten,  nichts  wird  gefunden  zur 
Abwehr  des  Übels,  bis  endlich  von 
Norden  her  ein  Retter  dem  bedräng- 
ten Volk  erscheint.  Beowulf  ist  sein 
Name,  das  Geatenland,  welches  Hy- 
gclak  beherrscht,  seine  Heimat.  Ihm 
ist  zu  Ohren  gekommen  der  Nach- 
barn Not,  mit  14  Genossen  besteigt 
er  das  Meerschiff  den  Dänen  zu  hel- 
fen und  bald  landen  sie  an  der  dä- 
nischen Küste,  wo  sie  mit  edlem 
Anstand  empfangen  und  vor  den 
König  geführt  werden.  Beowulf  ent- 
hüllt dem  König,  dass  er  vertrauend 
auf  seine  Stärke  gekommen  sei,  He- 
orot von  der  Anwesenheit  des  blut- 
dürstigen Scheusals  zu  befreien.  Mit 
Freuden  nimmt  der  König  die  Dien- 
ste des  Geatenritters  an  und  die 
Halle  Heorot  wird  den  Fremdlingen 
eingerichtet.  Die  Schatten  der  Nacht 
senken  sich  über  die  Erde,  Hrodgar 
mit  seinen  Mannen  zieht  sich  in  seine 
Gemächer  zurück  und  allein  warten 
in  der  Halle  die  Geaten  mit  ihrem 
Führer  der  Dinge,  die  da  kommen 
sollen.  Kaum  hat  der  süsse  Schlaf 
der  Müden  Augen  geschlossen,  als 
vom  Sumpfe  hergeschlichen  kommt 
der  grause  Grendel;  lechzend  nach 
Menschenfleisch  packt  er  sofort  den 
:  zunächstliegenden  der  Recken,  reisst 
ihn  in  Stücke  und  verschlingt  ihn. 
Jetzt  gerät  der  Mordgesinnte  an 
Beowulf,  aber  mit  Riesenkraft  greift 
der  Geate  des  Unholds  Arm  und 
nach  langem  furchtbarem  Ringen 
renkt  er  ihm  den  Arm  samt  der 
Achsel  aus,  dass  totwund  Grendel 
fliehen  muss  und  in  seiner  Sumpf- 
wohnung durch  den  Tod  von  den 
Qualen  der  Wunde  befreit  wird. 
Jubel  erfüllt  arn  andern  Morgen  die 
Gegend.  Auf  Beowulfs  That  an- 
spielend trägt  ein  Sänger  den  glück- 
lichen Kampf  des  Wälsungen  Sig- 
mund mit  dem  Drachen  vor  und  den 


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64 


Beowulf 


innigsten  Dank  bringen  dem  jungen 
Sieger  der  grambefreite  Köni^  und 
seiue  holde  Oremahlin  dar.  Mit  rei- 
chen Geschenken  belohnt  die  Köni- 
gin den  tapfern  Beowulf  und  ver- 
traut ihm  ihre  beiden  Knaben  an. 

Wieder  sinken  die  Helden  in  fried- 
lichen Schlaf.  Wie  schrecklich  sollte 
das  Erwachen  sein!  Den  Tod  ihres 
Sohnes  zu  rächen  macht  sich  Gren- 
dels Mutter  unter  dem  Schutze  der 
Nacht  auf,  dringt  in  den  Schlafsaal 
der  Dänen  ein  und  um  das  Leben 
eines  der  Helden  ist  es  geschehen. 
Die  einzige  Zuflucht  des  von  neuem 
in  Entsetzen  geratenen  Königs  ist 
Beowulf.  Diesen  bittet  der  Greis 
die  Unthat  zu  rächen.  Der  Geaten- 
held  ist  dazu  bereit.  Der  greise 
König  selbst  besteigt  sein  Schlacht- 
ross  und  reitet  an  der  Spitze  seiner 
Mannen  in  Begleitung  Beowulfs  die 
Wohnung  der  Unholuin  zu  suchen. 
Bald  ist  sie  gefunden  auf  dem  Mee- 
resgrund, bewacht  von  Nixen,  Dra- 
chen und  ander m  blutgierigen  Ge- 
würm. Beowulf  nimmt  von  Hrodgar 
Abschied,  empfiehlt  ihm,  falls  er 
nicht  mehr  zurückkommen  sollte,  die 
Obhut  über  seiue  Leute  und  springt 
dann  wohlgepanzert  und  gut  bewaff- 
net mit  seinem  wuchtigen  Schwert 
Hrunting  in  die  brausende  Flut. 
Bald  Stent  er  im  prächtigen  Meer- 
saal vor  Grendels  Mutter.  Sogleich 
beginnt  der  furchtbare  Kampf.  Hrun- 
ting  prallt  ab  von  dem  Körper  der 
Meerwölfin.  Ein  Riesenschwert,  das 
Beowulf  im  Saale  findet,  sollte  ihm 
erst  Rettung  verschaffen,  indem  es 
dem  grausen  Weib  die  Todeswunde 
schlägt,  dann  aber  auch  vor  dem 
heissen  Blute  bis  zum  Heft  wie  Eis 
zerschmilzt  Der  Erschlagenen  Blut 
rötet  die  Brandung.  Bald  enttaucht 
der  brausenden  Brandung  des  Sie- 
gers Leib.  Jubelnd  wird  er  von 
seinen  Getreuen  empfangen  und  dem 
König  Hrodgar  zugeführt.  Als  Sie- 

Sispfand  legt  der  Tapfere  Grendels 
aupt  den  staunenden  Höflingen 
und  entsetzten  Frauen  vor  die  Füsse. 


Dann  zieht  Beowulf  wieder  nach  der 
Heimat. 

Später  besteigt  Beowulf  seihst 
den  Herrscherstuhl  der  Geaten  und 
regiert  50  Jahre  lang  zum  Wohle 
und  Segen  seines  Volkes.  Im  Kampfe 
gegen  einen  Drachen,  gegen  einen 
Schädiger  seiner  Unterthanen  sollte 
er  fallen.  Schon  drei  Jahrhunderte 
lang  hatte  das  Untier  in  finsterer 
Bergeshöhle  reiche  Schätze  bewacht, 
welche  einst  ein  einsamer,  freund- 
loser Mann  in  dem  Schooss  der 
Erde  versteckte,  der  niemanden  mehr 
hatte,  dem  er  den  Gebrauch  der 
Kostbarkeiten  gönnte.  Zufallig 
kommt  ein  Flüchtling  in  die  Be- 
hausung des  Drachen  und  entwendet 
dem  Horthüter  eines  der  Kleinode. 
Wütend  fliegt  des  Nachts  der  Drache 
aus,  den  frechen  Dieb  zu  suchen. 
Burgen  und  Hütten  äschert  der 
feunge  Atem  seines  Rachens  ein. 
Da  dringt  das  Gerücht  vom  Unglück 
seines  Landes  an  Beowulfs  Ohr,  der 
sofort  wohlgerüstet  selb  vierzehn t 
den  Bau  des  Drachen  aufsucht 
Wohl  mag  der  Greis  den  nahen  Tod 
ahnen,  denn  er  nimmt  Abschied  von 
seinen  Getreuen.  Allein,  wie  es  dem 
König  geziemt,  will  er  den  Kampf 
gegen  seinen  Widersacher  aufnen- 
men.  Mutig  schreitet  er  an  den  Ein- 
gang der  Höhle  und  fordert  den 
Drachen  zum  Zweikampf  auf.  Nicht 
lange  lässt  der  Wurm  auf  sich  war- 
ten. Eine  Flut  sengenden  Feuers 
entströmt  seinem  Rachen  dem  Ta- 
pfern entgegen,  welchen  kaum  der 
eherne  Schild  gegen  den  Gluthauch 
schützt.  Machtlos  prallt  das  wuch- 
tige Schwert  von  aem  Hornpanzer 
des  Wurmes  ab.  Was  ist  zu  thun  V 
Waffenlos  steht  der  edle  König  da, 
ferne  in  des  Waldes  schützendem 
Dickicht  sind  vor  der  grausen  Ge- 
stalt des  Drachen  die  feigen  Gefolgs- 
männer geflohen.  Wiglaf  unterstützt 
mit  seiner  jungen  Kraft  den  alten 
Fürsten,  und  nach  langem  Ringen 
sinkt  der  grimme  Feind  tot  zu  Bo- 
den.   Docn  teuer  ist  der  Sieg  er- 


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Beowulf. 


65 


kauft,  auch  Boowulf  ist  verwundet 
von  des  Wunnes  giftigem  Zahn. 
Schnell  schickt  der  Köchelnde  den 
Wiglaf  noch  in  die  Höhle,  damit 
sein  letzter  Blick  auf  die  reichen 
Schätze  falle,  die  er  mit  seinem  Le- 
ben seinen  Leuten  zurückerobert. 
Wiglaf  gehorcht,  kehrt  schwerbela- 
den zurück  und  breitet  die  Kost- 
barkeiten vor  dem  brechenden  Auge 
des  Königs  aus.  Dieser  bestimmt 
sie  dazu,  die  Not  der  Armen  zu  heben, 
und  stirbt.  Tiefes  Trauern  ergreift 
das  Herz  des  Volkes  über  den  Unter- 
gang ihres  geliebten  Königs.  Sie 
ziehen  hinaus  zu  der  Walstatt,  er- 
blicken mit  thränendem  Auge  Beo- 
wulf, mit  Entsetzen  seinen  grimmen 
Feind.  Dann  schreiten  sie  zur  Be- 
stattung der  irdischen  Überreste  des 
Edlen.  Auf  hohem  Scheiterhaufen 
wird  die  Leiche  niedergelegt  und 
gierig  verzehren  die  Flammen  den 
Körper  des  Beowulf. 

Das  Gedicht  von  Beowulf  liegt 
uns  in  einem  Pergamentcodex  vor, 
der  sich  in  der  Cottonischen  Biblio- 
thek des  British  Museum  zu  London 
befindet.  Die  Handschrift  fällt 
wahrscheinlich  in  das  10.  Jahrhun- 
dert, doch  ist  die  Entstehung  acs 
Gedichtes  in  eine  viel 
Zeit  zu  setzen.  Seine 
-ind  in  der  Mitte  des 
hunderts  zu  suchen  und  als  Ganzes 
tritt  es  uns  auf  der  Scheide  des  7. 
und  8.  entgegen.  In  seiuer  beinahe 
zweihundertjährigen  Entwickelung 
hat  es  wesentliche  Umänderungen 
erfahren.  Der  Kern  des  Epos  ist 
jedenfalls  der  Kampf  Beowulfs  mit 
(.Trendel  und  dem  Drachen,  als  blosse 
Variation  des  ersteren  ist  derjenige 
zwischen  Beowulf  und  Grendels  Mut- 
ter anzusehen.  Daran  schlössen  sich 
dann  Episoden  aus  dem  Leben  der 
auftretenden  Helden  und  ihrer  Vor- 
fahren, und  Interpolationen  eines 
christlichen  Schreibers,  die  einen 
Theologisierenden  Ton  anschlagen 
und  mit  dem  germanisch  heidnischen 
Charakter  des  Gedichtes  schlecht 

ReaJlexicon  der  deutechen  Altertümer. 


frühere 
Anfänge 
6.  Jahr- 


zusammenpassen. Es  ist  halbfertig, 
gleichsam  mitten  in  der  Entwicke- 
lung erstarrt.  Das  Gedicht  ist  nicht 
von  einem  einheitlichen  Autor  ver- 
fasst,  sondern  aus  verschiedenen  Lie- 
dern nach  und  nach  zusammen- 
gefügt. 

Die  Heimat  des  Gedichtes  ist 
England,  eine  historische  Begeben- 
heit gab  Anlass  zu  seiner  Entstehung. 
In  ten  Brinks  Geschichte  der  eng- 
lichen Litteratur  heisst  es  pag.  30: 
„In  den  Jahren  512 — 520  unternahm 
der  Geatenkönig  Hygelak  (aus  dem 
jetzigen  schwedischen  Götaland) 
einen  Raubzug  nach  dem  Nieder- 
rhein. Da  rückte  des  fränkischen 
Königs  Theuderich  Sohn  Theudebert 
ihm  mit  einem  Heere  von  Franken 
und  Friesen  entgegen.  Ein  heisser 
Kampf  fand  statt,  der  auf  beiden 
Seiten  zahlreiche  Opfer  verschlang; 
den  Franken  aber  blieb  der  Sieg. 
Hygelak  fiel,  sein  Heer  wurde  zu 
Lande  wie  zu  Wasser  aufgerieben, 
die  schon  auf  den  Schiffen  befind- 
liche Beute  von  dem  Feinde  zurück- 
gewonnen. In  diesem  Kampfe  zeich- 
nete sich  ein  Gefolgsmann  und  Ver- 
wandter Ilvgelaks  vor  Allen  aus, 
zumal  dureh  die  Kühnheit,  mit  der 
er  schliesslich  seinen  Rückzug  be- 
werkstelligte. Er  scheint  ein  Mann 
von  riesiger  Körperkraft,  ein  vor- 
züglicher Schwimmer  gewesen  zu 
sein.  Die  Kunde  von  diesem 
Kampfe,  der  Ruhm  dieses  Degens 
erscholl  weit  und  breit  zu  beiden 
Ufern  des  Meeres,  das  die  kimbrische 
Halbinsel  von  dem  schwedischen 
Festlande  trennt,  bei  Geatcn,  Insel- 
dänen und  Angeln.  Die  Thaten  des 
Neffen  Hygelaks,  des  Sohnes  Ekg- 
theows,  wurden  in  Liedern  gefeiert; 
er  trat  in  das  Erbe  göttlicher  Heroen 
ein.  Beowulf,  der  Sohn  des  Ekg- 
theow,  trat  an  die  Stelle  Beowas,  des 
Siegers  über  Grendel." 

Dieser  Beowa,  oder  also  später 
Beowulf,  ist  nach  SlülhiihoJjFiJlaupfit 
Zeitschrift  VII,  419—441)  identisch 
mit  Freyr,  dem  milden  Gott  des 

5 


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66 


Herchta. 


Friedens  und  di  r  Fruchtbarkeit,  der 
Regen  und  Sonnensehein  und  Ge- 
deihen der  Früchte  giebt,  den  Schif- 
fern aber  und  Fischern  das  Meer 
im  Frühling  öffnet  und  es  von  Stür- 
men befreit;  der  es  stillt  und  ihnen 
einen  guten  Fang  und  reichlichen 
Gewinn  verschafft,  aber  auch  lie- 
gende Gründe  und  fahrende  Habe 
denen  verleiht,  die  zu  ihm  beten. 
Dieselbe  Wirksamkeit  steckt  nun 
auch  in  den  Thaten  des  Helden  un- 
seres Gedichtes.  Seine  erste  That 
ist,  dass  er  wettsehwimmt  mit  Breka 
und  zwar  wahrscheinlich  dem  von 
Norden  herabkommenden  eisigen 
J'olarstrome  entgegen,  um  mit  den 
Waffen  die  Raunheit  und  Wildheit 
des  winterlichen  Meeres  bis  an  seine 
äussersten  Grenzen  zu  brechen  und 
es  fahrbar  zu  machen.  Auch  der 
Kampf  Beowulfs  mit  Grendel  lässt 
sich  als  ein  Ringen  mit  den  ver- 
wüstenden Wogen  des  Ozeans  auf- 
fassen. Grendels  Wohnung  ist  eine 
von  düsterem  WTalde  umgebene 
Meeresbucht  voll  trüben,  sumnfigen 
Gewässers.  Aus  dieser  heraus  Wicht 
er  mit  wilder  Wut  und  verschlingt 
die  sorglos  schlafenden  Menschen, 
bis  auch  jetzt  wieder  ein  Gott  und 
zwar  Beowulf  an  Stelle  des  alten 
Freyr,  als  Beschützer  des  Acker- 
baues den  grausen  Zerstörer  mensch- 
lichen Wohlstandes  und  Glückes 
zurücktreibt  und  ihn  in  feste  Gren- 
zen bannt.  Eine  blosse  Wieder- 
holung des  Kampfes  mit  Grendel 
ist  der  mit  dessen  Mutter,  die  auch 
eine  Personifikation  des  Meeres  ist. 
Iiis  in  Einzelheiten  stimmt  der 
Kampf  Beowulfs  gegen  diese  beiden 
Unholde  überein  mit  Freyrs  Hingen 
mit  dem  Riesen  Beli,  den  er  auch,  ohne 
sein  gutes  Seh  wert  zu  gebrauchen, 
erlegt.  Dass  Beowulf  endlich,  schon 
im  Herbste  seines  Lebens,  noch  mit 
dem  schätzebergenden  Drachen  einen 
Zweikampf  eingeht,  ist  ebenfalls  be- 
gründet durch  die  Identität  mit 
Freyr.  Der  Drache  ist  einesteils 
wieder  wie  Grendel  und  dessen  Mut- 


ter das  Symbol  des  sein  Bett  über- 
steigenden, alles  mit  sich  fortreissen- 
den  Wasserschwalles,  danu  aber 
auch  eine  konkrete  Darstellung  des 
Winters,  der  im  Herbst  eben  allet- 
Leben  in  der  Natur  erstickt  und 
wie  der  Drache  auf  seinen  Kleinodien 
mit  seinem  Schneemantel,  seiner  Eis- 
decke auf  den  Schätzen,  welche  die 
Natur  zur  Sommerszeit  dem  Men- 
schen baut,  sitzt  und  ihre  Wobl- 
thaten  niemandem  zu  gute  kommen 
lässt.  Gegen  diesen  zieht  noehmai> 
der  greise  Gott,  er  besiegt  zwar  den 
Feind,  muss  aber  doch  im  Herbste 
seines  Lebens  tot  dahinsinken  vor 
dem  giftschwangeren  Blute  des  Dra- 
chen, wie  auch  die  Herrlichkeit  de? 
Sommers  schwindet,  wenn  mit  sei- 
nem Sturingebraus  der  kalt'  Winter 
die  Schneeflocken  und  Eisköraer  über 
die  Lande  peitscht.  Ausgaben  in 
angelsächsischer  Sprache  von  Grein 
und  Heyne.  Deutsche  Übersetzun- 
gen von  Ettmiiller,  Simvock,  C*-rei*. 
r.  Wulzoaen  und  Heyne. 

Heren ta,  ein  Name  und  eine 
Gestalt  der  germanischeu  Götter- 
mutter Freia,  die  aueh  Frau  Göde. 
Frau  Hera  oder  Harke,  Holda  heUst. 
Als  Herchta,  d.  i.  die  Glänzende, 
ahd.  Verahta,  von  perakt  glänzend, 
erscheint  sie  in  Oesterreich,  Baieru, 
Schwaben,  im  Elsass,  in  der  Schweiz, 
Thüringen,  Franken  und  Tirol.  Ihre 
Gestalt  ging  von  der  Wolkenfrau 
aus,  ineist  glaubte  man,  sie  trage 
Kuhgestalt,  daher  sie  in  Baien i  noch 
immer  in  eine  Kuhhaut  gekleidet 
erscheint.  Sie  zieht  an  der  Spitze 
des  wilden  Meeres,  erscheint  um 
Weihnachten  als  eine  Frau  mit  zot- 
tigen Haaren,  um  die  Spinnerinnen 
zu  beaufsichtigen,  namentlich  am 
letzten  Tage  des  Jahres,  wo  ihr  zu 
Ehren  Fische  und  Klösse  gegessen 
werden  und  alles  abgesponnen  sein 
muss.  Findet  sie  die  Arbeit  der 
Spinnerinnen  nicht  in  gehöriger  Ord 
uung,  so  besudelt  sie  den  Kocken. 
Den  Hauptbestandteil  im  Heere  der 
Berchta  bilden  die  Seelen  der  Un- 


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Bergreihen.  —  Bettelorden. 


67 


geborneu,  d.  i.  der  ungetauft  ver- 
storbenen Kinder.    Mit  diesen,  in 
Thüringen  Heimchen  genannt,  sorgt 
sie  für  die  Fruchtbarkeit  der  Acker, 
zieht    mit    ihnen    von    Land  zu 
Land  und   setzt   mit  ihnen  über 
Strome.  Am  heiligen  Dreikönigstag 
laast  man  ihr  und  ihren  Kindern 
etwas  von  der  Nachtmahlzeit  auf 
dein  Tische  stehen.    Ihr  Tag  ist 
hald  der  30.  Dezember,  bald  der 
2.  oder  6.  Januar.   Er  verlangt  eine 
stehende  Festspeise.     Berchta  ist 
auch  die  Todes-joftin    Seit  alter  Zeit 
waren  irdische  Nachbildungen  ihrer 
Cmzüge  in  (Gebrauch,  wobei  sie  ent- 
weder als  eine  grosse  Frau  mit  lan- 
gen Haare  von  Flachs  und  weit 
h  ^rabwallendem  weissem  Kleide  vor- 
stellt wurde,  oder  als  eine  furcht- 
bare Göttin,  als  wilde  Berchtel,  mit 
wild  zerzausteu    Haaren.     In  der 
fränkischen  Sage   ist   Berchta  als 
Ahnmutter  der  Menschheit  oder  des 
königlichen  Geschlechtes  aufgefasst 
gewesen.     Das    goldene  Zeitalter 
Ijeisst  seit  Alters  bei  den  Franzosen 
and  Italienern:   als  Bertha  spann. 
Dieser  Mythus  hat  sich  später  au 
Karls  des  Grossen  Mutter  Bertrada 
uiii  an  die  nenburgundische  Königin 
Bertha  geheftet.     Auch  die  weisse 
Frau  oder  die  weisse  Dame,  die  als 
Ahnmutter    fürstlicher   Häuser  in 
ihren  Schlössern  Glück  oder  Unglück 
vorherkündigend   umgeht,  ist  eine 
Erscheinungsform     üieser  Göttin. 
Manahardt,  Götter  d.  Deutschen  und 
noid.  V.,  S.  288  ff. 

Bergreihen,  Bergliedlein,  bere- 
risrhe  Lieder,  heissen  im  16.  Jahrb. 
Volkslieder  überhaupt,  insofern  sie 
in  Sammlungen  vereinigt  vorkom- 
men, die  man  in  Bergstädten  zu 
Nutz  und  Frommen  der  Bergleute 
zusammengestellt  hatte.  Ein  solches 
Volkaliederbuch  hat  Oskar  Schade, 
Weimar  1854,  herausgegeben:  Berg- 
>'dhm.  Eine  Liedersammlung  des 
16.  Jahrhunderts. 

Bernhardiner,  der  spätere  Name 
•i  r  Oukreiemser ;  siehe  diesen  Art. 


Bernhardiner  von  der  Obser- 
vanz sind  eine  Abteilung  des  Fran- 
ziskaner-Ordens, gestiftet  von  Bern- 
hardin  von  Siena,  1380  bis  1440. 

Bernstein,  ein  Handelsartikel 
schon  der  Germanen;  er  war  Ver- 
anlassung, dass  im  4.  Jahrh.  v.  Chr. 
Pytheas  aus  Massilia  bei  der  TJm- 
schiffung  Europas  auch  die  Ostsee 
und  ihre  Anwohner  aufsuchte.  Als 
ältester  Name  des  Bernsteins  nennt 
Tac.  Germ.  45.  cjlesum,  zu  Glas  ge- 
hörig, d.  i.  das  Glänzende.  Die 
Skythen  nannten  ihn  nach  Plinius. 
h.  n.  37,  11,  1.  saerivm,  von  ahd. 
saccari,  Feuer,  also  dieselbe  Bedeu- 
tung wie  Bernstein  =  Brennstein. 
Mhd.  heisst  der  Bernstein  auch  agt- 
stein,  arjstein,  aidsfein,  auch  griech. 
ackertet.  Die  Germanen  benutzten 
den  Bernstein  zu  Hals-  und  Brust- 
gehängen,  auch  zu  Nachbildungen 
von  Waffen  und  Geräten,  wie  man 
sie  in  Gräbern  gefunden  hat.  Durch 
den  Handel  kam  er  zu  den  Griechen. 
Syrern,  Ägyptern,  Hebräern,  na- 
mentlich aber  wurde  er  durch  ganz 
Italien  massenhaft  verwendet,  als 
Amulett,  als  Sehmuck  für  Vornehme 
und  Geringe  und  als  Arzneimittel. 
Der  Bernstein  war  der  wichtigste 
Handelsartikel  des  germanischen 
Zeitalters,  und  es  hatten  sich  für 
den  Betrieb  desselben  drei  eigene 
Handelsstrassen  gebildet:  die  eine 
lief  südüeh  und  überschritt  bei  Car- 
nuntum  unterhalb  Wien  die  Donau, 
um  von  da  das  Adriatische  Meer 
zu  gewinnen;  die  zweite  Strasse 
ging  über  Schleswig  zu  Land  oder 
zu  Schiff  und  von  da  quer  durch 
das  germanische  oder  gallische  Fest- 
land nach  Massilia;  eine  dritte 
ging  an  die  Mündung  des  Dniepr. 
Wackerna  ff  el,  kleine  Schriften,  1, 72  ff. 

Bettelorden  ist  ein  Kollektiv- 
name für  diejenigen  Mönchsorden, 
deren  Regel  den  Besitz  des  Eigen- 
tums durchaus  verbietet.  Man  zählte 
,r»  Bettelorden:  Dominikaner,  Fran- 
ziskaner, Karmeliter,  Augustiner- 
eremiten und  Serviten. 

5* 


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H8 


Bettelwesen.  —  Bibelübersetzungen. 


Bettelwesen.  Dass  das  Betteln 
eine  in  Deutschland  sehr  verbreitete 
Saehe  sei,  geht  schon  aus  den  zahl- 
reichen Namen  für  diesen  Begriff 
hervor;  neben  Betteln  aus  Bitten 
kommen  vor  (nach  Grimm,  Wörter- 
buch L  1729)  bayr.  ferkeln,  nnL  trog- 
gelen,  in  Pommern  una  Mecklenburg 
gungeln.  anderwärts  prachen,  pra- 
chern,  heischen,  heuscheu,  fordern, 
quenken,  nönen,  gilen,  terminieren. 
Ein  anderes  Zeugnis  für  iene  That- 
sachc  liegt  in  der  Errichtung  der 
Bettelorden,  und  auch  mit  den  Lands- 
knechten war  das  Betteln  enge  ver- 
bunden, sie  nannten  68  (/arten,  und 
nicht  minder  mit  der  Sitte  des  Wall- 
fahrens, mit  der  Krankheit  des  Aus- 
satzes und  dem  Institut  der  fahren- 
den Schüler.  Das  Mittelalter,  das 
für  die  Armen  nur  notdürftige  Sorge 
trug,  Hess  betteln,  wer  wollte  und 
konnte.  Blinde,  Lahme,  Stelzfüsse, 
Krüppel  u.  dgl.  waren  auf  den  Bettel 
angewiesen  In  der  höfischen  Zeit 
waren  sie  eine  stehende  Plage  der 
Burgherren.  Um  sich  in  den  Städten 
einigermassen  vor  dem  oft  schreck- 
lich überhandnehmenden  Bettel  zu 
schützen,  wurden  sie  etwa  in  eine 
besondere  Gasse  (in  Frankfurt  a.  M. 
Gilergasse)  getrieben  oder  ganz  ver- 
jagt «»der  man  erlaubte  den  Bettel 
bloss  für  einige  Tage  und  nur  an 
bestimmten  Orten.  Schon  vor  der 
Reformation  kamen  städtische  Bet- 
telordnungen auf,  denen  zufolge  die- 
jenigen, denen  das  Betteln  erlaubt 
war,  ein  besonderes  Abzeichen  er- 
hielten, z.  B.  ein  Körbchen.  Die 
Reformationsmandate  wirkten  auch 
in  dieser  Beziehung  günstig.  Vgl. 
Braut*  Narrenschiff,  Kap.  63,  und 
dazu  die  Anmerkungen  Zarnckcs, 
S.  400  ff. 

Beilüde,  mhd.  die  biunte,  binnde, 
hiunt,  8piiter  beunte,  beunde,  beune, 
bainf,  fahite,  heisst  das  zur  Hofstatt 
(siehe  den  Art.  Ackerbau)  gehörige 
Grundstück,  das,  ohne  ein  Garten 
zu  sein,  dem  Gemeindeviehtrieb  ver- 
schlossen werden  kann,  oder  worauf 


das  Recht  liegt,  es  eingefriedigt  und 
nichteingefriedigt,  ohne  die  ausser- 
halb zu  befolgende  Zelgenabwechs- 
lung,  zu  jeder  oeliebigen  Art  Acker- 
früchten oder,  was  sehr  oft  geschieht, 
bloss  zu  Gras  zu  benutzen.  Hier 
und  da  heisseu  auch  die  im  Brach- 
feld zum  Anbau  von  Flachs, ..Erd- 
äpfeln, Rüben  eingezäunten  Acker 
Peunten.  In  Nürnberg  heisst  der 
Stadtbauhof  noch  heute  die  Beund. 
Seh  melier,  bair.  W. 

Bibelübersetzungen.  Au  der 
Spitze  derdeutschen  Bibelübersetzun- 
gen steht  die  gotische  des  Bischofs 
( IfilaSy  gest.  888:  zur  osteuropäischen 
Kirche  gehörend,  die  ihren  Völkern 
den  tiebrauch  der  eigenen  Sprache 
immer  zuliess,  konnte  der  gotisch'' 
Bischof  sein  Missionsgeschäft  mit 
einer  Bibelübersetzung  krönen;  nach 
einer  alten  Nachricht  soll  er  die 
ganze  Bibel  übersetzt  haben,  die 
Bücher  der  Könige  ausgenommen, 
die  er  ihres  kriegerischen  Geistes 
wegen  für  die  Goten  gefährlich  er- 
achtete. Erhalten  sind  aus  dem  alten 
Testament  wenige  Bruchstücke  aus 
Esra  und  Nehemia,  aus  dem  neuen 
Testament  grössere  Teile  der  Evan- 
gelien, der  Briefe  an  die  Römer, 
Korinther,  Galater,  Epheser,  Philip- 
per, Kolosser,  Thessalonicher,  Timo- 
theus, Titus  und  Philemon.  Die  Über- 
setzung legt  einen  griechischen  Text 
zu  Grunde  mit  Spuren  des  lateini- 
sehen.  Neueste  Ausgabe  von  Bern- 
hardt, Halle  1875.  Eine  altd.  Über- 
setzung der  Bibel  oder  auch  nur  des 
neuen  Testaments  giebt  es  nicht: 
dagegen  hat  man  seit  dem  8.  Jahrh., 
abgesehen  von  poetischen  Bcartxi- 
tungen  biblischer  Bücher,  wie  He- 
Hand  und  Otfrieds  Evangelienbuch, 
Bruchstücke  einer  Übersetzimg  des 
Evangeliums  Matthäi  und  eine  vor- 
treffliche Übersetzung  von  Tatiaus 
( Ammoniim)  Evangelienharmonie,  die 
au  der  Fuldaer  Klosterschule  ent- 
standen ist.  Die  Psalmen  des  St. 
Gallischen  Mönches  Sotker  labm 
um  1000  und  sein  verlorener  Hiob 


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Bibelübersetzungen. 


69 


airnl  wie  das  Hohe  Lied  des  Fuldaer 
Mönches  Williram  nicht  bloss  Über- 
setzung, sondern  Kommentar  zu- 
gleich. Die  höfische  Zeit  hat,  abge- 
sehen von  gereimten  Bearbeitungen, 
fast  nichts  auf  diesem  Gebiete  ge- 
leistet, erst  das  14.  Jahrh.  kennt 
wieder  eigentliche  Bibelübersetzun- 
gen, doch  noch  lange  ohne  eingrei- 
fende Wirkung.  Als  erster  Bibel- 
übersetzer  wird  1343  ein  Matthias 
von  Beheim,  Mönch  zu  Halle,  ge- 
nannt Der  Buchdruck  förderte 
solche  Werke,  und  bis  zum  Jahre 
1518  kennt  man  14  in  hochdeutscher 
Sprache  erschienene  Bibelübersetzun- 
gen, sämtlich  in  Folio,  die  vier  ersten 
ohne  Ort  und  Jahr,  nämlich  1 )  Mainz, 
J.  Fast  und  P.  Schöffer,  1462  (?), 
Strassburg,  H.  Eggeste yn  um  1466  (V). 
2  Strassburg,  J.  Mentel  um  1466. 
3)  Augsburg,  Jod.  Pflanzmann  um 
1475.  4i  Nürnberg,  Frisner  u.  Sen- 
senschmid  um  1470.  5)  Augsburg, 
o.  J.  am  1470,  Günther  Zainer. 
6»  Angab.  1477,  Günther  Zainer  (Vi. 
7)  Augsburg,  Anton  Sorg  1477. 
81  Augsburg,  Anton  Sorg  1480. 
9i  Nürnberg,  Ant.  Koburger  1483. 
10)  Strassburg  1485.  11)  Augsb. 
Hans  Schönsperger  1487.  12)  Augsb. 
H.  Schönsperger  1490.  13)  Augsb. 
Hans  Otmar  1507.  14}  Augsb.  H. 
Otmar  1518.  Siehe  Joh.  Kehrein, 
Zur  Geschichte  der  deutschen  Bibel- 
übersetzung vor  Luther,  Stuttg.  1851. 
Allen  diesen  Übersetzungen  lag  die 
Vnlgata  zu  Grunde;  die  Üebertra- 
tr  ing  ist  überall  ein  und  dieselbe 
und  hat  in  ihren  verschiedenen  Tei- 
len sehr  verschiedenen  Wert.  Erst 
Luther  baute  auf  den  hebräischen 
und  grierhischen  Urtext.  Er  beginnt 
IM 7  mit  den  sieben  Busspsalmen, 
denen  andere  kleine  Stücke,  Vater 
nnser,  10  Gebote  und  dgl.  folgen. 
Erst  1521  fasste  Luther  den  Plan, 
die  ganze  Bibel  zu  verdolmetschen; 
1522  erschien  zu  Wittenberg  das 
beue  Testament  in  Fol.  mit  Holz- 
schnitten, ohne  Angabe  des  Druckers 
(Melch.  Lotther),  der  Jahrzahl  und 


des  Übersetzers,  im  gleichen  Jahre 
eine  zweite  Auflage  mit  Drucker  und 
Jahrzahl,  1523  erschien  der  erste  Teil 
des  alten  Testaments,  5  Bücher  Mose, 
1532  mit  den  Propheten  der  Schluss; 
die  jranze  Bibel  1534  bei  Hans  Lufft 
in  Wittenberg  in  6  Teilen.  Für  die 
zahlreich  folgenden  Ausgaben  ver- 
besserte Luther  stets  wieder;  be- 
sonders mit  Unterstützung  seiner 
Freunde  Melanchthon,  Bugenhagen, 
Jonas,  Cruziger,  Aurogallus  und 
Rörer  kam  die  zweite  Hauptausgabe 
1541  zu  Stande.  Die  letzte  Ausgabe 
Luthers,  welche  die  Grundlage  der 
spätem  Luthersehen  Bibelüber- 
setzungen ist,  stammt  aus  1544  und 
1545.  Originalausgaben  des  neuen 
Testaments,  alle  zu  Wittenberg,  bis 
um  1527  bei  Melch.  Lotther,  dann 
bei  Hans  Lufft,  gest.  1584,  gedruckt, 
erschienen  von  1522  —  1523  16,  Nach- 
drücke 54,  zu  Augsburg  14,  Strass- 
burg 13,  Basel  12,  ähnlich  die  übri- 
gen Teile  und  später  die  ganze  Bibel. 
Die  Verzögerung  der  Lutherschen 
Bibel  veranlasste  auch  kombinierte 
Bibeln,  darunter  die  Wormser  1529 
mit  den  Propheten  von  Ludwig  Hetzer 
und  Hans  Denck,  und  die  Züricher 
bei  Christoffel  Froschauer,  mit  luthe- 
rischem Text,  soweit  er  vorlag,  und 
fremdem  für  die  noch  fehlenden 
Stücke.  Siehe  Mczyer,  Geschichte 
der  deutschen  Bibelübersetzungen 
in  der  schweizerisch  •  reformierten 
Kirche,  Basel  1876.  Die  Grund- 
sätze, nach  denen  Luther  verdol- 
metschte —  übersetzen  ist  erst  spä- 
ter aufgekommen  —  findet  man  in 
seinem  Sendschreiben  über  das  Dol- 
metschen 1530  und  in  der  Schrift 
Von  Ursachen  des  Dolmetschen '1531. 
Parallel  mit  der  Lutherschen  Über- 
setzung geht  bloss  die  Zürcherische 
von  Leo  Jud,  als  ganze  Bibel  zuerst 
1530  bei  Christoffel  Froschauer.  Die 
ersten  katholischen  Übersetzungen 
sind  das  neue  Testament  von  Hier. 
Emser,  Dresden  1527,  die  Bibel  von 
Dr.  Eck,  Ingolstadt  1537,  und  die- 
jenige des  Dominikaners  «/.  Bieten- 


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70 


Biblia  pauperum.  Bibliotheken. 


berget;  Mainz  1534;  überarbeitet  er- 
scheint sie  später  unter  dem  Namen 
katholische  Bibel.  Von  spätem 
deutschen  Bibelübersetzungen  sind 
besonders  erwähnenswert :  Die  Berle- 
burger Bibel,  1726 — 89  in  Berleburg, 
westfälischer  Bezirk  Arnsberg,  von 
J.  F.  Haug  und  a.,  erschienen,  in 
der  Absiclit,  den  mystisch-schwär- 
merischen Bestrebungen  der  Zeit 
biblischen  Grund  und  damit  An- 
sehen zu  verschaffen,  ohne  zweite 
Auflage,  und  die  Wertheimer  Bibel, 
Wertheim  1735,  von  Joh.  Lorenz 
Schmidt,  wovon  nur  die  fünf  Bücher 
Mosis  gedruckt  worden  sind,  im 
Dienste  der  nacktesten  Freidenkerei 
abgefasst ;  siehe  Ifettner,  Lit.  Gesch. 
III.  Erstes  Buch,  Abschnitt  2.  Über 
deutsche  Bibelübersetzungen  über- 
haupt Fritzsche,  in  Herzogs  Real- 
encvkl. 

iJiblia  pauperum,  heisst  ein  seit 
dem  13.  Jahrb.  in  Handzeichnungen, 
Holzschnitten  und  bald  nach  der 
Erfindung  der  Buchdmckerkunst 
durch  bewegliche  Lettern  hergestell- 
tes und  weitverbreitetes  Werk  zur 
Unterweisuug  des  Volkes  in  den 
christlichen  Heilswahrheiten,  wobei 
unter  den  pauperes  die  Armen  und 
Unwissenden  und  nicht  arme  Mönche, 
Bettelmönche  zu  verstehen  sind. 
Übrigens  findet  sich  dieser  jetzt  all- 
gemein angenommene  Titel  blos  auf 
einem  handschriftlichen  Exemplar 
zu  Wolfenbüttel,  alle  andern  hand- 
schriftlichen und  gedruckten  Aus- 
gaben entbehren  jeder  derartigen 
Bezeichnung.  Vielmehr  deuten  die 
ältern  sorgfaltig  gezeichneten  l'erga- 
menthandschriften  darauf  hin,  dass 
das  Buch  eher  als  Mal  er- Buch  zu 
betrachten  sei,  zu  einer  Zeit  veran- 
staltet, als  mit  dem  Übergang  des 
Romanischen  ins  Gotische  auch  die 
Kunstübung  aus  den  Händen  der 
Geistlichen,  die  sie  bis  dahin  aus- 
schliesslich gepflegt  hatten,  in  die 
der  Laien  überging.  Das  Werk  be- 
steht nämlich  aus  einer  Reihe  (34 
bis  50 1  von  typischen  Bildern  aus 


der  heiligen  Schrift,  so  zwar,  dass 
stets  eine  neutestamentliche  Dar- 
stellung von  zwei  vorbildlichen  Dar- 
stellungen aus  dem  alten  Testament 
und  von  vier  Brustbildern  von  Pa- 
triarchen und  Propheten  begleitet 
ist.    Die  Bedeutung  der  Bilder  ist 
überall  durch  gereimte  Hexameter 
hervorgehoben ,    welche  manchmal 
durch  kurze  Erklärungen  iu  deut- 
scher Sprache  unterstützt  werden. 
In  ihrer  Gruppirung  scheinen  sie 
bestimmt,  in  Stein  und  namentlich 
in  Glasmalerei  übertragen  zu  wer- 
den.   Überaus  zahlreich  sind  die  der 
Biblia  pauperum  entlehnten  Werke 
der  bildenden  Kunst.    Die  beige- 
gebene  Fig.  27  stellt  aus  der  Kon- 
Stanzer  Handschrift  (herausg.  von 
Laib  u.  Schwarz,  Zürich  1867)  die 
Auferstehung   Christi   dar:  Qua» 
saxus   texit  inge/is  tumulum  Jesu* 
cj-it.  Dazu  Sim'son,  wie  er  die  Thorf 
von  Gaza  davonträgt,  und  Jona,  wie 
er  vom  Fisch  wieder  ausgeworfen 
wird.  „Sarnpson  bedutet  Christum, 
der  do  irstund  zu  mitternacht  um! 
die   tor  des  grabes  abe  warf  um! 
vry  doruz  gine."    „Jonas  bedutet 
Christum,  der  ubir  dry  tage  un«l 
dri  nacht  erstunt  uz  dem  grabe.'* 
Bibliotheken  kennt  das  Mittel 
alter  in  erster  Linie  in  allen  alten* 
Klöstern ,  ihr  Zustand  teilt  natür- 
lich den  Wechsel  der  allgemeinen 
Teilnahme    für   die  Studien.  Im 
9.  Jahrh.,  der  Blütezeit  karolinpi 
scher  Bildung,  sind  deshalb  Kloster- 
bibliotheken   besonders  gegründet 
worden;  Kataloge  sind  z.  B.  erhalten 
von  Reichenau,  dessen  Bibliothekar 
Reginbert  für  die  Bücher  sorgte  wie 
ein  Vater  für  seine  Kinder;  aus  der- 
selben Zeit  ist  ein  St.  Galler  Katalog 
auf  uns  gekommen.    Die  Bücher 
wurden  durch  Abschriften,  Kauf 
und  Geschenke  vermehrt,  auch  gab 
es  eigentliche  Stiftungen  von  regel- 
mässigen   Einkünften    für  diesen 
Zweck.     Die  Kirchenbibliotheken 
standen  zwar  der  öffentlichen  Be- 
nutzung offen,  doch  lieh  man  die 


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72 


Bier. 


I 


Bücher  mir  ungern  aus.  Die  Brüder 
des  gemeinsamen  Lebens  machten 
ihre  Bücher  vorzüglich  den  Schülern 
zugänglich.  Privatbibliotheken  kennt 
das  Mittelalter  zunächst  im  Besitze 
von  Königen  und  Fürsten:  Karl 
d.  Gr.  hatte  eine  ansehnliche  Samm- 
lung; sie  sollte  seinem  Testamente 
gemäss  nach  seinem  Tode  verkauft 
und  der  Erlös  dafür  den  Annen  ge- 
Bchenkt  werden.  Karl  der  Kahle, 
ein  grosser  Bücherfreund,  verteilte 
seine  Bibliothek  zwischen  St.  Denis, 
Coropiegnc  und  seinem  Sohn.  Auch 
die  Herzogin  Hedwig  von  Schwa- 
ben besass  Bücher.  In  der  Folge- 
zeit wird  erst  wieder  von  Fried- 
rich II.  berichtet,  dass  er  im  Besitz 
einer  eigentlichen  Büchersammlung 
gewesen  sei.  Neuer  Eifer  im  Bücher- 
sammeln  entwickelte  sich  bei  den 
Humanisten  Italiens  im  14.  und 
15.  Jahrh.;  schon  Petrarca,  wie  spä- 
ter Seb.  Braut  im  Narrenschiff  1., 
eifert  gegen  die  neue  Modethorheit 
des  unnützen  Anhäufens  von  Bü- 
chern. In  Deutschland  besass  schon 
Hugo  von  TrimJterg ,  der  Verfasser 
des  didaktischen  Gedichtes  der  Ren- 
ner, um  1300  Schulmeister  bei  Bam- 
berg, 200  Bücher.  Sonst  thaten  sich 
die  Fürsten  damals  in  dieser  Be- 
ziehung wenig  hervor.  Erst  im 
15.  Janrh.  trinr  man  auf  Bücher- 
sammlungen  in  den  Burgen  reicher 
Familien.  Von  öffentlichen  Biblio- 
theken des  Altertums  hat  blos  die 
von  Konstantinopel  im  Mittelalter 
fortbestanden.  Im  Abendland  trifft 
man  erst  im  13.  Jahrh.  auf  das  Ver- 
fahren, Büchersammlungen  zwar  wie 
früher  einer  geistlichen  Körperschaft 
zu  übergeben,  aber,  was  neu  war, 
mit  der  ausdrücklichen  Bestimmung 
zu  freier  Benutzung.  Das  geschah 
zuerst  durch  den  Dompropst  von 
l'ercelliy  Jakob  Caniariu*,  der  in 
seinem  Testament  von  1234  seiue 
Sammlung  in  der  genannten  Weise 
den  Dominikanern  von  St.  Paul  ver- 
machte. Petrarca  vermachte  seine 
Bücher  1362  der  Markuskirche  von 


Venedig  als  öffentliche  Sammlung, 
gänzlich  vernachlässigt  fand  man 
erst  1635  einen  Teil  davon  wieder 
auf.  Die  berühmte  Markusbibliothek 
entstand  unabhängig  davon  146?* 
durch  den  Kardinal  Bessanon.  Bor 
caeeio  vermachte  seine  Bibliothek 
den  Augustiner  Eremiten  zu  S.  Spi- 
rito  in  Florenz;  die  grosse  öffent- 
liche Bibliothek  zu  Florenz  wurde 
zu  San  Marco  im  Jahre  1414  ge- 
gründet. In  Deutschland  schlieas»*n 
sich  die  öffentlichen  Bibliotheken  an 
die  Universitäten;  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrh.  werden  dann 
allgemein  in  den  Städten  Samm- 
lungen angelegt,  1413  in  Braun- 
schweig und  Danzig.  1469  in  Ham 
bürg. 

Der  gewöhnliche  Name  für  eine 
Büchersammlung  war  armarium,  al- 
mariuni,  nochjetzt die  Almer,  deutsch 
liherei,  buoch  (fadem ,  buoeh  kamer. 
büecherei.  Kostbare  Bücher  wurden 
oft  an  eine  Eisenstange  angekettet, 
um  unbekannten  Personen  die  Be- 
nutzung der  Bücher  ohne  Aufsicht 
gestatten  zu  können.  Wattentoch. 
Schriftwesen,  VII. 

Bier,  ahd.  das  pier,  peor,  mhd. 
bier,  nach  H'ackernagel  aus  der  ro- 
manischen Form  des  alt-  und  mittel- 
lat.  das  biher,  die  biberi*  =  das  Trin- 
!  ken ,  Getränke ,  ital.  bere,  lterere. 
d.  i.  lat.  bihere,  trinken.  Der  ältere 
deutsche  Name  ist  wahrscheinlich 
alu%  in  Ale  erhalten.  Met  und  Bier 
idas  letztere  schon  Tac.  Genn.  23 
erwähnt,  und,  wie  es  scheint,  von 
den  Kelten  zu  den  Germanen  ge- 
kommen) blieben  bei  den  Völkern 
des  äussersten  Nordens  bis  tief  in 
das  Mittelalter  hinab  fast  die  einzig 
üblichen  Getränke,  während  die 
Deutschen  schon  durch  den  Verkehr 
mit  den  Römern  die  Bekanntschaft 
des  Weines  machten.  Germ.  23. 
Mehr  und  mehr  wurde  der  Wein 
das  edle  Getränk,  hinter  dem  der 
Met  und  noch  mehr  das  Bier  als 
niedrigstes  Getränk  zurücktraten. 
In  Norddeutschland  blieb  aber  das 


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Bifang.  —  Bilder. 


73 


Bier  in  allgemeinem  Gebrauche,  so- 
gar der  Münchener  Bock  stammt 
aas  Einbeck  bei  Göttingen.  Eine 
Bierpoesie  hat  es  im  Mittelalter 
nicht  gegeben.  Nach  Hartmann  von 
Aue  stärkt  ein  Becher  Wein  mehr 
ab  44  Becher  Bier. 

Die  Bereitung  des  Bieres  war 
Jahrhunderte  lang  Kein  selbständiges 
Gewerbe,  jede  Haushaltung  bereitete 
"ich  ihr  Bier  selbst,  grössere  Haus- 
wesen, wie  Klöster,  natürlich  in 
grösseren  Quantitäten.  Bischof  Salo- 
mon  von  Konstanz  prahlte,  er  habe 
in  St.  Gallen  eine  Darre,  auf  wel- 
cher man  auf  einmal  100  Malter 
Malz  dörren  könne.  Im  13.  Jahrh. 
kamen  in  den  Städten  Bierschenken 
auf,  1288  wird  der  erste  Frankfurter 
Bierbrauer  erwähnt,  1357  verzapfte 
man  in  Frankfurt  schon  fremdes  Bier. 
IHe  Verwendung  des  Hopfens  lässt 
sich  seit  dem  9.  Jahrh.  nachweisen. 
Wacker  Mgel,  KI.  Sehr.  1,86.  Kriegk, 
Deutsches  Bürgert.  I,  Abschn.  16. 

Bifansr  und  Blfangreeht.  In 
alter  Zeit  hatte  jeder  Markgenosse 
das  Recht,  innerhalb  der  gemeinen 
Mark  unbebauten  Boden  in  Besitz 
zu  nehmen  und  zu  kultivieren;  die 
Besitznahme  geschah  in  feierlicher 
Weise  vermittelst  eines  Umganges 
mit  Zeugen  um  das  betreffende  Land- 
«tuck,  durch  thatsäehliches,  ununter- 
brochenes Bewohnen  desselben  wäh- 
rend dreier  Tage  und  dreier  Nächte 
Hinter  einander  und  durch  Einzäu- 
nung oder  Abgrenzung  desselben. 
Diese  geschah  meist  durch  Einhauen 
von  Einschnitten,  der  sogenannten 
Lachen,  in  auffalle  nde,  auf  der  Grenze 
*3es  neuen  Eigentums  gewachsene 
Bäume.  Auf  diese  Art  in  Besitz 
genommenes  Ackerland  hiess  Ein- 
fum  oder  Bifang,  concaptio,  com- 
jrmmmo,  im  Gegensätze  zu  der  „un- 
eiogefangenen"  Gemeinmark.  An- 
dere Namen  sind  novale,  runcale, 
r-dnny,  niuwe-riute,  Neugereut, 
N'enbruch.  Auf  diese  Weise  ent- 
stand namentlich  auch  privates 
Waldeigentum/ 


Bilder,  religiöse,  des  Mittel- 
alters. Das  Folgende  giebt  meist 
im  Anschluss  an  Otte,  Handb.  d. 
kirchl.  Archäologie,  Abschn.  154  ff. 
eine  kurze  Uebersicht  über  den  Um- 
fang des  mittelalterlich -religiösen 
Bilderkreises.  Die  religiösen  Bilder 
teilen  sich  in 

I.  mystische,  mathematische  Fi- 
guren, die  man,  im  ganzen  selten, 
an  den  Kirchengebäuden  in  Relief 
ausgeführt  findet.  Sie  beziehen  sieh 
auf  dogmatische  und  magische  Ma- 
terien. Das  gleichsei tiqe  Dreieck  — 
Trinität.  —  Quadrat  =Tfce\t,  -  Kreis 
=  Ewigkeit  —  Drudenfuss,  siehe 
diesen  Art  — 

II.  Sy  minie,  grösstenteils  aus  der 
Bibel  entnommen.  Adler,  Engel, 
Stier  und  Löwe  sind  die  Zeichen 
der  vier  Evangelisten  Johannes, 
Matthäus,  Lukas,  Markus.  —  Anker: 
Hoffnung.  —  Apfelbaum:  Erbsünde. 
—  Bär:  Teufet.  —  Basilisk:  der 
Schlangenkönig.  —  Bienenkorb:  Be- 
redsamkeit. —  Buch:  neues  Testa- 
ment. —  Bundeslade :  Mutterleib  der 
Maria.  —  Der  feurige  Busch:  Jung- 
fräulichkeit der  Maria.  —  Centaur. 
die  wilden  Triebe  des  Herzens;  mit 
Bogen  und  Pfeil:  der  Teufel.  — 


.jlsteine:  die  Tugenden  oder  die 
Patriarchen  und  Apostel.  —  Ei- 
dechse: ein  Lichtsymbol.  —  Einhorn : 
Christus.  —  Elephant:  Keuschheit. 

—  Der  Name  Eva  (Ave):  Maria. 

—  Farben :  Siehe  d.  Artikel  Farben- 
sprache. —  Feh:  Christus.  —  Fische 
(Delphine):  Christen,  namentlich  in 
Beziehung  auf  die  Taufe;  der  Fisch 
ist  auch  das  Symbol  der  Gott- 
heit und  des  Bösen.  —  Eiu  Fischer: 
Christus.  —  Die  vier  Flüsse  des  Pa- 
radieses: Die  vier  Evangelisten.  — 
Gefäss  mit  Manna :  Die  wunderbare 
Fruchtbarkeit  der  Maria,  das  heilige 
Abendmahl.  —  Eine  Hand  aus  den 
Wolken:  Allmacht  Gottes.  —  Ein- 
zelne durchbohrte  Hände  und  Füsse  i 
Der  Gekreuzigte.  —  Der  Hase. 
griech.  htyio::Loqos.  —  Hahn:  Ver- 
leugnung Petri,  Ruf  zur  Busse,  Wach  - 


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74 


Bilder. 


samkcit,  Orthodoxie.  —  Harn,  das 
gebaut  wird:  christliche  Kirche.  — 
Hirsch  im  Wasser:  heilsbegierigc 
Seele.  —  Kelch :  Priesterstand,  Sym- 
bol des  Templerordens.  —  Ein  "ab- 
gehauener Kopf,  den  ein  Heiliger 
trägt:  das  Gott  zum  Opfer  darge- 
brachte Leben.  —  Kreuz:  Tod  Jesu. 
—  Krone,  Kranz:  Siegeslohn  der 
Seligen.  —  Kugel:  die  Welt.  — 
Lamm,  oft  mit  Kreuz  oder  Sieges- 
fahne: der  leidende  und  siegende 
Christus.  —  Lammer:  Christen.  — 
L.eier:  heilige  Musik,  Hochzeit  zu 
Kana.  —  Teilte .•  Keuschheit.  —  L.ei- 
che,  von  Schlangen  und  Gewürm 
bekrochen:  der  Tod  des  Sünders.  — 
Lowe:  Träger  und  Wächter  des  Hei- 
ligtums, häufig  an  Kirchthürcn  und 
Tnronsesseln ;  Christus;  Einsamkeit; 
Teufel.  Löwe  unter  den  Füssen 
Christi:  der  überwundene  Fürst  die- 
ser Welt.  Auf  Leichensteinen:  Hel- 
denmut. Löwin  mit  Jungen:  Maria. 
Löwe,  der  die  totgebornen  Jungen 
durch  sein  Gebrüll  ins  Leben  ruft: 
Auferstehung  Jesu.  —  Marterwerk- 
zeuge: Leiden  Christi.  —  Eine  kleine, 
oft  puppenhafte  Menschengestalt, 
nackt  oder  bekleidet:  die  dem  Ster- 
benden entschwebende  Seele.  —  Ol- 
ztreiff:  Friede.  —  Palme:  Sieg  der 
Gläubigen  über  den  Tod.  —  Pelikan, 
seine  Jungen  mit  dem  eigenen  Blute 
nährend:  Opfertod  Christi;  Kirche; 
Schwangerschaft  Marias.  —  Pfau: 
Unsterblichkeit;  Juden;  Teufel.  — 
Phönix:  Auferstehung.  —  Vergitter- 
ter Quell:  Maria.  —  Regenbogen: 
Gnade.  —  Bing:  aus  dem  ein  Engel 
schaut:  der  geöffnete  Himmel.  — 
Fünf  blätterige  Hose:  Verschwiegen- 
heit. —  Schafe:  Jünger  Jesu.  — 
Schiff:  Arche  $oahs.  Schiff  lein  Pctri: 
christliche  Kirche.  —  Schlange  .  Teu- 
fel', giftige  Schlange  und  Taube: 
Klugheit  und  Unschuld;  erhöhte 
eherne  Schlange:  gekreuzigter  Chri- 
stus. —  Schlüssel:  Macht  zu  binden 
und  zu  lösen.  —  Schrift  rolle:  Altes 
Testament.  —  Schwan:  Tod.  —  Stal> 
Arons:  Maria.  —  Sonne  und  Mond: 


Ewigkeit  und  Gottheit:  Papst  und 
Kaiser.  Mit  Sternen:  Reinheit  und 
Schönheit  der  Maria.  —  Sirenen: 
Verlockung;  Wollust;  Teufel.  - 
Taube:  heil.  Geist.  —  Verschlossenes 
Thor:  Maria.  —  Turm:  Maria.  — 
J'fiess  Gideons  (Lammfell)'.  Maria. 

—  Weinstock,  Weintraube:  Chrisrai.; 
Abendmahl.  —  Widder:  Versöhner. 

—  Zahlen,  siehe  diesen  Artikel. 

III.  Allegorische  Darstellungen. 
Die  biblischen  siehe  unter  IV.;  die 
profanen  kommen  aus  dem  klassi- 
schen Heidentum  oder  sind  willkür- 
lich ersonnen,  die  letztern  zwar  sei 
tener,  doch  erscheinen  sie  schon  im 
frühen  Mittelalter,  namentlich  zur 
Darstellung  der  Tugenden  und  La- 
ster. Dergleichen  Darstellungen  sind 
die  Klugheit  mit  aufgeschlagenem 
Buche,  die  Gerechtigkeit  mit  der 
Wage,  Massigkeit  in  bescheidener 
Gebärde,  Tapferkeit  mit  Speer  und 
Schild.  Übef  Glücksrad  und  T*l 
siehe  die  betreffenden  Artikel. 

IV.  Biblische  Bilder. 

a)  Ti/^ische.  Die  typische  Auf- 
fassung' ist  in  der  mittelalterlichen 
Auffassung  des  alten  Testamentes 
als  typisches  Vorbild  des  neuen  Te- 
stamentes begründet  und  in  der  bil- 
denden Kuust,  der  Theologie,  den 
Predigten  der  Mystiker  weit  ver- 
breitet. Schon  Melito  von  Sardes  zu 
Ende  des  2.  Jahrh.  war  geneigt,  all»" 
Heilsthaten  des  N.  T.  im  A.  T.  vor- 

febildet  zu  sehen,  ein  Gedanke,  der 
ann  im  8.  Jahrh.  für  die  orientali- 
sche Kirche  durch  Barnabas,  Justi- 
nus  Martyr  und  Origines,  in  der 
occidentahschen  durch  Ambrosius. 
Hilarius  und  Augustin  zur  vollen,  ja 
zur  masslosen  Entfaltung  kam.  Un- 
terschiedslos wurde  aus  jedem  alt- 
te8tamentlichen  Ausspruch  oder  Vor- 
gang eine  Weissagung  auf  Christum 
herausgefunden  und  der  Propkrtif 
als  einer  Weissagung  im  Wort  der 
Typus  als  eine  Weissagung  in  Sachen 
an  die  Seite  gestellt.  Zu  den  frühe 
steu  Bildern  dieser  Art  gehören  die 
Mosaiken  von  St.  Vitale  in  K&veuua 


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75 


aas  dem  6.  Jahrh.  Ermoldus  Nteellus  Himmelfahrt,  Pfingstfest,  Salvator- 
in  seiner  Begehreibung  des  Palastes  bilder. 

Karl-  d.  Gr.  zu  Ingelheim  hebt  her-  c)  historische  Bildet';  die  am  häu- 
vor,  dass  die  Kapelle  an  der  einen  figsten  vorkommenden  sind:  Gott 
Langwand  mit  20  Geschienten  des  1  ater,  die  Engel,  der  Teufel,  Adam 
A.  T.  und  gegenüber  mit  ebenso  j  und  Eva,  Kaiii  und  Abel,  *Xoah  und 
vit  len  des  N.  T.  geschmückt  war.  i  die  Arche,  Turm  zu  Babel,  Abraham 
Auf  dem  Antipcndium  von  Bronze,  und  Melehisedek,  Isaaks  Opferung, 
das  dem  soijen.  Verduner  Altar  in  Patriarchen,  Moses,  Aaron,  Josua, 
Kloster  XeuDurg  bei  Wien  angehört,  Gideon,  David,  die  4  Harfenspieler 
sind  17  neutestamentliche  Bilder  aus  (1.  Chron.  15,  19;  16,  42),  Salomo, 
dem  Leben  Christi  vorgestellt,  deren  Propheten;  Christus,  Maria,  Apostel, 
j»fiem  zwei  alttestamentliche  beige-  die  vier  Evangelisten.  Die  Heiligen 
ordner  sind,  eines  der  Zeit  nach  ante  werden  stets  mit  bestimmten  Attri- 
t'vcn,  das  andere  suh  lege,  d.  h.  buten  abgebildet,  welche  biogra- 
Handlungen  vor  und  nach  der  Mo-  phisch  oder  symbolisch  zu  deuten 
saischen  Gesetzgebung  darstellend,  sind. 

Die  weiteste  Verbreitung  gewann  die  V.  Heiligenbilder  machen  die 
typische  Auffassung  in  der  Bihlia  I  Mehrzahl  der  in  der  mittelalterlichen 
^«i-entm,  siehe  den  bes.  Artikel.  Kirche  vorkommenden  Bilder  aus, 
t>)  allegorische,  Darstellungen  sol-  ,  besonders  kehren  in  jeder  Kirche 
eher  Szenen,  die  in  der  Bibel  nicht  die  Patrone  der  Kirche  oder  Diözese 
ab  Geschiente,  sondern  ab  Visio-  i  häufig  wieder,  über  dem  westlichen 
nen.  Parabeln,  Weissagungen  ent-  Hauptportal ,  auf  den  Rückseiten 
halten  sind;  sie  werden  oft  will-  vieler  Altnrflügel,  auf  den  Turm- 
kürlich  gedeutet  und  weiter  ausge-  spitzen  unter  den  Windfahnen.  Die 
bildet  Beispiele :  Himmelsleiter,  die  Heiligenbilder  sind  an  dem  Nimbus 
Träume  Josephs,  der  gute  Hirte/ kenntlich,  den  sie  um  das  Haupt 
Weinberg  des  Herrn,  kluge  und  thö- 1  tragen.  Siehe  den  Art.  Nimbus, 
richte  Jungfrauen,  Christus  eine  Birarlttenorden.  Orden  von  St. 
Kelter  tretend,  aus  welcher  Hostien  Salvator,  Er/öseroraen  heisstein  von 
•"allen,  Antichrist,  Auferstehung  der  der  hl.  Birgitta,  einer  schwedischen 
Toten',  Fegfeuer,  jüngstes  Gericht,  j  Edeln  aus  königlichem  Geschlecht 
Abrahams  Sehoss,  Höne,  Dreieinig-  1  (gest.  1373)  zu  Wadstena  in  Ostgot- 
keit,  Stammbaum  Christi,  der  engü-  land  am  W etternsee  gestifteter  und 
sehe  Gross,  Heimsuchung  Mariä,  von  Papst  Urban  V.  1370  bestätigter 
Zu?  nach  Bethlehem,  Geburt  Christi,  Klosterorden.  Weil  am  Fusse  des 
Anbetung  der  Weisen,  Darstellung  Kreuzes  Maria  und  Johannes  stan- 
«n  Tempel,  Kindermord  zu  Bethle-  den,  sollten  auch  hier  Männer  und 
hem.  Flucht  nach  Ägypten,  der  zwölf-  Frauen  im  Kloster  gemeinschaftlich, 
jihrige  Jesus,  der  Knabe  Jesus,  der  iedoch  jedes  Geschlecht  in  einem 
icm  Vater  hilft,  Taufe  im  Jordan,  besondern  Gebäude  wohnen.  Wad- 
Versuchung,  Christus  als  Lehrer  und  j  stena  sollte  60  Nonnen  und  17  Mön- 
Wunderthäter,  Verklärung,  Palmen-  ehe  aufnehmen ,  daneben  8  Laien- 
?w«g,  Fusswaschung,  Abendmahl,  brüder.  Die  Leitung  des  Klosters 
°lberg,  Gefangennehmung,  vor  Pila- ;  hatte  eine  Äbtissin,  als  Vorbild  der 
hü,  Gciaselung  und  Dorneukrönung,  heiligen  Jungfrau,  doch  verblieb  die 
Ecet  hom o, Christus  im  Kerker,  Sta-  höchste  Aufsieht  dem  Bisehofe.  Die 
fernen,  Kreuzigung  (siehe  Kruzitix),  Klausur  war  sehr  streng,  das  Faaten- 
Vesperbilder,  hl.  Grab,  Christus  in  gesetz  dagegen  eiu  mildes.  Der  Or- 
Vorhölle,  Auferstehung.  Soli  den  verbreitete  sieh  durch  alle  euro- 
ta/vj+re,    Gang    nach    Emaus,  päischen  Länder  und  besass  während 


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70 


Bischof. 


seiner  weitesten  Ausdehnung  74  Klö- 
ster. Wadstena  war  wie  eine  kleine 
Hochschule  und  es  bildete  sich  sogar 
für  den  Austausch  unter  den  Bir- 
gittinern  des  Nordens  eine  gemein- 
same nordische  Schriftsprache  aus, 
die  jedoch  nicht  allgemein  durch- 
drang. Aus  den  Klöstern  des  Or- 
dens gingen  eint*  reiche  erbauliche 
Litteratur,  geistliche  Poesieen  und 
litterarische  Erzeugnisse  weltlicher 
Art  hervor.  Schon  im  15.  Jahrh. 
zeigten  sich  Zeichen  des  Verfalls, 
die  meisten  Klöster  unterlagen  der 
Reformation.  Hammerich ,  St.  Bir- 
gitta, aus  dem  Dänischen  von  Mi- 
chelscn  übersetzt.    Gotha  1876. 

Bisehof,  mhd.  bi$ckoft  nach  ital. 
rrscoro,  aus  griech.-latein.  enUcopus. 
Ihr  Amt  war  kanonisch -Kirchlich 
schon  ausgebildet,  als  das  Christen- 
tum bei  den  Franken  Aufnahme  fand. 
Die  Wahl  fand  nach  kanonischem 
Hechte  durch  die  Kleriker  und  die 
Gemeinde  statt.  In  der  Zeit  des 
sinkenden  Römerreiches  stand  ihnen 
eine  grosse  Macht  zu,  meist  waren 
sie  durch  Reichtum  und  persönliches 
Ansehen  ausgezeichnet.  Den  frän- 
kischen Königen  schlössen  sie  sich 
bereitwillig  an  und  wurden  durch 
sie  mit  neuen  Ehren  und  Würden 
ausgestattet.  Meist  aus  den  alten 
senatorischen  Familien  hervorgegan- 
gen, wurden  sie  die  natürlichen 
Wortführer  und  Vertreter  der  alten 
Bevölkerung  gegen  die  neuen  Her- 
ren; sie  standen  an  Ansehen  neben 
den  Grafen,  übten  nach  geistlichem 
Rechte  Jurisdiktion  über  den  Klerus, 
nahmen  häufig  an  den  Gerichten  der 
Grafen  teil,  hatten  manchmal  sogar 
von  den  Königen  die  Befugnis,  die 
Grafen  zu  ernennen,  und  sollten 
überhaupt  die  Interessen  des  Staates 
zugleich  mit  denen  der  Kirche  wah- 
ren. In  den  Angelegenheiten  des 
Reichs  wussten  sie  sien  eine  beson- 
ders wichtige  Stellung  zu  verschaffen 
durch  ihre  regelmässigen  und  ausser- 
ordentlichen Zusammenkünfte,  in 
denen  neben  den  kirchlichen  Fragen 


auch  politische  Geschäfte  verhandelt 
werden  konnten.    Das  Recht  der 
1  Bestätigung  ihrer  Wahl  nahmen  die 
Könige  trotz  zahlreicher  Synodal 
beschlüsse  in  Anspruch,  und  es  ge- 
schah unter  den  Merowiugern  soj.'ar 
oft,  dass  die  Könige  vertraute  Män- 
ner durch  Bischofssitze  belohnteo. 
Unter  den  Karoliugem  tritt  der  welt- 
liche Charakter  des  Bischofamte; 
noch  stärker  hervor;   sie  werden 
neben  Abten  und  Grafen  als  Könüw- 
boten  verwendet,  sind  Ratgeber  des 
Königs  am  Hofe,  ihr  Amt  wird  ib 
Benefizium  behandelt,  und  die  Bi- 
schöfe werden  deshalb  angehalten, 
den  Vasalleneid  zu  leisten,  was  frei- 
lich nicht  ohne  Widerspruch  geschah. 
Sie  waren  regelmässig  im  Heere  de? 
Königs  anwesend  und  beteiligten 
sich  unter  Umständen  persönlich  am 
Kampfe;  erhalten  Bedeutung  durch 
die  zahlreichen  abhängigen  Leute, 
die  in  verschiedenen  Verhältnis 
auf  ihren  Gütern  leben  und  als  krk 
gerischc  Mannschaft  für  die  Heer- 
fahrten in  Betracht  kommen.  Da- 
alles  steigert  sich  in  der  folgenden 
Zeit:    grosser    Grundbesitz,  Z<»li. 
Münze,  Marktrecht,  Zehnten,  zahl- 
reiche Hofdienerschaft.  Die  Bischof' 
widerstrebten  im  ganzen  dem  Em 
porkommen  der  herzoglichen  Gewal 
ten,  die  ihre  Herrschaft  auch  über 
sie  auszudehnen  suchten;  nicht  min 
der  lagen  sie  im  Gegensatz  zu  den 
Äbten,  wobei  es  sich  um  geistlich 
sowohl  als  um  weltliche  Unterord 
nung  dieser  unter  jene  haudelte;  es 
gab  Abteien,  z.  B.  Reichenau,  die 
ganz  in  die  Hand  eines  Bischofs  ge- 
rieten, in  diesem  Falle  des  Konstan 
zer  Bischofs;  auch  geschah  es.  das- 
ein Bischof  Abt  oder  ein  Abt  Bi 
schof  wurde,  ohne  das  ältere  Amt 
abzugeben;  Erzbischof  Hatto  von 
Mainz  hatte  vier  Abteien  unter  sich 
Seit  Otto  III.  wurden  den  Bistümern 
ganze  Grafschaften  verliehen.  Dil 
Recht  der  freien  Bischofswahl  durch 
Geistliche  und  Laien  des  Stifts  wurd- 
zwar  im  ganzen  beibehalten,  doch 


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Bispel.  —  Bittgänge. 


77 


behielt  sich  der  König  die  Bestäti-  wurde  schliesslich  durch  das  Worm- 
gung  regelmässig  vor,  das  Wahlrecht  •  ser  Konkordat,  1123,  so  gelöst,  dass 
selber  galt  als  ein  vom  König  er-  der  Kaiser  die  freie  Wahl  der  Bi- 
teiltes  Privilegium,  und  ohne  den  schöfe  bestätigte  und  auf  die  Investi- 
Willen  des  Königs  geschah  in  der  tur  verzichtete;  dagegen  blieb  ihm 
älteren  Zeit  kaum  eine  Bischofswahl,  die  Bestätigung  der  Kegalien,  d.  i. 
ja  oft  wurden  die  Bischöfe  einfach  ,  der  weltlichen  Gewalt  der  Bischöfe, 
vom  König  ernannt,  meist  freilich  durch  das  Szepter,  welches  in 
nach  dem  Rat  der  Grossen.  Im  Deutschland  gleich  nach  der  in  Ge- 
Laufe  der  Zeit  stellten  sich  für  die  geuwart  des  Kaisers  geschehenen 
L'bung  des  königlichen  Bestätigung»-  Wahl,  d.  h.  vor  der  kirchlichen  Weihe, 
rechtes  bestimmte  Formen  fest.  Das  geschehen  sollte.  Nach  Waitz,  Ver- 
Svmbol  der  kirchlichen  Gewalt  für  fassungagescl  lichte,  besonders  VII, 
den  Bischof  waren  Stab  und  Ring,  Abschnitt  11,  und  VIII,  Abschnitt 
jeuer,  der  Hirtenstab,  als  Zeichen  16.  Über  die  äussere  Erscheinung 
der  bischöflichen  Gewalt  über  die  des  Bischofs  siehe  unsern  Artikel 
Unterthanen,  dieser,  ein  Verlobungs-  1  geistlicher  Ornat. 
ring,  als  Symbol  der  Vermählung  Bispel,  zusammengesetzt  aus  M 
des  Bischofs"  mit  der  Kirche.  Ältere  bei  und  mhd.  und  ahd.  das  *pcl  = 
Sitt«*  kennt  bloss  den  Stab.  Gewöhn-  Rede,  Erzählung,  Sage,  auch  erhalten 
lii-h  wurden  nach  dem  Tode  eines  in  Kirchspiel,  mhd.  Kirspel,  Bezirk, 
Bischofs  die  Insignien  an  den  Hof  so  weit  die  Verkündigung  i  Rede)  der 
zum  König  gebracht,  wo  zugleich  Kirche  reicht,  nhd.  mit  Anlehnung 
die  vornehmsten  Geistlichen  und  ,  an  das  Spiel:  Beispiel.  Bispel  bedeu- 
AVeltlichen  des  Stifts  sich  einfanden,  tete  im  Mittelalter  wie  das  einfache 
In  öffentlicher  Versammlung  ward  Wort  das  spei  eine  Fabel,  eine  kleine 
dann  die  stattgefundene  Wahl  be-  Erzählung,  die  eine  ihr  selber  vor- 
^tätigt  oder  der  vom  König  Desig-  oder  nachgestellte  Lehre  in  sich 
nierte  genannt  und  durch  die  Zu-  trägt.  Derartige  bispel  hat  man  sehr 
-timmung  der  Anwesenden  erkoren,  viele,  bald  kürzer,  bald  breiter  an- 
worauf  er  aus  der  Hand  des  Königs  gelegt.  Der  Stoff  wird  der  Tierwelt 
die  Insignien  empfing.  Erst  hierauf  entnommen,  oder  es  treten  bloss 
folgte  die  kirchliche  Weihe.  Der  Menschen  darin  auf,  oder  Pflanzen, 
Akt  hiess  Inrestilur.  Der  Bischof  Naturerscheinungen,  leblose  Geräte, 
leistete  darauf  den  Treueid.  Sehr  denen  ein  Leben  beigemessen  wird, 
oft  gehörten  die  Bischöfe  den  vor-  Derartige  Beispielsreden  wurden 
nehinsten  Familien  an,  doch  kennt  teils  in  grössere  didaktische  Dich- 
man  auch  Bischöfe  dieser  Zeit  aus  tunken  eingeschaltet,  wie  in  den 
niederem  oder  doch  von  wenig  vor-  Freidank  und  Welschen  Gast,  teils 
nehmem  Stande.  Die  Pflanzschule  selbständig  bearbeitet;  namentlich 
des  Kpiskopats  war  die  Kapelle  des  haben  das  letztere  der  Stricker,  Bein  - 
Königs;  auch  Kanzler  erhielten  wohl  mar  von  Zweier,  Konrad  von  Würz- 
:\\»  Belohnung  ihrer  Dienste  ein  Bis-  hurg  und  der  Manier  gethan. 
tum.  Oft  aber  waren  Bestechung  Bitterlinge,  Gebetsprozessionen, 
und  Kauf  die  Mittel  zur  Erhaltung  um  geistliche  oder  leibliche  Güter  von 
dieses  Kirchenamtes.  Dagegen  trat  Gott  zu  erflehen,  kommen  schon  iu 
nun  die  besonders  durch  Clugny  ins  den  ersten  Jahrhunderten  der  christ- 
Leben  gerufene  Opposition  des  Papst-  liehen  Kirche  auf  und  wurden  na- 
tu ms  und  der  Kirche  auf ;  Gregor VII.  j  meutlich  vou  Gregor  d.  Gr.  gefordert, 
verbot  zuerst  1075  die  Investitur  des  Mamercus,  Bischof  von  Vienne, 
Bischofs  durch  einen  Laien;  der  führte  feierliche  Buss-  und  Bittan- 
Streit,  der  sich  infolge  davon  erhob,  I  dachten,  mit  Kasteiungen  uudgottes- 


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78 


Blaphart.  —  Blumeusprache. 


dienstlichen  Umzügen  verbunden,  für  edlereu  Geschmacksrichtung  hielten, 
die  drei  Tage  vor  dem  Hinnnelfahrts-  j  verfielen  die  Pegnitzschäter  einer 


tändelnden,  überaus  geschmacklosen 
Richtung,  die  sich  sowohl  in  den  be- 
handelten, meist  dem  Schäferleben 


feste,  die  Bitt-  Tage  in  der  Jiithcoehe 
ein.  Seit  Alters  eröffnet  der  Kreuz- 
trager  (Diakon  oder  Subdiakon)  den 

Zug,  ihm  folgten  Fahne  und  Evan  j  entnommenen  Stoßen,  als  in  den  pe- 
gefienbuch;  daher  der  Name  Kreuz-  \  suchten  Reimen  imd  in  dem  tanzen- 
(lange,  Kreuzfahrten,  Kreuzwoche,  j  den  daktylischen  Versmasse  kund- 
Seit  der  Einsetzung  des  Fronleich-  gab.  Die  Gesellschaft  besteht  als  lit- 
namsfestes  war  die  Prozession  dieses  terarisch-geselliger  Verein  bis  heute. 


Tages  die  grossartigste.  Andere 
Prozessionen  wurden,  wie  im  grie- 
chisch-römischen und  im  germani- 
schen Heidentum,  bei  besonderen  An- 
lässen, Seuchen,  bei  bedrohlichem 
Erntewetter,  Krieg  und  Kriegsgefah- 
ren abgehalten.  Über  die  Frank- 
furter Prozessionen  siehe  Kriegk, 
Bürgertum  I,  3G3  -  377. 

lila  p  hart ,  Plaphart,  Plappharter, 


Blumeusprache  des  Mittelalter.-. 
Die  höfische  Dichtung  macht  von 
der  Blume  als  Sinnbild  geistiger  Be- 
züge nur  mässige  Anwendung.  Ihr 
sind  besonders  eigen:  die  /-»/*>  al? 
Sinnbild  der  Reinheit,  der  l'nschuirf 
daher  auch  Maria  Lilie  genannt  und 
der  Engel  Gabriel  mit  einem  Lilien 
Stengel  in  der  Hand  dargestellt  wird: 
die  Kose,  die  Blume  der  Freud* ;  mit 


Blafjert,  Blaffet,  blawfert,  ursprüng-  ihr  schmückten  sich  Gäste  und  die 
lieh  ein  ausländischer  Dickpfennig  Gesellen  beim  Trunk;  bei  festlichem 
oder  Grosehen;  man  unterschied  alte,  Anlass  wird  der  Boden  mit  Rosen 
gute,  Kreuzbl.,Kreuzerbl., gestampft,  bestreut.  Die  Rose  ist  deshalb  auch 
Dehai uliseh,  Mailänder,  Sclnangeiibl.,  die  Blume  der  Liefte,  wie  sie  dem 
Grossenbl.  Schmeller,  bair.W.I,  460.  Roman  de  la  Rose  zu  Grunde  liegt. 

Blume  der  Tugend  heisst  ein  Rose  und  Liebe  kommen  miteinander 
didaktisch -allegorisches  Gedicht  von  vereint  vor,  daher  das  beliebte  höfi- 
Hans  Vindler,  vom  Jahr  1411,  ver-  sehe  Epos  Fl6re  und  Blantcheflür. 
fasst  nach  einer  italienischen  Quelle,  Blume  und  Weissblume,  Rose  und 
Fior  de  Virtu,  welche  wieder  auf  Lilie;  Lilie  und  Rose  sind  Symbole 
eine  lateinische  zurückgeht.  Es  sind  für  Christus  und  Maria,  die  letztere 
in  dem  Gedicht  17  'lugenden  und  eine  Rose  ohne  Dorn.  Als  dritte 
17  Laster  eiuander  gegenüberge-  Blume  legt  man  den  beiden  gern  da* 
stellt,  so  zwar,  dass  jeder  Abschnitt  1'eileheu,  den  riof,  bei,  die  Botin  de? 
üi  drei  Teile  zerfällt:  11  Definition:  Frühlings.  Reicher  wird  die  Blumen- 
2)  Gleichnis  und  moralische  Seilten-  Symbolik  seitdem  15.  Jahrb.,  wobei 
zen  und  3)  Erzählungen,  um  das  Vor-  sie  sich  freilich  auf  den  L.iebes 
hergehende  anschaulicher  zu  machen,  verkehr  beschrankt;  jetzt  nimmt 
Ausgabe  v.  Zingerle,  Iiisbruck  1874.  die  Dichtung  mit  Vorliebe  Bedacht 
Blumenerden.  D.-r  gekrönte  auf  die  oft  uralten  Blutnennamen. 
Blumenorden  an  der  Pegnitz  oder  die  zum  Teil  heidnisch  -mythische 
die  Gesellschaft  der  Pegnitzschäfer  oder  christliche  Beziehungen  haben, 
ist  eine  jener  Sprachgesellschaften,  Die  Blumen  werden  personifiziert, 
die  in  Nachahmung  italienischer  Frau  Wachholder,  Frau  Haseliu. 
Sprachakademien  in  der  ersten  Hälfte  I  Buchsbaum  und  Felbinger,  Dorn- 
des  17.  Jahrh.  auftraten.  Sie  ist  1644  roschen.  Die  Zahl  der  Blumen  wird 
zu  Nürnberg  durch  Georg  Philipp  grösser,  und  neben  sie  stellt  hieb 
Harsdörfer  und  Job.  Klai  gestiftet  überhaupt  alles,  was  pflanzlicher  Xa- 
worden.  Der  altern  fruchtbringen-  tur  ist,  das  Stroh,  die  Weide  %  di, 
den  Gesellschaft  gegenüber,  deren  Maie,  d  i.  grüne  Zweige  und  Kränze 
Bestrebuugen  sieh  innerhalb  einer  überhaupt.    In  erster  Linie  knüpft 


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Blutrache.  —  Böhmische  Brüder. 


79 


auch  jetzt  die  Blumensvmbolik  an 
die  Farbe.  Das  blaue  Vergissmein- 
nicht,  das  braune  Habmichlieb,  der 
rosenrote  Herzenstrost,  das  weisse 
Schabab;  später  bleibt  die  Farbe 
weg,  und  nur  der  beziehungsvolle 
Name  ist  noch  da :  Wegwarte,  Wohl- 
gemut, Jelängerjelieber,  Masslieb, 
Liebstöckel,  Ungnade,  Leid  und 
Reue,  Tag  und  Nacht,  Holderstock. 
Jrarkeraagel,  KL  Sehr.  I,  143  ff. 

Blutrache.  Sie  entwickelt  sich 
aus  dein  Begriffe  der  altgermaui- 
schen  Familie,  aus  dem  Gefühl,  dass 
die  Gemeinschaft  des  Blutes  auch 
zur  innigsten  Gemeinschaft  des  Bei- 
standes, des  Schutzes  und  der  Fa- 
milienehre  verpflichte.  Verpflichtet 
zur  Rache,  besonders  für  ungerech- 
ten Totschlag,  war  zunächst  der 
Hausvater,  dann  alle  waffenfähigen 
Blutsfreunde,  also  Weiber,  Kinder 
und  Greise  uicht.  Die  Blutrache 
war  rechtlich  anerkannt,  Tacitus 
Germania,  21.  Mit  dem  Frieden 
suchte  man  die  Blutrache  in  Ein- 
klang zu  bringen,  einmal  dadurch, 
(Lisa  man  den  Blutsfreunden  des  Er- 
schlagenen das  Recht  gab,  statt  der 
Befehdung  eine  bestimmte  Busse, 
das  Wergeid,  zu  fordern  und  das- 
selbe unter  sich  zu  teilen,  und  zwei- 
tens dadurch,  dass  man  die  Bluts- 
freunde des  Thäters  nötigte,  zu  dem 
geforderten  Wergeid  beizutragen, 
oder  wenn  derselbe  ohne  Vermögen 
war.  es  ganz  zu  zahlen.  Mit  der 
Ausbildung  geordneter  Rechtszu- 
stande nach  der  Völkerwanderung 
trat  das  ordentliche  Gerichtsverfah- 
ren an  die  Stelle  der  Blutrache,  ohne 
dass  diese  ganz  ausstarb.  Sie  bildet 
da»  Hauptmotiv  der  zweiten  Hälfte 
des  Nibelungenliedes,  kommt  im  13. 
und  14.  Jahrli.  als  Faust-  und  Fehde- 
recht neuerdings  in  allgemeinen  Ge- 
brauch und  ist  als  eigentliche  Blut- 
rache in  einzelnen  Fällen  bis  über 
die  Reformation  hinaus  in  Anwen- 
dung gekommen.  Frauenstädt,  Blut- 
rache und  Totschlagsühne  im  deut- 
schen Mittelalter.  Leipzig  1881. 


Bocke  heissen  im  15.  Jahrh.  vor- 
übergehend zum  Zwecke  eines  Krie- 
ges zusammenhaltende  Kriegsgesel- 
len, auch  bloss  Fussknechte.  Der 
Name  begegnet  uns  im  Norden  wie  im 
Süden  und  kommt  noch  im  17.  Jahrh. 
besonders  in  den  Rheinlanden  als 
Bezeichnung  militärischer  Busch- 
klepper vor.  Bekannt  sind  aus  dem 
sog.  alten  Zürcherkriege  die  Böcke; 
auch  aus  Memmiugen  wird  der  Name 
erwähnt. 

Böhmische  Bruder.  Seit  etwa 
1450  sammelte  sich  in  Prag  ein  Kreis 
ernstlich  frommer  Miinner  aus  den 
Überbleibseln  der  hussitischen  Be- 
wegung, denen  der  König  Podiebrad 
einen  Distrikt  im  Riesengebirge 
überliess,  wo  sie  sich  niederlassen 
und  nach  ihrer  WTeise  die  Religion 
einrichten  könnten.  Durch  eine 
Verfolgung  wurden  sie  zerstreut  imd 
stifteten  nun  in  Böhmen,  Mähren 
und  Polen  vereinzelte  Gemeinden. 
Sie  hies&en  auch  Brüder  de*  de- 
setzes  Christi.  Brüder  überhaupt, 
verwarfen  die  katholische  Abend- 
mahlslehre und  bauten  ihr  Glaubens- 
bekenntnis durchweg  auf  die  Schrift. 
Ihre  Verfassung  war  den  ältesten 
apostolischen  Christengemeinden 
nachgebildet.  Die  Reformation  Lu- 
thers begrüssten  sie,  ohne  ihre  Lehre 
und  Verfassung  deshalb  dem  Pro- 
testantismus zu  opfern.  Nachdem 
sich  manche  Gemeinden  mit  den 
evangelischen  Konfessionen  verbun- 
den hatten,  wurden  die  letzten  in 
Böhmen  noch  vorhandenen  durch 
den  30jährigen  Krieg  zerstört  und 
und  ihre  Anhänger  vertrieben,  wo- 
rauf der  selbständige  Bestand  der 
Brüderkirche  ganz  aufhörte.  Für 
die  evangelische  Kirche  sind  die 
Lieder  der  Böhmischen  Brüder  von 
Bedeutung  geworden-  Schon  Huss 
hatte  einen  Kirchengesang  in  böh- 
mischer Sprache  gegründet.  Seine 
Nachfolger  vermehrten  die  Lieder 
und  dichteten  neue  dazu  auf  alle 
Artikel  des  christlichen  Glaubens 
und  auf  alle  Feste  durch  das  ganze 


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80  Bogen. 


Jahr,  wobei  sie  die  alten  Kirchen-  schaft  zei/i;  j>hil  aus  lat  pilum  bt 

melodien  beibehielten.  Im  Auftrage  eigentlich  die  Pfeilspitze.  Die  Pfeile 

der    Gemeindeältesten    übersetzte  sind  entweder  mit  einer  Angel  zum 

Michael  Weiste,  Pfarrer  der  deut-  Einstecken  in  den  Schaft  versehen 

scheu  Gemeinden  Böhmischer  Brü-  oder  haben  eine  Tülle,  welche  über 

der  zu  Lantzkron  und  zur  Füllnach.  den  Schaft  geschobeu  wird.  Die 

156  böhmische  Lieder  in  deutsche  letztern  sind  entweder  bolzenförmig 

Reime,  die  als  Ein   Setr  Geseny-  vierkantig  oder  rautenförmig  oder 

hnchlen  1531  zum  Jungenbunzel  ge-  blattförmig  oder  mit  Widerhaken 

druckt  wurden.    Dieses  wurde  1538  versehen.    Im  4.  Jahrh.  wird  des 

— 1540    zu  Ulm    mehrfach    nach-  Bogens  auch  von  Schriftstellern  £e- 

gedruckt. .  Eine  durch  Joh.  Horn  dacht.    Die  lex  salien  entbält  eine 

verbesserte  Ausgabe  erschien  1544  besonder«?  Busse  für  Beschädigung 

zu  Nürnberg,  woraus  Luther  ver-  des  Zeigefingers,  womit  man  den 

schiedene  Lieder  in  seinen  Kirchen-  Pfeil  abschnelle.    Auch  in  den  Hei 


Fig.  28.  Fig.  29.  Fig.  30. 

Bogenschützen  des  11.  Jahrhunderts. 


gesang;  aufnahm.  Die  Lieder  sind  dengedichten,  im  Waltharilied,  im 
bei  \\  ackernagel,  evangel.  Kirchen-  Beowulf  und  im  Nibelungenlied  wipl 
Üedj  abgedruckt.  der  Bogen  erwähnt.  Vorzügliche 
Bogen.  Wenn  auch  weder  Ta-  Sc  hützen  waren  zu  aller  Zeit  be- 
citus  noch  Cäsar  des  Bogens  bei  den  rühmt  ,  besonders  that  der  Bogen 
Germanen  Erwähnung  thun,  so  er-  auf  der  Jagd  gute  Dienste.  Im  Mit- 
giebt  sich  aus  Gräberfunden  mit  telalter  hatten  bei  den  Deutschen 
Sicherheit,  dass  schon  die  Urgerma-  Bogen  und  Pfeil  nur  geringe  Bin- 
nen Bogen  und  Pfeil  gekannt  haben,  deutung  als  eigentliche  Kriegswaße, 
Der  Bogen  war  am  liebsten  aus  dem  während  schon  im  10.  Jahrh.  die 
Holze  der  den  Todesgöttern  heiligen  sauitfarii  der  Franzosen  beim  Bela- 
Eibe  geschnitzt;  doch  kommt  auch  geruugskriege  eine  bedeutende  Rolle 
Ulmen-  und  Eschenholz  vor,  auch  Bo-  spielen ;  von  den  Herren  wurde  die 

fen  von  Horn  waren  im  Gebrauche.  Warle  nur  zur  Jagd  und  zu  WafTen- 

)er  Pfeil  bestand  aus  Stein,  Kno-  Übungen  gebraucht.  In  den  Nieder- 

chen  und  Eisen.    Der  Bogen  heisst  landen   errichteten  die  Städte  im 

gotisch  und  altsächsisch  hoqo.  ahd.  13.    Jahrhundert    B(xjen*chützenej' - 

poko,  der  Pfeil  ahd.  trrd/a,  der  Pfeil-  Seilschaften.    Ganz  besonders  vor- 


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Botendienst.  —  Branntwein.  81 


breitet  und  beliebt  war  aber  die  waren  durch  besondere  Wahrzeichen 
Waffe  in  England,  wo  Sachsen  und  legitimiert,  wahrscheinlich  durch 
Normannen  in  geschickter  Hand-  einen  bunten,  nach  dem  Wappen 
habung  des  Bogens  wetteiferten,  der  Herren  gefärbten  Stab.  Der 
Hier  trat  der  Adel  an  die  Spitze  der  Bote  ist  geheiligt,  nur  Barbaren  ver- 
Bogenschützen, die  wesentlich  zu  den  greifen  sieh  an  ihm,  auch  wenn  er 
Erfolgen  über  die  Franzosen  bei-  schlimme  Botschaft  bringt.  Zu  Lie- 
trugen.  Deshalb  war  auch  der  Wi-  besbotsehaften  benutzt  man  gern 
derstand  gegen  die  Einführung  der  Spielleute,  weshalb  sie  oft  verklei- 
Haiidfeuerwaffen  nirgends  grösser  nerte  Namen  führen:  Werbelin, 
ah*  in  England,  so  dass  noch  unter  Stcemmeiin ,  ITeinzelin,  Kitenzelin, 
Elisabeths  Regierung  die  Bogen-  und  die  häufige  Anrede:  Bote  ril 
schützen  in  vollem  Ansehen  standen  lieber  Knabe:  Die  Belohnung  der 
und  noch  1 627  als  regelmässige Trup-  Boten,  auch  des  vornehmen,  hiess 
pen  vorkamen.  Auf  dem  Festland  das  hAenbrot,  auch  befenbrot,  wor- 
waren  sie  seit  Anfang  des  16.  Jahrh.  unter  auch  wertvolle  Geschenke  oder 
verschwunden.  Jahn«,  Geschichte  d.  klingende  Münze  verstanden  werden 
Kriegswesens,  und  Lindenschmidt,  konnte;  ursprünglich  und  bei  gewis- 
dentsche  Altertumsk.  San  Martc,  sen  Anlässen  noch  spät  war  es  aber 
Waffenkunde.  Siehe  Fig.  28  bis  30,  wirkliches  Brot.  Aonfcer  verdeutscht 
nach  dem  Teppich  von  Baycux  (vgl.  praedicare  evannelium,  die  frohe  Bot- 
den  Art.  Teppiche),  aus  Müller  und  schaft  verkündigen,  durch  predigon 
Mothes.  Aren.  Wörterb.  pefinbrot.  Obrigkeitliche  Boten  gab 
Botendienst  war  im  Mittelalter  es  später  in  den  Städten,  solange 
bei  Mangel  eines  öffentlichen  Post-  keine  öffentliche  Post  existierte;  der 
wesens  wichtiger  als  jetzt.  Neben  Name  Botschafter  erinnert  an  die 
dem  Worte  Bote,  von  biudan,  bieten,  frühere  Bedeutung  fürstlicher  Boten, 
ahä.  poto,  mhd.  h,te,  kommt  in  den  Schulz,  höfisches  Leben  I,  135  ff. 
germanischen  Sprachen  ein  unerklär-  Grimms  Wörterbuch  unter  Bote, 
tes  Wort  vor.  got.  airus,  angels.  und  Botenbrot  und  DiensthAe. 
altnord.  drf  and.  blos  dntnti.  Bot-  Brakteaten,  vom  lat.  braefea, 
schaft.  Der  Bote  ist  ein  Diener,  dünnes  Metallblech,  heissen  die  mit- 
dalier  Diensthofe;  die  Apostel  als  telalterlichen  Münzen,  insofern  sie 
LHener  Christi  heissen  die  Zwölf,  bloss  auf  einer  Seite  geprägt  sind. 
ftoten,  auch  die  Engel  sind  und  heis-  Da  seit  Otto  d.  Gr.  dies  die  gewöhn- 
ten Boten.  Die  and.  Sprache  zeigt  liehe  Präguugsweise  des  Mittelalters 
viele  zum  Teil  verdunkelte  Manns-  war,  können  Müuzen  des  verschie- 
namen,  die  mit  bofo  zusammengesetzt  densten  Wertes  und  von  Gold,  Sil- 
sind,  Anfarpofo,  Tlittipoto,  Sigipoto, :  ber  oder  Kupfer  Brakteaten  genannt 
Mahalpoto,  Tragapoto,  Lönpoto,  »off-  '  werden.  Deutsche  Namen  der  Brak- 
jiofo.  Waltpoto.  Boten  höhern  An-  teaten  sind  Blech-,  Hohl-,  Schüssel- 
sebeus  sinn  die  Karolingischen  missi  münzen,  Blätterliuge,  Schüsselpfen- 
dominici,  auch  legati,  nuntii,  renales,  nige.  Siehe  Fig.  31 — 38  aus  Müller 
pafatim  regit  genannt,  mhd.  send*  und  Mothes,  Arch.  Wörterb. 
Wet,  saniboten,  siehe  Vadian,  Branntwein  wurde  Anfangs  nur 
deutsche  hist.  Schriften  I,  79,  2.  und  als  Arznei  angesehen  und  gebraucht, 
den  Art.  missi  dornt  nid.  Eine  wich-  daher  er  auch  bei  den  Italienern 
tige  Rolle  spielen  die  Boten  im  und  Franzosen  den  Namen  Lebens- 
Kitterwesen.  Meist  werden  eigene  wasaer  erhalten  hat.  In  Nürnberger 
Knappen  dazu  benutzt,  welche  die  Quellen  soll  seiner  schon  im  13.  Jahrh. 
Briete  in  Büchsen  oder  Fässchen  Erwähnung  geschehen;  sicher  ist, 
am  Halse  oder  Gürtel  trugen.  Sie  dass  in  Frankfurt  a.  M.  der  Rat  1361 
Re»l!exicou  der  deutschen  Altertümer.  6 


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82 


Bratsche.  —  Brettspiel. 


bei  schwerer  Strafe  verbot,  den  Wein  die  brutloufti,  inhd.  das  und  dir 
mit  „gebranntem  Wasser41  oder  an-  bnUlouf,  bn/f/ouff,  ursprünglich  so- 
deren  Stoßen  zuzubm-iten.  Um  14S0  viel  als  der  geschmückte  Zug  iLaufi 


Fig.  31.  Fig.  32.  Fig.  33.  Fig.  34. 


Fig.  35. 


Fig.  36.  Fig.  37. 

In  Überlingen  1869  gefundene  Brakteateu. 


Fig.  38. 


verbot  der  Nürnberger  Rat,  an  Sonn-  mit  der  Braut  oder  jungen  Frau  und 
tagen  und  anderen  gebannten  Feier-  ,  ihren  Sachen  zum  Hause  des  Man- 
tagen    in    den   Strassen    und   vor  i  nes.     Luther    braucht    das  Wort 

den    Häusern  ,   zwar  nicht  in 

Branntwein 
auszuschen- 
ken. Das  älte- 
ste gedruckte 
Buch  über  den 
Branntwein 
stammt  von 

Michael 
Schrick,  Doc- 
tor  der  creze- 
nai,  von  den 


gepranten 
Wasser.  Augs- 


purg  1484 
Bratsche, 

Arm- ,  Alt- 
geigr,  aus  ital. 
riofa  <hi  hi'iiccio. 


mm 


r/\\  der  Bibel,  wo 
er  nur  Hoch- 
zeit setzt,  aber 
in  seinen  übri- 
gen Schriften 
oft.  (iriaau 
und  WeiganJL 
Brettspiel. 
Die  Brett- 
spiele des  Mit- 
telalters sind. 

das  Schach 
ausgenommen 
isn'he  diesen 
Artikel»,  das 

Triktrak-  und 


Fig.  39.  Brettspiel. 

Mühlenspiel.   Das  Zahehpiel mhd 
Braut  lauf,  Hochzeit,  ein  in  den  zabel,  franz.  jeux  de  tahel.  aus  lat.  io- 
germanischen  Sprachen  weitverbrei-  bula,  ist  unser  Damenspiel;  die  Stein*1 
tetes  Wort,  ahd.  der  hrntlouft  und  heissen  Zahehteine.    Das  Wvrfzo- 


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Breve.  —  Brevier.  83 


bet,  oder  der  buf,  aofl  frans,  büße,  i  Statt  des  angehängten  Siegels  er- 
ist  unser  Triktrak ,  es  wird  mit  drei  geht  das  Breve  *uo  annuiu  yisca- 
Würfeln  gespielt.  Nach  der  Sage  iorio,  heute  ein  blosser  untergedruck- 
hatte  ein  Kitter  Alco  bei  der  Belage-  ter  Stempel.  Jeder  Erla>s  beginnt 
rung  von  Troja  das  Spiel  erfunden,  in  alter  Weise  mit  dem  Namen  des 
Vom  Mühlenspiel  hat  man  erst  im  Papstes  und  einem  Grusse:  beim 
ausgehenden  Mittelalter  Nachricht  Breve  wird  dem  Namen  die  Zahl 
es  heisst ßqrjmüh. ßckmüle.  Schultz,  zugefügt,  bei  der  Bulle  statt  der  Zahl 
Höfisches  Leben  I,  413.  Dazu  Fig.  3ii  der  Titel  Epueopu*  Sernu  xervorum 
aiiä  Ingolds  guldnem  Spiel,  Augs-  Dei.  Den  Sehluss  bildet  beim  Breve 
borg  1472.  die  einfache  Angabe  von  Ort  und 
Breve,  Bulle,  bu/larium,  sind  Zeit,  bei  der  Bulle  wird  die  letztere 
schriftliche  Erlasse  des  apostolischen  in  der  Regel  genauer  nach  Kalen- 
Stuhles,  die  Bulle  mehr  in  solenner,  den,  Nonen,  Idusimd  dem  Regie rungs- 
das  Breve  in  einfacherer  Form  ab-  jähre  des  Papstes  angegeben,  auch 
gefasst.  Früh  bedienten  sich  die  ein  Gruss,  \\  unsch,  r  luch  und  dgl. 
römischen  Bischöfe  einer  doppelten  hinzugefügt.  Die  im  Konsistorium 
Art  v<»n  Siegeln,  zuerst  des  Steffel-  erlassenen  Bullen,  btttfae  consittoria- 
ringe*  ( Signacut  um)  t  später,  seit  tc#,  werden  von  den  Kardinälen 
Ende  des  6.  Jahrhunderts ,  der  unterschrieben  und  erhalten  auch 
iu  Kapseln  aufbewahrten  Siegel-  die  Unterschrift  des  Papstes.  Die 
form,  hulla,  die  man  gewöhnlich  gewöhnlichen  Bullen  werden  bloss 
in  Blei  der  Urkunde  anzuhängen  von  den  verschiedenen ,  bei  der 
pflegte:  die  Bullen  wurden  zu  allen  Ausfertigung  mitwirkenden  päpst- 
ofTeiitlicheu  Schreiben  gebraucht,  liehen  Beamten  unterzeichnet,  die 
während  für  die  übrigen  der  in  Breven  nur  von  dem  Sekretär  der 
Wachs  abgedrückte  Siegelring  diente.  Breven.  Ihren  Namen  erhält  die 
Ein  bestimmtes  Zeichen  zeigte  der-  Bulle  nach  den  Eingangsworten, 
selbe  erst  seit  dem  13.  Jahrb.,  den  z.  B.  In  coena  Domini,  (  nigenittu, 
Apostel  Petrus  aus  einem  Nachen  Ecelesia  Christi.  —  litt  Harten,  d.  h. 
das  Netz  werfend,  daher  der  Name  Sammlungen  der  wichtigeren  Breven 
Fiseherring,  annulm  piseatoriu*.  und  Bullen,  sind  seit  dem  16.  Jahrb. 
Die  ältesten  Bullen  trugen  auf  der  veranstaltet  und  iu  umfangreichen 
i  inen  Seite  den  Namen  des  Papstes,  Sammelwerken  bis  in  die  Gegenwart 
auf  der  anderen  das  Wort  Papa;  fortgesetzt  worden.  Meyer  in  Her- 
nie spätere  und  bis  jetzt  beibenal-  zogs  Real-Encykl. 
tene  Form  zeigt  auf  «lern  Avers  Brevier,  brevianum,  d.  h.  wahr- 
die  Köpfe  der  Apostel  Paulus  und  scheinlich  eine  kurz  zusammenge- 
Petrus  mit  der  Unterschrift  6'.  1J.  drängte  und  iu  liturgischen  Abkür- 
A.  —  S.  1J.  £.  {Sanetus  Petrus  oder  Hingen  geordnete  Sammlung  von 
J'aulu*  Apotfolu*,  Sanettu  JPctrut  Gebeten,  heisst  die  Sammlung  der 
oder  Paul  tu  Epucopiu),  auf  dem  Gebete  und  Lesungen,  die  der  Geist- 
Revers  den  Namen  des  Papstes  mit  liehe  oder  der  Klosterchor  täglich 
der  Zahl.  Die  durch  die  Bulle  ge-  zu  verrichten  hat;  andere  Namen 
zogene  Schnur  ist  bald  von  Seide  in  sind  officium  ecctesia*ticumt  cur»»» 
roter  und  gelber  Farbe,  bald  von  dirinu*.  horae  eanonicae,  st/naxi*  und 
Hanf.  Die  Sprache  ist  bei  beiden  psatmodia.  Dem  Brevier  liegt  die 
Erlassformen  die  lateinische.  Die  Idee  zu  Grunde,  das  Gebot  des 
Bulle  wird  auf  starkes  Pergament  Apostels  „Betet  ohne  Unterlass!"  in 
mit  altgailischer  Schrift  geschrieben,  äusserer  Weise  zu  verwirklichen, 
das  Breve  auf  dünnes  Pergament  Das  ganze  Leben  des  Christen  sollte 
oder  Papier  mit  italienischer  Schrift,  dadurch  als  ein  ununterbrochenes, 


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84  Briefmaler.  —  Brot. 


gewissermassen  ewiges  Gebet  er-  heil.  Väter  enthält.  3)  J'rufrixm 
scheinen.  Hiefür  knüpfte  man  an  »anctorum,  das  für  jeden  Heiligen- 
das  Herkommen  der  jüdischen  Sy-  Festtag,  soviele  deren  im  Kalender 
nagoge  an ,  sowohl  bezüglich  der  stehen,  eigene  Lektionen  (meist  au> 
Morgen-  und  Abendstunden  als  auch  dem  Leben  des  Betreffenden).  Anti- 
sonstiger Gebetszeiten,  wofür  man  »honen,  Hymnen  und  Gebete  bietet, 
eine  direkte  Aufforderung  in  der  Was  aber  da  fehlt,  wird  aus  dem 
Psalmstelle  119,  164:  „Ich  lobe  dieh  4.  Teil,  dem  Commune  $anctorvm 
des  Tagea  siebenmal",  und  v.  62:  entnommen,  ohne  besondere  Gebet* 
„Zu  Mitternacht  stehe  ich  auf,  dir  stunden.  Anhänge  sind  officium 
zu  danken"  zu  erblicken  glaubte.  B.  Marine,  defitncfornm .  psahv 
Zunächst  waren  es  die  drei  Stunden  yraduales  ,  p*a)mi  poenitentialt*. 
(dritte,  sechste  und  neunte.)  9  Uhr,  ordo  cvmmendationu  animut,  beur- 
12  Uhr  Mittags  und  3  Uhr  Nach-  dictio  mensae  et  Uinerarium  citri- 
mittags;  dazu  Kam  noch  Mitternacht  corum. 

nach  Act.  16,  25,  sowie  das  Gebet  Briefmaler  heissen  im  15.  Jakrb 
bei  Anbruch  des  Tages  und  der  solche,  welche  die  Bemalung  von 
Nacht  Während  die  Beobachtung  Pergament  und  Papier  (mhd. 
der  drei  älteren  Gebetszeiten  schon  als  Beruf  betreiben,  besonders  für 
früh  allgemeiner  in  der  Kirche  be-  Andaehts-  und  Schulbücher,  Spiel- 
stand, nahm  man  die  übrigen  Stun-  karten  u.  dgl.  und  ihre  Ware  auf 
den  ordentlich  und  pflichtgemäss  Jahrmärkten  verkaufen.  Sie  sind 
zuerst  in  den  Klöstern  an;  aus  den  durch  ihre  Versuche,  ihre  Bilder  airi 
Klöstern  gingen  s<  »dann  diese  Gebets-  Holz-  od.  Metallplatten  abzudrucken, 
stunden  als  ein  Teil  der  vita  cano-  die  Vorläufer  der  Buchdrucker  ge- 
nica,  daher  kanonische  Hören  ge-  1  worden. 

nannt,  auf  die  Dom-  und  Kollegial-  Brot.  Die  früheste  Form  der 
Stifter  über.  Benedikt  fügte  noch  Getreidenahrung  war  der  Brei,  der 
das  compietorhtm  hinzu.  Vom  6.  aus  grobgemahlenen  Körnern.  tiriitze 
Jahrh.  an  war  demgemäss  die  Ord-  und  Griess  (beide  Wörter  dersell>en 
nung  und  Zahl  der  Stunden  wie  sie  Wurzel  angehörig i  bereitet  wird, 
heute  noch  zu  Recht  besteht.  Die  Nach  Plinius  lebten  die  Germanen 
sieben  Gebetsstunden  teilen  sich  in:  vorzüglich  von  Haferbrei,  der  in  ge- 
horae  dinrnae:  prima  (  6  Uhr  ),  tertia  wissen  Teilen  Oberdeutschlands  nudi 
(9  Uhr),  sexta  (12  Uhr),  nona  (3  Uhr),  heute  die  gewöhnliche  Nahrung  der 
ve*pera  (6  Uhr)  und  in  die  horae  Ärmeren  ist;  daneben  kam  Gersten-, 
nocturnae .  com  pl(  fori  um  vor  dem  Bohnen-  und  Hirsebrei  vor.  Brot 
Schlafengehen,  matutina  ( Mette  i  od.  war  ursprünglich  am  Feuer  geroste- 
laudes  (3  Uhr  Morgens).  Die  für  ter  Mehlbrei;  ungesäuert,  in  flacher 
die  einzelnen  Hören  zu  gebrauchen-  Kuchenform,  hiess  es  Derbbrot  und 
den  Gebete  nahm  man  anfangs  meist  war  meist  aus  Gersten-  oder  Hafer- 
aus den  Psalmen.  nichl,  spater  auch  aus  Dinkel  oder 
Das  Brevier  besteht  aus  4  Teilen  Spelt  bereitet.  Das  bessere,  durch 
für  die  vier  Jahreszeiten,  von  denen  Gührungsmittel  aufgetriebene  Brot, 
jeder  vier  Abteilungen  hat:  1)  l'sal-  dasaus  Weizenmehl  gebacken  wurde. 
ferium  mit  den  Hymnen  für  die  hiess schoen  brdt oder  tceixbrSt.  Gau? 
kanonischen  Stunden  der  7  Wochen-  runde  Brote  hiessen  Halbbrote  oder 
tage.  2)  Proprium  de  /empöre,  das  Hastel.  Brotring,  Ringel,  Stechling 
sich  genau  an  das  Kirchenjahr  an-  hiessen  feinere,  runde  und  ringfor 
schliesst  und  für  jeden  Tag  des  Jah-  mige  Brote,  aus  denen  sich  spater 
res  Lektionen  aus  den  Büchern  der  mancherlei  Kuchen  entwickelthaben, 
heil.  Schrift  und  den  Werken  der  Die  Semmel  aus  feinem  Weizenniehl 


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85 


ist  seit  dem  12.  Jalirh.  nachweisbar.  13.  Jahrh.  wurden  die  Brücken  meist 
Vochenzer,  Fochenz  ist  eine  in  der  im  Halbkreisbogeu  gewölbt  und  er- 
Herdasche  gebackene  germanisch-  hielten  wegen  der  Ulierfahrenheit 
romanische  ßrotart.  Brezeln  erschei-  im  Gründen  möglichst  wenige  Pfeiler 
nen  auf  Bildern  des  12.  und  13.  Jahrh.  oder  möglichst  weite  Öffnungen  und 
Sonst  keimt  man  noch  Krapfen  oder  kurze  dicke  Pfeiler,  wie  die  1135 
Pfannkuchen  und  Kuchen  im  all-  begonnene  Brücke  über  die  Donau 
gemeinen.  Zwiebäcke  wurden  in  bei  Rtfjensburg  mit  15  Halbkreis- 
Frankreich  namentlich  in  den  Klö-  bogen  von  10  —  16  m  Spannweite: 
»tern  bereitet.  die  1176—  1209  errichtete  Brücke 
Ins  germanische  Altertum  reichen  über  die  Themse  in  London  mit  9 
die  von  Frauen  bereiteten  Tempel-  grossen  Spitzbogen,  die  1117—1187 
oder  Opferbrote.  Götterbilder  und  erbaute  Brücke  über  die  Rhone  bei 
heilige  Tiere  wurden  in  Teig  ge-  Arignon,  die  1179— 1260  hergestellte 
knetet,  mit  Ol  bestrichen  und  an  Brücke  über  die  Elbe  bei  Dresden 
heiliger  Stätte  von  den  Weibern  und  die  ums  Jahr  1358  von  Karl  IV. 
gebacken.  Spuren  dieser  Brote  fin-  erbaute  Brücke  über  die  Moldau 
den  sich  in  zahlreichen  heute  noch  in  Prag, 

beliebten  Festgebäcken,  wo  nament-  Holzbrückendes  Mittelalters  waren 

lieh  Männlein,  Weiblein  und  unter  nicht  überdacht.  Die Grabeubrücken 

den  Tieren  besonders  Hirsche  und  der  Burgen  bestanden  meistens  aus 

Schweine  in  Semmelteig  nachgebil-  Steinbogen    mit    Ausnahme  eines 

det   werden.    Auch  andere  Back-  Fachs,  welches  durch  eine  Zugbrücke 

werke,  die  sich  au  bestimmte  Zeiten  überdeckt  war,  die  sich  beim  Auf- 

de-  Jahres  oder  Ereignisse  des  Le-  ziehen  an  den  Brückenturm  anlegte, 

bens  knüpfen,  hängen  mit  alten  reli-  Auch  die  grösseren,  besonders  städti- 

giö*en  Bräuchen  zusammen.    Wein-  sehen  Brücken  waren  durch  Brücken - 

J,of't.  Deutsche  Frauen,  II.  Aufl.  II,  türme  oder  Brückenthore  verteidigt. 

59  —  61-    Vgl.  Staub,  Das  Brot  im  Auch  erbaute  man  wohl  Brücken- 

Spiegel   Schweizer-deutscher  Volks-  hausehen  für  Wächter,  Hospize  für 

spräche  und  Sitte.    Lpz.  1868  und  Reisende  und  Brückenkapellen  auf 

K^rhholz,  das  Allerseelenbrot,  in  den    Pfeilerausbauten;    siehe  den 

deutscher  Glaube  und  Brauch,  I,  folgenden  Artikel.  Auch  Kaufläden 

299 — 335.  una  sogar  Wohnhäuser  wurden  im 

Brücken.    Die  bei  den  Römern  spätem    Mittelalter   auf  Brücken 

zu  einer  hohen  Ausbildung  gelangte  gestellt. 

Kunst  des  Brückenbaues  geriet  im  Brücken  mit  flacheren  Bogen  ent- 
Mittelalter, Spanien  und  Süditalien  standen  erst  im  16.  Jahrb.;  dahin 
ausgenommen  (wo  teils  Christen  und  gehören  die  1588  -1591  erbaute  Ri- 
Mauren,  teils  Goten,  Normannen  und  altobrücke  zu  Venedig  und  die  1596 
Sarazenen  den  Spitzbogen  in  kühn-  bis  1598  erstellte  tleisehbrücke  in 
ster  Konstruktion  zu  Brücken  und  ,  Sürnberq.  Zu  derselben  Zeit  blie- 
Aquaedukten  anwendeten  ),  bald  in  ben  die  Holzkonstruktionen  im  Ver- 
Verfall. Man  bediente  sich  im  All-  gleich  zu  den  Holzbrücken  der  Römer 
gemeinen  der  Furten,  daher  die  zahl-  noch  sehr  unvollkommen.  Erst  als 
reichen  Ortsnamen  Furt,  Furth,  man  in  Frankreich  durch  Gründung 
Fürth,  Erfurt  ahd.  Erpesfurt,  des  Ingenieurkorps  im  Jahre  1720 
Frankfurt  ahd.  Francono  furt,  Och-  Gelegenheit  zur  Bildung  von  Fach- 
senfurt  ahd  Ohsono  furt,  Sch wein-  männern  für  Strassen-  und  Brücken- 
furt  ahd.  Stiino  fürt,  Breitenfurt  ahd.  bau  gab,  machte  der  Brückenbau 
Frei  tenfurte,  Steinfurt,  Dietfurt,  oder  bedeutende  Fortschritte.  Unter  die 
der  Fahren.    Während  des  12.  bis  bedeutendsten  Bauten  dieser  Zeit 


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86 


Brückenbrüder. 


gehört  die  1751  — 1 760  erbaute  Brücke 
über  die  Loire  bei  Orleans.  Unter 
den  hölzernen  Bauten  zeichneten  sich 
ietzt  die  oft  sehr  kühnen,  meist 
bedachten  Sprengwerkbrücken  der 
Schweiz  aus,  darunter  die  1757  er- 
baute Rh  ei  nh  rücke  bei  Schaafhausen. 
Mothe*,  Bau -Lexikon,  I,  492  ff.  — 
Müller  und  Mothes,  Arch.  Wörterb. 
Art.  Brücke.  Vgl.  Gengier,  Deutsche 
Stadtrechts -Altertümer.  Kap.  XI. 
Erlangen  1882. 

Brlickenbriider  und  BrUckeu- 
kapellcn.  Schon  bei  den  Griechen 
und  noch  im  höhen»  Masse  bei  den 
Römern  galt  Anlage  und  Erbauung 
von  Biucken  als  ein  religiös  beson- 
ders verdienstvolles  Werk,  das  dem 
frommen  Beter  erst  den  Gang  zum 
Tempel  ermöglichte.  Auf  der  Brücke, 
welche  in  Rom  die  beiden  Tiberufer 
verband,  wurden  Opfer  vollzogen, 
der  Weg  zu  den  heiligen  Orten  jen- 
seits des  Tiber  ging  darüber;  ob  von 
den  heiligen  Gebräuchen,  welche  sich 
an  ihre  Erhaltung  und  Reparatur 
knüpften,  der  Name  des  Kollegiums 
der  pontißces  herrührt,  ist  freilich 
nicht  ausgemacht.  Auch  bei  den 
Germanen  galt  die  Brückenbaukunst 
als  eine  heilige  und  geistliche.  Auf 
nordischen  Runensteinen  wird  mehr- 
fach überliefert,  dass  der  Verstorbene 
bei  seinen  Lebzeiten  für  das  Heil 
seiner  Seele  eine  Brücke  bauen  licss. 
Früh  vereinigten  sich  in  Italien, 
Spanien,  Schweden,  Dänemark  und 
Deutschland  fromme  Christen,  Her- 
bergen zu  errichten,  Flösse  zu  halten 
und  Brücken  zu  bauen.  Papstliche 
und  bischöf  liehe  Ablässe  wurden  da- 
zu bewilligt.  Auch  daraus  erhellt 
die  Heiligkeit  des  Brückenbaues,  dass 
auf  Brücken  feierliche  Friedens- 
schlüsse gefestet,  Gefangene  ausge- 
wechselt, Bündnisse  geschlossen  wur- 
den. Lange  blieb  das  Amt  eines 
Brückenbauers  ein  (frixflichcA  Vor- 
recht, und  Päpste,  Bischöfe,  Priester 
und  Mönche  sind  daher  seit  den  älte- 
sten Zeiten  der  christlichen  Kirch«' 
entweder   vorzugsweise   die  ersten 


Gründer  und  Bauherrn  von  Brückcu 
oder  selbst  sachverständige  Künst- 
ler und  leitende  Architekten  beim 
Brückenbaue  gewesen.  Karl  d.  Gr. 
verlangte  zur  Ausführung  der  Wep 
und  Brücken  von  der  Geistlichkeit, 
welche  sonst  von  allen  Lasten  !>  - 
freit  war,  Beisteuern.  Der  beriilimU 
Erzbisehof  W'illirfi*  von  Mainz  Hess 
im  lo.  Jahrhundert  die  Brücken  von 
Aschaffcnburg  über  den  Main  und 
von  Bingen  über  die  Nahe  hauen 
In  Frankreich,  dessen  Brucken  sic\j 
im  Mittelalter  durch  ihre  GrÖs*j 
Kühnheit,  Einrichtung;  und  Schönheit 
vor  denjenigen  aller  übrigen  Völker 
auszeichneten,  bildete  sich  zur  Be- 
förderung des  Brückenbaues  ein« 
eigene  geistliche  Genossenschaft,  d*  i 
Orden  der  B rücke nb rüder ,  fratm 
ponfüt,  ponti/icales,  faefurejt  poufiu,*, 

frire.i  du  yonf ;  ihr  Stifter  soll  Be 
nezet  (der  kleine  Benedikt),  ein  Hirtc 
aus  Hautvilar  in  Vivarais  um  d.  J. 
1177  gewesen  sein;  Clemens  III.  be- 

|  stattete  1189  ihre  Organisation.  AU 
Symbol  trugen  sie  einen  Spitzhammer 
auf  der  Brust.    Von  ihnen  wurden 
erbaut  die  Brücke  über  die  Dtiranc 
unter  der  Karthause  von  Bonpas. 
sodann  die  Brücke  über  die  Rhön- 
bei  Avignon.  die  beiden  ersten  grossen 
Brücken  in   Frankreich  nach  dem 
Untergange  des  weströmischen  Rei- 
ches, und  letztere  einst  die  «rrösste 
Brücke  in  Europa,  erbaut  unt«*r  der 
Leitung  des  hl.  Beneaet  von  Avila 
1177  —  1188,  endlich  die  hl.  Geist 
Brücke  über  die  Rhone  bei  Lyon, 

,1285-1305. 

Der  mittelalt. -christliche  Brücken- 
bau dokumentiert  sich  auch  durch 
den  Bau  besonderer  Hospitäler,  na- 
mentlich Heiliggeist  -  Spitäler  und 
Herbergen,  sowie  durch  kleinere  oder 
grössere  zu  den  Brücken  gehörig»- 
Bethauxer.sog.  Heiligenhäuschen.mi'i 
Kapellen,  beide  wohl  nur  durch  die 
Grösseundden  Besitzeines  geweihten 
Altars  unterschieden.  Unmittelbar 
waren  sie  teils  an,  auf,  üher.  in  oin- 
zelnen  Fällen  unter  der  Brücke  an- 


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Bruder  Rausch..  -  Brüderschaften.  87 

gebracht;  gewöhnlich  wx>hl  der  Stadt  Auch  aus  dieser  vertreibt  ihn  der 
eegenöber,  am  End«*  oder  auf  der  herbeigeholte  Abt  und  heisst  den 
Mitte,  auf  einem  aufgemauertcn  Teufel  endlich  in  einen  Berg  nahe 
Pfeiler,  selten  über  einem  Brücken-  seinem  Kloster  fahren,  wo  er  bis 
bogen,  im  Anschluss  an  andere  Ge-  zum  jüngsten  Tage  bleiben  wird. 
btüUchkeitcn,  z.B.  an  einen  Brücken-  Siehe  Bruder  Rausch  von  Oskar 
tonn.  Nach  ron  Oven  und  Becker,  Schade  im  Weimarer  Jahrbuch,  Bd. 
die  Kapelle  der  hl.  Kathrina  auf  V,  S.  357-412. 
dt«r  Mainbrücke  zu  Frankfurt  mit  Brlider  des  freieii  Geistes  heisst 
gleichartigen  Stiftungen  des  ehristl.  eine  im  13.  und  14.  Jahrb.  sehr  ver- 
Mittelalters zusammengestellt.  Neu-  breitete  Sekte,  mit  stark  pantheisti- 
jahrsblatt  des  Vereins  für  Geschichte  sehen  Tendenzen.  Sie  wurden  von 
and  Altertumsk.  zu  Frankfurt  a.  M.  der  Kirche  verfolgt,  erhielten  sich 
In?0.  aber  bis  ins  15.  Jahrh. 

Bruder  Rausch  heisst  ein  auf  Brüderschaften,  in  Norddeutsch- 
stem Sagengrmidemhendcs  Gedicht,  land  Calanthf/i/den,  in  Österreich 
das  in  seiner  ältesten,  einer  nieder-  Zechen,  hiessen  im  Mittelalter  städti- 
deuuehen  Fassung,  dem  15.  Jahr-  sehe  Vereine,  die  zugleich  für  da* 
hundert  angehört,  und  das  ganze  religiöse  Bedürfnis,  für  gesellige 
16.  Jahrhundert  hindurch  in  hoch-  Autgaben  und  für  gegenseitige  Hilte- 
dent-cl  er  Bearbeitung  eines  der  ge-  leistung  dienten.  Sie  werden  zuerst 
lesensten  Volksbücher  war;  der  äl-  im  14.  Jal.rh.  nachgewiesen.  Ihre 
test«-  hochdeutsche  Druck  erschien  Zwecke  sind:  Keligionsübungen,  wel- 
1515  zu  Strassburg.  Der  Inhalt  ist  che  zu  bestimmten  Zeiten  in  Ge- 
in  Kürze  folgender:  In  einem  Kloster  meinsehaft  begangen  wurden,  ge- 
führen die  jungen  Mönche  ein  lieder-  meinsame  Teilnahme  an  öffentlichen 
liebes  Leben,  sodass  der  Teufel  sich  Prozessionen,  Sorge  für  ein  anstän- 
vornimrnt.  sie  ganz  zu  verderben,  diges  Begräbnis  sowie  für  die  Seelen- 
in Gestalt  eine»  jungen  Menschen,  (  ruhe  der  verstorbenen  Biüder,  got- 
Kauseh  genannt,  verdingt  er  sich  \  tesdienstliche  Feier  der  Anniversa- 
bei  ibi  ich  als  Küchenknecht  und  rnuss  rien  derselben  oder  auch  eine  jahr- 
dt-m  Abt  und  den  übrigen  Mönchen  liehe  Messe  für  alle,  gegenseitige 
aus  Gefälligkeit  je  am  Abend  ein  !  Unterstützung  in  der  Not,  nameut- 
jun^es  Wein  schaffen.  Da  er  sieh  lieh  in  Krankheiten,  geselliges  Zu- 
dabei  einmal  versäumt  und  der  Koch  sammenleben  in  den  mit  Irinkge- 
ihn  darum  züchtigen  will,  wirft  er  lagen  verbundenen  Geboten  oder 
diesen  in  den  Kessel,  erhält  darauf  Versammlungen  der  Brüder.  Die 
die  erledigte  Stelle  des  Meisterkochs  Brüder  leisteten  pekuniäre  Beiträge 
and  führt  sie  sieben  Jahre  zur  Zu-  sowie  als  Strafe  für  verabsäumte 
triedenheit  der  Mönche,  doch  bemüht  Pflichten  Geld,  Wein  oder  Wrachs. 
«t  sich  dabei,  durch  tolle  Streiche  Jede  Brüderschaft  schloss  sich  an 
die  Mönche  unter  sich  zu  veruneini- !  eine  bestimmte  Kirche  an,  viele  ver- 
gen;  ein  Bauer  entdeckt  aber  bei  ehrten  einen  besondern  Schutzpatron, 
einer  von  ihm  belauschten  Teufels-  manche  hatten  einen  besondern  Al- 
zusHmmenkunft  im  Walde,  an  wel-  tar  oder  auch  eine  besondere  Ka- 
eher  Bruder  Rausch  teilnimmt,  den  pelle.  Solche  Brüderschaften  kamen 
Stand  des  Gesellen,  und  macht  davon  in  verschiedenen  Ständen  vor,  es  eab 
dem  Abte  Mitteilung.  Dieser  zwingt  eine  Brüderschaft  des  pfälzischen 
ihu  durch  die  heilige  Messe,  das  Klo-  Hofgesindes  zu  Heidelberg,  der  fah- 
ster  zu  verlassen ,  worauf  Bruder  renden  Schüler,  der  Pilger,  der  Aus- 
Rausch  sich  nach  England  betriebt  sätzigen.  Die  verbreitetsten  und 
»n<l  in  des  Königs  Tochter  fahrt,  wirksamsten    Brüderschaften  sind 


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88 


Brüder  vom  gemeinsamen  Leben. 


aber  die  der  Handwerksknechle ;  da- 
durch, dass  sich  diese  allmählich 
durch  das  Mittel  der  kirchlichen  Ge- 
nossenschaft zu  einem  besondem 
Stande  heranbildeten,  wurden  sie 
Gesellen,  denen  alles  daran  lag,  ihre 
Gesellenehre  zu  wahren.  Der  Ein- 
tritt in  diese  Gesellschaften  wurde 
obligatorisch  für  alle,  ihre  Statuten 
unterlagen  der  Bestätigung  des  Ra- 
tes und  der  Zunft,  sie  bildeten  einen 
den  Meisterverbänden  entgegenste- 
henden Gesellenvcrband ,  so  zwar, 
dass  mit  der  Zeit,  vorab  infolge  der 
Reformation,  das  kirchliche  Element 
zurücktrat  oder  ganz  verschwand 
und  bloss  noch  das  weltliche  Ele- 
ment zurückblieb.  Ihre  Blüte  hatten 
sowohl  die  kirchlichen  als  die  nicht- 
kirchlichen  Brüderschaften  im  15. 
Jahrh.  Mit  dem  Verfall  des  Hand- 
werks und  des  Zunftwesens  verfielen 
auch  sie;  ihre  Rechte  gingen  all- 
mählich an  den  Staat  über.  Der 
Name  der  Vorsteher  bei  der  Brüder- 
schaft war  meist  Büchsenmeister 
oder  Kerzenmeister,  bei  den  spätem 
Gesellschaften  Stubenmeister,  Alt- 

Seselle,  AKknecht,  Knappenmeister, 
leistergcsellc ,  Meisterknappe,  Mei- 
sterknecht, Ürtenmeister.  Ihre  meist 
zeremoniell  abgehaltenen  Versamm- 
lungen hiessen  Gebot,  Ladentag, 
Friedenstag,  Umfrage,  Eingang, 
Vierwochengebot,  Sclienke,  Tisch- 
gesass.  Mittel,  später  meist  Auflage. 
Diejenigen  Handwerker,  in  denen 
am  häufigsten  solche  Verbände  auf- 
traten, sind  die  Schneider,  Schuh- 
macher, Gerber,  Schmiede,  Weber, 
Bäcker,  Müller,  Metzger,  Kürschner, 
Maurer  und  Zimmerleute,  Die  Ver- 
bände der  Buchdrucker  haben  sich 
bis  heute  erhalten.  Sehans,  Zur  Ge- 
schichte der  Deutschen  Gesellenver- 
bäude.  1877.  Krieqk,  Deutsches  Bür- 
gertum I,  178.  äW,  Alte  und  neue 
Zeit,  Abschn.  17.  Vgl.  den  Artikel 
Zunft-  und  Gildewesen. 

Urinier  vom  gemeinsamen  Le- 
ben, eine  Erscheinung  der  vorrefor- 
matorischen  Mystik.    Ihr  Gründer 


ist  Gerhard  Groot,  geb.  1340  zu  De- 
venter;  er  studierte  zu  Paris,  wurde  zu 
Köln,  wo  er  Lehrer  war,  ähnlich 
wie  Luther  durch  ältere  Freund*' 
zu  einem  tiefen  religiösen  Leben 
erweckt  und  wirkte  eine  Zeitlang 
mit  Genehmigung  des  Bischofs  von 
Utrecht  als  wandernder  Bussprediger 
ohne  priesterlichen  Charakter.  Durch 
den  Mystiker  Joh.  Huvsbroek,  Pair 
des  Vereins  der  Kanoniker  zu  Grün- 
thal bei  Brüssel,  Hess  er  sich  zur 
Bildung  eines  Vereins  gleichgesinn- 
ter  Jünglinge  in  seiner  Vaterstadt 
anregen ,  die  unter  seiner  Leitung 
die  iSchrift  und  andere  nützliche 
!  Bücher  abschrieben.  Einer  der- 
i  selben,  Florentius,  machte  den  Vor- 
schlag, den  Erwerb  zusammen  zu 
le^en;  dieser  Verein,  der  bald  zum 
Mittelpunkt  einer  weitverzweigten 
Genossenschaft  wurde,  nannte  sich 
Brüder  des  gemeinsamen  lieben*, 
f rat  res  hjnae  voluntati*  oder 
Hierontfmianer  und  Grecforianer. 
weil  sie  Hieronymus  und  Gregor 
den  Grossen  als  Patrone  ven  hrten. 
Nach  Groots  Tod,  1384,  folgte  Flo- 
rentius in  der  Leitung  des  Vereins, 
geb.  13f>0  zu  Leerdam,  auch  Fk>~ 
rentius  Radeicins,  d.  h.  Radewin* 
Sohn,  genannt.  Unter  ihm  ver- 
zweigte sich  das  Institut  in  zwei 
Richtungen,  in  die  regulierten  Ka- 
noniker mit  klösterlichem  Charakter 
und  in  die  gewöhnlichen  Briider. 
die,  teils  Laien,  teils  Kleriker,  ent 
weder  zusammen  wohnten  oder  zer- 
streut in  geistlichen  Ämtern  und  für 
Jungendbildung  wirkten.  Florentius 
leitete  selber  das  sog.  reiche  Frater- 
haus  zu  Deventer  und  war  Rektor 
der  ganzen  Genossenschaft ;  er  starb 
1400.  Die  Brüder  des  gemeinsamen 
Lebens,  auch  von  ihren  religiösen 
Versammlungen.  Collatien,  Colla- 
tionen :  Collatienbrüder  genannt  wa- 
ren verbunden  durch  Gemeinsamkeit 
des  Besitzes,  der  Wohnung,  der 
Lebensweise  und  der  Erbauuug. 
Die  Brüder-  oder  Fraterhäuser  be- 
herbergten etwa  20  Brüder,  die  Klei- 


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Brünne.  —  Brunnen. 


89 


düng  bestand  aus  einem  grauen  nicht  widerstanden,  begann  man  früh, 
Obereewand,  unverziertem  Rock  besonders  wichtige  Stellen  des  Ring- 
und  Beinkleidern  und  einer  grauen  panzers  mit  aufgenieteten  Platten 
Kopfbedeckung,  daher  auch  cucul-  zu  versehen,  daraus  ist  dann  der 
lati,  Kappenherren,  Gugel-  oder  Fla  ftcnpanzer  entstanden.  Jahn*. 430. 
Kogelherren.  Neben  Handarbeit  San  Jfarte,  Watfenkunde  28.  Siehe 
und  gemeinsamer  Erbauung  wurde  den  Art.  Harnisch. 
besonders  das  Abschreiben  der  heil.  Brunnen  kommen  in  Klöstern 
Schrift  betrieben.  Au  der  Spitze  und  Städten  seit  dem  12.  Jahrh.  in 
jedes  Hauses  stand  ein  Rektor,  an  reicher  architektonischer  Form  vor: 
der  Spitze  der  Frauen  vereine  eine  ihr  Aufstellungsort  sind  Plätze.  Höfe 
Pflegerin,  Martha  genannt.  Ihre  be-  und  Kreuzgänge.  Man  unterscheidet 
deutendste  Wirkung  liegt  in  der  Wandbrunnen,  Sisehenhrunnen  und 
Gründung  von  Unterrichtaanstalten.  Freibrunnen,  bei  den  letzteren  wieder 
namentlich  für  ärmere  Schüler.  Ihre  Zieh-  und  Röhrbrunnen;  der  erstere 
Verbreitung  aus  den  Niederlanden  j  erhielt  ein  iu  der  Regel  steinernes 
reicht  besonders  rheiuaufwärts  bis  Gewicht  zum  Aufhängen  der  Rolle, 
nach  Sehwaben.  Zu  ihnen  gehörten  an  der  die  Eimer  liefen;  der  schönste 
Thomas  a  Kempis,  Hermann  Busch,  und  prächtigste  der  Art  ist  der 
Lange.  Hegius,  Agrikola ,  Joh.  Judenbrunnen  auf  dem  Domnlatz 
Wessel;  auch  Frasmus  war  ihr  zu  Mainz.  Weit  häufiger  siiul  die 
Schüler.  Im  Verlauf  des  16.  Jahr-  Röhrbrunnen.  bei  welchen  das 
hunderts  erlosch  die  Vereinigung  Wasser  sich  in  ein  ctosscs  Becken 
infolge  der  Ausbreitung  der  Hefor-  ergiesst,  iu  dessen  Mitte  eine  Säule, 
mation.  Karl  Hirsche  in  der  II.  Aufl.  ein  Pfeiler  oder  ein  ganzes  Etagen- 
der  Herzogschen  Encykl.  II  ,  678  werk  sich  erhebt.  Die  bildlichen 
bis  760.  Darstellungen,  die  als  Gemälde, 
Brünne,  ahd.  mrunjä, mhd.  hrünne, '  Reliefs,  Statuen  oder  ganze  Grup- 
etymologisch  noch  nicht  sicher,  bald  nen  den  Brunnen  zieren ,  siud 
aus  dem  Keltischen,  bald  aus  dem  Bilder  von  Kirchenheiligen,  nament- 
Slavischeu  gedeutet,  eine  uralte  lieh  Maria,  sodann  St.  Michael 
Schutzwaffe,  Ringpanzer ,  auch  ein-  und  St.  Georg.  Dazu  kommen 
fach  die  ringe  genannt,  ahd.  auch !  Helden  der  historischen  Zeit  und 
saro,  saratei.  Ursprünglich  scheint  Allegorien.  Lehrreich  ist  nament- 
die  Brünne  aus  hörnernen  Schup-  lieh  der  1355 — 1361  gebaute  Schöne 
pen  hergestellt  zu  sein,  was  man  Brunnen  zu  Sürnherg  von  ca.  6  m 
aus  dem  häufig  vorkommenden  Bei-;  Beckendurchmesser  und  18  m  Höhe, 
namen  des  „Hörnernen"  schliesst, !  mit  vielen  Standbildern  an  den  Neben- 
den  die  kindliche  Phantasie  sich  aus  pfeilern  und  einem  Eisengitter  v. 
dem  Baden  in  Drachenblut  herge-  J.  1586.  Derselbe  enthält  in  einer 
stellt  dachte.  In  altgermanischen  obern  Reihe  Moses  mit  sieben 
Gräbern  hat  man  die  Waffe  bis  Propheten,  in  einer  untern  die  sieben 
jetzt  nicht  aufgefunden.  Sie  war  in  Kurfürsten, dannChlodwig.Karld.Gr. 
der  Regel  aus  Ringen  geschmiedet,  und  Gottfried  von  Bouillon;  Josua, 
diese  wurden  wie  ein  Hemd  über-  David  und  Judas  Makkabäus; 
geworfen  oder  wie  ein  Rock  ange-  Hektor,  Alexander  und  Julius  Cä- 
zogen ;  abgezogen  fielen  sie  in  einen  ear.  Der  Fisch marktshrun nen  zu 
Haufen  zusammen,  so  dass  sie  be-  \  Basel  siehe  Fig.  40,  zeigt  Maria, 
quem  in  den  Waffensack  (sarbalk)  Johannes,  Petrus,  Erzvater  und 
oder  iu  einen  Schild  gethan  werden  Propheten ,  und  die  allegorischen 
konnten.  Weil  die  Ringe  unter  Um-  Figuren  der  Beharrlichkeit,  Ge- 
ständen dem  Schwert  und  der  Lanze  reehtigkeit,  Gottes-  und  Menschen- 


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90  Brunnen. 


Fig.  40.    Fwchmarktsbrunnen  in  Basel. 


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Buchdruckerkunst. 


91 


liebe.  Häufig«-  Brunnengestalt  ist  Costcr,  in  Hamberp  Alhrecht  ffltter 
Moses,  und  dessen  neutestamentlichcs  gleichzeitig  den  Buchdruck  ent- 
fJegeubild  Christus  mit  der  Saina-  wickelten;  die  Verbreitung  der 
riterin.  Unter  den  mt/thotog Liehen  Kunst  jedoch  über  Deutschland  und 
Figuren,  die  seit  dein  16.  Jahrh.  die  übrigen  Länder  Europas  geht 
beliebt  werden,  nimmt  Scptun  die  I  sicher  von  < Miltenberg  aus.  Johanne* 
erste  Stelle  ein,  im  Gefolge  von  (iutenhern  gilt  als  1 397  zu  Mainz 
Xajaden,  Nereiden,  Tritonen  und:  geboren;  schon  142*  lebte  er  zu 
Seepferden.  Mehr  lokaler  Natur,  Strassburg,  wo  er  alten  Angaben 
aber  oft  durch  besondere  Frische  zufolge,  für  welche  aber  ein  sicherer 
und  Anmut  ausgezeichnet,  sind  Beweis  nicht  beizubringen  ist,  seine 
Wappentiere  (Bär,  Greif,  Löwe),  Kunst  erfand  und  zuerst  ausübte, 
oder  n  appenhat ter  \\\\t  dem  Wappen-  Im  Jahre  1444  oder  45  kehrte  er 
Schild  oder  Lanzknechte  u.  dgl.  \och  nach  Mainz  zurück.  Hier  fand  er 
charakteristischer  sind  Ehrensäulen  nach  vielen  misslungenen  Versuche!) 
für  die  Städten  runder ,  z.  B.  Kaiser  j  einen  reichen  aber  eigennützigen  Ge- 
Au^ustus  auf  dem  Augustusbrunnen  i  se\\sL\u\i\cr  in  Johann  l?u*todev Ifaustj 
in  Augsburg,  oder  alte  Helden,  mit  dem  er  1450  in  ein  Vertragsver- 
Der  Brunnen  ist  im  Mittelalter  nächst  hältnis  trat.  Gutenberg  übte  auch 
<ler  Kirche  die  Stelle  für  das  „Denk-  jetzt  noch  den  Tafeldruck,  arbeitete 
mal  *,  aber  auch  für  Volksscherz  aber  auch  mit  hölzernen  Buchstaben, 
und  Volkswitz,  wie  der  Kindlifresser  Als  erste  Drucke  Gutenbergs  in 
in  Bern,  das  Gänsemannchen  in  Mainz  werden  genannt  Abc-bücher, 
Nürnberg.  Auch  durch  Spruch  rcr*e  Gebetbücher,  Beichtspiegel,  Donate. 
I  Hegte  mau  die  öffentlichen  Brunnen  Ein  weiterer  Fortschritt  war  die  An- 
auszuzeichnen.  Vgl.  Gengier,  Deut-  wendung  von  Metalltypen,  die  aus 
sehe  Stadtrechts- Altertümer.  Kap.  j  freier  Hand  geschnitten  waren,  und 
XII.  Erlangen  18S2.  der  wichtigste  Fortschritt  der  diu* 
Buelidruckerkunst.  Sie  geht  der  Schrifttypen.  1452  wurde  der 
aus  dem  Gewerbe  der  Spielkarten-  Druck  der  lateinischen  Bibel  be- 
verfertiger  und  Briefmaler  (d.  h.  |  gönnen  und  145  »  in  zwei  Folianten 
Bemaler  von  Pergament  oder  Papier  von  600  Blattern  vollendet.  Weitere 
mit  Figuren,  besonders  Heiligen-  Fortschritte  stammen  von  freier 
bildern,  Buchstaben  und  Verzie-  Schettler  aus  Gernsheim,  der  in  Paris 
Hingen)  hervor,  welche  ihre  Bilder  als  Illuminierer  gearbeitet  hatte  und 
vermittelst  gestochener  Holzplatten  von  Fust  a's  Famulus  angestellt 
vervielfältigten  und  schon  im  Beginn  wurde.  Er  ersetzte  die  noch  sehr 
les  15.  Jahrhunderia  su  Innungen  ungleich  und  unscharf  gegossenen 
zusammentraten.  Von  einzelnen  Buchstaben  durch  solche,  die  mit- 
Heiligenbilderu  ging  man  später  zu  telst  eines  Stahlstempels  in  dünne 
ganzen  Bilderreinen  mit  begleiten-  Kupfer-  und  Messingplättcheu  ein- 
'lein  Text  über.  Mit  Jlolztafel  druck  geschlagen  wurden.  Nachdem  Fust 
sind  besonders  in  Holland  lateinische  dem  Schöffer  seine  Tochter  zur  Frau 
Elementarbücher,  zumal  der  Donat,  gegeben  hatte,  betrieb  er  145Ö  einen 
uedniekt  worden.  Die  Erfindung  rrozess  gegen  Gutenberg  wegen  Zu- 
ocweglicher  Lettern,  zuerst  in  Holz,  rückbezaliLung  der  geliehenen  Kapi- 
danu  in  Metall,  und  deren  Anwen-  talien,  und  Gutenberg  wurde  ver- 
dang zum  Buchdruck  wurde  schon  urteilt,  die  ganze  Fresse  samt  allem 
im  15.  Jahrh.  allgemein  dem  Jo-  Material  dem  Fust  zu  überlassen. 
hau  neu  (intentterq  aus  Mainz  zuge-  Durch  Unterstützung  eines  geachte* 
»chrieben:  doch  ist  sicher,  dass  auch  ten  Mainzers,  Konrad  Hummer,  ge- 
an  anderen  Orten,  in  Haarlem  Lorenz  langte  Gutenberg  in  den  Besitz  einer 


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92 


Bücher. 


neuen  Druckerei,  aus  welcher  1460 
das  Katholikan,  eine  beliebte  gram- 
matisch-lexikalische Kompilation  des 
Joh.  de  Balbis  hervorging.  Nachdem 
Gutenberg  seine  Druckerei  nach  Elt- 
wyl  im  Rheingau  versetzt  hatte,  starb 
er  um  Neujahr  14GS.  Aus  der  Fust- 
Sehöffersehen  Offizin  ging  1457  das 
iJsalterium  hervor,  das  erste  nach 
Drucker  u.  Druckort  datierte  Druck- 
werk, eins  der  schönsten  Druckwerke 
bis  heute,  mit  verzierten  Initialen 
in  blau  und  rot,  1460  erschien  die 
lateinische  Bibel.  Im  Jahre  1462 
wurde  Mainz  infolge  eines  Streites 
zwischen  dem  Erzbisehof  und  seinem 
Nachfolger  nächtlich  überfallen  und 
zum  Teil  verbrannt:  dabei  ging  aueh 
die  Werkstätte  von  Fust  und  Schöffer 
in  Flammen  auf,  die  Arbeiter,  ob- 
wohl durch  einen  Eid  an  die  Be- 
wahrung des  Geheimnisses  gebun- 
den, verstreuten  sich  und  verbreite- 
ten die  Kunst  an  viele  Orte.  In 
Mainz  erneuerte  Schöffer  sein  Ge- 
schäft und  druckte  fort,  seit  1503 
von  seinen  Söhnen  abgelöst.  Die 
frühesten  Buchdruckereien  anderer 
deutscher  Städte  findet  man  in  Köln, 
Augsburg,  Nürnberg,  Strassburg. 
Speier,  Esslingen,  Merseburg,  Bres- 
lau, Lübeck,  Filsen,  Prag,  Eichstiidt, 
Urach,  Tübingen,  Leiozig,  Memmin- 
gen, Passau,  Wien,  München,  Reut- 
lingen. Erfurt,  Magdeburg,  Heidel- 
berg. Regensburg,  Hagenau,  Ham- 
burg, Freiburg,  Frankfurt  a.  Main, 
Wittenberg,  in  der  Schweiz  Basel, 
Beromünster,  Burgdorf,  Zürich.  Vgl. 
Van  der  Linde,  Gutenberg,  1879; 
Franke,  Handbuch  d.  Buchar.  Wei- 
mar 1S67;  Lorcky  Handbuch  der  Ge- 
schichte d.  Buchdruckerkunst.  Leip- 
zig 1SS2. 

Die  Zeitgenossen  Gutenbergs  und 
ihre  Söhne  und  Enkel  haben  die 
Buchdruckerkunst  stets  als  eine  be- 
sondere Gabe  und  Gnade  Gottes 
angeschaut.  Sie  hat  die  schnei- 
dendste Waffe  gegen  das  roman- 
tische Empfindungsleben  des  mitt- 
leren Alters  unserer  Litteratur  ge- 


sehaffen  und  war  berufen,  auf  den 
mannigfaltigsten  Wegen  von  den 
verschiedensten  Seiten  her  neues 
Bildungsmaterial  zu  beschaffen.  Die 
Buchdruckerkunst  hat  einen  ahn- 
lichen Umschwung  im  ideellen  Ver- 
kehr der  Gedanken  bewirkt,  wie  in 
unserem  Jahrhundert  der  Dampf 
uud  die  Telegraphie  im  Verkehr«  ■ 
des  Handels  und  der  Industrie.  Zu- 
mal bot  diese  Erfindung  den  aus- 
einanderfallenden Stünden  gegen- 
über ein  ganz  unerwartetes  Mittel 
neuen  Zusammenhangs,  das  denn 
auch  bald,  mit  der  Reformation,  in 
grossartigstem  Massstabe  zur  An- 
wendung kam. 

BUener.      Die    Form  unserer 
Bücher  kommt  zuerst  bei  den  Waehs- 
tafeln  vor,  tabula e;  das  Papier  wurde 
meist  gerollt,  Pergament  gefaltet. 
Solche  Wachstafeln  heissen  nxles; 
Uber  bezeichnete  ursprünglich  wohl 
nur  Rollen.     Mehrere   Blätter  zu 
einer  Lage  gefaltet  heissen  quaternio. 
ursprünglien  eine  Lage  von  4  Blat- 
tern, in  den  Büchern  meist  mit  Zah- 
len oder  Buchstaben  gezahlt.  Seit 
dem  14  Jahrb.  finden  sich  die  ein- 
zelnen Blätter  der  Lagen  und  sämt- 
liche Blätter  des  Buches  gezählt 
In  Bezug  auf  das  Format  ist  dem 
hohen  Altertum  vorzüglich  eine  breite 
Quartform  eigen,  die  Seite  zu  4  oder 
3  Kolumnen.   In  späterer  Zeit,  uaeh 
dem  6.  Jahrh.,  kommt  die  Dreiteilung 
nur  noch  selten  vor.  Schon  im  christ- 
lichen Altertum  führte  die  Verehrung 
für  den  heiligen  Inhalt  der  zum  Got- 
tesdienst bestimmten  Bücher  zu  ein-  r 
schönen  äussern  Ausstattung  durch 
die  Kunst  und  frühzeitig  gehörte  ein 
kostbar  eingebundener  Lvangelien- 
eodex  zum  ständigen  Schmuck  der 
Altäre.    Gleiche  Ehre  genoss  das 
Missale.     Ihren   Ursprung  hatten 
diese  Einbände  in  den  Elfenbein - 
distychen,  von  Magistraten  beim  An- 
tritte ihres  Amtes  verschenkt,  xwi 
scheu  welche  man  beschriebene  Per- 
gamentblätter legte.  Die  Buchdeckel 
selbst  bestehen  aus  Holz,  worauf 


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Büchse.  —  Buhurt. 


03 


mau  die  Elfenbeintafeln  festnietete. 
Um  die  Tafel  herum  ziehen  sieh  als 
Umrahmung  mit  Gold-  und  Silber- 
bleeh  umzogene  Ränder,  in  welches 
Edelsteine  und  Perlen  gefasst  sind. 
Jeder  Deckel  hat  stets  seinen  eige- 
nen Schmuck.    In  der  römischen 
Zeit  hatte  man  eigene  Buchbinder, 
später   besorgte    die  Geistlichkeit 
ausser  der  Schrift  auch  den  Ein- 
band.  Förmlich  gewerbsmässig  be- 
trieben zuerst  die  Brüder  des  ge- 
meinsamen Lebens  die  Buchbinderei, 
in  den  Städten  wurde  dieselbe  ein 
bürgerliches  Gewerbe.     Es  giebt 
auch   hückernatnen ,  vorzüglich  für 
Archivstückc,  für  welche  man  keinen 
Autornamen  hatte.  Gerichtsbücher 
heissen  rote  Bücher;  andere  heissen 
Ubri  attreiy  Uber  blancus,  Uber  viri- 
dis, yemma  preciosa,    Uber  niger, 
f  i'Jjer  crin  itus,  Bären  haut,  pa  ti per  Tlen  - 
ricvs,  tiudus  Laurentius ,  die  beiden 
letzten  nach  den  Schreibern.  Kost- 
bar   eingebundene  Bücher  hatten 
zum   Schutz    ein   Hemd,  camisia. 
Einen  gewissen  Bücherhandel  gab 
es  schon  im  Mittelalter;  doch  be- 
schränkte er  sich  auf  einzelne  gang- 
bare Artikel  und  zufällig  in  den 
Handel  gekommene  alte  Manuskripte. 
Man    pflegte    sich    die  gesuchten 
Werke  zum  Abschreiben  zu  erbitten 
oder  schickte  eigene  Schreiber  zu 
diesem  Zwecke.  Durch  Pfänder  und 
Bürgschaften  sicherte  man  sich  vor 
Verlust.  Leute,  die  aus  dem  Bücher- 
abschreiben  und  Verkaufen  ein  Ge- 
werbe machten ,  findet  man  zwar 
schon  im  Beginn  des  Mittelalters; 
nach  langem  Zwischenraum  kommen 
sie  wieder  an  den  Universitäten  zum 
Vorschein.   Sie  vermieteten  Bücher 
zum  Abschreiben,  nach  obrigkeit- 
licher Taxe,  und  vermittelten  den 
Bücherverkauf.    Trotzdem  ist  der 
eigentliche  Buchhandel  nicht  in  Uni- 
versitäten, sondern  in  andern  Städ- 
ten, vorzüglich  in  Mailand,  Venedig 
und  Florenz  aufgekommen,  dann  in 
Frankreich  (Paris),    England  und 
den  Niederlanden.    In  Deutschland 


pflegten  die  Studenten  ihre  Bücher 
mehr  als  anderswo  selbst  abzuschrei- 
ben, oder  sie  entlehnten  sie  aus  den 
Kloster-  oder  Universitätsbibliothe- 
ken. Ausserhalb  des  geistlichen 
Standes  kam  erst  spät  ein  Lese- 
bedürfnis auf.  Frauen  besassen 
ihren  in  der  Regel  in  einem  Kloster 
geschriebenen  Psalter.  Um  Andachts- 
Dücher  und  Schulbücher  machten 
sich  vornehmlich  die  Brüder  vom 
gemeinsamen  Leben  verdient.  An 
den  Höfen  schrieb  etwa  der  Hof- 
kaplan, in  den  Städten  der  Schul- 
meister und  der  Stadtschreiber  Bü- 
cher ab.  auch  Pirmenter  (Pergament- 
macher) verkauften  und  lkaufteu 
Bücher  auf  der  Messe.  Buden,  in 
denen  man  Schreibmaterialien  und 
Bücher  verkaufte,  pflegten  an  die 
Wand  der  Kirche  gestellt  zu  wer- 
den. Wattenbach,  Schrift wesen  des 
Mittelalters. 

Büchse,  siehe  Artillerie  und 
Ciborium. 

Buhllied  ist  im  16.  Jahrh.  ein 
Name  für  Liebeslied:  Hans  Sachs 
braucht  z.  B.  diesen  für  seine  Zeit 
edeln  Ausdruck. 

Buhurt,  der,  wie  das  mhd.  der 
hurt,  Stoss,  stossendes Losrennen,  aus 
dem  Französischen  aufgenommen, 
behourd,  mittellat.  baqorda,  aus  dem 
Stammwort  heurt.  It.  urto,  Stoss, 
mlat.  hurdus,  —  Bock  aus  keltisch 
hwridh,  Stoss  und  Bock.  Der  Bu- 
hurt steht  als  ritterliches  Kampf- 
spiel, wobei  Haufe  gegen  Haufe 
kämpft,  dem  Host  gegenüber,  wobei 
Mann  gegen  Mann  steht.  Mit  dem 
Turnier  Derührte  sich  der  Buhurt 
nur  dann,  wenn  im  Ernste  buhur- 
diert  wurde,  auf  Streitrossen  mit 
eingelegtem  Speer.  Gewöhnlich  war 
jedoch  der  Buhurt  bloss  Spiel  und 
Kurzweil,  das  man  bei  hochgeziten 
fürstlichen  Personen  zu  Ehren 
gab;  statt  der  Schwerter  wurden 
Stäbe  gebraucht.  Vgl.  Niedner, 
das  deutsche  Turnier,  Berlin  1881. 
S.  35  ff. 


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94  Bundschuh.  -  Burg. 


Bundschuh.  Im  Mittelalter  der  turen  römischer  Bauwerke.  Einzig 
Name  für  den  Bauernschuh,  mhd.  die  Königin  Brunhilde  galt  ab- 
hunbehuoch  ein  Schuh,  der  gebunden  eine  Burgenbauerin  und  genott  des- 
wird.  „Die  Schuh  bettend  auf  bei-  halb  den  Ruf  einer  zweiten  Semi- 
den  Seiten  Riemen,  dreyer  Ellbogeu  ramis.  Im  ganzen  suchten  die  Fran- 
lang,  die  Höcht  mau  und  schnürt  >ie  ken  ihren  Aufenthalt  nach  alter 
uuiü  die  Bein  und  leine  Hosen  creuz-  Sitte  auf  dem  Lande  in  den  Villen, 
weis  herumb  wie  ein  getter."  Das  Doch  belassen  die  Könige  auch  Pa- 
Wort  steht  im  Gegensatz  zu  dem  laste  in  den  Städten;  auch  befestigte 
feinen,  zierliehen  brisschuh,  mhd.  Klöster  werden  genannt,  und  Karl 
hrU-scnuochy  ein  Schuh  zum  einbrei-  Martell  wird  der  Bau  der  Burg  KnU- 
sein,  schnüren.  Statt  buntschuoch  heim  bei  Colmar  und  der  Siifzbttrp 
sagte  man  auch,  aber  nur  in  der  an  der  Saale  zugeschrieben.  Bei 
eigentlichen  Bedeutung,  bottchuoch,  diesen  und  andern  Königsbauteil 
bozsehuoch.  Die  Einführung  des  j  diente  das  römische  Kastell  zun; 
Bundschuhs  wurde  auf  Karl  den  Vorbilde,  während  die  Bauweise  dt* 
Grossen  zurückgeführt.  Seit  der  I  einzelnen  Jf'reien  lediglich  als  Welter- 
Mitte  des  lf».  Janrh.  und  besonders  entwicklung  der  altdeutschen  Haus- 
im  Jahre  1513  verwendeten  auf-  einriihtung  erscheint,  wie  sie  sicli 
rÜhrerische  Bauern  den  Bundschuh  noch  heute  in  einzelnen  Gegenden 
als  Bundes  -  Zeichen,  worauf  das  j  Westfalens  erhalten  hat.  Unter  Karl 
Wort  gänzlich  in  die  Bedeutung  d.  Gr.  bestanden  noch  die  meisten 
von  Empörung,  liundschüher  in  die  f  jrtifikatorisehen  Anlagen  aus  H«»lz 
von  Empörer  überging.  Man  den-  und  Erde.  Abgesehen  von  deu  Kesten 
tete  dann  Bund  nicht  mehr  auf  der  Pfalzen  zu  Aachen,  Ingelheim 
das  Binden  der  Riemen,  sondern  und  Frankfurt  a.  M.  sind  die  Wacht- 
auf Bund,  Aufruhr.  Grimm,  Wörter-  türme  fast  die  einzigen  Überbleibsel 
buch.  i  massiver  Bauart  aus  der  karolingi- 

Burg,  ein  uraltes  Wort,  wörtlich  sehen  Zeit;  diese  Türme  sind  vier- 
die  bergende,  schützende  Stätte;  Ta-  eckig  oder  rund,  hissen  den  Kingaug 
citus  nennt  in  der  Germania  ;i  einen  nur  durch  eine  Leiter  erreichen,  eine 
Ort  Asciburgium ,  d.  i.  eine  feste  in  der  Mauerdicke  angebrachte 
Schiffsstation,  von  MC,  Esche,  und  Treppe  führte  zu  einem  Zwischen- 
bu$*gt  andere  Ortsnamen  auf  burgion,  Stockwerke  oder  unmittelbar  auf  die 
bürgt  um  sind  von  griechischen  Auto-  bezinnte  Plattform.  Auch  unter  eleu 
reu  genannt.  f  fjilas  verdeutscht  spatern  Karolingern  wurden  die  we- 
j>o/h  durch  baurg's,  ebenso  Tatiau,  nigen  Burgen  fast  bloss  aus  rein 
Otfried,  Heliand  die  Wörter  urfut,  ■  militari  sehen  Gesichtspunkten  für 
Hiitas;  daher  die  alten  Städtenamen  gemeinsame  Zwecke  des  Reiches  er- 
mit  bürg:  Regensburg ,  Strasburg,  baut.  Als  befestigte  Sitze  mächtiger 
Augsburg,  Magdeburg ,  Bildungen.  Herrengesehlechter  erscheinen  Bör- 
nchen welchen' auch  das  stammver-  gen  in  Deutschland  seit  dein  10 
wandte  berg  zum  Teil  für  den  glei-  Jahrb.,  die  kleineren  Lehensträger 
chen  Platz  vorkommt:  Bamberg,  wohnten  noch  auf  den  Höfen.  Als 
Königsberg,  yUrnbcrg.  Die  Anfänge  die  ältesten  deutschen  Jlerrenbur  ttii 
selbständiger  Entwicklung  des  werden  genannt  Hohen  t trief,  Stamm- 
Kriegsbauwesens  im  Mittelalter  lie-  heim,  Ihepofdsbttrg  und  Onfrulinqa, 
gen  bei  den  Franken;  Goten.  Lau-  alle  wenige  Stunden  von  einander 
gebärden  und  Burgunder  arbeiteten  entfernt.  Erst  die  Xormaunenem 
noch  mit  römischen  Werkleuten;  falle  und  Ungarkriege  verlangten 
doch  bestehen  die  Kriegsbauten  des  durchaus  eine  grössere  Zahl  fester 
5.  u.  6.  Jahrh.  fast  nur  in  Repara-  Plätze;  doch  scheint  die  bekannt' 


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05 


Maßregel  Heinrich  I.   überschätzt  geachtet,  nameutlich  wenn  es  sich 
worden   zu  sein;  die  Hauptsache  uui  Widerstand  gegen  die  Krone 
war,  das*  grössere  Wohnplätze  mit  handelt.     Auch   die  Königsburgen 
Mauern  und  Graben  und  mit  regel-  nahmen  unter  solchen  Umständen 
massiger  Besatzung  versehen  wer-  zu,  z.  B.  unter  Heinrich  IV.  Die 
den   sollten.     Das  geschah   unter  Gesamtmasse  der  selbständigen  Bur- 
Heinrich  I.    gewiss    mit  Hersfeld  gen  sind  Hokenburgen  oder  Sieder- 
uud  Merseburg,  wahrscheinlich  mit  bürgen.    Einfache  Burgnamen  sind 
Quedtitd/urg   und   Corre'r,    auf  er-  selten  .und  off  fremden  Ursprungs: 
obertem  sfavischen   Boden    wurde  ,  Clamm,  Wald,  Brunn,  Erla,  Dobra, 
Meissen  augelegt.    Unter  den  O/tu-  ;  Khaja.  Bei  den  zusammengesetzten 
neu  kamen  hinzu  Magdeburg,  Hai-   Namen  erscheint  am  öftesten  Stein ; 
Itersladf  ,    St.    Galten,    Garze;   Bi  '  Fels  nicht  oft,  auch  Burg  seltener, 
schöfe  befestigten  die  Sitze  Worms,  dagegen  sehr  häutig  Berg,  in  der 
Lnttich  ,    ^adertorn  ,    Hildesheim,   Ebene  Dorf  und  heidi  sonst  auch 
Bremen,    Naumburg.     Köln,   Cum-   noch  W  örth,  Furt,  Eck,  Biiehel,  Lei- 
hroi und   Verdun  erhalten  im  12.  ten  (Abhang),  Hoch.  Auch  zur  klein- 
Jahrhundert  eine  bedeutende  Ver-  sten  Burg  sind  fünf  Stücke  unent 
Stärkung  ihrer  Werke.    Alle  diese  behrlich:  1)  der  Zingel,  die  Umfas- 
festen  Sitze  haben  den  gemeinsa-  sungsmauer.  2>  Der  Halas,  die  Halle 
men  Namen  Burg,  latein.  Castrum,  des  Burgherrn.    3)  Die  Kemenate, 
casttHum,  opuidum,  mit  dem  beson-  ein  mit  einer  Feuerstätte  (ca  minus) 
deren  Begriff  der  Befestigung  oder  versehenes  Gemach,  welches  dem 
blas«    als    Bezeichnung    grösserer  eigentlichen  Familienleben,  insbeson- 
Wohnplätze  urhs,  ciritas,  munici-  dere  dem  Aufenthalte  der  Frauen 
pium    Die  neuen  Burgenbauten  ent-  diente,  auch  gadem.    4)  Küche  uud 
standen  infolge  innerer  Kriege,  zur  5j  das  Bergj'rid,  der  Turm,  aus  l>er- 
Sicherung  gegen  geistliche  und  weit-  qen  und  rrtde  =  Schutz.    Da  sich 
liebe  verfeindete  Fürsten.   Vasallen   Palas,  Kemenate  und  Küche  in  den 
und  Ministerialen  fingen  an,  ihre  Geschossen  des  Turmes  anbringen 
Wohnsitze  zu  befestigen.    Das  be-  liessen,  so  war  zu  der  kleinsten  Burg 
garui  mit  Ummaunrung  der  Höfe ;  nichts  nötig  als  Umfassungsmauer 
uud  führte  allmählich  zur  Anlage  und  Turm.  Den  Gegensatz  zu  diesen 
künstlich  befestigter  Plätze  an  den  kleinen  Burgsfullen  bilden  die  JFof- 
dazu  besondere  geeigneten  Ortlich-  bürgen,  deren  volle  Ausbildung  in 
keiten.    Man  zog  aus  den  Dörfern  spatere  Zeit  fallt.    Unter  den  frän- 
auf  die  Höhen  oder  auf  Inseln  oder  kischen  Kaisern  erfolgen  bedeutende 
in  schwer  zugiingliche  Sümpfe.  Seit  Fortschritte  im  Burgenbau.  Der  ro- 
dein Ende  de*  y.  Jahrh.  werden  diese  manische  Stil  tritt  auf.  man  ging  von 
Burgen  zahlreicher,  namentlich  in  den  Einzelburgeu  über  zu  Jiuraen- 
Lothringeu.    Manche  Burg  wurde  j  grujmen;  der  Bergfrid  oder  Turm 
gegründet,  um  friedliehen  Beschäfti-  wurde  bloss  für  den  Notfall  auf  be- 
gungen  Schutz  zu  gewähren,  Strassen  halten.  Palas  und  die  übrigen  Burg- 
oder Flüsse  zu  beherrschen,  den  Ver-  teile  werden  in  Stein  aufgeführt  und 
kehr  zu  beschützen,  geradezu  Raub  hin  und  wieder  ornamentiert.  Die 
zu  üben,  ja  gegen  den  König  selber;  Dichter  sprechen  jetzt  von  „tum  und 
auch  folgte  wohl  einer  ohne  bestimm-  palas".  Die  erste  nachweisbare  Burg 
ten  Grund  bloss  dem  Beispiel  eines  dieser  Zeit  ist  die  Habsburg  bei  Brugg 
andern.    Zwar  galt  als  Recht,  dass  im  Aargau;  andere  sind  Kiburg  bei 
zur  Anlage  befestigter  Plätze  die  Er-  Winterthur,  Hohen- Egisheim  in  den 
lauhnis  des  Königs  nötig  sei,  doch  Vogesen  und  ebendort  Kastenburg 
wurde  im  einzelnen  darauf  wenig  und  Trifels;  als  eine  der  ältesten 


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96 


Bürger.  —  Burggraf. 


Hofburqen  erscheint  in  dieser  Zeit  aber  wie  es  scheint  mehr  traditioneil 


die  Wartburg.  Eine  neue  Periode 
desBurgenbaues  setzt  mit  den  Kreuz- 
zügen  ein,  die  Früchte  ihrer  Erfah- 
rungen zeigen  sich  teils  in  zweck- 
mässiger u.  reicherer  Ausgestaltung 
der  scholl  vorhandenen  Formen,  teils 
in  der  Ausführung  neuer  Errungen- 
schaften. Betreffend  die  Ausstattung 


als  eigentlich  praktisch.  Seinen 
Hauptdienst  leistet  er  als  Warte,  zu 
welchem  Ende  er  oft  durch  einen 
hölzernen  Aufbau  mit  Helm  erhöht 
wird.  Der  Turm  galt  derart  als  ar- 
chitektonisches Abzeichen  des  Adels, 
dass  selbst  das  städtische  Patriziat 
Türme    neben    ihre  Bürgerhauser 


den  Mauergürtels  werden  die  Mauern  stellte.  Auf  dieser  Stufe  blieb  der 
"höher,  für  die  grossen  Antwerke  wird  ,  deutsche  Burgenbau  des  Mittelalters; 
der  Wallgang  verbreitert  durch  das  '  die  neue  fortifikatorische  Technik. 
Ansetzen  überwölbter  Strebej>feiter  die  ihn  ablöste,  kam  aus  Italien. 
nach  innen  -,  die  Zinnen  entwickeln  Nach  Jahns,  Geschichte  des  Kriegs- 
sich  in  mannigfaltigsten  Formen;  in  wesens.  Vgl.  auch  Schultz^  höfisches 
den  Mauerwinkeln  werden  Schützen-  Leben  I,  Abschnitt  1. 
und  Schaarwartttirmchen,  ballUta-  Bürger.  Mhd.  burgaere  bedeute: 
rien ,  für  Bogen-  und  Armbrust-  das  Ingesinde  des  Herrn  der  Bnnr, 
schützen  angebracht.  Der  Erker  dann  die  Bewohner  einer  befestigten 
erscheint  ab  neue  fortifikatorische  Stadt.  Siehe  Städte. 
Form,  mhd.  (irker,  aus  mittellatein.  Burggraf,  mhd.  buregrdre,  lat. 
dreora  von  lat.  arcus.  Bogen.  Zum  burgravius,  praefectus  oder  praetor 
Herabgiessen  siedenden  Wassers,  urbis,  burgicomes,  eomes  ttrtn's,  be- 
brennenden Pechs  und  dgl.  dienten  zeichnet  ein  Amt,  das  in  seinem  Ur- 
Gussloeher  oder  Pechnasen.  Brachte  Sprung  nicht  wesentlich  verschieden 
man  den  Erker  auf  dem  ganzen  Um-  ist  von  dem  der  Grafen  überhaup  t, 
fange  des  Mauergauges  oder  der  Es  ist  an  einen  befestigten  oder  sonst 
Turmplattform  an,  so  entstanden  die  bedeutenden  Ort  geknüpft ,  wo  der 
Vmgonqe-,  in  Holz  ausgeführt,  was  Inhaber  die  gräflichen  Rechte,  mili- 
oft  vorkam,  heissen  sie  Hürden,  auch  tärische,  gerichtliche  und  andere  zu 
dann  noch,  als  man  sie  der  Feuers-  üben  hatte;  die  Wirksamkeit  des 
gefahrlichkeit  wegen  aus  Mauerwerk  Grafen  konnte  auf  die  Stadt  be- 
baute. Den  Grundriss  betreffend  schränkt  oder  damit  ein  umliegendes 
ging  mau  im  13.  Jahrh.,  zuerst  in  I  Landgebiet  verbunden  sein.  Das  äl- 
Frankreich,  dazu  über,  den  Türmen  teste  BurgcTafenamt  ist  das  zu  Re- 
sowohl  einen  grösseren  Durchmesser  gensburg,  das  unmittelbar  unter  dem 
zu  geben  als  auch  ihre  Flanken  zu  Köllig  stand  und  wie  andere  Graf- 
verHingern,  indem  man  sie  mit  einem  schatten  in  den  erblichen  Besitz  einer 
schnabelartigen  Vorsprung  versah,  angesehenen  Familie  kam.  Sonst 
Das  zeigt  sien  zuerst  an  der  Heraus-  Stent  fast  überall  der  Burggraf  unter 
bildung  des  Propugnaculums,  der  einem  geistlichen  Fürsten,  der  die 
Thorburg,  einer  Nachahmung  der  gräflichen  Rechte  in  der  Stadt  er- 
orientalischen Babacane  -,  mhd.  die  worben  hat  und  sie  nun  ganz  oder 
barbigan.  ist  ein  aus  Holz  oder  Erde  teilweise  durch  jenen  ausüben  lasst. 
hergestelltes  Aussenwerk,  mit  Zug-  So  findet  es  sich  seit  dem  Ende  des 
brücke,  breitem  Graben  und  äussern  10.  Jahrh.  in  Toul,  Worms,  Köln. 


Patiiiaden  versehen.  Ein  anderes 
Aussenwerk  ist  der  Ztcinger,  eben- 
falls dem  Orient  entlehnt',  zwischen 
einer  äussern  und  einer  innern  Mauer. 
Als  Kern  der  Burgbefestigung  er- 


Magdeburg, Strassburg,  Speier. 
Mainz,  Trier,  Metz,  Verdun,  Cambrai. 
Utrecht,  Augsburg,  Würzburo,  Bam- 
berg, Salzburg,  Münster,  Paaerborn. 
Halberstadt  Hersfeld,  Oorvei,  Molk. 


hält  sich  der  Hauptturm,  berefrid,  Um  Übergriffe  von  Seiten  machtiger 


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Kur*,  Burse.  —  Byzantinischer  Baustil.  97 


Burggrafen  zu  vermeiden,  wurde  das  derm  auch  Getreide,  Most  und  Öl 
Amt  seit  dem  12.  Jahrh.  öfters  an  die  Fülle  verleiht.  Joel  1,  14.  2,  15 
Ministerialen  vergeben.  Es  kommt  —24.  Anfänglieh  waren  es  drei 
auch  vor,  dass  Vorsteher  kleinerer  Zeiten,  am  4.,  7.  u.  10.  Monat  (vom 
Orte  iunerhalb  fürstlicher  Territorien  Marz  an  gerechnet),  die  bis  zur  Mitte 
als  Burggrafen  bezeichnet  werden,  des  5.  Jahrh.  durch  einen  vierten 
Waitz,  \  erfassungsgesch.  VII,  41  ff.  zu  Anfang  der  Quadragesima  ergänzt 
Bars,  Burse,  die,  heisst  auf  den  wurden.  Im  frankischen  Reich  wur- 
uiittelalterlichen  Universitäten  der  den  die  Quatemberfasten  durch  das 
Konvikt  für  die  Studenten,  benannt  Konzil  von  Mainz  813  eingeführt, 
von  dem  wöchentlichen  Beitrag  >  Die  Tage  sind  Mittwoch  nach  In- 
(hurta  -  lederner  Beutel,  Börse),  den  voeavit  (erster  Sonntag  der  Fasten), 
die  einzelneu  Mitglieder,  combursales,  nach  Pfingsten,  nach  Kreuz  Er- 
Utrgafr*,  leisteten.  Siehe  den  Art.  höhung  (14.  Sept.)  und  nach  Lucia 
Universitäten.    Als  Kollektivbegriff i  1 13.  Dez.). 

einer  Rotte  oder  Schar  von  Gesellen,  In  der  evangelischen  Kirche  wur- 
uamentlich  von  Studenten  od.  Kriegs- !  der  in  erster  Linie  Mittwoch  uud 
leuten  oder  ihres  Gelages  wird  das  Freitag  für  Wochenpredigten  bei- 
Wort  die  Burse  oder  spater  die  j  behalten,  sodann  jährliche  Bet-  und 
Bursck  im  16.  u.  17.  Janrh.  fest-  Busstage  angesetzt  an  den  Quatem- 
gehalten;  allmählich  ging  das  Wort  bern,  in  manchen  Gegenden  mouat- 
wie  camerata  und  Frauenzimmer  liehe  Busstage  eingeführt.  Xarneut- 
yon  dem  singularen  Kollektivbegriff  lieh  im  17.  Jahrh.  sind  neue  allge- 
in  den  pluraleu  Begriff  über  zur  Be- i  meine  Bet-  und  Busstage  in  den 
Zeichnung  derer,  che  zur  Burs  ge- '  evangelischen  Ländern,  zum  Teil  in 
boren,  und  zuletzt  entwickelte  sich  i  Anlehnung  an  geschichtliche  Ereig- 
üaraus  ein  männlicher  Singular,  der  nisse,  aufgekommen,  infolge  der 
Barsch,  Bursche.  Grimm,  Wörter-  |  Türkenuot ,  des  30jährigen  Krieges, 
huck.  in  der  retormirten  Schweiz  infolge 

Busstage  gehen  in  ihrem  Ur- 1  des  Vilmerger  Krieges. 
Sprung  auf  die  älteste  christliche  Byzantinischer  Baustil  in 
Gottesdienstordnung  zurück,  und  ,  Deutschland.  Wie  der  romanische 
wurden  anfangs  der  Mittwoch  und  Baustil  aus  dem  Basilikenhau ,  so 
der  Freitag  als  solche  gefeiert,  der  geht  der  Byzantinische  aus  dem 
erstcre  mit  Beziehung  auf  den  Ver-  \  Centralhau  isiehe  diesen  Art.)  her- 
rat des  Herrn,  der  andere  mit  Be-  •  vor.  Seine  besondere  Ausbildung 
ziehung  auf  seine  Kreuzigung;  die  fand  der  Byzantinische  Stil  im  Mor- 
beideu  Tage  wurden  mit  Fasten  bis  geulande ,  doch  finden  sich  unter 
3  Uhr  nachmittags  begangen,  zu-  den  Kirchen,  welche  zur  Zeit  der 
gleich  durch  gemeinsames  Gebet,  Goteuherrschaft  am  Schlüsse  des 
Lesen  der  Schrift  und  Predigt.  Buss-  \  5.  Jahrh.  durch  römische  und  grie- 
seiten  waren  die  40  tägigen  Quadra-  chisehe  Baumeister  ausgeführt  wur- 
gesimalfasten  vor  Ostern  und  zum  den,  auch  einzelne  Ceutralbauten. 
Teil  der  Advent.  Besondere  Buss-  uud  gerade  diese  waren  es,  die  Karl 
tage,  die  sich  an  den  Wechsel  der  d.  Gr.  für  seinen  bedeutendsten 
Jahreszeiten  anschliesseu,  waren  die  Kirchenbau,  den  des  Münsters  zu 
Uuatember,  Dank-  und  Fastentage,  Aachen .  zum  Vorbild  wählte.  Er 
die  seit  dem  3.  Jahrh.  eingesetzt  ist  aber  nicht  weiter  wiederholt  wor- 
wurden  mit  Berufung  auf  den  Pro-  den.  Das  Vorbild  des  Aachener 
pheten,  der  durch  Fasteu  geheiliget  Münsters  ist  $an  Vitale  zu  Jiarenna. 
***in  läset  die  Bitte  um  das  Heil  Die  Umfassungsmauern  bilden  ein 
<le*  Volks,  worauf  Gott  unter  an-  Achteck  (mit  östlich  vorgelegter 
Realleiicoa  der  deaucheu  Altertümer.  7 


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98 


Cäcilia. 


Apsisl,  aus  dessen  Mitte  sich  eine  Kämnfergesimse  stützen  im  iiinern 

Sieichfalls  achteckige  Kuppel  erhebt;  den  Mittelbau.  Über  den  Bogen, 
er  niedrigere  Umgang  besteht  aus  welche  diese  Pfeiler  verbinden,  er- 
zwei  Stockwerken:  das  untere  Stock-  '  heben  sich  die  bedeutend  böbern 
werk  öffnet  sich  zwischen  den  acht  Arkaden  des  /weiten  Stockwerke 
die  Kuppel  tragenden,  durch  Bogen- 1  von  denen  früher  jede  durch  eine 
Wölbungen  verbundenen  Hauptpfei-  j  doppelte  Säulenstellung  von  zwei 
lern  (  zwischen  denen,  mit  Ausschluss  Säulen  in  drei  Abteilungen  geteilt 
der  Ostseite ,  je  2 ,  im  ganzen  also  j  war.  Die  untere  dieser  Säulenstel- 
14  Säulen  aufgestellt  sind)  innerlich  lung  trug  innerhalb  jeder  Arkade 
in  den  Ceiitraloau;  das  obere  Stock-  !  ein  Mauersrück,  mit  einem  Bogen 
werk  bildet  eine  von  jenen  Säulen  in  seiner  Mitte,  auf  welchem  dann 
und  Krenzwölbungen  getragene,  um-  die  beiden  obern  Säulen  aufstanden 
laufende,  vor  der  Apsis  unterbro-  und  mit  einem  einfachen,  ziemlich 
diene  Empore.  Ähnlich  besteht  das  unschönen  ,  architrav  -  ähnlichen 
Aachener  Münster  aus  einem  innen  Mauerstück  an  den  Bogen  der  Ar- 
achteckigen,  mit  einer  hohen  Kuppel  kade  anstiessen.  Über  diesen  Arka- 
überwölbten  Räume,  umgeben  von  den  sah  man  die  acht  rundbogigen 
einem  sechzehneckigen  Umgänge  ge-  Fenster  der  Kuppel  und  endlich  die 
ringerer  Höhe,  aber  in  zwei  Stock-  Wölbung  selbst,  in  welcher  in  Mosaik 
werken,  mit  einem  Eingange  durch  auf  .Goldgrund  Christus  unter  den 
einen  Turmbau  auf  der  westlichen  24  Altesten  dargestellt  war.  OfU, 
und  einer  Doppelkapelle  als  Altar-  flandb.  d.  kirchl.  Kunstarch. ,  Ab- 
nieche  auf  der  östlichen  Seite.  Acht  sehn.  60.  Schnaase,  Kunstgeschichte 
starke,  zusammengesetzte  Pfeiler,  III,  486 ff. 
ohne  Kapitale,  mit  einem  einfachen 


c. 

CUcilia,  heilige,  war  der  Legende  fekten  enthauptet,  Cäcilia  dagegen 
zufolge  eine  römische  Jungfrau  von  |  zuerst  in  ein  glühend  heisses  Ba«i 
edler  Herkunft,  die,  heimlich  zum  gebracht  und,  da  dieses  sie  nicht 
christlichen  Glauben  bekehrt,  das  verletzte,  zur  Enthauptung  verurteilt. 
Gelübde  fortwährender  Jungfräu- J  Dreimal  versuchte  es  der  Henker, 
lichkeit  gethan  hatte,  da  sie  nur  ohne  dass  es  ihm  gelang,  und  erst 
Christi  Braut  sein  wollte.  Als  ihre  nach  drei  Tagen  starb  sie  infolge 
heidnischen  Eltern,  die  von  dem  der  ausgestandenen  Märtyrerleiden 
Gelübde  nichts  wussten,  sie  einem  im  J.  230.  Einer  spätem  Lebende 
vornehmen  römischen  Jüngling  Va-  des  14.  Jahrh.  zufolge  soll  sich  Cä- 
lerianus  zur  Frau  bestimmten,  rief  eilia,  bevor  sie  zum  Tode  geführt 
sie,  während  die  Hochzeitsmusik  er-  wurde,  die  Gnade  erbeten  haben, 
klang,  im  Stillen  Gott  an  und  be-  noch  einmal  die  Orgel  zu  spielen 
kam  dadurch  die  Kraft,  den  Vale-  und  dazu  das  Lob  Gottes  zu  singen, 
rian  und  seineu  Bruder  Tiburtius  am  Schluss  des  Gesanges  aber  selbst 
zum  Christentum  zu  bekehren;  die-  das  Orgelwerk  zertrümmert  haben, 
selben  wurden  jedoch,  da  sie  sich  damit  es  nie  zu  unheili^en  Zwecken 
mit  Eifer  den  Werken  christlicher  missbraucht  werde;  auf  dem  Wejre 
Liebe  widmeten,  auf  Befehl  des  Prä-   zur  Gerichtsstätte  habe  sie  endlieh 


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Calvarienberge.  —  Campus  Martius.  99 


durch  ihren   heiligen  Gesaug  den  i  Gr.  die  Versammlung    häutig  im 

Henker  selbst  bekehrt.  Früh  wurde  Juni,  Juli  oder  erst  im  August  ab- 

die  heil.  Cäciüa  in  die  Zahl  der  hielt.   Campus  Madius  erinnert  fort- 

grossen  Heiligen  und  Märtyrer  auf-  während  an  die  alte  Heeresversamm- 

genommen.     Ihr  Attribut  ist  die  lung.  während  die  Namen  Synodits, 

Orgel,    deren  Schutzpatronin    wie  Synodalis  conventus,  die  man  der- 

je  der  Musik  überhaupt  sie  ist.  selben  Versammlung  beilegte,  auf 

Tarienberge  heissen  plasti-  die  enge  Verbindung  mit  den  kirch- 


diejenig 


sehe  Nachbildungen  Golgathas,  ein 
Hügel  mit  dem  zwischen  den  Schä 


liehen  Zusammenkünften  der  Bi- 
sehöfe, der  Name  PlacUum  auf  die 


ehern  gekreuzigten  Heiland.  Im  ;  grossen  Hofgerichtstage  und  endlich 
späten  i  Mittelalter  wurden  solche  j  ciie  Namen  Generalis  convenfus,  (Jon- 
oft  in  der  Nähe  von  Städten  so  an- '  venhis  allein,  ConHHum  auf  die  all- 
gelegt, dass  ein  Gebäude,  etwa  das  gemeine  politische  Bedeutung  dieser 
Haus  des  Stifters,  als  Haus  des  Pi-  Institution  hinweisen.  Manchmal 
latus  angenommen  und  die  notwen-  wurde  das  Maifeld  erst  mitten  wäh- 
digen  Stationen  dazu  in  gehöriger  rend  des  Zuges  abgehalten,  sonst 
Entfernung  bezeichnet  wurden.  aber  unmittelbar  vor  Begiun  eines 
Campus  Martins  igt  die  Ver-  Feldzuges,  wobei  dann  die  Berufung 
Sammlung  des  frank.  Heeres,  die  zu  zur  Versammlung  zugleich  als  Aut- 
Chlodwigs  Zeiten  regelmässig  im  forderung  und  Gebot  erscheint,  sich 
März  zum  Zwecke  einer  Musterung  wohlgerüstet  zum  Heere  einzufinden, 
stattfand.  Auf  ihr  sollten  dem  Kö-  Auch  wenn  kein  Feldzug  stattfand, 
nige  auch  die  jährlichen  Geschenke  wurde  die  Versammlung  abgehalten, 
dargebracht  werden;  eine  Beratung  In  andern  Fällen,  wo  kirchliehe  Ver- 
zw i sc hen  Könij?  und  Heer  fand  da- 1  hältnisse  sich  geltend  machen,  trägt 
bei  im  allgemeinen  nicht  statt.  Mit  die  Versammlung  den  Charakter 
dem  Heranwachsen  des  fränkischen  eines  Konzils,  besonders  unter  Lud- 
Reiches  wurde  eine  solche  allgemeine  wig  dem  Frommeu.  Manchmal  wurde 
Heerversammlung  unmöglich ;  wegen  im  Herbste  eine  zweite  kleinere 
der  Teilung  der  Reiche,  wegen  Reiehsversammlung  abgehalten.  In 
der  Beschränkung  der  auswärtigen  Beziehung  auf  den  Ort  bestand 
Kriege  auf  einzelne  Gebiete,  wegen  (  keinerlei  allgemeine  Gewohnheit, 
der  immer  wiederkehrenden  innern  Wog  der  militärische  Charakter  vor, 
Streitigkeiten  kam  das  ganze  Volk  so  bestimmte  die  Gegend  des  Krie- 
kaum  jemals  mehr  zusammen.  Nur  ges  den  Ort  der  Versammlung ;  sonst 
in  Austrasien  erhielt  sich  die  alte  berief  Karl  d.  Gr.  das  Maifeld  gern 
Sitte  der  alljährlichen  Versammlun-  an  seine  Pfalzen  zu  Worms  und 
gen :  hier  wurde  ihnen  sogar  ein  Aachen,  wohin  auch  Ludwig  d.  Fr. 
grösseres  Recht,  als  sie  früner  be-  die  meisteu  Reichstage  anordnete, 
eessen  hatten,  zuerkannt-  nur  war  Ort  und  Zeit  einer  Versammlung  wur- 
es  nicht  mehr  das  ganze  Heer,  son-  den  entweder  von  einer  Versammlung 
dern  bloss  die  Beamten  und  Grossen  selber  für  die  nächstfolgende  be- 
wies Reiches,  die  hier  zusammen-  stimmt,  oder  der  Kaiser  mit  seinen 
kamen  und  mit  dem  Könige  die  Räten  gab  die  Entscheidung.  Be- 
Verhältnisse des  Reiches  berieten  sondere  Schreiber  und  Boten  gingen 
und  Gesetze  erliessen.  Unter  Pinin  dann  an  die  Grossen  des  Reiches, 
wurde  die  Märzversammlung  auf  aen  Die  Beratungen  und  Beschlüsse 
Mai  verlegt,  das  Märzfelu  in  ein  gingen  stets  bloss  vom  Kaiser  und 
Maifeld,  Campus  Madius,  verwan- 1  aen  Grossen  des  Reiches  aus,  die 
d  It,  und  zwar  wurde  der  Name  versammelte  Menge  beteiligte  sich 
auch  dann  beibehalten,  als  Karl  d.  nicht  daran.  Sowohl  diejenigen  Gros- 


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100  Campus  Martins. 


sen,  die  Karl  d.  Gr.  als  erste  Kat-  hing  war  zugleich  ein  Ausdruck  der 

geber,  senatores,   bezeichnet  hatte  im  deutschen  Volk  lebenden  Auf- 

und  die  eine  Art  Ausschuß  bildeten,  fassung  vom  Staat,  nach  welcher 

als  die  übrigen  Grossen,  hatten  ein  jederzeit  ein  Zusammenwirken  von 

besonderes  Lokal.  Bei  gutem  Wet-  Herrscher  und  Volk  in  deu  wichti- 

ter  berieten  sie  nach  der  alten  Sitte  geren  Angelegenheiten  erforderlich 

aller  Volksversammlungen  im  Freien,  ist,  die  zu  verschiedenen  Zeiten  eiue 

sonst  in  bedeckten  Räumen.    Eine  verschiedene  Bethätigung  erhalten 

feste  Ordnung  in  betreff  der  Ge-  hat,  die  sich  aber  auch  hier,  nur  in 

Schäftsführung  bestand  nicht,  die  bestimmt  aristokratischen  Formen. 

Anträge  gingen  bald  vom  Kaiser,  zeigt  und  nicht  gering  angeschlaLvu 

bald  vom  Ausschuss  aus.  Von  einer  werden  darf.   Wohl  sind  es  die  Ik 

scharfen   Umgrenzung  des  Rechts  amten  des  Staats  und  der  Kireln 

der  Versammlung,  namentlich  eiuer  und  einige  andere  besonders  ange 

S mauern  Unterscheidung  zwischen  sehene  Männer,  welche  die  eigent 

at  und  Zustimmung  kann  keine  liehen  Beratungen  halten,  und  auf 

Rede  sein.    Ludwig  d.  Fr.  hat  es  die  es  bei  allen  Entscheidungen  an- 

ausdrücklich  ausgesprochen,  dass  er  kommt:  allein  sie  handeln  iinNamen 

ohne  die  Zustimmung  der  Grossen  der  Gesamtheit  und  können  wie  eine 


nichts  unternehmen  wolle.  Solange 
Karl  lebte,  ging  dagegen  freilich 
der  Impuls  zu  allen  wichtigen  Be- 


Art  Vertretung  des  Landes,  die 
Grafen  der  Gaue,  denen  sie  vor 
stehen,  die  Bischöfe  der  Diözesen 


schlu8snahmeu  von  ihm  aus.    Doch  oder  auch  der  auf  ihren  Besitzungen 
auch  er  achtete  der  alten  germa-  Wohneuden,  augesehen  werden.  Dem 
nischen  Sitte,  dass  nicht  der  Wille  Volk,  das  ausserdem  auf  einer  s»l- 
und  die  Einsicht  des  einzelnen,  wenn  chen  Versammlung  sich  eingefundt-n 
auch  hochbegabten  und  hochgestell-  hatte  und  im  Freien  umherlagerte, 
ten  Mannes,  entscheiden  dürfe  über  ward  zuletzt  verkündet,   was  be- 
Wohl und  Wehe,  Thun  und  Lassen  schlössen  war,  wenigstens  insofern 
des  Volks,  sondern  dass  derselbe  es   die    Gesamtheit   anging.  Da 
des  Beirats  und  der  Mitwirkung  sol-  mochte  dasselbe  vielleicht  in  alter 
eher  bedürfe,  welche  durch  ihre  Stel-  Weise  seinen  Beifall  durch  Zuruf 
hing  berufen  seien,  Auskunft  über  oder  Waffengetös  zu  erkennen  geben 
die  Bedürfnisse  und  Interessen  der  Mitunter  war  es  der  Herrscher  selbst, 
einzelnen  Teile  und  Glieder  des  Rei-  der  zuletzt  das  Wort  nahm,  über 
ches  zu  geben.  Die  Reichstage  dien-  die  gefassten  Beschlüsse  Nachricht 
ten,  den  Zusammenhang  und  die  gab  oder  sonst  uoch  einmal  zu  der 
Einheit  in  der  Leitung  der  staatlichen  Versammlung  sprach.     War  diese 
Angelegenheiten   zu   erhalten  und  geschlossen,  so  entliess  er  die  An- 
weiter auszubilden:  hier  fand  der  wesenden  förmlich.   Die  Beschlüsse 
Kaiser  Gelegenheit,  persönlich  mit  wurden  aufgezeichnet,  mitunter  auch 
den  Vorstehern  der  Gaue  und  Bis-  durch  die  Unterschrift  der  Anw- 
tüiner  zu  verkehren,  wie  es  bei  dem  senden  bekräftigt.    Regelmässig  ist 
weiten  Umfang  des  Reiches  sonst  dann  alles  in  einem  Aktenstück  Ver- 
nich! möglich  war:  hier,  die  allge-  buudeu,  in  anderen  Fallen  aber  da», 
meinen  Grundsätze  festzustellen  und  was  die  Geistlichkeit  betraf,  von  den 
auszusprechen ,  nAch  denen  sie  und  Übrigen  getrennt,  oder  es  sind  noch 
die  Königsboten  handeln,  überhaupt  weitere  Abteilungen  gemacht.  Die 
die  öffentlichen  Angelegenheiten  ge-  Originale  wurden  im  Archiv  aufV 
leitet  werden  sollten.    Aber  es  ist  wahrt,  aber  auch  wohl  gleich  besou 
das  nicht  das  Einzige,  was  in  Be-  dere  Ausfertigungen  für  die  Beamtin 
tracht  kommt.   Die  Reichsversamm-  gemacht,  oder  diesen  spater  Abschrift 


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Capitularia.  —  Carmina  bm  an a. 


101 


gegeben.  Der  allgemeine  Name,  wel-  det  sich  keine  Spur  einer  offiziellen 
eher  von  diesen  Aufzeichnungen  gilt,  deutschen  Ausfertigung,  alle  Kapi- 
ist  Capitularia.  Siehe  diesen  Art.  tularien  sind  in  lateinischer  Sprache 
Nach  Ludwig  d.  Fr.  sind  keine  Mai-  abgefasst.  Das  Bruchstück  einer 
fehler  mehr  abgehalten  worden,  deutschen  Interlinearversion,  das  bei 
Nach  Waitz,  Verfa.ss.-Gesch.,  beson-  Mülhnhoff  und  Sickerer,  Denkmäler, 
ders  III,  Abschnitt  5.  LXVI,  abgedruckt  ist, scheint  Privat- 
Capitularia.  Da  die  Bestimmun- !  arbeit.  Die  Kapitularien  nehmen, 
gen  der  Volksreebte  (vgl.  den  Art.  soweit  sie  gesetzliche  Vorschriften 
Teaea  Barbarorum)  nicht rar  alle  Ver-  enthalten,  volle  und  unbeschränkte 
hältnisse  genügen  konnten,  suchten  Geltung  in  Anspruch;  nur  waren  sie 
die  Könige  den  Mangeln  und  Lücken  nie  reent  allgemein  verbreitet.  Auf 
durch  neue  Gesetze;  abzuhelfen,  wel-  j  das  römische  Recht  ist  keine  Rück- 
che  sie  teils  abgesondert  publizierten,  I  sieht  genommen.  Unter  Ludwig  d. 
teil»  als  Ergänzungen  zur  lex  Safica  Frommen  hat  ein  Geistlicher  Anseqis 
schreiben  hessen.  Sie  galten  als  ge-  eine  Sammlung  der  Kapitularien  der 
meines  Recht  für  den  ganzen  Um-  letzten  Zeit  veranstaltet,  die  an  sich 
fang  des  Reiches  und  führten  in  der  keine  offizielle  Bedeutung  hatte,  aber 
merowingischen  Zeit  die  Namen  bald  in  allgemeinen  Gebrauch  kam 
Edictum,  Auetori  tas,  Decretum  oder  und  von  den  Königen  selbst  wie 
Decretio,  Praeceptio  oder  Praecev-  eine  authentische  Ausgabe  der  Reichs- 
/wjw,  Constitutio,  Factum.  Es  giett  gesetze  angeführt  wurde,  obgleich 
ihrer  von  Chlodwig  an ;  später  wur-  sie  durchaus  unvollständig  ist.  Ste- 
den sie  von  den  Hau>meiern  erlassen,  nedictus  Levita  lieferte  eine  unbe- 
Seit  Karl  d.  Gr.,  wo  sie  überhaupt  deutende  Fortsetzung  des  Amerns. 
zahlreicher  und  eingreifender  sind,  Waitz,  Verfass.- Gesch.,  III,  Abschu. 
heisseu  sie  Capitularia  oder  Capita,  5.  —  Stobbe,  deutsche  jRechtsqueflen, 
weil  sie  in  Kapitel  zerfallen.  Sie  I,  §  20  ff.  Die  vollständige  Ausgabe 
sind  wesentlich  Beschlüsse  der  Reichs-  der  Kapitularien  von  Pertz  in  den 
Versammlungen,  mitunter  durch  die  Äfonumenta  Gernut niae  legum  1, 1835. 
Unterschrift  der  Anwesenden  bekräf-  Carmina  burana  hat  Schweiler 
tigt.  Regelmässig  ist  alles,  was  eine  eine  Sammlung  lateinischer,deutscher 
Versammlung  beschloss,  in  Einem  und  gemischter  lateinisch-deutscher 
Aktenstück  verbunden,  in  anderen  Lieder  genannt,  die  in  einer  Hand- 
Fällen  das,  was  die  Geistlichkeit  schrift  Deisammen  stehen,  welche 
betraf,  von  dem  Übrigen  getrennt,  einst  im  Besitze  der  oberbairischen 
Siehe  d.  Art.  Campus  Jfartius.  In-  Abtei  Benediktbeuren  (daher  der 
haltlich  sind  es  Instruktionen,  Be-  Name)  war,  und  die  er  in  Bd.  16  der 
richte,  Gutachten,  namentlich  aber  Bibliothek  des  litterarischen  Vereines 
Gesetze.  Regelmässig  spricht  oder  in  Stuttgart  veröffentlichte.  Die  la- 
befiehlt  darin  der  König.  Handelt  teinischen  Lieder  sind  teils  in  antiken 
es  sich  um  ein  Recht  eines  besondern  Versmassen,  teils  in  modern  accen- 
Volkes  oder  Stammes,  so  werden  die  tuierenden  Rhythmen  mit  Endreimen 
Bestimmungen  den  Gauversamm-  gebaut.  Dem  Inhalt  nach  sind  es 
hingen  zur  Anerkennung  vorgelegt  geistlich-polemische  Lieder,  Natur-, 
und  hier  durch  Unterschrift  der  An-  Trink-  und  Liebeslieder,  Gnomen, 
wesenden  bekräftigt.  Grosses  Ge-  geistliche  Spiele,  manches  darunter 
wicht  wurde  auf  die  Verkündigung  sehr  weltlich,  ja  frivol,  anderes  über- 
dieser  Gesetze  gelegt.  Die  Königs-  aus  frisch  und  lebendig.  Die  frühere 
boten,  Grafen,  Erzbischöfe,  Bischöfe  Ansicht  von  der  Entstehung  dieser 
hatten  die  Pflicht,  für  die  öffentliche  Lieder  war  die,  dass  sie  nach  1200 
Verkündigung  zu  sorgen;  doch  fin« ,  von  fahrenden  Klerikern  oder  Vagan- 


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102 


Carolina.  —  Centraibauten. 


ten  der  deutschen  höfischen  Lyrik 
in  Stropheubau,  Rhythmus  und  Auf- 
fassungnachgebildet seien;  in  neuerer 
Zeit  ist  die  Ansicht  ausgesprochen 
worden,  dass  wir  hier  Dichtungen 
vor  uns  hätten,  welch«  neben  der 
südfranzösischen  Lyrik  und  dem  nie- 
dern  Volkslied  eine  wirkungsvolle 
Quelle  des  höfischen  lyrischen  Ge- 
sanges gewesen  seien.  »Siehe  Martin 
in  der  Zschr.  f.  d.  Altert.  Bd.  20  (8). 
Eine  Auswahl  giebt:  Gaudeamus! 
Carmina  wuwrumSeUcta.  Lips.  1869. 
Deutsche  Übersetzungen:  A.  Fem- 
werth  v.  Bernstein,  Carmina  burana 
Selecta,  Würzburg  18T9,  u.  L.  La  ist- 
ner:  Golias.    Stuttg.  1879. 

Carolina  ist  der  Name  der  Reicbs- 
Halsgerichtsordnung  Karls  V.  vom 
Jahre  15H2.  Während  das  Strafrecht 
im  Mittelalter  nur  in  unvollkomme- 
nen Aufzeichnungen  oft  bloss  lokaler 
Natur,  in  den  Keichsgesetzen ,  in 
den  Reehtsspiegeln,  den  Stadtrechten 
oder  bloss  nach  mündlicher  Über- 
lieferung vorhanden  gewesen  war, 
fanden  im  15.  Jahr  Ii  die  auf  das 
kanonische  und  römische  Recht  ge- 
bauten Schriften  der  italienischen 
Praktiker  Eingang  und  veranlassten 
eine  Reihe  nach  den  Grundsätzen 
dieser  neuen  Jurisprudenz  hergestell- 
ter Halsgerichtsordnungeu.  Bedeu- 
tend wurde  namentlich  die  durch 
Johann  Freiherrn  zu  Schwarzenberg 
verfasste  Bamberger  Halsgerichts- 
ordnung  vom  Jahre  1507,  sie  wurde 
das  Muster  der  Brandenburgischen 
vom  Jahre  1516  u.  ebenfalls  der  pein- 
lichen Gerichtsordnung  zu  Grunde 
gelegt,  die  auf  Anregung  des  Kam- 
mergerichts nach  vielen  Verhand- 
lungen seit  149s  endlich  auf  dem 
Augsburger  Reichstage  von  1532 
publiziert  wurde.  Die  Carolina,  wie 
sie  später  genannt  wurde,  oder  CW 
stitutio  criminali*  Carolina  besteht 
aus  219  Artikeln. 

Cato,  deutscher.  Mit  diesem 
Namen  bezeichnet  man  eine  Samm- 
lung lateinisch  abgefasster  Lebens- 
regeln, die  in  der  ersten  Hälfte  des 


13.  Jahrh.  in  deutsche  Verse  tiber- 
I  trafen  wurden.  Der  Verfasser  ist 
nicht  bekannt ,  der  Name  „Cato" 
beruht  auf  einer  absichtlichen  oder 
vermeinten  Vermengung  mit  einem 
der  beiden  römischen  Catouen.  Di*1 
Entstehungszeit  des  lateinischen  Ori- 
ginals fällt  wahrscheinlich  ins  4.  Jahrb. 
Die  Dixticha  Catoni*  waren  während 
des  ganzen  Mittelalters  ein  beliebte« 
Unterrichtsbuch  für  Grammatik,  Poe- 
sie und  Moral.  Schon  Notker  Labet« 
gedachte  sie  ins  deutsche  zu  über- 
tragen. Doch  stammt  die  ältesU 
erhaltene  deutsche  Übersetzung  erst 
aus  der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrh.: 
sie  ist  später  mehrfach  überarbeitet 
worden.  Die  behaudelten  Stoffe  sind: 
Vermögensverhältnisse;  Recht  und 
Gericht;  Wachen  und  Schlafen; 
Warnung  vor  Mitmenschen;  Freund- 
schaft ;  Glückswechsel  und  Notwen- 
digkeit, deshalb  etwas  zu  lernen: 
Verhalten  zu  Freunden,  Vorsicht: 
Ehe;  Gute  Gesellschaft;  Tod  und 
Erben;  Nachsicht  und  Güte;  Has>, 
Neid  und  Laster;  Reichtum  und 
Armut:  Gesundheit  und  Ärzte;  Auf- 
forderung zu  nützlicher  Thätigkeit: 
Kümmere  dich  nicht  um  die  RedenAn- 
derer.  Das  Lehrgedicht  wurde  auch 
öfters  gedruckt,  bis  schliesslich  Se- 
bastian Braut  durch  seineÜbersetzung 
des  lateinischen  Cato  denältern  deut- 
schen Cato  verdrängte.  Zarncke,  Der 
Der  deutsche  Cato.  Leipzig  1852. 

Central  bauten  heissen  diejenigen 
kirchlichen  Monumente,  die  entweder 
kreisrunde  oder  polygone  Anläse 
zeigen,  oder  deren  Grundriss  aie 
Form  eines  gleichschenkligen,  des 
griechischen,  Kreuzes  hat.  Sie  ent- 
stehen als  älteste  christliche  Bauart 
gleichzeitig  mit  der  Basilika.  Schon 
die  Römer  pflegten  gewissen  Heilig- 
tümern, vorzugsweise  den  Grab- 
tempeln, die  Form  eines  kreisrunden 
Kuppelbaues  zu  geben;  sie  waren 
meist  zweigeschossig,  unten  der  Gruft- 
raum für  die  Leiche,  oben  der  R?.usi 
für  den  Grabkultus.  Solche  Bauten 
sind  das  Grabmal  der  Helena,  der 


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Centraibauten. 


103 


Mutter  Konstantins  d.  Gr.,  und  das  welchen  die  Kollektivtaufe  der  alten 
Mausoleum  Theodorichs  zu  Ravenna.  Christen  vorgenommen  wurde.  In 
Verwaudt  mit  den  Grabkirehen  sind  ihrer  Mitte  befand  sich  ein  Bassin, 


>  :  


die  Memorien  oder  Gedächtniskir-  in  welches  die  Täuflinge  hinunter 

chen,  Denkmäler  zur  Verherrlichung  stiegen,  um  durch  Untertauchen  die 

einer  geweihten  Stätte.    Eine  dritte  Weihe  zu  empfangen.  Die  architek- 

Klasse  von  Centraibauten  sind  die  tonische  Entwicklung  dieser  Central- 

Baptisterien  oder  Taufkirchen,  in  bauten  vollzog  sich  besonders  da- 


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104 


4 

Chiroma::  tic.    -  Chor. 


durch  ,  dass  [man  die  Kuppel  nicht  Chiromantie  ging  eine  auf  sämtliche 
mehr  auf  den  Umfassungsmauern  Teile  des  Körpers  sich  erstreckende 
selbst  ruhen,  sondern  sie  von  Säulen  Physiognomie  Hand  in  Hand.  Die 
tragen  Hess,  die  kreisförmig  inner-  Chiromantie  selber  zerfiel  in  eine 
halb  der  Rotunde  aufgestellt  waren.  Chiromantia  medica  und  eine  Chiro- 
Es  entstand  daneben  ein  ringsherum-  !  mantia    curiom.    Die  Hauptlinien 
laufender  Umgang,  den  Seitenschiffen  •  der  Hand  sind:  die  Herzens-  oder 
der  Basilika  entsprechend,  dessen  Lebenslinie,  die  Kopf-,  Mittel-  oder 
Gewölbe  dem  hoch  ansteigenden  und  Xaturlinie,  die  Tisch-,  Gedärm-,  Ge- 
selbständig   beleuchteten    Kuppel-  nitalien-,   Nieren-,    Gall-  und  bei 
räume  ein  genügendes  Widerlager  dem  Frauenvolk    die  Mutterlinie, 
bot.    Im  Orient  entwickelte  sich  aus  endlich  die  Leber-,  Lungen-  und 
dieser  Form   die  Grundform   der  Magenlinie.    Daneben  gieot  es  8 
byzantinischen  Baukunst,  im  Abend-  Nebenlinien,  3  Triangel,  den  Tisch 
lande  blieb  sie  fast  ausschliesslich  auf  oder  Quadrangel  und  7  B<*rge  der 
bestimmte  Kultuszwecke  beschränkt,  Hand:  Berg  Veneria,  Jo rw,  Sa turni 
wie  Grabkapellen,   Schlosskirchen,  Sotit,  Merenrii,Lunae,Cavea  Marti*. 
Baptisterien.    Baku,  über  den  Ur-       Chokolade  wurde  in  Europa  zu- 
Sprung und  die  Entwicklung  des  erst  von  den  Spaniern  getrunken 
christlichen  Central-  und  Kuppel- 1  und  kam  von  Spanien  nach  Italien, 
baues,  1866.    Bildende  Künste  i.  d.  1663  nach  Paris.    Weigernd  weist 
Schweiz,  80.   Siehe  Fig.  4 1 ,  aus  den  das  Wort  auf  deutschem  Sprach- 
kunstlüst.  Bilderbogen.  gebiet  zuerst  im  J.  1715  nach. 

Chiromantie,  Wahrsagung  aus     Chor,  der  gottesdienstliche  Aufeut- 
den  Linien  der  Hand ,  gehört  mit  haltsort  des  Chore«  der  Geistlichen, 
der  Astrologie   und  Alchemie  zu  wovon  er  den  Namen  Choru*  trägt, 
jenen  aus  dem  Altertum  stammen-  auch  hoher  Chor  oder  Presbyteri*m 
den  Lebenserscheinungen,   welche  (Priesterraum),  Sanctuarium\  ist  ur- 
zwar  aus  der  Beobachtung  der  Natur  sprünglich  das  regelmässig  quadra- 
entstanden,  die natürliche  rlrkenntnis  tische  Altarhaus.    Er   liegt  höher 
jedoch  nicht  rationell  auszubilden  als  das  Schiff  der  Kirche,  dehnt  sich 
vermochten,  sondern  in  teils  naiv  aber  zuweilen  westlich  bis  in  die 
kindlicher  und  phantastischer  Art,  Vierung  aus.    Vom  übrigen  Raum 
teils    als  Mittel   des  Betruges  zu  ist  er  durch  Schranken  {caneeih) 
künstlichen   Systemen    ausgebildet  oder  eine  niedrige  Wand  gerrennt, 
und,  vom  Mittelalter  lebhaft  aufge-  an  der  Westseite  gegen  das  L»ang- 
aufgegriffen ,  Versuchsfelder  sowohl  schiff  häufig  durch  einen  förmlichen 
romantischer  Träumerei  als  betrüge    Querbau  oder  eine  Emporkirche,  der 
rischer  Handlungsweise  als  endlich  Lettner,  Lectorium,  genanut  wird, 
redlicher,  aber  ungenügender  Natur-  Derselbe  ist  mehr  oder  weniger  ge- 
beobachtung  gewesen  sind.    Schon  räumig,  durch  eine  enge  Wendel- 
Aristoteles  erwähnt  die  Chiromantie,  stiege  zugänglich  und  von  offenen 
Artemidor  erhob  sie  im  2.  Jahrh.  Bögen  getragen  oder  mit  Durch- 
n.  Chr.  zur  Theorie.   Das  16.  u.  17.  gängen  versehen.    Er  dient  ausser 
Jahrh.  haben  in  allen  europäischen  zur  Verlesung  des  Evangeliums  (daher 
Litteraturen  zahllose  gelehrte  und  der  Name)  auch  zum  Aufstellen  der 
volksmfissige,  mit  Bildern  versehene  Sängerchöre  und  hiess  dahe.r  auch 
Darstellungen    dieser    vermeinten  Boxal,  von  Doxohgic  =  Lobpreisung. 
Wissenschaft  hervorgebracht,  und  oder  Singechor.  &it  dem  1 3.  Jahrb. 
noch  im  Beginn  des  18.  Jahrb.  wur-  erlaubte  man  sich  Abweichungen 
den  auf  den  Universitäten  eigene  von  der  quadratischen  Forinaes 
Kollegien  darüber  gelesen.  Mit  der  Altarhauses,    sowohl   durch  Yer- 


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Chorstühle.  —  Chrntophorus. 


103 


kürzung  als  namentlich  durch  Ver-  Hochaltars,  in  einer  langen  Folge, 
längerang  des  Quadrates;  das  letztere  meist  in  doppelter  Reihe,  bis  in  die 
wurde  im  gotischen  Stil  normal.  Ein  Vierung  des  Querhauses  und  noch 
ganzliches  Fehlen  des  Altarhauses  über  dieselbe  hinaus  bis  ins  Haupt- 
ist seltene  Ausnahme.  Die  Erhöhung  schiff  fortsetzen.  Die  einzelnen  Reihen 
des  Chorraumes  über  den  Fussbodeu  sind  stufenförmig  hintereinander  er- 
der übrigen  Kirche  betrügt  oft  nur  erhöht,  die  vorderen  Sitze  nach  dem 
eine  oder  zwei  Stufen,  steigt  aber  Chore  durch  eine  Brustwehr  mit 
auch  bis  22  Stufen;  ein  bedeutend  den  darauf  befindlichen  Betpulten 
erhöhter  Chor  lässt  stet»  auf  das  abgegrenzt.  Dieselbe  Einrichtung 
Vorhandensein  einer  Krypta  unter  zeigt  die  Rückwand  für  die  dahinter 
demselben  schliessen.  Der  Schwib-  befindliche  Folge  der  Hochstühle, 
l»ogen,  der  das  Altarhaus  von  der  die  ihrerseits  in  der  Regel  eine 
Vierung  scheidet,  wird  Fronbogen  reiche  Bekrönung  vermittelst  weit 
.»der  Triumphbogen  genannt,  weil  über  die  Rückwand  vorragender 
er  mit  einer  Darstellung  des  trinm-  Baldachine  erhielten.  Jeder  Platz 
phirenden  Erlösers  geschmückt  zu  ist  von  den  folgenden  durch  Arm- 
t-ein  pflegte.  Die  Krypta  mit  einem  lehnen  getrennt  und  zwar  gewöhn- 
oder  mehreren  Altären,  war  aus-  lieh  durch  doppelte,  die  niedrigen 
schliesslich  dem  Dienste  der  Toten  zum  Gebrauche  beim  Sitzen,  die 
gewidmet.  Die  Cistercienser  sollen  höheren  zur  Bequemlichkeit  beim 
sie  in  ihren  Kirchen  zuerst  aufge-  Stehen  bestimmt.  Die  Sitze  selbst 
geben  haben.  Die  Beleuchtung  richtet  sind  zum  Aufklappen  eingerichtet 
sich  nach  ihrer  mehr  oder  minder  und  auf  der  untern  Seite  mit  den 
tiefen  Lage.  Die  Krypta  ist  stets  sog.  Miserikordien  versehen,  kleinen 
gewölbt,  und  die  \\*ölbung  wird  Konsolen,  mit  Figuren  oder  Masken 
durchmehrere  Pfeilerreihen  getragen,  geschmückt  und  dazu  bestimmt,  den 
Auch  Doppelchöre  kommen  vor,  älteren  oder  gebrechlichen  Kapitu- 
vom  9.  bis  12.  Jahrh.  in  Deutsch-  laren  während  der  zum  Stehen  Vor- 
land sogar  gewöhnlich;  solche  Kir-  geschriebeneu  Zeit  der  Chorstunden 
chen  stellen  sich  gleichsam  als  zwei  eine  halb  aufrechte  Stellung  zu  er- 
Kirchen  mit  einem  gemeinschaft-  j  möglichen.  Zu  den  architektonischen 
liehen  Langhause  dar.  wobei  jeder  s  Zierden ,  die  man  den  einzelnen 
Chor  seinen  eigenen  Heiligen  hat.  Gliedern  zu  teil  werden  Hess,  kam 
Die  erste  Kirche  mit  Doppelchören  schon  früh  ein  reicher  Schmuck  mit 
ist  die  Klosterkirche  zu  Fulda.  —  Ornamenten  und  bald  auch  eine 
Ott*.  Handb.,  Absch.  19.  Mannigfaltigkeit    figürlicher  Dar- 

Chorstttble.  In  den  altchrist-  Stellungen.  Bahn,  Bildende  Künste 
liehen  Basiliken  pflegten  die  Geist-  in  der  Schweiz,  748  ff.  O/fe,  Handb. 
liehen  ihre  Sitze  in  der  Apsis  ein-  d.  Kunst- Arch.  197. 
zunehmen,  auf  den  steinernen,  mit  Christopherus, heiliger,  soll  nach 
Polstern  und  Teppichen  belegten  den  alten  Martyrologien  zu  Samos 
Bänken,  die  sich  zu  beiden  Seiten  in  Lycien  gelebt,  viele  Heiden  zum 
der  bischöflichen  Kathedra  dem  Chor-  Christentume  bekehrt  und  seine  Hei- 
rund anschlössen.  Eigentliche  Chor-  denlaufbahn  durch  ein  glorreiches 
Stühle  scheinen  erst  um  die  Mitte  i  Martyrium  unter  Kaiser  Dagnus  oder 
des  13.  Jahrh.  aufgekommen  zusein. !  Decius  besiegelt  haben.  Nach  der 
Jetzt  nämlich  wurden  die  Sitze  in  späteren  Legende  gehörte  Christo- 
der Langenachse  der  Kirche  aufge-  pnorus  zum  Volke  der  Caninäi  oder 
stellt,  an  den  Wänden  des  Altar-  Chananäi,  war  hundsköpfig  und  12 
hauses  oder  längs  der  Chorschra  nken,  |  Ellen  hoch.  Durch  das  Wunder 
wo  sie  sieh  zu  beiden  Seiten  des  einer  in  den  Boden  gestellten  eiser- 


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106 


Christopherus. 


neu  Rute,  die  er  Blätter  und  Blüten  starke  Winde  die  Pfeile  rechts  und 

treiben  lässt,  bekehrt  er  18000  Be-  links  an  ihm  vorbei,  ja  einer  fliegt 

wohner  der  Stadt  Samos  zum  Chri-  dem  König  Dagnus  ins  Gesicht  und 

stentum.  Deshalb  und  weil  er  wahrend  beraubt  ihn  eines  Auges.  Er  stirbt. 


Fig.  42.    St.  Christoph. 


seiner  Marterung  auch  viele  weitere 
Tausende  vou  Heiden  belehrt  hat, 
lässt  ihn  König  Dagnus  auf  einer 

f lühenden  eisernen  Bank  rösten  und 
ureh  Pfeilschüsse  töten ;  doch  wehen 


nachdem  er  dem  geblendeten  König 
Beschmierung  des  Auges  mit  einem 
im  Namen  Christi  angerührten  Kote 
angeraten,  worauf  der  König,  Hern 
das  Mittel  zum  Augenlichte  verhilft. 


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Christusbilder.  —  Ciborium. 


107 


sich  selber  zum  Christentum  bekehrt. 
Die  allgemein  verbreitete  Form  der 
Christophoras- Legende  bietet  jedoch 
die  Legenda  aurea.  Nach  dieser 
Auifiissungdient  Chris  tophoras  zuerst 
dem  Teufel,  dann,  um  mit  Christo, 
dem  Stärkeren  als  der  Teufel,  be- 
kannt zu  werden,  übernimmt  er  den 
Dienst  eines  Fährmanns  oder  Trägers 
armer  Wanderer  über  einen  Fluss 
Dalasst  sich  nun  auch  das  Christkind- 
lein von  ihm  übersetzen,  taucht  ihn 
mitten  im  Strome  unter  und  legt 
ihm  so  taufend  den  Namen  Christo- 
pherus, Christusträger  bei.  Es  giebt 
auch  mittelalterliche  deutsche  Chri- 
stophorusgedichte.  Ohne  Zweifel  sind 
bei  dieser  Form  germanisch-heid- 
nische Elemente  thätiggewesen.  Sehr 
häufig  wurde  sein  Bild  in  kolossaler 
Grösse  an  den  Mauern  der  Kirchen, 
Rathäuser  und  Wohnhäuser  ange- 
bracht, auch,  aber  nicht  kolossal,  unter 
Kanzel-  und  Sakramentshäuschen. 
Der  früheste  aller  datierten  Holz- 
schnitte ist  der  sog.  Buxheimer 
Christoph  ans  dem  Jahre  1423. 
Jfoch/er  in  der  2.  Aufl.  von  Herzoga- 
Real-Eneycl.  Monographie  von  Hau- 
tfnit:  Der  grosse  Christoph.  Ber- 
lin 1843,  siehe  Fig.  42  aus  Schotter, 
Geschichte  der  Holzschneidekunst. 

CJiristusbilder.  Die  altchrist- 
iiche  Kunst  begnügte  sich,  Christus 
durch  Symbole  (Monogramm,  Fisch. 
Kreuz,  Lamm)  oder  durch  Allegorien 
i Orpheus,  den  guten  Hirten)  an- 
deutend darzustellen.  Im  3.  Jahrh. 
erscheint  auf  Sarkophagen  der  sog. 
Katakombentypus:  der  Heiland  in 
holdseliger  Jugend  ohne  Bart,  in 
»iner  idealen  Auffassung,  die  sich, 
der  Anschauungsweise  der  Heiden- 
Christen  entsprechend,  an  den  bereits 
fertigen  Typus  des  guten  Hirten 
anschloss,  wie  dieser  formell  aus 
dem  antiken  Bildnis  des  widder- 
tragenden Hermes  hervorgegangen 
war.  Seit  dem  6.  Jahrh.  entwickelt 
sich  daneben  aus  dem  Streben,  der 
trottlichen  Gestalt  eine  höhere  Würde 
und  gewichtigem  Ausdruck  zu  ver- 


leihen, der  sog.  Mosaikentypus,  das 
längliche  Gesicht  mit  dem  gespalte- 
nen Bart  und  geteilten  Haupthaar, 
mit  unbedecktem  Haupt  und  unbe- 
kleideten Füssen,  langem  Uuterge- 
wand  und  kürzerem  Obergewand 
Salvatorbitder  heissen  Abbildungen 
des  verherrlichten  Erlösers.  Christus 
steht  oder  sitzt,  seltener  auf  einem 
Throne,  häufig  auf  einem  Regen- 
bogen (Apost.  4,  3.),  die  Rechte 
segnend  erhoben,  in  der  linken  das 
Buch  des  Lebens  oder  eine  Schrift- 
rolle haltend;  von  seinem  Haupte 
geht  rechts  ein  Lilienstengel ,  links 
ein  Schwert  aus,  seine  Füsse  ruhen 
auf  einer  Weltkugel.  Orte,  Haudb. 
Abschn.  158.  —  Müller  und  Mothes, 
Arch.  Wörterb.  Art.  Christus.  Siehe 
Fig.  43,  das  Weltgericht  darstellend. 

Chronostichon,  eine  im  Mittel- 
alter oft  angewandte  Verhüllung  der 
Jahreszahl  in  der  Art,  das  die  Janres- 
zahl  in  sämtlichen  oder  einer  Zahl 
durch  den  Charakter  der  Schrift 
kenntlich  gemachter  Zahlbuchstaben 
verdeckt  ist,  deren  Addition  die  Jah- 
reszahl giebt.  Die  Inschrift  auf 
einem  Kelche  in  der  Marienkirche 
zu  Danzig  lautet:  Fulgidus  Ute  ca- 
linr  divine  porcio  Wense,  Aurea  quo 
f actus  anno  per  grammata  cense,  wel- 
ches die  Zahl  1426  giebt. 

Ciborium  heisst  sowohl  der  Al- 
tarbaldachin als  das  von  ihm  herab- 
hängende Gefäss  zur  Aufbewahrung 
der  Eucharistie;  je  nach  seiner  Form 
nannte  man  es  Büchse  (pyxis),  Taube 
(columba ,  peristerium) ,  Türmchen 
(turris,  turricula),  Kapsel  (capsa), 
Speisegefäss  (ciborium).  Die  allge- 
meinste Form  war  eine  runde,  cy- 
lindrbche  Büchse,  pyxis,  in  älterer 
Zeit  aus  Holz,  Bein,  Stein  oder  edlem 
Metall,  später  fast  immer  aus  letz- 
terem verfertigt.  Die  Gefsisse  in 
Taubenform,  mit  der  symbolischen 
Beziehung  auf  den  hl.  Geist,  stan- 
den auf  einer  Schüssel,  die  mit  den 
daran  befindlichen  Kettchen  an  einer 
Schnur  über  dem  Altartische  schwe- 
bend herabhing  und  während  der 


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108  Chriatusbilder. 


Fig.  43.    Salvatorbild  nach  Urs  Graf. 


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Cistercienscr-Orden. 


109 


Hess«  heruntergelassen  wurde.  Seit  |  bei  Oiteaux  unfern  Dijon  1098 
der  Einführung  des  Froulcichuains  mit  Unterstützung  des  Grafen  Odo 


festes  im  13.  Jahrh. 
kommen  zur  Vor- 
zeigung {motutrare) 
der  Eucharistie  die 
Monstranzen  auf. 
welebe  sich  zum 
Teil  an  die  früher 
bestandenen  Reli- 
quien -  Monstranzen 
anschlieasen,  Schau- 
L>t;issen  zur  Auf- 
bewahrung von  Re- 
liquien, die  seit  dem 
14.  Jahrh.  aus  einem 
senkrecht  gestellten 
Kry fetall  -  Cy linder 
bestehen,  getragen 
von  einem  dem  goti- 
tchen  Kelchtusse 
dachenden  metal- 
lenen Ständer  und 
"^n  mit  einem 
Tabernakel  in  den 

mannigfaltigen 
Formen  der  goti- 
schen Architektur 
ttkrönt.Ote,Hand- 
Buch  Absehn.  45. 
&ehe  Fig.  44,  aus 
Sämann  s  bist.  Bil- 
derbogen. 

tistereienser- 
«*r4eB.  Sein  Stif- 
ter ist  Robert,  aus 
Champagne,  ein 
eifriger  Cluniacen- 
•w  Mönch.  Nach 
mehreren  vergeb- 
lichen Bemühungen, 
«nice  ans  der  k.1ö- 
s^rlichen  Zucht  ge- 
fallene Benedikti- 
nerklöster im  Sinne 
*iner  strengen  As- 
kese zu  reformieren, 
Bß'l  nachdem  ihm 


Fig.  44.  Ciborium. 


<h*  Ordnung  der 
Einsiedler  im  Wald 

Ton  Molesmes  ebenfalls  misslungen  terkloster   wurde  System. 


Jas  Kloster  Citeaux 
unter  der  strengsten 
Beobachtung  der 
Kegel  des  heil.  Be- 
nedikt. Zwar  wurde 
er  durch  päpstlichen 
Befehl  gezwungen, 
nach  Molesmes  zu- 
rüc  kzu  k  ehren ,  wo 
er  auch  im  J. 1108 
starb;  aber  seinen 
Nachfolgern  in  Ci- 
teaux, Alberich  und 
dem  Engländer  Ste- 

1)han  Harding,  £e- 
ang  es,  die  Zustim- 
mung raschalis  II. 
zu  einem  neuen  Or- 
densstatut zu  erhal- 
ten. In  rechte  Auf- 
nahme kam  das 
Kloster  durch  den 
Eintritt  des  15 jäh- 
rigen Grafen  Bern- 
hard von  Chätillon 
mit  30  Gefährten. 
Die  Zahl  der  Mönche 
wurde  so  gross,  dass 
man  neue  Kolonien 
auszusenden  sich  ge- 
nötigt sah;  in  wal- 
digen Einöden 
wurde  La  Ferte* 
( Firm  ifas) ,  Po  n  tig  ny 
(Pontis  nidu*),Clair- 
vcauj"  (Clara  rallis) 

und  Morimoml 
(Mors  mundt)  ge- 
stiftet. Clairveaux 
kam  unter  Bern- 
hards Leitung.  Von 
den  genannten  fünf 
Klöstern  sind  alle 
anderen  abgeleitet; 

die  Kolonisation 
und  eine  bedingte 
Abhängigkeit  der 
Töchter  vom  Mut- 
Sobald 


**ar,  lüftete  er  in  einer  Einöde  die  Zahl  der  Mönche  es  erforderte 


110 


Cistcrcienser-Orden. 


oder  gestattete,  ernannte  der  Abt 
womöglich  dreizehn  Brüder,  unter 
ihnen  das  erwählte  Oberhaupt  des 
zukünftigen  Klosters,  welche  dann 
mit  festgestellter  Förmlichkeit  ihre 
bisherige  Heimat  verliessen,  um 
an  neuer  Stelle  die  Beschwerden 
der  Gründung  zu  übernehmen. 
Alle  diese  Klöster  wurden  in  Ein- 
öden,  gewöhnlich  in  Thälern  ange- 
legt. Sie  fingen  mit  den  rauhesten 
Arbeiten  an  und  mussten  öfter  ver- 
legt werden.  Der  Name  wurde  frei 
und  bedeutungsvoll  gewühlt,  Clara 
ratfis,  Aqu-a  bella,  Portus  S.  Afariae. 
Das  Prinzip  des  Ordens,  die  Neu- 
gründungen in  Einöden  anzulegen, 
führte  zu  landwirtschaftlicher  Thä- 
tigkeit  in  umfassendem  Sinne.  So- 
bald sich  das  Gebiet  durch  Rodungen 
und  Schenkungen  ausgedehnt  hatte, 
legte  man  Maierhöfe,  yrangiae,  an, 
auf  welchen  die  Wirtschaft  durch 
Mönche  untergeordneten  Ranges  be- 
trieben wurde;  das  ist  die  Entstehung 
der  bei  den  alten  Benediktinern  noch 
unbekannten  Laienbrüder  wie  sie 
schon  die  Cluniacenser  eingeführt 
hatten;  sie  heissen  conversi,  gegen- 
über den  prqfeui.  Die  conrersi  auf 
dem  Hofe  standen  unter  Leitung 
eines  professus.  Die  Lebensweise 
war  strenge:  grobe  Gemüse,  hartes 
Brot,  ein  Strohsaek;  Fleisch,  Eier, 
Fisch,  Milch  und  Wein  waren  ver- 
pönt. 

Die  Leitung  der  Cistercienser 
Klöster  hält  die  Mitte  zwischen  dem 
republikanischen  Wesen  der  alten 
Benediktiner  und  der  strengen  Kon- 
zentration der  Cluniacenser.  Zwar 
blieb  Citeaux  der  Mittelpunkt,  sein 
Abt  hielt  die  Generalkapitel  des 
Ordens  ab.  Aber  jedes  Kloster  hatte 
seinen  eigenen  Abt,  und  jedes  Mutter- 
kloster führte  die  Aufsicht  über  alle 
von  ihm  ausgegangenen  Klöster.  In 
der  innern  Verwaltung  und  der 
Wahl  des  Abtes  waren  die  einzel- 
nen Klöster  selbständig,  unterlageu 
aber  jährlich  einer  Visitation.  Wie 
die   Cluniacenser    sind   auch  die 


Cistercienser  von  der  bischöflichen 
Gewalt  eximiert  und  stehen  direkt 
unter  dem  päpstlichen  Stuhle.  In 
Frankreich  nannte  man  den  Orden 
Bernhardiner-Orden.  Im  Jahre  Hol 
gab  es  500,  in  der  Mitte  dea  13.  Jahr- 
hunderts 1 800  Cistercienser  Klöster, 
die  meisten  vor  1200  gestiftet.  Ihre 
Strenge  hielt  aber  nicht  lange  au. 
und  gegen  Ende  des  Jahrhunderts 
wurde  allgemein  über  die  Verwelt- 
lichung auch  dieses  Ordens  Klagv 
ceführt.  Das  Ordenskleid  ist  im 
Gegensatz  zu  der  schwarzen  Tracht 
der  alten  Benediktiner  weiss  nih 
grauem  Skapulier. 

Die  Gründung  und  Entwicklung 
des  Cistercienser-Ordens  bildet  ein 
hervorragendes  Glied  in  der  Kette 
der  Erscheinungen,  welche  im  10. 
und  11.  Jahrh.  das  einseitig-kirch- 
liche Leben  des  Mittelalters  zur 
Zeitigung  bringen.  Der  ältere  Bene- 
diktiner-Orden hatte  sich  würdig  uud 
verständig  an  der  Befestigung  der 
christlichen  Lehre  und  Zucht  be- 
teiligt, war  jedoch  stets  im  engen 
Zusammenhang  mit  den  weltlichen 
Gewalten  und  Bedürfnissen  geblie- 
ben. Staatlich  war  bei  den  könig 
liehen  Klöstern  aus  dem  Vorsteher 
des  Klosters  ein  Fürst  des  Reiches 
geworden,  und  jemehr  die  Zeitver- 
nältnisse  die  weltliche  Bestimmung 
der  Klosterstiftungen  hervorhoben, 
desto  mehr  erlahmte  der  kirchliche 
Charakter,  in  Frankreich  mehr  ab 
in  Deutschland.  Diesem  Charakter 
wieder  zu  seinem  Rechte  zu  ver- 
helfen und  die  Wurzel  der  Welt 
lichkeit  auszuziehen,  entstanden  im 
10.  und  11.  Jahrhundert  die  refor- 
mierten Orden  der  Cluniacenser. 
Grammontaner ,  Kartäuser  und 
Cistercienser,  deren  einflussreichste 
die  Cluniacenser  und  Cistercienser 
siud.  Während  jedoch  die  alteren 
Cluniacenser  neben  ihrer  strengen 
Kirchlichkeit  doch  die  Berührung 
mit  der  weltlichen  Gesellschaft  nicht 
flohen,  ihre  Stiftungen  in  oder  bei 
den  Städten  anlegten,  den  Betrieb 


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Cistercienser-Orden . 


111 


der  Wissenschaften  und  Künste  er- 
neuerten, ergaben  sich  die  Cister- 
cienser  einem  ausgesucht  strengen 
Ascetentum ,  stellten  eine  hochge- 
fteig<*rte  Idee  von  Mönchsheiligkeit 
a>.f,  wählten  für  ihre  Stiftungen  mit 
Vorliebe  öde  Orter,  stellten  sich  in 
H-hroflea.  feindlichen  Gegensatz  zur 
.Vliolastik,  zur  Kunst,  zur  freiem 
Forschung.  An  den  Albigenser- 
kriegen  hat  der  Orden  hervorragen- 
Anteil  genommen. 

Auen  das  scheint  für  den  Orden 
der  Cistercienser  charakteristisch, 
d&?s  er  sich  so  überaus  schnell  ent- 
« ickelte.  er  repriUentiert  mehr  eine 
schnell  erscheinende  Stimmung  des 
Gemütes  als  ein  dauerndes  erziehe- 
risches Prinzip. 

Der  Orden  der  Cistercienser  hat 
auch  auf  die  Eutwickelung  der  Archi- 
tektur Einrluss  gehabt;  sein  Geist 
rührte  auf  das  Prinzip  möglichster 
Einfachheit.  Das  Geläute  durfte 
nur  von  einer  Glocke  ausgehen, 
gewöhnlich  brachte  man  deshalb  auf 
ihren  Kirchen  bloss  einen  Dachreiter, 
ein  kleines  Türmchen,  auf  der  Vie- 
rung des  Kreuzes  an.  Gold,  Silber 
und  Seide  waren  nur  für  gewisse 
Gegenstände  gestattet,  Skulpturen 
und  Malerei  zu  üben  den  Brüdern 
verboten;  Niedrigkeit,  Ärmlichkeit 
der  Klöster  galt  ihnen  als  ein  Lob. 
I>ennoch  waren  besonders  infolge 
der  nun  Prinzip  erhobenen  Gast- 
freiheit des  Ordens  geräumige  Kir- 
chen und  anderweitige  grosseltäume 
notwendig,  und  die  Baumeister  des 
Ordens  kamen  deshalb  dem  neuauf- 
kommenden  gotischen  Style  umso- 
Heber  entgegen,  als  dieser  gegen- 
über dem  romanischen  Stil  mit  seiner 
Anhäufung  von  müssigem,  oft  schwer 
verständlichem  Bild  werk,  Verschwen- 
dung von  edeln  Metallen  und  kost- 
baren Stoffen,  ernster  und  keuscher 
aufhat.  Doch  übten  die  Cistercien- 
ser in  Frankreich  keinen  erheblichen 
Einfluss  auf  die  Architektur  aus,  sie 
gaben  nur  ihrer  klösterlichen  Strenge 
gemäss  die  vereinfachten  Formen. 


!  Dagegen  brachten  sie  in  Deutsch- 
land neue  und  praktisch  nützliche 
Formen  mit,  welche  sich  zur  An- 
nahme empfahlen.  Sie  bauten  über- 
all gewölbte  Kirchen,  machten  daher 
die  bisher  nur  selten  angewandte 
Wölbung  populär  und  lehrten  sie 
mit  Hilfe  des  Spitzbogens  und  an- 
strebender Pfeiler  zu  sichern.  Sie 
waren  gleichsam  Missionäre  der  fran- 
zösischen Architektur.  Doch  übten 
sie  den  französischen  Stil  mit  Ver- 
einfachungen und  Änderungen,  wel- 
che den  einheimischen  Sitten  und 
Ansichten  zusagten.  Statt  der  Säule 
zogen  sie  den  Pfeiler  vor,  sie  ver- 
warfen die  Galerien  über  den  Seiten- 
schiffen, ihre  Einfachheit  der  wesent- 
lichen Formen  erzeugte  die  Neigung 
zu  sorgfältiger  und  anmutiger  Aus- 
bildung der  Details. 

Deutschland  stand  vorzugsweise 
in  Verbindung  mit  Morimond,  dessen 
erster  Abt  Arnold  ein  Deutscher  und 
Bruder  des  Erzbischofs  Friedrich  I. 
von  Köln  war;  er  gründete  das  erste 
deutsche  Cistercienser  Kloster  Cam- 
pen (Alt-Camp)  bei  Köln.  Auch 
Otto  von  Freisingen,  der  Geschicht- 
schreiber, Oheim  Barbarossas,  war 
Mönch  zu  Morimond.  Ausser  Cam- 
pen sind  Altenbergc,  St.  Georgberg 
(Georgenthal)  in  Thüringen,  Lutzeil 
im  Elsass,  Ebrach  in  Franken  Mori- 
mondische Kolonien;  ihre  Zahl  wuchs 
später  auf  117;  nur  zwölf  deutsche 
Cistercienser  Klöster  stammen  von 
Clairveaux.  Dem  Cistercienser-Or- 
den gehören  u.  a.  an:  Heilsbronn, 
Eberbach,  Loccum,  Marienthal,  Rid- 
dagshausen, Salem,  Heisterbach, 
Pforta,  Doberan,  Maulbronn,  Beben- 
hausen. 

Eine  genügende  Untersuchung 
über  den  Orden  mangelt;  vgl.  Fink 
in  Ersen  u.  Gruber,  Art.  Cistercien- 
ser. —  Schnaases  Kunstgesch.  V,  8, 
Kap.  6.  —  Mahn,  Bildende  Künste, 
346  ff.  —  Derselbe  in  den  Mitteil, 
der  antiquarischen  Gesellschaft  zu 
Zürich,  Band  XVIII.  Heft  2.  -  E. 
Böhme,  die  Kirchen  d.  Cistercienser- 


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112  Cithara.  —  Cluniacenser  Kongregation. 


Ordens  in  Deutschland  wahrend  des  der  nationalen  Bildung,  der  welt- 
Mittelalters.  Leipzig  1*69.  —  Win-  liehen  Bildung  überhaupt  feindliche 
ter,  die  Cistercienser  des  nordöstl.  Prinzip  war  zwar  schon  seit  langem 
Deutschlands.  1868 — 71.  3  Bde.  —  vorhanden:  als  geschlossene  Macht 
Janauschek*  Origines  Cisterciensium.  trat  es  erst  im  lu.  Jahrh.  an  ver- 
1877.    Band  1.  sehiedenen Orten,  z.B.  in  Lothringen. 

meist  durch  religiös  gesinnte  Männer 
auf,  am  kräftigsten  aber  in  Clugny. 
Clniiiaeum.  Hier,  in  Burgund,  einige 
Meilen  von  Mdcon,  stiftete  im  Jahre 
«J1U  Herzog  Wilhelm  von  Aquitanien 
ein  Kloster,  das  ein  Muster  des  re- 
formierten Klosters  werden  sollte 


Cithara  ist  bei  den  Lateinern 
des  Mittelalters  der  übliche  Name 
für  Harfe. 

Cluniacenser  Kongregation 
heisst  diejeuige  Abart  des  Benedik- 
tiuerordens,  die  sieh  im  10.  Jahrh. 
vom  Kloster  Clugny  aus  verbreitete. 


Der  ältere  Benediktinerorden  war  An  die  Spitze  berief  er  den  Abt  de* 
mit  der  Zeit  zu  einer  Vereinigung  ;  Klosters  lieaume,  Berno.  Das  neue 
von  Mönchen  geworden,  die  in  ge-  i  Kloster  wurde  voll  Anfang  au  uu- 
schlossenen  Vereinigungen  den  Christ-  mittelbar  dem  päpstlichen  Stuhl  im 
liehen  Unterricht,  die  christliche  Wis-  terstellt.  Bernos  Nachfolger  wunle 
senschaft  und  Kunst  handhabten,  Odo,  Abt  927 — 941.  Er  ist  der  eigent 
doch  wurde  die  Pflege  nationaler  und  liehe  Reformator  des  Mönchwesens, 
weltlicher  Beziehungen  der  Religion  Seine  eunsuetudine*  Cluniacense*. 
zuliebe  nicht  hintangesetzt  und  als  durch  welche  die  Regeln  Benedikt- 
Muster  allgemein   die   klassischen  verschärft  wurden,  wurden  bald  in 


Autoren  des  Altertums  benützt;  der  anderen  älteren  Klöstern  eingt^führt. 
Orden  war  jedoch  nach  einem  hohen  und  neue  Klöster  entstanden  nacb 
geistigen  Aufschwung  unter  den  Ka- 1  der  erneuten  Regel.    Was  diese  rt 
rolingern    allmählich    verweltlicht,  formierte  Benediktinerregel  keuu 
was  um  so  leichter  geschehen  konnte,  zeichnet,  ist  die  Umgehung  der  bi 
als  diese  monarchischen  Institutionen  schöflieheu  und  die  einzige  Betonung 
bei  ihrem  stetig  wachsenden  Reich-  der  päpstlichen  Gewalt  und  sodann 
tum  und  Grundbesitz  nachgerade  zu  die  Konzentration  sämtlicher  diese* 
einem  wichtigen  Glied  der  Reichs-  Regel  augehörigen  Stiftungen  unter 
Organisation  erwachsen  waren.  Als  eine  Centralleituug;  die  alten  selb- 
sien  nun  im  10.  Jahrh.  auf  den  Ge-  ständigen  Abteien  wurden,  wenn  nt 
bieten  der  Kirchen  Verfassung ,  der  der  Reformation  beitraten,  als  Pri 
Poesie,  der  Kunst,  der  Religion,  des  orate  behandelt,  Clugny   war  daa 
Staatslebens  schnell  derjenige  Geist  Archimonastcrium ,    sein    Abt  der 
entwickelte,  den  man  den  Geist  der  Acchiahbas-,  die  Vorsteher  sollten 
Romantik  nennt,  und  der  sich  im  jährlich  zu  einer  beratenden  Ver- 
Rittertum, im  Minnedienst,  in  der  Sammlung   in  Clugny  zusammen 
romanischen  Baukunst,  im  Papsttum  kommen.    Gregor  VII.,  Urban  II 
und  in  dem  erbitterten  Kampfe  des-  und  Paschalis  Fl.  waren  Cluniacen 
selben  mit  dem  Kaisertum ,  in  ge-  ser.    Die  Kirchen  der  Kongregation 
steigerter  Vorliebe  für  Ascese,  für  glänzten  durch  die  Pracht  ihrer  Au* 
religiöse  Gemütsinnerlichkeit  kund-  stattung.    Zahlreiche  weltliche  Für 

Sab ,  da  trat  dieser  Geist  auch  an  sten,  darunter  auch  französische  und 

ie  Klöster  heran,  die  damals  alle  deutsehe  Könige,  waren  der  Reform 

der  Benediktinerregel  huldigten,  und  geneigt.  Wie  stark  aber  an  manchen 

suchte  das  bestehende,   wie  man  Orten  der  Widerstand  gegen  di«? 

meinte  verweltlichte,  Mönchsleben  Neuerer,  die  Schismatiker,  die  Wel 

geistlich  zu  reformieren.    Das  dem  sehen  war,  und  wie  man  ihre  kirch 

Studium  des  klassischen  Altertums,  liehe  Strenge  unter  Umständen  al? 


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Cluniacenser  Kongregation. 


113 


Heuchelei  erklärte,  geht  aus  den  St. 
Gallischen  Kasus  EkKeharts  IV.  her- 
vor: «li^se  an  Beispielen  aus  der 
ültern.  frischen,  natürlichen  Kloster- 
zeit so  reiche  Chronik  ist  eben  zu 
«lern  Zwecke  abgefasst  worden,  um 
als  Parteischrift  pcgen  die  Neuerun- 
gen eines  dem  Kloster  aufgedrunge- 
nen cluniac»nsisehen  Abtes  zu  dienen 
und  den  Beweis  zu  geben,  wie  viel 
Schönes  und  Herrliches  unter  der 
ältern  freiem  Richtung  geleistet  wor- 
den sei.    Siebe  die  Einleitungen  zu 
der  lateinischen  und  deutschen  Aus- 
gabe durch  Meyer  von  Knonau.  Die 
Cluniaccnser  Reformation  hat  sich 
in  Deutschland  zuerst  in  den  Klö- 
ßen» des  Schwarzwaldes  festgesetzt: 
.  Hier  verkehrten  die  Legaten  und 
(^geakönige,  hier  feierten  sie  ihre 
Feste,  hier  suchten  sie  und  ihre  An- 
hänger Zuflucht  in  den  Zeiten  der 
Not.    Die  Mönche  von  Ebersheim 
im  Da»  haben  Rudolf  von  Rhein- 
felden  sogar  seine  Krone  geschmie- 
det. Es  war  nicht  wie  bei  den  Sach- 
sen eine  zufallige  Übereinstimmung 
in  der  Opposition  gegen  das  Reich, ! 
welche  diese  Mönche  mit  Gregor 
zusammenführte,  sondern  der  reine 
dogmatische  Eifer.     Sie  lebten  in ! 
in  Vorstellung  von  der  päpstlichen  I 
Allgewalt  und  sonnten  einen  andern 
Standpunkt  gar  nicht  begreifen.'' 

„In  Verbindung  mit  Clügny  stan- 
den  diese  Klöster  wohl  schon  lauge. 
Ein  recht  lebendiges  und  festes  Band 
aber  knüpfte  sich  erst  durch  Wil- 1 
kdm  von  Jfirsckau.  Dieser  führte 
auf  den  Rat  des  bekannten  papst- 
lichen Legaten  Bernhanl,  Abts  von 
St.  Victor,  der  sich  1077  ein  ganzes 
•Jahr  lang  bei  ihm  aufhielt,  die  Clu- 
:iiaeenser  Regel  in  seinem  Kloster 
•in,  und  von  hier  aus  verbreitete 
-ich  nun  der  Hirschauer  Orden  nach 
allen  Seiten;  neue  Klöster  wurden 
^stiftet  und  alte  nach  der  neuen 
W  eise  reformiert.  HirschauerMönche 
kamen  nach  Reichenbach  und  St. 
ßeorgen  im  Schwarzwald,  nach 
Schaffhausen,  Petershausen  und  Pfä- 
Re»Nexicon  der  deutschen  Altertümer. 


fers,  nach  Weilheim  (später  nach 
St.  Peter  bei  Freiburg  verlegt)  und 
Zwifalten,  Blaubeuren  und  Isny, 
Wiblingen  und  Ochsenhausen,  nach 
Komburg  in  Franken,  nach  Fisch- 
bachau und  Scheiern,  Prüfening  und 
Eudorf  in  Baiern,  nach  dem  Peters- 
berg bei  Erfurt,  Reinhardsbrunn, 
Gosek,  Gasungen  und  Magdeburg, 
nach  Admont  in  Steiermark ,  St. 
Paul  in  Kärnthen.  Otto  von  Bam- 
berg führte  in  allen  seinen  Klöstern 
die  Hirschauer  Regel  ein.  Derselben 
Richtung  gehörte  St.  Blasien  im 
Schwarzwalde  an.  Hier  wurde  Hart- 
mann, früher  Propst  von  St.  Nicola 
bei  Passau,  des  Gegenkönigs  Ru- 
dolf Kaplan.  Mönch  und  Prior;  dann 
aber  1094  Abt  von  Götweih,  wohin 
er  eine  Kolonie  aus  St.  Blasien 
führte,  und  bald  wurden  ihm  auch 
St.  Lambert  in  Steiermark,  Kemp- 
ten, St.  Ulrich  und  Afra  in  Augs- 
burg anvertraut.  Nach  Krems- 
münster kamen  Mönche  aus  Gottes- 
au,  einer  Hirschauer  Kolonie  im 
Sprengel  von  Speier.  Bischof  Bur- 
chard  von  Basel  aber  unterwarf  110f>, 
eingedenk  der  alten  Freundschaft 
und  innigen  Verbindung,  das  von 
ihm  gestiftete  Kloster  St.  Alban  bei 
Basel  unmittelbar  dem  Abte  von 
Clucny."  Wattenback,  Geschichts- 
quellen IV,  §  6. 

Die  Cluniacenser  Mönche  trenn- 
ten sich  nie  völlig  von  den  alten 
Benediktinern,  behielten  auch  die 
schwarze  Tracht.  Abgesehen  von 
den  strengeren  Regeln  der  Kongre- 
gation unterschieden  sich  ihre  Stif- 
tungen dadurch  von  den  alten  nicht- 
refonnierten,  dass  diese  durch  die 
nächstfolgenden  Jahrhunderte  ihre 
Selbständigkeit  und  ihre  Bedeutung 
als  Reichsstände  bewahrten,  die 
mächtigeren  unter  ihnen  sogar  zu 
Reichstursten  wurden,  während  die 
reformierten  Klöster  dem  Charakter 
der  kirchlichen  Genossenschaft  treuer 
blieben.  Mit  den  Cistereiensern,  die 
auch  Benediktiner  sein  wollten,  aber 
das  Prinzip  des  geistlichen  Mönchs- 

S 


114 


Cölestinerordcn.  —  Collegia  Musica. 


tums  viel  einseitiger  darstellten,  auch 
zur  weissen  Tracht  übergingen,  führ- 
ten die  Cluniacenser  heftige  Fehden, 
besonders  Bernhard  von  Clairveaux 
als  Cistcrcienser  gegen  den  Abt  von 
Clugny,  Peter  den  Ehrwürdigen. 
Siehe  Fink  in  Ersch  und  Gruner, 
Art.  Cistercicnser. 

Cölestiiierordcn  ist  gestiftet  1254 
von  Peter  von  Murrhoue,  nachmali- 
gein Papst  Cölestin  V.,  der  vor  seiner 
Wahl  Einsiedler  auf  dem  Berg  Mur- 
rhone in  Apulien  war.  Die  Ordens- 
angehörigen  befolgten  die  Regel  des 
heil.  Benedict,  erhielten  von  ihrem 
Stifter  bedeutende  Vorrechte  und 
verbreiteten  sich  schnell  in  Italien, 
Frankreich,  Deutschland  und  den 
Niederlanden. 

Cöl i bat.  Das  Judentum  kannte 
bloss  das  Gesetz,  das»  der  Priester 
keine  Buhlerin,  Entweihte  oder  Ge- 
schiedene, der  Hohepriester  keine 
Witwe  heiraten  dürfe,  alle  aber  zur 
Vorbereitung  auf  heilige  Handlungen 
sich  ihrer  Frauen  enthalten  sollten. 
Früh  bildete  sich  in  der  Kirche  die 
Ansicht,  der  ehelose  Stand  verdiene 
den  Vorzug,  und  nachdem  seit  dem 
2.  Jahrh.  Beispiele  freiwilliger  Ge- 
lübde zur  Ehelosigkeit  vorgekom- 
men waren,  wuchs  auch  die  Meinung, 
das«  den  Priestern  als  den  Verwal- 
tern der  heiligen  Mysterien  die  Ehe 
nicht  anstehe.  Seit  Anfang  des  4. 
Jahrh.  ergehen  an  mehreren  Orten 
Gesetze  in  dieser  Richtung,  und  na- 
mentlich wirkte  das  Vorbild  des 
Möuch.sstands ,  hinter  welchem  der 
weltliche  Klerus  nicht  zu  weit  zu- 
rückbleiben durfte,  entscheidend  zu 
Gunsten  des  Cölibats.  der  in  der 
orientalischen  Kirche  Dahl  zur  vor- 
waltenden Observanz  wurde.  Zahl- 
reiche abendländische  Synoden  des 
6.  Jahrh.  erliessen  Verordnungen, 
welche  die  unbedingte  Enthaltsam- 


keit vom  ehelichen  Leben  Priestern. 
Diakonen   und   Subdiakonen  vor- 
schrieben.    Die  weltliche  Gesetz- 
gebung bestätigte  diese  Bestimmun- 
gen mit  dem  Zusatz,  dass  Ehen  der 
Kleriker  der  höhern  Weihen  nach 
ihrer  Ordination  als  nichtig  und  dk 
aus  solchen  entsprossenen  Kinder 
als  unehelich  zu  betrachten  seien. 
So  oft  jedoch  die  alten  Verordnun 
gen  gegen  die  Priesterehen  immer 
aufs  neue  und  besonders  seit  Leo  IX. 
(1048-1054)  wiederholt  wurden,  so 
gab  es  doch  in  allen  Ländern  und 
sogar  unter  den  Augen  des  Papstes 
viele   verheiratete  Priester.  Er>t 
Gregor  VII.  setzte  das  Dekret  der 
römischen  Synode  von  1074  in  Voll- 
zug, wornach*  jeder  beweibte  Priester, 
der  das  Sakrament  verwalte,  ebenso 
wie  der  Laie,  welcher  aus  der  Hand 
eines  solchen  das  Sakrament  em- 
pfange, mit  dem  Banne  bestraft  wer 
den  solle.  Calixtus  II.  (1119  —  1123' 
und  Innocenz  II.  (1139)  erklärten 
sämtliche   Priesterehen  überhaupt 
für  ungültig.   Der  von  einem  Kar 
dinal  auf  dem  Konstanzer  Konzil 
gemachte  Vorschlag,  die  Priestereln- 
wiedereinzuführen,  blieb  ohne  Erfolg. 

Collegia  Muslea  heissen  musi- 
kalische Akademien,  die  gleichzeitig 
mit  den  Spraehgenossenscnaften  uu<l 
den  Dichtervereinen  nach  italieni- 
schem Muster  in  der  ersten  Hälfte 
des  17.  Jahrh.  auftraten,  um  gemein 
sam  Orchestermusik  zu  üben.  Man 
findet  solche  Gesellschaften  u.  a.  in 
Zürich  1613,  in  St.  Gallen  1621. 
Winterthur  1629  gestiftet.  Die  St. 
Gallische  Gesellschaft  hat  sich  unter 
dem  Namen  „Antlitzgesellschaft"  bis 
heute  erhalten  und  steht  noch  im 
Besitze  sämtlicher  Protokolle  und 
anderer  Schriften.  Siehe  (»Otzingen 
Litteraturbciträge  aus  St.  GaUen. 
St.  Gallen  1870. 


n 


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Daktylisch.  —  Deutsche  Gesellschaften. 


115 


D. 


Daktylische  deutsche  Verse  sind 
zuerst  im  12.  Jahrh.  neben  ana- 
päsuschen  in  Nachahmung  lateini- 
scher daktylischer  Verse,  leononi- 
scher  Hexameter  oder  Sequenzen 
versucht  worden,  und  zwar  zuerst 
in  geistlichen  Leichen:  doch  waren 
sie  bei  den  höfischen  Lyrikern  We- 
iler besonders  beliebt  noch  geschickt 


theotiscus,  ist  abgeleitet  von  ahd.  der 
und  das  diot  und  die  diota,  got. 
thiuda,  altsächsisch  thiod  und  thioda 
=  Volk,  Volksstamm,  und  bedeutet: 
dem  Volke  eigen,  volksmässig.  Nach- 
dem infolge  der  Völkerwanderung 
der  alte  Gesamtname  der  Ger- 
manen verloren  gegangen  war, 
kam  allmählich,  zuerst  für  die 
pehandhabt.  In  die  Opitzische  Schule  Sprache,  im  Gegensatze  zum  La- 
wurden  Daktylus  und  Anapäst  durch  .  tein  der  Kirche,  des  Rechtes  und 
Buckner  eingeführt,  der  dakty- 1  der  höhern  Bildung  überhaupt,  dann 
lache  Verse  des  Minnesängers  Ul-  auch  im  Gegensatze  zum  Romani- 
rich  von  Liechtenstein  nachahmte,  sehen  der  Name  deutseh  auf;  man 
..Dieses  Reimgeschlecht",  sagt  Schot-  findet  das  Wort  zuerst  im  Jahre 
reiiaa  vom  Daktylus,  „ist  eines  von  787,  von  da  noch  längere  Zeit 
den  Lieblichsten  in  deutscher  Spra- ,  selten  gebraucht.  Der  gebräuch- 
lichere Warne  des  Volkes  sowohl  als 
seiner  Sprache  war  Franken  und 


che.  nicht  ohne  Ruhm  und  Nutz  end- 
lich hervorgesucht  und  richtig  nach 


eineepflanzeten  natürlichen  Gründen  j  fränkische  Sprache.  Recht  in  Auf- 
unu  Lieb-leichlichem  Vermögen  teut-  nähme  kam  das  Wort  deutsch  erst 
Kher  Hauptsprache,  von  vornehmen  I  im  12.  Jahrh. ,  und  zwar  zuerst  in 
Poeten,  doch  anfänglich  von  Herrn  j  Niederdeutschland;  denn  im  Altfran- 
Auguste  Buchnero  aufgebracht  und  zösischen  unterschied  man  Alemant 
herauBffeachmücket."  Besonders  die 1  und  Tunis  als  Ober-  und  Nieder- 


Pegnitz-Schäfer  hatten  eine  beson- 
dere Vorliebe  für  die  beiden  Vers- 


Damast,  geblümtes  Scidenzeug 
von  Damaskus,  aus  ital.  damasco, 
franz.  damas.  wird  im  14.  Jahrh. 
zuerst  erwähnt. 

Dame,  mittell.  dvmna,  ital.  dama 


deutsch,  wie  noch  heute  bei  den  Eng- 
ländern Duteh  ein  Holländer  ist; 
das  franz.  Tunis  scheint  auch  die  im 
Mhd.  oft  vorkommende  Schreibung 
des  Wortes  mit  t:  tiutsch  veranlasst 
zu  haben.  Die  nhd.  Schreibung  mit 
t  hat  keinen  Sinn.  Das  Wort  Deutsch- 
land kommt  zuerst  im  12.  und  13. 


and  äonna,  franz.  dame,  ist  nach  j  Jahrh.  vor;  im  16.  zeigt  es  sich  häu 
Grimm  wahrscheinlich  erst  in  der  j  figer.    Grimm ,  Grammatik ,  Bd.  1 
zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  1  der  3.  Auflage,  S.  10—20. 
oei  uns  eingeführt;  im  Simplicissi-       Deutsche  Gesellschaften  nann- 
mus.  1669,  ist  das  Wort  schon  ge- ;  ten  sich  gelehrte  Gesellschaften  des 
»*ufiz.  |  18.  Jahrh.,  die  sich  die  Pflege  der 

Del  gratla,  von  Gottes  Gnaden,  I  deutschen  Sprache  und  Dichtung  zur 
ist  zuerst  von  Pipin  in  seinen  Titel  Aufgabe  machten  und,  sich  meist 
aufgenommen  worden.  Die  Nach-  an  die  Universitäten  anlehnend,  eine 
folger  behielten  es  bei,  später  nah-  freiere  Organisation  hatten  als  die 

unmittelbar  vorausgehenden  Sprach- 
gesellschaften. Die  erste  wurde  zu 
Leipzig  1697  durch  eine  Anzahl 
junger  Männer  gestiftet,  die  ent- 

8* 


es  andere  Würdenträger,  wie 
Herzoge,  Grafen  an. 
Deutsch,  ahd.  diufisk,  mhd.  diu- 
diu/sch,    fränkisch -lateinisch 


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116  Deutschgesinnte  Genossenschaft.  —  Dichter. 


weder  geborene  Görlitzer  oder  doch  Pferde  ritten.  Statt  der  vcrschliess- 
Zöglinge  des  Görlitzer  Gymnasiums  baren  Helme  trugen  sie  offene  Eisen 


gewesen  waren,  daher  sie  ihren 
Verein  anfangs  görlilzischc  poetische. 


hüte,  statt  des  Panzers  bequem»1 
Brustharnische    oder  bloss  Leder- 


später, als  auch  andere  Mitglieder  koller  mit  Halsherge.  Weil  sie  d,i> 
aufgenommen  wurden,  deuf  sch  uhen  de  Eisenzeug  schwarz  anzustreichen 
poetische  und  seit  1727  die  deutsche  pflegten,  heissen  sie  auch  ..die 
Gesellschaft  nannten.  Die  Absicht  Schwarzen".  Als  Angriffcwaflen 
der  Stifter  war,  einander  in  regel-  dienten  Schwert  und  Faustrohr 
massigen  Zusammenkünften  ihre  Ihre  Fechtweise,  ganz  nahe  an  den 
dichterischen  Versuche  mitzuteilen  Feind  zu  traben,  das  Rohr  abzn- 
und  sich  durch  wechselseitige  He-  schiessen  und  die  Pferde  sofort  hiii- 
urteilung  derselben  in  ihren  Be-  ter  den  Haufen  zurückzuwerfen,  wäh- 
strebungen  zu  fördern.  Der  be-  rend  die  nächsten  Glieder  immer 
deutende  Einfluss  dieser  Gesellschaft  wieder  folgten,  hiess  jSattenrd*- 
auf  die  deutsche  Litteratur  datiert  tummeln  (Tummeln  nach  Natternart . 
erst  seit  dem  Zutritt  Gottscheds,  der  Caracolieren  oder  Ha  reelleren.  In 
1726  zu  ihrem  Senior  ernannt  wurde  ihren  Reihen  entwickelt  sich  zum 
und  ihre  Thätigkeit  mehr  auf  Sprach-  erstenmal  ein  kavalleristischer  Geist 
Verbesserung  und  Sprachforschung  im  modernen  Sinne.  Ihren  Haupt- 
lenkte. Nach  dem  Beispiel  der  Schauplatz  fanden  sie  in  Frankreich. 
Leipziger  Gesellschaft  bildeten  sich  wo  die  „reif res1'  in  den  Hugenotten- 
allmählich  ähnliche  Gesellschaften  Kriegen  berühmt  und  gefürchtet 
an  anderen  Universitätsorten,  wie  wurden.  Durch  die  deutschen  Reiter 
in  Jena,  Göttingen,  Greifswald,  wurde  die  uralte  Reiterlanze  ausser 
Königsberg,  Helmstadt,  die  aber  Kurs  gesetzt.  Jahns,  1215. 
sämmtlich  zu  keiner  besonderen  Be-  Dichter.  Einen  Stand  der  Dich- 
deutung  gelangten.  Eine  ähnliche  ter  oder  Sänger  hat  es  bei  den 
Organisation  hatte  die  deutsrhühende  Deutschen  nie  gegeben;  den  Mann. 
Gesellschaft  zu  Hamburg,  gestiftet  der  vorzüglich  mit  der  Kunst  begabt 
1715.  war    und    deshalb    Dichten  un.l 

Deutschpesinnte Genossenschaft  Singen  wie  einen  Beruf  ausübte, 
nannte  sich  eine  der  nach  italieni-  hiess  man  scof,  d.  i.  den  Schaffen- 
schem  Muster  gegründeten  Sprach-  den  wie  griech.  notviijc  von  noi*ö. 
gesellschaften  des  17.  Jahrb.  Sic  schaffen,  oder  in  Bezug  auf  deu 
wurde  1643  zu  Hamburg  durch  Vortrag  den  Singer.  Das  ersten? 
Philipp  von  Zesen  und  zwei  seiner  Wort  teilt  das  Schicksal  des  alten 
Freunde  gestiftet  und  zerfiel  in  die  alliterierenden  Epos,  erhält  sich 
Rosenzunft.  Lilienzunft,  Näglein-  aber  vereinzelt  in  (ilossen  und  Kom- 
zunft  und  Rautcnmnft.  Die  Gesell-  positionen  noch  bis  ins  13.  Jahr- 
schaft bemühte  sich,  im  Geiste  ihres  hundert:  salmscoph  —  psalmista,  levd 
Stifters,  besonders  um  Reinigung  scaßb  —  carminum  conditor,  scoffeoJ 
der  Muttersprache  und  um  die  Ein-  und  irinileod,  scopfsanq,  das  schf= 
führung  einer  neuen  Orthographie.  Erdichtung;  schophlieh,  dichterisch. 
Sie  bestand  bis  zum  Jahr  1705.  erdichtet;  schöpf •buoch  =  Gedicht  - 
Deutsche  Reiter  heisst  eine  Art  buch;  schophen  =  dichten.  Der  an- 
der Reiterei,  die  ein  Mittelding  dere  Name  Singer  erhält  sieh  bi> 
zwischen  Kürassieren  und  Arke-  zu  den  Minnesingern  und  Meister- 
busierern  war  und  sich  während  der  singern,  die  auch  Dichter  sind.  Die 
schmalkaldischen  Kriege  herausbil-  höfische  Dichtkunst  ermangelt  eine^ 
dete.  Sie  heissen  auch  Hingerpferde,  gleichmässig  verbreiteten  Namen:* 
weil  sie  geringere,  d.  h.  leichtere  tür  den    allgemeinen   Begriff  de? 


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Dichter. 


117 


Dicht«  T*;ihreThfitigkeitlieisstW/t//e'/i 
oder  mtgf-n  und  soffen,  letztere  zwei 
ursprünglich  der  Name  für  das  Dich- 
ten überhaupt  nach  Form  [sinnen) 
und  Inhalt  (sagen),  spater  der  Aus- 
druck für  die  beiden  auseinander 
gegangenen  Formen  der  Epik  und 


und  tihtaere  iu  die  edlere  Bedeu- 
tung des  Ersinnens,  Anordnens,  Er- 
deiikens,  Nachdenkens,  Sinnens  und 
künstlerischen  Schaffens  über;  doch 
wiegt  das  Verb  noch  vor,  tihtaere 
ist  seltener,  und  noch  bis  ins  16.  Jahrb. 
behalt  es  zugleich  die  alte  Bedeu- 


Fig.  45.    Dichter  am  Pult.    Poeta  laurcatu«. 


Ljrik.  Die  Lyriker  heissen  dann 
"wer  oder  stngaere^  die  Epiker 
uktaert.  von  tihten,  aus  lat.  dteiare 
=wm  Nachschreiben  vorsagen,  nie- 
derschreiben lass«-u,  vorsagen«!  an- 
fertigen; denn  der  epische  Dichter 
'Ua  Mittelalter.«  konnte  gemeiniglich 
ukht  schreiben,  er  diktierte;  mit 
d-T  Zeit  gingen  beide  Wörter,  tihten 


tung  des  Verfassers  einer  nicht- 
poetischen  Schrift  bei.  Neben  die- 
sem Wort  erscheint  oft  meiste  r,  d.  i. 
derjenige  der  es  versteht,  seis  als 
Gegensatz  zu  dem,  der  es  nicht  ver- 
stellt, seis  als  Ehrenname  des  Dich- 
ters aus  bürgerlichem  Stande,  z.  13. 
meist*  r  Gottfried  von  Sfrasshun/, 
gegenüber   dem    adligeu  Dichter. 


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118 


Dienstmann.  —  Dienstmannen-Rechte. 


dessen  Titel  Herr  ist  Erst  die  Re- \  schritt  Comparatio  Jfulae  et  Mutae. 
naissance  hat  den  Namen  Dichter  i  Nürnberg  1506j  Der  Dichter  ist  als 
als  gleichbedeutend  mit  poeta  all-  [  junger  Mann  in  der  Pereon  des 
gemein  gemacht;  doch  nennen  Opitz,  j  Apollo  dargestellt,  mit  lockige«) 
Schottel  u.  a.  den  Dichter  noch  regel- 1  Haar,  die  Harfe  im  Arni,  sitzend 
massig  Poil,  seine  Kunst  DivhtkuMt  j  auf  einer  beblrimten  Wiese  unter 
oder  Foeterei.  Das  Hittelalter  pflegte  I  den  neun  Musen.    Fig.  46.  Ober 


den  Dichter  stets  am  Pulte  sitzend 
und  schreibend  abzumalen,  siehe 
Fig.  45,  welches  den  Poeta  Laurea- 
tui  aus  der  Horazausgabe  des  Ja- 
cobiut  Zocker  Philomsus ,  Stras- 
burg 1498  (Ex.  im  Besitz  der  St 
Gaffer  Stifcbibliothek)  darstellt;  die 
erste  freiere  Darstellung  des  Dich- 
ters, die  man  kennt,  findet  sich  in 
desselben  Lochers  berühmter  Streit- 


Poetenhrönung  siehe  den  Art,  H*mo- 
ni*miL8. 

Dienstmann,  s.  Ministerial. 
Dienst  manne  ri-  Hechte.  Da  das 

Verhältnis  des  Dienstmannes,  Mi- 
nisterialen, zum  Dienstherrn  0* 
wesentlich  persönliches  war,  fehlte 
es  an  Rechtequellen,  welche  für  <fc 
Ministerialen  des  Gesamtreiche? 
gleichmassige  Prinzipien  enthielten- 


Dies  irae  dies  illa.  —  Dietrich  von  Bern. 


119 


Die  fiechtsbücher  sprechen  deshalb 
fast  nie  von  den  Dienstleuten.  Da- 
her kam  es,  dass  im  1 2.  Jahrhundert 
besonders  in  geistlichen  Herrschaften 
das  Bedürfnis  entstand,  die  gegen- 
seitigen Rechte  und  Pflichten  der 
Ministerialen  zu  verbriefen;  es  ge- 
schah unter  Mitwirkung  der  Mi- 
nisterialen selbst,  ähnlich  wie  bei 
«Jen  Öffnungen.  Diese  Aufzeich- 
nungen beziehen  sich  auf  die  Dienst- 
pflicht, das  Erbrecht,  die  Verpflich- 
tungen des  Herrn  zu  einzelnen 
Leistungen,  manchmal  auch  auf  die 
sonstigen  Vermögensverhältnisse, 
Familienrecht,  Prozess  und  Straf- 
recht. Sie  haben  meist  nur  genügen 
Umfang.  Die  wichtigsten  sind  das 
Bamljerger.  Kölner,  das  Bisehofs- 
und  Dienstmannenreeht  zu  Basel 
(herausgegeben  von  W.  Wacker- 
nagel), die  Leyes  feudales  Teklen- 
hurmeae,  das  formier  Dienst  recht. 
Stobbe,  Rechtsquellen,  I,  r>78. 

Dies  irae  dies  illa.  die  bekannte 
Sequenz  auf  den  Allerseelen  tag, 
wird  jetzt  meist  dem  Tliomas  von 
einem  Franziskaner  aus 
Celano  in  den  Abruzzen  zugeschrie- 
ben; dieser  lebte  um  1250  und  hielt 
'ich  längere  Zeit  in  Köln  auf.  Es 
giebt  drei  Texte  dieses  Liedes  und 
unzählige  Übersetzungen  ins  Deut- 
sche. 

Dietrich  von  Bern  ist  der  be- 
liebteste Held  der  deutschen  Volks- 
sage im  Mittelalter.  Sein  Schicksal 
liejit  m  folgenden  Zügen:  Auf  An- 
stiften des  ungetreuen  Rates  Sibieh 
vertreibt  der  König  Ernten  reieh  von 
Rom  Beinen  Neflen  Dietrich  aus 
Hern;  dieser  flüchtet  an  Etzels,  des 
Hunnenkönigs,  Hof,  wo  ihn  u.  a.  das 
Nibelungenlied  vorfindet.  Etzel  giebt 
ihm  darauf  ein  Heer  mit,  sein  Land 
jneder  zu  erobern;  mit  dessen  Hilfe 
besiegt  er  das  Heer  Ermenreichs  in 
der  Kahin*ehlaeht  (Schlacht  bei  Ra- 
venna)  und  gewinnt  sein  Reich  wic- 
2».  Die  erhaltenen  Dichtungen. 
Je  sich  an  die  Schicksale  dieses 
Helden  anschliessen ,  sind  das  alt- 


deutsche alliterierende  Hildebrands- 
lied,  in  mittelhochdeutscher  Sprache 
die  unstrophischen  Gedichte  Bite- 
rolf  und  Die  (leib  vom  Verfasser  der 
Nibelungen   Klage,   erzählt  einen 

S rossen  Turnierkampf  Attilas  und 
er  Seinen,  Dietrich  voran,  um  1225 
geschrieben;  Dietrich  und  Wenezlan, 
ein  Bruchstück,  das  den  Zweikampf 
mit  dem  Polenkönig  Wenezlan  er- 
zählt; Dietriehs  Ahnen  und  Flucht 
oder  daz  buoch  von  Berne  von  Hein- 
rich dem  Vogler,  und  Luarin  oder 
der  kleine  Rosengarten.  Strophische 
Dichtungen  sind:  Alpharls  Tod,  der 
grosse  Bosen  aa rten ,  die Rabensehlaeh (, 
Sigetiot,  Eeke,  Goldemar,  Dietriehs 
L>ra rhenkämpf et  Etzels  Hofhaltung. 

Die  Entstehung  und  Bedeutung 
der  Dietrichssage  unterliegt  den 
mannigfaltigsten,  zum  Teil  wider- 
sprechendsten Ansichten.  Der  Name 
Dietrich,  der  Ort,  wo  die  Sage  spielt, 
Verona,  Kavenna,  Rom,  Hessen  es 
früher  als  selbstverständlich  erschei- 
nen, dass  der  Held  der  Sage  nichts 
anderes  als  das  epische  Bild  des  Ost- 
gotenkönigs Theoderich  des  Grossen 
sei;  vergleicht  man  jedoch  den  Le- 
bensinhalt  beider  Dietriche,  so  stimmt 
nichts  miteinander  überein,  und  man 
kam  deshalb  zu  der  Ansicht,  die 
Sage  sei  älter  als  der  historische 
Gotenkönig,  wobei  dann  eine  zweite 
Frage  sich  aufdrängte :  ist  in  diesem 
Falle  die  Sage  dennoch  historisch, 
oder  ist  sie  mythisch?  Das  letztere 
fände  darin  einen  Halt,  dass  mit  der 
Dietrichsage  die  mythische  Wielands- 
sage  aurch  dessen  Sohn  Witt  ig,  tiroler 
Zwergsagen,  der  Mythus  vom  ge- 
treuen Eckhardt  und  Züge  des  alten 
Donnergottes  verbunden  sind.  Stim- 
men übrigens  die  Lebensschicksale 
der  beiden  Dietriche  nicht  miteinander 
überein,  so  scheint  die  allgemeine 
Bedeutung,  das  Ansehen,  das  der 
historische  Dietrich  genoss,  um  so 
eher  in  der  Sage  sich  wiederzuspie- 
geln,  wenn  man  annimmt,  dieselbe 
sei  bei  den  Alemannen  ausgebildet 
worden;  die  Alemannen  verdankten 


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120  Diptychen.  —  Dominikaner-Orden. 


Theoderich  die  Schonung,  mit  wel- 
cher die  Franken  sie  behandeln 
mussten;  Breisach,  wo  die  Sage  von 


bis  ins  15.  Jahrh.  benutzt.  Man 
schmückte  sie  in  christlicher  Zeit 
mit  Heiligenfiguren,  biblischen  odi*r 


den  Harluugeu  spielt,  liegt  in  Ale-  legendarischen  Darstellungen.  Eins 

mannien,  und  an  vielen  Orten  Schwa-  der  berühmtesten  Diptychen  ist  du* 

bona  wird  Dietrich  als  Bekämpfer  St.  Gallische,  das  den  Namen  dt-« 

schädlicher  Ungeheuer  genannt,  wie  Tutilo  als  Verfertiger  trügt.  Hahn, 

denn  auch  eine  Menge  Ortsnamen  Bildende  Künste.    108  h\ 
seineu  Namen  tragen.    Karl  Met/er,       Directorium   humanae  vitae, 

die  Dietrichsage  in  ihrer  geschieht-  alias  Paraholac  antiuuorum  sapien- 

liehen  Entwiekeluug.    Basel  lhC8.  tium  ist  eine  lateinische  Bearbeitung 

Diptychen  sind  bei  den  Römern  der  aus  dem  JJidjnti  stammenden 

der  ersten  Jahrh.  christlicher  Zeit-  Novellensammlungen,  im  13.  Jahrb. 

rechnung  Tafeln    von   Gold    oder  von  dem  getauften  Juden  Johann 

Silber,  bei  einfacher  Ausstattung  von  von  Capua  aus  einer  hebräiseln  n 

Holz  oder  Schiefer,  am  häufigsten  Nachbildung    übersetzt,  gedruckt 

von  Elfenbein  O'ler,  in  Ermangelung  zwischen    1470    und    14S0  (wahr- 

dessen,  von  Kamelbein.  DieseTafelu  scbeinJich  auf  Veranlassung  Eber 

waren  mit  Bändern  oder  Scharnieren  hards  im  Bart),  als  Buch  der  B<i- 

versehen,  sodass  sie  wie  Bücher  auf-  Spich'  der  alten  Weisen,   Buch  drr 

undzusammengeh'gt  werden  konnten.  Weisheit,  der  alten  Weisen  Exeinpel- 

Die  Aussenseiten  pflegte  man  mit  spruch.  zuerst  wahrscheinlich  Urach 

Bildschnitzereien  zu  verzieren,  wäh-  1480,  dann  Ulm  1483  und  öfter, 
rend  die  inneren  Flächen,  mit  Wachs       Diseiplina  elericalis  heisst  ein« 

oder  Pap  vrus  überzogen,  als  Schreib-  lateinische,  im  Mittelalter  vieltaei 

tafeln    dienten.    Sie    wurden,    be-  gelesene  Bearbeitung  der  aus  Iudien 

schrieben  und  versiegelt,  nicht  selten  .stammenden  Novellensammlungeu. 

als  Briefe  versandt.   Sie  waren  ein  zu  denen  Panttcka-Tantra,  Iiiiv 

l»eliebter  (Gegenstand  von  Gesehen-  padesa,  die  sieben  weisen  Meister 

ken,  die  sowohl  von  Privaten  als  u.  a.  gehören.    Sie  wurden  verfasse 

namentlich  von  höheren   Beamten,  im  12.  Jahrh.  von  einem  spauischeu 

Konsuln,  Prätoren,  Quästoren  bei  Juden  Moses,  der  sich  in  der  christ- 

Anlass  ihres  Amtsantrittes  verab-  liehen  Taufe  Petnts  Alfunsu*  nannte, 

folgt  wurden.    Die  Keliefs  stellten  Die  Quelle  war  eine  arabische.  E* 

deshalb  in  der  Regel  die  bei  jenem  sind    der    Form    nach  Gespräch 

Anlass    stattgehabten    Tierkämpfe  zwischen  Vater  und  Sohn,  Lehr»  r 

dar:  oben  sitzt  der  Konsul,  von  Be-  und  Schüler,  zusammen  39  Abschnitte, 

gleitern  umgeben,  die  Insignien  des  Herausgegeben  von  Schmidt,  Ber- 

Amtes   in   der  Hand,   das  Zeichen  lin  1 S27. 

zum  Beginn  der  Spiele  gebend,  unten        Doktor  siehe  Universität, 
im  kleinem  Massstabe  finden  sich       Boich.  Der  Name  ist  im  1«.  Jahrh. 

die  Spiele  selber  dargestellt.   Solche  aus  dem  Slawischen  herübcrgekoni- 

Diptychen  wurden  früh  für  kirch-  men:  böhm.  poln.  der  tut  ich,  wie 

liehe  Zwecke  benutzt.    Man  pflegte  Hans  Sachs  noch  doli  ich  schreib: 

auf  demselben  die  Namen  der  Mär-  Das  Wort  hat  mit  ahd.  der  doflr. 

tyrer,    der  Kirchenvorsteher,    der  iotk—  Wunde,  altnord.  das  d>J>t  - 

Wohlthäter    und    anderer   hervor-  Kampf,    got.    der   dvtgs  =  Schuld, 

ragender  Gemeindegenossen  zu  ver-  nichts  zu  thun. 
zeichnen  Diese  Tafeln  wurden  dann       Domherr,  Domstift  siehe  Kane- 

während  der  Fürbitte  auf  dem  Altar  niker. 

aufgestellt  und  im  Abendlande  bis        Dominikaner-  oder  Predker- 

ins  12..  in  der  griechischen  Kirche  Orden.    Sein  Stifter  ist  Dominik*. 


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Dominikaner-Orden.  121 


geb.  11  TO  zu  Calarucga   im  alt-  Anlehnung  an  die  Regel  dtT  Prä 
kastilis<  hen  Bistum  Osma;  er  erhielt  inonstratenser:  Stillschweigen,  fast 
eine  wissensehafttiche  Bildung,  wurde  unaufhörliches  Fasten,  keine  Fleisch- 
Domherr  zu  Osma,  als  welcher  er  speise,  Armut;  als  Tracht  die  der 
znr  Bekehrung  von  Mohammedanern  Domherren,  langer  schwarzer  Kock 
and    Ketzern    ausgesandt    wurde,  und  kurzer,  weisser  Uberwurf  ohne 
Als  Begleiter  seines  Bischof*  lernte  Gürtel.    Nach  Innocenz  III.  Tode 
er  die  verkommenen  kirchliehen  Zu-  auerkannte  Houorius  III.  im  Jahre 
stände  Süd  fraukreiehs  kennen,  deren  1216  den  Orden  der  Prediner  oder 
Folge  die  Ausbreitung  der  Katharer  Fratres  vraedivatore*  und  bestätigte 
iKetzer)  oder  Albigcnser  und  . der  ihn  durch  eine  Bulle.    Das  Wappen 
Waldenser  war.   Cistereienser  Abte  des  Ordens  wurde  ein  Hund,  der 
reisten  gerade  jetzt  im  Lande  her-  wachsame  Gefährte  des  Hirten  mit 
um,  die  Ketzer  zu  bekehren,  fanden  einer  brennenden  Fackel  im  Maule, 
aber,  da  sie   die  Bedürfnisse  des  Das  erste  Kloster  blieb  daszuTou- 
Volk»*s  nicht  verstanden   und   als  louse:  srhnell  wurden  andere  ge- 
vornehtne  reiche  Herren  auftraten,  gründet:  von  dem  Pariser  Kloster 
kein  Gehör.  Nun  traten  der  Bischof  im  Hause  von  St.  Jacob  erhielt  der 
Diego  von  Osma  und  Dominikus  Orden  den  in  Frankreich  verbreiteten 
mit  ihnen  in  Verkehr,  bereisten  in  Namen  Jakobiner.    In  Rom  refor- 
•lers<  hliohtesten  Kleidung  wie  Bettler  mierte  Dominikus  die  Nonnenklöster 
«ias  Land,  predigten  dem  Volk  das  nach  seiner  Kegel  und  wurde  wegen 
Evangelium    und    namentlich    die  seiner  Verdienste  um  die  Diener  und 
Briefe  des  Apostels  Paulus.    Nach-  Hofleute  des  Papstes  zum  mayhter 
dem  die  Cistereienser  und  der  Bischof  sacri  palatü  ernannt,  ein  Amt,  das 
in  ihre  Heimat  zurückgekehrt  waren,  immer  noch  von  einem  Dominikaner 
war  Dominikus  auf  sich  selbst  ge-  verwaltet  wird,  und  in  dessen  Händen 
-teilt.   Zu  Prouille  im  Bistum  Toii-  die  oberste  Büchercensur  liegt.  Im 
l  iuse  gründete  er  zuerst  ein  Asyl  Jahre  1219  wurde  die  Domherrcn- 
für  Mädchen,  die  erste  seiner  Sti'f-  tracht  mit  derjenigen  der  Kartäuser 
tungen:  dann  erhielt  er  für  sich  und  vertauscht: weisser Rock,weissesSka- 
^ine  Gefährten  ein  Haus  zu  Tou-  pulier  mit  spitziger  weisser  Kapuze, 
loose  geschenkt,  wo  die  Missions-  darüber  beim  Ausgehen  schwarze 
prediger  einen  Mittelpunkt  fanden.  Kutte  und  Kapuze.  Erst  1220  wurde 
Als  dann  freilich  Innocenz  III.  Nord-  auf  dem  ersten  Generalkapitel  in 
trankreich  zu  einem  Kreuzzu^e gegen  Nachahmung  der  Franziskaner  der 
die  Ketzer  aufrief,  hörte  die  wan-  Grundsatz  der  völligen  Besitzlosig- 
dernde   Missionspredigt    auf,    und  keit  und  tägliche  Lrbettelung  der 
Dominikus  erhielt  die  Aufgabe,  die  nötigsten  Nahrungsmittel  festgesetzt. 
Verdächtigen  und  Gefangenen  des  Die  Organisation  des  Ordens  stellt 
falschen  Glaubens  zu  überführen.  Priorei),  Provinziale  und  Definitoren 
Als  er  nach  dem  Kriege  iu  Korn  und  einen  General  an.  Dominikus 
nin  die  Gewährung  eines  eigenen  starb  zu  Bologna  1221  und  wurde 
Ordens  einkam,  war  soeben  der  Be-  1233  heilig  gesprochen.  Gleich  den 
i-ehluss  gefasst  worden,  keine  neuen  Franziskanern  giebt  es  auch  unter 
Orden  mehr  zuzulassen;   die  zahl-  den   Dominikanern    einen  dritten 
reichen  neuen  Ordensbildungen  des  Orden,  Tertiarier,  auch  Orden  de 
II.  und  12.  Jahrhunderts  hatten  die  poeuittnfia  St.  Dominiri. 
Kurie  ermüdet.    So  sah  sich  Domi-        Der  Grundsatz  der  evangelischen 
»Wils  genötigt,  eine  Gesellschaft  von  Armut,  der  bei  dem  Gründer  des 
Kanonikern   nach    der  Regel    des  Franziskanerordens    das  treibende 
Eiligen  Augustin    zu  bilden,   mit  Prinzip  war,  war  für  Dominikus  und 


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122 


Donar. 


seinen  Orden  bloss  Mittel  zum  Zweck 
und  wurde  deshalb  schnell  aufge- 
geben. Dagegen  waren  sie  .sehr  ein- 
flttssreieh  durch  ihren  Verkehr  mit 
den  bürgerlichen  Ständen,  wie  sie 
denn  auch  ihre  Klöster  selbstver- 
ständlich in  den  Städten  gründeten. 
Die  Bettelorden  sind  recht  eigentlich 
die  Mönchsorden  des  Bürgertums 
gewesen.  Hauptaufgabe  jedoch  der 
Predigermönche  blieb,  die  Wahrheit 
des  christliehen  Glaubens  innerhalb 
u.  ausserhalb  der  christlichen  Kirche 
durch  Widerlegung  und  Bekämpfung 
aller  Andersdenkenden  zu  verteidigen 
und  über  der  Reinheit  der  christ- 
lichen Lehre  zu  wachen  Zu  einem 
tiefern  sittlichen  Einstehen  für  dieses 
Prinzip  nach  dem  Beispiel  des  von 
den  Dominikanern  am  meisten  ver- 
ehrten Apostels  Paulus  konnte  es 
natürlich  nicht  kommen,  da  sie  sieh 
sofort  in  den  Dienst  des  Papstes 
und  der  herrschenden  Kirche  Stellten. 
Ihr  Gebiet  wurde  die  Inquisition 
(Konrad  von  Marburg),  die  Censur 
und  die  Scholastik;  den  ersten  Lehr- 
stuhl erhielten  sie  1228  zu  Paris,  als 
infolge  von  Streitigkeiten  die  Lehrer 
der  Universität  sich  auf  einige  Zeit 
aus  der  Stadt  entfernt  hatten;  bald 
folgten  ihnen  die  Franziskaner  in 
dieses  Gebiet  Die  beiden  Orden 
wurden,  stets  miteinander  in  Streit 
(vgl.  den  Art.  Scholastik) ,  bis  zur 
Reformation  die  Träger  der  schola- 
stischen Theologie;  als  Thomisten, 
Skotisten,  Nominalisten  und  Realisten 
zankten  sie  sich  herum;  besonders 
galt  es  für  die  Dominikaner,  die  von 
den  Franziskanern  verteidigte  Lehr«» 
der  unbefleckten  Empfängnis  Mariä 
zu  widerlegen.  Wie  tief  schliesslich 
das  sittliche  Bewusstsein  des  Ordens 

gesunken  war,  zeigt  der  bekannte 
Letzerhandel  im  Predigerkloster  zu 
Bern  vom  Jahr  1509;  auch  des  Ab- 
lasshandels  nahmen  sie  sieh  an; 
Tetzel  hat  ihrem  Orden  augehört. 
Andererseits  sind  auch  bedeutende 
Männer  aus  ihrer  Mitte  hervorge- 
gangen: Albertus  Magnus,  Thomas 


von  Aquino,  Meister  Ekhard,  Johann 
Tau ler,  Heinrich  Suso,  Savouarola 
La«  Casas,  Vincens  von  Beauvat 
waren  Dominikaner. 

Donar  ist  der  zweitgrösste  der 
germanischen  Gotter,  in  der  Urzeit 
wahrscheinlich  mehr  geehrt  als  Wo- 
dan, daher  der  fünfte  Wochentag. 
Ji/'s  Jons,  zu  Donnerstag  wurde 
der  noch  heute  manche  volksmaaä? 
Anschauungen  bewahrt  liat.  Währen  i 
Wodan  im  sausenden  Sturm  aü 
weissem  Wolkenrosse  reitet,  tahn 
Donar  auf  einem  Wagen  durch  dir 
Wolken,  den  vermutlieh  zwei  Böci? 
zogen.  Des  Gottes  Kinn  umwalle 
die  feuerroten  Haare  seines  Barte*:, 
in  der  Rechten  trägt  er  einen  steiner 
nen  Keil  oder  einen  ^e wichtig 
Hammer,  der,  so  oft  er  ihn  von  rick 
schleudert,  von  selbst  in  seine  Hau 
zurückkehrt.  Ihm  war  die  UM* 
geheiligt,  deren  rote  Farbe  an  seines 
Feuerstrahl  erinnerte,  und  die  de: 
Wetterstrahl  gern  zertrümmerte.  An 
ihr  haust  der  Hirschkäfer,  Donnw 
puppe  genannt,  der  glüheude  Kohkfl 
auf  die  Dächer  tragen  soll.  Andere 
Bäume  und  Tiere,  die  wegen  ihre: 
blitzähnlichen  roten  oder  blau enfvfo 
zu  Donar  in  Beziehung  gesetzt  wer 
den,  sind  der  Hagebuttenstrauch  in>3 
der  Vogelbeer-  oder  Quetschenbauir- 
die  Haselnussstaude,  der  Erdepbes 
oder  Gundermann,  auch  Donnernd 
genannt ;  das  rote  Eichhörnchen.  di> 
Kotkelchen  oder  Rotschwäuzcber- 
der  Hahn,  die  Heerschnepfe, 
Donnerbock,  Donnerziege  oder  G* 
wittfrziege  genannt,  besonders  ato 
der  Stören  mit  den  roten  Beinen.  - 
Donar  melkt  mitschimmerndein  Hlif: 
strahl  die  vollen  Euter  der  Wolken- 
kühe,  so  dass  sie  ihre  Milch.  <kL 
Regen,  befruchtend  zur  Erde  nieder 
fallen  lassen.  Vom  göttlichen  Feu-r 
des  Blitzes  stammt  die  Herdrlamntf- 
der  Mittelpunkt  des  Hauses,  der 
Familie,  des  StAmmes.  Daher  i-1 
Donar  auch  Schützer  der  Ehe,  Spi- 
der von  Kindersegen,  Vorsteher  d«-r 
Sippe,  Verteidiger  der  Geinarkuiu: 


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Dorfpoesie. 


123 


Hange  Gebräuche,  die  sich  anfäng- 
lich an  den  Herd  anlehnten,  gingen 
später  auf  den  Ofen  über.  Donar 
ist  der  kräftigste  von  allen  Göttern, 
er  teilt  den  Menschenkindern  Kraft 
und  Stärke  mit,  er  heilt  Erkrankte, 
Menschen  sowohl  als  Vieh,  daher 
gewisse  Kuren  am  Donnerstag  vor- 
genommen werden  müssen;  durch 
aas  Notfeuer,  welchesdurch  bohrende 
Drehung  einer  Walze  in  dem  Loche 
«•ines  Pfahles  hervorgebracht  wird, 
treibt  man  das  verseuchte  Vieh. 
Da  der  Blitzstrahl  das  Erdreich 
lockert  und  der  iiachrauschende  Re- 
gen den  Boden  befruchtet,  wird 
Donar  zum  Frühlingsgotte,  ihm  dan- 
ken vorzugsweise  die  Pflanzen  ihr 
Wachstum.  Oster-  und  Judasfeuer 
iam  Charsamstag)  werden  ihm  zu 
Ehren  im  Frühling  angezündet,  be- 
sonders aber  um  aie  Zeit  der  Som- 
mersonnenwende die  Sonnwend-  oder 
Johannisfeuer.  Auch  an  Weihnachts- 
umzügen  ist  er  beteiligt.  Auf  seinem 
Wagen  durch  die  Lüfte  fahrend, 
vollfuhrt  der  Donnerer  in  den  Wöl- 
ken selbst  den  gewaltigsten  aller 
Kämpfe,  welche  die  Welt  erschauen 
kann.  Er  verfolgt  die  Dämonen, 
welche  das  Licht  des  Himmels,  den 
Glanz  der  Sonne  mit  dem  Schatten 
<ler  schwarzen  Gewitterwolke,  dem 
Dunkel  der  Nacht,  der  Finsternis 
und  Kälte  des  Winters  verdecken 
und  den  Lauf  des  erquickenden  Re- 
gens zur  Erde  aufhalten.  Aus  diesen 
Dämonen  sind  im  Laufe  der  Ent- 
wicklung die  Riesen  und  Drachen 
geworden.  Von  beiden  Seiten  wird 
oer  Streit  mit  Blitz  und  Donner  ge- 
führt, bis  der  milde  Gott  den  Sieg 
erringt,  der  Riese  tot  zu  Boden  sinkt, 
sein  Goldhort  oder  die  Frau,  die  er 
geraubt  hat,  befreit  sind.  Donars 
Hammer  selbst  wird  Jahr  für  Jahr 
im  Herbste  von  den  Riesen  gestoh- 
len und  die  sieben  Wintermonate 
hindurch  in  ihrem  Berge  versteckt 
gehalten,  bis  im  Frühling  der  Gott 
ihn  wieder  holt  Die  Skandinavier 
nannten    deu  Gott   Thor.  Nach 


Mannhardt ,  Götter,  187  ff.  Vergl. 
ausser  Grimm  und  Simrock  noch 
Wutlke.  Aberglauben,  §  20  ff. 

Dorfpoesie,  höfische,  hat  zuerst 
Lachmann  diejenige  Richtung  der 
höfischen  Lyria  genannt,  deren  Ver- 
fasser zwar  wie  die  Hörer  dem  hö- 
fischen Stand  angehörten,  deren  Ge- 
halt aber  und  teilweise  auch  deren 
Form  aus  dem  Leben  der  Bauern 
schöpfte.  Sie  ging  hervor  aus  einer 
begreiflichen  Reaktion  gegen  die  ge- 
bundene, konventionelle,  nach  Form, 
Inhalt,  Gegenstand  der  Poesie  über- 
haupt una  zumal  der  Minne  rein 
höfische  Lyrik.  Gegen  sie  taucht 
plötzlich  im  zweiten  Jahrzehnt  des 
13.  Jahrh.  eine  Lyrik  auf,  die  mit 
vollem  Bewusstsein  und  mit  Ent- 
schiedenheit sich  von  dem  Zwange 
der  höfischen  Formen  lostrennt,  nie 
sich  nicht  mehr  mit  konventionellen, 
zarten  Empfindungen  und  weichen 
Klagen  begnügt,  sondern  mit  Humor 
und  Lebenslust  sich  dem  Leben  und 
der  Liebe  ergiebt.  Ihren  Ursprung 
und  Hauptsitz  hatte  diese  Richtung 
am  Hofe  zu  Wien,  wo  der  Erfinder 
der  Gattung,  Sithart  von  Riuwental, 
schon  um  1217  thatür  war.  Am  Hofe 
zu  Wien  sangen  die  Fürsten  den 
Frauen  den  Reigen  vor,  und  diesen 
samt  den  begleitenden  Liedern,  mit 
welchen  das  lebenslustige  Volk  den 
Beginn  des  Sommers  und  der  gesel- 
ligen Freuden  des  Winters  begingen, 
ahmte  Nithart  nach,  zum  Verdruss 
der  an  den  Sitten  des  höfischen  Le- 
bens festhaltenden  Dichter,  zumal 
Walters  v.  d.  V.  Es  giebt  zwei  Arten 
dieser  Lyrik:  die  Frühlinfjrtieder, 
gesungen  zur  Begleitung  des  Reigens 
und  im  Freien,  überwiegend  episch 
gehalten,  und  die  Winterlieder,  zum 
Tanz  in  der  Stube.  Die  meisten 
Lieder  beiderlei  Art  sind  Minnelie- 
der. Nitharts  Name  war  so  beliebt, 
dass  das  14.  und  15.  Jahrh.  eine  Un- 
zahl von  Liedern  ihm  untergescho- 
ben und  Abenteuer  nach  Art  des 
Eulenspiegels  angedichtet  hat.  Aus- 
ser Nithart  haben  folgende  Dichter 


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124  Doxologien.  —  Drache. 


nu  dieser  Richtung  der  Lyrik  teil-  worden  sind.  Siehe  Möllenhoff  un«i 

genommen:  der  Tannhäuser,  der  von  Scherer,  Denkmäler,  LVI. 
Stammham ,  Leopold  von  Scharfen-       Drache.  Während  in  der  christ 

berg,  Geltar,  Konrad  von  Kirchfterg,  \  liehen  Ansicht  der  Begriff  böser  uni 

Steimmar  hus  dem  Thurgau  und  der  j  teuflischer  Schlangen  vorwaltet  vtr 

Zürcher   lladlauh.     Litienlron    in  ehrte  das  Heidentum  mehr  piu> 

Haunts  Z.  VI.;  Schröder  in  Gosches  wohlthätice  Schlangen;  die  Schlang. 

Jährt).  I.  ist  ein  heilbringendes,  unverletzliche 

Doxologien,  Lobpreisungen,  un-  Tier,  dem  die  Langobarden  eÜK 

terscheidet  die  katholische  Liturgie  eigene  Ven-hrung  widmeten.  Nt 

zwei:  die  kleine  Doxologic  oder  das  kriecht  oder  ringelt  sich  auf  dei 

kleine  Gloria  bestand  nnfach  aus  Boden;  stehen  ihr  Flügel  zu  Gebote 

der  Formel  Gloria  Patri  et  Filio  so  heisst  sie  Drache,  aus  lat.  dra«,. 

et  Spiritui  Sancto   in  saecula  sae-  aber  schon  früh  eingeführt.  Da 

cu forum.  Amen ;  bei  Veranlassung  deutsche  Name,  welcher  allgemeine: 

«ler  arianischen  Streitigkeiten  setzte  auch  die  Schlange  mit  begreift,  ist 

die  Kirche  hinzu:  xieut  erat  in  prin-  wurm  oder  lint,  daher  die  Dopf* 

eipio  et  nunc  et  Semper  et  in  saecula  namen  Linddrache,  L.indwvnn.  An? 

xaeculorum.     Die  proste   Doxologic  diesem  lint,  mit  dem  sich  der  An^ 

oder  das  qrosse  Gloria,  auch  Gloria  druck  des  Schönen.  Schmeichelnd 

in  excelxls  oder  der  englische  Loh-  verband,   sind   viele  FrauennaineQ 

qesang,  humnus  aagelicus  genannt,  gebildet:  Sigilint,  Reginlinf,  Krm*i* 

bestand  ursprünglich   nur  aus  den  lint,  Fburlint,  Ger/int,  Winilint  I* 

bei  Luc.  2,  14  mitgeteilten  Worten:  herrschende   Vorstellung  von  deu 

Gloria  in  excelxix  Deo  et  in  terra  Drachen  war  die,  dass  sie  auf  den 

pa.r  hominibus  bonac  rolunfatix,  zu  Gold  liegen  und  davon  leuchteu.  ili* 

denen  aber  ziemlich  früh  eine  Fort-  Schätze  bewachen  und  nachts  durch 

Setzung  kam,  die  schon  im  5.  Jahrb.  die  Lüfte  tragen.   Sie  galten  gleB 

folgendermaasen  lautete:  Gloria  in  den  Kiesen  für  alt  und  hochbegabt 

excelsis   Den  et   in   terra  pax   ho-  Amt  der  Helden  war  es,  Riesen  ui>i 

minibus  honae  voluntatis.     Lauda-  Drachen  aus  der  Welt  auszuhigvn- 

mux  te :  benedieimus  le :  adoramus  Thor  selbst  bekämpft  die  Midirart-- 

te  :  glorificamux  te :  gratias  agimus  schlänge,  und  Siegemund.  Sie^fnel 

tibi  propter  magnam  gloriam  tuam.  Beowulf  und  viele  andere,  z.  B  Strnt 

Domine  Dens,   rex  coelextis,   JJeux  hau  Winkelried,  sind  tanferste  Vn 

Pater    omnipotent:    Domine,    Fili  chenüberwinder.    Der  Besieger  er- 

vnigenite ,    Jesu    Chrisfe,    Domine  j  hält    ausser    dem    Uoldhort  DO?i> 

Dens,  agnus  Dei,  Filius  Patri*,  oui  andere  Vorteile:   der   Genuss  d* 

toi  Iis  peccata  mundi,  miserere  nobis-.  \  Draehenherzens  bringt  Kunde  der 

Qui  to/lix  peccata   mundi,   xuxcipe  Tiersprache  zuwege,  und  das  IV1- 
deprecationem    nostram  :     Qui    xe-  i  streichen  mit  Draclienblut  härtet 
dex  ad  dexteram  Fat  rix,  mixerere  1  Haut.  Nach  alter  Sitte  werden  Rinc- 

nobix    Quoniam  tu  xolux  xanetux,  tu  und   andere   Geschmeide    gern  w 

xolux  Dominus,  tu  xotus  latixximux,  Schlangenform   gearbeitet,   so  vi* 

Jexu  Gh  eiste,  cum  Sancto  Sin ritu  in  i  Helmen  un<i  besonders  auf  Fahner. 

gforia  Dei  Fat  rix.  Amen.  Bis  in  das  j  Der    fliegende   Adler   über  einen 

12.  Jahrh.  durfte  der  Hymnus  nur  Drachen  oder  Löwen  war  das  Fei«'1 

von  den  Bischöfen,  von  den  Pric-  zeichen  der  Sachsen    Auf  der  SäuK' 

stern  nur  am  Osterfeste  gebraucht  Traians  erscheinen  Drachengestaltcc 

werden.  Er  gehört  zu  denjenigen  als  fahnenartige  Feldzeichen,  sowohl 
Katechismusstücken,  die  in  der  Ka- 1  unter  der  Kriegsbeute  als  in  den 

rolingerzeit  ins  Deutsche  übersetzt  Darstellungen.    Eine  grosse  Boll» 


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125 


spielt  der  Drache  in  der  christlichen 
Symbolik  und  Malerei.    Seine  Ge- 
stalt ist  nicht  mein-,  wie  im  heid- 
nischen  Altertum,  diejenige  einer 
geflügelten  Riesenschlange,  sondern 
eines  zwitterhaften  Ungetüms  von 
sehr  zusammengesetzter  Art.  Er  er- 
innert an  die  vorsündfUitliche  Tier- 
welt eine  Rieseneidechse  oder  einen 
Saurier.   Er  ist  gleichzeitig  »Sauge- 
tier, meistens  Raubtier  mit  Kopf  und 
Vonierleib,  Schwimm-,  Nacht-  und 
Raubvogel  mit  seinen  Flügeln  oder 
Fängen.  Eidechse  mit  seineu  Schup- 
pen und  Schilden,  Schlange  mit  sei- 
nem Schwanz.    Nach  einstimmiger 
Ansicht  der  Theologen  ist  er  Symbol 
des  Bösen.    Nach  den  Tierbüchern 
<ie<  Mittelalters  lebt  er  vorzüglich 
in  Indien  und  Äthiopien.  Man  giebt 
ihm  bald  ein  kleines  Maul,  aus  dem 
er  .seine  nadelspitze  Zunge  heraus- 
sehnellt,  bald  einen  Rachen  von  der 
Grösse  des  Schlundes  eines  feuer- 
speienden Berges.     Seine  Waffen 
-ind  der  Schweif  und  namentlich  der 
verpestete  Atem.    Der  Drache  er- 
seheint in  der  Legende  des  hl.  Ju- 
lian, St  Romanus,  Marcellus,  St. 
üeorg  und  als  Attribut  ausserdem 
tHm  Erzengel  Michael  und  sehr 
vielen   andern    Heiligen.  Grimm, 
Mythologie  652  ff.  —  Lindensehmiit, 
Handb.  f.,  276  tf. 

Drajroner  gehören  eigentlich  zum 
Fnssvolk  und  verdanken  ihre  Ent- 
hebung dem  alten  Gebrauch,  Infan- 
terie hinter  die  leichten  Reiter  aufs 
l'terd  zu  setzen,  um  sie  auf  diese 
Weise  rasch  an  einen  entfernten  Ort 
tu  bringen.  Sie  unterscheiden  sich 
e  nach  ihrer  Bewaffnung  in  Pike- 
üfrrt  und  Musicetiere,  deren  Waffen 
ind  sonstige  Ausrüstung  denen  des 
Fussvolkes  vollständig  entsprachen, 
'ührten  jedoch  keine  Pistolen.  Ihre 
^entliehe  Bestimmung  war,  zu 
fliese  zu  kämpfen,  wovon  man  je- 
I"»ch  in  späterer  Zeit  abging.  Zeit 
ind  Umstände  der  Entstehung  dieser 
Truppengattung  sind  ebenso  un- 
•i  -her  wie  die  Bedeutung  und  der 


Ursprung  ihres  Namens.  Die  Ent- 
stehung setzt  man  in  die  zweite 
Hälfte  des  16.  oder  erst  ins  17. 
Jahrh.;  der  Name  wird  bald  von 
,, Drache"  abgeleitet,  den  sie  als 
Feldzeichen  getragen  hatten;  nach 
anderen  war  dragon  eine  englische 
Bezeichnung  für  eine  Musketenart. 
Jähns,  1216. 

Drama.  Das  Drama  entsteht 
teils  aus  dem  mimischen  Spiel  einer 
oder  mehrerer  Personen,  teils  aus 
dem  Wechselgesprach ,  beides  im 
Anfang  nicht  notwendig  vereinigt. 
Mimische  Spiele,  Aufzüge,  Mumme- 
reien sind  ohne  Zweifel  schon  in 
vorchristlicher  Zeit  vorhanden  ge- 
wesen und  erhalten  sich  das  ganze 
Mittelalter  hindurch,  in  einzelnen 
Formen  bis  heute;  sie  heissen  im 
Mittelalter  kupfspil,  schowspit,  die 
Räumlichkeit,  in  der  sie  begangen 
werden,  spilhof  spilhus,  schimpf hüs, 
(schimpfen  =  Spass  treiben).  Auch 
Puppenspiele  werden  schon  im  12. 
Jahrh.  erwähnt.  Besonders  beliebt 
und  verbreitet  war  das  Frühlings- 
spiel, das  den  Kampf  des  Winters 
und  des  Sommers  darstellte.  „Am 
Rosensonntag" ,  erzählt  Sebastian 
Franck,  ,,hat  man  an  etlichen  Or- 
ten in  Franken  im  April  den 
Brauch,  dass  die  Buben  au  langen 
Ruten  Bretzeln  herumb  tragen  in 
der  Stadt,  und  zween  angethane 
Mann,  einer  in  Singrün  oder  Epheu, 
der  heisst  der  Summer,  der  ander 
mit  Gmöss  (Moos)  angelegt,  der 
heisst  der  Winter,  diese  streiten  mit- 
einander, da  liegt  der  Summer  ob 
und  erschlecht  den  Winter,  darnach 
geht  man  darauf  zum  Wein."  Wurde 
dieser  Streit  zwischen  Sommer  und 
Winter  in  Worte  gekleidet  und  so- 
dann auf  andere  Gegenstände  über- 
tragen, auf  Herbst  und  Mai,  Buehs- 
baum  und  Felbinger,  Ritter  und 
Pfaff,  Barmherzigkeit  und  Wahrheit, 
so  erhielt  man  eine  zweite  Quelle 
des  Dramas,  die  sich  zugleich  an 
lateinische  Vorbilder  anschliessen 
konnte.    Die  Gespriichspiele  gehen, 


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126 


Drama. 


auch  nachdem  sich  das  eigentliche 
Schauspiel  schon  lange  auf  eigene 
Küsse  gestellt  hat,  ihren  selbständi- 
gen Gang  weiter;  aus  dem  15.  Jabrh. 


wurden  vorläufig  nur  spärlich  ein- 
gefügt, so  der  Osterleis  ,.Kri$t  i*' 
erstanden1*,  oder  einzelne  Lieder,  die 
man    besonders   gern    der  Marin 


kennt  man  die  Streitgedichte  Wolf  Magdalena,  einer  Laeblingsfigur  der 
und  Pfaffe,  Priester  und  Weib, '  Osterspiele,  in  den  Mund  legte. 
Christ  und  Jude,  Ritter  und  Bauer,  Im  14.  Jahrh.  kommen  solch* 
Frau  und  Jungfrau,  Krieg  zweier  '  qe istliche  Spiele,  wie  sie  von  da  an 
Frauen ,  ob  Lieben  oder  Nicht-Lie-  heissen ,  in  deutscher  Sprache  vo: 
ben  besser  sei,  Herz  und  Mund,  und  gehen  von  den  Klerikern  auf 
Minne  und  Welt,  Schande  und  Ehre  die  Laien  über.  Weltliche  Motiv v. 
(  Wackernagel,  Lit.  G.  §  84.).  Bei  Auflehnung  gegen  die  Geistlichkeit 
Hans  Sachs  heissen  sie  Kampf  (je-  Hass  gegen  das  Judentum,  teil- 

durch  den  gewinnsüchtigen  Jq<1& 


teils  durch  den  Spezerei  verkaufen- 
den Kramer  vertreten,  traten  in  k 
mische  r  Auffassung  unmittelbar  ne 
ben  das  Tragische.  Anfangs  spielei 
noch  die  Kleriker,  dann  diese  mi' 


spräche,  z.  B.  zwischen  Kühnheit  und 
Geduld,  zwischen  Zom  und  Sanft- 
mut, Hoffahrt  und  Demut,  Armut 
und  Reichtum,  Jugend  und  Alter, 
Tochter  und  Mutter,  Krankheit  und 
Gesundheit.  Ein  .solches  Streitge- 
dicht, zugleich  aber  ein  Rätselst  reit  ]  den  Schülern ,  dann  die  SchüW; 
(s.  Art.  Jiätsel)  ist  der  Sängerkrieg  |  allein,  endlich  nur  Laien.  Zwar 
auf  der  lf  'artbu rg ,  entstanden  ums  band  sich  die  Aufführung  immer 
Jahr  1300.    Siehe  diesen  Artikel.      noch  an  die  Kirchenfeste,  aber  Je; 

Das  eigentliche  Drama  findet  Ort  der  Aufführung  wurde  der  Mark: 
seinen  Anfang  erst  in  den  kirch-  oder  sonst  ein  freier  Platz,  wo  ei& 
liehen  Schauspielen;  denn  die  noch  künstliche  Bühne  errichtet  war.  D: 


alteren  lateinisch  geschriebenen  Dra- 
men, darunter  6  Stücke  der  Nonne 
Jlroswifh  oder  Roswitha,  Hrofsritha 
von  Gandersheim,  vor  984,  welche 
die  unzüchtigen  Stücke  des  Terenz 
durch  christliche  Spiele  zu  ersetzen 
trachtete,  sind  gänzlich  ohne  Nach- 
wirkung geblieben.  Die  kirchlichen 
Dramen,  die  vom  12.  Jahrh.  an  be- 
ginnen, heissen  in  Deutschland  ludi, 
in  Frankreich  misferia,  altfranz.  mm< 
trre,  von  ministerium ,  kirchliche 
Handlung,  auch  mysteria  geschrie- 
ben, doch  ohne  Zusammenhang  mit 


Frauenrollen  wurden  von  Mannen! 
gespielt.  Der  Umfang  des  in  du 
Spiel  eingeschalteten  Gesanges  f- 
wohl  einzelner  Personen  als  gan>' 
Chöre  ist  verschieden;  selbst  Tat; 
wurde  zugelassen.  Doch  überwx* 
das  Gespräch,  nach  dem  Geschma^- 
der  Zeit  in  Reimpaaren  verfasst  dtt 
gelegentlich  auf  der  Bühne  nur  g* 
lesen  wurde.  Es  war  sehr  breit  au: 
gesponnen,  wie  auch  die  Zahl 
mithandelnden  Personen  bis  1 
mehrere  Hundert  steigt.  Manvh' 
Stücke  waren  so  breit,  dass  ik* 


mysterium  =  Geheimnis.    Sie  waren  ,  Aufführung  sieben  Tage  in  Anspruch 


dazu  bestimmt,  die  kirchlichen  Feste, 
vornehmlich  die  Passion  und  die 
Ostern  zu  verherrlichen.  Spieler 
waren  die  Geistlichen,  der  Ort  der 
Aufführung  die  Kirche,  die  Spracht 


nahm.    Dem  Inhalt  nach  sind  W  n 
erster  Linie  J'assions-  und  Ostersp' 
rückwärts   und  vorwärts  verkflr- 
oder  verlängert,  so  dass  unter  Uu 
ständen  mit  der  Geburt  Christi  b-> 


lateinisch;  sie  entwickelten  sieh  aus  '  gönnen  und  mit  der  Höllenfahrt  ui  I 
den  Festliturgien.  Das  bedeutendste  der  Himmelfahrt  geschlossen  viri 
dieser Stücke  ist  der  Ludus  paschalis  Da  diese  Spiele  ähnlich  dem  Ep 


de  adventu  et  inten  tu  Antichrisfi; 
andere  heissen  Ludus  in  resur- 
reetionc  Domini;  deutsche  Stellen 


aus  einem  gemeinsamen  Kern  her 
vorgehen,  fehlen  überall  Verfahr 
namen.    Nächst  der  Passions-  Wß 


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Drama. 


127 


Ostereck  wurden  auch  die  Weihnacht, 
Maria  Verkündigung,  Lichtmess, 
Himmelfahrt,  das  Fronleichnamsfest 
mit  Spielen  gefeiert.  Schon  bei  den 
zuletzt  genannten  musste  eine  pas- 
sende Handlung  erst  gefunden  wer- 
den; ganz  selbständige  Spiele  sind 
sodann  Totentänze  (siehe  diesen  Art.), 
«las  Spiel  ton  den  klugen  und  den 
fhörichten  Jungfrauen,  das  von  der 
keuschen  Susanna,  von  der  heiligen 
Dorothea,  von  Theophilus-,  im  Spiel 
von  Frau  Jutten  hat  der  Geistliche 
Theoderieh  Schernlterg  um  1480  die 
Geschichte  von  der  Papstin  Johanna 
behandelt.  Willen,  Geschichte  der 
peistlichenSpiele  inDeutschland.ls7 1. 

Noch  mehr  als  die  Osterspielo 
schliessen  sich  die  Fastnachtspiele 
an  vorchristliche  Überlieferungen 
und  Gebräuche  an.  Aufanglich 
blosse  Gelegenheitsmummerei,  Stras- 
sen- und  Kirchenlauf,  oft,  wie  die 
geistlichen  Spiele,  in  Form  eines  ge- 
richtlichen Prozesses,  werden  sie  im 
15.  Jahrh.  litterarisch  ausgebildet, 
und  zwar  zu  Sürnfwrg  durch  Hans 
Hosetddütt  den  Schnepperer,  und 
durch  Han*  Folz.  Sie  wurden  nicht 
öffentlich  und  im  Freien,  sondern 
von  umherziehenden  munteren  Ge- 
stellen in  den  Räumen  befreundeter 
Häuser  aufgeführt.  Bald  sind  ihrer 
bloss  ein  Paar,  bald  mehr,  bis  12 
oder  1 4,  die  in  leichter  Vermummung 
fremdartige  Gestalten  darstellen, 
wilde  Männer,  Bauern,  Bettel volk, 
allegorische  Figuren.  Den  Stoff  der 
Handlung  bieten  Szenen  des  täg- 
lichen Lebens,  beim  Kauf  auf  dem 
Markte,  vor  Gericht,  Ehezwiste, 
Zank  des  Gesindes.  „Mit  einer  Er- 
findungskraft von  staunenswerter 
Ausgiebigkeit  wurden  die  Verhält- 
nisse des  Geschlechtes  zum  Gegen- 
stande des  schamlosesten,  im  Schmu- 
tze seligen  Witzes  gemacht  und  in 
immer  neuen  Wendungen  enthüllt 
und  verhöhnt.  Die  brutale  Roheit 
•ler  Sitten  hat  in  diesen  Spielen  den 
höchsten  Grad  erreicht;  jeder  Spre- 
chende ein  Schwein,  jeder  Spruch 


eine  Roheit,  jeder  Witz  eine  Uu- 
fläterei."  Goedeke,  I,  §  93.  Ausser 
Nürnberg  haben  Bamberg  und  Augs- 
burg an  der  Entstehung  dieser  Spiele 
einigen  Anteil. 

Gegen  das  Ende  des  15.  Jahrh. 
treten  in  der  Geschichte  des  deut- 
schen Schauspiels  von  mehreren  Sei- 
ten her  neue  Regungen  und  Be- 
wegungen auf. 

In  den  Kreisen  der  Humanisten 
wrurden  die  Dramen  des  Flaut  us 
und  Terenz,  später  auch  griechische 
des  Aristophanes  von  den  Schülern 
aufgeführt  und  in  Nachahmung  an- 
tiker Muster  zahlreiche  Neudientun- 
gen  versucht;  dahin  gehören  latei- 
nische Schauspiele  von  Wimpfeling, 
Reuchlin,  Jak.  Locher,  Conrad  (Jet- 
tes, Christoph  Hegendorf,  Thomas 
Saogeorgus  (Kirchmair)  von  Strau- 
bing, Georq  Macropedius,  Nikode- 
mus Frischt  in  u.a.    Goedeke,  §  113. 

Schon  vor  der  Reformation  fing 
man  an,  neben  Plautus  und  Terenz 
auch  solche  neuere  Dramen  zu  über- 
setzen, natürlich  im  Gewände  und 
Verse  der  Zeit.  Alb  recht  von  Fibe, 
Domherr  zu  Bamberg,  gest.  1485, 
übersetzte  die  Menaechmi  und  Bac- 
chides  des  Plautus,  Hans  Xyfhart 
von  Ulm  1486  den  Eunuchen  des 
Terenz,  1499  ein  Ungenannter  den 
ganzen  Terenz,  erschienen  zu  Strass- 
burg.  Von  neulateinischen  Stücken 
wurde  der  Benno  des  Reuchlin,  der 
Acolastus  (  verlorene  Sohn)  des  Gna- 
phaeus  und  manche  Stücke  des  Sao- 
georgus  übersetzt  und  aufgeführt, 
Hans  Sachs  bearbeitete  den  Flautus 
des  Aristophanes  nach  einer  latei- 
nischen Bearbeitung  (der  griechische 
Text  war  zu  Zürich  im  Jahr  1531 
unter  Zwingiis  Leitung  aufgeführt 
worden),  von  Terenz  den  Eunuchen 
und  die  Menächmen,  von  JJacro- 
pedius  den  Hekastus. 

Im  Anschlüsse  an  solche  fremde 
Stücke  und  zugleich  durch  das  wach- 
sende städtische  Volksleben,  in 
Deutschland  durch  Luthers  Teil- 
nahme gefördert,  entstand  im  Beginn 


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128 


Drama. 


des  16.  Jahrhunderts  ein  ausgobil-  der  Nollhard  von  Gengenbach,  di? 

detes  Schauspiel.     Das   schweize-  fünf  Betrachtungen  zur  Busse  von 

rische,  das  am  Rhein  herab  wirk-  Kolros,  Wohl-  und  (  beistand  der 

sam  blieb,  ging  mehr  vom  Volke,  Eidgenossensehaft  von  Jakob  Rum", 

das  mittel-  und  norddeutsche  mehr  der  Welt  Spiegel  von  Boltz,  d;e 

von  der  Geistlichkeit  und  der  Schule  Narrenschule  von  Herport, 
aus.   In  der  Schweiz  ist  Bern  reprä-       Am  liebsten  aber  bewegte  bei 

sentiert  durch  yik/aus  Manuel  und  Lehre  und  Satire  auf  dem  Gebiet? 

Hans  von  Rufe,  Hoxel  durch  Genyen-  der  Reformationsstreitigkeiten.  Da- 

bach,  Si.rt  Birck,  Joh.  Kohlros,  Va-  hin  zahlt  das  von  W.  farel  in  fraii- 

f entin   Boltz ,  Zürich  durch  Jakob  zösischer   Sprache    erdichtete  un>: 

Huof.  Biel  durch  Jak.  Funekelin.  —  öfter   deutsch   übersetzte  Spifl  »■ 

In  Sachsen  und  Hessen  wirken  Joa-  königlichen  S<iale  zu  J'aris.  die  FV 

c Ii  im  diatf  und  Paul  Reldtun.  beide  nachtspiele  des  Nikiaus  Manuel:  Von 

von  Zwickau;  in  Augsburg  Sebastian  Papst  und  seiner  Priesterschaft.  A'1 

Wild,   in   Nürnberg  ausser   Jfans  lasskrämer.  Rarbali.  Llsli  Tragdei 

Sachs  Leonhard  Culman;  überhaupt  knaben  (altere  Ausgabe  von  Grün 

ist  diese  Dichtung  dem  lieben  <ler  eisen,  neuere  von  Bftchtold.  Nikla  • 

Zeit  gemäss    durchaus    lokalisiert.  Manuel,  Fraurnfeld,  18T8»;  and« 

und  es  sind  nur  sehr  wenige,  dar-  Stüeke  der  Art  sind:  Johannes  H'  s-. 

unter  in  erster  Linie  Hans  Sachs,  1  1537;  der  neue  deutsche  Hileam^l 

welche  über  die  Mauern  ihrer  Vater-  von  Cammerland^r,  um  1542. 
Stadt  hinaus  wirksam  zu  werden  ver-        Zu  weltlichen  Stoffen  des  Roman* 

mochten.  der  Gesehichte  und  der  Sage  grin 

Was  die  Stoffe  anbelangt,  so  sind  man  im  allgemeinen  seltener.  Har> 
es  mit  Vorliebe  biblische,  mehr  aus  Sachs  ausgenommen,  der  überhan- 
dem alten  als  dem  neuen  Testament:  I  den  Kreis  des  zeitgenössischen  Stoff»  - 
Adam  und  Eva,  Abraham  und  Opfe-  weit  überschreitet;  er  hat  in  seiner 
rung  Isaaks,  Isaak  und  Rebekka,  '  208  dramatischen  Stücken  Stoffe  au- 
Jakob,  Joseph,  Hiob,  das  goldene  Boccaccios    Decameron    und  der 
Kalb,  Josua.  David  und  Goliath.  Rüchern  der  durchlauchtigen  Fraut: 
David  und  Salomo,  Absalom,  Judith,  dramatiseh  bearbeitet,  aus  Seba^n&n 
Tobias,  beide  letztgenannten  durch  Francks  Weltbuch,  Albert  Krant 
Luther  empfahlen,  Belagerung  Ba-  Chronik  von  Dänemark,  aus  Home:, 
bylons,  am  häufigsten  Susanua  im  Herodot,  Plutareh,  Xenophon.  Ovid. 
Bade.    Aus  dein  neuen  Testament:  Sueton,  Livius:  dem  deutschen  lte 
Weihnachtsspiele,  Johannes  der  Täu-  denbuche  entnahm  er  einen  Hörnn 
fer,  Hochzeit  zu  Cana,  das  jüngste  ;  Seifried,  wobei  freilich  zu  bedenken 
Gericht,  am  seltensten  die  Passious-  dass  dieser  Dichter  seine  Stoffe.  ■« 
gesehichte;  dramatisierte  Parabeln  immer  er  sie  fand,  sowohl  für  lyr. 
vom  Weingarten  des  Herrn,  vom  sehe  als  epische    als  dramatisch 
verlorenen  Sohn  {Acolastus),  vom  Dichtungen  verwendete.    Von  ai 
reichen  Mann  und  armen  Lazarus,  j  deren  Dichtern  hat  man  aus  dieser 

Zwar  diente,  wie  überhaupt  die  1  Zeit  die  Hisforia  Maqclonac,  Od* 

ganze  Litteratur  dieser  Periode ,  so  vianus  und  die  sieben  weisen  Meister 

auch  das  Spiel  der  Lehre,  auch  wo  Wilhelm  Teil,    Frau  Wendel^:, 

biblische  oder  profane  Geschichte  Lucretia,  Dämon  und  Pythias,  ^er 

dargestellt  war;  es  giebt  aber  solche  Störung  von  Troja. 
Stüeke,  die  von  vornherein  lehrhaf-       Von  den  antiken  Stücken  h*"1 

ten  Stoff  im  engern  Sinne  besonders  man  nunmehr  auch  die  UnterscM 

satirisch  behandeln;  dahin  gehören  dungsnamen  Tragödie  und  Komi*kf 

die  Gauchmatt,  die  zehn  Alter  und  kennen  lernen,  ohne  dass  man  irgend 


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Drama. 


129 


wie  über  das  innere  Wesen  derselben 
Aufschluss  erhalten  hatte;  Hans 
Sachs  nennt  diejenigen  Stücke,  in 
denen  ein  Krieg  vorkommt,  Tragö- 
die, die  andern  Komödie;  gern  be- 
nutzte man  deshalb  zur  Aushilfe 
Tragikomödie,  oder  man  behielt  das 
alte  Wort  Spie!  bei.  Das  geistliche 
Spiel  im  engern  Sinne  wurde  in 
protestantischen  Gegenden  natürlich 
nicht  weiter  geübt,  auch  das  ein- 
fachere Fastnachtspiel  ist ,  aber  ver- 
edelt, nur  von  Hans  Sachs  und  Jakob 
Avrer  fortgeführt.  Den  antiken 
Mustern  entnahm  man  auch  die  Ein- 
teilung in  Akte  und  Szenen,  eben- 
falls ohne  tiefere  Einsicht. 

Wie  im  älteren  geistlichen  Spiel 
liebte  man  es  jetzt  noch  Musikstücke 
•  inzuflechten ,  seis  am  Anfang  oder 
Ende,  seis  sonst  an  passenden  Orten. 
Einzelne  gelehrte  Dichter  machten 
den  Versuch,  antike  Vers-  und 
Sfrophenmessung,  andere  welsche 
Rhythmen  nachzuahmen,  besonders 
Paul  Rebhuhn.  Zur  Belebung  des 
immer  noch  sehr  gebundenen  Seelen- 
lebens der  handelnden  Personen 
wurde  etwa  die  Mundart  verwendet. 
Die  Aufführung  der  Stücke  durch 
die  jüngere  Bürgerschaft  geschah 
unter  Aufsicht  und  Unterstützung 
der  Obrigkeit,  bei  einfachster  Büh- 
iienzuriistung  und  Maschinerie,  da- 
gegen mitunter  kostbarer  Kostümie- 
ruup,  die  stets  der  gegenwärtigen 
Tracht  entnommen  wurde.  Mitten 
in  die  ernste  Handlung  wurden  ohne 
Anstand  komische  Szenen  einge- 
schoben, besonders  an  Ärzte,  Juden, 
den  Teufel  und  den  Narren  sich  an- 
schliessend. Mancherorts  spielten 
die  Meistersinger,  z.  B.  in  Augsburg, 
'»der  Liebbabergesellschaften. 

Der  frische  Aufschwung  der 
Volksspiele  durch  die  Reformations- 
bewegung erlahmte  bald  in  der  all- 
gemeinen Erlahmung  des  geistigen 
Löbens:  einzig  Hans  Sachs  hielt 
solange  er  lebte  und  noch  längere 
Zeit  nachher,  durch  den  Einnuss 
seiner  Schriften  die  Erinnerung  an 
Beaüexieon  der  deutlichen  Altertümer. 


frühere  Jahrzehnte  aufrecht.  Sonst 
trat  das  Schauspiel  mehr  und  mehr 
in  den  Dienst  der  Schule,  beson- 
ders seitdem  die  Jesuiten  diese 
Gattung  für  ihre  Anstalten  nach 
ihrem  Greiste  ausbildeten  und  prote- 
stantische Anstalten  mit  ihnen  in 

Srotestantischem  Geiste  wetteiferten; 
er  Hauptsitz  dieser  letztern  Thätig- 
keit  war  Strassburg. 

Nur  Xüntberg  hatte  in  Jakob 
Ayrer,  gest.  1605,  eine  Art  Nach- 
folger von  Hans  Sachs,  der  sogar 
noch  Fastnachtspiele  sehrieb,  doch 
kommt  er  seinem  Vorgänger  weder 
an  Form  noch  Gehalt  nahe.  Da- 
gegen ist  seine  Thiitigkeit  dadurch 
interessant,  das«  sich  in  einigen  seiner 
Stücke  zuerst  der  Einrluss  der  eng. 
tischen  Komödianten  zeigt.  Schon 
während  der  Jahre  1556—84  wur- 
den englische  Musiker,  Fiedler,  Trom- 
peter und  Pfeifer  am  markgräHiehen 
Hofe  in  Prcussen  gehalten.  Später 
findet  man  ähnliche  Truppen  an 
anderen  Höfen,  die  zugleich  Musiker, 
Schauspieler,  Seiltänzer  u.  dgl.  sind ; 
vor  1586  spielte  eine  solche  Truppe 
am  dänischen  Hofe,  später  in  Dres- 
den, Wolfenbüttel,  Kassel,  von  wel- 
cher häufige  Kunstreisen  in  zahl- 
reiche Städte  Mittel-  undSüddeutsch- 
lands  unternommen  wurden,  so  nach 
Frankfurt,  Ulm,  Augsburg,  Basel, 
Nürnberg,  Stuttgart,  Darmstadt, 
Regensburg.  Diese  englischen  Ko- 
mödianten ,  Zeitgenossen  Shake- 
speares, einige  von  ihnen  ohne 
Zweifel  seine  Gehilfen,  spielten  an- 
fangs in  englischer  Spracne,  später, 
besonders  als  deutsche  Schauspieler 
ihnen  beitraten,  deutsch;  als  es  schon 
ganz  deutsche  Schauspielertruppen 
nach  Art  der  alteren  englischen  gab, 
hiessen  sie  immer  noch  englische 
Komödianten.  Man  kennt  den  Cha- 
rakter der  von  ihnen  gespielten 
Stücke,  die  zum  Teil  auf  englische 
Quellen,  namentlich  Shakespeare, 
zurückgingen,  zum  Teil  auf  älteren 
deutschen  ruhten,  teils  aus  Jakob 
Ayrers  Spielen:   denn   dieser  war 

9 


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130  Urania.  —  Dreikönigsfest. 


ihr  Zuschauer  gewesen  und  hatte  vorstellten,  entwickelten  sich  die 
ihre  Art  nachgeahmt;  teils  aus  einer  Haupt-  und  Staatsaktionen  gegen 
im  Jahr  1620  ohne  Angabe  des  Druck-  das  Endo  des  17.  und  im  Beginn 
ortcs  herausgekommenen  Sammlung  des  18.  Jahrh.;  die  älteren  komischen 
von  20  Stücken:  „Englische  Come-  Figuren  wurden  darin  durch  (In- 
dien und  Tragedien,"  teils  aus  den  j  neueren  des  Pickelhäring  und  Hans- 
Stücken  des  Herzogs  Heinrich  Ju-  wurst  ersetzt.  Der  einzige  namhafte 

.  lim  von  Braunseh  uy iq.  1564—1613,  dramatische  Dichter  der  zweiteu 
herausgegeben  von  Holland,  Bibl  Hälfte  des  17.  Jahrh.  ist  Andrtjt 
des  litt.  Vereins  zu  Stuttg.  1855.  Cryühius,  in  dessen  Werken  der 
Die  Bedeutung  der  englischen  Einnuss  der  Antike,  Shakespeare, 
Komödianten  liegt  nicht  in  der  Ein-  der  Volksschauspiele  deutlich  zu 
führung  des  Claims,  den  man  in  erkennen  sind.  Darzustellen,  wie 
Deutschland  nach  dem  niederläudi-  dann  der  französische  Geschmack 
sehen  Namen  l'iekelharinrf  und  die  J  in  Deutschland  einheimisch  wird  un  i 

■  Zwischenspiele,  die  nur  für  ihn  be-  gegen  ihn  antiker  und  englische 
stimmt  waren,  J'iekei }hnri nqsspiele  Geschmack  ankämpft,  gehört  nicht 
nannte;  noch  weniger  liegt  sie  in  in  den  Rahmen  dieser  Skizze.  Yjd- 
der  barbarischen  Sittculosigkeit,  Prutz,  Geschichte  des  deutschen 
welche  ihren  Stücken  zum  Teil  eigen  Theaters,  Dctvirnt,  Gesch.  der  deut 
ist;  sondern  darin,  dass  sie  zuerst  sehen  Schauspielkunst,  und  ausser 
in  Deutschland  die  persönliche,  in-  den  Literaturgeschichten  namentlich 
dividuelle  Kunst  des  Mimenspiels  von  Gervinus,  Wackernagel,  G<>e- 
aufbrachten  und  zugleich  diejenigen  deke  und  Scherer,  die  Einleitungen 
Bühuencinrichtuiigen  einbürgerten,  zu:  Schauspiele  aas  dem  16.  Jahrh.. 
die  seitdem  dem  Theater  eigen  ge-  heraus?,  v.  Tittmann,  2  Bde.;  Hais? 
blieben  sind.  Sie  selber  mussten  Sachs,  nie  Schauspiele  der  englischen 
noch  in  passenden  Lokalen  anderer  Komödianten,  die  Schauspiele  d«- 
Art,  Fechtschulen,  Ballhä»isern,  Rat-  Herzogs  H.  J.  von  Braunschweig, 
häuseru  spielen;  das  erste  Theater  Andreas  Grypluus,  sämtlich  in  den 
baute  Landgraf  Moritz  von  Hessen  Sammlungen  „Deutsche  Dichter  d»-s 
in  Kassel,  zu  Ehren  seines  Sohnes  16.  resp.  17.  Jahrh.  von  Goedeko 
Ottonium  genannt.  Seit  den  eng-  und  Tittmann.  LeiDZ.  Brockhaib. 
lischen  Komödianten  giebt  es  in  Dreikönigsfest,  Epiphanias:  wie 
Deutschland  einen  Schauspieler- !  üi  den  meisten  kirchlichen  Fe?un 
stand.  kreuzen   und  verbinden   sich  hier 

Mit  dem  'iojührigen  Kriege  hörte  heidnische  und  christliche  An- 
das  Schauspiel  fast  überall  auf,  eine  Behauungen  und  Gebräuche.  Der 
Belustigung  des  Volkes  zu  sein;  es  Dreikönigstag,  6.  Januar,  ist  der 
wurde  entweder  bloss  Lesedrama  Schluss  der  Zwölf nüchte.  W 
oder  ging  an  die  Höfe  über,  und  Nacht  auf  Epiphanias  hiess  im 
zwar  entweder  als  Oper  (siehe  diesen  I  Mittelalter  giperaht  naht,  die  h  uch 
Artikel)  oder  als  Gelegenheitsdich- 1  tende  Nacht,  oder  perhtennaht,  peA- 
tung  ganz  im  Geiste  der  Opitz'schen  j  tentaa;  der  Tag  galt  als  der  Tai 
Poetik.  Fürstliche  Hochzeiten,  Kind-  '  der  Bertha.  Im  Gegensatz  zu  den 
taufen  und  Geburtsfeste  wurden  mit  Zwölfnächten,  wo  die  Sonne  im  Still 
hofmässigen  Schauspielen  gefeiert,  stand  ist,  weshalb  sich  kern  Kai 
Aus  den  Geleeenheitsschauspielen,  drehen  darf,  scheint  man  an  diesem 
die  eine  emstnafte  Handlung  in  Tage  das  wieder  beginnende  Vor 
hohem  Stelzenschritt  und  daneben  rücken  der  Sonne  gefeiert  zu  haben, 
oder  darin  eine  lustige  Handlung  der  Stern,  ursprünglich  das  Sonnen 
mit  flachen  Spässen  und  Prügeleien  rad,  muss  sien  drehen.    Noch  jetzt 


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Drude.  —  Drudenfuss 


131 


knüpft  sich  an  den  Tag  zahlreicher 
Aberglaube,  Wuttke,  §  79.  Die 
christliche  Legende  setzt  auf  diesen 
Tag  die  Anbetung  des  Christas- 
kinies  durch  die  Weisen  vom  Morgen- 

lande;  die  Dreizahl  ist  dem  drei-  jungtrau,    aunocnueutscn  m 
fachen  Geschenk,  Gold,  Weihrauch,  reichen  Frauennameu  erhalten:  Alp- 
und  Myrten,    nachgebildet,   wenn  driif,  Hegindrül,  Trmitidrut,  Amal 


in  seinem  Stücke  die  Bohne  hat, 
wird  Bohnenkönig  und  gilt  an  die- 
sem Ta£  als  Herr  und  König. 

Drude,  die,  ist  altnordisch  als 
Thrudhr  der  Name  einer  Schlacht- 
jungfrau,   althochdeutsch  in  zahl- 


nicht  auch  darin  eine  Erinnerung 
liegt  an  die  wohlthätige  Wanderung 


dn'it,  Gerdrdf,  SigidnU,  TrttdhiK. 
Mit  Einführung  des  Christentums 


hausende  Weiber,  hässlich  anzu- 
schauen. Sie  treiben  nächtliche 
Künste,  kommen  nachts  als  Alp  mit 
leisen  Schritten  an  das  Bett  des 
Schlafenden,  auch  in  Gestalt  eines 
weissen  Bündels,  legen  sich  auf  den 


d»r  oft  als  Dreiheit  gedachten  ger-  ging  der  Name  der  halbgöttlichen 
manischen  Gottheit  in  den  Zwölf-  ,  Jungfrau  in  den  von  Hexe,  Unhol- 
nächten:  frühere  Jahrhunderte  nah-  din  über,  besonders  diejenige,  welche 
inen  die  Zahl  12  oder  15  au.  Hin-  als  Alp  die  Schlafenden  drückt.  Ihre 
sichtlich  ihres  Ranges  und  Standes  ursprünglich  gute  Bedeutung  ist  in 
dachte  man  sich  die  Magier  als  Tirol  erhalten,  wo  man  sie  noch  für 
sternkundige  Gelehrte,  Astrologen ',  eine  schöne  Frau  hält;  an  anderen 
•xler  als  Zauberer:  erst  später  schloss  Orten  sind  es  alte,  in  Waldlöchern 
man  aus  den  königlichen  beschenken, 
dass  es  Könige  gewesen  seien. 

Beda  Venerabiii*,  672-735,  er- 
mähnt zuerst  ihre  Namen  Kaspar, 
Melchior,  Balthasar;  andere  nennen 
^ie  anders:  Appellus,  Amerns  und 
Damaseu*,  oder  Magalach ,  Galga- j  Schlafenden,  drücken  ihn,  dass  er 
iath  und  Saracin,  oder  Ator,  Eator  \  sich  nicht  regen,  nicht  atmen,  nicht 
und  Feraiora*.  Ihre  Leichname  rufen  kann.  Ein  anderer  Name  ist 
sollen  im  Jahre  1162  aufgefunden  Marc,  Mahlt,  Nachtmar.  Grimm, 
und  nach  Mailand  in  die  Eustorgius-  Wörterb. ,  Art.  Drude.  —  Wuttke, 
kirche  gekommen  sein ;  bei  der  Er-  Aberglaube,  §  402  ff. 
oberung  Mailands  schenkte  sie  Bar-  Drudenfuss,  Penfagramma,  Pen- 
barossa  dem  Erzbischof  von  Köln;  (alpha,  Alpkreuz,  Drüdenkreuz,  Sa- 
sie  liegen  noch  im  Kölner  Dom.  Jus  Pythagorac,  ist  ein  aus  zwei  ver- 
Bekannt  ist  die  alte  Sitte,  dass  am  schränkten  gleichseitigen  Dreiecken 
Dreiköuigtag  drei  Leute  in  aben- ;  gebildeter  fünfeckiger  oder  sechs- 
teuerlichem Kostüm ,  deren  Haupt-  j  eckiger  Stern,  galt  im  Mittelalter  als 
Sprecher  einen  blitzenden  Stern  voran-  Schloss  und  Riegel  gegen  das  Ein- 
trägt, um  eine  milde  Gabe,  das  sog.  dringen  oder  Entweichen  böser  Gei- 
S'erndreherlied  singen,  es  fängt  an:  ster.  Eigentlich  sind  es  VogelfTisse 
<K»tt,  so  wollen  wir  loben  und  ehren,  ( Gänsefüsse) ,  die  das  geisterhafte 
die  heiligen  drei  Könige  mit  ihrem  Wesen  des  zu  Verscheuchenden  be- 
Stern, sie  reiten  daher  in  aller  Eil,  i  zeichnen;  gewöhnlich  werden  vier 


in  dreissig  Stunden  vierhundert  Meil ; 
oder:  die  vier  heiligen  drei  Könige 
mit  ihren  Stern  u.  s.  w.,  öfter  ab- 
gedruckt. 

In  Frankreich  findet  an  diesem 
Tag  das  Bohnenkönigsfest  statt.  Ein 
grosser  Festkuchen  enthält  im  In- 
nern eine  Bohne.  Derselbe  wird  in 
so  viel  Stücke  zerschnitten,  als  Fa- 
milienglieder vorhanden  sind;  wer 


lange  Zehen  angegeben,  drei  nach 
vorn,  eine  nach  hinten.  Weiber, 
welche  plattfüssig  sind,  kommen  da- 
her am  meisten  in  den  Verdacht, 
dass  sie  Druden  abgeben.  Das  Zei- 
chen wird  verschiedentlich  ange- 
bracht, am  Fussgestelle  der  Bett- 
statt, an  der  Schwelle,  an  Gefässen, 
Büchern,  Gerätschaften,  au  Dorf- 
schenken als  Aushängeschild. 

9* 


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132 


Du,  Duzen.   Unter  diesem  Wort 
mögen  einige  Andeutungen  über  die 
Art  der  persönlichen  Anrede  in  äl- 
terer Zeit  Platz  rinden.  Die  gotische 
Sprache  kennt  wie  die  griechische 
und  lateinische  bloss  die  naturge- 
mässe  Anrede  der  Einzelperson  in 
der  Einzahl:  haifs  thiudans!  später 
noch  altdeutsch:  heil  herro,  heil  liebo! 
Die  erste  eingreifende  Verdickung 
des  Numerus  beim  Pronomen  stammt 
aus  den  königlichen  Kanzleien;  in 
Nachahmung   des   römischen  oder 
byzantinischen   Geschäftsstiles  be 
zeichneten    die    deutschen  Könige 
Theoderich,  Pipin,  Karl  und  die 
folgenden  ihre  tmperatoria  Majestät 
dadurch,  dass  sie  von  sich  im  Plural 
schrieben.    Allmählich  drang  dieser 
Plural  vor  in  die  Schreiben  der 
Bischöfe,  Äbte,  Grafen  u.  dgl.  Das 
geschah  also  in  der  ersten  Person. 
Im  8.  und  noch  mehr  im  9.  Jahrh. 
ging  dieser  Plural  in  die  Anrede, 
also  in  die  zweite  Person  über,  das 
Ihrzcn  der  Könige  wird  geläufiger. 
Im  Waltharilied  redet  die  Hunnen- 
königin Ospirin  ihren  Gemahl  mit 
ras  an,  ebenso  Waltharius  den  König, 
während  Hagen,  Gunther  und  all«' 
kämpfenden  Helden  sich  duzen.  In 
deutscher  Sprache  redet  zuerst  Ot- 
fried  den  Bischof  Salomon  in  seiner 
Widmung  der  Evangelienharmonie 
mit  ir  an.  Unter  dem  ganzen  Volk 
hatte  sich  aber  das  Hirzen  der  Kö- 
nige und  Fürsten  schwerlich  schon 
verbreitet.    In  den  höfischen  Ge- 
dichten des  12.  und  13.  Jahrh.  ist  i 
das  majestätische    Wirzen  überall 
gemieden,  der  Fürst  spricht  mit  ich  \  i 
dass  die  geistlichen  Gedichte  das  du 
Fürsten  gegenüber  anwenden,  ist 
Nachahmung  der  biblischen  Anrede. 
Den  weltlichen  Gedichten  ist,  wo! 
sie  ritterlichen  Stoff  behandeln,  das 
Hirzen  gemein,  der  Kaiserchronik, 
dem  Alexander,    der  Eneit,  dem 
Rother,  Tristan  etc.    Im  Annolied 
wird  gesagt,  dass  man  den  Julius! 
Cäsar,  um  ihn  zu  ehren,  geihrzt  habe. 
Die  Hauptregeln  der  Anrede  in  der 


höfischen  Zeit  waren:  unter  Seiten- 
verwandten, Könige  und  Königinnen 
manchmal  ausgenommen,   güt  du, 
Eltern  gaben  den  Kindern  du,  der 
Vater  empfing  von  Sohn  uud  Toch- 
ter ir,  die  Mutter  vom  Sohn  ir,  von 
der  Tochter  du.    Eheleute  ihrzen 
sich.      Liebende,  minnewerbende 
nennen  sich  fr,  gehen  aber  leicht  in 
das  vertrauliche  du  über;  in  Minne- 
liedern wird  meist  du  angestimmt. 
Der  Geringere  giebt  dem  Höhern  <> 
und  erhält  du  zurück.  In  der  Kaiser- 
chronik duzt  der  Papst  den  Kaiser 
und  wird  von  ihm  geihrzt.  Zwischen 
Freunden  und  Gesellen  gilt  du ,  doch 
galt  das  ir  als  besonders  höfisch, 
und  wenn  im  Nibelungenliede  die 
Kitter  sich  mehr,  als  sonst  geschieht 
duzen,  so  scheint  das  Überrest  des 
volksmässigen  Elementes.  Frauen. 
Geistliche  und  Fremde  erhalten  ir. 
dafür  sind  aber  Frauen  und  Geist- 
liche gegen  Geringere  leicht  höf- 
licher als  Männer  und  Weltliche. 
Personifizierte  Wesen  werden  vom 
Dichter  geihrzt,  z.  B.  Frau  Minne. 
Frau  Abenteuer.  Das  gemeine  Volk 
bleibt   noch    beim  Duzen  stehen. 
Leidenschaftliche,  bewegte  Rede  ach- 
tet der  Sitte  nicht  und  zieht  bald 
trauliches  du,  bald  höfliches  ir  vor. 

Im  Laufe  des  14.,  15.  und  1»'». 
Jahrh.  blieben  die  Verhältnisse  der 
Anrede  ungefähr  wie  sie  das  13.  ge- 
regelt hatte,  nur  dass  bei  Königen. 
Fürsten  und  anderen  Trägern  hoher 
Würden  im  15.  und  16.  Jahrh.  die 
7Y/<7  Majestät,  Fürstliche  Gnaden. 
Strenge,  Feste,  Weisheit  u.dgl.  über- 
hand nahmen  und  wenigstens  beim 
Beginn  der  Rede  das  unmittelbare 
ir  verhinderten.  Zu  jenen  Titeln 
wurde,  je  nachdem  sie  im  Singular 
oder' Plural  angewendet  waren,  das 
Verb,  in  der  driften  Person  des  Sin- 
gular oder  Plural  konstruiert:  En« 
Kaiserliche  Majestät  hat  befohlen. 
Euer  fürstlichen  Gnaden  sind  der 
Meinung:  aber  schon  das  beigefügt»' 
Possessiv  Euer  zeigt,  dass  daneben 
immer  noch  geihrzt  wurde:  aus  der 


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Du,  Duzen 


133 


dritten  Person  konnte  im  Verfolg 
der  Rede  in  das  direkte  ir  über- 
gangen werden.  Solche  Titel  gal- 
ten auch  für  den  Fall  der  wirklichen 
dritten  Person,  beim  Erzählen,  und 
dann  wurde  da«  entsprechende  Pos- 
sessiv damit  verbunden:  Seine  Maje- 
stät Seine,  des  Fürsten,  Gnaden,  wo- 
bei man  aber  irrig  durch  den  Plural 
des  Verbums  zu  dem  pluralen  Pos- 
sessiv irr,  iro.  Ihro  verleitet  wurde. 
IFQ  heisst:  Ihro  fürstliche  Gnaden. 
Ans  s«»<r.  ,,Rethoriken"  jener  Zeit 
lasst  sich  umständlich  ersehen,  wTie 
es  mit  dem  ihrzen  und  duzen  ge- 
halten wurde.     Die  Strassburger, 
1511  gedruckte,  erteilt  folgende  An- 
weisungen:  der  Kaiser   duzt  alle 
Geistlichen  bis  an  den  Papst,  die 
Geistlichkeit  ihrzt   sich    in  ihren 
Jvhriften,  ebenso  ihrzen  sich  gleiche 
weltliche  Fürsten  und  Grafen.  Ritter 
werden  von  Fürsten  geihrzt.  Alle 
Edelleute  duzen  einander;  wen  sie 
nicht  für  edel  halten,  den  ihrzen  sie 
„zu  merken  dass  er  ein  Burger  oder 
nit  tuzens  von  inen  gnoss  sei."  Kei- 
nem unedlen  Mann,  wie  hoch  ver- 
dient oder  verfreit  er  sei,  geziemt 
es  einen  Edelmann  zu  duzen,  er  sei 
ihm  denn  nahe  verwandt.  Kinder 
i'trzfn  ihre  Eltern,  doch  die  Kinder 
der  Edelleute  duzen.    Eltern  duzen 
ihre  Kinder,  solange  sie  nicht  in 
einen  höhern  Stand  treten.  So  stand 
e*  bis  etwa  in  den  Beginn  des  17. 
Jahrh-,  um  welche  Zeit,  wahrschein- 
lich nach  französischem  Beispiel,  die 
Benennung  Herr  und  Frau  nicht 
mehr  wie  früher  eine  wirkliche  Su- 
perioritat  des  Angeredeten  über  den 
Anredenden  zu  erkennen  gab,  son- 
dern zu  oinem  blossen  Hönichkeits- 
z^ichen  herabsank.  In  unmittelbarer 
Anrede  Hess  sich  nun  freilich  mit 
^■^sen  Titeln  das  Pronomen  ihr  ver- 
binden; allein  man  fing  an,  sie  gleich 
den  übrigen  höhern  Titeln  direkt  in 
der  dritten  Person  zu  verwenden, 
und  als  sie  immer  weiter  um  sich 
prüfen,  bald  mit  ausgelassenem  Sub- 
stantiv das  bare  Pronomen  er  und 


stt 


zu  dem  Verbum  dritter  Person 
konstruiert,  statt  der  direkten  An- 
rede zu  setzen.  Dieses  er  oder  sie 
überbot  die  Höflichkeit  des  ihr,  wel- 
ches fortan  eine  blosse  Mittelstufe 
der  Vertraulichkeit  oder  Gering- 
schätzung abgab,  während  du  die 
unterste  Stufe  ausdrückte. 

Eine  neue  Verschraubung  der  na- 
türlichen Anredeverhältnisse  wurde 
gegen  den  Schluss  des  17.  Jahrh. 
ersonnen,  die  mit  der  bisherigen  eine 
Zeitlang  zu  kämpfen  hatte,  aber 
ungefähr  zwischen  1730—1740  den 
Sieg  davon  trug  und  durch  den  jetzt 
mächtig  eintretenden  Aufschwung 
der  Prosa  befestigt  wurde.  Als  die 
feinste  Höflichkeit  kam  nämlich  auf, 
dass  man  er  und  sie  der  dritten 
Person  aus  dem  Singular  in  den 
Plural  rückte,  wonach  sich  denn 
auch  das  Verbum  zu  richten  hatte. 
Man  War  also  von  dem  du  auf  das 
ihr,  von  dem  ihr  zurück  auf  den 
Singular  er  und  sie,  von  ihnen 
wiederum  auf  den  Plural  sie  gelangt 
und  hatte  die  zuleite  Person  statt 
du  bist  anzureden:  sie  sindl  Die 
ersten  Spuren  dieses  pluralen  sie 
erscheinen  zwischen  1680  und  1690, 
es  ist  ein  Ausfluss  des  damals  be- 

6'nnenden  ä  la  il/brfe-Stutzertums. 
aneben  Hess  man  übrigens  die 
älteren  Stufen  der  Höflichkeit,  ihr 
und  er  oder  sie  auch  nicht  fahren, 
nur  dass  sie  mit  der  Zeit  ihre  Be- 
deutung etwas  änderten.  Um  1780 
stand  es  folgendemiaseen :  der  Edel- 
mann erzte  seinen  Gerichtshalter 
und  Pfarrer,  Friedrich  d.  Gr.  seine 
höheren  Civil-  und  Militärbeamten, 
der  Amtmaun  den  Büttel,  der  Pfarrer 
den  Küster,  der  Schulmeister  den 
Schüler,  der  Schwiegervater  den 
Eidam  (Herr  Sohn),  der  Ehemann 
siezte  (Singular)  seine  Frau  in  Ver- 
trauliener Laune  (höre  se,  bestelle 
sie  mir);  in  der  Schweiz  redeten  ge- 
bildete Mädchen  den  Fremden  mit 
er  an  (stanzt  wohl  gern?),  ehrendes 
er  wurde  dem  Handwerksmeister 
zu  teil,  Plural  sie  etwa  nur  Gold- 


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134 


Dukaten  —  Edda. 


schmieden,  Uhrmachern  Barbieren,  behauptet,    König  Hoger  II.  von 

Wirten.    Ihr  bekamen  Handwerks-  Sizilien,  als  Herzog  von  Apulien. 

gesell,  Fuhrmann,  Gärtner,  Soldat,  zuerst  diese  Goldmünze  1140  prägen 

lauer,  Knecht  und  Magd;  du  war  Hess  mit  der  Inschrift:  sittibi.  Chnstt, 

für  alle  Dienstboten   ein  Zeichen  datus.  quem  tu  regis,  Ute  durah*. 

längerer   Vertraulichkeit.     Sie  er-  Der  Name  kommt  in  Urkunden  von 

hielten  alle,  die  vom  Anredenden  1181  und  1185  vor,  geprägt  wurde:) 
weder  abhängig   noch  ihm  näher 1  sie  in  Venedig  zuerst   1280.  Im 

vertraut  waren.    Einzelne  ländliche  16.  Jahrh.  erscheinen  auch  dieFormen 

Bevölkerungen  hielten   wie   heute  truektaten    und   duetateu.  Grimm, 

noch  am  alten  du  fest.   In  die  edle  Wörterbuch. 

Poesie  fand  sie  keinen  Eingang,  wohl  Dusek,   Duseke.    Disak.  Di- 

aber  ihr  und  er,  Goethes  Hermann  secken,  aus  böhmisch  teedk,  heü*: 

ihrzt  seine  Eltern,  in  Voss'  Luise  ein  im  15.  und  16.  Jahrh.  oft  ge- 

erzt  der  Pfarrer  den  Schwiegersohn,  nanntes,  breites, gewöhnlich  hölzernes 

Nach  Grimms  Grammatik,  IV. 288  ff.  Schwert  ohne  Heft,  statt  dessen  ein 

Dukaten,  Goldmünze,  drei  Thaler  Griff  oder  eine  Öffnung  in  die  Klinge 

an  Wert,  aus  ital.  ducato,  mittellat.  gemacht  war,  wie  ein  Nadelöhr ,  -o 

ducatu*,  franz.  dueett,  mhd.  dueate.  gross,  dass  man  mit  der  Hand  hin- 

von  duj'~  Herzog,  weil,  wie  man  durchgreifen  konnte. 


E. 


Ecbasis,  siehe  Tiersage. 

Eckkart«  der  getreue,  ist  eine 
Gestalt  aus  dem  Kreise  der  deutschen 
Heldensage,  der  Sohn  der  Hache, 
der  Pfleger  der  Söhne  Hurlungs,  die 
Ermenrieh  töten  Hess,  ein  Held 
Dietrichs  von  Bern,  mit  dem  er  im 
Mythus  die  Teilnahme  an  der  wilden 
Jagd  teilt.  Eckhart  zieht  vor  dem 
wütenden  Heere  her  mit  Holda  und 
ist  verwünscht,  bis  zum  jüngsten 
Tage  im  Venusberg  zu  weilen. 
Wenn  Holda  nach  der  Sage  mit 
dem  wütenden  Heere  aus  ihrem 
Berge  zieht,  schreitet  der  treue 
Eckhart  als  ein  alter  Mann  mit 
langem  Barte  und  weissem  Stabe 
vorauf.  Dieser  warnt  jedermann, 
aus  dem  Wege  zu  gehen.  Einmal 
begegneten  ihm  zwei  Kinder,  die  so- 
eben einen  Krug  Bier  für  ihre  Eltern 
aus  dem  Wirtshause  geholt  hatten. 
Das  wütende  Heer  hielt  sie  an, 
riesige  Männer  nahmen  ihnen  den 
Krug  ab  und  leerten  ihn.  Die 
Kleinen   weinten   bitterlich.  Aber 


1  der  treue  Eckhart  beruhigte  sie  und 
sagte,  sie  sollten  nicht  bange  sein, 
der  Krug  werde  sich  wieder  füllen 
und  niemals  leer  werden,  solange 
sie  versehwiegen  hielten,  woher  m*- 
Wundergabe  Komme.  Als  die  Klei- 
nen auf  die  Anfragen  der  Eltern  und 
Nachbarn  schliesslich  doch  aus- 
schwatzten, versiegte  das  Bier. 

Edda  ist  der  Name  zweier  aus 
dem  altnordischen  Altertum  erhalte- 
nen Lieder-  und  SageusammluDgen. 
gewöhnlich  ältere  und  jünqere  Edda 

Seheissen.  I.  Die  ältere  £dda.  Den 
amen  Edda  =  Ältermutter,  fem.  von 
Aetfi  —  Vater,  erhielt  die  ältere 
Sammlung  erst  durch  den  Bischof 
Brynjulf  Swendsen  zu  Skaltbolt. 
welcher  im  Jahre  1643  die  Älteste 
Handschrift,  den  eodex  regiu*,  auf- 
fand und  einer  Kopie  derselben 
den  Titel  Edda  Saemundar  hin** 
froda,  Edda  Sämund  des  Gelehrten, 
vorsetzte ;  dieser  Sämund  ist  Sämund 
Sigufson ,  von  seiner  Gelehrsamkeit 
zubenannt,  1055-1133,  der  Stifter 


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Edda. 


135 


einer  der  ältesten  isländischen  Schu- 
len. Beweise  dafür,  dass  Sämund 
der  Sammler  der  Edda  gewesen  sei, 
hat  man  keine.  Jedenfalls  sind  die 
Lieder  auf  dem  Festlande  gedichtet 
und  von  den  Isländern  mit  nach 
der  Insel  gebracht  und  so  gerettet 
worden.  Die  ältesten  Lieder  werden 
dem  6.  Jahrh.  zugeschrieben.  Alle 
haben  den  Stabreim.  Man  unter- 
scheidet, obgleich  nicht  glcichmässig, 
mythologiscne  Lieder  und  Helden- 
lieder. Lm  den  mythologischen  gehört : 

1.  Völuspä  oder  die  Weissagung, 
das  Gesicht  der  Wala,  die  Senenn 
Wala  enthüllt  die  ganze  Geschichte 
des  Weltalls  in  mytnischer  Fassung. 

2.  (irimmUmul,  d.  i.  Gesang 
Grimmirs,  eines  Namens,  unter  dem 
sich  Odhin  verbirgt;  dieser,  von 
seinem  Pflegesohn  als  Zauberer  ge- 
quält, beklagt  seine  Lage  und  schil- 
dert im  Gegensatze  die  zwölf  Woh- 
nungen der  Götter  und  die  Herrlich- 
keit Walhallas. 

3.  Vafthrudnisrndl,  d.  i.  Gesang 
Wafthrudnirs.  Odhin  lasst  sich  mit 
dem  Riesen  Wafthrudnir  in  einen 
Wettkampf  der  Weisheit  ein  über 
Fragen  kosmogonischen  und  mytho- 
logischen Inhaltes;  der  Riese  verliert 
Wette  und  Haupt. 

4.  JIrafnagaldr  Odhins,  Odhins 
Rabenzauber,  das  dunkelste  aller 
Eddalieder.  Nach  Simrock  lässtsieh 
der  allgemeinste  Sinn  des  Liedes 
dahin  angeben,  dass  die  Götter  in 
dem  Eintritt  der  Winterzeit  ein 
Sinnbild  des  nahenden  Weltunter- 
ganges erblicken,  da  sie  beim  Ab- 
fall de*  Laubes  von  trüben  Ahnungen 
ergriffen  werden. 

5.  J'egtamsquidha,  das  Lied  vom 
Wanderer:  Ouhin,  der  Wanderer, 
reitet  nach  Niflhel  und  befragt  hier 
eine  Wala  um  das  Schicksal  Balders, 
über  dessen  Tod  kündende  Träume 
alle  Götter  in  Angst  sind. 

6.  Thrymsquidna  oder  ITamars 
keimt,  Hammers  Heimholung.  Thor, 
in  Freya  verkleidet,  seht  unter 
Lokis  Begleitung  als  Braut  nach 


Jötunheim;  mit  dem  ihm  als  Braut- 

fabe  übergebenen  Hammer  tötet  er 
as  Riesengeschlecht;    u.   a.  von 
Chamisso  übersetzt. 

7.  Hurbardhsliodh,  das  Lied  vom 
Haarbärtigen.  Odhin  als  Fährmann 
Harbardh  soll  dem  jenseits  des 
Flusses  stehenden  Thor  die  Über- 
fahrt gewähren;  Thor  zieht  im  Ge- 
spräche überall  den  Kürzern  und 
wird  nicht  übergefahren,  sondern 
heim  zu  seiner  Mutter  gewiesen. 

8.  Ahismal,  des  All  weisen  Lied, 
eine  schwache  Nachahmung  von 
Nr.  3.  Ein  Fragespiel  Thors  mit 
dem  Zwerg  Alvis,  oei  dem  es  um 
eine  Braut  gilt,  giebt  Veranlassung, 
eine  Reihe  poetischer  Synonyme 
vorzuführen. 

9.  Hymisquida ,  die  Sage  von 
Hymir,  Thors  Fischfang  mit  dem 
Riesen  Hymir. 

10.  Oegisdreclca ',  Ogirs  TYinkge- 
lag.  Die  Götter  sind  Dei  Ögir  ver- 
sammelt, Loki  aber  wird  einer  Ge- 
walttat halber  weggejagt.  Er  kommt 
jedoch  zurück  und  wirft  nim  allen 
Göttern  und  Göttinnen  Schandthaten 
und  Verbrechen  vor,  bis  endlich 
Thor  durch  sein  Erscheinen  Loki 
bewegt,  das  Feld  zu  räumen. 

11.  Sktrnis  för,  Skirnes  Fahrt. 
Skirnir,  Freys  Diener,  wirbt  für 
seinen  Herrn  um  die  schöne  Gerdur, 
die  Tochter  des  Riesen  Hymir. 

12.  HyndluUodh,  das  Hyndlalied. 
Freya  begiebt  sieh  mit  ihrem  Schütz- 
ling Ottar  zur  Riesin  Hyndla  und 
lässt  diese  seine  Abstammung  kund 
thun,  bei  welchem  Anlasse  auch  die 
Stammbäume  anderer  Heldenge- 
schlcchter  angegeben  werden. 

13.  Häva  mtil,  die  Rede  des 
Hohen,  d.  i.  Odhin,  enthält  Lebeus- 
regeln  und  Vorschriften  für  den 
Gast  und  Reisenden,  für  Haushal- 
tung und  häusliches  Leben,  für  die 
Landwirthschaft,  sodann  eingescho- 
ben die  Erwerbung  des  Dichter-Mets 
durch  Odhin,  (Tann  Lehren  des 
Vaters  an  seinen  Sohn  und  die 
Lehre  von  den  Runen. 


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136  Edda. 

14.  So/arliödh,  Sonnenlied,  ein  5.  Gripis  spä.  Gripirs  Weiss» 
christliches,  aber  mit  altheidnischcn,  gung,  oder  Sigurdharquidha  Fafm 
mythologischen  Bildern  und  Vor-  Lana  hin  fyrsta,  das  erste  Lied'  v<m 
Stellungen  ausgeschmücktes  Lied.  Sigurd  dem   Fafnirstöter.  Sigura 

15.  Grougafdr,  Groas Erweckung,  I  (Siegfried)  reitet  vor  Beginn  seintT 
eine  Nachahmung  von  Odhius  Ru-  Heluenlauf  bahn  zu  Gripir,  dem  Bru- 
nenlied  im  Havamal.  der  seiner  Mutter  Hiördie.  damit 

16.  Rigsmal ,  mythische  Erzäh-  dieser  ihm  alle  seine  Geschicke  bis 
lung  vom  Ursprung  der  drei  Stünde :  zu  seinem  Tode  voraussage.  Er  er- 
des  Adligen,  des  Freien  und  des  hält  die  gewünschte  Auskunft  und 
Knechtes.  reitet  hinweg. 

IT.  Fiölsrtiuism/il,  des  Vielwissers       6.  Sigurdharquidha  Fufnuhaw 

Lied,  ein  durchaus  dunkles  Rätsel-  hin  Önnur,  das  andere  Lied  vonSi 

lied.  gurd  dem  Fafnirstöter  und 

Der  Heldensage  gehören  folgende  i      7.  FafnismM,  das  Lied  vonFfc 

Lieder  an :  I  nir.    Regin  begiebt  sich  an  den 

1.  Hefgaquidha  JTjörrardhssonary  Hialprets,  wo  der  junge  Sigurd  lebt, 
das  Lied  von  Helgi,  dem  Sohne  erzählt  ihm  von  dem  Horte,  welchen 
Hiörwards.  Helgi  rächt  mit  Hilfe  einst  die  drei  Götter  Odhin,  Hrmir 
der  Walküre  Swawa  den  Vater  sei-  und  Loki  seinem  Vater  Hreiduür 
ner  Mutter  an  deren  erstem  abge-  als  Busse  für  die  Tötung  Oturs,  sei 
wiesenen  Freier,  fallt  aber  im  nes  Sohnes,  durch  Loki  gaben,  und 
Kampfe.  auf  welchem  nun  der  dritte  Bruder 

2.  Helgaquidha    Hundingshana  Fafnir,   um  des  Hortes  alleiniger 
furri.    Nachdem  Helga,  Sigmunds  Herr  zu  bleiben,  in  Drachengestaii 
*fc*ohn  und  der  Borghild,  den  Hunding  als  Hüter  liegt.    Er  reizt  ihn  zur 
gerötet,  geht  er  daran,  die  Walküre  Bekämpfung  fafnirs  und  schmiegt 
Sigrün  ihrem  ersten  Versprochenen  ihm  zu  diesem  Zwecke  das  Schwert 
abzugewinnen,  was  Helgi  gelingt.  Gram.  Sigurd  zieht  nun  mit  Schirl 

3.  Helgaquidha    Hundingshana  volk  aus  zur  Rache  an  Hunding? 
hin  önnur,  aas  andere  Lied  von  Söhnen,  die  seineu  Vater  Sigmund 
Helgi,  dem  Hundiugstöter.  Nachdem  erschlugen,  besiegt  sie  und  reitet 
Helgi  seinem  Vater  Sigmund  im  dann  auf  die  Giukaheide,  wo  er 
Kampf  gegen  Hunding  ffeholfen  und  Fafnir  tötet.    Da  offenbart  ihm  Ke 
Sigrun  von  ihrem  Verlobten  Höd-  gin,  wen  er  erschlagen  habe,  er 
brodd  befreit,  vermählt  er  sich  mit  trinkt  von  Fafnirs  Blut  und  befiehlt 
Sigrun;   ihr  Bruder  aber,  dessen  Sigurd,  das  Herz  am  Feuer  zu  brat«'ii 
Vater  und  Bruder  von  Helgi  getötet  Dadurch  dass  der  Saft  des  Herzen? 
worden,    durchsticht  diesen.     Als  diesem  die  Zunge  netzt,  erlangter 
Geist  kehrt  der  Getötete  zu  seiner  Fähigkeit,  die  Sprache  der  Vögel  P 
Gattin  zurück  und  unterredet  sich  verstehen,  worauf  er  durch  die  Co 
mit  ihr;  da  er  aber  die  zweite  Nacht  terredung  eines  Adlerpaars  sofort 
vergebens  erwartet  wird,  stirbt  jene  erfährt,  dass  Regin  ihn  zu  verderben 
vor  Harm  und  Leid.  siune.    Er  isst  Fafnirs  Herz,  tötet 

4.  Sinfwtlalok,  Sinfiötlis  Ende,  den  schlafenden  Regin,  belastet  sein 
ein  prosaischer  Zwischenbericht,  der  Ross  mit  dein  Golde  und  reitet  zu 
das,  was  in  den  Helgiliedern  von  Giukis  Burg. 

Sinfiötli.  dem  ältesten  Sonn  Sigmunds,       8.  Brynhildarquidha  Budla  W 

erzählt  war,  durch  die  Erzählung  von  für  hin  fyrsta  oder  SigrdrtfunuV,  d.i.* 

seinem  Tode  ergänzt  und  das  Ver-  erste   Lied   von  Brynhild,  Budlu 

wandtschaftsvernältnis  von  Sinfiötli  Tochter,  oder  Si^rdrifas  Rede.  A» 

und  Helgi  zu  Sigurd  erläutert.  dem  Wege  zu  Giukis  Burg  erbüekt 


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137 


Sigunl  einen  Berg,  dessen  Gipfel  Lo- 
hen umgeben.  Er  reitet  hinauf,  dringt 
<lurch  die  Glut,  tritt  in  einen  Saal 
und  findet  da  einen  in  voller  Rüstung 
schlafenden  Mann.  Als  er  mit  «lein 
Shwerte  die  Brünne  zerschnitten 
und  abgezogen,  ist  es  eine  Jungfrau, 
'he  nun  erwacht  und  erzählt,  dass 
Odhin  sie  in  diesen  Schlaf  gebracht 
habe.  Sie  reicht  ihm  den  Minne- 
frank and  nennt  sich  Sigrdrifa.  Nach- 
dem sie  ihm  die  näheren  Vorgänge 
erziihlt  und  ihn  durch  Runen-  und 
.Sitt-nspriiche  belelirt,  bricht  das 
Lied  plötzlich  ab. 

9.  Brot  af  Brynhitdhan/uidha, 
Bru'hstück  eines  ftrynhildenliedes. 
I*er  verlorene  Anfang  hatte  ohne 
Zweifel  die  Gewinnung  der  Bryn- 
hil  i  durch  Sigurd  für  Gunnar  und 
ihre  unglückliche  Ehe  mit  Gunnar 

Gegenstande.  Das  Bruchstück 
beginnt  nun  mit  der  von  Brynhild 
aa  Gunnar  gerichteten  Aufforderung, 
d»*n  treulosen  Sigurd  zu  töten ,  er- 
ahlt  die  Ausführung  des  Mordes, 
Brrnhilds  Freude  und  Hohnlachen, 
aj*  sie  die  That  erfahrt,  Gudruns 
Verwünschung  de*  Mörders,  Bryn- 
bilds  Geständnis,  dass  Sigurd  un- 
schuldig gewesen,  und  ihre  Verkün- 
digung Oes  bevorstehenden  Unter- 
ganges  der  Nibelunge. 

10.  Signrdharouulha  Fäfnisbana 
h  '  flridja,  das  dritte  Lie(!  von  Si- 
gurd. Sigurd  ist  mit  Giukis  Söhnen 
ju  Verbindung  getreten,  und  hat 
ihr^  Schwester  Gudrun  geehelicht; 
darauf  ziehen  sie  aus,  die  Brynhild 
™r  Gunnar  zu  werben.  Sigurd  er- 
erbt sie  und  überantwortet  »lern 
Ganaar  die  unberührte  Braut.  Aber 
dies*»  föhlt  sieh  unglücklich  ver- 
mählt, beklagt  ihr  Geschick  und 
r^izt  Gunnarn  zu  Sigurds  Morde  auf. 
Ganaar  schwankt  und  fragt  Högnin 
jHapen»,  der  den  Verrat  missbilligt, 
pa  wird  dem  jüngsten  Bruder,  den 
«in-  Eide  binden,  dem  Gudwurm, 
™*  Ausführung  übertragen.  Dieser 
*'**t  dem  an  Gudruns  Seite  schla- 
fen Helden  den  Stahl  ins  Herz, 


wird  aber  selbst  von  dem  Schwerte, 
das  der  Todwuntie  ihm  nachwirft, 
mitten  entzwei  gespalten.  Der  Ster- 
bende nennt  der  erwachenden  Gattin 
Brynhild  al*  Anstifterin  des  Mordes. 
Gunnar  schilt  sie  darum,  aber  ihn 
demütigend  sagte  sie,  dass  sie  wisse, 
wie  sie  oei  der  Vermählung  betrogen 
worden  sei,  sie  gesteht  ihre  Liebe 
zu  Sigurd  und  will  mit  ihm  den  Tod 
teilen.  Sie  sticht  sich  das  Schwert 
ins  Herz,  weissagt  Gunnar  Versöh- 
nung mit  Gudrun,  welche  die  Swan- 
hild  gebiert  und  dann  mit  Atli  sich 
vermählt.  Zuletzt  bestellt  Brynhild 
noch  ihr  und  Sigurds  Begräbnis. 

11.  Helreidh  Brynhilaar,  Bryn- 
hilds  Totenfahrt  zu  Hei,  der  sie  ihr 
Schicksal  erzählt. 

12.  GMhnmarquidha  hin  fyrsta, 
das  erste  Gudrunlied.  Schilderung 
des  Schmerzes  der  Gudrun  beim  An- 
blick ihres  toten  Gernahls. 

13.  Drap  Niflunga,  Mord  der  Ni- 
belunge, kurzer  t  prosaischer  Zwi- 
schenbericht zur  Überleitung  auf  die 
folgenden  Lieder. 

14.  Güdhrünarquidhd  hin  önnur. 
das  andere  Gudrunlied.  Gudrun,  mit 
Atl  vermählt,  klagt  dem  Thiodrek 
(Dietrich  von  Bern)  ihr  Schicksal, 
dass  sie  wider  ihre  Neigung  Atli, 
dem  Bruder  der  Brynhild,  ihre  Hand 
habe  reichen  müssen.  Sie  schliesst 
mit  Angabe  der  Unheil  verkünden- 
den Träume  Atlis  und  mit  der  Ver- 
sicherung, dass  sie  suchen  werde, 
dieselben  in  Erfüllung  gehen  zu 
lassen. 

15.  Güdhrünarquidhd  hin  fhridja, 
das  dritte  Gudrunlied.  Eine  Magd, 
Herjak  (Helene),  hat  Gudrun  Atli 
gegenüber  der  Untreue  mit  Thiodrek 
geziehen,  durch  ein  ihr  günstiges 
Gottesurteil  befreit  sie  sich  von  der 
Anklage. 

16.  Oddrünar  gräfr,  Klage  der 
Oddrun,  ein  späteres,  unechtes  Lied. 
Oddrun,  Atlis  Schwester,  erzililt 
einer  Freundin,  wie  sie  gegen  den 
Willen  ihres  Bruders  ein  Liebes- 
verhältnis mit  Gunnar  gehabt  habe, 


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138 


Edda. 


um  dessen  willen  Atli  Gunnar  und 
Högni  getötet  habe. 

17.  Gunnar*  dag*',  Gunnars  Har- 
fenschlag, das  Lied,  mit  welchem 
der  von  Atli  in  die  Schlangenhöhle 
geworfene  Gunnar  die  Schlangen  bis 
auf  eine,  die  ihn  tötete  und  Atlis 
Mutter  war,  eingeschläfert  haben 
soll.    Vielleicht  eine  Fälschung. 

18.  Atlaquidha  und 

19.  Atlamäly  Sage  und  Gesang 
von  Atli.  Beide  Lieder  schildern 
den  heimtückischen  Verrat  Atlis  an 
seinen  Schwägern,  den  Giukungen 
Gunnar  und  Högni,  und  die  deshalb 
von  Gudrun,  ihrer  Schwester,  an 
ihm  ausgeübte  Rache.  Atli  zürnt 
den  beiden  Fürsten,  weil  er  sie  für 
schuldig  halt  am  Tode  der  ßrynhild, 
und  weil  er  als  Gemahl  der  Gudrun 
auf  den  Hort  Ansprüche  macht,  der 
ihr  nach  Sigurds  Tode  von  den  Brü- 
dern gewaltsam  entrissen  wurde.  Er 
ladet  sie  durch  einen  Boten  zum 
Gastmahle  ein,  und  sie,  vergebens 
gewarnt,  folgen  der  Einladung. 
Gleich  bei  ihrer  Ankunft  in  Atlis 
Burg  werden  sie  hinterlistig  ange- 
griffen, erliegen  jedoch  erst  nach 
der  tapfersten  Gegenwehr.  Atli 
fordert  von  den  Gebundenen  den 
Hort,  Gunnar  aber  weigert  sich,  den 
Ort  seiner  Bewahrung  zu  entdecken, 
solange  Högni  lebe.  Da  lässt  Atli 
einem  Knechte  das  Herz  aus  dem 
Leibe  schneiden  und  es  blutig  als 
Högnis  Herz  vor  Gunnar  tragen; 
der  aber  erkennt  au  dem  Beben  des 
Herzens,  dass  es  nicht  Högnis  Herz 
sein  könne,  das  nie  gebebt  habe. 
Nun  wird  Högni  selbst  getötet  und 
seines  Herzens  beraubt,  und  Gunnar 
erkennt  es  als  solches  an,  doch  solle 
Atli  den  Ort  des  Schatzes  niemals 
erfahren.  Da  wird  Gunnar  in  die 
Schlangengrube  geworfen,  um  seinen 
Trotz  zu  büssen.  Nun  wird  Gudrun 
von  der  heissesten  Hache  aufgesta- 
chelt, sie  tötet  ihre  mit  Atli  erzeugten 
Söhne,  giebt  dem  Vater  deren  Herz 
zu  essen  und  deren  Blut  mit  Wein 
vermischt  zu  trinken,  durchbohrt  ihn 


dann  selbst  mit  Hilfe  von  Högnis 
Sohne  Niblung,  als  er  trunken  im 
Bette  schläft,  und  steckt  die  Buir 
in  Brand.  Sie  selbst  will  ihren  Tu<l 
im  Meere  suchen,  aber  ihr  Geschick 
ist  noch  nicht  erfüllt. 

20.  Hamdismul,  das  Lied  von 
Hamdir,  erzählt,  wie  Gudrun  ihre 
nach  Atlis  Tode  mit  Jonakur  er- 
zeugten Söhne  Hamdir  und  Sörli  m 
Rache  an  König  Jörmunrek  (Ennan 
rieh)  aufreizt,  der  ihre  und  Sigurd« 
Tochter,  die  ihm  verlobte  Swanhiid. 
auf  des  treulosen  Bikkis  (Sihich)Bit 
wegen  fälschlich  angeschuldigter  In- 
treue von  Rossen  hatte  zu  Tode 
treten  lassen.  Jene  reiten  nach  kürzt 
Weigerung  ab  und  finden  ihren  Fein 
beim  Zechgelage.    Sie  richten  eii* 

f rosse  Niederlage  unter  Jörmunrek 
_  lannen  au,  berauben  ihn  selbst  der 
Hände  und  Füsse  und  werden  ** 
lauge  vergebens  bekämpft,  bis  Olbin 
selbst  erscheint  und  den  Rat  erteilt. 
Steine  auf  sie  zu  werfen,  denen  flt 
endlich  erliegen. 

21.  Gudhrünarhvöf,  Gudruns  Auf- 
reizung oder  Racheruf,  an  ihre  Sfifa 
wegen  der  Ermordung  ihrer  Schwe- 
ster gerichtet,  Wehklagen  über  ihr 
eigenes  jammervolles  Geschick  BP 
Aufforderung  an  ihren  ersten  G* 
mahl  Sigurd,  wie  er  versprochen 
habe,  auf  schwarzem  Rosse  herw 
reiten  und  sie  aus  dem  Leben  ab- 
zuholen. Sie  befiehlt,  den  Brand  H 
rüsten,  dass  ihre  Brust  voll  Lei<K* 
nun  brennen  möge. 

22.  Völundarqiridha,  das  Lie-I 
von  Völund,  dem  Schmied  Wielan«! 
Dieser,  ein  finnischer  Königssohu 
hat  mit  seinen  Brüdern  Egill  ud*1 
Slagfidhr  die  Heimat  verlassen  nw 
in  Wolfthalen  im  Reiche  des  Niareo 
königs  Nidhudhr  Wohnsitz  gen<'iu; 
meu.  Einst  überraschten  die  uYi 
Brüder  drei  Schwanjungfrauen i\W 
küren)  am  Seestrande,  fingen  ■* 
und  vermählten  sich  mit  ihneu.  n  i 
jedoch  die  drei  Brüder  einmal  _au* 
der  Jagd  sind,  bemächtigen  jö* 
sich  ihrer  Schwanhemden  und  fliege 


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Edda.  139 


(ort,  Kampf  aufzusuchen.  Die  heitn-  bis  1241,  dem  Verfasser  der  Heims- 
^ekonmienen  Brüder  finden  ihr  Haus  kringla,  eines  grossen  nordischen 
[♦•er,  Egill  und  Slagfidhr  machen  Geschichtswerkes ,  zugeschrieben 
?ich  auf,  ihre  Frauen  zu  suchen,  wird.    Die  jüngere  Edda  ist  ein 
Wielaud aber  bleibt  «laheim, Schmie-  Handbuch  für  junge  Skalden,  die 
<let  Goldringe  und  reiht  sie  an  den  sich  mit  der  Götterlenre,  der  Helden- 
Lindenbast.  Da  vernimmt  Nidhudhr,  sage,  den  Gesetzen  der  Dichtkunst 
«lass  Wieland  in  Wolfthaleu  sitze  j  und  Beredsamkeit  bekannt  machen 
um!  zieht  mit  seinen  Mannen  bei  wollen,  und  zerfallt  in  folgende  Teile : 
Nacht  ans,  sich  seiner  zu  bemach-  1.  Gylfaginning,  Gylfis  Verblen- 
rigen.  Er  ist  aber  nicht  zu  Hause;  dune,  schliesst  sich  in  seiner  Lin- 
da verbergen  sie  sich,  nachdem  sie  kleidung  au  das  dritte  mythologische 
einen  der  Ringe  weggenommen.  Er-  Lied  der  alteren  Edda  an,  an  Waf- 
uiüdet  von  der  Jagd  kommt  Wielaud  thrudnismal.    Wie  dort  Odhin  unter 
heim,  zählt  die  Ringe  und  vermutet,  dem  Namen  Gangradr  einen  mfich- 
<la  einer  fehlt,  seine  Frau  Alwitr  sei  tigen  und  weisen  Kiesen  besucht, 
zurückgekehrt   Eingeschlafen,  wird  um  sein  Wissen  auf  die  Probe  zu 
er  von  Nidhudhr  an  Händen  und  stellen,  und  so  ein  Wettstreit  be 
Ftoen  schwer  gefesselt  und  hinweg-  ginnt,  bei  dem  das  Haupt  des  Unter- 
geführt.   Daheim  giebt  der  König  liegenden  zu  Pfände  steht,  so  wird 
den  Ring  seiner  Tochter  Bödhwild,  umgekehrt  hier  die  Weisheit  der 
Wiolands  Schwert  aber  behält  er  für  Götter  auf  die  Probe  gestellt.  Gylfi, 
sich.  Auf  den  Rat  seiner  Gemahlin,  ein  mythischer  König  von  Schweden, 
die  Wielands  Rache  fürchtet,  lässt  begiebt  sich  nach  Asgard,  um  zu 
er  ihm  die  Sehnen  an  den  Füssen  j  er  Iah  ren,  woher  dem  Asenvolkc  seine 
'iurchschneiden  und  setzt  den  Ge-  Macht  komme;  sein  Name  ist  Gang- 
lähinten  nach  Sävarstadh,  wo  dieser  leri,  der  Wanderer.     Die  Götter 
ilim  allerhand  Kleinode  sehmieden  machen   ihm   aber  ein  Blendwerk 
murs.   Aber  zur  Rache  tötet  Wie-  j  oder  Gaukelspiel  vor,  und  zeigen 
land  Nidhudhr»  junge  Söhne,  wirft  I  sieh  ihm  nicht  in  ihrer  wahren  Ge- 
»<Üe  Gebeine  unter  den  Löschtrog,  stalt,   sondern   beantworten  seine 
schweift  ihre  Hirnschalen  in  Silber  Fragen  von  einem  dreifachen  Hoch- 
nud  giebt  sie  dem  König,  ihrem  sitze  aus  unter  den  Namen  Hars, 
Vater.   Aus  ihren  Augen  macht  er  Jafahars  und  Tridis,  d.  i.  der  Hohe, 
Jarknasteine,  Augensteine,  und  sen- !  Gleichhohe  und  der  Dritte.  Die 
det  feie  Nidhudhrs  Weibe,  aus  ihren  vorgelegten  Fragen  geben  Veran- 
Zähnen  Brustringlein,  die  er  der  lassung,  die  Hauptlehren  des  nor- 
Uödhwild  schickt.  Einst  spielt  diese  i  dischen  Götterglaubens  darzulegen, 
mit  Wielands  Ring,  und  er  zerbricht.  2.  Braga  rödur.  Br&g\s  Gespräche, 
Der  Schmied,  zu  dem  sie  geht,  ver-  der  Ögisdrccka,  dem  zehnten  mytho- 
spricht  ihr,  ihn  ganz  zu  machen,  logischen  Liede.  der  älteren  Edda, 
.-chlafert  sie  aber  ein  und  bewältigt  nachgebildet.    Ögir,  ein  zauberkun- 
sie.  Darauf  nimmt  er  sein  von  ihm  {  diger,  auf  Hlefey  wohnender  Mann 
gefertigtes  Federgewand  hervor  und  |  besucht  die  Asen    und   wird  von 
nebt  sich  lachend  in  die  Lüfte.  Aus  ihnen  mit  Gaukelspiel  empfangen, 
«lern  Wolken  giebt  er  dem  ihn  be-  j  Bei  Tische  sitzt  Ögir  nebcu  Bragi, 
tragenden  König  Kunde  über  das  welcher  ihm  die  vorgelegten  Fragen 
>>chicksal  seiner  Söhne  und  seiner  durch  mythische  Erzählungen  he- 
Tochter  und  entfliegt.  antwortet.  Deren  letzte  bezieht  sich 
II.   Die  jüngere   Edda    oder  auf  den  Ursprung  der  Dichtkunst, 
S*<jrra-Ma,  weif  sie,  aber  mit  Un-  worüber  Bragi.  der  Skalde  der  Götter, 
recht,  dem  Snorri  Sturlaton,   117ö  I  schicklich  Auskunft  giebt. 


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140 


Edelknabe.  —  Ehe. 


3.  Skaldskaparmal,  hat  die  Skal- 
dcukuust  zum  Gegenstand  und  zer- 
fällt in  a)  Kenninga  r ,  Umschrei- 
bungen, h)  Okend  heifi,  einfache  Be- 
nennungen ,  wie  diejenigen,  die  in 
Alwismäl,  dem  achten  mythologischen 
Lied  der  alten  Edda,  aufgezeichnet 
sind,  cj  Forndfn  ,  in  der  Skalden- 
kunst gebräuchlich«'  Namen  der 
Männer,  Frauen,  Schwerter,  Schinv 
u.  dgl ,  die  aufgezählt  und  nach  ihren 
mythologischen  Beziehungen  ge- 
deutet werden.  Einigemal  findet 
sich  Veranlassung,  grössere  Stücke 
aus  der  Götter-  und  Heldensage  ein- 
zuhVchten.  Die  Einkleidung  ist  die- 
selbe wie  in  Bra^urödur.  Koppen, 
litterarische  Einleitung  in  die  nor- 
dische Mythologie.  Simroek,  die 
Edda,  übersetzt  und  mit  Erläute- 
rungen begleitet.  Ettmüller,  Lite- 
raturgeschichte. 

i  Edelknabe  erscheint  im  mittel- 
hochdeutschen Sprachschatze  nicht; 
neuere  Bücher  verstehen  darunter 
junge  Knaben  edler  Herkunft,  die 
bei  einem  befreundeten  Herrn  sich 
in  ritterlicher  Lebensart  ausbilden 
sollen,  mhd.  meist  leint  genannt. 

Edietum  Rotharis  und  Theo- 
dorici,  siehe  leges  Barbarorum. 

ehalt  in  nöt,  auch  bloss  die  ehafte, 
heisst  naeh  dem  Gesetze  zulässiger 
Entschuldigungsgrund  dessen ,  der 
der  Ladung  vor  Gerieht  nicht  Folge 
leistet;  fränkisch  sunnis.  In  den 
ältesten  Rechtsaufzeichnungen  wer- 
den als  ehhafte  Nöte  aufgeführt 
Krankheit*  Herrendienst  und  Tod 
eines  nahen  Verwandten ;  in  Hart- 
manns  Iwein  heissen  sie  siechtuom, 
vanenüsse  ode  der  tot;  im  Sachsen- 
spiegel: Vier  sake  sint,  die  ehte  not 
hetet:  rengnisse  unde  siike,  godes 
dienst  butenlande  (Betefahrt)  unde 
des  rikes  dienst;  andere  Rechte  nen- 
nen andere  Nöte. 

Ehe.  ahd.  die  etca,  ea  =  Ewigkeit, 
endlos  lange  Zeit,  (seit  langen,  un- 
denklichen Zeiten  geltendes  Recht 
oder  Gesetz),  vom  got.  der  divs  = 
Zeit  Ewigkeit,  welches  dem  lat. 


aetum,  ^riech.  «<<j»=Zeit,  Lebens- 
zeit, Ewigkeit,  8anskr.  etra  -  Gang. 
Wandel,  entspricht    Das  ahd. 
findet  sich  zuerst  bei  Notker  (f  1025 
in  der  Bedeutung  eines  auf  die  Läng' 
des  Lebern  geschlossenen  Rechts- 
verhältnisses oder  Bündnisses  zwi 
sehen  Mann  und  Weib,  mhd.  für.  I 
Wein  and. 

Der  alte  Germane  hatte  der  Sirt** 
seines  Volkes  gemäss  nur  eine  Frau, 
obgleich  rechtlich  die  Vielweiberei 
nicht  untersagt  war.    Fürsten  nah- 
men etwa  politischer  Gründe  wep» 
mehrere  Weiber.  Vgl.  den  Art  f» 
zucht.  Die  Verheiratung  geschah  erst 
in  reiferem  Alter  iGerm.  20).  und 
bis  zum  13.  Jahrh.  nahm  man  unter 
Regel  für  Mann  und  Weib  das  dre*- 
sigste  Lebensjahr  als  zum  Eintriü 
in  die  Ehe  an;  seit  dem  14.  Jahri 
wurden  im  Adel  sowohl  als  in  den 
stadtischen   Geschlechtern  frühzei- 
tige' Ehen   immer   häufiger.  Ur- 
sprünglich wurde  die  Braut  von 
Vater  gekauft;  doch  kennt  sehoa 
Tarif us  (Germ.  18)  den  eigentlich«» 
Kauf  der  Braut  selber  nicht  niefar. 
sondern  bloss  den  Rauf  der  Ge- 
walt über  sie,  den  Kauf  des 
diums ,    des  gesetzlichen 
über  sie,  womit  der  Waffensc 
die  Vertretung  vor  Gericht, 
legung  des  Geldes  verbundeu 
Das  Muudium  musste  gekauft  m 
den,  in  erster  Linie  aus  der  " 
des  Vaters,  in  zweiter  Linie  je 
den  besonderen  Volksrecbten 
der  der  Mutter  ode 


r  der  Verwandtes, 
«*  Hand  des  Herrn 


bei  Unfreien  aus  de 
dessen  Einwilligung  ausserdem  ge- 
wöhnlich an  die  Errichtung  ein* 
Zinses  geknüpft  war.  Das  jus  prit** 
noetis.  das  der  Herr  für  sich  in  An* 
spruch  genommen  haben  sollte,  l« 
durch  Karl  Schmidt,  J.  p.  n.  Khv 
geschichtl.  LTntersuehung ,  Freibun 
T  B.  1881,  als  ein  seit  dem  16.  Jahrä 
verbreiteter  gelehrter  Abergl*11^ 
nachgewiesen.  Das  Verfügungsp^' 
über  die  Hand  des  Weibes  von  seitefi 
des  Vormundes  ist  altgermauii* t 


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Ehe.  Hl 


der  Vormund  durfte  es  vermählen,  Brautkauf,  nachdem  dieser  mehr  ein 

wem  er  wollte,  ohne  auf  ihre  Xei-  Geschenk  an  die  Familie  der  Braut 

gung  und  Einwilligung  Rücksicht  »der  an  diese  selbst  geworden  war, 

zu  nehmen.    Doch   minderte  sich  kam  die  Mitgift  auf,  mhd.  heitmtiur, 

diese  Härte  früh  durch  Einwirkung  hUtiur.    Es  war  das  eine  Gabe  der 

des  Christentums,  welches  das  Recht  rechtmässigen  Verlober,  des  Vaters 

der  freien  Einwilligung  verlangte,  oder  der  Brüder,  an  die  Braut  6elb>t, 

<>n  kam,  trotz  harter  Strafen,  die  ein  Geschenk,  das  ihr  eigen  blieb, 

darauf  gesetzt  waren,  gewaltsame  und  über  das  der  Mann  kein  Ver- 

Korfahrung,  Frauenraub  vor;  in  der  fugungsrecht  hatte.    Auch  «lie  Mit- 

vorhöfiaeben .  wie  in  der  höfischen  gift  konnte  ursprünglich,  als  das 

Zeit  ist  dieses  Abenteuer  viel  be-  Weib  noch  nicht  liegendes  Eigen 

*ungen  worden,  z.  B.  in  der  Gudrun,  besitzen  durfte ,  nur  in  fahrender 

Ebenfalls  alt  und  viel  verbreitet,  bei  Habe  gegeben  werden,   was  sich 

Fürsten  stehender  Gebrauch,  ist  die  später  änderte. 

Werbung  durch  einen  Fürsprecher,  Zur  Gegengabe  gegen  die  Mitgift, 

reicher  vornehmlich  die  Höhe  des  von  der  doch  der  Mann  ebenfalls 

Brautkanfes   zu   verhandeln  hatte,  mehr  oder  weniger  Genuas  zog,  kam 

Der  Brautkauf,    auch    mahaheaz,  die  Sitte  auf,  dass  der  Frau  von  dem 

itxn'scaz,  hrut  miete,  langobardisch  Manne  ein  Teil  seines  Gutes  aus- 

*eta,  burgundisch  teittemo,  mittellat.  gesetzt  wurde,  die  Widerluge,  mhd. 

nufiditim,  gyjMtalitium ,  arrha,  pre-  die  tri derh <u .    Durch  sie  wurde  die 

-  m  emlionu,  nuptiale  pretium,  dos  Mitgift  aufgewogen,  so  dass  die  Frau 

:>  uannt  ist  die  Ablösung  der  Braut  fortan  keine  Ansprüche  mehr  an  sie 

n  der  angeborenen  Mundschaft  hatte.  Indem  die  Widerlage  beson- 
md  die  Bedingung  des  rechtmässi-  ders  für  den  Lebensunterhalt  der 
en  Eintritte«  in  das  Geschlecht  und  Witwe  ausgesetzt  war,  hiess  sie  Leite- 
rn Schutz  des  Bräutigams.  Ohne  zucht  oder  Leibgedinge. 
lahlschatz  gab  es  keine  eheliche  Nachdem  die  Beredung  über  das 
rau.  bloss  eine  Beischläferin.  Ur-  Vermögen  beider  Teile  beendet, 
[  hinglich  wurde  er  nur  in  beweg-  Brautkauf  und  Mitgift  und,  wo  das 
eher  Habe  gegeben,  in  Knechten,  Brauch  war,  die  Widerlage,  etwa 
Jagden,  Pferden,  Kindern,  Kostbar-  auch  eine  Gabe  an  die  Verwandten 
♦dten,  Waffen,  später  auch  in  Land,  des  Mannes  oder  der  Braut,  von  der 
>ie  Höhe  desselben  wurde  urspriing-  Gegenseite  Geschenke  des  Bräuti- 
cb  dem  Übereinkommen  von  beiden  gams  an  die  Braut  gegeben  waren, 
eiteu  überlassen,  und  zudem  rieh-  schritt  man  zur  Vollziehung  der  Ver- 
■te  er  sich  nach  dem  Stande  des  Uibunq.  Hauptbedingung  war,  dass 
launes.  Schon  früh  neigte  sich  dieselbe  von  den  rechtmässigen  Ver- 
er  germanische  Geist  dahin,  den  lobern  erfolgte  und  öffentlich  war. 
rautkauf  nur  als  einen  Scheinkauf  Die  Zeugen  schlössen  einen  Kreis 
stzuhalteu,  der  zur  blossen  Rechts-  (Ring)  und  das  Brautpaar  wurde  in 
rmalität  wurde.  Doch  blieb  die  die  Mitte  desselben  geführt.  Darauf 
edensart  ^ein  Weib  kaufen"  noch  richtete  der  Verlober  an  den  Mann 
jtge  bestehen.  Die  Zahlung  an  den  zuerst  ,  dann  an  das  Mtfdchen  die 

rmund  wurde  in  Gegenwart  von  Frage,  ob  sie  sich  zur  Ehe  wollten, 

eugen  dem  rechtmässigen  Verlober  siehe  das  schwäbische  Verlöbnis  aus 

i    seinem    Eigentum    übergeben,  dem  12.  Jahrh.,  u.  a.  abgedruckt  bei 

llmählich  kam  es  vor,  dass  man  Müllenhoff  und  Scherer,  Denkmäler, 

ie  Braut  selber  in  den  Genuss  des  Nr.  99.   Bei  dem  Verlöbnis  wurde 

rautsehatzes  treten  Hess.  vom  Verlober  dem  Bräutigam  am 

Als  Gegenleistung    gegen    den  Schwerte  ein  Ring  überreicht,  den 


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142 


Ehe. 


der  letztere  der  Braut  selbst  ansteckte. 
Er  ist  das  rechte  Zeichen  des  ge- 
schlossenen Bundes,  die  Urkunde  der 
Treue  und  Minne;  in  älterer  Zeit 
scheint  statt  des  Ringes  ein  Faden 
oder  Band  Zeichen  der  Verlobung 
gewesen  zu  sein.  An  die  Beringung 
schliefst  sieh  Umarmung  und  Kuss; 
in  manchen  Gegenden  überreichte 
der  Bräutigam  der  Braut  noch  einen 
Schuh  oder  er  trat  ihr  auf  den  Vuss. 

War  dies  geschehen,  so  war  die 
Verlobung  geschlossen  und  durfte 
nicht  mehr  gebrochen  werden;  eine 
bestimmte  trist  war  bis  zur  Hehn- 
führung  der  Braut  gesetzlich  gestattet, 
auf  die  Versäumnis  derselben  eine 
'Strafe  gesetzt;  ebenso  wie  auf  ein 
absichtliches  Zurückhalten  der  Braut 
durch  den  Verlober.  Untreue  der 
Braut  wurde  hart  gebüsst,  Untreue 
des  Bräutigams  leicht. 

Zu  einer  rechten  Ehe  gehörte 
Ebenbürtigkeit,  es  sollten  bloss  Freie 
mit  Freien,  Unfreie  mit  Unfreien  sich 
verbinden.  Ehen  zwischen  Freien 
und  Unfreien  wurden  nach  einigen 
Volksgesetzen  mit  dem  Tode  bestraft, 
in  anderen  mit  Geldbussen;  dagegen 
galt  im  Mittelalter  die  Ehe  zwischen 
einem  Edeln  und  einer  gewöhnlichen 
Freien  als  durchaus  gestattet,  noch 
im  13.  Jahrh.  kamen  in  Osterreich 
und  Bayern  Ehen  zwischen  Rittern 
und  freien  Bauerstöchtern  oder  zwi- 
schen Ritterstöchtern  und  Bauern 
vielfach  vor.  Dagegen  wurde  doch 
schon  früh  darauf  gesehen,  dass  der 
besondere  Stand  in  der  Ein*  gewahrt 
wurde,  Könige  mit  Königstöchtern, 
Fürsten  mit  Fürstinnen  Verbindungen 
eingingen.    Die  eigentlichen  Partei- 

fänger  für  diese  neue  Lehre  von  der 
Ebenbürtigkeit  waren  die  Frauen. 
Für  die  Ehe  zwischen  Freien  und 
Unfreien,  auf  die  ursprünglich  der 
Tod  gesetzt  war,  bildete  sich  für 
die  folgende  Zeit  der  Rechtsgrund- 
satz, dass  in  solchen  Ehen  der  freie 
Gatte  samt  den  erzeugten  Kindern 
unfrei  werde,  der  ärgeren  Hand  folge. 
In  Beziehung  auf  die  Verwandt- 


schaftsgrade der  Ehegatten  waren 
die  heidnischen  Germanen  sehr  fn-i- 
denkend,  und  ausser  Heiraten  ro 
sehen  Eltern  und  Kindern  schein*'!; 
alle  Ehen  erlaubt  gewesen  zu  Min; 
man  hat  Beispiele  von  Geschwister- 
ehen,  Ehen  mit  der  Stiefmuttor.  mit 
der  Bruders witwe,  dem  Geschwister- 
kind. Die  Kirche  stellte  dagegen 
ein  System  von  verbotenen  Verwandt- 
schaftsgraden auf,  das  nicht  W<* 
bis  in  den  siebenten  Grad  der  Ver- 
wandtschaft ging,  sondern  sogar  «Ii- 
Ehen  zwischen  Tauf-  und  FirmelpaMi 
verbot. 

Spätestens  ein  Jahr  nach  voll- 
zogener Verlobung  erfolgte  seit  d^n 
13.  Jahrh.  dem  Gesetze  nach  fit 
Ehelich  unq  oder  Hochzeit,  ahd  hiMck 
kihileich,  hiruf,  brutlouft.  brytirik: 
heiraten:  hiwjany  hien,  qehijan. 
iciben,  briufen.  Die  gewöhnliche  Z»if 
zum  Heiraten  war  der  Herbst  und 
Wintersanfang.  Verbotene  Htirats- 
Zeiten  hat  erst  die  Kirche  aufgebracht. 
Von  den  Wochentagen  sind  IMenstf 
und  Donnerstag  die  beliebtesten.  Zur 
Hochzeit  selber  lud  man  seihst  <*lor 
durch  den  Brautführer,  Brautmami 
oder  Hochzeitbitter  ein.  Das  eigent 
liehe  Fest  wurde  im  Hause  des  Bräu- 
tigams gefeiert,  es  war  eine  Keim- 
holung,  ein  Brautzug  oder  Brantku' 
Die  wesentlichsten  Gebräuche  «ia«^ 
sind:  der  Bräutigam  sendet  eineScliax 
aus,  die  Braut  in  sein  Haus  zu  hol«: 
der  Brautführer  i.«t  selbst  für  deu 
Fall,  dass  der  Bräutigam  am  Zcr' 
teilnimmt,  der  Sprecher  und  UntW" 
händler;  er  bringt  die  Werbun^nc-cb 
einmal  vor,  ihm  wird  die  nra* 
übergeben,  und  er  führt  sie  ileis 
Bräutigam  zu. 

Allgemein  verbreitet  war  dieSitt' 
dass  die  Braut  bei  der  Heimholuui 
ihr  Haupt  verhüllte,  Hauptschmuci 
der  Braut  das  lange  lose  Haar.  al= 
Zeichen  bewahrter  Reinheit;  dageg« 
ist  der  Brautkranz  nicht  altgeroa 
nisch  und  erst  durch  die  Vermittelnd 
der  Kirche  aufgekommen,  die  jj» 
aus  dem  klassischen  Altertum  ein- 


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Ehe. 


143 


führte.  Im  13.  Jahrb.  war  der  Braut- 
kranz aber  bereit!-  im  Brauch 

Die  Braut  war  das  ganze  Fest 
fiber  fast  allenthalben  in  die  Obhut 
der  Brautfrau  gegeben,  einer  nahen 
Verwandten  oder  einer  Pate,  welche 
für  diesen  Tag  die  Stelle  der  Mutter 
vertritt;  ihr  Vorkommen  in  altger- 
raani^her  Zeit  ist  wahrscheinlich, 
ab»  r  nicht  bewiesen. 

Was  die  religiöse  Seite  der  Heirat 
Uiungt.  so  scheint  im  Heidentum 
Sitte  gewesen  zu  sein ,  hier  wie  in 
jedem  wichtigen  Beginnen  die  Stimme 
der  Götter  durch  das  Los  zu  erfor- 
schen, wie  dieses  auch  heute  noch 
vielfach  geübt  wird.  Unter  den  ger- 
manischen Gottheiten  sind  als  Vor- 
über der  Ehe  zu  bezeichnen :  Loki, 
Dunar,  Freyr,  Fro.  Lieder,  ahd. 
'  n  'lsich,  hrutinanc,  hileich,  leichod, 
«onlen  beim  Brautlauf  gesungen. 

Die  christliche  Ordnung  ver- 
engte später,  dass  man  den  Pres- 
byter und  Bischof  über  die  Ein- 
stellung der  Ehe  um  Rat  fragte  und 
ii;  Ehe  nach  dem  Genüsse  des  heil. 
Abendmahles  unter  priesterlichem 
v*£eu  schloss.  Näheres  in  Reit- 
*>y*  Kirchengeschichte,  II,  §  117; 
i-x-h  gewöhnten  sich  die  Deutschen 
^  -amer  an  die  neue  Auschau- 
ui*  und  Sitte  als  die  romanischen 
-Inder,  England  und  Skandinavien. 
>:'!»peiehen  waren  bei  den  mero- 
niiinschen  Königen  hergebracht. 
'w*r  wurde  die  kirchliche  Einseg- 
RUi£  von  den  Karolingern  ange- 
'inmen.  aber  noch  lange  nicht  all- 
gemein durchgeführt.  Bis  ins  15. 
ahm.  haben  Konzilien-  und  Syno- 
^Neschlüsse  mit  dieser  Sache  zu 
tan.  Am  leichtesten  fügten  sich 
ie  höheren  Stande.  Aber  auch 
kirchlicher  Beistand  nachgesucht 
Hr,  geschah  die  Einsegnung  oft 
ieht  in  der  Kirche,  sondern  im 
j'* hzeitshause,  mitten  im  lauten 
Vt  Dagegen  fand  die  kirchliche 
-in^egnong  des  jungen  Paares  nach 
b  Hoehzeitsnacht  früher  und  leichter 
^üsrang.   In  den  unteren  Ständen 


begnügte  man  sich  immer  noch  gern 
mit  der  bürgerlichen  Verlobung  und 
mit  der  Öffentlichkeit  der  Hochzeit. 
Volksmässige  Gebräuche,  die  zum 
Teil  sehr  alt  sind,  sind  bei  Wuttke, 
Volksaberglaube,  §  558  ff.  zusammen- 
gestellt. 

DieHauptunterhaltung  der  Hoch- 
zeitsgäste war  der  Tanz:  die  Fest- 
lichkeit begann  mit  einem  Reigen, 
dann  folgte  das  bürgerliche  oder 
kirchliehe  Zusammengeben  desBraut  - 
paars;  ward  dabei  ein  Zug  in  die 
Kirche  veranstaltet,  so  wurde  er 
unter  Tanz,  Gesang  und  Ballspiel 
abgehalten;  meist  fehlten  auch  die 
Spielleute  nicht.  Einen  Teil  des 
Festes  bildete  die  Übergabe  der 
Hochzeitsgeschenk«'  an  das  Braut- 
paar. 

In  der  Hochzeitsnacht  wurde  die 
Braut  von  den  Eltern  oder  Vor- 
mündern, oft  von  der  ganzen  Ge- 
sellschaft in  die  Brautkammer  ge- 
leitet und  dem  Bräutigam  übergeben. 
Sobald  ei ite  Decke  das  Paar  beschlug, 
galt  die  Ehe  als  rechtsgültig  ange- 
treten, die  Braut  war  Ehefrau;  des- 
halb wurde  die  Beschreitung  des 
Ehebettes  in  Gegenwart  von  Zeugen 
zur  gesetzlichen  Bedingung  erhoben, 
in  späterer  Zeit  nur  dadurch  ge- 
mildert, dass  beide  sich  völlig  an- 
gekleidet niederlegten;  doch  erhielt 
sich  der  ältere  germanische  Brauch, 
der  sieh  auf  den  Sinn  des  Volkes 
für  die  Öffentlichkeit  der  Rechts- 
verhältnisse baute,  mancherorten 
bis  ins  17.  Jahrhundert. 

Nach  einiger  Zeit  kehrten  die  Ver- 
wandten oder  die  ganze  Gesellschaft 
in  die  Kammer  zurück  und  brach- 
ten den  jungen  Eheleuten  einen 
Trunk.  Am  Morgen  wurde  ihnen 
als  Frühstück  gewöhnlich  ein  Huhn, 
das  briutelhuon ,  vor  das  Bett  ge- 
bracht, beides  uralte  Gebräuche. 
Sitte  war  es  ferner,  dem  Braut- 
paare neue  Kleider  vor  das  Bett 
zu  legen.  Die  Frau  änderte  ihre 
Haartracht,  schürzte  das  jungfräu- 
liche lose  Haar  zusammen,  legte 


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144 


Ehe. 


die  Frauenbinde  uin  die  Stirn,  sie 
baut  ir  huubet. 

Nun  folgte  die  gesetzliche  Schen- 
kung der  jlorqengabe,  d.  h.  die  am 
Morgen  nach  der  Brautnacht  über- 
gebene  Gabe  des  Bräutigams  an  die 
Braut,  als  Zeichen  der  Liebe  [in 
nignum  amoris)  für  die  Übergabe 
der  vollen  Schönheit  {in  honore  pul- 
chritudini-s)  und  der  Jungfräulichkeit 
i pretium  virqinitatis).  Witwen  er- 
hielten sie  erst  in  späterer  Zeit. 
Auch  die  Morgengabe  bestand  an- 
fänglich nur  in  fahrender  Habe, 
Kleidern,  Hausrat,  Schmuck,  später 
konnte  liegendes  Gut  gegeben  wer- 
den; die  Höhe  der  Gabe  wurde  ge- 
setzlich geregelt  und  richtete  sich 
nach  dem  Stande. 

Die  Sitte  der  Vorfeier  am  Vor- 
abende einer  Hochzeit,  der  sog. 
Polterabend,  scheint  nicht  alt  zu 
sein. 

Das  eheliche  Regiment  war  bei 
den  Deutschen  ein  strenges,  ohne 
dass  die  Frau  dadurch  sittlich  herab- 
gewürdigt worden  wäre,  sie  ward 
als  Genossin  des  Mannes  an  Lust 
und  Leid,  an  Recht  und  Stand  be- 
trachtet. In  ältester  Zeit  folgte  dem 
Tod  des  Mannes  der  gewaltsame 
Tod  der  Frau;  doch  weiss  Tacitus 
schon  nichts  mehr  hiervon;  die  Sage, 
z.  B.  von  der  Brunhild,  hat  den  Ge- 
brauch überliefert:  bei  den  Skandi- 
naviern erhielt  er  sich  länger.  Der 
Germane  konnte  sein  Weib  auch 
letztwillig  vermachen,  verschenken, 
mit  Haus  und  Hof  verkaufen,  wo- 
von zahlreiche  Beispiele  vorhanden 
sind. 

Vielweiberei,  nach  Tacit.  Germ.  1 8 
von  den  Germanen  verpönt,  kommt 
im  Norden,  später  besonders  bei  den 
Fflraten  regelmässig  vor,  ebenso  bei 
den  Merowingern  und  überhaupt 
nicht  selten  bei  den  Franken. 

War  die  Frau  weder  gekauft 
noch  vermählt,  lebte  aber  dennoch 
in  ehelichem  Bunde  mit  dem  Mann, 
so  hiess  sie  Jictjse,  ahd.  chepisa, 
kebisa,  c/iepis,  kebis,  mhd.  kebesc. 


bebte,  kebes,  ursprünglich  soviel  als 
Sklavin;  andere  althochdeutsche 
Namen  sind  friudila,  friudiU***. 
ella,  fjelfa.  Sie  waren  ursprünglich 
und  gewöhnlich  unfreie  Weiber,  die 
freien  verstanden  sich  nicht  dazu. 
Das  Leben  mit  einer  Kebse,  da* 
Konkubinat,  wurde  das  ganze  Mittel- 
alter hindurch   von  den  reichen^ 

fcpHegt,  ohne  dass  die  öffentlich« 
_  leinung  ein  Ärgernis  daran  nahm. 
Karl  der  Gr.  sollte  dafür  im  Feg» 
feuer  besondere  Strafe  empfangen 
haben,  Ludwig  der  Fromme  leW 
mit  Beischläferinneu.    Die  Kirch* 
schritt  bloss  gegen  dasjenige  Kon- 
kubinat eiiL  das  neben  einer  recht- 
mässigen Ehe  bestand,  die  Geistlich- 
keit selber  sah  sich  durch  die  Kir- 
chengesetze    allgemein  veranlaß, 
statt  mit  Ehefrauen,  mit  Kebsen  zu 
leben.  Die  Kinder  der  Kebse  hies^c 
unechte,  mhd.  unecht,  aus  unehaß 
zusammengezogen,  natürliche,  Ba- 
stard, Bankart  =  auf  der  Bank  er- 
zeugt, Kebskind,  Keqel  (in  der  For- 
mel Kind  und  Kegel  =  eheliche  oad 
uneheliche  Kinder),  beikind,  ledtp- 
kind,  und  genossen  nicht  die  Recht«* 
ehelicher,  natten  vor  allem  keim'u 
Anspruch  auf  das  väterliche  Erbe«, 
sondern  konnten  nur  von  der  Maner 
erben;  ebenso  verhielt  es  sich  mit 
der  Teilnahme   an  Wergeid  un«i 
Bussen. 

Wrährend  nach  älterer  Recht- 
ansieht  die  Frau  keinen  Anspruch 
auf  die  Treue  des  Manne«  natfc, 
wurde  diejenige  Frau,  welche  d$ 
Treue  verletzt  hatte,  nach  Tac 
Germ.  19  vor  den  Augen  des  Ge- 
schlechts schimpflich  aus  dem  HaiH 
gestossen,  der  freien,  langen  Haart 
beraubt,  nackt,  unter  Schlageu  v<»:ri 
Manne  durch  das  Dorf  gejagt.  No  i 
strengeres  Recht  gestattete  den  Grefj 
manen,  das  auf  dem  Ehebruch  er 
tappte  Weib  samt  dem  Ehe! 
auf  frischer  That  zu  e 
Doch  musste  der  Mann  die 
vor  Gericht  zur  Anzeige  briupn 
Erst  später  kam  auch  aie  Frau 


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Ehrschatz.  —  Eid. 


145 


ihrem  Rechte  und  wurde  das  Ver- 
brechen des  Ehebruchs  an  dem 
Manne  ebenso  gestraft  wie  an  der 
Frau. 

Eine  notwendige  Folge  der  Mund- 
*haft  des  Maunes  über  die  Frau  ist 
Gütergemeinschaft  beider  in  der 
Hand  des  Mannes,  der  das  Verwal- 
tung»- and  Xufcsiingsrecht  daran 
Karte.   Durch  Tod  der  Frau  oder 
vheidung  wurde  dfe  vereinte  Habe 
wieder  getrennt.    Anfänglich  stand 
'kr  Familie  der  Frau  noch  ein  ae- 
wi****  Aufsichtsrecht  über  das  Ver- 
av«en  derselben  zu,  später  nicht 
in'fjr.  Die  Frau  selber  hatte  kein 
Verftigungsrecbt   über   das  Ihrige, 
•andern   zum    Verschenken,  Ver- 
bnfea  und  Verleihen  bedurfte  sie 
der  Einwilligung  ihres  Mannes,  der 
Vogt  war. 

Srkeiduit/f    der    Ehegatten  war 


bühr,  die  bei  VerÄusserung  eines 
Gutes  oder  Grundstückes  oder  bei 
sonstiger  Veränderung,  sei  es  durch 
Kauf  oder  Todesfall  des  Besitzers, 
an  den  Zins-  oder  Lehnsherrn  von 
dem  Käufer  oder  Erben  zu  entrich- 
ten ist.  Es  ist  nicht  ausgemacht, 
ob  das  Wort  zu  mhd.  ere  oder  zu 
her  gehört. 

Eid,  Eideshelfer,  Treueid. 
/.  Eid,  got  der  diths,  ahd.  «W, 
mhd.  eif  (gen.  eides),  ist  seinem 
Wortursprung  nach  dunkel.  Eid 
und  Gottefturteil  sind  diejenigen  Be- 
weismittel des  altgermanisehen  Rech- 
tes, welche  nicht  sowohl  auf  die  von 
natürlichen  Vcrstandesregeln  gelei- 
tete eigene  Thätigkeit  des  Urteils  ab- 


sehen, sondern  durch  Herkommen 
und  durch  Gesetze  bestimmte  Vor- 
aussetzungen sind,  unter  welchen 
etwas  von  den  Urteilern  als  wahr 
t*i  den  Crcrinanen  wegen  Ehe-  oder  nicht  wahr  angenommen  wer- 
bruch,  beschimpfender  Verbrechen,  den  musste.  Der  Eid  selber  ist  die 
i*ib>'n  Alters  des  einen  Teiles  feierliche  Beteuerung  der  Wahrheit 
a.  dgl.  gestattet;  grossdenkende  einer  vergangenen,  der  Echtheit 
Frauen  schieden  sich  wohl,  wenn  einer  gegenwartigen,  der  Sicherheit 
d-  r  Mann  ein  unwürdiges  tatenloses  j  einer  zukünftigen  Handlung.  Das 
L*-ben  führte,  sich  rerlac.  Die  Ehe,  Feierliche  beruht  wesentlich  darin, 
di*  offen  und  vor  Zeugen  geschlossen  dass  ein  dem  Schwörenden  heiliger 
war,  konnte  auch  nur  vor  Zeugen  Gegenstand  angerufen  und  zum 
au-  beiden  Familien  gelöst  werden.  Zeugen  genommen  wird.  .Jeder  Eid 
Fnjli  strebte  die  Kirche  darnach,  muss  in  lauter  Formel  gesprochen 
-Scheidung  möglichst  zu  erschwe-  werden ;  den  Eid  ablegen  heisst  in 
ja,  und  in  den  Kapitularien  der  :  der  alten  Sprache  svaran,  schwören, 
äh'Ten  Karolinger  ist  nur  noch  Ehe-  '  oder  saljan,  selian;  den  Eid  leisten 
bm  h  und  Mordversuch  als  Schei- ,  wird  dagegen  von  dem  Halten  und 
tan^grund   zugelassen.     Dadurch  [  Erfüllen  des  geschworenen  Sicher- 

Papst  Nicolaus  L  gegenüber  ■  heitseides  gebraucht. 
K ';Qig  Lothar  II.  die  Unauflöslich-  Den  Eid  ablegen  können  alle 
leir  der  Ehe  hartnäckig  und  sieg-  Mündigen.  Die  Heiden  schwuren 
tkh  verfocht,  befestigte  sich  diese  bei  einem  oder  mehreren  Göttern 
Lehn1  that^ächlich  für  das  fränkische  zugleich ,  die  Germanen  besonders 
ieieh.  Natürlich  kämpfte  die  Kirche  bei  Freyr,  Siördhr,  H'uotan  und 
m<  h  gegen  die  bei  den  Germanen  Donar,  die  Christen  bei  Gott,  ge- 
ir^.rünfflich  nicht  verbotene  Wie-  wohnlich  aber  auch  bei  ihren  liei- 


lem-rehelichung  geschiedener  Per-  ligen.    Der  Schwörende  musste,  in 

men.   Nach  Weinhold ',   deutsche  dem  er  die  Eidesformel  hersagte, 

rrawn,  VI.  und  VII.  II.  Aufl.  Wien  einen  Gegenstand  berühren,  der  sich 

1882.  Vgl.  den  Art.   Heiraten  und  auf  die  angerufenen  Götter  und  Hei- 

HAzrifen.  ligen  oder  auf  die  dem  Meineid  fol- 

Ehrseaatz,  mhd.  trschatz,  Ge-  gende  Strafe  bezog.     In  Skandi- 

Altertümer.  10 


146 


Eid. 


navien  fasste  er  einen  im  Tempel 
bewahrton,  vom  Priester  dargebote- 
nen, mit  Opferblut  geröteten  Ring, 
der  dem  Gott  üllr  geweiht  war. 
Christen  schwuren  auf  das  Kreuz 
oder  gewöhnlicher  auf  das  Heilig- 
tum. Im  höchsten  Altertum  schwu- 
ren die  Männer  auf  ihr  Schwert; 
andere  Gegenstände,  bei  denen  man 
schwur,  sind  Erde  und  Gras,  Baume, 
heilige  Wasser,  Brunnen,  heilige 
Berge,  Felsen,  Steine.  Schwörende 
Frauen  legten  die  Hand  auf  die 
Brust,  nach  einzelnen  Gesetzen 
musste  der  über  die  Schulter  herab- 
hängende Haarzupf  mit  angerührt 
werden;  auch  Männer,  namentlich 
vornehmere  und  fürstliche,  scheinen 
in  einigen  Gegenden  leichtere  Eide 
oder  blosse  Gelübde  mit  auf  die 
Brust  gelegter  Hand  gethan  zu  haben. 
Der  friesische  Männereid  geschah  auf 
die  Locken.  Schwören  bei  dem  Bart 
und  mit  Anfassung  des  Bartes  kommt 
nicht  in  den  Gesetzen  vor.  aber  oft 
in  den  Liedern,  wie  z.  B.  die  Sage 
von  Otto  mit  dem  Barte  erzählt. 
Bei  dem  Gewand  und  Rocksehoss 
legten  die  Friesen  geringere  Eide 
ab.  Verbreitet  ist  der  Eid  mit  an- 
an^erührtem  Stab  des  Richters.  Zu- 
weilen berührte  der  Schwörende 
nicht  Glieder  seines  eigenen  Leibes, 
sondern  die  des  Gegenteils.  Eide 
bei  Gastmählern  geschahen  mit  Be- 
rührung des  Opfertiers  oder  des  vor- 
nehmsten Gerichtes,  im  Norden  des 
Ebers,  in  der  Ritterzeit  in  Frank- 
reich des  Pfaues,  in  England  kom- 
men Gelübde  bei  Schwänen  vor. 

Zum  Eidablegen  gehören  zwei 
Teile,  einer,  der  ihn  abnimmt,  und 
der  andere,  der  ihn  schwört  Der 
den  Eid  abnimmt,  ist  entweder  der 
Beteiligte  selbst  oder  der  Richter, 
er  sagt  dem  Schwörenden  die  Formel 
vor,  er  lehrt,  giebt  die  Worte,  er 
stobt  den  Eid.  Der  Schwur  geschah 
mit  Mund  und  Hand,  d.  h.  der 
rechten,  die  den  heiligen  Gegenstand 
anrührte.  Gewöhnlich  legen  Männer 
nicht  die  ganze  Hand,  sondern  nur 


die  zwei  Vorderfinger  der  rechten 
Hand  auf.  Der  Schwörende  pflegte 
die  Waffen  vorher  niederzulegen  und 
zu  knieen.  Ort  der  Eidesablaar  war 
die  Stelle,  wo  das  anzuriuuvDde 
Heiltum  sich  befand,  wenn  es  un 
beweglich  war;  war  es  beweglich 
so  geschah  der  Eid  in  dem  King. 
vor  Gerieht,  zu  christlicher  Zeit 
meist  vor  dem  Altar  in  Kirche: 
und  Kapellen.  Im  Norden  wurd- 
der  Eid  vor  der  Kirchthüre  auf  dt? 
Schwelle  und,  wenn  kein  Messbueb 
da  war,  mit  Berührung  des  Thor 
pfostens  geschworen. 

Der  falsche  Eid  heisst  Mci*etf< 
ahd.  und  mhd.  meineid,  dessen  erster 
Teil  mein  in  seinem  Ursprung  noch 
unaufjjehellt  ist.  Treubruch  unl 
Meineid  war  den  Germanen  so  ui 
leidlich,  dass  auf  dem  Ort,  wo  er 
vorgefallen  war,  der  Name  Meim-s 
haftete.  Misstraute  der  Teil,  gee« 
welchen  geschworen  werden  sollt* 
der  Rechtschaffenheit  des  Eidbietn 
den,  so  konnte  er  die  Eidesablag* 
hindern  und  es  auf  den  Zweikan) 
ankommen  lassen.  Ebenso  durte 
ein  schwören  Wollender  durch  <kc 
abgehalten  werden,  der  selber  e'inec 
stärkeren  Eid  ablegen  konnte.  Au« 
stand  es  dem  Richter  zu,  bei  bV 
fürchtung  von  Meineid  den  Eid  s 
hintertreiben.  Strafe  des  Eidbruch« 
war  Abhauen  der  meineidigen  Ha*1 
Nach  Grimm,  RechtsaUerthim^r 
882  ff.  Eine  neuere  historische  Unter- 
suchung scheint  zu  mangeln. 

II.  Eideshelfer.  Um  sich  d»J 
Rechtschaffenheit  des  Eidleisten«! * 
zu  versichern,  verlangte  schon  d* 
älteste  germanische  Recht  Eide, 
helfer:  aidi,  juratores,  conjvratorf 
consacr  amentales.  Diese  beschwüre. 
nicht  die  Sache  selbst,  sondern  nur 
ihre  Überzeugung,  dass  derjeuip 
dem  sie  beigestanden,  eines  fa 
Eides  nicht  fähig  sei.  Die  Zahl  d»f 
Eideshelfer  gegen  Standesgleicbe  w*-' 
regelmässig  sechs,  mit  dem  K*^ 
schwörenden  also  siefon-,  die  BV 
weisführuug  durch  diese  sieben  Ei  i 


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Eid. 


147 


nannte  man  spater  besibenen.  Das 
Gewicht  dieses  Eides  suchte  man 
to  verstarken:  durch  Bestrafung 
dar  Eideshelfer,  im  Falle  der  Be- 
leihte im  Gottesurteil  unterlag,  nicht 
als  Meineidige,  sondern  als  Leicht- 
daubige;  durch  eine  grössere  Zahl 
der  Mitschwörenden,  daher  der 
spatere  Ausdruck  übersibnen;  da- 
durch, dass  der  Stand  der  Eides- 
lieifer  io  Anschlag  gezogen  wurde 
und  der  Eid  eines  Adligen  mehr  galt 
als  der  eines  Freien,  dieser  mehr 
als  der  eines  Unfreien;  schliesslich 
durch  die  Art  der  Wahl  der  Eides- 
helfer. In  ältester  Zeit  stand  es 
d»-n  Blutsfreunden  zu,  die  Eideshilfe 
zu  leisten,  sie  war  eine  Verwandt- 
bi  haftspflicht.  Die  eine  Hälfte  wählte 
»pater  der  Kläger  aus  des  Beklagten 
Blutsfreunden ,  die  andere  Hälfte 
der  Beklagte,  woher  er  wollte. 

III.  Treueid  findet  sich  nach 
der  Völkerwanderung  in  den  ver- 
H-lüedenen  germanischen  Reichen- 
und  bt  vielleicht  ein  ursprüngliches 
Kecht  des  deutschen  Königtums 
cvwesen.  Es  war  deutsche  Gewohn- j 
heit,  dass  ein  neuer  König  sein  Reich  | 
durchzog,  um  sich  als  Herrscher  zu 
zeigen  und  von  allem  Volk  die  Hul- 
digung entgegenzunehmen;  war  das 
nicht  möglich,  so  wurden  ausser- 
ordentliche Abgesandte  in  die  Teile 
des  Landes  geschickt,  um  die  Eide 
zu  empfangen.  Die  Form  dieses 
El  les  kennt  mau  nicht  Nur  einmal 
wird  aus  merowingi  scher  Zeit  berich- 
tet, dass  auch  der  König  seinem  Volk 
•  inen  Eid  leistete.  Unter  den  späteren 
Mcrowingern  kam  der  Gebrauch  des 
Treueides  in  Vergessenheit,  und  erst 
Karld.  Gr.  veranstaltete  1^6  nach  Ent- 
d eckung  eiuer  Verschwörung  einen 
allgemeinen  Eid  aller,  die  das  12.  Jahr 
zurückgelegt  hatten.  Die  Formel 
lautete:  „So  verspreche  ich  meinem 
H<-rrn  dem  Könige  Karl  und  seinen 
Söhnen,  dass  ich  treu  bin  und  sein 
«erde  die  Tage  meines  Lebens,  ohne 
Trug  und  Gefährde."  In  der  folgen- 
den Zeit  erfolgte  in  den  neu  erwor- 


beneu Gebieten  immer  sofort  die 
Eidesleistung.  Nach  seiner  Kaiser- 
krönung gab  Karl  d.  Gr.  dem  Treu- 
eid sofort  eine  viel  umfassendere 
Bedeutung;  er  verfugte,  dass  alle. 
Geistliche  und  Weltliche,  die  ihm 
früher  als  König  geschworen,  nuu 
einen  neuen  Eid  als  Mannen  (Va- 
sallen) des  Kaisers  leisten  sollten. 
Derselbe  solle  nicht  bloss  enthalten, 
dass  mau  dem  Kaiser,  solange  er 
lebe,  die  Treue  bewahre,  keine  Feinde 
in  das  Land  führe  und  nicht  jeman- 
des Untreue  unterstütze  oder  ver- 
schweige, sondern  es  wird  eine  ganze 
Reihe  teils  moralischer  oder  kirch- 
licher, teils  bestimmter  staatlicher 
Leistungen  aus  demselben  abgeleitet 
Dadurch,  dass  nach  diesem  Eide  die 
Treue  gegen  den  Kaiser  dieselbe  sein 
soll  wie  uie,  welche  der  Vasall  sei- 
nem Herrn  gelobt,  wird  das  allee- 
meine Unterthanenverhälrnis  der  be- 
sondern und  engen  Verbindung, 
welche  die  Kommendatiou  begründet 
{siehe  Adel)  gleichgestellt  Nicht  dass 
durch  diesen  Eid  alle  wirklich  Mannen 
oder  Vasallen  des  Kaisers  werden 
sollten:  nur  ihre  Treue  und  Ergeben- 
heit soll  keine  geringere  sein.  In 
Zukunft  wurden  adle,  welche  das 
12.  Jahr  zurückgelegt  hatten,  immer 
sofort  durch  die  kömgsboten  beeidigt. 
Als  Karl  d.  Gr.  die  Bestimmung  über 
die  Nachfolge  seiner  Söhne  getrotfen 
hatte,  Hess  er  nochmals  eine  allge- 
meine Beeidigung  vornehmen,  die 
einige  Jahre  später  wiederholt  wurde. 

Unter  den  Nachfolgern  Karls 
steigerte  sich  die  Forderung  solcher 
Eide  zum  wahren  Missbrauch;  je 
weniger  die  Treue  gehalten  wurde, 
desto  öfter  musste  sie  versprochen 
werden.  Der  Treueid  wurde  wie  der 
Geriehtseid  auf  Reliquien  beschworen. 
Einem  andern  als  dem  Kaiser  oder 
dem  besondern  Herrn,  befahl  Karl, 
dürfe  kein  Eid  geleistet  werden. 
Der  Bruch  der  Treue 
massig  mit 
mögens  oder  doch  der  königlichen 
Benennen  bestraft.  Lebensstrafe, 

10* 


wurde  regel- 
Koufiskation  des  Ver- 


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148 


Elben,  Elfen. 


die  in  früheren  Zeiten  darauf  stand, 
kam  ietzt  nur  in  schwereren  Fällen 
zur  Anwendung,  wenn  das  Leben 
oder  die  Herrschaft  des  Königs  be- 
droht gewesen  war. 

Von  eidlichen  Versicherungen  des 
Königs  an  «las  Volk  oder  dem  Papst 
gegenüber  ist  unter  den  ersten  Karo- 
lingern nicht  die  Rede.  Erst  in  der 
zweiten  Generation  nach  Karl  d.  Gr. 
Hessen  sich  die  Sohne  und  Enkel 
Ludwigs  bewegen,  um  die  Unter- 
stützung der  Grossen  zu  erhalten, 
diesen  gegenüber  auch  eidliche  Ver- 
pflichtungen einzugehen.  Auch  die 
Fäpstc  benutzten  jetzt  die  Umstände, 
um  die  Kaiser  zu  förmlichen  eidlichen 
Zulagen  zu  verpflichten.  Sonst  wurde 
noch  später  darauf  gehalten,  dass  der 
deutsche  König  nicht,  auch  bei  der 
Salbung  wie  bei  der  Königs-  und 
Kaiserkrönung  nicht,  einen  förm- 
lichen Eid  ablegte.  Er  gelobte  bloss 
in  anderer  feierlicher  Weise,  durch 
besondere  Beteuerung  oder  Hand- 


schlag, oder  Hess  andere  in  seinem 
Auftrag  und  Namen  schwören.  Nur 
Könige  untereinander  mochten  sich 
gegenseitig  den  Frieden  auch  eidlich 
geloben. 

Die  Verpflichtungen  des  Volkes 
in  eidlicher  Form  kamen  dagegen 
das  ganze  Mittelalter  durch  in  weiter 
Ausdehnung  zur  Anwendung,  zu  der 
Bekräftigung  einzelner  Verpflichtun- 
gen, der  Bewahrung  des  Friedens, 
der  Leistungen  des  Ileerdienstes,  als 
Vasalleneid,  als  allgemeiner  Treueid. 
Der  Eid  ward  zunächst  dem  neuen 
König  bei  der  Thronbesteigung  ge- 
leistet, doch  nicht  mehr  vom  ganzen 
Volk,  sondern  bloss  von  den  Fürsten, 
den  Grossen,  von  dem,  der  ein  Amt 
empfing.  Dagegen  Hessen  die  Fürsten 
und  andere,  welche  abhängige  Leute 
hatten,  sich  von  (Uesen  dem  Treu- 
eid an  den  König  nachgebildete 
Eide  leisten.  Nur  einzeln  wurde  bei 
solchen  Lehnseiden  die  Treue  gegen 
den  König  vorbehalten,  Hilfe  oder 
Dienst  gegen  diesen  ausgeschlossen. 
Oft,  besonders  wenn  die  Treue  ein- 


mal verletzt  war,  wurde  der  Ei<i 
durch  Geiselstellung  bekräftigt  Vom 
Bruch  des  Eides  hat  man  zahlreich 
Beispiele)  und  zu  Gregors  VII.  Zrit 
erklärte  man,  der  Eid  binde  nur. 
solange  der  König  recht  handle  mi  l 
die  von  ihm  gegebenen  Versprechen 
gen  halte.  Gregor  nahm  das  Rech: 
in  Anspruch,  auch  die  Eide 
einen  König  zu  lösen,  was  zahlreich  u 
Widerspruch  fand. 

Elben,  El  Ten,  ahd.  und  mhd  de: 
afp,  neben  mhd.  die  efbe,  angelsacU 
elfen,  englisch,  schwedisch  und  di 
nisch  tlf\  nhd.  dauert  Alp  mit  d^-r 
Bedeutung  eines  Nachtgeistes  fori, 
daneben  haben  Schriftsteller  de?  Ii 
Jahrh.  die  unserer  Mundart  trog* 
rechte  Form  Elf.  Elfen  eingeführt 
Nach  der  Edda  unterscheidet  di? 
nordische  Mythologie  zwei  Gattnup  i 
von  Elben,  Lichtelben  und  Srhwz- 
oder  Dunkelelben.  Es  sind  Minvi 
wesen  zwischen  Göttern  und  Men- 
sehen,  eine  gesonderte  Gesellserw- 
für  sich,  sie  haben  Kraft,  dem  Men- 
schen zu  schaden,  und  scheuen  ' 
doch  vor  ihm,  da  sie  ihm  leinixb 
nicht  gewachsen  sind.  Unter  den  fr- 
gritV  Elften  oder  Wich  fr  hat  Grimx 
in  der  Mythologie  alle  Wesen  di- 
scr  Art  zusammengefasst,  Kap.  IT.. 
Zwerge,  Wassergeister,  Hausgeister 
u.  dgl.     Die  deutsche  Aiiftassun 


sieht  in  den  Elben  eine  besondere 
Art  der  mehr  ein  t  heidnisch  dich 
terischen  Naturbetrachtung  als  d-t 
eigentlichen  Religion  angehörend!) 
Wesen,  die  ebendeshalb  sich  im 
Volksglauben  länger  als  die  «  igen*, 
liehen  Götter  erhalten  haben:  esur- 
hören  dazu  die  Zicerye ,  A'rjbo'J  ■ 
Klabafrrman  riehen,  Berq-  und  H  tt1*- 
gei-ster,  Nixen  und  nicht  minder  d* 
Elben.  Die  letzteren  sind  freie,  im 
Walde  und  auf  Wiesen  sich  be«< 
sende  Naturgeister,  bald  milder 
bald  schädlicher  Art,  Menschen  hff1 
beiziehend  und  sie  zerrcisseod.  Io 
den  bairischen  Alpen  leben  die  p'f 
mütigen,  weiblich  gedachten  Elfe« 
in  B-Tgschluchten,  sind  sehr  sehe  i. 


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Elbseli  wanenorden.  —  Elend. 


149 


Ht.lrteiniachen  gestiftete  deutsche 
tyradiprerllschaft.  Sie  sollte  ein 
Mwz»*rti-n"  für  die  fruchtbrin- 
gende Gesellschaft  sein.  Die  Mit- 
$"kr  führten  wie  in  den  anderen 


daher  schwer  zu  sehen,  nähren  sieh  i  doch  so,  dass  der  Himmel  als  ein 
v"D  der  Milch  der  Kühe  und  Ziegen  |  fünftes  dazutrat.  Insofern  man  sich 
uijd  ^rebf  n  den  Menschen  dafür  sodann  den  Leib  des  Mensehen  aus 
n  ichlicheti  Segen.  Wuttke,  Volks-  den  vier  Elementen  zusammengesetzt 
ab-rdaubt,  §  50.  dachte,  erhielt  derselbe  auch  einen 

EHm hwanenorden  heisstdie  von  Bezug  zur  Auferstehung,  insofern  als 
J<>h.  Ritt  um  1656  zu  Wedel  im  in  ihm  der  Keim  zum  Äuferstehungs- 

leib  bewahrt  und  er  aus  ihm  der- 
einst zum  ewigen  Leben  erwachen 
werde. 

In  der  Kunst  des  klassischen 
Altertums  wurden  die  vier  Elemente, 
H'rach^s/ltsehaften  Schäfernamen,  obwohl  selten,  durch  ihre  mytho- 
Mii  dem  1667  erfolgten  Tode  des  logischen  Repräsentanten,  Vulkan, 
^öftere  fring  die  Gesellschaft  wie-  Ocean,  Windgott  und  Gäa  oder 
'i* r  «ia.  |  durch  die  Klassen  der  Tiere,  die  in 

Elemente,  vier.  Die  Schrift  be-  ihnen  leben,  dargestellt.  Im  Mittel- 
er das  Universum  unter  der  Ein-  alter  lässt  sich  die  Darstellung  der 
t-iiuns  von  Himmel  und  Erde,  Elemente  seit  dem  lü.  Jahrhundert 
»■••nacb  auch  von  späteren  Kirchen-  nachweisen,  zuerst  beider  Schöpfung, 
Mm  rn  Himmel  und  Erde  die  beiden  wobei  die  Elemente  in  mythologischer 
b'Mnte.  oiQivtia,  der  Welt  se-  Personifikation  erscheinen.  Auch 
i^uiit  werden.  Doch  fügt  schon  aas  die  Renaissance  hat  in  ihrer  freieren 
ahe  Testament  ein  drittes  Element  Art  die  Elemente  mit  Vorliebe  dar- 
bnuu,  indem  cs  die  Erde  als  Wasser  gestellt.  Piper,  Mythologie.  II.  Abt. 
jwi  fote?  Land  unterscheidet,  da-  §.  45. 

W  Au  Universum  in  diesem  Sinne       Elend  und  Elenden-Herberge. 

ein  dreifaches  erseheint,  Himmel,  Das  Mlend,mhd.  das  eilende,  elelende, 
Er«'!**  und  Meer.    Einen  Uebergang  ahd.  das  elilenli,  aus  alilanfi,  ist 

■  '*'*r  Lehre  von  den  vier  Ele-  zusammengesetzt  aus  dem  mit  lat. 
Jemen  macht  die  Erwähnung  des  alias ,  griech.  rillo;  =  ein  anderer, 
ejvrs  vom  Himmel,  oder  des  Feuers,  iu  Urverwandtschaft  übereiustim- 
»•'Irlies  v«m  Jehova  ausging;  doch  inenden,  nur  in  Zusammensetzungen 

■  die  Zusammenstellung  in  der  vorkommenden  ahd.  Adjektiv  alt, 
Schrift  nicht  ausdrücklich  gemacht  eli  =  ein  anderer,  und  aus  dem  mit- 
Sfld  die  Lehre  von  den  vier  Ele-  telst   i  von  laut  gebildeten  lenti. 

Das  Wort  bedeutet  also  ursprüng- 
lich soviel  als   anderes ,  fremdes 
Empedoeles  stellte  sie  !  Land,  woraus  sich  dann  im  Mhd. 
indem  er  sie  für  die  die  Bedeutung  grösster  Bedrängnis 


Otiten  vielmehr  aus  dem  heidni 
*■"*"*** Altertum  auf  die  Kirche  über 

sirangeu. 
»er>i  auf. 

Kürzeln  aller  Ding»«  und  für  gört 
j^'  <L  h.  unvergänglich  erklärte. 
*K  die  Stoiker,  Aristoteles  be- 
fch-n  sie  bei,  nur  dass  der  letz- 
*  f-  als  fünften  Körper  den  Aether 
**A%t.  der  unter  dem  Materiellen 
^  aJlvin  Göttliche  sei.  Die  Christ- 
»tU.  u  Lehrer  anerkannten  den  heid- 
[H±en  Vorgang,  ordneten  ihn  aber 
Lehre  von  der  Schöpfung  unter, 
J^m  man  annahm,  Gott  fiat 


und  Beschweniis  ergiebt.  Wie  man 
das  Land  baute,  so  baute  man  das 
Elend,  wie  z.  B.  das  Wallfahrtslied 
nach  St.  Jacob  von  Comp,  beginnt: 
wer  das  elent  bawen  wel, 
der  heb  sich  auf  und  sei  mein  gsel 
tcol  auf  sanet  Jacobs  Strassen. 
Daher  auch  die  zahlreichen  Aus- 
drücke: ins  Elend  gehen,  fahren 
wandern,  fliehen: 

e  ich  mein  bulen  voll  faren  lau 


»oe  im  i 

-  i:iü£  die  vier  Elemente  geschaffen; ,    e  tcolt  ich  mit  ir  ins  elend  gan\ 


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150 


Elfenbehiarbeiten. 


im  Elend  sein,  bleiben,  lassen,  zu- 
bringen, streifen,  sehwärmen: 
Insbruck,  ich  muss  dich  lotsen, 
ich  far  dahin  mein  Strassen, 
in  fremde  fand  dahin: 
mein  freud  ist  mir  genommen, 
die  ich  nit  weiss  bekommen, 
tco  ich  im  eilend  bin. 
Ferner:  ins  Elend  schicken,  versen- 
den, jagen,  dringen,  treiben,  stossen, 
verweisen,  aus  dem  Elend  heim- 
kehren, führen,  holen. 

Gleicher  Bildung  und  ebenfalls 
schon  althochdeutsch  ist  das  Adjektiv 
elend,  ahd.  alilanti,  mhd.  eilende, 
das  ebenfalls  mit  der  Zeit  aus  der 
Bedeutung  des  in  der  Fremde  Leben- 
den in  die  des  Beraubten  und  Blossen, 
Armen,  Armseligen,  Geringen  und 
Schlechten  tiberging. 

Elenden- Herberaen  sind  im  15. 
Jahrh.  hauptsächlich  für  Pilyer  ein- 
gerichtet worden.  Vereine,  die  sich 
die  Sorge  für  arme  und  kranke 
Fremde  zur  Aufgabe  gemacht  hatten, 
hiessen Elenden- Brüderschaften.  Die 
Elenden-Herberge  hatte  einen  Ver- 
walter. Manchmal  gehörte  zur  Her- 
berge eine  Kapelle  mit  dem  Aimo- 
senstocke;  war  der  letztere  in  einer 
öffentlichen  Kirche  aufgestellt,  so 
brannte  an  ihm  wohl  die  durch  inild- 
thätige  Menschen  gestiftete  Elenden- 
Kerzc;  andere  Kerzen  wurden  in 
die  Herberge  selbst  zur  abendlichen 
Beleuchtung  gestiftet.  Die  Beher- 
bergung wurde  in  der  Regel  nur 
für  eine  Nacht  gewährt,  und  es 
waren  besondere  Bestimmungen  zur 
Aufrechterhaltung  einer  guten  Ord- 
nung getroffen.  Z.  B.  war  bestimmt, 
dass  jeder  Aufgenommene  Kleider 
und  (rerätschaften  mit  Ausnahme 
des  Unterhemdes  vor  der  Schlaf- 
kammer ablege  und  daselbst  liegen 
lasse;  nach  achtstündigem  Schlafen 
wurden  die  Kammern  wieder  ge- 
öffnet, jeder  stand  auf,  machte  sein 
Bett,  kleidete  sich  vor  der  Kammer 
an  und  wurde  nicht  eher  aus  dem 
Hause  gelassen,  als  bis  er  erklärt 
hatte,  aass  ihm  nichts  von  seiner 


Habe  abhanden  gekommen  W 
Grimm,  Wörterbuch,  und  Sriegk 
Bürgertum,  I,  VIII. 

Elfen beinarheiten.    Das  W« 

Elfenbeiu  ist  mhd.  helfantbei»,  di 
mhd.  der  Elefant  Helfant  hei*: 
Schon  seit  dem  frühesten  Mittete 
wurde  geschnitztes  Elfenbein  xud 
Sehmucke  von  Altären,  von  kirrt 
liehen  Geräten,  für  kostbare  Boche: 
einbände  um  so  lieber  angewendf 
als  der  Elefant  nach  Notker  Labe 
als  ein  chiiische  fieo,  ein  keu*  h- 
Vieh  galt.  Die  Elfenbeinarbeit« 
Reliefs  von  sehr  ungleicher  Gn^f 
bald  zum  Schmucke  von  Geias* 
und  selbst  von  grösseren  Gerätt 
nicht  selten  fabrikmiissig  zum  \<a 
aus  gefertigt,  bald  auch  als  **ö 
ständige  Kunstwerke  bearbeite 
schliessen  sich  in  den  ersten  Jafr 
huuderten  nach  Stil  und  Inhalt  W 
herrschend  antiken  Vorbildern  ai 
Später  tritt  das  christliehe  Eleo** 
in  den  Vordergrund.  »Sehr  beli<4 
waren  unter  den  aus  antik  Mj 
nischem  in  christlichen  Gebraw 
hinübergewanderten  Geraten  A 
Diptychen  (siehe  diesen  Art).  Au< 
zu  den  Pyxiden,  kreisrunden  Büch**1: 
welche  von  dem  Ciborium,  dti 
Schirmdache  des  Altares  hcrunte 
hängend ,  zur  Aufbewaliruug  & 
heiligen  Brotes  dienten,  wurden  oft« 
heidnische  Werke,  Schmuck- 
Toilettenkastehen ,  benutzt.  Im  t 
geutlichen  Mittelalter  bediente  m* 
sich  des  Elfenbeins  nicht  bloss  1 
kirchlichen  Zwecken,  zu  Reliquiarie! 
Bücherdeckeln,  für  kleinere  Tri 
altäre,  sondern  auch  für  Geräte 
weltlichen  Luxus,  Jagd-  und  TrtaJ 
hörner,  Becher,  Geissem,  Lame 
schufte,  Schmuckkästen,  Sniegelb 
sein,  ja  ganze  Sättel.  Die  Got 
war  der  Elfenbeinskulptur  nk' 
günstig,  erst  in  den  letzten  Jah 
minderten  wird  die  Kunst,  namefl 
lieh  an  Schmuckgcfassen  und  ft 
räten  profanen  Zweckes,  wieder  e 
neuert,  besonders  in  Nürnberg  Bj 
Augsburg ,  wo  der  Elefanten»! 


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Email.  -  Encyklopädie. 


151 


in  seiner  ganzen  Rundung  zu  Hum- 
pen und  Krügen,  ganz  mit  Reliefs 
umgeben,  bearbeitet  wurde. 

Email,  mittelat.  smaltum,  esmalc- 
tum,  ital.  muilto,  franz.  4mailt  dtsch. 
Smalte,  Schmälte,  Schmelz,  alles  die- 
ses vom  deutsehen  Verb,  schmelzen, 
bedeutet  ursprünglich  Geschmelze 
von  Gold  und  Silber  durcheinander. 
Spuren  der  Email-Technik  finden 
s-ich  schon  in  ägyptischen,  etruski- 
*ben  und  altgriechischen  Kunst- 
werken, kaum  bei  den  Römern.  Die 
Byzantiner  verliehen  derselben  einen 
neuen  Aufschwung,  vielleicht  in  An- 
lehnung an  hindostanische,  persische 
und  chinesische  Technik.  Ihre  höchste 
Kunst  erreichte  diese  Technik  seit 
dem  10.  Jahrh.,  indem  sie  jetzt  nicht 
bloss  zum  Schmucke  kleiner  Werke, 
sondern  selbständig  in  grossartigen 
Dimensionen  betrieben  wurde.  Im 
Abendlande,  in  Gallien  und  England, 
wurde  diese  Kunst  ebenfalb  schon 
früh  geübt,  doch  meist  in  kleinerem 
Massstabe  und  in  dekorativem  Sinne. 
Einen  höhern  Aufschwung  erhielt 
sie  seit  dem  10.  Jahrh.,  als  durch 
die  Vermahlung  Otto  III.  mit  einer 
griechischen  Prinzessin  byzantinische 
Kunstwerke  und  vielleicht  auch  by- 
zantinische Künstler  nach  Norden 
kamen.  Ihre  Hauptsitze  lagen  am 
Niederrhein  und  in  Lothringen,  etwa 
*it  dem  12.  Jahrh.  in  der  west- 
rranzösischen  Provinz  von  Limoges, 
woher  die  Emailkunst  den  Namen 
f>pu*  de  JAmonia  oder  Lemovicinum 
erhielt  Die  Technik  der  meisten 
abendländischen  Emails  ist  von  der 
der  byzantinischen  verschieden.  Diese 
sind  vorwiegend  Zellenemails, 
rmaux  cU>i*wmt*\  der  gefärbte  Glas- 
fluss  wird  in  Zellen  ausgegossen, 
die  von  dünnen  aufrecht  stehenden 
♦ioldphittchen  erstellt  worden  sind; 
die  abendländische  Technik  ist  meist 
(rrubenemail,  email  champleve",  bei 
welcher  der  Glasfluss  in  die  aus- 
getieften Teile  einer  stärkern  Metall- 
platte  eingelassen  wird;  die  abend- 
ländischen Emails  sind  auch  viel 


einfacher  als  die  byzantinischen. 
Die  Farbenskala  ist  sehr  beschränkt 
und  vorwiegend  dumpf :  dunkles  Blau 
für  den  Grund,  Rot,  Grün  oder 
Blau,  Gelb  oder  Weiss  in  weicher 
Abstufung.  Figürliche  Darstellungen 
sind  selten,  meist  ist  die  Kunst  hier 
für  Verzierungen  angewandt  Bahn, 
Bild.  Künste.  280  ff.  Schnaase, 
IV,  2.  Bucher,  Gesch.  der  techn. 
Künste,  L 

Enoy  klopHdie.  Das  Wort  t'yxv- 
xXonaiÖein  verdankt  seinen  Ur- 
sprung bloss  einer  falschen  Lesart 
für  tyxvxiio:  naidtia,  d.  h.  kreis- 
förmig umschriebener,  sich  wieder- 
holender Unterricht,  wie  seit  Aristo- 
teles häufig  der  Kreis  von  Kenn- 
nissen, Wissenschaften  und  Künsten 
genannt  wurde,  den  der  freie  Grieche 
als  Knabe  und  Jüngling  durchlaufen 
musste,  ehe  er  zur  Vorbereitung 
auf  einen  besondern  Lebenszweck 
oder  ins  thätige  Leben  selbst  übor- 

^  f)ie  absterbende  antike  Welt 
fühlte  das  Bedürfnis,  die  Resultate 
ihrer  wissenschaftlich  pädagogischen 
Arbeit  zum  Zwecke  des  Unterrichtes 
zusammenzustellen.  Der  erste,  der 
das  mit  Erfolg  unternahm,  war  der 
Neuplatoniker  Martianiis  Cauella 
mit  seinem  zwischen  410  und  427 

fesch  riebe  nen  Werke  De  nuptiii 
'hiloloyiae  et  Mercurii  et  de  Septem 
artibus  liberalibus,  ein  Werk  in  wel- 
chem sich  die  ausschweifendste  Phan- 
tasie mit  dem  trockensten  Verstände 
vermählte,  welches  jedoch  im  älteren 
Mittelalter  lange  Zeit  eine  Haupt- 
grundlage des  gesamten  Schulunter- 
richtes war.  Von  Notker  Labco  hat 
man  eine  altdeutsche  Übersetzung 
mit  Kommentar.  Von  Boetiiis  sind 
einige  Werke,  namentlich  Über- 
setzungen aristotelischer  Schriften, 
die  Übersetzung  der  Isayoge  des 
Porphyrius,  eines  der  Hauptschul - 
bücner  des  Mittelalters,  die  Bücher 
De  institutione  arithmetica  und  die 
Ars  geometrica  für  die  encyklopä- 
dische  Behandlung  der  Wissenschaf- 


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152 


Encyklopädie. 


ton  in  der  Folgezeit  vielfach  wichtig 
gewesen,  ein  zusammenfassendes 
Werk  dieser  Art  hat  er  aber  nicht 

geschrieben.  Dieses  auf  dem  Boden 
es  Christentums  zuerst  gethan  zu 
haben,  ist  das  Verdienst  Lassiodors : 
Institutionen  dirinarum  et  saecula- 
riitm  lectionum  oder  litterarum.  ver- 
fasst  um  544,  das  den  Mangel  einer 
theologischen  Hochschule  im  Abend- 
lande einigermassen,  und  zunächst 
den  Mönchen  des  Klosters  Vi- 
varium  ersetzen  sollte.  Wäh- 
rend da<  erste  Buch  eine  Ein- 
leitung in  das  theologische  Studium 
enthält,  bietet  das  ander»'  einen  Ab- 
riss  der  sieben  freien  Künste.  Von 
umfassendster  cncyklopädischerWir- 
kung  war  sodann  das  Wrerk  des 
Isidora*  Hispatcnsi*,  20  Bücher 
Efymologiarum,  worin  eine,  meist 
sehr  unvollständige  Ucbersieht  der 
wissenschaftlichen  Materion  mit  einer 
Definition  der  wissenschaftliehen  Be- 
griffe und  Objekte  durch  eine  Ety- 
mologie der  sie  bezeichnenden  Worte 
enthalten  ist.  Buch  1—3  enthalten 
die  sieben  freien  Künste,  4.  die 
Medizin,  5.  „Gesetze"  (Rechtsbegriffe, 
Verbrechen  und  Strafen)  und  „Zei- 
ten", d.  h.  Tag  und  Nacht,  Monate, 
Jahreszeiten,  Jahrhuudert,  Alter, 
Weltalter  und  daran  anschliessend 
eine  kurze  Weltchronik;  6.  Bibel  und 
ihre  Bücher,  Bibliotheken,  Arten 
der  „Werke",  Schreibmaterial,  Oster- 
cyklus  und  Fest  verzeichnis.  7.  Himm- 
lische Hierarchie,  Gottheit,  Engel, 
Patriarchen,  Propheten,  Apostel, 
Klerus.  8.  Kirche  und  ihre  Sekten. 
9.  Sprachen  und  Völker,  Namen  der 
höchsten  Staatsgewalten,  Einteilung 
des  Heeres,  Magistraturen.  Klassen 
der  Bevölkerung  und  Verwandt- 
schaftsgrade. 10.  Etymologie  einer 
Anzahl  nach  dem  Alphabet  geord- 
neter Wörter.  11.  Der  Mensen  nach 
den  Teilen  des  Körpers,  den  Sinnen 
und  Gliedern,  Altersstufen.  12.  Tier- 
nameu.  13.  Die  Welt  mit  ihren 
Teilen,  Himmel,  Luft,  Winde,  Ge- 
wässer.    14.  Die  Erde,  Erdteile, 


Inseln,    Berge.     15.  Wohnstätteu 
der  Menschen,  Verzeichnis  der  wich- 
tigsten Städte,  öffentliche  Gebäude. 
Arten  der  Häuser,  Zimmer,  Tempel. 
Felder,  ihre  Grenzen  und  Ma«*?, 
Strafen.     16.  Steine  und  Metalk 
Gewichte,  Masse  und  Zeichen  dafür. 
17.  Feld- und  Gartenbau.  18.  Kries 
und  Spiele.     19.  Schiff,  Hausbau. 
Kleidung  und  Schmuck.  20.  Speisen 
und  Getränke,  Haus-  und  Ackerge- 
rät.   Ein  ähnliches  Werk  Isidor 
ist  De  natura  rerum,  im  Mittelalter 
ebenfalls  viel  gelesen  und  benutzt 
Im  karolingischen  Zeitalter  hat  na 
mentlieh  Hahanu*  sich  bemüht,  »ii* 
wissenschaftliche  Lehre  des  Zeit- 
alters in  Handbücher  zusammenzu- 
fassen; dahin  gehören  De  ckricomn* 
in*tifufwne  in  drei  Büchern  und  di» 
22  Bücher  De  universo-,  das  letzten 
ist  freilich  zum  groasonteil  wörtlich 
aus  Isidors  Etymologien  abgeschrie- 
ben, nur  class  für  den  christlich»  d 
Theologen  die  mystische  Erklärung 
des  Einzelnen  beigefügt  ist,  welch« 
aber  ihrerseits  meist  ebeufalls  einen 
Werke  Isidors  entnommen  ist,  dm 
Allegoriae  quaedam  sacrae  Script?- 
rae.    Die  Summe  der  wissenschaft- 
lichen Kenntnisse,  welche  das  chri-t 
liehe  Mittelalter  aus  dem  Altertum 
gerettet  und  in  den  besprochene 
Formen  aufgestapelt  hatte .  blieb 
nunmehr  für  drei  Jahrhundorte  aus- 
reichend; erst  die  Kreuzzuge  uu  l 
besonders    der    von   den  Arabern 
gepflegte,  der  Natur  und  ihren  Er 
scheinungen  in  höherem  Masse  zu- 
gewandte Geist,  sowie  das  erneut- 
und  vertiefte  Studium  des  Aristote- 
les brachte  es  mit  sich,  dass  im 
13.  Jahrhundert  die  oncyklopadisch- 
Arbeit  neu  und  mit  Erfolg  auf-- 
nommen  wurde.     Es  ist  dies  u* 
mentlieh  das  Verdienst  der  Domi^t 
kaner,   aus  deren  Orden    die  drs 
bedeutendsten    Encyklopadien  dd 
späteren  Mittelalters  hervoraregatigei 
sind,  Albert  der  Grosse,  Thitma*  m 
Canfimprt)  dessen  Uber  de  natura 
rerum    vom    Regensbiurgor  Dom 


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Engel. 


153 


ln-rrn  Konrad  von  Megenherq  im  14.  j 
Jahrhundert  deutsch  als  „lluch  der 
Natur* bearbeitet  worden  ist,  und  Vin- j 
r^nz  von  Beauvais,  der  Verfasser  des  \ 
Sf+cuimm  </uadrvplejr,  das  wiederum  j 
in  Speaihm    naturale,  doclrinale, 
murale  und  historiale  zerfallt.  Es 
wurde  im  15.  Jahrhundert  öfters  ge- 1 
druckt  und  genoss  noch  in  der  Kc- 
fjnnananszeit  ein  hohes  Ausehen. 

Enjrel  sind  nach  der  Ansieht  der 
Hebräer  höhere,  von  Gott  geschaffene 
Wesen,  die  seinen  Thron  als  Rat 
umgeben  und  ihm  als  Boten  dienen. 
His  zum  Exil  dachte  man  sie  sich 
m  menschlicher  Gestalt ,  im  Exil 
v>  rschmolz  ihr  Begriff  unter  persi- 
Vin  Einfluss  mit  dem  Begriff 
Däiuon.  Das  uikaische  Konzil  (787 )  j 
-<-tzte  fest,  sie  hätten  einen  äthe- 
rischen Körper,  das  lateranische  von 
1215  gab  ihnen  Unkörpcrlichkeit. 
Si»-  wurden  im  früheren  Mittelalter 
p  riügelt,  in  reifer  Jüngliugsgestalt, 
in  Diakonen tracht  und  unocschuht 
d -irecsteUt,  seit  dem  13.  Jahrhundert 
socl  als  schwebende  Kinder,  die 
letzteren  tragen  häufig  musikalische 
Instrumente.  Mit  Vorliebe  erzählte 
«las  Mittelalter  vom  Abfall  der  Engel 
v  u  Gott,  eine  Lehre,  die  beson- 
•1'ts  von  Gregor  d.  Gr.  ausgebildet 
wurde.  Nach  Jes.  14,  12  ff  und  2 
iMri  2,  4  nahm  man  an,  dass  ein 
T.  ü  d»  r  Engel  von  Gott  abgefallen 
und  da.s*  Gott  ebendeshalb,  um 
aV  dadurch  entstandenen  Lücken 
we-der  auszufüllen,  den  Menschen 
••rsfchaffen  habe.  Dartiber  zürnt« m 
nun  die  in  der  Hölle  zu  Teufeln 
d»*^nidierten  ehemaligen  Engel  und 
beschlossen,  den  Menschen  von  Gott 
ai'wvndig  zu  machen,  was  denn  auch, 
iber  ohne  vollständigen Erfolg, durch 
d>n  in  eine  Sehlange  verwandelten 
Uicifer  in's  Werk  gesetzt  wurde. 
l)u  kirchliehe  Kunst  sowohl  als  die 
P»»»-sie  haben  den  Sturz  der  Eugel 
vielfach  dargestellt,  die  letztererz.  B. 
m  der  dem  angelsächsischen  Dicliter 
Kaedmon  zugeschriebenen  Genesis, 
u:id  noch  Miltou  im  verlorenen  Para- 


diese. Die  christliche  Lehre  teilte 
die  Engelwclt  in  9  Engelchöre  ein, 
welche  drei  Ordnungen  bilden,  von 
denen  die  erste  ihre  Glorie  unmittel- 
bar von  Gott  empfangt  und  sie  auf 
die  zweite  überträgt,  welche  ihrer- 
seits wiederum  die  dritte,  mit  der 
geschaffenen  Welt  in  Verbindung 
tretende,  erleuchtet.  Die  /.  Ordnung 
bilden:  /.  Chor,  die  Seraphim,  be- 
deuten die  Liebe  zu  Gott,  hab'tm 
6  Flügel,  2  am  Kopf,  2  an  den 
Füssen,  2  über  die  Hüfte  vorge- 
schlagen und  tragen  in  jeder  Hand 
eine  Rolle  mit  den  Worten:  Heilig, 
heilig  etc.  Ihr  Oberhaupt  ist  der 
Erzengel  Uriel.  —  i>.  Chor:  die 
Cherubim,  bedeuten  die  Erkenntnis 
Gottes,  daher  oft  vieläugig  darge- 
stellt, mit  4  oder  2  Flügeln  oder 
mit  geflügeltem  Haupt  oder  auf 
feurigen  Kadern  stehend,  oft  nur 
als  geflügelte  Köpfe.  Ihr  Oberhaupt 
ist  Jophiel.  —  3.  Chor:  die  Throne, 
bedeuten  die  Gerechtigkeit  Gottes, 
stützen  seinen  Thron,  oder  erschei- 
nen als  feurige  Räder  mit  vielen 
Augen  oder  tragen  eine  Pahne  oder 
Krone  oder  einen  Thron  in  den 
Händen.  Ihr  Oberhaupt  ist  Zaphkiel, 

—  II.  Ordnung.  4.  Cltor:  die  Herr- 
schaften, domina/iones,  welche  Gott 
über  die  Welt  ausübt.  Sie  tragen 
Zepter,  Schwert  oder  Kreuz,  ihr 
Oberhaupt  ist  Zadkiel.  —  5.  Chor: 
die  Kräfte  oder  Tugenden,  virtutes, 
tragen  in  der  rechten  eine  Dornen- 
krone und  in  der  Linken  den  Kelch 
des  Heils.  Ihr  Oberhaupt  ist  Hornel 

—  6.  Chor:  die  Machte  oder  Ge- 
walten, potestates,  bewahrende  und 
schützende  Engel,  tragen  Donner- 
keil und  flammendes  Schwert.  Ihr 
Oberhaupt  der  Erzengel  Raphael. 
Alle  Engel  der  II.  Ordnung  tragen 
lange  Alben,  goldene  Gürtel,  grüne 
Stolen,  auch  wohl  Goldstäbchen,  in 
der  linken  das  Gottessiegel;  sie 
sind  barfuss.  —  III  Ordnung.  7.  Chor: 
die  Fürstentümer,  pnneipatus,  die 
Hüter  der  Fürsten,  tragen  Zepter 
und  Gürtel   oder  Schwertgehänge 


i 

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154  Epistelseite.  —  Epistolae  obscurorum  virorum. 


mit  einem  Kreuz  vor  der  Brust,  in  1 
der  Hand  einen  Lilienstengel  und 
Schuhe  an  den  Füssen.  Ihr  Ober- 
haupt ist  Chamael.  —  8.  Chor:  die 
Erzengel.  Nach  jüdischer  Tradition 
sind  es  ihrer  4,  die  katholische 
Kirche  anerkennt  als  heilige  bloss  3, 
nämlich:  8t. „Michael  erscheint  in 
seinen  drei  Ämtern ,  als  Anführer 
der  himmlischen  Heerscharen  beim 
Besiegen  der  Höllenmächte ,  als 
Herr  und  Führer  der  abgeschiedeneu 
Seelen  |  Scelcnwäger)  und  als  Schutz-  J 
patron  der  streitenden  Kirche,  als 
kräftiger  Jüngling  von  ernster  Schön- 
heit im  steten  Kampf  mit  den  Mäch- 
ten der  Finsternis,  dem  Drachen 
mit  dem  Menschenkopf  am  Schwanz. 
Als  Seelenwäger  hält  er  die  Wage,  . 
in  deren  Schalen  je  eine  oder  mehrere 
nackte  Seelen  sitzen.  Gabriel,  der 
Eiigel  der  Geburt  und  des  Werdens, 
trägt  einen  Lilienzweig  mit  um- 
gewickeltem Spruchband  (ave  Maria 
gratiajplena)  und  einreichgeschmück- 
tes Priestergewand,  oder  er  erscheint 
als  Jäger  mit  Hifthorn  und  Hunden, 
welcher  das  vor  ihm  in  den  Schoss 
der  Maria  geflüchtete  Einhorn  erjagt. 
Raphael,  der  begleitende  Schutzengel 
der  Wanderer  und  Pilger,  daher  mit 
Wanderstab  und  Piltferflasche,  selten 
mit  dem  Schwert  dargestellt.  Am  | 
meisten  erscheint  er  in  der  Ge-  i 
schichte  des  Tobias,  er  erscheint 
auch  den  Hirten  bei  der  Geburt 
Christi.  Der  von  der  römischen 
Kirche  nicht  anerkannt'  Uriel  wird 
dennoch  viel  dargestellt  mit  Schrift- 
rolle oder  Buch,  erscheint  dem  Moses 
im  feurigen  Busch,  sitzt  auf  dem 
Grabe  Jesu  und  gehtmit  den  Jüngern 
nacliEmmaus.  —  9.  Chor  .  die  Enqel. 
Siehe  Müller  und  Mothes,  Areh.'W.  j 
Art.  Engel,  Engelchöre,  Erzengel 
und  Sturz  der  Engel.  Otfe,  Hanab. 
Abschn.  158. 

Epistelseite  heisst  diejenige  Seite 
des  Altars,  welche  links  von  dem 
auf  dem  Altare  stehenden  Kruzifixe  ; 
ist,  also  gewöhnlich  die  südliche; 
von  der  auf  dieser  Seite  befind- 


lichen Kanzel  wird  die  Epistel  ver- 
lesen. 

Epistolae  obseuroram  virorum. 

Sie  sind  hervorgegangen  aus  dem 
langjährigen  Streite  Keuchlins  mit 
den  Kolner  Theologen.     Oer  ge- 
taufte Jude  Pfefferkorn,  ein  wider- 
wärtiger, unsauberer  Mensch,  dem 
die  Bekehrung  seiner  ehemaligen 
Glaubensgenossen  durch  Ermahnung 
inisslun^en  war,  hatte  im  Jahre  loOt* 
Obrigkeiten  und  Volk  zu  gewalt- 
samer Bekehrung  oder  Vertreibung 
der  Juden   und  zur  Verbrennung 
ihrer  Bücher  aufgefordert.    Die  An- 
gelegenheit kam  an  den  Kaiser,  der 
vorerst  vom  Dominikanerprior  und 
Ketzermeister  Jacob  Hochstraten  zu 
Köln,  'vom   ehemaligen  Rabbiner 
Victor  von  Carben,  von  Renchlro 
und  von  den  Universitäten  zu  Köln. 
Mainz,  Erfurt  und  Heidelberg  Gutach- 
ten abforderte.  Als  Reuchlin  sich  im 
Gegensatz  zu  den    übrigen  judeu- 
feindlichen  Gutachten   dahin  aus- 
sprach, „dass  man  der  Juden  Bucht  r 
nicht  solle  verbrennen,  sondern  sie 
durch     vernünftige  Disputationen 
sanftmütig  und  gütlich  zu  unserem 
Glauben  mit  der  Hilfe  Gottes  über- 
reden", begann  Pfefferkoni  öffentlich 
gegen  Reuchlin  aufzutreten ;  Reuchlin 
antwortete :  Briefe,  Gutachten,  Schrif- 
ten der  verschiedensten  Art  in  Prosa 
und  Verseu,    in  lateinischer  und 
deutscher    Sprache    wurden  ge- 
wechselt, und  besonders  der  Kreis 
der  deutschen  Humanisten  betrach- 
tete   die  Angelegenheit    als  eine 
öffentliche  Sache  der  Bildung  und 
Wahrheit    gegen    Dummheit  und 
Pfaffenstolz.    Papst  Leo  X.  schlnr 
endlich  den  Prozess,  nachdem  ein 
besonderes  Gericht  sich  für  Heuchln 
entschieden  hatte,  nieder.  Im  Gegen- 
satze nun  zu  einer  Sammlung  vr.n 
Briefen  berühmter  Humanisten  an 
Reuchlin,  die  der  Empfänger  im  Jahr 
1514  unter  dem  Titel  Clarvrum  r»nv 
rum  Epistolae  hebraicaey  rtmeme  ei 
lafinae  ad  J  >.  Reuchlinum  herausge- 
geben hatte,  damit  man  sehe,  wie  all»» 


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Epos. 


155 


hell  and  gut  Denkenden  in  Deutsch- 
land und  Italien  sich  um  ihn  scharten, 
erschien  im  Herbst  1515  ein  Buch: 
f.tuf  j./f  ohscurorum    rirorum,  41 
Briefe  enthaltend;  zweimal  wieder- 
holt 1516,  das  zweitemal  mit  einem 
Anhang  von  7  Briefen;  ein  zweiter 
Teil  mit  62  Briefen  kam  1517  he  raus, 
wozu  in  der  zweiten  Ausgabe  noch- 
mals ein  Anhang  von  8  Briefen 
trat.  Die  Briefe  sind  an  Ortuinus 
Gratias,  (Ortwin  de  Graes),  Lehrer 
und  Poet  an  der  Kölner  Schule,  den 
lateinischen  Handlanger  und  poe- 
ti*  heu  Schildhalter  der  Kölner  Tnoo- 
l'jgen,  gerichtet,  die  Briefsehreiber 
sind  die  Magister  und  Baccalaurei 
(*r*seliiiMS,Caprimu!gius,Scher8chlei- 
fenus,  Dollenkopfius,  Mistlad*rius 
u.  dgl.,  einigemal  auch  die  Kölner 
Theologen   selber.     Die  Polemik 
fc?t  vornehmlich  in  dem  scheuss- 
Iit&en  Möncbslateiu    und   in  der 
naiv-dummen  Denkart  der  Schreiber, 
t'ber  die  Verfasser  der  Briefe  ist 
Sicheres  nicht  auszumitteln.  Nach 
>*rau4t -tarn  in  r  der  erste  Teil  wesent- 
lich aus  der  Feder  des  Johann  Orth 
hu  RvJnanu*,    eigentlich  Johann 
J%er.  um  1480  in  dem  thüringischen 
FVtken  Dornheim  bei  Arnstadt  ge- 
boren.  Er  studierte  in  Erfurt  und 
K(»ln  und  war  ein  Mensch  von  grosser 
fr-gabung  und  namentlich  inüohem 
Masse  witzig.    Nachdem    er  eine 
Zeit  lang  Lehrer  an  der  Kloster- 
ahole  zu  Fulda  gewesen  war,  kehrte 
' T  aach  Erfurt  zurück.    Er  war  ein 
treuer  Freund  Huttens  und  trat  auch 
offen  auf  Luthers  Seite  über,  frei- 
lich ohne  dabeizubleiben ;  die  letzten 
Jahre  seines  wechselvollen  Lebens 
-nid  gänzlich  in  Dunkel  gehüllt.  An 
'ler  Abfassung   des  Anhangs  zum 
wten  Teile  und  der  Briefe  des 
zweiten  Teiles  hat   ohne  Zweifel 
Hutten  hervorragenden  Anteil,  ohne 
;kas  sieh  das  Mass  des  Anteils  naher 
Stimmen  liesse.   Andere  Verfasser 
meint  man   in  Hermann  von  dem 
JWhe.  Hermann  von  Nuenar,  Eoban 
Hesse  und  Petrcjns  Eberbach  finden 


zu  können.  Die  ausserordentlich 
schnelle  Verbreitung  der  Briefe  dau- 
erte bloss  bis  zu  dem  Augenblicke, 
wo  seit  1518  dns  Interesse  der  Zeit 
gänzlich  in  der  Reformationssache 
aufging.  Siehe  Strauss,  Hutten; 
der  Text  der  Briefe  in  Huttens 
Werken  von  Bdcking. 

Epos  ist  wie  für  die  übrigen 
indogermanischen  Litteraturen ,  so 
auch  für  die  deutsehe  die  natürliche 
Dichtungsart  der  ältesten  Periode; 
der  besonderen  Entwickelung  der 
deutschen  Litteratur  und  Bildung  ge- 
mäss hat  hier  das  Epos  nach  Form 
und  Inhalt  eine  ganze  Reihe  von 
Ent wie kel u ngsst uf en  durchgem ach t, 
bis  es  nach  zähem  Leben  aufhörte 
oder  einem  neuen  Kunstepos  Platz 
machte. 

1.  Vom  JL 'po*  der  ältesten  Zeit  sind 
nur  wenige  Nachrichten  und  Über- 
reste erhalten.  Tac.  Germ.  3  be- 
richtet von  Liedern,  welche  die  alten 
Deutschen  auf  Herkules  (Donar), 
Thuisko,  Mannus  und  dessen  Söhne 
gesungen  hätten;  sie  besassen  alte 
mythische  Lieder  und  genealogische 
Lieder,  die  von  den  Annherren  der 
Menschen  und  der  besonderen  Stäm- 
me erzählten.  Über  die  Form  dieser 
ältesten  Lieder  ist  nichts  erhalten; 
dass  sie  gesungen  wurden,  liegt  im 
Wesen  der  ältesten  Poesie,  begleitet 
wurde  das  gesungene  Wort  mit  der 
Harfe.  Ohne  Zweifel  war  die  metri- 
sche Form  hier  schon  die  allitte- 
rierende;  man  erschliesst  das  be- 
sonders daraus,  dass  die  Namen  der 
Söhne  des  Mannus:  Ingo,  Isco  und 
Jrmino,  und  ebenso  andere  Namen 
der  nordischen  und  angelsächsichen 
Sage,  JTettgest  und  Horm,  Skytd  und 
Skeaf  allitterieren.  Die  Sänger  ge- 
hörten keinem  besonderen  Stande 
an  ;  es  sang,  wer  die  Gabe  dazu 
besass  (siehe  den  Artikel  Dichter). 
Auch  aus  der  Zeit  unmittelbar  nach 
der  Volkerwanderung  sind  die  Nach- 
richten über  das  germanische  Lied 
spärlich;  der  Grote  Jomandes  be- 
richtet 551 ,  dass  Lieder  über  die 


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156 


Epos. 


Wanderzüge  der  Goten  noch  ge- 
sungen wurden,  über  den  gefallenen 
Hunnenkönig  Attila  und  ähnliches. 
Die  ältesten  erhaltenen  Lieder  sind 
die  sog.  Mergerbuffer  Zauberlieder 
auf  den  verrenkten  Fusseines  Pferdes 
und  auf  die  Fesseln  eines  Kriegsge- 
fangenen, das  Hildebrandslied  und 
der  Anfang  des  Wessobrunn  er  de- 
befes.  Noch  Karl  der  Gr.  liess  eine 
schriftliehe  Sammlung  der  deutschen 
Heldenlieder,  worin  die  Thaten  und 
Lieder  vorzeitlicher  Könige  gesungen 
wurden,  aufzeichnen. 

2.  Das  Epos  im  9. — 10.  Jahrh. 
Hätte  sich  das  deutsche  Epos  von 
fremden  Einflüssen  der  Religion  und 
Bildung  ungestört  entwickeln  dürfen, 
so  wäre  ihm  wohl  mit  der  Ent Wicke- 
lung der  Schreibekunst  ein  natür- 
licher For.gang  zur  Epopöe  auf  den 
Grundlagen  seiner  alten  Natur  so 
gut  als  dein  indischen  und  griechi- 
schen Epos  vergönnt  gewesen.  Aber 
die  Art  und  Weise,  wie  das  Christen- 
tum in  Deutschland  auftrat,  seine 
priesterliche  Abneigung  nicht  bloss 
gegen  die  heidnische  Religion,  son- 
dern gegen  alles,  was  volksmässig 
und  deutsch  war,  liess  die  Samm- 
lung Karls  d.  Gr.,  die  leider  auch 
nicht  erhalten  ist,  das  letzte  sein, 
was  uns  von  den  alten  Liedern  in 
echter  alter  Form  überliefert  ist. 
Hatte  es  doch  der  persönlichen  Liebe 
Karls  zu  seiner  angestammten  Volks- 
art bedurft,  dass  er  überhaupt  Jene 
Lieder  noch  aufschreiben  liess; 
schon  lange  vor  ihm  brachte  die 
allein  schreibkundige  Geistlichkeit 
dem  Volksgesang  nicht  bloss,  wie 
es  Bpätcr  in  Skandinavien  geschah, 
ihre  Teilnahme  nicht  entgegen,  son- 
dern sie  hasste  und  verfolgte  die 
heimische  Dichtung. 

1 '  .  sich  zwar  die  allitteriereude 
Form  noch  einige  Zeit  erhielt,  be- 
weist das  dem  9.  Jahrh.  an^ehörige 
Gedicht  MuspilH,  der  Hehand  aus 
demselben  Jahrhundert  und  die  erst 
im  10.  Jahrh.  aufgeschriebenen  Zau- 
berlieder.   Sonst  trat  jetzt  an  die 


I  Stelle  der  Allitteration  der  Endreim 
:  (siehe  Heim),  ein  Wechsel  im  Ge- 
I  schmacke,  der  für  sich  allein  der 
Fortdauer  der  alten  Lieder  iu  hohem 
I  Masse  im  Wege  stand.  Zwar  ver- 
mittelte ietzt  die  kirchliche  Bildung 
die  Erscheinungen  zweier  E/>oj*oex. 
I  des  Otfriedischen  Evangelienbuches 
und  des  Jieliand,  das  erstere  dem 
Einzcllied  insofern  sich  annähernd, 
als  es  sich  aus  einzelnen,  zum  Singen 
bestimmten  Abschnitten  zusammen- 
setzt. Es  sind  Epopöen,  insofern  ge- 
schriebene Dichtuugeu  grösseren 
Umfange8  sind,  dem  Umfang  der 
Evangelien  entsprechend,  aber  aus 
dem  lebendigen  Volksgesang  sind 
sie  nicht  hervorgegangen,  und  splttere 
Wirkung  ist  von  ihnen  abgesehen 
von  der  Reimform  Otfrieds,  nicht 
ausgegangen. 

Der  von  der  neuen  Bildung  zwar 
nicht  unterstützte,  aber  keineswegs 
ausgelöschte   epische  Volksgesang 
erhielt  sich  in  den  Händen  fahren- 
der Leute,  Spielleute  aus  den  unte- 
ren Ständen ;  diese  bewahrten  teils 
die  alteu  Sagen  von  Dietrieh  von 
Bern,  Siegfried,  Attila,  den  Bur- 
gundern, nach  ihrem  roheren,  den 
äusseren  Thatsachen  mehr  als  dem 
inneren  Leben  zugewandteu  Gehalte, 
dem  durch  das  Christentum  zumal 
die  höhere  religiöse  Weihe  entzogen 
worden  war,   teils  sangen  sie  neue 
Lieder  auf  Ereignisse  der  Gegen- 
wart, auf  Erzbischof  Hattos  Verrat 
an  Adelbert  von  Barnberg,  9(>4,  auf 
die   Niederlage    der  Franken  bei 
Heresburg,  915.  auf  die  Wunder- 
thaten  des  heiligeu  Ulrich,  bis  973. 
Dass  sogar  in  Klosterräumen,  aber 
freilich  nur  in  solchen,  in  welchen 
der  Geist  Karl  d.  Gr.  noch  fortlebte, 
wie  in  St.  Gallen,  die  alte  Volks- 
!  sage  noch   überaus  lebendig  war. 
zeigt  das  Lied  von  Walther  und 
liUiijunt  und  der  Kuodlieb,  beide 
in   lateinischer  Sprache  gedichtet, 
aber  darum  nicht  minder  deuts?h 
empfunden  und  dargestellt. 

3.  Das  Epos  der  höfischen  Zeit. 


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Epos. 


157 


Ei?  war  nicht  das  Christentum  allein,  nähme  dafür  wieder  erwachte.  In 
das  der  alten  Epik  entgegenstand;  Ostorreich,  wo  am  Wiener  Hofe 
was  ihr  den  Lebensnerv  nicht  min-  französisches  Wesen   nicht  ebenso 
der  angriff,  war  der  Übergang  aus  ausschliesslich  herrschte  wie  im  We- 
deln freien  Volk?staat  in  den  Lelms-  sten  Deutschlands,  sind  dann  von 
staat:  die  alten  freien  Sänger  ver-  unbekannten   Dichtern    das  Sibe- 
echwanden  mit  dem  freien  Gesamt-  lungenlied,  Gudrun  und  die  übrigen 
Volke,  der  Unterschied  der  unteren  i  Lieder  des  Heldenbuches  entstanden 
und  oberen  Stände  drängte  die  volks-  (siehe  diese  Artikel),  alle  in  der 
massige  Bildung  in  den  untern  Stand  Form   der   Silwlungenstrophe  oder 
zurück ,  und  es  ging  Jahrhunderte  Abarten  derselben, 
lang,  bis  der  obere  Stand  der  Ritter- 1      Daa  höfische  Kunsfepos  empfangt 
hurtigen  zu  einer  selbständigen  Bil-  dagegen  von  Frankreich  Anstoss, 
dang  emporwuchs.  Als  dies  mit  dem  Stoff,  Form,  Auffassung,  Umfang. 


Beginndes  12.Jahrh.  endlich  geschah, 
rrat  auch  eine  neue  Periode  der 
epischen  Dichtung  ein.  Voraus  geht 
t-ine  durch  die  Erneuerung  des  kirch- 
lich-religiösen Lebens  im  ll.Jahrh. 
hervorgerufene  Reihe  geistlicher 
Dichtungen  verschiedensten  Stiles 
und  Umfanges,  eine  wirkungslose 
Reaktion  gegen  die  aufkommende 
weldiche  Dichtung  des  höfischen 
Standes.  Ihr  folgen  gleichzeitig  die 
beiden  Gattungen  des  volksmässigen 
Epos  und  des  höfischen  Kunstepos, 
beide  in  der  Form  geschriebener, 
künstlerisch  wirksam  ausgearbeiteter 
Epopöen,  beide  noch  insofern  an  das 
alte  Epos  erinnernd,  als  die  Dichter 
immer  noch,  wenigstens  in  der  Regel, 
des  Schreibens  unkundig  sind,  also 
diktieren  müssen,  während  von  Seiten 
der  geniessenden  Partei  nicht  ge- 


Dcr  Vers  ist  das  Reimpaar,  die 
Hauptstoffe  Alexander,  Äneas,  Karl 
und  seine  Tafelrunde,  Artus  und 
seine  Tafeirunde ,  Graal ;  daran 
schliessen  sich  byzantinische  Stoffe, 
z.  B.  von  Herzog  Ernst,  einheimische 
Rittersagen,  z.  B.  Otto  mit  dem 
Barte,  und  durch  die  ganze  Zeit 
hindurch  natürlich  Geistliches ,  mit 
Vorliebe  die  Legende. 

Eine  weitere  Entwickelung  hat 
das  alte  Epos  kaum  mehr  gehabt. 
Mit  dem  Verfall  der  höfischen  Bil- 
dung verfällt  auch  ihre  Dichtung, 
für  das  nationale  Leben  ein  schmerz- 
licher Verlust;  wäre  die  angestammte 
Sage  in  ihrer  mittelalterlichen  Ge- 
stalt Eigentum  des  gauzen  Volkes 
gewesen,  es  hätte  sich  wenigstens 
bis  ins  16.  Jahrh.  retten  mögen, 
vielleicht  den  Wechsel  der  Zeiten 


lesen,  sondern  einem  Vorlesenden  I  ganz  überdauert;  so  aber  war  es 
zugehört  wird.  Woher  das  volks-  Eigentum  der  Höfe  und  des  Ritter- 
massige  Epos  seinen  Stoff  schöpfte,  j  tums  und  ist  mit  diesen  Elementen 
ist  mit  Sicherheit  nicht  auszumitteln;  I  in  dasselbe  Schicksal  mit  hinein- 
er  muss  von  fahrenden  Sängern  der  gerissen  worden.  Dantes  göttliche 
unteren  Stande  erhalten  worden  sein,  [  Komödie  ist  nur  wenig  mehr  als 
zumeist  ohne  Zweifel  in  dem  vom  |  100  Jahre  jünger,  als  das  Nibelungen- 
höfischen  Leben  unberührten,  noch  i  lied;  während  aber diesesschon  im  15. 
ra»  hr  in  alter  Volkskraft  und  Volks-  Jahrh.  vergessen  war,  lebt  Dantes 
crinnerung lebenden  NordenDeutsch-  Dichtung  noch  heute.  Bloss  einzelne 
lands;  denn  von  hier  wurden  die-  untergeordnete  volksmässige  Epen 


hatten  sich  bis  in  die  Zeit  des  Buch- 
drucks gerettet  und  wurden  von 
Bänkelsängern  noch  teilweise  ge- 
sungen und  geleiert.  Manches,  Deut- 
sches sowohl  als  Französisches,  kam 
deutschland,  als  auch  hier  die  Teil-  als  Prosarornan    wieder   auf  den 


>elhen  Stoffe  im  13.  oder  14.  Jahrh. 
muh  Skandinavien  getragen  und 
hier  als  Wilkina-Saya  aulgeschrie- 
ben. Aus  Norddeutschland  brachten 
Fahrende   diesen  Stoff  nach 


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158 


Erbrecht. 


Markt,  wie  der  hürnene  Siegfried, 
die  vier  Haimonskinder  (siehe  den 
Artikel  Volksbücher).  Wie  seit  der 
zweiten  Hälfte  des  18.  .Jahrb.  die 
ältereLit  teratur  wieder  erweckt  wurde 
und  allmählich  neue  Keime  trieb, 
gehört  nicht  hierher.  Vgl.  den  Art. 
Heldensage. 

Erbrecht.  Das  Erbe  ist  ahd. 
das  arpi,  erbi,  erbe,  got  das  arbi, 
dasselbe  Wort  in  den  nordisch  germ. 
Sprachen;  in  welcher  Wurzel,  von 
der  auch  Ar1>eit  abgeleitet  ist,  die 
Vorstellungen  der  Angehörigkeit 
und  Hörigkeit  (milderer,  Leibeigen- 
schaft), der  Kindschaft  und  der 
Knechtschaft  ineinander  fliessen.  Der 
Erbe  ist  got.  der  arbia  ahd.  der 
drpeo,  äripeo,  ^rpeo,  e'rito,  crbo,  mhd. 
der  erbe.  Weigand. 

Die  regelmässige  Erbfolge  der 
Germanen  beruhte  auf  der  Bluts- 
freundschaft und  stand  mit  den 
übrigen  Rechten  und  Pflichten  der 
Familie  in  der  engsten  Beziehung. 
Die  Verwandtschaft,  die  zur  Erb- 
folge berechtigte,  musste  aber  eines- 
teils eine  durch  eine  giltige  Ehe 
(siehe  diesen  Art)  begründete  Ver- 
wandtschaft und  andernteils  musste 
der  Verwandte  dem  Erblasser  e?>en- 
bürtig  sein.  Die  Nähe  der  Verwandt- 
schaft wurde  nach  der  grössern  oder 
geringem  Gemeinschaft  des  Blutes 
gemessen,  die  Nächsten  waren  eich 
also  diejenigen,  welche  den  nächsten 
Stammhalter  gemeinsam  hatten,  was 
man  eine  Parentel  oder  Sippe  nannte, 
dann  kam  die  Parentel  unter  dem 
zweitnächsten  Stammhalter  u.  s.  w. 
Die  nähere  Parentel  schloss  die  ent- 
ferntere schlechthin  aus.  Als  Hilfs- 
mittel, die  Verwandtschaftsgrade  zu 
versinnlichen,  brauchte  man  das  Bild 
des  menschliehen  Körpers,  indem 
man  an  das  Haupt  den  Stammhalter 
stellte.  Die  Blutsfreunde,  insbeson- 
dere die  Seiten  verwandten,  hiessen 
Magen,  und  es  wurde  dabei  die 
paterna  und  matema  generativ,  oder 
lancea  und  fusus,  die  Schwert-  und 
SpilUette  unterschieden.  Die  älteste 


Erbfolgeordnung  war,  soweit  sich  er- 
kennen lässt  (Tacitus  Germ.  20.32i. 
auf  die  Bedeutung  der  Sippe  oder 
der  Genossenschaft  der  Blutsfreunde 
gegründet,  durch  deren  Macht  je- 
der des  Friedens,  des  gewarTneten 
Schutzes  und  der  Vertretung  mch 
aussen  und  vor  Gericht,  und  nach 
dem  Tode  der  Ehre  der  Blutracb» 
versichert  ward.  Diesem  Gedanken 
gemäss  musste  das  Vermoqen  als  die 
Grundbedingung  der  Macht  bloss  an 
Männer  und  zwar,  weil  Weiber  durch 
ihre  Verheiratung  aus  ihrer  Sippe 
herausgingen,  an  bloss  durch  Männer 
verwandte  männliche  Blutsfreunde 
vererbt  werden.  Die  Töchter  waren 
auf  die  Gerade,  mhd.  gerade,  ange- 
wiesen, d.  i.  im  wesenthehen  üer 
vorhandene  Schmuck:  Halsketten- 
Hafte,  Armbauge,  Ohrringe,  Frauen- 
kleider, im  weitern  Sinue  eine  ganze 
Aussteuer:  Betten,  Pfühle,  Kissen. 
Bett-  und  Tischwäsche,  Teppiche. 
Umhänge,  Kästen,  Laden,  be*«^ 
Spiegel,  Bürsten,  Scheren,  Leuchter, 
alles  Garn,  die  Kleider,  die  gotttv 
dienstlichen  Bücher,  die  Gänse  and 
Schafe,  alles  dies  zum  Gegensatz 
zum  Heergeräte ,  dem  Schwert,  da* 
dem  Sohn  als  Erbe  zufiel;  beide* 
Gerade  uud  Heergeräte,  wurde  der 
Erbteilung  voraus  weggenommen 
Allmählich  drängte  schon  in  den 
alten  Volksrechten  die  Sitte  zir 
Besserstellung  der  Töchter;  sie  tra- 
ten ebenfalls  ins  Erbe  des  Grund- 
eigentums ein,  anfangs  mit  eiu«n 
Drittel,  später  mit  gleichem  Teil 
mit  den  Söhnen.  Bei  dem  Adel  oikJ 
den  Bauern  erhielten  sich  aber  nicht 
nur  die  alten  Elemente,  sondern 
wurden  in  besonderer  Art  weite: 
ausgebildet.  Als  schwere  Ver- 
letzung der  Verwandtsehaftepfliti» 
galt  es,  den  Blutsfreunden  das  ihnen 
zukommende  Erbe  zu  entziehen 
Im  Fortschritte  der  Zeit  kämpf:« 
jedoch  das  Gefühl  der  Freiheit  gep* 
diese  Beschränkung  an,  und  man 
suchte  eine  Ausgleichung.  Tests 
mente  zwar  als  einen  Akt,  den  man 


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Erek.  —  Ernst,  Herzog. 


159 


im  Geheimen  verrichtet,  Hess  der 
Grundsatz   der  Öffentlichkeit  im 
Kechtaleben  nicht  zu.  Hingegen  war 
die  Übertragung  von  Haua  und  Hof 
unter  Lebenden  zugelassen,  und  die- 
ses geschah  in  mancherlei  Wen- 
dungen so,  dass  der  Vergeber  sich 
selbst  dadurch  möglichst  wenig  ent 
zog,  and  die  Wirkung  sieh  haupt- 
sächlich erst  nach  dem  Tode  äusserte. 
Aus  den  Vergabungen  unter  Leben- 
den wurden  Rrbver  träge.  Von  diesen 
Vergabungen  bei  lebendigem  Leibe 
gab  es  dreierlei  Abstufungen:  ent- 
weder ging  das  Vermögen  sofort 
nicht  bloss  in  das  Eigentum,  sondern 
auch  in  den  Besitz   des  andern, 
uuter  Vorbehalt  der  lebenslänglichen 
V  erpuegung  oderVerpfründung,  oder 
man  vergab  sein  Gut,  behielt  sich 
aber  bis  zu  seinem  Lebensende  den 
Kesitr  vor,  wobei  häufig  dem  ße 
schenkten  ein  Zins  vom  Gute  be- 
dungen wurde;  oder  endlich,  man 
verschenkte  sein  Vermögen  dem  an- 
dern fest,  so  jedoch,  dass  das  Eigen- 
tum erst  nach  des  Schenkers  Tode 
auf  den  Beschenkten  übergehen  sollte. 
In  den  beiden  ersten  Fällen  war 
gerichtliche  Auffassung  notwendig, 
der  dritte  Fall  wurde  als  Gelöbnis 
angesehen,  wofür  auch  eine  Urkunde 
hinreichte.  Das  römische  Recht  des 
Testaments  besassen  in  Deutschland 
anfanglich  bloss  die  Geistlichen,  die 
überhaupt  nach  dem  römischen  Recht 
lebten;  von  ihnen  aus,  namentlich 
durch  die  geistlichen  Gerichte,  fan- 
den die  Testamente  seit  dem  13. 
Jahrh.  in  den  Stadt- und  Landrechten 
Eingang. 

Erek  ist  der  Name  eines  Ritters 
aus  Artus'  Tafelrunde  und  der  Held 
eines  französischen  Epos  des  Crestien 
de*  Troyes  und  eines  danach  bear- 
beiteten deutschen  von  Hartmann 
von  Aue.  Erec  hat  die  schöne  Enite 
zur  Frau  genommen  und  verliegt 
sieh,  d.  h.  er  versäumt  ritterliche 
Abenteuer.  Darüber  trauert  Enite; 
r-rec,  wie  er  den  Grund  erfährt, 
zieht  mit  ihr  auf  Hutten  aus,  ver- 


bietet ihr  jedoch,  ihn  vor  Gefahren 
zu  warnen.  Da  sie  das  dennoch 
jedesmal  thut,  behandelt  er  sie  hart 
dafür.  Nach  vielen  Abenteuern  tritt 
er  seines  Vaters  Reich  an  und  ver- 
liegt sich  nicht  wieder.  Die  Grund- 
motive  sind  Ritterehre  und  Frauen- 
treue. 

Ermenrloh  ist  der  Hauntfeind 
Dietrichs  von  Bern  in  der  Helden- 
sage. Was  er  mit  dem  gotischen 
Könige  Airmanareiks  gemeinsam 
hat,  ist  nicht  nachzuweisen;  in  der 
Sa^e  erscheint  er  als  römischer 
Kaiser,  Oheim  Dietrichs;  er  entehrt 
die  Frau  seines  Marschalls  Sibich, 
worauf  er,  durch  dessen  treulose 
Räte  veranlasst,  sein  eigenes  Ge- 
schlecht zu  Grunde  richtet.  Die 
Söhne  seines  Bruders  Harlung  lässt 
er  hängen,  und  seinen  Neffen  Diet- 
rich von  Bern  zwingt  er  zur  Flucht 
ins  Hunnenland;  Etzel  giebt  jedoch 
dem  Berner  ein  Heer  mit,  durch 
dessen  Hilfe  dieser  in  der  Raben- 
schlacht den  Ermenrich  besiegt  und 
sein  Land  wiedergewinnt.  Die  ein- 
zelnen Momente  des  Lebens  Ermen- 
richs  laufen  in  den  Dichtungen,  die 
davon  erzählen,  sehr  auseinander. 

Ernst,  Herzog,  ist  in  der  Sage 
der  Sohn  einer  bairischen  Herzogin 
Adelheit,  welche  mit  Einwilligung 
eben  dieses  Sohnes  Kaiser  Otto  den 
Roten  heiratet.  Durch  den  Pfalz- 
grafen Heinrich  wird  Ernst  bei  sei- 
nem Stiefvater  verleumdet  und  da- 
raufhin seiner  Güter  entsetzt;  eine 
Fehde  entbrennt,  und  Ernst  erschlägt 
seinen  Verleumder  im  Pal  aste  des 
Kaisers;  darauf  flieht  er  in  Beglei- 
tung seines  treuen  Dienstmannen, 
des  Grafen  Wetzel,  als  Kreuzfahrer 
nach  Jerusalem.  Auf  der  Fahrt  ge- 
langt er  zu  einer  einsamen,  präch- 
tigen, menschenleeren  Burg  voller 
Lebensmittel.  Während  die  Kreuz- 
fahrer sieh  hier  gütlich  thun,  reitet 
ein  seltsames  Volk  heran,  in  weissen 
Kleidern,  langen  Hälsen  und  schma- 
len Schnäbeln  wie  Kraniche,  in  ihrer 
Mitte   eine    aus   Indien  geraubte 


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160 


Erzbischof.  —  Erzguss. 


Jungfrau  führend,  die  wie  eine  be- 
taute Rose  unter  Thrillen  einher- 
geht.  Herzog  Ernst  und  seine 
Mannen  fallen  über  das  Schnabcl- 
vieh  her,  ohne  die  Jungfrau  erretten 
zu  können.  Sie  ziehen  weiter,  kom- 
men in»  Lebermeer  an  den  Magnet- 
berg; nachdem  sein  Schiff  hier  ge- 
strandet, lässt  er  sich  von  Greifen 
auf  einen  fernen  Felsen  tragen. 
Dann  kommt  er  zu  den  Arimaspen, 
die  nur  ein  Auge  haben,  streitet 
für  deren  König  gegen  die  Platt- 1 
fÜ8se,  die  zum  Schutze  vor  Unwetter 
ihre  Füsse  wie  Schirme  über  sieh 
ausbreiten,  und  gegen  die  Langohren, 
die  ihre  Ohren  als  Kleidung  brauchen. 
Nach  anderen  wunderbaren  Aben- 
teuern kommt  er  endlich  nach  Jeru- 
salem, wo  er  grosse  Hutten  zum 
Heile  der  Christenheit  vollführt;  der 
Ruhm  seiner  Thaten  zum  Heile  der 
Christenheit  besänftigt  den  zürnen- 
den Kaiser  und  Stiefvater,  er  kehrt 
zurück  und  erhält  Frieden  und  Ver- 
zeihung. 

Der  Stoff  dieser  Sage  zerfallt  in 
zwei  Teile:  deren  erster  enthält  volks- 
mässig  epische  Erinnerungen  an 
Herzog  Emst  II.  von  Schwaben, 
der  sich  gegen  seinen  Stiefvater 
Konrad  II  auflehnte  und  trotz  der 
Verwendung  seiner  Mutter  Gisela 
samt  seinem  treuen  Freunde,  dem 
Grafen  Werner  von  Kiburg,  den 
Untergang  fand;  vermischt  und 
durchsetzt  mit  älteren  Erinnerungen  I 
an  die  Geschichte  Ludolfs  von 
Schwaben ,  Stiefsohn  der  Königin 
Adelheid,  Aufrührers  gegen  seinen 
Vater  Otto  I.  und  Feindes  seines 
Oheims,  Heinrich  von  Baiern.  Der 
andere  Teil,  die  Heerfahrten,  ent- 
halt morgenläudische  Sagen  und 
Fabeln  der  antiken  Weltbeschrei- 
bung, die  durch  die  Kreuzzüge  ent- 1 
weder  erst  bekannt  oder  zu  neuer 
Teilnahme  geweckt  worden  waren. 

Die  Sage  von  Herzog  Ernst  er-  I 
scheint  in  den  verschiedensten  For-  | 
men;  im  U>.  Jahrhundert  bearbeitete 
sie  ein  Fahrender,  dem  im  13.  und 


15.  Jahrh.  Überarbeiter  folgten,  da- 
zwischen lateinische  Bearbeitungru 
in  Prosa  und  Vers.  Der  Bänkel- 
sänger, der  den  Stoff  im  15.  Jahrh. 
in  der  sog.  Bernerweisc  bearbeitet;  , 
gab  Veranlassung,  diese  Melodie 
Herzog  Emsts  Ton  zu  nennen.  End- 
lich wurde  gegen  Ende  des  15.  Jahrh. 
aus  der  lateinischen  Prosa  ein  deut- 
scher Roman  gemacht,  der  nun 
unter  die  Volksbücher  geriet 

Erzbischof.    Bis  in  die  er>tc 
Zeit  Karl  d.  Gr.  war  die  Würde  ein« 
Erzbischofs  oder  Metropoliten  nicht 
mit  einem  bestimmten  Bistum  fest 
verbunden,  sondern  persönlich  bald 
dem  einem  Bischof,  bald  dem  andern 
übertragen  worden;  jetzt  wurde  dies« 
Würde  allmählich  mit  Rücksieht  auf 
das  seit  Alters  begründete  Ansehe» 
einzelner  Kirchen  geregelt.  In  Mai  tz 
erhielt  Lull,  des  Bonifaz  Nachfolger, 
780  das  Pallium   (siehe  den  Ar- 
tikel   geistliches  Ornat),    und  um 
die    Mitte    des   9.    Jahrh.  heia* 
Mainz     Metropolis     von  Germa- 
nien;   in   Köln    erhielt  Hildebold. 
Karls  d.  Gr.  Kaplan,  die  erzbiseh«^ 
liehe  Würde.    Ludwig  der  Fromme 
errichtete  das  Erzbistum  Hamhwt, 
dessen  Metropolit  in  Bremen  resi- 
dierte, mit  der  Aufgabe,  die  obere 
Leitung  der  skandinavischen  Kirch« 
zu  übernehmen;  in  Baiern  empfing 
der  Bischof  von  Salzburg  das  Pal 
lium;  im  Mosellande  befanden  sieb 
anfangs  die  Bischöfe  von  Metz  im 
Besitze  der  erzbischnrlichen  Würde: 
seit  Karl  d.  Gr.  war  Trier  Metro- 
politan für  Metz,  Toul  und  Verdau. 
Die  Erteilung  des  Palliums  erfolgte 
durch  den  Papst,  aber  mit  Zustim- 
mung des  frankischen  Königs.  Ott"I. 
gründete  970  das  Erzbistum  MagJ*- 
bürg. 

Erzguss.     Sein  künstlerisch* 
Betrieb  geht  in  Deutschland  mV 
hinter  die  Karolinger  zurück.  K 
der  Grosse  Hess  Kundige  Manu 
aus  Italien  und  anderen  Prov 
kommen,  um  das  Aachener  M 
mit  Gold  und  Silber,  ehernen  Gittrr 


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Erziehung. 


16t 


und  Thüren  zu  schmücken.    Unter  auf  die  Erde  gelegt,  bis  sich  der 

•Jen  Erzgiesseni  am  königlichen  Hofe  Vater  erklärte,  ob  er  es  leben  lassen 

betend  sich  ein  Mönch  aus  St.  Gallen,  wolle  oder  nicht.   Entschied  er  sich 

Namens  Tauko,  mit  dem  ein  frem-  j  für  jenes,  so  wurde  das  Kind  auf- 

der  Meister,  der  in  aller  Metall-  und  gehoben ,  daher  wahrscheinlich  der 

Glasarbeit  vortrefflich  war,  wett-  Name  Hebamme.  Entschied  er  sich 

eiferte.   Diese  Arbeiten  sind  zum  für  das  letztere,  so  wurde  das  Kind 

Teil  in  vier  Metallthüren ,  Brust-  ausgesetzt;  doch  beschränkte  sieh 

Rändern  der  Emporen,  einer  wasser-  [  die  Aussetzung  auf  gewisse  Stämme 

Ru  nden  Wölfin  und  einem  Pinien-  und  auf  bestimmte  Verhältnisse,  wie 

saptVü  noch  erhalten.  Im  10.  Jahrh.  grosse  Armut  der  Eltern,  Teuerung, 

^rundete  Bischof  Bernward  von  oder  sie  betraf  schwächliche  und 
Hüdesheim  eine  klösterliche  Giess- .  krüppelhafte  Kinder  und  zwar  Mäd- 

i^iire,  deren  ansehnliche  Werke  in  chen  häufiger  als  Knaben.  Sobald 

-ach*. n  teil  weise  erhalten  sind,  Thür-  dem  Kinde  nur  die  geringste  Nah- 

lügel,  eine  nach  dem  Muster  der  rung  zu  teil  geworden  war,  ein 

rraiaasaaule  entworfene  Säule  zu  Tropfen  Milch  oder  Honig,  so  war 

iilaesheim,  Kronleuchter  und  die  die  Aussetzung  nicht  mehr  gestattet. 
.rRibtaiel  des  Gegenkönigs  Rudolf  Dagegen   konnte   das  Kind  noch 

oü  Schwaben  (f  1080)  im  Dom  zu  später  im  Falle  äusserster  Not  iu 

!  r-eburg.     Während   in    dieser  die  Sklaverei  verkauft  werden, 

rikereu  Periode   des  Mittelalters  War  das  Kind  aufgehoben ,  so 

Ii  Steinwerke  an  Anzahl  von  den  wurde  es  gebadet,  mit  Wasser  be- 

'O^Werken  noch  überragt  werden,  gössen  und  ihm  dabei  der  Same 

liniffif  mit  der  Gotik  die  Bildnerei  gegeben,  eine  altgermanische  heid- 

*  ^tein  überhand  und  tritt  der  Erz-  nische  Sitte,  die  ganz  zu  der  Taufe 
US*  zurück,  der  von  da  an  lange  stimmte.  Gewöhnlich  war  es  der 
rit  mehr  handwerksmäßigem  Be-  vornehmste  der  anwesenden  Männer, 
vbe  überlassen  bleibt.  In  Sachsen  der  das  Wasser  über  das  Kind  goss 
adfn  sich  die  meisten  gegossenen  und  ihm  den  Namen  beilegte;  man 
anfkessel,  und  die  Städte  Braun-  wählte  dazu  mit  Vorliebe  den  Namen 
fcwfcisr.  Dortmund,  Erfurt,  Leipzig,  des  mütterlichen  Oheims  oder  des 
apHurg,  Zwickau  werden  als  Grossvaters.  Viele  Zeugen  zu  der 
ie^stätten  genannt.  Aus  Nürn-  Handlung  zu  versammeln,  war  alter 
krg  gingen  später  die  grössten  Erz-  Brauch.  Wer  den  Namen  gab,  fügte 
&i'-r hervor, darunterJMp&v  VUcher,  ein  Geschenk  an  liegender  oder  fah- 
^  —  1529:  er  betheiligte  sich  render  Habe  hinzu.  Ebenso  pflegte 
i  dem  bedeutendsten  Werke  des  man  den  ersten  Zahn  mit  einer 
tpusea  aus  der  Frührenaissance-  Gabe  zu  begrüssen. 

it.  lern  Grabmal  des  Kaisers  Max  Da  nach  germanischem  Recht  der 

Innsbruck.  Unmündige  den  Stand  des  Unfreien 

Erziehung.  Nach  altgerm.  Rechts-  teilt,  daher  Knecht  und  Knabe,  Magd 

^Laming  stand  es  in  der  Willkür  und  Jungfrau  in  der  alten  Sprache 

*  Vaters,  ob  er  das  neugeborene  zusammenfallen,  so  wuchs  das  Kind 
nd  überhaupt  aufziehen  lassen  des  Freien  zusammen  mit  den  Kiu- 
Ute:  es  stand  ihm  frei,  es  zu  töten,  dem  der  Knechte  auf;  Tacitus 
*M*etzen  oder  zu  verkaufen.  Doch  Germ.  20  berichtet  :  „In  jedem  Hause 
Ml  dies  im  westlichen  Deutschland  wachsen  die  Kinder  nackt  und 
It'ür  vor  als  im  Norden,  und  schmutzig  zu  jenen  Gliedern  und 
b'»n  Tacitus  (Genn.  V*)  erwähnt  Leibern  heran ,  die  wir  anstaunen. 

Rechtes  nicht  mehr.    Bald  Die  Mutter  nährt  ein  jedes  an  ihrer 

*k  der  Geburt  wurde  das  Kind  eigenen  Brust,  und  sie  werden  nicht 

^teiieon  der  deutschen  Altertümer.  11 


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162 


Erziehung. 


Mägden  oder  Ammen  überwiesen. 
Herrn  und  Knecht  kann  man  an 
keinerlei  Bevorzugung  in  der  Er- 
ziehung unterscheiden.  Unter  dem- 
selben Vieh,  auf  demselben  Boden 
leben  sie  miteinander,  bis  das  heran- 
reifende Alter  die  Freigeborenen 
aussondert.  Tapferkeit  sie  kenntlich 
macht."  Oft  wurden  gleichalterige 
unfreie  Kinder  den  freien  Kindern 
bei  der  Namengebung  zum  Eigen- 
tum geschenkt  und  blieben  das 
ganze  Leben  in  ihrer  nächsten  Um- 
gebung. Überhaupt  trug  das  Zu- 
sammenleben der  freien  und  un- 
freien Kinder  zu  einer  Ausgleichung 
der  Standesverschiedenheit  bei. 

In  den  ersten  Jahren  lebten 
die  Kinder  beiderlei  Geschlechtes 
unter  der  Obhut  der  Mutter;  ob, 
was  in  Skandinavien  häufig  geschah, 
die  Knaben  früh  schon  in  das  Haus 
eines  Freundes  oder  eines  Ver- 
wandten und  zwar  besonders  zum 
Bruder  der  Mutter  gegeben  wurden, 
ist  durch  keine  Zeugnisse  belegt, 
aber  nicht  unwahrscheinlich.  Die 
Töchter  wurden  ausser  in  den  Ar- 
beiten ihres  Geschlechtes  auch  in 
der  .Kenntuis  der  Runen  unterrichtet  ; 
im  Übrigen  blieben  sie  in  der  Mund- 
schaft des  Vaters  oder  des  gebore- 
neu Vormundes,  bis  sie  mit  der 
Verheiratung  in  die  Mundschaft  des 
Ehemannes  traten;  was  sie  ftusser- 
lich  vor  der  Verheiratung  einzig 
kennzeichnete,  war  der  freie  Haar- 
wuchs, sonst  bloss  der  Schmuck  des 
Freien;  als  Braut  musste  sie  die 
Locken  verschneiden,  und  die  Zöpfe 
wurden  ihr  aufgebunden.  Die  Kna- 
ben dagegen  wurden,  solange  sie 
in  der  Gewalt  des  Vaters  waren, 
stets  von  frischem  geschoren. 

Mit  der  Stellung  der  Kinder  zu 
den  Eltern  hängt  ein  eigentümlicher 
Gebrauch  früherer  Jahrhunderte 
zusammen,  dass  nämlich,  wenn  die 
ganze  Familie  über  die  Strasse 
schritt,  zuerst  die  Töchter,  dann  die 
Mutter,  sodann  der  Vater  und  dann 
erst  die  Söhne  kamen.  Die  Weiber 


gehen  den  Männern  voran,  wie 
( sonst  das  Gesinde  voranzugehen 
pflegt,  um  der  Herrschaft  den  Weg 
:  zu  räumen,  und  unter  den  Weiben 
kommen  die  Töchter  vor  der  Mutter, 
weil  sie  in  ihrer  Dienstbarkeit  z  - 
nächst  dieser  untergeben  sind.  Di- 
Söhne  aber  folgen  dem  Vater,  weil 
sie,  gleichsam  das  stehende  hVr 
des  Hauses,  ihn  als  ihren  Waftu- 
meister  und  Feldhcrra  an  der  Spitz 
haben  müssen. 

Hatte  der  Sohn,    nachdem  B 
frühzeitig  zu  körperlichen  Übung« 
angehalten  worden  war,  zum  Führen 
der  Waffen,  Reiten,  Schwimme 
Jagen,  hinreichende  Proben  sein?* 
Mutes  abgelegt,  so  erfolgte,  die  feier- 
liche Welirhaftmachuiig.  Öffentlich 
vor  dem  Volke,  vor  Freunden  n&i 
Verwandten  wurde  er  vom  Vate; 
oder  einem  befreundeten  Edeln  mii 
Schild  und  Framea  ausgerüstet  und 
mit  dem  ersten  ihm  seiest  gehören- 
den Schwerte  wurde  er  als  fahifi 
bezeichnet,  sich  und  andere  zu  b<- 
schützen.    Die  Wehrhaftmachinej 
eschah  etwa  im  15.  Jahre;  voü-| 
ommen  frei  wurde  der  Sohn  aböj 
erst  mit  Antritt  des  21.  Jahres;  d&as 
musste  er,  wenn  dieses  nicht  seh*i 
vorher  geschehen  war,  aus  der  Mumi< 
schaft  des  Vaters  austreten,  j*ü 
eigener  Herr  werden,   mochte  d 
sich  nun  verheiraten  und  einen  eigei 
nen  Hausstand  gründen  oder  ooj 
verheiratet  bei  seinem  Vater 
anderswo  um  Lohn  arbeiten  oder  flj 
die  Schar  eines  Gefolgsherru  ein 
treten. 

Die  Völkerwanderung  brachte  ü 
diese  einfachen  Zustände  mancÜ 
Verwirrung  und  anfänglich 
falls  nichts  Schöneres.  Schon  d 
6.  Jahrh.  liebten  es  reiche  Ang^ 
sachsinnen,  ihre  Kinder  Ammen  i 
übergeben,  eine  Unsitte,  die  in  ■ 
höfischen  Zeit  allgemein  wurde.  Fi 
die  Knaben  und  Mädchen  kam! 
Zuchtmeister  auf,  ahd.  magacz*r\ 
magazogo,  mhd.  magezoqe  und 
zogine,  zuhtmeister  una4  zukhn^ffl 


IT 

k 


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Erziehung. 


163 


n'nue,  zuerst  ohne  Zweifel  für  die  { 
Kinder  des  Königs  und  der  Fürsten,  I 
ilann  weitergreifend   für  die  der 
Vornehmen  und  des  Adels  über-  \ 
haupt   Kenntnis  der  Gesetze  und 
de*  .Schriftrum»  im  Allgemeinen  ver- 
tagte eüien  besonderen  Unterricht, 
•ier  naturgemäss  von  Geistlichen  ge- 
I  itet  and  gegeben  wurde. 

Dies  wurde  besonders  durch 
Karl  d.  Gr.  weiter  ausgebildet.  Der- 
se/be  richtete  sogar  für  seine  Töch- 
ter nebeu  dem  Unterricht  im  Weben 
und  Spinnen  eine  Art  wissenschaft- 
lichen Unterrichts  ein.  Besonders 
tollten  die  Klosterschulen  für  den 
L'nterrieht  der  Söhne  des  Adels 
dienen;  nach  denn  Vorbilde  englischer 
Fraueuklö^ter  wurden  durch  eng- 
lische Nonnen  deutsche  Frauen- 
kloter  gestiftet,  besonders  Bisehofs- 
h^im  an  der  Tauber,  Stätten,  die  in 
der  Folgezeit  die  gewönlichen  Er- 
zi^hungsstatten  für  reichere  Mäd- 
chen worden,  und  iu  denen  nebst 
feineren  weiblichen  Arbeiten  auch 
ritt  gewisse  wissenschaftliche  Bil- 
dung g.  geben  wurde;  der  Besitz 
eine^  geschriebenen  Psalters  ist  im 
Mittelalter  für  die  Frau  Regel  und 
ßthlt  zur  Gerade  (siehe  den  bes. 
Art). 

Weniger  Erfolg  hatten  auf  die 
I-tüge  Karls  d.  Gr.  Bemühungen 
um  wissenschaftlichen  Unterricht  der 
Knaben.  Zwar  waren  in  den  Klöstern 
neben  den  für  den  Nachwuchs  der 
Manche  bestimmten  inneren  Schulen 
besondere  äussere  Schulen  für  Welt- 
?»-i>tliche  und  Laien  eingerichtet; 
die  Folgezeit  weist  aber  einen  Stand 
der  Vornehmen  auf,  der  von  ge- 
lehrter Bildung  sehr  wenig  ange- 
nommen hat.  Dagegen  hat  die  Aus- 
bildung de»  ritterlichen  Stande*  auch 
eanz  besondere  konventionelle 
Stanaeserziehung  geschaffen.  Ziel 
derselben  war  vor  allem  höfische 
Lebensart,  zuht ,  hovescheit,  im 
'Gegensatz  zur  unzuht,  dorperheit, 
viiövetcheit sie  beruhte  auf  einem 
ständigen  Benehmen,  auf  Kennt- 


nis der  gewöhnlichen  Spiele,  der 
Musik  und  der  Sprachen.  Ausser 
Weltgeistlichen ,  rlofkaplauen  be- 
sonders, bediente  mau  sich  dabei 
der  Spielleute,  die  zugleich  Sprach- 
meister waren;  französische  kamen 
nach  Spanien,  Italien  und  Deutsch- 
land; deutsche  Spielleute  waren  iu 
Italien,  deutsche  Geiger  in  Frank- 
reich im  13.  -Jahrb.  sehr  beliebt.  Für 
die  Knaben  war  frühe  Übung  im 
Waffenspiel  unerlässlich,  ähnlich  den 
Knaben  der  Taciteisehen  Zeit;  sie 
lernten  Strapazen  ertragen,  reiten, 
laufen,  klettern,  springen,  mit  dem 
Bogen  schiessen,  den  Speer  werfen, 
mit  Schild,  Lanze  und  Schwert 
kämpfen.  Ein  eigentlicher  Fecht- 
meister hiess  schirmmeister.  Wenn 
in  den  Dichtungen  dieser  Zeit  häufig 
das  7.  Jahr  als  der  Beginn  solcher 
Erziehung  angegeben  wird,  so 
scheint  das  nient  germanisch,  son- 
dern von  den  Römern  hergebrachte 
Sitte  gewesen  zu  sein.  Dagegen  ist 
es  germanisches  Recht,  wenn  der 
Knabe  mit  dem  12.  Jahr  an  einen 
fremden  Hof  geschickt  wird,  um 
dort  unter  der  Obhut  eines  befreun- 
deten Mannes  zum  Ritter  heranzu- 
wachsen, er  gehört  dann  unter  die 
leint;  er  war  zu  seinen  Jahren  ge- 
kommen, er  rersan  sich,  d.  h.  er 
war  zur  Besinnung,  zum  eigenen 
Denken  und  Handeln  gelangt.  Die 
letzte  Staffel  vor  der  Ritterwürde 
nahm  der  Knappe  ein,  der  seinem 
Herrn  schon  in  dem  Ernst  des  Le- 
bens ein  Begleiter  war,  und  die  alt- 
germanische Wehrhaftmachunq  er- 
hielt sich  endlich  im  sog.  Ritter- 
schlag, in  der  swertleite.  Näheres 
beim  Artikel  Rittertum. 

In  der  Folgezeit  kommen  für  die 
neuen  Verhältnisse  auch  neue  Bil- 
dungsmittelauf; für  Kunst  und  Hand- 
werk Lehre  und  Wanderschaft,  für 
die  gelehrten  Stände  die  niedere  und 
die  hohe  Schule,  für  den  Adel  das 
Reisen.  Weinhold,  Deutsche  Frauen, 
Abschn.  IV;  Schulze,  Höfisches 
Leben. 

11* 


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164 


Eselsfest.  —  Eulenspiegcl. 


Eselsfest  heisst  eine  im  Mittel- 
alter in  mehreren  Städten  Frank- 
reichs gefeierte  Volksbelustigung. 
Zu  Rouen  war  das  um  die  Weih- 
nachtszeit begangene  fesfutn  asino- 
rum  ein  auf  die  Vorhersagung  der 
Geburt  Christi  sich  beziehendes 
Schauspiel:  Moses  und  die  Propheten, 
dann  ^  irgil  und  die  Sibylle  als  Re- 
präsentanten des  Heidentums  prophe- 
zeiten die  Ankunft  Christi,  ebenso 
—  als  Hauptszeno  —  Bileams  Esel, 
durch  den  Mund  eines  zwischen 
seinen  Beinen  versteckten  Priesters. 
Die  Szene  der  Männer  im  feurigen 
Ofen  und  ein  von  sämtlichen  Mit- 
spielern gesungener  Chorgesanj* 
schloss  das  Spiel.  —  Zu  Beauvais 
und  Sens  beging  man  am  14.  Jan. 
ein  Eselsfest  zur  Erinnerung  an  die 
Flucht  nach  Aegypten.  Schmidt  in 
Herzogs  Real-Encykl. 

Etzel,  eiue  bekannte  Person  der 
deutschen  Heldensage.  Die  Gruud- 
züge  seiner  Sage  sind  folgende: 
Etzel,  Botelungs  Sohn,  erobert  sieh 
Hünenland  und  überlässt  seinem 
ältern  Bruder  das  väterliche  Reich. 
Dann  wirbt  er  um  Herche,  Oserichs 
Tochter.  Sie  wird  ihm  versag, 
aber  Markgraf  Rüdiger  kommt  in 
einer  Verkleidung  an  ihres  Vaters 
Hof  und  entführt  sie  zu  Etzel,  der  ( 
nun  in  fortwährender  Feindschaft  mit 
Oserich  lebt.  —  Etzels  Zug  (jenen 
Waldemar.  Oserichs  Bruder.  Diet- 1 
rieh,  Waldemars  Sohn,  wird  vom 
Berner  gefangen,  Herche  heilt  seine 
Wunden.  Er  entflieht,  aber  der 
Berner  holt  ihn  ein  und  haut  ihn 
nieder.  Grosse  Sehlacht  zwischen 
den  Hünen  und  Russen,  völliger! 
Untergang  Waldemars  und  Erobe-  j 
rung  von  Russlaud.  —  Etzel  hat 
nach  dem  Tode  der  Herche  um 
Kriemhild  geworben,  und  diese  hat 
in  der  Hoffnung,  dadurch  an  den 
Feinden  Siegfrieds  Rache  nehmen 
zu    können,    eingewilligt.  Siehe 

von  jeher 


einp'wi 

Sibelungenlied,    Es  la 


auf  der  Hand,  den  Held  der  Sage 
mit  dem  historischen  Hunnenkönig 


Attila  zu  identifizieren,  und  es  i>t 
kein  Zweifel,  dass  der  historisch» 
Attila  zur  Ausbildung  der  Sagen 
gestalt  Etzels  beigetragen  hat;  ob 
aber  der  sagenhafte  Etzel  aus  der 
historischen  Person  Attilas  hervor- 
gegangen, ist  sehr  zweifelhaft.  D»t 
dem  deutschen  Etzel  entsprechen»]» 
nordische  Held  Atli  stimmt  in  vielen 
Beziehungen  gar  nicht  zum  histori 
sehen  Hunnenkönig. 

Eulenspieg-el ,  der  Name  ehre 
Schalksnarren,  auf  den  zahlreich« 
Schwänke  der  wandernden  H;<wi- 
werksburschen  und  sonstiger  fahr» •«• 
der  Leute,  ältere  und  neuere.  fremd* 
und  einheimische,  oberdeutsche  un  I 
niederdeutsche  übertragen  wurden. 
Die  auf  einen  Grabstein  sich  stützen! 
Nachricht,  dass  er  1350  zu  Mölln, 
einem  Städtchen  bei  Lübeck  gertor- 
ben  sei,  ist  urkundlich  nicht  belegt 
Sicher  ist  aber,  dass  der  Nam«1 
Eulenspiegel  als  der  eines  Schalk? 
narren  und  Schwänke  von  ihm  lan^e 
vor  dem  ersten  bekannten  Volk- 
buche vorhanden  waren;  ßpitgd 
scheint  hfer  eine  ähnliche  Bedeutung 
wie  im  Schwabenspiegel,  sjieevh'* 
hutoriale  u.  dgl.  gehabt  zu  haben 
Die  erste  bekannte  Ausgabe  ist  vom 
Jahre  1519,  oberdeutsch  geschrieben, 
und  wird  in  einer  Spottschrift  an: 
Murner  diesem  zugeschrieben,  wa? 
ebenfalls  nicht  näher  nachzuweisen 
ist;  jedenfalls  war  das  Buch  nr 
sprünglich  niederdeutsch  verfaßt, 
da  der  Held  in  Niedersachsen  n\ 
Hause  ist:  „Bei  dem  wähl  Mt!m* 
genannt,  in  dem  land  zuo  Sachsen, 
in  dem  dotf  Knetlingen,  da  *rari 
llnspieqel  gebor n,  und  sein  raff 
hiess  Claus  llnspiegel  und  tev* 
muoter  Ann  Wifcken."  Der  Älteste 
nachgewiesene  Druck  ist  zu  Stra* 
bürg  1519  erschienen,  und  das  Buch 
wurde  von  da  an  das  am  meisten 
verbreitete  Volksbuch  und  ins  Ni,>- 
derländisehc.  Französische,  Eng- 
lische, Polnische  und  Lateinisch^ 
übersetzt.  Fischart  brachte  es  in 
Reime.    Die  älteste  Ausgabe  samt 


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Evangeliariam.  —  Evangelisten.  165 


Abhandlungen  bei  Lappenberg,  Dr.  Bearbeitung  des  von  der  Lrau  Ära 
Thomas  Mürners  l'lenspiegel.  Leip-  um  1100  gedichteten  Lebens  Jesu, 
zig  1854.  welche  jüngere  Bearbeitung  man  die 
ETan?eliariam  9    sc.    volumen,  (rtiWrVrerEvaugelieuharmonie  nennt, 
heisst  das  Buch,  welches  die  zum  Evangrelienseite  he isst  diejenige 
öffentlichen    Vorlesen    bestimmten  Seite  des  Altars,  welche  rechts  von 
Abschnitte  der  Evangelien  enthielt,  dem  auf  dem  Altare  stehenden  Kru- 
wie  Epitfolare,  EpisMari um.  die  Ab-  zifixe  ist,  also  gewöhnlich  die  nörd- 
schnitte  aus  den  apostolischen  Brie-  liehe ;  von  der  auf  dieser  Seite  be- 
feo.  wozu  auch  die  Apostelgeschichte  fiudlichen  Kanzel  werden  die  Evan- 
und  Apokalypse  gerechnet  wurden,  gelien  verlesen. 
Beide  zusammen  neissen  auch  Lee-  Evangelisten  werden  in  der  äl- 
tijnarium  oder  Lectionarium  pfenum.  testen  Zeit  symbolisch  durch  vier 
Schon  Chrysostomus  tadelt  es,  dass  Schriftrollen  in  den  vier  Ecken  eines 
man  prächtige  Pergamentexemplare  griechischen  Kreuzes  oder  als  vier 
solcher  Bücher  mit  kostbaren  Ein-  Bücher ,  oder  als  vier  Flüsse  dar-  • 
banden  und  goldenen  Buchstaben  gestellt,  die  aus  einem  Felsen  messen, 
mehr  liebe,  als  fleissiges  und  an-  auf  welchem  Christus  alsdann  mit 
dachtiges  Bibellesen.  Auch  fiir  die  der  Kreuzfahne  steht.    Schon  im 
Synoden,  die  Gerichtssäle,  besonders  2.  Jahrh.  werden  die  spätem  vier 
zu  in  behufe  der  Eidesleistungen,  bei  Evanqelistenzeichen  erwännt,  die  um 
Bisehofsweihen ,  Krönungen  wurde  j  600  folgendermassen  von  Hierony- 
<hs  Evangelieubuch  notwendig.  j  mus  erklärt  werden:  Matthäus  bc- 
ETangeüenharraonien    heissen  kommt  den  geflügelten  Menschen, 
Zusammenstellungen  der  vier  Einzel- j  nicht  Cherub  oder  Engel,  weil  sein 
Evangelien  in  einem  Gesaintcvange-  Evangelium  mit  der  menschlichen 
lium.  Der  erste,  der  dieses  that,  ist  Abstammung  Christi  begiunt;  Mar- 
der  Assvrer  Tatian,  der,  von  sek-  kus  den  Löwen,  weil  er  sein  Evan- 
tiererischem  Interesse  geleitet,  die  gelium  mit  der  Stimme  Johannes 
evangelischen  Berichte  mit  willkür-  des  Täufers  in  der  Wüste  beginnt 
liehen  Auslassungen,  z.B.  der  Genea-  und   weil  bei  ihm  die  königliche 
Jopen  zusammenstellte;  dieses  Werk, ,  Würde   Christi,  des  Löwen  vom 
einst  beliebt,  ist  verloren  gegangen.  Stamm  Juda,  des  Auferstandenen, 
Ebensowenig  erhalten  ist  die  Har-  überwiegt;  Lukas  erhält  den  Stier, 
monie  des  Alexandriners  Amnwnius,  |  d.  h.  das  Opferrind,  weil  sein  Evan- 
Lehrers  des  Origenes,  um  224 ,  der  gelium  mit  dem  Opfer  des  Zacharias 
*ich  die  Aufgabe  stellte,  den  voll-  beginnt,  das  Tier  deutet  auch  auf 
staudigen  Text  der  vier  Evangelien  deu  Opfertod  Christi;  Johanns  er- 
zusammenzustellen. Erhalten  ist  bloss  halt  den  Adler,  weil  er  sich  gleich 
die  vom  Bischof  Viktor  von  Capua  am  Anfang  seines  Evangeliums  zum 
000  redigierte  lateinische  Evangelien-  Mittelpunkte  des  göttlichen  Glanzes 
harmonie  aus  dem  6.  Jahrb.,  deren  erhebt 

Öriginalhandschrift  durch  Bonifatius  Die  bvzautinische  Kunst  stellt 

nach  Fulda  gebracht  und  hier  ins  die  vier  Gestalten  häufig  in  einer 

Deutsche  übersetzt  wurde,  heraus-  Viergestalt  oder  einem  Tetramorph 

gegeben  von  Schindler  1841,  und  dar,  und  zwar  entweder  in  einer 

Vierers.   1872.     Mit   dem  Namen  Eugelsgestalt ,    welche   sechs  mit 

Erangelienharnvmie   benennt  mau  Augen  besäete  Flügel  hat,  in  der 

auch  die  beiden  christlich-deutschen  Mitte  der  Mensch,  oder  in  monströser 

Epopöen  des  9.  Jahrb.,  diejenige  des  Tiergestalt,  animal  ecclesiae,  Reittier 

Otfried  und  den  angelsächsischen  der  Kirche,  z.  B.  im  Hortus  delicia- 

I&Hand,  und  endlich  eine  jüngere  rum  der  Herrad  von  Landsberg  mit 


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166 


Ewiger  Jude. 


vier  Köpfen  der  Evangelistenzeichen 
und  vier  Beinen,  die  von  vier  Tieren 
entnommen  sind.  Im  Abendland 
erschienen  die  vier  Gestalten  meist 
einzeln  und  zwar  in  der  ältem  Zeit 
geflügelt  als  ganze  Figur,  später  tritt 
aie  Menschengestalt  mit  dem  Kopf 
des  betreffenden  Zeichens  ein. 

Die  Evangelisten  werden  auch 
mit  den  vier  grossen  Propheten  zu- 
sammen, auf  ihren  Schultern  sitzend, 
dargestellt,  oder  mit  den  vier  grossen 
Kirchenlehrern.  Persönlich  darge- 
stellt tragt  Matthäus  ein  Buch  und 
sehreibt  sein  Evangelium,  Markus, 
'  als  kräftiger  Mann  mittleren  Alters, 
mit  langer  Nase,  tiefgezogenen  Au- 
genbrauen, schönen  Augen,  kahlem 
Kopf,  herabfliessendem  Bart,  mit 
untermischten  grauen  Haaren;  der 
Sage  nach  ist  er  von  St.  Petrus  be- 
kehrt und  dessen  Lieblingsschüler; 
über  seinen  Gebeinen  ist  die  Markus- 
kirehe  von  Venedig  erbaut.  Lukas, 
Lieblingsschüler  des  Paulus,  soll  in 
Griechenland  und  Ägypten  das  Evan- 
gelium gepredigt  haben.  Dass  er 
Maler  gewesen  sei,  lässt  sich  seit 
dem  10.  Jahrh.  nachweisen.  Mit 
dem  Buch  und  geflügeltem  oder  un- 
geflügeltem Rind  wird  er  gewöhn- 
lich oartig  dargestellt.  Johannes 
hat  als  Evangelist  und  Verfasser  der 
Offenbarung  den  Adler  und  ist  in 
der  älteren  Kunst  ein  Mann  mit 
weissem  Haar,  langem  Bart,  später 
oft  jugendlich,  bartlos.  Nach  Müller 
und  Mothes,  Arch.  Wörterb. 

£wiger  Jnde.  Die  Hauptveran- 
lassung zur  Annahme  eines  ewigen 
Wanderers  waren  ohne  Zweifel  die 
Bibelstellen  Matth.  16,  28  u.  Joh.  21, 
20  ff.,  welche  man  darauf  deutete, 
dass  Johannes  dieWiederkunftChristi 
erleben  werde.  Man  meinte,  entwe- 
der sei  er  lebendig  in  das  urab  ge- 
stiegen, wo  er  nur  schlummere,  oder 
er  sei  nur  scheinbar  gestorben  und 
habe  später  die  Gruft  wieder  ver- 
lassen; auch  war  die  Ansicht  ver- 
breitet, Johannes  werde  erst  zugleich 
mit  Elias  durch  den  Antichrist  sei- 


nen Tod  finden.  Man  hat  auch  Kunde 
von  verschiedenen  Betrügern ,  die 
sich  für  den  Apostel  Johannes  aus- 
gaben. Eine  andere  biblische  Per- 
sönlichkeit kann  naeh  der  mittel- 
alterlichen Sage  den  Tod  nicht  nnd-n. 
nämlich  jener  Diener  des  Hohen- 
priesters Kaiphas,  der  Christo  einen 
Backenstreicn  versetzte;  die  Sa^e 
identifiziert  ihn  mit  Malehus,  dem 
Petrus  das  Ohr  abhieb,  welches  Chri- 
stus wieder  heilte.  Er  ist  verurteilt, 
unter  der  Erde  um  die  Säule  n 
laufen,  an  welche  Christu«  vor  sei- 
ner Kreuzigung  gebunden  wurde.  In 
seiner  Verzweiflung  sucht  er  sich 
immer  von  neuem  den  Tod  zu  ge- 
ben, indem  er  mit  dem  Kopf  an  die 
Säule  stösst.  Er  kommt  auch  unter 
dem  Namen  Joseph  vor.  Mitbestim- 
mend zur  Entwickelung  der  Sace 
vom  ewigen  Juden  war  wahrschein- 
lich die  apologetische  Tendenz,  Ein 
würfen  der  Juden  und  anderer  Zweit- 
ier gegenüber,  die  Lehre  von  Christum 
durch  Aussagen  eines  noch  lebenden 
Zeitgenossen  Christi  zu  unterstützen. 
Der  älteste  bis  jetzt  nachweisbare 
Beweis  über  jenen  Joseph  findet  siefc 
in  den  Mores  historiarum  des  Roger 
von  Wendoicer,  £est.  1237,  eines  Mou- 
ches der  Abtei  St.  Alban  in  En  Ir- 
land; derselbe  erzählt,  ein  arme- 
nischer Erzbischof  sei  einmal  nach 
St.  Alban  gekommen  und  habe  fol- 

5 ende  Nachricht  über  den  ewigeu 
uden  mitgeteilt:  Der  Jude  Gtrto 
philus  war  Pfortner  des  Palastes  iui 
Dienste  des  Pilatus.    Als  nun  th> 
|  Juden    Christus   aus    dem  Palast 
!  schleppten,  versetzte  ihm  der  Pfbrr 
ner  unter  dem  Thor  einen  Schlag 
mit  der  Faust  und  sprach:  „Gehe 
hin,  Jesus,  immer  gehe  schneller, 
was  zögerst  du?"  Jesus  sah  sich  un 
mit  strengem  Blicke  und  erwidert«- : 
„Ich  gehe,  Du  aber  sollst  warten, 
bis  ich  wiederkomme."  Der  Pfört 
ner  war  damals  30  Jahre  alt.  aber 
allemal,  wenn  er  wieder  100  Jahr- 
zurückgelegt  hat,  wird  er  von  einer 
Schwäche  ergriffen,  fällt  in  Ohn- 


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Exhortatio  ad  plebem  christianain. 


167 


macht.  dann  wird  er  wieder  gesund 
und  lebt  wieder  auf.    Er  hat  sich 
von  Anan Li?  taufen  lassen  und  den 
Xameu  Joseph  erhalten,  führt  als 
i  Tirist  ein  frommes,  strenges  Büsser- 
leben,  in  der  Hoffnung,  dereinst  be- 
gnadigt zu  werden.  Der  Name  Car- 
taphilus  ist  ohne  Zweifel  aus  xuqut 
ftio:,.MhT geliebt'4  entstanden  und 
erinnert  an  Johannes.  Die  Erzählung 
Rogers  findet  sieh  mit  nur  geringen 
Ergänzungen  bei  versehiedenen  spä- 
tem Schriftstellern.    In  ein  neues 
Ge  wand  gekleidet  erscheint  sie  dann 
im  Anfang  des  17.  Jahrh.  zu  einer 
Z*-it,  wo  das  christliche  Europa  in 
hohem  Grade  durch  die  doppelte 
Nachricht  in  Schrecken  gesetzt  war, 
da-s  der  Antichrist  erschienen  sei 
und  von  Babylon,  wo  er  geboren, 
^inensiegreienen  Feldzug  angetreten 
habe,  und  dass  der  jüngste  Tag 
nahe  sei.   Im  Jahre  1602  erschien 
unn anonym  die  „Kurtze  Betchrei- 
1 1  nutiund  Erzählung  von  einem  Juden 
%iit  Samen  Ahasreruf^  gedruckt  zu 
Xeyden  bei  Christoph  Creutzer". 
Hierin  erzahlt  der  Verfasser,  dass 
er  und  andere  Studenten  wiederholt 
vv-d  dem  nachmaligen  Bischof  von 
Nrhleswig.  Paul  von  Eitzen,  ver- 
dünnen, dass  er  im  Jahr  1542  auf 
tiner  von  Wittenberg  <  wo  er  stu- 
«ürrtej  nach  Hamburg  unternomme- 
nen hVise  am  letzten  Orte  in  der 
Kirche  einen  Mann  im  Alter  von 
oagefabr  50  Jahren  getroffen,  der 
ifiLi  durch  sein  sonderbares  Beueh- 
meu  aufgefallen  sei    Es  war  eine 
zr'jdse  Gestalt  mit  langen,  über  die 
Achseln   herabhängenden  Ilaaren, 
^•kleidet  mit  zerfetzter  Hose  und 
einem  Rock,  über  dem  er  einen  bis 
auf  die   Füsse  reichenden  Mantel 
tni£.  Trotz  des  harten  Winters  er- 
^beu   er  in  der  Kirche  barfuss. 
Auf  Befragen  hätte  er  sich  für  einen 
>chuhmacHer   aus   Jerusalem,  mit 
Namen  Ahanreru*  auagegeben,  wei- 
ther Ton  Christus,  dem  er  auf  dem 
Wonach  Golgatha  eine  kurze  Rast 
Einern  Hause  verweigert,  zu  ewi- 


ger Wanderschaft  verurteilt  worden 
wiire.  Die  Druekbezeichnungen 
„Levden"  und  „Christoph  Creutzer" 
sind  jedenfalls  fingiert,  ebenso  auf 
schnell  folgenden  Ausgaben  der 
Druckort  ,.  11  nutzen  bey  Wolfgang 
Suchnaeh",  wie  nicht  minder  der 
Name  des  Herausgebers  folgender 
Drucke:  „Chrysostornus  Duduliius 
aus  Westfalen",  ein  bis  jetzt  noch 
nicht  enträtseltes  Pseudonym  ist. 
Bald  verbreitete  sieh  das  Büchlein 
in  die  Litteraturen  fast  aller  europä- 
ischen Sprachen. 

Einige  Züge  der  Ahasverussage 
werden  auf  den  Gott  Wodan  ge- 
deutet: der  ewige  Jager  ist  zum  ewig 
Wandernden  geworden;  er  trügt  wie 
Wodan  einen  breiten  Hut,  einen 
grauen  zerfetzten  Mantel  und  Nagel- 
schuhe, und  zahlreiche  Volkssagen 
haben  die  uralte  Bedeutung  dieses 
ewigen  Juden  erhalten.  In  der 
Schweiz  heisst  er  auch  Pilatus  oder 
Pilger  von  Rom.  Als  er  das  erste 
Mal  in  den  Winkel  des  Rheines  kam, 
wo  jetzt  Basel  steht,  fand  er  einen 
schwarzen  Tannenwald,  das  zweite 
Mal  ein  breites  Dornengestrüppe, 
das  dritte  Mal  eine  vom  Erdbeben 
zerrissene  grosse  Stadt.  Auch  über 
die  Grimscl  und  das  Matterjoch  ist 
er  mehreremal  gekommen  und  hat 
bei  seinem  ersten  Hinübersteigen 
nichts  als  Weinberge  gesehen,  wo 
jetzt  Gletscher  und  Sehneefelder 
sind.  Des  Juden  Stecken  und  Schuhe 
wurden  als  Rarität  in  der  öffentlichen 
Bibliothek  zu  Bern  aufbewahrt. 
Grässe,  die  Sage  vom  ewigen  Juden, 
Dresden,  1844.  —  Wolf\  Beiträge 
zur  Mythol.  I.  —  Neubau r}  Die 
Sage  vom  ewigen  Juden.  Leipzig  1884. 

Exhortatio  ad  plebem  ehr  Ist  la- 
nam  heisst  eine  lateinisch  und  deutsch 
abgefasste  Anrede  des  Priesters  an 
die  erwachseneu  Glieder  seiner  Ge- 
meinde ,  worin  diese  aufgefordert 
werden,  das  apostolische  Glaubens- 
bekenntnis und  das  Vaterunser  selbst 
zu  lernen  und  ihre  Taufpaten  zu 
lehren.  Nach  Müllenhoff  u.  Seherer 


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168  Facetiae.  —  Fahne. 


Denkmäler   deutscher  Poesie   und  und  wurde  die  deutsche  Übersetzung 

Prosa,  verdankt  der  lateinische  Text  zu  Anfang  des  Jahres  802  wohl  auf 

der  von  Karl  d.  Gr.  berufenen  Synode  Veranlassung  des  Bischofs  Otto  von 

vom  November  sOl  seine  Entstehung,  Freising  (782— $10)  angefertigt. 


p. 


Facetiae.  Sammlungen  kurzer, 
witziger  Einfälle,  Stichelreden  in 
lateinischer  Sprache,  sind  nach  anti- 
ken Vorbildern  unter  diesem  Namen 
zuerst  von  dem  italienischen  Huma- 
nisten Vogtjim  liracciolanu.s,  gest. 
14.r>9,  gesammelt  worden  und  zuerst 
1470  im  Druck  erschienen;  sie  ent- 
halten 273  Facetien  und  wurden  in 
ganz  Europa  gelesen.  Von  späteren 
Sammlungen  haben  sich  einen  Namen 

Semacht  die  facetiae  des  Heinrich 
lebet,  eines  wirksamen  Humanisten, 
der  als  Professor  in  Tübingen  Lehrer 
M«'lanchthons  war,  gest.  1514;  seine 
Facetiae.  zuerst  1508  erschienen, 
waren  sehr  beliebt  und  wurden  mehr- 
fach ins  Deutsche  übersetzt.  Sie 
bilden  die  Grundlage  von  Kirchhofs 
Wendunmut ;  sodann  sind  erwähnens- 
wert die  Joel  et  Safes  mire  festivi 
des  Othomar  Luscinius  die  Facetiae 
des  NicodemusFrischlin,  1547-1590; 
die  Jocomm  et  seriorum  UM  duo 
des  Otto  Melander,  zuerst  1600  er- 
schienen. 

Fahne.  In  älterer  Zeit  führten 
die  deutschen  Völker  gewisse  Bilder 
als  Feldzeichen,  auf  Stangen  be- 
festigte Tierbilder,  des  Ebers,  des 
Stieres,  der  Schlange.  Daneben  er- 
scheint schon  in  heidnischer  Zeit  als 
Zeichen  für  die  Bewegung  der  Heer- 
scharen die  Fahne;  es  giebt  dafür 
zwei  Worter,  einmal  das  bandum, 
vandum,  bandora,  vom  Verb  binden, 
spät»-)-  ii litt« Hat.  banderia,  baneria, 
banerium,  woraus  ital.  bandie'ra,  franz. 
bannilre,  daraus  mhd.  die  und  das 
baniere,  banier,  im  14.  Jahrh.  das 
paner ;  das  andere  Wort  ist  got.  der 
fana  =  Zeugsrück,  wurzelverwandt 


mit  lat.  pannus  -  StückTuch,  Lappe. 
Binde;  ahd.  der  fano,  mhd.  das rat*, 
van  und  die  rane,  nhd.  Fahne,  h 
ist  das  an  den  Speerschaft  gebundene 
Feldzeichen,  mit  dessen  Erhebung 
das  Zeichen  zum  Beginne  des  Kampfe? 
gegeben  wird,  wie  mit  dem  Senken 
derselben  die  Waffenruhe  eintritt 
Der  fliegende  Adler  über  einem  Dra- 
chen und  Löwen,  der  im  6.  Jahrh 
als  heiliges  Feldzeichen  der  Sachsec 
erwähnt  wird,  das  Rabenbild  der 
heidnischen  Normannen  waren  Fab 
neu.  Zuerst  wurde  die  Fahne,  tri* 
tum,  von  bewährten  Helden  edelu 
Geschlechtes  getragen,  die  nach  alter 
Sitte  zu  Fusse  Kämpften.  Altdeutsch 
heisst  die  Kriegsfanne  gundfano.  von 
(jundja,  woraus  alt  franz.  'qonfamn. 
ital  gonfalone  =  Kriegsfahne,  nea- 
franz.  dagegen  ist  gonfalon  eint? 
Kirchenfanne;  ital.  qonfafoniere,pon- 
fatoniero  ist  Bannerherr,  gonfalonä* 
eine  Mannschaft,  die  einef  Fahne 
folgt;  mittellat.  ist  yuntfanonari** 
der  Bannerträger.  Mittelhochdeutsch 
heisst  die  Hau utf ahne sfurmrane.  her- 
ranc\  sie  wurüe  dem  Heere  zuRos* 
vorangetragen.  Daneben  hatten  die 
einzelnen  Haufen  ihre  besonder« 
Fahnen  von  geringerer  Bedeutung 
Wurde  die  Fahne  auf  einer  belager- 
ten Burg  aufgesteckt,  so  war  «ie  ge- 
fallen; wurde  sie  in  der  Schlacht 
von  einer  Seite  freiwillig  gesenkt, 
so  gab  sich  diese  fiir  besiegt  h» 
Italien  kam  der  Fahnenwagen  anf 
das  Carroccioy  zuerst  von  den  Msn 
hindern  1038  erwähnt.  Zu  Anfang 
des  12.  Jahrh.  kam  diese  Einrich 
tung  nach  Deutschland,  mhd.  die 
karrusche.  kamtfsche,  harrtUche.  dtf 


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Fahrende  Schüler.  ^               1 09 

und  die  kanossch,  karrutsch,  kar-  j  scholares  rasantes,  aus  ra^anto  durch 

misch, karrdsch,  englisch  und  deutsch  Volkswitz  korrumpiert  auch  Bachan- 

auch  Standart  genannt ,  mhd.  der  ten  mit  Anlehnung  an  Bacchus.  Die 

t'andhart,  mit  Anlehnung  an  Stand  erste  Form  dieser  im  Mittelalter  sehr 

und  hart  aus  franz.  csiendarty  itat.  zahlreichen  Men^chenklasse  sind  die 

tfcndarto.  von  lat.  extendsre  =  aus-  clcrici  rasantes,  die  im  II.  und  12. 

bn  iten,  auch  lief  r tragen  kommt  vor.  Jahrhundert  ohne  bestimmtes  Amt 

Ein  boh^r  Mastbaum,  der  das  Fahnen-  ein  freies  Wanderleben  führten  und 

Meli  tragt,  ist  auf  einem  vierräde-  als  Kaplane,  Gesellschafter  u.  dgl. 

ripo  Wägen  befestigt.  Der  Wagen  au  den  Höfen  Dienste  fanden.  Aus 

wird  immer  von  Ocnsen  gezogen;  ihnen  entwickelt  sich  im  13.  Jahrli. 

zuweilen  war  noch  eine  Glocke  auf  der  geschlossene  Stand  der  Gutta  rden, 

dem  Wagen  augebracht.  Auf  einem  franz.  gouliards,  wandernde  Gesellen 

gnwKn  Fahnenwageu  hatte  sogar  mit  viel  Vorliebe  für  Dichtkunst, 

eine  eigene  Besatzung  Platz.    Das  die  zwar  im  Gebrauch  der  lateinischen 

Fahnentuch  ist  meist  seiden;  die  Sprache  ihrem  klerikalen  Charakter 

Farbe  der  Sturmfahne  Ist  rot  oder  treu  blieben,  dagegen  in  der  freien, 

weiss.   Die  Fahnentücher  werden  fröhliehon,  dem  Leben  entnommenen 

er>t  kurz  vor  der  Schlacht  an  die  Darstellung  wenig  kirchlichen  Cha- 

Stangengebunden.  Fliegende  Fahnen  rakter  aufwiesen.   Von  ihnen  stam- 

sind  daher  das  Zeichen  der  Kampf-  men  u.  a.  die  Carmina  burana  (siehe 

bereitschaft.    Die  alten  Kriegsord-  diesen  Artikel  I.  Es  sind  nicht  mehr 

niingen  leeten  dem  Fähnrich  auf,  durchgängig     wirkliche  Kleriker, 

in  anbefohlen  Fähnlein  zu  ver-  j  sondern  zum  Teil  Studenten,  die  erst 

wahren  und  in  Ehren  zu  halten,  Kleriker  werden  wollen.  Im  14.  Jahrh. 

gleich    »einem     eheliehen    Weib,  werden  sie  ganz  aus  dem  geistliehen 

Würde  er  vom  Feinde  so  gedrängt,  Stande  ausgestossen  und  treiben  sich 

da.-*  ihm  die  rechte  Hand  abge-  bei  den  Bauern  als  Zauberer  und 

fclioasen  wäre,  soll  er  das  Fähnlein  Hexeubanner,  Wunderdoktoren  und 


Kuppler  umher;  ihnen  verdankt  man 
wahrscheinlich  die  aus  dieser  Zeit 
erhaltenen  Mischlieder  in  Latein  und 
Deutseh.    Erst  gegen  Ende  des  14. 


Jahrhunderts  kommen  die  eigent 
liehen  Bachanten  auf,  alte  Schul- 


iu  die  linke  nehmen,  und  wird  ihm 
di"  auch  abgeschlagen,  es  mit  den 
Stumpfen  an  tdch  ziehen,  sich  da- 
eiu  wickeln,  Leib  und  Leben  da- 
;>ei  lassen. 

Die  Fahne  ist  nebst  der  Lanze 

in  Symbol  der  Belehnung.    Schon  buben  und  wandernde  Provisoren, 

Papst  Stephan  schickt  Karl  Martell  die  den  Stadtschulen  nachgehen  und 

jif  Schlüssel  zum  Grabe  des  hei-  sich  als  Unterlehrer  vermieten.  Auf 

igen  Petrus   und  die  Fahne  der  j  den  Wanderungen  führten  sie  kleine 

;tadt  Rom,  der  Patriarch  von  Jeru-  Knaben,  A-B-C-Schützen  genannt, 

■km  ähnlich  Karl  dem  Grossen  mit  sich,  angeblich  um  sie  in  eine 

lie  Schlüssel  zum  heiligen  Grabe  gute  Schule  zu  bringen  und  selbst 

amt  einer  Fahne.    Bei  feierlichen  zu  unterrichten,  in  Wahrheit  um  sie 

{  •lehnungen    wurde    regelmässig  für  sich  betteln   und    stehlen  — 

uje  Fahne  übergeben.   Die  rote  schiessen  —  zu  lassen.   So  ein  A-B- 

»latfahne  ist  das  Symbol  des  Blut-  C-Schütz  war  Thomas  Pia f er,  1499 

»annes.    Bei  Märkten  steckte  man  bis  1582,  später  Rektor  zu  Basel, 

um  Zeichen  der  Marktfreiheit  Fah-  dessen  Selbstbiographie  allgemein 

ien  auf.    findenschmii.  I,  275.  —  bekannt  ist  und  das  anschaulichste 

y-hultx.  Höfisches  Leben.  San  Marie,  Bild  dieses  Treibens  abgiebt.  Ähn- 

fi*affenkunde  T.  IL  A.  3.  lieh  die  Biographie  des  Burkhardt 

Fahrende  Schiller,  scholastici,  Zingg  in  den  scriptores  rerum  Bot- 


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170 


Fahrendes  Volk. 


earum,  l.  Zahlreiche  kirchliche  Stif- 
tungen sorgten  für  den  Unterhalt 
dieser  Leute,  fralm  in  Schmids 
Encykl.  —  Giesebrecht  in  Allgem. 
Monatsschrift  f.  Wissenschaft  und 
Litteratur.  1851. 

Fahrendes  Volk.  Der  im  Mittel- 
alter vielgenannte  Stand  6er  Fahren- 
den, die  um  Lohn  ihre  Künste  auf- 
führten, ist  den  Deutschen  ursprung- 
lich fremd;  denn  die  alten  deutschen 
Sänger,  ob  sie  schon  auch  ein  Wan- 
derleben nicht  verschmähten,  und 
sich  wohl  auch  als  Boten  gebrauchen 
Hessen,  sangen  nicht  um  Gut  und 
und  Geld;  auch  die  Dichter  und 
Meister  der  hofischen  Zeit,  wenn  sie 
schon  oft  gezwungen  waren,  mit 
ihrer  Kunst  ihr  Brod  zu  suchen, 
sind  keine  Fahrenden:  ihre  Kunst 
adelte  sie.  Vielmehr  liegt  der  Ur- 
sprung der  Fahrenden  in  den  römi- 
schen Gauklern  und  Mimen,  jocu- 
latorrs,  hist  Hönes,  thume/ici,  die  sich 
in  die  germanische  Welt  hinein  er- 
hielten. Im  südlichen  Frankreich 
gediehen  diese  Banden  am  zahl- 
reichsten, von  da  aus  fanden  sie 
den  Weg  nach  Deutschland,  wo 
man  besonders  in  den  Glossen  ihre 
Namen  findet:  sinltiman,  seurra, 
mimus,  histrio,  tnymelieus  scenicus, 
tiimAri,  sprangt  ri ,  d.  h.  Spielleute, 
Posscnreisscr,  Tänzer,  Springer  u. 
dgl.,  nie  Sänger  oder  Harfenspieler; 
auch  Weiber,  tpilwip,  fand  man 
unter  ihnen,  die  sich  schlechten 
Rufes  erfreuten.  War  diesem  Volke 
jedoch  die  Poesie  noch  längere  Zeit 
verschlossen,  so  nahmen  sie  sich 
doch  bald  der  Instrumentalmusik  an, 
sie  wurden  spilman  oder  spilliute 
im  engern  Sinne.  Zu  den  Flöten, 
Lauten  und  Pauken,  die  sie  zu  ihren 
Tänzen  brauchten,  traten  mit  der 
Zeit  Harfen,  Fidein  und  Geigen, 
später  Rotte,  Laute,  Querpfeife, 
Dudelsack.  Drehorgel,  Horn,  Trom- 
pete, Posaune  und  Trommel.  Noch 
weitern  Boden  gewann  dieser  Stand 
dadurch,  dass  sich  leichtsinnige 
Geistliche  und  Mönche  unter  sie 


mischten;  als  Vaganten  (siehe  diesen 
Artikel)  lebend,  dichteten  sie  volks- 
mässig  empfundene  und  gedachte 
Lieder  iu  lateinischer  Sprache,  wo- 
zu ihnen  einige  Kenntnis  der  an- 
tiken Dichterwelt  und  der  kirch- 
lichen Poesie  und  Musik  zu  statten 
kam.  Von  ihnen  lernten  die  nie- 
deren Spielleute  Gesang  und  Dich- 
tung in  den  Kreis  ihrer  bisherigen 
Kunstübungen  einzuziehen.  Dadurch 
entsand  eine  Spaltung  in  ihren 
Stande.  Die  besseren  unter  ihnen 
traten  zu  den  adligen  Minnesängern 
als  Begleiter  ihrer  Gedichte  mit  Fiedel 
oder  Rotte  in  ein  näheres  Verhidtni? 
Auch  eigene  Dichtungen,  wie  die 
Legende  vom  heiligen  Oswald,  ili- 
erzählenden  Gedichte  von  Kother, 
Salomon  und  Morolf  schreibt  maD 
ihnen  zu,  in  roher  aber  lebendig* 
Form,  zum  Teil  in  roher  und  gemeiner 
Auffassung  geschrieben;  mehr  aber 
gaben  sie  sieh  ab  mit  der  Pflege 
schon  vorhandener  Geschichten  un-1 
Schwänke,  aus  römischen,  byzan- 
tinischen und  morgen  ländlchen 
Quellen. 

Die  Masse  der  Fahrenden  *d 
Gehrenden  jedoch  blieb  bei  ihren 
niedrigen  Künsten  stehen.  Von  ihnen 
spricht  der  Kanzler,  ein  Minuesinger 
der  späteren  Zeit: 

Mannte  herre  mieh  des  r  raget, 
dar  traz  der  aernden  si  so  tS; 
ob  in  des  niht  betraget  (verdrießt  . 
dem  teil  ich  Itetiuten,  ob  ickz 
wie  ez  um  die  gernden  si: 
Ein  gernder  man  der  triugtf. 
der  ander  kan  tcol  zabelspit, 
der  dritte  hoveliuget, 
der  vierte  ist  gar  ein  gumpelmdi. 
der  vünfte  ist  sinnen  rri, 
so  ist  der  sechste  Spottes  tW, 
der  sibende  Kleider  koufet, 
der  ahte  leder/iset  tcol  (schmtf 
ehelt), 

der  niunde  umbe  gäbe  laufet, 
der  zehende  h/tt  ein  dime, 
ein  wip,  ein  tohfer,  unbehttof; 
den  gebeut  niutee  unde  virne  (d.  h 
neue  und  alte  Kleider ' 


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Falkenbeize. 


171 


f/iV  kerren  durh  ir  toerschen  muot: 
m  fftbent  durh  leimst  niht  guot. 
Diese  fahrenden  Leute  der  nie- 
dern  Art,  vamdtz  ro/-c,  varndiu  diet, 
<-\trmle  Hute,  fanden  sich  überall  ein, 
wo  ea  etwas  zu  verdienen  gab,  be- 
sondere bei  Festen.    Sie  verstanden 
:-ich  auf  Seiltänzerstücke,  Spiele  mit 
Marionetten,  Messerwerfen,  Beeken 
mit  .Stecken  auffangen,  Steine  zer- 
kau»^, Feaer  fressen  und  aus  dem 
Munde  blasen.  Sie  ahmten  die  Stim- 
me der  Nachtigall ,  des  Rehs,  des 
H*ue$  nach,  wirkten   als  Kunst- 
reiter. Manchmal  gab  es  für  sie 
fpUhvs,  tkeatra.    Rechtlich  standen 
«e  tief ;  sie  hatten  kein  Recht  und 
kvine  Forderung  an   Busse.  Der 

5  hwabenspiegel  enterbt  den  Sohn, 
der  gegen  seines  Vaters  Willen 
Jeimann  wird,  und  erklärt  die 
v  Ikute  für  rechtlos;  die  St.ult- 
«fhte  verweigerten  ihnen  den  Zu- 
tritt oder  zwangen  sie  zu  öffentli- 
chen Arbeiten.  Man  nahm  an,  sie 
«oen  dem  Teufel  verschrieben. 
Haar  und  Bart  Schoren  sie  nach 
»Iter  Art  unfreier  Leute.  Zu  den 
Fahrenden  im  weitern  Sinne  gehören 

6  Bettler,  fahrende  Schüler,  Kessler, 
Zigeuner,  Bettelmönche  oder  Statio- 
närer. Landsknechte  und  Wallfahrer. 

deutsche  Fr.   VIII.  — 
S-kuUz.  Höf.  Leben,  I.  vi. 

Filkenbeize.  Aus  der  Etymo- 
log* der  Falkennamen  vermutet  man, 
lln  die  Falkenjagd  zuerst  bei  den 
•j<  rmanen  in  Aufnahme  gekommen 
and  von  da  zu  den  Romern  und 
Kdi-rn  europäischen  Völkern  über- 
taten worden  sei.  Die  besonderen 
mittelhochdeutschen  Namen  der  ver- 
miedenen Falkenarten  sind  ger- 
"dtr  qirvalee,  sariers,  aus  altfr. 
■ißrt,  lat.  falco  sacer,  pifgrimratee, 
«*'wfoe. habeeh,sparwaer  ( Sperber ), 
f»«W  *  Zwergfalke,  terce.  Der  Falke 
W  erst  brauchbar,  wenn  er  sich 
ü*ch  dem  ersten  Jahre  zum  ersten- 
Jjl  f?»  mausert  hat,  ein  müzervalce, 
■»saerf.  Der  abgerichtete  Vogel 
te-mx  auch  vederspil.    Die  jungen 


Vögel  werden  entweder  dem  Neste 
entnommen  oder  eingefunden,  selte- 
nere Arten  auch  von  Kaufleuten 
!  erhandelt.  Zur  Zähmung  blendet 
!  man  sie  einstweilen,  indem  man 
durch  die  unteren  Augenlieder 
einen  Faden  zieht  und  denselben 
!  aufbindet;  auch  werden  ihnen  die 
Fänge  abgestumpft.  Darauf  wird 
dem  Tiere  an  jedem  Fuss  ein  würfet, 
d.  i.  ein  Riemen  aus  weichem  Leder, 
angelegt,  von  dem  ein  kleiner  Ring 
herabhängt;  durch  die  Ringe  ist 
|  ein  längerer  Riemen,  lancvezzel  ge- 
!  zogen,  womit  der  Falke  an  seiner 
Stange  angebunden  und  beim  Traden 
auf  der  Faust  festgehalten  wird. 
An  einem  oder  an  beiden  Füssen 
ist  eine  Schelle  angebunden.  Die 
Hand,  auf  die  der  Falk  sich  setzt, 
ist  durch  eineu  starken  Lederhand- 
schuh geschützt;  der  lancvezzel  wird 
um  den  kleinen  Finger  gewiekelt. 
Nun  wird  das  Tier  Tag  und  Nacht 
auf  der  Hand  getragen,  geätzt,  an 
die  Hand  des  Führers  und  au 
den  Klang  seiner  Stimme  gewöhnt. 
Ist  das  einigermassen  gelungen,  so 
werden  ihm  die  Augen  zuerst  halb, 
dann  ganz  geöffnet  und  er  nun  auch 
so  gezähmt.  Bei  den  Orientalen  war 
statt  der  Blendung  die  lederne  Kappe 
oder  Häufte  gebrauchlich,  mit  einem 
Loche  für  Schnabel  und  Nasenlöcher; 
Friedrich  II.  führte  sie  zuerst  im 
Abendlande  ein.  Sie  wurde  dem 
Tiere  erst  abgenommen,  wenn  das 
Wihl  in  Sieht  war. 

Die  Abrichtung  des  Falken  ge- 
schah entweder  von  Liebhabern  und 
Freunden  dieser  Kunst,  wie  z.  B. 
Kriemhilds  Traum  zeigt,  oder  von 
einem  dazu  bestellten  Diener,  dem 
valkenaere,  \&L  falconarius,  von  dem 
man  ganz  besondere  Eigenschaften 
des  Körpers  wie  des  Gemütes  ver- 
langte.   Die  Vögel,  auf  die  man 
I  mit  dem  Falken  beizte,  waren  Kra- 
I  nich,  Reiher,  Schwan,  Trappe,  Fasan, 
I  Feldhuhn,  wilde  Gans,  Ente,  Taube, 
Brachvogel,  Kiebitz,  Staar  und  Ler- 
'  che.  Besonders  abgerichtete  Vogel- 


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172 


Fall.  -  Familie. 


hundc  «eheuchten  das  Wild  auf, 
ebenso  Trommellärm.  —  Über  die 
Falkenbeize  haben  u.  a.  Kaiser  Fried- 
rich II.  ein  Buch  De  arte  venandi 
cum  atnbus,  und  Albertus  Magnus 
De  Falconibus.  Asturibits  et  L-iccipi- 
tribus  geschrieben,  beide  zusammen 
Augsburg  1596  gedruckt.  —  Nach 
Schultz,  Höfisches  Leben  L,  368  rV. 

Fall,  Tot  lall  heisst  dasjenige 
Stück  der  Hinterlassenschaft  eines 
unfreien  oder  hörigen  Hintersassen, 
da«  an  Stelle  des  ganzen  Erbes, 
welches  in  früherer  Zeit  dem  Hof- 
herrn  anheimgefallen  war,  schliess- 
lich noch  als  Symbol  und  Zeichen 
von  der  Erbfähigkeit  des  Hofherren 
übrig  blieb.  Es  besteht  aus  dem 
besten  Pferd,  der  besten  Kuh,  Esel, 
Schwein,  Schaf,  bis  zur  besten  Gans 
oder  zum  besten  Huhn;  oft  aber  aus 
dem  besten  Kleide,  zumal  «lern  besten 
selbstverfertigten  Kleide.  Die  zahl- 
reichen Namen  für  den  Fall  sind 
Besthaupt,  optimum  caput,  jus  capi- 
tale ,  Teuersthau.pt ,  Hauptrccnt, 
Hauptvall,  Vallrecht,  Sterbfall,  Tot- 
fall, Totenzoll,  tote  Hand,  Liiss  oder 
Geläss,  Erbding,  Sterbhaber,  Erb- 
recht, Leibfall,  Leibpfennig,  Haupt- 
zins, Gewandfall,  Watmal,  Bestc- 
watmal,  kurmiete,  bittet i f,  bü  teeteil, 
meist  ein  Teil  des  Hausrates  oder 
der  gesamten  fahrenden  Habe  an 
Frucht  und  an  Futter.  Schon  Ur- 
kunden des  8.  und  9.  Jahrh.  er- 
wähnen des  Besthauptes,  sehr  häufig 
ist  es  seit  dem  11.  Jahrh. 

Fallgatter,  mhd.  schoztore,  tlage- 
tore,  ralporten,  franz.  herses,  sarra- 
sitis,  mittellat.  chlatrae,  cataractae, 
hatte  das  Thor  der  mittelalterlichen 
Burg  zuweilen  zwei.  Das  eine  lag 
dann  unmittelbar  hinter  der  eigent-  j 
liehen  Pforte,  das  andere  am  Innern 
Ausgange  des  Thordurchgangs.  Da 
die  Maschinerie  des  zusammenhän- 
genden Fallgatters  durch  einen  unter- 
geschobenen grossen  Stein  u.  dgl. 
leicht  ins  Stocken  gebracht  werden 
konnte,  erfand  man  das  Orgelwerk, 
orgatium;  hier  hingen  die  einzelnen 


vertikal  geordneten  Balken  an  eine: 
Winde  und  fielen  ohne  mechanisch* 
Verbindung  nieder,  so  dass  bei  Stö- 
rung eines  oder  mehrerer  Balket 
die  übrigen  ihren  Dienst  denuoeb 
thaten.  Das  Fallgatter  ist  auf  vielen 
mittelalterlichen  Städtesiegeln  B 
sehen.    J<ihns,  664. 

Familie.  Zu  unterscheiden  and 
die  Familie  im  engeren  Sinne,  <k* 
Haus,  und  die  Familie  im  weiterer. 
Sinne,  das  Geschlecht,  die  Sippe  oder 
Magschaft.  Im  Hause  eilt  bei  den 
Germanen  wie  bei  allen  Völkern  de: 
Hausherr  als  die  Quelle  des  Frieden? 
und  Rechtes;  vermöge  seines 
dium  (siehe  dieses)  vertritt  uuö 
schützt  er  die  Hausangehörigen  naci. 
aussen,  in  Volk,  Heer  und  Gerieb:: 
nach  innen  beherrscht  er  sie  krai 
seiner  hausherrlichen  Gewalt.  Ei 
ist  Herr,  in  älterer  Zeit  fro.  (& 
anderen  dienen  ihm.  Bei  ihm  sial 
die  häusliche  Gerichtsbarkeit,  di? 
häusliche  Priestertum;  er  darf  (Ü 
Kinder  aussetzen,  die  Frau  züchti^u- 
im  Fall  der  Not  beide  verkaufen. 
In  seiner  Hand  steht  das  gesamt 
häusliche  Vermögen,  dessen  Besm. 
Genuss,  Verwaltungs-  und  Vertu 
gungsrechte  nur  ihm  zustehen.  Zu- 
nächst ist  diese  häusliche  Gemein 
schaft  auf  Weib  und  Kinder  be- 
rechnet, sie  erfahrt  aber  eine  Erwei- 
terung durch  die  zum  Hause  geb> 
rigeu  Unfreien  und  Hörigen. 
weitere  Ausdehnung  der  r  anülie  *M 
eine  Gesamtheit  von  Einzelfamilieo 
untereinemGeschlechtsältestenkeact 

das  deutsche  Recht  nicht,  da  ihm  da- 
Frstgeburts recht  fremd  war.  Eh': 
rechtliche  Zusammenhang  der  Fa- 
milie im  weiteren  Sinne  oder  dfc 
Geschlechtes  erlöscht  frühe.  Zu  Taci 
tus  Zeit  ordnete  sich  noch  das  Volk- 
heer nach  Geschlechtern  und  wunk 
das  Land  nach  Geschlechtern  rer- 
teilt;  aber  zur  Zeit  der  Volksrecbfe 
war  dieses  schon  nicht  mehr  d« 
Fall:  dagegen  dauerte  die  uralt' 
Idee,  dass  die  Sippe  eine  Schuß 
und  Trutzverbindung   zu  gemein 


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Familiennamen.  —  Farbensprache. 


173 


sanier  Wahrung  eines  alle  Genossen 
umfassenden  Friedens  sei,  der,  wenn 
gebrochen,  von  der  Sippe  gerächt 
und  hergestellt  werden  müsse,  in 
Sitten  und  Gewohnheit  bis  ins  späte 
Mittelalter  fort  und  fanden  förm- 
liche Kriege  und  Friedensschlüsse 
zwischen  den  Sippen  statt;  doch  be- 
schrankte man  einesteils  die  zu  zah- 
lende Busse  bald  auf  den  nächsten 
Grad  unter  den  Magen  und  zuletzt 
au:*  den  nächsten  Erben,  andernteils 
die  Rache  auf  eine  bestimmte  An- 
zanl   von  Verwandten   des  Todt- 
^hlagers.  In  ältester  Zeit  hatte  das 
Geschlecht  die  Einzelnen  durch  das 
engste  persönliche  Band  und  die  ge- 
heiligte Pflicht  unbegrenzter  gegen- 
seitiger Treue  und  Unterstützung 
verknöpft  und  als  Gesamtheit  be- 
ientende  Befugnisse  und  Pflichten 
tien  Gliedern  gegenüber  geübt.  Eine 
Versammlung  aller  Hausväter  hatte 
aber  Friede,  Recht  und  Sitte  des 
Geschlechtes  gewacht,  ohne  Zweifel 
an  Familiengericht  gebildet;  noch 
yffer  konnten  Verwandte  gegen 
rerwandte  nicht  vor  Gericht  auf- 
reten.  mussteiw  vielmehr  bei  den 
Genossen   Sühne  und  Herstellung 
Ü  Friedens  suchen.    Im  fernem 
vir  die   Sippe  ursprünglich  eine 
ittiiehe.  religiöse  und  gesellige  Ge- 
leinschaft,  die  für  Verlobung,  Ehe- 
Äbes*ung  und  Ehescheidung,  Auf- 
ahroe  des  Kindes  und  Bestattung 
»Toten  einzutreten  hatte.  End- 
en scheint  das  Geschlecht  auch  als 
liebes  vermögensfahig  gewesen  zu 
iin  uii  i  heilige  Gerü tschaften,  Vieh, 
Vaffru  im  Cresamtbesitz  gehabt  zu 
tben;  ja  das  spätere  Gemeindever- 
tigenwax  ursprünglich  Geschlechts- 


Sehr  früh  löste  sich  die  genossen- 
shaftlich*-  Verfassung  der  Familie 
af  und  wirkte  bloss  un  Privatrecht 
ei  Mittelalters  nach.  Die  gesamte 
«nrandtschaft  heisst  mhd.  sippc, 
jryvchaft.  Im  besondern  heisst 
» Kachkommen schaft  in  gerade  ab- 
Linie  huosem,  ßusen,  nach 


dem  Bilde  des  menschlichen  Leibes, 
unter  welchem  man  die  Verwandt- 
schaftsgrade darzustellen  pflegte;  alle 
übrigen  (Seiten-)  Verwandten  von  den 
Geschwisterkindern  an  heissen  mu- 
(jen.  Dieselben  sind  im  Mannesstamm 
swertmäejen.  im  Weibestamm  kunkeU 
oder  spilmutjen,  spindclmiujen,  Ver- 
wandte der  Kunkel  oder'  Spindel. 
Das  ältere  Wort  mundium  heisst 
selten  mehr  der  oder  die  munt,,  häu- 
figer vormuniseaft,  rorffi,  phleye,  und 
es  giebt  einen  ehemännliehen,  väter- 
lichen und  verwandtschaftlichen 
munt.  Seit  dem  15.  Jahrb.  erhält 
das  römische  Recht  Einlluss  auf  die 
deutsche  Rechtsanschauung  von  der 
Familie.  Gierice,  Genossensehaft 
I,  §  3. 

Familiennamen,  siehe  Personen- 
namen. 

Farbensprache.  Das  Mittelalter 
schwankte  zwischen  sechs  und  sieben 
Farben,  die  sieben  sind  Weiss, 
Schwarz,  Rot,  Blau,  Gelb,  Grün  und 
Braun;  sechs  wurden  gezahlt,  in- 
dem man  das  Schwarz  oder  das 
Braun  bei  Seite  liess.  Am  Regen- 
bogen aber  unterschied  das  gewöhn- 
liche Auge  nur  die  drei  Farben: 
Grün,  Gelb  und  Rot,  oder  bloss  Gelb 
und  Rot.  Die  sinnbildliche  Anwen- 
dung der  Farben  fusst  auf  den  zahl- 
reichen Farbenerscheinungen  der  Na- 
tur, namentlich  auf  dem  menschlichen 
Antlitze.  Weiss  und  Schwarz  sind 
die  Farben  des  Tages  uud  der  Nacht, 
Rot  die  Farbe  der  Liebe  und  Freude, 
aber  auch  der  Scham,  wozu  bleich 
als  Farbe  der  Verzagtheit,  der  Furcht 
oder  des  Leides  den  natürlichen  Ge- 
gensatz bildet;  doch  können  Zorn  und 
Hass  das  Antlitz  auch  grün  und  gelb 
färben.  Das  Rot  und  Weiss  des 
Antlitzes  ist  ein  Merkmal  der  Leibes- 
schönheit; es  erscheint  dann  wie 
Milch  und  Blut,  oder  wie  Schnee, 
der  mit  Blut  geträuft  ist,  „kadd  ih 
doch  en  Kind,  so  rood  as  Blood  nun 
so  teit  as  Snee"  seufzt  die  Mutter 
im  Märchen  vom  Machandelbaum. 
Das  Weib,  dem  von  Natur  Weiss 


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174 


Farbensprache 


und  Rot  nicht  gegönnt  war,  schminkte 
sich  künstlich  damit,  sowohl  Frauen 
von  Stand  als  Bäuerinnen  und  Buhl- 
dirnen;  ein  ungeschminktes  Weib 
heisst  mhd.  selpvar.  Wie  man  sich 
aber  in  romantischen  Landen  manch- 
mal bloss  der  roten  Farbe  zur 
Schminke  bediente,  so  in  Deutsch- 
land bloss  der  weissen;  denn  Weiss 

falt  auch  für  sich  allein  als  die 
arbe  der  Schönheit,  wie  Schwarz 
als  diejenige  der  Hässlichkeit,  wah- 
rend dasselbe  Schwarz  hinwiederum, 
z.  B.  im  Schneewittchen, selbst  wieder 
zur  dritten  Farbe  der  Schönheit  ge- 
worden ist;  sie  ist  ein  Kind  so  weiss 
wie  Schnee,  so  rot  wie  Blut  und  so 
schwarz  wie  Ebenholz.  Die  schwarze 
Farbe  gilt  hier  dem  Haare,  als  dessen 
vornehmste  Farbe  sonst  im  deutschen 
Mittelalter  das  Blond  galt,  mhd.  val 
(falb  )  oder  gel;  das  Wort  blond,  mhd. 
Munt,  stammt  aus  dem  sonst  dun- 
keln französischen  blond  und  wurde 
zuerst  von  Gottfried  von  Strassburg 

febraucht;   verglichen    wird  diese 
'arbe  mit  dem  Gold,  dem  Wachs 
oder  der  frischen  Seide. 

In  sinnbildlicher  Deutung  wer- 
den Gelb  und  Grün  die  Farben  des 
Neides;  Weiss  die  Farbe  der  sitt- 
lichen Reinheit,  der  Keuschheit; 
Schwarz  die  Farbe  der  Unreinheit, 
der  Trauer,  der  Sünde;  der  Engel 
wird  weiss,  der  Teufel  schwarz 
gedacht;  Nigromantie  ist  die 
schwarze  Kunst,  Zauberbücher 
heissen  schwarze  Bücher,  weisse 
Bücher  heissen  die  heilige  Schrift 
und  deren  Gebote.  Der  heilige  Geist 
wird  durch  die  weisse  Taulje,  der 
Teufel  durch  den  schwarzen  Raben 
symbolisiert  Auch  bedeuten  Weiss 
und  Schwarz  die  gute  und  die  böse 
Zeit,  Glück  und  Unglück.  Rot  ist 
nicht  bloss  Farbe  oer  Schönheit, 
der  Freude,  des  Zornes,  der  Scham 
und  der  Liebe,  es  wird  auch  Farbe 
der  Sünde:  roter  Bart  und  Haupt- 
haar ist  Zeichen  der  Falschheit: 
die  bleichen  gltchent  den  toten, 
ungetriuwe  stnt  die  roten, 


die  sicarzen  glichent  moren, 
die  wizen  zagen  oder  foren. 
Roter  Bart,  untreuwe  arf,  Rot  Bo> 
und  erlin  Bogen  (  Bogen  vom  Erl« 
holz)  qeraten  selten,  ist  nit  erlöge* 
Rot  har  ist  entweder  qar  fr<>m> 
oder  qar  ftoess.  Diese  Äuschauuu 
soll  ihre  Quelle  in  der  roten  Farl 
des  Fuchses  der  Tiersage  habti 
sonst  galt  bei  den  Deutschen  r..?< 
Haar  und  Bart  nicht  als  chrenrührii 
rot  ist  Beiname  verschiedener  Füj 
sten  gewesen. 

Noch  weiter  von  der  Natur  en 
fernt  sich  diejenige  Farbensymbolil 
die  zum  Teil  an  die  Natur  sich  ai 
lehnt,  zum  Teil  ganz  willkürlich  durc 
die  Farbe  des  Gewände*  zu  spreche 
sucht. 

Die  liturgischen  Farben  de 
abendlandischen  Kirche  sind  Weis 
Schwarz,  Rot,  Grün,  Violett  um 
unter  gewissen  Vorkommnissen  Gdl 
und  Blau.  Und  zwar  wird  getragen 
Weiss  als  ein  Bild  der  Reim** 
und  Freude  an  iegliehen  Gedavi* 
rü8feiern  der  Bekenner  und 
frauen,  die  nicht  den  Märtyrerta 
erlitten,  zu  Weihnachten,  Epipb*0* 
Ostern,  Himmelfahrts -  und  Fra 
leichnamsfest,  Allerheiligen  und 
den  Festen  der  Päpste,  Dokt 
und  Konfessoren. 

Rot,  ein  Bild  der  brennende 
Liebe,  bei  allen  Festen  zum  4* 
denken  der  Apostel  und  Martvitf 
( Pfingsten). 

Grün,  Farbe  der  Hoflnung 
die  ewige  Seligkeit,  an  den 
und  Festtagen. 

Schwarz,  ein  Bild  der  Tnr 
keit,  bei  den  Fasten  und  TW 
feiern,  Charfreitag  und  bei  S«** 


Blau,  ein  Bild  der  Trübselig 
und  der  gänzlichen  Abtötuiir. 
zur  Zeit  lunocenz  III.  als  an 
blau  oder  riolaceus  aussehlic 
nur  zweimal  im  Jahr,  an  dem 
der  unschuldigen  Kindlcin  uud^ 
Sonntag  Laetare,  später  hi 
häufiger  und  mit  der  sehwarte« 


Farbe  nsprachc. 


175 


wechselnd,  von  Septuagesima  bis 
Ostern  und  während  der  Quatem- 
beraeiten,  an  den  Vigilien  und  Bet- 
tagen. 

Gefhate  eine  nicht  eigentlich  fest- 
gestellte liturgische  Farbe  nur  aus- 
nahmsweise bei  einzelnen  Riten,  bei 
dem  Feste  des  heil.  Joseph  und  der 
rweiteu  Messe  zu  Weihnacht. 

Scktrarz  und  Weiss  sind  beides 
auch  allgemein  Trauerfarben,  Weiss 
jedoch  in  diesemFalle  nur  mitSchwarz 
verbunden,  z.  B.  schwarzer  Rock  und 
weisse  Kopfbedeckung.  Weiss  ist 
das  ftewand  der  Neugetauften  und 
der  Firmlinge,  daher  der  Sonntag 
Qiutsimodvgeniti ,  an  welchem  ge- 
firmt  wird,  dominica  in  attns,  der 
weisse  Sonntag,  heisst. 

Während  die  Farbe  der  Welt- 
geistliehkeit  wecliselte,  blieb  die 
kh*tergeistliehkeit  bei  der  einmal 
angenommenen  Ordensfarbe  stehen. 
Im  allgemeinen  sind  Schwarz  und 
Grau  die  verbreitetsten  Farben  für 
Büsser  und  Pilger,  grau  heisst  der 
ungenäbtc  Rock  Christi  (obgleich 
derjenige  zu  Trier  in  Wirklichkeit 
purpurfarben  ist).  Insbesondere  be- 
dienen sich  die  älteren  Mönchorden 
folgender  Farben: 

Benediktiner:  schwarz,  vermut- 
lich nach  Vorgang  der  morgeulän- 
discheu  Basilianer;  Benedikt  selber 
hat  keine  Regel  über  die  Farbe  auf- 
gestellt. 

Cluniazenser:  schwarz. 

Orden  von  Yallombroso:  grau, 
daher  graue  Mönche  genannt,  später 
gegen  braunrote  una  zuletzt  gegen 
schwarze  Farbe  vertauscht 

Ka nutld ulenser .-  weiss. 

Grammontaner:  schwarz. 

Kartäuser:  weiss  mit  schwarzer 
Kappe. 

Hospitalbrüder  des  heil.  Antonius : 
schwarze  Kutten  mit  einem  himmel- 
blauen T,  Poteniia  genannt,  d.  i. 
die  Handkrücke  des  hl.  Antonius. 

Cisterzienser  oder  Bernhardiner: 
zuerst  schwarz,  dann  bald  weiss  mit 
Skapulier. 


Br&monstratenser:  weiss  initweis- 
sera  Skapulier. 

Kanneliter:  zuerst  weiss,  spater 
braun  und  weiss  gestreift. 

Trapjnsten:  wie  Cisterzienser. 

Humiliaten:  aschgrau. 

Coelestiner:  weiss  mit  schwarzem 
Skapulier. 

Kanoniker,  Regulierte  Chor' 
herren :  je  nach  Massgabe  der  Spren- 
gel wechselnd  tragen  sie  ein  schwar- 
zes, weisses,  violettes  oder  braunes 
Unterkleid,  darüber  das  Chorhemd 
nebst  einem  schwarzen  Mantel. 

Franziskaner-,  braun,  daher  „die 
Braunen"  genannt. 

Dominikaner  oder  Prediger:  weis- 
ses Untergewand,  mit  weissem 
Skapulier  und  schwarzem  Mantel, 
die  Nonnen  mit  braunem  Mantel 
und  schwarzem  Hauptschleier. 

Augustinereremiten:  grau,  später 
schwarz. 

Beginen:  braun,  grün  oder  blau, 
später  schwarz. 

Begharden,  Lollbrüder:  grau. 

Bitterorden : 

Ritter  des  heil.  Grabes:  weiss 
mit  rotem  Kreuz  in  silbernem  Felde. 

Johanniter:  schwarz  mit  weissem 
Kreuz. 

Templer:  die  Ritter  weiss  mit 
rotem  Kreuz,  die  Geistlichen  weiss, 
die  dienenden  Brüder  grau  oder 
schwarz. 

Deutschherren:  schwarzes  Unter- 
gewand,  weisser  Schultermantel  mit 
schwarzem  Kreuz. 

Auch  die  Volker  unterscheiden 
sich  durch  die  Farbe  ihrer  Kleidung. 
Die  Juden  trugen  im  Mittelalter  ei- 
nen Hut  von  weisser  oder  gelber 
Farbe,  auch  ganz  gelbes  Kleicf,  oder 
einen  Ring  von  gelbem  Zeuge  auf 
der  Brust  des  Rockes  aufgenäht; 
gelb  ist  aber  auch  das  Gewand  der 
feilen  Dirnen.  Die  Bauern  des  Mit- 
telalters trugen  sich  schwarz  oder 
grau;  grisette  ist  eigentlich  ein  Mäd- 
chen von  geringer  Herkunft;  da- 
neben erscheint  für  denselben  Stand 
dunkelblau.  Der  höhere  Stand  zog 


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176  Fasten. 


in  bunten  Farben  auf,  oft  seit  dem 
12.  Jahrh.  so,  das  man  dasselbe 
Gewand  zweifarbig  machte,  halb  in 
halb  gegeneinander  oder  in  Streifen 
oder  Würfeln  durcheinander,  jenes 
heisst  mhd.  Unten,  zesamene  sniden, 
dieses  umh  rsniden ,  zersniden ,  zer- 
houwen,  mengen,  parrieren.  Die  be- 
zeichnendsten K  fei  de  rfarben  des  hö- 


W einhold,  die  Frauen.  IL.  26S 
2.  Aufl. 

Fasten,  got.  faeta*  =  halten, 
beobachten,  ahd.  fasten,  mierkanu- 
ten  Ursprungs,  ist  nach  dem  kirch- 
lichen Sprachgebrauche  entweder 
jejunium,  d.  h.  gänzliche  Enthai 
tung  von  Nahrungsmitteln  während 
eines  Tages,  oder  abstinentia,  die 


fischen  Standes  sind  aber  weiss  und  Enthaltung  von  Fleischspeisen.  In 

rot.    In  weisser  Farbe  erschien  die  Anschlüsse  an  die  jüdische  Fasteir 

fürstliche  Gewalt:    weisses  Pferd,  diszinliu  leitete  die  alte  christliche 

weisser  Hund,  weisser  Stab,  weisse  Eirene  zunächst  aus  Matth.  9,  5 


Tücher  auf  Tisch  und  Bett,  weisses 
Ess-  und  Trinkgeschirr;  der  Stab 
des  Richters,  des  Gerichtsboten  und 


die  Pflicht  ab,  die  60  Stund- e 
der  Grabesruhe  Jesu  durch  Fasfcü 
auszuzeichnen,  woraus  sich  im  Au- 


Heroldes  ist  weiss.  Rot  war  nach  schluss  an  Matth.  4,  2  die  40ti»gii:' 
alter  deutscher  Sitte  nur  die  Ge-  Fastenzeit  vor  Ostern,  jejunium  yci- 
wandfarbe  für  den  Krieg,  die  Schilde  dragesimale,  Quadragesimalfasfau 
sind  ursprünglich  rot  oder  weiss  be-  entwickelte;  dieselben  begimiT, 
malt;  so  war  die  gewöhnliche  Farbe  weil  die  Sonntage  nicht  alsFatfc! 
der  Fahne  rot.  Rott?  Siegelfarbe  galt  gelten,  am  Aschermittwoch.  Wäb- 
als  besondere  Auszeichnung.  rend  die  Pharisäer  zweimal  wöchen' 

Seit  dem  14.  Jahrh.  übertrug  lieh,  am  Dienstag,  an  dem  M-*e* 
man  die  Farbensymbolik  der  Liebe  den  Sinai  bestiegen,  und  am  M"ii- 
gcradezu  auf  die  wirklichen  Kleider;  tag,  an  welchem  er  denselben  ver- 
liebende Jünglinge  und  Jungfrauen  lassen  haben  sollte,  fasteten,  be 
erschienen  in  roten  Röcken;  wer  stimmte  die  alte  Kirelie  den  Mtft 
die  Beständigkeit  seiner  Liebe  öffent-  woch  (Tag  des  Verrats)  und  Freitir 
lieh  beweisen  mochte,  in  Manen,  blau  (Todestag)  als  Fasttage,  an  demi 
tragen  heisst  soviel  als  beständig  Stelle  später  als  wöchentliche  „Wach 
sein.  Weisses  Kleid  deutete  auf  tage'4  oder  „Stationen*4,  Freitag  un-i 
Hoffnung,  schwarzes  auf  Trauer,  Sonnabend  traten,  an  denen  wenii- 
gelbes  auf  höchste  Beglückung,  brau-  stens  bis  drei  Uhr  Mittags  gefast* 
nes  auf  Verschwiegenheit  und  Be-  wurde.  Seit  dem  Exil  war  ferner 
hutsamkeit,  graues  ironisch  auf  den  bei  den  Juden  eiu  Fasten  im  vierten, 
hohen  Stand  der  Geliebten,  grünes  fünften,  siebenteu  und  zehnten  Mi- 
Ruf  den  fröhlichen  Anfang  des  Lie-  nate  üblich,  zum  Gedächtnis  der  Er- 
bens ;  mit  mehreren  Farben  an  einem  oberung  Jerusalems,  der  Verbreu- 
und  demselben  Gewände  Hessen  sich  nung  des  Tempels,  der  Ermordung 
natürlich  mehrere  Liebesbezüge  be-  Gedaliä  und  des  Anfanges  der  Bt 
zeichnen.  Das  Volkslied  vom  15.  Lagerung  von  Jerusalem.  Die?« 
Jahrh.  an  vertauscht  dann  die  Far-  ahmte  die  Kirche  in  ihren  Qtiatemf^r 
bensprache  mit  der  lilnmenspraehe  fasten  nach,  wonach  je  am  Mittwoch? 
(siehe  diesen  Art.).  Nach  IVaeker-  des  Vierteljahres  {qitafuor  temy"''" 
naget,  Kl.  Schriften,  I.,  143  ff,  und  Fasten  verordnet  waren;  weil  man  zu 
für  die  kirehl.  Farben  nach  Weiss,  derselben  Zeit  die  öffentlichen  Ab^ 
Kostümkunde.  Vgl.  Rot  und  Blau,  gaben  entrichtete,  hiessen  sie  ind 
diedeutschenLeibfarbenanRochholz,  Fron  fasten.  Fastenzeiten  sindendlirh 
deutscher  Glaube  und  Brauch.  Berl.  die  Vorabende  zu  den  namhaftesten 
1867,  II.,  189—278.  —  Müller  und  Apostel-  und  Heiüsrenzeiten,  die  H- 
Motlies,  Arch.  W.  Art.  Farbe.  —  gif ienf asten,  und  in  der  älteren  abeud 


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Fastentuch.  —  Fastnachtv  Fasnacht. 


177 


huidischen  Kircbe  die  Adventszeit,  pflegt.  Weigernd,  —  In  den  Fast- 
Schon  im  spateren  Mittelalter  wurde  nachtsgebräuehen  mischen  sich  alt- 
<iie  ältere  Fastenpraxis  sehr  gelockert,  i  germanische  Frühlingssitten,  christ- 
liche Anschauungen ,  Volksaber- 
glaube  und  zum  Teil  von  den  Rö- 
mern herstammende  italienische  Kar- 
nevalsfeierliehkeiteu.  Die  Fastnaeht- 
freudeu  bestanden  in  Tanz,  Schmau- 
sereien, Trinkgelagen,  Muininereien, 
Aufzügen,  mancherorts  im  Abhalten 
eines  Narrengerichtes.  Die  Sucht, 
sich  zu  verkleiden,  war  im  Mittel- 
alter sehr  gross  und  machte  sich 
auch  zu  anderen  Zeiten  als  bloss 


indem  die  eigentlichen  Fastentage 
zu  blossen  Abstinenztagen  herao- 
^Jrückt,  die  Abstinenz  auf  die  Ab- 
w  ^ubeit  des  Fleisches  beschrankt, 
^irotlieb»*  Fische,  mit  Einschluss  der 
Fischotter,  als  Nichtrleisch  behan- 
delt, uu<i  der  Schluss  des  Fastens 
\'Ai  sechs  Uhr  auf  drei  Uhr,  seit 
dem  U.  Jahrh.  auf  zwölf  Uhr  ge- 
setzt wurde,  Kessler  beschreibt  das 
in  seiner  Zeit  vor  der  Reformation 


teQbte  Fasten  folgeudermassen  (Sab-  zur  Fastnacht  geltend.  Eigentliche 
bau  I,  90):  Wann  man  hat  wellen  Aufzüge  scheinen  aus  Italien  her- 
•■>4(&k,  hat  man  an  demselhigen  tag  übergekommen  zu  sein,  wo  im  14. 
^'hU  weder  geessen  noch  getrunken,  und  15.  Jahrhundert  der  Karneval 
\4*  uf  die  II  stund  im  lag;  dann  zu  hoher  Ausbildung  gelangte.  In 
"vv  ein  köstlich  mal  mit  manigerlai  i  Deutschland  war  die  Hauptsache 
tr.jt-hteu  zübereit,  so  man  umb  be-  Schmausen,  Trinken  und  Tanzen. 
müder  tvolfebens  wegen  den  fastenden  Ratsherren,  Beamte,  Handwerker 
ilmbiss)  nennet.  Xach  demsel-  \  wurden  in  den  Städten  zu  Fast- 
uhis  dorft  man  aber  nichtt  mer  nachtmahlern  versammelt;  die  Zünfte 
biss  uf  den  abend  macht  man  hatten  an  diesem  Tage  ihren  Zunft- 
mt  tiner  ctjliutioii  (wie  man  es  nennet)  schmaus,  besonders  die  patrizischeu 
r-jit  ihanigerlei  cunfeclen,  gewürz  und  Gesellschaften.  In  Frankfurt  wahrte 
ar  tigen  fatwergen  die  schwachen  und  bei  einer  solchen  Gesellschaft  die 
abqejasteten  kreft  und  blöde  hupt  er-  |  Festfeier  neun  Tage,  mit  dem  zur 
i  -wken  und  sterken. 


Erholung  nötigen  Ausfalle  von  drei 
Tagen.  Auffallend  ist,  das»  man 
schon  im  Mittelalter  die  Fastnachts- 
feier bis  in  die  Fastenzeit  fortsetzte. 
Alle  Klassen  feierten  den  Ascher- 
mittwoch mit  Essen  und  Trinken; 
in  Konstanz  wurde  diese  Ausdeh- 


Fftstentuch  oder  Hungertuch 
grosse,  aus  weisser,  grauer 
-icr  violetter  Leinwand  gefertigte 
Kppiche,  die  wahrend  der  Fasten- 
zeit zur  Verhüllung  des  Kreuzes  vor 
drm  Altar  aufgehängt  und  nur  wäh- 
rvud  dfs  Evangeliums,  der  Wand- 1  nung  der  Feier  im  Jahr  1450  ver- 

^ng  und  des  letzten  Segens  zurück-  boten. 

-       ii  wurden.  Si*,>  waren  mit  bibli-  Es  giebt  eine  umfangreiche  Fast- 

rcb.  n Bildern  bemalt  oder  bezeichnet,  naehtlitteratur.   In  erster  Reihe  ge- 
Fastnacht,Faänaclit,inhd.rtM£- )  hören  dazu  die  Fastnachtspiele.  die 

mki,  rasnaht,    vase/maht,   scheint  im  15.  Jahrh.  besonders  in  Nürn- 

ietueswegs  zu  fasten,  sondern  zu  berg  blähten;  Hans  Rosenblüt  und 

fitse»,  faseln,  davon  Faselhans,  mhd.  Hans  Folz  haben  ihrer  eine  Menge 

•  wat*  ahd.  fa*on  zu  gehören,  mit  hinterlassen.    Auch  nach  der  Re- 

d~r  ursprünglichen  Bedeutung  von  formation  blieb  Nürnberg  der  Haupt- 

S^tcarmfest.    Die   Form    vastnaht  sitz  des  veredelten  Fastnachtspieles, 

mit  Anlehnung  an  fasten  ist  zuerst  vertreten  durch  Hans  Sachs  und 

NVddeutschlanu   aufgekommen,  Jakob    Ayrer    (siehe    den  Artikel 

liehen  rastelnaht;  in   Bayern   und  Drama).    Fastnachtlicder  hat  man 

'»•terreich  heisst  es  Fasching,  was  mehrere  aus  dem  15.  Jahrh.,  z.  Ii. 
ebenfalls  vmi  weicht  abzuleiten  Unland,  Nr.  242. 

der  deutacheu  Altertümer.  12 


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178 


Fastnacht,  Fasnacht. 


Auch  Fastnacht jm-digten  kom- 
men im  15.  Jahrh.  vor,  im  16.  Jahrb. 
meist  auf  die  alte  Kirehe  gemünzt, 
so  die  ,,Kurzweilige  Fassnaeht-Pre- 
digt  von  Dr.  Sehwarmen  zu  Hummels- 
hagen, auf  Grillenberg  und  Tappen - 
eek,u  und  „Ein  kurtzwcylig  Predige, 
die  uns  beschrcipbt  Dr.  Schmoss- 
maun,  am  vier  und  zweinzigstcn 
Kappcnzipffell." 

Sebastian  Frank  besehreibt  im 
Weltbuch  die  Fastnaeht  folgender« 
massen:  „Nachmal-*  tnaehLicntmess) 
kumpt  die  Fassnaeht,  der  Kömischen 
Christen  Baehanalia.  Au  disem 
Fest  pflegt  man  vil  kurtzweil,  spee- 
takel,  spil  zue  halten,  mit  stechen, 
turnicren,  tanzen,  roekenfart,  fast- 
naehtspil.  Da  verkleiden  sieh  die 
leut.  laufe«  wie  narren  und  unsinnige 
in  der  statt,  mit  maneherlei  abeu- 
teur  und  fantasei,  was  sie  er- 
denken mögen:  wer  etwas  närriseh 
erdenkt,  der  ist  meister.  Da  sihet 
man  in  seltzamer  rüstung,  seltzamer 
mummerei,  die  frawen  in  manns 
kleidern  und  die  mann  in  weiblicher 
waat,  und  ist  fürwar  schaam,  zucht, 
erbarkeit,  frumbkeit  an  disem  christ- 
liehen  fest  teur,  und  geschieht  vil 
buobcrei,  doch  verriehts  gelt  alles 
in  der  beieht,  all  bossheit  und  Un- 
zucht ist  zimlieh  an  disem  fest,  ja 
ein  wolstand.  Die  Herreu  haben 
ir  Fassnaeht  an  einem  sontag,  dar- 
naeh  auf  den  aftermontag  iTag  naeh 
dem  Montag)  die  Leigen.  In  summa, 
man  faehet  daran  allen  muotwill 
und  kurzweil  an.  Etlieh  laufend  on 
alle  seham  aller  ding  naekend  umb, 
Etlieh  krieehcn<l  auf  allen  vieren  wie 
die  tier,  Etlieh  brüllen  narren  auss, 
Etlieh  seind  müneh,  künig  etc.  auf 
diss  Fest,  das  wol  laehens  wert  ist. 
Etlieh  gehen  auf  hohen  stelzen  und 
flügcln  und  langen  Schnäbeln,  seind 
storkeu,  etlieh  baren,  etlieh  wild 
holzleut,  etlieh  teufe],  etlieh  tragend 
ein  frischen  meusehcnkot  aut  ein 
küssin  herumb  und  wören  im  der 
fliegen,  wolte  Gott,  sie  müessten  im 
aueh  sehneizen  und  credenzeu.  Et- 


lieh seind  äffen,  etlieh  iu  narren- 
kleidern  verbutzt,  und  zwar  dise 
gehn  in  ir  reehten  mummerei  und 
sind  in  der  warheit  das,  das  sie  an- 
zeigen. Wann  sie  ein  andrer  ein 
narren  schilt  und  eseloren  zeigt,  so 
wollen  sie  zürnen,  hawen  und  stechen, 
und  hie  beichten  sie  willig  und  öffent- 
lich vor  jederrnan  selbs,  wer  si  sind. 
1  Die  Itali  oder  Walsen  in  Italia  stellen 
sieh  auch,  als  wollen  sie  die  Teut- 
;  sehen  in  diesem  Fall  überwinden, 
da  seind  auch  narren  wolfeil,  doch 
etwas  subtiler  denn  che  Teutschen. 
Um  Ulm  hat  es  einen  braue h  an 
der  Fastnacht:  wer  diss  tags  iu 
ein  hauss  geht  und  nit  sagt,  er  gehe 
mit  urlaub  auss  und  ein,  den  fassen 
si  und  binden  dem  (es  sei  frawen 
oder  manns  bildi  die  händ  als  ein 
Übeltäter  auf  den  rücken,  klopfen 
mit  einem  bocken  voran  und  füerens 
in  der  statt  heruiub.  Auf  diese  kumbt 
die  Fast.  Den  nächsten  tag  dar- 
nach zur  eingang  derselben  lauft 
das  volk  zu  kirchen ,  da  strewet  der 
pfaff  einem  jeden  umb  einen  pfennig 
ein  wenig  aschen  auf  den  Kopr. 
Etlieh  haben  ir  eigen  gebet  und  an 
dacht  auf  die  fassnaeht,  für  den 
frörer  oder  feler.  Auf  diesen  tag 
der  äscherigen  mitwoch  leuten  sie 
das  Fasten  ein  mit  grosser  mum- 
merei, halten  panket,  und  verkleiden 
sich  in  sunder  munier.  Etlieh  klagen 
und  suochen  die  fastnaeht  mit  fack- 
len  und  laternen  bei  hellem  tag, 
schreien  kläglich,  wohiu  die  Fass- 
nacht kumen  sei.  Etlieh  tragen  ein 
haring  an  einer  Stangen  und  sagen: 
Nimmer  würst!  haring!  mit  viel 
seltzamer  abenteur,  tastnachtspil. 
gsang  und  reimen,  laufend  aber  et- 
lieh gar  nackend  durch  die  statt. 
Etlieh  henkend  einen  häufen  buoben 
an  sich  und  singen  inen  vor,  etlieh 
werfen  nuss  auss,  etlieh  fassen  ein- 
ander, tragen  einander  auf  Stangen 
in  bach  und  treiben  der  fantasei  un- 
zälich  vil.  Den  nächsten  Sontag 
darnach  gibt  man  der  Fassnaeht 
Urlaub,  verbutzt  und  verhüllt  sich 


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Faust 


179 


aber,  trinken  eich  voll,  spüen  und  verfertiget.     Gedruckt   zu  Frank- 
rasslen  zulebt.    Als  dann  folget  die  fort  am  Mayn,  durch  Johann  Spies." 
traurig  fast.'4  Und  bei  Gelegenheit  1588  erschien  zu  Lübeck  eine  nieder- 
der  Beschreibung  des  Landes  der  deutsche  Ausgabe,   in  demselben 
Franken:  ..An  dem  Rhein,  Franken-  Jahre  ein  gereimtes  Faustbuch,  bald 
land  und  etlich  andern  orten  samlen  1  darauf  Übersetzungen  ins  Danische, 
die  jungen  gesellen  alle  danzjung-  Holländische,  Französische  und  Eng- 
fra".\en,  setzen  si  in  ein  pHuog  und  lische,  1599  zu  Hamburg  eine  mit 
ziehen  iren  Spilman,  der  auf  dem  ]  moralischen    Betrachtungen,  ver- 
pfluog  sitzt  und  pfeift,  in  das  wasser.  sehene,  durch  Georg  Rudolf  Wid- 
An  andern  orten  ziehen   sie  ein  mann  veranstaltete "  Ausgabe  ver- 
feurigen pfluog,  mit  einem  meister-  mehrt  durch  J.  S.  Ffitzer  zu  Nürn- 
lichen  darauf  gemachten  fear  an-  berg  1674;  172M  eine  verkürzte  Aus- 
gezündt,  biss  es  zu  trummern  feit,  gäbe    zu   Frankfurt    und  Leipzig, 
Halten  auch   ir  vier  ein  leylach  welche  die  Grundlage  des  spatern 
(Leintuch)  bei  den  vier  zipfelu  und  Jahrmarkt  Volksbuches  geworden  ist. 
ein  strömen  angemachten  butzen  in       II.  Verfasser.    Der  unbekannte 
hosen  und  wanime^,  mit  einer  larven  Verfasser  des  ältesteu  Volksbuches 
wie  ein  todten  mann,  schwingen  sie  rau-*s  ein  protestantischer  Theologe 
in  auf  die  höhe  und  entpfahen  in  !  gewesen  sein,  einer  der  zahlreichen 
wider  in  das  leylach,  das  treiben  sie  nachreformatorischen  Eiferer,  die  es 
durch  die  ganz  statt,  und  mit  vil  sieh  zur  Aufgabe  machten,  den  nie 
andern  figuren  gehen  die  Römischen  '  ruhenden  Unglauben  zu  bekämpfen. 
Heidnischen  Christen  in  der  Fass-  Er  war  zum  mindesten  ein  sehr  aber- 
nacht  umb,  als  unsinnig,  mit  grosser  !  glaubiseher  Mensch;  denn  er  teilt 
leichtfertigkeit,"     Über  Fasnacht-  Briefe  und  Urkunden  als  echte  mit, 
narren  handelt  Kap.  11 0h  des  Narren-  (  z.  B.    Fausts    Vertrag    mit  dem 
Schiffes,  siehe  dazu  Zarnckes  An-  Teufel,  beruft  sich  auch  auf  die 
merkungen.  |  von  Dr.  Faust  selbst  aufgezeichnete 

Faust,  Dr.  und  seinem  Famulus  Wagner  testa- 

I.  Litteratur  des  Faustbuches,  mentsweise  vermachte  Historie  seines 
In  ähnlichem  Sinne  wie  das  16.Jahrh.  Lebens  wahrend  der  Zeit,  da  er  mit 
einzelne  Landfahrergeschichten  auf  dem  Teufel  Verkehr  prlog. 
den  Enlenspiegel,  Narrengeschichten  I  III.  Inhalt  des  Fausthuches.  Das 
auf  den  Ort  Schiida  vereinigte,  wurden  Faustbuch  zerfällt  in  drei  Teile, 
damals  auch  seit  alter  Zeit  um-  Deren  erster  handelt  von  Dr.  Fausts 
gehende  Zaubererzählungeu  auf  den  Versuchung  und  höllischem  Bündnis. 
Samen  eines  Dr.  Johannes  Faust  Dr.  Faust  ist  eines  Bauern  Sohn  ge- 
kouzentriert.  Dieses  sog.  Faustbuch  wesen,  zu  Rod  bei  Weimar  gebürtig, 
erschien  zuerst  1587  zu  Frank-  Seine  Eltern  waren  gottselige  Leute, 
furt  a.  M.,  unter  dem  Titel:  Historia  und  sein  Ohm,  der  zu  Wittenberg 
Von  Dr.  Johann  Fausten,  dem  weit-  sesshaft  und  ein  vermögender  Bür- 
be^chreyten  Zauberer  und  Schwarz-  ger  war,  hat  Faustum  auferzogen 
kunstler,  wie  er  sich  gegen  dem  und  wie  ein  Kind  gehalten.  Er  liess 
teuffei  auff  eine  benandte  zeit  ver-  ihn  in  die  Schule  gehen,  Theologie 
schrieben,  Was  er  hierzwischen  für  zu  studieren.  Er  ist  aber  von  die- 
seltzame  Abenthewr  gesehen,  selbs  sem  gottseligen  Vornehmen  abge- 
angerichtet  und  getrieben,  biss  er  gangen  und  hat  Gottes  Wort  miss- 
endlich  seinen  wohlverdienten  Lohn  braucht  Da  Faustus  als  ein  ge- 
»tnpfangen.  Mehrerteils  auss  seinen  lehriger  und  geschwindiger  Kopf 
•  ygerren  hinterlassen«  n  Schrifften  zum  Studieren  geeignet  und  geneigt 
zusammen  gezogen  und  im  Druck  war,  ist  es  bald  so  weit  gekommen, 

12* 


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180  Faust. 

dass  man  ihn  zum  Magister  exaini-  wolle  er  zu  mehrer  Bekräftigung  mit 

nierto.  Weil  er  aber  einen  unsinnigen  seinem  Blute  bezeugen:  3)  dass  er 

und  hotfartigen  Kopf  gehabt,  wie  allen  clmstglaubigen  Mensehen  feinl 

man  ihn  denn  allezeit  den  Spekulierer  sein  wolle;  4)  dass  er  den  chrbt 

genannt  hat,  ist  er  in  böse  Gesell-  liehen  Glauben  verleugne,  und  5)  da* 

schaft  geraten,  hat  die  heilige  Schrift  er  sich  nicht  verfahren  lasse,  so  nian 

eine  Weile  hinter  die  Thür  und  unter  ihn  bekehren  wolle.   Faust  geht  den 

die  Bank  gelegt  und  ein  rauh  und  Pakt  ein.     Eben  in  dieser  Stuni- 

gottloses  W  esen  geführt;  wie  es  denn  fiel  der  gottlose  Mann  von  seiuei: 

ein  wahr  Sprichwort  ist:  Was  zum  Gott  und  Schöpfer  ab,  der  ihn  er- 

Teufel  will,  das  lässt  sich  nicht  auf-  schaffen  hat,  und  ward  ein  Gbe: 

halten.  Da  ginger  denn  nach  Krakau,  des  leidigen  Teufels,  und  war  dieser 

da  ward  er  ein    Weit  mensch ,  ein  Abfall  nichts  anderes  deun  stolzer. 

Astrol of/us  und  Jfathematikus,  nannte  verzweifelter  Hochmut,  verwegen* 

sich  einen  Doktor  der  Medizin,  half  Vermessenheit,  wie  den  Riepen  zu 

auch  erstlieh  vielen  Leuten  mit  Kräu-  Mute  war,  von  welchen  die  Pu-ien 


rem,  Wurzeln  und  Pflastern  und  dichten,  dass  sie  die  Berge 

war  dabei  redselig  und  in  der  gött-  trugen  und  wider  Gott  Kriegen  well- 

liehen  Schrift  wohlerfahren.    >Vie  ten;  ja  wie  dem  bösen  Engel,  der 

nun  Dr.  Fausts  Sinn  dahin  gestellt  sich  wider  .Gott  setzte ,  weshalb  <  t 

war,  das  zu  lieben,  was  nicht  zu  für  seinen  Übermut  und  Hoffart  wt 

lieben  war,  nahm  er  Adlersflügel  Gott  Verstössen  ward.    Denn  wct 

an  sich  und  wollte  alle  Gründe  von  hoch  steigen  will,  der  fällt  auch  hoefc 

Himmel  und  Erde  erforschen;  denn  herab.  —  Nun  lebt  Faust  in  Sau- 

sein  leichtfertiger  Vorwitz  stachelte  und  Braus;  seine  Nahrung  hat  er 

und  reizte  ihn  also,  dass  er  sich  auf  überflüssig,  der  Geist  bringt  ibo 

eine  Zeit  vornahm,  etliche  zauberische  Wein  aus  den  Kellern,  wo  er  will 

Vokabeln,  Figuren  und  Besch wörun-  Nur  die  Eingehung  einer  Ehe  v^j 

gen  zu  versuchen  und  ins  Werk  zu  bietet  er  ihm,  als  dem  Pakte  zuwidtf: 

setzen,  damit  er  den  Teufel  vor  sich  {  denn  die  Ehe  ist  göttlicher  Ems**tzau£! 

fordern  möchte.    Mitten  im  Walde  Dr.  Faust  versucht  nun  vom 

bei  Wittenberg  beschwor  er,  auf  allerlei  Weisheit  zu  erforschen,  die 

einem  Kreuzwege,  durch  etliche  Zir- 1  er  auf  göttlichem  Wege  nicht  erfahr« 

kel  mit  seinem  Stabe  den  bösen  Geist,  hatte:  was  für  ein  Geist  er  sei?  *k 

Unter  schrecklichen  Erscheinungen  sein  Herrim Himmel  geziert  gewo*** 

kommt  dieser  in  Gestalt  eines  grauen  wie  der  Teufel  seine  Versuchung« 

Mönchs.  Faust  eitiert  ihn  des  näch-  von  Anfang  an  getrieben  habe?  *it 

steu  Morgens  in  seine  Kammer  und  die  Hölle  beschaffen  sei?  was  Mopt 

schlägt  ihm  ein  Bündnis  vor:  erstlich  stopheles,  angenommen,  er  war»-*« 

verlangt  Faust  vom  Teufel,  dass  er,  ein  Mensch  von  Gott  erschaffen,  ttm 

Faust,  auch  Geschick,  Form  und  wollte,  um  Gott  und  den  Menseln. 

Gestalt  eines  Geistes  möge  annehmen  zugefallen.  DieBeantwortung(ii"*r; 

können;   zweitens  sollte  der  Geist  Fragen  geschieht  mit  den  notdürftig 

alles  thun,  was  er  begehrte;  drittens  theologischen  Mitteln  der  Zeit, 
in  seinem  Haus  unsichtbar  regieren,  !      Der  andere  Teit  handelt  von  Dr. 

und  viertens,  so  oft  er  ihn  forderte,  Fausti  Geschichten  und  AbentettM 

sollte  er  in  der  Gestalt  erscheinen,  Am  Ende  des  ersten  Teile-  hatöl 

wie  er  ihm  auferlegen  würde.    Der  der  Geist  Fausten  erklart,  er  wit^ 

Geist  willigt  ein,  falls  Faust  seiner-  ihm  auf  seine  gottseligen  F 

seits  folgende  Bedingungen  eingeht:  keine  Antwort    mehr  geben 

1)  dass  Faust  verspreche,  des  Teu-  musste  es  Faust  für  gut  sein  ' 

fels  eigen  sein  zu  wollen;  2)  solches  und  fing  an,  Kalender  zu 


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Faust. 


181 


Dagegen  trug  er  den  Geist  über 
Sommer  und  Winter,  woher  sie  ihren 
Ursprung  nähmen,  von  des  Himmels 
Bewegung,  Lauf  and  Zierde,  worauf 
ihn  der  Geist  gar  wohl  beschied. 
Darauf  fährt  Faust  mit  des  Geists 
Hilfe  zur  Holle,  fährt  in  das  Gestirn 
auf,  wo  er  Gelegenheit  findet,  das 
Himmelsgewölbe,  Sonne,  Mond  und 
Sterne  in  ihrer  Wirklichkeit  zu  be- 
obachten, und  schliesslich  macht  er 
eine  Reise  in  die  vornehmsten  Städte 
und  Länder,  nach  Paris,  Neapel, 
nach  Rom  zum  Papst,  Florenz,  Köln, 
Genf,  Strassburg,  Wien,  Prag,  Kra- 
kau und  durch  Ungarn  nach  Kon- 
>tantinopel.  Nach  anderthalb  Jahren 
kehrt  er  zurück,  der  Teufel  hatte 
ihm  das  möglichst  grosse  Mass  von 
weltlicher  Erkenntniss  verschafft. 

Der  dritte  Teil  erzählt  in  erster 
Linie  etwa  40  Zaubergeschichten  des 
Dr.  Faust:  wie  er  vor  Karl  V.  Alexan- 
der den  Grossen  und  seine  Gemahlin 
vorzaubert,  einem  Ritter  ein  Hirsch- 
geweih an  den  Kopf  zaubert,  einem 
Bauern  ein  Fuder  Heu  samt  Wagen 
und  Pferden  frisst,  drei  Grafen  auf 
ihr  Begehren  durch  die  Luft  nach 
Münchenfuhrt  auf  des  jungen  Baiern- 
fürsten  Hochzeit,  von  einem  Juden 
Geld  entlieh  und  ihm  seinen  Schen- 
kel zu  Pfand  gab,  den  er  sich  selber 
in  des  Juden  Beisein  absägte.  Ein 
andermal  verzaubert  er  Bauern  ihr 
offenes  Maul,  dass  sie  es,  offen,  nicht 
.-«•hliesscn  können  ;  er  zaubert  Speise 
and  Trank  nach  Willkür,  wohin  er 
will;  er  zaubert  ein  ansehnliches 
Schloss  auf  eine  Höhe;  er  zaubert 
vor  den  Augen  eingeladener  Studen- 
ten die  schöne  Helena  ins  Gemach; 
er  zaubert  sich  bei  einer  Belageruug 
fWndliche  Kugeln  in  die  Hand  u.  a. 

Ein  Anhang  erzählt  endlich,  was 
>ieh  mit  Dr.  Faustus  in  seinem  letzten 
•lahr  begeben  hat.  Er  macht,  wie 
er  merkt  ,  dass  die  24  Jahre  seines 
Vertrages  bald  vorbeisind,  sein  Testa- 
ment zu  Gunsten  seines  Famulus 
Wagner,  jammert  und  seufzt  über 
sein  ruchlos  Leben  und  darüber,  dass 


er  seine  Seele  dem  Teufel  verschrie- 
ben, und  wird  zuletzt  vom  Teufel 
zerrissen. 

IV.  Kiemente  des  Fausfhuches. 
Es  lassen  sich  im  Faustbuche  folgende 
Elemente  unterscheiden : 

a.  Die  Zaubenjcsehichten :  im  Zu- 
sammenhang des  Faustbuchos  sind 
sie  freilich  als  Ausflüsse  göttlichen 
Thuns  betrachtet;  sie  gehören  jedoch 
ursprünglich  in  den  Bereich  der  über- 
natürlichen Erscheinungen,  die  das 
christliche  Mittelalter  aus  der  heid- 
nischen Vorzeit  überkommen  und 
dem  Geiste  der  Zeit  gemäss  mit  Vor- 
liebe überliefert  und  ausgebildet  hatte. 
Sie  unterliegen  deshalb  eigentlich 
nicht  dem  Masastabe  des  Guten  und 
Bosen,  sondern  allein  des  Könnens 
und  Nichtkönnens;  die  Sage  und  das 
Kindermärchen  haben  den  Zauber 
unwidersprochen  bis  heute  bewahrt, 
die  Rübezahl-Märchen  sind  seiner 
voll.  Manches  von  dem  Zauber  des 
Dr.  Faust  mag  orientalischer  Her- 
kunft sein,  in  der  schönen  Helena 
spielt  leise  das  Prinzip  der  Renais- 
sance in  diese  sonst  sehr  mittelalter- 
liche Welt. 

b.  Die  Person  des  Zauberkünst- 
lers. Achter  Zauber  ist  ursprünglich 
Sache  eines  Geistes;  der  Mensch 
kann  bloss  zu  zaubern  vorgeben, 
welches  immerhin  so  lan^e  eine  ge- 
wisse Entschuldigung  bei  sich  hat, 
als  die  Menschen  von  ihresgleichen 
Zauber  annehmen  und  glauben  mö- 
gen. Solcher  Zauberer  kannte  das 
glaubensvolle  Mittelalter  viele,  Leute, 
welche  die  Freude  der  Mitmenschen 
an  Zauberei  benützten,  um  sich  gute 
Tage  zu  machen,  Menschen  von  aus- 
gesprochen schlechtem  Lebenswan- 
del, Betrüger,  Lügner,  Wollüstlinge, 
Schlemmer  u.  dgl.  Ein  solcher  Mensch, 
Namens  Faust,  scheint  in  der  zwei- 
ten Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  in 
Deutschland  gelebt  zu  haben.  Ge- 
wiss ist,  dass  etwas  später  ein  ähn- 
licher Berufsmann  als  Zeitgenosse 
Luthers  in  Deutschland  sein  Wes-en 
trieb.    Er  nannte  sich  selbst  und 


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Faust. 


schrieb  es  auf  seine  Karte:  Magister  durch  welchen  alle  gescheht  erhalten 
Georgius  Sabellicus,  Faustus  junior,  teirt  und  von  icelicher  vegen  aw« 
fons  necronumlicorum,  magus*  secun-  der  mrkung  der  qeschepften  de» 
dus,  chiromantictut,  aeromanticiut,  pu-  namen  der  natur  geben  hat."  Auch 
romanticus,  in  hydra  arte  secunaus.  Dr.  Faust  studiert  neben  derThe«.»- 
Als  sein  Geburtsort  wird  das  St&dt-  logie  Medizin,  er  wird  eiu  Welt- 
ehen Knittlingen  in  Württemberg  mensch,  ein  Astrologus  und  Mathe 
oder  Rod  bei  Weimar  angegeben,  matikus,  nannte  sich  einen  Doktor 
Er  soll  in  Wittenberg  und  Krakau  der  Medizin,  half  auch  erstlich  vielem 
Theologie  und  Medizin  studiert  ha-  Leuten  mit  Kräutern,  Wurzeln  und 
ben,  als  fahrender  Schüler  umher-  Wassern,  Rezepten  und  Klystiereii 

fezogen  und  durch  seine  Zauber- ;  Er  machte  auch  Kalender  und  man 
ünste  in  Deutschland  mehr  berüch-  lobte  seine  Kalender  und  Almanacta 
tigt  als  berühmt  gewesen  sein.  Er-  vor  allen  anderen;  denn  er  setzte 
furt  und  Wittenberg  sind  die  Haupt-  nichts  in  den  Kalender,  es  war  deun 
sitze  seiner  Thatigkeit,  in  Wittenberg  also.  Es  waren  seine  Kalender  nicht 
stellte  er  sich  unter  anderm  Melanch-  wie  die  etlicher  unerfahrener  Astro* 
thon  vor.  Aber  auch  aus  Wurzburg,  logen,  die  im  Winter  kalt  oder  Ei* 
Kreuznach,  Maulbronn,  Magdeburg,  und  Schnee,  oder  im  Sommer  in  <kn 
Gotha,  Nürnberg,  Goslar,  Prag,  Hundstagen  warm,  Donner  und  Un- 
Meissen laufen  Nachrichten  über  ihn  gewitter  setzen.  Er  nannte  alU-wal 
ein.  Sein  Tod  scheint  um  das  Jahr  Zeit  und  Stunde,  wann  etwas  ge- 
1540  erfolgt  zu  sein.  schehen  sollte,  und  warnte  je^l»-? 

c.  Als  drittes  Element  findet  sich  Land  insbesondere,  das  eine  vor 
im  Faustbuch  die  natuncissenschaft-  Krieg,  das  andere  vor  Teurung,  d^ 
liehe,  auf  eigenen  Füssen  stehende  dritte  vor  Sterben  u.  8.  w. 
Forschung  niedergelegt.  Nur  müh- ;  d.  Das  vierte  Element  des  Fau-t- 
sam  ringt  sich  während  des  Mittel- 1  buches ist  die  kirchliche, offenbar****- 
alters  eine  auf  Thatsachen  gebaute,  gläubige  Weltanschauung.  Diese 
naturwissenschaftliche  Erkenntnis  den  Menschen  bloss  durch  die  Gut- 
durch;  stillgestanden  aber  hat  auch  denmittel  des  Christentums  *?l£  ! 
in  jener  Periode  diese  Geistesarbeit  werden;  wer  nicht  glaubt,  sich  vom 
nicht.  Am  ehesten  gelingt  es  ihr  Glauben  loslöst,  ist  verdammt, 
auf  dem  Fehle  der  Astronomie  zu  des  Teufels,  ihn  holt  der  Teufel,  »t 
sicheren  Resultaten  zu  gelangen,  be-  gehört  der  Hölle  an.  Schon  die 
sonders  wo  dieselben  durch  Rechnen  ersten  christlichen  Jahrhunderte  hat- 
zu  gewinnen  waren;  auf  dem  Ge-  '  ten  diese  Anschauung  ausgebildet 
biete  der  Physik,  und  namentlich  der  wie  man  denn  auch  schon  so  fnili 
Chemie,  sah  es  dunkler  aus,  uud  es  I  die  Verschreibung  des  Grottlosen  mit 
ist  bekannt,  wie  damals  chemische  eigenem  Blut  an  den  Teufel  uml 
Forschungen  mit  allerlei  duukelu  das  Holen  eines  Gottlosen  durch  dea 
Problemen  unverstandener  Magie  Teufel  selber  kennt.  Eine  filtert 
zusammentrafen.  Dass  es  aber  auch  katholische  Sage  (Theophilus)  l**j* 
bereits  eine  sehr  bewusste  Natur-  den  Abgefallenen  durch  die  Fürbitt** 
erkenntnis  gab,  beweisen  u.  a.  die '  der  Maria  gerettet  werden.  Un*f 
Anschauungen  des  in  Genf  ver-  Faustbuch  ist  protestantisch.  Ent- 
brannten Serret;  in  J'adians  Frag-  tung  durch  die  Gnadennlittel  der 
ment  einer  Geschichte  der  römischen  Kirche  gilt  nicht,  jeder  hat  Wohl 
Kaiser  ( Deutsche  bist.  Schriften  III,  oder  Wehe  selber  zu  trageu,  Faust 
20.  40)  steht  der  Satz:  „Dan  die  hat  sich  von  Gott  losgelöst,  also»-* 
Salur  mint  anders  ist.  dan  die  kraft  ihu  der  Teufel. 
Gotes,  der  gaist  Gates,  ja  Gut  selbs,        Es  richtet  sich  aber  die  Str*/«* 


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Faustrecht. 


183 


für  den  Abfall  gleichmässig  gegen 
sämtliche  drei  Elemente  des  Faust- 
baches. Faust  wird  also  ersten*  vom 
Teufel  geholt,  weil  er  ein  Zauberer 
ist:  der  Teufel  hat  ihm  die  Kraft 
de?  Zauberns  mitgeteilt,  mit  seiner 
Hilfe  hat  er  auch  diejenigen  Zau- 
bereien unschuldiger  Natur  begangen, 
die  an  anderen  Orten  ohne  Zuhilfe- 
nahme des  Teufels  berichtet  werden. 
Zweitens  wird  Faust  vom  Teufel  ge- 
holt, weil  er  ein  Schwindler  ist,  ein 
Schlemmer,  ein  Prasser,  ein  Wollüst- 
ling. Schon  vor  dem  Faustbuche 
hatte  man  sich  an  verschiedenen  Or- 
ten erzählt,  in  der  und  der  Gasse, 
in  dem  und  dem  Hause,  sei  der  wirk- 
liche Dr.  Faust  nachts  vom  Teufel 
geholt  und  in  Stücke  zerrissen  wor- 
den. Dritten*  holt  der  Teufel  den 
Faust,  weil  er  es  unternommen  hat, 
die  Wahrheit  in  der  Natur  auf  eigene 
Faust  zu  gewinnen,  weil  er  in  seiuer 
Wissenschaft  vom  Wege  der  Theo- 
logie abgewichen  ist. 

Nach  dem  Faustbuch  scheint  am 
Ende  des  17.  Jahrh.  eine  dramatische 
Bearbeitung  derSage  in  Alexandrinern 
vorhanden  gewesen  zu  sein.  Stücke 
daraus  finden  sich  im  Puppenspiel 
Faust,  dessen  Hauptquelle  man  ge- 
wöhnlich in  der  von  Marioire,  gest. 
1593,  verfassten  englischen  Tragödie 
Faust  sucht,  die  von  sog.  englischen 
Komödianten  nach  Deutschland  ge- 
bracht worden  wäre.  Wie  das  Pup- 
penspiel im  Aufklärungszeitalter  den 
Anstoss  zu  neuen  Faustdichtungen 
im  Geiste  einer  freien  Bildung  gab 
und  zumal  Lessing  und  Goethe  be- 
schäftigte, gehört  nicht  hierher. 

Faustrecht  und  Fehderecht. 
Ein  Fehdererht  kennt  schon  das  alt- 
germanische  Recht:  es  geht  aus  dem 
Begriff  des  Friedens  hervor,  den  die 
einzelnen  Kreise  selber  zu  schützen 
hatten;  wer  jemanden  böswillig  ver- 
letzte, der  brach  mit  dem  Verletzten 
und  dessen  Familie  und  Genossen 
den  Frieden,  setzte  sich  von  selbst 
mit  ihm  in  Kriegsstand,  und  der 
Verletzte  hatte  das  Recht,  mit  semer 


Familie  und  seineu  Genossen  wider 
den  Friedensbrecher  Fehde  zu  er- 
heben, ihr  alle  ihm  nur  mögliehe 
Ausdehnung  zu  geben  und  im  Blute 
des  Friedbrechers  Genugthuung  für 
den  erlittenen  Hohn  zu  suchen.  Das 
Wort  Fehde  ist  mhd.  die  rehede, 
ahd.  fehida,  angels.  faedhu,  faedhe\ 
mit  dem  ahd.  Verb  fehan  =  feind- 
selig, gram  sein,  hassen,  angreifen 
und  verfolgen,  und  dem  ahd.  ßh. 
mhd.  rech  —  feindselig,  und  dem 
langobardischen Substantiv  die faidti, 
stammt  es  wahrscheinlich  von  dem 
got.  faijan  =  anfeinden,  das  wieder 
mit  got.Jigan  —  hassen,  dem  Wurzel- 
verb von  Feind,  verwandt  ist.  Da- 
mit sieh  aber  der  Starke  gegen  den 
Schwachen  nicht  alles  erlaube,  be- 
stand zugleich  das  Recht  auf  ein 
Sühngeld,  composifw.  Der  Verletzte 
konnte  sieh  an  das  Volksgericht  wen- 
den und  das  Volk  sorgte  für  die 
Stellung  des  Friedbrechers  vor  Ge- 
richt und  zwang  ihn  zur  Genug- 
thuung und  dadurch  zur  Wiederher- 
stellung des  Friedens.  Zur  Fehde  be- 
rechtigte aber  bloss  diejenige  Rechts- 
verletzung, durch  welche  der  Friede 
wirklich  gebrochen  war,  bei  Civil- 
ansprüchen  und  bei  nicht  vorsätz- 
lich zugefügten  Verletzungen  war  die 
Fehde  unzulässig;  im  ersten  Falle 
musste  der  Richter  angegangen  wer- 
den, im  zweiten  Falle  trat  bloss  Kom- 
position ein.  Auch  war  die  Ausübung 
des  Fehderechtes  dadurch  beschränkt, 
dass  gegen  den  Verbrecher  in  seinem 
Hause  und  in  seiner  Wehre,  in  der 
Kirche  oder  an  der  Gerichtsstelle, 
oder  auf  dein  Wege  dahin  und  zu- 
rück, oder  beim  Könige  und  auf  dem 
Wege  zu  und  von  ihm  nichts  unter- 
nommen werden  durfte.  Seit  der 
Karolingerzeit  wurde  aber  das  Fehde- 
recht als  einem  geordneten  Rechts- 
zustand zuwider  sehr  eingeschränkt. 
Der  König  konnte  einem  einzelnen 
Befehdeten  den  Königsfrieden  er- 
teilen, wodurch  jede  Fehde  gegen 
ihn  gehemmt  wurde;  bei  schwereren 
Verbrechen,  namentlich  bei  Mord. 


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184 


Faustreeht. 


Brand.  Raub,  Notzucht,  Diebstahl 
trat  der  Staat  durch  eine  öffent- 
liche Strafe  für  den  Verletzten 
ein,  da  dadurch  doch  mittelbar  der 
nemeine  Friede  des  Staates  ge- 
stört war. 

Im  spateren  Mittelalter,  seitdem 
vom  elften  Jahrhundert  an  die  Wirk- 
samkeit der  Gerichte  so  oft  gelähmt 
wurde,  änderte  sich  die  Bedeutung 
des  Fehderechtes  dahin,  dass  dieses 
zwar  gestattet  wurde  und  zwar  so- 
wohl gegen  schwere  Verbrecher  als 
gegen  geringe  Verletzungen,  ja  auch 
wegen  des  unbedeutendsten  Civil- 
anspruches,  aber  nur  gegen  den, 
gegen  welchen  die  Gerichte  Macht 
zu  verschaffen  nicht  imstande  waren ; 
die  Fehde  war  bloss  noch  eine  er- 
laubte Selbsthilfe  in  allen  Fallen,  in 
welchen  dem  aus  irgend  einem 
Grunde  Berechtigten  der  Staat  zu 
seinem  Rechte  nicht  verhelfen  konnte. 
Die  Ausübung  dieses  in  den  Land- 
frieden (siehe  diesen  Art.)  gestatteten 
Fehderech tes  war  aber  an  gewisse 
Formen  gebunden.  Wer  sich  in  die 
Lage  versetzt  sah,  Fehde  zu  er- 
heben, musste  seinem  Gegner  die 
Fehde  vorher  offen  und  förmlich 
drei  Tage  vor  ihrem  Beginnen  an- 
sagen. Die  Fehde  musste  angekün- 
digt werden  durch  einen  Brief,  den 
ein  Bote  in  die  Wohnung  des  zu 
Befehdenden  bei  Tage  zu  bringen 
hafte.  Gewisse  Personen  und  Sachen 
mussten  gesetzlich  bei  Ausübung  der 
Fehde  geschont  werden:  Geistliche, 
Kindbetterinnen,  schwer  Kranke, 
Pilger,  Kaufleute,  Fuhrleute  mit 
ihrer  Habe  und  Kaufmannschaft, 
Ackermann  und  Weingärtner  wäh- 
rend der  Feldgeschäfte,  Kirchen  und 
Kirchhöfe.  Durch  den  Klerus  wurde 
zur  Beschränkung  des  Fehderechtes 
der  Gut  festfriede  eingeführt  Pas  oder 
Trenqa  Dei.  An  gewissen  Tagen 
des  Jahres  und  ausserdem  in  ieder 
Woche  von  Mittwoch  Abend  bis 
Montag  früh  sollte  jede  Fehde  ruhen. 
Der  Gottesfriede  wurde  jedesmal 
eingeläutet.  Wer  ihn  verletzte,  kam 


in  den  Kirchenbann,  wer  sich  daraus 
nicht  löste,  in  die  Reichsacht.  Da- 
gegen schützte,  wie  es  im  alten 
Hechte  gewesen  war.  Hausrecht  und 
Hausfriede  nicht  mehr  in  der  mittel- 
alterlichen Fehde.  Wer  Fehde  erhob, 
ohne  richterliche  Hilfe  versucht  zu 
haben,  wer  sie  nicht  ankündigte  und 
sonst  sich  gegen  das  Fehderecht 
Verfehlte,  w  ar  Landfriedenverhrechrr 
und  büsste  gewöhnlich  mit  dem 
Strang. 

Das  missbräuchlich  ausgeübte 
Fehderecht  heisst  nun  Faustrecht, 
ein  Wtfft,  das  zuerst  im  16.  Jahrh 
erscheint  Die  Missbräuche  lagen 
bei  dem  ganzen  Institute  nahe,  und 
die  Verhältnisse  der  Zeit  begünstigten 
sie.  Besonders  den  Adel  trifft  der 
Vorwurf  solcher  Missbräuche;  die 
Städte  waren  in  der  Regel  froh, 
wenn  sie  nicht  befehdet  wurden  und 
nicht  zur  Fehde  zu  greifen  sich  ge- 
zwungen sahen.  Dem  Adel  dagegen 
war  die  Fehde  Lust  und  Erwerb: 
denn  der  Raub  war,  am  Gegner  und 
seinen  Angehörigen  begangen,  ge- 
stattet. Sieh  auf  Häuherei  leqe*, 
vom  Sattel  oder  vom  Sieareif  leben, 
war  der  Ausdruck  für  dieses  Hand- 
werk. Noch  gegen  Ende  des  1 5.  Jahrh. 
sagte  ein  römischer  Kardinal  von 
Deutschland:  Germania  tot-a  umm 
latrocinium  est,  et  ilfe  inier  nolnlet 
(fforiofior,  qui  rapaeior:  GanzDeutsch- 
land  ist  ein  einziges  Räubernest  und 
unter  den  Edelleuten  der  am-  ruhnv 
würdigsten,  der  am  meisten  raubt. 
Wegen  der  kleinsten  Bagatellsachen 
wurde  oft  Fehde  angekündigt:  ein 
Herr  von  Praunheim  schickte  z.  B. 
der  Stadt  Frankfurt  einen  Fehde- 
brief, weil  eine  Frankfurterin  auf 
einem  Balle  seinem  Vetter  einen 
Tanz  versagt  und  mit  einem  anderen 

fetanzt  hatte  und  die  Stadt  ihm  nicht 
afür  Genugthuung  geben  wollte. 
Oft,  wenn  ein  Ritter  jemandem  Fehde 
erklärte,  schickte  aller  Tross,  der 
zu  ihm  gehörte,  auch  Fehdebriefe. 
Nach  II  achter,  Beiträge  zur  deut- 
schen Geschichte. 


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Pechtkumi  1 8ö 


Feehtkunst.  Das  im  Mittelhoeh-  hervorgegangen  waren,  daher  die 
deutschen  sehr  oft  gebrauchte  Verb  Worte  Federfuchser,  Federheld,  oder 
fechten,  wahrscheinlich  mit  faust  ob  gar  Feder  der  Name  eines  Stoss- 
wurzelverwandt,  hat  die  allgemeine  degens  war;  ihren  Hauptsitz  hatten 
Bedeutung  des  sich  Abmühens,  eifrig  sie  zu  Prag.  Auch  eine  Gesellschaft 
Strebens,  des  Anstrengens  der  Hftnde,  I  der  Luxhrüder  kommt  vor,  deren 
im  besonderen  wird  es  vom  Kämpfen,  i  Bedeutung  noch  weniger  klar  ist, 
Streiten  im  Gefechte  angewandt,  wie  überhaupt  eine  urkundlich«  Dar- 
Die  Übung  im  Gebrauche  desSchwer-  Stellung diesesGegenstandes  mangelt, 
tes  hiess  in  der  höfischen  Sprache  Man  hat  von  Statu  Sachs  (Werke 
schirmen;  schirmknahen  sind  Knaben,  in  Fol.  /,  307)  ein  Gedicht:  Der 
die  den  Fechtunterricht  erhalten;  Fechtsj>ruch ,  Ankunft  und  Freiheit 
der  Fechtmeister  heisst  mhd.  schirm-  der  Kunst.  Darin  wird  die  Fecht- 
meister.  Erst  in  den  Städten  nannte  kunst  von  Herkules  hergeleitet,  der 
man  die  von  zünftigen  Handwerkern  die  Olympisehen  Spiele  stiftete;  von 
ausgeübten  Wuffenspiele,  die  ohne :  den  Griechen  kam  die  Fechtkunst 
Zweifel  eine  Nachahmung  der  ritter-  zu  den  Rumern;  das  Christentum 
liehen  Waffenübungen  waren,  Feeht-  \  stellte  zwar  das  blutige  Kampfspielab, 
kunst;  als  volksmässigcs  Element  Dennoch  ein  stück  vom  kämpf  noch 
mischte  sich  damit  die  Knust  der  !  blieb, 
von  Alters  her  umziehenden  Spiel-  VU  Held  kämpften  in  freiem  Feld 
leute  und  Schwerttänzcr.  Als  die  und  ritten  zsam  in  finster  Wäld, 
älteste  Fechtergesellschaft'm  Deutsch-  Als  Eck  und  der  alt  Hillebrant, 
land  gelten  die  Ma  rrhrüder  in  Frank-  Laurein,  Hürnen  Sewfrid  genannt, 
fnrt  a.  M. ,  oder  die  Brüderschaft  König  Fasolt  und  Dietrich  von  Bern, 
von  St.  Markus  von  Lötcenberg,  die  I  Thaten  einander  Kampf  gewern. 
aus  einem  Hauptmann  und  vier  |  Auch  die  Fechtkunst  des  Adels, 
Meistern  zusammengetreten  war.  Wer  die  zu  Verwundungen  und  Tod 
mit  ihnen  zu  fechten  wagte,  der  führte,  wurde  abgestellt  und  die 
gab  sich  ihnen  entweder  in  die  Kunst  der  St.  Marx-Brüderschaft 
Schule  oder  stand  ganz  vom  Fech-  übergeben.  Die  Kunst  selber  be- 
ten ab.  In  der  Frankfurter  Herbst-  schreibtHans  Sachs  folgendermaßen: 
messe  fochten  die  Marxbrüder  auf  Ich  sprach:  Wie  sind  die  stück  genand, 
oftentlichen  Platze  mitfremden  Feeht-  Die  man  muss  lehren  im  anfang? 
meistern;  wer  die  Probe  bestand,  j  Er  sprach:  Der  Kunst  zu  eimeingang 
dem  wurde  von  ihnen  die  „Heim-  lehrt  man  ober-  und  unterhaw, 
lichkeit"  anvertraut,  d.  h.  allerlei  Mittel-  und  Flügel-  haw  genaw, 
Kunstgriffe  in  der  Führung  des  Auch  gschlossen  und  einfachen  stürz, 
Schwertes.  Jetzt  durfte  er  das  Wap-  Den  tritt  darzu,  auch  lehrt  man  kurz 
pen  der  Marxbrüder,  einen  Löwen,  Den  Possen  und  ein  aufheben, 
führen  und  in  ganz  Deutsehland  das  Aussgftng  und  niderlegen  eben. 
Fechten  lehren.  Das  Privilegium  der  Ich  bat:  Lieber  Meister,  zeigt  an, 


Marxbrüder  wurde  vom  Kaiser  NSO, 
1 51 2,  1 566  und  1679  erneuert.  Unter 


Wie  nennt  man  die  stück  vor  dem 
Mann? 


den  nicht  privilegirten  Fechtschulen  Er  sprach:  Ob  ich  dirs  gleich  thu 
uar  die  der  Federfechter  die  ver-  nennen, 

hreitetste;  sie  hiess  auch  Freifechter  Kanst  du  die  stück  ons  Werk  uit 
ron  der  Feder,  wobei  es  ungewiss  kennen, 

ist,  ob  sie  den  Namen  von  einer  am  Weil  du  uit  hast  gelehrt  die  Kunst, 

Hut  oderSpiess  aufgesteckten  Feder  Doch  ich  dir  auss  besondrer  Gunst 

trugen  oder  davon,  dass  sieursprüng-  Etlich  häw  und  stück  nennen  will, 

lieh  aus  dem  Stand  der  Schreiber  Die  meisterlich  sind  und  subtil: 


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isi; 


Fechtkunst.  —  F«*en. 


Derzornhaw  und  kruuiphaw,  schaw,  Universitäten,  deren  Studenten 
Zwerchhaw,  schillerhaw,  scheitler-   Hang  eines  (gelehrten  Adels  b< 

haw,  spruehten.  Als  Begründer  der  aka- 

Wunder  versatzung  und  nachreisen,  demischen  Fechtkunst  wird  W 
Ueberlauf ,     Durch  Wechsel     etlich  |  heim  Kreuts!  er  genannt.  Sohu  < : 
heissen,  Nassauischen  Schulmeister».  i<  r 

Schneiden,  hawen,  stich  im  winden,  Frankfurt  Marxbruder  und  in 
Abschneiden,  hengen  und  anbinden;  privilegierter   Fechtmeister  w 
Die  Kunst  halt  in  vier  läger  klug,  er  starb  1673.    Von  seinen 
Alber,  Tag,  Ochs  und  den  Pflug.    I  Kindern  wurden  vier 
Dieselben 
seltsamen 
Namen  fin- 
det man 
auch  in  den 
im  16.  Jhrh. 
zu  Frank- 
furt er- 
schienenen, 
mit  Holz- 
schnitten 
versehenen 
Fechtbü- 
cheru;  hier 
wird  unter- 
schieden 
dasFechten 
mit  dem 
langen 
Schwert, 
das  Messer- 
fechten, 
dessen  vier 
häw  ge- 
nannt wer- 
den Zorn- 
haie,  Ent- 
rüsthaw, 

Geferkaw,  Entweeker,  Zwinger  und 
Winker^  das  Fechten  mit  Teichen 
oder  Kampftagen  und  «las  Fechten 
in  der  Stangen.  Dazu  Figur  47 
bis  49  aus:  Fechthuch.  Die* Ritter- 
liche und  Männliche  Kunst  und 
Handarbeit  Fechtens.  Fraukf  a.  M. 
1558.  Mit  der  Verbreitung  der 
Schützengesellschaften  kamen  die 
bürgerliehen  Fechtergesellschaften 
in  Verfall. 

Dagegen  erhielt  sich  die  Fecht- 
kunst als  notwendige  Beigabe  einer 
adeligen  Erziehung  und  auf  den 


Fig.  47.  Aus  dorn  Frankfurter  Fechtbuch  v 


Feen,  bei  den  romaui 
kern  aus  dem  lateinischen  Wod 
tum  entstanden,  welches  an  die 
von   jjarca,   Parze  getreten 
ital.  ßtta,  span.  hada,  prov. 
franz.  fe'e.    Keltischer  uud 
nischer  Volksglaube,  die  deu 
Nornen,    mögen   sich  mit 
Schiksalsgöttiuen  vermischt 
Schon  Ausonius,  4.  Jahrhtt 
erwähnt  neben   /res  Chart  fr  t\ 
fata,  wie  denn  überhaupt  die 
zahl,  daneben  einigemal  die 
sieben  uud  dreizehn  für  sie  cha 


Feen. 


187 


Aus  dem  Frankfurter  Fechtbuch  v.  1558. 


ristisch  siud. 
Sie  haben  auch 
besondere  Na- 
men, beson- 
ders berühmt 
ist  die  fata 
Moryama. 

Monjhe  lafte. 
Sie  erseheiuen 
bei  ländlichen 

Festen  uud 
belohnen 
tfeissige  Spin- 
nerinnen. 
Ähnlich  den 
deutschen 

Riesenjung- 
trauen  tragen 
*ie  ungeheure 
Fclsblöekeauf 
dem  Haupte 
nnd  in  der 
Schürze,  wäh-  Fig.  48. 
reud  sie  mit 
freier  Hand 
ihre  Spindel 
drehen;  als 
«  ine  Fee,  wel- 
che den  15au 
vollführte,  zu 
Ende  war,  rief 
sie  ihreu 

Schwestern 
zu,  mit  dem 

Herantragen 

aufzuhören ; 
diese,  obgleich 
zwei  Meilen 
weh  entfernt, 
hortenden  Ruf 

und  Hessen 
die  Steine  fal- 
len, dir  sich 
tief  in  die  Erde 
senkten;  span- 
nen aber  die 
Feen  nicht,  bo 
trugeu  sie  vier 
Steine  auf  ein- 
mal. Sie  wa- 
ren gutmütig 

und    nahmen    *  4;''  A,IS  dtMU  Fr*Ilkfurter  Fechtbuch  v.  1558. 


Sich  besonders 
der  Kinder  ;u», 
deren  Schick- 
sal sie  verkün- 
digten. Iu  die 
Häuser  der 
Nachbarnstie- 
gen sie  durch 
den  Rauch- 
fang ein  und 
aus;  daherkam 
es,  dass  sich 
einst  die  un- 
vorsichtigste 
unter  ihnen 

verbrannte 
und  ein  lautes 
Klaggesi  lu  ei 
ausstiess.  auf 
welches  alle 
Feen  der  Ge- 
gend zusam- 
menliefen. 
Täuschen 
Hessen  sie  sich 

nicht  ;  denn  als 
ein  Mann  sei- 
ner Frauen 
Kleider  anzog 
und  des  Amtes 
pflegte,  strafte 

Sic  ihn  da- 
durch, dasssie 
die  auf  dem 
Herd  „kochen* 
den  Apfel  in 
Birnen  ver- 
wandelte. 
Grimm,  Mv- 
thol.  882.  Die 

alt  französi- 
schen Epiker 
verflochten  die 
Feen   in  die 
romantischen 

Abenteuer 
ihrer  Helden, 

von  wo  sie 
auch  als  mhd. 
feie,  fein  e,  m  er- 
feie,  teazzer- 
feie,  aber  nur 


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188 


spärlich,  in  das  deutsche  höfische 
Kunstepos  eingeführt  worden ;  Gott- 
fried von  Strassburg  sagt  vom  Blicker 
von  Steinach  (Tristan  46081: 
ich  waene,  daz  in  feinen 
ze  wunder  haben  pesounnen 
und  haben  in  in  tr  brunnen 
getiutert  und  gereinet, 
er  ist  benamen  gefeinet. 
Aus  Volksüberlieferungen  und  nicht, 
wie    man    früher    meist  annahm, 
aus  arabischen  Quellen,   sind  seit 
der   zweiten  Hälfte  des  17.  Jahr- 
hunderts die  französischen  Conte* 
de  ß'es  entstanden,  deren  erste  und 
beste  die  des  Carl  l'errault  11833 
bis  1703)  ist,  erschienen  1697 ;  gleich- 
zeitig sammelte  solche  Märchen  die 
Gräfin  Aulnoy,  1650— 17<>5,  sie  er- 
schienen 169»;  von  beiden  Samm- 
lungen giebt  es  zahlreiche  Nach- 
ahmer. Schreiber,  die  Feen  in  Europa, 
Freiburg  1842,  und  Kuightler, Mytho- 
logie der  Feen  und  Elfen,  deutsch 
von  0.  L.  B.  Wolff,  Weimar  1828. 
2  Bde. 

Fegfeuer,  mhd.  regeriur,  Pur- 
gatorium,  Tgnis  purqatoriu*  ist  ur- 
sprünglich *  eine  altpersische  Vor- 
stellung und  wurde  zuerst  von  Ori- 
genes  (185 — 254 1  in  den  Kreis  der 
christlichen  Anschauungen  von  den 
letzten  Dingen  hineingezogen.  Doch 
hat  erst  Augustin  Hie  Lehre  von 
einem  sinnlich  peinigenden  Fegfeuer 
vorgetragen  und  mit  1  Kor.  3,  15 
zu  begründen  gesucht.  Die  Beziehung 
fies  Fegfeuers  auf  das  Messopfer 
stammt  von  Gregor  d.  Gr.;  nach 
seiner  Lehre,  die  im  Ganzen  bis 
heute  zu  Recht  besteht,  geht,  der 
mit  Todsünden  belastet  stirbt,  in  die 
Hölle;  lässliche  Sünden,  wie  Schwatz- 
haft igkeit,  Rachsucht,  sei  i  lechte  Haus- 
haltung, werden  im  Fegfeuer  abge- 
büsst.  Hauptsache  ist  aber  schon 
bei  ihm,  dass  die  Kirche  durch  Für- 
bitte, gute  Werke  und  namentlich 
durch  das  Messopfer  den  im  Feg- 
feuer  Leidenden  zu  helfen  vermag: 
die  meinunq  hat  globen  und  statt 
finden,  die  lebenden  mögen  durch  ire 


werk,  im  namen  der  toten  geschechen, 
den  armen  fegenden  seelenzu  hilf  und 
trost  umb  erledigung  erschienen,  ah 
so  finte  gesellen  einem  helfend  das 
fagwerk,  damit  er  desfer  ee  /trabend 
haben  mög,  ussrichfen.  Kessler.  Sab- 
bata,  I,  *  93.  Auf  dem  Konzil  zu 
Florenz  1239  wurde  die  Lehre  vom 
Fegfeuer  zu  einem  förmlichen  Glau- 
bensartikel erhoben. 

Femgericht,  Vehmgericht,  mhd. 
die  veme  =  Strafe,  Strafgericht,  remsn 
—das  Urteil  über  jemand  sprechen, 
verurteilen ,  davon  verremen,  uhd. 
verfehmen,  aus  dem  Mittel-,  ur- 
smünglieh  Niederdeutsehen,  dunkeln 
L  rsprunges.  Die  Femgerichte  waren 
kaiserliche  Landgerichte,  die  ihren 
Sirz  in  Westfalen,  in  einem  Teile 
von  Engem  in  dem  Winkel  zwischen 
dem  Rheine  und  der  Weser  hatten. 
Sic  selbst  schreiben  ihren  Ursprung 
Karl  d«  in  Grossen  zu,  der  sie  auf 
den  Rat  des  Papstes  Leo  eingesetzt 
habe,  und  berufen  sich  darauf  regel- 
mässig; richtig  ist  dies  nur,  insotern 
eben  Karl  der  Grosse  das  Institut 
der  Schotten  in  die  Volks-  oder 
Gaugerichte  einführte  (siehe  den 
Art.  Gerichtswesen  i.  Als  nun  nach  der 
Karolingischen  Zeit  die  alte  Gau- 
verfassung sieh  allmählich  auflöste 
und  die  Grafengewalt  in  ein  erb- 
liches Recht  und  in  Landeshoheit 
überzugehen  anfing,  verloren  die 
Freien  fast  überall  einen  Teil  ihres 
angestammten  Rechtes,  sie  wurdeu 
vogteipflichtig,  und  wenn  sie  auch 
an  den  Landgerichten  noch  teil- 
nahmen, so  bildeten  sie  doch  keine 
kaiserliehen  Gerichte  mehr  über 
Freie.  In  wenigen  Gegenden  er- 
hielten sieh  alte  Gerichte,  z.  B.  iu 
Oberschwaben  das  kaiserliche  Land- 
gericht bei  Wangen,  hauptsachlich 
aber  in  Westfalen  und  einem  Teile 
von  Engern.  Hier  bildete  sich  die 
Landeshoheit  sehr  langsam  aus,  die 
Herren  waren  meist  Geistliche,  das 
alte  Sachsenland  hing  überhaupt 
strenger  an  der  hergebrachten  Sitte, 
viele  freie  Grundbesitzer  erhielteu 


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Femgericht.  189 

sich.  Der  Richter,  der  dem  Gerichte  den,  wenn  nämlich  der  ordentliche 

vorsass.  war  immer  noch  der  alte  Richter  nicht   imstande  war,  des 

karolingische  Gaugraf,  ein  kaiser-  Schuldigen  mächtig  zu  werden,  oder 

lieber  Beamter,  der  vom  Ende  des  12.  den  guten  Willen  hierzu  nicht  hatte; 

Jahrhunderts  an  zur  Auszeichnung  von  wann  diese  Erweiterung  geschah, 

auderen   Grafen   Freigraf  ^    Lomes  ist  ungewiss.    Um  aber  gegen  die 

Uberorum  hiess,  wie  die  Schöffen  zahlreichen  Fälle  gerüstet  zu  sein, 


Freischötfen,  Scabini  liberorttm  oder 


wo  der  Beklagte  dem  Gerichte  ein- 


liberscabini.      Alle    eingesessenen  fach  nichts  nachfragte,  richtete  man 
Freien  waren  und  blieben  Schöffen-  neben  den  Sitzungen,  wozu  wie  ge- 
bar und  zahlten  an  den  Vomex  die  wohnlich  jeder  Zutritt  hatte,  andere 
alten  Reichsabgaben  für  den  kaiser-  ein,  woran  nur  Schöffen  teilnahmen; 
liehen    Fiskus.     Der    zwar    nicht  das  offenbare  Ding  verw&udelte  sich 
zusammenhängende    Gerichtsbezirk  in  ein  heimliches  oder  Stiftgericht, 
hiess  Freigrafschaft,  comitia  libera.  eine  heimliche  oder  beschlossene  Acht, 
Die  Freigrafeu  wurden  unmittelbar  das  nicht  etwa  bei  Nacht  oder  au 
vom  Kaiser  oder  namens  des  Kaisers  besonderen  Orten  abgehalten  wurde, 
vom  Herzog  mit  dem  Gerichte  be  sondern  am  gewohnten  Mahlplatz 
lehnt    Zwar  gelang  es  auch  hier  im  Freien,  nur  unter  Ausschluss  aller 
den  Territorialnerren,  die  Freigraf-  yichticissenden.     Am   offenen  Ge- 
schäften in  ein  Abhäugmkeitsver-  rieht  wurden  jetzt  bloss  noch  Civil- 
hältnis  zu  bringen  und  sich  mit  der  und  geringere  Rügesachen  verhan- 
Grafschaft  selbst  sdsBOg.  Sttdilherren,  delt:  vor  das  offene  Gericht  musste 
d.  Ii.  Gerichtsherren,  erblich  vom  auch  der  Umcissende  gefaden  w er- 
Kaiser belehnen  zu  lassen,  auch  die  den,  und  es  wurde  hier  über  ihn  ge- 
Reichsabgaben  an  sich  zu  ziehen;  richtet,  wenn  er  erschien;  erschien 
dennoch  blieb  das  alte  Gericht,  mit  er  nicht,  so  verwandelte  sich  das 
ihm  die  alten  Mahlplätze,  Freistühle;  Gericht  in  die  heimliche  oder  be- 
der  Stuhlherr  musste  den  Freigrafen  schlossene  Acht  dadurch,  dass  allen 
als  den  Vorsitzenden  des  Gerichtes  Anwesenden,  die  nicht  Freischöffen 
dem  Kaiser  oder  dem  Herzoge  prä-  waren,    bei    Todesstrafe  geboten 
sentieren,  damit  er  von  diesem  den  wurde,  sich  zu  entfernen.  Zur  sichern 
kaiserlichen   Bann  unmittelbar  er-  Vollziehung  des  Urteils  wurde  be- 
halte.   So  erhielten  sich  diese  Frei-  stimmt,  dass  die  vom  Femgerichte 
gerichte  fort  als  kaiserliche  Gerichte  ausgesprochene    Oberacht  zugleich 
und  übten    nicht  bloss  Kriminal-,  das  Todesurteil  des  Gerichteten  sein 
sondern  auch  Civilgeriehtsbarkeit,  sollte,  dass  es  nur  eine  Todesstrafe 
zunächst  jedoch  nur  über  die  zur  creben  soll,  den  Strang  oder  die  Tf'iW, 
Freigrafschaft  gehörigen  Freistuhl  Weidenstrick,  und  dass  der  nächste 
enter  und  deren  Angehörige.   Über  beste  Baum  der  Galgen  sein  sollte, 
diese  Kompetenz  hinaus  ging  das  Den  Schöffen  war  dem  bestehenden 
Gericht    dadurch,    dass    sich    die  Rechte  gemäss  als  allgemeine  Pflicht 
Schöffen,  ebenfalls  nach  einer  von  aufgelegt,  das  Todesurteil  zu  voll- 
Karl   dem    Grossen    hergeleiteten  ,  ziehen.    Sodann  nahm   man  auch 
Pflicht ,  für  berechtigt  hielten ,  vor  ausserhalb    Deutschlands  Sehöffen 
dem  Gericht  als  Jiüger,  d.  h.  als  an,  nach  dem  Grundsatz,  dass  jeder 
Ankläger  im  eigenen  Namen  ver-  Deutsche  von  gutem  Rufe,  wenn 
möge  ihre»  eidlich  übernommenen  auch  der  Landeshoheit  unterworfen, 
Rügepflicht  aufzutreten,  und  zwar  falls  er  nur  nicht  hörig  oder  von 
auch  gegen  Verbrechen,  die  ausser-  hörigen  Eltern  geboren  war,  zum 
halb    ihres   Gerichtssprengeis  und  Schöffen      aufgenommen  werden 
von  fremden  Personen  verübt  wur-  könne,  wenn  er  in  Westfalen  sich 


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1 90  Femgericht. 


dazu  meldete,  denn  nur  auf  wcst-  das  beklagte  Verbrechen  vemtcro<ie. 
laiischer  Erde  konnte  man  zum  d.  h.  ein  vor  die  Feme  gehöriges 
Schorlen  gemacht  werden.  Je  höher  Verbrechen  sei.  War  dieses  bejaht 
das  Ansehen  und  die  Macht  der  so  wurde  der  Angeklagte,  weun  er 
Femgerichte  stieg,  desto  mehr  Freischoffe  war,  vor  die  heimliche 
driingte  sich  alles  zum  Schöffenamte,  Acht  geladen,  durch  schriftlich  aua- 
in dem  ein  besonderer  Schutz  lag  gefertigte  und  vom  Freigrafen  be- 
Die  freien Stadtr sorgten  nieist  dafür,  siegelte  Ladung.  Die  Ladmigsfrist 
unter  den  Mitgliedern  ihres  Rates  betrug  nach  altem  Recht  "sechs 
einige  Freischöffen  zu  haben ;  die  Wochen  und  drei  Tage.  Oer  Frei- 
Fürsten  sahen  es  gern,  wenn  ihre  tckÖffib  wurde  dreimal  geladen  und 
Räte  Freischöffen  wurden;  Reichs-  crluelt  drei  Fristen,  die  erste  La- 
fürsten,  ja  Kaiser  reisten  nach  West-  dung  geschah  durch  zwei  Frei- 
falen,  sich  wissend  machen  zu  lassen;  gehörten,  die  zweite  durch  vier,  die 
im  15.  Jahrhundert  sollen  sich  tau-  dritte  durch  sechs  Freischöffen  und 
sende  von  Freischöffen  in  Deutsch-  einen  Freigrafen;  wenn  er  das  dritte 
land  befunden  haben.  Mal  nicht  erscheine,  sollte  die  höchste 
Im  Übrigen  ratete  das  Verfahren  Wette,  die  letzte  schwere  Sentenz 
auf  allgemeinen  germanischen  Rechts-  ausgesprochen  werden.  Der  Frei- 
gewohnheiten. Das  Gericht  wurde  grat  sollte  zum  erstenmal  durch 
bei  Tage  zwischen  morgens  7  Uhr  sieben  Freischöffen  und  zwei  Frei- 
bis  Nachmittags  unter  freiem  Hirn-  grafen,  dann  durch  vierzehn  Frei- 
mel,  an  den  bekannten  Mahlplätzen  schürfen  und  vier  Freigrafen,  zuletzt 
der  einzelnen  Freistühle,  deren  es  durch  einundzwanzig  Freischüflteu 
über  100  gab,  gehalten.  Vorsitzer  und  sieben  Freigrafen  geladen  wer- 
war  der  I*  reigraf,  der  ein  Westfale  den.  Die  Ladung  eines  SicktwisseA- 
s?in  musste,  so  zwar,  dass  jeder  den  geschah  vor  das  offene  Ding 
freie  Westfale,  Edelmann  oder  Bauer,  blieb  er  aus,  so  verwandelte  sieh  da* 
Freigraf  sein  konnte  und  wirklich  offene  Ding  sofort  in  heimliche  Acht, 
war.  Vor  dem  Grafen  stand  ein  Er  erhielt  in  der  Regel  bloss  einen 
Tisch,  auf  demselben  lag  ein  blankes  Termin  von  sechs  Wochen  und  dit-i 
Schwert  und  ein  Weidenstrick.  Er-  Tagen.  Die  schriftliche  Ladung  an 
scheinen  und  am  Urteile  teilnehmen  ihn  wurde  durch  den  Fronboten  de* 
konnte  jeder  Freigraf  und  Freischöffe,  Freistuhls  oder  durch  zwei  Frei- 
sodass  hei  wichtigen  Verhandlungen  sehöffen  besorgt.  War  der  Wohn- 
ihrerhundert anwesend  sein  mochten,  ort  des  zu  Ladenden  unbekannt,  so 
zum  wenigsten  aber  mussten  sieben  wurden  an  vier  Orten  des  Landen 
zugegen  sein.  Zum  Urteilsfinder  in  dem  der  zu  Ladende  sich  ver- 
rief der  Vorsitzende  einen  ebenbür- 1  mutlich  aufhielt,  auf  Kreuzstrassen 
ti.jen  Schöffen  auf,  dieser  beriet  sich  gegen  Osten,  Westen,  Süden  und 
mit  den  Umstehenden;  sein  Aus-  Norden  je  eine  schriftliche  Ladung 
spruch,  wenn  er  von  der  Versamm-  aufgesteckt  und  zu  jedem  Briete 
lung  mit  Billigung  aufgenommen  1  eine  Künigsmünze  gelegt.  Unter 
wurde,  bildete  das  Urteil,  das  der ;  Umstanden,  wo  Vorsicht  nötig  war. 
Freigraf  verkündete.  Es  konnte  konnte  die  Ladung  auch  bei  Nacht 
nur  auf  Anklage  verfahren  werden,  geschehen  und  au  die  Thore  des 
und  Ankhiper  Konnte  nur  ein  Frei- 1  Schlosses  oder  der  Stadt,  wo  der 
schöffe  sein;  er  klagte  bald  auf  Angeklagte  hauste,  gesteckt  werdeu 
eigenen  Namen,  bala  im  Namen  Erschien  der  Angeklagte  nicht,  so 
eines  verletzten  Wissenden  oder  hatte  am  letzten  Termine,  auf  vel- 
Niehtwisscnden.  Auf  erhobene  An-  eben  der  Angeklagte  geladen  war. 
klage  wurde  zuerst  entschieden,  ob  der  Ankläger  seine  Klage  zu  wieder 


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Femgericht. 


191 


holen.  Denn  w  urde  auf  den  Ge- 
ladenen gewartet,  „bis  die  Sonne 
am  Höchsten  gewesen44,  „bis  Mittags 
in  die  dritte  Uhr4.  Erschien  der 
Angeklagte  auch  jetzt  nicht,  so 
musste  der  Kläger  nachweisen,  dass 
di«j  Ladungen  gehörig  geschehen 
seien:  dann  rief  der  Freigraf  den 
Angeklagten  im  Gericht  noch  vier- 
mal beim  Namen  und  Zunamen  auf 
und  frtgte,  ob  niemand  von  seinet- 
wegen da  sei,  der  ihn  verantworten 
wolle?  War  es  vergebens  geschehen, 
so  forderte  der  Kläger  iol  Ige  rieht, 
d.  h.  die  letzte  Sentenz,  wenn  er 
nicht  selbst  noch  eine  letzte  Frist 
von  dreimal  vierzehn  Nächten,  einen 
sogen.  Kauer  Karls  Tag  gestattete. 
Er  wurde  nun  aufgefordert,  seine 
Klage  zu  beweisen.  Dies  geschah 
nach  deutschem  Rechte  durch  Eides- 
helfer  (siehe  diesen  Art. ),  welche  die 
Ehrenhaftigkeit  uud  volle  Glaub- 
würdigkeit des  Schwörenden  eidlich 
zu  kräftigen  hatten.  Wenn  also  der 
Ankläger  knieend  mit  zwei  Fingern 
der  rechten  Hand  auf  dem  blanken 
Schwerte  schwur,  dass  der  Ange- 
klagte schuldig  sei,  und  wenn  dann 
sechs  Freischöffen  eidlich  bekräftig- 
ten, sie  seien  überzeugt,  der  An- 
kläger schwöre  rein,  nicht  mein,  so 
wurde  die  Anklage  als  voll  erwiesen 
angenommen.  Nun  wurde  die  letzte 
schwere  Sentenz  in  feierlichster  Form 
über  den  Schuldigen  ausgesprochen; 
sie  lautete  im  Munde  des  Freigrafen: 
„Den  beklagten  Mann  mit  Namen 
X.  den  nehme  ich  aus  dem  Frieden, 
aus  dem  Rechte  und  aus  den  Frei- 
heiten, die  Kaiser  Karl  gesetzt  und 
Papst  Leo  bestätigt  hat  und  ferner 
alle  Fürsten,  Herren,  Ritter  und 
Knechte,  Freie  und  Freischöffen  ge- 
lobt und  beschworen  haben  im  Laude 
zu  Rechten,  und  werfe  ihn  nieder 
vom  höchsten  Grad  zum  niedrigsten 
Grad  und  setze  ihn  aus  allen  Frei- 
heiten, Frieden  und  Rechten  in 
Köuigsbann  und  Wette  und  in  den 
höchsten  Unfrieden  und  Ungnade, 
und  mache  ihn  unmündig,  echtlos, 


'rechtlos,  siegellos,  ehrlos,  friedelos 
und  unteilhaftig  alles  Rechts,  und 
verführe  ihn  und  verfeme  ihn  und 
setze  ihn  hin  nach  Satzung  der  heim- 
lichen Acht  und  weihe  seinen  Hals 
dem  Stricke,  seinen  Leichnam  den 
Tieren  und  den  Vögeln  in  der  Luft, 
ihn  zu  verzehren,  und  befehle  seine 
Seele  Gott  im  Himmel  in  seine  Ge- 
walt, wenn  er  sie  zu  sich  nehmen 
will,  und  setze  sein  Lehen  und  Gut 
ledig,  sein  Weib  soll  Wittwe,  seine 
Kinder  Waisen  sein.44 

Hierauf,  heisst  es  in  den  alten 
Feinrechtsbüchern,  soll  der  Graf  neh- 
men den  Strick  von  Weiden  ge- 
flochten und  ihn  werfen  aus  dein 
Gerichte,  und  so  sollen  dann  alle 
Freischöffen,  die  um  das  Gericht 
stehen,  aus  dem  Munde  speien,  gleich 
als  ob  man  den  Verfemten  fort  in 
der  Stunde  hänge.  Nach  diesem 
soll  der  Freigraf  sofort  gebieten 
allen  Freigrafen  und  Freischöffen 
und  crmahnen  bei  ihren  Eiden  und 
Treuen,  die  sie  der  heimlichen  Acht 
gethan,  sobald  sie  den  verfemten 
Mann  bekommen,  dass  sie  ihn  hängen 
sollen  an  den  nächsten  Baum,  den 
sie  haben  mögen,  nach  aller  ihrer 
Macht  und  Kraft. 

Dieses  Urteil  wurde  vor  dem 
Verfemten  in  der  Regel  geheim  ge- 
halten; ein  Schöffe,  der  es  verriet, 
war  selbst  dem  Strange  verfallen. 
Dem  Ankluger  wurde  das  Urteil 
schriftlich  mit  dem  Siegel  des  Frei- 
grafen ausgefertigt,  zur  Legitimation 

fegen  andere  Freischöffen,  die  ihm 
ei  der  Exekution  behülflich  sein 
sollten:  doch  durften  nur  drei  bei 
derselben  sein.  Wo  sie  ihn  trafen, 
richteten  die  Schöffen  den  Verfemten, 
hängten  ihn  an  den  nächsten  besten 
Baum  und  steckten  zum  Zeichen, dass 
er  von  der  heiligen  Feme  gerichtet 
sei,  ein  Messer  in  den  Baum. 

Die  Freischöffen  erkannten  sich 
gegenseitig  an  der  geheimen  Losung. 
Diese  bestand  aus  den  Wörtern  Strick, 
Stein,  Gras,  Grein,  aus  dem  sog. 
Notwort  Beinir  dar  Feweri  und  aus 


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192 


Femgericht. 


dein  heimlichen  Schöffe ngruss:  der 
ankommende  Schöffe  legt  seinerechte 
Hand  auf  seine  linke  Schulter  uud 
spricht : 

Eck  griit  ju,  leite  man  ; 
Wat  fange  ji  hi  an  ! 
Darauf  legt  er  seine  rechte  Hand 
auf  des  andern  Schöffen  linke  Schul- 
ter, und  der  andere  thut  desgleichen 
und  spricht: 

Allet  (Hucke  kehre  in, 
Wo  de  Frienscheppvn  sin! 

Die  Schöffen  mussten  schwören, 
die  geheime  Losung  und  die  Heim- 
lichkeiten des  Gerichtes  überhaupt 
vor  Weih  und  Kind,  Sand  und  Wind 
zu  bewahren. 

Erschien  der  Angeklagte  auf  die 
geschehene  Ladung  vor  Gericht  und 
gestand  er  die  That,  so  wurde  ihm 
sofort  das  Todesurteil  gesprochen 
und  an  ihm  vollführt. 

Leugnete  der  Angeklagte  die  That 
und  war  er  selber  Freischöjfe ,  so 
brauchte  er  anfänglich  nichts  als 
einen  Reiuigungseid  zu  thun,  und 
man  musstc  ihn  seines  Weges  gehen 
lassen;  spater,  als  dieses  Vorrecht 
der  Freischöff'eu  dem  Missbrauch 
ausgesetzt  schien,  wurde  bestimmt, 
dass  der  Ankläger  durch  seinen  Eid 
und  zwei  Fideshelfer  unter  den  an- 
wesenden Freischoffen  den  Klager 
überbieten  könne.  Dem  gegenüber 
konnte  der  Beklagte  mit  sechs  Eides- 
helfern sich  losschwören,  der  Kläger 
mit  dreizehn  Eideshelfern  ihn  wieder 
überbieten  und  der  Angeklagte  im 
Fall^  mit  zwanzig  Eideshelfern  sich 
endgültig  losschwören;  diese  Zahl 
konnte  nicht  mehr  überboten  werden. 

War  der  Angeklagte  ein  Sicht- 
wissender,  so  war  seine  Stellung  von 
vornherein  schwierig.  Zwar  konnte 
er  in  manchen  Fällen  des  Kaisers 
Hilfe  aurufen,  auch  konnte  sein 
ordentliches  Gericht  die  Sache  ab- 
fordern und  sich  zu  Recht  erbieten; 
aber  er  musstc  die  Abforderung 
sofort  mitbringen  und  zwei  Frei- 
schöffen als  Bürgen  stellen,  dass  er 
dort  dem  Klager  zu  Ehre  und  Recht 


stehen  wolle.  Oft  jedoch  beachtete 
das  Freigericht  beides  nicht,  uixl 
dann  kam  es  zum  gleichen  Verfahren 
wie  in  dem  Falle,  wenn  der  Beklagte 
selber  Freischöffe  war;  aber  wie 
sollte  er  dem  Kläger  gegenüber  unter 
den  Freischöffen  die  nötigen  Eides- 
hclfer finden?  Deshalb  erschien  ein 
solcher  Angeklagter  häufig  lieber  gar 
nicht,  obgleich  ihn  dann  uunacL 
sichtlich  die  Verfemung  traf. 

Wenn  jedoch  der  Verbrecher,  wo 
es  immer  sein  mochte,  auf  hai»~ 
hafter  That  oder  mit  den  Werkzeugm 
mit  denen  er  sie  vollbrachte,  od« 
mit  dem,  was  er  durch  die  Tlu: 
sich  angeeignet,  auf  eine  Weise  be- 
troffen ward,  die  ihn  ganzuuverkeüii- 
bar  als  Thäter  bezeichnete,  oder  er 
die  That  gestand,  „mit  habe^l» 
Hand,  mit  blickendem  Schein.  *tl 
girhtigem  Mutid",  so  konnten  »iiti 
Freisehöffeu  ihn  sofort  richteu  ülä 
henken. 

Allmählich  artete  «las  Waltend« 
Femgerichts  in  grosse  Willkür 
iranze  Städte,  der  Rat  oder  sämtlirfcj 
Einwohner  von  14  bis  Tu  Jahwq 
wurden  vorgeladen;  Kaiser  /Wr^ 
rieh  IJLy  sein  Kanzler  und 
Kammergericht  wurden  zweimal  ver- 
geuden ,  „dass  er  daselbst  sei»* 
Leib  und  die  höchste  Ehre  venuÄj 
worte,  bei  Strafe  für  einen  uugebur< 
sainen  Kaiser  gehalten  zu  wenleal 

Schon  um  140U  beschäftigte  inM 
sich  mit  den  laut  gewordenen  Mi* 
bräuchen;  im  15.  Jahrh.  erwirktes 
die  Reichsstande  für  sich  un«l 
Unterthanen  Privilegien  gegen 
Vorladung,  die  Zahl  der  \Vissew 
ausserhalb  Westfalen  nahm  ab. 
verbesserte  Reichsjustiz  machte 
Berufung  an  sie  überflüssig,  iu  Wc 
falen  selber  wurden  die  Freist 
in  landesherrliche  Gerichte 
wandelt.  Die  Verhanguiig  von  Uj 
bensstrafen  kam  ausser  Übuni:  ^ 
wurde  den  Freigerichten  ausuruA 
lieh  untersagt  und  sie  dadurch  m 
die  geringeren  Frevel  eingeschricK 
In  dieser  Form  aber  bestauuYu  * 


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Fenster. 


193 


noch  lange  fort,  in  Westfalen  wur- 
den sie  1811  durch  die  französische 
Gesetzgebung  aufgehoben.  Meist 
nach  Wächter,  Beiträge  zur  deutschen 
Geschichte.   Tübingen,  1845. 

Fenster 
sind  im  roma- 
nischen Bau- 
stil klein  und 
schmal.  Die 
Kirchen  mit 

niedrigen 
Seiteuschiffen 
haben  im 
Lan^ 'hause 
zwei  Fenster- 
reihen, eine 
für  die  Ab- 
seiten im  Un- 
tergeschoss , 
die  andere  für 
das  Haupt- 
schiffimOber- 
geschoss .  die 
fetztere  Reihe 
setzt  sieh  in 
den  Kreuz- 
Schiffen  und 
im  Chor  fort. 

Die  Zahl  der  Fenster  des  Lang- 
hauses korrespondiert  nicht  immer 
mit  der  Zahl  der  Bogenstellungen. 
Die  Fenster  sind  wie 
alle  Wölbungen  im 
Rundbogen  geschlos- 
sen. Die  Fensterwan- 
dung, die  Leibung,  be- 
steht aus  zwei  sog. 
Schmiegen  oder  Schrä- 
gen, welche  in  der 
Mitte  auf  einem  plat- 
ten Bande  zusammen- 
treffen, sodass  sich  die 
Fensteröffnung  nach 
innen  und  aussen  er- 
weitert, —  dadurch 
wird  die  Beleuchtung 
des  Innern  verstärkt  und  dem  Re- 
gen nach  aussen  leichterer  Abfluss 
gestattet.  In  den  romanischen 
Türmen  nimmt  die  Zahl  der  Fen- 
ster mit  der  Höhe  des  Stockwerks 
Realteiicon  der  deutschen  Altertümer. 


zu;  in  den  oberen  Stockwerken 
gruppieren  sie  sich  nebeneinander, 
sodass  die  Öffnungen  bloss  durch 
die  dieselben  stützenden  Teilsäulchen 
getrennt  sind;  man  heisst  sie  gekup- 
pelte Fenster, 


Fig.  50  (a  bis  c).   Gekuppelte  Fenster. 


welche  für  die 
romanische 
Architektur 
eine  sehr  cha- 
rakteristische 
Bildung  sind. 
Siehe  Fig.  50, 
aus  Müllerund 
Mothes,  arch. 
Wörterbuch. 

Imgotisehen 
Baustil  sind 
die  Fenster 
zahlreicher 
und  erhalten 
grössere  Di- 
mensionen. 
Ihre  erste  Aus- 
bildung erhal- 
ten sie  in  Pro- 
fanbauten und 
Kreuzgängeu. 
Hier  wurden 
mittlere  Säule  ge- 
von  einem  ge- 
um- 


Fig.  51.  Dreipau. 


zwei  durch  eine 
trennte  Öffnungen 
meiuschaftlichen  Blendbogen 

schlössen ,  und  die  zwi- 
schen dem  letztern  und 
den  Fensteröffnungen 

befindliche  Mauer- 
fläche, das  Bogeufeld, 
mit  einem  Kreisrund, 
einer  drei  oder  vier- 

blättrigeu  Rosette 
durchbrochen.  Später 
wurden  die  Rundbö- 
gen zu  Spitzbögen, 
während  man  sowohl 
das  Boge nfeld  als  die 
kräftige  Zwischent-äule 
noch  beibehielt.  Dann, 
als  mit  der  Gotik  immer  mehr  das 
Streben  erwachte,  die  Flachen  zu 
durchbrechen  und  die  stützenden 
Teile  zu  erleichtern,  reduziert!?  sieh 
die  Zwischenstütze  zw  ischen  den  Fen- 

13 


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194 


Feste,  christliche. 


Stern  auf  einen  schlanken,  stabartigen  einen  Drei;  Vier-  oder  Fünfpatt. 

Pfeiler  oder  Pfosten,  der  in  den  Siehe  Fig.  51  bis  53  aus  derselbtn 

älteren  Bauten  in  Erinnerung  an  Quelle. 

seine  Herkunft  aus  der  Säule  noch  Seit  dem  14.  Jahrh.  betrachtete 
mit  einer  Basis  und  einem  Kapitale  mau  das  Masswerk  nur  noch  als 
versehen  i-t;  an  die  Stelle  der  Steiner-  blosses  Füllwerk  und  suchte  die  bin- 
nen Fläche  tritt  ein  grosser  offener  her  offenen  Teile?  so  reich  wie  mög- 
Kreis,  von  einem  dünnen  Ringe  um-  lieh  zu  dekorieren.  Au  die  Stelle 
schlössen:  an  Stelle  der  Mauermasse  der  Kreise  traten  sphärische  Drei- 
ist ein  leichtes  Stab-  oder  Gitterwerk  und  Vierecke,  die  nun  ihrerseits 


von  senkrechten 

Pfosten,  von 
Spitzbögen  und 
dem  darüber  be- 
findlichen Kreise 

getreten,  das 
G  in/.e  von  den 
offenen  Haupt  - 
bogen  umschlos- 
sen. Wie  früher 
trestaltete  man 


Fig.  52.  Yierpass. 


wieder  mit  be- 
sonderem Mass- 
werke gefüllt 
wurden.  Seitdem 
15.  .Jahrb.  wird 
da*  FUehblattn- 
muster  die  tou- 
angebende  Mass- 
werk form.  Nach 
Hahn. 

Feste,  christ- 


die  Fensterbank  und  die  Leibung  liehe,  oder  Feiertage.  Die  iiitesten 
d»'ä  Hauptbogens  einwärts  und  aih-  kirchliehen  Fest-  und  Feiertage 
wärts  sclnäg .  jetzt  belebt  durch  wurden  vor  dem  Mittelalter  eestit- 
einen  Wechsel  von  vorspringenden  tet;  der  Sonntag  als  der  Aufer- 
und  eingekehlten  Gliederungen,  eine  stchungstag  ist  schon  im  2.  Jahrh. 
Gliederung,  die  auch  dein 
Stabwerk  der  Pfosten, 
Ii« »gen  und  Kreise  zuteil 
wurde.  Noch  mehr  neue 
Elemente  treten  hinzu 
dadurch,  dass  die  unte- 
ren Spitzbögen  verdrei- 
facht und  vervierfacht 
wurden,  dass  man  .-ie 
paarweise  durch  grössere 
umschloss,  indem  man 
grossere  und  kleinere, 
alte   und  jumic  Pfosten 

miteinander  wechseln 
Iii  ss.     Dadurch  endlich, 
dass  man  die  vermehrte 


allgemein  gefeiert  wor- 
den; doch  ordnete  ei>t 
Kaiser  Konstantin  iw 
Jahre  321  eine  strenger«1 
Ssumtagsfeier  an,  indem 
er  verordnete,  dass  an 
diesem  Tage  die  gericht- 
liehen Sachen  und  die 
öffentlichen  und  gewöhn- 
lichen Tagesarbeiten 


Fischblase. 


ruhen  sollten;  nur  d> 
Landleute  sollten  die 
günstige  Witterung  fui 
ihre  Feldarbeiten  be- 
nutzen dürfen.  Alter 
noch  als  die  Sonn  tag?  - 
Zahl  der  Högeu  und  Kreise  durch  feier  ist  die  Oster  feie?  oder  ai« 
Anbringung  kleiner  Dreiecke,  söge-  Feier  des  jüdischen  J\tj*sah.  bei 
nannte  A<mv  //,  mit  kleeblattförmigi'ii  welcher  an  Stelle  des  jüdischen 
Mustern  füllte,  entstand  das  Mosa-  Osterlammee  das  Opfer  des  Hern 
verk\  ein  Wechsel  mannigfaltigster  gefriert  wurde.  In  dieses  Fest  zog 
Kombinationen,  die  sieh  alle  auf  das  man  die  Feier  des  Todestages  Jesu. 
Kreisrund  zurückführen  lassen.  Je  des  CharfrtUagt^  und  den  dar 
nach  der  Zahl,  in  der  die  Nasen  auf  folgenden,  grotter  SatbatA  g»1 
angewendet  w  urden,  erhielt  mau  eine  nannten  Sonnabend  und  setzte  der 
drei-,  vier-  oder  fünf  blättrige  Rosette,  würdigen  Vorbereitung  wegen  da? 


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Feste,  christliche. 


195 


vorausgehende  40tägige  Fasten  an. 
Wie  die  Juden,  so  begannen  die 
Christen  ihr  Kirchenjahr  anfänglich 
mit  Ostern.  So  entnahmen  die  Chri- 
sten den  Juden  auch  das  fünfzig  Tage 
nach  Ostern  stattfindende  1/  oehen- 
fest  oder  das  Fest  der  Frühernte, 
Jjingsten.  Als  allgemein  gültiges 
Fest  erscheint  Pfingsten  aber  erst 
im  4.  Jahrh.  In  dasselbe  Jahrhun- 
dert fällt  die  allgemeine  Einführung 
des  Himmelf  ah  rtfestes  und  der  Weih- 
nachtsfeier, alle  drei  Feste  bedingt 
durch  Anlehnung  des  christlichen 
Kultus  an  die  Religion  der  Germanen, 
am  meisten  das  Weihnachtsfest,  wel- 
ches geradezu  das  Fest  der  Winter- 
Sonnenwende zu  decken  bestimmt  war. 
Die  älteste  Nachricht  vom  25.  Dezem- 
ber als  dem  Geburtstage  Christi 
findet  sich  im  römischen  Staatskalcn- 
der  des  4.  Jahrh.;  doch  wurde  zu 
gleicher  Zeit,  in  der  zweiten  Hälfte 
des  4.  Jahrh.,  auch  der  5.  oder  6. 
Januar  angenommen.  Der  25.  De-  ■ 
zember  hängt  aber  nach  Viper,  evan- 1 
gel.  Kalender  für  1856,  S.  41  ff.  erst 
in  zweiter  Linie  mit  der  heidnischen 
Feier  des  kürzesten  Tages  zusammen, 
in  erster  Linie  hängt  derselbe  viel- 
mehr vom  Tag  der  Empfängnis  ab, 
als  welcher  mehrentcils  der  Tag  der 
Verkundigu ng ,  der  25.  März  galt,  auf 
welchen  nach  dem  Juliauischcn  Ka- 
lenderdie  Frühh ngsnachtgleiche  fällt. 
Auf  diese  hat  man  die  Menschwerdung 
Christi  gelegt,  aber  nicht  sowohl 
wegen  dieses  Jahrpunkts,  sondern 
um  der  WelUch'öpfung  willen,  die 
an  diesem  Tage,  welcher  der  erste 
Tag  der  Welt  heisst,  ihren  Anfang 
genommen  haben  sollte.  Vgl.  Feste, 
trel fliehe,  und  Weihnacht.  Das  Kfi- 
phanienfest  am  6.  Januar  scheint 
ält'r  als  das  Weihnachtsfest  zu 
sein;  als  erstes  Kirchweihfesf,  das 
bald  Nachahmung  fand,  wird  die 
Einweihung  der  von  Konstantin  dem 
Grossen  erbaute  Märtyrerkirche  zu 
Jerusalem  genannt.  Erst  dem  6.  oder 
7.  Jahrh.  gehört  der  Advent ,  dem 
5.  Jahrh.  der  Tag  des  ersten  Mär- 


tyrers Stephanus,  der  dritte  dem 
Evangelisten  Johannes  geweihte 
Weihnachtstag,  dieser  erst  im  13. 
Jahrh.  allgemein  geworden ;  der  un- 
schuldige Kindertag,  Fes  tum  Inno- 
centium,  wurde  anfänglich  mit  Epi- 
phanien   zusammen   gefeiert.  im 

5.  Jahrh.  war  damit  der  grosse 
christliche  Festcyklus  abgeschlossen. 
Jedes  bedeutende  Fest  erhielt  schon 
seit  dem  4.  Jahrh.  seine  Nach-  oder 
Schlussfeier  am  achten  Tage  nach 
dem  Feste,  die  Oktave. 

Eine  Erweiterung  der  Feiertage 
geschah  durch  die  Verehrung  der 
Märtyrer,  ihrer  Reliquien  und  der 
Orte  und  Kirchen,  in  denen  jene 
aufbewahrt  wurden.  Ganz  beson- 
ders aber  trug-  die  im  5.  Jahrh.  über- 
handnehmende Marien  verehrung  zur 
Gründung  und  Ausbildung  der 
Marienfeste  bei.  Dieselben  sind  fol- 
gende: 1)  Maria  Verkündigung, 
*25.  März,  Fest  um  Annunciatwnis 
Domini  oder  Annunciationis  Angelt 
ad  Ii.  Mariam,  später  Annunciatio 
Mariae  oder  Fes  tum  Conceptionis 
Christi  genannt,  wahrscheinlich  das 
älteste,  sehonausdem  3. oder 4.  Jahrh. 
stammen« le  Marienfest.  2)  Mariä 
Reinigung,  m2.  Februar,  auch  Fesfum 
Praesenttonis  Domini,  Fesfum  Occur- 
sus,  Fesfum  Simeonis  et  Hannae, 
Fesfum  Ca ndelar um oder  Luminum; 
Lichtmess ,  Licht  -  Weihe ,  Kerzen- 
Weihe,  Kerz-Mes.se  genannt,  aus  dem 

6.  Jahrh.  3)  Marin  Himmelfahrt, 
75.  August,  vielleicht  schon  im  6. 
Jahrhundert  gefeiert,  heisst  auch 
Fest  um Herharum  oder  Würz-  Weih' , 
Würz- Messe.  4)  Maria  Geburt, 
8.  September,  Festum  Sativitatis 
Mariae,  im  7.  Jahrhundert  entstan- 
den. 5)  Marin  Opferung,  91.  A*o 
vember,  Festum  l'raesentationis  Ma- 
riae, Feier  von  Marias  Einweihung 
zum  Tempeldienst  und  zur  bestän- 
digen Jungfrauschaft.  Das  Fest 
kommt  aus  dem  Orient  und  wurde 
erst  im  10.  Jahrh.  im  Abendlande, 
und  nie  allgemein,  angenommen. 
6)  Mariä  Empf'änqnis,  H.  Dezember. 

13* 


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196 


Feste,  christliche. 


Festum  Coneeptionis  Mariae,  d.  h.  die 
unbefleckte  Empfängnis  der  Maria 
von  ihrer  Mutter  Anna,  nicht  die 
Empfängnis  Jesu  von  der  Maria. 
Es  soll  zuerst  in  England  im  1 1 .  Jahrh. 
aufgekommen  sein;  der  heil.  Bern- 
hard sprach  sich  noch  gegen  dieses 
Fest  aus;  dagegen  warfen  sich  die 
Franziskaner  zu  Verteidigern  dieses 
Festes  in  der  Lehre  auf,  dass  Maria 
ohne  Sünde  von  ihrer  Mutter  em- 
pfangen worden  und  folglich  ohne 
Erbsünde  sei.  Trotzdem  die  Domini- 
kaner das  Dogma  bestritten,  erklärte 
das  Konzil  zu  Basel  1439  die  An- 
nahme der  Franziskaner  für  ortho- 
dox und  schrieb  das  Fest  allgemein 
vor  als  eine  ronsuetudo  antiqua  et 
laudabilis.  7)  Maria  Heimsuchung, 
2.  Juli,  Festum  Visitafionis  Mariae, 
kam  im  14.  Jahrh.  als  Kirchenfest 
auf  und  wurde  im  15.  Jahrh.  erst 
allgemein.  Papst  Urban  VI.  ordnete 
1389  das  Fest  an,  damit  bei  dem 
unheilvollen  Zerwürfnis  der  Kirche 
Maria  seiner  Bitte  desto  geneigter 
sei  und  das  Schisma  beseitig«'. 

Kleinere  Marienfeste,  die  zum 
teil  erst  in  die  nachreformatorische 
Zeit  fallen,  sind  das  Rosenkranz  fest, 
1.  Oktober,  seit  1573;  Marias  Ver- 
lobungungsfest  mit  Joseph,  23.  Ja- 
nuar, it*  1546;  Maria  Ohnmacht*- 
feier  oder  Fest  der  sieben  Schmerzen, 
Freitag  oder  Sonnabend  vor  Palm- 
sonntag, seit  dem  15.  Jahrb.;  Marui 
Freudenfeier,  24.  September,  seit 
1745,  und  Maria  Schneefeier,  5.  Au- 
gust, zur  Erinnerung  an  die  Hinrich- 
tung einer  Marienkirche  zum  Schnee. 

Die  vornehmsten  und  am  meisten 
Verbreiteten  Feste  der  Märtyrer, 
Heil  inen  und  Apostel  sind: 

Das  Fest  Johannes  des  Täufers, 
24.  Juni,  aus  dem  5.  Jahrh. 

Tag  Fetri  und  J'auti,  29.  Juni, 

4.  Jahrh. 

Fetri  Stüh/frier,  Festum  Cathe- 
drae  Fetri,  22.  Februar  oder  8.  Ja- 
nuar, 5.  Jahrb. 

Fetri  Ketten  feier,  Festum  Fetri 
ad  Yincuta,  1.  August,  4.  Jahrh. 


Pauli  Bekehrung,  Festum  Con- 
rersionis  Pauli,  25.  Januar,  1200 
von  Innoeens  III.  begründet. 

Apostel  tag  des  Philippus  und 
Jacobus,  1.  Mai,  von  Bonifaz  IV. 
im  7.  Jahrb.  gestiftet. 

Apostel  tag  des  Simon  und  Judas , 
28.  Oktober. 

Apostel  tag  des  Andreas,  30.  No- 
vember, 'seit  dem  4.  Jahrh.  An- 
dreas, Bruder  des  Petrus,  Apostel 
der  Skvthen,  erlitt  den  Märtyrer- 
tod aut  einem  sog.  Andreaskreuz, 
d.  i.  einem  Kreuz  in  der  Form 
Pinea  X.  Seine  Reliquien  sind 
sehr  verbreitet,  ebenso  seine  Pa- 
tronatschaften  ganzer  Länder, 
Städte,  Innungen  und  Brüderschaf- 
ten. Wegen  seiner  Verbindung  mit 
der  heil.  Virgo  ist  er  Patron  der 
Ehe  und  wird  von  ledigen  Jung- 
frauen angerufen.  Auf  Andreas 
ging  ein  Teil  der  Bedeutung  des 
Gottes  Frei/r  über,  des  Gottes  der 
Fruchtbarkeit  und  der  Ehen. 

Aposteltag  des  Thomas,  21.  De- 
zember. 

Apostel  tag  desJaeobus,  des  Altern, 
25.  Juli. 

Hartholomöustag,  24.  August. 

Matthäustag,  21.  September. 

Apostel  tag  des  Matthias,  24.  Fe- 
bruar. 

Tag  des  Apostels  und  Evange- 
tisten  Johannes,  27.  Dezember. 

Taff  des  Franqelisten  Markus, 
25.  April. 

Taq  des  Evangelisten  Lukas, 
18.  Oktober. 

Das  Fest  aller  Heiligen  wurde 
von  der  morgenländischen  Kirche 
schon  im  4.  Jahrh.  am  Sonntage 
nach  Pfingsten,  im  Morgenlande  seit 
dem  8.  oder  9.  Jahrh.  am  1.  No- 
vember gefeiert. 

Den  vier  Hauptlehrern  und  Säulen 
der  abendländischen  Kirche:  (ire- 
gorius,  Augustinus,  Ambrosius  und 
11  ieronxfm us,  verordnete  Bonifaz  VIII. 
im  Jahre  1295  je  ein  eigenes  F<st. 
Das  Fest  des  heil.  Gregor,  das  auf 
den  Ii.  März  fiel,  war  Kinder-  und 


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Feste,  christliche. 


197 


Schulfest.  Auch  die  vier  Haupt- 
lehrer  der  morgenläudischen  Kirche, 
Athanasius,  Basilius  der  Grosse, 
Gregoriui  von  Sazianz  und  Chry- 
s'jstvmus  wurden  im  Abendlande  wie 
im  Morgenlande  durch  Feste  aus- 
gezeichnet. 

Unter  den  Engeln  erhielt  bloss 
der  Erzengel  Michael  sein  Fest  am 
29.  September,  es  wurde  im  9.  Jahrh. 
allgemein.  Manche  Gebräuche  des 
Micbaeiistages  inDeutschland  hängen 
mit  der  Herbstfeier  des  Wodan  zusam- 
men, wie  überhaupt  manche  Elemente 
der  Wodansinythe  auf  den  Erzengel 
Michael  übergegangen  sind. 

Zu  erwähnen  sind  endlich  ein- 
zelne besondere  Feste,  die  sich  auf 
Christus,  auf  Glaubensartikel  und 
auf  besondere  Vorfälle  oder  Lebens- 
lagen der  Gläubigen  beziehen. 

1.  Das  Fest  der  VerkUirung 
Christi ,  Festum  Iransfiifuratioms 
Cliristi  oder  Fatefactionis  Christi 
in  monte  Thabor,  am  6.  August, 
ursprünglich  im  Morgenlande  zu 
Hause,  seit  dem  9.  Jahrh.  im  Abend- 
lande, allgemein  aber  erst  seit  dem 

15.  Jahrh. 

2.  Kreuzes- Erfindunq,  Festum  In- 
rentionis  S.  Crucis,  3.  Mai,  seit  dem 
13.  Jahrh.  im  Abendlande  recht  ver- 
breitet, zu  Ehren  der  Auffindung 
des  Kreuzes  Christi  durch  Helena, 
die  Mutter  Konstantin  des  Gr. 

3.  Kreuzeserhöhung,  Festum  Ex- 
altationis  S.  Crucis,  14.  September, 
vom  Kaiser  Hera  kl  ms  631  gestiftet, 
als  die  besiegten  Perser  das  aus 
Jerusalem  fortgenommene  Kreuz,  das 
»ie  14  Jahre  besessen  hatten,  wieder 
herausgeben  mussten. 

4.  Fest  der  Lanzv  und  der  JSägel 
Christi,  Festum  Lanceae  et  Clavorum, 

16.  April,  auf  Bitte  Kaiser  Karls  IV, 
der  diese  Reliquien  erworben  hatte, 
im  Jahre  1354  von  Innocenz  IV.  für 
Böhmen  und  Deutschland  bestätigt. 

5.  Fronleichnamsfest,  Festum  Cor- 
poris Christi,  am  Donnerstag  nach 
Trinitatis,  als  allgemeines  Kirchen- 
fest zuerst  von  LTrban  IV.  im  Jahre 


1264  bestätigt  (siehe  den  besonderen 
Artikel». 

6.  Das  Trinita tisj est,  am  Sonntag 
nach  Pfingsten,  ist  erst  im  1 4.  Jahrh. 
allgemeines  Kirchenfest  geworden. 

7.  Fest  aller  Seelen,  Festum  Om- 
nium  Animarum,  2.  November.  Als 
Urheber  dieses  Festes  gilt  Odilo, 
Abt  zu  Clugny;  es  wurde  besonders 
von  den  Cluuiazensern  verbreitet, 
erhielt  aber  nie  die  päpstliche  Be- 
stätigung. 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  Feste 
gefeiert  wurden,  war  natürlich  nach 
der  Bedeutung  des  Festes  selbst,  naeli 
der  Volksart  der  Festfeicrnden  und 
nach  der  Denk-  und  Emntindungs- 
weise  der  Zeit  verschieden;  zahl- 
reiche Überbleibsel  altgermanischer 
Gebräuche,  die  sich  namentlich  auf 
die  Feier  der  Jahreszeiteu  und  ihrer 
Götter  bezogen,  waren  in  die  christ- 
liche Festfeier  einbezogen  worden 
und  fanden  ihren  Platz  teils  im 
Gottesdienste  selbst,  teils  und  stärker 
im  weltlichen  Teile  des  Festes,  in 
Prozessionen,  Schmausereien,  Ge- 
sängen, Tänzen,  in  der  Festkleidung, 
in  Aufführungen,  Spielen  u.  8.  w. 
Die  Blütezeit  für  die  farbig-weltliche 
Feier  der  Feste  war  jedenfalls  der 
Ausgang  des  Mittelalters,  das  14. 
und  15.  Jahrh.  Die  ernste  Würde 
der  höfischen  Zucht,  die  ohne  Zweifel 
auch  in  die  Kirchen  hinein  gewirkt 
hatte,  war  gebrochen,  und  die  sinn- 
lichen Genüssen  sehr  ergebene  Ge- 
sinnung des  Landvolkes  wie  der 
Städtenewohner  gab  den  Festen  ein 
buntes,  lautes  unu  charakteristisches 
Gepräge,  dessen  weltlicher  Geist  dazu 
beitrug,  eine  Reformation  auch  dieser 
Zustände  wünschbar  zu  machen. 
Lebendige  Schilderungen  dieser  welt- 
lichen restfreuden  geben  Sebastian 
Frank  im  Weltbuch',  Blatt  130  ff.: 
Von  der  Kömischen  Christen  Fest- 
feyr,  Tempel,  Altar,  Begräbnis,  Be- 
singnis  und  Breuchen  durch  das 
ganz  jar,  und  Johannes  Kessler  im 
ersten  Buch  der  Sabbaia:  Epitome 
oder  ain    kurze  Beschribung  des 


■ 


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198  Feste,  weltliche. 


I'apstuinbs.  Ausgabt?  von  Götzinger. 1  lodern  heilige  Feuer.  Uralte  Kultuü- 

St.  Gallen,   18M,  Bd.  I,  S.  51  ff.  gebrauche  stellten  deu  Umzug  Wo- 

Das  Hauptwerk  über  die  christlichen  dans  dramatisch  dar.    Man  opferte 

Feste  ist  immer  noch  Autjustiy  die  dem  Gotte  Festgebäcke,   auf  dem 

Feste  der  alten  Christen.   3  Bde.  Herde  brannte  der  Weihnachtsklotz. 

Leipzig,   1817 — 20.     Meist  danach  Siehe  den  Art.    Weihnacht.  Ahn- 

haudelt  ausführlich  über  die  Feste  lieher  Natur  waren  das  Frühlinn«- 

Fink  in  Ersch  und   Gruber,   Art.  fest,  das  Summer-  und  Jlerhstfest; 

Feiertage.     Über  die  germanisch-  Umzüge,  Opfer,  Festlichkeiten  aller 

volkstümlichen  Beziehungen  zu  den  Art  trugen  zur  Weihe  dieser  heiligen 

Festen  vgl.  Wuttke,  Volksaberglan-  Zeiten  bei.    Hie  Erinnerung  daran 

ben  §  7:t  ff.  (  hat  sieh  unter  anderem  darin  er- 

Feste,  weltliehe.  halten,  dass  in  den  höfischen  Dich- 

1.  In  germanischer  Zeit.  Wie  die  tungen.  zumal  im  Nibelungenliede, 

Götterverehrung  überhaupt,  so  stan-  die  h>jrhr/ezi/e   an  den  suneicenden. 

den  auch  die  besonderen  Feste  der  stattfinden. 

Germauen  in  engem  Zusammenhang  2.  Übergang  ins  Christentum.  Die 
mit  dein  Wechsel  der  Jahreszeiten.  I  Feste  der  alten  Deutschen  waren 
Die  Hauptfeste,  dntl,  später  höehzit,  '  zu  tief  in  ihren  Gebräuchen  und  An- 
hoehgezit,  fallen  darum  auf  die  beiden  '  schauungen  begründet,  als  dass  es 
Sonnenwenden  und  die  beiden  Sackt-  \  dem  Christentum  gelungen  wäre. 
(fliehen;  doch  tritt,  da  die  Germanen  dieselben  gänzlich  auszurotten  und 
bloss  die  drei  Jahreszeiten  Frühling,  statt  ihrer  tlie  christlich-kirchlichen 
Sommer  und  Winter  kannten,  die  Feste  einzuführen.  Indem  man  zwar 
Herbst-Nachtgleiche  hinter  den  drei  die  letzteren  kirchlich  ordnete, fügten 
anderen  Zeiten  zurück.  Das  be- ;  sich  ihnen  die  althergebrachten  reste 
deutendste  Fest  ist  aber  tlas  Jul-  j  und  Feierlichkeiten  von  selber  an 
oder  Jubelfest:  es  beginnt  mit  der  i  und  schmiegte  sich  nicht  minder 
Nacht  zum  25.  Dezember,  dvr  heiligen  umgekehrt  der  christliche  Fe^tkultus 
Weih-  oder  Muftcruacht,  und  dauert  an  die  Sitten  der  hergebrachten 
zwölf  Nächte  hindurch  —  denn  die  Feste,  so  dass  Umzüge,  Oofer,  Feuer, 
Germanen  zahlten  nach  Nächten  Grösse,  Redensarten,  länze,  Ver- 
um! nach  Wintern,  nicht  nach  Tagen  |  kleidungcn  u.  dgl.  sich  als  Schmuck 
und  Jahren  —  bis  zum  sechsten  der  kirchlichen  Feste  sehr  zahlreich 
Januar,  dem  hei/igen  Lickt/aa  oder  erhielten.  Dabei  ist  aber  zu  be- 
Obersttag.  Diese  Zeit  war  der  denken,  einmal,  dass  die  Germanen 
Wiederkehr  des  Frühlings  und  Som-  der  Jahresrechnung  voraus  eine 
mers  geweiht.  Die  zwölf  Tage  Mondrechnung  hatten,  deren  Er- 
heissen  tlie  Zwölften,  die  zwölf  Sachte,  innerung  im  Worte  Monat  sieh  er- 
Mit  ihnen  beginnt  das  Jahr.  In  halten  hat,  und  welche  ohne  Zweifel 
ihnen  wird  der  Kalender  für  die  in  manchen  festlichen  Gebräuchen 
folgenden  zwölf  Monate  gemacht:  noch  mitspielt:  sodann,  dass  die 
Wiedas  Wetter  in  den  zwölf  Tagen  sei,  Kirchenfeste,  welche  wie  Ostern  und 
st>  wird  es  auch  in  den  zwölf  Monaten  Pfingsten  gebundene  Zeiten  hatten, 
eintreffen.  In  dieser  Zeit  ertönt  die  alten  Sonnwendseiten  und  Tag- 
das  Lied  des  wütenden  Heeres;  die  und  Nacktgleichen  nicht  deckten 
Götter,  namentlich  Wodan  steigen  und  es  deshalb  geschehen  konnte. 
Wieder  zur  Menschenwelt  herab  und  dass  alte  Gebräuche  später  auf 
halten,  ins  Land  einziehend,  einen  verschiedene  kirchliche  Zeiten  und 
segnenden  Umzug  in  Dörfern  und  Feste  sich  verteilten,  und  dies  um 
Fluren.  Darum  ist  jetzt  heilige  Zeit,  so  mehr,  als  der  besondere  Ein- 
die  Arbeit  ruht,  auf  den  Bergen  flu?«  der  Gegend  und  des  Stammes 


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Feste,  weltliche.  199 


rewisg  schon  sehr  frühe  viel  Mannig-  an  Ostern  abgegeben,  Zu  den  alten 
faltigkeit  aufwies.  Erinnerungen  gehören  die  Ostcrfeuer 
N>  sehr  wusste  sich  der  christ-  (siehe  Feuer),  die  Ostereier,  Sinn- 
liche Kult  den  heidnischen  Anschau-  bilder  des  neubeginnenden  Natur- 
ungenanzusehliesaen,  dassdas  Weih-  lebens,  wobei  der  Hase  ebenfalls 
nachäffst  auf  das  Juffest  verlebt  der  Frühliugsgöttin  angehört  oder 
wurde.  Immer  noch  gen t  der  wilde  der Hulda;erwardenaltcnDeutschcn 
Jiger  am.  die  Hexen  walten  in  den  heilig,   sie  assen  ihn  nicht;  das 
«cwölf  Nächten  frei,  die  weisse  Frau  F.ierlesen.   Der  Gründonnerstag  hat 
zeigt  sich.   Der  aus  Wod<tn  entstan-  Beziehung  zu  Donar. 
•iene  Knecht  Ruprecht  und  die  ihn  Eine  andere  Form   nimmt  das 
begleitende,  ans  aer  Göttin  ^V/^ent-  Frühlings-  und  Sommerfest  am  1. 
^tandene  weibliche  Person,   weiss  Mai,  am  IVatjuirffutfaye  an.  Aueh 
gekleidet  und  verschleiert,  tritt  auf  dieser  Tag  ist  Donar  geweiht  und 
als  das  „Christkind4*,  als  Maria  oder  war  einer  der  heiligsten  Tage  des 
Mutter  Gottes,  Frau  Bertha  oder  deutschen  Heidenrums ,  Opfer-  und 
Frau  Hulda;  .sie   beschenken   die  Gerichtstag    der  Maiversammlung 
Kinder    mit    Äpfeln ,    vergoldeten  des   Volkes.    Weniger  Kestc  alter 
Xiissen.  strafen  sie  mit  der  Kute.  J  Festzeit  haben  sich  auf  Pfingsten 
Der  Weihnachtsbaum  erinnert  an  übertragen  lassen ;  doch  sind  Züge 
Wodans  heiligen  Baum   und    die  desSommersoun  wendfestes  auf  dieses 
Lichter  an  den  alten  Klotz,  der  in  Kirchenfest  übertragen  worden,  u.  a. 
dieaer  Zeit  auf  dem  Herde  verbrannt  der  Pfingstbaum ,  der  sonst  dem 
wurde.    Die    Schmausereien    und  Maitag   angehört,   und   das  Aus- 
Speisen  der  Weihnacht  sind  nicht  !  schmücken  der  Hauser  mit  Birken« 
nriad^r  altgermanisch.  laub.  Der  blumenbekrünzte  Pfingst- 
Gipfel-  und  Mittelpunkt  der  an  ochse,  der  einem  Osterochsen  parallel 
•lie  Zwölften    sich    anknüpfenden  geht,  deutet  auf  alte  Opfer.  Der 
Zeiten  in  ihren  volkstümlichen  Be-  Himmelfahrtstag  ist  wieder  ein  Do- 
-rinhungen  ist  die  Sylvester-  oder  Neu-  nars  Tag. 

ilrtiuu^hf.    Jiechielitarj ,  d.  h.  Tag  Die    eigentliche  Sommersonnen- 

<kr  Berchta,  derHimmelsgöttin,heisst  wende  ist  auf  den  Johannistag  ver- 

entweder  der  2.  oder  6.  Januar;  im  legt,  es  war  das  wahrscheinlich  dem 

letzteren  Falle  fällt  er  mit  dem  Drei-  Fro  gewidmete  Opferfest:  an  diesem 

k'rxi/jitatt  zusammen   und   schliesst  Tag  lodern  die  Johannes-  od.  Sonn- 

die  alten  Zwölfnächte  sowohl  als  wendfeuer,  Birken   werden  aufge- 

die  christliche  Weihnachtsfeier.  richtet ,  Blumen-  und  Laubgewinde 

Ein«*    heidnische    Vorfeier    des  an  die  Häuser  gehängt  oder  quer 

Frühlings,  die  auf  Donar  und  Frigg  durch  die  Strasse  gezogen,  Tannen- 

l'-zug  hatte,  scheint  sich  in  den  Fast-  bäume  mit  bunten  Eiern  und  Blu- 

oaehtsfreuden    erhalten  zu  haben;  men  geschmückt  und  von  den  Mäd- 

riie  besonderen  Tage  sind  der  Dun-  eben  singend  umtanzt.  Siehe  Witftke, 

*<r*tivj  njr  Fastnacht,  schmutziger  I  Volksaberglauben ,   §   74    ff.,  und 

prapiger,   unsinniger  oder  feister  Reinsberg  -  Düringsf'e/d.    Das  fest- 

bonneratag,   auch  Weiberfastnacht  liehe  Jahr  in  Sitten,' Gebräuchen  und 

genannt,  der  Fastnachtsonntag,  Mon-  Festen  der  germanischen  Völker. 

und  Dienstag  u.  a. ,  wie  Weih-  Leipzig,  1863.  llassmann,  Art  Götter- 

t^-  br  und  Ostern  durch  besondere  tempel  und  Götterbilder  bei  Ersch 

Mpfergeb  tcke,     Hrezeln,   Krapfen,  u.  Gruber. 

Küchle,  Wecken  u.  d^l.  gefeiert.  3.  Feste  der  höfischen  Zeit.  Ohne 
Die  Feier  der    Frtihtiugxnacht- 1  Zweifel  nahmen  auch  höfische  Kreise 

liat  ihre  alten  Beziehungen  einigen  Anteil  an  den  volkstümlichen 


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200 


Feste,  weltliche. 


Festen;  die  höfische  Gesellschaft 
als  solche  aber  verlegte  ihre  grossen 
Feste  auf  die  drei  kirchlichen  htich- 
qeziten,  Weihnacht,  Ostern  und 
Pfingsten,  denen  Maria  Geburt  an 
die  Seite  gestellt  wird.  An  diesen 
Tagen  fanden  sich  die  geistlichen 
und  weltlichen  Würdenträger  ain 
Hoflager  ein,  begingen  die  kirch- 
liche Feier  mit  dem  Herrscher,  der 
dabei  im  Krönungsomat  erscnien, 
und  waren  dann  auch  in  gericht- 
lichen und  anderen  Angelegenheiten 
mit  ihm  thütig.  Besonders  beliebt 
war  das  Pfingstfest,  wo  man  sich 
zugleich  im  Freien  ergötzen  konnte. 
Im  Reinecke  Fuchs  lässt  König 
Nobel  seine  Vasallen  auf  Pfingsten 
nach  Hofe  berufen.  Besonders  be- 
rühmt war  und  blieb  lange  in  Er- 
innerung der  grosse  Hof  tag,  den 
Friedrich  Barbarossa  zu  Pfingsten 
des  Jahres  1184  zu  Mainz  hielt.  Man 
schätzte  die  Zahl  der  Ritter  und 
Krieger,  der  Geistlichen  und  der 
Fahrenden  auf  70,000;  der  Herzog 
Friedrich  von  Böhmen  kam  mit  2000, 
der  Erzbischof  von  Köln  mit  1700, 
andere  mit  500  bis  1000  Reisigen  und 
Rittern.  Am  ersten  Pfingstfeiertage 
(20.  Mai)  schritt  Kaiser  Friedrich 
mit  seiner  Gemahlin  Beatrix  im 
Schmucke  des  kaiserlichen  Stirn- 
reifes in  feierlicher  Prozession,  von 
einem  glänzenden  Gefolge  begleitet, 
zu  der  in  der  Mitte  des  Lagers  an 
dem  kaiserlichen  Palaste  errichteten 
Kirche;  mit  der  königlichen  Krone 
auf  seinem  judendlichen  Haupte  folgte 
ihnen  König  Heinrich.  Dem  Zuge 
voran  schritt  Graf  Balduin  von 
Hennegau,  des  Reiches  Schwert 
tragend.  Prachtvolle  Gastmähler  und 
glänzende  Gelage  schlössen  den  ersten 
Festtag,  dabei  versahen  den  Dienst 
des  Mundschenken  und  Truchsess, 
des  Marschalls  und  Kämmerers  bei 
dem  Kaiser  die  Herzöge  und  Reichs- 
fürsten in  eigener  Person.  Am 
zweiten  Tage  fanden  nach  der  Früh- 
messe glänzende  Rittorspiele  und 
Wafienübnngen  statt,  bei  welchen 


des  Kaisers  Söhne,  König  Heinrich 
und  Herzog  Friedrich  von  Schwaben, 
ehe  sie  die  Schwertleite  empfingen, 
ihre  Gewandtheit  in  der  Führung 
der  Waffen  zu  zeigen  hatten.  Bei 
20  000  Ritter  sollen  sich  damals  in 
den  Schranken  getummelt  haben. 
Kaiser  Friedrich  selbst  erschien  in 
ihrer  Mitte.  Nach  dem  Kampfspiel 
wurden  des  Kaisers  Söhne  feierlich 
mit  dem  Schwerte  umgürtet,  und  so- 
dann zur  Feier  des  frohen  Ereig- 
nisses an  die  Scharen  zusammen- 

geströmter  Dienstmannen,  Sänger, 
ilger,  armer  Leute,  Gaukler  und 
Gauklerinnen  Gold  und  Silber,  Pferde 
und  Gewänder  in  verschwenderischer 
Freigebigkeit  verteilt,  ein  Beispiel, 
das  von  den  Fürsten  und  Grossen 
wetteifernd  nachgeahmt  wurde.  Un- 
ter ähnlichen  Festlichkeiten  verlief 
der  dritte  Tag.  Doch  wurde  an 
diesem  die  allgemeine  Festfreude 
dadurch  gestört,  dass  gegen  Abend 
ein  heftiger  Sturmwind  die  inmitten 
des  Lagers  errichtete  hölzerne  Kirche, 
eine  Anzahl  anderer  Gebäude  und 
eine  Menge  Zelte  niederriss  und 
fünfzehn  Menschen  das  Leben  raubte. 
Seit  Menschengedenken  war  kein  so 
prächtiger  Hortag  gehalten  worden: 
für  Heinrich  von  V eldeke  wurde  das 
Mainzer  Fest  Vorbild  für  die  von 
ihm  geschilderte  Hochzeit  seines 
Helden  Äneas.  Prutz,  Gesch.  Fried- 
richs I.  Ausser  diesen  regelmässigen 
kirchlichen  Hoftagen  gab  es  natür- 
lich noch  andere  höfische  Feste,  die 
besonderen  Anlässen  ihr  Dasein  ver- 
dankten, Krönungs-und  Huldigung*  - 
feste,  Hochzeiten,  Schwertleiten,  Be- 
gräbnisse. Über  die  Turniere  siehe 
den  besonderen  Artikel. 

4.  Bürgerliche  Feste.  Audi  in 
den  letzten  Jahrhunderten  des  Mittel- 
alters dauerten  die  alten  festlichen 
Volkssitten  fort;  ein  neuer  Fest- 
charakter bildete  sich  in  den  Städten, 
wo  einesteils  eine  grosse  Gesamt- 
bevölkerung die  weltlichen  und  kirch- 
lichen Volksfeste  hob,  anderseits  der 
Korporationscharakter  der  Zeit  sich 


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Feuer,  Oster-,  Johannes-  und  Notfeuer. 


201 


auch  der  Feste  bemächtigte  und  eine 
grosse  Mannigfaltigkeit  geschlossener 
Festgesellsehaften  erzeugte  und  aus- 
bildete. Solche  an  gewisse  Innungen 
und  Handwerke  sich  anschliessende 
Feste  sind  die  Schützenfeste  oder 
Gesellenschiessen,  das  Schönhart- 
laufen der  Flei8cherzuuft  und  der 
noch  bestehende  Metzgersprung  in 
Nürnberg,  der  Schaff lertanz  der  Bött- 
cher in  München,  der  Tanz  der 
Böttcher  in  Frankfurt  a.  M.,  der 
auf  dem  zugefrorenen  Main  am  Fast- 
nachtmontag stattfindet  und  mit  dem 
Binden  eines  Fasses  verbunden  ist, 
das  Fischerstechen  in  Ulm.  Kricgk} 
Bürgertum  L  Abschn.  17. 

Feuer,  Oster-,  Johannis-  und 
Jiotfener.  Offene  Feuer  haben  sich 
noch  heute  als  Überbleibsel  des 
Donar-Kultus  überall  in  Deutschland 
erhalten.  Die  Frühlingsfeuer  heissen 
Petersfeuer ,  Judasfeuer  oder  Oster- 
feuer,  sie  sind  besonders  in  Nord- 
deutschland bekannt.  Sie  werden 
entweder  am  Vorabende  des  Oster- 
festes, bisweilen  an  den  folgenden 
Tagen  oder  am  Sonntag  naen  Fast- 
nacht oder  acht  Tage  nach  dem 
Fastnachtsonntag  angezündet,  meist 
auf  Bergen  und  Hügeln,  aus  Stroh, 
Holz,  besonders  vom  Bocksdorn 
(Kreuzdorn  ),  Besen.  Knaben  laufen 
mit  brennenden  Strohbüscheln  um 
die  Felder,  sie  fruchtbar  zu  machen. 
Im  Harz  werden  vor  dem  Entzün- 
den des  Feuers  Eichhörnchen,  die 
Tiere  des  Donar,  im  Walde  gehetzt 
und  gefangen.  In  Westfalen  schliesst 
das  Volk  einen  Kreis  um  den  Holz- 
stoss,  einer  schlagt  mit  einem  in 
einen  Knoten  geknüpften  Tuch 
(Klumpsack,  Plumpsack)  jeden  ein- 
zelnen und  spricht:  Kik  di  nit  um, 
dm  Foesken  dat  kämt,  schau  dich 
nicht  um,  das  Füchschen  kommt! 
Dies  ist  der  Ursprung  des  weitver- 
breiteten PlumpsacKspieles ,  des 
Restes  eines  altneidnischen  Festes. 

Es  giebt  auch  ein  kirchlich  an- 
geordnetes Osterfeuer,  das  in  der 
katholischen  Kirche  am  Karsams- 


tag morgen  mit  Stahl  und  Stein  an- 

fezündet  wird,  nachdem  vorher  alle 
irchlichen  Lichter  ausgelöscht  sind. 
An  diesem  Feuer  werdeu  Kohlen, 
die  vorher  gesegnet  wurden,  glühend 

femacht  und  mit  diesen  die  Oster- 
erze  angezündet,  durch  welche  nun 
weiter  die  vorher  ausgelöschten  ent- 
zündet werden.  Au  vielen  Orten 
wird  mittels  dieses  Feuers  auf  einem 
freien  Platze  in  der  Nähe  der  Kirche 
ein  Holzfeuer  angezündet  und  darin 
alles  im  letzten,.  Jahre  übrig  ge- 
bliebene heilige  Ol,  bisweilen  auch 
die  Figur  des  Judas,  vielleicht  ur- 
sprünglich den  Winter  darstellend, 
verbraunt.  Die  Kohlen  von  ange- 
brannten Pfählen  gelten  als  Gewitter- 
schutz oder,  in  die  Felder  zerstreut, 
als  Mittel  gejjcn  Misswachs  und  Un- 
geziefer. Dieses  kirchliche  Oster- 
feuer erscheint  in  Deutschland  zuerst 
im  9.  Jahrh. 

Ein  anderes  uraltes  Feuer,  das 
Donar  heilig  war,  war  das  um  die 
Zeit  der  Sommersonnenwende  ange- 
zündete, jetzt  meist  auf  den  Johannis- 
tag (24.  Juni)  verlegte  Feuer;  es  ist 
besonders  in  Süadeutschland  zu 
Hause  und  heisst  Sonueuwendfeuer, 
Johaunisfeuer,  Himmelsfeuer,  Zün- 
delfeuer. Diese  Feuer  werden  ausser 
auf  Bergen  auch  auf  Märkten  und 
in  Strassen  angezündet.  Man  springt 
durch  das  Feuer,  schleudert  breu- 
nende Holzscheite,  in  der  Mitte  mit 
einem  Loch,  hoch  in  die  Luft;  aus 
Stroh  geflochtene  brennende  Räder 
werden  den  Berg  hinabgerollt.  Die 
Jugend  bekränzt  sich  mit  Blumen, 
namentlich  mit  Beifuss  und  Eisen- 
kraut, und  diese  Kränze  werden 
in  den  Häusern  zum  Schutz  ge^en 
den  Blitz  aufgehängt.  Sebastian 
Franck  erzählt  im  W 'eltbuch  von  den 
Franken :  „An  St.  Johans  tag  machen 
bj  ein  Sinetfeuer,  tragen  auch  disen 
tag  sundere  kräntz  auf,  weiss  nit 
auss  was  aberglauben,  von  beifuess 
und  eisenkraut  gemacht,  und  hat 
schier  ein  jeder  ein  blaw  kraut, 
Rittersporn  genannt,  in  der  band; 


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202 


Feuerwaffen. 


welcher  dadurch  in  das  fewr  sihct,  das mlde  Feuer.  Grimm,  MythoLXX: 

dem  thuet  das  ganz  jar  kein  aug  Mannhardt,  Götter,   VI;  W'uttke, 

weh,  wie  si  aberglauben.  Wer  vom  Abergl. 

fewr   heiin   zuhau.ss   hinweg   gehn        Feuerwaffen.   Ihre  Anwendung 

will,  der  würft  diss  sein  Kraut  in  entwickelt  sich  ans  den  im  Orient 

das  feur,  sprechende:  Es  gehe  hin-  seit  uralter  Zeit  bekannten  Kriegt- 

weg  und  werd  verbrent  mit  disem  feuern.  Explodierende  Gemeuge. 
kraut  all  mein  unglück.    Das  bi-  !  aus  Salpeter,  Schwefel  und  einem 

schötiieh  hofgesind  würft  auf  disen  dritten  Stoffe,  Pech,  Harz,  Ol  oder 

tag  bei  ihrem  freudenfeur  auf  dem  Holzkohle,   sind  in  den  Ländern. 

Herg  hinterm  sehloss  feurine  kuglen  in  welchen  der  Salpeter  häufiger 

in  den   tluss  Morjanum  iMain),  so  vorkommt,  in  Indien.  Ägypten  und 

meisterlich  zuegerieht ,   als   ob   es  China,  zuerst  zu  Hause  gewesen, 

fliegende  Trachen  weren.44  In  frühe-  Mit  solehen  explosiven  Mischuug'-n 

reu   Zeiten    nahm    auch    die   feine  spielte  man  zuerst,  dann  rertrerte'e 

Welt  an  diesen  Freudenfeuern  teil  man  sie  im  Kriege,  zuletzt  führte 

Zu  Augsburg  zündete  14D7  in  Kaiser  die    Erkennung    der  ballistischen 

Max'  Gegenwart  die  schöne  Susanna  Kräfte,  welche  die  bei  der  Explosion 

Neithart  das  Johannesfeuer  mit  einer  entwickelten    Gase    besitzen,  zur 

Fackel  an  und  machte  dann  zuerst  Feuerwaffe.    Die  Kenntnis  der  ex- 

den   Heigen    um   die   Flamme  an  plosiven  Stoffe  und  Mischungen  wurde 

Philipps  Hand.    Im  Jahre  1578  Hess  im  Orient  namentlich  in  den  Priester 

der  Herzog  von  Liegnitz  Johannis-  Schäften  geheim  gehalten  und  be- 

abends  ein  Freudenteuer  auf  dem  nutzt,  um  der  Menge  handgreiflich 

Kynast  halten,  wobei  er  selbst  mit  zu  imponieren.  In  theokratischen 
seinem   Hof  zugegen  war.     Frau-  j  Despotien, unter  Leitungder Priester, 

zösische  Schriftsteller  des  12.  und  wurde  auch  die  Pyrotechnik  zuerbt 

13.  Jahrh.  bezeugen  die  Sitte  für  in  den  Dienst  des  Krieges  gezogen. 

Frankreich.  Aus  dem  Orient  kam  die  Anwen- 

Verwandt  mit  dem  Oster-  und  dung  des  Kriegsfeuers  in  die  west 

Johannisfcuer   sind   die   schon   im  liehen  L  inder,  und  die  Römer  ver- 

8.  Jahrh.  kirchlich  verbotenen  JY©/-  standen  sieh   schon   zur  Zeit  der 

Jener,  die  heute  noch  nicht   ganz ,  Republik  auf  das  Schleudern  bren- 

ausgestorbeu  sind;  auch  sie  wurden  nender  Substanzen  zu  Anzünduiig 

dem  Gewittergott  Donar  zu  Ehren  !  belagerter    Städte.     Ein  weiterer 

entflammt,  als  einer  Gottheit,  die  j  Fortschritt  lag  in  der  Herstellung 

das  Leben  und  die  Gesundheit  der  von  Mischungen,  die  sich  von  selbst, 

Menschen  und  Tiere  beschützt.   Das  d.  h.  bei  der  Berührung  mit  der 

Notfeuer  wird  angezündet,  sobald  Luft  oder  dem  Wasser  entzündeten, 

eine  Seuche  unter  dem  Vieh  auftritt  Solche  hiessen  in  der  Folge  qriechi- 

und  zwar  durch  Reibung  mit  einer  .«che.*  Feuer,  das  im  4.  Jahrb.  nach 

Walze  oder  einem  Rade.    Stahl  und  Christus  bereits  bekannt  gewesen 

Stein  darf  nicht  angewendet  werden,  sein  soll;  der  Name  stammt  erst 

und   im   ganzen  Orte   muss  jedes  aus  der  Zeit  der  Kreuzzüge.  Im 


sonst  gerät  es  nicht;  jeder  Einwoh-  Feuer  mit  Erfolg  gegen  die  arabi- 
ner  muss  etwas  Reisig  und  Stroh  sehe  Flotte  angewandt,  welche  Kon- 
zil dem  Feuer  liefern.  Das  Vieh,  stantinopel  belagerte,  es  brannte 
besonders  Schweine,  Kühe  und  auch  im  Wasser  und  flammte  nicht 
Gänse,  wird  dann  dreimal  durch  bloss,  wie  das  gewöhnliche  Feuer, 
das  Feuer  hindurchgetrieben  oder  aufwärt1*,  sondern  auch  horizontal 
-gezogen.  Das  Notfeuer  heisst  auch  und  abwärts.     In  Konstantinopel 


Feuer 


Jahrh.    wurde    das  griechische 


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Fpuervaffen.  203 

wurden  auch  schon  im  10.  Jahrh.  von  den  italienischen  Republiken 
Feuerrohre  angewendet,  welche  mit  ausgenutzt  wurde,  teils  durch  Ent- 
langsam brennendem  Ausstossatze  wickelung  der  naturwissenschaft- 
gefüllt waren  und  einen  Feuerstrom  ]  liehen  Forschung,  besonders  auf  dem 
sprühten ;  sie  waren  von  weicheren  Boden  Deutschtands  und  Englands, 
Stoffen,  von  Bambus  oder  Lcder,  |  die  Feuerwaffe.    Albertitz  Maqnus, 


von  Metali,  Kupfer  oder  Eisen. 
Auch  Feuerlanzen  mit  solchem 
Feuer  werden  erwähnt.  Dadurch 


Predigermönch  (starb  12SÜ  zu  Köln), 
kannte  das  Schiesspulver;  ebenso 
sein  Zeitgenosse,  der  englische  Mi- 


ferner,  dass  man  den  in  den  Kohren  j  norit  Roqer  Bacon.  In  Norddeutsch- 
festgestampfteu  Satz  nicht  mehr  an  land  und  Flandern  war  der  Iiaupt- 
der  glatten  Oberfläche  entzündete,  sitz  des  Feuerwerkwesens;  dort  ent- 
sondern die  explosible  Masse  durch  '  wickelte  sich  auch  allein  ein  beson- 
bohrte  und  einen  Zündfadeu  ein- '  derer  Ausdruck  für  Pulver,  Kraul. 
führte,  bekam  das  Feuerrohr  eine  Auch  die  Metallindustrie  war  dort 
„Seele"  und  erhielt  man  die  erste  i  rege,  und  es  ist  möglich,  dass  die 
Rakete,  unsern  „Schwärmer-,  den  Beherrschung  des  Vzantinischen 
man  wiederum  in  den  Händen  ägvp-  Reiches  durch  den  Graten  von  Flan- 
tiseher,  indischer  und  griechischer  dem  von  1204  bis  1261  Einfluss  auf 
Magier  und  Flierophanten  findet,  diese  Kunst  ausübte.  Anfänglich 
Auch  dieses  Kriegsfeuer  wurde  im  ,  wurden  auch  auf  diesem  Boden  heuer- 
4.  Jahrh.  dem  Kriege  di  nstbar  ge-  tanzen,  Raketen,  Feuerrohre  ange- 
macht; das  Rezept,  das  für  dieses  wendet;  vermittelst  des  letztgenannt 
aus  Schwefel ,  Kohle  und  Salpeter  ten  warf  man  schwere  Pfeile,  Zünd- 
zusammengesetzte Kriegsfeuer  er-  sätze,  Feuertöpfe  und  Kugeln  zuerst 
halten  ist  <  ein  Teil  Schwefel,  zwei  aus  Blei,  spater  aus  Stein  oder  Guss- 
Teile  Weidenkohle  und  sechs  Teile  eisen.  Dass  die  Rakete  lange  Zeit 
Salpeter)  ergiebt  unser  Schie&pufaer.  im  Vorsprunge  war,  ersieht  man 
Was  diesem  Pulver  aber  noch  daraus,  dass  das  Wort  Seele,  welches 
mangelte,  war  vorzüglich  die  Kör-  ursprünglich  nur  die  Durchbohrung 
nunc,  der  Raketenachse  bedeuten  konnte, 

Parallel  mit  der  Entwickelung  lediglich  analog  auf  das  feststehende 
der  Feuerwerkerei  bei  den  Griechen  Feuerrohr  Anwendung  fand.  Ur- 
und  Römern  geht  diejenige  bei  den  sprünglich  hiess  die  Rakete  sowohl 
Arabern;  doch  scheint  bei  ihnen  .  Kanone,  von  eanna  =  Röhre,  mittel- 
der  Salpeter  erst  im  13.  Jahrh.  in  latcannonius  =  grosses  Rohr,  als  Bom- 
Gebrauch  gekommen  zu  sein,  worauf  barde,  vom  lat.  botnbu*  =  das  Sum- 
bald  verschiedene  Kriegswaffen,  mit  inen,  daher  bomba  —  summendes  Ge- 
explosiblen Stoffen  versehen,  erfun-  schoss;  bombus  ardeiu  =  Geschütz, 
den  oder  schon  vorhandene  nach-  als  Seopetto,  vom  mittellat.  selojpui 
geahmt  wurden:  (llatballe,  Feuer-  =  Schlag  und  Schuss,  daraus  ital. 
tanzen,  Armhrustpfeile,  Wurfnj>iesse.  schioppo,  ttcoppio  =  Knall,  sehiopetto, 
Sirritkolben, Martfetwterne ;ü\se'if!cnt-  seopxetto  Feuerwaffe;  franz.  esco- 
liche  Feuerwaffe  wird  die  Madfaa,  pette  =  Stutzbüchse.  Welchen  Ein- 
em gestielter  hölzerner  Ifandmorser  fluss  Berthold  Sehicarz  auf  die  Her- 
erwähnt; aus  ihm  schoss  man  zuerst  Stellung  oder  Anwendung  der  Feuer- 
B'.lzen  oder  Kvqeln.  Ausserdem  be-  röhre  ausübte,  ist  unbekannt;  dass 
richten  arabische  Schriftsteller  von  i  er  aber  allgemein  als  Erfinder  des 
ausgehöhlten  Feuerrohren.  Schiesspulvers  gepriesen  wird,  deutet 

In  West-Uropa  entwickelte  sieh  darauf  hin,  das»  man  die  Anwendung 
teils  aus  der  schon  vorhandenen  Er-  eigentlichen  Geschützes  Deutschiana 
fahrung  des  Orients,  die  namentlich  zuschrieb.    Das  älteste  urkundliche 


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204 


Fibfln.  —  Flohgedichte. 


Datum  aber,  welches  bezüglich  des 
Gebrauches  von  Feuerrohren  über- 
haupt erhalten  ist,  findet  sich  in 
den  Genter  Annahn  zum  Jahr  1313: 
„Jtem,  in  dit  jarc  was  aldereerst 


weisen  Gewand  nadeln  auf,  deren 
Bügel  breit  gehalten  ist  und  oben 
einen  viereckigen  Ansatz  bat,  wobei 
der  sich  nach  unten  ßchhessendt 
Teil  häufig  in  einen  Drachenkopf 
qtievonaen  in  ueutscniana  nei  ge-  ausläuft.  Siehe  Fig.  54  bis  56.  Au> 
oruuk  der  bussen  (büchsen)  van  einem  Müller  und  Mothes,  arch.  Worterb. 
mwninck."  Bestimmte  Erwähnungen  Nach  Weinhold,  Deutsche  Frauen, 
für  den  Gebrauch  der  Feuerwaffen  2.  Aufl.  II,  307—311. 
finden  sich:  für  Metz  1394,  Florenz  Finkenritter  heisst  ein  zuerst  int 
1326,  Cividale  1331,  Alicante  1331;  Jahre  1560  zu  Strassburg  gedruckter. 
Este  1334,  Jiouen  133H,  Cambray  später  als  Volksbuch  oft  wiederholter 
1339,    Tarifa   1344,    Mainz  1345.  Roman,  in  welchem  im  Sinne  der 


Toulouse   1345,  der  Engländer  bei 
Crecy  1346  etc.    Zu  derselben  Zeit, 
wie  die  Feuerwaffen,  kommt  der 
Ausdruck  Artillerie 
auf,  siehe  diesen  Ar- 
tik  e  1  und  Ha  n  dfeuer- 
icaffen.  Nach  Jahns. 

Fibeln,  mhd.  mi- 
sche, wüschet,  brat 
sehe  und  brel*e,  aus 
franz.  brache,  für- 
spane  sind  Gewand- 
nadeln     aus    Erz,  Fig.  54. 


sog.  Lügenmärchen  (siebe  diesen 
Art.)  höchst  unsinnige,  verrückt'  , 
zum  Lachen  reizende  eeographt 

sehe  und  historisch» 
Umnögl  ichkeiten 
aneinandergereiht 
werden,    als:  ein-. 
Welt,  wo  die  stei- 
nernen Hirnbaum' 
stehen ,    der  Bach 
brennt     und  di 
Bauern    uiit  Struh 
Fibel.    .  löschen. 


Fig.  55.  Fibel. 

Gold,  Eisen  und  Silber  von  sehr 
verschiedener  Form.  Die  ein- 
fachste ist  die  dem  Dorn  nach- 
gebildete, der  selbst  nach  Tacitus 
im  Notfall  die  Fibel  vertrat.  Daraus 
ergiebt  sich  sodann  die  Sicherheits- 
nadel, wobei  der  Bügel  etwa  als 
rohes,  phantastisches  Tier  behandelt 
wurde,  seltener  in  Schild-  oder  ovaler 
Schalen-Form.  Auch  mit  Sniral- 
scheiben  geschmückte  Nadeln  kom- 
men vor.  Scheibenfibeln  bestehen 
aus  einer  runden,  metallenen  Platte 
mit  hinten  befestigtem  Dorn,  wobei 
Figuren,  Ornamente,  Filigran,  Glas- 
fluss  oder  Edelsteine  zur  Aus- 
schmückung dienen.  Wahre  Pracht- 
stücke   barbarischer  Metalltechuik 


Fig.  56.  Fibel. 

Fliegende  BIHtter  heiss^n  «ür 
zahlreichen  Flugblätter,  die  seit  dem 
Ende  des  15.  Jahrh.  mit  einem  ode? 
mehreren  Liedern,  mehrfach  ab 
offene  Foliobogen,  seltener  in  Quart, 
am  häufigsten  aber  in  klein  Oktav, 
uamen  tlich  aus  den  Druekstürtea 
zu  Strassburg  und  Basel,  Augsbart 
und  Nürnberg  sich  verbreiteter! 
Sie  wurden  ohne  Zweifel  meist  erä 
dann  gedruckt,  wenn  die  mündlicht 
Fortpflanzung  zu  stockeu  begaua 
Frühzeitig  wurden  sie  von  Freunden 
des  Liedes  oder  der  Geschiebte  ru- 
sammengeheftet. 

Flohgedichte.  Die  sinnlich-mai 
willige  Lebenslust  der  Poesie  Jt- 
16.  Jahrhunderts  hat  sieh  auch  dt: 


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Flore. 


205 


Flöhe  als  Motiv  bemächtigt.  Das 
ältere  der  beiden  Flohgedichte  ist 
Fisckarts:  Flöh-Haz  W  eiber  Traz, 
der  wunder  unrichtige  und  spot- 
wichtige Kechtshandel  der  Flöh  mit 
den  Weibern.    Ein  New  geläs  auf 
das  überkurtzweiligest  zu  belachen, 
wa  anders  die  Flöh  mit -stechen  einem 
die  kurtzweil  nit  lang  machen.  Strass- 
burg,  1573.    Der  Floh  wendet  sich 
an  Jupiter,  ihn  um  Schutz  gegen 
die  Verfolgungen  der  Weiber  zu 
bitten.   Die  Mücke  hört  das  Jam- 
mern des  Tieres,  sie  sucht  ihn  zu 
trösten,  und  es  entspinnt  sich  zwi- 
schen beiden  ein  Gespräch,  in  wel- 
chem eine  Reihe   von  Flohaben- 
teuern erzählt  werden.    Unter  den 
Flohnamen  finden  sich  u.  a.  Senfim- 
herad,Nimmerru,  Phezsielind,  Hinten- 
pick, Schleichinstal,  Zwicksi,  Leis- 
tapp,  Bortif,   Pulsfüler,  Springins- 
röekel,  Zopfsikeck,  Mausambauch. 
Im  zweiten  Teil  trägt  der  Dichter 
als  vom  Jupiter  bestellter  Flohkanz- 
ler die  Verantwortung   der  Wei- 
ber, die  er  dtireh  die  Post  bekom- 
men, und  fallt  schliesslich  das  Urteil, 
dass  es  den  Weibern  erlaubt  sein 
solle,    den    Flöhen  nachzustellen; 
doch  solle  es  den  Flöhen  gestattet 
sein,  die  Weiber  auf  der  „gangen 
Zange"  zu  stechen  und  sich  in  aen 
grossen    Halskrausen    und  Man- 
schetten  der   Weiber  aufzuhalten 
und  diese  beim  Tanze  zu  kitzeln. 

Das  andere  Flohgedient  gehört 
zur  maccaronischen  Poesie  is.  diesen 
Art.),  d.  h.  zu  einer  Art  Gedichten, 
die  in  willkürlich  gemischter  deut- 
scher und  lateinischer  Sprache  ver- 
sifiziert  sind.  Es  heisst:  Flow,  cor- 
tum  rersicale,  de  ßois,  sekicartibus 
Ulis  deirinilis,  qwie  omnesfere  Min- 
tchos,  Mannas,  Xt'eihras,  Jungf'ras  etc. 
fvhnppere  et  spitzibus  suis  schnaßis 
'feiere  et  bitere  solent,  autore  (Sri- 
pholdo  Kniekknackio  ex  Floilandia, 
zuerst  1593,  mit  vielen  Neudrucken. 
Das  Deutsche  darin  ist  niederdeutsch, 
das  Gedicht  ist  etwa  200  Hexameter 
stark,  der  Anfang  lautet: 


[  Angla  ßöosque  eanam,  qui  teaffitnt 
pulvere  swarto, 

Ex  Wateroque  simul  ßeitenti  et  bla- 
side  dicko, 

Mullipedes  deiri,  qui possunt  huppere 
long* 

|  Non  aliter,  quam'  si  ßoglos  natura 
dedissel. 

Iltis  sunt  equidem,  sunt,  inquam,  Cor- 
pora kteina. 

Sed  mitte  erregunt  menschis  martras- 
que  plnqasque, 

Cum  steckunt  snaßum  in  Ii  cum,  blau- 
tu  mqu  e  ruhen  fem 

Exsugunt:  Homines  sie,  sie  vexeirere 
possunt, 

Et  quae  tandem  Ulis  pro  tanta  lonia 
restant, 

1'exeritate,  et  quem  nemant  per  rul- 

nera,  dodum 
Sunt  variae  plague,  quibus  ob  sua 

Sünda  suamque 
Ob  mutmllitiam  sfrajit  Menrosqne 

Frauasque 
Ipse   Dens,  caelum  et  sfernas  qui 

fecit  et  Erdam. 
Neu  herausgegeben  von  Schade  im 
Weimarischen  Jahrb.  II. 

Flore  und  Blanscheflur,  d.  h. 
Blume  und  Weissblume,  Rose  und 
Lilie,  ist  der  Titel  einer  in  der  höfi- 
schen Gesellschaft  des  Mittelalters 
weitverbreiteten  Liebesgeschichte, 
die  sich  an  den  Sagenkreis  Karls 
des  Grossen  anlehnt,  ohne  Zweifel 
aber  keine  historische  Beziehung  zu 
Karl  hat.  Das  Liebespaar  gehört 
neben  Äneas  und  Dido  und  Tristan 
und  Isolde  zu  den  berühmtesten 
Liebespaaren  der  ritterlichen  Zeit. 
Eine  christliche  Gräfin  aus  Frank- 
reich wird  auf  einer  Pilgerfahrt  von 
den  Leuten  des  heidnischen  Königs 
Veniz  in  Spanien  gefangen  und  an 
dessen  Hof  gebracht;  die  Gräfin  war 
schwanger  und  gebar  eine  Tochter, 
Blanscheflur,  in  derselben  Stunde 
die  Königin  einen  Sohn,  Flore.  Beide 
Kinder  wachsen  zusammen  auf,  von 
einer  Amme  genährt.  Aus  Büchern 
lernen  sie,  noch  Kinder,  die  Minne 
kennen,die,stet8unschuldigbleibend, 


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206 


Flüsse. 


immer  inniger  wird.  Der  Vater,  er- 
grimmt über  diese  Liebe,  will  die 
Jungfrau  umbringen,  giebt  jedoch 
dem  milderen  Rate  meiner  Gemahlin, 
beide  zu  trennen,  Gehör.  Flore  wird 
zu  seiner  Tante,  der  Herzogin  zu 
Mantua,  geschickt.  Blanschofluraber 
an  Kaufleute  verhandelt,  welche  sie 
wieder  an  den  Admiral,  den  Emir 
von  Babylon,  verhandeln.  In  die 
Heimat  zurückgekehrt,  will  Flore 
verzweifeln,  da  ihm  ein  falschlich 
aufgestelltes  Grabmal  den  Tod  sei- 
ner Geliebten  verkündigt.  Doch  ge- 
steht ihm  die  Mutter  die  Wahrheit 
und  giebt  ihm,  da  er  sich  entsehliesst, 
Blanscheflur  aufzusuchen,  einen  Hing 
mit,  der  die  Kraft  besitzt,  jeden, 
der  ihn  trügt,  vor  Verletzung  ZU  be- 
wahren. Blanschellur  ist  indessen 
zu  Babylon  in  einem  festen  Turm 
bewahrt  worden,  und  der  Emir  wird 
sie  in  einem  Jahre  selber  zur  Frau 
nehmen.  Flore  gewinnt  durch  kost- 
bare Geschenke  den  Wächter  dieses 
Turmes,  dasser  ihn  in  einem  Blumen- 
körbe einläset.  Der  süssen  Minne 
pflegend,  werden  die  Liebenden  je- 
doch v<>m  Emir  überrascht  und  zum 
Feuertode  verurteilt.  Durch  den 
Wettstreit  der  Liebe,  indem  jedes 
der  beiden  Liebenden  den  rettenden 
King  dem  anderen  überlassen  will, 
gerührt,  schenkt  der  Fürst  beiden 
das  Leben  und  lasst  sie  nach  der 
Heimat  liehen.  Flore  erhält  das 
Reich  seines  Vaters,  wird  Christ 
und  heiratet  Blanscheflur.  Hundert 
Jahre  alt,  sterben  beide  an  dem- 
selben Tage  und  ruhen  in  einem 
Grabe.  Die  einzige  Frucht  ihrer 
Liebe  war  Bertha,  die  Mutter  Karls 
des  Grossen. 

Die  französische  Quelle  ist  ein 
nicht  erhaltener  Roman  des  Ruprecht 
von  ()i  hont;  eine  franz.  Überarbei- 
tung desselben  hat  Imanuel  Becker 
herausgegeben.  Nach  Ruprecht  von 
Orb«  >nt  bearbeitete  Konrad  Fleek, 
einschwäbischer  oder  schweizerischer 
höfischer  Dichter  aus  der  Schule 
Gottfrieds  von  Strassburg  um  1230, 


das  noch  erhaltene  Gedicht.  Boccac- 
cio legte  die  Sage  seinem  Romau 
11  FtJocolo  o  Filocopo  zu  Grunde. 

Flüsse  in  der  mittelalterlichen 
Kunst.  Das  Altertum  stellte  seine 
Wassergottheiten  dar  in  einer  mit 
Stierhöinern  oder  Krebsscheren  ver- 
sehenen Kopfbildung,  sitzend  oder 
liegend,  eine  Urne  neben  sich,  der 
Wasser  entströmt,  in  den  Händen 
ein  Ruder  oder  Schilf;  auch  kommt 
ihnen  ein  Füllhorn  zu  als  Zeichen 
der  Fruchtbarkeit.  Den  Meergöttem 
pflegt  ein  Seeticr  beigegeben  zu  wer- 
den, Quellnymphen  lassen  etwa  Waa- 
ser aus  der  Brust  strömen.  Grosse 
und  Bedeutung  dieser  Bildungen 
steht  zu  der  Grosse  und  Bedeutung 
der  dargestellten  Naturobjekte  im 
Verhältnis,  der  Ozean  wird  als  bär- 
tiger Greis  gedacht,  die  grossen 
Flüsse  als  Greise  oder  bärtige  Männer, 
die  kleinem  als  Jünglinge,  Quellen 
als  Genien  oder  Nymphen:  Ruder 
und  Füllhorn  kommen  nur  den 
grössern  Flüssen  zu,  die  kleinern 
erhalten  bloss  Urne  und  Schilf.  Di«' 
genannten  Vorstellungen  sind  auch 
auf  die  christliche  Kunst  über 


gen,  welche  z.  B.  die  vier  Flu»** 
des  Paradieses,  die  Qucllnymphe  vor 
der  Stadt  Nahor  in  der  Geschichte 
des  Abraham  und  Isaak,  dann  den 
Gott  des  roten  Meeres  beim  Durch- 
gang der  Israeliten,  und  namentlich 
der  Jordan  in  der  Geschichte  des 
Josua  und  bei  der  Taufe  Christi  in 
Miniaturen  und  Elfenbeindekeln,  Sttf 
kirchlichem  Gerät  von  Stein,  Erz 
und  Gold  und  an  Kirehengeb:iuden 
angebracht  hat.  Arn  häufigsten  kom- 
men die  rier  Fara(lie*f!iisxe  und  der 
Jordan  bei  der  Taufe  Christi  vor. 
Jene  erscheinen  teils  eigentlich  in 
Beziehung  auf  das  Schöpfungswerk 
oder  als  Sinnbild  der  vier  Evan- 
gelien oder  in  Beziehung  auf  die 
letzten  Dinge.  Während  solche  Bil- 
der vom  9.  bis  13.  Jahrb.  recht  häuBg 
sind,  verschwinden  sie  im  14.  und 
15.,  um  seit  dem  16.  Jahrh.  neu  auf- 
zutauchen, teils  in  biblischen,  teils 


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Folter.  —  Formelsammlungen. 


'207 


und  häufiger  in  mythologischen  und 
allegorischen  Samen,  das  letztere 
besonders  in  Gärten  und  auf  öffent- 
lichen Plätzen,  bei  Brunnen  und 
Wasserleitungen,  auch  auf  Münzen 
u.  Medaillen  bei  Anlass  von  Brückeit- 
bauten, tiper,  Mythologie  der  christl. 
Kunst  II,  489-564. 

Folter,  siehe?  Tortur. 

Formelsammlungen  und  For- 
mel blicher. 

A.  Formelsammlungen.  Bald  nach 
den  ersten  Rechtsaufzeichnungen 
entstanden  in  Deutschland  Formel- 
bücher, die  Muster  für  Urkunden 
der  königliehen  Kanzlei,  für  Urkun- 
den über  Rechtsgeschäfte  zwischen 
Privatleuten,  für  Schreiben  von  Be- 
amten. Gerichtsverhandlungen  u.  s.  w. 
enthielten.  Die  Herstellung  von  Ur- 
kunden war  eine  Kunst  (arsdictandi), 
welche  gelernt  sein  musste,  um  so 
mehr,  als  der  eigentliche  Rcchtsinhalt 
in  Reichtum  und  Schmuck  der  Rede, 
Sentenzen,  künstliche  Eingänge,  mo- 
ralische Betrachtungen  und  Citate 
aus  der  Bibel  und  anderen  Schriften 
eingehüllt  wurde.  Diese  Formeln 
lehnen  sich  meist  an  bereits  vor- 
handene Urkunden  an,  aus  denen 
mau  die  konkreten  Beziehungen  des 
speziellen  Falles  entfernte.  Die 
Sprache  ist  die  lateinische,  die  Ver- 
fasser ireistlichen  Standes.  Römische 
Vorbilder  wirkten  bei  der  Abfassung 
mit.  Zwischen  den  Formeln  oder 
innerhalb  derselben  stehen  etwa  kurze 
Vorschriften  über  die  Abfassung  der 
Urkunden;  auch  verband  mau  mit 
den  Urkundenformeln  BrieJ'musler, 
wofür  die  Korrespondenz  eines  Bi- 
schofs oder  Abts  als  Muster  diente. 

Abgesehen  von  einigen  west-  und 
osmotischen  Formelsammlungen  des 
7.  Jalirh.  sind  die  für  Deutsehland 
wichtigsten  Sammlungen:  Marculfi 
monachi  formularum  libri  duo,  um 
die  Mitte  des  7.  Jahrh.  von  einem 
Mönche  Marculf  im  Auftrage  des 
Erzbischofs  Landerich  von  Paris 
verfasst,  „um  junge  Leute  damit  zu 
unterrichten".     Das  Werk  zei  fällt 


in  praccejjfiones  regale*',  Vorschriften 
für  den  Verkehr  der  königlichen 
Kanzlei,  und  in  ehartae  pagenxes, 
Urkunden,  die  für  das  Gaugericht 
bestimmt  sind.  Späterer  Zeit  und 
dem  alamannischen  Rechte  gehören 
einige  in  Reichenau  und  St.  Galleu 
verfasste  Sammlungen  an,  darunter 
diejenige  des  V*o,  eines  St.  Galler 
Monehes,  gest.  871,  und  das  Formel- 
buch  des  JJischofes  Üalomo  III.  von 
Konstanz,  aus  Vier  zweiten  Hälfte 
des  9.  Jahrb.,  das  auch  eine  Brief- 
sammlung umfasst.  Eine  bayrische 
Formelsammlung  ist  wahrselieinlich 
in  Salzburg  entstanden. 

B.  Formelbiichcr  ähnlicher  Natur 
erscheinen  nach  längerer  Pause  wie- 
der im  12.  Jahrh.,  zuerst  in  lateini- 
scher, dann  in  deutscher  Sprache, 
die  ältesten  im  Norden  Deutschlands, 
die  späteren  in  den  südlichen  Gegen- 
den. Sie  heisseu  dictamen,  summa 
dictaminis,  summa,  usussive  practica 
dictaminis,  rhetorica.  Verfasser  sind 
anfangs  die  Geistlichen,  dann  Notare 
geistlichen  Standes,  zuletzt  eigent- 
liche Reehtsgelehrte.  In  vielen  Samm- 
lungen verband  man  mit  den  Rcehte- 
formcln  auch  andere  Belehrungen. 
Diese  sind:  Formulare  für  Briefe 
des  gewöhnlichen  Lebens,  später  als 
eigentliche  Briefsteller  gesondert, 
dann  eine  Art  Rhetorik  mit  den 
Hauptgrundsätzen  stilistischer  Dar- 
stellung, endlich  theoretische  Er- 
örterungen über  die  verschiedenen 
Rechtsinstitute.  Auf  die  Art  der 
Behandlung  gewannen  die  Werke 
der  Italiener  über  die  Notariatskun.^t 
Einfluss,  auch  nahm  man  italienische 
Formulare  nach  Deutschland  herüber. 
Die  Zahl  solcher  Bücher  ist  eine 
grosse,  ihr  innerer  Wert  klein. 

Seit  Erfindung  der  Buchdrueker- 
kunst  nimmt  diese  Litteratur  noch 
mehr  zu,  und  man  druckt  Bücher 
wie:  De  arte  notarii,  Formulare 
Instrumenten  um,  Formularium  diver- 
sorum  conlracluum ,  lihetorica  pro 
conßciendis  epistotis  aecommodata. 
Spf  culum  notariorum,  tahelliarum  et 


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208 


Fortunat. 


scribarum  etc.,  manches  darunter 
auch  ins  Deutsche  übersetzt,  bis  zu- 
letzt, schon  im  15.  Jahrh.,  selbstän- 
dige deutsche  Werke  erscheinen. 
Deren  ältestes  ist:  In  dem  Namen 
der  heiligen  unterteilten  drivaltigkeit 
Amen:  11  ye  hebt  an  der  Formulari 
darinn  begriffen  sind  allerhand  brieff 
auch  Rhetortek  mit  frag  und  anticurt 
zegeben,  tittel  aller  ständt,  Senndl- 
brieJJ,  St/nonima  u.  Cotores,  das  alles 
zum  brieJJTmachen  dyenent  ist,  1483, 
in  späteren  Auflagen  als  Formulare 
und  Tütsch  rhetorica  oft  wiederholt. 
Oft  gedruckt  wurde  unter  dem  zu- 
letzt genannten  Titel  ein  Werk  des 
Heinr.  Gessler  aus  Freiburg,  zuerst 
1493;  in  demselben  Jahre  erschien 
Biedrer,  Spierjel  der  wahren  Rhcto- 
ric,  1528  die  Rhetorik  von  Alexander 
Hug.  Nach  Slobbe,  Geschichte  der 
deutschen  Rechtsquellen. 

Fortunat  ist  der  Held  eines  deut- 
schen Volksbuches  ans  dem  IG.  Jahrh. 
Derselbe  ist  der  Sohn  eines  edeln 
Bürgers  zu  Famagusta  auf  der  Insel 
Cypern.  Da  er  den  Kummer  des 
durch  ritterlichen  Aufwand  arm  ge- 
wordenen Vaters  bemerkt,  verlässt 
er  heimlich  das  Vaterhaus  und  ver- 
dingt sich  bei  dem  auf  der  Rückkehr 
von  Jerusalem  zu  Famagusta  eben 
gelandeten  Grafen  von  Flandern. 
Dieser  wendet  ihm  seine  ganze  Gunst 
zu;  ein  auf  Fortunat  neidischer  Die- 
ner aber,  Rupert,  überredet  diesen, 
der  Graf  wolle  ihn  zu  grösserer 
Sicherheit  verschneiden  lassen,  wor- 
auf der  Jüngling  nach  London  ent- 
flieht. Iiier  wird  er  bei  einem  rei- 
chen Florentiner  Kaufmann  Aufseher 
über  die  ankommenden  und  abgehen- 
den Güter,  muss  aber  wegen  eines 
im  Hause  seines  Herrn  vorgefallenen 
Mordes  auch  diesen  Dienst  und  das 
Land  selber  räumen.  In  der  Bretagne 
hat  er  nun  auf  freiem  Felde  ein 
Abenteuer  mit  einem  Bären,  den  er 
erlegt,  wobei  ihm  eine  schöne  Frau, 
Fortuna,  erscheint.  Sie  bietet  ihm 
die  Wahl  zwischen  Weisheit,  Reich- 
tum, Starke,  Gesundheit,  Schönheit 


und  langem  Leben;  da  Fortunat  ohne 
langes  Bedenken  Reichtum  wählt, 
giebt  sie  ihm  einen  Seckel,  aus  wel- 
chem er  auf  jedeu  Griff  zehn  Gold- 
stücke ziehen  werde,  so  lange  er 
und  seine  ehelichen  Kinder  lebten; 
doch  sind  folgende  drei  Bedingungen 
daran  geknüpft:  1.  dass  er  auf  die- 
sen Tag  feiere,  2.  dass  er  an  diesem 
Tag  kein  ehelich  Werk  vollbringe, 
und  3.  dass  er  auf  diesen  Tag,  wo 
er  immer  sei,  die  mannbare  Tochter 
eines  armen  Mannes  ehrlich  kleiden 
und  die  Eltern  und  sie  mit  400  Gold- 
stücken begaben  solle.  In  Begleitung 
eines  vielgewanderten  alten  Edel- 
mannes durchzieht  er  nun  alle  mög- 
lichen Länder  und  Städte  in  Deutsch- 
land, den  Niederlanden,  England, 
Schottland,  Frankreich,  Navarra, 
Aragonien,  Spanien,  Portugal,  Ita- 
lien, Türkei,  Ungarn,  Polen,  Schwe- 
den, Böhmen,  bis  er  endlich  nach 
15 jähriger  Abwesenheit  nach  Fama- 
gusta zurückkehrt.  Die  Eltern  sind 
tot  An  der  Stelle  des  väterlichen 
Hauses  baut  er  sich  einen  Palast 
und  heiratet  eine  Grafentochter. 
Nach  zwölf  ruhigen  Jahren,  während 
welcher  seine  Gemahlin  ihm  zwei 
Söhne  geschenkt  hatte,  zieht  er  aufe 
neue  auf  die  Wanderung,  uin  nun  auch 
den  andern  Teil  der  Erde,  die  Heiden- 
schaft zu  erkunden.  Auf  der  Heim- 
kehr von  dieser  Reise  zeigt  ihm  der 
Sultan  von  Alexandria  seine  Schätze 
und  darunter  ein  unscheinbares  111:- 
hüt/ein,  welches  den,  der  es  auf  dem 
Kopfe  trägt,  augenblicklich  an  jedeu 
gewünschten  Ort  bringt  Fortunat 
setzt  es  sich  auf,  wünscht  sich  in 
seine  im  Hafen  wartende  Galeere 
und  segelt  heim  nach  Famagusta. 
Nach  einigen  Jahren,  wie  er  seinen 
Tod  herannahen  fühlt  übergiebt  er 
den  Söhnen  Andolosia  und  Am|>edo 
die  beiden  Kleinode,  offenbart  ihnen 
die  Heimlichkeiten  und  befiehlt  ihnen, 
die  Kleinode  nimmer  zu  trennen. 
Das  letztere  geschieht  dennoch,  in- 
dem der  ältere  Bruder  Andolosia 
mit  dem  Seckel  auf  Reisen  zieht 


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Framea.  —  Frauziskanerorden. 


209 


uud  iu  den  Dienst  verschiedener 
Könige  tritt.  Von  der  Tochter  des 
Königs  von  England,  Agrippiua, 
wird  er  jedoch  bethört  und  des 
Seckeis  beraubt;  zwar  gelingt  es 
ihm,  mit  Hilfe  des  dem  Hruder  ent- 
lockteu  Hutes,  die  Prinzessin  zu  ent 
fuhren;  aber  durch  seine  Uuklugheit 
verliert  er  au  sie  auch  den  Hut; 
durch  List  gelingt  es  ihm,  auchdessen 
sich  wieder  zu  bemächtigen,  doch 
ist  das  Gluck  dahin,  der  Bruder 
Ampedo  stirbt  aus  Gram,  nachdem 
er  den  Wuuschhut  verbranut,  und 
Audulosia  wird  des  Seckeis  beraubt 
und  im  Kerker  erwürgt 

Aus  den  zahlreichen  historischen 
Andeutungen  des  Märchens  erhellt, 
das*  es  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts entstanden  sein  muss.  Ohne 
Zweifel  ist  es  deutschen  Ursprunges; 
das  Wunschhütlein  ist  ursprünglich 
der  breitkrämpige  Hut  Wuotans, 
an  den  sich  eine  Fülle  mytholo- 
gischer Vorstellungen  knüpfte.  Der 
Secktl  scheint  dagegen  bretonischeu 
Ursprunges,  wie  die  Fortuna  eher 
einer  keltischen  Fee  als  einer  deut- 
schen Waldfrau  gleicht.  Der  zweite 
Teil  des  Märchens,  die  Geschichte 
von  Fortunata  Söhnen,  findet  im 
120.  Kapitel  der  Genta  Romanorum 
ein  Gegenstück.  Die  Zusammen- 
fassung der  verschiedenen  Teile  des 
Marchens  ist  jedenfalls  das  Verdienst 
eines  deutscheu  Schreibers.  Die 
erste  bekannte  Ausgabe  ist  zu  Augs- 
burg 1509  erschienen;  später  wurde 
es  oft  aufgelegt.  Hans  Sachs  hat 
den  Stoff  zu  einer  Tragödie  ver- 
wertet. Der  deutsche  Text  ist  ius 
Französische ,  Italienische,  Nieder- 
ländische, Englische  und  Schwe- 
dische übersetzt  worden.  Drama- 
tische Bearbeitungen  hat  das  Mär- 
chen noch  erfahren  durch  Thomas 
Decker,  einen  Zeitgenossen  Shake- 
speares, durch  die  englischen  Komö- 
dianten (siehe  Drama),  durch  Tieck. 
Nach  Zacher  in  Ersch  u.  Gruber. 

Framea,  der  Spiess  der  alten 
Gennaneu,  ihre  einzige  Waffe,  die 

Reahwkuu  der  deuueheu  Altertümer. 


Tacitus  naher  schildert:  sie  sei  >.ü- 
gleich  mörderisch  uud  siegreich.  Die 
Wehrhaftmachung  geschieht  dur.  h 
Überreichung  von  Schild  und  Fra- 
mea, die  Framea  begleitet  den  Maiiu 
in  die  Volksversammlung,  Jünglinge 
führen  zwischen  Schwertern  und  ge- 
fällten Frameati  den  Kriegstanz  aus, 
und  Verlobte  schenken  sich  gegen- 
seitig die  Framea.  Geschildert  wird 
die  Waffe,  Germania  6",  als  ein 
Spiess  von  schmalem  und  kurzem 
Eisen,  aber  so  scharf  und  brauchbar, 
dass  sie  mit  derselben  Waffe,  wie 
es  die  Umstände  erfordern,  in  der 
Nähe  sowohl  als  aus  der  Ferne 
streiten  können;  ihre  Klinge  steht 
also  im  Gegensätze  zu  der  der  rö- 
mischen Lanze,  welche  die  Gestalt 
eines  Weiden blattes  hatte.  Die  ver- 
breitete Auuahme,  dass  die  Framea 
eine  zur  Lauzenspitze  umgearbeitete 
Axt,  vom  mit  breiter  Schneide  sei, 
wird  von  Linde  nschmit  durchaus  zu- 
rückgewiesen. Von  framea,  dessen 
etymol.  Urspruug  mit  Sicherheit 
nicht  erkannt  worden  ist,  siud  ab- 
geleitet das  angelsächsische  franca 
und  weiter//'«/»rf*crt,  wahrscheinlich 
auch  Franco,  der  Frauke.  Linden- 
tchmit,  Handb.  I,  163;  Jahn«,  406. 

Franzlskanerorden.  Sein  Stifter, 
Johannes  Bernardone,  ist  1 182  in 
Assisi  als  der  Sohu  eines  reichen 
Tuchhändlers  geboren.  Den  Namen 
Francesco  erhielt  er  vom  Vater  erst 
zur  Erinnerung  an  das  ihm  lieb  ge- 
wordene Frankreich.  Sorgfältig  er- 
zogen, aber  ohne  tiefere  Kenntnisse, 
trat  er  in  das  Geschäft  seines  Va- 
ters, gab  sich  aber  zahlreichen  Zer- 
streuungen hin.  Erst  als  er  aus 
einem  kriegszuge  seiner  Landsleute 

Segeu  die  Perugiauer  und  aus  einer 
aoei  erfolgten  Gefangenschaft  zu 
Hause  iu  eine  schwere  Krankheit 
verfiel,  begann  er  sein  Leben  zu 
ändern.  Er  begab  sich  in  die  Ein- 
samkeit und  wandte  sieh  der  Priese 
besonders  ekelhafter  und  anstecken- 
der Krankheiten  zu.  Auf  einer  Wad- 
fahrt nach  Rom,  als  er  au  den  Kirch- 

14 


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210 


FranzL*<kanerorden. 


thüren  für  die  Armen  bettelte,  hörte 
er  den  Ruf  an  sich  ergehen,  die  zer- 
fallene Kirche  Gottes  wiederherzu- 
stellen.   Eine  Predigt  über  Matth. 
10, 9—10  veranlasste  ihn.  ein  grobes 
Kleid  anzuziehen,  Tasche,  Schuhe 
und  Stab  abzulegen  und  einen  Strick 
statt  des  Gürtels  anzunehmen.  Sein 
Lieblingsaufenthalt  in   Assisi  war 
das  von  ihm  hergestellte  Kirchlein 
der  Maria  der  Engel,  Portiuncula. 
Einige  Jünger  und  Anhänger,  die 
sich  ihm  anschlössen,  veranlasste  er, 
paarweise  durchs  Land  zu  ziehen 
und  zu  predigen.   Die  erste  Regel 
der   gemeinsamen  Lebensordnung 
war  fast  ganz  aus  Sprüchen  der 
Bergpredigt  zusammengesetzt,  ihre 
Gelüfcde  die  hergebrachten:  Armut, 
Keuschheit  und  Gehorsam,  die  Ar- 
mut in  strengster  Auffassung.  Sie 
nannten  sich  anfangs  die  armen 
U  issenden  von  Assisi;  erst  als  im 
Jahre  1209  Innocenz  III.  eine  vor- 
läufige Bewilligung  erteilte,  nahmen 
sie  den  Namen  Fratres  minores,  Mi- 
noraten, Mindern  Brüder,  Minder- 
briider  an.  Der  Name  Franziskaner 
ist  späterer  Entstehung;  in  Ober- 
deutschland  hiessen  sie  meist  Bar- 
lusser.  Ein  oberster  Diener,  minister 
generalis,  sollte  der  gesamten  Brü- 
derschaft vorstehen,  bei  ihm  sollten 
alle  in  Italien  lebenden  Brüder  sich 
alljährlich,  die  auswärtigen  alle  drei 
Ja!  ire  versammeln.    Nachdem  der 
Orden  rasch  zu  einer  europäischen 
Verbindung    herangewachsen  war, 
wurden  für  die  einzelnen  Konvente 
Guardiane,  eustodes,  eingesetzt,  für 
ganze  Kreise  und  Länder  Vorsteher; 
alle  sollten  minisiri  heissen;  doch 
kürzte   man    den  Namen  ministri 
provineiales  bald  in  Provinziale,  den 
des  Minister  generalis  in  Ordens 
general.  Schon  früh  traten  im  Orden 
zwei  sich  befeindende  Richtungen 
hervor:  die  eine,  mildere,  forderte 
das  Recht  gemeinsamen  Besitztums 
und  Teilnahme  an  kirchlicher,  künst- 
lerischer und  wissenschaftlicher  Bil- 
dung; sie  ist  besondere  durch  He- 


lios von  Kortona  vertreten,  seit  1221 
General vikar  des  Stifters;  die  an- 
dere, streng  asketische  und  an  der 
Armut  unbedingt  festhaltende,  siebt 
ihren  Hauptvertreter  in  Antonia 
von  Padua,  gest.  1231.  Obgleich 
Innocenz  III.  noch  1215  die  Grün- 
dung neuer  Orden  hatte  verbieten 
lassen,  wurde  dennoch  von  Ho- 
norius  III.  die  Regel  Francescos 
feierlich  bestätigt.  Darin  ver- 
|  spricht  Franciscus  dem  Papste  Ho- 
i  norius  und  seinen  Nachfolgern  Ge- 
horsam und  Ehrfurcht,  die  anderen 
Brüder  sind  gehalten,  dem  Bruder 
Franciscus  und  seinen  Nachfolgern 
zu  gehorchen.  Wer  in  den  Orden 
eintreten  will  und  fest  im  katho- 
lischen Glauben  erfunden  ist,  soll 
hingehen,  alles  das  Seine  verkaufen 
und  es  den  Armen  geben.  Nach 
!  einem  Probejahre  wird  er  zum  Ge- 
lübde zugelassen.  Die  Brüder  er- 
halten eine  Kutte  mit  einer  Kapuze; 
diejenigen,  die  es  bedürfeu,  können 
Schuhwerk  tragen.  Alle  sollen  sich 
in  geringe  Gewände  kleiden  und 
mögen  sie  ausflicken  mit  Säcken 
oder  anderen  Fetzen,  unter  Gottes 
Segen.  „Aber  ich  vermahne  sie. 
dass  sie  die  Menschen  nicht  ver- 
achten noch  richten,  welche  sie 
sehen  mit  weichen,  bunten  Kleidern 
angethan,  oder  feine  Speisen  und 
Getränke  geniessend,  sondern  ein 
jeder  richte  und  verachte  nur  sich 
selbst."  Sie  sollen  durch  die  Welt 
wandernd  nicht  hadern  und  mit 
Worten  streiten,  sondern  friedlich, 
bescheiden,  demütig  jedermann  ehr- 
bar Rede  stehen  und  in  ein  Hau* 
tintretend,  zuerst  sagen:  Friede  sei 
mit  diesem  Hause!  Die  Priester 
werden  zur  Feier  der  heiligen  Stun- 
den des  Tages  und  der  Nacht  nach 
der  römischen  Kirchenordnung,  die 
Laien  unter  den  Brüdern  zu  einer 
bestimmten  Anzahl  Paternoster  an 
diesen  Stunden  verpflichtet,  dazn 
Fasten  fast  die  Hälfte  des  Jahres. 
Die  Brüder,  deuen  der  Herr  dk 
Gnade  einer  Handarbeit 


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Franziskanerordeu. 


211 


hat,  mögen  getreu  arbeiten.  Als 
Lohn  ihrer  Arbeit  mögen  sie,  mit 
Ausnahme  des  Geldes,  Tür  sich  und 
ihre  Brüder  nehmen,  was  der  Leib 
bedarf,  bescheiden,  wie  es  Lieb- 
habern der  Armut  ziemt.  Die  Brüder 
sollen  sich  nichts  aneignen,  nicht 
ein  Haus,  noch  eine  btätte,  noch 
irgend  eine   Sache,    sondern  als 
Fremdlinge   in   dieser  Welt  dem 
Herrn  in  Armut  und  Demut  die- 
nend, sollen  sie  nach  Almosen  gehen 
und  dessen  sich  nicht  schämen,  denn 
der  Herr  hat  sich  arm  für  uns  in 
dieser  Welt  gemacht.  —  Die  Wahl 
eines  Nachfolgers  des  Generals  ge- 
schieht durch  die  Provinziale  und 
Guardiane   auf  der  regelmässigen 
Pfingstversammlung.   Predigen  soll 
nur  der  Bruder,  der  vom  General 
geprüft  und  vom  Bischof  des  Spren- 
geis Erlaubnis  erhalten  hat. 

Durch  die  Tochter  eines  ange- 
sehenen Ritters  in  Assisi,  Clara 
Sciß,  eine  eifrige  Anhängerin  des 
Franciscus,  wird  1212  der  Orden 
der  armen  Frauen,  nachmals  meist 
Ciaritten  genannt,  nach  der  Regel 
der  Minderbrüder  gestiftet,  nur  dass 
sie  nicht  wanderten,  sondern  in  das 
Kloster  eingeschlossen  blieben. 

Ein  dritter  Orden,  Tertiarier, 
ursprünglich  Brüder  und  Schwestern 
der  Busse,  nahm  solche  zu  Mitglie- 
dern auf,  die  in  ihrem  Besitztum 
und  bürgerlichen  Leben,  auch  in  der 
Ehe  blieben  und  bei  der  der  Auf- 
nahme nur  versprachen,  alle  Ge- 
bote Gottes  zu  nalten;  ausserdem 
wird  die  Zurückstellung  alles  un- 
gerecht Erworbenen,  die  Aussöh- 
nung mit  dem  Nächsten,  für  Ehe- 
frauen die  Zustimmung  ihrer  Män- 
ner verlangt.  Die  Mitglieder  sollen 
geringe,  dunkelfarbige  Kleidung 
tragen,  Schauspiele,  Tänze  und 
andere  Weltlust  meiden,  in  from- 
men Werken  sich  üben  und  alle 
kirchlichen  Pflichten  nach  be- 
stimmter Vorschrift  eifrig  erfüllen, 
insbesondere  nebst  durchgängiger 
Massigkeit  langausgedehnte  Fasten 


halten.  Zu  schwören  in  gemeiner 
Rede  und  feierliche  Eide  sollen  sie 
möglichst  meiden,  Streitigkeiten 
nach  dem  Rate  der  Oberen  ver- 
gleichen. AngrifFswaffen  dürfen  sie 
nur  führen  zur  Verteidigung  der 
römischen  Kirche,  des  christlichen 
Glaubens  und  ihres  Landes.  Die 
Eingetretenen  haben  nach  drei 
Monaten  über  ihre  Güter,  soweit  sie 
dazu  berechtigt,  letztwillig  zu  ver- 
fügen. Alles  dies  unter  Aufsicht 
aus  ihrer  Mitte  auf  Zeit  erwählter 
Visitatoren  und  in  unbestimmt  ge- 
haltener Verbindung  mit  dem  eigent- 
lichen Mönchstum.  Spätere  Über- 
lieferung verlegte  den  Anfang  des 
Tertiarier-Ordens  in  das  Jahr  1221. 
Seine  Verbreitung  war  eine  uner- 
messliche,  vom  Könige  und  der 
Königin  herab  bis  zum  Bettler,  und 
der  Orden  durchbrach  dadurch  in 
wirksamer  Weise  mitten  in  der 
Blüte  des  höfischen  Standes  die 
Bande  der  Ständetrennung. 

Franciscus  starb  1224  zu  Assisi 
und  wurde  schon  1228  heilig  ge- 
sprochen. ZweiundvierzigJahrenacK 
seinem  Tod  zählte  der  Orden  5000 
Klöster  mit  200,000  Mönchen  in  23 
Provinzen.  Diese  grosse  Verbreitung 
dankt  der  Orden  verschiedenen  Um- 
ständen ;  In  erster  Linie  der  Persön- 
lichkeit des  Stifters,  dessen  eemüts- 
innige  Vertiefung  in  das  Vorbild 
Christi  und  dessen  unbedingte  ent- 
sagungsvolle Liebe  zu  allen  Armen 
und  Wenden  in  dieser  Zeit  kirch- 
licher Verweltlichung  einen  tiefen 
Eindruck  hervorbrachte.  Die  Be- 
hauptung, dass  in  seinem  Leibe 
die  Wundmale  Christi  eingeprägt 
gewesen  seien,  erhöhte  nach  seinem 
Todo  die  unbedingte  Verehrung  des 
Mannes;  im  14.  Jahrh.  wurden 
durch  Pisis  Albizzi  (gest.  1401)  in 
dem  Uber  conformitatum  nicht  we- 
niger als  vierzig  Ähnlichkeiten  zwi- 
schen Christus  und  Franciscus  nach- 
gewiesen. Sodann  gab  der  Grund- 
satz urchristlicher  Armut,  derherum- 
wandemden  Predigt,  des  Lebens  in 

14* 


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212 


Franziskanerorden, 


und  mit  dein  Volke  diesem  Orden 
noeh  mehr  als  seinem  Rivalen,  dem 
Dominikanerorden,  einen  ungemein 
populären  Zug;  das  waren  weder 
reiehe,  vornehme  Mönche,  wie  noch 
die  Cluuiazenser  und  Cisterzienser, 
noch  überhaupt  geistliche  Ordens- 
leute, die,  von  der  Welt  abgesondert, 
bloss  auf  ihrer  eigenen  Seele  Heil 
besorgt  waren,  sondern  fromme 
Männer,  die  mit  dem  Niedersten 
wie  mit  dem  Höchsten  in  der  Tracht 
des  ersten  verkehrten,  ihm  halfen, 
ihm  zusprachen ,  Vorbild  waren  in 
der  Entsagung.  Dass  das  erste 
Ideal  des  heiligen  Franciseus  viel- 
fach verletzt  zu  Tage  trat,  verstand 
sieh  von  selbst:  die  katholische 
Kirche  mit  ihrem  Reichtum  und 
ilirem  Streben  nach  Macht  spottete 
der  freiwilligen  Armut;  innerhalb 
des  Ordens  selbst  hörte  die  Spaltung 
in  eine  freiere  und  eine  gebundenere 
Richtung  nie  auf.  Die  Kongrega- 
tionen der  armen  Cole*tiner  Ere- 
miten, der  Spiritunlen  und  der  Brü- 
nier der  *fren<jen  Observanz  sind  aus 
diesem  Zwiespalt  hervorgegangen. 
Auch  der  Frauzikanerorden  wurde 
zuletzt  reich,  und  seine  Kirchen  ent- 
behrten des  Goldes  und  Silbers  keines- 
wegs; auch  er  hatte  den  Ehrgeiz, 
die  Lehrstühle  der  Universitäten  zu 
besetzen  und  dadurch  Einfluss  auf 
die  Kirche  zu  gewinnen.  So  kam 
es.  dass  die  Minoriten  samt  den  Do- 1 
minikauern  zuletzt  den  Verfall  der 
katholischen  Kirche  am  deutlichsten 
repräsentierten  und  schon  vor  der 
Reformation  der  öffentlichen  Ver 
achtung  anheimfielen.  Jia.se,  Franz 
von  Assisi.  Ein  Heiligenbild.  Leipzig 
l.söG.  Sebastian  Franck  schreibt  in 
seiner  Chronik ,  Zeitbuch  und  Ge- 1 
sc.hichtbibel  folgendes  über  den  j 
Orden : 

„Barfüßer- Orden.  Anno  12^2 
bestätiget  bapst  Honorius  III.,  der 
müncltsvater,  auch  disen  Orden,  von 
Francisco  einem  Walchen  eingestift, 
der  ein  Kaufmann  und  fast  welt- 
licher mensch  bis?  in  25  jar  was. 


Darnach  gedachte  er  Christo  nach- 
zufolgen, verschmacht  alle  irdische 
ding.    Und  als  er  geschuocht  mit 
zweien   rinken   gegürt  gieng.  da 
ward  er  eingedenk  des  Herreu  wort: 
Ir  solt  weder  seckel  noch  tauchen, 
silber  oder  golt  tragen,  auch  nit  tp- 
schuocht  sein,  und  wer  sich  nit  aller 
ding  verzeihet,  der  mag  nit  meiu 
jünger  sein.    Deshalb  warf  er  alle 
ding    von    im,    auch    die  gürtel, 
gürtet  ein  strick  umb  und  fieug  aJ- 
bald  disen  onlen  an.    In  dem  was 
er  im  selbs  also  streng,  das  er  in 
winter  zeit,  in  anfechtung  destieiscb, 
sich  mit  schnee  oder  eiss  zuo  decket. 
Er  hiess  die  armuot  allweg  seilt 
herriu,  so  hört  er  lieber  sehmach 
dann  lob  von  im  sagen,  behielt  nicht 
auf  morgen,  sein  Herz  schwebet  iu 
begird  der  inarter.  Gieng  in  Svriata 
für  den  Soldau,  der  emptieng  in 
eerlich.  Darbei  wol  abzuonemen  i*t. 
das  er  im  freilich  die  warheit  nit 
gesagt  hat,  dan  die  warheit  wenig 

fottwillkummen  ist  au  den  Fürsteu- 
öfen und  in  aller  weit.  Ich  uuder- 
lass  hie  die  fabel  zuo  setzen,  wie 
in  Christus  mit  seinen  heiligen  ftiut 
wunden  bezeichnet  hab.  Als  er 
nun  18  jar  seinem  Fleisch  kein  ruow 
Hess,  da  starb  er  zur  Assis,  veii 
papst  Gregor  IX.  in  der  heilige 
zal  geschriben.  Also  hastu  diese 
allen  des  Euaugeliuinbs  beschriben. 
und  der  Harfuesser  grundfest  und 
seul.  Nuu  ich  lass  ins  gleich  recht 
und  guot  uemeint  haben,  wa  seind 
seine  naehfolger?  Die  Kutt  und 
kleid  sil.e  ich  villeicht,  aber  Fran- 
ciseus leben  uiendert.  Es  steLet 
nit,  das  weder  er  noch  die  seinen 
mit  der  buchs  umbher  sei  gelaufen 
und  in  allen  spilen  gewesen.  Item 
nit.  das  er  auf  Holzschuohen  »ei 
gangen  etc. 

Orden  der  mindern  Brüdrr  $■ 
FraneUci.  Anuo  1224  oder  bald 
darnach  seiud  von  den  vorigen  Bar- 
füesser  die  Minores  abgestiegen 
(Franck  meint  die  Tertiarier»  und 
geheckt  worden,  auch  unter  S.  Fran- 


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Fratuellen.  —  Frauen. 


213 


cisci  klcid  und  n'gel,  on  das  sie  nif  mann,  es  gehe  dann  etwa  in  der 
so  streng  seind.  schuoh  an  tragen,  stilhness  zuo.4'  Siehe  auch  den  Ar- 
gelt nemen  und  anregen  und  etwas  tikel  JPtedigt, 
mit  der  regel  S.  Franeisci  dispensirt  Fratlcellen.  Um  der  Spaltung 
haben,  im  Franziskanerorden  ein  Ende  zu 
Sie  seind  in  vil  Regel,  Secten  maehen,  war,  mit  Bewilligung  des 
und  Orden  zerteilt:  Holzschuoer,  Papstes  Colestin  V.  die  Gesellschaft 
Barfuesser  geregelt ,  Franeiscaner  der  Faupere*  eremifi  Ifamini  Coele- 
ndr  Observanzer  und  Minores  ge-  stini,  Colestiner  Eremiten  gegründet 
mint.  Item  Minimi  Etlich  heissen  worden;  dieselbe  wurde  jedoch  von 
de  Frangelio,  etlieh  de  Caputio,  und  den  übrigen  Franziskanern  verfolgt, 
haben  in  vil  dingen  underscheid,  on  '  und  130i  von  Bonifaz  VIII.  wieder 
allein  in  der  supccstition  seind  sie  aufgehoben.  Die  Eremiten,  dadurch 
alle  eins.  erbittert,  schenkten  der  Aufhebung 
Ich  kan  die  unterscheid  nicht  keine  Folge,  sondern  Hessen  sich, 
alle  anzeigen,  ich  find,  dass  die  Mi-  unter  dem  Namen  FraficelH*  zu  im- 
von  S.  Francisco  gepflanzt  mer  schwärmerischerem  Treiben  an 


seind,  von  Honorio  III.  schwerlich  1  regen,  trieben  das  Gebot  der  Armut 
bcsteticet.  Gemelter  Francissus  hat  auf  die  höchste  Spitze,  lehrten,  sie 
i:i  ein  Kegel  zuo  leben  geben,  nem-  seien  selber  von  Sünden  frei,  be- 
lieb, da««  heilig  Evangelium  Christi  süssen  den  hl.  Geist  und  bedürften 


zuo  halten,  in  armuot,  keuschheit  |  weder  der  Busse  noch  der  Sacra- 
und  gehorsam,  gleich  als  ob  sie  nun  !  mente.  Schon  hatten  sie  sich  in 
allein  Christen  seien,  und  welcher  1  Italien,  Sizilien,  Südfrankreich  und 
ein  Christ  wöll  werden,  muoss  ein  Deutschland  verbreitet,  als  sie  von 
Barfuesser  werden,  oder  als  seien  der  Kirche  aufs  härteste  verfolgt, 
mancherlei  Christen  und  Christus  wieder  seit  der  Mitte  des  14  Jahrh. 
in  im  selbs  zerteilt.  Dieser  Orden  verschwanden, 
hat  gehabt  Berhardinum  von  Senis.  i  Frauen. 

Bonaventuram  ein  Cardinal.  Item  1  1.  Aanwn.  Frau,  ahd.  frotttcä, 
3  Bäpst,Nicolaum  IV., Alexandrum  V.,  mhd.  frouire,  im  Ulfilas  nicht  er- 
Sixtum  IV.  Item  Alexander  de  scheinend,  ist  die  weibliche  Form 
Ales,  welche  alle  in  des  Banst  re-  von  got.  frauja,  ahd.  frd,  statt 
gißter  canonisiert  seind,  erhebt  und  froutro,  welches  früh  dem  kSriro, 
in  der  heiligen  anzal  zuogeselt.  I  herre,  herr  gewichen  ist,  während 
Sanef  Clara  Orden.  Im  jar  1225  sich  die  weibliche  Form  erhielt, 
leuchtet  S.  Clara,  ein  jüngerin  S.  I  Der  weiblichen  Form  der  Wurzel 
Franeisci,  von  der  statt  Assis ,  die  1  entspricht  der  Name  der  Göttin 
hat  bei  S.  Damians  kirchen  eine  Freya,  der  männlichen  derjenige  des 
heilige  Versammlung  und  Orden  der  Gottes  Freyr.  Als  ursprüngliche 
armen  frawen  angefangen,  fast  auf  Bedeutung  'gilt:  der  Erfreuende, 
S.  Franeisci  weiss.  Darin  17  jar  ir  1  Froh  »wehende,  6'fV/fY/e,3//7rfa,Eigen- 
fleisch  casteiet.  Bapst  Inno  IV.  hat  schatten,  die  sowohl  demGotteals  dem 
si  in  iren  sterben  heimgesuocht,  Gebieter  unter  den  Mensehen  zu- 
Honorius  und  Gregorius  haben  si  kommen.  Als  Apcllativ  kommt  dem 
mit  gnad  und  gab  geerwürdiget,  und  Wort  Frau  in  erster  Linie  die  Be- 
Alexander IV.  si  unter  die  neiligen  '  deutung  Herrin,  (iehieferin  zu.  All- 

r:'»lt.  Sie  tragen  graw.  leben  nach  mählich  wird  der  Name  mehr  und 
Franeisci  regel  (wa  si  weich  und  mehr  auch  dem  Geringeren  gegeben, 
lind  ist  i,  dooh  in  vil  stücken  etwas  am  längsten  erhält  sich  die  alte  Be- 
verenderet.  und  derorden  schleusst '  deutung  in  der  Anrede  und  als  Titel: 
nichts  dann  weibesbild  ein  und  kein  1  Unsere  Frau,  Unsere  liebe  Frau  ist 


214 


Frauen. 


8 


Maria  (franz.  nötre  dam*),  Frau 
Königin,  Herzogin,  und  in  allen 
Stünden  diejenige,  die  befiehlt,  der 
Dienerschaft  gegenüber,  in  der  Fa- 
milie Frau  Mutter. 

Kone,  Kon,  mhd.  kone,  Skone= 
Gattin,  Ehefrau,  vereinzelt  in  Bayern 
und  Osterreich  lebendig  geblieben, 
sind  Überbleibsel  des  einst  viel  ge- 
brauchten ahd.  chuend,  quenä,  got. 
oyin6,  altnord.  kona,  neben  welchen 
Formen  eine  zweite  Form  herläuft: 
ot.  yr&w,  ags.  crSn,  altn.  kvän,  im 
lochdeutschen  fehlend,  entartet  engl. 
quean  =  Weibsbild,  Hure,  und  queen 
=-■  Königin.  Das  Wort  entspricht 
etymologisch  dem  griech.  yu*^.  Die 
Wurzel  ist  ganzen = gebären,  zeugen ; 
verwandt  sind  'A'iW,  Knahe,  Knecht, 
König  und  können. 

Ahd.  UU,  alts.  idi*,  altnord.  dis, 
war  ursprünglich  der  Name  eines 
göttlichen  Wasens,  namentlich  der 
Göttinnen  des  Geschickes  und  wird 
im  Althochdeutschen,  Sächsischen 
und  namentlich  im  Angelsächsischen 
allgemein  für  jede  Frau  jedes  Alters, 
verheiratet  oder  nicht,  angewandt. 

Weib,  ahd.  und  mbd.  das  wip, 
geht  besonders  auf  das  Geschlecht, 
wie  man  denn  auch  dem  Tiere  sein 
Weihchen  zulegt.  Nach  Grimm  geht 
das  Wort  auf  weben  und  weifen  zu- 
rück. Höfische  Dichter  streiten  sich 
gern  darüber,  welches  Wort,  Frau 
oder  Weib,  vorzüglicher  sei.  Walther 
von  der  Vogelwcide  entscheidet  sich 
für  Weib,  weil  in  ihm  der  Inbegriff 
aller  dem  Geschlechte  eignenden 
Tugenden  liege;  Heinrich  von  Meissen 
erklärte  sich  dagegen  für  das  Wort 
Frau  und  erhielt  dafür  den  Namen 
Frauenlob. 

Braut.  Got.  ist  die  bruths  = 
Schwiegertochter;  ahd.  die  prüt,  brut 
=  Verlobte  wie  Neuvermählte,  auch 
Kebsweib ;  angelsächs.  bryd,  altnord. 
hrudhr  —  Verlobte.  Der  Grundbegriff 
ist  die  Heimgeführte;  denn  das  Wort 
ist  aus  got  /m  =  vor,  und  einem  mit 
lat.  vehere  =  fahren  verwandten  Verb 
zusammengesetzt. 


2.  Die  Stellung  der  Frau  in  alt- 
germanischer Pertode.  Ursprünglich 
war  die  Stellung  des  Weibes  bei  den 
Germanen  keine  andere  als  bei  allen 
anderen  Völkern,  es  wurde  als  eine 
blosse  Sache  und  als  Werkzeug 
sinnlicher  Befriedigung  aufgefasst 
Das  Weib  musste  sich  mit  dem  toten 
Manne  verbrennen  lassen,  der  Mann 
hatte  das  Recht,  es  zu  verkaufen, 
zu  vermachen,  zu  verschenken,  sei- 
nem Gaste  anzubieten.  Durch  die 
Gnade  des  Vaters  wurde  ihm  zu 
leben  erlaubt;  durch  Geld  wurde  es 
von  einem  Fremden  dem  Vater  ab- 

Sekauft;  auf  dem  Weibe  lag  die 
Bestellung  von  Haus  und  Teld. 
Diese  ältesten,  harten  Verhältnisse 
des  Weibes  wurden  aber  schon  früh 
teils  durch  das  Aufkommen  eines 
milderen  Rechtes  oder  wenigstens 
einer  milderen  Gewohnheit ,  teils 
durch  die  Wirkung  religiöser  An- 
schauungen veredelt,  so  dass  schon 
bei  Tacitus  der  ursprüngliche  Zu- 
stand nicht  mehr  deutlich  hervor- 
tritt. Als  die  wichtigste  Bestim- 
mung für  die  Stellung  des  Weibes 
gilt  der  Grundsatz,  dass  nach  ger- 
manischem Rechte  die  Kinder  und 
die  Frau  kein  eigenes  Recht  besitzen, 
sie  stehen  unter  der  Mundschafr  des 
Familienvaters  oder  seines  Stell- 
vertreters, welche  in  ältester  Zeit 
sehr  streng  war,  so  dass  die  Tochter 
ohne  seine  Zustimmung  weder  über 
ihre  Person  noch  über  Dir  Vermögen 
irgend  welche  Verfügung  treffen 
konnte.  Mann  und  Weib  schritten 
bei  den  alten  Germanen  erst  spät 
zur  Ehe.  Die  Rechtsform  derselben 
war  ein  Kauf,  den  der  Vormund, 
in  erster  Linie  der  Vater,  mit  dem 
Bewerber  abschloss.  Unfreie  Leute 
bedurften  der  Genehmigung  ihres 
Herrn,  dem  sie  dafür  eine  Steuer 
bezahlen  mussten.  Nur  allmählich 
und  durch  Unterstützung  der  kirch- 
lichen Anschauungen  erwuchs  das 
Selbstbestimmungsrecht  der  Jung 
frau.  Die  Verabredimg  über  die  zu 
zahlende  Summe,  mahaheaz,  munt- 


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Frauen. 


215 


jtcasy  bruimiete,  oder  das  öffent- 
lich ,  vi-r  geladenen  Zeugen  ausge- 
sprochene Gelöbnis  des  Bräutigams, 
den  Mundschatz  zu  erlegen,  und  das 
Gegengelöbnis  des  Vormundes,  dafür 
die  Braut  zu  überantworten,  war  die 
vornehmste  und  bindendste  Hand- 
lung bei  der  Eheschliessung.  Von 
ma  Maljan  =  sprechen,  besonders  in  der 
gerichtlichen  Verhandlung,  nannte 
man  die  Handlung  des  Verlobens 
muhalön;  der  gemahel  und  diu  ge- 
mahele  sind  die  Verlobten;  das  ge- 
mahel für  die  Verlobte  wird  erst 
im  15.  Jahrhundert  gebräuchlich. 
Uber  die  weiteren  Ehehandlungen 
siebe  den  Artikel  Ehe. 

War  die  Jungfrau  dem  Manne 
angetraut,  so  war  sie  rechtlich  Eigen- 
tum des  Manne*  geworden.  Er  durfte 
sie  töten,  vererben,  strafen,  körper- 
lich züchtigen.  Noch  im  Nibelungen- 
liede erzählt  Kriemhild,  Siegfried 
habe  ihr  für  das  unnütze  Geschwätz 
der  Brunhild  gegenüber  den  Up  zer- 
Llouwen.  Eheliche  Untreue  des 
Weibes  wurde  auf  das  härteste  be- 
straft, der  Mann  durfte  sie,  wenn 
er  sie  auf  frischer  That  ertappte, 
erschlagen;  wurde  ihr  Leben  ge- 
schont, so  verlor  sie  ihr  Vermögen 
an  ihn,  wurde  in  Gegenwart  der 
Verwandten  schimpflich  aus  dem 
Hause  gestossen,  des  langen  Haar- 
schmuckes  beraubt  und  unter 
Schlägen  durch  das  Dorf  gejagt. 
Untreue  des  Mannes  in  der  Ehe 
blieb  ungestraft  Vielweiberei  war 
zwar  den  Germanen  nicht  ganz  fremd, 
Ariovist  z,  B.  hatte  zwei  Frauen; 
doch  war  diese  Sitte  meist  durch 
nolitische  Rücksichten  vornehmer 
Manner  veranlasst.  Tacitus  rechnet 
es  den  Germanen  zur  Ehre  an,  dass 
sie  sich  mit  einem  Weibe  begnügten. 
Kebsen  dagegen,  d.  h.  nicht  aurch 
öffentlichen  Mundkauf  verbundene 
Frauen  galten  durchs  ganze  Mittel- 
alter hindurch  nicht  für  unziemlich. 

Gegenüber  der  rechtlich  niedrigen 
StenungdergermanischenFrau  mach- 
ten sich  im  praktischen  sowohl  als 


im  sittlich-religiösen  Leben  Anschau- 
ungen geltend,  welche  der  Stellung 
der  Frau  sehr  zugute  kamen.  Die 
Frau  war  des  Mannes  Genossin  in 
Freud  und  Leid,  sie  war,  was  ihr 
Name  besagt,  Herrin  des  Hauses. 
Frauen  und  Jungfrauen  reichten 
beim  Mahle  den  Becher  oder  das 
Trinkhorn  umher,  sie  folgten  dem 
Manne  in  die  Schlacht,  feuerten  seine 
Tapferkeit  an  uud  verbanden  seine 
Wunden. 

Am  hellsten  spiegelte  sich  die 
sittliche  Bedeutung  der  germanischen 
Frau  im  religiösen  Leben  des  Volkes 
und  hier  zuerst  in  den  Göttinnen 
des  Volkes  und  zumal  in  der  ger- 
manischen Göttermutter,  Freia  (siehe 
den  besonderen  Artikel).  Aber  auch 
in  den  sterblichen  Frauen  sahen  die 
Germanen  etwas  Heiliges  und  Weis 
sagendes,  sie  suchten  in  den  höch- 
sten Dingen  ihren  Rat  und  merkten 
auf  ihre  Antworten. 

Weiber  die  sich  der  Weissagung 
widmeten,  hiessen  wüiu  unp,  weise 
oder  kluge  Frauen.  Sie  haben 
ihren  göttlichen  Hintergrund  an  den 
Xornen  und  Walküren;  nordisch 
heissen  sie  völur;  völuspA,  der  Wala 
Weissagung,  ist  eins  der  ältesten 
Eddalieder,  worin  der  Seherin  Jfeidr 
die  Verkündigung  des  Weltgeschickes 
in  den  Mund  gelegt  wird.  Solche 
Weiber  ziehen  weissagend  im  Lande 
umher,  mit  Zaubersprüchen  vertraut 
und  auf  Zauberwerk  geübt;  man 
ladet  sie  gern  zu  Festschmäusen, 
bei  welchen  sie  dann  in  der  Nacht 
den  Zauber  sieden  und  vom  vier- 
beinigen Schemel  herab  ihre  Weis- 
sagungen verkünden.  Der  Zauber- 
trank gab  Macht  über  Menschen, 
Tiere  und  Wetter;  seine  Wirkung 
war  nach  den  Gegenständen,  die  in 
den  Kessel  kamen,  verschieden. 
Die  Sinnesart  der  Menschen  konnte 
verändert,  Hass  oder  Liebe  ihm  eiu- 
geflösst  werden;  langsames  Hin- 
siechen, Versetzen  aus  der  Ferne  in 
die  Nähe,  Erzeugung  von  Sturm, 
Unwetter  und  Misswachs  schrieb  man 


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216 


Frauen 


dem  Zaubergobräu  sn,  auch  Heilung  Bild  eines  verfeinerten,  ausgebilde- 
der  Krankheitm.  Die  Frauenkrank-  ten,  durch  Poesie  und  Kunst  ge- 
heiten,  besonders  die  Geburten,  schmückten  Standeslebens  auf,  worin 
standen  unter  Freias  Macht  Mit  das  Weib  eine  wesentliche  Rolle 
dem  Untergang  des  germanischen  spielte;  die  Ausbildung  des  Marien- 
Göttcrglaubens  sind  diese  weisen  kultus  stellte  auch  für  den  gläubigen 
Frauen  Hexen  geworden  (siehe  diesen  Christen  ein  jungfräuliches  Weib  in 
Art.).  die  nächste  Nähe  Gottes  und  gab 

Was  endlich  für  die  al'germa-  den  Jungfrauen  und  Frauen  der 
nische  Periode  die  Liehe  des  Wei-  I  Gegenwart  ein  erwünschtes  durch 
bes  zum  Manne,  der  Jungfrau  zum  die  Kirche  geheiligtes  Ideal;  die  süd- 
JüngHtig  betrifft,  so  wirkte  der  franz< isischen  Ritter,  die  in  einem 
keusche  Sinn  des  Volkes,  die  Ach-  i  reichen,  blühenden  Lande  längst  an 
tung  vor  Zucht  und  Ehre  heili-  '  feinere  Genüsse  gewohnt  waren  als 
cend  auf  den  rechtlich  niedrigen  der  deutsche  Rittersmann  sie  kannte, 
Stand  des  Weibes  ein.  Eigentliche  und  denen  die  Würde  und  Ehre  der 
Liebesverhältnisse  konnten  der  Ehe  ehelichen  Keuschheit  und  Treue  im 
nicht  vorausgehen,  weil  das  Gesetz  Sinne  der  guten  deutschen  Sitte 
den  Werber  zum  Vater  und  nicht  fremd  war,  bildeten  zuerst  den  kon- 
zur  Tochter  hinwies.  Die  Liebe»  ent  ventionellen  ritterlichen  Minnedienst 
sprang  in  dem  Unsen  des  Weibes,  aus.  Nach  ihrer  Minnekunst  gi^bt 
und  der  Mann  nahm  sie  hin  als  An- 1  es  vier  Stufen  des  Minnedienstes, 
erkennung  seiner  Tüchtigkeit,  die  Auf  der  ersten  Stufe  steht  der 
er  fordern  konnte  und  die  er  mit  schmachtende  Ritter,  der  seine  heim- 
ehelicher Zuneigung  belohnte.  Dieser  liehe  Liebe  nicht  zu  gestehen  wagt, 
Geist  spricht  sieh  in  der  frühmittel-  I  sondern  verbirgt  und  sich  verstellt, 
alterlicnen  Dichtung  aus,  nament- 1  der feignaire ;  hat  er,  durch  die  Frau 
lieh  in  den  Eddaliedern,  im  Liede  1  ermutigt,  das  Geständnis  gewagt, 
von  Walther  und  Hiltgunt.  Das  so  wird  er  ein  Hittender,  pregaire-. 
Wort,  das  in  dieser  älteren  Zeit  nimmt  sie  ihn  zum  förmlichen  Liebes- 
dte  Zuneigung  des  Weibes  zum  dienst  an,  so  wird  er  ein  Erhörter, 
Manne  bezeichnete,  ist  minne,  minna,  enfendeire .  und  ist  ihm  endlich  die 
ursprünglich  das  Denken,  das  An-  höchste  Gunst  gewährt,  so  heisst  er 
denken,  die  Erinnerung.  der  Liebhaber,  druiz.  Der  Erhörune 

3.  Stellung  der  Frau  in  höfischer  ging  eine  Pi  üfungszeit  voran,  deren 
Zeit.  Erst  die  höfische  Zeit  hat  Dauer  dem  Gutdünken  der  Dame 
durch  fremde  Einflüsse  das  Verhält  überlassen  war;  dieselbe  dehnte  sich 
nis  des  Weibes  zum  Mann«',  aber  nicht  selten  auf  fünf  Jahre  aus. 
bloss  innerhalb  des  Rittertums,  gänz-  War  die  Prüfung  glücklich  vorbei- 
lieh  verändert  und  den  Mann  zum  j  gegangen,  dann  wurde  der  Ritter 
bewundernden  und  werbenden  Teil,  der  Vasall  seiner  Herzenskönigin 
die  weibliche  Schönheit  an  Stelle  der  und  förmlich  von  ihr  belehnt.  In 
männlichen  Tüchtigkeit  zur  Quelle  |  Südfrankreich  wenigstens  geschah 
der  Liebe  gemacht.  Dieser  Um- '  dies  mit  den  gleichen  symbolischen 
schwung  hat  sehr  verschiedene  Ur-  j  Zeichen,  wie  sie  bei  der  wirklichen 
Sachen.  Die  soziale  Ausbildung  des  '  Belehnung  eines  Vasallen  stattfan- 
Ritterstandes  als  eines  von  der  nicht- 1  den:  Knieen,  Händefalten,  Kuss  und 
ritterlichen  Welt  getrennten  zog  na-  Ring,  auch  das  Scheren  der  Haar*» 
türlich  auch  die  weibliche  Gesell-  kam  vor  und  priesterliche  Einsejr- 
schaft  in  die  Sphäre  des  abgeson-  nung.  Der  Ritter  trug  nun  an  Schild 
derten  Standeslebens;  im  Orient  oder  Lanze  die  Farben  der  Frau 
that  sich  für  die  Kreuzfahrer  das  1  und  ein  von  ihr  erteiltes  Wappen- 


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Frauen. 


217 


riehen:  Ring, .  Gürtel.  Haarband,  sagen.  Die  oben  genannten  vier 
Schleier  oder  Ärmel.  Die  Frauen  Stuten  des  Minnedienstes  sind  bei 
verlangten  ausser  allgemeinen  ße-  deutschen  Dichtern  nicht  nachzu- 
weisen der  Liebe  diese  oder  jene  weisen,  und  überhaupt  ist  es  mehr 
Tliat  des  Gehorsams  und  oft  auf  der  gesellschaftliche  und  poetische 
»ihr  launenhafte  Art;  manche  Ritter  Reflex,  der  aus  der  Provence  nach 
sind  von  ihrer  Dame  gezwungen  Deutschland  hinüberseheint,  als  die 
worden,  an  einem  Kreuzzug  teilzu-  Sache  selber.  Die  Vorliebe  der 
nehmen  Jeder  Ritter  musste  sich  ritterlichen  Sänger  für  den  Fraucn- 
nach dem  Geiste  der  Zeit  eine  Herrin  dienst,  das  Gejammer  über  die 
annehmen,  die  jedoch  nie  seine  eigene  merkaere,  die  T  agelieder,  da**  Ge- 
Frau sein  konnte.  Der  phantastische  setz  der  Verschwiegenheit,  alles  macht 
Geist  derZeitcrmöglichte  es  zwar,  d&ss  den  Eindruck  des  aus  der  Fremde 
der  Minnedienst  zuweilen  gänzlich  Angelernten,  und  es  sind  auch  bloss 
ideal,  bloss  in  der  Empfindung  lebend  einige  wenige  allgemeine  Züge,  aus 
sich  gestaltete;  es  gab  Ehemänner,  deren  leichtherzustellender  Mischung 
welche  die  Erlaubnis  erteilten,  dass  der  etwas  wässerige  Reichtum  der 
andere  ihren  Frauen  dienten.  Ander-  Frauendichtungen  hervorgeht.  Der 
seifs  war  der  Geist  der  Zeit  bei  bei-  proven^alisclie  Minnedienst  hob  das 
den  Geschlechtem  sinnlichem  Ge-  von  der  Volkssitte  geforderte  Ehe 
misse  nicht  minder  zugethan,  und  leben  eigentlich  auf,  und  französische 
der  Minnedienst  war  die  gegebene  Schriftstellererklären, dassnursolehe 
Leiter  dazu.  Wie  nach  der  Sitte  Personen  unter  den  Gesetzen  der 
die  anwesenden  Vasallen  den  Lehns-  Liebe  stehen ,  welche  nicht  mitein- 
herrn  zu  Bette  begleiteten  und  sich  ander  verheiratet  sind;  zwischen 
er*t  entfernten,  wenn  er  sich  nieder-  Eheleuten  finde  keine  Liebe  mehr 
gelegt  hatte,  so  begleitete  der  be-  statt,  und  wenn  zwei  Liebende  ein- 
gtinstigte  Liebhaber  die  Frau  ins  ander  heiraten,  erlösche  augenbliek- 
Schlafgemach.  Ja,  die  Frau  ge-  lieh  das  Verhältnis.  Dass  ein  Mann 
wihrte  dem  Liebhaber  zuweilen  eine  oder  eine  Dame  verheiratet  sei, 
Nacht  in  ihren  Armen,  wenn  er  sich  hinderte  keinen  Teil,  ein  Liebcsver- 
eidlich  verpfliehtete  sich  nichts  wei-  haltnis  mit  einer  driften  Person  ein- 
ter  als  einen  Kuss  zu  erlauben.  Aus  zugehen.  Der  Mönch  Nostradamus, 
dieser  verbreiteten  Sitte  sind  die  der  Biograph  der  Troubadours,  er- 
Tonelieder  entstanden  (siehe  den  be-  klärt:  Causa  conjugii  ah  amore  non 
sonderen  Artikel).  Der  Zwiespalt  eti  excusatio  ee'rfa.  Der  deutsche 
zwischen  der  bloss  empfundenen  Miunedienst  schwebte  gleichsam  in 
Liebessehnsucht  und  der  sinnlichen  der  Luft,  Uber  den  wirklichen  Ver- 
Wirklichkeit Hess  Verscheide  nheit  hältnissen,  bloss  in  d-»r  Phantasie 
al«  eine  besondere  Sorge  der  Lieben- 1  des  Zeitalters.  Seine  Hauptquelle 
d»  n  erscheinen;  es  war  deshalb  eine  1  sind  die,  französischen  Quellen  ent- 
Ehrenpflicht des  Minnesängers,  den  nommenen  Ritterepen,  besonders  die 
Namen  der  Frau  gar  nicht  oder  Artusenen,  deren  Helden  Iwein,  Ga- 
nur  verhüllt  zu  nennen.  Auch  die  wein.  Erek,  Parzival,  Titurel,  Tristan 
Aufpasser  oder  merkaere.  welche  als  Muster  galanter  Ritter  darge- 
di"  Freude  der  Liebenden  Tag  und  stellt  sind.  So  ist  auch  der  Wort- 
Naeh*  verbittern, gehören  zum  stehen-  schätz  des  deutschen  Minnedienstes 
den  Beiwerk  des  Minnelebens.  !  nicht  gerade  reich.  Das  Wort  froince 
Welche  besondere  Gestalf  der  gehört  in  erster  Linie  dazu',  weil 
konventionelle  Frauendienst  des  Rif-  der  Ritter  so  seine  Erkorene,  seine 
tertums  in  Deutschland  angenommen  Herrin  ansprach;  gendde  heisst  der 
hab»y  Ut  mit  Sicherheit  nicht  zu  Minnelohn;  seine  Art  hängt  sehr  von 


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Frauen. 


Absicht,  Gesinnung  und  Gesittung 
der  Liebenden  ab;  sie  kann  reine 
zärtliche  Zuneigung,  ein  Blick,  ein 
Wort,  ein  Erröten  sein,  oder  ein 
äusseres  Zeichen  der  Zuneigung: 
Brief,  Ring,  Armband,  Spange, 
Gürtel,  Schleier,  Ausstattung  an 
Ross,  Kleidungen,  Waffen  oder  end- 
lich Gewährung  der  minne. 

Ein  wesentlich  verschiedenes  Ele- 
ment ist  das  Motiv  echter,  wahrer 
Liebe  in  den  äusseren  Formen  ritter- 
licher Galanterie.  Mit  der  konven- 
tionellen Frauenminne  war  im  auf 
geschlossenen  Gemüte  dieser  Zeit 
natürlich  auch  die  wahre  Liebe  er- 
wacht, die  den  Jüngling  zur  Jung- 
frau hinzieht;  ihr  gehört  das  schöne 
Liedchen  an: 

Du  bist  min,  ih  bin  diu, 
des  soft  du  getcis  sin. 
du  hist  beslozzen 
in  minem  herzen, 
verlorn  ist  daz  sfuzzelin  : 
dti  muosf  immer  da  rinne  sin. 
Diese  Minneträger   sind  nicht 
mehr  frouwe  und  herr,  sondern  man 
und  tri»,  und  der  beliebte  Streit, 
was  edler  und  besser  sei,  frouwe  oder 
iny>,beruht  wesentlich  auf  der  Frage 
nach  höfiscb-konvcntioncller  Minne 
oder  nach  der  tieferen  Liebe:  Walther 
hat  sich  für  die  letztere  ausgesprochen. 
Die  wenigen  tiefempfundenen  Lieder 
unter  der  grossen  Zahl  der  Minne- 
lieder sind  Lieder  der  Liebe;  die 
Liebe  ist  es  auch,  die,  immerhin  an 
den  ritterlichcnFrauenkult  erinnernd, 
das  Nibelungenlied  und  die  Gudrun 
in  sich  aufgenommen  haben: 
soltu  immer  herzenliehe 
zer  werlte  werden  fro, 
daz  kümt  von  manne»  minne, 
du  wirst  etn  »choene  wip, 
obe  dir  got  gefiieget 
eins  rehte  guoten  ritters  Up. 
Darin  klingt  noch  tief  una  voll 
die  ältere  Auffassung  vom  Verhält- 
nis des  Mannes  zum  Weibe,  und 
ebenso  in  dem  zweiten  Grund  der 
Abweisung  Kriemhildens  (der  erste 
ist,  dass  sie  ihre  jungfräuliche  Schön- 


heit nicht  aufopfern  will),  dass  Ziehe 
mit  leide  ze  jungest  Ionen  kan.  Dieser 
Gegensatz  von  Helte  und  leid  ist 
auch  sonst  in  der  höfischen  Dichtung 
weit  verbreitet;  während  der  Name 
minne  in  seinem  ursprünglichen 
Werte  längst  verdunkelt,  zum  kon- 
ventionellen Liebesausdruck  gewor- 
den war,  gab  das  Wort  liebe  eben 
durch  seinen  Gegenpart,  das  leit% 
dem  Begriffe  neues,  unmittelbares 
Leben,  das  ausserhalb  der  höfischen 
Gesellschaft  seinen  Grund  hatte. 
Wie  über  teip  und  froutre,  so  wird 
auch  über  den  höheren  Wert  der 
minne  oder  liebe  gestritten;  Rein- 
mar  von  Zweter  spricht  sich  für 
minne  aus,  Ulrich  von  Liechtenstein 
identifiziert  beide  Wörter: 

Staetiu  liel>e  heizet  minne. 
liebe,  minne,  ist  al  ein: 
die  kan  ich  in  minem  sinne 
niht  gemachen  wol  zuo  zwei», 
liebe  muoz  mir  minne  sin 
immer  in  dem  herzen  min. 
Freidanks  Bescheidenheit  handelt  in 
Abschnitt  37  von  minne  unde  teilten, 
und  denkt  dabei  kaum  je  an  den 
ritterlichen  Dienst,  sondern  an  das 
natürliche  Verhältnis  von  Mann  und 
Weib: 

Swer  minnet,  daz  er  minnen  »ol, 
dem  ist  mit  eime  wibe  wol; 
ist  si  guot,  erst  wol  geteert, 
swes  man  von  allen  'tdben  gert. 
Ein  man  sol  sin  getriuwez  wip 
minnen  für  »in  selbes  Up; 
swer  ein  petriuwez  wip  hat, 
diu  tuot  im  maneger  sorgen  r/it.  — 
Ist  schoene  wtp  gefriuwe, 
der  fop  sol  icesen  niuwe. 
Die  Art   des  Liebeslebens  ist 
nicht  das  einzige,  was  die  Frau  der 
höfischen  Zeit  bestimmt,  aber  das 
am  meisten  charakteristische;  sie 
hat  den  höfischen  Dichtern  den  Na- 
men Minnesänger  verschafft. 

In  engem  Zusammenhang  mit  der 
Liebe  steht  die  Schönheit,  mhd.  diu 
schoene.  Alle  Heldinnen  derRitteire- 
dichtesind,  als  ob  sich  das  von  selber 
verstände,  schön,  doch  gelingt  es  der 


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Frauen 


219 


Zeit  nur  in  bescheidenem  Masse,  die 
einzelnen  Zü^e  der  Schönheit  dar- 
zustellen; wie  denn  an  Kriemhild 
nicht  gerade  anschaulich  diu  ir  un- 
m/izen  sehoene  gerühmt  wird.  Zur 
Schönheit  gehört  das  lange,  blonde 
Haar,  eine  aus  rot  und  weiss  ge- 
mischte Gesichtsfarbe,  der  Mund  rot 
und  durchscheinend  wie  eine  Blüte, 
klein,  festgeschlossen  und  ver- 
heissend;  die  Zähne  weiss  und  eben, 
die  Augenbrauen  gebogen,  scharf 
und  schmal  wie  ein  Pinselstrich,  der 
Zwischenraum  zwischen  den  Augen 
breit,  die  Nase  gerade  und  lang, 
weder  zu  stumpf  noch  zu  spitz,  das 
Kinn  gerundet  mit  einem  weissen 
Grübcnen,  der  Hals  weiss,  voll  und 
fest;  die  Brust  rund,  klein  und  weiss; 
die  Gestalt  massig  gross,  schlank 
und  doch  voll,  in  der  Mitte  des 
Leibes  schmal  undgelenk,  die  Hüften 
voll  und  zart,  die  Beine  gerade  und 
rund  wie  eine  Kerze,  die  Füsse 
schmal,  klein,  gewölbt;  Arme  und 
Hände  weiss,  gerundet  und  fein,  die 
Finger  gerade  und  glatt.  Einige 
Stellen  mögen  dies  näher  veran- 
schaulichen : 

Ir  «vi  geroeter  munt ,    ir  tiehten 
ouyen, 

irkel,  irkin  ne,  ir  roeselihtiu  wangen, 
die  hant  daz  sende  herze  min  bei- 
tcungen, 

do  ri  darin  geblickten  lieplich  taugen, 
dar  näch  zehant  da  wart  ich  ir 
qeranpen. 

Gottfried  von  Nifen. 
W enget  roten  rar, 
wol  fjettellet  kinne, 
ougen  luler,  Mär, 
mineclichiu  tinne  (Stirne) 
hAtsi,  diu  mir  krenket  leben  unde  Up: 
hei,  taelik  wip, 

dur  din  betten  fugende  mir  min  teil 
rertrip! 

Hesse  von  Kinach. 
Die  J?rzteÄw«#deradlißenTöchter 
bezog  sich  mehr,  als  l>ei  den  Knaben 
der  Fall  war,  auf  die  Kunst  des 
Schreibens  und  Lesens  und  ausser- 
dem auf  die  Arbeiten  der  Hausfrau. 


Nähen  und  Spinnen  wurde  früh  ge- 
lernt. Die  Kleider  für  die  Männer, 
besonders  die  Ehrenkleider,  wurden 
in  der  kemenäte  von  den  Frauen 
verfertigt.  Webeu  aber  galt  als 
einer  Freien  unwürdig;  so  überliess 
man  das  Wollespinnen  gern  den 
Dienatieuten,  während  edle  Frauen 
Gespinst  von  Flachs  und  Seide  ver- 
fertigten. Am  beliebtesten  aber  war 
das  Sticken,  icirken  in  oder  an  der 
ram,  für  Wandteppiche,  Tischtücher, 
Mess^ewänder,  Altar- Antependien. 
An  diesen  Arbeiten  hatten  die  jungen 
Mädchen  teilzunehmen,  die  sich  zu 
ihrer  Ausbildung  an  einem  befreun- 
deten Hof  aufhielten;  sie  waren  stets 
in  der  Nähe  ihrer  fterrin  und  muss- 
ten  sie,  zumal  wenn  sie  ausging, 
begleiten;  denn  eine  edle  Dame  ging 
nie  allein  aus.  Auf  das  äussere  Be- 
nehmen wurden  natürlich  hohe  Stücke 
gehalten,  es  giebt  darüber  besondere 
Aufzeichnungen,  unter  anderen  die 
Lehren  der  n'insbeckin  an  ihre  Toch- 
ter. Es  galt  als  für  eine  Dame  un- 
schicklich, mit  grossen  Schritten  ein- 
herzugehen, die  Arme  lebhaft  zu 
bewegen ;  die  Augen  soll  sie  gesenkt 
haben,  ohne  sich  umzuschauen.  Einen 
fremden  Mann  zuerst  anreden,  war 
verpönt,  sie  sollte  ihn  nicht  einmal 
anblicken,  bis  sie  angeredet  wurde. 
Lautes  Sprechen  und  lautes  Lachen 
war  gegen  die  Sitte,  die  Frau  und 
Jungfrau  sollte  bloss  lächeln,  »mieten 
oder  smieren.  Einige  Kenntnis  der 
Heilkunst  hatten  die  höfischen  Frauen 
aus  früherer  Zeit  her  geerbt. 

Auf  die  Leibespßege,  Kleidung  u. 
dgl.  verwendete  die  höfische  Frauen- 
welt natürlich  viel  Zeit,  Mühe  und 
Kunst.  In  erster  Linie  auf  das  Haar. 
Jungfrauen  trugen  lange,  mit  Bän- 
dern durehflochtene,  eigene  oder 
fremde  Zöpfe,  die  man  auch  zu  fär- 
ben wusste.  Nach  der  Vermählung 
wurden  alter  Sitte  gemäss  die  Haare 
aufgebunden.  Jungfrauen  gingen 
gewöhnlich  ohne  Kopfbedeckung; 
im  Sommer  flochten  sie  sich  einen 
Blumenkranz,  schapet.  der  auch  aus 


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220 


Frauen 


künstlichen  Blumen  bestehen  konnte;  am  Oberkörper  fest  geschnürt  an 
bestand  der  Kopfschmuck  aus  mehr  und  wallte  unten  in  Falten  herab, 
als  einem  schapel.  so  heisst  er  das  Am  Halsausschnitt  wird  er  durch 
gehende,  das  nach  Wahl,  Geschmack  eine  Spange  zusammengehalten:  an 
und  Mode  sehr  verschieden  sein  den  Ärmeln,  am  Hals  und  bisweilen 
konnte;  e-»  wurde  als  der  vorzüg-  am  unteren  Saume  ist  er  mit  Pelz- 
liehste  Teil  des  Putzes  einer  Frau  werk  besetzt,  um  die  Hüfte  durch 
angesehen.  Nach  der  Mode  einer  einen  Gürtel  zusammengefasst.  Er 
gewissen  Zeit  wurde  durch  das  ge-  ist  ein-  oder  mehrfarbig.  Das  sur- 
fende das  Haar  am  Hinterkopfe'«/  kot  ist  ein  über  dem  Rock  getragenes, 
gebunden;  ein  Teil  des  gebendes  lief  meist  mit  Pelz  gefüttertes  Gewand, 
unter  dem  Kinn  hin  und  bedeckte  ebenso  die  den  Slawen  entlehnten 


die  Wangen;  wenn  daher  ein  Kuss 
empfangen  werden  sollte,  musste  das 
gebende  aufgerückt  werden.  Die 
Kopftracht  verheirateter  Frauen  ist 
der  Schleier,  diu  rise,  er  hing  frei 
zu  beiden  Seiten  des  Hauptes  nieder 


suekenie,  godehse,  die  gornasch  ein 
Pelzüberwurf  nach  italienischer  Mode 
(ital.  garnaccia);  auch  die  kürte n  ist 
ein  Pelzkleid,  davon  der  Kürschner. 
Über  die  Kleider  wurde  der  *fjw 
oder  das  stcenzelin  angelegt,  ein  lang 


und  reichte  mit  seinen  Zipfeln  bis  nachschleppendes  Gewand ,  das  be- 
auf  die  Brust.    Verbreitet  war  das  sonders  zum  Tanze  getragen  wurde. 


Schminken  mit  roter  und  weisser 
Farbe.  An  den  Füssen  trugen  die 
Frauen  Socken,  die  Schuhe  waren 
mit  Stickereien  verziert  und  aus- 
geschnitten. Das  Hemd  von  weisser 


sauber  gefältelt,  gestickt  und  gegür- 
tet. Das  oberste  Stück  endlich  ist 
der  mantel.  ärmellos  und  bis  auf  die 
Füsse  herabreichend,  unter  Umstän- 
den so  lang,  dass  er  von  Dienern 


Farbe,  leinen,  hänfen  oder  wollen,  l  nachgetragen  werden  musste.  Er  war 
wurde,  wie  alle  anderen  Kleidungs-  j  das  am  prächtigsten  ausgestattete 
sfücke,  bloss  bei  Tage  angelegt.  !  Kleidungsstück,  aussen  und  innen 
Es  wurde  dicht  an  den  Körper  ge- 
schnürt und  fiel  in  reichen  Falten 
bis    auf    die    Füsse;    der  obere 
Halsteil  des  Hemdes  war  mit  feinen 
Nähten,   mit  Gold-    und  Perlen- 
stickereien geziert,  oder  fein  gefältelt  und  oft  überaus  kostbar  ausgestattet, 
und  mit  Krausen    besetzt.     Eine  der  riuke  oder  Schnalle  aus  Gla* 


reich  verziert,  meist  mit  Hermelin 
gefüttert. 

Zu  den  Schmucksachen  der  Frauen 
gehört  der  Gürtel,  er  besteht  ans 
der  borte,  meist  aus  Seide  gewirkt 


oder  Edelsteinen,  und  dem  senket, 
d.  i.  dem  Metallbeschlag  an  dem 
andern  Ende  der  Borte,  der  durch 
die  rinke  durchgezogen  wurde  und 
vorn  lang  herabhing.  Namen  für 
Spangen  sind  die  nusehe,  der  für- 
di  n  viel  getadelt.     Ärmel  wurden  spange,  fazßirgespenge,  die  bratsche. 


Agraffe,  spange,  vürspange ,  sehloss 
die  Halsöffnung.  Sowohl  die  in  der 
zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrh.  auf- 
gekommene Sitte  der  Brustentblöss- 
ung  als  die  engen,  die  Körperformen 
s<  harf  hervorhebenden  Kleider  wur- 
geta 

erforderlichen  Falles  ans  Hemd  an- 
geschnürt oder  angeheftet  Es  waren 
zum  Teil  lange  Prunkarme!  von  kost- 
baren Stoffen     Der  rechte  Kleider-  Ältere  verheiratete  Frauen  bedeckten 
luxus  beginnt  erst  mit  dem  Hocke,  i  den  Kopf  mit  einem  Hute  aus  Samt, 
dessen  Schnitt  durch  die  französische  '  Pelzwerk  oder  Pfauenfedern. 
Mode  bestimmt  war,  nach  der  Fran-        Um  dasJJild  des  mittelalterlichen 
zot/ser  sifen,  in  dtm  snite  von  Franze,  Frauenlebens  in  weiterem  Umfange 


Dazu  kommen  Ohrrinqe,  Halsketten, 
Fingerringe,  ArmhiinAer.  Die  Hand- 
schuhe sind  von  Leder  oder  Seide. 


als  man  zc  Frankriche  pjliget.  Er 
reichte  bis  zu  den  Füssen  herab,  lag 


vor  sich  zu  haben,  müsste  man  die 
Frauenklöster  in  ihren  verschiedenen, 


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Frauen. 


221 


adligen  und  bürgerlichen  Gestaltun- 
gen, das  Frauenleben  der  niederen 
arbeitenden  Staude  und  nicht  minder 
das  Leben  der  fahrenden  Weiber 
sich  veranschaulichen;  der  letzteren 
gab  es  überaus  viele.  Noch  mannig- 
faltiger aber  gestaltete  sich  das 
Frauenlebeu  in  der  letzten  Zeit  des 
Mittelalters.  Zwar  blieben  einzelue 
Züge  des  höfischen  Lebens  auch  an 
den  späteren  Höfen  zu  Recht  be- 
stehen, ja  habeu  sich  als  Antiquitäten 
bis  heute  erhalten;  aber  der  Minne- 
kult starb  gründlich  ab,  wie  über- 
haupt die  im  12.  und  13.  Jahrhundert 
bestandene  Einheit  der  höfischen 
Bilduug  in  die  Krüch**  ging.  In  den 
Städten  zog  sich  die  Bürgerfrau  auf 
den  Kreis  ihrer  Häuslichkeit  zurück, 
denn  das  Gewerbe  und  der  Handel 
war  einzig  Sache  der  Männer.  An 
Stelle  des  Gegensatzes  zwischen 
schönen  und  hasslichen  Frauen,  zwi- 
schen solchen,  die  mimte t  und  sol- 
chen, die  unminne  geben,  zwischen 
hoher  und  niederer  Minne  tritt  der 
Gegensatz  zwischen  tagend-  und 
lasterhaften  Fraueu,  zwischen  keu- 
schen und  unkeuschen,  zwischen 
Weltdamen  und  frommen  Gemütern. 
Je  u.ehr  sich  aber  ein  Staud  niedriger 
Fraueu  von  dem  ehrbarer  Frauen 
absonderte,  desto  eher  mochten  die 
letzteren  in  der  Stille  des  Bürger- 
hauses gedeihen.  Sogar  in  den  Klö- 
stern tritt  der  moralische  Zwiespalt 
zwischen  frommen  und  liederlichen 
Genossenschaften  auf;  in  manchen 
Xonnenhausern  findet  die  Mystik 
ihre  sehöue  Pflege,  man  hat  Lieder 
und  beschauliche  Betrachtungen,  die 
in  Frauenklosteru  entstanden  sind; 
auch  Emsiedlerinneu  vermehren  sich 
wieder;  w  ie  umgekehrt  die  Chroniken 
viel  von  höelist  sittenlosem  Thun  in 
den  Frauenklöstern  berichten.  An 
Stelle  des  Minueliedes  tritt  das  Liebes- 
lied, das  zwar  zum  Teil  auch  frivolere 
Töne  anschlägt,  aber  im  ganzen 
mehr  den  Emst  der  Liebe,  das 
Schicksal  der  sich  treu  Liebenden, 
Trennung  und  Wiedersehen  besingt 


und  vielfach  ältere,  epische  und 
mythische  Züge  iu  sich  aufnimmt. 
Nach  Fadian  herrscht  in  St.  Gallen 
auch  ein  schoen  und  ti'ofqezo>ienefrou- 
teenzueftt,  mit  xchoenem  und  soubenn 
tcandel  und  erbarlich  bekleit  und 
guoter  sitten,  zuo  allerlei  arbeit  ge- 
schickt und  geneigt.  Das  reichste 
Bild  des  deutschen  Frauenlebens  im 
16  Jahrhundert  gewinnt  man  wohl 
aus  Haus  Sachs'  Gedichten,  wo  iu 
kräftigen  Farben  das  Leben  und 
Treiben  des  deutschen  Weibes,  des 
tilgend-  und  des  lasterhaften,  des 
milden  und  bösen,  des  armen  und 
reichen,  des  hohen  und  niedrigen 
in  Ernst  und  Scherz  geschildert  ist; 
folgende  Verse  aus  einem  seiner 
Gespräche,  „Da*  Brauten  L<J>  eine* 
Bidertceibs  ",  mögen  diesen  Artikel 
beschliessen. 

Ein  alter  Mann  spricht  zu  einem 
jungen,  der  kürzlich  ein  Weib  ge- 
nommen, mit  welchem  er  nicht  aus- 
kommt, und  der  deshalb  auf  die 
Frauen  schmäht: 

Sie  (mein  weib)  kocht,  spült,  kert, 
weacht,  nect  und  spinnt 
Und  zeucht  mit  fleiss  die  ihren  Kind, 
Ist  arbeitsam,  häuaslich  und  echtig, 
Embsig,  endlich,  weiss  und  fur- 
trech tig. 

Mit  allen  Dingen  in  dem  Hauss, 
Ich  sei  darin  oder  daraus«, 
Auch  sie  ist  messig,  nimbt  für  gut, 
Nachdem  die  Zeit  es  bringen  Uralt, 
All  ding  ist  wol  mit  ir  versehen, 
Ir   ding  muss  alls    mit   rat  ge- 
schehen, 

Auch  geht  sie  eylend  hin  ir  strass, 
Steht  uit  zu  blabbern  diss  und  das, 
Zu  unnütz  sie  mir  nichts  vergeit, 
Und  ist  mir  trew  zu  aller  zeit 
Ist  mir  auch  willig  Untertan, 
Zu  allem  dem  was  ich  will  hau, 
Zu   Bett   und   Tisch  freundlicher 
weiss, 

Meins  willens  hat  sie  allzeit  rleiss, 
Und  ob  sie  etwas  unrecht  tut: 
Straff  ichs,  so  nimbt  sie  es  für  gut ; 
Ob  gleich  ein  zoren  ich  an  fach. 
So  gütet  sie  und  gibt  mir  nac!  . 


■ 

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222 


Frauenhaus. 


Sie  ist  verstanden  und  verschwiegen, 
Mit    keinem    Nachbawrn    tut  sie 
kriegen. 

Wann  ich  trawrig,  unmutig  bin, 
Redt  sie  mir  das  auss  meinem  Sinn 
Und  tröstet  mich  mit  guten  Worten, 
Ist  mir  freundlich  an  allen  orten 
Ünd  alle  ding  zum  besten  wend. 
Dergleich  weiber  unzalbar  send, 
Die  ir  Mann  halten  lieb  und  wert 
Und    tun,   was  nur   ir  hertz  be- 
gehrt .  . . 
Ehweiber  halten  stete  Lieb 
Und  sind  ein  ehrentreiche  Krön 
Ihren  Mannen,  spricht  Salomon. 
Als  ich  selb  han  ein  ehrlich  Frawen, 
Der  ich  von  hertzen  tu  vertrawen, 
Die  sich  auch  also  züchtig  helt, 
Bey  jedermann  so  ehrbar  stelt, 
In  worten,  werken  und  geper, 
Dass  ich  sie  von  anfang  bissher 
Nit  hab  gespürt  mit  einem  wort 
Leichtfertig,  frech  an  keinem  ort, 
Geht  nit  vil  aus  dem  Haus  ma- 
yiren, 

Tut  sich  nit  übermessig  zieren, 
Sondern  fein  ehrbarlichund  schlecht; 
Mit  Mannsbilden  sie  nit  viel  sprecht, 
Sie  ist  nit  gögel  noch  furwitz, 
Noch  mit  spricnworten  jens  nocn  ditz, 
Man  hörts  nit  bubenliedlein  singen, 
Sie  ist  schamhaft  in  allen  dingen, 
Die  winkeltänz  sie  all  mal  fleucht, 
Unehrlich    Gspielschaft    sie  auch 

scheucht. 
Bey  mir  allein  da  ist  ir  wol, 
Sie  ist  ja  aller  Tugend  vol. 
Ohn  zal  findt  man  der  Weiber  mehr, 
Den  ir  sinn  steht  auf  Zucht  und  Ehr, 
Embsig,  freundlich,  in  Lieb  un- 

tadelich, 

Löblich,  und  wirdig  und  ganz  Adelich, 
Ein  auffenthalt  irs  Mannes  leben. 
Wem  Gott  ein  sotich  Weib  ist  geben, 
Den  spricht  auch  selig  Salomon. 

Das  Hauptwerk  über  diesen  Ge- 
genstand und  unsere  Hauptquelle  ist 
Weinhold ,  Die  deutschen  Frauen 
in  dem  Mittelalter.  2.  Aufl.  Wien 
1882;  andere  Quellen  sind  Schultz, 
Höfisches  Leben;  San  Marie,  Par- 
zival-Studien  III. 


Frau  en  Ii  aus,  mhd.  froutrenJkue, 
auch  Frauenzimmer,  Töchterhaus, 

Semeines  Haus,  freies  Haus,  offene« 
laus  genannt,  ist  eine  für  die  Un- 
zucht  bestehende   öffentliche  An- 
stalt.    Frauenhäuser   kommen  in 
Deutschland  schon  im  13.  Jahrb. 
vor  und  bestanden  in  allen  grösse- 
ren Städten.   Sie  sind  meist  Eigen- 
tum der  Obrigkeit  und  werden  durch 
Beamte    oder   Pächter  verwaltet. 
Auch  die  Kirche  stellte  solche  Hauser 
unter  ihren  Schutz,  wie  z.  B.  in 
Rom  selber  geschah.  Man  erkannte 
zwar  die  ünehrbarkeit  solcher  In- 
stitute, hielt  sie  aber  aufrecht,  um 
grösseres  Übel  zu  vermeiden.  EHe 
Einnahme  die  der  päpstlichen  Kam- 
mer jährlieh  aus  diesen  Anstalten 
zukam,  soll  im  16.  Jahrh.  manch- 
mal 20,000  Dukaten  betragen  haben. 
Manche  Frauenhäuser  sind  fürst- 
liche, bischöfliche  Reichslehen.  Ne- 
ben den  öffentlichen  Frauenhäusern 
bestanden  fast  überall  noch  heim- 
liehe Frauenhäuser,  von  Männern 
oder  von  Frauen  unterhalten;  Frauen- 
mrt,  Frauenmeister,  Huremcirt,  F'rrt- 
wirf  lieisst  der  Vorsteher  einer  obrig- 
keitlichen, Ruffian,  mhd.  ruf/tarn, 
rifßen,  rifßn,  Vufßgan  u.  dgl.,  vom 
ital.  ruffb,  ruffiano,  der  Mann,  der 
auf  eigene  Faust  dieses  Gewerbe 
treibt.   Auch  Gastwirte  trieben  das 
Gewerbe  und  unterhielten  fahrende 
Frauen  wochenlang.    Die  Häuser 
standen  entweder  direkt  unter  der 
Aufsicht  des  Rates  oder  des  Bürger- 
meisters,   oder   unter   einem  der 
niedrigsten  Beamten,  Scharfrichter, 
Stocker  u.dgl.  Die  Lage  der  Frauen- 
häuser war  überall  eine  abgeschie- 
dene, weder  in  der  Nähe  von  Kirchen 
noch  stark  bewohnten  Strassen,  oft 
an  der  Stadtmauer;  man  erkennt 
solche  Gegenden  zum  Teil  heute 
noch   an   ihren    Namen:  Frauen- 
gässchen  in  Nürnberg  und  Sehaff- 
hausen,  Frauenfleck  in  Wien,  Bider- 
gasse  in  Strassburg,  Frauenborn, 
Frauenturm,  Frauenpforte  in  Frank- 
furt a.  M.    Die  ältesten  Fraueu- 


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Frauenzimmer. 


223 


häuser  sind  die  beiden  Esslinger 
vom  Jahr  1300;  in  Zürich  wurde 
1314  ein  solches  aufgehoben.  Die 
Blüte  des  Instituts  im  15.  Jahrh. 
hängt  mit  dem  Reichtum  und  Luxus 
der  Städte  in  diesem  Jahrhundert 
zusammen.  In  den  zahlreich  erhal- 
tenen Frauenordnungen  wird  unter 
anderem  bestimmt,  dass  eine  Dirne 
unter  keiner  Bedingung  am  Aus- 
treten verhindert  werden  könne, 
auch  war  ihnen  die  Teilnahme  am 
Gottesdienst  gesichert;  besondere 
von  den  Hausbewohnern  unterhal- 
tene Kerzen  brannten  während  der 
Sonntagsnacht  in  der  Hauptkirche;  | 
am  Samstagabend  und  an  dengrossen 
Feiertagen  blieb  das  Haus  ge- 
schlossen; aucli  für  Krankenpflege 
und  Altersversorgung  der  Insassin- 
nen waren  au  manchen  Orten  Be- 
stimmungen getroffen.  In  betreff 
der  Männer  war  an  manchen  Orten 
verboten,  Priester  und  andere  ge- 
weihte Personen  einzulassen,  an  an- 
deren Orten  sollte  ein  Priester  nur 
nicht  über  Nacht  im  Hause  gelassen 
werden;  Ehemänner  waren  zum 
Teil  ebenfalls  ausgeschlossen,  oder 
sie  wurden  irn  Falle  des  Besuches 
mit  Gefängnis  oder  Geldbusso  ge- 
straft; den  Juden  waren  diese  Häuser 
überall  verboten.  Frauenwirte  und 
Dirnen  waren  überall  fremde  Leute, 
nicht  Bürger  und  Bürgerinnen.  Die 
Dirnen  waren  von  Obrigkeitswegen 
zu  einer  bestimmten,  auffälligen 
Tracht  angehalten;  diese  bestand 
in  einer  bestimmten  Art  von  Mänteln 
oder  Halskragen  oder  in  roterSchleife 
auf  der  linken  Schulter  oder  in 
einem  um  den  Ann  gewundenen 
Bande  von  bestimmter  Farbe.  Be- 
sonders die  gelbe  Farbe  war  hier 
bezeichnend;  in  Bern  und  Zürich 
trugen  sie  rote  K  ippchen.  An  vielen 
Orten  war  es  Sitte,  dass  man  die  Dir- 
nen bei  festlichen  Gelegenheiten, Tän- 
zen, Hochzeitsfesten  ins  Kathaus  oder 
in  Patrizierwohnungen  einlud.  Sie 
überreichten  die  Blumensträusse  und 
wurden  dafür  bewirtet.  Einziehen- 


den Fürsten  wurden  auf  Befehl  des 
Rates  durch  diese  Personen  Blumen- 
sträusse überreicht;  in  Wien  tanzten 
sie  öffentlich  mit  den  Handwerks- 
gesellen im  Beisein  von  Bürger- 
meister und  Rat  um  das  Johannis- 
feuer. Infolge  der  Reformation  wur- 
deu  in  protestantischen  und  in  ka- 
tholischen Städten  die  Frauenhäuser 
aufgehoben.  Nach  K riegle,  Deut- 
sches Bürgertum,  II,  Abschn.  15. 

Frauenzimmer,  aus  ahd.  empor, 
mhd.  zimtjer,  zimmer  =  Bauholz  und 
damit  errichtetes  Gebäude,  ist  ur- 
sprünglich Frauengemach,  Frauen- 
kammer und  seit  dem  15.  Jahr- 
hundert  vorkommend:   das  Wort 

Salt  gegenüber  Frauen  haua  (siehe 
ieses)  als  der  Aufenthalt  sittsamer 
oder  doch  vornehmer  Frauen,  Hof- 
frauen, z.  B. 

ihr  zarten  jungfraun  gross  und  klein, 
kommt  mit  ins  fr aucn zimmer  rein. 

Ayrer. 

Aus  dieser  ersten  Bedeutung  ent- 
wickelt sich  um  1500  die  kollektive 
Bedeutung  der  im  Zimmer  wohnen- 
den Frauen,  der  weiblichen  Diener- 
schaft, des  Gefolges  der  Fürstin, 
z.  B.  die  Herzogin  und  das  Frauen- 
zimmer; die  Musik  war  lieblich,  der 
Wein  gut,  das  Frauenzimmer  schön. 
Die  weitere  Bedeutung  Hess  den 
räunilieh  einheitlichen  Begriff  von 
Zimmer  fahren  und  nannte  Fraueu- 
zimmer  Frauen  inscemein,  in  der 
Regel  vornehme,  wohlgesittete.  Zu- 
letzt trat  aus  dem  Kollektiv  wieder 
die  Vorstellung  des  Individuums 
hervor,  wie  bei  Barsch  und  Kamerad, 
und  Frauenzimmer  wurde  der  Name 
für  eine  einzelne  und  zwar  eine  feine, 
gebildete  Frauensperson;  dieser  Ge- 
brauch des  Wortes  findet  sich  zu- 
erst bei  Opitz  in  der  1 622  geschrie- 
benen Schäferei:  „Wie  nun  ein 
Mensch  in  einem  Bilde  die  Kunst 
und  nicht  das  Bild,  in  einer  Pflanze 
die  Frucht  und  nicht  die  Pflanze 
liebet,  also  müssen  wir  in  einem 
schönen  Frauenzimmer  nicht  die 
Gestalt,  sondern  die  Schönheit  des 


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224 


Frcia,  Fria,  Fripg. 


Gemütes  erheben  uud  hochhalten." 
Häufig  wird  diese  Bedeutung  jedoch 
erat  zwischen  173«»  und  1750.  Grimm* 
Wörterbuch. 

Freia,  Fria,  Frigg,  Die  ger- 
manische Gottermutter  entsteht  aus 
der  Naturbedeutung  der  nährenden 
Wolke,  der  strahlenden  Sonne  und 
der  fruchttragenden  Erde,  nament-  i 
lieh  aus  der  ersten  dieser  drei  Be- 
deutungen; die  Wolkenfrau  ist  des  ; 
Sturmgottes  Gemahlin;  mit  ihr  sind 
dann  Vorstellungen  von  den  leuch- 
tenden Frauen  der  Morgenrote  und 
Sonnt«  zusammengeflossen,  und  die 
Vorstellung  der  Wolkengöttin  im 
Getreidefeld  bringt  sie  der  Erdgöttin 
nahe.  Dass  aber  ihre  Naturbedeu- 
tung früh  durch  ethische  Gedanken 
vergeistigt  worden  ist,  bezeugt  ihr 
ältester  Name,  Friia,  Fria,  Fred, 
d.  h.  die  Liebende,  Freundliche. 
Neben  diesen  Namen  erscheint  aber 
auch  die  niederdeutsche,  verdichtete 
Form  desselben  Wortes,  Frikka. 
Sie  entnimmt  ihre  ethischen  Züge 
dem  Walten  der  deutscheu  Frau  \ 
und  Mutter,  der  Herrseherin  auf 
dem  Hofe;  wie  diese  spinnt  und 
wirkt  und  webt  sie  uud  hält  Auf- 
sicht über  die  Knechte,  Mägde  und 
Kinder.  Auf  der  Hausfrau  ruht  die 
Behaglichkeit  und  das  Glück  des 
Hauses.  Im  Meetsaale  sitzt  sie,  gold- 
geschmückt, mit  leuchtender  Augen- 
braue, des  Mannes  Bankgenossin, 
obenan.  Vom  Rat  und  Ausspruch  1 
der  Frauen  machte  der  Germane 
oft  den  Beginn  des  Kampfes  ab- 
hängig; einzelne  Frauen  standen  als 
Beraterinnen  ganzer  Völker  in  fast 
göttlichem  Ansehen.  Schon  im  4 
Jahrhundert  erhielt  der  sechste 
Wochentag,  dies  Veneria,  nach  Fria, 
den  Namen  Friatac,  Frigetac,  Frei- 
iaa, Als  Guttin  der  sturmgejagten 
Wolke  erseheint  Fria  als  iritde 
Jägerin,  die  gleich  Wodan  zur  Zeit 
der  Wintersonnenwende  nachts  durch 
die  Luft  tobt;  dann  hält  sie,  wie  I 
souter  im  Frühling,  einen  segnenden 
Umzug  durchs  Land.  Sie  geht  von 


Haus  zu  Haus  und  schaut  in  die 
Stuben,  ob  die  Madchen  den  Flach* 
vom  Spinnrocken  gesponnen  habet.; 
ist  das  nicht  geschehen,  so  verun- 
reinigt sie  das  Gespinst,  Qtni 
halt  sich  die  Göttin  in  Waldern  ui.d 
unter  Weidenbäuinen  auf;  da  aittf 
sie  am  stillen  See  und  spinnt  ui  i 
haspelt  mit  ihrem  grossen  Daumt  i.. 
und  all  ihr  Gespinst  wird  klares 
Gold.  Wie  Wodan  seiner  Gemahlin 
im  Sturme  nachjagt,  so  streift  um- 
gekehrt Frau  Frien,  mit  weisser 
Haube  und  weissem,  laugberabw&i- 
lendem  Gewände  angetban,  weineii<i 
und  klagend  über  Berg  und  Thai, 
ihren  Gemahl  oder  Freier  zu  suclwa 
Ihr  eigentlicher  Wohnsitz  aber  ut 
im  Himmel  Als  Himmel>göm:i 
trägt  fcie  ein  leuchtendes  Halsp- 
schmeide,  Brosingamenc.  Sie  !>ttht 
dem  Ackerbau  vor,  wird  als  Fuhrr- 
rin  der  wilden  Ja^d,  die  aus  Seelen 
besteht,  Todesnot  tin,  und  w  ird  ausser- 
dem  als  Gottiii  der  Ehe  und  da 
Geburt  verehrt. 

Ausser  dem  ältesten  Namen  FrU, 
der  in  Ortsnamen  überall  in  Deutsch- 
land und  in  der  Volksaage  der  Ukef- 
mark  und  der  Altmark  heute  noch 
fortlebt,  führt  die  Gottin  noch  Ite- 
nameu,  unter  welchen  sie  in  andere» 
Landschaften  zum  Teil  mit  be*.'Q- 
derer  Betonung  einzelner  Züge  ver- 
ehrt wird:  In  der  Frießnitz  und  i» 
Mecklenburg  heisst  sie  Frau  fl«k 
oder  Mauden,  in  anderen  Teileu  der 
Mark  Frau  Hera  oder  Harke,  n 
Thüringen,  Hessen  und  Tirol  ZfW*» 
im  übrigen  Oberdeutschland  Berti* 
auf  altfränkischem  Boden  HrodsOü 

Frau  Hode,  Hauden  oder  Hat» 
ist  aus  H'oda,  der  weiblichen  F<»nt 
von  Wödau  entstanden.  Ihre  Ge- 
stalt ist  weuiger  entwickelt  ab  drt 
der  Hulda,  Hulda,  Holte.  Die*  , 
ist  eine  Frau  von  wunderbarst 
Schönheit  mit  langem,  goldgvl 
Haar,  langem,  weissem  Gewand 
Schleier.  Sie  sendet  als  Wolke»* 
göttin  Schnee  und  Regen.  Weua 
die  weissen  Schneeflocken  tüe**iw 


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Freia,  Fria,  Frigg. 


225 


sagt  man,  Frau  Holle  schütte  die 
Federn  ihres  Bettes  oder  sie  schlage 
ihren  weissen  Mantel  auseinander. 
Auf  einem  prächtigen  Schimmel 
reitet  sie  über  Land  und  Wasser, 
Satteldecke  und  Gezäume  mit  silber- 
nen Rollchen  und  Glöckchen  besetzt. 
Ein  Gefolge  göttlicher  Frauen  und 
Jungfrauen,  auf  Katzen  reitend,  be- 
gleitet sie,  oder  das  wütende  Heer. 
Mit  ihrem  Gefolge  schlägt  sie  ihren 
Wohnsitz  in  Bergen  auf,  aus  denen 
sie  nachts  hervorstürmt,  um  am 
Morgen  zu  ihnen  zurückzukehren. 
Das  Innere  des  Berges,  eigentlich 
der  als  Berg  gedachten  Wolke,  die 
das  glanzvolle  Himmelsgewölbe  be- 
deckt, sieht  aus  wie  ein  grosses, 
lichterhelltes  Gewölbe.  Im  15.  Jahr- 
hundert wurde  dem  gelehrten  Zuge 
der  Zeit  gemäss  dieser  Berg  zum 
Venunberq  umgewandelt;  hier  halt 
sie  durch  ihren  Zauber  den  Tann- 
häuser gefangen.  Dem  Wodan  als 
Friedrich  Barbarossa  im  Kyffhäuser 
steht  Holda  als  Schafiherin  zur  Seite. 
Wenn  die  Göttin  mit  dem  wüten- 
den Heere  aus  ihrem  Berge  heraus- 
zieht, schreitet  ein  alter  Mann  mit 
langem  Barte  und  weissem  Stabe 
vorauf,  der  freue  Eckhart  geheissen 
(siehe  diesen  Artikel). 

Ein  anderer  Wohnsitz  der  Göttin, 
der  ebenfalls  von  der  Wolke  seinen 
Ursprung  hat,  ist  ein  See  oder  Brun- 
nen. Unter  dem  Wasser  eines  Brun- 
nens besitzt  Holda  einen  wunder- 
lieblichen Garten,  hier  nimmt  sie 
die  Seelen  der  Verstorbenen  in  Em- 
pfang und  sendet  Bie  wiedergeboren 
als  Kinderseelen  auf  die  Erde  zu- 
rück. Das  ist  der  Ursprung  der 
Sage  vom  Jungbrunnen  oder  Quick- 
born und  des'  Glaubens,  dass  die 
neugeborenen  Kinder  aus  dem  Brun- 
nen kommen.  Hier  holt  sie  der 
S/isrch,  Adebar  oder  Odebar,  welcher 
der  Vogel  der  Freia  ist.  Vom  Him- 
mel herunter,  aus  den  Wolken,  bringt 
der  Marienkäfer,  das  Herrgotts- 
pferd, die  Seelen  der  Kinder,  er 
neisst    deshalb    auch  Sonnenkalb, 

Real  lex  (cera  der  deutschen  Altertümer. 


Mondkalb,  Sonnenhühnchen,  Frauen- 
kühlein. 

Iii  Oberdeutschland  hat  die  ger- 
manische Göttermutter  den  Namen 
Bertha,  Perahta,  die  Glänzende,  an- 
genommen. In  ihrem  Heere  finden 
sich  die  Seelen  der  ungeborenen 
oder  der  ungetauft  verstorbenen 
Kinder,  in  Thüringen  Heimchen 
genannt  Mit  diesen  sorgt  sie  für 
die  Fruchtbarkeit  der  Äcker.  Ihr 
Tag,  Perchtentag,  fallt  auf  den  30. 
Dezember,  den  2.  oder  6.  Januar, 
also  jedenfalls  in  die  Zwölfnächte. 
Stehende  Festspeise  in  Thüringen 
ist  dann  ein  Gericht  von  Fischen 
und  Klössen  oder  Brei  mit  Heringen, 
was  als  eine  uralte  germanische 
Götterspeise  galt;  an  andern  Orten 
sind  andere  Festspeisen  oder -gebäcke 
als  Erinnerung  an  die  alten  Opfer 
gebräuchlich.  Insofern  die  Göttin 
Bertha  den  Geist  des  Sterbenden 
empfängt,  wird  sie  zur  Todes- 
göttin. Umzüge  der  Frau  Pereh  sind 
immer  noch  in  Gebrauch.  In  der 
fränkischen  Sage  wurde  Berchta  als 
Ahn  muff  er  der  Menschheit  oder  des 
königlichen  Geschlechtes  aufgefasst. 
Bei  den  Franzosen  und  Italienern 
bezeichnet  man  seit  alters  das  gol- 
dene Zeitalter  mit  dem  Ausdrucke: 
ah  Bertha  spann.  Später  hat  sich 
diese  Sage  mit  der  Mutter  Karls 
des  Grossen,  Bertrada,  und  der 
Neuburgundischen  Königin  Bertha 
vermisent.  Als  Ahnmutter  fürst- 
licher Häuser  geht  sie  als  weisse 
Frau,  weisse  Dame  um  und  ver- 
kündet ihren  Nachkommen  Glück 
oder  Unglück;  so  in  den  Schlössern 
zu  Berlin,  Ansbach,  Baireuth,  Neu- 
haus und  Rosenberg  in  Böhmen. 
In  überaus  zahlreichen  Sagen  wäscht 
die  weisse  Frau  weisse  Wäsche  im 
See  oder  an  Quellen  oder  in  Brunnen 
und  hängt  sie  bei  Sonnen-oder  Mond- 
schein auf  oder  bleicht  sie  auf  der 
Wiese. 

In  einigen  sächsischen  Gegenden 
hiess  die  Göttin  Hera,  in  der  Mark 
Kerke  oder  Harke,  in  Thüringen 

15 


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226 


Freia,  Fria,  Frigg. 


Frau  Nolle,  im  Harz  die Haulemutter 
oder  die  Klagefrau,  in  Tirol  Frau 
Stempe  oder  Stampa;  Mutter  Rosa 
hellst  sie  in  einem  Kinderspiel.  In 
Süd-  und  Mitteldeutschland  erscheint 
die  weisse  Frau  als  Urschel,  Ursel, 
Ol  sehet,  lforset,  Ursula,  von  us, 
brennen,  leuchten,  weiss  oder  schwarz 

gekleidet,  immer  mit  einem  grossen 
chlüsselbund  am  Gürtel;  sie  be- 
waeht  Sehätze  und  will  erlöst  sein; 
auch  den  schwarzen  Hund  hat  sie 
bei  sich ;  bisweilen  erscheint  sie  ohne 
Kopf.  Diese  Form  der  Göttin  geht 
dann  auf  diejenige  der  verwünschten 
Burgj'nuitein  über;  diese  erscheinen 
einzeln  oder  zwei,  am  häufigsten 
drei,  in  letzterem  Falle  oft  die  eine 
weiss,  die  audere  halb  schwarz,  die 
dritte  ganz  schwarz;  sie  berühren 
sich  ausser  mit  der  Himmelsmutter 
mit  der  Todesgöttin  Hei. 

Viele  Beziehungen  und  Züge  der 
Freia  als  Himmelskönigin  sind  später 
auf Maria  übergegangen;  auch  diese 
waltet  in  Donner  und  Blitz  und  wirft 
mit  goldenen  Kugeln.  Die  Marien- 
feste stehen  in  besonderer  Bezie- 
hung zum  Wetter  und  zu  Heilkräu- 
tern, besonders  Mariä  Kräuterweihe. 
Schon  im  Mittelalter  wurde  Maria 
um  Regen  angefleht;  der  Regenbogen 
ist  der  Saum  ihres  Gewandes,  der 
Schnee  das  „Ingefieder"  ihres  Bettes; 
daher  Marienschnee  oder  Maria  im 
Schnee,  Maria  in  nive  oder  ad  nives 
der  Name  verschiedener,  auf  Bergen 
gelegener  Wallfahrtskirchen.  In  vie- 
len Sagen  erscheint  Maria  als  Spin- 
nerin. Sie  kommt  wie  Holle  um  die 
Weihnachtszeit  des  Nachts  in  die 
Häuser  und  sieht  zu,  ob  in  der  Küche 
alles  ordentlich  ist.  Die  volkstüm- 
lichen Marienbilder  haben  wie  Hulda 
fast  alle  blondes  Haar;  ein  der  Freia 
gehörendes  Farrenkraut  heisst  Ma- 
rien^ras;  Marienflachs  deutet  auf 
die  Spiunerin.  Beiden  Frauen,  Holda 
und  Maria,  ist  die  Rose  geweiht, 
Maria  trocknet  ihren  Schleier  gern 
auf  Rosensträuchern.  Der  der  Hulda 
gehörende   Sommerkäfer,  Sonuen- 


käfer,  Sonnen  kälbchen  heisst  auch 
Marienkäfer,  Marienkühlein. 

Als  „Christkind"  erscheint  di? 
Göttin  am  Weihnachtsabend  zur 
Seite  des  Knechtes  Ruprecht  od« 
des  Niklas  oder  Josephs,  als  weiß- 
gekleidete, verschleierte  weibliche 
Gestalt;  sie  heisst  auch  Engel,  Mahn. 
Mutter  Gottes,  Frau  Bertha,  Fm 
Hulda,  beschenkt  die  Kinder  mit 
Äpfeln,  vergoldeten  Nüssen,  «Je: 
straft  sie  mit  der  Rute.  An  manch*  u 
Orten  kommt  sie  allein. 

Auch  als  krieg erisehe  Göttin  tri« 
die  Himmel8inutter  unter  dem  Na- 
men Hilde  auf;  in  Bayern  hins 
Berchta  auch  Hildabertka. 

In  der  skandinavischen  Mytho- 
logie tritt  die  Göttermutter  unter 
dem  Namen  Frigg,  Freyja  und  Ii- 
hunn  auf. 

Frigq,  entsprechend  dem  deut- 
schen brücke,  ist  die  vornehmste 
der  Asinnen,  Herrscheriu  des  Him- 
mels und  Odhins  Hausfrau.  W 
ihr  und  dem  Götterkönig  ist  dir 
Göttergeschlecht  entsprungen.  Ä 
wefcs  alles,  was  sich  begiebt, 
wohl  sie  nicht  davon  redet  S»! 
spinnt  auf  goldenem  Rocken.  Kin- 
derlose Leute  flehen  sie  um  N»^ 
kommenschaft  an.  Ihre  königliches 
Dienerinnen  sind  Füll  oder 
welche  Friggs  SchmuekkastebcM 
trägt,  ihres  Schuhwerks  wartet  m 
teilnimmt  an  ihrem  heimlichen  Rat«; 
Hl  in  oder  Hlyn  hat  das  Amt.  tfc 
Menschen  zu  beschirmen,  welefc 
Frigg  vor  Gefahr  behüten  will; 
Gna  ist  die  Botin  Friggs. 

Freyja,  got.  Frauio,  ahd. 
mhd.  vrouwe,  nhd.  Frau, 
Erfreuende,  Frohe,  die  Herrin, 
ebenfalls  nur  eine  Nebengestalt  litt 
selben  Göttin.  Sie  gehört  dem  Wauer 
geschlechte  an.  Sie  ist  FreysSehirc^ 
und  Njördhs  Tochter.  Sie  seh«« 
in  Falkengestalt  durch  die  Lüfte 
wird  von  ihrem  Eber  mit  den  lol 
den  Borsten  im  Wagen  gei 
Gewöhnlich  aber  bilden  zwei  Kata 
ihr  Gespann.    Auch  ihre  Brust  b* 


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Freidank. 


227 


deckt  der  leuchtende  Halsschmuck 
Brosinqame.  Sie  ist  Gebieterin  der 
Valkyrien.  Während  die  Himmels- 
königin mehr  das  heilige  Leben  der 
Ehe  beschirmt,  nimmt  Freyia  sich 
vorzugsweise  der  zarten  erblühen- 
den Liebe  an.  Die  dritte  Gestalt, 
unter  der  die  Himmelsmutter  bei  den 
Skandinaviern  erscheint,  htldktmn; 
in  ihr  sind  die  Himmels wasser  oder 
die  Wasser  überhaupt  iu  ihrer  heil- 
kräftigen Bedeutung  personifiziert. 
Sie  wohnt  in  Brunnalcr,  Brunnen- 
feld, und  verwahrt  Goldäpfel,  deren 
Genuas  den  Göttern  ewige  Jugend 
und  Unsterblichkeit  verleiht.  Nach 
Jfan»Atfrc*/,Götter,VIII,und  Wuttke, 
Aberglaube,  §  23  ff. 

Freidank  heisst  oder  nennt  sich 
der  Verfasser  der  Bescheidenheit, 
eines  mittelhochdeutschen  Spruch- 
gedichtes aus  der  Blütezeit  der  höfi- 
schen Litteratur.  Über  die  Person 
des  Verfassers  herrscht  Dunkel; 
Wilhelm  Grimm  machte  den  Versuch, 
die  Identität  Freidanks  mit  Walther 
von  der  Vogelweide  zu  beweisen; 
doch  ist  seine  Ansicht  nicht  durch- 
gedrungen. Dagegen  ist  bis  letzt 
nicht  sicher,  ob  der  Name  Freidank 
der  überlieferte  Familienname  des 
Dichters  oder  ein  angenommener 
Name  ist  Für  das  erstere  spricht 
eine  Notiz  in  dem  Buche  des  Nürn- 
berger Arztes  Hartmann  Schedel, 
Opus  de  antiauifatibus,  worin  der 
Verfasser  erzählt,  er  sei  auf  einer 
Kunstreise  um  1466  iu  Treviso  ge- 
wesen und  habe  daselbst  das  wohl- 
erhaltene  Grabmal  Freidanks  ge- 
sehen, mit  der  Inschrift: 

Ilye  leit  Fregdanck, 

gar  on  all  sein  danck, 

der  alteeg  sprach  und  nie  sanck. 
Doch  ist  die  Identität  auch  dieses 
Freydanck  mit  dem  Dichter  der  Be- 
scheidenheit nicht  nachgewiesen. 
Sicher  ist,  dass  Freidauk  ein  fah- 
render Dichter  aus  Schwaben  war, 
der  zwischen  1216  und  1240  dichtete 
und  unter  anderem  Kaiser  Fried- 
rich It.  auf  seinem  Kreuzzug  be- 


gleitete. Das  Snruchgcdicht  trägt 
den  Namen  Bescheidenheit,  d.  h.  Le- 
bensweisheit: 

Ich  bin  genant  Bescheidenheit, 
diu  aller  tagende  kröne  treit. 
mich  hdt  berihtet  Frida  nc, 
ein  teil  von  sinnen  die  sint  kranc. 
Zwar  im  ganzen  auf  dem  Boden 
mittelalterlicher  und  ritterlieherWelt- 
ansehauuug  stehend,  ist  er  doch, 
'  soweit  reiche  Lebenserfahrung,  Men- 
schenkenntnis, ein  scharfes  Auge  für 
das  Ganze  es  gestatten,  ein  freier 
Denker,  der  überall  von  der  zufalligen, 
konventionellen  Form  des  Denkens, 
Glaubens,  Handelns,  des  gesellschaft- 
lichen Lebens  und  Treibens  der  Zeit 
den  tieferen  Grund  bleibender  Wahr- 
heit zu  erkennen  trachtet  und  sieh 
vornehmlich  deshalb  als  geistiger 
Genosse  Walthers  von  der  Vogel- 
weide kundgiebt.  In  wenig  zusam- 
menhängenden Einzelsprüchen  und 
Reimpaaren,  die  sich  nur  zuweilen 
häufen,  bespricht  er  alle  möglichen 
Verhältnisse  von  den  Dingen  dieser 
und  jener  Welt;  von  Gott  und  Natur, 
Himmel  und  Erde,  Staat  und  Kirche. 
Spätere  Handschriften  haben  die 
Sammlung  in  kleinere  Abschnitte 
geteilt,  welche  folgende  Überschriften 
tragen :  von  gote.  von  der  messe,  der 
sUe,  den  menschen,  den  jaden,  den 
ketzern,  wuocher,  hochvart,  werlde, 
sünden,  riehen  und  armen,  triuwe 
and  untriuwe,  dieben,  spile,  dieneste, 
rechte  und  unrechte,  edeh  und  fügende, 
alter,  blinden,  konege,  gewinne  und 
guote,  sorgen,  arzdten  und  siechen, 
nide,  lobe,  schelte nne,  gesellen,  zorne, 
himelriche  und  helle,  pf offen,  küneqen 
und  Jursfen,  wtsen  und  t6ren,  mitten 
und  kargen,  Sre,  trunkenheit,  friun- 
den,  minne  und  teilten,  erkantnisse, 
hunger,  wäne,  guot  und  Übele,  un- 
künde,  tieren,  schätz  und  pfenning, 
Röme,  AJcers,  zungen,  liegen  und 
triegen,  endekrist,  Gotes  geböte,  tode, 
junqestertac,gel>el.  Es  ist  ein  seltener, 
wahrhaft  erquickender  Reichtum  au 
Sprüchen  der  Weisheit,  den  besten 
Spruchgedichten  alter   und  neuer 

15* 


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228 


Freie  Künste.  —  Freier  Stand. 


Litteraturen  würdig  an  die  Seite  zu  1  den  Kindern  des  Freien  notwendig 
stellen.  Über  die  Quollen  der  Dich-  ist  Erst  in  der  letzten  Zeit  der 
tun-  und  über  die  Art  ihrer  Be-  römischen  Bildung,  besonders  durch 
nutzung  gehen  die  Erklärer  auch  Marcianus  Capelfa  in  seinem  Buche 
auseinander;  während  die  einen  die  De  nuptiis  philologiae  et  Mercurii, 
Bescheidenheit  als  ein  planvoll  ge-  und  durch  Boethius,  beide  im  5.  Jahr- 
arbeitetes  Gedicht  rühmen,  sehen  hundert  lebend,  wurden  die  Objekte 
andere  in  ihm  bloss  eine  Kompilation  der  elementaren  und  höheren  Bildung 
von  Bibelsprüchen,  Distichen  Catos,  in  derjenigen  schulgerechten  Ord- 
Fabeln  des  Äsop,  Stellen  aus  den  Etv-  Illing  zusammengestellt,  welche  durch 
mologien  des  Isidor,  antiken  Schrift-  das  ganze  Mittelalter  hindurch  die 
stellern,  Scneea,  Ovid,  Horaz,  Virgil, ,  herrschende  blieb.  Die  »entern  artet 
Cicero,  Plautus;  auch  zeitgenössische  lif>erales  zerfielen  darnach  in  das 
Dichter,  wie  Heinrich  von  Mölk,  den  '  trivium,  welches  den  unteren  Kurs 
Welsehen  Gast,  Winsbeke  und  Wal- 1  umschloss  und  aus  Grammatik,  Rhe- 
ther  soll  er  reichlich  ausgeschrieben  torik  und  Dialektik  bestand,  und  in 
haben;  Freidank  habe  nur  eine  den  oberen  Kurs  des  quadririum 
Blütenlese  des  Besten  geben  wollen,  mit  Arithmetik,  Musik,  Geometrie 
was  ihm  von  Maximen  und  Reflexionen  und  Astronomie.  Der  rersu*  me- 
aus  alter  und  neuer  Z»it  bekannt  moriaiis  heisst: 
war  und  in  das  er  den  eigenen  Vor-  j  Lingua,  tropus,  ratio,  numerus,  fenor, 
rat  einwob.     In   jedem  Fall  aber  angelus,  astra. 

bliebe  dem  Dichter  die  Form,  durch  Ein  Magister  artium  liberalium  war 
die  er  diesen  Vorrat  erst  dem  Volke  eben  ein  Lehrer  oder  Meister  der 
und  seiner  Zeit  nahe  brachte,  und  sieben  freien  Künste,  und  die  Fa- 
der freie  Gedanke,  die  freie  Lebens-  kultät,  welche  dieselben  lehrte,  hiese 
auffassung,  die  den  geistigen  Kern  Artistenfakultät.  Im  früheren  Mittei- 
des Ganzen  bildet;  er  entkleidet  alter  hiessen  sie  die  siben  liste  frie. 
gleichsam  die  einseitige  Denkweise  Die  sieben  freien  Künste  wurden 
der  geistlichen  und  der  höfischen  oft  abgebildet,  z.  B.  im  Hortus  de- 
Dichter  ihres  besonderen  Gewandes  iieiarum  der  Herrad  von  Landabere; 
und  bildet  aus  ihr  eine  Lebensweis-  Fig.  57  stammt  aus  der  Margaritka 
heit  des  Volkes;  daher  denn  auch  ,  phtlosophica  des  Karthäusers  Greqor 
das  Buch  den  Untergang  der  höfi-  Heisch,  Ende  des  15.  Jahrb.,  worüber 
sehen  Bildung  um  Jahrhunderte  über-  man  den  Artikel  Schulwesen  ver- 
dauert hat.  Das  Gedicht  hat  sehr  gleiche,  gegen  Ende, 
zahlreiche  Handschriften  veranlasst,  Freier  Stand.  Zu  Tacitua  Zeit 
ist  ins  Niederdeutsche,  ins  Nieder-  teilt  sich  das  Volk  der  Deutschen 
ländische,  ins  Lateinische  übertragen  in  drei  Stand»' :  Adlige,  Freie  und 
worden.  Sebastian  Brant  hat  es  ■  Höriqe.  Der  Hauptteil  und  die  Kraft 
1508  in  erneuerter  Form  zum  Drucke  des  Volkes,  die  wahren  Volksgcuos- 
gebracht;  der  Name  Freidank  wurde  |  sen,  sind  die  Freien;  der  Name/r« 
als  besonders  ehrenvoll  auf  ähnliche  geht  durch  alle  deutschen  Zungen. 
Dichter  nach  ihm  übertragen.  Noch  daneben  friman,  frihals  und  bei  den 
Rollcnhagen  hat  im  Frosehmäuseler  Sachsen  friling.  Die  Geburt  von 
den  Freidank  benutzt.  Erst  im  17.  freien  Eltern  gab  die  Freiheit;  doch 
Jahrhundert  verseil  windet  seine  Spur.  I  mochte  der  Herr  seine  mit  einer 
Auagaben  von  Wilhelm  Grimm  und  Sklavin  erzeugten  Kinder  wie  acine 
von  Bezzenberger.  echten  Kinder  halten.    Der  umge- 

Freie  KUnste,  die  Übersetzung  kehrte  Fall  dagegen  kam  in  germa- 
von  artes  liberales,  sind  ursprünglich  '  nischer  Zeit  nicht  vor:  eine  freie 
diejenigen  Künste ,  deren  Studium  '  Mutter,  die  von  einem  Knechte  Kin- 


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Freier  Stand. 


229 


der  gewann,  verfiel  der  schmählich-  lange,  lockige  Haar,  Knechte  und 
aten  Todesstrafe  oder  Knechtschaft.  |  Unmündige   hatten    ihr   Haar  zu 


Fig.  57.    Aus  der  Margarita  philosophicn. 

Zur  Freiheit  gehört  notwendig  eige-  scheren.  Jeder  Freie  hat  das  Recht, 

ner   (i ntTidbesitz.     Der  Frcigclas-  unbehindert  zu  gehen,  wohin  er  icill, 

■BM  blieb  ein   Höriger.  Äusseres  es  folgt  ihm  kein  Herr  nach,  der 

Kennzeichen    des    Freien   ist    das  ihn  zurückverlangen  darf,   er  ist 


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230 


Freier  Stand. 


nicht  an  die  Scholle  gebunden.  Das 
Wergeid  wird  nach  demjenigen  des 
Freien  gemessen:  der  Lite  oder  Frei- 
gelassene hatte  das  halbe,  der  Adlige 
das  doppelte  Wergeid  des  Freien. 
Zum  Rechte  der  Freien  gehört  das 
Waffenrecht ';  seine  Waffen  legt  der 
Freie  von  der  Wehrhaftmachung  an 
bis  zum  Tode  nicht  wieder  ab,  sie 
folgen  ihm  sogar  ins  Grab.  Schwert 
und  Lanze  gelten  als  Zeichen  der 
Freiheit.  Die  Waffen  strecken  heisst 
sieh  der  Freiheit  begeben.  Ein  wei- 
teres Recht  und  zugleich  Pflicht  des 
Freien  ist  Teilnahme  an  Volksver- 
sammlung und  Gericht.  Der  Freie 
kann  seine  Freiheit  preisgeben,  z.  B. 
durchs  Spiel. 

Infolge  der  Völkerwanderung  und 
namentlich  infolge  der  staatlichen 
Neubildungen  durch  die  Gründung 
des  Frankenreiches  verwischte  sich 
die  frühere  strenge  Scheidung  zwi- 
schen Freien  und  Unfreien  und  es 
bildeten  sich  eigentümliche  Über- 
gange und  Zwischenstufen.  Knechte 
wurden  waffenfähig  und  stiegen  da- 
durch bei  dem  Könige  oder  vor- 
nehmen Herrn  zu  Ansehen  und  Ein- 
fluss,  die  Zahl  der  Freigelassenen 
vermehrte  sich,  römische  Stände 
mittlerer  Freiheit  fanden  bei  den 
Deutschen  Eingang  und  Verbrei- 
tung; Freigeborene  traten  in  Ab- 
hängigkeit und  Dienst  zu  auderen, 
lebten  in  ihrem  Haus  und  empfingen 
von  ihnen  Land  zu  Lehen.  Aus 
der  Zahl  der  Freien  steigt  eine  An- 
zahl durch  Macht  und  Reichtum 
über  die  früheren  Standesgenossen 
empor.  Hauptsache  für  den  Freien 
bleibt  aber  immer  der  freie  Grund- 
besitz. An  letzteren  knüpft  sieh  auch 
jetzt  noch  die  Teilnahme  an  den  ge- 
richtlichen Geschäften,  nur  dass  jetzt 
das  alte  Recht  in  einen  Zwang  ver- 
wandelt ist.  So  war  auch  der  freie 
Grundbesitzer  allein  zur  Heercsfolgc 
verpflichtet. 

In  der  Karolinger-Zeit  geht  der 
Umwandlungsprozess  der  Stände 
noch  rascher  von  statten;  Freiheit 


mit  freiem  Grundbesitz  verbinden, 
ist  so  selten  geworden,  dass  man 
einen  Besitzer  desselben  mMla 
nennt;  der  gewöhnliche  Name  für 
diesen  Stand  ist  aber  boni  homiw, 
sie  allein  konnten  zu  Schöffen  herai  - 
gezogen  werden;  aber  auch  <n> 
Gau-  und  Schöffengerichte  vur 
den  von  den  zahlreichen  amlor  is 
Gerichten  mehr  und  mehr  venlrintf. 
Ebenso  ist  unter  den  Karolinen: 
der  Heerdienst  zwar  uoch  eine  all- 
gemeine Pflicht  des  grundbeste 
den  Freien,  aber  schon  jetzt  wir« 
zahlreiche  Männer  vorhanden.  & 
ohne  Freiheit  und  Grundbesitz  Arr 
persönlichen  Stellung  zufolge  zua 
Waffendienst  verpflichtet  waren.  ntf 
die  Reiterei  machte  schon  uutff 
Karl  dem  Grossen  cineo  anwhi- 
lichen  Teil  des  Heeres  aus:  «lie** 
aber  bestand  nicht  aus  den  ^ewoinr 
liehen  Freien,  die  den  Heerbann  R 
leisten  hatten. 

Immer  mehr  traten  an  Stelle '1* 
durch  Geburt  und  Grundbesitz  be- 
dingten Freiheit  andere  Verhältnis1, 
welche  die  Bedeutung  und  den  VTcrt 
eines  Mannes  bedingen:  die  Stelltraf 
im  Reich  und  zu  den  verschied 
Gewalten  desselben,  der  Besitz 
Ämtern,  Rechten  uud  Gütern. 
Dienst,  den  man  leistet,  der  BV 
den  der  einzelne  betreibt,  das  L»tw 
in  einer  Stadt  oder  auf  dem  Lan«. 
Zwar  wird  der  Unterschied 
Freien  und  Knechten  noch  imnw 
gemacht,  besonders  in  RechtsgeseHtf 
ten ;  aber  andere  Unterschiede, 
der  zwischen  Adligen  um!  Cr»» 
ligen,  Bürgern  und  Bauern,  Rin>ri 
und  Kauf  leuten,  sind  gebräuchlich 
und  dem  Geist  der  Zeit  an^nr/* 
sener.-  Doch  war  die  Zahl  der  Freie« 
noch  im  11.  Jahrhundert  sowohl  a 
den  Städten  als  auf  dem  La^ 
keine  geringe;  es  überwog  aber& 
Zahl  der  Halbfreien  und  der  C» 
freien  dergestalt,  dass  vielfach  iä 
bewahrte  Freiheit  den  Inhaber  « 
den  Stand  des  Adels  erhob:  tl**"» 
ist  der  Ursprung  desjenigen  Adti» 


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Freiherr.  —  Freimaurerei. 


231 


der  .«ich  uihd.  rri  nannte,  später 
Freiherr.  Die  nicht  adlig  gewor- 
denen echten  Freien  hcissen  im 
Sachsenspiegel  die  Sehoffenbarj Veten, 
scepenbure  vrie,  im  Schwabenspiegel 
die  Mittel  freien,  mittel  rrie ,  doch 
Ut  diese  Klasse  in  beiden  Spiegeln 
schon  im  engem  Zusammenhang  mit 
dem  Lehnswesen  gedacht.  Nur  in 
einzelnen  Gegenden,  wie  in  West- 
fal  en,  bei  den  Ditmarschen,  in  der 
Schweiz,  erhielten  sich  echte  freie 
Kauern  bis  über  die  Lehnsverfassung 
hinaus  und  vermochten  ihren  alt- 
hergebrachten Stand  bis  in  die  staat- 
lichen Neubildungen  des  ausgehen- 
den Mittelalters  zu  retten.  Die  Lit- 
teratur  des  höfischen  Mittelalters 
braucht  das  Wort  rri  fast  bloss  mit 
abstrakten  Objekten :  alles  üJ>els, 
der  sünden,  armüete,  der  eren,  vreu- 
den,  rjuoter  sinne,  des  lebens,  ror 
missetrende,  ror  rätselte  rri  u.  dgl. 
So  ist  auch  das  Wort  Freiheit, 
rriheit  im  Mhd.  selten;  wo  es  vor- 
kommt, wird  es  meist  nicht  in  ge- 
sellschaftlicher oder  rechtlicher  Be- 
ziehung gebraucht,  sondern  ent- 
weder als  Stand  des  F"reien,  häufiger 
aber  als  Privilegium  oder  Immunität, 
ab  gefreiter,  aus  einer  grösseren 
Herrschaft  abgetrennter  Herrschafts- 
bezirk oder  als  Asyl.  Freiheit  im 
Gegensatz  zu  Knechtschaft  und  Un- 
terwürfigkeit seheint  als  Übersetzung 
von  libertas  erst  durch  Luthers 
Bibelübersetzung  aufgekommen  zu 
sein-,  daher  die  Bauern  eine  so 
erosse  Freude  an  dem  neuen  Worte 
bezeugten. 

Freiherr.  Das  Wort  kommt  erst 
im  15.  Jahrhundert  vor.  Sachlich 
ist  der  Freiherr  der  adlig  gewordene 
alte  Freie,  welcher,  ohne  durch  das 
Reiehsamt  eines  Herzogs  oder  Grafen 
ausgezeichnet  zu  sein,  in  den  Stand 
des  Adels  eingetreten  war;  Freie, 
die  nicht  adlig  geworden,  also  freie 
Bauern  geblieben  waren,  wurden, 
weil  sie  des  Titels  Herr  entbehrten, 
auch  keine  freien  Herren.  Sie  be- 
nennen sich  durch  Nachsetzung  des 


Adjektivs  rri  hinter  ihren  Ge- 
schlechtsnamen, z.  B.  Walther  von 
Klingen  rri.  Sie  sind  also  die  unterste 
Stufe  der  echten,  alten,  in  den  Kitter- 
stand gehobenen  Freien  und  wohl 
zu  unterscheiden  vomDienstmauncn- 
adel  oder  den  Ministerialen,  die  des 
Namens  rri  entbehren  und  unter 
Dicnstmannenrecht  stehen,  während 
jene  ihren  Gerichtsstand  unmittel- 
bar vor  dem  Kaiser  im  Reichsge- 
richt hatten.  Durch  Erwerbung  einer 
gräflichen  Gerichtsbarkeit  oder  auch 
nur  eines  Teiles  derselben  setzten 
sich  viele,  die  nie  wirkliche  Grafen 
gewesen  waren,  in  den  Stand,  sich 
Grafen  zu  nenuen,  was  besonders 
im  15.  und  16.  Jahrb.  geschah. 
Siehe  übrigens  den  Artikel  Adel. 

Freimaurerei.  Der  Name  Frei- 
maurer stammt  aus  dem  Englischen, 
in  welcher  Sprache  freemason  der- 
jenige heisst,  der  den  free  stone,  den 
freistehenden  oder  den  Quaderstein 
bearbeitete,  also  der  Steinmetz,  gegen- 
über dem  rouyh  mason,  der  den  rough 
stone,  den  rohen  oder  den  Bruchstein 
bearbeitete,  oder  dem  Maurer.  Die 
freemasons  bildeten  aber  in  England 
nicht  wie  in  Deutsehland  geschlossene 
Brüderschaften,  sondern  sie  standen 
nur  als  das  hervorragendste  Glied 
in  der  grösseren  Genossenschaft  der 
Masonen  oder  Bauhandwerker.  Das 
hauptsächlichste  Ziel  der  gemein- 
samen Bestrebungen  und  Versamm- 
lungen der  Masonen  war  die  Ver- 
besserung ihrer  materiellen  Lage. 
Die  Hand  Werksgebräuche,  Zeichen 
und  Griffe  standen  unter  dem  Sie- 
gel des  Geheimnisses.  Ihre  einzige 
Wissenschaft  war  die  Baukunst,  von 
ihnen  Geometrie  genannt.  Die  älteste 
bekannt  gewordene  Konstitution  ist 
zwischen  1429  und  1445  geschrieben. 
Wie  die  deutschen  Bauhütten,  er- 
lagen im  16.  Jahrhundert  die  eng- 
lischen Masonen  einem  allmählichen 
Siechtum.  Als  dann  im  Beginn  des 
17.  Jahrhunderts  der  italienische 
Baustil  in  England  unter  den  höhe- 
reu Ständen  Aufnahme  und  Pflege 


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232 


Freimaurerei. 


fand  und  es  notwendig  war,  die 
Baugewerke  in  die  Erfordernisse  des 
neuen  Stiles  erst  einzuführen,  so 
Hessen  sich  vornehme  und  reiche 
Bauliehhaber  formlich  in  die  Zunft 
der  Masonen  aufnehmen.  Dennoch 
fielen  die  Bauhütten  oder  Logen, 
nach  ital.  logqia,  franz.  logis,  engl. 
lodqe,  bald  wieder  in  tiefen  Verfall, 
und  erst  im  Jahr  1716  entwickelte 
sich  aus  dem  Institute  ein  neues 
Leben,  das  Freimaurertuin. 

In  diesem  Jahre  vereinigten  sich 
nämlich  die  vier  noch  allein  in  Süd- 
englaud  bestehenden  Londoner  Lo- 
gen zu  einer  gemeinsamen  Ver- 
einigung, Grossloge  genannt,  die 
unter  einem  Grossmeister  stand.  Die 
Grundlagen  der  Verfassung,  der 
Handwerksgebrauch  und  das  Siegel 
der  Verschwiegenheit  wurden  bei- 
behalten, im  Übrigen  aber  der 
Vereinigung  ein  wesentlich  hu- 
manes Ziel  gegeben.  Die  Maurer 
verpflichteten  sich  zu  derjenigen 
Religion,  in  welcher  alle  Menschen 
übereinstimmen,  und  belassen  ihnen 
selbst  ihre  besonderen  Meinungen. 
Geboten  wird  der  Gehorsam  unter 
die  bürgerliche  Gewalt,  und  die 
Revolution  verabscheut,  doch  dass 
um  der  letzteren  willen  kein  Bruder 
aus  der  Loge  verbannt  sein  soll. 
Alle  Dispute  über  Religion  oder 
Politik  werden  aus  derLo^e  verwiesen 
und  die  brüderliche  Liebe  als  die 
Grundlage  und  der  Grundstein,  der 
Kitt  und  der  Ruhm  dieser  alten 
Brüderschaft  bezeichnet  und  treuer, 
brüderlicher  Beistand  empfohlen. 
Die  hervorragendsten  Stifter  des 
Bundes  waren  Johann  Theophilus 
Dexaguiliers,  aus  einer  geflüchteten 
französischen  Hugenottenfamilie  ab- 
stammend, Doktor  der  Rechte  und 
als  berühmter  Physiker  Mitglied  der 
königlichen  Sozietat,  und  Jakolt  An- 
der  söhn,  ein  anglikanischer  Prediger. 

Es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  Ge- 
sellschaft der  Freimaurer  ihre  Ent- 
stehung und  sehr  schnelle  Verbrei- 
tung dem  durch  den  Deismus  in 


England  verbreiteten  Streben  nach 
einerÜberbrückung  des  konfessionell- 
religiösen Zwiespaltes  verdankt,  dem 
Suchen  nach  einer  natürlichen,  auf 
Tugend  und  Menschlichkeit  gebauten 
Religion.  Die  Stifter  waren  aber 
selbst  keine  Deisten,  und  die  An- 
lehnung der  Gesellschaft  an  den 
hohen  und  höchsten  Adel  und  das 
Verbot,  über  Religion  und  Politik 
zu  disputieren,  lassen  vermuten,  dasfi 
der  Geist  der  Gesellschaft  nichts- 
destoweniger ein  mehr  konservativer 
war.  Die  hervorragendsten  Träger 
und  Verteidiger  der  freien  Bildung 
und  Forschung  gehörten  nur  aus- 
nahmsweise dem  Orden  an,  der  da- 
durch, dass  er  die  freie  Bildung  in 
bestimmte  Formen  band,  von  vorn- 
herein in  einen  gewissen  Wider- 
spruch mit  ihr  trat  Daher  das  auch 
von  Lessing  wiederholte  Wort,  man 
könne  Freimauer  sein,  ohne  Frei- 
maurer zu  heissen. 

Die  weitere  Geschichte  des  Frei- 
maurerordens hat  es  darum  auch 
viel  weniger  mit  Errungenschaften 
geistiger  Xatur  zu  thun,  als  mit 
innern  Streitigkeiten  und  Kleinlich- 
keiten, die  an  das  erinnern,  was 
innerhalb  kirchlicher  Gesellschaften 
vorzugehen  pflegt;  es  handelt  sich 
um  die  Wahl  von  adligen  Gross- 
meisteru,  um  geschäftliche  Verhand- 
lungen, um  Schra  ausereien  oder 
Tafellogen,  um  Verwaltung  des  Ar- 
menfonds,  dessen  Ergebnisse  meist 
bloss  den  Brüdern  zu  gute  kamen. 
Schon  früh  erregte  der  Bund  die 
Besorgnisse  von  Staat  und  Kirche, 

jder  protestantischen  wie  der  katho- 
lischen.   Clemens  XII.  that  1738 

'  die  Brüderschaft  in  den  Bann;  in 
Spanien  und  Portugal  wütete  gegen 
sie  die  Inquisition. 

Der  Name,  den  die  Gesellschaft 
in  England  anfangs  annahm,  war 

I  Brüderschaft ,  Company \  fraiernity; 
sie  beschränkte  sich  auf  die  drei 
Stufeu  oder  Grade  des  Lehrlings, 
Gesellen  und  Meisters.  Erst  in  Frank- 
reich wurde  die  Brüderschaft  zum 


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Friede. 


233 


Orden  und  bekam  über  den  genann- 
ten niederen,  so^ Johannisorden,  — 
von  den  beiden  Patronen  des  Bun- 
de«, dem  Täufer  und  dem  Evan- 
gelisten so  genannt  —  noch  höhere 
Ördensgrade.    Bis  zur  Revolution 
hatte  die  französische  Maurerei  zwei 
mystisch -phantastische  Richtungen 
zu  überwinden,  deren  eine  sich  als 
Wiederaufleben  des  Templerordeus 
geberdete,  deren  andere  sich  an  die 
Alchjmie,  Magie,  Geisterbeschwö- 
rung anschloss  und  den  berüchtigten 
Cagliostro  zu  ihren  Adepten  zählte. 
Auch  die  deutsche  Maurerei  blieb 
von  solchen  Ausschreitungen  nicht 
verschont;  der  französische  Templer- 
orden nahm  hier  die  Bedeutung  und 
den  Namen  der  st  Akten  Observanz 
an ;  auch  an  Betrügern,  Goldmachern 
u.  dgl.  fehlte  es  nicht.    Ein  solcher 
gründete  1773  den  Orden  der  Rosen- 
kreuzer,  dessen  Ableger  wiederum 
der  Orden  der  asiatischen  Brüder 
und  der  der  Kreuzbrüder  oder  Kreuz- 
frommen  waren;  ähnliche  Bedeutung 
hat   der   von  Adam  Weisshaupt, 
Professor  des  kanonischen  Rechtes 
zu  Ingolstadt,  1776  gegründete  Illu- 
minatenorden, welcher  in  seiner  Or- 
ganisation dem  Jesuitenorden  nach- 
gemacht ist  und  gegen  unten  auf  die 
Studierenden,  gegen  oben  auf  die 
Obrigkeiten  wirken  sollte.  Nach 
Steifz  in  Herzogs  Realencvklopädie. 
VgL  auch  Heftner,  Engl.  Litteratur, 
Buch  II,  Abschnitt  I. 

Friede,  ahd.  fridu,  mhd.  vride, 
zu  got.  frijon  =  lieben,  wozu  auch 
Freund  gehört.  Friede  ist  nach 
ältester  Auffassung  sowohl  die  un- 
gestörte Ruhe,  der  Gegensatz  von 
Feindschaften,  welche  Hass  und 
blutige  Verfolgungen,  Fehde  ent- 
zünden, daher  Freyr  der  Gott  des 
Friedens  heisst;  als  dasjenige,  was 
diesen  Frieden  erhalten  und  wenn  er 
gebrochen  ist,  ihn  wiederherstellen 
soll,  also  der  geordnete  und  gesicherte 
Zustand  unter  der  Herrschaft  des 
Rechtes.  Friede  ist  daher  mit  Recht 
gleichbedeutend,  nur  dass  bei  Recht 


mehr  die  Beziehung  auf  den  Ein- 
zelnen hervortritt.  Wer  im  Frieden 
des  Volkes  war,  dem  war  dadurch 
sein  Recht  gesetzt  und  gewahrt,  er 
konnte,  wenn  er  sich  für  oeeinträch- 
tigt  hielt,  die  Hilfe  des  Gerichtes 
in  Anspruch  nehmen;  durch  die 
Verletzung  des  Rechtes  des  Einzel- 
nen war  zugleich  an  ihm  der  Friede 
Aller  gebrochen.  Gemeindeverbin- 
dun^  und  Opfergenossenschaft  stand 
in  einem  Frieden  und  einer  Freund- 
schaft. 

Eine  Erweiterung  des  Friedens 
fand  statt,  wenn  Handlungen,  die 
bisher  nicht  als  Friedensbrüche  gal- 
ten, durch  Ausdehnung  der  Unver- 
lctzlichkeit  oder  Setzung  eines  be- 
sonderen Friedens  diese  Eigenschaft 
erhielten.  Dieses  geschah  in  Be- 
ziehung auf  Personen  z.  B.  fremden 
Stammesgenossen,  in  Beziehung  auf 
Sachen  den  Pflügen  und  Mühlen 

gegenüber.  Eine  Erweiterung  des 
Wiedens  war  es  auch,  wenn  dieser 
als  wirksam  auch  da  anerkannt 
wurde,  wo  er  durch  eine  Handlung 
verwirkt  worden  war.  Dies  war  der 
Fall,  wenn  die  Befugnis  und  das 
Recht,  Rache  an  einem  Missethäter 
zu  üben,  ausserordentlicherweise  be- 
schränkt wurde;  es  geschah  dies 
entweder  durch  ein  Gelöbnis  der 
Partei  oder  durch  einen  Befehl  des 
Richters,  oder  wenn  der  Vcrletzer 
sich  zu  Recht  zu  stehen  erbot. 
Dieser  Friede  war  nur  ein  zeitweilig 
wirkender,  eine  Art  Waffenstillstand; 
ein  beständiger  Friede  aber  wurde 
gelobt,  wenn  eine  Streitigkeit  von 
grösserer  Bedeutung,  besonders 
durch  den  Totschlag  eines  Ver- 
wandten verursacht,  durch  Erlegung 
einer  Busse  oder  eines  Wergeides 
ausgeglichen  war;  ein  solcher  Friede 
geschah  durch  eidliche  Zusicherung 
beider  Parteien,  im  fränkischen 
Reiche  durch  Ausstellung  besonderer 
Urkunden. 

Höhere  Frieden  sind  solche,  die 
eine  verstärkte  Unverletzlichkeit 
nicht  bloss  für  Einzelne,  sondern 


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234 


Friede. 


für  Alle  wirkten.  Ein  solcher  Friede 
war  durch  Ort,  Zeit  oder  andere 
Umstünde  bedingt.  Die  besonderen 
Arten  des  höheren  Frieden!  sind: 

a)  Der  Din'friede.  Es  ist  der 
jenige  Friede,  der  ursprünglich  in 
den  hohen  Festzeiten  herrschte,  wenn 
die  grossen  Volks-  oder  Landesver- 
sarnmlungen  gehalten  wurden,  die 
zum  Opfer,  zum  Gelage  und  zur  Be- 
ratung wichtiger  Angelegenheiten 
und  Entscheidung  von  Streitigkeiten 
dienten.  Dann  weilte,  obschon  un- 
sichtbar, die  Gottheit  selbst  unter 
den  Menschen,  ein  heiliger  Gottes- 
friede herrsehte  im  ganzen  Lande. 
Tacit  Germ.  40.  Dieser  Gottesfriede 
wurde  auch  nach  Einführung  des 
Christentums  auf  die  gebotenen 
Dinge,  die  Volksgerichte,  übertragen, 
er  wurde  zum  Vinqfrieden.  Es  war 
dies  ein  bei  jedem  Grerichte  herrschen- 
der, vom  Gerichtsvorstand  in  einer 
üblichen  Form  besonders  verkündeter 
Gerichtsfriede.  Er  umfasste  nicht 
bloss  die  Gerichtsstätte,  sondern 
auch   diejenigen,   die  zum  Dinge 

S'ngen  oder  von  dort  nach  ihrer 
eiraat  zurückkehrten.  Schon  früh 
war  der  höhere  Friede  der  Ding- 
versammlungen auf  andere  Zusam- 
menkünfte, Hochzeiten,  Leichen- 
feiern,Versammlungcn  von  Genossen- 
schaften, ausgedehnt  worden;  für 
Markte  entstand  der  Marktfriede ; 
ahnlicher  Natur  war  der  Friede  für 
die  christlichen  Festzeiten. 

b)  Der  Heerfriede  war  ursprüng- 
lich derselbe  wie  der  Gerichts-  oder 
Dingfriede,  da  das  versammelte  Volk 
zugleich  Gerichtsversammlung  und 
Heerversammlung  war.  In  seiner 
Mitte  waltete  Gottesfriede,  es  zog 
aus  unter  dem  Schutze  des  schlach- 
tenlenkenden Gottes,  heilige,  den 
Hainen  der  Götter  entnommene  Zei- 
chen vor  sich  her  tragend.  Wer 
den  Frieden  brach,  wurde  von  der 
Hand  des  Priesters  ergriffen  und 
fiel  ihr  zum  Opfer.  Auch  unter  dem 
Christentum  blieb  der  für  die  Heer- 
führuug  durchaus  notwendige  Heer- 


friedc  zu  Recht  bestehen.  Die  Volks- 
rechte  bestimmen  für  jede  Tötung 
oder  gewaltsame  Missethat  auf  der 
Heerfahrt  drei-  bis  neunfache  Busse, 
od.  Lebensstrafe,  Verbannuug  u.s.w. 

c)  Der  1  leimfriede.  Es  war  ohne 
Zweifel  urgermanischer  Rechts- 
grundsatz, dass  jedermann  in  seiner 
Heimat  friedheilig  sein  sollte.  Grid, 
Friede,  bezeichnet  altnordisch  auch 
das  Haus.  Auch  der  Hausfriede 
hangt  vielleicht  ursprünglich  mit  der 
Religion  zusammen,  da  neben  dem 
Hochsitz  die  Bilder  der  Götter  stan- 
den.   Der  Hausfriedc  sollte  gegen 

fewaltsames  Eindringen  in  die  Be- 
ausung  und  gegen  verübung  von 
Gewalttätigkeiten  an  Personen  und 
Sachen  sicher  stellen.  Auch  dem 
Verbrecher  gewährte  sein  eigenes 
oder  ein  fremdes  Haus,  wenn  der 
Hausherr  es  gestattete,  eine  gewisse 
Sicherheit,  die  zwar  ohne  Zweifel 
an  das  Mass  einer  bestimmten  Zeit 
oder  an  andere  Bedingungen  ge- 
knüpft war.  Die  im  engeren  Sinne 
befriedete  Heimat  war  das  Haus  mit 
dem  eigentlichen  Hofe.  Auch  einer 
Vereinigung  von  Häusern  und  Höfen, 
wenn  diese  durch  Umzäunung  oder 
Umwallung  ein  Ganzes  bildete,  kam 
der  Hausfriede  zu. 

d)  Acker-  oder  Frühjahrs-  und 
Herbstfriede.  In  den  Zeiten,  welche 
besonders  zur  Bestellung  des  Feldes 
dienten,  genoss  der  Germane  eines 
höheren  Friedens;  nicht  bloss  wur- 
den daher  Handlungen,  wodurch 
dieser  Friede  gebrochen  wurde,  be- 
sonders creahnaet,  sondern  man  sollte 
während  der  Dauer  desselben  nicht 
einmal  im  Wege  Rechtens  Ansprüche 
verfolgen  können,  damit  der  Land- 
mann nicht  in  seiner  Arbeit  gestört 
würde.  Ein  derartiger,  ebenfalls 
während  einer  geicissen  Zeit  dauern- 
der Friede  waltete,  wenn  der  Heer- 
bann ausgerückt  war,  für  die  Hinter- 
bliebenen. 

e)  Der  Kirchenfriede.  Die  Heilig- 
keit der  altgermanisch -heidnischen 
Haine,  Tempel,  Feste  ging  auch  auf 


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Friede. 


235 


die  christlichen  Gotteshäuser  über. 
Dieser  Friede  war  ein  Frieds  des 
Ortes,  der  deshalb  nicht  bloss  dureh 
Verletzung  der  Kirche  ifnd  der  zu 
derselben  gehörigen  Gegenstände 
selbst,  sondern  auch  durch  einen 
Frevel  an  Personen  verletzt  wurde, 
welche  sich  an  der  heiligen,  Schutz 
verleihenden  Stätte  befanden.  Als 
räumliche  Grenze  der  befriedeten 
Sfätte  galt  die  Kirche,  der  Kirch- 
hof und  dazu  noch  ein  gefriedeter 
Umkreis  von  einer  gewissen  Anzahl, 
TL  B.  30  oder  40  Schritt;  je  nach 
der  Grösse  und  Bedeutung  der  Kirche 
wurde  ihr  ein  mehr  oder  wenig  hoher 
Friede  beigelegt,  der  in  der  Höhe  der 
Friedensstrafe  Ausdruck  fand. 

f)  Der  König «friede.  Von  jeher 
hatte  der  König  Anteil  an  der  Er- 
haltang  des  Friedens,  da  er  der 
VorstAnd  und  Leiter  der  Volksver- 
sammlung war,  in  welcher  über  die 
Erhaltung  des  Friedens  beraten  und 
überFriedensbrechcrgerichtetwnrde. 
Mit  der  Ausbildung  der  persönlichen 
Königsgewalt  verwandelte  sich  der 
l'olksfriede  in  einen  Köniqttfrieden. 
Vom  Könige  wurden  die  Vorsteher 
der  Gerichte  ernannt,  von  ihm  ging 
der  Blutbann  aus;  Friedensgelder 
und  verfallene  Güter  des  Friedens- 
brechers fielen  vorzugsweise  dem 
Könige  zu.  Und  zwar  war  dieses 
sowohl  beim  Gemeinfrieden  als  bei 
dem  hohem  Frieden  der  Fall;  doch 
fand  ein  unmittelbares  Eingreifen 
und  Einwirken  des  Königs  besonders 
bei  dem  letzteren  statt;  bei  der  Ver- 
letzung eines  höheren  Friedens  so- 
wie bei  jeder  grobem  Rechtsver- 
letzung erschien  der  König  unmittel- 
bar beteiligt,  das  Ansehen  seiner 
Gebote  verletzt.  Bruch  eines  höheren 
Friedens  war  daher  Könif/sfriedens- 
bruek,  und  der  Begriff  der  verschie- 
denen höheren  Frieden  ging  fast 
ganz  in  den  eines  Königsfriedens 
auf,  sowohl  der  Kirchenfriede,  da 
der  König  der  Beschützer  der  Kirche 
war,  als  der  Dingfriede,  da  die  Dinge 
unter  des  Königs  besonderer  Obhut 


standen,  als  der  Heerfriede;  Märkte 
und  später  Städte  konnten  nur  mit 
Bewilligung  des  Königs  gegründet 
werden,  da  dazu  sein  Friede  gehörte. 
Die  Kirche  beförderte  und  befestigte 
diese  Ansicht  und  machte  die  Be- 
wahrung des  GottesfriedenB  zur  ersten 
Pflicht  des  Königs.  Ein  besonderer 
Ausdruck  derselben  war  der  Friede 
der  Witwen,  Waisen  und  Wehrlosen, 
den  die  Lehrer  der  Kirche  dem 
Könige  besonders  und  die  Könige 
hinwiederum  ihren  Beamten  ernstlich 
anempfahlen. 

Der  König  konnte  aber  seinen 
Frieden  zeitweilig  oder  dauernd  auch 
einzelnen  Personen  geben,  ursprüng- 
lich in  Beziehung  auf  eine  bestimmte 
schwebende  oder  beendigte  Rechts- 
sache, später  einzelnen  wie  ganzen 
Klassen  von  Personen  ein  für  alle- 
mal; ein  Königsfriede  im  engeren 
Sinne  aber  war  derjenige  Friede, 
der  an  jedem  Orte  waltete,  in  wel- 
chem der  König  bleibend  oder  vor- 
übergehend weilte;  auch  die  Königs- 
höfe halten  daher  das  Asylrecht,  ja 
selbst  der  Stadt  und  der  Provinz, 
in  der  der  König  sich  aufhielt,  teilte 
sich  sein  höherer  Friede  mit.  Unter 
dem  Königsfrieden  stehen  auch  die- 
jenigen, die,  um  ein  öffentliches 
Geschäft  zu  vollführen,  vom  Könige 
abgesendet  werden. 

Jedes  wahre  Unrecht  war  dem 
echten  Wesen  des  Friedens  zufolge 
ein  Friedensbruch,  ein  J 'erbrechen, 
das  letztere  Wort  zwar  erst  seit 
dem  17.  Jahrh.  bekannt.  Man  un- 
terschied aber  die  wahren,  Fried- 
losigkeit  nach  sich  ziehenden  Frie- 
densbrüche, und  die,  welche  für  den 
Misset  häter  nur  die  Notwendigkeit  er- 
zeugten, sich  eine  neue  Anerkennung 
seines  Friedens  zu  erwerben,  ohne 
dass  er,  bis  dies  geschehen  war,  als 
ein  gleichsam  durch  die  That  Fried- 
loser behandelt  werden  konnte;  die 
letzteren  könnte  man  im  Gegensatze 
zu  den  Friedensbrüehen  Rechts- 
briiehe  nennen;  sie  ziehen  bloss 
Bussen  nach  sich.   Der  Umfang  der 


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236 


Friedhöfe. 


eigentlichen  Friedensbrüche  war  im 
altgermanischen  Reeht  bedeutend 
grösser,  der  der  Rechtsbrüche  kleiner, 
als  in  späterer  Zeit. 

Friedlosigkeit  ist  dem  Grund- 
gedanken nach  eine  durch  Verschul- 
dung, gleichsam  durch  einen  Treu- 
bruch begründete  Ausschliessung 
aus  der  Friedens-  und  Rechtsgemein- 
schaft, welche  dem  davon  Betroffe- 
nen nicht  nur  den  Rechtsschutz  ent- 
zog und  ihn  in  die  Lage  eines  völlig 
Fremden  versetzte,  sondern  ihn  ab 
Feind  seines  Volkes  und  des  Kö- 
nigs bezeichnete.  Der  Friedlos«' 
konnte  busslos  von  allen  und  jedem 
erschlagen  werden;  die  Friedlosig- 
keit  näherte  sich  also  der  Todes- 
strafe; allmählich  ging  sie  aber  mehr 
in  Landesverweisung  über.  Nur 
eine  Wirkung  der  Friedlosigkeit, 
war  es,  dass  niemand  mit  dem  Fried- 
losenVerkehr  haben,  ihn  beherbergen,  f 
speisen  durfte,  bei  Strafe  eigener 
Friedlosigkeit.  Mit  der  Friedlosig- 1 
keit  war  in  der  früheren  Zeit  die 
Einziehung  des  qanzen  Vermögens 
verbanden ,  ja  selbst  die  Spur  und 
und  das  Andenken  des  Friedlosen 
aus  der  Gemeinde  wurde  durch  die 
Zerstörung,  durch  das  Niederbrennen 
seiner  Wohnung  getilgt.  Mit  der 
Zeit  wurde  die  Friedlosigkeit  in  ihrer 
Anwendung  mehr  und  mehr  be- 
schränkt, die  Flucht  aus  dem  Lande 
z.  B.  erleichtert,  die  Einziehung  des 
Vermögens  nur  auf  das  unbeweg- 
liche Gut  bezogen  ,  und  die  Strafe 
der  Friedlosigkeit  löste  sich  in  ihre 
Bestandteile  auf,  so  dass  als  selb- 
ständige Strafen  Todesstrafe,  Ver- 
bannung und  Einziehung  des  Ver- 
mögens daraus  hervorgingen.  Nach 
Wtlda,  Strafrecht,  IV. 

Friedhöfe,  ahd.  frithof,  mhd. 
vrithof  —  der  zur  Schonung  und 
Sicherheit  vor  einem  und  um  ein 
Gebäude  eingefangene  Raum,  der 
Vorhof;  dann  erst  Vorhof  der 
Kirche  als  öffentlicher  Schutzort  ge- 
flüchteter Verbrecher,  endlich  schon 
im  Althochdeutschen  Kirchhof,  Got- 


tesacker. Das  Wort  frit  kommt 
von  ahd.  frtten  =  begünstigen,  wel- 
ches hinwiederum  mit  Friede  und 
Freund  wurzelvcrwaudt  ist  Alt- 
hochdeutsch sagte  man  auch  frit- 
gadem.  —  Friedhöfe  hat  man  aas 
inerowingischer  Zeit  noch  zahlreiche 
erhalten:  sie  bezeichnen  neben  den 
eigentlichen  Grabhügeln  die  älteste 
Bestattungsstätte  der  Germanen  nach 
der  Völkerwanderung.  Sie  bestehen 
aus  einfachen  Erdgräbern,  welche 
in  mehr  oder  minder  regelmässige 
Reihen  geordnet  sind.  Die  Gräber, 
meist  in  einer  Tiefe  von  3  bis  8 
Fuss,  haben  ihre  Richtung  von 
Abend  gegen  Morgen  mit  4  bis  5 
Fuss  breiten  Zwischenräumen.  Am 
Mittelrhein  haben  nahezu  alle  Dörfer, 
die  überhaupt  als  sehr  alte  Nieder- 
lassungen anzusehen  sind,  auch  ihre 
fränkischen  Gräber,  und  ein  Umkreis 
mit  dem  Durchmesser  von  2  bis  3 
Wegstunden  umfasst  oft  8  bis  10  zum 
Teil  ansehnliche  Friedhöfe.  Die 
grössten  Totenfelder  in  Deutschland 
sind  auf  bayerischem  und  alemanni- 
schem Gebiete  entdeckt  worden, 
das  bayerische  bei  Friodolfing  an  der 
Salzbach  wird  auf  3000  -4000  Tote 
berechnet,  das  alemannische  bei 
Nordendorf,  7  Stunden  von  Augs- 
burg, ergab  bis  jetzt  362  Gräber. 
Zur  Zeit  der  ersten  Entdeckungen 
dieser  Friedhöfe  glaubte  mau  der 
zahlreichen  Waffenfuude  wegen  die- 
selben für  Schlachtfelder  und  für 
die  Bestattungsorte  der  Gefallenen 
erklären  zu  müssen  ;  aber  die  gleich- 
massige  Beisetzung  von  Männern, 
Frauen  und  Kindern,  die  Ausstattung 
der  Toten  mit  ihrem  vollen  Schmucke 
und  mit  allen  Arten  Gefässen  be- 
wies, dass  man  bloss  eigentliche 
Friedhöfe  vor  sich  habe. 

Im  Mittelalter  kamen  die  Namen 
Kirchhof,  Leichenhof,  Liehhof  im 
1 4.  J ahrh.  C Gottesacker  auf.  Ursprüng- 
lich hatte  jede  Stadt  und  jedes  Dorf 
nur  eine  einzige  Begräbnisstätte, 
den  Friedhof  der  Haupt-  oder  Pfarr- 
kirche; allmählich  erlangten  Klöster 


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Frö,  Frcyr. 


237 


und  Spitäler  das  Recht,  auf  ihrem 
Grand  und  Boden  besondere  Be- 
gräbnisstätten haben  zu  dürfen.  Die 
Friedhöfe  waren  heilige,  kirchlich 
eingeweihte  Stätten;  die  im  Bann 
oder  während  des  Interdiktes  Ge- 
storbenen, die  das  Sterbesakrament 
nicht  empfangen  hatten,  die  tot  Auf- 
gefundenen, die  Selbstmörder  wurden 
nicht  auf  dem  Kirchhofe  bestattet 
Ausser  den  Friedhöfen  wurde  auch 
der  Boden  der  Kirchen  als  Grab- 
stätte benutzt,  anfänglich  jedoch 
bloss  für  die  Geistlichen;  später 
namentlich  für  solche  Laien,  die 
sich  durch  Schenkungen  um  die 
Kirche  verdient  gemacht  hatten. 
Solche  Kirchengrufteu  wurden  nach- 
her Erbbegräbnisse.  Bei  Seuchen 
u.  dgl.  wurde  zuweilen  das  Be- 
graben in  den  Kirchen  auf  eine 
gewisse  Zeit  verboten. 

Die  Friedhöfe  der  Dorfkirchen 
hatten  im  Mittelalter  oft  deshalb 
eine  strategische  Wichtigkeit,  weil 
die  Dorfkirchen  meist  auf  dem  höch- 
sten Punkte  des  Terrains  lagen  und 
ihr  Friedhof  der  einzige  mit  einer 
Mauer  umgebene  Raum  des  Dorfes 
war.  Der  Friedhof  war  deshalb  die 
Zufluchtsstätte  für  die  Dorfbewohner 
und  oft  die  Stätte  blutigen  Kampfes, 
z.  B.  bei  Döffingen.  Zwar  die  Kirche 
that  auch  gegen  diese  Benutzung 
des  Friecmofes  Einsprache,  aber  ver- 


Die  Friedhöfe  dienten  auch  für 
gerichtliche  Handlungen,  die  mit- 
unter auch  in  Kreuzgängen  und  in 
den  Kirchen  selbst  vorgenommen 
wurden;  diese  Einrichtung  hat  sich 
mancherorts  darin  erhalten,  dass 
nach  dem  Gottesdienste  von  der 
Empore  herab  obrigkeitliche  Erlasse 
bekannt  gemacht  und  vor  der  Kirche 
auf  dem  Kirchhof  Gemeindever- 
saramlungen abgehalten  werden.  So- 
gar zum  Feilhalten  von  Waren 
dienten  mitunter  Kirchhöfe  und 
Kreuzgänge. 

Zur  Aufbewahrung  der  ausge- 
schalten  Totengebeine    war  das 


Beinhaus  bestimmt,  mhd.  beinhvsy 
oder  der  Kerner,  Kernder,  Kartier, 
Genier,  altfranz.  carner,  franz.  char- 
nier,  lat  camarium,  manchmal  auch 
Totenhaus  genannt;  es  bestand  zu- 
weilen aus  einer  unterirdischen  Gruft 
und  der  darüber  erbauten  Kapelle. 

Sowohl  einzelne  Familien  als  ein- 
zelne Brüderschaften  besassen  be- 
sondere Grabstätten  auf  dem  Fried- 
hof. Die  Grabsteine  lagen  in  der 
Regel.  Früh  kommt  die  Inschrift 
Requiescat  in  pace  und  auf  den 
Grabsteinen  von  Geistlichen  der 
Kelch  vor.  Ein  hölzerner  Schild 
mit  dem  Wappen  des  Verstorbenen 
hiess  Leichcnschi/d  oder  Leichen' 
scheibe.  Auch  Kruzifixe  auf  Gräbern 
sind  alt.  Lindenschmit ,  Altertums- 
kunde 90,  und  Kriegk,  Bürgertum  II, 
Abschn.  5. 

Frö,  Freyr.  Die  nordische  My- 
thologie kennt  einen  leuchtenden 
Gott,  mit  seligem  Sitz,  Namens 
Freyr,  aus  Fraris,  d.  h.  der  Er- 
freuende, Frohe,  der  Herr.  Er  ent- 
spross  dem  Stamme  der  Wanen, 
Er  waltet  über  dem  Regen  und 
Sonnenschein  wie  über  dem  Er- 
grünen und  Wachstum  der  Erde. 
Er  fahrt  entweder  auf  seinem  zu 
Lande  wie  zu  Wasser  segelnden 
Schiff  Skidhbladhnir,  in  welchem  er 
stets  mit  gutem  Winde  steuert  und 
welches  nach  dem  Gebrauche  wie 
ein  Tuch  zusammengelegt  werden 
kann,  oder  fahrt  auf  seinem  Wagen, 
den  der  goldborstige  Eber  Gullin- 
bursti  oder  Slidhrufftunni,  d.  i.  Spitz- 
zahn, zieht,  oder  er  reitet  auf  dem 
Eber.  Schiff  und  Eber  sind  Naturbil- 
der der  lichtdurchstrahlten  Wolken, 
auf  denen  die  Sonnenstrahlen  über 
die  Weiten  des  Himmels  schweben. 
Freyr  ist  der  trefflichste  aller  Götter; 
seine  Hausfrau  ist  die  liebliche 
Gerdhr,  des  Riesen  Gymir  Tochter. 
Man  rief  den  Gott  um  Fruchtbar- 
keit der  Erde  an,  er  spendete  den 
Erntesegen  durch  alle  Lande.  Da- 
rum hiess  er  freundlich,  wohlthätig, 
fruchtbar,  glücklich  und  gabmilde. 


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238 


Fron. 


Im  Frühling  wurde  in  Schweden 
eine  Bildsäule  des  Gottes  auf  einem 
Wagen  durchs  Land  gefahren.  Man 
meinte,  das  sei  der  lebende  Gott. 
Freyr  und  eine  Priesteriii,  die  mau 
sein  Weib  nannte,  sassen  im  Wagen, 
ein  Diener  schritt  voraus.  Das  von 
überall  zusammengeströmte  Volk 
empfing  den  Wagen  mit  Opfermahl- 
zeiten, um  ein  fruchtbares  Jahr  zu 
erbitten,  mit  Gaben  von  Gold,  Silber, 

futen  Kleidern.  Wo  der  Gott  ein- 
ehrte, klärte  sich  das  Wetter  auf 
und  mau  erwartete  reiche  Ernte. 
Freyr  füllte  auch  das  ilaus  mit  blü- 
henden Kindern  und  spendete  den 
Sterblichen  Liebeslust.  Bei  Hoch- 
zeiteu  opferte  man  ihm.  Freyr  ist 
auch  der  Gott  des  Friedens.  Man 
trank  seine  Minne  um  Frieden  und 
Fruchtbarkeit.  Um  Mittwinterzeit 
leitete  ein  dreiwöchentlicher  Jul- 
friede,  während  dessen  alle  Fehden 
schweigen  mussten,  das  grosse  Fest 
der  Wintersonnenwende,  das  Jul- 
fest,  ein.  Auf  das  feierliche  Opfer 
im  Tempel  vor  Freyrs  Bild  folgten 
Gastereien  und  Spiele;  zum  Nacht- 
mahl trugen  die  Diener  den  dem 
Freyr  und  der  Freyja  geweihten 
Sühneber  auf  den  Tisch,  und  man 
legte  darauf  das  Gelübde  ab.  im  be- 
ginnenden Jahre  grosse  una  kühne 
Thaten  zu  thun.  In  Ostergotland 
wird  noch  jetzt  am  Julabend  ein 
mit  Schweinshaut  überzogener  Block 
auf  den  Tisch  gesetzt,  und  der  Haus- 
vater, die  Hausfrau  und  das  Ge- 
sinde schwören,  ihre  Pflicht  treu 
leisten  zu  wollen.  Au  anderen  Orten 
werden  Kuchen  in  Ebergestalt  ge- 
backen. Auch  Stiere  fielen  dem 
Freyr  alsOofer.  Um  manche  Tempel 
Freyrs  weideten  heilige  Sonnen  rosse. 
Gegenüber  dem  in  Norwegen  ver- 
ehrten Thorr  galt  Freyr  als  der 
Schweden  Gott;  sein  grosser  Haupt- 
tempel, in  welchem  doch  auch  Thorrs 
und  Odhins  Bildnisse  standen,  lag 
zu  Upsala.  Freyrs  Sohn  heisst 
Fjölnir,  mächtig,  fruchtbar,  glück- 
lich und  friedselig,  wie  sein  Vater. 


Bei  deuDäneu  hiess  der  Gott  Fridh- 
/ei fr  =  Friedenserbe ,  Frohdi  =  der 
Weise,  oder  Fridhfrodhi. 

Derselbe  Gott  nun,  der  bei  den 
Nordländern  Freyr  hiess,  wurde  von 
den  Deutschen  verehrt;  er  ist  ein 
Sonnengott,  sein  deutscher  Name 
aber  nicht  mehr  nachweisbar;  man 
nennt  ihn  mit  dem  dem  nordischen 
Freyr  entsprechenden  deutschen 
Worte  Fro,  welches  im  Altdeutschen 
als  Gemeinname  für  den  Begriff  Herr, 
weiblich  F'rouwa  =  Frau,  Herrin  und 
zugleich  als  Adjektiv,  ahd.  fro,  auf- 
tritt. Die  Sonnenräder,  welche  beim 
Johannis-  und  beim  Osterfeuer  an- 
gezündet werden,  gelten  wahrschein- 
lich diesem  Sonnengott.  Ihm  war 
besonders  das  Julfest  eigen,  das  Fest 
der  Wintersonnenwende. 

Fron-,  in  Zusammensetzungen 
ist  ursprünglich  der  bald  vor,  bald 
nach  Substantiven  gesetzte  Genitiv 
Pluralis  des  ahd.  fro  =  Herr,  des- 
sen Genitiv  Plural  fröna  lautete  = 
der  Herren,  d.  h.  frier  wohl  nach 
christlicher  Ansieht  „Gottes  und  der 
Heiligen".  Dieser  Genitiv  Pluralia 
wurde  aber  bald  missverstanden,  iu 
adverbialem  Sinne  gefasst  und  als 
ein  wirkliches  Adverb  frono  in  den 
Bedeutungen:  derHerren, herrschaft- 
lich, öffentlich,  heilig,  genommen, 
woraus  endlich  allmählich,  zuerst 
im  11.  Jahrh.,  das  biegsamere  Ad- 
jektiv frön  hervorging,  das  im 
12.  Jahrh.  häufiger  vorkommt,  aber 
schon  im  13.  Jahrh.  wieder  seltener 
zu  werden  beginnt;  es  hiess  also: 
das  Kreuz  fron,  sein  heiliger  Leich- 
nam fron,  der  edel  Kitter  fron,  das 
frone  Kreuz,  die  frone  zehen  gebot, 
der  zarte  fron  Leichnam.  Zweifel- 
haft ist,  ob  die  mit  Fron  zusammen- 
gesetzten Wörter  als  von  diesem 
Adjektiv  oder  vielmehr  als  vom  wirk- 
lichen älteren  Genitiv  Pluralis  ab- 
geleitet anzusehen  seien;  es  bezieht 
sich  in  solchen  Wörtern  das  Be- 
stimmungswort Fron  stets  auf  ein 
dunkles  herrschaftliche*  oder  heiliges 
Verhältnis.    Solche  Kompositionen 


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Fronhöfe. 


239 


sind  Fronaltar,  Fronarbeit,  Fron- 
bmi, ß ronba r ,  Fronha uer ,  Fronbote, 
Fronhrot,  Frondienst,  Fronfasten, 
Froufeld,  Fro/t  feste,  Fronfuhr,  Fron- 
garte,  Frongeftot,  Frongei.it,  Fron- 
geld, Frongeicicht,  Fronglaube,  Fron- 
gut, Fronhaus,  Fronh/iusfer,  fron- 
heilig,  Fronherr,  Fronhof,  Fronhube, 
Frottierte,  Fronknecht,  Fronkorn, 
Fronkreuz,  Fronland,  Fron  leib,  Fron- 
leichnam, Fronleute,  Fronmatte,Fron- 
ffennig,  Fronpferd,  F'ronpßu  ht , Fron- 
recht, Fronscniff,  Fronscnreil>er,Fron- 
stock,  Frontanz,  F'ronfeil,  F'ronvogt, 
Fron  traf  d,  Fronicalt,  Fronwasser, 
Fron  Wechsel ,  Fronweise,  Fron  werk, 
Fron  wiese,  Fronzins.  Nach  Weigand 
und  Grimm. 

Fronhöfe.  Der  Fron-  oder 
Herrenhof  entsteht  in  altgermani- 
scher Zeit  dadurch,  das8  jeder  freie 
Grundbesitzer  mit  seinem  L  oosgute 
in  der  Feldmark  auch  einen  Herren- 
hof in  dem  Dorfe  besass.  Zu  be- 
sonderer Haus-  und  Hofhaltung  ge- 
dieh ein  .*olchtT  Hof  jedoch  erat, 
seitdem  die  Zahl  der  Gemeinfreien 
«ich  seit  der  Zeit  der  Merovinger 
wesentlich  gemindert  hatte. 

1.  Die  F"ronhofe  des  früheren 
Mittelalters  bis  in  die  Zeit  der  Karo- 
linger. Der  Fron-  oder  Herrenhof 
ist  curtis  oder  curtis  dominica,  casa 
dominicata,  saht  oder  Salin  >  f.  Jeder 
frei»«  Grundbesitzer  bis  zum  König 
besitzt  einen  Fronhof.  Den  Herren- 
hof des  Königs  nannte  man  Königs- 
hof, königlichen  Salhof,  königlichen 
Fishu,  Falast,  den  der  Bischöfe 
Domhof;  den  der  Dorfgeistlichen 
Pfarrhof.  Zu  jedem  Fronhof  ge- 
hörten mehr  oder  weniger  aus- 
gedehnte Läudereien,  welche  die 
Grundherrschaft  des  Hofherrn  bil- 
deten. Eine  sehr  ausgedehute  oder 
aus  mehreren  Grundherrschaftcn  zu- 
sammengebrachte Grundherrschaft 
enthielt  mehrere  Fronhöfe,  zumal 
hei  Königen,  Bischöfen  u.  dgl.  Die 
nun  Frouhofc  gehörenden  Lände- 
reien werden  teils  von  dem  Hofe 
au»,  teils  durch  Kolonen  gebaut; 


das  Hofgesinde  besteht  aus  unfreien 
oder  wenigstens  nicht  vollfreien 
Leuten.  Schon  früh  hatte  der  um- 
zäunte Herrenhof  mit  den  Wohnun- 
gen des  Herrn  sowohl  als  der  Diener 
ein  burgartiges  Ansehen.  Alle  Woh- 
nungen waren  aus  Holz  gebaut,  die 
Dächer  mit  Schindeln,  selten  mit 
•Ziegeln  bedeckt.  Die  Herrruwoh- 
nuiig  des  Vollfreien  sah  in  altfrän- 
kischer Zeit  aus,  wie  heute  noch 
die  grösseren  Höfe  Süddeutschlands 
und  der  Schweiz;  sie  bestanden  aus 
blockhausartig  zusammengefügten 
Haiken  mit  einem  hohen  Dache, 
dem  First;  das  Dach  sowohl  als 
das  Innere  waren  durch  Säuleu  ge- 
tragen, und  Säulen  cor  dem  Ge- 
bäude trugen  das  vorstehende  Dach 
und  bildeten  dadurch  einen  bedeck- 
ten Gang.  Das  Innere  der  Woh- 
nung, die  Diele,  bestand  aus  einem 
einzigen  Räume,  in  welchem  die 
ganze  Familie,  um  den  Familien- 
herd versammelt,  wohnte.  Alle 
Haupt-  und  Nebengebäude  samt  dem 
Arbeitshäusern  und  Wirtschafts- 
gebäuden bestanden  aus  einzelnen, 
nebeneinander  stehenden,  einstöcki- 
gen und  nur  einen  einzigen  Raum 
enthaltenden  Gebäuden.  Bewacht 
wurde  das  Ganze,  wie  noch  heute 
die  Bauernhöfe,  vom  Hofwart,  d.  i. 
dem  Hofhunde. 

Dieser  Bestand  der  ältesten  Fron- 
höfe erhielt  durch  Karls  des  Grossen 
Bemühungen  ein  wesentlich  ver- 
ändertes Ansehen.  Karl  der  Grosse 
erliess  genaue  Bestimmungen  für 
den  Königshof  und  dessen  einzelne 
Teile.  Das  Hauptgebäude  sollte 
•las  geräumige  und  wohleingerichtete 
Herrenhaus  sein:  insgemein  aus 
Stein  oder  wenigstens  aussen  aus 
Stein  oder  auch  ganz  aus  Holz  her- 
gestellt; die  übrigen  Wohn-  und 
Arbeitshäuser,  die  Häuser  für  die 
Frauen  samt  den  nötigen  Stuben 
und  Vorratskammern  sollten  sich 
daran  anreihen.  Das  ganze  Hof- 
gebäude war  mit  Söllern,  hin  und 
wieder  auch  noch  mit  bedeckten 


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240 


Fronhöfe. 


Gängen  umgeben,  wozu  dann  die 
Okonomiegebäude ,  Gärten ,  Hof- 
räume und  Fischteiche  kamen,  alle» 
wiederum  mit  einer  gemeinschaft- 
lichen Mauer  oder  mit  einem  Zaune 
umgeben.  Karls  des  Grossen  Bei- 
spiel fand  bei  den  weltlichen  und 
geistlichen  Grundherreu  bald  Nach- 
ahmung. 

Auf  solchen  Fronhöfen  ent- 
wickelte sich  nun,  ebenfalls  in  An- 
lehnung an  die  königlichen  Höfe, 
die  Hofhaltung  des  Mittelalters, 
welche  aufs  engste  mit  der  Ver- 
fassung, der  Bildung,  der  Kunst  die- 
ser Periode  zusammenhangt.  Hier 
soll  bloss  die  Entwicklung  und  Ge- 
staltung des  Fronhofwesens  im  en- 
geren Sinne  kurz  gezeichnet  werden. 

In  Beziehung  auf  die  königlichen 
Höfe  entwickelt  sich  ein  Unterschied 
«wischen  Pfalzen,  zu  denen  stet** 
gewisse  königliche  Villen  gehörten 
und  in  welchen  eine  königliche  Hof- 
haltung bestand,  und  zwischen  ge- 
wöhnlichen Königshofen  y  die  bloss 
für  eine  Villenvevwaltung,  keines- 
wegs aber  zum  Empfange  des  Kö- 
nigs und  der  königlichen  Hofhal- 
tung eingerichtet  waren.  Au  der 
Spitze  eines  Königshofes  oder  einer 
Villa  und  der  dazu  gehörigen  Herr- 
schaft stand  ein  herrschaftlicher 
Beamter,  der  sehr  verschiedene  Na- 
men trägt,  z.  B.  judex,  villicus.  ma- 
jor, major  rillae,  cellarius,  deeanus, 
cenfennrius,  decurio,  Schultheis»  u.  a. 
Dieser  Beamte,  der  bald  dem  Stande 
der  hofhörigen  Leute,  bald  dem  der 
höheren  Hofbeamteu  angehörte,  hatte 
die  Verwaltung  und  Bewirtschaftung 
der  Ländercien  des  Hofes  unter  sich 
und  die  Aufsicht  über  die  arbeiten- 
den und  dienenden  Frauen,  Künst- 
ler und  Handwerker. 

Der  Verfassung  der  königlichen 
Höfe  und  Villen  wurde  diejenige 
der  übrigen  Grundherren  nachge- 
bildet, und  zwar  unterschied  man 
hier  die  innere  Familie  des  Hof- 
herrn, die  zur  Besorgung  des  eigent- 
lichen Hofdienstes  verwendet  wurde, 


und  die  äussere  Familie,  wozu  die 
zur  Landwirtschaft  verwendeten 
Knechte,  Mägde  und  andere  un- 
freie und  hörige  Leute  zählten,  die 
um  den  Fronnof  herum  wohnten. 
Salländereien,  terrae  salicae,  agri 
salici,  Herren-  oder  Fronländereien 
hiessen  die  vom  Fronhofe  aus  be- 
bauten Ländereien,  zum  Unter- 
schiede von  den  an  Koloneu  hin- 
gegebenen Zinsgütern  und  Bene- 
fizien.  Auch  au  der  Spitze  dieser 
Höfe  standen  Meier,  Zelienter  oder 
Centner,  Orts  Vorsteher  {praepositi), 
Kellner,  Verwalter  (actores)  oder 
Vögte,  in  geistlichen  Grundherr- 
schaften  nicht  selten  Mönche  und 
andere  Geistliche. 

Zu  den  Fronhöfen  gehörteu  aber 
auch  die  im  Besitz  der  Kolonen 
sich  befindlichen  Bauernhöfe.  Sie 
gehörten  insofern  zum  Fronhofe,  als 
ihre  Inhaber  gewisse  Dienste  und 
Leistungen,  zu  denen  sie  verpflichtet 
waren,  au  den  herrschaftlichen  Be- 
amten des  Fronhofen  zu  entrichten 
hatten.  Eben  aus  dieser  Zusammen- 
gehörigkeit der  Bauernhöfe  zum 
Herrenhof  ist  der  Name  Hörigkeit, 
Hofhöriqkeit  entsprungen.  Doch 
lagen  diese  Bauernhöfe  nicht  not- 
wendig unmittelbar  am  Fronhofe, 
sondern  häufig  durchaus  zerstreut 
Sonst  war  der  Bauernhof,  abgesehen 
von  seinem  abhängigen  Zustande, 
im  kleinen,  was  der  Fronhof  im 
grossen  war.  Er  bestand  aus  einer 
Wohnung  im  Dorfe,  meist  mamtus 
genannt',  mit  den  dazu  gehörigen 
Stallungen,  Scheunen  u.  dgl.  und 
aus  einer  Anzahl  Feldern  und  Wie- 
sen in  der  Feldmark.  Die  Kolonen 
konnten  wieder  ihr  unfreies  Ge- 
sinde, maneipia,  haben,  die,  an  dio 
Seholle  gebunden,  mit  dem  Grund 
und  Boden  veräussert  wurden. 

Die  Bauerndienste,  welche  die 
Kolonen  und  Hörigen  an  den  Fron- 
hof zu  entrichten  haben,  sind  Fron- 
dienste; zu  denselben  waren  nicht 
bloss  die  Männer,  sondern  auch  die 
Frauen  verpflichtet.   Sie  sind  sehr 


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Fronhöfe. 


241 


verschiedener  Art,  die  häufigsten 
aber  sind  die  Ackerdienste;  andere 
sind  die  Botendienste,  Fronfuhren 
und  Vorspanndienste;  auch  zu  Kriegs- 
diensten  und  gewissen  Haus-  und 
Hofdiensten  waren  die  Inhaber  der 
Bauerngüter  verpflichtet. 

Die  Kolonen  und  Schutzhörigen 
eines  Fronhofes  bildeteu  zusammen 
eine  Hofgenossenschaft,  deren  Haupt 
der  jedesmalige  Herr  des  Fronhofes 
war.  Er  vermittelte  den  Rechts- 
verkehr der  Hofgenossen  nach  aussen ; 
er  vertrat  sie.  Die  Hofgenossen 
selbst  hatten  ihr  eigenes  Ho free/U, 
eine  eigene  genossenschaftliche  Ge- 
richtsbarkeit. Wie  bei  den  Volks- 
eerichten fanden  die  Genossen  selbst 
das  Recht,  der  Vorsitzende  Richter 
war  nur  Frager  des  Rechtes. 

2.  Die  Fronhöfe  des  späteren 
Mittelalters.  Die  Wohnung  des 
Grundherrn  heisst  auch  im  spätem 
Mittelalter  Fron-  oder  Herrenhof, 
domus  dominica,  nutnsus  dorn.,  curia, 
curiis;  andere  Namen  sind  sal,  sal- 
hof,  sei  ho  f,  bannhof,  ttcinghof  Als 
Silz  der  Herrschaft  heisst  er  sedel- 
hof  sidelkof  woraus  später  sadelhof 
seidelhof  und  sattelhof  wurde;  auch 
stadelhof  kommt  vor,  Amtshof  und 
Dinghot.  Insofern  zu  jedem  Ding- 
hof eine  Anzahl  Bauernhöfe  oder 
Huben  gehörte,  so  hiess  er  huobhof, 
Haupthof ;  insofern  er  keiner  Grunil- 
und  Schutzherrschaft  unterworfen 
war,  Freihof,  freier  Fronhof;  nach 
anderer  Beziehung  endlich  heisst  er 
einerseits  Edelhof  von  dem  Stande 
seines  Besitzers,  Meierhof,  Kelnhof, 
villicatu*,  rilficatio,  insofern  er  an 
Meier  oder  Kellner  zur  Bewirtschaf- 
tung abgegeben  war.  Mit  allen  die- 
sen Namen  bezeichnet  man  nun  aber 
entweder  nur  die  herrschaftliche 
Wohnung  im  Gegensatze  zu  den  dazu 
gehörenden  Ländern  und  Bauern- 
gütern, oder  ausser  der  Wohnung 
noch  alle  dazu  gehörenden  Wirt- 
schafts- und  anderen  Gebäude  nebst 
Hofräumeu  nnd  Gärten,  oder  end- 
lich zu  alledem  noch  die  dazu  ge- 

Reallexieon  der  deutschen  Altertümer. 


hörigen  Ländereieu,  welche  nicht 
selten  eine  oder  mehrere  Dorfschaf- 
ten umfassten.  Je  nach  der  Grösse 
des  von  einem  Grundherrn  zusam- 
mengebrachten Territoriums  war  die 
Zahl  der  Fronhöfe  verschieden;  be- 
stand die  Herrschaft  aus  mehreren 
Fronhöfen,  so  stand  an  der  Spitze 
derselben  der  Oberhof  Haupthof, 
Amtshof,  Pfalz-  oder  Kammerhof. 
In  Beziehung  auf  den  Herrn  unter- 
scheidet man  1.  Palatien  der  Kö- 
nige und  die  ihnen  nachgebildeten 
Pfalzen  der  Landesherren;  2.  die 
für  die  Verwaltung  bestimmten  Kö- 
nigshöfe und  die  diesen  nachgebil- 
deten landesherrlichen  Fronhöfe;  und 
3.  die  Fronhöfe  der  geistlichen  und 
weltlichen  Grundherren,  welche  sehr 
häufig  zu  gleicher  Zeit  der  Sitz  der 
Herrschaft  selbst  und  der  herr- 
schaftlichen Verwaltung  waren. 
Die  königlichen  und  landesherr- 
lichen Fronhöfe  enthielten  in  erster 
Linie  ein  zur  Wohnung  des  lan- 
desherrlichen Beamten  dienendes 
Wohngebäude,  Königshof,  Herrenhof 
curia,  curtis,  Herrenhaus,  später 
meist  Amtshof  officium,  Amtshans 
genannt,  wozu  dann  die  nötigen 
landwirtlichen  Gebäude  kamen, 
I  Scheunen,  Speiche^,  Kasten,  Keller, 
|  Vorwerke  u.  dgl.  Ahnlich,  nur  klei- 
ner und  bescheidener,  waren  die 
Fronhöfe  der  geistlichen  und  welt- 
lichen Grundherren  beschaffen, 
welche  zugleich  ständiger  Wohnsitz 
derselben,  herrschaftliche  Wohnung 
und  Verwaltung  waren. 

Aus  den  Wohnhäusern  der  Fron- 
höfe, die  mau  nun  meist  aus  Stein 
baute,  daher  der  Name  steinhus, 
und  die  schon  früh  mit  Zäunen  oder 
Mauern  umgeben  waren,  wurden  die 
Burgen  des  Mitte/alters;  sie  treten 
erst  seit  dem  10.  und  11.  Jahrh. 
als  solche  hervor.  Andere  Burgen, 
die  erst  später  zahlreich  als  feste 
Aufenthalts-  und  Bewahrungsorte 
angelegt  wurden,  unterschieden  sieh 
von  den  älteren  aus  Fronhöfen  ent- 
standenen Burgen  dadurch,  dass  sie 

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242  Fronhöfe. 


ausser  ihrem  Bargbann  oder  Burg-  land  waren  die  meisten  Sallände- 
frieden  keinen  weiteren  Bezirk  be-  reien  früh  zu  Zhisgütern  geworden, 
sassen.  Neben  den  zu  Burgen  ge-  als  Lehen  verwendet,  an  Kolonen 
wordenen  Fronhofhäusern  gab  es  abgetreten  u.  dgl.  und  hatten  dann 
aber  immer  noch  zahlreiche'  Fron-  ihren  freien  Charakter  meist  mit 
höfe,  die  nie  zu  Burgen  umgebaut  der  Zeit  eingebüsst.  In  Xorddeutsch- 
wurden.  land  erhielten  sie  sich  länger.  Aus 
Die  zu  einem  Fronhofe  gehören-  ihren  Kesten  sind  die  Vumanen. 
den  Ländereien  hiessen  das  Terri-  Kammergüter,  Kammerforsten,  Rr- 
torium  oder  da*  Gut,  praedium.  Sie  tergüter,  herrachaftliche'nWaldunge: 
waren,  wenn  nie  um  den  Fronhof  hervorgegangen, 
herumlagen,  öfters  mit  einem  Gra-  Da  freier  Grundbesitz  im  Mittel 
ben,  Zaun,  Etter  oder  Gatter,  meist  alter  allmählich  meist  die  Ritter- 
aber  mit  Marksteinen  oder  Grenz-  bürtigkeit  zur  Folge  hatte,  wurden 
pfählen,  Grenzbäumen.  Kreuzen  und  die  Fronhöfe  zu  hdelhöfen,  die  Hof- 
Grenzsäulen  bezeichnet,  die  Um/äu-  und  Grundherrschaften  zu  Ritter- 
nung  aber  mit  Thoren,  besonders  herrschaften  oder  Rittergütern,  und 
mit  IfaWhoren,  versehen.  Von  dieser  das  Recht,  sie  zu  besitzen,  ein  Rech: 
Abmarkung  erhielt  das  zu  einem  des  Adels.  Jeder  Fronhofherr  hattt 
FronhotV  gehörige  Gebiet  selbst  den  das  freie  Eigentum  an  dem  zu  sei- 
Nameu  Atark  oder  Hof  mark,  auch  nem"  Fronhofe  gehörigen  Grund  ud-J 
Etter,  Zaun,  Bannzaun.  Schutzbann.  Boden;  doch  waren  auch  gewis* 
Die  Ländereien  der  Hofmark  be-  Verpflichtungen  damit  verbunden, 
linden  sich  entweder  in  unmittel-  namentlich  war  der  Inhaber  de* 
barem  Besitze  des  Grundherrn  selbst  Fronhofes  zur  Haltung  des  n<-tweo- 
und  werden  vom  Fronhofe  aus  digen  Faxet-  oder  Zillriehe*  oder 
durch  Rohmen,  jedoch  nur  fron-  der  Wuchertiere  angehalten.  Zu 
weise,  bebaut,  oder  sie  sind  gegen  besonderen  Rechten  des  Herrn  je- 
bestimmte  Leistungen  seit  undenk-  hörte  das  Eigentum  an  den  Mid- 
licher Zeit  an  Kolonen  hingegeben,  düngen,  an  W outer  und  Weide,  •£ 
also  Bauerngüter.  Die  ersteren  Flüssen  und  Bachen,  an  dein  Sa»i. 
hiessen  auch  im  späteren  Mittelalter  an  den  Bergen,  Felsen.  Th«!er%. 
noch  terrae  salieae,  Salhntdereien,  Weyen  und  Steven,  freien  /7»fa*» 
agri  salici,  u.  dgl.,  auch  Seellände-  und  an  der  Atmende,  so  jedoch» 
reien,  Seelgüter,  Seelhuben,  seilend,  dass  den  Kolonen  mehr  oder  we- 
sale,  auch  ahtae,  ahten,  hatent  ach-  niger  ausgedehnte  Gebrauchs-  qe>S 
ten,  Hofachten,  zu  mhd.  der  ahtv,  Nutzungsrechte  zugestanden  w&rOfc 
aehte.  d.  h.  ein  ausgesondertes  und  Zum  Fronhofe  gehören  hwsrt 
unter  besonderen  Rechtsschutz  ge-  den  Saltändereien  die  in  deu  Hte- 
nommenes  Ackerland  eine-  Herrn;  den  des  Kolonen  liegenden  BamWtH 
auch  Bunden,  Gebunden ,  Pennten;  höfe.  Ihr  Name  ist  Hoff,  carte*. 
Hof-  oder  Fronlande  reien,  Fron-  euriae,  ttuinsi,  Hubkufe. '  SadelhaOk 
guter,  Fronäcker,  herrschaftliche  Sedelhöfe,  Zinshöfe,  Fallhofe. 
Ländereien.  Diese  Güter  hatten  hare,  llofqüter,  Bauerngüter,  FzW 
mancherlei  Freiheiten,  waren  wie  aiUer,  Erbgüter}  zu  Lehen  gegehd 
die  Fronhöfe  selbst  steuerfrei,  frei  heissen  sie'  Bauernlehen,  Mannfrlm* 
von  allen  grundherrlichen  und  vog-  Frblehen,  freie  Lehen,  Zinsleh+m 
teilichen  Abgaben,  vom  herrschaft-  Sie  waren  in  verschiedeneu  Fron 
liehen  Zehnten.  Sie  waren  nicht  höfen  und  Grundherrschaf  ten  rer1 
überall  arrondiert,  sondern  lagen  oft  schieden  gross,  meist  etwa  30  Ma*j 
zerstreut  unter  den  hörigen  und  un  gen  oder  Jucharte,  allenthalben  ÄM 
freien  Bauerngütern.  In  Süddeutsch-  in  einem  und  demselben  Frontal 


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243 


ganz  gleich,  so  gross  zwar,  dass  das  fronen ;  die  Fronhinze,  ursprünglich 
Gut  zur  Ernährung  einer  hörigen  bestimmt,  die  Herrschaft  zu  unter- 
Familie hinreichte.  Alle  Bauern-  halten,  hiessen  auch  Hingst-  oder 
guter  waren  deshalb  ursprünglich  Diensttänze.  PH  ich  t  der  Herrschaft 
vermessen.  Wegen  ihrer  ursprüng-  war  es,  die  hörigen  Leute  wiihrend 
liehen  Gleichheit  konnten  diese  Gü-  des  Frondienstes  zu  beköstigen  und 
ter  auch  noch  später  verlost  wer-  zu  bekleiden.  Andere  Dienste  sind 
den.  Daneben  besitzen  die  hofhö-  Saturallieferungeri  und  Dienste  für 
rip^n  Leute  auch  noch  ungeteilte  die  Landwirtschaft,  Acker-  und  Feld- 
J"ehi-  und  Waldmarken,  Gemein-  dienste:  Lieferung  von  Dünger, 
marken,  Holzmarken.  Die  Gesamt-  Pflügen,  Säen,  Krnten,  Hauen,  Roden, 
heit  der  in  einer  solchen  Feld-  und  Weinlesen,  Zaunmachen.  Den  höri- 
Waldmark  angesessenen  hörigen  gen  Frauen  standen  weibliche  Ar- 
Leute  heisst  Markgenossenschaft  beiten  im  Hause  und  in  der  Küche 
oder  Hofmarkgemeinde,  deren  voll-  zu,  Besorgung  der  Näherei.  Die 
berechtigte  Genossen  nur  diejenigen  hörigen  Dienstmägde  wohnten  mit 
siud,  welche  Hofgüter  innehaben;  den  Edelfrauen  im  Frauenzimmer. 
das  rechte  Eigentum  über  die  Ge-  Die  Auflösung  der  Fronhöfe  be- 
meinmarken  stand  aber  dem  Herrn  ginnt  schon  im  12.  Jahrh.  und  setzt 
des  Hofes  zu.  sich  bis  zum  Abschlüsse  des  Mittel- 
Die  Dienste  der  bäuerlichen  Ko-  alters  stütig  fort.  Es  sind  dabei 
Ionen  an  den  Herrn  waren  sehr  wirksam:  Veräusserung  einzelner 
mannigfach.  Man  unterscheidet  Stücke  oder  sämtlicher  Bauerngüter 
yaturaUeistunffen,  Früchte,  Haus-  von  dem  Fronhofe  als  Lehen  oder 
tiere,  Geflügel,  Erzeugnisse  der  Milch-  als  Pacht-  oder  Meiergüter,  allmäh, - 
wirtschaft,  der  Bienenzucht,  des  liehe,  zum  Teil  unvermerkte  Los- 
Fischfangs, Flachs,  Hanf,  des  Obst-  lösung  dieser  Stücke  vom  Ganzen; 
und  Weinbaues,  Lieferungen  der  in  Verpachtungen  der  Frohnhöfc  und 
der  Rüche  nötigen  Gerätschaften,  der  dazu  gehörigen  Läudereien,  Ver- 
des Hausgerätes  überhaupt,  Fischer-  i  äusserung  an  auswärtige  Stifter  und 
netze,  Tücher,  Pelzwerke,  fertige  Klöster,  Edellcute,  Städte  und  Stadt- 
Kleidungsstücke  wie  Schuhe,  Hand-  bürger,  und  was  sonst  den  Bestand 
schuhe,  Handtücher;  ferner  den  tag-  der  mittelalterlichen  Grundrechte 
liehen  und  den  Wochendienst  zur  auflöste.  Nach  r.  Maurer,  Geschichte 
Bedienung  der  Grundherrschaft ;  der  Fronhöfe,  der  Bauernhöfe  und 
ausserordentliche  Dienste  an  den  der  Hofverfassung  in  Deutschland, 
feierlichen  Hof-  und  Gerichtstagen,  4  Bände.  Erlangen,  1862,  1863. 
Beherbergung  und  Verpflegung  der  Fronleichnamsfest,  Festum  sire 
Grundherren  und  ihrer  Beamten  bei  solennitas  corporis  Christi,  die  Feier 
ihren  Amtsreisen,  welches  man  den  der  Transsubstantiation ,  entstand 
Dienst,  die  Atzung  oder  Atze,  das  bald,  nachdem  die  Lehre  von  der 
Mahl,  Sach  tmahl,  den  Imhiss  u.  dgl.  wirklichen  Verwandlung  des  Brotes 
nannte.  Meist  wurden  mit  der  Zeit  und  Weines  in  den  Leib  und  das 
diese  Naturalleistungen  in  Geld-  Blut  Christi  auf  der  Lateransynodo 
kfatengen  verwandelt.  Anderer  Natur  unter  Innoceuz  HL  im  Jahr  1215 
sind  die  Frondienste,  Frontage,  auch  als  kirchliches  Dogma  sanktioniert 
Schar,  Schancerk,  Scharwercn,  Schar-  worden  war.  Mehrere  Frauen  des 
vagen,  Anger,  lagtnan,  Achten  ge-  Nonnenklosters  zu  Lüttich,  nament- 
uannt.  Es  gehören  dazu  die  Tafel-  lieh  Juliana,  Isabella  und  Eva,  er- 
dienste,  Botendienste,  Fronpferde  blickten  während  ihres  Gebetes  einen 
und  Fronfuhren,  Schiffsdienst  >  .  Bau-  glänzenden,  jedoch  an  der  Seite  ver- 
fronen.  Jagd-,  Fischerei-  und  Tanz-  dunkelten  Mond  und  machten  ihrem 

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244 


Fronleichnamsfest. 


Bischof  Anzeige  davon.  Als  dieser 
darauf  für  .^eiiie  Diözese  ein  Fest  der 
Hostieirnnbetune  angeordnet,  wurde 
Papst  Urban  IV.  durch  ein  neues 
Wunder  bewogen,  dasselbe  im  Jahr 
1264  durch  eine  Halle  als  ein  Fest 
für  die  ganze  Kirche  zu  verordnen. 
Da  jedoch  dieser  Papst  kurz  nach 
der  Erlassung  der  Bulle  starb,  kam 
das  Fest  nicht  eher  zum  Vollzug, 
als  bis  Clemens  V.  es  durch  eine 
neue  Bulle  1811  bestätigt  hatte.  Vor 
1316  lässt  sich  ein  allgemeiner  Ge- 
brauch nicht  aufweisen.  Das  Wesent- 
liche der  Einsetzungsbulle  besteht 
darin:  Obgleich  der  grüne  Donners- 
tag das  Fest  der  Einsetzung  des 
heiligen  Abendmahls  sei,  so  könne 
doch  die  Kirche  an  diesem  Tage 
wegen  der  Aussöhnung  der  Büssen- 
den,  Verfertigung  des  geweihten 
Öles  des  Fusswaschens  und  anderer 
Beschäftigungen  jenes  Sakrament 
nicht  gebührend  feiern,  und  es  müsse 
daher  ein  besonderer  Tag  dazu  be- 
stimmt werden.  Dieses  Fest,  für 
dessen  bussfertige  Feier  ein  Ablass 
von  40  bis  100  Tagen  verheissen 
wird,  soll  dazu  dienen,  die  Ketzer 
zu  beschämen  und  den  wahren  Glau- 
ben zu  befestigen.  Die  Wahl  des 
Donnerstags  nach  der  Pfingst-Oktave 
hatte  offenbar  Beziehung  auf  den 
grünen  Donnerstag  und  auf  das 
Dogma  von  der  Dreieinigkeit.  All- 
gemein wird  dem  Scholastiker  Tho- 
mas Aquinas  ein  grosser  Anteil  au 
der  Idee  und  Ausführung  dieses 
Instituts  zugeschrieben.  Von  ihm 
rührt  das  jetzt  noch  gebräuchliche 
Offizium  her,  das  unter  die  vorzüg- 
lichsten liturgischen  Arbeiten  gerech- 
net wird;  besonders  schön  ist  der 
Hymnus: 

Hanguc  lingua  gloriosi 
Corporis  mysterium 
Sanguinisque  pretiosi, 
Quem  in  mundi  pretium 
Fructus  renfris  generosi 
Hex  ejfudit  gentium. 
Die   Fronleichnamsprozession  will 
durch  das  sichtbare  Umhertragen 


der  Hostie  und  durch  den  übrigen 
sinnlichen  Aufwand  nach  dem  Aus- 
drucke des  Tridentiner  Konzils  die 
Herrlichkeit  der  katholischen  Kirche 
auch  vor  den  Augen  ihrer  Gegner 
offenbaren  und  deren  Seelen  er- 
schüttern und  gewinnen.  Johannes 
Kessler  giebt  in  der  Salthata,  I,  103 
folgende  Beschreibung  des  Festes, 
wie  es  bis  ungefähr  1 525  in  St.  Gallen 
abgehalten  wurde:  Demnach  ist  an- 
gesehen in  onvorlangen  ziten  anno 
1  '254  ein  fest  und  procession  zuo  Ion 
und    vererung    des  gegenwurtigen 
wesenlichen  libs  Christi  im  Sakrament 
des  aJtendmals,  sojarlich  uf  dondstag 
4  tag  brachmonats  in  solichem  prackt 
und  apparat,  baide  rori  gaistlichen 
I  und  weltlichen   baider  geschlechten 
personen  und  kostbarlichen  ceremo 
nien,  dass  ich  die  nit  wiste  ze  be- 
schriben ,  begangen  wirf.     Was  sol 
ich  sagen  von  den  unzaligen  langen 
und  von  gold  und  arbait  gezierttn 
kerzenstangen,  mit  gras  und  allerlei 
bluomen  umbteunden ,  glichermassen 
wie  die  haiden  ire  thyrses  genant  in 
den  festen  Bachi  zuoberait  haben! 
Dise  thyrses  oder  wandelkerzen  gien- 
gen  der  procession  umb  die  ganzen 
stat  ussert  den  muren  zuovor;  dem- 
nach die  schuoler  in  iren  wissen  lin- 
waten  Überrocken,  singende  und  schel- 
lende mit  cymbalen  ganz  lustbarlichen  ; 
demnach  die  priester  und  monachen, 
alle  in  kostlichen,  siden  und  samaten 
klaider,  darinnen  och  si  zuo  den 
hoechsten  festen  die  opfermess  hal- 
tend, jeder  in  siner  hand  oder  armen 
ain  guldin  oder  silberin  stuck  und 
gefess  tragend,  darinnen  etlicher  ab- 
gestorbnen haiigen  bain  verschlösse» 
ligend.     If  die  gaistlich  genanten 
zuoletst  gieng  irer  obersten  desselhigen 
orts,  als  pfarrer,  bisehoffe,  propst. 
decan,  bi  uns  hie  der  abt,  fürtrejjfen- 
lich  kostlich  tragende  in  einem  guJ- 
dinen  oder  silberin  monstranzen  da* 
brot  des  al>endmals  Christi  als  den 
wesenlichen,  personlichen,  selbsten- 
digen  Hb  Christi.    Und  zuo  baideu 
si'fen  ward  der  gefuert  von  der  stuf 


i 


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Froschmäuselcr.  —  Fruchtbringende  Gesellschaft.  243 


obersten  hurgermaister  oder  schuld-  immer  Menschen  abgemalt  t  uutl 
haissen  wider  ainem  himel,  welcher  gemeinet. 

mit  sechs  stangen  ron  den  sechs  zunft-  Frucht  bringende  («esellschaft 
maister  enthur  tragen  ward.  Vf  der  oder  Pul  nie  norden  heisst  die  litte- 
paistlichen  procession  rolgte  dan  der  rarische  Gesellschaft,  die  bei  Aidass 
laien  huf  in  iren  allerkostbarlichsten  eines  fürstlichen  Leichen begäug- 
k'laider,  und  jederman,  ga  istlich  und  \  nisses  im  Jahr  1H17  zu  Weimar  go- 
iceltlich,  Jungs  und  alts  tragende  it  f  stiftet  wurde.  Sie  wurde  nach  dem 
irem  hopt  von  wol  riechenden  bluomen  Rate  des  vielgereisten  geheimen 
ainen  kränz.  Mit  sulichem  hochzit-  Rates  nnd  Hofmarsehalls  Kaspar 
apparat  con  claidung,  zierden,  singen,  von  Teutleben  in  Nachahmung  ita- 
cymlxilen,  harpfen,  gigen,  luten,  arg-  j  lienischer  Akademien  errichtet,  des- 
len  etc.  oifjceaiert  man  umb  die  stat.\  sen  Vorschlag  dahin  gimr.  „auch 
L'eber  aen  Her  toren  warend  von  in  Deutschland  eine  solche  Ge- 
d*n  hurger  zuoberaitc  altar  von  tue-  Seilschaft  zu  erwecken,  darin  mau 
eher,  huder \  kerzen;  alda  hielt  man  gut  rein  Teutsch  zu  reden,  zu  schrei- 
under  jedem  stil,  singende  ain  evan-  Den  sich  befleissige  und  dasjenige 
geliffn,  und  empßeng  man  ron  dem  thäte,  was  zur  Erhebung  der  Mutter- 
obersten  den  segen.  In  der  sfat  aber,  spräche  dienlich  wäre."  Die  Ge- 
an  welchen  orten  die  procession  muost  Seilschaft  nannte  sich  die  fruchf- 
furgon,  warend  alle  hüser  nach  ver-  bringende,  weil  jedes  Mitglied  „über- 
mvgen  dem  sacramenf  zuo  eren  mit  |  all  Frucht  zu  schaffen  geflissen  sein 
hilaern,  hrinnenden  kerzen,  tüecher  sollte*'.  Ihre  Devise  war:  „Alles 
zuoberait  und  behengt  und  die  gasse.n  zu  Nutzen."  Jedes  Mitglied  hatte 
mit  lobdsten  waldwiss  bestecht,  och  ausser  seinem  beziehungsreichen  Na- 
mit  gross  beströuwet  und  bedecht.  men  sich  auch  eine  emblematische 
Diss  fest  treret  mit  usstailung  der  Blume,  eine  Frucht,  einen  Baum 
gnaden  und  päpstlichen  aplas  acht  oder  ein  Kraut  zu  wählen,  das  an 
tag;  welcher  den  gegenwurtigen  im  den  Wahlspruch  „Alles  zu  Nutzen" 
tempel  durch  ainen  segen ,  so  mit !  erinnerte.  Die  Mitglieder  der  Ge- 
dem  monstranzen  des  sacraments  )  Seilschaft  sollteu  sich,  „wes  Standes 
crufzwiss  ron  dem  priester,  hin  und  I  oder  welcher  Religion  sie  auch  wären, 
her,  uf  und  ab  gewehet,  überraicht  ehrbar,  verständig  und  weise,  tugend- 
ward;  och  die  zit  von  besunderm  h&h  und  höflich,  nützlich  und  er- 
ahlxis  genant  die  apfaswuch .  Eine ;  götzlich,  leutselig  und  massig  über- 
andere Beschreibung  giebt  »Sebastian  j  all  erweisen,  rühmlich  und  ehrlich 
Frank,  Weltbuch,  S.  132  a.  handeln,  bei  Zusammenkünften  sich 

Frosehmiiuselerbeisstein episch-  gütig,  fröhlich  und  vertraulich,  in 
satirisches  Gedicht  des  Georg  Rollen- 1  Worten,  Gebärden  und  Werken 
hageu,  1542 — 1609,  Rektor  in  Halber-  treulich  erweisen,  keiner  dem  andern 
stadt  und  Magdeburg.  Es  ist  eine  ein  widrig  Wort  übel  aufnehmen, 
Nachahmung  der  Homerischen  Ba-  auch  sich  aller  unziemenden  Reden 
trachomyomachie,  aber  durchaus  und  groben  Scherze  enthalten."  Dann 
ins  Lehrhafte  und  Polemische  gear-  aber  sollte  den  Gesellschaftern  vor 
beitet.  Erste  Ausgabe  Magdeourg  allen  Dingen  obliegen,  unsere  hoch- 
1595.  Nach  dem  YY  erke  selbst  hau-  geehrte  Muttersprache  in  ihrem 
delt  das  erste  Buch  vom  Privat-  gründlichen  Wesen  und  rechten  Ver- 
stände, das  zweite  vom  geistlichen  stände,  ohne  Einmischung  fremder, 
und  weltlichen  Regimente,  das  ausländischer  Flickwörter,  sowohl 
dritte  von  Kriegssachen ,  und  ob-  im  Reden,  Schreiben,  Gedichten  aufs 
gleich  von  Mäusen,  Fröschen  und  allerzierlichste  und  deutlichste  zu 
Hasen  die  Rede  sei,  so  seien  doch  erhalten  und  auszuüben,  auch  mög- 


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240 


Fuhrwerk.  —  Füret. 


liehst  zu  verhüten,  dass  diesem  in  der  Gesellschaft  wurde;  denn  das 

keinem  Falle  möge  zuwider  gehan-  Oberhaupt  musste  nach  den  Ordens- 

delt,  vielmehr  gehorsamlich  nachge-  gesetzen  ein  Füret  sein.  Er  starb 
lebt  werden".  Die  Gründer  der  Ge-  1662;  sein  Nachfolger  wurde  erst 

Seilschaft  waren  ausser  Teutleben:  1667  Herzog  August  von  Sachsen; 

der  Fürst  Ludwig  von  Anhalt-Kothen  nach  dessen  im  Jahr  1680  erfolgten 

und  sein  Sohn  Ludwig  der  Jüngere;  Tode  wurde  kein  Oberhaupt  mehr 

die  Herzöge  .Johann  Ernst,  Fried-  gewählt,  ZtöWn?  in  ErschundGrubcr. 

rieh  und  Wilhelm  von  Weimar  und  Barthold.  Fruchtbringende  Gesell- 

zwei  anhaltische  Edelleute  Christoph  schaft. 

und  Bernhard  von  Krosigk.  Die  j  Fuhrwerk,  siehe  Warfen. 
Ziele  der  Gesellschaft  waren  offen-  Fürst.  Erst  in  der  mittelalter- 
bar durchaus  würdige,-  doch  war  sie  liehen  Periode  hat  man  ein  Recht, 
vornehmlich  eine  Gesellschaft  des  von  Fürsten  zu  sprechen;  denn  die 
Adels  und  war,  wie  die  Bildung  der  principe*  des Tacitus  scheinen  keines- 
Zeit  überhaupt,  mit  Einseitigkeit  wegs  ein  einziges  bestimmte«  Amt 
schöner  und  löblicher  Form  zuge-  bedeuten  zu  dürfen,  vielmehr  an 
than;  auch  war  wirklich  die  häss-  verschiedenen  Stellen  bald  den  Ge- 
licheSprachmengerei,  welcher  die  Ge-  folgsherrn,  bald  den  Gaukönig  und 
Seilschaft  entgegentrat,  am  meisten  bald  den  Gaugrafen  bezeichnet  zu 
in  den  vornehmen  Kreisen  zuhause,  haben.  Dahn,  Könige  derGermanen, 
Daher  stiftete  auch  eine  Anna,  I,  »>7  ff.  Das  Gotische  kennt  das 
Gräfin  von  Bentheim,  noch  in  dem-  Wort  noch  nicht;  erst  das  Althoch- 
selbcu  Jahre  1617  zu  Amberg  in  deutsche  bildet  aus  dem  Adverb 
der  Oberpfalz  eine  Arndt mie  des  furi  =  nhd.  für  einen  Superlativ 
Loyales  oder  VOrdre  de  la  Palme  furisto,  fursto,  mhd.  (absterbeudi 
d'or.  bestimmt,  die  französiche  Bil-  vürste  —  derVorderete,  Erste,Höehste 
dung  unter  den  Frauen  ihres  Hauses  in  Kang  und  Würde,  schon  früh 
zu  verbreiten.  Die  Mitglieder  der  Übersetzung  von  prineeps,  procere*. 
Fruchtbringenden  Gesellschaft  be-  Mit  prineeps  wurde  seit  der  Aus- 
mühten  sicTi  besonders,  französische  bildung  des  fränkischen  Reiches 
und  italienische  Gedichte  insDeutsche  überhaupt  derjenige  bezeichnet,  der 
zu  übersetzen  und  Ringelrennen  und  an  Rang  und  Würde  zu  den  Höch- 
dergleichen  Hoffeste  mit  ihren  deut-  sten  zahlte:  der  König,  der  Major- 
sehen Produktionen  zu  zieren.  Ein  domus,  die  hohen  Beamten.  Noch 
besonders  fleissiger  Dichter  war  in  die  sächsischen  und  fränkischen 
dieser  Beziehung  der  im  Jahr  1620  Kaiser  und  Könige  und  die  Schrift- 
dem  Orden  beigetretene  Dietrich  von  steiler  ihrer  Zeit  sprechen  allgemein 
dem  Werder,  der  Ariosts  Rasenden  von  den  G rossen,  den  Fürsten  des 
Roland  übersetzte.  Als  das  zwei-  !  Reichs;  seit  Heinrich  IV.  erscheint 
hunderste  Mitglied  wurde  Opitz  unter  der  Name  principe*  regni  in  deu 
dem  Namen  des  ..Gekrönten"  und  königlichen  Urkunden,  als  Bezeich- 
net dem  Emblem  eines  brcitblätte-  nung  derjenigen,  welche  im  staat- 
rigen  Lorbee.  baumes  aufgenommen,  liehen  Leben  die  bedeutendste  Rolle 
Nachdem  im  Jahr  1650  erfolgten  spielen.  Irgend  eine  bestimmte  Um- 
Tode  des  Herzogs  Ludwig  von  An-  grenzung  des  Begriffes  findet  jedoch 
halt-Köthcu.  de?  80  Jahre  lang  die  noch  nicht  statt.  Zu  den  geistlichen 
Seele  der  Gesellschaft  gewesen  war  Fürsten  des  Reiches  gehören  in  dieser 
und  es  mit  ihren  Absichten  wirklich  Zeit  die  Erzbischöfe,  Bischöfe  und 
ernst  meinte,  kam  die  Leitung  der  Abte  der  unmittelbar  unter  dem 
Gesellschaft  nach  Weimar,  wo  Her-  Königstehenden Klöster,doch  werden 
zog  Willielm  (las  neue  Oberhaupt  auch  Kanoniker,  Priester  und  selbst 


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Fürst. 


247 


Mouche  dazu  gerechnet.  Weltliche 
Fürsten  heissen  die  Herzöge  und 
Grafen,  doch  werden  auch  ange- 
sehene Freie  mitunter  dazu  gezahlt. 
Als  ehrende  Anrede  empfangen  be- 
sonders jene  höchsten  Beamten  des 
Reiches  den  Namen  prineepa.  All- 
mählich werden  die  Fürsten  be- 
stimmter von  den  Adligen  und  Freien 
getrennt,  und  die  principe*  stehen 
nun  als  Amtsadel  dem  Ritteradel 

fegenüber.  In  FieidanksBeschuiden- 
eit  handelt  die  31.  Überschrift  von 
künegen  und  fursten.  Die  Ausbil- 
dung des  mittelalterlichen  Beamten- 
tums in  Staat  und  Kirche  ent- 
wickelte zuletzt  unter  dem  Einflüsse 
des  Lehnwesens  besondere  Gewalten, 
die  in  ihrer  Selbständigkeit  zwar 
mannigfach  abgestuft,  doch  eine  ge- 
meinsame Grundlage  haben.  Die 
Trager  dieser  Gewalten  heissen 
Fünfen,  der  Inbegriff  ihrer  Rechte 
und  Üi^itzunpunJ^ürsfent  inner,  mhd. 
fürsttwim  und  furstentuom,  daneben 
herschaft  und  hertuom,  ursprünglich 
der  blosse  Name  der  Würde  eines 
Fürsten,  später  mit  näherer  Be- 
ziehung auf  dessen  Land  und  Gebiet. 

Synonymen  sind  Regimen,  Vote- 
sfas,  Territorium,  da«*  letztere  Wort 
führt  dann  zum  Begriff  Landesherr, 
Im  miesfürst.  Solche  Bezeichnungen 
werden  zuerst  im  Anfange  des  12. 
Jahrhunderts  und  besonders  in  Loth- 
ringen üblich.  Ein  Ausdruck  der 
Stellung,  die  der  Fürst  einnimmt, 
int  der  Treueid,  den  er  sich  von  den 
Untergebenen  leisten  lässt.  zunächst 
von  den  Vasallen  und  Ministerialen, 
in  manchen  Fällen  von  weiteren 
Krei-en  der  Untergebenen,  z.  B. 
den  Bewohnern  einer  geistlichen 
Stadt.  Die  Rechte  des  Fürsten 
waren  Gerichtsgewalt,  Heergewalt 
und  Erhebung  von  Einkünften.  Für 
die  Übung  derselben  und  für  die 
obere  Leitung  bedurfte  der  Fürst 
nicht  minder  als  <!er  König  Ver- 
treter und  Gehilfen.  Seine  Um- 
g  heisst  Hof,  curia,  sowohl  als 
i .Hofgericht)  wie    als  Rat 


(Hofrat)  thätig.  Zum  Hof  werden 
die  Vasallen  und  Ministerialen  be- 
rufen. Da«*  letztere  ist  besonders 
bei  den  geistlichen  Fürsten  der  Fall; 
hier  erfolgten  Be«itzveränderungen 
nur  unter  ihrer  Zustimmung,  die  sie 
verweigern  konnten;  sie  hatten  Ein- 
fluse  auf  die  Emeuuung  der  Be- 
amten des  Stifts  und  Anteil  an  der 
Wahl  des  Bischofs  oder  Abtes. 
Der  deutsche  Name  für  diese  welt- 
lichen Beiriite  ist  das  gedujene,  d.  h. 
die  Degenschaft.  Aus  den  Ministe- 
rialen gingen  bei  weltlichen  und 
geistlichen  Fürsten  die  Hotbeamten 
hervor. 

Besonders  die  Kämpfe  zwischen 
Staat  und  Kirche  waren  dem  Auf- 
kommen der  Fürstentümer  günstig. 
Der  Kaiser  hatte  sich  dem  Papst 
gegenüber  auf  die  Fürsten  stützen 
müssen;  die  Folge  war,  dass  diese 
sich  mehr  und  mehr  selbständig 
ausbildeten.  In  immer  weiterem  Um- 
fange wurde  damals  in  den  welt- 
lichen Fürstentümern,  die  ursprüng- 
lich ja  bloss  Teile  des  Reiches  und 
von  diesem  und  dessen  Oberhaupte 
abhängig  waren,  erbliche  Nachfolge 
verlangt,  bestimmte  Geschlechter 
befestigten  sich  im  Besitze  der  grossen 
Fürstentümer.  Den  Bischöfen  stehen 
jetzt  die  Bewohner  der  Städte  zur 
Seite.  Je  verzettelter  die  könig- 
lichen Besitzungen  wurden,  desto 
kompakter  schlössen  sich  die  fürst- 
lichen Territorien,  zahlreiche  Mini- 
sterialen standen  den  letzteren  zu 
Gebote,  wie  ihuen  auch  das  Auf- 
blühen der  Städte,  des  Handels  und 
Gewerbes,  des  Wohlstandes  in  erster 
Linie  zugute  kam. 

Seit  dem  12.  Jahrhundert,  nach- 
dem die  Stellung  des  Grafen  als 
einstiger  hoher  Keichsbeamter  sich 
schon  wesentlich  abgeschwächt  hatte 
und  viele  Edelleute  infolge  Erwerbung 
eines  Stückes  alter  Grafschaft  sicli 
den  Grafentitel  beigelegt  hatten, 
trat  eine  Spaltung  zwischen  eigent- 
lichen Fürsten  und  Grafen  ein;  von 
den  letzteren  gehören  nur  die  wc- 


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248 


Füstenschule.  —  Fussbekleidung. 


nigen  zum  Fürstenstande,  die  vom  geschrieben,  ein  bis  an  die  Knöchel 

Kaiser  in  den  Reichsfürstenstand  reichendes,  aus  Leder  oder  Häuten 

erhoben  worden  waren,   woher  sie  bestehendes  Schuhwerk,  mit  Sehnär- 

ä&m\  ycfürstefe  G  rafcnhictsen.  Siehe  riemen  gebunden,  welche  letztere  so 

Waffe.    Verf.    und    Ficker ,   Vom  lang  waren,  dass  man  sie  über  die 

Reichsfürstenstande.    I.  Innsbruck,  Waden  kreuzweise  bis  zum  Knie 

1861.  winden  konnte.     Fremde  Fusabe- 

FflrstenschulenheissenimGegen-  kleidungen,  aber  ebenfalls  alt,  sind 
satz  gegen  die  städtischen  Schulen  mhd.  der  und  die  soc,  socke,  aus 
die  drei  sächsischen,  auf  einer  Stif-  lat.  soccus,  und  mhd.  der  uud  die 
tung  des  Landesfürsten  beruhenden  stiraf,  stiviU,  aus  ital.  stimfe,  franz. 
und  unter  seiner  unmittelbaren  Auf-  estival,  vom  lat.  aestirak,  also  eine 
sichtgcleitetenGymnasienzuJ/eiW'//,  Sommerbeklcidung  des  Fusses,  bi'ide 
Pforta  und  Grimma.  Sie  wurden  aus  leichteren  Stoffen,  feinem  Leder 
aus  den  durch  die  Reformation  frei  oder  Filz  gemacht  und  von  vor- 
gewordenen geistlichen  Gütern,  na-  nehmen  Personen  getragen;  sie 
mentlich  der  Klöster  errichtet  und  reichen  etwas  höher  an  der  Wade 
zwar  die  Schulen  zu  Meissen  und  aufwärts  als  der  Schuh,  der  bei 
Pforta  im  Jahr  1553,  diejenige  zu  vornehmen  Leuten  ebenfalls  aus 
Grimma  1549  durch  Herzog  Moritz  feinerem  Stoffe,  Filz  oder  weichem 
von  Sachsen,  namentlich  unter  Mit-  Leder  gearbeitet  und  oberhalb  des 
Wirkung  der  Räte  Dr.  Kommerstadt  Spanns  ausgeschnitten  und  etwa 
und  Ernst  von  Miltitz.  zugeschnürt  war. 

Fussbekleidung.  Dass  den  Deut-  Die  höfische  Mode  adoptierte  die 
sehen  schon  früh  eine  Fussbekleidung  um  1089  vom  Grafen  rulco  vou 
eigen  war,  zeigt  das  frühe  Vor-  Anjou  zum  Verbergen  seiner  Schwie- 
kommen  des  Wortes  got.  skohs,  ahd.  len  oder  Beulen  autgebrachten  Schna- 
seuoh,  mhd.  schuveh,  nhd.  Srhuh  und  beischuhe,  die  vorn  spitz  zuliefen  und 
die  symbolische  Verwendung  des  darum  über  die  Zenen  hinaus  ver- 
Schuhes in  den  Rechtsaltertümern,  längert  werden  mussten;  die  vor- 
lm  nordischen  Recht  kommt  der  ragenden  Spitzen  waren  mit  WTerg 
Schuh  bei  der  Adoption  und  Leyiti-  ausgestopft  und  bei  Stutzern  manch- 
mation  vor:  der  Vater  soll  ein  Mahl  mar  von  so  bedeutender  Länge,  dass 
anstellen,  einen  dreijährigen  Ochsen  sie  mit  einer  Kette  oder  Agraffe, 
schlachten,  dessen  rechtem  Fusse  etwa  auch  mit  einer  Schelle  ver- 
die  Haut  ablösen  und  daraus  einen  sehen,  ans  Kuieband  oder  au  den 
Schuh  machen,  den  er  zuerst  selbst  vorderen  Lappen  des  Schuhes  selber 
anzieht,  nach  ihm  der  adoptierte  festgebunden  wurden.  Wer  Trikots 
oder  legitimierte  Sohn,  zuletzt  die  trug,  bediente  sich,  besonders  Vor- 
Erben  und  Freunde.  Nach  altdcut-  nehme,  statt  der  Schuhe  einer  Ver- 
scher Sitte  bringt  der  Bräutigam  der  Stärkung  von  Leder  unmittelbar  un- 
Braut den  Schuh  beim  Verlöbnis;  ter  der  Sohle.  Im  15.  Jalirh.  kamen 
sobald  sie  ihn  an  den  Fuss  gelegt  für  schlechtes  Wetter  l'uterschuhe 
hat,  wird  sie  als  seiner  Gewalt  unter-  oder  Trippen  auf,  genau  nach  der 
worfen  betrachtet;  vielleicht  war  es  Form  der  Sohle  gearbeitet  und  lan^r- 
des Bräutigams  eigenerSchuh.  Mach-  spitzig,  wie  die  Schnabelschuhe;  sie 
tige  Könige  sandten  geringeren  ihre  hatten  unter  der  Ferse  und  dem 
Schuhe  zu,  welche  diese  zum  Zeichen  Ballen  eine  Erhöhung  und  bestan- 
der  Unterwerfung  trafen  sollten.  den  aus  Holz,  das  mit  Leder  über- 
Der  älteste  Schuh  ist  der  Bund-  zogen  war.  Eigentliche  Stiefel 
schuh,  mhd.  bunt. ich w><h.  nach  alter  wurden  in  dieser  Periode  bloss 
Meinung  von  Karl  dem  Grossen  vor-  von  Reitern  bei  der  Jagd  und  im 


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Fussboden.  —  Fusswaschung. 


249 


Krieire  getragen.     Die    Schnabel-  Hand  mit  verschiedenen  Zeiihnun- 

^huhe  wiclieu  nach    vierhundert-  cen  gTaviert  und  farbig  glasiert. 

j  ihriger  Wirksamkeit,  und  nachdem  In  ärmeren  Kirchen,  sowie  in  Pri- 

•itanül  Verbote  gegen  sie  ergangen  vatbauten  herrschte  im  frühen  Mit- 

viren, erstiegen  da«  Jahr  1500  dem  telalter  der  Estrich,  d.  h.  der  aus 

i'mgvkehrten  Extrem  breiJer  Schuhe,  Mörtel  hergestellte  Fussboden  vor, 

die  zuerst  EUemdkmabet,  dann  bei  er-  der  dann  durch  den  glutten  Ziegel- 

hohter  Breite  Bärenklauen,  Ochsen-  \  Fussboden,  durch  Fliesenboden  und 


urid  Kuimäuler  genannt  wurden. 

Was  aber  diesem  Fusswerk  an 
i-neite  zuging,  ging  ihm  an  Höhe 


die  Breite  und  machte  einer  ver- 
ständigen spitzeren  Form  Platz;  da- 
2*geu  bemächtigte  sich  die  aufkom- 
mende geschlitzte  Mode  auch  der 
Schuhe,  und  ähnlich   den  alteren 


selbst  durch   Marmorpflaster  und 
Mosaikboden  ersetzt  wurde.  Die 
Dielung   oder   der  Brettfussboden 
^;  es  war"  meist"  sehr  tief  aus- 1  scheint  erst  im  11.  Jahrh.  für  Par- 
g'-schnitten.  Gegen  1550  verschwand  i  terreräume  aufgekommen  zu  sein, 

nachdem  er  vorher  lediglich  auf 
Balken,  also  in  Obergeschossen,  ver- 
wendet worden  war;  in  der  Kenais- 
saneezeit  entwickelte  er  sich  als 
Friesfussboden   und    als  Parquett. 


Trippen  legte  man  jetzt  ebenfalls  Müller  und  Mothes,  arch.  Wörterb. 


jresehlitzte  Unterschuhe  oder  Fan- 
Wein  unter  den  Schuhen  an ;  Stutzer 
Fristen  durch  ihr  Pantoffelklopfen 
die  Aufmerksamkeit  der  Leute  an- 
auitben  Die  französische  Mode 
wbniüekfe  den  sonst  der  Fussform 


Fusskuss  als  Zeichen  der  Ver- 
ehrung kommt  sowohl  als  geistliche 
Zeremonie  vor,  in  Anlehnung  an 
Luk.  7,  38.  45:  Brachte  sie  ein  Glas 
mit  Salben  und  küsset  seine  Füsse 


und  salbet  sie  mit  Salben  (daher 
^'^j'as^ei,  schuh  mit  Rosetten  und  mit  der  Zeremonie  der  Fusswaschung 
Schleifen  und  verschaffte  im  1 8.  Jahr-  der  Fusskuss  verbunden  ist),  als  in 


banden  für  das  männliche  Ge- 
fchJeehtdem  mehr  militärischen  Stie- 
fel die  Herrschaft  über  den  Schuh. 

Fifebodeu.  In  den  Basiliken 
bestand  der  Fussboden  meist  aus 
anflehen,  viereckigen  Platten,  oder 
™  *us  Mosaik  und  bunten  Stei- 
len, (iegen  die  dabei  vorkommende 
Utrstellung  von  Heiligen,  Kreuzen 
n  eiferte  der  heilige  Bernhard, 
»olle  das  Heilige  nicht  mit 
ru>cii  treten.  Im  11.  Jahrh.  kamen 
■  ¥lk*wfwuböden  auf,  in  deren 
w*  Thon  'gebrannte  Platten  oder 
durch  Aufdrucken  eines  ge- 
schnitzten Brettes  Ornamente  ein- 
.^■injckt  waren;  auch  wurden  die 
[fiesen  nach  gewissen  Figuren  ge- 
?not,  besonders  bei  den  Cister- 
*n*rn  In  der  gotischen  Zeit  wür- 
fen die  Muster  reicher  und  zarter, 


weltlichen  Kreisen,  wo  der  Fusskuss 
wahrscheinlich  auf  die  Huldigung 
zurückgeht,  die  man  den  Göttern  bot: 
GtiwAn  bot  ir  sinen  gruoz, 
si  kujtt  im  steqreif  unde  vuoz, 

£arz.  621,  16. 
Er  gilt  als  Zeichen  höchster  Ver- 
ehrung, auch  höchster  freudiger 
Rührung,  unterwürfiger  Dankbar- 
keit. Daher  da*  Küssen  des  päpst- 
lichen Pantoffels.    Siehe  Küssen. 

Fusswaschung  als  kirchliche 
Ceremonie  knüpft  sich  an  Joh.  13,  4, 
wo  Jesus  bei  der  letzten  Mahlzeit 
seinen  Jüngern  selbst  die  Füsse 
wäscht.  Die  Nachahmung  dieser 
Sitte  kam  schon  früh  auf  und  wurde 
im  7.  Jahrh.  auf  den  grünen  Don- 
nerstag verlegt.  In  der  griechischen 
Kirche  galt  das  Fusswaschen  als 
.  ein  Sakrament.  In  der  römi-chen 
Verzierungen  waren  entweder  j  Kirche  empfahl  es  Bernhard  von 
ftfieft  und  ausgegossen,  oder  ver-  Clairvaux  dringend,  und  es  findet 
^  und  leer,  oder  erhöht,  mit  sich  im  Mittelalter  häufig  an  den 
fcUbloiien  erzeuet  oder  aus  freier  Sitzen  der  Bischöfe  und  Fürsten. 


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250 


Gabel.  —  Garten. 


G. 

Gabel  ist  bei  uns  als  Tischgerät  Liebhabern  der  heutigen  Politesse 

erst  nach  dem  Mittelalter,  im  16.  Jahr-  zu  sonderbarem  Nutzen  und  Ver- 

hundert,  in  Gebrauch  gekommen  und  gnügen  ans  Licht  gestellet".  Grimm. 

von  der  Fleischgabel  in  der  Küche  Wörterbuch. 

ausgegangen.  Vorher  führte  man  die       Galgen,  got.  §aigat  vom  Kreuz 
Bissen  mit  der  blossen  Hand  zum  |  Christi,  ahd.  ffalao,  mhd.  der  qalqc 
Munde;  der  Gebrauch  von  Gabeln  Sowohl  das  Wort  als  die  Strafe  des 
galt  nach  der  Ansicht  der  Geist-  Hängens  gehen  in  die  älteste  Vor- 
lieben als  sündhafte  Üppigkeit.  zeit  zurück.   Der  älteste  Galgen  ist 
Galanterie    heisst   das   Wesen  der  dürr* Baum;  nach  Tac.  Germ.  12 
des  Galant,  welch  letzteres  Wort  hängen  die  Germanen  Landesverräter 
seit  etwa  1670  das  Wort  alamodiseh  und   Überläufer  an   Bäumen  auf; 
(siehe  Alamode)  ablöst.    Pas  fran-  wahrscheinlich  benutzte  man  dazu 
zösische  Wort  galant  ist  eine  par-  bestimmte  laublose  Bäume  an  be- 
tizipi8chc  Adjektivbildung  entweder  stimmter  Stelle  oder,  wenn  diese 
von  altfranz.  yakr  =  lustig  sein,  ausstarben,  eingerammelte  Stämme 
Feste  feiern,  oder  von  gala  =  fest-  und  Pfähle.  Das  Herbeifahren,  Ein- 
liche  Kleiderpracht  oder  Fe.stpracht  graben  und  Errichten  des  Galgens 
überhaupt,  besonders  bei  Hofe,  wel-  wird  in  den  Rechtsquellen  austuhr- 
ches  Wort  aus  dem   Italienischen  lieh  geschildert.  DerOrt  des  Galgens 
oder  Spanischen,  wahrscheinlich  von  war  an  offener  Heerstrasse,  an  Weg 
einem    bestimmten   Hofe,    wie    es  scheiden.    Statt  der  hänfenen  Seile 
scheint    dem    Wiener,    eingeführt  benutzte  man  anfänglich  Zweige  von 
wurde.     Ein  qafanthomme,   (falan-  frischem,  zähem  Eichen-  oder  YVeiden- 
tuomo  ist  ein  Mensch,  der  sich  nach  holz.  Uralte  Sitte  ist  die  Verhüllung 
der  Mode  trägt  und  sich  überhaupt,  des  Antlitzes;  Steigerung  der  Strafe 
besonders  gegenüber  dem  „Frauen-  war  das  Höherhangen,  oder  dass 
zimmer",   modisch  betrügt.  —  Ga-  man  Wölfe  oder  Hunde  dem  armen 
lant  sollte   aber    nicht  Moss  das  Sünder  zur  Seite  hing,  welch  letzteres 
Kleid,  die  Frisur,  das  bitief  doux  besonders  bei  Juden  geschah.  Frauen 
sein,  sondern  überhaupt  alles  Mensch-  aufzuhängen  war  gegen   die  Sitte 
liehe.  Galante  Prediger  wurden  be-  des  Altertums;  wo  für  Männer  dir 
gehrt,  die  Dichtkunst  sollte  galant  Strafe  des  Galgens  ausgesprochen 
sein;  Christian   Weise  bezeichnete  war,  wurden  Frauen  zum  Verbrennen, 
die  Poesie  als  „den  galantesten  Teil  Ertränken  oder  Steinigen  bestimmt, 
der  Beredsamkeit",  und  Menantes  Das  Hängen  war  die  eigentliche 
schrieb  ein  Lehrbuch  :   Die  aller-  Diebstahlsstrafe  und  kommt  als  sol- 
neueste Art  zur  reinen  und  galanten  che   fast    bei   allen  germanischen 
Poesie  zu  gelangen,  Haniburg  1707,  Nationen  vor.  Grimm,  Keehtsalt.  6*2. 
auch  theatralische,  galante  und  geist-        Garten,  got.  der  garda  —  Stall, 
liehe  Gedichte,  Hamburg  1706.  Joh.  ahd.  garto,  mhd.  parte,  neben  got. 
Christ.  Barth  schrieb  1720  „Die  ga-  der  gart«  —  Haus,  dann  in  Zusam- 
lante  Ethika,  oder  nach  der  neuesten  mensetzungeu  s.  v.  a.  Garten,  Kreis. 
Art  eingerichtete  Sitten- Lehre,   in  ursprünglich   Einzäunung,  Einfrie- 
welcher  gezeigt  wird,  wie  sich  ein  digung  eines  Grundstücks,  ahd.  der 
junger    Mensch   bei    der  galanten  gart,  mhd.  nur  selten  der  gart.  Vom 
Welt   rekommandieren  soll,    allen  deutschen  Wort  Garten  und  nicht 


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Garten. 


251 


vom  lateinischen  hurtus  sind  entlehnt ! 
franz.  jardin^  mit  alter  Nebenform 
gardin,  span.  jardin,  ital.  qiardinu 
und  qiaraina,  mittellat.  gara*inus  und 
qardinum.  Urverwandt  mit  Garten 
ist  griech.y  dp  roc  =  Viehfutter,  eigent- 
lich Weideplatz,  lat.  hurtus  und 
cohors  icohort -\  eigentlich  Gehege, 
Hürde,  Viehhof;  auch  im  Litaui- 
schen und  Slawischen  ist  das  Wort 
weit  verbreitet;  in  der  Bedeutung 
Stadt,  Burg  lebt  es  in  Ortsnamen 
auf  altslawischem  Boden,  z.  B.  Bei- 
qard  in  Pommern,  Stargard  =  Alten- 
burg,  Sowgurod  =  Neustadt.  Die 
erreichbar  älteste  Bedeutung  scheint 
Zaun.  Daraus  entwickelt  sich  das 
Eingezäunte.  Eingehegte,  daher  Ge- 
s  tutgarten,  Stuttgart,  Tiergarten, 
Schaf-,  Hasengarten.  Die  fernere 
Bedeutung  ist  Wohnstätte  oder  das 
zur  Wohnstätte  Gehörige,  welche 
Bedeutung  in  den  nordischen  Spra- 
chen weit  verbreitet  ist.  Sodann 
ist  Gart  auch  ein  Landmass  gewesen, 
ähuiich  dem  Wrort  Hufe.  Der  letzten 
Bedeutung  gemäss,  wonach  der  Gar- 
ten ein  zum  Hause  gehöriges,  im 
unmittelbaren  Dienste  der  Haus- 
bewohner stehendes,  dem  Nutzen 
und  der  Lust  dienendes,  mit  dem 
Spaten  bearbeitetes  Grundstück  ist, 
zerfallt  der  Garten  in  Kraut-,  Baum- 
und Weingarten.  Es  hat  in  früherer 
Zeit  einen  öffentlichen,  umhegten 
Platz  in  oder  bei  den  Orten  gegeben, 
wo  man  zusammenkam,  Heimgarten, 
Koseqarten  genannt,  der  aber  auch 
als  Gerichtsstätte  diente;  er  war 
mit  Linden  bepflanzt  und  wurde 
später  als  Spielplatz  gebraucht. 

Der  Gärten  im  engern  Sinne  wird 
auf  deutschem  Boden  wohl  zuerst 
in  Karls  des  Grossen  Capitutare  de 
villi*  et  curtis  imperialem*  vom  Jahr 
812  Erwähnung  gethan,  worin  u.  a. 
die  Blumen-  und  Küchengewächse 
des  Gartens  und  die  Obstsorten,  die 
gezogen  werden  sollen,  Lilien,  Rosen, 
Salbei,  Raute,  Gurken,  Bohnen, 
Kümmel  u.  s.  w.  und  nicht  minder 
die  Obst-  und  Zierbäume  des  ge- 


nauesten aufgezählt  sind.  Ganz 
nach  dieser  Vorschrift  sind  auf  dem 
bekannten,  unter  Abt  Gozbert  (816 
bis  837)  hergestellten  St.  Gallischen 
Klosterplan  die  Klostergärten  dar- 
gestellt, nämlich  der  Obstgarten,  der 
zugleich  der  Friedhof  ist,  mit  Apfel-, 
Birn  - ,  Pflaumenbaum .  Eberesche, 
Mispelbaum,  Lorbeer,  Kastanien-, 
Feigen-,  Quitten-,  Pfirsichbaum, 
Haselnussstraüeh ,  Mandel- ,  Maul- 
beer- und  Walnussbaum;  sodann 
der  Gemüsegarten,  in  dessen  Plan 
folgende  Gewächse  eingezeichnet 
sind:  Zwiebeln,  Lauch-Zwiebel,  Sel- 
lerie, Coriander,  Dill,  Mohn,  Rettige, 
Mangolo,  Schnitt-  oder  Knoblauch, 
Schalotten,  Petersilien,  Gartenkerbel, 
Kopfsalat,  Saturei,  Pastinak,  Kohl 
und  Schwarzkümmel;  neben  diesem 
Garten  steht  das  Gärtner-und  Vorrats- 
haus; kleiner  endlich  ist  der  ^rzn«- 
krüufergarten  neben  der  Wohnung 
des  Arztes  und  dem  Spital,  worin 
u.  a.  folgendes  zu  finden:  Salbei, 
Raute,  Sehwertel,  Poleiminze,  Lieb- 
stöckel, Fenchel,  weisse  Lilie,  Rosen, 
Bohnen,  Saturei,  Bockshornklee, 
Rosmarin  und  Pfefferminze.  Ahn- 
liche Bedeutung  hat  das  Gedicht 
des  Reichenauer  Mönches  Walafrid 
Stra/to,  Hur tul us  genannt,  welches 
eine  Besehreibung  des  von  dem  Ver- 
fasser als  Abt  von  Reichenau  her- 
gestellten Klostergärtehens  enthält 
iVr/,  Lit.  des  Mittelalters,  II,  158. 

Ausser  den  Klöstern  hatten  wohl 
auch  die  Burgen  des  Mittelalters 
ihren  Kraut-  und  Würzgarten,  in 
denen  die  Rosen  und  Lilien  nicht 
fehlten;  von  eigentlicher  Gartenzucht 
ist  aber  kaum  die  Rede.  Erst  die 
Italiener  der  Renaissance  -  Periode 
errichteten  Gärten  in  grösserem  Mass- 
stabe, wie  auch  die  ersten  botanischen 
Gärten  in  Italien  entstanden  sein 
sollen.  Der  mehr  und  mehr  auf  die 
Natur  gerichtete  Sinn  liess  Fürsten 
und  andere  reiche  Leute  bei  der 
Anlage  ihrer  Lustgarten  auf  das 
Sammeln  vieler  verschiedener  Pflan- 
zen und  Varietäten  derselben  geraten, 


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252 


sodass  im  15.  Jahrhundert  einzelne 
Gärten  durch  ihre  Blumenzucht  weit 
berühmt  waren. 

In  Holland  und  Deutschland  sind 
seit  dem  16.  Jahrh.  grössere  Gärten 
angelegt  worden  und  begann  die 
Tulpen-  und  Hyazinthenzucht  der 
Niederländer.  Von  den  deutschen 
Gärten  des  16.  Jahrh.  waren  berühmt 
einzelne  Patriziergärten  von  Augs- 
burg, namentlich  derjenige  der  Fug- 
ger, dann  der  Schlossgarten  von 
Heidelberg,  von  welchem  Merian  ein 
aus  der  Vogelschau  genommenes  Bild 
riebt,  die  Garten  zu  Stuttgart, 
Weimar,  Kothen  und  Kassel.  Als  Be- 
gründer einer  eigentlichen  Garten- 
banhunst  gilt  abererst  And rt Lenötre, 
1613—1700,  welcher  die  Gärten  von 
Versailles,  Chantilly  ,  St.-Cloud,  in 
den  Tuilerien,  zu  Fontainebleau  und 
8t.  Germain  anlegte  und  .dadurch 
das  Prinzip  der  bis  aufs  Ausserste 
getriebenen  Symmetrie  mit  zierlich 
gezirkelten  Blumenbeeten/Terrassen, 
Fontänen,  grossen  Wasserkünsten, 
hohen  Heeken,  Gitterwerken,  Laby- 
rinthen, Grotten,  Statuen  einführte. 
Noch  weiter  als  die  Franzosen  gingen 
dann  die  Hollsinder,  mit  verschnitte- 
nen Bäumen,  bemalten  hölzernen 
Figuren,  farbigen  Steinen  und 
Muscheln.  Englische  Aufklärer,  na- 
mentlich Addison  im  Spertafor,  Pone 
in  den  kritischen  Briefen  und  Ha- 
rare Wal  pole  in  der  Geschichte  der 
neuen  Gartenkunst,"  übersetzt  von 
A.  W.  Schlegel,  sodann  Milton  durch 
die  Beschreibung  des  Gartens  Eden 
und  als  Praktiker  Will.  Kent,  wurden 
die  Begründer  der  freien,  an  die 
Natur  sich  anschmiegenden  engli- 
schen Gartenanlagen.  Vgl.  Teichert 
Gesch.  der  Ziergärten  in  Deutsch- 
land.   Berlin  1865. 

Gassenhauer,  ursprünglich  ein 
Tanz  auf  der  Gasse  im  dreiteiligen 
Takte;  aufhauen  ist  in  Wien  ein 
Kraftwort*  für  tanzen.  Vom  Tanz 
und  der  Tanzweise  geht  dann  die 
Bedeutung  auf  das  auf  der  Gasse 
gesungene  Lied,  das  Volkslied,  wie 


man  seit  dem  18.  Jahrundert  sagte, 
und  zwar  muss  es  ursprünglich  eine 
bestimmte  Art  Lied  gewesen  sein, 
wie  denn  Hans  Sachs  geistliche 
Lieder,  Gassenhauer,  Kriegslieder 
und  Buhllieder  unterscheidet;  in 
alten  Liedersammlungen  werden 
,.Gassenhawer  und  Reuterliedlein*\ 
„Gassenhawer,  Reuter-  und  Berg- 
liedlein" unterschieden.  Es  werden 
Lieder  gewesen  sein,  wie  sie  nächt- 
liche Gassengänger  sangen;  denn 
Gassenhauer  bezeichnet  auch  den 
Gassengänger,  Gassentreter.  Bevor 
im  18.  Jahrhundert  der  Name  Volks- 
lied aufkam,  nannte  man  die  ganze 
Gattung  in  ehrendem  Sinne  Gassen- 
hauer. 

Gast,  Gastfreundschaft.  Das 

Wort  Gast  ist  got.  der  gasts,  ahd. 
aast,  mhd.  qast,  verwandt  mit 
lat.  hostis.  Die  älteste  erkennbare 
Bedeutung  ist  die  des  Fremden, 
Gäste  sind  Elende  in  der  alten 
Bedeutung  des  Wortes.  Ausländer 
in  der  Stadt,  in  der  Gemeinde,  im 
Lande  hiessen  in  der  Sprache  des 
Rechtslebens  bis  ins  17.  Jahrh.Gäste: 
Burger  oder  Gast,  Gastgericht  ist 
ein  für  einen  fremden  Mann  aufge- 
stelltes Gericht.  In  gesteigertem 
Ausdruck  heisst  der  Fremde  ein 
wilder  Gast,  der  nirgends  heimisch 
ist,  ein  elender  oder  fremder  Gast. 
Im  besonderen  heissen  fremde 
Kaufleute  Gäste,  aber  auch  land- 
fahrende Krieger,  Abenteurer,  Hel- 
den, ähnlich  wie  Heeke  ursprünglich 
den  Verbannten,  also  ebenfalls  den 
in  der  Fremde  sich  aufhaltenden 
Mann  bezeichnete;  die  letztere  Be- 
deutung des  Helden  findet  man  in 
Eigennamen:  Liudegasf,  HUtipast. 
Jladuaasf,  und  noch  mhd.  war  nast 
als  Held  ein  geläufiger  Ausdruck. 
Schon  enger  wird  die  Bedeutung 
des  Wortes,  wenn  Gast  den  Kunden. 
den  Fremden  im  Geschäftsverkehr 
bedeutet,  welches  der  Fall  ist  in 
Kaufgast  =  Geschäftskunde,  Markt- 
gast, Mühlgast,  Fahrgast,  Badegast. 
Die  neuere  Entwicklung  des  Wortes 


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Gast,  Gastfreundschaft. 


253 


Gast  geht  an  dein  Gegensatze  von 
Gast  und  Wirt  vor  sich,  wobei  das 
lettzere  Wort  ursprünglich  den 
Mann  mit  eigenem  Hause,  Haus 
und  Hofe  oder  auch  Lande  (des 
Landes  Wirt» Fürst),  Gast  also  das 
gerade  Gegenteil  bezeichnete.  Wurde 
nun  ein  Gast,  d.  i.  Fremder,  von 
einem  Wirte,  Hausherrn,  als  sein 
Gast  aufgenommen,  in  sein  Haus 
uud  in  seinen  Schutz,  seine  Pflege 
und  Gastfreundschaft,  so  ergab  sich 
die  eine,  weitere,  der  beiden  jetzt 
gangbaren  Bedeutungen;  die  andere 
kam  dann  zum  Vorschein,  wenn  der 
Wtrt  Gastwirt  (gastgeher)  und  der 
Gast  Wirtsgast  wurde.  Auch  im 
letztgenannten  Verhaltnisse  waren 
ursprünglich  nur  Fremde  gemeint, 
die  beim  Wirt  Aufnahme  suchten 
und  fanden,  und  erst  spät  mochten 
sich  einheimische  nächtliche  Zecher 
Gäste  nennen,  um  beim  Weine 
sitzen  bleiben  zu  können.  Nach 
Grimm,  Wörterb. 

Die  Gastfreundschaft  der  Ger- 
manen, d.  h.  also  die  Freundschaft 

gegenüber  dem  Fremdling  (das  Wort 
astfreund  ist  jüngern  Datums  und 
erst  seit  Voss  in  Gang  gekommen) 
war  weit  berühmt.  Cäsar  erzählt, 
wie  den  Fremden  alle  Häuser  offen 
ständen  und  ihnen  geboten  würde, 
was  an  Speist ■  und  Trank  vorhanden 
sei  Tacitus  Germ.  21  erklärt,  kein 
anderes  Volk  könne  sich  in 
der  Tugend  der  Gastfreundschaft 
mit  den  Germanen  messen;  kein 
Fremder,  wer  er  auch  sei,  werde 
von  einem  Dache  abgewiesen,  es 
werde  dem  Gaste  vorgesetzt,  was 
das  Haus  biete,  und  sei  alles  auf- 
gezehrt, so  gehe  der  Wirt  mit  dem 
Gaste  zu  dem  nächsten  Hofe.  Beim 
Abschiede  würden  erbetene  Ge- 
schenke gern  gewährt.  Karl  der 
Grosse  schärfte  in  seinen  Kapitu- 
larien die  Übung  der  Gastfreund- 
schaft wiederholt  ein.  Dagegen  ver- 
langte man  vom  Gaste,  dass  er 
nicht  zu  lange  bleibe:  in  Skandi- 
navien waren  drei  Nächte  oder  Tage 


die  längste  Frist;  blieb  der  Gast 
länger,  so  trat  er  in  ein  näheres 
Verhältnis  zu  seinem  Wirte.  In 
vielen  isländischen  Häusern,  die  an 
der  Landstrasse  lagen ,  stand  stets 
ein  Tisch  für  Gäste  bereit,  und  die 
Hausfrau  sass  vor  der  Thür,  um 
jeden  Wanderer  einzuladen ,  unter 
ihr  Dach  zu  treten.  Der  Wirt  ging 
dem  Gaste  entgegen,  bewillkomm- 
nete ihn  und  bat  ihn  einzutreten; 
die  Wirtin  aber  begrüsste  den  Gast 
mit  einem  Kuss. 

Ähnlich  blieb  es  durchs  gauze 
Mittelalter,  während  welcher  Zeit 
es  an  Pilgern,  fahrenden  Leuten 
jeden  Standes,  fahrenden  Spielleuten 
und  Sängern  nicht  fehlte.  In  der 
Benediktiner- Regel  handelt  Kap.  52 
von  der  zu  übenden  Gastfreund- 
schaft, die  in  den  Klöstern  in  reich- 
stem Masse  geübt  wurde.  Am  Hofe 
hatte  sich  edlen  Gästen  gegenüber 
ein  eigenes  Zeremoniell  ausgebildet, 
das  sich  an  die  ältere  Sitte  ansehloss. 
Frau  oder  Tochter  des  Hauses 
nahmen  dem  ritterlichen  Gaste 
seine  Hüstung  ab,  reichten  ihm 
frische  Kleider  und,  nachdem  er 
einen  Trunk  genossen,  ein  Bad. 
Dann  legte  sich  der  Gast  entweder 
für  kurze  Zeit  zu  Bett,  oder  er  be- 
gab sich,  mit  den  Kleidern  des 
Wirtes  angetan,  zur  Mahlzeit,  wo 
er  den  Ehrenplatz  dem  Wirte  gegen- 
über, das  qegensidele,  einnahm. 
Wirtin  oder  Tochter  kredenzten  den 
Becher  und  schnitten  die  Speisen 
vor.  Zur  Nachtruhe  in  die  Kammer 
begleitete  den  Gast  wiederum  die 
Hausfrau,  um  nachzusehen,  ob  nichts 
fehle,  und  nach  einer  Weile  kam 
sie  wieder,  um  nachzufragen,  ob  er 
gut  gebettet  sei,  zugleich  brachte 
sie  ihm  den  Nachttruuk.  Am  Morgen 
fand  der  Gast  vor  seinem  Bette 
frische  Wäsche,  die  Hausfrau  er- 
kundigte sich,  wie  er  geschlafen 
habe,  vor  der  Abreise  legten  Wrirt 
und  Wirtin  dem  Gaste  die  Waffen 
an  und  entliessen  ihn,  nachdem 
sie  ihm  Imbiss  und  Trunk  gereicht 


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254 


Gau. 


hatten.  Nach  alter  Sitte  überreichte 
der  Wirt  dem  Gaste  ein  Gastge- 
schenk, das  dieser  auch  fordern 
mochte. 


sich  die  staatlichen  Unterabteilungen 
im  allgemeinen  an  die  bestehenden 
älteren  Zustände  an;  nur  dass  mit 
der  Zeit  ein  Unterschied  in  der  Be- 


Auch  für  Fremdlinge  niedern  deutung  der  Unterabteilungen  ein- 
Standes sorgte  daw  alte  Recht  und  tritt,  je  nachdem  sie  im  engern 
die  alte  Sitte.  Wenn  der  Fremd-  Sinne  als  Verwaltungsbezirke  des 
ling  abends  keine  Wohnung  mehr  fränkischen  Reiches  unter  einem 
erreichte,  so  war  ihm  gestattet,  un-  Reichsbeaintcn  oder  als  für  sich  be- 
gestraft  Speise  für  sich  und  Futter  stehende,  ihre  eigenen  Interessen 
für  sein  ermattetes  Pferd  aus  der  verfolgenden  Gemeinschaften  aut- 
Mark  zu  nehmen.  Der  Reisende  gefasst  werden.  Die  ersteren  vor- 
darf sich  drei  Apfel  vom  Baume  nehuüich  heissen  Gaue,  die  letzteren 
brechen,  drei  oder  vier  Trauben  in  Hunderte.  Für  die  Einteilung  der 
die  Hand  schneiden,  den  Handschuh  Gaue  behielt  mau  bestehende  Ver- 
voll Xiisse  pflücken,  soviel  Heu,  als  hältnisse  bei,  alle  römischen  Städte 
ein  Pferd  zum  Futter  braucht,  neh-  mit  ihrem  Gebiete,  auch  neue  Städte, 
men,  auch  Holz  hauen,  um  sein  Ge 


schirr  oder  Gefährt  damit  auszu- 
bessern und  Speise  zu  kochen.  Doch 
durfte  er  kein  Futter  mitnehmen 

und  musste  sich  auf  gebahntein  Wege  Thurgau  schliessen  sich  an  Flüsse, 


welche  Sitze  der  Beamten  wurden, 
z.  B.  Worms-,  Speier-,  Zürich-, 
Salzburggau.  Andere  Gaue,  wie 
der  Rhein-,  Donau-,  Main-,  Neckar-, 


halten  oder  im  Walde  ein  Horn 
blasen,  wenn  er  nicht  als  Dieb  gelten 
wollte.  M'einhold,  Deutsche  Frauen, 
2.  Aufl.  IL,  393  ff.  Grimm,  Rechts- 
alt. 399  ff. 

Gau,  got.  das  gavi,  Gen.  gaujijt, 
ahd.  das  gatei.  goici,  qoutri.  mnd. 
das  ffr/uwe,  gou,  neben  alul.  die  gaira, 


wieder  andere  an  Völkerschaften 
an:  Thüriugau,  Hessengau.  Neben 

Cus  und  Gau  kommen  die  Worte 
t  vor:  Braibant ,  OgtroJ>ant; 
eiba  in  Wettereiba,  Wineqartriba ; 
feld  in  Wormazfeld,  Meine  feld. 
Grapfeld,  Merfeld;  lutra  *  auf 
alemannischem    ßoden:  Foleholte* 


gou tra,  männlichen  Geschlechtes  erst  para,    Tiertoltis  para,  heute  in  der 


seit  dem  17.  Jahrh.  ist  etymologisch 
dunkeln  Ursprungs.  Man  bezeichnet 
damit  die  uralte,  auf  das  Staats-, 
Gerichts-  und  Heerwesen  bezügliche 
Unterabteilung  der  deutschen  Völker- 
stämme oder  Staaten,  im  Gegensätze 
zu  den  Marken-  und  Dorfgenosseu- 
schafteu,  welche  nicht  politischer 
Natur  sind,  sondern  bloss  auf  das 
Zusainmenwolmen  und  die  Bebau- 


schwäbischen Landschaft  Haar  er- 
halten. 

Die  alten  Gerichtsversammlungen 
blieben  zwar  den  Hunderten ;  deren 
Vorstehe  r  cen  tenarius.  ceu  tu  rio  ,A  u/tno, 
huune,  wurde  wie  früher  vom  Volke 
selbst  gewählt,  aber  er  gab  allmäh- 
lich die  eigentliche  Leitung  und 
zwingende  Gewalt,  womit  die  Voll- 
streckung des  Urteils  und  die  Exe- 


ung  des  Feldes  Bezug  haben.    Ob  kution  der  Strafen  zusammenhing, 

jedoch  dem  Worte  Gau  schon  in  an  den  königlichen  Beamten,  den 

ältester  Zeit  jene  Bedeutung  zukam,  Grafen,  ab,  dessen  Gau  mehrere 

ist  ungewiss,  da  auch  selbständige  Hunderte,  also  auch  mehrere  Cente- 

Völkerschaften,  eivitates,  Gaue  ge-  narien  zu  umfassen  pflegte.  Seit 

nannt  werden.    Der  verbreitetere  Karl  dem  Grossen  trat  die  Bedeu- 

Name  für  die  staatlichen  Unterab-  tung  des  Grafen  immer  mehr  her- 

teilungen  in  den   ältesten  Quellen  vor,  die  des  Centenars  zurück;  der 

ist  vielmehr  die  Hunderte,  eentena,  letztere  war  bloss  noch  Unterbeamter 

siehe  den  besonderen  Artikel.  und  Stellvertreter  des  Grafen  in 

Im  fränkischen  Reiche  schliessen  Gcrichtssachen  und  zwar  bloss  in 


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Gaunertum. 


255 


seiner  Hunderte;  mit  dem  Heer- 
wesen hatte  er  nichts  mehr  zu  thun; 
der  Name  Gau  wurde  in  den  Ur- 
kunden wohl  noch  zur  Bezeichnung 
der  Lage  von  Orten  gebraucht,  der 
häufigere  Xamc  des  Amtsgebietes 
selber  war  Grafschaft,  comüatus; 
insofern  ein  alter  Gau  mehrere  gräf- 
liche Amtsgebiete  umfassen  konnte, 
konnte  es  geschehen,  dass  sich  meh- 
rere Grafen  oder  Grafschaften  in 
einem  Gau  vorfanden.    Die  Namen 
der  alten  Gaue  und  die  Bezeichnung 
der  Orte  nach  der  Lage  in  den- 
selben erhalten  sich  bis  in  die  Mitte 
des  12.  Jahrh.;  als  einheitliche  Amts- 
bezirke des  Reiches  sind  die  Gaue 
aber  schon  weit  früher  allmählich 
vielfach  zerstört  und  auseinander* 
gerissen   worden;    von    den  alten 
Hunderten  sind  nur  in  Alemannien 
und  Lothringen  gewisse  Gerichts- 
barkeiten der  Centeuarien  erhalten. 
Die  Hauptursacheu  von  der  Auf- 
lösung der  alten  Gau  Verfassung  waren 
die  Teilung  der  Gaue  unter  mehrere 
Grafen,  die  Vereinigung  von  mehre- 
ren Gauen  zu  einem  Grafschafts  ver- 
band, die  zahlreichen  Exemtionen 
von  der  alten  Grafschaft  durch  Über- 
tragung der  in  ihr  liegenden  Rechte  an 
ander«',  besonders  an  die  geistlichen 
Stifter,  die  teils  gräfliche  Befugnisse 
auf  ihren  Besitzungen,  teils  ganze 
Grafschaften  empfingen,  aber  auch  an 
weltliche  Grosse;  sodann  die  selb- 
ständige En t wickelung  der  Städte, 
die  sich  aus  dem  Grafschaftsver- 
bande lösten.    Dadurch  verlor  der 
alte  Gau  als  Gerichts-  und  über- 
haupt politischer  Bezirk  seine  Be- 
deutung und   meist   auch  seiuen 
Namen.  Nur  als  allgemeiner  Land- 
schaftsnaine  haben  sich  einige  alte 
Gaunamen  erhalten.    H'aitz,  Verf. 
Gesch.  Sohm,  fränkische  Reichs-  und 
( nrichtsverfassimg. 

Gaunertum.  Das  Wort  Gau- 
ner taucht  erst  im  18.  Jahrh.  in 
der  Form  Jauner  in  Oberschwaben 
auf  und  wird  bei  norddeutschen 
Schriftstellern  zu  Gauner.  Es  stammt 


vom  rotwelschen;  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert bedeutet  der  je««**  den  Spie- 
ler, aus  hebräisch  Jana  =  Gewalt- 
tätigkeit üben,  übervorteilen,  be- 
trügen, überlisten.  Das  Gaunertum 
ist  aus  dem  Bettlertum  entstanden, 
uud  dieses  letztere,  bei  dem  Rechts- 
zustand  der  alten  Germanen  noch 
nicht  möglich,  geht  vornehmlich  her- 
vor aus  dein  Missbranch  des  christ- 
lichen Gebotes  der  Mildthätigkeit 
gegen  die  Armen.  Schon  die  Kapi- 
tularien Karls  des  Grossen  warnen 
vor  Bettlern  und  vor  Hausierern, 
die  unter  dem  Deckmantel  kirch- 
licher Pönitenz  im  Lande  umher- 
schweifen und  die  Leute  betrügen; 
auch  von  jüdischen  und  anderen 
Handelsleuten,  welche  Kirchen- 
schät/.e  von  gewissenlosen  und  nach- 
lässigen Wächtern  aufzukaufen  wis- 
sen, ist  in  denselben  Rechtsi  prellen 
schon  die  Rede.  Die  Aufnahme  der 
Städte,  die  zum  Teil  durch  flüchtige 
Knechte  veranlasst  war,  bewog  viele 
Hörige  zur  Flucht,  ohne  dass  sie 
deshalb  in  der  Stadt  wirklieh  Un- 
terkunft fanden,  wodurch  sie  be- 
wogen wurden,  das  Landstreicher- 
tum  entweder  auf  eigene  Faust  oder 
im  Dienste  eines  räuberischen  Adligen 
zu  führen.  Zu  solchen  gesellten  sich 
fahrende  Priester  und  Weiber,  fah- 
rende Kirchen-  und  Schullehrer,  wan- 
dernde Handwerksgesellen,  Markt- 
schreier und  Taschenspieler.  Weitere 
Kontingente  lieferten  gerichtlich  ehr- 
los Erklärte,  Landesverwiesene,  ent- 
lassene Reisige,  Landsknechte,  Zi- 
geunerbanden und  Juden.  Sie  nann- 
ten sieh  Kochemer  oder  Jenische, 
beide  Bezeichnungen  aus  dem  He- 
bräischen hergeleitet  und  so  viel 
als  Wissende,  Männer  des  Wassens, 
Zünftige  bedeutend.  Ihre  Wissen- 
schaft war  die  Gaunerei,  d.  h.  der 
Betrieb  des  Betteins  mit  allerlei 
Künsten,  die  Verübung  von  Ver- 
brechen, Diebstählen  und  nament- 
lich Betrug  und  Prellerei  durch 
Wahrsagen  und  Zauberei,  Vor- 
schützen von  allerhand  geistigen  und 


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256 


Gaunertum. 


leiblichen  Gebrechen.  Ihr  Treiben 
war  in  ein  abergläubisches  Dunkel 
gehüllt,  mit  dem  sie  sich  umgaben. 
Ihre  Sprache  hatte  sieh  im  Verlaufe 
der  Zeit  sehr  ausgebildet:  jüdisch- 
deutsch, zigeunerisch,  Wörter  aus 
den  Dialekten  fast  aller  europäischen 
Sprachen,  selbsterfundene  Witz-  und 
Schlagwörter,  deutsche  Ausdrücke 
aus  dem  Volksleben  sind  der  Inhalt 
dieser  Sprache,  welche  von  ihnen 
die  Kuchemer ,  die  Jenische,  die 
Lussenkaudische  genannt  wurde.  Das 
Volk  nannte  die  Gauner  die  Gilen, 
die  Lahmen,  die  Bettler,  ihre  Sprache 
das  Mengische,  in  der  Schweiz  auch 
das  Pomperlusische. 

Die  erste  genauere  Nachricht 
über  das  Gaunertum  kommt  aus 
Basel.  Hier  befand  sich  nämlich 
„am  Kohlenberg"  eine  Freistätte  der 
Gilen  und  Lahmen,  ein  Vorrecht, 
das  die  „freie"  Stadt  Basel  mit  Augs- 
burg, Hamburg  und  einer  dritten 
(unbekannten)  Stadt  genoss.  Die 
Bettler  genossen  hier  besondere  Pri- 
vilegien, bildeten  eine  Korporation 
unter  einem  Hauptmann,  standen 
unmittelbar  unter  dem  Reichsvo^t 
und  hatten  ihr  eigenes  Gericht.  Es 
ist  nun  ein  Aktenstück  erhalten, 
entweder  ein  förmliches  Mandat  des 
Rates  oder  eine  private  oder  amt- 
liche, auf  Untersuchungsakten  ge- 
gründete Schrift,  welche  die  Sitten 
und  Gebräuche  der  Gilen  und  Lahmen 
des  näheren  auseinandersetzt;  sie 
stammt  etwa  aus  der  Mitte  des  15. 
Jahrh.  Hier  werden  unterschieden: 
die  Grautener,  welche  das  fallende 
Weh  erheucheln;  die  Valkentreiger, 
welche  den  blutig  angestrichenen 
Arm  in  einer  Schlinge  tragen,  als 
ob  sie  gefangen  in  Ringen  gelegen 
wären;  Brassein,  welche  sich  an 
den  Beinen  so  verunstalten,  als  ob 
sie  in  den  Stöcken  gelegen  wären; 
A7ö«/,tragenWnchsstöcke  und  sagen, 
St.  Nikiaus  habe,  ihnen  aus  dem  Ge- 
fängnis geholfen,  betteln  für  ein 
Opfer;  Sumeicerger,  gehen  mit  langen 
Messern  um,  sägen,  sie  hätten  in 


der  Notwehr  einen  niedergeschlagen 
und  sollten  nun  eine  Summe  Geldes 
zahlen,  oder  sie  würden  hingerichtet; 
Sttmeieergerin  sind  eheliche  «  »der  an- 
dere Weiber,  die  sagen,  sie  hätten 
der  Sünde  gefrönt  und  wollten  sich 
bekehren,  bitten  um  St.  Maria  Mag- 
dalena willen  um  ein  Almosen: 
Bitte,  Weibsbilder,  die  sich  mit  alten 
„Wammetsch  und  Bletz  under  de 
Kleider"  seh  wanger  stellen,  das  heisst 
„mit  der  Hillen  gegangen";  Jung- 
frowe,  Weiber,  die  Klappern  tragen 
wie  die  Aussätzigen,  das  heisst  „mit 
der  Jungfrowen  gangen":  Manische. 
Weiber,  die  sich  als  Begharden  ver- 
stellen; Kusche  Narunge,  Weiber, 
die  vorgeben,  sie  seien  edler  Her- 
kunft, aber  durch  Krieg,  Brand 
uud  Gefängnis  ihrer  Habe  beraubt: 
Badune,  aie  behaupten,  sie  seien 
Kauäeute,  denen  man  ihr  Kaut- 
mauusgut  geraubt;  Vermerin,  be- 
sonders Frauen,  die  sich  als  getaufte 
Juden  ausgeben  und  den  Leuten 
sagen,  ob  ihr  Vater  oder  Mutter  in 
der  Hölle  sei  oder  nicht;  Theicescr, 
als  Priester  verkappte  Gauner  mit 

SeschorencrPlatte  und  Monstranz,  die 
en  dritten  Teil  ihres  Einkommeus 
demjenigen  geben,  der  ihnen  dazu 
verholfen  hat;  Kammerierer,  die  an 
ihren  Hüten  besondere  Zeichen  von 
Ländern  und  Städten  tragen,  als  ob 
sie  dort  gewesen  wären;  Gutzfteteri*. 
die  sich  als  Kindbetterinuen  aus- 
geben; Sefer,  die  sich  siech  von  langer 
Zeit  her  stellen ;  Blochard,  die  sich 
blind  stellen  und  sagen,  sie  hätten 
!  ihren  Kugelhut  verloren;  die  Hüte, 
die  man  ihnen  dann  schenkt,  ver- 
kaufen sie;  Handhlinden,  sich  bliud 
stellende  Gauner,  Gott  habe  sie  um 
einer  Sünde  willeu  geblendet,  und 
sie  kämen  von  fernen  Wallfahrts- 
orten her;  die  mit  dem  Bruch  tca*~ 
defent,  Gauner,  die  blutige  Baum- 
wolle übers  Auge  binden  und  be- 
haupten, sie  seien  als  K  auftaute  oder 
Krämer  in  einem  Walde  überfallen 
und  geblendet  worden;  Spanfelder, 
die  sich    halbnackt,    zitternd  vor 


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Gaunertum. 


257 


Kälte,  vor  die  Kirchen  legen ;  Vopper, 
Frauen  oder  Männer,  die  sich  an 
eisernen  Ketten  fuhren  lassen,  als 
ob  sie  unsinnig  wären ;  die  Glatten , 
halb  Gelehrte,  die  sich  als  beraubte 
und  heimreisende  Priester  ausgeben 
und  beten;  Krachere,  Leute ,  die 
Henker  waren  und  behaupten,  sie 
wollen  sich  bekehren,  und  doch 
wiederum  Henker  werden.  „Und 
diese,  so  schliesst  das  Aktenstück 
mit  einer  Probe  des  Rotwelsch,  die 
die  da  andeigent,  das  ist  gegangen 
—  nf  dem  Terich,  das  ist  uf  dem 
Lande  —  mit  dem  Klant  und  mit 
dem  Lunte,  das  ist  mit  Eisenhai- 
fungen,  als  ob  sie  gefangen  weren 
gewessen;  —  und  wenn  die  zusam- 
men kommen  in  die  Pose,  d.  i.  in 
die  Jlerberg,  —  so  wollent  sie  haben 
ein  Breitfuss,  das  ist  ein  Gans,  — 
und  Flughart,  das  sind  Hüener  — 
und  Johann»  gnug,  d.  i.  der  Wein; 
wenn  sie  denn  verschechent  wer- 
dend das  ist  so  si  truneken  w erden t, 
so   bebet  sich  ein  Innen ,  dass  ist 
ein  Spilen  —  mit  den  Küblingen, 
dass   sint   Würffei  —  wenn  denn 
etliche  rerinnet,  das  ist  verspilet, 
dass  er  nit  me  hat,  so  wil  er  Na- 
runge  anfachen,  damitte  so  wird  er 
wercken ,  dass  ist  verescht,  dass  er 
die  schuder  sichent  gewar  werdent, 
das  sind  die  Amtblüte  daselbs;  — 
so  wird  er  gebrukt  in  der  Gabel, 
dass  ist  gefangen  in  der  Statt,  ist 
dass  es  um/ ich  narung  ist,  dass  ist 
bös,  —  so  wirt  er  geßosselt  oder 
gemögen,  dass  ist  ertrenckl\  —  ist 
es  aber  klein  g^efüege  narung,  die 
nit  vast  bösse  ist,  so  schnidet  man 
ime  die  Lüselinge  ab,  dass  sint  die 
Oren." 

Dieses  BaslerischeGauner- Akten- 
stück wird  nun  die  Quelle  anderer 
Litteratnr  über  das  Gaunertum.  In 
erster  Linie  gehört  dazu  der  73.  Narr 
aus  Sebastian  Branfs  JSarrenschiff, 
besonders  aber  das  vielgedruckte 
und  vielgelesene  Buch  Liber  raga- 
torum, welches  zwischen  1494  und 
1499  wahrscheinlich  zuerst  in  Basel 

Etaülexieon  in  deatechen  Altertümer. 


erschien,  die  Basler  Bekanntmachung 
!  systematisch  redigierte  und  mit  Zu- 
I  Sätzen,  Exempeln  und  einem  alpha- 
betisch geordneten  Wörterbuche  ver- 
sah. Man  hat  als  Verfasser  auf 
Sebastian  Brant  geraten.  Es  er- 
schienen zwischen  den  Jahren  1510 
und  1529  acht  hochdeutsche  und 
eine  niederdeutsche  Ausgabe,  von 
jenen  acht  eine  in  Knittelverse  auf- 

?elöst,  eine  vom  Jahr  1524  von 
Miher  besorgt  und  mit  einer  Vor- 
rede ausgestattet.  Andere  Ausgaben, 
welche  aas  Vokabular  voranstellen, 
nennen  sich  Rotwelsche  Grammatik', 
hier  ist  in  späteren  Ausgaben  das 
Wörterverzeichnis  bedeutend  ver- 
mehrt worden.  Die  niederdeutsche 
Ausgabe  des  Liber  ragatorum  nennt 
sich  Der  bedeler  orden  und  or  wcu- 
balar  in  rotwelsch.  Eine  Versi- 
fikation  des  Liber  vaaatorum  hat 
mchPamphiius  Gengenbach  in  Basel 
veranstaltet. 

Erst  im  16.  Jahrhundert  organi- 
sierten sich  die  Gauner,  deren  Ge- 
schäft durch  die  Reformation  und 
ohne  Zweifel  durch  die  Verbreitung 
des  Liber  ragatorum  Einbusse  er- 
litten hatte,  zu  geschlossenen,  durch 
Eid  verbundenen  Banden,  die  es 
besonders  auf  Mordbrennerei  abge- 
sehen hatten,  später  zu  eigentlichen 
Räuberbanden,  an  deren  Spitze  her- 
vorragende Spitzbuben  standen; 
besonders  der  dreißigjährige  Krieg 
hat  dieser  Erscheinung  Vorschub  ge- 
leistet, vorher  schon  die  Bauern- 
kriege; sie  haben  Deutschland  bis 
in  dieses  Jahrhundert  hinein  viel- 
fach unsicher  gemacht 

Zur  Organisation  des  Gauner- 
tums gehören  seit  alter  Zeit  geheime 
Verständigungszeichen,  Zinken  ge- 
nannt; sie  wurden  und  werden  noch 
in  die  Rinde  der  Bäume,  an  Mauern, 
Wände,  Brücken,  sogar  in  den  Schnee 
eingezeichnet  oder  eingeschnitten. 
^r<f-Zff/fc#wn^DasdeutscheGauner- 
tum.  4.  Bde.  Leipzig  1858  bis  1862. 
Vgl.  die  Artikel  Juden,  Kessler  und 
Zigeuner. 

17 


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25S 


Gefässe,  häusliche. 


(»efässe,  häusliche,  waren  für 
den  gemeinen  Mann  und  den  ge- 
wöhnlichen Hausgebrauch  bis  ins 
Mittelalter  von  sehr  einfachen,  meist 
rohen  Formen  und  entweder  aus  ge- 
branntem Inon,  Jfolz  oder  zu  höhc- 
rem Bedarf  aus  Metoll  verfertigt 
Metallene  Ge fasse  aus  Eisen,  Kupfer 
und  Zinn  wurden  seit  der  Mitte  des 
10.  Jahrhunderts  in  den  Niederlan- 
den als  Handelsartikel  verfertigt  und 
versendet  Daneben  findet  man 
schon  früh  im  Haushalt  der  herr- 
schenden Stände  und  noch  mehr 
in  den  Kirchen  Prunkgefässe  aus 
edlem  Metall  und  Elfenbein,  auch 
diese  jedoch  anfänglich  in  oft  plum- 
pen Gestalten.  Die  Trinkgeschirre 
waren  der  Kelch ,  halbkugelförmig 
und  auf  einem  kurzen  Fusse  stehend, 
der  Name,  schon  früh  aus  dem  lat. 
calix  entlehnt,  ahd.  chelih,  mhd. 
kelch,  und  der  ebenfalls  dem  Latei- 
nischen (volksmässig  =  lat.  hacar, 
mittellat.  baccharium)  entlehnte 
Becher,  ahd.  pechar,  mhd.  hecher; 
«•r  hatte  im  Mittelalter  entweder  die 
jetzige  Form  oder  die  Gestalt  klei- 
ner, mit  Dauben  verbundener  Holz  • 
fässchen  ;  sein  deutscher  Name  ist 
Stauf,  ahd.  und  mhd.  der  stouf-,  da- 
neben bedient  man  sich  immer  noch 
der  alten  Trinkhörncr,  entweder 
aas  wirklichen  Stierhörnern  oder 
aus  Elfenbein  geschnitzt;  Trinkge- 
schirre aus  Strausseneiern,  Kokos- 
nüssen und  dgl.  stammen  aus  dem 
Orient.  Auch  die  Schüssel,  die  mit 
und  ohne  Fussgestell  vorkommt,  hat 
fremden  Namen;  ahd.  skuzila,  mhd. 
schiizzel  kommt  vom  lat.  scutula, 
dem  Diminutivwort  von  scufa  =  Mache 
Schüssel.  Besondere  Teller  waren 
nicht  üblich;  das  mhd.  teler,  aus 
ital.  tagt  vre,  tagliero  ist  das  Küchen- 
hackbrett, zu  ital.  tagliare,  franz. 
tailler  =  sehneiden.  Die  Kanne  wird 
von  einigen  ebenfalls  aus  dem  La- 
teinischen erklärt,  lat.  canna=* Röhre, 
Krug,  Trinkgeschirr;  nach  Grimms 
Wörtern,  soll  das  Wort  mit  Kahn 
riner  Wurzel  sein,  beides  aus  Baum- 


stöcken  ausgehöhlte  Dinge.  Kandel 
und  Kante  sind  Weiterbildungen 
von  Kanne. 

Die  Gotik  und  der  Aufschwung 
des  damit  verbundenen  Kunsthand- 
werkes kam  natürlich  auch  den  Ge- 
fassen  in  hohem  Masse  zu  gute. 
Während  bis  zum  Schluss  des  13.  Jahr- 
hunderts bloss  die  herrsehenden 
Stände  Gesehirre  von  Edelmetall 
besessen  hatten,  begann  nun  die 
Vorliebe  für  Schmuekgefasse  auch 
den  Bürgerstand  zu  ergreifen.  Unter 
Verwendung  zahlreicher  Verzierungs- 
mittel entfaltete  man,  am  meisten 
in  Franken,  einen  früher  nie  ge- 
kannten Formenreichtum,  besondere 
in  Schaustücken.  Dazu  gehörten 
verschliessbare  Tafelbestecke  in  der 
Form  von  Schiffen,  welche  Gewürze, 
Wein,  Trinkgefasse,  Löffel  enthiel- 
ten und  in  oft  seltener  Pracht  her- 
gestellt waren;  Bronnen,  Weinbe- 
nälter  in  Form  reichgegjiederter 
Bauwerke,  Salzfässer,  Dretfüsse  zur 
Unterstützung  grösserer  Geschirre 
oder  als  selbständige  Schaustücke. 
Besonderen  Wert  legte  man  auf 
kunstreiche  Trinkgefasse,  zumal  auf 
Becher,  die  bald  mehr  in  der  Weise 
einer  Schale,  bald  in  der  eines 
Kelches,  eines  Tönnchens  oder  einer 
Tasse  gebildet  wurden,  mit  oder 
ohne  Fuss,  mit  oder  ohne  Deckel. 
Daneben  kamen  für  den  häuslichen 
Gebrauch  immer  noch  thoneme, 
zinnerne  und  hölzerne  Gefasse  zur 
Anwendung.  Im  15.  Jahrb.  steigerte 
sich  der  Aufwand  sowohl  als  der 
Erfindungsgeist,  der  sich  in  allen 
möglichen,  zum  Teil  höchst  phan- 
tastischen Formen  erwies.  So  neh- 
men nun  auch  die  Samen  der  Trink- 
gefasse zu;  nach  der  Gesammt- 
fassung  oder  dem  Massinhalte  un- 
terscheidet man  jetzt  Schrein,  Hum- 
pen, Kelch,  Becher,  Krug,  Kanne, 
Kopf,  Schoppen:  nach  Form  und 
StoÄ*  Muskat,  Eichel,  Kokosmus, 
Traube,  Strauss,  Pelikan,  Schican, 
Schiff,  Mönch,  ^onne,  Sarr,  Bei/er, 
Greifenklaue,  Horn;  bei  den  Kre~ 


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Gefasse,  häusliche. 


159 


denz  oder  Doppc  'hechern  bildete  ein 
Becher  den  Deckel  des  andern. 

Der  im  16.  Jahrh.  in  Deutsch- 
land auftretende  Renaissancestil 
äusserte  sich  an  den  Geschirren, 
abgesehen  von  den  Formen  der 
Verzierungen,  darin,  dass  der  künst- 
lerische Gedanke  so  sehr  hervor- 
trat, dass  der  natürliche  Zweck  der 
Gegenstände  dadurch  beeinträchtigt 
wurde  und  die  verzierende  Aus- 
stattung inhaltlich  allmählich  ausser 
Bezug  zu  den  Gegenstanden  als 
solchen  trat;  und  in  der  überhand- 
nehmenden Verwendung  des  Glases, 
der  Majolika  und  der  Fayence,  wo- 
durch  die  Gefässe  in  Gold  und 
Silber  zurücktraten.  Die  früheren 
Urortnen  und  Dreifüße  kamen  in 
Abnahme,  während  die  SchiJ/e  im- 
mer noch  vorkamen;  besonders  wur- 
den aber  als  Tafelbestecke  teils 
kelchähuliche  Ständer  oder  von  zu- 
meisthohen Füssen  gestützte  schalen- 
förmige Platten  beliebt,  reich  mit 
Ornamenten  bedeckt,  worauf  sich 
ein  kunstvoller  Zierrat  erhob,  teils 
in  Rund  durchgeführte  Darstellungen 
aus  dem  Menschen-  und  Tierleben 
und  der  Pflanzenwelt,  Szenen  ge- 
schichtlichen und  allegorischen  In- 
halte, mythologische  Phantasie,  Jagd- 
stücke, Tierkümpfe  u.  dgl.;  ähn- 
lichen Zwecken  dienen  reichverzierte 
Muachelaufsätze.  Bei  den  Giessge- 
sch irren  wurde  die  Kannenform  über- 
wiegend herrschend,  wobei  Fuss, 
Deckel,  Henkel  und  Ausguss  mannig- 
faltige reiche  Durchbildung  erfuhren. 
Für  den  eigentlichen  Behälter  oder 
den  Bauch  kam  die  Eiform  auf 
und  für  das  Geschirre  überhaupt  die 
altrömische  Vasenform  zur  Geltung; 
aneb  wenn  das  *Gefäss  selber  aus 
gebrannter  Erde   hergestellt  war, 

ftlegte  man  den  Schmuck  an 
lenkel,  Füssen  u.  dgl.  aus  getrie- 
bener Metallarbeit  herzustellen. 
Sehr  in  Aufnahme  kamen  die  Glas- 
gefasse,  welche  bis  etwa  1550  aus- 
schliesslich im  Venetianischen  ange- 
fertigt wurden.  Die  absonderlichen 


Gestalten,  welche  die  vorhergehende 
Periode  so  sehr  bevorzugt  hatte, 
beschränkten  sich  von  jetzt  an  mehr 
auf  die  Arbeiten  aus  Steingut  und  wur- 
den Sache  der  eigentlichen  Töpfer, 
die  nun  recht  im  Gegensatz  zur 
Vasenform  Formen  aus  ritt  [förmigen 
Bohren  'und  die  Tonnenform  oder 
aufrecht  kauernde  Figuren  und  dgl. 
ausbildeten.  Zwischen  den  eigent- 
lichen (Hess-  und  den  eigentlichen 
7V/V,  gefässen  kam  für  den  gewöhn- 
lichen Verkehr  eine  zugleich  zum 
Glessen  und  Trinken  benutzte  Ge- 
fässform  auf,  der  JTcnkelkrug,  auch 
Krug  überhaupt  Aus  Metall  oder 
Steingut  hergestellt,  gestaltete  man 
den  Krug  als  Vereinigung  der  Kan- 
nen- und  Becherform,  später  häufig 
mit  Hinneigung  zur  Eigestalt  der 
Vase;  dazu  kamen  bildnerische  Ver- 
zierungen, Arabesken,  Wappen  und 
ein  verzierter  Deckel  aus  Metall. 
Die  Becher  wurden  jetzt  häufig  aus 
Elfenbein,  Glas  und  Fayence  her- 
gestellt, und  zwar  meist"  ohne  me- 
tallenen Schmuck;  die  Gestalt  war 
wie  früher  eine  überaus  mannig- 
faltige und  abenteuerliche,  so  dass 
ein  Schriftsteller  klagen  konnte: 
„Heutiges  Tages  trinken  die  Welt- 
brüder und  Trinkhelden  aus  Schiffen, 
Windmühlen,  Laternen,  Sackpfeifen, 
Schrribzeugen,  Krummhörnern,  Kne- 
belspiessen,  Weinwagen,  Weintrau- 
ben, Äpfeln,  Birnen,  Kockelhähnen, 
Affen,  Pfauen,  Pfaffen,  Mönchen, 
Nonnen,  Bauern,  Bären,  Löwen, 
Hirschen,  Rossen,  Straussen,  Katzen, 
Schwanen,  Schweinen,  Elendsfüssen 
und  anderen  ungewöhnlichen  Trink- 
geschirren, die  der  Teufel  erdacht 
hat,  mit  grossem  Missfallen  Gottes 
im  Himmel."  Später  schritt  man 
gar  zu  Nachahmungen  von  Stiefeln 
Schuhen ,  Schubkarren,  Kriegsge- 
schützen fort.  Zu  vorwiegender  Gel- 
tung kamen  als  Metallarbeit  Trink- 
gefasse  von  Tannen-  und  Pinien- 
zapfen,  der  Weintraube,  von  Köpfen, 
namentlich  von  Hörnern,  mit  reichen 
Beschlägen;  sodann  Becher  in  der 

17* 


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260 


Gefaase,  kirchliche. 


Form  von  Mönchen,  Sonnen  und  j  diese  Geschmacksrichtung  auch  am 
reichgekleideten  weitlichen  Damen  i  geeignetsten  war,  war  das  Forzellan. 
in  steifem  Reifrock,  oder  der  spitzigen  |  Nach  Weiss,  Kontümkunde. 
Hälfte  des  Eies.  Die  Kredenzbecher  \  Gefässe,  kirchliche.  Heilige 
bildeten  meist  eine  weibliche  Figur  Gefässe,  rasa  sacra,  heissen  die  bei 
mit  seitwärts  ausgebreiteten  Armen,  der  Liturgie  gebrauchten  Gefässe, 

ein   Gelassenen  i  nämlich  Kelche,  Fatenen,  Hostien- 


um  seine  Quer- 
er diente  als  Doppel- 


über  dem  Haupt 
tragend,  das  sich 
achse  bewegte; 

becher  für  Herr  und  Dame.  t)er 
Willkommbecher  war  meist  ein  sehr 
umfangreicher  Pokal  oder  Humpen. 
Als  das  vornehmste  Trinkgescliirr 
galt  immer  noch  der  Kelch,  den 
man  jetzt  zu  äusserster  Schlankheit 
gestaltete  und  dessen  Fuss  man 
willkürlich  verzierte.  Auch  die  Trink- 
geschirre aus  Glas  wurden  in  ver- 
schiedenster Form,  als  Pokale,  Kelch- 
gläser, Schalen  uud  in  Nachahmung 
jedweder  Gegenstände  gearbeitet 
Dazu  Fig.  58  aus  Müller  und  Mo- 
thes.  aren.  Wörterb.,  ein  Büffet  aus 
Schloss  Rosenberg  mit  alten  Ge- 
issen darstellend. 

Im  17.  Jahrh.,  als  die  Kunst  zu 
sinken  begann,  kamen  Brunnen, 
Dreifusse  und  Schiffe  gänzlich  ab, 
ebenso  die  Mehrzahl  sonderbar  ge- 
stalteter GefUsse;  dagegen  wurden 
als  Tafelaufsätze  Geräte  in  Vasen- 
form mit  Blumenstrauss  darin  be- 
liebt Kunstgläser  nahmen  noch 
mehr  überhand,  die  Gefttese  fielen 
der  Ver8chuörkelung  anheim,  wur- 
den immer  flacher  behandelt  und 
die  früheren  Bildnereien  durch  bloss 
eingeritzte  Zierrate  von  oft  roher 
Fassung  ersetzt     Eine  neue  Art 


büchsen,  Cihorien  und  Monstranzen, 
Messkännchen  und  Giessgefässe, 
Weihrauchbecken  und  §cfiiffchen, 
Geßisse  für  die  heiligen  Öle,  Mesr 
glöckchen  und  11 eih Wasserkessel 
Über  die  im  engern  Sinne  rasa  sacra 
genannten  Gefässe,  welche  durch  ih- 
ren Gebrauch  in  unmittelbare  Berüh- 
rung mit  dem  konsekrierten  Brot  und 
Wein  des  Altarsakramentes  kommen, 
siehe  die  besonderen  Artikel  Kelch 
und  Ciborium.  Die  übrigen  kirch- 
lichen Gefässe  sind  von  minderer 
Wichtigkeit.  Die  Kannen,  amulae, 
ampullae  haben  erst  in  spätgotischer 
Zeit  einen  bestimmten  Typus  ange- 
nommen. Sie  kommen  immer  paar- 
weise, auf  einer  Schüssel  stenend. 
vor,  das  eine  Kännchen  ftir  den 
Wein,  das  andere  für  daa  zur  Aus- 
des  Kelches  erforderliche 
Der  bauchige  Körper  be- 
steht gewöhnlich  aus  Glas;  Fuss, 
Henkel,  Klappdeckel  aus  Metall: 
auch  kommt  das  ganze  Gef&ss  metal- 
len vor.  Der  G  tessgefässe,  manilia, 
aquaemmanilia ,  bediente  sich  der 
Priester  zum  Waschen  der  Hände, 
sie  hatten  die  Form  irgend  eines 
der  Natur  nachgebildeten  oder  phau 
tastischen  Tieres,  eines  Löwen,  Pfer- 
des, einer  Taube,  einer  Henne,  eines 


von  Gfiess-  und  Tinkgeschirren  Basilisk,  aus  Metall  gegossen.  Zu 
brachte  die  Einführung  des  Kaffees  den  Räucherungen  gehört  das  Weih 


und  Thees  mit  sich,  die  Tassen,  die 
man  zuerst  aus  Metall  verfertigte. 
Der  Rokoko-Stil  des  18.  Jahrh.  end- 
lich brachte  den  Gcfässen  das  lang- 
und  quergefurchte,  vielzackige  Mu- 
schelwerk, scharfkantige  und  eckige 


rauehgefass,  acerra,  tncensartum, 
jwxis' thuris,  und  das  Rauchbecken, 
thuribulum;  jenes  hatte,  wie  da« 
Gicssgefäss,  oft  die  Form  einer  Bestie 
oder  diejenige  eines  Schiffchens,  das 
durch  einen  in  der  Mitte  geteilten 


Schnörkel  ohne  feste  Grundgestalt,  j  Klappdeckel  verschliessbar 
aufgemalte ,  eingelegte  oder  leicht  Das  Rauchbecken  hat  zum  Hin- 
erhabene Darstellungen ,  Genien,  |  stellen  einen  einfachen  runden  Fuss, 
Blumen,  Landschaften,  Füllhörner  während  das  sich  ausbauchende 
u.  dgl.  Das  Hauptmaterial,  das  für  Kohlenbecken    zum    Zwecke  des 


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Gefolgewescn. 


261 


Schwingens  au  Ketten  hängt  Sic  sind,  Gefolgcwesenj  eine  den  Urzeiten 
in  älterer  Zeit  meist  aus  Erz  erst  später  der  Germanen  eigentümliche  Ein- 
von  Silber.  Die  Gefässe  für  die  hei-  richtung,  von  der  Tacitus  in  der 


Fig.  f>8.    Büfl'et  aus  Schloss  Rosenberg. 


Ugen  Öle,  Heilöl,  Krankenöl  und 
Salböl  sind  verschliessbare  Büchsen 
und  Flaschen,  auch  in  Hörnerform. 


Germania  13 — 15  handelt.  Es  war 
ein  Recht  der  Fürsten  (nicht  des 
Adels  und  ebensowenig  jedes  ein- 


Otte,  Handbuch  der  Archäologie.      zelnen  im  Volke),  ein  Gefolge,  comi 


262 


Geisel.  —  Geissier. 


faftut.  zu  halten.  Junge  Männer  aus 
dem  Volk  sehliessen  sich  dein  Fürsten 
an,  freiwillig,  sodass  der  Jüngling 
selbst  oder  der  Vater  für  ihn  den 
Fürsten  wählt;  auch  Sohne  des  Adels 
treten  in  das  Gefolge.  Die  Ver- 
bindung ist  dauernd,  nicht  für  einen 
besonderen  Zweck,  doch  auch  nicht 
unauflöslich.  Durch  einen  Kid  wird 
das  Verhältnis  bekräftigt,  der  zur 
Treue  und  Hingebung  verpflichtet. 
Die  Gefolgsgenossen  bilden  die  He- 
gleitung des  Fürsten,  wohnen  mit 
mm,  schmausen  in  seiner  Halle, 
daher  sie  später  Herdgt  seilen,  Bank- 
genossen,  lisehqenossen  des  Fürsten 
'oder  Königs  fieissen,  auch  Sofge- 
sfalden,  ahd.  nolstallo,  Gesinde.  Der 
Dienst  als  Ehrendienst  minderte  die 
Freiheit  nicht.  Ein  zahlreiches  Ge- 
folge gab  dem  Fürsten  Ruhm  und 
Macht,  im  Frieden  Ehre,  im  Kriege 
Schutz.  Als  Lohn  erhielten  sie 
Waffen  und  Rosse,  auch  Schätze 
aus  der  Beute  oder  andere  Gaben. 
Die  Ableitungen  des  Adels,  der  Vol- 
kerwanderung, der  Heerverfassung, 
der  Vasallität,  des  Benefiziatwesens 
aus  der  Taciteischen  Gefolgschaft 
sind  alle  widerlegt  worden.  Nach 
Waitz,  Verf.-Gesch.  I.,  Absehn.  10, 
macht  die  Gefolgschaft,  eine  Zeit- 
lang in  den  Königreichen  zu  be- 
sonderer Bedeutung  gelangt,  später 
anderen  Bildungen  Kaum,  die  vor- 
nehmlich auf  der  Entwickelung  der 
fränkischen  Monarchie  und  des 
Grundbesitzes  beruhen.  Id  den  nor- 
dischen Reichen  erhäle  sich  die 
Gefolgschaft  am  reinsten  und  läng- 
sten. Die  Erinnerung  an  sie  lebt 
in  manchen  Gedichten  des  Mittel- 
alters fort,  in  den  Nibelungen, 
Gudrun,  im  Heliand,  am  lebendig- 
sten im  augelsäclisischen  Bcowulf'. 
Vgl.  Dahn,  Deutsche  Gesch.  I,  I, 
S.  222. 

Geisel,  ahd.  gisaf,  gisil,  mhd.  der 
und  das  gisel,  Die  iiitesten  Zeug- 
nisse für  die  Geiselstellum*  bei  den 
Germanen  sind  die  mit  gisil,  gisal. 
verkürzt  gis  susammengesetzten zahl- 


reichen Eigennamen:  Willigis,  Jla- 
dalgis,  Fridugis;  Gisulf,  Gisal- 
bald,  Gisalbrand,  Gitalm'und,  auch 
bloss  Giso,  weiblich  Gisa.  neben 
Gisi/o,  Gisila,  (jixefa,  (>isel,  Gisol- 
hart,  Gisalmuot,  JJefidgis.  \l~olfqis, 
Berengis,  FbergU,  Adalgis,  Gödi- 
aisil,  Jnjtigisil  (zu  ans  =  Ase).  Man 
leitet  das  Wort  von  qer  —  Speer- 
eisen, Speer  ab,  wonach  Geisel  der 
Spcergefangene  wäre,  wenn  nicht 
eine  Zwischenbedeutung  =  Held  an- 
zunehmen ist.  Es  ist  möglich,  dass 
in  frühesten  Zeiten  bloss  hohe  Ge- 
fangene, Fürsten  als  Geiseln  an- 
genommen wurden,  während  man 
die  übrigen  tötete;  die  hohen  Gei- 
seln dienten ,  wie  Hageu  und  Wal- 
thari  am  Hofe  Etzels,  geradezu  als 
Zierden  der  Höfe.  Düren  das  ganze 
Mittelalter  blieb  die  Geiselstellung 
eine  Bekräftigung  des  Eides,  nament- 
lich wenn  die  Treue  einmal  verletzt, 
oder  Verdacht  des  Abfalles  vor- 
handen war.  Sogar  der  König  sah 
sieh  unter  Umständen  veranlasst, 
für  sein  gegebenes  Wort  Geiseln 
zu  stellen;  doch  erklärte  Heinrich  IV. 
den  Sachsen  gegenüber,  die  von 
ihm  Geiseln  begehrten:  Geiseln  zu 
stellen  liege  weit  ab  von  der  könig- 
lichen Majestät. 

(ieissler,  Geisseibrüder,  Kreuz- 
brüder, Büsser,  Flagellanten,  Flagel- 
larii  u.a.  sind  Benennungen  einer  im 
13.,  14.  und  15.  Jahrh.  auf  dem  Ge- 
biete des  kirchlichen  Busswesens 
auftretenden  Erscheinung.  Die  alt- 
britische und  angelsächsische  Kirche 
kannte  als  einzige  Art  des  Buss- 
werkes das  Fasten:  da  dieses  uicht 
in  allen  Fällen  ausreichte,  kamen 
als  Ersatzmittel  desselben  Beten, 
Singen,  Hersagen  von  Psalmen, 
Kniebeugen,  Geldspenden  zu  kirch- 
lichen oder  wohlthätigen  Zwecken 
und  die  G eissei ung  auf.  Die  letztere 
erscheint  zuerst  in  einem  Bussbuche 
des  Jahrh.,  in  Nachahmung  der 
Geisselungen  Christi  und  der  Anstel. 
Sie  blieb  lange  nur  auf  Klöster  be- 
schränkt und    erlangte   hier  eiue 


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Geissler. 


26;* 


systematische  Ausbildung,  sodass 
die  Zahl  di  r  Schlage  nach  einer 
festen  Taxe  berechuet  wurde.  Be- 
sonders der  Kardinal  Damiani,  £est. 
1072,  wurde  nicht  müde,  die  Geisse- 
lung  anzuempfehlen  und  brachte  es 
so  weit,  dass  dieselbe  nicht  bloss 
in  den  Klöstern  eine  sehr  ausge- 
dehnte Anwendung  fand,  sondern 
auch  in  die  Privathäuser  drang. 
Die  Veräusserliehung  des  Bussbe- 
griffes, die  Vermehrung  des  Ketzer- 
rums und  der  Kampf  der  Kirche 
eegen  dasselbe,  die  zunehmende 
Verehriing'*  der  Wanderprediger, 
das  Aufkommen  der  geistlichen 
Spiele,  der  Gesang  freier  religiöser 
Lieder  u.  a.,  drängte  zu  besonde- 
ren Ausbrächen  des  gesteigerten 
religiösen  Volksgefühls.  Von  der 
Wirkimg  des  Antonius  von  Padua, 
Ke»t  1231,  heiset  es  in  der  Lebens- 
beschreibung: „Damals  fingen  die 
Menschen  zuerst  au,  scharenweise 
sich  geisselnd  und  geistliche  Lie- 
der sinkend  in  Prozession  zu  gehen. 
Beglaubigt  ist,  dass  im  Jahr  1260 
zu  Perugia ,  infolge  langer  und 
furchtbarer  Kämpfe ,  sich  eine 
Menge  Volke*  zu  reuiger  Geissei- 
busse verband.  „Mit  entblösstera 
Oberkörper  wallten  Edle  und  Un- 
edle. Greise,  Männer  und  Jünglinge, 
ia  selbst  Kiuder  paarweise  in  feier- 
lichem Autzuge  (furch  die  Stadt  und 
schlugen  sich  mit  ledernen  Geissei- 
riemen über  die  Schulter,  dass  das 
Blut  herabfloss.  Dann  ergossen  sie 
sich  hinaus  über  das  Weichbild  der 
Stadt,  und  immer  neue  Scharen 
schlössen  sich  an,  wie  von  An- 
steckung ergriffen,  und  so  zogen  die 
Büsser  weiter  zu  Hunderten ,  zu 
lausenden,  ja  zu  Zehntausenden 
von  Dorf  zu  Dorf,  von  Stadt  zu 
Stadt,  angeführt  von  Priestern  mit 
Kreuzen  und  Fahnen,  und  warfen 
sich  vor  den  Altären  der  Kirchen 
nieder.  Alle  Musik,  aller  Gesang 
verstummte  vor  ihren  Bussliedern. 
Reue  und  Bedürfnis  der  Versöhnung 
erwachte  in  allen  Gemütern;  jeder 


beeilte  sich  zu  beichten  und  ge- 
thanes  Unrecht  wieder  gutzumachen. 
Wucherer  und  Räuber  stellten  das 
unrechtmässig  gewonnene  Gut  zu- 
rück, Feinde  söhnten  sieh  aus,  Ge- 
fangene wurden  entlassen,  Vertrie- 
bene wieder  aufgenommen,  reiche 
Almosen  gespendet.  Bis  nach  Korn 
hin  wanderte  das  Geisslerheer  und 
aufwärts  durch  die  Lombardei  und 
Pieinont  bis  nach  der  Provence; 
selbst  der  Winter  vermochte  ihren 
Eifer  nicht  zu  dämpfen." 

Das  Jahr  darauf,  1261,  sah  den 
ersten  Geisslerzug  in  Deutschland 
und  zwar  in  den  österreichischen 
Ländern,  Bayern,  Polen,  Böhmen, 
Mähren  und  Ungarn.  In  Italien 
wiederholte  sich  die  Erscheinung  im 
Jahr  1334.  Die  grösste  Bewegung 
dieser  Art  geschah  jedoch  unter 
dem  Eindrucke  des  tchwarzen  7bde*f 
der,  von  Ostasien  herkommend,  un- 
glaubliche Verwüstungen  anrichtete, 
(siehe  den  Artikel  Volkskrankheiten)/ 
Nach  Deutschland  kam  diese  Pest 
im  Jahr  1 348 ;  ihr  Eindruck  wurde  ver- 
mehrt durch  das  auf  dem  verstor- 
benen Ludwig  dem  Bayer  und  seinen 
Freunden  und  Anhängern  lastende 
Interdikt.  Da  sammelten  sich  im 
Jahr  1349  an  verschiedenen  Orten 
neue  Geisslerscharen ,  die  von  sehr 
verschiedenen  Orten  sich  mehrend 
und  sich  wieder  zerteilend,  das 
Land  von  den  Alpen  bis  nach 
Dänemark  und  hinüber  nach  Eng- 
land durchzogen;  auch  Frauen  und 
Kinder  waren  dabei.  Die  aus- 
führlichste Nachricht  darüber  fin- 
det man  in  Closeiwrs  Strassburger 
Ch  ronik,  die  im  Jahr  1362  vollen- 
det wurde. 

Wer  in  die  Brüderschaft  ein- 
treten wollte,  musste  zuerst  erklären, 
dass  er  gebeichtet,  aufrichtig  bereut, 
seinen  Feinden  vergeben  und  dio 
Einwilligung  seiner  Ehefrau  zur 
Geisseifahrt  erhalten  habe;  dann 
musste  er  1 1  Schillinge  und  4  Pfen- 
nige aufweissen,  um  durch  30  bis 
34  Tage  (zum  Andenken  an  Christi 


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264 


Geissler. 


Lebensjahre)  sich  mit  täglich  4  Pfen-  Dies  geschah  dreimal.  Dann  traten 
nigen  erhalten  zu  können;  sodann  Bürger  der  Stadt  hinzu  uud  laden 


sollte  er  die  Weise  der  Geissler 
halten  und  den  Meistern  der  Brüder- 
schaft Gehorsam  angeloben.  Mit 
Frauen  zu  verkehren  war  nicht  ge- 
stattet. Inder  Nähe  einer  bewohnten 
Ortschaft  ordnete  sich  der  Zug,  voran 
die  gewundenen  Kerzen,  Kreuze, 
Fahnen,  dann  die  Büsser  paar- 
weise, in  Mäntel  und  Hüte  gekleidet 
mit  darauf  gehefteten  roten  Kreuzen. 
Mehrere  Vorsänger 


die  Brüder  zum  Imbiss  zu  sich  ein. 
Zum  Geissein  aber  oder  zum  Bussen, 
welches  vor-  und  nachmittags  ge- 
schah, begaben  sie  sich  wieder  in 
Prozession  auf  einen  freien  Platt, 
etwa  den  Kirchhof,  schlössen  einen 
Kreis,  legten  in  die  Mitte  sämtliche 
Kleidungsstücke  bis  auf  die  Hosen, 
knüpften  einen  Schurz  umuudlegteu 
sich  in  einem  weiten  Kreise  so  nieder, 
dass  die  Lage  oder  Gebärde  die 


stimmten  dann 

einen  Leis  an  (siehe  diesen  Artikel),  Hauptsünde  des  einzelnen  anzeigte. 

den   die   ganze   Schar   nachsang,  der   Ehebrecher   auf  den  Bauch. 

während  alle  Glockeu  des  Ortes  der  Mörder  auf  den  Rücken.  Der 

zum  Empfange  geläutet    Wurden.  Meister   schritt   dann  über  jeden 

Der  gebräuchlichste  Leis  lautete:  weg,  rührte  ihn  mit  der  Gei?*! 

.  una  sprach: 

i\«  ist  die  betevart  s6  he*r: 

Oritt  reit  selber  qen  Jerusalem,  Stauf  uf  durch  der  reinen  markig 
erfüerte  eine  knuze  in  siner  haut;  und  den  sünden  mtt' 

Jeder  Berührte  schritt  dem  Meist* 
nach  und  that  wie  er.  Nachdem 
alle  aufgestanden  waren,  stellten  sie 
sich  wieder  zu  einem  Kreis  zusam- 
men, gingen  paarweise  um  den  Kreis, 
den  Kücken  mit  Geissein  blutig 
schlagend,  von  denen  drei  Riemen 
in  Knoten  mit  vier  eisernen  Stacheln 
ausliefen,  und  sangen  während  der 
Geisselung  einen  neuen  Leis. 

Die  Geisselung  wiederholte  sieb 
dreimal.  Nachdem  die  Eingang 
Ceremonien  wiederholt  wareu.  legten 
die  Geissler  ihre  Kleider  an,  acht- 
bare Leute  unter  den  Zuschauen 
sammelten  eine  Beisteuer  zu  Kerfc-a 


nu  helfe  um  der  Heilant! 

2Vm  igt  die  betevart  s6  guot: 
hilf  um,  herre,  durch  dtn  heiiges  bluot, 
daz  du  an  dem  kriuze  vergossen  haut, 
und  uns  in  dem  eilende  gelosssen  hast! 

Nu  ist  die  strdsse  alsö  breit, 
die  uns  zuo  uMerre  frouwen  treit, 
in  unserre  lieben  frouwen  laut; 
7i u  helfe  uns  der  heilant! 

lt  ir  sullen  die  buosse  an  um  nemen, 

daz  wir  gote  deste  bas  qezemen 

aldort  in  stnes  rater  rieh; 

des  biten  wir  dich  alle  gelich; 
so  biten  icir  den  heiligen  Crisl, 
der  alle  der  weite  gewaltig  ist. 


und  Fahnen  für  die  Brüderschart- 
In  der  Kirche,  wohin  sie  zogen,  |  und  wenn  dies  gethan,  trat  einer 


knieten  nie  nieder  und  sangen: 

JhStHs  der  wart  gelabet  mit  galten, 
des  stillen  wir  an  ein  kriuze  vallen. 

Mit  diesen  Worten  warfen  sie  sich 
mit  kreuzweis  ausgebreiteten  Armen 
zur  Erde,  und  verharrten  so,  bis 
der  Vorsänger  anhob: 

Xu  heben t  uf  die  iuwern  hende, 
daz  Got  dis grosse  sterben  wende, 


worauf  sie  sich   wieder  erhoben,  die  Stadt  zurück,   verrichtetet!  w 


der  ein  Laie  war  und  lesen  könnt«- 
auf  eine  Erhöhung  und  verlas  einer, 
langen  Brief,  der  augeblich  v  «n 
Christus  selbst  auf  eine  MarmortatY! 
geschrieben,  durch  einen  EiiäH 
herabgebracht  und  auf  den  Alu: 
St.  Peters  zu  Jerusalem  niedergeht 
worden  sein  sollte.  Er  enthielt  <1* 
Aufforderung  zur  Geisseifahrt,  h- 
feierlichem  Zuge,  uuter  Glocke:^- 
läute,  kehrten  danu  die  Geissler  in 


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Geistllicher  Ornat. 


265 


der  Kirche  ihre  Andacht  und  gingen 
auseinander.  Sie  durften  nicht  über 
einen  Tag  und  eine  Nacht  an  einem 
Orte  verweilen;  beim  Fortziehen 
aus  einem  Orte  sangen  sie: 

0  herre  tater,  Jhttu  Crisf, 

iran  du  allein  ein  herre  bist, 

der  uns  die  sünde  mac  vergelten, 

nu  gevriste  uns  unser  leben, 

da:  wir  beteeinen  dinen  tot. 

vir  klagen  dir,  herre,  al  unser  n6t. 


Alle  Lieder  waren  erst  fftr  diese 
Geisseifahrt  von  einem  unbekannten 
Verfasser  gedichtet  worden. 

80  ausserordentlich  die  Teilnahme 
an  dieser  seltsamen  Erscheinung  war, 
so  schnell  ging  sie  vorbei;  nach  einem 
halben  Jahre  verbot  man  in  St  ras s- 
burg  und  anderwärts,  zum  Teil  durch 
die  Geistlichkeit  angeregt,  die  öffent- 
liche Geisselung.  Dazu  kam,  dass 
die  französischen  Geisseifahrten,  wo- 
für die  deutschen  Leise  übersetzt 
worden  waren,  von  seiten  des  Königs 
und  der  Universität  verboten  wur- 
den und  der  Papst  noch  im  Herbst 
des  Jahres  1349  eine  Bulle  gegen 
die  Geissler  eriiess,  worin  er  ihnen 
zur  Last  legte,  dass  sie  eigenmächtig 
handelnd,  die  Schlüsselgewalt  und 
die  disziplinarische  Ordnung  der 
Kirche  missachten,  und  den  Bischö- 
fen befahl,  sie  zu  unterdrücken. 

In  Italien,  Frankreich  und  Spa- 
nien trat  die  Erscheinung  der  Geissler 
vom  Jahre  1 398  an  in  anderer  Form 
anf;  gehüllt  in  lange,  weisse,  leinene 
Gewänder  (daher  Bianchi,  Albi.  Al- 
bati genannt),  welche  auch  Kopf 
und  Gesieht  verdeckten  und  nur 
zwei  Öffnungen  für  die  Augen  frei- 
liessen,  wallten  sie  in  neuntägiger 
Bussfahrt  in  grossen  Haufen  unter 
Absingung  des  St<ibat  mater  durch 
die  Länder  und  Städte;  auch  diese 
Erscheinung  wurde  bald  unterdrückt, 
und  die  Geisseibusse  nur  noch  im 
Geheimen  von  den  nie  ganz  zer- 
störten Brüderschaften  fortgesetzt.  I 
Im  15.  Jahrhundert  wurden  viele  [ 
geheime    Anhänger   derselben    in  | 


Deutschland  von  der  Inquisition  auf 
den  Scheiterhaufen  gebracht.  Nach 
Zacher  in  Erech.  u.  Gruber. 

Geistlicher  Ornat.  Die  Her- 
stellung einer  liturgischen  Tracht 
für  die  christliche  Geistlichkeit  er- 
folgte nicht  vor  dem  6.  Jahrh.  Die 
Ausbildung  des  priesterlichen  Amts- 
ornates ging  vorzugsweise  von  der 
römischen  Bekleidung  aus  und  voll- 
zog sich  als  allgemein  massgebend 
zuerst  in  Byzanz,  erhielt  dann  aber 
im  Abendlande  allmählich  eine  da- 
von abweichende  selbständige  Rich- 
tung. Die  Feststellung  der  Grund- 
formen des  occidentalischen  Ornates 
verlegt  man  in  den  Beginn  des 
9.  Janrh.  von  welcher  Zeit  an  bis 
ins  14.  Jahrb.,  die  geistliche  Tracht 
im  Allgemeinen  dieselbe  blieb. 

Zum  Ornat  des  Bischofs,  Erz- 
bischofs  und  Papstes  gehörten  fol- 
gende Stücke: 

1.  Strümpfe  oder  Socken,  Caligae, 
Tibalia,  es  sind  dies  bis  zu  den 
Knieen  reichende  Langstrümpfe, 
oberhalb  mit  Kniebändern  versehen, 
aus  Leinwand,  später  aus  Seide  oder 
Sammet,  dunkelvioletter  Farbe. 

2.  Schuhe,  Sandalia,  Calceamenta, 
Socculi,  ursprünglich  das  römische 
Bindeschuhwerk,  später  ein  voll- 
ständiger geschlossener  Schuh  mit 
breiten  Taschen  von  der  Sohle  bis 
zum  Spanne,  Farbe  meist  karmin- 
purpur,  ausserdem  oft  Schmuck  von 
Goldstickwerk ,  Perlen  und  Edel- 
steinen. 

3.  Hals-  oder  Schul  (ertlich,  Amte 
tus,  Superhumerale,  ein  grosses,  ob- 
longes Tuch,  teils  um  den  Hals  zu 
schützen,  teils  um  die  anderen  Ge- 
wänder vor  einer  unmittelbaren  Be- 
rührung mit  dem  Hals  sicher  zu 
stellen. 

4.  Albe,  Alba,  Camisia,  Poderis, 
Tunica  talaris,  das  älteste  Stück  des 
ganzen  Amtsoraates,  ein  mässig  wei- 
tes Hemd,  das  bis  zu  den  Kissen 
reicht,  mit  langen  gegen  die..Hand- 
knöchel  zu  sich  verengenden  Ärmeln 


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Geistlicher  Ornat. 


mit  weitem  Knopfloch,  von  weisser 
Leinwand,  ohne  Schmuck. 

5.  Der  zur  Albe  gehörende  Gür- 
tel, Baltheus.  Zona ,  Cinffulum,  ur- 
sprünglich schmucklos,  später  reich 
ausgestattet  mit  Troddel  werk  und 
Goldschellen. 

6.  Stolc,  Stola,  Orarium,  ein 
langes  um  den  Hals  gelegtes  Band, 
dessen  beide  Enden  je  zur  Seite 
herabhingen.  Als  dieses  Band  sich 
soweit  verlängerte,  dass  es  am  Gehen 
hinderte,  kreuzte  man  es  auf  der 
Brust,  gürtete  es  mit  dem  Cingu- 
lum  und  zog  es  hinter  diesem  her- 
auf. Die  Stole  war  mit  religiösen 
Sinnbildern  und  anderen  Verzie- 
rungen ausgestattet,  der  Stoff  Wolle 
oder  Seide. 

7.  Das  Manipel,  Phanon,  Mani- 
pula-%  Mapjmla,  ursprünglich  ein 
Tuch  von  Linnen,  dessen  sich  der 
Priester  zum  Abtrocknen  des 
Schweisses  und  zur  Säuberung  der 
heiligen  Gefässe  bediente,  später 
ein  schmales,  dem  linken  Arm  über- 
gehängtes Band. 

8.  Zwei  hemdformiqe  Überzieher, 
Dalmatiea  und  Tunicella,  ein  länge- 
res und  ein  kürzeres  Gewand,  von 
denen  entweder  überhaupt  bloss 
eines  oder  das  kürzere  über  dem 
längeren  getragen  wurde,  der  Form 
nach  geschlossene  Überkleider,  zu 
den  Seiten  je  der  Länge  nach  mit 
einem  schmalen  violett  roten  Band- 
streifen bedeckt,  das  längere  Kleid 
meist  rot,  das  kürzen;  weiss. 

9.  Das  Messyewand ,  Paenula. 
Planeta,  Casula,  Casubula ,  ein 
ringsum  geschlossener,  glockenför- 
miger Überhang,  durch  reichen 
Goldbesatz  ausgezeichnet,  der  sich 
um  den  unteren  Saum,  um  den 
Rand  des  Kopfausschnittes  und  auf 
der  Vorder-  und  Rückenseite  längs 
der  Mitte  hin  befand,  seit  dem  15. 
Jahrh.  brachte  man  auf  dem  Rücken- 
stück oft  einen  sehr  breiten  Besatz 
in  Gestalt  des  lateinischen  Kreuzes 
mit  der  Figur  des  Gekreuzigten 
darunter  an,  vorn  einen  Längstreifen 


mit  kleineren  Kreuzen  aus  Stoff, 
Seide  oder  Sammet. 

10.  Handschuhe,  Manicae,  Chiro- 
thecae,  die  nicht  genäht,  sondern 
gewirkt  sein  müssen,  aus  Seiden- 

I  stoff,  purpurfarben  und  reich  geziert, 
I  später  mit  Stulpen  versehen. 

11.  Der  Bing,  Ännulus,  ursprüng- 
lich am  Zeigefinger,  später  am  vier- 
ten Finger  der  rechten  Hand  ge- 
tragen; er  sollte  von  Gold,  mit 
einem  Edelsteine  geschmückt  sein. 
Er  wurde  über  den  Handschuh  ge- 
tragen. 

12.  Eine  Kopfbedeckung ,  Mitra, 
Tiara,  Tnfula,  Phrygium,  Corona 
sacerdotolis,  Cidarisuml  Cuphia. 

a)  Die  bischöfliche  Kopfbedeckung 
oder  Mitra  war  eine  Nachbildung 
der  auch  im  gewöhnlichen  Leben 
allgemein  üblichen  Rundkappen; 
dieselben  wurden  inmitten  des  Schä- 
dels mä&sig  eingesenkt,  durch  die 
Senkung,  vielleicnt  um  dieselbe  über- 
haupt zu  erzielen ,  ein  vertikal  lau« 
fendes  breites  Schmuckband  gezogen, 

|  welches  sich  von  der  Mitte  des  auch 
sonst  üblichen  Stirnreifes  erstreckte. 
Allmählich  löste  man  den  Stirnreif, 
der  bei  allen  derartigen  Kappen  seit 
jeher  den  Hauptpunkt  bildete,  von 
seinem  Grunde  ab  und  behandelte 
ihn  in  Gestalt  einer  langen  Binde 
als  selbständigen  Schmuck ,  dessen 
Enden  gleichmäßig  auf  die  Schul- 
tern fielen.  Um  den  Schluss  des 
11,  Jahrh.  erweiterte  man  jene  erste 
Einscnkung  dergestalt,  dass  <he 
Kappe  in  zwei  gleiche  Hälften  ge- 
schieden und  zur  wirklichen  Dopprl- 
mutze  wurde,  wobei  die  Bindeoan- 
der  nur  noch  gelegentlich  die  Be- 
deutung einer  besonderen  Auszeich- 
nung beibehielten.  Später  schwankte 
diese  Bedeckung  bloss  noch  in  ihren 
Höheverhältnissen  und  in  der  be- 
ständig sich  vermehrenden  Ausstat- 
tung. 

b)  Die  Kopfbedeckung  des  Pap- 
stes oder  Tiara  ist  ein  hoher,  zucker- 
hutformiger  Spitzhut,  mit  einem  senk- 
rechten  goldenen  Streifen  ausge- 


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Geistlicher  Ornat. 


2(37 


stattet;  dieser  sowohl  als  der  gol- 
dene Stirnreit'  reich  mit  Edelsteinen 
besetzt.  Er*t  Bonifacius  VIII.  (gest. 
1303)  trab  dem  Stirnreif  die  Gestalt 
einer  Krone  und  brachte  darüber 
in  einiger  Entfernung  noch  einen 
derartigen  Reifen  an,  wodurch  die 
Tiara  zur  Doppelkrone  wurde.  Bene- 
dikt XII.  (1334—1342)  oder  Urban  V. 
(1362-1370)  soll  einen  dritten  Reif 
hinzugefügt  und  Urban  VI.  um  1378 
diese  dreifache  Krone  dauernd  ein- 
geführt haben. 

13.  Der  Hirtenstab,  Baculus  epis- 
copatit,  pastoral  is,  Ferula,  Vir  (ja, 
Fedum,  Sambuca,  ursprünglich  eine 
mit  einer  Krücke  versehene  Stütze. 
Man  vermutet,  dass  der  Stab  im 
8.  Jahrh.  zum  Abzeichen  der  kirch- 
lichen Macht  wurde.  Erst  um  den 
Schluss  des  10.  Jahrh.  verlängerte 
man  ihn,  brachte  an  Stelle  der  Kur- 
sen Doppelkrücke  eine  den  Schäfer- 
stäben ähnliche,  nach  innen  gewen- 
dete hackenformige  Krümmung  an 
und  vermittelte  dieselbe  mit  dem 
Schaft  durch  einen  Knopf.  Schon 
die  älteren  Krückeustäbe  waren  mit 
plastischen  Zierden  versehen;  die 
Knimmsfcibe  hatten  eine  Windung 
aus  Elfenbein  und  einen  Knopf  aus 
Metall;  die  Windungen  erhielten  die 
Gestalt  einer  Schiauge  oder  irgend 
ein  symbolisches  Blatter-,  Blumen- 
oder Rankenwerk,  auch  ganze  Sze- 
nen aus  der  heiligen  Geschichte. 
Der  ursprünglich  hölzerne  Stab 
wurde  später  wohl  ganz  aus  Elfen- 
bein oder  Metall  hergestellt  —  Der 
Papst  braucht,  da  er  bei  Prozessio- 
nen sitzend  getragen  oder  unter- 
stützt wird,  keinen  Hirtenstab;  doch 
trägt  er  gelegentlich  auf  Bildwerken 
einen  langen  Stab  mit  einem  Kreuze 
darauf.  —  Die  Windung  der  Abt- 
Stalte  ist  nach  Innen  gebogen. 

Die  folgenden  Oruatstücke  wer- 
den entweder  bloss  vom  Papst  ge- 
tragen oder  sind  nur  solchen  Erz- 
bisehöfen und  Bischöfen  zugestan- 
den, welche  der  Papst  ebendadurch 
auszeichnen  will: 


14.  Ein  Bd/id,  Pallium,  Fall 'i um 
archiepiscopale.  Es  ist  ein  ziemlich 
schmaler,  etwa  drei  Finger  breiter 
Streifen,  aus  Lammwolle  gewoben, 
mit  mehreren  schwarzen,  später 
purpurroten  Kreuzen  verziert,  der 
so  um  die  Schulter  getragen  wird, 
dass  eines  der  beiden  Enden  vorn, 
das  andere  hinterwärts  herabfällt. 
Das  Pallium  ist  das  Ehrenzeichen 
des  Erzbischofs. 

15.  Ein  Schulterkleid,  Amiculum, 
Superhumerale ,  Nationale  episco- 
porum,  vom  12. — 15.  Jahrh  ge- 
Dräuchlich ,  ein  dem  Schulterkleid 
des  jüdischen  Hohenpriesters  nach- 
gestaltetes Gewand,  das  aus  zwei 
einander  völlig  gleichen  viereckigen 
Hälften,  einem  vorder-  und  einem 
Rückenteil  bestand,  beide  an  den 
untern  Kanten  zu  kurzen  oblongen 
Streifen  verengert,  beide  Teile  mit 
Sinnbildern,  Figuren  u.  dgl.  reich 
geschmückt 

16.  Kationale,  Perlorale  oder  For- 
male, Nachahmung  des  hohenpriester- 
lichen Brustschilaes.  ein  längliches 
Viereck  mit  darauf  senkrecht  in 
vier  Reihen  gefassten  zwölf  Edel- 
steinen; es  wurde  später  durch  ein 
Brustkreuz  oder  durch  eine  reiche 
Brustspanae  ersetzt,  und  das  Brust- 
kreuz auch  auf  die  Bischöfe  über- 
tragen. 

Von  geringerer  Bedeutung  sind 
folgende  Omatstücke : 

17.  Der  Mantel,  Pluviale,  Kappa, 
ein  mit  einer  Kapuze  versehener 
Schulterumhang,  anfanglich  bloss  ein 
Schutzkleid  (  Regenmantel) ,  gegen 
Kälte  und  Regen,  und  daher  schmuck- 
los aus  einem  derben  Stoff  her- 
gestellt. Frühestens  zu  Eude  des 
12.  Jahrh.  verwaudelte  man  dieses 
Schutzkleid  in  ein  Festkleid,  stellte 
dasselbe  aus  kostbaren  Stoffen  her 
und  schmückte  vorzugsweise  die 
Säume  längs  der  Öffnung  und  «las 
Oberteil  zwischen  den  Schultern  mit 
reich  gesticktem  Besatz,  den  unteren 
Saum  auch  wohl  mit  Glöckchen. 
Jeder  Geistliche  konnte  sich  dieses 


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268 


Geistlicher  Ornat. 


Kleides  ohne  Rangunterschied  be- 
dienen; das  Rückenschild  verklei- 
nerte sich  im  15.  Jahrh.  zu  einer 
Art  Genickkragen. 

18.  Chorrock,  Rocchetum,  Roc- 
chet,  SuperpelUceum,  eine  Alba,  die 
nicht  beim  Altardienste,  sondern  als 
bequeme  Dienstkleidung  getragen 
wurde;  dieses  Kleid  wurde  mit  der 
Zeit  mehr  und  mehr  verkürzt. 

19.  Das  Barrett,  Biretum,  ist 
im  10.  Jahrh.  aus  der  damals  all- 
gemein üblichen  Rundkappe  dadurch 
hervorgegangen,  dass  man  sie  zum 
bequemeren  Anfassen  etwas  erhöhte 
und  faltete.' Später  wurde  sie  völlig 
quadratisch  gefaltet  und  ausgesteift 
und  oben  in  der  Mitte  eine  Quaste 
angebracht. 

20.  Der  Kardinalshut,  Fileus 
und  Galerus  rui>er ,  kam  erst  im 
13.  Jahrh.  als  Rangbezeichnung  auf, 
vermutlich  in  der  ihm  jetzt  noch 
eigentümlichen  Form  einer  mit  brei- 
ter gesteifter  Krempe  ausgestatteten 
Ruudkappe;  Schnüre  und  Quasten 
scheinen  jüngeren  Datums.  Später 
kamen  zum  roten  Hut  der  rote 
Leihrock  und  das  rote  Barett. 

Über  die  liturgischen  Farben 
siehe  den  Artikel  Farbensprache. 

Was  das  kirchliche  Ornat  der 
niederen  Geistlichkeit  anbelangt,  so 
war  mit  der  Einweihung  in  den 
Priesterstand  oder  das  Prcbsyteriat 
die  Bekleidung  mit  der  Stola  und 
der  Casula  verbunden.  Daneben 
bestand  die  übrige  amtlich  kirch- 
liche Ausstattung  aus  dem  Amictus, 
der  Alba,  dem  Cinqulum  und  dem 
Maniiicf.  Die  niederen  Grade  der 
Geist  lii'hkeit  trugen  durchgängig 
das  weisse  Feierkleid,  die  Tumea 
alba  oder  talaris,  wozu  später  für 
Einzelne,  namentlich  die  Ministran- 
ten, das  Chorhemd  und  für  die  Sän- 
ger ausserdem  das  Pluviule  kam. 

Die  ausserkirchliche  Tracht  der 
Geistlichkeit  bewegte  sich  im  Mittel- 
alter fast  unausgesetzt  je  nach  Mass- 
gabe der  Individualität  des  Einzel- 
nen vorwiegend  in  den  Extremen 


einer  auisersten  Dürftigkeit,  ähnlich 
den  Asketen  und  Klostergeistlichen, 
oder  eines  höchst  gesteiqerten  Auf- 
wandes und  Prunkes  nach  rein  welt- 
lichem Geschmack.  Deshalb  nahm 
man  auch  keinen  Anstand  daran, 
dass  die  höhere  Geisthchkeit  es 
den  Rittern  gleichthat  und  in  voller 
kriegerischer  oder  jagdlicher  Aus- 

j  rüstung  erschien,  obgleich  die  welt- 
liche Obrigkeit  vielfach  dagegen 
eiferte  und  der  Geistlichkeit  „die 
Anwendung  von   bunten,  vielfar- 

'  bigen,  roten,  grünen,  zu  kurzen 
und  aufgeschlitzten  Kleidern,  von 

!  goldenen  und  silbernen  Armspaneen, 

|  kostbarem  Pelzwerk ,  geschuäbelteu 
Schuhen  u.  dgl.  mehr"  strenge  ver- 

j  bot.  In  den  Bilderhandschrifteu  des 
12.  und  13.  Jahrh.  erkennt  man  die 
Geistlichen  bloss  an  den  hellblauen 
Tuniken  und  am  geschorenen  Haupt 
Kirchlicher  Ordnung  gemäss  sollten 
sich  aber  die  Geistlichen  der  den 
ganzen  Körper  verhüllenden  ein- 
fachen Kappevmd  des  langen  Rüeken- 

i  mantels  bedienen ,  beide  von  dunk- 
ler Farbe. 

Das  liturgisch  einmal  festgestellte 
Amtsornat  änderte  sich  seit  dem  14. 
Jahrh.  in  wesentlichen  Stücken  kaum 
mehr;  die  Wandlungen,  die  etwa 
noch  vorkommen,  betrafen  meist 
die  verzierende  Ausstattung,  die  im 
15.  Jahrh.  die  höchste  Vollkommen- 
heit erreicht;  was  die  Industrie  der 
maurischen  Seidenstoffe,  die  Webe- 
rei, die  Wirkerei,  Nadelstickeni 
Buntstickerei  in  Goldfaden,  GoW- 
fädenspinnerei,  Rcliefstickcrei  erfand 
und  vervollkommnete,  wnrdein  erster 
Linie  in  den  Dienst  der  kirchliehen 
Gewänder  gestellt.  Als  ausseramt- 
liehe  geistliche  Tracht  bildeten  sieh 
nebst  dem  faltenreichen,  mit  Kapuze 
versehenen  Mantel  zwei  Hauptfor- 
men der  Kappe,  die  eine  ein  falten- 
reicher Talar  mit  langen  und  wei- 
ten Ärmeln;  die  andere,  engan- 
liegende mit  engen  Ärmeln,  der 
ganzen  Länge  nach  dicht  mit  Knö- 
pfen zum  Schliessen  bedeckt,  hiess 


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Geld.  —  Gelegenheitsdichterei. 


209 


Sutane;  der  Stoff  beider  Gewänder 
war  Wolle  oder  Halbseide ;  die  Fiirbe 
bei  den  Kardinälen  hochrot,  bei 
Bischöfen  violett,  beim  Papst  weiss 
und  zwar  nur  in  Wolle,  bei  der 
der  übrigen  Geistlichkeit  schwarz; 
über  der  Kappe  lag  in  gleicher  Farbe 
der  breite  Hüftgürtel.  Dazu  kam 
bei  der  hohem  Geistlichkeit  ein 
kurzer  Krempenhut  von  schwarzer 
Farbe  in  Gebrauch. 

Die  Renaissance  übte  mehr  Ein- 
flu&s  auf  die  künstlerische  Ausbil- 
dung der  schmückenden  Zierden, 
als  auf  die  Gewänder  selbst.  Luther 
bediente  sich  für  die  ausserkirch- 
iiche  Amtstracht  der  herrschenden 
Gelehrtentracht;  für  die  kirchliche 
Tracht  behielt  die  lutherische  Geist- 
lichkeit zum  Teil  den  Chorrock  und 
das  Messqewand  bei.  Nach  Weiss, 
Kostümkunde.  Vgl.  Fr.  Bock,  Ge- 
schichte der  liturgischen  Gewänder 
des  Mittelalters.  3  Bde.  Bonn  1859  ff. 

Geld,  ahd.  und  mhd.  gelt,  vom 
Verb  gelten  ist  eigentlich  die  Zah- 
lung, die  geleistet  wird;  eot.  gilt  ist 
Steuer,  Zins,  altsächsisch  geld  ist 
Vergeltung:,  Zahlung,  Opfer,  angel- 
sächs.  gield,  qild,  gyld,  und  nordisch 
qiald  das  gleiche.  Im  Sinne  von 
Metall  als  allgemeinem  Zahlungs- 
mittel kannten  die  Germanen  das 
Geld  noch  nicht;  die  runden  Gold-  ] 
bleche  mit  eingeprägten  Bildern  und 
Nummern ,  die  man  öfters  in  nor- 
dischen Gräbern  findet .  sind  keine  j 
Münzen,  sondern  Amulete  und  Brust- 
zierden.  Der  Germane  tauschte 
Gut  gegen  Gut;  am  meisten  Rinder, 
Pferde,  alles  Vieh  und  Waffen. 
Worte,  die  ursprünglich  den  Begriff 
des  Viehes  bezeichneten,  wurden  da- 
her später  auf  den  Begriff  des  Gel- 
des übertragen,  wie  schon  bei  den 
Römern  pecus  und  pecunia;  got. 
raihu  ist  schon  ein  Name  für  Geld. 
In  Vieh  und  Waffen  wurden  die 
gerichtlichen  Bussen  und  der  Kauf- 
preis ftr  ein  Weib  bezahlt.  Den 
Ubergang  vom  Kaufe  durch  Tausch 
zum  Kaufe  durch  Geld  bildeten  die 


ehernen  und  goldenen  Ringe,  die 
um  Hals  und  Arm  getragen  noch 
im  Mittelalter  ein  beliebter  Schmuck 
der  Deutschen  waren.  Goldene 
Rin^e  galten  als  Buss-  und  Kauf- 
geld,  seis  ganz,  seis  in  einzelnen 
Ringstücken.  Erst  unter  den  Mero- 
wintern  kam  infolge  Nachahmung 
römisch  -  gallischer  Mtinzeinrich- 
tungen  ein  Geld  im  entern  Sinne 
auf  (siehe  den  Artikel  Münzicesen). 
Wackernagel,  Kl.  Schriften,  I,  55  ff. 
Gelegrenheitsdichterei,  d.  i.  die- 

1'enige  Richtung  und  Art  der  Dicht- 
kunst, die  sk-h  an  äusserliche  Vor- 
fälle des  Lebens  des  einzelnen  Men- 
schen oder  der  einzelnen  Körper- 
schaft, Gemeinde  u.  dgl.  anhängt- 
ist  zuerst  bei  den  Humanisten  Ita, 
liens  in  Aufnahme  gekommen.  Zwar 
gab  es  schon  früher  an  einzelne 
Personen  gerichtete  Gedichte ,  deren 
z.  B.  Walther  von  der  Vogelweide 
mehrere  verfasste,  aber  sie  knüpften 
sich  an  eine  einzelne,  freie  Lebens- 
erfahrung; Hans  Sachs  kennt  Dich- 
tungen an  Personen  gar  nicht.  Erst 
das  den  feinen  Lebensformen  nach- 
gehende Treiben  der  Humanisten 
unter  sich  selber  und  gegenüber 
ihren  hohen  Mäcenaten,  ihre  Ruhm- 
sucht, die  andere  rühmen  Hess,  um 
sich  damit  selber  Ruhm  zu  erholen, 
gewöhnte  sich  an  regelmässige  poe- 
tische Beweihräucherung  der  Er- 
hebung zu  akademischen  Ämtern 
und  Würden,  von  Geburtstagen, 
Hochzeiten.  Sterbefallen.  Li  deut- 
schen Gelen rtenk reisen  druckt  man 
seit  der  Mitte  des  16.  Jahrh.  regel- 
mässig solche  Carmina  gratula- 
rät  etc.  Sie  sind  anfänglich  lateinisch, 
wenns  höher  reicht,  griechisch,  und 
wenns  noch  höher  kommt,  hebrä- 
isch oder  arabisch  geschrieben; 
mit  dem  Beginn  des  17.  Jahrh. 
treten  französische  und  italienische 
Sprache  auf,  mit  Opitz  die  deutsche; 
von  da  an  dichten  nicht  bloss  die 
eigentlichen  Dichter,  wie  Opitz, 
Flemming,  Gryphius  solche  Gelegen- 
heitsgedichte, sondern  überall  finden 


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270 


Genovefa. 


sich  studierte  Leute,  wohl  nieist 
Pfarrer,  die  sieh  gegen  einen  Lohn 
dazu  hergeben,  auf  Bestellung  der- 
gleichen Gerlichte  zu  liefern.  In 
den  zahlreich  erhaltenen  Einzel- 
drucken unterscheidet  man  recht 
deutlich  den  bessern  Geschmack  der 
ersten  und  den  rohem  und  un- 
keuschen Geschmack  der  zweiten 
schlesischen  Schule.  Was  die  Form 
dieser  Gelegenheitsdichtungen  be- 
trifft, so  ist  zwar  die  am  meisten 
gebräuchliche  die  Ode  oder  die  Ele- 
gie, ein  reflektierendes  Gedieht  in 
Alexandrinern;  es  kommen  aber  auch 
strophische  Dichtungen  vor,  die 
Satire,  das  Hirtengedicht,  Cantaten, 
Serenaden,  Pastorellen,  Maskeraden 
und  Balladen.  Erst  das  18.  Jahrh. 
hat  diese  Richtung  der  Dichtkunst 
dahin  zurückgedrängt,  wo  sie  hin 

{rehört,  in  die  Kreise  des  Privat- 
ebens. 

Genovefa  heisst  die  Heldin  eines 
weit  verbreiteten  Volksbuches.  Die 
Sage  ist  zuerst  1472  in  lateinischer 
Sprache  durch  einen  aus  Andernach 
gebürtigen  Karmelitermünch,  Mat- 
thias Emich,  niedergeschrieben  wor- 
den und  erscheint  hier  als  eine 
Marienlegende,  au  die  Waldkapelle 
Frauenkirchen  geknüpft,  welche 
einige  Meilen  von  Kohl  enz  entfernt 
liegt.  Ihr  Inhalt  ist  folgender:  Zur 
Zeit  des  Trier'schen  Erzbischofs 
Hildolf  lebte  ein  frommer  Pfalzgraf 
Siegfried,  dessen  schöne  Gemahlin 
Genovefa,  eine  Tochter  des  Herzogs 
von  Brabant,  der  Jungfrau  Maria 
mit  Gebet  und  Almosen  eifrig  diente. 
Nun  begab  es  sich,  dass  der  Pfalz-  \ 

Saf  an  einem  Heerzug  gegen  die  J 
eiden  teilnehmen  sollte,  und,  noch 
kinderlos,  verordnete  er,  dass  seine  j 
Gemahlin  während  seiner  Abwesen- 1 
heit  auf  seiner  im  Maifelde  belege- 
nen Burg  Simmera  wohnen  sollte; 
zu    seinem    Verweser    aber  be- 
stimmte er  nach  dem  Rate  seiner 
Vasallen  den  tapferen  Heermeister 
Golo.   In  der  Nacht  vor  dem  Auf- 
bruche geschah  es  durch  göttliche 


Schickung,  dass  die  Grafin  vom 
Pfalzgrafen  empfing.  Mit  Empfeh- 
lung seiner  Gemahlin  in  den  Schutz 
der  Jungfrau  Maria  eilte  der  Graf 
traurig  von  dannen.  Bald  darnach 
entbrannte  der  treulose  Golo  in 
sündlicher  Liebe  zu  der  schönen 
Frau:  doch  alle  Antrage  fruchteten 
nichts,  sowenig  als  die  falsche  Nach- 
richt, dass  der  Herr  im  Meere  Hin- 
gekommen sei.  Nun  entzog  ihr 
Golo  alle  Diener  und  Dienerinnen 
und  Hess  ihr  für  die  Stunde  der 
Geburt  nur  ein  altes,  böses  Weib 
zum  Beistande.  Als  aber  die  Nach- 
richt kam,  der  Pfalzgraf  sei  auf  der 
Heimkehr  begriffen  und  in  Strasa- 
burg  eingetroffen,  ging  Golo  ihm 
entgegen  und  verleumdete  den  Koch 
als  Buhlen  seiner  Herrin,  wusste 
ihn  auch  zu  verleiten,  dass  er  dem 
Vorsclilage  zustimmte,  Mutter  \iu<l 
Kind  im  (Laacher)  See  zu  ertrankeu. 
Die  mit  der  Ausführung  des  Be- 
fehles vertrauten  Diener  schonten 
jedoch  Frau  und  Kind,  Hessen  jene 
im  Walde  zurück  und  brachten  die 
ausgeschnittene  Zunge  eines  mitge- 
laufenen Hundes  als  Wahrzeichen 
des  Gehorsams  mit.  Maria  aber 
elobte  der  verlassenen  Mutter  ihre 
ilfe  und  sandte  dem  verschmach- 
tenden Kinde  eine  Hirschkuh,  die 
es  säugte.  Sechs  Jahre  und  drei 
Monate  darauf  gedachte  der  Pfalz- 
graf seinen  Vasallen  ein  grosses 
Fest  zu  geben;  weil  aber  viele 
Gäste  früher  eintrafen,  zog  er  am 
Tage  vor  Epiphanias  mit  ihnen 
hinaus  znr  Jagd.  Da  sticss  er  aut 
die  Hirschkuh,  fand  bei  ihrer  Ver 
folgung  Mutter  und  rund  und  er- 
kannte sie  als  die  seinigen  an.  Erz- 
bischof  Hildolf  weihte  auf  Geno- 
vefas  Bitte  und  Verlangen  am  Drei- 
königstage die  schützende  Stätte 
der  heiligen  Dreifaltigkeit  und  der 
Jungfrau  Maria.  Bei  dem  grossen 
Feste  aber,  das  der  Graf  jetzt  gab, 
wurde  Golo  durch  vier  Ochsen  zer- 
rissen, die  noch  nicht  im  Pfluge  ge- 
gangen waren.   Schon  am  2.  April 


g 


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Geographie. 


271 


starb  Genovefa  und  wurde  in  der  neu- 
gestifteten Marienkapelle  begraben. 

Die  bestimmte  Gestalt  einer  loka- 
lisierten Marienlegende  scheint  die 
Geschichte  Genovefas  gegen  die 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts  erhalten 
zu  bal>en,  wahrscheinlich  unter  dem 
Einflüsse  der  Karmeliter,  welche 
der  Marienverehrung  besonders  er- 
geben waren.  Vielleicht  haftete  be- 
reits eine  der  Fortbildung  fähige 
Sage  an  der  Kapelle  Frauenkirchen. 
Der  Trierer  Bischof  Hildolf  ist  eine 
aix)kryphische  Person,  und  von  einem 
rheinischen  Pfalzgrafen,  der  ums 
Jahr  1100  in  dieser  Gegend  gelebt 
haben  soll,  weiss  man  sehr  wenig 
Gewisses. 

Erst  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts, nachdem  die  Legende  bis 
dahin  wenig  bekannt  gewesen  war, 
erweiterte  der  französische  Jesuit 
■Hene  de  Ceresiers,  geb.  1606,  die 
Legende  zu»  einer  erbaulichen  No- 
velle und  entkleidete  sie  des  lokalen 
und  individuellen  Charakters  einer 
Marienlegende.  Seitdem  wurde  dieser 
Stoflf  vielfach  episch  und  dramatisch 
zuerst  in  französischer  Sprache  be- 
bandelt; in  den  Niederlanden  schüft 
sich  Cerisiers  Novelle  zu  einem 
Yoll-fhuehe  ab,  aus  welchem  wahr- 
scheinlich das  deutsche  Volksbuch 
hervorgegangen  ist 

In  der  Nachbarschaft  der  Ka- 

5 eile  Frauenkirchen  wurde  Genovefa 
ahrhuuderte  lang  als  Heilige  ver- 
ehrt, obwohl  sie  nie  heiliggesprochen 
worden  ist.  Alljährlich  am  Oster- 
montage, den»  Sterbetag  der  Pfalz- 
gräfin zogen  die  Bürger  der  benach- 
barten Stadt  Mayen  in  voller  Kriegs- 
rüstung nach  Frauenkirchen,  führten 
ein  Scheingefecht  zwischen  Franken 
und  Sarazenen  auf  und  kehrten  nach 
▼errichtetem  Gebete  in  Prozession 
zurück.  Erst  im  Jahre  1785  hörte 
die  Prozession  auf. 

Zacher  unterscheidet  an  der  Ge- 
novefa-Legende  zwei  Bestandteile, 
einen  ursprünglichen ,  sagenhaften 
und  einen  jüngern,  novellistischen. 


Das  novellistische  Element  war  seit 
dem  13.  Jahrhundert  in  einer  grossen 
Anzahl  von  Geschichten  zur  Darstel- 
lung gelangt,  welche  den  Sieg  der 
ehelichen  Liebe  und  Treue  verherr- 
lichten, die  aus  Drangsalen  und  Ver- 
folgungen geprüft  und  geläutert  her- 
vorgeht. Der  Stoff  dieser  bis  ins 
16.  Jahrhundert  reichenden  Novellen 
war  aber  meist  von  früher  Zeit  her 
überliefert  und  geht  hier  und  in 
andern  Erzählungen  auf  die  Götter- 
sage selbst  zurück.  Es  ist  nämlich 
diese  Legende  ein  Bruchstück  jener 
weitverbreiteten  Sage,  welche  bei 
zahlreichen  deutschen  Volksstämmcn 
wiederkehrend,  an  die  Namen  der 
Stammheroen,  Schwanritter,  Sieg- 
fried, Weif  u.  a.  sich  anknüpft  und 
über  diese  auf  Wuotan  hinaufreicht, 
aus  dessen  Verbindung  mit  einer 
Walkyre  jene  Stammesheroen  ent- 
sprossen gedacht  wurden.  Geno- 
vefa ist  niemand  anders  als  die 
deutsche  Göttermutter  Freya.  Da- 
hin weist  ihre  Auffindung,  festliche 
Heimfiihrung  und  die  Einweihung 
des  Heiligtums  am  letzten  Tage  der 
Zwölften,  am  Epiphaniasfest,  viel- 
leicht auch  die  Hirschkuh  und  die 
Nachbarschaft  der  Niederlande,  wo 
die  Schwanensage  am  meisten  hei- 
misch war.  Nach  Zacher  in  Ersch. 
u.  Gruber.  Vgl.  Seuflbrt.  die  Legende 
von  der  Pfalzgräfin  G.  Würzburg 
1877.  Aus  gleichen  Quellen  wie  die 
Genovefa-Legende  scheint  die  Le- 
gende von  der  Ida  von  Toggenburq 
geflossen  zu  sein,  vgl.  darüber 
Gotzinqer  in  der  .^Illustrierten 
Schweiz",  Bern  1874,  S.  47—57. 

Geographie.  Wenige  Wissens- 
gebiete waren  dem  Geiste  des  Mittel- 
alters so  fremd  und  wurden  bei  der 
beschränkten  Naturanschauung  und 
dem  phantastischen  Wundersinnjener 
Zeit  so  karrikaturmässig  verzerrt, 
wie  das  der  Geographie.    Von  den 

geographischen  Anschauungen  und 
Lenntnissen  der  Alten  rettete  sich 
bloss  ein  ganz  unbedeutender  Teil, 
was  etwa  Plinius,  Mela  und  Solinus 


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272 


Geographie. 


geschrieben  hatten,  die  selber  dem 
Wunder  so  nahe  standen,  in  die 
Bildungstätten  und  in  die  Köpfe  des 
Mittelalters.  Die  Anschauung  von 
der  Kugelgestalt  der  Erde  war  wieder 
verloren  gegangen  oder  war  wenig- 
stens nur  noch  Wenigen,  wie  dem 
Beda  Venerabiiis,  bekannt,  der  astro- 
nomische Kenntnisse  zur  Berechnung 
der  Ostertafeln  anwandte.  Die  Ge- 
stalt der  Welt  dachte  man  sich 
scheibenförmig  oder  viereckig;  im 
ersteren  Falle  zeichnete  man  eine 
s.  g.  Radeharte  f  nämlich  einen  Kreis, 
die  Erde,  und  um  sie  herum  in  einem 
weiteren  konzentrischen  Kreis  den 
Oceanus,  ahd.  icentilseo,  wentil  meri. 
Der  Erdkreis  wird  dann  durch  einen 
horizontalen  Balken  in  zwei  Hälften 
zerlegt,  in  eine  östliche  asiatische 
und  in  eine  westliche,  die  un- 
parteiisch zwischen  Europa  und 
Afrika  geteilt  wurde ;  zwischenEuropa 
und  Afrika  liegt,  durch  einen  Quer- 
balken angedeutet,  das  Mare  Mag- 
num.  Zuäusserst  im  Asiatischen 
Halbkreis  steht  Paradisus,  zuoberst 
Gog  et  Magog.  das  sind  die  apo- 
kalyptischen Völker,  die  nach  aer 
Bibel  beim  Nahen  des  Gerichtes 
die  Welt  mit  Verheerungen  über- 
ziehen sollen.  Im  Mittelpunkt  oder 
im  Nabel  der  Welt  steht  Jerusalem 
verzeichnet  Vgl.  Marinelli,  die 
Erdkunde  bei  den  Kirchenvätern, 
Deutsch  von  Neumann.   Lpz.  1884. 

Die  Be  wahrer  des  geographischen 
Wris8en8  der  Alten  und  zugleich  die 
fleissigsten  und  unternehmendsten 
Länderentdecker  waren  im  frühen 
Mittelalter  die  Araber;  der  Kalif 
Mamun,  Zeitgenosse  Karls  d.  Gr., 
liess  die  grosse  Syntaxis  des  Ptole- 
tnäus  unter  dem  Namen  Almagest 
(»J  fAeyiairj  mit  dem  arabischen  Ar- 
tikel at)  und  vielleicht  auch  seine 
geographischen  Tafeln  übersetzen. 
Nicht  oloss  kannten  die  Araber  die 
Kugelgestalt  der  Erde,  sie  massen 
sogar  zwei  Erdbogenstücke,  wobei 
sie  nur  um  Vio  zuviel  von  der  Wirk- 
lichkeit fehlten.     Die  Berührung 


nun  des  christlichen  Mittelalters  mit 
der  arabischen  Gesittung  im  heilten 
Lande  und  in  Spanien,  der  Ein- 
bruch der  Mongolen  in  Vorderasien, 
die  Eröffnung  eines  atlantischen 
Seeweges  von  den  italienischen 
Handelsstädten  nach  Flandern  und 
die  erneuerte  Bekanntschaft  mit 
den  Urtexten  der  griechischen  Schrift- 
steller vermittelten  endlich  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  auch 
dem  christlichen  Abendlande  die 
Anfange  echter  geographischer  Er- 
kenntnis. Mit  den  mongolischen 
Herrschern,  die  gegen  Glaubens- 
formen gleichgültig  waren,  ent- 
wickelte sich  seit  der  Mitte  des  13. 
Jahrh.  von  den  französischen  Höfen 
aus  ein  lebhafter  Botschafterver- 
kehr, da  man  ihrer  Hilfe  gegen 
die  ägyptischen  Mameluken  zu  De- 
dürfen meinte.  Zumal  Dominikaner 
und  Minoriten  waren  bei  diesen  Ge- 
sandtschaften, die  zugleich  Missions- 
reisen waren,  thätig;  darunter  zeich- 
net sich  der  Bericnt  des  von  Lud- 
wig dem  Heiligen  entsandten  Mino- 
riten Muysf>roek  oder  Rubrumtü, 
durch  seine  von  störenden  Faoeln 
fast  unbefleckte  Naturwahrheit  sehr 
vorteilhaft  aus.  Noch  höheres  jedoch 
leisteten  die  Gebrüder  Poli  aus  Ve- 
nedig, Nicolo  und  Mafßo  Polo  und 
des  Nicolo  Sohn,  Marco  Polo,  die 
24  Jahre  im  Morgenlande  wanderten 
und  bis  nach  Peking  kamen,  von 
wo  sie  über  Kochincnina,  Sumatra. 
Ceylon,  Malabar,  Täbris  und  Tra- 
pezunt  die  Heimreise  antraten. 

Theoretische  Kenntnisse  des  Alter- 
tums entnahm  sodann  das  Abend- 
land aus  arabischen  Schriftstellern; 
besonders  ist  hier  zu  nennen  des  Al- 
bertus Magnus  Liber  kosmographiaa 
(um  1250)  und  Roger  Bacos  Ojmt 
manu,  1270,  worin  schon  der  fcat* 
autgestellt  wird,  es  müsse  nach  der 
Büdlichen  Hemisphäre  zu  noch  ein 

grosser,  trockener  und  unbekannter 
rdteil  vorhanden  sein,  ein  Satz, 
über  dem  später  Kolumbus  grübelte. 
Eine  Weltbeschreibung  dagegen  de* 


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Georg. 


273 


Gervasius  von  TUbury,  Kanzlers  des 
Kaisers  Otto  IV.,  die  Oda  tmpert- 
alia,  seu  Uber  de  mirabilibus  mundi, 
seil  Sotelium  imperaioris  seu  Des- 
criptift  totius  orfjis  per  3  dicisiones 
distineta  überschrieben  ist,  strotzt 
von  Fabeln.  Auch  einige  Geschicht- 
scbreiber  schickten  ihren  Werken 
geographische  Einleitungen  voraus, 
z.  B.  Otto  von  Freising  seinen  gesta 
Friederici  I.  eine  Beschreibung  von 
Frankreich,  Italien  und  Ungarn. 
Durch  solche  und  ähnliehe  Schriften 
wurde  die  Kugelgestalt  der  Erde  im 
Abendlande  wieder  allgemein  be- 
kannt und  angenommen  und  konnte 
man  sich  selbständig  an  astrono- 
mische Ortsbestimmungen  wagen. 
Ein  wesentlicher  Fortschritt  geschah 
durch  die  Verbreitung  der  Magnet- 
nadel im  12.  Jahrh.,  seit  welcher  Zeit 
auch  s.  g. Kompasskarten  in  Aufnahme 
kamen,  d.  h.  mit  Wind-  und  Kotn- 
passrosen  bedeckte  Karten,  aus  denen 
strahlenförmig  bunte  Striche  nach 
den  Haupthimmelsrichtungen  aus- 
laufen, um  sich  auf  andern  Punkten 
der  Karte  zu  andern  Windrosen  zu 
vereinigen.  Die  merkwürdigsten 
Kompasskar teu  sind  das  katalanische 
Weltgemälde  vom  Jahre  1375,  von 
einem  unbekannten  Steuermann  ver- 
fertigt, und  die  Karten  des  Vcne- 
tianers  Fra  JJauro.  Denn  über- 
haupt sind  es  die  Italiener,  denen 
Europa  vornehmlich  auf  dem  Ge- 
biete der  Geographie  und  Welt- 
entdeckung den  Übergang  aus  dem 
Mittelalter  in  die  moderne  Zeit  ver- 
dankt. Ihre  Handelsstaateu,  Venedig 
und  Genua,  beherrschten  nicht  bloss 
mit  ihren  Schiffen  die  Meere,  son- 
dern mit  dem  in  ihnen  gepflauzten 
Geiste  die  Erkenntnis  selber.  Sie 
haben  zuerst  die  Länder  und  Völker 
objektiv  zu  beobachten  und  zu  be- 
schreiben verstanden;  Columbus  ist 
ein  Italiener  von  Geburt  und  Bil- 
dung. Sie  haben  auch  zuerst  die 
geographische  Wissenschaft  der 
Alten,  namentlich  Strabo  und  Ftole- 
mäus  mit  den  Karten  des  Agatho- 

Altertüraer. 


dümon  wieder  für  die  europäische 
Bildung  nutzbar  gemacht.  Unter 
den  deutschen  Jfumanisten,  welche 
der  geographischen  Wissenschaft 
ihre  Pflege  zuwandten,  wird  beson- 
ders Vaaian  genannt,  der  Heraus- 
geber des  Pomponius  Mela,  der  zu- 
erst die  amerikanischen  Entdeck- 

E;n  verwertete;  Peter  Apianus 
1524  die  erste  deutsche  Karte 
us;  Sebastian  Frank  und  Seba- 
stian  Münster  schrieben  zuerst  in 
deutscher  Sprache  umfassende  Welt- 
beschreibungen. 

Georg,  neiliger,  soll  nach  der 
Legende  von  vornehmer  Familie  aus 
Kappadozien  gebürtig  gewesen  sein. 
Ins  römische  Kriegsheer  getreten, 
stieg  er  unter  Diokletian  zu  hohen 
Ehrenstellen;  ab  er  sich  energisch 
gegen  die  durch  den  Kaiser  ver- 
fügten Christen  Verfolgungen  aus- 
sprach, wurde  er  am  23.  April  um 
303  bei  Nikoinedien  enthauptet.  Ge- 
wiss ist,  dass  ihm  sehr  früh  Ver- 
ehrung bezeugt  und  Kapellen  ge- 
weiht wurden.  Die  Kreuzfahrer 
waren  des  Glaubens,  St.  Georg 
streite  persönlich  für  sie.  Die  Akten 
seines  Martyriums  sind  falsch  und 
es  scheint,  dass  St.  Georg  aus  dem 
persischen  Mithras,  dem  ersten  Licht- 
geist des  Ormuzd  entstanden  ist,  der 
den  Drachen  der  Finsternis  tötet  und 
an  einer  Höhle  stehend  abgebildet 
wird.  Krummacher  in  Pipers evangel. 
Kai.  1860,  S.  107-112.  In  deut- 
scher Sprache  hat  man  aus  dem 
10.  Jahrh.  einen  Leich  vom  heil. 
Georg,  der  wenig  wert  ist,  u.  a.  ab- 
gedruckt bei  Mülleuhoff  undScherrer, 
Denkm.  XVII,  sodann  aus  dem  13. 
Jahrh.  von  Reinbot  von  Durne,  der 
zur  Schule  Wolframs  von  Eschen- 
bach gehörte,  ein  im  Auftrag  Otto  II. 
von  Bayern  (1231  —53)  verfasstes 
längeres  Epos,  worin  der  Drachen- 
kampf noch  kaum  angedeutet  ist. 
Ein  späteres  Georg- Gedicht  im 
Wunderhorn  I,  157,  neue  Ausgabe 
von  Birlinger  und  Crecelius  I,  132. 
Als  Patron  vieler  Länder,  z.  B.  Eng- 

18 


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274 


Gerade.  —  Gerichtsw 


esen. 


lande.  Bayerns,  Russlands,  sodann  Hunderte,  Gaue.  Jede  dieser  Ver- 
vieler  Städte,  darunter  Genua,  Leip-  Sammlungen,  die  der  Dörfer  ausge- 
zig,  Ulm,  sowie  zahlreicher  Innungen  nommen,  war  zugleich  Gericht,  d.  h. 


und  Korporationen,  z.  B.  des  Hosen 
bandordens,  des  schwäbischen  Ritter- 
bundes  vom  St.  Georgen  Schild,  ist 


Versammlungen,  in  welchen  alle 
öffentlichen  Angelegenheiten  der 
Mark,  des  Gaues  und  der  Land 


der  heil.  Georg  im  Mittelalter  oft  schaft  zur  Sprache  kamen,  alle  Feier- 
abgebildet worden,  und  zwar  jugend-  üchkeiten  des  unstreitigen  Rechte 
lieh,  bartlos,  in  voller  Rüstung,  bis-  vorgenommen,  endlich  auch  Zwietig- 

keiten  beurteilt  und  Bussen  erkannt 


wurden.    Bei  den  meisten  Stämmen 


Cleodolinde,  Tochter  des  Königs 
Sevius  von  Libyen,  als  Beute  aus- 
gesetzt war.  Müller  und  Mothes, 
Arch.  Wörterb. 

Gerade,  mhd.  das  gerade ,  sind 
<lie  wesentlich  weiblichen  Dinge  der 


weilen  als  römischer  Krieger,  auch 
mit  rotem  Mantel,  als  Zeichen  sei- 
nes für  Christum  vergossenen  Blutes, '  Messen  diese  Versammlungen  thina. 
zu  seinen  Füssen  der  überwundene  '  Ding,  den  Angelsachsen  gemol,  engl 
Drache.  Seit  dem  12.  Jahrhundert  meet,  meeting,  bei  den  Friesen  varj\ 
erseheint  er  häufig  als  Ritter  zu  alle  diese  Namen  von  der  Bedeutung 
Fuss  oder  auf  weissem  Pferd,  wie  der  Verhandlung,  Besprechung. 
er  den  Lindwurm  als  Sinnbild  des  Tacitus,  Germ.  11  und  19,  laset 
Teufels  tötet,  dem  die  Prinzessin  nur  die  'grosse  Volksversammlung, 

eoncilium,  gelten,  die  der  Hunderte 
erscheinen  ihm  als  Gericht.  Sie 
fanden,  kleinere  wie  grössere,  bei 
Neu-  und  Vollmond  statt.  Als  spä- 
tere Sitte  erscheint,  dass  die  Hun- 
derte allwöchentlich,  alle  vierzehn 
Hinterlassensehaft,  im  Gegensatze  Tage  oder  alle  Monate  zusammeu- 
zum  Jleergeracfe,  mhd.  hergeteaete,  kamen.  Versäumnis  der  Gerichts- 
den  wesentlich  männlichen  Dingen  Versammlung  wurde  bei  einzelnen 
derselben.  Nach  dem  Sachsenspiegel  Stämmen  mit  Busse  bedroht, 
gehören  zur  Gerade  Schafe,  Gänse,  ordentliche  Versammlungen  wi 
Kasten  mit  beweglichem  Deckel,  verkündet  durch  Anzünden  von 
alles  Garn,  Betten,  Pfühle,  Kisten,  Feuem,  durch  Herumschickeu  eines 
Leilaehc,  Tisehlacben,  Handtücher,  Stockes  oder  Pfeiles.  Man  ver- 
Badelachen,  Becken,  Leuchter,  sammelte  sich  unter  freiem  Himmel 
Flachs,  alle  Weiberkleider,  Ringe,  auf  Anhöhen  oder  in  Haineu,  wohl 
Armspangen.  Schapel,  Psalter  und  vorzugsweise  in  der  Nähe  von 
alle  gottesdienstliehen  Bücher,  Sessel,  Stätten,  wo  die  Götter  verehrt  war- 
Laden  oder  Schreine,  Teppiche,  den.  Jede  Hunderte,  wie  schon  je- 
Wandbehänge,  Rücklachen  und  aller  des  Dorf,  hatte  ohne  Zweifel  ihre 
Kopfputz,  ausserdem  Bürsten.  Sehe-  regelmässige  Versammlungsstätte, 
ren  und  Spiegel.  Die  Gerade  erbte  Wer  teilnahm,  erschien  bewaffnet, 
nach  sächsischem  Rechte  auf  die  Recht  und  Zeichen  der  Freiheit, 
nächste  weibliche  Verwandte,  also  Nur  die  Hufenbesitzer  sind,  wenig 
auf  die  Tochter  oder  auf  die  nächste  stens  später,   die  vollberechtigter! 


Weinhold,  Frauen,  2.  Aufl., 


Nichte 
I,  211. 

Gerichtswesen.  A.  In  fiemta- 
iiiseher  Zeil.  Der  Mittelpunkt  des 
staatliehen  Lebens  bei  den  Deut- 
schen war  die  Versammlung  des 


Mitglieder  der  Gemeinde,  die  zur 
Teilnahme  am  Urteil  berufenen. 
Nach  Tacitus  sasseu  die  Volksge- 
nossen bei  der  Versammlung,  spater 
stand  die  Menge  um  den  für  mV 
sitzenden    Vorsteher  abgegrenzten 

wie 


Volkes,  sowohl  der  Gesamtheit  als  1  Raum,  sie  schlug  den  King, 
der  einzelneu  Abteilungen,  in  die  man  zu  sagen  pflegte.     Die  Ver 
eine   Völkerschaft  zerfiel :   Dörfer,  Sammlung  wurde  nicht  zu  besnmov 


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Gerichtswesen. 


275 


tcr  Zeit,  aber  feierlich  eröffnet.  Die 
Priester  geboten  Schweigen  und  den 
Thingfrieden,  über  den  sie  zu  wachen 
haben.  Der  König  oder  Fürst  trägt 
die  Sache  vor,  um  die  es  sieh  han- 
delt.  Eine  weitläufige  Verhandluug 
findet  nicht  statt,  auch  zu  einer 
förmlichen    Abstimmung  schreitet 
man  nicht.    Die  Menge  gab  ihren 
Beifall  durch  Zuruf  oder  Zusammen- 
schlagen der  Waffen  kund;  was  miss- 
fiel,   verwarf  sie    mit  unwilligem 
Murren    Die  besonderen  Geschäfte 
waren  Wald  der  Fürsten,  Erhebung 
eines  Herzogs ,  Wehrhaftmachung 
der  Jüngliuge,    Freilassung,  Los- 
sagung von  der  Familie,  in  einzel- 
nen Fällen  Verlobung  und  Vermäh- 
lung, Übertragung  von  Land.  All- 
gemeine Beschlüsse  über  Krieg  und 
Frieden,  Bündnisse  und  Verträge 
können  nur  auf  den  allgemeinen 
Versammlungen   cefasst  sein.  In 
die  gerichtlichen  Verhältnisse  teilten 
sich    Landschaft    und  Hunderte. 
Schwerere,  öffentliche  Verbrechen, 
die  mit  Lebensstrafe  bedroht  waren, 
kamen  au  die  Landesversammlung. 
Sonst  war  die  Hunderte  als  Gericht 
thätig;  die  Schlichtung  von  Streitig- 
keiten, das  Urteil  über  Verletzung 
des  einzelnen  erfolgte  regelmässig 
hier.    Überall  gilt  bei  den  Germa- 
nen, daas  die  versammelte  Gemeinde 
urteilt,  das  Recht  weist,  die  Ent- 
scheidung trifft,  während  der  Rich- 
ter die  Leitung  des  Gerichts,  die 
Ausführung   des  Urteils   und  was 
weiter  zur  Sicherung  des  Rechts  ge- 
hört, in  Händen  hat.  Vielleicht  gab 
es  Männer,   welche  als  besonders 
d?s  Rechtes  kundig  über  dasselbe 
Belehrung  zu  geben  hatten,  die  al- 
ten Formeln  und  Bussesätze  der- 
selben bewahrten.    Vielleicht  war 
eine  solche  Stellung  manchmal  mit 
der  des  Vorstehers  der  Hunderte, 
in  älterer  Zeit  mit  der  des  Priesters 
verbunden  gewesen. 

Das  Landesthing  war  auch  das 
Ijindesheer,  dem  Namen  sowohl  als 
dem  Wesen  nach.    Die  Versamm- 


lung, die  den  Krieg  beschloss,  führte 
ihn  auch,  brach  unmittelbar  zum 
Fehlzug  auf. 

Mit  der  Ausbildung  grösserer 
Reiche  ändern  sich  die  ursprüng- 
lichen Zustande  vielfach.  Das  Lan- 
deathing  wird  unmöglich;  an  seine 
Stelle  tritt  zum  teil  das  Märzfeld, 
siehe  den  Art.  Campus  Martins. 
Dagegen  bleiben  die  Gerichtsver- 
sammlungen der  Hunderte  in  Be- 
stand. 

B.  In  der  meroicintjischen  Zeit. 
Die  Versammlungen  der  Hunderte 
gingen  wesentlich  unverändert  aus 
der  ältesten  Zeit  in  die  merowinger 
hinüber.  Der  regelmässige  Termin 
war  ein  vierzehntägiger,  der  gewöhn- 
liche Gerichtstag  von  alters  her, 
wahrscheinlich  seit  heiduischer  Zeit, 
der  Dienstag.  Bei  den  Alemannen 
fand  das  Gericht  statt  vor  dem 
Grafen  und  dem  Centenar,  welcher 
in  diesem  Falle  auch  judex  heisst, 
bei  den  Bayern  vor  dem  Grafen  und, 
da  die  Bayern  den  Centenar  nicht 
kannten,  vor  einem  wie  es  scheint 
durch  Mitwirkung  des  Volkes  be- 
stellten judex;  in  beiden  Stämmen 
hatte  der  Centenar  oder  judex  die 
Sache  um  die  es  sich  handelte  zu 
untersuchen ,  er  entschied,  ob  sie 
zum  Urteil  reif  und  fertig  war,  gab 
an,  was  das  Gesetz  über  den  vor- 
liegenden Fall  bestimmte,  und  £ing 
mit  seinem  Ausspruch  der  Gemeinde 
voran.  Er  erscheint  so  als  Vertreter 
und  Or^an  des  Volks,  das  zum  Teil 
durch  ihn  seinen  Einfiuss  auf  die 
Rechtsweisung  übt.  Der  Graf  ist 
anwesend,  weil  er  der  Triiger  des 
königlichen  Blutbannes  ist.  Bei  den 
Franken  giebt  es  ausser  ihm  keinen 
andern  Richter.  Daneben  war  aber, 
wie  früher  immer,  die  Versammlung 
der  freien  Grundbesitzer  gegenwar- 
tig, um  das  Recht  zu  sprechen.  Der 
Graf  sass  auf  einem  erhöhten  Platze, 
ein  neben  ihm  aufgehängter  Schild 
bezeichnete  die  Hegung  des  Gerichts. 
Regelmässig  ist  auch  ein  Schreiber 
gegenwärtig.  Die  Versammlung  fand 

18* 


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276 


Gerichtswesen. 


i 


unter  freiem  Himmel  an  der  bestimm- 
ten Gerichtsstätte  statt.  Sie  dauert 
bis  Sonnenuntergang.  Die  Ladung 
ergeht  vom  Kläger  selbst.  Das 
Prinzip  der  Vertretung  ist  schon 
weit  gediehen,  zunächst  natürlich  in 
Civilsachen.  Eideshelfer,  Gottesurteil 
und  Zweikampf  (siene  die  besonde- 
ren Artikel)  behaupten  ihren  Platz. 
Grössere  Versammlungen  als  die- 
jenigen der  Hundertschaften,  eigent- 
ich  Gauversammlungen,  gab  es  in 
merowingischer  Zeit  nicht  mehr.  Da- 
gegen findet  man  in  dieser  Periode 
Landesversammlungen  der  aleman- 
nischen und  bayerischen  Gesamtheit, 
wobei  die  weltlichen  und  geistlichen 
Grossen  sich  um  den  Herzog  zu- 
sammenscharten und  freie  Volks- 
genossen sieh  sonst  einfinden  moch- 
ten; diese  Landtage  wurden  wie  die 
grossen  Märzfelder  im  März  abge- 
halten und  waren,  was  in  dem  Wesen 
aller  deutschen  Versammlungen  liegt, 
immer  zugleich  Gerichte. 

C.  Karof  indische  Zeit.  Die  Teil- 
nahme am  Gericht,  früher  ein  Recht 
und  eine  Ehre  des  Freien,  wird  all- 
mählich als  I>ast  empfunden,  der 
man  sich  zu  entziehen  sucht;  die 
Zalü  der  vollberechtigten  Freien  hat 
abgenommen,  ein  Teil  derselben 
und  namentlich  die  Grafen,  die  durch 
ihre  militärische  Gewalt  der  gericht- 
lichen oft  entzogen  werden,  liegen  | 
draussen  im  Felde.  Daraus  ergeben 
sich  folgende  Veränderungen  im  Ge- 
richtswesen :  Gerichtsversammlungen 
des  ganzen  Gaues  sollten  jährlich 
bloss  zwei  bis  drei  stattfinden,  von 
jetzt  au  unter  einer  dazu  hergesteil-  I 
ten  Bedachung,  einem  förmlichen 
Gerichthaus,  nie  in  der  Kirche.  Eine 
grössere  Zahl  von  Teilnehmern  wurde 
schon  dadurch  ausgeschlossen.  Nie- 
mand soll  hier  bewaffnet  mit  Lanze 
und  Schild  —  das  Schwert  blieb  ge- 
stattet —  eich  einfinden.  Gerichts- 
und  Heerversammlung  fallen  also 
nicht  mehr  zusammen.  Die  in  kür- 
zeren vierzehntägigen  Fristen  abzu- 
haltenden Gerichte  werden  von  einem 


Abgeordneten  [miitm)  oder  vom 
Centenar  abgehalten;  solche  Ge- 
richte urteilen  nur  über  geringere 
Sachen;  über  Leben,  Freiheit  und 
Eigentum  entscheidet  das  Grafen 
gericht,  jedoch  ohne  gesetzlich 
bestimmte  Kompetenzausscheidung; 
denn  immer  noch  erscheint  der  Grat 
als  der  ordentliche  Richter;  der  IV- 
cariut  oder  Centenarius  fungiert  nur 
in  Vertretung  des  Grafen.  Die  Zahl 
der  Gerichtstage  möglichst  zu  be- 
schränken, ist  Streben  der  kar<>- 
lingischen  Gesetzgebung;  ebenso  soll 
zu  anderen  Gerichten  als  zu  den 
drei  allgemeinen  niemand  geladen 
werden,  als  wer  etwas  dabei  zu  ver- 
richten hat.  Zur  Herstellung  eine* 
einfachem  und  kürzern,  an  der 
Stelle  des  alten  und  förmlichem 
Verfahrens  wurde  auch  bestimmt: 
wer  nach  der  zweiten  Aufforderung 
ausblieb,  dessen  Vermögen  sollte 
mit  dem  Bann  belegt  werden.  Die 
Busse  für  Versäumnis  fiel  nicht  mehr 
wie  früher  an  die  Gegenpartei,  son- 
dern an  den  Beamten. 

Mit  dem  allen  steht  im  Zusam 
menhang,  dass  bestimmte  Personen 
für  die  Urteilsfiudung  bezeichnet 
und  zur  regelmässigen  Anwesenheit 
im  Gericht  verpflichtet  wurden,  sie 
hiessen  Skabinen  oder  Schöffen,  von 
ahd.  seafan,  nhd.  schaffen  in  der  Be- 
deutung: Recht  sprechen;  der  Name 
erscheint  bald  nach  dem  Beginn 
der  Herrschaft  Karl  d.  Gr.  Es  sind 
angesehene  Männer  mit  freiem 
Grundbesitz,  deren  Auawahl  unter 
Mitwirkung  des  Grafen  und  des 
Volkes  erfolgte.  Sie  wurden  ver- 
eidigt und  konnten  nur  wegen  Un- 
würdigkeit  entfernt  werden.  In 
Italien  waren  es  oft  Geistliche.  Die 
Skabinen  gehören  dem  Gau,  nicht 
der  Hundertschaft  an.  Wie  vi*l 
Skabinen  jeder  Graf  hatte,  ist  nicht 
aii8g»'inittelt;  im  Gericht  sollten 
regelmässig  sieben  anwesend  sein 

In  der  karolingischen  Periode 
hat  aber  auch  schon  die  Zersplitte- 
rung de*  Gerichts wesens  begonnen. 


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Gerichtswesen. 


277 


dadurch,  dass  neben  den  gewöhn- 
lichen Grafengerichten  die  qeistlichen 
Gerichte  sich  ausdehnten,  Wsondere 
weltliche  Gerichte  auf  den  Gütern 
der  Grafen  entstanden  und  ein  be- 
sonderes königliche»  Gericht  vor- 
handen war. 

D.  Die  Zeit  des  Lehmicesens. 
Die  im  Laufe  dieser  Periode  vor 
sich  gehende  Auflösung  des  Reiches 
in  eine  Reihe  verscniedenartiger 
Gewalten  und  Herrschaften  zer- 
splittert auch  das  Gerichtswesen, 
und  es  bilden  sich  jetzt  die  beson- 
deren Gerichte:  das  königliche,  Hof- 
oder  Pfalzfjericht ,  die  herzoglichen 
Gerichte,  die  gräflichen  Gerichte,  die 
Vogt*igerichte,  Mofqerichte,  Gerichte 
ron  Unterbeamten,  Stadtgerichte.  Die 
ordentliche  Gerichtsbarkeit  ist  aber 
fortwährend  die  gräfliche,  selbst  der 
Herzog  wird  als  Richter  zu  den 
Grafen  gerechnet. 

Das  echte  Ding,  d.  i.  das  alte 
Grafengericht,  wird  in  hergebrach- 
ter Weise  dreimal  im  Jahr  abge- 
halten, es  heisst  das  jährliche,  das 
grosse  oder  rolle  Gericht,  später 
La  ndgericht,  Landding ,  das  Unqe- 
botending  oder  auch  das  Botdinq. 
Ausser  dem  Grafen  konnten  ein 
solches  Ding  der  Herzog,  der  Stell- 
vertreter des  Grafen ,  Vögte  mit 
gräflichem  Rechte,  Dingvogte,  unter 
Umständen  Geistliche  oiler'wer  sonst 
in  den  Besitz  dieses  Rechtes  ge- 
kommen war,  abhalten.  Die  Zeit 
war  häufig  ein  für  allemal  bestimmt, 
an  den  hohen  kirchlichen  Festen, 
Weihnacht,  Ostern  und  Pfingsten 
oder  Dreikönige,  Montag  nach  dem 
weissen  Sonntag  uud  Mai,  oder  zwei- 
mal zur  Zeit  des  Grases,  einmal 
di  s  Heues.  Innerhalb  der  Graf- 
schaft fanden  sich  regelmässig  ver- 
schiedene Gerichtsstatten,  meist  zwei 
oder  drei,  manchmal  nur  eine.  Noch 
immer  wurde  nicht  selten  in  alter 
Weise  unter  freiem  Himmel  getagt, 
in  einem  Walde,  auf  einem  Hügel, 
eiuem  Kirchhof,  an  einer  Brücke, 
einem  Fluss,  doch  auch  in  grossen 


Orten  und  Städteu.  Alle  Freie  der 
Grafschaft  waren  dingpflichtig,  später 
haben  auch  Ministerialen  teilge- 
nommen. Urteiler  sind  die  Schöffen, 
vollfrcic  Männer,  aus  angesehenen 
Geschlechtern ,  lebenslänglich ,  viel- 
leicht selbst  erblich.  Wer  sie  er- 
nannte, ist  nicht  deutlich.  Die  Kom- 
petenz der  Grafengerichte  bleibt  im 
allgemeinen  die  alt*1:  schwere  Ver- 
brechen, Streit  über  Freiheit  und 
Eigentum. 

Als  unechtes  oder  gefyotenes  Ding 
galt  das  Gericht  des  alten  Cente- 
nars  oder  Schultheissen,  der  zwar 
auch  mit  Schöffen  richtete:  dieses 
Gericht  wird  besonders  in  den 
Städten  von  Bedeutung.  Es  war 
nur  kompetent  in  Klagen  um  Schuld 
und  Mobilien  und  in  unerheblichen 
Strafsachen  und  konnte  an  ieder 
beliebigen  hierzu  geeigneten  Stelle 
abgehalten  werden. 

Die  Entwickelung  der  öffentlichen 
Gerichtsbarkeit  war  nun  im  allge- 
meinen die,  dass  die  Gerichtsbar- 
keit, ihrer  Natur  nach  dazu  da,  das 
Recht  und  den  Frieden  zu  sichern, 
demjenigen,  der  sie  besass,  dem  sie 
mittelbar  oder  unmittelbar  übertra- 
gen wurde,« die  Grundlage  für  eine 
Stellung  von  nicht  bloss  amtlicher, 
sondern  selbständig  politischer  Stel- 
lung gab.  Der  Zerfall  der  gericht- 
lichen Institutionen  in  die  Kreise 
der  Ritter,  der  Bürger,  der  ab- 
hängigen Bauern  erschwerte  die 
Durchführunggleichmässiger  Rechts- 
grundsätze. Rache  und  Fehde  be- 
nachteiligten das  Recht;  die  Ausbeu- 
tung des  Rechtes  auf  Busse  für 
finanzielle  Zwecke  erzeugte  Übel- 
stände der  schlimmsten  Art,  so  dass 
die  Gerichtsbarkeit  gerat  lezu  ein 
Mittel  zur  Unterdrückung  der  unte- 
ren Klassen  wurde.  Zugleich  wurde 
sie  der  Weg  zur  Bildung  selbstän- 
diger grösserer  oder  kleinerer  Herr- 
schaften. Der  Besitz  der  Gerichts- 
gewalt galt  so  sehr  als  Mittelpunkt 
aller  staatlichen  Gewalt,  dass  sie 
die  Grundlage  nicht  bloss  für  eine 


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278 


Germanen.  —  Geschichtschreibung. 


obrigkeitliche,  sondern  herrschaft- 
liche Gewalt  wurde.  —  Nach  Waitz. 
Vgl.  Rud.  Sohm,  die  fränkische 
Reichs-  und  Gerichtsverfassung, 
Weimar  1871. 

Germanen,  Name.  Der  Name 
Germanen  war  dem  Volke,  dem  der- 
selbe galt,  fremd;  den  Kömern  wurde 
er  als  Gesamtuame  sämtlicher 
deutschen  Stämme  jedenfalls  erst 
seit  Cäsars  Aufenthalt  in  Gallien 
geläufig;  zu  den  Römern  aber  kam 
er  aller  Wahrscheinlichkeit  von  den 
Galliern  her.  Jakob  Grimm  leitet 
den  Namen  Germaui  vom  keltischen 
gairm,  0a/*w*  =  Ruf,  Ausruf  her,  und 
erklärt  ihn  als  Schreier,  Rufer,  ähn- 
lich dem  Homerischen  Rufer  im 
Streite.  Zeuss  will  das  Wort  auf 
keltisches  ger,  gair  =  Nachbar,  Nach- 
barschaft zurückführen,  sodass  der 
Name  nichts  anderes  bedeute  als 
Nachbar;  PoU  endlich  erklärt  das 
Wort  als  Ostleute.  Tacitus  berichtet 
Kap.  2  in  einer  sehr  verschieden 
erklärten,  dunkeln  Stelle  über  eine 
Nachricht,  die  er  von  dem  Ursprünge 
dieses  Namens  vernommen  hatte. 
Bei  den  Deutschen  wurde  der  Name 
ein  heimisch. 

Geschichtschreibung.  Die  Ge- 
schichtschreibung wurzelt  naturge- 
mäss  in  dem  historischen  Inhalte  der 
Volkssage  und  deren  sprachlichem 
Ausdrucke,  dem  epischen  Volksliede, 
das  zugleich  Geschichte  und  Dichtung 
ist.  Das  Christentum  ist  Ursache,  dass 
dieser  natürliche  Übergang  aus  dem 
Epos  in  die  Geschichte  bei  den  Deut- 
schen nicht  stattfand  oder  sich  wesent- 
lich anders  gestaltete,  da  die  neue 
Lehre  die  Anfänge  ihrer  Geschichte 
nicht  auf  heidnisch  -  germanischem, 
sondern  auf  christlich-römischen  Bo- 
den suchte  und  fand,womit  zusammen- 
hängt, dass  die  Anfänge  deutscher  Ge- 
schichtschreibuug  nicht  in  deutscher, 
sondern  in  lateinischer  Sprache  auf- 
treten. Sie  sind  aber  dennoch  eine 
Erscheinung  deutschenLebens,  haben 
deutsche  Verfasser,  zeigen  deutsche 
Denk-  und  Empfindungsweise  und 


kämpfen  sich  mit  der  Zeit  zu  einer 
auch  sprachlich  nationalen  Erschei- 
nung durch. 

I.  Die  Übergangszeit   bis  zu 
Karl  dem  Grossen. 

Zwar  ist  der  innere  Zusammen- 
hang, der  zwischen  Sage  und  Ge- 
schichte sowohl  als  zwischen  Dich- 
tung und  Geschichte  besteht,  noch 
Jahrhunderte  hindurch  sichtbar;  die 
ersten  deutschen  Historiker  berichten 
Sagen,  als  ob  dieselben  Geschichte 
wären;  die  Geschichte  der  christ- 
lichen Stiftungen  beginnt  mit  Le- 
genden oder  Vitae%  gleichsam  den 
Heldenbüchern  ihres  Daseins,  iu 
denen  so  gut  wie  an  den  Heldeu 
der  ältesten  Volksgeschichte  da* 
Wunder  eine  in  der  kindlichen  Auf- 
fassung der  Zeit  beruhende  wesent- 
liche Rolle  spielt;  noch  lange,  bis 
gegen  das  Ende  des  Mittelalters, 
herrscht  der  Trieb,  die  Geschichte 
als  Dichtung  zu  behandeln,  poetische 
Geschichte  zu  schreiben. 

Bis  die  deutsche  Gesehichtschm- 
bung  auf  dem  Punkte  angelangt 
war,  dass  sie  aus  dem  Lande  selbst 
herauswachsen  und  von  Kindern 
des  Landesausgehen  konnte,  brauchte 
es  einer  längeren  Übergangszeit,  in 
welcher  sich  die  christlich  gernw 
nische  Bildung  allmählich  an  d&> 
Bedürfnis  und  die  Auffassaug  einer 
in  den  Anfängen  christlicher  Bil- 
dung- wurzelnden  Geschichte  ge- 
wöhnte und  hineinlebte. 

Zweierlei  Werke  sind  es  vor- 
nehmlich, welche  den  christlich- 
römischen  Geschichtsstoffdem  Mittel- 
alter vermittelten  und  zugleich  Muster 
und  Vorbilder  für  die  mittelalterliche 
Geschiehtsehreibuug  wurden:  Di<* 
Werke  des  Eusebius  und  der  römische 
Staatskaleuder.  Von  Eusebius  (264 
bis  340)  hat  man  zwei  Bücher  All- 
gemeiner Geschichte,  von  Hierony- 
mus fortgesetzt  und  bearbeitet,  un<l 
eine  von  Kufiuus  fortgesetzte  Kirche»- 
geschickte.  Das  erstere  Werk  ent- 
halt neben  einer  Chronographie  in  dar 


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Geschichtschreibung.  279 


stellender  Form  den  tabellarisch  auf- 
gestellten synchronistischen  Kanon 
und  steht  vollständig  oder  im  Aus- 
zug an  der  Spitze  aller  umfassenden 
Chroniken  des  Mittelalters.  Der 
römische  Staatskalender  enthielt 
folgende  Stücke:  1)  den  eigentlichen 
Kalender  mit  Bildern;  2)  Konsular- 
f asten  bis  zum  Jahre  354 ;  3 )  Oster- 
t afein  auf  100  Jahre,  von  312  au; 

4)  ein  Verzeichnis  der  Stadtpräfekten; 

5)  die  Todestage  der  römischen  Bi- 
schöfe und  der  Märtyrer-,  6)  einen 
Papstkataloq  und  7)  eine  dürftige 
II  eltehronih  bis  334,  verbunden  mit 
einer  Sladtehronik  von  Rom  und 
der  Regionenbeschreibung.  Die  Kon- 
sul arj  asten  und  Ostertafeln  gaben 
Veranlassung,  kurze  annalistische 
Aufzeichnungen  ähnlicher  Art  auf- 
zuschreiben; das  Verzeichnis  der 
Todestage  der  Märtyrer  und  Päpste 
wurde  das  Muster  für  die  Marty- 
rolxtgien,  welche  bald  zu  den  blossen 
Namen  Nachrichten  über  Leiden 
und  Leben  der  Märtyrer  hinzufügen 
und  allmählich  zu  einer  wichtigen 
Ge-schichtsquelle  heranwachsen;  auch 
die  Sekrttlogien  haben  sich  an  dieses 
Verzeichnis  der  Todestage  ange- 
schlossen. 

Die  ersten,  deutschen  Stämmen 
angehörigen  Geschichtschreiber  vor 
Karl  dem  Grossen  stehen  nochdurch- 
aus  auf  dem  Boden  der  antiken  Welt, 
deren  Untergang  sie  beklagen,  deren 
hergebrachten,  der  Schule  der  letzten 
Rhetoren  entnommenen  Stil  sie  nach- 
ahmen; gemeinsam  ist  ihnen  neben 
der  Vorliebe  für  die  antike  abster- 
bende Welt  das  christliche  Interesse, 
das  sich  in  kirchengeschichtlichen 
Arbeiten  oder  in  der  Beschreibung 
von  Heiligenleben  kundgiebt,  gemein- 
sam auch  die  Vorliebe  für  die  ein- 
heimische Sagenwelt,  ein  Zug,  der 
freilich  mit  ihrem  antiken  Wesen 
in  naivem  Widerspruch  zu  stehen 
scheint. 

Es  gehören  dazu  bei  den  Ost- 
noten  :  Magnus  Aurelius  Cassiodorius 
(  Ca^siodorus)  Senator,  gest.  um  570; 


sein  Hauptwerk,  zwölf  Bücher  goti- 
scher Geschichten,  ist  bloss  im  Aus- 
zug des  zweiten  ostgotischen  Ge- 
st- hichtselireibers  Jordanis  oder  Jor- 
nandes  erhalten;  dessen  aus  .drei 
älteren  Schriftstellern  kompilierte 
Kirchengeschichte  oder  historia  tri- 
nartita  wurde  neben  Eusebius  das 
Kirchengeschichtliche  Handbuch  des 
Mittelalters;  Kassiodor  ist  es  auch 
gewesen,  der  die  wissenschaftliche 
Arbeit  zuerst  grundsätzlich  in  die 
Klöster  einführte. 

Unter  den  Westgoten  wirkte  vor- 

j  nehm  lieh  Isidor  von  Sevilla ,  gest. 
636,  dessen  20  Bücher  Originum  sive 
Etymologiarum  die  Summe  aller  vor- 
handenen aus  der  antiken  Welt  hin- 
übergeretteten Kenntnisse  in  sieh 

i  aufzunehmen  trachtete  und  im  Mittel- 
alter eine  ausserordentliche  Verbrei- 
tung erlangte.  Darin  findet  sich 
auch  eine  Chronik,  welche,  den 
sechs  Schöpfungstagen  entsprechend, 
in  sechs  Weltalter  eingeteilt  ist, 
eine  Erfindung,  die  im  Mittelalter 
allgemein  nachgeahmt  wurde.  Auch 
Isidor  war  durch  sein  Buch  De 
scriptoribus  ecclesiasticis  auf  kirchen- 
geschichtlichem Gebiete  thätig.  — 
Dem  fränkischen  Stamme  gehört  vor 
allen  Gregor  von  Tours  an,  gest.  594, 
aus  einer  alten  gallisch-römischen 
Familie  stammend;  erstehtschon  der 
antikenBildungferner  und  wirkt  mehr 
in  einseitig  römisch-katholischem 
Sinne;  sein  Hauptwerk  ist  die  Histo- 
ria ecclesiastica  Francorttm,  besser 
zehn  Bücher  fränkischer  Geschichte 
genannt,  worin  ältere  heilige  und 
profane  Geschichte,  fränkischeSagen- 
geschiehte  und  memoirenartige  Er-^ 
Zählungen  von  ihm  erlebter  Jahre 
in  wuuderlichemGemisch  beisammen- 
stehen. Durch  seine  Hbri  septem 
miraculorum  schliesst  er  sich  zu- 
gleich an  die  ausserordentlich  grosse 
Zahl  der  Heiligenleben  an,  welche  in 
in  der  Zeit  der  Merowinger  auf 
fränkischem  Boden  entstanden  sind. 
Auf  anf/elsächsischem  Boden  ge- 
sellt sich  den  genannten  Männern 


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280 


Gesehichtachreibuug. 


endlich  Beda  Veneralnlu  zu  (672 
bis  735),  auch  er  auf  der  Seite 
mehr  des  Altertums  und  des  Christen- 
tums als  der  Nationalität  seines 
Volkes  stehend;  seine  Werke  sind 
das  Buch  von  den  sechs  Weit- 
et} fem,  die  Grundlage  der  meisten 
Universalchroniken  des  Mittelalters, 
die  angebliche  Kirchengeschichte,  ein 
Martt/rofoqium  und  Osterhof  ein ;  er 
ist  der  tfauptvertreter  der  angel- 
sächsischen Bildung,  welche  bestimmt 
war,  die  ältere  aus  Irland  stammende 
Bildung  abzulösen  und  zu  vertiefen. 

II.  Von  Karl  dem  Grossen  bis 
in  die  Mitte  des  13.  Jahrhun- 
derts. 

Mit  dem  Auftreten  Karls  des 
Grossen  und  seiner  Bemühungen  um 
eine  höhere,  dem  Geiste  und  der 
Form  des  Altertums  würdig  zur 
Seite  stehende  Bildung  setzt  eine 
im  engern  Sinn  deutsche  Geschieht- 
schreibung  ein,  die  nun  auch  sach- 
lich von  dem  Glänze  der  Thaten 
Karls  und  seines  Hauses  getragen 
wird.  Unter  den  Männern,  die 
Karl  an  seinen  Hof  berief,  sind  der 
Angelsachse  Alkuin  und  der  Lango- 
barde  Paulus  Diakonus,  Warnefnds 
Sohn,  selber  auf  dem  Felde  der  Ge- 
schichtschreibung thätig  gewesen, 
Alkuin  mit  Biographien  solcher 
Männer,  die  sich  in  dem  Dienst  der 
Kirche  ausgezeichnet  hatten,  Paulus 
mit  der  Geschichte  der  Bischöfe 
von  Metz  und  der  Geschichte  der 
Langobarden,  welche  zwar  noch  sehr 
an  die  vorkarolingi sehen  Volksge- 
sehichten  erinnert.  Die  Bedeutung  der 
nun  hervortretenden  zahlreichen  Ge- 
schichtechreiber liegt  in  erster  Linie 
in  der  Beherrschung  der  Form,  der 
Sprache  und  Darstellung,  die  unter 
den Merowingern  der  schrecklichsten 
Roheit  anheimgefallen  waren.  Diese 
Männer  schreiben  mit  bewusstcr 
Nachahmung  der  ihnen  bekannten 
lateinischen  Vorbilder,  des  Sueton, 
Taeitus  u.  A.  Man  unterscheidet 
aber  zwei  Gruppen.   Zur  älteren  ge- 


hören die  am  Hofe  Karls  selber 
lebenden  Lehrer  und  deren  unmitttel- 
bare,  ebenfalls  dem  Hofe  ange- 
hörende Schüler,  namentlich  Anqel- 
bert,  der  Homer  der  karolingiscnen 
Akademie,  der  ein  Epos  auf  Karl  yer- 
fasst  hat; dann  Kinhard^yon  demAn- 
nalen,das  Leben  Karls  und  der  Beriebt 
von  der  Übertragung  der  heiligen 
Märtyrer  Petrus  und  Marcellinus  er- 
erhalten  sind,  und  Xithard,  ein  eifriger 
Anhänger  Karls  des  Kahlen.  Eine 
jüngere  Gruppe  bilden  Männer,  die 
von  den  Zeitgenossen  Karls  ange- 
regt wurden  und  durch  welche  erst 
die  neue  Bildung  in  weitere  Kreis*- 
getragen  wurde.  Der  Mittelpunkt 
dieser  unter  Ludwig  dem  Deutschen 
zur  Höhe  gekommenen  wissenschaft- 
Üchcn  Bildung,  wozu  eben  auch  & 
Geschichtsschreibung  jetzt  zählt  ist 
Fulda  unter  Rhabanus  Maurus,  dessen 
Schüler  u.  A.  die  Historiker  Rudolf 
v.  Fulda  und  Walafrid  Strahn 
Abt  von  Reichenau,  sind.  Unter 
diesen  Gelehrten  bilden  sich  nun 
die  Formen  der  Historiographie  aus. 
welche  im  Mittelalter  die  herrschen- 
den geblieben  sind.  Dazu  gehören 
in  erster  Linie 

die  Annalen.  Sie  entstehen  ans 
kurzen  historischen  Notizen,  die  an- 
fänglich auf  den  Rand  der  Oster 
tafeln  geschrieben  und  allmählich 
durch  gegenseitigen  Austausch  ver- 
mehrt, zusammengeordnet,  nach  Um- 
fang und  Inhalt  erweitert  wurden 
Sie  gehen  vou  verscliiedenen  Punk- 
ten aus,  besonders  unterscheidet  man 
aber  die  Reichs-  und  Konigsannalen. 
an  denen  Einhard  beteiligt  gewesen 
sein  soll,  und  zahlreiche  Kloster- 
anna len.  Zuletzt  konnte  es  ge- 
schehen, dass  ein  geschickter  Mann 
den  gegebenen  ronen  Stoff  über- 
arbeitete und  ein  wirkliches  zusam- 
menhängendes Geschichtswerk  dar 
aus  herstellte;  gegenüber  den  älte- 
ren oder  kleineren  Annalen,  die  sieb 
übrigens  fortwährend  wiederholten 
und  neu  entstanden,  nennt  man  dif 
daraus  hergestellten  grösseren  Ge- 


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281 


Schichtswerke  grossere  Annalen;  9ie 
sind  im  9.  una  11.  Jahrhundert  zur 
höchsten  Ausbildung  gelangt. 

Neben  den  Annalen  hat  die  Zeit 
selbständige  Geschichtswerke  Itiogra- 
phischer  yatur  und  eigentliche  Zeit- 
geschichten hervorgebracht,  die  sich 
an  die  Gegenwart  anschliessen  und 
den  mehr  sachlich  gehaltenen  An- 
nalen gegenüber  eine  freiere,  für 
ihren  Gegenstand  eingenommene  Be- 
handlung aufweisen.  Solche  Werke, 
zu  denen  Einhards  Leben  Karls, 
dos  Trierer  Chor-Bischofs  Deqan, 
Theqan  oder  Theganus  Leben  Lud- 
wig des  Frommen  zählen,  sind  stark 
politischer  Natur. 

Von  einer  dritten  Gattung  der 
Geschichtschreibung ,  welche  sich 
neben  der  Gegenwart  zugleich  der 
Yerqangenheit  zuwendet,  giebt  es 
wi«*ier  zwei  verschiedene  Arten. 
Die  allgemeine  Geschichte  der  älteren 
Zeit,  die  Univerealhistorie,  bildet  sich 
in  der  Chronik  aus.  Ohne  viel  Kritik 
und  Urteil  werden  für  diese  Gattung 
heidnische  und  christliche,  histori- 
sche und  andere  Werke,  was  dem 
Verfasser  zu  Gebote  steht,  benützt 
und  zusammengetragen.  Als  äusseren 
Rahmens  bedienen  sie  sich  der  sechs 
aetates  des  Isidor  und  Beda,  geben 
römische  und  deutsehe  Geschichte 
unvermittelt  nebeneinander  und  wer- 
den erst  dann  ausführlicher,  wenn 
rie  mit  ihrem  Stoff  in  die  Gegen- 
wart gerückt  sind ;  aus  karolingischer 
Zeit  sind  solche  Chroniken  vom  Erz- 
bbchof Ado  von  1 lenne,  vom  Bischof 
Frechulf  ton  Lissieux,  einem  Schüler 
Rhabans,  und  vom  Abt  Regino  von 
Früm  erhalten. 

Die  andere  Art  rückwärts  schau- 
ender Geschichtsbücher  beschränkt 
sich  auf  ein  Land,  ein  Volk  oder 
noch  mehr  auf  eine  bestimmte  Lo- 
kalität. Zwar  Volksgeschichten  wie 
ai'  Kassiodorius,  Gregor  von  Tours 
und  Paulus  Diakonus  verfasst  hatten, 
kommen  in  grösserem  Umfange 
nicht  mehr  vor,  nur  kompendien- 
artig«  Aufzeichnungen  giebt  es  auf 


diesem  Gebiet;  dagegen  sind  die 
Geschichten  der  einzelnen  Bistümer 
und  Klöster  jetzt  häufiger  und  be- 
deutender. Sie  schliessen  sich  an 
die  Orte  an,  wo  die  bedeutendsten 
Lehrer  der  Zeit  wirkten,  und  er- 
blühen bald  hier  bald  da  zu  reifer 
Entfaltung.  Hattenbach  hat  seine 
Betrachtung  der  mittelalterlichen 
Historiographie  nach  diesen  lokalen 
Mittelpunkten  geordnet  und  für  die 
karolingiseheZeit  zumal  den  Klöstern 
und  Bischofssitzen  Fulda,  Hersfeld, 
Münster,  Bremen,  llamburq,  Corvey, 
Gandersheim,  Trier,  I*rüm,St.Gallen, 
Reichenau  besondere  Darstellungen 
gewidmet. 

Der  Charakter  dor  H  istoriographie, 
den  die  karolingiseheZeit  ausgebildet 
hatte,  erhielt  sich  im  ganzen  bis  in 
die  Mitte  des  13.  Jahrh. 

Zwar  trat  gegen  das  Ende  des 
9.  Jahrh.  in  der  Bildung  Deutsch- 
lands überhaupt  eine  etwa  fünfzig- 
jährige Pause  ein,  durch  innere  und 
äussereWirren  hervorgebracht;  nach- 
dem jedoch  Otto  I.  die  Macht  des 
Reiches  neu  begründet  hatte,  traten 
auch  die  alten  geistigen  Kräfte 
wieder  auf  den  Schauplatz.  Doch 
bilden  die  Geschichtschreiber  dieser 
Zeit  keine  bestimmte  Schule  mehr, 
treten  vielmehr  an  verschiedenen 
Orten  unter  ganz  verschiedenen  Ver- 
hältnissen auf.  Die  grössten  unter 
ihnen  sind  Widukind,  Thictmar  und 
Liudprand.  Widukindfllönch  vonCor- 
vey,  schrieb  drei  Bücher  sachsischer 
Geschichten,  die  mitder  Urgeschichte 
des  Sachsenvolkes  beginnen.  Sein 
Muster  ist  Sallust,  und  er  verweilt 
in  epischer  Weise  vorzüglich  bei 
der  Schilderung  der  Schlachten  und 
anderer  Begebenheiten ;  er  ist  einer 
der  vorzüglichsten  Schriftsteller  des 
Mittelalters.  Thictmar  von  Merse- 
bürg,  Bischof,  976—1018,  verwandt 
mit  den  Ottonen,  gedachte  in  seiner 
Chronik  vor  allem  die  Schicksale 
des  Bistums  Merseburg  darzustellen, 
wozu  freilich  mit  Notwendigkeit  die 
Geschichte  des  Ottonischen  Hauses 


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282 


Geachiehtschreibung. 


gehörte,  und  da  er  überhaupt  ein 
Buch  schrieb,  so  legte  er  nebenbei 
darin  auch  Alles  sonst  nieder,  was 
ihm  denkwürdig  schien,  alle  kleinen 
und  grossen  Erlebnisse  und  was  er 
in  andern  Büchern  fand.  Liudprand 
von  Cremend,  gest.  972,  ist  zwar 
ein  Italiener,  doch  lebte  er  am  Hofe 
Otto  de«  Grossen,  schrieb  einen  Teil 
seiner  Bücher  in  Deutschland  und  be- 
schäftigte sich  grösstenteils  mit  deut- 
schen Begebenheiten.  Sein  Haupt- 
werk heisst  Antapodosis,  d  i.  Wieder- 
vergeltung, weil  er  sich  mit  dem- 
selben an  König  Berengar  von  Italien 
zu  rächen  gedenkt.  Es  ist  also  eine 
Parteischrift ,  leidenschaftlich,  auf- 
fallend, buntscheckig,  die  erzählende 
Prosa  viel  durch  Verse  unterbrochen. 
Das  Buch  ist  Zeitgeschichte  in  um- 
fassendstem Sinn,  da  der  Verfasser 
mit  grosser  historischer  Kunst  Alles, 
was  in  ganz  Europa  geschieht,  in 
den  Kreis  seiner  Erzählung  hinein- 
zieht. 

Überhaupt  schien  unter  den  Otto- 
nen  die  Blüte  der  Studien  derjenigen 
aus  Karls  des  Grossen  Zeit  nichts 
nachgeben  zu  wollen;  wieder  trat 
eine  einflussreiche  Hofschule  ins 
Leben,  und  zumal  Otto  des  Grossen 
jüngster  Bruder,  Bruno,  Erzbischof 
von  Köln  und  Herzog  von  Lothringen, 
war  der  eifrigste  Beförderer  der 
Künste  und  Wissenschaften.  Von  | 
neuem  wurde  mit  Glück  an  der 
Geschichte  der  einzelnen  Bistümer 
und  Klöster  gearbeitet,  (dazu  ge- 
hören z.  B.  die  Ccunu  saneti  Galli 
von  Ekkehard  TV.)y  womit  sich  eine 
besondere  Vorliebe  für  biographische  I 
Arbeiten  verband,  die  besonders  im 
ll.Jahrh.  reichen  Erfolg  hatte.  Es 
galt  als  Ehrensache,  dass  ein  be- 
deutender Mann,  besonders  wenn  er  j 
dem  geistlichen  Stande  angehörte, 
seinen  Biographen  finde.  Dazu  ge- 
hört das  Leben  Brunos  von  seinem 
Schüler  ltuotgcr,  des  Kaisers  Hein- 
rich IL  von  Bischof  Adalboldus  von 
Utrecht,  das  Leben  Bernvards, 
Bischofs  von  Hildesheim  von  dessen 


altem  Lehrer  Thanqmar  und  manche 
andore  Arbeiten,  Hie  sich  durch  die 
bessere  Auffassung   und  die  fast 
durchgängigeRücksicht  auf  politische 
Verhältnisse  vorteilhaft  auszeichnen. 
Die  drei  bedeutendsten  Werke  des 
11.  Jahrh.  aber  sind  folgende:  Das 
Leben  Konrad  IL  von  seinein  Kaplan 
Wipo,  einfach  und  getreu,  anschau- 
lich und  lebendig  geschrieben;  so- 
dann Adams  von  Bremen  (als  Dom- 
herr in  Bremen  um  1076  gestorben) 
Gesta    Hammenburgensis  ecclesiae 
ponfifictanf  das  Leben  und  dieThaten 
der  Erzbischöfe  von  Hamburg  und 
Bremen,  das  trefflichste  Geschieht»« 
werk  des  nördlichen  Deutschlands, 
und    die    Annalen    Lamperts  von 
Hersfeld,  eines  Mönches,  der  die 
Geschichte  seiner  Zeit,  des  beginnen- 
den Kampfes  zwischen  Königtum 
und  Fürstenmacht,  zwischen  Kaiser- 
tum und  Hierarchie  in  würdiger 
Ruhe  und  einfach   schönem  Stile 
aufgezeichnet  hat    Lamberts  Ziel 
war,  die  Geschichte  seiner  Zeit  zu 
schreiben;  er  fangt  aber  nach  dem 
herrschenden  Gebrauche  mit 
Schöpfung  an  und  stellt  dann 
ganz  kurzen  chronologischen 
der  Weltgeschichte  seinem  eigent- 
lichen Werke  voraus ;  die  Geschichte 
seiner  eigenen  Zeit,  die  nach  und 
nach  immer  umfassender  wird,  ordnet 
er  ebenfalls  nach  Jahren,  ohne  sich 
strenge  daran  zu  binden  und  ohne 
dass  sich  diese  engere  Form  bei  der 
Fülle  der  Ereignisse  und  der  Aus- 
führlichkeit der  Darstellung  störend 
bemerkbar  macht.    Ganz  in  ähn- 
licher Art  wie  Lamberts  Annalen 
sind  nach  der  Mitte  des  11.  Jahrh. 
eine  Anzahl  Clironiken,  die 


der 


ausführlichen,  nach  Jahren  geord- 
neten Zeitgeschichte  endigen,  von 
bedeutenden  Historikern  verfasst 
vv  orden.  Dazu  zählen  Hermann  r<>* 
Reichenau  oder  Hermann  us  A  ugiensis, 
vulgo  Contractus,  d.  i.  der  Gicht- 
brüchige, mit  seinem  Fortsetzer  Bert- 
hold  von  Konstanz,  dann  Bernhold 
von  Schaßhausen,  Sigebert  Tun  Gern- 


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Gcschiehtschreibung. 


283 


hfonr$  und  Ekkehard  von  Aurach, 
darunter  Berthold   und  Bernhold 
eifrige  Anhänger  des  Papstes.  Sind 
nnn  schon   aiese  Chroniken  voll 
lebendigeu  Interesses  an  den  Be- 
gebenheiten der  Zeit,  so  giebt  es 
daneben  eigentlich  historische  Partei- 
*~krifle*,  urkundlich  belegte  Ar- 
beiten, die  bloss  zum  Zwecke  der 
V'Tteidigung  oder  Anklage  verfasst 
wurden.  Dazu  gehört  des  Derühmten 
Herbert:  Geschichte   des  Rheimser 
KoazUs,  dem  der  Verfasser  seine 
Erbebung  zum  Erzbischof  verdankte, 
(hi?  Geschichte    des  sächsischen 
Krieges  unter  Heinrich  IV.  von  dem 


Hildehrandi  seu  Gregorii  VII  papae, 
» ioes  wütenden  Gegners  des  Papstes, 
da*  Leben  Heinrichs  IV.,  ein  kleines 
Kunstwerk,  das  man  mit  dem  Agri- 
cAa  «leg  Tacitus  verglichen  hat. 

(ltvhichtschreit)er  der  Kreuzzüge 
giebt  es  mehr  französische  als  deut- 
stbe;  unter  die  letztern  gehört  der 
?cbou  genannte  Ekkehard  von  Au~ 
wh  durch  seinen  libellus  de  expu- 
nwtione  Hierosolymitana. 

Vom  12.  Jahrb.  an  treten  die 
AnnaJen  oder  gewöhnlichen  Chro- 
niken sowohl  als  die  einzelnen  Bis- 
tums- und  Klostergeschichten  zu- 
rück; wo  die  letztem  sich  noch  vor- 
finden, rühren  sie  meist  von  unbe- 
deutenden, namenlosen,  oft  verschie- 
denen sich  nachfolgenden  Verfassern 
kr;  den  neuentstehenden  Amialen 
dae^-u  liegen  nun  durchgehend 
frühere  Werke  zu  Grunde  und  zwar 
k  gewissen  Gegenden  immer  die- 
*Jben,  in  Lothringen  und  Nord- 
frankreich, Sigbert,  in  Süddeutsch- 
Schwaben  und  Österreich  Her- 
Mxncon  Reichenau,  und  im  mittleren 
3od  nordlichen  Deutschland  Ekke- 
Uti  tvn  Aurach.  Die  bedeutenden 
^riftsteller  ziehen  mehr  freie  all- 
pwine  I>arstellungen  vor,  zum 
Teil  unterstützt  durch  die  namcnt- 
ha  Paris  aufkommenden  wissen- 


schaftlichen Studien.  Derbedeutend- 
ste  Historiker  der  Hohenstaufischen 
Zeit  ist  Otto  von  Freising,  Stief- 
bruder König  Konrad  III.,  in  Paris 
gebildet,  dann  in  den  Cistercieuser- 
Orden  eingetreten,  später  Bischof 
von  Freising,  der  mit  Barbarossa 
in  vertraulichen  Verhältnissen  stand. 
Seine  Chronik,  das  erste  Werk,  das 
er  schrieb,  unterscheidet  sich  von 
allen  frühern  Geschichtswerken 
Deutschlands  durch  die  vollständige 
Beherrschung  des  Stoffes  und  die 
Verarbeitung  desselben  nach  ge- 
wissen Gesichtspunkten ;  seine  Rich- 
tung ist  mehr  philosophisch  als  histo- 
risch, besonders  schhesst  er  sich  an 
Augustiu  an.  Seine  Absicht  ist,  das 
Elend  dieser  Welt  und  die  Herrlich- 
keit des  Reiches  Gottes  zu  schildern, 
die  er  in  ihrer  irdischen  Vermischung 
darstellen  will.  Bedeutender  als 
eigentliches  Geschichtswerk  sind  die 
GeMa  Friderici  I.,  die  Geschichte 
der  Anfänge  des  Hohenstaufischen 
Geschlechtes  und  der  ersten  Jahre 
Friedrichs.  Voraus  geht  ein  Bericht, 
den  der  König  selber  seinem  Oheim 
auf  seinen  Wunsch  über  die  An- 
fänge seiner  Regierung  zugesandt 
hat.  Mit  offenem,  wahrheitslieben- 
dem Blicke  stellt  der  Geschicht- 
schreiber jedes  Einzelne  dar,  ohne 
den  Blick  auf  das  Ganze  jemals  zu 
verlieren.  Immer  ist  ihm  dabei  die 
Form,  der  Schmuck  der  Darstellung 
fast  ebenso  wichtig  als  der  Inhalt, 
und  nimmt  im  höchsten  Grade  seine 
Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Ottos 
vortrefflicher  Fortsetzer  der  Gesta 
Friderici  I.  ist  Radewin  oder  Raze- 
win;  nicht  minder  würdig  erscheint 
der  Fortsetzer  von  Ottos  Chronik, 
Otto  von  St.  Blasien. 

Den  Geschichtschreibern  der 
Hohenstaufen  stellten  sich  nicht  un- 
würdig die  Geschichtschreiber  der 
Weifen,  namentlich  Heinrichs  des 
Löwen,  zur  Seite:  der  Propst  Ger- 
hard van  Stederburg,  Helmold  von 
Bosau  uud  dessen  Fortsetzer  Arnold 
von  Lüheck. 


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284 


Geschichtschreibung. 


III.  Von  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts bis  ins  15.  Jahrhundert. 

Von  den  Karolingern  an  bis  in 
die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  war 
die  deutsche  Geschichtschreibun 
mehr  und  mehr  vom  Geiste  un 
der  Bedeutung  dos  deutschen  Reiches 
und  seiner  obersten  Fürsten  ge- 
tragen; obwohl  sie  sich  von  zahl- 
reichen Mittelpunkten  geistlicher 
Bildung  aus  immer  von  neuem  lokal 
bilden  musste,  gingen  von  dieseu 
einzelnen  Punkten  die  leuchtendsten 
Strahlen  stets  dem  Mittelpunkte  zu; 
man  darf  von  diesem  Gesichtspunkte 
aus  die  Geschichtschreibung  des  9. 
bis  13.  Jahrhunderts  eine  Heichs- 
historiugraphie  nennen;  es  leuchtet 
ein,  dass  sich  dieselbe  eben  infolge 
der  starken  Ausprägung  ihres  innern 
Charakters  desto  reiner  von  andern 
der  Gesehichtschreibung  anhängen- 
den Zügen  zu  halten  vermochte. 
Mit  dem  Zerfall  der  kaiserlichen 
Macht  in  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts hörte  diese  grosse  am  Reiche 
haftende  Arbeit  schnell  auf,  und  das 
historische  Interesse  wandte  sich  den 
neu  ins  Leben  tretenden  gesellschaft- 
lichen, religiösen  und  politischen  Ge- 
staltungen und  Erscheinungen  zu. 
Das  verleiht  von  jetzt  an  der  Historio- 
graphie eiuen  überaus  mannigfal- 
tigen, ja  buntscheckigen  Charakter, 
der  noch  dadurch  vermehrt  wird, 
dass  daneben  auch  die  alten  Formen 
immer  noch  beibehalten  werden  und 
selbst  in  der  spätesten  Zeit  Werke 
entstehen,  die  denen  des  frühern 
Mittelalters  nachgeahmt  sind.  Die 
Zahl  der  historischen  Erscheinungen 
wird  überaus  gross  und  für  e%nen 
Mann  kaum  mehr  übersehbar,  und 
an  vielen  Punkten  durchmisst  die 
Gesehichtschreibung  von  neuem  den 
Prozess,  den  sie  für  die  Gesamtheit 
in  den  vergangenen  Jahrhunderten 
durchgemacht  hatte:  aus  analisti- 
schen,  einzelnen  Aufzeichnungen  er- 
wächst allmählich  eine  zusammen- 
hängende Darstellung,  die  erst,  wenn 


das  Glück  ihr  günstig  ist.  nach 
längerer  Zeit  zu  eigentümlichen, 
selbständigen  Werken  höherer  Ge- 
schichtsdarstellung sich  aufschwingt. 

So  ist  nun  auch  für  die  Zeit  dw 
12.  und  13.  Jahrhunderts  eigentüm- 
lich, dass  die  Geschichte  von  neuem 
Züge  der  Saqe  iu   sich  aufnimmt, 
von  der  sie  sich  in  langem  Kannte 
losgerissen  hatte,  freilich  zum  Teil 
dadurch  bestimmt  und  bewogen,  ua$* 
sie  in  gelehrter,  vornehmer 
sitiou  gegen  die  im  Volke  lel 
sagenhaften   Erzählungen  kalt 
blieben  war.    Am  frühesten 
sich  die  Geschichte  in  Form 
deutschen  erzählenden  Gedichten 
die  Sage  angeschlossen;  diese | 
aber  von  einem  Kreise  der  F 
aus,  welche  dem  höfischen 
nach  seiner  dichterischen  Seite 
zugewandt  war.  Die  Kai*er-( 
gehört  dahin,  welche  iu  höchst 
tastischer  Weise  und  mit  Lej 
untermischt  die  Geschichte 
mischen  Könige  und   Kaiser  r<* 
Julius  Caesar  au  bis  auf  Konrad  M 
erzählt,  eine  Kompilation  verseht 
dener  Stücke;  von  mehreren  IT(M 
chroniken*  /..   \\.   von  Rudolf  tm 
I''m .v,  ist  bloss  ein  biblischer  Anfnfl 
fertig  gediehen;  Jans  der  E*€*kA 
sehrich    eine    solche    als  YorflH 
seines  österreichischen/*  Nr.*^-«/»«*^ 
AImt  in  die  historischen  Werkei^H 
3ewinnt  seit  der  Mitte  des  12.  J*N 
iiindeits   die   sagenhafte  ÜberiM 
rung  immer  melir  Aufnahme,  ■ 
dingt  und  hervorgerufen  durch  m 
immer    breiter    werdende   .  inJH^H 
kirchlich  -  phantastische ,  den  Wut 
dem    zugeneigte    Auttassimg  41 
Klerus.  Line  wuchernde  Fülle  ti*fi 
tioneller  Überlieferungen  setxt  m 
au  die  Geschichte  an  und  vefjH 
und    verdeckt   die  Wahrheit.  |H 
sieht  das  besonders  an  den  Arhdfl 
de-*    ( t'ttffrt'ed    von     Yitf  t-h, ,  waoltj 
scheiulich  eines  Sachsen,  der  dH 
Linne  in  Italien  lebte.    Kr  verfilM 
für  den  jungen  König  Heinrich  <X 
ein  phantastisches  Lehrbuch  Sp«** 


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285 


tum  JSequm,  sodann  eine  poetische 
Behandlung  der  Thaten  Friedrich  I. ; 
diese  Poesie  nahm  er  in  sein,  wieder- 
um Heinrich  VI.  gewidmetes  Werk 
Memoria  »aeeulorum  auf,  das  aus 
Prosa  und  Versen  gemischt  die  ganze 
Weltgeschichte  umfasst;  als  ihm 
Ottos  von  Freising  Chronik  bekannt 
wurde,  überarbeitete  er  darnach  seine 
Weltgeschichte  nochmals  unter  dem 
Namen  Pantheon.  Hier  zuerst  strömt 
die  ganze  Fülle  der  Fabeln  auch  in 
die  gelehrte  Geschichtschreibung, 
über  den  Kreuzzug  Karls  des  Grossen, 
über  die  Ottonen,  über  Heinrich  III. 
Abkunft  und  Geburt.  Das  Pantheon 
hat  den  grössten  Einfluss  auf  die 
spätern  Autoren  Deutschlands  und 
Italiens  ausgeübt. 

Besonders  gross  war  der  Einfluss, 
den  in  dieser  Hinsicht  die  Bettel- 
orden auf  die  Art  der  Geschicht- 
schreibung übten.  Für  Lokalge- 
schichte hatten  diese  anfänglich  we- 
nigstens kein  Interesse,  da  sie  fah- 
rende Mönche  ohne  Grundbesitz 
waren.  Sie  scli rieben  Geschichte, 
um  Handbücher  für  ihre  Disputa- 
tionen und  Predigten  zu  haben,  wo- 
bei es  ihnen  nicht  auf  den  politischen 
Inhalt  der  Geschichte  ankam,  sondern 
auf  Geschichten,  die  sieh  gut  an- 
wenden Hessen,  entweder  in  der 
Form  von  Kompendien  zum  Hand- 
gebrauch, oder  von  J?ncyklopädieny 
in  denen  sie  alles  nachschlagen 
konnten,  was  sie  bedurften.  An- 
fänglich war  es  bloss  Weltgeschichte, 
wottir  sie  Teilnahme  hatten;  später, 
als  sie  in  grösserer  Abhängigkeit 
zu  ihren  Wohnorten  standeu ,  be- 
schäftigten sie  sich  auch  mit  der 
Abfassung  von  Städte-  oder  Landes- 
ß-eachichten.  Die  berühmteste  Ency- 
klopädie,  die  aus  dem  Dominikaner- 
orden hervorging,  ist  das  Sveculum 
quadruple* des  1  ineenzron  ßeauvais, 
1244  geschrieben,  das  in  Speculum 
naturale,  doetrinale,  morale  und 
hi&torude  zerfällt;  ein  von  Vinccnz 
selbst  bearbeiteter  Auszug  des  Spe- 
eulum  historiale   heisst  Memonale 


Temporum.  Noch  grösseren  Einfluss 
hatte  das  Werk  des  Dominikaners 
Martin  von  Troppau,  auch  Martinus 
Polanm  genannt,  der  bald  fast  der 
ausschliessliche  Geschichtslehrer  für 
die  katholische  Welt  wurde.  Er 
war  aus  Troppau  im  Königreich 
Böhmen  gebürtig  und  lebte  lange 
in  Rom  als  päpstlicher  Kaplan  und 
Pönitentiar.  Seine  Weltgeschichte 
wurde  als  ein  Kompendium  für 
Theologen  und  Kanonisten  geschrie- 
ben. Ls  ist  eine  ganz  oberflächliche, 
hierarchische  Zwecke  verfolgende 
Kompilation,  durch  welche  die  zahl- 
reichen Geschichtsfabeln  erst  recht 
festen  Fuss  gefasst  und  Herrschaft 
gewonnen  haben.  Der  äusserlichen 
Einrichtung  nach  standen  sich  auf 
je  zwei  Seiten  die  Päpste  und  Kaiser 
gegenüber,  jede  Seite  hatte  50  Zeilen, 
jede  Zeile  war  für  ein  Jahr  bestimmt; 
vom  Jahre  1276  an,  wo  drei  Päpste 
zusammen  hätten  verzeichnet  werden 
müssen,  hört  diese  Einrichtung  auf 
und  beginnt  eine  mehr  zusammen- 
hängende Übersicht  der  Ereignisse. 
Durch  Bruder  Martin  kam  die  Fabel 
von  der  Papstin  Johanna^  von  der 
Einsetzung  der  sieben  Kurfürsten 
und  überhaupt  die  ganze  grund- 
falsche Auffassung  der  Geschichte 
in  Aufnahme,  denn  die  Chronik  ver- 
breitete sich  in  alle  Länder  und 
Sprachen.  Die  sorgfältige,  gründ- 
liche und  kritische  Erforschung  der 
Geschichte  des  frühern  Mittelalters 
wurde  durch  dieses  Machwerk  fast 
vollständig  erstickt 

Eine  ähnliche  Stellung  wie  die 
Chronik  des  Martin  von  Troppau 
nimmtdas umfangreiche  Werk  Stores 
temporum  ein,  das  einen  Minoriten 
zum  Verfasser  hat;  alte  Nachrichten 
nennen  ihn  den  Minoriten  Martin, 
oder  Hermann  oder  Hermann  Gyqas; 
es  scheint  eiue  Konkurrenzarbeit 
gegenüber  dem  Werke  des  Domini- 
kaners Martin  zu  sein. 

Charakteristisch  für  die  Ge- 
schichtslitteratur  des  spätern  Mittel- 
alters ist  im  ferneren  der  zunehmende 


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286 


Geschiehtschreibung. 


Gebrauch  der  deutsehen  Sprache. 
Von  den  mehr  sagenhaften  deutschen 
Reimgedichten  war  schon  die  Rede; 
an  sie  knüpfen  sich  jetzt  eigentliche 
Keimeh  ron  iken ,  verschieden  nach  dem 
Inhalt  und  der  Individualität  des 
Verfassers,  mitunter  Bearbeitung 
lateinischer  Quellen,  oder  eigene 
treuere  oder  freiere  Darstellung  der 
Thatsachen.  Sie  sind  am  wichtigsten, 
wenn  gleichzeitige  Begebenheiten  den 
Gegenstand  der  Darstellung  aus- 
machen. Dem  Norden  Deutschlands 
gehört  Gotfried  Hägens  Reimchronik 
von  Köln,  vom  Jahre  1270,  die  Lief- 
kindische  Chronik  eines  Ungenann- 
ten; dem  Süden  die  Österreichische 
Chronik  des  Ottokar  von  Horneck 
aus  Steiermark,  aus  dem  Ende  des 
14.  Jahrhunderts,  ein  Werk  von  sehr 
lebendiger  Auffassung  und  poeti- 
scher Behandlung.  Von  Sicolaus 
Jeroschin  hat  man  eine  reimende 
Übersetzung  der  lateinischen  Chronik 
des  deutschen  Ordens  in  Preusscn, 
welche  Peter  von  Duisburg  verfasst 
hatte. 

Von  gereimten  Chroniken  schrei- 
tet man  schliesslich  zu  deutschen 
Frosachroniken  vor,  deren  erste  die 
Sächsische  Weltchronik  ist,  die  man 
dem  Eike  von  Repgaw  zuzuschreiben 

5>flegt,  aus  der  ersten  Hälfte  des  13. 
fahrh.  Diese  deutschen  Chronikeu 
sind  nun  selten  mehr  von  Geistlichen, 
sondern  von  Dichtern,  Rechtsgelehr- 
ten, Staatsmännern,  besonders  Stadt- 
schreibern, von  Mitgliedern  des  Bür- 
gerstandes verfasst;  daneben  erschei- 
nen immer  noch  lateinisch  verfasste 
Geschichtswerke,  wie  dasjenige  des 
Minoriten  Johannes  von  Wintertur; 
des  Matthias  von  Xeuburg,  der  ohne 
Zweifel  Prokurator  des  geistlichen 
Gerichtes  in  Strassburg  war,  und 
des  Johann  von  Viktring,  Abt  des 
K losters  Viktring  in  Kärnthen.  Deut- 
sche Chroniken  sind  z.  B.  noch  die 
Magdeburger  aus  dem  13.  Jahrb., 
die  Xüicc  Casus  Monasterii  Sancti 
Galli  des  Christian  Kuchimeister, 
die  Strassburger  Chroniken  des  Chor- 


herrn Friedrich  Closener  und  des 
jüngeren  Jacob  Ticinger  von  Königs- 
hofen, die  Limburger  Chronik  des 
Stadtschreibers  Johanne*,  Chroniken 
von  Bremen,  Lübeck,  Köln,  Sam- 
berg, Augsburg,  Magdeburg,  Braun- 
schweig,  Hamburg  und  vielen  anderen 
grösseren  und  kleineren  Städten. 
Reich  mit  solchen  Werken  sind 
namentlich  auch  die  Städte  und  Län- 
der der  schweizerischen  Eidgenossen- 
schaft ausgestattet,  wo  bürgerliche 
Selbständigkeit  besonders  früh  stark 
sich  entfaltete:  es  giebt  Chroniken 
von  Zürich,  Basel,  Bern,  Luzern  und 
den  Urkantonen.  Alle  diese  Werke 

|  pflegen  mit  sagenhafter,  zum  Teil 
lächerlicher ,   geradezu  fabrizierter 

I  Urgeschichte  anzuheben ,  während 
ihre  Darstellung  späterer  Verhältnisse 

I  durch  gesunde  Auffassung  der  Ver- 
hältnisse, durch  die  frische,  naive, 

j  lebenswahre  Erzählung  sich  auszeich- 
net Erst  später  geschrieben,  aber 
in  ihrer  Entstehung  schon  der  vor- 
reformatori8chen  Zeit  angehörig  ist 
die  an  sagenhaftem  Stoff  selten  reiche 
Ch  ron  ik  des  sch  wäbischen  Geschi+chtes 
derer  von  Zimmern. 

Neben  solchen  Richtungen  giebt 
es  auch  immer  noch  Bischofs-  und 
Klosterchroniken,  z.  B.  die  Reiche- 
nauer Chronik  des  Gallus  Oekem. 
Lebensbeschreibungen  angesehener 
Geistlicher,  Weltchroniken,  die  letz- 
teren bald  rein  annalistisch,  bald 
nach  Kaisern  und  Königen  geordnet, 
und  mit  weitschichtiger  Gelehrsam- 
keit aufgepauscht ;  die  Nameu  der- 
selben sind  Speculum  historiae,  Klares 
historiarum,  hnago  mundi,  Cosmo- 
dromium,  Fasciculus  temporum  und 
ähnliche. 

IV.  Humanismus  und  Refor- 
mation. 

Mit  der  Wirkung  des  Huma- 
nismus auf  die  Geschichtschreibung 
machen  nach  langer  Zersplitterung 
wiederum  centripetale  Tendenzen 
den  bisher  herrschenden  ccutrifugalen 
Richtungen  Platz.    Die  Bewegung 


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Geschichtschreibung. 


287 


kommt  natürlich  aus  Italien,  wo  die  |  Schedel,  1440 — 1515,  mit  einer  Welt 
Historiographie  sowohl  in  der  Natio-  j  chronik,  Jacob  Wimpfeling,  1450  bis 

Turmair 


DiispracTie  nach  dem  Muster  der 
grossen  Alten,  als  in  noch  engerer 
Anlehnung  an  die  Alten  in  lateini- 
scher Sprache  gepflegt  wurde;  die 
Haaptn&men  jener  ersten  Richtung 
sind  Macckiarelli  (146i)  1527)  und 
(luimardini  (1482  —  1540).  Haupt- 
vertrcter  der  lateinisch  schreibenden 
Historiker  sind  FlaHus  Blondus, 
?est  1461,  Aeneas  Sylvins  IHccolo- 
niHÜPitu  II),  1405—1464,  Bartho- 
hmaens  Hatina*  Bibliothekar  am 


1528,  Johann  Turmair  oder  Aven- 
tinus  mit  seiner  bäuerischen  Chronik, 
die  er  selber  auch  deutsch  übersetzte, 
Alhert  Krantz,  gest.  1527,  mit  der 
Saxonia,  Spiesshammer  oder  Johannes 
Citspinian,  gest.  1529,  ein  Arzt  aus 
Wien:  de  Laesaribus  atque  impera- 
toribus  Romanis ;  Beatus  Rhenanus, 
gest.  1547,  mit  Herum  Germanica- 
rum Ubri  III.  Mehrere  dieser  Männer 
reichen  schon  in  die  Reformations- 
zeit hinein  und  haben  wesentlich 


\atikan.  gest  1461,  dessen  Uber  de  zum  Aufschwünge  des  geistigen  Le- 


nin Christi  ac  de  vitis  summorum 
}<mtific«m  Romanorum  fast  in  alle 
sprachen,  auch  iu  die  deutsche,  über- 
setzt wurde;  Julius  Fomponius  Lae- 


bens  in  weiteren  als  blossen  Gelehr- 
tenkreisen beigetragen,  zumal  da- 
durch, dass  ihre  Bücher  früh  in  deut- 
schen   Übersetzungen  erschienen. 


tu,  gest.  1497:  de  Caesaribus  und  Ganz  deutsch,  nach  Auffassung  und 
Romano?  urbis  vetustate;  Raphael  Sprache,  und  in  hohem  Masse  volks- 
rolaterranus,ge&t  1521:  Commentari-  tümlich,  zugleich  getragen  von  der 


Ubri  38.  Wandten 
die  genanuten  Italiener  ihr  Interesse 


und  politischen  Idee  der 
deutsehen  Reformation,  geübt  an  den 
mehr  dem  römischen  Altertum  zu  besten  Mustern  des  Altertums,  die, 
•  doch  hat  Aeneas  Sylvius  den  Otto  wie  Caesar,  Sallust,  Tacitus,  Sueton, 
ro*  Freisinq  und  den  Jordanis  be-  Herodot,  Thukydides,  Xenophon  und 


aatzfi,  so  richteten  die  deutschen, 
von  den  Italienern  angeregten,  Huma- 
tin* Augenmerk  auf  die  Quellen 


Plutarch  dem  Volke  jetzt  selber  durch 
Übersetzungen  nahe  gebracht  wur- 
den, treten  jetzt  eine  Anzahl  deut- 


öaheimischer  Geschichte,  und  beson-  j  scher  Geschichtschreiber  auf,  deren 
&rs  in  Wien  beförderte  Kaiser  Max  Werke  zum  Schönsten  gehören,  was 
siterländische  Geschichtsbestrebun-  die  Reformation  hervorgebracht  hat. 
|B.  er  liess  nach  alten  Urkunden  j  Wieder  ist  die  Schweiz  besonders 
ad  Chroniken  suchen  und  belohnte  |  reich  in  dieser  Beziehung;  ihre  Ver- 
Fand:  rüstige  Buchhändler  I  treter  sind  Joachim  von  Watt,  Oe- 
«v*4Cif;d?6teii  Ausgaben  (Iva-  mittel-  schichte  der  Abte  des  Klosters  St.  Gat- 
Utertichen  Quellenschriftsteller,  des  len ;  Johannes  Stumpf,  Beschreibung 
wuanis.  Paulus  Diaconus,  Gregor  der  Eidgenossenschaft  Bullinger,  Re- 
•on  TVmr3,  Sigbert,  Luidprand,  Otto  forma  tionsgesch  ich  te  und  Aegidius 
Kreiling,  Ekkard  u  a.  Zwar  Tschudi,  Schweizer  Chronik,  der 
fttkte  die  Vorliebe  für  Erdichtungen,  letztgenannte  seiner  religiösen  und 
%ren  and  Märchen  noch  lange  nach,  politischen  Stellung  gemäss  mehr 
g.  B.  Johann  von  Trittenheim,  ein  Vertreter  der  älteren  Richtung 
r-« '//■•„. 1462—1516  namentlich  und  daher  besonders  für  die  sagen- 
Q  seinem  Chronicon  Hirsaugicnse  hafte  Üfjerliejeru  ngbcmtiht.l)e\\t8vh- 
"öÜ  von  solchem  Stoffe  ist.  Was  Und  gehören  an  die  Kosmographie 
Bespräche  der  deutschen  demHuma-  Sefjastian  Münsters  und  der  vortreft- 
«»»»06  ruireziihlten  Geschichtscbrei-  liehe  Sebastian  Frank,  Verfasser 
betrifft,  so  ist  dieselbe  vorläufig  eines  Zeilbuches  (Weltgeschichte), 
»ach  di<-  lateinische.  Die  hervor-  eines  Weltbuches  (Beschreibung  der 
"■g^diteu  Namen  sind  Hartmann  Welt)  und  der  Germania.  Zwar 


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288 


Geschlechterstaat.  —  Gesellschaftslieder. 


reichen  ähnliche  Arbeiten  bis  über 
den  Schluss  des  16.  Jahrhunderts 
hinaus,  sie  sind  jedoch  meist  lokaler 
Natur,  darunter  Matthias  Quad, 
teutscher  Nation -Herligkeit,  1609, 
die  Pommerische  Chronik  von  Thomas 
Kantzow,  die  Speirische  von  Christoph 
Lehmann,  die  Baslerische  von  Chri- 
stian WurstiseyiAiQ  Schaffhauserische 
von  Johannes  Rüger.  Die  eigentlich 
gelehrte  Geschientschreibung  geht 
schon  mit  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts in  das  Geleise  der  latei- 
nischen Sprache  zurück ;  ihr  hervor- 
ragendstes Werk  ist  des  Johann 
Sieida  nus  (1506—1566)  Buch  de 
Statu  religionis  et  reivublicae  Ca- 
rolo  V.  imperatore.  Von  da  an 
bleibt  lange  Zeit  die  wissenschaft- 
liche Betreibung  der  Geschichte, 
welche  jetzt  Geschichtswissenschaft 
wird,  in  den  Händen  der  zunft- 
mässigen,  meist  lateinisch  schreiben- 
den Gelehrten,  während  die  Chro- 
nistik  im  engeren  Sinne  deutsch 
bleibt,  immerhin  so,  dass  gelegent- 
lich die  eine  .Richtung  in  die  andere 
hinübergreift. 

Neben  den  Biographien,  die  immer 
noch  bearbeitet  wurden,  obgleich 
wenig  vortreffliche  Werke  dieser 
Art  zu  nennen  wären  (Matthesius, 
hebenljuthers ;  Ada  mBeissner,Leben 
des  Georg  und  Caspar  von  Frunds- 
berg),  hat  diese  Zeit,  welche  so  sehr 
das  subjektive  Gefühlsleben  des 
Einzelneu  steigerte,  die  Autobio- 
graphie als  neue  Gattung  der  Ge- 
seluehtschreibung  eingeführt  Da- 
hin gehören  die  Aufzeichnungen  des 
Götz  von  Berlichingen,  des  Man* 
von  Schweinichcn,  des  Thomas  und 
Felix  Fiater  und  die  lieblichste  unter 
ihnen,  die  ganz  unter  dem  Eindrucke 
des  „aufblühenden  Evangeliums", 
im  Angesichte  gleichsam  Luthers, 
Melanchthons,    Zwingiis,  Erasmus 

geschrieben  ist,  die  Sabbata  des  8t. 
allers  Johannes  Kessler,  desselben 
Mannes,  der  als  Jüngling  dem  Dr. 
Luther  im  schwarzen  Bären  zu 
Jena  begegnete,  als  der  noch  als 


Reitersmann  gekleidete  Reformator 
von  der  Wartburg  nach  Wittenberg 
zurückeilte.  Wattenbachy  Deutsch- 
lands Geschichtsquellen  im  Mittel- 
alter. 2  Bde.  3.  Aufl.  Berlin  1873.- 
Lorenz,  Deutschlands  Geschicht»- 
ciuelleu  im  Mittelalter  seit  der  Mitte 
des  13.  Jahrh.  2.  Aufl.  Berlin  18T6. 

H'aifz  in  Schmidts  Zeitschrift  f.  Ge- 
schichtswissenschaft Bd.  II.  u.  IV. 

Wackernagels  Lit.  Geschichte. 

Geschlechterstaat,  d.i.  derjenige 
Staat,  in  welchem  die  staatlichen 
Aufgaben  noch  nicht  vom  Staate, 
sondern  von  der  Familie  oder  dem 
Geschlecht  erledigt  werden,  ist  für 
die  Germanen  die  Form  des  vorge- 
schichtlichen Staates.  Schon  zu 
Casars  und  Tacitus  Zeit  hatten  die 
Germanen  ihn  bereits  hinter  sich; 
doch  zeigt  sich  der  ältere  Zustand 
später  noch  darin,  dass  die  Unmün- 
digen, Frauen,  Kinder  und  Knechte 
unter  der  Gewalt,  der  Munt,  des 
Mannes  standen  und  dass  der  Mann 
sein  Rechtsleben,  sein  wirtschaftliches 
und  Kriegerleben  in  der  Gemein- 
schaft mit  den  engern  und  weitern 
Familiengenossen  verlebt;  das  Ge- 
schlecht bildete  die  Unterabteilungen 
im  Heer  und  bei  der  Ansiedlung  im 
Dorf.    Vgl.  den  Art.  Familie. 

Geselle usehi es f,c n  .  s.  Schütxen- 
feste. 

Gesellschaftslieder  nennt  man 
diejenige  Gruppe  von  Volksliedern 
des  16.  und  des  17. „Jahrh.,  welche 
für  die  Lust  und  Übung  heiterer 
Gesellschaft  aus  den  ältern  einstim- 
migen Weisen  zwei-  und  mehrstimmig 
umgesetzt  wurden;  in  eigenen  Samm- 
lungen oder  Liederbüchern  vereinigt 
sind  sie  die  Nachfolger  der  Jfiegm- 
den  Blätter  geworden.  Die  Gesell- 
schaftslieder sind  hin  und  wieder 
noch  ächte  Volkslieder,  entfernen 
sich  aber  immer  mehr  von  ihnen 
und  werden  Kunst-  oder  Gelehrten- 
lieder, indem  die  Musiker  die  älteren 
Texte  verändern  oder  mit  neuen 
von  ihnen  selbst  oder  von  gelehrten 
Leuten     verfassten    Texten  ver- 


uigiiizeo 


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289 


tauschen.  Die  ersten  Sammlungen  ein  weibliches  singulare^  Substantiv, 
dieser  Art  sind  die  wertvollsten,  als  weiches  es  in  die  romanischen 
später  finden  sieh  in  ihnen  viele  fade  Sprachen  übertritt :  itaL,  provenz.. 
Reimereien  und  namentlich  Nach-  span.  gesta,  altfranz.  (feste,  bald 
ahmungen  welscher  Texte  mit  wel-  singularisch,  bald  pluralisch  ge- 
sehen Melodien.  Mit  italienischen  braucht,  mit  den  Bedeutungen  1 1 
und  französischen  Formen,  Madri-  der  Thaten  eines  vornehmen  Ge 
galten,  Kanzonetteu,  Motetten,  Tri-  schlechtes,  2)  einer  Chronik.  3|  der 
cinien,  Intraden,  Villauellen,  Galli-  Geschlechtsfolge  des  Stammes.  In 
arden,  Couranten,  Paduaneu,  Nea-  der  altfranzösischen  Poesie  ist  Chan- 
po/ifanen,  Saltarellen,  Volten,  Bai-  *on  de  geste  der  stehende  Ausdruck 
IeteiJ,  Parodien,  Passamezzen ,  und  für  die  in  einreimigen  Tiraden  ab- 
züglich mit  Allegorien,  mytholo-  gefassteu,  sowohl  zum  Absingen  als 
gischen  Namen  und  Bezeichnungeu,  zum  Hersagen  oder  Vorlesen  be- 
rrem  len  Worten  und  Redensarten  stimmten  Epen,  zunächst  aus  den 
füllen  sich  jetzt  die  deutschen  Lieder-  einheimischen  Sagenkreisen,  dann 
bücher.  Anfangs  wurden  die  letzte- ;  für  Heldengedichte  dieser  Form 
reu  in  kleinem,  länglichem  Quart-  überhaupt,  im  Gegensatze  zu  den 
format  gedruckt,  mit  gutem  Papier  ritterlichhöfischeuAöHiö/mmd(  'untes, 
und  zum  Teil  vortrefflichem  Noten-  deren  Stoff  anderen  Quellen  ange- 
satz.  später  seit  1600  in  gewöhn-!  hört  und  deren  Form,  stronhenlose 
liehem  Quart  auf  schlechtem  Panier  Reimpaare,  nur  für  das  Hersagen 
und  mit  immer  eleu« ler  werdendem  oder  Vorlesen  bestimmt  ist.  Die 
Schrift-Nutendruck.  Die  wichtigsten  Chansons  Je  geste  stammen  aus  den, 
Druckorte  sind  Nürnberg,  Frank-  im  einzelnen  nicht  mehr  erkenn« 
furt  und  München.  Die  Greuel  des  baren  Helden-  uud  Geschlechtssagen 
dreißigjährigen  Krieges  und  die  mit  der  germanischen  Eroberer  uud 
Opitz  auftretenden  Gedichtsamm-  ihrer  Nachkommen.  Die  ältesten 
hingen  einzelner  Dichter  lassen  um  vorhandenen  Denkmäler  zeigen  einen 
1620  die  Gesellschaftslieder  aus-  zehnsilbigen,  durch  eine  Cäsur  unter- 
sterbeu.  Siehe  die  deutschen  Ge-  brochenen  Vers,  mit  männlichem 
sei V 'schaffst 'Uder  des  16.  und  17.  Jahr-  Reime  oder  Assonanz  und  strengem 
hundert«,  aus  gleichzeitigen  Quellen  Abschlüsse  des  Sinnes  am  Ende  des 
gesammelt  von  Hojfmann  von  Fallers-  Verses;  erst  aus  späterer  Zeit, 
leben.  2  Teile.  "Leipzig,  1860.  12.  Jahrb.,  stammt  der  zwölfsilbige 
Gest«,  Geste,  Chanson  de  Geste.  Vers  uder  Alexandriner,  siehe  diesen 
Schon  die  lateinische  Sprache  ent-  Artikel.  Beide  Verse,  den  zehu- 
wickelte  aus  dem  konkreten  Aus-  wie  den  zwölfsilbigen  verknüpft  ein 
drucke  res  gestae  eine  in  der  alt-  und  dieselbe  Assonanz  oder  ein  und 
christlichen  Litteratur  häufig  ge-  derselbe  Reim  eine  unbestimmte 
brauchte  neutrale  Pluralform  gesta,  Reihe  von  Zeilen  hindurch  ohne 
da*  nicht  mehr  bloss  Thaten,  Hand-  Unterbrechung,  bis  der  Dichter  zu 
lungen,  Verhandlungen,  sondern  auch  einer  andern  Assonanz  oder  einem 
Aurzeichnungen  bedeutet,  parallel  andern  Reim  übergeht;  man  nennt 
dem  Worte  aeta.  dem  nun  vorwiegend  die  Absätze  tirades  monorimes.  In 
die  geistliche  Sphäre  in  Acta  aj?o-  ihrem  Entwicklungsgange  lassen  sich 
ttoforum,  Martyrum,Sanctorum,Con~  drei  Hauptstufen  der  Chanson*  de 
ciliorum  u.  cfgl.  überlassen  wird,  geste  unterscheiden.  Die  erste  Peri- 
während  gesta  überwiegend  die  weit-  ode  charakterisiert  sich  durch  eiu 
liehe  und  im  engern  Sinne  die  heroi-  trotziges  Vasallentum,  die  Roheit 
sehe  Sphäre  behauptet.  Zuletzt  und  Selbstsucht  des  fränkischen 
wandelt  es  sich  mittellateinisch  in  Heldentums,  den  Hader  der  Stämme 

Resllwloon  der  deutschen  Altertümer.  19 


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290 


Gesta  Romanorum.  —  Glasmalerei. 


und  der  Familien.  Mit  Philipp  August 
und  den  Kreuzzügen  wannein  sieh 
die  Chanson*  de  (jeste  zu  christlich- 
ritterlichenEpen  um,ein  opferwilliges, 
ideales  Rittertum  kämpft  für  den 
Glauben.  Karl  und  seine  Paladine, 
darunter  besonders  Roland,  sind 
frommt-  Glaubenshelden,  alle  Feinde 
Heiden,  d.  h.  Muhamedaner.  Seit 
der  Mitte  des  13.  Jahrh.  beginnt 
die  dritte  Periode.  Aus  den  Artus- 
roinanen  dringen  Riesen,  Zwerge, 
Feen,  Minne  und  Galanteric,  eine 
subjektive  und  willkürliche  Behand- 
lung in  diese  bis  dahin  streng  episch 
gehaltenen  Heldengedichte.  Was 
von  diesen  Dichtungen  am  Ende  des 
Mittelalters  nicht  gänzlich  in  Ver- 
gessenheit gerät,  löst  sich  in  pro- 
saische Form  auf  und  geht  in  Volks- 
bücher über.  Nach  Zacher  in  Ersch 
und  Gruber,  Art.  Gesta. 

Gesta  Romanorum  heisst  eine 
im  späteren  Mittelalter  weit  ver- 
breitete Sammlung  von  moralisierten 
Parabeln,  Fabeln  und  Erzählungen, 
die  um  das  Jahr  1472  zuerst  in 
lateinischer  Sprache,  1489  in  deut- 
scher und  oft  in  englischer  Sprache 
gedruckt  erschien.  Nach  den  Unter- 
suchungen Oesterley's  liegt  die  Ent- 
stehung der  Gesta  Komanorum  darin, 
dass  zu  einer  Zeit,  zu  der  das  Fremd- 
artigste und  Widerwilligste  morali- 
siert, d.  h.  in  einem  geistlichen  oder 
christlichen  Sinn  gedeutet  zu  werden 
pflegte,  wirklieh  Erzählungen  aus 
der  römischen  Geschichte,  oder  viel- 
mehr Stücke  aus  römischen  Schrift- 
stellern, wie  sie  schon  seit  langer 
Zeit  zu  Predigtzwecken  gesammelt 
waren,  auch  lediglich  zum  Zwecke 
der  Moralisierung  zusammengestellt 
und  früher  oder  später  mit  uer  Be- 
zeichnung Historia  oder  Gesta  Ro- 
manoruin morat'tzafa  oder  ähnlichem 
versehen  wurden.  In  ein  solches 
Grund  werk  wurden  zuerst  Parabeln 
eingefügt  oder  angehängt,  welche 
einer  geistlichen  Auslegung  sich 
leicht  anschmiegten;  dann  nahm 
man  nach  Neigung  oder  Gelegenheit 


Stücke  auf,  welche  zum  Besten  der 
Moralisation  umgestaltet  wurden, 
und  endlich  erfand  man,  oft  unge- 
schickt genug,  Erzählungen  lediglich 
zum  Zwecke  ihrer  geistlichen  I)eu- 
1  tung.  Schliesslich  fanden  auch  blosse 
Mönchs-  und  Heiligengeschichten 
ohne  Moralisatiou  einen  Platz,  und 
!  endlich  kehrte  sich  das  ganze  Ver- 
hältnis um,  so  dass  die  Erzählungen 
in  den  Vordergrund  traten  und  die 
Moralisationen  Nebensache  wurden. 
Es  ist  wahrscheinlich,  aber  nicht 
unwiderleglich  beweisbar,  dass  die 
Gesta  RanHtnorum  in  England  ent- 
standen sind;  doch  könnte  das  Werk 
auch  bloss  in  England,  und  zwar 
aus  Deutschland,  eingeführt  und  er- 
weitert worden  sein.  Der  Name 
des  ersten  Verfassers  oder  Sammlers 
ist  nicht  mehr  nachzuweisen,  die 
Zeit  der  Abfassung  ist  gegen  Ende 
des  13.  Jahrh.;  ohne  Zweifel  haben 
Predigermönche,  wenn  nicht  an  der 
Abfassung,  so  doch  an  der  Fort- 
bildung und  Verbreitung  des  Buches 
Anteil.  Inhaltlich  sind  die  einzelnen 
Erzählungen  kitzliche  Rechtfälle, 
gewandte  Antworten,  listige  und 
schalkhafte  Streiche,  Ehegeschichten 
und  andere  Vorfälle  des  täglichen 
Lebens,  auch  legendarische  Stoff»1, 
und  bald  treu  erhaltene,  bald  wun- 
derlich entstellte  Anekdoten  und  Er 
Zählungen  aus  der  alten  Geschichte 
und  Mythologie,  sowie  aus  der  klassi- 
schen Geschichte,  herrührend  au* 
klassischen,  orientalischen  und  abend- 
ländischen Quellen.  Daa  Buch  Ut 
vor  der  Reformation  ausser  in  den  ge- 
nannten in  französischer  und  nieder- 
ländischer Sprache  gedruckt  worden: 
infolge  der  Reformation  und  der 
Verbreitung  klassischer  Studien  ge- 
riet  es  allmählich  in  Vergessenheit- 
Kritische  Ausgabe  von  Herma** 
Oesterley,  Berlin,  1872;  deutsche 
Übersetzung  von  Grässe,  1847. 

Gilde,  siehe  Zunftwesen. 

Glasmalerei.  —  Die  Kunst  der 
Glasbereitung  wurde  im  Altertum 
schon  in  umfassender  Weise  betrie- 


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Gl  asraalerei. 


291 


ben,  zunächst  zur  Verfertigung  von  den  sei,  sodass  jetzt  die  Sonne  durch 
kleinen    Gegenständen,    Gelassen,  das  bunte  Glas  von  Gemälden  scheine, 
Schmucksachen  u.  dgl.    Doch  ver- 1  pflegte  man  früher  den  Ruhm  dieser 
standen  sich  schon  die  Römer  auch  1  Erfindung  Deutschland  zuzuschrei- 
auf  die  Fertigung  von  Tafelglas,  das  ben,  um  so  mehr,  als  bald  nachher 
sie  neben  dekorativen  Zwecken  auch  in  Tegernsee  einer  Glashütte  gedacht 
zum  Verschlusse  der  Fenster  brauch-  wird ,  die  für  auswärtige  Besteller 
ten.    In  den  wärmeren  südlichen  Arbeiten  lieferte.  Ob  das  nun  aber 
Gebenden  war  aber  das  Bedürfnis  wirkliche  Glasgemälde  waren  oder 
nach  einer  möglichst  lichtreichen  Be-  bloss  nach  Art  der  Mosaiken  aus 
fensterung  geringer  als  in  den  nörd-  einfarbigen    Stücken  zusamrnenge- 
licheu  Ländern.    Hier  kam  daher  setzte  Muster,  lässt  sich  nach  dem 
die  Sitte,  die  Fenster  mit  Glas  zu  allgemeinen  Ausdrucke  des  Brief- 
verschliessen,  ohne  Zweifel  zeitiger  steilere,  per  dUcolaria  pirturaruM 
auf.   Im  5.  Jahrhundert  erhält  eine  vitra,  nicht  mehr  bestimmen.  Da- 
zu Lyon  erbaute  Kirche  Glasfenster;  gegeu  spricht  eine  andere  Nachricht 
in  St.  Gallen  waren  im  9.  Jahrhuu-  aus  derselben  Zeit  unzweideutig  von 
dertdie  Klosterkirche  und  die  Schreib-  Glasgemälden,  dass  nämlich  der  neu- 
stubemitdurchsichtigen  Glasfenstern  gewählte  Erzbischof  Adalbert  von 
versehen  und  wird  ein  Glasmacher  Rheims  (gest.  989)  seine  Kathedrale 
Strachoifus  erwähnt.    Da  man  in  mit  Fenstern  habe  schmücken  lassen, 
dieser  Zeit  das  Glas  nur  in  kleinen  auf  denen  verschiedene  Geschichten 
Stücken  zu  bereiten  verstand,  so  gemalt  waren.    Da  nun  ausserdem 
konnte  der  Verschluss  einer  grösseren  etwas  später  als  geschirkter  Glas- 
Üfrhung  nur  aus  einzelnen  Partikeln  maier  Rogerus  von  Rheims  erwähnt 
zusammengesetzt  werden;  farbloses  wird,  in   Frankreich  die  ältesten 
Glas  war  seltener  und  schwerer  zu  Werke  dieser  Technik  erhalten  sind 
beschaffen  als  das  farbige,  und  man  und  der  Presbyter  Theophilus  aus 
muss  sich  darum  den  gläsernen  Fen-  dem  12.  Jahrhundert,  ein  Deutscher, 
sterverschluss  der  ältesten  Kirchen  in  seinem  Werke  ScheduJa  diver- 
von  vornherein  buntfarbig  vorstellen,  sarum  arHum,  worin  der  Glasmalerei 
Diese  Umstände  führten  von  selbst  ein  besonderes  Buch  gewidmet  ist, 
darauf,  dass  man  die  ungleichen  die  besondere  Fertigkeit  der  Fran- 
bunten  Glasteile  nicht  regellos  neben-  zosen  in  der  Glasmalerei  hervorhebt, 
einander  fügte,  sondern  dieselben  so  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  die 
nach  ihren  verschiedenen  Farben  und  Glasmalerei  in  Frankreich  und  nicht 
Formen  zum  harmonischen  Spiele  in  Deutschland  erfunden  und  zuerst 
zu  vereinigen  trachtete,  zu  Mustern  ausgebildet  worden  ist.    Ihr  Haupt- 
ähnlich denen,  welche  die  Mosaiken  sitz  war  die  Normandie  und  die  Um- 
an  Wänden  und  Fussböden  zeigten,  gegend  von  Paris.  Die  ältesten  be. 

Zur  eigentlichen  Glasmalerei  be-  kannten  Fenster  des  12.  Jahrhunderts 
durfte  esaber  der  Vereinigung  zweier  waren  die,  welche  Graf  Foulaues  V. 
Farben  auf  einem  und  demsWben  von  Anjou  und  seine  Gemahlin  für 
Stücke!,  der  Erfindung  einer  Schmelz-  die  von  ihnen  1121  erbaute  Abtei 
färbe,  die  sdch  im  Feuer  durch  einen  Loroux  bei  Vcrnantes  malen  Hess; 
chemischen  Prosess  mit  dem  Lokal-  sie  enthielten  die  Bildnisse  der  Stifter 
ton  verband.  Gestützt  auf  ein  Schrei-  zu  den  Füssen  der  heiligen  Jungfrau 
ben  des  Abtes  Gozbert  von  Tegcrn-  und  sind  erst  in  diesem  Jahrhundert 
see  (  982—1001),  in  welchem  dieser  zu  Grunde  gegangen.  Die  Zahl  der 
dem  Grafen  Arnold  für  die  Fenster  in  Frankreich  aus  dem  18.  Jahr- 
flankt, mit  denen  durch  sein  Zuthuu  hundert  erhaltenen  Glasgemälde  ist 
die  Klosterkirche  geschmückt  wor-  sehr  gross.     Die   Kathedrale  von 

19' 


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292  Glasmalerei. 


Bourges  hat  allein  183  gemalte  Fen-  vorwiegend.  Auch  das  farblose  Glas 

ster.    Von   Frankreich  drang  die  wurde  jetzt  häufiger  und  billiger  ab 

Kunst  zuerst  nach  England,  dann  das  gefärbte,  und  man  verband  min 

nach  Deutschland,  wo  zwar  nur  die  nicht  allein  grosse  rote  und  weisse 

Glasgemälde  im  Dom  zu  Augsburg  Flächen,  sondern  man  erfand  die 

noch  aus  dem  12.  Jahrhundert  zu  G risaif/e, d.h. die  grauweisse  Malerei 

stammen  scheinen;  dem  18.  Jahr-  mit  einer  grauen  oder  schwarzen 

hundert  gehören  die  Chorfeuster  der  Farbe  auf  wasserhellem  Glase;  chV- 

im  Jahre  1208  eingeweihten  Kuni-  selbe  wurde  meist  zu  arabesken- 

bertskirche  in  Köln  an.  Von  Deutsch-  artigen  Mustern  verwendet  und  be- 

land  aus  seheint  gegen  die  Mitte  des  deckte  oft  ganze  Fenster;  auch  be- 

13.  Jahrhundert*   die  Glasmalerei  diente  man  sieh  ihrer  etwa  zum  Hin- 

nach  Italien  verpflanzt  worden  zu  tergrunde  für  farbige  Bilder  und 

sein;  die  ältesten  in  Italien  gemalten  Figuren.  Besonders  die Cisterzienser. 

Fenster  sind  diejenigen  der  Kirche  deren  Regel  gemalte  Fenster  verbot. 

S.  Franzesko  zu  Assisi,  von  einem  bedienten  sich  der  Grisaille.   In  der 

deutschen  Meister  Jacob  verfertigt.  Anordnung  der  Glasgemälde  nnter- 

Die  Technik  der  Glasmalerei  war  scheidet  man  den  romanischen  und 
bis  zum  11.  Jahrhundert  noch  sehr  den  gotischen  Stil, 
einfach.  Das  Fenster  wurde  aus  Die  Fenster  romanischen  Stile» 
kleinen,  farbigen  Glasstücken  zu-  enthielten  Muster,  die  sich  in  der 
sammengesetzt,  die  man  nach  der  Regel  in  den  durch  die  eiserneu 
Vorzeichnuug  zuschnitt,  so  dass  die  Querriegel  des  Feusters  gebildeten 
Umrisse  durch  Bleistreifen  gebildet  Abteilungen  wiederholten.  Oft  hatte 
waren;  die  Malerei  beschränkte  sich  ein  Feld  in  der  Mitte  entweder  eiu« 
auf  Umrisse  und  Schattierungen  mit  Rosette,  häufig  mit  fratzenharten 
einer  schwarzen  Farbe,  die  man  aus  Tiergestalten,  oder  ein  Schild  mit 
Kupferasche  mit  einem  Zusätze  von  einer  historischen  oder  symbolischen 
grünem  und  blauem  Glase  bereitete.  Darstellung.  Diese  Schilder  waren 
Das  Einbrennen  dieser  Schmelzfarbe  meist  rund,  auch  viereckig  mit  kreis- 
erfolgte in  einem  sehr  unvollkomm-  förmigen"  Ausbauchungen,  seltener 
nen  Ofen;  Zeichnen,  Glasschneiden,  von  der  ovalen  oder  oben  zugespitzten 
Malen,  Brennen  und  Zusammensetzen  Mandel-  oder  Fischblasenform.  Da- 
der  Fenster  war  gewöhnlieh  in  der  ganze  umgab  eine  Kante  mit  Ara- 
Hand  eines  Künstlers  vereinigt.  beskenvonBlumen,Verschlingiingen, 

Der  Stil  der  Glasgemälde  ent-  Wappen  u.  dgl.  gebildet.  Ein  sol- 
wickelte  sich  in  dieser  Periode  teils  ches  Fenster  erinnerte  an  die  Tep- 
dureh  die  Vervollkommnung  der  piche,  mit  deÄen  früher  die  Fenster 
Glastechnik,  teils durchdie Beziehung  verhängt  wurden.  Der  Inhalt  der 
zum  Baustil e.  Die  Verbesserung  in  Schilder  war  eine  Erläuterung  der 
der  Technik  bestand  darin,  dass  die  Predigt  oder  bestimmt,  der  religiösen 
einzelnen  Glasstücke  allmählich  Betrachtung  zu  Hilfe  zu  kommen; 
grössere,  gleichfarbige  Flächen  wur-  eine  bedeutende  künstlerische  "YVir- 
den  und  eine  Unterbrechung  durch  kung  ging  von  diesen  Fenstern  noch 
Bieistreifen  seltener  eintrat  und  dass  nicht  aus.  In  manchen  Kloster- 
die  Kombination  der  Farben  sich  aus-  kircheu  war  das  ganze  Gebiet  dir 
bildete.  In  der  ältesten  Zeit  herrschte  scholastischen  Lehre:  Geschichte, 
ein  dunkles,  blaues  Glas  vor,  Saphir  Theologie,  Astronomie,  Physik.  Mo- 
genannt,  mit  dem  man,  gewöhnlich  sik  und  Philosophie  in  don  Schilden« 
sehr  unharmonisch,  grün  und  gelb  versinnlicht.  Auch  in  spätem  goti- 
zusammen.stellte;  seit  dein  13.  Jahr-  sehen  Bauwerken  finden  sich  solche 
hundert  wird  ein  schönes  rotes  Glas  altertümliche  Gla^fenster,  teils  neben 


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Glasmalerei. 


293 


Fenstern  gotischen  Stiles,  teils  ab-  gründe,  der  oft  einfarbig  ist,  oder 

sichtlich  als  Umgebung  derselben,  den  Sternenhimmel  darstellt  oder  das 

um  das  Mittelfenster  um  so  glänzen-  Muster  eines  Teppichs  enthält,  der 

der  hervortreten  zu  lassen.  die  Rückwand  zu  behängen  scheint. 

Die  fiotik  forderte  in  noch  weit  Allmählich  gehen  die  Baldachine  in 
höherm  Masse  zur  Anwendung  der  die  Form  der  gotischen  Tabernakel- 
Glasmalerei  auf.  In  den  ältern  ro-  krönungen  mit  einem  snitzen  Giebel 
manischm  Kirchen  hatte  man  Wände  und  zwei  schlanken  Filialen  über, 
und  Decken  bemalt  mit  grossen,  zu-  sodass  der  Stil  der  Glasfenster  sich 
sammen  hängenden  Bilderserien,  die  jetzt  in  der  vollkommensten  Harmonie 
oft  den  ganzen  Inhalt  der  biblischen  mit  dem  des  gotischen  Kirchbaues 
Geschichten  erschöpften.  Als  der  befindet.  Unter  den  turmartigen 
gotische  Stil  die  Wände  so  viel  wie  Baldachinen  prangten  die  kolossalen 
möglich  durchbrach,  den  ganzen  Bau  Gestalten  der  Propheten,  Apostel, 
in  Hn  Gerüste  von  schlanken  Stützen  Evangelisten,  Heiligen  und  Dona- 
mit  weiten  Bögen  und  kühn  gespann-  toren,  besonders  der  Fürsten  und  Bi- 
ten  Wölbungen  auflöste,  ging  der  schöfe;  zuweilen  baute  man  in  einem 
malerische  Schmuck  von  deu  Wän-  Fenster  mehrere  Stockwerke  von 
den  und  Decken  auf  die  zahlreichen  Tabernakeln  übereinander  auf  oder 
und  grossen  Fenster  über,  welches  vereinigte  in  anderer  Weise  Systeme 
um  so  erwünschter  war,  als  die  Fülle  von  Baldachinen.  Türmen  und  Filia- 
des von  überall  herzuströmenden  len,diesich  nach  oben  in  das  steinerne 
Lichtes  notwendigerweise  einer  sauf-  Masswerk  verliefen.  Die  figuren- 
ten  Milderung  bedurfte.  Auch  die  reichen  biblischen  Geschichten  und 
Art  der  gotischen  FenBtergliederung  Heiligen  legenden  verwies  man  in 
war  für  die  Anbringung  und  stih-  den  untersten  Teil  der  Fenster.  Die 
stische  Ausbildung  der  Glasgemälde  Zusammenstellung  der  Farben  wurde 
eine  besonders  günstige.  Der  Raum  immer  glänzender  und  im  besondern 
zwischen  den  senkrechten  Stäben,  die  früher  unbekannte  rosenrote 
den  Pfosten  oder  Sprossen  gab  die  Fleischfarbe  gewöhnlich  durch  farb- 
Flächen  für  die  grossem  figürlichen  loses  Glas  ersetzt.  ,,Die  Malerei 
Darstellungen,  während  die  Mass-  war  in  den  gotischen  Kirchen  von 
werke  ebensosehr  zur  ornamentalen  den  immer  mehr  eingeschränkten 
Ausstattung  oder  zur  Anbringung  Mauerwänden  und  von  den  mit  so- 
erläuternden  Beiwerkes  geeignet  genannten  alten  und  jungen  Dien- 
waren, sten  umgebenen  Pfeilern  gewichen 

Der  Übergang  zum  gotischen  Stile  und  fast  auf  die  Fenster  einge- 
wird  durch  das  Verdrängen  der  schränkt,  hier  aber  erschien  sie  in 
blauen  Gründe  durch  Rot  und  durch  einem  neuen  Und  wundervollen, 
di««  reichere  Entwicklung  der  ein-  fast  überirdischen  Zauber  und  ent- 
zelnen  Schilder  vorbereitet.  Das  sprach  allen  ästhetischen  Anfor- 
Teppicbinuster  wurde  bloss  noch  als  derungen  auf  eine  unübertreffliche 
Hintergrund,  daun  als  Bordüre  bei-  Weise.  In  dem  neuen  Stile  der 
behalten.  An  Stelle  der  Schilder  gemalten  Fenster  war  ganz  und 
treten  einzelne  grössere,  sogar  kolos-  gar  der  geistige  Gedanke,  die  Idee 
sale  Figuren.  Diese  erscheinen  zu-  ausgesprochen,  auf  welcher  die  Ent- 
erst in  einzelnen  grossem  Feldern  Wickelung  des  Kircheubaucs  zur 
der  Teppiche,  dann  selbständiger,  gotischen  Form  beruht«'.  Wie  der 
zuweilen  nur  in  dem  untem  Teile  ganze  gotische  Bau  mit  seinen 
der  Fenster,  bald  stehend,  bald  auf  hiinmelanstrebenden  Wölbungen,  so 
Thronen  Bitzend,  unter  Baldachinen  erhoben  diese  Fenster  den  Blick 
oder  in  Stühlen,  vor  einem  Hinter-  und  die  Gedanken  über  das  Irdische, 


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294 


Glasmalerei. 


indem  sie  das  Himmlische  in  seinem 
vollsten  Glänze  hereinströmen  Hessen, 
ohne  dass  sie  das  Auge  verlockten, 
von  dem,  was  da  drinnen  vorging, 
sich  anzuwenden,  um  der  Aussen- 
welt  zu  gedenken.  Der  Künstler 
dachte  nicht  mehr  daran,  durch 
den  Inhalt  seiner  Darstellungen 
das  Volk  zu  belehren,  er  wollte 
den  Andachtigen  die  Anschauung 
des  Himmelreichs  und  der  Hei- 
ligen entgegenbringen,  und  sie  in 
die  Stimmung  versetzen,  dass  sie 
den  Schöpfer  m  seinen  Werken  prei- 
sen mussten.  Aber  noch  in  einer 
andern  Hinsicht  waren  die  Glas- 
gemälde  eine  notwendige  Ergänzung 
des  gotischen  Baustils.  Die  reichen 
Formen  des  letztern  mit  ihren  zahl- 
losen Einbuchten  und  Auskehlungen 
vertragen  keine  Beleuchtung  durch 
ungedämpftes  Sonnenlicht,  und  erst 
die  farbigen  Glas  tafeln  gewährten 
dem  Innern  dieser  Kirchen  jene  ge- 
mässigte, gleichförmige  Erleuchtung, 
die  allein  diesem  vielgliederigen  Stile 
angemessen  ist.  Dazu  kam  noch, 
dass  selbst  die  Unvollkommenheit 
der  Teehnik  eine  der  Grossartigkeit 
des  Baustiles  entsprechende  Behand- 
lung der  Glasfarben  mit  sich  brachte. 
Es  war  ebenso  unmöglich,  die  Blei- 
linien mit  der  Feinheit  und  Weich- 
heit zarter  und  gefalliger  Umrisse 
zu  führen,  als  den  Farben  eine  voll- 
endete malerische  Ausfuhrung  zu 
geben.  Dadurch  aber  war  man  zu 
einer  Behandlungsweise  genötigt, 
welche  bei  der  Grösse  und  Höne 
der  Fenster  und  dem  ernsten  In- 
halte des  kirchlichen  Bildwerkes  die- 
sem einen  würdigen  monumentalen 
und  wahrhaft  religiösen  Charakter 
sicherte.*4  Unger. 

Seit  dem  14.  Jahrh.  fand  ein  be- 
deutender Umschwung  in  der  Glas- 
malerei statt.  Und  zwar  sind  es  in 
erster  Linie  die  technischen  Fort- 
schritte, die  eine  Änderung  des  bis- 
herigen Systems  bedingten.  Noeh 
in  der  ersten  Hälfte  des  14.  Jahrh. 
begnügte  sich  der  Glasmaler  mit 


einem  mosaikartigen  Gefüge 
seiner  Stücke,  deren  jedes  in  der 
Regel  nicht  mehr  als  zwei  Farben, 
den  Lokalton  und  das  aufgebrannte 
Sehwarzlot  vereinigte:  nur  selten 
kam  dazu  eine  zweite  Auffragfarbe, 
das  sogenannte  Kunstgelb.  Die 
letztere  Farbe  pflegte  man  erst  nach 
der  Mitte  des  14.  Jahrh.  in  umfang- 
reicherem Masse  zu  verwenden.  Dazu 
kommt  die  Erfindung  des  Uberfarnff- 
fflases,  das,  erst  nur  rot,  in  der  Weise 
bereitet  wurde,  dass  man  diese  Farbe 
auf  die  weisse  Glasplatte  aufschmolz. 
Sie  bildete  so  eine  zweite  Lag»',  die 
beliebig  durch  Ausschleifen  entf»*rnt 
werden  konnte.  Kam  dann  wieder 
der  farblose  Grund  zum  Vorschein, 
so  konnte  man  mit  Hilfe  von 
Schwarzlot  und  Kunstgelb,  vier  Kar- 
ben auf  einer  und  derselben  Platte 
vereinigen.  Vermittelst  des  Kunst- 
gelbes erzielte  man  auf  blauem  Gla-s 
Grün,  das  früher  in  besondere  Par- 
tikel gefasst  werden  musste.  So  wurde 
dem  Künstler  ermöglicht,  -.mr 
Partien  ohne  die  Anwendung  der 
bleiernen  Mittelstücke  zu  kolorieren 
und  die  Schattierung  mit  aller  Aus- 
führlichkeit zu  behandeln. 

In  zweiter  Linie  war  es  di«-  im 
14.  Jahrh.  auf  allen  Gebieten  der 
Kunst  zur  Herrschaft  gelangte  Hin- 
neigung zum  Realismus  der  Natur, 
was  den  Gang  der  Glasmalerei  be- 
einflusste.  Wahrem!  aber  bei  der 
ältern  Auflassung  der  Künstler,  durch 
die  Schranken  der  Technik  seiner 
Kunst  dazu  bewogen,  seine  Gestalten 
und  Szenerien  in  dekorativer  Unter- 
ordnung mit  teppich artiger  Umge- 
bung dargestellt  hatte,  trieben  die 
beiden  genannten  Fortschritte  der 
Technik  und  der  künstlerischen  Auf- 
fassung den  Glasmaler  in  Gebiete, 
die  ausser  der  Natur  seines  Stoffe« 
und  seiner  Farben  lagen.  Infolge 
dessen  verwilderte  einmal  die  Kom- 
position, indem  sich  der  Künstler 
gezwungen  sah,  ausführlichere  Sze- 
nen entweder  in  einem  unverhält- 
nismüssig  kleinen  Massstabe  herzu- 


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Glasmalerei. 


295 


stellen  oder  dieselben  in  der  Weise 
auszudehnen,  dass  sie  ohne  Rück- 
sieht  auf  Inhalt  und  Formen  dureh 
die  steinernen  Pfosten  geteilt  und 
zerrissen  wurden.  Sodann  litt  unter 
diesem  einseitigen  Realismus  die 
früher  bestandene  hohe  Farbenhar- 
mouie,  da  die  Farben  jetzt  nicht 
mehr  wie  früher,  mit  vorherrschen- 
der Rücksicht  auf  das  Ganze  ge- 
wählt werdeu  konnten,  sondern  ein- 
seitig von  der  Natur  des  gewählten 
Gegenstandes  abhingen. 

in  Zusammenhang  damit  steht 
die  veränderte  Stellung  der  Künst- 
ler und  der  gesellschaftliehen  Zu- 
stände überhaupt.  Noch  im  13.  Jahrb. 
hatte  es  Meister  gegeben,  welche 
die  universellsten  Kenntnisse  be- 
gasten und  in  allen  Richtungen  der 
Kunst  bewandert  waren;  das  spätere 
Mittelalter  spaltete  infolge  der  er- 
höhten Anforderungen  der  vielseiti- 

fen  Technik  die  Einheit  des  Kunst- 
etriebes  und  wies  dem  einzelnen 
bloss  noch  einen  beschränkten  Wir- 
kungskreis an;  der  einzelne  aber 
wandte  sich  nunmehr  kleinereu 
selbständigen  Arbeiten  zu,  die  sich 
gleich  den  Tafelg«'inälden  rasch  und 
ohne  den  Aufwand  allgemeiner  Stu- 
dien vollenden  Hessen.  Auch  die 
Nachfrage  kam  solchen  kleinereu 
Arbeiten  entgegen,  und  während  die 
Glasmalerei  bis  zum  14.  Jahrb.  fast 
ausschliesslich  im  kirchlichen  Dienste 
gestanden  hatte,  liisst  sie  sich  jetzt 
ebensogern  zu  weltlichen  Zwecken 
brauchen,  zum  Sehmucke  der  Wohn- 
häuser und  Profanbauten  überhaupt. 
Daher  erklärt  sich  auch,  dass  man 
seit  dem  15.  Jahrb.  viel  häufiger 
als  früher  den  Namen  von  Glas- 
malern begegnet.  Besonders  die 
Vorliebe  für  heraldische  Zierden 
gab  zu  profanen  Sehildereien  An- 
stoss.  Hatten  schon  früher  einzelne 
Donatoren  ihre  Wappen  in  die  Glas- 
fenster anbringen  lassen,  so  wollten 
jetzt  immer  häufiger  einzelne  Kor« 

Ctionen.  Zünfte,  Bnidersehaften, 
orragende  Familien  ihre  Teil- 


nahme an  den  grossen  kirehliehen 
Bauten  dureh  die  Stiftung  eigener 
Kapeljen  bezeugen,  an  denen  mau, 
zum  Arger  der  Geistlichkeit,  heral- 
dische Zierden  anbrachte.  Endlich 
verlangte  seit  dem  15.  Jahrh.  auch 
das  bürgerliche  Wohnliaus  sein  ge- 
maltes Fenster,  sodass  dieses  bald 
in  Rathäusern,  Zunftsälen.  Schützeu- 
häuseru,  Schlössern  und  bürgerlichen 
Wohnungen  ein  allgemein  üblicher 
Schmuck  wurde.  Nur  ausnahmsweise 
wurden  mehrere  solcher  Glasfenster 
zu  Cyklen  ausgearbeitet;  doch  war 
von  einem  einheitlichen  Charakter 
derselben  kaum  zu  sprechen.  Der 
gewöhnliche  Inhalt  der  gemalten 
Wappenseheiben  besteht  aus  einer 
einfachen  Zusammenstellung  von 
Wappeu  und  Einzelfiguren,  welch' 
letztere  entweder  mit  persönlicher 
Beziehung  auf  die  Person  des  Stifters 
dessen  Schutzheiligen,  oder,  neben 
deu  Wappen  von  Städten  und  Stän- 
den, deren  Herolde  und  Fahnen- 
träger darstellen.  Auch  Wappen- 
tiere, wilde  Männer  und  Walafrau- 
lein vertraten  zuweilen  die  Stelle 
der  Schildhalter,  oder  eine  Dam«*, 
die  in  graziöser  Stellung  und  pomp- 
haft gekleidet  das  Kleinod  oder  die 
Helmzierde  umfasst.  Alle  diese 
Darstellungen  heben  sieh  von  einem 
bunten,  grau  oder  schwarz  geflamm- 
ten Damaste  ab.  Das  Ganze  um- 
rahmt, bald  weiss,  bald  violett  oder 
gelb,  eine  stichbogige  Architektur, 
von  Pfeilern,  Säulen  oder  knorrigen 
Stämmen  getragen,  umrankt  von 
Blattornamenten,  welche  die  oberen 
Zwickel  füllen,  oder  es  tritt  au  die 
Stelle  dieser  Ornamente  eine  Jagd- 
oder Kampfszene,  die  grau  in  grau 
mit  gelber  Auftragfarbe  gemalt  ist. 

In  dieser  Zeit  kam  es  nur  noch 
ausnahmsweise  vor,  dass  der  Glas- 
maler seine  Entwürfe  selber  zeichnete 
oder  »visierte";  die  Regel  wurde, 
dass  der  eiue  die  Visierung  machte, 
der  andere  sie  in  Glas  ausführte. 
Auch  Ölgemälde  und  Holzschnitte 
wurden  auf  Glas  kopiert,  wobei  es 


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296  Glaubensbekenntnis.  —  Glocke. 


als  Glücksfall   zu  betrachten   ist,  Sym?»rfu»tQuicuttyue%enthä\t\n&toxi 

wenn  die  Wahl  auf  Bilder  fiel,  die  und  bestimmt  ausgesprochenen  The- 

sieh  vermöge  ihrer  Zusammensetzung  sen  und  Antithesen  die  orthodoxe 

aus  wenigen   Figuren    für   solche  Lehre  von  der  Dreieinigkeit  und  dtT 

Übertragung  eigneten,  wie  z.  H.  die  Menschwerdung  Gottes,  wie  dieselbe 

Holzschnitte  der  Bihlia  Paupern m.  auf  Grund  des  Konzils  zu  Chalkedoo 

Das  Überhandnehmen  der  Re-  (481)    im    Abendland  ausgebildet 

naissance  und  des  Protestantisinus  wurde.    Es  rührt  also  nicht  von 

förderten  den  Verfall  der  Glasraale-  Athanasius  (gest.  373»  her,  gieht 

rei,  nachdem  dieselbe  schon  durch  auch  dessen  Lehre  keineswegs  ^enau 

Ausserachtlassen  ihrer  natürlichen  wieder  und  ist  überdies  in  lateinischer 

Bedingungen  und  Grenzen  von  ihrer  Sprache   abgefasst.    E*    wird  mit 

einstigen  Höhe  herabgesunken  war.  Sicherheit  zum  ersten  Mal  bei  C;isa- 

In  den  Niederlanden,  wo  die  Glas-  rius  von  Arles  im  6.  Jahrh. genannt, 
maierei  unter  dem  Einflüsse  der  Ru- .  Wich  Hol fztmtnn  und  Zövffel\ /Lexika 

hens'schen  Malerschule  noch  einmal  für  Theologie  und  Kirchenweseii 

zu  einer  Art  Blüte  kam,  galt  diese  Leipzig,  1882.    Beide  Bekenntnis 

Kunst  in  der  Mitte  des  17.  Jahrh.  gehörten  zu  den  KateclusmusstückeiL 

als   erloschen.     In    Böhmen   war  welche    seit    750    in  altdeutscher 

schon  1617   kein  Glasmaler  mehr.  Sprache  vielfach  teils  einzeln,  teils 

Beschädigte  Fenster  flickte  man  mit  in  längeren  katechetischen  Haud- 

weissem  Glase  oder  reduzierte  die  büchern  aufgezeichnet  wurden.  Sie 

Gemälde.  Dagegen  kam  im  17.  Jahrh.  finden  sich  sämtlich  in  MüUtnhJi 

eine   Malerei  hinter  Glas  auf,  die  und  Scherers  Denkmälern, 
als  Möbel-    oder  Wanddekoration       Glocke,  mhd.  (jlocke.  fffogat,  ahi 

verwandt  wurde.    Baiin,  Bildende  kloccajfflofffta,  aus  mitteilst.  (S.Jahrb  ^ 

Künste  in  der  Schweiz.  —  ('»(fr  die    elocca ,    clora  «s  Kirchenelock', 


in  Ersch  und  Gruber,  Artikel  Glas- 
malerei. —  Pucher,  Geschichte  der 


welches  zu  ahd.  cluccho»  -  klopfen, 
anschlagen  zu  gehören  scheint.  H«- 


technischen    Künste.    —    Wacker-  qan  d.   Die  Überlieferung  macht  Jen 

nagel,  Die  deutsche  Glasmalerei.  Bischof  Paulinus  in  Nola  ilat.  »  ^ 

Glaubensbekenntnis,  apt>*toli-  —  Schelle i  in  Campanien  tcot»}*** 

scheu    uml    athana&ianUekes.    Das  =  Glocke  »  um  40O  zum  Erfinder  der 

apostolische      Glaubensbekenntnis,  Glocken,  was  eine  etymolocisol* 

auch  Credo  oder  der  Glaube  genannt,  Spielerei  ist.    Erwähnt  wird  <** 

hat  seinen  Namen  von  der  zuerst  Instrument  zuerst  unter  der  Bezeitb- 

bei  Ambrosius  und  in   erweiterter  nung  signum  im  6.  Jahrhundert  » 

Gestalt  bei  Rufinus  (4.  Jahrh.)  siel»  den  Schriften  des  Gregor  von  Tonr*. 

findenden  Sage,  wonach  die  Apostel  und  man  nimmt  an,  dass  es  zwei* 

zu  Jerusalem  kurz  vor  ihrer  Trennung  durch  irische  und  britische  Missionen 

dasselbe  als  gemeinsame  Lehmorm  in  Deutschland  bekannt  worden 

und TaurYormel  verfasst  haben  sollen,  wahrscheinlich  hatte  sich  der  G* 

Entstanden  ist  es  aus  der  allmählichen  brauch  von  Klingeln,  welcher«* 

Erweiterung  der  TaurTormcl,  war  die  alten  Reimer  als  häusliche  Weckv 

schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  2.  wohl  auch  als  öffentliche  Versa»»- 

Jahrh.  seinem  wesentlichen  Gehalt  lungszeiclien  bedienten,  ohne  Unter* 

nach  das  Bekenntnis  der  römischen  brechung  ins  Mittelalter  fortgeprta* 

Gemeinde  und  hat  im  ö.  Jahrh.  in  und  war  zuerst  von  einzelnen  Klostert 

Gallien  seine  gegenwärtige  Gestalt  er-  aufgenommen  und  allmählich  Sit» 

halten.   Das  atkanasianUche  Glau-  geworden.  Als  Zeit  der  allgemein^ 

bensbekeuntnis,  Symlndum  Athana-  Verbreitung  der  Kirchenglocken  » 

tianum  oder  nach  den  Anfangs  Worten  Deutschland  wird  die  Mitte  de*  *. 


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Glocke. 


21)7 


Jahrhunderts  bezeichnet.  DieGloeken 
der  Iren  waren  aus  geschmiede- 
ten Blechen  zusammengesetzt;  in 
Deutschland  unterschied  man  irn  9. 
Jahrhundert  vasa  fa&ilia,  gegossene, 
und  rata  productilia ,  geschmiedete 
Glocken.  Eine  genietete  Glocke  der 
letztern  Art,  Saufang  genannt,  aus 
der  Cäcilienkirche  zu  Köln  herstam- 
mend, und  der  Überlieferung  zufolge 
dem  7.  Jahrhundert  angehörend, 
wird  im  städtischen  Museum  zu 
Köln  aufbewahrt:  sie  ist  von  der 
Form  der  sog.  Kuhschellen  und  be- 
steht aus  drei  mit  kupfernen  Nägeln 
zusammeugenieteten  Eisen  platten-, 
ihre  Weite  beträgt  am  ovalen  Rande 
13»/4  und  83  4  Zoll,  ihre  Höhe  157, 
Zoll.  Als  Verfertiger  der  vorzüg- 
lichsten Glocke  für  den  Aachener 
Dom  wird  der  St.  Gallische  Mönch 
Tancho  gerühmt.  Später  wurden 
die  Glocken  umfangreicher  und  fast 
nur  noch  von  Bronce  gegossen. 
Eine  Glocke  zu  Hildesheim,  um 
die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts  von 
Bischof  Azelin  beschafft,  soll  schon 
100  Zentner  gewogen  haben.  Als 
die  grösste  Glocke  in  Deutschland 
gilt  diejenige  auf  dem  mittleren 
Domturme  inOlmütz,  Maria  gloriota, 
von  1497;  sie  wiegt  275  Ztr.  Nach- 
richten von  Glockennamen  hat  man 
»eit  dem  10.  Jahrhundert;  sie  lehnen 
sich  an  Stifter,  Patronen,  an  Eigen- 
schaften oder  Bestimmungen  der 
Glocke.  Schon  früh  kam  die  Sitte 
auf,  den  Glocken  vor  dem  Auf- 
hängen eine  kirchliche  Weihe  zu 
geben.  Zu  Gregors  des  Grossen 
Zeit  war  dafür  schon  ein  Ceremoniell 
ausgebildet,  und  die  Glockenweihe 
wurde  bald  auf  ähnliche  Weise  voll- 
zogen, wie  die  Kindstaufe.  Karl 
der  Grosse  verbot  wegen  der  daran 
geknüpften  abergläubischen  Vor- 
stellungen 789  die  Glockentaut'e, 
ohne  damit  durchzudringen.  Später 
wurden  gegen  mancherlei  Miss- 
bräuche, wie  Pateugeschenke,  obrig- 
keitliche Beiträge.  Gastmäleru.  dgl. 
Nerordnungen  erlassen:  auch  ent- 


stand nach  der  Reformation  unter 
<  len  katholischen  und  protestantischen 
Theologen  Streit  über  die  Zulässig- 
keit  der  Glockentaufe,  der  bis  ins 
18.  Jahrhundert  fortdauerte  und 
erst  mit  der  allgemeinen  Ein- 
führung der  Glockenpredigt  bei  den 
Protestanten  ein  Ende  erreichte. 
Bei  den  Katholiken  dauert  die  Ein- 
segnung noch  fort. 

Die  älteste  bekannte  datierte 
Glocke  ist  vom  Jahr  1249  und  hängt 
in  der  Burchardikirche  in  Würzburg. 

Was  den  Gebrauch  oder  die  Be- 
stimmungen der  Glocken  betrifft,  so 
dienten  dieselben  ursprünglich  offen- 
bar zum  Zeichen  des  beginnenden 
Gottesdienstes.  Später  kamen  für 
besondere  Bestimmungen  auf:  1) 
Betglocken,  schon,  wie  behauptet 
wird,  im  7.  Jahrhundert  zur  Bezeich- 
nung der  sieben  kanonischen  Stunden 
eingeführt;  noch  heute  bezeichnet 
Betglocke  das  Morgen-,  Mittag-  und 
Abendläuten;  am  frühesten  wurde 
von  den  letztgenannten  drei  Zeichen 
das  Abendläuten  eingeführt,  indem 
Papst  Johann  XXII.  zur  Zeit  der 
Abendglocke  allen  Christen  drei 
Ave  Maria  zu  beten  befahl ,  das 
Morgen  läuten  wurde  in  Städten  erst 
im  15.  Jahrhundert  allgemein  üblich. 
2)  Die  Totenglocke,  welch«;  zur  Für- 
bitte der  Gläubigen  für  einen  from- 
men Sterbenden  aufruft,  wird  schon 
im  8.  Jahrhundert  erwähnt.  3)  Die 
Predigtglocke  wird  meist  dreimal 
geläutet,  ad  mvocandum,  congregan- 
dum  et  inchoandum,  zum  Einberufen, 
Versammeln  und  Beginnen.  4)  Die 
Wetterglocke  ist  schon  sehr  früh  in 
Gebraiich  gewesen,  sowohl  gegen 
wirklichen  Wasserschaden,  Blitz, 
Hagel,  Wolkenbruch,  als  gegen 
andere  Übel  und  die  Pest.  Als 
kräftig  gegen  die  Dämonen  galten 
in  der  katholischen  Zeit  die  Bibel- 
sprüche Joh.  1,  1  und  14:  „Im  An- 
fang war  das  Wort,"  und  „Das 
Wort  wurde  Fleisch  und  wohnte 
unter  uns",  dann  die  Namen  des 
Gekreuzigten,  der  Evangelisten,  der 


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298  Glockenrad. 


heil,  drei  Könige,  der  heil.  St.  Johann  celsis  Deo  etc.,  Luc.  l,  U.  Ar* 
und  Paulus  als  sogen.  Wetterherrn.  Maria,  gracia  nlena,  dominus  tecnm. 
5)  Stunden  oder  Zeitglocke.  Luc.  1,  4H.  W  eitaus  die  beliebtest*' 

Über  den  ursprüglichen  Zusam-  Gebetsformel  ist:  O  rar  qlvrie  ehrist*. 
menhang  der  Türme  mit  den  Glocken  \  veni  cum  pace,  eine  Inschrift,  die 
ist  man  nicht  genau  unterrichtet;  seit  dem  13.  Jahrhundert  erscheint 
doch  ist  selbstverständlich,  dass  und  im  15.  Jahrhundert  ganz  allge- 
man  die  Glocken,  wo  sie  eingeführt  mein  wurde;  man  legte  offenbar 
waren ,  gern  in  vorhandene  Türme  dieser  Formel  eine  magische  Wirk- 
hängte. Im  St.  Gallischen  Kloster-  samkeit gegen  Einflüsse  der  Dämonen 
plane  sind  westlich  von  der  Kirche,  zu.  Deutsche  Gebetsformelu  au« 
in  einiger  Entfernung  von  dem  halb-  I  älterer  Zeit  sind  selten:  O  Mario. 
kreisförmigen  Säulenvorhofe  des-  htm  zuo  tröste  nnde  zuo  gnaden 
selben,  zu  beiden  Seiten  des  von  allen  den  die  da  hau  Christi  natu. 
aussen  in  das  Kloster  führenden  Einzelne  zauberkräftige  Formeln  and 
Weges  zwei  symmetrisch  gestellte, !  Namen  sind  Jesus,  Maria,  Johanne*. 
mit  \Veudeltreppen  gefüllte  Rund- '  gloria  patri;  Osanna  in  excefsi*: 
türme  augegeben,  deren  einer  die  In-  Benediclus,  gui  renit  in  nomine  Do- 
Schrift  trägt :  ascensuspercochleam  ad  mini,  Jesus  Sazarenus;  (iloria  sjnri- 
uni versa  su neriuspicienda,  der  andere  tui  saneto;  (iloria  patri,  ßho  et 
alter  similis.  '  spiritui  saneto;  Maria.  Gotte*  Zell: 

Die  Gtorkeni  tisch  riffen  sind  ent-  1  Maria,  reim*  muoter;  Ave  Maria: 
weder  Sprüche,  die  sich  auf  die  Be- ,  Maria,  Jesus;  Sonuit  sonus  apost>» 
Stimmung  der  Glocken  beziehen,  1  forum;  Lucas,  Marcus  Matheus.  i>f. 
meist  in  Versen  oder  Bibelstellen,  Johannes  defendite  nos;  ich  lüt  in 
Gebetsfonnen,  oder  Notizen  über  Ent-  sant  Franctscus  ere;  ich  lüt  in  sauf 
stehungszeit,  Giesser,  Donatoren  etc.  Jetyen  ere.  —  Historische  Notizen 
Sprüche,  die  sich  auf  die  Bestim-  über  Verfertiger,  Donator  und  Eot- 
mung  der  Glocken  Iteziehen,  sind  1  stehungszeit  der  Glocken  sind  vor 
z.  B.    Viros  voco,   mortuos  plango,  dem   11.  Jahrhundert  selten.  Die 

{ülgura  frango  (  Münster  zu  Schaff-  Formel  fecit  in  lateinischen  Glocken 
ausen).'  —  Defunctos  plango  .  viros  inschriften  kann  den  Giesser  oder 
voco,  fulgura  frango.  —  Sablutta  den  Donator  bezeichnen ;  diedeutsohe 
pantjo,  funera  plango,  noxia  franqo.  Formel  für  Giesser  ist:  -V.  A.  fsM 

—  JCxctto  fentos,  paco  cruentos,  dissipo  mich  oder  hat  mich  gössen.  Siehe  Ott*, 
rentos.  —  Laudo  deum  verum,  plebem  kirchliche  Kunst- Archäologie  und 
voco,  congrego  clerum.  —  Sit  tempe-  desselben  Verfassers  Oiockenhmie, 
statum  per  me  genus  omne  fugatum.  Leipz.  1858.  Vgl.  Bockeler,  Beitrag? 

—  Otnsona  campana  depa/lal  singnla  zur  Glockenkunde,  Aachen  1882. 
vana.  —  Vost  mea ,  rar  vitae,  voco  << locken rad  und  Glockenspiel 
vos  ad  sacra,  renite.  —  Gloriosa  Das  Glockenrad  ist  eiu  um  eine 
heiz  ich,  die  hochzeitlichen  fest  die  Achse  sich  drehendes,  durch  eine 
beleut  ich,  die  schedlichen  teetter  ver-  Schnur  in  Bewegung  gesetztes  Ra<i 
treib  ich  und  die  toten  bewein  ich.  j  das  an  seinem  Kranze  mit  kleinen 
Bibelstellen  sind :  Proeul  est  domi-  Glocken  versehen  ist.  Es  diente  aum 
uns  impiis  efpreces  pastorum  exaudit,  Signalisieren  der  Wandlung  bei  oVr 
Prorerb.  15,  29.  —  Clama,  ne  cesses,  Conventmesse  und  war  entweder  MB 
exalfa  vocem  tuam  sicut  tuha ,  Jes.  einer  Stange  oder  in  geschnitztem 
5S,  /.  —  Laudate  dominum  in  cum-  Gehäuse  ii^der  Nähe  des  Altars  au 
balis  liene  sonantibus.ps.  150,  5.  —  der  Chormauer  angebracht.  Ein 
Inprincipioeraf  rerbumet  rerbumerat  Glockenspiel,  d.  h.  eine  Gruppe  von 
apudDenm,  Joh.  /,  l.  — Gloria  in  ex-  abgestimmten    Glocken,  erwähn? 


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Glorie.  —  Glückshafen.  299 

schon  Hieronymus  unter  dem  Namen  Textes  das  entsprechende  deutsche 
Bomhulum,  das  aus  einem  metallenen  beigeschrieben,    so  hat   man  eine 
Schaft  mit  wagrechtem  Kreuzbalken  Interlinearversion.  Die  Vokabularien 
bestand,  an  welchem  24  Glöckcben  sind  entweder  alphaljetisch  oder  sach- 
und  12  Klöppel  hingen.    Zu  Karls  lieh  geordnet,  z.  B.  Ausdrücke  auf 
d.  Gr.  Zeit  waren  schon  mehrere  Gott  und  göttliche  Dinge  bezüglich, 
Arten  dieses  Instrumentes  in  Ge-  auf  Kirchen  wesen,  auf  den  Mensehen, 
brauch  und  wurden  bis  zum  12.  Jahr-  Gebäude,   Geräte,  Tiere,  Pflanzen, 
hundert  verwendet.  Seitdem  gegos-  Steine  u.  s.  w.    Manche  Glossen* 
sene  Glocken  allgemeiner  wurden,  Sammlungen  bestehen  aus  weuigen 
wurdeu  solche  reihenweise  der  Grösse  Worten  oder  Zeilen,  andere  sind 
nach  aufgehenkt  und  durch  Hfimmer  umfangreiche  Arbeiten;  ältere  Vor- 
rat Tönen  gebracht.    Midier  und  lagen  werden  von  späteren  Schreibern 
Mothes,  arch,  Wörterb.  immer  wieder  benutzt  und  umge- 
Glorle,  siehe  Nimbus.  modelt.  Am  fruchtbarsten  an  Glossen 
Glosse 9    althochdeutsche,    aus  war  die   St.  Galler  Klosterschule, 
griechisch  yiüaatt  —  Zunge,  Sprache,  Unter  den  glossierten  Werken  steht 
darnach  lateinisch  alossa,  innd.  seit  die  Bibel  obenan,  von  der  man  100 
dem  12.  Jahrhundert   fflose- Aus-  glossierte  Handschriften  kennt,  na- 
legung.V-7o*</r  =  Sammlung  von  qlosen,  mentlich  für  die  Genesis,  die  Evan- 
dazu  flöten  und  ql6sieren  =  auslegen,  gehen  und  die  Perikopen:  auch  alte 
deuten,  bilden  einen  wertvollen  Be-  Bibelkommentare    von  Ambrosius, 
standteil  der  altdeutschen  Litteratur.  Hieronymus,  Beda,  Rhabanus  finden 
Sie  beginnen  mit  den  frühesten  alt-  sich  glossiert;  sodann  die  Gedichte 
hochdeutschen  Aufzeichnungen  im  des   Prudentius,   eines  christlichen 
7.  oder  8.  Jahrhundert  und  erstrecken  Dichters  des  4.  Jahrhunderts  mit  21, 
sieh  bis  rief  ins  Mittelalter,  an  dessen  die  Canone*  apostolorum  et  eoneil  i- 
Ende  sie  in  umfassendere,  alpha-  orum  mit  16  und  das  Liber  pastoral  is 
befisch  geordnete   Glossare    über-  mit   17    deutseh-glossierten  Hand- 
gehen, ans  denen  sich  zuletzt  die  Schriften.    Von  Interlinearversioncu 
Wörterbücher  entwickeln.  Die  alt-  sind  zwei  Denkmäler  erhalten,  die 
deutschen  Glossen  sind  von  Mönchen  Benediktiuer-Reff&l  aus  St.  Gallen, 
und  Geistlichen  niedergeschrieben  die  einem  apokrvphischen  Mönche 
worden,    zum  Zwecke    kirchlicher  Kero  zugeschrieben  wird,  und  eine 
und  wissenschaftlicher  Ausbildung.  Anzahl  Hymnen  des  Ambrosius.  Von 
Bei  den  meisten  ist  daher  das  Latein  alphabetisch  geordneten  Glossaren 
die  Hauptsache,  und  die  neben  die  sind  besonders  wertvoll    die  sog. 
fremden    Wörter    gesetzten    Ver-  Keronischen  und  die  Salomonischen 
deutschungen  sollen   nur  die  Er-  Glossen,    beide    aus    St.  Gallen 
lernuug  des  Latein  und  das  Ver-  stammend.     Das  jüngste  Glossar 
ständms  der  glossierten  lateinischen  dieser  Gattung  ist  der  J'ocabnlarius 
Schriften  erleichtern.  Ihrer  Erschei-  optimus.  Die  althochdeutschen  Glos- 
nung  nach  sind  die  Glossen  ent-  sen,  herausgegeben  von  Stein  meyer 
weder  Interlinearglossen  oder  Voka-  und  Sierers.  2  Bde.  Berlin  1870  — 81. 
bularien.    Interhnear-  oder    Mar-  Zacher  in  Ersch  und  Gruber.  Ar- 
ginal-Q lossen  sind  Verdeutschungen  tikel  Glossen,  althochdeutsche, 
einzelner  Wörter,  die  sich  zwischen       Glilckshafen,  auch  Glüekstopf, 
den  Zeilen  oder  an  den  Blatträndern  ist  der  deutsche  Name  für  ital.  Lotto, 
lateinischer  Schriften  vorfinden,  so-  d.  i.  Loos,  seit  1522  J/>teria  genannt, 
wohl  profaner  als  theologischer  Art.  Das  Spiel  war  in  Italien  daraus  ent- 
Erscheint  bei  der  Glossieruu^  jedem  standen,  dass  Kaufleute,  um  schnell 
einzelnen   Worte  des   lateinischen  und  mit  Vorteil  zu  verkaufen,  jeder- 


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300 


Glücksrad. 


mann  gegen  ein  kleines  Stück  Geld  1.  2*6.  Auch  im  dramatischen  Spie! 
eine  der  Nummern  ziehen  Hessen,  und  ganz  besonders  in  der  bildenden 
auf  denen  ihre  Waren  verzeichnet  Kunst  findet  sich  das  Glücksrad 
waren.  Um  1658  wurde  der  Name  öfters,  in  Bilderhandschriften  und 
in  Frankreich  gebräuchlich.  Anfangs  Holzschnitten,  wo  die  herumgewalz- 
waren  die  Glückshäfen  nur  Aus- 
spielungen von  Waren,  womit  jedoch 
häufig  auch  eiuige  Geldpreise  ver- 
bunden waren.  In  Deutschland  kamen 
sie  zuerst  bei  den  Schützenfesten 
vor,  oder  dann  zu  irgend  einem  from- 
men Zwecke.  In  Augsburg  werden 
sie  zuerst  1470,  in  Nürnberg  1487 
erwähnt.  Schon  im  16.  Jahrh.  gaben 
des  wohlthätigen  Zweckes  dieses 
Spieles  halber  auch  Geistliche  ihre 
Ordenshäuser  zum  Halten  einer  Lot- 
terie her.    Krieqk,  I,  409. 

Glücksrad  und  Kugel  des 
GlUeks.  Aus  der  antiken  Poesie 
und  Kunst,  welche  den  Gottheiten 
des  Geschickes,  der  TVche,  der  Kor- 


ten Sterblichen  bald  Könige,  bald 
die  sechs  Lebensalter,  balu  Narren 
mit  Eselsköpfen  sind.  Vgl.  Fig.  59 
aus  Huttens  Srhrift  Ad.  Cäs.  Maxi- 
mil.  Epigr.  Uber  I.  Strauss  I,  95 
bis  100.  Die  vier  Figuren  bedeuten 
den  Papst,  den  Gallischen  Hahn, 
den  Venetianischen  Löwen  und 
den  Reichsadler.  In  Kircheubau- 
ten wurde  das  Glücksrad  oft  als 
Einfassung  der  runden  Giebelfenster 
über  den  Portalen  angewandt,  z.  B. 
am  Münster  zu  Basel.  Aus  der  bil- 
denden Kunst  haben  sich  dann  wie- 
derum die  Dichter  ähnlich  ausge- 
führte Glücksräder  geholt,  wie  es  z.  B. 
im  Ren nfr  des  Hugo  von  Bam1>er<f 
heisst : 


runa,  der  Nemesis,  als  Symbol  ein 

Rad   oder    eine    Kugel    beigeben,  Ge'Ueke  daz  ist  sinetrel 

pflanzte  sieh  die  Vorstellung  von  und  blihet  niht  an  einer  stat : 

einem  Rade  oder  einer  Kugel  des  des  trinket  manchen  man  sin  rat. 

Glückes  in  die  mittelalterliche  Welt  Einsstiqt:  den  tritt  es  machen  riehen; 

fort.  Die  deutschen  Dichter  brauchen  der  nider  sifft,  dem  tcilz  entwichen: 

deshalb  für  diese  entlehnte  Bildung  jener  sitzet:'  wer  kond  im  geliehen  r 

selten  den  heimischen  Namen  des  diss  muoz  in  d'asehcn  jaemerlirhen. 

Glückes,  sae/de,  sondern  gewöhn-  Dilz  rat  betrinket  uns  ahn*: 


lieher  das  abstrakte  Wort  gluck  oder 
das  lateinische  Fortuna ;  auch  ist 
nicht  immer  klar,  ob  sie  sich  das 
Rad  von  der  Göttin  rollend  umge- 
trieben  oder  das  Glück  selber  sich 
in  Radform  denken  sollen.  Sinn- 
licher noch  w 


trau  ez  ist  tri f der  dann  einfus\  Fuchs). 
Wart  ich  sin  hie,  s6  ist  (Z  dort; 
hittr  rinde  ir-h  niht,  da  rert  htc  hört* 
(heuer  finde  ich  den  Hort  nicht 
mehr,  der  im  vorigen  Jahr 
da  lag.» 


wenn  man  si 


rurde  diese  Vorstellung,  Er  gaukelt  mit  uns  alten; 
sich  das  Glücksrad  mit  die  nu  eil  ho  hie  schallen. 


Menschen  besetzt  dachte,  die  mit  ihm  streun  ez  beginnet  raltcn, 


auf  und  ab  geführt  werden.  Das 
Bild  wurde  so  beliebt,  dass  es  in 
die  lebendige  Sage  überging,  z.  B. 
in  die  Erzählung  von  den  zwölf 
Landsknechten,  welche  der  Teufel 
unter  der  Vorspiegelung,  sie  würden 
dann  weissagen  und  Schätze  graben 
lernen,  auf  aas  Glücksrad  lockt  und 
sie  damit  zwölf  Stunden  lang  zwi- 


die 
auf 


der  honic  wirf  ze  galten. 
Weiter  brachte  man  das  Rad 
Glückes,  da  ja  dieses  letztere 
Welt  regierte,  noch  in  bezug 
den  Kreislauf  und  die  Wechsel  in 
dem  grossen  überirdischen  Weltall, 
und  wie  man  sonst  schon  gewohnt 
war,  die  Wandelbarkeit  des  Glücks 
mit  den  Mondphasen  zu  vergleichen. 


sehen  Wasser  und  Feuer  umdreht,  ja  als  abhängig  davon  zu  betrachten, 
bisereinen  der  Zahl  durch  die  Flam-  so  verglich  man  nun  das  Glücksrad 
men  mit  sich  führt;  Grimms  Sagen,  dem  Rade  des  Mondes: 


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Goldene  Bulle. 


301 


So  sprühet  ein  meuter  flenne, 

den  ich  icol  erkenne: 

,,e*t  ruta  fortunae 

rariabilis  ut  rota  hume: 

crescit,  decrescit, 

in  eodem  sistere  nescit." 

Diz  strichet:  „gucke  ist  sinewel. 

ez  ist  ze  trenkenne  snel ; 

ist  ez  ieze  in  der  hont, 

ez  ist  Balde  in  ein  ander  lant. 

Der  Minne  Lehre.  1989  ff. 
Daher  kommt  es,  da«s  das  Wort 


langsam  Boden  fasst:  der  bildenden 
Kunst  war  diese  Vergleichung  ganz 
fremd.  Di«'  Dichter  nennen  die 
Kugel  des  Glückes  entweder  einen 
Ball: 

gelüche  int  rehte  als  ein  bal: 
steer  stiftet,  der  sol  rürhten  val. 

Freidank. 

oder  eine  Scheibe: 

Fortuna  die  ist  so  getan: 
ir  schibe  lazet  si  innlte  gan. 

Lampr.  Alex. 


Fig.  59.    Glücksrad  aus  einer  Schrift  Huttens. 


lune,  da»  zuerst  den  Mond,  dann  die 
Mondphasen,  dann  jegliche  Kon- 
stellation bedeutete,  nun  geradezu 
den  Sinn  von  Glück  erhielt.  Den 
vier  Phasen  des  Mondes  war  auch 
die  gewöhnlich  vorkommende  Vier- 
zahl der  Personen  entnommen,  welche 
einen  und  denselben  Menschen  im 
fortschreitenden  Wechsel  verschie- 
dener Zustände  bezeichnen  sollten. 

Weniger  verbreitet  war  die  Vor- 
stellung des  Glückes  unter  dem  Bilde 
einer  Kugel,  schon  deshalb,  weil  die 
Kenntnis  von  der  Kugelgestalt  der 
Erde  erst  im   spätem  Mittelalter 


Hierbei  bezeichnet  Scheibe  meist 
soviel  als  Kugel.  Nach  Wacker- 
nagel. Das  Glücksrad  und  die 
Kugel  des  Glücks,  kl.  Schriften, 
L  241. 

Goldene  Bulle  heisst  das  von 
Kaiser  Karl  IV.  im  Jahr  1356  er- 
lassene Verfassungsgesetz.  Zur  Be- 
ratung desselben  waren  die  Stünde 

1355  auf  einen  Reichstag  nach  Nürn- 
berg entboten  worden;  am  10.  Januar 

1356  publizierte  der  Kaiser  in  öffent- 
licher Reichsversammlung  die  in  23 
Kapiteln  zusammengefassten  Be- 
schlüsse über  die  Kaiserwahl,  die 


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302 


Goldenes  Vlies.  —  Gotischer  Baustil. 


Vorrechte  der  Kurfürsten  im  Reiche 
und  einige  Verhältnisse  des  Land- 
friedens. Da  sich  bald  nach  der 
Publikation  Widerspruch  und  Unzu- 
friedenheit gegen  einige  Bestimmun- 
gen erhob,  wurde  in  demselben  Jahre 
auf  einem  Reichstag  zu  Metz  ein 
Nachtrag  in  7  Kapiteln  festgestellt. 
Das  Gesetz  wurde  in  mehreren  Exem- 
plaren für  die  Kurfürsten  und  die 
Stände  ausgefertigt  und  mit  dem 
goldenen  Siege!  versehen,  daher  der 
Name  goldene  Bulle  -,  es  heisst  auch 
Carolina. 

Goldenes  Vliess,  Orden  des  g.  V., 
Ordre  de  la  toison  d'or,  el  ToVton 
de  oro,  el  Tusan,  in  frühesten  Zeiten 
auch  der  Ritterorden  des  güldenen 
Lämbleins  von  Burgund  oder  des 
belgischen  Schäpers,  wurde  von 
Philipp  III.  (dem  Guten),  Herzog 
von  Burgund,  bei  Gelegenheit  seiner 
mit  der  Prinzessin  Isabella  von  Por- 
tugal, seiner  dritten  Gemahlin,  ge- 
feierten Vermählung  am  10.  Jan. 1430 
zu  Brügge  gestiftet.  Grossmeister 
des  Ordens  sollte  der  Herzog  von 
Burgund  sein ;  nach  Karls  des  Kühnen 
Tode  kam  diese  Würde  auf  Maximi- 
lian von  Österreich.  Der  Hauptzweck 
des  Ordens  war  Beschützung  der 
Kirche  durch  Erhaltung  des  katho- 
lischen Glaubens  und  Wahrung  un- 
befleckter Ehre  des  Rittertums.  Er 
war  der  Jungfrau  Maria  gewidmet 
und  hatte  den  Apostel  und  Märtyrer 
Andreas  zum  Schutzpatron.  Die  Zahl 
der  Ritter  war  ursprünglich  auf  81 
festgesetzt,  wurde  aber  später  er- 
weitert. Stat  utengemäße  durfte  neben 
dem  goldenen  Vliesse  kein  anderer 
Orden  getragen  werden,  später  wurde 
von  dieser  Klausel  fast  immer  dis- 
pensiert. Die  Ritter  durften  keinen 
andern  Gerichtsstand  anerkennen, 
als  eine  Versammlung  der  Ordens- 
ritter unter  Vorsitz  des  Grossmeisters 
oder  eines  von  diesem  bevollmäch- 
tigten Ritters.  Die  Ritter  sind  frei 
von  allen  Abgaben,  welchen  Namen 
diese  auch  haben  mögen,  und  haben 
überall,  namentlich  bei  Hoffeierlich- 


keiten, Vorrang  und  Vortritt  vor 
allen,  ausser  gekrönten  Häuptern. 
Den  spanisc  hen  Ordensrittern  erteilte 
Philipp  das  Recht,  gleich  den  Granden 
des  Reiches  in  Gegenwart  des  Königs 
das  Haupt  bedecken  und  in  die  könig- 
lichen Gemächer  unangemeldet  ein- 
treten zu  dürfen.  Das  Ordenszeichtn 
ist  das  Bild  eines  Widders,  darüber 
ein  blauemaillierter  Feuerstein  nn»i 
die  einem  Hemistichou  des  Clandian 
entlehnten  Worte:  Prelium  hvh  rik 
lahorum.    Diese  Dekoration  sollte 
ursprünglich  an  einer  Halskette  ge- 
tragen werden ,  aus  FeuerstahTen 
und  Feuersteinen  zusammengesetzt, 
woraus  Flammen  springen,  «lern  alten 
Sinnbilde  des  Hauses  Burgund.  Y« 
der  sonstigen  ursprünglichen  Orden*- 
kleidung  bildete  nach  der  Absiebt 
des  Stifters  Wolle  den  Hauptbestand- 
teil. Der  Orden  teilte  sich  nach  den 
Tode  Karls  V.  in  eine  spanische 
und  eine  österreichische  Fraktion 
die  einander  gegenseitig  uicht  ab- 
erkennen. 

Gotischer  Baustil.  Wohlinb^ar 
auf  keinen  Stil  hat  die  Frage  Dil 
seiner  Entstehung  so  viele  Stnirig*: 
keiten  herbeigeführt,  wie  beiti 
gotischen.  Das  hauptsächlichst«-  V«m 
diepst,  die  Gotik  aus  jahrhunderfe-j 
langer  Vergessenheit  wieder  zur  afib 
gemeinen  Wertschätzung  gebracht 
zu  haben,  kommt  allerdings  W 
Deutschen  zu  und  es  ist  nicht  m 
verwundern,  dass  sich,  nameotisH 
irregeleitet  durch  die  Bezeichnna£ 
„gotisch"  die  Meinung  vorbreiteayi 
die  Gotik  sei  speziell  eine  Schöprnag 
des  deutschen  Geistes.  Aber  wed^ 
die  Goten  noch  die  Deutschen  sind 
„Erfinder"  vielmehr  war 
nische  Kunsthistoriker  rasarid 
welcher,  um  seinen  Abscheu 
dieser  „barbarischen"  Bauweise  **** 
zudrücken ,  den  Sch  ini  pfnaia* 
„gotisch"  in  Umlauf  brachte. 

Die  Gotik  ist  aber  auch  uk* 
von  den  Deutschen  zuerst  als  Han- 
stil gebraucht  worden,  sondtm  es 
rrgab  sich,  dass  sie  in 


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Gotischer  Baustil. 


303 


längst  schon  ausgebildet  war,  bevor  Spitze  trat  nun  der  Handwerker  oder 

man  in  ihren  Formen  in  Deutsch-  die  Korporation,    welche  sieh  im 

land  zu  bauen   anfing.  Handwerk     bildete :     die  Zunft. 

In  Frankreich  hatten  eine  Reihe  i  Wir  haben  es  hauptsächlich  mit  der 

von  günstigen  Umständen  zusammen»  Zunft  der  Maurer  und  Steinmetzen, 

gewirkt,  um  dem  Lande  seit  dem  mit  den  sog.  „Bauhütten"  zu  thun. 

Beginn  des  13.  Jahrhunderts  eine  Diese  Wandlung  erklärt  manche 

hervorragende  Stellung  zu  sichern.  Eigentümlichkeit     des  gotischen 

Die  Centraigewalt  hatte  sich  aus-  Stiles,   denn  an  Stelle  des  freien, 


gebildet,  das  Nationalgefühl  war 
erwacht,  die  Kreuzzüge  hatten  der 
Ritterschaft  eine  höhere  Bedeutung 
verliehen  und  die  ritterliche  Poesie, 
fand  weit  heraus  Anklang.  Dieses  be- 
wegte Leben  suchte  auch  einen  Aus 


beweglichen ,  oft  phantastischen 
Sinnes  der  romanischen  Bauten,  setzt 
die  Gotik  einen  eintönigen,  wenn 
auch  prunkenden  Schematismus;  es 
bildete  sich  ein  völliges  System  aus, 
das  wesentlich  auf  technischer  Er- 


drück in  der  Kunst;  es  bildete  sich  fahrung  und  den  Vorzügen  eines 
nach  und  nach   aus  der  ernsten  hochgebildeten  Handwerks  beruht, 


strengen  romanischen  Kunst  der 
zierlichere,  lebendigere  und  leichtere 
Spitzbogenstil. 

Von  grossem  EinHuss  auf  diese 
Neugestaltung  in  der  Hau  weise  war 
namentlich,  dass  die  Baukunst  aus 


(vgl.  Kahn,  bild.  Künste  der  Schweiz). 

A.  Kirchliche  Architektur. 

1)  GrumlrUs.  Als  Grundlage  für 
alle  mittelalterlichen  Kirchenbauten 
den  Händen  der  gelehrten,  mit  der  diente  die  Basiiica.  Die  romanische 
Formenwelt  des  Altertums  nicht  un-  Baukunst  hatte  aus  der  altchrist- 
bekannten  Mönche  in  diejenigen  der  liehen  Basiiica  nach  mancherlei  Um- 
Bürger übergegangen  war.  Die  um  die  i  gestalrungen  (siehe  den  Art.:  roma- 
Klöster  sich  ansiedelnden  Städte  wa- 1  nische  Baukunst)  bereits  in  den 
ren  zur  Selbständigkeit  erwacht  und  |  Grundzügen  die  Form  des  christ- 
gezwungen, für  ihre  eigenen  Bedürf-  j  liehen  mittelalterlichen  Tempels  aus- 
nisse,  uir  städtische  Hauptkirchen  |  gebildet.  Darnach  besteht  dieselbe 
und  bischöfliche  Kathedralen  selbst  I  rast  ausnahmslos  aus  einem  langge- 
zu  sorgen.  Mit  grosser  Begeisterung  j  streckten  hohem  Mittelschiff,  an 
machte  sich  das  Bürgertum  hinter  welches  sich  auf  jeder  Seite  ein, 
die  (Lösung  dieser  Aufgabe.  Die-  •  zwei,  ja  oft  sogar  drei  niedrigere  und 
jenigen,  welche  nicht  mit  in  die  schmälere  Seitenschiffe  anschlichen. 
Kreuzzüge  ziehen  konnten,  wollten  Getrennt  sind  die  einzelnen  Schitie 
doch  wenigstens  durch  Teilnahme  dureh  Pfeiler,  die  unter  sich  wieder 
an  einem  Bau  zur  Ehre  Gottes  ihren  |  durch  Brxjen  verbunden  werden.  (Je- 
guten  Willen  beweisen .  Durch  zahl- |  wohnlich  im  Osten  verbindet  sich 
reiche  geistliche  Verfügungen ,  na-  j  mit  dem  Langhaus  der  Chor,  der 
mentlicn  durch  Ablässe,  welche  das  nun  nicht  mehr.wie  in  der  romanischen 
Volk  nicht  nur  zu  Geldspenden,  Zeit,  um  viele  Stufen  erhöht  wird 
sondern  auch  zu  persönlichen  Fron-  und  unter  sich  die  Krypta  birgt, 
dienstleistungen  anspornten,  wurde  sondern  in  beinahe  gleicher  Höne 
der  Eifer  bestärkt.  Die  Arbeit  liegend  nur  durch  den  Lettner  oder 
wurde  zum  Grottesdienste.  niedrige  Schranken  vom  Schiffe  ge- 

Dieses  Schaffen  bedurfte  aber  j  trennt  wird.  Unter  Lettner  versteht 
auch  einer  tüchtigen  fachmännischen  I  man  eine  tribünenartige  Erhöhung, 
Ix-itung.  Die  technischen  Kennt-  welche,  gewönlieh  auf  drei  Bogenste  f- 
nism-  eines  Abtes  oder  Mönches ;  hingen  ruhend,  von  einem  Pfeiler 
reichten  nicht   mehr  aus;  an   die  quer  durch  die  Kirche  zum  gegenüber- 


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304  Gotischer  Baustil. 


stehenden  sich  hinzieht  und  zur  Ver-  die  Seitenschiffe  in  Umgangen  herum, 

lesung  des  Evangeliums  diente.  Sind  4  oder  mehr  Seitenschiff!  vor- 

Um  den  Chor  herum,  der  im  handln,  so  gestalten  sich  die  äußern 

halben  8,  10  und  12  Eck  geschlossen  am   Chorhaupt  zu  einem  Kränzt 


Fig.  G0.    Grundriss  des  Kölner  Doms. 


wurde,  so  dass  auf  die  Liingenaehse  ;  von  Kapellen,  von  denen  die  in  der 
eine  Seite  zu  stehen  kam  lohne  dass  Längsachse  liegende,  der  Mutter 
es  indessen  an  gegenteiligen  Bei-  Uottes  geweihte,  gewöhnlich  grösser 
spielen  fehlen  würurt,  und  den  man  in  und  weiter  ausgebildet  ist  (Fig. 
gleicher  Höhe  und  Breite,  wie  das  Gntmlriss  de*  Kölner  Domes  fkv**l- 
Langhaus  aufführte,  ziehen  sieh  oft 1  hut    BileUrbopewJ.     Freilich  kam 


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Gotischer  Baustil. 


305 


dieses  reiche  System  nur  bei  grossen  keinen  Druck  ausübt,  sondern  deu- 
Kathedralen  zur  vollen  Ausbildung;  .selben  nur  in  den  Ecken  des  Vier- 
kleinere Bauten  Hessen  Umgane  und  eekes  geltend  macht  (Fig.  62). 
Kapellenkranz  weg  und  schlössen  So  lange  man   aber  dieses  Kreuz- 


Mittel-  und  Seitenschiff 
durch  einfache  Absi- 
den,  die  in  mannigfal- 
tiger Gestaltung  auf- 
treten, besonders,  da 
die  durch  das  Strebe- 
pfeilersystem bedingte 
Form  der  Polygone 
gegenüber  den  frühem, 
romanischen  halbrun- 
den Nischen  ein  un- 
vergleichlich beweg- 
licheres Element  war 
(Fig.  61».  Opmdriis 
der  Wienenkirche  zu 
Soe*t  (Kunathist.  Bil- 
derbogen). 

Auch  die  einfachste 
Art  des  Chorschlusses 
fehlte  nicht,  die  ge- 
rade Linie,  wobei  die 
sieh  ergebende  breite 
Hinterwand  zur  glanz- 
vollen Entwickelung 
von  Fensterarchitekturen  willkomme- 
nen Anlass  bot  (vgl.  KloBteraulageni. 

Auf  die  Entwickelung  des  Grund- 
risses aber  war 
von  grösster  Be- 
deutung d<*r  de- 
tcöffjebau.  Schon 
in  der  romanischen 
Zeit  hatte  man  die 
weitgehendsten 
Versuche  ge- 
macht, die  Kirchen 
statt  mit  hölzernen, 
durch  Brände  oft 
zerstörten  Decken 
mit  steinernen  Ge- 
wölben zu  ver- 
sehen und  hatte 
als  zweckmftssig- 


gewölbe  aus  dem  Rund 
bogen  konstruierte,  war 
man  gezwungen,  stets 
über  quadratischen 
Grundflächen  zu  kon- 
struiren  und  man  be- 
half  sich  denn  auch  in 
der  romanischen  Zeit 
derart,  dass  man  stets 
zwei  Gewölbefelder 
deshalb  so  breiten  Sei- 
tenschiffes auf  eines 
desllauptschiffes  fallen 
Hess  (siehe  romanische 
Baukunst).  Durch  die 
Einführung  des  Spitz- 
bogens fiel  diese  Be- 
schränkung weg,  da 
durch  behebige  Ver- 
rückung der  Mittel- 
punkte bei  gegebener 
Sprengweite  eine  be- 
liebige Erhöhung  des 
Scheitelpunktes  er- 
langt werden  konnte  (Fig.  63,  64 1. 
Vorerst  wurden  nun  die  Gcwölbe- 
felder   der  Seitenschiffe    und  des 

Mittelschiffes  nach 
der  Längsachse 

des  Gebäudes 
gleich    breit  ge- 
macht, wodurch 
der  Unterschied 

zwischen  Ge- 
wölbepfeilern und 
Arkadenpfeilern 
verschwand  und 
ein   weit  einheit- 
licherer Eindruck 

erzielt  wurde. 
(Fig.  60,  61  u.  65.1 
Die  romanische 
Baukuust  hatte 


61.  Wiesenkirch« 
zu  Soest. 


Fig.  62.   Rundbogigcs  Kreuzgewölbe 

ste  Form  das  Krcuzgetcötbe  gefunden,  ferner  zwischen  Schiff  und  Chor  das 

Dasselbe  besteht  aus  zwei  halben  sog.  QuerschiJJT  eingelegt,  welches  in 

sich    senkrecht  durchschneidenden  gleicher  Höhe  und  Breite  wie  das 

Hohlcylindern  und  bietet  dengrossen  Hauptschiff  die  Seitenschiffe  durch* 

Vorteil,  dass  es  auf  die  Seiten  wände  schnitt  und  oft  noch  über  dieselben 
R^rexleon  der  deutlichen  Altertümer.  4J0 


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306 


Gotischer  Baustil. 


vorsprang.  Die  gotische  Baukunst 
vernachlässigte  es;  oft  wurde  es  ganz 
weggelassen  i  Fig.  65),  wenn  es  auch 
bei  reichen  Anlagen  dem  Rhythmus 
des  Ganzen  folgt  und  in  der  Regel 
eine  dreischifrige  Anlage  erhält 
(Fig.  60). 

Bevor  wir  die 
Betrachtung  über 
den  Grundriss 
schliossen.  dürfen 
wir  der  Anlage 
der  Turme  nicht 
vergessen,  jenes 
Stolzes  und  Wahr- 
zeichens der  mit- 
telalterlichen 
Städte.  Die  ro- 
manische Zeit  war 
in  der  Anlage  der 
Türme  geradezu 
übermütig  gewe- 
sen.  Bis  zu  neun 

Türmen  erhoben 
.  ,       c  ,        i      rar.  63.  spitzbog 
sich  auf  demsel-  v  6 

ben  Denkmal,  aber  keiner  von  allen 

vermochte  sieh  mit  jener  Kühnheit  zu 

d«*n   Wolken   emporzuroeken,  wie 

das  in  der  Gotik  der  Fall  ist.  In 


Iiau8e8  aber  schrumpft  zusammen 
in  einen  kleinen,  niedlichen,  hoch- 
aufschiessenden  Dachreiter.  Das 
Westende  erhält  dadurch  seinen 
bestimmten  kräftigen  Abschluss 
während   der    Bau    am  Ostende 

allmählich 


iges  Kreuzgewölbe. 


klingt. 

Die  antike  Welt 
hatte  ihre  Tempel 
so  gestellt,  das? 
die  aufflammend» 
Morgensonne  zu 
den  Portalen  ein- 
strömen und  das 
geliebte  Götter- 
bild mit  ihren 
Strahlen  vergol- 
den konnte;  die 
mittelalterlich-' 

Anschauung 
wandte  die  An- 
lage um.  Der  Chor 
als  der  Hanptteil 
wurde  nachOsten. 


dem  Lichte  entgegen,  vorgeschoben: 
die  Portale  öffneten  sieh  westwärts. 

2)  Innerer  Aufbau.  Auf  dieser 
Grundrissbildung '   baut     sich  dir 


&p>cngvftrtta:fc:6 . 
Fig.  64. 

der  Regel  erheben  sieh  hier  nur  Tempel  in  die  Höhe,  schlank  uu«l 
zwei  gewaltige  Steiuriesen  an  der  hoch,  mit  möglichster  Untcnirückung 
westlichen  Front  und  sehliessen  zwi-  der  Horizontalen, 
sehen  sich  die  reichen  Portale  ein.  Betrachten  wir  vorerst  das  Tw- 
in andern  Fallen  legt  sieh  nur  ein  nere.  Es  mutet  uns  durch  seine 
Turm  vor  die  ganze  Anlage.  Der  Leichtigkeit  und  Einfachheit  an; 
gewaltige  Vierungstuin  über  der  alles  Beengende  ist  vermieden,  die 
Kreuzung   des   Lang-    und   Quer-  Konstruktionsinassen     sind  nach 


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Gotischer  Baustil. 


307 


aussen  verlept,  die  Mauermassen  der  spannenden  Thftti^keit  der 
der  romanischen  Basilika  mit  ihren  Strebebogen,  nichts  von  all  jenen 
kleinen  Fenstern  haben  weiten  Oft-  notwendigen  Konstruktionsmitteln, 


Fig.  65.    St.  Stephan  in  Wien. 


nungen  und  sehmalen  Pfeilern  Raum  welche  der  Attraktionskraft  der  Erde 
gemacht  Wir  bemerken  im  Innern  entgegenzuwirken  haben.  Wir  sind 
nicht«  von  den  massiven  Strebe- 1  von  der  Aussenwelt  abgeschieden 
pteilern,  die  im  Äussern  den  Ge-  durch  sattgemalte  Fenster,  die  ein 
wölbedruek  auffangen,  nichts  von  gedämpftes  gebrochenes   Licht  in 

20* 


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308  Gotischer  Baustil. 


(He  Hallt'  senden  und  durch  die  vor-  nisclicn  viereckigen  Pfeiler  sind 
herrschenden  Hohlkehlen  und  Rund-  kräftigen  Säulen  gewichen,  breit 
Stäbe  unterstützt,  tiefe,  Weichaus- 1  und  wuchtig  genug,  um  die  über 


Fig.  66.    Strassburger  Münster,  Inneres. 

laufende  Schatten  erzeugen.  Fig  60  ihnen  lagernd«1  Last  zu  tragen.  Sit- 

Innere*  des  Münsters  zu  Sfrasslturg  erinnern  noch  leise  an  ihre  Tyrannen 

[Kunsthist.  Bilderbogen).  in  den  griechischen  Tempeln,  sind 

Pfeilerentwickelung.    Die  roma-  aber  umgewandelt  und  umgestaltet. 


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Gotischer  Baustil. 


301) 


nach  der  veränderten  Funktion,  die 
sie  zu  verrichten  haben.  Die  atti- 
sche Ba*is,  die  in  der  Regel  vor- 
kommt, ist  weit  ausgekehlt,  der 
untere  Wulst  herausgedrückt,  so 
dass  er  oft  weit  über  die  Plinte 
vorragt  und  durch  Konsolen  ge- 
stützt werden  muss.  Der  Schaft  ist 
massig,  ohne  Anzug,  eylindrisch  und 
sitzt  ohne  irgend  welche  Vermitt- 
lung auf  der  Basis  auf,  die  im 
Übergang  vom  Runden  ins  Achteck 
und  in  mannigfaltiger  Auflösung  zu 
einer  einfachen  Grundform  sich  dem 
Boden  anschlichst 

Die  Kapitale  laden  weit  aus  und 
nehmen  auf  ihrer  Oberfläche  teÜ3 
die  Gewölberippen,  teils  die  Säul- 
chen   auf,  welche  höher  liegende 
Gewölbe  stützen. 
Wuchtige  starke 
Blätter  mit  Knol- 
len stützen  die  vier 
Punkte   der  tra- 
genden Platte,  des 
Kämpfers,  welchen 
die  romanische  Ar- 
chitektur aus  dem 
antiken  Gebälkge- 
bildet  hatte.  Die 
Fusspunkte  der  Bogen  halten  sich 
nicht    mehr  an    die  Fortsetzungs- 
linien   des  untern  Säulenschaftes. 
Sie  setzen  so  weit  aussen  als  mög- 
lich  an,  so  dass  das  Blätterwerk 
des  Kapitals  zugleich  als  tragen- 
des Element,  als  Konsole  zu  die- 
nen  hat     Die   Entwicklung  des 
gotischen  Stiles  änderte  diese  ur- 
sprüngliche Säule  zum  Rundpfeiler 
um,  indem  sie  die  Fortsetzung  der 
Gewölberippen  durch  kleine  Säul- 
chen, die  sogenannten  Dienste  ver- 
mittelte, welche  sich  anfangs  frei 
um  den  runden  Kern  lagerten  und 
nur   leicht  mit  der  ursprünglichen 
Säule  an  Kapitäl  und  Basis  verbun 
den  wurden.  Natürlich  fiel  dadurch 
die  Notwendigkeit  der  weiten  Ka- 
pitalausladung  weg  und  an  deren 
Stelle  trat  ein  leichter  Blattkranz 
von  einheimischen  Eichen-  und  Wein- 


stockblättern, bis  schliesslich  die 
Spätzeit,  wo  diese  letzte  Reminiszenz 
an  den  Horizontalismus  dem  wilden 
Vertikalismus  hindernd  im  Wege 
stand,  auch  noch  die  Kapitäle  be- 
\  seitigte  und  die  Gewölberippen  in 
einem  Schwung  vom  Boden  bis  zum 
Scheitel,  aufjagte.  In  vielfachen 
I  Variationen  wiederholt  sich  dasselbe 
I  Schema  und  sucht  die  Formen  im- 
mer flüssiger,  immer  schlanker  zu 
machen.  Der  mittelalterliche  Bündel- 
pfeiler war  so  für  die  Gotik  das  ge- 
worden, was  die  Säule  dem  antiken 
Tempel  war. 

(Jeicölberippen.    Auf  die  so  ge- 
bildeten Stützpunkte  baute  sich  nun 
die  Decke  mit  ihren  Gewölben  auf. 
Ein  wichtiger  Fortschritt  in  der 
Konstruktion  der 
stets  angewandten 

Kreuzgewölbe 
wurde  gleich  im 
Anfang  der  goti- 
schen Zeit  im  nörd- 
lichen Frankreich 
gemacht,  indem  die 
Diagonalgräte  für 
sich  aus  einzelnen 
Steinen  gewölbt 
wurden  und  zwar  so,  dass  sie  auf 
der    vom    Innern    des  Gebäudes 
aus  sichtbaren  Seite  mit  Profilie- 
I  rungen    versehen    wurden ,  nach 
[  oben  hin  jedoch  einen  Falz  zeig- 
I  ten ,    in    den    die  Dreiecksfelder 
;  des  Kreuzgewölbes,    die  Kappen, 
aus  leichterem  Material  eingespannt 
wurden.    Dort  aber,  wo  sich  die 
Rippen  durchschneiden,  setzte  man 
einen  grösseren  künstlerisch  aus- 
geführten Schlussstein  (Fig.  67). 

Die  Profilierung  der  Rippen  lehnte 
sich  anfangs  dem  Romanismus  au, 
konnte  aber  bei  den  eckigen  For- 
men mit  den  vorgelegten  Rund- 
stäben nicht  stehen  bleiben.  Der 
Ausdruck  ihrer  ästhetischen  Funk- 
tion, des  Spannens,  des  sich  selber 
Tragens,  musste  klargelegt  werden. 
So  Tiess  die  Gotik  die  Grundform 
des  Vierecks  fallen  und  setzte  an 


Fig.  67  a  und  b.  Rippenprofile 


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310 


Gotischer  Baustil. 


dessen  Stelle  ein  Dreieck  mit  nach  tiefen  weichen  Schatten  gewann  die 
unten  gerichteter  Spitze.  Tiefe  Hohl-  Oberhand  und  überstimmte  alles 
kehlen  in  Abwechselung  mit  kraftig  andere.  Ein  Hasten  und  Jogen  nach 


Fig.  68.    St.  Stephan  in  Wien,  Inneres. 


sich  losenden  Rundstühen  und  na-  Eftekten  trat  ein,  dadurch  aber  ge- 
mentlich  den  wirkungsvollen  Hirn-  rade  jene  nüchterne  Eintönigkeit  in 
Stäben  steigerten  den  Eindruck,  i  den  l'rotilierungen  spaterer  Bauten. 
Die  Spiitzeit  ging  auch  hierin  immer  welche  in  der  ununterbrochenen 
weiter.    Die  Hohlkehle  mit  ihrem  Anwendung  des  gesteigertsten  Aus- 


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Gotischer  Baustil. 


311 


Ffchcrgewölbcs.  Fig.  65  und  68 
'  ru»  St.  Stephan   in  Wien 
ist.  Bilderbogen  >. 
Anblick  einer  solchen  Netz- 
ist ein  uuendlich  reicher  und 


«Inicksmittels  ihre  letzte  Kraft  ver-  grosse  Glaswand,  die  Fenster,  von 
eeudet.  Auch  die  einfache  klare  der  stark  abgeschrägten  Fensterbank 
form  des  Kreuzgewölbes  genügte  i  aufsteigend  und  in  dem,  dem  Ge- 
richt mehr.  Die  dreieckigen  Kap-  wölbe  sieh  anschmiegenden  Spitz- 
en erlegte  man  nochmals  in  drei  bogen  endigend.  Ihrer  Grösse  wegen 
Teile,  setzte  in  den  Schwerpunkt  war  es  notwendig,  sie  durch  mehrere 
den  Sehlusstcin  und  Hess  zu  ihm  Steinpfosten  zu  teilen,  die  sich  üben 
vua  allen  drei  Ecken  sieh  Rippen  in  dem  das  ganze  Fenster  überspan- 
^iwufW.'lb<  n.  Ging  mau  in  der  nenden  Spitzbogen  in  den  geometri- 
ji'ÜBnjr  n,H.n  weiter,  so  erhielt  sehen  Formen  des  sogenannten  Mass- 
ipta  die  reichen  Formen  des  Netz-  Werks  verschlangen  und  auflösten. 

Noch  deutlicher  tritt  uns  die  fertige 
Form  der  Fenster  entgegen,  wenn 
wir  sie  in  ihrer  Entwiekelung  be- 
trachten.   Das  erste  Motiv  war  in 
dem   gruppentnässigen  Zusammen- 
t,  kann  aber  den  Ausdruck  '  stellen  einzelner  kleiner  Fenster  ge- 
Gesuchtem,  nach  kon-  geben.  Durch  Zusammenrücken  der- 
Spitzfindigkeiten  Gehen-  selben  entstanden  leichte,  durch  Säul- 
chen getrennte  Arkaden,  und  den 
alle  umfassenden  Spitzbogen  füllte 
eine  einfache  Rosette  aus.  Wie  aber 
nach  und  nach  der  Inneubau  flüs- 
sigeres Leben  und  Form  annahm, 
tauchte  auch  in  der  Fensterarchitek- 
tur  flüssigeres    Leben    auf.  Die 
sehnigen   Gelaufe    wurden  belebt 
durch  Säulehen  und  Hohlkehlen,  und 
Mittlen  Fenstern  durchbrach,  nach  das  Rosetten motiv  faud  hundertfai- 
•  i  nach  verschwanden  und  sich  tige  Variation  mit  sich  schneidenden 


<km  keinesfalls  verleugnen .  wenig- 
stens in  seiner  letzten  Ausbildung 

Hieran r  ist  das  innere  Gerippe 
mx  gotischen  Kirche  gegeben.  Das 
übrige  ist  alles  Füllwerk.  Wir  ha- 
ben schon  betont ,  dass  die  Mauer- 
ria^en  des  romanischen  Stiles,  der 
■  ■  *<  Iben  nur  mit  kleinen  unbedeu- 


wf  die  Pfeiler  konzentrierten,  so 
'  i-5  die  letzteren  zwischen  sich  ein 
reies,  durch  keinen  Gewölbedruck 


Vber  den  Bogen  der  Seitenschiffe 
kneten  sich  in  den  ersten  Zeiten 
äe  zierlichen  Arkaden  der  über  den 


Kreislinien  in  den  sogenannten  Drei- 
Vier-  und  Fünfpässen ;  in  der  Blütezeit 
noch  in  massvollen  Schranken, später 
i  i-tetes  Feld  einschlössen,  in  dem  in  oft  übersprudelndem  Formenreich- 
K  die  D  -koration  nun  in  ihren  tum,  oft  aber  auch  in  unermüdlicher 
i'  hKchBten  Formen  tummeln  konnte.  Anwendung  der  sogenannten  Fisch- 
blase, eines  flammenartigen,  rundlich 

Geschwungenen  Passes,  der  bereits 
ie  Gesetze  geometrischer  Bildung 
eitenschiffen  angebrachten  Empo-  aufgelöst  zeigt  (vgl.  den  Artikel 
*».  Die  folgenden  Zeiten  drückten  Fenster).  In  späterer  Zeit,  als  man 
fcse  Emporen  immer  mehr  zusam-  darauf  bedacht  war,  die  Mauermas- 
Mö»  bis  schliesslich  nur  noch  ein  sen  möglichst  zu  reduzieren  und  alles 
tbmalcr  Umgang  blieb,  der  zuletzt  J  in  Licht  aufzulösen,  zog  man  sogar 
o»-h  wegfiel.  Als  dekoratives  £le-  !  die  Trifolien  in  das  darüber  liegend«' 
s^ot  aber  wurden  dies»«  Arkaden, !  Fenster  hinein.  Das  Lieht  wurde  da- 
sogenannten  Triforien  oder  Drei-  ,  durch  erhalten,  dass  mau  die  Seiten- 
fniihqen  beibehalten.  Sie  mussten  schiffdäeher  nach  einwärtsabwalmte, 
ir  Maskierung  des  an  die  Mauer  allerdingsein  gefährliches  Auskunfts- 
eh anlehnenden  Pultdaches  der  mittel,  denn  man  bildete  dadurch  Zu- 
itenschifle  dienen  (Fig.  66).  fluchtswinkel  für  Regen  un  l  Schnee. 

I>arül>er  entwickelte  sich  eine       Eine  wundervolle  Gestaltung  er- 


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312 


Gotischer  Baustil. 


langte  die  Masswerksarchitektur  in  '  aller  Art.  Namentlich  die  franzosi- 
dcn  sogenannten  Jiogm,  wie  sie  an  sehe  Gotik  brachte  die  Rosen  zur 
den  \\  Inden  des  Querschiffes  und  vollsten  Blüte,  wahrend  Deutschland 


Fig.  69.    Barbarakirche  in  Kuttenberg. 

der   Hauptfront,  auftreten;   grosse  dieselben,  als  dem  vertikalen  Prinzip 

weitgespannte  Räder,  anfangs  mit  widersprechend,  fallen  Hess  und  durch 

radialen  Speichen  versehen,  später  grosse  Spitzbogenfenster  ersetzte. — 

überflutet  von  geometrischen  Formen  Dieser  steinerne  Gitterbau  bot  nun 


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Gotischer  Baustil. 


313 


der  Verglasung  ihren  Halt,  die  dann 
auch  in  den  lebhaftesten  buntesten 
Mustern  zusammengesetzt  wurde  und 
dem   kalten,  nordischen,  scharfen 
Tageslichte  den  Eintritt  ins  Innere 
verwehrte. 
..  3)  Ganz  anders   tritt  uns  das 
Äussere  entgegen.  Da  begegnen  wir 
den  gewaltigen  Stützen,  da  finden 
wir  die  mannigfaltigsten  Konstruk- 
tionsmittel  offen  und  ehrlich.  Zu- 
nächst fallen  die  Stretjejrfeiler,  wuch- 
tige von  breiter  Basis  aufsteigende 
Steinkolosse,  in  die  Augen.  Wir 
haben  oben  gezeigt,  wie  sich  der 
Druck  der  Gewölbe  auf  einzelne 
Punkte  konzentrierte.  Diese  Punkte 
galt  es  vor  allem  zu  sichern.  Dem 
Schub  der  Sei  tenschiffge  wölbe  konnte 
durch  die  Strebepfeiler  direkt  begeg- 
net werden,  während  der  Schub  des 
Mittelschitfgewölbes  über  das  Seiten- 
schiff hinweg  auf  den  Strebepfeiler 
geleitet  werden  musste.  Dies  geschah 
mittelst  frei  gespannter  Bögen,  den 
sogenannten  Strebebogen,  die  einer- 
seits gegen  das  Mittelschiff,  anderer- 
seits gegen  den  Strebepfeiler  drück- 
ten una  so  den  Gewölbeschub  auf 
die  Steinmasse  des  letztern  über- 
trugen. Waren  mehr  als  zwei  Seiten- 
schiffe vorhanden,  so  sprengte  man 
die  Strebebogen  entweder  in  kühner 
Spannung  über  beide  Schifte  hinweg, 
o«ler  aber  man  führte  auf  den  die 
Seitenschiffe    trennenden  Pfeilern 
Törmchen  auf,  welche,  den  weitge- 
spannten Strebebogen  durchschnitten 
und  denselben  so  in  zwei  selbstfindige 
Teile  zerlegten.  So  sind  die  Strebe- 

S^eiler  die  wahren  Atlanten  des 
aues  und  tragen  auf  ihren  Schul- 
tern die  Last  der  gesamten  Kon- 
struktion, dienen  aber  zugleich  als 
festes  senkrechtes  Rahmwerk  für 
die  mit  luftigen  Fenstern  durch- 
brochenen Wände.  Anfangs  sind  sie 
kahl  nach  oben  durch  einfache 
schräg  abfallende  Abstufungen  sich 
verjüngend.  Die  schaffende  Phan- 
tasie vertiefte  »ich  vorerst  auf  das 
Innere,  and  erst  als  dasselbe  mit  sei- 


nem Zauber  die  höchste  künstlerische 
Gestaltung  erreicht,  beschäftigte  sie 
sich  mit  der  Ausbildung  der  äusseren 
Formen.  Der  schwerfällige  Strebe- 
pfeiler erwuchs  bald  unter  der 
schaffenden  Gestaltungskraft  zu 
einem  eigenen  kleinen  Bauwerke. 
Naturgemäss  wurde  der  Pfeiler  be- 
trächtlich über  den  Angriffspunkt 
der  Gewölbe  erhöht.  Das  gab  den 
ersten  Anlass  zur  Dekoration.  Die 
werkthätige  Hand  säumte  nicht,  die- 
sen Aufsatz  zu  einem  eigenen  kleinen 
Türmchen  mit  steiler  hoher  Spitze 
auszubilden.  Diese  Pfeilertürmchen, 
oder  wie  sie  die  damalige  Handwerk  s- 
sprachc  nannte,  die  Fialen,  bestan- 
den aus  «lern  sogenannten  Leib  und 
dem  schlanken  Spitzdache,  dem  Rie- 
sen, aus  dessen  Spitze  eine  kreuz- 
förmig ausladende  Blume  hervor- 
:  blühte  und  an  dessen  Kanten  kleine 
Steinblumen,  die  Krabben  oder 
|  Knollen,  emporkroehen,  auch  ihrer- 
seits die  aufwärtstreibende  Be- 
wegung höchst  lebendig  ausspre- 
chend. Fig.  70.  Barbarakirche  in 
Rudenberg  (Kunsthist.  BilderftogenJ. 

Die  schon  erwähnten  Absätze 
aber  boten  willkommenen  Anlass  zur 
Aufstellung  von  kleinen  Tabernakeln, 
Statuen  mit  Baldachinen  etc.,  so  dass 
sich  der  ehemals  so  plumpe  Stein- 
pfeiler schliesslich  in  einen  Wald 
von  auseinander  heraaswachsenden 
Türmchen  und  Nischen  auflöste  und 
unter  dieser  zum  Himmel  empor- 
strebenden spielenden  Bewegung  die 
enteegenstemmende  Wucht  kaum 
mehr  ahnen  Hess.  Der  Strebebogen, 
oberhalb  mit  einer  Schräge  zum  Ab- 
lauf des  Wassers  versehen,  aus  der 
die  schon  erwähnten  Krabben  empor- 
wuchsen, erfuhr  ebenfalls  den  Ein- 
fluss  der  Phantasie,  die  keine  schwere 
Fläche  mehr  dulden  wollte. 

Die  Strebebogen  dienten  neben- 
bei aber  zugleich  als  kleine  Aquä- 
dukte, welche  das  Abwasser  des 
Hochwerks  über  die  Seitenschiffe, 
wegführten.  Ungeheuerliche  Ge- 
stalten, meistens  Tierformen  oder 


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314 


Gotischer  Baustil. 


Menschenköpfe,    die  sogenannten 
Wasserspeier,  spieen  das  sich  sam- 
melnde nasser  aus  und  schleuderten 
es  weit  vom  Bau  weg. 

In  Wechsel  voller  Weise  spannte 
sich  zwischen  dieses  vortretende  kon- 
struktive Ge-  ' 
rüst  hinein  der 
prächtigeTep- 
pich  der  Fen- 
ster ,  deren 
umfassender 
Spitzbogen 

überdacht 
wurde  von  den 
sogenannten 

giebelähn- 
heben  Auf- 
sätzen, in  de- 
ren Dnicck 
die  Lieblings- 
dekorationdes 
Mittelalters, 
das  Mass  werk, 
ein  unbe- 
schränktes 
Feld  fand. 
Fig.  70.  Wim- 

jjer<fe  vom 
Kölner  Dom 

I  Kunsthist. 
Bihlerhixjen ). 

—  Leichte 
durch  ihre  tie- 
fen Schatten 
aber  ungemein 
wirkende  Ho* 

rizonfa/fje- 
simse  verbin- 
den «Ii«'  einzel- 
nen Strebe- 
pfeiler and 
umziehen,  da  sich  in  den  Hohl- 
kehlen gewöhnlich  ein  reiches 
Blätterwerk  entfaltet,  den  ganzen 
Bau  mit  einem  steinernen  Kranze. 

Den  grössten  Triumph  aber  feierte 
die  Gotik  in  der  Entwickelung  der 
Westfacadc,  im  Turmbau.  Wie  wir 
schon  bei  der  Betrachtung  des  Grund- 
risses belehrt  wurden,  erheben  sich 


keineswegs 

zeugt« 


in  der  Regel  zwei  massige  Türme. 
Wenn   auch   die   Auwendung  der 
Strebepfeiler  beim  Turmbau  durch 
seine  inneren  S truktur Verhältnisse 
geboten  war,  so  über- 
man  sich  doch  bald,  dass  die 
Symmetrie 
der  ganzen 
Anlage  vor- 
springende 
Mauenna>sen 
erfordere  und 
dass  auf  diese 
Weise  mit 
leichterer 
Kühnheit  dein 
Ganzen  der 
Charakter  des 

Empörst  re- 
benden  gege- 
ben werden 

könne.  So 
setzen  denn 
vier  gewaltige 

Pfeiler  am 
Fussboden  an. 
steigen  auf, 
schlanke  hohe 
Fenster  ein- 
schliesseud. 
bis  eine  Gale- 
rie, das  Unter 
geschoss  tren- 
^ nend ,  deu 
Ubergang  vom 
Vier-ins  Acht- 
eck markiert 

in  welchem 
der  Kern  sei- 
nem Gipfel- 

S winkte  zuiagt. 
We  vier  fcek- 
pfeiler ,  zer- 
uud  sieh  ab- 
n  von  Fialen, 
sich  auf- 
Übergaug 
indem  .sie 


vom  Kölner 


klüftet  von  Nischen 
stufend  in  Dutzende 
als  .selbständige  Türm»' 
bauend,  vermitteln  den 
auf  die  bewegteste  Art. 
den  mittleren  Kern  zu  seiner  luftigen 
Höhe  begleiten,  der  sich  dort  mit 
einem  gewaltigen  Steinhelm  über- 
dacht. Die  strenge  Konsequenz.  *li 


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Gotischer  Haustil.  315 


im  gotischen  System  liegt,  wollte  mit  künstlerischer  Gleichgültigkeit 
aber  auch  hier  oben  ausklingen.  Auf  die  praktischen  Bedürfnisse  hintan- 
dem  lebendigen,  mit  Leichtigkeit  auf-  setzend,  erstand  ein  luftiges  durch- 


Fig.  71.    Brautthor  zu  St.  Sebald.  Nürnberg. 

«(Hellenden  System  des  Unterbaues  brochenes  Gerüst,  dessen  kräftige 

konnte  keine  volle  Steinmassc  als  Rippen,    untereinander  verspannt, 

Ab-M-lilusshelrn  lasten.  Unbekümmert  durch  Masswerk  aller  Art,  an  ihrem 

gegen  die  Unbilden  der  Witterung,  Vereinigungspunkt  als  letzte  Blüte 


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316 


Gotischer  Baustil. 


eine  gewaltige  Kreuzrose  aufknos- 
pen Hessen.  Unten  am  Fussc  aber 
öffneten  sich  drei  weite  Portale. 
Dort  herrsehte  der  bildnerische 
Sehmuck  mit  gewinnender  An- 
mut. In  tiefliegenden  Hohlkehlen, 
keck  unterbrochen  von  schlanken 
Säulchen,  empfangen  uns  die  Scharen 
der  Heiligen,  deren  Statuen  unter 
Baldachinen,  auf  Konsolen  ruhend, 
herniedergrüs8en,  während  das  von 
dem  Bogen  eingespannte  Feld,  das 
sogenannte  Tympanon ,  Szenen  aus 
der  Bibel  erzätilt  und  der  das  breite 
Portal  trennende  Pfeiler  die  Statue 
eines  bevorzugten  Heiligen,  in  der 
Regel  diejenige  der  Maria  präsen- 
tiert. Fig.  71.  Brautthor  zu  St.  Se- 
bald. (KuMthut.  Bilderlxxjen). 

Über  der  reiehgeschmückten 
Archivolte  erhob  sich  in  der  Regel 
ein  grosser  steiler  Giebel,  dem 
wir  schon  bei  den  Fenstern 
unter  dem  Namen  Wimperg  be- 
gegnet sind,  nur  dass  hier  die 
weit  grössere  Fläche  oft  auch  noch 
in  den  Rahmen  des  bildnerischen 
Schmuckes  hineir  (gezogen  wurde, 
statt  mit  Masswerk  ausgefüllt  zu 
werden.  Unbekümmert  ragten  diese 
Giebel  in  das  darüberliegendc  Fen- 
ster oder  die  Rose  lünein  und  kenn- 
zeichnen so  recht  die  Rücksichts- 
losigkeit der  mittelalterlichen  Bau- 
meister, wenn  es  galt  ein  bestimmtes 
Architekturstück  konsequent  auszu- 
bilden. 

Hiermit  steht  der  gotische  Kir- 
chenbau vollendet  vor  uns,  gross  in 
seinen  Grundgedanken,  gross  in 
der  konstruktiven  und  dekorativen 
Behandlung  desselben,  aber  trotz 
dem  seine  bedenklichen  Kehrseiten 
nicht  verleugend.  Die  tausend 
und  aber  tausend  feinen  Spitzen, 
welche  der  Vernichtung  ihren 
Arm  entgegenstrecken  und  im  wil- 
den Chaos,  besonders  am  Chor- 
haupte, weder  ein  klares  Bild,  noch 
eine  formeuschöne  Silhouette,  zu- 
stande bringen  (Fig.  69),  das  Über- 
schneiden der  zahlreichen  Bögen  im 


Innern  in  oft  nichts  weniger  als 
schönen  Formen,  der  unvermittelt*? 
Aufsatz  der  Gewölberippen  auf  den 
Diensten,  die  bildnerische  Überladung 
der  Portale  mit  der  widersinnigen 
Stellung  der  Statuen  gegen  den 
Scheitelpunkt  des  Bogens  liin,  die 
zwecklosen,  rein  dekorativen  Wim- 
perge, die  Tunnhelme,  deren  durch- 
brochene Masswerksformen  nicht  nur 
dem  praktischen  Bedürfnisse  nicht 
im  geringsten  entsprechen,  sondern 
fast  für  jeden  Standpunkt  des  Be- 
schauers sich  überschneiden  und  sich 
in  unrhvthmi8cher  Weise  decken,  vor 
allem  aber  die  durch  gänzliche  Unter- 
drückung der  Horizontale  hervor- 
gerufene Unruhe,  erinnern  nur  zu 
sehr  daran,  dass  Wahrheit,  Natur 
und  Zweckmässigkeit  nicht  die  stärk- 
sten Seiten  der  gotischen  Architektur 
waren  und  dass  dieselbe  m«'hrbestrvbt 
war,  das  Ideale  zu  realisieren,  als  das 
Reale  zu  idealisieren. 

4)  Schliesslich  hätten  wir  noch  der 
abweichenden  Formen  zu  gedenken. 
Bei  der  umfassenden  Verbreitung 
des  gotischen  Stiles  war  es  selbst- 
verständlich, dass  mannigfache  Ab- 
änderungen so  wohl  in  der  Grundriss- 
form als  im  Aufbau  zur  Geltung 
kamen,  teils  bedingt  durch  nationale 
Eigentümlichkeiten,  teils  durch  den 
veränderten  Zeitgeist,  teils  aber  na- 
mentlich durch  das  Baumaterial. 

Vorerst  hatte  jenes  exzentrische 
Streben  nach  Vertikalismus  nicht 
überall  die  Oberhand  gewonnen. 
Man  hielt  zum  Teil  noch  fest  an 
einer  ruhigen,  dem  Romanischen 
sich  mehr  anlehnenden  Entwickelung. 
Statt  das  Mittelschiff  zu  jener  eng- 
brüstigen Höhe  emporzuuihren,  zog 
man  es  vor,  die  SeitenschifFe  zu  er- 
weitern. Man  machte  dieselben 
breiter,  zuletzt  so^ar  gleich  breit, 
wie  das  Mittelschiff.  Eine  natür- 
liche Folge  davon  war  die  Erhöhung 
desselben,  und  das  Resultat  dieser 
Umwandlung  eine  Halle  mit  drei 
gleichbedeutenden  Schiffen  (Fi£.  68). 
Dieses  System  der  Hallenkirchen 


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Gotischer  Baustil. 


317 


beeiuflusste  die  Form  der  äusse- 
ren Anlage  beträchtlich.  Das  Quer- 
schiff fiel  weg,  und  der  Wechsel 
des  höher  emporragenden  Mittel- 
baues zu  den  niedrigen  Seitenschiffen 
erstarb  zu  einer  glatten  Mauer,  die 
trotz  der  langen  grossen  Fenster 
und  allen  möglichen  konventionellen 
Zieraten  sich  nie  zu  jenem  leben- 
digen Rhythmus  der  Basilikenanlage 
emporzuschwingen  vermochte.  Die 
durch  drei  gleich  hohe 
Schiffe  entstandene  Flache  des  zu 
überdachenden  Baumes  bedingte  aber 
zugleich  jene  gewaltigen  Dächer, 
die  trotz  allen  augewandten  Deko- 
rationsmitteln,  trotz  des  Auflösens 
in  farbigem  Schmuck  dem  Bau  ein 
für  allemal  ein  schwerfälliges  Ge- 
präge aufdrückten. 

Ak3/a/erär/wurdebei  den  meisten 
Bauten  ein  fügsamer  Baustein  ver- 
wendet. In  den  nördlichen  Gegenden 
indessen,  wo  derselbe  schwer  zu  er- 
halten war,  sah  man  sich  auf  ein 
Surrogat  verwiesen,  auf  die  Ziegel. 
(Baeksteinlmu).  Dadurch  entstand 
dort  eine  eigentümliche  Richtung. 
Alle  stärker  ausladenden  Details 
fielen  weg  und  machten  einem  deko- 
rativen farbigen  FlachornamentPlatz. 
Indes«  vermochte  diese  Richtung  in 
der  Kirchenarchitektur  sich  nicht 
zu  einer  wirklich  künstlerischen  Ent- 
wickelung  emporzuschwingen.  Sie 
blieb  eine  lokale. 

Die  Zeit  war  nicht  mehr  dazu 
angethan,  neues  zu  schaffen,  es  folgte 
eine  allgemeine  Entnüchtcrung.  Man 
li<*ss  den  Gesamtgedanken  aus  dem 
Auge  und  wandte,  Zeit  und  Ge- 
schmack einer  dekorativen  Aus- 
bildung der  Details  zu,  die  nur  zu 
bald  in  eine  bald  anmutige,  bald 
nüchterne  Spielerei  ausartete. 

Das  Kennzeichen  jedes  Zopfes, 
das  Haschen  nach  geschwungenen 
Linien  brach  auch  da  ein.  Die 
Wimperge  wurden  gekrümmt  und 
nahmen  die  Gestalt  des  sogenannten 
E*eUrückens  an,  das  Fenstermass- 
tverk  verwilderte  in  den  Fischblasen- 


formen, die  Fialen  wurden  spiral- 
förmig gedreht  und  die  Spitze  oft 
hakenförmig  umgebogen,  die  Pro- 
file bestanden  schliesslich  aus  nichts 
mehr  als  aus  tiefeingeschnittenen 
Hohlkehlen.  So  wurde  die  gotische 
Architektur  reif,  der  einbrechenden 
Renaissance  zu  weichen,  und  .wich 
auch  fast  ohne  Kampf.  Die  Über- 
gänge sind  gering.  Die  Renaissance 
tritt  unvermittelt  ein  und  verkündet 
den  Anfang  einer  neuen  Zeit,  eines 
anderen  Gedankenganges. 

5)  Historischer  Ahriss.  Frankreich. 
Schon  in  der  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts, während  Deutschland  noch 
streng  romanisch  dachte  und  baute, 
erstand  unter  Abt  Suger  an  der 
Abteikirche  zu  St.  Denis  ein  neuer 
Chorbau,  an  welchem  zum  ersten- 
mal der  vollendete  Strebepfeiler 
aufkam,  verbunden  mit  der  reich 
ausgebildeten  Choranlage ;  hier  nahm 
auch  die  konstruktive  Verwendung 
des  Spitzbogens  ihren  Anfang,  nach- 
dem schon  lange  vorher  ein  Grübeln 
und  Suchen  nach  diesem  System  in 
der  romanischen  Architektur  vor- 
bereitend den  Grund  zu  diesem, 
wenn  man  so  sagen  will,  neuen  Ge- 
Gedanken gelegt  hatte.  Derselbe 
fand  rasch  Anklang,  und  in  kurzer 
Zeit  folgten  diesem  Erstlingswerk 
die  Kathedrale  von  St.  Remy  zu 
Rheims,  sowie  die  Kathedralen  von 
Laon  und  Paris.  Am  glanzvollsten 
entwickelte  sich  die  französische 
Gotik  im  13.  Jahrhundert  an  den 
Kathedralen  von  Chart  res  (1195  bis 
1260)  und  Rheims  (1212)  und  er- 
reichte den  Glanzpunkt  ihrer  Blüte 
in  der  Kathedrale  von  Amiem 
1220—88),  während  das  14.  Jahr- 
hundert sich  grösteuteils  mit  Voll- 
endung der  begonnenen  Bauten  be- 
schäftigte. Im  15.  Jahrhundert  zer- 
fiel die  französische  Gotik  bereits, 
indem  der  sogenannte  Flamboyant- 
stil  oder  wie  man  auf  Deutsch  sagen 
würde,  der  Fischblasenstil  einbrach. 

Deutschland  sträubte  sich  bis 
tief  ins  13.  Jahrhundert  hinein,  den 


uigiiizea 


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318  Gotischer  Baustil. 


sich  buhnbrechenden  neuen  Formen  bis    1315),   wo  die  Masswerbent- 

sein  Gebiet  zu  ötrnen.    Es  hielt  fest  Wickelung  in  den  Fenstern  in  spru- 

an  der  Ausbildung  des  romanischen  !  delndem  Leben  zur  Geltung  kommt 

Stils,   der    allerdings  trotzdem  in  Das  im  gleichen  Jahrhundert  er- 

seiner  Blütezeit  in  dem  rheinischen  !  richtete  Münster  zu  Freiburg  impf- 

Übergangsstil  den  Einfluss  der  her-  niert  namentlich  durch  Mint  edle 

anrückenden  Gotik,   namentlich  in  Turmbaute     mit  durchbrochenen] 

der  Grundrissbildung,  keineswegs  zu  Helm.    Das  Strassburger  MiMfa 

verleugnen  vermag.    Das  erste  be-  (1275—1489)  zeigt  fast  alle  Phasa 

deutende  Beispiel   der   Aufnahme  der     mittelalterlichen  Baukunst 

gotischer  Formen  zeigt  der  Chor  Das  Langhaus  (Fig.  66)  ist  streof 

des  Doms  zu  Magdeburg,  der  das  frühgotisen,  die  Seitenfacaden  dä 

französische  Vorbild  des  Kapellen-  Querschiffes  und  der  Chor  mahnt* 

kranzes  aeeeptiert.    Ein  liebliches  an  romanische  Formen,  während  <te 

Beispiel    der   Übertragung    dieses  vordere  westliche  Faeade  mit  ihnn 

französischen   Gedankens  auf  den  gewaltigen  Radfenster  deutliche  Ap- 

Zentralbau  ist  die  Liebfrauenkirche  klänge  an  die  französische  Gotik 

in  Trier  (1227-44),  während   die  in    ihrer   Blüte    zeigt,    und  der 

Elisabethenkirche  in  JA* /  &m;v/  als  das  Turmbau  endlich  (1439  vollende*] 

erste  frühe  Beispiel  (1235  —  83)  einer  jenes    Auflösen    der  Architekt* 

Hallenkirche  erscheint.    Das  Quer-  formen,  jenes  Jagen  nach  konstruk* 

schiff  ist  uueh  Vorluge  des  rheinischen  tiven  hundwerksmässigen  jxtrfort* 

Übergangsstiles  im  Polygon  abge-  Leistungen  offenbart,  die  man  hoch- 

schlössen ,  die  ganze   Anlage  noch  stens  wegen  ihrer  Kühnheit  brvw- 

äusserst  ruhig,  einfach  und  sehlicht,  dem,  nie  aber  schön  fiiidcu  kam*, 

aber  von  grossem  Adel  der  Auf-  Im  südlichen  Deutschland  stellt  <kf 

fassung  zeugend.  1275  erstandene  Regensburntr  D<fa 

In  dem  schon  1248  begonnenen  das  Vorbild  für  die  deutsche  Chof^ 

Kölner  Dom  (Fig.  60)  entfaltet  sieh  bildung  auf,  welche  der  reichen  fr**: 

das   gotische  System   zu  edelster  zösischen  Anlage  entsagt  und  Jft 

Harmonie  und  grossartigster  Durch-  selbe  durch  einfache  Polygone 

führung,  die  indes  nicht  frei  ist  von  setzt,    während    im  Präger 

schulmässiger  Regelrichtigkeit.  Der  (1343—85)   eine    nochmalige  .wi 

Einfluss  der  französischen  Gotik  ist )  nähme    des  Kapellenkranze?  ffl» 

unverkennbar  und  der  Kölner  Dom  Durchbruch  gelangt.    Im  14.  Jskr* 

sozusagen  eine  getreue  Kopie  der  j  hundert  ist  die  Gotik  in  Deutsch» 

Kathedrale4  von  Amiens,  allerdings  in  Fleisch  und  Blut  übergepMi?* 

eine  Kopie,  welche  das  Original  durch  |  und  feiert  nochmals  ihre  Blütea^ 

Lauterkeit,    Folgerichtigkeit    und  so  im  Dom  zu  Halberstadt,  nawifc 

Klarheit  der  Disposition  überholt,  lieh  aber  in  der  weitern  AusbilHBj 

ein  Bauwerk,  dessen  gewaltige  Di-  des  Halletikirrhensi/st&ms.  ZagWflj 

mensionen  an  das  menschliche  Köu-  bricht  aber  mit  def  Überha 

nen  und  die  menschliche  Kraft  der-  der  gegenüber  der  Basilika 

artige  Anforderungen  stellte,  dass  nüchternen  Form  der  Hallen 

es  unserem  Jahrhundert  vorbehalten  eine     gewisse  handwerkstni* 

war,  mit  der  Kreuzblume  die  Stein-  Fertigkeitan  Stelle  der  künstlerUdi 

riesen  zu    krönen,    das  gewaltige  Gestaltungskraft;     ein  ÜberhM 

Werk   zu  seiner  Vollendung  also  nehmen  von  konstruktiven  Sp» 

nicht  weniger  als  sechsnndcinhalbefl  findigkeiten,  wie  Netz-  und  Swflf 

Jahrhundert  bedurfte.  Ungleich  ori-  gewölbe;  eiu  Einhüllen  der  F«mn«J 

gineller  in  der  Auflassung  ist  die  in  ein  wahres  Netz  von  frei  dargw 

KatharinenkirchezuO;//yrw//</wMl262  gestelltem    Stabwerk,    die  unuiff 


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Gotischer  Baustil. 


319 


•»chrankte  Herrschaft  der  Fischblase 
und  des  Eselsrückens.     Die  Bei- 
H»i«Ae  dieser  Epoche  entbehren  zwar 
keineswegs  einer  gewissen  Anmut 
und  Leichtigkeit,  besonders  in  der 
Ausbildung  von  Einzelarchitekturen; 
w\t  erinnern  nur  an  die  Wiesen- 
kirche in  Soest-  mit  dem  wunder- 
hübschen Chorschluss,  an  dieMarien- 
kirx  he  zu  Muh/hausen,  an  die  Dome  zu 
JfinJtH  und  Meisten,  in  Süddeutseh- 
land  namentlich  an  die  Liebfraueu- 
kirche  in  Esilinyen  mit  dem  höchst 
■  it ijLri-ii  Turra,  an  die  Nürnberger 
Kirchen  $/.  Sebald  und  Sf.  Lorenz 

Da**  gewaltigste  Denkmal  des 
14.  Jahrunderts  aber  repräsentiert 
•ÄL  an  in  Wien  (Fig.  68),  eine 

weite  Hallenkirche  mit  wenig  er- 
böhfem  Mittelschiff«  Im  Äussern 
namentlich  die  mit  grosstem 
rhen  Fleisse  erstellten  Wim- 
perge ins  Auge,  wodurch  die 
öchw-  n  des  gewaltigen  Daches 
etw«<  L'-'mildert  wird.  Besonders 
feiiex  hat  sich  die  Gotik  in  dem  ge- 
jpalüVen  Riesenwerke  des  Turm- 
(1433  vollendet)  ein  letztes, 
'durch  alleJahrhunderteAchtung 
^«bietendes  Denkmal  gesetzt. 

Von  da  an  zerfällt  sie  rasch. 

15.  Jahrhundert  vermag  sie 
tt  mehr  zu  halten.  Die  Einzel- 
ren werden  nüchtern  oder 
sie  fangen  an,  sich  zu 
und  zu  .biegen  und  zu 
ihnörkeJn.  Die  geometrischen 
nen  werden  zur  Zerrform  der 
lr  und  arfen  zuletzt  in  unver- 
je  plumpe  Gestaltungen  aus. 
>lche  Blüte  gotischen  Zopfes 
das  Portal  des  Merseburg er 
und  der  Klosterkirche  zu 
\f-  etc  Ver  Backsteinbau 
^ine  Haupt  Vertreter  in  den 
r^ben  Gigenden,  namentlich 
l*er  Marienkirche  zu  Ziffer* 
&  -  onenl.  wo  die  ganze  weit- 
|W..  Anlage  de»  französischen 
ST     I Lkttein  zur  Ausführung 


In  England  schlug  der  gotische 
Stil  seinen  eigenen  Lntwickelungs- 
gang  ein.  Das  Langhaus  wurde 
stets  nur  dreischiffig  angelegt  und 
ungewöhnlich  in  die  Länge  gezogen. 
Der  Chor  erhielt  den  nüchternen 
geradlinigen  Abschluss.  Neben  den 
zwei  Westtünnen  hielt  sich  der 
Querschiffturm.  Der  deutsche  Helm 
machte  beinahe  immer  einem  ein- 
fachen Zinnenkränze  Platz. 

Die  hauptsächlichsten  Beispiele 
sind  die  Kathedrale  von  Canterburv, 
die  Westminstcrkirehe  in  London 
(1245—69  ).  die  Kathedrale  von  Salis- 
bury  (1220-1259),  von  Woreester 
und  andere  mehr. 

In  Italien  kam  der  gotische  Bau- 
stil nie  zu  seiner  Geltung,  oder  er 
erhielt,  wo  er  zur  Ausführung  kam, 
ein  den  nationalen  Anschauungen 
und  dem  Bedürfnis  entsprechendes, 
dem  gotischen  Principe  aber  fremdes 
Gepräge.  Italien  lebte  zu  sehr  in 
den  antiken  Formen  und  folgte  nur 
widerstrebend  dem  Zuge  der  Zeit, 
während  das  vom  benachbarten 
Frankreich  beeinflusste  Spanien  den 
gotischen  Stil  freudig  auffasste  und 
denselben  mit  maurischen  Formen 
zu  einem  eigentümlichen  Bilde  ver- 
quickte. 

Nach  diesem  Rundgange  durch 
die  verschiedenen  Länder  und  Jahr- 
hunderte können  wir  ungefähr  fol- 
gende Epochen  des  gotischen  Bau- 
stils aufstellen: 

Erste  Epoche:  Übergangsstil  vom 
Ende  des  12.  bis  zur  Mitte 
des  13.  Jahrhunderts. 
Zweite  Epoche:  Frühgotik,  Ende, 
des  13.  und  Anfang  des  14. 
Jahrhunderts,  zugleich  die 
Blütezeit. 
Dritte  Epoche:  Verfall  und  Aus- 
artung, Ende  des  14.  und 
15.  Jahrhundert. 

B.  Die  Profanbauten. 

Der  Wohlstand  der  mittelalter- 
lichen Städtebewohner,  genährt 
durch  den  emporblühenden  Kandel 


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320  Gotischer  Baustil. 


Fig.  72.     Rathaus  zu  Krüssel. 


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Gotischer  Baustil. 


321 


mal  gestärkt  durch  jene  Hamlwerks- 
verbmdungen,  die  Zünfte,  mit  ihren 
streng  organisierenden  Gesetzen  und 
Vorschriften,  rief  von  selbst  eine 
ersteigerte  Baulust  auch  im  Profau- 
bau   hervor;  sei  derselbe  nun  für 
die  Öffentlichkeit  berechnet  gewesen, 
oder  diene  derselbe  als  Wohnhaus 
oder  Kaufhaus.   S«>  entstanden  Rat- 
häuser, ßildcnhalleu ,  Zunfthäuser 
und  Privatgebäude  aller  Art.  Fig. 72, 
Rathaus  zu   Brüssel  [Müller  und 
Mottet,  .irr/,.  Wörlerb*)»  Selbst  die 
das  Weichbild  der  Stadt  begren- 
zenden   Umfassungsmauern  geben 
durch  ihre  prächtigen  Türme  und 
Thorr     Zeugnis     der  lebensfroh 
rrwachten    Baulu>t.      Die  Faca- 
dea    der    Wohnhäuser  bauen  sich 
meist  mit  den  durch  die  Kirchen- 
architektur   gegebenen  Elementen 
auf.  nur  dass  hier  die  Massen  der 
Strebepfeiler  leichten  Lisenen  wei- 
chen und  das  spitzbo^ige  Fenster 
einer    gekupp<  dteii  Fensteranlage 
Platz  macht,  die  überdeckt  und  ge- 
teiit  ist  durch  zwei  horizontale  Stein- 
balkeu.   Gegen  die  Strasse  zu  baut 
sich   rnei^t  ein  steiler  Giebel  auf, 
der  Anla»  zu  mannigfaltigen  Deko- 
rationen  bietet.  Der  Symmetrie  wird 
gewöhnlich  keine  Rechnung  getra- 
gen und  gerade  in  einer  gewissen 
Begello>igkeit  liegt  ein  hoher  male- 
z  dieser  Gebäude,  erhöht 
durch  keck  vorspringende,  mit  rei- 
S  k  i  dptura  rbeit  ü benleckte  Erker, 
rufen  an  der  Stra.-se  aber  öffnet 
sich     eine    schattige    Arkade  von 
kräftigen  Bögen  und  Pfeilern.  Diese 
-et zt    sich  gewöhnlich   unter  den 
Nachbarhäusern  fort  und  bildet  so 
iige,   die  unter  dem 
Namen   Launen   bekannt  sind  und 
den  mittelalterlic  hen  Städteanlagen 
das  Gepräge  eines  heüneligen  Bei- 
sammensein.- aufdrücken.  Im  Innern 
waren  die  Häuser  meist  eng  und 
entbehrten    des    Lichtes   und  der 
Von  der  erwähnten  Laube 
\x\s\   man  vorerst  in  einen  grossen 
Fh.r.    Hier  pulsierte  das  geschäft- 

Kealtadcon  der  deutschen  Altertümer. 


liclie  lieben  des  Hauses  uud  wurde 
überwacht  von  der  im  Hintergrunde 
angebrachten  Schreibstube  des  Kauf- 
herrn. Eine  meist  enge,  steile  Treppe 
führte  von  der  Hall«'  zum  Söller, 
der  die  Verbindung  mit  deu  Wohn- 
und  Schlafräumen  des  obern  Ge- 
schosses vermittelte  und  von  dessen 
Brüstung  man  den  unten  vorsieh  geh- 
enden Verkehr  beobachten  konnte. 
In  den  weiten  hohen  Dächern  aber 
bargen  grosse  Speicher  die  Schätze 
des  Kaufherrn  und  die  Vorräte  der 
Hausfrau.  Die  Strassen  waren  meist 
eng,  mitten  durchzogen  von  dem  so- 
genannten Stadtbach,  und  erweiter- 
ten sich  selten  zu  freien  offenen 
Plätzen,  welche  dann  gewöhnlich 
mit  vielröhrigen  Brunnen  geschmückt 
wurden.  Deu  Glanzpunkt  aber  feierte 
die  Profanarchitektur,  namentlich 
in  den  Niederlanden,  in  den  impo- 
santen Rathäusern,  welche  gewönu- 
lich  durch  einen  gewaltigen  Turm 
mit  schlank  emporstcheuder  Spitze 
die  Bedeutung  des  Gebäudes  als 
koordiniertes  Ulied  der  Kirche  kräf- 
tig aussprachen.  Mit  gleicher  Lebeus- 
frohlichkeit  entstanden  aber  auch 
jene  weithalligen  Klosteranlagen  mit 
ihren  romantischen  Kreuzgängen, 
die  trotzigen  Jiu rqen  mit  ihrem  die 
ganze  Gegend  benerrschenden  Ver- 
teidueungsturm,  dem  Bergfrit. 

Die  liöchste  Ausbildung  erfuhr 
der  Profanbau  in  den  flandrischen 
Landen,  allein  auch  in  Deutschland 
fehlt  es  nicht  an  einer  mannigfal- 
tigen, oft  edlen  Gestaltung.  Zu- 
nächst sei  der  Kathäuser  in  Braun- 
schweig und  Münster  gedacht,  die 
zwar  des  Turmes  entbehren,  aber 
durch  eigentümliche  Anlage  der 
übereinanderliegenden  Geschosse 
und  anmutigen  Bogenhallen  an- 
sprechen. Privathäuser  findet  man 
zu  Münster  und  Kuttenberg,  nament- 
lich aber  zu  Nürnberg  i  Haus  Nassau). 
Unter  den  Schlössern  sind  die  von 
Karl  IV.  gebaute  Burg  Karlsstein 
und  die  grossartig  angelegte  Al- 
brechtsburg zu  Meisseu  hervorzu- 

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322 


Gott  Vater.  —  Götter  der  Germanen. 


hoben.  Höchst  bedeutend  ist  die 
Entfaltung,  die  der  Profanbau 
in    Ländern    des  Baeksteinbaues 

fefunden  hat,  so  im  Rathaus  zu 
angermünde,  dem  Stadtthor  zu 
Stendal  etc.  Den  Stolz  des  goti- 
schen Profanbaues  in  Deutschland 
aber  bildet  das  Hauptschloss  des 
deutschen  Ordens,  die  sogenannte 
Marienburg  mit  ihrem  wundervollen 
Kempter. 

In  Italien  fand  der  gotische 
Profanbau  eine  weit  prunkvollere 
Gestaltung  und  Ausdehnung ,  wie 
auch  in  Frankreich  und  England, 
wo  der  Fachwerksbau  seine  Aufer- 
stehung in  den  zierlichsten  und 
mannigfaltigsten  Formen  offenbarte. 
Nach  den  kunstgesch.  Werken  von 
Lühke,  Kugle r  u.  Sehnaase. 

A.  H. 

Gott  Vater,  als  Bildwerk,  wurde 
in  der  ältesten  christlichen  Kunst 
entweder  bloss  symbolisch  durch 
die  segnende  Hand  und  durch  den 
aus  den  Wolken  reichenden  Arm 
dargestellt,  oder  durch  Christus,  den 
Sohn  Gottes.  Seit  dem  12.  Jahrh. 
übertrugen  indes  die  Künstler  die 
Gestalt  des  Sohnes  auch  auf  den 
Vater,  so  dass  die  Entscheidung, 
wer  von  beiden  gemeint  sei,  oft 
schwer  fällt.  Ein  eigener  Typus 
fiir  Gott  den  Vater  bildete  sieh"  erst 
seit  dem  14.  Jahrh.  aus,  und  zwar 
als  Greis  von  60—  80  Jahren,  mit 
langem,  weissem,  ungeteiltem  Bart, 
eine  abgelebte  Gestalt  mit  den  Iu- 
signien  der  Majestät  bekleidet,  im 
Kostüme  des  Papstes,  Kaisers,  Kö- 
nigs, den  Reichsapfel  zum  Zeichen 
der  Weltregierung  haltend.  Otte, 
Handh.  d.  Archäol.  Abschu.  158. 

Gotter  der  Germanen.  Die 
germanische  Religion  entwickelt  sich 
aus  der  Xaturreligion  der  arischen 
oder  indogermanischen  Völker;  sie 
stimmt  daher  in  ihren  Grundzügen 
mit  den  Religionen  derlndier,  Perser, 
Griechen,  Italiker,  Slaven  und  Kelten 
überein,  und  es  ist  Aufgabe  der  ver- 
gleichenden Mythologie  geworden. 


nachzuweisen,  auf  welche  Weise  sie 
sich  allmählich  zu  ihren  besonderen 
Formen  herangebildet  hat  Mit  der 
älteren  indogermanischen  Mythologie 
teilt  die  germanische  noch  deutlich 
den  Charakter  eines  von  einem  Hit- 
tenrolke  geübten  JAehtktdtus.  An 
der  Spitze  der  germanischen  Götter 
standen  in  den  letzten  Jahrhunder- 
ten vor  Christi  Geburt  die  lichten 
Mächte  des  Himmels,  die  tiras,  alt- 
nordisch tivar,  d.  n.  die  Himm- 
lischen, und  die  raneis,  nordisch 
ranir,  die  Glänzenden.  „Der  Gott 
des  leuchtenden  Himmelsgewölbes 
Tius  wird  vorzügliche  Verehrung 
genossen  haben."  An  seiner  Seite 
scheint  eine  Erdgöttin  FuJda  ge- 
standen zu  haben.  Neben  ihntu 
wurde  ein  leuchtender  Sonnengott 
und  ein  strahlender  Blitzgott,  Thunar, 
verehrt.  Diese  kämpften  mit  den 
finstern  Dämonen  des  Wolken- 
dunkels, der  Nacht  und  des  Win- 
ters, welche  die  Frauen,  das  Gold 
und  die  Kühe  rauben ;  die  Dämonen 
werden  bald  als  Riesen,  bald  als 
Zwerge,  bald  als  Drachen  aufgc- 
fasst.  Aus  der  Schar  der  himm- 
lischen Wasserfrauen  und  der  Jung- 
frauen der  Morgenröte,  welche  die 
arische  Mythologie  kannte,  trat  als 
Gesamtverkörperung  eine  hohe  Göt- 
tin hervor,  welche  in  der  Wolke 
thronend  mit  dem  Sturme  daher- 
fährt,  aber  auch  das  Licht  der  Sonne 
und  Morgenröte  spendet.  Sie  spal- 
tete sich  später  in  die  verschiede- 
nen Göttergestalteu  der  Fria,  Friqi, 
Hulda  u.  a.  Die  im  Blitze,  den 
Sonnenstrahlen,  wie  in  allen  Leben 
der  Natur  waltenden  Seelen  dea 
arischen  Urvolkes  waren  bei  den 
Germanen  zu  Alben,  Elben,  £2fr* 
geworden;  aus  den  Geistern  der 
Winde,  den  Mamfs  der  Arier,  die 
zum  Teil  aus  den  Seelen  dahinge- 
schiedener Menschen  bestanden,  wor- 
den bei  den  Germanen  die  Marten 
unter  der  Benennung  des  wüten- 
den Heeres.  Die  Mythologie  dieser 
Periode  stand  jedoch  noch  ganz  auf 


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Götter  der  Germanen. 


323 


dem  Boden  der  Naturanschauung, 
und  die  Naturkräfte  und  Erschei- 
nungen hatten  sich  noch  keines- 
wegs zu  abgeschlossenen,  individu- 
ellen, dem  Menschendasein  angelehn- 
ten Göttergestalten  herausgebildet; 
daher  berichtet  noch  Casar:  „Die 
Germanen  rechnen  zur  Zahl  der 
Götter  nur  die,  welche  sie  sehen  und 
durch  deren  Segnungen  sie  offenbar 
gefordert  werden,  Sonne,  Mond  und 
den  Feuergoti  ( Vtdcanus,  Thunar); 
von  den  übrigen  haben  sie  nicht 
einmal  durch  Hörensagen  vernom- 
men.44 

Im  Kampfe  mit  den  Römern  wur- 
den die  germanischen  Stämmcschnell 
aus  dem  Hirtenleben  zu  einem  be- 
wegten Jäger-,  Krieger-  und  Acker- 
bauleben ninübergeführt;  auch  die 
mythologischen  Anschauungen  wur- 
den dadurch  wesentlich  verändert. 
Ein  rascheres  Denken,  erregteres 
Fühlen,  frischeres  Handeln  führte 
dahin,  in  die  alten  Götter  immer 
mehr  geistige  und  sittliche  Gedanken 
hin  einzutragen  und  dadurch  ihr  We- 
sen immer  menschlicher,  persönlicher, 
individueller  und  mannigfaltiger  zu 
gestalten.    Der  ursprüngliche  Sinn 
vieler  mythologischer  Bilder  ging 
verloren,  und  dies  gab  zur  Über- 
tragung himmlischer  Vorgänge  auf 
irdische,  zu  Lokalisierungen  aller 
Art  Veranlassung.  Aus  den  Wolken- 
kühen und  Wolkenbergen  wurden 
teilweise   irdische  Kühe,  irdische 
Berge;  der  Wohnsitz  der  Elbe  wurde 
zum  teil  auf  die  Erde  verlegt,  und 
so  rückte  die  Mythologie  im  ganzen 
und  grossen  dem  Menschen  in  ver- 
trauliche Nähe  herab.  Tacitus  nennt 
uns  bereits  eine  ganze  Anzahl  in- 
dividueller   Götter    und  daneben 
heilige  Haine,  welche  den  religiö- 
sen Mittelpunkt  einzelner  grösserer 
Stämme  bildeten.    Gleichwohl  war 
anthropomorphische  Götterbe- 
nocb  keineswegs  so  stark,  dass 
man  plastische  Gestalten  zu  denken 
und  darzustellen  gewusst  hätte.  So 
ist  der  Ausspruch  des  Tacitus  zu 


verstehen:  „Die  Götter  in  Tempel- 
wände einzuschliessen  oder  der  Men- 
schengestalt irgend  ähnlich  zu  bil- 
den, aas  meinen  sie,  sei  unverträg- 
lich mit  der  Grösse  der  Himmlischen. 
Walder  und  Haine  weihen  sie  ihnen, 
und  mit  dem  Namen  der  Gottheit 
bezeichnen  sie  jenes  Geheimnis,  das 
sie  nur  im  Glauben  schauen.'4  Da 
die  stürmischen  Zeiten  des  Kampfes 
so  ziemlich  jedes  andere  Interesse 
verschlangen,  traten  jetzt  diejenigen 
Gottheiten  in  den  Vordergrund, 
welche  einen  Bezug  auf  die  neue 
kriegerische  Richtung  des  germani- 
schen Geistes  hatten  oder  zuliessen. 
Aus  der  Schar  der  im  Sturm  um- 
fahrenden Seelen  hob  sich  der  Sturm- 
gott Wodan  hervor  als  ein  vorzugs- 
weise kriegerischer  Gott.  Ihm  wur- 
den vor  den  andern  Göttern  Opfer 
und  Gebete  dargebracht.  Tacitus 
kennt  ihn  unter  dem  Namen  Merkur. 
Von  den  Sachsen  und  Pranken  ver- 
breitete sich  der  Kult  des  Wodan 
als  Obergott  zu  den  übrigen  ger- 
manischen Stämmen,  keltische  und 
römische  Anschauungen  wurden  auf 
ihn  übertragen  und  gaben  Veran- 
lassung zur  Entstehung  germanischer 
Mythensysteme.  Es  bildete  sich  den 
irdischen  Verhältnissen  analog  ein 
Götterstaat,  an  dessen  Stutze  Wodan 
als  kriegerischer  Obernerr  stand. 
Auch  die  übrigen  Götter  traten  in 
Beziehung  zu  Kampf  und  Krieg, 
und  was  sich  von  älteren  Anschau- 
ungen in  diese  neuen  Verhältnisse 
nicht  fügen  konnte,  wurde  zurück- 
gedrängt oder  vergessen.  An  die 
Stelle  der  älteren  Lichtgötter,  der 
Vanen,  traten  die  Asen.  Als  sich 
dann,  ebenfalls  im  Gefolge  der  Kriege 
mit  den  Römern,  allmählich  ein 
Stand  beute-  und  eroberungssüch- 
tiger Edler  von  den  auf  der 
Scholle  sitzenden  Hörigen  oder  Bau- 
ern im  engeren  Sinne  abtrennte, 
spaltete  sich  analog  auch  die  Mytho- 
logie in  eine  höhere  und  eine  niedere 
Mythologie;  jene  baute  sich  auf  zu 
einem  geistiger  und  plastischer  ge- 

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324 


Götter  der  Germanen. 


dachten  Götterstaat  mit  einem  in  Zeiten  aus  Baumzweigen  sich 
grossen  und  universellen  Hinter-  lagern,  in  gewohnter  Weise  Tier«' 
grund ,  diese  blieb  im  Gebiete  des  schlachten  und  verzehren,  aber  unter 
rohen  Naturlebens  stehen  und  be-  Anrufung  Gottes,  nur  nicht  mehr 
wahrte  als  Szenerie  durchgehend  der  Teufel.  So  kam  es,  dasa  viel«* 
bäuerliche  Verhältnisse.  Schon  fing  heidnische  Vorstellungen  sich  nur 
die  germanische  Mythologie  der  unter  den  schützenden  Namen  Gottes, 
höheren  Kreise  an,  im  Anschlug.«  der  Heiligen  oder  teuflischer  Mächte 
an  die  Göttervorstellungen  der  an-  zu  flüchten  brauchten,  um  unange- 
tiken  Völker,  auch  ihre  Götter  bild-  fochten  fortbestehen  zu  dürfen,  und 
lieh  darzustellen  und  ihnen  Tempel  dass  neben  der  christlichen  Religion 
und  Statuen  zu  errichten,  nament-  die  mit  den  Göttergestalten  de« 
lieh  da,  wo,  besonders  in  Italien,  Heidentums  und  mit  mannigfachen 
Germanen  in  römischen  Wohnsitzen  Gebräuchen  des  täglichen  Lebens 
sich  angesiedelt  hatten,  als  das  eng  verbundene  bildliche  Saturan- 
Christentum  der  Fortbildung  der  schauung  des  Landmannes  als  ein 
germanischen  Religion  als  einer  indifferentes,  abgesondertes  Gebiet 
heidnischen  Halt  gebot  und  sie  im  fortleben  konnte, 
ganzen  und  grossen  unterdrückte;  Während  auf  dem  germanischen 
daher  sind  von  den  aus  den  edleren  Festlande  die  selbständige  Mythen- 
Kreisen  des  Volkes  hervorgegange-  logie  früh  dem  Christentume  wich, 
nen  mythischen  Liedern  so  wenig  vermochte  sie  sich  in  Skandinavien 
Bruchstücke  erhalten,  sie  wurden  noch  fünf  weitere  .Jahrhunderte  zn 
einfach  durch  die  Denkmäler  des  erhalten  und  weiter  zu  entwickeln, 
christlichen  Glaubens  ersetzt.  Im  zehnten  Jahrhundert  wurden  die 
Anders  stand  es  mit  dem  niede-  Dänen  Christen ,  im  Anfang  des 
ren  Volke.  Von  ihm  verlangten  die  elften  die  Norweger  und  Isländer, 
christlichen  Missionare  vorläufig  |  in  der  zweiten  Hälfte  des  elften 
wenig  mehr,  als  äusserliche  Beobaeh- :  Jahrhunderts  erst  gänzlich  die 
tungder kirchlichen  Ceremonien.  Man  !  Schweden.  Der  kriegerische  Auf- 
leugnete die  Existenz  der  heidnischen  schwung  der  Skandinavier  unter 
Götter  nicht,  man  erklärte  sie  für  schwedischen ,  norwegischen  und 
Teufel  oder  für  Menschen,  welche  dänischen  Heerkönigeu,  die  Wi- 
Vergötterung  erlangt  hätten.  Auch  kinger  und  Normauuenfahrten  im 
verfuhr  die  Kirche  mit  manchen  achten  und  neunten  Jahrhundert 
heidnischen  Sitten  sehr  schonend,  riefen  auch  in  der  geistigen  Bildung 
Gregor  der  Grosse  empfiehlt  dem  dieser  Völker  nachhaltige  Beweg* 
angelsächsischen  Abt  Mellitus,  die  ungen  hervor.  Als  im  Ausgang  de» 
Tempel  der  Heiden  nicht  zu  zer-  neunten  Jahrhunderte  Harald  Har 
stören,  sondern  mit  Weihwasser  zu  fagr  |  Haarschön  I  die  vielen  kleinen 
besprengen  und  in  christliche  Kirchen  Reiche  Norwegens  unter  seine  Allein- 
zu  verwandeln,  damit  das  Volk  an  herrschaft  vereinigte,  flohen  viel* 
den  durch  lange  Gewohnheit  ge- 1  Edle  und  Bauern,  den  Verlust  der 
beiligten  Orten  desto  lieber  und  eher  Freiheit  nicht  ertragend,  nach  Island, 
an  den  Dienst  des  wahren  Gottes  den  Faröer-  und  den  Orkneys-Insela 
sich  gewöhne.  Die  Opfermahlzeiten  Durch  die  Armut  der  Heimat  ge- 
von  Stieren  im  Dienste  der  Götter  zwungeu,  durchstreiften  die  thafen 
sollten  in  Mahlzeiten  zu  Ehren  der  durstigen  Männer  auf  Kriegs-  und 
heiligen  Märtyrer  verwandelt  wer-  Handelsflotten  den  Ozean.  Ihre 
den.  An  den  Festtagen  der  Heiligen  Wikingerzüge  weckten  in  ihnen  to 
möge  das  Volk  rund  um  die  Kirchen,  ■  viele  neue  Anschauungen,  dass  ihn1 
die  einst  heidnische  Tempel  waren,  Mythologie,  einst  ihr  und  der  Süd- 


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325 


gt-rmanen  gemeinsames  Eigentum,  [  sehe  Edda  nennt,  siehe  diesen  Ar- 
sich  jetzt  vollends  zur  letzten  kriege- 1  tikcl. 

risch-menschlichen  Gestaltung  aus-  Über  die  besonderen  Götter  der 
bildete  und  zugleich  einen  ausge-  Germanen  handeln  die  Artikel 
bildeten  Tempeldienat hervorbrachte.  Wodan,  Donar,  Ziu,  Balder,  Freiet, 
Träger  und  Bildner  dieser  Mytho- 1  Fro  u.  a.  Hier  mögen  im  Anschluss 
logie  sind  vornehmlich  die  Hofdich-  an  Mannhardt,  die  Götter  der  deut- 
ter  der  Skalden.  Von  ihnen  ange-  sehen  und  nordischen  Völker,  dem 
regt,  wurde  an  den  vielen  kleinen  wir  überhaupt  in  diesem  Artikel 
Fürstenhöfen  des  Nordens  und  über-  j  gefolgt  sind,  einige  Anmerkungen 
haupt  im  Kreise  der  höheren  Stände  I  über  die  ersten  ^aturelemente  der 
eine  edle  Dichtkunst  gepflegt,  deren  j  germanischen  Mythen  angefügt  wer- 
Cbung  in  älteren  Zeiten  allgemein  ;  den ,  sofern  diese  nicht  antropo- 
war  und  den  Charakter  der  Volks-  morphisch  den  einzelnen  Götterge- 
poesie  trug.  In  ihrem  Kreise  erst  stalten  zugeschrieben  worden  sind, 
wurden  die  Thaten  der  Götter,  die  Wolken  und  Sehr/.  Die  Atmo- 
(iedanken  über  Ursprung,  Dauer  Sphäre  erschien  dem  unbefangenen 
und  Endschicksale  der  Welt  in  ein  Auge  des  Altertums  als  ein  grosses, 
einheitliches  System  gebracht,  wie  zusammenhangendes  Wasser,  ein 
es  die  südgermanische  Mythologie  Meer  oder  ein  Brunnen.  Aus  dem 
noch  nicht  ausgebildet  hatte.  Zwar  Luftmeer  heben  sich  Nebel  und 
zog  sich  im  neunten  und  zehnten  Wolken  ab,  deren  mannigfaltig 
Jahrhundert  die  Kenntnis  jenes  älte-  wechselnde  Gestalt  zu  den  verschie- 
ren in  edeln  Kreisen  gedichteten  densten  Auffassungen  Anlass  gab. 
Volksliedes  fast  ganz  auf  die  Insel  Die  geballten  Haufwolken,  aus  denen 
Island  zurück,  und  die  zahlreichen  der  liegen  niederrinnt,  verglichen 
an  den  nordischen  Königshöfen  von  sich  dem  segnenden  Euter  der  Kühe, 
Island  berufenen  Skalden  sangen  den  Mutterbrüsten  der  Frauen,  und 
dem  Geiste  der  Zeit  folgend  nicht  hieraus  erzeugte  sich  die  Vorstellung 
mehr  die  alten  mythologischen,  son-  von  den  Wolken  als  Frauen  oder 
dern  neue  der  Gegenwart  und  der  Kühen  des  Himmels,  deren  Milch 
Geschichte  angehörige  Lieder.  Da  der  Regen  ist.  Im  Donner  vermeinte 
jedoch  auch  diese  neuen  mit  gelehrter  mau  aas  Gebrüll  der  Wolkenkuh 
Kunst  gedichteten  Lieder  ihre  Bilder  zu  hören.  Auf  der  nämlichen  An- 
und  ausschmückenden  Umschrei-  schauung  beruhte  die  Vorstellung 
bungeu  immer  noch  der  Mythologie  von  den  W^olken  als  Borken  oder 
entnahmen,  war  man  trotz  der  um  das  Ziegen,  deren  Euter  beim  Regen 
Jahr  1000  in  Island  durch  Beschluss  gemolken  werden,  daher  jetzt  noch 
»ler  Volksversammlung  eingeführten  die  lichtweissen  oder  rötlichgelben 
Annahme  des  Christentums  ge-  Federhaufwolkeu  Schäfchen  genannt 
zwungen,  die  alten  Volkslieder  und  werden.  Auch  als  Katzen  oder  Luchse 
Sagen  zu  pflegen.  Dieses  thaten  wurden  die  Wolken  gedacht,  selte- 
sp&ter  besonders  die  einheimischen  ner  als  Ross,  Wagen,  Schiff  oder 
G-eistliehen,  welche  statt  des  Lateins  Floss  des  Windes,  Gewand,  Gebirge, 
die  Muttersprache  und  die  einhei-  Turm,  Baum.  Im  Nebel  dagegen 
mische  Poesie  pflegten  und  bewahr- 1  sieht  die  Phantasie  des  Volkes  bald 
ten.  So  entstand  am  Ende  des  13.  geisterhafte  Frauen,  bald  ein  Ge- 
Jahrhunderts  die  Sammlung  der  spinst,  das  um  die  Ginfei  der  Berge 
alten,  im  7.,  8.  und  9.  Janrhun-  angesponnen  wird.  Nach  anderer 
dert  gedichteten  Volkslieder  von  Anschauung  ist  der  Nebel  das 
den  Thaten  der  Götter  und  Hei-  Brauen  oder  Kochen  des  himm- 
den,  die  man  die  ältere  oder  poeti-  tischen  Regenwassers,  daher  er  alt- 


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326  Götterdämmerung. 


nordisch  Hexenbräu  genannt  wird.  [  die  Vorstellung  von  Schlangen  oder 

Auch  als  Mantel,  Hut  oder  Kappe  •  Drachen ,  die  über  einem  reichen 

wird  der  Nebel  angeschaut.  Per- ;  Goldhort  lagern  und  ihn  bewachen, 
sonifiziert  wird  der  Nebel  zum  Nobel'        Gestirne.    Die  Sonne  wurde  al> 

mannlein ,  oder,  wenn  er,  in  den  leuchtendes  Gold  oder  als  himm- 

Mantel  gehüllt,  auf  weissem  Rosse  lischer  EdeUtein  aufgefasst;  als  Rad. 

auf-  und  abjagend ,  die   ihm  Be-  j  Schild  oder  Auge.    Geistiger  wird 

gebenden  verwirrt  und  in  die  Irre  die  Auffassung  von  der  Sonne,  wenn 

treibt,  zum  Bach  reifer  oder  Schim-  \  sie  eine  göttliche  Frau,  der  Mond 

melreiter.  —  Schneeflocken  heissen  dagegen  ein  Mann  heisst.  Beide 

herabfallende  Federn  eines  Vogels,  |  waren  Gatten ,  der  Mond  aber  ein 

oder  feingemahlenes  Mehl.  kühler  Liebhaber,  so  dass  er  die 

Der  n'ind  wurde  mit  dorn  heu-  Sonne  verliess.     Sie  schlug  dem 

lenden  Hund  oder  Wolf  verglichen,  Gatten  eine  Wette  vor:  wer  zuerst 

welcher  hungrig  den  Staub  aufwühlt  aufwachen  würde  ,  solle  das  Recht 

und  alles  auf  seinem  Wege  zerreisst  haben,  bei  Tage  zu  scheinen,  dem 

und  verzehrt.    Auch  dem  Eber  ver-  Trägen  gehöre  die  Nacht.  Frühe 

gleicht  er  sich,  zumal  als  Wirbel-  am  Morgen  zündete  die  Sonne  der 

wind.     Bisweilen    wurde    der    im  Welt  «las  Licht  an  und  weckte  den 

Winde  thatige  Geist  als  ein  weib-  frostigen  Gatten.   Seitdem  leuchteu 

liebes  Wesen,  eine  Windin,  gedacht; 1  beide  getrennt.    Beide  reut  jedoch 

der  dem  grösseren  Sturm  vorauf-  die  Trennung  und  deshalb  sueheu 

fahrende  Wirbelwind  heisst  schon  sie  sich  einander  zu  nähern.  Das 

im  9.  Jahrhundert  inndUprut, Winds-  ist  die  Zeit  der  Sonnenfinsterniss»-. 

braut,  d.  h.  die  Gemahlin  des  Win-  Dann  machen  sie  sich  gegenseitig 

des.    Vom  Winde,  der  als  Schwein  Vorwürfe,  aber  keiner  behalt  recht, 

oder  Hund,  Fruchtbarkeit  wirkend,  und  so  trennen  sie  sieh  wieder, 

durch  das  Getreide  geht,  glaubte  Voll  Sehmerz  nimmt  der  Mond  dann 

man,  dass  er  leibhaftig  im  Innern  ab  und  sehwindet,  bis  die  Hoffnung 

der  Saatfelder  bleibe  und  in  der  ihn  wieder  belebt  und  vollmacht, 

letzten  Garbe,  die  auf  dem  Acker  Die  Mondjt  ecken  verursachten  die 

geschnitten  werde,  gegenwärtig  sei.  Sage  vom  Mann  im  Monde, 
[icr  erfaaste  man  ihn  und  führte  OtttterdKinmerung.  InderKov 
ihn  jubelnd  ins  Dorf.  mogonie  des  Nordens  haben  die 
Für  das  Gewitter  und  seine  wech-  Götter  kein  vorweltliches  Dasein, 
selnden  Erscheinungen  erschuf  die  sondern  sie  sind  erst  mit  der  Welt 
kindliehe  Phantasie  verschiedene  entstanden  und  zwar  erst  nach  der 
Naturbilder.  Der  Blitz  wird  als  Entstehung  des  Urriesen  Ymir  oder 
Stab  oder  Speer,  als  Keil.  Keule  Aurgelmir,  des  Vaters  der  Reifrieseo 
oder  Hammer,  als  feuerroter  Bart  (Hrimthursen),  der  aus  den  Tropfen 
gedacht.  Die  Zacken  des  himm-  des  giftigen  Reifes  geboreu  wuni«\ 
tischen  Strahles  sind  Hauer  eines  welcher  aus  der  uördlichen  Nebel- 
Tieres  oder  Zahne  einer  Gottheit,  weit  kommend  durch  Berührung  mit 
Auch  als  Schlange  oder  Drache  wird  den  von  der  südlichen  Flanimenwelt 
der  Blitz  gedacht.  Dass  die  Blitze,  Muspelhcim  ausströmenden  warmen 
indem  sie  die  Gewitterwolke  spal-  Lüften  und  Funken  schmolz.  Die 
ten ,  die  von  ihr  umhüllte  goldene  Götter  aber  stammen  aas  dem  durch 
Sonne  wieder  aufleuchten  lassen,  die  Kuh  Audhumla  aus  dem  Ureise 
gab  zu  der  Sage  Veranlassung,  dass  hervorgeloekten  Urmenschen  Bari 
die  himmlischen  Schlangen  einen  Kaum  ist  aber  das  Göttergeschlecht 
wunderbaren  Kdehtein  verfertigen,  neben  das  Geschlecht  der  Keifriesen 
Derselben   Anschauung   entspringt  getreten,  so  kommt  es  zwischen  bei- 


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Götterdämmerung.  327 


den  zum  Kampfe,  ßuris  Enkel,  Odin,  dem  sie  die  Zwerge  und  Menschen 
Vi  Ii  und  We,  erschlagen  Yinir  mit  schaffen,  doch  beschwören  sie  sich 
seinem  ganzen  Geschleehte,  mit  Au»-  jetzt  selbst  ihr  eigenes  Verderben  und 
nähme  de.*«  Bergalmir.  der  auf  einem  dasjenige  der  durch  sie  geschaffenen 
Boote  entkommt  und  von  dem  die  Welt  herauf.  Auf  selbstsüchtige 
Geschlechter  der  neuen  Reifriesen  Thatenlosigkeit  und  Genusssucht,  in 
stammen.  Zwischen  Göttern  und  welche  sie  vorher  versunken  waren, 
RiesenherrschtunversöhnlichcFeind-  folgt  jetzt  unersättliche  Goldgier, 
schaft,  die  sich  durch  die  ganze  ger-  welche  nun  auch  die  Menschen  er- 
roanische  Mythologie  hinzieht  und  greift.  Während  die  Götter  aber 
in  der  furchtbaren  Katastrophe  noch  beraten,  ob  sie  das  in  der  Meil- 
en digt.  durch  welche  Riesen,  Götter  ,  sehenweit  ausgebrochene  Böse  be- 
und  VVelt  ihren  Untergang  finden,  strafen  oder  Sühnopfer  dafür  nehmen 
Dieser  Götteruntergang  heisst  in  der  sollen,  werden  sie  von  den  Wancn- 
nordischen  Sprache  ragnarokr,  Göt-  göttern  mit  Krieg  überzogen.  Zwar 
terdunkelheit,  GötterverHnsterung;  kommt  zwischen  Äsen  und  Waneu 
die  Hauptquelle  für  diesen  Mythus  ein  Friede  zustande,  dem  zufolge  der 
ist  das  erste  und  älteste  Lied  der  Wanengott  Niörder  nebst  seinen 
Edda,  die  Vdliupa.  beiden  Kindern  Freyr  und  Freya 

Die  Ursache  zu  dem  allgemeinen  zu  den  Asen  kommen  und  so  au 

Untergange  ist  das  in  die  Götter-  der  Herrschaft  der  Welt  teilnehmen; 

und  Menschenwelt  eindringende  und  aber  dadurch,  das»  Odin  in  diesem 

um  sich  greifende  Böse;  dadurch  Kriege  seinen  Todesspiess  unter  das 

dass  das  sittliche  Wesen  und  Walten  Volk  geschleudert  hat,  hat  sich  das 

der  Gotter  sich  verfinstert,  werden  Böse  schon  zum  Menschenmord  ge- 

die  von  ihnen  gebändigten,  schon  steigert,  und  es  ist  dem  Verderben 

vor  ihnen  existierenden  Naturmächte,  nicht  mehr  zu  wehreu,  obgleich  die 

die  Riesen,  wieder  frei,  und  es  ge-  Waneu  vorzugsweise  bemüht  sind, 

Im- 1  ihnen  mit  Hilfe  der  von  ihnen  ein  Leben  in  Fülle  und  Frieden, 

erzeugten  Ungetüme  ihr  Vernich-  Milde  und  Freundlichkeit  zu  stiften 

tungswerk  auszuführen.  und  somit  unter  den  Menschen  Glück 

Nach  Yinirs  Ermordung  gestalten  und  Frieden  wieder  herzustellen  und 
die  Götter  aus  seinem  Leichnam  dauernd  zu  begründen.  Vergeblich 
sofort  unsere  Welt  und  beschränken  gehen  die  Wanengötter  teils  gezwun- 
das  entflohene  Riesengeschlecht  gene,  teils  freiwillige  eheliche  Ver- 
durch  Anweisung  ihrer  Wohnsitze  bindungen  mit  den  Kiesen  ein;  auch 
längs  der  Seeküste,  sie  selbst  aber  dass  Odin  beständig  auf  der  Fahrt 
nehmen  ihre  Wohnsitze  im  Mittel-  ist,  Riesen  zu  vertilgen,  bringt  keinen 
punkte  der  Welt,  richten  sich  da-  Nutzen;  denn  der  Feuerriese  Loki, 
selbst  ein,  lassen  von  ihrer  weit-  den  die  Götter  in  ihre  Reiche  auf- 
schöpferischen Thätigkeit  ab  und  genommen  haben,  arbeitet  im  ge- 
geniessen  in  harmloser  Unschuld  das  Reimen  an  ihrem  Untergange,  stürzt 

Joldene  Zeitalter.    Da  nahen  drei  sie  durch  seinen  satanischen  Einfluss 

ungfrauen  aus  dem  Riesenlande,  die  vollends    in  Sünde   und  Unglück 

übermächtigen  Nornen,  die  als  Göt-  und  erzeugt  mit  dem  Riesen weibe 

tinnen  des  unabwendbaren  Schick-  Angrboda  die  verderblichen  Unge- 


aals  ihnen  zeigen,  dass  sie  nicht  die 
absoluten  Beherrscher  der  Welt  sind ; 
mit  ihrem  Erscheinen  findet  das  gol- 
dene Zeitalter  der  Götter  ein  Ende. 


heuer:  den  Fenrirwolf,  die  Midgard? 
Schlange  und  die  Hei,  die  in  Riesen- 
heim erzogen  werden.  Unaufhaltsam 
schreitet  das  Verderben  vor,  und  das 


Sie  beginnen  jedoch  aufs  neue  Böse  greift  unter  der  Götter  weit  so 
ihre  weltscnöpferische  Thätigkeit,  in- 1  weit  um  sich,  dass  die  Götter  ihrer 


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32S 


Götterdämmerung. 


Schwürt»  und  Eide  nicht  mehr  achten, 
und  der  Brudermord  auch  unter 
ihnen  zum  Ausbruch  kommt,  indem 
sie  auf  Lokis  Anstiften  den  gütigen 
Baldur  löten. 

Nun  erkennen  die  Götter  ihren 
Verderber  und  treffen  sofort  du« 
ernstesten  Vorkehrungen,  ihn  für 
immer  unschädlich  zu  machen.  Als 
aber  Loki  sah,  dass  die  Asen  gegen 
ihn  aufgebracht  waren,  weil  er  zu- 
erst Baldurs  Tod  verursacht,  und 
daran  Schuld  war,  dass  er  aus  Hels 
Gewalt  nicht  erlöst  ward,  entfloh 
er  und  hielt  sich  verborgen.  Odin 
Hess  nun  dessen  Kinder  ergreifen, 
von  denen  Weissagungen  verkündet 
hatten,  dass  den  Göttern  von  ihnen 
noch  grösseres  Unheil  bevorstehe, 
und  wirft  die  Schlange  ins  Meer, 
die  aber  zu  dem  weltumgürteuden 
Midgardswurme  heranwachst,  und 
so  oft  auch  Thor  den  Kampf  mit 
ihr  aufnimmt  und  so  hart  er  sie 
auch  bedrängt,  so  kann  er  sie 
doch  nicht  erlegen;  die  Hei  wirft 
er  in  die  Unterwelt  hinab  und  giebt 
ihr  die  Gewalt  über  die  neunte 
Welt  (das  Totenreich l;  den  Fenrir- 
wolf  aber  ziehen  die  Götter  anfangs 
bei  sich  selbst  auf;  als  jedoch  auch 
er  zum  furchtbaren  Ungeheuer  heran- 
wachst, und  die  Weisagungen  ver- 
künden, dass  er  zu  ihrem  Verderben 
bestimmt  sei,  und  sie  nicht  wagen 
ihn  zu  töten,  um  den  heiligen  Frieden 
ihrer  Wohnungen  nicht  zu  verletzen, 
schlagen  sie  ihn  in  Fesseln.  Ein 
Gleiches  geschieht  endlich  auch  Loki 
selbst,  nachdem  er  voll  giftigen 
Hohnes  und  satanischer  Bosheit  die 
Götter  und  Göttinnen  mit  den  bitter- 
sten Vorwürfen  und  Schmähungen 
überhäuft  hat. 

Allein  trotz  aller  dieser  Vor- 
kehrungen ist  der  geahnte  Unter- 
gang dennoch  unvermeidlich.  Der 
von  Loki  ausgestreute  Same  des 
Verderbens  wuchert  fort,  obgleich 
er  selbst  in  Fesseln  liegt,  und  diese 
seine  Fesseln,  sowie  die  des  Fenrir- 
wolfes.  droht  die  Zeit  endlich  zu  lösen, 


und  Hei  verstärkt  von  Tag  zu  Tag 
ihr  trauriges  Reich.  Zwar  ist  die 
Zeit  der  furchtbaren  Götterd&mm^ 
rang  noch  in  ungeheure  Feme  ge- 
rückt, was  dadurch  angedeutet  wird, 
dass  die  feindlichen  Riesen  zum  Ge- 
lingen ihres  Racheplanes  eine* 
Schiffes  bedürfen,  das  aus  den  Nageln 
toter  Männer  gefertigt  sein  mm 
und  den  Namen  Naglfahr  führt 
Bis  aber  ein  solches  Schiff  au- 
schmalen  Nägelschlitzen  der  Leichen 
zusammengesetzt  wird,  verstreicht 
lange  Zeit,  und  sie  leitet  noch  durch 
die  warnende  Vorschrift  Aufschub, 
allen  Toten  die  Nägel  vor  der  Be- 
stattung oder  Verbrennung  w 
schneiden.  Die  Rieseu  aber  bringen 
jenes  Schiff  dennoch  zustande,  und 
grauenvolle  Wahrzeichen  deuten 
auf  den  Beginn  der  Katastrophe. 
Laut  kräht  der  lichtrote  Hahn  bei 
den  Riesen,  der  schwarzrote  unfcr 
der  Erde  bei  den  Sälen  der  HeL 
und  der  goldkammige  bei  den  Aseu. 
und  „weckt  die  Männer  beim  Heer- 
vater (Odin)".  Die  Götter,  als  die 
„Haften  und  Banden  '  der  sittlicheu 
und  physischen  Weltordnung,  habeu 
aber  alle  Macht  verloren,  so  <U* 
zunächst  alle  sittlichen  Banden  sieb 
lösen  und  das  Böse  auf  Erden  in 
völlige,  alles  zerstörende  Verwilde- 
rung ausbricht:  „Brüder  werden 
kämpfen  und  zu  Totschlägern  wer- 
den, Schwestersöhne  werdeu  die 
Sippe  verletzen:  die  Gründe  gellen, 
die  Streitaxt  fliegt,  kein  Mann  wird 
des  andern  schonen.  Hart  geht  es 
in  der  Welt,  grosse  Hurerei,  Beil- 
alter,  Schwertalter:  Sehilde  werden 
gespalten;  Windalter,  Wolfsalter, 
ehe  die  Welt  stürzt.  Dieser  sitt- 
lichen Verwilderung  entspricht  die 
Entfesselung  aller  verderblichem 
Naturmächte,  als  deren  Personi- 
fikationen die  Riesen  galten.  Ein 
entsetzlicher  „Winter  tritt  ein;  da 
fällt  Schnee  von  allen  Seiten,  d* 
ist  der  Frost  gross  und  sind  die 
Winde  scharf;  die  Sonne  ist  ohne 
Kraft;   drei  solche  Winter  folgen 


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Götterdämmerung. 


329 


auf  einander,  ohne  dass  ein  Sommer 
dazwischen  wäre."  Alle  Wetter  ge- 
raten in  Aufruhr;  Loki  wälzt  sieh 
herum,  dass  die  Erde  bebt  und  alle 
Gebirge,  die  Wälder  entwurzelt 
werden  und  die  Berge  zusammen- 
stürzen, selbst  die  Weltesche  „Ygg- 
drasil zittert,  es  rauscht  der  alte 
Baum,  da  der  Riese  (Loki)  los 
kommt":  alle  Fesseln  und  Banden 
brechen  und  reissen.  Da  wird  der 
Fenrirwolf  Ick*;  das  Meer  stürmt  auf 
das  Land  ein,  weil  die  Midgard- 
sehlange  im  Riesenmute  sich  wälzt 
und  ans  Land  will.  Da  geschieht 
es.  dass  Naglfar  flott  wird,  Hrymr 
hevsst  der  Riese,  der  Naglfar  steuert; 
auf  ihm  sind  alle  Reifriesen,  aber 
mit  Loki  ist  Hels  ganzes  Gefolge. 
„Oer  Fenrirwolf  fährt  mit  klaffen- 
dem Rachen  umher,  das«  sein  Ober- 
kiefer den  Himmel,  der  Unterkiefer 
die  Erde  berührt,  und  wäre  Raum 
dazu,  er  würde  ihn  noch  weiter  auf- 
sperren: Feuer  glüht  ihm  aus  Augen 
und  Nase.  Die  Midgardschlange 
speit  so  Gift  aus,  dass  sie  alle  Himmel 
and  Meere  benetzt,  und  sie  ist  gar 
schrecklich  und  geht  dem  Wolfe 
zur  Seite.  Da  kommen  Muspels 
Söhne  herangeritten.  Surtur  fährt 
an  ihrer  Spitze,  und  vor  ihm  und 
hinter  ihm  brennendes  Feuer;  sein 
Schwert  ist  überaus  trefflich  und 
strahlt  hellem  Glanz  aus  als  die 
Sonne;  aber  in  dem  sie  über  die 
Himmelsbrücke  Bifröst  reiten,  zer- 
bricht sie.  Steinberge  8 Lossen  zu- 
sammen, Riesinneu  stürzen;  die 
Toten  betreten  den  Holweg  und  der 
Himmel  spaltet  sich."  Da  erhebt 
sich  Heimdallr,  der  Wächter  der 
Götter,  und  stösst  mit  aller  Kraft 
ins  Giallarhorn  und  weckt  alle 
Götter,  die  dann  Rat  halten.  „Mimirs 
Söhne  (die  Flammen)  spielen  und 
Yggdrasil  entzündet  sich  bei  dem 
Rufe  des  alten  Giallarhorns."  Da 
reitet  Odin  zu  Mimirs  Brunnen  und 
holt  Rat  von  Mimir  für  sieh  und 
sein  Gefolge.  „Was  ist  mit  den 
Asen?    Was   ist   mit  den  Alfen? 


Ächzend  zittert  die  ganze  Riesen- 
welt; die  Asen  sind  am  Dinge.  Die 
Zwerge  stöhnen  vor  den  Steinthüren, 
der  Bergfeste  Herren:  Wisst  ihr  es 
nun?  oder  was?  Muspels  Sohne 
ziehen  nach  der  Ebene,  die  Wiprid 
heisst  und  hundert  Rasten  breit  ist 
nach  allen  Seiten,  dahin  kommt  auch 
der  Fenrirwolf  und  die  Midgards- 
schlange,  und  auch  Loki  ist  da  mit 
Hels  ganzem  Gefolge  und  Hrymr 
mit  allen  Reifriesen;  aber  Muspels 
Söhne  haben  ihre  eigene  Schlacht- 
ordnung, die  sehr  glänzend  ist." 

Jetzt  wappnen  sieh  die  Asen  und 
Einherier:  „Fünfhundert  Thore  und 
vierzig  meine  ich,  dass  in  Walhalla 
sind,  achthundert  Einherier  gehen 
zugleich  aus  einem  Thore,  mit  dem 
Wolfe  zu  kämpfen.  Zuvörderst  reitet 
Odin  mit  dem  Goldhelm,  dem  schönen 
Harnische  und  seinem  Spiesse,  der 
Gungnir  heisst;  er  geht  dem  Fenrir- 
wolfe  entgegen  und  Thor  schreitet 
an  seiner  Seite,  aber  er  kann  ihm 
nichts  helfen,  denn  er  hat  vollauf 
zu  tln in.  mit  der  Midgardsschlange 
zu  kämpfen.  Freyr  kämpft  gegen 
Surtur,  und  es  wird*  ein  harter  Kampf, 
ehe  Freyr  fällt,  und  wird  dos  sein 
Tod,  dass  er  sein  gutes  Schwert 
misset,  das  er  Skirnir  gab.  Da  ist 
auch  Garmr,  der  Hund,  los  geworden, 
der  vor  der  Gnipahöhle  gebunden 
lag:  das  giebt  das  grösste  Unheil, 
da  er  mit  Tyr  kämpft  und  einer 
dem  andern  zum  Mörder  wird.  Thor 
trägt  den  Sieg  über  die  Midgards- 
schlange davon;  aber  wie  er  neun 
Schritte  davon  gegangen  ist,  da 
fallt  er  tot  zur  Erde  von  dem  Gift, 
das  der  Wurm  auf  ihn  speit.  Der 
Wolf  verschlingt  Odin  und  wird  das 
sein  Tod:  aber  alsbald  wendet  sich 
Widar,  Odins  Sohn  von  der  Riesin 
Gridhr,  gegen  den  Wolf  und  setzt 
ihm  den  Fuss  in  den  Unterkiefer, 
mit  der  Hand  ergreift  er  dessen 
Oberkiefer  und  reisst  ihm  den 
Rachen  auseinander,  und  das  wird 
des  Wolfes  Tod.  Loki  kämpft  mit 
Heimdallr  und  wird  einer  des  andern 


uigiiizea 


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330 


Göttertempel  und  Götterbilder. 


Mörder.  Jetzt  ist  der  Untergang 
dieser  Welt  entschieden:  ,,Alle 
Männer  werden  die  Heimstadt  ver- 
lassen. Die  Sonne  beginnt  zu  dunkeln, 
die  Erde  sinkt  ins  Meer,  vom  Himmel 
schwinden  die  heitern  Sterne,  das 
Feuer  wütet  gegen  das  Feuer,  es 
spielt  die  hohe  Hitze  gegen  den 
Himmel  selber." 

Unmittelbar  auf  die  Götterdäm- 
merung folgt  in  der  Edda  die  Er- 
neuerung der  Welt  und  die  Wieder- 
erstehung der  Götter.  Und  zwar 
hebt  sieh  nach  der  Völuspä  die 
während  der  Götterdämmerung  ins 
Meer  gesunkene  Erde  herrlieh  grü- 
nend wieder  empor,  das  Wasser 
strömt  ab,  und  der  im  Gebirge  nach 
Fischen  jagende  Adler  fliegt  über 
dasselbe  hin.  Wo  vordem  Asgard 
mit  seinen  Götterburgen  sich  erhob, 
breitet  sich  jetzt  das  Idafeld  der 
Urzeit  wieder  aus,  die  Asen  kehren 
wieder,  auch  Baidur  und  Hödur 
kommen  zurück  aus  der  Hei,  sowie 
der  den  Wanen  vergeiselte  Hönir; 
sie  finden  sich  auf  dem  Idafelde 
zusammen,  sprechen  von  der  mäch- 
tigen Midgards8chlangc  und  er- 
innern sich  an  die  gewaltigen  Vor- 
gänge und  an  Odins  alte  Runen. 
Dort  liegen  auch  die  wunderbaren 
Würfel  im  Grase,  welche  in  der 
Urzeit  Odin  und  sein  Geschlecht  ge- 
habt hatten.  Unbesäet  tragen  die 
Äcker,  und  alles  Böse  wird  wieder 
gut  gemacht.  Auch  die  Menschen 
leben  wieder  auf  und  empfangen  in 
der  neuen  Wrelt  je  nach  Verdienst 
Lohn  und  Strafe,  den  Guten 
wird  ein  Saal  auf  Gimli  (d.  i.  der 
Glänzende )  zurWohnung  angewiesen, 
wo  sie  ewig  Wonne  gemessen,  den 
Schlechten  dagegen  ein  andrer  Saal 
in  Naströnd  id.  i.  dem  Totenstrande), 
wo  die  furchtbarsten  Qualen  zur 
Strafe  ihrer  Sünden  ihrer  harren, 
während  früher  Walhalla  nur  die 
in  der  Schlacht  Gefallenen  aufnahm, 
die  übrigen,  Götter  wie  Menschen, 
zur  Hcl  fahren,  ohne  dass  deren 
Wohnung  immer  als  ein  Strafort 


gegolten  hätte.  Wie  die  Menschen, 
so  leben  auch  die  Zwerge  und  Riesen 
wieder  auf ;  jene  bewohnen  im  Norden 
auf  den  Nidabergen  einen  Saal  aus 
Gold,  diese  auf  dem  Okolnir  (d.  h. 
Unkalten)  den  ttiersal  Brimir. 

„Doch  obgleich  die  Aseii  wieder- 
geboren und  entsöhnt  sind  und 
wieder  in  harmloser  Unschuld  leben, 
wie  in  den  Tagen  ihres  goldenen 
Zeitalters,  so  sind  doch  weder  si-1 
noch  die  weisen  Wanen  jetzt  die 
Beherrscher  der  neuen  Welt,  sondern 
ein  mächtigerer  Gott  Da  kommt 
der  Mächtige  zum  Gericht  der  Götter, 
der  Gewaltige  von  Oben,  der  über 
alles  waltet;  er  fällt  Urteile  und 
entscheidet  die  Sachen,  setzt  heilig»" 
Ordnungen,  die  gelten  sollen!  Al«> 
ein  höherer,  mächtigerer  Gott  ak 
die  Asen  übernimmt  nun  in  d«-r 
neuen,  zum  paradiesischen  Urzu- 
stände zurückgekehrten  Welt  die 
Regierung,  begründet  neue  heilig»* 
Ordnungen,  halt  Gericht  und  teilt 
je  nach  Verdienst  den  Menschen 
Lohn  in  Gimli  oder  Strafe  an  dem 
Naströnd  zu.  Und  so  kehrt  mit 
der  erneuten  Welt,  worin  nur  eine 
Macht,  das  reinste  und  heiligste 
Gute,  ewig  herrsehen  soll,  wenn 
auch  das  Böse  wenigstens  unter  den 
Menschen  wieder  ausbrechen  kann, 
folgerichtig  vom  Polytheismus  zum 
Monotheismus  zurück;  die  alten 
Götter  bestehen  zwar  neben  ibra 
fort,  aber  sie  leben  in  stiller  Un- 
schuld und  Seligkeit  in  ihrem  Elv- 
sium  dahin,  ohne  an  der  Welt- 
regierung Anteil  zu  haben." 

Es  ist  die  Vermutung  aufgestellt 
worden,  dass  unter  diesem  einen 
mächtigeren  Gott  der  von  Tacitus 
Germania  Kap.  2  genannte  Tu- 
isko  gemeint  sei:  sie  feiern  in  alten 
Liedern  den  der  Erde  entsprossenen 
Tuisko  und  seinen  Sohn  Mannas, 
als  Ursprung  und  Gründer  ihres 
Stammes.  Nach  A.  Raxsmann  in 
Ersch  und  Gruber,  Art.  Götter 
dämmerung. 

Gtfttertempel  u.  Götterbilder. 


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Göttertempel  und  Götterbilder. 


331 


Taeitus  sagt  in  der  Germania,  Kap.  9: 
Die  Götter  in  Mauern  einzuschließen 
und  ihnen  ein  Menschenantlitz  zu 
geben,  halten  die  Germanen  für  un- 
vereinbar mit  der  Erhabenheit  der 
Himmlischen;  sie  weihen  ihnen  Haine 
und  Waldtriften,  und  benennen  mit 
dem  Namen  der  Gottheit  jenes  ge- 
heimnisvolle Etwas,  das  sich  nur 
der  ehrfurchtsvollen  Andacht  offen- 
bart." Im  Widerspruche  mit  dieser 
Stelle  scheint  es  zu  stehen,  wenn 
derselbe  Geachichtschreiber  in  Kap.40 
bei  der  Beschreibung  des  heiligen 
Haines  und  des  feierlichen  Umzuges 
der  Nerthus  erzählt:  der  Priester 
merke  es,  wenn  die  Göttiu  in  ihrem 
Heiligtume  gegenwärtig  sei,  und 
gebe  dieselbe,  statt  des  Umgangs 
mit  den  Sterblichen,  dem  Tempel 
zurück:  darnach  werde  der  Wagen, 
auf  dem  die  Göttin ,  vom  Priester 

¥ leitet,  ihren  Umzug  hielt,  die 
ücher,  mit  denen  er  überdeckt  war. 
und  —  wer  es  glauben  will  —  die 
Gottheit  selber  in  einem  geheimen 
See  abgewaschen.  Setzt  scnon  hier 
der  Umzug  auf  dem  Wagen  und 
das  Baden  der  Gottheit  unzweifel- 
haft ein  Bild  voraus,  so  spricht  eine 
andere  Stelle  des  Tacitus,  Annalen 
1, 15,  noch  deutlicher;  hier  wird  bei 
Gelegenheit  einer  Nachricht  über 
den  Zug  des  Germanicus  gegen  die 
Marsen  im  Jahre  14  u.  Chr.  be- 
rirbtet,  es  seien  die  geweihten  so- 
wohl als  die  ungeweinten  Gebäude 
und  namentlich  der  jenen  Stämmen 
überaus  berühmte  Tempel,  den  sie 
den  Tempel  der  Tanfana  nannten, 
dem  Enlboden gleichgemacht  worden. 
Offenbar  waren  Göttertempel  und 
Götterbilder  der  Germanen  zu  Ta- 
citus' Zeit  noch  höchst  selten  und 
blieben  es  auch  bis  in  das  4.  und 
5.  Jahrhundert,  da  bis  dahin  alle 
übrigen  Schriftsteller  davon  schwei- 
gen. Erst  allmählich  entstand  der 
Gedanke,  auch  den  Göttern  bleibende 
Wohnstätten  zu  errichten.  Seit  dem 
5  Jahrhundert  mehren  sich  die 
Zeugnisse   über  deutsche  Götter- 


tempel, in  königlichen  und  päpst- 
lichen Edikten,  in  Wcltchronikeu 
und  namentlich  in  den  Lebensbe- 
schreibungen der  Heidenapostel,  und 
zwar  bei  den  Franken,  Alamanen, 
Westgoten,  Langobarden,  Angel- 
sachsen und  Friesen.  Die  deutsehen 
Benennungen  des  Tempels  sind : 
got  er///.«,  ahd.  alah;  ahd.  wtk.  ags. 
vth,  veoh  =  Waldtempel;  ahd.  harue, 
ags..  heaty,  ebenfalls  Waldtempel. 
Das  entsprechende  altn.  Wort  körgr 
bedeutet  ursprünglich  den  Steinaltar 
im  Walde;  —  ahd.  paro,  ags.  f>earo, 
ebenfalls  Waldtempel;  altn.  harr 
ist  Baum  und  harrt  ist  Hain;  ahd., 
ags.,  alts.  hof  heisst  bloss  der  ije- 
haute  Tempel;  ahd.  halla,  ags.  heal, 
Halle;  —  ags.  reced,  altsächs.  rakttd; 
—  ahd.  pfuostarhih,  Opferhaus;  — 
ahd.  petttpur,  auch  petahtU,  ahd. 
hefe/tujf;  auch  ahd.  chirihhd  kommt 
als  Bezeichnung  heidnischer  Tempel 
Tempel  vor,  und  altn.  (johahüs, 
Götterhaus. 

Da  die  Tempel  aus  Holz  errichtet 
waren,  sind  sie  gänzlich  verschwun- 
den; entweder  wurden  sie  dem  Bo- 
den gleichgemacht,  um  auf  dem- 
selben die  christliche  Kirche  zu  er- 
bauen, oder  ihre  Hallen  wurden  zum 
christlichen  Gottesdienste  verwendet. 
Denn  da  diese  Kultusstätten  seit 
grauester  Vorzeit  her  für  teure 
Heiligtümer  der  Stämme  oder  ihrer 
Geschlechter  betrachtet  und  verehrt 
wurden,  schien  es  durchaus  nötija:, 
ihre  Heiligkeit  und  Unverletzlichkeit 
auf  den  christlichen  Nachfolger  des 
Gottes,  in  den  meisten  Fällen  einen 
christlichen  Heiligen  zu  übertragen. 

Die  Tempel  erhoben  sich  nicht 
nur  auf  den  Höhen  der  Berge,  son- 
dern auch  in  Hainen  und  auf  Wiesen 
und  Auen  und  standen  namentlich 
in  enger  Verbindung  mit  den 
Malstättcn.  Ohne  Zweifel  bestanden 
neben  den  Tempeln  die  eingefrie- 
digten freien  heiligen  Kimme  in 
grosser  Zahl  fort. 

Die  Zeugnisse  für  die  (lütter- 
hilder  beginnen   mit  Sicherheit  im 


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332 


Göttertempel  und  Götterbilder. 


4.  Jahrb.,  sie  finden  sich  meist  in  den 
Lebensbeschreibungen  der  Heiden- 
apostel, u.  a.  in  derjenigen  des  heil. 
Gallus,  welcher  bei  Tuggen  am 
Zürehersee  sowohl  als  in  Bregenz 
heidnische  Götterbilder  antraf.  Die 
deutschen  Ausdrücke  für  Götter- 
bilder beissen  got.  mault  ika,  ahd. 
manalihho,  altn.  Hkneski =  das  naeh 
menschlicher  Gestalt  geformte  Bild 
und  ahd.  antra.  Einzelne  derartige 
Bilder  aus  Eisen,  Stein,  Leder,  Erz, 
Holz  sind  erhalten,  sie  stellen  Wo- 
dan mit  seinem  Rosse  und  seinen 
beiden  Hunden  oder  Wolfen,  Fro, 
Fria  u.  a.  dar. 

Ungleich  besser  als  über  die  süd- 
gennanischen  Götterteninel  und 
Götterbilder  sind  wir  über  diejenigen 
der  Skandinavier  unterrichtet.  Hier 
bestand  das  Tempelgebäudc  aus  zwei 
verschiedenen  Abteilungen,  aus  ei- 
nem Langhause  und  einem  runden, 
auch  wohl  gewölbten  Nebenhause, 
das  dem  Chore  an  den  christliehen 
Kirchen  ahnlich  war.  Das  letztere 
bildete  das  eigentliche  Heiligtum; 
in  ihm  standen  in  einem  Halbkreise 
auf  Gestellen  die  Götterbilder;  vor 
demselben,  also  in  der  Mitte  des 
Halbkreises,  erhob  sich  der  kunst- 
reich gefertigte  und  mit  Eisen  ge- 
täfelte Altar,  auf  demselben  brannte 
das  geweihte  Feuer,  das  nie  erlöschen 
durfte,  daneben  stand  der  kupferne 
Blutkessel,  in  welchem  man  das 
Blut  der  geschlachteten  Opfertiere 
oder  Menschen  sammelte,  und  in 
dem  der  Blutzweig  lag,  mit  welchem 
man  die  Gestelle  der  Götterbilder 
und  den  Altar,  die  Wände  des  Tem- 
pels aussen  und  innen,  sowie  die 
Leute  und  das  Gut  besprengte;  fer- 
ner befand  sich  daselbst  der  heilige 
King,  auf  dem  alle  Eide  abgelegt 
wurden  und  den  der  Häuptling  bei 
allen  Volksversammlungen  tragen 
s<»llte.  In  dem  Langhause,  welches 
oft  von  sehr  beträchtlicher  Länge 
w  ar,  stand  in  der  Mitte  jeder  Lang- 
wand ein  Hochsitz,  dessen  zwei  spitz- 
zulaufende Säulen  über  das  Dach 


emporragten  und  gewöhnlich  mit 
einem  Tborkopfe  geziert  waren;  in 
diese  Säulen  waren  Götternägel  ein- 
geschlagen, deren  Bedeutung  unbe- 
kannt ist.  Auf  den  Hoclisitzen  nah- 
men der  Tempelhäuptling  und,  wie 
in  dem  Privathause,  ie  die  vornehm- 
sten, beim  Opfermahle  anwesenden 
Männer  Platz.  Zu  beiden  Seiten  der 
Hochsitze,  also  den  Seitenwänden 
entlang,  waren  gewöhnliche  Bänke 
angebracht.  Zwischen  den  beiden 
Sitzreihen  brannten  auf  dem  Boden 
während  des  Opferfestes  Feuer,  über 
denen  die  Kessel  hingen,  in  welchen 
das  Opferrleisch  gesotten  wurde; 
über  diese  Feuer  pflegte  man  sich 
gegenseitig  den  Vollbecher  zu  brin- 
gen, der,  wie  alle  Opferspeise,  von 
dem  Häuptlinge  geweiht  war.  Der 
ganze  Tempel  war  durch  Glasfenster 
erhellt,  mit  Tapeten  behängt,  zu- 
weilen auch  mit  Schnitzwerk,  Gold 
und  Silber  und  sonstigem  Schmucke 
geziert.  In  den  Seitenwänden,  quer 
aem  Nebenhausc  gegenüber,  betan- 
de.n  sieb  die  Thüren,  die  verschliess- 
bar  waren  und  an  denen  zuweilen 
ein  metallener  Ring  hing,  dessen 
Bestimmung  unbekannt  ist.  Vorder 
Thür  befand  sich  der  Opfersteiu  und 
der  Opfersumpf;  in  welch  letzteren 
die  zum  Opfertode  verurteilten  Men- 
schen, nachdem  ihnen  am  Opfersteine 
der  Rücken  zerbrochen  w  ar,  versenkt 
wurden.  Heilige  Bäume,  au  denen 
gewisse  Teile  aer  geopferten  Tiere, 
auch  wohl  die  geopferten  Menschen 
aufgehängt  wurden,  umgaben  den 
Tempel.  Die  ganze  heilige  Stätte 
scbloss  eine  Einfassung  von  Hob- 
pfählen  ein,  die  ihrerseits  ebenfalls 
verschlossen  werden  konnte  und 
innerhalb  deren  die  heiligen  Tiere 
weideten.  Die  Tempel  erhoben  sieh 
in  der  Regel  in  der  Nähe  der  Diuc- 
stätten,  zuweilen  auch  in  heiligen 
Hainen. 

Auch  die  nordischen  Tempel 
waren  ohne  Zweifel  aus  Holz  auf- 
geführt. Nach  den  Sagen  finden 
sich  in  ihnen  meist  mehrere  Gotter- 


uigiiizeo 


by  Googl« 


Gottesfreunde.  —  Gottesfriede. 


333 


bilder  zusammen  aufgestellt,  deren 
eines,  Thor  oder  Freyr  oder  Halder 
oderOdhin,  die  Hauptstelle  einnahm. 
Meist  waren  die  Bilder  aus  Holz 
geschnitzt.  Sie  stellten  die  Gottheit 
m  Lebensgrösse  oder  darüber  vor, 
geschmückt  mit  wirklichen  Gewän- 
dern, Gold,  Silber,  Kleinodien  und 
ihren  Attributen,  die  nackten  Teile 
bemalt  Ausser  den  Tempelgötter- 
bildern  gab  es  auch  Hausgötzen,  die 
meist  sehr  klein  gewesen  zu  sein 
scheinen;  man  trug  sie  auch  im 
Beutel.  Auch  Götterbilder  aus  Teig 
und  Ton  werden  erwähnt;  Thors 
Bild  findet  sich  an  der  Hochsitzsäule 
und  an  dem  Vordersteven  eines  Heer- 
schifies  aus  Holz  geschnitzt. 

Die  Wohnungen  der  Götter,  so- 
wie sie  selbst  und  ihre  Besitztümer 
und  Feste  standen  unter  einer  hohen 
Heiligkeit  und  einem  tiefen  Frieden, 
deren  Verletzung  und  Störung  dem 
Heidentum  für  das  schwerste  Ver- 
brechen £alt,  welches,  wie  man 
glaubte,  die  Götter  selbst  ahndeten. 
Tac.  Germania.  39.  Die  Heiligkeit 
der  Götterwohnungen  ging  später 
auf  die  christlichen  Kircneu  und 
Klöster  über. 

Bei  seiner  Gründung  wurde  der 
gemeinsame  öffentliche  Tempel  mit 
einem  gewissen  Grundeigentum  do- 
tiert, auf  welches  sich  die  Heiligkeit 
des  Tempels  miterstreckte.  Auf 
Hörige,  welche  Tempeln  angehörten, 
deuten  die  Eigennamen  Alahdeo  = 
Diener  des  Tempels,  Co/adeo,  (iota- 
d*o,  Coftucalh,  (Jotascalc,  Gotman, 
Wihman,  Wihdiu.  Nach  A.  Rass- 
mann in  Ersch.  und  Gruber,  Art. 
Göttertempel  und  Götterbilder  (vgl. 
Grimms  Mythologie). 

ßottes  freunde  sollen  die  Mit- 
glieder eines  religiösen  Bundes  ge- 
wesen sein,  der  sich  seit  der  Mitte 
de«  12.  Jahrh.  besonders  am  Rhein, 
in  der  Schweiz  und  Schwaben  aus- 
dehnte. Als  ihr  geistiges  Haupt  galt 
der  , .grosse  Gottesfreund  aus  dem 
Oberland"',  den  man  zuerst  in  Niko- 
aus  von  Basel,  dann  in  einem  ge- 


wissen Johann  von  Chur  oder  Rüt- 
berg  wiederzuerkennen  meinte,  dessen 
Existenz  jedoch  neuerdings  von  De- 
nifle  in  der  Zeitschr.  f.  deutsches 
Altertum  1880  als  bloss  auf  einem 
Roman  beruhend  nachgewiesen  wor- 
den ist. 

Gottesfriede,  treuga  Dei,  /tax 
Dei,  ist  ein  mittelalterlieh  kirchliches 
Institut,  bestimmt,  dem  ungeregelten 
Fehdewesen  zu  steuern.  Anfangs 
waren  es  die  Bischöfe  von  Aquitanien, 
welche  seit  dem  10.  Jahrhundert  ihre 
Güter  gegen  Angriffe  durch  An- 
drohung des  Anathems  zu  sichern 
suchten  und  zu  dem  Ende  mit  welt- 
lichen Grossen  in  freiwillige  Ver- 
einigung traten.  Erst  als  durch 
diese  Versuche  eine  beabsichtigte 
und  durchgreifende  Herstellung  und 
Sicherung  des  allgemeinen  Friedens 
nicht  erreicht  wurde,  beschloss  mau, 
sich  zunächst  mit  beschränkenden 
Massregeln  gegen  Ausübung  des 
Fehderechtes  zu  begnügen,  wodurch 
die  Gemüter  allmählich  vom  Wege 
der  Gewalt  auf  den  des  Rechtes  ge- 
leitet werden  sollten.  Diese  letztern 
Massregeln  heissen  erst  Gottesfrieden, 
im  engeru  Sinne  treuga  Dei;  denn 
pax  Dei,  unter  welchem  man 
den  immerwährenden,  grundsätz- 
lichen Frieden  verstand,  welchen  die 
Kirchen,  die  Geistlichkeit,  die  Be- 
gräbnisplätze, die  Klöster,  die  Kin- 
der, die  Pilger,  die  Frauen,  die 
Ackerbauer  nebst  ihren  Geräten  ge- 
nossen, war  viel  älter;  erst  die  tretuja 
Dei  beschränkte  das  gesetzlich  De- 
stehende Fehderecht  für  bestimmte 
Zeiten  und  band  es  an  kirchlich  be- 
stimmte Regeln.  Das  geschah  zu- 
erst auf  einer  Synode  der  Diöeese 
von  Eine  im  Jahre  1027;  hier  wurde 
für  die  Grafschaft  Roussillon  fest- 
gesetzt, dass  der  Sonntag  dadurch 
geheiligt  werden  müsse,  dass  von 
der  None  des  Sonnabends  bis  zur 
Prime  des  Montags  jeder  Angriff 

:  auf  einen  Mönch  oder  anderen  Geist- 
lichen, auf  einen  Kirchgänger  oder 

|  eiuen  Begleiter  von  Frauen  unter- 


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334 


Gottesurteil. 


bleiben  solle,  sowie  das«  auch  Kir- 
chen nebst  einem  Umkreise  von  50 
Schritten  nach  allen  Seiten  gegen 
jeden  Anpfiff  sicher  sein  sollten. 
Der  Friedensbrecher  verfiel  der  Ex- 
kommunikation. Bald  kamen  ähn- 
liche Beschlüsse  in  andern  Teilen 
Frankreichs  zustande  und  nicht  bloss 
wurden  die  befriedeten  Zeiträume 
vervielfältigt,  sondern  auch  rein  welt- 
lichen Angelegenheiten  der  gleiche 
Schutz  zugewendet,  z.  B.  dem  Markte. 
Die  Grossen,  die  Bürger  und  die 
niedere  Volksklasse  erklärten  mit 
Eifer,  den  Vorschriften  der  Kirche 
Folge  leisten  zu  wollen,  sodass  bald 
in  ganz  Frankreich  dieselben  Grund- 
sätze zur  Annahme  kamen.  Die 
Dauer  der  befriedeten  Zeit  hatte 
sich  auf  die  Zeit  von  Sonnenunter- 
gang des  Donnerstags  bis  Sonnen- 
aufgang des  Montags  verlängert  und 
als  weitere  Friedenszeiten  waren  da- 
zu gekommen  die  Zeit  vom  ersten 
Tage  des  Advent  bis  zum  18.  Januar, 
vom  Montage  vor  der  Fastenzeit  bis 
zum  Montag  nach  der  Osterwoche 
und  an  einzelnen  bestimmten  Fest- 
tagen. Die  vollendete  Einführung 
des  Gottesfriedens  in  Frankreich 
wird  in  das  Jahr  1041  gesetzt. 

In  Deutschland  gelang  es  zuerst 
dem  Erzbischof  von  Köln  im  Jahr 
1083,  einen  Gottesfrieden  für  seine 
Diöcese  zu  stände  zu  bringen.  Hein- 
rich IV.  nahm  die  bis  dahin  partielle 
Massregel  auf  einem  Konzil  zu  Mainz 
108*»  in  die  Reichsgesetzgebung  auf; 
beide  Urkunden  hiessen  noch  j»ax 
Dei.  Für  befriedete  Tage  wurden 
erklärt  die  Zeiten  vom  ersten  Ad- 
vent bis  Epiphania  und  vom  Sonn- 
tag Septuagesima  bis  Pfingsten, 
sowie  an  jeder  Woche  die  Tage 
vom  Donnerstag  bis  zum  Sonntag, 
mit  Eiuschluss  der  darauf  folgen- 
den Nacht  bis  Sonnenaufgang,  fer- 
ner die  vier  Quatembertage  und 
die  Vigilien  der  Namenstage  der 
Apostel  nebst  den  darauf  folgenden 
Tagen,  endlich  alle  kirchliehen  Fast- 
und  Feiertage.     Den   Schutz  des 


Gottesfriedens  genossen  die  Reisen- 
den und  Heimbleibenden,  selbst 
wenn   sie   Gewaltbaten  begangen 

i  hatten,  ausgenommen  die  geineinen 

I  Diebe  und  Räuber.  Als  besondere 
geschützt  werden  genannt  die  Kauf- 

jleute  auf  ihren  Handelsreisen,  die 
Ackerbauer  bei  ihren  Arbeiten,  die 
Frauen,  die  Mitglieder  geistlicher 

I  Orden. 

Papst  Urban  machte  endlich  auf 

i  der  Kirchenversammlung  zu  Cler- 
mont  den  Grottesfrieden  zur  Angc- 

'  legenheit  der  gesamten  Christenheit; 
seine  definitive  Ausbildung  erhielt 
das  Institut  aber  im  Jähr  1131 
auf  einer  Kirchen  Versammlung  zu 
Rheims,  welche  aus  deu  verschie- 
densten Ländern  Europas  besucht 

I  war;  die  Beschlüsse  von  Rheims 
wurden  später  öfters  durch  die  Päpste 

i  bestätigt  und  endlich  in  das  Kirchen- 
recht  aufgenommen.  Mit  der  Zeit 
machte  der  Gottesfrieden  mit  seinem 
kirchlichen  Charakter  den  I^and 
friedensgeboten  von  weltlicher  Seite 
Platz,  und  je  mehr  das  Königtum 
erstarkte,  desto  seltener  fand  sich 
noch  in  Gesetzen,  Urkunden  und 
geschichtlichen  Berichten  eine  ver- 
einzelte Erwähnung  des  veralteten 
Gottesfriedens.  Brandes  in  Erscli 
und  Gruber,  Art.  Gottesfriedea 
Klueksohn,  Geschichte  des  Gottes- 
friedens, Leipzig  1857.  Herzbtry 
Frankel.  Die  ältesten  Land-  und 
Gottesfrieden  in  Deutschland,Forsch. 
z.  d.  G.  XXIII,  S.  1 17  ff. 

Gottesurteile,  Ordalien.  ordalia. 
das  lateinische  Wort  zufallig  nach 
der  angelsächsischen  Form  onlsd«' 
des  deutschen  Wortes  urteil  gebildet. 
Man  versteht  darunter  Proben,  an 
deren  Ausgang  man  einen  Ausspruch 
der  Gottheit  über  Schuld  oder  Un- 
schuld,  Recht  oder  Unrecht  zu  er- 
kennen glaubte.  Sie  kamen  auch 
bei  anderen  Völkern  vor,  bei  den 
Griechen,  namentlich  aber  den  In* 
diern. 

Die  Arten  der  Gottesurteile  bei 
den  Germanen  sind  folgende: 


uigiiizeo 


by  Googh 


Gottesurteil. 


335 


1)  Das  Kampfurteil  oder  der 
Zweikampf,   Judicium  pugnae  sive 
campt,    puff  na    duorum,  duellum, 
tn  onomach  in ,    singulare  certamen, 
ahd.  ein  wie,   chamficie ,  wehadinc, 
altn.  holmgangr,  war  das  vornehmste 
Gottesurteil ,  und  ursprünglich  kei- 
nem germanischen  Volke  fremd.  In 
der  Kegel  konnte  nur  der  freie  Mann 
einen    anderen    zum  Zweikampfe 
fordern,  der  schlechtere  Mann  aoer 
konnte,  wenn  er  angesprochen  wurde, 
den  Kampf  nicht  weigern.  Personen, 
die  nicht  selbst  zu  kämpfen  im  stände 
waren,  konnten  oder  mussten,  je 
nachdem  sie  Kläger  oder  Beklagte 
waren,  einen  anderen  für  sich  stel- 
len, and  zwar  konnte  dies  entweder 
der  Vogt  als  Vormund  der  Person 
sein,  die  ihr  Recht  durch  Kampf 
geltend  machen  wollte,  oder  sonst 
jemand,  der  sich  freiwillig  oder  für 
Geld  dazu  hergab.  Das  Kecht  aber, 
einen  anderen  als  Kämpfer  für  sich 
za    stellen,   stand   allgemein  zu: 
1 1  denjenigen,  die  durch  körperliche 
Mai:-'.'!,  durch  Altersschwäche  oder 
Jugend  verhindert  waren,  selbst  zu 
kämpfen;    2)  den  Weibern.  Den 
letzteren  war,  wenn  sich  niemand 
fand,  der  für  sie  einstehen  mochte, 
in  späterer  Zeit  gestattet,  sich  selbst 
zu  verteidigen,  wofür,  um  die  Kräfte 
auszugleichen ,  eigentümliche  Arten 
des  Weiberkampfes  ersonnen  wur- 
den, wonach  der  Mann  bis  an  den 
Gürtel  in  einer  runden,  etwas  weiten 
Grub«-  zu  stehen  und  von  da  aus 
vermittelst    des  Kolbens  mit  der 
ausserhalb   der   Grube  steheuden 
Frau  kämpfen  musste;  3)  den  Geist- 
lichen ;  4)  Personen  vornehmen  Stan- 
des.   Bei  den  Langobarden  war  es 
Sitte,  die  Kampfordale  durch  ge- 
meine, bezahlte  Kämpfer  ausfechten 
zu  lassen.  Da  der  gerichtliche  Zwei- 
kampf im  späteren  Mittelalter  eher 
zunahm,  so  bildete  sich  in  verschie- 
denen Ländern  ein  eigener  Kampf- 
prozess,    Durch  Privilegium  waren 
gewisse  Orte  zu  Kampfgerichten  er- 
hoben, oder  gewissen  mit  Gerichts- 


barkeit bekleideten  Personen  das 
Kecht  erteilt,  dass  alle  Zweikämpfe 
innerhalb  eines  gewissen  Distriktes 
unter  ihrer  Aufsicht  und  Leitung 
ausgefochten  werden  mussten.  Be- 
sonders bekannt  waren  im  14.  und 
15.  Jahrhundert  die  Kampfgerichte 
der  Städte  Hall  in  Schwaben,  Ans- 
bach, Würzburg,  des  Burggrafen- 
tums  Nürnberg,  des  Landgerichtes 
zu  Franken.  Der  Kampfplatz  wurde 
von  dem  Richter  angewiesen,  doch 
hatte  man  auch  bestimmte  umzäunte 
Plätze  dafür;  von  der  Insel,  auf 
welcher  im  Norden  meist  der  Kampf 
vor  sich  ging,  hiess  hier  der  Zwei- 
kampf Holmgang.  Zum  Holmgang 
wurde  eine  fünf  Ellen  lange  Haut 
oder  ein  Teppich  hingelegt  und  an 
vier  Pfählen  befestigt,  deren  einer 
der  Hauptpfahl,  Tiosnur,  hiess.  Der, 
welcher  den  Fechtplatz  zurichtete, 
musste  zu  diesen  Pfählen  rückwärts 
gehen,  gebückt  und  seine  Ohrläpp- 
chen haltend,  so  dass  er  den  Himmel 
zwischen  seinen  Beinen  durchsehen 
konnte,  und  eine  Beschwörungs- 
formel hersagen.  Um  den  Teppich 
herum  sollten  drei  Räume,  jeglicher 
einen  Fuss  breit,  und  diese  durch 
vier  Stangen  begrenzt  sein.  Der  so 
eingerichtete  Fechtplatz  hiess  eine 
befriedete  Mark.  Jeder  sollte  drei 
Schilde  haben;  wenn  diese  zer- 
schlagen sind,  muss  man  wieder, 
wenn  man  auch  früher  zurückge- 
wichen war,  auf  den  Teppich  treten 
und  die  Hiebe  mit  den  Waffen  auf- 
fangen. War  einer  so  verwundet, 
dass  Blut  auf  die  Erde  fiel,  so 
konnte  man  den  Kampf  als  beendet 
ansehen.  Wer  so  weit  gewichen 
war,  dass  er  mit  beiden  Füssen 
ausserhalb  der  Grenzstangen  stand, 
war  in  die  Flucht  gesehlagen.  Jeder 
Streiter  sollte  einen  Mann  als  SchiM- 
halter  bei  sich  haben.  Der,  welcher 
überwunden  war,  musste  drei  Mark 
als  Lösegeld  für  sein  Leben  erlegen. 

Auch  in  Deutschland  war  eine 
Art  Sekundanten  üblich,  die  iiriz- 
oder  Grieswar/el.    Sie  waren  mit 


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336 


Gottesurteil. 


langen  Stangen  oder  Bäumen  bc-  mahlin  Karls  des  Dicken,  ihre  Un- 
wattnet,  welche  nie  mit  Erlaubnis  schuld  bewährt  haben,  c)  Üblicher 
des  Richters  dem  Sinkenden,  Ver-  und  verbreiteter  als  die  beiden  ge- 
wundeten  oder  Ermatteten  zur  Stütze  nannten  Feuerproben  war  die  Probe 
darreichten.   Auch  hatten  sie  über-  des  keinen  Eisens.  Auch  liier  «ind 
haupt  dafür  zu  sorgen,  dass  bei  dem  zu  unterscheiden:  aal  die  Frohe  des 
Kampfe  alles  ohne  Trug,  List  und  Eisenträgern*  wonach  ein  Eisen  von 
Gefsinrde  zuging,  sie  mussten  Sonne  bestimmter  Schwere  eine  Strecke 
und  Wind,  Licht  und  Schatten  beiden  (gewöhnlich   9   Schritte)  weit  mit 
Kämpfern  gleich  teilen.  blossen  Händen   getragen  werden 
Die  Waffen  waren  ursprünglich  musste,  und    bb)    die   Probe  der 
die  bei  jedem  Stamm  gebräuchlichen:  qlühenden  Pflugscharen,  deren  in  der 
bei  den  Franken  und  Langobarden  Kegel  9,  oft  aber  auch  6  oder  \i 
die    Keule,   bei   den  Alamannen,  in  einer  bestimmten  En tfernung  von 
Sachsen, Friesen  und  Normannen  da*  einander  gelegt  wurden,  über  die 
Schwert.  Ritter  erschienen  snäter  in  der  Angeklagte  barfuss  gehen musste. 
voller  Rüstung  auf  dem   Kampf-  Auch  diese  Probe  soll  nach  alten 
platze,  den  übrigen  Freien  war  eine  Chronisten  die  Gemahlin  Karla  des 
eigene  Rüstung  vorgeschrieben.  In  Dicken,  ausserdem  Kunigunde, Hein- 
manchen  Gegenden  blieb  die  Keule  rieh  II.  Gemahlin,  und  Emma,  die 
als  Waffe  des  geringen  Volkes  und  Mutter  Eduard  des  Bekenners,  rühm- 
der  Lohnkämpfer  üblich.  Zum  Siege  lieh  bestanden  haben, 
genügte  es,  dass  das  Blut  des  Be-  4)  Wasserprobe,    a)  Probe  mit 
siegten  den  Erdboden  färbte,  oder  heissetn  Wasser,  Judicium  aauae  fer- 
der  Besiegte  durch  Entkräftung  oder  i  cutis,  bei  den  Friesen  Jictelfa*i, 
Verlust  «er  Waffen  nicht  mehr  zu  Kessel  fang,  geheissen,  gehört  neb?t 
kämpfen  im  stände  war;  wer  aber  dem  fragen  des  glühenden  Eisens 
bis  zum  Sonnenuntergang  sich  ver-  und  dem  Kampf  zu  den  am  weitesten 
teidigte,  wurde  von  der  gegen  ihn  verbreiteten  und  am  häufigsten  er- 
erhobenen Klage  freigesprochen.  j  wähnten  Ordalien.  Diese  Probe  ging 

2)  Das  7,o*;  seiner  bedienten  dahin,  dass  der  Beklagte  aus  einem 
sich  nach  Tacitus  Germania,  Kap.  10  Kessel,  in  welchem  W  asser  siedend 
schon  die  Germanen,  um  den  Willen  gemacht  worden,  einen  Ring  oder 
der  Götter  zu  erforschen.  Es  wird  Stein,  der  hineingeworfen  war,  mit 
in  den  Verordnungen  fränkischer  blossem  Arm  unverletzt  hervorholen 
Konige  und  in  den  Volksgesetzen  musste. 

erwähnt  und  wurde  besonders  bei  b)  Probe  mit  kaltem  Wasser.  Der 

Diebstahlbeschuldigungen  angewen-  Beschuldigte  wurde  entkleidet,  mit 

det.    Später  verschwindet  es.  einem  Strick  um  den  Ixjib  (um  ihn 

3)  Feuerprobe ,  Judicium  ignis,  j  wieder  herausziehen  zu  können)  ein 
yrobatio  per  ignem.  Zu  uuterschei-  |  «»der  auch  mehrere  Male  in  «1«* 
den  sind  drei  Arten:  a)  der  Be-  Wasser  geworfen:  das  Untersinken 
schuldigte  musste  seine  Hand  eine,  wurde  für  ein  Zeichen  der  Unschuld, 
wahrscheinlich  genau  bestimmte  Zeit  das  Schwimmen  für  einen  Beweis 
in  das  Feuer  halten  und  galt  als  der  Schuld  gehalten.  Zuweilen  wart 
unschuldig,  wenn  er  sie  unverletzt  man  den  Beschuldigten  in  ein  grosse?, 
zurückzog,  b)  Der  Beklagte  musste  dreifudriges  Gefäss  statt  in  ein 
seine  Unschuld  damit  beweisen,  dass  eigentliches  Gewässer.  Das  älteste 
er  im  blossen  Hemde,  oder  in  einem  historische  Zeugnis  für  den  Gebrauch 
Wachshemde  unversehrt  durch  einen  dieser  Probe  ist  ein  Verbot  desselben 
brennenden  Holzstoss  ging;  mit  durch  Ludwig  den  Frommen  vom 
dieser  Probe  soll  Richardis,  die  Ge-  Jahr  829:  man  findet  sie  wenigstens 


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Gottesurteil. 


337 


vom  12.  Jahrhundert  an  über 
Deutschland,  Frankreich,  Spanien, 
Italien,  England  und  Schottland  ver- 
breitet. Sie  erhielt  sich  besonders 
in  den  Hexenprozessen. 

5>  Kreuzurteil.  Beide  streiten- 
den Teile  inussten  mit  aufgehobenen 
Händen  an  einem  Kreuze  stehen; 
wer  von  ihnen  zuerst  die  Hände 
sinken  Hess  oder  bewegte,  galt  für 
besiegt.  Zuweilen  wurde  gefordert, 
dass  beide  Teile  so  lange  vor  dem 
Kreuze  stehen  mussten.  bis  einer 
von  ihnen  vor  Ermattung  hinfiel. 
Diese  Probe  wird  zuerst  in  einem 
Kapitulare  Pipins  vom  Jahre  782 
erwähnt;  in  mehreren  Fallen  hat 
sie  Karl  der  Grosse  vorgeschrieben, 
der  auch  verordnete,  dass  die  Kreuzes- 
probe und  nicht  der  Kampf,  ent- 
scheiden sollte,  wenn  unter  seinen 
Söhnen  Streit  über  Grenzen  und 
Umfang  ihres  Gebietes  entstehen 
würde.  Ludwig  der  Fromme  ver- 
bot dieses  Gottesurteil  im  Jahr  826. 

6)  /W>f  des  geweihten  Bissens. 
Dem  Beschuldigten  wurde  ein  vor- 
her benedizierter  Bissen  Brot  und 
Käse  gegeben,  und  er  galt  für  über- 
wiesen, wenn  er  denselben  nicht 
leicht  hinunterbringen  konnte,  er 
ihm  im  Halse  stecken  blieb  oder 
wieder  herausgenommen  werden 
musste.  Die  Redensart  „dass  mir 
das  Brot  im  Halse  stecken  bleibe" 
soll  von  diesem  Gottesurteile  her- 
rühren. 

71  AbendmahUprobe.  Der  Be- 
schuldigte musste  mit  den  Worten: 
corpus  Domini  sit  mihi  ad  proba- 
tionem hodie,  das  Abeudmahl  nenmen. 
Diese  Probe  war  vorzüglich  bei  der 
Geistlichkeit  in  Gebrauch,  doch 
wurden  auch  Laien  oft  zur  Reini- 
grung  durch  dieselbe  zugelassen. 

Mi  Das  Bahr  recht ,  jus  feretri, 
wurde  angewendet,  um  den  Thäter 
bei  einer  verübten  Mordthat  zu  er- 
mitteln. Der  Ermordete  wurde  auf 
eine  Bahre  gelegt  und  diejenigen 
Personen,  auf  welchen  der  Verdacht 
ruhte,  mussten  hinzutreten  und  unter 

Reallexicoti  Jer  deutschen  Altertümer. 


Aussprechen  gewisser  Formeln  mit 
der  Hand  den  Leichnam  des  Er- 
mordeten, gewöhnlich  die  Wunden 
und  den  Nabel  berühren.  Man 
glaubte,  dass,  wenn  der  Schuldige 
sich  auf  diese  Welse  dem  Ermorde- 
ten nähere,  ein  Zeichen  geschehen 
und  die  Wunden  zu  bluten  oder  zu 
zittern  anfangen,  der  Tote  seine 
Gesichtsfarbe  ändern  würde.  Ge- 
schah von  dem  allen  nichts  und  be- 
kannte der  Verdächtige  nicht  frei- 
willig, so  musste  seine  Unschuld  als 
erwiesen  angenommen  werden.  Siehe 
Nibelungenlied ,  984  —  98G ,  Hart- 
nianns  [wein,  1855—1364. 

Abgesehen  vom  Zweikampfe, 
standen  die  Ordalien  unter  der  Lei- 
tung der  Geistlichkeit  und  wurden 
bis  auf  das  kalte  Wasserordal  in 
der  Kirche  vollzogen,  mit  Einwil- 
ligung der  Priester.  Es  konnte  ge- 
schehen, dass  Reinigungen  durch 
Gottesprobe  nicht  vor  sich  gingen, 
weil  die  Priester  ihren  Dienst  ver- 
weigerten. Namentlich  durch  Fasten 
bereitete  man  sich  zum  Gottesurteil 
vor.  Zur  Probe  selbst  war  die 
Kirche  für  das  Volk  verschlossen 
und  nur  gewissen  Zeugen  geöffnet. 
Das  zum  urteil  Erforderliche  wurde 
vorbereitet,  der  Kessel  aufgesetzt, 
das  Eisen  in  das  Feuer  gelegt. 
Der  Angeklagte  kniete  nieder,  der 
Priester  errichte  im  Gebete  Gottes 
Beistand.  Nach  der  Messe  beschwor 
der  Priester  den  Beklagten  noch 
einmal,  Gott  nicht  zu  versuchen; 
schwieg  derselbe,  so  reichte  ihm  der 
Priester  das  Abendmahl  mit  den 
Worten:  Corpus  hoc  et  sanffuis  Do- 
mini n os tri  Jesu  Christi  sit  tibi  ad 
probationem  hodie.  Alle  Gegenwär- 
tigen wurden  mit  Weihwasser  be- 
sprengt und  mussten  vor  dem  An- 
geklagten beten.  Evangelium  und 
Kreuz  wurden  ihm  zum  Küssen 
gereicht  und  ihm  andere  Kleider 
angelegt.  Während  dem  sang  der 
!  Priester  eine  kurze  Litanei  und 
sprach  dann  über  das  Wasser, 
Feuer  etc.  einen   Exorcismus  und 

22 


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838 


Grabinäler. 


eine  Benediktion.  Dann  sprengte 
er  das  Eisen,  das  auf  dem  Feuer 
lag,  mit  Weihwasser  und  reichte  es 
dem  Angeklagten,  oder  der  Kessel 
wurde  vom  reuer  genommen,  der 
Stein  oder  Ring  hinabgelassen.  Bei 
einigen  ürdalien  wurde  sogleich 
über  den  glücklichen  oder  unglück- 
lichen Ausgang  entschieden,  beim 
Zweikampf  wurde  das  Urteil  von 
den  Kampfrichtern  ausgesprochen. 
Bei  der  Probe  des  heissen  Eisens 
und  Wassers  wurde  nach  der  Probe 
die  Hand  sofort  eingewickelt,  ver- 
siegelt und  erst  am  dritten  Tage 
geöffnet  Die  Geistlichen  Hessen 
sich  für  ihre  Mühewaltungen  bei 
den  Ürdalien  bezahlen. 

Man  betrachtet»;  die  Gottesur- 
teile als  ein  erschwertes  und  äusser- 
stes  Beweismittel,  als  die  letzte  Zu- 
flucht zur  Ermittelung  der  Wahrheit. 
Erst  wenn  der  Eid  und  die  Stellung 
von  Eideshelfern  nicht  mehr  genügte, 
griff  man  zum  Zweikampf  und  erst 
nach  diesem  zu  den  übrigen  ürda- 
lien. Die  Rechtssammlungen  ent- 
halten deshalb  überall  das  Streben, 
das  Gottesurteil  auf  besonders  quali- 
fizierte Streitigkeiten  zu  beschränken, 
üft  hing  es  von  der  Willkür  des 
Klägers  ab,  die  gewohnliche  gesetz- 
liche Beweisführung  zu  verwerfen, 
iudem  er  bei  Erhebung  der  Klage 
erklärte,  die  Sache  auf  die  Entschei- 
dung Gottes  ankommen  lassen  zu 
wollen.  Unter  Umständen  stand 
auch  dem  Kläger  eine  Wahl  zwi- 
schen verschiedenen  Proben  offen. 

Im  13.  und  14.  Jahrhundert  noch 
waren  Kampf  uud  andere  Proben 
in  den  meisten  europäischen  Län- 
dern ein  sehr  übliches  Beweismittel. 
In  Frankreich  hob  Ludwig  IX.  den 
gerichtlichen  Zweikampf  im  Jahre 
1200  auf.  In  England  waren  seit 
dem  1 2.  Jahrhundert  die  Krone  und 
einsichtsvolle  Männer  bemüht,  die 
Ürdalien  ausser  Gebrauch  zn  brin- 
gen. In  den  skandinavischen  Län- 
dern wurde  die  Abschaffung  der 
ürdalien  besonders  durch  die  Be- 


mühungen der  römischen  Kurie  und 
der  höheren  Geistlichkeit  bewirkt. 
In  Deutschland,  wo  das  Kampf- 
recht  als  gerichtliches  Beweismittel 
nie  die  Ausdehnung  erhalten  zu 
haben  scheint,  wie  in  Frankreich 
und  England,  verschwand  in  den 
Städten  das  Kampfrecht  mit  derEnt- 
w  ickelung  eines  eigenen  Stadtrechtes- 
bereits  seit  dem  13.  Jahrhundert, 
doch  kommen  einzelue  Fälle  noch 
im  15.  Jahrhundert  vor.  In  den  mei- 
sten europäischen  Ländern  trat  au 
die  Stelle  der  Gottesgerichte  die 
Tortur,  nur  in  England  nicht.  Zu 
neuem  Leben  wurden  die  aus  den 
Gerichten  fast  ganz  verschwunde- 
nen Gottesurteile  durch  die  Hexen- 
prozesse erweckt,  besonders  die  kalk 
Wasserprobe  und  das  Wägen  der 
Hexen.  Man  glaubte  nämlich,  da*s 
die  von  dem  Teufel  besessenen 
Hexen  ihre  natürliche  Schwere  ver- 
lieren, wodurch  sie  teils  im  Wasser 
oben  aufschwämmen,  teils  bei  dein 
Wägen  ungewöhnlich  leicht  befun- 
den würden.  Auch  das  Bahrrecht 
hat  sich  als  letzter  Rest  der  Gottes- 
urteile in  einzelnen  Fällen  bis  ins 
18.  Jahrhundert  erhalten.  Wiida 
in  Ersch  und  Gruber,  Artikel  Or- 
Julien. 

GrabmKIer.  Da  es  die  ursprüin; 
liehe  Bestimmung  der  Kirchen  war. 
Grabstätten  der  Heiligen  zu  sein, 
konnte  die  Beerdigung  anderer  Per- 
sonen im  geweihten  Räume  folge- 
richtig nicht  zugelassen  werden. 
Dieser  Grundsatz  wurde  aber  früh 
durchbrochen,  so  dass  schon  im  An- 
fang der  romanischen  Periode  die 
Beisetzung  ausgezeichneter,  um  die 
Kirche  verdienter  Personen  iu  der 
Kirche  allgemein  Sitte  wurde.  Bi- 
schöfe, Ante,  Fürsten,  namentlich 
die  Gründer  der  frommen  Stiftungen 
erhielten  ihr  Grab  in  der  Kirche, 
ja  eine  grosse  Zahl  der  Gotteshäuser 
wurde  zu  dem  Zwecke  gestiftet,  da.v 
die  Stifter  in  ihnen  ihre  Grabstätte 
fänden.  Karl  d.  Gr.  erhielt  eine 
Gruft  im  Münster  zu  Aachen,  Kon- 


uigiiizeo 


by  Googh 


Graf. 


339 


rad  II.  gründete  den  Speirer  Dom, 
Heinrich  der  Löwe  denjenigen  zu 
Braunschweig.  In  erster  Linie  dien- 
ten die  Krypten  dazu,  dann  aber 
auch  andere  Teile  der  Kirche,  das 
Chor,  ferner  die  Kapitelsäle  und  die 
Kreuzgänge.  Als  die  Bürger  von 
Pisa  ihren  Campo  Santo  errichteten, 
sollen  sie  der  Sage  zufolge  die  Erde 
aus  dem  gelobten  Lande  geholt 
haben. 

Das  äussere  Zeichen  des  Grabes 
war  anfangs  eine  steinerne  Matte, 
zuerst  nur  mit  flachen  Ornamenten 
verziert,  manchmal  ein  Kreuz  oder 
ein  Bischofsstab  dabei,  zuweilen 
auch  eine  Inschrift  mit  Namen  und 
Todestag.  Mit  der  Zeit  -suchte  man 
das  Bila  des  Verstorbenen  auf  dem 
Steine  einzuhauen,  was  aber  erst 
im  Verlaufe  des  14.  Jahrhunderts 
mit  porträtwahrer  Darstellung  ge- 
lang. Die  Darstellungen  wurden 
eingegraben  und  mit  einem  dunkeln 
Kitt  ausgefüllt  Den  Rahmen  bildet 
dann  die  Zuschrift,  meist  mit  dem 
Wuuach  requiescat  in  pace.  Mit 
der  Zeit  wurden  die  Grabsteine 
grösser  und  reicher  ausgeführt  und 
das  Bild  des  Verstorbeneu  durch 
kräftiges  Relief  hervorgehoben.  Oft 
findet  man  die  Ehegatten  beieinan- 
der, der  Mann  mit  seinen  Füssen 
auf  einem  Löwen  ruhend,  dem  Sinn- 
bilde der  Treue.  Die  gotische  Zeit 
fügt  gern  einen  Baldachin  dazu. 

Oft  finden  sich  solche  Grabplat- 
ten aufrecht  gestellt  zu  Epitaphien 
an  den  Pfeilern  und  Wänden  der 
Kireben,  namentlich  seit  Reliefplat- 
ten allgemeiner  in  Aufnahme  kamen. 

Eine  Tumbu  ist  dasjenige  Grab- 
mahl.  wobei  der  Sarkophag  nicht 
unter,  sondern  über  der  Erde,  mitten 
im  Chor  oder  im  Schiff  der  Kirche 
oder  an  eine  Wand  angelehnt  sich 
erhebt.  Solche  Wandgräber  kernen 
namentlich  in  Italien  in  Aufnahme; 
der  Deckel  enthält  dann  da4*  Relief- 
bild  des  Verstorbenen,  die  Seiten- 
flächen meist  nur  architektonische 
Ornamente,  anfänglich  Säulenarka 


den,  in  späterer  Zeit  Masswerk. 
Neben  den  Steinplatten  kommen  seit 
der  frühromanischen  Periode  Platten 
in  Bronze  oder  Messing  vor,  ent- 
weder mit  eingravierten  oder  mit 
Reliefdarstellungen;  sie  gehören  im 
14.  Jahrhundert  zum  Schönsten,  was 
das  deutsche  Mittelalter  an  Grab- 
monumenten hervorgebracht  hat. 
Das  herrlichste  deutsche  Bronze- 
grab ist  Peter  Vischers  Denkmal 
des  Erzbischofs  Ernst  im  Dom  zu 
Magdeburg  vom  Jahre  1495.  Lübke, 
Vorschule  zum  Studium  d.  kirchl. 
Kunst  I,  V.  Otte.  Arch.  Handb. 
Abscbn.  52. 

Graf.  ahd.  krärio,  grdveo,  gruro, 
mhd.  grave,  etymologisch  noch  nicht 
genügend  erklärt  s.  Waitz,  Verf. 
Gesch.  I3,  265,  ist  der  regelmässige 
Vertreter  des  Königs  bei  den  Fran- 
ken; er  nimmt  hier  die  Stelle  der 
alten  Volksfürsten  ein  und  steht 
über  den  Vorstehern  der  Hunderten, 
an  deren  Ernennung  fortwährend 
das  Volk  einen  Anteil  hat.  Siehe 
Gau  und  Hunderte.  Seine  Ge- 
walt bezieht  sich  überall  auf  den 
Gau,  ohne  Rücksicht  auf  städtische 
und  ländliche  Bevölkerung;  er  heisst 
in  der  altfränkischen  Periode  auch 
judex,  praeses  und  praefeefu-s.  Die 
Pflichten  des  Grafen  sind:  Sorge  für 
Recht  und  Gerechtigkeit,  für  Frie- 
den und  Ruhe,  Schutz  der  Schwachen 
und  Hilfsbedürftigen,  Unterdrückung 
derMissethäter,  Erhebung  der  könig- 
lichen Einkünfte,  die  militärische  Ge- 
walt, die  Poüzei,  der  Vorsitz  am 
Gericht,  die  Ladung  und  Exekution, 
überhaupt  der  Bann.  Der  Graf 
empfängt  seine  Befugnisse  unmittel- 
bar vom  König,  für  den  er  auch 
den  Eid  der  Treue  uud  die  Hul- 
digung entgegennimmt;  er  zieht  an 
der  Spitze  seines  Gaues  zu  Felde. 
A  ls  Belohnung  für  den  Dienst  empfing 
er  königliches  Gut.  Die  wichtigste 
Auszeichnung  für  ihn  ist  das  drei- 
fache Wergeid.  Sonst  ist  sein  Recht 
den  Untergebenen  gegenüber  durch 
kein  Gesetz  bestimmt,  Recht  und 

22** 


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340 


Willkür  tiicssen  ineinander.  Seine 
Wahl  stand  in  der  Willkür  des 
Königs  und  war  anfangs  durchaus 
an  kein  Geschlecht  gebunden.  Die 
Grafschaft,  ct/tnifatu*,  comitia.  be- 
hielt einen  überwiegend  öffentlichen 
Charakter.  Innerhalb  des  Gaues 
konnte  der  Graf  einzelne  Geschäfte 
durch  Stellvertreter  vornehmen  las- 
sen, eigentliche  Unterbeamten  heis- 
sen  vicarii. 

Karl  der  Grosse  änderte  an  die- 
sem alten  System  niehts,  abgesehen 
davon,  dass  er  in  ilie  neueroberten 
Länder  hauptsächlich  Franken  als 
Grafen  einsetzte.  Die  Regel  war 
B« 'Stallung  auf  Lebenszeit.  Unter 
den  Karolingern  mehrte  sich  der 
Umstand,  dass  sich  angesehene  und 
mäehtige  Familien  in  der  Verwal- 
tung bestimmter  Grafschaften  er- 
hielten, in  der  sie  angesessen  und 
begütert  waren. 

War  die  Grafschaft  früher  ein 
Amt,  so  änderte  sich  allmählich  ihr 
Charakter  dahin,  dass  dieses  ein 
Benefieium  wurde  und  die  damit 
verbundenen  Vorteile  in  den  Vor- 
dergrund traten.  Der  Graf  war 
Vasall  des   Königs.     Die  Grafen 

fehörten  stets  zu  den  vornehmsten 
.  lännern,  und  Einzelerhebungen  von 
Männern  niedriger  Herkunft  zu 
Grafenämtern  erregt  Aufsehen.  Wa- 
ren schon  früher  die  Grafschaften 
oft  in  der  Hand  angesehener  Fa- 
milien gewesen,  so  wurde  jetzt  die 
Grafschaft  erblieh. 

Dadurch  wurde  nun  auch  der 
frühere  eiurere  Zusammenhang  zwi- 
schen Gratschaft  und  Gau  gelockert, 
die  Grafschaft  drangt  den  Gau  zu- 
rück, und  das  Reich  zerfällt  in  Graf- 
schaften wie  einst  in  Gaue;  ein  Gau 
kann  mehrere  Grafen  haben,  und 
verschiedene  Gaue  können  unter 
einen  Grafen  gestellt  sein,  oder  ein 
Graf  hat  in  einer  Mehrzahl  von 
Gauen,  meist  nur  in  einzelnen  Teilen 
eines  Gaues  oder  an  einzelnen  <  >rten 
die  Grafschaft,  Jeder  unter  einem 
Grafen  stehen« le  Bezirk  oder  Land- 


komplex kann  Grafschaft  heimsen. 
Hervorgerufen   wurde   diese  Auf- 
losung der  alten  Gau  Verfassung  am 
meisten  durch  die  Exemptiouen  der 
geistlichen  Stifter  von  den  Graf- 
schaften und  dureh  die  selbständige 
Entwicklung  der  Städte.    Der  alte 
(lau  verlor  überhaupt  als  Gericht« 
und   politischer   Bezirk   seine  Be- 
deutung. Auch  die  alten  Gaunameu 
verlieren  ihre  Bedeutung  und  wie 
früher  vom  Gau,   so  werden  die 
Grafen  jetzt  nach  dem  Ort  bezeich- 
net, wo  sie  regelmässig  ihren  Sitz 
hatten,  und  gewinnen  dadurch  Fa- 
miliennamen; auch  nach  der  Pro- 
vinz findet  man  sie  benannt,  der  sie 
angehörten,   Grafen  von  Sachsen. 
Westfalen,     Thüringen,  Bayern, 
Kärnthen,  Alamannien,  Schwaben. 
Elsass. 

Mit  dem  Aufhören  der  Lehn*. 
Verfassung  gehen  die  Grafschaften 
in  Territorialherrschaften  über,  und 
die  Grafen  zählen  sich  ^jetzt  zum 
hohen  Adel;  eine  grosse  ^ahl  noch 
übrig  gebliebener  freier  Herren 
nimmt  im  15.  Jahrh.  ebenfalls  deu 
Grafentitel  an,  und  zuletzt  wird  die 
gräfliche  Würde  vom  Kaiser,  be- 
sonders seit  Karl  V.  käuflich  durch 
Diplom  an  ritterbürtige  Fami- 
lien verliehen.  Siehe  auch  Dury- 
grafy  Landgraf,  Markgraf  und  l*fafz- 
graf.  Hauptouelle:  Waitz,  Ver- 
fassungs-Geschichte und  zum  teil 
in  Opposition  dazu  Söhm,  FVänk. 
Reichs-  und  Gerichtsverfassung  s  5 
und  7. 

Oral  oder  Oraal.  Der  heilige 
Gral  war  der  Mittelpunkt  eines 
ausgedehnten  Dichtungskreises  der 
mittelalterlichen  Romantik,  woran 
die  Ritterwelt  sich  erbaute  und 
durch  dessen  Bearbeitung  die  Dich- 
ter sich  die  Seligkeit  zu  verdienen 
glaubten.  In  der  (iralsage  meinte 
man  die  unerforschlichen  Geheim- 
nisse des  Glaubens,  die  Wunder  des 
Christentums  und  die  segen>reichen 
Lehren  des  neuen  Bundes  zu  er- 
gründen, in  Symbolen  anschaulich 


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Gral  oder  Graal. 


341 


2U  machen  und  an  die  poetischen 
und    historischen    Traditionen  im 
«reiste  des  christlichen  Rittertums 
anzuknüpfen.    Der  Bestand  der  ur- 
sprünglichen .    wahrscheinlich  aus 
Spanien  durch  maurische  Vermitte- 
lung  nach  Frankreich  gekommenen 
Sage  ist  bis  jetzt  nicht  klar  gelegt 
worden ;  wir  kennen  sie  bloss  in  der- 
jenigen Gestalt,  in  welcher  sie  in 
Verbindung  mit  der  Geschichte  Par- 
zivals  und  der  gesamten  Artussage 
als  Lieblingsstott  der  französischen, 
später  der  deutschen  Epiker  auftritt. 
Man  besitzt  zwar  ein  altfranzösisches 
Gedicht   des  Chrestien  de  Troges, 
Contes  del  Gral ;  dieses  ist  jedoch 
nicht  die  Quelle  der  beiden  Graal- 
dichtungen  Wolframs  von  Eschen- 
bach, des  I'arzival  und  des  Titurel; 
vielmehr  nennt  Wolfram  selber  als 
seine    Quelle    einen  französischen 
Dichter  Kvot  von  Provence,  welcher 
sich,  nach  Wolframs  Angabe,  seiner- 
seits wieder  auf  eine  Schrift  des 
FI ege tan Ls  in  heidnischer  Sprache 
beruft,  der  ein  Heide  von  Vater - 
selten,  von  Mutterseiten  Jude  aus 
Salomons  Geschlecht,  in  der  Stern- 
kunde erfahren,  ein  Kalb  anbetete 
und  in  den  Sternen  vom  Gral  las; 
diese  Schrift  will  Kyot  zu  Toledo 
gefunden  haben;   da  sie  indessen 
nur  allgemeine  Angaben  über  den 
Gral  enthielt,  forschte  er  weiter 
nach  in  den  Chroniken  von  Bri- 
tannien, Frankreich  und  Irland  und 
fand  endlich  zu  Anjou  die  rechte 
Märe.    Von  diesen  Quellen,  die  et- 
was zweifelhafter  Natur  sind,  ist 
nichts  weiteres  bekannt. 

Das  Wort  Gral  wird  bei  den 
alten  Schriftstellern  in  der  Bedeu- 
tung Gejats  nachgewiesen;  zahl- 
reiche andere  Ableitungen,  wie  Sang 
real  oder  roual.  oder  vom  hebräi- 
schen namlak  =  Vorhaut,  sind  falsch. 

Seinem  Wesen  nach  ist  der  Gral 
das  höchste,  was  auf  Erden  nur 
gewünscht  werden  kann,  ja  das  über 
allen  truntrh  noch  weit  hinausreicht, 
dem  Himmelreiche  selbst  gleich- 


kommt, ein  Gefass  so  schwer,  dass 
die  ganze  sündige  Menschheit  es 
nicht  von  der  Stelle  zu  bewegen 
vermöchte,  und  gleichwohl  doch  auch 
so  leicht,  dass  es  mühelos  von  der 
zarten  Hand  Urrepansens  sieh  tragen 
lässt,  deren  hohe  Reinheit  sie  zu 
ihrem  Amte  als  Gralträgerin  heiligt. 
Mit  dem  Stein,  aus  welchem  der 
Gral  geschaffen  ist,  verbrennt  sich 
der  \ogel  Phönix,  um  schöner  zu 
einem  neuen  Leben  wiedergeboren 
zu  werden;  der  Stein  bewirkt  also 
Zerstörung,  Wiedergeburt  und  Auf- 
erstehung. Am  Karfreitage  schwingt 
sich  eine  weisse  Tauhe  vom  Himmel 
herab,  legt  eine  kleine  weisse  Oblate 
auf  das  Gefäss  und  fliegt  dann  wie- 
der empor  zum  Himmel.  Durch 
dieses  Mysterium  erhalt  der  Gral 
alle  die  göttlichen  Wundergabeu, 
die  weit  über  alle  menschliche  Kraft 
und  irdische  Herrlichkeit  hinaus- 
gehen und  unendliche  Wonne  und 
unaussprechliches  Heil  wirken.  Ur- 
sprünglich war  der  Gral  im  Himmel 
bei  Gott  und  von  Engeln  bedient; 
nach  dem  Sündenfalle  der  Engel 
und  Luzifers  Empörung  wurden  die 
teilnahmlos  gebliebenen  Engel  aus 
dem  Himmel  Verstössen  und  ver- 
j  urteilt,  dem  Gral  auf  Erden  zu 
'dienen,  bis  Gott  sie  in  die  ewige 
Verdammnis  verstiess,  und  nun  das 
Heiligtum  den  durch  kiusrhe  und 
triutre,  diese  Kardinaltugenden,  aus- 
gezeichneten Auserwählten  der  Men- 
schen anvertraute.  Diese  mussten 
aber  Getaufte  sein;  Gott  ernannte 
sie  selbst  und  berief  sie  durch  seinen 
Engel  zu  dem  erhabenen  Dienste, 
und  Titurel  war  der  erste,  dem  das 
hohe  Schirmeramt  als  Gralskönig 
anvertraut  wurde.  Der  Gral  ist 
auch  nur  den  Getauften  sichtbar. 
Die  vom  Gral  berufenen  Diener  sind 
von  allen  Todsünden  befreit,  der 
Weg  zum  Himmel  ist  ihnen  eröffnet 
und  die  höchste  Seligkeit  ist  ihr 
Lohn  im  jenseitigen  Leben.  Der 
Gral  erwählte  die  Seinigcn  ohne 
I  Ansehen  des  Standes  oderGeschlcch- 


uigiiizea 


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342 


Gral  oder  Graal. 


tes;  die  zum  Gral  Berufenen  müssen 
aber  durch  ihr  Leben  sich  der  ihnen 
sonder  Verdienst  zugeteilten  Gnade 
würdig  machen,  daher  der  höchvarf, 
ungenuht,  de.*  vafoches  sich  entschla- 
gen, diemüet  üben,  in  kitische  leben 
und  damit  ihre  triuwe  bewahren. 
Insbesondere  müssen  die  Gralritter 
weltlicher  Minne  entsagen;  nur  der 
König  darf  vermählt  sein;  wer  aber 
vom  Gral  in  ein  fremdes  Land  als 
dessen  Herrscher  gesandt  wird,  darf 
dort  sich  vermählen,  damit  sein  Ge- 1 
schlecht  wieder  dem  Gral  diene. 
Besonders  aber  muss  der  Ritter  zur 
Ehre  und  Verteidigung  des  Grals 
das  Schwert  fuhren  und  stets  zum 
Kampfe  dafür  gerüstet  sein.  Er  darf 
weder  Pardon  geben  noch  nehmen, 
und  so  dem  Gral  in  Leben  und  Tod 
geweiht,  büsst  er  die  eigene  Sünden- 
schuld zu  seiner  Heiligung,  sühnt 
damit  aber  auch  zugleich  die  Sün- 
denschuld d»T  Menschheit  und  be- 
reitet sich  seine  Seligkeit.  Der  Gral 
steht  aber  auch  seinen  Dienern  in 
Todesgefahr  bei.  Sämtliche  Gral- 
diener werden  eine  Brüderschaft 
genannt;  der  Gral  spendet  ihnen  alle 
Bedürfnisse,  Kleidung  und  Watfeu, 
Speise  und  Trank,  und  zwar  der 
köstlichsten  Art.  Der  Gral  gewährt 
seineu  getreuen  Dienern  aber  noch 
höhere  Gaben:  wer  ihn  erblickt, 
kann  in  einer  Woche  darnach  nicht 
sterben,  er  erhält  ihn  in  voller 
Jugendblüte,  und  würde  er  auch 
zweihundert  Jahre  alt.  Der  König 
ist  Schiriner  über  des  Grals  Ge- 
heimnis, sein  Reich  entreckt  sich 
über^Ue  ganze  Erde  und  weiter  bis 
in  die  Sterngefilde;  denn  es  ist  die 
ganze  Schöpfung,  in  welcher  der 
Gral  waltet ;  aber  er  ist  nicht  Herr 
über  den  Gral  selbst,  sondern  nur 
das  Haupt  der  Gralgemeiude,  der 
Wächter  über  die  Erfüllung  seiner 
Gesetze.  Der  König  des  Grals  führt 
im  Wappen  die  Turteltaube,  das 
Sinnbild  der  Reinheit  und  treuen 
Liebe.  Unter  diesem  Zeichen  hat 
die  Ritterschaft  zur  Verherrlichung  | 


des  Grals  zu  kämpfen  und  der  König 
vom  heiligen  Geist  erfüllt  zu  regieren. 

Das  Heiligtum  des  Grals  wird 
in  einem  Tempel  aufbewahrt,  der 
sich  zu  Munsalvrische  befindet,  im 
mons  sahationix,  der  Gralburg  und 
Residenz  des  Königs.  Von  hier  aus 
wird  der  heilige  Samen  in  die  Welt 
ausgestreut.  Das  dazu  gehörige 
Land,  30  Meilen  ringsum,  heisst  Terre 
de  Sa/ ratsche;  darin  entspringt  die 
Fontane  la  sahätschet  an  welcher 
die  Klause  Trevrizents  (treve  recent, 
der  neue  Friede  l  liegt,  wo  Parzival 
seine  Heilsbelehrung  empfängt.  Das 
Gralgebiet  ist  ein  Bannforst,  den 
niemand  ungestraft  betreten  darf, 
und  mit  Wachen  und  Warten  um- 
stellt. Die  Burg  liegt  unüberwind- 
lich auf  steilem  Berge,  aber  grosses 
Geheimnis  umgiebt  sie.  Wer  sie 
sucht,  wird  sie  nicht  finden;  denn 
nur,  wen  der  Gral  selbst  zu  sich 
beruft,  kann  zu  ihm  gelangeu,  er 
ist  mit  Waffen  nicht  zu  erstreiteu. 
Zweimal  im  Jahr,  bei  hohen  Festen, 
wird  mit  ungemeinem  Aufwände 
von  Pomp  und  Personen  das  heilige 
Gefäss  mit  der  blutenden  Lanze  im 
grossem  Saale  vor  den  König  imd 
seine  Ritterschaft  getragen.  Ein 
ritterliches  Fest  wird  auf  der  Burg 
nicht  begangen,  alles  ist  in  tiefer 
Trauer;  denn  die  Gralgemeinde  be- 
findet sich  in  der  Busse,  und  zwar 
wegen  der  Schuld  des  Amförtas; 
dieser  König  Grals  hatte  sicn  näm- 
lich cegen  das  Gebot  durch  un- 
keuscne  Minne  zur  Heidenkönigin 
Secundilla  und  demnächst  zur  ver- 
führerischen Orgeluse  vergaugeu. 
und  im  Dienste  der  letzteren  erhielt 
er  beim  Kampfe  mit  einem  Heiden, 
der  den  Gral  erstreiten  wollte, 
durch  dessen  vergifteten  Speer  eiue 
unheilbare ,  unsägliche  Schmerzen 
bereitende  Wunde.  Die  treuen 
Gralritter  wandten  vergebens  alle 
natürlichen  und  übernatürlichen  Heil- 
mittel an,  bis  sie  bnssfallig  zum 
Gral  beteten;  dieses  Gebet  wurde 
zwar  dem  Krauken  nicht  zur  Ge- 


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Gral  oder  Graal. 


343 


nesung,  doch  seinen  Rettern  zur 
Hoffnung;  es  erschien  nämlich  eine 
Schrift  am  Gral,  dass  Amfortas  ge- 
nesen werde,  wenn  ein  Ritter  kommen 
würde,  der  unaufgefordert  fragte. 
Als  dieser  Ritter,  Parzival  nämlich, 
beim  Grale  erschien,  that  er  die 
verhängnisvolle  Frage  nicht;  Am- 
fortas aber  nimmt  dieses  für  eine 
göttliche  Prüfung  an,  und  als  Par- 
zival. der  schon  ernannte  Gralköuig, 
zum  zweiteu  Male  erscheint,  widmet 
er  sich  demütig  dem  heiligenden 
Graldienst,  indem  die  Krone  des 
Grals  auf  Parzival  übergeht. 

Während  Amfoitas  sieh  durch 
offen  bewusste  Verletzung  des  Gral- 
oder Gottesgebotes  versündigt,  ladet 
JJarzirai  die  Schuld  auf  sich  durch 
»eine  (ierechfigkeit.  Parzivals  ein-  1 
aame  Erziehung  im  Walde  öffuete 
nicht  sein  Herz  dem  Lichtblicke  d«>s 
Glaubens;  mit  edlen  hohen  Anlagen, 
von  angebornem  Thatendrange  ge- 
trieben, mit  trotzigem  Selbstgefühle 
sich  von  der  .Mutter  losreissend 
stürmt  er  in  die  Welt,  erzwingt  sich 
die  Ritterschaft,  gewinnt  ein  herr- 
liches Weib,  vollbringt  die  grössten 
Heldenthaten,  erringt  überall  Sieg 
und  Ruhm  und  die  höchste  Ehre 
am  Plimizol,  wo  Artus  ihn  in  die 
Zahl  der  Tafelrundritter  aufnimmt. 
Dennoch  hat  er  mit  fast  jeder  seiner 
wohlgemeinten,  das  ihm  gegebene 
Gesetz  nur  befolgenden  Handlungen 
Unheil  hinter  sich  gelassen,  ohne 
dass  er  es  weiss  oder  begreift,  wes- 
halb es  so  kommen  musste.  Da 
reisst  Kundrins  Donnerwort  ihn  aus 
dem  Taumel  des  Glücks,  und  statt 
Ehre  giebt  sie  ihm  den  Fluch  aller 
Guten.  In  dem  Bewusstsein  ge- 
wissenhaftester Erfüllung  aller  ihm 
kundgegebenen  Pflichten,  unfähig, 
die  Schande,  die  ihn  getroffen,  zu 
tragen,  wendet  sich  empört  sein 
Gemüt  gegen  Gott,  und  er  fällt  dem 
Zweifel  und  der  J'erztrei/tunfj  an- 
heim.  Da  belehrt  ihn  Trevfecent 
zum  erstenmal  über  die  unendliche 
Liebe  Gottes  und  bezeichnet  ihm 


Reue,  Busse  und  Demut  als  den 
Weg  zum  Heile.  Als  ein  neuer 
Mensch  setzt  er  sein  Forschen  nach 
dem  Gral  fort,  den  er  um  seines 
eigenen  Heiles  willen  und  im  Glauben 
an  die  Kraft  des  Grals  aufsucht  und 
findet. 

Nach  dieser,  dem  verdienten 
Parzival-Forscher  San  Martc  ent- 
lehnten Erläuterung  des  Grals  stellt 
sich  nun  als  Idee  des  Grals  im 
Geiste  Wolframs  eine  christliche 
Genossenschaft  entgegen,  ein  Reich 
der  Gläubigen  und  Auserwahlten 
des  Herrn,  eine  christliche  Gemein- 
schaft ohne  römische  Hierarchie, 
ohne  Bann,  Interdikt  und  Ketzer- 
gerichte, worin  Gott  selbst  durch 
den  Gral  im  Geiste  des  reinen 
Evangeliums  Herrscher  und  Richter 
seiner  Gemeinde  ist;  vom  Tempel- 
herrenorden aber  entlieh  der  Dichter 
die  Hülle  zu  seiner  idealen  Gestal- 
tung dieser  Genossensehaft.  Seiner 
Idee  gemäss  steht  das  Gralrcieh  im 
Gegensatz  sowohl  zum  orthodoxen 
Christentum  als  zum  Heidentum, 
obgleich  er  sich  der  Polemik  ent- 
hält. Nach  San  Marte  ist  der  Gral 
und  da*  Tempelrittertum,  wie  es 
von  Wolfram  geschildert  wird,  ein 
der  freien  Dichtung  augehöriges 
Phantasiegesehöpf,  dem  der  Boden 
wirkliehen  Volksglaubens  fehlt,  zu 
dem  jedoch  die  Färbung  von  sehr 
mannigfaltigen  Seiten  entlehnt  ist. 
In  indischen  Mythen  wurzelt  die 
Sage  von  einer  Stätte  auf  Erden, 
die  ihrem  Bewohner  mühelosen  Ge- 
11US8  und  ungetrübte  Freude  ge- 
währt, ein  irdisches  Paradies;  ähn- 
licher Auffassung  entstammt  die 
Zeit  des  Saturn,  das  goldene  Zeit- 
alter der  Griechen;  der  Islam  be- 
sitzt sein  mit  denglühendsten Farben 
ausgestattetes  Paradies,  und  nicht 
minder  die  Religion  der  Kelten  in 
der  Insel  Avalon,  dem  glüekseligen 
Lande,  wohin  Artus  nach  der  Schlacht 
von  Cambula  entrückt  ward.  Den 
Stein,  aus  dem  der  Gral  besteht, 
hat    man   geglaubt    in  Beziehung 


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844        Grandmontaner  Mönchsorden.  —  Gregor  vom  Steine. 


bringen  zu  dürfen  mit  dem  schwarzen  ihnen  bloss  Korrektor  nennen;  er 
Steine  derKaaba;  er  soll  einer  von  starb  hochbetagt  1 1 14.  Nach  seinem 
den  Edelsteinen  des  Paradieses  und  ;  Tode  sprachen  die  Augustiner  von 
mit  Adam  lierab  auf  die  Erde  ge-  ]  Ambazoc  Müret  als  ibr  Eigentum 
fallen  sein.   Der  Tempel  zu  Mekka  an  und  nannten  sieh  yon da  an  Gramd* 
heilst  auch  der  unverletzliche,  un-  mon fenser.     Bald    verbreitete  sich 
nahbare,    wie    Muntsat  ratsche    im  der  Orden  in   Aquitanien,  Anjou 
Titurel  der  behalten  lere  heisst.  So  und  in  der  Nonnandie.    Das  erste 
denktmanauchan  dcnaltägvptischen  eigentliche  Kloster  desOrdens  stiftete 
Herinesbecher,    den    Becher    des  König  Ludwig  VIT.  1164   zu  Vin- 
Dschemschid,    des    Herkules    und  cennes  bei  Paris.  Die  Klöster  biessen 
Bacchus,  der  zugleich  Weltspiegel,  Zellen,  und  die  Aufnahme  erfolgte 
Zauberspiegel  und  Gefnss  des  Heiles  bloss   durch    das   zu  Grandinont 
ist.  Erst  spätere  französische  Prosa-  wohnende  Ordenshaupt.    Von  An- 
rornane,  deren   noch   mehrere  bis  fang  an  hatte  der  Orden  mehr  Laien- 
ins  16.  Jahrhundert  verfasst  wurden,  brüder  als  Geistliche.    Der  Ordt*n 
setzten   den  Gral  mit  Joseph  von  blieb  stets  auf  Frankreich  beschrankt 
AriinathiainVerbindungund nannten  und  zahlte  kein  einziges  Mitglied 
ihn  die  Schüssel,  aus  der  der  Herr  von  grösserer  Bedeutung, 
mit  den  Jüneern  gespeist  und  in  j      Grejror  vom  Steine  heisst  eine 
der  Joseph  das   Blut   aufgefangen  I  von   Ilartm<tnn    von    der  Ait4?  in 
habe,  das  den  Wunden  des  Herrn  höfischem    Geschmack  behandelte 
bei  seiner  Beerdigung  entströmte.  Legende;  ihre  Quelle  ist  wahrschein- 
Auch  die  Ableitung  der  blutenden  lieh  ein  altfranzösisches  Gedicht  dea 
Lanze  von  derjenigen,  womit  Lon- j  12.  Jahrhunderts,  Vie  du  Pape  Clr*- 
ginus  dem  Heiland  am  Kreuze  in  goire  le  Grand,  dem  sich  Hartmann 
die  Seite  stach,  weshalb  sie  stets  genau  anschliesst.    Der  Inhalt  ist 
und  bis  zum  Tage  des  Weltgerichts  folgender:  Ein  Fürst  von  Aquitanien 
bluten   wird,   ist  spätem  Datums,  hintorlässt  zwei  Kinder,  einen  Sohn 
Nach&ni  Marte  in  Erschund  Gruber,  und   eine  Tochter,   die   sich  auf 
Artikel  Graal,  vgl.  auch  desselben  das  zärtlichste  lieben.    Durch  die 
Forschers  Parzival-Studien.   Birch-  Lockungen  des  Bösen   wird  aber 
Hirschfeld,  die  Sage  vom  Gral,  Lpz.  der  allzuvcrtraute  Bruder  verleitet, 
1H77.    Bartsch    in  der  Einleitung  seiner    Schwester    in  unerlaubter 
seiner  Parzifal- Ausgabe.  Weise  zu  nahen.    Der  unglückliche 
I  •  nun  l  in  on  tau  er  Mönchsorden,  Bruder  wandert  darauf  ausser  Landes 
Ordo   G randitnontensis ,  ein   refor-  und  stirbt,  die  Schwester  aber  wird 
mierter  Benediktiner-Orden  des  11.  heimlich  eines  Knaben  entbunden. 
Jahrhunderts.    Stifter  desselben  ist  i  Dieses  Kind  wird  in  eine  Kiste  pe- 
Stcphanus  von  Tigerno,  geb.  1046  than  und  ihm  eine  Tafel  beigegeben, 
auf  dem  Schlosse  Thiers  in  Au  vergne.  J  auf  welcher  vermerkt  ist,  das«  es 
Gregor  VII.  gestattete  ihm  die  Er-  von  hoher  Geburt,  sowie  dass  sein 
richtuug  eines  geistlichen  Ordens,  Vater  sein  Oheim,  seine  Mutter  seine 
der  nach  den  Gebräuchen  der  cala-  Base  sei;  so  wird  das  Kind  in  eine 
brischen  Mönche  eingerichtet  wäre,  Barke  gesetzt  und  dem  Meere  preis- 
worauf  Stephanus  unweit  Limoges  gegeben,  die  Mutter  aber  lebt  gott- 
in   einer    Einöde    der    Auvergne,  ergeben  und  zurückgezogen  wie  eine 
Müret  genannt  ,  eine  Hütte  erbaute  Büsscnde  und  versagt  allen  Werbern 
und    hier    als    Einsiedler    lebte,  die   Hand;    von  einem  derselben. 
Als  sich,    durch   den   Ruf  seines  einem    mächtigen   Herzog   in  der 
heiligen  Lebens  angezogen,  andere  Nachbarschaft,  wird  sie  deshalb  so- 
ihm  Deigesellteu ,  Hess  er  sich  von  gar  in  ihrer  Hauptstadt  belagert. 


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Gregoriusfest. 


345 


Unterdessen  wird  die  Barke  mit 
dem  Kind  an  einem  fremden  Gestade 
unweit  eines  Kloster»  von  Fischern 
entdeckt,  und  der  davon  benach- 
richtigte Abt  vertraut  das  nach  des 
Abte»  Namen  Gregorius  getaufte 
Kind   einem  der  tischer  zur  Er- 
ziehung an.    Spater  wird  es  in  die 
Klosterschule  selbst  aufgenommen, 
wo  es  grosse  Fortschritte  macht; 
da  jedocn  seine  Pflegemutter  ihn 
im   Zorne   dafür,    dass  er  ihrem 
Sohne  beim  Spiel  unversehens  wehe 
gethan.  einen  Findling  gescholten 
hat.  erbittet  und  erhält  er  vom  Abt 
Auskunft   über  seine  Geburt  und 
zieht  in  die  weite  Welt,  um,  mit 
jener  Tafel    versehen,    das  Land 
seiner  Geburt  zu  suchen.  Er  kommt 
zufallig  in  das  Land  seiner  Mutter, 
die  eben  von  jenem  Herzog  belagert 
wird,   findet  Einlass,   besiegt  den 
Herzog  und  vermählt  sich  mit  der 
Herrin  des  Landes.    Bald  erregt 
bei  dieser  das  Lesen  der  Tafel,  dein 
der  Gemahl  sich  tätlich  unterzieht, 
Argwohn,  sie  bemäentigt  sich  heim- 
lich derselben  und  findet,  dass  ihr 
Gemahl  ihr  Sohn  sei.    Beider  be- 
mächtigt   sich    namenloses  Weh. 
Gregor   ermahnt   die   Mutter  zur 
Busse  und  zu  guten  Werken  und 
zieht  im  Büsserce  wände  fort.  Ein 
Schiffer  bringt  ihn  seinem  Wunsche 
gemäss  auf  einen  einsamen  Felsen 
im  Meer,  schliesst  ihn  in  eine  eiserne 
Fessel  und  wirft  den  Schlüssel  da- 
zu ins  Meer,  indem  er  sich  höhnend 
äussert:  wenn  der  Schlüssel  wieder- 
gefunden werde .  wolle  er  ihn  für 
einen   heiligen  Mann  halten.  Auf 
diesem  Stein  verlebt  Gregor  unter 
freiem  Himmel,  fast  ohne  Nahrung, 
beinahe  siebzehn  Jahre.  Nach  dieser 
Zeit  soll  in  Rom  ein  neuer  Papst 
gewählt  werden ;  durch  Gottes  Stim- 
me werden  die  streitenden  Römer 
auf  Gregor  nach  Aquitanien  gelenkt. 
Zw  ei  Abgeordnete,  die  ihn  aufsuchen, 
kommen  in  die  Hütte  jenes  Fisc  hers, 
der   soeben  zu  seinem  Schrecken 
den  Schlüssel  in  eines  Fisches  Bauch 


wieder  gefunden  hatte.  Darauf  hin 
lassen  die  Boten  sieh  hinüber  auf 
den  Strom  fahren  und  Gregor,  der 
in  dem  Wiederfinden  des  Sehlüssels 
ebenfalls  Gottes  Fügung  erkennt, 
giebt  endlich  dem  Wunsche  der 
Boten  nach,  bricht  mit  ihnen  nach 
Rom  auf  und  wird  Papst.  Auch 
seine  noeh  lebende  Mutter  pilgert 
mit  anderen  zu  dem  wunderaus- 
übenden Sohne  und  erwirkt  Frei- 
sprechung von  ihren  Sünden.  Neueste 
Ausgabe  in  Hartmanns  von  der 
Aue  Werken  von  Fedor  Bech. 

Gregoriusfest  heisst  ein  im  Mit- 
telalter verbreitetes,  am  12.  März  ge- 
feiertes Sehulfest,  dessen  Entstehung 
wohl  mit  der  Frühlingsfeier  der  Ger- 
manen zusammenhängt.  Die  Schüler 
wählten  für  dieses  Fest  einen  der 
ihrigen  zum  Bischof  und  zwei  andere 
wurden  ihm  als  Kleriker  zugesellt. 
Alle  drei  wurden  in  geistlicher  Tracht 
von  dem  gesamten  Schüler-  und 
Lehreipersonal  unter  dem  Geläute 
aller  Glocken  zur  Kirche  geführt, 
wo  sich  der  Knabenbischof  und  seine 
i  zwei  Assistenten  in  possenhafter 
j  Feierlichkeit  an  den  Stutendes  Altars 
auf  Sessel  niederliessen.  Ein  wirk- 
licher Geistlicher  hielt  eine  Rede, 
worauf  man  einen  Gregoriusgesang 
anstimmte,daher  der  Name  ( irerioriu*- 
sinqen.  Nach  einer  Schlussrede, 
welche  der  Knabenbischof  hielt,  trat 
man  den  Rückweg  an,  auf  welchem 
die  Knaben  mit  Brezeln  beschenkt 
wurden,  wofür  einesteils  Privatleute, 
andernteils  öffentliche  Stiftungen  das 
Geld  hergaben;  zum  Teil  waren 
Jahrmärkte  mit  dieser  Feier  ver- 
bunden. Der  zweite  Akt  bestand 
darin,  dass  die  in  die  Schule  neu 
eintretenden  Knaben  in  ihren  Häusern 
der  Reihe  nach  aufgesucht,  als  Gre- 
gorianer  in  eine  Art  Chornemd  ge- 
kleidet und  in  Prozession  zur  Schule 
geführt  wurden.  An  anderen  Orten 
bestand  das  Fest  bloss  aus  einer 
öffentlichen  Speisung  der  Knaben- 
schaft; so  wird  aus  St.  Gallen  ge- 
meldet: anno  lbüii  am  zin*ta<j  nach 


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340 


Grenadiere. 


der  alten  fastnacht  hand  meine  herren  Soldaten",  Leipzig  1726.  den  Grena- 
ain  hirs  im  snital  lassen  machen  und  dier  folgendermassen :  „Ein  Grena- 
mU  hreteren  tischet  vom  rathus  bis  dier  ist  gleichfalls!  wieder  Musketier^ 
zuo  den  brotloben,  und  alle  Knaben  ein  gemeiner  Soldat,  doch  hat  er 
in  der  stat  dazuo  gefueri  und  trait.  vor  einem  Mousquetirer  darinnen  den 
icas  ander  14  ja  reu  Ut  g * sin,  und  Vorzug,  dass  man  ihn  bei  Sturm- 
hiess   man    essen   die  schwangeren  laufen  und  bei  denen  gefährlichsten 
f rotten,  so  ge/ust  hand,  und  sind  an  Actionen  gebraucht .  um  Granaten 
der  zal  gesin  Unw  junger  Knaben,  zu  werfen  und  muss  dabei  Ober- 
die   man    verschrieben'  hat.     Den  und  Untergewehr  tragen.    Man  er- 
Namen soll  das  Fest  nach  Papst  wehlt    hierzu    die  ansehnlichsten. 
Gregor  I.  erhalten  haben,  ohne  dass  stärksten,  dauerhaftesten  uod  ramas- 
68   bis  jetzt  gelungen   wäre,  den  sirten  Leute  und  sucht  gemeiniglich 
Grund  dieser  Namengebung  zu  ent-  aus  jeder  Compagnie  ein  8  — 10  Manu 
Ziffern  (vgl.  Kriegk,  Bürgerth.  II,  93).  aus,  nachdem  die  Compagnie  stark 
Grenadiere  sind  zuerst  im  dreissig-  ist.    Anstatt  des  Huts  tragen  sie 
jährigen  Kriege  aufgekommen;  sie  eine  grosse  Grenadier-yiiitze.  in  der 
sollten  die  sonst  aus  dem  Geschütz  grossen  Patrontasche  führen  sie  drei 
geschleuderten  Granaten  oder  Gre-  eiserne,  gefüllte,  fertige,  mit  Blasen 
naten  mit  der  Hand  werfen  und  da-  .  verbundene   Granaten.     Bei  dem 
durch  da*  Feuer  der  Infanterie  zu-  Exercieren  werden  nur  hölzerne  oder 
mal  gegen  Kavallerie  bei  dem  Kampfe  gepappte  Granaten  gebraucht,  die 
um  Örtlichkeiten  und  vorzüglich  im  eisernen  aber  in  der  scharfen  Action 
Festlingskriege  unterstützen.    Das  vor  dem  Feinde  und  inzwischen  bei 
Werfen  der  eisernen  Granaten  er-  dem  iStabe  verwahrt  und  aufgehoben, 
forderte    bedeutende    Körperkräfte  Forne  auf  dem  Riemen  an  der  Brust 
und  die  dazu  bestimmten  Leute  wur-  ist  ein  blecherner  Luntenverberjrer 
den  deshalb  aus  den  grössten  und  befestigt,  um  die  glimmende  Lunte 
kräftigsten  Mannschaftenausgewählt,  vor  Regen,  Nebel  und  Feuchtigkeit 
Da  ihre  Bewaffnung  es  ausserdem  wohl  zu  verwahren, 
mit  sich  brachte,  dass  sie  den  Feind       „Wird  ein  Regiment  zur  Muste- 
nahe  heran   kommen  lassen,   sich  rung,  Camj>irung,  zum  Jtjrercircn  und 
exponieren,  in  nächster  Nähe  der  dergleichen    zusammengestellt ,  so 
Gefahr  ins  Auge  sehen  mussten,  so  werden  die  Grenadiere  von  allen 
wurden  die  Grenadiere  von  selbst  Compagnien  auf  den  rechten  Flügel 
eine  Elite-Infanterie.  Später,  als  die  sich  zu  stellen  commandiret  und  nach 
Grenadiere  als  solche  verschwanden,  der  Endigung  gehet  ein  jeder  zu 
behielt  man  den  Namen  für  eine  seiner  Compagnie.  Dieses  geschieht 
auserlesene  Infanterie  bei,  welcher  bei  einem  regnlairen  Feldregirnente. 
man  als  besonderes  Abzeichen  eine  Man   hat  auch  ganze  Regimenter 
springende  Granate,  an  der  Kopf-  und  Bataillons  formirter  Corps  von 
bedeckung  oder  dem    Lederzeuge  Granadirern.  als  gleichsam  Garden 
getragen,  verlieh.  Anfangs  befanden  von  hohen  Potentaten,  die  von  son- 
sich  die  Grenadiere  von  der  übrigen  derbarer  Grösse  und  Ansehen  sind. 
Mannschaft  in   Bewaffnung,   Aus-  zusammeugeschafit.     Doch  solche 
rtistung  und  Bekleidung  nicht  unter-  sind  grösstenteils  bloss  zur  Parade 
schieden,    untermischt    unter    den  und  werden  in  die  Residentzen  ver- 
Pikenieren  und  Musketieren;  als  be-  legt.   Die  Fcldregimenter  aber  sind 
sondere  Waffengattung  wurden  sie  verbunden  Dienste  zu  thun. 
von  Ludwig  XIV.  zuerst  im  .Jahre       „Ein  Granadier  muss  nicht  wei- 
1667  eingeführt.  Flernming  schildert  bisch  aussehen,  sondern  furchtbar, 
in  dem  „Vollkommenen  deutschen  von    schwarzbraunem  Angesicht, 


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Grwelda,  Griseldis.  347 


schwartzen  Haaren  mit  einem  star-  mir  dünkt  viel  Gutes  von  ihr.  und 

ken  Knebelbarth,  nicht  leicht  lachen  ist  sie  so  verständig,  als  sie  schön 

«»der  freundlich  thun.    Vor  alten  ist,  und  das  glaube  ich,  so  zweifle 

Zeiten  hat  man  von  denen  Grena-  ich  nicht, dass  ihr  alsder  zufriedenste 

diers  nicht  viel  gewusst  In  Deutsch-  Herr  mit  ihr  leben  werdet.  Doch, 

land  und  sonderlich  in  Sachsen  sind  soviel  ich  kann,  beschwöre  ich  Euch, 

sie  erst  anno  1683  aufgekommen,  erspart  ihrem  Herzen  die  Stiche, 

bei   dem  glücklichen  Entsatz  der  welche  die  andere,  die  einst  Eure  Ge- 

Kayserlichen  Residentz-Stadt  Wien,  muhlin  war,  von  Euch  erhielt;  denn 

aJs  Ihro  Churfürstliche  Durchlauch- !  ich  glaube  kaum,  dass  sie  dieselben 

tigkeit  von  Sachsen  Johann  Georg  III.  zu  ertragen  vermöchte,  teils,  weil  sie 

Höchstseligen    Angedenkens    sich  jünger  ist,  teils,  weil  .sie  in  Weich- 

ihrer  zum  ersten  Male  mit  grossem  liclikeit  erzogeu  ward,  während  jene 

Nutzen  und  mit  Verlust  der  Türken  von  klein  auf  in  beständigen  Mühen 

bediente."    Breyding,  Artikel  Gre-  gelebt  hat."  Da  entdeckte  ihr  Gual- 

nadier  in  Ersen  u.  Gruber.  tieri,  dass  die  angebliche  junge  Braut 

Griselda,  Griseldis,  heisst  die  und  ihr  mit  anwesender  Bruder  seine 

Heldin  der  letzten  Novelle  in  Boccac-  und    ihre   Kinder  seien;  und  der 

eios  Decameron,  deren  Inhalt  folgen-  Markgraf  lebte  noch  lange  mit  Gri- 

der  ist:    Markgraf  Gualtieri   von  selda  glücklich  und  hielt  sie  in  hohen 

Saluzzo,  von  seinen  Vasallen  ge-  Ehren. 

drängt  sich  zu  verheiraten ,  nimmt  Diese  Novelle  Boccaccios  hat 
Griselda,  die  Tochter  eines  armen  Petrarca  frei  in  lateinischer  Sprache 
Land  mann  s.  zur  Gemahlin.  Als  sie  nacherzählt,  und  diese  Bearbeitung 
ihm  eine  Tochter  geboren,  lässt  er  ist  sowohl  Volksbuch  als  die  Quelle 
ibr,  um  ihre  Geduld  und  ihren  Ge-  zahlreicher  epischer  und  dramatischer 
horsam  zu  prüfen,  das  Kind  weg-  Dichtungen  in  verschiedenen  europäi- 
uehmen  und  macht  sie  glauben,  er  sehen  Literaturen  geworden, 
habe  es  töten  lassen,  wänrend  er  es  In  Deutschland  blieb  die  Über- 
insgeheim  zu  seiner  Schwester  nach  setzung  der  (iriseldi*  des  Petrarca 
Bologna  geschickt  hat.  Ebenso  ver-  durch  Heinrich  Steinhötrct  für  die 
fahrt  er  mit  dem  zweiten  Kind,  einem  letzten  Jahrzehnte  des  15.  Jahrb.  bis 
£k>hne,  und  beidemal  fügt  sich  Gri-  in  die  erste  Hälfte  des  17.  Jahrh. 
selda  ohne  Widerstreben  und  Murren.  Volksbuch,  zuerst  gedruckt  zu  Augs- 
Nach  dreizehnjähriger  Ehe  giebt  der  bürg  1471  in  Fol.  durch  Günther 
Markgraf  vor,  er  nabe  vom  Paust  Zainer  und  später  öfters.  Neuere, 
IHspens  erhalten,  sich  von  Griselda  ebenfalls  zu  Volksbüchern  gewordene 
zu  scheiden  und  eine  andere  eben-  Obersetzungen  sind:  Markgraf  Wal- 
bürtige  Gemahlin  zu  nehmen,  und  ther,  von  Johann  Fiedlern,  Dresden 
schickt  Griselda  im  blossen  Hemde  1653,  und  die  Übersetzung  des  Kapu- 
zu  ihrem  Vater  zurück.  Bald  aber  ziners  Martinus  von  Cochem  in  „Aus- 
lädst ihr  der  Markgraf  wissen,  sie  erlesenes  Historybuch"  Dillingen, 
möge  an  den  Hof  kommen,  um  für  1687,  auch  einzeln  unter  dem  Titel: 
die  bevorstehende  Hochzeit  alles  Wunderbarer  Demut-  und  Geduld- 
herzurichten und  die  eingeladenen  j  spiegel,  vorgestellt  in  der  Gräfin 
Damen  zu  empfangen.  Griselda  thut's  Griseldis.  Andere  Übersetzungen 
und  empfangt  am  Hochzeitstage  die  hat  man  in  niederdeutscher,  franzö- 
junge  Braut.  Nachdem  man  sich  sischer,  niederländischer,  englischer, 
zu  Tisch  gesetzt ,  lässt  Gualtieri  dänischer,  schwedischer,  böhmischer 
Griselda  zu  sich  rufen  und  fragt  Sprache.  Poetische  Bearbeitungen 
sie:  „Nun  was  dünkt  dir  von  Unserer  dieses  Novellenstofles  kennt  man 
neuen  Gemahlin?"  „Mein  Gebieter,  ebenfallsauszahlreicheneuropäischen 


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348 


Grobianus.  —  Gudrun. 


Litteraturen ,  z.  B.  aus  Chaucers 
Canterbury  Tales;  in  Deutschland 
ist  es  im  16.  Jahrhundert  dreimal 
als  Komödie  behandelt  worden,  dar- 
unter von  Hans  Sachs.  Boccaccios 
Quelle  ist  bishcrunbekanntgcblieben. 
A*.  Köhler  in  Ersch  u.  Gruber,  Artikel 
Griselda. 

Grobianus.  Am  Schlüsse  des 
15.  Jahrhunderts  kehrte  ein  Nürn- 
berger Dichter  die  seit  dem  13.  Jahr-  [ 
hundert  vorhandenen  Anxtandsretjeln 
in  poetischer  Form  um  und  gab 
Regeln  für  Vernachlässigung  des 
Anstandes.  Sebastian  Braut  erfand 
als  Schlagwort  für  diese  Gattung 
den  heiligen  Grobiauus,  ein  Name, 
der  sich  rasch  ausbreitete  und  haften 
blieb.  Fr.  Dedekind  aus  Neustadt 
au  der  Leine  sehrieb  ein  lateinisches 
Gedicht  über  die  Grobianer,  das 
Kaspar  Scheidt  in  Worms  übersetzte 
und  erweiterte.  Daneben  lief  eine 
Prosabearbeitung.  Diese  ganze  Rich- 
tung der  Poesie  war  durchaus  volks- 
tümlich. 

Groschen,  früher  auch  der  Groti, 
von  mittellateiuisch  denarius  grossus, 
grosspfennig,  dickpfenning.  Die 
ersten  Groschen  sollen  entweder  im 
Jahre  1104  zu  Trier  oder  um  1300 
unter  König  Wenzel  von  Böhmen 
geschlagen  worden  sein.  Sie  be- 
standen aus  15  lötigem  Silber  und 
wogen  10  Cent.  Auf  eine  Mark 
fingen  60.  Zuerst  in  Meissen,  dann 
m  vielen  anderen  deutschen  Städten  i 
und  Ländern  nachgeschlagen,  gab 
es  bald  eine  Menge  Groschen  unter 
verschiedenen  Namen.  Seit  dem 
17.  Jahrhundert  war  der  Groschen 
der  24.  Theil  des  Reiehsthalers  und 
wurde  in  12  Pfennige  geteilt. 

Gudrun,  streng  oberdeutsch 
Kudrun,  ein  mittelhochdeutsches 
Epos  mir  volkstümlichem  Stoffe, 
wurde  sehr  wahrscheinlich  in  der 
ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
gedichtet  und  hat  in  seinen  Haupt- 
zügen folgenden  Inhalt: 

1.  Hagen,  der  Sohn  des  Königs 
von  Irland  (nicht  zu  verwechseln 


mit  dem  Hagen  des  Nibelungen- 
liedes), wird  seinen  Eltern  als  sieben- 
jähriges Kind  durch  einen  Greifen 
entführt.  Durch  einen  Zufall  aua 
der  Gewalt  der  jungen  Greifen  ge- 
rettet, findet  er  drei  ebenfalls  ge- 
raubte Königstöchter,  welche  ihn 
aufziehen.  Ein  gestrandetes  Fahr- 
zeug verschafft  ihm  Waffen,  und 
jetzt  erschlägt  er  die  Greifen.  Die 
Bemannung  eines  ankernden  SchifTV-s 
wird  von  ihm  bezwungen  und  führt 
ihn  mit  den  drei  Jungfrauen  in  seine 
Heimat,  wo  eine  derselben,  die  schöne 
Hilde  von  Indien,  seine  Gattin  wird 
und  eine  Tochter  gebiert,  welche 
ebenfalls  den  Namen  Hilde  erhalt 

2.  Hagen  lässt  alle  Boten  der 
Freier  töten,  da  nur  ein  gleich  mäch- 
tiger König  seine  Tochter  heimfüh- 
ren soll.  Der  König  Hetel  von 
Hegelingen  sendet  drei  seiner  tüch- 
tigsten Recken  als  Werber,  den 
freigebigen  Fruote,  den  liederreichen 
Horand  und  den  kampfberühmten 
Wate.  An  Hagens  Hof  geben  sie 
sich  für  Kaufleute  aus;  Wate  setzt 
durch  seine  Fechtkunst  alle  in 
Staunen,  Fruote  durch  seine  Pracht, 
Horand  durch  seinen  süssen  Gesang, 
der  die  Tiere  von  ihrer  Weide  lockt, 
die  Fische  und  Wrürmer  ihrer  Fahrte 
vergessen  macht  und  die  Menschen 
entzückt.  Hilde  lässt  den  Sanier 
heimlich  zu  sich  kommen,  und  so 
kann  Hetels  Werbung  augebracht 
werden,  welche  bei  der  jungen 
Königiu  günstige  Aufnahme  findet. 
Eine  List  wird  verabredet;  die  drei 
Recken  bitten  Hagen  und  die  Seinen, 
ihre  Schiffe  zu  besuchen  und  ihre 
Reichtümer  zu  bewundern.  Kaum 
hat  aber  die  Jungfrau  ihren  Fuss 
auf  das  Hauptschiff  gesetzt,  so  fahrt 
es  vor  den  Augen  ihrer  Eltern  ab 
und  landet  glücklich  im  Hcgelingen- 
lande.  Hagen  folgt  ihnen,  und  es 
kommt  zu  einem  hitzigen  Kampfe, 
den  Hilde  scheidet,  zu  deren  Ver- 
mählung Hagen  endlich  seine  Ein- 
willigung giebt. 

3.  Hilde  gebiert  den  Ortwin  und 


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Gudrun 


349 


eine 


wunderschöne  Tochter,  die 
Gudrun.  Siegfried  vonMorland  wirbt 
vergeblich  um  sie.  ebenso  wird  Hart- 
muot vonOrmanie  abgewiesen.  Auch 
dem  Herwig  von  Seeland  wird  ihre 
Hand  versagt;  er  aber  dringt  mit 
bewaffneter  Macht  in  Hetels  Land 
ein,  und  Gudrun  macht  dem  Kampfe 
ein  Ende,  indem  sie  sieh  den  Helden 
zum  Bräutigam  wählt. 

Siegfried  von  Morland  macht 
unterdessen  einen  verheerenden  Ein- 
fall in  die  Lande  Herwigs,  welchem 
fletel  zu  Hülfe  eilt.  Hartmuot  be- 
nutzt diesen  Augenblick,  um  im 
Hegelingenlande  einzudringen.  Er 
meldet  Gudrun  seine  Ankunft,  sie 
antwortet  mit  der  Nachricht  ihrer 
Verlobung  mit  Herwig,  Hartmuot 
entführt  sie  aber  mit  Gewalt  nebst 
ihrer  Freundin  Hildeburg.  Siegfried, 
mit  dem  unterdessen  ein  ehrenvoller 
Friede  geschlossen  worden  ist,  er- 
klärt sieh  bereit,  Hetel  und  Herwig 
in  der  Wiedererlangung  der  geraub- 
ten Jungfrau  zu  unterstützen.  Sie 
treffen  nie  Räuber  auf  einer  Insel, 
dem  Wülpensande;  vom  Morgen  bis 
zum  Abend  dauert  der  heisse  Kampf, 
worin  Hetel  fällt.  Hartmuot  mit 
»einen  Normannen  benutzt  die  Nacht 
zur  Flucht.  Herwigs  Leute  sind 
zum  grössten  Teil  gefallen;  er  muss 
von  der  Verfolgung  abstehen,  bin 
die  junge  Mannschaft  zu  einem 
kriegstüchtigen  Heere  heranwächst. 

In  seinem  Reiche  anlangend,  sucht 
Ludwig  die  Jungfrau  zur  Verbindung 
mit  seinem  Sohne  Hartmuot  will- 
fährig zu  machen;  sie  weigert  sieh 
aber  entschieden.  Wütend  erfasst 
er  sie  bei  den  Haaren  und  schleudert 
sie  ins  Wasser,  aus  dem  sie  indessen 
von  Hartmuot  gerettet  wird.  Um 
sie  zu  zwingen,  der  Werbung  des- 
selben Gehör  zu  schenken,  werden 
ihr  von  seiner  Mutter,  der  Gerlinde, 
diu  niedrigsten  Arbeiten  auferlegt, 
obwohl  Hartmuot  dies  missbilligt; 
allein  nichts  kann  sie  bestimmen, 
von  ihrer  Treue  zu  weichen,  weder 
Härte,  noch  gütiges  Zureden.  Täg- 


lieh  muss  sie  am  Strande  mit  ihre 
Freundiu  Hildeburg  Kleiderwaschen 
und  so  vergehen  13  Jahre  in  Not 
und  Elend. 

Unterdessen  ist  im  Hegelingen- 
lande gerüstet  worden,  und  ein  Engel 
verkündet  Gudrun  die  nahende  Hülfe. 
Herwig  und  Ortwin  gehen  gegen 
Abend  als  Kundschafter  dem  an- 
rückenden Heere  voran  und  treffen 
die  beiden  Jungfrauen,  die  trotz  des 
tiefen  Schnees  auf  Refehl  der  Ger- 
linde in  blossen  Füssen  ihre  Arbeit 
thun.  Rald  erkennen  sie  sich.  Ortwin 
widersetzt  sich  aber  einer  ihrer  un- 
würdigen Entführung;  mit  den  Waffen 
in  der  Hand  will  er  seine  Schwester 
zurückholen.  In  ihrer  Freude  und 
im  neu  erwachten  Stolze  ihres  könig- 
lichen Blutes  wirft  sie  die  Kleider, 
die  sie  waschen  sollte,  ins  Meer. 
Wütend  darüber  lässt  Gerlinde  die 
Heimgekehrte  an  eine  Bettstelle 
binden,  um  ihr  die  Haut  vom  Leibe 
zu  schlagen,  und  Gudrun  rettet  sich 
von  dieser  schmachvollen  Züchtigung 
nur  durch  das  listige  Versprechen, 
Hartmuot  minnen  zu  wollen.  Sie 
lässt  ihn  alles  zur  Hochzeit  bereit 
machen  und,  um  dadurch  die  Be- 
satzung der  Burg  zu  schwächen, 
veranlasst  sie  ihn.  Boten  nach  seinen 
Dienstmannen  zu  senden. 

Im  Heere  hat  man  wehklagend 
den  Bericht  der  beiden  Kundschafter 
vernommen;  zornig  ruft  der  alte 
Wate  aus:  „Alteu  Weibern  ziemt 
das  Jammern;  wir  wollen  mit  Blut 
die  Kleider  färben,  die  ihre  weisseu 
Hände  gewaschen  haben."  Die 
Morgenröte  zeigt  den  Burgbewoh- 
nern die  Heerhaufen  Vörden  Thoren, 
und  die  Wappen  verraten  bald  die 
nahenden  Rächer.  Ein  Ausfall  wird 
gewagt,  Hartmuot  verwundet  Ort- 
win und  Morand,  Herwig  erschlägt 
aber  Ludwig,  und  Wate  veitritt 
dem  weichenden  Hartmuot  den  Rück- 
zug. Jetzt  giebt  Gerlinde  alles  ver- 
loren und  will  Gudrun  in  ihrer  Wut 
töten  lassen;  allein  Hartmuot  sieht 
es  und  verhindert  den  Mörder  durch 


uigiiizea 


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350 


Gudrun. 


sehn'  Drohungen.  Uartinuot  muss 
sich  dem  alten  \Vate  gefangen  geben, 
der  nun  in  der  Burg  herumtobt  und 
selbst  die  Kinder  in  den  Wiegen 
nicht  verschont  Gerlinde  findet  bei 
Gudrun  Schutz,  allein  sie  wird  Wate 
verraten  und  samt  ihren  Dienerinnen 
niedergehauen.  Froh  kehren  die 
Sieger  heim,  und  vier  Vermählungen 
schTiessen  die  Erzählung:  Ortwiu 
erwählt  sich  auf  den  Rat  Gudruns 
die  Ortrun,  Schwester  Hartmuots, 
welcher  die  Hand  der  Hildeburg 
gewinnt;  Siegfried  erhält  die 
Schwester  Herwigs,  und  Gudruns 
ausharrende  Treue  wird  durch  ihre 
Verbindung  mit  dem  geliebten  Her- 
wig gekrönt. 

Der  Stoff  de§  Epos  läset  deutlich 
drei  Teile  unterscheiden :  1.  den 
Kaub  Hagens  durch  einen  Greifen; 
2.  die  Entführung  seiner  Tochter 
Hilde  mit  ihrer  Zustimmung;  3.  die 
Entführung  der  Tochter  derselben 
wider  ihren  Willen  und  die  endliche 
Belohnung  ihres  treuen  Ausharrens. 

Im  eisten  Teile  haben  wir  keine 
besondere  Sage  zu  suchen;  es  ist 
eine  Hiuzufügung  des  Dichters  und 
verrät  ganz  den  Geschmack  seiner 
Zeit. 

Der  zweite  Teil  beruht  auf  der 
uralteu  Hildentafir ,  deren  Heimat 
vielleicht  die  nordischen  Inseln,  die 
Schetlauds-  und  Orknevsinseln  sind, 
von  wo  sie  dann  nach  Norwegen 
und  an  die  Nordseeküste  gelangte. 
Wir  haben  sie  im  Nordischen  über- 
liefert in  der  jüngeren  Edda  (Skald- 
skitfuirmal .  c.  ;>0 1  und  von  So.ro 
Urammaticu*  (ed.  Müller  I,  1,  288), 
wobei  die  ersten*  Fassung  zweifel- 
los die  ältere  ist:  Während  Konig 
Högni  zur  Königsversammlung  ge- 
zogen ist,  wird  ihm  von  Hedin, 
Hjarrands  Sohn,  seine  Tochter  Hilde 
entführt.  Er  verfolgt  die  Fliehen- 
den bis  zu  den  Orkneys,  wo  es  zum 
Kampfe  kommt,  da  Högni  keine 
Busse  annehmen  will.  Den  ganzen 
Tag  kämpfen  sie,  aber  Abends  er- 
weckt Hilde  mit  Zauberliedern  die 


Gefallenen  wieder,  am  Morgen  be- 
ginnt die  Schlacht  von  neuem,  und 
so  wird  es  fortgehen  bis  zur  Götter- 
dämmerung. 

Zeugnisse  für  das  Bekanntsein 
dieser  Sage  haben  wir  in  einem 
angelsächsischen  Gedichte  des  achten 
Jahrhunderts.  Bemerkenswert  ist 
ferner  eine  umgestaltete  Fassung  der 
Sage  in  einer  auf  der  Schetlands- 
insel  Fula  gesungenen  Ballade  ivgrl. 
C.  IJofmann,  Berichte  der  Münchner 
Akademie  18B7,  II,  205).  Ob  und 
wie  auch  andere  Sagen,  in  denen 
Entführungen  von  Jungfrauen  vor- 
kommen, mit  der  Hildensage  zu- 
sammenhängen, lässt  sich  nicht  mit 
genügender  Sicherheit  bestimmeu. 

Der  Ursprung  der  Hildensage 
ist  wahrscheinlich  in  der  Mythologie 
zu  suchen.  Die  sich  stets  erneuernde 
Sehlacht  erinnert  an  die  sich  immer 
wiederholenden  Kämpfe  der  Einher- 
jar.  der  Heldenschar  Odins,  welche 
sich  alle  Tage  in  heissem  Kampfe 
gegeneinander  üben  und  jeden  Abend, 
von  allen  Wunden  geheilt,  zu  neuer 
Waffenübung  ausruhen.  Wenn  die 
Götterdämmerung  anbricht,  dann 
werden  sie  unter  Odins  Führung  den 
Kampf  gegen  die  bösen  Mächte  der 
Finsternis  aufnehmen.  Ihre  sich  stete 
wiederholenden  Waffe uübungen  be- 
ruhen auf  dem  Wechsel  von  Tag 
und  Nacht.  Der  Raub  der  schönen 
Jungfrau  aus  der  Gewalt  des  harten 
Vaters  deutet  auf  die  Erlös 
frühlingsfrischeii  Natur  aus  den 
den  der  Winterriesen. 

Die  Gudrmutaije,  welche  dem  drit- 
ten Teile  zu  Grunde  Hegt,  stammt 
aus  der  Gegend  der  Rhein-  und 
Scheidemündung.  Man  hat  sie  ge- 
wöhnlich für  eine  verändernde  W  ei- 
terbildung  der  Hildensage  ange- 
sehen, indessen  sind  die  inneren 
Verschiedenheiten  «loch  zu  gross 
und  die  Konsequenzen  dieser  An- 
nahme zu  bedenklich.  Man  thut 
am  besten  die  Gudrunsage 
selbständig  zu  betrachten , 
immerhin   Einzelheiten  von 


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351 


Sage  in  die  andere  gedrungen  sein  damaligen  Zeit  hinzufügte.  Er  nahm 
können.  sieh  offenbar  das  Nibelungenlied  zum 

Die  Zeugnisse  ihres  Bekanntseins  Vorbild.  Die  Frage,  ob  wir  es,  wie 
sind  sehr  aürftig.    Gudrun  kommt  es   Laehmanns  Ansieht  in  betroff 
als  Taufname  in  Oberdeutschland  des  Nibelungenlieds  war,  bloss  mit 
seit  dem  Ende  des  1 1.  Jahrhunderts  einem  Konglomerat  von  einzelnen 
einigemal  vor;  ferner  beziehen  sieh  Liedern  oder  mit  einer  einheitliehen 
auf  diesen  Sagenstoff  drei  Baliaden,  Dichtung  zu  thun  haben,  ist  ent- 
weiche in  Gottschee  an  der  Savc  schieden  dahin  beantwortet  worden, 
gesungen  werden,  und  welche  von  dass  ein  einziger  das  ganze  Werk 
den    deutschen    Einwanderern    im  dichtete,  welches  später  namentlich 
12.  Jahrhundert  aus  ihrer  Heimat  zum  Zweck    der    Erzeugung  von 
am  Nuderrhein  mitgebracht  wur-  Binnenreimen  roh  überarbeitet  und 
den.   Das  Alexanderlied  des  Pfaffen  interpoliert  wurde.    FttmiiUer,  dar- 
Lamprecht.  Vers  IH30— 1838  spielt  auf  mit  sorgfältiger  Kritik  Müllen- 
auf  ein  schwungvolles  Gudrunge-  hoff,  versuchten  die  zu  Grunde  liegen- 
dicht  an,    welches   sich    offenbar  den  Lieder  aus  der  überlieferten 
einigermasscn   an   die  Hildensage  Gestalt  herauszuschälen;    die  Zu- 
angelehnt hatte.  Verläßlichkeit  des  Resultates  wurde 
Den  Ursprung  der  Sage  in  der  aber  von  Bartsch  (Germania  IX, 
Mythologie  zu  suchen,  berechtigt  41  und  148)   und   Willmanns  (Die 
uns    nicht«;    Möllenhoff   (Haupts  Entwickelung  der  Gudrundichtung, 
Zeitsc.hr.  VI,  67)  zeigt,  dass  der  Halle  1873)  bestritten, 
riesische  Wate  der  Sage  ursprüng-       Die  Form  der  Strophe  ist  der 
fremd  ist.   Es  ist  also  eine  histori-  Xibelungenstrophe  nachgebildet,  und 
sehe  Grundlage  anzunehmen.    Wid-  die  Veränderungen  bestehen  darin, 
mann  macht  auf  die  Schicksale  der  dass    die    dritte    Langzeile  einen 
zweiten  Gemahlin  Ottos  L,  Adel-  klingenden  Schluss   erhalten  hat, 
heid,  aufmerksam.                         I  während  die  vierte  durch  eine  He- 
IHe  Entstehung   des  Gedichtes  bung  vermehrt  wurde  und  ebenfalls 
hat  man  sich  also  etwa  so  zu  denken,  klingend  schliesst.    Diese  Gudrun- 
Aof  den  nordischen  Inseln  ihren  Ur-  Strophe  wurde  von  Wolfram  von 
sprung  nehmend,  wanderte  die  Hil-  Eschenbach  im  Tittirel  etwas  um- 
denaage  nach  Norwegen  (nicht  vor  geändert  verwendet.    Zuweilen  er- 
dem  10.  Jahrhundert)  und  viel  früher  scheinen  in  der  Gudrun  auch  solche 
schon  an  die  niederdeutsche  Küste,  Strophen,  deren  letzt«;  Zeile  zu  kurz 
von  wo  sie  sich  in  balladenartigen  I  ist,  ausserdem  aber  auch  98  Nibe- 
Liedern  den  Khein  hinauf  bis  nach  lungenstrophen.    Die  ersteren  er- 
Oberdeutschland  verbreitete;  freilich  klären  sich  durch  die  Uligenauigkeit 
ist  sie  daselbst  erst  um  1100  be-  j  der  Schreiber;    die  letzteren  will 
zeugt.     Die  Gudrunsage,  an  den  |  Martin  cutfernen,  während  Bartsch 
Mündungen  von  Rhein  und  Scheide  sie  dem  seiner  neuen  Form  noch 
entstanden,   drang   von   da   nach  ungewohnten  Dichter  zuschreibt. 
Oberdeutschland,  wo  sie  gegen  das       Nur    eine    einzige  Handschrift 
Ende  des  1 1.  Jahrunderts  Volkstum-  hat  uns  das  Gedicht  erhalten,  fcs 
lieb  gewesen  sein  muss.    Etwa  in  ist  eine  Handschrift  aus  dem  Schlosse 
der   ersten  Hälfte  des    13.  Jahr-  (  Ambras  und  enthält  das  sogenannte 
hunderts  dichtete  dann  ein  nicht  Heldenbuch  an  der  Etsch ,  welches 
nachgewiesener  Dichter  vermutlich  Hans  Ried,  Zolleinnehmer  am  Eisack 
in  Steiermark  die  Gudrun,   indem  in  Botzen.auf  Befehl  des  Kaisers  Maxi- 
er beide  Sagen  verband   und  eine  milian  I.  von  1502  bis  1515  schrieb. 
V  orgesehichte  im  Geschmack  der  Die  Überlieferung  ist  sehr  fehlerhaft. 


Digiti 


352 


Haar. 


Der  Umstand,  dass  da>  Gedicht 
nur  in  einer  Handschrift  erhalten 
ist,  während  »«ine  so  vielfältige  Uber- 
lieferung  das  Nibelungenlied  be- 
wahrt hat,  zeigt,  dass  die  Gndrun 
nicht  viel  gelesen  und  abgeschrie- 
ben wurde.  Und  .doch  ist  es  einer 
der  kostbarsten  Uberreste  unseres 
poetischen  Altertums,  ein  ebenbür- 
tiges Seitenstück  zum  Nibelungen- 
liede. Man  hat  diese  beiden  Epen 
in  vielen  Beziehungen  sehr  treffend 
mit  IHas  und  Odyssee  verglichen; 
wie  die  letztere  ist  auch  die  Gudrun 
ein  häusliches  Epos,  und  wie  der 
Grundton  des  Nibelungenliedes  ein 


tief  tragischer  ist  (als  ie  diu  He)* 
leide  an  dem  ende  qeme  71V  i.  so  haut 
sich  die  Gudrun  auf  den  Gedanken 
auf.  dass  die  leide  zuletzt  mit  liebe 
lohnt,  dass  treues  Ausharren  in 
Elend  und  Erniedrigung  am  Ende 
gekrönt  wird,  auf  denselben  Ge- 
danken, der  auch  der  Odyssee  zu 
Grunde  li<'gt. 

Die  Litteratur  der  Gudruufor- 
schung  findet  sich  am  vollständig- 
sten verzeichnet  in  Er$ch  u.  drü- 
ber. Hand  96,  142.  Ausgaben  von 
Bartsch,  Gudrun,  Leipzig,  3.  Auflage 
1874,  und  von  Martin,  Gudrun. 
Halle  *872. 


H. 

Haar.  Seit  den  ältesten  Zeiten  Hävern  trugen  das  Haar  im  Nacken 
war  langes,  lockiges  Haar  bei  den  kurz,  vorn  hing  es  gescheitelt  und 
Germanen  Zeichen  der  Freiheit  und  lang  herab.  Die  Sachsen  bewahr- 
Mündigkeit,  das  Abschneiden  des  teu  ihr  langes  Haar  wie  ihre  langen 
Haares  Symbol  der  Unfreiheit;  es  Rocke. 

wird  deshalb  dem  Knaben  und  dem  Schon  die  alten  Germanen  be- 
Knechte verschnitten,  eine  Aus-  strichen  ihr  Haar  mit  beizenden 
nähme  macht  die  freie  Jungfrau:  Salben  aus  Ziegentalg  und  Buchen- 
ebenso  ist  Abscheren  des  Haupt-  asche,  eine  Sitte,  welche  «He  Römer 
haaret  entehrende  Strafe,  auch  bei  von  ihnen  annahmen,  wie  diese  auch 
gefallenen  Weibern.  Soldaten  im  auf  falsche  Flechten  von  deutschen 
Kriege  schnitten  mitgelaufenen  Dir-  Haaren  begierig  waren, 
nen,  deren  sie  müde  waren,  das  Die  höfische  Sitte  brachte  das 
Haar  ab  und  jagten  sie  fort;  auch  lange  und  lockige  Haar  wieder  zu 
der  Narr  ist  geschoren.  Mönche  Ehren,  der  Edeling  trug  es  bis  zu  den 
und  Nonnen  geben  sich  mit  dem  Schultern,  doch  so,  dass  es  diese 
Verluste  ihres  langen  Haares  Gott  kaum  berührte;  über  der  Stirn  und 
zu  eigen.  Die  meistern  germani-  unterhalb  ringsherum  war  es  glatt 
sehen  Volker  trugen  das  Haar  frei  abgeschnitten;  es  wurde  ausserdem 
auf  Schultern  und  Rücken,  nur  gelockt,  gekräuselt,  gescheitelt  und 
die  Sueven  kämmten  es  seitwärts  sogar  gebrannt;  auch  die  Geist- 
zurück und  banden  es  in  einen  liehen  wollten  sich  trotz  häufiger 
Knoten.  Noch  durch  längeres  und  kirchlicher  Verbote  ihr  zierliches 
mehr  gepflegtes  Haar  zeichneten  Haar  nicht  nehmen  lassen.  Die 
sich  die  Edlen  und  Könige,  nament-  Frauen  der  höfischen  Gesellschaft 
lieh  die  Merowinger  aus.  Seitdem  trugen  ihr  Haar  in  der  Mitte  ge- 
einzelne Karolinger  von  der  Sitte  scheitelt  und  hielten  es  durch  ein  Band 
ihres  Volkes  abwichen  und  sich  das  oder  einen  Reifen  in  Ordnung;  die 
Haupthaar  kurz  schnitten,  legten  längs  der  Wangen  herabhängenden 
die  Franken  überhaupt  die  langen  Haare  wurden  kürzer  gehalten  und 
Locken  ab.    Die  Langobarden  und  zu  Locken  gedreht,  die  sich  zierlich 


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353 


um  das  Ohr  herum  ringclteu.  Die 
übrigen  Haare  fielen  entweder  frei 
über  den  Rücken  herab  oder  wur- 
den in  Zöpfe  geflochten,  welch 
letztere  meist  über  die  Schulter  nach 
vorn  gelegt  und  mit  Goldfäden, 
Perlenschnüren  und  Borten  durcb- 
flochten  wurden.  Später  baute  man 
aus  den  Zöpfen  allerlei  Verzierungen 
auf.  In  der  letzten  Zeit  des  Mittel- 
alters war  die  Haartracht  beider 
Geschlechter  grossem  Wechsel  un- 
terworfen, bald  lang  herabfallend, 
zu  Locken  gelegt,  r>ald  kurz  ge- 
schnitten. Seit  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  war  totale  Kür- 
zung des  Haares  Mode  geworden, 
auch  die  Landsknechte  sclioren  das 
Haar  kurz. 

Hagestolz,  ahd.  hagustalt  und 
hagastalt,  seit  dem  13.  Jahrhundert 
kommt  Hagestolz  auf  mit  Anlehnung 
an  stolz.  Ahd.  hagastalt  war  zu- 
nächst Adjektiv  und  bedeutete  den 
eines  Hages  waltenden,  ihm  vor- 
stehenden oder  ihn  besitzenden; 
Hag  aber  ist  hier  ein  kleineres 
Grundstück,  ein  Nebengrundstück. 
Je  nachdem  die  Hagestolzen  das  letz- 
tere von  einem  Hof  herrn  erhalten  hat- 
ten oder  nicht,  waren  sie  hörige  Kolo- 
nen  oder  freie  Leute,  und  konnten 
auch,  da  sie  jedenfalls  kriegsdienst- 
pflichtig waren,  Rittersein.  Nach  und 
nach  wurde  die  ursprüngliche  Be- 
deutung auf  besitzlose,  unverheiratete 
und  daher  dienende  Leute  beschränkt. 
Erst  seit  dem  16.  und  17.  Jahrhun- 
dert hiess  Hagestolz  jede  ledige 
Person,  welche  weder  Geschwister, 
noch  andere  Erben  in  aufsteigender 
Linie  hinterlicss.  Als  Anfang  des 
besonderen  Rechtes,  uuter  dem  die 
Hagestolze  standen,  wurde  ein  be- 
stimmtes Alter  festgesetzt,  meist 
50  Jahre  oder  50  Janre  3  Monate 
und  2  Tage. 

Hahn  auf  dem  Glockenturme 
kommt  schon  im  10.  Jahrh.  zu  St. 
Gaden  vor,  er  erinnert  an  die  Wach- 
samkeit in  Beobachtung  der  kano- 
Stunden.    Vor  Erfindung 

Altertümer. 


der  Uhren  richtete  man  sich  mit 
dem  Anfange  des  Frühgottesdienstes 
nach  dem  Hahnenschrei  Statt  des 
Hahnes  erschienen  auf  den  Turm- 
spitzen nicht  selten  die  Abbildungen 
der  Kirchenpatrone. 

Haimo  iis  k  imier.  Die  französische 
Sage  von  den  vier  Söhnen  Herzogs 
Haimon  oder  Aymon,  Namens  Adel- 
hart, Ritsart,  Writhart  und  Reinald 
von  Montalban  gehört  dem  Karo- 
lingischen Sagenkreise  an  und  hat 
die  Kämpfe  dieser  Helden  mit  ihrem 
Lehnsherrn  Karl  dem  Grossen  zum 
Inhalte.  Von  der  französischen  Prosa- 
auflösung  eines  ältern  Epos  erschien 
1535  zuerst  eine  deutsche  Über- 
setzung: Ein  schön  lustig  Geschieht, 
wie  Kaiser  Carle  der  Gross,  vier 
Gebrüder,  Herzog  Aymont  von  Dor- 
dons  Söne,  sechzechen  jarlangh 
bekrieget,  kürtzlich  auss  Frantz. 
sprach  in  teutsch  transferiert.  Doch 
ist  diese  Übersetzung  nicht  das  gang- 
bare deutsche  Volksbuch;  dieses 
letztere  ist  vielmehr  aus  dem  Nieder- 
ländischen bearbeitet  und  hat  weit 
geringem  Wert  als  jenes. 

HäkenbUchsen,  arquefmse  (siehe 
Arkebusierer),  harkebuse,  auch  kurz- 
weg nur  Haken  genannt,  kommt  in 
der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts vor  und  ist  die  erste  Feuer- 
waffe, die  ein  ordentliches  Zielen 
ermöglichte.  Ihren  Namen  erhält 
sie  von  dem  Haken,  der  auf  der 
Unterseite  des  Laufes  nahe  der 
Mündung  angebracht  ist,  um  den 
Stoss  auf  eine  feste  Unterlage  zu 
übertragen.  Die  Büchse  war  1  l/i  m 
lang,  die  Kugeln  60  —  70  g  schwer. 

Die  DoppelTiakenbüchse  mit  einem 
1  vor-  und  einem  rückwärtsgerichteten 
I  Haken ,    die  von  starken  Federn 
j  niedergehalten  wurden,  war  oft  2  m 
lang  und  entsendete  Geschosse  von 
150  Gramm.  Sie  diente  gewöhnlich 
zur  Verteidigung  der  Wälle  und 
heisst  darum  WaUbüehte. 

Halm  ist  ein  altes  bei  Franken, 
Bayern  und  Alemannen  im  Schwange 
gewesenes  Rechtssymbol;  er  wird 

23 


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354 


Halsberge.  —  Hand. 


zum  Zeichen  feierlicher  Auflassung, 
Entsagung  oder  Kündigung  mit  der 
Hand  geworfen,  gereicht,  gegriffen, 
bald  von  den  Beteiligten,  bald 
von  dem  Richter ,  seine  Haupt- 
amvendung  findet  jedoch  der  Halm 
bei  Auflassung  von  Grundstücken 
durch  Gesehenk,  Verkauf  und  Ver- 
pfandung, wobei  die  deutsehen  For- 
meln lauten:  mit  halm  und  munde, 
d.  h.  mit  dein  Symbol  und  der  da- 
zu gehörigen  Rede,  mit  hand  und 
halm,  mit  Halmen.  Grimm,  Rechts- 
altertümer, 121  —  130. 

Der  Halm  wird  in  verschiedener 
Weise  auch  zur  Bestimmung  durch 
das  Los  verwendet,  indem  man 
seine  Knoten  oder  Glieder  zählt  und 
den  letzten  Knoten  eine  bejahende 
oder  verneinende  Entscheidung  fallen 
lässt;  so  bei  Walther  von  der  Vogel- 
weide: 

mich  hat  ein  halm  ge  machet  fr6: 
er  giht,  ich  sül  genade  rinden, 
ich  maz  daz  selbe  kleine  stro, 
als  ich  hie  ror  gesach  von  Huden, 
nü  hoeret  unde  merket,  ob  siz  denne 
tuo: 

„si  iuot,  sie  entuot,  si  tuot ,  sie  en- 
tuot, si  tuo  f.'1 

sicie  dicke  ichz  tele,  so  was  ie  daz 
ende  guot. 

daz  troestet  mich,  dä  hoeret  ouch 
gelouhe  zuo. 

Oder  es  werden  unter  mehreren 
Halme  von  ungleicher  Länge  ge- 
zogen; wer  den  längeren  zieht  ,  hat 
gewonnen,  mhd.  qräselin  ziehen. 
Grimm,  Wörterbuch. 

If  aisberge,  ha  Isberc,  fiugcls.  heals- 
beorg,  altfranz.  hauber,  hauberc, 
habergon,  heisst  ein  Teil  der  Aus- 
rüstung eines  Kriegers  und  zwar  in 
erster  Linie  derjenige,  der  Hals  und 
Nacken  zu  decken  hatte,  höchstens 
noch  den  Oberteil  der  Brust.  Im 
weiteren  Sinne  versteht  man  dar- 
unter auch  das  „alles  bergende" 
albere,  also  das  Panzerhemd,  das 
vom  Helmrand  bis  zu  den  Knieen 
hinabreichte.    Siehe  Harnisch. 


Hammer,  ist  urspnlnglich  8<>- 
)  wohl    Handwerkszeug   als  Waffe, 
und  zwar  aus  Flins-  oder  Feuerstein 
[  verfertigt.    Er  ist  das  Attribut  d.* 
Gewittergottes    Donar   und  heis>t 
als  solcher   Donnerhammer,  Blitz- 
hammer und  Donneraxt.   Noch  wird 
in  Flüchen  für  „Der  Donner  schlagt' 
Dich"    der   Ausdruck  gebraucht: 
Der  Hammer  schlage  Dich!  oder 
beim  Hammer!  potz  Donnerhammer! 
Noch   Karl  M arteil    hatte  seinen 
Namen    vom    Streithammer,  Karl 
der  Grosse  kannte  ihn  nicht  mehr. 
Da  Donar  zugleich  der  das  Land 
segnende  und  Dewahrende  Gott  und 
der  Schützer  der  Rechtsgeschäfte 
war,   so  diente  in  solchen  Fällen 
der  Hammer  als  Symbol.    Mit  dem 
Hammer   wurden    bei    den  Skan- 
dinaviern Becher   geweiht,  durch 
ihn  geschah   die  Brautweihe.  Kr 
war  ein  heiliges  Gerät,  durch  dessen 
j  Wurf  das  Recht  auf  Grund  and 
Boden,  auf  Wasser  und  Flüsse  oder 
andere  Befugnisse  bestimmt  werden 
:  konnten;  wo  der  geworfene  Hammer 
'  einfiel,   war  der  Grenzpunkt.  Im 
Norden  berief  neben  dem  Stock  oder 
Pfeil  der  Hamm  er  die  Volksgemeinde 
In  Obersachseu  wurde  durch  einen 
herumgetragenen  Hammer  Gericht 
angesagt.    So  ist  der  Hammer  für 
den  Teilhaber  an  einem  Gemeinde- 
walde  Zeichen  des  Mitbesitzes  uni 
mit   den   Anfangsbuchstaben  de? 
Namens   seines  Eigentümers  ver- 
sehen.   Das  Recht,  einen  solchen 
Hammer  zu  verleihen,  gebührt  nnr 
dem  obersten  Vorsteher  der  Mark, 
öffentliches  Aufgebot  von  Gegen- 
ständen  geschieht  unter  dem  ZeicVn 
des  Hammers,  der  durch  Aufschlagen 
den  Meistbietenden  in  den  Beaȧ 
der  Sache  symbolisch  einweist. 

Hand  als  Rechtssymbol  ist  da- 
einfachste  und  natürlichste  Zeichen 
der  Gewalt.  Der  Handschlag  war 
seit  alters  die  allgemeine  Bekräfti- 
gung aller  Gelübde  und  Verträp' 
denen  die  Sitte  kein  feierlichere? 
Symbol  vorschrieb;  durch  denHaud 


uigiiizeo 


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355 


schlag  verbanden  beide  Teile  ihre 
Gewalt  gegenseitig;  daher  die  mittel- 
hochdeutschen Ausdrücke  hantslac, 
hant   in  hant  geloben.    Auch  die 
Auflassung  eines  Grundstückes  ge- 
schah zuweilen  mit  blosser  Hand, 
ohne  Darreichung  des  Astes  oder 
Werfen  des  Halmes.    Bei  Huldi- 
gungen nach   Lehnrecht  legte  der 
Mann  beide  Hände  zusammen;  der 
Herr  nahm  sie  zwischen  die  seinigen; 
zuweilen  kniete  jener,  seine  Hände 
dem  sitzenden  Herrn  auf  die  Füsse 
bietend;    mhd.  die  hant  strecken, 
einem    die   hände   valten,  welches 
Symbol  die  Minnesänger  auf  den 
fVauendienst  anwenden:  min  hende 
ich   ralde  uf  ir  vüeze;  min  hende 
ralde  tu,  vrowe  min,  ich  armer  pil- 
gert n;  ein  ictplich  vnp  im  billicn  ir 
hende  valdet.   Die  Hand  schwärt  den 
Eid,   sie  vollbringt  und  hält  ihn. 
Die  Sitte  war,  dass  der  Schwörende 
mit  der  rechten  Hand  etwas  hielt 
oder  berührte,  Männer  im  Heiden- 
tum den  Schwertgriff,  im  Christen- 
tum die  Reliquien;  Frauen  die  linke 
Brust  und  den  Haarzopf;  Geistliche 
und  späterhin  Fürsten  Brust  und 
Herz.    Siehe  den  Artikel  Eid.  Traf 
jemand  sein  Vieh  in  fremdem  Besitz 
und  wollte  es  wieder  erlangen,  so 
war  Handauflage  nötig;  er  berührte 
vor  Gericht  mit  der  Rechten  die 
Reliquien ,  mit  der  linken  fasste  er 
das  linke  Ohr  des  Viehs.    Im  Fem- 
gericht wurde  der  heimliche  Schöffen- 
gruss  dadurch  ausgesprochen,  dass 
der  eintretende  Schöne  die  rechte 
Hand  erst  auf  seine  linke  Schulter,  i 
dann  auf  die  des  andern  Schöffen  j 
legte.    In  vielen  Fällen  wird  die  i 
der  Hand  beigelegte  symbolische 
Verrichtung  genauer  durch  Finger 
bezeichnet.    Eide  wurden  mit  Auf- 
legung beider  Vorderfinger  der  rech- 
ten Hand  geleistet,  einfacheres  Ge- 1 
löbnis  erging  mit  Aufstreckung  eines 
Fingers.    Abhauen  der  Hand  war 
eine  Leibesstrafe.    Grimm,  Rechts- 
altertümer, 137  ff. 

Handarbeiten  der  Frauen  sind 


seit  ältester  Zeit  Spinnen,  Weben, 
Sticken  und  Nahen.    Das  Sinnbild 
der  Frau  ist  die  Kunkel;  Spindel- 
magen heisscn  die  Verwandten  der 
Mutter,  wie  Schwertmagen  diejenigen 
des  Vaters.  Flachsbau  und  Spinnen 
stehen  unter  der  Obhut  der  germa- 
nischen Göttermutter,  und  Nornen 
wie  Schwanjungfrauen  und  Riesinnen 
drehen   feine  Fäden   aus  Flachs. 
Leineue  Kleider  hielten  in  ältester 
Zeit  die  deutschen  Frauen  für  die 
schönsten.    Die   Zubereitung  des 
Flachses,  das  blauen,  mhd.  bliuwen, 
I  schwingen,  mhd.  dehsen,  hecheln, 
!  bürsten  besorgten  bei  den  Reichen 
nur  die  Mägde ;  gesponnen  wurde 
auch  von  der  Fürstin  und  zwar  am 
Rocken  mittelst  der  Spindel;  das 
j  Spinnrad  ist  erst  im  15.  Jahrhundert 
j  erfunden  worden.  Auf  alten  Bildern 
i  sieht  man  stets  den  Rocken  zwischen 
den  Knieen  gehalten  oder  in  einem 
Fussgestelle  stecken ,   die  Spindel 
wird  in  der  Hand  gehalten.    So  ar- 
beiten die  Frauen  auch  am  Web- 
stuhle, doch  mehr  für  feinere  Ar- 
beiten, wie  Borten,  Gürtel,  Hauben, 
Taschen  u.  dgl. ,  und  für  gewöhn- 
liche Leinwand.    Das  Weben  der 
Wolle  war  bloss  Arbeit  unfreier 
Mädchen;  das  Haus,  in  welchem 
sie  gemeinsam  der  Arbeit  oblagen, 
hiess  daher  auch  webehus.  Schon 
früh  suchten  sich  arme  Frauen  durch 
Weben  und  Spinnen  auch  zu  er- 
nähren,   meist    gegen  kärglichen 
Lohn,  während  die  grossen  Weber 
in  Flandern  und  am  Niederrhein 
wie  in  Süddeutschland  zu  grossem 
Reichtum  gelangten.    Auch  in  den 
Frauenklöstern  wurde  das  Weben 
bald  zum  Vergnügen,    bald  zum 
Erwerbe  betrieben;    Spinnen  und 
Weben   wurde    den   Nonnen  auf 
dem  Aachener  Konzil  von  816  em- 
pfohlen.   Bis  zum  14.  Jahrhundert 
waren  es  die  Frauen,  denen  regel- 
mässig das  Geschäft  des  Zuschnei- 
dens  und  Nähens  der  Männer-  wie 
der  Frauenkleider   zukam.  Auch 
daran  beteiligten  sich  Fürstinnen. 

23* 


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356 


Handel. 


namentlich  mit  dem  Zusehneiden. 
Der  Ausbildung  des  höfischen  Le- 
bens verdankte  man  aber  auch  be- 
sondere Schneidermeister,  snidaere, 
die  sich  auf  die  fremde  Mode  ver- 
standen. Besondere  Sorgfalt  wurde 
auf  die  Naht  verwendet,  die  geradezu 
Beweis  höfischen  Anstandes  ist. 
Die  Lieblingsbeschäftigung  vorneh- 
mer Frauen  war  Wirken  und  Sticken, 
icirken  an  der  ram.  Die  Gegen- 
stände waren  seidene  Bänder,  Bor- 
ten, welche  mit  Gold  und  Edel- 
steinen besetzt  auf  die  Kleider,  die 
Decken  und  den  Kopfschmuck  ge- 
näht wurden,  oder  es  wurden  auf 
die  Stoffe  Buchstaben  und  Bilder 
mannigfaltiger  Art  gestickt,  aus  der 
heiligen  wie  der  profanen  Geschichte; 
namentlich  waren  die  Ecken  und 
Enden  der  Kleider  und  Rossdecken 
derart  geziert.  Auf  der  Haube  des 
Meiersohnes  Helmbrecht  war  auf 
der  rechten  Seite  die  Belagerung 
und  Zerstörung  Trojas  samt  Aeneas 
Flucht  zu  sehen,  auf  der  linken  die 
Thaten  König;  Karls  und  seiner  Ge- 
sellen Kolana,  Turpin  und  Olivier; 
zwischeu  den  Ohren  stand  die  Ra- 
benschlacht, wie  Witege  Helenes 
beide  Söhne  erschlägt;  dazu  war 
von  einem  Ohr  zum  andern  mit 
glänzender  Seide  ein  Tanz  genäht, 
zwischen  je  zwei  Frauen  ein  Kitter, 
und  die  Fiedler  dabei.  Genäht 
hatte    das  Prachtstück    eine  ent- 

ringene  Nonne.     Weinhold,  Die 
tsehen  Frauen,  IV,  und  Schultz, 
Höfisches  Leben,  Abschn.  II. 

Handel  erscheint  schon  im  Mittel- 
alter in  den  beiden  Gestalten  des 
Klein-  und  Grosshandels.  Den  nie- 
dersten Grad  des  Kleinhandels  re- 
präsentiert der  Ixindfahrer  oder 
Hausierer,  der  in  älterer  Zeit  für 
das  gesellschaftliche  und  häuslich- 
wirtschaftlich«1 Leben  von  grosser 
Bedeutung  war,  er  gab  sich  nament- 
lich mit  Glaserwaren  uud  Wollen- 
tüchern ab  und  war  nicht  zunfhnässig. 
Die  ausgebreitetste  Form  des  Klein- 
handels, die  namentlich  mit  den 


Jahr-  und  Wochenmärkten  (siehe 
den  Artikel  Markt)  aufs  engste  ver- 
knüpft ist,  war  der  Kramte*^ 
Krämer,  kremer,  kromer,  grmf*r, 
grembler  heissen  alle,  die  bloss  ■ 
kram  stan,  also  ihr  Geschäft  Wo* 
in  der  Markt-  oder  Gassenbude  t*- 
treiben.  Ihr  Handel,  Crmew 
Kremerwerk,  Kramerei,  KramchJ* 
bezog  sich  zunächst  auf  alle*.  « 
Hauswesen  für  Nahrung 


im 


Kleidung  nötig  war,  konnte 
durch  Ortsstatute  eingeschränkt 
den.  Man  teilt'sie  zunächst  in  r<v 
und  arme  Krämer  ein ;  hervorgebobe 
werden  insbesondere  die  ty*f*f 
Mercerii  sive  Merccnnam, 


ttirc 


ren  specia,  species,  merces,  tf 
hauptsächlich    die   edeln  Ge 
Muskat,  Muskatblüte,  Calden* 
Saffran,  Pfeffer,  Kandel,  Ine* 
Nelken,  Zucker,  dann  Alaun,  Wo 
rauch,  Südfrüchte  u.  dgl.  betraf,^ 
aber  auch  Seefische,  süsse  Wd 
und  Delikatessen  herbeizog; 
hielten  ihre  Ware  von  den  in 
Städten   vorübergehend  weilei 
und  nur  zum  En -gros -Verkaufe 
fugten  fremden  Grosshändlern, 
dann  werden  genannt  die  ap<f* 
aputekaer,  apteker,  die  seil 
13.  Jahrh.  von  den  Spezerei- 
Gewürzkrämern  sich  ausschieden! 
sich  vornehm  lieh  auf  die  BereS 
und  den  Verkauf  vou  Arzneien 
Heilsalben  verlegten.  Da  die 
ein  Interesse  hatten,  eine  de 
Heilbude  zu  besitzen,  so  untei 
man  die  Unternehmer  gern  mit  St 
und  Wachtfreiheit,  regelte  ihr 
hältnis  zu  den  Ärzten  und  ven 
nete  insbesondere,  dass  sie  ai 

I  Sonn-  und  Feiertagen  Arznei 
abreichen  schuldig  seieo. 
gehören  endlich  die  nenettiri 

■  häker,  höker,  die  sien  bloss  mit 

I  Verkaufe  von  Getränken  und  Sp< 
abgaben;  in  Süd- und  Südost  Deut 

I  land  heisst  eine  Unterart  dersd 
fragner,  die  mit  Obst,  Gemfi*' • ' 
*Mifeh,Kräutern,Hühnem,Sab 

handelten  und  einer 


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II  an  del. 


357 


aufsichtigung  unterlagen;  es  waren  Samtkäufen,     deren  Gegenstand 

meist  Frauenspersonen,  die  diesen  grössere  Quantitäten  bildeten,  und 

Handelszweig  betrieben,  bei  allen  Gäste-Käufen.    Die  offen  t- 

Die  genannten  Kleinhandelsleute  liehe  oder  (femeine  Waffe,  auch  Fron- 

waren  in  den  Städten  selber  wohn-  wage,  war  im  Rat-  oaer  Kaufhaus, 

haft.    Ausserdem  durften  auf  Jahr-  oder  in  einem   eigenen  Waghaus 

und  Wochenmärkten  auch  fremde  untergebracht  und  der  Obhut  und 

Händler,  Gaste,  unter  gewissen  Ein-  Behandlung  eines  Wagmeisters  an- 

schränkungen  Handel  treiben.    Da-  vertraut.    Die  künstliche  Preisstei- 

hin  gehört,  dass  der  Gast  gewisse  gerung  oder  der  Vorkauf,  mit  dem 

Artikel  nur  in  grössern  Quantitäten  sich  die  Marktpolizei  vielfach  be- 

bis  zu  einer  festgesetzten  Minimal-  schäftigte,  kommt  in  viererlei  For- 

grenze  verkaufen  und  keine  Kauf-  men  vor:  als  Auskauf,  d.  h.  Verkauf 

ge*  chatte  mit  anderen  Gästen  ab-  der  Waren,  um  die  in  demselben 

schlie&sen  durfte;  ferner  musste  er  Moment  ein  anderer  verhandelt;  als 

seine   eingebrachten  Waren   tarif-  Innungs-Anskauf  wenn  Zunftmeister 

massig  verzollen,  ausser  dem  her-  die  zu  Markt  gebrachten  Rohstoffe 

kömmlichen  Stätte-  oder  Budengelde  für  sich  allein  und  ohne  andere  Mit- 


weitere, oft  ziemlich  beschwerliche  Wunsch  daran  teilnehmen  zu  lassen, 
Markt-Gebühren  entrichten.  käuflich  erstehen;  als  einfaeh er  Aus- 
Ab  Träger  der  Marktverwaltung  kauf  ohne  Tendenz  des  gewinn- 
ernannte der  Rat  die  erforderlichen  bringenden  Wiederverkaufes,  wenn 
Marktbeamten  und  übte  unter  Bei-  die  Leute,  um  gewisse  Waren  für 


die  Marktpolizei  aus.  Der  örtlich  billig  zu  erhalten,  „vor  die  Thore 
verbreitetste  und  bedeutendste  städti-  laufen  oder  in  Gassen  kaufen  und 
sehe  Marktbeamte  ist  der  Markt-  auf  die  Wagen  steigen",  und  endlich 
meister;  zu  seiner  Unterstützung  als  geivinnsüehtiger  Auskauf  oder 
dienten  einerseits  die  Schauer  oder  I  Vorkauf  im  engern  Sinne,  wenn 


hatte  vorzüglich  die  dreifache  Auf-  um  des  ihn  bereichernden  Weiter- 
gabe, der  Waren -Fälschung,  der  Umsatzes  willen  in  grössern  Mengen 
Mass-  und  Gewichts- Verletzung  und  wagen-  oder  karrenweise  von  den 
der  künstlichen  Preissteigerung  vor-  den  Markt  besuchenden  Producenten 
zubeugen.  Die  Verhütungder Waren-  erwirbt  und  aufspeichert.  Solche 
Fälschung  bezog  sich  auf  die  ,, Wein-  Vor-  oder  Fürkeufer  erstreckten 
schmiere",  Fälschung  von  Ol,  Talg,  ihre  Thätigkeit  auf  alle  Zweige  des 
Gewürze,  Bijouterie  und  Tücher;  die  städtischen  Handels,  Getreide,  Holz, 
als  gefälscht  erkannten  Waren  wur-  Fleisch,  Eisen,  Kohlen,  Waffen, 
den  entweder  vernichtet,  oder  wie  Kleider,  Schuh-  und  Sattelwerk, 
unreine  Wolltücher  oder  nicht  ge-  namentlich  aber  auf  Holz,  Tiere  und 
sundes  Fleisch,  an  besonderen  Ver-  Getreide. 

kaufssteilen  verkauft.  Um  Mass  und  Den  Kleinhändlern  stehen  die 

Gewicht  rein  zu  erhalten,  hatten  die  Grossh/indler  gegenüber,  die  geteelb- 

Städte  in  der  Regel  ihre  festen  Nor-  Herren,  kaufherren.  Ihrem  dreifachen 

malmasse,  eine  Muster-Elle,  einen  militärischen,  bürqerschaftlichen  und 

Rats-Scheffel  u.  dgl.  Besondere  Be-  internationalen   Charakter  entspre- 

achtung  wurde  der  Wage  zugewendet,  chendiedrei  Erscheinungen  der  Kauf 

Der  Stadt-  oder  Rats- Wage  hatte  fahrten,    der   Kauffahrer  -  Brüder- 

tnan  sich  zu  bedienen    bei  allen  schaffen  und  des  itansgrafen- Amtes. 


nach   deren    Bedarf  und 


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358 


Handel. 


Um  die  für  den  einheimischen 
Markt  nötigen  ausländischen  Indu- 
strie-Produkte in  den  erforderlichen 
Quantitäten  an  ihren  Schaffungs- 
stätten zu  erwerben,  unternahmen 
die  Kaufleute  eines  oder  mehrerer 
kommerziell  verbündeter  Länder  oder 
wohl  auch  eines  oder  mehrerer  ge- 
werblich konföderierter  Einzelorte 
alljährlich ,  beziehungsweise  nach 
kürzeren  Zwischenzeiträumen  eine 
gemeinsame  Kauf-  oder  Handels- 
fahrt,  deren  frühestes  geschichtlich 
bezeugtes  Beispiel  sich  an  die  halb- 
mythische Persönlichkeit  des  Pranken 
Hämo  im  Jahr  623  anknüpft.  Ging 
die  Reise  auf  überseeische  Plätze 
mit  Benützung  der  Wasserstrasse, 
so  konnte  dies  entweder  mit  Flotte 
oder  in  Convoi  geschehen.  Mit  der 
Flotte  fuhr  man,  nachdem  man  das 
Ende  der  Frühlingsstürme  abgewartet 
hatte,  vom  bestimmten  Hafen  in  zahl- 
reichen gut  bemannten  und  verpro- 
viantierten, zu  einer  kriegstüchtigen 
Flotille  vereinigten  Ruderschiffen  und 
Roggen,  d.  i.  vorn  und  hinten  ab- 

ferundeten  Fahrzeugen,  aus,  und 
ehrte  nach  beendigten  Geschäften 
gewöhnlich  bald  nach  dem  Sonnen- 
wendtage in  die  Heimat  zurück. 
Die  Convoi- Fahrten  hingegen,  deren 
Anwendung  auch  auf  die  Binnen- 
ströme eich  erstreckte,  verlangten 
bloss  kleine  Schiffeverbände,  hatten 
aber  in  diesem  engem  Kreise  eine 
gemeinsame  Gefahrtragung,  eine  Art 
von  Versicherung,  im  Gefol,  ere. 

Reiste  man  nach  den  fremden 
Märkten  zu  Land,  so  glich  die  Kauf- 
fahrt noch  in  höherem  Masse  einem 
Kriegszuge.  An  der  Spitze  des 
Zuges  der  Frachtwagen  und  gc- 
waffneten  Fuhrleute  zogen  die  Kauf- 
herrn, gepanzert,  das  Schwert,  wie 
der  Landfrieden  vorschreibt,  am 
Sattelknopf  befestigt;  doch  benahm 
später  die  allmähliche  Ausbildung 
des  Geleitwesens  den  Land-Kaut- 
fahrten  das  vorwiegend  militärische 
Gepräge,  indem  jetzt  an  die  Stelle 
des  eigenen  Wehrgesindes  die  Ge- 


leitsmannschaft zu  Ross  und  zu 
Fuss  trat:  die  Gebühr  für  das  Ge- 
leite, die  oft  sehr  beträchtlich  war, 
hiess  Geleitschatz,,  doch  kamen  auch 
Geleits- Verträge  vor  zwischen  der 
Stadt,  der  die  Kauffahrer  angehör- 
ten, und  den  einzelnen  Landesfürst enf 
durch  deren  Territorien  der  Weg 
zu  gehen  pflegte.  Mit  der  Berech- 
tigung zur  Geleitsgabe  war  übrigens 
der  Fflichtsate  verbunden,  den  die 
Geleits-  und  Gelobbriefe  in  der  Regel 
ausdrücklich  bestätigten. 

Als  eine  Kauffahrt  in  verkleiner- 
tem Massstabe  stellt  sich  die  Messr- 
fahrt  dar,  mit  der  wieder  das  Messe- 
Geleite  zusammenliing.    Siehe  den 
Art.  Messe. 

Auch  nach  überstandener  Reise 
blieb  der  Kauffahrer  am  auswärtigen 
Bestimmungsorte  stets  in  engster 
genossenschaftlicher  Verbindung  mit 
seinen  Landsleuten.  An  manchen 
Orten  treten  die  Auslandsfahrer  des- 
selben Landes  oder  derselben  Stadt 
geradezu  zu  förmlichen  Brüderschaf- 
ten zusammen,  eine  Erscheinung, 
die  man  auch  bei  den  blossen  Messe- 
fahrern findet.  Vgl.  Gierke,  Deutsche 
Genossenschaft,  1,  §  37. 

Der  Grosshändler 
der  industrielle  Repräsentant  seines 
LandeB  oder  Volkes,  daher  sie  auch 
im  Auslande  einfach  Teutonici 
heissen.  Der  Inhaber  des  Regens- 
burger  Hansgrafenamtes,  ursprüng- 
lich ohne  Zweifel  bloss  aus  der 
Mitte  der  Bürgerschaft  für  die  kom- 
merziellen Sonderinteressen  auf  den 
auswärtigen  Märkten  angestellt,  er- 
langte allmählich  die  ausgedehnte 
Autorität  eines  Generalaufsehers 
über  den  gesamten  südöstlichdeut- 
schen Donauhandel. 

In  naher  und  vielseitiger  Be- 
ziehung zu  dem  Hansqrafen  (mhd. 
hanse  =  Kaufmannsgilde),  deren 
es  auch  in  anderen  Städten  gab, 
standen  die  Vnterkäufer  oder  Mak- 
ler (zu  niederd.  nuikeln,  von  marken 
abgeleitet),  eine  Art  von  Stadt-  oder 
Ratsbeamteu  geringeren  Ranges,  die 


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Händewaschen.  —  Handfeuerwaffen. 


359 


während  der  Marktstuuden  stets  am 
Marktplatze  anwesend  sein  mussten 
und  darauf  zu  achten  hatten,  „daz 
den  bürgern  uude  den  gelten  rehte 
tje»ehaehe" ;  man  zog  sie  bei  der  Ab- 
scblicssung  bedeutender  Handels- 
geschäfte gern  als  Zeugen  zu  und 
übertrug  ihnen  schliesslich  geradezu 
die  Vermitteluug  solcher  Verträge, 
hauptsächlich  zwischen  Bürgern  und 
Gästen.  Nach  Gengier,  deutsche 
Stadtrechtsaltertümer,  Kap.  9  und 
Exkurs  8.  Erlangen  1882.  Vgl.  Dr. 
Joh.  Falke,  die  Geschichte  des  deut- 
schen Handels.  2  Teile.  Leizig  1859 
u.  60,  wo  in  einer  ersten  Abteilung 
„des  'Handels  Gebiete,  Wege  una 
Waaren",  in  einer  zweiten  Abtei- 
lung „des  Handels  Formen  und  Ein- 
richtungen" besprochen  sind.  Das 
bedeutendste  Werk  über  die  Handels- 
wege im  Mittelalter  ist:  W.  Heyd, 
Geschichte  des  Levantehandels  im 
Mittelalter,  2  Bde.  Stuttgart  1879. 
Siehe  auch  //.  Heller,  die  Handels- 
wege Inner-Deutschlands  im  16.,  17. 
und  18.  Jahrhundert  und  ihre  Be- 
ziehungen zu  Leipzig,  in  Ermuch 
Neues  Archiv  für  Sächsische  Ge- 
schichte und  Altertumskunde.  Bd.V, 
S.  1—72.  Dresden  1884. 

Händewaschen  bei  Tische  ist 
eine  allgemein  verbreitete  Sitte  ge- 
wesen. Nachdem  der  Truchsess  oder 
Seneschal  knieend  dem  Herrn  des 
Hauses  gemeldet,  dass  die  Mahlzeit 
bereit  sei,  befiehlt  dieser  dem  Truch- 
sess. das  Signal  zum  Händewaschen 
zu  geben.  Durch  Horn  oder  Trom- 
pete oder  Zuruf  werden  die  Gäste 
aufgefordert,  sich  auf  ihren  Platz 
zu  verfügen.  Unter  der  Leitung 
des  Kämmerers  boten  Edelknaben 
eine  Schüssel  knieend  dar  und  gössen 
aus  einem  Giessfasse  Wasser  über 
die  Hände.  Um  den  Hals  hatten 
sie  eine  Serviette,  mhd.  (ice/irfe, 
direhtle,  zwehele,  hängen,  an  welcher 
sieh  die  Herrschaften  die  Hände 
alitrockneten.  Damen  wurde  das 
Wasser  zuerst  präsentiert,  und  Ulrich 
von  Liechtenstein  trank  zum  Zeichen 


seiner  Dienstbeflissenheit  das  Wasser 
aus,  in  dem  seine  Geliebte  sich  die 
Hände  gewaschen  hatte.  Schultz, 
Höfisches  Leben,  Abschu.  IV. 

Handfeuerwaffen.  Als  älteste 
europäische  Handfeuerwaffe  kann 
man  die  Rakctenbolzcn  betrachten, 
welche  mit  der  Armbrust  geschossen 
wurden  und  z.  B.  in  der  zweiten 
Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  zu  den 
Zeughausbeständen  Bolognas  gehör- 
ten. Wahrscheinlich  auf  Armbrüste, 
welche  mit  derartigen  Raketenbüch- 
sen versehen  waren,  bezieht  sich 
ursprünglich  der  Ausdruck  Arke- 
buse, ital.  archibmo,  franz.  art/uebujte, 
vom  lat.  arrujt  =  Bogen,  und  dem 
niederdeutschen  bune  =  Büchse 
(siehe  eine  andere  Etymologie,  nach 
Weigand,  unter  dem  Artikel  Arke- 
busierer). 

Die  erste  wirkliche  Feuerwaffe 
kam  besonders  in  Flandern  auf;  es 
sind  die  in  Lüttich  hergestellten 
KnaJlhi'whsen,  canons  a  rnain,  d.  h. 
tragbare,  gestielte  Handkanonen.  Sie 
bestanden  aus  einem  kurzen,  engen 
eisernen  Cy linder,  welcher  hinten 
in  einen  schwachen,  bis  auf  gewisse 
Länge  ebenfalls  hohlen,  eisernen 
Stab  endigte,  dessen  Bohrung  als 
Kammer  zur  Aufnahme  des  Pulvers 
diente.  Das  Zündloch  befand  sich 
am  Ende  dieser  Bohrung  auf  der 
oberen  Fläche  des  Stabes  und  war 
mit  einer  kleinen  pfannenartigen 
Vertiefung  versehen,  in  welche  das 
Kraut  aufgeschüttet  und  mittels  der 
Lunte  entzündet  wurde.  Der  Reiter 
befestigte  die  Büchse  mittels  eines 
am  hinteren  Ende  des  Stabes  be- 
findlichen Ringes  an  seinem  Brust- 
harni.sche  und  legte  sie  beim  Ge- 
brauche auf  eine  vorn  am  Sattel 
befindliche,  bewegliche  Gabel  auf. 
Der  Name  dieser  Reiterwaffe  ist 
meist  IVt rinal,  d.  i.  Brustbüchse. 
Von  Flandern  kommt  diese  Waffe 
nach  Italien,  wo  sie  1364  zu  Perugia, 
1386  zu  Padua,  1399  zu  Bologna  zu 
Hause  ist.  Die  Büchsen  waren  in 
plumpem  Eisengusse  hergestellt  und 


uigiiizea 


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360 


Handfeuerwaffen. 


wurden  gelegentlich  zugleich  als 
Morgenstern  verwendet;  solche  Dop- 
pelwaffen pflegt  man  tkhiessprüge! 
zu  nennen.  Eine  andere  Art  Hand- 
feuerwaffen sind  solche,  welche  eine 
oder  mehrere  beiceglichc  Ladekam- 
mern  tieften  dem  Rohre  hatten,  die 
Kammerbüehsen.  Die  Ladekammer, 
die  eigentliche  „Bflchse",  war  meist 
aus  Eisen  geschmiedet,  das  Rohr 
bestand  aus  Kupfer  oder  es  war 
aus  schmiedeeisernen  Stäben  zusain- 
mengesch  weiss  t  und  von  aussen  mit 
eisernen  Reifen  umwunden.  Man 
lud  die  Kammer  mit  Pulver,  schlug 
einen  Stöpsel  oder  „Vorschlag*"  dar- 
auf, die  sei  geladene  Kammer  wurde 
in  das  Rohr  eingeführt  und  durch 
einen  eingeschobenen  Keil  oder 
Riegel  festgehalten,  dann  that  man 
den  Holzen  oder  die  Kugel  in  den 
Lauf,  schüttete  Kraut  auf  das  Waid- 
loch (Zündloch),  welches  oben  lag, 
und  entzündete  das  Kraut  mit  einer 
glühenden  Kohle  oder  Lunte.  Ge- 
wöhnlich gehörten  zu  einem  Feuer- 
rohre drei  bis  vier  Kammern.  Die 
ersten  in  Augsburg  und  Regensburg 
1376  verfertigten  Büchsen  waren 
vermutlich  Kammerbüchsen. 

Mit  den  Knall-  und  den  Kammer- 
büchsen war  ein  Zielschuss  unver- 
einbar; man  icarf  bloss  die  Kugeln 
oder  Bolzen  in  hohem  Bogen  gegen 
den  Feind.  Um  die  Mitte  des  15. 
Jahrhunderts  kommen  die  ersten 
roh  gearbeiteten  Holzfastungen  auf; 
anfangs  nichts  anderes  als  der  Er- 
satz des  Eisenstieles  durch  einen 
die  Büchse  mehr  oder  minder  um- 
schliessenden  Holzstab,  gestaltet  sich 
gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
daraus  ein  zwar  plumper,  aber  voll- 
ständiger Schaff,  dessen  hinterer 
Teil  sich  senkte  und  den  man  unter 
den  rechten  Arm  schob,  während 
man  das  Vorderteil  der  Waffe  auf 
eine  Gabel  stützte.  Um  das  Auf- 
lager auf  der  Gabel  zu  sichern  und 
den  Rückst  i  s  aufzufangen,  erhiel- 
ten die  Gewehre  frühzeitig  nahe  der 
Mündung  einen  Hak  en,  naen  welchem 


man  die  Waffe,  sie  mochte  im  übrigen 
so  oder  so  konstruiert  sein.  Haken- 
büchse oder  kurzweg  Haken  nannte. 
Die  Ähnlichkeit  der  Wörter  Haken- 
büchse, niederländisch  haakbiue,  mit 
franz.  arouebuse.  führte  dazu,  daas 
schliesslich  Arkebuse  und  Haken- 
büchse vollständig  indentifiziert  wur- 
den. Endlich  konstruierte  man  den 
Schaft  derart,  dass  man  die  Büchse 
an  die  Schulter  anlegen  konnte. 

Seit  Anfang  des  15.  Jahrhunderte 
waren  nur  noch  Handfeuerwaffen  ge- 
bräuchlich, bei  denen  Kammer  und 
Rohr  aus  einem  Stücke  gegossen 
waren;  man  lernte  es,  auch  längere 
Waffen  von  der  Mündung  aus  zu 
laden,  und  Vorderlader  machten  den 
älteren  Hinterladern  Platz. 

Die  nächste  Verbesserung,  welche 
kurz  nach  der  Einführung  des  Schaf- 
tes eintrat,  bestand  in  der  Verleaunq 
des  Zündloches  auf  die  rechte  &eite 
des  Laufes,  sowie  im  Anbringen 
einer  Art  von  Pfanne  hart  unter 
dem  Zündloche,  und  in  einem 
Deckel  der  Pfanne,  welcher  das 
Pulver  vor  Nässe  bewahrte  und 
dessen  unvorhergesehenes  Herab- 
fallen verhinderte.  Das  Entzünden 
des  auf  der  Pfanne  befindlichen 
Pulvers  geschah  immer  noch  mit 
der  Lunte  aus  freier  Hand.  —  Nach- 
dem infolge  der  genannten  Ver- 
besserungen die  Handfeuerwaffen 
wesentlich  verbreitet  worden  waren, 
dachte  man  darauf,  die  Entzündung 
des  Pulvers  vermittels  der  losen  Lunte 
durch  eine  mechanische  Vorrichtuni: 
zu  ersetzen.  Man  brachte  zu  dem 
Ende  am  Schafte  vor  oder  hinter 
der  Pfanne  ein  gekrümmtes,  beweg- 
liches Eisenstäbcheu  an,  dessen 
oberes  Ende  zur  Aufnahme  der 
Lunte  gespalten  war.  Damit  hatte 
man  den  Hahn  (Drache,  Schlangen- 
hahn —  Lunten  träger,  Serpentine^ 
erfunden;  derselbe  wurde  anfangs 
zur  Entzündung  des  Pulvers  mit  der 
Hand  auf  die  Pfanne  gedrückt 
später  mit  Hilfe  einer  Feder. 

Da  die  unmittelbar  am  Schafte 


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Handfeuerwaffen. 


361 


befestigten  Teile  des  Schwammen- 
gelüsses,  d.  h.  des  Hahnes  und  seines 
Zubehörs,  keine  genügend  sichere 
Befestigung  am  Holze  fanden  und 
dem  Einflüsse  der  Witterung  zu 
sehr  ausgesetzt  waren,  so  brachte 
man  unterhalb  der  Pfanne  eine 
eiserne  Platte  an,  auf  der  aussen 
der  Hahn  solide  Befestigung  fand, 
während  die  anderen  Teile  des  nach 
und  nach  verbesserten  Mechanismus 
unter  die  Platte  verlegt  wurden.  So 
entstand  das  zuerst  1378  aufkom- 
mende Luntenschloss.  Auch  das 
Luntenschlossgewehr  hiess  Hak- 
büchse, Hakenbüchse,  Haken,  Harke- 
buse-,  sein  Rohr  war  etwa  1  m  lang; 
das  Gewicht  betrug  5  kg  und  die 
Kugeln  waren  vierlötige  Bleikugeln. 

Daneben  gab  es  halbe  Haken, 
auch  Handrohre  genannt,  welche 
2 — 2  Vi  lötige  Bleikugeln  schössen 
und  vorzugsweise  im  freien  Felde 
geführt  wurden,  wobei  mau  sich  der 
Gabeln  bediente;  die  letzteren  wur- 
den während  des  Auflegens  mit  der 
linken  Hand  gehalten  und  während 
des  Marsches  auf  der  linken  Schul- 
ter geführt,  wobei  sie  dann  zugleich 
zur  Unterstützung  der  auf  der  rech- 
ten Schulter  getragenen  Feuerwaffe 
dienten. 

Der  Doppelhaken  oder  „Scharfe- 
dündel"  bediente  man  sich  aus- 
schliesslich bei  Verteidigung  und 
Belagerung  fester  Plätze  gegen  kleine 
Patrouillen  und  gegen  die  in  den 
Trancheen  und  Batterieen  arbei- 
tende Mannschaft.  Die  Doppelhaken 
waren  mit  Schellzapfen  (Schild- 
zapfen) versehen  und  lagen  auf 
einem  dreirussigen  Bocke,  der  es 

festattete,  das  Kohr  nach  jeder  bc- 
ebigen  Richtung  zu  drehen.  Sie 
hatten  4  bis  6'  lange  eiserne  Rohre, 
aus  denen  6-  bis  1 2  lötige  Bleikugeln 
geschossen  wurden.  Es  gab  auch 
doppelte  Doppel haken. 

Die  Einführung  der  ordentlichen 
Schaft ung  und  die  Einrichtung  des 
Liuntenschlosses  wurden  Veranlas- 
sung zur  Erfindung  der  Visierung; 


diese  wurde  anfangs  durch  einen 
auf  der  hinteren  oberen  Fläche  des 
Rohres  angebrachten,  hohlen  und 
ziemlich  weiten  Cyliuder  bewerk- 
stelligt, der  später  bis  zu  einer 
schmalen  offenen  Spalte  verschlos- 
sen wurde;  später  ersetzte  man 
diese  Visierart  durch  kürzere  und 
offene  Sfandrisiere,  welche  auf  ihrer 
Oberfläche  mit  einem  Einschnitte 
versehen  waren,  und  noch  später 
kam  das  Korn  in  Anwendung. 

Der  Schaft  wurde  dadurch  ver- 
vollkommnet, dass  man  ihm  einen 
durch  eine  Dünnung  abgetrennten 
Kolben  gab.  Für  den  Ladstock, 
welcher  zuerst  von  der  Waffe  ge- 
trennt geführt  wurde,  brachte  man 
eine  Rinne,  Nute,  an  der  linken 
Seite  des  Schaftes  an,  die  man 
später  au  die  untere  Fläche  verlegte. 
Er  bestand  aus  Holz  und  war  an 
der  Stossfläche  meist  mit  einem 
Horn-  oder  Messingknopfc  versehen. 

Im  Jahre  1515  wurde  zu  Nürn- 
berg das  Radjichloss  erfunden.  Sein 
Mechanismus  bestand  darin,  dass 
ein  stählernes  drehbares  Rad  mit 
gezahnter  Peripherie  in  die  Pfanne 
griff  und  im  Innern  des  Schlosses 
durch  eine  Kette  mit  einer  Schlag- 
feder in  Verbindung  stand,  welche 
durch  Aufziehen  des  Rades  mittels 
eines  Schlüssels  gespannt  wurde. 
Vorwärts  der  Pfanne  war  ein  Halm 
mit  einem  Schwefelkiese  angebracht, 
der  sich  auf  starker  Feder  De wegte. 
Das  durch  die  ausschellende  Feder 
kräftig  um  die  Achse  gedrehte  Rad 
rieb  sich  am  Schwefelkiese  und  er- 
zeugte dadurch  Funken,  die  das 
Pulver  auf  der  Pfanne  entzündeten. 
Das  Radschloss  fungierte  auch  bei 
Regenwetter  und  gewährte  eine 
ruhigere  Entzündung  als  das  Lun- 
tenschloss; da  sich  aas  Rad  jedoch 
infolge  seiner  Berührung  mit  dem 
Pulver  nach  einigen  Schüssen  bald 
verschmutzte  und  dann  den  Druck 
versagte,  versah  man  das  Gewehr 
oft  mit  einem  Rad-  und  einem 
Luntenschloss.  Allgemeine  Anwcn- 


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362 


Handschuhe.  —  Hanswurst. 


dung  fand  das  Radschloss  nie;  es 
wurde  fast  bloss  in  Deutschland 
und  hier  vorzugsweise  zu  den  Feuer- 
waffen der  Reiterei,  Arkcbusen- 
Pistolen,  wie  für  Scheiben-,  Jagd- 
und  Luxuswaffen  benutzt. 

Eine  weitere  Verbesserung  be- 
stand in  der  Erfindung  des  Schnapp- 
hahnschiossesy  welches  durch  Be- 
rührung von  Schwefelkies  oder 
Feuerstein  (daher  Flinte)  mit  einer 
sogenannten  Batterie  den  zünden- 
den Funken  hervorbrachte.  Auch 
dieses,  namentlich  in  Spanien  und 
den  Niederlanden  gebrauchte  Schloss 
ist  nie  für  eine  allgemeine  Ordonanz- 
waffe  verwendet  worden. 

Gezogene  Läufe  sind  gegen  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  zuerst  bestimmt 
nachweislich;  man  nannte  solche  ge- 
zogene Gewehre  später  vorzugsweise 
Büchse  oder  franz.  carabine.  Eine 
Folge  der  gezogenen  Gewehre  war 
die  Erfindung  des  Stecherschlosses. 
Doch  blieb  für  die  Feuertaktik  des 
Fussvolkes  das  Luntengewehr  mass- 
gebend; indem  man  sich  nun  an- 
strengte, dieses  teils  leichter,  teils 
wirksamer  zu  machen,  kam  man 
auf  die  Doppelwaffe  zurück;  den 
Hauptteil  der  Infanterie  rüstete  man 
mit  dem  ohne  Gabel  verwendbaren 
Handrohr,  Muskete,  Rohr  aus,  eine 
Elite  aber  mit  der  schweren  und 
unbeholfenen  Hakenbüchse ,  welche 
zum  Auflegen  den  Stand-  oder  Gabel- 
stock  forderte.  Diese  schwere  Hand- 
feuerwaffe wich  sodann  der  leichte- 
ren im  Zeitalter  des  dreissigjährigeu 
Krieges  für  immer.  Jahns,  Geschichte 
des  Kriegswesens. 

Handschuhe,  ahd.  hantscuoh, 
mhd.  hantschuoch,  hentechuoch,  ist 
ein  seit  den  ältesten  Zeiten  als 
Schmuck  und  Auszeichnung,  wie 
zum  Schutz  getragenes  Kleidungs- 
stück; namentlich  gehören  sie  zur 
Bekleidung  und  zum  Ornat  welt- 
licher und  geistlicher  Grossen.  Die 
Pelzhandscnuhe  wie  überhaupt  die 

fröberen  waren  Klotzhandschuhe, 
.  h.  bloss  mit  einem  Däumling  ver- 


mor- 


schen. Die  höfische  Sitte  erweit 
den  Gebrauch  dieses  Kleidungs- 
stückes, und  schon  im  11.  Jahrb. 
wurden  buntgestiekte  Frauenhand- 
schuhe getragen.  Mitten  auf  dem 
Handrücken  war  ein  grösserer  Edel- 
stein angebracht,  kleinere  Steine 
uud  Perlen  sonst  dazu  verwendet. 
Die  anständigste  Farbe  war  damals 
schon  die  weisse,  der  Stoff*  bald 
Seide,  bald  feines  Leder.  Sie  reich- 
ten bald  bloss  bis  zum  Handgelenk, 
bald  bis  zum  Ellenbogen.  Die  Ringe 
wurden  über  dem  Handschuh  ge- 
tragen. 

Handschuh  als  RcchtssymboL 
Mit  dargereichtem  oder  hingew« 
feuern  Handschuh  wurden  bei  Frs 
ken,  Alamannen,  Langobarden  und 
Sachsen  Güter  übergeben,  gleich- 
sam ausgezogen  und  abgelegt.  Zum 
Zeichen  ausgebrocheneuBannes  warf 
der  König  oder  Richter  den  Hand- 
schuh hin  und  erklärte  damit  den 
Verbrecher  alles  seines  Gutes  für 
verlustig.  Verbreiteter  als  die  bei- 
den genannten  Anwendungen  des 
Handschuhes  ist  der  im  ganzes 
Mittelalter  gebräuchliche  Wurf  des 
Handschuhes  als  Aufforderung  ziem 
Kampf.  Endlich  bezeichnet  der 
Handschuh  Verleihung  einer  Gewalt 
von  seiten  der  Höheren  auf  einen 
Geringeren;  Boten  wurden  durch 
Überreichung  des  Handschuhes  und 
Stabes  von  Königen  entsendet. 
Städten,  welchen  der  Kaiser  Markt- 
recht giebt,  sendet  er  seinen  Hand- 
schuh. 

Handwerk,  siehe  Städtewesen 
und  Zunftwesen. 

Hauswurst;  das  Wort  erscheint 
zuerst  in  der  1519  erschienenen 
niederdeutschen  Bearbeitung  des 
Narrenschiffes,  wo  es  einen  groben 
Menschen  von  unbeholfener  Figur 
malen  soll,  dessen  Leibesgestalt  an 
eine  Wurst  erinnert.  Als  Bauers- 
mann erscheint  Hanswurst  zuerst  in 
einem  Fastnachtspiel  1553  und  die 
Bedeutung  des  Narren  in  der  Ko- 
mödie geht  endlich  auf  ein  Schau- 


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Harfe.  —  Harnisch. 


363 


spiel  des  Jahres  1573  zurück,  wird 
aber  erst  gegen  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts recht  gemein.  Seine  Tracht 
ist  eine  bunte,  geckenhafte  Kleidung. 
Grimm,  Wörterb. 

Harfe,  siehe  musik.  Instrumente. 

Harnisch.  Das  Wort  Harnisch, 
rnhd.  der  und  das  hamas,  harnasch , 
hämisch,  kernisch,  stammt  vom  kym- 
riscben  „Äa*ar/t",  welches  soviel 
wie  Eisen  bedeutete;  hemez,  hamez 
=  Eisenzeug.  Im  weitesten  Sinne 
wird  darunter  die  gesamte  Aus- 
rastung eines  Kriegers  verstanden, 
im  engeren  Sinne  die  Bekleidung 
des  Rumpfes  und  der  Glieder,  also 
mit  Ausschluss  de«  Schwertes,  Schil- 
des und  Helms;  im  engsten  Sinne 
bedeutet  Harnisch  das  aus  Ringen 
bestehende  Panzerhemd,  also  das 
Brustkleid,  das  durch  die  Jahr- 
hunderte eine  merkwürdige  Wand- 
lung zu  besteheu  hatte  und  end- 
lich durch  die  Handfeuerwaffe  und 
durch  die  neuere  Taktik  verdrängt 
wurde. 

Die  ersten  sogenannten  Schutz- 
raffen  waren  Schilde  aus  ßaumrinde, 
Flechtwerk  und  Holz,  daneben  Ticr- 
felle,  Füzdecken  und  Filztücher,  und 
endlich  werden,  allerdings  nicht  mehr 
in  der  Urzeit ,  Steppwämser  von 
Leinen  erwähnt.  Und  während  ver- 
schiedene keltische  Stämme  in  bar- 
barischem Mut  und  Selbstgefühl 
ihren  Feinden  die  nackten  Leiber 
entgegenstellten,  trugen  nach  Taci- 
tus  andere  schon  goldgeschmückte 
Panzerhemden,  ja  hüllten  sich  ganz 
in  Erz.  Es  wird  das  aber  unzwei- 
felhaft nicht  auf  ganze  Stämme  Be- 
zug haben ,  sondern  nur  auf  deren 
Häuptlinge,  denn  nach  zuverlässigen 
Berichten  und  nach  den  aufgefun- 
den Moorleichen  zu  schliessen,  ] 
Längen  die  alten  Germanen  bis  zur 
erfolgten  Mannbarkeit  völlig  nackt 
und  trugen  als  Männer  ein  mantel- 
artiges Gewand  (sagum)  ohne  Naht 
«nd  ohne  Knöpfe  von  gewalktem 
stoffe  mit  Hals-  und  Ärmellöchern. 
Auf  bestmöglichen  Schutz  gegen 


feindliche  Pfeile,  Speere  und  Schwer- 
ter mu88te  aber  selbstverständlich 
gehalten  werden,  und  so  kam  denn 
neben  Schild  und  Helm  bald  auch 
die  Handberge  (handberc)  auf,  als 
vollgegossener  Handring  zum  Schutze 
des  Handgelenkes,  oder  als  Küst- 
ärmel, der  entweder  aus  einer  ge- 
bogenen Erzschiene  oder  aus  einer 
federnden  Spirale  bestand.  Vom 
Erfolge  dieser  ersten  Schutzmittel 
zu  weiteren  Versuchen  angespornt, 
suchte  man  nun  namentlich  die 
Brust  besser  zu  decken  und  erreichte 
dies  dadurch,  dass  mau  statt  des 
gewöhnlichen  Gewandes  oder  unter 
dasselbe  eine  lederne  „lorica"  anzog. 
Die  Vornehmsten  begannen  dieselbe 
hin  und  wieder  mit  Schuppen  von 
Erz  oder  mit  Ringen  zu  besetzen, 
und  endlich  verband  man  die  Ringe 
zu  selbständigem  Geflechte  und  schuf 
so  die  Brünne  (got.  brunjo,  ahd. 
pruniä,  angels.  bryne,  altnora.brunja, 
altslav.  brvnija).  Für  dieselbe  Schutz- 
waffe wird  auch  der  Ausdruck  Binqe 
(bring)  gebraucht,  westgot.  zaba 
oder' zava,  und  endlich  ist  der  Be- 
zeichnung sart  sancerc,  ahd.  saro,  sa- 
raici,  gasartd,  gasarica  zu  gedenken, 
was  eigentlich  Rüstung  heisst,  aber 
der  Brünne  gleichkommen  mag, 
Hildebrandslied:  „tro  saro  rihtun" 
=  sie  warfen  ihre  Panzerhemden 
über;  „sarkes  bar*1  =  ohne  Panzer. 
Ursprünglich  scheint  die  Brünne 
aus  hörnernen  Schuppen  hergestellt 
worden  zu  sein.  Die  Erinnerung 
daran  hat  sich  bei  den  älteren  Dich- 
tern insofern  erhalten,  als  die  ab- 
sonderlichen Rüstungen  ihrer  Riesen 
und  Helden  sehr  oft  als  hurnin  ge- 
schildert werden.  Des  Heiden  Ilmars 
Leute  z.  B.  waren  mit  „hörne  bes- 
lozzen",  die  Völker  des  Königs  von 
Tarmache  fuorten  hurnine  aar,  gleich 
wie  die  Christen  Uen  und  getränt. 
Schon  im  Beowulfliede  kommt  je- 
doch Brünne  durchgängig  als  Ring- 
panzer und  Kettengeflecht  vor  und 
dies  bezeugt  sehr  deutlich,  dass  auch 
bei  den  nordischen  Stämmen,  welche 


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364 


Hämisch. 


in  keiner  unmittelbaren  Beziehung 
zu  den  Asiaten  standen,  der  Ge- 
brauch dieser  Waffentracht  uralt 
ist.  Auch  Hildebrands-  und  Walthari- 
lied  kennen  die  Brünne.  Dass  diese 
in  der  Kegel  aus  Ringen  geschmie- 
det war,  so  dass  Blut  und  Sch weiss 
durch  sie  zu  dringen  vermochten, 
zeigen  viele  Stellen  bei  den  Dichtem. 
Lanz.  1996,  daz  bluot  im  durch  die 
ringe  ran  Hz  der  tiefen  wunden. 
Auch  Hagen  sind  die  Ringe  von 
hhiote  naz.  Die  Ringpanzer  waren 
verhältnismässig  leicht,  Hessen  die 
Luft  durch  und  schlössen  sich  füg- 
sam dem  Körper  an,  gestatteten 
daher  ungehemmte  Bewegung  und 
konnten  zudem  mit  geringer  Mühe 
an  und  wieder  abgelegt  werden.  Im 
Gegensatz  zu  dem  Plattenpanzer, 
der  angeschnallt  werden  musste  und 
zwar  mit  Hilfe  anderer*,  zog  man 
die  Ringpanzer  an  wie  ein  Kleidungs- 
stück, daher  der  Ausdruck:  si  schufen 
sich  uz  dem  gewaffen  näch  grözer 
müede,  oder  si  sfujfen  in  idges  ge- 
rn ute  und  abe  schüfe  er  sin  isenge- 
want.  Die  Ringe  Hessen  sich  zudem 
ineinanderschieben,  sodass  die  ab- 
gelegte Brünne  bequem  in  einem 
Wanensack  (sdrbalc)  oder  ia  einem 
Schilde  nachgetragen  werden  konnte. 
Brünnen,  die  wie  ein  Hemd  über- 

feworfen  werden  konnten  und  dann 
is  an  die  Schenkel  herabreichten, 
bezeichnet  bereits  das  Ruolandes  lief 
(um  1  lhO)  als  Röcke:  di  von  Clamerse 
mit  ir  guoten  isern  rottchen.  Kün. 
Ruoth.  do  schlugen  die  recken  in 
statine  röche.  Diesem  entspricht 
der  lateinische  Ausdruck  für  Stahl- 
rock: tunica  ahena.  Walther  trug 
eine  dreidrfihtige  tunica-,  übrigens 
zog  ein  Recke  je  nach  Bedürfnis 
auch  mehrere  Brünnen  —  wenigstens 
zwei  —  übereinander  an. 

Wie  fest  aber  diese  Ringe  auch 
sein  mochten,  die  Sänger  wissen  viel 
zu  berichten  von  vortrefflich  geziel- 
ten Speerwürfen  und  ritterlichen 
Schwertschlägen  und  Stichen:  do 
sniet  im  durch  die  ringe  der  küene 


Wolfhart  (G.  Rosengarten».  W 
weiter: 

Die  ringe  betfunden  risen  i*  ier 

rösen  senin, 
Sie  Idgent  do  geströteet,  ah  $it 

teerin  t  geset  dar  in. 

Man  hat  deshalb  bereits  sehr  früh 
begonnen,  Stellen,  die  dem  feh*i- 
liehen  Angriff  besonders  ausgeset« 
sind,  noch  mit  einem  weitere 
Schutze,  nämlich  mit  aufgenietete 
Platten  zu  versehen,  mit  sog.  Bwcfck 
die  oft  in  schonen  Ornamenten  die 
Panzer  schmücken,  wie  die  in  Ree«! 

fräbern  und  Torfmooren  aufeefb- 
enen,  meist  gut  erhaltenen  Riem 
plare  es  heute  noch  weisen,  h 
sogar  eigentliche  PlattenharniKbi 
treten  —  wenn  auch  in  rohen  Forwi 
—  bereits  im  4.  Jahrhundert  a 
und  zwar  als  ein  deutsches  Produki 
Begreiflich  ist,  dass  vom  Schicks 
besonders  begünstigte  Bitter  hu 
in  den  Ruf  kamen,  als  trügen  a 
gefeite  Brünnen,  auf  denen 
Eisen  zu  haften  im  stände  sei-  & 
nordische  Sagen  schreiben  die 
Eigenschaft  schon  blossen 
hemden  zu,  die  in  besonderer, 
berhafter  Weise  gewebt  woi 
Nicht  nur  ist  der  Träger  einef  » 
chen  für  jede  Klinge  unverwundbf 
auch  Feuer  beschädigt  ihn  nkij 
von  Kälte  leidet  er  weder  zu  Um 
noch  zur  See;  kein  Schwimmen« 
mattet,  kein  Hunger  quält  ihn.  j 
sind  dies  die  ^othemden"  4 
deutschen  Mittelalters. 

Die  alte  Ringbrünne  war  n«x& 
der  Frankenzeit  offenbar  nur  im  fl 
sitze  hervorragender  und  wohltat* 
der  Krieger.  Die  geringeren  Le^ 
auch  solche  der  Reiterei,  befniutf 
sich  mit  minder  kostbaren  Surn^l 
und  zwar  noch  auf  lange  Zeit 
aus  hauptsächlich  mit  dem 
penwams  von  Leder  mit 
übereinander  fallenden , 
Schuppen.  Auch  treten  schon 
schienen  (beinhergae)  verein»11 
vornehmlich  bei  Rittern;  docl  1 


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Harnisch. 


365 


schützten  sie  mehr  nur  das  rechte 
Bein,  weil  dieses  beim  Ausfall  nicht 
so  unmittelbar  vom  Schilde  gedeckt 
war.  Kaiser  Karl  hielt  bekanntlich 
sehr  auf  derbe,  schützende  Kleidung 
bei  seinen  Kriegsleuten;  feiner,  teu- 
rer Flitter  war  ihm  zuwider.  Ge- 
panzerte Pferde  werden  ebenfalls 
schon  im  9.  Jahrhundert  genannt, 
und  es  steht  ausser  Zweifel,  dass 
auch  hier  die  Schuppenpanzer  ge- 
meint sind. 

Die  Normannen  Wilhelm  des  Er- 
oberers waren,  nach  der  berühmten 
Tapete  von  Bayeux  zu  schliessen, 
in  einen  bis  über  die  Kniee  reichen- 
den, bequemen  Waffenrock  von 
Leder  oder  Steppleinwand  gekleidet, 
der  durchweg  mit  eisernen  Ringen 
besetzt  war.  Die  alte  Brünne  De- 
deckte nur  den  Rumpf  und  Ober- 
arm, Hess  aber  namentlich  den  Hals 
und  Nacken  frei,  weswegen  die 
nächste  Folgezeit  bestrebt  war,  sie 
in  dieser  Richtung  zu  verbessern. 
So  entstand  die  Kutte  oder  HaU- 
berqe  (haUberc),  agls.  heaUberg, 
altirz. hauber.  habere,  nauberc,  welche 
namentlich  bei  den  französischen 
Rittern  des  10.  und  11.  Jahrhunderts 
allgemein  in  Gebrauch  kam.  An- 
fanglich nur  bis  an  die  Hüfte  reichend, 
verlängerte  sie  sich  zusehends,  bis 
sie  zu  den  Mittelgelenken  der  Arme 
und  Beine  reichte.  Am  Vorderarm 
kommt  das  gesteppte  Armelwams 
rum  Vorschein,  an  dem  Unter- 
schenkel das  Kreuzgeflecht  der 
Ledernem  en  des  Bundschuhes,  deren 
Verschlingung  Schienbein  und  Wade 
schützen.  Nur  die  Führer,  z.  B. 
Wilhelm  selbst,  haben  auch  die 
Beine  mit  Panzerhosen  bekleidet. 
Die  Öffnung  zum  Anziehen  des 
„beringten"  Kampfgewandes  be- 
findet sich  auf  der  Brust  und  ist 
hier  mit  einem  ebenfalls  beringten, 
viereckigen,  beweglichen  Brustlatze 
zugedeckt.  Die  Nonnannenreiter 
trugen  die  Halsberge  nur  über  dem 
Wamse;  in  der  Folgezeit  aber,  als 
die  Bewaffnung   immer  schwerer 


wurde,  kam  es  auch  vor,  dass  die 
Halsberge  über  der  Brünne  getragen 
wurde.  Andere  Forscher  nehmen 
das  Umgekehrte  an  und  verstehen 
dann  unter  der  Halsberge  nur  eine 
metallene  Wehr  für  Hals,  Nacken 
und  Brust.  Über  Brünne  und  Hals- 
berge trug  der  Ritter  wohl  auch  den 
Waffenrock  aus  Seide  oder  anderen 
köstlichen  Stoffen. 

Sie  begunden  sniden 
Den  wdpenroc  von  siden 
Und  den  halsberc  da  ru  nde. 

Sollte  der  Mann  in  der  Hals- 
berge sich  bequem  bewegen  können, 
so  mu&ste  sie  sich  in  der  Nähe  der 
I  Hüften  erweitern,  um  den  Schenkeln 
|  den  beim  Reiten  nötigen  Raum  zu 
j  gewähren.    Dies  wurde  dadurch  er- 
zielt, dass  sich  entweder  im  unteren 
j  Teile  stitze  befanden,   sodass  die 
Kutte  in  mehrere  Schösse  verlief, 
oder  dass  sie  unten  mit  keilförmigen 
Zwickeln,  d.  h.  mit  aSren  versehen 
war,  wie  deren  auch  an  Wappen- 
röcken und  der  Civilkleidung  vor- 
kommen.   Ulrich  von  Liechtenstein 
451,   2:    in   seinem  Wappenrock 
waren  zirelf  gereit  gesniten  durch 
sine  wite. 

Ein  weiterer  Schritt  war  dann 
die  Ausdehnung  der  gegitterten  oder 
Ma8chenrüstunff  auch  über  die  Arme 
und  1  leine,  und  zwar  scheint  diese 
i  Tracht  zuerst  in  Deutschland  ge- 
bräuchlich geworden  zu  sein.  Eine 
'  der  frühesten  Darstellungen  dieser 
Bewaffnung  findet  sich  in  Kaiser 
Heinrich  IL  Eva ngeliarium,  wo  der 
also  gewappnete  Ritter  über  der 
Schulter  einen  normannischen  Schild 
und  auf  dem  Kopfe  einen  niedrigen 
Glockenhelm  mit  Nasendeekel  trägt. 
Die  Rechte  führt  einen  Knebelspiess, 
die  Linke  ist  beschäftigt,  eine  Kurz- 
wafte  (  vielleicht  ein  xkramasax)  aus 
der  Scheide  zu  ziehen;  darunter 
hängt  das  eigentliche  Schwert. 
Ähnliche  Rüstungen  begegnen  uns 
auf  nicht  wenigen,  namentlich  deut- 
schen Denkmälern  des   12.  Jahr- 


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360 


Harnisch. 


hunderte.    Dazu  Fig.  73  aus  dem  schlössen,  so  dass  der  Fuss  von  oben 

Hortulus  Deliciarum   der    Herrad  hineinfuhr,  d.  h.  sie  wurden  „ange- 

von  Landsberg.  Zugleich  zeigt  sich  schuht44  oder  „angeschüttet",  oder 

eine  Weiterentwickeluiig,  indem  die  sie  waren  offen  und  wurden  dann 

Schösse  des  Waffenrockes  meist  zu  an  der  hinteren  Seite  des  Heines 

enganliegenden  Schenkclhosen  aus-  mit    Riemen  zusammengebunden. 

gebildet  werden,  welche  bis  zum  Wigal.  6116: 

Inie  reichen.   Am  vollkommensten  Die  frouwen  im  dö  f/und^n 

gestaltet  sich  diese  Rüstungsweise  Die  isenhosen  an  diu  bein. 


\ 


Fig.  73.    Aua  dem  Hortulus  Deliciarum. 


am  Rheine.  Hier  erschienen  zu 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  die  Ritter 
fest  eingekleidet  in  die  Ringe,  die 
also  nicht  nur  zu  einem  blossen 
Uberwurfe,  sondern  zu  enganliegen- 
den Wämsern  mit  Oberschenkel- 
hosen  ausgestaltet  sind.  Daran 
schliesst  sich  knieabwärta  ein  eben- 
falls aus  Ringen  gebildeter  Schien en- 
beinschutz.  Die  Hosen  waren  gleich 
unseren    modernen    entweder  ge- 


Oder P.  157,  7: 

Zwuo  lieht e  hosen  iserin 
Schuohferm  über  diu  ribhalin. 
Anders  in  Frankreich  und  in  Spanien. 
Hier  ist  die  Bepanzerung  der  Beine 
offenbar  später  üblich  geworden,  al« 
auf  deutschem  Boden.  Zwar  einige 
Siegelabdrücke  vornehmer  Krieger 
zeigen  den  Beinpanzer,  wenn  gleich 
nur  als  Schuppen-,  nicht  als  Ketten- 
gewand ;  aber  auf  den  meisten  Dar- 


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Harnisch. 


367 


Stellungen  fehlt  er;  ja  sogar  die  in 
Deutschland  übliche  Bepanzerung 
von  Unterarm  und  Faust  mangelt 
noch.  Unter  dem  Ellenbogen  tritt 
das  vom  12.  bis  14.  Jahrhundert 
uligemein  getragene  Ärmelwams  i 
i  franz.  tcamfnson,  gambUon)  deutlich 
hervor.  Dieses  Wams  bestand  aus 
Leder  oder  Tuch,  war  mit  Watte 
(«ler  Werg  gefuttert  und  meist  mit 
Seide  gesteppt. 

Gegen  Pfeile,  Bolzen,  Schwert- 
hiebe, meist  auch  gegen  Lanzen- 1 
Btösse  gewährten  die  Maschenpanzer  j 
hinlänglich  Schutz,  nicht  aber  gegen 
die  Schlagwaffen,  Keule,  Axt,  Schlag- 
geissel ,  Morgenstern ,  Streitaxt;  da- 
her kamen  letztere  stark  in  Auf- 
nahme und  der  Schwerpunkt  der 
kriegerischen  Aktion  wurde  mehr 
in  aas  Fussvolk  verlegt,  während 
er  bis  anhiu  in  der  Reiterei  zu 
suchen  war.  Was  war  natürlicher, 
als  dass  man  bestrebt  war,  auch 
die  Schutzwaffen  in  entsprechender 
Weise  zu  vervollkommnen?  Die  nach 
dem  helmbedeckten  Kopf  geführten 
Streiche  fielen  nämlich  meist  ab- 
prallend auf  die  Schulter  und  ver- 
ursachten durch  deren  Bruch  Kainpf- 
unfahigkeit.  Deswegen  brachte  man 
au  besagter  Stelle  die  sogenannten 
Schüller/füget  au,  eiserne  Platten, 
welche  das  Eisen  des  Helms  ge- 
wissermassen  verlängerten  und  zelt- 
artig nach  aussen  abschrägten.  Diese 
Ailettes  sind  in  der  Geschichte  der 
Bewaffnung  von  grosser  Wichtigkeit, 
weil  sie  die  ersten  Eisenplatten  sind, 
welche  auf  dem  Kettenpanzer  er- 
scheinen. 

Wie  die  Schultern,  so  suchte  man 
auch  Hals,  Arme,  Schenkel  und 
namentlich  die  Kniee  besser  zu 
decken,  indem  man  Platten  und 
Schienen  auf  die  betreffenden  Stellen 
des  Ringpanzers  befestigte  und  zwar 
durch  Aufnieten  oder  Nageln.  An- 
fänglich verwendete  man  hierfür 
Leder,  das  durch  Sieden  eigens  zu- 
bereitet und  durch  metallene  Buckel 
und  Bänder  verstärkt  wurde.  Diese 


Veränderungen  beginnen  bereits 
gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
und  nehmen  in  der  Folgezeit  immer 
zu.  Wo  die  Ringe  genagelt  er- 
scheinen, da  gehören  sie  mindestens 
schon  dem  Ende  des  12.  Jahrhun- 
derts an. 

Die  Verstärkung  der  Rüstung 
durch  Matten  kommt  zunächst  auf 
deutschem  Boden  zur  Geltung.  Das 
deutsche  Manuskript  von  Tristan 
und  Isolde,  welches  zu  Berlin  auf- 
bewahrt wird  und  der  zweiten  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  angehört,  zeigt 
bereitsRitterin  vollständigen  Platten- 
rüstungen mit  geschientem  Arm- 
und  Beinzeug,  nebst  geschienten 
Eisenschuhen.  In  Frankreich  war 
der  Fortschritt  der  Bewaffnung  laug- 
samer. Die  Ringbrünne  kommt  erst 
jetzt  zu  ihrer  höchsten  Vollendung, 
immerhin  mit  Anfängen  der  Schienen- 
rüstung. Bemerkenswert  ist,  dass 
da,'  wo  die  Verstärkung  der  Rüstung 
durch  Schienen  eintritt,  im  übrigen 
oft  von  einer  Ausstattung  mit  dem 
eigentlichen  Maschenpanzer  abge- 
sehen, vielmehr  zu  dem  älteren, 
billigeren  Schutzgewande  des  be- 
ketteten oder  beschildeten  Kampf- 
gewandes zurückgegriffen  wird. 

Der  Handschuh  war  ursprüng- 
lich mit  dem  Panzer  verbunden; 
wer  ihn  ausziehen  wollte,  der  musste 
zugleich  den  ganzen  Panzer  ablegen. 
Das  war  um  so  unbequemer,  als 
mit  Ausnahme  des  Daumens  die 
Finger  gar  nicht  gesondert  waren; 
daher  machte  man  später  einen  Ein- 
schnitt in  das  Maschengewebe,  um 
mit  der  Hand  durchlangen  zu  können, 
und  Hess  den  vorderen  Teil  der 
Maschen  bis  zum  Augenblicke  des 
Gebrauchs  hinter  der  Hand  herab- 
hängen. Immerhin  aber  blieb,  auch 
wenn  das  Kettenhemd  über  die 
Faust  gezogen  worden,  der  Hand- 
schutz ungenügend,  und  daher  ver- 
fertigte man  seit  der  zweiten  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  Handschuhe 
von  starkem  Hirschleder  mit  ge- 
hämmerten Eisenplatten  auf  dem 


uigiiizeo 


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368 


Harnisch. 


Handrücken  und  auf  dem  unteren  auch  Schulterkragen  oder  Maschei 
Fingcrgelenke  des  Daumens.  In  kapuze  genannt,  welche  meist  in 
gleicher  Weise  gehörte  zur  Rüstung  der  kleinen  Beckenhaube  verbünd« 
der  Sporn,  der  unmittelbar  mit  der  ,  war.  Das  Wams  [Qambuou)  w. 
Maschenbepanzerung  des  Fussen  eine  enganliegende  Armeljacke  n 
zusammenhing.    (Siehe  Sporen.)        daran  befestigten  Hoseu  und  Strüi 


Fi^.  74,    Grabsteine  aus  dem 


Anfangs  des  14.  Jahrhunderts 
bestand  die  ritterliche  Rüstung  aus 
Wams,  Ringbrünne  und  Eiseuhosen, 
welch  letztere  in  oben  angeführter 
Weise  durch  Platten  verstärkt  waren, 
dem  WafTenhemdc  oder  Waffen- 
rock von  Tuch  und  der  Halsberge, 


Ende  des  14.  Jahrhundert.'«. 

pfen.  E>  bestand  aus  L« 
oder  Leder.  Vor  der  Iii»-» 
demGemächteund  den  Knie*:*** 
war  es  beringt.  Siehe  FW 
Grabstein  vom  Ende  de«  M  M 
hunderts  aus  Weijts,  Ko.«rütnK^ 
Die    inzwischen    erfundene  M 


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Hatsehier.  —  Hausmarke. 


369 


<les  Drahtziehens    ermöglichte  es 
je<iem  Krieger,  sich  eine  Ringbrünne 
i Panzerhemd)  zu  verschaffen.  Schul- 
terpIatten(t/)o/^r^)undArmschienen 
\>trminen,  brdzel  oder,  wenn  sie  nur 
<iie  Außenseite  des  Armes  decken, 
ifcmibratsard*  genannt),  sowie  Ellen- 
bogenkacheln und  Kniebuckel  fehlen 
nirgends  mehr,  werden  gegenteils 
immer  grösser   und   nähern  sich 
<lureh  weitere  Mittelglieder  mehr 
uml  mehr,  bis  die  fortschreitende 
Kunst  der  Schmiede  einen  Platten- 
tnztr  daraus  entstehen  lässt,  der 
Säcken-  und  Brustplatte  (Kürass), 
Banchplatte  ( Bauchpanzer  l,  Hals- 
berge und  Hängeplatten   für  die 
Oberschenkel  in  sich  fasst.  Auch 
der   Unterschenkel    erhält  seine 
Wadenplatte  und  zugleich  verlängert 
man  die  vorderen  Unterschenkel- 
schienen durch  mehrere  aneinander- 
gefügte Plättchen  und  entwickelt 
so  zusammenhängende  Schienen- 
schuhe  iüerkotzen,  külze,ischuok\  die 
bis  zu  Ende  des  15.  Jahrh.  die  Form 
langer  und  spitzer  Schnabelschuhe 
haben.  Der  Kitter  sass  ohne  Eisen- 
sehnabel  aufs  Pferd:  der  Knappe 
.hackte  ihm  dann  den  Stachel  an", 
der  gewöhnlich  V*  i  bei  Grafen  oft 
1 bei  Fürsten  sogar  2'  lang  war. 
Denkt  man  sich  noch  die  mit  be- 
weglichem Gesichtaschutze  versehene 
Keaselhauhe,  einen  Stechhelm  oder 
Eisenhut  hinzu  ( siehe  Helm  ),  so  war 
da?  liebe  Leben  eines  solchen  Ritters 
unbestritten  trefflich  geschützt.  Und 
wenn  der  vollständige  Platten-  oder 
Schienenharnisch  auch  keineswegs 
♦-ine  bequeme  Kleidung  gewesen 
*ein  mag,  so  hemmte  er  doch  den 
Gebrauch  der  Glieder  weniger,  seit 
kunstfertige  Meister  bemüht  waren, 
den  treibenden  Hammer  so  geschickt 
zu  fuhren,  dass  die  Formen  der 
einzelnen  Panzerteile  dem  anato- 
mwehen Bau  der  Gliedmassen  mög- 
lichst entsprachen. 

I>iebeiilhmte«ten  Waffenschmiede 
Italiens  bestanden  zu  Mailand.  War 
doch  diese   eine  Stadt   nach  der 


Schlacht  bei  Macalon  (14271  im 
Stande,  binnen  wenigenTagen  Waffen 
und  Rüstungen  für  4000  Reiter  und 
2000  Fussknechte  zu  liefern.  Die 
sanriirker  oder  sancettcr  (  Wirker 
und  Weber  von  Kettenpanzern) 
sowie  die  platenaere,  thorifex,  Helm- 
schmiede, Harnischmacher,  Sporer 
und  Schlosser  genossen  grosse  Pri- 
vilegien; so  waren  sie  in  Spandau 
von  allen  Abgaben  frei.  Die  deutschen 
Waffenschmiede  (Augsburg,  Nürn- 
berg) genossen  einen  Weltruf.  San 
Martey  Warenkunde  und  Jähnx, 
Geschichte  des  Kriegswesens. 

Hatsehier,  Hatschlerer.  Hart- 
sehler,  seit  dem  15.  Jahrhundert 
aus  dem  zuerst  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert   bezeugten  französischen 

j  ar  efter,  ital.  areiero—  Bogenschütze 
entlehnt,  hiess  ein  Trabant,  Leib- 
trabant, der  in  kleineren  Gemeinden 
auch  Bütteldienste  verrichtete. 

Haubitze,  ein  grobes  Geschütz 
zum  Schiessen  von  Granaten  und 
Kartätschen,  seit  denHussitenkriegen 
dem  böhmischen   haufniee  =  Stein- 

j  Schleuder  entnommen ,  daher  das 
Wort  deutsch  auch  zuerst  haufnitz 
lautet. 

Hausmarke  heisst  das  besondere 
Zeichen,  mit  welchem  nach  altem 
Gebrauche  die  Wohnhäuser  und  die 
Stammsitze  bezeichnet  wurden.  Da 
sich  der  Hausbesitzer  dieses  Zeichens 
auch  bei  Unterschriften  als  Hand- 
zeichen bediente,  erhielt  es  denNamen 
hantgemdl,  welches  Wort  nun  auf 
das  Grundstück,  den  Stammsitz  selber 
übertragen  wurde.  Durch  das  Hant- 
gemal  wurde  der  Ort  für  den  ge- 
richtlichen Zweikampf  des  Schöffen - 
barfreien  bestimmt  und  wo  es  auf 
Ebenbürtigkeit  ankam,  der  Beweis 
des  schöffenbaren  Standes  geführt. 
Später  wich  die  Hausmarke  über 
dem  Thor  dem  Wappen,  und  der 
Gerichtsstand  richtete  sich  nicht 
mehr  nach  dem  Stammsitz,  der  die 
Hausmarke  trug,  sondern  nach  dem 
Domizil.  Homeyer,  Abhandlungen 
über  das  Hantgemal.    Ders.  Haus- 

24 


uigiiizea 


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370  Hauaineier.  —  Heerwesen. 


und  Hofmarken,  Berlin  1870.  Mi-  j  vertritt  den  König  gegen  seine  Inter 
cheteen,  Die  deutsehe  Hausmarke,  thauen.  Er  halt  an  des  Koiiif= 
Jena  1853.  I  Platz  das  Gericht  iu  der  Pfalz.  *ui 

Hausnieler,  Majordomus,  war  1  Name  wird  auf  Münzen  gesetxt.  ti 
der  Name  eines  Beamten,  der  in  erseheint  als  der  eigentliche  Rega 
der  Merowingerzeit  früh,  namentlich  des  Reiches,  er  heisst  Fürst  Q- 
bei  Geistlichen  und  an  den  Höfen  Franken  oder  Unterkönig.  #»'«y  ■ 
der  Könige  verschiedener  germani-  tut.  Nachdem  Pipin  die  königlich 
scher  Stämme  vorkommt.  Bei  den  Gewalt  lange  Zeit  unter  dje*2 
Franken  ist  der  Majordomus  wahr-  Titel  geführt  und  das  Königin 
scheinlich  ursprünglich  nichts  au-  selbst  an  sein  Haus  gebracht  «■ 
deres  als  der  alte  Senesehall;  ihm  wurde  kein  Majordomus  mehr  t 
stand  die  Oberaufsicht  über  das  nannt.  Waitz,  Yerf.-GtodL  Bd. 
Hauswesen  im  ganzen  zu.    Es  gab  und  3. 

ihrer  mehrere,  da  jede  Hofhaltung,  Heerwesen.  In  öl  fester  Zeit  ist  >u 
auch  diejenige  der  Königin,  der  Heer  der  Germanen  nichts  aodtri 
Prinzen,  ihres  eigenen  Hausmeiers  als  das  Volk  in  Waffen.  GUe*H 
bedurfte.  Zuletzt,  als  die  Macht  Staates  war  nach  Tacitus,  13.  * 
des  Majordomus  eine  solche  Be-  die  Waffen  kannte.  Zu  kriegerU' -U 
deutung  erlangt  hatte,  dass  eine  Unternehmungen  vereinigte  »ich ü 
Teilung  derselben  unter  mehrere  un-  weder  ein  ganzes  Volk  oder  I 
statthaft  geworden  war,  gab  es  bloss  Stamm ,  mit  \Veib  und  Kind.  B 
noch  einen  Beamten  dieses  Namens,  und  Gut,  weuu  es  galt,  neu*  >il 
der  auch  major  domus  regiae,  major  einzunehmen,  oder  für  bes'ii^ 
domus  palatii,  prineeps  palatii,  pa-  Unternehmungen  junge  Lem> 
latii  praeoositus,  praefectus  pafatii,  Gefolge  eines  Fürsten:  wenn  da 
rector  pafatii  hiess,  'Als  Vorsteher  besonderen  Züge  grösseren  L'mf' 
des  Palastes  und  Hofes  erhielt  er  hatten,  mussteu  sie,  was  auch! 
einen  Einfluss  auf  alle  Verhältnisse  Raub-  und  Beutezügen  geschah .  1 
desselben;  die  Erziehung  der  jungen  der  Volksversammlung  p*hill 
an  den  Hof  gebrachten  Leute  stand  werden.  Die  Abteilungen  des^  ot 
zum  Teil  unter  seiner  Leitung:  er  Gaue,  Hundertschaften  und 
hatte  für  die  Wahrung  von  Zucht  meinden,  bildeten  auch  die 
und  Recht  unter  den  Grossen,  für  teilungen  des  Heeres,  wob*:i 
den  Frieden  im  Lande  zu  sorgen;  Verwandtschaft  und  Geschieh 
in  der  Ratsversammlung  sass  er  dem  Verbindung  die  möglichste  RücH 
Könige  zunächst,  oder  Führte,  wenn  genommen  wurde.  Mau  dn^-1 
dieser  abwesend  war,  den  Vorsitz  Ross  und  zu  Fuss,  ohne  da*- 
selbst;  uuter  minderjährigen  Königen  Rossdieust  einen  besonder*'«  « 
stand  ihm  die  Erziehung  und  Reichs-  veranlasst  hatte;  den  Reitern*! 
Verwesung  zu.  Wahrscheinlich  ver-  besonders  gewandte  und  leieb* 
band  sich  damit  ein  Anteil  an  der  wegliche  Fussgftnger  zur  0 
Verwaltung  des  königlichen  Hauses.  Stützung  beigegeben.  Die  Sch'J 
der  Erhebung  und  Verwendung  der  Ordnung  war  diejenige  desKetta 
königlichen  Einkünfte.  Ursprüng-  ursprünglich  allen  arischen  V -U 
lieh  wurde  der  Hausmeier  wie  jeder  eigen  war,  und  zwar  bildete 
andere  Beamte  von  dem  Könige  er-  germanische  Heer  regelmäßig 
nannt,  später  unter  Mitwirkung  der  Keile  nebeneinander ,  deren  w 
Grossen  gewählt.  Zuletzt  gehen  alle  hinten  zusammensti essen.  w' 
wichtigen  Geschäfte  durch  seine  erst  die  eigentliche  Masse  de>  Mi 
Hand,  von  ihm  hängen  die  Beamten  1  folgte;  mit  dieser  einen  Schli 
ab,  er  erteilt  Gnaden  und  Ehren,  er  orouung  giug  man  zum 


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Heerwesen.  371 

sauien  Angriff.  Führer  de*  Heeres  Kriegsdienste  Leistenden  war  nicht 
waren  die  Fürsten,  für  die  Leitung  die  Rede;  nach  alter  Gewohnheit 
des  Ganzen  wurde  ein  Herzog  ge-  sollten  Watten  und  Kleider  auf  ein 
wählt.  Nach  Tacitus  übten  die  halbes  Jahr.  Lebensmittel  für  einen 
Priester  im  Heer  die  oberste  Straf-  Marsch  von  drei  Monaten  jenseits 
gewalt  und  verhängten  wie  auf  Ge-  der  Grenze  oder  von  der  Heerver- 
bot der  Gotter  Tod,  Fesseln  und  Sammlung  aus  mitgeführt  werden; 
Schläge,  wie  denn  die  beiden  letzteren  doch  dauerten  manche  Züge  natür- 
Strafen  überhaupt  aus  der  strenge-  lieh  weit  langer.  Zur  Rüstung  ver« 
reu  Ordnung  des  Heerwesens  zu  langt  ein  Gesetz  Karls  des  Grossen 
stammen  scheinen.  Der  Heerdieust  allgemein  Lanze  und  Schild  oder 
verlieh  dem  Kämpfer  einen  beson-  einen  Bogen  mit  zwei  Sehnen  und 
deren  Schutz  oder  besondere  Aus-  zwölf  Pfeilen.  Als  Watten,  die  der 
Zeichnung:  unter  dem  Schutz  der  Reiter  führte,  werden  Lanze.  Schild, 
Götter  und  unter  göttlichen  Feld-  Sehwert  und  Halbschwert  oder  Dolch, 
zeichen  zog  mau  aus;  den  Ausgang  Bogen  und  Pfeile  angegeben;  Helme 
einer  Schlacht  suchte  man  im  voraus  und  Panzer  wurden  nur  von  den 
zuerkennen,  durch  Zweikampf  zweier  Augeseheneren,  ein  Brustharnis:h 
vorrageuder  Heergenossen  oder  durch  von  dem  Besitzer  von  12  Hufen  ver- 
weissagende Frauen.  Mit  Gesang  langt.  Im  Heere  Karls  des  Grossen 
und  Ge-chrei  ging  man  zum  Kampf,  bildete  die  Reiterei  jedenfalls  schon 
Der  Germane  pflegte  nicht  zu  fliehen,  einen  sehr  wesentlichen  Bestandteil, 
auch  den  Schild  nicht  wegzuwerfen :  ja  die  Regel,  wie  es  bei  den  Lango- 
er siegte  oder  starb.  Feste  Plätze  bardeu  schon  um  die  Mitte  des  8. 
hatten  die  Germanen  wenige;  als  Jahrhunderts  der  Fall  war.  Aus 
Zuttuehtstätteu  dienten  Ringwälle  dem  Ende  des  y.  Jahrhunderts  wird 
auf  Anhöheu;  Striche  Landes,  die  berichtet,  dass  es  den  Franken  uu- 
mau  wüste  liegen  Hess,  kamen  häufig  gewöhnlich  gewesen  sei,  zu  Fuss  zu 
vor.  Schon  von  Anfang  an  waren  kämpfen;  einzelne  Stämme,  wie  die 
die  germanischen  Küstenbewohner  Sachsen,  kämpften  noch  weit  später 
auch  zur  See  streitbar.  Der  be-  zu  Fuss,  und  jedenfalls  war  ein 
si«-gte  und  gefangene  Feind  diente  zahlreicher  Tross  zur  Begleitung 
fortan,  wenn  er  nicht  den  Göttern  des  Gepäcks  und  der  Lebensmittel 
als  Opfer  fiel,  als  Knecht;  unter-  vorhanden. 

worfene  Völker  verfielen  in  Hörig-  Durch  den  Befehl  oder  Bann 

keit  oder  raussten  Tribut  zahlen  des  Königs  wurde  zum  Heerdienst 

Zur  Zeit  der  Merotringer  und  einberufen,  bei  der  Strafe,  welche 

Karolinger  war  der  Heerdieust  auf  überhaupt  auf  Verletzung  des  könig- 

diejenigen/>e#V/i  eingeschränkt,  wel-  liehen  Bannes  stand  und  welche 

Grundbesitz  besagen:  das  war  daher  Heerbann  heisst;  sie  betrug 


schon  deshalb  nötig,  weil  der  Freie  nicht  weuiger  als  60  solidi.  Das 
mit  eigner  Rüstung  und  Verpflichtung  Heer  selbst  hiess  ein  gebanntes  und 
xum  eigenen  Unterhalt  seinen  Dienst  keineswegs  Heerbann.  Das  Auf- 
zu  leisten  hatte;  doch  brauchte  der  gebot  erfolgte  zur  allgemeinen  Ver- 
G  rund  besitz  nicht  Eigengut  zu  sein;  Sammlung  des  Jahres,  der  Heerver- 
auch  der  Besitz  von  abhängigem  Sammlung;  der  Graf  verkündigte 
Laad  verpflichtete  den  persönlich  den  Baun  in  seinem  Gau  und  hatte 
Freien  zum  Heerbaun;  Knechte  aber  die  Aufsicht  über  die  Rüstung  der 
waren  nicht  dienstpflichtig  und  wur-  Einzelnen;  der  Baun  dauerte  aber 
den  nur  ausnahmsweise  bei  feind-  noch  40  Tage  nach  der  Rückkehr, 
Uchem  Einfall  aufgerufen.  Von  einer  j  worauf  erst  die  Waffenlegung  o  ler 
lintachädigung,    einem    Sold    des  |  scaßleqi  erfolgte.    Besondere  Vor- 

24* 


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372 


rechte,  wie  höheres  Wehrgeld,  ge- 
noss  in  dieser  Periode  der  Krieger 
nicht  mehr,  doch  sollte  während  des 
Kriegszuges  ein  höherer  Frieden 
herrschen. 

Im  ganzen  war  der  Kriegsdienst 
infolge  der  lange  andauernden,  weit 
entfernten  Kriege  und  der  Unsicher- 
heit des  heimatlichen  Gutes  wäh- 
rend der  Abwesenheit  des  Besitzers 
immer  mehr  eine  Last  geworden, 
die  schwer  empfunden  wurde  und 
zu  einer  näheren  Regelung  des 
Heerwesens  nötigte,  die  jedoch  zu 
keinem  genügenden  Abschlüsse  kam ; 
es  trat  in  Beziehung  auf  die  ur- 
sprünglich allen  gleiche  Strafe  eine 
mildernde  Abstufung  ein;  man  re- 
gelte die  Dienstpflicht  nach  der 
Grösse  des  Besitzes  und  nach  der 
Gegend,  wo  der  Krieg  geführt  wurde; 
man  setzte  fest,  dass  ein  Teil  der 
Ausziehenden  von  deu  zuhause  Blei- 
benden eine  Beihilfe  empfing,  welche 
die  Stelle  des  Soldes  vertrat.  Das 
Verlassen  des  Heeres,  der  heriMiz, 
galt  als  Majestätev«-rbrechen  und 
wurde  mit  dem  Tode  bedroht,  ein 
Zuspätkommen  bei  den  Grossen  des 
Reichs  nur  mit  Fasten  belegt,  soviel 
Tage  Verzögerung,  soviel  Fasten  an 
Fleisch  und  Wem.  Den  Hochbe- 
tagten vertrat  der  Sohn,  den  Un- 
mündigen der  Vormund.  Öffent- 
liche Wolfiäger  waren  schon  von 
Karl  dem  Grossen  vom  Kriegsdienst 
dispensiert. 

Die  Last  des  Heerdienstes  hatte 
schon  vor  Karl  viele  Freie  veran- 
lasst, ihr  freies  Eigen  an  Kirchen 
und  weltliche  Grossen  zu  tibertragen 
und  Vasallen  Verhältnisse  einzugehen, 
um  sich  der  Pflicht  des  Heerdienstes 
zu  entziehen.  Karl  trat  einem  sol- 
chem Verfahren  mit  Entschiedenheit 
entgegen  und  stellte  mit  Rücksicht 
auf  die  Dienstpflicht  das  Lehengut 
dem  Eigengut  gleich;  nur  zur  Be- 
friedigung berechtigter  Interessen 
stellte  er  zugleich  fest,  dass  die 
Grafen  von  ihren  abhängigen  Leu- 
ten zwei  zum  Schutz  der  Familie 


und  zwei  zur  Wahrnehmung  amt- 
licher Geschäfte,  Bischöfe  und  Abte 
überhaupt  nur  zwei  dispensieren 
dürften;  den  Geistliehen  war  es 
nach  kirchlichen  Gesetzen  verboten, 
Waffen  zu  tragen,  weshalb  sie  auch 
nicht  in  den  Krieg  ziehen  sollten; 
doch  hat  dieser  Grundsatz  nur 


Mönchen  und  Priestern  unbedingte 
Anwendung  gefunden;  auch  machten 
die  Abte  davon  wieder  eine  Aus- 
nahme; sie  sowohl  als  die  Bischöfe- 
zogen  persönlich  in  deu  Kampf  und 
waren  mit  ihren  abhängigen  Leuten 
regelmässig  im  Heere  anwesend. 
Doch  strebten  die  geistlichen  Stif- 
ter danach,  sich  wie  von  anderen 
öffentlichen  Leistungen,  so  auch  von 
der  Heerespflicht  durch  Ausdehnung 
der  Immunität  zu  lösen.  Wo  dieses 
nicht  geschah,  trat  an  Stelle  des 
Grafen,  der  die  Dienstpflichtigen 
seines  Gaues  dem  Herrn  zuzuführen 
hatte,  der  Herr. 

Das  Heer  gliederte  sich  nach  den 
verschiedenen  Stämmen  und  Gauen. 
Die  Mannschaft  seines  Gaues  führte 
der  Graf;  den  Oberbefehl  hatte  der 
König  oder  einer  seiner  Söhne,  das 
königliche  Banner  war  vou  einein 
angesehenen  Mann,  etwa  einem 
Grafen,  getragen.  Dem  Kriegsheer 
folgte  ein  bedeutendes  Rüstwerk: 
Wurfmaschinen,  Gerät,  Zelte,  Pfahle, 
Lagerwerkzeug,  Lebensmittel  und 
was  zu  deren  Herrichtuug  erforder- 
lich war,  Mühlen,  Kochgeschirr. 
Dazu  wurden  Saumtiere  und  Wagen 
in  bedeutender  Anzahl  erfordert, 
die  letzteren  von  Ochsen  gezogen. 
Jeder  Proviant  wagen  hatte  12  Schef- 
fel Mehl  oder  12  Mass  Wein  zu 
enthalten  und  bei  jedem  sollten  sich 
die  nötigen  Wagen,  Schild,  Lanze, 
Bogen  und  Köcner  befinden.  Zur 
Lieferung  solchen  Kriegsbedarfs  wa- 
ren die  abhängigen  Landbesitzer, 
die  nicht  selbst  Heerfolge  leisteten, 
ausdrücklich  verpflichtet,  sei  !es  in 
Naturalleistung,  sei  es  in  Geldzah- 
lung. Für  Brückengerät,  Schifte 
und  Kähne,  deren  man  bedurfte, 


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Heerwesen. 


373 


hatte  der  Grat  für  seinen  Amtsbe- 
zirk zu  sorgen.  Nur  ausnahmsweise 
überwinterte  das  Heer.  Feste  Plätze 
wurden  von  Karl  in  den  neuuuter- 
worfenen  Provinzen,  später  haupt- 
sächlich nur  an  den  Grenzen  an- 

gelegt.  Karls  Nachfolger  nahmen 
as  Recht  in  Anspruch,  dass  neue 
Befestigungen  ohne  ihre  Zustim- 
mung nicht  angelegt  werden  sollten. 
Bei  der  Belagerung  fester  Plätze 
benutzte  man  die  schon  im  Alter- 
tum gewöhnlichen  Mittel  der  Zer- 
störung oder  Ersteigungder  Mauern, 
Schilduäeher,  Widder,  Wurfmaschi- 
uen,  Leitern,  für  deren  Transport 
der  Marschalk  zu  sorgen  hatte.  Im 
Seekrieg,  sowohl  gegen  Griechen 
und  Araber  im  Mittelalter  als  gegen 
die  Dänen,  waren  die  fränkischen 
Flotten  nicht  glücklich. 

Noch  im  10.— 12.  Jahrhundert 
beriet  der  König  in  allgemeiner 
Versammlung  einen  Kriegszug  und 
Hess  Beschluss  darüber  fassen;  die 
feierliche  Zusicherung  wurde  später 
durch  einen  Eid  gekräftigt,  dass 
der  Dienstpflichtige  wirklich  die 
Kriegshilfe  leisten  wolle,  zu  der  er 
verpflichtet  war.  Daneben  aber  be- 
stand wie  früher  das  königliche  Auf- 
gebot oder  der  Heerbann.  Die  regel- 
mässige Jahresheerfahrt  der  frühe- 
ren Periode,  die  sich  an  die  Heer- 
versammlung im  März  oder  Mai 
(März-  und  Maifeld)  angeschlossen 
hatte,  kommt  nicht  mehr  vor;  ent- 
weder ist  ein  Unternehmen,  wie 
namentlich  die  Züge  nach  Italien, 
längere  Zeit  vorher  ms  Auge  gefasst, 
so  zwar,  dass  noch  in  demselben 
Jahre  Beschluss  und  Ausführung 
stattfanden,  oder  es  wird  plötzlich 
ius  Werk  gerichtet.  Das  Aufgebot 
eing  nicht  an  die  einzelnen,  welche 
Heerfolge  leisteten,  sondern  an  die 
höheren  Gewalten,  welche  Mann- 
schaften führten  und  stellten,  allge- 
meine Landes  not  ausgenommen, 
welche  alles  zu  deu  \\  äffen  rief. 
Der  Dienst  ist  jetzt  gänzlich  ein 
Reiterdienst  geworden:  man  unter- 


scheidet dabei  leichtbewaffnete  und 
solche  schwerer  Rüstung;  die  letz- 
teren hiessen  die  Gepanzerten,  fori 
cati,  oder  die  Besch ildeten,  clipeati, 
daher  heisst  die  kriegerische  und 
besonders  die  schwergerüstete  Mann- 
schaft eines  Landes,  Fürsten  oder 
Stiftes  sein  Heerschild,  Jeder  schwer- 
gerüstete Ritter  pflegte  seit  dem 
11.  Jahrhundert  einen  oder  mehrere 
berittene  Begleiter  zu  haben,  die 
mit  Schild  und  Schwert  bewaffnet 
waren  und  ausserdem  ein  kleines 
Beil  am  Sattel  trugen;  der  Schwer- 
gerüstete aber  zog  mit  Helm,  Panzer 
und  Beinschienen,  mit  Speer  oder 
Lanze  neben  dem  Schwert  und  mit 
grossem  Schilde  in  den  Kampf;  zu 
dem  Streitrosse,  dessen  er  sich  im 
Kampfe  bediente,  kam  ein  beson- 
deres für  den  Marsch;  doch  hinderte 
die  schwere  Rüstung  nicht,  das  Ross 
zu  verlassen,  um  Mauern  zu  stürmen 
oder  sonst  den  Kampf  zu  Fuss  auf- 
zunehmen. 

Die  Leistung  des  schwergerüste- 
teu  Rossedienstes  setzte  grösseren 
Besitz  und  kriegerische  Lebensweise 
voraus.  In  dieser  Lage  befanden 
sich  Vasallen  oder  Ministerialen, 
deren  Verwendung  im  Kriegsdienst 
den  hauptsächlichen  Grund  zu  ihrer 
späteren  rechtlichen  und  politischen 
Stellung  legte ;  ihre  Zahl  war  zwar 
bedeutend  geringer  als  das  alte  Auf- 
gebot ;  dafür  gaben  aber  die  bessere 
Rüstung  und  Übung  einen  Ersatz. 
Auf  den  grossen  Gewalten,  welche 
die  erforderliche  Mannschaft  zu 
;  stellen  hatten,  ruhte  die  Heeresord- 
nung des  Reichs,  auf  den  Herzögen, 
Grafen,  Bischöfen,  Äbten;  auch  die 
letzteren  zogen  in  eigener  Person 
zu  Felde,  sei  es  in  priesterlichem 
Gewände  und  Kreuz  oder  die  heilige 
Lanze  vortragend,  sei  es  kriegerisch 
gerüstet,  wenngleich  die  Kircne  das 
letztere  verbot  und  dagegen  eiferte. 
Bei  einem  Aufgebote  wurde  nicht, 
wie  früher,  unbestimmt  die  vor- 
handene kriegerische  Mannschaft  in 
Anspruch  genommen,  sondern  es 


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374 


Heerwesen. 


war    ein    Kontingent    festgesetzt,  die  sieb  nach  der  Grösse  des  Grand* 

welches  bei  Abwesenheit  des  Fürsten  besitzes  abzustufen  pflegte  und  von 

grösser  wurde,  als  wenn  er  selber  der  jeder  Harnisch  eine  gewisse 

mitzog;  die  Kontingente  der  gei*t-  Summe  Oeldes,  ein  oder  mehrere 

liehen  Fürsten  übertrafen  diejenigen  Pferde  IL  dgl.  erhielt.  Daraus  ent- 

der  weltlichen  um  ein  Bedeutendes;  stand  der  Dienst  aenen  Sold,  der 

es  hatten  z.  B.  für  einen  Zug  Ottos  II.  zuerst  in  Italien  aufgekommen  ist 

nach  Italien  zu  stellen:  Mainz,  Köln,  und  zu  einer  formliehen  Erwerbs- 

Strassburg,  Augsburg  je  100  Panzer-  quelle  für  die  Ritter  wurde.  Inner- 

reiter;  Trier,  Salzburg,  Regensburg  halb  der  deutschen  Grenze  hat  der 

je  70;  Verdun,  Lüttich,  Würzburg  Solddienst    zuerst    in  Lothringen 

und  die  Abteien  Fulda  und  Reichenau  weitere  Verbreitung  erhalten,  wo 

je  60;  Eichstädt,  Lorsch  und  Weis-  die  Grossen  des  Landes  in  ihren 

senburg  50;  Konstanz,  Chur,  Worms.  Kämpfen  mit  geworbenen,  für  Geld 

Freising.  Prüm,  Hersfeld.  Ellwangen  gedungeneu     Truppen,  Söldnern, 

40:  Kempten 30;  Speier,  Toul.  Sebeu,  soNdarii,  einander  entgegentreten. 

St.  Gallen  und  Murbach  20;  Cam-  Diese  Sitte  griff  bald  um  sich,  und 

brai  12;  von  Augsburg,  Trier.  Ver-  Heinrich  IV.  verschmähte  es  nicht, 

dun.    Eichstädt.    Chur,    Worms,  in  Italien  und  Deutschland  mit  ge- 

Reiclienau, Lorsch, Prüm. Ell wangen,  worbenen    Söldnerscharen  gegen 

Kempten  und  Murbaeh  wurde  die  seine  Feinde  aufzutreten. 
Anwesenheit    der    Kirchenhäupter       Eine    bestimmte  Zeit   für  den 

verlangt.     Das   Herzogtum  Elsass  Dienst  war  nur  ausnahmsweise  fest- 

dagegen   schickte   70,    Niederloth-  gesetzt.    Regelmässig  ist  auch  jetzt 

ringen  20;  je  40  stellen  ein  Herzog  noch  der  König  Führer  des  Heeres. 

Otto  und  Cono,  während  andere  Die  einzelnen  Abteilungen  des  Heeres 

Grafen  30,  20,  12  und  10  zu  stellen  entsprachen  den   grossen  Stamra- 

haben:  10  ist  die  geringste  Leistung,  verbänden  und  standen  unter  den 

die  überhaupt  verlangt  wird.    Als  Herzögen:  unter  ihnen  bilden  die 

Durchschnitt      eines     königlichen  Scharen  der  Bischöfe,   Abte  und 

Heeres  werden  ftir  den  Anfang  des  Grafen  besondere  Abteilungen  von 

12.  Jahrhunderts  30  000  Ritter  an-  grösserem  oder  geringerem  Umfang. 

fegeben ,   mit  Schildknappen  und  Feldzeichen  waren  die  heilige  Lanze, 

Voss  ungefähr  100  000  Mann,  ein  das  Bild  eines  Engels,  später  der 

Heer,  das  nur  in  seltenen  Fällen  Adler.    Die  Gegner   Heinrich  IV. 

sich  vollständig  versammelte.    Den  führten  ein  grosses  Kreuz  auf  einem 

Fürsten  stand  es  zu,  diejenigen  unter  Wagen  mit  roter  Fahne.  Maneb- 

ihren  Vasallen  auszuwählen,  welche  mal  führte  der  König  selbst  das 

den  einzelnen  Heerzug  mitmachen  Zeichen,  sonst  ein  angesehener  Mann, 

sollten;  ftir  Befreiung  vom  Dienst,  Jeder  Heerhaufen  hatte  ein  besou- 

sei  es  ganz,  sei  es  von  einem  Zuge,  deres  Banner. 

wurde  unter  Umständen  Geld  be-       Auswärtigen  Feinden  wurde  der 

zahlt.    Wer  der  Aufforderung  des  Krieg  förmlich  angekündigt,  plötz- 

Lehnherrn,  Dienst  zu  leisten,  nicht  lieber  Überfall  galt  als  unehrenhaft, 

nachkam,  hatte  das  Leben  verwirkt;  Wenn  das  Heer  versammelt  war. 

die  alte  gesetzliche  Busse,  der  Heer-  bei  den  Römerzügen  auf  den  Rou- 

bann,  war  ausser  Übung  gekommen,  kaiischen  Feldern,   fand  vor  der 

Zur  Entschädigung  an  die  Heer-  Schlacht    eine    Heerschau  statt, 

folge   Leistenden   erhob   nunmehr  Manchmal  wurden  Ort  und  Zeit  zum 

der  Herr,  und  nicht  wie  früher  der  offenen  Kampf  im  voraus  gegen- 

König,   eine  Abgabe  oder  Heer-  seitie  festgesetzt:  denn  die  Schlacht 

$  fetter   von   seinen  Untergebenen,  wurde  wie  ein  Göttergericht  ange- 


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Heilige  Bäume. 


375 


sehen,  das  über  Recht  und  Unrecht 
zu  entscheiden  hatte,  und  nicht  als 
Sache  des  Zufalls.  Vor  dem  An- 
griff sprach  der  König  ermutigende 
Worte  zum  Heer;  die  Krieger  aber 
verpflichteten  sich  eidlich  zur  Treue.  | 
An  der  gemeinsamen  Losung  er- 1 
kannte  man  sich.  Mit  lautem 
Schlachtruf,  das  Kyrie  eleison 
singend,  nickten  die  Scharon  ins 
Gerecht.  Mit  jubelndem  Zuruf  und 
ehrendem  Namen  wurde  nach  glück- 
lichem Erfolge  der  Führer  begrüsst. 
Feinde  heidnischen  Glaubens  wur- . 
den  meist  mit  schimpflichem  Tode 
belegt,  ebenso  die  Bewohner  er- 
oberter Städte. 

Der  allmähliche  Übergang  der 
kaiserlichen  Staatsgewalt,  das  Auf- 
kommen der  Städte,  der  Zerfall  des 
Reiches  in  einzelne  Reichsstände, 
die  Anwendung  der  Feuerwaffen 
löste  im  13.  und  14.  Jahrhundert 
die  alte  Heerverfassung  auf.  Der 
Kaiser  als  solcher  unterhielt  keine 
Truppen;  das  Heer  bestand  aus  den 
Kontingenten  der  Reichsstände. 
Immer  mehr  kam  die  Sitte  auf,  für 
den  Kriegsfall  Söldnertruppen  an- 
zuwerben ;  angeworbene  Fusstruppen 
nannte  man  Landsknechte,  siehe  die- 
sen Artikel;  die  Reiterei  warb  man 
aus  Rittersleuten.  Zu  einem  Reichs- 
krieg gehörte  ein  Beschlusa  des 
Reichstages ,  die  Kriegserklärung 
geschah  bloss  vom  Kaiser  in  seinem 
Namen.  Im  15.  Jahrhundert  kamen 
die  stehenden  Heere  auf,  seitdem 
Karl  VII.  von  Frankreich  fünf 
Ordonanzkompagnien  errichtete,  die 
auch  im  Frieden  besoldet  wurden. 
Von  Frankreich  aus  verbreitete  sich 
dieses  Heersystem  in  die  übrigen 
europäischen  Staaten,  wobei  die 
Truppen  anfangs  durch  freie  Wer- 
bung, spiiter  durch  Konskription 
vollständig  erhalten  wurden.  Siehe 
Waitz,  Verfassungsgesch.;  für  die 
älteste  Periode  Arnold,  deutsche 
Urzeit  Vergleiche  den  Artikel 
Kriegswesen. 

Heilige  KU u nie,  sogar  heilige 


Wälder  waren  mit  dem  Kultus  der 
alten  Deutschen  enge  verknüpft. 
Erstere  waren  die  Tempel,  der  Ort 
der  regelmässigen  Opfer,  Volks-  und 
Gerichtsversammlungen,  wie  noch 
heute  mancherorts  unter  ihnen  Messe 
gelesen  wird  und  altbemoosten  Stim- 
men heilige  Bilder  in  Hut  gegeben 
werden.  Wie  das  Leben  der  grie- 
chischen Dryaden  und  Hainadryaden 
aufs  engste  mit  dein  Leben  des 
Baumes,  den  sie  bewohnten,  ver- 
knüpft ist,  wie  sie  mit  demselben 
leben  und  sterben',  ja  jede  Ver- 
letzung mitempfinden  und  darum 
mit  wehvollem  Ruf  das  frevelnde 
Beil  von  ihm  abhalten,  so  verkör- 
perten sich  bei  den  Deutschen  be- 
sonders einzelnstehende  mächtige 
Bäume  in  Menschen  und  Götter. 
Solche  Biiume  durften  weder  ihrer 
Zweige  noch  des  Laubes  beraubt, 
noch  viel  weniger  umgehauen  wer- 
den, und  kein  Profaner  wagte  es, 
den  heiligen  Hain  zu  betreten,  in 
welchem  begraben  zu  werden  jedes 
Sterbenden  letzter  Wunsch  war. 
Noch  im  8.  Jahrhundert  Hess  sich 
ein  schwerverwnndeter  Sachse  in 
einen  heiligen  Wald  tragen,  um  da 
zu  sterben. 

Bei  den  Langobarden  kommt  die 
Verehrung  des  sogenannten  Blut- 
bau  ms  vor. 

Unter  den  heiligen  Baumen  (im 
späteren  Mittelalter  sind  sie  gewöhn- 
lich mit  ,,Frau"  angeredet)  steht 
obenan  die  Eiche.  Sie  als  der  mäch- 
tigste Spros8  des  deutschen  Waldes 
und  bekannt  durch  die  Anziehung, 
die  sie  auf  den  Blitz  ausübt,  ist 
in  erster  Linie  dem  rohen,  derben, 
titanenhaften  Donar,  auch  Thu- 
nar,  nordisch  Thor  genannt,  ge- 
weiht. Sie  hat  auch  heute  auf 
dem  Gebiete  des  Aberglaubens  ihre 
Rolle  noch  nicht  auegespielt  Nächst 
der  Eiche  war  die  Esche  heilig,  wie 
schon  der  Mythus  von  der  Erschaf- 
fung des  Menschen  lehrt,  dann  die 
Linde,  noch  jetzt  in  vielen  Dörfern 
am  Eingange  des  Kirchhofs  in  ge- 


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37(3 


Heiligenverehrung. 


mütvoller  Sinnigkeit  der  einigende 
Mittelpunkt,  ferner  „Frau  Hasel", 
die  vielbesungene,  die  einst  die  alten 
Gerichte  wie  noch  heute  die  Saat- 
fehler zu  hegen  hat.  Nach  Ost- 
götalag  soll  in  gemeinem  Wald  je- 
der hauen  dürfen,  ohne  Busse,  ausser 
Eichen  und  Haseln,  die  haben  Friede, 
d.  h.  sie  können  nicht  gefällt  wer- 
den. Auch  der  Holunderbaum.  der 
„Holleru  —  vielleicht  der  Holle, 
der  Göttin  des  Hauses  gewidmet  — 
genoss  ausgezeichneter  Verehrung, 
wie  er  noch  jetzt  allgemein  der  Baum 
des  Hauses  ist.  Iii  Niedersachsen 
heisst  er  Ellorn  oder  Ellhorn,  und 
ein  Chronist  erzählt  unverdächtig: 
Also  haben  unsere  Vorfahren  den 
Ellhorn  auch  heilig  gehalten;  wo  sie 
aber  denselben  unterhauen  i  die  Aste 
stutzen)  mussten,  haben  sie  vorher 
pflegen  dies  Gebet  zu  thun:  „Frau 
Ellhorn,  gieb  mir  was  von  deinem 
Holz,  dann  will  ich  dir  von  meinem 
auch  was  geben,  wann  es  wächst 
im  Walde",  welches  teils  mit  ge- 
beugten Kuieen,  entblösstem  Haupte 
und  gefaltenen  Händen  zu  thun  ge- 
wohnt, so  ich  in  meinen  jungen 
Jahren  zum  öftern  beides  gehört  und 
gesehen.  —  Der  lf'ac/iolJer(M&c\mn- 
delboom),  in  dem  Elben  und  andere 
Geister  hausten,  durfte  ebensowenig 
abgehauen  werden.  Haut  man  die 
Erle,  so  blutet  und  weint  sie  und 
hebt  zu  reden  an.  Ein  österreichi- 
sches Märchen  (Ziska  37—42)  er- 
zählt von  der  stolzen  Föhre,  worin 
eine  Fee  sitzt,  welcher  Zwerge  die- 
nen, die  Unschuldige  beschenkt, 
Schuldige  neckt,  und  ein  serbisches 
Lied  vom  Mädchen  in  der  Fichte, 
deren  Rinde  der  Knabe  mit  golde- 
nem und  silbernem  Horn  spaltet. 
Zaubersprüche  bannen  in  Frau  Fichte 
das  kalte  Fieber.  Grimm,  Mytho- 
logie. Simrock,  Mythologie.  Wuflkc, 
Volksaberglaube. 

Heiliireuverehrung.  Schon  in 
den  apostolischen  Christengemeinden 
pflegte  man  die  Genieinaegenossen 
als  Glieder  an  dem  Leibe  des  Herrn 


nach  alttestamentlichem  Vorgange 
Jlcili'/c  zu  nennen,  Köm.  1,  7; 
Eph.  1 ,  1 :  später  wurde  derselbe 
Ausdruck  Ehrenname  für  diejenigen 
Christen,  welche  durch  lebendigen 
Glauben,  musterhaften  Wandel  und 
standhaftes  Bekenntnis  im  Leben 
und  Sterben  sich  als  Geheiligte  des 
Herrn  hervorgethan  hatten,  und 
schon  in  der  zweiten  Hälfte  des 
2.  Jahrhunderts  feierten  ganze  Ge- 
meinden das  Andenken  ihrer  Blut- 
zeugen an  deren  Todcstagem  welche 
man  in  höherem  Sinn  ihre  Geburts- 
tage nannte.  Der  Ort,  wo  die  Märtyrer 
bestattet  waren,  galt  demnach  als 
geweihte  Stätte,  wo  man  an  den 
dies  natalis  die  Geschichten  ihres 
Bekenntnisses  und  Leidens  vortrug 
und  gemeinsam  die  Kommunion  be- 
ging. Schon  im  4.  Jahrhundert  ent- 
stand neben  den  Gedächtuistagen 
einzelner  Märtyrer  in  ihren  Gemein- 
den und  Sprengein  ein  allgemeines 
Fest  aller  Heiligen  und  Märtyrer 
in  der  Pfingstoktave;  das  Abend- 
land, welches  dieses  Fest  erst  im 
7.  Jahrhundert  einführte,  verlegte 
es  auf  den  1.  November.  Die  Ver- 
ehrung der  Heiligen  gewann  Nah- 
rung durch  die  grössere  Betonung 
des  Wertes  der  Askese,  und  seit 
dem  3.  Jahrhundert  durch  das  Ein- 
siedlerleben und  Mönclistum,  wo- 
durch einzelne  in  den  Geruch  höhe- 
rer Begnadigung  und  vollendeter 
Glaubenskrart  kamen.  Man  erzählte 
von  den  Wundern,  welche  derglei- 
chen heilige  Menschen  während  ih- 
res Lebens  und  nach  ihrem  Tode 
an  ihren  Gräbern  und  durch  ihre 
Reliquien  gewirkt  hätten;  nach  der 
Versicherung  der  grössten  Kirchen- 
lehrer, Gregor,  Augustiu,  Ambro- 
sius, Cliryso8tomu8,  war  man  über- 
zeugt, dass  jene  Männer  und  Frauen 
der  nöchsten  Seligkeit  im  Anschauen 
Gottes  gemessen  und  am  Gerichte 
Christi  teilnehmen,  auch  durch  ihre 
Mit-  und  Fürbitte  mächtige  Be- 
schützer und  trostreiche  Vermittler 
der  Gläubigen,  und  deshalb  anzu- 


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Hciligenverehrung. 


377 


rufen  und  zu  ehren  seien.  Nament-  Sitte  und  Glaube  geworden  war, 
lieh  lehrte  man,  dass  die  Heiligen  das  suchten  nun  im  12.  und  den  fol- 


drängnissen  mit  Erfolg  Fürbitte  festzustellen, 
thtw.  Man  erbaute  daher  Kapellen  Man  unterscheidet  nunmehr  Hei- 
und  Kirchen  über  ihren  Gräbeni,  lige  oder  Sanc/i,  d.  h.  solche,  die, 
legte  die  Kranken  darin  nieder,  wie  ohne  der  Läuterung  durch  das  Feg- 
früher im  Heiligtum  des  Äskulap,  feuer  zu  bedürfen,  unmittelbar  mit 
hing,  wie  früher,  in  den  Götter-  dem  Tode  in  den  Himmel  kommen; 
tempeln,  goldene,  silberne  und  andere  Selige  oder  Beati,  d.  h.  solche,  die 
Abbildungen  der  genesenen  Glieder  erst,  nachdem  sie  einige  Zeit  im 
als  Weiligeschenke  auf,  feierte  zu  Purgatorium  zugebracht  haben,  zur 
Ehren  der  als  Gäste  geladenen  ewigen  Herrlichkeit  eingehen.  M»r- 
Heiligen  christliche  Gastmähler,  trug  fyrer  sind  solche,  welche  um  der 
Reliquien  als  Amulette  und  andere  göttlichen  Wahrheit  willen  gewalt- 
Erinnerungszeichen,  flehte  um  ihren  samen  Tod  leiden:  Bekenner  oder 
Beistand  zu  einer  beabsichtigten  Confexsores,  Beichtiqer,  welche  ein 
Reise,  stellte  das  Schiff  unter  ihre  Bekenntnis  der  Wahrheit  ablegteu, 
Obhut.  So  entstanden  die  beson-  ohne  deshalb  den  Tod  zu  leiden, 
deren  Schutzheiligen  für  einzelne  Eine  besondere  Heiligsprechung 
Stände,  Länder,  Kirchen,  Glocken,  kennt  die  ältere  Zeit  nicht:  hatte 
Naturerscheinungen:  Peter  und  Paul  das  Volk  oder  der  Klerus  einen 
die  Patrone  Roms,  Jakobus  Spaniens,  Märtyrer  oder  Mönch,  wegen  des 
Andreas  Griechenlands,  Phokas  für  heiligen  Lebens,  das  er  geführt, 
die  Seefahrer,  Lukas  für  die  Maler,  wegen  der  Wunder,  die  er  oder 
Johannes  Evangelista  und  Augusti-  seine  Reliquien  gethan  haben  soll- 
uus  für  die  Theologen ,  Ivo  für  die  ten,  für  würdig  erkannt,  um  ihn  als 
Fürsten,  Gregorius  für  die  Schüler  einen  Fürbitter  bei  Gott,  ab  einen 
und  Juristen,  Frumentius  für  die  Heiligen  anzurufen,  sich  seinem 
Kaufleute.  Schutze  anzuvertrauen  und  ihm  zu 

Zwar  wirkten  schon  früh  Au-  Ehren  einen  Festtag  zu  feiern,  so 
gustin,  Chrvsostomus  u.  a.  der  über-  wurde  von  dem  Bischöfe  ein  Fest- 
triebenen  Verehrung  der  Heiligen  tag  wirklich  festgesetzt,  dazu  eine 
entgegen,  doch  ohne  nachhaltenden  neue  Liturgie  verordnet  oder  der 
Erfolg.  Vielmehr  vergrösserte  sich  Name  des  Heiligen  in  die  frühere 
die  Zahl  der  Heiligen  zusehends:  Liturgie  und  zugleich  in  das  Kalen- 
ausser  der  heiligen  Jungfrau  traten  darium  oder  MartyroloLium  einge- 
seit  dem  4.  Jahrhundert  alle  in  den  tragen.  Die  Liturgien  oder  Lila- 
heiligen Schriften  erwähnten  Per-  neien  der  Heiligen  waren  deshalb 
souen,  welche  irgendwie  für  die  in  den  verschiedenen  Diözesen  sehr 
Wahrheit  gelitten  hatten,  in  die  verschieden.  Um  dem  Unfuge  der 
heilige  Schar  ein:  die  Apostel,  die  Erhebung  unwürdiger  Männer  zu 
Evangelisten,  Stephanus,  Johannes  Heiligen  zu  steuern,  verordnete  Karl 
der  Täufer,  die  drei  Magier,  die  ,  der  Grosse,  dass  ohne  Genehmigung 
Makkabäer;  dann  Männer  des  geist-  des  Bischofs  keine  neuen  Heiligen 
lieben  Standes  der  folgenden  Jahr-  verehrt  werden  sollten.  Mehrere 
hunderte,  welche  für  Erhaltung  der  Jahrhunderte  stand  deshalb  das 
Rechtgläubigkeit  gekämpft  und  ge-  Recht  der  Heiligenernennung  aus- 
stritten hatten,  Athanasius,  Ambro-  schliesslich  den  Bischöfen  zu,  die 
sius ,  Augustin ,  Martin  von  Tours,  entweder  selbst  Zeuge  des  Wunders 
Was  so  nach  und  nach  allgemein  und  des  Lebens  des  Heiligen  ge- 


Jahrhunderteu  die  scho- 
l  Theologen  systematisch 


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378 


Heiligenverehrung. 


wcsen  waren  oder  von  anderen 
glaubwürdigen  Leuten  sich  Bericht 
geben  Hessen,  manchmal  unter  Be- 
ratung von  Partikularsynoden  oder 
benachbarter  Bischöfe  und  Erzbi-  j 
schöfe.  Erst  mit  der  Zeit  wurde 
die  Genehmigung  des  Papstes  in 
dieser  Angelegenheit  eingeholt,  be- 
sonders von  Luitolf  von  Augsburg, 
der  im  Jahre  903  dem  Papste  Jo- 
hann XV.  und  der  bei  ihm  ver- 
sammelten Synode  die  Heilig- 
sprechung des  ehemaligen  Bischofs 
Ulrich  von  Augsburg  schriftlich  be- 
fürwortete. Nach  und  nach  wurde 
die  Heiligsprechung  ein  ausschliess- 
liches Vorrecht  der  Päpste;  gewöhn- 
lich wird  Alexander  III..  115H  bis 
1191,  für  den  ersten  gehalten,  der 
diese  Gewohnheit  gesetzlich  fixierte; 
er  ist  es  auch,  der  Bernhard  von 
Clairvaux  heilig  sprach.  Auch  fürst- 
liche Personen  wurden  nun  heilig- 
cesnrochen.  König  Eduard  von  Eng- 
land und  Knut  der  Jüngere  von 
Dänemark  durch  denselben  Alexan- 
der III.,  Karl  der  Grosse  von  Ale- 
xanders Gegenpapste  Paschalis  III. 
auf  Ansuchen  des  Kaisers  Fried- 
rieh L:  Kaiser  Heinrich  II.  von 
Eugen  III.;  dessen  Gemahlin  Kuni- 
gunde von  Innocenz  III.;  die  Land- 
gräfin Elisabeth  von  Thüringen  von 
Gregor  IX.,  König  Ludwig  IX.  von 
Frankreich  von  Bouifaz  VIII.  auf 
Ansuchen  Königs  Philipp  III.  Be- 
sonders sind  es  auch  die  Stifter  von 
Mönchsorden,  welche  jetzt  in  die 
Zahl  der  Heiligen  aufgenommen 
werden.  Dominikus,  rranz  von 
Assisi,  Antonius  von  Padua,  Clara, 
Katharina  von  Siena;  dann  ange- 
sehene Kirchenlehrer,  wie  Thomas 
von  Aquino,  Bonaventura,  Ivo  von 
Chartres.  Übrigens  unterschied  man 
zwei  Grade  von  Heiligsprechung, 
die  beatißcatio  und  die  eanonisatio; 
die  erstere,  Seligsprechung,  begrün- 
det nur  eine  Verenrung,  die  an  ge- 
wissen Orten,  in  einzelnen  Provinzen 
oder  Diözesen  oder  unter  einzelnen 
Mönchsorden  stattfindet,  die  cano- 


nitath  gilt  der  ganzen  römischeu 
Christenheit;  beatm  heisst,  wer  bea- 
tifiziert ,  sanetu*,  wer  kanonisiert 
worden  ist. 

Die  christliche  Kunst  des  Mittel- 
alters hat  den  Heiligen  ihre  bescn- 
dern  Attribute  zugeteilt,  welche  bio- 
graphisch oder  symbolisch  zu  deuten 
sincl.  Das  folgende  Verzeichnis  der 
beliebtesten  kirchenheiligen  stützt 
sich  auf  Otte,  kirchliche  Arch.,  S. 
923—950  und  auf  Mütter  u.  Math**, 
arch.  Wörterb.  Das  beigefügte  Da- 
tum giebt  das  Fest  der  Heiligen,  als 
welches  in  der  Regel  der  Todes- 
tag gilt. 

Adalbert,  Bischof  vonPrag :  Lanze 
und  Keule.    997.    24.  April. 

Adelaundh,  Schutzheilige  gegen 
den  Krebs.    662.    30.  Jan. 

Adelheid,  zweite  Gemahlin  Otto  I., 
als  Kaiserin.    999.    16  17.  Dez. 

Adrian,  vornehmer  Römer  des  3. 
Jahrb.,  Schutzpatron  der  Krieger 
des  nördlichen  Europa,  auch  der 
Schmied«1  und  Brauer  und  gegen 
die  Pest:  Ritter  mit  Palmen  lind 
Schwert.    26.  Aug. 

Aegidius,  ein  Athener  aus  könig- 
lichem Geschlecht,  6.  oder  8.  Jahrh. 
vorzüglich  in  England  und  Sehott- 
land verehrt:  Einsiedler  oder  Abt, 
eine  angeschossene  Hirschkuh  neben 
ihm.   1.  Sept. 

Afra,  Märtyrerin,  Fürsprecherin 
reuiger  Dirnen :  an  einen  Baum  ge- 
bunaen  und  von  Flammen  umgeben. 
304  oder  307.    25.  (7.)  August. 

Agatha,  Märtyrerin. Schutzheilige 
gegen  Krankheiten  der  Brüste  und 
gegen  Feuersgefahr:  mit  der  Zange 
(womit  ihr  che  Brüste  abgerissen 
wurden)  in  dem  Kohlenbecken.  251. 
5.  Febr. 

Aqnes,  Märtyrerin,  das  Sinnbild 
der  deckenlosen  Unschuld :  mit  dem 
Lamme,  als  dessen  Braut  sie  sich 
betrachtete,  um  300.    21.  Jan. 

Albanus ,  425  von  den  Hunnen 
auf  dem  Martinsberg  bei  Mainz  ent- 
hauptet: als  Priester  mit  dem  Schwert, 


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Heiligenverehrung. 


879 


trögt  seinen 


Kopf  in  der  Hand. 


iT)  und    der  Bettlerglocke,  vom 

21.  Juni.  Teufel  versucht,  ein  Schwein  neben 

Albertus  Magnus,  Bischof  von  sich.    361.    17.  Jan. 

Regensburg,  Dominikaner,  mit  Buch  Antonius   von   Padua,  Franzis- 

una   Feder   in    der  Hand.     1280.  kaner,  Patron  der  Fische,  Pferde 

seit  seiner  Beatification  1 622 : 1 5.  Xo v.  und  Esel :  Lilienstengel,  das  Christus» 

Atexnnder.  Unter  den  mehr  als  kind  haltend,  den  Fischen  predigend, 

30   Heiligen  dieses  Namens   wird  einem  knieenden  Esel  oder  Pferde 

der  Patron  von  Freiburg  i.  B..  ein  die  Hostie  vorhaltend.  1232.  13.  Juni. 

Kriegsmann  der  thebaischen  Legion,  Apollinaris,  Schüler  des  Apostels 

mit  dem  Opferaltar  zur  Seite  dar-  Paulus.  Bischof  von  Ravenna,  Patron 

gestellt,  den  er  in  Gegenwart  des  der  Geburt  und  ge^en  den  Stein: 

Kaisers  umgestossen.    26.  Aug.       ,  eine  Keule.    23.  Juli. 

Alexius,  siehe  den  besonderen  Apollonia,  Märtyrerin:  Palme  und 

Artikel:  Bettler  mit  Pilgerstab  neben  glühende  Zange,  womit  man  ihr  die 

einer  Kirche.    417.    17.  Juli.  Ziihne  ausriss,  Patronin  gegen  den 

Afoisius,  als  Jesuit,  mit  Lilie,  Zahnschmerz.    9.  Febr. 

Kruzifix   und  Rosenkranz  in  den  Arbogast,  Bischof  von  Strassburg, 

Händen.    1591.    21.  Juni.  rief  den  auf  der  Jagd  zertretenen 

Amalberga,   Prinzessin,   Mutter  fränkischen  Königssohn  ins  Leben 

der   hl.   Gudula,    7.  Jahrh.:    ein  zurück:    Einsiedler  mit  segnender 


Kirehenmodell  und  zwei  Fische  im 
Arm.    10.  Juli. 

Ambrosius,  Erzbischof  von  Mai- 
land, Kirchenlehrer,  Patron  der 
Gänse:  mit  einem  Bienenkorb  zur 
Seite  und  einer  Geisel  in  der  rechten 


Rechte,  die  Linke  hebt  den  am 
Jagdhorn  kenntlichen  Königssohn 
empor.    678.    21.  Juli. 

Athanasius,  Kirchenlehrer,  Patron 
der  Theologen:  hält  ein  Buch  oder 
ein  von  einem  oder  zwei  Pfeilen 


Rom: 


Hand.  397.  4.  April;  sein  Andenken,  durchbohrtes  Herz.    430.    2H.  Aug. 

Barbara.  Märtyrerin  um  240  oder 
303:  mit  dem  Schwert,  den  Hostien  - 
kelch  in  der  Hand,  weil  ihr  ein 
Engel  das  Sakrament  in  den  Kerker 
brachte,  einen  Gefängnisturm  neben 
sich.  Patronin  gegen  Blitz,  weil 
der  sie  verdammende  Richter  vom 
Blitz  erschlagen  wurde,  daher  auch 
der  Artillerie;  ihr  Bild  steht  an 


Ordinatio,  7.  Dez. 

Andreas,  siehe  Apostel. 

Anastasius,  Bischof  von 
eine  Axt.    401.    27.  April. 

Anna,  Mutter  der  Maria  und 
Tochter  des  Priesters  Matthan,  ver- 
heiratete sich  mit  dem  frommen 
Joachim  aus  dem  Stamm  Juda. 
Siehe  den  Art.  Marienkultus.  Sie 


ist  Schutzpatronin  der  Tischler  und  Zeughäusern  und  Pulverkammern. 
Stallknechte,  auch  gegen  Armut,  4.  Dez. 

zum  Wiederfinden  verlorener  Sachen.  Beatus,  durch  Petrus  zum  Priester 
Dargestellt  wird  sie  matronenhaft,  gemacht,  Einsiedler  am  Thuner  See: 
in  rotem  Unterkleid  und  grünem  in  einer  Höhle  als  Einsiedler,  neben 
Mantel,  die  Maria  auf  dem  Arme  ihm  ein  Drache, 
tragend,  häufig  selbdritt  {metter ria),  Benedikt  von  Nursia,  Stifter  des 
indem  Maria  selber  das  Christus-  nach  ihm  genannten  Ordens,  Patron 
kind  trügt.    26.  Juli.  gegen  Entzündung,  die  Rose  und 

Ansgarius,  Erzbischof  von  Harn-  das  Gift.  Abgebildet  als  Ordens- 
burg, Apostel  der  Dänen:  Bischof  mann,  langbärtig,  oft  als  Abt;  ausser- 
mit  verbrämtem  Kleid.  864.  3.  Febr.  dem  mit  Buch,  Weihwedel,  Dorn- 

Antonim  der  Einsiedler,  Patron  busch,oder,  als  Andeutung  der  gegen 
der  Schweine,  gegen  Pest,  Rose  u.  ihn  gerichteten  Vergiftungsversuche, 
dgl:   mit  dem  ägyptischen  Kreuz  mit  einem  Krug  oder  Becher  mit 


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380  Hciligeuverehruug. 


Wein  oder  einem  Raben  mit  einem  Burkhard,  Bisehof  von  Würz- 
Brot  im  Sehnabel.    543.    21.  Marz,  bin;*:   Hostie  in   der  Hand.  753. 

Bernhard,  von  Clairveaux,  Cister-  SS,  Febr. 
zienser-Abt  und  Kirchenlehrer,  ab-       Cacilia,  siehe  den  bes.  Artikel, 
gebildet  als  Abt,  den  Bienkorb  zur  220.    22.  Xov. 

Seite  \Doctor  mcllißuns).  ein  Buch  Cassia/tus,  Märtyrer,  der  vou 
mit  drei  Bischofsmützen  in  der  Hand  seinen  eigenen  Schulkindern  mit 
(weil  er  drei  Bistümer  ausschlug),  Schulwerkzeugen  gemartet  worden 
einen  Hund  neben  sich  (weil  seine  sein  soll.  13.  Aug. 
sehwangere  Mutter  träumte,  sie  trage  Cassius,  Ritter  der  Thebaisehen 
einen  Hund  mit  rotem  Rücken  i.  1153.  Legion:  tritt  auf  einen  Drachen. 
20.  Aug.  10.  Okt. 

Bemhardinus  von  Siena.  Stifter       Castor,  Sehüler  des  heil.  Maxi- 
des Ordens  der  Observantiner.  einer  mus  von  Trier,  4.  Jahrh.  rettet  ein 
Kongegration     der    Franziskaner:  sinkendes  Schiff.  13.  Febr. 
barfüs8igerFranziskanermönch,bart-       Christophorus.   siehe   den  bes. 
los,  hager,  in  der  Hand  eine  Tafel  Artikel.    25.  Juli, 
mit  den  von  goldenen  Strahlen  um-        Clara,   Stifterin  des  Clarissen- 
gebenen  Buchstaben  I  H  S.  oder  Ordens,  Patronin  der  Augen.-  mit 
einem  in  drei  Spitzen  auslaufenden  einer  Monstranz.    1253.   12.  Aug. 
Berg  isog.  Dreiberg,  monte  di  pietaj  Stifter  von  Bobbio:  eine 

mit  Kreuz  oder  eine  Fahne,  auf  hellstrahlende  Sonne  über  seinem 
der  der  tote  Heiland  abgebildet.  Haupte  i  einem  Traume  seiner  Mutter 
1444.    20.  Mai.  zufolge).    615.    21.  Xov. 

Benitcard,  Bischof  und  Patron        Consta ntin  d.  Gr.:  Labarorum  und 
von  Hildesheim,  halt  das  sog.  Bern-  Reichsapfel.    337.    21.  Mai. 
wardskreuz.    1022.    20.  Nov.  Corhinianus,  Bischof  von  Freisiug: 

Birgitta  oder  Brigitta,  siehe  den  ein  Bär,  den  er  gezwungen,  sein 
Art.  ßirgittenorden.  trägt  in  der  Reisebündel  nach  Rom  zu  tragen. 
Hand  ein  mit  einem  Kreuze  be-  730.   8.  Sept. 

zeiehnetes  Herz.    1373.    8.  Okt.  Cosmas  und  Damianus  Brüder, 

Blasius,  Märtyrer,  Bischof  von  Patrone  der  Ärzte.  Märtyrer,  3.  oder 
Sebasta,  Patron  der  Wollenweber  4.  Jahrb.:  Arzneigläser  und  chirur- 
und  gegen  Halsübel:  mit  einer  gische  Instrumente  tragend.  27.  Sept. 
Hechel  oder  einer  Kerze  (die  ihm  Crispinus  und  Crispinianus.  Mär- 
eine, für  die  Wiedererlangung  eines  tvrer,  mussten  als  Missionare  in 
Schweines  dankbare  Frau  in  den  (Pallien  ihren  Unterhalt  mit  Schuh- 
Kerker  brachte).    283.    3.  Febr.       machen    erwerben,    Patrone  der 

Bonifarius,   Apostel  des  Deut-  Schuster  und  Weber:  Sehuhmacher- 
schen:  ein  mit  einem  Schwerte  durch-  gerät.    303.    25.  Okt. 
stochenes  Buch.    750.    5.  Juni.  Cnnibert.  erster  Erzbischof  von 

Briccius,  um  400  Bischof  von  Köln:  als  Bischof  mit  einer  Taube 
Tours,  trägt  zum  Beweise  seiner  über  ihm.   663.    12.  Nov. 
Unschuld  an  der  Niederkunft  seiner       Dionysius  der  Areopaeit,  Schüler 
Wäscherin  glühende  Kohlen  im  Ge-  des  Apostels  Paulus,    Bischof  zu 
wände.    13,  Nov.  Athen:  trägt  als  Märtyrer  sein  ab- 

Bruno,  Mitglieder  des  Kartäuser-  geschlagenes  Haupt  in  der  Hand, 
ordens :  mit  über  die  Brust  gekreuz-  3.  Okt.  Er  wird  oft  mit  Dionysius, 
ten  Arm,  das  Haupt  gesenkt,  auch  dem  Bischof  von  Paris,  dem  Schutz- 
mit  Kruzifix,  Stern  auf  der  Brust,  patron  von  Frankreich  verwechselt, 
Erdkugel  unter  dem  Fuss.  1101.  dessen  Tag  der  9.  Oktober  ist. 
6.  Okt.  Distnas,  der  bußfertige  Schächer 


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381 


am  Kreuze  zur  Rechten  Jesu,  Patron 
der  zum  Tode  verurteilten  Ver- 
brecher; sein  Tag  fällt  mit  dem 
Feste  des  Leidens  Christi,  25.  März, 
zusammen. 

Dominieus,  Stifter  des  nach  ihm 
benannten  Ordens:  zufolge  eines 
Traumes  seiner  Mutter  mit  einem 
neben  ihn  befindlichen  weiss  und 
schwarz  gedeckten  Hunde  darge- 
stellt, der  eine  Fackel  im  Maule 
trägt.    1221.    6.  Aug. 

Donatus,  Bischof  von  Arezzo, 
Märtyrer:  mit  dem  Schwert,  zu- 
weilen ein  mit  Lichtern  bestecktes 
Rad  in  der  Hand  haltend.  350. 
7.  Aug. 

Dorothea,  Märtyrerin  unter  Dio- 
kletian: trägt  Blumen,  Rosen  und 
Früchte.   6.  Febr. 

Elisabeth i  Gemahlin  des  Land- 
grafen Ludwig  des  Frommen  von 
Thüringen:  Franziskanernonne  mit 
drei  Kronen  (  als  Jungfrau,  Gemahlin 
und  Wittwe);  trägt  Brote  in  einem 
Korbe  und  einen  Krug  mit  Wein 
für  die  Armen.  1231.  19.  Nov. 

Emmeran,  Bischof  von  Poitiers, 
Missionar  in  Bayern,  Bischof  von 
Freising:  Bischof  mit  Leiter  und 
Lanze.  654.  22.  Sept. 

Erasmus,  Bischof  unter  Diokle- 
tian, Patron  des  Unterleibes  und 
der  Fuhrleute:  eine  Winde  in  der 
Hand,  womit  ihm  die  Gedärme  aus 
dem  Leibe  gewunden  wurden.  3.  Juni. 

Eustachius,  römischer  Feldherr, 
vor  seiner  Bekehrung  Placidus  ge- 
nannt, Märtvrer,  Patron  der  Jäger: 
als  Ritter,  hält  ein  Hirschgeweih, 
oder  es  steht  ein  Hirsch  neben  ihm 
(weil  er  durch  den  Anblick  eines 
weissen  Hirsches,  der  ein  Kruzifix 
zwischen  den  Hörnern  trug,  auf  der 
Jagd  bekehrt  wurde).  Starb  um  119. 
21.  Mai. 

Etcald,  die  beiden  Brüder,  Mis- 
sionare und  Märtyrer  in  Westfalen, 
als  der  schwarze  und  der  weisse 
unterschieden,  dargestellt  als  Priester 
mit  Schwertern.   695.  30.  (3.)  Okt. 

Exuperantius,  Diakonus  zu  Assisi, 


Märtyrer,  Gefährte  der  heiligen  Ge- 
schwister Felis  und  Regula,  trägt 
sein  Haupt  in  der  HandT   30.  Dez. 

Fabian,  Papst  und  Märtvrer: 
mit  dem  Schwerte.  253.  20.  Jan. 

Felicitas,  Märtyrin  zusamt  ihren 
Söhnen,  die  sieben  Brüder  genannt : 
Matrone  mit  Palme  und  Kreuz- 
seepter.  160.  23.  Nov.  Der  Tag  der 
sieben  Brüder  ist  der  10.  Juli. 

Felix  und  Regula,  Geschwister, 
der  Bruder  Ritter  der  thebaischen 
Legion,  beide  tragen  ihr  abgeschlage- 
nes Haupt,  Patrone  von  Zürich. 
11.  SeDt 

J'iaes,  eine  Jungfrau,  welche 
zu  Athen  den  Märtyrertod  litt.  6.  Okt. 

Florentius,  kam  aus  Schottland 
nach  dem  Elsass,  starb  675  als 
Bischof  von  Strassburg:  von  Wild 
umgeben,  wobei  ein  Bär  die  Schafe 
hütet,  oder  eine  Königstochter  hei- 
lend. 7.  Nov. 

Florian,  Ritter  um  300,  schüttet 
aus  einem  Gefässe  Wasser  ins  Feuer 
(weil  ersieh  erboten,  freiwillig  durchs 
Feuer  zu  gehen),  wurde  zu  Lorch 
in  der  Enns  ertränkt,  Patron  von 
Österreich  und  Polen,  auch  gegen 
Feuersbrüuste  und  Unfruchtbarkeit. 
4.  Mai. 

Franciseus  von  Assisi:  Francis- 
kauermönch, einen  Lilienstengel  in 
der  Hand  und  mit  den  fünf  Wund- 
malen Christi  bezeichnet.  1226. 
4.  Okt. 

Fridolin,  Patron  von  Säckingen, 
Strassburg  und  Glarus:  erweckt 
einen  Toten.  540.  6.  März. 

Gallus:  Eremit,  den  Bären  zur 
Seite.  640.   16.  Okt. 

Ganaolf,  ein  burguudischer  Rit- 
ter, besonders  in  den  Niederlanden 
beliebt:  steht  au  einer  Quelle,  bei 
der  ihn  ein  mit  seiner  Frau  im  Ehe- 
bruche betroffener  Priester  mit  einem 
Wurfspiess  hinterrücks  tötet,  um 
760.  6.  Okt. 

Gebhard  von  Bregenz,  Bischof 
von  Constanz,  trägt  ein  Kirchen- 
modell. 983.  27.  Aug. 

Die  vier  Gekrönten,  Steinmetzen 


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382 


Heiligenverehruug. 


in  Paimonien,  über  dereu  Flutengrabe 
Kronen  erschienen,  Patrone  der 
Bauhütten.  Sie  heissen  Severus, 
Scverianus,  Ca  rjtophorus  und  Victo- 
rin us.    8.  Nov. 

Genovefa,  Nonne  zu  Paris  um 
500,  Patronin  gegen  Dürre:  hält  ein 
Licht  in  der  Hand  (weil  sie  die 
vom  Teufel  ausgelöschten  Kerzen 
in  der  Vigilie  ohne  Feuer  wieder 
anzündete).    3.  Jan. 

Genovefa  von  Brabant,  siehe  den 
bes.  Artikel;  dargestellt  mit  der 
Hirschkuh.    28.  Okt. 

Georg,  Patron  der  Kitter,  der 
Reisenden,  von  Deutschland:  Ritter 
zu  Pferde  oder  zu  Fuss,  den  Lind- 
wurm tötend,  siehe  den  bes.  Artikel. 
23.  April. 

Gereon,  Ritter  der  thebaischen 
Legion,  entrann  dem  Untergange 
der  Legion  und  fand  später  bei 
Köln  mit  seiner  hl.  Schaar  von  318 
Gefährten  den  Märtyrertod.  Patron 
von  Köln.    10.  Okt. 

Gertrud,  Tochter  Pipin's  von 
Landen,  Äbtissin  des  Klosters  Ni- 
vellas,  Beschützerin  der  Reisenden, 
der  Armen,  der  Gräber,  gegen  Rat- 
ten und  Mäuse:  hält  eine  Lilie  in 
der  Hand,  steht  von  Ratten  und 
Mäusen  umgeben  am  Wasser.  659. 
17.  März. 

Gervasius  und  Protasius,  Brüder 
und  Märtyrer,  Patrone  von  Mailand : 
Gervasius  mit  Keule  oder  Hammer. 
19.  Juni. 

Goar,  Priester  und  Eremit  zu 
Trier  um  580,  Patron  der  Töpfer: 
drei  Hindinnen  geben  ihm  Milch, 
womit  er  die  ihn  Gefangennehmen- 
den tränkte;  ein  Teufel  sitzt  auf 
seiner  Schulter,  hält  einen  Topf  in 
seiner  Hand,  sein  Hut  hängt  an 
einem  Sonnenstrahl.    6.  Juli. 

Godehard,  Bischof  von  Hildes- 
heim: Kirchenmodell.  1038.  5.  Mai. 

Gottfried  von  Kappenberg,  Rit- 
ter, dann  Prämonstratenser  Mönch, 
Gefahrte  des  heil.  Norbert:  trägt 
eine  Schüssel  mit  Broten  oder  ein 
Kirchenmodell.    1127.   13.  Jan. 


Gregor  der  Grosse,  Papst  und 
Kirchenlehrer:  eine  Taube  auf  der 
Schulter.  Im  Spätmittelalter  wurde 
namentlich  in  Miniaturen  und  Holz- 
schnitten die  Messe  Gregors  darge- 
stellt, eine  Vision,  wie  Gregor  als 
Bischof  der  Kirche  Porta  Crucis  in 
Rom,  umgeben  von  Geistlichen,  die 
Messe  liest;  da  einer  der  Zuhörer 
an  der  Gegenwart  Christi  zweifelt, 
senkt  sich  der  Gekreuzigte,  umgeben 
von  den  Passionswerkzeugen,  auf 
den  Altar  herab.  Mit  der  Verehrung 
dieser  Bilder  war  ein  Ablass  ver- 
knüpft.   604.    12.  März. 

Gudula,  Jungfrau  aus  Brabant. 
Tochter  der  heil.  Amalberga,  Patro- 
nin von  Brüssel:  eine  Lanze  in  der 
Hand.    8.  Jan. 

Beding,  Gemahlin  Herzogs  Hein- 
rich des  Bärtigen  von  Schlesien: 
Nonne,  barfuss,  ihre  Schuhe  in  der 
Hand  tragend.    1243.   15.  Okt. 

Heinrich  IL  römischer  Kaiser: 
ein  Kirchenmodell  haltend.  1024. 
13.  Juli. 

Helena,  Königin,  Mutter  Kon- 
stantin des  Grossen:  trägt  das  Kreuz 
Christi  und  die  Nägel.    18.  Aug. 

Hieronymus,  Kirchenlehrer:  als 
Kirchenvater  in  Kardinalstracht, 
oder  als  Übersetzer  und  Kommen- 
tator der  heil.  Schrift,  bisweilen  ein 
Engel  neben  ihm.  der  ilun  diktiert, 
und  sein  treuer  Gefährte,  der  Löwe; 
oder  als  büssender  Einsiedler.  420. 
30.  Sept. 

Hitdeqard  von  Frankreich,  Ge- 
mahlin Kurl-  des  Grossen,  Patronin 
der  Kranken:  als  Königin.  783. 
22.  Juli. 

Hubertus,  Bischof  von  Lüttich, 
Patron  der  Jager  und  gegen  Hunds- 
wut: hält  als  Jäger  zwei  Pfeile, 
neben  ihm  ein  Hirsch,  der  zwischen 
dem  Geweih  ein  Kruzifix  trägt,  durch 
dessen  Anblick  er  auf  der  Jagd  be- 
kehrt wurde.   727.    3.  Nov. 

Huacinthus,  Dominikaner  und 
Bischof,  Apostel  der  Polen  und 
Litthauer:  trägt  heilige  Geräte  und 
geht  auf  dem  Wasser.  1257.  15.  Aug. 


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Heiligenverehruiig. 


383 


Ignatius,  Bischof  von  Antiochia, 
unter  Trajan  in  Fesseln  nach  Rom 
geführt  und  den  Löwen  vorgewor- 
fen.   107.    1.  Febr. 

JtHtchim.  Vater  der  Maria:  trägt 
in  einem  Korb  ein  Paar  Tauben 
oder  ein  Lamm.  Sein  Fest  ist  das 
der  heil.  Anna. 

Johannes  Chrt/sostomus,  Kirchen- 
lehrer, Patron  gegen  fallende  Sucht: 
ein  Bienenkorb.    407.    27.  Jan. 

Johannes  der  laufet',  Patron  der 
Lämmer  uud  Schneider,  gegen  Hagel 
und  Epilepsie:  im  Gewände  aus 
Tierfellen,  trägt  das  Lamm  Gottes 
und  ein  Kreuzpanier.  Empfängnis 
24.  St-pt.;  Geburt  24.  Juni,  Mit- 
ßommer,  Sommersonnenwende;  Ent- 
hauptung 29.  Aug. 

Josejth,  der  Nährvater  Jesu,  trägt 
einen  Lilienstab,  arbeitet  als  Zim- 
mermann.   19.  März. 

11000  Jungfrauen,  siehe  Ursula. 

Karl  der  Grotte:  als  Kaiser,  eine 
Kirche  im  Arm.  814.  28.  Jan. 

Katharina  von  Alexandrien,  Prin- 
zessin, disputiert  mit  50  Philosophen, 
verlobt  sich  mit  dem  Christkind, 
enthauptet:  mit  einem  zerbrochenen, 
mit  Messern  besetzten  Kade  oder 
mit  dem  Schwert;  Patronin  der 
Philosphie  und  der  Schulen.  25.  Nov. 

Kilian,  Bischof  von  Würzburg, 
Apostel  der  Franken:  mit  Schwert 
und  Dolch.  689.  8.  Juli. 

Konrad,  Bischof  von  Konstanz, 
Patron  von  Schwaben:  Kelch  uud 
Buch.   976.   26.  Nov. 

Kümmerniss ,  oder  Wilgefortis 
wird  das  Bild  einer  bärtigen,  ge- 
kreuzigten Jungfrau  genannt,  welche 
mit  einer  heilv  Era  identisch  zu 
sein  scheint.  Öfter  sind  Kruzifixe 
des  älteren,  später  befremdlich  ge- 
wordenen Typus  (mit  bekleidetem 
Körper  des  jugendlichen  Christus 
ohne  Seitenwunde  und  Dornen- 
krone) als  Bilder  dieser  mythischen 
Heiligen  angesehen  worden.  Siehe 
den  Artikel  oei  Müller  und  Molhes. 

Kunigunde,  Gemahlin  Kaiser 
Heinrichs  II.  hält  eine  Pflugschar, 


weil  sie  zum  Beweise  ihrer  Keusch- 
heit unverletzt  über  glühende  Pflug- 
schare ging.    1033.    3.  März. 

Lamfjertus,  Bischof  von  Maest- 
richt:  Wurfspiesse.    708.    17.  Sept. 

Laurentius,  Märtyrer.  Patron 
gegen  Feuersbrünste:' der  Kost,  auf 
dem  er  gebraten  worden.  258. 10.  Aug. 

Leodegar,  Bischof  von  Antun: 
den  Bohrer  in  der  Hand  (womit 
ihm  die  Augen  ausgestochen  wur- 
den).   678.    2.  Okt. 

Leonhard .  Eremit  bei  Limoges, 
Patron  der  Kreissenden:  mit  einer 
Kette  um  den  Leib  (weil  er  die 
schuldlos  Gefangenen  befreite  I. 
6.  Nov. 

Leopold  IV..  Markgraf  von  Öster- 
reich: mit  Kirchenmodell.  1136. 
15.  Nov. 

Liborius,  Bischof  von  Maus  um 
340:  hält  ein  Buch,  worauf  einige 
Steinchen  liegen;  daneben  ein 
Pfau.  Patron  gegen  Steinschmerzeu. 
13.  Juli. 

Longin us,  der  Hauptmann  unter 
dem  Kreuze  Jesu:  in  Kitterrüstung, 
einen  Drachen  tötend.  15.  März. 

Lucia,  Märtyrerin  von  Svracus, 
Patronin  der  Augen  und  der  Bauern : 
trägt  in  eiuer  Schale  oder  auf  einem 
Buche  ihre  ausgestocheneu  Augen, 
am  Halse  eine  mit  eineui  Schwerte 
beigebrachte  Schnittwunde.  13.  Dez. 

Lucius,  König  von  Britannien, 
der  dem  Thron  entsagte  und  in 
Oberdeutschlaud  i  Chur)  als  Missionar 
auftrat:  Kitter  mit  königlichen  In- 
signien,  ein  Schwert  haltend.  3.  Dez. 

Ludger,  Bischof  von  Münster, 
Apostel  der  Sachseu:  liest  im  Brevier. 
809.    26.  März. 

Magdalena,  mit  einer  Salbbüchse, 
zuweilen  in  ihr  langes  Haupthaar 

fehüllt,  kniet  unter  dem  Kreuze 
esu,  häufig  kenntlich  an  ihrem 
weit  ausgeschnittenen  Kleid,  Patro- 
nin der  Büsseriunen.  29.  Juli;  Be- 
kehrung 1.  April. 

Magnus,  Schüler  des  heil.  Gal- 
lus, Stifter  des  Klosters  Füssen, 
eifriger  Vertilger  des  Heidentums 


■ 


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384 


Heiligenverchrung. 


und  der  reisseudeu  Tiere,  Patron 
gegen  Raunen  und  Engerlinge. 
Tötet  mit  dein  Kreuze  einen  Dra- 
chen.   655.    6.  S»pt. 

Marcellus,  Papst,  ursprünglich 
Stallknecht:  ein  Esel  an  einer  Krippe 
neben  ihm.    310.    16.  Jan. 

Margaretha ,  Tochter  de«*  Sara- 
ceuen  Theodosius,  Patronin  der  Ge- 
bärenden, Musterbild  weiblicher  Un- 
schuld und  Anmut,  denn  Lebende 
im  11.  Jahrh.  durch  Kreuzfahrer 
nach  Europa  gekommen;  sie  führt 
einen  gefesselten  Drachen  und  hält 
oft  Stab,  Kreuz  und  Schwert  in  der 
Hand.    12.  Juli. 

Margaretha  von  Ungarn,  Domini- 
kanerin, hält  in  der  Rechten  einen 
Marienstengel  mit  drei  Blüten.  1271. 
Js.  Jan. 

Marti,  t,  Bischof  von  Tours,  häufig 
als  Ritter  zu  Pferde,  teilt  seinen 
Mantel  mit  dem  Sehweite  einem 
vor  ihm  liegenden  Annen,  segnet 
drei  in  Leichentüchern  auf  Gräbern 
Sitzende.  Er  ist  Patron  der  Trinker 
und  Prasser  und  gegen  die  Pocken. 
Um  400.    11.  Nov. 

Jtfärtyrinnen ,  die  vier  grossen, 
sind  Lucia,  Agnes,  Agatha  und 
Cäcilia. 

Maternus,  Bischof  von  Trier, 
einer  der  72  Jünger  oder  der  von 
Christo  auferweckte  Jüngling  zu 
Nain,  Missionär  am  Rhein.  Patron 
des  Weinbaus.  Weil  am  Rhein 
drei  Erzstifte  entstanden  (Köln, 
Trier  und  Utrecht),  hält  er  eine 
Kirche  mit  drei  Türmen  oder  trägt 
drei  Bischofsmützen.    14.  Sept. 

Mauritius,  ein  Mohr,  Ritter,  eine 
Fahne  in  der  Hand,  Anführer  der 
thebaischen  Legion,  welche,  aus 
6666  Christen  bestehend,  weil  sie 
den  römischen  Göttern  nicht  opfern 
wollte,  bei  Agaunum  am  Genfer 
See  den  Märtyrertod  litt,  wobei  sich 
nur  wenige  retteten.  Er  ist  Patron 
gegen  das  Podagra.    22.  Sept. 

Medard us,  Bischof  von  Noyon, 
teilt  Almosen  aus,  drückt  seine 
Fussstapfen  in  einen  Stein,  ein  Adler 


schützt  ihn  vor  dem  Regen.  Um 
545.    8.  Juni. 

yieofans,  Bischof  von  Myra, 
Patron  der  Schiffer  und  Kanfleute, 
hält  ein  Buch  mit  6  Broten  (weil 
er  Myra  vor  Hungersnot  bewahrte), 
stillt  zu  Schiffe  Wind  und  Meer. 
6.  Dez. 

Sortiert,  Stifter  des  Prämon- 
stratenser  Ordens,  Erzbisehof  von 
Magdeburg,  hält  einen  Kelch,  an 
dem  oft  eine  Spinne  kriecht,  die  er 
im  Abendmahlswein  verschluckt  und 
ohne  Schaden  wieder  ausgeniest 
hatte.    1134.    6.  Mai. 

Sothuraa,  eine  nicht  genau  fest- 
gestellte Persönlichkeit,  vielleicht 
Verschmelzung  mehrerer  Personen; 
eine  schottische  Königstochter  des 
9.  Jahrh.,  die  an  den  Rhein  ver- 
trieben wurde,  ist  Patronin  der  Ge- 
bärenden.   26  Jan. 

SotheljW,  die  vierzehn,  haben 
vor  ihrem  Märtyrertod  Gott  gebeten, 
allen  Frommen,  die  in  ihrem  Na- 
men etwas  bitten,  das  Gebet  zu  er- 
hören. Sic  heissen  Georg,  Eras- 
mus, Pantaleon,  Dionysius.  Acha- 
tius  ,  Katharina ,  Blasius ,  Vitus, 
Christoph,  Cyriaeus,  Eustachius, 
Margaretha  und  Barbara.  28.  Juli. 

Oswald,  König  von  England, 
trägt  einen  Raben,  der  einen  Ring 
im  Schnabel  hält    642.    5.  Aug. 

Ottmar,  Abt  von  St.  Gallen: 
trägt  ein  Fässlein  mit  Wein,  das 
den  seinen  Leichnam  begleitenden 
Schiffsleutcn  nie  leer  wurde.  750. 
16.  Nov. 

Ottitia,  Tochter  des  Alainannen- 
herzogs Ethico,  Äbtissin  von  Hohen- 
burg, blind  geboren,  bei  der  Taufe 
durch  das  Gebet  ihres  bischöflichen 
Taufpaten  sehend  geworden:  trägt 
ein  aufgeschlagenes  Buch,  auf  des- 
sen Blättern  zwei  Augen  zu  sehen 
sind.  Patronin  gegen  Augenkrank- 
heiten.   720.    13.  Dez. 

Otto,  Bischof  von  Bamberg, 
Apostel  der  Pommern:  trägt  Pfeile, 
die  er  zu  Nägeln  umschmiedet  und 


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Heiligenverehrung. 


385 


1139. 


zum  Kirchenbau  verwendet. 
2.  Juli. 

PancraHus,  als  Knabe  von  13 
Jahren  Märtyrer  geworden:  Schwert. 
12.  Mai. 

Pantaleon,  Arzt  und  Märtyrer: 
an  einen  Baum  gebunden,  an  den 
die  Hände  über  dem  Kopfe  des 
Heiligen  mit  einem  Nagel  geheftet 
sind.    28.  Juli. 

Patroklus,  Märtyrer:  Ritter,  auf 
einen  Fisch  deutend,  der  eine  Perle 
im  Munde  trägt.   9.  Dez. 

Pelagius,  starb  13  Jahre  alt  den 
Märtyrertod:  die  Zange.   27.  Aug. 

Quirinus,  Bischof  von  Siscia  in 
Illvrien  und  Märtyrer,  Patron  gegen 
Gicht:  ein  Mühlstein  ist  ihm  an  aen 
Hals  gebunden  und  er  ins  Wasser  ■ 
gestürzt,  wobei  er  nicht  untersinkt. 
4.  Juni. 

Radegundis,  Königin  von  Frank- 
reich, später  Äbtissin  von  St.  Croix 
bei  Poitiers:  als  Nonne,  die  Königs«  j 
kröne  zu  Füssen.   587.    13.  Aug. 

Regina,  Märtyrerin :  sie  wird  ge- 
tröstet  durch  ein  am  Himmel  er- 
scheinendes goldenes  Kreuz,  auf 
welchem  eine  Taube  sitzt. 

Reinhold,  Mönch  zu  Köln,  Patron 
der  Steinmetzen:  mit  einem  Ham- 
mer in  der  Hand  (womit  ihm  die 
neidischen  Bauleute  den  Kopf  ein- 
sehlugen), oder  als  Ritter  mit  Hacke 
und  Schwert.    12.  Jan. 

Remigius,  Bischof  von  Rheims: 
eine  Taube  mit  dem  Salbölfläsch- 
chen  über  ihm.    Um  533.    1.  Okt. 

Rochus,  als  Pilger,  am  linken 
Schenkel  eine  Pestbeule,  einen  Hund 
neben  sich ,  Pestkranke  heilend. 
1327.    16.  Aug. 

Ru verfug,  Bischof  von  Salzburg: 
einen  Salzkübel  in  der  Hand.  718. 
27.  März. 

Die  sieben  Schläfer:  Maximi- 
anus  (mit  Knotenstock)  Malchus 
und  Martinianus  (mit  Beilen),  Dio- 
nysius (mit  einem  Nagel),  Johannes 
(mit  Keule),  Serapion  (mit  Fackel) 
und  Konstantinus  (mit  Keule)  wur- 
den auf  Befehl  des  Decius  in  einer 

Reallexieon  der  deutschen  Altertümer. 


Höhle  bei  Ephesus  lebendig  ein- 
gemauert und  schliefen  daselbst 
196  Jahre.  Sie  schliefen  ein  am 
27.  Juni  oder  Juli  und  erwachten 
am  11.  Aug. 

Scholastica,  Schwester  des  heil. 
Benedikt  :  ihre  Seele  fliegt  als  Taube 
gen  Himmel.    10.  Febr. 

Sebald,  ein  'seit  1072  auftauchen- 
der Nürnberger  Lokalheiliger,  soll 
ein  dänischer  Königssohn  gewesen 
sein,  welcher  als  Einsiedler  in  einem 
Walde  bei  Nürnberg  lebte  und  in 
Franken  das  Christentum  verkün- 
digte. Abgebildet  als  Eremit,  die 
Och  sen  als  weisende  Tiere  neben 
sich.    19.  Aug. 

Sebastian,  Patron  der  Schützen 
und  gegen  die  Pest,  leidet  nackt, 
an  einen  Baum  oder  Pfahl  gebun- 
den, von  vielen  Pfeilen  durchbohrt 
den  Märtyrertod.    20.  Jan. 

Servatius,  Bischof  von  Maestrich  t, 
4.  Jahrh.,  Patron  für  gutes  Gelingen: 
ein  Adler  weht  ihm  Luft  zu,  wäh- 
rend er  in  der  Sonnenhitze  schläft; 
hält  einen  Schlüssel  in  der  Hand. 
13.  Mai. 

Severin  us,  Eremit  in  Österreich, 
Patron  der  Leineweber:  als  Abt 
oder  Bischof,  dem  Volke  predigend. 
Um  482.    5.  oder  8.  Jan. 

Sigismund,  christlicher  König  des 
noch  neidnischen  Landes  Burgund: 
Schwert  in  der  Hand.  Patron  der 
Fieberkranken.    I.  Mai. 

Sixtus  II.,  Papst  und  Märtyrer: 
Almosenbeutel  oder  Schwert.  6.  Aug. 

Stanislaus,  Bischof  von  Krakau: 
mit  dem  Schwert,  öfter  von  einem 
durch  ihn  erweckten  Toten  begleitet. 
1079.    8.  Mai. 

Stevhanus,  Protomartyr,  Patron 
der  Pferde:  Martyrpalme,  Steine 
vor  sich  tragend.    26.  Dez. 

Sylvester,  Papst:  einen  Ochsen 
neben  sich  (den  er,  nachdem  ihn 
ein  Jude  durch  Zauberei  getötet, 
wieder  ledendig  gemacht  hatte).  985. 
31.  Dez. 

Thebaische  Legion,  siehe  Mau- 
ritius. 

25 


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380 


Heilige  Tiere. 


Therla,  Märtyrerin,  von  wilden 
Tieren  umgeben.    23.  Sept. 

Theohaid,  wurde  aus  Demut 
Schuhflicker  und  Lastträger:  trägt 
Schuhmachergerät.    1150.  29.  Jan. 

Theodor:  Heilige  dieses  Namens 
giebt  es  über  20. 

Thomas  Aquinas,  Kirchenlehrer: 
trägt  einen  Kelch,  der  heil.  Geist 
als  Taube  schwebt  an  seinem  Ohre 
oder  sitzt  auf  einem  von  dem  Hei- 
ligen gehaltenen  Lilienstengel.  1274. 
7.  März. 

Thomas  \Becket)  Cantuariensis, 
Erzbischof  von  Canterbury:  in  sei- 
nem Haupte  steckt  ein  Schwert. 
1170.    29.  Dez. 

Timotheus,  Schüler  des  Apostel 
Paulus,  Bischof  von  Ephesus:  Keule 
und  Steine.    24.  Jan. 

11  rieh,  Bischof  von  Augsburg: 
hält  einen  Fisch  in  der  Hand  (weil 
er  in  deu  Fasten  Fleisch  in  Fisch 
verwandeltet.    973.    4.  Juli. 

Urban  /.,  Papst:  mit  dem  Schwert. 
230.    25.  Mai. 

Ursula,  eine  britische  Königs- 
tochter: mit  dem  Pfeile.  Von  ihrem 
himmlischen  Bräutigam  Aetherius 
geleitet,  ist  .sie  die  Führerin  der 
11000  Jungfrauen,  mit  denen  sie  zu 
Schiffe  nach  Gallien,  sodann  den 
Rhein  hinauf  über  Köln  nach  Basel 
und  nun  zu  Fusse  nach  Italien  zog, 
wo  sie  vom  Papst  Cyriacus  mit 
ihren  Gefährten  nach  Deutschland 
zurückbegleitet  wurde ;  in  Köln  ge- 
riet das  Schiff  in  die  Gewalt  aer 
Hunnen,  und  alle  fielen  als  Mär- 
tyrer.   21.  Okt. 

Yalentinus,  römischer  Priester, 
Patron  gegen  Pest  und  Epilepsie: 
mit  dem  Schwert.    14.  Febr. 

Veroniea,  hält  das  Schweisstuch-, 
siehe  den  bes.  Artikel.    4.  Febr. 

Victor,  Heilige  dieses  Namens 
zäldt  man  etwa  25  auf,  am  bekann- 
testen ist  ein  Ritter  der  thebaischen 
Legion.    10.  Okt. 

Virgilius,  Bischof  von  Salzburg, 
Patron*  und  Apostel  von  Kärnthen 


und  Steiermark,  hält  das  Modell 
einer  Kirche.    780.    27.  Nov. 

Vitus,  ein  Kind,  mit  einem  Hahne 
oder  einem  Wolfe;  Patron 
den  Veitstanz.  .15.  Juni. 

Walmirgis,  Äbtissin  von  Heiden- 
heim: drei  Kornähren  oder  ein  Öl- 
tläschchen  in  der  Hand.  Um  760. 
25.  Febr. 

Wenzel,  Herzog  von  Böhmen: 
Ritter  mit  königlichen  Abzeichen 
und  dem  Schwert.    929.    28.  Sept. 

Willehad,  Bischof  und  Patron 
von  Bremen:  Götterbilder  umstür- 
zend.   789.    8.  Nov. 

Willibald,  Bischof  von  Eichstädt : 
auf  der  Brust  das  Rationale  mit  den 
Worten  Spes.  Fides.  Charitas.  Um 
786.    7.  Juli. 

Willibrod,  Bischof  von  Utrecht, 
Apostel  der  Friesen :  trägt  ein  Kind. 
Um  740.   7.  Nov. 

Wolfgang,  Bischof  von  Regena- 
burg:  eine  Kirche  zur  Seite,  auch 
mit  kurzem  Beil.    994.    31.  Okt. 

Heilige  Tiere.  Noch  häufiger 
als  von  heiligen  Bäumen  ist  von 
heiligen  Tieren  die  Rede;  schliesseu 
sie  sich  doch  enger  an  die  mensch- 
lichen Verhältnisse  an  als  die  stumme 
Natur.  Das  Tier  stand  entweder 
in  Bezug  zu  einzelnen  Göttern,  ge- 
wis8erma8sen  in  deren  Dienst  <so 
gehörte  der  Eber  zu  Fro,  der  Wolf 
und  Rabe  zu  Wuotan) ;  oder  es  liegen 
Vcrwamllungen  göttlicher  Wesen  in 
Tiergestalt  dem  Kultus  zu  Grunde, 
derentwegen  nun  die  ganze  Gattung 
in  höherer  Ehre  bleibt;  oder  es  wird 
ein  Mensch  zur  Strafe  für  irgend 
,  ein  Vergehen  in  Tiergestalt  ver- 
wandelt und  so  der  inorgenländische 
Glaube  au  eine 
wenigstens  gestreift.  Die 
vom  Kuckuck,  Specht  und  der  Nach 
tigall  z.  B.  gewähren  eine  Fülle  von 
schönen  Sagen,  die  oft  in  den  Hel- 
denkultus eingreift. 

Obenan  steht  das  Pferd,  Wie 
noch  heute  bei  den  Söhnen  der 
Steppen  uud  Wüsten,  so  gehörte  es 
bei  den  alten  Deutschen  recht  eigent- 


Seelenwanderung 
Mythe 


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Heilige  Tiere. 


387 


lieh  zur  Familie,  war  Wodans  hei-  geöffnetem  Raeheu  uach  der  Seite 

liges  Tier,  ja  Opfertier,  bei  welcher  hinschauend,  von  der  die  Gefahr  zu 

Gelegenheit  sein  Fleisch  auch  ge-  erwarten  stand.    Bekannt  ist  das 

nossen  wurde.  Daneben  war  es  dem  redende  Haupt  der  treuen  Falanda 

Frcyr  geheiligt  und  wurde  in  dem  im  Märchen.   Der  Pferdekultus  war 

geweihten  Umkreis  seiner  Tempel  den  Gelten,  Deutschen  und  Slaveu 

unterhalten.  Wie  Helden  nach  ihrem  in  gleicher  Weise  ei^eu  und  hat 


Pferde  Hengest,  Hors.  heissen,  so 
erhält  es  einen  Eigennamen  gleich 
dem  Menschen.  In  der  nordischen 
Mythologie  ist  beinahe  jedem  Gott 
sein  besonderes,  mit  Wunderkräften 
ausgestattetes  Pferd  zugewiesen. 
Odins  Ross  hiess  Sleipnir;  es  war 
gleich  Riesen  und  Helden  achtfüssig. 
Die  Zucht  reiner  und  geweihter 
Rosse  diente  zu  heiligen  Gebräuchen, 
namentlich  zu  Opfern,  Weissagungen 
und  für  den  Umzug  der  Götter- 
wagen. Ihre  Mähnen  wurden  sorg- 
sam genährt,  gepflegt  und  ge- 
schmückt, wie  die  Benennung  Faxi 
(jubatus,  comatus,  ahd.  vahsoj  an- 
zeigt: vermutlich  wand  oder  flocht 
man  Gold,  Silber  und  Bänder  in 


sich  als  Hokuspokus  in  mancherlei 
Gestalt  bis  auf  den  heutigen  Tag 
erhalten. 

Auch  Rinder  wurden  nicht  selten 
geopfert,  galten  also  unzweifelhaft 
als  heilige  Tiere.  Sie  zogen  noch 
im  späteren  Mittelalter  die  Kriegs- 
wagen. Der  fränkische  Kriegswagen 
wurde  mit  Stieren  bespannt.  Die 
Kuh  scheint  zwar  fast  allerorten 
dem  Stiere  vorgezogen  worden  zu 
sein.  Opferrinder  wurden  ebenfalls 
mit  Gold  geschmückt  und  zwar  an 
dem  Gehörn. 

Eber  und  Bock  waren  ebenfalls 
heilige  Opfertiere,  der  Eber  dem 
Freyr,  Böcke  und  Ziegen  dem  Thorr 
gewidmet,  wie  sie  noch  jetzt  für 


die  Locken  (Chdlfaxi,  Skinßixi).  j  Tcufelsgetier  gelten.  Dem  göttlichen 
Unter  allen  Farben  galt  die  weisse  Eber  aber  erilt  wohl  Notkers  Lied : 
für  die  edelste;  auch  Könige  zogen 
auf  weissen  Rossen  ein  und  belehn- 
ten auf  weissen  Rossen  sitzend.  Des 
weissen  Rosses  gedenken  die  Weis- 
tümer  auch:  Wenn  eine  Erbschaft 
ledig  liegt,  so  soll  der  Vogt  auf 
einem  weissen  Fohlen  sitzend,  einen 
Mann  vor,  den  anderen  hinter  sich 
setzen  und  einen  davon  auf  das 
Erbe  herablassen.  Da«  Fohlen  galt 
für  noch  edler  und  reiner  als  ein 
Ross.  Kriegern  galt  das  Wiehern 
(ahd.  hueion,  mhd.  iceien,  mnl.  neien, 
altn.  hneggja,  schw.  gnagga)  als  ein 
Vorzeichen  des  Sieges;  enthielten 
sich  aber  die  Pferde  des  lustigen 
Wieherns,  so  deutete  das  eine  sichere 
Niederlage  an.  Und  wie  in  Mimirs 
abgehauenem  Haupte  seine  Klugheit 
fortdauerte,  scheint  das  Heidentum 
mit  abgeschnittenen,  aufgerichteten 
Pferdehäuptern  vielfachen  Zauber 
getrieben  zu  haben.  Sie  wurden 
zur  Abwehr  alles  Bösen  auf  die 


Hausgiebel  befestigt ,  oft  mit  weit-  Herausforderung. 


Eber  aber  gilt  wohl  Notkers 

imo  sint  fuoze  J'uodermäze, 
imo  sint  bürste  ebenhö  forste, 
unde  zene  sine  zuelifelnige. 

(Seine  Borsten  ragen  hoch  wie  der 
Wald,  seine  Hauer  sind  zwölf  Ellen 
lang.)  Einen  Gruud  der  Heilig- 
haltung des  Ebers  will  man  darin 
linden,  dass  er  die  Erde  aufwühlt 
und  die  Menschen  von  ihm  das 
Pflügen  gelerut  haben.  —  Opferbar 
waren  nur  die  Haustiere,  doch  auch 
unter  diesen  z.  B.  der  Hund  nicht. 
Er  ist  wohl  ein  treues  und  kluges 
Tier,  er  ist  auch  geistersichtig,  d.  h. 
er  erkennt  die  Götter  und  Geister, 
bevor  sie  dem  menschlichen  Auge 
sichtbar  werden,  und  kündet  diese 
durch  seine  Stimme  an,  aber  er  ist 
doch  ein  unedles,  unreines  Tier, 
weswegen  die  Benennung  ,,Hund*' 
für  den  Menschen  ein  arger  Schimpf 
ist  und  die  Überschickung  des  räu- 
digen Hundes  eine  unzweideutige 


25' 


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388 


Heüige  Tiere. 


Eigentlich  heilige  Tiere  waren 
die  Waldtiere  nicht,  doch  wurden 
viele  unter  ihnen  mit  Scheu  verehrt, 
vor  allen  Bär,  Wolf  und  Fuchs. 
Der  erstgenannte  galt  als  der  König 
der  Tiere.  Biörn  war  ein  Beiname 
des  Thorr,  und  nach  der  welschen 
Sage  wurde  König  Artur  ab  Bär 
und  Gott  dargestellt.  Der  Bär  am 
Himmel  wird  häufig  genannt.  Es 
ist  nicht  zu  übersehen,  dass  einzelne 
Tierfabeln  in  menschliche  Mvthen 
verwandelt  wurden  oder  umgekehrt, 
z.  B.  die  Rolle  des  Bären  oder 
Fuchses  auf  einen  Riesen  oder  Teufel 
übergeht.  So  findet  sich  die  esth- 
nische  Erzählung  von  dem  Mann, 
der  mit  dem  Bären  Rüben  und  Haber 
auf  dem  Acker  baut,  anderwärts  von 
dem  Teufel.  Zwei  Wölfe,  Geri  und 
Freki,  waren  dem  Odin  heilig,  ihnen 
gab  er  zu  fressen,  was  ihm  an  Speise 
vorgesetzt  wurde,  sie  waren  gleich- 
sam des  Gottes  Hunde.  Ein  Sohn 
des  Loki,  der  Fenrisülfr,  tritt  in 
Wolfgestalt  unter  den  Göttern  auf; 
überhaupt  kennt  unser  Altertum 
keine  häufigere  Verwandlung,  als 
die  der  Menschen  in  Wölfe  (Wer- 
wölfe).  Bär  und  Wolf  sind  häufig 
in  Wappen  aufgenommen,  leben 
aber  noch  weit  häufiger  fort  in 
unseren  Geschlechtsnamen,  während 
der  Fuchs  fast  ausschliesslich  auf 
die  Rollen  des  Schlaukopfes  in  Fabel 
und  Märchen  angewiesen  ist. 

Der  Wagen  der  Freyja  war  nach 
der  Sage  mit  zwei  Katzen  bespannt; 
da  aber  altn.  fres  nicht  bloss  Kater, 
sondern  auch  Bär  bedeutet,  hat  man 
neulich  gar  nicht  uneben  behauptet, 
kottum  Könne  aus  fressum  ent- 
sprungen sein  und  der  Göttin  statt 
des  Katzengespanns  ein  Bärgespann 
zugehören,  wie  Cybeles  W  agen 
Löwen  zogen.  Katzen  und  Wiesel 
gelten  übrigens  für  kluge,  zauber- 
kundige Tiere,  die  man  schützen 


Noch  vertrauter  lebte  das  Alter- 
tum mit  den  llx/eln,  die  vermöge 
ihrer  grossen  Beweglichkeit  leicht 


geisterhafter  erscheinen  konnten  als 
die  Säugetiere.  Mit  Konispenden 
wurden  die  kleineren  unter  ihnen 
geneigt  gemacht,  dass  sie  den  Fluren 
nicht  schaden  sollten.  Götter  und 
Göttinnen  pflegten  sich  nach  Belieben 
in  Vögel  zu  verwandeln,  aber  auch 
den  Riesen  war  diese  Gabe  eigen. 
Tarapita,  der  esthnische  Gott,  fliegt 
von  einer  Stätte  zur  anderen.  Die 
griechischen  Götter  sind  geflügelt, 
wie  die  jüdischen  Engel  und  die 
altdeutschen  Jungfrauen  (Schwan- 
flügel). Nordische  Götter  und  Riesen 
tragen  ein  Adlerkleid  (arnarham), 
Göttinnen  ein  Falkenkleid  (calsham). 
Der  Wind  wird  als  Riese  und  Adler 
dargestellt. 

Dass  Haus vögel  als  Opfer  ge- 
dient hätten,  ist  wenig  bekannt. 
Dagegen  wurden  mit  Vorfiebe  Hähne 
auf  heilige  Bäume  gesetzt,  und  mög- 
lich ist,  dass  die  christlichen  Glau- 
bensboten aus  Schonung  für  diesen 
heidnischen  Brauch  auch  dem  ver- 
goldeten Hahne,  dem  Sinnbild  der 
Wachsamkeit,  ein  Plätzchen  auf 
unseren  Kirchtürmen  eingeräumt 
Ekkehard  erzählt,  wie  die  Hunnen 
den  Hahn  auf  dem  Kloster  St.  Gallen 
gefurchtet  als  die  Gottheit  des  Ortes. 

Der  Adler  ist  der  König  der 
Vögel,  Bote  des  Zeus;  der  Rabe  ist 
Wolf  und  Fuchs  unter  den  gefieder- 
ten Geschöpfen,  er  besitzt  die  Fress- 

g'er  des  einen  und  zugleich  die 
lugheit  des  anderen.  Zwei  Raben 
(wie  zwei  Wölfe)  sind  Odins  Beglei- 
ter; sie  bringen  ihm  Kundschaft  von 
allen  Ereignissen.  Raben  sind  auch  die 
Begleiter  des  heiligen  Gregor,  wie 
des  heiligen  Meinrad,  dessen  Mörder 
sie  als  Anklager  verfolgen.  Sie  sind 
hauptsächlich  redende  Vögel,  wie 
denn  die  Vögel  überhaupt  ihre  eigene 
Sprache  haben,  die  der  Mensch  da- 
durch verstehen  lernt,  dass  er  eine 
weisse  Schlange  isst.  Schwalben  zu 
töten  bringt  Unheil;  ihre  Nester 
darf  man  nicht  berühren.  Die  my- 
thische Eigenheit  des  Schwans  be- 
kundet die  Sage  von  den  Schwanjung- 


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Heilige  Tiere. 


389 


frauen  und  des  sterbenden  Tieres 
Gesang.  Der  Storch  wurde  eben- 
falls verehrt,  wie  er  noch  heute, 
trotz  des  abschätzenden  Urteils  der 
Naturforscher,  dem  Volke  mehr  gilt, 
als  er  verdienen  mag.  Nach  frie- 
sischem Volksglauben  treten  Wand- 
lungen des  Storchs  in  Mensch  und 
des  Menschen  in  Storch  ein.  Der 
Specht  wurde  besonders  von  den 
Kömern  geehrt,  doch  auch  die 
Deutschen  kannten  den  Beovulf 
(Bienenwolf,  d.  i.  Specht)  wohl  und 
in  Norwegen  heisst  der  rothaubige 
Schwarzspecht  Gertrudsvogel ,  da  er 
die  verwünschte  Bäckerin  Gertrud 
ist ,  die  den  hungrigen  Herrn  trotz 
des  Segens,  der  in  ihrem  Kuchen- 
berg sich  zeigte,  mit  leerer  Hand 
von  der  Thüre  wies.  Eine  Spur 
des  EhterkuLtvß  dauert  noch  in 
Poitou  fort,  wo  man  ihr  zu  Ehren 
auf  den  Gipfel  eines  hohen  Baumes 
einen  Strauss  von  Heide  und  Lor- 
beer bindet,  weil  sie  durch  ihr  Ge- 
schrei den  Leuten  das  Nahen  des 
Wolfes  verkündet.  In  altböhmischen 
Liedern  ist  der  Sperber  ein  heiliger 
Vogel  und  wird  im  Götterhain  ge- 
hegt. Auf  den  Ästen  der  Eiche, 
die  aus  dem  Grabe  des  Erschlage- 
nen spricsst,  sitzen  heilige  Sperber! 
und  verkünden  geschehenen  Mord. 

Als  sonderbarster  unter  den 
Vögeln  gilt  der  Kuckuck.  Er  ist  ein 
Prophet,  der  nicht  nur  heiratslustigen 
Leuten  angiebt,  wie  lange  sie  noch 
ledig  bleiben  müssen,  er  weiss  auch, 
wie  lange  ein  jedes  noch  leben  darf 
und  zeigt  durch  seinen  Ruf  die 
puten  und  bösen  Zeitläufe  an.  Bald 
ist  er  ein  verwünschter  Bäckerknecht, 
der  zur  Strafe  für  seinen  Geiz  die 
Welt  durchirrt  und  weissagt,  dabei 
aber  die  Leute  oft  narrt:  bald  ist 
er  ein  Ehebrecher,  der  Unfrieden 
zu  säen  bemüht  ist;  bald  ist  er  gar 
der  Teufel  selbst;  in  Polen  aber  ist 
er  ein  verwandelter  Gott,  wie  er  in 
Sachsen  „Kuckuck  vam  Häven' 1 
(vom  Himmel?)  heisst.  Gauch  ist 
auch  gleichbedeutend  mit  Narr,  da- 


her die  Redensarten:  Ich  tumber 
Gauch:  tumber  denn  ein  Gauch;  der 
freite  Gauches  Houbet.  Dass  aber 
dem  Kuckuck  allerlei  Spuk  zuge- 
traut wird,  beweist  das  vielfache 
Vorkommen  seines  Namens  als: 
Gauchsberg,  Guggisberg,  Göcker- 
liberg,  Kuckucksspeichel,  Kuckucks- 
brot, Gauchlauch,  Kuckucksblume, 
Gauchheil  etc. 

Von  den  kleinen  Singvögeln  ist 
die  Xaehtigall  noch  besonders  zu 
nennen,  die  im  Minnesang  grosse 
Verherrlichung  findet.  Der  Mythus, 
dass  sie  ihre  totgeborenen  Kinder 
lebendig  siuge,scheintnicht  deutschen 
Ursprunges  zu  sein.  Der  Zaun- 
könig lebt  ebenfalls  im  Märchen 
fort,  doch  in  grösserem  Ansehen  der 
Heiligkeit  scheinen  besonders  noch 
Rotkehlchen  und  Meise  gestanden 
zu  haben.  Ersteres  gewiihrt  dem 
Hause  jeglichen  Schutz  und  steht 
im  Rufe,  dass  es  Blumen  und  Blätter 
auf  das  Gesicht  der  Erschlagenen 
trage,  die  auf  freiem  Felde  oder  im 
Walde  liegen.  Die  Meise  aber,  ahd. 
me'vsu,  ags.  mfae,  nnl.  mfze,  genoss 
in  den  Weistümern  eines  Schutzes, 
der  offenbar  von  einer  hohen  Heilig- 
haltung des  Vogels  zeugt:  Wer  oa 
fehet  em  Bermeisen,  der  sal  geben 
ein  koppechte  Hennen  und  zwelf 
Hunkeln  und  sechzig  Schillig  Pfennig 
und  einen  Helbehng.  Wer  eine 
Kohlmeise  fienge  mit  Limen  oder 
mit  Slagegarn,  der  sal  unserme  Herrn 
geben  eine  falbe  Heune  mit  sieben 
Hunkeln.  Wer  ein  Sterzmeise  fahet, 
der  ist  um  Leib  und  Guet  und  in 
unsers  Herrn  Ungnad. 

Die  Schlange  erscheint  als  ein 
heilbringendes,  unverletzliches  Tier 
und  vollkommen  für  den  heidnischen 
Kultus  geeignet.  An  den  Heilbrunnen 
lagen  Schlangen,  und  den  Stab  des 
Asklcpios  umwand  eine  solche.  Für 
Potriinpos  unterhielten  die  alten 
Preussen  eine  grosse  Schlange,  und 
die  Priester  hüteten  sie  sorgsam, 
betteten  sie  in  Kornähren  und  nähr- 
ten sie  mit  Milch.   Bei  den  Letten 


390 


Heilige  Tiere. 


heissen  die  Schlangen  Milchmütter 
(veene  mähten),  stehen  unter  dorn 
Schutz  einer  höheren  Göttin,  der 
Brehkia,  welche  den  Eintretenden 
zuschrie,  man  soll  ihre  peene  mahtes 
ungestört  im  Hause  lassen.  Auch 
die  Litthauer  verehrten  Schlangen, 
hegten  sie  im  Haus  und  brachten 
ihnen  Opfer.  Der  ägyptische  Schlan- 
^endienst  ist  aus  der  Geschichte  des 
israelitischen  Volkes  bekannt.  Fast 
die  ganze  Heidenwelt  scheint  den 
Schlangenkultus  zu  kennen,  während 
in  der  Christenheit  der  Begriff  böser, 
teuflischer  Schlangen  vorwaltet ; 
während  dort  die  Schlange  ein  ver- 
wandelter Mensch  ist,  spricht  hier 
aus  ihr  der  tückische  Verführer. 
Die  langobardische  Sage  erzählt 
vom  Kampf  eines  feuerspeienden 
Tierleins  mit  einem  Löwen  und 
Wolfdietrich : 

Nun  höret  durch  ein  Wunder,  wie 
das  Tierlein  ist  genannt, 

Es  heisst  zu  welsch  ein  Zunder, 
zu  tcutsch  ein  sarihant, 

In  Sittenland  nach  Ehren  ist  es 
ein  vipper  genannt. 

(Unter  Sittenland  wird  wahrschein- 
lich derKanton  Wallis  gemeint  sein.) 
Im  weiteren  Verlauf  des  Liedes  er- 
fährt man,  dass  immer  nur  zwei 
solcher  Vipern  lebten,  indem  die 
jungen  bala  nach  der  Geburt  ihre 
Eltern  auffrassen.  Im  Jura  heisst 
eine  geflügelte  unsterbliche  Schlange 
mit  diamantenem  Auge  vouiver  (rt- 
pera).  Von  Hausscnlan^en  und 
Unken  gehen  noch  jetzt  viele  Über- 
lieferungen. Aufwiesen  und  Weiden, 
sogar  in  die  Häuser  kommen  Schlan- 

Sen  zu  einsamen  Kindern,  trinken 
lilch  aus  der  Schüssel,  wobei  sie, 
wie  beim  Baden,  die  Goldkronen 
auf  die  Erde  niederlegen.  Die  Kronen 
dürfen  aber  niemals  entwendet  wer- 
den, denn  das  brächte  dem  Hause 
grosses  Unglück;  auch  darf  man 
die  Schlangen  nicht  töten,  sonst 
stirbt  ihr  Schützling,  das  Kind,  und 
schwindet    unwiederbringlich  der 


Reichtum  in  Haus  und  Stall,  Hof 
und  Feld.  Wer  aber  ein  Ottern- 
krönlein  findet  und  bei  sich  trägt, 
der  wird  dadurch  unsichtbar  und  in 
der  Folge  steinreich. 

Der  Drache,  lat.  draco,  ahd. 
traccho,  ags.  draca,  altn.  dreli,  in 
der  Edda  ormr,  angelsächs.  tyrm, 
ahd.  wurm,  got.  yaürms,  ißt  eine 
geflügelte  Schlange.  Der  Drache, 
welcher  Krimhild  gefangen  hält  auf 
dem  Drachenstein,  Kommt  durch  die 
Luft  gefahren,  der  andere,  den  Sieg- 
fried, vom  Schmied  ausgesanut, 
früher  tötete,  liegt  unfliegend  an 
einer  Linde.  Dies  war  der  eddische 
Fäfnir,  ein  Mensch,  der  Wurrage- 
stalt  angenommen  hatte,  im  Sieg- 
friedslied linfwurm,  sonst  auch  lint- 
drache  und  heidewurm  genannt  Mit 
lint  sind  viele  Frauennamen  gebildet, 
z.  B.  Sigilint,  und  es  könnte  wahr- 
scheinlich diese  Benennung  auch  für 
den  Drachen  den  Begriff  von  Glanz 
und  Schönheit  enthalten.  Das  Alter- 
tum hatte  allgemein  die  Vor- 
stellung, dass  Drachen  auf  weichem 
Golde  liegen  und  davon  leuchten. 
Diese  Schätze  bewachen  sie  und 
tragen  sie  nachts  durch  die  Lüfte. 
Das  Gold  heisst  wurmbett.  Drachen 
sind  geizig,  neidisch,  giftig  und 
flammenspeiend,  sie  haben  ihre  heim- 
wist  in  einem  Thale,  werfen  Rauch, 
Flammen  und  Wind  und  speien 
Feuer  und  Eiter,  Amt  der  Helden 
war  es  nun,  wie  die  Riesen,  so  die 

fewissermassen  damit  identischen 
>racheu  auf  der  Welt  auszutilgen. 
Thorr  selbst  bekämpfte  den  unge- 
heuren midgardsorm  und  Siegmund, 
Siegfried,  Beovulf  stehen  als  tapferste 
Drachenüberwinder  da.  Ihnen  ge- 
sellt sich  eine  Menge  anderer,  wie 
sie  nach  Zeit  und  Ort  allenthalben 
aus  dem  Schosse  lebensvoller  Sagen 
erstehen.  Der  schönen  Thora  Bor- 
garhiörtr  wurde  ein  kleiner  lyngormr 
geschenkt,  den  sie  in  ein  Kästchen 
auf  Gold  bettete.  Wie  er  wuchs, 
wuchs  auch  das  Gold,  sodass  die 
Kiste  zu  eng  wurde  und  der  Wurui 


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I 


Heinrich,  armer.  —  Heiraten  und  Hochzeiten.  391 


sich  im  Kreis  um  die  Kiste  legte; 
bald  war  kein  Raum  mehr  in  dem 
Zimmer,  er  legte  sich  um  das  Zim- 
mer und  nahm  den  Schwanz  in  den 
Mund.  Niemand  liess  er  in  das 
Gemach  als  den  Wärter,  der  ihm 
zu  jeder  Mahlzeit  einen  Ochsen 
brachte.  Nun  wurde  bekannt  ge- 
macht, wer  ihn  erlege,  solle  die 
Jungfrau  zur  Braut  una  soviel  Gold, 
als  unter  dem  Praehen  lag,  zur  Aus- 
steuer empfangen.  Diesen  Drachen 
überwand  Ragnar  Lodbrok. 

Ausser  dem  Goldeshort  aber,  den 
die  Helden  als  Beute  davontragen, 
entspringen  noch  andere  Vorteile 
aus  dem  Sieg;  der  Genuss  des 
Drachenherzens  bringt  Kunde  der 
Tiersprache  und  das  Bestreichen 
mit  dem  Blut  härtet  die  Haut  gegen 
alle  Verletzung. 

Sogar  einige  Spuren  von  Käfer- 
kultu*  sind  vorhanden.  Wir  nennen 
den  Donnermgi  in  unverkennbarem 
Bezug  auf  Donar,  dann  den  Gold- 
und  Kosskäfer,  die  wie  die  Drachen 
als  heilige  und  selbst  goldene  Tiere 
Schätze  bewachen,  vor  allen  aber 
das  Marienkäferchen,  auch  Gottes- 
kühlein,  Gotteskalb,  Herrgottskalb, 
Marienkälblein  genannt.  Alt  muss 
das  Kinderliedchen  sein: 

Marienkäferchen,  flieg'  aus: 

Dein  Häuschen  brennt, 

Dein  Mütterchen  flennt, 
Dein  Väterchen  sitzt  auf  d<*r  Schwelle. 
Flieg  im  Himmel  aus  der  Hölle. 

Aus  der  Klasse  der  wirbellosen 
Tiere  sind  ferner  einzig  noch  die 
Bienen  zu  nennen,  die  noch  aus  dem 
goldenen  Zeitalter,  aus  dem  ver- 
loren gegangenen  Paradies  übrig 
geblieben  sind.  Der  lautere,  süsse 
Honig,  den  die  Bienen  aus  allen 
Blüten  saugen,  ist  Hauptbestandteil 
des  Göttertranke,  heiliger  Honig  die 
erste  Speise,  die  des  eingeborenen 
Kindes  Lippe  berührt.  Grimm,  My- 
thologie. 

Heinrich,  armer,  heisst  der 
Held  einer  von  Hartmann  von  Aue 


poetisch  bearbeiteten  Legende,  deren 
lateinische  Quelle  noch  nicht  ge- 
funden worden  ist.  Heinrich  von 
Aue,  ein  Ritter  desjenigen  Ge- 
schlechtes, dem  der  Dichter  selber 
als  Dienstmann  angehörte,  lebt  im 
Vollg  enusse  höchsten  Erdeneliiekes, 
als  er  von  einem  Aussatz  befallen 
wird.  Alle  Rettung  scheint  ver- 
geblich; auch  das  Mittel,  mit  dem 
ihn  ein  Arzt  zu  Salerno  bekannt 
macht,  nämlich  das  freiwillig  für 
ihn  vergossene  Herzblut  einer  reinen 
Jungfrau,  scheint  ihm  unerreichbar, 
und  er  verschenkt  deshalb  seine 
Güter  an  Verwandte,  Arme  und 
Gotteshäuser  und  behält  für  sich 
nur  einen  Meierhof,  wo  er  vom 
Meier  und  dessen  Frau  und  einer 
achtjährigen  Tochter  christlich  ver- 
pflegt wird.  Nach  vier  Jahren  erst 
teilt  der  arme  Heinrich  seinem 
Meier  mit,  was  der  Salemitanische 
Arzt  ihm  gesagt,  und  diese  Nach- 
richt macht  auf  die  Jungfrau  einen 
solchen  Eindruck,  dass  sie  sich  ent- 
schließt, sich  für  ihren  Herrn  zu 
opfern.  Mit  Mühe  bringt  sie  die 
Eltern  zur  Einwilligung  in  ihr  Vor- 
haben und  zieht  darauf  mit  dem 
Kranken  nach  Salerno.  Schon  ist 
der  Arzt  bereit,  dem  Mädchen  das 
Herz  auszuschneiden,  als  Reue  und 
Mitleid  den  Herrn  ergreift,  dass  er 
sich  unter  dem  schweren  Joche  der 
Krankheit  zu  bleiben  entschliesst. 
Gott  aber  belohnt  die  Opferfreudig- 
keit des  Mädchens  und  die  christ- 
liche Untergebung  ihres  Herrn  in 
sein  Verhängnis  dadurch,  dass  er 
Heinrich  auf  dem  Rückwege  heilt. 
Die  Legende  schliesst  damit,  dass 
Heinrich  wieder  zu  Gut  und  Ehren 
gelangt  und  die  Jungfrau  zu  seiner 
Gemahlin  annimmt. 

Heiraten  und  Hochzeiten.  Es 
ist  zwar  schon  im  Artikel  Ehe  von 
Hochzeiten  die  Rede  gewesen;  hier 
mögen  nach  Kriegks  Bürgertum  II, 
Abschnitt  XI  einige  besondere  hier- 
hergehörende Züge  aus  dein  städti- 
schen Leben  des  späteren  Mittel« 


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302 


Heiraten  und  Hochzeiten. 


alters    zusammengestellt    werden,  mine  sind;  sie  fand  inmitten  der 
Offenbar  galt  die  Feier  der  Hoch-  beiderseitigen  Verwandten  statt  und 
zeit  für  den  städtischen  Bürger  als  bestand  in  der  Bejahung  der  an 
ein   eingreifenderes    und    wesent-  Braut  und  Bräutigam  gerichteten 
lieberes  Lebensmoment ,  als  es  für  Frage ,   ob  sie   einander  heiraten 
die  höfische  Gesellschaft  gewesen  wollen,  aus  Umfahung  und  Braut- 
war; nicht  bloss  bewegte  sich  der  kuss;  von  jetzt  an  hiessen  die  Ver- 
ritterliche Frauendienst  abseits  von  lobten  Oemahle,  später  bis  zur  Hoch- 
der  Ehe,  sondern  der  Geist  des  zeit  immer  noch  Braut  und  Bräu- 
Rittertums   bevorzugte    überhaupt  tigam.     Die   beiden   ersten  Akte 
mehr  solche  Feste,  welche  mit  der  waren  häufig  mit  der  Abfassung 
Stellung  des  Ritters  als  solchem  zu- ,  einer  schriftlichen  Urkunde  über  die 
sammeuhingen ,  ganz  besonders  die  Ausstattung  und  den  Brautschatz, 
Schwertleite,  den  Hoftag,  das  Tur-  mit  der  Ausstellung  eines  Ehebriefes 
nier  u.  dgl.,  Feste,  welche  eben  die  und  mit  der  Ceremonie  verbunden, 
höfische  Zeit  unter  dem  Gesamt-  dass  ein  Verwandter  oder  Freund 
namen  hochzit,  höchgezit  zusammen-  die  Brautleute  förmlich  zusammen- 
fasste.   Erst  in  den  Städten  hing  gab.    Das   letztere  geschah  bald 
dies  Fest  der  Eheeingehung  enge  durch  einen  Laien,  bald  durch  einen 
mit  dem  Lebensberufe  des  Bürgers  Geistlichen.  Gesellige  Festlichkeiten 
zusammen  und  blieb  für  die  i\e-  fanden  nach  der  Verlobung  im  Hause 
Zeichnung  Hochzeit  an  dieser  Feier  .  der  Braut,  im  Rathaus  oder  in  einem 
haften.    Heiraten   waren   in   den  Kloster   statt    und   bestanden  in 
Stsidten  häufiger  als  jetzt,  wie  denn  Tänzen,  Schmausereien  und  Trink- 
ofteubar  hier  das  Wort  Hagestolz,  gelageu;   Namen  für  dieses  Fest 
da»  ursprünglich  den  Besitzer  eines  \  sind  Lauimerung,  d.  h.  öffentliche 
Nebengutes  bedeutete,  die  Bezeich-  Bekanntmachung,  weil  auch  Unein- 
nung  für  einen  Junggesellen  ge-  geladene  beiwohnten,  Uffenbarung 
worden  ist.    Es  gab  Städte,  wo  und  Vorgiß,  Vorgabe. 
Hagestolze  weder  Katsherr  werden,  I      Die  Kopulationt  Einsegnung,  Be- 
noen  in  der  Zunft  als  Meister  auf- i  nediktion  tn  der  Kirche,  Kirchgang, 
genommen  werden  durften.  Witwer  Solemnisierung  der  Ehe  oder  Inthro- 
und    Witwen    verheirateten    sich  nisation  fand[  stets  in  der  Kirche 
schnell  wieder,  oft  bevor  das  „Jahr  statt;  das  vorausgehende  dreimalige 
der  Klage  und  des  Leides"  abge- 1  kirchliche  Aufgebot,  schon  zur  römi- 
laufen  war;  ja  zweite  und  dritte  |  scheu  Kaiserzeit  vorhanden,  war  seit 
Verheiratungen  scheinen  in  Deutsch- j  dem  13.  Jahrhundert  ein  Kircheu- 
land  sogar  die  Regel  gewesen  zu  gesetz.   Die  Kopulation  wurde  an 
sein.  Bis  ins  snäte  Mittelalter  wurde  einem  beliebigen  Tage  in  der  Woche 
nicht  die  kirchliche  Trauung,  son-  j  gehalten  und  zwar  Vormittags  nach 
dern  die  Verlobung  als  Hauptakt  der  der  Messe.   Mehrere  Tage  früher 
Eheschliessung  angesehen.    Immer  fand  das  Baden  in  einer  Badstube 
noch  bestand  die  Verlobung  oder  |  statt,  worauf  eingeladene  Verwandte 
Vertrauung  aus  den  drei  Akten,  und  Freunde,  auch  Dienstboten  des 
1.  aus  der  Verabredung  über  Braut- ,  Hauses  im  Hause  der  Braut  oder 
schätz  und  Mitgift,  2.  aus  der  Kon-  des  Bräutigams  bewirtet  wurden. 
Benserklärung  des  Vaters  und  dem  Der  Brautkranz  war  nicht  allgemein 
Eheversprechen     von    Seite    des  gebräuchlich ;  dagegen  das  Verteilen 
Freien,  und  3.  auader Handreichung,  von  Kränzen  seitens  der  Braut  an 
dem  Handschlag,  Handstreich  oder  {  den  Bräutigam,  die  Brautführer,  die 
dem  Weinkauf,  welches  alles  Namen  ;  Tanzlader  und  die  Spielleute,  nicht 
für  die  eigentliche  Verlobungs-Ter-  aber  an  die  wirklichen  Gäste. 


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Heiraten  und  Hochzeiten. 


393 


Braut  und  Bräutigam  gingen  bei 
der  Trauung  nicht  zusammen  zur 
Kirche,  sondern  jedes  von  ihnen 
wurde  durch  zwei  Brautführer  dahin 
begleitet,  wobei  auch  die  Braut 
manchmal  mannliche  Führer  hatte. 
Beim  Zuge  in  die  Kirche  wurde 
mit  Glocken  geläutet  oder  vom 
Turme  herabgeülasen,  was  man  das 
Anblasen  der  Braut  nannte.  Geiger, 
Lauteiiisten,  Pfeifer,  Trompeter  oder 
Trommler  gingen  dem  Zuge  voran, 
an  welchem  nicht  bloss  die  Ver- 
wandten und  Freunde,  sondern  auch 
die  männlichen  und  weiblichen 
Dienstboten  teilnahmen.  In  Nürn- 
berg gaben  die  Verlobten  einander 
vor  dem  Eintritt  in  die  Kirche  den 
Mahelring,  welcher  an  anderen 
Orten  schon  bei  der  Verlobung  über- 
geben wurde. 

Das  erste  Beilager  fand  stets  im 
Hause  der  Braut  statt,  meist  in  der 
auf  die  Trauung  folgenden  Nacht, 
manchmal  aber  erst  mehrere  Tage 
später.  In  Frankfurt  führte  dabei 
einer  der  Brautführer  die  junge 
Frau,  auf  deren  Samraetschuhen 
Wappen,  Namen  u.  dgl.  mit  Gold 
und  Perleu  eingestickt  waren,  in 
das  Brautgemach  und  zog  ihr  da- 
selbst den  linken  Schuh  aus,  wel- 
chen er  einem  oder  mehreren  der 
zur  Hochzeit  geladenen  Junggesellen 
schenkte.  Am  Morgen  nach  dem 
Beilager  überreichte  der  Eheherr 
seiner  Gattin  die  Morgengabe,  be- 
stehend aus  einem  oder  zwei  silbernen 
Bechern  oder  einem  anderen  Klei- 
nod; als  Gegengeschenk  kommt  an 
manchen  Orten  ein  Manns-  oder 
Badehemd  vor.  Gewöhnlich  an  dem- 
selben Morgen  wurde  die  junge 
Frau  durch  die  Hochzeitsgäste 
feierlich  zur  Messe  und  in  das  Haus 
ihres  Gatten  geleitet,  wenn  nicht, 
was  oft  geschah,  das  junge  Paar 
noch  eine  kürzere  oder  längere  Zeit 
hindurch  im  Hause  der  Gattin 
wohnen  blieb,  wo  ihm  mit  der  Woh- 
nung auch  die  Kost  frei  war. 

Die  Hochzeitsgeschenke  der  Ver- 


wandten und  Freunde  an  das  Braut- 
paar begannen  schon  bei  der  Ver- 
lobung, und  zwar  war  dieses  meist 
ein  Schmuck,  ßringal  genannt,  vom 
feierlichen  Uberbringen.  Auf  der 
Hochzeit  pflegte  jeder  Eingeladene 
dem  neuen  Ehepaar  sowohl  als 
beiden  Eltern,  in  deren  Hause  die 
Hochzeit  gefeiert  wurde,  ein  Ge- 
schenk zu  machen,  als  Beitrag  zu 
den  Kosten  des  Festes,  an  manchen 
Orten  war  dagegen  ein  offenes  Mahl 
und  ein  Freitanz  gebräuchlich.  Jene 
Art  von  Hochzeiten  hiessen  Schenk- 
hochzeiten; bei  Freihochzeiten,  die 
erst  später  aufkommen,  gaben  die 
Gäste  oloss  einen  mündlichen  Dank. 
Gegen  die  kostbaren  Geschenke  oder 
Schenkinen  wurden  zahlreiche  Ver- 
ordnungen erlassen;  die  Geschenke 
selber  bestanden  in  Schmuck,  Haus- 
geräte, silbergestickten  Kleidern,  sil- 
bernen TruiKgeräten  und  barem 
Gelde.  Das  Brautpaar  hatte  für  die 
ihm  gereichten  Brautgeschenke 
Trinkgelder  zu  geben,  wozu  an 
manchen  Orten  noch  andere  Ge- 
schenke kamen,  besonders  Speise 
und  Trank  für  die  Angehörigen  der 
beim  Feste  beteiligten  Leute.  Über- 
haupt war  der  Aufwand,  den  man 
beim  Hochzeitsfest  entfaltete,  meist 
sehr  üppig;  es  gab  bürgerliche  Hoch- 
zeiten, die  neun  Tage  dauerten,  von 
adeligen  und  fürstlichen  zu  gesenwei- 

gen,  und  überall  sahen  sich  die 
'brigkeiten  genötigt,  wiederholt  ein- 
schränkende Verordnungen  zu  er- 
lassen. Die  Hochzeitsfeier  wurde  im 
Hause  der  Braut  oder  in  der  Trink- 
stube, die  der  Bräutigam  zu  besuchen 
pflegte,  im  Rathause  oder  in  einem 
andern  städtischen  Gebäude,  von 
Handwerkern  auf  ihrer  Zunft  gehal- 
ten. Gegen  die  Benützung  des  Rat- 
hauses sind  aber  ebenfalls  Verbote  er- 
lassen worden.  Die  Einladung  der 
Gäste  geschah  durch  Hochzeimader 
oder  Tanzlader  und  war  oft  beritten 
und  von  einem  kleinen  Gefolge  beglei- 
tet. Ein  von  Stadt  wegen  angestellter 
Sprecher,  der  Hängelein  oder  liege- 


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394 


Hei.  —  Heldenbuch. 


lein  oder  Vorhänaelein,  vom  vorge- 
hängten Amtssehild,  auch  Ehen- 
Sprecher,  Schlenkerfein,  trug  seine 
Anrede  reimweis  vor.  Annlicher 
Natur  waren  die  Lotter  oder  flotterer. 
d.  h.  Lustigmacher.  Für  die  Zahl 
der  Gäste  war  meist  ein  obrigkeit- 
liches Maximum  aufgestellt.  Ein 
Hauptteil  der  hochzeitlichen  Ver- 
gnügungen war  der  Tanz;  Hofe 
heissen  Festmahle,  die  in  den  näch- 
sten Monaten  nach  der  Hochzeit 
zu  Ehren  der  Neuvermählten  abge- 
halten werden.  Die  erste  Feier 
einer  goldenen  Hochzeit  wird  im 
Jahre  1661  erwähnt.  Vgl.  Kohl,  Alte 
und  neue  Zeit,  Abschn.  14.  Bremen 
1871. 

Hei,  vomaltd.Äefa«,  nhd.  hehlen, 
verhehlen,  ist  die  germanische  Göttin 
des  Todes  und  der  Unterwelt;  erst 
später,  aber  noch  in  heidnischer 
Zeit,  als  man  eine  Unterscheidung 
zwischen  den  Toten  machte  und  be 
sondere  Wohnsitze  für  die  Guten 
und  die  Bösen  annahm,  wurde  die 
Göttin  Hei  zur  Vorsteherin  der- 
jenigen Geister  gemacht,  die  nach 
thätigem,  ruhmlosem  Leben  dahin- 
gegangen sind,  und  ihr  Name  er- 
weiterte sich  zu  Hellia,  Hella,  nhd. 
Helle,  Hölle,  woher  der  christliche 
Aufenthaltsort  der  Verdammten  spä- 
ter den  Namen  Helle,  Hölle  empfing. 
Man  dachte  sich  die  Göttin  Hei  in 
Sümpfen  oder  Brunnen  lebend,  oder 
im  Berge,  Uelleberg,  die  Seelen 
hütend.  Zu  ihrem  unterirdischen 
Sitze  sollte  die  Milchstrasse  führen, 
die  daher  in  Norddeutschland  der 
Heltceff  genannt  wird.  Die  nordische 
Hei  ist  halb  schwarz,  halb  menschen- 
farbig und  hat  ein  grimmiges,  furcht- 
bares Aussehen.  Ihr  gehört  die 
Herrschaft  in  yifelheimr,  wo  sie 
unter  einer  Wurzel  der  Esche  Yg- 
drasil  in  ihrer  Borg  Helheimr  wohnt. 
Den  langen  und  traurigen  Weg  da- 
hin, den  Hei  weg,  reitet  man  neun 
Tage  und  Nächte  nach  Norden  zu 
durch  dunkle  tiefe  Thäler  den  Ab- 
grund hinab.    Über  Dornenheiden 


und  Sümpfe  kommt  der  Wanderor 
zu  einem  reissenden  Strome,  den 
die  Gjallarbrücke  überwölbt,  die  mit 
glänzendem  Golde  belegt  ist.  Sie 
hängt  hoch  im  Winde  unter  dem 
dem  Gewölk,  die  Milchstrasse.  In 
einem  hohlen  und  von  mächtigen  Git- 
tern verwahrten  Gehege  bewacht  ein 
Hund  mit  blutgefleckter  Brust  und 
klaffendem  Rachen  den  Eingang  zu 
Hels  Wohnungen.  Ihr  Saal  heisst 
Elend,  ihre  Schüssel  Hunger,  ihr 
Messer  Gier,  ihr  Knecht  Träg,  ihre 
Magd  Langsam,  ihre  Schwelle  Ein- 
sturz, ihr  Lager  Krankenbett,  ihr 
Vorhang  dauerndes  Übel.  Damit 
die  Seelen  jene  Dornenheide  nicht 
barfuss  überschreiten  müsse,  gab 
man  den  Toten  ins  Grab  ,  ein  Paar 
Schuhe  mit.  Wer  den  Armen  auf 
Erden  eine  Kuh  geschenkt  hat,  wird 
nicht  straucheln  und  schwindeln, 
wenn  er  die  Gjallarbrücke  tiber- 
schreiten muss;  denn  dort  findet  er 
eine  Kuh,  welche  seine  Seele  über 
die  Totenbrücke  geleitet;  daher  man 
in  vielen  germanischen  Ländern  eine 
Kuh  hinter  dem  Sarge  her  bis  auf 
den  Kirchhof  mitgehen  Hess.  Mann- 
hardt,  Götterwelt. 

Helbllng,  älteres  Münzstück  im 
Werte    des    jeweiligen  Pfennigs; 

Eössere  Summen  wurden  zu  Senil- 
igen  und  Pfunden  Helblinge  be- 
rechnet. 

Hei  den  buch,  der  helden  bnoch 
nennt  sich  eine  im  15.  Jahrhundert 
mehrfach  gedruckte  Sammln  ne  der 
unter  dem  Namen  Wolfdietrich  zu- 
sammengefassten  Gedichte  von  Ort- 
nit,  Hugdietrich  und  Wolfdietrich; 
den  gleichen  Namen  pflegt  man  auch 
seit  Von  der  Hagens  Grundriss  zur 
Geschichte  der  deutschen  Poesie.  1812, 
Sammlungen  von  Gedichten  aus  der 
deutschen  Heldensage,  mit  Ein-  oder 
Ausschluss  des  Nibelungenliedes  zu 
geben.  Den  gleichen  Namen  tragen 
zwei  neuere  Sammlungen,  nämlich 
die  neueste  Ausgabe  der  dem 
Amelungenkreis  angehörigen  mittel- 
hochdeutschen Dichtungen,  heraus- 


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Heldensage. 


395 


gegeben  von  Amelung,  Jänicke, 
Martin  und  Zupitza,  5  Bände,  Berlin, 
1866—73,  und  die  erneuerte  Samm- 
lung von  Simrock  in  sechs  Bänden, 
welche  in  die  Gudrun,  das  Nibe- 
lungenlied, das  kleine  Heldenbuch 
(Walther  und  Hildegunde,  Alphart, 
hörnerner  Siegfried,  Rosengarten, 
Hildebrandlied)  und  das  Amelungen- 
lied  zerfällt,  wovon  das  letztere 
wieder  folgende  Stücke  in  sich  be- 
greift: Wieland  der  Schmied,  Wittich 
vN'ielands  Sohn,  Ecken  Ausfahrt, 
Dietleib,  Sibichs  Verrat,  die  beiden 
Dietriche,  die  Rabenschlacht,  die 
Heimkehr. 

Heldensage.  Die  germanische 
Heldensage  teilt  mit  aen  Helden- 
sagen aller  übrigen  arischen  Völker 
den  doppelten  Ursprung  aus  dem 
Mythus  uud  der  Volksgeschichte.  Das 
mythische  Element  der  Heldensage 
erweist  sich  zuerst  darin,  dass  einzelne 
Götter  mit  der  Zeit  als  Sterbliehe 
aufgefasst  werden.  Dadurch  ent- 
stehen zuerst  die  Heroen-,  man  ver- 
gass  von  einzelnen  Göttergestalten, 
zum  Teil  dadurch,  dass  durch  histo- 
rische Ereignisse  ihr  Klüt  ausser 
Übung  kam,  dass  sie  Gottheiten 
seien  und  fasste  sie  nur  noch  als 
gewaltige  und  vorzugsweise  mächtige 
Sterbliche  auf,  als  Helden  von  gött- 
licher Abstammung,  deren  Leben 
man  in  die  Anfänge  der  Volksge- 
schichte versetzte,  ihre  Thaten  wur- 
den jetzt  grösstenteils  nicht  mehr 
ihrer  inneren  göttlichen  Natur,  son- 
dern äusserer  Hilfe  und  äusseren 
Mitteln  zugeschrieben,  welche  ihnen 
die  Götter  an  die  Hand  gegeben 
hätten;  solche  Heroen  sind  in  der 
deutschen  Heldensage  Siegfried, 
Gunther,  Hagen,  Hertel,  Horant, 
Wrate,  Wieland,  Orendel,  Krimhild, 
Hilde.  Diese  Heroen  pflegen  nun 
mit  der-  Zeit  eine  Verbindung  mit 
geschichtlichen  Erinnerungen  einzu- 
gehen, der  Mvthus  wird  lokalisiert, 
und  Göttliches  und  Menschliches 
fliesst  in  ein  Bild  zusammen.  Wach- 
sen so  grössere  und  lebendige  Mythen 


mit  Erinnerungen  aus  dem  glänzen- 
den Heldenalter,  welches  gewöhnlich 
dem  Eintritt  hoch  organisierter  Völ- 
ker in  das  helle  Lieht  der  Geschichte 
vorauszugehen  pflegt,  zusammen,  so 
entsteht  die  Heldensage.  Das  My- 
thische an  ihnen  ist  der  feste  Kern, 
um  den  sich  das  Historische  herum- 
legt Mannhardt,  Götter,  Abschn.II. 
Die  mythischen  Elemente  der  Hel- 
densage sind  ihrer  Natur  nach  wech- 
selnd; manche  Züge  mö^en  in  die 
gemeinsame  Urzeit  der  arischen  Völ- 
ker hinaufreichen,  andere  sind  Re- 
sultate der  verschiedenen  Bildungs- 
perioden der  Mythenbildung;  oft  sind 
es  bloss  einzelne  Züge,  welche  an 
diesem  und  jenem  Helden  oder  an 
dieser  und  iener  Sage  mythologischer 
Natur  sind,  während  anderes  histo- 
risch ist. 

Ebensowenig  als  das  mythische 
Element  der  Heldensage  lässt  sich 
das  historische  Element  auf  eine 
|  Einheit  zurückführen.  Ohne  Zweifel 
I  sind  schon  lange  vor  der  Völker- 
|  Wanderung  historische  Thatsachen 
I  von  der  Sage  aufgefasst  und  gestaltet 
I  worden;  dieselben  fielen  aber  meisten- 
teils der  Vergessenheit  anheim,  als 
die  grossen  tiefeinschneidenden  Ge- 
schicke der  Völkerwanderung  kamen, 
an  welche  sich  die  Errichtung  des 
!  fränkischen  Reiches  und  damit  der 
I  Eintritt  der  Germanen  in  die  curo- 
1  päisehe  Staatenentwickelung  knüpfte. 
Diese  Ereignisse  gaben  fortan  die 
historische  Unterlage,  die  Namen 
der  Völker  und  Fürsten,  der  Städte, 
Länder,  Flüsse,  Berge  und  Wälder, 
welche  den  Rahmen  der  Helden- 
sage bilden,  ohne  dass  man  den 
Grad  der  Ürsprünglichkeit  dieses 
historischeu  Elementes  im  einzelnen 
jedesmal  anzugeben  vermöchte.  Wil- 
helm Grimm  sagt  in  der  Schlussbe- 
trachtung  zur  Deutschen  Helden- 
sage: „Ruhend  und  in  eine  feste 
Form  gebunden,  dürfen  wir  uns  das 
Epos  zu  keiner  Zeit  denken.  Viel- 
mehr herrscht  in  ihm  der  Trieb  zur 
Bewegung  und  Umgestaltung,  ja, 


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306 


Heldensage 


ohne  ihn  würde  es  absterben,  wenig-  »Ich  darf  als  ausgemacht  be- 
stens die  Kraft  lebendiger  Einwir-  trachten,  dass  die  geschichtlichen 
kung  verlieren.  Hier  erprobt  sich  die  Beziehungen ,  welche  die  Sage  jetzt 
Fähigkeit  zur  Poesie,  und  ein  un-  zeigt,  erst  später  eingetreten  siud. 
freies,  verarmtes  Gefühl  wird  jedes-  mitbin  die  Behauptung,  dass  jene 
mal  eine  Verschlechterung  des  Epos  Ereignisse  die  Grundlage  geliefert 
bewirken.  Echte  Fortbildung  geht  aller  Stützen  beraubt  ist.  Noch  eine 
niemals  aus  Laune  und  Willkür,  andere,  nicht  geringere  Schwierig- 
immer  aus  innerer  Notwendigkeit  keit,  macht  die  damit  verknüpfte 
hervor.  Eines  der  bedeutendsten  Vorstellung  von  absichtlicher,  poeti- 
Mittel  ist  dabei  ohne  Zweifel  die  in  scher  Ausbildung  des  historischeu 
verschiedenen  Erscheinungen  beob-  Faktums.  Der  Dichter  der  Nibelunge 
achtete  Verknüpf  u mj  einzelner  Sagen.  Not  musste  danach  vorsätzlich  chro- 
Der  Norden  hat  die  Helge-  und  Kra-  unlogische  Verstösse  begehen  und 
kasage  der  Sigurdssage  beigemischt,  sehr  genau  wissen,  dass  die  Gestalten 
Deutschland  die  Dietrichssage  mit  die  er  auftreten  liess,  bis  auf  einigt- 
noch  grösserem  Erfolg.    Aber  das  Namen,  Geschöpfe  seiner  eigenen 

{glänzendste  Beispiel  ist  unser  Nibe-  Einbildungskraft  waren;  gleicher 
ungenlied.  Gerade  der  ausgezeich-  Weise  konnte  er  sich  über  die  Un- 
nctste  Teil,  der  zweite  nämlich,  ist  Wahrheit  der  Thaten,  die  er  sie  voll- 
lediglich  aus  einer  solchen  Ver-  bringen  Hess,  unmöglich  täuschen, 
knüpfung  hervorgegangen.  Nähme  Wie  steht  das  in  W  iderspruch  mit 
man  Rüd  iger  und  Dietrich  heraus,  der  nicht  bloss  in  der  frühesten  Zeil, 
die  bedeutendsten  Verwickelungen  sondern  noch  bei  den  gebildetsten 
und  ergreifendsten  Stellen  würden  Dichtern  des  Mittelalters  herrschen- 
fehlen und  der  ganze  grosse  Kampf  den  Überzeugung  von  der  vollkom- 
in  die  Erzählung  von  Gunthers  und  menen  Wahrheit  der  Überlieferung? 
Hagens  tapferer  Gegenwehr  vor  Kann  man  glauben,  dass  gerade  die, 
ihrer  Überwältigung^  sich  zusammen-  welche  man  sich  als  Verfasser  jener 
ziehen.  So  aber  treibt  die  Dichtung,  Wrerke  denkt,  eine  andere,  der  Klug- 
frisch getränkt ,  neue  Sprossen  und  heit  unserer  Zeit  entsprechende  All- 
überall verkündigt  sich  ein  höherer  sieht  nicht  allein  hegten,  sondern 
Schwung  und  eine  reichere,  gleich-  auch  mit  ungewöhnlicher  Schlauheit 
f< innigere  Fülle  des  Ausdruckes,  verbargen?  Uberall  bricht  eiu  ehr- 
Wahr  ist  es  auf  der  anderen  Seite,  licher  Glaube  au  die  Wahrheit  durch, 
das  Neue  wird  niemals  ohne  Ein-  jede  Zuthat  und  weitere  Ausbildung 
busse  an  dem  Alten  gewonnen,  und  galt  für  eine  blosse  Ergänzung  der- 
Einfachheit  und  Verstand  der  Grund-  selben.  Dieser  Glaube  ist  freilich 
sage  leiden  bei  solchen  Umbildungen  naiv,  aber  nicht  unverständig,  denn 
fast  immer;  aber  wir  haben  an  dem  ;  er  will  in  dem  Gemüte  von  Menschen, 
ersten  Teile  des  Nibelungenliedes  die  Historie  und  Poesie  zu  trennen 
ein  Beispiel,  wie  ohne  eine  solche  noch  nicht  gelernt  haben,  nicht  mehr 
Erfrischung  die  Sage  lückenhaft  sagen,  als  dass  hier  nichts  aus  der 
wird,  in  sich  zerfällt  und  allmählich  Luft  Gegriffenes ,  sondern  seiner 
erlischt.  Siegfrieds  Jugendleben,  nur  letzten  Quelle  nach  im  wirklichen 
unvollständig  angedeutet ,  zum  Teil  \  Leben  Begründetes  aufgenommen 
vergessen,  Brunhildens  damit  ver-  sei.  Setzt  man  noch  hinzu,  dass  auf 
knüpftes  Geschick,  es  würde  sich  eine  Wahrheit  dieser  Art  das  Ganze, 
besser,  freilich  auch  in  anderer  Ge-  wie  jeder  einzelne  Teil,  vollkommen 
stalt  bewahrt  haben,  wenn  ein  neuer  denselben  Anspruch  machen  könne 
Strom  der  Sage  wäre  hiuzugeleitet  und  nach  einer  historischen  Tbat- 
worden"  ....  sache  zu  fragen  vergeblich,  ja  sinn- 


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Heldensage. 


397 


los  sein  würde,  da  in  dieser  poeti- 1  oder  man  stellt  eine  Anzahl  Sagen- 
scheu  Läuterung  und  Herübernahme  kreise  auf,  meist  vier:  1.  den  nieder- 
in  das  Gebiet  des  freien  Gedankeus  rheinischen  oder  fränkischen,  dessen 
jedes  äussere  Merkmal  des  Geschieht-  Held  Siegfried  heisst;  2.  den  Br- 
üchen leicht  verschwinden  müsste,  gundischen,  mit  Gunther,  Gernot 
so  hat  man,  wie  es  mir  scheint,  das  und  Giselher,  Ute,  Krimhild  und 
Richtige."'  Brunhild,  Hagen  und  Volker;  3.  den 
„  .  .  .  .  Das  Epos,  welches  das  ostgotischen  Sagenkreis,  dessen  Hel- 

Sanze  Leben  zu  erfassen  strebt^kann  den  ausser  Dietrich  von  Bern,  Hilde- 

en  Glauben  an  überirdische  Dinge  brand,  Wolfhart,  Wolfbrant,  Wolf- 

nieht  hintansetzen,  noch  die  Weise,  win,  Sigestab  und  Helfrieh  heissen; 

wie  er  sich  äussert ,  ihr  unbekannt  4.  von  Attila,  wozu  die  Helden  Rü- 

bleiben.    Es  wird  dort  immer  ein  diger,  Hawart,  Iring  und  Irnfrit 

wesentliches  Element  seines  Inhaltes  kommen.    Es  fällt  in  die  Augen, 

finden,  ja,  es  scheint  mir  ohne  eine  dass  diese  Gliederung,  weil  rein  ört- 

solche  Mischung  des  Leiblichen  und  lieh,  nicht  im  ursprünglichen  Wesen 

Geistigen   gar  nicht  bestehen  zu  der   Sage   begründet    sein  kann, 

können,  etwa  wie  Gesang  beides,  Uhland  unterscheidet  die  Sagen  von 

Worte  und  Töne,  verlangt.  Keinem  den  Amelungen  (Dietrich  von  Bern), 

Gedichte,  wenn  es  wahrhaft  beseelt  den  Nibelungen  und  den  Hegelingen 

ist,  fehlt  innere  Bedeutung  oder  eine  (Gudrun). 

sittliche  Erkenntnis;  aber  nichts  be-  Die  aus  dem  Kreis  der  deutschen 

rechtigt  uns  bis  jetzt  zu  der  Ver-  Heldensage  erhaltenen  Gedichte  sind 

mutung,  dass  die  deutsche  Helden-  folgende: 
sage    aus   Erforschung  göttlicher 

Dinge  oder  aus  einer  philosophischen  Amelungeukreis. 

Betrachtung  über  die  Geheimnisse  1.  Hildebrandslied,  siehe  diesen 

der  Natur  nervorgegangen  sei  und  Artikel. 

in  einem  sinnbildlichen  Ausdrucke  2.  Sigenot;  Dietrich    von  Bern 

derselben  ihren  ersten  Anlass  ge-  wird  vom  Riesen  Sigenot  überwun- 

funden  habe.  Sie  selbst  hat,  so  weit  den ,  in  eine  Höhle  geworfen  und 

wir  zurückblicken  können,  sich  alle-  zuletzt  von  seinem  Meister  Hilde- 
zeit neben  der  Geschichte  ihren  Platz  brand ,  gegen  dessen  Rat  er  ausge- 
angewiesen.  Die  Lieder,  welche  die  ritten  und  der  den  Riesen  erschlägt, 
Sage  von  dem  aus  der  Erde  ge-  aus  der  Haft  erlöst, 
borenen  Gott  Thuisto  und  seinem  .  3.  Ecken  Ausfahrt.  Die  Königin 
Geschlecht  enthielten,  die  Tacitus,  I  Seburg  von  Jochgrim  in  Tirol  wünscht 

Germ.  2,  alte  nennt,  sind  unterge-  Dietrich  lebend  gefangen  zu  sehen, 

gangen;  meiner  Ansicht  nach  be-  Ecke  zieht  von  Gripiar  (Köln?)  aus, 

standen  sie  neben  den  Heldenliedern,  um  den  Berner  zu  Dringen,  verliert 

dergleichen  jene  waren,  welche  die  aber  im  Kampf  das  Leben.  Dietrich 

Thaten  des  Arminius  feierten."  I  beklagt  seinen  Tod. 

Man  pflegt  die  Denkmäler  der  4.  Laurin.    Die  Helden  zu  Bern 

Heldensage  auf  verschiedene  Weise  unterreden  sich  über  Dietrich  und 

zu   gliedern;   entweder   nach  den  preisen  seine  tapferen  Thaten.  Nur 

Haupthelden  Siegfried,  Dietrich  von  Hildebrand  will  nicht  canz  zustim- 

Bern  und  Gudrun,  oder  nach  den  men,  da  der  Held  noch  nicht  mit 
beiden  grossen  Epopöen  Nibelungen- 1  Zwergen  gekämpft  habe.  Darauf 
lied  und  Gudrun,  denen  man  die  zahl- :  Auszug  nach  dem  Rosengarten  des 

reichen    kleineren   Heldengedichte  Zwergkönigs  Laurin,  dem  Dietrich 

nach  älterem  Vorgange  unter  dem  den  Zaubergürtel  nimmt.  Laurin 

Namen  Ueldenbuch  gegenüberstellt;  gewinnt  seinen  Schwager  Dietrich, 


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398 


Heldensage. 


dessen  Schwester  Similte  er  geraubt, 
für  sich  und  rettet  dadurch  sein 
Leben. 

5.  Der  Rosengarten.  Krimhild 
hält  Hof  zu  Worms  und  hat  daselbst 
einen  schönen  Rosengarten,  als  dessen 
Hüter  Siegfried  und  eine  Anzahl 
seiner  Helaen  bestimmt  sind;  wer 
diese  Hüter  besiegt,  von  dem  ent- 
bietet sich  Krimhilds  Vater  sein  Land 
zu  Lehen  zu  nehmen;  ausserdem 
sollen  die  Sieger  einen  Rosenkranz 
und  einen  Russ  von  Krimhild  zum 
Lohn  erhalten.  Auf  Hildebrands 
Antrieb  macht  sich  Dietrich  von 
Bern  auf,  um  den  Kampf  zu  be- 
stehen, wirklich  werden  Siegfried 
und  die  Burgundenhelden  überwun- 
den. Als  eigentümlichste  Figur  tritt 
in  dem  Gedichte  der  Mönch  Ilsan 
auf,  Hildebrands  Bruder,  der  Jahr- 
hunderte lang  eine  Lieblingsfigur  des 
deutschen  Volkes  blieb. 

6.  Dietrichs  Flucht.  Dietrich  von 
Bern  weicht,  um  seine  sieben  ge- 
fangenen Recken,  welche  Ermennch 
aufzuhängen  droht,  vom  Tode  zu 
retten,  von  seinem  Erbe  zu  den 
Hunnen. 

7.  Rabenschlacht.  Dietrich  klagt 
an  Etzels  Hofe  um  den  Verlust  seiner 
Lande  durch  den  alles  verwüsten- 
den Ermenrich  und  erhält  von  Etzel 
ein  Heer,  seine  Lande  wieder  zu 
erobern :  auch  giebt  Etzel  dem  Diet- 
rich seine  beiden  Söhne  mit,  für 
deren  Leben  sich  Dietrich  bei  der 
Mutter  verbürgt  hat.  Vor  Ravenna 
lässt  Dietrich  sie  nebst  seinem  eige- 
nen Bruder  Diethar  unter  Ilsans 
Obhut  zurück;  aber  voll  Kamnfes- 
sehnsucht  bitten  sie,  man  möge  ihnen 
gestatten,  vor  die  Stadt  zu  reiten 
und  sich  umzusehen.  Da  geraten 
sie  in  das  feindliche  Heer  und  stossen 
auf  den  furchtbaren  Helden  Wittich, 
der  mit  seinem  Schwerte  Mimung 
auf  sie  losstürzt  und  beide  nach  langem 
rühmlichen  Kampfe  erschlägt.  Diet- 
rich ,  sobald  er  von  der  Sönne  Tod 
hört,  verfolgt  zwar  Wittich  zornig; 
doch  springt  dieser  ins  Meer  und 


wird  von  einer  Meerfrau  aufgenom- 
men. Darauf  fol^t  eine  schmerzlich 
rührende  Klage  der  Helene  um  ihn- 
Söhne,  sie  flucht  Dietrichen,  ver- 
hiebt ihm  aber,  da  sie  seinen  tiefen 
Schmerz  sieht  und  seine  laute  Klag-' 
um  die  gefallenen  jungen  Helden 
vernimmt. 

8.  Alpha  rt-s  oder  Alhharts  Tod. 
Dietrich  wird  von  sciuem  Oheim 
Ermenrich  auf  Sibichs  verdächtigende 
Anstiftung  bekriegt.  Dem  heran- 
ziehenden Heere  reitet  der  junge 
Alphart  entgegen  auf  die  Warte. 
Dort  wird  er  von  den  zu  Ermenrich 
übergegangenen  beiden  treulosen 
Helden  Heime  und  Wittich.  zwei 
gegen  einen,  bestanden  und  von 
Wittich  getötet.  Den  Gefalleneu 
zu  rächen  dringen  die  Berner  heran 
und  treiben  Ermenrich  in  die  Flucht 
Die  Dichtung  zählt  zu  den  schönsten 
Denkmälern  der  Heldensage. 

9.  Biterolf und  Bietleib.  Biterolf. 
König  zu  Tolet,  verlässt  heimlich 
Weib  und  Kind,  um  die  gepriesene 
Macht  des  Hunnenkönigs  Etzel  selbst 
kennen  zu  lernen,  und  begiebt  sich 
unerkannt  in  dessen  Dienst.  Als 
sein  Sohn  Dietleib  kaum  herange- 
wachsen, bcschliesst  er,  seinen  Vater 
zu  suchen,  zieht  auch  zu  Etzel  und 
findet  den  Vater  mitten  in  der 
Schlacht.  Eine  Beleidigung,  welche 
der  junge  Dietleib  auf  seiuer  Fahrt 
von  den  rheinischen  Königen  bei 
Worms  erfahren,  veranlasst  einen 
grossen  Heerzug  dahin,  wozu  Etzel 
seine  Hilfe  giebt,  auch  Dietrich  mit 
seinen  Recken,  sowie  Ermenrichs 
Helden  mit  ausreiten.  Nach  sieg- 
reichem Kampfe  kehren  Biterolf  und 
Dietleib  zu  Ltzeln  zurück  und  wer- 
den von  ihm  mit  der  Steiermark 
begabt,  wo  sie  sich  mit  den  Ihrigen 
niederlassen. 

10.  Dietrichs  Drachenkämpfe. 
Dietrich  und  seine  Gesellen  kämpfen 
mit  Riesen  und  Drachen:  echter 
Sageninhalt  wird  hier  gänzlich  ver- 
misst. 

11.  Etzels  Hofhaltung,  eine  all«'- 


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Ht  liand. 


399 


gorische  Dichtung  des  13.  Jahrhun- 
derts: Frau  Saewie  wird  von  dem 
Wunderer  gejagt  und  von  Dietrich, 
der  den  Jagenden  tötet,  errettet. 

12.  König  Ortnit  von  Lamparteu 
entfuhrt  mit  Hilfe  seines  Vaters,  des 
Zwerges  Alberich,  die  Tochter  des 
Königs  Marchorcl  von  Montebur, 
die  in  der  Taufe  den  Namen  Sydrat 
empfangt  Über  den  Verlust  zürnend, 
sendet  der  König  unter  dem  Schein 
von  Geschenken  durch  den  Jäger 
Velle  dem  Könige  Oruit  Drachen 
ins  Land,  die  herangewachsen  alles 
verwüsten.  Ortnit  selbst  findet  im 
Kampfe  gegen  dieselben  den  Tod. 

13.  Huqaiefrich  von  Konstanti- 
nopel gewinnt,  als  Mädchen  i  Hilde- 
gund) verkleidet,  des  Königs  Wal- 

S"  int  von  Salnecke  schöne  Tochter 
ildburg.  mit  der  er  einen  Sohn  er- 
zeugt Dieser  wird  heimlich  ausge- 
setzt und  von  Wölfen  verschleppt; 
von  einem  Jäger  gefunden,  gelangt 
er  an  die  Mutter  und  wird  Wolf- 
dietrich genannt.  Walgunt  willigt 
zuletzt  in  die  Ehe  seiner  Tochter 
mit  Hugdietrich,  der  Weib  und  Kind 
heimholt 

14.  Wolfdietrich,  dem  seine  Brü- 
der, als  einem  unechten  Sohne, 
sein  Erbreich  streitig  machen,  sucht 
dasselbe  mit  Hilfe  seines  getreuen 
Meisters  Brechtung  und  der  Söhne 
des  letzteren  zu  erkämpfen.  Er 
wird  durch  Zauber  entrückt  und 
seine  getreuen  Dienstmannen  müssen, 
zu  Konstantinonel  auf  der  Mauer 
augeschmiedet,  Wache  halten.  Vom 
Zauber  befreit,  sucht  er  auf  langen 
Irrfahrten  Beistand  zu  ihrer  Erlö- 
sung und  zur  Erlangung  seines  Er- 
bes, was  ihm  erst  gelingt,  nachdem 
er  als  Rächer  des  von  den  Lind- 
würmern getöteten  Ortnit  die  Haud 
seiner  Witwe  uml  mit  ihr  das  Reich 
zu  Lamparten  gewonnen  hat. 

B.  Nibeiungenkreis. 

Dahin  gehören  der  hörnerne 
Siegfried,  das  Waltharilied,  das 
Nibelungenlied  und  die  Klage,  wo- 


rüber man  die  einzelnen  Artikel 
sehe. 

C.  Hegelingenkreis. 

Dieser  ist  einzig  durch  das  Ge- 
dicht Gudrun  vertreten. 

Wilhelm  Grimm,  Deutsche  Hel- 
densage; Uhlands  Schriften,  Bd.  1; 
Grässe,  die  grossen  Sagenkreise  des 
Mittelalters;  Ratsmann,  Die  deut- 
sche Heldensage  und  ihre  Heimat 

Heiland  (altsächsische  Form  von 
Heiland)  wird  nach  J.  A.  Sehmelier 
eine  altsächsische  Evangelienhar- 
monie aus  den  Jahren  $'>S  —  835 
genannt.  Als  Evangelienharmonie 
hat  das  Werk  den  Zweck  die  Be- 
richte der  vier  Evangelien  in  ein  zu- 
sammenhängendes Ganze  zu  bringen. 
Der  Verfasser  des  vorliegenden 
Werkes  ist  unbekannt.  Notizen 
über  ihu  finden  sich  in  einer  „Free- 
fatio  in  liberum  antiquum  linqua 
saxonica  eonscriptum",  welche  aller- 
dings nicht  dem  altsächsischen  Ge- 
diente voransteht,  sondern  in  dem 
Werke  des  Flacius  Illyricus  „Cafa- 
logiu  testium  veritatw",  das  1562 
erschien,  enthalten  ist,  aber  doch 
sicher  zum  Heliand  in  Beziehung 
gesetzt  werden  muss.  Diese  Präfatio 
zerfällt  in  zwei  Teile:  einen  pro- 
saischen und  einen  poetischen.  Im 
prosaischen  Teile  wird  gesagt,  wie 
Ludwig  der  Fromme  einen  berühm- 
ten Dichter,  aufgefordert  habe,  den 
Inhalt  des  alten  und  neuen  Testa- 
ments in  deutscher  Sprache  zusam- 
menzufassen. Der  Dichter,  welcher 
dem  Volke  der  Sachsen  entstammte, 
kam  dem  Auftrage  seines  Herren 
nach  und  kleidete  die  ganze  bibli- 
sche Geschichte  von  dem  Anfang 
der  Welt  an  bis  Christi  Tod  in  ein 
poetisches  Gewand.  In  den  der 
Prosavorrede  folgenden  Hexametern 
wird  als  Dichter  ein  Bauer  bezeich- 
net, den  eine  himmlische  Stimme 
im  Traume  zum  Dichter  geistlicher 
Gesänge  entflammt  habe.  Diese 
Anekdote  ist  offenbar  im  Anschluss 
au    die    Erzählung    von  Kädmon 


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400 


Helfend. 


(Beda,  Kistoi-ia  Eccle»iastka  Lib.  IV  zu  haben.  Unterstützt  wird  diese  An- 
Cap.  XXIV)  entstanden,  der  auch  sieht  dadurch,  dass  genannte  Verse 
über  Nacht  ein  gottbegnadigter  im  englischen  Werke  ohne  Zweifel 
Dichter  wurde.  Dass  der  Heliand  Interpolationen  sind,  und  dass  sie 
auf  Veranlassung  des  kirchlich  ge-  eine  grosse  Ähnlichkeit  im  Wort- 
sinnten  Ludwig  des  Frommen  ent-  \  vorrat  und  der  Ausdrucksweise  mit 
standen  ist,  erregt  keinerlei  Be-  dem  Heliand  zeigen.  Sicher  be- 
denken, dass  hingegen  der  Dichter  wiesen  ist  die  Meinung  Sievers  noch 
ein  schlichter  Bauer  gewesen ,  ist  nicht  und  man  nimmt  daher  am 
nicht  wahrscheinlich,  da  das  Gedicht  besten  an ,  dass  die  Mitteilung  in 
für  die  Leier  eines  ungebildeten  der  Präfatio  auf  einem  Missverstand- 
Volkssängers  doch  zu  gelehrt  ist.  nis  beruhe. 

Die  Bildung  des  Verfassers  muss  Der  Heliand  ist  in  altsächsischer 

nicht  unbedeutend   gewesen  sein,  Sprache  geschrieben  und  wird  wahr- 

da,  wie  Windisch  in  seiner  Schrift:  scheinlich  in  Westfalen  entstanden 

„Der  Heliand  und  seine  Quellen"  sein.    Das  Versmass  ist  die  alli- 

Leipzig  1868,  nachweist,  ihm  neben  terierende  Langzeile,  welche  aller- 

der  Bioel  und  der  Evangelieuhar-  dings  zum  christlichen  Inhalt  nicht 

monie  des  Tatian  noch  Kommentare  i  gerade  passt,  so  wenig  als  der  heid- 

zu  den  vier  Evangelien  vorgelegen  nische  Charakter  des  Walthariliedes 

haben  und  zwar  zum  Matthäus  aer  zu  den  lateinischen  Hexametern,  in 

Kommentar  des  Rhabanus  Maurus,  welchen   das   genannte  Epos  ge- 

zu  Markus  und  Lukas  Kommentare  schrieben  ist.    Unser  Gedicht  zeigt 


des  berühmten  englischen  Kirchen-  die  Alliteration  schon  in  ihrem  Ver- 

historikers  Beda  und  zum  Johannes  fall ;  doch  ist  der  Verfasser  äugen- 

ein  Kommentar  des  Alkuin.    Da  scheinlich  bemüht,  den  Inhalt  in 

der  Kommentar  des  Rhabanus  822  Einklang    zu    bringen    mit  dem 

geschrieben  wurde,  so  kann  diese  Metrum,  und  zwar  dadurch,  dass 

Jahreszahl  als  terminus  a  quo  unseres  er  die  Darstellung  derjenigen  der 

^  Werkes  genommen  werden.  alten  Heldengedichte  nähert.  So 

Wenn  die  Aussage  der  Vorrede,  wird  das  Verhältnis  des  Heliands 

dass  der  Dichter  sein  Werk  vom  zu   seinen  Jüngern   wie  das  des 

Anfang  der  Welt  bis  zum  Tode  Fürsten   zu    seinen  Gefolgsleuten 

Christi  geführt  habe,  wahr  ist,  so  geschildert,   die  Jünger  sind  des 

hätten  wir  allerdings  nur  einen  Teil  Heilands   „snelle  degene".  Auch 


der  ganzen  Dichtung  vor  uns,  da 
uns  nur  die  Bearbeitung  des  neuen 
Testamentes  erhalten  ist.  Es  sind 
nun  verschiedene  Untersuchungen 
angestellt  worden,  um  den  Anfang 
des  Werkes  aufzufinden.  Wacker- 
nagel sah  in  dem  Wessobrunner 


sonst  macht  sich  der  Dichter  keine 
Skrupel  daraus,  einzelne  Motive  und 
Gegenstände,  welche  den  Sachsen 
im  oiblischen  Ausdruck  unverständ- 
lich gewesen  wären,  in  das  Licht 
der  gegenwärtigen  Zustände  und 
Verhältnisse  zu  versetzen.  Andcr- 


Geoet  den  Eingang  des  ersten  Teiles.  I  seits  vermeidet  er  auch  wieder,  was 
Bekannter  ist  die  Ansicht  von  Sie-  ,  seine  Sachsen  unangenehm  berühren 
vers  geworden,  welche  auch  manches  1  oder  ihnen  lächerlich  erscheinen 
für  sich  hat ,  und  die  er  in  seiner  musste.  So  schweigt  er  von  der 
Abhandlung:  „Der  Heliand  und  die  Beschneidung  Christi  und  übergeht, 
angelsächsische  Genesis,  Halle  1875",  dass  Christus  auf  einem  Esel  in 
niederlegt.  Er  glaubt  nämlich  in  Jerusalem  eingeritten  sei.  Vermöge 
der  angelsächsischen  Genesis  Vers  des  volkstümlichen  frischen  Zuges, 
235  —  851  ein  Bruchstück  des  ge-  der  den  Heliand  durchweht,  und 
suchten  alten  Testamentes  gefunden  der  poetischen  und  echt  epischen 


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HeUebarte.  —  Helm. 


401 


Sprache  Ut  das  vorliegende  Werk 
ein  schönes  Denkmal  unserer  ältesten 
Dichtkunst  und  hebt  sich  vorteilhaft 
ab  von  der  trockenen,  mönchisch- 
pedantischen Ausdrucksweise  der 
Evangelienharmonie  des  Weissen- 
burger  Mönches  Otfried. 

Der  Heliaud  ist  uns  in  drei 
Handschriften  erhalten:  1.  Eine 
Münchner  Handschrift.  2.  Eine 
Cotton-Handschriflt  auf  dem  brit- 
tischen  Museum  zu  London,  und 
3.  Eine  Prager  Handschrift,  welche 
aber  nur  wenige  Verse  enthidt  und 
welche  der  Cottonhandschrift  sehr 
nahe  stellt.  Mit  einer  Herausgabe 
des  Heliand  beschäftigte  sich  schon 
Klopstock,  da  es  diesem  sehr  inter- 
essant sein  musste,  einen  so  alten 
Messiasdichter  kennen  zu  lernen. 
Zu  einer  Ausführung  des  Planes 
kam  es  jedoch  nicht.  Die  beiden 
bekanntesten  Ausgaben  sind: 

J.  A.  Schweiler:  Hiliand,  yoema 
Ütrjro/iicum  seculi  noni.  München 
1830.  2.  Band  Glossarium  1840. 
Moritz  He)Tne,  Paderborn  1866, 
neueste  Ausgabe  1883. 

Hei  lebarte.  Nach  Wackernagel 
ist  die  helmbarte,  heinharte,  heiharte 
„die  Helme  zerhauende  Barte". 
Richtiger  bemerkt  wohl  Grimm,  dass 
Helm  oder  Halm  soviel  wie  Stiel 
und  helmharte  soviel  wie  Stielaxt 
bedeute.  Die  HeUebarte  ist  eine 
Streitaxt,  c'.io  von  Reitern  und  Fuss- 
v«  >lk  gebraucht  wurde.  Sie  ist  zwar 
eine  nicht  ritterliche  Waffe,  diente 
aber  vortrefflich  zu  Hieb  und  Stoss. 
Entwickelt  hat  sie  sich  unstreitig 
aus  der  alten  Streitaxt  und  zwar 
dadurch,  dass  der  Stiel  bedeutend 
verlängert,  die  Axt  (die  Barte)  ver- 
breitert und  statt  des  abgestumpften 
Haues  eine  Lanzenspitze  angefügt 
wurde.  Der  Barte  gegenüber  steht 
ein  Haken,  der  zum  Reissen  dient. 

Die  HeUebarte  dieser  Form 
tritt  nachweisbar  erst  um  das  Jahr 
1300  auf  und  zwar  in  dem  Ge- 
dichte von  Ludwigs  Kreuzfahrt, 
worin  man  aus  der  ausführlichen 

Reailexicon  der  deutschen  Altertümer. 


;  Beschreibung  der  WatFe  auf  die 
'  Neuheit  des  Gebrauches  derselben 
schlicssen    will.     Die  HeUebarte 
scheint  rasche  und  allseitige  Ver- 
breitung gefunden  zu  habeu,  nach- 
,  dem  die  Schweizer  mit  derselben 
ihre  Freiheit  gegen  Osterreich  und 
|  Burgund  so  tapfer  zu  verteidigen 
gewusst.    Wie  gefürchtet  sie  einst 
jwar,  sagt  heute  noch  ein  französi- 
sches Sprichwort:  Cela  rime  eomme 
hallebarde  et  mis^ricurde. 

Heller,  mhd.  der  hallaere,  haller, 
\  kälter,  heller,  ist,  mit  Auslassung 
|  des   Wortes  Pfennig  statt  Haller 
pfening,  mittellat.  denarius  llallen- 
sis,  ein  zu  Schwiibisch-Hall  gepräg- 
ter Pfennig.    Die  Münze  erscheint 
zuerst  1228.    Im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert findet  man  häufig  die  gröss- 
ten  Summen  in  Hallern,  Schillingen 
I  (kurzen  zu   12 ,    oder   langen  zu 
'  30  Stücken)  und  Pfunden  zu  240 
Stücken  Haller  angesetzt.  Der  Wert 
dieser  Münze  war  nach  Verschieden- 
heit der  Zeiten  und  der  Münzstätten 
verschieden,  doch  gingen  meist  auf 
J  den  Pfennig  jedes  Ortes  zwei  Haller, 
i  daher  denn  auch  Haller  oft  mit  dem 
Helbling  verwechselt  wurde. 

Helm.  Zu  Tacitus'  Zeit  kannten 
die  Germanen  noch  keine  Kopfbe- 
i  deckung.  Barhaupt  stürzten  sie  sich 
in  den  Kampf,  sträubten  dabei  die 
Haare  emoor,  um  dem  Feinde  recht 
fürchterlich  zu  erscheinen.  Den 
Gebrauch  des  Helmes  lernten  sie 
also  wohl  von  den  Römern.  Schon 
Diodor  sagt  von  den  Galliern,  dass 
sie  eherne  Helme  trügen,  mit  Hörnern 
und  Schadelknochen  geschmückt. 
Eine  beliebte  Helmzierde  der  alten 
Deutschen  waren  die  Eberbilder,  der 
Talisman  der  Kämpfenden;  auch 
die  Kopfhaut  der  Auerochsen,  des 
Hirsches  und  Elchs  wurden  in  glei- 
chem Sinne  benutzt.  Der  Helm 
hatte  oft  selbst  die  Gestalt  eines 
Eberkopfes  und  war  aus  Erz  ge- 
fertigt :  daneben  war  auch  die  Fell- 
kapne  noch  vielfach  in  Gebrauch. 
Jene  heidnischen  Eberhelme  wur- 

26 


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402 


Helm. 


den  auch  von  den  zum  Christentum  terer  Bestandteil  des  Helmes  hinzu, 

bekehrten  Sachsen  in  England  fort-  Die  berühmte  Tapete  von  Bayern 

f reführt ,  allerdings   nur  von  den  (1066)  stellt  die  meisten  Krieger  in 
töheren  Führern  und   vornehmen  dem  konischen  Helm  mit  Naseublatt. 
Kriegern.     Zwei    Exemplare    sind  aber  ohne  Nackenschirm  dar  und 
unserer   Zeit    erhalten    geblieben,  zeigt  deutlich,  dass  diese  unbequeme 
Das  eine  besteht  aus  Eisenrippen,  Kopfbedeckung  erst  im  Augeuoiicke 
welche  strahlenförmig  zum  Kopf-  des     Kampfbeginnens  aufgesetzt 
wirbel  emporsteigen  und  deren  Zwi-  wurde.  Die  Rasenplatte  des Glockeu- 
schenräume  mit  schmalen  Platten  helmes  erweitert  sich  in  der  Folgezeit 
von  Horn  ausgefüllt  waren.    Der  in  den  Werkstatten  der  rheinischen 
andere  besteht  aus  kreuzweis  über-  Waffenschmiede   zu  vollständigen 
einander  gebogenen  Stangen,  welche  Gesichtsschirmen,  die  nur  für  die  At- 
durch  einen  um  den  KopT  laufenden  ,  mungs-  u.  Gesichtsorgane  die  nötigen 
Reif  zusammengehalten  wurden.  Auf  ventaille  (vinfafha,  renfei  fen)  onen 
beiden  Seiten  finden  sich  Fortsätze  Hessen,  während  andere  das  Ketteu- 
zum  Anheften  der  Wangenbäuder.  geflecht  unter  dem  Kinn  derart  ver- 
Dieser  zweite  Helm  ist  aus  Erz  magerten,  dass  es  über  die  Stirne  am 
gemacht.    Nach  dem  Waltharilied  Helm  festgeknöpft  werden  konnte, 
war  ein  solcher  Helm  auch  mit  Eine  solche  Vorrichtung  hiess  fxir- 
Helmbüschen    oder   Rossschweifen  hier,  barbel.  Noch  andere  verläuger- 
geziert.  ten  den  Stirnteil  der  Kapuze,  so- 
Die  erste  historisch  sicher  nach-  dass  dieser  beliebig  hinaufgeschlagen 
weisbare  Form  erhält  der  Helm  (ahd.  und  herabgelassen  werden  konute. 
ags.  heim,  altn.  heim,  hialm,  got.  So  entstand  das  härsenier.  iJ/tM 
hilms)  erst  in  der  zweiten  Hälfte  stroufte  im  ab  sin  härsenier."  „Sin 
des  11.  Jahrhunderts.    Das  spröde  härsenier  von  im  er  zoch,  des  t traue 
Erz  hat  dem  schmiegsameren  Eisen-  in  starJdu  hifze")  Unmittelbar  auf 
blech  Platz  gemacht,  das  anfänglich  dem  Kopfe  liegt  die  lederne,  aussen- 
in  niedriger  Glockenform  Schädel,  beringte  Hirnhaube   \gupfe.  Mibe, 
Stirn  und  Schläfen  deckt,  während  hüetelin,    patical)    als*  schützende 
unter  demselben  die  aus  Maschen  Unterlage,  sodass  der  Kopf  drei- 
gestrickte  Kapuze  und  Halsberge  die  fach  geschützt  war,  durch  diese. 
Verbindung  mit  der  Brünuc  her-  durch  die  Kapuze  des  hauberts  und 
stellen.  Das  Gesicht  ist  einzig  noch  endlich  durch  den  Helm.    Zur  Zeit 
frei,  wenn  auch  eng  begrenzt;  ein  der    Kreuzzüge    tritt    noch  ein-1 
starkes  Stirnband  giebt  dem  Hute  \  schleierartige  Helmdeckc  hinzu,  wel- 
che nötige  Festigkeit,  und  ein  vorn  che  die  syrischen  Sonnenstrahlen 
in  der  Mitte  festgemeteter  Metall-  abzuhalten  bestimmt  war.  Denkt 
streifen  (Nasenschirm ,  Nasenband,  man  sich  noch  die  schwere  Arbeit 
nasale,  nasile)  gewährt  der  Nase  eines  solchen  Krieges  hinzu,  so  ist 
et  welchen  Schutz.    Dieser  isenhuot  wohl  die  Hitze  des  Kampfes,  von  der 
erscheint  bald  auch  mehr  kegel-  die  Sänger  soviel  zu  melden  wissen, 
förmig,  um  die  Wucht  der  Streiche  genügsam  illustriert,  und  begreift 
zu  mildern ,  die  auf  dem  näher  an-  man  wohl,  dass  der  Helm  nur  wäh- 
liegendeu    topfartigen    Vorgänger  rend  des  Kampfes  getragen  wurde, 
immer  noch  empfindliche  Erschüt-  sonst  aber  am  Sattel  hing,  ja,  dass 
terungen  des  Gehirns  hervorrufen  t  er  auch  in  den  Pausen  des  Gefechtes 
konnten.  Nicht  selten  ist  die  Spitze  abgelegt  wurde,  damit  der  Träger 
des  Kegels  leicht  nach  vorn  geneigt  der  Gefahr  des  Erstickens  entgene. 
und  es  tritt  neben  dem  Nasenband  Die  Querschranze,  der  wagerechte 
auch  der  NackenschUui  als  ein  wei-  Durchschnitt  für  die  Augen,  wird 


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Holm. 


403 


oft  durch  eine  senkrechte,  nasen- 
artige Verstärkung  gekreuzt. 

Neben  dem  Topf-  und  Glocken- 
heim  kommt  die  leichtere  und  be- 
quemere sogenannte  kleine  Kessel- 
haulte  in  Gebrauch,  welche  man  als 
eine  Erweiterung  der  Hirnhanbe 
oder  wenn  man  will  als  eine  Ver- 
kleinerung: des  alten  Glockenhelms 
betrachten  kann.  Sie  wurde  über 
der  Kettenkapuze  getragen  und  war 
mit  derselben  sogar  zuweilen  un- 
mittelbar verbunden,  denn  sie  bil- 
dete im  Grunde  nur  einen  Ersatz 
der  Hirnhaube  und  wurde  auch  nicht 
abgenommen,  wenn  man  den  Topf- 
helm aufsetzte,  vielmehr  stülpte  man 
diesen  über  die  Kesselhaube.  Es 
dürfte  um  die  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts gewesen  sein,  dass  man 
darauf  kam,  an  dieser  Kesselhaube 
ein  Visier  zu  befestigen,  welches 
bei  plötzlichen  Fällen  der  Notwehr 
heraogeschlagen  werden  konnte,  falls 
der  grosse  Topfhelm  nicht  zur  Hand 
war.  Die  kleine  Kesselhaube  dieser 
Form  fand  sehr  viel  Beifall,  denn 
sie  erlaubte  es,  sich  in  jedem  Augen- 
blicke durch  Aufschlagen  des  Visiers 
Luft  und  freie  Umsicht  zu  gestatten 
und  sicherte  den  Krieger  gleichwohl 
ausweichend  gögen  Schläge,  die  nach 
Hals  und  Gesiclit  umfuhrt  wurden. 
Ihr  grösster  Nachteil  war  der,  dass 
das  nerniederffelassene  Visier  als  ein 
rüsselartiger  Vorsprung  den  feind- 
lichen Schlag  leichter  auffing  als 
die  Ovale  und  Flächen,  und  somit, 
wenn  auch  keine  Verwundungen,  so 
doch  heftige  Himersehütterungen 
zuliess.  Darum  kommt  mit  und 
neben  ihr  auch  der  einfache  Eisenhut 
auf,  gerundet  und  spitz,  ohne  Visier, 
aber  mit  breitem  Rand.  Der  Eisen- 
hut schützt  nur  Kopf  und  Stime, 
während  die  Eisenkappe  auch  mit 
Wangenkappen  oder  doch  öfter 
mitOnrsternen,  Gehörrosen  versehen 


Im  spateren  Mittelalter  tritt  mit 
dem  Plattenpanzer  die  grosse  oder 
hochgekegelte  Kesselhaube,  beggel- 


hüben  (Beckenhaube)  auf,  die  mit 
ihrem  Visier  das  Antlitz  völlig  deckt, 
aber  die  Nachteile  der  kleinen  teilte. 
Daneben  ist  es  der  oben  genannte 
einfache  Eisenhut  und  wieder  der 
Topfhelm  in  verschiedener  Gestalt 
und  unter  den  Namen  Stulphelm, 
Helmfass,  Kübelhelm,  der  vorzüg- 
lich im  ritterlichen  Lanzenkampte 
diente  und  noch  immer  über  der 
einfachen  Kesselhaube  getragen 
wurde.  Er  besteht  meist  aus  drei 
bis  fünf  zusammengenieteten  Leder- 
flächen  oder  Eisennlatten,  deren  eine 
die  Scheitelschale  bildet,  die  sich  im 
14.  Jahrhundert  mehr  nach  der 
Höhe  wölbte,  weil  sie  in  dieser 
Form  den  wuchtigen  Schlag  der 
Streitkolben  weniger  empfinden  lässt. 
als  mit  der  ebenen  Platte.  Der 
„r/rand  heaume'\  welcher  anfangs 
des  14.  Jahrhunderts  in  Frankreich 
und  England  üblich  war,  ist  sogar 
nahezu  eiförmig  und  überragt  den 
Schädel  fast  um  Konfhöhe.  Er 
w  urde  meist  in  Verbindung  mit  den 
Achselschilden  (aileftes)  getragen. 
In  Deutschland  reichen  während  der 
ersten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
die  Helmfässer  noch  nicht  auf  die 
Schultern  herab;  bald  aber  ver- 
längern sich  die  Seiten  wände  und 
zwar  meist  derart,  dass  der  Helm 
auf  den  Achseln  aufsitzt.  Die  Öff- 
nung für  die  Augen  besteht  ent- 
weder aus  zwei  Schlitzen,  die  bis- 
weilen mit  Messing  eingefasst  sind, 
oder  aus  einem  offenen  Spalt  |Seh- 
schnitt  l  zwischen  Kappe  und  Kübel 
(Ober-  und  Unterteil ...  An  der  Seite 
befinden  sich  einige  kleine  Luft- 
löcher und  ein  kreuzförmiger  Ein- 
schnitt zur  Befestigung  an  aie  Hals- 
feste. Die  Topfhelme  wurden  bald 
blank,  bald  vergoldet,  bald  heral- 
disch bemalt  getragen. 

Gegen  Ende  des  14.  Jahrhun- 
derts wird  der  Topfhelm  wieder 
niedriger,  erhält  aber  ein  Visier, 
ähnlieh  der  Kesselhaube,  welches 
entweder  Mund  und  Kinn  allein 
oder  auch  die  Augen  mit  bedeckte. 

26* 


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404 


Helmbrünne.  —  Herold. 


Er  bürgerte  sich  jedoch  nie  völlig 
ein,  da  er  nicht  mit  der  Maschen- 
kapuze in  Zusammenhang  gebracht 
war,  und  so  wurde  er  denn  bald 
wieder  verdrängt  durch  den  ge- 
schlossenen Kübel,  der  nun  endlich 
durch  Abplattung  des  Hirnstückes, 
sowie  durch  Ausschweifung  des  Ge- 
sichtsschutzes diejenige  Gestalt  er- 
hält, welche  er  als  Stechhelm  bis 
ins  16.  Jahrhundert  hinein  bewahrt. 
Diese  Krötenkopfhelme  entsprachen 
ihrem  Zwecke  vortrefflich.  Der 
obere  Teil  folgt  der  natürlichen 
Rundung  des  Kopfes,  der  untere 
schliesst  sich  bequem  dem  Halse 
an  und  steigt  über  Kehlkopf,  Kinn 
und  Nase,  mit  einem  stark  vor- 
springenden Grate  empor,  so  dass 
er  über  der  Nase  weit  ausladet. 
Die  Scbspalte,  welche  horizontal 
über  diesem  Vorsprunge  liegt,  bietet 
der  Spitze  de«  feindlichen  Schwertes 
oder  der  Lanze  keinen  Anhalt;  die 
zurückweichenden  Aussenseiten  las- 
sen den  Hieb  abgleiten;  solide 
Platten  reichen  auf  Brust  und 
Kücken  zum  Kürass  herab  und 
gestatten  es,  den  Helm  hier  festzu- 
schnallen. Aber  diese  Schutz waffe 
war  sehr  schwer  (18—20  Pfund) 
und  kostbar,  und  so  kommt  es,  dass 
sie  als  „grand  heaume  de  joute"  oder 
„tilting  pot-helm"  mehr  und  mehr 
dem  Turnier  anheimfällt,  während 
sie  im  Felde  von  der  grossen  Kessel- 
haube und  dem  Eisenhute  verdrängt 
wird. 

Bei  der  Reiterei  kommt  an  der 
Stelle  der  ersteren  die  sogenannte 
Schale  (Schaller)  auf,  oben  nach 
dem  Schädel  geformt,  herabreichend 
über  Nase  und  Mund,  hinten  mit 
einem  grossen  Nackenschirm  oder 
Schweif.  Die  unteren  Partien  des 
Kopfes  wurden  durch  die  Kinnkappe 
oder  Barthaube  geschützt,  die  zu- 
gleich als  Halsberge  diente  und 
am  Harnisch  festgeschraubt  werden 
konnte. 

Der  Burgunderhelm  brachte  in 
seinen  Variationen   das  Visier  zu 


besonderer  Entwickelung  und  zierte 
sich  mit  allem  möglichen  Zierat  Er 
ist  jedoch  nicht  deutschen  Ursprungs, 
weswegen  wir  hier  nicht  näher  auf 
denselben  eintreten.  Hauptsächlich 
nach  Jahns,  Geschichte  des  Kriegs- 
wesens. 

Helmbrunne  oder  Helmhaube, 
auch  Ringhaube  hiess  man  die 
Maschenkapuze,  welche  teils  zu  bes- 
serem Schutz,  teils  zur  Verminde- 
rung des  Druckes  unter  dem  Helm 
getragen  wurde.  Sie  war  meist  mit 
Leinwand  oder  Leder  gefüttert 

Helmzierde,  zifnier,  zimierde, 
nannte  man  den  Helmschmuck,  der 
besonders  dem  Turnierhelm  nicht 
fehlen  durfte.  Er  bestand  entweder 
in  beliebig  gewählten  Figuren  uud 
Emblemen,  oder  er  entsprach  dem 
Wappenbilde,  das  in  gleicher  Weise 
auch  auf  dem  Schilde,  dem  Waffen- 
rock, den  Pferdedecken  und  dtm 
Banner  angebracht  war.  Solcher 
Schmuck  macht  den  Trager  des- 
selben schon  von  ferne  kenntlich. 
Tristans  Zimierde  ist  ein  Pfeil,  Wi- 
galois'  ein  Rad,  Gahmurets  ein 
Anker  etc.  Daneben  kommen  Helm- 
busch, Federbusch  und  Helmdecke 
vor,  welch  letztere  aus  Tuch  be- 
stand und  wie  ein  Mäntelchen  herab- 
hinc,  bald  einfach,  bald  gefalt«  t, 
bald  in  wunderlichen  Formen  aus- 

feschnitten.  Neben  den  Wappen 
ommen  auch  belaubte  Zweige,  Vogel- 
flügel,  Hörner,  Tier-  und  Älenschen- 
köpfe  vor. 

Herold  ist  seit  dem  12.  Jahrhun- 
dert aus  dem  ebenfalls  erst  in  dieser 
Zeit  erscheinenden  französischen 
Wort  herauf,  herauli,  in  der  deut- 
schen Form  heralt  oder  umgedeutet 
als  erhalt  übersetzt  worden;  das 
französische  Wort  geht  aber  auf  ein 
althochdeutsches,  als  Appellati  v  nicht 
mehr  nachzuweisendes  ahd.  hario- 
wall,  Heerwalt,  Heerbeamter  zurück, 
das  noch  im  Eigennamen  Chario- 
waldu»  erscheint;  die  späteren  Ge- 
stalten des  deutscheu  Wortes  sind 
i  .folge  weitererUmdeutungsversuehe 


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Herr.  —  Herzog. 


405 


Ehrenholt,  Ehrenhalt.  H«-rolt.  Hecr- 
h<»lt,  alle  zu  Gunsten  vom  Herold 
eingegangen;  doch  klingt  herald 
noch  nach  in  Heraldik,  Wappen- 
kunde, und  in  heraldisch.  Welches 
höhere  Amt  in  Beziehung  auf  das 
Heerwesen  das  deutsche  Grundwort 
ursprünglich  bezeichnet,  ist  nicht 
bekannt;  das  Amt  selber  aber  und 
sein  Name  musste  in  den  romanischen 
Ländern  noch  unvergessen  sein,  als 
man  seit  der  Ausbildung  der  Ritter- 
spiele den  Namen  auf  einen  Beamten 
anwandte,  der  über  den  regelrechten 
Hergang  b<ni  Turnieren  und  die 
Rittermässigkeit  der  daran  Teil- 
nehmenden die  Aufsicht  führte,  und 
zwar  nicht  früher,  als  bis  bei  den 
Turnieren  die  Ahnenprobe  der  Ritter 
und  die  Wappenprobe  ihres  Helmes 
und  Schildes  zur  Hauptsache  des 
Spieles  geworden  war.  Nach  dem 
14.  Jahrhundert  erscheint  das  Amt 
eines  Heroldes  als  herrschaftliches 
und  kaiserliches  nach  Funktion, 
Kleidung,  Attributen,  Lehrzeit  aus- 
gebildet, und  der  Herold  wird  nach 
und  nach  Kenner  und  Richter  des 
Rittermässigen  auch  ausserhalb  des 
Turniers:  zugleich  ist  er  als  fürst- 
licher Bote,  Verkündiger  und  Aus- 
rufer, namentlich  bei  Aufzügen  und 
im  Kriege  gegen  den  Feind  ver- 
wendet Der  Stand  der  Herolde  ist 
der  b  irgerliche;  doch  gereicht  ihm 
die  Berührung  mit  dem  fahrenden 
Sängertum,  aas  zum  Heroldsamte 
beigelassen  wird,  nicht  zu  höherem 
Ansehen.  Die  Verwendung  des 
Heroldes  als  Ausschreier,  Eröffner 
und  Beschlicsser  des  alten  Dramas 
rührt  von  Rosenblüt  her,  der  in  des 
Türken  Fastnachtsniel  des  Türken 
Wappenträger  und  Herold  dazu  ver- 
wendete. 

Von  den  Herolden  oder  Wappen- 
kundigen geht  eine  besondere  Art 
poetischer  Zeitgeschichte  aus,  die 
Wackernagel  Heroldsdiehtunq  ge- 
nannt hat;  sie  entsteht  dadurch, 
dass  die  von  Fürsten,  Herren  una 
Städten   angestellten  Herolde  die 


Kunst  des  Turnierens  und  du»  Bilder 
und  Farben  der  Wappenkunst  poe- 
tisch betrieben;  manche  dieser  Dich- 
tungen haben  die  Form  d«*r  Feier 
oder  Klage  gleichzeitiger  Personen 
erlauchten  Standes.  Grimm,  Wör- 
terbuch. 

Herr  ist  die  im  9.  Jahrhundert 
in  substantivische  Verwendung  ge- 
kommene, kontrahierte  Komparativ- 
form des  Adjektivs  kir,  nhd.  hehr, 
und  lautet  ahd.  herero,  heriro,  hSrro, 
hero,  ahd.  herre,  herre,  besonders 
in  der  Anrede  her  und  her  gekürzt. 
Dieses  Wort  trat  an  die  Stelle  einer- 
seits des  älteren  vr6,fr6,  ursprüng- 
lich von  Gott  und  weltlichen  Herren 

febraucht  und  in  der  weiblichen 
'orm  Frau,  ahd.  froutea  erhalten, 
andererseits  des  ahd.  fruchtin,  welches 
ursprünglich  den  Höchstgestellt<in, 
den  eigentlichen  Herrscher  be- 
zeichnete. Anfänglich  bedeutet  das 
alte  heriro,  herro  zunächst  nur  den 
höher  Gestellten,  den  Befehlenden 
gegenüber  dem  Knechte.  In  der 
höfischen  Periode  wird  herr  der 
Standesname  für  den  Adeligen,  herr 
Walther  von  der  Vogehreuie ,  herr 
Wolfram  von  Eschenhaeh, herr  keiner, 
herr  k'ünec,  her  Iicein,  her  Wirnf  von 
Grfivernberc;  der  unerwachsene  Sohn 
heisst  junchSrre,  Junker.  Der  per- 
sönlichen Unterordnung  der  Vasallen 
und  Ministerialen  gemäss  unter  einen 
Lehnsherrn  wird  die  Formel  herre 
min  oder  min  herre,  franz.  monsieur. 
sehr  häufig,  ohne  sich,  wie  es  in  den 
romanischen  Ländern  und  im  Nieder- 
ländischen p-sehah,  bis  in  die  Gegen- 
wart zu  behaupten.    In  den  Städten 

Seht  der  Name  tlerr  auf  die  städtische 
►brigkeit  über,  die  regelmässig  mine 
herre n,  meine  herren  heisst.  Mit  der 
Zeit  verwischt  sich  diese  Standes- 
bezeichnung und  der  Name  Herr 
sinkt  etwa  seit  dem  Beginn  des 
17.  Jahrhunderts  zu  einem  blossen 
Höflichkeitszeichen  herab. 

Herzog: ,  ahd.  herziogo,  herzoao, 
mhd.  herzöge,  aus  ahd.  heri,  Heer 
und  einem  vom  Verb  ziehen  abge- 


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» 


400  Herzog. 


lt-iteten,  nur  in  Zusammensetzungen  herzoglichen  Würde  verliehene  Ge- 
vorkommendeu,  ahd.  der  zo/to,  zo(j<> ,  walt  war  sehr  umfassend.  Der 
also  ursprünglich  ..der  mit  dem  Heer  Herzog  -fand  dem  Kriegswesen  in 
auszieht".  Der  Ursprung  der  her-  seiner  Provinz  vor,  erliess  das  Auf- 
zoglichen  Würde  hängt  mit  der  alten  gebot  und  rückte  au  der  Spitze 
Sitte  der  Deutschen  zusammen,  für  seines  Heeres  ins  Feld;  zu  seinem 
die  Zeit  des  Krieges  eiuen  gemein-  Amt  gehörten  die  Stärkung  des 
schaftlichen  Heerführer  für  mehrere  Recht»'*  und  des  Landfriedens,  die 
Landschaften  zu  wählen.  Im  friin-  Sorgfalt  für  die  gemeine  Sicherheit 
kischen  Reich  ist  der  Herzog  ein  und  die  Förderung  der  Landeswohl- 
königlicher  Beamter  über  mehrere  fahrt.  Er  übte  die  Hoheit  über  die 
unter  ihm  vereinigte  Gaue,  bald  ihm  untergebenen  Bischöfe,  Mark- 
bloss  für  eine  gewisse  Zeit,  bald  grafen,  Grafen  und  Herren,  entbot 
regelmässig  vorhanden,  dem  ausser  sie  zu  seinen  Hoftagen,  hielt  mit 
seiner  militärischen  Stellung  auch  ihnen  Gerichte.  Zum  Herzogtum 
andere  Funktionen  der  staatlichen  gehörten  zahlreiche  Vasallen,  aus 
Gewalt  zukommen.  Unter  dem  Her-  des  Herzogs  Hand  mit  Reichsgütern 
zöge  blieb  die  gräfliche  Gewalt  zu  belehnt  und  ihm  durch  die  Baude 
Recht  bestehend,  die  sich  namentlich  der  Lehenstreue  verbunden.  So 
in  der  Leitung  der  Gerichte  zeigte,  traten  die  Herzöge  fast  mit  einem 
Der  Umfang  der  Herzogtümer  um-  königlichen  Ansehen  auf  und  nanu- 
fasste  einen  Kreis  von  drei  bis  zwölf  ten  sich  früh  Herzöge  von  Gottes 
Gauen.  Früh  wurde  die  Bedeutung  Gnaden.  Auch  das  Amt  dieser 
der  Herzöge  im  fränkischen  Reiche  naehkarolingischeu  Herzöge ,  ur- 
eine  selbständige,  sie  wurden  die  sprünglich  vom  Kaiser  eingesetzt, 
Häupter  der  Stämme.  Ursprünglich  wurde  mit  der  Zeit  ein  erbliches, 
von  den  Königen  eingesetzt,  wurde  Bei  den  Sachsen  war  die  Vererbung 
ihre  Gewalt  früh  eine  in  bestimmten  von  Anfang  an  Gewohnheit;  un- 
Geschlechtern erbliche,  welche  die  ruhige  Zeiten  brachten  jedoch  noch 
Könige  anerkennen  mussten.  Das  mancherlei  Wechsel,  und  es  gelang 
Gesetz  ge  währte  dem  Herzog  höhere  den  Kaisern  noch  spät,  wegen  der 
Richte namentlich  ein  mehrfach  Verletzung  der  Pflichten  gegen  das 
gesteigertes  Wehrgeld.  Er  ruft  das  Reich  ein  Herzogtum  zu  entziehen. 
Volk  der  Provinz  zu  allgemeinen  Die  fernere  Entwickelung  der  her- 
Versammlungen  zusammen.  Unter  zogliehen  Gewalt  wird  dadurch  be- 
Mitwirkuug  des  Volkes  bestellt  er  stimmt,  dass  von  unten  herauf,  von 
die  Richter,  vielleicht  hat  er  selbst  den  Bischöfen,  Pfalzgrafeu.  Mark- 
die  Grafen  ernannt.  Besonders  in  ,  grafen ,  Grafen  und  Herren ,  eine 
Alamannien,  Thüringen  und  Bayern  Reaktion  gegen  die  herzogliche  Ge- 
wurde die  Gewalt  des  Herzogs  inner-  walt  aufkommt,  indem  diese  kleinen 
halb  seines  Territoriums  eine  fast  Gewalten  die  herzoglichen  Rechte 
selbständige.  Karl  der  Grosse  brach  selber  zu  erwerben  sich  bemühen, 
die  Gewalt  dieser  dem  Gesamtreiche  Dieses  gelang  in  mannigfacher 
verderblichen  Gewalten ,  und  liess  Weise ,  und  seit  dem  Ende  des 
keine  neuen  Herzöge  aufkommen.  12.  Jahrhunderts  teilten  sich  infolge 
Beim  Zerfall  der  karolingischen  davon  die  weltlichen  und  geistlichen 
Monarchie  kamen  aber  infolge  der  \  Grossen  in  zwei  Hauptmassen ,  in 
wieder  zunehmenden  Bedeutimg  der  diejenigen ,  welche  die  Rechte  des 
einzelnen  Stämme  von  neuem  Her-  Herzogtums,  mit  oder  ohne  diesen 
zöge  auf,  zuerst  bei  den  Sachsen,  Namen,  besassen  und  dadurch  dem 
dann  in  Bayern,  Alemannien,  Fran-  Reiche  unmittelbar  verbunden  wa- 
ken  und  Lothringen.    Die  mit  der  ren,  und  in  diejenigen,  wobei  jenes 


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Hexen  und  Hexenprozesse. 


407 


nicht  der  Fall  war.    Im  13.  Jahr-  Aus  dein  Wallen  des  Wassers,  dein 

hundert  hiessen  jene  Fürsten,  diese  Kräuseln  der  Zuthaten  in  der  Hitze, 

Herren.  vielleicht  aus  dem  Bodensatze  las 

Hexen  und  Hexen prozesse.  Das  die  Frau  die  Zukunft    Der  Seidh, 

Wort  Hexe  i^t  ahd.  hagazussa,  ver-  den  auch  Männer  trieben,  gab  Macht 

kürzt  h«zu#}  hazii,  kazes,  hazhm,  über  Menschen,  Tiere  und  Wetter, 

mhd.  hecse,  hexse,  hesse;  es  ist  jeden-  Seine  Wirkung  war  nach  der  Masse, 

falls  ein  Kompositum,  dessen  erster  die  in  den  Kessel  kam,  verschieden. 

Teil  hag  ist  in  der  Bedeutung  Land-  Die  Sinnesart  der  Menschen  konnte 

gut,  Feld  und  Flur;  der  zweite  Teil,  verändert,  Hass  oder  Liebe  ihnen  ein- 

noch    nicht   genau    nachgewiesen,  geflösst  werden;    langsames  Hin- 

wird  im  Grimmschen  Wörterbuche  siechen,  Versetzung  aus  der  Ferne 

mit  die  Schädigende  erklärt,  Hexe  in  die  Nähe,  zum  Teil  urplötzlich, 

also  als  die  den  Hag  schädigende,  zum   Teil    unendliche  Sehnsucht, 

Der  Ursprung  der  Hexen  liegt  welche  den  Fernen  trieb;  Verzau- 
in  den  iceisen  Weihern  der  alten  berung  auf  hohe,  unzugängliche 
Germanen,  Frauen,  die,  obgleich  Orte,  Erzeugung  von  Sturm,  Un- 
keine Priesterinnen,  sich  Vorzugs-  wetter  und  Misswachs  schrieb  man 
weise  der  Weissagung  widmeten,  dem  Seidh  zu.  Auch  Heilung  der 
und  im  Norden  als  volur,  npAhmur,  Krankheiten  lag  in  der  Hand  der 
n&dmr  bekannt  sind.  Sie  haben  weisen  Frauen;  denn  die  Hei- 
inren  göttlichen  Hintergrund  an  den  lung  war  ein  Opferdienst,  der  je 
Sornen,  welche  durch  die  Vermeh-  nach  dem  Leiden  dieser  oder 
mng  ihrer  Zahl  allgemach  ihre  Be-  jener  Gottheit  gewidmet  war;  die 
deutung  einbüssten  und  sich  der  Frauenkrankheiten,  namentlich  die 
Stellung  weissagender  Menschen-  Geburten,  standen  unter  Freyas 
frauen  näherten;  nicht  minder  be-  Macht,  Wunden  wurden  den Schlaeh- 
rühren  sie  sich  mit  den  Walküren,  tengöttern  anempfohlen.  Die  be- 
Das  erste  und  älteste  Eddalied,  liebtesten  Heilmittel  sind  Sprüche, 
Völusmi,  d.  h.  der  Wala  Weissagung,  Segen,  Stäbe  mit  Runen  Deritzt, 
legt  einer  Seherin  die  Verkündigung  Tränke  aus  Kräutern,  Salben  una 
des  Weltgeschickes  in  den  Mund;  Pflaster. 

sie  zieht  im  Lande  herum,  weis-  Dem  Christentum  erwuchs  indem 
sagend,  mit  Zaubersprüchen  vertraut  Stande  der  weisen  Frauen  eine  uner- 
und  auf  Zauberwerk  geübt.  In  bittliche  Gegnerschaft,  zumal  da  der 
anderen  Quellen  werden  die  Walen  neue  Glaube  und  Kult  besonders  aus 
von  den  Gläubigen  eingeladen,  ihnen  dem  Orient  Bestimmungen  enthielt, 
über  das  Leben,  über  das  Gedeihen  welche  die  Heiligkeit  der  Frau  ver- 
der  Feldfrüchte  im  nächsten  Jahre  letzten;  namentlich  war  festgesetzt, 
und  über  anderes  zu  weissagen,  dass  sich  keine  Frau  dem  Altare 
Meist  von  einem  Gefolge  umgeben,  nähern  und  keinen  noch  so  äusseren 
im  Lande  herum  wandernd ,  ist  die  Dienst  an  ihm  und  für  ihn  besorgen 
weise  Frau  bei  den  Herbstgastereien  durfte;  beim  Abendmahle  durften 
ein  willkommener  Gast,  der  in  der  die  Weiber  als  unreine  Wesen  die 
Nacht  den  Zauber  siedet  und  vom  Hostie  nur  mit  dem  Schleier  an- 
vierbeinigen Schemel  herab  seine  fassen ,  um  sie  in  den  Mund  zu 
Weissagungen  verkündet.  Der»SW<M,  stecken.  So  lässt  sich  begreifen, 
der  zur  Ausübung  der  Seherkunst  dass  die  deutschen  Frauen  sich  jetzt 
unerläßlich  scheint,  muss  ein  Sud  gern  den  ketzerischen  Sekten  an- 
aus  allerlei  zauberkräftigen  Dingen  schlössen  und  hier  für  ihre  Neigung 
gewesen  sein,  der  unter  Hersagen  zur  Innerlichkeit,  zum  Geheimnis- 
von  Spruch  und  Lied  bereitet  wurde.  !  vollen  und  Gottesdienstlichen  mehr 


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408 


Hexen  und  Hexenprozesse. 


Befriedigung  fau  len  als  iu  der  herr-  tage  aufgerichteten  Maibäume  waren 
sehenden  Kirche,  welche  nun  gegen  ursprünglich  grüne,  nach  oben  £e- 
das  Hejcentcesen  einen  vielhnndcrt-  richtete  Besen  und  es  ist  wahrschem- 
jährigen  Kampf  führen  zu  müssen  lieh,  dass  die  im  Dienste  Donars 
meinte.  I  stehenden  Priesterinnen  meist  Besen 

Der  Beweis  dafiir ,  dass  die  getragen  haben.  Die  Verwandlung 
Grundlagen  des  Hexenwesens  wirk-  \  der  Hexen  in  Schmetterlinge  una 
lieh  aus  uem  germanischen  Altertum  Fliegen  erinnert  an  ihre  Elben -Natur, 
stammen,  liegt  in  folgenden  Zügen,  das  Verbergen  in  Strohhalme  und 
Was  bei  den  Hexen  die  Zauberei  Federn  an  den  Schwan  und  an  eine 
ist,  ist  nichts  anderes  als  das  einst  Feldgottheit;  die  schlimme  Ein- 
edlere  und  reinere  Amt  der  Weis- ,  Wirkung  der  Hexen  auf  die  Kühe 
sagung;  namentlich  ist  das  Besch  wo-  steht  im  Zusammenhange  mit  der 
ren.  Besingen,  Besprechen,  Berufen, '  Kuh  als  dem  Symbol  der  Frucht- 
und  Segnen  der  Hexen  schon  den  barkeit  und  ihrem  Bezüge  mit  den 
weisen  Frauen  eigen  gewesen.  So  elbischen  Geistern.  Auch  im  Ge- 
erscheint in  den  Werk/  eugen  der  folge  des  wilden  Jagers  findet  man 
Hexen  das  alte  Opfergerät  :  der  sie.  Als  Zeiten  sind  den  Hexen  die 
Kessel,  in  dem  sie  den  Zauber  sieden,  heiligen  und  Gerichtszeiten  einge- 
ist  der  Opfer-  und  Seidhkessel;  der  räumt,  Ostern  oder  Mai,  Mitsommer 
Tanz  der  Hexen  bei  ihren  vermeint-  und  Herbst.  Der  Vorwurf,  dass  sie 
liehen  Versammlungen  mahnt  sowohl  Pferdefleisch  geniessen,  erinnert  an 
an  die  Tänze  der  Elbinnen  auf  die  alten  Opferschmause. 
Hügeln  und  Wiesen,  wie  an  den  Schon  früh  wurden  bei  den  chri- 
Tanz  der  Priesterinnen ;  die  Ver-  stianisierten  deutschen  Stämmen  He- 
bindung  der  Götter  mit  ihren  Die-  Stimmungen  gegen  Beeinträchtigung 
uerinnen  wurde  zum  Bunde  der  des  Lebens  durch  Gift  oder  geheime 
Hexen  mit  den  Teufeln.  Der  Wetter-  Künste  getroffen;  auch  wird  schon 
und  Liebeszauber  der  Hexen  er-  einer  Hexenverfolgung  im  grossen 
innert  an  Freya;  ebenso  die  Ver-  j  unter  den  Merowingeru  erwähnt. 
Wandlung  der  Hexen  in  Katzen,  Der  lan^obardische  König  Rothar 
welche  derselben  Göttin  geheiligt  ^  und  Karl  der  Grosse  eiferten  gegen 
waren;  die  Verwandlung  in  Gänse  ,  den  Hexenaberglauben  und  bedroh- 
bringt die  Hexen  den  Schwankung-  ten  diejenigen  mit  schweren  Strafen, 
frauen  nahe,  den  Walküren,  denen  welche  sich  gegen  einen  solchen  ver- 
auch  das  Fliegen  durch  die  Luft  meintlichen  Verbrecher  vergehen; 
angehört ;  die  später  erwähnten  doch  Hessen  namentlich  die  Geist- 
Mittel,  das  Fliegen  zu  ermöglichen, '  liehen  von  ihrer  Hexeu Verfolgung« • 
Salben  und  anderes,  sind  jüngeren  1  sucht  nicht  ab.  Zum  Teil  unechte 
Datums,  alt  dagegen  die  Nachricht,  j  Konzilienbeschlüsse  des  4.  Jahrhun- 
dass  die  Hexeu  auf  Rossen  durch  derta  sowie  die  dem  Atigustin  zu- 
die  Luft  reiten  und  dass  sie  der  i  geschriebene  Schrift  de  spiritu  et 
Teufel,  Wuotan  ist  gemeint,  in  anima  gaben  die  Grundlage  für  neue 
seinem  Mantel  durch  die  Luft  führe,  kirchliche  Bestimmungen,  welche. 
Der  Besen  steht  zu  Donar  und  von  der  weltlichen  Macht  bestätigt 
Wuotan  in  Beziehung;  er  ist  zu-  und  angenommen,  zur  Verfolgung 
n*?clist  ein  Bild  des  auseinander-  aller  Arten  sogenannten  Zaubers 
fahrenden ,  die  Luft  oder  den  dienten.  Noch  ist  aber  der  Teufel 
Himmel  vereinigenden  Blitzes,  in  nicht  herbeigerufen;  erst  die  Inqui- 
Verbindung  mit  den  oft  besenartig  sitoren  des  13.  Jahrhunderts  wussten 
erscheinenden  Sturmwolken,  die  den  ihn  den  armen  Hexen  zu  vermählen 
Himmel  fegen.  'Die  am  Walpurgis-  und  erbauten  aus  den  ketzerisch*  u 


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Hexen  und  Hexenprozese>\ 


409 


Meinungen  früherer  und  der  eigenen 
Zeit  eine  völlige  Teufelslehre.  Da- 
bei war  der  volkstümliche  Glaube, 
der  sieh  andie klugen  Frauen  knüpfte, 
eigentlich  Nebensache.  Die  Bulle 
Summt*  desideranfes  des  Papstes 
Innocenz  VIII.  vom  5.  Dezember 
14S4  gab  schliesslich  die  Losung, 
die  seit  etwa  1450  in  Frankreich 
begonnenen  Hexenprozesse  allgemein 
zu  verbreiten.  In  dieser  Bulle  wur- 
den die  für  Deutschland  bestellten 
Ketzerrichter,  die  Dominikaner  Hein- 
rich Imtitor  (Kramer)  und  Jakob 
Sprenger,  Professoren  der  Theologie, 
beauftragt,  mit  allem  Eifer  auch 
j  -ne  Zauberer  zu  verfolgen.  Beide 
unterzogen  sich  ihres  Auftrages  aufs 
eifrigste,  schrieben  auch  mir  Appro  I 
bation  der  theologischen  Fakiutät 
zu  Köln  den  berüchtigten  Ma Ileus 
maleß  carum  oder  Hexetutammer,  1489 
erschienen,  in  welchem  die  Lehre 
vom  Zauberbunde  mit  dem  Teufel 
weitläufig  auseinandergesetzt,  ihre 
Realität  bewiesen .  mit  einer  Masse 
Beispiele  belegt  und  umständlich 
gezeigt  wird,  wie  weitliche  und  geist- 
liche Richter  gegen  die  Hexen  ver- 
fahren müssen. 

Man  vermutet,  dass  es  nicht  bloss 
der  Verfolgungswahn  und  die  Teufels- 1 
dogmatik   der  Kirche ,   verbunden  | 
mit  der  meist  schlechten  sittlichen 
Lebensführung  der  als  Hexen  an- 

feklagten  Weiber,  und  der  Methode 
es  Frozessuiereus  gewesen  seien, 
was  die  zahllosen  Hexengeständnisse 
ermöglicht,  sondern  zugleich  der  Ein-  I 
fluss  eines  narkotischen  Mittels.  Bei  j 
allen  Hexengeschiehten  ging  der 
Hexenfahrt  eine  Einreibung  mit  ' 
einer  Hexensalbc  voraus  und  oft  ist 
von  einem  Hexentrank  dir*  Rede. 
Die  Zusammensetzung  der  Salbe  ist 
nicht  genau  bekannt;  Bilsenkraut 
wird  dabei  genannt.  Dass  der  Stech- 
apfel dabei  eine  Rolle  gespielt  habe, 
ist  durch  neuere  Untersuchungen 
widerlegt;  er  wurde  erst  später  in 
Europa  eingeführt. 

Fast  überall  lautete  das  Geständ- 


nis der  als  Hexen  angeklagten  Weiber 
gleich;  der  Teufel,  biess  es,  sei  unter 
der  Gestalt  eines  anständigen  Mannes, 
eines  Junkers,  Reiters,  Jägers,  Bür- 
gers, und  unter  verschiedcnenXameu : 
Volland,  Federlin,  Federhanns,  Claus, 
Hölderlein,  Peterlein,  Panperlen, 
Zucker,  Kasperle,  Grässle,  Hämmer- 
lein, Kreutle  u.  s.  w.  zu  ihnen  ge- 
kommen ;  am  Ende  hätten  sie  ihn 
aber  immer  an  seinen  Bocksfüssen 
erkannt.  Er  habe  versprochen,  ihnen 
in  ihren  Bedrängnissen  beizustehen, 
ihnen  auch  Geld  gegeben  (das  sich 
aber  meistens  in  Scherben  oder 
Dung  verwandelt » und  sie  mit  glatten 
Worten  zu  einem  Bündnisse  mit  ihm 
verfuhrt.  Sie  hätten  sich  ihm  ganz 
hingegeben,  Gott  gelästert  und  ihm 
abgesagt,  dem  Teufel  gedient  und 
ihm  versprochen,  Menschen  und 
Tieren  möglichst  Schaden  zuzufügen. 
Sie  haben  Zusammenkünfte  mit  uem 
Teufel  und  anderen  Hexen  und 
Zauberern  bei  Nacht  auf  benaeh- 
barten  Bergen  odir  in  Sehlösseru, 
auf  Heiden,  im  Rathaus  und  im 
Ratskeller  gefeiert,  dort  geschmaust 
(in  der  Regel  ohne  Salz  und  Brot), 
getanzt  und  allerlei  Unfug  getrieben; 
zu  diesen  Festen  seien  sie  auf  Ofen- 
gabeln oder  Besenstielen  oder  auf 
einem  schwarzen  Bocke  oder  auf 
Pferden  durch  die  Luft  geritten  mit 
Hilfe  einer  Hexensalbe,  mit  der  sie 
sich  oder  die  Gabel  bestrichen  Der 
Teufel  habe  ihnen  auch  gelehrt, 
Menschen  und  Vieh  durch  Berührung 
Krankheiten  anzuhängen,  Gewitter 
und  Wind  zu  machen  und  ihnen  ein 
Pulver  gegeben,  mit  dem  sie  fremde 
Felder  verderben  könnten. 

Den  Umstand,  dass  erst  gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  die  Hexen- 
prozesse in  Gang  kamen,  während 
doch  der  dem  Hexenweseu  zu  Grunde 
liegende  Aberglaube  uralt  ist  und 
nie  aufgehört  hatte,  erklärt  Wächter 
vornehmlich  daraus,  dass  in  dieser 
Zeit  eine  wesentliche  Änderung  im 
prozessualischen  Verfahren  und  Be- 
weissystem eintrat.    Damals  fingen 


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410 


Hieronyniiden. 


die  Gerichte  an,  zum  Teil  auf  kaiser-  unter  die  Arme  oder  unter  die  Fuss- 
liche Privilegien  gestützt  und  nach  sohlen.  Als  häufiger  Verdachtsgrund 
dem  Vorgange  der  geistlichen  Ge-  galt:  im  Gerüche  der  Hexerei  stehen, 
richte,  das  alte,  rein  formelle,  auf  wozu  es  oft  bloss  äusserlicher  Leibes- 
dem  Eid  und  den  Eideshelfern  be-  gebrechen  bedurfte;  weitere  Indi- 
ruhende  Beweissystem  zu  verlassen,  zien  waren  Flucht,  anderen  beige- 
alles vom  Geständnisse  der  An-  brachter  Schaden,  auch  wenn  bloss 
geschuldigten  abhängig  zu  machen  .  ein  Anwünschen  des  Bösen ,  oder 
und  dieses  auf  alle  Weise  her-  eine  Berührung  vorherging,  wenn 
beizuführen.  Als  Mittel  hierzu  die  Person  anderen  nicht  offen  in 
wurde,  wieder  nach  dem  Vorgange  die  Alicen  sehen  kann,  wenn  sie 
der  geistlichen  Gerichte  und  der  lange  m  den  Tag  hinein  schläft, 
italienischen  Praxis  und  Doktrin,  mitternachts  vom  Hause  abwesend 
von  der  deutschen  Wissenschaft  und  ist,  Wunden  oder  Striemen  am  Leibe 
Praxis  zur  Folter  gegriffen.  Pas  Be-  hat,  wovon  man  die  Ursache  nicht 
weisverfahren  im  Kriminalprozesse  kennt,  wenn  jemand  aus  freien 
war  nun  lediglich  auf  Zeugen  und  Stücken  Hexen  verteidigt  und  be- 
auf  Geständnis  des  Angesehuldigten  hauptet,  was  man  von  ihnen  sage, 

gebaut  und  das  Mittel,  das  letztere  sei  Thorheit.  Das  gefährlichste  ln- 
erbeizuführen,  war  die  Folter.  Die  dicium  war  aber  die  Angabe  von 
Wirkung  der  Folter  wurde  dadurch  Genossinen  von  seiten  gefolterter 
verstärkt,  dass  man  bei  den  Hexen-  Hexen. 

Prozessen  von  den  bestehenden  Unter  diejenigen,  welche  gegen 
Grunds  itzen  ausdrücklich  abstra-  ■  den  Hexeuglauben  und  die  Prozesse 
hierte,  nach  welchen  der  Angeschul-  auftraten,  zählen  namentlich  der 
digte  freigesprochen  werden  sollte,  Jesuit  und  Dichter  Friedrich  von 
wenn  er  die  einmal  angewandte  8peey  dessen  Cautio  criminalii  im 
Folter  überstand  und  nicht  nachher  !  Jahre  1631  erschien,  dann  der  re- 
neue selbständige  schwere  Verdachts-  formierte  Prediger  zu  Amsterdam 
gründe  an  den  Tag  kamen;  dem  ent-  I  Balth.  Belker  und  Christian  Tho- 
gegen  erfand  man  die  Gattung  der  I  masius  durch  seine  „Lehrsätze  von 
aetieta  excepta,  bei  welchen  der ,  dem  Laster  der  Zauberei'4.  Die 
Richter  die  beschränkenden  Vor-  Gesetzgebung  hat  den  Hexenprozess 
schrifteil  der  Gesetze  übertreten  zuerst  in  Preussen,  dann  in  Öster- 
dürfe  und  unter  welchen  nament-  reich  unter  Maria  Theresia  unter- 
lich die  der  Hexerei  Angeschuldigten  drückt;  zu  Glarus  wurde  noch  1782 
kamen.  Die  Schmerzen,  welche  die  |  eine  Hexe  verbrannt. 
Folter  hervorrief,  waren  aber  so  i  Weinhold ,  Deutsche  Frauen ; 
entsetzlich,  dass  der  Gefolterte  alles  Wutfke,  Aberglauben ;Soldau,Hvxon- 
aussagte  und  auf  sich  nahm,  was  prozesse,  neu  bearbeitet  von  Heppe, 
der  Richter  nur  wünschte.  Man  2  Bde.  1880;  GWwiw.Mvtliol.Kap.34, 
begann  die  Folter  oder  die  peinliche  und  Wächter  in  den  Beiträgen  zur 
Frage  meist  mit  dem  Daumenstock';  Geschichte  des  deutschen  Strafrechts, 
half  dieser  nicht,  so  nahm  man  die  Hieron  ymiden.  Hieronymitaner, 
Beinschrauben  oder  den  spanischen  Einsiedler,  Eremiten  des"  heiligen 
Stiefel)  der  nächste  Grad  war  der  Hieronymus,  heissen  verschiedene 
Zug,  auch  Expansion  oder  Elevation  Zweige  eines  Ordens,  der  als  Schutz- 
genannt;  endlich  nahm  man  brennen-  patrou  den  heiligen  Hieronymus  Ver- 
den Schwefel  oder  brennendes  Pech  ehrte  und  nach  der  Regel  des  heiligen 
zu  Hilfe,  das  man  auf  den  nackten  Augustin  lebte.  Der  Orden  entstand 
Körper  träufelte,  oder  man  hielt  den  zuerst  um  1370  im  Kirchspiele  von 
Angeschuldigten  brennende  Lichter  !  Toledo  und  breitete  sich  bald  aus; 


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Hildebrandslied. 


411 


St.  Just  und  der  Eskurial  gehörten 
ihm  an  Ordeuskleidung  war  ein 
weisser  Rock  von  grobem  Stoffe, 
eine  kleine  schwarze  Kapuze  und 
ein  schwarzes  Skapulier. 
Hildebrandslied. 
1.  Das  ältere  liildebrandslied 
ist  das  einzige  und  zwar  bloss  frag- 
mentarisch erhaltene  altgermanische 
Heldenlied;  es  ist  in  einer  Hand- 
schrift des  8.  oder  9.  Jahrhunderts 
auf  uns  gekommen  und  in  hessischer, 
stark  niederdeutsch  gefärbter  Mund- 
art wahrscheinlich  zu  Fulda  nieder- 
geschrieben. Die  Form  ist  der  alli- 
terierende Vers.  Hildebrand,  der 
Waffenmeister  Dietrichs  von  Bern, 
i>t  mit  seinem  Herrn,  vor  Odoaker 
fliehend,  zu  den  Hunnen  ins  Exil 
gezogen.  Nach  Jahren  an  der  Spitze 
eines  hunnischen  Heeres  zurück- 
kehrend, tritt  ihm  sein  Sohn  Hadu- 
brand  mit  einem  Heere  entgegen. 
Hildebrand  und  Hadubrand  rüsten 
sich  zum  Zweikampf;  man  darf  ver- 
muten, dass  der  Ausgang  desselben 
beiden  Parteien  als  Gottesurteil  gel- 
ten soll.  Bereit  zum  Kampfe,  fragt 
Hildebrand  den  jüngeren  Gegner 
um  seinen  Namen:  Du  brauchst  mir 
nicht  Dein  ganzes  Geschlecht  zu 
nennen,  nenne  mir  nur  einen,  ich 
kenne  sie  alle.  Hadubrand  antwor- 
tete: Das  sagten  mir  unsere  Leute, 
alte  und  weise,  dass  Hildebrand 
mein  Vater  heisse:  ich  heisse  Hadu- 
brand. Er  zog  ostwärts,  floh  Odo- 
akers  Hass,  hin  mit  seiner  Degen 
viel;  er  Hess  im  Lande  zurück  elend 
sitzen  seine  Gattin  im  Hause,  den 
unerwachsenen  Sohn.  Immer  stand 
er  an  der  Spitze  des  Volkes,  stets 
war  der  Kampf  ihm  allzulieb;  nicht 
meine  ich,  dass  noch  im  Leben  er 
sei.  Auf  diese  Worte  giebt  sich 
der  Alte  zu  erkennen,  und  zur  Be- 
stätigung der  Wahrheit  bietet  er 
dem  Sonne  an  der  Spitze  des 
Speeres  goldene  Armringe.  Hadu- 
brand verschmäht  jedoch  diese,  hält 
den  Greis  für  einen  arglistigen  Be- 
trüger, der,  wenn  er  sich  nähere,  die 


Ringe  abzuholen,  den  Speer  nach 
ihm  schleudern  würde:  „Mit  dem 
Speer  soll  der  Mann  Gabe  empfangen, 
Spitze  wider  Spitze;  du  bist  dir, 
alter  Hunne,  unmässig  klug,  ver- 
lockst mich  mit  deinen  Worten, 
willst  mich  mit  deinem  Speere  werfen; 
bist  ein  so  alter  Mann  und  führst 
doch  stets  noeh  Ränke  bei  dir!  Das 
sagten  mir  Seefahrende,  westwärts 
über  das  Wendelmcer  (Ozean),  dass 
Kampf  ihn  davonnahm :  tot  ist  Hilde- 
brand, Ileribrands  Sohn!"  Überaus 
schön  und  wahr  klingt  nun  aus  dem 
Munde  des  Vaters  die  Klage  über 
das  schmerzliche  Geschick,  das  ihn 
betroffen,  „Weh  nun,  waltender  Gott! 
Wehschicksal  geschieht!  Ich  wan- 
derte der  Sommer  und  Winter  sechzig, 
da  man  mich  stets  scharte  ins  Volk 
der  Schützen,  da  man  mir  vor  keiner 
Burg  den  Tod  brachte:  nun  soll 
mich  mein  eigenes  Kind  mit  dem 
Schwerte  hauen,  erschlagen  mit  sei- 
nem Beile,  oder  ich  ihm  zum  Mör- 
der werden!  Doch,  es  sei!  Der 
wäre  ein  übler  Feigling,  der  den 
Kampf  jetzt  weigerte,  nach  dem  den 
Gegner  so  sehr  gelüstet!  Das  Ende 
erweise,  auf  welcher  Seite  das  Recht 
sei!"  Hierauf  beginnt  der  Kampf, 
sie  eilen  mit  den  Speeren  auf  ein- 
ander los,  diese  prallen  von  den 
Schilden  ab,  sie  verlassen  die  Pferde 
und  zerhauen  die  Schilde  mit  den 
Schwertern.  Hier  bricht  leider  die 
Handschrift  ab.  Obgleich  sich  die 
Handlung  durch  die  Erwähnung 
Dietrichs  und  Odoakers  als  ein  Teil 
der  an  Theodorich  den  Grossen  sich 
anlehnenden  Dietrichsage  giebt,  ist 
es  gerade  hier  sehr  wahrscheinlich, 
dass  erst  spätere  Zeit  diesen  Kampf 
zwischen  Vater  und  Sohn  in  den 
Kreis  historischer  Begebenheit  ein- 
gereiht hat,  die  Handlung  selbst  aber 
einer  weit  älteren  Sagenstufe  ange- 
hört; ganz  ähnliche  Sagen  findet 
man  bei  den  Persern  in  der  Episode 
von  Rostem  und  Suhrab  des  Firdu- 
sischen  Königsbuches  und  in  der 
serbischen  Erzählung  von  Predrag 


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412 


Himmel,  Erde  und  Elemente. 


und  Xemad;  der  Ausgang  dieser  j 
beiden  genannten  Sagen,  wonach 
der  Vater  den  Sohn  erschlägt,  liisst 1 
einen  ähnlichen  Ausgang  des  deut- 
schon Gedichtes  vermuten. 

2.  Das  jüngere  Hildebrandslied. 
Ein  seltsames  Geschick  hat  densel- 
ben Stoff,  der  uns  in  dem  ältesten 
erhaltenen  deutschen  Heldenliede 
entgegentritt,  im  15.  Jahrhundert 
nochmals  als  letzten  Zeugen  der  ab- 
sterbenden Heldensage  erhalten:  bis 
ins  17.  Jahrhundert  war  das  Lied 
vom  Vater  mit  dem  Sohne  in  der 
Nibelungenstrophe,  die  von  diesem 
beliebten  Gesang  lange  den  Namen 
Hildebrandston  trug,  weit  verbreitet. 
Die  Manier  ist,  der  Zeit  angemessen, 
holzsehnittartig,  markiert,  mit  viel 
kräftigem  Humor  und  zuletzt  in  ein 
Liebesmotiv  ausklingend.  Herzog 
Amelung  (es  ist  Dietrich  gemeint) 
wird  von  Meister  Hildebrand  be- 
richtet, er  sei  gesonnen,  einen  Be- 
such in  seiner  Heimat  Bern  bei  sei- 
ner Frau  Uten  zu  machen,  wo  er 
32  Jahr  nimmer  gewesen  sei.  Wenn 
das  sei,  sprach  Herzog  Amelung,  so 
möge  er  den  jungen  Herzog  Ale- 
brant  der  die  Grenze  bewache,  und 
alle  Fremden  anrenne,  von  ihm 
grüssen  und  ihm  sagen,  er,  Ale- 
brant, möge  ihn,  Hildeorand,  freund- 
lichst reiten  lassen.  Hildebrand 
freut  sich  aber  schon  auf  den  ihm 
erwünschten  Strauss  und  da  auf 
der  Marke  Alebrant  ihm  entgegen- 
tritt, giebt  es  sofort  beiderseits 
schnöde  und  landsknechtmässige 
Spässe  und  Sticheleien.  Wie  nun 
gar  der  Junge  dem  Alten  einen 
kräftigen  Hieb  versetzt,  da  brennt 
Hildebrand  auf,  entreisst  durch  eine 
List  dem  Gegner  das  Schwert,  er- 
wischt ihn  bei  der  Mitte  und  schwingt 
ihn  hinterrücks  ins  grüne  Gras. 
Wie  jedoch  nun  der  besiegte  Ale- 
brant meldet,  wer  er  sei,  aa  giebt 
sich  Hildebrand  ebenso  freun  dlieh, 
als  er  vorher  kampflustig  gewesen, 
zu  erkennen,  küsst  den  Sohn  an  den 
Mund,  und  beide  ziehen  versöhnt  in 


Alebrants  Burg  ein.  Hier  setzt  Ale- 
brant den  Alten  oben  an  den  Tisch, 
und  da  die  Mutter,  die  ihren  Gatten 
auch  nicht  erkennt,  darüber  zürnt, 
dass  der  Sohn  einem  gefangenen 
Mann  soviel  Ehre  erweise,  da  nennt 
jener  des  Vaters  Namen: 

Ach  Mutter,  liebste  Mutter, 
Nun  beut  ihm  Zucht  und  Ehr ! 
Da  hub  sie  auf  und  schenket 
Und  trugs  im  selber  her. 
Was  het  er  in  seinem  Munde? 
Von  Gold  ein  Fingerlein: 
Das  licss  er  in  Becher  sinken 
Der  liebsten  Frauen  sein. 

Himmel,  Erde  und  Elemente 

»Vi  der  mittelalterlichen  Kunst.  So 
wenig  als  in  der  Mythologie  ist  in 
der  Kunst  des  heidnischen  Alter- 
tums der  weltbildende  HimmeUgott 
zur  ausgebildeten  Darstellung  ge- 
langt, und  auch  die  Personifikation 
des  Himmels  nach  seiner  räumlichen 
Bedeutung,  das  Himmelsgewölbe  als 
Sonnenbahn  und  Wohnsitz  der  Göt- 
ter, erscheint  nur  selten  bildlich  dar- 
gestellt. Bestimmter  ist  bei  den 
Alten  die  Persönlichkeit  der  Erde 
ausgeprägt,  namentlich  wird  Gaa 


oder  Teltus  in  spätrömischer  Zeit  als 
ein  liegendes  Weib  gebildet,  mit 
nacktem  Oberleib  und  als  Attribute 
1  ein  Füllhorn  oder  Blumen  im  Schooss 
oder  einige  Kinder  bei  sich  habend 
Ähnlich  erscheint  sie  in  der  alt- 
;  christlichen  Kunst  als  die  „heilige 
Erde",  welche  den  Leib  des  Men- 
1  sehen  in  sich  birgt,  oder  dann  als 
Schemel  der  Majestät  Gottes.  Die 
I  persönliche  Darstellung  vom  Himmel, 
Mrde  und  Meer  war  namentlich  in 
der  romanischen  Periode  herrschend. 
Als  Schauplatz   und  Zeugen  der 
Thaten  Gottes  erscheinen  eie  bei 
der  Schöpftmg  und  dem  jüngsten 
Gericht,  und  begleiten  zugleich  nach 
seinen  Hauptepochen    das  Leben 
Jesu,  Geburt  und  Taufe,  Kreuzigung, 
und  Verherrlichung,  um  damit  aus- 
I  zudrücken,  dass  diese  Ereignisse  für 
I  die  ganze  Welt  Bedeutung  haben. 


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HLtoricnbibeln. 


Hofamter. 


413 


Und  zwar  siebt  man  entweder  drei 
Personen  als  Himmel,  Erde  und  Meer, 
oder  bloss  zwei,  Himmel  und  Erde 
oder  Eide  und  Meer,  die  Erde  weib- 
lich, Himmel  und  Meer  bald  weib- 
lich, bald  männlich  vorgestellt:  als 
Attribute  kommen  dem  Meer  Urne, 
Seedrache  oder  Dreizack  zu,  der 
Erde  Länder,  oder  Tiere,  besonders 
Schlangen,  die  an  ihrer  Brust  saugen. 
Piper,  Mythol.  d.  christl.  Kunst,  II. 
S.  45. 

Historieubibt  In  nennt  man  im 
Mittelalter  beliebte  Zusammenstel- 
lungen der  historischen  Erzählungen 
des  Alten  Testamentes.  Man  kann 
zwei  Gattungen  derselben  unter- 
scheiden: 1)  eine  vollständige,  pro- 
saische Bearbeitung  der  historischen 
Bücher  des  A.  T.  nach  dem  Text 
der  Vulgata,  enthaltend  den  Pen- 
tateueh,  Josua,  Richter,  Bücher 
Samuel  s  und  der  Könige,  wobei  in 
die  Geschichte  Davids  einige  Psal- 
men, in  diejenige  Salomos  das  ge- 
reimte hohe  Lied  eingeschlossen 
sind:  ferner  Daniel,  Judith,  Tobias, 
Hiob,  Esther,  Maccabäus  und  einige 
apokryphisehe  Stücke.  Die  Hand- 
schriften gehören  dem  14.  und 
1 5.  Jahrhundert  an.  Der  unbekannte 
Verfasser  scheint  ein  Alemanne  vom 
oberen  Rheni  gewesen  zu  sein. 
Manche  Handschriften  sind  illu- 
striert. 2)  eine  Prosaauflösung  der 
Weltchroiuk  des  Rudolf  von  l£ms. 
Beide  Werke  herausgeg.  v.  Merzdorf, 
die  deutschen  Histonenbibeln  des 
Mittelalters,  in  Bd.  100  und  101  der 
Bibliothek  des  literarischen  Vereins. 
1870. 

Hochzeiten,  geistliche,  Weissen 
die  Feste,  welcne  am  Tage  der  Auf- 
nahme in  ein  Kloster,  sowie  an  dem 
Tage  gefeiert  werden,  an  welchem 
ein  junger  Priester  zum  ersten  Male 
eine  Messe  und  Vigilie  halt;  das 
letztere  Fest  heisst  auch  erste  Messe. 
Früh  arteten  beide  Feste  in  Prun- 
ken und  Schwelgen  aus  und  wur- 
den deshalb  ein  Gegenstand  polizei- 
licher Verordnungen;  auch  Bischöfe, 


wie  der  von  Bamberg  1490,  erlies- 
sen  Statute  dagegen.  Zu  Nürnberg 
war  im  14.  Jahrhundert  nur  ein 
Mahl  für  die  Eltern  und  Geschwister 
erlaubt;  an  anderen  Orten  war  die 
Zahl  der  Eingeladenen  auf  zehn  be- 
schränkt; wieder  an  anderen  Orten 
wandte  man  auf  die  geistlichen 
Hochzeiten  einfach  dieselben  eiu- 
schränkenden  Bestimmungen  an, 
welche  für  die  weltlichen  Hoch- 
zeiten galten.  Wie  bei  diesen  letz- 
teren, so  wurden  auch  bei  den  geist- 
lichen Hochzeiten  Geschenke  erteilt. 
Eine  Hausfrau  vertrat  bei  diesem 
Teste  die  Stelle  der  leiblichen  Mutter, 
sie  übernahm  die  Mutterschaft,  wo- 
bei an  manchen  Orten  die  Teil- 
nahme der  wirklichen  Mutter  gänz- 
lich verboten  war ;  jene  geistliche 
Mutter  sass  dann  mit  anderen  zur 
Teilnahme  erbetenen  Frauen  wäh- 
rend der  kirchlichen  Handlung  am 
Altare,  eine  Sitte,  gegen  die  eben- 
falls zu  Zeiten  obrigkeitlich  einge- 
schritten worden  ist.  Siehe  Kriegk, 
Bürgertum,  II,  Abschn.  10. 

fiofamter  erscheinen  zuerst  ain 
fränkischen  Hofe,  wo  sich  seit  Grün- 
dung des  fränkischen  Reiches  das 
öffentliche  Leben  konzentrierte  und 
dem  Könige  Männer  zur  Seite  stan- 
den, welche  den  Hofdienst  um  die 
Person  des  Königs  und  den  eigent- 
lichen Staatsdienst  zu  besorgen 
hatten.  Dieselben  scheinen  ur- 
sprünglich aus  der  Zahl  der  Un- 
freien genommen  worden  zu  sein, 
gingen  aber  früh  auf  höher  gestellte 
und  freigeborene  Leute  über,  welche 
zunächst  den  Dienst  bei  der  Per- 
son des  Herrn  selbst  zu  besorgen 
hatten,  damit  aber  zugleich  die  Auf- 
sicht über  die  untergebenen  unfreien 
Knechte  verbanden.  Die  ältesten 
Namen  sind  seniscalcus,  mariscalcus, 
cociis  und  uistor,  oder  major,  in/es- 
tor  für  (infertor),  scantio  und  mares- 
calcus.  Der  Senischulk,  d.  h.  der 
älteste  Knecht,  hat  als  solcher  die 
Aufsicht  über  das  Gesinde;  der 
Name  major  domus  scheint  ursprüng- 


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414 


Hofämter. 


besonderen  Referendar  für 


lieh  eine  andere  Bezeichnung  für  einen 
denselben  Beamten  gewesen  zu  sein.  sich. 

Er  löste  sich  aber  vom  Amte  des  !  In  der  Karolingischen  Zeit  tritt 
Seneschalk  und  wurde  ein  so  ein-  !  nach  dem  Aufhören  des  Majordomus 
flussreiches  Amt,  dass  seine  Inhaber  der  Seneschalk  wieder  besonders 
zuletzt  den  alten  Königsstamm  ganz  hervor;  er  hat  die  Sorge  über  das 
verdrängten,  siehe  den  besonderen  Hauswesen,  besonders  über  den 
Artikel.  Marschalk  oder  Rossknechf,  Unterhalt  nes  Hofes  und  namentlich 
lat.  comes  stabuli,  Stallgraf,  wird  über  das  Mahl-,  er  heisst  daher  auch 
ausser  seiner  gewöhn liclien*  Thätig-  Vorsteher  des  königlichen  Tisches, 
keit  auch  als  Gesandter  und  An-  Meister  der  Köche,  Träger  der  Spei- 
führer  im  Heer   gebraucht.     Die  sen,  infestor,  dapifer.  Ihm  zur  Seite 


Aufsicht  über  das  bewegliche  Gut 
führte  in  der  merowingischen  Periode 


steht  cler  Oberschenk  oder  Meister 
der  Schenke,  magüter  pincemarum 


der  themurarius ;  ihm  war  der  könig-  der  jetzt  zu  höherem  Ansehen  ge- 
liehe Schatz  vertraut,  womit  sich  die  langt  ist;  als  Schenken  fungierten 
Aufsieht  über  das  verband,  was  an  ausserdem  jüngere  Männer,  die  am 
Gerät  und  Gewand  am  Hofe  vor-  Hofe  lebten.  Der  Sfallgrafh&t  sein 
handen  war;  er  war  zunächst  an  altes  Amt  beibehalten;*  was  früher 
die  Königin  gewiesen,  die  als  ord-  thesaurarius  hiess,  heisst  jetzt  Kam- 
nende  Hausfrau  die  Aufsicht  über  tnerer-,  unter  Oberaufsicht  der  Königin 
diese  Geschäfte  führt.  Niedriger  hat  er  dieKostbarkciten,denSchmuck. 
war  das  Amt  des  camerarius  oder  was  zu  Geschenken  dient,  zu  be- 
Kt'inmerer,  und  noch  tiefer  stand  wahren  und  zu  verwenden.  Meist 


dasjenige  des  pincerna  oder  Schenken, 
das  zwar  vornehmen,  aber  meist 
jüngeren  Leuten  übertragen  wurde; 
es  galt  als  der  Anfang  auf  der  Lauf- 
bahn des  Hofdienstes.    Mehr  unter 


wurden  diese  Stellen  mehr  als  ein- 
mal besetzt;  die  Mitglieder  des  könig- 
lichen Hauses  haben  zum  Teil  ihren 
eigenen  Hofhalt.  Andere  als  die 
genannten  vier  Hofämter  sind  der 


Bäckermeister.  Wie  früher  steht 
der  Ffulzgraf  dem  Hofgerichte  vor; 
dagegen  heisst  jetzt  der  ehemalige 
referendarius  Kanzler,  cancelarius, 
oder  nofarius;  es  sind  ihrer  stets 


geordnete  Diener  der  Art  waren  der  ,  Meister,  der  Thürhüter  oder  Ohrr- 
coquits  oder  Küehenmeister;  der  thürteart,  magister  ostiariorum .  der 
tnapparitu,  der  dem  König  das  Quartiermeister,  maimonarius,Jäg^T- 
Handtuch  reichte;  der  spafarius,  der  und  Falkenmeister,  Schwertträger, 
ihm  das  Schwert  reichte;  dazu  kom- 
men Arzte,  Sänger,  Thürsteher, 
Läufer  und  dgl.  Mit  der  Stellung 
des  Königs  als  Herrscher  und  da- 
durch mit  den  staatlichen  Geschäf- 
ten verbunden  wareu  Pfalzgraf  und  mehrere,  unter  denen  sich  jedoch 
der  Referendar.  Der  Pfategraf,  seit  Ludwig  dem  Frommen  ein  be- 
comes  palatii,  ist  dem  Könige  bei  sonderer  Vorsteher  heraushebt ,  der 
der  Ausübung  seiner  höheren  Ge-  protonotarius,  archinotarius  des  kai- 
richtsbarkeit  zugeordnet,  siehe  den  serlichen  Palastes.  Er  war  fast  immer 
besonderen  Artikel;  der  referen- '  ein  Geistlicher.  Erst  später  fiel 
darius  ist  nach  Amt  und  tarnen  dieses  Amt  mit  dem  Vorsteher  der 
aus  römischen  Verhältnissen  ent-  königlichen  Kapelle,  dem  archicapel- 
lehnt.  Er  fertigt  die  Urkunden  des  lanus,  dem  Erzkapellan.  zusammen, 
Königs  aus,  unterschreibt  und  siegelt  wahrscheinlich  infolge  des  Umstan- 
sie,  zu  welchem  Behufe  er  den  könig- 1  des,  dass  das  Arclüv  in  der  könig- 
lichen Siegelring  zu  bewahren  hat.  [  liehen  Kapelle  aufbewahrt  wurde. 
Es  ist  ein  Weltlicher,  der  mit  diesem  '  Die  Bedeutung  der  Hofamter  am 
Amte  vertraut  ist;  die  Königin  hat  königlichen  Hofe  nimmt  später  eher 


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Höfische  Dichtung. 


415 


ab:  von  einem  erblichen  Übergang  berg,  Seinsheim,  Hoheuzollern:  Erb- 
in einzelnen  Familien  weist  erst  die  schenken  dir  von  Limburg  in  Frauken 
Hoheustaufenzeit  Beispiele  auf.  Der  und  die  Grafen  von  Althann;  Erb- 
dapifer  oder  Truchsess  trug  die  truchsessen  die  von  Nortenberg,  die 
Speisen  auf,  diente  am  Tische  und  von  Seideneck  und  zuletzt  die  Grafen 
hatte  wahrscheinlich  auch  für  die  |  von  Waldburc. 
Beschaffung  des  Unterhaltes  an  den  Schon  früh  sind  die  Hofämter 
verschiedenen  Orten  zu  sorgen,  wo  auch  auf  die  Höfe  der  kleineren 
der  König  sich  aufhielt.  Truchsess  Fürsten  übertragen  worden,  unter 
sowohl  als  Schenk ,  Marschalk  und  denselben  Namen  als  Kammerer, 
Kämmerer  wurden  seit  den  Königen  Truchsess,  Schenk  und  Marschall, 
des  fränkischen  Hauses  regelmässig  Ursprünglich  nach  dem  Belieben  des 
nur  Ministerialen,  während  bei  be-  Herrn  vergeben,  auf  Zeit  oder  ohne 
sonders  feierlichen  Gelegenheiten  bestimmte  Dauer,  oft  unter  reget- 
die  Herzöge  fungierten  und  so  im  massigem  Wechsel,  sind  diese  Ämter 
Laufe  der  Zeit  als  die  obersten  In-  später  doch  auch  in  Ministerial- 
haber  dieser  Amter  erschienen.  Es  fainilien  erblich  geworden;  auch 
war  zuerst  Otto  der  Grosse,  der  sich  höher  gestellte  Freie  verschmähten 
bei  dem  Krönungsmahl  in  Aachen  es  nicht,  in  den  Dienst  reicher 
von  den  vier  Herzögen  des  Reiches  Stifter  zu  treten  und  als  Vorsteher 
die  Dienste  leisten  Hess:  der  Herzog  der  oberen  Hofämter  zu  fungieren, 
von  Lothringen,  in  dessen  Herzog-  Vergleiche  lf'aifz,  Verfass.- Gesch., 
tum  Aachen  lag,  war  als  Kämmerer  ]  und  Maurer,  Fronhöfe, 
thätig;  der  von  Franken  als  Truch- 1  Höfische  Dichtung  ist  das  blei- 
sess,  der  von  Schwaben  als  Schenk  bendste  und  schönste  Denkmal  der 


und  der  von  Bayern  als  Marschalk; 
es  sollte  dieses*  ein  Zeichen  davon 
sein,  das«  der  König  gewillt  sei, 
künftig  das  Herzogtum  in  strenger 
Abhängigkeit  vom  König  zu  halten. 
Die  hier  begründete  Übung  erhielt 
sich  von  da  an,  ohne  dass  die  Funk- 
tionen fest  mit  einzelnen  Herzog- 
tümern verbunden  gewesen  wären. 
Erst  seit  Otto  III.  hat  Sachsen  stets 
das    Marschalkamt,   Bayern  das 


mittelalterlich  -  ritterlichen  Bildung 
und  zugleich  eine  wesentliche  Kette 
in  der  Entwicklung  der  deutschen 
Litteratur  überhaupt.  Zwar  geht  der 
Dichtung  des  höfischen  Standes  eine 
Dichtung  der  unteren  nichthöfischen 
Stände  parallel;  diese  ist  aber  aus 
erhalteneu  Denkmälern  kaum,  also 
fast  bloss  aus  Zeugnissen  abgeleiteter 
Art  bekannt,  und  ihr  Charakter  be- 
stand überhaupt  mehr  in  der  Erhal- 


Schenkenamt  für  sich  in  Anspruch  !  tung  der  vorhergehenden  Bildungs 
genommen,    welch1   letzteres  zwar  j  penode ,  als  in  einem  Fortschritte- 
später  an  Böhmen  kam;  das  Amt  der  nationalen  Bildung;  der  eigent- 
liche Träger  des  mittelalterlichen 


des  Truchsessen  kam  zuletzt  an  den 
Pfalzgrafen  vom  Rhein,  das  des 
Kämmerers  an  Brandenburg. 


Geistes  ist  die  höfische  Poesie.  Sie 
ist  der  litterarische  Ausdruck  jener 
Die   genannten  Ämter  heissen  Bildung,  die  sich  seit  der  Aufnahme 
zämter:  der  Suboffizial  aber,  der  des  Christentums  und  seit  der  Grün- 
dern Inhaber  des  Erzamtes  gegen  j  düng  des  fränkischen  Weltreiches 
gewisse  Ehrengeschenke  in  seiner  |  sehr  langsam  und  durch  mannig- 


V  errichtung  beisteht,  besitzt  ein  Erh- 
amf,  das  wiederum  bei  gewissen 
Häusern  erblich  geworden  ist;  Erb- 
marschalle  waren  die  Grafen  von 
Pappenheim ,  Erbkämmerer  nach- 
einander die  von  Falkenstein,  Weins- 


fache Übergänge  hindurch  erst  im 
11.  und  12.  Jahrhundert  zu  einer 
nach  Form  und  Inhalt  eigenartigen, 
in  sich  selber  abgerundeten  Bildung 
vollendete.  Was  ihr  vorausgeht, 
sind  in  erster  Linie  die  Bemühungen 


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41<j  Höfische  Dichtung. 


der  christlichen  Apostel,  Missionäre,  Anteil  an  ihr  nehmen  nur  diejenigen 
Kleriker  und  Mönche  um  eine  bloss  Völker  und  Sprachen,  welche  aus 
auf  den  Umfang  der  christlichen  dem  Schosse  des  fränkischen  Reiches 
Religion  stehende  Litteratur,  deren  ,  hervorwachsen;  die  skandinavischen 
bedeutendste  Denkmäler  die  Christ-  j  Völker  besitzen  daher  keine  höfische 
liehen  Epen  Heliand  und  des  Otfried  (  Litteratur.  Die  höfischen  Weltlittera- 
siud;  souann  die  Bemühungen  Karls  turen  sind  die  surf  französische  oder 
des  Grossen  und  seiner  Frcundeum  so-  provenzalische,  deren  Bereich  sich 
forte  Wiedererweckung  des  Geistes  nach  Xordapanien  und  über  ganz 
und  Inhaltes  des  klassischen  Alter-  Italien  erstreckt,  die  nordfranzosische, 
tums,  eine  grosse,  aber  voreilige  '  I  esonders  von  den  Normannen  ge- 
Renaissance, an  welcher  die  deutsche  ;  tragen  und  durch  sie  auch  in  Eng- 
Litteratur,  wenige  Spuren  hinter-  land  zur  Herrschaft  erhoben,  und 
lassend,  voinibergegangen  ist,  wäh-  die  deutsche,  deren  Sprache  mau 
rend  die  GeschichtscTireibung  ihr  die  mittelhochdeutsche  nennt.  In  Süd- 
Denkmäler  von  hoher  Bedeutung  frankreich  erwächst  die  höfische 
verdankt;  endlich  das  zähe  Leben ,  Bildung  und  Dichtung;  etwa  ein 
der  nationalen  Heldensage,  die,  nur ;  Menschenalter  später  tritt  sie  in 
vereinzelt,  wie  im  Walt!  liariliede,  in  1  Nordfrankreich  und  wieder  nach 
die  Litteratur  eintritt,  dagegen  im  einem  Menschenalter  in  Deutsch- 
Volke  sich  dauernd  erhält  und  auf  land  auf.  Kenntnis  der  französischen 
die  Zeit  wartet,  wo  günstigere  Ver-  Sprache  gehörte  bei  dem  soustigeu 
hältnisse  sie  von  neuem  in  den  Mangel  an  jeglicher  wissensehaft- 
Kr  -is  nationaler  Bildung  einführen  liehen  Bildung  zur  guten  Erziehung 
werden.  des  deutschen  Ritters.    Die  Kreuz- 

Diese  Verhältnisse  erscheinen  in  zü^e  sind  Unternehmungen  des  euro- 
der  geistigen  Ausbildung  des  höfi-  püischen  Gesamtrittertums,  und  im 
sehen  Rittertums,  welcher  natürlich  allgemeinen  weisen  sämtliche  dre# 
die  staatliche  Bildung  des  Lehna-  Litteraturen  nach  Inhalt  ni  d  Form» 
Staates  vorausgegangen  sein  musste,  dieselben  Erscheinungen  auf. 
bevor  eine  Blüte  des  geistigen  und  Daneben  aber  wirkt  jede  dieser 
litterarischen  Lebens  daraus  hervor-  Litteraturen  auch  national ,  zumal 
gehen  konnte.  Und  wirklich  knüpft '  die  deutsche,  deren  Gebiet  zugleic  h 
sich  die  höfische  Dichtung  nur  mit  staatlich  geeint  war.  Harten  einst 
schwachen  Fäden  an  die  vorher-  alle  Freien  zusammen  die  R**ichs- 
gehenden Bildungen  an;  8ie  erscheint  pflichten,  die  Reichsrechte  und  die 
schnell  und  als  etwas  Neues,  als  Reichsinteresseu  vertreten,  ao  war 
eine  Ausstrahlung  des  höfisch-kou-  jetzt  der  weitaus  grössere  Teil  der 
ventionellen  Lebens,  durchaus  ein  Nation,  alle  diejenigen,  die  im 
Produkt  der  Zeitbildung,  mit  ihr .  Schweisse  ihres  Angesichtes  auf 
kommend  und  verschwindend.  Ihr  Acker  und  Weide  ihr  und  ihrer 
unmittelbar  voraus  und  das  11.  Jahr-  Herren  Brot  verdienten,  von  den 
hundert  füllend,  gehen  Versuche  Reichsinteressen  abgelöst.  Der  thü- 
geistlicher  Dichter,  den  nahenden  ringische ,  fränkische,  schwäbische 
weltlichen  Geist  des  Rittertums  Bauer  fühlte  sich  in  erster  Linie 
neuerdings  in  das  jetzt  sich  eben-  nicht  mehr  als  Deutscher,  sondern 
falls  erneuernde  geistlich- kirchliche  als  Thüringer,  Franke,  Schwabe. 
Leben  zu  bannen.  Seinen  Auteil  weckte  wohl,  waa  in 

Die  hofische  Dichtung  ist  wie  seinem  engeren  Umkreise  geschah; 
der  Stand  und  die  Gesellschaft  von  an  der  Centraigewalt  des  Reiches 
welcher  sie  getragen  wird,  eine  all-  und  an  dem,  was  davon  ausging, 
gemein    eumpäische    Erscheinung;  hing  er  bloss  durch  Vermittelung 


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Höfische  Dichtimg. 


417 


des  Herrn.  Die  Gesamtheit  der 
Herren,  der  Ritterstand,  vertrat  von 
Rechts  wegen  die  Nation:  seine 
Dichtung  ist  die  nationale,  seine 
Sprache  die  nationale.  Bei  ihm  geht 
das  landschaftliche  Leben  im  grossen 
Gesamtleben  auf,  seine  Dichtungen 
gehören  der  ganzen  Nation  an,  wer- 
den in  diesem  Sinne  geschaffen  und 
aufgenommen.  Auch  die  Person  des 
Dichters  ist  national,  und  die  Be- 
züge zu  derjenigen  Landschaft, 
die  ihn  geboren  und  erzogen  hat, 
sind  stets  sehr  untergeordneter 
Natur.  Sie  selber  und  ihre  Zeit- 
genossen haben  es  nicht  für  nötig 
erachtet,  ihre  engere  Heimat  auf- 
zuzeichnen. 

Auch  darin  sind  die  höfischen 
Dichter  national,  dass  sie  mit  ver- 
schwindenden Ausnahmen  kaiser- 
lich und  nicht  päpstlich  gesinnt 
sind;  ihr  Auge  schaut  nach  dem 
Königshofe,  in  dem  auch  ihr  gesell- 
schaftliches Leben  seine  höchste 
Ausbildung  erhalten  hat.  Ja,  man 
findet  bei  ihnen  schon  die  Keime 
einer  patriotischen  Poesie  im  enge- 
ren Sinne,  wie  sie  der  altepischen 
Poesie  durchaus  unbekannt  war 
und  deren  weitere  Ausbildung 
noch  Jahrhunderte  auf  sich  warten 
lsisst.  Dahin  gehört  das  Walther- 
sche  Lied: 

Ich  hdn  lande  vil  gesehen 
unde  nam  der  besten  gerne  war} 
td)el  müeze  mir  geschehen, 
künde  ich  ie  min  herze  bringen  dar, 
daz  im  vol  gefallen 
wolde  fremder  site. 
nu  xcaz  hülfe  mich,  ob  ich  unrehte 

st  rite  t 

Husche  zuht  gdt  vor  in  allen! 

Husche  man  sint  wol  gezogen, 
rehte  als  enqel  sint  diu  icip  getan, 
Sicer  si  schildct,  derst  betrogen  , 
ich  entkan  sin  anders  niht  verstau. 
Tugent  und  reine  minnc, 
sicer  die  suochen  teil, 
der  sol  komen  in  unser  laut:  da 

ist  iciinne  vif: 
lange  müeze  ich  leben  dar  inne! 


Mit  der  Eigenschaft  der  höfischen 
Dichtung  als  Xationallittcratur  hängt 
die  bedeutende  Zahl  wahrhaft  grosser 
Dichter  aus  dieser  Zeit  zusammen; 
ie  Vereinzelung  der  Litteratur  nach 
landschaftlichen  Stämmen,  welche  in 
folgenden  Jahrhunderten  eintritt,lässt 
grosse,  Herrschaft  besitzende  Talente 
kaum  aufkommen.  Die  Epik  nennt 
die  drei  Namen  Hartmann  von  Aue, 
Wolfram  von  Eschenbach  und  Gott- 
\fried  von  Strassburp,  die  Lyrik 
W'alther  von  der  J  ogel weide  und 
Sithart  von  Rüwental. 

Die  höfische  Periode  bereichert 
zum  ersten  Male  die  deutsche  Dich- 
tung mit  der  Lyrik.    Überall  auf 
indogermanischem  Boden  tritt  die 
Lyrik,  die  Dichtung  des  subjektiven 
Gefühles,  erst  auf,  wenn  das  Epos 
sich  vollendet  hat.    Lyrik  wäre  der 
deutschen  Dichtung  auch  ohne  das 
Christentum  zugekommen;  doch  hat 
dieses  der  Zeitigung  der  Lyrik  ohne 
Zweifel    Vorschub   geleistet  Zur 
Zeit  der  Christianisierung  Deutsch- 
lands  gab    es   schon  eine  reiche 
griechische  und  lateinische  christ- 
liche Lyrik;    die  Kirche  brachte 
dieselbe,  mit,  wo  sie  hinkam ;  zu  den 
ersten    altdeutschen  Denkmälern 
zählt    eine   Interlinearversion  der 
Ambrosianischen  Hymnen.  Otfried 
soll  seine   vierzeilige  Reimstrophe 
der  lateinischen  Hymnenpoesie  ent- 
nommen haben,  und  die  Geschichte 
der  Hymnologie  zählt  aus  dem  karo- 
lingischen  Zeitalter  eine  ganze  An- 
zahl deutscher  Dichter  auf:  Notker 
Balbulus,  Tutilo  und  Ratpert  aus 
St.  Gallen,  Walafrid  Strabo  und 
Hermann  Contractus  aus  der  Rei- 
chenau,   Rabanus    Maurus;  sogar 
Karl  der  Grosse  wird  als  Verfasser 
des   Veni  creator  spiritus  genannt. 
Auch  religiöser  Volksgesang  in  deut- 
scher Sprache  muss  schon  früh  in 
Deutsehland  aufgekommen  sein,  hat 
sieh  aber  der  lateinischen  Kirchen- 
poesie gegenüber  immer  nur  müh- 
sam   behauptet.     Über   die  Ent- 
stehung weltlicher  Lyrik  sind  wir 

27 


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418 


Höfische  Dichtung. 


nur  wenig  unterrichtet;  gewiss  war 
eine  solche  vorhanden,  bevor  «Ii»» 
Lyrik  der  Höfe  ins  Leben  trat;  das 
Ludwigslied  und  anderes  gewahrt 
spärlichen  Einblick.  Neben  einer 
alteren  volksmässigen  Lyrik  war  es 
dann  die  provenzalische  Hoflyrik 
der  Troubadours,  welche  den  nach- 
haltigen Anstoss  zur  Entstehung 
und  Ausbildung  der  höfisch-deut- 
schen Lyrik  gab;  die  provenzali- 
sche Lyrik  ist  die  Mutter  der  deut- 
schen. 

Die  höfische  Lyrik  steht  in  eng- 
ster Beziehung  zur  Minne  und  zum 
Frauendienst,  ihre  Ausühung  war 
ein  Teil,  eine  Seite  des  Frauen- 
dienstes; zwar  kennt  aueh  die  Epik 
Minne  und  Frauendienst,  aber  als 
dichterisches  fremdes  Objekt;  mit 
seinem  Liede  steht  der  Minnesänger 
thatsächlieh  im  Dienste  seiner  Dame. 
Dabei  lässt  sieh  erwarten,  dass  die 
konventionelle  Haltung  des  hofi- 
schen Wesens  überhaupt  und  des 
Frauendienstes  insbesondere  aueh 
in  der  Lyrik  mitspielt  und  diese 
eintönig,  "  nach  einer  gewissen 
Sehablone  heraus  gearbeitet  macht; 
das  Standesbewusstsein  war  eine 
Schranke  des  Gemütslebens  gewor- 
den, daher  auch  wohl  der  Umstand, 
dass  es  so  wenig  wahrhaft  grosse 
Namen  unter  den  Lyrikern  dieser 
Zeit  giebt,  ausser  dem  unbestritte- 
nen Walther  nur  Nithart. 

Die  höfische  Dichtung  ist  ferner 
wesentlich  Kunstdirhtnng.  Das  zeigt 
sich  darin,  dass  sie,  wenige  Dich- 
tungen ausgenommen,  au  bestimm- 
ten einzelnen  Dichtern  hängt,  wel- 
che ihre  bewusste  Kunst  zwar  nicht 
in  eigcntliehen  Sängerschulen  lern- 
ten, aber  doch,  wenn  nicht  in  per- 
sönlichem Umgange  mit  Meistern, 
an  den  lebenden  Vorbildern  älterer 
und  erfahrener  Dichter:  in  Öster- 
reich hat  Walther  singen  und  sagen 
gelernt;  darin  ferner,  dass  neben 
diejenige  Art.  der  Dichtung,  welche 
nach  alter  Übung  gesungen  wird, 
jetzt  eine  bloss  gesagte  tritt;  dass 


das  Epos  meist  in  der  Form  der 
Epopöe  erscheint,  in  ausgeführten, 
umfangreichen  epischen  Gebilden, 
die  von  vornherein  ihrer  ganzen  An- 
lage nach  nicht  mehr  von  Mund  zu 
Mund  gehen  können  und  deren 
Schöpfung  ohne  ein  bedeutende» 
Mass  architektonischer  Durcharbei- 
tung nicht  möglich  ist;  dass  in  der 
Epik  wie  noch  mehr  in  der  Lyrik 
eine  sehr  komplizierte,  ja  schon 
früh  ans  Gekünstelte  grenzende 
technische  Kunstthatigkeit  und 
Kunstfertigkeit  zu  Tage  tritt;  da*>s 
jetzt  die  Einfügung  einer  leitenden 
sittlichen  Idee  in  der  Dichtung,  wie* 
bei  den  Nibelungen  und  im  Parzifal, 
möglich  und  thatsächlieh  wird;  dass 
überhaupt  jetzt  die  altepische  ob- 
jektive Poesie  einer  durch  und  durch 
vom  Subjekt  getragenen  Dichtung 
Platz  macht.  Es  wird  kaum  je  aus- 
zumachen sein,  wie  diese  Kunst 
thatigkeit  eigentlich  zustande  kam; 
jedenfalls  hangt  sie  zusammen  mit 
dem  im  ganzen  Leben  und  Weben  des 
höfisehen  Standes  sich  offenbaren- 
den Triebe  zu  höher  gesteigerter 
Lebensthätigkeit.  Der  Kitter  war 
und  fühlte  sich  als  der  Herr  der 
Zeit,  der  Welt;  seine  Lebensstellung, 
sein  Reichtum,  seine  feinere  Sitte, 
seine  Weltbildung,  sein  weiter  Blick, 
seine  Abwendung  von  allem  Erwerb 
durch  der  Hände  Arbeit  riefen  eine 
gesteigerte  Kraftäusserung  hervor, 
die  in  allen  Beziehungen  sich  nicht 
zufrieden  gab,  bis  sie  das  Höchste 
geleistet  hatte.  Damit  hängt  zu- 
sammen, dass  diese  Dichtung  sich 
nicht  über  ein  halbes  Jahrhundert 
auf  ihrer  Höhe  erhält,  ihre  Blüte 
dauert  für  Deutschland  etwa  von 
1190  bis  1240.  Alle  grossen  höfi- 
schen Dichter  sind  Zeitgenossen  ge- 
wesen. 

Was  die  besonderen  Dichtungs- 
arten der  höfisehen  Periode  betrifft, 

I  so  begegnet  man  zuerst  dem  natin- 
mitenV'olk'srpn*.  So  zerstörend  hatte 
der  Eifer  der  Geistlichkeit  doch  nicht 

!  gewirkt,  dass  jetzt  schon  alle  epischeu 


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Höfische  Dichtung. 


419 


Volkserinnerungen  vernichtet  ge- 
wesen wären.  Noch  in  der  ersten 
Hälfte  des  10.  Jahrhunderts  hatte 
der  St.  Galler  Mönch  Fkkehart  das 
Laed  von  Walther  und  lliltgunt  ge- 
dichtet, lateinisch  und  nachVergils 
Vorbilde,  aber  nicht  allein  aus  einem 
der  Heldensage  entnommenen  Stoß', 
sondern  zugleich  in  der  Frische  der 
Auffassung,  der  männlichen  Stärke 
und  der  zarten  Innigkeit  durchaus 
deutsch.  Wo  freilich  der  St.  Galler 
Mönch  die  Sage  her  hatte,  wissen 
wir  so  wenig,  als  wir  die  Quellen 
des  Nibelungenliedes  mit  irgend  wel- 
cher Sicherheit  nachweisen  können ; 
man  vermutet,  dass  ein  verlorenes 
lateinisches  Gedicht  eines  gewissen 
Konrad,  Schreibers  des  Bischofs 
Pilgerim  von  Passau,  und  lebende 
deutsche  Heldenlieder  dem  höfischen 
Epos  von  den  Nibelungen  zu  Grunde 
gelegen  haben.  Denn  dem  höfischen 
Stande  hat  der  Dichter  des  Nibe- 
lungenliedes angehört;  er  ist  mit  der 
Bildung  des  höfischen  Standes  wie 
mit  der  poetischen  Technik  desselben 
enge  vertraut,  wenngleich  seine  Liebe 
und  Teilnahme  mehr  dem  kräftigeren 
Heldentume  der  Vorfahren  gilt.  Das 
Nibelungenlied  sowohl  als  die  übrigen 
Dichtungen  der  nationalen  I  d  l  Jen- 
sage, Gudrun,  Rosengärten,  Hug- 
dietrich,  Wolfdietrich  und  andere, 
sind  bloss  Eigentum  der  deutschen 
Bildung;  die  Franzosen,  Normannen 
nicht  ausgenommen,  hatten  mit  dem 
Verluste  ihrer  germanischen  Volks- 
sprachen längst  auch  ihr  germani- 
sches Epos  eingebüsst. 

Tiefer  aber  als  die  genannten 
Dichtungen  wurzelte  in  der  Liebe 
und  Gunst  der  deutschen  Höfe  und 
ihrer  Gesellschaft  das  neue  höfische 
Kurutepos.  In  ihm  sind  die  reienaten  j 
Schätze  des  geistigen  Lebens  jener  | 
Zeit  niedergelegt,  in  ihm  gipfelt  die 
romantisch  -  höfische  Poesie.    Es  ist  J 
das  Epos  des  Rittertums  überhaupt;  j 
in  ihm  sind  die  Ideale,  die  Ehre, 
Zucht,  der  Frauendienst,  aber  auch 
die  Verirrungen  des  Rittertums  wie 


nirgends  anders  zu  finden.  Sein  Ur- 
sprung ist  französisch. 

Die  Bewohner  Frankreichs  be- 
sassen  seit  Jahrhunderten  kein 
eigenes  Natioualepos  mehr.  Von 
der  römischen  Kultur  war  das  gal- 
lische Nationalepos,  das  so  gut  als 
das  germanische  einst  existiert  haben 
muss,  verdrängt  worden,  und  auch 
den  germanischen  Einwanderern, 
den  Franken,  Goten,  Burgundern 
war  es  nicht  gelungen,  ihre  Stamm- 
sagen auf  diesem  Boden  festzuhalten. 
So  war  also  den  Franzosen  kein 
anderes  Epos  mehr  vorhanden  als 
das,  welches  ihnen  die  gelehrte  Li- 
teratur der  Alten  bot:  die  tro- 
janische Sage,  besonders  was  die 
Aneide  l'erqth  darausgemacht,  und 
ein  geschichtlicher  Held,  dessen  Ge- 
stalt schon  fast  zu  seinen  Lebzeiten 
die  Sage  zu  umspinnen  begonnen 
hatte,  Alexander.  Das  konnte  eine 
Quelle  werden  für  das  romantische 
Epos  der  Franzosen,  aber  eine  schnell 
auszubeutende.  Und  die  Freude  au 
abenteuerlichen  erzählenden  Ge- 
dichten, an  Arentüren,  war  mächtig 
erstarkt,  seitdem  sich  die  Normannen 
auf  französischem  Gebiete  nieder- 
gelassen, daselbst  ihre  Sprache  und 
damit  ihre  heimatlich  germanische 
Sage,  aber  keineswegs  ihre  Lust 
am  epischen  Gesänge  verloren  hatten. 
Nun  hatte  es  sich  getroffen,  dass  ge- 
rade zu  der  Zeit,  wo  die  Normannen 
sich  dem  französischen  Boden  ein- 
verleibten, in  Frankreich  die  Person 
des  grossen  Frankenkönigs  Karl 
mehr  und  mehr  sagenhafte  Züge 
erhielt  und  dadurch  den  sanges- 
lustigen normannischen  Franzosen 
als  vortrefflicher  Held  ihrer  Dichtung 
sich  anbot.  Bald  sammelte  sich  um 
ihn  ein  reicher  Kranz  von  Aven- 
türen;  er  erhielt  eine  Tafelrunde  mit 
Paladinen,  Roland  vor  allem,  dann 
Milon,  Haimon,  Olivier,  auch  den 
Normannenherzog  Richard  findet 
man  zuletzt  in  aiescr  Gesellschaft. 
Im  Jahre  1066  erobern  die  Nor- 
mannen England,  richten  sich  dort 

27* 


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420 


ein,  und  französisch«'  Epik  ist  von 
da  an  in  England  )i<  imisch.  Aber 
noch  ist  der  Hanger  dieser  Sänger 
nach  neuen  Stoßen  nicht  gestillt; 
ein  Mönch  weist  den  Sängern  durch 
eine  von  ihm  zusammengestöppelte 
Chronik  «1er  altbritischen  König«' 
d«'n  \V«'g  zu  einem  längst  verschol- 
lenen König  Artus }  sie  greifen  ihn 
auf,  und  bald  windet  sieh  um  ihn 
ein  ganzer  Knäuel  romantischen 
Aventürenstoffcs.  Während  Artus 
selber  mehr  zurücktritt,  treten  seine 
Paladine  ins  hellere  Licht:  Parzifal, 
Iwcin,  Gawein,  Erek,  Tristan,  Lan- 
zelot; mit  der  Artussa^e  verknüpft 
ein  erfindungsreicher  Kopf  endlich 
die  aus  dem  Orient  stammende 
Gralsage. 

Alle  genannten  franz«>sisch -nor- 
mannischen Sagenstofle,  die  antiken, 
karolingischen  und  artusischen,  in 
vielen  französischen  Aventüren  dar- 
gestellt und  zu  den  idealen  Trägern 
der  hofischen  Romantik  geworden, 
werden  nun  von  der  deutschen  höfi- 
schen Kunstdichtung  aufgenommen, 
so  zwar,  «lass  der  deutsche  Dichter 
meist  seine  mündliche  oder  schrift- 
liche Quelle  nennt,  dabei  jedoch  den 
Stoff  frei  nach  Neigung  und  persön- 
licher Stimmung  durch-  und  aus- 
arbeitet. Die  drei  Klassiker  des 
Kunstepos,  Hartmann,  Wolfram  und 
Gottfried,  haben  alle  H«'lden  aus 
der  Artussage  zum  Mittelpunkte 
ihrer  Hauptdichtungen  gemacht. 
Jeder  der  dm  hat  seine  s«'lbständige, 
charakteristische  Stelle  in  der  Li- 
teraturgeschichte ihrer  Zeit,  und  die 
späteren  gehen  meist  eins<-itig  auf 
den  von  den  drei  Meistern  gebannten 
Wegen  Im  Sinne  der  Z»*it,  aber 
in  unserer  Sprache,  hätte  man  jene 
französischen  Stoffe  die  modernen 
nennen  dürfen,  im  Gegensatze  zu 
den  einheimischen,  als  veraltet  an- 
gesehenen Sagenstoffen. 

Gehörte  die  grosse  Mehrzahl  der 
klassischen  Dichtungen  dieser  Zeit, 
soweit  si<>  Kunstepen  sind,  den  ge- 
nannten drei  Stoßen  an,  so  hat  doch 


die  fruchtbare,  unerschöpfliche  Phan- 
tasie noch  sehr  viel  geliefert,  was 
anderen  Kreisen  entnommen  ist: 
Orientalische  Geschichten  von  der 
reichsten  Phantasie ,  hervorgerufen 
durch  den  infolge  der  Kreuzzüe^e 
vornehmlich  erwachsenen  Verkehr 
des  Orients  mit  dem  Occident;  so- 
dann religiöse  Stoffe,  besonders 
Legenden  in  grosser  Zahl,  unter 
denen  sich  oft  uralte  Überbleibsel 
germanischen  Volksglaubens  ver- 
stecken; endlich  vereinzelte  echte 
Sagenbildungcn  späteren  Datums, 
«lie  sich  an  Otto  den  Grossen,  Hein- 
rich den  Löwen,  Herzog  Ernst  von 
Schwaben  anschliessen.  Nur  ver- 
einzelt ist  in  der  höfischen  Epik  da» 
humoristische  Element  vertreten. 

Die  Lyrik  ist  gegenüber  der  an- 
tiken wie  der  modernen  deutschen 
Lyrik  noch  sehr  einfach.  Weitaus 
die  meisten  Dichtungen  dieser  Gat- 
tung gehören  dem  Frauendienst  an, 
sind  Minnelieder,  wobei  die  Em- 
pfindung sich  sehr  oft  an  Frühling 
und  Winter  knüpft,  derMinne  Leiden 
an  den  Winter,  der  Minne  Lust  an 
den  Lenz.  Neben  dem  Frauendienst 
ist  aber  die  Lyrik  auch  in  den  Dienst 
der  Religion  getreten,  mit  Gesängen 
auf  Maria,  welche  zugleich  derMinne 
höchste  Verklärung  darstellt,  auf 
das  gelobte  Land,  auf  die  Dreieinig- 
keit. Und  der  bedeutendste  Dichter 
unter  diesen  Nachtigallen,  Walther, 
hat  die  reichste  Fülle  seines  Gemütes 
in  denjenigen  Dichtungen  ausge- 
gossen, die  dem  Herrendienste,  der 
Ehre  und  Zucht  der  Fürsten  und 
«les  Vaterlandes  dienten.  Schon  die 
Lyrik  «1er  Troubadours  hat  die  drei- 
fache Art  des  Frauen-,  Gottes-  und 
Herrendienstes  gekannt,  aber  die 
deutsche  Dichtung  ist  tiefer,  ernster, 
gehaltvoller.  Zumal  aber  besitzt  sie 
eine  Art  der  Minnelyrik,  von  der 
di«'  Franzosen  nichts  wussten.  Wie 
oben  schon  bemerkt,  war  das  kon- 
ventionelle Gebahren  des  höfischen 
Standes  dem  Dienste  echter  Lyrik 
nicht  gerade  günstig;  schickte  "sich 


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Hofnarren. 


421 


auch  viel  in  den  Augen  dos  Ritters, 
darunter  manches,  was  sich  besser 
nicht  geschickt  hätte,  so  schickte 
sich  doch  nicht  alles ,  was  gerade 
das  Liebesleben  der  Dichtung  bieten 
kann.  Nicht  vergebens  ist  uns  aus 
dorn  höfischen  Minnedienst  der  Aus- 
druck überkommen:  den  Hof  machen, 
die  Cour  machen .  wozu  eben  keine 
Leidenschaft  gehört.  Daher  ist  es 
nicht  zu  verwundern,  wie  sich  zur 
Ztut  der  höchsten  Blüte  des  Minne- 
gesanges eine  mehr  das  natürliche 
Leben  anpackende  Richtung  kund- 
thut,  die  sich  mit  Entschiedenheit 
von  dem  Zwange  der  höfischen 
Formen  loslöst,  „die  nicht  mehr  kon- 
ventionelle, weiche,  zarte  Empfin- 
dungen und  weiche  Klagen  aus- 
spricht, sondern  mit  frischem  Humor 
und  naiver  Sinnlichkeit  sicli  dem 
Leben  und  der  Liebe  ergiebt  und 
in  ihrer  kecken  und  toleranten 
Lebensanschauung  die  natürlichsten 
Dinge  als  etwas  durchaus  nicht  An- 
stössiges  behandelt."  Man  hat  diese 
Richtung  der  Minnelyrik  als  höfische 
Dorfpoesie  bezeichnet,  im  Gegen- 
satz zu  der  strengeren  höfischen  Jfof- 
poesie..  Ihr  genialer  Hauptvertreter 
ist  Xiihart  von  Ruicental,  ein  Bayer, 
bei  dem  auch  sofort  ein  landschaft- 
liches Element  starker  hervortritt. 
Seine  Lieder  haben  am  längsten  von 
allen  Liedern  der  Minnesanger  aus- 
gedauert. 

Zum  Teil  im  Zusammenhange 
mit  den  Stötten  der  Lyrik  steht  ihre 
Form.  Auch  sie  ist  dreierlei  Art: 
Leich,  Lied  oder  Spruch.  Der  /.eich 
wird  gesungen,  ist  uustrophisch  ge- 
baut und  bedarf  daher  einer  durch- 
gehenden musikalischen  Kompo- 
sition; er  wurde  am  liebsten  zum 
Ausdruck«?  religiöser  Empfindung 
angewendet,  erscheint  übrigens  ziem- 
lich selten.  Das  Lied  ist  eine  oder 
mehrere  gleichgebaute  dreiteilige 
Strophen;  die  Strophe  ist  nach  einem 
auch  aus  Frankreich  herübergenom- 
menen architektonischen  Gesetze 
stets  dreiteilig,  d.  h  sie  besteht  aus 


zwei  rhythmisch  kongruenten  Teilen, 
den  beiden  Stollen,  und  dem  dazu 
auf  irgend  eine  Art  in  rhythmischem 
Gegensatze  stehenden  Abgesange. 
Die  Strophe  wird  gesungen  uud 
dient  vornehmlich  zum  Ausdrucke 
der  Minne.  Der  Spruch  endlich, 
dreiteilig  wie  die  Strophen,  wird 
bloss  gesprochen  und  ist  stets  eiu- 
strophisch.  Er  hat  Btimeistpolitischen 
oder  sonst  didaktischen  Inhalt.  Je 
weiter  die  Dichtung  sich  von  ihrem 
Höhepunkte  entfernt,  desto  mehr 
nimmt  der  Spruch  an  Ausdehnung 
seines  Gebrauches  zu. 

Dass  eine  poetisch  so  bewegte 
Zeit,  wie  die  der  höfischen  Dichtung 
es  war,  auch  der  didaktischen  Dich- 
tung gepflegt  hat,  wer  sollte  das 
nicht  erwarten?  Jede  Blütezeit  der 
Dichtung  wird  eine  solche  Fülle  von 
Ideen,  Empfindungen,  Anschauungen, 
Erfahrungen  neben  dem  in  der  eigent- 
lichen Dichtung  niedergelegten  Stoffe 
vorrätig  besitzen,  da*s  sie,  einmal 
eingewöhnt  in  die  Kunst  der  Rede 
und  des  Beifalls  der  Menge  ver- 
sichert, gern  ihren  Eiutiuss  benutzt, 
um  das  sittliche  Resultat  ihrer  Ar- 
beit in  schönem  Gewände  vorzu- 
führen. Unter  den  Produkten  dieser 
Art  steht  Freidanks  Bescheidenheit 
obenan. 

Schnell,  wie  sie  gekommen  war, 
hört  auch  die  höfische  Litteratur  mit 
der  höfischen  Ehre,  Zucht  und  Tugend 
auf;  wohl  versuchen  sich  bis  ins 
14.  Jahrhundert  noch  manche  Lieb- 
haber der  Dichtkunst,  der  Bahn 
höfischer  Poesie  getreu  zu  bleiben; 
aber  der  lebendige  Geist  ist  erloschen 
und  macht  schnell  anderenRichtungen 
der  Bildung  Platz,  die  man  unter 
dem  Namen  volkstümlich-bürgerliche 
Litteratur  zusammen  zu  fassen  pflegt. 
Göttrinflcr,  Deutsche  Dichter,  Ein- 
leitung zur  fünften  Auflage;  Wackcr- 
na(jcl,  Litteraturgesch. 

Hofnarren  sind  seit  dem  15.  Jahr- 
hundert mit  den  Hofpoeten  und  Hof- 
zire/u/en  an  Stelle  der  früheren  stän- 
dischen Sänger,  Poeten  und  Spiel- 


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422 


Holzarchitektur. 


leute  getreten.  Die  Hof-  oder  Schal ks- 
narrcn  waren  in  Frankreich  und 
Deutachland  an  den  Höfen  der 
Reichsfü raten  und  der  grösseren 
Grundhcrren  eigentliche  Beamte; 
Fürstinnen  hielten  ihre  Hofnärrinnen ; 
sie  erhielten  ausser  Kost  und  Woh- 
nung noch  Hofkleider.  Ihre  Tracht 
ist  die  Schellentracht,  die  ursprüng- 
lich von  christlichen  Priestern  so- 
wohl als  von  weltlichen  Grossen, 
fürstlichen  Gesandten  u.  dgl.  bis 
ins  15.  Jahrhundert  zur  Auszeich- 
nung getragen  worden  war.  Dazu 
kam  der  beschorene  Kopf,  die  Nar- 
renkappe mit  Eselsohren  oder  dem 
Hahnenkamm,  der  breite  Halskragen 
und  der  Narrenkolben.  Dem  Zuge 
der  Zeit  gemäss  traten  diese  Leute 
zu  Heckengesellschaften  zusammen, 
die  als  Heckengerichte,  z.  B.  zu 
Donaueschingen,  bis  in  die  neuere 
Zeit  fortdauerten.  Die  berühmtesten 
Hofnarren  sind:  Kunz  von  drr  Rosen. 
lustiger  Rat  Maximiiiansi,  und  Klau* 
Narr  oder  Klau»  ron  Ran&tatt,  Hof- 
narr Kurfürst  Friedrichs  des  Weisen, 
dessen  lustige  Einfälle  und  Schwanke 
siebenmal  (1551  —  1600!  aufgelegt 
wurden.  Flt>gcl ,  Geschichte  der 
Hofnarren,  1784.  Vgl.  Kbelinq,  Zur 
Geschichte  der  Hofnarren.  Fried- 
rich Taubmann.    Leipzig  1883. 

Holzarchitektur.  Die  alten 
Deutschen  wohnten  nicht  in  Städten 
oder  auch  nur  in  Ortschaften  bei 
einander.  Das  Zusammenleben  war 
der  persönlichen  Unabhängigkeit  der 

f germanischen  Völkerschaften  in 
lohem  Grade  zuwider;  ein  jeder 
baute  sein  Haus,  wo  er  wollte.  An 
eine  eigentliche  Baukunst  unter  den 
Germanen  ist  deshalb  auch  kaum 
zu  denken.  Sie  kannten  weder  Hau- 
stein noch  Ziegel ;  das  Material,  wo- 
mit sie  ihre  Wohnungen  errichteten, 
bestand  aus  Holz,  und  wie  sehr  ge- 
rade der  Holzbau  von  Hause  äus 
deutsch,  der  Steinbau  aber  römisch 
ist,  bezeugt  schon  die  Sprache,  welche 
für  ,,Bauen"  ursprünglich  nur  „Zim- 
mern" kennt  und  die  einfachsten 


Benennungen  für  den  Steinbau  (  wie 
Maurer  von  mwwf,  Kalk  von  ro/x. 
Ziegel  von  tegula)  aus  dem  Lateini- 
schen herübe rgenommen  hat,  wäh- 
rend alle  den  Holzbau  betreffenden 
Ausdrücke  urdeutsch  sind.  Die 
älteste  Nachricht  Über  die  Bauweise 
der  Germanen  liefert  uns  Tacitus, 
Germ.  16.  Nach  demselben  genüg- 
ten ihnen  Wohnungen  aus  rohen, 
kaum  hehauenen  Baumstämmen. 
Die  Fugen  wurden  mit  schimmern- 
dem Letten  ausgefüllt  und  das  so 
entstehende  bunte  Spiel  der  Linien 
diente  ihren  mit  hohen  Rohrdächern 
versehenen  Hütten  als  einziger  bar- 
barischer Schmuck.  Die  Technik 
dieser  Holzbauten  kann  zweierlei 
gewesen  sein;  entweder  mit  hori- 
zontaler Lagerung  der  Balken  im 
Blockverbande  oder  noch  roher,  aus 
senkrecht  nebeneinander  aufgerich- 
teten Stämmen. 

Derart  ist  eine  aus  angelsächsi- 
scher Zeit  in  England  (Greenstead) 
bis  heute  erhaltene  Kirche  herge- 
stellt Sonst  ist  aus  jener  frühen 
Zeit  nichts  mehr  auf  uns  gekommen 
und  ist  und  bleibt  die  Frage  nach 
der  inneren  räumlichen  Disposition 
der  ältesten  deutschen  Häuser  eben 
ungelöst.  Otte  glaubt  zwar,  in  An- 
betracht der  anerkannten  Zähigkeit 
der  bäuerlichen  Sitten  und  bei  der 
im  Allgemeinen  stereotypen  Form 
der  deutschen  Bauernhöfe  zu  einem 
Kückschluss  von  der  Gegenwart  auf 
die  ferne  Vergangenheit  berechtigt 
zu  sein  und  erblickt  in  den  west- 
fälischen und  fränkischen  Bauern- 
höfen die  Nachbilder  dieser  alt- 
germanischen   Wohnungen.  Vgl. 

*nning.  Das  deutsche  Haus.  Strass- 
burg  1882.  Lehfcldt,  Holzbaukunst. 
Berlin  18S0. 

Mit  der  Zeit  wird  auch  auf  diese 
primitiven  Einrichtungen  römischer 
fcinfluss  sich  geltend  gemacht  haben 
und  vielleicht  schon  unter  Kaiser 
Julian  der  römische  Fachwerksbau 
statt  des  Blockbaues  eingeführt  wor- 
den sein,  wenigstens  nach  dem  Bc- 


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Holzarchitektur. 


423 


richte  eines  fast  gleichzeitigen  Ge- 
schichtsehrcibers  zu  schliessen.  Die 
Wohnungen  werden  sich  aber  nicht 
nur  in  der  den  rohen  Block  verband 
übertreffenden  Konstruktion  aus 
Bindwerk  mit  der  Zeit  verbessert 
haben,  sondern  selbst  in  geschnitzten 
Verzierungen  der  Bauhölzer  wird 
sich  ein  Fortschritt  bekundet  haben, 
denn  für  die  Geschicklichkeit  der 
alamannischen  Völkerschaften  in 
den  verschiedensten  Holzarbeiten 
sprechen  die  Gräberfunde  im  Würt- 
tembergischen. Im  Verlaufe  des 
7.  und  8.  Jahrhunderts  streuten 
irische  Mönche  den  Samen  des 
Christentums  ans.  In  kleineren 
und  grösseren  Scharen  pflegten  sie 
zu  wandern,  lichteten  mit  ihrer 
Axt  die  Walder  und  bauten 
Hütten  und  Kirchen  nach  heimi- 
scher Art 

Regel  war  auch  hier  natürlich 
der  Holzbau  und  wahrscheinlich  in 
einer  den  irischen  Mönchen  eigen- 
tümlichen Weise  (nach  der  Bezeich- 
nung des  gleichzeitigen  Beda  reue- 
rahM*:  more  Srotorum  oder  opus 
Scolicttm)  ganz  aus  Eichenbalken 
[de  rofwre  *ccto\. 

Bis  in  späte  Zeiten  hinein  wurden 
die  ersten  eiligen  Bauten  bei  der 
Gründung  von  Klöstern  und  Kirchen 
immer  aus  Holz  errichtet  und  selbst 
unter  Karl  dem  Grossen,  der  wenig- 
stens für  die  Kirchen  den  römischen 
Steinbau  einzuführen  trachtete,  wer- 
den Im  inahe  alle  im  Sachsenlande 
errichteten  Kirchen  kaum  über  den 
bescheidensten  Bedürfnisbau  hinaus- 
gereicht haben  und  eben  auch  aus 
Holz  errichtet  gewesen  sein.  Mit 
dem  10.  Jahrhundert  brach  über 
Deutschland  eine  unsäglich  traurige 
Zeit  herein.  Das  Reich  Karls  lag 
zertrümmert.  Im  Innern  des  Reiches 
herrschteBürgerkriegund  von  Aussen 
war  es  bedroht  von  den  Normannen 
und  Ungarn.  Man  trachtete  daher 
auf  Widerstandsfähigkeit  und  Wahr- 
haftigkeit und  zog  wenigstens  auf 
einzelstehenden  Gebäuden  den  Stein- 


bau dem  Holzbau  vor.  Letzterer 
aber  flüchtete  sich  von  da  ab  haupt- 
sächlich in  die  Städte,  welche  sich 
gemeinsam  durch  starke  Ringmauern 
zu  schützen  suchten. 

Die  grosse  Mehrzahl  der  Wohn- 
häuser wird  man  sich  kaum  dürftig 
genug  vorstellen  können  und  die 
vielen  verheerenden  Brände  bewei- 
sen zur  Genüge ,  dass  jene  regel- 
mässig aus  Holz,  wohl  in  Fachwerk 
erbaut  und  wenn  nicht  mit  Rohr 
oder  Stroh ,  so  doch  höchstens  mit 
Holzschindeln  gedeckt  waren.  Da- 
für spricht  auch  die  fabelhafte 
Schnelligkeit  der  Bauten.  So  wird 
von  der  Stadt  Lebusa  erzählt,  sie 
sei  in  14  Tagen  vollendet  worden. 
Ganz  ähnlich  lautet  der  Bericht  des 
Bischofs  Tietmar  von  Merseburg 
über  die  Wiederherstellung  der  ab- 
gebrannten Stadt  Meissen.  Wo  das 
sich  darbietende  Material  es  er- 
laubte, begegnen  wir  seit  Anfang 
des  12.  Jahrhunderts  dem  sich  immer 
mehr  ausbreitenden  Quader-  oder 
Ziegelbau,  allein  in  vielen  Gegen- 
den, wie  in  Mähren,  Oberschlesien, 
Pommern  und  I'reussen,  blieb  mau 
bei  dem  urtümlichen  Holzbau  stehen. 
So  befinden  sich  unter  den  ober- 
schlesischen  Kirchen  einige,  wie  die 
zu  Syrin  und  Lubom  bei  Ratibor, 
an  denen  spätromanische  Details 
vorkommen.  Für  die  Erbauung  der 
beiden  genannten  Kirchen  werden 
die  Jahreszahlen  1304  und  1305  an- 
gegeben. Alle  diese  Kirchen  von 
einfach  rechteckigem  Grundriss  mit 
schmälerem  Altarraum  und  mit  Vor- 
bauten an  denThüren,  sind  im  Block- 
verbandc  aus  aufeinandergesehich- 
teten,  grobbehauenen  Balken  er- 
richtet. Vgl.  Fig.  75.  Kirche  von  lfitfer- 
dal  (  Kunsth.  Bilderbogen).  Als  be- 
sondere, auch  bei  den  gleichzeitigen 
norwegischen  Holzkirchen  (wie  die 
zu  Hitterdal,  Borgund)  sich  vorfin- 
dende Eigentümlichkeit  derselben 
erscheint  ein  das  ganze  Gebinde 
umgebendes  weit  vorspringendes 
Regendach,  wohlgeeignet,  um  die 


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424 


Holzarchitektur. 


Dachtraufe  von  den  Grundschwellen 
abzuleiten.  Der  Turm,  nicht  selten 
getrennt  von  der  Kirche  stehend, 
pflegt  in  schrägen  Wänden  aufzu- 
steigen und  ist  an  der  Bretterver- 
schalung des  oberen  Teiles  zuweilen 
mit  Schnitzereien  verziert.   In  Böh- 


U.-U 


Fig.  75.    Kirche  zu  Hitterdal. 

mensind  Holztürme  besonders  häufig. ' 
aueh  neben  steinernen  Kirchen,  ja 
selbst  in  Dörfern,  die  gar  keine  f 
Kirchen  haben.  So  findet  sieh  neben 
dem  im  14.  Jahrhundert  errichteten  I 
Steinbau  der  Georgskirche  in  Przas- 
lawie  bei  Turnau  ein  Holzturm  über  j 
einem  steinernen  Grundbau;  noch  | 


stattlicher  erscheint  der  grosse 
Glockenturm  zu  Pardubitz. 

Ein  Städtebild    dieser  Epoche 
bietet  uns  enge  Gassen  und  Räume. 
Eine    eigentümliche  Ausnutzungs- 
sucht  des  Raumes  riss  in  der  Bürger- 
schaft ein.     Die  Städte,    die  an 
Einwohnern  zuuahmeu, 
mussteu  in  die  alten  King- 
mauern eingepfercht  wer- 
den.   Mau  begnügte  sich 
deshalb  nicht  mehr  mit 
mehrstöckigen  Häusern, 
sondern  man  suchte  das 
Haus  noch   nach  oben, 
allem  statischen  Gefühle 
zuwider,  zu  verbreitem. 
Diese  „fürgezimpere44  oder 
„Ausfänge",    bei  denen 
jedes    Stockwerk  über 
das  andere  vorragte,  er- 
weiterte   allerdings  die 
obern   Räume   und  bot 
zugleich,     weil  Unter- 
stützungs-     und  Bela- 
stungspunkt    auf  ver- 
schiedene Stellen  fielen, 
ein  Gegengewicht  gegen 
das  Einschlagen  der  Bal- 
ken.    Andrerseits  aber 
wurde  den  ohnehin  engen 
Gassen  durch  diese  Bau- 
art Luft  und  Licht  noch 
mehr  entzogen.  Selbst- 
verständlich konnte  diese 
Bauart  hauptsächlich  nur 
bei  Fachwerksbauten  vor- 
kommen.   Der  Steinbau 
beschränkte     sich  bei 
Profanbauten  in  der  Re- 
gel auf  Keller  und  Erd- 
geschoss.  Überhaupt  wa- 
ren steinerne  Häuser  noch 
eine    grosse  Seltenheit. 
In  den  alten  Grundregistern,  den 
sogenannten  Schreinsbüchern ,  sin«! 
z.  B.  von  der  Stadt  Köln,  die  schon 
im  13.  Jahrhundert  an  die  6000  Häu- 
ser besass,  nur  ungefähr  zehn  als 
di/niuK    hipideae    bezeichnet  Die 
Sitte,  die  Stockwerke  übertragen  zu 
lassen,  führte  indes  bald  und  bc- 


UHU. 


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Holzarehitektur. 


425 


sonders  in  der  gotischen  Zeit  zu 
mancherlei  Dekorationsformen.  Die 
vorstehenden  Haikenkopfe  werden 
mit  Schnitzwerk  in  vegetabilischer 
Form,  Tier-  und  Mensehenbildungen 
geschmückt,  auch  oft  Erker  und 
Ausbauten  angebracht,  so  dass  ein 
Ganzes  von  ungemein  malerischer 
Wirkung  sieh  ergiebt. 

Noch  in  der  späteren  Zeit  des 
15.,  ja  selbst  im  16.  Jahrhundert 
findet  man  au  den  Fachwerksbauten 
lebhafte  Anklänge  an  gotische  For- 
men. Sehr  schöne  Beispiele  in  dieser 
Hinsicht  bietet  namentlich  Braun- 
schweig, wo  durch  den  Holzbau 
die  mittelalterliehe  Tradition  noch 
lange  in  Kraft  blieb.  Diese  frühen 
Bauten  zeigen  ein  strenges  An- 
sehliessen  der  Dekoration  an  die 
Konstruktion. 

Die  Schwellbalken  der  Füllhölzer 
erhalten  kräftige  Auskehlung  und 
Abfasung,  wodurch  die  horizontale 
Linie  der  übereinander  vorkragen- 
den Stockwerke  wirksam  betont 
wird,  (  heraus  beliebt  ist  die  De- 
koration mit  rechtwinklig  gebroche- 
nen Linien,  die  man  als  mfiander- 
artig  bezeichnen  kann.  Damit  wech- 
selt ein  anderes  Ornament,  das  seine 
Motive  dem  Pflanzengebiete  entlehnt 
und  aus  einer  Laubranke  besteht, 
weicht?  sich  um  einen  horizontalen 
Stab  windet  und  die  charakteristi- 
sche Form  des  spätgotischen  Blatt- 
werks zeigt.  Nicht  minder  reich 
werden  die  Balkenköpfe  behandelt. 
Sie  erhalten  nicht  bloss  kräftig  aus- 
gekehlte Profile,  sondern  bisweilen 
in  Hochrelief  durchgeführte  figür- 
liche Darstellungen,  Apostel  und 
andere  Heilige,  aber  auch  Genre- 
haftes und  Burleskes.  Die  Anzahl 
derartiger  Bauten  der  letzten  De- 
zennien des  15.  und  der  ersten  des 
16.  Jahrhunderts  ist  überaus  gross. 
Noch  ganz  in  mittelalterlichen  For- 
men erbaut  ist  namentlich  der  grosse 
Bau  der  „Alten  Waage"  (1534)  in 
Braunschweig. 

Die  Renaissance  bringt  in  diese 


Behandlung  der  Faeaden  zunächst 
nur  einige  Bereicherung  des  Orna- 
ments. 

Eines  «1er  frühesten  Beispiele 
des  Auftretens  der  neuen  Formen 
sind  die  trefflichen  Reste  von  einem 
abgebrochenen  Ratsküchengebäude 
von  1530.  Da  sind  die  Elemente 
der  Renaissance,  wie  Delphine,  Kan- 
delaber, Gottheiten  und  Helden  des 
Altertums  noch  ganz  unbefangen 
mit  allerlei  mittelalterlichen  Genre- 
szenen und  Possenhaftem  gemischt, 
ein  wahrer  Fasching  der  Phantasie, 
meint  Lübke.  Zu  gleicher  Zeit  in- 
dessen taucht  ein  neues  Motiv  für 
die  Dekoration  der  Schwellhölzer 
auf  und  eine  Verschlingung  von 
Zweigen,  die  fast  wie  Bänder  aus- 
sehen und  sich  friesartig  ausbreiten. 
Beinahe  kein  Haus  entbehrt  der 
Sprüche,  welche  dasselbe  in  Gottes 
Hand  legen,  oder  sonst  heitern  oder 
ernsten  Inhaltes  Bind. 

Um  den  Schluss  des  16.  Jahr- 
hunderts erfahrt  der  Holzbau  seine 
letzte  Umwandlung.  Der  Stein- 
bau  wirkt  auf  ihn  merklich  ein. 
Bisher  waren  die  Balken  durch 
Abfasen  und  Einkerben  recht  im 
Sinne  der  Holzkonstruktion  aus- 
gebildet worden.  Jetzt  werden 
die  Balkenköpfe  mit  Vorliebe  als 
Konsolen  behandelt,  die  Schwel- 
lenbalken erhalten  Zahnschnitte, 
Eierstäbe  und  Perlschnüre  nach  an- 
tiker Art.  Dazu  Fig.  76.  Nieder- 
sächsische Holzarchitektur  um  1550 
bis  1570  (Kunsthist.  Bilderbogen). 
Die  letzten  Blüten  dieser  Ent- 
wickelung  treffen  wir  namentlich 
in  Hillesheim.  Hier  ist  es  der  alte 
sächsische  Holzbau,  der  fast  aus- 
schliesslich den  Privatbau  beherrscht. 
Die  Beispiele  aus  dem  frühen  Mittel- 
alter sind  indessen  hier  selten.  Da- 
gegen treten  die  Renaissaneeformen 
schon  sehr  frühe  auf,  so  schon  15!M> 
an  einem  der  grossartigsten  Holz 
httuser  Deutschlands,  an  dem  so- 
genannten Knochenhaueramtshaus. 

Unerschöpflich    reich    ist  der 


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n 

i 
i 


26 


Holzarchitektur. 


plastische  Schmuck  au  dieser  Facade. 
Die  Konsolen  sind  zwar  noch  mittel- 
alterlich geformt,  in  derber  humo- 
ristischer Auffassung.  In  den  Prie- 
sen dagegen  sind  die  Motive  der 


ein.  Die  ganzen  Facaden  weidm 
mit  Holzbrettern  verkleidet,  so  da» 
alle  Teile  der  Konstruktion  bis  auf 
die  als  kräftig  vortretende  Kons"!«) 
entwickelten  Balkenköpfe  mit  ihr« 


Fig.  76.    Niedersächsische  Holzarchitektur  um  1550—1570. 


Frührenaissance  in  Blumen,  Frucht- 
schnüren,  Kandelabern  etc.  über- 
wiegend. Gegen  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts tritt  der  ausgebildet«*  Stil 
der  Spätrenaissance  auf.  Auf  die 
Gliederung  und  Ausschmückung  der 
Facaden  wirkt  der  Steinbau  gewaltig 


Stützen  verhüllt  werden.  Die&hv 
balken  aber  bilden  einen  dar 
laufenden  Fries,  mit  Onuwwu 
reich  bedeckt.  Eine  konsequi 
vertikale  Teilung  wird  durch  6s 

geschnitzte  Säulen.  Fi  lasier  * 
[ermen  bewirkt    Auf  den  Ffn-f 


Holzarchitektur, 


427 


brüstungen  aber  entfaltet  sich  in  Schwellhölzer,  der  Kopfbänder  und 
figürlichen  Reliefs  ein  unerschöpf-  Konsolen,  sowie  der  Fensterbrüstun- 
licher  Reichtum ,  und  um  die  zier-  gen  mit  vielfach  variierten  Muschel- 


liche Anmut  des  Ganzen  zu  voll- 
enden, sind  alle  Hauptlinien  durch 
feine  Gliederungen  antiker  Kunst 
belebt.  Das  Musterbeispiel  dieses 
Stils  ist  das  Wrdekinthche  Harn 
vom  Jahr  1598.    Fig.  77. 

Der  alte  Bischofssitz  Halberstadt 
bietet  eben- 
falls eine  rei- 
che Ausbeute 
an  Holzbau- 
ten, zu  de- 
ren bedeu- 
tendsten der 
im  Jahre  1461 
erbaute  Rats- 
keller gehört. 
Den  Über- 
gang  in  die 

Renaissance 

bezeichnet 

namentlich 
der  Holzbau 
des  Schuh 
hofes,  an  wel- 
chem das  Mo- 
tiv der  Blend- 
arkaden au 
den  Fenster- 

brüstungen 
prächtige  An- 
wendung er- 
lebt. Reiche 
und  hübsche 
Beispiele,  na- 
mentlich der 

Verbindung 
des  Holzbaues  mit  dem  Steinbau  bie- 
tet  Hannover,    wo   sich  zugleich 
auch   ein   reicher    Erkerbau  ent- 


Fig.  77.    Das  Wedekind.sche  Haus. 


und  Fächerformen  gehören  diese 
Bauten  zu  den  schönsten  Schö- 
pfungen dieses  Stils.  Musterhaft  ist 
derselbe  namentlich  in  der  Decha- 
nei  in  Höxter  (1561)  entwickelt, 
welche  sich  durch  einen  statt- 
lichen polygonen  Erker  auszeich- 
net. Auch  in 
Niederhossen 
hat  der  Holz- 
bau in  Hers- 
feld, Allen- 
dorf, Fritzlar 

zahlreiche 
Vertreter,  wie 
auch  in  Hers- 
ford, Bielefeld 
etc.  In  Schwa- 
ben war,  ge- 
fördert durch 
den  prächti- 
gen Sand- 
stein, der 
Steinbau  vor- 
herrschend, 
indessen  hiel- 
ten die  bür- 
gerlichen 
Kreise  noch 
lange  an  dem 
Holzbau  mit 
Riegel  wänden 
fest.  Als  Bei- 
spiele mögen 
Schwäbisch 
Hall  und  das 
Rathaus  in 
Tübingen    (1508)    angeführt  sein. 
Franken  bewahrt  in  dem  Salzhause 
zu  Frankfurt  ein  Prachtstück.  Die 


wickelt,  im  Gegensatz  zu  dem  be- !  schmale  Giebelseite  ist  reich  in 
nachbarten  Braunschwoig.  In  den  Holz  geschnitzt  und  zwar  in  völliger 
mittleren  Wesergegenden  herrschte  !  Nachahmung  der  Steinarchitektur, 
der  Holzbau  in  besonders  eleganter  gleichsam  eine  Inkrustation  von  Holz- 
Weise,  wie  in  Höxter  und  Münden,  platten  bildend,  unter  welcher  sich 
Dazu  Fig.  78.  Geschnitztes  Orna-  das  konstruktive  Gerüste  verbirgt, 
ment  von  einem  Hause  in  Höxter  Namentlich  entwickelt  sich  der  Holz- 
1642  K  i  t  historische  Bilderbogen),  bau  in  den  grossen  Hofanlagen  der 
In    kraftvoller   Durchbildung   der  mittelalterlichen  und  späteren  Wohn- 


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42S 


Holzarchitektur. 


häuser,  wo  oft  mehrere  Galerien 
von  Höfa  übereinander  gelagert  sind, 
so  im  Scbachschen  Hause  in  Würz- 
burg, im  Hatl'n ersehen  in  Rothen- 
burg, im  Funksehen  und  Pellersehen 
in  Nürnberg  etc. 

Sehr  anziehend  und  bedeutend 
ist  der  Holzbau  in  den  Klieinlnnden. 


mehr  malerische  Oroamentierung- 
der  Fliehen  zu  ersetzen,  ohne  in- 
dessen die  konstruktiven  Element«» 
zu  verhüllen  und  zu  verleugnen. 
Im  Gegenteil  werden  dieselben  zum 
Ausgangspunkt  der  Dekoration  go- 
maeht.  Daher  werden  die  Pfosten 
besonders  kräftig  betont  undnamont- 


r  r_r!  r 


r  M  V  W  pi  y  V  V  t  r.  * '  *  *  y  V  r  M  r  V  ViV  r  fc»  ± 


Flg.  78.    Ooschnitstol  Ornament.    Von  einem  Hause  in  Höxter  1G42. 

Während  in  den  sächsischen  Lau-  lieh  die  Eckpfosten  in  Säulcbenfonn 

den    die   einzelneu  Stockwerke  so  ausgebildet.    Die  Horizontalen  aber 

weit  als  möglich  vorgekragt  wurden  werden    durch   massiges  Vortreten 

und  dadurch  jenes  reiche  malerische  der  Schwellbalken  nur  bescheiden 

Leben,  jene  energische  Gliederung  angedeutet,  so  dass  «'inige  ausge- 

erhieltcn,  sind  die  rheinischen  Hau-  kehlte  und  abgefasste  Glieder,  bis 

ten   bei   möglichst  geringem  Vor-  weilen   wohl    als  ein  gewundenes 

spruug  der  Stockwerke  minder  kräf-  Tau  charakterisiert  genügen.  Na- 

tig  entwickelt  und  suchen,  was  ihnen  mentlich    aber    fallen    die  vortre 

an  Lebendigki  if  abgeht,  durch  eine  tendeu    Halkeiiköpfe    «les  nieder* 


Google 


Holzschneidekunst. 


420 


sächsischen  Holzbaues  fort.  Die 
Dekoration  aber  weist  stets  eine 
feine  Anmut  aus.  Mit  Vorliebe  fügt 
man  den  Facaden  kräftig  vor- 
springende Erker  zu.  Als  Beispiele 
mögen  hier  die  Holzbauten  zu 
Rheuse ,  Oberlahnstein ,  Boppard, 
Baeherach  und  Bremen  angeführt 
sein. 

Während  beinahe  überall  in 
deutscheu  Landen  der  Riegelbau, 
wenigstens  wo  es  sich  um  künst- 
lerische Ausbildung  der  Facaden 
handelte,  den  reinen  Holzbau  ver- 
drängt hatte,  hatte  sich  derselbe  in 
den  Gebirgsgegenden,  namentlich 
in  der  Schweiz,  noch  gesund  und 
kräftig  forterhalten.  In  den  flachen 
Kantonen  war  zwar  der  Blockbau 
auch  verlassen  worden  und  die  dort 
gebräuchliche  Art  des  abgespreizten 
und  verstrebten  Ständerwerkes  mit 
eingeschobeneuBohlen  wänden  lehnte 
sich  dem  deutschen  Riegelworksbau 
an.  Gleichzeitig  finden  wir  aber 
auch  in  der  Schweiz  das  mit  Stein 
ausgemauerte  Fachwerk  zahlreich 
vertreten.  Im  Äusseren  sind  die 
schweizerischen  Städtehäuser  meist 
sehr  einfach.  Die  einzige  Zierde 
sind  zahlreiche  Holzerker,  de- 
ren Schnitzerei  aber  schon  den 
schwülstigen  üppigen  Barocco  des 
17.  Jahrhunderts  zeigen,  so  die- 
jenigen in  Schaffhausen  und  St. 
Gallen. 

Wo  aber  die  Schweizerbauten 
als  Blockhäuser  auftreten,  tragen 
sie  überall  den  streng  ausgeprägten 
Typus  des  Block  Verbandes  an  sich. 
Die  möglichst  durchlaufenden  liegen- 
den ~\Vandbalken  überschneiden  sich 
an  allen  Kreuzungspunkten  mit  der 
Abgabe  ihrer  halben  Ilolzstärke  und 
treten  aussen  als  sogenannte  Ver- 
stösse an  den  Wänden  um  eine  Holz- 
stärke vor.  Dabei  haben  die  Dächer 
eine  flache,  dem  benachbarten  Süden 
entsprechende  Neigung,  um  die  Schin- 
deldeckung, mit  schweren  Steinen  be- 
lastet, tragen  zu  können.  Aus  der 
ganzen  Anlage  dieser  Holzbauten, 


wie  sie  namentlich  in  den  Urkan- 
tonen,  dem  Berner  Oberland,  und 
dem  Appenzeller  Land  auftreten, 
spricht  das  naive  Schönheitsgefühl 
eines  sinnigen  Landvolkes.  Nicht 
nur  haben  diese  Bauten  durch  kräf- 
tige Malerei,  prächtige  Schnitzerei 
und  keruhafte  Sprüche  einen  unaus- 
sprechlichen Reiz,  soudem  die  Ge- 
sam  Umlage  mit  den  offenen  Lauben, 
weit  vorspringenden  Dächern  und 
zahlreichen  gekuppelten  Fenstern 
gewähren  eine  runige  architektoni- 
sche Wirkung,  welche  iu  Harmonie 
mit  der  nächsten  Umgebung  und 
in  einem  gewissen  Gegensatze  zu 
der  ferneren  grossartigen  Land- 
schaft steht.  Nach  O/fe,  Geschichte 
der  deutschen  Baukunst.  Lübke, 
Geschichte  der  deutschen  Renais- 
sance. Gladhach,  Der  Schweizer 
Holzstil. 

Holzsehneidekunst.  Die  Holz- 
schneidekunst und  der  mit  ihr  ver- 
wandte Kupferstich  versucht,  im 
Gegensatz  zur  Malerei,  nicht  nur 
die  umrisse,  sondern  auch  die  Kör- 
perlichkeit mittelst  blosser  einfer- 
tiger Linien  darzustellen. 

Die  Technik  der  Holzschneidekunst 
ist  ihrem  Prinzip  nach  äusserst  ein- 
fach, wenn  sie  auch  grosse  Sorgfalt  und 
viel  Geschick  erfordert.  Als  Objekt, 
auf  welches  die  Zeichnung  aufgetra- 
gen, resn.  aus  welchem  die  Zeichnung 
ausgeschnitten  wird,  dienen  Tafeln 
von  trockenem  Buchs-  oder  Birn- 
baumholz, auf  welche,  nachdem  sie 
gehörig  geglättet  und  mit  einem 
dünnen  Überzüge  von  Kremnitzcr 
Weiss  versehen  sind,  die  Zeichnung 
scharf  und  rein,  natürlich  verkehrt, 
aufgetragen  wird.  Ist  dies  voll- 
endet, so  ist  es  die  Arbeit  des  i^orm- 
schneiders,  sämtliche  Stellen,  welche 
auf  dem  Abdruck  weiss  erscheinen 
sollen,  herauszuschneiden.  Dies  ge- 
schieht mittelst  äusserst  feinen 
Messerchen.  Befinden  sich  Gegen- 
stände auf  dem  Bilde,  welche  hinter 
andere  zurücktreten  sollen,  so  wird 
die  ganze  Fläche,  um  die  es  sich 


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handelt,  etwas  vertieft,  wodurch  die 
Striche  beim  Abdruck  in  verminder- 
ter Starke  erscheinen.  Den  Ab- 
druck der  Holzplatten  nahm 
in  den  frühesten  Zeit* 
des  Reibers  vor.  Das 
Papier  wurde  auf  die 
bestrichene  Holzplatte 
nun  die  Rückseite  des 


man 

n  mit  Hilfe 
gefeuchtete 
mit  Farben 
gelegt  und 
Papiers  so 


lange  gerieben,  bis  die  Linien  des 
Schnittes  sich  allmählich  in  das 
Papier  eingepresst  hatten.  Als 
die  Presse  erfunden  war,  vollzog 
man  den  Abdruck  natürlich  durch 
gleichmässig  wirkenden  vertikalen 
Druck. 

Wann,  wie  und  von  wem  die 
Holzschneidekunst  erfunden  worden, 
weiss  man  nicht.  Wahrscheinlich 
waren  die  ersten  Vorbilder  in  den 
Stempeln  gegeben,  womit  Urkunden  | 
und  dergl.  statt  der  Unterschrift 
bedruckt  wurden.  Andere  wollen 
in  den  Spielkarten,  deren  Herkunft 
und  Geburt  ebenso  dunkel  ist,  die 
Vorläufer  der  Holz-Hchneidekunst  er- 
blicken ,  indessen  stosst  man  schon 
in  sehr  alten  Handschriften  auf 
Initialen,  welche  sich  mit  über- 
raschender Übereinstimmung  wieder- 
holen und  deshalb  auf  Abdruck 
8chliessen  lassen,  während  gedruckte 
Spielkarten  erst  seit  dem  15.  Jahr- 
hundert nachweisbar  sind.  Diejenigen 
aus  früherer  Zeit  verraten  ihre  Ver- 
vielfältigung durch  Schablonen.  Der 
erste  datierte  Holzschnitt,  den  man 
kennt,  stammt  vom  Jahre  1423.  Auf 
demselben  ist  der  heilige  Christo- 
phorus  abgebildet,  wie  er  dasChristus- 
kind  über  den  Flnss  trägt.  Eine 
Wiedergabe  derselben  siehe  beim 
Artikel  ChrUtophoru*.  Der  Holz- 
schnitt ist  in  Schwarz  mit  breiten  I 
Linien  gedruckt  und  koloriert.  Da- 
neben existiert  eiue  hinlängliche 
Zahl  von  Blättern  ohne  Datum,  j 
welche  dem  Charakter  der  Zeich- 
nung nach  in  die  Zeit  vor  der  Herr- ; 
schaft  des  Van  üjyfachen  Stiles  ge- 
wieten  werden  müssen.  Kennzeichen 
sind,  abgesehen  von  Stileigeutümlich- , 


keiten  der  Zeit  den  geschwungenen 
(nicht  gebrochenen)  Falten  der 
Gewänder:  dicke  Umrisse,  sowie 
Mangel  an  Schraffierung,  dafür  aber 
in  der  Regel  eine  nachträgliche 
Kolorierung. 

Das  Zweitälteste  datierte  Denk- 
mal besitzt  die  Hofbibliothek  in  Wrien 
in  dem  Martyrium  des  heiligen  Se- 
bastian mit  der  Jahrzahl  1437.  Aus 
derselben  Zeit  stammen  noch  eine 
Grosszahl  von  Schnitten,  unter  wel- 
chen namentlich  illustrierte  Ablass- 
zettel und  Neujahrskarten  eine  grosse 
Rolle  spielen.  Bei  letzteren  erscheint 
in  der  Regel  das  Christuskind  mit 
einem  Band  in  den  Händen,  worauf 
zu  lesen  ist:  Ein  gut  ttälig  u>r  oder 
fil  god  jar  und  dage  leben  etc.  Die 
Namen   der    Künstler    fehlen  im 

14.  Jahrhundert  ganz  und  kommen 
auch    in    der   ersten    Hälfte  des 

1 5.  Jahrhunderts  äusserst  selten  vor. 
Dagegen  berichten  die  Zunftbücher 
von  Nürnberg  und  Augsburg  von 
Briefmalern.  Illuministen  und  Form- 
schneidern und  führen  die  Namen 
auf.  Die  Bilder,  welche  die  Zunft- 
genos8en  hinterlassen,  sind  meist 
roh  und  ungefüge  und  lassen  nur 
zu  deutlich  durchblicken,  dass  der 
Handwerker  vorderhand  eben  auch 
den  zeichnenden  Künstler  ersetzen 
musste.  Die  rohe  und  grelle  Be- 
inalung  bestätigt  diese  Ansicht 
vollauf. 

Die  zahlreichste  Verwendung  fand 
der  Holzschnitt  iu  dieser  Zeit  zur 
Herstellung  einzelner  Bilder,  wie  sie 
an  Wallfahrtsorten  den  Gläubigen 
zum  Kauf  angeboten  wurden.  Allein 
diese  einzelnen  Blätter  reihten  sich 
oft  zusammen  zu  ganzen  Büchern, 
wo  für  jede  einzelne  Seite  eine 
Tafel  geschnitten  wurde.  Das  sind 
die  sogenannten  Blockbücher,  die 
Vorläufer  der  Buchdruckerkunst. 
Das  älteste  derselben  datiert  aus 
der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhun- 
derts, es  ist:  Das  Bueh  der  haym- 
lichen  Offenbarungen  Johanis'1 f  welcnes 
sogar   mehrere  Auflagen  erlebte. 


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Holzschneidekunst 


431 


Daneben  spielt  die  „Ars  memorandi", 
worin  das  Evangelium  durch  das 
Symbol  der  Evangelisten  bezeichnet 
ist  und  Ziffern  die  Stellen  der  Schrift 
andeuten,  eine  bedeutende  Rolle. 
Sehr  schöne  Initialen  weist  das 
Mainzer  Psalterium  von  Fust  und 
Schofler  1457  gedruckt  auf.  Neben 
solch'  kirchlichen  Büchern,  die  wir 
uns  zum  kleinsten  Teil  aus  Text, 
zum  weitaus  grossen  aus  Mil- 
dern bestehend  vorzustellen  haben, 
erging  sich  die  Holzschneidekunst 
in  Darstellung  von  naturgeschieht- 
lichen  und  anderen  Werken  aller 
Art 

In  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts werden  die  Namen  der 
Formschneider  schon  häufiger.  Wir 
begegnen  einem  Meister  Ludwig 
zu  Ulm,  einem  Albert  Pfister  zu 
Nürnberg,  der  uns  eine  Armen- 
bibel hinterlassen  hat,  einem  Ul- 
rich Han,  Friedrich  Walther,  Hans 
Scherer  etc.  In  den  sogenannten 
Armenbibeln  bestand  jedes  Blatt 
aus  mehreren  Feldern.  Im  Mittel- 
feld erscheint  die  fortlaufende  <  Je- 
schichte  des  Heilandes,  wahrend  die 
Nebenfelder  dasjenige  aus  dem  alten 
Testamente  veranschaulichen,  was 
man  als  Symbol  und  Verkündigung 
des  neuen  anzusehen  pflegte.  Ja 
sogar  Landkarten  sind  aus  der  Zeit 
des  15.  Jahrhunderts  auf  uns  ge- 
kommen. Sie  tragen  den  Namen 
eines  Johann  Schnitzer  von  Arnsz- 
heim.  In  den :  „heyliflrn  reyssen  <fe» 
Jherusalcm",  illustriert  von  Erhard 
Rewich,  liegt  schon  der  Vorbote 
des  kommenden  Jahrhunderts,  indem 
dort  die  Schatten  nicht  bloss  durch 
parallele  Striche  hervorgebracht 
sind,  sondern  bereits  Kreuzlagen  in 
geschickter  Behandlung  auftreten. 

Überhaupt  war  mit  der  Scheide 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  der 
entscheidende  Moment  gekommen, 
wo  die  Holzschneidekunst  in  der 
Entwicklung  der  Malerei  ein  ent- 
scheidendes Wort  mitzusprechen 
hatte  und  wo  sie  als  eine  wahre 


Kunst  die  grössten  Künstler  be- 
schäftigen sollte.  Schon  gegen  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  vollzog  sich 
eine  folgenreiche  Trennung  von 
Kunst  und  Kunsthandwerk.  Wesent- 
lich günstig  wirkt  aber  die  Schwester- 
kunst, die  Buchdruckerei,  und  be- 
sonders der  durch  dieselbe  im  Auf- 
blühen begriffene  Buchhandel  ein. 
Als  kunstsinnige  Männer  legten  die 
grossen  Buchhändler  in  Augsburg, 
Nürnberg,  Basel  etc.  Wert  auf  ge- 
diegene Ausstattung  ihrer  Verlags- 
artikel,  welche  in  der  Regel  eines 
künstlerischen  Schmuckes  nicht  ent- 
behren durften.  Und  zwar  be- 
schränkt sich  dieser  nicht  auf  die 
bildlichen  Illustrationen,  sondern  er- 
streckt sich  auch  auf  Titelumrah- 
mungen, Raudverzierungen ,  Initia- 
len etc.  Künstler  ersten  Ranges 
wendeten  sich  solchen  Aufgaben  zu 
und  es  ist  wohl  anzunehmen,  dass 
die  Künstler  ihre  Zeichnungen  zu- 
weilen auch  selbst  in  Holz  schnitten ; 
allein  zu  vielen  Sachen  werden  sie 
eben  nur  die  Zeichnung  geliefert 
haben. 

Namentlich  war  es  Nürnberg, 
wo  der  Holzschnitt  von  den  ersten 
Künstlern  gepflegt  wurde.  An  der 
Spitze  derselben  steht  vorerst  Michael 
Wohlgemuth  und  sein  Stiefsohn 
PleydenwurfV,  welche  in  der  Nürn- 
berger grossen  Chronik  von  Hart- 
mann Schedel  dem  Holzschnitte  ihre 
Aufmerksamkeit  zuwandten.  Zur 
höchsten  Blüte  gelangt«  der  Holz- 
schuitt  unter  Albrecht  Dürer.  Dürer 
hat  wie  wenig  andere  Meister  die 
Wirklichkeit  m  allen  ihren  Äusse- 
rungen aufs  Tiefste  ergründet  Seine 
Heiligengestalten  holt  er  sich  aus 
seinen  Nürnberger  Mitbürgern  her- 
aus und  bemüht  sich  nicht  im  ge- 
ringsten, das  Zufällige  des  gewöhn- 
lichen alltäglichen  Lebens  abzu- 
streifen. Seine  Figuren  wollen  nir- 
gends mehr  scheinen,  als  was  sie 
sind.  Allerdings  vermochte  Dürer 
die  Einflüsse  der  phantastischen 
Richtung  seiner  Zeit  nicht  von  sich 


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Holzschneidekunst. 


fem  zu  halten.  Sowohl  in  der  Zeich- 
nung der  Köpfe  und  Hände,  als 
auch  anderer  TVile  zeigt  sich  oft 
eine  knorrige  willkürliche  Manier 
und  in  jenem  knitterigen  unruhigen 
Faltenwurf  erlag  er  dem  Eintiuss 
der  Holzschnitzerei  seiner  Zeit.  Allein 
so  herb  und  abstossend  auf  den 
ersten  Blick  manches  erscheint,  so 
bewunderungswürdig  ist  gerade  die 
Kraft,  die  schlichte  Einfachheit  der 
Linien,  welche  besonders  seinen 
Holzschnitten  innewohnt.  Schon 
1498  gab  er  die  ApocalyjKtu  cum 
Jiyuri*  heraus,  1511  <Jie  grosse 
Passion  und  das  Leben  der  Jung- 
frau. Dazwischen  und  nachher  eine 
Menge  einzelner  Blatter.  1502  voll- 
endete er  die  aus  92  Platten  zu- 
sammengesetzte Ehrenpforte  Maxi- 
milians, als  deren  Hauptmitarbeiter 
ein  Jeronymus  Andre  erscheint.  Von 
den  Schülern  Dürers  ist  vor  allem 
Hans  Schäufflein  hervorzuheben, 
von  dem  eine  Menge  Milder  mit  dem 
Monogramm  7/  6'  vorhanden  sind. 
Weiter  sind  zu  nennen:  Hans 
Springinklee,  Goldenmund,  Lauten- 
sack u.  s.  w. 

Neben  Nürnberg  war  es  das 
reiche  Augsburg,  wo  die  Kunst 
kräftig  emporwuchs.  Hatten  schon 
die  beiden  alteren  Holbein  der 
realistischen  Kunst  den  Boden  ge- 
ebnet, so  bewegte  sich  namentlich 
Hans  Burgkmair  in  dieser  Richtung 
als  ein  tüchtiger  handfertiger  Meister, 
von  dein  eine  überaus  grosse  Zahl 
von  Holzschnittwerken  herrührt, 
unter  welchen  besonders  diejenigen 
zum  „Triumphzug  Maximilians4'  und 
zum  Weisskunig  hervorgehoben 
sein  mögen.  Allein  auch  Augsburg 
erhielt  einen  Genius  auf  dem  Gebiete 
der  Malerei  in  dem  jüngeren  Hans 
Holbein,  als  dessen  rechte  Hand  im 
Gebiete  der  Holzschneidekunst  Hans 
Lützelberger  erscheint.  Besonders 
zeichnet  sieh  der  Totentanz  aus,  als 
in  allem  vorzüglich,  was  in  Holz- 
schnitt zu  leisten  ist. 

In  Kegensburg  begegnet  uns  der 


Maler  Albrecht  Altorfcr  (1480  bis 
1538)  und  dessen  Schüler  Osten- 
dorfer. Als  Ausgänger  der  schwäbi- 
schen Schule  sind  zu  nennen:  Hans 
Baldurg  Grien,  welcher  vor  allen 
anderen  ein  meisterhaftes  Spiel  des 
Lichtes,  in  der  Ausbildung  des  so- 
genannten Helldunkels,  zustande 
brachte.  Dieses  Helldunkel  oder 
Chiaroscura,  welches  von  deutschen 
Künstlern  schon  sehr  früh  ausge- 
führt worden  war,  giebt  dem  Holz- 
schnitt eine  Farbe  in  verschiedenen 
Abtönungen,  deren  jede  durch  den 
Druck  von  einer  anderen  Platte  be- 
werkstelligt wird.  Nur  die  höchsten 
Lichter  werden  weiss  ausgesperrt. 
Ein  ungemein  fruchtbarer  Künstler 
des  16.  Jahrhunderts  war  Jost  Am- 
mann, der  1539  in  Zürich  geboren 
wurde  und  1591  in  Nürnberg  starb. 

Endlich  stellt  sich  als  Ausläufer 
der  fränkischen  Schule  ein  Meister 
dar,  der  die  Einflüsse  derselben  nach 
Sachsen  überträgt  und  dort  an  der 
Spitze  einer  überaus  handfertigen 
Schule  thätig  war:  Lucas  Cranach. 
Aus  seiner  Schule  gingen  zahlreiche 
Meister  der  Holzschneidekunst  her- 
vor, wie  Schwarzenberg,  Lucius, 
Leigel,  Gottland,  Brosamer  und 
andere.  Cranach  war  eifriger  An- 
hänger der  Reformation.  Die  er- 
habenen Anschauungen  Dürers 
gingen  ihm  zwar  ab,  dafür  ist  ihm 
ein  besonders  gemütlicher,  barm- 
loser Zug  eigen,  der  seinen  Bildern 
eine  volkstümliche  Beliebtheit  ver- 
schafft hat. 

So  war  der  Holzschnitt  im  16.  Jahr- 
hundert zu  höchster  Blüte  gelangt 
Allein  mancherlei  Umstände  ver- 
einigten sich,  um  den  Sturz  der 
Holzschneidekunst  zu  bereiten  und 
zu  beschleunigen.  Die  grossen 
Meister  starben  und  hinterliesseu 
keine  Erben .  die  Kunstfertigkeit 
sank  wieder  zum  Handwerk  herunter 
und  das  Publikum  gewöhnte  sich 
nach  und  nach  an  die  Vorstellung, 
dass  der  Holzschnitt  ein  rohes,  ver- 
schmiertes Bild  sein  müsse.  Der 


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Holzschneidekunst. 


433 


30jährige  Krieg  war  der  Holz-  Ein  Schüler  Kembrandts  Jan  Livcns 
r?chneidekun*t  auch  nicht  gerade  (1607—1668)  behandelte  den  Holz- 
förderlich. Der  Hauptfeind  aber  schnitt  in  einer  Weise,  dass  derselbe 
entstand  derselben  in  dem  empor-  Ätzbliitteru  ähnlich  und  zu  ganz 
blühenden  Kupferstiche.  Das  Bessere  koloristischer  Wirkung  gebracht 
war  des  Guten  Feind.  Die  höhere  wurde.  Im  Iis.  Jahrhundert  hört  aueh 
Vollenduug,  welche  mau  durch  Grab-  in  den  Niederlanden  derküustlerische 
srichel  und  Radiernadel  damals  den  Holzschnitt  fast  ganz  auf. 
Kunferblättern  zu  verleihen  glaubte  Nach  Italien  wurde  die  Holz- 
uno  der  Umstand,  dass  die  Maler  schneidekunst  ebenfalls  durch  deut- 
ihre  Empfindungen  schneller  durch  sehe  Buchdrucker  gebracht.  Wir 
•  inige  Züge  der  Nadel  selbst  schaffen  begegnen  dort  anfangs  lauter  deut- 
und  der  Welt  mitteilen  kouuteu.  sehen  Namen,  wie:  Baldoll,  Johan- 
veranlasste  zunächst  die  Vernach-  nes  de  Fraucfordia,  Jakob  von  Strass- 
lässigung  des  Holzschnittes.  Er  bürg  etc.  Unmittelbar  vor  Ende 
fristete  zwar  sein  Leben  noch  bis  des  15.  Jahrhunderts  erschien  in 
ins  17.  Jahrhundert  hinein,  wo  uns  Venedig  das  berühmte  Buch:  Hyp- 
namentlich  in  Paul  Kreuzberger  von  nerotumachia  Poliphili,  ein  tooo- 
Nürnberg  ein  achtbarer  Künstler  graphisches  Meisterwerk  des  Aldo 
entgegentritt,  allein  im  allgemeinen  l*io  Manutio.  Ausserordentliche 
wurden  die  Holzschnitte  nur  mehr  Thätigkeit  entwickelte  sich  zu  An- 
znm  Bedrucken  untergeordneter  fang  des  !  6.  Jahrhunderts.  In  Ugo 
Stoffe  benutzt.  Die  Auferweckung  da  Carpi  erblicken  die  Italiener  den 
der  Holzschneidekunst  war  unserem  Erfinder  des  Chiaroscuros.  Seine 
Jahrhundert  vorbehalten.  Hauptarbeiten     sind  Vervieltalti- 

In  den  Niederlanden  drang  der  gungen  Kafaelscher  Entwürfe.  In 

Holzschnitt  zuerst  von  Deutschland  der  zweiten  Hälfte  des  IG.  Jahr- 

atb  vor.    Die  Niederländer  wollen  hunderts  kommen  in  Venedig  wieder 

zwar    allerdings  die  Erfinder  des  deutsche  Formschneider  vor. 

Holzschnittes  sein.    So  sollen  schou  Auch   in  Frankreich   waren  es 

im  13.  Jahrhundert  in  Harlem  Beel-  Deutsche,   welche   1470  die  erste 

desniders  existiert  haben,  und  der  Druckerei  in   Paris  anlegten.  Zu 

Streit  bezüglich  Erfindung  der  Buch-  den  ältesten  Schnitten  gehören  die 

druckerkunst  durch  Lorenz  Coster,  Totentänze  von  Verara  und  Vernier. 

1370  geboren,  ist  bekannt.  Namentlich  aber  versuchen  sieh  die 

Für  die  EntWickelung  dergraphi-  fiauzösischen  Holzschneider  inTitel- 

schen  Künste  in  den  Niederlanden  Umrahmungen,   Initialen   und  der- 

hat    Lucas  von  Legden   (1494   bis  gleichen,  besonders  im  16.  Jahrhun- 

1533)  eine  ähnliche  Bedeutung,  wie  dert,  so:  eine  Isabelle  Quatrepomme 

Dürer  für  Deutschland.  Gegen  Ende  in  Roueu,  Bernard  Salonion,  nainent- 
des  16.  Jahrhunderts  wenden  sich  ;  lieh  aber  Jacques  Perissin  und  Jean 

die  niederländischen  Künstler  mit  Tortorel.  Im  17.  Jahrhundert  waren 

Vorliebe  dem  Helldunkel  zu  uud  es  vornehmlich  die  Familien  Papillou 

zwar   verbinden   sie  häufig  dabei  und  Sueur,  welche  den  Formschnitt 

Kupferstich  und  Holzschnitt.  pflegten  uud  die  Blüte  desselben, 

Mit  grossem  Erfolg  arbeitete  in  namentlich  des  Chiaroscuros,  bis  ins 
dieser  Weise  Hendrik  (iultzius  in  18.  Jahrhundert  verlängerten. 
Harlem  Im  17.  Jahrhundert  ging  In  England  erschien  das  erste 
über  die  Niederlande  in  Hubens  ein  mit  Holzschnitten  verzierte  Buch 
gewaltiger  Stern  auf.  Für  denselben  1493  unter  dem  Namen:  Aurea  le- 
arbeitete  namentlich  ein  deutscher  qenda.  Zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
Holzschneider:    Christoph    Jegher.  Iiunderts  hatte  der  Formschnitt  in 

lUallexleon  der  deutschen  Altertümer.  28 


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Hörigkeit.  —  Hörnerner  Siegfried. 


den  alten 
schon  in 
und  Jagd- 


England  seine  Blüte  erreicht.  Dann 
aber  geriet  »t  gänzlich  in  Verfall, 
bis  zxun  Beginn  des  18.  Jahrhunderts, 
WO  eich  die  englischen  Holzschnitzer 
dn::iit  abmühten,  es  dein  Stahlstich- 
gleiclizuthuu  und  es  auch  zu  einer 
DewundtniswertenTechnik  brachten. 
Nach  Bucher,  Gesch.  der  techn. 
Künste:  Thausing,  Dürer;  Löbke, 
Kunstgeschichte.  A.  H. 

Hörigkeit.     Das  Wort   hörig, ' 
mhd.  koerec  —  unterthänig,  eigen,  j 
kann  nicht  über  das  14.  Jahrhun- 
dert nachgewiesen  werden,  ist  aber 
von  Neueren  allgemein  für  das  Ver- 
hältnis der  loseren,  sich  dein  Stande  | 
der  Freiheit  nähernden  Knechtschaft 
im    alten  Deutschland  verwendet, 
siehe  Liten  und  Knecht. 

Horn .  diente  bei 
Deutschen ,  vermutlich 
frühester  Zeit,  ab  Feld 
zeichen  und  als  Trinkgeschirr;  Musi- 
kalisch ergiebiger  als  die  heulenden 
Tierhörne r  sind  erst  die  Horner  von 
Metall,  Gold,  Bronce,  Messing;  sie 
sind  teils  gekrümmt,  teils  gerade. 
Das  gerade  Instrument,  ahd.  wahr- 
scheinlich trumba  genannt,  ent- 
wickelte sich  als  Jagd-  und  Wald- 
horn zur  langen  Metallröhre  mit 
Schallbecher,  che  Röhre  entweder  in 
altertümlicher  Art  gerade,  oder  nach 
einer  Neuerung  des  14.  Jahrhunderts 

gebogen;  den  alten  Namen  bewahrt 
as  rumanisierte  Wort  trompette. 
M  Heyne  im  Anzeiger  f.  Kunde  d. 
d.  Vorzeit  1881.  Sp.  263—266.  Das 
Heerhorn  findet  man  häufig  in  den 
älteren  Dichtungen  und  denen  der 
deutschen  Heldensage  genaimt  und 
sowohl  den  christlichen  als  den  heid- 
nischen Heeren  beigelegt.  Kaiser 
Karl  iässt  60000  Hörner  blasen,  um 
seine  Ankunft  anzuzeigen.  Rolands 
Horn  Olifaut  ist  berühmt  in  der 
Sage;  der  Name  bedeutet  Elfenbein. 
Das  Horn,  mit  dem  die  Signale  im 
Kriege  gegeben  werden,  heisst  her- 
hör»,  irichorn.  Durch  das  Horn  ver- 
kündet der  Wächter  den  heran- 
nahenden Tag  und  den  Feierabend; 


auch  zum  Beginn  des  Gerichtes  wird 
es  geblasen,  wie  auch  sein  Ton  die 
Einleitung  zum  jüngsten  Gericht  ist. 

Hörnerner  Siegfried  heisst  der 
Held  einer  nur  in  Drucken  des 
16.  Jahrhunderts  erhalteneu  und  im 
Hildebraudston,  d.  h.  in  der  späteren 
Xibelungenstrophe  verfassten  Dich- 
tung lief  cum  h  um  inen  Sifrit,  welches 
die  Abenteuer  des  Helden,  seine 
Drachen-  und  Riesenkämnfe  bis  zu 
seiner  Vermählung  mit  Krieinhild 
und  zu  dem  moralichen  Anschlag 
seiner  Schwäger  führt;  dieses  und 
ein  verlorenes  Lied  von  Siegfrieds 
Hochzeit  sind  die  Quellen  des  pro- 
saischen Volksbuches  vom  tiehörnten 
Siegfried,  welches  den  Titel  fuhrt: 
„Eine  wunderschöne  Historie  von 
dem  gehörnten  Siegfried,  was  wunder- 
liche Ebentheuer  dieser  theure  Ritter 
ausgestanden,  sehr  denkwürdig  und 
mit  Lust  zu  lesen",  Köln  und  Dürn- 
berg, gedruckt  in  diesem  Jahr.  Der 
unbekannte  Verfasser  des  bis  jetzt 
nicht  datierten  Buches  giebt  zwar 
als  Quelle  eine  französische  Urschrift 
an,  aber  ohne  Zweifel  bloss  um  sein 
Buch  dadurch  zu  empfehlen.  Der 
Inhalt  der  Sage  ist  folgender:  Chriem- 
hild,  die  Tochter  des  Königs  Gibich, 
ist  von  einem  Drachen  geraubt  und 
wird  auf  einem  Felsen  gefangen  ge- 
halten; in  fünf  Jahren  wird  jeuer 
wieder  Mensch  werden,  seine  schöne 
Gefangene  heiraten  und  sie  dann 
zur  Holle  fahren  lassen.  Siegfried, 
der  Held  aus  den  Niederlanden,  der 
durch  das  Fett  eines  getöteten 
Drachen  unverwundbar  geworden 
ist,  einen  Fleck  zwischen  den  Achseln 
ausgenommen,  hat  sich  nun  auf  der 
Jagd  verirrt  und  trifft  auf  den  Zwerg 
Eugleiu,  Nibelungs  Sohn,  der  ihm 
Chnemhildens  Schicksal  erzählt. 
Siegfried  hisst  sich  von  ihm  nach 
dem  Drachenstein  führen,  besiegt 
den  Riesen  Kuperan  und  zwingt 
ihn  zum  Dienste,  wird  aber  beim 
Besteigen  des  Felsens  von  dem 
Riesen  meuchlings  zu  Boden  ge- 
schlagen und  nur  durch  Engleins 


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Hortulus  deliciarum.  —  Humanismus. 


435 


Tarnkappe  gerettet.  Von  neuem 
besiegt,  muss  Kuperan  dem  Sieg- 
fried die  Burg  aufsehliesen  und 
ihm  das  Sehwert  gehen,  womit  der 
Drache  allein  getötet  werden  kann;  | 
mit  dessen  Hilfe  erlegt  Siegfried 
den  Drachen  und  befreit  die  Jung- 
frau. Dann  holt  er  den  Nibelungen- 
hort, versenkt  ihn  in  den  Rhein, 
feiert  zu  Worms  mit  Chriemhilden 
Hochzeit  und  wird  endlich  an  der 
Quelle  vom  grimmen  Hageuwald 
erschlagen. 

II  ort  iil  iis  deliciarum,  ist  der 
Name  eines  Werkes,  dessen  Ver- 
fasserin die  aus  dem  Odilienkloster 
Hohenburg  im  Elsass  entsprungene 
Äbtissin  Herrad  von  Landsoerrf  ist, 
gestorben  1105.  Es  ist  eine'  Art 
Eneyklopädie,  bestehend  aus  bibli- 
schem theologischen  und  rein  wissen- 
schaftlichen Auszügen,  lateinischen 
Gedichten  und  dazu  gehörigerMusik- 
begleitung  und  Malerei,  wobei  auch 
Nachrichten  über  Trachten,  Waffen, 
Gerätschaften,  Architektur  und  haus- 
liche Lebensweise  vermerkt  sind. 
Herausgegeben  von  Engelhardt, 
Stuttgart  1818,  mit  12  Kupfern. 

Hospitaliter  oder  Hospitalbrll- 
der  heissen  alle  diejenigen  kirchlich 
geordneten  Vereinigungen,  welche 
sich,  meist  nach  der  Augustinischen 
Regel,  der  Pflege  der  in  die  Hospi- 
täler aufgenommenen  Kranken  und 
Armen  widmeten.  Meist  mit  eigent- 
lichen Klosterordeu  verbunden, 
stehen  sie  unter  der  Aufsicht  des 
Bischofs,  speciell  bei  grösseren 
Verbrüderungen  unter  einem  Gene- 
ral ;  jede  einzelne  Verbrüderung  hat 
eineu  Vorsteher,  Superior  oder  Major. 
Feierliche  Klostergelübde  haben  nur 
sehr  wenige  Orden  der  Hospitaliter, 
dagegen  verpflichten  sich  viele  ausser 
zur  Armen-  und  Krankenpflege  noch 
zur  Armut  und  Gastfreiheit.  Zu- 
nächst entstanden  die  Hospitaliter 
in  Italien  seit  dem  9.  Jahrhundert 
in  dem  Orden  Unser  Lieben  Frau 
della  Scala  oder  von  der  Stufe  der 
Siena.    Mit  deu  Kreuzzügen  wuchs 


ihre  Zahl  ausserordentlich  und  sie 
verbreiteten  sich  durch  ganz  Europa. 
Ausser  den  Hospitalitern  des  heiligen 
Anton  gab  es  Hospitalbrüder  zum 
heiligen  Johannes,  den  Orden  der 
deutschen  Ritter,  die  Hospitalbrüder 
vom  Orden  des  heiligen  Geistes  und 
viele  andere. 

Humanismus  heisst  die  litterari- 
sche Bewegung,  welche,  aus  der 
Beschäftigung  mit  der  antiken  Kunst 
und  Litteratur  hervorgehend,  zuerst 
in  Italien  und  später  auch  iu  den 
übrigen  Ländern  des  romanisch- 
germanischen Europas,  das  Mittel- 
alter verdrängt  und  die  Basis  der 
modernen  Bildung,  Lebensanschau- 
ung, Kunst  und  Wissenschaft  wird ; 
unter  den  mannigfaltigsten  Erschei- 
nungsformen der  Renaissance,  an 
welchen  das  Staatsleben,  das  Leben 
des  Individuums,  das  Leben  der 
Gesellschaft ,  die  verschiedenen 
Künste  teilnehmen,  fällt  also  dem 
Humanismus  die  Ausbildung  des 
Utterarüchen  Lebens  zu,  und  in 
diesem  namentlich  dem  darin  wal- 
tenden Lebensprinzipe  des  Humanis- 
mus, der  schauen,  dem  klassischen 
Altertum  entnommenen  Menschlich- 
keit, welche  der  Humanismus  in  be- 
wusster  Selbsterkenntnis  dein  christ- 
lich-kirchlichen Lebensprinzipe  d<  s 
Mittelalters  gegenüberstellt.  Der 
Humanismus  bildet  deshalb  eine 
Mittelstufe  zwischen  dem  antiken 
Lebensprinzipe  der  humanitas  und 
dem  Humanitätsideale  des  18.  Jahr- 
hunderts. Der  Entstehung  des  Hu- 
manismus voraus  geht  die  Bildung 
des  modernen  Staates  auf  italieni- 
schem Boden,  namentlich  des  städti- 
schen Lebens,  die  Bildung  einer 
allgemeinen  Gesellschaft ,  welche 
sich  bildungsbedürftig  fühlte,  und 
das  Erwachen  der  Persönlichkeit 
aus  dem  gebundenen  Wesen  der 
mittelalterlichen  Welt;  erst  im 
14.  Jahrhundert  tritt  als  neue  Er- 
scheinung die  Parteinahme  der  Ita- 
liener für  das  Altertum  hinzu,  wel- 
ches sich  nun  der  neu  sich  ent- 

28  * 


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436  Humanismus. 


wickelnden  realen  Bildung  in  allen  gangbarsten  lateinischen  Dichter, 
Gebiet eu  des  Geisten  als  sicherer  Historiker,  Redner  uud  Epistolo- 
Führer  anbietet.  Unterstützt  wurde  graphen  liebst  einer  Anzahl  lateini- 
diese  Strömung  dadurch,  dass  das  scher  Übersetzungen  nach  einigen 
mittelalterliche  Kaisertum  seit  dem  Schriften  des  Aristoteles  uud  fta- 
Untergang  der  Hohenstaufen  im  tarch;  erst  mit  dem  15.  Jahrhundert 
ganzen  auf  Italien  verzichtet  hatte  beginnen  die  grossen  und  zahlreichen 
und  das  Papsttum  nach  Avignon  Entdeckungen  verlorener  Autoreu, 
übergesiedelt  war.  die  systematische  Anlage  von  Biblio- 

Als  ein  erster  bedeutender  Zug  theken  durch  Kopieren    und  d>?r 
in    dieser    neuen    Geistesrichtung  eifrige  Betrieb  des  Übersetzens  aus 
wird  die   Teilnahme  erwähnt,  die  dem  Griechischen.   Mit  wahrer  Ba- 
sich für  die  Ruinenstadt  Rom  kund-  Begeisterung  und  mit  grossem  Auf- 
giebt;  Itypio  ist  hier  der  erste,  der  wand  ökonomischer  Mittel  wurden 
in   seiner  Ruinarum   urbis  Romae  seltene  Bücher  gekauft  und  abge- 
(fesrrij)fio  um  14*10  das  Studium  der  f  schrieben;  Nikolaus  V.  hinterliess 
Reste  selbst  mit  dem  der  alten  Au-  diejenige  Bibliothek,  die  der  Grund- 
f« >ren  und  mit  den  Inschriften  inniger  stock  der  Vatikana  geworden  ist: 
vrband;  au  seine  kurzen  Aufzeich-  in  Florenz  vermachte  Niccolo  Niccoli 
innigen  schliefst  fieb  das  Werk  des  seine  wertvolle  Büchersammlung  dein 
Wondtts  von  Forli,  gestorben  1447,  Kloster  St.  Marco  mit  der  Bedingung 
Romainttaurafa,  dessen  Zweck  schon  der  Öffentlichkeit.    Als  die  beiden 
über  die  Schilderung  des  Vorhände-  grössten  Bücherfinder  werden  Gua 
neu  hinaus  auf  die  Ausmittelung  rino  und  Poggio  genannt;  aus  au- 
des  Untergegangenen  sich  erstreckt,  tikem   Patriotismus   sammelte  der 
Pius  II.  ist  ganz  von  antiquarischem  Grieche,  Kardinal   Bessarion,  600 
Interesse  erfüllt  und  hat  die  Alter-  Handschriften,    für   die    er  einen 
tümer  der  Umgebung  Roms  zuerst  sicheren  Ort  suchte,  wohin  er  sie 
genau   gekannt   und    beschrieben. '  stiften  könnte,  damit  seine  unglüok- 
Es  entstanden  jetzt  die  ersten  Sauim-  liehe  Heimat,  wenn  sie  je  wieder 
hingen  von  Altertümern  jeder  Gat-  frei  würde,  ihre  verlorene  Litteratur 
tung;  man  begann  Ausgrabungen  wiederfinden  möchte;  er  fand  deu 
nach  Altertümern ,  fand  den  Apoll  Ort  in  Venedig.    Besonders  in  Flo- 
von  Belvedere,  den  Laokoon,  die  renz  blühte  das  Studium  der  grie- 
va'ikanische  Venus,  die  Kleopatra;  einsehen  Sprache   und  Litteratur, 
und  setzte  schon  früh  die  Grund-  getragen  von  einer  Kolonie  griechi- 
sä  tze  fest,  nach  welchen  Aufnahmen  scher  Flüchtlinge,  deren  ersterManuel 
antiker  Altertümer  geschehen  sollten,  Chrysolaras  war;  der  Umgang  der 
nämlich  für  jeden  Überrest  Plan,  italienischen  Gelehrten  mit  gebure- 
Aufriss  und  Durchschnitt  gesondert,  neu  Griechen  brachte  es  auch  mit 
Mit  dem  archäologischen  Interesse  sich,  dass  griechischReden  eine  Zierde 
Hand  in  Hand  geht  ein  patriotisches,  der  humanistischen  Gelehrten  wurde, 
und  bald  verknüpft  sich  auch  damit  Als  die  griechische  Kolonie  ausstarb, 
eine  gewisse  Ruineusenthnentalität,  liess  die  Teilnahme  für  das  Griechi- 
der  man  die  ersten  idealen  Ruinen-  sehe  in  Italien  schnell  nach.  Auch 
ansichten  verdankt.  das  Studium  der  hebräischen  und 

Wichtiger  als  die  baulichen  und  arabischen  Sprache  gewann  in  Ita- 
künstle; isehen  Reste  des  Altertums  Heu  einen  ziemlich  bedeutenden 
wurden  die  alten  Autoren,  aus  de  Umfang. 

neu  man  vornehmlich  den  Geist  der  Der  JJumanUmu*  steht  in  Italien 
schönen  Bildung  schöpfte;  von  ihnen  in  enger  Verbindung  mit  dem  Er- 
kennt  das  14.  Jahrhundert  erst  die  wachen  einer  itafienutrhen  Xational- 


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Humanismus.  437 


poetie  und  der  italienischen  Sprache  griechischen  Sprache.  Doch  gab  es 
überhaupt;  die  klassischen  Dichter  daneben  noch  zahlreiche  andere  ge- 
sind in  diesem  Lande  zugleich  Hu-  lehrte  Institute  längerer  oder  kür- 
manisten.  So  schon  Dante,  der  zerer  Dauer,  namentlich  auch  freie 
Vergil,  den  grössten  antiken  Dichter  Akademien,  an  welchen  hnm&nisti- 
in  den  Augen  seiner  Zeit,  zum  sehe  Lehrer  beteiligt  waren;  im 
Führer  in  der  Hölle  und  im  Purga-  ganzen  liebte  man  die  Abwechse- 
torium  gewählt  und  zuerst  eine  Fülle  hing,  und  es  war  überhaupt  wenig,  r 
antiker  Lebensbeispiele  in  seiner  auf  eine  gründliche  philosophische 
Dichtung  gehäuft  hat.  Petrarca  und  reale  Bildung  aligesehen,  als 
ist  für  seine  Zeit  weit  mehr  der  be-  auf  eine  Lebensführung  im  Sinne 
geisterte  Prophet  der  antiken  Bil-  des  Humanismus,  dessen  wesent- 
dung,  als  angesehener  Dichter  ge-  liehe  Kiemente  persönlicher  Umgang, 
wesen;  er  ahmte  alle  Gattungen  Disputationen,  Deständiger  Gebrauch 
der  lateinischen  Poesie  nach  und  des  Lateinischen  und  zum  Teil  des 
war  der  eigentliche  Repräsentant  Griechischen  waren, 
der  antiken  Bildung.  So  war  auch  Unter  dem  Einflüsse  des  Humanis- 
Boeeaccio  als  Humanist  und  Ver-  mus  sind  in  Italien  auch  die  ersten 
fasser  mythographischer,  geographi-  von  der  Kirche  unabhängigen  Scfut- 
scher  und  biographischer  Sammel-  leti  entstanden,  die  teils  städtischer, 
werke  in  lateinischer  Sprache  inner-  teils  privater  Natur  waren.  Erst 
halb  und  ausserhalb  Italiens  weit  hier  wurde  das  Schulwesen  unter 
berühmter  denn  als  Verfasser  des  dem  Gesichtspunkte  höherer  Er- 
Dekamerone.                *  ziehung  betriebeu;  am  wirksamsten 

Als  symbolische  Ceremonie  ist  waren  in  dieser  Beziehung  Vittorinn 

den  Humanisten  die  Vöetenhrbnung  \  da   Feftre  zu  Mantua,  der  zuerst 

mit  dem -Lorbeerkranz  eigen,  eine  das  Turnen  und  jede  edlere  Leibes- 

ött'entliehe  Demonstration,  ein  sieht-  Übung  mit  dem  wissenschaftlichen 

barer  Ausdruck  des  litterarischen  Unterricht  verband,  und  Quarino 

Ruhmes;  ihre  Anfänge  im  Mittel-  von  Verona ;  besonders  unternahmen 

alter  sind  dunkel;  doch  steht  sie  jetzt   Humanisten  die  früher  von 

ohne  Zweifel  im  Zusammenhang  mit  Theologen  geleitete  Erziehung  von 

dein  griechischen  Vorbild  der  von  Do-  Fürstenkindern. 

mitian    gestifteten    kapitolinischen  Ganz  besonders  dienten  in  Italien 

Wettkämpfe.     Anfanglich  nahmen  die  Humanisten  den  Republiken  wie 

Bischöfe,  Rektoren  der  Universität,  den  Fürsten  und  Päpsten  zur  Ab- 

die  Stadtbehörde  von  Rom  die  Cere-  fassung  der  Briefe  und  zur  öftent- 

monie  vor;  seit  Karl  IV.  in  Italien  liehen,  feierlichen  Rede.    Fast  alle 

einen  Poeten  gekrönt,  thaten  rei-  grossen  Männer  der  Wissenschaft 

sende  Kaiser  bald  da,  bald  dort  111  Italien  dienten  im  15.  Jahrhun- 

ebendasselbe;  im   15.  Jahrhundert  dert  eiuen  Teil  ihres  Lebens  als 

ging  die  Ceremonie  vom  Papste  und  Sekretäre  und  Geheimschreiben  Die 

anderen  Fürsten  aus.  Briefsammlungen  des  Cicero  und 

Der  Humanismus  hatte  eine  be-  Plinius  wurden  zu  dem  Ende  aufs 
deutende  Wirkung  auf  die  l'nirer-  genaueste  studiert  und  mit  posser 
titatent  von  den  Professuren  des  Virtuosität  nachgeahmt.  Nocli  wich- 
geistlichen und  weltlichen  Rechtes,  t  tiger  aber  wird  die  Eloquenz,  die 
der  Medizin,  der  Rhetorik,  der  sich  jetzt  völlig  von  der  Kirche 
Philosophie  und  der  Astronomie  emanzipierte  und  ein  notwendiges 
war  diejenige  der  Rhetorik  beson-  Element  der  höheren  Gesellschaft 
ders  das  Ziel  der  Humanisten ,  ab-  jeder  Art  wurde.  Der  Name  der 
gesehen  von  besoldeten  Lehrern  der  Gesandten  von  Staat  an  Staat  ist 


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488 


Humanismus. 


Oraioren ;  Fürsten  wurden  bei  jedem 
feierlichen  Empfang  oft  stundenlang 
angeredet;  beiBeamtenerneuerungen, 
Einführung  neuernaimter  Bisehöfe, 
bei  Überreichung  des  Feldherrn- 
stabes fehlt  nie  die  solenne  Rede; 
die  Todestage  der  Fürsten  werden 
durch  Gedächtnisreden  gefeiert,  und 
namentlich  fallt  die  Leichenrede  dem 
Humanisten  anheim;  neben  den  aka- 
demischen Reden  steht  die  antiqua- 
risch-philologisch ausgestattete  Rede 
des  Advokaten  und  des  Heerführers 
vor  und  nach  dem  Kampf.  Ernste- 
rer Natur  sind  die  Bemühungen  der 
Humanisten  um  die  Ahhanmung  in 
unmittelbareroderdialogischerForm, 
um  die  lat  einholte  Gesehiehtschrei- 
bnng,  um  die  Monographie  und  Bio- 
nraphie,  um  die  Erforschung  des 
Mittelalters,  dessen  Erkennung  als 
eine  überwundene  Bildung  zuerst 
in  diesen  Kreisen  auftritt,  überhaupt 
um  die  Neubildung  und  Bearbeitung 
sämtlicher  Fachwissenschaften. 

Charakteristisch  für  den  Huma- 
nismus ist  die  Antikuierunq  der 
Namen i  dieselben  werden  teils  ein- 
fach aus  den  Vornamen  des  Alter- 
tums genommen,  Agamemnon,  Ari- 
stides,  Apelles;  oder  sie  ersetzen 
Vor-  und  Gcschlechtsnamen  zu- 
gleich, wie  sich  z.  B.  Sanscverino, 
der  Geschichtschreiber,  Julius  Pom- 
ponius  Laetus  umtaufte;  oder  es 
sind  griechische  oder  lateinische 
Übersetzungen  der  vorhandenen,  so- 
wohl Tauf-  als  Zunamen,  wonach 
z.  B.  aus  Giovanni  Jovianus  oder 
Janus,  aus  Sannazaro  Svncerus 
wurde;  die  letztere  Art  ist  bei  den 
deutschen  Humanisten  fast  aus- 
schliesslich Brauch  geworden. 

Der  Humanismus  ist  es  gewesen, 
der  zuerst  wieder  von  der  lateini- 
schen Vulgärsp räche  des  Mittelalters 
auf  da«  klassische  Latein  zurück- 
gegriffen hat,  wobei  seit  dem 
14.  Jahrhundert  Cicero  unbestritten 
als  das  reinste  Muster  der  Prosa 
galt:  der  Ciceronianismus  jedoch, 
der  !<ich  jeden  Ausdruck  versagte, 


wenn  derselbe  nicht  aus  Cicero  zu 
belegen  war,  begann  erst  am  Ende 
des  15.  Jahrhunderts  und  hatte  im- 
mer Gegner,  welche  einer  eigenen, 
individuellen  Latinität  das  Wort 
redeteu;  für  die  Konversation  ging 
man  auf  Plautus  und  Terenz  zurück, 
deren  Komödien  häufig  aufgeführt 
wurden. 

Der  höchste  Stolz  der  Huma 
nisten  ist  aber  die  ncuhifrinische 
Dichtung.  Auf  diesem  Gebiete  hat 
die  Bewunderung  für  das  Altertum 
ein  teilweises  Wiedererwachen  des 
antiken  italienischen  Geistes  in  den 
Dichtern  selbst  möglich  gemacht. 
Unter  den  Epen  steht  Petrarcas 
Afrika,  deren  Held  der  ältere  Scipio 
Afrikanus  ist,  obenan;  zahlreich 
sind  die  Dichtungen  mythologischer 
und  bukolischer  Art,  worin  eine 
ganz  neue,  selbständige  Götter-  und 
Hirtenwelt  zu  Tage  tritt;  von  christ- 
lichen Epen  hat  der  italienische  Hu- 
manismus namentlich  die  Christias 
des  l'ida  und  de  partu  Virginia  des 
Sannazaro  hervorgebracht,  welch 
letzterer  unbedenklich  alte  Mytho- 
logie mit  dem  christlichen  Stoffe 
mischt;  auch  die  Zeitgeschichte 
wurde  in  Hexametern  oder  Distichen 
behandelt,  meist  zu  Ehren  eines 
Fürsten  oder  Fürstenhauses,  wovon 
die  Sphorcias,  Borsei«,,  Bora  Im 
Zeugen  sind.  Die  didaktische  Dich- 
tung hat  besonders  im  lß.  Jahr- 
hundert einen  Crossen  Aufschwung 
genommen  und  z.  B.  das  Gold- 
machen, das  Schachspiel,  die  Seiden- 
zucht, die  Astronomie  behandelt. 
Auf  dem  Gebiete  der  lyrischen  Poesie 
wurde  besonders  Catull  nachgeahmt; 
weniger  antik  erscheinen  die  Oden 
in  den  alten  Odejuversmassen,  täu- 
schend antik  dagegen  eine  Anzahl 
Gedichte  im  elegischen  Versmars 
oder  bloss  in  Hexametern,  deren 
Inhalt  von  der  eigentlichen  Elegie 
bis  zum  leichteren  Epigramm  herab- 
reicht; auch  hier  ist  Sannazaro  der 
erste  Meister. 

Man  kann  im  italienischen  Hu- 


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Humanismus. 


439 


manismns  einen  bleibenden  Kern  wäre,  gab  es  nicht;  die  deutschen 
und  eine  vorübergehende  Form  unter-  Fürstengesehleehter  zehrten  noch 
scheiden;  diese  letztere  ist  die  be-  an  der  roheren  Bildung  der  vorher- 
sondere Gestalt,  welche  die  Gesell-  gegangenen  Jahrhunderte,  und  nur 
schaft  oder  der  Stand  der  Huma-  wenige,  wie  Maximilian,  mochten 
nisten  hier  angenommen  harte;  be-  sieh  für  eine  schönere  Bildung  be- 
rufsmässige Vertreter  der  antiken  geistern  lassen; die italieniseheStädte- 
Bildung.  die  nieht  bloss  in  der  Lehre  Tvrannis  war  Deutschland  ganz 
und  Schriftstellerei .  sondern  noch  fremd,  und  in  den  Reichsstädten 
mehr  im  Umfang  und  Stand  ein  dominierte  eine  den  Gewerbs-  und 
in  sich  abgeschlossenes  Element  der  Handelsintercssen  ergebene  Bürger- 
italienischen Gesellschaft  bildeten ;  schaft.  Stand  der  Klerus  zwar  auch 
der  bleibende  Kern  liegt  in  der  hier  tief  genug,  so  arbeitete  sich 
Lösung  von  der  Scholastik  und  in  doch  seit  dem  Beginne  des  15.  Jahr- 
der  Wiedergeburt  der  antiken  Welt-  hundert«  selbständig  ein  ernsterer 
anschauung;  er  wirkt  unveräusser-  Bildungstrieb  durch,  welcher  sieh 
lieh  bis  heute,  während  jene  huma-  mit  Hingabe  dem  Jugendunterriehte 
nistische  Gesellschaft  Italiens  schon  widmete.  Die  Brüder  d<s  nenn  in- 
in  den  ersten  Dezennien  des  16.  tarnen  Lehern  (vergl.  diesen  Artikel) 
Jahrhunderts  schnell  abstarb;  als  wurden  die  Begründer  eines  khvh- 
Ursachen  des  Niedergangs  werden  liehen  und  doch  der  freieren  Bildung 
angegeben  die  Erfindung  des  Buch-  offenen  Unterrichtes,  und  aus  ihren 
drucks,  welche  den  persönlichen  Schulen  gingen  bald  Gelehrte  her- 
Umgang  mit  den  Gelehrten  teilweise  vor,  die  zwar  meist  ihre  Bildung  in 
entbehrlich  machte,  das  geringe  Italien  holten,  sich  auch  in  diesem 
Mass  ihrer  sittlichen  Tüchtigkeit,  Lande  die  konventionelle  Lebens- 
ihre  Ruhmsucht,  Eitelkeit,  Schmäh-  führung  der  Humanisten  aneigneten, 
sucht,  Oberflächlichkeit,  und  schon  in  ihrer  eigenen  Heimat  dagegen 
in  Italien  eine  Reaktion  des  gläu-  ernster  und  würdiger  als  ihre  Vor- 
bigen  Kirchentums  gegen  den  wenig  bilder  zu  wirken  pflegten,  besonders 
kirchlichen  Geist  der  Humanisten,  in  Bezug  auf  ihre  theologischen  Bibel- 
Dagegen  erneuerte  und  vertiefte  sich  Studien  und  auf  die  Jugendbildung; 
der  Humanismus  in  den  Ländern  der  Sitz  dieser  Humanistenschiue 
diesseits  der  Alpen,  in  welchen  er  ist  am  Rhein,  von  den  Niederlanden 
in  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr-  aufwärts  in  Wesel.  Heidelberg, 
hunderts  langsam  Eingang  fand.  Schlettstadt,  Basel,  wozu  besonders 
In  Deutschland  findet  man  zu-  noch  Tübingen  und  Erfurt  kommen, 
erst  an  den  Konzilien  von  Konstanz  Die  einflussreichsten  Namen  sind 
und  Basel  italienische  Humanisten  ( Johann  Wesel,  Rudolf  Atjrikola, 
teils  für  sieh  auf  Handschriften  aus-  Alexander  Heai us,  Rudolf  von  Laune, 
gehend,  namentlich  Poggius,  teils  Hermann  von  dem  Busch,  Jakob 
schon  unter  Deutschen  Propagauda  Wimphelinq,  Beatus  Rhenanns.  Sie 
machend  für  ihre  Bestrebungen;  das  werden  alle  übertroffen  von  den 
letztere  ist  besonders  bei  Äneas  Fürsten  des  deutschen  Humanismus, 
Sylvins  der  Fall.  Doch  lagen  von  Reuchlin  und  Erasmus,  jener  be- 
vornherein  die  Verhältnisse  wesent-  sonders  für  das  Hebräische  thätig, 
lieh  anders  als  in  Italien;  die  latei-  j  dieser  überhaupt  der  grösste  Ge- 
nisehe Sprache  war  sehr  viel  fremder  lehrte  seiner  Zeit, 
für  die  deutsche  Nation ;  eine  Na- 1  Ein  anderer,  dem  deutschen  Hu- 
tionalsprache  und  eine  National-  manismus  eigener  Zug  ist  der  natio- 
diehtung,  die  mit  der  Dichtung  der  nale\  er  zeigt  sich  teils  als  Polemik 
Gelehrten  Hand  in  Hand  gegangen  gegen  den  Komanismus,  namentlich 


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440  Humiliatenorden.  —  Hundertschaft. 


gegen  die  elende  scholastische  Hil-  Mas>e.  die  Teilnahme  für  du-  Quellen 
3ung  der  Mönche,  und  feiert  seinen  des  Christentums,  für  den  Jugend- 
Höhepunkt  in  Hutten  und  in  lieuch-  Unterricht,  für  die  Quellen  vater- 
//'//.  in  bezug  auf  letzteren  nament-  lfindischer  Geschichte.  Die  latei- 
Iii- h  in  der  Art,  wie  der  Humanis-  niteke  Dichtung,  welche  ebenfalls 
mus  solidarisch  für  ihn  im  Kampf  von  den  deutschen  Humanisten,  na- 
gegen  die  Kölner  einsteht,  siehe  den  mentlich  von  Eiß>aa  Hesse,  geprleirt 
Artikel  ephtolaeohscurunim  vi rorum  ;  worden  war,  stirbt  zwar  auch  niclit 
teils  erweist  er  sieh  in  der  liebe-  aus,  verliert  jedoch  ihr  eigeutün»- 
vollen  und  ausgiebigen  Beschäftigung  lieh  freies  humanistisches  Gepräge 
mit  den  Quellen  (1er  deutschen  Ge-  und  fällt  den  sogenannten  -\>w- 
sehichte  uud  Bildung:  Mittelpunkt  latentem  anheim,  während  die  Kritik 
dieses  Treibens  ist  Wien,  wo  Kaiser  und  Bearbeitung  der  klassischen 
Maximilian  die  Erforschung  der  Autoren  den  zünftigen  Piniol« igen 
deutschen  Geschichte  auf  alle  Weise  überlasssen  wird.  Burkhardt,  Ke 
beförderte;  die  hervorragendsten  naissance;  Voigt,  die  ersten  Huma- 
Namen  dieses  Kreises  sind  Cttspinian  nisten.  deiner,  Renaissance  und 
iSpiesshammer),  Konrad  Cd  (es,  Kon-  Humanismus  in  Italien  und  Deu^ch- 
rad  Petttinper,  Fadian,  land. 

Auch  die  deutschen  Humanisten  Huniiliatenordeu  oder  Orden 
repräsentierten,  wenngleich  nicht  in  der  Demut,  entstand  im  12.  Jahr- 
dem  Grade  wie  die  italienischen,  hundert  und  soll  durch  Adelige,  die 
eine  in  sich  abgeschlossene  schöne  meist  aus  der  Lombardei  gebürtig 
Bildung,  die  zwar  dem  Christentum  und  als  Gefangene  nach  Deutsch- 
nicht  fein  stand,  doch  betrachteten  land  gebracht  worden  waren,  nach 
sie  als  den  schönsten  Erfolg  ihrer  ihrer  Rückkehr  dadurch  gegründet 
Arbeit  die  Freiheit  der  Bildung,  worden  sein,  dass  sie  sich  als 
welche  am  wenigsten  unter  dem  Büssende,  Gedemütigte,  humiliati 
Druck  eines  dogmatisch  gebundenen  zu  einer  Klostergesellschaft  ver- 
Kircheuglaubens  gedeiht,  und  waren  bunden  hätten.  Die  Regel  war  die- 
iederzeit  bereit,  ihr  Prinzip  gegen  ienige des  heiligen  Benedikt;  Pius  V. 
kirchliche  Ignoranz  und  Intoleranz  löste  den  Orden  1571  auf. 
zu  verteidigen,  indem  sie  zugleich  Hundertschaft,  ahd.  huntari. 
einen  lebhaften,  eleganten,  litterari-  fntnteri,  lat.  centena,  ist  eine  Unter- 
seiten und  brieflichen  Verkehr  unter  abteilung  des  Gaues  im  früheren 
sich  unterhielten.  Mit  der  siegen-  Mittelalter.  Es  ist  ursprunglich  kein 
den  Reformation  hört  der  Humanis-  gemein-germanisches  Institut  und 
mus  auf ;  die  Träger  desselben  gehen  begegnet  vor  und  während  der 
entweder  in  die  Reihen  des  Prote-  Völkerwanderung  nur  bei  Ost-  und 
stantismus  hinüber,  wieMelanchthon,  Westgoten  und  Vandalen,  wo  je  hun- 
Vadian  und  viele  andere,  oder,  wo-  dert  Krieger,  von  Zehntschaften  ge- 
von  es  noch  mehr  Beispiele  giebt,  bildet,  zu  je  zwei  Fünfhundertschaf- 
sie  bleiben  der  alten  Kirche  getreu,  teil  und  einer  Tausendschaft  auf- 
ziehen sich  aber  in  diesem  Falle  steigend,  darunter  verstanden  sind, 
meist  vom  litterarischen  Felde  zu-  Von  den  westgermanischen  Völkern 
rück,  das  nun  vorläufig  den  alten  kennen  bloss  die  Franken,  aber  erst 
und  neuen  Theologen  für  ihre  Ten-  in  späterer  Zeit,  die.-e  Einteilung, 
denzeu  überlassen  bleibt.  Schon  in  die  von  ihnen  zu  einigen  der  von 
der  Mitte  der  dreissiger  .Jahre  ver-  ihnen  unterworfenen  Stämme  ge- 
stummt  fast  plötzlich  die  im  engeren  bracht  wurde.  Hier  ist  es  nicht 
Sinne  humanistische  Bildung.  Was  mehr  ein  militärischer,  sondern  ein 
bleibt,  ist.  und  zwar  in  erhöhtem  räumlicher  Verband:  man  vermutet, 


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Hönengrab,  Hünenbett.  —  Hut. 


441 


das«  die  Cen tenen  oder  Centen  ur-  lieh  Söhnt,  Fränkische  Reichs-  und 
sprünglich  mit  den  Urmarken  zu-  Gerichtsverfassung,  §.  8  und 
eainmengefallen  seien;  in  der  fränki-  Hünengrab.  HUnenbett.  iSeit 
sehen  Verfassung  war  die  Hundert-  dem  13.  Jahrhundert  war  das  mhd. 
schaft  der  regelmässige  Gerichts-  Wime  von  dem  Begriff  des  Hunnen 
bezirk,  die  Gerichts  Versammlung  auch  auf  den  eines  Riesen  über- 
derselben  ahd.  das  mahaU  mittellat.  tragen  worden  und  hielt  sich  in 
malltu.  Der  Vorsitzende  Richter  dieser  Bedeutung  bis  ins  16.  Jahr- 
hiess  fränkisch  thunnin,  die  sieben  hundert,  ober-  und  Schriftdeutsch 
Männer,  welche  das  Urteil  vor-  als  Ifeunr,  mittel-  und  niederdeutsch 
schlugen,  rachincbunfii j  »aceharones  Hinte.  Während  nun  um  diese  Zeit 
hiessen  die  Beamten  des  Königs  im  die  oberdeutschen  Gegenden  das 
Huuder:  ihnen  stand  der  Einzug  der  Wort  aussterben  lassen,  bewahren 
von  den  Gerichten  gefällten  Frie-  dagegen  die  niederdeutschen  Gegen- 
densgelder  zu.  Seitdem  der  alte  den  mit  der  Form  Hüne  einen  reichen, 
thunpin  Unterbeamter  des  Grafen  um  diesen  Begriff  angeschlossenen 
für  den  einzelnen  Hunder  geworden  Sagensehatz,  und  norddeutsche  Ge- 
war,  hiess  er  ht(nno  =  ht>n(to,  schult-  lehrte  haben  das  Wort  später  für 
heiss,  centenarius,  ricariu*  oder  tri-  archäologische  Funde  verwendet. 
buuus.  Er  wurde  vom  Grafen,  aus-  Hünengräber  oder  Hünenbetten 
nahmsweise  vom  Könige  selbst  ge-  heissen  nun  die  aus  heidnischer  Vor- 
wählt. Als  Diener  des  Grafen  war  zeit  stammenden  Grabmäler,  die  sich 
er  mit  der  Vollstreckung  des  nein-  teils  einzeln  auf  Anhöhen  oder  in 
liehen  Strafurteils,  mit  Überwachung  Wäldern,  teils  in  Reihen  geordnet 
der  Gefängnisse  und  mit  der  Exe-  vorfinden.  Hünenbett  im  engeren 
kution  des  Civilurteils  betraut;  so-  Sinne  heisst  ein  solches  Grab,  das 
dann  hatte  er  die  Steuern  und  Ge-  ein  aus  grossen  Felsstücken  erbautes 
fälle  für  den  König  zu  erheben  und  längliches  Viereck  als  Kern  birgt, 
das  Aufgebot  zum  Heerbann  zu  mit  mächtigen  platten  Felsstücken 
verkündigen.  Seitdem  die  Gerichte  bedeckt,  iiber  welchen  meist  ein 
in  die  echten  und  die  unechten  Dinrje  Grabhügel  aufgeschüttet  ist.  Manch- 
(siehc  den  Art.  Gerichtswesen)  zer-  mal  führt  ein  Steingang  zur  Grab- 
fielen, wurde  der  Hunn  oder  Schult-  kammer;  ausserdem  umgi-bt  das 
heiss  Leiter  und  Vorstand  des  letz-  Grab  oft  ein  Steiukreis.  Das  Innere 
teren;  im  echten  Dinge  hatte  er  birgt  Skelette,  Gefässe,  Waffen, 
neben  dem  Grafen  seinen  Sitz.  Schon  Husar,  Benennung  einer  nach 
in  der  karolingischen  Zeit  geriet  ungarischer  Art  bekleideten,  be- 
die  Gerichtsbarkeit  mancher  Hun-  rittenen  und  bewaffneten  Gattung 
dertschafteu  in  grundherrliehe  Ge-  leichter  Reiterei,  entstanden  ans  dem 
walt,  wodurch  auch  die  Wahl  des  berittenen  Aufgebote  der  ungarischen 
Gerichtsvorstehers  Befugnis  und  Edelleute  im  Jahre  142s,  abgeleitet 
Recht  des  Grundherrn  wurde;  seit  von  htt.tz  =  zwanzig, weil  von  zwanzig 
dem  11.  und  12.  Jahrhundert  hörte  Ausgehobenen  einer  ein  Reiter  wer- 
infolge  der  Zerbröckelung  der  Graf-  den  musste. 

schatten  die  Einrichtung  der  Hundert-  Hut  als  Rechtssymbol  ist  Symbol 

Schäften  ganz  auf;  das  Amt  des  der  Übertragung  von  Gut  undLehen; 

Sehultheissen  wurde  in  den  geist-  der  Übertragende  oder  an  seiner 

liehen  Herrschaften    mit  dem   der  Statt  der  Richter  pflegte  den  Hut  zu 

Vögte  vermischt,  in  den  Städten  halten,  der  Erwerbende  hinein  zu 

wurde  der  Schultheiss  zum   Vor-  greifen  oder  einen  Halm  darein  zu 

Steher   des   nach   ihm    benannten  werfen.    Der  Hut  war,  gleich  der 

Schultheissengerichts.    Vgl.  nament-  Fahne.  Feldzeichen;  wer  ihn  auf- 


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442 


Hymnen. 


steckte,  forderte  das  Volk  zur  Heer- 
und  Gerichtsfolge  auf  und  hatte  die 
Gewalt  dazu.  G csslers  aufgesteckter 
Hut  ist  Symbol  der  Obergewalt  zu 
Gericht  und  Feld.  Der  Hut  war 
auch  ein  Zeichen  der  Freiheit  und 
des  Adels;  bei  den  Goten  trugen  die 
Edeln  als  Priester  Hüte.  Hut  als 
Kopfbedeckung  siehe  den  letzteren 
Artikel. 

H  Vinnen.  Schon  das  apostolische 
Zeitalter  besass  neben  den  Psalmen 
höchst  wahrscheinlich  eigene  christ- 
liche Gesänge,  die  aber  bloss  rhyth- 
misch oder  bloss  in  feierlicher  Prosa 
abgefasst  und  meistenteils  biblischen 
Inhalts  waren,  wie  der  Gesang 
Gloria  in  excelsut  Deo.  Erst  vom 
vierten  Jahrhundert  an  erhielten 
sowohl  die  morgenländische  Kirche 
in  griechischer  und  die  abendländi- 
sche Kirche  in  lateinischer  Sprache 
eigentliche  Hymnen  in  metrisch- 
strophischer  Konstruktion,  welche 
in  engster  Beziehung  zur  Musik 
dieser  Periode  standen.  Zwar  hat 
die  kirchliche  Tradition  schon  früh 
für  die  ältesten  derselben  bestimmte 
Verfasser  genannt;  doch  ist  ein 
sicherer  Beweis  der  Autorschaft 
meist  nicht  beizubringen.  Nach  der 
gewöhnlichen  Annahme  war  Hila- 
rius,  Bischof  zu  Poitiers,  gestorben 
368,  der  erste,  der  die  Reihe  dieser 
lateinischen  Hymnologcn  eröffnete; 
ihm  wird  vor  allem  der  Hymnus 
Lueis  largitor  splendide  zugeschrie- 
ben; als  den  gefeiertsten  Hymnen- 
dichter nennt  jedoch  die  Tradition 
den  heiligen  Andsrosius,  374  bis  397 
Bischof  von  Mailand,  von  dem  der 
Name  ambrosianische  Hymnen  sogar 
als  Gattungsname  dieser  Art  geist- 
licher Poesie  verwendet  wurde. 
Diesem  Kirchenlehrer  wurde  auch 
der  sogenannte  ambrosianische  Lob- 
gexang  Te  Deum  laudamus  zuge- 
schrieben, ihm  allein  oder  ihm  und 
dem  heiligen  Augustin  gemeinsam; 
sowohl  seine  freie  rhythmische  Form 
als  sein  Inhalt  deuten  aber  auf  höheres 
Alter:  im  kirchlichen  Gebrauche  des 


Abendlandes  stand  der  Lobgesang 
schon  im  Beginn  des  6.  Jahrhunderts, 
anfangs  wahrscheinlich  als  Morgen- 
gesang bestimmt;  im  8.  und  9.  Jahr- 
hundert findet  man  ihn  in  Deutsch- 
land schon  bei  Krönungsfeierlich- 
keiten und  Kirchenversammlungen 
gesungen;  mau  vermutet  als  Quelle 
ein  alt  griechisches  Muster.  N«ben 
Ambrosius  werden  als  Dichter  des 
4.  bis  6.  Jahrhunderts  besonders  noch 
Ann  astin,  Prudentius  und  .Fot  'tu  na- 
tu» genannt  ;  in  das  7.  Jahrhundert 
fallt  Gregor  der  Grosse,  dessen  Be- 
mühungen um  die  Kirchenmusik 
jedoch  weit  bedeutender  als  seine 
dichterischen  Arbeiten  gewertet  wer- 
den. Eine  neue  Periode  des  Hymnus 
schliesst  sich  an  die  durch  die  Karo- 
linger neu  beginnende  Pflege  der 
Wissenschaften;  dahin  gehört  als 
Vorläufer  Beda  der  Ehrwürdige,  dann 
Paulus  Diakonus  und  Alk  uin,  Raba- 
Maurus,  die  St.  Galler  Sofker 


nus 


der  Stammler.  Tutilo  und  Ratzert, 
Walafrid  Strabo  aus  der  Reichenau, 
der  Bischof  Theodulf  von  Orleans; 
doch  steht  auch  hier  die  Autorschaft 
selten  fest;  wird  doch  sogar  Karl 
dem  Gro»»en  der  Hymnus  J  etii  crea- 
tor  snirifu»  zugeschrieben,  als  dessen 
Verfasser  auch  Rabanus  Maurus  ge- 
nannt wird.  Das  Interesse  dieser 
Zeit  an  hymnologischen  Dichtungen 

1  erhellt  auch  aus  der  althochdeutschen, 
dem  9.  Jahrhundert  angehörigenüber- 

)  setzung  ambrosianischer  Hymnen. 
Die  Hymnologie  nimmt  dann  An- 
teil an  der  Desonders  durch  die 
Cisterzienser  und  Cluniazenscr  be- 
werkstelligten Reform  des  kirch- 
lichen und  religiösen  Lebens  im 
Sinne  einer  subjektiveren,  weltfei nd- 

I  liehen ,  in  sich  abgeschlossenen,  re- 
ligiösen Weltanschauung,  aus  wel- 

i  eher  später  die  Scholastik  heraus- 
wächst; die  hierher  gehörigen  Namen 
sind  Odo  von  Clügny,  Petrus  Damm ni, 
Fulbert  von  Chartre»,  Bernhard  wn 
Clairveaux,  Adam  von  St.  Viktor, 
Thomas  von  Aquino,  Bonn  Ventura, 
Thomas  von  Celano;  von  dem  Fran- 


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Jagd.  443 


ziskaner  Jacohu*  de  Benediktu*  soll  G.  A.  Äönir/sfeld  hat  man  zwei 

rlas  Stahat  maier  herrühren.  Vom  kleinere   Sammlungen  lateinischer 

1 4.  Jahrhundert  an  sind  nur  noch  Hymnen  mit  beigesetzter  deutscher 

wenige   bedeutende    Hymnen   ge-  Üoersetzung,  Bonn  1847  und  1805. 

dichtet  worden.    Die  besten  Samm-  Vgl.  Eberf,  Geschichte  der  christlieh- 

lungen  der  Hymnen  sind  von  Mone,  lateinischen  Litteratur  des  Mittel- 

Daniel  und  }  h.  Wackernarjel ;  von  alters. 


i  (j). 


Jagd.  Ursprünglich  seheint  die 
Jagd  bei  den  Deutschen  überall 
frei  gewesen  zu  sein;  es  bestand 
freies  Jagdrecht  oder  die  freie  Pirsch. 
Nach  der  Völkerwanderung  wurde 
die  Jagd  und  die  meist  gleichge- 
stellte und  zusammen  genannte 
Fischerei  ein  Zubehör  des  Grund 
und  Bodens;  ein  Ausfluss  des  Eigen- 
tums, das  der  einzelne  hatte.  Seit 
Karl  dem  Grossen  wurden  viele 
königliche  Bannforsten,  silvae  de- 
fentafoe,  errichtet,  Waldungen  und 
'Waldbezirke,  in  welchen  die  Jagd 
dem  Könige  und  seinen  Stellver- 
tretern vorbehalten   und  anderen 

gegenüber  bei  Strafe  des  Königs- 
annes verboten  war;  doch  bestan- 
den daneben  die  Jagden  der  freien 
Grundeigentümer  ungestört  fort,  und 
die  Jagdverbote  dieser  Zeit  bezogen 
sieh  bloss  auf  die  Geistlichen,  auf 
den  Sonntag  und  auf  die  Grafen  au 
Gerichtstagen.  Daneben  bewirkte 
freilich  die  zunehmende  Verminde- 
rung der  Zahl  der  Freien  auch  eine 
Verminderung  der  Jagdbesitzer  und 
eine  Konzentrierung  aer  Jagdbefug- 
nisse in  die  Hände  der  angesehen- 
sten und  mächtigsten  Grundeigen- 
tümer. Anfangs  hatten  bloss  die 
Könige  ihre  Waldungen  und  Jagden 
geschlossen,  und  nur  einzelne  Königs- 
forsten ihren  Beamten  und  anderen 
Grossen  bald  schenk  weise  überlassen, 
bald  denselben  ausnahmsweise  ge- 
stattet, eigene  oder  von  anderen  auf 
sie  übertragene  Waldungen  zu  Bann- 
forsten zu  erklären.    Mit  der  Zeit 


kamen  so  die  meisten  Jagdgebiete 
in  die  Hand  geistlicher  und  welt- 
licher Dynastien,  und  im  13.  Jahr- 
hundert sind  diese  nicht  bloss  im 
Besitze  sämtlicher  ehemaligen  Banu- 
forsten,  sondern  im  Besitze  des 
Königsbannes  selbst.  Aber  erst  seit 
der  Ausbildung  der  eigentlichen 
Landeshoheit  im  15.  Jahrhundert 
erweiterte  sich  die  Befugnis  dieser 
Territorialherren  zum  Jaydreqal;  die 
Jagdbefugnis  erschien  nunmehr  bloss 
ein  Ausfluss  der  obrigkeitlichen 
Polizeigewalt,  welche  dem  gemeinen 
Mann,  namentlich  den  Bauern,  die 
Jagd  schlechthin  untersagte.  Seit- 
dem gehörte  die  Jagd  wie  die 
Fischerei  und  der  Vogelfang  nicht 
allein  in  den  Waldbannen,  sondern 
auch  in  den  übrigen  Waldungen, 
und  grossenteils  auch  die  Feldjag- 
den aem  Grundherrn.  Ohne  seine 
Erlaubnis  durfte  bei  hoher  Strafe 
niemand  jagen.  Nur  auf  Raubtiere 
war  zu  allen  Zeiten  die  Jagd  frei, 
und  es  wurden  zu  diesen  seit  alten 
Zeiten  ausser  den  Baren,  Wölfen 
und  Füchsen  häufig  auch  die  wil- 
den Schweine  gerechnet.  Übrigens 
gab  es  auch  Gegenden,  wo  sich  seit 
uralter  Zeit  Spuren  der  freien  Pirsch 
erhielten  manchmal  so,  dass  sich 
der  Hofherr  die  hohe  Jagd  vorbe- 
hielt, während  die  Eigenleute  die 
niedere  Jagd  besassen;  besonders 
in  den  reichsunmittclbaren  Herr- 
schaften, in  der  Landvogtei  Schwa- 
ben, im  Schwarzwald  und  am  Neckar 
war  diese  Jagd  frei  geblieben. 


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444 


Jagd. 


Was  die  materiellen  Jagdzustand«' 
belangt,  so  war  die  älteste  Jagdart 
die  der  Einzeljagd:  Rotwild  suchte 
man  mit  zahmen  abgerichteten  Lock- 
tieren in  eingezäunte  Räume  zu 
locken  oder  dasselbe  durch  Kir- 
rungen hineinzuziehen;  oder  man 
fing  es  in  (Jruben,  Schlingen  oder 
Netzen,  welche  man  über  den  Wech- 
sel spannte.  Sauen  wurden  auf 
gleiche  Art  erlegt  oder  mit  Hunden 
gehetzt  und  mit  dem  Jagdspiess  ab- 
gefangen, eine  Jagd,  welche  auch 
häufig  auf  Hären  angewandt  wurde. 
Eleuwild,  welches  sich  vorzüglich 
in  den  Bruchgegenden  aufhielt, 
wurde  im  Winter  auf  dem  Eise;  ge- 
hetzt, wo  man  es  leicht  erlegen 
konnte.  Hasen  wurden  wenig  ge- 
achtet und  den  Unfreien  zur  Jagd 
überlassen;  auch  war  dieses  Wild 
den  Christen  anfangs  als  Speise  ver- 
boten, da  es  früher  als  Opfermahl- 
zeit genossen  worden  war.  Zur 
Jagd  der  geringen  Tiere,  Biber, 
Otter,  Marder,  wurden  verschieden- 
artige Hunde  abgerichtet,  die  sehr 
hohen  Wert  hatten.  GeHügel  fing 
man  grösstenteils  in  Netzen  und 
Sc  hlingen,  doch  war  die  Vogelbeize 
ebenfalls  früh  bekannt.  Karl  d. 
Grosse  wendete  der  Jagd  grosse 
Aufmerksamkeit  zu,  so  dass  die 
Jagd  von  jetzt  an  mehr  kunstgemäss 
betrieben  wurde;  es  wurden  Jagd- 
gehege angelegt,  vorzüglich  in  den 
Rümpfen  und  Niederungen  und  mit 
Bohlen  eingezäunt;  eine  Schonzeit 
wurde  festgesetzt  und  die  Jagd  auf 
die  Monate  Juli,  August  und  Sep- 
tember, in  den  Wintermonaten  auf 
Bären.  Sauen  und  Wölfe  beschränkt; 
besondere  Jagdwagen  waren  vor- 
handen, eine  zahlreiche  Meute,  Fang- 
appaiate;  zu  seinem  Hofstante  ge- 
hörten Pirschmeister,  Aufseher  über 
die  Wind-  und  andere  Jagdhunde, 
Biber-,  Fuelia-  und  Dachsiäger. 
Seitdem  teilte  sich  die  Jagd  in  die 
französische  oder  eigentliche  Par- 
forcejagd und  in  die  deutsche  Jagd, 
wclcne  vorzüglich  auf  Abrichtung 


des  Leithund«'*  und  das  Stellen  mit 
Netzen  und  Tüchern  gerichtet  war, 
was  die  Franzosi'ii  und  Engländer 
als  eine  nicht  ritterliche  Jagd  ver- 
achteten. Genauere  Naehrichten 
hat  man  erst  aus  den  Schrittst«  1- 
lem  und  Dichtern  der  höfischen  Z«*it 
erhalten.  Noch  immer  ist  in  der 
höfischen  Gesellschaft  die  Jagd 
nicht  bloss  eine  Kurzweil,  sondern  ein 
notwendiger  Krü^g  gegen  reissende 
Tiere,  wie  Wölfe,  Bären,  Luchse, 
und  eine  notwendige  Anstalt,  Fleiseh 
in  die  Küche  zu  liefern;  «lenn  im 
Mittelalter  war  das  Fleisch  der 
Haustiere  noch  wenig  beliebt.  Als 
Jagdhunde  werden  genannt  der 
Bracke  als  Leithund,  und  der  Wint 
als  Hetzhund.  Das  gesamte  zur 
Jagd  erforderliche  Personal,  sowie 
die  Meute  steht  unter  dem  Jäger- 
meister. Der  Anzug  der  Jäger  ist 
grün;  um  den  kurzen  Rock  wird 
ein  tüchtiger,  fester  Ledergürtel  ge- 
schnallt, in  dem  Messer,  Stahl, 
Schwamm  und  Feuerstein  steckt. 
Die  Hosen  sind  aus  festen  St«»tien 
gefertigt  und  durch  Gamaschen  ge- 
schützt. Ausserdem  trägt  der  Jäger 
das  Jagdhorn;  ein  grüner,  mit  Grau- 
werk gefütterter  Mantel  vollendet 
den  Anzug.  Die  gewöhnlichen  Jagd- 
waffen sind  Spiesse,  Wurfspeer, 
mhd.  gahelof,  Armbrust  und  Bogen: 

j  doch  wurde  das  grosse  Wild  bis 
ins  16.  Jahrhundert  in  erster  Linie 

I  nicht  geschossen,  sondern  von  den 
Hunden  niedergelegt.  Die  gewöhn- 
lichen Jagdtiere  sind  Bären,  Wölfe, 
Luchse,  Auerochsen,  Wisente,Riesen- 
hirsche  (sche/ch),  Elentiere,  Wild- 
schweine, Hirsche,  Rehe,  Hasen  und 
Füchse.  Man  unterscheidet  «He 
Pirschjagd,  die  Hetzjagd  und  die 
Falkenjagd;  bei  der  Pirschjagd  ging 
der  Jäger  entweder  auf  den  An- 
stand und  lockte  den  Rehbock,  in- 
dem er,  auf  einem  Blatte  pfeifend, 
die  Stimme  der  Ricke  nachahmte 
und  ihn  dann  ze  dem  hhite  erlegte, 
oder  er  zog  mit  ansehnlichem  Tross 
von  Hunden  und  Jägern  aus.  Das 


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Jahresanfang. 


445 


Wild  wurde  von  dem  Leithund"» 
aufgespürt,  die  gefundene  Fährte 
init  einem  frischen  Heise  gezeiehuet 
und  die  Beute  dem  versteckten 
Schützen  zugetri  -ben;  sobal  1  der 
Hirsch  verwundet  war,  wurde  er 
von  der  losgekoppelten  Meute  ge- 
hetzt, bis  er  zusammenbrach.  Mit 
einer  lauten  Hornfaufare  wurde  die 
Erlegung  gefeiert.  Wer  den  Hirsch 
erlegte,  hatte  das  Recht,  von  einer 
der  anwesenden  Damen  einen  Kuss 
zu  verlangen.  Es  gehörte  zur  Kunst 
eines  im  Jagen  bewährten  Mannes, 
die  carte  zu  machen,  d.  h.  das  Tier 
jagdgerecht  zu  erlegen,  wie  in  Gott- 
frieds Tristan  anschaulieh  geschildert 
wird.  S.  71,  28  —  S.  83,  12.  Das 
Jagdzeremoniell  war,  wie  die  zahl 
reichen  französischen  Ausdrücke 
zeigen ,  französischen  Ursprungs. 
Siehe  Schultz,  Höfisches  Leben, 
Absehn.  V.  Von  Wajfner,  das  Jagd- 
wesen in  Württemberg  unter  den 
Herzogen;  ebenderselbe  Über  die 
Jagd  des  grossen  Wildes  im  Mittel- 
alter, Bartsch  Germania  1884,  S.  110 
bis  133.  —  Roth,  Geschichte  des 
Forst-  und  Jagdwesens. 

Mehrfach  wurde  die  Jagd  zu 
allegorischen  Darstellungen  benutzt, 
so  durch  den  bayrischen  Dichter 
Hadamar  von  Laber,  der  in  der 
„Jagd"  das  ritterliehe  Liebeleben 
unter  der  Allegorie  einer  Jagd  dar- 
gestellt hat;  andere  Gedichte  der 
Art  heisaen:  „Der  Minne  .Falkner4' 
und  „Jagd  der  Minne".  Ahnliches 
ist  der  Fall  bei  Kaiser  Maximilians 
Teuerdank,  wo  Hirsch-,  Gemsen- 
uud  Bärenjagden  eine  grosse  Rolle 
spielen. 

Enger  mit  der  Jagd  selbst  ver- 
knüpft sind  die  alten  Weid- 
sjjrüehe  und  Jäqet'sehreie,  deren  viele 
aus  Handschriften  des  16.  und  17. 
Jahrh.  erhalten  sind,  die  aber  offen- 
bar auf  ein  weiteres  Alter  hinauf- 
reichen. 

Es  sind  Rätselfragen,  welche  die 
Weidleute  vor  und  nach  der  Jagd 
zu  gegenseitiger  Erheiterung  und 


Prüfung  einander  aufzugeben  pfleg- 
ten und  worin  ein  reicher  Schatz 
von  Kenntnissen,  Künsten,  Sitten, 
Wörtern,  die  auf  die  Jagd  Bezug 
haben,  aufgespeichert  ist.  Si  •  fangen 
,  meist  an  mit:  Lieber  Weidmann, 
sag  mir  an?  oder:  Sag'  an,  mein 
lieoer  Weidmann,  u.  dgl.  Folgendes 
mag  als  Beispiel  dienen: 

Ho  ho,  mein  lieber  Weidmann, 

hastu  nicht  vernommen, 
wo  meine  hochlautende  Jagdhunde 

sind  hinkommen V 
Ho  ho  ho,  mein  lieber  Weidmann, 
ich  höre  jetzt  zu  dieser  Stund 
weder  Jager  noch  hochlauten  den 

Jagdhund. 
Ho  ho,  mein  lieber  Weidmann, 

kannst  du  mir  nicht  sageu, 
ob  du  meine  hochlautende  Jagd- 
hunde hast  sehn  oder  hörenjagen? 
Jo  ho  ho,  mein  lieber  Weidmann, 
weit  (?)  gut  in  jenem  Thal, 
sie  haben  den  rechten  Anfall; 
Das  sag  ich  dir  frei, 
es  waren  der  Hunde  drei; 
der  eine  der  war  weiss,  weiss,  weiss, 
Der  jagte  den  edlen  Hirsch  mit 

allem  Fleiss; 
der  andre  der  war  fahl,  fahl,  fahl, 
der  jagte  den  edeln  Hirsch  über 

Berj*  und  Thal; 
der  dritte  der  war  rot,  rot,  rot, 
der  jagte  den  edlen  Hirsch  bis 
auf  den  Tod. 

Diese  Weidsprüche  sind  gesam- 
melt in  Grimms  Altdeutscheu  Wäl- 
dern, Bd.  3. 

Jahresanfang.  Es  finden  sich 
im  Mittelalter  sechs  verschiedene 
Jahresanfänge: 

1.  Am  /.  Janiutr,  der  Jahresan- 
fang des  römisch-julianischen  Ka- 
lenders. Schon  früh  im  Mittelalter 
eiferte  man  gegen  diesen  Anfang 
und  die  mit  ilim  verbundenen  Aus- 
schweifungen, die  Überreste  der 
römischen  Saturnalien,  als  ge^en 
eine  heidnische  Institution.  Da  aber 
der  Gebrauch,  das  Jahr  mit  den 
Kaienden  des  Januar  zu  beginnen, 


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446 


Jahresbezeichnung. 


im  bürgerlichen  Leben  andauerte, 
legte  man,  um  einen  Verwand  für 
die  kirchliche  Feier  dieser  Jahres-  \ 
epoche  zu  haben,  die  eireumeitio 
IJonüni,  die  Bcschneidung  Christi, 
darauf.  Es  ist  nicht  ausgemacht, 
ob  nun  das  bürgerliche  Leben  das 
ganze  Mittelalter  hindurch  an  diesem 
Gebrauche  festgehalten  hat:  auf 
kirchlichem  Gebiete  und  in  den 
öffentlichen  Urkunden  aber  wurde 
der  1.  Januar  schon  früh  durch  den 
25.  März  und  Weihnachten  verdrängt, 
und  erst  in  der  ersten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts  gelang  es  ihm 
wieder  zu  allgemeiner  Geltung  zu 
kommen. 

2.  Der  I.  März,  der  vor-cäsa- 
rische  Jahresanfang,  wurde  von  den 
Christen  schon  im  5.  Jahrhundert 
angenommen,  vermutlich  weil  der 
jüdische  Monat  Nisan,  in  welchen 
das  Passabfest  fiel,  der  erste  im 
Jahre  war.  In  Frankreich  hielt  er 
sich  bis  ins  8.  Jahrhundert;  die  Re- 
publik Venedig  rechnete  so  bis  zu 
ihrem  Untergänge. 

3.  Am  25.  Marz,  dem  Tage  der 
annuncia/io  Maria*,  Mariä  Verkün- 
digung. Man  liess  mit  der  Verkün- 
digung gleichsam  das  irdische  Da- 
seiu  Christi  beginnen,  eine  Anschau- 
ung, welcher  der  schon  früh  er- 
wachende Marienkultus  grossen  Vor- 
schub leistete.  In  Italien  besassen 
namentlich  Florenz  und  Pisa,  zum 
Teil  auch  die  päpstliche  Kanzlei, 
diesen  Jahresanfang,  womit  das  so- 
genannte Marienjahr  begann;  in 
Deutschland  kommt  er  nur  ver- 
einzelt vor,  in  den  Diöcesen  Trier, 
Köln  und  Lausanne. 

4.  Ostern,  und  zwar  entweder 
vom  Karfreitag  au  gerechnet,  oder 
vom  Ostersonntage  an,  der  jedoch 
nach  der  mittelalterlichen  Tagesein- 
teilung mit  der  Vesper  des  Kar- 
sonnabeud,  in  welcher  die  Ostcr- 
kerze  geweiht  wird,  beginnt.  Dieser 
Jahresanfang  war  in  Frankreich 
»eil  dem   13.  Jahrhundert  beliebt 


und  verbreitete  sich  von  da  nach 
Deutschland. 

5.  Am  1. 8eptember.  AusByzauz, 
wo  dieser  Jahresanfang  lange  Zeit 
herrschend  war,  wanderte  er  nach 
Italien. 

6.  Am  -25.  Dezember,  mit  welchem 
Datum,  derWintersonnenweudnacht, 
auch  die  alten  Germanen  ihr  Jahr 
begannen.  In  Frankreich  war  dieser 
Jahresanfang  unter  den  Karolingern 
der  herrschende:  der  eigentliche 
Sitz  dieses  Jahresanfangs  ist  Deutsch- 
land, wo  er  herrschend  blieb,  bis 
im  15.  Jahrhundert  der  l.  Januar 
sich  mehr  und  mehr  Geltung  ver- 
schaffte. Grotefend,  Handb.  d. 
Chronol.  §.12. 

Jahrcsbezeichniuig  nach  Ki->- 
chen  und  Ären  im  Mittelalter.  Die 
ursprüngliche  römische  Jahresbe- 
zeichnuug  nach  den  beiden  Konsuln 
ragt  noch  in  die  erste  Zeit  des  deut- 
schen Mittelalters  hinein.  Denn  als 
das  Konsulat  im  Jahre  511  mit  dem 
Konsul  Flavius  Basilius  junior  auf- 
hörte, bezeichnete  man,  von  den 
Jahren  seines  Konsulats  weiter  zäh- 
lend, eine  Reihe  von  Jahren  mit 
post  coiusulatum  Baiilii.  Von  den 
oströmischen  Kaisern,  die  sich  seit 
567  ebenfalls  das  Konsulat  beige- 
legt hatten,  ging  der  Gebrauch  auf 
die  deutschen  Könige  über,  besonders 
auf  die  Karolinger;  doch  ist  das  hier 
bloss  überflüssiger  Schmuck,  da  die 
Konsulatsjahre  stets  mit  den  Kaiser- 
jahren übereinstimmen. 

Von  den  frühesten  Chronisten 
des  Mittelalters  wurde  auch  naeh 
Jahren  der  Stadt,  ab  Vrbe  condita, 
datiert,  was  spätere  Schriftsteller 
von  klassischer  Bildung  nachahmten. 

Vorzüglich  beliebt  war  im  Mittel- 
alter, namentlich  in  Urkunden,  die 
Datierung  nach  den  Regieruitgsjahren 
der  Kaiser,  Könige,"  Päpste,  Erz- 
bischöfe,  Bischöfe  etc.  DieRegierungs- 
jahre  werden  ursprünglich  vom  Tage 
der  Krönung,  später  auch  vom  Tage 
der  Wahl  an  gerechnet. 


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Jahren  inteiluiig. 


447 


Sonst  rechnet  das  Mittelalter  nach 
der  christlichen  Zeitrechnung,  ab  i>t- 
carnatione  Domini.  Der  Urheber 
dieser  Zeitrechnung  war  der  Abt 
Dionysius  exiguus,  gestorben  zu  Rom 
um  556,  der  sie  in  seiner  mit  dem 
Jahre  532  beginnenden  Ostertafel 
zuerst  zur  Anwendung  brachte.  Be- 
das Ostertafeln,  die  l  ortsetzung  der 
dionysischen,  erhöhten  die  Verbrei- 
tung der  neuen  Rechnung  im  Abend- 
lande sehr,  so  da-^s  sie  im  8.  Jahr- 
hundert in  kirchlichen  Urkunden 
Frankreichs  schon  zahlreich  ver- 
treten war,  während  die  Karolinger 
sich  ihrer  erst  seit  840  in  Urkunden 
bedienten.  In  päpstlichen  Urkundeu 
kommt  die  christliche  Zeitrechnung 
erst  unter  Johannes  XIII.,  965  bis 
972,  vor.  Die  bei  den  Datierungen 
angewandten  Formeln  heissen:  anno 
ab  incarnatione  Domini.  anno  ab 
nativifate  Domini,  anno  Christi  gra- 
He,  anno  salulis,  anno  verbi  incar- 
nati,  anno  orbis  redemyfi,  oder  in 
deutschen  Urkunden:  nach  Christi 
Geburt,  nach  der  Geburt  Christi 
unseres  Heilandes  und  Seliqmachers, 
,tach  Gottes  Geburt.  Grotefend, 
Handb.  d.  Chronologie,  §  10. 

Jahreseinteilung  und  Jahres- 
zeiten. Neben  der  Einteilung  des 
Jahres  in  12  Monate  (siehe  den  Ar- 
tikel Monatsnamen  \  läuft  eine  andere, 
wohl  ursprünglichere  Jahreseintei- 
lung  in  2,  3  oder  4  grössere  Kom- 
plexe. Die  Zweiteilung  teilt  das 
Jahr  in  Sommer  und  Winter,  wobei 
a  1  s  Fi xpunk t e  W  i  1 1 1 e ran t a i  i g  ( M i c hae- 
li-  =  29.  September,  dann  auch  auf 
Martini  =  1 1.  November  verschoben) 
und  Sommeranfang  i Ostern,  wegen 
der  Beweglichkeit  dieses  Festes  gern 
auf  Georg  =  23.  21.  April,  Walpur- 
gi*  =  1.  Mai,  dann  auch  auf  den 
halben  Mai  verschoben.  Auch  finden 
sich  die  Termine  Mitwinter  (Weih- 
nachten =  25.  Dezember)  und  Mit- 
sommer (Johauuis  =  24.  Juni)  als 
Repräsentanten  dieser  Zweiteilung. 
Winter  und  Sommer  oder  Um- 
schreibungen dafür  wie  im  rise  und 


im  tobe,  bi  stro  und  bi  (/rast  rinden 
sich  oft  in  deutschen  Rechtsquell,  n 
einander  gegenübergestellt  und  spie- 
len im  Sprichwort,  in  Redensarten, 
im  Volkslied  und  in  dem  weitver- 
breitetem Spiele  von  Sommer  und 
Winter  eine  grosse  Rolle. 

Schon  Tacitus  erwähnt,  Germ.  2*\ 
eine  Dreiteilung  des  Jahres  in  Win- 
ter, Lenz  und  Sommer.  Die  Termine 
sind  verschieden,  doch  herrschten 
Mit  winter  oder  Winteranfang,  Ostern 
und  Mitsommer  vor. 

Die  Vierteilung  des  Jahres  ist 
eine  zweifache,  je  nachdem  man  den 
Eintritt  der  die  Jahreszeiten  charak- 
terisierenden Witterung  oder  die 
diese  Witterung  begründende  Him- 
melserscheinuug ,  aequiuoctium  oder 
solstitium,  als  Beginn  der  Jahreszeit 
betrachtete.  Der  ersten  Auffassung 
entsprechen  die  Termine  Lichtmess 
(2.  Febr.)  oder  Kathedra  (Stuhl- 
feier) Petri  (22.  Febr.),  die  Lateiner 
(Mamertus,  Pankratius  und  Servatius 
am  11.,  12.,  13.  Mai)  oder  Urban  am 
25. Mai;  Mariä  Himmelfahrt,  15.  Aug. 
oder  Bartholomäus,  25.  Aiwxust; 
Martini,  11.  Nov.,  Elisabeth,  19.  Nov., 
|  oder  Clemens,  22.  Nov.  Die  letztere 
Auffassung  machte  die  Termine 
Ostern,  Johannis,  Michaelis  und  Weih- 
nachten zu  Vertretern  der  astrono- 
mischen Jahrpunkte,  indem  der  Ge- 
brauch des  bürgerlichen  Lebens 
Frühlings-  und  Herbstanfang  von 
den  astronomischen  Fixpunkten, 
25.  Miirz  und  24.  September,  aut 
die  naheliegenden  grösseren  Feste 
verschob. 

Eine  andere  Jahreseinteilung 
gaben  die  vierteljährigen  gebotenen 
rast  tage,  die  angaria  oder  quatuor- 
tempora,  Quatemher,  die  wegen  ihrer 
strengen  Fastenordnung  tief  in  das 
bürgerliche  Leben  eingriffen.  Die 
Termine  für  das  Eintreten  dieser 
Fasten  sind  die  Mittwoche  vor  Re- 
miniscere  und  vor  Trinitatis,  nach 
Kreuzerhöhung  (14.  September)  und 
nach  Lucia  (13.  Dezember).  Ihre 
Dauer  ist  einschliesslich  des  Frei 


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448 


Jahrzeitbuch.  —  Jambisches  Versmars. 


tags,  der  ja  stets  ein  Fasttag  ist, 
von  Mittwoch  bis  zum  Sonnabend 
inklusiv.  Ihre  Bezeichnung  ist  quo- 
tuor  tempore/ ,  quatertember,  qua  fern- 
her, qttartal,  vierzeiten,  ungaria, 
fronfasten,  qofdfasten,  weichfasten. 
(Irutefeuth  Handb.  der  Chronologie, 
§  13.'  Über  bildlich«'  Darstellungen 
der  .Jahreszeiten  vgl.  Piper,  Mvtliol. 
u.  Symbolik,  II.  31M-34U. 

Jahrzeltbueh ,  anturersariunt, 
heisst  das  Verzeichnis  der  Seelen- 
messen, welche  in  einer  Kirche 
jährlich  an  bestimmten  Tagen  ver- 
möge vorhandener  Stiftungen  ge- 
lesen werden  müssen.  Sowohl  die 
Seelenmessen  selbst  als  die  dafür 
gemacht»  n  Stiftungen  an  Getreide, 
Hein,  Geld  heissen  Jahrzeiten.  Bei 
jedem  Monatstage  ist  in  den  Jahr- 
zeitbüchern der  Name  desjenigen 
eingeschrieben,  der  entweder  selbst 
noen  bei  Lebzeiten,  oder  dessen 
Freunde  und  Verwandte  nachher 
durch  eine  Schenkung  an  die  Kirche 
die  Haltung  einer  jahrlichen  Seelen- 
messe erkauft  haben;  dieselbe  fallt 
immer  auf  den  Todestag  dessen,  für 
den  sie  gestiftet  worden  ist.  In  den 
alteren  Jahrzeitbüchern  fehlt  leider 
meist  die  Jahrzahl  der  Stiftung  oder 
dieselbe  ist  erst  später  beigefügt 
worden. 

JakobsbrUder  Messen  die  Wall- 
fahrer nach  St.  Jacob  di  Compestella, 
dem  Hauptziel  der  Wallfahrer,  seit-  I 
dem  der  Zugang  zum  heiligen  Grab 
immer  mehr  erschwert  worden  war. 
Unter  den  erhaltenen  und  weit  ver- 
breiteten Wallfahrtsliedern  der  Ja- 
kobsbrüder beginnt  das  bekannteste: 

Wer  das  elent  bauwen  wel, 
der  heb  sich  auf  und  sei  mein  gesel 
wol  auf  sant  jacobs  Strassen! 
zwai  par  schuoch  der  darf  er  wol, 
ein  Schlüssel  bei  der  Haschen. 

Eiu  braiten  huot  den  sol  er  hau 
und  an  mantel  sol  er  nit  gan, 
mit  leder  wolbesetzet, 
es  schnei  oder  regn  oder  wähe 
der  wint, 


dass  in  die  luft  nicht  netzet. 

Sack  und  stab  ist  auch  darbei, 
er  luog,  dass  er  gebeichtet  sei, 
gebeichtet  und  gebüesset! 
kumpt  er  in  die  welschen  lant, 
er  findet  kein  teutschen  priester. 

So  ziehen  wir  durch  Schweizer- 
lant  ein. 

sie  heissen  uns  got  welkum  sein 
und  geben  uns  ire  speise, 
sie  legen  uns  wol  und  decken  uns 
warm, 

die  Strassen  tuont  sie  uns  weisen. 

Das  Lied  weist  dann  den  Weg 
weiter  durch  die  welschen  lant.  durch 
der  armen  Fecken  lArmagnaken) 
lant,  durch  Sofieien,  Langedecken, 
Hispanierlant,  den  Berg  Ruuzevalle 
(Pyrenäen),  erzählt  dann  von  dem 
abscheulichen  Spitalmeister  zu  Bor- 
get, der  HöO  deutsche  Pilger  ver- 
giftete und  dafür  zu  Burgos  ans  Kreuz 
geheftet  wurde;  die  letzte  Strophe 
lautet: 

Bei  sant  Jacob  vergibt  mau  peiu 

und  schult, 
der  liebe  got  sei  uns  allen  holt 
in  seinem  höchsten  trone! 
der  sant  Jacob  dienen  tuot, 
der  lieb  got  sol  im  Ionen! 

Es  war  für  die  Pilger  im  11.  Jahr- 
hundert ein  bequemer  Weg  nach 
St.  Jago  angelegt  wordeu,  und  auf 
beiden  Seiten  der  Pyrenäen  und  tief 
nach  Frankreich  und  nach  Deutsch- 
land hinein  waren  Hospitieu  für  die 
Pilger  errichtet:  auch  bildete  sich 
in  Spanien  ein  eigener  Ritterorden 
zum  Schutze  der  Jakobspilger. 

J  a  mbisches  Yersmass,  bestehe  nd 
aus  regelmässig  abwechseMden 
Senkungen  und  Hebungen,  erscheint 
zuerst  bei  den  höfischen  Lyrikern 
des  12.  und  13.  Jahrhunderts,  doch 
so,  dass  dieses  wie  das  entspreche  nde 
trochäischc  Versrnass  noch  in  die 
Willkür  des  einzelnen  Dichters  ge- 
stellt war.  Erst  Opitz  hat  das  Vers- 
rnass und  den  Namen  des  Jambus 
als  allgemeingültig  in  die  deutsche 
Dichtung  eingeführt,  nachdem  in 


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Idhunn.  —  Jesuitenorden. 


449 


<en  vorausgehenden  Jahrhunderten 
eine  auf  Verszählung  beruhende 
Technik  die  Bedeutung  des  bestimm- 
ten Rhythmus  fast  ganz  unterdrückt 
hatte.  Andere  Namen  des  jambischen 
und  trochilischen  Versmasses,  wclehe 
das  17.  Jahrhundert  aufbrachte,  sind 
kurzlange  und  langkurze  Verse  oder 
Nachtritt-  und  Vortrittzeilen.  Den 
Unterschied  der  beiden  zweisilbigen 
Versmasse  erkannte  Opitz  im  Vor- 
handensein oder  im  Fehlen  einer 
Auftaktsilbe,  eine  Ansicht,  die  noch 
Goethe  und  Schiller  mit  Opitz  ge- 
teilt haben.  Der  jambische  Fünf- 
füuler,  welchen  die  Engländer  den 
Italienern  entlehnten,  findet  sich  in 
deutscher  Dichtung  zuerst  in  der 
ältesten  Übersetzung  von  Miltons 
verlorenem  Paradies,  welche  von 
Theodor  Haarkc  in  Königsberg  und 
dessen  Fortsetzer  E.  G.  vom  Berge 
stammt  und  1082  zu  Zerbst  erschien. 
Später  bemühten  sich  namentlich 
Bodmer  in  Übersetzungen  Thom- 
sonscher Erzählungen,  Johann  Elias 
Schlegel,  Cronegk,  Wieland  in  seiner 
Shakespeareübersetzuug  und  Herder 
um  die  Aufnahme  dieses  Verses  in 
das  deutsche  Theater,  bis  zuletzt 
Lessing  im  Nathan  denselben  end- 
gültig einbürgerte. 

Idhunn  ist  in  der  nordischen 
Mythologie  die  Personifikation  des 
Himmelswassers  oder  des  Wassers 
überhaupt  in  seiner  heilkräftigen  Be- 
deutung; sie  ist  die  Gemahlin  Bragis 
und  wohnt  in  Bntn»akr1  Brunnen- 
feld.  Sie  verwahrt  Goldäpfel,  deren 
Genuss  den  Göttern  ewige  Jugend 
und  Unsterblichkeit  verleiht. 

Jesuitenorden.  Der  Stifter  des 
Ordens,  Don  Inniffo  Lopez  de  Rr- 
rnlde,  war  als  der  jüngste  Sohn  des 
Ritters  Beitran  von  Loyola  aus  alt- 
adelig-spanischem Geschlechte  1491 
in  der  Provinz  Guiptuscoa  auf  dem 
väterlichen  Schlosse  geboren.  Seine 
Jugend  verbrachte  er  am  Hofe  Fer- 
dinands des  Katholischen;  ritter- 
licher Sinn  und  Thatoudrang,  eine 
devote  Ehrfurcht  vor  den  Heiligen 

Reailexicon  der  deutsohen  Altertümer.  , 


waren  frühe  hervorstehende  Züge 
seines  Charakters.    Bei  einer  Ver- 
teidigung Pamplonas  gegen  die  Fran- 
zosen zerschmetterte  ihm  eine  Kugel 
den  einen  Fuss,  wovon  er  sein  Leben 
lang  hinkend  blieb.  Auf  dem  schwe- 
ren Krankenlager  las  er  in  Ermange- 
lung von  Ritterromanen,  seiner  Lieb- 
lingslektüre, das  Leben  Jesu  und 
der  Heiligen,  des  Dominikus  und 
Franziskus,  wodurch  sein  Gemüt 
lebhaft  aufgeregt  wurde.  Wieder- 
hergestellt, ging  er  nach  dem  Kloster 
Montserrat,  legte  ein  Bettelgewand 
an,  hing  seine  Rüstung  vor  dem 
Marienbilde  auf  und  hielt  mit  dem 
Pilgerstabe  in  der  Hand  vor  seiner 
neuen  Herrin  nach  alter  Rittersitte 
Waffenwacht.     Bald  nachher  liegt 
er  in  Manresa,  in  einer  einsamen 
Höhle  oder  im  Dominikanerkloster, 
strengen  Büssungen ,  Geisselungen 
und  Fasten  ob.    Hier  werden  ihm 
wunderbare  Verzückungen  und  Visio- 
nen zu  teil,  der  Dreieinigkeit,  des 
Gottmenschen,  der  Maria,  des  Teu- 
fels.   Da  er  in  Jerusalem  und  in 
der  Bekehrung  der  Ungläubigen  die 
Stätte  und  den  Wirkungskreis  seiner 
Zukunft  sah,  begab  er  sich  nach 
Palästina,  wo  der  Franziskanerpro- 
vinzial    ihm  zwar  einen  längeren 
Aufenthalt  nicht  gestattete.  Heim- 
gekehrt, erkannte  er,  dass  zur  geist- 
lichen Wirksamkeit  eine  gelehrte 
Bildung  unerlässlich  sei,    und  er 
studierte  nun  in  Barcelona,  Alcala 
und    Salamanca    Grammatik  und 
und  Philosophie,  lebte  von  Almosen 
und   widmete    sich  der  Kranken- 
pflege, machte  sich  aber  zugleich 
der  Inquisition  verdächtig  und  sah 
sich  genötigt,  da  er  dem  Befehle, 
seine  Unterredungen  über  geistliche 
Dinge  vier  Jahre  lang  einzustellen, 
nicht  nachkommen  zu  können  meinte, 
nach  Paris  überzusiedeln.  Hier,  wie 
vorher  auf  den  spanischen  Schulen, 
gelang  es  ihm,  junge  Leute,  die  sich 
seiner  Führung  anvertrauten,  inseiue 
Exercitien  einzuweihen  und  so  all- 
mählich einen  Kreis  von  Genossen 

29 


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450 


Jesuitcnorden. 


um  sich  zu  sammeln;  die  ersten 
waren  seine  Stubenburschen  in  Paris, 
der  Savoyardc  Peter  Faber  (Leve  vre), 
der  Spanier  Franz  Xavier;  dann 
Alfons  Salmeron,  Jakob  Laiuez. 
Nikolaus  Bobadilla,  sämtlich  Spanier, 
und  der  Portugiese  Simon  Rodriguez. 
Am  15.  August  1534  legten  sie  in 
der  Kirche  von  Montmartre  das  Ge- 
lübde der  Keuschheit  und  Armut 
ab  und  gelobten,  nach  Vollendung 
ihrer  Studien  entweder  in  Jerusalem 
der  Krankenpflege  und  der  äusseren 
Mission  sieh  zu  widmen,  oder,  falls 
dieser  Plan  auf  Hindernisse  stosse, 
sich  jeder  Mission  des  Papstes  zu 
unterziehen. 

Nachdem  Ignatius  in  Spanien 
die  Angelegenheiten  seiner  Freunde 
geordnet,  trafen  sämtliche  Genossen, 
durch  drei  neue  verstärkt,  1587  in 
Venedig  zusammen,  um  von  hier 
aus  nach  Jerusalem  zu  reiseu.  Ein 
Krieg  zwischen  Venedig  und  den 
Türken  verhinderte  die  Abreise  und 
gab  den  Jüngern  Veranlassung,  in 
den  Hospitalern  Beschäftigung  zu 
suchen.  Hier  lernte  Ignatius  von 
Caraffa,  dem  geistlichen  Leiter  die- 
ser Anstalten,  den  von  diesem  kurz 
vorher  gestifteten  Theatinerordcn 
kennen,  ein  Institut,  welches  die 
klerikalen  mit  den  klösterlichen 
Pflichten  innig  vereinte  und  das 
auf  Regeneration  des  kirchlichen 
Lebens  und  auf  Heranbildung  eines 
tüchtigen  Priesterstandes  augelegt 
war.  Nachdem  sämtliche  Genossen 
in  Venedig  die  Priesterweihe  em- 
pfangen hatten,  wirkten  sie  als  Volks- 
prediger in  den  Städten  Venetiens, 
straften  die  Laster,  empfahlen  die 
lugend  und  predigten  Weltverach- 
tung. So  traten  sie  auf  verschie- 
deneu Wegen  die  Wanderung  nach 
Horn  an.  Infolge  einer  visionären 
Erscheinung  Christi,  die  dem  Igna- 
tius in  einer  alten  verlassenen  Kirche 
vor  Rom  begegnet  sein  sollte,  nannte 
er  später  die  Gesellschaft  sociefas 
Jesu.  Durch  ihren  seltenen  Eifer 
in  der  Ausübung  priesterlicher  Pflich- 


ten erwarben  sich  die  Genossen  in 
Rom  bald  die  Gunst  des  Papstes 
und  weltlicher  Grossen;  der  König 
Johann  III.  von  Portugal  Hess  Franz 
Xavier  und  Simon  Rodriguez  in  sein 
Land  kommen,  um  sie  uort  für  die 
indische  Mission  zu  verwenden; 
doch  blieb  nur  der  letztere  im  Lande, 
Xavier  eilte  unter  die  Heiden.  Am 
27.  Sept.  1540  bestätigte  Paul  III. 
durch  die  Bulle  Regimtni  militaiUis 
die  Gesellschaft  Jesu,  anfangs  mit 
der  Beschränkung  auf  60  Af  i/gliedrr. 
Die  Wahl  des  Generals  fiel  ein- 
stimmig auf  Ignatius.  Als  dieser 
am  31.  Juli  1556  starb,  zählte  der 
Orden  schon  13  Provinzen,  von  de- 
nen sieben  auf  die  pyrenäische  Halb- 
insel und  ihre  Kolonien  kamen,  drei 
auf  Italien,  eine  auf  Frankreich; 
die  beiden  deutschen  Provinzen  wa- 
ren im  Entstehen  begriffen.  Im 
Jahre  1623  wurden  Ignatius  und 
Xavier  selig  gesprochen. 

Die  innere  Einrichtung  des  Je- 
suitenordens ist  teils  in  aen  Exer- 
citien  des  Ignatius,  teils  in  der  Ge- 
setzgebung ausgesprochen.  Die  von 
Ignatius  selber  herrührenden  Exer- 
citien  enthalten  eine  methodische 
Anweisung  zur  eigenen  Meditation 
und  bezweckten  den  Meditierenden 
durch  Betrachtung  und  Gebete  in 
eine  solche  Stimmung  zu  versetzen, 
dass  er  kraftvollen,  unwiderruflichen 
Entschluss  fasse  und  durch  densel- 
ben seinem  ganzen  Leben  eine  ent- 
schiedene Richtung  gebe.  Dr.S  Ganze 
ist  in  vier  Wochen  geteilt  und  darin 
jedem  Tage  sein  Pensum  ziigem es- 
sen. Die  erste  Woche  ist  dem 
Nachdenken  über  die  Sünden  ge- 
widmet, die  zweite  über  die  Geburt 
und  das  Leben  Christi,  die  dritte 
|  über  sein  Leiden  und  Sterben ,  die 
|  vierte  über  seine  Verherrlichung. 
Diese  Betrachtungen  werden  zu  fünf 
j  verschiedenen  Tageszeiten  meist 
i  eine  Stunde  lang  augestellt,  wobei 
|  es  darauf  abgesehen  ist,  den  Inhalt 
der  biblischen  und  ausserbiblischen 
Bilder  möglichst  sinnlich  mit  Auge, 


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Jesuitenorden. 


451 


Ohr,  Geschmack,  Genien,  Gefühl 
in  sich  lebendig  zu  machen  und 
sieh  innerlich  dazu  zu  disponieren, 
dass  ihm  das  künftige  Lenen  und 
Wirken  in  der  Gesellschaft  als  eine 
freie  That  unter  der  Einwirkung 
der  Gnade  erseheint,  und  sein  Urteil 
völlig  unter  die  Entscheidung  der 
Kirche  gefangen  gegeben  ist.  Durch 
die  Exercitien  hat  Ignatius  die  as- 
eetische  Richtung  seines  Ordens  be- 
stimmt 

Nach  den  Konstitutionen  und 
Grundgesetzen  besteht  der  Orden 
aus  vier  Klassen,  den  Novizen,  den 
Scholastikern,  den  Koadjutoren  und 
den  Professen.  Der  Zulassung  zum 
Noviziat  geht  eine  genaue  Prüfung 
der  Verhältnisse  und  Intentionen 
der  Aufnahmesuchenden,  sowie  die 
Exercitien  voraus.  Das  Noviziat 
dauert  zwei  Jahre  und  die  Tages- 
ordnung schreibt  für  jede  Stunde 
die  Beschäftigung  strenge  vor: 
Kirchenbesuch ,  fromme  Lektüre, 
Betrachtung,  Gebet,  Gewissensprü- 
fung und  Erholung.  Das  Noviziat 
wird  im  Novizenhause  zugebracht. 
Nachher  tritt  der  Novize  als  Scho- 
lastiker in  ein  Kollegium  der  Gesell- 
schaft und  hat  hier  zwei  Jahre  dem 
Studium  der  Rhetorik  und  Littera- 
tur,  drei  Jahre  demjenigen  der 
Philosophie,  Physik  und  Mathematik 
obzuliegen.  Erst  nachdem  er  hier- 
auf fünf  bis  sechs  Jahre  lang  von 
der  Grammatik  an  durch  alle  Klassen 
die  Fächer  dieses  Lehrgangs  als 
Lehrer  vorgetragen  und  praktisch 
eingeübt  hat,  tritt  er  das  Studium 
der  Theologie  an,  das  wiederum 
vier  bis  sechs  Jahre  umfasst;  der 
älteste  Studiengang,  ratio  studiorum, 
stammt  aus  dem  Jahre  1586.  Erst 
nach  einem  weiteren  Probejahre 
empfängt  der  Scholastiker  die  Prie- 
sterweihe und  legt  das  Gelübde  ent- 
weder als  Coadjutor  spiritualis  oder 
als  Professe  ab.  Ausser  den  drei 
Mönchsgelübden,  welche  der  Scho- 
lastiker abzulegen  hat,  verspricht 
der  Coad'/u/or  spirifualis  rücksicht- 


lich des  Gehorsams  noch  spezielle 
eifrige  Hingebung  an  den  Jugend- 
unterricht und  der  Prof  esse  be- 
schwört ausserdem  in  feierlicher 
Weise,  sich  jeder  Mission  des  Pap- 
stes unbedingt  zu  unterziehen  (pro- 
J'essi  tjtuifiior  rotorumj.  Die  soeietas 
nrofessa,  der  Zahl  nach  der  kleinste 
Teil  der  Gesellschaft,  sind  die  be- 
rechtigten Glieder  der  Generalkou- 
gregatinn.  Au  der  Spitze  des  Gan- 
zen steht  ein  General,  Praeposifus 
generalis.  Das  Amt  des  Generals 
ist  ein  lebenslängliches.  Alle  Glie- 
der sind  ihm  zum  Gehorsam  ver- 
pflichtet, er  ernennt  die  Provinziale 
und  die  übrigen  Beamten  meist  auf 
drei  Jahre,  er  entscheidet  über  alle 
Aufnahmen  und  kann  aus  dem  Or- 
den entlassen  und  Verstössen,  er  hat 
das  Hecht  von  den  Institutionen  und 
Regeln  zu  dispensieren  -,  in  seiner 
Hand  liegt  die  ganze  Verwaltung, 
Regierung  und  Jurisdiktion.  Die 
Grneralkongregation  tritt  zusammen 
1.  zur  Wahl  des  Generals,  2.  wenn 
es  sich  um  die  Absetzung  desselben 
handelt,  3.  wenn  die  Assistenten, 
Provinzialen  und  Lokaloberen  durch 
Srimmenmelirheit  die  Notwendigkeit 
ihrer  Berufung  erkennen,  4.  wenn 
die  alle  drei  Jahre  unter  dem  Vor- 
sitze des  Generals  zu  Rom  tagende 
Abgeordnetenversammlung  aus  den 
Provinzen  sich  dafür  ausspricht. 
Meist  suchte  man  der  Berufung 
I  der  Generalkougregation  auszuwei- 
|  chen.  Nach  Steitz  in  Herzogs  Real- 
Encykl.  Die  vortrefflichste  Dar- 
stellung gab  Ranke  in  der  Ge- 
schichte der  Päpste. 

In  der  Geschichte  der  deutschen 
Litteratur  und  Bildung  ist  der  Jesui- 
tenorden mehrfach  wirksam  gewesen. 
Er  hat  wesentlich  Anteil  an  der  seit 
dem  Konzil  zu  Trient  eröffneten 
rücksichtslosen  polemischen  Litte- 
ratur, an  welchen  beide  Konfessionen 
teilnahmen ,  auf  protestantischer 
Seite  namentlich  Fischart  mit  dem 
Jesuiterhütlein  und  mehreren  ande- 
ren Schriften.   Der  Jesuitenorden 

29* 


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452 


Immunität.  —  Index  librorum  prohibitorum. 


hat  durch  seine  streng  formale  Me- 
thode des  höheren  Unterrichts  zur 
Ausbildung  der  Gymnasien  über- 
haupt beigetragen,  in  seinen  Er- 
ziehungsanstalten sind  namentlich 
auch  die  Schulkomödien,  anfangs 
lateinisch,  später  zugleich  deutsch, 
gepflegt  und  der  Geschmack  daran 
in  weiteren  Kreisen  verbreitet  wor- 
den. An  der  neulateinischen  Poesie 
haben  sie  u.  A.  durch  Jakob  Bahle 
rühmlichen  Anteil  genommen  und 
nicht  minder  rühmlich  ist  der  Name 
Friedrich*  von  Sj>rr,  eines  nicht  un- 
begabten Dichters  der  ersten  sehle- 
sischen  Dichterschule,  der  sich  zu- 
gleich um  die  Bekämpfung  der 
Hexenprozesse  grosses  Verdienst  er- 
worben hat. 

Immunität  heisst  das  von  den 
Merowingem  und  namentlich  von 
den  Karolingern  den  Stiftern  und 
Klöstern  erteilte  Recht  der  Befrei- 
ung von  öffentlichen  Lasten,  der 
Erhebung  der  königlichen  Einkünfte 
für  eigeue  Rechnung  und  der  Auf- 
nahme ihrer  Hörigen  in  den  be- 
sonderen königlichen  Schutz  mit 
den  sich  daran  knüpfenden  Wir- 
kungen. Weitere  Folge  der  Immu- 
nität war  es,  dass  die  Könige  jenen 
Anstalten  durch  besondere  Privi- 
legien für  ihre  Besitzungen  auch 
die  Befreiung  vom  Zutritt  der  öffent- 
lichen Beamten  verliehen,  von  wel- 
cher Zeit  an  Gerichte  und  Straf- 
gewalt von  Beamten  des  Stiftes  ge- 
handhabt und  zugleich  die  ent- 
sprechenden Bussen  und  Strafgelder 
bezogen  wurden.  Zur  Handhabung 
des  Königlichen  Schutzes  wies  der 
König  gewöhnlich  einen  mächtigen 
Herrn  au;  später  wurde  durch  Privi- 
legien dem  Bischöfe  oder  Abte  die 
Wahl  de»  Schirm  vogtes  überlassen 
und  diesem  sodann  für  sein  Amt 
gewisse  jährliche  Ehrengeschenke 
überwiesen.  Der  Defensor  der  Advo- 
katur, der  schon  nach  den  alten 
Kirchengesetzen  zum  Schutze  und 
zur  Vertretung  der  Kirche  nach 
aussen  bestimmt  war,  wurde  jetzt 


infolge  der  Immunität  der  eigent- 
liche Gerichts-  oder  Dingvogt.  Ahu- 
lich  den  Centenarien  sollte  er  unter 
der  Mitwirkung  des  Grafen  und  des 
Volkes  ausgewählt  werden  und  zwar 
aus  den  in  der  Grafschaft  Begüterten, 
nur  nicht  der  Centenarius  des  Grafen 
oder  der  Graf  selbst.  Sie  hatten  zu 
ihrem  Amte  den  Genuss  bestimmter 
Höfe  und  nach  Art  der  Grafen  ein 
Dritteil  der  Strafgefälle.  Den  Blut- 
bann musste  der  Vogt,  da  die  Kirche 
nach  den  kanonischen  Satzungen 
keine  Blutgewalt  haben  durfte,  vom 
Könige  selbst  empfangen.  Ausser 
den  Stiftern  und  Klöstern  waren 
auch  die  Krongüter  und  Reichshöfe, 
die  grossen  Besitzungen  der  welt- 
lichen Magnaten  und  mit  der  Zeit 
Städte,  Flecken  und  Dörfer  durch 
Iminunität8-Privilegien  von  der  ge- 
meinen Gerichtsbarkeit  befreit  und 
handhabten  ihr  Recht  durch  beson- 
dere Gerichte.  Die  Immunität  gab 
den  mit  ihr  ausgestatteten  Besitz- 
ungen den  Charakter  besonderer, 
von  dem  übrigen  Körper  des  Reichs 
abgesonderter  Gebiete  oder  Herr- 
schaften. 

Iinpostoribus,  de  tribus,  ist 
der  Titel  eines  aus  dem  16.  Jahrb. 
stammenden  Buches,  das  falschlich 
Kaiser  Friedrich  II.  zugeschrieben 
wird  und  in  der  Behauptung  gipfelt, 
dass  .Jesus,  Moses  und  Mohammed 
Betrüger  gewesen  seien;  dass  Fried- 
rich IL  diese  Behauptung  aufgestellt, 
kann  nicht  bewiesen  werden,  der 
Papst  Gregor  IX.  hat  es  ihm  aber 
12H9  vorgeworfen.  Die  Schrift  be- 
streitet die  Möglichkeit  jeder  gött- 
lichen Offenbarung  und  setzt  die 
heidnischen  Göttcrmytheu  in  Paral- 
lele zu  den  Forderungen  des  alt- 
testamentlicheu  Gottes.  Die  ältesten 
vorhandenen  Drucke  gehören  dem 
Jahr  1507  an.  Der  Verfasser  ist 
unbekannt. 

Index  librorum  prohibitorum, 
Verzeichnis  der  verbotenen  Bücher. 
Das  Verbot  der  Kirche,  ketzerische 
oder  der  Ketzerei  verdächtige  Bücher 


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Indiktion. 


453 


zu  lesen,  stammt  schon  ans  dem 
5.  Jahrhundert,  und  die  Übertretung 
desselben  wurde  mit  dem  Ranne 
bestraft;  namentlich  war  es  dabei 
auf  unechte,  untergeschobene  Schrif- 
ten abgesehen,  die  man  aus  dem 
öffentlichen  kirchlichen  Gebrauche 
bringen  wollte.  Die  Synode  zu  El- 
vira 813  bedrohte  diejenigen  mit 
dein  Anathem,  welche  liheHus  famo- 
jtox  in  die  Kirche  bringen.  ltfit  der 
Verbreitung  der  Inquisition  ging  die 
Überwachung  der  verbotenen  Bücher 
in  die  Hände  der  Inquisitoren  über. 
Die  Erfindung  der  Buehdruckerkunst 
und  der  beginnende  Reformationa- 
geistleisteten  ketzerischen  Ansichten 
und  Büchern  grossen  Vorschub,  und 
Papst  Alexander  VI.  bestellte  des- 
wegen cine^eigenc  Behörde,  die  so- 
wohl die  bereits  gedruckten  Werke 
als  die  Handschriften  vor  dem  Drucke 
untersuchen  und  sofort  entscheiden 
sollte,  ob  der  Druck  und  Verkauf 
des  Buches  zu  gestatten  sei;  Papst 
Leo  X.  erliess  u.  A.  im  Jahre  152f> 
die  Verordnung,  dass  ohne  Appro- 
bation des  Bischofs  oder  des  Le- 
gaten oder  der  Inquisition  kein  Buch 
gedruckt  werden  dürfe  bei  Strafe 
der  Exkommunikation;  das  Buch 
selber  sollte  konfisziert  und  ver- 
brannt werden.  Das  erste  Verzeich- 
nis, index,  von  verbotenen  Büchern 
aber  war  dasjenige,  das  die  Univer- 
sität von  Löwen  auf  Befehl  Karls  V. 
1546  bekannt  machen  Hess;  im  Jahre 
1550  gab  der  päpstliche  Legat  in 
Venedig,  Johann  Deila  Casa  ein 
Ahnliches  Verzeichnis  heraus,  und 
Papst  Paul  IV.  Hess  endlich  im 
Jahre  1557  während  der  Suspension 
des  Tridentinischen  Konzils  durch 
eine  besondere  Kongregation  den 
offiziellen  Im/ex  librortm  prohibi- 
torum  veröffentlichen;  er  zerlegte 
die  Verfasser  verbotener  Schritten 
in  drei  Klassen:  1.  solche,  deren 
Schriften  schlechthin  verboten  wur- 
den, 2.  solche,  von  denen  nur  ein- 
zelne Schriften  dem  Verbote  unter- 
lagen, und  3.  die  Verfasser  anonymer, 


namentlich  aller  seit  1519  erschie- 
nener Schriften.  Den  Schluss  bildete 
ein  Verzeichnis  von  62  Druckern 
ketzerischer  Bücher.  Als  Strafen 
auf  das  Lesen  der  hier  verbotenen 
Bücher  wurde  die  Krcommunieafio 
/aftte  jenfenfiae,  Entsetzung  von 
allen  Amtern,  immerwährende  In- 
famie festgesetzt.'  Unter  den  ver- 
boteneu Büchern  sind  die  meisten 
solche,  die  das  Ausehen  der  welt- 
lichen Obrigkeit  gegen  die  Eingriffe 
der  Klerisei  retten,  die  Rechte  der 
Konzilien  und  Bischöfe  gegen  die 
Beeinträchtigung  des  römischen 
Stuhles  behaupten  und  die  Heuchelei, 
Tyrannei  und  Religionsbetrügerei 
der  Pfaffen  und  Mönche  an  das  Licht 
bringen.  Wegen  der  in  diesem  Index 
vorherrschenden  grossen  Härte  wurde 
das  Verzeichnis  jedoch  nochmals  in 
Verbindung  mit  der  tridentinischen 
Kirchenveraammlung  umgearbeitet 
j  und  endlich  im  Jahre  1564  von 
Pius  IV.  endgültig  gebilligt.  Es  ist 
die  Grundlage  aller  andern  römischen 
Verzeichnisse  dieser  Art  geworden. 
Vgl.  Üetuirh,  der  Index  der  ver- 
boteneu Bücher,  Bd  I.  Bonn  1883. 

Indiktion,  indic/io,  Indictie  rö- 
mischen Gebotes,  Kaiserliche  Zahl, 
Römerzinszahl,  ist  ein«*  der  häufig- 
sten Jahresbezeichnungen  des  Mittel- 
alters und  schon  früh  in  die  Oster- 
tafclu  und  in  die  Datierung  der 
Urkunden  aufgenommen  worden. 
Sie  ist  diejenige  Zahl,  welche  an- 
giebt,  die  wievielte  Stelle  ein  Jahr 
in  einem  Cyklus  von  15  Jahren  ein- 
nimmt. Die  15jährigen  Cyklen 
laufen  durch,  unsere  gesamte  Zeit- 
rechnung. Über  die  Entstehung 
dieser  Indiktionsrechnung  sind  die 
Ansichten  geteilt:  die  einen  knüpfen 
sie  an  eine,  jedoch  bloss  vorausge- 
setzte Grundsteuerperiode  des  rö- 
mischen Reiches;  andere  machen 
den  ägyptischen  Ursprung  der  In- 
diktionen  wahrscheinlich.  Man  unter- 
scheidet ihrem  jährlichen  Anfange 
nach  drei  Arten  der  Indiktions- 
rechnung: 


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454 


Inkunabeln. 


1.  Indietio  (fraeca  oder  coiuttanti- 
nopolitana  beginnt  mit  dem  1.  »Sep- 
tember; sie  war  im  Morgenlande 
ausschliesslich  im  Abendlande  vor- 
nehmlieh in  der  päpstlichen  Kanzlei 
in  Gebrauch. 

2.  Indietio  Hedamt.  mit  dem  24. 
September  beginnend,  verdankt  ihre 
Entstehung  dem  Ausehen  des  Heda 
Venerahiiis ;  sie  war  in  Frankreich 
unter  den  Karolingern  nach  Ludwig 
dem  Frommen  vorzugsweise  ge- 
bräuchlich, in  der  kaiserlichen  Kanz- 
lei Deutschlands  seit  der  Mitte  des 
9.  Jahrh.  und  in  der  päpstlichen 
Kanzlei  seit  1088. 

3.  Indietio  romana  oder  jionti- 
Jicalis,  beginnt  am  25.  Dezember 
oder  1.  Januar;  anfangs  neben  den 
beiden  anderen  Indiktionengebräuch- 
lich,  ist  sie  im  späteren  Mittelalter 
die  gebräuchlichste  Art. 

Das  erste  Jahr  eines  Indiktions- 
cyklus  fallt  auf  das  Jahr  3  vor 
Christus,  drotefend  Handbuch  der 
Chronologie.    §.'  H. 

Inkunabeln,  Wiegendrucke,  vom 
lat,  inrumtbiUassYtwgc,  nennt  man 
die  Erzeugnisse  der  Buehdrucker- 
kunst  in  der  ersten  Zeit  ihrer  Er- 
findung; die  Grenze  der  Inkunabeln 
setzt  man  meist  ins  Jahr  1500;  doch 
sind  auch  andere  Grenzen,  wie  1520 
und  1536  in  Anwendung  gekommen. 
Die  Zahl  der  Drucke  des  15.  Jahrh. 
wird  auf  etwa  1500  berechnet;  ihre 
Seltenheit  wird,  abgesehen  vom  Al- 
ter, durch  die  kleineren  Autlagen 
der  ersten  Buchdrucker  bedüigt. 
Anfangs  druckte  man  meist  auf 
Pergament,  simterfastaussehliessend 
auf  Papier.  Beim  Pergament  unter- 
scheidet man  Kälberpergament,  in 
Deutschland,  Frankreich  und  den 
Niederlanden  gewöhnlich,  nament- 
lich für  Foliobände  gebraucht: 
Pergament  von  totgeborenen  Läm- 
mern, von  Lämmern,  welche  gelebt 
haben,  und  Schafpergament.  Das 
Format  war  anfangs  t  olio;  um  das 
Jahr  1470  gab  es  aber  schon  Bände 
in  Oktav  und  Duodez.  Die  Lettern 


sind  in  den  ältesten  Drucken  die 
gotischen;  später  werden  diese,  zu- 
erst in  Italien,  durch  die  runde  an- 
tike Schrift  ersetzt.  Griechische 
Lettern  finden  sieh  zuerst  in  ein- 
zelnen Wörtern  und  zwar  in  Holz 
geschnitten;  das  erste  mit  gegosse- 
nen Lettern  gedruckte  griechische 
Buch  ist  Lasearis  (irammatica 
praeca,  Medial.  1476.  4.  Die  grosse 
Schrift,  die  man  bei  Messbüchem 
uud  Psaltern  anwandte,  heisst  Mis- 
saltypen. Die  Initialen  wurden  ge- 
wöhnlich nicht  eingedruckt,  sondern 
in  anderen  Farben,  meist  rot,  ein- 
geschrieben; da  diese  Arbeit  der 
Kubrikatoren  oft  lungere  Zeit  nach 
dem  Drucke  geschah,  findet  man 
häufig  Inkunabeln  ohne  Initialen. 
Oft  sind  die  letzteren  in  Gold  und 
kostbar  verziert.  Auch  im  Kontexte 
finden  sich  viele  mit  roter  und  blauer 
Farbe  eingetragene  Anfangsbuch- 
staben, die  gedruckten  sind  zuweilen 
mit  roter  und  blauer  Farbe  bloss 
durchstrichen.  Sitfnatur  heisst  das 
Zeichen,  welches  die  Buchdrucker 
unten  auf  die  Vorderseite  des  Blattes 
setzen,  um  bei  deui  Einbinden  Ver- 
wirrung zu  vermeiden;  in  den  alten 
Drucken  brauchte  man  dazu  ge- 
wöhnlich die  Buchstaben  des  Alpha- 
betes, unter  Umständen  so  lange 
vervielfacht,  als  es  nötig  ist.  Kut- 
toden nennt  man  das  unter  der  letzten 
Linie  jeder  Seite  stehende  Wort, 
welches  auf  die  nächstfolgende  Seite 
hinweist  und  auf  dieser  das  erste 
Wort  ist.  Laufen  die  Zeilen  un- 
unterbrochen durch  die  Breite  der 
Seite  durch,  so  heisst  das  ein  Druck 
mit  auslaufenden  Zeilen;  sind  die 
Seiten  in  der  Mitte  geteilt,  so  hat 
man  Kolumnendruck,  in  Foliobandcu 
der  vorherrschende.  In  den  frühesten 
Drucken  findet  man  keine  fortlau- 
fende Zählung  der  Blätter,  und  als 
diese  eingeführt  wurde,  zahlte  man 
stets  bloss  die  Blätter.  Die  Blatt- 
zahlen sind  anfangs  mit  römischen 
Zahlen  ausgedrückt,  erst  später  mit 
arabischen  Ziffern.    Titelblätter  be- 


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Innung.  —  Inquisition. 


455 


Hitzen  die  äl  testen  Inkunabeln  nicht, 
sondern  am  Ende  eine  Schlussschrift, 
datey  Cotojthon.  in  welcher  gcwöhn- 
lich  der  Name  des  Dnickers.  sowie 
Ort  und  Jahr  des  Druckes  ange- 
geben sind;  oft  fehlt  aber  eine  dic.-er 
Bezeichnungen  oder  alle.  Titelblatter 
mit  genauer  Antrabe  beginnen  148"). 
Das  erste  Buch,  worin  sich  Kupfer- 
stiche finden,  ist  in  Florenz  1477  er- 
schienen: Antonius  da  Siena.  Monte 
Santo  di  Dio;  Holzschnitte  kommen 
früher  vor.  Kiilb  in  Ersch  und 
Gruber. 

Innung*,  siehe  Zunft. 

Inquisition.  Schon  bei  den 
Römern  bezeichnete  inquisitio  die- 
jenige Untersuchung  und  richterliche 
Wirksamkeit,  welche  mittels  Zeugen 
und  anderer  Hülfsmittel  über  den 
Lebenswandel  der  Beklagten  ver- 
hängt wurde,  und  wer  dieses  Ge- 
schäft leitete,  hiess  inquitUor.  Im 
Mittelalter  nannte  man  in</nijtitores 
u.  a.  gewisse  Sendbotschaften,  welche 
die  Könige  in  ihre  Provinzen  schick- 
ten, um  das  Verfahren  und  Betragen 
der  Beamten  oder  auch  gewisse  Vor- 
fälle zu  untersuchen  und  nötigen- 
falls zu  bestrafen;  in  Frankreich 
wählte  man  hierzu  nicht  bloss  welt- 
liche Personen,  sondern  auch  Geist- 
liche. Mithin  war  der  Ausdruck 
längst  bekannt  und  üblich,  als  die 
Kirche  ihn  auf  diejenigen  Sendbot- 
schaften der  Päpste  übertrug,  die 
zum  Richten  und  Bestrafen  der 
Glaubensverbrecher  bevollmächtigt 
wurden. 

Sachlich  ist  die  Inquisition  eine 
unter  Mitwirkung  der  Zeitverhält- 
nisse herbeigeführte  Entwickelung 
und  Ausartung  der  alten  Kirchen- 
zucht, der  zufolge  die  Landbisehöfe 
schon  früh  die  Pflicht  hatten,  Irr- 
lehren zu  steuern  und  die  Visita- 
tionen der  Kirchen  ihrer  Sprengel 
auch  zur  Ausspähung  etwa  auf- 
tauchender Ketzereien  zu  benutzen. 
Die  höchste  kirchliche  Strafe  gegen 
entdeckte  Ketzer  war  die  Exkom- 
munikation, mit  der  als  bürgerlich«' 


Strafe  die  Verbannung  uud  der  Tod 
verbunden  sein  konnten.  Doch  er- 
klärten sich  angesehene  Kirchen- 
lehrer, wie  Chrvsostomus  und  Au- 
gustiu ,  gegen  die  Todesstrafe  der 
Ketzt-r,  während  sie  Hieronymus 
und  Leo  der  Grosse  befürworteten, 
doch  so,  dass  die  Kirche  die  Todes- 
urteile von  der  weltlichen  Macht 
vollziehen  Hess.  Da  die  Bischöfe 
für  die  Aufrechthaltungder  Glaubens- 
reinheit nicht  zu  genügen  schienen, 
wurden  im  H.  Jahrh.  Sendgerickft 
angeordnet,  die  sich  seit  dem 9.  Jahr- 
hundert mehr  und  mehr  ausbildeten 
und  sich  in  bisehöfliche,  Archidia- 
konats-  und  erzpriesterliche  Sende 
teilten.  Als  die  Kirche  durch  die 
Katharer  (Albigenser)  und  Waiden  - 
ser  beunruhigt  wurde,  war  es  das 
Institut  der  Legaten,  durch  welche 
der  römische  Stuhl  gegen  die  Ketzer 
einschritt.  Erst  Papst  Innocenz  III. 
traf  die  Anordnung,  die  bisherige 
Wirksamkeit  für  die  Ausspürung 
und  Bestrafung  der  Ketzer  zu  einer 
bleibenden  Einrichtung  zu  gestalten; 
er  Hess  durch  das  vierte  Lateran- 
konzil das  Verfahren  gegen  die 
Ketzer  zum  Hauptgeschäft  der 
bischöflichen  Sende  machen,  in  dem 
Sinne,  dass  der  Krzbischof  oder 
Bischof  diejenige  Parochie,  in  der 
sich  dem  Gerücht  nach  Ketzer  be- 
finden sollten,  selbst  oder  durch 
Stellvertreter  besuchen  und  durch 
geeignete  Personen  eidlich  sich  des 
Namens  der  Ketzer  versichern  lassen 
sollte.  Die  Aufsicht  über  die  Bisehöfe 
führten  aber  bei  diesem  Geschäfte 
die  Legaten.  Genauere  Bestim- 
mungen über  die  Art  der  Ketzer- 
aufspürung Hess  derselbe  Papst  1229 
durch  das  Konzil  von  Toulouse  er- 
gehen und  dadurch  die  Inquisition 
zunächst  in  Toulouse  und  im  übrigen 
südlichen  Frankreich  konstituie- 
ren. Als  aber  die  Bischöfe  immer 
noch  nicht  genügten,  ernannte  Gre- 
gor IX.  1232  in  Deutschland,  Ara- 
gonien  und  Osterreich,  1233  in  der 
Lombardei  und  in  Frankreich  die 


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456 


Inquisition 


Dominikaner  zu  beständigen  päpst- 
lichen Inquisitoren,  die  nun  eine 
reiche  ketzerverfolgende  Thütigkeit 
entfalteten,  welche  durch  immer 
neue  Erfindungen  der  kirchlichen 
Ketzerprozessordnung  unterstützt 
wurde.  80  durfte  keinem  Ange- 
klagten ein  Belastungszeuge  nam- 
haft gemacht  werden;  Mitschuldige 
und  Verbrecher  wurden  als  Zeugen 
zugelassen;  die  weltliehen  Obrig- 
keiten wurden  angewiesen,  bei  Ver- 
hafteten nicht  bloss  zum  Geständ- 
nisse, sondern  auch  zur  Anklage 
anderer  ihnen  bekannter  Ketzer  die 
Tortur  anzuwenden;  später  nahmen, 
um  die  Aussagen  des  Gefolterten 
geheim  zu  halten,  die  geistlichen 
Inquisitoren  die  Anwendung  der 
Tortur  selbst  in  die  Hand.  Dem 
Begriffe  der  Ketzerei  wurde  eine 
masslos  weite  Bedeutung  beigelegt, 
so  dass  ausser  sektiererischer  Mei- 
nung Zinswucher,  Wahrsagerei,  Be- 
schimpfung des  Kreuzes,  Verachtung 
des  Klerus,  Verbindung  mit  Aus- 
sätzigen, Juden,  Dämonen,  dem 
Teufel,  den  Hexen  zum  Prozesse 
führen  konnten.  Die  Strafen  lauteten 
auf  Verlust  der  Ehre,  der  bürger- 
lichen und  kirchlichen  Hechte,  harte 
Gefangenschaft  im  Kerker  oder  auf 
der  Galeere,  Tod  durch  Hinrichtung, 
durch  Einmauern,  durch  Feuer.  Bald 
galt  der  Tag  einer  Kctzerhiurichtuug 
als  Feiertag.  Appellation  gab  es 
nicht.  Papst  Innocenz  IV.  wies  1252 
ein  Drittel  des  eingezogenen  Ver- 
mögens der  Inquisition  zu  und  be- 
fahl ein  zweites  Drittel  für  künftige 
InquisitioiiBzweeke  zu  deponieren. 
Später  erhielt  die  Inquisition  das 
ganze  Vermögen  der  Angeklagten. 
Heftige  Volksbewegungen  und  blutige 
Aufstände  gegen  die  verhassten  Tri- 
bunale fruchteten  auf  die  Dauer 
nichts.  Dagegen  lähmten  endlich 
das  päpstliche  Schisma  und  die 
Konzilien  des  15.  Jahrhunderts  mit 
der  Kraft  der  Hierarchie  auch  die- 
jenige der  Inquisition,  'so  dass  die 
französische  Inquisition   meist  nur 


noch  mit  Anklage  der  Zauberei  und 
Teufelsverbindung  gegen  heimliche 
oder  verdächtige  Ketzer  einschritt. 
In  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
erlosch  sie  in  Frankreich  gänzlich. 

In  Deutschland  verbreitete  sich 
die  Inquisition  bald  nach  dem  Kon- 
zil von  Toulouse  durch  die  Domini- 
kaner Konrad  Droso  oder  Torso 
und  namentlich  Romrod  von  Mar- 
hnnj,  12:il -123:{;  doch  fielen  nicht 
bloss  diese  beiden  Ketzerrichter  als 
Opfer  der  Volks wut,  sondern  der 
Unwille  und  Widerstand  des  Volke* 
und  der  Grossen  war  überhaupt  hier 
so  allgemein  gegen  die  Inquisition 
gerichtet,  dass  Deutschland  über 
hundert  Jahre  lang  nur  vereinzelte 
Ketzerprozesse  erlebte.  Im  H.Jahr- 
hundert gab  das  Auftreten  der  Beg- 
harden  nochmals  Veranlassung,  der 
Inquisition  wieder  ein  grösseres 
Feld  zu  eröffnen;  doch  blieb  wie  in 
Frankreich  die  Ketzerverfolgung 
meist  auf  sog.  Hexen  beschränkt; 
siehe  den  Art.  Hexen. 

In  den  Nordstaaten  Europas,  in 
England,  Dänemark  und  Skandi- 
navien, zeigt  sich  die  Inquisition 
nur  als  eine  vorübergehende  Er- 
scheinung. Desto  wirksamer  trat 
sie  in  Spanien  auf,  wohin  sie  im 
IM.  Jahrhundert  aus  Frankreich  den 
Weg  fand.  Hier  war  sie  besonder* 
gegen  die  Mauren  und  Juden  ein- 
geführt und  dadurch  gekräftigt  wor- 
den, dass  Sixtus  IV.  147b  dem 
Konigspaare  das  Recht  gab,  Inqui- 
sitoren ein-  und  abzusetzen  und  die 
Güter  der  Verurteilten  einzuziehen, 
wodurch  die  Inquisition  ein  köuig- 
lichesGericht  wurde.  Sie  entwickele 
alsbald  eine  furchtbare  Thätigkeit, 
namentlich  seit  der  Prior  der  Do- 
minikaner zu  Segovia,  Thomas  de 
Torquemada,  zum  ( ieneralinquisitor 
von  Spanien  ernannt  worden  war. 
Die  Angeberei  gewährte  bürgerliche 
Vorteile  und  Ablass  und  säete  Angst 
und  Schrecken  unter  die  Familien. 
Auf  Torquemadas  Rat  mussten  1492 
alle  Juden,  die  nicht  Christen  wer- 


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Interdikt.  —  Johannesminne. 


457 


den  wollteu,  auswandern;  1501  traf 
die  Mauren  dasselbe  Schicksal.  Tor- 
quemado  hatte  von  1483  bis  1498, 
wo  er  sein  Amt  niederlegte,  8800 
Menschen  lebendig,  6500  in  effigie 
verbrennen,  90,000  mit  verschiede- 
nen Strafen  belegen  lassen.  Sein 
Nachfolger  Doza  sandte  1664  Men- 
schen auf  den  Seheiterhaufen,  und 
der  dritte  Generalinquisitor,  Franz 
limeues  de  Cisneros,  1. '«07  — 1517, 
Huer  2536;  1868  wurden  unter  ihm 
in  tffujii  verbrannt,  47,2611  in  an- 
derer Weise  gestraft. 

Jeden  In<|ui.Hitioiistribuu.-il  zahlte 
drei  Inquisitoren,  ausserdem  Asses- 
soren, Sekretare,  Einnehmer,  Fami- 
liären. Kerkermeister  und  andere 
Beamte.  Für  jedes  Mitglied  war 
Verschwiegenheit  die  strengste 
Pflicht.  Das  Haus  der  Inquisition 
biess  L'njtit  .«tu/n.  Der  Prosess  be- 
gann mit  einer  dreimaligen  Edikts!* 
ladtiug  des  Angeklagten:  erschien 
er,  so  wurde  er  nach  einer  sorg- 
faltigen l >nteiMK-liung  in  ein  dunk 
les  Gefängnis  gesperrt,  das  Haar 
vom  Haupte  geschoren,  seine  Bücher 
und  Schriften  sorgfältig  verzeichnet, 
sein  Vermögen  gewöhnlich  sofort 
konfisziert;  er  selbst  galt  als  ein 
Geächteter.  Schnelles  Eingeständ- 
nis errettete  zwar  vom  Tode,  sog 
aber  meist  den  Verlust  bürgerlicher 
Rechte  und  des  Vermögens  wie  die 
Übernahme  strenger  Btlssungcn  nach 
Mch.  Leugnen  hatte  meist  eine 
strengere  Halt  zur  Folge.  Gestand 
der  Angeklagte  nicht,  so  wurde  er 
gefoltert,  mit  den  Graden  der  Strick-, 
Wasser-  und  Feuertortur.  Halfen 
diese  Mittel  nicht,  so  erfolgte  die 
Verurteilung  und  langsame i  Hin- 
siechen im  Kerker.  Das  Todes- 
urteil bestand  im  Verbrennen.  In 
der  Reformation  wandte  sich  die 
spanische  Inquisition  mit  erneutem 
Kifer  gegen  die  Anhänger  des  Pro- 
testantismus. 

In  Italien  wurde  die  Inquisition 
123:t  gegen  die  Waldenser  einge- 
führt; doch  war  ihre  Macht  hier 


nicht  so  gross,  bis  sie  in  der  Mitte 
des  16.  Jahrhundert  t  ebenfalls  gegen 
den  Protestantismus  neu  eingeführt 
wurde.  Neudecker  in  Herzogs  Real- 
Encykl. 

Interdikt,  siehe  Hann. 

Interlinearversion,  siehe  Glos- 
sen. 

Investitur  heisst  die  symbolische 
Handlung,  durch  welche  der  Vor- 
steher einer  Kirche,  ein  Bischof, 
die  Seelsorge  über  eine  christliche 
Gemeinde  erhielt  und  dadurch  zu- 
gleich von  allen  übrigen  Gliedern 
derselben  unterschieden  wurde. 
Seiinn  in  der  ältesten  fränkischen 
Kirche  erfolgte  die  Bestätigung  des 
Bischofs  für  das  ihm  übertragene 
Amt  und  die  Verleihung  mit  den 
zu  demselben  gehörigen  Pfründen 
durch  den  König,  und  zwar  in  feier- 
licher Weise  durch  Überreichung 
eines  Ringes  oder  eines  Stabes,  des 
Ringes  als  Symbol  der  engen  Ver- 
bindung des  Bischofs  mit  der  Ge- 
meinde, «les  Stabes  als  Symbol  sei- 
ner Würde  und  Sorgfalt  in  der  Lei- 
tung der  ( Gemeinde.  Während  früher 
bald  der  Ring,  bald  der  Stab  allein 
überreicht  worden  war,  wurde  es 
nach  Konrad  II.  gebräuchlich,  die 
Investitur  mit  beulen  Symbolen  zu 
vollziehen.  In  Verbindung  mit  der 
Investitur  stand  der  Lehnseid.  Nach- 
dem Gregor  VII.  die  Investitur  durch 
den  Kaiser  verboten  hatte,  wurde 
der  lange  sog.  Investiturstreit  durch 
das  Konkordat  von  Worms  im  Jahr 
1122  dadurch  ausgeglichen,  dass 
künftig  der  Bischof  innerhalb  sechs 
Monat  nach  seiner  Wahl  die  Reichs- 
lehen vom  Kaiser  durch  das  Szep- 
ter erhalten  sollte,  während  die  In- 
vestitur mit  Ring  und  Stab  dem 
Papste  überlassen  blieb. 

Johaiinesniiniie  oder  Johaiines- 
sejren  heisst  ein  vom  Priester  im 
katholischen  Deutschland  geweihter 
Wein,  den  jener  am  Tage  St.  Jo- 
hannis Evangelistae,  27.  Dezember, 
am  Altare  der  Gemeinde  mit  den 
Worten  reicht:  hihe  amorem  Sanofi 


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458 


Johanniterorden.  —  Jubeljahr. 


Julia nni*  in  nomine  patris  etc.;  oft 
wird  der  vom  Hausvater  in  die 
Kirche  gebrachte,  stets  rote  Wein 
bloss  vom  Priester  geweiht  und  erst 
zu  Hause  feierlich  getrunken,  von 
der  ganzen  Familie  der  Reihe  nach 
aus  demselben  Becher,  selbst  von 
dem  Kinde  in  der  Wiege,  zum  Teil 
aber  aufbewahrt  oder  in  die  Wein- 
fässer gegossen.  Missverständlich 
wird  vom  Volke  die  Johannesminne 
bisweilen  als  eine  Art  Abendmahl 
betrachtet.  Dieser  Wein  bewahrt 
den  übrigen  Wein  vor  Verderbnis 
und  hält  von  ihm  bösen  Zauber  ab; 
als  Heilmittel  wird  der  Rest  von 
Erkrankten  getrunken,  vor  einer 
Reise  als  Schutz  und  Stärkung;  das 
Brautpaar  trinkt  ihn  bei  der  Trau- 
ung, wo  er  ihm  vom  Priester  nach 
vorangegangener  Segnung  gereicht 
wird  Ähnlich,  aber  ohne  die  kirch- 
liche Feier,  ist  ein  zum  Teil  auch 
im  evangelischen  Süddeutschland 
am  Johannistage,  24.  Juni,  getrun- 
kener Joha nni.w(ff>H.  Man  deutet 
denselben  auf  den  von  dem  Apostel 
getrunkenen  Giftbceher,  manchmal 
auf  die  Hochzeit  zu  Kana:  er  ist 
aber  unzweifelhaft  eine  von  deut- 
schen heidnischen  Trankopfern  ab- 
stammende uralte  Sitte,  die  nur 
christlich  umgestaltet  wurde.  Jo- 
hannes, der  jugendlich  vorgestellte 
Apostel  des  rriedens  und  der  Liebe, 
scheint  an  die  Stelle  Freyrs,  des 
freundlichen  Gottes  des  Friedens 
und  der  Fruchtbarkeit  getreten  zu 
sein,  dessen  Feste  sowohl  in  die 
Winter-  als  in  die  Sommersonnen- 
wende fielen.  Bei  Hochzeiten  opferte 
man  dem  Freyr,  trinkt  mau  den 
Johannissegen.  If'uttke,  Volksaber- 
glaube, §  194.  Zin(ftrf('}  Johannes- 
segen. 1^52. 

Johanniterorden,  siehe  Ritter- 
orden. 

Irinin  war  ein  germanischer, 
kriegerisch  dargestellter  Gott,  hoch 
von  Wuchs  und  auf  jeden  Fall  ein 
lichtes  Himmelswesen,  der  sich  wahr- 
scheinlich   mit    Donar    und  Ziu 


berührte.  Darstellungen  von  ihm 
waren  die  dem  Gotte  Ilirmin  ge- 
weihten Säulen  zu  Scheidungen  in 
Thüringen,  zu  Eresburg  in  Sachsen 
und  die  Irmirmtt,  Jlirmin*ui  oder 
Ermcnmf  im  Waldgebirge  Osning 
bei  Detmold.  Ein  heiliger  Hain  und 
ein  heiliges  Gehege  umgab  dieses 
„berühmte  Idol  ',  und  reiche  Gold- 
und  Silberschätze  waren  dabei  nie- 
dergelegt. Es  war  ein  hoher  Baum- 
stumpf, unter  freiem  Himmel  er- 
richtet. Karl  der  Grosse  In/gab  sich 
nach  der  Eroberung  von  Eresburg 
zu  diesem  Heiligtum  und  zerstörte 
es.  Der  Name  Irm,  Irmin  wird 
durch  got.  airman,  ahd.  irmin,  ags. 
eormen,  irmen  erklärt,  welches  als 
verstärkender  Vorsatz  in  der  Be- 
deutung allgemein  verwandt  wird; 
Jrmitiffod  ist  der  allgemeine  Gott, 
des  ganzen  Volkes.  Mannhardt, 
Götter. 

Jubeljahr.  Dieses,  dem  Jubel- 
jahr der  Hebräer  nachgeahmte  In- 
stitut der  katholischen  Kirche  nimmt 
seinen  Anfang  im  Jahre  1300.  Es 
wird  erzahlt,  am  Abend  des  eben 
bevorstehenden  Jahres  1300  habe 
sich  in  Rom  das  Gerücht  verbreitet, 
dass  denen,  die  in  die  Kirche  des« 
heiligen  Petrus  kommen  würden, 
ein  voller  Ablass  zuteil  werden  sollte. 
Eine  Menge  Menschen  versammelte 
und  vermehrte  sich  in  der  Kirche 
durch  herbeiströmende  Pilger;  auch 
ein  Greis  von  107  Jahren  fand  sich 
ein  und  versicherte  dem  Papste, 
dass  er  sich  erinnere,  wie  man  schon 
vor  100  Jahren  einen  hundertjähri- 
gen Ablass  habe  gewinnen  können. 
Infolge  dieser  Aussage  erliess  der 
Papst  Bonifaz  Vitt  die  Bulle  Anti- 
qtiorum  haltet ',  berief  sich  auf  jene 
Angabe  als  auf  eine  glaubhafte 
Nachricht  und  erklärte,  dass  zur 
Ehre  der  Apostel  Petrus  und  Pau- 
lus nicht  nur  bei  dem  bevorstehen- 
den Jahre  1300,  sondern  auch  iu 
jedem  folgenden  hundertsten  Jahre 
ein  reicher  und  vollkommener  Ab- 
lass, ja  der  vollkommenste  Ablass 


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450 


aller  Sünden  denen  zu  teil  werden 
solle,  welche  unter  wahrer  Reue 
und  bussfertigem  Bekenntnisse  ihrer 
Sünden  die  Kirche  der  Apostel  be-  j 
suchen  würden:  doch  müssten  die, 
welche  Römer  seien,  den  Besuch  ', 
wenigstens  auf  30,  Fremde  auf  15 
Tage  ausdehnen.  Eine  ungeheure 
Menschenmenge  fand  sich  bei  der 
Feier  ein,  und  der  grosse  Gewinn 
veranlasste  die  Päpste,  die  Zeit  der 
Feier  eines  Jubeljahres  zu  verkürzen. 
Clemens  VI.  setzte  daher  im  Jahre 
1349  die  Bulle  Uniffenittix  fkijifiujt 
die  Zeit  auf  das  50.  Jahr  herab; 
Urban  VI.  verlegte  die  Feier  im 
Jahr  1389  auf  jedes  33.  Jahr,  mit 
Beziehung  auf  den  Aufenthalt  Jesu 
auf  der  Erde;  jetzt  wurden  auch 
Nachjubeljahre  veranstaltet,  und 
Bonifaz  IX.  sandte  Ablass Verkäufer 
umher,  die  für  die  Summe,  welche 
die  Reise  zur  Feier  des  Jubeljahres 
nach  Rom  gekostet  hätte,  vollkom- 
menen Ablass  erteilen  konnten. 
Paul  II.  reduzierte  endlich  die  Feier 
auf  jedes  25.  Jahr,  welche  Bestim- 
mung bis  jetzt  in  der  katholischen 
Kirche  herrschend  geblieben  ist. 
Neudecker  in  Herzogs  Real-Encykl., 
und  TJanz  in  Ersch  und  Gruber. 
Nöthen,  Geschichte  aller  Jubeljahre 
der  katholischen  Kirche.  1H75. 

Juden.  Der  Rechtszustand  der 
Juden  im  römischen  Reich,  nachdem 
dieses  das  Christentum  als  Staats- 
religion erklärt  hatte,  war  so  be- 
schaffen, dass  sie  zwar  in  der  Aus- 
übung ihrer  Religion  geschützt,  je- 
doch beschränkt  in  der  Ausbreitung 
derselben,  dazu  ausgeschlossen  von 
allen  Ämtern,  verhindert  christliche 
Arbeiter  und  Sklaven  zu  besitzen, 
und  des  Connubiums  mit  den  Chri- 
sten beraubt  waren.  So  blieb  es 
vorläufig  auch  in  den  germanischen 
Staaten;  denn  wenn  auch  schon  unter 
den  Merovingern  einzelner  Juden- 
verfolgungen Erwähnung  geschieht, 
so  scheinen  im  ganzen  die  Fürsten 
sowohl  als  das  Volk  die  Juden  un- 
behelligt gelassen  zu  haben.  Unter 


den  Karolingern  namentlich  ge- 
nossen sie  einer  grossen  Freiheit  in 
der  Art  ihres  Erwerbes,  und  die- 
jenigen Juden,  welche  für  die  Be- 
dürfnisse des  königlichen  Hofhaltes 
sorgten,  waren  in  den  besonderen 
Schutz  des  Königs  aufgenommen 
und  mit  besonderen  Privilegien  aus- 
gestattet. Sie  waren  von  allen  Ab- 
gaben. Zöllen  und  Staatslasten  be- 
freit, besassen  Grundstücke  und 
durften  auch  Christen  in  ihren  Dienst 
und  Lohn  nehmen;  der  Sklaven- 
handel ist  ihnen  gestattet  und  der 
König  behalt  sich  in  allen  wichtigen 
Angelegenheiten  die  Gerichtsbar- 
keit über  seine  Schutzjuden  vor. 
Zu  dieser  Zeit  befand  sich  der  Han- 
del zur  See  hauptsächlich  in  jüdi- 
schen Händen;  Juden  vermittel- 
ten den  Waarenverkehr  mit  dem 
Orient.  Karl  der  Grosse  und  Lud- 
wig der  Fromme  erliessen  eigene 
Gesetze  für  die  Juden;  auch  eine 
Eidesformel  wurde  für  sie  ausge- 
arbeitet. Im  Jahre  M7  wurde  be- 
stimmt, dass  sie  den  zehnten  Teil 
ihres  Handelsgewinnes  an  den  König 
abgeben  sollten ,  während  christ- 
lichen Kaufleuteu  die  Abgabe  des 
elften  Teiles  aufgebürdet  war. 

Mit  der  Aufnahme  der  Städte 
rindet  man  Juden  in  grösserer  An- 
zahl nur  in  der  südlichen  Hälfte  von 
Deutschland  und  im  Westen;  in  den 
Städten  an  der  Ost-  und  Nordsee 
und  in  den  nördlichen  Marken  kom- 
men sie  erst  gegen  Ende  des  13. 
Jahrhunderts  oder  noch  später  vor; 
am  zahlreichsten  waren  sie  am  Rhein, 
an  der  Donau,  vom  Elsass  bis  nach 
Böhmen,  Mähren,  Osterreich  und 
Schlesien;  weniger  zahlreich  im  mitt- 
leren Deutschland;  man  nimmt  da- 
her an,  dass  sie  grösstenteils  von 
Italien  und  Frankreich  in  Deutsch- 
land eingewandert  seien.  Ausdrück- 
lich erwähnt  werden  Juden  in  Metz, 
Köln,  Mainz,  Worms,  Speier,  Regens- 
burg, Bamberg,  Merseburg,  Magde- 
burg und  Prag. 

Jahrhunderte  lang  scheinen  die 


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460 


Juden. 


Juden  friedlich  und  ohne  sonder- 
liche Anfechtung  unter  den  Deut- 
schen gelebt  zu  haben.  Als  aber 
durch  die  Kreuzpredigt  am  Aus- 
gang des  1 1 .  Jahrhunderts  auch  die 
niederen  Volksklassen  in  Bewegung 
gesetzt  wurden  und  ungeordnete 
Scharen  durch  die  Gegenden  des 
Rheins,  des  Mains  und  der  Donau 
zogen,  verhängten  die.se  in  religiösem 
Fanatismus,  wohl  auch  durch  die 
Reichtümer  der  Juden  gereizt,  eine 
blutige  Verfolgung  über  sie:  wer 
das  Leben  wahren  wollte,  musste 
sich  taufen  lassen;  doch  kehrten  sie 
bald  wieder  zum  alten  Glauben 
zurück ,  ohne,  dass  der  Kaiser  und 
die  deutsche  Geistlichkeit  ein  Hin- 
dernis in  den  Weg  legten;  nur  der 
Papst  sprach  sich  entschieden  da- 
gegen aus. 

Seit  dem  13.  Jahrhundert  besitzt 
man  Zeugnisse  dafür,  dass  die  Juden 
des  Kaisers  Kammerknechte  genannt 
wurden;  man  bezeichnete  damit  die 
besondere  Schutzgewalt  des  Königs, 
unter  der  sie  standen  und  wofür  sie 
dem  König  ein  Schutzgeld  zahlten, 
dessen  Erhebung  aber  auch  auf 
andere,  namentlich  die  Bischöfe  als 
Herren  der  Städte,  in  welchen  siel 
wohnten,  übertragen  ist.  Die  Sage 
führte  diesen  Schutz  auf  die  Zer- 
störung Jerusalems  zurück,  wo  Jo- 
sephus  die  übergebliebenen  jüdischen 
Gefangenen  ihrer  dreissig  um  einen 
schlechten  Pfennig  verkaufte,  Kaiser 
Titus  dieselben  aber  zu  eigen  in  des 
Reiches  Kammer  geführt  haben 
sollte.  Waitz  führt  dieses  besondere 
Schutzverhältnis  auf  die  karoliu- 
gische  Zeit  zurück,  während  Slobbe 
dasselbe  erst  in  der  Zeit  Friedrich  II. 
entstehen  lässt. 

Die  Kammerknechtschaft  der 
.Juden  war  jedoch  von  geringem  Er- 
folg; seit  den  Kreuzzügen  wuchs 
die  Unsicherheit  ihrer  Stellung,  und 
die  Kaiser  selbst  beuteten  ihr  Recht 
habsüchtig  aus;  man  entwickelte 
jetzt  die  riieorie,  dass  den  Juden 
ihr  Vermögen  nur  prerario  gehöre 


und  vom  Kaiser  jeder  Zeit  wieder 
genommen  werden  könne.  Man 
zwang  sie  zuzeiten,  ihre  Privilegien 
freiwillig  herauszugeben,  oder  man 
raubte  sie  ihnen  mit  Gewalt,  um 
ihnen  für  neue  Privilegien  grosse 
Summen  zu  erpressen  oder  sie  fort- 
zujagen; namentlich  waren  die  Juden 
verpflichtet,  jeweils  bei  einem  nen- 
gcwählten  Kaiser  um  Bestätigung 
ihrer  Privilegien  einzukommen,  und 
der  Kaiser  hatte  es  in  seiner  Hand, 
ob  er  sie  überhaupt  leben  lassen 
wolle;  that  er  dieses,  was  natürlich 
immer  geschah,  so  hatte  die  Juden- 
schaft, dafür,  abgesehen  von  den 
regelmässigen  Steuern,  eine  beson- 
dere ausserordentliche  Abgabe  zu 
entrichten,  welche  den  dritten  Teil 
ihres  Vermögens  ausmachte;  Sigis- 
mund war  der  erste,  der  diese 
„Ehrung"  innerhalb  ganz  Deutsch- 
lands verlangte  und  bezog. 

Der  Judenschutz  konnte  als 
königliches  Regal  an  andere  Herr- 
schaften übertragen  werden.  In 
den  Reichsstädten  blieben  die  Ju- 
den am  längsten  unter  dem  direk- 
ten Schutze  des  Kaisers;  in  den 
bischöflichen  und  landesherrlichen 
Städten  war  es  anfangs  meist  der 
Bischof  oder  Landesherr,  auf  den 
das  Regal  übertragen  war,  und  der 
es  später  an  die  städtische  Obrig- 
keit abzugeben  pflegte;  oft  wechselte 
auch  der  Inhaber  des  Judenschutzes. 
Kaiserliche  Privilegien  zur  Gestat- 
tung einer  neuen  Judengemeiude 
werden  seit  Friedrich  II.  besonders 
an  kleinere  Herren  oder  an  kleinere, 
neu  aufkommende  Städte  erteilt,  wo- 
bei die  Zahl  der  aufzunehmenden 
Juden  und  die  Dauer  des  Privilegs 
oft  näher  bezeichnet  ist.  Das  Motiv 
der  Judenaufnahme,  oft  sind  es 
bloss  ihrer  zwei,  ist  entweder  die 
Herbeischaff ung  von  Personen  mit 
grossen  Geldsuminen,  oder  die  Er- 
werbung steuerkräftiger  Bürger. 
Mit  der  Zeit  hatten  fast  alle  Landes- 
herren und  Städte  das  Recht  er- 
halten, Juden  bei  sich  aufzunehmen; 


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Juden. 


461 


die  Juden  waren  landesherrliche 
oder  städ tische  Kammerknechte  ge- 
worden. Ihr  Domizil  ohne  Geneh- 
migung ihres  Herrn  zu  verlassen, 
war  den  Juden  nicht  gestattet. 

Waren  die  Juden  in  den  ersten 
Zeiten  des  Mittelalteis  die  eigent- 
lichen Vertreter  des  Handels,  so 
änderte  sich  dies  seit  den  Kreuz- 
zügen und  dem  Aufkommen  der 
Städte  ebenfalls.    Sie  durften  von 

t'etzt  an  nicht  mehr  den  Grosshandel 
K'treiben  und  auf  Messen  und 
Märkten  erscheinen,  sondern  blieben 
auf  den  Schacher  und  Wucher  be- 
schränkt, auf  kleine  und  grosse 
Darlehen  gegen  Zinsen  mit  und 
ohne  Pfänder,  auf  den  Ein-  und 
Verkauf  von  gebrauchten  Sachen. 
Es  hängt  dies  damit  zusammen,  dass 
die  christliche  Kirche  den  Christen 
verbot,  Geld  gegen  Zinsen  auf 
Wucher  auszuleihen;  dem  Juden 
war  der  Wucher  gestattet  und  er 
war  es,  der  ihm  trotz  der  religiösen 
Unduldsamkeit  überall  die  Thore 
der  Städte  und  Burgen  öffnete. 
Doch  wurden  oft  Bestimmungen 
erlassen,  wodurch  namentlich  uer 
Ziusfuss  für  kleinere  Darlehen  ge- 
regelt werden  sollte;  der  Zinsfuss 
schwankte  aber  im  14.  und  15.  Jahrb. 
zwischen  81%  und  86a/s  Prozent  und 
war  dem  Fremden  gegenüber  ganz 
unbeschränkt.  Auen  Ziuseszinsen 
waren  in  manchen  Fallen  gesetzlieh 
gestattet.  An  einzelnen  Orten  hielt 
man  die  Juden  für  verpflichtet,  Dar- 
lehen m  gewähren,  wenn  sie  ge- 
nügende Sicherheit  empfingen.  Die 
Pfander,  gegen  welche  Darlehen  ge- 
geben wurden,  waren  Einkünfte, 
namentlich  Zölle,  Gerichtseinkünfte, 
Zehnten,  sogar  Städte,  d.  h.  die 
städtischen  Abgaben,  Grundstücke 
und  bewegliche  Sachen,  wie  Mobilien 
und  Kostbarkeiten.  Für  den  Er- 
werb beweglicher  Sachen  bestand 
ein  besonderes  Judenrecht  in  weit 
verbreiteter  Geltung. 

Zur  Aufhebung  oder  Reduktion 
der  Forderungen  jüdischer  Gläubiger 


bediente  sich  das  Mittelalter  ver- 
schiedener Mittel.  Das  einfachste 
war,  die  Juden  totzuschlagen,  was 
durch  die  Praxis  sowohl  als  durch 
die  Theorie  geschützt  wurde,  dass 
Kaiser  und  Landesherren  nach  Ge- 
fallen über  ihr  Gut  und  Blut  ver- 
fügen durften.  Ein  anderes  Mittel 
war,  die  Forderungen  der  Juden 
für  null  und  nichtig  zu  erklären,  sie 
auf  eine  bestimmte  Quote  zu  redu- 
zieren, die  Zurückbezahlung  auf  das 
Kapital  mit  Abzug  der  Zinsen  zu 
beschränken.  Päpste,  Kaiser  und 
Landesherren  wendeten  dieses  Mit- 
tel an.  So  erlicss  während  des 
zweiten  Kreuzzuges  Papst  Eugen 
eine  Bulle,  wonach  alle  Kreuzfahrer 
an  die  Juden  keine  Zinsen  zu  be- 
zahlen brauchten;  das  gleich«*  that 
[nnocenz  III.  im  Jahr  1213,  wobei 
den  Obrigkeiten  befolden  wurde, 
dass  sie  den  Juden  jede  Gemein- 
schaft mit  den  Christen  in  Verkehr 
und  Handel  so  lange  versagen  sollten, 
bis  jene  von  ihren  Zinsforderungen 
abstehen  würden.  Von  weltlichen 
deutschen  Fürsten  werden  solche 
Zins- Niederschlagungen  seit  dem 
Beginn  des  14.  Jahrh.  erwähnt,  und 
Ludwig  der  Bayer  und  Karl  IV. 

8'ngen  in  dieser  Art  gegen  einzelne 
laubiger  vor.  König  Wenzel  führte 
dann  diese  Judenberaubung  in  syste- 
matischer und  grossartiger  Weise 
aus  und  verschaffte  nicht  bloss  den 
Schuldnern  Erleichterung  dadurch, 
sondern  er  bereicherte  einzelne 
Städte  damit  und  nameutlich  sich 
selbst.  So  liess  er  sich  1385  von 
einer  grossen  Anzahl  schwäbischer 
Städte  40000  Gulden  für  ein  Privi- 
leg zahlen,  wonach  für  länger  als 
ein  Jahr  ausstehende  Schulden  der 
vierte  Teil  der  aus  Kapital  samt 
Zinsen  zusammen  gerechneten 
Summe  erlassen  wurden,  die  ande- 
ren drei  Viertel  aber  auf  die  Städte 
als  die  neuen  Gläubiger  übergingen 
oder  es  wenigstens  vollständig  im 
Belieben  der  Städte  stand,  wieviel 
sie  von  den  Forderungen  sich  au- 


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462 


Juden. 


zueignen  für  put  fanden.  Dieser 
Schulden-Nachlass  bezog  eich  auf 
die  in  den  betreffenden  Städten  an- 
gesessenen Juden;  ein  paar  Jahre 
später  (1890)  wurden  ebenfalls  durch 
Wenzel  die  Schuldner  in  einer  An- 
zahl von  Territorien  und  Städten 
ihren  jüdischen  Gläubigern  gegen- 
über befreit,  gleichviel  ob  dieselben 
an  diesen  Orten  oder  sonstwo  im 
Reieh  ansässig  waren;  doch  fehlte 
es  gegen  solche  Ungerechtigkeiten 
nicht  an  Widerspruch  mancher 
Städteobrigkeiten,  und  es  kam  vor, 
dass  gewisse  Judenschaftcn  selbst 
ein  Privileg  erhielten,  dass  ihre 
Forderungen  auf  eine  gewisse  Reihe 
von  Jahren  hin  nicht  durch  Erlass 
getilgt  werden  sollten. 

Die  J  tulen  einer  Stadt  bildeten 
in  religiöser,  meist  auch  in  kommu- 
naler und  rechtlicher  Beziehung  eine 
eigene  Gemeinde  und  bewohnten 
ein  besonderes  Stadtviertel.  Die- 
selbe stand  unter  eigener  Obrigkeit, 
dereu  Rechte  und  Befugnisse  jedoch 
sehr  verschieden  waren.  Soweit  die 
Kompetenz  des  jüdischen  Richters 
reichte,  soweit  reichte  auch  die  Herr- 
schaft des  jüdischen  Rechtes,  und 
zwar  erstreckte  sich  die  jüdische 
Gerichtsbarkeit  nicht  bloss  auf  Civil- 
streitigkeiten ,  sondern  auch  auf 
Kriminalsachen  in  weiterem  oder 
geringerem  Umfange.  Für  Streitig- 
keiten zwischen  Juden  undChüsten 
gab  es  au  manchen  Orten  auch  ge- 
mischte Gerichte.  In  manchen 
Städten  waren  die  Juden  unter  die 
Herrschaft  des  Rats  gekommen,  in 
andern  einem  besonderen  kaiser- 
lichen oder  landesherrlichen  Be- 
amten, meist  dem  Kämmerer,  der 
der  Kammer,  d.  h.  den  Finanzen 
vorstand,  unterworfen.  Vgl.  (lengler. 
Deutsche  Stadtrechts  -  Altertümer 
1H.V2.  Cap.  7.  Die  Juden— Wohn- 
pläfze. 

Eine  Gesamtverfassung  der  deut- 
schen Juden  gab  es  nient;  rabbi- 
nische  Synoden,  die  in  Frankreich 
seit  dem  12.,  in  Deutschland  seit 


dem  13.  Jahrhundert  vorkommen, 
waren  Privatunternehmungen. 

Im  Gerichtsverfahren  war  der 
Jude,  soweit  es  den  Zeugenbeweis 
anbelangt,  iedem  andern  Fremden 
gleichgestellt ;  dagegen  wandte  man 
gegen  ihn  andere  Beweismittel  an, 
denen  sonst  nur  Leibeigene  unter- 
lagen: man  unterwarf  ihn  den 
Gottesurteilen  und  der  Tortur,  frei- 
lich erst  im  späteren  Mittelalter; 
noch  Heinrich  I V.  hatte  es  verboten, 
Juden  zum  Gottesurteil ,  heissem 
oder  kaltem  Wasser  zu  zwingen,  sie 
zu  geissein  oder  einzusperren.  Auch 
wurde  der  Jude  später,  obgleich 
das  Tragen  der  Waffen  ihm  ver- 
boten war,  zum  Zweikampfe  genötigt. 
Der  Judeneid  wurde  mit  hässlichem 
Raffinement  ausgebildet,  sowohl  was 
die  Worte  betrifft,  die  der  Jude  zu 
sprechen  hatte,  als  in  Rücksicht  auf 
seine  Kleidung  und  sein  sonstiges 
Verhalten  während  des  Schwüre*. 
Schon  in  karolingischen  Judenge- 
setzen hiesses:  „Streue  Sauerampfer 
zweimal  vom  Kopf  aus  im  Umkreis 
seiner  Füsse;  wenn  er  schwört,  soll 
er  da  stehen  und  in  seiner  Hand 
die  fünf  Bücher  Mosis  halten,  ge- 
mäss seinem  Gesetz,  und  wenn  man 
sie  nicht  in  hebräischer  Sprache 
haben  kann,  so  soll  er  sie  lateinisch 
haben."  Der  Schwabenspiegel  aber 
bestimmt:  Er  sol  uf  einer  suire  hüte 
stan  unde  su In  diu  Jiunf  buehern 
Moust/  vor  im  ligen,  unde  sol  im  diu 
rehfe  haut  in  dem  buoelie  ligen  unz 
an  daz  risfe,  d.  h.  bis  ans  Gelenk; 
nach  anderen  Vorschriften  sollte  der 
Jude  auf  nacktem  Körper  einen 
grauen  Rock  und  Hosen  ohne  Vor- 
füsse  anhaben,  einen  spitzen  Hut 
auf  dem  Rock  tragen  und  auf  einer 
in  Lammblut  getauchten  Haut  stehen. 
Die  älteste  Formel  des  von  den 
fränkischen  Königen  aufgestellten 
Judeneides  lautete:  „So  wahr  mir 
Gott  helfe,  der  Gott,  welcher  Moses 
»las  Gesetz  auf  dem  Berge  Sinai 
gab;  möge  mich  der  Aussatz  ver- 
schonen, der  über  Naeman  und  Siri 


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Juden. 


463 


kam;  möge  mich  die  Erde  verSehlin- 
gen, wie  sie  Dathan  und  Abiron 
verschlang;  ich  habe  in  dieser  Sache 
nichts  Böses  gegen  dich  verschuldet." 
In  deutscher  Sprache  ist  eine  er- 
weiterte Formel  erhalten,  die  vom 
Erzbischof  Konrad  von  Mainz,  1160 
bis  1200,  ausgearbeitet  wurde;  sie 
heisst  Erfurter  Judeneid ,  u.  a.  ab- 
gedruckt bei  Müllcnhojf  und  Scherer, 
Denkmale  deutscher  Prosa. 

Obgleich  im  ganzen  als  Prinzip 
galt,  dass  ein  Jude  nicht  anders  als 
ein  christlicher  Verbrecher  büssen 
sollte,  wurden  doch  an  vielen  Orten 
die  Strafgelder  für  Juden  höher  an- 
gesetzt und  Leibes-  und  Lebens- 
strafen an  ihnen  schimpflicher  voll- 
zogen. So  setzte  man  dem  Juden, 
der  zur  Strafe  des  Galgens  verur- 
teilt war,  an  manchen  Orten  einen 
Judeuhut  mit  brennendem  Pech  aufs 
Haupt,  hing  ihn  ausserhalb  des 
Galgens  an  einem  Balken,  oder 
zwischen  zwei  wütenden  Hunden, 
oft  mit  dem  Kopf  nach  unten,  auf. 
Zu  den  weltlichen  Strafen  konnten 
besondere  jüdische  Strafen  hinzu- 
treten, namentlich  der  Bann,  den 
der  Judenbischof  oder  Rabbiner  aus- 
sprach; auch  der  kaiserliche  und 
der  kirchliche  Bann  wurde  zuweilen 
über  Juden  verhängt. 

Die  soziale  Lage  der  Juden  war 
im  Mittelalter  überhaupt  eine  sehr 
niedrige.  Kirche  und  Staat  erklärten 
den  tTbertritt  vom  Christentum  ins 
Judentum  für  ein  weltliches  Ver- 
brechen, während  man  durch  Dro- 
hungen und  Gewalt  den  Übertritt 
der  Juden  zum  Christentum  erzwang, 
das  letztere  zwar  stets  gegen  das 
öffentliche  Kecht;  die  juden  sol  nie- 
man  tirinrjen  zer  crittenheit  unde  ze 
cristenem  (jelouben,  heisst  es  im 
Schwabenspiegel.  Besonders  hatte 
es  die  Geistlichkeit  darauf  abge- 
sehen, Judenkinder  ohne  Wissen 
und  Willen  ihrer  Eltern  zu  taufen. 
Missiouspredigten  für  Juden,  zu  denen 
man  diese  zwang,  kamen  nament- 
lich seit  dem  Baseler  Konzil  auf. 


Regelmässig  besassen  die  Judeu- 
gemeinden  ihre  Synagoge,  deren 
Unverletzlichkeit  oft  durch  geist- 
liche und  weltliche  Privilegien  ge- 
schützt war.  Manche  Synagogen 
sind  nach  den  Verfolgungen  in 
christliche  Kirchen  verwandelt,  ver- 
kauft oder  geschlossen  worden.  Einen 
Kirchhof  besass  nicht  jede  Jnden- 
gemeinde;  manche  Gemeinden  sahen 
sich  genötigt,  ihre  Leichen  auswärts 
auf  einem  fremden  Judenkirchhofe 
zu  bestatten.  Schon  im  frühen 
Mittelalter  war  dem  Juden  verboten, 
sich  vom  grünen  Donnerstage  bis 
zu  Ostern  auf  den  Strassen  und 
Märkten  sehen  zu  lassen.  Ihren 
eigenen  Gottesdienst  sollten  sie  an 
ihren  Festtagen  nicht  öffentlich  be- 
gehen, am  h  reitage  den  ganzen  Tag 
über  Thüren  und  Fenster  geschlossen 
halten.  So  hatte  seit  ältester  Zeit 
die  Kirche  ihren  Angehörigen  ver- 
boten, mit  den  Juden  zusammen  zu 
speisen.  An  vielen  Orten  erhielten 
sie  besondere  Fleischbänke  und 
war  es  den  Christen  verboten,  von 
den  Juden  geschlachtetes  Fleisch 
zu  kaufen.  So  mussten  die  Juden 
eigene  Brothäuser  unterhalten. 
Christliche  Sklaven  und  Dienstboten 
zu  halten,  verbot  zwar  die  Kirche 
den  Juden,  doch  kam  es  häufig  vor. 
Die  drückendste  Vorschrift  für  die 
Juden  war  eine  besondere  Juden- 
tracht, deren  eine  schon  die  Araber 
für  ihre  Juden  eingeführt  hatten. 
Innocenz  III.  gebot  1215,  dass  alle 
Juden  und  Jüdinnen  in  der  ganzen 
Christenheit  sich  durch  ihre  Klei- 
dung von  andern  Nationen  unter- 
scheiden sollten ;  doch  verging  längere 
Zeit,  bis  in  Deutschiana  das  Gebot 
durchgeführt  war.  Im  14.  und  15. 
Jahrhundert  trugen  die  deutschen 
Juden  einen  gehörnten,  spitzen  Hut 
von  gelber,  blauer  oder  roter  Farbe. 
Die  gelben  und  roten  Ringe,  «lie 
radförmigen  Abzeichen  auf  ihren 
Kleidern,  Brust  oder  Rücken,  bei 
Frauen  auf  ihren  Schleiern,  wie  sie 
anderorts  seit  dem  13.  Jahrhundert 


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464 


Juden. 


getragen  wurden,  kamen  in  Deutseh- 
land erst  seit  dem  15.  Jahrhundert 
in  Gebrauch. 

Die  Judenviertel  der  Städte 
waren  manchmal,  z.  B.  in  Köln, 
Regensburg  und  Frankfurt  a.  M., 
von  der  übrigen  Stadt  durch  Mauern 
und  Thore  getrennt.  Die  Häuser 
selbst  standen  im  Eigentum  der 
Juden  und  auch  Landgüter  haben 
sie  im  Mittelalter  in  vielen  Gegen- 
den besessen;  erst  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert wurde  ihnen  der  Ankauf 
weiteren  Grundbesitzes  meist  unter- 
sagt. 

War  es  /.war  von  Kirche  und 
Staat  häufig  untersagt  worden,  dass 
man  Juden  öffentliche  Ämter  über 
Christen  einräume,  so  wurden  sie 
nichtsdestoweniger  oft  als  Finanz- 
verwaltcr  berufen;  so  s»  lbst  von 
Papst  Alexander  III.;  Herzog  Hein- 
rich IV.  von  Schlesien  (1296-1335) 
hatte  einen  Juden  Salomon  seinem 
Hofhalt  und  seiner  Küche  vorgesetzt. 
Noch  häufiger  werden  Juden  als 
Arzte,  namentlich  auch  als  Leib- 
ärzte geistlicher  und  weltlicher 
Fürsten  verwendet;  schon  inero- 
wingischc  Schriftsteller  erwähnen 
ihrer;  Kaiser  Konrad  EL  hatte  einen 
jüdischen  Leibarzt,  und  ein  Würz- 
burger Bischof  erteilte  1419  der 
Jüdin  Sara  die  Erlaubnis,  in  seinem 
Bistum  überall  die  Arzneikunde  aus- 
zuüben. 

Die  erste,  aber  nur  lokale  Juden- 
verfolgung in  Deutschland  fand  1012, 
also  noch  vor  den  Kreuzzügen  statt, 
sie  hängt  ohne  Zweifel  mit  der 
durch  die  Cluniacenser  und  Cister- 
zienser  verbnuteten  Reform  des 
kirchlich-religiösen  Lebens  zusam- 
men; Kimig  Heinrich  II.  vertrieb 
damals  aus  religiösen  Motiven  die 
Juden  aus  Mainz.  Eine  allgemeine 
blutige  Verfolgung  der  Juden  brachte 
erst  der  erste  Kreuzzug  mit  sich, 
und  zwar  in  den  Städten  längs  der 
Donau  und  des  Rheins,  zu  Trier, 
Speier,  Worms,  Mainz,  Köln,  Regens- 
burg,   Prag.    Eine  Wiederholung 


brachte  der  zweite  Kreuzzug,  als 
der  Papst  die  Kreuzfahrer  von  allen 
Judenschulden  befreit  erklärte  und 
Peter  von  Clugnv  in  Frankreich, 
um  mehr  Mittel  für  den  Kreuzzug 
zu  gewinnen,  die  Juden  wenn  auch 
nicht  zu  t'iten,  so  doch  ihres  in 
schmählicher  Weise  erworbenen  Ver- 
mögens zu  berauben  riet.  Hatten 
sich  bei  der  Verfolgung  währeud 
des  ersten  Kreuzzuges  Bürger  und 
Fürsten  noch  meist  dem  Pöbel 
gegenüber  auf  Seite  der  Juden  ge- 
stellt, so  machten  die  Bürger  jetzt 
mit  den  Verfolgern  gemeinsame 
Sache,  nur  einzelne  Fürsten  waren 
bereit,  die  Juden  in  ihren  Burgen 
zu  schützen. 

Im  12.  und  13.  Jahrhundert 
kamen  zahlreiche  lokale  Verfolgungen 
vor,  bei  denen  es  mehr  auf  die  Be- 
raubung als  Bekehrung  der  Juden 
abgesehen  war.  Man  gab  den  .luden 
schuld ,  sie  töteten  Christenkinder 
und  verwendeten  ihr  Blut  beim 
Passahfest,  eiu  Vorwurf,  der  in 
Frankreich  schon  1171  eine  grau- 
same Verfolgung  hervorrief.  Kai- 
ser Friedrich  II.  berief  viele  ge- 
lehrte Männer  und  legte  ihnen  die 
Frage  vor,  ob.  wie  das  Gerücht 
ginge,  die  Juden  wirklich  bei  ihren 
religiösen  Gebräuchen  Christenblut 
nötig  hätten;  wäre  das  der  Fall,  so 
wolle  er  alle  Juden  in  seinem  Reiche 
verderben;  die  Antwort  lautete,  man 
könne  nichts  darüber  erfahren.  Seit- 
dem wucherte  jener  Aberglaube 
weiter,  und  es  nützte  nichts,  dass 
Innocenz  IV.  in  einer  Bulle  von 
1247  die  Juden  in  Schutz  nahm  und 
alle  ferneren  Verfolgungen  verbot. 
Nachdem  vereinzelte  Verfolgungen 
fast  jedes  Jahr  aufgetreten  waren, 
wälzte  sich  1298  ein  neuer  Sturm 
unter  Anführuu^  des  fränkischen 
Edelmannes  Rindfleisch  von  Ort  zu 
Ort;  die  Veranlassung  war  eine 
angebliche  Hostienschändung.  An- 
dere schwere   und   blutige  Verfol- 

fungen  wüteten  im  Elsass.,  Franken, 
chwaben,  Bayern  und  Österreich 


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Julfest.  —  hvein. 


465 


von  1336  bis  1338;  noch  allgemeiner 
waren  die  Verfolgungen  von  1348 
und  134'J  bei  Anlass  aes  schwarzen 
Todes,  als  es  allgemein  hiess,  die 
Juden  hätten  die  Brunnen  vergiftet, 
und  auch  jetzt  fruchteten  die  Worte 
des  Papstes  und  des  Kaisers  zu 
Gunsten  der  Juden  nichts;  Obrig- 
keiten, die  sich  ihrer  annahmen, 
Warden  abgesetzt,  die  Schulden  ver- 
nichtet, die  Pfänder  und  Schuld- 
briefe abgenommen,  ihr  bares  (»cid 
unter  die  Handwerker  verteilt,  viele 
Juden  getötet.  Wenige  Jahre  nach- 
her bemühten  sich  die  Kurfürsten 
doch  wieder  um  das  Recht  der 
Judeuaufnahme  und  erhielten  es  in 
d<  r  goldenen  Hülle;  die  Juden  er 
holten  sieh  und  sammelten  neue 
Sehätze,  bis  in  den  achtziger  Jahren 
neue  Juden-Krawalle  begannen. 

Seit  dein  Beginn  des  lö.  Jahr- 
hunderts begannen  dann  die  Ver- 
treibungen der  Juden  auf  den  Be- 
Bchltiss  der  Obrigkeiten;  so  wurden 
si"  14*20  aus  Mainz  und  Österreich. 
1424  aus  Freiburg  im  Breisgau  und 
Zürich.  142«  aus  Köln,  1432  aus 
Sachsen,  1435  aus  Speier  und  wie- 
der aus  Zürich,  143.S  wieder  aus 
Mainz.  1 4 3i>  aus  Augsburg,  Ii 50  aus 
Bayern  vertrieben.  Seitdem  hatten 
sie  in  einem  grossen  Teile  Deutsch- 
lands gar  keine  feste  Niederlassung 
mehr  und  durften  nur  gegen  ein 
bestimmtes  Geleitgeld  hindurch- 
ziehen oder  ihres  Handels  wegen 
ein  paar  Stunden  oder  Tilge  sich 
aufhalten;  so  blieb  es  bis  in  die 
Zeit  der  Aufklärung  und  der  fran- 
zösischen Revolution.  Nach  Stobbe. 
Die  Juden  in  Deutsehland  wählend 
des  Mittelalters.  Braunschweig  1^6G. 
Das  Hauptwerk  über  die  Geschichte 
der  Juden  ist  (trotz,  Geschichte  der 
Juden. 

Julfest,  siehe  Feste,  weltliche. 

Junker«  mhd.  juac-herre,  jttne 
Jterre,  dann  junkher,  im  16.  Jahr- 
hundert gewöhnlich  Junker,  bezeich- 
net als  Gegensatz  zu  altherre  zu- 
nächst den  Sohn  aus  adligem  Ge- 

Reallexicou  der  deu:*cben  A.ttr.umcr. 


schlecht,  gegenüber  dem  als  Senior 
fungierenden  Vater,  und  wechselt 
mit  Knabe  und  Knecht.  Später 
geht  die  Bezeichnung  als  Titel  auch 
auf  unadelige  Kreise  über,  zunächst 
auf  hervorragende  städtische,  als 
Sohn  des  ge werbtreibenden  Bürgers 
und  Kaufmanns;  in  Hamburg  heisst 
so  der  jüngste  Bäckerknecht.  Da 
der  Teufel  gern  in  edehnüunischer 
Kleidung  beschrieben  wird,  heisst  er 
oft  ebeufalls  Junker. 

Iwein  ist  der  Name  eines  Hel- 
den aus  dem  Sagenkreise  des  Artus 
und  zugleich  des  vollendetsten  epi- 
scheu Gedichtes  von  Hartman  von 
Aue,  das  nach  einem  altfranzüsisehen 
Gedichte  des  L'hretien  de  Trupes  ge- 
dichtet wurde.  Unter  den  kittein 
am  Hofe  des  Königs  Artus  erwähnt 
einer  des  Zauberbrunuens.  wo  der 
König  des  Waldes  herrsche.  Iwein 
fühlt  sieh  aufgelegt,  mit  diesem 
ein  Abenteuer  zu  bestehen,  und  es 
gelingt  ihm,  ihn  zu  be-i-gen  und 
bis  in  seine  Burg  zu  verfolgen. 
Hier  jedoch  hatten  ihn  des  Königs 
Diener  umg'  bracht,  wenn  nicht  Lu- 
nete.  eine  Jungfrau  der  Königiu 
Laudine,  ihn  durch  einen  Zauber 
ring  unsichtbar  gemacht  hatte.  Ent- 
zückt von  Laudiucns  Schönheit,  de- 
ren Gemahl  unterdessen  gestorben 
war,  wirbt  Iwein  um  ihre  Liebe 
und  wird  erhört.  Als  der  König 
Artus  mit  andern  Kittern  gleich- 
falls zum  Zauberbrunnen  kommt, 
verlässt  Iwein  seine  Laudine  mit 
dem  Versprechen,  in  Jahresfrist 
wieder  zurückzukehren.  Da  dieses 
nicht  geschieht,  verwandelt  sich 
Laudiucns  Liebe  in  Zorn,  und  Iwein 
wird  bei  seiner  späteren  Ankunft 
hart  von  ihr  abgewiesen.  Von 
dem  Wahnsinn,  in  den  er  darüber 
verfällt,  wird  er  durch  drei  Frauen, 
die  ihn  im  Walde  liegend  rinden, 
durch  eine  Zaubersalbe  geheilt.  Von 
neuem  zum  Leben  gerufen,  voll- 
führt er  herrliche  Ritterthateu,  über- 
windet einen  Drachen,  der  mit  einem 
Löwen  kämpft,  und  vollfuhrt  mit 

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4G6 


Ka-dmon. 


des  letzteren  Hilfe  neue  Helden- 
thaten.  In  die  Gegend  des  Zauber- 
brunnens durch  seine  Abenteuer 
zurückgeführt,  befallt  ihn  die  Er- 
innerung an  sein  verlorenes  Glück 
mit  solcher  Macht,  das  er  besinnungs- 
los vom  Pferde  stürzt.  In  der  nahen 
Kapelle  hört  eine  gefangene  Jung- 
frau «Ion  klagenden  Kitter:  es  ist 
Lunete,  die  dafür,  dass  sie  ihren 
Herrn  zu  nehmen  geraten,  aber  sie 
böslieh  verlassen  hatte,  am  nächsten 
Morgen  verbrannt  werden  soll .  es 
wäre  denn,  dass   sich   ein  Kitter 


fände,  der  für  sie  kämpfen  wollte. 
Iweiu  thut  dieses,  wobei  ihm  der 
Löwe  hilfreich  beisteht.  Aber  noch 
wagt  er  nicht,  um  die  Liebe  seiner 
Gemahlin  zu  werben,  und  erst  nach- 
dem er  im  ritterlichen  Kampf  tur 
die  bedrängte  Unschuld  über  zwei 
Kiesen,  die  zweihundert  Jungfrauen 
gefangen  hielten,  über  Gawein,  der 
einer  ungerechten  Sache  sein  Schw  ert 
geliehen,  goiegt  hat,  kehrte  er  zum 
Zauberbrunnen  zurück,  wo  ihm  Lu- 
nete seiner  Gattin  Huld  wiederzu- 
gewinnen hilft. 


Ka'dmoii  wird  von  Beda  in  der 

Hittoria  ecdeiiasfica  genfU  Angl* 
rinn  lih.  IJ~  <•/■/>.  'Ji  ein  Mann  ge- 
nannt, der  in  der  zweiten  Hälfte 
des  siebenten  Jahrhunderts  in  der 
Nähe  des  Klosters  Streomeshalh 
oder,  mit  dänischem  Namen  Whitby 
in  Northumbrien  lebte  und  als  der 
erste  angelsächsische  Dichter,  dessen 
Namen  wir  kennen,  betrachtet  wer- 
den kann.  Beda  erzählt  von  ihm, 
dass,  als  er  im  Viehstall,  den  er 
bewachen  mus-te,  übernachtete,  im 
Traume  eine  himmlische  Stimme  ihn 
aufgefordert  habe  die  Schöpfung 
der  Welt  zu  besingen.  Durch  dieses 
Gesicht  wurde  der  einfache  Mann, 
dem  früher  «lie  Gabe  des  Gesanges 
vollständig  versagt  war.  so  begeistert, 
dass  er  in  die  "Worte  ausbrach: 

..Nun   sollen   wir   preisen  des 

Himmels  Wächter, 
Des  Schöpfers  Macht  und  seine 

Herzensgedanken. 
Die  Herrlichkeit  Gottes,  wie  zu 

jedem  der  Wunder 
Der  ewige  Herr  den  Anfang  legte. 
Er  schuf  zuerst  den  Kindern  der 

Erde 

Den  Himmel  zum  Dache,  der  hei- 
lige Schöpfer, 


Dann  denMittelkreisdes  Menschen- 
geschlechtes Hüter. 
Der  ewige  Herr  schuf  nachher 
Für  die  Renschen,  die  Erde,  der 
allmächtige  Gebieter.'* 

So  war  Ka  dmou  über  Nacht  ein 
Dichter  geworden  und  die  Xbtissiu 
Hilda  des  Klosters  Streomeshalh 
nahm  ihn  in  das  Kloster  auf  und 
Hess  ihn  unterrichten  in  der  bibli- 
schen Geschichte.  Alles,  was  er  da 
hörte  und  lernte,  verarbeitete  er  nun 
im  Gedichte.  ..So  dass  er  sang," 
wie  Beda  sagt,  „von  der  Schöpfung 
der  Welt  und  dem  Ursprung  des 
Menschengeschlechtes  und  die  ganze 
Geschichte  der  Genesis:  von  dem 
Auszuge  Israels  aus  Ägypten  und 
dem  Einzüge  in  das  gelobte  Land; 
von  vielen  anderen  Geschichten  der 
heiligen  Schrift;  von  der  Fleisch- 
werdung  des  Herrn,  dem  Leiden, 
der  Auferstehung  und  der  Himmel- 
fahrt: von  der  Ankunft  des  heiligen 
Geistes  und  der  Predigt  der  Apostel: 
auch  von  dem  Schrecken  des  künf- 
tigen Gerichtes,  von  dem  Graus  der 
Höllenstrafe  und  der  Süssigkeit  des 
himmlischen  Reichs  machte  er  viele 
Lieder,  aber  auch  gar  manche  über 
die  Gnade  und  Gerichte  Gottes;  in 


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Kaffee.  —  Kaisersage.  467 


allen  aber  trachtete  er  die  Men-  in  Hamburg  1687,  in  Nürnberg  1696, 
sehen  von  der  Liebe  zur  Sünde  ab-  in  Augsburg  1713  Kaffeehäuser  er- 
zuziehen und  für  die  Tugend  zu  ent-  richtet. 

flammen."  Kaiser,  siehe  König  und  Kaiser. 

Obwohl  dieser  Darstellung  nach  Kaiserchronik  heisst  eine  in  der 
K:v*dmon  ein  ausserordentlich  tVucht-  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  verfasste 
barer  Dichter  hätte  sein  müssen,  Geschichte  der  römischen  Kaiser 
so  können  wir  d<»ch  ausser  dem  von  Julius  Cäsar  bis  Konrad  III. 
kurzen  mitgeteilten  Hymnus  twel-  Der  unbekannte  Verfasser,  seines 
eher  sich  in  lateinischer  Übersetzung  Standes  ein  adeliger  Kleriker,  hat 
an  der  oben  angeführten  Stelle  von  es  dabei  weniger  auf  Geschichte  als 
Bedas  Kirchengesihiehte.  dann  iru  auf  die  Erzählung  der  Thaten  rühm- 
Original  in  northumbrischer  Sprache  lieber  Helden  in  Kirche  und  Staat 
am  Ende  einer  alten  Handschrift  abgesehen  und  in  unglaublieh  ver- 
der  llistoria  eeelesiaxfica  und  end-  wirrter  Weise  historische  Naehrieh- 
licb  in  den  westsächsischen  Dialekt  ten  mit  Legenden  und  Fabeln  bunt 
übertragen  in  .Klfreds  Übersetzung  zusammengemischt,  zum  Teil  ver- 
der  Kireheugeschichte  sich  findet  i  anlasst  durch  die  einzelnen  Quellen, 
aus  der  ziemlich  reichhaltigen  geist-  aus  denen  er  schöpfte;  der  Abschnitt 
liehen  Litteratur  der  Angelsachsen  von  Julius  Cäsar  und  den  Deut- 
kein  Werk  mit  Sicherheit  un-  sehen  ist  fast  wörtlich  aus  dein 
serem  Dichter  zuweisen.  Ein  ein-  Annoliede  genommen:  einzelne  Le- 
ziges  will  ten  Brink  in  seiner  eng-  genden,  wie  die  von  der  heiligen 
lischen  Litteraturgeschichtc  Bd.  I  Orescentia,  lassen  sich  ohne  weite- 
pag.  öl  mit  dem  Namen  Kadmon  res  von  dem  übrigen  Texte  lösen, 
in  Verbindung  gebracht  wissen  und  Das  Werk  wurde  bis  ins  späte 
zwar  die  angelsächsische  Genesis.  Mittelalter  einer  Menge  von  Profau- 
von  welcher  ten  Brink  es  durchaus  Chroniken  zu  Grunde  gelegt  und 
denkbar  hält,  dass  uns  in  ihr  ein  erhielt  Fortsetzungen  bis  zu  Rudolf 
fragmentarisch  und  lückenhaft  über-  von  Habsburg.  Ausgaben  von  Die- 
liefertes,  im  einzelnen  vielfach  ver-  met'  und  von  Ma#.tnntn>i. 
derbtes,  sprachlich  erneuertes  und  Kaisersage.  Die  in  Deutsch- 
modifiziertes Werk  Kadmons  vor-  land  weit  verbreitete  Sage  von 
liege.  Das  in  Sprache  und  Dar-  Kaisern,  die  in  Bergen  schlafen,  ist 
Stellung  uns  entgegentretende  hohe  mythischen  Ursprungs.  EsistWodan. 
Alter  der  Dichtung,  welche  ein«'  der  milde,  segnende  Gott,  der  die 
poetische  Paraphrase  der  Genesis  Frucht  des  Ackers  spendete  und 
bis  zum  Opfer  Abrahams  ist,  ebenso  nun  im  Winter,  wenn  sein  wohl- 
entsprechende Ausdrucksweisen  und  thuendes  Walten  sich  nicht  bewähren 
Wendungen  wie  im  Hymnus  lassen  kann,  tot  oder  verzaubert  einschläft, 
sich  als  Beweise  für  ten  Brinks  Im  Wolkenberge,  in  der  Wolken- 
Annahme  aufstellen.  bürg,  welche  dann  geschlossen  ist 

Kaffee,  der  Name  aus  arab.  I  ah-  und  nicht  befrachtenden  Regen,  son- 
vah,  kam  in  der  ersten  Hälfte  des  dern  nur  eisigen  Schnee  zur  Erde 
17.  Jahrhunderts  nach  Italien,  ein  sendet,  träumt  er  mit  seinem  ganzen 
halbes  Jahrhundert  später  nach  Totenheere  dem  Frühlinge  entgegen. 
Frankreich.  Das  erste  europäische  Dieser  Mythus  lokalisierte  sich  und 
Kaffeehaus  wurde  1652  in  London  ging  in  die  Gestalten  der  Lieblings- 
errichtet, wo  es  als  Virginia  CoJJ'ee-  neiden  des  Volkes  über.  An  vielen 
ht/uxe  noch  heute  besteht.  Das  erste  Orten  Deutschlands  erzählt  man  sich, 
Pariser  Kaffeehaus  stammt  aus  dem  im  Berge  sitze  ein  verzaubertes 
Jahre  U»G9,  in  Wien  wurden  16*3,  Kriegsheer  und  schlafe,  an  seiner 

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4G8  KalanJe. 


Spitze  ein  Fürst  oder  Kaiser.    So  stand  dieser  Baum  in  Tauris.  vor 
schläft  Kaiser  Karl  der  Grosso  im  Alters  in  Susa,  anderen  Orientalen 
Desenberge  bei  Marburg,  in  der  Burg  im  Hain   Mainre.    In  älterer  Zeit 
Herstalla  an  der   Weser,   in   der  I  hicss  es,  bei  der  AVeit  Ende  werde 
Karleburg  bei  Lohr  am  Spessart,  Kaiser  Friedrich,    von    dein  man 
im  Trautberge  und  Donnersberge  nieht  wisse,  ob  er  noch  lebe  oder 
in  der  Pfalz.   Im  Sudeinerberge  bei  gestorben  sei,  wieder  auferstehen. 
Goslar   ruht  Kaiser  Heinrich  der  Er  hängt   seinen  Schild  an  einen 
Vogler  verwünscht.  Otto  der  Grosse  dürren  Baum,  der  grünt  aufs  neue 
sitzt  verzaubert  im  Kyffhäuser  bei  und  der  Kaiser  gewinnt  das  heilige 
Tille  la.  der  alten  Pfalz  des  sächsi-  Grab  wieder  aus  den  Händen  der 
scheu  Kaiserhauses;  spater  hat  die  Türken.    Am  Unterberge  erzählte 
Volkssage  Otto  den  Grossen    mit  man:   Hat  Kaiser  Friedrichs  Bart 
Friedrich  Barbarossa  vertauscht,  der  die  dritte  Tischecke   erreicht,  so 
aber  fälschlich  für  Friedrich  II.  ge-  tritt  das  Weltend«'  ein,  der  Anfi- 
setzt  war;  denn  von  letzterem  glaubte  christ  erscheint,  die  Engelsposauuen 
das  Volk,  er  sei  nicht  tot,  er  werde  ertönen  und  auf  dem  M'ufxt rfetde 
wiederkommen,  um  den  unfertigen  wird  «'ine  blutige  Schlacht  geschlagen. 
Kampf  mit  den  Pfaften  auszukämpfen.  l>a  steht  ein  dürrer  Birnbaum,  der 
Uber  dieses  historische  Moment  der  schon   dre  mal   umgehauen  wurde, 
Kaisersage   siehe    \  o'ujf  in   Sybels  .-eine  Wurzel  schlug:  immer  wieder 
historischer  Zeitschr.,  Bd.  26,   und  aus.    Hi<  r    hangt    Kotbart  seineu 
Ritzte,-  in   Bd.  22.  J.   Jla«**aery  \  Schild  auf,   alles  wird  hinzulaufen 
Uusere  Kaisersage.   Beil.            Im  und  ein  solches  Blutbad  sein,  das» 
Kyffhäuser,  erzahlt  nun  die  Sage,  den    Kriegern    das    Blut    in  die 
sitzt  der  Kaiser  in  einer  uut«rirdi-  Schuhe  rinnt.   Da  werden  die  bösen 
sehen  Höhle  mit  allen  seinen  Kittern  von  den  guten  Menschen  erschlagen 
und   Knappen    um   einen   grossen  werden.    Uber  alle  deutsehen  Gaue 
Tisch,    durch   den    sein   Bart   ge-  hat  sieh  diese  Sage  verbreitet.  Nach 
w  achsen  ist.    Kund   umher  stehen '  Jfannkard',  Göttermythen.  S.  135  ff. 
zahllose  Pferde  und  rasseln  mit  den  Ralumlc,  Kalandsbrüdcr,  hiesa 
Ketten,  sodass  es  einen  gewaltigen  eine  im  13. Jahrhundert  entstandene, 
Lärm  giebt;  in  den  Krippen  aber  über  Nord  und  Süddeutschland  ver- 
liegt kein  Heu.  sondern  grosse  Dorn-  breitete  Brüderschaft,  auch  Kittender- 
Wasen.    An   den  Wänden    is'    der  fterreu,  J'ru/reg  (.'tilendarii  genannt, 
kostbarste  Wein  in  grossen  uralten  w  eil  sie unter  priesterlicher  Leitung 
Fässern  aufgespeichert,  und  obgleich  sich   regelmässig  am    ersten  Tag 
es    eine    unterirdische   Grotte    im  eines  Monats,  C'otendh,  versammelte. 
Berge  ist,  kann  man  daselbst  doch  Ihr  Zweck  war  Veranstaltung  ge- 
die    grösste   Herrlichkeit   schauen,  meinschaftlicher  Andaehtsübungen 
Ebenso  berühmt  ist  der  Internlery  und    Feste,     gegenseitige  Unter- 
bei  Salzburg  als  Sitz  des  schlafen-  Stützung    und    Verrichtung  guter 
den  Karls  des  Grossen  oder  Fried-  Werke,  namentlich  Fasten  und  Ai- 
rich Barbarossas,                           j  niosenspendung,   feierliche  Beerdi- 
Mit  den  Sagen  vom  schlafenden  gung  ihrer  Mitglieder  und  Abhalten 
Kaiser-   und  Geisterheer  hat  sich  der  für  die  letzteren  bestimmten 
eine  seit  de  u  14.  .Jahrhundert  be-  Seelenmessen.      Die  Gesellschaft 
hauptete  orientalische  Tradition  ver-  konnte   aus   geistlichen   und  Welt- 
bünden, wonach  ein  Hcerfurst  Herr  liehen  Personen,  aus  Männern  und 
der  Welt  werde,  dem  es  gelinge,  an  Frauen  bestehen;  der  Vorstand  hiess 
einen  gew  issen  dürren  JJamn  seinen  Dechant,  unter  welchem  der  Käui- 
Scküd  aufzuhängen.    Den  Tataren  merer  oder  Kassenverwalter  stand. 


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Kalender.  469 


Die  Oberaufsicht  führte  der  Bischof  Monatstagc  eintreffen,  welchem  diese 
des  Sprenkels,  der  sie  auch  bestätigte.  Zahl  beigesetzt  ist.  Ein  Monats- 
Mit  der  Zeit  wurde  die  Abhaltung  kalender  mit  einem  solchen  Buch- 
monatlicher  Festessen  die  Hauptan-  staben-  und  Zahlen  Verzeichnis  heisst 
Gelegenheit  dieser  Gesellschaften,  ein  immerwährender  ijulianischer) 
Vgl.  die  Art.  Brüderschaft  und  Zunft-  Kalender:  vermittelstdesselben  findet 
und  Gildenwesen.  man  für  jedes  beliebige  Jahr,  sobald 
Kalender,  mhd.  holender*  ko-  man  dessen  Sonntagsbuchstaben 
fender,  aus  dem  mittellateinischen  nebst  der  Ziffer  des  H*jahrigenCyklns 
der  ra/r)nl(rrtn.sod(>ri\{\sriiJf>)ir?(iriitm,  kennt,  den  Wochentag  jedes  Datums 
Ableitung  von  dem  lateinischen  und  alle  Neumonde  «tas  Jahr  hin- 
Plural  calendae  =  erster  Monatstag,  durch.  Aus  den  letzteren  folgt  zu- 
vom  lat.  rnUire  —  ausrufen,  weil  bei  gleich  das  Datum  des  Frühlings- 
den  Römern  der  erste  Tag  des  Vollmondes  und  daraus,  nach  Be- 
Monats  ausgerufen  wurde.  Die  Stimmung  seines  Wochentags  mittels 
Form  des  christlich-mittelalterlichen  des  Sonntagsbuchstabens,  das  Da- 
Kalenders  stammt  aus  dem  klassi-  tum  des  Osterfestes.  Anleitung  zu 
sehen  Altertum,  nament  ich  von  den  dieser  Berechnung  giebt  das  chrono- 
Römern.  Er  wurde  ursprünglich  logische  Hauptwerk  des  früheren 
nicht  für  jedes  Jahr  besonders.  Mittelalters  von  Beda,  de  ratio,ie 
sondern  in  seiner  allgemeinen  Fas-  femnonnn. 

sung,  für  alle  Jahre  gültig,  aufge-  Erst  gegen  Ausgang  des  Mitt«  l- 

stellt.    Schon    die   römischen   Ka-  alters  wurden  die  lateinisch  abge- 

lender  enthalten  ausser  einigen  aarro-  fassten  Kalender  in  die  Lande?- 

n<  mischen    Angaben    den    Ansatz  sprachen  übertragen;  doch  giebt  es 

religiöser   Feste  und    bürgerlicher  einige  Ausnahmen  davon,  nament- 

Fe-tliehkeiten.    Der  christliche  Ka-  lieh  das  Bruchstück  eines  gotischen 

lender    ersetzte    die    altrömischen  Kalenders  aus  dem  4.  Jahrhundert, 

Feste  durch  christliche  Feste  und  ein    angelsächsisches  Kalendarium 

Feiertage;  da  aber  ursprünglich  das  aus  dem  10.  Jahrhundert,  ein  fran- 

Gedäelitnis  der  Märtyrer  vornehm-  zösischea  aus  dem  13.  Jahrhundert, 

lieh  nur  an  dem  Orte,  wo  sie  ge-  Deutsehe  Kalender  kommen  nicht 

litten  hatten,  gefeiert  wurde,   so  vor  dem  14.  Jahrhundert  vor.  Die 

hatte  jede  Gemeinde  ihr  besonderes  ersten  gedruckten  Kalender  haben 

Festverzeichnis  und  ihren  eigenen  ganz   die   Einrichtung   der  hand- 

Kalender;  es  sind  ihrer  sehr  viele  schriftlichen  und  sind  allgemein,  für 

erhalten,  da  sehr  häufig  den  Hand-  jedes  Jahr  passend,  ausgestattet.  Die 

Schriften  liturgischer  Bücher,  auch  frühesten  sind  in  Holz  geschnitten 

der  Bibel  und  des  Psalters,  ein  Ka-  und    in    Kupfer   gestochen.  Der 

lender  vorgesetzt  wurde:  sie  pfleg-  erste  Druck  eines  Kalenders  für 

ten  aber  mit  den  Hilfsmitteln  ver-  bestimmte  Jahre  stammt,  nach  der 

sehen  zu  sein,  um  für  jedes  Jahr  Bearbeitung  des  Johannes  Regio- 

die  beweglichen  Feste,  zunächst  das  montanus,  aus  Nürnberg  im  Jahre 

Osterdatum  abzuleiten.    Und  zwar  1475;  derselbe  ist  für  die  Jahre 

enthalten  sie  nicht  allein  die  Buch-  1475,  1493  und  1513,  als  die  ersten 

staben  A  —  Ct  stets  wiederkehrend  Jahre  einer  dreimaligen  10jährigen 

mit  dem  Anfang  vom  1.  Januar  für  Periode,  gestellt,  doch  so,  aass  da- 

die  Berechnung  der  Wochentage,  raus  die  Data  für  die  übrigen  Jahre 

sondern  auch  die  Zahlen  I — XIV  derselben  abgeleitet  werden  können, 

zur  Bezeichnung  aller  Neumonde,  Doch   bezieht    sich    diese  Spezia- 

die  jedesmal  in  dem  soviclten  Jahre  lisierung  nur  auf  den  astronomischen 

des  1  i'jährigen  Cyklus  an  demjenigen  Bestandteil ;  der  Kirchenkalender  ist 


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470  Kalender. 


noch  in  seiner  Allgemeinheit  ver-  eintrifft,  und  dass  als  Datum  dieser 
blieben  ;  er  enthalt  nur  die  Heiligen-  Naehtgleiche  der  21.  März  festzu- 
nameu  und  zwar  naeh  älterer  Weise  halten,  der  Vollmond  aber  nach 
au  einer  beschränkten  Anzahl  von  einem  19jährigen  Cyklus  zu  berech- 
Tagen,  nicht  aber  die  Einteilung  in  neu  sei.  Diese  alexandrinische  Me- 
Wochen  und  die  beweglichen  Feste,  thode  litt  an  zwei  Fehlern.  Ersten.*, 
Die  ersten  eigentlichen  Volkskalender  indem  sie  die  Frühlingsuaehtgleiche 
sind  dann  last  an  allen  Tagen  mit  am  21.  März  annnahm,  schloss  sie 
Heiligen  besetzt,  wie  die  Kalender  sich  an  die  jitfianiitche  Jahrform 
von  Augsburg  14*1  u.  s.  w.,  Erfurt  und  Schaltordnung  an,  wonach  die 
-  1505,  Zürich  1508.  Zu  allgemeine-  Länge  des  Jahres  zu  3«5\'4  Tagen 
rem  Gebrauch  kommen  Kalender  angenommen.  demnach  all«'  4 
für  ein  bestimmtes  Jahr,  mit  der  Jahre  ein  Tag  eingeschaltet  wurde, 
demselben  angepassten  Wochen-. und  Das  Jahr  ist  aber  in  der  Wirklich- 
Fcstordnung,  erst  nach  der  Mitte  keit  um  mehr  als  1 1  Minuten  kleiner, 
des  16.  Jahrhunderts.  Gegen  Ende  was  alle  12  s  Jahre  einen  Tag  aus- 
des  lf).  Jahrhunderts  führten  die  macht,  der  also  zuviel  eingeschaltet 
A*froltM/en  die  sogenannten  Prak-  wurde.  Zweiten-,  indem  sie  den 
tiken  in  die  Kalender  ein.  An-  Frühlingsvollmond  nach  dem  lttjühri* 
weisungen,  an  welchen  Tagen  ge-  gen  Cyklus  von  235  Monaten  be- 
wisse Arznei-  und  Heilmittel  heil-  rechnete,  nahm  sie  diesezu  19  x  365'  4 
bringend  seien  oder  nicht,  besonders  =  693NS  i  Tagen.  Aber  dieserCyklus 
aber  Anweisungen  zum  Aderlass.  von  Monaten  ist  in  Wirklichkeit 
Ein  zu  Oppenheim  1522  erschienener  um  mehr  als  eine  Stunde  kürzer, 
Kalender  führte  zuerst  das  Ader-  was  etwa  alle  310  Jahre  einen  Tag 
lassmänuchen  ein.  Es  folgten  An-  ausmacht,  um  den  also  der  Voll- 
weisungen zum  Schröpfen.  Purgieren,  mond  zu  spät  angesetzt  wurde. 
Baden,  Haarabselmeiden,  Pflanzen,  Es  dauerte  lange,  ehe  man  auf 
Holzfällen,  Ernten.  Säen  u.  dgl.,  diese  Fehler  aufmerksam  wurde, 
ferner  was  gewisse  Vorgänge  am  Zwar  machten  schon  im  12.  Jahr- 
Himmel  andeuten.  z.H.  der  Sonnen-  hundertciuzelnegelchrte  Astronomen 
schein  an  jedem  der  s<»g.  Zwölf-  auf  das  Fortrücken  der  Xacht- 
nächte  vom  25.  Dezember  bis  6.  gleichen  und  im  13.  Jahrhundert 
Januar,  welche  Einflüsse  der  Monat,  auch  auf  das  Fortrücken  der  Mund- 
il! dem  die  Geburt  eines  Kindes  er-  plinsen  aufmerksam;  da  jedoch  ein 
folgt,  auf  dessen  Leben  habe.  Auch  Konsilsbeschluss  jede  Veränderung 
diese  Kalender- l'racticae  waren  ur-  des  Kalenderweseus  verbot,  zog  man 
sprünglich  von  den  Astrologen  auf  erst  im  15.  Jahrhundert,  nachdem 
mehrere  Jahre  voraus  als  Prophe-  man  durch  genauere  astronomische 
zeiungen  bekannt  gemacht  und  sind  Studien  sich  von  der  Richtigkeit 
erst  später  mit  den  gemeinen  Ka-  der  Thatsacheu  genügend  überzeugt 
lendern  verbunden  worden.  hatte,  die  Verbesserung  der  durch 
(irtiforia tusche  A'a/emftrreform,  sie  entstandenen  Übelstände  ernst- 
Für  die  Beobachtung  des  Osterfestes  lieh  in  Erwägung.  Schon  die  Kar- 
war in  der  alexandrinischen  Kirche  dinälc  Petrus  de  Alliaeo  und  Niko- 
seit  der  zweiten  Hälfte  des  3.  Jahr-  laus  de  Cusa  hatten  auf  dem  Kon- 
hunderts die  Regel  angenommen,  Stanzer  und  Baseler  Konzil  die  Ka- 
dass  dasselbe  anzusetzen  sei  am  lenderreform  herbeizuführen  und 
Sonntag  nach  dem  Frühlingsvoll-  durch  eigene  Schriften  zu  begründen 
mond,  das  hd.sst  demjenigen,  der  versucht.  Doch  gelang  es  erst 
am  Tage  der  Frühlingsnachtgleiche  Gregor  XIII.  (1572  15851,  unter 
selbst  oder  zunächst  nach  derselben  Mithilfe  der  gelehrtesten  Astronomen 


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Kamaldulenser. 


471 


seiner  Zeit,  die  wichtige  Reform  zu-  Zucht  uud  Heiligung  nahm.  Mit 

stände  zu  bringen.    Uni  die  um  10  ihm  zog  er  976  in  Begleitung  des 

Tage  verschobenen   Nachtgleichen  Dogen  und  dem  auf  der  Wallfahrt 

wieder  auf  ihre  eigentlichen  Sitze  begriffenen  Abt  Marin  in  die  Nähe 

zurückzuführen,  bestimmte  Gregor,  von  dessen  Kloster  St.  Michel  de 

dass  im  Oktober  1582  zehn  Tage  Cusan  bei  Perpignan  in  Südfrauk- 

aus  dem  Kalender  wegfallen  sollten,  reich,  lebte  hier  als  Anachoret,  kehrte 

sodass  nach  dem  4.   sogleich  der  aber  wieder  nach  Italien  zurück  und 

15.  gezählt  werden  sollte.  Um  aber  begann  sein  unstetes  Anachoreten- 

die  Frühliugsnachtgleiehe  auf  dem  leben  von  neuem,  gewann  die  Teil- 

21.  März  für  alle  Zeit  zu  erhalten,  nähme    uud   Bewunderung  vieler, 

sollten  in  einem  Zeitraum  von  400  namentlich   hoher    Personen,  wie 

Jahren  3  Schalttage  ausfallen,  und  Ott«»  III.,  Heinrich  II.    Im  Jahre 

zwar  aus  den  Säkularjahren  ,  deren  1013  stiftete  er  auf  einem  hohen, 

Jahrhunderte  nicht  durch  4  teilbar  schwer    zugänglichen    Orte,  dem 

sind,  wie  1700,  1800,  1900.  Campus  M<iht»/<li  in  den  Appenuiuen 

Die    sofortige   Einführung    des  bei  Arezzo.  eine  Niederlassung  von 

Gregorianischen  Kalenders  geschah  fünf  Einsiedlern,  wo  er  ein  sehr 

bloss  im  grösöten  Teile  Italiens,  in  strenges,  namentlich  an  Geisselungen 

Spanien  und  Portugal;  die  übrigen  reiches  Eremiteuleben  einführte;  er 

Länder  Europas  entschlossen  sich  starb  im  Jahre  1027,  nachdem  er 

erst   später  dazu,   namentlich   die  mehrere  ähnliche  Institute  gestiftet, 

protestantischen;  so  nahm  das  pro-  Aber  keines  bewahrte  den  eremiti- 

testantische  Deutschland  den  neuen  sehen  Geist  Romualds  besser  als  die 

Kalender  unter  dem   Namen  des  Einsiedelei  von  Camaldolt.    In  be- 

vorbesserten   mit   Dänemark,    den  sondere  Aufnahme  kam  dieser  Ort 

Niederlanden  und  der  evangelischen  dadurch,  dass  Petrus  Damiani,  der 

Schweiz  erst  1700,  Pisa  und  Florenz  Prophet    des  asketisch-mittelalter- 

1750,    Grossbritannien    1752    uud  liehen  Kirchengristes,  Mönch  von 

Schweden   1753  an;  Kussland  hat  Fönte  Avellana.  einem  Kloster,  das 

den  juliauisehen   Kalender    beibe-  Ludolf,  ein  Schüler  Romualds,  im 

halten.     Piper,   Art.  Kalender  in  Jahre  1000  gestiftet  hatte,  bald  nach 

Herzogs  Real-EncykL  und  Grote*  1040  das  Leben  Romualds  beschrieb. 

feml,  Handbuch  der  Chronologie.  Damiani  prägte  dicBusstheoriein der 

Kamaldulenser,  ein  reformierter  Form  des  verdienstlichen  Geisseins 
Mönchsorden  des  10.  Jahrhunderts,  noch  schärfer  aus  und  übte  das- 
wurde  von  Romuald,  geb.  um  950  selbe  nach  Niederlegung  seines  Kar- 
sli Ravenna,  gestiftet.  Dieser  ge-  dinalats  in  seinem  Kloster  Fnute 
hörte  einer  vornehmen  und  reichen  Avellana  selbst  an  sich  aus  bis  zu 
Familie  an,  war  ein  leicht  erreg-  seinem  im  Jahre  1073  erfolgten  Tode, 
barer,  stürmischer  Mensch,  von  einer  Erst  in  diesem  Jahre  wurde  durch 
ohne  Geistesbildung  und  in  wildem  päpstliche  Bestätigung  der  eigent- 
Lebcnsgenusse  verlebten  Jugend;  liehe  Orden  der  KameUduleiuer  auf- 
zur  Sühnung  eines  von  seinem  Va-  gestellt,  als  eine  Abzweigung  der 
ter  verübten  Totschlages,  ging  er  Benediktiner,  die  es  zu  höherer  Voll- 
für einige  Zeit  nach  Ravenna  in  kommenheit  gebracht  haben  sollten, 
ein  Benediktinerkloster,  wo  er  sich  An  der  Spitze  stand  der  Prior  von 
entschloss,  der  Welt  zu  entsagen  Camaldoli  als  Major.  Sie  wohnten 
und  Mönch  zu  werden.  In  der  Nähe  und  assen  abgesondert  voneinander, 
Venedigs  fand  er  in  Mauritius  einen  Fleich  war  verboten!  Fasten  sehr 
zwar  bildungslosen,  einfältig  from-  häufig,  das  wichtigste  Gebot  war 
meu  Anachoreten,  der  ihn  in  seine  das   des   Schweigens.     Sie  trugen 


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472 


Kamm.  —  Kammergericht. 


weisse  Gewänder.  Die  erste  ge- 
schriebene Regel  stammt  aus  «lern 
Jahre  1102,  von  demselben  Major 
Rudolf,  der  auch  die  Kamaldvlen- 
gerinnen  einführte.  Aueh  Camaldoli 
hatte  das  gleiche  Schicksal,  wie  die 
meisten  Klöster  dieser  Jahrhunderte, 
es  wurde  reich  und  besass  ganze 
Grafschaften,  die  alte  Strenge  wurde 
mehr  und  mehr  gemässigt,  und  ne- 
ben den  Einsiedlern  entstand  ein 
regelrechtes  Klosterlehen,  nament- 
lich im  Gebiete  der  Stadt  Venedig, 
auf  einer  Insel  zwischen  Venedig 
und  Murano  und  in  Murano  selbst. 
Zur  Zeit  der  Reformation  unter- 
schied man  daher  Eremiten,  Obser- 
vanten  und  Konvcntualen. 

Kamm,  lat  petien,  franz.  peiqne, 
engl.  comb.  Schon  in  vorgeschicht- 
licher Zeit  benutzte  man  zur  Pflege 
des  Haupt-  und  Barthaares  eine  Art 
Kamm  von  Holz,  Horn,  Knochen 
oder  Elfenbein;  auch  kommt  er  als 
I  Ia  arschmuck  bei  Frauen  fast  über- 
all vor,  in  den  mannigfaltigsten 
Formen  und  ans  den  verschiedensten 
Stoffen  gearbeitet.  Im  klassischen 
Altertum,  wie  aueh  im  Mittelalter 
findet  man  ihn  häufig  knustreich 
aus  Elfenbein  oder  Buchsbaum  ge- 
schnitzt, mehr  hoch  als  breit,  ein- 
oder  zweireihig  gezahnt.  Bei  den 
einfachen  ist  der  obere,  bei  den 
Donpelkämmen  der  mittlere  flache 
Teil  mit  Reliefs  oder  Ornamenten  ge- 
schmückt. Der  Kamm  Karls  d.  Gr. 
wird  angeblich  imDome  zu  Osnabrück, 
der  Bartkamm  Heinrich  I.  im  Zither 
i  Schatzkammer)  der  Schlosskirche 
zu  Quedlinburg  aufbewahrt,  der  des 
heil.  Ulrich  in  Augsburg  etc.  Man 
sieht  daraus,  dass  dieses  jetzt  gering- 
geschätzte Gerät  früher  wohl  in 
höheren  Ehren  stand.  Dasselbe  gilt 
namentlich  auch  vom  Konsekrations- 
kamm  der  Bischöfe  und  Priester, 
der  bis  ins  13.  Jahrhundert  eine 
kirchliche  Bedeutung  hatte.  Der 
Mrtskamm  wurde  vor  der  Messe 
zum  Ordnen  der  Haare  gebraucht, 
der  Konsekrationskamm  nach  der 


Salbung  der  Bischöfe.  Er  wurde 
sorgsam  aufbewahrt  und  dem  Träger 
ins  Grab  mitgegeben. 

Kau  im  er  boten,  siehe  Miss!  do- 
rn in  iri. 

Kämmerer,  siehe  Hofomier. 
Kammersrericbt .  kaiserliches. 

Ein  oberstes  Gericht,  das  Hqfgeric&f, 
bestand  unter  der  Leitung  der  Pfalz- 
grafen (siehe  diesen  Art.)  schon  am 
merowingischen  Hofe;  später  ver- 
schwind« t  der  Pfalzgraf,  und  das 
Königsgericki  blieb  unter  des  Königs 
eigener  Leitung.  Als  die  Rechts- 
verhältnisse sien  allmählich  locker- 
ten, gelangten  neben  dem  Hofge- 
richt in  den  Reichsvogteien  einzelne 
Schöffengerichte  angesehener  Städte 
zu  besonderem  Ansehen,  indem  sie 
zu  Obergerichten  für  bestimmte  an- 
dere Städte  und  Ortschaften  erhoben 
wurden:  das  war  der  Fall  bei  den 
Schöft'enstüblen  zu  Frankfurt.  Aachen 
und  seit  dem  14.  Jahrhundert  na- 
mentlich zu  Rofftrrif,  dessen  Ge- 
richt den  Namen  kaiserliches  Hof- 
gericht  annahm.  Es  bestand  bis  in 
die  letzten  Zeiten  des  Reiches  und 
erstreckte  seine  Gerichtsbarkeit  über 
einen  grossen  Teil  von  Süddeutsch- 
land, doch  so,  dass  fast  alle  vor- 
nehmeren Reichsstädte  davon  exi- 
miert  worden  waren.  Das  Amt  des 
Hofrichters  war  bei  den  Grafen  zu 
Sulz,  später  bei  den  Fürsten  von 
Schwarzenberg  erblich  geworden. 
Dieser  oder  sein  Stellvertreter  hatte 
elf  Beisitzer,  teils  von  Adel,  teils 
Rottweilische  Ratsverwandte. 

Für  das  eigentliche  Königs-  oder 
Hofgericht  setzte  Friedrich  II.  1235 
einen  Hofrichter  ein,  jus/iciarirs 
curiae,  welcher  den  Hof  begleiten, 
täglich  anstatt  des  Königs  Gericht 
hegen  und  mindestens  ein  Jahr  lang 
im  Amt  bleiben  sollte.  Wichtigere 
Sachen  aber,  namentlich  wo  es 
Fürsten  oder  anderen  hohen  Herren 
an  ihren  Leib.  Recht,  Ehre  oder 
Vermögen  ging,  blieben  dem  Konif  e 
persönlich,  mit  Zuziehung  von  Für- 
sten als  Urteilern,  vorbehalten,  oder 


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Kannen.  473 

sie  wurden,  nach  seinem  Auftrag«*,  fanden  jedoch  nur  noch  einigemal 
vom  Pfalzgrafen  vom  Rheine  ge-  ausserordentliche  Visitationen  statt, 
leitet.  Nun  konnte  man  sich  aber  Vgl.  Frank/in,  Das  Reichshofgerieht 
unter  Umstanden  statt  an  den  Hof-  im  Mittelalter.  2  Bde.  Weimar 
richter  und  das  Hofgericht  an  den  1869.  Barcketcitz,  Das  Königsge- 
KaiBer  selbst  und  seine  Kammer  rieht  zur  Zeit  der  Merowingcr  und 
v enden,  und  nachdem  während  der  Karolinger.  Leipzig  1881. 
Verwirrungen  des  15.  Jahrhunderts  !  Kannen.  Die  grosse  Mrs.*kanne, 
von  den  Fürsten  wiederholt  Klagen  lat.  ama,  urcevs,  war  ein  Sammei- 
gegen das  Hofgericht  laut  gewor-  fcrup ,  aus  dem  der  Subdiakonus  den 
den  waren,  setzte  endlich  Fried«  Wein  in  die  kleinen  Mcsskännchen 
rieh  III.  1471  ein  bleibendes  Kam-  schüttete,  aus  welchen  ihn  der  Dia- 
mergerivht  ein.  bestehend  aus  einem  kon  in  die  Kelche  goss.  Daneben 
„Kammerrichter  mit  einer  zimlichen  kennt  man  auch  die  Gie*xkanneu% 
Zahl  erbaren,  redeliehen,  beisitzen-  welche  dem  Priester  das  Wasch- 
den  Urteilen»",  und  zwar  ohne  wasser  auf  die  Hände  träufelten, 
festen  Sitz,  an  welches  unter  dem  Die  Form  der  Kannen  war  weniger 
Namen  des  kaiserlichen  Hof-  und  genau  bestimmt  als  die  der  Kelche, 
Kammergerichtes  appelliert  werden  und  während  die  erstgenannten  wo 
konnte.  Dieses  Gericht  wurde  1495  möglich  ebenfalls  aes  Silber  oder 
zumkniserlirhen  oder lieichskammer-  Gold  gemacht  wurden,  bestanden 
gerieht  erweitert.  Dasselbe  wurde  die  letzteren  hauptsächlich  aus 
zu  Frankfurt  eröffnet,  dann  bald  da,  Bronze,  Zinn  oder  Glas  und  erhiel- 
bald  dort  gehalten,  einigemal  aus  ten  mit  Vorliebe  Tiergestalt  I Löwen, 
Mangel  an  Unterhalt  in  Stillstand  Drachen,  Greifen,  Vögel);  oft  stell- 
gesetzt, 1517  in  Sneier  versammelt,  ten  sie  auch  Reiter  dar.  Der  Rücken 
durch  Reichsbeschluss  1530  dort  für  trägt  gewöhnlich  einen  Henkel,  in 
immer  fixiert,  aber  nach  der  Ver-  Mund  oder  Stirn  steckt  das  Aus- 
brennung der  Stadt  durch  die  Fran-  gussrohr.  So  dürfte  der  „silberne 
zosen  1689  in  Wetzlar  1693  wieder  Reiter",  den  nebst  vielen  goldenen 
eröffnet.  Die  16  Urteiler,  zur  Hälfte  Gefassen  und  Geräten  der  Erzbischof 
Rechtsgelehrte,  zur  Hälfte  vom  Adel.  Bruno  von  Köln  hinterlies,  nur  eine 
wurden  zuerst  vom  Kaiser  mit  dem  solche  Giesskanne  gewesen  sein. 
Reichstag  gewählt,  dann  mit  der  Bronzene  Kannen  trifft  man  aber 
Zeit  auf  41  vermehrt  und  ihre  Prä-  schon  unter  den  altheidnischen  Grab- 
sentation  seit  1507  unter  die  Kur-  funden,  was  auf  deren  Gebrauch 
fürsten,  den  Kaiser  für  seine  Erb-  beim  Götterkultus  schliessen  lässt, 
lande  und  sechs  Kreise  verteilt,  und  es  dürfte  ihre  Einführung  in 
Aus  Mangel  an  Besoldung  stieg  die  der  christliehen  Kirche,  wie  so  manch 
wirkliche  Zahl  nicht  über  17.  Der  andere  Handlung  und  Sitte  der- 
Kammerriehter,  der  ein  Fürst,  Graf  selben,  auf  ureinheimischer  Uber- 
oder Freiherr  sein  musste,  wurde  lieferung  beruhen.  Daneben  war 
vom  Kaiser  gewählt.  Die  erste  auch  die  Kannenform  gebräuchlich, 
Kammergerichtaordnung  stammt  aus  so  namentlich  auch  für  die  Tauf- 
dem  Jahre  1495,  die  vollständig  er-  und  Messkannchen,  die  oft  mit  bibli- 
neuerte,  von  Karl  V.  vorgelegte,  sehen  Bildern  und  Insignien  (Kreuz, 
aus  dem  Jahre  1548,  publiziert  1555.  Lamm,  Taube)  verziert  und  mit 
Zur  Aufrechterhaltung  der  Ordnung  Vorliebe  aus  Glas  gefertigt  wurden, 
war  eine  jährliche  Visitation  durch  damit  man  von  aussen  ihren  Inhalt 
eine  aus  kaiserlichen  und  reichs-  unterscheiden  könne.  Waren  die 
ständigen  Kommissarien  gemischte  Kännchen  metallen,  so  bezeichnete 
Deputation  vorgeschrieben;  seit  1588  mau  sie  mit  einem  V  ivinum)  oder 


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474 


Kanone.  —  Kanoniker. 


mit  einem  A  (aqua).  Beide  Kannen  Schweigens  auf,  das  nur  im  Falle  der 
hatten  schon  früh  eine  gemeinschaft-  Notwendigkeit  zu  unterbrechen  ge- 
liehe  Schüssel  als  Untersatzteller,  stattet  war,  und  üherlicss  dem  Bischof 
Natürlich  blieben  auch  die  Formen  oder  Ordensoberu  die  Bestimmung 
der  Kanm-n.  wie  die  der  Kelche,  für  den  Unterhalt  der  Ordensbrüder 
nicht  immer  dieselben.  Namentlich  aus  einem  Teile  der  Stiftsgüter  und 
waren  es  die  Füsse,  Knäufe,  Henkel,  Zehnten,  gestattete  jedoch  dem  ein- 
Deckel und  Ausgüsse,  die  oft  phan-  zelnen  Eigentum  zu  besitzen, 
tastieh  herausgebildet  wurden.  Nach  Karl  der  Gr.  bestätigte  die  Regel 
Weiss,  Kostümkunde.  Chrodegangs  auf  dem  Kouzil  zu 
Kanone,  siehe  Artillerie.  Aachen 78y,  und  Ludwig  der  Fromme 
Kanoniker  hiess  ursprünglich  vermehrte  und  erweiterte  sie  auf 
jeder  Geistliche,  der  in  den  Kanon  dein  Konzil  zu  Aachen  816.  Die 
oder  die  Matrikel  einer  Kirche  ein-  Kanoniker  bildeten  nun  eine  geist- 
getragen und  zu  Einkünften  daraus  liehe  Korporation,  und  namentlich 
berechtigt  war,  zum  Unterschiede  entstanden  an  den  Dom-  und  Kolle- 
von  solchen  Geistlichen,  die  nur  an  giat-  d.  h.  den  nicht  bischöflichen 
Kapellen  fungierten.  Schon  zu  Augu-  Kirchen  Monasieria  Canonieorum\ 
stins  Zeiten  lebten  viele  Geistliche,  jene  hiessen  Canonici  cathedrahsy 
ohne  gerade  in  eine  klosterliche  Ver-  Domherren,  mhd.  tuomherren.  diese 
einigung  zu  treten,  nach  einer  all-  Canonici  collegiale*.  Die  Domherrn, 
gemeinen,  vor  den  Weltgeistliehen  auch  Stiftsherren  oder  Kapitularen 
sie  auszeichnenden  Nonn.  Canon;  genannt,  bildeten  als  geistliches 
ihr  Name  war  Canonici,  ihre  Lebens-  Kollegium  das  Domkapitel . 
weise  Vita  canonica.  Sie  lebten  j  Seit  dem  10.  Jahrhundert  fing 
nach  geistlichen  Kegeln,  legten  kein  wie  in  den  grossen  Klostern  aueh 
Mönehsgelübde  ab,  kamen  täglich  in  den  Domkapiteln,  welche  nun 
in  ihrem  Münster  zusammen ,  hielten  regelmässig  dem  höfischen  oder 
Kapitel.  Capifnfa,  unter  dem  Vor-  adeligen  Stand  angehörten,  das  ge- 
sitze  ihres  Bischofs,  beschäftigten  meinsame  Leben  an  aufzuhören; 
sich  mit  wissenschaftlichem  Unter-  die  für  das  Munster  bestimmten 
richte,  assen  und  sehliefen  Elisa  in-  Einkünfte  der  Kirche,  Zehnten, 
inen.  Dieses  Institut  der  Vita  ca-  Pfarreien  und  ein  Teil  der  Ein- 
nonica  neu  eingeführt  und  damit  nahmen  des  Bischofs  wurden,  zu- 
der  zerfallenen  geistlichen  Zucht  ,  erst  in  Köln  853,  den  Kanonikern 
aufgeholfen  zu  haben,  ist  das  Ver-  ;  ab  Stiftsgut  überwiesen  und  dienten 
dienst  Chrorfeqa <hjs .  Bischofs  von  nur  zum  Teil  noch  für  Zwecke  der 
Metz,  gest.  Tü.*i  oder  76»i.  In  seiner  Gemeinschaft,  sonst  aber  wurden 
aus  32  Kapiteln  bestehenden  Regel  sie  auf  die  einzelnen  Kapitelstellen 
gebot  er  das  gemeinsame  Leben  als  selbständige  Pfründen  repartiert, 
unter  der  unmittelbaren  Aufsieht  Seit  dem  12.  Jahrhundert  fügten 
des  Bisehofs,  verordnete  die  drei  I  sich  hier  und  da  nach  dem  Befehle 
gewöhnlichen  Klostergelübde  der  der  Kirche  einzelne  Domkapitel  der 
Armut,  Keuschheit  und  des  Gehör-  Wiedereinführung  des  gemeinsamen 
sams.  befahl  fromme  Übungen  selbst  Lebens  und  kehrten  zu  des  heil. 
in  der  Nacht  nach  der  Folge  der  i  Augustinus  Stiftung  (Augustiner- 
kanonischen  Stunden,  wies  jeden  regelt  zurück,  nahmen  auch  etwa 
Geistlichen  an.  täglich  zum  Kapitel  Mönchsregeln,  namentlich  die  V-Vv- 
zu  kommen,  in  welchem  ein  Ab-  monsfrafenser  -  Hegel  an.  welche 
schnitt  der  Ordensregel,  Caja'in/mn  selber  aus  einer  Verschärfung  der 
rrqufae,  vorgelegen  werden  sollte,  Augustinerregel  hervorgegaugenwar, 
legte    die  Beobachtung  des  Still-  und  hiessen  dann  reagierte  Chor- 


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Kanonisches  Recht.  475 


Herren  oder  Canonici  reguläre*,  im  den  eigentliche  n  Xonuen,  zur  freieren 
Gegensatz  zu  den  der  Kegel  der  Verbindung  der  vita  canonici!  zu- 
Weltgeistlichen  angehörenden  Ca-  sammentraten.  Auch  diese  Institute 
nonici  seculares.  Die  letztem»  waren  sind  mit  der  Zeit  adelige  Stiftungen 
nicht  eiumal  stets  Kleriker.  Immer  geworden. 

mehr  gelang  es  ihnen,  den  Bischöfen       Kanonisches   Kechtsbueh.  In 

gegenüber  «'ine  unabhängig«'StelIung  den  ersten  drei  Jahrhunderten  be- 
zu  erringen,  sie  lebten  von  ihren  zeichnete  Kanon  die  teils  auf  christ- 
reichen Pfründen  als  Herreu  und  lieber,  teils  auf  mündlicher  t'ber- 
überliessen  die  geistlichen  Funktio-  liefermur  beruhende  Richtschnur  für 
neu  gemieteten  Vikaren.  Es  nützte  das  Leben  der  gesamten  Kirche, 
wenig,  dass  die  Kirche  gegen  diesen  Als  die  Synoden  «lie  Hauptträger 
Missbrauch  auftrat ,  und  z.  H.  das  für  die  Entwickeluug  des  kirchlichen 
Basler  Konzil  verlangte,  dass  die  Lebens  geworden  waren,  und  nament- 
HälitederDotnherrcnstelleuMännern  lieh  die  allgemeinenSynoden.  wurden 
von  wissenschaftlichen  und  kirch-  die  Bestimmungen  di»'s«raueh<'<f//a/<?.f 
liehen  Verdiensten  zugewiesen  würde,  genannt.  Mit  der  Ausbildung  und 
In  vielen  Domkapiteln  wurde  es  ge-  Entwickelung  des  Primates  der  rö- 
setzliche  Bestimmung,  dass  nur  mischen  Bischöfe  wurde  der  Begriff 
solche  Adelige  als  Domherren  auf-  Kanon  auf  die  Sendschreiben  dieser 
genommen  werden  sollten,  die  acht  oder  «lie  Dekretalen  übertragen,  un«l 
bis  sechzehn  Ahnen  nachzuweisen  endlich  nach  dem  Sprachgebrauch 
hätten;  auch  wurde  allmählich  seit  des  Mittelalters  jede  Kirchliche  Be- 
dem  16.  Jahrhundert  die  Zahl  der  Stimmung  mit  dem  Ausdruck  Kanon 
Domherren  fest  bestimmt,  die  Ka-  bezeichnet,  im  Gegensatz  zur  bürger- 
pitel  wurden  Cajafula  dan*a.  Im  liehen  /r.r,  Gesetz. 
Gegensatz  zu  deu  eigentlichen  Dorn-  Die  ältesten  Sammlungen  kirch- 
herren  oder  den  Canonici  majore*  lieber  Verordnungen,  namentlich 
nannte  man  jetzt  die  Exspektanten  von  Konzilienbeschlüssen,  sind  in 
Canonici  minores  oder  Lh>miecllare*\  griechischer  Sprache  abgefasst;  von 
man  forderte  von  ihnen  ausser  dem  ihnen  besass  die  abendländisch«' 
Adelsnachweise  ein  Alter  von  min-  Kirche  schon  im  5.  Jahrhundert 
destens  14  Jahren,  die  Fertigk«it  lateinische  rbersetzungen,  von  denen 
lateinisch  zu  lesen  un«l  zu  singen  drei  besonder«'  Geltung  erlangten: 
und  die  Abhaltung  eines  Prob«  Jahres  1.  die  sogenannt«'  spanische  oder 
im  Kirchendienst.  An  der  Spitze  isidorische,  die  lange  Zeit  fälschlich 
der  Kongregation  stan«l,  der  Kloster-  «lern  Isidor  von  Sevilla  zug«'schri«'ben 
Verfassung  entlehnt,  ein  ]Jracj>ositns,  wurde:  2.  die  wahrscheinlich  in 
dem  ein  besonderer  Aufseher  der  Italien  verfasste  rersio  oder  frans- 
Schule,  Scholii stier* ,  ein  Dirigent  \  IcUio  urisca,  und  3.  di«-  Sammlung 
des  Chortfesanges,  IVitnicerius  o«l«*r  des  Mönches  Dionysius  exiontts;  die- 
Cantor,  der  Custos,  der  Thtsaurar  selbe  kam  in  der  römischen  Kirche 
oder  Sacrisfa.  der  Ceflarius  und  der  allgemein  in  Gebrauch  und  erhielt 
Por/ariu*  untergeben  waren;  später  unter  Karl  dem  Grossen  die  Auto- 
trat  noch  ein  Decamts dazu.  „Schwartz  rität  eines  offiziellen  Codex  canomun. 
dick  und  ein  scheplcr  tragen  sy  Mit  Zugrundelegung  dieser  Ältesten 
umb den  arm  gemeiuklich geschlagen  Sammlungen  entstanden  bis  ins  12. 
und  seind  halb  Münch  halb  Pfaffen."  Jahrhundertiuden  einzelnen  Ländern 
sagt  Sebastian  Frank.  mit  der  Zeit  zahlreiche  neue  Koinpi- 

In  das  8.  oder  9.  Jahrhundert  lationen,  welche  «len  Zweck  hatten, 
verlegt  man  den  Ursprung  der  Ca-  das  in  den  früheren  Werken  zer- 
noni**ae,  welche,  im  Gegensatz  zu  stn'ute  Material  iu  Verbindung  mit 


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476 


Kanonisches  Recht 


neueren  kirchlichen  Satzungen  zu  gesetzgeberische  Thätigkeit  der  auf 

einem  übersichtlichen  und  dem  prak-  der   Hohe   ihrer  Macht  stehenden 

tischen  Bedürfnisse  entsprechenden  Päpste  ein   neues  ausserordentlich 

Ganzen  zu  vereinigen.    Gegenüber  roiehrs  kirchenrcehtliches  Materini 

den  alteren  kompeudiösen  und  meist  hervorbrachte,  welches  die  bi-hcrige 

nur  lokalen   Interessen  dienenden  Disziplin  vielfac  h  modifizierte  und 

Sammlungen     sind     die    späteren  weiter  entwickelte,  Hess  das  Werk 

grossenteils  von  bedeutenderem  Um-  Gratians  bald  als  antiquiert  und 

Fange  und  von  der  Art,   dass  sie  unvollständig  erscheinen   und  rief 

über  die  Diöcese  hinaus,  in  der  sie  ilas  Bedürfnis  neuer  Sammlung«  n 

entstanden,  benutzt  werden  konnten:  hervor,  welche,  da  sie  fast  ausdrück- 

dahin  gehören  u.  a.  die  Sammlungen  lieh  päpstliche  Sendschreiben  und 

des  Abtes  Rtniuo  vom  Prüm.  gest.  unter    päpstlicher  Autorität  abtre- 

915,   des    Bischofs  Ihirrfund    von  fasste   Konzilienbeschlüsse  enthiel- 

Wurms  um  1220,  des  Bischofs  Im  ten.   meist  Colin  tionrs  ilrcretalh-m 

von   Chartreil  gest.   1117.    Immer  genannt  wurden.   Die  fünf  wichtig- 

blicb  jedoch   das   Bedürfnis   einer  sten  dieser  Sammlungen  liess  Gregor 

Sammlung,  welche  mit  Beseitigung  IX.  im  Jahre   123<j  durch  seinen 

des  unbrauchbar  gewordenen  das-  Kapellan  und  Pönitentiar  Raumuml 

jenige  zusammenstellte,  was  bleiben-  ron  t'ennafurte  in  Verbindung  mit 

den  praktischen  Wert  besass  und  den  Gregorianischen  Dekretalen  nach 

namentlich   die   vielfachen  Wider-  einem  verbesserten  System  in  eine 

Sprüche    vereinigte.     Eine    solche  Sammlung  verarbeiten,  welche  d<  n 

Sammlung  bewerkstelligte  (l  ratio  n.  Xamen   DecrefoNutH  Qretforii  J.X. 

wahrst  heinlichKamaldulenser-Mönch  comtrifatio  trägt  und  sowohl  auf  den 

im  Kloster  St.  Felix   zu  Bologna.  Universitäten  wie  in  der  Praxis  ein- 

um  die  Mitte  des  12.  Jahrhunderts:  geführt  wurde.  Nachdem  die  folgen- 

sie  trägt  meist  den  Xamen  Deere-  den  Päpste  neu<lings  kirchliche  Ge- 

tum  (iratiani.   Dieses  Werk,  durch  setze  als  Xachträge   und  Anhänge 

welches   die    älteren   Sammlungen  zur   vorigen   Sammlung  publiziert 

verdrängt  wurden,  erschien  zu  der  hatten,  liess  Papst  Bonifazius  VII. 

Zeit,  wo  Bologna  der  Mittelpunkt  dieselben  in  Verbindung  mit  seinen 

der  berühmten  Rechtssehule   war;  eigenen  zahlreichen  Briefen  neu«  r- 

die  Methode  der  Lehrer  und  Gkssa-  dings  zu  einem  Ganzen  ausarbeiten 

toren  des  römischen  Rechtes  wurde  und  veröffentlichte  diese  Sammlung 

Vorbild  und  Muster  für  die  wissen-  1298  unter  dein  Titel  TJber  /tejrtvs. 

schaftliche  Behandlung  des  Gratia-  weil  durch  sie  die  fünf  Bücher  d«  r 

nischen  Dekretes,  und  Gratian  selbst  Dekretalen    Gregors    IX.  ergänzt 

hielt  zuerst  Vorträge  über  sein  Werk  werden  sollten.    Die  letzte  offizielle 

und  wurde  dadurch  der  Begründer  Sammlung kanonischerRechtsquellen 

einer  neuen  Schule  der  Kanonisten  stammt  von   Clemens  J'.  aus  dein 

oder  Dekretisten.    Dadurch  wurde  Jahre  1313   und  trägt  den  Kamen 

die  Sammlung   in    den    weitesten  Constitutione Clementtnae.  Mit  ihnen 

Kreisen  bekannt,  und  die  Päpste  schliessen  die  offiziellen  Dekretalen- 

selber  benutzten  und  citierten  sie  Sammlungen  ab.    Das  erschüttert»' 

in  ihren  Dekretalen,  ohne  dass  sie  Ansehen  der  Päpste,  die  seit  dem 

zwar  von  irgend  einem  Papste  aes-  14.   Jahrhundert    sich  steigernden 

drücklich  bestätigt  oder  nls  authen-  Kämpfe   derselben   mit   der  welt- 

tischer  Kodex  der  Kirche  angenom-  liehen  Gewalt  und  einzelnen  Natio- 

men  worden  wäre.    Der  Umstand,  nalkirchen  Hessen  den  Erfolg  der- 

dass    das   Deeretvm    (Iratiani    in  artiger  Unternehmungen  als  proble- 

eine  Zeit  fiel,   wo  die  fruchtbare  inatisch  erscheinen  und  nahmen  die 


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Kanzel.  —  Kauzler. 


477 


Thätigkeit  der  Päpste  für  andere  aua  den   Episteln   bestimmt  war. 


Zwecke  in  Anspruch.  Bedeutende 
Dekretaleu  wurden  vorläufig  nur 
noch  einzeln  verbreitet  und  von  den 
Lehrern  des  kanonischen  Rechtes 
kommentiert;  erst  durch  Johannes 
Chappuis  wurden  sie  ebenfalls  ge- 
s 


Aus  den  Ambonen  entwickelte  sich 
mit  den  ersten  Anfängen  der  Gotik 
der  Lettner,  lectorium,  eine  Quer- 
bühue  zwischen  Chor  und  Schiff, 
die  gewöhnlich  aus  drei  nebenein- 
ander befindlichen  Gewölbejochen 
ammelt,  iu  zwei  Teile  geteilt  und  [  Instand  und  vorwärts  und  rüek- 
als  Extravaganten,  d.  h.  Einzel-  i  wärts  von  reichgeschmückten Bogen- 
geheude,  im  Jahre  1500  zuerst  den  ,  Stellungen  getragen  wurde.  Auf 
Clementinen  beigefügt.  dem  Lettner  selbst  befand  sich  eine 

Schon  im  12.  Jahrhundert  wurde  schmale  Empore,  auf  w  elcher  ge- 
Gratians  Dekret  Corpus  juris  cano-  .  wohnlich  ein  Lesepult  errichtet  war, 
niei  genannt,  nicht  minder  hicss  die  die  Kanzel,  deren  Name  aus  lat. 
Gregorianische  Sammlung  früh  Cor-  \cancelli  stammt,  d.  i.  das  Gitter- 
pus  juris;  so  ist  iu  den  Akten  der  |  werk,  umgitterter  Kaum.  Während 
Konzilien  des  15.  Jahrhunderts  öfters  dieses  Lesepult  in  Deutschland  noch 
vorn  Cor/ms  juris,  Jus  scriptum.  Jus  im  14.  Jahrhundert  zum  Abhalten 
commune  die  Rede.  Anfangs  sind  der  Predigt  benutzt  wurde,  trennte 
die  Sammlungen,  aus  denen  das-  man  iu  Italien  zu  Gunsten  der 
selbe  besteht,  nur  einzeln  ge-  predigenden  Bettelmöuehe  die  Kanzel 
druckt  worden,  das  Gratianisehe  oder  den  h'itJi<itsluhl  schon  im  13. 
Dekret  in  Strassburg  147 1 ,  die  Gre-  Jahrhundert  von  dein  Lettner  und 
gorianisehen  Dekretaleu  zuerst  in  \  errichtete  ihn  zuerst  in  der  Nähe 
Mainz  ohne  Angabe  des  Jahres,  eine  des  letzteren,  dann  an  einem  Pfeiler 
folgende  1473  ebendaselbst  bei  Peter  au  der  Nord-  «.der  Sudseite  des 
Scliöffer,  der  Liber  sextus  in  Mainz  Mittelschiffes  al>  selbständige,  auf 
1445  bei  Job.  Fust  und  P.  Schöffer,  Säulen  ruhende  Empore.  Die  Gotik 
die  C'lemeutinae  bei  denselben  1460.  gab  der  aus  Stein-  oder  Sehuitzwerk 
Im  16.  Jahrhundert  wurden  diese  gebildeten  Kanzel  eine  vieleckice 
einzelnen  Teile,  seit  Chapnuis  mit  Form,  die  unten  von  einer  Säule, 
den  Extravaganten  vermehrt,  ge-  von  einem  Kragsteine,  später  auch 
wohnlich  von  derselben  Offizin  in  von  einer  Mensehen- oder  TiergesUdt 
drei  Bänden  herausgegeben,  deren  getragen  wird,  und  über  der  ein 


erster  das  Dekret,  d«~r  zweite  die 
Dekretaleu  Gregors  IX.  und  der 
dritte  das  übrige  umfasste.  Erst 
seitdem  mau  in  der  zweiten  Hälfte 
des  16.  Jahrhunderts  alles  in  einem 


pyramidalisch  gekrönter  Baldachin, 
Sehalldeckel,  Kanzelhuuhe  genannt, 
angebracht  ist.  <Hte,  Archäologie, 
§  46. 

Kanzler.    Unter  den  merowin- 


Bande  zusammeufasste,  findet  sich  gischen  Königen  war  es  der  aus 

aueh  der  Gesainttitel  Corpus  juris  römischen  Verhältnissen  stammende 

canonici.  Wasserschieben  in  Herzogs  referentlarius,    der   die  Urkunden 

Real-Encykl.  des  Königs  ausfertigte  und  unter- 

kanzel.    In  der  altchristlichen  schrieb,  zu  welchem  Behuf  ihm  der 

Basilika    erhob    sich    rechts  und  königliche  Siegelring  übergeben  war. 

links  vom  Säugerchore,  das  vom  Es  ist  unter  den  weltlichen  Hof- 

Chor  her  in  das  Langhaus  hinein-  ämtern  eines  der  einflussreichsteu, 

reichte,  rittlings  auf  der  Balustrade  da  es  dem  Inhaber  Sitz  und  Stimme 

eine  Kanzel,  Ambo  genannt,  deren  im    königlichen  Hat   und  Gericht 

eine  auf  der  Nordseite  befindliche  erteilte.    Es    gab    ihrer    wie  der 

zum  Verlesen  der  Evangelien ,  die  übrigen  Hofämter  mehrere  zugleich, 

ander-    gegenüber    zum   Vortrage  die  Konigin  hatte  einen  besonderen 


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478  Kapelle. 

für  sieh.  Seit  Pipin  und  Karl  dem  um  derenwiüen  er  das  Siegel  be- 
G rossen  heisst  der  Beamte,  dem  die  wahrte. 

Ausfertigung  and  Besiegelung  von  Übrigensbestand neben demeigent- 
Urkunden  zukommt,  regelmässig  liehen  Kanzleramt  das  dcsErzkanzlers 
Kauzler  oder  Satarx  es  giebt  ihrer  und  Erzkapellans  fort  und  zwar  meist 
auch  jetzt  noch  mehrere,  die  zum  in  den  Iiiinden  der  Erzbisehöfe  von 
Teil  zu  Botschaften  verwendet  wer-  Mainz,  Trier  und  Köln:  für  Italien 
den.  Erst  unter  Ludwig  dem  From-  und  Burgund  gab  es  eigene  Kanzler: 
men  tritt  unter  ihnen  als  erster  ein  später  blieb  die  Erzkanzlerwürde 
oberster  Notar  (»der  Erznotar,  ]>,■»■  in  Germanien  an  den  erzbischöflichen 
tonolariut,  $utnmus  notariit*  des  Stuhl  in  Mainz  geknüpft,  der  dann 
kaiserlichen  Palastes  auf.  der  unter  den  eigentlichen  Kanzler  als  seinen 
LudwigsSöhiien.«u»//>/H*r<fKce/&w*Mi#,  Vizekanzler  ernannte,  jedoch  die 
oberster  Kanzler  heisst.  Fast  immer  Vorbereitung  und  LeitungderReichs- 
war  es  jetzt  ein  Geistlicher,  ein  geschürte  und  Keichsverhandlungeu 
Abt  eines  Klosters  oder  sonst  ein  in  eigener  Ilaud  behielt.  U'aifz, 
Mitglied    der    königlichen   Kapelle  Verf.-Geseh. 

isiehe  diesen  Artikel  i,  die  jetzt  über-  Kapelle,  Königliche  Kapelle, 
haupt  in  nahe  Beziehuni;  zur  Kanzlei  Kaplan.  Kapellen  oder  Oratorien 
gebracht  wurde.  Doch  erhalt  die  sind  gottesdienstliche  Gebäude,  wel- 
letztere  erst  allmählich  eine  be-  che  bloss  zum  Gebete  oder  zum 
stimmten'  Ordnung,  und  die  Aus-  Privatgebrauche  bestimmt  sind.  In 
drücke  Notar,  Erzkaolan  und  Erz-  altchristlicher  Zeit  war  das  haupt- 
kanzler  wechseln  noc  h  längere  Zeit,  sächlichste  unter  den  kirchlichen 
Erst  seit  Lothar  gab  es  regelmässig  Nebengebäuden  die  Taufkapell*) 
mir  einen  Kanzler,  der  meist  nur  Tiaptixteriutn.  welche  aus  einem  Vor- 
die  Urkunden  unterschrieb;  verfasst  gemache  und  «lern  Hauptraume  mit 
und  gesehrieben  wurden  sie  von  dem  Wasserbecken,  pisrina,  bestand 
untergeordneten  Kanzleibeamten,  und  in  der  Nähe  der  Hauptkirchen 
Mit  der  Kanzlei  waren  oft  andere  errichtet  war.  Der  Hauptraum  war 
geistliche  Stellen  verbunden,  nament-  gewöhnlich  von  runder  oder  acht- 
lich die  Propstei  des  Marienstiftes  eckiger  Grundform,  und  die  innere 
zu  Aachen.  Oft  verwaltete  ein  Einrichtung  des  regelmässig  dein 
Bischof  das  Kanzleramt,  das  über-  Täufer  Johannes  gewidmeten  Ge- 
haupt  eine  Staffel  zu  den  höchsten  bäudes  erinnerte  ebenso  an  die  gleich- 
Ehren  des  Reiches  war;  denn  es  namigeu  Schwimmteiche  in  den  an- 
hatte durch  die  Männer,  die  ihm  tiken  Bädern,  wie  die  Grundform 
vorstanden,  und  den  Einrluss,  den  an  die  antiken  Grabmäler.  Solche 
diese  übten,  eine  viel  wichtigere  Taufhäuser  befanden  sich  nur  an 
Bedeutung  erlangt,  als  die  formelle  den  bischöflichen  Kathedralen,  mit 
Leitung  der  Kanzlei  mit  sich  ge-  denen  sie  durch  einen  Säulengang 
bracht  hätte.  Die  Kanzler  waren  verbunden  waren;  denn  das  Tauf- 
die  regelmässigen  Begleiter  des  recht  stand  in  älterer  Zeit  bloss  den 
Königs  auf  seinen  Zügen  und  WUT-  Bischöfen  zu.  Erhalten  ist  auf 
den  durch  das  Vertrauen  desselben  deutschem  Boden  keines;  doch  er- 
zu  allen  bedeutenden  Angelegen-  innern  verschiedene  in  der  Näbe 
heiten  beigezogen,  von  Kathedralen  erbaute,  zum  Teil 

Jede  Lrkunde  des  Königs  war  erat  in  neuerer  Zeit  abgebrochene 
an  bestimmte  Formen  gebunden  und  Nebenkirehen,  welche  dem  Johannes 
bedurfte  der  Beglaubigung  durch  Baptista  geweiht  sind,  an  das  ehe- 
den  Kanzler,  wie  der  Besiege-  malige  Vorhandensein  von  Bapti- 
lung,    die    von    ihm  abhing   und  sterien,  so  in  Mainz,  Worms,  Speier, 


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Kapelle. 


479 


Strassburg,  Augsburg,  Regeusburg. 
Als  besondere  Bauwerke  sind  ausser- 
dem Baptisterieu  bei  der  Abtei- 
kirehe  zu  Fulda,  und  in  späteren  Um- 
bauten vorhanden  bei  den  Münstern 
zu  Aachen  und  Essen. 

Verwandt  mit  den  Baptisterien 
sind  die  häutig  dem  Erzengel  Michael 
gewidmeten  runden  oder  vieleckigen 
(irabkapellen  auf  Kirehöfen.  als 
Nachbildungen  der  Rotunde  über 
dem  heiligen  Grabe  zu  Jerusalem: 
das  älteste  Beispiel  davon  ist  dir 
Michaeliskirehe  zu  Fulda,  welche 
820  nach  dem  Plane  des  in  Jeru- 
salem gewesenen  Rabamis  Maurus 
einrichtet  wurde;  auch  die  vom  heil. 
Konrad  (035  bis  971)  zur  Erinnerung 
an  seine  Pilgereise  nach  Jerusalem 
am  Dom  zu  Konstanz  errichtete 
Grabkapelle  ist  erhalten,  wie  manche 
andere  ähnliche  Bauten,  namentlich 
in  Österreich. 

Eine  besondere  Gattung  der  Ora- 
torien bilden  die  Burffkappeflen; 
sie  sind,  mit  den  Btets  im  zweiten 
Stockwerk  gelegenen  herrschaft- 
lichen Wohnräumen  in  Verbindung 
stehend,  gewöhnlich  ebenfalls  im 
Obcrgeschoss  angelegt.  Manche 
Burglapellen  sind  jedoch  als  Lhppef- 
kapellen  gebaut  und  bestehen  aus 
zwei  überwölbten  Stockwerken;  das 
Obergeschoss  ist  dann  stets  der 
höhere  und  reicher  verzierte,  oft 
mit  Säulen  aus  edlem  Gestein  aus- 
gestattete Hauptraum,  während  das 
zur  Grabstätte  und  zum  Toten- 
dienste  bestimmte  Erdgesehoss  nied- 
riger und  einfacher  gehalten  ist: 
eine  vergitterte  oder  mit  einer 
Brüstungsmauer  versehene,  im  Fuß- 
boden der  Oberkapelle  befindliche 
Öffnung  gestattet  den  Einblick  auf 
die  Gruft. 

Der  Name  Kartelle  wird  von  dem 
Mantel  des  heil.  Martin  von  Tours, 
der  cappa  Sanofi  Martini  abgeleitet, 
einem  angesehenen  Heiligtum  der 
merowingiseh-fränkisehen  Könige ; 
sie  heisst  ihrer  Kleinheit  wegen 
capella,   mit  welchem   Wort  man 


ebenso  den  Ort  benannte,  worin  die 
eappa  Saudi  Martini  aufbewahrt 
war.  Besondere  Geistliche,  Kapel- 
laney mussten  sie  hüten  und  im 
Krieg  und  Frieden  überallhin  dem 
Könige  nacht  rasen.  Karl  der  Gr. 
erbaute  ihr  au  der  Pfalz  zu  Aachen, 
seine  Nachfolger  auch  an  anderen 
Orten  eine  eigene  Kirche  zu  diesem 
Zwecke.  Der  erste  der  an  dieser 
Kapelle  angestellten  Kapellane  er- 
hielt unter  Pipiu  und  seinen  Nach- 
folgern eine  besonders  angesehene 
und  einflussreiche  Stellung;  er  wurde 
als  der  Nachfolger  des  einstigen  Vor- 
stehers (»der  Abtes  des  königlichen 
Oratoriums  betrachtet.  Er  hiess 
Erzpriester,  arekipresbjfter,  auch  cos- 
Im  rape/lae  oder  pa/afii,  archirapt!- 
lanti.t.  Unter  seiner  Obhut  standen 
alle  kirchlichen  Handlungen,  die  am 
Hofe  vorkamen,  er  segnet*1  Mittags 
die  Mahlzeit,  er  hatte  die  für  den 
Gottesdienst  erforderlichen  Geräte, 
Schmuck  und  die  andern  hier  leben- 
den Geistlichen  zu  beaufsichtigen. 
Ausserdem  war  ihm  dieSorge  für  aTies, 
was  mit  den  geistlichen  Angelegen- 
heiten zusammenhing,  übertragen; 
Wünsche  uud  Anliegen  der  Geist- 
liehen.Streitigkeiten  derselben  kamen 
zuerst  an  ihn  und  durch  ihn  an  den 
Kaiser.  Es  war  deshalb  ein  hohes 
Amt.  dessen  Einrluss  später  noch 
dadurch  erhöht  wurde,  dass  der  Erz« 
kaplan  die  kaiserliche  Kanzlei  zu 
leiten  hatte,  wahrscheinlich  aus  dem 
Grunde,  weil  in  der  Kapelle  wich- 
tige Urkunden  aufbewahrt  zuwerdeu 
pflegten,  vielleicht  überhaupt  das 
Archiv  hier  seinen  Platz  hatte  und 
weil  überhaupt  immer  Geistliche  zu 
Kanzlern  genommen  wurden.  Die 
Königin  hatte  ihren  eigenen  Kaplan, 
und  überhaupt  waren  stets  mehrere 
Geistliche  an  der  Kapelle  bethätigt ; 
es  galt  dieser  Dienst  als  ein  Weg, 
um  zu  höheren  Stellen  in  der  Kirche 
zu  gelangen.  Ihr  Einfluss  wuchs 
mehr  und  mehr;  durch  Hat  am 
Hofe,  durch  Teilnahme  an  den  all- 
gemeinen  Versammlungen,  durch 


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4  SO 


Kapuziner. 


Reichtum  uud  Macht  in  den  einzel- 
nen Provinzen,  denen  sie  ange- 
hörten, standen  sie  voran  unter  den 
Grossen  de.**  Reiche*.  An  der  könig- 
lichen Kapelle  suchten  ältere  wie 
jüngere  Männer  Aufnahme.  Zeit- 
weise gab  es  hier  für  die  Unter- 
weisung derer,  die  in  der  Jugend 
an  den  Hof  kamen,  eigene  Lehr  er. 
Auch  zu  weltlichen  Geschäften  wur- 
den die  Kapellane  gebraucht,  zu 
Gesandtschaften  und  in  kriegerischen 
Angelegenheiten,  und  es  wurde  ge- 
klagt, dass  ein  weltliches  und  seiost 
leichtfertiges  "Wesen  unter  ihnen 
Platz  greife.  Die  strengere  aske- 
tische Richtung  der  Kirche  klagte 
namentlich  die  Kapelle  als  eine 
Pflanzschule  der  Simonie  an.  In 
jedem  Falle  war  die  Kapelle  die 
Prlanzschule  des  Episkopates,  und 
wenig«-  Bischöfe  sind  nicht  eine  Zeit- 
lang Mitglieder  der  königlichen  Ka- 
pelle gewesen. 

Wie  bei  den  übrigen  Hofämtern, 
su  ging  auch  das  Amt  des  Hof- 
l-apcUan»  mit  der  Zeit  an  die  klei- 
nereu Höfe  derHerz«  ige.  Herzoginneu, 
Markgrafen  und  Grafen  über;  es 
fehlte  überhaupt  an  keinem  fürst- 
lichen Hofe  und  war  oft  in  grösserer 
Anzahl  vorhandeu.  Sie  gehörten 
hi«*r  zum  „Hofgesinde"  und  waren 
meist  die  vertrauten  Ratgeber  ihres 
Herrn.  Sie  besassen  eigene  Frei- 
heiten, z.  B.  in  Bayern  das  Recht, 
mit  einem  Gefolg«'  von  vier  bis 
sechs  Personen  bei  Hof  zu  erschei- 
nen; der  oberste  Hofkaplan  hatte 
hier  bei  Tafel  den  nächsten  Sitz 
am  Herzog.  Oft  war  der  Burg- 
kaplan das  einzige  Mitglied  des 
Hofgesindes,  das  schreiben  und  lesen 
konnte,  er  lass  dann  die  eingehen- 
den Briefe,  schrieb  die  Antworten, 
fertigte  Urkunden,  unterwies  die 
Kinder,  repräsentierte  überhaupt  die 

Belehrte  Bildung  auf  der  Burg.  Über 
ie  Architektur  der  Kapellen  Otie, 
Archäologie  und  Schultz,  Höfisches 
Leben,  Absehu.  I;  über  die  könig- 
liche Kapelle  Wailz,  Verf.-Gesch. 


Kapuziner  sind  aus  einer  Ver- 
zweigung dea  Franziskanerordens 
hervorgegangen.  Ihr  Urheber  ist 
Matthäus  von  Bassi  im  Herzogtum 
Urbino,  der  sich  von  einem  Kloster- 
bruder sagen  liess,  der  heil.  Franzis- 
kus habe  eine  andere  Kapuze  ge- 
tragen, als  bis  dahin  geglaubt  und 
von  den  Franziskanern  angeuom- 
rnen  war.  Er  entfernte  sich  infolge 
dieser  wichtigen  Entdeckung  aus 
seinein  Observantenkloster  Monte- 

I  falconi  und  erschien  1526  in  Rom 
vor  Clemens  VII.,  der  ihm  gestattete, 
mit  seiner  pyramidalen  Kapuze  und 
seinem  langen  Barte  als  Einsiedler 
zu  leben  und  überall  zu  predigen, 
wenn  er  sich  nur  alljährlich  in  dem 
Provinzialkapitel  der  Observanten 
vorstellte.  Nach  vielen  Streitigkeiten 

j  mit  den  Franziskanern  gab  ihneu 
Clemens  VII.  am  Ii*.  Juli  152^  eine 
Bulle,  welche  sie  als  besondere  Kon- 
gregation bestätigte,  von  den  Ob- 

;  servanten  befreite  und  den  Konven- 
tualen  unterordnete,  das  letztere  üi- 
sofeme,  als  sie  nur  einen  General- 
vikar haben  durften,  sich  Visitationen 
von  den  Konveutualeugefalleu  lassen 
mussten  und  bei  Prozessionen  nur 
unter  dem  Kreuz»-  der  Kouventualen 
oder  der  Pfarrgeistlichkeit  gehen 
durften.  Seitdem  sie  nun  frei  mit 
ihren  lang  zugespitzt«'!!  Kapuzen 
prangen  durften,  wurden  sie  von 
den  Leuten  Capuzini,  Kapuziner- 
männchen, gescholten,  ein  Titel,  der 
1536  ausdrücklich  anerkannt  wurde: 
sie  hiessen  jetzt  CapucuU  ordinis 

fratrum  minor  um  oder  Fratres  mi- 
nores Capucini.  Ihr  erstes  Kloster 
war  das  von  Colmenzono.  In  ihren 
Statuten  wurde  verordnet,  sie  sollten 
den  Gottesdienst  iu  alter  strenger 
Weise  halten,  für  keine  Messe  eine 
Vergeltung  nehmen,  zwei  Stunden 
täglich  stilles  Gebet  pflegen,  während 
des  ganzen  Tages  mit  Ausnahme 
weniger  Stunden  Stillschweigen  be- 
obachten, das  Geissein  nicht  ver- 
gessen, weder  Fleisch,  Eier  noch 
Käse  betteln,  wohl  aber  das  alles, 


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481 


wenn  man  es  ungebeten  giebt,  an-  rung  in  Amerika,  Afrika  und  Asien 

nehmen,  nicht  mehr  erbetteln,  als  verdient.    Seit  dem  Ende  des  16. 

für  den  Tajj  nötig  ist,  nur  auf  drei,  Jahrhunderts  gab  et»  auch  Kapu- 

höchstens  sieben  Tage  Vorrat  sam-  zinerinnen.    Vogel  in  Herzogs  Real- 

meln  und  kein  Geld  anrühren.    Die  Encvkl. 

Kleidung  soll  ünnlieh,  grob  und  Karlssage.  Schou  sehr  früh  be- 
eng sein.  In  der  Regel  sollten  sie  mäehtigte  sich  die  Sage  der  Gestalt 
barfuss  gehen,  sich  nur  ausuahms-  Karls  des  Grossen,  dessen  ausser- 
weise  der  Sandalen  bedienen  und  ordentliche  Kraft,  Macht  und  Thätig- 
weder  zu  Pferde  noch  zu  Wagen  keit  schon  den  Zeitgenossen  als  von 
reisen.  Ihre  Klöster  sollen  in  der  übermenschlichem  Ursprung  erschie- 
erbärmlichstcn  Weise  aufgeführt  nen.  Man  erkennt  das  unter  andern 
werden  und  in  der  Regel  nur  sechs  aus  den  Aufzeichnungen,  die  der 
biß  sieben,  höchstens  zehn  oder  zwölf  namenlose  Mönch  von  St.  Gallen, 
Brüder  beherbergen.  Ausser  dem  Wonach  us  Sanqallenti*,  auf  Befehl 
Generalvikar  haben  sie  Provinzialen,  Karls  des  Dicken  verfasst  hat;  be- 
Kustoden und  Guardiane,  die  man  sonders  das  Verhältnis  Karls  zum 
alle  Jahre  neu  wählt,  nur  der  Ge-  Orient  und  sein  Zug  nach  Spanien 
neralvikar  steht  drei  Jahre  im  Amte,  gaben  der  Einbildung  Raum  zu 
Der  Stifter  und  erste  Generalvikar  wunderbarer  Ausschmückung.  Die 
Matthäus  von  Bassi  blieb  nur  zwei  Ausbildung  eines  zusammenhängen- 
Monate  im  Amt.  Grosses  Ansehen  den  Saßencyklus  geschah  aber  auf 
besass  anfangs  der  Generalvikar  französuhem  Boden ,  wo  Karl  dem 
Bernhardin  Occhim;  als  dieser  jedoch  sichallmählichentwickelndenroman- 
in  Genf  zum  Protestantismus  über-  tischen  Rittertum  neben  Artus  das 
ging ,  wollte  der  Papst  den  Orden  Ideal  des  ritterlich-christlichen  Hel- 
aufneben  und  verbot  aen  Kapuzinern  denkönigs  wurde;  seine  eigene  Person 
die  Predigt.  Nur  die  demütigst«*  zwar  trat  in  ähnlicher  Weise  wie 
Bitte  und  Unterwerfung  bewirkte  bei  Artus  zurück  und  seine  Pala- 
1540  die  erneuerte  Erlaubnis  der-  dine  traten  in  den  Vordergrund, 
selben.  Seitdem  erst  kam  der  Typus  namentlich  Roland,  von  dem  ge- 
der  Kapuziner  zur  scharfen  Aus-  schichtüch  gar  nichts  anderes  be- 
prägung  und  blieben  die  grösste  kannt  ist,  als  sein  Name  und  Ein- 
Beschränkung von  Genuss  und  Bil-  hards  Nachricht  im  Leben  Karl, 
dung  und  die  absichtliche  Verwahr-  Kap.  9:  es  sei  im  Engnass  der  Py- 
losung  von  Geist  und  Körper  die  renäen  nebst  vielen  anderen  gefallen 
Grunazüge  der  Heiligkeit  der  Ka-  Hruolandu*  britannici  Umitu  prae- 
puziner,  welche  nun  seit  der  Refor-  fectu»,  Roland,  der  Befehlshaber  im 
mation  unter  den  niederen  Volks-  britischen  Grenzbezirk.  Als  Haupt- 
«  klassen  eine  ähnliche  Wirkung  übten  quelle  der  französisch-karolingischen 
wie  die  Jesuiten  unter  den  höheren  Dichtungen  gilt  die  Vifa  Carofi 
und  höchsten  Ständen.  Ursprüng-  magni  et  Kolandi  des  Turpin,  wel- 
lich  auf  Italien  beschränkt,  kam  der  che  dem  11.  Jahrhundert  angehört; 
Orden  1574  nach  Frankreich,  1581  als  bedeutendste  Dichtung  das  Chan- 
in  die  Schweiz,  1592  nach  Deutsch-  J  son  de  Roland  oder  de  Honceveaujr 
land  und  zwar  zuerst  nach  Inns-  aus  dem  12.  Jahrhundert.  Seitdem 
brück.  Seit  1619  erhielten  sie  end-  in  Deutschland  Friedrich  I.  im  Jahre 
lieh  eigene  Generale  und  das  Recht,  1165  die  Gebeine  Karls  hatte  er- 
in  Prozessionen  unter  ihrem  eigenen  heben  und  Papst  Paschalis  III.  un- 
Kreuze zu  gehen;  auch  machten  sie  mittelbar  darauf  Karl  heilig  gc- 
sich  im  Gefolge  der  Spanier  und  sprocheu  hatte,  wurde  auch  hier 
Portugiesen  um  die  Heideubekeh-  Karls  Name  wieder  volkstümlich, 
Reallexlcün  der  deutschen  Altertümer.  31 


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482  Karmeliter. 


und  so  i-t  es  erklärlich,  dass  bald  eine  Niederlassung  und  Genossen- 
daranf  zwischen  1173  und  1  IT"  der  schaff  von  Einsiedlern,  wahrschein- 
J'fajfe  Kuitntd,  ein  Weltgeistlicher,  lieh  eine  Nachbildung  der  in  Kaia- 
das genannte  französische  Gedieht  hrien  heimisch  gewordenen  Kar- 
zuerst  in  lateinische,  diinn  in  deutsche  tauser.  Um  tlas  Jahr  1 1 S5  hat 
Verse  brachte.  Das  Gedicht,  ffuo«  mau  den  Berthold  noch  dort  gesehen, 
lande*  litt,  wurde  schnell  beliebt;  und  seine  Gesellschaft  ergänzte  und 
man  zierte  die  Handschriften  mit  vermehrte  sich  fortwährend  aus 
Bildern  aus  und  überarbeitete  es  abendländischen  Pilgern  und  ge- 
später. So  entnahm  mau  französi-  staltete  sieh  ordensmässig.  Broeard, 
sehen  Quellen  auch  eine  Bearbeitung  der  zweite  Vorsteher,  suchte  um 
der  Jugendgeschichte  Karls,  den  die  kirchliche  Bestätigung  nach 
Karlmtinet, d.h.  denkleinen  Charte-  und  erhielt  vom  Patriarchen  von 
maiitf  oder  Caro/ns  maffnu,*.  Andere  Jerusalem  1209  eine  Kegel.  Sie 
Gedichte  lehnen  sich  mehr  ausser-  besteht  aus  16  Artikeln  und  schreibt 
lieh  an  den  Karolingischen  Sagen-  Gehorsam  gegen  die  Oberen,  Woh- 
kreis  an,  wie  König  Ruther,  welcher  nung  in  abgesonderten  Zellen,  Er- 
der Vater  Pipins  und  Grossvater  j  richtung  eines  gemeins  unen  Bet- 
Karls  ist;  Flure  und  Blansehtjtur,  hauses,  Abhaltung  bestimmter  Ge- 
dic  Eltern  der  Bertha,  der  Mutter  bete,  Armut,  Handarbeit  und  für 
Karls  :  die  Gute  Frau,  deren  Ge- 1  bestimmte  Zeiten  Fasten  und  Schwei- 
mahl Karlmann,  deren  Söhne  Karl  gen  vor.  Im  Jahre  123h  verliess 
und  Pipin  der  Kleine  sind.  Zu  den  die  Gesellschaft  den  Berg  Karmel, 
Helden  Karls  zählt  der  heilige  117/-  wanderte  zuerst  nach  Cypern  aus, 
heim  ro,i  Orange,  den  Wolfram  von  dann  nach  Sieilien,  1240  erschienen 
Eschenbach  bearbeitete,  aber  un-  sie  in  England,  1244  in  Südfrank- 
vollendet  hinterliess;  Fortsetzungen  reich;  ihr  erstes  Geueralkapitel 
hat  man  von  Ulrich  von  Türheim  hielten  sie  1265  in  England.  Ein 
und  Ulrich  dem  Türliu.  Zur  karo-  von  König  Ludwig  dem  Heiligen 
lingischen  Sage  gehörten  sodann  1251)  in  Paris  errichtetes  Karmeliter- 
das  niederdeutsche  Gedicht  Valentin  kloster  trug  namentlich  zur  Ver- 
»nd  Xamefos,  aus  dem  14.  Jahr-  breituug  des  Ordens  in  Frankreich 
hundert,  und  die  aus  dem  Nieder-  und  Deutschland  bei.  Unterdessen 
deutsehen  in  schlechtes  Hochdeutsch  hatte  Inuocenz  IV.  im  Jahre  1247 
übertragenen  Geschichten  von  Ma-  auf  die  Bitte  des  Ordens  Ände- 
lagin,  Reinhold  von  Montalhan  und  rungen  in  der  Organisation  vorge- 
Off i er  von  Dänemark  aus  dem  15.  nomnien,  wodurch  sich  die  Karme- 
Jahrhundert;  sodann  die  aus  dem  liter  den  Bettehnönehen  nahem 
Französischen  übersetzten  Romane  sollten.  Die  Tracht  hatte  anfang- 
von  Lother  und  Maller,  die  vier  lieh  aus  weiss  und  schwarz  (oder 
Jiaimonskinder.  Kaiser  Oktavianus.  braun)  gestreiften  Mänteln  nach 
WadeernageL  Litteratur,  S.  57.  Die  dem  vorgeblichen  Beispiele  des  Elias, 
französische  Sage  ist  kritisch  unter-  bestanden;  jetzt  nahmen  sie  die 
sucht  bei  Oastoii  Paris,  Histoire  Dominikanertraeht  an,  nur  dass  sie 
pottifjue  du  Charlemagne.  Paris  1*65.  Schwarz  für  den  Rock,  Weiss  für 
Karmeliter.  Ein  gewisser  Bert-  den  Mantel  bestimmten.  Dazu  kam 
hold,  der  im  12.  Jahrhundert  aus  das  aus  zwei  Streifen  von  grauem 
Kalabrien  auf  einer  Wallfahrt  oder  Tuch  bestehende  Skapulier,  das 
einem  Kreuzzuge  nach  Palästina  Maria  selbst  vom  Himmel  herabge- 
gekominen  war,  gründete  auf  dem  bracht  haben  und  welches  alle,  die 
Berge  Karmel  da,  wohin  die  Sage  es  hier  im  Leben  tragen  oder  doch 
den  Wohnplatz  des  Elias  verlegt,  wenigstens    darin    sterben,  selig 


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Kartfiliser-Orden. 


483 


machen  sollte,  indem  Maria  alle 
Sonnabende  in  das  Fegfeuer  käme, 
um  die  Betreffenden  daraus  abzu- 
holen. Infolge  dieser  1287  aufge- 
kommenen Erfindung  machten  die 
Karmeliter  ihr  Glück,  und  es  ent- 
Btand  eine  Skapulierbrüderschaft, 
welche  ohne  ein  Ordensgelübde  eine 
grosse  Menge  von  Laien  dem  Kar- 
inelitcrorden  affilierte.  Den  Do- 
minikanern machten  die  Karmeliter 
die  Erfindung  des  Rosenkranzes 
streitig,  sie  setzten  der  Portiunkula- 
kirche der  Franziskaner  das  Haus 
der  Maria  zu  Loretto  entgegen  und 
behaupteten,  sie  hatten  in  der  Liebe 
zu  Maria  allen  Mönchen  den  Vor- 
rang abgelaufen.  Die  Verwilderung 
der  Ordenszucht  hatte  im  15.  Jahr- 
hundert mannigfache  Rcforinver- 
suche  zur  Folge,  dazu  gehörte  die 
1452  erfolgte  Stiftung  von  Frauen- 
klöstern des  Ordens  und  die  147G 
durch  Sixtus  IV.  geschehene  Ein- 
richtung von  Tertiariern.  Im  16. 
und  17.  Jahrhundert  hat  der  Orden 
namentlich  in  Spanien  eine  neue, 
von  schwerster  Askese  und  eigen  t- 
tümlicher  Mystik  getragene  Blüte 
erlebt  und  eine  Art  Mittelglied 
zwischen  Jesuiten  und  Kapuzinern 
gebildet;  ihr  Ubermut  war  so  gross, 
dass  sie  sich  des  höchsten  Alters 
unter  allen  Mönchsorden  rühmten 
und  eine  ununterbrochene  Erbfolge 
der  Ordensgenerale  wenigstens  vom 
Propheten  Elias  an  zu  beweisen 
vermeinten.  Vogel  in  Herzogs  Real- 
Encykl. 

KartUuser-Orden,  zählt  unter 
die  aus  dem  Benediktiner-Orden  im 
10.  und  11.  Jahrhundert  hervorge- 
gangenen, strengerem  kirchlichem 
Leben  gewidmeten  Ordensgesell- 
schaften. Sein  Stifter  heisst  Bruno. 
Er  war  vor  der  Mitte  des  11.  Jahr- 
hunderts in  Köln  von  adeligen  Eltern 
geboren,  hatte  auf  mehreren  hohen 
Schulen  Frankreichs  den  Studien 
obgelegen,  war  dann  Kanoniker  von 
St.  Kunibert  in  Köln  und  später 
Domherr   und  Kanzler  des  Dom- 


kapitels in  Rheims  geworden.  Als 
Lenrer  der  Theologie  wirkte  er  zur 
Verbreitung  der  Grundsätze  Gre- 
gors Vll.  und  stand  u.  a.  an  der 
Spitze  der  Gegner  und  Ankläger 
des  eigenen,  eines  schändlichen 
Lebenswandels  bezichtigten  Erz- 
bischofes  Mauasses  I.,  der  schliess- 
lich von  Gregor  exkommuniziert 
wurde.  Da  sich  Hruno  jedoch  von 
seinen  theologischen  Studien  religiös 
nicht  befriedigt  fand,  beschloss  er 
die  Welt  zu  verlassen  und  ein  aske- 
tisches Leben  zu  führen.  Er  begab 
sich  nach  Südfrankreich,  wo  von 
Italien  her  ein  neues  Einsiedler- 
leben soeben  Eingang  fand,  und 
Bischof  Hugo  von  Grcnoble  wies 
Bruno  mit  seinen  sechs  Gefährten 
den  wilden  Ort  fa  Chart 'reitst'  in 
der  Gegend  von  G  renoble  au.  Erst 
spätere  Jahrhunderte  wussteu  von 
einer  Wiederbekehrung  Brunos  zu 
berichten,  die  hier  nach  Sebastian 
Franks  Chronika  mitgeteilt  werden 
mag:  „Der  orden  hat  auss  solchem 
erschrecklichem  fall  seinen  anfang 
entpfangen:  dieweil  die  hoch  sehuol 
zuo  Pareiss  in  hoher  blücung  stuoud, 
da  was  under  in  einer  an  klarheit 
der  kunst,  frumbkeit  des  lebens  und 
hohem  geruch  die  andern  alle  über- 
treffende, der  starb.  Dieweil  nun 
die  Vigili  in  beiweisen  grosser  an- 
zal  der  hochgelerten  Doktom,  Mei- 
stern, gesungen  ward,  da  richtet 
sich  der  todt  leichnam  in  der  par 
auf,  mit  grosser  stimm  schreiende: 
Ich  bin  auss  gerechtem  gericht 
Gottes  verklagt,  jusfo  Dei  judieio 
accusatus  sum!  Des  entsetzten  sich 
alle  in  gegenwertigkeit,  entschlossen 
sich  den  leichnam  nit  zuo  ergraben. 
Des  Morgens  schrei  der  todt  leich- 
nam wie  vor.  Au  dem  dritten  tag  kam 
schier  die  ganz  statt,  das  wunder 
zuo  hören.  Da  stuond  der  gestorben 
abermals  auf  und  schrie:  Ich  bin 
auss  gerechtem  gericht  Gottes  ver- 
dampt,  jusfo  Dei  judieio  eondem- 
natus  sttml  Dise  stimm  durchdrang 
viler   herz,    allermeist  Brunonem, 

31* 


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484 


Karton.  —  Katharer. 


von  Cölen  biirtig,  ein  Regent  und 
schuolmeister  daselbs;  der  sprach 
zuo  seinen  jüngern:  sehen,  wie  jämer- 
lich  und  erbermblich  ist  der  ver- 
gangen, der  von  aller  menigklich 
in  seinem  leben  als  heilig  geaeht 
ward!  Demnach  verliess  er  die 
weit  und  ir  gebreng,  gieng  mit 
siben  mennern  in  ein  wüestine  und 
einöde  etc."  In  der  Chartreuse 
bauten  sie  sich  einige  Zellen,  in 
denen  sie  anfangs  paarweise  wohn- 
ten, und  ein  Bethaus.  Sie  kleideten 
sich  weiss,  verpflichteten  sich  zu 
stetigem  Stillschweigen,  zu  dem  Ab- 
halten der  mönchischen  Betstunden, 
zu  den  strengsten  Entsagungen  und 
Abtötungen  und  zum  Abschreiben 
andächtiger  Bücher.  Zwar  Bruno 
selber  wurde  später  von  Urban  IL, 
dessen  Lehrer  er  gewesen  war,  nach 
Rom  berufen  und  starb  in  der  wüsten 
Gegend  La  Torre  in  Calabrien,  wo- 
hin er  sich  zuletzt  als  Einsiedler 
zurückgezogen  hatte,  im  Jahre  1101. 
Doch  blieb  die  Chartreuse  bestehen, 
und  der  Orden  wurde,  nachdem 
schon  manche  neue  Niederlassungen 
gegründet  waren,  1170  vom  Papst 
Alexander  III.  als  selbständiger 
Mönchsorden  bestätigt.  Im  Janre 
1258  zählte  man  56  Kartäuser- 
Klöster.  Die  ersten  schriftlichen 
Statuten  des  Ordens,  die  Con*ue- 
tudines  Cartusiae,  stammen  aus  dem 
Jahn*  1130.  Das  Hauptziel  der 
Ordensgesetzc  ist  Abschliessung, 
nicht  bloss  von  der  Welt,  von  der 
Nachbarschaft,  sondern  sogar  vom 
Verkehr  mit  den  Ordens-  und  Haus- 
genossen, ja  von  allen  übrigen  Or- 
den und  von  allem  Einflüsse  auf 
Kirche  und  Welt.  Wirklich  hat 
auch  kein  anderer  Orden  so  wenig 
schlimme  innere  Bewegungen  und 
Spaltungen  erfahren,  wie  der  der 
Kartäuser.  Jeder  Mönch  bewohnt 
sein  eigenes  kleines  Gebäude,  dem 
ein  kleines  abgeschlossenes  Gärt- 
chen  beigegeben  ist;  in  diesen  Zellen, 
die  in  der  Regel  den  grösseren  der 
beiden  Kreuzgänge,  welche  sich  an 


die  Kirche  anschließen,  umgeben, 
verbringen  sie  den  grössten  Teil 
ihrer  Zeit  einsam,  in  Gebet,  Be- 
schaulichkeit und  Arbeit;  doch  sehen 
sie  sich  mehrmals  täglich  beim  ge- 
meinschaftlichen Gottesdienst  in  der 
Kirche,  im  Kapitelsaal  und  an  Sonn- 
und  Festtagen  bei  gemeinsamen 
Mahlzeiten  im  Refektorium,  bei  de- 
nen aber  nicht  gesprochen  werden 
darf.  Der  Fleischspeisen  enthalten 
sie  sich  völlig,  sonst  ist  ihre  Nah- 
rung mässig,  auch  Weingenuss  ge- 
stattet. Vorsteher  des  Ordens  ist 
der  Prior  des  Mutterklosters,  der 
grossen  Kartuse  bei  Grenoble;  hier 
versammelt  sich  alljährlich  das  Ge- 
neralkapitel, bei  welchem  die  Prioren 
sämtlicher  Klöster  erscheinen  oder 
sich  durch  Boten  und  Briefe  ver- 
treten lassen. 

Karten,  siehe  Landkarten  un  l 
Spielkarten. 

Kasperletheater.  Kaspar  hiess 
von  ieher  im  Mittelalter  einer  von 
den  neiligen  drei  Königen,  die  in 
den  Mysterien,  den  Dreikönigsspielen 
und  sonst  dem  Volk  jährlich  vor 
Augen  traten.  Seit  dem  15.  Jahr- 
hundert bemächtigte  sich  auch  dieses 
Spieles  der  Humor,  und  Kaspar,  der 
nun  als  Mohr  mit  geschwärztem  Ge- 
sicht auftrat,  erhielt  den  Schein  einer 
lustigen  Person  und  war  der  Wort- 
führer. Von  daher  erhielt  der  Name 
Kaspar  überhaupt  die  Bedeutung 
der  drolligen  Person  im  Spiel;  da- 
her der  Name  Kasperletheater 
statt  Puppentheater,  siehe  den  letz- 
teren Art. 

Kastenvogt,  Kastvogt,  ist  der 
weltliche  Schutzherr  eines  Stiftes, 
monastei'ii  adroeatus,  tutor,  dtfensor, 
so  benannt,  weil  er  hauptsächlich 
dessen  Zehenden  und  Einkünfte, 
den  Getreide-Kasten  zur  Aufbewah- 
rung des  Zehend -Getreides,  ver- 
waltete und  schützte.    Siehe  Vogt. 

Katharer  heisst  eine  im  Mittel- 
alter weit  verbreitete  Sekte.  Ver- 
gebung der  Sünden  und  Erlösung 
vom    Übel,  lehrten  sie,  werde  er- 


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Katharer. 


485 


langt  durch  Entsagung  der  Welt, 
der  Materie,  und  durch  Eintritt  in 
die  Gemeinschaft  der  Beinen,  ausser 
welcher  kein  Heil  sei.    Die  Auf- 
nahme geschah  durch  eine  feierliche 
Handlung  vermittelst  des  einfachen 
Auflegen*  der  Hände,  was  Conso- 
hmmtum  hiess,  welches  die  Geistes- 
tou/e  erteilen  sollte;  die  Wasser- 
twfe  verwarfen    sie.    Erst  nach 
eiBpfiingenem  Consolamentum  war 
man  ein  vollkommener,  perfectus, 
deoeu  allein  der  Name  Cathari  ge- 
bohrte; in  Frankreich  nannten  sie 
sich  hon*  hommes;  die  Katholiken 
biessen  sie  schlechthin  die  Haeretici, 
diber  auch  das  Wort  Ketzer  bald 
<fer  Xarae  für  Häretiker  überhaupt 
«Tirde.   Die  Vollkommenen  waren 
<he  Lehrer,  die  Verwalter  der  Ge- 
bräuehe; sie  mussten  sich  alles  des- 
enthalten,  was  als  Todsünde  an- 
gesehen wurde,  lebten  ohne  Besitz 
und  ehelos,  genossen  nur  vegetabili- 
sch* Nahrung  oder  Fische  und  faste- 
ten streng  zu  gewissen  Zeiten  des 
Jahres.  Sie  hatten  die  Regel,  immer 
ni  zweien  zu  sein,  doch  konnte  der 
Sörius  auch  ein  blosser  Gläubiger 
Sie  erkannten   sich  an  be- 
*mmten  Zeichen,  durch  welche  so- 
£*r  die  Häuser,  worin  sie  wohnten, 
«Jeu  Brüdern  erkennbar  waren.  Auch 
unter  den  Frauen  gab  es  Vollkom- 
mene, welche  jedoch  weder  lehrten 
**h  herumreisten,  sondern  in  Hül- 
fen einsam  lebten  oder  sich  mit  der 
Erziehung  junger  Mädchen  abgaben. 
Die  Zahl  der  Vollkommenen  war 
Strenge  ihres  Lebens  zufolge 
*w»  gering;  uin  1240  sollen  ihrer 
*t)ö  in  £anz  Europa  gewesen  sein. 
Doch  gab  es  unendlich  viele  Gläu- 
bige, rralentes,  denen  Güterbesitz, 
Eh*.  Genuas  aller  Art  Speisen  ge- 
stattet war,  doch  unter  der  Bedingung, 
Sünden  den  Geistlichen  der 
kitte  zu  beichten    und  jedenfalls 
dem  Tode  das  Consolamentum, 
■fc  unerläßliches  Heilmittel,  zu  er- 
h»j»n.  Die  Vollkommenen  bildeten 
Hammen  die  katharische  Kirche, 


die  sie  die  allein  wahre  und  reine 
nannten.  Ihre  religiösen  Gebräuche 
waren  sehr  einfach ;  wo  sie  mächtig 
genug  waren,  um  öffentlich  aufzu- 
treten, wie  in  Südfraukreich  und  in 
Bosnien,  hatten  sie  eigene  Bet- 
häuser, aber  ohne  Bilder,  Kreuze 
und  Glocken;  man  sah  nichts  darin 
als  einen  mit  einem  weissen  Tuch 
bedeckten  Tisch,  auf  welchem  das 
beim  Evangelium  Johannis  aufge- 
schlagene Neue  Testament  lag.  Vor- 

j  lesung  einer  Stelle  und  Erklärung 

|  derselben  bildete  den  Hauptteil  des 
Gottesdienstes;  hierauf  folgte  der 
von  den  Gläubigen  knieend  be- 
gehrte und  empfangene  Segen;  den 
Schluss  bildete  das  gemeinsam  ge- 
sprochene  Vater  Unser,   mit  den 

i  Worten:  Gieb  uns  heute  unser  über- 
sinnliches Brot  (supersubstantialem 
panemj  und  mit  der  Doxologie;  und 
zuletzt  noch  einmal  der  Segen.  Das 
Abendmahl  wurde  ersetzt  durch 
Brechen  und  Segnen  des  Brotes 
durch  die  Vollkommenen,  und  zwar 
bei  jeder  Mahlzeit,  welcher  solche 
beiwohnten;  dieses  geweihte  Brot 
wurde  durch  die  Gläubigen  sorg- 
fältig aufbewahrt,  es  sollte  täglich 
ein  Stück  davon  genossen  werden; 
doch  verwarf  man  dabei  jede  Be- 
ziehung auf  den  Leib  Christi.  Als 
Beichte  hatten  die  Katharer  ein 
öffentliches,  von  den  Gläubigen,  wie 
von  den  Vollkommenen  abgelegtes 
Süudeubekenntnis.  Abgesehen  von 
Weihnachten,  Ostern  und  Pfingsten 
machten  sie  keinen  Unterschied  der 
Tage.  Ihre  kirchliche  Organisation 
führten  sie  zum  teil  auf  die  ursprüng- 
liche christliche  Kirche  zurück.  Sie 
hatten  nur  Bisehöfe  und  Diakonen; 
dem  Bischöfe  waren  zwei  Gehilfen 
oder  Stellvertreter  beigegeben,  Fi- 
lius major  und  Filius  minor  ;  es  gab 
grössere  und  kleinere  Synoden. 
Der  Ursprung  der  Katharer  ist 

I  wahrscheinlich  unter  den  Slaren  zu 
suchen,  und  zwar  in  Bulgarien.  In 
Thrazien  verbreitete  sich  der  Katha- 
rismus  unter  dem  Namen  Bogotnili*- 


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486 


Kaufhaus. 


mu*,  der  hauptsäc  hlich  in  Philippopel 
und  Konstantinopel  vertreten  war. 
Handeltreibende  Slaven  brachten 
die  Sekte  nach  Italien,  wo  um  1035 
ein  Katharer  verbrannt  wurde.  Sie 
war  später  namentlich  in  der  Lom- 
bardei verbreitet;  doch  rindet  man 
ausser  in  Mailand  auch  in  Florenz, 
dem  Kirchenstaate,  in  Kalabrien  und 
Sizilien  lange  Zeit  katharischo  Kir- 
chen, die  zuletzt  mehrere  Diöeesen 
bildeten.  Tin  14.  Jahrhundert  ver- 
schwindet hier  ihre  Spur. 

Am  mächtigsten  waren  die  Katha- 
rer in  Südfrankreich,  wohin  sie  in 
den  ersten  Jahren  des  11.  Jahr- 
hunderts kamen.  Vergebens  durch- 
reiste 1147  der  heilige  Bernhard  das 
Land,  um  sie  zu  bekehren;  Fürsten 
und  Adel  beschützten  sie,  60  dass 
sie  sich  frei  entwickeln  konnten. 
Sie  waren  hier  in  mehrere  Bistümer 
geteilt,  deren  bedeutendste  die  von 
Toulouse  und  Alhy  waren \  vom  letz- 
teren wurden  sie  meist  Alhiflcnser 
genannt.  Im  Jahre  1165  hielten  die 
katholischen  Bischöfe  im  Schlosse 
Lombers  bei  Alby  ein  öffentliches 
Religiousgespräch  mit  den  kathari- 
schen  Geistlichen  des  Landes;  die 
letzteren  gingen  frei  aus,  und  man 
musste  sich  begnügen  ihre  Lehre 
zu  verdammen.  Nachdem  der  von 
Prälaten  und  Mönchen  begleitete 
Kardinal-Legat  Peter  1178  gegen 
sie  ebenfalls  nichts  ausgerichtet  hatte, 
sandte  Alexander  III.  1180  den  Kar- 
dinal Heinrich,  früher  Abt  von  Clair- 
vaux,  ins  Land,  um  den  ersten 
Kreuzzug  gegen  die  Albigenser  zu 
predigen,  ebenfalls  ohne  wesentliche 
Erfolge.  Zu  Anfang  des  13.  Jahr- 
hunderts gehörten  fast  sämtliche 
Fürsten  und  Barone  Südfrankreichs 
zu  deu  Gläubigen;  in  Schlössern 
und  Städten  hielten  die  allgemein 
verehrten  Bons  hommes  öffentlich 
ihre  Versammlungen;  in  vielen  hat- 
ten sie  Bethäuser  und  Schulen  für 
Knaben  und  Mädchen:  die  katho- 
lische Kirche  war  zum  Gespötte  ge- 
worden.   Erst  Innocenz  III  gelang 


es,  mit  Hilfe  der  Dominikaner  und 
der  Inquisition  die  Ketzerei  zu  unter- 
drücken. 

Nach  Deutschland  kam  der  Ka- 
tharismus  teils  von  dem  slavischen 
Osten  her,  teils  aus  Flandern  und 
der  Champagne.  Schon  1052  wur- 
den zu  Goslar  Katharer  zum  Tode 
verurteilt.  Besonders  zu  Köln  und 
Bonn  bestand  die  Sekte  fort.  In 
der  ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhun- 
derts rinden  sich  katharische  Ge- 
meinden in  Bayern  und  am  Rhein 
hinab.  In  den  letzteren  Gegenden 
wirkte  seit  1131  der  Dominikaner 
Konrad  von  Marburg.  Seitdem 
verschwinden  sie  in  Deutschland. 
Schmidt  in  Herzogs  Beal-Encvkl. 

Kaufhaus.  Es  giebt  im  Mittel- 
alter zwei  Formen  dieser  Einrich- 
tung, Kaufhof  und  Kaufhaus  im 
engeren  Sinne. 

Der  Kauf-  oder  Kauffahrerhuf 
ist  ein  gemeinsames  Herbergshaus. 
das  die  durch  gemeinsame  Heimat 
verknüpften  Grosskaufleute  an  den 
Auslandsplätzen  besassen  und  wo 
sie  zugleich  Wohnung,  Stallung, 
Geschäftsbetriebsräume  und  Vor- 
ratskammern fanden.  Dazu  gehören 
u.  a.  die  uralten  Teijnhöfe  der  slavi- 
schen Grossstädte,  namentlich  Prags, 
der  Fondaco  dei  Tedeachi  zu  Vene- 
dig und  der  hansische  Stahlhof  zu 
London. 

Das  deutsche  Kaufhaus  im  enge- 
ren Sinne,  das  auch  in  kleineren 
Städten  vorkommt,  hat  zum  Zweck, 
einerseits  dem  lokalen  Handelsver- 
kehre einen  konzentrierenden  Mittel- 
punkt zu  schaffen,  und  andererseits 
aen  Geschäftsbetrieb  der  Fremden, 
indem  es  ihn  in  einen  bestimmten, 
öffentlich  überwachten  Raum  bannt, 
auf  ein  erträgliches  Mass  zu  redu- 
zieren. Alte  Benennungen  des  Kauf- 
hauses sind  koufhus,  halle,  se/fehits. 
In  der  Recel  inuss  ihre  Entstehung 
auf  einen  Bewilligungsakt  des  Stadt- 
herrn  zurückgefünrt  werden.  Nach 
seiner  baulichen  Gestaltung  bestand 
das  Kaufhaus  gewöhnlich  aus  zwei 


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Kawertscben.  —  Kegel. 


487 


Stockwerken,  deren  jedes  zunächst 
eine  Anzahl  von  Koußameren  enthielt, 
abgeschlossene  Gemächer  von  an- 
sehnlicher Breite,  mit  Auslegetischen 
für  die  Waaren  versehen;  sie  konn- 
ten entweder  im  Ganzen  an  einen, 
oder  in  Teilen  an  mehrere  Händler 
vermietet  werden:  im  oberen  Stock- 
werke wurden  kostbarere,  im  unte- 
ren geringere  Artikel  feilgeboten. 
Die  übrigen  Räumlichkeiten  bestan- 
den aus  Versammlungsstuben,  Spei- 
chern, Gewölben  und  Kellern.  Line 
Kaufkammer  oder  eine  Stelle  darin 
zu  mieten,  stand  jedem  wirklichen 
Kaufmann  frei;  doch  gab  es  ge- 
wisse Gewerbserzeugnisse,  mit  de- 
nen nur  im  Kaufhaus  gehandelt 
werden  durfte,  namentlich  der  Tuch- 
verkauf, nicht  der  ballenweise,  son- 
dern der  sog.  Gewandschnitt,  das 
ist  der  Verkauf  in  Viertels-  oder 
Sechstelstücken  oder  nach  der  Elle; 
auch  scheint  diese  Beengung  des 
Tuchhandels  allmählich  nur  noch 
die  fremden  Händler  oder  die  Gäste 
betroffen  zu  haben.  Die  im  Ober- 
raum des  Kaufhauses  befindliche 
Saalhalle  war  das  korporative  Ge- 
schäftslokal des  städtischen  und  aus- 
wärtigen Handelsstandes,  zuweilen 
auch  das  städtische  Gerichtslokal. 
Die  Beamten,  welche  die  Beauf- 
sichtigung und  Leitung  des  Kauf- 
hauses unter  sich  hatten,  waren  die 
Kaufhaus- Meister  oder  Kaufhaus- 
Herrn,  ein  Ratsausschuss ,  dem  zu- 
gleich die  kaufhäusliche  Gerichts- 
barkeit über  die  während  der  Ge- 
schäftsstunden geschehenen  über- 
farungen  und  über  Handelsschuld- 
sachen der  im  Kaufhause  Verkehren- 
den oblag;  der  Kaufhaus-  Vorstand 
oder  Amtmann  ist  ein  angestellter 
städtischer  Beamter  höheren  Ranges ; 
dann  giebt  es  noch  einen  Kaufhaus- 
Seh reiler,  Ka  u fh a  us-  (  m g ei 7 er  ',  Ka uf- 
haus- Zöllner ,  Wärter,  Wagmeister 
und  Pförtner.  In  das  Kaufhaus- 
Buch  wurden  die  in  das  Kaufhaus 
gebrachten  Handels-Güter  und  ge- 
wisse Zahlungsgelöbnisse  verzeich- 


net. In  vielen  grösseren  Städten 
gab  es  ausser  dem  allgemeinen 
Kaufhause  noch  ein  Gewana'-  oder 
Tuchhaus,  das  oft  geradezu  das 
Kaufhaus  vertrat,  und  andere  ge- 
sonderte Gebäude  für  den  Umsatz 
von  Leinenwaaren,  Kleidungsstoffen 
von  Halbseide  und  leichter  Wolle, 
Garngespinsten  und  Geweben,  Le- 
der u.  s.  w.  Artushöfe  oder  Junker- 
höfe sind  seit  dem  14.  Jahrhundert 
in  Danzig,  Elbing,  Königsberg  und 
anderen  altpreussischen  Städten  be- 
stehende, umfang-  und  schmuck- 
reiche Steingebäude,  worin  der  ge- 
samte Kauneutestand  seine  täg- 
lichen wie  ausserordentlichen,  dein 
Ernste  und  der  geselligen  Erheite- 
rung gewidmeten  Zusammenkünfte 
hielt  und  wo  auch  bei  den  Vor- 
stehern eingeschriebene  Fremde,  na- 
mentlich aus  den  befreundeten 
Hansastädten,  Zutritt  bekamen. 
Nach  Gengier,  deutsche  Stadtrechts- 
Altertümer.    Kap.  16. 

Kawertschen,  Gawerschen,  Kau- 
mersin,  heisst  eine  im  Mittelalter 
neben  Lombarden  und  Juden  oft 
genannte  Klasse  von  Geld  Wucherern; 
sie  stammten  aus  der  Stadt  Gabors 
in  der  Landschaft  Guyennc  und 
trieben  ihren  Gehlerwerb  durch  ganz 
Frankreich,  England  und  Deutsch- 
land. Im  Jahre  1150  bewilligte 
Kaiser  Friedrich  I.  dem  Herzog  von 
Österreich  nicht  nur  Juden,  sondern 
auch  „Gewertschin"  in  seinem  Land 
aufzunehmen.  Sie  verschwinden  im 
14  Jahrhundert  aus  der  Geschichte, 
während  von  den  Lombarden  noch 
mehrere  Jahrzehnte  des  15.  Jahrhun- 
derts hindurch  die  Rede  ist.  Amiet, 
die  französischen  und  lombardischen 
Geld  Wucherer  des  Mittelalters,  na- 
I  mentlich  in  der  Schweiz,  im  Jahr- 
buch für  schweizerische  Geschichte, 
Bd.  1  u.  2,  1877  11.  1878. 

Kejrel  in  der  Redensart  Kind 
und  Kegel  ist  soviel  wie  unehelicher 
Sohn.  Es  ist  ein  im  Hause  ent- 
standener Ausdruck,  der  seinen  rech- 
ten Sinn  im  Munde  des  Hausvaters 


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488 


Kegelspiel.  —  Kelch. 


hatte  zu  einer  Zeit  die  sehr  weit 
zurückliegt,  als  Kebsweiber  neben 
dem  Eheweib  von  Herkommen  und 
Sitte  erlaubt  waren.  Siehe  Grimms 
Wörterb. 

Kejrelspiel ,  mhd.  kegelen,  war 
iin  Mittelalter  in  Stadt  und  Land 
beliebt,  namentlich  an  der  Kirch- 
weihe und  auf  den  Schiessplätzen. 
Eine  Augsburger  Chronik  vom  Jahr 
1470  erzählt:  Ks  waren  auch  auf- 
geworfen fünf  klainater  (Gewinne), 
darumb  (jemain  gesellen  kegelelen; 
welcher  in  drei  würfen  am  meisten 
kegel  trarf,  der  getrau  das  best,  und 
ain  baur  von  Menchingen  trarf  siben 
kegel  in  drei  Würfen.  Früh  kom- 
men auch  schon  Verbote  des  Spie- 
les vor,  in  Frankfurt  a.  M.  z.  B.  1443. 
Hildebrand  spricht,  darauf  fussend, 
dass  das  Wort  Kegel  ursprünglich 
soviel  als  Schienbein  oder  Waden- 
bein bedeutete,  und  dass  man  ur- 
sprünglich aus  dem  Kegel  im  Kno- 
cnengebäude  einen  Kegel  zum  Spiel 
machte,  folgende  Vermutungen  aus, 
Grimms  Wörterbuch  V,  385:  „Es 
lässt  sich  denken,  dass  das  Kegel- 
spiel sehr  alt  sei,  es  ist  auf  dem 
Lande  noch  ein  oder  das  Haupt- 
vergnügen an  Sonntagen  und  den 
hohen  Festen;  war  es  vielleicht  von 
jeher  ein  Anhang  der  hohen  Feste 
aus  der  heidnischen  Zeit  her?  und 
ist  der  Kegel  vom  Pferde,  der  zum 
Spiele  dient,  ursprünglich  von  dem 
Pferde,  das  dem  Wuotan  geopfert 
ward?  oder  von  den  den  Göttern 
geopferten  Kriegsgefangenen  ?  Denn 
gerade  Wuotan  liebte  Pferde-  und 
Menschenopfer,  und  nichts  liegt 
näher,  als  dass  man  von  dem  Opfer 
wie  das  Fleisch  zum  Opferschmause, 
so  die  Knochen  zu  den  Spielen 
nahm  und  beide  dadurch  gleichsam 
heiligte.  Der  wilde  Jäger,  d.  i. 
Wuotan,  führt  noch  Rossknochen 
bei  sich,  und  an  heiligen  Orten,  wo 
sonst  die  Fa»tnachtfeier  ihre  Stelle 
hatte  nebst  allerlei  Spielen  und 
Leibesübungen,  weiss  das  Volk  von 
gespenstigen  Kegelbahnen:  ja  in  dem 


Kindermärchen  erscheint  ein  ge- 
spenstiges Kegelspiel  mit  Totenbei- 
nen als  Kegeln  und  Totenköpfe u 
als  Kugeln.  Das  Kegeln  im  Him- 
mel, was  das  Volk  im  Donnern  fin- 
det, gehört  ja  wohl  auch  ursprüng- 
lich Wuotan  an,  in  der  Oberpfalz 
u.  a.  schreibt  man  es  dem  heiligen 
Petrus  zu.  Die  Zahlen,  in  deneu 
die  Kegel  auftreten,  neun  und  drei, 
sind  beide  heilige  Zahlen.  Übrigens 
scheint  das  Kegeln  ursprünglich  nur 
eine  Ausbildung  oder  besondere  An- 
wendung des  alten  Steinstossens, 
Steinwerfens,  das  ja  wohl  mit  an- 
deren Kraftübungen  als  Wettspiel 
die  Götterfesttage  verherrlicnen 
half."  Kriech,  Bürgertum.  I,  423. 
Zettler  in  Ersch  und  Gruber. 

Kelch.  Der  Kelch,  lat.  calir, 
engl,  chalice,  franz.  calice,  ist  ein 
profanes  Trink-,  hauptsächlich  aber 
ein  kirchliches  Altargefass,  das  schon 
in  der  ersten  Zeit  der  Christenheit 
gebraucht  wurde,  zur  Austeilung  des 
in  Wein  verwandelten  Blutes  Christi. 
Man  unterscheidet  den  Abendmahls-, 
Speise-,  Kommunions-  oder  Laien- 
kelch, der  bis  zur  Kelchentziehung 
nun  1220)  der  Gemeinde  den 
Wein  spendete,  den  Sammelkelch, 
in  welchem  der  von  den  Gemeinde- 
gliederu  dargebrachte  Wein  (später 
das  Opfergeld)  gesammelt  wurde, 
den  Konsekrationskelch,  in  welchem 
der  Priester  die  Verwandlung  des 
Weines  in  Blut  vornahm,  den  kleis 
nen  Messkelch,  den  der  Priester  bei 
der  Messe  für  sich  gebrauchte,  den 
noch  kleineren  Brise-  oder  Kranken- 
kelch, der  den  Sterbenden  gereicht 
wurde,  den  Grahkelch  und  endlich 
den  Taufkelch. 

Der  älteste  auf  uns  gekommeue 
Kelch  dieser  Art  stammt  aus  der 
Zeit  Justinians  und  zeigt  bereits  die 
abgeschwächten  Formen  der  späte- 
ren Kaiserzeit,  ist  zweihenkelig  und 
am  oberen  Rande  mit  kleinen,  von 
Filigran  eingefassteu  herzförmig  ge- 
schliffenen Edelsteinen  (abwechselnd 
Rubinen  und  Smaragden)  versehen. 


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Kelch. 


489 


Den  Reichtum  der  fränkischen  Kir- 
chen deutet  eine  Nachricht  über  die 
Beute  Childeberte  an,  der  in  Ama- 
larichs  Palast  60  Kelche,  15  kost- 
bare Platten  (Patenaej  zum  Ge- 
brauche beim  Abendmahl  und  20 
kostbar  verzierte  Behälter  zur  Auf- 
bewahrung der  Abschriften  des  hei- 
ligen Evangeliunis  vorgefunden  und 
an  die  Kirchen  und  Gotteshäuser 
seines  Reiches  verteilt  haben  soll. 

Bei  dem  Aufschwung  des  reli- 
giösen und  kirchlichen  Lebens  zur 
Zeit  der  Kreuzzüge  und  der  fort- 
schreitenden Kunst  der  Verarbei- 
tung edler  Metalle  wird  der  Ge- 
brauch der  heiligen  Gefässc  immer 
allgemeiner  und  deutlicher  nach- 
weisbar. Genannt  werden  der  Kelch 
mit  der  Patena  (Hostienteller)  und 
der  Saugröhre  zum  Saugen  des 
Weines,  die  dbofien  in  welchen  die 
Hostien  aufbewahrt  werden,  ferner 
die  Schüsseln ,  (riessfjefässe ,  Tauf- 
Itecken ,  Weih-  und  Sprenqkessel, 
Rnuch*rfässer,  Büchsen,  Salb-  und 
Ölßäschchen  und  die  ReH<jitienbehal- 
ter.  Die  grossen  Speise-  und  die 
zur  Schmückung  des  Altars  ver- 
wendeten Prachfkelche  wurden  von 
Päpsten,  Königen  und  Kaisern  oft 
geschenkt  und  waren  köstlich  ge- 
arbeitet. Bestimmtere  Vorschriften 
existierten  für  die  Beschaffung  der 
kleineren  Kelche,  die  in  der  ältesten 
christlichen  Zeit  aus  Glas,  Holz, 
Horn,  Elfenbein,  selten  aber  aus 
Metall  bereitet  waren.  Im  Jahr  787 
wurden  die  hörnernen,  811  die  höl- 
zernen, 813  die  kupfernen,  später 
auch  die  gläsernen  verboten.  Zu- 
lässig waren  nur  noch  goldene  und 
silberne,  die  kimfernen  allerhöchstens 
mit  eiuer  starken  Verjgoldung.  Är- 
mere Kirchen  halfen  sich  jedoch  mit 
zinnernen  Gefässen.  Vorgeschrieben 
waren  ausser  dem  Stoff  auch  Form 
und  Verzierung.  Der  Kelch  sollte 
aus  Fuss,  Schaft,  Knauf  und  Sehale 
bestehen  und  auf  der  Fläche  des 
Fusses  (Pes)  keine  andere  Verzierung 
als    die  Darstellung    des  Leidens 


Christi  enthalten.  Der  Schaft  r%- 
lus)  sollte  der  Breite  der  Hand  ent- 
sprechen, der  Knauf  je  nach  Ver- 
mögen mit  Edelsteinen  besetzt  wer- 
den, die  Schale  (Cuppa)  nach  dem 
Schaft  hin  etwas  enge,  nach  oben 
sich  erweiternd  und  der  Rand  selber 
so  beschaffen  sein,  da<s  er  weder 
ein-  noch  auswärts,  noch  irgendwie 
gebogen  erscheine.  An  der  Kuppe 
durften  keine  Kreise  gezogen  wer- 
den, und  allfallige  Zieraten  waren 
mindestens  zwei  bis  drei  Finger 
breit  vom  Rande  fern  zu  halten,  der 
nieht  breit,  sondern  mehr  scharf 
auslaufend  gebildet  werden  musste. 
Selbstverständlich  ist,  dass  diesen 
Vorschriften  nicht  immer  nachgelebt 
wurde  und  zwar  von  Seiten  der- 
jenigen, die  sie  aufgestellt  oder 
wenigstens  in  erster  Linie  zu  über- 
wachen hatten.  Der  Kelch  des 
heiligen  Gozlin,  Bischof  von  Toul 
(922—9621,  ist  zweifach  gehenkelt, 
hat  eine  halbkugelform  ige  Schale, 
einen  umgebogenen  Rand  und  ist 
an  allen  1  eilen  mit  Gravierung  ver- 
sehen und  reichlich  mit  Edelsteinen 
geschmückt.  Dieselbe  Willkürlich- 
keit in  Form  und  Ausstattung  zeigen 
auch  die  übrigen  Kelche  desselben, 
sowie  besonders  die  des  11.  und  12. 
Jahrhunderts,  so  der  Kelch  des 
heiligen  Remigius  in  der  Bibliothek 
zu  Paris  und  der  Speisekelch  im 
Stift«'  Wilten  (Tirol),  welch  letzte- 
rer besonders  mit  bildlichen  Dar- 
stellungen aus  der  heiligen  Schrift 
geschmückt  ist.  Im  12.  Jahrhundert 
erscheint  der  Kelch  fast  ohne  Aus- 
nahme halbkugelförmig  auf  kurzem 
Fuss,  der  Becher  aber  in  der  noch 
heute  üblichen  Becherform  oder  in 
der  Gestalt  eines  kleinen  aus  Dau- 
ben zusammengefügten  Fässchens. 

Auch  das  13.  Jahrhundert  bringt 
keine  neuen  Formen,  sondern  be- 
gnügt sich  hauptsächlich  damit,  teils 
den  Fuss  rosettenartig,  teils  Schaft 
und  Knauf  statt  rund  nun  mehr- 
flächig  und  die  Koppe  um  weniges 
höher  und  schlanker,  eiförmiger  zu 


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490 


Kelch. 


Daneben    verdient  er- 


werden,  «las.-  gegen  Ende 


gestalten, 
wähnt  zu 

desselben  Jahrhunderts  ein  neues 
Kirchengefäss  eingeführt  wird,  die 
Monstranz ,  dessen  wirklicher  Ge- 


oder  zu  einem  Rosettengetlecht.  Die 
Kuppe  bedeckt  man  häutig  bis  über 
die  Mitte  mit  Masswerk  oder  mit 
pflanzlichem  Zierat,  gemischt  mit 
eingravierten  Darstellungen  von 
Szenen  aus  der  Leidensgeschichte. 


brauch  jedoch  durch  äussere  Um- 
stände verzögert  erst  zwischen  1317  Siehe  Fig.  79.    Gotischer  Kelch  aus 
bis  IH30  beginnt.  Hohenstein,  nach  Müller  und  Mothes, 


?gmut 

Die  Folgezeit  war  bestrebt,  den 
Kelch  schlanker  zu  machen;  die 
halbeiförmig  gebildete  Kuppe  wurde 
nach  unten  noch  suitzer  zusammen- 
gezogen. Der  Schmuck  blieb  im 
wesentlichen  im- 
mer noch  auf  den 
Fuss  beschrankt, 
der  statt  kreisrund 
wie  bisher,  sich  nun 
mehrflächi^  und  ro- 
settenförmig  auf- 
steigend verjüngte. 
Die  Flächen  wur- 
den nach  innen  ge- 
sehweift und  bis 
zum  Mittelknauf  hin 
durch  Stabverzie- 
rungen oft  in  Ver- 
bindung mit  geo- 
metrischen Figuren 
in  baulicher  Weise 
ausgestattet  Auch 
der  Knauf,  der  obere 
Teil  des  Fusses, 
wurde  demgemäss 
verziert,  der  rund, 
kugel-    und  eifor- 


Gotbcher  Kelch 
Hohenstein. 


mig,  mit  kantigen      Fig.  79. 
Ausladungen,  mehr 
und  mehr  mit  dem 
Schafte  zu  einem  Ganzen  sich  ge- 
staltete.   Daneben  fuhr  man  fort, 
die  zu  Prachtstücken  bestimmten 
Kelche  gelegentlich  sehr  reich  zu 
emaillieren    und    stellenweise  mit 
Filigranarbeit  und  farbigen  Steinen 
zu  besetzen. 

Das  15.  Jahrhundert  ging  hierin 
noch  weiter.  Der  Fuss  des  Kel- 
ches gestaltete  sich  zu  einem  form-  Becher  selbst  reich  geschmückt  war 
liehen  Bündel  von  reichgeglie-  mit  getriebener,  gravierter  und  ein- 
dertem  und  durchbrochenem,  spitz-  gelassener,  eingeschmolzener,  mel- 
bogigem  Nischen-  und  Pfeilerwerk  Vierter   oder  farbiger  EmaiUrbeit. 


arch.  Wörterb.  Noch  freiere  For- 
men brachte  die  Renaissance,  die 
äussere  Unterschiede  zwischen  dem 
kirchlichen  und  weltlichen  Kelche 
nicht  mehr  kennt  und  zu  deren  Ver- 
zierung alles  auf- 
bietet. Der  Kelch 
wird  möglichst 
schlank  gebaut.  Der 
Fuss  erhält  jede  be- 
liebige Ge.-talt.  Der 
Schaft  verliert  den 
Mittelknauf  und 
setzt  sich  zusam- 
men aus  runden, 
linsen-  und  eiförmi- 
gen Körpern,  gera- 
den, aus-  und  ein- 
wärts geschwunge- 
neu Platten,  Lei- 
sten und  dergleichen 
nebst  dazwischen 
und  darüber  ange- 
ordnetem Kleinzie- 
rat.  Die  Kuppe 
nahm  an  Höhe  zu, 
sodass  sie  oft  zwei 
Drittel  der  Gesamt- 
länge betrug.  Sie 
wechselte  in  allen 
Formen,  welche  ihr 
Zweck  irgend  zulicss,  zwischen  denen 
des  einfachen  Bechers  und  eines  man- 
nigfachst geschwungenen,  vielfläehi- 
gen  teilweise  gebuckelten  oder  auch 
einwärts  getriebenen  Gefässes,  ja  zu- 
weilen selbst  in  den  Gestalten  von 
geriefeltem  Muschelwerk  und  wani 
gewöhnlich  mit  einem  entsprechen- 
den Deckel  versehen,  der  wie  der 


Keller.  —  Kerbholz. 


4t)  1 


Im  IT.  Jahrhundert  artete  die  Ver- 
zierung oft  in  geschmacklose  Schnur- 
kelei  aus,  was  besonders  von  man- 
chen „Willkommbechern''  der  Zünfte 
und  Innungen  gesagt  werden  mnss. 
die  neben  oder  zwischen  dem  Zierat 
oft  eingefügte  Schau-  und  Gedenk- 
münzen zeigen.  Nach  HV/.w,  Kostüm- 
kunde.  Vgl.  Otir,  Handb.  §  40. 

Keller,  aus  lat.  eellaruMj  der- 
selbe Stamm  und  Begriff  wie  Kellner, 
heisst  der  über  die  ertfa,  den  Keller, 
gesetzte  Schaffner,  Kellermeister. 
In  den  Klostern  war  der  pater  cel~ 
larius  Klosterbeamter.  Karls  des 
Grossen  capitularium  tle  villi*  er- 
wähnt der  eeUarü\  es  sind  diejeni- 
gen weltlichen  Beamten,  welche  die 
Weinberge,  Weingärten  samt  ande- 
ren Einkünften,  die  in  den  Keller 
einzuliefern  waren,  wie  Honig,  Käse, 
Fische,  Gartenfrüchte,  Wolle  zu 
verwalten  halten.  Der  Keller 
steht  unter  dem  Maier  \  während 
dieser  die  Oberverwaltung  und  na- 
mentlich das  untere  Gerichtswesen 
unter  sich  hat,  steht  dem  Keller 
die  Besorgung  der  Landökonomie 
zu.  Das  Wort  hat  sich  als  weit- 
verbreiteter Geschlechtsname  er- 
halten. 

Kelnhof,  Kelhof  heisst  der  unter 
einem  Keller  stehende  Hof ;  die  Be- 
nennung kommt  in  Schwaben  und 
der  Schweiz  vor  und  scheint  sich  I 
auf  Klostergüter  zu  beschränken; 
der  Name  blieb  später  oft  auf  den 
Gütern  haften,  auch  nachdem  die 
ursprüngliche  Bedeutung  faktisch 
erloschen  war.  Was  zum  Kelnhof 
gehörte,  hiess  Kelnhufcfut,  die  Leute 
Kelnfeufe,  die  Mühle  Kclnmülife; 
auch  der  Name  Kein  maier  kommt 
vor,  der  das  Ketgericht  abhält. 
Grimm,  Wörterbuch'. 

Kemenate,  mhd.  Kemenate,  ahd. 
chemituita,  mittellat.  caminata  (näm- 
lich camera),  eigenes  Zimmer  mit 
einem  caminus,  ist  das  heizbare 
Wohnzimmer  auf  Burgen,  dann  auch 
das  gewöhnliche  Wonnhaus  gegen- 
über dem  alten  Hauptteil  der  Burg, 


f 


dem  (meist  wohl  unheizbaren)  tal, 
pala*,  endlich  auch  grösseren  Burgen 
gegenüber  ein  kleinerer  Burgstall, 
efestigtes  Haus.  Der  Begriff' Wohn- 
zimmer gliedert  sich  in  denjenigen 
des  Fraueugemachs,  des  Schlafzim- 
mers und  des  Krankenzimmers,  des 
Wohn-  und  Geschäftszimmers  des 
Herrn,  sogar  der  Schatz-,  Kleider- 
und Waffenkammer  u.  a.  Am  be- 
kanntesten ist  seiner  inneren  Ein- 
richtung nach  das  Schlafzimmer. 
Dasselbe  ist  wie  der  Saal  mit  Ge- 
mälden geschmückt,  wird  bei  fest- 
lichen Gelegenheiten  dekoriert,  der 
Fussboden  mit  Blumen  bestreut. 
In  der  Kemenate  steht  das  grosse 
gemeinsame  Ehebett  hinter  Vor- 
hängen; davor  ein  Teppich  und 
eine  Bank  samt  Fussscnemel ;  rie 
heisst  das  Gestell,  über  welches  man 
die  ausgezogenen  Kleider  hängt. 
Ausser  Stühlen  und  Tischen  stehen 
hier  auch  die  Laden,  mhd.  kitte, 
ralde,  ttcJirin.  Ein  Kruzifix  dient 
der  frommen  Andacht.  Das  Schlaf- 
zimmer der  Herrin  diente  zugleich 
als  Arbeitszimmer  für  sie  und  ihre 
Mägde.  Die  Thüre  war  versehliess- 
bar  und  zum  verriegeln  eingerichtet. 
Wer  Eintritt  verlaugte,  hatte  mittelst 
des  Klopfringes  zu  pochen.  Für  die 
Katzen  war  unten  eine  Öffnung  aus- 
geschnitten, (trimm,  Wörterbuch; 
Schultz,  Höfisches  Leben,  Absch.  I. 

Kerbholz  oder  Kerbe,  auch  die 
Beile  genannt,  ist  das  alte  Mittel 
zum  Zählen  und  Rechnen,  die  alte 
Rechentafel,  ein  später  Nachkomme 
des  uralten  Runenstabes.  Es  diente 
namentlich  zur  gegenseitigen  Sicher- 
st ellung  und  zum  Schutzgegen  Betrug 
im  Geschäfts-  und  Rechnungswesen, 
was  dadurch  erreicht  wurde,  dass 
beide  im  gegenseitigen  Geschäfts- 
verkehr stehenden  leile  zwei  ganz 
gleiche  etwa  fusslange  Stäbchen  be- 
sassen,  die  man  bei  der  Notierung 
der  Schuld  neben  einander  legte 
und  Über  die  man  in  einem  Zuge 
so  viele  Kerben  einschnitt  oder  ein- 
feilte,  als   die  Rechnung  Posten 


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492 


Kerzen.  -  Ketzer. 


betrug.  Bei  der  Abreehnuug  wurden 
die  beiden  Teile   miteinander  ver- 

f liehen  und  die  Kerbe,  die,  sofern 
eine  Fälschung  stattgefunden  hatte, 
genau  auf  einander  passen  mussten, 
zusammengezählt.  Der  Kerbhölzer 
bedienten  sich  namentlich  Bäcker, 
Metzger,  Milchbauern,  Drescher, 
Müller,  Bergleute  u.  dcl.  Auch 
amtliche  Rechnungen  wurden  so  ge- 
führt, und  im  Steuerwesen  diente 
die  Einrichtung  zur  Berechnung  und 
Kontrole  zwischen  dem  Einnehmer 
und  dem  Gegenbeamten.  Hilde- 
bratid  in (»rimms  Wörterbuch;  Staub, 
das  Brot  im  Spiegel  sehweizerdeut- 
scherVolkssprache  und  Sitte,  Leipzig, 
1868,  S.  48. 

Kerzen  und  Lichter  beim  Gottes- 
dienst, sind  seit  dem  14.  Jahrhundert 
nachgewiesen,  in  Nachahmung  des 
siebenarmigen  Leuchters  im  israeli- 
tischen Tempel  und  im  Anschluss 
an  die  sinnbildliche  Bedeutimg  des 
Lichtes  in  der  heiligen  Schrift.  Zur 
Zeit  des  Chrysostomus  wurden 
Kerzen  vornehmlich  zur  Beleuch- 
tung des  Altars  angewendet,  wäh- 
rend man  Lampen  lieber  in  Kapellen 
und  vor  Heiligenbildern  brauchte. 
Sie  wurden  nur  aus  Wachs  bereitet; 
denn  das  Erzeugnis  der  Biene,  die 
nach  Vollendung  ihres  Werkes 
sterben  muss,  hat  eine  mystische 
Bedeutung.  Besondere  Altardieuer. 
Ceroferani,  trugen  die  Kerzen  und 
setzten  sie  auf  einem  eigenen  Tische 
neben  dem  Altare  nieder.  Die  Leuch- 
ter hiessen  Cereofala.  Je  nach  der 
kirchlichen  Zeit  oder  Handlung  hat 
das  Kerzenlicht  verschiedene  Be- 
deutung: es  giebt  daher  Taufkerzeu, 
Brautkerzeu,  Grabkerzen,  Oster- 
kerzen,  deren  Weihe  am  Karsams- 
tag stattfindet;  in  Süddeutschland 
aber  an  Maria  Lichtmess,  2.  Februar, 
an  welehem  Tage  auch  die  Wetter- 
kerzen geweiht  werden,  welche  man 
im  Sommer  bei  den  „Schauermessen" 
auzündet,  um  Hagel  und  Wolkeu- 
bruch  abzuhalten. 

Kessler.    Wie  die  Pfeifer  und 


Spielleute  (siehe  den  Artikel  Koniq 
der  Spielleute)  so  hatte  auch  das 
freie  Handwerk  der  Kessler  in  ver- 
schiedenen Gegenden  Deutschlands 
eine  eigene  nrivilegierte  Gerichts- 
barkeit und  Organisation,  und  ein 
adeliges  Geschlecht  besaas  über  sie 
als  Reichslehen  den  öffentlichen 
Schirm.  So  waren  die  Herren  von 
Königseggschon  im  13.  Jahrhundert 
mit  dem  Keichslehen  des  Schutzes 
über  die  Kessler  in  Oberschwabeu 
belehnt;  im  rheinischen  Kreise  die 
Pfalzgrafen  bei  Rhein:  die  Mainzer 
Kessler  hatten  einen  besonderen 
Obermeister  in  dem  Markgrafen 
von  Brandenburg.  Auch  zu  Basel 
gab  es  ein  eigenes  Kesslergericht. 
An  den  Kesslertagen  spielte  nament- 
lieh  der  Kesslertanz  eine  grosse 
Rolle.  Da  die  Kessler  sogar  das 
Malefiz^ericht  besassen,  entlehnten 
sie  für  jeden  Kesslertag  Eisenbande, 
Stock  und  Galgen  bei  irgend  einer 
Malefizherrschaft.  Auch  ein  gemein- 
samer Gottesdienst  mit  Amt  war 
vorgesehen,  wobei  man  die  Abge- 
storbenen verkündete  und  für  sie 
betete.  Das  Kesslerprivileg  verbot 
allen  Kesslern,  Kessel  und  ähn- 
liches auf  Jahr-  und  Wochenmärkten 
feil  zu  haben,  es  wäre  denn,  das« 
er  in  denselben  Zirkel  gehöre  und 
das  Kessler  recht  habe.  Bück,  Das 
freie  Handwerk  der  Kessler  in  Ober- 
schwaben.   Ilm  1872. 

Ketzer,  mhd.  K  etzer,  ist  ursprüng- 
lich die  Verdeutschung  des  Namens 
Katharer,  d.  i.  der  Reinen,  einer 
seit  dem  11.  Jahrhundert  im  Abend- 
laude  weitverbreiteten  Sekte  (siehe 
den  besonderen  Artikel).  Der  Ur- 
sprung des  Wortes  wurde  aber  früh 
vergessen  und  man  brachte  das 
Wort  in  eine  ungewisse  Beziehung 
zur  Katze,  dem  Teufelstier.  Seit- 
dem lüess  man  nicht  allein  die  Irr- 
gläubigen oder  Häretiker  Ketzer, 
sondern  namentlich  solche,  denen 
mau  allerlei  Schandthaten  wider 
Gott  und  die  Natur  zutraute,  be- 
sonders unnatürliche  Wollust,  daher 


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Keule.  —  Kinderspiele. 


403 


Ausdrücke  wie  tteisehketzer ,  ketzer  Grosser  Wucht  geschwungen  wurde. 

am  libe,  f 'rotcentcetzer ,  buobenketzer.  Der  Unkundige    verwundete  sich 

Grimm,  Wörterbuch.  beim  Rückprall  der  Kugel  selber. 

Keule.  Unstreitig  die  älteste  Kinderspiele.  Von  Gegenstän- 
aller  Trutzwaffen  ist  die  Keule  oder  den,  mit  denen  sich  die  Kinder  schon 
der  Kolben  iStreitkolben).  Aus  einem  im  Mittelalter  belustigen,  ist  zwar 
jungen  Baumstamm  oder  einem  die  Klapper  in  alten  Dichtungen 
starken  Ast  war  sie  mit  leichter  nicht  nachgewiesen,  dagegen  nat 
Mühe  herzustellen.  Tacitus  Ger-  man  sie  in  Heidengräbern  gefunden, 
mania  redet  von  brandharten  Keulen,  Beliebt  waren  Hund  und  Katze  als 
welche  die  spätere  Heldensage  mit  Spielzeug  von  Alten  und  Jungen, 
den  Eisenstangen  [isen  »tarnen)  den  sodann  löget,  die  man  früh  in  Käfigen 
Riesen,  die  romantische  Dichtung  j hielt:  wip unaerederspiel,  fite  tcer&nU 
vorzugsweise  den  Heiden  beilegt,  lihte  zam,  singt  der  Kü renberge r; 
Der  Kolben  besteht  aus  einem  hol-  namentlich  werden  zahme  Stare  und 
zernen  oder  eisernen  Stiel,  der  in  Sittiche  (Papageien)  erwähnt.  Neben 
einen  kugel-,  ei-  oder  birnförmigen  lebenden  Tieren  gab  es  dergleichen 
Knopf  ausläuft.  Ist  er  mit  Stacheln  in  Thon ,  Holz  und  Metall  nachge- 
besetzt,  so  wird  die  Waffe  zum  ahmte  Geschöpfe;  Vögel  von  Thon, 
Morgenstern  (Imtrlote ,  bourlefte),  inwendig  hohl  und  mit  Klapper- 
weicher  besonders  im  14.  und  15.  steinen  gefüllt,  sind  oft  in  Gräbern 
Jahrhundert  in  Deutschland  und  aufgefunden  worden.  Die  Puppe 
der  Schweiz  (Schweizerprügel)  sehr  heisst  mhd.  wie  jetzt  noch  tocke  und 
verbreitet  war  und  besonders  in  den  ist  z.  B.  Wolfram  von  Eschenbach 
Volksaufständen  und  Bauernkriegen  ganz  geläufig.  Auch  Puppenhänser 
eine  traurige  Berühmtheit  erlangt  kommen  vor,  siehe  den  Anzeiger 
hat.  Er  verdankt  seinen  Namen  z.  Kunde  d.  d.  Vorzeit,  1870,  229  bis 
den  strahlenförmig  angebrachten  238;  312—320.  Ebendaselbst  1881, 
Stachelspitzen  und  ist  in  der  That  349—351  ein  Inventar  der  Spiel- 
oft  in  der  Morgenfrühe  fürchterlich  sachen  für  die  Kinder  des  Kurfürsten 
über  den  Köpfen  der  Feinde  auf-  August  von  Sachsen,  1572.  Knaben 
gegangen.  Der  Morgenstern  war  ritten  auf  der  Gerte  oder  dem 
eine  Schlagwaffe,  mit  der  man  be-  Steckenpferd,  ufern  »tobe,  die  qertett 
sonders  den  Kopfschutz  des  Feindes  riten.  So  unterhielt  sich  die  Jugend 
zu  zertrümmern  suchte.  Das  Fuss-  gern  mit  Reiftreiben  und  Keif- 
volk  führte  den  grossen,  zweihän-  schlagen',  auch  hölzerne  Waffen  er- 
digen, mit  2  m  langem  Schaft,  die  wähnt  schon  Notker,  wenn  er  die 
Reiterei  den  kleinen.  Mit  lanzen-  Stelle  des  63.  Psalms:  Sagittac 
artiger  Spitze  diente  er  auch  als  infantium  factae  sunt  plagae  eorum, 
Stosswaffe,  später  mit  einem  Feuer-  übersetzt:  iro  »trala  wurden  chindo 
rohr  als  Schiessprügel.  strala,  diu  uzer  sfengelon  iro  scoz 

Mit  einer  beweglichen  stachligen  i  maekont,  ihre  Pfeile  wurden  Pfeile 

Kugel  versehen,  wird  die  Keule  zur  1  der  Kinder,  die  ihre  Geschosse  aus 

Schlachtgeissel  (Kriegsflegel).    Die-  Stäben  verfertigen, 

selbe  wurde  dem  deutschen  Krieger  Natürlich   nahmen    die  Kinder 

bekannt  durch  den  Einfall  der  Hun-  doppelten  Anteil  an  der  Frühlings- 

nen.    Das  Jtagellum,  hz.Jfael,Jfeau,  Inst  des  Volkes,  und  zwar  sind  die 

engl,  military-flails  oder  holy  water-  ersten  Knabenspiele  im  Lenz  das 

springler»  bestand  aus  dem  Schafte  Kreiselschlaffen,  mhd.  den  köpf  umbe 

und  dem  „Bengel"  (  Schlägen,  mit  trihen  und  das  Spicken  oder  Schusser- 

oder  ohne  Eisenspitzen,welch  letzterer  spiel,  das  Spiel  mit  tribkugeln, 
meist  an  einer  Kette  hing  und  mit \ gelben    kugelin,  Schnellkügelchcn, 


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404 


Kindleinwiegen. 


Glückern.  Freudig  wird  das  erste 
Veilflien  begrüsst  und  umtanzt,  auch 
der  Storch,  die  Schwalbe,  der  erste 
Maikäfer  besungen,  wobei  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  die  heute 
gebräuchlichen  Kindcrlieder  schon 
ihren  Dienst  thaten.  Auch  dass  sich 
Knaben  aus  saftigen  Birkenzweigen 
Schalmeien  drehten,  wird  belegt. 
Die  Jugend  nahm  sodann  Anteil 
am  llallspiel  und  am  Reihensprinqen 
des  Volkes.  Als  besondere  Kinder- 
stiele  werden  in  den  Quellen  er- 
wähnt: Die  goldene  und  die  faule 
Brücke ,  Das  Totentanzspiel,  Der 
Plumpsack,  das  Schaf-  und  Wolf- 
spiel, Das  Geierspiel,  Das  Schelm- 
spiel.  Helfen  und  Geben.  Schau- 
keln heisst  mhd.  schoc,  schocke,  üf 
dem  Schink  en  farn,  nf  dem  seile  ri- 
te». Andere  alte  Sniele  sind:  Gerad 
und  Ungerad.  Stozlen  oder  Blättleu, 
Verkaufen,  Kochen,  Verstecken, 
zirfiu  mir/in  passen  firlin,  Stein- 
bergen,  Lachen  verhalten  oder  Gra- 
lnüeseli  inachen,  Blindekuh  oder 
Blindcmaus,  ,,Herr  König,  ich  diente 
gern'',  welches  jetzt  „Schenken  und 
Logieren  '  heisst,  Knöcheln  oder  Aus- 
dappeln,  d.  h.  aus  der  inneren  Haud- 
Häclie  Steinchen  empor werfen  und 
dieselben  mit  der  äusseren  auffangen; 
auch  das  Würfelsniel  war  bei  der 
Jugend  beliebt.  Verbreitetes  Spiel 
waren  das  linncrlin  sne/len,  Platz- 
wechseln, „Schneider  leih  mir  die 
Scher  '.  Auch  verschiedene  Tum- 
spielt  werden  genannt,  das  Stelzen, 
Kegelspiel. 

Beispiele  von  Kinder- Sprech- 
übungen giebt  es  zahlreiche  aus  dem 
Mittelalter,  z.  B.  ein  Jlig  die  prewt 
ein  praw  von  pir;  wenn  wir  xcern, 
wo  wir  troffen,  wer  wais,  wo  wir 
wem;  wenn  mancher  mann  wiixstc, 
was  mancher  mann  w>ire  etc.,  ist 
aus  dem  15.  Jahrhundert  belegt; 
Fischart  hat  u.  a.  Kuhraufumrih, 
J'islamenfen  kuk/eas,  Zunglinspitzlin. 
Fritzenschmifzliu ,  Meiner  Mutter 
Magil  macht  mir  mein  Muss  mit 
meiner  Mutter  Mehl. 


Belegt  sind  ferner  Kindersprüche 
und  Keime,  welche  den  Ruf  der 
Vögel  nachahmen,  sodann  Sprüche 
an  die  Schnecke,  Grille,  den  Mai- 
käfer und  den  Kuckuck.  Hin  Ketten- 
reim  aus  dem  14.  Jahrhundert  be- 
ginnt: 

J'.s  reit  ein  herre: 
ein  schilt  war  sin  gerc; 
ein  gere  war  sin  schilt, 
undc  ein  hagel  sin  wint; 
sin  wint  war  sin  hagel, 
ich  wif  iueh  fürhas  sagen, 
ich  wil  iueh  fürhas  sinken: 
bongen  daz  siut  ringe; 
rinne  daz  sinf  Innigen, 
nnde  ein  sldf  ein  oirt/e  etc. 

Das  Kindergebet ,  das  Johannes 
Agrikola  (geb.*  1492»  in  seiner  Ju- 
gend betete,  lautet: 

Ich  wif  heint  schlafen  gehen, 
zwölf  enge!  sollen  mit  mir  gehen, 
zwen  zur  haupten, 
zwen  zur  seifen, 
zwen  zun  fassen, 
zwen  die  mich  decken, 
zwen  die  mich  wecken, 
zwen  die  mich  weisen 
zito  dem  himlischen  paradeise. 
Amen. 

Kinderratscl  sind  in  lateinischer 
Sprache  aus  dem  10.  Jahrhundert 
bekannt;  ebenso  ist  das  Märchen- 
erzählen  durch  frühe  Zeugnisse  be- 
legt. Nach  Zinqerle,  Das  deutsche 
Kinderspiel  im  Mittelalter  1868.  Vgl. 
Rochholz,  Alemannisches  Kinder- 
lied und  Kinderspiel  aus  der  Schweiz, 
1857. 

Kindleinwieg-eii.  Bildliche  Dar- 
stellungen der  Geburt  Christi  waren 
früh  in  den  Kirchen  Frankreichs 
üblich.  Zu  Rouen  wurde  nach  dem 
Tedeum  am  heiligen  Weihnachts- 
tage die  Anbetung  der  Hirten  fol- 
gendermassen  gefeiert:  Hinter  dem 
Altar  Ist  eine  Krippe  erbaut,  dar- 
auf das  Bildnis  der  heil.  Jungfrau. 
Vor  dem  Chor  auf  einer  Erhöhung 
steht  ein  Knabe,  welcher  den  Engel 
darstellt,  und  verkündet  die  Geburt 


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Kirchenlied. 


495 


Christi.  Durch  die  grosse  Thür  des 
Chores  treten  die  Hirten  ein  und 
gehen  auf  die  Krippe  zu,  unter  dem 
Gesänge  J\u  in  ferris;  sie  bogrüssen 
die  Jungfrau  und  beten  das  Kind 
an.  Vor  dem  Altar  wird  eine  Messe 
gelesen;  nachdem  sie  der  Priester 
geendet,  wendet  er  sich  zu  den 
Hirten  und  fragt:  Quem  vidistis 
pastoresl  Die  Hirten  antworten: 
Saturn  ridimus. 

Ähnliche  kirchliche  Weihnachts- 
gebräuche sind  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert in  Deutschland  nachgewie- 
sen. In  der  Kirche  war  eine  Wiege 
aufgestellt,  an  der  Maria  sass.  Sie 
fordert  Joseph  auf,  das  Kind  zu 
wiegen.  Dieser  erklärt  sich  dazu 
bereit,  worauf  der  Chor  ein  frommes 
Weihnachtslied  anstimmt.  Der  Text 
lautet  in  einer  kürzeren  Aufzeich- 
nung: 

Joseph,  NeLer  nere  min, 
hilf  mir  wiegen  das  kindelin, 
dass  gof  miiesse  diu  loner  sin 
in  himelrich, 
der  meide  kint  Maria. 

Gerne,  liehe  muome  min, 
ieh  hilfe  dir  wiegen  diu  kindelin. 
da**  gut  miiesse  min  loner  sin 
in  himelrich, 
der  meide  kint  Man  t. 

Am  freu  dich,  christliche  schar! 
der  himelische  kunig  klar 
nam  die  menschheit  offenbar, 
den  uns  gebar 
die  reine  meit  Maria. 

Ahnliehe  Lieder  entstanden  viele 
im  15.  Jahrhundert,  die  in  den 
Mund  des  Volkes  übergingen  und 
sich  lange  erhielten.  In  evange- 
lischen Gegenden  starb  die  Sitte 
allmählich,  doch  sehr  langsam  aus. 
in  der  katholischeu  Kirche  erhielt 
sie  sich  uud  trieb  stets  neue  Wiegen- 
lieder, die  dann  in  die  Gesangbücher 
übergingen,  llojfmann  v.  1'.,  Deut- 
sches Kirchenlied,  §.  11.  Mann- 
hardt, Weihnachtsblüten.  Berlin 
1864.    S.  164  ff. 

Kirchenlied.  Von  einem  eigent- 


lichen Kirchengesange  des  Volkes 
kann  im  Mittelalter  die  Rede  nicht 
sein,  da  die  Kirche  ausdrücklich  den 
Gebrauch  der  einheimischen  Sprache 
für  die  liturgische  Handlung  unter- 
sagt hatte;  das  Volk  sollte  schwei- 
gend beten  und  nur  im  Herzen 
singen;  den  Geistlichen  allein  kam 
es  zu,  heilige  Gesänge  anzustimmen 
und  so  die  Herzen  des  umherstehen- 
den Volkes  zu  erheben.  Das  einzige 
was  man  Jahrhunderte  lang  dem 
Volke  beim  Gottesdienst  zu  singen 
gestattete,  war  der  Ruf  Kyrie  elei- 
son. Herr,  erbarme  Dich  unser! 
Dieser  wurde,  und  zwar  oft  wieder- 
holt bei  Leichenbegängnissen,  nach 
der  Predigt,  bei  der  Vesper,  ja,  wie 
es  in  den  Kapitularien  heisst,  auch 
bei  den  Geschäften  des  Lebens, 
beim  Aus-  und  Eintreiben  des  Viehes 
gesungen  oder  gerufen.  Ludwig 
der  Fromme  pflegte  am  Karfreitage 
in  seinem  Palaste  zu  Aachen  seine 
ganze  Hofhaltung  mit  neuen  Klei- 
dern zu  beschenken,  vom  Vornehm - 
I  sten  an  bis  auf  den  Geringsten, 
und  weun  nun  jeder  hatte,  was  er 
bedurfte  und  auch  die  Armen  ge- 
kleidet waren,  dann  riefen  sie  ihm 
durch  die  weiten  Hallen  zu:  Kurie 
eleison!  Derselbe  Ruf  ertönte  auch 
in  der  Schlacht,  wie  es  z.  B.  im 
Ludwigslied  heisst: 

Ther  kuning  reit  kuono, 
Sang  lioth  frono, 
Joh'  alle  saman  sungun 
Kyrie  leison. 

Anfänglich  tönte  der  Ruf  un- 
geschlacht aus  dem  Munde  des  Vol- 
kes, sodass  ein  Beschluss  erging, 
das  Volk  solle  Kyrie  eleison  rufen 
lernen  und  nicht  mehr  so  ruslice, 
dörperlich,  schreien  wie  bisher.  Ein 
einziges,  dem  {>.  Jahrhundert  auge- 
höriges deutsches  Lied  ist  erhalten, 
das  nicht  bloss  den  Refrain  enthält, 
sondern  zugleich  einen  strophischen 
Text,  das  Lied  vom  heilinen  Petrus. 

Die  mit  dem  11.  Jahrhundert 
zuerst    in   Frankreich  beginnende 


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490 


Kirchenlied. 


religiös-kirchliche  Erregung  wäre 
an  sich  einer  Ausbildung  des  geist- 
lichen Gesanges  nicht  ungünstig 
gewesen,  wenn  die  Kirche  nicht 
nach  wie  vor  jeglicher  Einmischung 
nationaler  Gesänge  in  den  lateinisch 
gehaltenen  Gottesdienst  sich  wider- 
setzt hätte.  So  bewegte  sich  auch 
die  im  12.  und  1 3.  Jahrhundert  zur 
Blüte  gelangte  weltlich-höfischeL yrik 
auf  anderen  Bahnen  als  auf  solchen 
eines  geistlichen  Volksgesanges,  und 
wenn  zwar  religiöser  Stoff,  nament- 
lich der  Mariendienst,  der  Lyrik 
der  Minnesänger  nicht  fremd  blieb, 
so  war  es  doch  mehr  die  subjektive 
individuelle  Stimmung  des  frommen 
Dichters,  die  sich  aussprach,  als  das 
gemeinsam  dichtende  und  religiös 
empfindende  Volksgemüt.  So  be- 
gegnet man  denn  im  12.  und  13. 
Jahrhundert  nur  sehr  wenigen  an 
die  höfische  Lyrik  sich  anlehnenden 
geistl  ich  volkstümlichen  Liedern ; 
was  die  Zeit  an  solcher  Lyrik  wirk- 
lich besass  und  benutzte,  waren 
vielmehr  Liederstrophen,  die,  viel- 
leicht noch  aus  früherer  Zeit  her- 
rührend, echtes  Eigentum  der  sonst 
in  dieser  Periode  so  wenig  vertrete- 
nen Volksdichtung  sind.  Dass  aber 
das  Volk  wirklich  geistliche  Lieder 
besass  und  im  Gegensatz  zu  den 
Franzosen,  von  denen  ausdrücklich 
bezeugt  wird,  dass  sie  keine  solche 
gehabt  hätten,  sang,  davon  sind 
mehrfache  Zeugnisse  erhalten;  so 
z.  B.  als  der  heilige  Bernhard  von 
Clairveaux  1146  an  den  Ufern  des 
Rheins  das  Kreuz  predigte,  sang 
das  Volk  wiederholt: 

Christ  uns  gen  Ade, 
Kyrie  eleison, 

l)ie  heiligen  alle  helfen  uns! 

Mau  sang  bei  den  Wallfahrten, 
während  des  Kampfes,  besonders 
auf  den  Kreuzzügen,  auf  der  See, 
während  und  nach  der  Fahrt. 

In  der  Schlacht  auf  dein  Mars- 
felde zwischen  Ottokarund  Rudolf  von 
Habsburg  sang  das  deutsche  Heer: 


Sant  Mari,  muoter  unde  meif, 
al  unsriu  not  si  dir  gekleit(  geklagt i. 

Dasselbe  Lied  sangen  deutsche 
Kreuzfahrer  vor  der  Schlacht  bei 
Acca  1291  und  bei  der  Schlacht  am 
Hasenbühel  1298. 

Man  nannte  diese  Lieder,  ob 
nun  der  Kehrvers  Kyrie  eleison 
noch  dabei  war,  oder  nicht,  Leisen, 
eine  Benennung,  die  bis  ins  15. 
Jahrhundert  dauerte. 

Die  verbreitetsteii  Leise  waren 
aber: 

Der  Osterleis: 

Christ  ist  erstanden 
von  der  marter  allen, 
des  sollen  wir  alle  fro  sein, 
Christ  will  unser  trost  sein, 

kyrieleison. 
Waer  er  nicht  erstanden, 
so  teaer  die  weit  zergangen, 
seit  dass  er  erstanden  ist, 
so  frewef  sieh  alles  das  da  ist, 

kgrieleison. 

Der  Himmelfahrlsleis: 

.  Christ  für  gen  himel, 
was  sant  er  uns  wider? 
er  sendet  uns  den  hei  Igen  geist 
zu  trost  der  armen  Christenheit, 

kurieleison. 
Christ  für  mit  schalle 
von  seinen  Jüngern  alle, 
macht  ein  kreuz  mit  seiner  hant. 
und  tet  den  segn  übr  all  lant, 

h/rieleison. 
Alleluia,  alleluia, 

alleluia! 
des  soln  wir  alle  fro  sein, 
Christ  sol  unser  trost  sein, 

kyrieleison ! 

Der  Pfingstleis: 

Xu  bitten  wir  den  heiligen  geist 
um  den  rehten  glauben  allermeist, 
dass  er  uns  behüete  an  unserm  emie, 
so  wir  heim  suln   varn  tiss  disem 
eilende, 
kgriefeis. 

Wahrscheinlich  schon  in  dieser 
Periode  wurde  zu  Schiffe  da*  Lied 
gesungen,  das  später  bei  Pilger- 


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Kirchenlied. 


497 


fahrten  und  Bittgängen  häufig  an 
gewendet  wurde: 

In  gotes  mtmen  raren  wir, 
siner  gnaden  geren  wir, 
nu  helfe  uns  diu  gutes  kraft, 
und  daz  heilige  grap, 
da  got  selber  inne  fac, 
kyrieleis  etc. 

Wurden  die  genannten  Lieder 
und  nicht  wenige  andere  erst  im  14. 
und  15.  Jahrhundert  entstandene 
geistliche  Volkslieder  in  den  folgen- 
den Jahrhunderten  bei  ähnlichen 
Gelegenheiten  fortgesungen  und 
kamen  sie  teilweise  sogar  im  Gottes- 
dienst zur  Anwendung,  so  brachte 
nunmehr  das  14.  und  15.  Jahrhundert 
noch  infolge  anderer  Vorgänge  einen 
deutschen  Kirchengesang  mehr  und 
mehr  in  Fluss.  Schon  früher  ver- 
nimmt man,  dass  Ketzer  öffentlich 
geistliche  Lieder  sangen;  von  solchen 
sind  zwar  keine  Beispiele  erhalten, 
jedoch  aus  anderen  Kreisen,  die  im 
Gegensatz  zur  nüchternen  Scholastik 
und  Dogmatik  der  Kirche  ein  leben- 
diges religiöses  Empfindungsleben 
hervorriefen.  Dahin  gehören  die 
Mystiker,  in  deren  Kreisen,  nament- 
lich in  Frauenklöstern  das  mystische 
Lebensprinzip,  die  Liebe  zu  Gott 
und  in  Gott,  das  sehnsüchtige  Ver- 
langen nach  Christo,  dem  Bräuti- 
gam, in  zahlreichen  Liedern  sich 
aussprach. 

Ebenfalls  an  die  Lieder  der 
Häretiker  erinnern  die  von  den 
GetJtslern  gesungenen  Gesänge, 
welehe  wahrscheinlich  schon  aus 
früheren  Geisseifahrten  des  13.  Jahr- 
hunderts stammen  (siehe  den  bes. 
Artikel). 

Nicht  minder  zeigt  sich  die  neu- 
erwachte Lust  am  geistlich-deutschen 
Liede  in  zahlreichen  Übersetzungen 
lateinischer  Kirchenhymnen.  Sie  be- 
ginnen schon  im  13.  Jahrhundert 
mit  Knm,  schepfaer.  heiliger  geist, 
Veni  creator  spiritus;  AiV  wart  qc- 
sungen  süezer  qesanc,  Jesus  du  Iris 
memoria  und  (rote  sage  wir  gnade 

Reftllexteon  der  deutlichen  Altertümer. 


nnde  eren  danc,  Hymnum  dicamus 
Domino.  Gegen  Ende  des  14.  und 
zu  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
mehren  sich  diese  Arbeiten,  nament- 
lich hat  der  Benediktiner  Hermann 
von  Salzburg  zahlreiche  lateinische 
Hymnen  deutsch  bearbeitet  und  zwar 
auf  Begehren  seines  Erzbischofs 
Pilgrim,  gest.  1396;  ebenfalls  als 
(^ersetzet*  und  zugleich  als  frucht- 
barer, frommer  und  begabter  selb- 
ständiger Dichter  hat  sich  Heinrich 
ron  I.aufenbery ,  Priester  zu  Frei- 
burg im  Breisgau.  ausgezeichnet; 
er  trat  1445  zu  Strasburg  in  ein 
Kloster.  Schon  sang  an  einigen 
Orten  das  Volk  abwechselnd  mit 
der  Geistlichkeit  solche  Hymnen, 
je  die  lateinische  und  die  derselben 
entsprechende  deutsche  Strophe. 
Auen  an  gedruckten  deutschen 
Hymnensammlnngen  fehlte  es  vor 
der  Reformation  Keineswegs. 

Eine  weitere  Quelle  geistlicher 
Lieder  gewann  man  durch  l'mdich- 
tungen  weltlicher  Gesänge.  Schon 
die  fahrenden  Kleriker  oder  Goli- 
arden  hatten  im  13.  Jahrhundert 
kirchliche  II vmnen  weltlich  parodiert, 
z.  B.  aus  üem  Verbum  bonum  et 
suare  ein  Lied  gemacht  Vinum  bonum 
et  suare  und  sich  nicht  gescheut, 
solche  Verse  in  den  Kirchen  beim 
Gottesdienste  abzusingen.  Jetzt  ge- 
schah das  Umgekehrte,  man  paro- 
dierte weltliche  Lieder  in  geistlichen 
Text.  Weltgeistliche,  Mönche,  Non- 
nen, nahmen  an  dieser  Arbeit  teil, 
wodurch  man  sich  in  den  Besitz 
geistlicher  Texte  zu  schönen  längst- 
bekannten Singweisen  setzte.  So 
wurde  das  bekannte  Lied: 

Ich  stifond  an  einem  morgen 

heimlich  an  einem  ort, 

da  het  ich  mich  rerborgen, 

ich  hört  klcglichc  Wort 

ron  einem  frcwl ein  hübsch  und  fein, 

das  stuond  bei  seinem  buolen, 

es  muost  gescheuten  sein. 

in  dieser  ersten  Strophe  folgender- 
maßen umgewandelt: 

32 


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498 


Kirchenlied. 


Ich  stuont  an  einem  morgen 

heimlieh  auf  einem  ort, 

da  het  ieh  mich  verborgen, 

ich  hört  kleqUehe  wort, 

van  sei  und  leip  in  grozer  pein; 

die  sei  spraeh  ztto  dem  leibe: 

es  muoz  gescheid  en  sein. 

So  wurde  aus: 

der  liebste  buolen  den  ieh  han, 
der  leit  beim  irirt  in  heller, 
er  hat  ein  hölzin  rock/ in  an 
und  hei.ssl  der  muskatel/er, 

der  Anfang  des  geistlichen  Liedes: 

den  liebsten  herren  den  ich  han, 
der  ist  mit  lieb  gebunden, 
er  lüehtet  in  dem  herzen  min 
und  freut  mich  zallen  stunden. 

Nur  gering  ist  der  Anteil,  den 


liehen  Genieindegesanges  ein  und 
untorstützte  das  Prinzip  desselben 
durch  eigene  Dichtungen,  die  er 
teils  aus  der  Bibel,  teils  aus  den 
alten  lateinischen  Hymnen  schöpfte, 
teils  sind  es  alte  Liederatroplien, 
die  er  fortdichtend  benutzte,  einige, 
besonders  die  polemischen,  siud  frei 
gedichtet.  Das  erste  von  Luther 
herausgegebene  Gesaugbuch  er- 
schien zu  Wittenberg  1524  unter 
dein  Titel:  „Etlich  Christlich  Lider, 
Lobgesang  und  Psalm,  dem  reinen 
Wort  Gottes  gemess,  aus  der  Hev- 
ligen  schrifft,  durch  mancherlei  hoch- 
gelehrter gemacht,  iu  der  Kirchen 
zuo  singen,  wie  es  dann  zum  tayl 
berayt  zuo  Wittenberg  in  tiebung 
ist."  Es  enthält  acht  Lieder,  näm- 
lich von   Luther  selbst  vier  (Nu 


die  Meistersinger  am  kirchlich  sang-  freut  euch  lieben  Christen  gemein, 

baren   Liederschätze    hatten.    Die  Ach  Gott  vom  himel  sieh  darein, 

besondern  Gelegenheiten,  bei  wel-  Es  spricht  der  unweisen  mund  wol, 

ehen  schon  vor  der  Reformation  und  Aus  tiefer  not  schrei  ich  zu 


deutsche  Lieder  in  der  Kirche  ge- 
sungen wurden,  sind  nach  Meister 
und  Baum  ker  das  katholische  deutsche 


dir.),  sodann  drei  Lieder  von  Pau- 
lus Speralus:  Es  ist  das  heil  uns 
kumen  her.  In  Gott  gelaub  ich  das 


Kirchenlied    in  seinen  Singweisen  er  hat,  Hilf  Gott  wie  ist  der  men- 


von  den  frühesten  Zeiten  bis  Ende 
des  17.  Jahrh.  2  Bde.  Freiburg. 
1862  und  1883,  folgende:  1)  an  hohen 
Festen  bei  dramatischen  Auffüh- 
rungen in  der  Kirche;  2)  in  Ver- 
bindung mit  den  Sequenzen,  welche 
an  gewissen  Festen,  Weihnachten, 
Ostern,  Pfingsten,  Himmelfahrt,  Drei- 
faltigkeitsfest, Fronleichnam,  im 
Hochamt  zwischen  Epistel  und  Evan- 
gelium zum  Halleluja  gesungen  wer- 
den, so  zwar,  dass  das  Kirchenlied 


scheu  not,  und  «las  Lied  eines  un- 
bekannten Verfassers:  In  Jesus  Na- 
men heben  wir  an.  In  demselben 
Jahre  1524  erschien  zu  Erfurt  schon 
eine  auf  25  Lieder  vermehrte  Samm- 
lung, das  Enchiridion  oder  Hand- 
büchlein,  mit  18  Lutherischen 
Stücken,  und  so  hatte  es  nun  län- 

ferc  Zeit  mit  zahlreichen  neuen 
iiedern  und  Sammlungen  seinen 
Fortgang,  wobei  die  letzteren  bald 
mehr  dem  gemeinsamen  Gebrauch 


der  Gemeinde  bald  nach  der  Sequenz,  '  der  evangelischen  Kirche,  bald  mehr 

bald  antiphonisch  innerhalb  derselben  einer  besonderen  städtischen  oder 

Sesungcn  wurde;  3)  vor  und  nach  Landes-Kirche  dienten.  Die  Häupt- 
er Predigt,  ein  Gebrauch,  der  im  namen  der  Liederdichter  (ausfünr- 
15.  Jahrh.  wenigstens  einzeln  nach-  liches  Verzeichnis  bei  Goedeke, 
weisbar  und  im  16.  Jahrh.  ziemlich  Grundriss,  I.  §  127  ff.)  sind  Paul 
verbreitet  gewesen  ist;  4j  beim  Lelir-  Spcratus,  Nicolaus  Deeius,  Erasmus 
amt,  d  h.  unter  der  stillen  Messe;  Alberus,  Burkhard  Waldis,  Justus 
5)  bei  Prozessionen.  Jonas,  Nikolaus  Hermann,  Wolf- 
Dagegen  trat  nun  Luther  gleich  gang  Musculus,  Johann  Mathesius, 


im  Beginn  der  Deformation  ganz  Paul  Eber,  Nicolaus  Selnccker,  Jo- 
nnd  voll  für  das  tfecht  des  kirch-  hann  Fischart,  Bartholomäus  Ring- 


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Kirchtürme. 


499 


waldt,  Philipp  Nicolai,  Johann  Valen- 
tin Andrea  und  Hans  Sachs.  Die 
Lieder  dieser  Dichter  lassen  es  sich 

I gelegen  sein,  den  objektiven  In- 
t  der  evangelischen  Lehre,  na- 
mentlich an  die  Bibel  angelehnt,  in 
echter  volkstümlicher  bündiger,  all- 
gemein wirksamer  Sprache  wieder- 
zugeben ;  sie  wollen  aber  nicht 
eigentlich  lehren,  sondern  sie  sind 
der  Reflex  des  evangelischen  Glau- 
bens auf  das  Gemüt  der  evangeli- 
schen Gemeinde  und  meist  mehr 
kindlich  naiv  als  verständig  nüch- 
tern gehalten.  Sind  die  meisten 
dieser  Lieder  noch  in  der  roheren 
Verstechnik  des  16.  Jahrhunderts 
verfasst,  so  werden  sie  gegen  Ende 
des  Jahrhunderts  in  der  Form  ele- 
ganter, glatter,  zum  Teil  künstlich 
spielend,  und  der  Auflassung  nach  sub- 
jektiver; diese  letztere  Gattung,  de- 
ren Hauptrepräsentant  Philipp  Nico- 
lai ist,  führt  dann  hinüber  zu  den  Lie- 
derdichtern des  1 7.  Jahrhunderts,  wel- 
che unter  dem  Einflüsse  der  Opitzi- 
scheu  Verskunst  und  unter  dem 
Drang  des  30jährigen  Krieges  eine 
edle  Subjektivität  des  religiösen 
Gefühles  zur  Darstellung  bringen. 

Anders  und  minder  günstig  für 
das  Kirchenlied  entwickelte  sich  der 
Gottesdienst  der  Reformierten. 
Zwingli  wollte  für  Zürich,  nament- 
lich abgeschreckt  durch  bisher  wal- 
tenden Missbrauch  des  kirchlichen 
Gesanges,  keinen  deutschen  Ge- 
meindegesaiitf  dulden;  was  von  re- 
formierten Dichtern  dennoch  an 
Kirchenliedern  gedichtet  wurde,  war 
wenig  erheblich  und  schloss  sich  an 
die  Dichtung  der  Lutheraner  an, 
deren  Lieder  anfangs  auch  in  die 
reformierten  Gesangbücher  Auf- 
nahme fanden.  Doch  verschwanden 
diese  Sammlungen  allmählich  aus 
dem  kirchlichen  Gebrauche  und 
machten,  bedingt  durch  die  Forde- 
rung eines  einzig  auf  die  Schrift  ge- 
gründeten Kirchengesanges,  blossen 
Psalmenübcrsctzunqen  Platz.  Es  ge- 
schah das  namentlich   unter  dem 


Einflüsse  der  von  Goudimel  nach 
französischen  Volksweisen  in  Musik 
gesetzten  Psalmen  Marots  uud  Bezas ; 
diese  französische  Psalmeusaminlung 
wurde  nun,  um  die  Melodien  zu  er- 
halten, von  Ambrosius  Lohtrasse r, 
Professor  zu  Königsberg,  1515  bis 
1585,  Silbe  für  Silbe  ins  Deutsche 
übersetzt  und  blieb  bis  gegen  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  das  in  un- 
zähligen Ausgaben  gedruckte  Psalm- 
und  Kirchenliederbuch  der  refor- 
mierten Gemeinden. 

Auch  die  katholische  Kirche 
Deutschlands  blieb  zuletzt  nicht 
ganz  ohne  Anteil  an  der  auf  dem 
Gebiete  des  Kirchenliedes  entstan- 
denen Bewegung.  AVenn  zwar  das 
Prinzip  der  Nichtteilnahme  des  Vol- 
kes am  kirchlichen  Gesang  nie  von 
der  Kirche  selber  zurückgenommen 
wurde,  so  wurde  doch  hier  und  da 
kirchlich  deutscher  Gesang  geduldet 
und  gepflegt,  man  sammelte  alte 
Lieder  aus.  der  Volksüberlieferung, 
auch  alte  Übersetzungen  der  H Vin- 
nen, vermehrte  sie  mit  neuen  Uber- 
setzungen und  Liedern  und  erhielt 
dadurch  einen  nicht  unbeträchtlichen 
Liederschatz.  Der  erste,  der  das  that. 
war  Michael  lese,  Predigermönch 
und  Propst  zu  Halle  an  der  Saale, 
mit:  „Ein  New  Gcsangbüchlein 
Geystlieher  Lieder,  vor  alle  gutthe 
Christen  nach  Ordnung  Christlicher 
Kirchen.  Leipzig,  1537."  Es  ent- 
hält 45  Lieder  und  wurde  benutzt 
von  deorff  Wittel,  Domdechant  von 
Olmütz,  der  1567  ein  grosses  Ge- 
sangbuch mit  109  deutschen  und 
22  lateinischen  Liedern  herausgab. 
Noch  umfangreicher  ist  das  durch 
David  Gregorius  Corner,  Abt  zu 
Götweig,  im  Jahre  1625  veranstaltete 
„Gross  Catholisvh  Gesangbuch"  mit 
422  Liedern.  Ifoßnann  rou  Fallers- 
leben. Gesch.  d.  deutschen  Kirchen- 
liedes bis  auf  Luthers  Zeit. 

Kirchturme  sind,  wie  es  scheint, 
ursprünglich  nicht  der  Glocken  we- 
gen errichtet  worden,  sondern  ent- 
weder als  Treppenrfehäuse .  in  der 

32* 


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500 


Klage.  —  Kleiderordnungen. 


Regel  paarweise  auf  den  Flanken 
der  Westfront,  oder  als  Wachtünne 
entstanden.  Türme  der  ersten  Art 
sind  in  deutlichen  Spuren  nachge- 
wiesen am  Dom  7.11  Trier,  und  an 
den  Munstern  zu  Aachen  und  Essen; 
die  paarweise  Anordnung  erklart 
sich  aus  Rücksichten  auf  die  Sym- 
metrie. Wachtürme  waren  die  neben 
den  Klosterkirchen  erbauten  Rund- 
türmc,  wie  sich  namentlich  aus  den 
Inschriften  des  St,  Gallcr  Kloster- 
planes ergiebt;  sie  lauten:  ascensu* 
per  eocleam  ad  unirersa  superin- 
spieienda,  und  alter  similh.  Iso- 
f'wrte  Stellung  der  Glockentürme, 
die  in  Italien  stehende  Sitte  ge- 
worden ist,  war  in  Deutschland  nur 
provinziell  verbreitet,  namentlich  in 
Schwaben ,  Böhmen ,  Oberschlesien 
und  Ostfriesland.  Über  die  Türme 
im  romanischen  und  gotischen  Bau- 
stil siehe  diese  Artikel. 

Klage  in  der  Bedeutung  von 
Totenklage  ist  der  alte,  mancherorts 
noch  bestehende  Name  der  bei  den 
alten  Völkern  allgemein  verbreiteten 
Totenklagen,  eigentlich  Wehgeschrei 
über  den  Toten,  dann  Wehklage 
mit  woblgesetztcr  Rede  und  ge- 
wissen Gebärden,  wozu  die  Ver- 
wandten helfen  mussten.  Als  Attri- 
bute solcher  Totenklage  erscheint 
oft  sich  selbst  Raufen  und  Schlagen 
der  Brust,  auch  Abreissen  der  Klei- 
der. Spater  pflegte  mau  diesen 
lästigen  zeremoniellen  Vorgang  be- 
stellten und  bezahlten  Klagewei- 
bern zu  überlassen.  Jlildebrand  in 
Grimms  Wörterb. 

Klelderordiiungen.  Schon  Karl 
d.  Gr.  sah  sich  veranlasst,  durch 
besondere  Erlasse  dem  Luxus  in 
der  Bekleidung  entgegenzutreten, 
der  ohne  Zweifel  durch  fremde  Hof- 
leute an  seinem  Hofe  Platz  gegriffen 
hatte.  Namentlich  waren  es  die 
köstlichen  Pelze,  denen  der  Kaiser 
den  Krieg  erklärt  hat.  Ein  mit 
Marder-  oder  Fischotterfellen  ge- 
fütterter Rock  der  besten  Art  durfte 
nicht  über  dreissig  xolidu*,  ein  sol- 


cher mit  Zieselmausfell  nicht  über 
zehn  solidits  kosten.  Doch  erschien 
nach  dem  „Mönch  von  St.  Gallen" 
Karl  selbst  —  wie  einfach  sein  ge- 
wöhnliches Kleid  war  —  an  hohen 
Festen  vornehm  geschmückt ,  und 
[  nicht  minder  traf  das  bei  seiner 
Gemahlin  und  den  Töchtern  zu 
Es  ist  daher  wohl  begreiflich ,  dass 
nach  seinem  Tode,  unter  der  Herr- 
schaft seiner  schwachen  Söhne  und 
Enkel,  die  Prachtliebe  ungehemmt 
sich  entwickeln  konnte.  Es  wich 
dann  die  sogenannte  fränkische 
Tracht,  namentlich  vom  10.  Jahr- 
hundert an,  allmählich  der  byzan- 
tinischen, die  aus  Italien  herüber- 
kam. Der  aufstrebende  Adel  und 
die  Städte  wetteiferten  in  deren 
Anwendung,  und  aller  Halt  ging 
verloren,  als  dann  gegen  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  Frankreich  in  jeder 
Beziehung  tonangebend  wurde,  wo 
man  —  wie  Schriftsteller  damaliger 
Zeit  versichern  —  am  Hof  Lud- 
wigs IX.  „sich  bei  weitem  mehr 
nach  einem  kostbaren  Marderpelz, 
\  als  nach  der  ewigen  Seligkeit  sehnte." 
Dort  erhoben  sich,  besonders  nach 
dem  unglücklichen  Ausgange  der 
Schlacht  bei  Crecy,  ernste  Männer 
1  und  schrieben  das  Unglück  beson- 
ders der  Hoffart  und  der  sie 
begleitenden  Sittenverderbnis  zu. 
Die  Posaunen  fanden  allerorts  ihren 
Widerhall  und  wie  französische 
Tracht,  so  fanden  auch  die  Klagen 
]  und  Verordnungen  bald  ringsum 
Eingang.  Wir  fassen  jedoch  nn 
,  dieser  Stelle  nur  die  amtlichen  Er- 
lasse ins  Auge  und  wenden  unseru 
Blick  in  Kürze  nach 

Frankreich,  dem  Vorbild.  Seit 
der  Zeit  Eduards  III.  (1337—1377) 
waren  namentlich  die  Beamteten 
von  Staatswegen  gehalten,  sich  nach 
bestimmten  Vorschriften  zu  kleiden. 
Den  Gcrichtsbeamten  lieferte  der 
König  die  Stoffe  und  zwar  je  nach 
dem  Range  Tuch  und  Seide,  Lamm- 
fell und  ,, Kleinspelt"  zum  Besätze. 
So  liefert.«  Richard  II.  (1377-139«.M 


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Kleiderordnungen.  501 


den  Richtern  zur  Sommerkleidung  auch  schon  von  Anfang   an  mit 

je  10  Ellen  grünes  Tuch,  den  Ober-  wenig  Erfolg.    Namentlich  waren 

richtern  24  Ellen   grünen  Taffet,  es  die  städtischen  Behörden,  die 

während  letztere  unter  Heinrich  IV.  dem  „Teufelswerk"  zu  Leibe  rück- 

zu  Weihnachten  für  eine  Winter-  ten,  so  diejenigen  von  Samberg 

k leidung  10  Ellen  „riolet  in  qrainu  schon  1443,  hauptsächlich  gegen  die 

und   152   kleine  Hermelinfeüe  er-  Frauen  gerichtet.    Bald  folgte  die 

hielten,    worunter  32  feinere  zur  Frankfurter    Kleiderordnung  und 

Kopfbedeckung    bestimmt    waren.  1356  diejenige  von  Speier,  welche 

Zu  Pfingsten  erhielten  sie  10  Ellen  alle  durch    ihre  spiessbürgerliche 

grünes  Tuch  und  ein  halbes  Stück  Kleinigkeitskrämerei  sich  auszeich- 

grüuen  „tttrtarin".    Die  Tracht  der  nen. 

übrigen  Beamten  wurde  ebenfalls  Im  15.  Jahrhundert  folgten  sich 
genau  bestimmt  und  ebenso  die  der  in  allen  Städten  die  verschärften 
anderen  Stände,  so  der  Gelehrten,  Ordnungen  in  immer  kürzer  werden- 
der Professoren  und  Studierenden,  den  Zwischenräumen.  Sie  vermoch- 
Die  Arzte  z.  B.  trugen  eine  graue  ten  jedoch  dem  einmal  entfesselten 
Robe,  gegürtet  mit  schwarzem  Hüft-  Hange  nicht  Einhalt  zu  thun.  Das 
gürtel,  auf  dem  Haupte  eine  schwarze  „Lappen-  und  Zaddelwerk,  die  ge- 
Kappe, die  mit  breiten  Lappen  unter  teilten  Kleider  und  Schnabelschuhe'' 
dem  Kinn  zusammengebunden  wurde,  blieben  bestehen  und  veränderten 
Auffällige  Auszeichnungen  mussten  sich  oft  in  phantastische  Masken- 
sich auch  hier,  wie  in  Italien  und  kleider,  die,  ihrem  Zwecke  so  sehr 
später  in  Deutschland,  die  öfteut-  entfremdet,  den  Umwillen  der  Be- 
liehen Mädchen  und  die  Juden  ge-  sonnenen  immer  mehr  reizten.  Na- 
fallen  lassen.  Erstere  trugen  Kappen  mentlich  war  es  der  reiche  Bürger- 
mit  weissen  Merkzeichen,  letztere  stand,  der  es  dem  Adel  zuvorthun 
nach  den  Verordnungen  der  Kirchen-  wollte  und  konnte,  sodass  der  letz- 
versammlungen  von  1233  und  1267  tere,  um  sich  vor  gänzlicher  Ver- 
ein langes  Gewand,  dem  1314  ein  armung  zu  schützen,  nun  unter  sich 
hornartig  gebogener  Hut  von  gelber  freiwillige  Vereinbarungen  traf,  z.  B. 
oder  gelbroter  Färbung  beigegeben  1479,  vor  dem  grossen  Turnier  zu 
wurde.  Auch  musstc  ihr  Unter-  Würzburg:  „Nachdem  einem  jeg- 
kleid  auf  der  Brust  oder  ihr  Mantel  liehen  Ritter  guter  Sammct  und  Per- 
auf der  Schulter  mit  einem  roten  len  zu  tragen  vorbehalten  ist,  so 
orangefarbenen  Rad  versehen  sein,  haben  wir  doch  hierin  beschlossen. 
Solche  Abzeichen  waren  auch  be-  dass  ihrer  keiner  einen  golddurch- 
liebte  Strafuiittel  im  „peinlichen"  wirkten  Stoff'  noch  gestickten  Sam- 
Rechtsverfahren.  Fälscher  und  met  tragen  soll,  darin  er  sich  zu 
Falschmünzer  stellte  man  einen  schmücken  auf  solchem  oder  ande- 
ganzen  Tag  in  einem  weissen  Ge-  rem  Turnier  vornehmen  wolle;  wel- 
wand  aus,  welches  mit  umtiauimten  eher  das  überführe,  der  soll,  von 
Köpfen  bemalt  war.  Verräter  wur-  allen  Rittern  und  Edeleu  verachtet 
den  mit  pergamentenen  Kronen  ge-  sein,  auch  in  dem  Turnier  zu  keinem 
schmückt  in  den  Strassen  umher-  Vortanz  oder  Dank  zugelassen  wer- 
geführt,  und  Falliten  wurde  die  den.  Es  sollen  auch  die  gemeinen 
grüne  Kappe  aufgesetzt.  Edelen,  so  nicht  Ritter  und  doch 
Zwischen  1330—1350  fand  die  Turniers-  und  Ritte rgenosseu  sind, 
französische  Tracht  in  Deutschland  keinen  Schmuck  von  Perlen,  gestickt 
Eingang.  Diesem  plötzlichen  Um-  oder  anders  tragen,  denn  eine  Schnur 
schwung  in  Sitte  und  Tracht  trat  um  eine  Kappe  oder  Hut.  Es  soll 
man  sofort  energisch  entgegen,  aber  auch    keiner    Gold,    von  Ketten, 


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502 


Kleiderordnungen. 


Schnüren  oder  gestickt  tragen,  er 
trage  es  denn  verdeckt  und  unsicht- 
lich als  die  Alten  gethan  und 
hergebracht  haben.  Und  soll  der- 
selbe auch  keinen  Sammet,  darin 
er  sich  auf  solchem  Turnier  schmü- 
cken wolle,  anderes  denn  zum  Wams 
nach  seinem  Gefallen  tragen,  und 
welcher  das  überführe,  der  soll  von 
anderen  Rittern  und  Edelen  ver- 
schmäht, der  Vortünze  und  der 
Dünke  beraubt  sein.  Es  sollen  auch 
da  alle  Ritter  und  Edelen,  und  be- 
sonders ein  jeglicher  Ritter,  keine 
goldene  Decke  (oder  Schabracke) 
und  in  der  Gemeine  von  Adel  von 
Sammet,  von  Damast,  Alles  keine 
Decke  oder  Wappenrock  führen; 
weleher  das  nicht  hielte,  der  soll 
dann  von  den  anderen  verschmäht, 
auch  von  den  Franken  im  Turniere 
abgeschieden  und  der  Vortänze, 
sammt  des  Turniers  Dänken  be- 
raubt sein.  —  Nachdem  als  wir  die 
Ordnung  unter  uns,  als  den  Manns- 
personen gesetzt  und  die  Nothdurft 
mit  unsern  Weibern,  Töchtern  und 
Schwestern  auch  Ordnung  zu  ver- 
sehen erfordert,  so  ist  gemacht,  dass 
eine  jegliche  Frau  oder  Jungfrau 
nicht  über  vier  Röcke,  darin  sie 
sich  schmücken  will,  als  Sammet 
oder  gestickte  Röcke  haben  soll. 
Darunter  sollen  nicht  mehr  denn 
zwei  dem  Sammet  gemäss  sein;  ob 
sie  anders  diese  hätte  und  die  anderen 
nach  ziemlichen  Dingen  die  dem 
Adel,  als  die  Alten  hergebracht 
haben,  wohl  anständig;  und  welche 
Frau  das  nicht  halten,  sich  mit  Klei- 
dern zu  schmücken  über  diese  Zahl 
anschicken  und  zu  solchem  Turnier 
gebrauchen  thue,  die  soll  von  der 

fesammten  Ritterschaft,  Frauen  und 
ungfrauen,  verachtet  sein  und  der 
Vortänze  und  Dänke  des  Turniers 
beraubt  bleiben.  Und  ob  aus  den 
gemeldeten  Frauen  und  Jungfrauen 
etlic  he  mit  solcher  Kleidung  zu  dem 
Geschmuck  nicht  als  köstlich  an 
Sammet  versorgt  wären,  die  sollen 
dennoch  nach  ihrem  Stand  zu  Ehren 


rezogen  werden.44  Eine  ähnliche 
Verordnung  erliess  um  14S5  die 
Ritterschaft  der  Vierlande  (Rhein- 
land, Bayern,  Franken  und  Sehwa- 
ben) auf  dem  Turniere  zu  Heilbronn. 

Der  Bürgerstand,  der  sich  an 
die  Gesetze  der  Räte  wenig 
kehrte,  lud  sich  nun  die  Ungnade 
der  Fürsten  auf  den  Nacken.  So 
erliessen  um  1482  der  Kurfürst  Emst 
und  der  Herzog  Albert  von  Sachsen 
ihre  Verordnungen,  die  allerdings 

—  wenigstens  gegen  den  Ritterstand 

—  etwas  milder  waren  als  manche 
der  übrigen  „gnädigen  Herren*'.  So 
erlaubten  sie  den  ritterlichen  Frauen 
und  Jungfrauen  ein  Kleid  zu  tragen 
mit  zwei  Ellen  langen  Schleppen, 
dazu  den  Besitz  einer  seidenen 
Schaube,  eines  seidenen  Rocks  und 
zwei  gestickter  Röcke,  jedes  einzeln 
im  Werte  von  höchstens  150  Gulden. 
Da  aber  auch  diese  fürstlichen  Er- 
lasse unbeachtet  blieben,  kam  die 
Angelegenheit  vor  den  Reic/i#t<i(f, 
der  1497  auf  dem  Abschied  zu  Lindau 
besondere  Verfügungen  traf. 

Von  grossem  Erfolg  waren  diese 
Reiehstagsverordnungen  schwerlich 
begleitet,  denn  auf  dem  Tage  zu 
Augsburg  (1500)  kam  die  Ange- 
legenheit wieder  zur  Sprache  und 
wurde  beschlossen:  „dass  die  Kur- 
fürsten, Fürsten  oder  andere  Obrig- 
keit bei  Vermeidung  kaiserlicher 
Ungnade  die  Reichstagsbeschlüsse 
in  betreff  der  Überflüssigkeit  der 
Kleider  in  ihren  Ländern  in  Aus- 
führung zu  bringen  hätten  und  zwar 
bis  zum  Sonntag  Lätare  d.  J.  160t, 
und  dass  alle,  welche  bis  dahin  dem 
nicht  völlig  genügt  haben  würden, 
durch  den  Reichsnskal  mit  Gewalt 
dazu  genötigt  werden  sollten." 
Diese  Gesetze  sollten  hinsichtlich 
der  Handwerker  auch  für  „deren 
Frauen,  Kinder  und  Mägde  zu  ver- 
stehen sein"  und  den  Töchtern  der 
Bürger  in  den  Städten  sollten  Haupt- 
bändlein und  Perlen  —  natürlich 
in  ziemlichem  Masse  —  nicht  un- 
verbofen   sein.     Hinsichtlich  der 


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Kleidung.  —  Klerus. 


503 


Juden  und  öffentlichen  Dirnen 
(Freudenmädchen",  „der  Weiber, 
die  an  der  Unehre  sitzen")  galten 
im  allgemeinen  die  gleichen  Bestim- 
mungen, die  Frankreich  aufstellte. 
In  Berlin  mussten  letztere  (148G)  die 
Mäntel  auf  den  Köpfen  tragen,  oder 
aber  sie  trugen  ganz  kurze  Mäntel; 
die  Lustiqmacher  und  Narren  trugen 
seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
mögliehst  buntacheekige  Tracht  mit 
einem  weiten,  sackförmigen ,  mit 
Glöckcheu  verzierten  Hängeärmel, 
Schellenkappe  mit  Hahnenkamm, 
Eselsohren  und  Narrenkolben. 

Auch  daa  16.  Jahrhundert  kämpfte 
nicht  minder  erfolglos.  Die  „neue 
kaiserliche  Ordnung  und  Refor- 
mation guter  Polizei  im  heiligen  römi- 
schen Reich"  erliess  auf  einem 
spätem  Reichstage  (1530)  wieder 
zu  Augsburg  eine  ganze  Reihe  der- 
artiger Bestimmungen,  die  den  Land- 
leuten, den  Städtern  und  zwar  Bür- 
gern wie  Handwerkern,  Handwerks- 
knechten  und  Gesellen,  den  Kanf- 
und  Gewerbsleuten,  den  Räten  und 
Geschlechtern,  dem  Adel,  den  Grafen, 
Herren,  Rittern  und  Doktoren,  den 
Geistlichen,  den  Reisigen  und  Kriegs- 
leuten, den  Bergknappen  etc.  die 
kleinlichsten  Vorschriften  in  bezug 
auf  die  Kleidung  machten,  „damit 
in  jeglichem  Stand  unterschiedlich 
Erkenntnis  sein  möge",  und  1548 
wurde  beschlossen,  me  Obrigkeiten, 
die  mit  der  Durchführung  derselben 
nach  Jahresfrist  noch  im  Rückstände 
sein  sollten,  mit  2  Mark  lötigem 
Golde  zu  bestrafen;  der  Erfolg  blieb 
auch  jetzt  noch  aus,  der  betroffene 
Bürger  bezahlte  nötigenfalls  seine 
Strafe,  übertrat  aber  das  Gesetz  bei 
der  nächsten  Gelegenheit  wieder. 
Auch  die  Geistlichkeit  benutzte 
Kanzel  und  Beichtstuhl,  namentlich 
die  nun  auftauchenden  „Pluder- 
hosen", die  „unzüchtigen  Teufels- 
hosen" abzuthun;  Kirchenstrafen 
und  Bann  waren  nicht  vermögend, 
der  unglaublich  raschen  Verbrei- 
tung der  „unflethig,  schändlich,  zer- 


ludert ,  sucht-  und  ehren  wegen,  plu- 
drigten"  Kleidung  Einhalt  zu  thuu. 
Die  Räte  mussten  auch  hierin  nach- 
geben. So  erlaubte  endlich  der- 
jenige von  Braunschweig  (1579)  den 
Bürgern  zu  einem  Paar  Hosen  12 
Ellen  Seide,  der  von  Magdeburg 
(1583)  „den  Schöffen,  denen  von  den 
Geschlechtern,  den  Vornehmsten  aus 
den  Innungen  und  den  Wohlhaben- 
den von  der  Gemeinde"  bis  zu  IS 
Ellen  Karteck,  der  von  Rostock 
(1585)  —  doch  einzig  den  Adeligen 
—  12—14  Ellen.  Die  Kleiderord- 
nungen verschwinden  aus  den  obrig- 
keitlichen Erlassen  erst  zu  Ende  des 
vorigen  Jahrhunderts.  Nach  Weit», 
Kostümkunde. 

Kleidung:,  siehe  Tracht. 

Klerus.  Die  iiiteste  Kirche  unter- 
schied bloss  Bischöfe  und  Priester, 
beide  insofern  gleichgestellt,  als  sie 
gleichmiissig  zur  Administrierung 
der  Messe  zugelassen  waren.  Zur 
Hilfeleistung  bei  dem  heiligen  Dienste 
wurden  die  Diakonen  verwendet; 
später  entstanden  zu  diesem  Zwecke 
noch  andere  Amter,  die  Subdiakonen, 
die  dem  Diakon  beim  Gottesdienste 
ministrierten;  die  Akoluthen  zur  Zu- 
reichung der  Altar- und  der  heiligen 
Gerätschaften;  die  Estorcisten  für 
die  Gebete  und  Handauflegung  über 
die  Energumenen,  die  Lektoren  zum 
Vorlesen  aus  den  heiligen  Schriften, 
die  Ostia rien  zur  Obnut  der  Ver- 
sammlungsorte; die  letzteren  Amter 
vom  Diakon  abwiirts  hiessen  Mini- 
stranten. Später  bildeten  die  Priester 
und  Diakonen  zusammen  das  Pres- 
byterium ,  mit  dem  der  Bischof  die 
wichtigeren  Sachen  beratend  ver- 
handelte. Die  geringeren  Stufen 
verloren  sich  mit  der  Zeit  als  eigent- 
liche Ämter  und  erhielten  sich  nur 
insofern,  als  in  den  bisehöflichen 
Schulen  die  jungen  Kleriker  je  nach 
dem  Alter  und  den  erworbenen 
Fähigkeiten  zu  den  niederen  Weihen 
zugelassen  wurden.  Allen  Klerikern 
gemeinsam  war  die  Tonsur,  das  Ab- 
scheren der  Ilaare  als  Symbol  der 


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504 


Klopfau.  —  Klosteranlagen. 


Ablesung  alles  weltlichen  Sinnet; 
dieselbe  ging  seit  dem  6.  Jahrhundert 
der  Ordination  vorau.  Auf  sie  folgten 
die  ( )rdinatiouen  zum  Ostiarius,  Lek- 
tor, Exorcisten,Akoluthen,Subdiakon, 
Diakon  und  Priester,  deren  vier 
erste  Grade  bloss  bildlich  zur  Er- 
innerung an  die  alt«'  Disziplin  durch- 
gegangen werden  inussteu.  Seit  dem 
13.  Jahrhundert  unterschied  man 
daher  vier  niedere  Weihen,  online* 
minore«,  oft  einfach  Kleriker  genannt, 
und  drei  höhere  Grade,  ordines  majo- 
res *.  sacri.  Zu  ieder  dieser  Stufen 
erteilt  die  Ordination  die  ent- 
sprechende Befähigung  und  Voll- 
macht, welche  sieh  auf  der  letzten, 
dem  priesterlichen  Ordo,  bis  zur  Be- 
fähigung und  Ermächtigung  zur 
Darbringung  des  Opfers  erweitert. 
Des  vollständigen  Sacerdotiums  wird 
jedoch  »1er  Geweihte  erst  teilhaft, 
wenn  er,  durch  Wahl  oder  auf  an- 
dere gesetzliche  Weise  zum  Hirten 
einer  bestimmten  Diözese  berufen, 
für  diese  die  Konsekration  erhält, 
und  bloss  die  höheren  Orden  sind 
dem  Colibat  und  der  Verpflichtung 
zum  speziellen  Gebetsdienste  unter- 
worfen. Zur  Ordination  werden  nur 
solche  getaufte  Männer  zugelassen, 
denen  die  Attribute  der  Unsträflich- 
keit des  Wandels,  hinreichendes 
Alter,  eheliche  Geburt,  genügendes 
Wissen,  Integrität  des  Körners, 
des  Geistes,  Willens  und  Glaubens 
zukommen.  Bischöfe  und  Priester 
sollten  nach  den  ältesten  Kanones 
dreissig,  die  Diakonen  fünfund- 
zwanzig Jahre  alt  sein:  die  niederen 
Ordines  können  schon  einige  Zeit 
nach  dem  siebenten  Jahre,  als  dem 
möglichsten  Zeitpunkte  der  Tonsur, 
erworben  werden. 

Klopfan,  hiessen  kleine  Neujahrs- 
gedichte des  15.  Jahrhunderts,  die 
mit  dem  Worte  Klopf  an  beginnen 
und  vielgestaltigen  und  bunten  In- 
haltes, bald  ernst  und  zart  alles 
Schöne  und  Gute  wünschen,  bald 
voller  Unsauberkeiten  stecken.'  Klopf 
an  von  Oskar  Schade,  Hannover  1S">5. 


Klöster,  siehe  Mönrhstum. 

Klosteranlagen.  Die  Anfänge 
der  christlichen  Klosterbauten  im 
Frankenreiche  knüpfen  sich  an  die 
irischen  Glaubensboten;  wo  sie  sich 
nicderliessen,  da  entstanden  nicht 
nur  Kirchen,  in  denen  sie  ihren 
Gott  verehrten,  sondern  auch  nach 
heimischer  Art  gezimmerte  Hütten 
und  Wohnhäuser.  Freilich  werden 
wir  uns  jene  frühesten  Anlagen 
kaum  dürftig  genug  vorstellen  kön- 
nen; es  waren  schlichte  Holzliütteu, 
welche  um*  den  allernotwendigsten 
Bedürfnissen  genügen  konnten. 

Als  dann  im  8.  Jahrhun- 
dert die  kräftige  Herrschaft  der 
Pipinideu  sich  entwickelte,  er- 
wuchsen an  hervorragenden  Stellen, 

geschützt  durch  die  Gewalt  der 
Könige  und  gefördert  durch  reiche 
Schenkungen  der  Edlen,  bereits  jene 
ersten  weitläufigen  Klosteranlagen, 
wie  wir  dieselben  durch  das  ganze 
Mittelalter  verfolgen  können.  Eine 
solche  hervorragende  Stellung  unter 
den  zahlreichen  von  irischen  Mönchen 
gestifteten  Klöstern  nahm  St.  (lallen 
ein,  das  unter  seinem  trefflichen 
Abte  Othmar  rasch  aufblühte  und 
eine  Erweiterung  der  alten  Abtei- 
gebäude bedurfte.  Ausser  den  eigent- 
lichen Klosterräumen  wurden  auch 
Häuser  für  Arbeits-  und  Hand- 
werksleute  angelegt,  ferner  ein 
Krankenhaus  mit  einer  besonderen 
Abteilung  für  Aussätzige  und  ausser- 
halb einer  Verzäunung  eine  soge- 
nannte äussere  Schule,  in  welcher 
Jünglinge  gebildet  wurden,  die  nicht 
zum  Möncnsleben  bestimmt  waren. 
In  der  flachgedeckten,  100  Fuss 
laugeu  Kirche  wird  besonders  der 
vielen  Fenster,  der  gläsernen  Kron- 
leuchter rühmend  Erwähnung  ge- 
than.  Eine  Krypte  unter  dem  Chore 
enthielt  die  Gebeine  des  hl.  Gallus. 
Die  ganze  Kirche  war  aus  Stein  , 
ausgeführt,  und  das  Mauerwerk 
wird  als  so  fest  geschildert,  das- 
beim  Abbruch  uer  Kirche  im 
Jahre    820    unter   grosser  Mühe 


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Klosteraulagen. 


505 


Mauerbrecher  angewendet  werden  Katger  begonnenen  grossartigen 
nmssten.  Bauten  fortgeführt  und  so  weit  aus- 
Zu  gleicher  Zeit  entstanden,  von  gedehnt  wurden,  dass  die  Mönche 
irischen  Mönchen  gegründet,  am  den  Abt  verklagten,  weil  sie  nur 
Oberrhein  zahlreiche  Klosteraulagen.  immerfort  bauen  müssten  und  nichts 
Das  Innere  Deutschlands  dem  Chri-  anderes  thun  könnten.  Im  Kirchen- 
steiituni  erschlossen  zu  haben,  bleibt  bau  tritt  uns  in  Fulda  unter  dem 
aber  das  Verdienst  des  angelsäch-  vierten  Abte  Eigil  eine  Neuerung 
sisehen  Mönches  Winfried  oder  Boni-  entgegen,  welche  für  die  Folgezeit 
facius,  des  Apostels  der  Deutschen,  geradezu  massgebend  wurde,  näm- 
Seine  Lieblingsstiftung  war  das  lieh  die  Anlage  eines  zweiten  west- 
Kloster  Fulda,  dessen  Grundlegung  liehen  Chores,  der  errichtet  wurde, 
ins  Jahr  742  verlegt  wird  und  zu  tun  die  Gebeine  des  grossen  Heiden- 
dessen Erbauung  er  den  ersten  Abt  \  apostelsBonifacius  aufzunehmen  und 
Sturm  nach  dem  Mutterkloster  Mon-  \  dessen  Grab  zu  verherrlichen.  Da- 
tecassino  in  Italien  sandte,  um  die  dureh  war  in  die  Grundanlage  der 
dortige  Anlage  zu  studieren.  Wie  Basilika  ein  neues  Motiv  eingeführt 
Abt  Sturm  seine  Studien  am  Kloster  und  die  Salvatorkirche  in  Fulda 
Fulda  verwertete,  wissen  wir  aller-  wurde  in  ihrer  doppelt-hörigen  Au- 
dings  nicht,  allein  es  ist  sicher  an-  läge  das  Vorbild  für  die  meisten 
zunehmen,  dass  der  Typus  der  Dome  und  Klosterkirchen  der  drei 
klösterlichen  Anlagen  dieser  frühen  folgenden  Jahrhunderte.  In  die  Zeit 
Zeit  nicht  verschieden  war  von  dem  Ludwig  des  Frommen  fallt  zugleich 
der  späteren  Jahrhunderte.  Um  ein  anderer  bedeutender  Neubau, 
einen,  in  der  Regel  quadratischen,  der  vorzüglich  deshalb  Interesse 
mit  Arkaden  umgebenen  Hof,  den  erweckt,  weil  sich  über  die  Grund- 
sogenannten Kreuzgang,  gruppierte  disposition  ein  alter  Originalriss  aus 
sich  die  Kirche,  gewöhnlich  im  1  dem  Jahre  820  bis  auf  unsere  Tage 
Norden,  und  die  zur  Wohnung  der  j  erhalten  hat,  aus  dem  die  ganze 
Kouventualen  bestimmten  Räum-  i  Einrichtung  und  ausgedehnte  An- 
liehkeiten,  die  sogenannte  Klausur.  |  läge  einesdamaligen  grossen  Benedik- 
Im  Grunde  genommen  Ist  das,  die  tinerklosters  zu  ersehen  ist.  Dazu 
Kirche  ausgenommen,  ganz  die  An-  Fig.  80,  nach  der  Rekonstruktion 
lagederantiKen/'/V/rtMr&rt/ia,  während  von  Professor  Lasius  in  Zürich.  Es 
die  neben  der  Klausur  belegenen  ist  die  Abtei  zu  St.  Gallen,  für  deren 
Wirtschaftsgebäude  der  mit  den  Neuerstellung  sieh  Abt  Gotzbcrt 
herrschaftlichen  Höfen  verbundenen  von  auswärts,  wahrscheinlich  von 
vi/la  nuttica  entsprechen ,  so  dass  Fulda,  Rats  erholte  und  diesen  in 
anzunehmen  ist,  dass  den  Benedik-  j  Gestalt  des  aus  vier  zusammenge- 
tinern  bei  Anlage  ihrer  Klöster  das  nähten  Pergamentblättern  bestehen- 
antike Wohnhaus  als  Vorbild  vor- 1  den  Baurisses  erhielt.  Die  ganze 
geschwebt  habe.  Nachdem  Karl  Anlage  umfasst  einen  Flächenraum 
der  Grosse  ins  Grab  gestiegen,  brach  von  ungefähr  300  x  430  Fuss.  Den 
allerdings  unter  den  nachfolgenden  Mittelpunkt  bildet  die  Kirche ,  an 
schwachen  Herrschern  über  Deutsch-  deren  Südseite  der  Kreuzgang  mit 
land  eine  traurige  Zeit  an,  allein  den  zur  Klausur  gehörigen  Gebäuden 
es  äusserten  sieh  doch  noch  die  stösst  und  zwar  östlich  an  den  Kreuz- 
Nachwirkungen  der  vergangenen  cang  angrenzend  das  Wohnhaus  der 
grossen  Epoche.  Ganz  besonders  Mönche  mit  dem  gemeinschaftlichen 
war  es  das  Kloster  Fulda,  wo  die  Schlafsaal.  dem  Bade-  und  Wasch- 
unter dem  zweiten  Abte,  Baugolf,  haus,  südlich  das  Refektorium,  der 
durch    den    baukundigen    Mönch  Speisesaal  mit  der  Küche,  westlich 


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506 


Klosteranlagen. 


die  Kellerei.  Statt  des  Kapitelsaals,  ausgedehnten  Kern  schliessen  sich 
der  erst  im  10.  Jahrhundert  vor-  an  der  westliehen  und  südlichen 
kommt,  dient  der  an  der  Kirche  Seite  das  Gesindehaus  und  die 
sich  hinziehende  Flügel  des  Kreuz-  Ställe  für  Schafe,  Schweine,  Ziegeu, 
ganges.  Neben  dem  östlichen  Chor  Kühe,  Ochsen,  Pferde,  ferner  da*» 
der  Kirche  befindet  sich  an  der  Werkhaus,  die  Malzdarre,  die  mit 
Nordseite  die  Schreibstube,  darüber  der  Klosterküche  verbundene  Braue- 
die  Bibliothek,  an  der  Südseite  die  rei  und  Bäckerei,  die  Stampf-  und 
Sakristei  in  Verbindung  mit  der  Mahlmühle,  das  Haus  der  verschie- 
Hnstieiihäckerei.  Vor  ilie  U.-tseitr  denen  Handwerker  und  die  grosse 
der  Kirche  legten  sich,  durch  zwei  Scheuue.  Die  südöstliche  Ecke 
aneinandergebaute  Kapellen  ge-  endlich  nehmen  die  runden  Hühner- 
trennt, das  Kraukenhaus  und  die  uud  Gänseställe,  der  Begräbnisplatz 


Fig.  80.    Abtei  in  St.  Gallen. 


Novizenschule,  jedes  mit  einem 
quadratischen  Kreuzgang  in  der 
Mitte.  Nördlich  vom  Krankenhaus 
liegt  die  Wohnung  der  Arzte  und 
ein  besonderes  Haus  zum  Aderlassen 
und  Purgieren.  An  der  Nordseite 
der  Kirche  begegnen  wir  dem  einer 
Basilika  mit  offenen  Seitenschiffen 
gleichenden  Abthaus,  dem  Schul- 
haus für  die  Externen  und  der 
Herberge  für  die  Fremden  samt 
«■inem  dazu  gehörigen  Wirtschafts- 
gebäude: letzterem  entsprechend  an 
der  südwestlichen  Seite  die  Herberge 
für  Pilger  und  Arme.    An  diesen 


und  der  Gemüsegarten  ein,  in 
welchem,  wie  der  Plan  besagt, 
Zwiebeln,  Sellerie,  Coriander,  Ret- 
tiche, Knoblauch,  Salat,  Pfeffer- 
kraut etc.  wachsen. 

Die  Ausführung  des  Baues, 
welche  sich  schwerlich  an  diesen 
mehr  systematischen  Plan  gehalten 
haben  wird ,  fallt  in  die  Janre  822 
bis  830.  Sämtliche  Mönche  mussten 
mitbauen.  Die  Pracht  muss  ^ross 
gewesen  sein,  denn  die  Nach- 
richten aus  jener  Zeit  sprechen  von 
Marmorsäulen  au  der  Amtswohnung. 
Von   der  Umfänglichkeit  und  der 


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Klosteranlagcn. 


507 


Grossartigkeit  der  Anlage  aber  er- 
hält man  einen  Begriff,  wenn  mau 
erfährt,  dass  in  einem  Backofen 
allein  auf  einmal  1000  Brote  ge- 
backen werden  konnten  und  die 
Mühle  alle  .Jahre  10  neuer  Mühl- 
steine bedurfte. 

Schwerlich  werden  die  Klosteran- 
lagen des  ersten  Jahrtausends  alle  so 
umfassend  angelegt  worden  sein,  wie 
dies  in  St.  Gallen  der  Fall  war.  An 
den  meisten  Orten  begnügte  man  sich 
mit  dürftigen  Holzhütten  und  ging 
kaum  über  den  Bedürfnisbau  hinaus, 
so  in  der  von  Fulda  aus  gegründe- 
ten, später  so  einflussreich  gewor- 
denen Abtei  Hirschau,  namentlich 
aber  bei  der  zahlreichen  Neugrün- 
dung von  Klöstern  im  Suchten! and. 
Schon  Karl  der  Grosse  hatte  säch- 
sische Jünglinge  in  fränkische  Klöster 
gesteckt,  wie  nach  Corbie  bei  Amiens, 
damit  sie  dort  im  christliehen  Glau- 
ben unterrichtet  werden  möchten. 
Diese  zogen  nun  in  ihre  Heimat 
zurück,  um  den  Anbau  des  Landes 
und  christliche  Bildung  zu  fordern. 
Das  bedeutendste  Kloster,  das  so 
erstand,  ist  die  nach  dem  Stamm- 
kloster  benannte  Abtei  Corvey,  wel- 
che für  die  kommenden  Zeiten  ein 
Hauptsitz  der  christlichen  Wissen- 
schaften wurde  und  aus  welcher 
Ansgar,  der  Apostel  des  Nordens, 
hervorging.  Grössen;  Lust,  als  die 
kriegerischen  sächsichen  Edeln  zeig- 
ten ihre  Frauen  und  Töchter  am 
Klosterleben,  was  die  Gründung 
einer  Reihe  von  Sonnenklostern 
herbeirief,  wie  zu  Herford,  Lamm- 
springe,  Gandersheim  etc.  Im  Ver- 
laufe des  10.  Jahrhunderts  blühten 
die  Klöster  durch  reiche  Schenkungen 
ungemein  auf  und  es  erwachte  unter 
der  Geistlichkeit  eine  grosse  Baulust, 
welche  sich  namentlich  im  11.  Jahr- 
hundert geltend  machte.  Grosse 
Verdienste  um  das  Bauwesen  er- 
warb sich  zu  dieser  Zeit  der 
Orden  der  Cluniaccnser ,  deren  von 
den  Kaisem  gefördertes  Streben 
auf  die  Reformation  der  erschlafften 


Beuediktinerklöster  gerichtet  war. 
Gleichzeitig  entfernt  sich  die  Bauart 
immer  mehr  von  sklavischer,  aber 
missverstandener  Nachahmung  der 
Antike,  esbildetsich  jene  Stilrichtung, 
welche  man  als  „romanisch"  bezeich- 
net. Aus  dem  Jahr  1009  besitzt  man 
noch  eine  Bauvorschrift  des  Abtes 
Hugo  von  Vluny.  Darin  sind  sogar 
sämtliche  Längen-  und  Höhenmasse 
samt  der  Fensterzahl  für  Kirche, 
Sakristei,  Dormitorium  oder  gemein- 
schaftlichen Saal,  Sprechzimmer, 
Kalefaktorium,  Refektorium,  Küche, 
Speisekammer,  Almosenspende  an- 
gegeben. Ferner  schreibt  Hugo  sechs 
Krankensüle  mit  Portikus  und  einen 
Saal  zum  Fusswaschen  vor;  an- 
stossend  an  die  Kirche  ein  Gebäude 
zur  Aufnahme  der  Gäste  mit  40 
Betten  für  Männer  und  ebenso  viel 
für  anständige  Frauen.  Dazwischen 
aber  soll  der  Speisesaal  liegen.  Ein 
eigenes  an  die  Sakristei  angebautes 
Haus  soll  die  Handwerker  auf- 
nehmen, auf  der  andern  Seite  der- 
selben der  Begräbnissplatz  liegen. 
Auf  die  Südseite  werden  die  Ställe 
angeordnet  und  neben  das  Refek- 
torium die  Bäder.  Das  in  der 
Nähe  liegende  Noviziat  enthalte  vier 
Räume:  zum  Nachdenken,  zum  Zeich- 
nen, zum  Schlafen  und  zur  Unter- 
haltung, ein  anderes  Gebäude  diene 
den  Goldschmieden,  Miniatoren, 
Marmorarbeitern  und  anderen  Künst- 
lern. 

Ein  Brunnenhaus,  in  den  Fried- 
hof hinausgebaut,  steht  häufig  mit 
'  dem  Kreuzgang  in  Verbindung.  In 
demselben  pflegte  man  den  Mönchen 
Bart-  und  Haupthaar  zu  schneiden, 
was  nach  den  eonsuetndines  der 
Cluniacenser  alle  drei  Wochen  und 
unter  Psalmcdieren  zu  geschehen 
hatte.  Man  nannte  dieses  Brunnen- 
haus deshalb  auch  die  Tonsur. 

Ganz  gleiche  Anlagen  wie  die 
Ordensklöster  hatten  auch  die  mit 
den  Bischofssitzen  verbundenen  Dom- 
kapitel (mona&teria  cfe>  icorumj  und 
die  im  10.  Jahrhundert  entstandenen 


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508 


KlosteranlagL'ii. 


h'ulhijiaf stifter,  deren  Kapitulare  tausends  hatte  sich  die  Baukunst 
die  Regel  des  hl.  Augustin  befolgten,  gänzlich  in  Händen  der  Mönche  be- 
Wie  an  den  Klöstern  für  den  Abt  Funden.  Allein  als  im  11.  Jahr- 
eine besondere  Wohnung  ausser-  hundert  die  masslosc  Baulust  sich 
halb  der  Klausur,  oft  auf  Oer  gegen-  entwickelte,  reichten  die  Hände  der- 
Uber  liegenden  Seite  der  Kirche  er-  selben  nicht  mehr  aus  und  man  sah 
richtet  war,  so  auch  bei  den  Käthe-  sieh  deshalb  gezwungen,  Laien  zu- 
dralen  die  bischöfliche  Pfalz  Cpala-  zuziehen,  welche  vorerst  als  Hörige 
HumJ,  die  oft  befestigt  war.  Im  Frondienste  zu  leisten  gezwungen 
Verlauf  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  wurden,  oder  aber  als  sogenannte 


gaben  die  Kapi- 
llären das  ge- 
meinsame Leben 
auf  und  wohnten 
auf  besonderen 
Höfen  fcuriae  ca- 
»onicate*j.  die  in- 
nerhalb des  bi- 
schöflichen Juris- 
diktionsbezirkes 
(auf  Domfreiheit) 
lagen.  EineDom- 
hemi-Kurie  aus 
dem  13.  Jahrhun- 
dert ist  die  Curia 
St.  Aegidii  zu 
Naumburg,  fer- 
ner die  Stiftsbau- 
ten in  Trier  und 
Bamberg.  Dem 
entarteten  Leben 
der  Chorherren 
trat  der  Prämon- 
stra  fender  -  Orden 
entgegen.  von 
dessen  Baulich- 
keiten das  Lieb- 
fraueukbster  zu 
Magdeburg  ein 
Beispiel  zeigt. 
Im  allgemeinen 


Fig 


Grundriss  des  Kloster» 
Riddaghausen. 


Konversen  dem 
Klosterverband 
beitraten.  Dieae 
bärtigen  Brüder, 
die  eonveni  fra- 
trett  barbafi,  ge- 
schickte Hand- 
werker, welche  in 
den  Kriegszeiteu 
im  Kloster  Schutz 
gefunden,  bilde- 
ten ein  Institut 
von  Halbmön- 
cheu ,  die  zwar 
Gehorsam  und 
Ehelosigkeit  ge- 
lobten, aber  nur 
in  loser  Verbin- 
dung mit  dem 
Kloster  standen. 
Das  Institut  der 
Konversen  bilde- 
ten namentlich 
die  Prämonstra- 
tenser,  noch  mehr 
aber  die  CUfer- 
rienser  aus.  wel- 
che seit  dem  drit- 
ten Jahrzehnt  des 
12.  Jahrhunderts 
von  Frankreich 
Deutschland  aus- 


aber  leimen  sich  die  Bauten   der  aus   sich  über 

Prämonstratenser  denen  der  frühe-  breiteten  und  deren  Kirchen,  im 

reu  Klöster  an  und  nehmen  auch  Gegensatz    gegen    den    von  den 

die  besonderen  Räumlichkeiten,  wel-  Cluniacensern  mit  der  Kunst  ge- 

clie  die  Kollegiatstifter  geschaffen  triebenen  Luxus  anfangs  von  der 

hatten,   auf.   wie  die  Kanelle  zum  grossten  Einfachheit  waren.  Sehr 

Privatgebrauch  der  Stiftsherren  in  eigentümlich  hat  sich  die  Chorpartie 

der  Nahe  des  Kapitelsaals  und  den  der  Cistercieuserkirchen  gestaltet, 

grossen  Saal    zum    Abhalten    der  wobei  einerseits  der  schlichte  Sinn 

Stiftsgerichte.  des  Ordens  durch  Hinweglassung 

Bis  zu  Anfang  des  nein  n  Jahr-  der  Absidenvorlage  zu  einer  Verein- 


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Klosteranlagcn. 


50<* 


fachung,  andererseits  das  Bedürfnis 
kleiner  abgesonderter  Kapellen  für 
die  Privatexerzitien  der  Mönche  zu 
reicherer  Entfaltung  des  Grund - 
planes  geführt  hat.  Als  Vorbilder 
dienten  zwei  Klöster,  einesteils  das 
nicht  mehr  existierende  Mutterkloster 
Citeaux,  andernteils  das  Kloster 
Fontenay.     Beide   schliessen  den 


figer  wird  die  Anlag»*  von  Fontenay 
nachgeahmt,  wie  zu  Bellnhausen 
und  Maulbronn.  Turmbauten  führten 
die  Cistercienser  keine  aus.  Da 
ihnen  nicht  gestattet  war,  grössere 
und  mehrere  Glocken  zu  besitzen, 
begnügten  sie  sich  in  der  Regel  mit 
einem  kleinen,  auf  der  Vierung  auf- 
sitzenden hölzernen  Dachreiter.  Eine 


Fig.  82.    Grundriss  des  Klosters  Maulbronn. 


Chor  auf  eine  Gerade,  bei  ersterem 
ist  indes  das  französische  System 
des  Chorumgangs  und  Kapellen 
kranzes  auf  den  rechtwinkligen  Ab- 
schluss  übertragen,  bei  letzterem 
laufen  die  Seitenschiffe  im  Querhaus 
aus,  an  dessen  Ostseitc  sich  dann 
seitenschiffartiff  je  zwei  Kapellen 
öffnen.  Nachbilder  von  Citeaux  sind : 
Ridd Unhausen,  dazu  Fig.  81  (Kunst, 
bist.  Bilderbogen)  Ebrach  etc.  Hftu- 


Eigentümlichkeit  der  Cistercienser- 
kirchen  liegt  in  dem  ungemein  ge- 
streckten Langhause,  wofür  um  so 
weniger  Gründe  vorliegen,  als  von 
dem  Besuche  der  Klosterkirchen  die 
Laien  und  besonders  die  Frauen 
ausgeschlossen  waren.  —  In  einem 
gewissen  Widerspruch  mit  der  Ein- 
fachheit der  Kirche  steht  die  Gross- 
artigkeit und  Mächtigkeit  der  Kloster- 
anlagen, wovon  uns  in  dem  Cister- 


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51() 


Klosteranlagen. 


eienserkloster  zu  Maidbronn  (12.  bis 
14.  Jahrhundert  l  ein  grossartiges 
Beispiel  erhalten  geblieben  ist.  Da- 
zu Fig.  28  (Kunsthist.  Bilderbogen). 
Die  ganze  Anlage  gruppiert  sich 
uin  (Yen  gebräucnlicTicn,  hier  mit 
viel  Kunst  ausgestatteten  Kreuz- 
gang. Abweichend  von  der  Regel 
befindet  sieh  die  langgestreckte, 
mit  geradlinigem  nach  dem  Muster 
von  Fontenay  gebildeten  Chorschluss 
versehene  Kirche  im  Süden,  an  deren 
Westseite  sieh  eine  zierliche  Vor- 
halle, das  sogenannte  Paradies,  an- 
lehnt. Ein  prachtiges  Brunnenhaus, 
nach  Art  einer  noUgouen  Kapelle, 
ist  nach  dein  Hof  hinausgebaut. 
Ihr  gegenüber  öffnet  sich  der  Ein- 
gang in  den  zweischiffigen  Pracht- 
saal des  Refektoriums,  dessen  reich- 
gegliederte  Decke  mit  der  des  öst- 
lichbclcgencn  ebenfalls  zweischiffigen 
Kapitelsaales  an  Schönheit  wetteifert. 
Vod  hier  führt  eine  Verbindungs- 
galerie,  das  sogenannte  Parleato-  [ 
rium,  nach  dem  Amtshause.  An 
der  Westseite  des  Kreuzganges 
endlich  befindet  sich  ein  gewölb- 
ter Keller  und  ein  zweites  Re- 
fektorium. Im  oberen  Stockwerk 
war  das  Dormitorium  unterge- 
bracht. Ausserdem  gehörte  zum 
Kloster  noch  ein  Krankenhaus, 
das  ausserhalb  der  Klausur  auf 
dem  Klosterterritorium  stand,  welch 
letzteres  mit  einer  durch  Türme  be- 
festigten Ringmauer  umgeben  und 
durch  ein  Doppelthor  nebst  Brücke 
zugänglich  war.  An  den  nordwest- 
lichen Eckturm  der  Ringmauer 
schloss  sich  zudem  die  Kloster- 
mühle  an  und  ausserhalb  lagen  noch 
verschiedene  Gebäude,  darunter  die 
Herberge  für  die  Gäste.  Beschei- 
dener in  der  Anlage  ist  Bt hen  ha  tuten, 
dagegen  zeigen  die  Klöster  Jleiliqen- 
kreuz  bei  Wien  und  Lilienfeltl  in 
Niederösterreich  einen  bedeutenden 
künstlerischen  Aufwand. 

Eine  ganz  andere  Richtung  als  die 
Benediktiner,  welche  sich  in  freier 
Lage  auf  den  Rücken  von  Bergzügen 


anzusiedeln  pflegten,  oder  die  Cister- 
cienser,  welche  in  der  Weltabge- 
schiedenheit stiller  Waldthäler  ihr 
Heil  suchten,  schlugen  die  im  13. 
Jahrhundert  auftretenden  Bettel- 
oder  Predige  forden  ein,  denn  ihre 
Aufgabe  war  es  nicht,  sich  gelehr- 
ten Studien  hinzugeben,  sondern 
durch  Predigt  das  \  olk  zu  belehren, 
die  Dominik  aner  die  höheren  Stände, 
die  Franziskaner  die  niederen.  Sie 
siedelten  sich  deshalb  in  den  Städten, 
hauptsächlich  an  den  Stadtmauern 
au.  Einesteils  der  beschränkte  Raum, 
andernteils  das  Gebot  absoluter  Ar- 
mut veranlassten,  dass  ihre  Kloster- 
anlagen  so  einfach  wie  möglich,  ja 
ärmlich  aussehen  mussten.  In  ihren 
Kirchen,  welche  hauptsächlich  für 
Predigt  berechnet  waren,  wurde 
das  nicht  absolut  notwendige  Quer- 
haus weggelassen,  ja  man  ging  oft 
sogar  soweit,  dass  man,  aller  Sym- 
metrie zuwider,  nur  ein  Seitenschiff 
anbrachte.  Türme  fehlen  in  den 
meisten  Fällen,  wie  bei  den  Cister- 
cieuseru.  Umfassende  Klosteran- 
lagen dieser  Art  sind  bei  der  Mino 
ritenkirche  zu  Danzig  und  bei  St. 
Katharina  zu  Lübeck  erhalten. 

Gleiche  Einfachheit,  aber  wesent- 
liche Verschiedenheit  in  der  Anlage 
zeigen  die  Klöster  der  Kartäuser. 
welche  erst  seit  dem  H.Jahrhundert 
in  Deutschland  vorkommen.  Der 
Zweck  des  Ordens,  das  einsiedleri- 
sche mit  dem  Mönchsleben  zu  ver- 
binden, erfordert  grösseres  Terri- 
torium, weil  neben  der  eigentlichen 
Klausur,  welche  dasKonveutsgebäude 
nebst  dem  Kreuzgang  in  sich  be- 
griff, noch  «'in  weiterer  rechteckiger 
Raum  mit  dem  Gottesacker  in  der 
Mitte  und  den  einzelnen  durch  kleine 
Gärten  von  einander  getrennte  Zel- 
len der  Mönche  auf  den  Seiten, 
nebst  einem  sie  verbindenden  Kreuz- 
gang,  nötig  wurde.  Auf  diese  Weise 
erhielt  man  zwei  Kreuzgangsanlagen. 
In  Deutschland  ist  die  Kartause  von 
Sürnberq  (germanisches  Museum» 
die    vollständigste    Anlage  dieser 


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Klosteranlagen. 


511 


Art.  Ein»'  andere  findet  sieh  zu 
Paradeis  bei  Danzig.  zu  Köln  und 
Basel.  Bei  den  zwei  letzten  heisst 
der  eine  Kreuzhang:  Oalilaea  minor, 
der  andere  Gafilaea  major.  An 
den  letzteren  lehnten  sicli  die  ein- 
zelnen Zellen  an,  welche  der  Reihe 
nach  mit  Bibelsprüchen  bezeichnet 
waren,  deren  Anfangsbuchstaben 
in  alphabetischer  Reihe  aufeinander- 
folgen. Die  Gafilaea  minor  durften 
die  Mönche  nur  aui  Sonnabend  be- 
treten, um  im  Kapitelsaal  vor  dein 
Prior  zu  beichten  und  ihre  Ange- 
legenheiten zu  beraten ,  oder  an 
Festtagen,  wenn  sie  im  gemein- 
samen Refektorium  assen  oder  sich 
in  dem  kleinen  Kreuzgange  im  Ge- 
spräche ergingen. 

Eineeigentümliehe  Verschmelzung 
des  Klosterlebens  mit  dem  Kriegs- 
dienste brachten  die  Ritterorden 
zustande,  unter  denen  die  Deutsch- 
ritter  in  Preussen  eine  hervorragende 
Bedeutung  haben.  Der  Typus  der 
preußischen  Ordensschlösser,  wie 
er  sich  im  14.  Jahrhundert  festge- 
stellt hatte,  erscheint  als  ein  von 
Graben  umzogener  quadratischer 
Bau  mit  Ecktürmen  und  Kingmauern. 
Im  so  gebildeten  Hof  erhoben  sich 
ein  oder  zwei  Schlosser,  welche  sich 
wieder  nach  einwärts  gegen  einen 
Kreuzgang  öffneten,  der  aber,  da 
die  Haupträume  des  Schlosses  nie 
zu  ebener  Erde  lagen,  notwendig 
zwei  Geschosse  übereinander  erhal- 
ten mii8ste.  Zu  den  Haupträumen 
gehörte  zunächst  die  mit  dem  öst- 
lichen Chorende  stets  nach  aussen 
liegende  Schlosskapelle,  der  Kon- 
vents-Remter  genannte  Kapitelsaal 
und  das  Refektorium,  welches  Speise- 
Remter  hiess.  Das  Erdgeschoss, 
unter  dem  sich  in  mehreren  Etagen 
übereinander  mächtige  Keller  er- 
streckten, enthielt  lediglich  die  zur 
Ökonomie  erforderlichen  Räumlich- 
keiten. Völlig  übereinstimmend  wa- 
ren auch  die  Schlösser  der  Landes- 
bischöfe  und  Domkapitel  eingerichtet. 
Unter  den  Ordensschlösseru,  welche 


das  ganze  Land  betleckten,  zeichnet 
sieh  vorzüglich  das  ehemalige  Haupt- 
schloss  zu  Marienburg  aus,  das  sich 
als  Sitz  des  Hochmeisters  durch 
grössere  Ausdehnung  und  Pracht 
von  den  übrigen  unterscheidet. 

Schliesslich  wäre  noch  derjenigen 
Bauten  zu  gedenken,  welche  aus 
den  Klöstern  hervorgegangen  sind, 
nämlich  der  Jfosmtafcr.  Ur- 
sprünglich besass  jedes  Kloster  ein 
eigenes  Krankenhaus.  Seit  der 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts  verlang- 
ten aber  die  zunehmenden  Bedürf- 
nisse selbständige  Pflegeanstalteu, 
wie  sie  namentlich  die  im  13.  Jahr- 
hundert von  Papst  Innoccnz  be- 
stätigten Brüder  vom  heil.  Geiste 
erbauten.  Diese  Hospitäler  befinden 
sich  meist  an  den  Eingängen  der 
Städte  und  wo  immer  möglich  an 
fliessendem  Wasser.  Stets  sind  sie 
mit  einer  Kapelle  verbunden  zur 
besseren  geistlichen  Pflege  der  Kran- 
ken. Dergleichen  Hospitäler  wur- 
den erbaut  zu  Hildesheim  (1155),  zu 
Mainz,  Ulm,  Berlin,  Nürnberg  etc. 
Besonders  gut  erhalten  ist  das  Spital 
in  Lübeck;  ein  2H(>  Fuss  langer  von 
allen  Seiten  reichlich  beleuchteter 
Saal  mit  beidseitiger  Bettemeihe, 
gegen  die  Strasse  zu  durch  eine 
Hallenkapelle  abgeschlossen  und 
nördlich  verbunden  mit  einem  klei- 
nen Hof  mit  Kreuzgang  und  an- 
grenzenden Wohn-  und  Kranken - 
räumen ,  südlich  mit  dem  Archiv 
und  der  Herrenstube  und  einem 
Hofe  mit  kleineren  Wohnräumen. 
Eine  mehr  klosterartige  Anlage  hat 
dagegen  das  Nikolaushospital  zu 
Cues  an  der  Mosel,  bei  welchem 
sich  die  Krankensäle  und  die  Zellen 
der  Hospitaliten  an  die  drei  Seiten 
eines  Kreuzganges  anlehnen,  wäh- 
rend die  vierte  von  der  Kirche  ein- 
genommen wird.  Nach  Otfe,  Hand- 
buch der  kirchlichen  Kunstarchäo- 
logie; Otfe,  Geschichte  der  deut- 
schen Baukunst;  LiiUe,  Vorschule 
zum  Studium  der  kirchl.  Baukunst ; 
Mnthes  Baulexicon.  A.  H. 


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512 


Knecht. 


Knecht  als  Name  für  den  l'n-  Vertreter  des  alten  volksmässigen, 
freien.  Knechtschaft  im  Sinne  völli-  an  den  Boden  gebundenen  Kultur- 
ger  Rechtlosigkeit  ist  ursprünglich  lebens,  das  erst  nach  dem  Zerfall 
ohne  Zweifel  durch  Kriegsgefangen-  der  höheren  mittelalterlichen  Bildung 
schaft  entstanden  und  erneuerte  sich  zu  einer  intensiveren  Mitw  irkung  an 
auf  diesem  Wege  auch  spater  noch  der  Fortbildung  der  Gesellschaft 
lange  Zeit.  Doch  giebt  es  da-  berufen  wurde, 
neben  andere  Quellen  der  Knecht- '  Die  verbreiterten  Namen  für  die 
schaft:  des  Unfreien  Kind  bleibt  Unfreien  waren  serrus,  maneipium, 
unfrei,  der  Freie  konnte  durch  Heirat  aneiüa:  dann  die  wahrscheinlich  der 
mitUnfreien,  als  Strafe,  durchstand-  keltischen  Sprache  entlehnten  ras*u* 
recht,  durch  das  Spiel,  durch  die  i  und  ra&allus;  lat.  deutsch  gaxindu*; 
Unfähigkeit,  andere  Schulden,  das  hnechf,  tnanahoubit,  schalle,  theo  und 
Wergeid,  verwirkte  Bussen  zu  tilgen,  theu,  thiama,  diorna;  im  späteren 
seiner  Freiheit  verlustig  werden;  er  Mittelalter  maneipia,  hominc*  de  cor- 
wurde  dann  (»egenstand  des  Han-  pore,  homines  propra,  sonderliuf, 
dels;  man  kaufte  und  verkaufte  ihn,  eigenliut,  arme  Huf,  leibeigene,  eigen- 
einzeln  oder  mit  dem  Lande,  das  hierige,  herrschaftliche  Unterthanen. 
ihm  übertragen  war.  Doch  war  die  Die  Eigenleute  machten  mit  dem 
soziale  Stellung  des  Unfreien  darum  Haupthofe,  wozu  sie  gehörten,  eine 
nicht  durchaus  ungünstig;  er  lebte  Familie  aus;  dem  Herrn  lag  ihre 
in  ähnlicher  Weise  wie  der  Frei-  Ernährung  und  Versorgung  oo,  wo- 
gelassene.  ja  wie  der  Freie,  nament-  gegen  jener  über  ihre  Arbeitskräfte 
Reh  in  der  Knabenzeit.  Nur  Waf-  zu  verfügen,  bei  ihrer  Verheiratung 
fentragen  war  ihm  nicht  zuge-  entscheidend  mitzusprechen,  über 
lassen,  auch  nicht  als  Begleiter  die  Bestimmung  der  Kinder  mit  zu 
seines  Herrn.  Es  ist  nicht  wahr-  beschlicssen ,  sie  nach  aussen  zu 
scheinlich,  dass  die  Zahl  der  Knechte  :  schützen  und  zu  vertreten,  im  Straf- 
bei  den  Germanen  eine  besonders  ,  falle  an  Leib  und  Leben  zu  züehti- 
grosse  war.  gen  und  zu  strafen  hatte;  ihr  gesell- 

Erst  durch  die  Eroberungen  in-  schaftlicher  Zustand  hing  daher  sehr 
folge  der  Völkerwanderung  wurde  von  der  Person  des  Herrn  ab,  zu- 
mit  der  reicheren  Kultur  und  dem  gleich  von  den  allgemeinen,  ohne 
verfeinerten  Luxus  eine  grössere  Zweifel  dem  Wechsel  unterworfenen 
Anzahl  unfreier  Knechte  zum  Be-  Sitten,  Gebräuchen  und  Anschauun- 
dürfnis,  namentlich  bei  den  jetzt  gen.  Rechtlich  besass  der  Unfreie 
entstehenden  grösseren  Grundbc-  kein  Volksrecht,  sondern  bloss  Hof- 
sitzern.  Hat  nun  zwar  auch  der  recht;  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
Stand  der  Unfreien  seine  Entwicke-  hatte  der  Herr  das  Recht,  ihn  zu 
lung  gehabt,  so  trat  diese  doch  we-  [  verkaufen,  zu  verschenken,  zu  züch- 
niger  stark  hervor  als  bei  den  oberen  i  tigen ,  ungestraft  zu  töten ;  doch 
Ständen,  die  als  Träger  der  staat-  suchte  namentlich  die  Kirche  mil- 
lichen  Ordnung  und  der  höheren  dernd  einzugreifen,  und  Verkäufe 
gesellschaftlichen  und  geistigen  Kul-  von  Unfreien  über  che  Grenzen  des 
tur  tiefgreifenden  Verämierungen  Reiches  hinaus  waren  z.  B.  verboten, 
unterworfen  waren.  Als  Bauern  Später  wurde  den  Gotteshäusern 
blieben  die  Unfreien  immerhin  als  der  Verkauf  eigener  Leute  untersagt. 
Volksgenossen  höheren  Rechtes,  wie  Auch  gegen  die  unumschränkte 
den  Liten  und  Zinsleuten,  während  Strafgewait  des  Herrn  über  die 
des  Mittelalters  und  namentlich  wäh-  Knechte  trat  die  Kirche  frühe  auf; 
rend  der  Ausbildung  des  Lehnsstaa-  auch  ihm  stand  das  Asyl  offen,  und 
tes  und  des  höfischen  Lebens,  die  die  Tötung  eines  Knechtes  ohne  Zu- 


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Knecht. 


513 


ziehung  des  Richters  wurde  mit  Ex- 
kommunikation bedroht. 

Ursprünglich  konnte  jeder  eigene 
Leute  nalten,  auch  Liten  und  un- 
freie konnten  andere  Knechte  unter 
sich  haben.  Später  war  festgesetzt, 
dass  nur  derjenige  Unfreie  haben 
durfte,  der  ihnen  kräftigen  Schutz 
gewähren  konnte,  Gotteshäuser  und 
von  Weltlichen  wenigstens  Mittel- 
freie. Die  Unfreien  in  den  Städten 
wurden  durch  Freibriefe  ihrer  Herr- 
schaft, und  die  von  aussen  dahin- 
zogen, durch  Aufenthalt  von  Jahr 
und  Tag  frei.  Es  gab  deshalb  bloss 
noch  auf  dem  Lande  Uufreie,  die 
erblich  zu  einem  landesherrlichen 
(»ute,  einem  Gotteshause  oder  einem 
Schloss-  oder  Rittergute  gehörten. 
Oft  wurde  ihnen  auch  durch  Privi- 
legium das  Recht  des  freien  Zuges 
gewährt. 

Der  Unfreie  hatte  dem  Herrn 
einen  gewissen  Zins  und  Dienst  zu 
entrichten;  das  alemannische  Gesetz 
nennt  als  üblichen  Zins  für  den  mit 
einer  Hufe  versehenen  Unfreien  15 
Eimer  Bier,  1  Schwein,  2  Malter 
ßrot,  5  Hühner,  20  Eier,  zudem  für 
Knechte  wie  Mägde  drei  Tage  der 
Woche  Arbeit  für  den  Herrn.  Mit 
der  Zeit  wurden  Frondienste  sowohl 
als  Zinse  mässiger,  bis  zuletzt  meist 
bloss  das  Faxt  nach  (xh  ahn  übrigblieb. 
(Vgl.  den  Art.  Fronhöfe.) 

Die  Beschäftigung  der  Unfreien 
war  eine  sehr  verschiedene.  Einige, 
die  serri  rustici,  riuticani,  wunten 
auf  dem  Hofe  für  die  gewöhnlichen 
Knechtsdieuste  in  Haus  und  Feld 
gehalten;  andere  waren  über  ein- 
zelne Wirtschaftszweige  gesetzt,  wie 
in  ältester  Zeit  der  seneschalk  und 
marschalk,  der  Koch,  Bäcker,  Keller- 
meister, Schwein-,  Ochsen-,  Schaf- 
und  Ziegenhirt,  die  dann  wieder 
Lehrlinge  unter  sich  hatten;  wieder 
andere  waren  für  Dienste  verwendet, 
wozu  mehr  Übung  und  Geschicklich- 
keit gehörte,  wie  die  vaxxi  ad  mini- 
sterium,  minixtcriales,  servi  ministe- 
riales;  aus  den  eigenen  Leuten  nahm 


man  ursprünglich  die  Handwerker, 
wie  Zimmerleute,  Schlosser,  Maler, 
Schneider,  Schuster,  die  dann  ihren 
Zins  in  Fabrikaten  zu  entrichten 
hatten.  Auch  zur  Begleitung  im 
Kriege  wurden  mit  der  Zeit  Unfreie 
gebraucht.  Anderer  Art  waren  die- 
jenigen Unfreien,  welche  gegen  be- 
stimmte Dienste  und  Abgaben  auf 
Grundstücke  zum  eigenen  Anbau 
gesetzt  waren:  sie  hiessen  ser  vi  rasa  ti, 
coloni ,  mansoarii ,  hobarii,  curtarii, 
je  nachdem  sie  bloss  auf  ein  klei- 
neres Stück  Land  (casa)  oder  auf 
einen  ordentlichen  Hof  (mansus, 
curtis)  gesetzt  waren.  Eigene  Leute, 
die  zum  Kriegsdienste  herangezogen 
wurden,  konnten  unter  Umständen 
sogar  Ritter  werden.  Die  meisten 
aber  standen  in  Beziehung  zu  einem 
bäuerlichen  Grundstück,  und  die 
Kinder  erhielten  zu  ihrer  Versorgung 
entweder  das  Besitztum  des  Vaters 
oder  wurden,  wenn  sie  einen  anderen 
ausreichenden  Nahrungsstand  er- 
griffen, gewöhnlich  freigelassen. 

Die  Ehe  der  Unfreieu  bestand 
nur  durch  den  Willen  des  Herrn 
und  war  ohne  dessen  Zustimmung 
ungültig.  Mit  der  Zeit  jedoch  mil- 
derte sich  auch  diese  Härte,  und  es 
blieb  als  Erinnerung  daran  bloss  eine 
Abgabe  zu  Recht  bestehen,  welche 
der  und  die  Uufreie  bei  ihrer  Ver- 
heiratung an  den  Herrn  entrichten 
mu8sten ;  sie  hiess  Bedemund,  Hemd- 
laken, Hemdschilling,  Vogthemd, 
Nagelgeld ,  Buinede ,  Bunzengro- 
schen,  Schürzeuzins,  Frauengcld. 
Unfreien  Leuten  waren  nur  Ehen 
untereinander  gestattet ;  die  Verbin- 
dung einer  Freien  mit  einem  Knechte 
wurae  in  älterer  Zeit  mit  Tod  oder 
öffentlicher  Knechtschaft,  Friedlosig»- 
keit  iL  dgl.  bestraft. 

So  war  der  Unfreie  auch  keines 
echten  Eigentums  fähig;  was  er  hatte, 
besa8S  er  vom  Herrn  und  war  Eigen- 
tum des  Herrn.  Doch  wurde  dies 
im  Leben  nicht  streng  durchgeführt 
und  namentlich  dem  Knechte  der 
Erwerb  eines  eigenen  Vermögens, 

33 


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514 


Knittelverse.  —  König  der  Spielleute. 


des  Peculiums,  gestattet.  Sogar 
eigene  Grundstücke  konnte  er  be- 
sitzen, vom  Herrn  geschenkt  erhalten 
oder  sonst  beerben.  Aber  der  Nach- 
lass  des  Unfreien,  auch  das  Pecu- 
lium,  gehörte  dem  Herrn.  Mit  der 
Zeit  wurde  jedoch  den  Blutsfreunden 
des  Unfreien  ein  Erbrecht  am  Hofe 
gestattet,  entweder  ohne  allen  Abzug 
oder  gegen  eine  Abgabe,  die  mar- 
tuarium,  manu*  mortua,  tote  Hand, 
Besthaupt,  Fall  (siehe  diesen  Art.) 
hiess. 

Vor  Gericht  musste  sich  der 
Unfreie  sowohl  als  Kläger  als  auch 
als  Beklagter  durch  den  Herrn  ver- 
treten lassen;  auch  zum  Zeugnis 
war  er  unfähig;  zum  Eid  und  Gottes- 
urteil aber  durfte  er  nur  mit  Zu- 
stimmung seines  Herrn  gefordert 
werden.  Auch  diese  Zustände  ver- 
lieren sich  aber  mit  der  Zeit.  Nach 
li'aitz,  Verf.-Geseh.,  Walter,  Rechts- 
gi'sch.  Vgl.  Grimm,  Rechtsalter- 
tümer. Über  Knecht  als  Knappe 
siehe  Rittertcesen. 

Knittelverse  oder  Knüttelverse, 
wörtlich  soviel  wie  ungehobelte, 
knüppelige,  knotterige  Verse,  war 
ursprünglich  der  Name  der  versus 
leonini  des  Mittelalters,  in  sich  ge- 
reimter lateinischer  Hexameter; 
später  und  jetzt  stets  bezeichnet  man 
damit  die  Keimpaare,  die  eich  seit 
dem  14.  und  15.  Jahrhundert  aus 
den  streng  rhythmisch  gebauten 
Reimpaaren  der  höfischen  epischen 
und  Spruchpoesie  fortbildeten,  in- 
dem man,  besonders  in  der  ersten 
Hälfte  des  Verses,  sich  mit  der  rich- 
tigen Silbenzahl  begnügte,  während 
der  Schluss  doch  meist  jambischen 
Rhythmus  bekundete.  Der  Knittel- 
vers ist  der  typische  Vera  der  volks- 
mässig-bürgerlichen  epischen  und 
Spruchdichtung  des  14.  — 16.  Jahr- 
hunderts bis  auf  Opitz  und  trägt 
durchaus  das  Gepräge  jener  wild- 
laufenden  Zeit  an  sich.  Nachdem 
der  Geschmack  der  schlesischen 
Dichterschule  ihn  als  ungehobelt  und 
hässlich    beiseite   geworfen  hatte, 


ging  Goethe  in  den  Dichtungen  der 
Sturm-  und  Drangperiode,  nament- 
lich in  Faust,  dem  ewigen  Juden,  den 
Puppenspielen  und  in  Hans  Sachsens 
poetischer  Sendung  wieder  mit  Vor- 
liebe auf  ihn  zurück.  Siehe  Grimms 
Wörtcrb.  unter  Knüttelvers. 

Köcher.  Wie  die  Bogen,  so 
wurden  besonders  auch  die  Pfeile 
zum  Schutze  in  ein  Futteral  gesteckt. 
Der  Köcher  für  die  Pfeile,  mhd. 
tarkis  genannt,  lat.  tarkasius ,  frz. 
can/nois,  couirc,  curie,  engl,  quirer, 
bestand  im  14.  Jahrhundert  gewöhn- 
lich aus  einem  ledernen  Sacke,  der 
über  die  Schultern  gehängt  wurde 
oder  auch  anöden  Gürtel.  Vor  Be- 
ginn des  Kampfes  entnahm  der 
Schütze  demselben  eine  Anzahl  Pfeile, 
die  er  in  den  Gürtel,  wohl  auch 
neben  sich  in  den  Boden  steckte 
oder  auf  den  Boden  geworfen  mit 
dem  Fusse  deckte.  In  Ermangelung 
eines  Köchers  trug  der  Schütze 
wohl  auch  den  ganzen  Vorrat  an 
Pfeilen  einfach  im  Gürtel  mit  sich. 

Kolben  heisst  der  untere,  ver- 
dickte, als  Schlagwafie  dienende 
Teil  eines  Handfeuergewehrs.  Über 
Streitkolben  siehe  den  Artikel  Keule. 

Kb'nig  der  Spielleute  n.  dgl. 
Der  Vorstand  der  an  einem  Hofe 
angestellten  Spielleute  und  Sänger 
hiess  zuerst  in  Frankreich  und  Eng- 
land Köniy,  Roy  des  Menestrels, 
König  der  Geiger,  Rot  deSfriolons; 
danach  nannte  man  ihn  in  Deutsch- 
land den  Spielerkönig,  Spielgraf, 
Musikgraf,  Pfeiferkönig,  König  der 
fahrenden  Leute.  In  Österreich  gab 
es  einen  Erbspielgrafen  und  einen 
Reichsspielleutekönig  für  das  ganze 
heilige  römische  Reich.  Diese  Am- 
ter wurden  endweder  adeligen  Ge- 
schlechtern zu  Lehen  gegeben,  wie 
z.  B.  die  Herren  von  Rappoltstein 
im  Elsas»,  nach  deren  Aussterben 
die  Pfalzgrafen  von  Birkenfeld  das 
Königreich  fahrender  Leute  als 
Reich8erblchcn  hatten,  oder  sie  wa- 
ren Hofämter.  Die  Herren  von 
Rappoltstein  verwalteten  ihr  Amt 


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515 


nicht  selbst,  sie  setzten  vielmehr  dein  griech.  geiios  und  dem  lat.  gr- 
einen Pfeifer,  Trompeter  oder  einen  nu$  aus  einer  Wurzel  stammt,  deren 
anderen  fahrenden  Mann  zu  ihrem  Bedeutung  „geboren  werden"  ist. 
Stellvertreter  ein,  der  nun  Pfeifer-  König  ist  der,  dessen  Stellung  und 
AvW^hiess.  Ihm  waren  alle  im  Ronig-  Würde  auf  dem  Geschlecht  beruht, 
reich  angestellten  fahrenden  Spiel-  Daneben  erscheint  gotisch  tkiudam 
leute  untergeben  und  ihm  jährlich  ein  =  Volksbeherrscher.  Das  königliehe 
Huhn  und  einen  Sester  Haber  zu  ent-  Geschlecht  ist  das  edelste  unter  den 
richten  schuldig.  Sein  Amt  war,  für- ,  edeln  Geschlechtern  und  sein  Ur- 
zusorgen,  dass  kein  Spielmann  zu  Sprung  in  der  Auffassung  der  ältesten 
irgend  einer  Kurzweil  zugelassen  Zeiten  ein  mythologischer;  von  den 
werde,  der  nicht  zuvor  in  <fie  Brü-  Göttern  leitete  mau  die  ersten  Könige 
dertekaft  aufgenommen  wäre.  Das  ab.  In  eigentümlicher  Art  verbindet 
Königreich  fahrender  Leute  im  Elsass  sich  aber  mit  dem  Erbrecht  des 
war  nämlich  in  drei  Brüderschaften  Geschlechtes  ein  Wahlrecht  des 
eingeteilt,  die  obere,  mittlere  und  Volkes,  das  manchmal  den  König 
untere,  deren  jede  sich  jährlich  ein-  bestätigt,  anerkennt  und  wählt.  Bei 
mal  zu  einem  l^feifertag  versammeln  den  meisten  Stämmen  wurde  der 
rnu8ste,  um  afle  gemeinsamen  An-  zum  Köllig  proklamierte  auf  den 
gelegenheiten  zu  verhandeln  und  die  Schild  gehoben  und  dreimal  im 
unter  den  Genossen  entstandenen  Kreise  herumgetragen,  bei  anderen 
Streitigkeiten  zu  schlichten.  Das  trat  er  auf  einen  bestimmten  Stein 
genossenschaftliche  Gericht  bestand  in  der  Mitte  der  Dingstatt.  Gefiel 
aus  einem  Schultheiss,  vier  Meistern  er  den  Männern,  so  spraugen  sie 
und  zwölf  Beisitzern,  den  sogenann-  jauchzend  in  die  Höhe,  schlugen 
ten  Zwölfern,  und  aus  einem  Weibel.  ihre  Waffen  zusammen  und  riefen 
Die  Appellation  ging  an  die  Herren  ihm  Heil  zu;  dann  folgte  die  Uber- 
von  Rappoltstein.  Ähnliche  Ver-  tragung  der  Gewalt  durch  die  Über- 
hältnisse  finden  sich  in  der  Schweiz,  reienung  einer  Lanze.  Die  beson 
wo  Waldmann  Pfeiferkönig  war.  deren  Rechte  des  Königs  aber  waren 
So  hatten  die  Seiler  einen  König,  j  gewisse  priesterliche  Funktionen, 
die  Leinzieher  auf  der  oberen  Elbe.  Berufung  und  Leitung  der  Volks- 
Maurer,  Fronhöfe,  II,  406,  und  Versammlung,  Vollzug  der  Gerichts- 
Grimm,  Wörterb.  V,  1697.  beschlüsse,  Bezug  des  verwirkten 
Königtum  und  Kaisertum.  1.  In  Friedensgeldes,  Anführung  des 
altrjermanUcher  Zeit.  Spuren  vom  Volksheeres,  Ernennung  von  Feld 
Königtum  finden  sich  vom  ersten  herren ,  Bezug  freiwilliger  Ehren- 
Auftreten  germanischer  Stämme  an,  geschenke,  lang  herab  wallendes  Haar 
neben  der  immerhin  zahlreicheren  und  andere  ehrenvolle  Abzeichen  in 
republikanischen  Verfassung.  Beide  Tracht  und  Waffen.  War  in  den 
Formen,  Königtum  und  Republik,  ersten  Jahrhunderten  der  ehrist- 
sind  ursprünglich  germanisen  und  liehen  Zeitrechnung  das  Königstum 
hissen  sich  in  ihren  Anfängen  kaum  noch  die  Ausnahme,  so  wurde  es 
mehr  erkennen.  Was  das  König-  seit  der  Völkerwanderung  die  Regel, 
tum  wesentlich  von  der  Republik  so  zwar,  dass  die  Könige  in  erster 
unterscheidet,  ist  die  Erblichkeit,  Linie  als  Könige  über  das  Volk, 
die  sich  auch  beim  Adel  findet,  nicht  über  ein  bestimmt  abgegrenz- 
und  dem  König  den  Namen  gegeben  tes  Land  angesehen  wurden,  also 
hat;  denn  ahd.  chunine  ist  mittelst  Könige  der  Dst-  und  Westgoten, 
der  Ableitungssilbe  ing  vom  got.  Vandalen,  Burgunder,  Thüringer, 
kuniy  ahd.  ehunni,  mhd.  kün ae  =  Ge-  Langobarden,  Franken, 
sehlecht  abgeleitet,  welches  gleich  2.  Bei  den  Merotcingem,  Die 

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516  Königtum  und  Kaisertum. 


fränkischen   Könige   leiteten  ihren  i  nur  Königstöchter  würdig;  daneben 
Ursprung  von  einem  sagenhaften  aber  lebten  die  Könige  ungestraft 
Chlodio  oder  Chlogio  ab;  von  ihm  mit  niedrig  geborenen  Weibern  auch 
soll  Merovech  abstammen,  von  dem  in  doppelten  Ehen  oder  im  Konku- 
das  fränkische  Köuigageschlecht  den  binat.  Die  Titel  der  merowingischen 
Namen    der   Merowinger  empfing,  i  Könige  waren  rir  inluster,  princejys 
Auch  ihr  Recht  beruht   auf  dem  und  dominus.  Gemildert  und  in  der 
Erbrecht  des  königlichen  Geschlech- 1  Wage  gehalten  wird  die  Macht  de* 
tes;  ihr  Ehrenzeichen  bleibt  das  lang  I  Königs  durch  die  Kraft  des  Volkes, 
herabwallende  Haar.  Ein  Wahlrecht  i  Dem  ganzen  Volke  gegenüber  Ver- 
des Volkes  in  bezug  auf  das  König-  mochte  der  König  nicht  viel.  Der 
tum  ist  den  Franken  früh  fremd  ge-  König  legt«?  sich  eine  starke  Straf- 
worden. Einen  minderjährigen  König  I  gewalt  bei;  oft  Hess  er  ihm  ver- 
nimmt der  nächste  Verwandte  in  uasste  oder  verdächtige  Männer  ge- 
seinen  Schutz   oder  die  Königin-  fangen  setzen,  foltern,  in  die  Ver- 
Mutter wird  als  Regentiu  anerkannt,  bannunc;  schicken,  erschlagen,  oft 
Ob  das  zwölfte  oder  fünfzehnte  Jahr  ohne  urteil  und  Recht.  Untreue 
im     merowingischen     Hause    die  gegen  den  König  sollte  nach  deu 
Mündigkeit  gab,  ist  nicht  ausce-  Gesetzen  mit  dem  Leben  bestraft 
macht  Notwendige  Eigenschaft  des  .  werden.    Besonders  gross  ist  der 
Königs  ist  körnerliche  Rüstigkeit;  Einfluss  des  Königs  auf  die  Geist- 
Zeichen    der    königlichen    Gewalt  lichkeit;  vom  Könige  mit  Rechten 
ist  die  Lanze.    Feierliche  Krönung  und  Ehren  ausgestattet,  ist  sie  auch 
oder  priesterliche  Salbung  war  uu-  in  hohem  Masse  von  ihm  abhängig; 
bekannt,  auch  das  Zepter  uud  den  Bischöfe  werden  für  jede  Verletzung 
Thron  erwähnen  wenigstens  mero-  ihrer  Pflicht  zur  Verantwortung  ge- 
wingische  Schriftsteller  nicht.    Das  zogen  und  hart  gestraft.  Vom  Volk 
Purpurgewand  und  der  Mantel,  mit  sagte  mau,  es  diene  dem  König;  die 
dem  sich  Chlodwig  bekleidete,  sind  Unterthanen  nannten  sich  iu  Eiu- 
römischen  Ursprungs.  In  den  letzten  gaben  und   Briefen  Knechte  und 
Zeiten  ihrer  Herrschaft  wenigstens  Diener.    Dagegen   hat  der  König 
fuhren    diese  Könige    auf   nnder-  für  das  Volk  zu  6orgen,  das  Recht 
bespannten  Wagen  zur  jährlichen  zuhandhaben,  den  Frieden  zu  wahren, 
Versammlung;  sonst  bestiegen  sie  sei's  selbst,  sei's  durch  gewissen- 
das  Ross.    Die  Köiiige  hatten  be-  hafte ,  von  ihm  eingesetzte  Richter, 
stimmte  Residenzen,  wo  sie  einen  Er  gewährt  allen  Hilfe  und  Schutz, 
Teil  des  Jahres  sieh  aufzuhalten  besonders  auf  den   Kirchen-  und 
pflegten;  häufig  erscheinen  sie  aber  geistlichen  Stiftungen.  Dafür  über- 
auch  auf  ihren  überall  zerstreuten  trägt   jetzt   die  Kirche   die  Vor- 
Höfen und  Villen,  wo  ihre  Paläste  Stellung  der  heiligen  Schriften  von 
oder  Pfalzen  lagen.    Eine  grosse  der  Obrigkeit  auf  den  deutschen 
Rolle  spielt  stets  der  Sehatz,  der  König  und  dieser  bezeichnet  seine 
an  den  Sitzen  des  Königs  bewahrt  Herrschaft  selbst  als  eine  von  Gott 
wird;  er  gilt  fast  nicht  weniger  als  gegebene.  Jeder  neue  König  durch- 
das  Reich,  und  das  eine  wird  mit  zog  sein  Reich,  um  sich  als  Herrscher 
dem  andern  erworben,  vererbt,  er-  zu  zeigen  und  die  Huldigung  des 
obert,  geteilt:  er  enthielt  geprägtes  Volkes  entgegenzunehmen;   es  ge- 
Gold,  Geschmeide  und   Scnmuck,  schah    dies    durch    den  Treueid; 
Ringe  und  Ketten,  Gefässe,  reiche  der  Schu/z  des  Königs  hatte  die 
Gewänder  und  Stoffe.    Königinnen  Bedeutung   des  Friedens;   er  uin- 
und  Kinder  hatten  ihren  eigenen  fasste  das  ganze  Volk  und  hielt  es 
Schatz.    Ebenbürtiger  Ehen  waren  in  rechtlicher  Ordnung  zusammen; 


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Königtum  und  Kaisertum. 


517 


einzelnen  Personen ,  namentlich 
Frauen  und  Geistlichen,  verlieh  er 
auch  besondere  Rechte.  Überhaupt 
war  es  die  Person  des  Königs,  welche 
die  verschiedenen  Teile  des  Reiches 
und  des  Volkes  zusammenhielt.  Auf 
ihr  beruht  die  staatliche  Verbindung; 
was  er  beherrscht,  bildet  sein  Reich. 
Alles  unterliegt  seiner  Aufsicht  und 
Gewalt.  Das  ganze  Volk  war  ihm 
persönlich  verpflichtet,  nur  durch 
ihn  zu  staatlicher  Einheit  verbunden. 
Die  höhere  Gerichtsbarkeit  ist  eben- 
so wie  die  allgemeine  obere  Regie- 
rungsgewalt an  seinen  Hof  gebunden. 
Am  königlichen  Hofe  laufen  die  Fäden 
der  Regierung  zusammen,  werden 
die  wichtigsten  gerichtlichen  Ent- 
scheidungen getroffen. 

3.  Karolinger.  Mehrere  Genera- 
tionen hindurch  waren  die  mero- 
wingischen  Könige  bloss  noch  ausser- 
liehe  Vertreter  des  Königtums, 
wahrend  die  Familie  der  Hausmeier 
ihrerseits  auch  schon  durch  mehrere 
Generationen  als  Fürsten  und  Her- 
zoge die  faktische  Gewalt  des  König- 
tums und  alle  diejenigen  Eigen 
schaften 


Annäherung  des  fränkischen  König- 
tums zur  Kirche  ihren  Ausdruck  in 
dem  Titel,  den  sich  Pipin  zuerst 


beilegte,  Dei  gratia. 
Die  Verbindung 


welche  für  das- 
selbe nötig  waren.  Nach  dem  Rat 
und  Willen  der  Grossen  wurde  nun 
von  Pipin  eine  Gesandtschaft  nach 
Rom  zu  Papst  Zacharias  geschickt, 
weiche  anfragen  sollte,  ob  die  Über- 
tragung der  königlichen  Gewalt  auf 
Pipin,  den  Inhaber  der  Macht,  ge- 
rechtfertigt sei.  Der  Panst  bejahte 
die  Anfrage  und  befanl  gemäss 
apostolischer  Autorität,  dass  Pipin 
Köllig  werde.  Darauf  fand  die 
feierliche  Erhebung  Pipins  zum 
Könige  und  die  Salhung  desselben 
durch  die  Bischöfe  statt,  eine  sym- 
bolische Handlung,  welche  im  An- 
schlüsse an  die  Salbung  Sauls  und 
Davids  durch  Samuel  schon  bei  den 
Westgoten  und  Angelsachsen  Regel 
geworden  war.  Ob  mit  der  Salbung 
schon  eine  Krönung  verbunden  war, 
ist  nicht  sicher;  von  einer  Eides- 
leistung des  neuen  Königs  ist  nicht 
die  Rede.  Dagegen  findet  die  grössere 


ung  mit  der  Kirche 
sollte  aber  noch  enger  werden. 
Einzig  die  Kirche  und  an  ihrer 
Spitze  der  Bischof  von  Rom  war 
es,  welche  in  dieser  Zeit  einen  ge- 
wissen Zusammenhang  unter  den 
Bekennern  des  Christentums  zu  er- 
halten suchte.  Anfangs  lehnte  sich 
der  römische  Bischof  noch  an  das 
oströmisehe  Kaisertum;  seitdem  er 
über  kirchlichen  und  weltlichen 
Fragen  mit  diesem  zerfiel,  suchte 
und  fand  der  römische  Stuhl  Hilfe 
und  Rettung  beim  fränkischen  König- 
tum, das  seinerseits  durch  die  Ver- 
bindung mit  Rom  an  Ansehen, 
Macht  und  Verbreitung  nur  gewinnen 
konnte.  Papst  Gregor  III.  wandte 
sich  zuerst  an  Karl  Martell  um 
Hilfe  gegen  die  Langobarden  und 
übersandte  ihm  die  Schlüssel  zum 
Grabe  des  heil.  Petrus.  Noch  mehr 
that  Stephan,  des  Zacharias  Nach- 
folger: er  kam  selber  über  die 
Alpen  und  erteilte  nicht  bloss  dem 
Pipin  und  seinen  Söhnen  nochmals 
die  Weihe  der  Salbung,  sondern  er 
ernannte  sie  zugleich  zu  Patriziern, 
einer  Würde,  die  öfter  germanischen 
Königen  verliehen  war,  um  dieselben 
in  einen  gewissen  Zusammenhang 
mit  dem  Römerreich  zu  setzen,, 
ihnen  eine  Art  statthalterischer  Be- 
fugnis in  den  einst  römischen  Pro- 
vinzen zu  geben,  diesmal  in  Rom 
und  dem  Gebiet  der  Stadt.  Indem 
der  Papst  diesen  Titel  auf  Pipin 
übertrug,  handelte  er  als  Vertreter 
des  in  der  Idee  fortlebenden  römischen 
Reiches;  er  bestellte  dadurch  den 
fränkischen  König  als  Beschützer 
und  Verteidiger  der  Kirche  und 
ihres  Bischofs.  Seinerseits  machte 
sich  Pipin  anheischig,  dem  römischen 
Stuhl  eine  Reihe  von  Besitzungen, 
die  demselben  durch  die  Langobarden 
entrissen  waren,  wieder  zu  ver- 
schaffen ,  was  auch  geschah.  Noch 


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518 


nähere  Beziehungen  hatte  Karl  der  wird  von  Schriftstellern  «1er  Zeit, 
G roste  zum  römischen  Stuhl;  auch  aber  nicht  in  öffentlichen  Akten 
ihm  übersandte  der  Papst,  Leo,  die  gesagt;  dagegen  blieb  der  Ausdruck. 
Schlüssel  zum  Grabe  des  heil.  Petrus  regnum,  regia  majestas  in  Gebrauch, 
und  die  Fahne  der  Stadt  Rom,  und  Ausser  dem  Titel  magnus  et  pmei- 
verband  damit  die  Bitte,  der  König  ßeut,  den  Karl  sich  selber  giebt, 
möge  einen  seiner  Grossen  schicken  kamen  vor  exceüenHu%m**t  glorio- 
und  das  römische  Volk  eidlich  zur  sissimus,  praeeellen(issimus,serenis*i- 
Treue  und  Unterwerfung  gegen  ihn  mus,  püssiinns ;  und  die  Attribute 
verpflichten;  denn  man  betrachtete  dementia,  dignitas,  eehitudo,  exeel- 
Karl  nicht  bloss  in  seinem  eigenen  lenfia,  sere'nitas.  Der  römischen 
Reiche,  sondern  überall,  wohin  der  Tracht  bedienten  sich  Karl  und  seine 
fränkische  Verkehr  reichte,  als  den  Nachfolger  selten;  sonst  trugen  sie 
obersten  Herrn  der  Christenheit;  bei  feierlichen  Gelegenheiten  ein 
sein  Reich  war  ein  Weltreich  gc-  golddurchwirktes  Kleid,  Schuhe  mit 
worden.  So  lag  es  nahe,  zumal  da  Edelsteinen  besetzt  und  anderen 
in  den  Kreisen,  in  welchen  Karl  Schmuck.  Im  festlichen  Ornat  setzte 
sich  bewegte,  die  Vorliebe  für  das  sich  der  König  oder  Kaiser  eine 
klassische  Altertum  und  namentlich  Krone  aufs  Haupt  und  trug  Stab 
für  das  römische  Weltreich  wirk-  oder  Zepter  als  Zeichen  der  richter- 
sam war,  Karl  den  Titel  jenes  Reiches  liehen  Gewalt  in  der  Hand;  ein  be- 
neuerdings  beizulegen.  Von  Geist-  stimmterUnterschiedzwisehen könig- 
lichen in  Karls  Umgebung  scheint  lieber  und  kaiserlicher  Krone  wird 
der  Gedanke  zuerst  ausgegangen  zu  nicht  gemacht;  von  der  Krone  wie 
sein;  Papst  Leo  verwirklichte  ihn,  vom  Zepter  gab  es  verschiedene 
indem  er  dem  König  der  Franken  |  Exemplare.  Auch  das  Sehirert  ist 
am  Weihnachtstage  800,  d.  h.  nach  Insignie  der  Herrschaft,  im  besou- 
damaliger  Rechnung  am  Anfang  deren  der  Heergewalt.  Zeichen  der 
eines  neuen  Jahres  und  Jahrhunderts,  Herrscherwürde  ist  ferner  der  er- 
in  der  Kirche  des  heil.  Petrus  die  höhte  Sitz  oder  Thron. 
Krone  aufs  Haupt  setzte  und  ihn  Eine  feste  Residenz  gab  es  in 
als  Kaiser  begrüsste.  Er  erhielt  den  ersten  Jahren  Karls  nicht; 
dadurch  die  Bedeutung  eines  Herrn  später  bevorzugte  er  die  Pfalzen  an 
der  abendländischen  Christenheit,  der  Maas  und  am  Rhein,  Heristal, 
eines  Schützers  der  römischen  Kirche  Worms,  Ingelheim  und  namentlich 
und  eines  Fürsten,  der  dem  ost-  Aaehen.  Hier  empfing  er  auch  ;u- 
römischen  Kaiser  ebenbürtig  war;  erst  die  Kaiserkrone;  später  noch- 
überhaupt  aber  wurden  durch  diesen  mals  zu  Rheims  vom  Papste  selber. 
Akt  das  privatrechtliche  und  persön-  Bei  der  königlichen  Salbung  und 
liehe  Element  des  Königtums  mehr  Krönung  erfolgt  nach  Segenswüu- 
in  den  Hintergrund  gestellt  und  sehen  über  den  zu  Krönenden  die 
es  traten  in  der  Auffassung  der  Salbung  mit  dem  heiligen  Öl,  dabei 
obersten  Gewalt  mehr  allgemeine  und  j  ein  Gebet,  und  dann  die  Aufsetzung 
öffentliche  Gesichtspunkte  hervor.  der  Krone  durch  den  Bischof  mit 
Karls  vollständiger  Titel  war  den  Worten:  ..Es  kröne  dich  der 
jetzt  Serenissimus  augustus,  a  Deo  Herr  mit  der  Krone  des  Ruhmes 
ewonatus,  magnus  et  paeif  eus  impe-  und  der  Ehre,  der  Gerechtigkeit  und 
rafor.  Unmanwnguhernansimverivm,  dem  Werk  der  Tapferkeit,  damit 
qiti  et  per  miserieordiom  l)ei  rtx  du  durch  das  Amt  unserer  Segnung 
Franeorvm  et  I.angobardorium  ;  mit  rechtem  Glauben  und  vielfacher 
spater  sagte  man  kürzer  intverator  Frucht  guter  Werke  zur  Krone  des 
augvstus.  Semper  augusfvsmm  eaesar  ewigen  Lebens  gelangest  durch  Ver- 


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Königtum  und  Kaisertum. 


519 


leihung  dessen,  dessen  Herrschaft 
und  Reich  dauert  von  Ewigkeit  zu 
Ewigkeit.  Amen".  Weiter  überreicht 
der  Bischof  dem  König  das  Zepter 
und  sagt:  „Empfange  das  Zepter, 
das  Zeichen  der  königlichen  Gewalt, 
den  geraden  Stab  der  Herrschaft, 
den  Stab  der  Kraft,  mit  dem  du 
«lieh  selber  wohl  beherrschen,  die 
heilige  Kirche,  das  christliehe  dir 
von  Gott  an  vertraute  Volk  mit  könig- 
licher Kraft  gegen  die  Gottlosen 
verteidigen,  die  Bösen  strafen,  die 
Rechtschaffenen,  dass  sie  den  rechten 
Weg  halten  unterstützen  und  führen 
mögest;  auf  dass  du  vom  irdischen 
zum  himmlischen  Reiche  gelangest 
mit  Hilfe  dessen,  dessen  Herrschaft 
und  Reich  dauert  von  Ewigkeit  zu 
Ewigkeit  Amen."  Zum  Sehluss  folgt 
der  Segen  und  ein  Gebet  für  den 
gekrönten  König. 

Unter  den  ersten  Karolingern  war 
die  Weihe  des  Papstes  zur  Führung 
des  kaiserlichen  Namens  nicht  erfor- 
derlich; mehrere  Kaiser  setzten  ihren 
Söhnen  die  kaiserliche  Krone  selber 
aufs  Haupt.  Auch  Könige  sind  mehr- 
fach vom  Papste  gesalbt  worden; 
andere  Könige  sind  hinwiederum 
überhaupt  niemals  gekrönt  und  ge- 
salbt worden,  z.  B.  Ludwig  uer 
Deutsche ;  und  das  Recht  zur  Herr- 
schaft ist  überhaupt  weder  von  der 
Salbung  noch  von  der  Krönung  ab- 
hängig. Auf  öffentliche  Fürbitten 
der  Geistlichkeit  legten  die  Karo- 
linger grosses  Gewicht;  Fürbitten 
sowohl  als  Krönung  bezogen  sich 
teilweise  auch  auf  die  Frauen  und 
auf  die  Kinder  des  Königs  oder 
des  Kaisers. 

Auch  die  Pippiniden  beanspruch- 
ten und  besassen  das  Recht  der 
Vererbung  des  Königtums  in  ihrem 
Geschlecht,  später  in  analoger  Weise 
des  Kaisertums.  Bestätigung  und 
Befestigung  erhält  das  königliche 
Erbrecht  durch  den  göttlichen  \\  illcn, 
die  Weihe  der  Kirche,  die  Zustim- 
mung und  Anerkennung  des  Volkes. 
Ebenfalls  nach  altem  Herkommen 


war  eine  Teilung  unter  mehrere 
Söhne  gestattet,  wobei  die  Mitwir- 
kung des  Volkes  und  der  Grossen 
meist  mit  in  Betracht  kommt.  Alles 
Volk  vom  zwölften  Lebensjahre  an 
hatte  tlem  König  und  Kaiser  den 
Eid  der  Treue  zu  leisten  i  siehe  Eid); 
der  Begriff  des  Gehorsams  gegen  den 
Herrscher  ist  namentlich  von  der 
Kirche  betont  worden  und  wird 
mehr  in  Beziehung  auf  besondere 
Verhältnisse,  einzelne  Anordnungen 
und  Befehle  angewendet.  Ist  auf 
die  Übertretung  des  Befehles  eine 
besondere  Strafe  gesetzt,  so  heisst 
derselbe  Kbnigsbann.  Er  fand  seine 
besondere  Anwendung  im  Heer  und 
im  Gericht  und  war  überhaupt  zur 
Sicherung  des  Friedens  bestimmt. 

4.  Bis  zu  den  Hohenstaufen.  Mit 
dem  Aussterben  des  deutschen  Karo- 
lingischen Hauses  verschaffte  sich 
das  Prinzip  der  Wahl  wieder  Geltung 
und  war  von  da  an  von  einer  Tei- 
lung um  erblichen  Anspruchs  willen 
nie  wieder  die  Rede;  doch  machte 
sich  sofort  auch  die  Rücksicht  auf 
das  Geschlecht  wieder  geltend,  beide 
Prinzipien  bald  mit-,  bald  gegen- 
einander wirkend;  erst  im  Kampfe 
der  Kirche  gegen  Heinrich  IV.  wurde 
von  Seite  der  Kirche  der  erbliche 
Anspruch  ganz  beseitigt  und  das 
Prinzip  einer  völlig  freien  Wahl  auf- 
gestellt. Der  Form  nach  bedurfte 
aber  stets  das  erbliche  Recht  der 
Anerkennung  durch  die  Wahl,  wobei 
dem  Wunsch  oder  Willen  des  re- 
gierenden Herrschers  nur  ein  ge- 
wisser Einfluss  auf  die  Nachfolge 
zukam.  Oft  kam  es  zur  Sicherung 
des  erblichen  Rechtes  vor,  dass 
Könige  bei  Lebzeiten  ihrem  Sohn 
die  förmliche  Anerkennung  uud  Hul- 
digung als  Nachfolger  verschafften; 
eine  gewisse  Bedeutung  für  die  Nach- 
folge natte  auch  der  Besitz  der  könig- 
lichen Insiguien;  überhaupt  aber  hat 
es  in  dieser  Periode  noch  Kaum  fest- 
stehende Einrichtungen  in  Beziehung 
auf  die  königliche  Nachfolge  ge- 
geben. Dies  gilt  auch  vom  Ort  der 


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520 


Wahl,  welche  zu  Frankfurt,  Aachen,  des  Rechtes  der  Königskrönuug  ent- 
Forchhcim.  Mainz,  ia  auf  italieni-  j  gegen,  bis  schliesslich  Köhl,  in  dessen 
schem  Boden  stattfinden  konnte.  So  Diözese  Aachen  lag,  endgültig  den 
bestand  auch  noch  kein  bestimmtes  Sieg  davontrug.  Der  Hergang  der 
Recht  für  die  Teilnahme  an  der  Krönung  wird  folgendermassen  be- 
Wahl. Die  Entscheidung  liegt  stets  j  schrieben  (  Waitz,  Verf.-Gesch.  Bd.  6. 
bei  den  geistlichen  und  weltlichen  |  S.  165):  „Wenn  der  König  sein 
Grossen,  neben  welchen  das  Volk  Gemach  verlässt,  wird  er  von  der 
nur  als  mitwirkend  und  zustimmend  :  Geistlichkeit  empfangen ,  und  der 
genannt  wird ;  den  grössten  Einfluss  Erzbischof  spricht  ein  Gebet.  Zwi- 
aber  hatten  dabei  die  hohen  Geist-  sehen  zwei  Bischöfen  schreitend 
liehen,  vor  allem  der  Erzbischof  von  wird  jener  in  feierlicher  Prozession 
Mainz,  dem  auch  die  formelle  Lei- '.  und  unter  Gesang  in  die  Kirche 
tung  aer  Wahl  zustand  und  der  bei  |  geführt.  Hier  nach  einem  neuen 
einer  förmlichen  Abstimmung  zuerst  Gebet  des  Erzbischofs  le^t  er  den 
seine  Meinung  kundgab.  Der  eigent-  Mantel  ab,  kniet  an  den  Stufen  des 
liehen  Wahl  ging  oft  eine  Vorbe-  Altares  nieder  und  mit  ihm  alle 
sprechung.  eine  Art  Vorwahl  voraus.  Bischöfe  und  Priester,  während  die 
Die  Formel  der  Wahl  oder  Kur  war:  niedere  Geistlichkeit  singt  und  betet. 
Ich  kiese  (  lobe)  zu  einem  Herrn  und  '  Nachdem  dann  alle  sich  erhoben, 
König,  zum  Richter  (Regierer)  und  lässt  der  Erzbischof  sich  von  dem 
Verteidiger  (Vogt)  des  Reichs  (oder  König  das  Versprechen  geben,  den 
Landes).  Ein  förmliches  Zählen  der  rechten  Glauben  zu  bewahren  und 
Stimmen,  eine  Entscheidung  durch  zu  bethätigen,  den  heiligen  Kirchen 
Majorität  fand  nicht  statt.  Auf  die  und  ihren  Dienern  ein  Schützer  und 
einstimmige  Wahl  wurde  grosses  Verteidiger  zu  sein,  das  ihm  von 
Gewicht  gelegt:  wer  nicht  zustimmte,  Gott  übertragene  Reich  nach  dem 
fand  sich  überhaupt  nicht  ein  oder  Recht  seiner  Väter  zu  regieren  und 
nahm  an  dem  förmlichen  Wahlakt  zu  verteidigen.  Und  dann  wendet 
keinen  Teil.  Unmittelbar  nach  der  er  sich  an  das  Volk  und  fragt,  ob 
Wahl  oder  bald  darauf  fand  die  es  diesem  Fürsten  und  Richter  sich 
Leistung  des  Treueides  und  die  Hui-  unterwerfen,  seine  Herrschaft  in 
digung  statt;  die  letztere  entgegen-  sicherer  Treue  befestigen,  seinen 
zunehmen,  durchzog  der  König  wohl  Befehlen  nach  dem  Gebot  des  Apostels 
das  Reich.  In  Aachen  pflegte  ein  nachgehen  wolle.  Und  das  Volk 
besonders  feierlicher  Huldigungsakt  antwortet:  „Soseies.  Amen."  Nach 
stattzufinden,  sei  es,  dass  die  Herr-  neuen  Gebeten  wird  der  König  zu- 
schaft  in  Lothringen  besonders  be-  erst  am  Haupt,  an  der  Brust,  an 
tont  wurde,  sei  es  in  Fürinnerung  an  den  Schultern  und  Oberarmen,  dann 
den  Sitz  Kaiser  Karl's.  In  der  Kirche  an  den  Händen  gesalbt,  empfängt 
wurde  der  neue  König  auf  Karl's  darauf  das  Schwert  als  Zeichen  der 
Stuhl  gesetzt.  Herrschaft,  weiter  die  Armspangen 
Seit  Otto  I.  war  die  Salbung  und  und  den  Mantel  und  den  Siegelring, 
Krön  ung  des  Königs  zur  festen  Regel  dann  Zepter  und  Stab,  zuletzt  die 
geworden,  auch  bei  den  jungen  Krone,  alles  unter  Anreden  und 
Söhnen,  die  bei  Lebzeiten  der  Väter  Gebeten,  die  auf  die  Bedeutung  der 
als  Könige  anerkannt  wurden.  Als  einzelnen  Zeichen  hinweisen,  und 
Ort  dieser  Zeremonie  wurde  meist  wo  es  von  der  Krone  heisst,  dass 
Aachen  gewählt;  doch  kommt  auch  sie  ihn  zum  Genossen  des  geistlichen 
Mainz  zuweilen  vor.  Lange  standen  Amtes  mache.  Nachdem  zuletzt  noch 
sich  die  Erzbischöfe  von  Alaiuz  und  der  Segen  über  den  König  gesprochen, 
Köln  eifersüchtig  in  der  Behauptung  wie  es  auch  bei  kirchlichen  Ver- 


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Königtum  und  Kaisertum 


521 


Sammlungen  üblich  war,  wird  der- 
selbe zu  dem  Königsstuhl  geführt, 
wo  der  Erzbischof  in  der  Rede,  die 
er  hält,  das  erbliche  Recht,  daneben 
aber  auch  die  Übertragung  der  Ge- 
walt durch  kirchliche  Hand  beson- 
ders hervorhebt,  dann,  nachdem  der 
König  sich  gesetzt,  noch  einmal  für 
ihn  betet,  hierauf  samt  den  übrigen 
Geistlichen  den  Kuss  des  Friedens 
empfängt.  Ein  feierliches  Tedeum 
und  die  Messe  beschliessen  den  Akt." 

Nach  der  Krönung  ging  es  zum 
festlichen  Mahl,  wobei  unter  Otto  I. 
die  Herzoge  zum  erstenmal  die 
Dienste  der  Hofbeamten  leisteten. 

Der  deutsche  König  nahm  die 
kaiserliche  Krönung  als  sein  Recht 
in  Anspruch;  sie  galt  als  Vollendung 
der  Herrschaft  überhaupt.  Von  einer 
Wahl  war  daher  hierbei  nicht  die 
Rede;  eine  Kaiserkrönung  eines 
Sohnes  zu  Lebzeiten  des  Vaters  ge- 
schah bloss  bei  Otto  II.  Auf  einem 
weissen  Ross  des  Papstes  pflegte 
der  König  in  Rom  einzuziehen;  an 
zwei  Stellen  wurde  angehalten,  um 
den  Römern  den  Eid  zu  leisten,  dass 
bei  ihren  alten  Gewohnheiten 


sie 


verbleiben  sollten.  Am  Thore  der 
Stadt,  wo  die  Geistlichkeit  ihn  er- 
wartete, stieg  der  König  vom  Pferde; 
dem  Zuge  voran  wurden  ein  Kreuz 
und  eine  Lanze  getragen.  In  der 
Halle  vor  der  Kirche  des  heil.  Petrus 
eass  der  Papst  auf  goldenem  Sessel. 
Der  König  stieg  die  Stufen  hinan, 
neigte  sich  vor  dem  Papst  zum  Kuss 
der  Füsse,  worauf  ihn  der  Papst 
aufhob  und  dreimal  küsste.  Darauf 
den  Papst  zur  Linken  lassend,  ging 
der  König  durch  die  Halle  bis  zur 
silbernen  Pforte  der  Kirche,  wo  der 
Kaiser  geloben  musste,  der  Schützer 
und  Verteidiger  der  römischen  Kirche 
zu  sein.  Danach  erklärte  ihn  der 
Papst  der  Kaiserkrone  würdig;  am 
Grabe  des  heil.  Petrus  kniete  end- 
lich der  König  zum  Gebet  nieder. 
Hier  wurde  meist  die  Feier  ab- 
gebrochen und  die  Krönung  selbst 
auf  einen  Sonntag  oder  hohen  Feier- 


tag verschoben.  Sie  erfolgte  vor 
dem  Altar  des  heil.  Petrus.  Indem 
der  Papst  dem  Könige  das  Diadem 
auf  das  Haupt  setzte,  sprach  er: 
,,Emnfange  das  Zeichen  des  Ruhms, 
im  Namen  des  Vaters,  des  Sohnes 
und  des  heil.  Geistes,  damit  du  ab- 
weisend den  Feind  und  die  Be- 
fleckung aller  Laster,  so  Recht  und 
Gerechtigkeit  liebest  und  so  voller 
Gnade  lebest,  dass  du  von  unserem 
Herrn  Jesus  Christus  in  der  Ver- 
sammlung der  Heiligen  die  Krone 
des  ewigen  Lebens  empfangest'4. 
Andere  Insignien  als  die  Krone 
kamen  nicht  in  Anwendung.  Beim 
Wegzug  aus  der  Kirche,  wenn  der 
Papst  sein  Pferd  bestieg  und  wenn 
er  es  verliess,  hielt  ihm  der  neu- 
ernannte  Kaiser  den  Steigbügel. 

Die  Ehre  der  Königs-  und  Kaiser- 
krönung teilte  regelmässig  die  Ge- 
mahlin des  Königs,  bald  mit  dem 
König  zugleich,  bald  nach  den  be- 
sonderen Umständen  in  besonderer 
Feier. 

Während  die  späteren  Karolinger 
sich  noch  mit  Töchtern  einheimischer 
Geschlechter  vermählten,  suchten 
sich  die  späteren  Könige  für  sich 
und  ihre  Söhne  die  Frauen  meist 
in  auswärtigen  Fürstenhäusern. 

Grosse  Sorgfalt  wurde  auf  die 
Erziehung  der  jungen  Prinzen  oder 
Könige,  wie  das  Mittelalter  sie 
nannte,  verwendet.  Unmündigkeit 
galt  formell  nicht  als  Hindernis,  die 
negierung  zu  führen;  der  Tennin 
der  Mündigkeit  war  das  15.  Lebens- 
jahr, bis  wohin  es  einer  Vormund- 
schaft, einer  Sorge  für  die  Person 
und  die  Regierung  bedurfte. 

Als  Zeichen  der  Herrschaft  dien- 
ten die  Reichskleinodien,  die  bei  der 
Krönung  übergeben  wurden.  In 
alter  Zeit  führte  sie  der  König  regel- 
mässig bei  sich;  erst  später,  seit  Hein- 
rich IV.,  ist  von  der  Bewahrung  auf 
einer  der  Burgen  der  Fränkischen 
Hauses,  Hammerstein  und  Trifels,  die 
Rede.  Insignien  des  König-  und  Kai- 
sertums werden  nicht  unterschieden. 


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522 


Am  Anfang  des  10.  Jahrhunderts  wcsens  in  die  Reichsordnung  und 
werden  als  Insignien  Krone,  Zepter  der  Kaiser  galt  nur  noch  als  das 
und  Stab,  Schwert,  Mantel  und  Arm-  oberste  Haupt  der  das  ganze  Reich 
spangen  genannt;  dazu  kam  unter  umfassenden  feudalen  Gliederung. 
Heinrich  L  die  heilige  Lanze,  manch-  Die  Herzogtümer,  Grafschaften, 
mal  w  ird  der  Ring,  später  wird  auch  Markgrafsehaften,  Pfalzgrafschaf  - 
ein  Kreuz  erwähnt,  Der  Reichsapfel,  ten  u.  s.  w.  erhielten  den  Charakter 
eine  Kugel  mit  dem  Kreuz,  erscheint  von  Benefizieu,  ihre  Träger  den 
/.war  schon  auf  Siegeln  in  der  Hand  von  Vasallen;  ja  einzelne  Reichen- 
des Kaisers  zur  Ottonenzeit,  hat  guter,  Jurisdiktionen,  Blutbann  und 
aber  erst  später  Aufnahme  unter  andere  Regalien  wurden  vom  Reiche 
die  Reiehsinsignien  gefunden.  An  in  mannigfachen  Anwendungen  an 
den  hohen  Festen,  namentlich  Ostern  Fürsten,  Grafen,  Herren  und  Städte 
und  Pfingsten,  war  es  Sitte,  dass  zu  Lehen  gegeben.  Dadurch  wurde 
der  König  öffentlich  mit  der  Krone  das  Lehnswesen  das  Band,  welches 
erschien.  Ein  königlicher  Thron  hauptsächlich  die  Ordnung  des  Rei- 
war  der  in  der  Kirche  zu  Aachen,  ches  zusammenhielt  und  worin  bo- 
von  Marmor  und  zwischen  zwei  wohl  das  Streben  der  Reichsstände 
Säulen  so  erhaben,  dass  einige  Stu-  nach  Selbständigkeit,  als  das  lie- 
fen zu  ihm  hinaufführten.  Aber  dürfuis  einer  auf  Treue  und  Ehr- 
auch  sonst  sass  der  König  auf  er-  furcht  gegründeten  Verbindung  mit 
höhtem  Sessel,  und  wurde  der  Thron  dem  Reichsoberhaupt  ihren  Aus- 
zu  den  Insignien  der  Herrschaft  ge-  druck  fanden.  Die  Belehnung 
rechnet.  musste  bei  jeder  in  der  Person  des 

Immer  noch  galt  Aachen  vor-  Kaisers  oder  des  Vasallen  eintreten- 

zugsweise  als  königlicher  Sitz;  an-  den  Veränderung  binnen  Jahr  und 

dere  beliebte  Pfalzen  waren  Frank-  Tag  nachgesucht  werden;  sie  wurde 

furt,  Forchheim,  Quedlinburg,  Mar-  dem  Fürsten,  der  dabei  zu  Roas  im 

bürg,  Mainz,  Ingelheim,    Tribur,  Fürstenmantel  zu  erscheinen  hatte, 

Goslar,  Speier.    Kam  der  König  in  vom  Kaiser   in  Person,  nachdem 

eine  Stadt,  so  wurde  er  mit  Glocken-  der  Vasall  knieeud  mid  mit  zusam- 

geläute  und  festlicher  Begrüssung  mengelegten  Händen  die  Huldigung 

empfangen.    Seiu  Aufenthalt  galt  geleistet  hatte,  durch  Überreichung 

als  eine  Ehre,  war  aber  auch  eine  einer  Fahne  als  Abzeichen"  hoher 

Last,    da  die  festliche  Bewirtung  Gewalt  erteilt ;    daher  der  Name 

wenigstens  mehrere  Tage  lang  von  Fahnlehen.    Die  geistlichen  Fürsten 

dem  Stifte  getragen  werden  musste.  wurden  mit  den  Regalien  durch  das 

J>.  Das  spätere  Mittelalter.  Mit  Zepter  investiert;  wenn  sie  aber 
den  Hohenstaufen  beginnt  der  Zer-  dazu  ein  besonderes  Fürstentum  be- 
fall der  einheitlichen  Reichsregierung,  kamen,  so  wurden  auch  sie  damit 
Zwar  erlüelt  in  dieser  Zeit  die  Idee  mit  der  Fahne  belehnt  und  nahmen 
des  Kaisertums  als  der  obersten  all-  dann  auch  die  Fahnen  in  ihre  Mün- 
umfassenden  weltlichen  Macht  eine  zen  auf.  Nach  der  Belehnung  wurde 
neue  Belebung  durch  das  in  dieser ,  der  Lehnbrief  ausgefertigt;  bevor 
Zeit  aufblühende  Studium  des  rö-  das  vor  sich  gegangen  war,  konnte 
mischen  Rechtes  und  durch  die  man  von  den  Untergebenen  r  keine 
nähere  Bekanntschaft  mit  der  Ge-  Huldigung  verlangen  noch  Ver- 
setzgebung  der  späteren  Kaiser  und  leihungen  vornehmen, 
den  damit  verbundenen  Begriffen  Eine  wesentliche  Veränderung 
kaiserlicher  Grösse  und  Machtvoll-  ging  auch  in  der  Art  der  WaM 
kommenheit.  Zugleich  aber  drangen  aes  Kaisers  vor  sich.  Während  sich 
jetzt  die  Grundsätze  des  Lehens-  früher  alle  Fürsten  und  Grossen  des 


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Konkordanzen.  —  Konkordate. 


523 


Reiches  daran  beteiligt  hatten,  tra- 
ten allmählich  sieben  Fürsten  in 
den  Vordergrund,  denen  schliesslich 
die  Wahl  allein  zukam;  sie  erschei- 
nen zuerst  als  geschlossenes  Kolle- 
gium bei  der  Wahl  Otto's  IV.  im 
Jahre  1209,  doch  wird  noch  längere 
Zeit  erwähnt,  dass  diese  Fürsten 
nicht  nach  ihrem  Belieben,  sondern 
mit  Berücksichtigung  des  Willens 
sämtlicher  Fürsten  die  Wahl  vor- 
nehmen sollten;  der  Name  Kurfürst 
aber  ist  erst  seit  dem  Beginne 
des  14.  Jahrhunderts  nachgewiesen. 
Diese  Fürsten  sind  die  drei  Erz- 
bißehöfe von  Mainz,  Trier  und  Köln 
und  die  vier  weltlichen  Fürsten, 
denen  zugleich  die  Erzürnter  des 
Reiches  beigelegt  waren:  der  Pfalz- 
graf bei  Rhein  (Franken)  als  Truch- 
aeas  und  eben  darum  auch  der 
oberste  unter  den  weltlichen  Fürsten, 
der  Herzog  von  Sachsen  als  Mar- 
schall, der  Markgraf  von  Branden- 
burg als  Kümmerer,  und  als  Schenk 
der  König  von  Böhmen;  da  aber 
die  Könige  von  Böhmen  mehrere- 
mal  undeutsch  waren,  legte  man 
ihre  Kurstimme  dem  Herzoge  von 
Bayern  bei;  die  goldene  Bulle  be- 
stätigte Jedoch  den  böhmischen 
König.  Das  Prinzip  der  Stimmen- 
mehrheit bei  der  Königswahl  wurde 
zum  ersten  Mal  im  ersten  Kurverein 
ausgesprochen,  einem  im  Jahre  1338 
von  den  Kurfürsten  zu  Rense  am 
Rhein  geschlossenen  Vertrage. 

Als  Wahlort  entschied  sieh  seit 
der  Wahl  Friedrieh  I.  das  Her- 
kommen allmählich  für  Frankfurt. 

Der  Unterschied  zw  fachen  König- 
und  Kaiserwürde  und  Amt  verlor 
sieh  mit  der  Zeit  ganz,  das  deut- 
sche Königstum  ging  in  das  Kaiser-  j 
tum  auf;  Maximilian  nahm  schliess- 
lich den  kaiserlichen  Titel  ohne 
Krönung  durch  den  Papst  oder  einen  | 
Stellvertreter  an.  Mehr  und  mehr 
beruht  das  kaiserliche  Ansehen  auf 
der  Hausmacht  seines  Geschlechtes. 
Dagegen  wurde  das  Zeremoniell  des 
Kaisers  mit  Ängstlichkeit  bewahrt; 


besonders  wurden  in  der  qoldeuen 
Bulle  Karl's  IV.  vom  Janr  1356 
und  in  folgenden  Reichstagsab- 
schieden die  genauesten  Bestim- 
mungen darüber  gesetzlich  festsetzt. 
Die  erste  Wahlkapitulation,  welche 
das  Verhältnis  des  Kaisers  zu  den 
Reichsständen  festsetzte,  wurde  von 
den  Kurfürsten  bei  der  Wahl  Karl's  V. 
1519entworfen  und  vorgelegt.  Waifz, 
Verf.-Gesch.  —  Für  die  ernten  Perio- 
den, Dahn,  Die  Könige  der  Ger- 
manen; Sybel,  Entstehung  des  deut- 
schen Königtums.  Vgl.  auch  den 
Artikel  Krün  u  ngsinsitfn im . 

Konkordanzen,  biblische,  d.  h. 
alphabetisch  geordnete  Sammlungen 
aller  in  der  Bibel  vorhandenen  Worte, 
Redensarten  und  Ausdrücke  mit  An- 
gabe der  Stellen,  wo  sie  vorkommeu, 
sind  zuerst  von  den  Pariser  Domini- 
kanern veranstaltet  worden ;  nament- 
lich schrieb  eine  solche  der  Kardinal 
Hugo  de  Sancto  Caro,  gest.  1262,  zur 
Vulgata.  Griechische  Konkordanzen 
über  die  Septuaginta  und  das  N.  T. 
erschienen  seit  dem  16.  Jahrh.,  die 
erste  hebräische  Konkordanz  schrieb 
um  1438  Rabbi  Isaak  Nathan. 

Konkordate,  «1.  h.  Vereinba- 
rungen zwischen  der  staatlichen  und 
der  katholisch -kirchlichen  Gewalt, 
die  von  beiden  Seiten  als  bindende 
Gesetze  betrachtet  werden,  sind  durch 
den  Streit  zwischen  Papsttum  und 
Kaisertum  hervorgerufen  worden, 
wobei  es  sich  namentlich  um  die 
Investitur  (siehe  diesen  Art.)  han- 
delte; das  Wormser  Konkordat  vom 
Jahre  1122  brachte  die  erste  Lösung 
dieses  Streites.  Spätere  Konkordate 
stammen  aus  dem  15.  Jahrh.,  in 
welchem  Martin  V.  auf  dem  Con- 
stanzer  Konzil  1418  drei  Konkordate 
abschloss,  die  sich  auf  die  Ein- 
schrünkung  der  Annaten  (siehe  diesen 
Art. I,  der  Kommenden,  d.  h.  der 
ohne  Verpflichtung  zu  wirklichen 
Amtsführungen  übergebenen  Bene- 
fizien,  und  der  päpstlichen  Dispen- 
sationen bezogen,  und  zwar  mit  der 
deutschen  Nation,  den  romanischen 


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524 


Kopf.  —  Kopfbedeckungen. 


Staaten  und  den  Engländern.  Diesen 
Vereinbarungen  folgten  ähnliche  in 
schneller  Reihenfolge. 

Kopf,  gewöhnlieh  aus  lat.  cupa 
oder  cuppa,  Fass,  Tonne  abgeleitet, 
von  Hildcbrand  in  Grimms  Wörterb. 
mit  Schoppen  u.  mhd.  schaf  zusammen- 
gestellt, ist  ein  kugel-  oder  halbku^el- 
förmiges  Trinkgefäss  mit  Fuss,  also 
vom  Becher  unterschieden ;  es  kommt 
auch  mit  Henkeln  und  Griffen  vor. 
GoldeneKöpfe  gehören  zu  denKleino- 
dien  des  Hauses,  als  Ehrengaben,  es 
gab  aber  auch  Köpfe  von  Holz,  Glas, 
irdene  Köpfe;  auch  gilt  das  Wort 
als  Mass. 

Kopfbedeckungen.  Die  Germa- 
nen, ja  die  Goten  und  alten  Deut- 
schen kannten  eine  Bedeckung  des 
Hauptes  kaum.  Nach  alter  Sitte 
gingen  sie  barhaupt.  Die  aufgelegten 
Kopfhäute  erlegter  Tiere  dienten 
menr  nur  als  Kopfsehmuck  des  Krie- 
gers. Allgemein  gebräuchlich  wurde 
das  Tragen  von  Hüten  und  Mützen, 
überhaupt  von  Kopfbedeckungen, 
erst  in  der  Zeit  der  Renaissance, 
wenu  schon  Priester  und  Vornehme 
sich  ihrer  namentlich  vom  13.  Jahr- 
hundert an  häufig,  Bürgersleute  ver- 
einzelt bedienten.  Ja  schon  vom 
10.  Jahrhundert  an  wird  bei  den 
Sachsen  eines  einfachen  Strohhutes 
erwähnt,  der  als  ein  flaches  Geflecht 
von  Männern  und  Frauen  auf  dem 
Kopfe  festgebunden  zuweilen  getra- 
gen worden  sein  soll.  Daneben 
kannte  man  die  einfache  Zeugkapne, 
die  Lederkappe  für  solche,  die  des 
Kopfschutzes  bedürftig  waren,  und 
die  mehr  oder  minder  reich  ge- 
schmückte Rundkappe  für  die  V  or- 
nehmen.  Hauptsächlich  sind  nach- 
stehende Bekleidungsgegenstände 
genannt. 

1.  Die  Bundhaube,  eine  engan- 
liegende Kappe,  die  von  beiden  Ge- 
schlechtern getragen,  den  Ober-  und 
Hinterkopf  dicht  umschloss  und  unter 
dem  Kinn  gebunden  wurde.  Die 
Bänder  waren  oft  mit  breiten  Laschen 
vorsehen,  die  bisweilen  beide  Wangen 


vollständig  deckten.    Die  Hauben 
waren  gewöhnlich  weiss,  zuweilen 
auch  rot,  grün  oder  buntstreifig 
längs  des  Randes  nach  Vermöjrei 
geziert.    Schon  mannigfaltiger  l 
staltet  sind 

2.  die  Mützen  des  18.  Jahrhur 
derts,  welche  als  aufgesteifte  Rar* 
kappen  zwar  noch  vornehmlich  nt 
zur  Reise  und  Jagd  benutzt  ward« 
und  daher  mit  langen  Bindefelei 
versehen  waren,  dass  sie  belieb 
nach  hinten  gestreift  und  so  auf  de 
Rücken  hängend  getragen  veii 
konnten.  Die  Mütze  trägt  schon  ei 
eigentliche  Oberkappe,  die  sich  tu 
halbrund,  bald  gesenwungen  «yto 
erhebt,  bald  in  der  Mitte  senkt  a 
daun  einen  mehr  oder  minder  ka 
baren  Knopf  „ein  kndpfelii.  i 
durchliuehtig  ruhinkt  trägt.  Ati 
der  Rand  war  nicht  durchweg  ^ 
oft  zackig  ausgeschnitten,  oft  res 
oder  achteckig  umgebogen.  Dane! 
kam  die  Mütze  auch  als  faltiger  B< 
vor,  der  eich  aus  einem  starke 
Stirnband  erhob  und  den  0Wrk< 
mit  einem  breiten  Behang  auch  l 
terhaupt  und  Schultern  bedec 
Daneben  nahm  die  Mütze  oft 
seltsamsten  Formen  an,  biß  §* 
16.  Jahrhundert  vom  Barett  a 
und  mehr  verdrängt  wurde. 

8.  Des  Hufes  und  zwar  de?  k* 
förmigen  Snitzhutes  findet  man  * 
zur  Zeit  Karls  d.  Gr.  erwähnt. 
10.  Jahrhundert  kam  der  Str  1 
auf,  im  11.  der  Filzhut  dessen  fl 
ringsum  herabhing.  Nachdem 
selbe  im  12.  Jahrhundert  steil 
worden,  giebt  er  dem  Hute  hai«i 
mannigfaltigsten  Formen,  rinfi 
stark  oder  schwach  aufgekrr 
nur  vorn  oder  hinten,  oder  auoh 
einer  Seite.  Fürstenhüte  werden 
dem  Kronreif  geschmückt  oder 
einem  Schapel :  wo  diese  fehlen 
det  sich  eine  mehr  oder  mi 
geschmackvolle  Verbrannin* 
Pelzwerk.  Frauen-  und  Mänorr 
werden  auch  mit  Pfauenfedern 
ständig  bedeckt,  „p  favrn  hitort 


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Kopfbedeckungen. 


525 


m  werden  in  weiten  Maschen  netz- 
artig öberstrickt.  Der  Hut  war  gleich 
der  Mütze  oft  mit  Bindebändern  ver- 
*heo.  Einfache  Rundhüte  wurden 
mehr  nur  von  Leuten  unterer  Stände 

r?en;  der  Vornehme  trug  unter 
eigentlichen  Hute  auch  etwa 
ein*]  sogenannten  Unterzug,  der  das 
Hinterhtupt  zu  decken  hatte.  Die 
rasche  Verbreitung  derGugel  brachte 
den  Hat  im  14.  Jahrhundert  für  einige 
Zeit  in  Verruf,  konnte  ihn  jedoch 
üthi  bleibend  verdrängen,  sondern 
diese  trat  vielmehr  bald  in  dessen 
Dienst,  indem  sie  an  die  Stelle  des 
Unterzuges  trat  und  gleich  der  Hals- 
tern der  Waffenrüstung  Hinterkopf 
■w  Nacken,  ja  Wangen  und  Kinn 
füllte,  während  der  leichte  Gugel- 
«t  Kaelhut,  als  einfacher,  schmal- 
krempiger,  gleichmässig  gestülpter 
Bondhut  den  Scheitel  deckte.  Durch 
VII.  kommt  in  Frankreich  (um 
MSO)  der  oben  abgeflachte  Kundhut 
der  bald  bedeutend  an  Höhe  zu- 
nimmt und  den  Unterhut  erst  recht 
Ausbildung  bringt.  Dieser  ist 
Ane  Rand,  im  übrigen  von  der  Form 
w  Oberhutes  und  bleibt  auf  dem 
■•pfe  sitzen,  wenn  beim  Gruss  oder 
*  Gegenwart  von  Damen  jener  ab- 
kommen und  an  der  langen  Sendel- 
^e  über  die  linke  Schulter  herab- 
steigt wird.  Die  Krempe  wurde 
auch  in  mehrere  Lappen  ge- 
and  diese  ungleich  stark  auf- 
m,  der  CyTinder  zudem  oft 
absonderliche  Weise  geziert, 
sehr  auch  die  obrigkeitlichen 
Hasse  und  die  Mandate  der  Sitten- 
Jtbter  dagegen  eifern  mochten.  Die 
jratenhüte  wichen  nach  Form  und 
fcaerung  von  den  Männerhüten 
taab;  die  Hüte  der  Handwerker 
■d  niederen  Stände  aber  behielten 
leh.im  16.  Jahrhundert  ihre  ein- 
tche  Form  bei,  als  die  vornehmen 
den  Hut  überhaupt  gegen 
Barett  vertauschten.  Dieses  ge- 
^ah  zu  Anfang  des  genannten  Jan r- 
toderts,  doch  in  der  zweiten  Hälfte 
«selben  kam  er  wieder  zu  Ehren 


und  zwar  zunächst  der  hohe,  gesteifte 
spanische  als  vollständiger  oder  oben 
ebener  Rundhut,  dann  der  franzö- 
sische, unsern  Cy linderhüten  ähn- 
liche, der  niederländische  Rubenshut 
und  im  17.  Jahrhundert  der  breit- 
krempige Schlapphut. 

4.  Der  Schapel,  schapel,  schappil, 
schapelin,  ist  entweder  ein  natür- 
licher oder  künstlicher  Blumenkranz, 
auch  ein  Kopfreif  von  Zeuc  oder 
Metall,  mit  Silber,  Gold,  Perlen, 
Schnüren  und  Troddeln  etc.  ge- 
schmückt. Er  kommt  im  11.  Jahr- 
hundert auf  und  findet  bis  ins  16. 
hinein  viele  Liebhaber  bei  beiden 
Geschlechtern  und  in  allen  Alters- 
stufen. Frauen  befestigen  ihn  bis- 
weilen mit  einem  Kinnband  oder 
verbinden  ihn  gerne  mit  dem  Ge- 
bende, das  als  ein  farbiges  Band 
den  Kopf,  auch  Kinn  und  Wangen 
umschloss.  Der  Schapel  ist  als 
Gunstbezeigung  namentlich  aus  dem 
Minnedienst  bekannt. 

5.  An  die  Stelle  des  Gebendes 
trat  oft  das  Kopftuch,  das  schleier- 
artig den  Kopf  einhüllte  und  dabei 
auf  den  Nacken  herabfiel.  Doch 
kommt  auch  der  Schleier  selbst 
schon  früh  vor  und  neben  ihm  die 
Mute,  welche  länger  und  schmäler 
als  erstere  zwar  Gesicht  und  Hals 
der  Frauen,  besonders  der  Witwen 
in  künstlichen  Windungen  verhüllte 
und  nur  Augen  und  Nase  frei  Hess, 
während  die  Enden  in  regelmässigen 
Falten  über  den  Rücken  herabhingen. 

6.  Die  Setzhaulw  bestand  aus 
wollenem,  seidenem,  auch  goldenem 
oder  silbernem  Flechtwerk  und  war 
meist  in  Stirnband  oder  Schapel  be- 
festigt. Sie  bedeckt  bald  nur  den 
Oberkopf,  bald  auch  Wangen  und 
Nacken. 

7.  Das  Barett,  eigentlich  eine 
aus  der  Rundkappe  durch  Erhöhung 
und  Fältelung  hervorgegangene 
Mütze,  tritt  vereinzelt  schon  im 
10.  Jahrhundert  auf,  kommt  aber  erst 
im  15.  zu  seiner  vollen  Entfaltung, 
wo  es  —  wie  oben  bemerkt  —  selbst 


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526 


Korb. 


die  Hüte  und  damit  alle  anderen 
Kopfbedeckungen  für  eine  Zeitlang 
verdrängte,  wenigstens  in  den  höheren 
Ständen  (  den  unteren  war  es  maneher- 
orts  durch  obrigkeitliche  Erlasse  ver- 
boten». Es  ist  fast  durchweg  teller- 
förmig u.  zeigt  ringsum  eine  hutartige, 
gesteifte  Krempe,  den  Rand,  der 
vielen  Wandlungen  unterworfen  ist. 
Bald  ist  er  ganz  und  ringsum  gleich- 
mäßig gebogen,  bald  geschlitzt,  er- 
höht, verlappt  und  mit  farbigen 
Stoffen  durchzogen.  Auch  wechselt 
die  anfänglich  blaue  Farbe  des  Ba 
rettes  beliebig.  Einfach  trugen  es 
die  Gelehrten.  Der  Adel  und  der 
vermögliche  Bürgerstand  hingegen 
verwendeten  alles  auf  dessen  Aus- 
stattung, sodass  die  Regierungen 
bestimmte  Vorschriften  darüber  er- 
lassen mussten.  So  durfte  in  Nieder- 
österreich um  151»  dieser  Schmuck 
nicht  über  zehn  Gulden  kosten. 
Unter  dem  Barett  trug  man  nicht 
selten  eine  ebenso  kostbare  Unter- 
kappe. 

8.  Die  Guael  (Gogel)  ist  eine 
Kapuze  mit  Schulterkragen,  war  an- 
fänglich an  Mantel  und  Kutte  be- 
festigt und  diente  namentlich  in  den 
niederen  Ständen  auf  Reisen.  Vom 
14.  Jahrhundert  an  kommt  sie  als 
selbständiges  Kleidungsstück  vor 
und  zwar  bei  vornehm  und  gering, 
bei  Mann  und  Weib.  Sie  deckt  Kopf, 
Hals  und  Schultern  und  ist  oft  ge- 
zackt und  geschwänzt.  Sie  ver- 
schwindet im  15.  Jahrhundert. 

9.  Die  Mitra,  eine  Bischofsmütze, 
die  sich  ebenfalls  aus  der  Rundkappe 
entwickelt  hat  und  schon  im  4.  Jahr- 
hundert von  Vornehmen  viel  getra- 
gen wurde.  Zur  Bischofsmütze  wird 
sie  aber  erst  im  10.,  allen  gestattet 
zwar  erst  im  11.  Jahrhundert.  Da- 
mit begann  dann  auch  die  Abän- 
derung der  Form,  und  zwar  erhielt 
sie  zuerst  von  vorn  nach  hinten  über 
die  Mitte  eine  Einsenkung,  dann  an 
eben  der  Stelle  einen  Reif,  titulus, 
Schmuckband.  Durch  eine  tiefere 
seitliche  Einsenkung,  die  bald  gerad-, 


bald  bogenlinig  geschnitten  war,  ent 
stand  die  Doppelmütze,  deren  Form 
mehr  oder  weniger  ständig  geblieben 
ist,  während  die  Verzierungen  in  der 
mannigfaltigsten  Art  wechselten. 
Die  Mitra  wurde  gemeiniglich  aus 
den  köstlichstenSeiden-  oderSammet- 
stoffen  gefertigt  und  mit  Gold-  und 
Perlenstickerei  reich  geziert.  An  ihr 
unterschied  man  den  Stirnreifen 
feirculus),  den  Mittelstreifen  (titulus) 
und  die  Rückenstreifen  Ctnfulae), 
welch  letzterer  Name  auch  der  ganzen 
Mütze  beigelegt  wurde.  Nach  den 
Kirchenordnungen  des  13.  Jahrhun- 
derts durften  die  geschmückten 
Mitren  nur  an  grösseren  Kirchfesten 
getragen  werden  (in  tifulo  et  in  cir- 
culo),  während  einfach  goldgestickte 
Mitren  ohne  Stirnreif  (tn  tihtlo  sine 
circulo)  für  gewöhnliche  Tage  be- 
stimmt waren. 

Verschieden  von  dieser  bischöf- 
lichen Mitra  ist  die  Wara  des  Papstes, 
ein  zuckerhutfdrmiger  Spitzhut,  der 
sich  aus  bildlichen  Darstellungen 
bis  in  das  12.  Jahrhundert  zurück 
nachweisen  lässt.  Sie  erscheint  ur- 
sprünglich als  ein  Flechtwerk  aus 
weissem  Stoffe  gebildet,  mit  golde- 
nem Stirnreif  geziert,  im  13.  Jahr- 
hundert mit  senkrechten  goldenen 
Streifen  ausgestattet  und  mit  Edel- 
steinen besezt.  Durch  Bonifacius 
VIII.  wird  sie  zur  Doppel  kröne 
umgestaltet  (um  1300),  da  der  Stirn- 
reit, kronenartig  gearbeitet,  einen 
zweiten  Reif  über  sich  hat.  Urban 
VI.  bildete  sie  (um  1378)  zur  drei- 
fachen Krone  um. 

Über  die  Kopfb  Deckung  des 
Kriegers  siehe  den  Artikel  Helm. 
Nach  Weiss,  Kosrümknnde;  MiUler 
und  Mothes,  Archäologisches  Wör- 
terbuch. 

Korb,  als  Wort  nach  der  Ansicht 
Hildebrands  in  Grimms  Wörter- 
buch nicht,  wie  mau  gewöhnlich  an- 
nimmt, von  lat.  corbis  abgeleitet 
sondern  uralt  und  schon  vor  der 
Trennung  der  germanischen  Stämme 
vorhanden  und  mit  dem  lateinischen 


uigiiizeo 


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Kranz,  Kranzsingen. 


527 


Wort  bloss  urverwandt;  dass  die  liehen  Beamten  diente  er  als  Zeichen 
Kunst  des  Korbflechtens  bei  den  der  Amtswürde.  Nach  Hildebrand 
Germanen  längst  in  der  Blüte  stand,  in  Grimms  Worterbuch.  V,  2053 
zeigt  die  Fülle  deutscher  Korb-  scheint  demnach  die  Königskrone 
namen:  Kiepe,  Kober,Krebe,  Kratte,  auf  diesen  altgermanischen  Kranz 
Krätze, Kieze, Kötze,  Kütze,Klauder,  zurückzugehen  und  die  Bltftterform 
Sumber,  Benne,  Brente,  Hütte,  ihrer  Zacken  au  diesen  Ursprung 
Zecker,  Zeine  ,  Mahne,  Flechte,  zu  erinnern:  man  stellte  für  Fürsten 
Schwinge  u.  a.  Beachtenswert  und  den  Kranz  in  Gold  dar.  Ebenso 
auf  germanische  Vorzeit  zurück-  alt  ist  auch  die  Sitte,  dem  Sieger 
weisend  sind  die  Bedeutungen  den  Kranz  aufzusetzen;  Heinrich 
des  Wortes  Korb  als  Hans  und  der  Löwe  soll  sich  nach  einer  ge- 
Sckffi  in  Bayern  sind  Kirle  kleinere  wonnenen  Schlacht  auf  der  W  al- 
Nebengebäude  für  Beherbergung  statt  selbst  einen  Kranz  aufgesetzt 
der  Tagwerker;  dass  einst  Schifte  haben;  so  war  der  Kranz  auch  ein 
aus  KorDgeflecht  vorhanden  waren,  beliebter  Preis  bei  den  Turnieren, 
bezeugt  Isidor  in  seinem  Wörter-  in  der  Fechtschule,  bei  Schützen- 
buch und  Cäsar  für  die  Britannen;  festen,  bei  den  Meistersfingern.  Der 
auch  zur  Herstellung  von  Wänden  Kranz  ist  ferner  ein  Freudenzeichen, 
dienten  geflochtene  Ruten.  Die  Feier-  und  Festechmuck,  der  so- 
Redensärt  einem  einen  Korb  geben,  wohl  als  Zier  der  Wohnung,  der 
einen  Liebes-  oder  Heiratsantrag  Kirchen  u.  s.  w.  als  des  Hauptes 
zurückweisen,  stammt  aus  der  alten  dient.  Ausser  Frauen  trugen  im 
Sitte,  dass  ein  Liebender  des  Nachts  Mittelalter  auch  Männer  z.  B.  an 
in  einem  Korb  zum  Fenster  aufge-  einem  höfischen  Maifeste  den  Kranz; 
zogen  wurde;  im  Fall  der  Abweisung  der  Brautführer  trägt  ihn,  ja  sogar 
wurde  der  Korb,  in  dem  der  Lieb-  der  Ritter  im  Kampfe;  anaere  bei 
haber  sass,  von  der  Höhe  fallen  ge-  einer  Schlittenfahrt,  besonders  aber 
lassen  oder  er  war  zum  Durch-  bei  Tanz  und  Festen,  wobei  die 
brechen  des  Bodens  eingerichtet,  Beschenkung  und  Zierung  von  Jung- 
BO  dass  der  Liebende  durchfallen  gesellen  als  Zeichen  der  Gunst  und 
musste.  Später  schickte  das  Mad-  Ehre  galt  Besondere  Bedeutung 
chen  ihrem  abgewiesenen  Bewerber  hatten  der  Rosenkranz  und  der 
bloss  noch  einen  Korb  ohne  Boden.  Nesselkranz  als  Zeichen  für  den 
Korb  ist  auch  eine  Ehrenstrafe  für  begünstigten  und  den  verschmähten 
leichtere  Vergehen,  eine  Vorrichtung  Liebhaber;  Zeichen  der  mangelnden 
zum  Prellen,  wodurch  der  Bestrafte  Liebe  ist  auch  der  Strohkranz, 
mehr  Spott  als  Schaden  hatte;  er  Schon  früh  wurden  Kränze  aus  kost- 
beisst  auch  Scham  1  oder  Laster-  baren  Stoffen  nachgebildet,  aus 
korb.  Hildebrand  in  Grimms  Wör-  Perlen,  Edelsteinen  u.  dergl.  Der 
terbuch.  höfische  Frauenkranz  heisst  mit 
Kranz,  Kranzsingen.  Im  Mittel-  französischem  Namen  schapel,  er  ist 
alter  trugen  Fürsten  einen  Kranz  auch  von  künstlichen  Blumen,  in 
als  Abzeichen:  er  wurde  um  den  Gold  und  Edelstein  gefertigt  und 
Fürstenhut  gelegt,  der  bei  der  Be-  war  bei  vollständigem  Kopfschmuck 
lehnung  als  Symbol  diente,  statt  der  Hauptteil  des  gebendes.  Die 
der  Krone.  In  den  Bildern  des  Sitte  des  Schenkens  von  Seite  de 
Sachsenspiegels  haben  alle  Fürsten  Mannes  war  ebenfalls  Zeichen  de£ 
und  Edelherren  einen  Kranz  um  das  Gunst  und  Treue: 
Haar,  er  war  gleich  der  Binde  Aus-  demselben  tracker  meidelein 
Zeichnung  des  Adels,  wenigstens  schikt  ich  neulich  ein  krenzelein 
des  Standes  der  Freiheit;  auch  König-      mit  rotem  gold  befunden, 


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528 


Kreuz. 


dabei  sie  mein  gedenken  soll 
zu  hundert  tausent  stunden. 
Nameuliich  der  Jungfrau  kam 
durch  Sitte  und  Natur  der  Kraus 
zu;  wie  er  denn  in  katholischen 
Ländern  sogar  beim  Gottesdienst, 
bei  Prozessionen  häufig  vorkommt 
Besonders  aber  ist  er  unentbehr- 
lich bei  der  Hochzeit  und  im  Tode. 

Das  Kranzaingen ,  d.  h.  singen 
um  den  Preis  eines  Kranzes,  war 
eine  alte  Volkssitte;  junge  Leute, 
heisst  es,  seien  an  etlichen  Orten 
in  Schwaben  des  Nachts  ausgegangen 
und  hätten  Lieder  gesungen  und 
schöne  Gedichte  gesprochen,  damit 
ihnen  ihre  Liebsten  Kränzleiu  (scha- 
pelin)  geben.  Sebastian  Frank  er- 
zählt im  Welt  buch  unter  den  Bräu- 
chen in  Franken  am  Johannistage: 
„Die  Maid  machen  auf  diesen  Tag 
Rosenhäfen,  also:  si  lassen  inen 
machen  Häfen  voller  Locher,  die 
Löcher  kleiben  si  mitKosenblettern  zu 
und  stecken  ein  Liecht  darein,  wie  in 
ein  Latern.  senken  nachmals  diesen 
in  die  Höne  zum  Laden  herrauss, 
da  singt  man  alsdann  umb  ein 
Kranz  Meisterlieder;  sunst  auch 
oftmals  im  Jahr  zuo  Summerszeit, 
so  die  Meid  am  Abent  in  ein  Ring 
herumb  singen,  kummen  die  Ge- 
sellen in  Ring  und  singen  umb  ein 
Kranz,  gemeintlich  von  Nagelin  ge-  j 
macht,  reiulweiss  voi ;  welcher  das 
best  tuot,  der  hat  den  Kranz.''  Die 
Kranzlieder  gehören  zu  den  Rätsel- 
liederu;  es  sind  ihrer  nur  zwei  er- 
halten (in  Uhlands  Volksliedern, 
Nr.  2  und  3),  deren  zweites  folgen- 
dennassen beginnt: 
Ich  kumm  aus  frembden  landen  her 
und  bring  euch  vil  der  ueuwen  mär, 
der  neu  wen  mär  bring  ich  so  vil, 
mer  dann  ich  euch  hie  sagen  wil; 
die  frembden  land  die  sind  so  weit, 
darin  wechst  uus  guot  summerzeit, 
darin  wachsen  blüemlein  rot  undweiss, 
die  brechen  jungfrauwen  mit  ganzem 
neiss 

und  machen  darauss  einen  kränz 
und  tragen  in  an  den  abendtanz 


uud  lönd  die  gesellen  darumb  singen,, 
bis  einer  das krenzlein tuot  gewiunen. 

Mit  lust  tritt  ich  an  disen  ring, 
gott  grüess  mir  alle  burgerskind, 
gott  grüess  mirs  alle  gleiche, 
die  armen  als  die  reichen, 

r grüess  mirs  allgemeine, 
grossen  als  die  kleinen! 
solt  ich  ein  grüessen,  die  andern  nit, 
so  sprächens,  ich  wär  kein  singer  nit. 
ist  kein  singer  umb  disen  kreiss, 
der  mich  wol  hört  und  ich  nit  weiss? 
derselbe  tuo  sich  nit  lang  besinnen 
und  tuo  bald  zuo  mir  einher  springen. 

Singer,  so  merk  mich  eben! 
ich  will  dir  ein  frag  aufgeben: 
was  ist  höher  weder  gott, 
und  was  ist  grösser  dann  der  spott, 
und  was  ist  weisser  dann  der  sehne, 
und  was  ist  grüener  dann  der  kle  V 
kaust  mir  das  singen  oder  sagen, 
das  krenzlin  soltu  gewunnen  haben, 
darumb  will  ich  jetz  stille  ston 
und  den  singer  zuo  mir  einher  Ion. 
Singer,  du  hast  mir  ein  frag  auf- 
geben, 

die  gfallt  mir  wol  und  ist  mir  eben : 
die  krön  ist  höher  weder  gott, 
die  schand  ist  höher  dann  der  spott, 
der  tag  ist  weisser  dann  der  sehne, 
das  merzenlaub  ist  grüener  dann 
der  kle. 

singer,  die  frag  hab  ich  dir  tuon 
sagen, 

das  krenzlin  soltu  verloren  haben, 
u.  s.  w 

Hildebrand  in  Grimm's  Wörterb. 
und  l'hland's  Schriften,  III.  204  ff. 

Kreuz  als  Merk-  und  Schrift- 
zeichen, wie  als  Verzierungsmittel 
kommt  bei  vielen  heidnischen  Völ- 
kern in  allen  möglichen  Formen 
vor;  das  Henkelkreuz  oder  das  blosse 
T  ist  z.  B.  bei  den  Ägyptern  ein 
Sinnbild  der  strahlenden  Sonne,  den 
Buddhisten  bedeutet  das  Kreuz  die 
von  der  Sonnenbahn  umkreuzten 
vier  Himmelsgegenden. 

Das  sich  Bezeichnen  mit  dem 
Kreuz,  das  Kreuzschlagen  durch 
blosse  Hand-  und  Fingerbewegung 
war    schon    früh   allgemein  Be- 


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Kreuz. 


329 


wahrung«-  und  Segensmittel  und 
wurde  auf  apostolische  Überlieferung 
zurückgeführt.  In  den  abendländi- 
schen katholischen  Kirchen  unter- 
scheidet man  das  lateinische  und 
das  deutsche  Kreuz  -,  beim  lateinischen 
Kreuz  wird  die  Formel  In  nomine 
patris  et filii  et  sinritus  saneti,  innen 
oder  eine  ähnliche  gesprochen  und 
dazu  mit  der  flachen  rechten  Hand 
Stirn  und  Brust,  dann  die  linke  und 
endlich  die  rechte  Seite  berührt. 
Die  Formel  des  deutschen  Kreuzes 
heisst:  Im  Namen  Gottes  etc.;  wobei 
mit  dem  vorgestreckten  Daumen 
der  rechten  Hand,  auf  dem  der 
Zeigefinger  mit  den  übrigen  quer 
aufliegt,  Stirn,  Mund  und  Brust  be- 
rührt wird,  während  die  linke  Hand 
auf  der  Brust  ruht. 

Das  materiell  ausgeführte  Kreuz, 
einfach  hölzern  oder  gemalt,  war 
früh  allgemein  verbreitet  und  dient«1 
schon  im  5.  Jahrhundert  als  Amulet. 
Auf  christlichen  Denkmälern  er- 
scheint das  Kreuz  jedoch  nicht  vor 
Konstantin,  welcher  das  Kreuzes- 
zeichen, das  er  vor  der  Schlacht 

fegen  Maxentius  (312)  in  den  Wol- 
en  gesehen,  in  seine  Kriegsfahne 
aufnahm  und  sich  selbst  als  Sieger 
mit  der  Kreuzesfahne,  später  mit 
dem  Kreuz  auf  der  Stirne  darstellen, 
endlich  auf  die  Helme  und  Schilde 
der  Soldaten  das  Zeichen  des  Kreuzes 
anbringen  Hess.  Auch  auf  Münzen 
erscheint  es  bald  nachher.  Seit 
Ende  des  4.  Jahrhunderts  wurde 
das  Kreuz  immer  mehr  der  gewöhn- 
liche Schmuck  der  Kirehcn  und 
namentlich  der  Altäre.  Es  erhielt 
seine  Stelle  im  Sanktuarium,  über 
dem  Eingange  der  Kirche,  auf  dem 
Ambo  vor  dem  Lesepulte,  über  oder 
unter  dem  Triumphbogen. 

Als  eigentlich  k  irchliches  Zeichen 
diente  das  Kreuz  zur  ersten  Weihe 
bei  Gründung  einer  Kirche,  und 
ebenso  wurde  die  Einweihung  der 
fertigen  Kirchen  durch  das  Kreuzes- 
zeichen vollzogen.  Das  Recht,  die 
in  den  Kirchen  aufgestellten  Kreuze 
ReallexJcon  der  deutschen  Altertümer. 


|  zu  erheben ,  bei  Prozessionen  zu 
tragen  und  irgendwo  aufzupflanzen, 
lag  ursprünglich  in  den  Händen  des 
Bisehofs,  der  es  wie  andere  Sakra- 
mentalien den  Presbytern  über- 
tragen konnte.  Da  das  Kreuz  bei 
Bittgängen  die  Hauptrolle  spielte, 
luessen  diese  geradezu  cruces.  Unter 
einem  Kreuze  mit  ausgebreiteten 

I  Armen  stehen  oder  sich  niederwerfen, 
war  das  Zeichen  der  Busse.  Tag  der 
allgemeinen  Adoration  des  Kreuzes 
war  der  Karfreitag.  Überall,  wo 
ein  Kreuz  stand,  auch  an  der  Strasse, 

gib  es  für  den  Verbrecher  ein  Asyl, 
as  Kreuz  ist  das  kirchliche  Zeichen 
der  bischöflichen  und  apostolischen 
Würde.  Der  Papst  hat  das  Recht, 
'  es  überall  vor  sich  hertragen  zu 
lassen.  Wie  das  Kreuz  das  öffent- 
liche Zeichen  oder  Wappen  der 
Kirchen  war,  so  wurde  es  das  äussere 
Zeichen  der  Kirchhöfe  und  ihrer 
Gräber. 

Schon  im  5.  Jahrhundert  wurde 
das  Kreuz  häufig  im  Eingang  von 
Diplomen  und  anderen  Handschrif- 
ten statt  der  Anrufung  des  Namens 
Gottes  gesetzt;  ebenso  ein  oder  drei 
Kreuze  über  den  Rezepten  der 
christlichen  Arzte.  Seit  dem  6.  Jahr- 
hundert findet  man  das  Kreuz  statt 
Xamensunierschriftuuivr  Briefen  und 
Urkunden,  als  Zeichen  und  Erinne- 
rung der  Wahrhaftigkeit.  Geistliche 
setzten  es  regelmässig  neben  ihren 
Namen,  Bischöfe  vor  denselben.  Die 
griechischen  Kaiser  unterschrieben 
oft  mit  roten,  die  byzantinischen 
Prinzen  mit  grünen,  die  altenglischen 
Könige  mit  goldenen  Kreuzen. 

Durch  die  Kreuzzüge  wurde  das 
Kreuz  Kriegszeichen  gegen  den 
Halbmond.  Die  Kreuzfahrer  hefte- 
ten das  aus  Seide  oder  Goldfäden 
oder  sonst  gewobene,  kokkusfarbene 
Kreuz  an  die  Kleider.  Von  nun 
an  wurde  es  immer  mehr  weltliches 
Zeichen,  und  Fahnen,  Helme,  Waffen, 
Kronen,  Zepter,  Reichsapfel,  Denk- 
mäler, Siegel,  Münzen,  Wappen  in 
den  mannigfaltigsten  Formen  damit 

34 


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530 


Kreuzer.  —  Kreuzfahrer. 


geschmückt.  Die  Eroberung  einer  Hildesheimer  Domschatze  noch  vor- 
heidnischen oder  mohammedanischen  handen  ist. 

Stadt  wurde  durch  Aufpflanzen  eines  7)  Das  Schär  her  kreuz  Y  gehört 
Kreuzes  bezeichnet.  Unglückliche,  der  Wappenkunde  an. 
die  eine  Klaee  vorzubringen  hatten,  |  8)  Das  Doppelkreuz  4-,  vielfach 
trugen  ein  Kreuz  in  den  Händen  I  auf  katholischen  Kirchen,  soll  mit 
oder  auf  den  Schultern.  Vor  dem  I  der  oberen  Querleiste  auf  die  Pila- 
heiligen  Kreuz  oder  so,  dass  es  aufs  '  tusinsehrift  am  Kreuze  Jesu  hin- 
Hauptgelegt  wurde,  geschahen  Eide,  deuten. 

Mit  Kreuzen  wurden  Feld-  und  Gau-  j  9)  Das  dreifache  Kreuz  ^  wird 
grenzen  bestimmt.  Unter  die  Gottes-  j  dem  Papste  und  seinen  Legaten, 
urteile  zählt  auch  das  Kreuzurteil,  wie  das  doppelte  den  Patriarchen, 
siehe  den  Art.  Gottesurteile,  5.         das  einfache  dem  Bischöfe  vorge- 

Erst  seit  den  Kreuzzügen  setzte  tragen, 
sich  auch  da*  Kreuz  vollends  archi-  \  \ach  O.  Merz  in  Herzog's  Real- 
tek tonisch  durch  die  Kirche  durch.  Encvkl.  2.  Aufl.  Art.  Kreuzes- 
Kein  Kirchenbuch,  Kircheugefäss  und  zeichen.  Vgl.  Stockhauer t  die  Kunst- 
Kirchcngewand  durfte  des  Zeichens  geschichte  aes Kreuzes,  Schaffhausen 
entbehren.  Auch  der  Aberglaube  1 870  und  Zöckler,  das  Kreuz  Christi, 
bediente  sich  des  Kreuzes  im  weite-  Gütersloh  1875. 
sten  Umfange.  Kreuzer,  lat.  denarius  critciatus 

Die  Hauptgestalten  des  Kreuzes-  oder  crueiaerits,  im  12.  Jahrhundert 
Zeichens  sind:  kriuzer,    Silberpfennig  mit  au%e- 

1)  Crujr  decussata,  das  gescho- '  prägtem  Zeichen  des  Kreuzes.  Er 
bene  oder  schräge  Kreuz,  x ,  später  stammt  ursprünglich  aus  den  Müoz- 
Burgunder-,  oder,  weil  der  Apostel  statten  von  Verona  und  Meran, 
Aiui  [reas  daran  gekreuzigt  sein  sollte,  weshalb  er  zuerst  meist  Meraner 
das  Andreaskreuz  genannt.  oder    Etschkreuzer    heisst.  Siehe 

2)  Crux  commissa.  in  Form  des  Schneller,  bayerisches  Wörterbuch. 
T,  an  welchem  der  Anostel  Philip-  Kreuzfahrer.  Seit  dem  5.  Jahr- 
pus  gestorben  sein  soll,  hiess  auch  hundert  war  Rom  das  Ziel  zahl- 
das  ägyptische,.,  und  weil  der  heil.  J  reicher  Wallfahrer  geworden,  die 
Antonius  in  Ägypten  damit  die  au  den  Gräbern  des  Petrus  und 
Götzen  gestürzt  und  die  Pest  Paulus  ihre  Andacht  verrichten 
vertilgt  haben  soll,  das  Antonius-  ;  wollten;  schon  damals  zeigte  man 
kreuz.  auch  die  cathedra  und  die  Ketten 

3)  Crtur  immissa,  in  Form  von  -\-,  I  des  heiligen  Petrus,  deren  Späne 
das  hohe  lateinische  oder  Passions-  abgefeilt  Wunder  wirkten ,  sodann 
kreuz,  weil  nach  allgemeinster  Au-  Bildnisse  Christi  und  der  Mutter 
nähme  Christus  an  einem  solchen  Gottes,  die  Geisselungssäule  Christi 
gestorben  ist.  und  Tausende   von  Splittern  des 

4)  Das  griechische  Kreuz,  wel-  heiligen  Kreuzes.  Die  beliebteste 
ches  aus  gleichlangen  Balken  in  Zeit  war  das  Fest  Petri ;  zur  Unter- 
Form  von  +  besteht.  |  Stützung  der  Wallfahrer  war  727 

5)  Das  Petruskreuz,  an  welchem  von  einem  angelsächsischen  König 
der  heil.  Petrus  gekreuzigt  sein  wollte,  [  eine  schota  sajronica  gestiftet  worden, 
ist  das  umgekehrte  lateinische.         welche  das  Muster  für  besondere 

6)  Das  Bernteardskreuz  heisst  |  Herbergen  der  Franken,  Sachsen, 
das  kurze,  unten  zugespitzte  latei-  .  Langobarden  und  Friesen  wurde, 
nische  Handkreuz,  das,  einem  Dolche  Das  beliebteste  Ziel  der  skandi- 
ähnlich,  vom  Bischöfe  Bernward  in  navischen  Pilger  war  dagegen  Kon- 
Hildesheim  selbst  verfertigt  und  im  staut  inopel,  wo  die  Fäden  uralter 


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Kreuzfahrer. 


531 


Erinnerungen  aus  ihrer  Geschichte 
und  Sage  zusammenliefen.  Über 
beiden  Wallfahrten  stand  aber  früh 
diejenige  nach  Jerusalem,  für  welche 
besonders  Hieronymus  und  Augu- 
stinus Propaganda  machten,  während 
sie  freilich  zugleich  nicht  versäumten, 
auf  die  Gefahr  dieser  äusserliehen 
Leistung  für  die  wahre  Frömmig- 
keit aufmerksam  zu  machen.  Gregor 
von  Nyssa  schrieb  sogar  ein  Buch 
gegen  die  Jerusalem- Wallfahrten, 
worin  er  erklärte,  die  meisten  Pilger 
hatten  bei  ihrer  Fahrt  oft  nur  den 
Himmel,  nicht  aber  ihre  Gesinnung 

geändert,  die  weiblichen  Wallfahrer 
ingegen  meist  ihre  Tugend  ver- 
loren; auch  habe  er  nirgends  in 
der  Welt  ein  sittlich  verwahrlosteres 
Volk  und  mehr  Gesindel  angetroffen 
als  in  Jerusalem.  Dennoch  hob  sich 
das  Pilgerweseu  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert,  besonders  da  die 
Päpste  allmählich  ein  Bussinstitut 
daraus  machten  und  für  das  Fort- 
kommen und  die  Sicherheit  der 
Pilger  sorgten,  und  namentlich  seit 
der  glänzenden  Restaurierung  der 
heiligen,  durch  Hadrian  schändlich 
profanierten  Stätten  durch  die  byzan- 
tinischen Kaiser.  Diese  letztere 
steht  mit  der  Pilgerreise  der  Kaiserin 
Helena,  der  Mutter  Konstantin  des 
Grossen,  in  Zusammenhang;  sie 
war  326  nach  Jerusalem  gepilgert 
und  hatte  drei  Kreuze  una  drei 
Nägel  aus  dem  Schutte  gezogen. 
Seitdem  wurde  das  Andenken  an 
dieKreuzesfindung  durch  ein  eigenes 
Fest  am  15.  September  gefeiert,  zu 
dem  aus  allen  Himmelsgegenden 
Wallfahrer  und  Karawanen  anlang- 
ten, sodass  bald  ein  grosser  Jahr- 
markt sich  daran  knüpfte.  Kon- 
stantin Hess  nun  die  335  im  Beisein 
von  300  Bischöfen  eingeweihteheilige 
Grabeskirche  bauen,  der  schnell 
zahlreiche  andere  christliche  Heilig- 
tümer, Kapellen,  Kirchen  und  Klöster 
folgten.  Ahnliches  that  später  Justi- 
nian.  Unter  den  Pilgern  zählte 
man  jetzt  auch  solche,  die  kirch- 


lichen und  politischen  Unruhen  aus 
dem  Wege  gingen,  und  vornehme 
Frauen ,  Kaiserinnen  und  Patrizie- 
rinnen aus  Rom  und  Konstantinopel, 
die  ein  bewegtes  Leben  in  der  Stille 
des  heiligen  Landes  beschliessen 
wollten.  Diese  friedlichen  Zustände 
nahmen  im  7.  Jahrhundert  ein  Ende, 
als  der  Perserkönig  Chosroes  II.  im 
Jahre  614,  und  nach  kurzer  Wieder- 
einnahme durch  die  Christen  die 
mohammedanischen  Araber  638  Jeru- 
salem nach  zweijähriger  Belagerung 
in  ihre  Hände  brachten;  das  heilige 
Kreuz  war  vorher  nach  Konstanti- 
nopel gerettet  worden.  Doch  hatten 
unter  der  milden  Praxis  der  Mosli- 
inen  die  Pilgerfahrten  ihren  Fort- 
gang; auch  an  Reliquien  fehlte  es 
nicht;  man  zeigte  u.  a.  den  Abend- 
mahlsbecher Christi,  die  heilige 
Lanze,  das  Sehweisstuch,  das  Tuch 
Mariä,  auf  das  die  Bilder  Christi 
und  der  zwölf  Apostel  gemalt  waren. 

Durch  Karl  d.  Gr.  trat  eine  neue 
Epoche  des  Pilgerwesens  ein,  als 
der  Patriarch  von  Konstantinopel 
ihm  im  Jahre  800  Reliciuien  vom 
heiligen  Grabe,  die  Schlüssel  und 
das  Banner  desselben,  überreichen 
und  seinen  Schutz  für  die  Christen 
des  heil.  Landes  anflehen  liess.  Wirk- 
lich trat  Karl  in  Verbindung  mit 
dem  Kalifen  Harun-al-Raschiu,  der 
den  Christen  Schutz  versprach,  und 
wies  zugleich  grosse  Summen  an 
zur  Erbauung  von  Klöstern.  Her- 
berten und  Krankenhäusern  im 
heiligen  Lande.  Doch  blieben  die 
Nachfolger  Harun-al-Raschid'is  den 
Christen  nicht  ebenso  geneigt,  und 
schon  gegen  Ende  des  neunten  Jahr- 
hunderts bat  der  Patriarch  um  Hilfe 
und  namentlich  um  Geld,  um  die 
an  die  Heiden  verpfändeten  Domänen 
und  heiligen  Gefasse  auszulösen 
Noch  schlimmer  wurde  die  Lage 
der  Christen,  seitdem  die  Kalifen 
von  Ägypten  in  den  Besitz  Jerusa- 
lems gekommen  waren  und  neben 
anderen  Heiligtümern  namentlich 
die  Auferstehungskirche  zerstörteu. 

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532 


Kreuzfahrer. 


Dieses  vermehrte  einerseits  die  Teil- 
nahme des  Abendlandes  an  den 
Schicksalen  der  heiligen  Stiitte,  an- 
dererseits bewirkte  es,  dass  sich  von 
nun  an  die  Pilger  zu  grösseren 
Scharen  vereinigten;  im  11.  Jahr- 
hundert thaten  dies  zuerst  700  Pilger 
unter  dem  Grafen  der  Norinandie 
und  dem  Abte  Richard;  1054  sam- 
melte sich  schon  eine  Schar  von 
3000  Pilgern;  aus  Furcht  vor  dem 
jüngsten  Tage  zogen  1065  unter  dem 
Erzlnschof  von  Mainz,  den  Bischöfen 
von  Utrecht,  Bamberg  u.  a.  7000, 
nach  anderen  sogar  13000  Köpfe 
nach  Jerusalem ,  die  an  der  Spitze 
stehenden  Prälaten  in  ritterlicher 
JRüstung;  englische  Pilger  folgten 
auf  dem  Fusse  nach;  2000  sollen 
wieder  heimgekehrt  sein.  Durch  den 
jetzt  ausbrechenden  Kampf  zwischen 
Kaiser  und  Papst  geriet  die  Pilger- 
fahrt nach  dem  heiligen  Grabe  zwar 
etwas  ins  Stocken,  doch  nahm  Gre- 
gor VII.  den  Plan  eines  grossen 
Kreuzzuges  auf;  aber  ohne  Erfolg. 
Erst  das  Ende  des  11,  Jahrhunderts 
sah  endlich  die  eigentlichen  Kreuz- 
fahret' ins  gelobte  Land  aufbrechen. 

Zahlreich  sind  die  Gründe,  welche 
die  Christen  zu  einer  Pilgerfahrt 
nach  dem  gelobten  Lande  veranlass- 
ten ;  ausser  der  religiösen  Teilnahme 
für  das  heilige  Grab  und  die  anderen 
heiligen  Stätten  war  es  besonders 
bei  den  Skandinaviern  die  ungestillte 
Sehnsucht  nach  dem  Lande,  wo  die 
Sonne  aufgeht,  wilde  Unterneh- 
mungslust, Rettung  aus  schwerer 
Gefahr  oder  Krankheit,  Trauer  übor 
die  Verderbtheit  der  Kirche,  Furcht 
vor  dem  Weltuntergang,  Visionen, 
besondere  aber  die  kirchliche  Busse, 
welche  der  Papst,  ein  Prälat  oder 
Landesfüret  auferlegte,  und  zwar 
anfangs  nur  für  Mord,  Sodomiterei 
und  Simonie,  später  auch  für  den 
Bruch  des  Gottesfriedens.  Die  Busse 
bezog  sieh  entweder  auf  die  kleine 
oder  die  grosse  Fahrt,  nicht  selten 
auf  Lebenszeit.  Ursprünglich  legten 
die  Pilger  keine  äusseren  Abzeichen 


ihres  Gelübdes  an;  erst  später  bil- 
dete sich,  wohl  zuerst  bei  den  Reichen 
die  Gewohnheit,  durch  einen  eigenen 
Habit  sich  auszurüsten  und  mit  den 
Zeichen  vollbrachter  Wallfahrt,  Ja- 
kobsmuschel und  Palmzwei^,  in  die 
Heimat  zurückzukehren.  Die  Kreuz- 
fahrer trugen  nur  Kreuze,  entweder 
auf  der  Brust  oder  auf  der  rechten 
Schulter,  wie  Christus  sein  Kreuz 
getragen.  Die  Norweger  trugen 
rote  Kreuze  in  weissem  Felde,  die 
Dänen  weisse  in  rotem,  die  Schweden 
rote  in  grünem  Felde.  Zur  grossen 
Kreuzfahrt  von  1189  wählten  die 
Engländer  weisse,  die  Franzosen 
rote,  die  Flandrer  grüne  Kreuze. 
Die  Minderzahl  der  Pilger  bettelten 
sich  ins  gelobte  Land  durch;  die 
meisten  pflegten  sich  durch  Ver- 
pfändung ihrer  unbeweglichen  Habe 
bei  reichen  Bürgern,  Klöstern  oder 
Juden  mit  Geld  zu  versehen.  Ge- 
wöhnlich reiste  man  zu  Fuss,  auch 
barfuss ,  französische  Verwandteu- 
mörder mit  Ketten  beladen,  die  aus 
ihrem  Schwerte  geschmiedet  waren, 
die  Skandinavier  aber,  wenn  sie  den 
Landweg  einschlugen,  pflegten  zu 
reiten. 

Das  alte  Wallfahrtslied  der  deut- 
schen Pilger  lautet: 

Iu  gottes  namen  faren  wir, 
seiner  genaden  begeren  wir, 
des  helf  uns  die  gottes  kraft 
und  das  heilige  grab, 
da  gott  selber  inne  lag! 
kvrieleison ! 

Kyrieleis!  Christeleis! 
des  helf  uns  der  heilig  geiat 
und  die  wäre  gottes  stimm, 
dass  wir  frölich  farn  von  hinn! 
kvrieleison ! 

Nu  helf  uns  das  heilige  grab 

und  der  sich  durch  uns  darin  gab 

mit  seinen  heren  wunden: 

dass  wir  zu  Jerusalem  funden 

werden  froliche, 

und  in  dem  himelriche 

got  gebe  uns  den  werden  Ion 

und  singen:  kvrieleison! 


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Kreuzgang.  —  Kriegswesen. 


533 


Die  Dauer  einer  gewöhnlichen  in  Räumers  CRiehVsj  hist.  Taaehenb 

Pilgerfahrt  war  in  der  Regel  ein  1875. 

Jahr,  bei  den  Skandinaviern  meist  Kreuzgang,  8.  Klosteranlaqen. 
zwei  bis  drei  Jahre;  die  Termine       Krie,    Feldgeschrei.  Wildes 

für  den  Aufbruch  meist  Ostern  und  Schlachtgeschrei   wird    bei  vielen 

Johannis.  alten  Völkern  erwähnt,  Tacitus  Ger- 

Die  Routen  der  Pilger  waren  mauia  3  nennt  das  Sehlachtgesehrei 
sehr  verschieden.  Die  Deutschen,  der  Germanen  barditus,  welches 
Franzosen  und  Engländer  gingen  Wort  man  mit  ,, Bartweise"  erklärt 
oft  durch  Italien  und  fauden  schon  hat.  Das  Mittelalter  unterschied  die 
in  Norditalien  oder  dann  in  Brindisi,  vom  Kriegsherrn  ausgehende  Ge- 
Bari oder  Messina  Schiffe  zur  Über-  samtlosung  und  die  Losung  der 
fahrt:  vor  den  Kreuzzügen  wählten  einzelnen  Truppenführer.  Die  ge- 
aber  die  deutschen  Pilger  nieist  den  bräuchlichste  Losung  in  den  Kreuz- 
Landweg  durch  Ungarn,  Konstan-  zügen  war  adjuva  Deut!  oder  Dens 
tinopel  und  Kleinasien,  „Weg  Karls  ruft:  die  der  normannischen  Herzoge 
des  Grossen'*  genannt.  Die  Skan-  Diex  nie:  Dame  (Dominus)  Diex 
dinavier  zogen  entweder  durch  Kuss-  nie.  Gern  rief  man  die  Heiligeu 
land  nach  Konstantinopel,  oder  durch  an,  deutsche  Ritter  namentlich  den 
Deutschland  und  die  Alpen  nach  Ita-  heiligen  Georg;  oft  nannte  man  den 
lien  oder  über  St.  Jago  di  Compostella  Namen  der  Stadt,  der  man  ange- 
und  durch  die  Strasse  von  Gibraltar  hörte,  z.  B.  Köln!  Der  Name  tür 
längs  der  afrikanischen  Küste.  Über-  die  Losung  ist  mhd.  krie,  nach  alt- 
all von  den  Ausgangspunkten  der  franz.  ta  erie,  später  deutsch  Krei 
Pilger  an,  auf  den  Alpenpässen,  in  oder  Kreide, daneben  herzeichen.  Die 
den  Hafenorten,  zu  Rom,  Konstan-  Feldlosung  der  französischen  Könige, 
tinopel,  in  Jerusalem  und  anderen  im  Gegensatz  zu  den  Heiden,  die 
Orten  im  gelobten  Lande  waren  auch  in  deutschen  Gedichten  er- 
Herbergen und  Hospitäler  gestiftet  wähnt  wird,  ist  Mon  joye  oder  Jlon 
worden.  Als  Patron  der  Pilger  joye  St.  Denis:  Auct  bei  den  Tur- 
wurde  der  heilige  Georg  ange- 1  nieren  wurde  die  krie  angewandt, 
rufen.                                         \  Die  Feldlosung  ertönen  lassen  heisst 

Unter  die  Wunder  des  heiligen  mhd.  kriiren,  kriegirn,  die  Personen, 
Grabes  gehörte  namentlich  auch  aas  die  sie  ausstiessen,  kriffierre. 
heilige  Teuer,  welches  am  Oster- j  Kriegswesen. 
Sonnabend  von  der  oben  offenen  1.  Kampfweise  der  alten  der- 
Kuppel  der  Grabeskirche  erschien  Juanen.  Die  Hauptmasse  der  altger- 
unu  die  zahlreichen  im  Raum  der  manischen  Heere  bildete  das  Fuss- 
Kirche  aufgestellten  nichtbrennen-  volk,  das  der  Mehrzahl  nach  aus 
den  Lampen  mit  rötlichem  Licht  Schwerbewafliieten  bestand.  Ihre 
entzündete,  unter  dem  tausendstim-  altnationale  Schlachtordnung  war 
inigen  Bittrufe  Kyrie  eleison:  Es  der  Keil  ibei  den  Helenen  die  Pha- 
war  und  ist  noch  eine  Wirkung  des  I  lanx,  bei  den  Römern  die  Legion.) 
griechischen  Feuers.  Ausser  Jeru-  Sie  eignete  sich  mehr  für  den  Angriff 
salem  besuchte  jeder  Pilger  Xazareth  als  für  die  Verteidigung  und  wendete 
und  Bethlehem ,  Hebron  und  den  alle  Kraft  auf  den  einen  ersten  Stoss, 
Jordan.  Die  Heimkehrenden  wurden  der  oft  schnell  und  glücklich  ent- 
rneist  von  der  ganzen  Bevölkerung  !  schied,  oft  aber  verhängnisvoll  wurde, 
ihres  Heimatortes  festlich  eingeholt  wenn  der  Feind  ihm  widerstand, 
und  begrüsst.  Nach  Reinhold  Ruh-  Die  keilförmige  Schlachtordnung  soll 
rieht ,  die  Pilgerfahrten  nach  dem  nach  einer  alten  Sage  von  Odin  selbst 
heiligen  Lande  vor  den  Kreuzzügen,  eingegeben  worden  sein;  in  Wahr- 


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534 


Kriegswesen 


heil  ist  B ie  eine  uralte  Mitgabe  aus  man  oft  mit  kaltem  Mute  dem  Schick- 

der  arischen  Heimat  aller  Indoger-  sal  zum  Opfer  werden;  das  Gefühl 

manen.  Das  Gesetzbuch  Manns,  das,  der  Zusammengehörigkeit  der  Nation 

wie  man  annimmt,  im  8.  Jahrhun-  war  noch   wenig  entwickelt;  das 

dert  v.  Chr.  abgeschlossen  worden,  Schwert  diente   der  Person ,  der 

befiehlt  durch  göttliche  Fügung  den  Familie,  dem  Stamm.    Ein  ausgie- 

Königen  Indiens,  die  Krieger  in  einem  biger   Oberbefehl    über  samtliche 

Keile  mit  der  Spitze  voraus  „in  Ge-  Truppen  war  darum  schwer  zu  er- 

sf alt  eines  Eberkopfes"  vorrücken  reichen ;  wenn  der  wuchtige  Anprall 

zu  lassen.  Mit  der  Sache  selbst  be-  und  die  Kainpfwut  des  einzelnen 

hielten  die  Bewohner  der  deutschen  nicht  bald  den  Sieg  errang,  entstand 

Lande  auch  deren  Bezeichnung  bei.  leicht  grosse  Verwirrung  im  Heere. 
SvinfylkitKj    heisst    der    Eberkopf  und   eine  schreckliche  Niederlage 

in    den    altnordischen    Gedichten,  war  die  Folge.    Von  den  Römern 

Schweinskopf  nennen  ihn  noch  die  lernten  sie  sodann,  ihr  Heer  in 

deutschen  Landsknechte    und  die  mehrere  Haufen  einzuteilen,  d.  h. 

Schweizer  bei  Sempach  tl386i.   In  Reserven  zu  bilden,  die  erst  im  Xot- 

Keilform,  den  Bannerträger  Ingo  au  fall  die  Erstangreifenden  unterstütz- 

der  Spitze,   kämpfte  König  Odos  ten  oder  auch  nach  anderen  Seiten 

Frankenscharbei  Möns  Panchei  (892).  selbständig  vorgingen, 

und  noch  bei  Hastings,  also  gegen  j      Begonnen    wurde  das  Gefecht 

Ende  des  11.  Jahrhunderts,  griffen  von  den  Bognern  nnd  Schleuderen! ; 

die  Angelsachsen  im  Keile  an.  Inner-  dann  traten  die  Gerschützen  auf, 

halb  (U's  Keils  waren  die  Krieger  und  zuletzt  kam  der  Keil,  der  zuerst 

nach    Familien    und    Geschlechts-  mit  langen  Spiessen  oder  auch  mit 

genossenschaften    geordnet,    nach  geworfenen  Kurzwaffen   den  Ehi- 

„Schlachten",  welche  Sitte  sich  bei  bruch  versuchte,  worauf  dann  das 

einzelnen  Stämmen  bis  ins  16.  Jahr-  Handgemenge  mit  Streitaxt,  Hammer 
hundert  hinein  forterhalten  hat;  ur- ,  und  Frame  folgte.    Beim  Angriffe 

sprünglich  war  sie  allen  Stämmen  mit  den  langen  Spiessen  starrten 

gemein.  Die  Geschlechter  wurden  durchschnittlich  5—7  Pikenspitzen 
von  ihren  Familienhäuptern  geführt  auf  jeden  Mann  der  Front  in  den 

und  bildeten  im  Vereine  die  Hundert-  Feind  hinein,  und  für  die  Spitze  des 

Schäften,  die  wieder  nach  Gauen  ge-  Keils  stellte  sich  das  Verhältnis  noch 

ordnet  waren.  Anfanglich  bildete  die  weit  günstiger.  Beim  Gefechte  mit 

gesamte  Mannschaft  nur  einen  Keil,  j  den  für  den  Nahwurf  bestimmten 

vorn  2  Mann,  in  der  »veiten  Reihe  4,  Waffen  sprang  der  Kämpfer  dem 

in  der  dritten  8  und  so  fort,  bis  sich  Ango ,  der  trame,  dem  Hammer 

zuletzt  die  Bogenschützen  und  Schleu-  nach,  sodass  er  fast  gleichzeitig  mit 

derer  anschlössen.   Die  Angriffe,  ge-  J  der  geschleuderten  Waffe  bei  dem 

schahen  unter  Absingung  von  Lie-  Getroffenen  ankam.    War  dessen 

dem,  die  summend  begonnen,  von  Schild  nicht  zertrümmert,  so  suchte 

Strophe  zu  Strophe  verstärkt,  den  man  ihn  mittelst  der  stecken  geblie- 

Feind  in  Mark  und  Bein  erschüttert  benen  Waffe  zu  fassen  und  uieder- 

haben  sollen,  umsomehr  da  die  vor-  zureissen. 

gehaltenen  Sehilde  dem  Tone  eine  Wie  der  Keil  schwerbeweglich 
noch  dumpfere  Färbung  gaben.  Der  und  etwas  ungelenk  in  jeder  Be- 
erste  Stoss  (Schock)  wurde  nötigen-  ziehung  war.  so  erschwerte  er  auch 
falls  wiederholt,  auch  unter  den  un-  nach  der  erlittenen  Niederlage  die 
günstigsten  Aussichten;  Schonung  schnelle  geordnete  Flucht  sehr  oder 
der  eigenen  Kraft  war  den  Germanen  machte  sie  geradezu  zur  Unmöglich- 
unbekannt. Verwandte  Stämme  sah  keit:  daher  die  grossen  Verluste  an 

♦ 


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Kriegswesen. 


535 


Mannschaft.  Flucht  galt  als  Schande. 
Die  Keile  lösten  sich  zur  passiven 
Verteidigimg  in  Schildkttrqen  auf 
(Sl*ialdsö<jrgJ,  in  phalangitische  Vier- 
ecke von  einigen  hundert  Mann 
Starke.  Diese  standen  so  dicht,  dass 

S tötete  Krieger  in  ihrer  Mitte  nicht 
llen  konnten.  Die  Masse  zog  sich 
langsam  nach  der  Wagenburg  zu- 
rück, die  möglichst  naH  hinter  der 
Schlachtordnung  aufgefahren  wurde, 
sowohl  zur  .Rückendeckung,  als  zur 
Verlünderung  der  Flucht.  Sie  waren 
aus  den  Wagen  des  Trosses  herge- 
stellt und  bildeten  —  Rad  dicht  an 
Rad  —  meist  mehrere  konzentrische 
Kreise,  welche  als  Wälle  dienten 
und  namentlich  gegen  die  feindliche 
Reiterei  treffliche  Dienste  leisteten. 
Auf  den  Wagen  standen  die  Frauen 
und  Kinder  der  Krieger  und  er- 
mangelten nicht,  durch  lauten  Zuruf 
ihre  Gatten  und  Väter  zum  Kampfe 
anzuspornen.  Sie  nahmen  öfter  An- 
teil am  Gefechte  selbst  und  übten 
nebenbei  das  Amt  des  Wundarztes. 
Nach  Casars  Berichten  sollen  die 
Wagen  oft  während  des  Kampfes 
nach  Bedürfnis  anders  aufgestellt 
worden  sein. 

Verhängnisvoller  als  die  geschlos- 
senen Massen  waren  für  den  Feind 
oft  die  zerstreuten  Gefechte,  aus  der 
Elite  des  Fussvolkes,  den  behen- 
desten und  beherztesten  Jünglingen 

f gebildet.  Sie  unterstüzten  nament- 
ich  die  Reiterei,  hatten  auch  etwa 
das  Gefecht  einzuleiten.  Auf  durch- 
schnittenem Gelände,  wo  grössere 
Massen  nicht  operieren  konnten, 
waren  die  zerstreuten  Gefechte  in 
ihrem  rechten  Elemeute  und  daher 
mit  Recht  von  den  Römern  ge- 
fürchtet und  gemieden.  Armins 
Schar  im  Teutoburger  Walde  be- 
stand hauptsächlich  aus  diesem 
leichten  Fussvolk;  ihm  ist  also  der 

tlänzendste  Sieg  zu  verdanken,  den 
ie  Annalen  unserer  Altviiter  zu  ver- 
zeichnen haben.  In  der  Folgezeit 
wurden,  zunächst  bei  den  Franken, 
die  Liten  und  Hörigen,  welche  ihre 


Herren  begleiteten,  mit  Bogen  und 
Pfeil  oder  mit  Wurfspiessen  bewaff- 
net und  so  als  leichtes  Fussvolk  ver- 
wendet. 

Die  Verwendung  der  Reiterei  in 
den  Schlachten  der  alten  Deutschen 
war  bei  den  einzelnen  Stämmen  selir 
verschieden;  am  häufigsten  trat  sie 
bei  den  Grenzstäiumeu  auf.  Nicht 
minder  hing  der  Gebrauch  des  Pferdes 
auch  von  der  Beschaffenheit  des 
Bodens  ab,  den  die  betreffenden 
Stämme  bewohnten.  Während  z.  B. 
die  in  Hennegau  und  Namur  wohnen- 
den Nervier  fast  ganz  ohne  Reiterei 
waren,  konnten  die  in  den  Niede- 
rungen und  am  Rhein  angesessenen 
Bataver,  Usipeter  und  Tenchterer, 
sowie  die  Sigamber  und  Friesen 
grosse  Scharen  davon  aufstellen. 
Die  Reiter  fochten  in  geschlossenen 
Massen  zu  Pferd  oder  auch  zu  Fuss, 
und  die  Pferde  waren  in  letzterem 
Falle  gewöhnt,  auf  dem  Flecke 
stehen  zu  bleiben,  bis  ihre  Herren 
zurückkehrten.  Sie  schwammen  auch 
samt  der  Last  vortrefflich  über  breite 
und  tiefe  Flüsse,  was  der  germa- 
nischen Reiterei  einen  Weltruf  gab, 
sodass  Cäsar  sich  eine  Schar  der- 
selben als  Leibwache  zulegte. 

Für  den  Kamuf  ausserhalb  der 
geschlosseneu  Schlachtreihe  war  je- 
dem Reiter  ein  behender  und  kräf- 
tiger Fussknecht  beigegebeu,  der 
frei  ausgewählt  mit  demselben  eine 
taktische  Einheit  bildete  und  nament- 
lich das  Pferd  des  Gegners  ins  Auge 
fasste.  Reiterei  und  Fussvolk  kämpf- 
ten überhaupt  im  engsten  Vereine. 
Bei  schneller  Bewegung  griffen  die 
Jünglinge  in  die  Mähnen  der  Rosse 
ihrer  Mitkämpfer  und  sprangen  ihnen 
zur  Seite  mit  Diese  Art  des  Reiter- 
kampfes erregte  die  gross te  Bewun- 
derung der  Römer.  Nach  Art  der 
Reiterei  noch  lebender  wilder  Natur- 
völker griffen  auch  die  germanischen 
Reiter  mit  grosser  Schnelligkeit  an 
und  wichen  in  ihren  Hinterhalt  zu- 
rück, um  bald  aufs  neue  hervorzu- 
brechen, oder  sie  umkreisten  auch 


53G 


Kriegswesen. 


den  Feind  in  rasendem  Ritt  und  erst  das  fränkische   Volk,  dessen 

schleuderten  dabei  ihre  Wurfwaffen  Heere  namentlich  den  Reiterdienst 

nach   demselben.     Bemerkenswert  üppig  pflegten.    Oft  scheinen  über- 

aber  ist.  dass  nicht  die  reitenden  haupt  nur  Reiter  aufgeboten  wor- 

Stämme  oder  Völker  dauernde  Ger-  den  zusein;  Nachrichten  über  König 

manenreiehe  schufen,  sondern  viel-  Arnulfs  Kriege  z.  B.  lehren,  dass 

mehr  die  zu  Fusse  kämpfenden,  zu  Ende  des  9.  Jahrhunderts  bei 

namentlich  die  Langobarden,   die  den  Ostfranken  der  Kampf  zu  Fuss 

Franken  und  die  Sacnscn.  sogar  ganz  ungewöhnlich  geworden 

Artillerie  und  technische  Trtn>-  war.  Der  Bruderkrieg  zwischen  den 
pen  hatten  die  Germanen  nicht,  da  Enkeln  Karl's  scheint  fast  ans- 
jeder  freie  Mann  das  Handwerk  schliesslich  mit  Reitern  geführt  wor- 
versehmähte.  Dagegen  scheint  der  den  zu  sein,  und  Karl  der  Kahle 
Sicherheitsdienst derDeutschenbeszer  prahlte,  gegen  Ludwig  den  Deut- 
gewesen zu  sein  als  der  der  Römer,  sehen  ein  1  leer  zusammenzubringen, 
Ihre  Späher  —  schon  der  genauen  dass  seine  Pferde  (bei  Kölni  den 
Ortskenntnis  wegen  im  Vorteil  —  Rhein  aussaufen  sollen.  Die  Sachsen 
wurden  oft  den  römischen  Heeren  und  yormanne»  blieben  ihrer  deut- 
verhängnisvoll. Über  die  Verpjte-  sehen  Abstammung  treu;  sie  kämpf- 
yttnfjsrerhaftnisse  der  Truppen  weiss  ten  noch  immer  mit  Vorliebe  zu 
man  wenig  Zuverlässiges.  Wahr-  Fuss  und  behielten  Waffen  und 
scheinlich  dienten  die  Wagen  der  Kampfweise  (Eberkopf)  der  Ger- 
Wagenburg  teilweise  zur  Nachfuhr  manen  bei,  ohne  jedoch  die  je- 
von  Lebensmitteln  und  zwar  je  für  weiligen  Vorteile  der  Waffentechnik 
die  einzelnen  Familien  oder  Ge-  unbeachtet  zu  lassen, 
schlechter,  in  die  sich  nach  der  Am  deutlichsten  sprechen  sich 
Schlacht  die  Masse  ohne  Zweifel  die  Quellen  über  die  Art  der  Ver- 
wieder  auflöste.  Der  römische  Ein-  »/fegung  von  Mann  und  Ross  aus. 
fluss  machte  sich  aber  auch  in  Die  Franken  zur  Karolingerzeit, 
dieser  Hinsicht  immer  mehr  geltend,  die  Sachsen  bis  ins  11.  Jahrhundert, 
namentlich  vom  4.  Jahrhundert  an.  verpflegten  sich  im  Felde  selbst. 

2.  Das  Mittelalter.  Wie  reich  Der  einzelne  Mann  nahm  mit  auf 
auch  schon  das  frühere  Mittelalter  den  Zug,  was  er  zu  seinem  Unter- 
an  Fehden  und  grossartigen  kriege-  halte  brauchte.  Dem  Transport  im 
rischen  Unternehmungen  war,  für  eigenen  Lande  dienten  Wagen;  galt 
die  eigentliche  Kriegswissen9ehaft  es  einen  Alpeuübergang,  so  ver- 
bietet es  verhältnismässig  nur  eint;  wendete  mau  hierfür  Saumtiere, 
kleine  Ausbeute.  Feldherren,  die  Natürlich  reichten  die  Vorräte  oft 
grossartige  Neuerungen  im  Heer-  nur  für  kurze  Zeit,  und  der  Mann 
wesen  durchzuführen  oder  einen  war  genötigt  zu  stehlen,  wo  er  fand 
eigentlichen  Kriegsplan  zu  entwerfen  und  stand.  Heu  für  die  Pferde  wurde 
und  zu  verwirkliehen  wussten,  kennt  durchweg  auf  der  Reise  selbst  be- 
es  kaum.  Selbst  Karl  ist  mehr  Stra-  schafft,  weswegen  man  bei  der  Be- 
tege,  als  hervorragender  Taktiker.  Stimmung  der  Marschroute  haupt- 
und  bekannt  ist,  wie  nach  seinem  sächlich  auf  den  Futterreichtum  oaer 
Tode  das  Reich  nach  jeder  Hinsicht  die  Futterarmut  einer  Landschaft 
wieder  mehr  und  mehr  zerfiel;  wie  Rücksicht  zu  nehmen  hatte.  Heer- 
dem  Reiche  überhaupt,  so  fehlte  ^  Strassen  waren  daher  mehr  Lasten, 
namentlich  dem  Heer  die  nötige  als  Vergünstigungen  für  die  An- 
Einheit, die  sich  nur  für  die  Zeiten  wohner.  und  oft  waren  bei  der  An- 
der höchsten  Not  herstellen  Hess.  näheruug  der  Heere  die  Dorfschaften 

In  den  Vordergrund  tritt  zu  aller-  und  Thäler  verlassen,  sodass  die 


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Kriegswesen. 


537 


Krieger  statt  der  gewünschten  Er- 
ciuickung  die  bitterste  Not  vorfan- 
den. \\  ie  begreiflich  waren  solche 
Zustände  der  Mannszucht  und  guten 
Sitte  äusserst  hinderlich.  Zur  Zeit 
der  Kreuzziige  kommt  daher  der 
Gedanke  auf,  sieh  für  die  Truppen 
einen  eigenen  Lebensmittelmarkt  zu 
sichern  m  allen  grösseren  Ortschaf- 
ten, die  durchzogen  werden  mussten. 
Der  Soldat  erhielt  seinen  Sold,  um 
die  dadurch  erwachsenden  Auslagen 
bestreiten  zu  können.  Der  Train 
der  deutschen  Heere  tritt  daher  vom 
11.  Jahrhundert  an  wieder  mehr 
surtick  und  zwar  in  dem  Masse,  wie 
die  Ausrüstung  des  Mannes  kost- 
spieliger und  schwerer  und  nament- 
lich das  ritterliehe  Gepäck  zahl- 
reicher wird.  Das  sächsische  Heer- 

Seräte  z.  B.  enthielt  neben  Pferd, 
In  misch  und  Schwert  auch  den 
Heerpfühl,  d.  h.  Bett,  Kissen  und 
Laken,  ferner  ein  Tischtuch,  zwei 
Becken  und  zwei  Handtücher.  End- 
lich gehörten  dazu  die  Zelte.  Zum 
Begleit  des  Heertrosses  zählten  schon 
Schmiede,  Handwerker  und  Marke- 
tender. Jede  Meise  setzte  sich  zu- 
sammen aus  ire  und  ho&pitari,  aus 
Marsch  und  Rast.  Truppen  rasten 
fast  ausnahmslos  im  Lager.  (Als 
Ausnahme  kommt  die  Einquartie- 
rung in  Ortschaften  —  die  Grastung 
—  vor.)  Das  Lagericeseii  war  ein 
wichtiger  Zweig  der  damaligen 
Kriegskunst.  Als  Lagerort  verwen- 
dete man  womöglich  einen  ebenen 
Platz  in  der  Nähe  von  Wasser  und 
Futterquellen.  Dieser  wurde  mit 
kreisrundem  oder  viereckigem  Peri- 
meter abgesteckt,  und  durch  Sonde- 
ruug  von  Quartieren  stellte  man 
gleichsam  Strassen  und  Thore  her, 
die  gut  bewacht  wurden.  War  das 
Lager  nicht  schon  von  Natur  be- 
festigt, so  wurden  auch  in  Aus- 
nahmsmilen  Wälle  und  Gräben 
aufgeworfen.  Bei  besonderen  An- 
lässen kampierte  man  wohl  unter 
freiem  Himmel,  gewöhnlich  aber 
hatte  man  Zelte  und  Hütten.  Letz- 


tere, zu  denen  das  Holz  gewöhnlich 
requiriert  wurde,  dürften  besonders 
für  die  Knappen  bestimmt  gewesen 
sein.  Man  lagerte  abteilungsweise 
zusammen  nach  Kontubemien,  die 
Knappen  in  der  Nähe  ihrer  Her- 
ren. Hier  wurden  auch  die  Ge- 
päckstücke der  einzelnen  zusammen- 
gelegt und  die  Pferde  an  Pfahle 
angebunden.  Jedes  Kontubernium 
hat  auch  schon  sein  bestimmtes 
Losungswort,  sein  signum  castrorum. 
Bei  plötzlichem  Überfall  durch  den 
Feind  und  nötig  gewordener  rascher 
Flucht  wird  das  Lager  in  Brand 
gesteckt  Hierüber,  sowie  über 
den  Bezug  eines  neuen  Lagers 
und  die  Lagerordnung  überhaupt 
entscheidet  der  Marschall,  der  übri- 
gens auch  in  der  Schlacht  einen 
Teil  des  Heeres  befehligt.  Vom 
Feind  überrascht,  verliess  man  das 
Lager  in  aller  Unordnung,  Mann 
für  Mann  auf  eigene  Faust  kämpfend. 
Auch  gegen  einen  schwachen  Feind 
zog  man,  vielleicht  um  ihn  zu  höh- 
nen, ungeordnet  aus.  In  der  Regel 
aber  wurde  das  Heer  gegliedert  in 
mehrere  Treffen,  und  oft  stritt  man 
sich  um  die  Ehre,  die  prima  acte» 
oder  legio,  das  primum  bellum ,  den 
„Vorstreit"  zu  oilden.  Die  Stärke 
der  einzelnen  Treffen,  die  übrigens 
bedeutend  geschwankt  haben  mag, 
ist  nicht  zu  messen.  Die  Einheiten 
hiesseu  Banner,  Turm,  Legion.  Über 
die  Tiefe  der  Aufstellung  eines 
Treffens  ist  man  ebensowenig  unter- 
richtet. Eine  zufällige  Notiz  läset 
darauf  schliessen,  dass  eine  irgend 
beträchtliche  Truppe  mindestens 
100  Mann  Frontbreite  hatte. 

Mit  der  Gründung  der  Städte 
und  Zunahme  der  befestigten  Bur- 
gen (siehe  Burg)  tritt  an  den  Krie- 
ger eine  neue  Aufgabe  heran,  der 
Belagern  ngsdienst,  mhd.  gefiger,  be- 
sezze.  Zuerst  versuchte*  man  den 
Platz  durch  Überrumpelung  zu  ge- 
winnen, sei  es  duren  Einschlagen 
der  Thore,  durch  Herabreissen  der 
Zugbrücken    mit  schweren  Lang- 


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538 


Kriegswesen. 


haken  oder  durch  Leiterersteigung,  iu  das  erste  Glied  der  Ritter  iGle- 
Gelang  dieses,  so  waren  begreif-  vener),  iu  das  zweite  der  mittel- 
licherweise  viele  Unannehmlichkeiten  seh  wer  gerüstete  Knecht,  in  das 
mit  einem  Schlade  abgethan,  denn  dritte  ein  Schütze.  Nach  anderen 
eine  regelrechte  Belagerung  war  oft  Angaben  sind  es  auch  drei  Ge- 
sehr  zeitraubend  una  verdriesslich,  wappnete  und  drei  Pferde.  Die 
ja  verhängnisvoll.  Gelang  die  Über-  Gleven  bildeten  zusammen  den  „rei- 
rumpelung  nicht,  so  versuchte  man,  tenden  Zug",  zu  dem  die  Speer- 
die  Gräben  auszufüllen.  Dazu  ver-  knappen  und  Schützen  als  „ein- 
wendete man  Erde,  Stroh,  Holz-  spännige4',  d.  h.  ohne  Gefolge  rei- 
bündel,  Reisig,  Gebüsche  u.  s.  w.,  tende  „reisige  Knechte*'  gehörten, 
ja  selbst  Sehlachtvieh,  Leichen  und  Zehn  Gleven  und  eine  entsprechende 
sogar  Kriegsgefangene.  Zum  Schutz  Anzahl  Einspänniger  standen  unter 
gegen  die  Geschosse  der  Belagerten  einem  Hauptmanne;  die  gesamte 
arbeitete  man  unter  einer  „Katze",  [  Reiterei  befehligte  der  Marschall, 
dem  Sehirmdach  oder  dem  hölzernen  '  doch  ist  von  einer  umsichtigen  Ober- 
Blockhaus  ,  das  auf  Rädern  oder  leitung  durch  denselben  noch  immer 
Rollen  an  die  Mauer  geschoben  keine  Rede,  weswegen  die  Heer- 
wurde, um  diese  zu  untergraben,  fahrt  der  gewünschten  Beweglich- 
Missglüekte  auch  ein  zweiter  Sturm-  keit  meist  entbehrte  und  selten  ein 
versuch,  so  griff  man  unverzüglich  offensiver,  stürmischer  ReiterangrifT 
zu  den  Maschinen,  dem  antteerk.  gewagt  wurde.  Auch  die  Städte 
(Siehe  den  Art  Belagerung).  stellten  oft  eine  nach  der  Zahl  sehr 
Die  Heere  des  späteren  Mittel-  beträchtliche  Reiterei.  Die  Patrizier 
alters  bestanden  aus:  und  reichen  Kaufherrn  zogen  als 

1.  den  Lehensleuten  mit  ihrer  „Konstabier''  oder  „Kunstofler4'  nur 
Pflichtigen  Mannschaft,  zu  Pferde  aus,  und  selbst  wohl- 

2.  den  Hofdienern  der  Fürsten  habende  Zünftler  gesellten  als 
mit  ihren  untergebenen  ( Edelleuten,  „Wolerzugte"  sich  ihnen  bei.  Zur 
Rittern,  samt  Dienerschaft,  Boten,  Schlacht  trennten  sich  die  schweren 
u.  s.  W.)i  von  den  leichten  Reitern.  Letztere 

3.  dem  Land  volke  der  dem  Kriegs-  harzelirten,  leiteten  «las  Gefecht  ein, 
Schauplatz  zunächst  liegenden  Ge-  zogen  sich  dann  zurück  und  über- 
genden,  nahmen  die  Deckung  des  Rückzuges 

4.  den  Stadtbewohnern ,  welche  oder  im  Fall  des  Gelingens  die 
den  besseren  Teil  des  Fussvolkes, 1  Verfolgung  des  Feindes.  Auch  Söld- 
besonders  der  Schützen  lieferten,  uer,  welche  nur  für  den  einzelnen 

5.  den  Bundesgenossen,  die  unter  Zug  gemietet  waren  (die  Solularii, 
eigenen  Hauptleuten  fochten,  Soldaten,  auch  Sarjanten  genannt) 

6.  den  Stadttruppen.  waren  anfänglich  oft  beritten,  bis 
Unter   den    Honenstaufen   und  namentlich  durch  die  Schweizer  und 

namentlich  in  der  darauffolgenden  Ditmarschen  in  den  Sehlachten  bei 

kaiserlosen  Zeit  gelangte  zu  allererst  Morgarten    und  Oldeuwörden  der 

die    Ritterschaft    zu   ihrer   Blüte.  Kriegskunst  eine  andere  Basis  oder 

Fürsten,  Grafen  und  Herren  waren  vielmehr  die  alte  natürliche  wieder 

bemüht,  ihre  berittene  Dienstmann-  gegeben  wurde,  der  Kampf  zu  Fu*s. 
schaft  möglichst  zu  vermehren,  was       Städtische  Intelligenz  und  bauer- 

oft  dadurch  geschah,  dass  Unfreie  liehe   Xaturkraft   im  Vereine  be- 

den    Rittergürtel    erhielten.     Der  zwangen  das  Vorurteil,  dass  nur  der 

„Helm*4  bildete  im  14.,  die  „Gleve44  Reitersmann  ein  Krieger  sei,  und 

im  15.  Jahrhundert  die  kleine  tak-  bald  wurden  die  Ditmarschen  und 

tische  Einheit.    Zu  letzterer  gehörte  Schweizer    die    Lehrmeister  ihrer 


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Kriegswesen. 


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deutschen  Nachbarn.    Das  Söldner- 
wesen nahm  mehr  und  mehr  über- 
hand;   die   Söldner  bildeten  selb- 
ständige Banden,  die  zur  Landplage 
werden  konnten,  indem  sie  unter 
«lern  Namen  „Böcke"  oder  „Tra- 
banten" ein  Handwerk  trieben,  das 
dem  italienischen  Brigantentum  oft 
ziemlich  ähnlich  sah.  In  Süddeutseh- 
land hiessen  die  einheimischen  Söld- 
ner Landsknechte,  die  fremden  Bocke. 
Das  Fussvolk  blieb    eingeteilt  in 
Zehnt-  und  Hundertschaften,  die 
ie  nach  Bedarf  zu  grösseren  oder 
Kleineren   taktischen  Körpern  zu- 
sammengefügt wurden.   Die  Leute 
mit  blanken  Waffen  bildeten  die  vier- 
eckigen Gewalthaufen,  die  Schützen 
deckten  als   kleinere   Haufen  die 
Flanken,  griffen  an  und  sekundier- 
ten beim  Kampfe  so  gut  es  ging. 
In  der   vordersten  Reihe  standen 
die    bestgerüsteten    Lanzenträger ; 
hinter  ihnen  waren  die  Fahnen  auf- 
gepflanzt, die  den  Gegenstand  des 
heissesten  Kampfes  bildeten.  Der 
Schar    voraus    gingen    die  Ver- 
wegensten, die  „Katzen balger",  als 
„verlorene  Knechte",  die  entweder 
für  grösseren  Sold  oder    um  ein 
Verbrechen  zu  sühnen,  ihr  Leben 
mutwillig  aufs  Spiel  setzten.  Die 
gesamte  streitbare  Mannschaft  wurde 
gern  in  drei  Haufen  geteilt,  Vorhut, 
Gewalthaufen  und  Nachhut. 

Durch  die  Hussitenkriege  ge- 
langte auch  die  Wagenburg  noch- 
mals zu  grosser  Aufmerksamkeit. 
Der  einzelne  Wagen  ist  mit  fünf 
Pferden  bespannt  und  mit  21  Köpfen 
bemannt.  Fünf  Wagen  bilden  ein 
Glied  und  haben  einen  besonderen 
Hauptmann.  Fünf  Glieder  bilden 
einen  Bund  und  fahren  hinterein- 
ander in  einer  Zeile.  Vier  solche 
Zeilen  nebeneinander  bilden  die 
Schickung.  „Die  ganze  Schickung 
(100  Wagen,  2500  Mann  )  soll  haben 
einen  Richter  mit  vier  Schoppen 
und  einen  verständigen  Prediger; 
jeglicher  Bund  soll  haben  einen 
richtigen  Kaplan,  und  jedes  Glied 


soll  habeu  ein  Gezelt  oder  Gesperre 
(Lagerhütte)."  Zu  den  Streitwagen 
gehörten  ebenso  viele  Speisewagen, 
in  gleicherweise  geordnet  und  ver- 
sehen mit:  „Bierbräuer,  Mulzer, 
Müller,  Bäcker,  Mäher,  Drescher, 
Schnitter,  all  weg  genug,  um,  wenn 
man  auf  Schlösser,  Städte  und  Märkte 
kommt,  die  Bräupfannen  und  das 
Mühl  werk  besorgen  zu  können.  Auch 
soll  ieglich  Glied  besonders  haben 
ein  Stein-  oder  Tarraabüchsen  auf 
einem  halben  Wagen  mit  zwei 
Pferden  und  die  ganze  Schickung 
von  100  Wagen  eine  grosse  Stciu- 
büchsen  mit  16,  18  oder  20  Pferden, 
um  willen  rechter  ernstlicher  Haupt- 
stürme auf  Schlösser  und  Städte." 
Die  Wagenburgen,  von  denen  auf 
deutschem  Boden  im  15.  und  mehr 
noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert 
die  Rede  ist,  sind  freilich  mehr 
Zeugwagen,  anfänglich  Sichelwagen, 
dann  Artillerie-  und  Pionierfahr- 
zeuge oder  Waffen  wagen  mit  Haken- 
büchsen, Handrohren,  auch  Hand- 
werks- und  Vorratswagen;  die 
Wagenburgen  verloren  ihren  Wert 
mit  der  Einführung  der  Feuerwaffen 
völlig,  namentlich  gegen  die  schweren 
Geschütze  schützten  nur  starke 
Wälle,  überhaupt  eigentliche  Be- 
festigungswerke. 

Im  Dieriste  der  Artillerie  (siehe 
dort)  und  unter  dem  Befehle  des 
Zeugmeisters  standen  auch  die  tech- 
nischen Truppen,  die  Schanzenbauer, 
welche  die  Wege  zu  erstellen  und 
die  Lager  zu  „umschütten  und  ver- 
graben" hatten,  die  Zimmerleufc, 
und  Kriegsbrücker,  die  Bergknappen 
und  Steinmetzen. 

Als  Abzeichen  für  die  Truppen 
dienten  allererst  die  Kopfbe- 
deckungen oder  irgend  ein  bestimmter 
Schmuck  derselben,  Federn,  Reiser, 
Blätter  etc.  Ausserdem  erkennen 
sich  Freunde  und  Gegner  an  farbigen 
Abzeichen  auf  den  Kleidern;  sogar 
gleichförmige  und  gleichfarbige  Uni- 
formen erscheinen  vereinzelt  schon 
im  14.  Jahrhundert,  und  oft  tragen 


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540 


Kriegswesen. 


namentlich    die    Söldnerheere  die 
Farben  ihrer  Stadt. 

Die  Kriegsfall  mng  dieser  Zeit 
überhaupt  wurde  durcli  zwei  Um- 
stünde wesentlich  bedingt,  durch 
die  Unmöglichkeit,  die  Streitkräfte 
für  eine  grössere  Unternehmung  für 
längere  Zeit  beisammen  und  mobil 
zu  halten,  und  durch  die  Massen- 
haftigkeit  und  Wichtigkeit  der  Be- 
festigungen. Man  hielt  Städte,  Land- 
wehren und  Burgen  bestmöglichst 
besetzt:  der  Feind  belagerte  die- 
selben und  zwar  oft  erfolglos;  Aus- 
fälle und  Stürme  wechselten  mit- 
einander ab,  aber  zu  grossen,  kunst- 
gerechten Sehlachten  Kam  es  selten. 
Einen  höheren,  militärisch-politischen 
Charakter  haben  im  Grunde  ge- 
nommen nur  die  Burgunderkriege, 
die  dann  auch  in  der  Geschichte 
der  Kriegskunst  eine  Epoche  ein- 
leiten, der  sieh  kaum  eine  andere 
vergleichen  liisst;  denn  mit  dem  16. 
Jahrhunderte  bildete  sich  zum  ersten- 
mal ein  europäisches  Fussrolk: 

Es  ist  daher  wohl  billig,  dass 
wir  an  dieser  Stelle  des  schweize- 
rischeu  Kriegswesen*  noch  ganz  be- 
sonders gedenken,  da  es  für  diese 
Periode  massgebend  ist.  Von  einer 
gemeineidgenössischen  Kriegsord-  j 
nung  kann  zwar  während  der  ftlauz-  j 
zeit  des  kleinen  Staatswesens  kaum  ; 
gesprochen  werden.  Die  Mittel  zu  den 
Kämpfen  aufzubringen,  das  Material 
an  Menschen,  Pferden,  Waffen,' 
Kriegsgerät  und  Ausrüstungsgegen- 
ständen zu  beschaffen,  Befestigungen 
anzulegen ,  die  ausgehobene  Mann- 1 
sehaft  angemessen  zu  organisieren 
und  zu  unterhalten,  das  alles  war 
Sache  der  einzelnen  Orte  (jetzt  Kan- 
tone». War  ein  Stand  'bedrängt, 
so  mahnte  er  seine  Mitstände  und 
erhielt  meist  brüderliche  Hilfe.  In 
den  Einzelheiten  herrscht  unter  den 
Milizen  der  einzelnen  Stände  manche 
Verschiedenheit,  namentlich  trat 
diese  zu  Tage  zwischen  den  Städten 
und  Lindern;  im  allgemeinen  aber 
beruhten    die   Einrichtungen  doch 


auf  denselben  Grundlagen.  Überall 
fand  die  innigste  Verschmelzung 
zwischen  den  bürgerlichen  und  mili- 
tärischen Behörden  statt,  sodass  die 
bürgerlichen  Einrichtungen  mit  den 
kriegerischen  aufs  engste  verknüpft 
sind.  Jedes  Land  und  jede  Stadt, 
jede  Herrschaft  und  jedes  Amt,  ja 
jede  Zunft  stellte  ihre  Mannschaft 
unter  eigenem  Zeichen  (Bauner, 
Fähnlein  i,  jeder  freie  Mann  ist 
Soldat;  der  Dienst  im  Felde  ist  ein 
Ehrendienst,  der  Entzug  der  Waffen 
eine  entehrende  Schmach  für  Ver- 
brecher und  Meineidige.  Die  Waffe 
des  Auszügers  ist  unveräusserliches 
Eigentum;  sie  vererbt  sich  auf  die 
Familie  und  kann  ihr  unter  keinen 
Umständen  genommen  werden.  Jede 
Ortschaft  stellt  ihr  bestimmtes  Kon- 
tingent au  Mannschaft  und  zwar 
nach  der  Zahl  ihrer  Feuerstätten, 
je  einen  oder  mehrere,  nach  der 
Grösse  der  Gefahr  beimessen.  Fami- 
lien, die  keine  eigene  waffenfähige 
Leute  hatten,  warben  sich  solche  in 
der  Nachbarschaft  oder  Hessen  sich 
sonst  irgendwie  vertreten.  Eine 
Altersgrenze  war  nicht  oder  jedenfalls 
sehr  weit  gezogen,  denn  oft  Kämpften 
nebeneinander  Vater  und  §ohn. 
Die  Truppen  erhielten  von  den  Ge- 
meinden ihr  Reisegeld,  woraus  sie 
sich  selbst  zu  erhalten  hatten.  Da 
dieses  aber  bei  den  knappen  Geld- 
mitteln sehr  klein  war,  reichte  es 
selten  aus,  und  es  verfiel  die  Mann- 
schaft bald  aufs  Stehlen  und  Plün- 
dern, was  notwendigerweise  jede 
Disziplin  erschwerte,  wenn  nicht 
ganz  verunmöglichte.  Daher  suchte 
man  den  Truppen  die  Nahrung 
wenigstens  teilweise  nachzuführen 
und  teilte  in  bestimmten  Zeitab- 
schnitten jedem  das  Nötige  zu ,  so- 
dass er  es  in  einem  leinenen  Sacke 
selbst  nachzutragen  hatte.  Da  nun 
die  Nahrung  zum  grossen  Teil  aus 
Hafergrütze  bestand,  hiess  man  den 
Sack  ,. Habersack'',  welche  Bezeich- 
nimg in  der  Schweiz  heute  noch 
für  den  Tornister  angewendet  wird. 


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Kriegswesen. 


541 


Die  Rosse,  welche  dem  Lebens-  für  einen  Musketier  7  Kronen,  für 
mitteltransport  dienten,  hiessen  einen  andern  Schützen  6  Kronen, 
„Hodelrosse",  und  ihre  Führer  für  einen  Spiess  5  Kronen.  Die 
nannte  man  „Hodler"  oder  Tross-  |  Waffen  konnten  zum  kleinen  Teil 
knechte.  Bei  dem  Freiheitssinn  der  !  im  eigenen  Lande  gefertigt  werden, 
Eidgenossen  ist  es  leieht  erklärlich,  denn  die  inländischen  Wattenschmic- 
dass  in  Zeiten  ernster  Gefahr  sich  den  waren  noch  in  einem  sehr 
beträchtliche  „Freiharste"  bildeten,  primitiven  Zustande, 
die  nicht  in  dem  Pflichtigen  Kon-  !  Über  das  Verhältnis  der  Waffen 
tingente  inbegriffen,  mit  in  den  Kampf  innerhalb  des  Fussvolkes  nach  der 
zienen  wollten.  Die  Regierungen  Zahl  macht  ein  Reisrodel  von  Zürich 
unterstützten  auch  den  militärischen  (1444)  folgende  Angaben:  die  Stadt 
Sinn  ihrer  Untergebenen  mit  allen  stellte  zum  Auszuge  630,  die  Land- 
Mitteln;  sie  setzten  namentlich  für  sehaft  2131  Mann.  Die  ersteren 
die  Schiessübungen  in  Friedens-  setzten  sich  zusammen  aus  127  Ann- 
zeiten Prämien  aus,  die  vornehm-  brustschützen,  95  Büchsenschützen, 
lieh  in  Waffen  und  anderen  Aus-  103  Spiessen  und  364  Hellebarten, 
rüstungsgegenständen ,  oft  auch  in  während  die  letzteren  331  Armbrüste, 
Zeug  zu  Hosen  bestanden.  Um  die  16  Büchsen,  546  Spiesse  und  123^ 
Einführung  zweckmässiger  Waffen,  Hellebarten  zählten.  Ihre  grössten 
namentlich  Feuerwaffen,  zu  be- j  Schlachten  schlugen  die  Schweizer 
günstigen,  erhöhten  sie  auch  das  I  also  mit  ihren  alten  "Schlag-  und 
Reisegeld  für  die  Büchsenschützen.  Stichwaffen.  Selbst  die  mit  Schwe- 
lm Dornacherzuge  z.  B.  erhielt  j  reu  Geschützen  und  einer  vortreff- 
jeder  derselben  eine  Zulage  von  1  liehen  Reiterei  trefflich  ausgestatte- 
Schilling,  doch  nur  diejenigen,  die  ten  Heere  Karls  des  Kühnen  be- 
„eigen  Gezeug"  besasseu,  während  zwangen  sie  noch  mit  denselben 
die  andern,  die  ihre  Büchsen  von  Waffen;  so  sollen  nach  Comines' 
der  Regierung  sich  geborgt  hatten,  ]  Angaben  in  der  Schlacht  bei  Murten 
nur  gewöhnliches  Taggeld  erhielten,  unter  30000  Mann  eidgenössiseher- 
Eine  Muskete  kostete  in  Bern  um  seits  11000  Spiessc,  16000  Kreuz- 
1589  11  Pfund,  ein  Handrohr  8  wehren  und  3000  Schützen  (Arm- 
Pfund,  was  nach  jetzigem  Geld-  brüst-  und  Büchsenschützen  I  zu  ver- 
werte 88,  bez.  60  Franken  gleich-  stehen  sein.  Anders  wurde  das 
kommen  mag,  womit  die  abscheu-  Verhältnis  erst  im  16.  Jahrhundert 
liehe  Waffe  teuer  genug  bezahlt  zur  Zeit  der  Söldnerkriege  in  mai- 
war. Um  deren  Einführung  noch  ländischem  und  französischem  Dienst, 
besser  begünstigen  zu  können ,  zog  die  neben  den  vielen  Nachteilen  für 
der  Staat  (  der  Ort)  die  Verwaltung  das  Land  auch  einen  Vorteil  brachten, 
an  sich,  Hess  sich  von  den  Gemein-  den  nämlich,  dass  für  sämtliche  13 
den  in  Friedenszeiten  pro  Mann  Orte  eine  einheitliche  Kriegsordnung 
ihres  Auszuges  für  drei  Monate  !  geschaffen  wurde,  die  im  Jahre  1629 
Dienst  12  Kronen  a  25  Batzen  die  Pflichtige  Armee  sämtlicher 
(etwra  42  Francs)  einzahlen  und  Bundesglieder  mit  Einschluss  der 
übernahm  dafür  die  Ausrichtung  zugewandten  Orte  und  Unterthanen- 
der  Reisegelder  in  Kriegszeiten.  Auf  lande  auf  13400  Mann  ansetzt,  wo- 
diese  Weise  ist  der  Sold  entstanden,  zu  auf  je  100  Mann  3  Reiter,  im 
daher  heisst  dieser  noch  jetzt  im  ganzen  also  402  Pferde  und  16  Ge- 
Munde des  Schweizers  „das  Prä"  schütze  zu  nehmen  sind.  Die  Mann- 
(prefj,  weil  er  gewissermassen  ein  schaft  zerfällt  in  Kompagnien  von 
Anleihen  bei  den  Gemeinden  war.  je  200  Mann,  von  denen  120  mit 
Der  Sold  betrug  1586  bei  den  Bernern  Musketen,  30  mit  Spiess  und  Harnisch, 


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542 


Kriegswesen. 


30  mit  blossen  Spiessen  und  20  mit  Ehrenplatz  auf  dem  rechten  Flügel 

Hellebarten  bewaffnet  sind.  nahmen  die  Rotten  der  herrschenden 

Die  Reiterei  war ,  wie  oben  an-  Stadt  oder  des  herrschenden  Stande«* 

gedeutet,  nicht  zahlreich,  was  unter  ein ;  auf  dem  linken  Flügel  standen 

Erwägung  der  Verhältnisse  leicht  die  zugewandten  Orte,  in  der  Mitte 

begreiflich  wird.   Auch  diese  weui-  die  Amter  und  Herrschaften,  die 

gen  waren  meist  freiwillige  Patrizier  Unterthailen.  Dem  Zuge  voran  sc hrit- 

aus  den  Städten  oder  (bedungene  ten  die  Spielleute,  welche  von  der 

aus  den  umliegenden  Landschaften  Obrigkeit  r>esoldet  wurden.  Es  waren 

(z.  B.  Genf)-  Doch  lieferten  einzelne  das    die    „Trummeisehlaher"  und 

Orte  jeweilen  bedeutend  mehr,  als  „Sehwägler" ,    welch   letztere  die 

ihnen  geboten  war,  so  vorab  die  Querpfeife  bliesen.    Die  Musik  als 

Stadt  Bern  mit  ihrem  zahlreichen  Begleit  der  Heere  soll  zuerst  in  der 

Adel  und  ihren  grossen  Besitzungen  Schweiz  aufgekommen,  ja  die  Trom- 

im   ganzen    westlichen  Teile    der  |  mel  mit  den  gespannten  Fellen  eine 

Schweiz,  Auf  diese  Weise  kämpfte  schweizerische  Erfindung  sein.  Durch 

auch  die  Reiterei  nicht  ohne  Erfolg,  ihren  Gebrauch  wird  wahrscheinlich 

Aus  den  oben  gemachten  Angaben  unvermerkt  das  Marschieren  im 
von  1629  geht  hervor,  dass  auch  die  Schritt  aufgekommen  sein,  das  zwar 
Artillerie  schwach  vertreten  war.  in  dieser  Periode  noch  nicht  allge- 
Zwar  wurden  Feldstücke  kleinen  mein  geübt  wird.  Es  wird  ausdrück- 
Kalibers  schon  früh  verwendet,  und  lieh  bemerkt,  dass  die  Musik  mehr 
es  setzt  im  15.  Jahrhundert  jede  zur  Kurzweil  da  war,  daneben  dem 
Stadt  eine  eigene  Ehre  darein,  be-  Kommando  diente,  zur  Sammlung 
sonders  schwere  Kauonen  als  Be-  rief,  zu  Vorrücken,  Rückzug  und 
lagerungsgeschütz  zu  besitzen;  doch  Schwenkungen  u.  8.  w.  Denn  was 
bei  der  Kleinlichkeit  der  Verhält-  dem  Heere  der  Eidgenossen  in  bezug 
nisse  und  Armut  des  Landes  blieb  auf  die  Entwickelung  der  Kriegs- 
der  Schwerpuukt  des  Heeres  durch-  kunst  so  hervorragende  Bedeutung 
aus  im  Fussvolk ,  und  wenn  auch  triebt ,  das  ist  die  liier  zuerst  statt- 
die  Wälle  der  belagerten  Städte  findende  rationelle  Durchführung 
mit  grobem  Geschütz  notdürftig  ver-  der  Iufanterietaktik;  der  Schweizer 
sehen  waren,  so  fehlte  es  doch  an  lernte  nicht  nur  den  Gebrauch  der 
Feldstücken,  oder  es  waren  die  vor-  Waffe,  er  lernte  auch  sich  als  ein 
handenen  nicht  wirksam  genug.  Glied  einreihen  in  ein  grösseres 
Eine  grosse  Steinbüchse  hiess  man  Ganzes,  das  nach  bestimmten  Regeln 
„Metze**,  die  langrohrigen  Geschütze  i  sich  leicht  und  sicher  bewegte.  Der 
Wr  eiserne  Kugeln  hiess  man  j  schlichte  Schweizer  war  zwar  Hirt 
„Schlangen",  sofern  sie  leichter  be-  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle ,  aber 
weglich  und  somit  auch  im  Felde  seine  glühende  Liebe  zu  dem  klei- 
zu  gebrauchen  waren  —  „Feld-  nen,  armen  Vaterlande,  dem  er  den 
schlangen44.  einzigen  Vorzug,  die  alte,  ange- 
Jede  Stadt,  Gesellschaft,  Zunft,  stammte  Freiheit  retten  wollte,  stein- 
Herrschaft,  jedes  Amt  bildete  eine  pelte  ihn  in  kurzer  Zeit  zum  gebore- 
taktische Einheit,  eine  Rotte,  die  in  neu  Soldaten.  Auch  darf  man  nicht 
„Zilcten44  (Zeilen)  von  6—10  Mann  glauben,  dass  einzig  diese  Bauern 
zerfiel.  Die  Bewaffnung  der  Rotten  die  trefflich  gerüsteten,  an  Zahl 
war  eine  einheitliche,  höchstens  ver-  ihnen  weit  überlegenen  Heere  der 
einigen  sich  in  kleinen  Gemeinwesen  Könige  und  Kaiser  schlugen  ,  sie 
Spiesser  und  Schützen.  Grössere  waren  meist  angeführt  von  gut  ge- 
Zünfte stellen  gewöhnlich  je  eine  schulten  Hauptleuten,  die  ausser 
Rotte  von  jeder  Waffengattung.  Den  Landes  gedient  und  jeweilen  in  der 


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Kriegswesen. 


543 


Zeit  der  Not  in  ihr  Vaterland  zu- 
rückkehrten. 

Als  Feldzeichen  der  Eidgenossen 
tritt  schon  früh  das  weisse  Kreuz 
auf,  das  als  Feldzeichen  der  Berner 
bei  Laupen  geweiht,  bald  von  allen 
Bundesgenossen  geführt  wird.  Jede 
Rotte  führte  ihre  Fahne,  die  Urner 
und  Unterwaldner  besassen  grosse 
Harsthörner,  von  denen  der  ,,Uri- 
stier"  besondere  Berühmtheit  erlangt 
hat.    Die  Fahnen  waren  länglich 
und  gespitzt,  die  Banner  waren  qua- 
dratisch.  Das  Hauptbanner  wurde 
in  der  Mitte  getragen  und  von  den 
besten  Truppen  begleitet.  Schlacht- 
ordnung und  Marschordnung  fielen 
bei  den  Schweizern  grundsätzlich 
zusammen,  was  für  sorglose  feind- 
liche Heere  oft  verhängnisvoll  war. 
Ungefähr  die  Hälfte  der  Krieger, 
und  zw  ar  vornehmlich  Hellebarden- 
träger, bildeten  den  Gewalthaufen, 
der  das  Hauptbanner  trug  und  daher 
oft  selbst  „das  Banner"  genannt 
wurde.  Unmittelbar  um  das  Banner 
her  stellten  sich  die  Zileteu  der  vor- 
nehmeren Zünfte  auf,  die  Konstabier 
und  Junker,  soweit  sie  nicht  zu 
Pferde  fochten.  Und  bei  der  ganzen 
Aufstellung  wurde  sorgsam  darauf 
geachtet,  (lass  die  minder  zuverlässi- 
gen Rotten  der  Landgemeinden  mit 
den  Rotten  der  altbewährten  Bürger- 
zünfte versetzt  wurden.  Die  gewöhn- 
liche Tiefe  der  Aufstellung  ist  20 
Mann.    Ein  Teil  der  Spiesse  wird 
verwendet,  die  Flanken  aes  Gewalt- 
haufeus  einzurahmen,  und  eine  Pha- 
lanx von  1200  Hellebardieren  und 
200  Pikenieren  kann  man  sich  also 
derart  geordnet  denken,  dass  im 
Centrum  60  Rotten  Hellebardierc 
und  auf  jedem  der  beiden  Flügel 
5  Rotten   Pikeniere  stehen.  Die 
Mannschaft  „vor  dem  Banner" ,  die 
Vorhut,  besteht  aus  den  Schützen, 
einer  grösseren  Beigabe  von  Spiessen 
und  einer  kleineren  von  Hellebarden. 
Sie  eröffnet  das  Gefecht,  worauf  der 
Gewalthaufen  zu  geeigneter  Zeit  und 
am  pausenden  Orte  angreift.  Die 


Sachhut  ist  die  schwächste  Heeres- 
abteilung, die  zum  Schutze  des 
Trosses  „hinter  dem  Banner"  auf- 
gestellt ist,  wohl  auch  im  Notfall 
thätlich  in  den  Gang  des  (Rechtes 
eingreift.  Die  Marsch-  und  Angriffs- 
ordnung der  drei  Haufen  war  aber 
immer  derart,  dass  sie  nicht  direkt 
hintereinander,  sondern  dass  die 
Vorhut  seitwärts  vor  dem  Ge- 
walthaufen aufgestellt  war,  um 
jedesmal  den  Angriff  in  der  Front 
mit  einem  auf  die  Flanke  verbinden 
zu  können.  Ebenso  stand  die  Nach- 
hut seitwärts  hinter  dem  Gewalt- 
haufeu.  Diese  Aufstellungsweise  bot 
den  grossen  Vorteil  der  leichteren 
Beweglichkeit  sämtlicher  Truppen. 
Waren  die  Mannschaften  mehrerer 
Ortschaften  versammelt,  so  bildete 
man  wohl  auch  drei  Haupthaufen, 
deren  jeder  eine  Vorhut  und  Rotten 
sämtlicher  Waffengattungen  hatte, 
sodass  er  zu  selbständiger  Aktion 
befähigt  war.  Auf  engbegrenztem 
Operationsfelde  gab  man  den  Haufen 
eine  sehr  beträchtliche  Rotteutiefe, 
ja  man  übertrieb  das  Verfahren  zu 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  sogar 
dahin,  dass  der  gevierte  Haufe,  der 
ebensoviel  Front  wie  Tiefe  hatte, 
als  normale  Stellung  galt.  Auf  der 
Ebene  bildete  man  dashohle  Viereck, 
das  mitunter  vorn  offen  gelassen  die 
Bagage  zwischen  die  Hörner  (aus 
Vor-  und  Nachhut  gebildet)  nahm, 
oder  mau  bildete  in  defensiver  Stel- 
lung auch  das  Kreuz,  indem  Vor- 
uiuf  Naclihut  dicht  an  die  Seiten 
des  Gewalthaufens  heranrückten. 

Es  erübrigt  uns  noch,  der  Fort- 
schritte im  Belaqentnffskrieff  zu  ge- 
denken. Dieselben  sind  unbedeu- 
tend bis  um  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts. Besass  man  auch  grosse 
Geschosse,  Steinbüchsen,  die  im 
Belagerungsdieiist  vor  Städten  und 
Burgen  verwendet  wurden,  so  war 
man  doch  nicht  imstande,  die  Kugel 
so  schnell  zu  bewegen,  dass  damit 
Breschen  in  die  Mauern  hätten  ge- 
schossen werden  können;  manmusste 


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544 


Kriegswesen. 


sieh  damit  begütigen,  schwächere  für  die  neue  Belagerungstaktik  durch 
Häuser  und  Thore  zu  besehiessen,  den  Gebrauch  der  Belagerungs-  und 
allfällig  auch  die  Zinnen  der  King-  Ausfallsartillerie,  die  Konstruktion 
mauern  abzudecken.  Glücklicher  der  Red  outen,  Laufgräben  und  An- 
arbeitete man  immer  noch  vor  der  prochen,  den  Gebrauch  der  Palissa- 
Hand  unter  der  Katze.  Wie  auf  die  den  und  Fussangeln ,  sowie  durch 
Befestigung  eines  Ortes  erstaunlich  ,  das  Erbauen  neuer  Werke,  wenn 
viel  Mühe  und  Sorgfalt  verwendet  j  die  ursprünglichen  durch  Feuer  oder 
wurde,  so  wurde  der  Belagerungs- 1  im  Sturm  zerstört  worden  waren, 
krieg  mit  ausserordentlichem  Auf-  Es  werden  auch  schon  Minen  gelegt, 
wand  geführt,  doch  oft  mit  wenig  I  Ob  aber  darunter  wirkliche  Pulver- 
Glück.  Eine  tapfere  Besatzung  trotzte  minen  zu  verstehen  sind,  ist  unge- 
Woehen,  ja  Alonate  lang  einer  zahl- 1  wiss.  Glücklicher  waren  O  453 1  die 
reichen  Gegnerschaft,  falls  dieser  Osmanen  vor  Konstantinopel,  indem 
die  Aushungerung  nicht  gelang,  ihnen  Flotte  und  Geschütz  gute 
Selbst  wenn  es  gelang,  Breschen  zu  Dienste  leisteten.  Ein  solches  soll 
le^en,  so  war  der  Sturm  nicht  leicht.  |  800  Center  Gewicht  gehabt  und  zu 
Die  Mauern  brachen  entweder  auf  seiner  Fortbewegung  700  Mann  und 
dem  Niveau  des  Bodens  oder  höher,  100  Ochsen  erfordert  haben.  Das 
füllten  aber  die  Gräben  keineswegs  Gewicht  der  Steinkugel  wird  auf 
aus,  sodass  es  immer  noch  eine  12  Centner  angegeben. 
Leiterbcstei^unt?  galt,  und  wenn  die  Einen  wichtigen  Fortschritt 
Belagerten  im  Innern  eine  mit  Holz  machte  der  Belagerungskrieg  in 
oder  erdgefüllten  Tonnen  bekleidete  Frankreich,  indem  um  die  Mitte  des 
Erd verschanzung  errichteten,  so  bot  15.  Jahrhunderts  die  Steinkugeln 
dieser  Wall  dem  Geschütz  mehr  durch  gegossene  Metallkugeln  ersetzt 
Widerstand  als  die  Mauer  selbst,  wurden,  welche  die  Wirkung  der  Ge- 
Es  fehlt  darum  gerade  beim  Be-  schösse  beträchtlich  vermehrten, 
lagerungszustand  des  späteren  Mit-  Auch  die  rationelle  Anwendung  der 
telalters  in  Deutschland  nicht  an  den  Laufgräben  als  Annäherungsmittel, 
allerseltsamsten  Streitmitteln.  Sogar  sowie  der  SchanzJcorbe  fallen  in  diese 
die  Laterna  maqiea  wird  angewen- 1  Zeit.  Zu  sichern  suchte  man  sich 
det,  um  durch  Geistererscheinungen  gegen  diesen  verstärkten  Feind  durch 
die  abergläubischen  Verteidiger  von  1  verstärkte  Mauerwerke  und  Wälle, 
den  Mauern  zu  vertreiben ,  und  oft  Die  Mauern  wurden  niedriger,  doch 
sucht  man  die  belagerte  Stadt  au-  ;  stärker  gemacht.  Einzig  die  Burgen 
zuzünden,  indem  man  Katzen  und  blieben  Dei  ihrer  alten  Bauart,  ois 
Vögel  fängt  und  diese  mit  brennen-  sie  dann  im  16.  Jahrhundert  zum 
den  Lunten  nach  der  Stadt  zurück-  offenen  Landsitz  werden, 
sendet.  Die  bedeutendste  Belagerung  i  An  den  Wehrbauten  der  Städte 
dieser  Zeit  ist  diejenige  des  Karl-  j  aber  ist  der  Übergang  von  der 
steins  in  Böhmen  (1422),  die  merk-  alten  zur  neuen  Befestignngs- 
würdigste  diejenige  von  Orleans  weise,  die  Renaissance  der  Forti- 
(1428).  Die  erstcre  dauerte  5  Monate  fikation  deutlich  erkennbar.  Die 
und  wurde  aufgegeben,  nachdem  aus  Hürden  und  Holzbauten  der  Bre- 
den Schleuderma*chinen  1822  Ton-  tlehes  verschwinden  und  machen 
nen  voll  faulender  Stoffe  u.  13  Brand-  gemauerten  Wehrgängen  Platz.  Die 
fasser  geworfen ,  mit  den  schweren  alten  Spitztürme  verlieren  das  Dach 
und  kleinen  Kanonen  10931  Schüsse  und  erhalten  eine  Plattform,  die  mit 
abgegeben  worden.  Die  letztere,  1—2  Büchsen  versehen  wird,  deren 
die  nach  7  Monaten  ebenfalls  auf-  bohrender  SchuBS  zwar  von  geringer 
gehoben  werden  musste,  brach  Bahn  Wirkung  ist,  der  aber  durch  seinen 


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Kriegswesen. 


545 


Rückstoss  das  schwache  Mauerwerk  haupt  ein  besonderer  Zweck  damit 


höchstens  2  Fuss  Breite  hatten,  war 
für  das  Geschütz  kein  Platz.  Man 
machte  daher  innen  eineErdanscbüt- 
tung  bis  zur  Höhe  des  Rondenganges 
und  versah  diese  mit  Batterien.  Aber 
auch  so  war  der  Schuss  zu  bohrend. 
Daher  verfiel  man  auf  den  Gedanken, 
den  alten  Zwinger  derart  auszuge- 
stalten, dass  man  vor  der  Aussen- 
inaucr  einen  tiefen  Graben  anlegte, 
als   dessen   Escarpe  nunmehr  die 
Zwingermauer  erschien.  Den  Zwin- 
ger selbst  aber  bildete  man  durch 
Ausfüllung  mit  Erde  zum  Nieder- 
walle um.    Von  diesem  ging  nun 
die  Gesehützesverteidigung^  aus,  und 
hinter  ihm  erhob  sich  die  Haupt- 
mauer, welche  mit  ihren  Türmen 
und  ihren  alten  Einrichtungen  für 
perpendikulare  Defensive,  nach  wie 
vor  für  die  Verteidigung  mit  den 


bedenklich    erschüttert.     Auf  den  erreicht  werden  soll.   Übrigens  ver 
Rondengängen  der  Kurtinen,  welche  sagt  das  Geschütz  selten;  wenn  die 

leichten  Büchsen  nicht  genügen,  so 
führt  man  schwere  Bombarden  auf. 
Die  Stücke  hatten  nicht  bloss  ge- 
gossene Kugeln,  sondern  waren  nun 
selbst  gegossen  aus  Bronze,  ver- 
sehen mit  Schildzapfen  und  Wand- 
lafetten. Der  Schuss  konnte  dadurch 
sicherer  gezielt  werden  und  that  um 
so  unfehlbarer  seine  Wirkung,  so- 
dass auf  ungedeckten  Plätzen  das 
Bombardement  rasch  begonnen  und 
zu  Ende  geführt  werden  konnte. 
Während  1504  Kaiser  Maximilian 
die  14^  dicken  Mauern  von  Kufstein 
mit  7  Kanonen  nicht  bezwingen  kann, 
erreicht  er  seinen  Zweck  später  mit 
2  Monster- Geschützen. 

Je  mehr  nun  die  Unzulänglich- 
keit der  dicksten  Mauerwerke  gegen 
die  verbesserten  Geschosse  der  Be- 
lagerer sich  als  Thatsaehe  erwies, 


Handwaffen  bestimmt 


gung  i 
blieb. 


hin  blieben  die  hohen  Mauern  und 
Türme  unverändert  bestehen  und 
boten  auch  dem  fernstehenden  Feinde 
einen  Zielpunkt,  der  selten  verfehlt 
wurde.  Urn  diesem  zu  begegnen, 
führte  man  jenseits  des  Hauptgra- 
bens an  der  Stelle  der  alten  Let2i 


Immer-  umsomehr  musste  man  bestrebt  sein, 


die  Niederwälle  und  die  Gräben 
widerstandsfähiger  zu  machen.  Na- 
mentlich die  letzteren  erfuhren  die 
grösste  Aufmerksamkeit,  sie  ver- 
breiterten und  vertieften  sich  und 
wurden  mit  Schutzwerken  umgeben, 
die  weniger  beschossen,  als  erstiegen 


(lirej  einen  VorivaU  auf  mit  Vor-  werden  wollten,  und  damit  beginnt 
graben.  Vor  den  Thoren  errichtete  die  Einführung  eines  ganz  neuen 
man  Bollwerke  (bcuUverts,  bastillcs,  Momentes  in  «Ter  Poliorketik,  näm- 
basfidetj  aus  Holz  und  Erde,  welche  lieh  der  artilleristische  Sahkampf 
die  alten  Barbigäne  ersetzten.  Diese  gegen  die  Flankierungswerke,  wel- 
Anlagen  knüpfen  sich  an  die  glor- 
reiche Verteidigung  der  Stadt  Neuss 
gegen  Karl  den  Kühnen  (1474).  Sie 
tragen  übrigens  nur  den  Charakter 
eines  Provisoriums. 

Zur  Breschelegnng  konkurrierten 
um  die  Wende  des  15.  und  16.  Jahr- 
hunderts Mine  und  Schuss.  Die 
erste  Pulvermine  wird  1487  erwähnt 
in  einer  Belagerung  von  Screzanella. 
Einige  glückliche  Erfolge  verschaff- 
ten ihr  oald  grossen  Ruf,  während 
sie  im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts 
mehr  nur  versucht  wird,  wenn  eine 


eher  sich  wesentlich  untei 
von  dem  Geschützfernkampfe  gegen 
die  Hochbauten  des  angegriffenen 
Platzes.  Indessen  würde  man  sehr 
irren,  wenn  man  glauben  wollte,  dass 
bei  Erstellung  neuer  Befestigungs- 
werke nicht  auch  jetzt  noch  auf  ein 
gutes  Mauerwerk  grosses  Gewicht 
gelegt  worden  wäre.  Man  baute 
fester  als  je  und  suchte  namentlich 
durch  gute  Gewölbe  in  den  unteren 
Geschossen  den  dort  aufgestellten 
Geschützen  einen  unbedingt  rasanten 
Schuss  zu  sichern.   Man  baute  diese 


Breschelegung  missglückt  oder  über-  Türme  niedriger,  aber  weiter  und 
Reallextcon  der  deutschen  Altertümer.  35 


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546 


versah  sie  mit  einer  möglichst  grossen  der  Türme  wurden  bis  auf  10  m 
Zahl  von  Schiessscharten;  die  Ziunen  Dicke  erstellt,  die  Graben  in  einer 
aber  fielen  weg,  da  sie  doch  keine  Breite,  dass  grosse  Truppe nmassen 
Sicherheit  boten.  sich  in  denselben  bewegen  konnten. 

Anlage  und  Einrichtung  der  Die  Bastionen,  bald  spitz,  bald 
B<i*teien  waren  ein  Gegenstand  un-  !  rund,  die  Kasematten  und  Wälle 
ablässiger  Versuche  für  alle  europä-  treten  mehrfach  und  in  beträcht- 
ischen  Völker.  Man  sah  ein,  dass  liehen  Abstanden  voneinander  auf. 
das  schwache  Feuer  der  Rondeln  Sie  sind  zudem  von  einer  Mäch- 
nicht  wirksam  genug  war,  um  deu  tigkeit.  dass  schwere  Geschosse  sie 
Annäherungsarbeiten  des  Feindes  nicht  so  leicht  beseitigen.  Deut- 
kräftig entgegenzutreten,  da  dieser  sehe  Festungswerke  dieser  Periode 
jeden  Schuss  zehnfach  zu  beantwor-  sind  z.  B.  Küstrin,  Spandau,  Düssel- 
ten imstande  war.  Um  diesem  L  bei-  dorf  und  ein  Bollwerk  eigeutüm- 
stand  zu  begegnen,  Hess  man  die  lieber  Art,  der  Munot  in  Schaffhauen. 
Rondeln  auf  der  äusseren  Seite  in  1  Von  dem  Augenblick  an,  da  die 
eine  gerade  Linie  ausgehen,  damit  Befestigungskunst  bestimmte  Grund- 
möglichst  viele  Geschütze  zu  fron-  sätze  und  feste  Formen  angcnoin- 
taler  Wirkung  gelangen  sollten,  men  hatte,  mussten  auch  Verteidi- 
Andere  schoben  die  Basteien  inöj£-  gung  und  Angriff  systematischer 
liehst  weit  vor  und  verbanden  sie  geordnet  werden.  Gegen  Befesti- 
nur  durch  eine  schmale  Wallzuuge  gungen  der  früheren  Periode,  wo  in 
mit  dem  Hauptwall.  So  hofften  sie  uer  Hauptsache  nur  Mauern  und 
wirksamer  gegen  die  Flanken  der  Xiederwälle  zu  zwingen  waren,  war 
Feinde  zu  zielen,  boten  aber  in  beiden  der  Angreifer  in  der  Lage,  beide 
Fällen  den  feindlichen  Geschossen  Artillenestockwerke  zugleich  auzu- 
grössere  Zielpunkte,  d.  h.  verloren  greifen,  und  war  das  erste  genom- 
au  eigener  Sicherheit  leicht  mehr,  men,  so  war  das  zweite,  die  Mauer, 
als  sie  gewannen.  Je  mehr  indessen  mehr  nur  noch  zu  passivem  Wider- 
über  diese  Probleme  nachgedacht  stände  fähig.  Ganz  anders  aber  war 
wurde,  umsomehr  sah  man  ein.  dass  der  Widerstand  der  nach  den  Grund- 
die  ganze  Anlage  der  Festungswerke  Sätzen  rationeller  Flankierung  uud 
nach  einem  bestimmten  System  vor-  Profilierung  erbauten ,  ausgedehn- 
j genommen  werden  müsse,  während  ten  bastiomerten  Front.  Da  waren 
man  bisher  mehr  jeden  einzelnen  schon  die  Annäherungsarbeiten 
Teil  ftir  sich  studierte  und  nach  schwierig.  Die  Schläge  der  Lauf- 
Gutdünken  veränderte.  Diese  Be-  gräben  mussten  schon  in  bedeuten- 
strebungen  hatten  zudem  nur  loka-  der  Entfernung  vom  belagerten 
len  Charakter.  Erst  die  grossen  Platze  begonnen  werden,  und  diese 
Umwälzungen  des  16.  Jahrhunderts  ersten  Arbeiten  waren  schon  mit 
brachten  Fluss  in  die  Ideen;  das  Wan- '  ausreichenden  Batterien  zu  decken, 
derschaftswesen  entwickelte  sich,  sodass  die  feindlichen  Bastionen  an 
und  nun  erwuchs  der  künstlerischen  der  Belästigung  der  Sappeure  mög- 
Produktion  der  kosmopolitische  Cha-  liehst  verhindert  werdeu  sollten, 
rakter,  welcher  der  Renaissance  eigen  War  es  gelungen,  den  Vormarsch 
ist.  Es  entsteht  eine  europäische  Be-  bis  an  den  Grabenrand  zu  erzwingen, 
fetUgungikuMt,  welche  von  Italien  so  mussten  dort  Waffenplätze  er- 
ausgeht. Sie  zeichnet  sich  weniger  richtet  und  diese  stark  besetzt  wer- 
durch  neue  Erfindungen,  als  durch  den,  um  den  wiederholten  Ausfällen 
plamnässige  und  grossartige  Au-  der  Belagerten  zu  begegnen,  die 
läge  der  einzelnen  bekannten  Be-  namentlich  die  näher  heranrücken- 
festigungswerke  aus.    Die  Mauem  den  Batterien  und  die  Arbeiten  der 


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Kriegswesen. 


547 


Sehanzleute  zu  zerstören  trachteten. 
Endlich  wurden  die  grossen  Ge- 
schütze aufgestellt,  die  zum  eigent 
liehen    Bombardement  verwendet 
werden  sollten.    Diese  Demontier- 
hatte  rie  wurde  meist  erhöht  gebaut, 
da  das  Ziel  meist  noch  höher  lag. 
Die  Deutschen  nennen  sie  ,,über- 
zwerehe  Sc  hanze"  oder  auch  nur  die 
„Schanz".     Die  Zusammensetzung 
einer  solchen  giebt  Herzog  Philipp 
von  Cleve  folgendermassen  an :  6  Ka- 
nonen  (schwere  Breschgeschütze), 
2  schwere  und  4  mittlere  Schlangen 
und  12  Falkauneu.  Die  ersten  sollen 
im  Tag  (Sommerszeit)  je  40  Schüsse 
abgeben  können,  die  letzteren  se- 
kundieren51oss.  Sie  schweigen  be- 
scheiden, bis  ihre  grossen  Schwestern 
kampfgerüstet  dastehen,  reden  aber 
rlelssig,  während  jene  wieder  ge- 
laden werden,  und  wenn  die  Nacht 
anbricht,  sind  alle  Geschütze  auf 
den  kommenden  Tag  in  Stand  zu 
stellen,  sodass  man  mit  dem  neuen 
Morgen  nur  die  Lunte  aufzulegen 
braucht.    Die  grossen  geben  auch 
—  wie  im  Traum  —  während  der 
Nacht  hie  und  da  einen  Schuss  ab, 
die  Falkaunen  aber  dürfen  gar  nicht 
ruhen,  damit  der  Feind  nicht  neue 
Abschnitte  anlege.  Für  Mörser  und 
Böller  legte  man  näher  gegen  den 
Platz  hin  „sonder  geordnete  Schan- 
zen'' an,  weil  man  aus  denselben 
nur  selten  „in  der  Schanz  bei  den 
Geschützen"  schiessen  könne.  Neben 
diesen  artilleristischen  Vorkehrungen 
kam  auch  die  Minenlegung  wieder 
zur  Geltung,  welcher  der  Feind  mit 
Gegenminen  begegnete. 

Waren  die  Breschen  weit  und 
namentlich  tief  genug,  so  sehritt 
man  zum  Sturm.  Trockene  Gräben 
überstieg  man  leichter,  nasse  da- 
gegen mussten  erst  ihres  Wassers 
entleert  oder  überbrückt  werden. 
Aus  Fässern,  Hölzern  und  Brettern 
wurden  die  Brücken  gefügt  und  auf 
zwei  Kädern  an  den  (Traben  ge- 
schoben, oder  mit  Reisholz,  Bündel- 
Stroh,  Wagen  samt  Heu  u.a.  w.  wurde 


der  Graben  ausgefüllt  und  so  der 
Übergang  bewerkstelligt.  Natürlich 
boten  die  Belagerten  in  solchen 
Momenten  alles  auf,  den  Feind  zu- 
rückzuschlagen, und  Grabenüber- 
gänge gestalteten  sich  zu  blutigen 
Szenen.  Zum  Einsteig  durch  die 
Breschen  kommt  noch  die  Leiter- 
ersteigung, die  meist  au  2—3  Stellen 
zugleich  versucht  wurde.  Auch  die 
Palissaden,  Thore  und  Fallgatter 
wurden  im  entscheidenden  Augen- 
blicke kräftig  berannt  mit  der  Pe- 
tarde oder  Bresehsehraube.  Die 
Belagerten  pflegten  sich  in  diesem 
äussersteu  Stadium  des  Kampfes 
massenhaft  und  mit  Glück  der  „Flad- 
derminen" und  der  Feuerwerks- 
körper zu  bedienen,  welche  die  Sol- 
daten sehr  fürchteten  und  welche 
eine  glücklich  durchgeführte  Belage- 
rung im  letzten  Momente  noch  schei- 
tern liessen.  So  lange  der  Angreifer 
es  nicht  verstand,  durch  Anlage 
von  Kontrebatterien  die  Flanken - 
geschütze  direkt  zu  bekämpfen,  be- 
sass  die  Nah  Verteidigung  das  un- 
zweifelhafte Übergewicht  über  den 
Angriff.  Diesen  Fehler  herauszu- 
fühlen und  zu  verbessern,  blieb  der 
zweiten  Hälfte  des  lt>.  Jahrhunderts 
vorbehalten,  die  dann  auch  nament- 
lich durch  die  Erfindung  neuer 
Zündungsvorrichtungen  für  die  Hand- 
feuerwaffen dem  ganzen  Kriegswesen 
einen  ungeahnten  Aufschwung  gab. 
Das  Radschloss  wurde  1515  erfun- 
den zu  Nürnberg,  das  Schnappsehloss 
um  1540  ebenfalls  in  Deutschland 
und  das  Stccherschloss  gegen  Ende 
des  Jahrhuuderts  in  München.  So 
folgte,  wie  unvollkommen  diese  Ver- 
suche auch  heute  erscheinen  mögen, 
eine  kleinere  Verbesserung  nach  der 
anderen ,  und  bald  herrschen  unter 
dem  Fussvolk  die  Schützen  vor. 
Auch  die  Reiterei  wird  mit  Feuer- 
waffen versehen,  nämlich  mit  Reiter- 
arkebuse und  dem  Faustrohr,  der 
Pistole,  und  ebensowenig  bleibt  die 
Artillerie  zurück  mit  Verbesserungen 
des  Materials  und  Bereicherungen 

35* 


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548 


Krone. 


der  Munition.  Nach  Jahn*,  Ge- 
schichte <les  Kriegswesens.  Vergl. 
Heerwesen. 

Krone.  Die  Krone,  lat.  Corona, 
franz.  couronne,  engl.  croicn.  ist  das 
Zeichen  der  Souveränität.  Fürsten, 
überhaupt  der  hohe  Adel,  tragen 
sie  statt  des  Helmes  im  Wappen- 
schild. 

Aus  der  Merowingerzeit  sind  acht 
Votiv-Kronen  bekannt,  die  bei  wech- 
selnder Grösse  ganz  von  Gold  ge- 
fertigt und  reich  mit  Edelsteinen 
geschmückt  sind.  Jede  ist  mit  vier 
Ketten  verseilen,  die  oben  in  einen 
geschmückten  Knopf  oder  in  einen 
einfachen  Ring  zusammenlaufen,  da 
mit  sie  aufgehängt  werden  kann. 
Vier  derselben  bestehen  je  aus  einem 
breiten,  vollkommenen  Reife;  die 
übrigen  vier  sind  symmetrisch  durch- 
brochen, eine  in  Gestalt  einer  rund- 
bogigen  Säulengalcrie,  welche  der 
in  der  spätrömischen  und  griechi- 
schen Ran  weise  üblichen  Säulen  - 
Stellung  vollkommen  entspricht.  Die 
Steine  bilden  bei  allen  am  unteren 
Rande  des  Reifes  ein  Gehänge;  die 
fünf  grösseren  tragen  aus  ihrer  Mitte 
herabhängend  ein  mit  Steinen  be- 
setzte* Kreuz,  die  grösste  trägt  zudem 
zwischen  den  Gehängen  die  Gold- 
buchstaben   r  ecces  rrxrn  /  's 

REX  QFFEHET,  welche  darauf 
schliessen  lassen,  dass  diese  Krone 
und  so  auch  wahrscheinlich  die 
übrigen  —  von  dem  Könige  Rcc- 
cesvinthus  (zwischen  649—672)  als 
„Ex  vofo"  dargebracht  ward.  Die 
Stirnreife  sind  zudem  mit  anein- 
andergereihten Kreisen  und  halb- 
kreisförmigen Vertiefungen  geziert, 
sowie  mit  verschiedengestaltctem 
Blätterwerk  und  ein-  und  auswärts- 
gebogenen Ranken  nach  Art  der 
sogenannten  Palmetten.  Der  die 
Kette  verbindende  Knopf  der  gröss- 
ten  Krone  hat  die  destalt  eines 
sich  nach  unten  zu  verjüngenden 
Würfelkapitüls  mit  roh  gezeichneten 
I 'almblättern  und  ist  aus  ttmarz  ge- 
schnitten.   Alle  Verzierungen  der 


Krone  sind  geprägt  oder  leicht  ein- 
gegraben; nirgends  findet  sich  Fili- 
grau oder  gar  wirkliche  Email. 

Die  eigentliche  deutsche  Kaiser- 
krone, gemeiniglich  die  Krone  Karls 
des  Grossen  genannt  als  die  histo- 
risch wichtigste  und  älteste,  wird 
in  der  kaiserlichen  Burg  zu  Wien 
aufbewahrt.  Sie  ist  durchgängig 
von  Gold  und  1 4  Mark  1 1  Lot  3Quent- 
chen  schwer,  achteckig,  mit  acht 
oben  zugerundeten  Feldern,  die  in 
einen  Bügel  auslaufen.  Je  zwei  sich 
gegenüberstehende  Bügel  sind  mit- 
einander verbunden.  Sie  gehen  von 
Kreuzen  aus,  die  auf  dem  Stirnfeld 
sich  befinden.  Oberhalb,  längs  des 
Bügels  selbst  erheben  sich  wiederum 
dicht  aneinander  acht  oben  abge- 
rundete Felder  mit  sehr  reichen 
Perlenzieraten,  von  denen  da«  letz- 
tere die  ebenfalls  aus  kleinen  Perlen 
gebildete  Inschrift  CHVOSRADVS 
BEI  GRATIA  ROMASOR VM 
IM  FE  RA  TOR  A  VG  trägt.  Ausser- 
dem wechseln  die  unteren  Felder  in 
der  Grösse  gleichmässig  derart,  dass 
fortlaufend  ein  grösseres  von  zwei 
kleineren  eingefasst  wird,  indem  das 
Stirnfeld  zur  ersteren  gehört.  Dieses 


trägt  zudem  oben  das  mit  Edel- 
steinen verschiedener  Form,  Grösse 
und  Farbe  reichgeschmückte  Kreuz, 
das  wie  die  unteren  Fehler  zwiseben- 
lünein  dicht  mit  künstlerischer  Fili- 

f ranarbeit  ausgestattet  ist.  Jedes 
leinere  Feld  trägt  eine  buntcmail- 
lierte  Darstellung  biblischer  Per- 
sonen (Salomen,  David,  Hiskias, 
Christus)  nebst  der  lateinischen  Bei- 
schrift.  Ein  weiterer  Schmuck  dieser 
Krone,  das  Sudarium,  welches  als 
Inful  oder  Fanones  zu  den  Seiten 
herabhing,  ist  im  Laufe  der  Zeit 
verloren  gegangen.  Die  Krone  ist 
übrigens  nicht  das  Werk  einesKüriht- 
lers,  sondern  scheint  anfänglich  nur 
aus  den  unteren  acht  Feldern  be- 
standen zu  haben,  und  zwar  ist  auch 
dieser  Teil  eine  byzantinische  Ar- 
beit aus  dem  1 1 .  Jahrhundert.  Kiew 
und  Bügel  sollen  eine  spätere  Hin- 


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Krönungsinsignien, 


549 


zufüguug  sein,  frühestens  aus  der 
Zeit  Ivonrads  IV. 

In  Frankreich  wurde  zuerst  die 
Lilie  in  das  Gepräge  der  Krone 
verflochten,  während  in  Deutsch- 
land und  England  durch  das  14.  und 
1*>.  JalirhuiKlert  vornehmlich  Blätter 
und  Ranken  verwendet  werden.  Die 
englische  Königskrone  ( Heiuriehs  IV. 
bestand  aus  einem  mit  einem  Rubin, 
drei  grossen  Saphiren,  zehn  grossen 
Perlen,  nebst  vielem  Goldschmiede- 
werk  verzierten  Reife,  über  den  sieh 
breit  ausladende,  getriebene  Blätter 
erhoben,  je  zwei  aufeinanderfolgende 
durch  eine  Lilie  und  drei  Teilen 
unterbrochen.  Auch  diese  Krone 
war  also  noch  eine  offene ,  während 
Heinrich  VI.  (1429-1461),  aus  dem 
Gepräge  seiner  Münzen  zu  schliessen, 
an  seine  Krone  oben  einen  gebogenen 
Bügel  anbringen  Hess,  der  späterhin 
einen  zweiten  reektwinkelig  kreuzte. 
Schon  Heinrich  IV.  trug  unter  seiner 
Krone  eine  reichverzierte  l'nterkappe, 
während  sie  bis  auf  seine  Zeit  auf 
dem  blossen  Kopfe  getragen  wurde. 

Die  österreichische  llauskrone, 
fälschlich  oft  für  eine  deutsche 
Kaiserkrone  gehalten,  wurde  1570 
für  Rudolf  II.  gefertigt  und  von  da 
an  von  den  Haosburgem  als  Krone 
von  Ungarn,  Böhmen  und  Österreich 
bei  dem  Einzug  zur  Krönung  in 
Frankfurt  getragen.  In  ihrer  be- 
kannten Darstellung  auf  dem  öster- 
reichischen Wappen  ist  sie  mit  einem 
Reichsapfel  gekrönt,  der  ihr  in  Wirk- 
lichkeit abgeht.  Auf  ihrem  mit 
Edelsteinen  belegten  und  mit  vier 
grösseren  und  vier  kleineren  Blättern 
besetzten  Reif  erheben  sich  aufjeder 
Seite  zwei  oben  spitz  zulaufende, 
konvexe  und  sich  zu  je  einer  Viertels- 
kugel vereinigende  mit  figürlicher 
Darstellung  besetzte  Schilder,  die 
in  der  Mitte  von  vorn  nach  hiuten 
einen  breiten,  keilförmigen Aussehnitt 
hissen,  durch  welchen  die  rote  Kron- 
kappe sichtbar  wird.  Der  Rand 
desselben  ist  mit  einer  perlenbesetz- 
teu    Einfassung   emailliert.  Über 


dem  Aussc  hnitt  erhebt  sich  der  Bügel, 
der  ein  Kreuz  mit  ungeschliffenem 
Saphir  trägt. 

Erwähnenswert  ist  ferner  die 
deutsche  Königskrone ,  die  im  Dom- 
schatz zu  Aachen  aufbewahrt  wird. 
Sie  wurde  von  Richard  von  Corn- 
wallis  behufs  seiner  Krönung  aus 
England  mitgebracht.  Der  Reif  ist 
von  Silber,  stark  vergoldet,  geht 
oben  in  eine  Lilie  aus  und  ist  mit 
vorspringenden  Kameen  und  anderen 
Edelsteinen  geschmückt. 

Die  Krone  des  heiligen  Stephan 
ron  Ungarn  stammt  aus  dem  1 1.  Jahr- 
hundort. Sie  ist  eine  geschlossene 
Königskrone  mit  zwei  Bügeln.  Das 
Kreuz  steht  schief.  Es  steht  auf 
der  Mitte  der  Krone,  da  wo  die 
Bügel  sich  treffen.  Zu  beiden  Seiten 
hängen  kleine,  mit  Edelsteinen  ge- 
schmückte Kettchen  herunter,  wie 
solche  die  byzantinische  Kaiserkrone 
schmücken,  die  durch  das  Ebenmass 
ihrer  Formen  und  schönste  Aus- 
stattung vor  allen  genannten  sich 
auszeichnet.  Ihre  acht  Platten  wur- 
den erst  1860  und  61  bei  Xyitra- 
Ywanka  (Ungarn)  aufgefunden. 

Markgrafen  führten  im  Wappen 
eine  Krone  mit  4  Lilien  und  12  Pal- 
men, die  Grafenkrone  hatte  16  Per- 
len, die  Freiherrnkroue  hat  deren  12: 
in  deu  Stadttrappen  trifft  man  die 
Mauerkrone,  die  einen  Mauerkrauz 
mit  Zinnen  darstellt. 

Auch  in  der  Ikonographie  drückt 
die  Krone  Königswürde  aus,  ist  ein 
Zeichen  von  Macht  und  Herrlichkeit. 
Sie  ist  ein  Attribut  von  Gott  Vater, 
Christus  und  der  heiligen  Jungfrau, 
sowie  von  der  Gestalt  der  christ- 
lichen Kirche.  Wo  sie  auf  der  Erde 
liegt,  ist  sie  das  Zeichen  der  Ver- 
achtung irdischer  Hoheit,  auch  der 
Unschuld  und  Tugend.  Nach  Weiss, 
Kostüm  künde;  Mittler  und  Mothes, 
Archäologisches  Wörterbuch. 

Krönungsinsignien.  Bei  den 
Franken  war  zur  Zeit  der  Mero- 
wiuger  die  Lanze  das  Zeichen  könig- 
licher   Würde.      Das  eigentliche 


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550  Krönungsinsignien. 


Könige-  und  Kaiserornat  ist  eine  caligae,  Hbialia.  Sie  wurden  im 
Aneignung  weströmischer  Tracht,  12.  Jahrhundert  in  Sizilien  angefer- 
später  auch  die  Nachahmung  des  tigt  aus  karmoisinroter  Seide  mit 
griechischen  Kaiserornates.  Ein  sol-  Gold  durchstrickt,  in  Form  von 
ches  gewinnt  aber  auf  deutschem  Laubwerk.  Sie  reichen  bis  über 
Boden  eine  wirklich  gemeingültige,  die  Kniee  und  tragen  am  oberen 
feststehende  Form  erst  mit  dem  12.  Rand  arabische  Lettern, 
und  13.  Jahrhundert,  und  zwar  kann  2.  Die  Schuhe,  Sandalen,  lat. 
hiermit  weniger  der  Schmuck  des  caleeamenta,  mndalia,  socculi,  glei- 
Königs,  als  dereigentlicheKrönungs-  chen  Ursprungs  wie  die  Strümpfe 
ornat  gemeint  sein;  die  Krönungs-  und  ähnlich  den  römischen  Sandalen 
insignien,  wie  sie  Jahrhunderte  lang  von  rotem  Atlas,  vorn  abgerundet, 
in  Anwendung  kamen  und  heute  in  mit  Perlenstickerei  in  Greifen  und 
der  Schatzkammer  der  Hofburg  zu  Sirenen  verziert,  vermittelst  schmaler 
Wien  gezeigt  werden,  können  in  Bandstreifen  über  dem  Fussgelenke 
ihrer  Vollständigkeit  wohl  kaum  zu  befestigen.  Es  waren  davon  m  eh - 
vor  der  Krönung  Ludwig  IV.  mm  rere  Paare  vorhanden  und  zwar  in 
1328i,  vielleicht  zum  erstenmal  bei  verschiedener  Grösse;  gegenwartig 
Sigismund  ( 1414 »  gebraucht  worden  ist  nur  noch  ein  Paar  zu  sehen,  ein 
sein.  So  fand  man  noch  bei  der  auffallend  kleines.  • 
Eröffnung  des  Grabes  Friedrich's  II.  3.  Das  ühteraetoand.  Dahnatidi, 
in  Palermo  den  Kaiser  im  vollen  lat.  tuuica.  talarh,  von  dunkel violet- 
Oruate,  sogar  mit  Krone  und  Reichs-  tem  Seidenzeug.  Es  erstreckt  sich 
apfel  eingesargt,  während  nach  einer  bis  unter  die  Knie,  ist  vom  ge- 
Verordnung aie  Gegenstände  nach  schlössen,  langärmelig.  Am  Hals 
vollzogener  Weihe  abgelegt  und  der  ist  es  weit  ausgeschnitten,  mit  gol- 
Sakristei  der  Marienkirche  in  Aachen  denem  Saum  und  einer  Zugschnur 
als  Geschenk  verbleiben  sollten,  versehen.  Der  Ärmelrand  sowie  der 
Dieser  Verordnung  scheint  über-  untere  Saum  des  Rockes  ist  mit 
haupt  bis  auf  genannte  Zeit  nicht  Gold-  und  Perlenstickerei  nebst  da- 
nachgelebt  worden  zu  sein,  denn  zwischengeordneten  kunstvoll  email- 
noch  1273  ergreift  Rudolf  statt  des  Herten  Goldblättchen  versehen, 
vorgeschriebenen  Zepters  (da  ein  '  4.  Das  Oberkleid,  die  AHw  oder 
solches  fehlt)  ein  Kruzifix.  camisia,  ein  weites,  herabfallendes 
Die  einzelnen  Krönungsinsignien,  Gewand  von  weissem  Seidentaffet, 
wie  sie  später  bei  der  Einsetzung  an  den  Rändern  ebenfalls  reich  ver- 
jedes  neuen  Herrschers  gebraucht  ziert.  Auch  die  Ärmel  sind  nach 
wurden,  stammen  zum  grösseren  ihrer  Lange  mit  reicher  Goldborte 
Teile  aus  dem  12.  Jahrhundert  und  versehen  und  die  Brust  bedeckt  dem- 
sind  fast  durchweg  fremden  Ur-  entsprechend  ein  mit  allem  Zierat 
Sprungs.  In  ihrer  bestimmten  und  ausgestattetes  viereckiges  Feld.  Die 
für  die  Folgezeit  massgebenden  Zu-  Einfassung  an  dem  unteren  Rand 
sammensetzung  werden  sie  zum  ,  ist  von  beträchtlicher  Breite,  mit 
erstenmal  1519  genannt,  bei  der  i  Seide,  Gold  und  Perlen  gestickt. 
Krönune  Karl'sV.  Sie  mögen  jedoch  In  diesen  Rändern  findet  sich  eine 
in  gleicher  Weise  schon  seit  Sigis-  Inschrift  eingestickt,  welche  besagt, 
mund  gebraucht  worden  sein.  Zu  dass  dieses  Gewand  durch  maurische 
diesen  Insignien  zählen  mit  Aus-  Künstler  in  Palermo  unter  der  Herr- 
schluss  etlicher  nicht  mehr  benutzten  schaft  Wilhelm  I.  (1181)  angefertigt 
Einzelheiten    und   ausgeschiedenen  worden. 

Reliquien  wesentlich  noch  folgende :  5.  Der  Gürtel  (zomt,  cinguhnn), 

1.  Die  Strumpfe,  Tibialien,  lat.  eine  breite  Goldborte,  mit  Tierge- 


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Krönungsinsignien 


551 


stalten  verziert  und  silbervergoldeten 
Schliessen  versi-hen,  dienend  zur 
Gürtuug  der  Alba.  Es  ist  noch  ein 
zweiter  Gürtel  vorhanden  aus  dich- 
tem ,  starkem  Seidengewebe ,  ge- 
schmückt mit  Filigranarbeit,  und 
ferner  wurde  eines  dritten,  nun  ab- 
handengekommeuen  erwähnt,  dessen 
,,Zedder*  von  kirschroter  Seide,  der 
„^Einschlag"  von  goldübersponnenen 
Seidenfäden  gebildet  war.  Welcher 
von  allen  dreien  zum  eigentlichen 
Krönungsornate  zählte,  Tässt  sich 
nicht  mehr  ermitteln. 

6.  Ein  über  sechs  Zoll  breites 
Band  in  Gestalt  der  geistlichen 
Stola,  von  gelb  geblümtem  StofV, 
mit  dem  heraldischen  Bild  des  Reichs- 
adlers geziert.  Es  wurde  dem  Kaiser 
über  den  Hals  und  kreuzweis  über 
die  Brust  gelegt,  auch  etwa  mit 
einem  zweiten  Gürtel  überbunden. 

7.  Die  Handschuhe,  lat.  chirofhe- 
cae,  aus  rot-  und  purpurfarbenem 
Seidenstoff  zusammengenäht,  aussen 
mit  Laubwerk  in  Gold-  und  Perlen- 
stickerei, sowie  mit  emaillierten  Gold- 
blechen, innen  mit  Goldzieraten  ro- 
manischen Stils  bedeckt. 

8.  Krönungsmanfe) ',  lat.  pluviale, 
pallium  imperiale,  paludamentum, 
fegumen,  ist  ein  Meisterwerk  des 
12.  Jahrhunderts,  halbkreisförmig 
geschnitten,  bildet  einen  auf  der 
Brust  zu  befestigenden  Rücken- 
mantel von  5  Fuss  Länge  und  16 
Fuss  Breite,  ist  ein  festes,  dunkel- 
rotes,  durchweg  gemustertes  Seiden- 
gewebe mit  goldgefasstem  Halsaus- 
schnitt ,  edelsteingezierter  Brust- 
spange und  daran8chliessenden  Brust- 
schilaen  von  prachtvoll  emailliertem 
Goldblech.  Über  die  Rückenmitte 
geht  eine  Stabverzierung  von  Gold- 
stickerei und  Perleubcsatz,  die  sich 
oben  jederseits  in  drei  mehr  hori- 
zontal geschwungene  blätterartige 
Stäbchen  verzweigt.  Jede  der  beiden 
Mantelhälften  ist  mit  einer  durchaus 
von  Gold  gewirkten  und  mit  Perlen 
bestickten  Darstellung  eines  Löwen 
nebst  einem  unter  mm  liegenden 


Kamele  fast  ausgefüllt.  Ringsherum 
ist  er  reich  bordiert,  längs  seines 
vorderen  Randes  mit  zwei  dich- 
ten Perlenreihen  und  dazwischen- 
laufendemBesatzvonGoldstickereien 
mit  fortlaufendem  vierkleeblattför- 
migem  Perlzierat,  längs  des  unteren 
Randes  mit  perlengefasster  arabi- 
scher Schrift  in  goldenen  „kufisoheu" 
Buchstaben  geschmückt.  Ihr  zufolge 
war  der  Mantel  für  den  sizilischen 
Normannenkönig  Robert  Guiscard 
angefertigt  im  Jahre  der  Flucht  des 
Propheten  um  528  (1133  n.  Chr.  G.) 
in  der  ,, glücklichen  Stadt  Palenno", 
woraus  man  zugleich  geschlossen 
hat,  dass  er  höchst  wahrscheinlich 
erst  unter  den  letzten  Hohenstaufen 
zu  den  Reichskleinodieu  gekom- 
men ist. 

9.  Die  sogenannte  Krone  Karl's 
des  Grossen,  i S.  den  Artikel  Krone.) 

10.  Das  Zepter,  lat.  scepfrum, 
vinja.  Das  ursprüngliche  Reichs- 
zepter ging  schon  frühzeitig  ver- 
loren. Von  den  noch  vorhandenen 
bildet  das  ältere,  wahrscheinlich  aus 
dem  14.  oder  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts stammend,  einen  hohlen 
Stab  von  zwei  Fuss  Länge,  aus  ver- 
goldetem Silberblech  bestehend,  an 
drei  Stellen  durch  vergoldete  Ringe 
und  Knäufe  unterbrochen,  an  seiner 
Spitze  eine  Eichel  mit  vier  Eichen- 
blättem  tragend.  Ein  zweites  Zepter 
ist  einfach  von  Silber,  glatt,  hohl 
und  rund,  ein  drittes,  aas  spätere 
eigentliche  Reiehszepter,  ist  wahr- 
scheinlich eine  uürnoergische  Gold- 
schmiedearbeit aus  dem  16.  Jahr- 
hundert. 

11.  Der  Reichsapfel,  lat.  vom  um, 
njobus,  datiert  voraussichtlich  eben- 
falls aus  dem  12.  Jahrhundert.  Er 
ist  eine  aus  Goldblech  künstlich  ge- 
triebene Kugel  von  33/4  Zoll  Durch- 
messer, mit  harziger  Masse  angefüllt, 
von  zwei  sich  Kreuzenden  Reifen 
umspannt,  auf  deren  oberem  Kreu- 
zungspunkt sich  ein  goldenes  Kreuz 
erhebt,  das,  wie  auch  der  obere  Teil 
der  Reife,  mit  farbigen  Edelsteinen 


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552 


Krönungsinsignien 


geschmückt  ist.  Ein  an  gelbem  schneidig  un<l  längs  ihrer  Mitte 
Saphir  befindliches  Monogramm  ist  etwas  rundlich  ausgeschliffen.  Der 
nicht  zu  deuten.  Die  einen  halten  vergoldete  Silbergriff  trä^t  einen 
es  für  ein  himmlisches  Zeichen  —  scheibenförmigen,  senkrecntgestell- 
Sonne.  Mond.  Stier,  Widder,  Fische,  ten  goldenen  Knopf,  der  in  zwei 
—  die  anderen  wollen  einen  Namen  dreieckigen  Schilden  als  schmelz- 
herauslesen und  zwar  Cuonrad  oder  farbene  Wappenbilder  den  einköpfi- 
XPICTOC.  Zwei  andere  vornan-  gen  schwarzen  Adler  und  den  böhmi- 
dene  Reichsäpfel ,  rings  mit  Edel-  sehen  Löwen  zeigt.  Die  Scheide 
steinen  bedeckt,  zählten  wohl  nie  ist  von  Goldblech,  mit  Filigranarbeit, 
mit  zum  Krönungsornat.  Perlenreifen  und  Schmelzzierat  reich 

12.  Drei  Schwerter  von  reicher  geschmückt. 
Ausstattung,  cl  Das  Schwert  des  j  13.  Zu  erwähnen  sind  ferner  ein 
keiligen  Mauritim*  stammt  eben- Reliquienkästchen ,  mit  allegorischen 
falls  aus  dem  12.  Jahrhundert.  Es  Zeuen  der  Jagd  und  des  Fisch- 
ist ein  Zeremonienschwert,  welches  fanges,  übrigens  mehrfach  restauriert, 
dem  Kaiser  bei  der  Krönung  voran-  \n  seiner  ursprünglichen  Gestalt  wohl 
getragen  wurde.  Die  über  drei  auö  dem  7.  Jahrhundert  stammend. 
Fuss  lange,  oben  abgerundete  Klinge  (  Und  endlich 
steckt  in  einer  Scheide  von  dünnem 


Goldblech,  die  jederzeit  durch  Edel- 
steineinsatz  in  sieben  Lagerfelder 
abgegrenzt  die  Bildnisse  ebensovieler 
Könige  im  Krönungsornate  tragen. 
Der  Griff  ist  kreuzförmig,  oben  mit 
einem  linsenförmigenKnopfe  bedeckt. 
Derselbe  trägt  auf  der  einen  Seite 
einen  Adler  mit  der  Umschrift: 
„BESEDICTVS  .  DOS  .  DES", 
auf  der  andern  Seite  einen  geteilten 

Schild,  dessen  eine  Hälfte  mit  einem  folgenden  Massnahmen: 


14.  das  Evangclienbueh,  Evange- 
listarium,  das  im  Grabe  Karls  des 
Grossen  gefunden  worden  sein  soll. 
Das  Buch  mag  der  augegebeneu 
Zeit  entstammen,  sein  gegenwärtiger 
Einband  jedoch  gehört  dem  15. 
Jahrhundert  an. 

Die  Krönungsfeier  selbst  geschah 
nach  J.  Römer-Büchner  (Wahl  und 
Krönung  der  deutschen  Kaiser)  unter 


halben  Adler,  die  andere  mit  drei 
Löwen  geziert  ist,  nebst  den  noch 
lesbaren  Überresten  der  Worte 
„EIS  GYl  DOC  ET  MASVS.U 
Auch  die  Parierstange  trägt  eine 
längere  Inschrift,  h)  Das  zweite 
Schwert  ist  ein  altorientalischer  Säbel 
von  mässiger  Krümmung  mit  grün- 
licher Scheide  und  Goldblech-  und 
Edelsteinverzierungen.  Es  soll  nach 
der  Tradition  sien  auf  Karl  den 
Grossen  zurückführen  lassen,  der 


„Nachdem  «He  Salbung  vollzogen 
war,  wurde  der  Kaiser  von  den 
Kurfürsten  oder  deren  Stell  Vertretern 
in  das  Wahlkonklave  geführt.  Der 
Kurfürst  von  Mainz  blieb  beim  Altar 
zurück.  Hierbei  trugen  die  Reichs- 
erzämter die  Insignien  vor  dem 
Kaiser  her.  In  der  Kapelle  ange- 
langt, überreichten  die  Abgeord- 
neten von  Nürnberg  die  Strümpfe 
und  Schuhe.  Der  kurbrandenburgi- 
sche  Gesandte  legte  ihm  das  lange 


es  von  dem  arabischen  Fürsten  Unterkleid,  das  öberkleid  und  die 
Harun-al- Raschid  geschenkt  erhalten  Stola  an,  letztere  so  um  den  Hals 
habe,  c)  Das  dritte  Schwert,  das  ordnend,  dass  deren  beide  Hälften 
„Schwert  Karls  des  Grossen"  ist  vom,  über  der  Brust,  einander 
wohl  das  jüngste  von  allen,  und  kreuzten,  worauf  ihm  die  nümbergi- 
erst  durch  Karl  IV.  den  Insignien  sehen  Gesandten  die  Strümpfe  und 
beigerechuet,  also  um  die  Mitte  des  Schuhe  anzogen.  So  bekleidet  schritt 
14.  Jahrhunderts.  Die  zwei  Fuss  der  Kaiser,  begleitet  von  dem  Wahl- 
elf  Zoll   lange  Klinge    ist    zwei-  gefolge,  wiederum  in  die  Kirche 


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Kruzifix.  —  Kudrun.  553 


zurück,  sich  abermals  vor  deu  Altar  vor,  weicht*  mau  namentlich  in 
begebend.  Inzwischen  der  hier  ab-  Syrien  über  die  beiden  Naturen  des 
gehaltenen  Feier,  und  zwar  zunächst  Herrn  führte;  syrische  Mönche  haben 
nach  mehrfachem  Gebet,  nahmen  im  G.  Jahrh.  zuerst  den  gekreuzigten 
die  Kurfürsten  von  Trier  und  Köln  Christus  abgebildet,  Seit  dem  8. 
vom  Altar  das  „Schwert  Karls  des ;  und  9.  Jahrh.  wird  die  Darstellung 
Grossen",  entblössten  es  von  seiner  zunächst  in  Miniaturen  und  auf 
Scheide  imd  übergaben  es  dem  Kaiser.  Elfenbeindeckeln  gewöhnlich  und 
Sodann,  als  der  Konsekrator  die  nach  und  nach  das  verbreitetste 
darauf  bezüglichen  Worte  ge-  Hauutbild  der  ganzen  Christenheit, 
sprochen,  behändigte  der  Kaiser  aas  Zwei  Hauptauifassungen  müssen 
Schwert  dem  kursächsichen  Ge-  unterschieden  werden:  Uder  ältere, 
sandten ,  welcher  es  in  die  Scheide  ideale  Typus,  nach  welchem  Christus 
steckte  und  nun  im  Verein  mit  dem  lebend,  zuweilen  auch  schon  sterbend 
kurböhmischen  Gesandten  den  Kaiser  mit  geneigtem  Haupte,  gewöhnlich 
damit  umgürtete.  Darnach  nahm  der  mit  wagerecht  ausgebreiteten  Armen, 
Zeremoniariu8  von  dem  Altar  einen  mit  oder  ohne  Nimbus,  niemals  aber 
kostbaren  King,  übergab  diesen  dem  mit  der  Dornenkrone,  frei  am  Kreuze 
Konsekrator,  der  ihn,  gleichfalls  auf  einem  Fussbrette  steht,  wobei 
unter  einer  darauf  bezüglichen  An-  Hände  und  Fiisse  entweder  gar 
spräche,  «lern  Kaiser  an  den  Finger  nicht  oder  mit  vier  Nägeln  auge- 
steckte. Von  derartigen  Ansprachen  heftet  sind.  Der  Leidende  ist  mehr 
begleitet  emufing  der  Kaiser  hierauf,  oder  weniger  bekleidet  Dieser  Auf- 
zuvörderst  durch  Vermittelung  von  fassungsweise,  die  mit  dem  13.  Jahrh. 
zwei  Assistenten  und  des  Zeremoni-  erlischt,*  liegt  die  Idee  von  der  Un- 
arius,  abermals  durch  den  Konse-  Sterblichkeit  Gottes  und  der  Frei- 
krator,  das  Zepter  und  den  Reichs-  Willigkeit  des  Leidens  Jesu  zu 
apfel.  Und  nachdem  er  bald  da-  Grunde.  2)  Der  seit  dem  13.  Jahrh. 
nach  das  Zepter  dem  kurbranden-  herrsehend  werdende  reale  Typus, 
burgischen,  den  Reichsapfel  den  bei  welchem  sich  die  Kunst  enger 
kurpfälzischen  Gesandten  feierlichst  au  die  geschichtliche  und  psycho- 
eingehändigt  hatte,  ward  ihm  von  logische  Wahrheit  anschloss,  ohne 
dem  kurbrandenburgischen  .  Ge-  jedoch  den  Sieg  des  Lebeus  über 
sandten  und  den  Abgeordneten  von  den  Tod  aus  dem  Auge  zu  verlieren. 
Nürnberg  der  kostbare  Mantel  um-  Der  leidende,  sterbend  oder  bereits 
gehängt,  sodann  von  dem  Kur-  verschieden,  das  doniengekrönte 
fürsten  von  Trier,  unter  Beistand  Haupt  nach  der  rechten  Seite  neigend, 
des  Konsekrators ,  die  königliche  erscheint  gewaltsam  an  den  Armen 
Krone  aufgesetzt,  schliesslich  ihm  aufgehängt  und  ist  mit  drei  Nägeln 
auf  das  Evangelieiibuch  der  kaiser-  an  das  hone,  immer  mit  INRT be- 
liebe Eid  abgenommen."  Nach  zeichnete  Kreuz  geschlagen,  zu 
Weist,    Kostümkunde.  welchem  Ende  die  Füsse  überein- 

ki'ii/itix.  Die  altchristliche  ander  gelegt  sind,  und  zwar  so, 
Kunst  begnügte  sieh  mit  typischen  dass  der  rechte  stets  oben  liegt, 
und  symbolischen  Andeutungen  der  Das  Kreuz,  nach  der  Legende  aus 
Kreuzigung:  das  Opfer  Abels, /Melchi-  j  einem  Baum  gezimmert,  den  Seth 
sedeks,  Abrahams,  das  Kreuz  mit '  vom  Baum  des  Lebens  auf  das 
dem  Gotteslamm  am  Fuss  oder  dem  i  Grab  Adams  gepflanzt  hatte,  ist 
Brustbild  des  Erlösers  an  der  Spitze,  grün  mit  roten  Asten,  seit  dem  14. 
Die  Aufnahme  der  KreuzigungCnristi  Jahrh.  jedoch  blutrot.  Oitef  Kirch- 
in den  mittelalterlichen  Bilaerkreis  liehe  Archäologie, 
bereitete  sich  in  den  Streitigkeiten       Kudrun,  siehe  Gudrun. 


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554 


Kupferstechkunst.  auf  den  Gedanken,  vor  Einlassen 
Beinahe  zur  gleichen  Zeit,  als  des  Nigellum  von  der  gravierten 
der  Holzschnitt  in  deutschen  Landen  Platte  Abdrücke  auf  Papier  zu 
aufkam  und  anfing,  die  grössten  nehmen.  Damit  war  der  Kupfer- 
Künstler  zu  beschäftigen,  erstand  stich  in  seinen  Grundzügen  erfunden, 
auch  sein  zarterer  Zwillingsbruder,  Der  Unterschied,  welcher  zwischen 
der  Kupferstich,  welcher  gleich  je-  Holzschnitt  und  Kupferstich  liegt, 
nem  berufen  war,  der  zeichnenden  erhellt  daraus  klar.  Während  dort 
Kunst  zu  jener  Verbreitimg  und  die  abzudruckende  Zeichnung  er- 
Popularität zu  verhelfen,  deren  die-  haben  stehen  bleibt,  zeigt  die 
selbe  sich  seit  Beginn  des  15.  Jahr-  Kupfcrplatte^die  Zeichnung  vertieft, 
hunderts  zu  erfreuen  anfing.  Den  Die  Farbe  muss  hier  in  die  Ver- 
Holzschnitt sehen  wir  aus  rohen,  tiefungen  eingreifen  und  von  diesen 
unbeholfenen  Anfangen  entstehen  aus  auf  das  Papier  übertragen 
und  können  ihn  als  ein  wahres  Kind  werden,  nachdem  von  der,  ohnehin 
des  Volkes  betrachten,  welches  seinen,  blank  polierten  und  somit  für  die 
anfangs  bloss  durch  Umrisslinien  Annahme  der  fettigen  Farbe  unge- 
hergestellten  kindlichnaiven  Zeich-  eigneten,  nicht  vertieften  Oberfläche 
nungen  durch  buntfarbige  Über-  jede  Spur  von  Schwärze  entfernt 
malung  zu  Hilfe  zu  kommen  sucht,  worden  ist. 

Nicht  so  der  Kupferstich.  Aus  Zum  Eingraben  der  Zeichnung 
einer  bereits  entwickelten  Kunst  bediente  sich  der  Kupferstecher  ent- 
ging er  als  ein  Nebenprodukt,  als  weder  allein  seinerWerkzeuge  i  Nadel, 
ein  ursprünglich  gar  nicht  beab-  Stichel  u.  s.w.)— eigentlicher  Kupfer- 
sichtigtes  Resultat  nervor.  Es  war  stich  —  oder  ausser  denselben  auch 
die  Goldschmiedekunst,  welche  eines  chemischen  Mittels,  des  Ätz- 
uns  mit  der  höchsten  unter  den  wassers  —  Radierung.  Der  eigent- 
reproduzierenden  zeichnenden  Kün-  liehe  Kupferstich  ist  die  ältere 
sten  beschenkte.  Schon  durch  ver-  Methode;  dieselbe  wird  entweder 
schiedenc  ihren  Zwecken  dienende  als  Kartonstich  so  ausgeführt,  dass 
Arten  der  Technik,  wie  Email  und  der  Unterschied  zwischen  starken 
Niello  war  dieselbe  in  nahe  Be-  und  schwachen  Schatten  durch  die 
ziehung  zur  Malerei  getreten,  und  grössere  oder  geringere  Breite  der 
zahlreiche  Bildhauer  und  Maler,  da-  Linien  erreicht  wird ,  oder  als  far- 
runter  solche  mit  stolzen  Namen,  biger  Stich,  so  dass  die  Schattierung 
wa.en  aus  der  Goldschmiedewerk-  durch  Kreuzlagen  der  Striche  er- 
statte hervorgegangen.  Seit  den  reicht  wird,  wobei  man  sich  nicht 
ältesten  Zeiten  hatte  die  Gold-  auf  zwei  Strichlagen  -  beschränkt, 
schmiedekunst  Zeichnungen  inMetall-  auch  wohl  die  Zwischenräume  mit 
platten  graviert  und  die  eingegrabe-  Punkten  ausfüllt  oder  stellenweise 
neu  Linien  zu  deutlicherer  Be-  ganz  mit  Punkten  arbeitet,  Mittel, 
tonung  mit  einem  schwarzen  durch  deren  grössere  Mannigfaltig- 
Schmelzfuss,  dem  sog.  yirfeUum  keit  eine  farbige  Wirkung  hervor- 
ausgefüllt. Nach  langer  Vergessen-  gebracht  werden  kann, 
heit  war  diese  Techuik  im  15.  Jahr-  Viel  häufiger  als  den  Stich  haben 
hundert  wieder  sehr  in  Aufschwung  die  Maler  von  jeher  die  Radierunq 
ekommen.  Es  lag  aber  nun  nahe,  geübt.  Hierbei  überzieht  man  die 
ass  die  Goldschmiede,  welche  der-  ganze,  zu  ..bearbeitende  Platte  mit 
gleichen  Niellen  anfertigten,  sich  vor  dem  sog.  Atzgrunde,  welcher,  da  er 
Aufschmelzen  des  Niello  eine  Vor-  vom  Ätzwasser  nicht  angegriffen 
Stellung  der  fertigen  Zeichnung  wird,  die  Oberfläche  der  Platte 
zu  machen  wünschten.    Das  führte  schützt,  und  nimmt  diesen  Grund 


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Kupferstechkunst. 


555 


darauf  mittelst  der  Radiernadel]  des 
Schabeisens  u.  s.  w.  da  wieder  fort, 
wo  die  Zeichnung  erscheinen  und 
das  Atzwasser  einwirken  soll.  — 
Eine  Abart  des  Kupferstiches  ist 
die  „schwarze  Kunst"  oder  die 
Schabmanier,  bei  welcher  aus  dem 
mit  dem  sogenannten  Granierstahl 
aufgerauhten  Grunde  der  Platte  die 
mehr  oder  weniger  lichten  Partien 
herausgeschabt  werden;  eine  Abart 
des  Ätzverfahrens  sind  die  verschie- 
denen Aquatintamanicren,  bei  wel- 
chen die  Grundlage  Schatten  ist. 
aus  dem  das  Licht  herausgear- 
beitet werden  muss,  und  der  Kreide- 
stich, welcher  eine  Zeichnung  her- 
vorbringt, die  der  Kreidezeichnung 
ähnlich  ist.  — 

Über  die  Priorität  der  Erfindung 
des  Kupferstiches  ist  viel  gestritten 
worden;  nachdem  dieselbe  zuerst 
den  Italienern  zugesprochen  worden 
war,  wo  der  Goldschmied  Maso 
Finiguerra  nach  Vasaris  Bericht  um 
1460  zuerst  Abdrücke  solcher  Art 
gemacht  haben  soll,  hat  sich  durch 
weitere  Forschungen  herausgestellt, 
dass  die  grössere  Wahrscheinlichkeit 
für  Deutschland  spricht.  Abgesehen 
von  deutschen  Nielleni  Metallplatten  >, 
die  in  der  Zeichnung  ganz  deutlich  den 
Charakter  der  ersten  Hälfte  des  15. 
Jahrhunderts  zeigen,  besitzt  man 
einen  Abdruck  eines  oberdeutschen 
Meisters  mit  der  Jahrzahl  mcccclvl 
(1446),  die  Geisselung  Christi  dar- 
stellend. Diesem  Kupferstecher  ist 
ein  anderer  Meister  mit  dem  Mono- 
gramm P,  dessen  von  vier  Engel- 
chören umgebene  Virgo  immaculata 
vom  Jahre  1451  datiert  ist,  schon 
bedeutend  in  Technik  und  Zeichnung 
überlegen.  Aus  dem  Jahre  1457  be- 
sitzen wir  eine  aus  27  Blättern  be- 
stehende Passion.  Auf  der  Dar- 
stellung des  Abendmahls  findet  sich 
die  Jahresangabe  im  „/,  VII  Jor." 
Im  7.  Jahrzehnt  sehen  wir  bereits 
zwei  Schulen  sich  bilden,  eine  nieder- 
ländische und  eine  oberdeutsche. 
Die  erstere  gruppiert  sich  um  den 


(in  Ermangelung  seines  Namens  mit 
der  Jahrzahl  benannten »  Meister  von 
1464,  den  man  auch  nach  den  bei 
ihm  häufig  vorkommenden  Spruch- 
bändern fe  maitre  au.r  hantle  roll  es 
genannt  hat.  Seine  Kompositio- 
nen sind  voll  Phantasie,  deren  Ent- 
faltung nur  durch  die  mangelhafte 
Technik  gehemmt  ist,  und  zeigen 
starke  Umrisse  und  bereits  feine 
Schraffierung  inKreuzlage.  Die  andere 
Schule  hat  in  demMeistcr  ES  von  1 466. 
von  dem  mau  nebst  vielen  anderen 
Stichen  eine  Darstellung  der  „en;iel- 
iriehe  zu  unserer  Helten  fron  wen  zu 
den  einsiedlen"  besitzt,  ihr  Haupt. 
Der  Meister  K  $>  seheint  eine  grosse 
Zahl  von  Schülern  gehabt  zu  haben, 
deren  bedeutendste  der  Meister  von 
der  tiburtinischen  Sibylle  und  der 
Meister  vom  Kartenspiel  sind.  — 
Dem  Charakter  der  Zeichnung  nach 
zu  schliessen,  standen  die  bisherigen 
Kupferstecher  kaum  in  unmittelbarer 
Beziehung  zur  Malerei,  die  Mehr- 
zahl waren  Goldschmiede.  Nunmehr 
tritt  aber  ein  Künstler  der  Kupfer- 
stechkunst auf,  der  zugleich  ein  be- 
deutender Maler  war:  Marlin  Sehon- 
tjauer.  Er  führt  den  Stichel  schon 
mit  vollendeter  freier  Meisterschaft. 
Von  Arbeiten  seiner  Hand  oder  aus 
seiner  Werkstatt  kennt  man  139, 
darunter  verschiedene  Wiederho- 
lungen in  Silber  graviert.  Dazu 
Fig.  83  Christus  am  K  reuz,  von  Martin 
Scuongauer  i  Kunsthist.  Bilderbogen). 
ZuSchongauers  Schule  gehören:  Der 
Meister  B  S  (Bart hei  Schön),  Al- 
brecht Glockendon,  Wolf  Hammer, 
Wenzel  von  Olmütz  und  Uras  Gem- 
berlein.  Neben  Schongauer  waren 
gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
noch  in  Oberdentschland  thätig  der 
berühmte  Bildhauer  Veit  Stoss  und 
der  geschickte  Kupferstecher  Nico- 
laus  Alexander  Man*  von  Landshut, 
welcher  besonders  dadurch  merk- 
würdig ist,  dass  er  mitunter  Ab- 
drücke von  seinen  Platten  auf  bräun- 
lichem und  Grünlichgrauem  Papier 
nahm  und  die  Lichter  mit  Weiss 


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Fig.  83.    Christus  am  Kreuze     Von  Martin  Schongauer. 


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557 


oder  mit  Gelb  höhte.  Wahrschein-  lagen,  durch  eine  künstlerisch«*  Voll- 
lich  gab  Mair  durch  diese  Behand-  endung  der  Linienmanier  und  eine 
lung  des  Kupferstiches  den  ersten  An-  meisterhafte  Behandlung  des  Über- 
stoss  zu  dem  in  der  Holzschneidekunst,  gangs  von  Hell  ins  Dunkle  seinen 
nachweisbar  seit  1506  so  oft  zur  An-  Werken  eine  echt  malerische  Wir- 
wendung gekommenen  Chiaroseuro. ,  kung  zu  verleihen.  Aus  der  reichen 
Um  dieselbe  Zeit  rinden  wir  in  West-  !  Zahl  seiner  Arbeiten  mögen  hervor- 
falen  den  geschickten  Kupferstecher  gehoben  werden:  die  vier  Hexen, 
Franz  von  Bocholt  und  „Israhel  von  Adam  und  Eva,  der  heilige  Hierony- 
Meckenen,  Goldsmit",  wie  er  sich  mus.  der  heilige  Eustachius,  die 
selbst  bezeichnet  und  dessen  zahl-  Eifersucht,  die  Nemesis,  die  Porträts 
reiche  Arbeiten  meist  Nachstiche  von  Albrecht  von  Brandenburg  und 
nach  anderen  Meistern,  namentlich  Erasmus. 

nach  Schongauer  sind.  Auch  sein  Lehrer,  Michael  Wohl- 

So  wird  im  16.  Jahrhundert  der  qemuth,  hat  zahlreiche  Stiche  hinter- 
Kupferstich eine  selbstfindige  Kunst  lassen,  welche  zwar  von  anderen, 
und  erreicht  unter  der  Führung  der  |  da  das  Monogramm  W  beide  Deu- 
grössten  Maler  der  Zeit  eine  hohe  tnngen  zulässt,  dem  Wenzel  von  01- 
Stufe  der  Vollendung,  um  noch  im  mütz  zugeteilt  werden, 
selben  Jahrhundert  einerseits  einem  ;  Unter  den  Zeitgenossen  Dürers 
gewissen  Virtuosentum  und  der  j  finden  wir  den  Goldschmied  Kunz 
Manieriertheit  anheimzufallen,  ande-  j  und  den  Jacob  Walch,  von  dem 
rerseits  durch  Kleinmeister  und  Or-  Dürer  die  Anregung  zum  Studium 
namentisten  wieder  in  nahe  Be- i  der  Proportionsichre  empfing,  den 
ziehung  zur  Goldschmiedekunst  und  Sebald  Lautensack  und  den  un- 
anderer Kunsthandwerke  zu  treten,  gewöhnlich  vielseitigen  Augustin 
Vor  allen  anderen  Städten  war  es  Hirschvogel,  der  Ansichten  von 
jetzt  Nürnberg,  welches  für  die  Ent-  Österreich,  Ungarn  und  Siebenbürgen 
Wickelung  der  Kupferstechkunst  der  radierte. 

kommenden  Jahrzehnte  das  ent-  In  Augsburg  zeichnen  sich  Hans 
scheidende  Wort  zu  sprechen  be-  Burgkmatr,  Heinrich  Togtkeer, 
gann.  Es  war  die  geniale  Künstler-  Alexander  Mair  u.  s.  w.  aus,  in 
natur  des  Albrecht  Durer,  welche  Regensburg  namentlich  der  unge- 
die  aufgekeimte  Blüte  zur  Frucht  mein  fruchtbare  Albrecht  Altdorf  er, 
entfalten  sollte.  Nirgends  erscheint  welchen  die  Franzosen  den  kleinen 
Dürer  gerade  in  seinen  malerischen  Albrecht  Dürer,  deu  „jpetit  Alberl" 
Eigenschaften  so  vollkommen,  wie  |  nannten.  Seine  Stiche  sind  beson- 
in  den  Kupferstichblättern,  iu  wel- '  ders  beachtenswert  wegen  der  künst- 
ohen  er  das  von  früheren  Meistern,  lerischen  Behandlung  des  Land- 
namentlich  von  Schongauer  Bcgon-  schaftlichen  und  der  Architektur, 
neue  zur  höchsten  Vollendung  bringt.  Unter  den  Künstlern  Oberdeutseh- 
Wenn  auch  nach  Seite  der  formalen  lauds  scheint  das  Atzen  nicht  weniger 
Schönheit  Schongauer  von  ihm  kei-  Anklang  gefunden  zu  haben.  Wir 
neswegs  überragt  wird,  so  bestehen  begegnen  dort  Hans  Baidung  Grien, 
doch  die  Werke  keines  früheren  Christoph  Stimmer,  Abel  Stymer, 
Meisters  neben  den  seinigen  in  der  l  'rs  Graf  u.  s.  w.  Namentlich 
Kraft  der  Charakteristik,  der  Wahr-  nützte  Jost  Ammann,  geb.  1539  in 
heit  des  Ausdrucks  und  der  strengen  Zürich,  sein  ungewöhnlich  reiches 
Zeichnung.  Mit  Freiheit  und  Sicher-  und  bewegliches  Talent  durch  über* 
heit  führt  er  den  Grabstichel  wie  massige  und  rasche  Produktion  für 
die  Radiernadel,  und  verstellt  es,  den  Tagesbedarf  aus.  Es  sind  von 
durch   die  Zartheit   feiner   Strich-  ihm  noch  340  Radierungen  erhalten. 


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558  Kupferstechkun>t. 


Der  Hauptmeister  der  fränkisch-  platz  für  ganz  Europa  geworden 
sächsischen  Schule,  Lucas  Cranach.  verwüstet  und  verarmt  war.  keinen 
brachte  es  in  der  Kupferstechkunst  Boden  für  ihre  Thätigkeit :  sie  zogen 
nicht  so  weit,  wie  iin  Holzschnitt,  ausser  Landes  nach  Italien,  Frank- 
Seine  Stiche,  meist  Porträts,  sind  reich  und  England, 
flüchtig  und  unrein.  Die  Zahl  der  in  dieser  Zeit  pro- 
Stichel un<l  Radiernadel  mussten  duzierten  Kupt  rstiche  ist  zwar  iin- 
aber  namentlich  den  sogenannten  merhin  noch  bedeutend,  allein  die 
Kleinmeistern,  welche  sich  den  Radierung  wurde  meist  von  unter- 
grossen Aufgaben  der  Kunst  nicht  geordneten  Stechern  oder  Ornamen- 
gewaehsen  fühlten,  während  ihr  tisten  gepflegt. 
Reichtum  an  Phantasie  sie  fort-  Von  den  Künstlern  des  1 8.  Jahr- 
während ziyn  Produzieren  antrieb,  hunderts  finden  wir  die  zwei  berühm- 
willkommene  Werkzeug«'  sein.  testen  in  Paris,  den  Friedrich  Schmidt 


Fig.  84.    Tanzende  Bauern  von  Sebald  Behain. 


Unter  dieselben  gehören  eine  und  den  Jok.  Wille,  welche  aller- 
lei,Schüler  Dürers,  wie  Barth,!  dings  ihre  Virtuosität  auf  Kosten 
und  Sebald  Bekam,  von  ihm  Fig.  84  der  Wahrheit  leuchten  Hessen.  — 
Ttt/izrnde  Hauern  (Kunsthist.  Bil-  Eine  der  interessantesten  Erschei- 
derbogen),  AUUgrtxer,  Peucz,  fer-  nungen  dieser  Zeit  ist  Daniel  Xik. 
ner  eine  Gruppe  von  Nürnberger  Chodoicieki ,  geb.  1726  zu  Danzig, 
Künstlern,  welchen  wir  eine  Fülle  weleher  sich  vorzugsweise  dem  Ra- 
von  interessanten  figuralen  Darstel-  dieren  kleiner  Kompositionen,  wie 
lungen  und  namentlich  auch  von  Vignetten,  Illustrationen  u.  s.  w., 
Entwürfen  für  alle  Zweige  der  or-  widmete,  deren  er  über  3000  ge- 
namentalen  Kunst  verdanken:  eine  liefert  hat. 

unerschöpfliche  Fundgrube  für  die  Der  Idyllendichter  Gessner  aus 
Iudustrie  unserer  Zeit.  Zürich  (1730—82)  hat  sich  als  Ra- 
in den  zwei  folgenden  Jahrhun-  dierer  von  romantischen  Landschaf- 
derten,  im  17.  und  18.,  fauden  die  ten  und  Vignetten  zu  seinen  Dich 
talentvollen  Kupferstecher  in  der  hingen  einen  dauernderen  Namen 
Heimat,  welche,  der  Kriegssehau-  erworben  als  durch  letztere  selbst. 


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Kupferstechkunst. 


559 


Mehrere  Kupferstecher  lieferte  die 
seit  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  in 
Nürnberg  angesiedelte  Künstler- 
familie Preissler. 

In  den  Siederlanden  steht  an  der 
Spitze  der  Kupferstecher  des  16.  Jahr- 
hunderts Lucas  van  Leyden,  welcher 
sich,  anfangs  beeinflusst  von  der 
vau  Eyk'sehen  Schule,  während  der 
zweiten  Periode  seines  kurzen  Lebens 
in  der  Komposition  dem  nationalen 
Hang:  zur  realistischen  Auffassung 
und  Darstellung  völlig  hingiebt  und 
gleichzeitig  die  Steeherkuust  durch 
EinführungderLuftperspektive»  kräf- 
tigere Behandlung  der\  ordergründe, 
leichtere  der  entfernten  Gegenstände  j 
einen  bedeutenden  Sehritt  vorwärts 
bringt.  Schüler  im  eigentlichsten 
Sinne  scheint  Lucas  van  Leyden 
keine  gehabt  zu  haben,  doch  ist*  sein 
Einfluss  auf  eine  grosse  Zahl  von 
niederländischen  Kupferstechern  des 
1 6.  Jahrhunderts  nient  zu  verkennen. 

Die  von  vielen  niederländischen 
Künstlern  angestrebte  Vennittelung 
zwischen  italienischem  und  nieder- 
ländischem Kunstcharakter  glücklich 
in  der  Technik  des  Stiches  zustande 
gebracht  zu  haben,  ist  das  Verdienst 
des  Cornelius  Cort,  geb.  1533.  Er 
that  den  ersten  Schritt  zur  verschie- 
denartigen Charakteristik  der  Stoffe 
und  der  Farben.  In  seiner  Schule 
wurzeltdieEntwickelung  des  Kupfer- 
stichs des  folgenden  Jahrhunderts. 
Am  energischsten  ging  auf  dem  von  , 
Cort  gewiesenen  Wege  Hendrick 
Goltzius  aus  Mülbrack  vorwärts, 
z.  B.  in  den  sogenannten  sechs 
Meisterwerken ,k ,  Nachbildungen 
nach  Rafael,  Dürer,  Lucas  van  Ley- 
den u.  s.  w.  Zugleich  bereitete  er 
aber  mit  dem  Verzichten  auf  schöpfe- 
rische Thätigkeit  und  Sichanschmie- 
gen  an  Maler  die  letzte  Phase  des 
Kupferstichs,  nämlich  die  der  ledig- 
lich reproduzierenden  Kunst ,  vor. , 
Au  Goltzius  reihen  sich  eine  grosse 
Menge  Kupferstecher,  hauptsächlich 
Ornameutisten  an.  Die  N'aehblüte 
der  Renaissance  in  den  Niederlanden 


brachte  auch  die  Kunst  des  Kupfer- 
stichs wieder  zu  neuem  Glänze.  In 
Flandern  und  Hrabant  um  Hubens, 
iu  Holland  um  Hemhrandt  gruppieren 
sich  zahlreiche  Künstler,  welcne  mit 
Stichel  und  Nadel  völlige  Farben- 
wirkung erzielen.  Vor  allem  gelangte 
die  Radierung  zu  einer  bis  danin 
uicht  geahnten  Bedeutung.  Unter 
den  Landschaftern  und  Tiermalern 
sind  besonders  Paulus  Putter,  Phi- 
lip Wouwermann ,  Jacob  Puysdal, 
namentlich  aber  Antoni  Waterloo 
hervorzuheben.  Einer  der  frucht- 
barsten Stecher  des  17.  Jahrhunderts 
war  Poman  Hooyhe  aus  dem  Haag, 
der  als  entschiedener  Anhänger  der 
orauischen  Partei  dieser  in  den  bür- 
gerlichen Wirren  mit  seiner  Radier- 
nadel diente.  Zu  gleicher  Zeit  ent- 
spann sich  ein  reger  künstlerischer 
\  erkehr  mit  Frankreich.  Verschie- 
dene Stecher  siedelten  nach  Paris 
über.  In  den  Niederlanden  aber 
entartete  der  Kupferstich  im  18.  Jahr 
hundert  rasch  zur  geschickten  Fabrik- 
arbeit. 

In  Italien  wurde  der  Kupferstich 
durch  deutsche  Arbeiter,  oder,  wie 
Vasari  will,  durch  den  Niellisten 
Ma-so  Finiguerra angeregt.  Die  ersten 
nachweisbaren  Stiche  verfertigte 
Baccio  Baldini.  Im  letzten  Viertel 
des  1 5.  Jahrhunderts  beschäftigt  der 
Kupferstich  schon  viele  Hände  in 
Florenz,  wie  Antonio  del  Pallajuolo, 
Andrea  de  Verachio,  Filippo  Lippi, 
Gherardo  u.  s.  w.  In  ODeritalien 
bürgerte  der  grosse  Meister  der 
Schule  von  Padua :  Andrea  Montegna 
den  Kupferstich  ein.  Seine  Stech- 
weise ist  hart,  die  Umrisse  treten 
stark  hervor,  die  Schattenstriche 
sind  kurz.  Äusserst  fein  ausgeführt, 
Silberstiftzeichnungeugleicheud,sind 
die  Stiche,  welche  uns  Martinio 
da  Udiue,  genannt  Pellegrino,  hinter- 
lassen hat.  In  Cremona,  in  Modena, 
in  Bologna,  in  Padua,  in  Mailand, 
überall  blühte  die  Kupferstechkumt 
auf,  am  letzten  Ort  als  ersten  Jünger 
den  berühmten  Brainante  beschätti 


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560 


Kürass.  —  Kurtisan. 


gend.    Von  Bologna  nahm  der  Be-  anderen  freien  Künsten  den  CuaraJi- 

^ründer  der  römischen  htechersehnle,  ter  des  äusserlich  Pomphaften  und 

Marc  Antonio,  seineu  Ausgang,  der  Pathetischen  an;    besonders  aber 

nach  Michelangelo,  Dürer,  besonders  nahm  das  Porträt  die  Thätigkeit  der 

aber  nach  Raphael  gestochen  hat.  Stecher  immer  mehr  in  Anspruch. 

Seine  Meisterschaft  in  der  Führung  Ein  Meister  von  erstaunlicher  Viel- 

des  Stichels  versammelte  um  ihn  seitigkeit  aus  dieser  Zeit  ist  Jean 

zahlreiche  Schüler,  sogar  aus  Deutsch-  le  Poutre.   Unter  Ludwig  XV.  end- 

land    und  Frankreich.     Derjenige  lieh  eignete  sich  der  Kupferstich  den 

Schüler,  der  neben  dem  Meister  am  tändelnden ,     bald  ausgelassenen, 

meisten  zur  Ausbreitung  der  römi-  leichtfertigen,  bald  lüsternen  Ton 

sehen  Schule  beigetragen,  ist  Giulio  der  Malerei  au.  Die  Historie  wurde 

Romano,  um  welchen  sich  in  Mantua  zum  Genre,  au  die  Stelle  des  Pathos 

zahlreiche  Stecher  gruppieren.  Auf  trat  eine  mehr  oder  weniger  ge- 

die  weitere  Entwicklung  der  Kupfer-  machte  Naivität,  der  strengen  folgte 

stechkunst   hatte  die  Schule  von  eine  koquette,  zierliche  und  weich- 

Bologna  einen  um  so  unmittelbareren  liehe  Manier,  und  der  Vignetten- 

Einfluss,  als  eines  der  Häupter  der-  stich,  welcher  in  der  vorigen  Periode 

selben,  Agostino  Caracci  (1558  bis  begonnen  hatte,  bildete  sich  zu  einem 

1601»,  selbst  in  dieser  Kunst  sein  eigenen  einflussreichen  Kunstzweig 

Bestes  leistete.  Einer  seiner  Haupt-  aus. 

schüler  ist  Guido  Reni.  Glänzende  In  Spanien  kommt  der  Kupfer- 
Vertreter  der  Ätzkunst  hat  Neapel  stich  fast  gar  nicht  vor,  ebensowenig 
iu  Ribera  und  Rosa.  Das  18.  Jahr-  in  Portugal.  Gleich  dem  Form- 
hundert zeigt  uns  in  Venedig  einige  schnitt  hat  sich  auch  der  Kupfer- 
in ihrem  Genre  hervorragende  Künst-  stich  in  England  erst  spät  so  weit 
ler  und  in  Rom  einen  grossen  Kreis  entwickelt,  um  Kunst  genannt  wer- 
strebsamer  und  für  ihre  Zeit  Beden-  den  zu  können,  und  es  ist  bezeieh- 
tendes  leistender  Stecher.  nend,  dass  die  neueren  Methoden, 
In  Frankreich  hat  die  Kupfer-  die  Schabmanier  und  der  Stahlstich, 
stechkunst  erst  suät  Wurzel  gcschla-  nirgends  so  beliebt  gewesen  sind 

fen  und  ist  von  den  Nachbarländern  als  dort.  Im  eigentlichen  Stich  haben 

ineingetragen  worden.  Französische  die  Engländer  wie  in  der  Malerei 

Stecher  finden  wir  erst  seit  dem  ihr   Bestes    im    Porträt  geleistet, 

dritten  Decennium  des  16.  Jahrhun-  während  seit  Hollar  und  später 
derts  und  als  ersten  einen  Noel  Gar- ;  Ho^arth  die  Radierung  vielfach  und 

nier ,  der  Kopien  nach  deutscheu  oft  in  origineller  Weise  geübt  wurde, 

und  italienischen  Meistern  anfertigte.  Nach  Bruno  Bucher,  Geschichte  der 

Dadurch,  dass  Franz  I.  sein  Schloss  technischen  Künste;  Lül>ke,  Grund- 

Fontainebleau  durch  die  italienischen  riss  zur  Kunstgeschichte.    A.  H. 
Meister  Rosso  de  Rossi  und  Prima- 1     KUrassheissen  Brust-  undRücken- 

licaro  dekorieren  liess,  bildete  sich  hämisch  zusammen.  (Siehe  Harnisch.) 

dort  eine  italienische  Schule,  welche  Das  Wort  kommt  erst  in  Urkunden 

lange  Zeit    im   Lande  fortwirkte,  j  von  1355,  1424  und  1488  vor  als 

Dem  Zeitalter  Ludwig's  geben  Vouet  curassa,  curassia,  curacia,  thorax. 

und  Callot  im  Kupferstich  die  Sig-  lorica.  Diefz  leitet  es  von  corium, 
natur.    Die  Radierung  brachte  der  coriacea,  Lederwerk  ab.    Bei  den 

geist-  und  phantasievolle  Jacques  älteren  Dichtern  kommt  das  Wort 

Callot  in  Frankreich  auf.  Ludwig  XV.  nicht  vor,  dagegen  bei  Georg  von 
befreite  die  Kupfer^techkunst  aus  Ehingen:  kurisz,  kürisch. 
den  Banden  des  Zunftzwanges.  Da-       kurtisan,  vom  ital.  corfigiano, 

durch  nahm  dieselbe  aber  gleich  den  franz.    rourtisan,    Holling,  waren 


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KUSS. 


501 


Kleriker  des  15.  und  16.  Jahrhun- 
derts, welche  am  römischen  Hofe 
sieh  einzuschmeicheln  wussten  und 
liier  Anweisungen  auf  fremde  Pfrün- 
den und  l'farrstellen  bekamen,  ohne 
tlass  die  rechtmässigen  Kirchen- 
patrone  darum  angefragt  worden 
■wären.  Sie  heissen  in  der  Sa))hata 
pfrüenden  kofer  und  f  uscher,  die 
<htrc/t  schenk,  miet  und  galten  an 
ttes  papsts  hof  hantieren  und  schag- 
tfieren.  Hans  Sachs  lässt  einen  sol- 
chen sprechen : 

Ich  hin  ein  römisch  curtisan; 
zu  Rom  ich  erstlich  esel  trieb, 
nachdem  ich   römisch  bannhrief 
schrieb, 

die  pfaffen  ich  gen  Korn  auch  lad, 
icli  bring  in  Teutschland  römisch 
gnad, 

gib  eim  an  teufel  ein  bassparten, 
auf  das  bapstmonat  tu  ich  warten, 
darin  zeuch  ich  die  pfründ  gen 
Korn, 

vil  pfarr  und  bropstig  ich  etnnom, 

die  pallium  und  annaten 

inust  ich  gen  Rom  dem  bapst 

verraten, 
damit  wir  haben  zu  bursieren. 

Kuss,  ahd.  ehu*,  mhd.  kus,  ist 
ein  uraltes  Zeichen  der  Versöhnung, 
des  Friedens  und  der  Freundschaft ; 
er  macht  in  einigen  Kindermärchen 
alles  vergessen,  giebt  aber  auch  die 
Erinnerung  zurück.  An  einem  Kuss 
hängt  die  Lösung  des  Hannes;  die 
Jungfrau  in  grausenhafter  Gestalt, 
als  Schlange,  Drache,  Kröte,  Frosch, 
inuss  dreimal  geküsst  werden,  um 
ihrer  Verzauberung  entledigt  zu  sein. 
Eine  besondere  Ausbildung  hat  der 
Kuss  im  höfischen  Mittelalter  er- 
fahren, das  auf  die  Formen  des 
feineren  gesellschaftlichen  Lebens 
zwischen  Mann  und  Weib  ein 
grosses  Gewicht  legte.  Schon  Ulrich 
von  Lichtenstein  unterscheidet 
den  Kuss  der  Minne,  der  Freund- 
schaft und  der  Sühn«?.  Kine  be- 
sondere Aufmerksamkeit  hat  San 
Marie,  Parzival-Studien,  1H,S.  172  ff. 

Reallexicon  der  deuütchcu  Altertümer. 


demKusse gewidmet  und  denHerzens- 
kuss,  den  Sühnekuss,  den  Judas- 
kuss  und  den  Kuss  der  Etikette 
unterschieden.  Der  J/erzenskuss 
ist  entweder  der  Kuss  der  Minne: 

ein  kus  in  liebes  wunde, 

der  von  des  herzen  gründe 

her  üf  geslichen  kaeme, 

nihil  teaz  der  benaeme 

seneder  sorge  und herzenot.  Tristan. 

Am  heissesten  wird  in  den  Tage- 
liedern geküsst,  wenn  der  Wächter 
den  Morgen  verkündet  und  es  nun 
an  ein  Scheiden  der  Geliebten  geht: 
urloup  nah  und  naher  baz  mit  kussc 
und  anders  gab  in  minne  Ion;  oder 
Kuss  der  Freude;  derselbe  geschieht 
bei  Männern  nur  ausnahmsweise, 
bei  überwallender  Freude  und  froher 
Überraschung;  sonst  küssen  sich 
Männer  bei  Begrüssungen  oder  beim 
Abschiede  nicht.  Zahlreich  sind  die 
Heispiele  des  Kusses  der  (Satten  und 
der  Eltern-  und  Verwand 'ten/iebe. 

Der  Sühnekuss  hat  als  Symbol, 
1  'fand  und  Siegel  aufgeh*  »bener  Feind- 
schaft und  wiedergewahrter  Zu- 
neigung eine  ernstere  Bedeutung. 
Küssen  hat  so  groze  k  raft,  daz  man 
da  mit  süent  rientsehaf'f,  sajjt  Ulrich 
von  Lichtenstein;  und  Wolfram  von 
Eschenbach:  küsse  mich,  rerkius 
nein  mir.  swaz  ich  ie  schult  qefrnoe 
gern  dir. 

Der  Judaskuss  ist  der  Kuss  des 
Verrates:  daz  was  du  kus,  den  Judas 
truoc,  da  ron  man  strichet  noch \ genaue. 

Der  Kuss  der  Etikette  ist  als 
gesellschaftliehe  Form  der  Gegen- 
satz des  Her/.enskusses.  Hei  der 
Rcgrüssung  küsste  der  Ankommende 
die  Herrin,  doch  nur,  wenn  er  an 
Rang  gleich  oder  höher  stand.  In 
der  Regel  ersucht  die  Frau  den  vor- 
gestellten Herrn  um  den  Kuss;  der 
Geringere  aber  bittet  den  Vor- 
nehmeren, seiner  Frau  oder  Tochter 
den  ItegrüSSUUgskuss  zu  geben. 
Es  liegt  eine  verbindliche  Auszeich- 
nung darin,  wenn  der  Vorneinnere 
dem  Geringeren,  der  Ältere  dem 


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5i;2  Kyrie  eleison.  Lagerstätten. 


Jüngeren  «Ich  Vortritt  beim  Kusse  werden.    Der  Kuss  spielt  uueh  im 

gestattet.  Auch  beim  Abschied  ver-  Zeremoniell  des  deutschen  Königs- 

band   sich    mit    der  Segens-   und  hofes  eine  Kolle.   Der  König  pflegte 

Wunsehformel   in    der  Kegel  der  beim  offiziellen  Empfang  fremden 

Kuss.  Man  kü^ste  auf  Mund,  Wangen  Herrschern, aber  auch  Untergebenen, 

oder  Augen,  doch  scheint  der  Kuss  (leistlichen  und  Weltlichen,  einen 

an  den  mnul  nur  Auszeichnung  der  Kuss  zu  gewahren,    Bei  der  Ein- 

mthfc  zu  sein.  Die  Franzosen  küssten  fiihrung  in  ein  Amt  oder  der  Bc- 

nocll  Nase,  Kinn  und  Hals.    Auch  leimung  ist  der  Kuss  das  Symbol; 

Turnierpreis  konnte  der  Kuss  sein,  ausserdem  ist  er  Zeichen  der  Ver- 

wie  denn  im  Titurel  ausser  dem  söhnung,  der  Gnade,  des  Friedens. 
Kranze  «lein  Sieger  die  Küsse  vom      Kyrie  eleison,  siehe  Leu  und 

achtzig  Mädchen  in  Aussicht  gestellt  Kirchenlied. 


L. 


Lajrerstaitten.  Dieselben  sind 
nach  Art  der  römischen  Betten  bei 
den  Völkern  des  westlichen  und 
mittleren  Europas  schon  im  frühe- 
sten Mittelalter  bekannt.  Erwähnt 
wird  das  Bett  zuerst  bei  Gregor 
von  Tours  in  der  Bemerkung,  dass 
sein  Lager  von  dem  der  anderen 
Geistlichen  umgeben  war,  wie  ja 
das  Kirehengesetz  bestimmte,  dass 
ein  Bischof  nicht  allein  schlafen 
dürfe.  Nähere  Angaben  über  die 
Teile  des  Bettes  und  deren  Be- 
schaffenheit sind  nicht  gemacht.  Die 
ältesten  Abbildungen  zeigen  teils 
vierbeinige  Bettstellen,  teils  fusslose 
Truhen,  in  welche  Bettstücke  ge- 
legt wurden.  In  den  Stückverzeich- 
nissen der  Wirtschaftshofe  Karls 
des  Grossen  werden  bereits  mit 
„Linnen  bezogene  Federbetten"  er- 
wiihnt.  Die  Bettstätten  des  11.  Jahr- 
hunderts bestehen  zum  Teil  aus 
einem  verschieden  gefügten  und 
mannigfaltig  geäderten  Gestell  aus 
Stabwerk.  Sie  stehen  auf  vier  oder 
mehr  Füssen,  haben  ein  hohes  Kopf- 
brett, ein  niedriges  Fussemle  und 
oft  auch  eine  Seitenlehne,  während 
die  zweite  Seite  frei  ist.  Neben 
den  hölzernen  erscheinen  auch  schon 
metallene  Bettladen.  Als  Bettstücke 
sind  erwähnt  die  Matratzen,  das 


walzen-   oder   eirunde  Kopfkissen 
und   eine  Überdecke.    Die  Betten 
des  1:'.  und  13.  Jahrhunderts  er- 
scheinen als  schwere  Gestelle  von 
der    Form    einer    Bahn;   mit  ge- 
schnitzten, auch  schon  gedrechselten 
Füssen,    hohem    Kopf-,  niedrigem 
Fassende  und  ebensolchen  Längs- 
seiten, die  in  der  Mitte  eine  Öffnung 
zum  Einsteigen  hatten.    Sie  waren 
oft  mit  Elfenbeinschnitzereien  und 
Metallarbeiten   geziert,    auch  die 
Pfühle,  Decken,  Kissen  und  Vor- 
hänge wurden  aus  den  köstlichsten 
Stollen  bereitet,  wovon  die  Dichter 
viel  zu  singen  wissen.    So  heisst  es 
im  Parzival,  552,  *J  ff.: 
Kinez  was  ein  ji/fumif, 
des  zieehe  ein  tfrüener  samit; 
des  nicht  von  der  hohen  art: 
ez  was  ein  samit  pastarl. 
ein  k  ulter  wart  des  Im  fies  dach, 
niht  wan  durch  Hawaiis  tfemaeft, 
mit  einem  pfeltel,  sunder  yolt, 
rerre  in  heidenschaj'f  ijehottj 
(fcsfcjipet  uf  pal  mal. 
darüber  zoeh  man  linde  icdf, 
zwei  Ii  lachen  snerar. 
man  feit  ein  wanknssen  dar, 
unt  der  meide  mantel  einen, 
harmin,  niwe,  reinen. 
Ebenso  wird  von  dem  B*tt,  welches 
König  Behl  von  Ungarn  um  IIb« 


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Lagerstätten. 


563 


Friedrich  I.  schenkte,  ansilrüeklich 
bemerkt,  dass  es  mit  prächtig  ver- 
ziertem Kopfkissen  und  kostbarer 
I  >ecke  verschen  war. 

Die  Ketten  des  14.  Jahrhunderts 
hatten  bereits  zwei  Matratzen  und 
zwei  Kopfkissen,  oft  sogar  auch  eine 
zweite  Decke.  Die  Überdecke  ver- 
hüllte das  £»nze  Bett  mit  Aus- 
nahme des  Kopfbrcttes.  Auch  der 
livtthtmnui  vergrösserto  sich  und 
wurde,  statt  dass  er  bisher  von  der 
Decke  herunterhing,  nun  auf  die 
nfeilerartig  nach  oben  verlängerten 
Vüsse  der  Bettstelle  selber  befestigt 
und  mit  leichten  beweglichen  Vor- 
hängen versehen.  Die  Überdecken 
und  Seitenvorhäuge  der  Reichen 
waren  meist  aus  Seide,  Sammet 
oder  gar  ans  Goldstoff,  die  Über- 
züge der  Matratzen,  Kissen  und 
1  Jettdecken  aus  buntgemusterter 
Seide  gefertigt  und  oft  mit  einem 
.seltenen  Pelzwerk  gefüttert  oder 
wenigstens  verbrämt,  mit  Stickereien, 
Besitzen,  Troddeln  und  Fransen  ge- 
ziert. Daneben  hatte  man  in  fürst- 
lichen Häusern  auch  sogenannte 
Paradebetien ,  die  nur  bei  besonde- 
ren festlichen  Vorkommnissen  be- 
nutzt wurden.  Zwei  besonders  reiche 
1  Jetten  des  15.  Jahrhuuderts  schmück- 
ten das  Gemach  der  Isabella  von 
Jiourbon,  der  Gemahlin  Karlsd.  Küh- 
nen. Sie  waren  durch  einen  vier 
bis  fünf  Fuss  breiten  Zwischengang 
und  einen  verschiebbaren  Teppich- 
vorhang getrennt  und  mit  jeglichen 
Bequemlichkcitsmitteln  versehen. 
Die  Betten  dieser  Zeit  waren  bis 
sieben  Fuss  lang  und  sechs  Fuss 
breit. 

Das  16.  Jahrhundert  sodann  war 
auch  hierin  bestrebt,  seine  Vor- 
gänger noch  zu  übertreffen.  Bett- 
stellen, Matratzen,  Kissen  und  Decken 
wurden  ans  den  köstlichsten  Stoffen 
gemacht  und  mit  allem  erdenklichen 
Zierat  versehen.  Das  Bett  stand 
selten  mehr  in  einer  Ecke  des  Zim- 
mers, sondern  mit  dem  Kopfende 
nach  der  Mitte  einer  Wand  gekehrt. 


Das  Holzwerk  war  von  Nussbaum-, 
ja  sogar  von  Zedern-,  Kosen-  und 
Ebenholz,  vergoldet,  bemalt,  mit 
Elfenbein-  und  Metalleinlagen  be- 
setzt. Die  vier  Eckstützen  gestal- 
teten sich  zu  wirklichen  Säulen  von 
mannigfaltigster  Form.  Sie  stiegen 
mitunter  nicht  eigentlich  vom  Bett- 
kasten selbst,  sondern  von  vier- 
seitigen zierlichen  Postamenten 
ausserhalb  desselben  auf  und  trugen 
das  köstlich  gearbeitete  Bettdach. 
In  Italien,  das  hierin  den  nördlicher 
belegenen  Staaten  voranging,  rech- 
nete man  um  die  Mitte  dieses  Jahr- 
hunderts zu  einem  vollständigen 
Bett  „vier  Matratzen  von  Baumwolle, 
bedeckt  mit  zarten,  in  Seide  und 
Gold  gestickten  Linnentüchern,  eine 
Decke  von  Karmesinatlas,  mit  Gold- 
faden bestickt  und  von  Fransen  um- 
geben, aus  Karmesinseide  und  Gold- 
fäden gemischt;  vier  prächtig  be- 
handelte Kissen,  und  ringsum  Vor- 
hänge von  Flor  in  Gold  und  Kar- 
mesin gestreift".  Zu  bemerken  ist, 
dass  die  Baumwolle,  die  heute  als 
der  billigste  Kleidungsstoff  allge- 
mein verbreitet  ist,  damals  ein  kost- 
barer und  schwererhältlicher  Ar- 
tikel war. 

Das  17.  Jahrhundert  aber  ging 
noch  weiter.  Namentlich  initdenTOer 
Jahren  desselben  trat  eine  eigent- 
liche Polstersucht  ein ,  welche  die 
Ausstattung  des  anfänglich  so  schlich- 
ten Gerätes  bis  zur  Ausschliesslich- 
keit steigerte.  Das  ganze  Holzwerk 
wurde  in  Stoff  verkleidet.  Die  Bett- 
statt wurde  zum  Ichneulosen,  vier- 
eckigen Holzgestell,  das  höchstens 
am  Kopfende  etwas  erhöht  war; 
der  Betthimmel  entbehrt  also  jedes 
sichtbaren  Gerüstes  und  erscheint 
in  den  wunderlichsten  Gestalten 
lediglich  aus  Zeugen  gefaltet.  Zu- 
gleich baut  man  für  die  Betten  eigens 
entsprechende  Wandnischen  und 
verkleidet  diese  sowohl  in  ihrem 
Innern,  als  besonders  nach  aussen 
mit  breiten  Vorhängen  oder  „Gar- 
dinen", die  vermittelst  eines  starken 

36* 


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504 


Laimbuch.  —  Landfrieden. 


Schnur-  und  Puschelwerkes  vorge- 
schoben und  zurückgezogen  werden. 
Ks  fehlte  natürlich  auch  diesen  Bet- 
ten nicht  an  allen  möglichen  Ver- 
zierungen und  Zuthaten,  die  aus 
früheren  Perioden  bekannt  waren 
oder  vom  grübelnden  Menschen- 
geist ersonnen  werden  konnten. 
Als  einen  beständigen  Begleiter  des 
Bettes  nennen  wir  hier  noch  den 
BeUtekemeL  Nach  Weist,  Kostüm- 
kunde. 

Laien  buch  ,  siehe  Schildbürger. 

Lampe,  lat.  lampa*.  lampada; 
franz.  famyr.  Kleine  Ollampen  in 
Gestalt  runder  oder  länglicher  Scha- 
len waren  für  kirchliche  und  private 
Zwecke  schon  frühe  in  Gebrauch. 
In  den  Kirchen  wurden  sie  bald 
durch  die  Kerzen  verdrängt.  (Siehe 
den  Art  Leuchter.) 

Länder  und  Städte  in  jicrmni- 
fizieri-bildlicker  DartteUunq.  Der 
antiken  Kunstdarstelluug  der  Län- 
der und  Städte  liegt  teils  religiöser 
(ilaube,  teils  ein  bloss  künstlerisches 
Motiv  zu  G runde.  Beide  wurden 
unter  den  Schutz  von  Göttern  und 
Heroen  gestellt,  wobei  bei  den 
Griechen  namentlich  die  Ti/ehr,  lat. 
Jiona  den,  bei  den  Römern  die 
Roma  eine  grosse  Rolle  spielen. 
Sonst  gilt  in  der  italienischen  Reli- 
gion in  der  Regel  ein  männlicher 
Genius  für  den  Beschützer  der 
Städte.  Mit  Bildwerken  der  ge- 
nannten Vorstellungen  wurden  Tem- 
pel und  Altäre  geschmückt,  wobei 
Tyehe  ein  Füllhorn  und  eine  Turm- 
krone erhält,  ItonM  dagegen  ent- 
weder I 'alias  ähnlich  dargestellt 
wird  oder  im  Amazonenkostüm. 
Eigentlich  allegorische  Bilder  der 
einzelnen  Städte  und  Länder,  die 
sieh  teils  in  mythischen,  teils  in 
historischen  Kompositionen,  sowie 
in  einzelnen  Bildern  zahlreich  vor- 
finden, pflegen  ebenfalls  die  Mauer- 
krone zu  fragen.  Die  christliche 
Kunst  verwart  natürlich  die  religiös«' 
Bedeutung  dieser  Vorstellungen  und 
inachte  sich  bloss  das  künstlerische 


Motiv  zu  eigen.  Das  christliche 
Altertum  ist  reich  an  Städtefiguren 
in  den  verschiedenen  Gebieten  der 
Kunst,  sowohl  in  Miniaturen  als 
Skulpturen;  häufiger  sind  Relief- 
bilder ,  zumal  auf  Münzen  und 
Diptychen;  besonders  häufig  er- 
scheinen Rom  und  Konstantinopel; 
die  Attribute  der  Mauerkrone  und 
das  Füllhorn  sind  beibehalten.  Vom 
i).  bis  12.  Jahrhundert  findet  man 
Personifikationen  von  Städten  und 
Ländern  bloss  auf  Miniaturen,  teils 
in  biblischen  Szenen,  teils  in  welt- 
lichen Darstellungen.  Die  Figuren 
sind  meistenteils  in  weiblicher  Ge- 
stalt gebildet  und  haben  ein  Füll- 
horn in  der  Hand  und  auf  dem 
Haupte  eine  Krone,  die  aber 
nur  teilweise  die  Gestalt  von  Tür- 
men hat.  Weltliche  Veranlassungen 
zu  diesen  Personifikationen  gab  die 
Vorstellung  eines  Herrschers,  dem 
die  Länder  huldigend  nahen  oder 
Abgaben  und  Geschenke  bieten. 
Aus  der  heiligen  Schrift  hat  mau 
Personifikationen  der  arabischen 
Wüste,  wohin  sich  die  Israeliten 
vor  Pharao  retteten,  und  von  Babel. 
Seit  dem  13.  und  namentlich  seit 
«h  in  15.  Jahrhundert  hat  man  wie- 
der ähnliche  Figuren  auf  Malereien 
und  Münzen  und  seit  dem  IG.  Jahr- 
hundert in  grossen  Werken  der 
Skulptur  und  der  Malerei  zur  Aus- 
schmückung von  Plätzen  und  Pa- 
lästen, mit  Beziehung  auf  unmittel- 
bar gegenwärtige,  namentlich  vater- 
ländische Interessen.  ]>ij>er,  My- 
thologie der  christl.  Kunst.  II,  S.  564 
bis  077. 

Landfrieden  heissen  im  Mittel- 
alter die  von  dem  Könige  ausgehen- 
den Gesetze,  welche  die  Erhaltung 
des  öffentlichen  Rechtszustandes, 
insbesondere  der  öffentlichen  Sicher- 
heit und  die  Bestrafung  der  hier- 
gegen begangenen  Verbrechen  zum 
Gegenstande  hatten.  Sie  beschränk- 
ten aich  regelmässig  auf  eine  kurze 
Bezeichnung  der  als  Land  friedet  is- 
bruch  zu  betrachtenden  Handlungen 


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Landgrafen.  —  Landkarten. 


565 


und  auf  die  Einschärfung  der  Ver- 
folgung und  Bestrafung  der  Land- 
friedensbrecher. Die  ältesten  Ver- 
ordnungen dieser  Art  scheinen  nicht 
auf  uns  gekommen  zu  sein;  als  die 
erste  bestimmte  Nachricht  über  einen 
Landfrieden  gilt  die,  dass  Heinrich  11. 
auf  einer  Versammlung  zu  Zürich 
Iii  die  und  Niedrige  habe  schwören 
lassen,  den  Frieden  zu  bewahren 
und  sich  aller  Raubereien  zu  ent- 
halten. Von  da  an  ist  stehend  von 
Landfriedensverordnungen  die  Rede. 
Als  die  wichtigsten  Landfrieden  aus 
dem  12.  und  18.  Jahrhundert  wer- 
den genannt  die  Landfrieden  Fried- 
richs I.  vom  Jahre  1156  und  1  IST, 
und  der  Landfrieden  Friedrichs  II. 
von  1235,  welche  den  Landfrieden 
der  folgenden  Kaiser  hauptsächlich 
zum  Vorbilde  dienten.  Die  ältesten 
Landfrieden  anerkennen  unbedingt 
das  Recht  der  Privatraehc  oder 
Fehde  (siehe  Faust-  und  Fehderecht) 
und  machen  es  sogar  dem  Volke 
in  der  Nachbarschaft  und  wo  dieses 
nieht  ausreicht  ,  dem  Herzog  oder 
Grafen  zur  Pflicht,  dem  Vergewal- 
tigten hierzu  ihre  kräftigste  Unter* 
Stützung  zu  leisten.  Daher  kam  es. 
dam  die  Landfrieden  gleichsam  als 
vertragsmäßige  Friedensvcreinigun  - 
gen  errichtet  wurden,  die  nur  für 
eine  Reihe  von  Jahren  und  regel- 
mässig nur  in  einzelnen  Landern, 
selten  im  gesamten  Reiche  beschwo- 
ren wurden;  denn  es  handelte  sieh 
dabei  nicht  allein  um  die  Verpflich- 
tung zum  Unterhalte  landfriedens- 
vcrbrcchcrisehcr  Handlungen,  son- 
dern auch  um  das  Eingehen  einer 
positiven  Verbindlichkeit  zu  gemein- 
samem Handeln  gegen  die  Friede- 
brecher, sowie  um  ein  wenigstens 
teilweises  Aufgeben  des  bisher  ge- 
setzlichen Rechtes  der  Fehde.  Erst 
Maximilian  I.  gelang  es  auf  dem 
Reichstage  zu  Worms  1405,  die 
Reichest  in  I«'  zum  Verzicht  auf  den 
ferneren  Gebrauch  der  Warten  zur 
Entscheidung  ihrer  Streitigkeiten  zu 
bewegen    und    einen  allgemeinen 


ringen  Landfrieden  zu  errichten, 
in  welchem  alle  Unterscheidung 
zwischen  erlaubter  und  unerlaubter 
Fehde  und  aller  fernerer  Gebrauch 
des  Faustrechtes  als  Landfriedens- 
brach  erklärt  wurde  ;  derselbe  wurde 
zu  Worms  1521  und  später  noch 
mehrmals  verbessert,  ergänzt  und 
bestätigt.  Vgl.  Jlerzberg-  Frankel, 
die  ältesten  Land-  und  Go'ttesfricden 
in  Deutschland.  Forschungen  z.  d. 
Geschichte.    XXI II,  S.  117—164. 

Landgrafen  werden  seit  dem 
Anfang  des  12.  Jahrhunderts  er- 
wähnt. Der  Name  schliesst  sich  an 
Land,  Landxehaft  als  alte  Bczeich- 
nung  eines  gräflichen  Gebietes  oder 
Gaues;  es  ist  der  Graf  mit  einem 
alten  Gau-  oder  Landgericht,  und 
der  Name  erscheint  dann  gewählt 
statt  des  blossen  Grafen,  wenn  da- 
mit gegenüber  solchen  Grafen,  de- 
nen das  gräfliche  Recht  nur  an 
einzelneu  Orten  übertragen  war, 
ausdrücklich  und  namentlich  betont 
werden  sollte,  dass  sie  die  alte  gräf- 
liche Gerichtsbarkeit  behauptet  hät- 
ten. Doch  war  der  Name  Land- 
graf in  diesen  Fällen  durchaus  nicht 
allgemein  üblich. 

Landkarten.  Aus  dem  Alter- 
tum sind  keine  anderen  Kar- 
ten ausser  denen  zum  Ptolemäus 
auf  uns  gekommen;  diejenigen 
des  Marina*  von  Turn*,  2.  Jahr- 
hundert n.  Chr.,  des  ersten  Geo- 
graphen ,  welcher  bei  der  ( Orts- 
bestimmung Längen  und  Breiten 
berücksichtigte,  sind  verloren  ge- 
gangen; aucn  PtolemäuM  aus  Pelu- 
sium,  ein  Schüler  des  Marinus,  hat 
keine  Karten  hinterlassen;  dagegen 
hat  er  in  seiner  Erdbeschreibung 
(nicht  zu  verwechseln  mit  seinein 
astronomischen  Hauptwerke,  der 
Syntaxis,  dem  Abnagest,  wie  die 
Araber  das  Ruch  nannten)  Vor- 
schlüge zur  graphischen  Zeichnung 
und  Entwerfung  des  Landkarten- 
netzes gegeben  und  die  Mittel  be- 
zeichnet, um  aus  der  Lage  der  be- 
kannten Orte  die  unbekannten  zu 


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56ß 


Landkarten. 


finden.  Von  den  acht  Huchem  sei- 
nes Wcrke<  enthalten  da«  zweite 
l»is  siebente  Namensiegister  naeh 
Ländern,  Längen  und  Breitegraden 
und  da.s  letzte  einen  kurzen  l'ber- 
blick  über  das  Ganse.  Die  27  Land- 
karten  aber,  die  man  den  meisten 
alten  Handschriften  des  Ptolemäus 
beigegeben  findet,  stammen  von 
einem  Aaafhnd.nnnn  aus  Alexandria, 
einem  Mathematiker,  den  man  ge- 
wohnlieh ins  fünfte  Jahrhundert 
setzt;  es  sind  zehn  Blatter  über 
Kurooa,  fünf  über  Afrika  und 
zwölf  über  Asien.  Sie  sind  die 
Grundlage  aller  neuereu  [>nndkarteii 
geworden.  Daneben  besas>en  die 
Börner  \Ye<iknrte„ ,  die  namentlich 
militärischen  /.weck  hatten,  und  von 
welchen  sich  die  sog.  J'cu/iiUf wische 
Tafel  erhalten  hat;  sie  bildet  eine 
Rolle  aus  elf  Blattern,  Wu  Fuss 
lang  und  II1.  Zoll  breit;  die  Haupt- 
sach<-  ist  hier  die  Angabe  der 
I  >i>tan/en. 

Das  Mittelalter  ging  vorläufig 
der  kartographischen  Hilfsmittel  de« 
Altertums  wieder  verlustig;  die 
Radkarten  (siehe  den  Art.  (leo- 
(jr«i>liit  \,  sind  bloss  graphische  Auf- 
zeichnungen der  dieser  Periode  be- 
kannten Knifeste. 

Auch  die  arabinrhen  (innf  rauhen, 
unfähig,  die  Arbeiten  ihrer  Astro- 
nomen zu  benutzen,  blieben  weit  hin- 
ter den  Leistungen  des  Ptolemäus 
zurück.  Das  zeigen  z.  B.  die  bei- 
den erhaltenen  Karten  des  J'.drisi, 
12.  Jahrhundert,  ein  kreisförmiges 
Erdbild  und  eine  viereckige  Welt- 
karte in  70  Blättern,  worin  zwar 
Ptolemäus  benutzt  erscheint,  das 
Gradnetz  denselben  aber  wie  in 
allen  sonst  bekannten  arabischen 
Karten  fallen  gelassen  worden  ist. 

1  )esto  grösser  ist  der  kartographi- 
sche Fortschritt,  der  sich  in  den 
Kompasskarfm  des  spateren  Mittel- 
alters zeigt. 

Sie  sind  ursprünglich  mir  von 
Italienern  oder  von  Katalanen  von 
den  IMearen  verfasst  worden  und 


mit  Wind    oder  Kompassrosen  be 
deckt,    aus    denen  strahlenförmig 
bunte  Striche  nach  den  Himmels- 
richtungen auslaufen,  um  sich  auf 
anderen  Punkten  der  Karte  zu  an- 
deren   Windrosen    zu  vereinigen. 
Der  Gesichtskreis   wurde   in  vier 
rulh    Winde  eingeteilt,  Nord,  Ost, 
Süd,    West,    zwischen    denen  die 
hall*»  Winde  Nordost,  Südost.  Süd- 
west,   Nordwest   lagen.  Zwischen 
den  halben  und  den  ganzen  unter- 
schied man  die  l'iertehrindr,  Nord- 
nordost,  Ostnordost   it.  s.  w.,  du» 
wiederum  in  Oktaven  oder  Achtel 
zerfielen.     Später  wurde  es  Sitte, 
die   Wtndstnche  auf  den  Karten 
durch  bunte  Linien  auszudrücken, 
wobei  man  die  ganzen  und  halben 
Winde  durch  schwarze,  die  Viertel  - 
windc  durch    grüne,    die  Achtcl- 
winde  durch  rote  Farbe  unterschied. 
Auf   einen    dieser  Koinpasssterne 
setzt*»  der  Steuermann  seine  Bussole, 
um  zu  ermitteln ,  welche  Richtung 
er  innehalten  müsse,  um  von  einem 
Hafen  nachdem  andern  zu  gelangen; 
lief  er  dann  auf  das  hohe  Meer,  so 
schätzte  erden  zurückgelegten  Weg 
aus  der  Segelkraft  des  Windes  mit 
einer  Schärfe  und  Sicherheit,  die 
wie  ein  halbes  Wunder  erscheint. 
Zum  erstenmal  sieht  mau  hier  Kuropa 
wie  die  asiatischen  und  afrikanischen 
Vorlande  wie  von  einem  Spiegel 
wiedergegeben.     Die   ältesten  er- 
haltenen Kompasskarten  verfertigte 
der  Venetianer  Mari  im  Sannfo  der 
Altere  zwischen  13015  und  1321;  doch 
gehen  die  Anfänge  dieser  Karteu- 
methode  bis   ins    13.  Jahrhundert 
zurück;  das  merkwürdigste  Denk- 
mal aber  aller  mittelalterlichen  Kom- 
passkarten ist  das  &){*v\\.ka(alani*rh< 
Welttjemalde  vom  Jahre  1375,  von 
einem  unbekannten  majorkanischen 
Steuermann  verfertigt,  der  u.  a.  die 
Reisen  des  Marko  Polo  benützte. 
Neue  Fortschritte  zeigen  die  Karten 
des  Vcnetianers  J')ui  Mauru. 

Im  Anfang  des  15.  Jahrhunderts 
entdeckte  der  Humanismus  endlich 


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Landsgcmcinden.  —  Landsknechte. 


567 


"S 


auch  die  Ptolemäischen  Karten 
wieder,  deren  zuerst  der  Kardinal 
»V  Ai1hf%  A/iacnx.  erwähnte.  Schon 
im  15.  Jahrhundert  erschienen  fünf 
Aufnahm  derselben,  alle  in  Italien; 
im  16.  Jahrhundert  21,  davon  IG 
deutsehe  (9  in  Basel,  4  in  Köln,  8 
in  Strassburg).  Seit  1513  fügten 
Jakob  Ässler  und  Georg  Übelin 
einen  Atlas  neuer  Karten  hinzu. 
Die  Ptolemäischen  Karten,  welche 
durch  ihr  Gradnets  die  Kompass- 
karten  übertrafen,  standen  anfan 
infolge  mancher  Fehler  der  Ptoli 
nniisehen  Zeichnung  in  mancher  Be- 
siehnng  auch  hinter  ihnen  zurück; 
am  ineisten  gelang  es  dann  deut- 
schen Geographen  clie  Fehler  zu  ver- 
bessern; genannt  werden  Sebastian 
Münster,  namentlich  aber  Veter 
Bienewitz.  Bald  erhielten  alle  einzel- 
nen Reichsgebiete  ihre  besonderen 
Karten,  die  zum  Teil  vortrefflich 
waren;  g«lg«*n  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts ging  die  Kartenkunst  durch 
Mereatnr  und  Keinen  Freund  Ahra- 
in! vi  Ortet  zu  den  Niederländern 
über,  bei  denen  sie  während  des  17. 
Jahrhunderts  eine  neue  Blütezeit  er- 
reichte. /V sehet,  Geschichte  «1er 
Erdkunde.  AV/r,  Geschichte  des 
Zeitalters  der  Entdeckungen.  Ber- 
lin IHHI. 

Landsgemeinden ,  freie  %  ent- 
wickelten sieh  ähnlich  wie  die  Städte 
dadurch,  dass  ältere  ländliche  Ge- 
nossenschaft 'u  vorübergehend  oder 
dauernd  sich  zu  territorialen  Ge- 
meinwesen erhoben  und  poli- 
tische Unabhängigkeit  behaupteten 
oder  er  k  äm  pf ten .  Sie  kommen  haupt- 
sächlich in  den  Alpen  und  bei 
Friesen  und  Dittnarsen  zur  Ent- 
wicklung. Das  Resultat  dieses  Pro- 
zesses ist  ein  dreifaches:  entweder 
erringen  sich  diese  Gemeinschaften 
volle  Reiehsfreiheit,  oder  es  blieb 
eine  Reichsvogtei  bestehen,  ohne 
die  Genieindeverfassung  zu  hindern, 
oder  es  entstanden  landesherrliche 
Landsgemeinden,  welche  in  grösserer 
oder  geringerer  Abhängigkeit  von 


landesherrlichen    Vögten  standen. 
Die  früheste  Entwicklung  dieser  Art 
fand  in  den  schweizerischen  Wald- 
stetten  Uri,    Sehwys  und  Unter- 
waiden statt,  denen  später  Glartis, 
das  Amt  Zug  und  Appen/eil  folgten. 
A n  der  Spitze  der  /.aiater  und  ihrer 
Landsgemeinden,  bis  zum  15,  Jahrb. 
fand  tag  genannt,   standen  freige- 
wählte Ammänncr,  welche  aus  rein 
I  richterlichen    Beamten  entstanden 
(waren;  erst  später  tritt  neben  sie 
i  ein  Rat.  Die  Entwicklung  der  freien 
Landesverfassungen     im  Norden 
j  Deutschlands  geht  langsamer  und 
unvollkomnincr  vor  sicfi;  iu  noch 
|  engeren  Grenzen   halten  sich  die 
gemeine  Landschaft  des  Rheingaus, 
die  Hauensteiner  Einung  im  Schwarz- 
wald, die  Landgemeinde  der  Abtei 
Kempten,  die  gemeine  Landschaft 
der  zu  Corvey  gehörigen  alten  Mark 
Huxari,  das  Land  Delbrück  u.  a. 
Cierke,  Genossenschaftsrecht  I.  §.49. 

Landsknechte  heissen  seit  dem 
letzten  Viertel  des  15.  Jahrhunderts  bis 
zum  17.  Jahrhundert  Söldner  zu  Ftsx; 
der  Name  ist  einerseits  dadurch  ent 
standen,  dass  eine  königliche  Satzung 
I  Worms  1495)  ausdrücklich  verord- 
nete, dass  die  Söldner  aus  den  Land- 
schaffen  im  Reich  angeworben  wen len 
sollten,  andererseits  im  Gegensatz 
zu  den  Schweizern ,  deren  Feind 
sehaft  mit  den  Landsknechten  sprich- 
wörtlich war.  Früh  kam  die  Uni- 
dentung  von  Landsknecht  in  Lanz- 
knecht auf.  In  rechte  Aufnahme 
kam  das  Institut  der  Landsknechte 
erst  unter  Maximilian  I.,  der  „das 
Fussvolk  nach  Art  der  römischen 
Legionen  in  Haufen,  Regimenter, 
teilte,  dieselben  mit  langen  Stangs- 
spiessen  oder  l'iouen  versehen  lassen 
und  sie  in  diesem  Gewehr  dermasscn 
abgerichtet,  dass  sie  es  allen  ;m- 
dern  Nationen  zuvorthaten,  dannen- 
hero  von  dieser  Zeit  an  kein  Krieg 
in  Europa  ohne  die  Teutschcn  Lanz- 
knechte geführet  worden  und  kein 
kriegführender  Potentat  derselben 
I  entbiiren  wollen."   Der  „Orden44  der 


568 


Landsknechte. 


Landsknechte  setzte  sich  aus  Edel- 
leuten,  Bürgern  und  Bauern  zu- 
sammen; bald  aber  herrschte  das 
bürgerliche  Kletnent  vor,  und  der 
Orden  wurde  zur  Zunft,  die  ihre 
eigene  Verfassung  hatte.  Die  Vor- 
nehmen bildeten  uas erste,  die  Bürger 
und  Bauem  das  zweite  „Blatt*4. 
Jeder  Hauptmann  warb  sich  ein 
„Fähnlein**  von  4—600  Mann,  «las 
vermöge  der  gemischten  Bewaffnung 
für  sich  nicht  nur  eine  Verwaltungs- 
einheit, sondern  auch  eine  taktische 


der  Ausartung  der  Sitten  höch$t 
prunkvoll,  sodass  die  Geistlichkeit 
von  der  Kanzel  gegen  den  ..hWn 
teufel"  auftrat. 

Zur  taktischen  Kinheit  wird 
später  der  „Haufen*4,  der  sicli  nieist 
ziemlich  regellos  «lern  Feind  ent 
gegenwalzte.  In  Feindesnähe  £thn 
einige  Schützen  als  „Läufer44  cxlei 
als  „verlorener  Haufe"  voraus;  ihm-- 
folgt  das  Gros,  der  „helle  Haute** 
nachdem  nach  guter  Vater  Situ 
das  Gebet  verrichtet,  wohl  aael 


Einheit  bildet«'.    Jeder  Hauptmann  eine  Erdscholle  als  Hostie  in  &ti 


hatte  um  sich  einen  „Staat4*  {e*/a/, 
Stab)  von  einigen  Trabanten  und 
Buben.  Er  war  beritten,  focht  aber 
an  der  Spitze  seines  Fahnleins  zu 
Fuss  und  war  selbst  bewaffnet  mit 
einer  Streitaxt,  Helmbarte  oder  einem 
Schwerte.  Ihm  zur  Seite  standen 
der  Fähnrich,  Lorofenente  (Stellver- 
treter des  Hauptmanns)  und  der 
Fcldwaibel.  Ferner  zählten  zum  Zuge  i  Weise,  nur  dass  hier  die  Fuss 
die  „zwei  Spiel*4, eiu  Trommelschläger  I  Pferde  ihr  Ziel  waren.  Siebe  J 


Mund  genommen  worden.   Das  Vi 

feschrei  war:  „Her!  Her!-* 
landgem^nge  war  furchtbar, 
schwangen  sie  knieend  oder  kr* 
chend  ihre  Kurzwaffen  gegen  <fi 
unteren  Gliedmassen  der  F**ii*l 
„sie  schnitten  blutige  Hosenbändei' 
Auch  gegen  die  Keiterci 
die    Koudartschiere    in  ;»lml 


und  ein  Pfeifer,  und  endlich  der 
Schreiber,  Kaplan  und  der  Feld- 
scherer. Eine  Anzahl  Fähnlein  bilde- 
ten zusammen  ein  Regiment,  dem 
ein  Oberst  vorstand.  Die  bekann- 
testen und  berühmtesten  Lands- 
knechtsobersten waren  Georg  von 
Frundsberg,  der  „Vater  der  Lands- 
knecht«'*, tlie  beiden  Brüder  von  Embs 
und  Schärtlin  von  Burtcnbach.  Zum 
Stabe  des  Obersten,  den  sogenann- 
ten hohen  Ämtern,  gehörten  der 
Schultheis ,  Oberstwachtmeister, 
Quartiermeister  und  Strafer  oder 
l'rofos.  Unter  letzterem  standen 
der  Stockmeister  mit  den  Stecken- 
knechten und  der  Freimann  (Scharf- 
richter),    sowie   der    Huren  waibel 


Geschichte  des  Kriegswesens. 

Unter  den  Gestalten  der 
laufenden  Kulturzustände  des  H 
gehenden  Mittelalters  spielen  i 
Landsknechte  eine  hervorra^r»** 
Holle.  Gewiss  in  den  meisten  Fl! 
aus  Leuten  zusammengesetzt,  dt« 
von  Natur  und  1  rznhung  «■ 
bundenes  Soldatenleben  Bedarf 
war,  leistete  ihre  Schar  dem  tä 
nach  individueller  Willkür  und  fi 
heit  in  jeder  Beziehung  Votrscta 
sie  schweifen  aus  in  Sjx-ise  1 
Trank,  Vergnügung  uud  KJ-i' 
sie  bilden  bei  sich  ein  eigew* 
der  Standes -Ehre  aus.  das 
Frömmigkeit  (Tapferkeit»  nicht] 
der  als  auf  die  nacktote  G«*j 
sucht  und    auf  Vc  räch  tun*: 


samt  dem  Rennfähnrich  und  dem 

Knmovmeister  zur  Beaufsichtigung  bürgerlich  ehrbaren  IxbeiiaVuSlt 

des  überaus  zahlreichen  Trosses  von  gerichtet  ist;  sie  haben 

Weibern  und  Buben.  den  Studenten,  anderes 

Bewaffnet  waren  die  Landsknechte  Pfaffen  und  Schreibe.ru, 

mit  Spi essen  oder  Schlagwatfen,  be-  Schelmen  und  Landfahrern.  Ml 

kleidet  anfänglich  dem  Zweck  ent-  mit  dem  Adel  gemeinsam, 

sprechend  zwar  farbenfreudig,  doch  Zweifel  darum,   weil  sie  süh 

beweglich  und  knapp,  später  mit  allen  genannteu  Stauden 


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Landsknechte. 


560 


rekrutieren.  Viel  wirkt  dazu  ihr  feind- 
seliger Vorkehr  mit  den  Sehweizern, 
deren  trotzige  Kricgslust  damals  aufs 
höchste  gestiegen  und  die  abzu- 
trumpfen ihnen  besondere  Herzens* 
angelegcnheit  war;  auch  ihr  häufiger 
Dienst  auf  italienischem  Hoden  mag 
bei  ihnen  bleibende  Charakterzüge 
hinterlassen  haben. 

SefntjffUtn  Frank  spricht  sich  in 
seiner  „Chronika"  mit  heiligem  Eifer 
gegen  die  Landsknecht»1  aus:  „Es 
ist  durch  die  bank  hindurc  h  in  alweg 
und  alzeit  ein  böss  unnütz  volk,  nit 
weniger  dann  münch  und  pfatfen. 
Ist  es  im  krieg,  so  ist  under  tausent 
kaum  einer  an  seinem  sold  benüegig, 
Bänder  stechen,  hawen,  gotslestem, 
huoren,  spilen,  morden,  brennen, 
rauben,  witwen  und  weisen  machen, 
ist  ir  gemein  hantwerk  und  höchste 
kurzweil.  Wer  hierin  küen  und 
keck  ist,  der  ist  der  best  und  ein 
freier  lamUknecht;  der  muoss  vornen 
daran  und  ist  würdig,  dass  er  ein 
tloppeUoldua'  sei ,  also  ist  der  böst 
under  inen  der  best.  Wer  nit  zuogrei  fen 
und  martern  kann,  der  taugt  nicht. 
Kummen  sie  dann  nach  dein  krieg 
mit  dem  bluotgelt  und  schweiss  der 
armen  heim,  so  machen  sie  ander 
leut  mit  inen  werklos,  spaeieren 
müessig  in  der  statt  ereuzweiss  umb 
mit  jeuermans  ärgernus,  und  sind 
niemaut  nicht  nutz  dann  den  würten 
(seind  sie  anders  auch  disen  nutz), 
und  stellen  sich,  als  sei  inen  geboten, 
sie  sollen  eilents  wider  verderben. 
Die  andern,  denen  die  beut  nicht 
geraten  ist,  laufen  dausseu  auf  der 
qart  umb,  das  zuo  Teutsch  bettlen 
heisst,  des  sich  ein  frummer  heid, 
will  gesch weigen  ein  ehrist,  in  sein 
herz  hinein  schämet.  Es  hat  sich 
aber  diss  volk  vermocht  in  der 
Linein,  dass  es  sich  keiner  bossheit 
Bchämbt,  sunder  fjeruemht  will  sein, 
und  bei  dem  man  dorchauss  das 
gegenteil  eines  Christen  findt,  wie- , 
wol  mau  jetzt  guote  Christen  auss 
inen  machen  will  und  sie  inen  selbs 
den  'namen  geben  haben,  dass  man  | 


sie  frummelaml*knechf\\Qmwr\  muoss. 
Die  anderen,  den  die  beut  geraten 
ist,  sitzen  in  wirtzhäusern,  Schlem- 
men und  deinmen,  biss  sie  kein 
pfenning  mer  haben,  laden  gest, 
sagen  von  grossen  streichen,  was 
sie  sich  under  den  pauren  er- 
litten haben,  und  bringen  also  die 
andern  auch  von  irer  arbeit  auf 
zuo  dem  müessiggang,  bringens  ein- 
ander (trinken  einander  zu)  auf 
einen  zuokünftigen  krieg,  und  ver- 
füert  einer  den  ander,  dass  die  weit 
voll  krieger  und  mücssiggenger  wirt 
Und  wie  vor  zeiten  ein  jedes  gc- 
schlecht  (jede  Familieleinen  ffaflen 
haben  wolt,  jetzt  muoss  jedes  nit 
einen  landsknechf,  sunder  r/7  haben. 
Darnach  so  die  beut  hindurch  ist, 
do  hüeten  sich  die  armen  pauern, 
die  müessen  sieh  leiden  und  her- 
haben. Do  fahen  sie  an  zu  garten, 
terminiren  und  zuo  teutsch  betlen 
und  sich  auf  die  armen  leut  strecken, 
biss  wider  ein  guot  geschrei  kumpt, 
darab  jedermann  ersehriekt,  dann 
sie  allein  nit.  Darumb  ist  anderer 
leut  unglück  ir  höchstes  glück,  wie 
sie  achten  und  doch  nit  ist.  Ich 
geschweig  die  Verkürzung  des  lebens, 
dann  man  selten  ein  alten  Lands- 
knecht findt." 

Doch  haben  weder  die  Lands- 
knechte selber  noch  ihre  übrigen 
Zeitgenossen  einzig  dieses  düstere 
Bild  von  ihnen  gewonnen.  Denn 
was  sie  selber  betrifft,  so  lieben  sie 
es,  sich  im  Spiegel  der  Dichtung  zu 
beschauen,  deren  Grundton  bald 
mutwillige  Lebenslust,  bald  rührende 
Klage  über  ihr  elendes  Schicksal  ist. 

Bei  Ukland,  Volkslieder,  nehmen 
dieLaudsknechtslieder  die  Nummern 
188— 199  ein;  die  historischen  Lieder 
stehen  bei  Lifienkron. 

Der  Landsknecht  wurde  aber 
auch  von  anderen  Dichtern  zum 
Inhalt  ihrer  Dichtungen  gemacht: 
namentlich  hat  Harn  Sachs  einen 
Landsknechtspiegel  in  Spruehforin 
gedichtet  und  zwei  Sehwänke  in 
Gesprächsform,  St.  Peter  mit  den 


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:>70 


Landwehren.  --  Lanze 


lantsknechten  und  Der  tenfel  lexst 
kein  lant/.knecht  mer  in  di<*  helle 
fahren.  In  «lern  ersten  dieser  <»«•- 
spräche  kommen  neun  qttrfeafo, 
d.  h.  bettelnde  und  gelegentlich  steh- 
lend herumziehende  Landsknecht«' 
zufällig  uns  Himiin'lsthor,  wo  sie  an- 
klopfen. Da  der  Herr  nicht  gewillt 
ist,  sie  sofort  einzulassen,  trotz 
St.  Peters  Fürsprache,  fanden  sie 
draussen  an,  „martcr,  leiden  und 
saerament"  zu  flachen.  St.  Peter, 
der  Meinung,  das  seien  geistliche 
Heden,  legt  wiederholte  Fürbitte  für 
die  Rotte  ein  und  erhält  schliesslich 
die  Erlaubnis,  sie  einzulassen;  doch 
möge  er  selber  zusehen,  wie  er  sie 
wieder  herausbringe.  Kaum  sind  sie 
im  Himmel,  so  setzen  sie  sich  nieder, 
nehmen  die  Würfel  hervor,  und  es 
dauert  keine  Viertelstunde,  dass  sie 
von  Leder  zücken  und  aufeinander 
einbauen,  auch  St.  I'eter  selbst,  der 
ihnen  wehren  will,  durchprügeln, 
.letzt  erbarmt  sich  aber  der  Herr 
des  Hiininelspförtners  und  giebt  ihm 
den  Rat,  er  möge  einen  Kugel  einen 
Ijüfman ,  d.  h.  Appell  (von  franz. 
altirnw,  ital.  all  arme,  Alarm)  mit 
der  Trommel  sehlagen  lassen. 

Itald  der  cngel  den  lerrnan  schlug. 
Innen  die  landsknccht  on  Verzug 
eilent  us  durch  das  himeltor, 
meinten,  ein  Icrman  wer  darvor. 

Vgl.  W'rsscltj,  die  Landsknechte, 
(töilitz  1K77,  und  Ulan,  die  deut- 
schen Landsknechte,    Görlitz  1SS2. 

Landwehren,  auch  Zargen  von 
ahd.  ztirf/ti  —  Hand,  oder  fjfz*n  ge- 
nannt, heissen  einfache  Grcnzbefcsti- 
gungen  des  Mittelalters.  Sie  bestan- 
den entweder  in  Wall  und  (iraben 
oder  nach  alter  Weine  in  einem 
lebendigen  Zaune  oder  in  beiden 
zugleich.  In  der  Kegel  zog  mau  sie 
über  Alinendcu(Oemeindegüter)  und 
unbebautes  Land.  Di«'  Durchlässe 
sicherten  starke  hölzerne  tiitterthore 
(< Trendel,  Serren)  mit  vorgeschobe- 
nen Balken  oder  Schlagbäumen,  und 
oftmals  lagen   hinter  den  Thoren 


noch  Wighauser  (tnh  l.  wirhns  « 
Kampfhausl  oder  Blockhäuser.  Line 
hervorr.'igeiule  Rolle  spielten  die 
Letzen  (schweizerisch  plur.  Letzt  n* n) 
in  den  liebirgsk Hegen  der  Schweiz. 
John*,  Kriegswesen.  S.  1109  ff. 

Lanze.  Wie  die  Keule  als  älteste 
Schlagwaffe,  so  ist  die  Lanze  als 
Stich-  und  Wurfwaffe  bei  allen  alten 
Völkern  liekannt.  Aufgefundene 
Lanzenspitzen  zeugen  davon,  dass 
schon  die  l'fahlbautcnbcwohncr  sich 
ihrer  bedienten,  und  na-  h  römischen 
Berichten  war  die  germanische  Lanze 
nicht  ohne  (Irund  gefürchtet.  Der 
Schaft  derselben  bestand  aus  einer 
schweren  Stange,  an  der  vorn  eine 
1  1  V-,  Fuss  lange,  handbreite,  zwei- 
schneidige Spitze  von  Lisen  befestigt 
war.  Neben  diesem  schweren  Lang- 
speer  führten  die  (iermanen  mit 
ausserordentlicher  Kraft  und  Sicher- 
heit auch  den  Wurfspiess,  der  ent- 
weder von  blosser  Hand  oder  an 
Riemen  geschleudert  wurde. 

Besondere  Beachtung  verdient 
der  in  den  merowingischen  <  Jraheni 
gefundene  4  Fuss  lange  Speer  mit 
Widerhaken,  der  Aiigou,  ahd.  attfo 

!  (Angel).     Agathias  beschreibt  ihn 

1  folgendermassen :  Die  Angonen  sind 
nicht  ganz  kurze,  aber  auch  nicht 
sehr  lange  Speere,  zum  Wurf  taug- 
lich wie  zum  Kampf  in  der  Nähe. 
Sie  sind  zum  grössten  Teil  mit  Kisen 

I  bedeckt,  sodass  vom  Holze  nur  wenig 
und  kaum  so  viel,  als  für  das  untere 
Beschläge  hinreicht,  zu  sehen  ist. 

1  An  dem  oberen  Teile  des  Speeres 
ragen  jedoch  auf  beiden  Seiten  ge- 
krümmte Spitzen  vor,  welche  haken- 
förmig zurück-  und  abwärtsgebogen 
sind.  Im  Kampf  wirft  der  fränkische 
Krieger  den  Angon,  der,  sobald  er 
den  Körper  trifft,  üb  raus  tief  ein- 
dringt und  vom  Verwundeten  nicht 
herausgezogen  werden  kann,  der 
Widerhak  en  wegen,  welch«»  furcht- 
bar«' und  tödli«-he  Schmerz«'n  v«*r- 
ursach«'!».  Sieht  »li«*ses  der  Franke, 
so  springt  er  hinzu,  «lrückt  durch 
einen  Tritt  auf  den  Speer  mit  der 


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Lanzelet  oder  Lanzelot. 


571 


Last  seines  Körpers  den  Schild  des  schock  (Angriff)  sieh  schnell  zurück- 

Gegners  lienib  und  tötet  den  nun  zog  auf  den  freien  Platz,  wo  er  den 

unbedeckten  mit  der  Axt  oder  einem  allfällig  zersplitterten  Schaft  gegen 

alldem  Speer.  —  Dieser  Speer  wird  einen  neuen  vertauschte  und  dann 

Bryntkavar    i  Panserbrecner )    ge*  den  Anlauf  erneute.  Dieses  Manöver 

nannt.    Mit  dem  Schaft  schiessen  war  um  so  eher  möglich,  weil  die 

gehört  zu  den   Fcehtübungcn  der  Ritterschaft   nur  in  einem  Glied«' 

Jugend,  Sperr-  und  Steinwerfen  zu  attakierte;  es  Ines  „die  AvVe",  und 

den  heldenhaften  Kraftübungen.  daher  findet   man    bei  den  alten 

Die  deutsche  Bezeichnung  der  Dichtern   so   oft   statt    des  Hufes 

Waffe  ist  der  und  Speer,  ahn.  //eV,  „Vorwärts!'*  den  Kampfruf:  „XvVfJ 

agls.  gd,  nord.  <pir;  ahd.  sper,  spe-  ker!" 


Nicht  immer  führte  übrigens  der 
Ritter  im  Gefechte  den  schweren  so- 


ri/iii,  agls.  xiu  r,  engl,  tpear.  Weniger 
gebräuchlich  ist  Sjiiexx,  ahd.  speuz, 

9/tioz,  nord.  sjtiot,  agls.  spietu.  Gleich- 1  genannten  Kürassspicss,  die  Gläfe; 
bedeutend  ist  Lanze,  it.  hinein,  sp. 
lanza.  Speer  und  Lanze  verdrängen 


bei  den  Kunstdichtern  «las  Wort  oer, 
das  mehr  in  den  Heldensagen  bei- 
behalten wird.  Die  beiden  Teile 
des  Speeres  heissen  überall  Schaft 
und  Spitze.  Der  Schaft  ist  aus 
Eschen-,  Hartriegel-  oder  Eibenholl 
gemacht,  nach  verschiedenen  Dich- 
tern auch  aus  Horn,  Kühr,  oder 
Elfenbein.  Oft  war  der  Schaft 
bemalt,  oft  rauh,  unentrindet  (unbe- 
xniten  und  unl*'*chtthcn).  Der  mit 
einer  Spitze  versehene  Schaft  war 
ffexc/tifte/.  Die  Spitze  war  entweder 
dolchartig  spitz  oder  blattförmig, 
doch  stets  zweischneidig.  Beim 
Kampfe  zu  Ross  wurde  der  Speer 
nur  als  Stosswaffe  gebraucht,  doch 
licss  sich  der  Kitter  deren  mehrere 
nachtragen.  Für  das  Turnier  be- 
nutzte man  die  Turnierlanze,  welche 


oft  wählte  er  auch  den  leichten 
raixxpiz  (Ueisespiess,  Spiess  der 
Reisigen,  Reiterspicss),  der  minder 
lang  und  stark  war  und  keine  Brech- 
Bcheibe  (Einbuchtung,  Griff)  hatte. 

Auch  der  Speer  hatte  seine  sym- 
bolische Bedeutung.  Ermangelt  er 
der  Spitze,  so  ist  er  ein  Zeichen  des 
Friedens.  Speer  und  Sehwert  be- 
deuten in  der  älteren  Zeit  den  Manns- 
Btamm  im  Gegensatz  zu  Spindeln 
und  Kunkel;  daher  den  Ausdruck 
xnermthfc,  (fernuhfe,  sicer/maffe  als 
Verwandtschaft  v.  Seite  des  Mannes. 
.tpi/tnuiffe,  kunkelnuhje  von  Seite  des 
Weibes.  Speer  wie  Stab  und  Fahne 
W&rcn  für  Könige  ein  Symbol  der 
Übergabe  von  Reich  und  Land:  der 
Speer  war  das  Symbol  der  Herrschaft, 
wie  später  das  Schwert.  Er  diente 
auch,  wie  Hut  und  Pfeil)  zur  Ansage 
des  Kriege«  bei  den  Römern,  Schotten 


Spitze     das     gezackte  und  Skandinaviern.  Nach  San  -Mnrtf , 


oder   auch  ganz 


statt  d« 
Krönlein  trug 
stumpf  war. 

Im  Lanzeiikampfe  genoss 
französische  Gendarmerie:  des  besten 
Rufes;  grosse  Erfolge  hat  indessen 
auch  sie  nicht  aufzuweisen.  Die  im 
14. und  15.  Jahrhundert  bis 4m  langen 
Lanzen  wurden  vielmehr  oft  ver- 
hängnisvoll, falls  der  erste  Angriff 
den  Feind  nicht  in  die  Flucht  schlug, 
denn  im  Gedränge  fehlt«'  es  an  dem 
nötigen  Raum,  sie  zu  handhaben 


Waffenkund» 

Lanzelet  oder  Lanzelet  ist  der 
die  Name  des  Helden  eines  höfischen 
Artusgedichtes,  das  der  Thurgauer 
Ulrich  von  Zatzikhoven  um  12(K)nach 
einer  französischen  Quelle  dichtete. 
Der  Mittelpunkt  der  Lanz.-Sage  ist 
ein  ehebrecherisches  Liebesverhält- 
nis zwischen  Lanzelot  und  Ginevra. 
Die  Sage  war  weit  verbreitet,  nament- 
lich auch  in  französischen  und  deut- 
schen I'rosarnmaneudcs  Uui.lfi.Jahr- 


Es  kam  daher  sehr  viel  darauf  an,  |  hunderts.  Vergleiche  Ilnehfoltl.  der 
dass  der  Ritter  nach  dem  ersten  |  Lanzelet  des  U.  v.Z.  Frauenfeld,  1870. 


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572  Interne.  —  Leinde. 


Laterne.     Siehe   den    Artikel  I  denen  die  Martyrologen  mir  sehr 

Lf-neUter.  wenig  zu  sagen  wussten.   Die  ülte- 

Laurin,  siehe  Heldensage.  •'«ton  in  der  abendländischen  Kirche 

Leberrcinie  sind  eine  Art  Sinn-  entstandenen  derartigen  liegenden 

gediente,  welche  von  einem  gew  issen  sind  die  drei  vom  heil.  Hieronymus 

S»  hävius  erfunden  »ein  Hollen  und  verfassten    Vitae  des    Paulu*  »v>« 

den  n  erste  /eile  allemal  mit  den  T liehen ,  des  Mönches  Muteltu*  und 

Worten  anfangt:  die  Leber  ist  von  des  heil.  HUarion.  In  ihnen  trieb 
einem  Hecht  und  nicht  von  einem  die  Phantasie  der  Geistlichkeit,  der 

 Ihre  Blütezeit  ist  im  17.  Jahr-  Heldensage  angewandt,  ihre  selt- 

hundert.  samsten  Blüten  und  wunderbarsten 

Lebende,  mhd.  leitende,  aus  lat.  Gebilde,  welche  wiederum  auf  die 
fetfenJ<i ,  d.  h.  was  beim  täglichen  «ranze  Denkweise  des  Mittelalters 
Gottesdienst  vorzulesen  ist.  Dieser  den  grössten  EinHuss  hatten.  Doch 
lätteraturzweig  findet  seinen  Anfang  lassen  sich  zwei  Elemente  der  Le- 
in  den  Mttrti/ro/oifien,  d.  h.  Märtyrer-  gende  unterscheiden,  die  eich  auch 
Verzeichnissen,  welche  einen  Ted  des  in  den  Namen  Vita  und  I*egenda 
ältesten  christlichen  Kalenders  bil-  kenntlich  inachen,  ein  historiseh- 
deteil  und  in  welche  zu  den  blossen  biographisches  und  ein  poetisch- 
Namcn  bald  auch  Nachrichten  über  erbauliches.  Das  erstere,  selten  rein 
Leiden  und  Lehen  der  Märtyrer  und  vorhanden,  wirkt  doch  mehr  in  den 
Bekenner  hinzugefügt  wurden.  Die  älteren  Perioden  vor,  das  andere, 
ältesten  Martvrologien  tragen  den  dem  namentlich  das  Wunder  dient, 
Namen  des  Hieronymus,  doch  mit  nimmt  seit  der  asketisch-kirchlichen 
Unreeht,  sie  stimmen  selten  überein.  Richtung  des  1 1.  Jahrhunderts  be- 
widerspreehen  sich  oft  und  sind  nichts  sonders  überhand;  viel  Legenden- 
als  Heiligenkalendarien ,  wie  sie  in  stolf  tliesst  aus  mythischen  Er/äh- 
don  verschiedenen  Klöstern  geführt  Inngen  des  Heidentums,  die,  sich 
wurden.  Die  grösste  Verbreitung  au  einen  christlichen  Helden  an- 
fand »las  Martyrologium  des  Beda  lehnend,  dadurch  ein  längeres  Leben 
Venerahilis.  gestorben  735, des  angel-  fristeten.  Viele  Legenden  wurden 
sächsischen  Gesehichtschreibers  und  älteren  nachgemacht,  besonders  in 
Verfassers  der  Ostcrtafeln;  nament-  den  Klöstern,  welche  für  ihre  Rcli- 
lich  in  Gallien,  dann  auch  in  Deutsch«  quien  auch  der  Legende  bedurften, 
land  wurden  die  Martvrologien  im  Bald  hatte  man  Legenden  für  jeden 
1».  Jahrhundert  mit  grosser  Vorliebe  Tag  im  Jahre,  die  seit  dem  10.  Jahr- 
behandelt; eine  metrische  Bearbei-  hundert  in  kleinere  Sammlungen 
tung  verfasste  Wandelhert ,  Mönch  vereinigt  wurden.  Die  verbreitetste 
zu  Prüm,  eine  andere  in  Prosa  Legendensammlung  aber  des  Mm.  1- 
Hhahanu*  Maurus  um  H4">,  wieder  alters  war  die  J.egenda  aurca  des 
rine  solche  auf  Befehl  Karl's  des  Jaeohus  a  Voraffine,  Erzbisehof  von 
Kahlen  Huward  und  zuletzt  der  Genua,  gestorben  1298;  durch  zahl- 
st. Galler  Ao/for  der  Stamm/er,  lose  Abschriften  verbreitet  und  in 
gestorben  91 2,  nnd  in  Versen  Krehem-  fast  alle  lebenden  Sprachen  über- 
jiert ,  «1er  Möneh  von  Montecassino.  setzt,  entsprach  das  Buch  für  den 
Damit  hörte  aber  die  Bearbeitung  praktischen  Gebrauch  auf  der  Kanzel 
der  kurzen  und  dürftigen  martyro-  und  besehränkte  den  ganzen  Kreis 
logischen  Aufzeichnungen  auf,*  da  der  Heiligengeschichte  auf  den  Um- 
man  bereits  eine  sehr  grosse  Zahl  fang  eines  Bandes, 
ausführlicher  Legenden  besass,  teils  Ausser  der  Heiligenlegende  hat 
aus  der  Zeit  der  Merowinger,  teils  das  Mittelalter  auch  einen  reiehen 
auch  über  jene  alten  Märtyrer,  von  Legendeneyklus  entwickelt,  der  sieh 


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Lcgcs  barbarorum. 


573 


an  Christof,  an  Maria  und  zum  Teil  J  bürg  1471  ;  sie  pflegen  in  Summerteil 
an  die  Apostel,  namentlich  an  Petrus  i  und  Winterfell  getrennt  zu  sein, 
ansehliesst;  die  Quellen  derselben  |  Wattenhaeh,  Gesehichtsqucllcn  und 
waren  besonders  die  apokryphischen  ;  Waeleruaqel ,  Litteraturgescbiclite. 
Evangelien,  wie  < las  des  Nikodemus  Legcs  barbarorum,  Volksreehte, 
und  der  Kindheit  Jesu  und  apokry  heissen  die  ältesten  Rcehtsaufzeich- 
phischc  Darstellungen  des  Lebens  nungen  der  germanischen  Stämme 
der  Maria.  Diese  Legenden  sowohl  nach  der  Völkerwanderung.  Vor 
als  die  eigentlichen  Heiligcnlegcnden  der  Völkerwanderung  hatten  die 
sind  seit  dein  12.  Jahrhundert  von  I  Germanen  keiner  geschriebenen  Ge- 
deutschen Dichtern  geistlichen  oder  .  setze  bedurft;  «'ist  als  sie  sich  nach 
höfischen  Standes  vielfach  bearbeitet  den  Kämpfen  mit  den  Kömern  teil- 
worden, so  der  heilige  Anno,  Erz-  weise  auf  römischem  Hoden  nieder* 
bisehof  von  Köln,  gestorben  1075,  gelassen  und  neue  Stallten  gebildet 
Aegidius.  Creseentia,  Johanne«  der  hatten,  in  welchen  Deutsche  und 
laufer.  Margareta^  Servatius,  JJau-  Körner  nebeneinander  lebten  und 
tu*.  Yeroniea,  Pilatus,  die  heilige  die  Verhältnisse  verwickelter  gewor- 
litisalrfh,  Uregorins  auf  dem  Steine  den  waren,  trat  das  Bedürfnis  ein, 
von  Hartmann  von  Aue,  der  arme  neben  der  Feststellung  des  von 
Heinrieh  von  ebendemselben,  liar-  früher  her  bestehenden  Rcehtes  zu- 
Ittam  und  Josaphat,  ursprünglich  das  «deich  die  neuen  Verhältnisse  reckt« 
Leben  Buddhas,  aber  schon  im  lieh  zu  fixieren.  Die  Volksrechte 
christlichen  Orient  zur  Legende  um-  sind  darum  nicht  bloss  Aufzeich- 
gebildet,  Silrester  und  viele  andere.  I  nungen  des  Gewohnheitsrechtes,  son- 
Schliesslieh  bearbeitete  ein  mibe- 1  dem  zum  Teil  Ergebnisse  der  Ver- 
kannter Dichter  des  13.  Jahrhunderts  [  einbarung  des  gesamten  Volkes  über 
in  seinem  J'assional  den  Gesamtstofi'l  dasjenige,  was  es  als  Recht  befolgen 
in  drei  Büchern,  deren  erstes  dem  |  wollte,  oder  der  Gesetzgebung  des 
lieben  Jesu  und  Märiens,  das  zweite  Königs.  Die  besondere  Entstehung 
den  Aposteln  und  Evangelisten,  das  dieser  Keehtsaufzeichnungen  und  der 
dritte  nach  der  Ordnung  des  Kirchen-  späteren  ist  meist  in  tiefes  Dunkel 
jahresden  anderen  Heiligen  gewidmet  i  gehüllt;  doch  enthalten  manchmal 
ist.  Das  Gedicht  umfasst  mehr  als  I  die  Prologe  oder  Epiloge  mehr  oder 
1 00  ü(K)  Zeilen.  Derselbe  ungenannte  minder  beglaubigte  Nachrichten  über 
1 'rediger  beschrieb  auch  in  einem  den  Ursprung  des  Gesetzes.  Das 
andern  Werke,  der  reter  huoeh.  das  wichtigste  Motiv  für  dio  Aufzeichnung 
Leben  der  sogenannten  Altväter  des  Rechtes  scheint  die  Berührung 
oder  ersteu  Mönche.  Die  letzten  mit  den  Römern  abgegeben  zu  haben, 
Jahrhunderte  des  Mittelalters  bear-  deren  Recht  mit  demjenigen  der 
beiten  Legenden  mit  Vorliebe  in '  eingewanderten  Deutschen  gegen- 
deutscher Prosa,  sowohl  einzeln  als  seitig  zu  vereinbaren  war;  man  er- 
in  ganzen  Sammlungen.  Das  letztere  kennt  das  daraus,  dass  die  ersten 
that  u.  a.  Hermann  von  Fritzlar  im  leges  solchen  Stämmen  angehören, 
14.  Jahrhundert  und  zwar  wieder  welche  am  frühesten  auf  römischem 
durch  alle  Monate  hin  nach  der  Boden  einwanderten.  Eine  fernere 
Folg«' der  Namenstage  in :  daz  huoeh  Veranlassung  zu  Reehtsaufzoieh- 
ron  der  heiligen  fehine;  andere  spä-  nungen  trat  dann  ein,  wenn  mehrere 
tere  Sammlungen,  die  den  Namen  bisher  voneinander  unabhängige 
l'assionale  aller  Heiligen  oder  der  Gemeinden  oder  Staaten  durch  Er- 
J fei/igen  hhen  tragen,  sind  im  1f».  oberung  miteinander  vereinigt  wur- 
Jahrhundert  durch  frühen  Druck  den,  wobei  dann  eine  Vereinbarung 
vervielfältigt  worden,  zuerst  Augs-  über    gewisse  Rechtsverhältnisse, 


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:>74 


Lcgcs  barbarorum. 


namentlich  über  das  Wcrgcld  und  I  Familienrccht  überhaupt,  dieLeistuiig 
die  Hussen,  zum  Bedürfnis  wurde,  des  Sehadenersatzes  und  die  Ver- 
diejenigen  Volksstämme,  welche  folgung  des  Eigentums  an  beweg; - 
ilnv  einmal  eingenommenen  Wohn-  I  lieben  Sachen.  Rechtssätzc,  welche 
sitze  nicht  mehr  verliesscn,  trat  erst   in  der  Überzeugung  und  der  Kunde 


mit  der  Unterwerfung  unter  das 
fränkische  Reich  ein  Bedürfnis  der 
Kechtsaufzeiehnnng  ein;  derart  sind 
im  6.  und  7.  .Jahrhundert  die  lege* 
der  Hävern  und  Alemannen  ent- 
standen. Karl  der  Grosse  endlich 
Hess  die  Hechte  aller  derjenigen 
Vnlksstämmc  verzeichnen,  welche 
bisher  nur  nach  ihren  Gewohnheiten 
und  den  ungeschriebenen  Verein- 
barungen über  das  Hecht  gelebt 
hatten:  die  Hechte  der  Friesen, 
Sachsen  und  Thüringer.  Auch  der 
ubertritt  zum  Christentum  war  ein 
Anlass,  die  Rechte  der  Kirche  und 
der  Geistlichkeit  festzusetzen  und 
die  mit  der  heidnischen  Religion  zu- 
sammenhängenden Gebräuche  christ- 
lich umzuändern.   Nur  das  salische 

Hecht  ist  noch  vor  der  Einführung  setz,  Recht,  oder  »actus,  pactum  = 
des  Christentums  abgefasst  worden. ;  Vertrag.    Eiltet  us  heissen  die  lange« 


aller  lebten  und  täglich  geübt  wurden, 
überging  man  bei  der  Aufzeichnung;. 
Vielfach  sind  einzelne  Bestimmungen 
und  ganze  Abschnitte  aus  vi  arm 
Recht  in  das  andere  hinübergenom- 
men  worden.  Die  Darstellung  ist 
bald  breiter,  bald  knapper;  manche 
Volksrechte  haben  mehrere  Über- 
arbeitungen erfahren. 

Mit  Ausnahme  der  angelsächsi- 
schen Gesetze  sind  alle  Volksrechte 
in  lateinischer  Sprache  geschrieben; 
doch  findet  man  zerstreut  viele 
deutsche  Worte,  zum  Teil  deutsche 
Redensarten.  Erst  im  '.).  Jahrhundert 
sind  einzelne  Hechtsquellen  deutsch 
übersetzt  worden. 

Der  Name  der  Volksrechte  lautet 
in  den  Quellen  selbst  ahd.  i'wa  =  Ge- 


Überall  scheinen  es  einige  ausge- 
wählte, mit  der  Anwendung  des 
Hechtes  vertraute  Männergewesen  zu 
sein,  denen  man  «las  Geschäft  der  Auf- 


bardischen Königsgesetze,  auch  der 
Name  leffeg  kommt  vor. 

Die  einzelnen  Volksrechtc  sind: 
1.  Lex  Salica,  im  nördlichen 


Zeichnung  übertrug;  wo  aber  durch  Frankreich  heimisch,  wurde  noch  in 


die  Aufzeichnung  ein  neuer  Grund- 
satz aufgestellt  werden  sollte,  war 
es  der  Konig,  der  auf  der  Reichs- 
versanunlung  mit  den  weltlichen 
und  geistlichen  Grossen  und  unter 
Zuziehung  des  Volks  das  neue  Hecht 
verkündete. 

Der  Inhalt  der  Volksrechtc  ist 
mannigfaltig  und  ihr  Umfang  un- 
gleich. Immer  nehmen  die  Husssätze 
für    die   verschiedenen  Rechtsver- 


heidnischer  Zeit  nach  einem  Be- 
schlüsse der  Häupter  des  Volkes 
von  vier  dazu  erwählten  Männern, 
welche  au  drei  Malbergen  zusammen- 
kamen, niedergeschrieben,  später 
aber  von  Chlodewich  und  einigen 
Nachfolgern  überarbeitet.  Das  Ge- 
setz war  noch  zu  Karls  des  Grossen 
Zeit  in  Gebrauch.  Einige  Hand- 
schriften enthalten  häufig  mitten  im 
Text  unter  der  Hezeiclmung  Mal- 


letzungen  und  die  Wergeldbestim- 1  berg  oder  Malb.  altdeutsche  Glossen, 


mungen  für  die  Stände  die  wichtigst« 
Stelle  ein.  1  »aneben  erscheinen  Be- 
stimmungen über  Verfassung  und 
Kirche,  Uber  die  Stellung  der  Römer 
zu  den  Deutscheu,  dann  findet  man 
Verbältnisse  des  Grundbesitzes  und 
die  Formen  seiner  Übertragung 
berücksichtigt,   das   Erbrecht,  das 


gewöhnlich  Malherifischc  (ilossen 
genannt,  die,  von  den  Abschreibern 
trübe  nicht  mehr  verstanden,  bis  zur 
Unkenntlichkeit  entstellt  und  all- 
mählich ganz  weggelassen  wurden. 
Ihr  Name  Malberg  stammt  von 
mal  —  Gerichtsvcrsammlung ,  und 
berg,  d.  i.  der  Platz,  an  welchem 


Güterrecht  der  Ehegatten  und  das  dieselbe  abgehalten  wird;  sie  wurden 


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Legcs  barbarorum. 


575 


r  aus  dem  Keltischen  erklärt, ;  Burgunder  beatimmten  lex  ein  be- 
aber  von  Jacob  Grimm  als  der  <  sou< Irres  Gesetzbuch,  die  lex  ltomuna 


früher 
sind 

deutschen  Sprache  ungehörig  erkannt 
worden.  Vgl.  darüber  Solan,  Bei- 
lage II  zur  Fränkischen  Reichs- 
und  Gerichtsverfassung. 

2.  Lex  Ii ipuariorutR,  das  Kocht 
des  zweitt-n  fränkischen  Huuptstam- 


BurguttdioMum  vertagst  worden. 

6.  Julictu  rrtfum  Lantfobardo- 
nim.  Dieses  Gesetzbuch  '  besteht 
ursprünglich  aus  den  von  König 
Roihit ti,  030  bis  052,  gesammelten 
und  bloss  für  die  deutsehen  Unter- 


mes,  der  ribuarischen  Franken,  aus  t hauen  gültigen  Bestimmungen  des 
dein  0.  Jahrhundert,  galt  in  den  ost-  langobardischen  Gewohnheitsrechtes 
und  rhcitifiäukischcn  Gegenden  und  mit  den  als  notwendig  erkannten 
war  zugleich  das  Recht  des  friinki-  Ergänzungen.  Seinein  inneren  Ge- 
sehen Königshauses.  halt  nach  ist  es  die  vollkommenste 
3.  Lex  Wmgoforum,  besteht  Schöpfung  deutsehcr  Gesetzgebung 
weniger  ans  dem  bisherigen  Ge-  in  dieser  Periode  und  zeichnet  sich 
wohnheitsrecht  der  Westgoten,  son-  nicht  bloss  durch  den  Umfang,  durch 
dem  aus  Konstitutionen,  welche  die  Klarheit  und  Bestimmtheit  in  der 
westgotischen    Könige    mit    ihren  Fassung,  sondern  ebensosehr  durch 


geistlichen  und  weltlichen  Grossen 
auf  den  Reichstagen  berieten,  wobei 
überall  auf  das  römische  Recht  Rück- 
sicht genommen  ist.  Durch  die  un- 
erträgliche rhetorische  Breite  und 
den  gezierten  Wortreich  tum  wird 
dieses  Rechtsbuch  bisweilen  dunkel. 


den  humanen  und  aufgeklärten  Geist 


aus. 


der 


es  durchzieht  In  der 
folgenden  Zeit  kamen  zu  diesem 
Julie/ um  Rutha  ri*  die  Gesetze  der 
späteren  Könige  hinzu.  Auch  nach 
Beseitigung  der  langobardischen 
Könige  erhielt  dieses  Recht  seine 


Ks  hat  sich  aber  sehr  lange  erhalten,  Gültigkeit  und  wurde  nicht  bloss 

und  ist  noch  im  13.  Jahrhundert  in  von  der  späteren  Doktrin  wissen- 

das  Castiliauischc  übersetzt  worden,  schaftlich  bearbeitet,  sondern  auch 

4.  Julie/ um  Theoilurici,  ein  kur-  durch   besondere  Kapitularien  der 

zes  und  dürftiges,  von  Theodorich,  fränkischen  Köuige  ergänzt  und  fort- 


dem  König  der  Ostgoten,  um  500 
ganz  und  gar  dem  römischen  liecht 
entnommenes  Gesetzbuch,  welches 
wahrscheinlich  von  einem  Römer 
im  Auftrage  des  Königs  entworfen 
wurde  und  welchem  Barbaren  und 
Römer  gleich  mässig  unterworfen 
sein  sollten.  Es  hatte  nur  kurze 
Dauer. 

Lex  Bttrqundionum .  um  500 


5. 


gebildet 

7.  LcxAlamaiinoi-ttm.  Der  älteste 
Bestandteil  dieses  Volksrechtes  wurde 
unter  dem  Namen  l'aelu*  um  550 
aufgeschrieben;  dieser  wurde  wieder- 
holt und  mit  bisher  ungeschriebenem 
Gewohnheitsrecht  sowohl  als  mit 
neuer  Legislation  erweitert  durch 
Chlotar  II.  um  020,  der  besonders 
die  staatlichen  und  kirchlichen  Ver- 


durch  König  Gundobald  gegeben,  hältnisse  Alemanniens  im  Auge  hatte, 

ist  weniger  aus  einer  Aufzeichnung  Eine  Revision  dieses  Gesetzes  nahm 

des    Gewohnheitsrechtes  hervorge-  im  8.  Jahrhundort  Herzog  Lantfrid 

gangen,  als  aus  der  Abfassung  ein-  mitGenehmigung  der  Grossen  seines 

zelner  Gesetze,  welche  der  König  Herzogtums  und  des  gesamten  Volkes 

unter  Genehmigung  und  Beirat  der  vor.    Endlich    brachte   Karl  der 

Grossen  des  Reiches  und  mit  Be-  Grosse  oder  Ludwig  der  Fromme 

rücksichtigung  des  römischen  Rechtes  dieses  Volksrecht  in  verbesserte  Ab- 

erliess.    Dieses  Recht  war  in  Bur-  Schriften. 

gund  noch  im  0.  Jahrhundert  gültig.       8.  Lex  liajueariomm.  Es  ist  dies 

Für  die  burgundischen  Börner  war  eine  Kompilation  aus  teils  bayeri- 

als  Ergänzung  der  für  Römer  und  schein,  teils  fremdem,  nämlich  ale 


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57G 


Lehnswesen. 


inanfiischem  und  weatgotischem 
Hecht  und  enthält  Bestandteile  aus 
verschiedenen  Zeiten,  welche  nie 
zu  einem  wirklieh  einheitlichen  Ge- 
setzbuch verarbeitet  worden  sind. 
Die  Redaktion  der  verschiedenen 
zum  Teil  viel  alteren  Bestandteile 
zu  einem  Ganzen  scheint  um  die 
Mitte  des  8.  .Jahrhunderts  stattge- 
funden zu  haben. 

9.  T*fx  An Horum  cf  Werinorum, 
hör  <■*/  Thuringorum.  Dieses  kleinste 
Volksrecht,  für  dessen  Zeit  der  Ent- 
stehung alle  sicheren  Anhaltspunkte 
fehlen,  scheint  in  der  Zeit  Karls  des 
Grossen  entstanden  zu  sein.  Als 
Heimat  des  Gesetzbuchs  nimmt  man 
Thüringen  an,  wo  einst  auch  Angeln 
und  Weriner,  die  man  später  in 
Holstein  und  Schleswig  findet,  sich 
niedergelassen  hatten.  Andere  wei- 
sen das  Gesetz  den  am  Niederrhein 
wohnenden  Tltürintjem  zu. 

10.  Lex  Fruioiutw.  Ks  enthält 
ausschliesslich  Bussbestimmungen 
für  die  einzelnen  strafbaren  Hand- 
lungen, wobei  es  in  detailliertester 
Weise  zu  Werke  geht,  über  Tötung, 
Diebstahl,  Beschädigung,  Missheirat, 
Brandstiftung,  Kaub,  Unzucht, 
Meineid,  Bann,  Körperverletzungen 
und  Beleidigungen.  Auch  dieses 
Gesetz  ist  wahrscheinlich  unter  Karl 
dem  (»rossen  entstanden,  als  802 
auf  «lein  Reichstage  zu  Aachen  die 
Volksrechte  aufgezeichnet  und  revi- 
diert wurden.  Auffallend  sind  die 
deutlichen  Spuren  htidnischerRechtB- 
gebräuche. 

11.  I.t.v  Safonum,  besteht  aus 
drei  gegen  Ende  des  8.  Jahrhunderts 
aufgeschriebenen  Bestandteilen, 
welche  von  Karl  dem  Grossen  auf 
dein  Reichstage  zu  Aachen  802  mit- 
einander vereinigt  wurden. 

Die  :ingcls;icli8i8chen  Gesetze 
übergehen  wir  als  nicht  zum  frän- 
kischen Reiche  gehörig.  i>fal>he.  Ge- 
schichte derdeutschen  Jiechtsijucllen, 
und  \\  alfrr,  Reehtsgesehiehte. 

Lelms«  ese ii.  Bciiell/Jalwesen. 
Die  Entstehung  der  Benelizieu  wird 


von  der  reehtsgeschichtlichen  For- 
schung verschieden  erklärt;  dieeinen 
lassen  die  Benefizien  in  Anlehnung 
an  das  römische  Recht  dadurch  ent- 
stehen, dass  namentlich  die  Kirche 
freiwillig  einen  Teil  ihres  Grundbe- 
sitzes gegen  einen  bestimmten  Zins 
oder  Dienst  oder  bloss  gegen  einen 
kleinen  Scheinzins  aus  WohUkäi, 
daher  der  Name  beneßeium ,  zum 
Niessbrauch  an  andere  hergab,  eine 
Sitte,  der  dann  der  König  ebenfalls 
folgte;  andere  lassen  das  Benefizium 
erst  während  der  Kriege  gegen  die 
Araber  im  achten  Jahrhundert  der- 
gestalt entstehen,  dass  sich  in  dieser 
Zeit  für  den  fränkischen  König  die 
Notwendigkeit  zeigte,  die  übermäch- 
tigen Grossen  zu  gewinnen,  um 
durch  deren  Beispiel,  besonders  im 
1  leerdienst  auf  die  anderen  zu  wir- 
ken; da  nun  das  Krongut  durch 
Schenkungen  erschöpft  war,  so  sah 
man  sich  genötigt,  das  Eigentum 
der  Kirche  in  der  Form  einer 
Anleihe  anzugreifen,  zu  welcbem 
Zwecke  unter  Karl  Martells  Söhnen 
die  Kirchengüter  verzeichnet  und  ein 
grosser  Teil  davon  verteilt  worden 
seien.  Sicher  ist,  dass  zu  Karls  des 
Grossen  Zeit  das  Institut  der  Bene- 
fizien schon  mannigfaltig  ausgebildet 
war.  Bei  den  kirchlichen  Land- 
Verleihungen  zwar  trennen  sich  die 
eigentlichen  Zinsbauern  mit  der  Zeit 
von  den  Inhabern  von  Benefizien. 
welche  zum  Teil  angesehene  Männer 
sind;  immer  noch  werden  einzelne 
Kirchengüter  durch  Verfügung  des 
Königs  so  verliehen,  als  ob  sie  könig- 
liche Benelizieu  wären,  neben  welchen 
Benefizien  aber  auch  freiwillige  Ver- 
leihungen seitens  der  Kirche  vor- 
kommen; so  vergeben  auch  welt- 
liche Grundbesitzer  und  namentlich 
der  König  selber  ihre  Güter  zu  Bene- 
fizien ,  teils  mit,  teils  ohne  Zins. 
Zum  eigentlichen  Lehnswesen  aber 
wird  das  Bencfizialweseii  erst  da- 
durch, dass  es  mit  der  Vamllibd 
(siehe  diesen  Art.)  in  Verbindung 
tritt,  was  vollständig  und  nachhaltig 


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Lelmswcsen. 


577 


erst  im  10.  und  11.  Jahrhundert  ge- 
schehen ist.  Die  folgende  Skizze 
lehnt  sich  au  II  'aitz,  Deutsche  Verf.- 
Gesch.  Bd.  VI,  Abschnitt  5. 

Das  1> cuefizium  ist  eine  solche 
Land  Verleihung,  die  eine  nähere 
Verbindung  zwischen  dem  Verleiher 
und  Empfänger  begründet,  dem 
letzteren  besondere  Verpflichtungen 
auferlegt,  und  in  dem  Verhältnis 
der  Vasallität  einen  bestimmteren 
Charakter  annimmt.  Das  deutsche 
Wort  für  Bencfizium  ist  Lehen,  ahd. 
lehan,  mhd.  lehen;  seit  dem  elften 
Jahrhundert  sa^t  man  auch  feodum 
oder  feudum ;  dieses  Wort  ging  aus 
einem  älteren  mittellat.  feum,  eigent- 
lich feu-um  hervor,  dessen  Stamm, 
das  provenzalische  feu,  ital.  ßo,  alt- 
franz,  feit,  latinisiert  ßum=  Lehen- 
gut, Lehenzins,  aus  got.  faihu  =  Ver- 
mögen, Habe,  ahd.  fihn,  feho,  feo, 
nhd.  Vieh  entstanden  ist,  s.  Weiland. 

An  und  für  sieh  erscheint  jeder 
fähig,  Lehen  zu  empfangen;  erst 
später  sind  Bauern,  Kaufleute,  Geist- 
liche und  Frauen  davon  ausge- 
schlossen worden;  eine  vasallitisclie 
Huldigung  fand  dann  aber  nicht 
statt.  Oft  sind  solche  niedere  Bene- 
fizien  mit  einem  Dienst  oder  Ge- 
schäft verbunden,  die  Belohnung 
oder  Besoldung  für  dasselbe,  bei 
Fischern,  Weingärtnern,  Hand- 
werkern, Jägern,  Förstern,  Meiern 
oder  Schultheissen ;  auch  der  Dienst 
der  Ministerialen  (siehe  diese)  war 
mit  einem  Bencfizium  verbunden; 
bei  Geistlichen  ist  mit  den  einzelnen 
geistlichen  Stellen  ein  Gut  ver- 
bunden, das  dem  Inhaber  Unterhalt 
gewährt  undsein  Bencfizium  heisst; 
auch  einzelne  Kirchen  und  Kapellen 
werden  als  Bencfizium  übertragen, 
wogegen  der  Empfänger  die  geist- 
lichen Funktionen  zu  üben  und  die 
Einkünfte  zu  ziehen  hat.  Verschie- 
dene Kirchen  verleihen  einander 
gegenseitig  Benefizicn,  wie  ander- 
seits Personen  geistlichen  Standes 
vom  Erzbischof  bis  zum  Mönch  Lehn 
von   Weltlichen  empfangen.  Um- 

Ucallesicun  der  deutschen  Altertümer. 


gekehrt  nehmen  Weltliche  vom 
Kaiser  an  abwärts  Kirchengut  zu 
Lehen.  Das  Recht  der  Verleihung 
stand  jedem  offen,  und  dos  empfangene 
Lehn  konnte  an  einen  dritten  weiter 
gegeben  werden.  Gegenstand  des 
Lehens  war  alles  Mögliche,  was 
Nutzen  und  Einkommen  gewährte, 
mit  Ausnahme  der  fahrenden  Habe ; 
am  meisten  aber  wurde  Grundbesitz 

Begeben,  einzelne  Güter  und  grössere 
öfe,  Häuser,  Brauereien,  Mühlen, 
Weinberge,  Widder,  Fischereien, 
Burgen  und  Schlösser,  Städte,  Pro- 
vinzen, ja  Reiche;  sodann  Kirchen, 
Kapellen,  Klöster,  Hospitäler,  Altäre, 
der  Zehnten;  sodann  wurde  statt 
der  Gegenstande  selber  der  Ertrag, 
den  sie  boten,  die  Vorteile,  die  sie 
gewährten,  zu  Lehen  gegeben,  z.  B. 
bei  Münzen  und  Zöllen,  Brücken- 
und  Fahrgeldern,  Zinsen  und  Lei- 
stungen, wobei  oft  abhängige  Leute, 
die  an  und  für  sich  nicht  unfrei 
waren,  Gegenstand  der  Verleihung 
wurden.  Auch  eine  bestimmte  Geld- 
summe, die  der  Belehnte  dann  jähr- 
lich empfangen  soll,  kann  Gegen- 
stand der  Belehnung  werden.  Ganz 
besonders  aber  wurde  das  Amt  mehr 
und  mehr  als  Lehn  angesehen  und 
behandelt,  sowohl  in  den  niederen 
Kreisen  bei  Gutsverwaltern  und 
Meiern,  als  namentlich  bei  den  höhe- 
reu Beamtungen  der  Vögte,  Grafen, 
Markgrafen  und  Herzoge ;  eine  Haupt- 
sache war  dabei  stets  die  Gerichts- 
barkeit. Auch  die  Verpflichtungen, 
welche  mit  dem  Lehen  übernommen 
werden,  sind  verschiedener  Art  ;  ein 
blosser  Zins  kommt  mehr  in  den 
niederen  Kreisen  vor;  was  für  das 
Bencfizium  charakteristisch  ist,  ist 
vielmehr  der  Dienst,  der  mehr  und 
mehr  einen  kriegerischen  Charakter 
angenommen  hat  und  auf  dem  die 
Bedeutung  des  Lehnwesens  nament- 
lich beruht.  Ein  Lehn,  auf  dem 
eine  solche  Verpflichtung  ruht,  heisst 
Kriajslchn  gegenüber  dem  Zinslehn. 
Man  unterscheidet  dabei  den  Heer- 
dienst für  das  Reich,  und  die  Kricgs- 

37 


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578 


Lehnswesen. 


hilfe,  die  dem  llerra  hei  anderer 
Gelegenheit  geleistet  wird.  Den 
Heerdienst  für  d;is  Keieh  leistete 
der  Fürst  eben  mit  den  Inhabern 
seiner  Benefi*ien,  für  den  besonderen 
Kriegsdienst  pflegte  eine  besondere 
Vereinbarung  getroffen  zu  werden.  ; 
in  der  Stautisehen  Zeit  hatte  bei 
dein  Römerzug,  wenn  das  Heer  auf 
den  Honealisehen  Feldern  lagerte, 
jeder,  tler  Lehn  besass,  die  erste 
Nacht  bei  dein  Heere  eine  Wache 
zu  leisten.  Kin  Lehn,  das  zur  Ver- 
teidigung von  1  Jürgen  verpflichtete, 
hiess  fimalehen.  Auch  zum  Hof- 
tlit  tixtv  verpflichtet  das  Lehen;  der 
Ivchnträger  hat  die  Pflicht,  am  Hofe 
des  Herrn  zu  erscheinen,  bei  Hof- 
gerichten zu  fungieren,  an  Verhand- 
lungen teilzunehmen,  den  Herrn 
au  den  Hof  des  Königs  zu  begleiten,  | 
dem  Herrn  bei  feierlichen  Gelegen- 
heiten Schwert  oder  Schild  zu  tragen. 
Mit  dem  Empfang  des  Lehens,  wenn 
dasselbe  nicht  Verwalter  niederer 
Ämter,  Ministerialen  und  Stifts- 
geistliche betraf,  war  regelmässig 
die  raxallititehe  Itttlditjuna  ver- 
bunden, deren  Anfange  in  ältere 
Zeit  zurückreichen;  sie  trat  fiberall 
da  ein,  wo  der  selbständige  Freie 
das  (iut  eines  andern  empfing  und 
damit  die  Verpflichtung  zur  kriege- 
rischen Hilfe  übernahm.  Derjenige, 
der  die  Huldigung  leistet,  heisst  rastus, 
später  va*affux,  deutsch  man,  lat. 
homo  oder  r/Y,  vorzugsweise  aber 
mi/fs.  Das  Hecht,  welches  dafür 
galt,  hiess  jux  militare,  Krieger-  oder 
Kitterreeht,  der  Akt  der  Verbindung 
hominiuni ,  homaaimn .  manxchaf't, 
hulde.  Sie  geschah  in  alter  Weise 
durch  Handreichung ,  worauf  der 
JCid  folgte,  der  zunächst  auf  feste 
Treue  ging;  der  Belehnte  versprach 
nach  der  üblichen  Formel,  so  treu 
und  ergeben  zu  sein,  wie  es  ein 
Mann  gegen  seinen  Herrn  schuldig 
ist;  den  Freunden  des  Herrn  freund, 
den  Feinden  feind;  dem  Herrn 
und  den  Seinen  ein  frommer  und 
treuer   Helfer  zu  sein.     Der  Eid 


sollte  gelten,  solange  der  Vasall 
dns  Gut  innehat;  er  soll  dieses  ver- 
lieren, wenn  er  seine  Verpflichtungen 
nicht  erfüllt.  Wenn  es  sich  um 
eine  feste  Uurg  handelt,  soll  diese 
dem  Herrn  allezeit  offen  stehen.  Der 
Eid  wird  mit  aufgerichteten  Händen 
oder  auf  Heliquieji  geleistet.  Später 
wurde  der  ganze  Vorgang  noch 
feierlicher  gemacht.  Die  Bei«  hnunq 
selber  oder  die  Investitur  geschalt 
in  symbolischer  Handlung  dureb 
Überreichung  eines  Gegenstandes, 
der  nach  Art  des  Lelms  verschieden 
war,  durch  den  Handschuh  oder  den 
Stab,  den  geistlichen  Fürsten  seit 
dem  Wormser  Konkordat  durch  das 
Zepter,  einzeln  durch  den  Rinn. 
bei  den  Laienfürsten  durch  die 
Lanze  mit  der  Fahne  oder  durch 
die  Fahne  allein,  wobei  bei  der  Ver- 
einigung mehrerer  Fürstenlehen  in 
einer  Hand  auch  mehrere  Fahnen 
gegeben  wurden;  abhängige  König- 
reiche wurden  später  mit  «lein  Schtcrrt 
übertragen,  in  Italien  kommt  der 
Adler  vor. 

Bei  dem  Wechsel  des  Herrn  und 
des  Mannes  war  eine  Erneuerung 
sowohl  der  Huldigung  als  der  Ver- 
leihung erforderlich. 

Schon  früh  zeigte  sich  im  Hene- 
fizialwesen  die  Neigung  zur  Aus- 
bildung erblicher  Verhältnisse,  Lis 
diese,  dem  Widerstreben  namentlich 
der  Kirche  zum  Trotz,  in  höheren 
und  niederen  Kreisen  zur  Kegel 
wurden;  auch  Töchter  succedierteu 
oft  in  das  Lehen.  Der  Vasall  hatte 
ein  gewisses  Hecht  der  Verfügung 
über  das  ihm  anvertraute  Gut;  aLer 
veräussern  oder  vertauschen  durfte 
er  es  bloss  mit  Zustimmung  des 
Herrn.  Lehen  konnte  auch  wieder 
bloss  mit  Zustimmung  des  Herrn  in 
Eigentum  verwandelt  werden.  Will- 
kürlich entziehen  durfte  der  Herr 
das  Gut  nicht;  wo  es  geschah,  so 
musste  er  besondere  Gründe  halten, 
namentlich  Verletzung  der  Treue 
und  der  Pflichten,  offene  Feindselig- 
keit in  That  und  Hat  gegen  deji 


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Leich.  —  Lcichcnhestattung. 


579 


Herrn  oder  Nichtleistung  des  schul- 
digen  Dienstes;  dadurch  wurde  die 
Gnade  verwirkt,  und  der  Schuldige 
ging  des  Lehens  verlustig.  Doch 
war  dazu  ein  Ausspruch  der  Ge- 
nossen erforderlich,  wie  sich  über- 
haupt eine  eigene  Lehnsgerichtsbar- 
keit  ausbildete.  War  ein  Lehn 
durch  den  Tod  des  Inhabers  ohne 
berechtigte  Krben  oder  andere  Um- 
stände ledig  oder  frei,  d.  h.  an  den 
Herrn  zunickgefallen,  so  konnte  es 
wieder  verliehen  oder  in  eigenem 
Besitz  Inhalten  werden.  Am  meisten 
Bedeutung  hatten  die  Lehen  für 
die  geistlichen  Stiftungen;  denn 
nicht  allein  ihres  Kriegsdienstes 
halber  brauchten  sie  I^ehensleute, 
sondern  ihre  Besitzungen  wurden 
wiederholt  von  den  Königen  als  Be- 
lohnungfür geleisteteoder  zu  leistende 
Dienste  in  -Anspruch  genommen; 
auch  andere  weltliche  Grosse  be- 
mächtigten sich  mit  Genehmigung 
des  Königs  oder  mit  blosser  Gewalt, 
der  Klostergüter;  auch  Bischöfe  er- 
warben sich  durch  Verleihung  von 
Klostergütern  kriegerische  Mann- 
schaft für  ihren  eigenen  Dienst. 
Durch  die  Vereinigungsoleher  grosser 
Lehen  in  der  Hand  einzelner  welt- 
licher Fürsten  wurde  eine  wesent- 
liche Veränderung  in  den  Besitz- 
und  Machtverhältnissen  der  Grossen 
herbeigeführt;  es  gab  Lehen  von 
1000  und  mehr  Hufen,  welche  von 
den  grossen  Stiftern  für  Leistung 
des  Hof-  und  Kriegsdienstes  ver- 
liehen wurden.  Zuletzt  waren  fast 
alle  weltlichen  Grossen  und  ebenso 
die  Ritter  und  Ministerialen  an  dieser 
Verwendung  des  Kirchengutes  be- 
teiligt. 

Leich  bedeutet  ursprünglich  über- 
haupt rhythmische  Bewegung,  Tanz, 
Spiel;  dann  das  feierliche  Schreiten 
zum  Opfer  und  das  <  )pfer  selbst,  ferner 
Wettstreit  und  Kampf,  erhalten  im 
mhd.  wettert  eich ,  Wetterschlag.  Vgl. 
Heyne  im  Grimmschen  Wörterbuche. 
Jm  engeren  Sinn  wird  Leich  schon 
im  Altdeutschen  der  Name  für  eine 


Tanz-  oder  Gcsangweise,  in  welcher 
die  Melodie  von  Glied  zu  Glied  oder 
doch  in  einzelnen  Teilen  wechselte: 
der  Leich  wurde  stets  von  einer 
Menge  gesungen,  wenigstens  mit- 
gesungen; tanifleiek  ist  ein  Chor- 
gesang, leiehod  und  hifeich  ein  Ver- 
mählungsgesang ,  alles  dieses  im 
Gegensatze  zum  Lied  %  das  nur  der 
einzelne  sang  und  in  welchem  die 
Melodie  dem  Worte  untergeordnet 
war;  erhalten  sind  aus  dein  *«*.  Jahr- 
hundert das  Gebet  zum  heiligen 
Petrus,  eine  Bearbeitung  des  188. 
Psalmes,  Christus  und  nie  Samari- 
terin, das  sogenannte  Ludwigslied 
und  der  Leich  auf  den  heiligen 
Gallus.  Die  höfische  Dichtung  be- 
hielt den  Unterschied  zwischen  Leich 
und  Lied  bei,  wobei  sie  die  entere 
Form  vornehmlich  zur  Begleitung 
des  Tanzes,  seltener  für  religiöse 
Stoffe  anwandte. 

Leiehenbestnttiing.  Die  Be- 
stattungsweise der  alten  Germanen 
schildert  Tacitus  Germania  27  fol- 
gendermassen:  „Die  Bestattung  der 
Toten  geschieht  ohne  Gepränge; 
der  einzig!«  Luxus,  den  das  Her- 
kommen erheischt,  besteht  darin, 
dass  zur  Verbrennung  der  Leichen 
hervorragender  Männer  bestimmte 
Holzarten  verwendet  werden.  Den 
Scheiterhaufen  ziert  man  nicht  mit 
darauf  gehäuften  Teppichen  und 
wohlriechendem  Räucherwerk ,  nur 
seine  Watten,  manchmal  auch  sein 
Boss,  werden  dem  Toten  ins  Feuer 
mitgegeben;  ein  Kasenhügcl  erhebt 
sich  über  seinem  Grabe.  Die  durch 
viel  Mühe  und  Arbeit  erkaufte  Pracht 
von  Denkmälern  weiss  der  Germane 
nicht  zu  schätzen;  sie  erscheint  ihm 
nicht  als  eine  Ehre  für  den  Toten, 
sondern  als  ein  Druck,  derauf  ihm 
lastet.  Wehklagen  und  Thränen 
giebt  er  nicht  lange  Kaum,  Schmerz 
und  Wehmut  aber  verlassen  ihn 
nur  langsam,  denn  dem  Weibe  ziemt 
die  laute  Trauer,  dem  Manne  stilles 
Gedenken."  Ausser  dem  Verbren- 
nen ist  für  die  älteste  Periode  schon 

ZV 


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580 


Leiehenbestatt  u  ng. 


das  Begraben  bezeugt;  Secanwoh 
nendc  übergaben  ihre  Toten  auch 
dem  wässrigen  Elemente,  legten  den 
Leichnam  in  ein  Schiff,  zündeten 
es  an  und  stiesscn  es  ins  offene 
Meer,  gemäss  drin  Glauben,  dass 
die  Dahingeschiedenen  über  ein 
trennendes  Wasser  zu  schiffen  hät- 
ten, wie  es  überhaupt  die  Sorge  für 
das  jenseitige  Leben  der  Toten  war, 
das  die  Art  der  Leichenbestattung 
veranlasste  und  bestimmte.  Immer 
wurden  mit  dem  Toten  noch  andere 
Dinge  bestattet,  oft  symbolisch  in 
Stein  oder  Hornstein  nachgebildet. 
Dem  Manne  gab  man  seine  Schuhe 
mit,  auch  Geld,  dem  Reichen  sein 
Pferd;  auch  Dienerund  Dienerinnen 
vergrub  und  verbrannte  man  mit. 
In  ältester  Zeit  wurde  die  Gattin 
mit  verbrannt  oder  sonst  über  dem 
Grab  getötet.  Nordische  Quellen 
sprechen  von  umständlichen  Leichen- 
feierlichkeiten. Das  Grab  wurde 
umsehritten  oder  umritten  und  ein 
Leichengesang  angestimmt;  an  dem 
grossen  Leichemnahl ,  das  7  oder 
30  Tage  nach  dem  Begräbnis  statt- 
fand, trat  der  Sohn  feierlicli  das 
Erbe  an.  Über  dem  unverbrannten 
Leichname  oder  über  der  Aschen- 
urne erbaute  man  oft  eine  geräumige 
Grabkammer  aus  grossen  Steinplat- 
ten und  IchUttete  darüber  einen 
Erdhügel  auf,  mit  Vorliebe  auf  weit- 
hin sichtbaren  Höhen  oder  an  der 
Küste  auf  Landzungen,  bald  ein- 
sam, bald  neben  anderen  Gräbern. 

Karl  Weinhofd  hat  in  der  Schrift: 
])ie  heidnische  Totenbcsfaftunq  in 
Deutschland ,  Sitzungsbericht  der 
Wiener  Akademie,  1859,  mit  grossem 
Erfolge  zusammengestellt,  was  bis 
jetzt  in  und  über  der  Erde  an  heid- 
nischen Grabaltertümcrn  zum  Vor- 
schein gekommen  ist;  wir  geben 
hier  in  Kürze  einen  Auszug  aus 
dieser  Schrift,  bemerken  aber  zum 
voraus,  dass  es  sich  dabei  nicht 
speziell  um  die  Gräber  der  heid- 
nischen Germanen,  sondern  über- 
haupt um  die  auf  deutschem  Boden 


gefundenen  Gräber  handelt,  die  ohne 
Zweifel  auch  anderen  Völkern,  wie 
Römern,  Kelten,  Slaven  angehören, 
und  femer  dass  bei  der  bis  wenig- 
stens ins  8.  Jahrhundert  fortdauern- 
den Art  der  heidnischen  Totenbe- 
stattung es  oft  nicht  ausgemittelt 
werden  kann,  ob  wir  wirklich  Hei- 
dengräber  oder  Gräber  von  Christen 
vor  uns  haben,  deren  Bestattuugs- 
weise  nach  alter  Art  vor  sich  ge- 
gangen ist  Im  allgemeinen  muss 
zwischen  Steinbauten ,  Erdhügeln 
und  flachen  Grabstätten  unterschie- 
den werden: 

I.  Steintjräber.  Dieselben  finden 
sich  in  ganz  Norddeutschland,  den 
Niederlanden,  Dänemark,  auf  den 
britischen  Inseln,  in  Nord-  und  West- 
Frankreich  und  auf  der  Pvrenäen- 
Halbinsel  und  tragen  in  Deutsch- 
land meist  den  Namen  Hünengräber, 
Hünenkeller,  Hüneutritte,  Hünen- 
berge, Riesenbetten,  Teufelsbetten, 
Teufelsaltäre,  Teufelskanzeln,  Teu- 
felsküchen, Steinhäuser  u.  a.  Wein- 
hold unterscheidet  Steinkitten  ohne 
iSt einkreise  oder  Hünengrälter  im 
engeren  Sinne,  Hünenhetten  und 
unterirdische  Grabka mtnern.  Das 
eigentliche  Hünengrab  besteht  aus 
mehreren  im  Viereck  oder  rund  ge- 
stellten Tragsteinen,  über  denen  ein 
oder  mehrere  Deckstehie  liegen;  da* 
Hünenbett  ist  ein  Hünengrab  auf 
einer  mit  Steinen  umstellten  Er- 
höhung, die  entweder  runde  oder 
längliche  Form  hat;  Hünenbetten 
kommen  häufiger  vor  als  die  ein- 
facheren Hünengräber;  ihr  Inhalt 
aber  ist  völlig  der  gleiche:  ver- 
brannte und  nichtverbrannte  Toten- 
reste, Waffen  und  Schinuckgcgen- 
stände  von  Feuerstein,  Granit,  Ba- 
salt, Sandstein,  Knochen  und  Horn, 
Bernstein,  nie  von  Metall,  sodann 
irdene  Gcfässe  als  Trank-  und 
Spcisegcschirre;  derselbe  Inhalt  ist 
in  den  unterirdischen  Grabkammem, 
Riesenstuben  oder  Totenkammern 
gefunden  worden.  Man  nimmt  an, 
dass  diese  Grabstätten  einem  Volke 


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Leichenbestattung. 


581 


angehören,  das  vor  den  Germanen 
Deutschland  bewohnt  hat. 

II.  Hiigclyrtihcr  haben  die  Forin 
von  Erd-  und  Geröllaufschüttungcn 
in  Gestalt  eines  Kegels  oder  Kugel- 
abschnittes von  verschiedener  Grösse ; 
im  Innern  sind  Uberreste  verbrann- 
ter und  un verbrannter  Leichen;  die 
Beigaben  sind  aus  Stein  oder  Me- 
tall verfertigt.  Die  Verbreitung  die- 
ser Gräber  umfasst  ganz  Deutsch- 
land, aber  auch  die  meisten  übrigen 
Länder  Europas  und  Asiens.  Diese 
Gräber  führen  den  Namen  hone, 
II»i(</,  in  Österreich  und  Bayern 
/.eher  oder  Lewer ,  ahd.  hfetrari, 
mhd.  fetrer,  von  hfeo,  /c=*Erdauf- 
wurf  oder  natürlicher  Hügel,  dann 
Bnck\  Bühel,  Hühel,  Kogel,  Fraun- 
oder  Vronhnntel ,  Kopf  und  Kojtpe. 
Knoppe.  In  den  Grabhügeln  mit 
un  verbrannten  Leichen  findet  man 
sehr  verschiedene  Lciehenlagen :  ent- 
weder liegt  der  Leichnam  über  der 
Erde,  oder  es  ist  bei  der  Auffüllung 
des  Hügels  ein  Grab  in  die  Erde 
gegraben  worden;  die  Leiche  ist 
ferner  entweder  in  die  blosse  Erde 
gelegt  oder  unregelmässig  mit  Stei- 
nen umlegt,  oder  sie  liegt  in  einem 
Steinkegel,  in  einer  unbedeckten 
oder  in  einer  geschlossenen  Stein- 
kiste, oder  in  einem  gemauerten  Be- 
hältnisse oder  endlich  in  einem  Holz- 
sarge; meist  sind  als  Beigaben 
Waffen,  Sehmuckgegenstände  und 
Thongesellirre  beigegeben.  Die 
Grabhügel  mit  verbrannten  Leichen 
zeigen  entweder  frei  niedergelegte 
Leicheureste,  oder  eine  Aschenkiste 
oder  Aschen-  und  Beinurnen;  im 
letzteren  Falle  sind  die  Urnen  ent- 
weder einfach  in  der  Hügelerde  bei- 
gesetzt oder  wie  die  vergrabenen 
Leichen  mit  Steinen  umstellt,  oder  in 
eine  förmliche  Steinkammer  in  einen 
gewölbten  Hügel  gesetzt.  Vereinzelt 
findet  man  statt  der  Erdhügel  auch  von 
Steinen  aufgeschüttete  Hügel.  Die 
thönernen  Aschenurncn  wie  die  zahl- 
reichen anderen  Speise-  und  Trink- 
gefässe  sind  meist  roh  gearbeitet. 


III.  Ganz  ähnliehe  Verhältnisse 
in  bezug  auf  den  bloss  vergrabenen 
oder  verbrannten  Leichnam,  auf  die 
Beisetzung  der  Urnen  und  auf  die 
übrigen  Beilagen  findet  man  in  den 
fachen  Gräbern,  deren  Insassen  den- 
selben Völkern  anzugehören  schei- 
nen wie  diejenigen  der  Hügelgräber. 
Zahlreiche  Abbildungen  der  Gräber 
sowohl  als  der  Grabgefässc  in  den 
der  Weinholdsehen  Abhandlung  bei- 
gelegten Tafeln. 

Genauere  Nachricht  als  aus  der 
altgermanischen  Periode  hat  man 
über  die  G  rabsfätfen  aus  der  wem- 
wingitchen  Zeil,  vom  5.  bis  S.  Jahr- 
hundert, worüber  hier  nach  F.imlen- 
nehmt fs  Handbuch  der  deutschen 
Altertumskunde,  Teil  I,  einiges  mit- 
geteilt wird;  gegenüber  dem  Ge- 
wicht, das  man  früher  (auch  Wein- 
hold gehört  hierher)  auf  die  Gleich - 
mässigkeit  oder  Verschiedenheit  des 
Grabbaues  legte,  betont  dieser  For- 
seher als  das  ungleich  gewicht- 
vollcrc  Zeugnis  besonders  den  In- 
halt der  Gräber.  Im  allgemeinen 
war  in  der  merowingischen  Zeit  das 
Begraben  der  Leichen  weit  häufiger 
als  das  Verbrennen  derselben,  offen- 
bar nicht  bloss  infolge  des  Ein 
Masses  des  Christentums,  sondern 
mit  Rücksicht  auf  die  Sicherung  der 
Körper,  Waffen  und  Geräte.  Die 
alten  Volksrechte,  die  wie  das  sali- 
sche  Recht  aus  heidnischer  Zeit 
stammen,  begründen  ihre  Strafan- 
sätzc  über  Gräberverletzung  bloss 
auf  vergrabene  Leichname,  zahl- 
reiche Nachrichten  von  der  Beerdi- 
gung germanischer  Fürsten,  wie  des 
Alarich  im  Busento,  Theodorichs 
auf  dem  katalaunischcn  Schlacht- 
felde, des  Langobardenkönigs  Al- 
buin zu  Verona,  sprechen  einzig 
vom  Begraben;  nur  vereinzelt  kann 
das  Verbrennen  noch  vorgekommen 
sein,  wie  denn  Karl  der  Grosse  d<-n 
Sachsen  das  Lciehenvcrbrennen  ver- 
bot". Im  allgemeinen  ist  zu  unter- 
scheiden zwischen  Grabhügeln  und 
Beisetzung  der  Toten  in  otler  unter 


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^82 


Leiehenbestattnng. 


einen  hügel  form  igen  Aufbau  aus 
Erde  und  Steinen,  und  zwischen  /// 
den  Boden  vertief/tu  Gralfern  mit 
ursprünglich  so  geringer  Aufschüt- 
tung, dass  jede  Spur  derselben 
längst  verschwinden  musste. 

Die  Grabhügel  von  4 — 14  Fuss 
Höhe  und  einem  unteren  Durch- 
messer v<m  \A  :u>  Fuss  sind  Über- 
lieferung alth  ei«  Inischeu  Brauches 
und  kommen  besonders  zahlreich 
bei  den  Angelsachsen,  auf  dem  Fest- 
binde nur  bei  den  Alemannen  und 
vereinzelt  bei  den  Bayern  vor;  sie 
Huden  sich  sowohl  in  vereinzelten 
Gruppen  als  auch  in  der  Nachbar- 
schaft «»der  in  unmittelbarer  Ver- 
bindung mit  eigentlichen  Friedhofs- 
anlagen. An  Zahl  weitaus  über- 
wiegend erscheinen  die  Friedhöfe, 
einfache,  in  mehr  oder  minder  regel- 
mässigen Reihen  geordnete  Erdgrä- 
ber, meist  in  einer  Tiefe  von  3—8 
Fuss,  in  der  Richtung  von  Abend 
gegen  Morgen  und  mit  4—5  Fuss 
breiten  Zwischenräumen ;  sie  finden 
sich  am  Mittelrheiu  nahezu  in  der 
Nähe  aller  Dörfer,  die  grössten  aber 
in  Bavern  und  Alemannien;  bei 
Friedolfing  an  der  Salzach  rechnet 
man  M000  —  40(>0  Tote  auf  einem 
Totenfeld. 

Die  Gräber  waren  mit  einem  eng- 
getlochtenen  und  geschlossenen  Zaun 
ans  dem  heiligen  Wcissdornstrauch 
umgeben,  der  auch  regelmässig  zur 
Verbrennung  der  Leiche  benutzt 
wurde.  Auf  dem  (Jrabhüijcl  am 
offenen  Wege  stand  wahrscheinlich 
eine  Heersäule  oder  Irmensäule; 
auch  eines  Holzbaues  geschieht  Er- 
wähnung, der  nach  Art  der  Tempel 
auf  dein  (trabe  errichtet  wurde. 

Für  den  Totenbehälter  verwandte 
man  sowohl  Stein  als  Holz.  Die 
Steingräber  sind  entweder  tu  Feinen 
g<  hatten,  was  man  bei  den  Burgun- 
dern, Frauken  und  Alemannen  beob- 
achtet hat,  oder  es  sind  Sarkophage 
aus  einem  einzigen  Stein,  wobei  man 
die  ursprünglich  römischen  Sarko- 
phage von  merowingischen  unter- 


scheiden muss;  der  römische  Stein- 
sarg ist  in  seiner  älteren  Form  ein 
regelmässiges  oblonges  Viereck  mit 
dachförmigem  Deckel,  in  seiner 
jüngeren,  bis  tief  ins  Mittelalter 
verwendeten  Form,  an  der  Kopfseite 
breiter  als  an  der  Fussseite,  mit 
Hachein  oder  nur  wenig  gewölbtem 
Deckel;  von  diesen  römischen  unter- 
scheiden sich  die  Steinsärge  ein- 
heimischer Arbeit  durch  eine  beson- 
dere Skulptur,  welche,  der  Holz- 
schnitzerei ähnlich,  aus  Stabwerk, 
<  üttern  und  Krcisornam enten  zusam- 
mengesetzt ist;  seltener  sind  Sarko- 
phage von  Stein,  die  aus  mehreren 
Stücken  zusammengefügt  sind;  in 
Frankreich  hat  man  aus  inerowingi- 
scher  Zeit  reich  verzierte  Särge  aus 
Gips  gefunden. 

Häufiger  als  monolithische  Stein- 
särge findet  man  solche,  die  au* 
Steintafeln  zusammengesetzt  sind, 
wobei  man  Platteng räber  und  Grab- 
kammern aus  Steinen  verschiedener 
Grösse  oder  Steinkam mern  unter- 
scheiden kann.  Die  Steine  der 
Flattengräber  sind  entweder  Find- 
linge oder  rohe,  aus  Felsen  gespal- 
tene Tafeln;  Spuren  von  Bearbei- 
tung sind  selten.  Zur  Bedeckung 
sind  Steinplatten  auch  bei  den  Stcin- 
kammern  verwendet  worden,  sei's 
mit,  sei's  ohne  Unterbau;  daneben 
kommen  auch  Stcinsetzungen  ohne 
Deckplatten  vor. 

Unter  den  aus  Holz  hergesteilten 
Toteukammem  findet  mau  zwar 
schon  früh  Holzsärge  mit  Eisen- 
beschlag,  viel  älter  aber  ist  die  Bei- 
setzung in  ausgehöhlten  Baumstäm- 
men ,  Totenbaumen  ;  sie  erhielt  sich 
teilweise  bis  ins  spate  Mittelalter. 
Diese  einfachste  und  älteste  Form 
des  Holzsarges  besteht  aus  einem 
in  zwei  Teile  gespaltenen,  trogartig 
ausgehöhlten  Stücke  eines  Baum- 
stammes, welcher  mit  seiner  Rinde 
noch  in  den  Boden  versenkt  und 
zum  Teil  mit  Steinen  festgestützt 
und  bedeckt  wurde.  Bei  den  Bayern 
war  die  einfachere  Bestattung  durch 


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Leichcnliestattung. 


583 


Bedeckung  des  Körpers  mit  einem 
Brette  üblich ;  am  zaidreichsten  aber 
und  bei  allen  germanischen  Stämmen 
vorherrschend  war  die  Beisetzung  der 
Toten  in  freiem  Boden,  wie  es  die 
meisten  Friwlhöfe  des  mittleren 
Kheinlandes  aufweisen.  Ob  und  in 
wiefern  ein  Unterschied  in  der 
Begräbnisweise  der  verschiedenen 
Stände  obgewaltet  habe,  ist  bis  jetzt 
nicht  nachgewiesen. 

Zeichen  christlicher  Bestattungs- 
weise ist  die  Richtung  der  Leich- 
name von  West  nach  Ost,  so  dass 
das  Antlitz  dem  Morgen  zugewendet 
ist.  Im  übrigen  blieb  die  altheid- 
nische Bestattungsweise  noch  lange 
im  Brauch,  dazu  gehört  die  Bei- 
setzung mehrerer  Schichten  von 
Toten  übereinander,  besonders  aber  \ 
die  Beisetzung  von  Speise  und  Trank'. 
das  Mitbegralwn  ron  Tieren,  die  in 
den  Gräbern  vorgefundenen  Tier- 
knoehen^  Seherben  und  Kohlen,  welche 
auf  wiederholte  Bereitung  von  Mahl- 
zeiten und  Opferungen  hinweisen. 
Von  Tieren  finden  sich  in  mero- 
wingischen  Grabstätten  ganze  Ske- 
lette oder  bloss  Schädel  von  Rind, 
Pferd,  Hirsch,  Schaf,  Schwein  und 
Hund.  Die  Pferdeskelette  sind  teil- 
weise mit  Sattelzeug  versehen  und 
bezeichnen  die  Gräber  vollständig 
bewaffneter  und  reich  ausgestatteter 
Männer;  in  der  Zeit  der  Karolinger 
wurde  statt  ganzer  Pferde  bloss  noch 
etwa  das  Prerdezoug  mit  ins  Grab 
gelegt.  Auch  an  Münzen  römischen 
und  inerowingischen  Gepriiges  zum 
Teil  im  Munde  des  Toten  fehlt  es 
nicht.  Die  wichtigste  Ausstattung 
der  Toten  waren  aber  Waffen  und 
Schmuck. 

Das  Christentum   verlegte  die 
Begräbnisstätten  in  die.  Kirchen  oder  j 
in  deren  unmittelbare  Umgebung  i 
als  in  einen  geweihten  Boden;  doch  j 
waren  ausserhalb  von  den  Kirchen 
gesonderte  Begräbnisse  auf  Privat- 
eigentum noen  lange  in  Gebrauch 
und  erst  im  12.  Jahrhundert  gänz- 
lich verboten.    Aber  auch  das  Be- 


graben von  Toten  in  den  Kirchen 
war  anfangs  von  der  Kirche  selbst 
verboten,  da  die  Gotteshäuser  ausser 
den  Ileiligenleibern  und  den  Reli- 
quien in  den  Altären  keine  sterb- 
lichen Überreste  unischliesscn  soll- 
ten; dennoch  wurde  für  verdiente 
Kirchen-  und  Klostervorsteher,  wie 
für  weltliche  Grosse  die  Kirche  als 
Begräbnisstätte  benutzt,  zumal  oft 

gerade  zu  diesem  Zwecke  eigene 
Lurchen  gestiftet  wurden:  am  läng- 
sten erhielten  die  Cisterzienser  das 
Verbot  der  Beerdigung  innerhalb 
ihrer  Kirchen  aufrecht.  Könige, 
Königinnen  und  Bischöfe  wurden 
regelmässig  in  Kirchen  bestattet, 
den  Stiftern  derselben  gestand  man 
selbst  ein  Grab  in  der  Mitte  des 
Chores  zu;  Bischöfe  wurden  in  ihren 
Kathedralen  beigesetzt;  Stifter  von 
Messaltären  wurden  häufig  vor  diesen 
begraben ;  auch  der  Kapitels; i  1 1  wurde 
manchmal  als  Grabstätte  verwendet. 
Als  Bedeckung  des  Grabes  diente 
ein  liegender  Leichenstein  oder  eine 
aus  Bronze  gegossene  Grabplatte, 
mit  Bildwerk  verziert,  welches  an- 
fangs in  die  Platte  vertieft  war; 
Relief  bilder  erscheinen  erst  seit  dem 
13.  Jahrhundert.  Neben  den  liegen- 
den kommen  aber  auch  aufgemauerte, 
mit  einer  Stein-  oder  Metallplatte 
bedeckte,  über  den  Fussboden  er- 
hobene Grabmäler  oder  Tumbrn  vor, 
deren  ältere  nur  niedrig  sind  und 
zuweilen  wirklich  den  Leichnam  um- 
schliessen,  wie  das  beim  Grabmal 
Ottos  des  Grossen  im  Dom  zu  Magde- 
burg und  demjenigen  Rudolf  s  von 
Schwaben  im  Dome  zu  Merseburg 
der  Fall  ist.  Seit  dem  13.  Jahrhundert 
giebt  es  dann  Tumben  in  Form 
eines  Altares;  zuweilen  stehen  sie 
nicht  frei,  sondern  sie  sind  mit  einer 
Seite  an  die  Wand  gerückt  und 
nischenförmig  überbaut.  Auf  Füssen 
ruhende,  kastenartige  Stein-  oder 
Metallgrabmäler  kommen  in  Deutsch- 
land erst  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters vor.  Seit  dem  13.  Jahrhun- 
dert tragen    alle  Hochgräber  ein 


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584 


Leichenbestattung. 


Bild  des  Verstorbenen.  Ofte,  Hand- 
buch der  Archäologie,  §  51. 

Die  bei  einem  mittelalterlichen 
Begräbnisse  adeliger  Personen  vor- 
kommenden Ceremonien  und  Ge- 
brauche sind  teils  in  den  Vorschrif- 
ten der  Kirche,  teils  in  den  'Erfor- 
dernissen des  höfischen  Standes  der 
I 'erstorbenen  begründet;  dazu  treten 
ohne  Zweifel  gewisse  seit  alter  Zeit 
hergebrachte  Volksgebräuehc,  wozu 
namentlich  auch  der  laute  Schmerz 
gehörte;  man  zerriss  sich  die  Kleider, 
raufte  das  Haar  aus,  rang  die  Hände, 
schlug  sieh  die  Brust,  zerkratzte 
sich  mit  den  Nägeln  das  Gesicht. 
Das  würdigste  Bild  eines  mittelalter- 
lichen Lelehenbegftaffnisscs  eines 
Fürsten  wird  dasjenige  Siegfried's 
im  Nibelungenliede  sein.  Vergl. 
dazu  Schultz,  Höfisches  Leben,  Ab- 
schnitt VII. 

Manche  volkstümliche  Sitten  beim 
Leichenbegängnisse  treten  später 
wieder  in  den  Städten  hervor;  wo- 
von hier  noch  einiges  nach  Kriech', 
Deutsch.  Bürgertum,  II,  Abschnitt  VI 
und  VII  mitgeteilt  werden  soll. 
Die  Leiche  wurde  nicht  durch  be- 
sondere Leichenträger,  sondern  durch 
Familienangehörige  oder  durch  Stan- 


des- und  Berufsgenossen  zu  Grabe 
getragen.  Bei  vornehmen  Leuten 
thaten  dieses  wohl  auch  Mönche 
eines  befreundeten  Klosters.  Bei 
Armen  und  Verlassenen  waren  Beg- 
harden  verpflichtet,  die  Leiche-  un- 
entgeltlich anzukleiden  und  tragen 
zu  helfen;  auch  gab  es  dafür  eigene 
Stiftungen;  namentlich  aber  sicher- 
ten zahlreiche  Bruderschaften  ihren 
Mitgliedern  ein  anständiges  kirch- 
liches Begräbnis.    Bei  den  Zunft- 

fenossen  trugen  die  Meister  den 
jeichitam  des  verstorbenen  Meisters, 
sowie  dessen  Weib  und  Kinder,  Ge- 
sellen denjenigen  eines  Mitgesellen 
zu  Grabe.  —  Gekleidet  wurde  der 
Tote  entweder  in  das  besondere 
Totenhemd  oder  in  seine  gewöhnliche 
Kleidung;  in  manchen  Gegenden 
nähte    mau    ihn    in    weisse  oder 


schwarze  Leinwand  ein;  oft  begrab 
man  den  Toten  in  der  Mönchskutt« . 
weil  die  Barfüsser,  Dominikas r  und 
Karmeliter  die  Meinung  verbreitet 
hatten,  wer   in  ihrem  Ordcnsklettl 
sterbe  oder  sich  in  demselben  be- 
graben  lasse,   werde  ihrer  gutes 
Werke  teilhaftig  und  schon  nack 
kurzer  Zeit  aus  dem  Fegfeuer  odo-ti 
Häufig  wurden  bis  ins  17.  Jahr-] 
hundert   Leichen    ohne  Smy  *d 
einer  Totenbare  zu  Grabe  geoap* 
und  ins  Grab  gelegt,  Fürsten  niebi 
ausgenommen.     Iu  Frankfurt  nad 
wahrscheinlich  überall  sonst  j>rt 
man  im  1ö.  Jahrhundert  die 
storbenen  schon  am  nächsten 
nach  dem  Tode  zu  beerdigen.  N 
alte  Sitte  war  «las  Nachtwachen 
der  Leiche,  welches  oft  doreb 
Seeisch  western  verrichtet 
Die  Ansagu ug  des  Leides  und 
Einladen  zur  Beerdigung 
durch  besonders  bestellte  und 
zahlte  Weiber, die  Bittrrinnr*.**. 
in  der  Regel  Beginen  waren. 
Zahl  derer,  welche  die  Toteuhak 
trugen,  war  verschieden;  ein 
wage*  erscheint  in  Frankfurt 
im  Jahre  1511.    Das  den  San? 
deckende  Tuch  beisst  Toten- 
lache   oder    Leiehrntueh ;  CS 
schwarz  und  mit  einem  aufpenl 
weissen  Kreuze  versehen.  \V# 
erdiffunjf  selbst,  mhd.  IxrMui** 
rüde,  lichtete,  später  auch  Uft 
oder  M/fcl,  war  stets  eine 
oder  weniger  feierliche  und  d® 
aus  kirchliche  Handlung;  daher fl 
auch  im  Kriege  stets  darauf  beda^ 
war,  die  gebliebenen  Mithin 
Schlachtfelde  in  die  Stadt  n 
und   daselbst  ordentlich 
zu  lassen.    Die  Begräbnisse 
daher  als  etwas  scitr  K<>-ts]«iefi 
und  zwar  waren  die  Hati|>taii 
die  für  den  Pfarrer,  für  aie  Wi 
kerzen  und  für  das  Leicl 
Gegen  die  beiden  letzten  Al 
gehen  die  zahlreichen  l>csehriirf 
den  Verordnungen,  welche  i 
gegen  den  Becrdigungslu\us< 


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Leichenbestattung. 


585 


wurden.  Immer  musste  die  Leiche, 
auch  wenn  sie  auf  einem  andern 
Friedhofe  als  demjenigen  der  Pfarr- 
kirche beerdigt  wurde,  zuerst  in 
diese  Kirche  getragen  und  daselbst 
der  übliche  Gottesdienst  abgehalten 
werden.  Auf  dem  Zuge  in  die  Kirche 
wurde  mit  einer  oder  mehreren 
Glocken  geläutet ein  Brauch,  der 
aus  dem  6.  Jahrhundert  stammen 
soll;  Zeugnis  von  dieser  allgemein 
verbreiteten  Sitte  giebt  die  Glocken- 
inschrift vivo*  roeo,  mortuos  plango, 
ftüqura  fraugo.  Zu  den  Feierlich- 
keiten gehörte  sodann  der  Getang, 
welcher  ausserhalb  der  Kirche  von 
mitziehenden  Stiftsschülern  gesungen 
wurde.  In  der  Kirche  wurden  Ojfer- 
spenden  sowohl  an  den  fungierenden 
Geistlichen  als  für  die  Armen  dar- 
gebracht; die  ersteren  bestanden 
vorzugsweise  in  Kerzen,  aber  auch 
in  Wein  und  Brot,  heiehen predigten 
scheinen  vor  der  Information  nur 
vereinzelt  vorgekommen  zu  sein. 
Mitunter  wurden  bei  Beerdigung 
vornehmer  Leute  besondere  Klage- 
weiber verwendet,  welche  singend 
über  das  Grab  gingen. 

Das  Leiclie/igr folge,  auf  welches 
man  nächst  den  kirchlichen  Hand- 
lungen den  meisten  Wert  legte,  trug, 
vor  und  nach  der  Leiche  ziehend, 
teils  Kreuze,  teils  brennende  Kerzen. 
Die  letzteren  wurden  in  der  Regel 
von  «lern  Sterbehaus  angeschafft  und 
unter  die  Lcichenbegleiter  verteilt, 
von  diesen  aber  zu  Ehren  tles  Ver- 
storbenen dem  beim  Seelenamt  fun- 
gierenden Geistlichen  geopfert.  Sie 
wurden  früh  ein  Gegenstand  des 
Prunkes  und  öffentlicher  Verord- 
nungen. Nach  der  Beerdigung  kehr- 
ten die  Liehlüte  in  das  Sterbehaus 
zurück,  wo  man  ihnen  den  Dank 
der  Familie  aussprach  und  sie  be- 
wirtete und  beschenkte.  Das  Leichen- 
mahl ist  ebenfalls  uralte  Sitte,  deren 
schon  Augustin  gedenkt;  auch  hier 
sah  sich  die  Obrigkeit  veranlasst, 
mässigend  einzugreifen.  Die  Be- 
wirtung faud  im  Sterbehause  und 


auf  den  Trinkstuben  statt;  auch 
pflegte*  man   denen ,  welche  nicht 

i  anwesend  sein  konnten,  Essen  und 
Trinken  zu  schicken. 

Zu  den  beim  Adel  von  früherer 
Zeit  her  üblichen  Leichengebräuchcn 
gehörte  das  Führen  eines  Pferdes 

;  im  Leichenzug  und  das  Berittensein 

I  eines  Teiles  der  Leidtragenden.  Bei 
den  Begräbnissen  von  Schultheissen 
und  Schoflen  war  das  Vortragen 
von  Helm  und  Schild  oder  von 
Schwert  und  Schild  gebräuchlich. 
Wenig  weiss  man  von  der  konven- 

i  tionellen  Art  der  Traner  um  einen 
Verstorbenen.   In  Augsburg  trugen 

,  im  Beginne  des  16.  Jahrhunderts 
Männer  zum  Zeichen  der  Trauer 

;  sog.  Nebelkappen,  auch  Gugelkap- 
pen  oder  Kap]>enzipfel  genannt, 
schwarze?  Kapuzen ,  welche  nach 
hinten  mantclartig  verlängert  waren 
und  vomen  das  Gesicht  ganz  und 
gar  oder  doch  gröstenteils  bedeckten, 
ursprünglich  jedoch  aus  blossen 
schwarzen  Bändern ,  welche  den 
Hals  und  Mund  verhüllten,  bestan 
den  haben  sollen. 

Kinzeiehnungen  der  Verslorhenen 
waren  im  Mittelalter  nicht  gebräuch- 
lich, ausser  wo  Schenkungen  und 
L<gate  an  kirchlichen  Stiftungen 
gemacht  wurden.  Sonst  behalf'  mau 
sich,  wenn  Geburtsjahr,  Taufe,  Ver- 
ehelichung oder  Tod  einer  Person 
nachgewiesen  war,  mit  der  Abhörung 
von  Zeugen;  eigentliche  Kirchen- 
bücher entstanden  erst  seit  der  Re- 
formation, als  der  Nachweis  der 
Konfession  nötig  wurde;  daher  auf 
lange  Zeit  nicht  der  Tag  der  Ge- 
burt, sondern  der  Taufe,  sowie  nicht 
der  Todes-,  sondern  der  Begräbnis- 
tag eingetragen  wurde.. 

Das  Seeleuwohl  und  das  ehrende 
Andenken  an  den  Verstorbenen  Hess 
aber  die  religiösen  Pflichten  gegen 
den  Verstorbenen  mit  deren  Tod 
nicht  endigen ;  reiche  Leute  waren 
bemüht,  beide  Zwecke  auf  ewige 
Zeit  verfolgen  zu  lassen;  ärmere 
t baten  es  in  den   ersten  Wochen 


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5S6 


Lei».  —  Leoninische  Verse. 


nach  der  Beerdigung,  sowie  später 
jedes  Jalir  am  Allerseelenfeste  und 
am  Todestage  des  Verstorbenen. 
Für  ganz  arme  Leute  sorgten  auch 
in  dieser  Hinsicht  besondere  kirch- 
liche Stiftungen;  der  Name  für  die 
kirchliche  Totenfeier  ist  Begängnis, 
Die  Hauptfeier  für  Verstorbene 
fand  in  den  ersten  dreissig  Tagen 
nach  der  Beerdigung  statt  und  be- 
stand in  Seelenmessen,  welche  ent- 
weder an  jedem  Tage  dieser  Zeit 
oder  ausser  dem  Begrübniatage 
selbst  am  sog.  Sirftenten  und  am 
sog.  Dreissigtien*  d.  i.  am  Schlüsse 
der  ersten  Woche  und  des  ersten 
Monats  im  Sterbejahr  abgehalten 
wurden.  Nachher  trat  an  die  Stelle 
dieser  Tage  die  Jahnjezeit,  Jahrzeit 
oder  das  Anniversarium ,  d.  i.  die 
jährliche  Feier  des  Todestages.  Die 
Bruderschaften  hatten  ein  allge- 
meines Jahrgezeit-Fest.  1  >ie  Kirchen 
selbst  feierten  von  sich  aus  das 
namentliche  Gedächtnis  nur  in  be- 
treu" derer,  die  sich  durch  Schen- 
kungen um  sie  verdient  gemacht 
hatten;  die  notwendigen  Verzeich- 
nisse hierzu  sind  die  Anniversarien- 
Bücher,  nach  den  Tagen  des  Jahres 
geordnet,  und  die  Totenhut  her,  auch 
Totcuzettel,  Totenbriefe,  Memorien 
genannt,  welche  bloss  die  Namen 
der  Stifter  enthielten,  um  an  dem 
in  jeder  Woche  für  die  Verstorbenen 
gehaltenen  Gottesdienste  gelesen  zu 
werden.  An  solche  Stiftungen  waren 
teils  die  Abhaltung  von  Messen  und 
Vigilien,  teils  die  Austeilung  von 
Brot  oder  Geld  oder  förmliche 
Armenspeisungen  geknüpft,  auch 
Austeilung  von  Tuch  oder  Kleidern. 
Weitere  Ehrenbezeugungen  für  die 
Verstorbenen  bestanden  in  der  zeit- 
weisen Ausbreitung  von  Leintüchern 
über  «las  Grab,  in  der  Beleuchtung 
desselben  an  gewissen  Tagen;  das 
Begiessen  des  Gralies  mit  Wein 
seheint  dagegen  seit  dem  14.  Jahr- 
hundert aufgehört  zu  haben.  Die 
Hauptfeier  war  das  in  der  Kirche 
gehaltene     eigentliche  Begängnis, 


wozu  die  eingeladenen  Teilnehmer 
in  Prozession  zur  Kirche  zogen.  In 
der  Kirche  stand,  mit  brennenden 
Kerzen  umgeben,  ein  Katafalk,  eine 
Bahre  mit  einem  „Bellekin",  d.  i. 
Baldachin  oder  bedeckter  Sarg. 
Den  Schluss  der  Feier  bildete  ein 
Festmahl.  Vgl.  noch  ftochhofz,  in 
deutscher  Glaube  und  Brauch.  Herl. 
1867.  Bd.  I,  131—213.  —  Kohl% 
Alte  und  neue  Zeit.  Bremen  1871. 
Abschn.  16. 

I/els,  mhd.  der  leite,  häufiger 
Ausdruck  für  den  geistlichen  Volks- 
gesang im  Mittelalter,  stammt  aus 
dem  Worte  kyrieleison ,  daher  er 
auch  zuweilen  Jtirleise,  lirleit  heisst; 
der  deutsche  Name  ist  ruof.  Die 
verbreiterten  Leise  sind  de'r  Oster- 
leis: Christ  ist  erstanden,  derPfingst- 
leis:  Sn  biten  trir  den  heitiffen 
ijeist,  und  der  Himmelfahrtsleis: 
h'rist  fuor  f/ein  himile,  sämtlich  durch 
Lutherinden  evangelischen  Kirchen- 
gesang aufgenommen. 

Lendner,  lat.  tuniea  hardiata, 
juheus,  jupa,  foppa,  tuniea  audmr; 
franz.  und  engl,  jupon,  ein  seit  1350 
über  der  Rüstung  getragener,  eng- 
anschliessender ,  nieist  ärmelloser 
Lederrock.  Siehe  den  Artikel  J'anzt  r. 

Leotiinische  Verse  heissen  die  seit 
«lern  H.  Jahrhundert  aufkommenden 
lateinischen  Hexameter  und  Penta- 
meter, deren  erste  Hälfte  bis  zur 
Gäsur  mit  dem  Verschlusse  reimt 
Der  Name  soll  von  dem  Pariser 
Mönch  Leo  oder  Leonius  stammen. 
So  ein  Vers  ist  derStossseufzer  vieler 
Abschreiber  mittelalterlicher  Hand- 
schriften: 

Exptieit  hoe  tot  um,  infunde,  da 
mihi  potum  ! 

oder  aus  den  Casus  Saneti  Galli 
EkkeharH 

F.ssc  retim  (Iraeeus,  eum  sim  eis, 
domnay  Latinus. 

Als  Beispiel  leoninischer  Distichen  sei 
die  Grabschrift  des  St.  Galler  Abtes 
llimmu  angeführt  t  l'adian,  1,  1»9): 


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Lersen.  —  Leuchter. 


587 


Hic  bene  maturu  transit  pater  Ute 

ȟb  aero, 
Ad  patriae  reauiem,   hic  obit 

Jlitnmo  (Hein. 
Hunc   merilo  nostri  vigilanier 

hatten/  memorari, 
rtura  locu   dalli  slant  moui- 

menta  tui. 

Lersen,  Ledersen,  lederne  Bein- 
kleider, im  14.  Jahrhundert  kurz 
und  weit,  dann  lang  und  eng,  mit 
dichtstehenden  Hefteln  geschlossen. 

lietze,  Lctzi,  lat.  aluca ,  hie«» 
man  den  Umgang  der  äusseren 
Ringmauer  eines  Lagers,  einer  Burg 
oder  befestigten  Stadt.  Der  Aus- 
druck ging  auch  auf  die  Ringmauer 
selbst  über.  „Lezinen"  sind  auch 
eigentliche  Schanzwerke  (besonders 
bei  Tal-Engen)  wie  sie  die  Schwei- 
zer bei  Morgarten,  Näfcls  u.  a.  0. 
errichteten. 

Leuchter,  lat.  candelariay  tu- 
eerna,  frz.  cnandelier.  Die  Leuch- 
ter der  fränkischen  Zeit  sind  eine 
Nachbildung  der  römischen  und 
griechischen  Vorbilder,  die  sie 
zwar  nicht  erreichen.  Sie  sind  zu- 
meist aus  Holz  gedreht,  roh  urofi- 
lierte  Ständer,  oben  mit  einer  Dulle 
zur  Aufnahme  des  Uls  oder  derKcrze, 
unten  mit  einem  einfachen,  vier- 
eckigen Fuss.  Daneben  kommen 
auch  hohlgegossene  Geräte  aus  Kot- 
kupfer vor,  so  der  Tassiloleuchter, 
zwar  wahrscheinlich  dein  11.  Jahr- 
hundert entstammend,  obgleich  ihn 
die  Überlieferung  auf  Tassilo  zu- 
rückführt, der  zu  Karl  des  Grossen 
Zeit  als  Gefangener  im  Stifte  zu 
Kremsmünster  starb. 

Bestimmte  Formcu  von  sym- 
bolischer Bedeutung  erhielten  die 
Leuchter  wohl  erst  zur  Zeit  der 
Kreuzzüge,  wo  für  den  kirchlichen 
Gebrauch  die  Lampen  und  Fackeln 
von  den  Wachskerzen  verdrängt  wer- 
den; der  Leuchter  wird  also  zum 
Kerzenhalter  und  unterscheidet  sich 
in  Stand-,  Hand-,  Wand-  und 
Hangeleuchter,  neben  welchen  man 


für  privaten  Gebrauch  und  verein- 
zelte Zwecke  die  kleinen  Öllampen 
beibehielt.  Alle  wurden  nun  zumeist 
aus  Bronze  oder  Messing  gegossen 
und  etwa  auch  vergoldet  oder  email- 
liert. Die  grossen  Standleuchter 
(auch  bloss  Kandelaber  genannt, 
welche  Bezeichnung  ursprünglich 
allein  dem  Fusse  zukam)  sind  ohne 
Zweifel  hervorgegangen  aus  der 
marmornen  Säule  der  altchristlichen 
Basilika,  sie  trugen  die  geweihte 
Osterkerze  und  erhielten  durch- 
schnittlich eine  Höhe  von  fünf  bis 
neun  Fuss.  Sie  standen  zur  Seite 
des  Altars  und  hatten  entweder 
die  Gestalt  einfacher  Ständer  für 
ein  Licht  oder  die.  eines  Gestelles 
zur  Aufnahme  einer  grösseren  Zahl 
von  Kerzen.  In  Nachahmung  des 
Leuchten  im  Tempel  zu  Jerusalem 
wurden  viele  siebenamüg  erstellt 
und  in  dieser  Form  auch  Arbore* 
genannt.  Im  Dome  zu  Erfurt  z.  B. 
findet  sich  eine  fast  fünf  Fuss  hohe 
Erzstatue  mit  starrausgebreiteten 
Armen,  langem,  gleichmässig  ge- 
fälteltem Kleide,  welche  noch  gegen- 
wärtig den  Zweck  eines  Lichter- 
trägers erfüllt.  Sie  entstammt  dein 
11.  oder  dem  Anfang  des  12.  Jahr- 
hunderts. Die  Ständer  dienten  auch 
zur  Aufstellung  von  Heiligenbildern, 
lieliquienschreinen  u.  s.  w.  Die  sie- 
benarrnigen  Leuchter  haben  meist 
ein  dreieckiges  Fussgestell,  das  in 
den  mannigfaltigsten  Formen  durch- 
brochen mit  allerlei  Zierat  ge- 
schmückt ist,  mit  Bändern,  Ranken, 
Menschen-  und  Tierfiguren.  Auf 
diesem  Fussgestell  ruht  ein  senk- 
rechter, vielfach  verzierter  Schaft, 
der  oben  eine  Kerze  trägt.  Die 
übrigen  sechs  ruhen  auf  seitwärts 
aufsteigenden  Armen,  die  —  je  zwei 
und  zwei  gegenständig  —  in  ver- 
schiedener Hohe  entspringen  und 
zwar  nicht  im  Wechsel,  sondern  in 
gleicher  Richtung  übereinander.  Sie 
endigen  oft  pyramidal,  oft  in  glei- 
cher Höhe. 

Die   Hand-  oder  Trageleuchter 


588 


Leuchter. 


waren  meist  nur  sechs  bis  zehn  Zoll 
hoch  und  geformt,  so  dass  sie  bequem 
gestellt,  angcfasst  und  getragen  wer- 
den konnten.  Sic  waren  besonders 
für  die  dienende  Hand  des  Mesners 
und  des  Akoluthcn  bestimmt.  Der 
Fuss  war  ebenfalls  dreiteilig,  der 
Schaft  kurz,  gedrungen,  in  der 
Mitte  mit  einem  Knauf,  oben  er- 
weitert oder  oft  mit  einer  teller- 
förmigen Ausladung  versehen.  In 
deren  Mitte  stand  zur  Befestigung 
der  Kerze  ein  hoher,  spitziger  Stift. 
Alle  Teile  waren  mehr  oder  weniger 
reich  verziert  oder  auch  vergoldet. 
Im  Chor  des  Domes  zu  Hildesheim 
steht  ein  solcher,  der  laut  seiner 
Inschrift  aus  einer  ganz  besonderen 
Metallmischung  gefertigt  worden. 
Sic  lautet:  „Bischof  Bernward  Hess 
diesen  Leuchter  durch  seinen  Lehr- 
ling im  ersten  Aufblühen  dieser 
Kunst  iceder  von  (lold  noch  von 
Si/fter  beschaffen,  über  dennoch  wie 
du  siehst  schmelzen."  Die  Masse  ist 
Gold,  Silber  und  Eisen. 

Die  Kronleuchter  oder  Hange- 
feuchter  fcorona,  coronula)  treten  im 
elften  and  zwölften  Jahrhundert 
schon  in  köstlichen  Exemplaren  auf. 
Erhalten  sind  unter  anderen  zwei 
solche  in  der  Domkirche  zu  Hildes- 
heim und  eines  in  der  Münsterkirche 
zu  Aachen.  Die  ersteren  führen 
sich  durch  ihre  Inschriften  auf  die 
Bischöfe  Azelin  (gest.  um  1054)  und 
Mezilo  (gest.-wm  1079),  das  letzte 
auf  Friedrich  I.  zurück.  Alle  drei 
kommen  darüber  überein,  da*s  sie 
aus  einein  ziemlieh  breiten,  kreis- 
förmigen ,  durchbrochenen  Reifen 
bestellen,  an  dem  in  bestimmten 
Zwischenräumen  kleine  turmartige 
Ausladungen  mit  Nischen  zur  Auf 
Stellung  von  Figürchen  und  zwischen 
diesen,  am  oberen  Rande,  Kerzen- 
stacheln angebracht  sind,  und  dass 
sie  von  mehreren,  miteinander  ver- 
bundenen Ketten  gehalten  werden. 
Der  schönste  ist  der  bronzene 
Leuchter  zu  Aachen.  Dieser  — 
wie  noch  andere  seiner  Art  das 


himmlische  Jerusalem  darstellend 
—  wird  aus  acht  Kreisbogen  gebil- 
det und  zwar,  wie  dessen  Inschrift 
besagt,  auf  Grund  der  achteckigen 
Gestalt  des  Münsters,  nächstdem 
aber  aus  sechzehn  Türmchen,  welche 
sich  teils  an  dtfen  Scheitelpunkten, 
teils  an  den  Endpunkten  der  bei- 
den Bogen  befinden.  Die  Tünn- 
chen  sind  verschiedcngcstaltig,  acht 
grössere,  die  anderen  kleiner,  letz- 
tere rund,  erstere  in  ihrem  Grund- 
riss  abwechselnd  in  Gestalt  eines 
Quadrats  oder  Vierblattes  mit  halb- 
kreisförmigen, ausbiegenden  Seiten. 
Die  sämtlichen  Türmchen  siud  so 
angeordnet,  dass  von  ihnen  jene 
viereckigen  die  Ecken  eines  Quad- 
rates bilden,  dessen  Ecken  jedes- 
mal ein  Segment  mit  drei  anderen 
Türmehen  absehneidet,  und  das? 
jene  anderen  vermöge  ihrer  halb- 
kreisförmigen Ausladungen  den  acht 
runden  Türmen  auf  den  Scheitel- 
punkten gleichstehen.  Alle  enthal- 
ten Nischen,  in  denen  anfänglich 
ohne  Zweifel  Heiligenfiguren  aufge- 
stellt waren.  Die  Bodenstüeke  der 
Türmchen  sind  auswärts  mit  gra- 
vierten Zeichnungen  auf  vergolde- 
tem Grunde  geschmückt,  dergestalt, 
dass  die  acht  grösseren  und  tue  acht 
kleineren  Darstellungen  inhaltlich 
zusammenhängen.  Sic  behandeln 
die  Geschichte  Christi  und  zeigen: 
Die  Verkündigung,  die  Geburt,  die 
Anbetung  der  Könige,  die  Kreuzi- 
gung, die  Frauen  am  Grabe,  Him- 
melfahrt, Ausmessung  des  heiligen 
Geistes  und  Christus  als  Wcltcn- 
richtcr.  Daneben  finden  sich  die 
acht  Seligsprechungen  auf  Spruch- 
zetteln ebensovieler  EngcL  Die 
Tafeln  erscheinen  rostartig  durch- 
brochen und  mit  Ranken  und  an- 
derem Zierat  reich  ausgeschmückt. 

Die  Wandleuchter  und  die  Trapc- 
leuchter  zum  Vorlcnchten  bei  Pro- 
zessionen kamen  erst  später  (frühe- 
stens im  15.  Jahrhundert»  in  Ge- 
brauch, zum  Teil  als  künstliche 
Schmied-  und  Sehlosserarbcit 


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Liber  vagatorum.  —  Lied. 


589 


Die  Abbildungen  von  Öl-  und 
HohUampen  reichen  bis  ins  9.  Jahr- 
hundert hinauf;  sie  zeigen  nament- 
lich die  Form  von  Hörnern  und 
Delphinen,  dann  auch  von  Schalen 
und  Ampeln,  wie  sie  die  orientali- 
schen Völker  gebrauchten.  Sie  sind  ' 
ans  Bronze  gefertigt  und  nach  rö- 
mischen Mustern  mit  einer  oder 
mehreren  Tüllen  versehen.  Die  sog. 
ewigen  Lampen  vor  Heiligenbildern 
unci  Reli<]uienschreinen  sollen  im 
13.  Jahrhundert  in  Gebrauch  ge- 
kommen sein.  Die  Lampen  dienten 
vorzüglich  dem  privaten  Gebrauche, 
während  die  Leuchter  und  somit 
die  Kerzen  auf  den  Gebrauch  in 
den  Kirchen  beschränkt  blieben; 
wenn  solche  im  10.  Jahrhundert 
schon  für  den  täglichen  Gebrauch 
erwähnt  werden,  so  mag  das  höch- 
stens auf  die  Häuser  der  Vornehmen 
und  der  Geistlichkeit  Bezug  haben. 

In  der  Folgezeit  waren  das  Hand- 
werk und  die  Kunst  bemüht,  für 
alle  diese  Belcuchtungsgegenstände 
neue  Formen  und  Verzierungen 
zu  ersinnen;  die  Arten  derselben 
erhielten  sich  jedoch  und  vermehr- 
ten sich  nur  noch  etwa  durch  die 
Laterne,  die  wieder  fast  ausschliess- 
lich zu  kirchlichen  Zwecken  diente. 
Vom  Beginne  des  16.  Jahrhunderts, 
besonders  aber  im  17.  Jahrhundert 
fand  bei  diesen  Beleuchtungsgeräten 
neben  dem  dem  Zeitgeschmack  ent- 
sprechenden Wechsel  in  bezug  auf 
ionn  und  Verzierungsweise  auch 
eine  solche  hinsichtlich  des  Stoffes 
statt.  Wenn  auch  metallene  Geräte 
und  steinerne  Staudlcuchter  immer 
noch  vorherrschend  blieben,  so 
schnitzte  man  solche  auch  aus  Holz 
und  verzierte  sie  mit  Gold.  Da- 
neben kommen  auch  Elfenbein- 
schnitzereien vor  und  in  der  zweiten 
Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  auch 
Arbeiten  in  Glas,  aus  welchem  Stoff 
das  ganze  Gerat  oder  auch  bloss 
die  Verzierungen  zu  grösseren 
Stücken  bereitet  wurden.  Hölzern 
waren  besonders  die  grossen  Stand- , 


leuchter,  elfenbeinern  die  (mehr- 
armigen)  Tischleuchtcr  und  Hänge- 
kronen, gläsern  die  Lichtständer  und 
liandleuchter.  Die  Wand- und  Wind- 
lichter (Laternen)  dagegen  blieben 
auch  jetzt  noch  fast  ausschliesslich 
Gegenstände  der  Metallarbeit.  Nach 
Weiss.  Kostümkunde. 

Lioer  vagatorum,  siehe  Gauner. 

Libri  feudorum  heisst  ein  iu 
der  Lombardei  entstandenes  Reehts- 
buch,  das  eine  wissenschaftliche 
Behandlung  des  Lehnrechtes  zum 
Ziele  hat.  Dieses  Lehnrechtsbuch, 
eine  l'rivatarbeit,  ist  allmählich  aus 
verschiedenen  Bestandteilen,  dog- 
matischen Schriften  und  Kaiserge- 
setzen, einzelnen  Kcchtsfällen  u.  dgl. 
hervorgegangen ,  welche  von  den 
Richtern  an  den  Lehnshöfen  zu 
Cremona,  Piacenza  und  Mailand  ge- 
sammelt und  ausgearbeitet  wurden. 
Die  Sprache  ist  die  lateinische. 
Dadurch,  dass  man  diese  Rcchts- 
quelle  schon  früh  mit  dem  Justi- 
nianischen Gesetzbuch  verband, 
kam  sie  seit  dem  15.  Jahrhundert 
auch  bei  den  deutschen  Gerichten 
in  Gebrauch. 

Lichtschere.  Derselben  wird 
zunächst  im  13.  Jahrhundert  er- 
wähnt; in  häufigeren  Gebrauch  kam 
sie  wonl  erst  im  16.  Jahrhundert. 
Sie  entbehrte  zuerst  des  Schnuppen- 
k;i Stehens  und  hatte  häufig  die  Ge- 
stalt eines  Vogels,  dessen  Schnabcl- 
hälftcn  den  Docht  abschnitten. 

Lied  heisst  ursprünglich  im 
Gegensatz  zu  Leicn  eine  unter 
Harfenbeglcitung  von  einem  Ein- 
zelnen gesungen«1  Dichtung;  da  in  der 
ältesten  Zeit  alle  Dichtung,  soweit 
sie  nicht  Chorgesang  war,  also  na- 
mentlich auch  die  epische  Dichtung 
gesungen,  d.  h.  rhythmisch  vorge 
tragen  und  mit  der  Harfe  begleitet 
wurde,  hatte  sie  stets  auch  die  Form 
des  Liedes,  ihre  metrische  Gestalt 
mochte  noch  so  einfach  sein;  daher 
der  Name  des  Hildebrandslicdes,  der 
Merseburger  Zauberlieder,  Helden- 
lied überhaupt.  Erst  als  allmählich 


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590 


Litcn. 


chts  Singen  der  epischen  Stoffe  auf- 
hörte und  an  seine  Statt  das  Lesen 
derselben  trat,  bildete  .sich  langsam 
das  Lied  zu  einer  musikalisch-lyri- 
schen Dichtlingsart  im  Gegensatz 
zur  rein  epischen   Dichtung  aus. 
Noch  Ottfried's  Messiasdichtung  be- 
wegt sich  in  Liedern,  die  aber  schon 
in  vierzeiligc  zweireimige  Strophen 
zerfallen.    Zur  volleren  Ausbildung 
gelangte  dieses  Lied  im  engeren 
Sinne  in  der  höfischen  Dichtung; 
doch  erscheint  es  da  anfangs  noch 
sehr  einfach,  in  einer  einzigen  Strophe, 
meist  von  vier  Zeilen  bestehend ; 
erst  von  den  rhanmm  der  Franzosen 
entlehnt«'  man  den  dreiteiligen  Sfro- 
]>  lim  hau,  der  nun  zur  festen,  selten 
mehr  verletzten  Regel  wurde.  Statt 
des  einstrophischen  Liedes  kam  das 
vielstrophische  in  Gebrauch,  wobei 
wieder  nach  französischem  Vorbilde, 
das  Kbenmass  der  Dreiteiligkeit  in 
der  Strophenzahl  wiederholend,  die 
Strophenzahl  drei,  fünf  oder  sieben 
beliebt  war.    Die  Dreiteiligkeit  der 
Strophe  hat  musikalischen  Grund: 
die  Strophe  ist  der  Text  zu  zwei 
sich    wiederholenden     und  einem 
dritten  selbständigen  musikalischen 
Satze;  jene  nannten  die  späteren 
Meistersänger  Stollen,  diese  den  Ah- 
(jcMiny ;   die  Strophe   selber  heisst 
mhd.  das  lief,  dessen  Plural  diu  lief 
später  infolge  der  mehrstrophischen 
J Jeder  gebräuchlich   wird;  später 
heisst  sie  auch  (iesütz.  In  der  Blüte- 
zeit der  höfischen  Lyrik  machte  es 
sich  jeder  Dichter  zur  Ehre,  sowohl 
im  rlext,  dem  frort,  als  der  Melodie, 
irinr  oder  don .  selbständig  zu  sein, 
mhd.  ein  lief  rinden;  dasselbe  be- 
zeichnet  frourcr,   trouhadour  und 
frourire;    die  Aneignung  fremder 
Strophenformen  und  Melodien  galt 
für  ein  Unrecht;  wer  es  that,  hiess 
dorne  dit  ji.  Auch  sich  selber  gegen- 
über hielten  die  Dichter  auf  immer 
wechselnde  Neuheit  und  erfanden 
meist  für  jedes  Lied  wie  für  jeden 
Leich  eine  andere  Form ;  schliesslich 
sah  man  sich  freilich  gezwungen, 


um  dem  Gesetze  der  Eigenheit  und 
Neuheit  zu  genügen,  zu  geschmack- 
losen Formen  zu  greifen. 

An  das  Lied  der  höfischen  Kunst 
schliesscn  sich  der  Zeit  nach  eines- 
teils die  strophischen  Dichtungen 
der  Meistersänger,  andererseits  das 
Volkslied;  dort  herrscht  meist  Kün- 
stelei, die  allmählich  in  sich  selber 
zusammenfällt,  hier  entwickelt  sieh, 
vielfach  an  alteFormen  anschliessend, 
nach  Form  und  G ehalt  ein  ül>eraus 
reiches  Kunst-  and  Gemütsleben, 
siehe  Volkslied;  noch  immer  ist  hier 
Ton  und  Wort  enge  und  unauflös- 
lich zusammen  verbunden,  ebenso 
noch  in  den  dem  17.  Jahrhundert 
angehörenden  ( irsrflschafts/iedent. 
Dagegen  kommt  gegen  Ende  des 
16.  und  noch  mehr  im  17.  Jahrhun- 
dert namentlich  seit.  Opitz  dasjenige 
neuere  Lied  auf,  welches  bloss  noch 
zum  Lesen  bestimmt  ist,  und  erst 
dem  18.  Jahrhundert  war  es  auf- 
behalten, diese  poetische  Kunstgat- 
tung neuerdings  in  enge  Berührung 
mit  dem  Leben  der  Töne  zu  bringen. 
Vgl.  besonders  dieLitteraturgeschich- 
teu  von  II  aek  ernatjel  und  Kitbersfein. 

Uten  heissen  im  früheren  Mittel- 
alter diejenigen,  welche  von  Person 
frei,  «loch  keinen  freien,  soudern 
bloss  abgeleitetenGrundbesitz  haben ; 
sie  besitzen  deshalb  auch  nicht  volle 
politische  Hechte  und  ebensowenig 
das  Recht  der  Eheschliessung  zu 
vollem  Hechte  mit  der  Tochter  eines 
Freien.  Sie  bildeten  schon  zu  Taci- 
tus'  Zeit  einen  besonderen  Stand, 
der  wahrscheinlich  aus  der  Frei- 
J  lassung  von  Knechten  herrührte  und 
sich  durch  neue  Freilassungen  noch 
lange  erneuerte.  Man  nannte  sie 
auch  aldiones,  später  Halhfreie  oder 
i  Jlöriffe.  Ihr  Wergeid  war  meist  die 
Hälfte  des  Wergeides  für  einen 
Freien.  Sie  standen  wie  die  Freien 
unter  Volksrecht,  konnten  eigenes 
Vermögen  haben,  waren  aber  meist 
wie  die  Unfreien  auf  Nebenhöfe  ge- 
setzt, von  denen  sie  Abgaben  und 
Dienste  entrichteten.    Haid  bildete 


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Löffel.  —  Los. 


501 


sich  bei  ihnen  ein  festes  Hofrecht 
und  Erblichkeit  den  Besitzes  aus; 
doch  konnten  sie  vom  Hofe  rechte- 
gültig  nicht*  veräussern.  Auch  mit 
den  Unfreien  war  ihnen  die  Ehe 
nicht  gestattet.  Doch  zogen  sie  mit 
in  den  Krieg.  Mit  der  Zeit  ver- 
mischte sich  der  rechtliche  Unter- 


Hilfe  gesandt  wird,  mit  der  er  sieh 
vermählt,  indem  er  die  Bedingung 
macht,  dass  sie  nie  nach  seinem 
Namen  und  seiner  Herkunft  frage. 
Mit  Heinrich  dem  Vogler  verrichtet 
er  darauf  gegen  die  Ungarn  Wunder 
der  Tapferkeit.  Als  er  heimkehrend 
von  Elsa  trotz  des  Verbotes  nach 


schied  zwischen  diesen  Halbfreien,  Namen  und  Herkunft  gefragt  wird, 
den  Unfreien  und  den  blossen  Zins-  verkündet  er,  dass  er  Pareivals  Sohn 
leuten,  und  die  allen  diesen  Klassen  sei,  und  scheidet  von  Elsa,  die  vor 
gemeinsame  Bedeutung  des  bätier-  I  Gram  stirbt.  Ein  historischer 
liehen  Berufes,  des  Lebens  auf  dem 
Lande,  der  Niehfiideligkeit,  trat  als 
neues  Bindemittel  in  den  Vorder- 
grund. 

Löffel.  Wahrend  die  (  Jabel  als 
Tischgerät  erst  im  1«>.  Jahrhundert 
zugelassen  war,  kommt  der  Löffel 
als  solches  schon  bei  den  Kömern 


An- 
hang führt  die  Kaisergeschichte  bis 
auf  Heinrich  II. 

Loki  heisst  eine  germanische 
Gottheit,  d<*ren  Namen  und  Mythen 
ausschliesslich  in  skandinavischen 
Quellen  überliefert  sind.  Sein  Name 
geht  auf  eine  Wur/el  von  der  Be- 
deutung leuchten,  wozu  u.  a.  lat. 
und  dann  bei  den  Völkern  Mittel-  j  /itr-ix  und  ahd.  liithnn,  leuchten,  ge- 
europas  durch  das  ganze  Mittelalter  j  hört,  und  der  Gott  vertritt  demnach 
vor.  Die  Schale  ist  anfänglich  etwas  |  das  Element  des  Feuers.  Von  seinem 
länglich,  sodann  kreisrund  und  wird  Kult  ist  nichts  bekannt.  Ursprüng- 
daun wieder  länglich;  der  Stiel  ist  [  lieh  eine  wohlthätige  Macht,  wurde 
zuerst  stark  gekrümmt,  im  14.  und  i 'er  später  in  mehr  feindseliger  Weise, 
15.  Jahrhundert  stangenförmig  und  als  böses  Prinzip,  den  guten  Mächten 
erhält  dann  zu  der  Biegung  die  etwas  widerstrebend  aufgefasst  und  ihm 


platte  Form.  Dem  Stoffe  nach  gab 
es  silberne,  goldene,  elfenbeinerne 
und  krystallene  Löffel  für  die  Vor- 
nehmen. Auch  als  kirchliches  Gerät 
ist  der  Löffel  früh  bekannt.  Die 
griechische  Kirche  benutzt  ihn,  um 


eine  wesentliche  Rolle  in  der  Gatter- 
(liimiumuHf ,  siehe  diesen  Artikel, 
zugeteilt.  W'einhuld ,  Haunt's  Zeit- 
schrift VII,  und  Meier %  Loki  und 
sein  Mythenkreis,  Basel  1M80. 

Los,  mhd.  16z,  ahd.  16z  und  hJöz, 


den  Gläubigen  den  Wein  auszutei-  |  gut.  //A/m/x,  mit  der  Bedeutung  Los- 

len,  während  sich  seiner  die  römische  zeichen  und  Losstäbchen  und  davon 

seit  dem  12.  Jahrhundert  nur  noch  abgeleitet,    das  durch  Schicksals- 

zum  Mischen  des  Weines  mit  Wasser  befragung  Angefallene,  ein  zugeteil- 

und  zum  Aufschöpfen  der  Hostien  res  Recht,  vom  ahd.  Verb.  Miozän, 

bedient.  \  mhd.  fuztn  -  durch  Loswerfen  be- 

Loliengrili.      Nachdem     schon  stimmen,  durch  Los  erlangen.  Ta- 

Wolfram  von  Eschenbach  die  Sage  citus  erzählt  Germania  10,  dass  bei 

vom  Schwanritter  am  Ende  seines  den  Germanen  Vorzeichen  und  Weis- 


Pareivals  auf  ParcivalsSohn,  Lohen- 
grin,  übertragen  hatte,  übernahm  ein 
unbekannter  Dichter  um  1300  die 
Ausführung  dieser  Idee  zu  einem 
eigenen  Epos  Lohengriii.  An  den 
\Y  artburgkrieg  anknüpfend,  lässt  er 
darin  VVoifram  von  Esencnbaeh  selbst 


sagung  durch  Lose  in  höchstem 
Ansehen  stehen.  „Die  Art  des 
Losens  ist  einfach.  Man  haut  einen 
Zweig  von  einem  Fluchtbaum,  zer- 
schneidet ihn  in  Stäbchen,  die  man 
durch  gewisse  Zeichen  unterscheidet, 
und  streut  sie  nach  blindem  Zufall 


erzählen,  wie  Loben  gr  in  vom  Gral  über  ein  weisses  Tuch.  Darauf  betet 
der  Gräfin  Elsa  von  Brabant  zur  der  Priester  des  Staates,  wenn  die 


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502 


Lother  und  Muller.  —  Lueidarius. 


Befragung  der  Lose  von  Staatswesen.  |  astrologische  Elemente  verknüpfen, 
der  Hausvater,  wenn  sie  in  einer  I  Eigentliche  /xßsbüeher  fanden 
Familienangelegenheit  geschieht,  zu 
den  Göttern  und  hebt  zum  Himmel 
aufblickend  nacheinander  drei  Stäb- 
chen auf,  deren  Bedeutung  er  nach 
den  vorher  eingekerbten  Zeichen  er- 
klart. Ist  ihr  Ausspruch  verneinend. 
ho  findet  in  dieser  Sache  am  gleichen 
Tage  keine  Befragung  der  Götter 
mehr  statt ;  ist  er  bejanend,  so  wer- 
den zur  Bestätigung  noch  die  Vor- 
zeichen zu  Hilfe  gerufen."  Die 
christlieheGesetzgebuug  beschränkte 
den  Gebrauch  des  weitverbreiteten 
Loses  auf  solche  Fälle,  wo  eine 
rechtliche  Ungcwissheit  sonst  nicht 
füglich  zu  heben  war.  Innerhalb 
aber  dieses  Gebietes  blieb  dem  Losen 
noch  lange  das  Ansehen  einer  über- 
menschlichen Bestimmung,  eines 
Gottesurteils.  Als  allmählich  das 
Los  diese  Bedeutung  einbüsste  und 
nur  die  Vorstellung  einer  bloss  zu- 
fälligen Entscheidung  zurückblieb, 
fiel  die  Anwendung  des  Loses  aus 
dem  Strafprozesse  weg  und  behaup- 
tete sich  bloss  in  Civilf ragen  als  letzte 

Aushilfe,  sei  es  kraft  allgemeiner  I  das  germanische  Losen Monat* 
Rechtsregel  oder  kraft  des  Willens  berichte  der  Berliner  Akademie  1853 
des  Beteiligten,  und  zwar  in  der  und  Berlin  1854.  Vgl.  den  Art.  Runen. 
doppelten  Anwendung  des  Auslosen*  Lother  und  Maller  ist  der  Name 
der  Person  oder  des  Verlöten*  der  eines  ursprünglich  französischen 
Saelte ;  beides  war  in  vielen  Fällen  Romans  der  Karlssage,  welcher  von 
in  Gebrauch,  doch  sind  die  Erwäh-  i  einer  Gräfin  von  Nassau-Sarbrück 
nungen  davon  in  den  Rechtsqucllen  aus  der  von  ihrer  Mutter,  einer 
selten.  Neben  dem  Würfeln,  dem  Herzogin  von  Lothringen,  italienisch 
Ziehen  beschriebener  Zettel  oder  verfassten  Bearbeitung  ins  Deutsche 
ungleicher  Halme  kommt  in  Skan-  j  übersetzt  wurde.  Er  erschien  zuerst 


Italien  im  15.  Jahrhundert  ihren 
Weg  nach  Frankreich  und  Deutseh- 
land; sie  enthielten  zugleich  Anwei- 
sungen zum  Kartenspiel,  Würfel- 
spiel und  zum  Auslegen  von  Trau- 
men. Losbuehen  heisst  mancherorts 
überhaupt  soviel  wie  abergläubische 
Handlungen  vornehmen,  um  aus 
g< -wissen  Erfolgen  derselben  auf  die 
Zukunft  zu  scbliessen.  1  ad  tan  sagt 
von  den  Pfarrern  dermerowingischen 
Zeit,  sie  hätten  den  Auftrag  gehabt, 
dem  heidnischen  Aberglauben  zu 
wehren,  und  natu  lieh  die  selzamev 
opfer  für  die  loten ,  item  das  lassen 
oder  icalsen,  das  etlieh  Frank  en  utul 
Almenner  anfang  einer  jeden  Hand- 
lung im  brauen  haftend,  das  man 
bei  unser n  Zeilen  noeh  das  lossbuuehen 
oder  buorhlossen  heisst  (Schriften  II, 
57).  Loiiage  heissen  die  zwölf  Nächte 
vom  24.  Dezember  bis  6.  Januar, 
weil  jeder  dieser  Tage  in  seiner 
Witterung  die  Witterung  der  zwölf 
Monate  des  beginnenden  Jahres 
voraussagt.     Siehe  llomeuer  über 


dinavien  bis  tief  ins  Mittelalter  und 
bei  den  Friesen  bis  in  die  neuere 
Zeit  das  uralte  Losen  mit  Stäben 
vor,  auf  welchen  die  Marken  oder 
Hauszeichen  der  Losenden  einge- 
schnitten waren. 


in  Strassburg  1514  und  wurde  als 
Volksbuch  oft  wiederholt. 

Lueidarius,  Elucidarius  oder 
Aurea  Gemma  ist  der  Titel  eines 
jetzt  noch  gelaufigen  Volksbuches, 
das  aus  dem  Mittelalter  stammt  und 


Der  Vcrbrcitungund  Ausdehnung  i  in  seiner  ältesten  erhaltenen  Fassung 
des  Loses  im  Mittelalter  wie  in  der'  dem  12.  Jahrhundert  angehört;  es 
Neuzeit  leistete  ohne  Zweifel  der  enthält  in  dialogischer  Form  zuerst 
Umstand  Vorschub,  dass  das  Los  eine  Wcltbeschreibung  und  ver- 
sowohl  in  der  heiligen  Schrift  als  knüpft  in  einem  zweiten  Teil  eine 
bei  den  antiken  Schriftstellern  oft  Glaubenslehre  damit;  namentlich 
erwähnt  wurde   und   diese  damit  ist  die  Lehre  vom  Ende  der  Welt, 


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Ludus.  —  Lyrik. 


593 


vom  Antichrist  und  vom  jüngsten  Ge- 
richt damit  verbunden.  Das  Büch- 
lein stammt  ans  einer  lateinischen 
Quelle  und  ist  in  zahlreiche  Sprachen 
übersetzt  worden. 

Ludus,  siehe  Drama. 

Ludwigslied  oder  Ludwigsieich 
heisst  ein  altdeutsches  Gedicht  auf 
den  Sieg  König  Ludwigs  III.  in  der 
Nonnannenschlacht  bei  Saucourt  im 
Jahre  881;  das  Lied  ist  sofort  nach 
dem  Siege  gedichtet,  kleidet  aber 
die  Gescliiehtserzählung  in  ein  wun- 
derbares Eingreifen  Gottes.  Der 
Dichter  ist  jedenfalls  ein  Geistlicher, 
und  seine  Darstellung,  zwar  von 
einseitig  kirchlicher  Tendenz  nicht 
frei,  doch  lebhaft,  verständlich  und 
sachlich.  Schon  Herder  verleibte 
das  Gedicht  seiner  Sammlung  von 
Volksliedern  ein;  von  neuen  Aus- 
gaben siehe  besonders  Müllenhojf 
und  Schere r,  Denkmäler  deutscher 
Poesie  und  Prosa. 

Lügenmärchen  hat  es  in  ver- 
schiedener Form  vom  13.  Jahr- 
hundert an  gegeben,  meist  hervor- 
gegangen aus  der  mutwilligen  Freude 
am  Abenteuerlichen  und  am  Un- 
sinn. Sie  erscheinen  in  der  Form 
von  Sprüchen,  Volksliedern,  von 
Meistersingersprüchen ,  von  Fast- 
nachtspielen, namentlich  gehört  da- 
zu auch  der  Finkenritter  (siehe 
diesen).  Vgl.  Müller- Frau reuth,  die 
deutschen  Lügendichtungen  bis  auf 
Münchhausen.    Halle  1881. 

Luntenschloss.  Die  Entzündung 
geschah  bei  (lern  ältesten  Feuerrohr 
durch  die  Lunte,  die  anfänglich  von 
der  Hand  auf  das  Pulver  der  Pfanne 
gedrückt  wurde.  Diese  Manier  eig- 
nete sich  jedoch  höchstens  für  die 
feststehenden  Büchsen,  während  sie 
bei  der  Handfeuerwaffe  das  Zielen 
sehr  erschwerte  und  gefährlich 
machte  oder  ^ar  verunmöglichte.  j 
So  wurde  für  diese  schon  im  Jahre 
1878  das  Lunten8chloss  konstruiert,  I 


dessen  Beschaffenheit  Jahns  (Ge- 
schichte des  Kriegswesens)  folgen- 
dermassen  angiebt:  „Ein  durch  eine 
Niete  beweglich  befestigter,  ge- 
brochener Balken,  die  Stange,  lag 
mit  seinem  vorderen,  abwärts  von 
der  Platte  gebogenen  Ende  in  einer 
Öse,  die  mittels  eines  vernieteten, 
starken  Stiftes  mit  dem  aussen  be- 
findlichen Hahne  in  Verbindung 
stand,  während  sein  hinteres,  eben- 
falls gebrochenes  Ende  auf  dem 
unter  ihm  befindlichen  Abzüge  ruhte. 
Ausserdem  wirkte  eine  Feder  je 
nach  ihrer  Lage  entweder  auf  die 
untere  Seite  des  vorderen  oder  auf 
die  obere  Seite  des  hinteren  Stangen  - 
balkens,  um  kein  unwillkürliches 
Bewegen  der  Stange  und  dadurch 
des-  Hahnes  zuzulassen,  sondern 
letzteren  vielmehr  zu  zwingen,  stets 
abwärts  von  der  Pfanne  stehen  zu 
bleiben.  Drückte  man  nun  den  Ab- 
zug zurück,  so  wirkte  derselbe  gegen 
den  auf  ihm  ruhenden  hinteren 
Stangenbalken,  indem  er  ihn  auf- 
wärts und  dadurch  das  in  der  Öse 
spielende  Stangenende  und  zwar 
mit  dieser  abwärts  drückte,  sodass 
der  mit  der  Öse  in  Verbindung 
stehende  Hahn  auf  die  Pfanne  ge- 
führt wurde.  Vor  der  beabsichtigten 
Entzündung  des  Pulvers  (Zünd- 
krautes) musste  jedesmal  erst  der 
Pfannendeckel  weggeschoben  wer- 
den." Dieses  Luntenschloss  erhielt 
sich  an  den  verschiedenen  Büchsen 
bis  in  die  zweite  Hälfte  des  17. 
Jahrhunderts  hinein,  obschon  es  be- 
greiflicherweise nicht  sicher  wirkte, 
namentlich  bei  regnerischem  Wetter ; 
auch  verriet  der  helle  Schein  der 
brennenden  Lunten  und  deren  übler 
Geruch  dem  Feinde  die  Stellung 
der  Truppen  bei  Nacht.  An  seine 
Stelle  trat  sodann  der  „Schnapp- 
hahn" und  das  „Radschloss". 

Lyrik,  siehe  Höfische.  Dichtung, 
Volks! ied,  MeUtcrsänger. 


Beallexleou  der  deutschen  Altertümer. 


38 


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594 


Macarouische  Poesie.  —  Mahlzeiten. 


M. 


Maearonisehe  Poesie  helfet  die- 
jenige Dichtung,  die  in  der  willkür- 
kürlichen  Mischung  lateinischer  und 
landubUcher  (italienischer,  franzö- 
sischer, deutscher)  Sprache  besteht, 
wobei  letztere  den  Flexionen  der 
lateinischen  Sprache  unterworfen 
wird.  Sie  ist  eine  Erfindung  der 
italienischen  Humanisten  des  15.  Jahr- 
hunderts, »leren  macaronischesHaupt- 
werk  das  Opus  Macaronicorum  des 
MerlinusCocaius,d.h.Teofilo  Folengo 
ist.  Auf  deutschem  Boden  findet 
mau  einzelne  macarouische  Vene 
bei  Munier,  Hans  Sachs,  Fischart 
zerstreut,  denen  später  ganze  Ge- 
dichte folgen  ,  namentlich  die  Floia 
i  hu  ho  <i«-ii  A  rt.  h'lohfft  dicht»  .  dann 
das  Corhitin  ('armen  de  Hothrockix 
otipu  IH nurnt hin,  auetore  Jlenniniu 
Sehet t  min  lircxtrcnburqenxi ,  1600  u. 
a..  was  meist  für  mutwillige  Studenten- 
kreise berechnet  war.  (ienthe,  Ge- 
s<  liichte  der  macar« mischen  Poesie, 
und  O.  Sehade,  zur  macaronisehen 
Poesie,  irn  Weimar.  Jahrb.  Bd.  II 
und  IV. 

Madrigal  heisst  ein  von  der  pro- 
venealischen  in  die  italienische  Dich- 
tung verpflanztes  lyrisches  Gedicht, 
das,  meist  jambisch,  seehs  bis  drei- 
zehn Zeilen  lang  ist.  Kaspar  Ziegler, 
1021—1690,  schrieb  ein  Büchlein 
„Von  den  Madrigalen,  einer  schönen 
und  zur  Musik  bequemsten  Art 
Verse'1,  Leipzig.  1653;  den  Kompo- 
nisten der  Gesellschaftslieder  (siehe 
diesen  Art.i  war  das  „welsche  Ma- 
drigal" eine  sehr  beliebte  Form. 

Mnirdalenerlnneii,  auch  Maqda- 

h  iit  nnnnnen,  Schwestern  von  der  Üuxse 
der  St.  Magdalena ,  treixse  Frauen 
genannt,  heisst  ein  um  1200  in 
Deutschland  gestifteter  Orden,  wel- 
cher sich  der  Besserung  gefallener 
Mädchen  widmete,  später  jedoch 
auch  unbescholtene  Jungfrauen  auf- 


nahm. Kr  verbreitete  sich  nament- 
lich in  Deutschland  und  Italien. 

Mag-elone  oder  die  schöne  Magc- 
lone,  ist  ein  aus  dem  Französischen 
durch  Veit  Marbach  ins  Deutsche 
übersetztes  und  seitdem  viel  ge- 
lesenes Volksbuch;  es  erschien  zu- 
erst 1536  zu  Augsburg. 

Magister,  siehe  l  nirerxitnten. 

Mairnificat  heisst  in  der  Kirchen- 
sprache der  Lobgesang  der  Maria 
im  Hause  des  Zacharias  (Luk.  1, 
46—55),  der  mit  den  Worten  be- 
ginnt: Magni/icat  aninut  mea. 

Mahlzeiten.  An  dem,  was  der 
Mensch  an  Speise  und  Nahrung  zu 
sich  nimmt  und  wie  er  dieses  thut, 
liegt  besonders  in  einfacheren  Bil- 
dungsperioden ein  wesentlicher  Teil 
seiner  natürlichen  und  seiner  geistig 
sittlichen  Existenz;  und  zwar  spiegelt 
sich  die  Art  seiner  Lebensführung 
nicht  bloss  in  den  gewöhnlichen 
Tagesmahlzeiten,  sondern  nament- 
lich auch  in  den  Festgelagen  ab. 

Für  die  älteste  Periode  sind  von 
diesem  Lebensgebiete  nur  ver- 
einzelte Nachrichten  erhalten.  Taci- 
tus  sagt  Germania  22:  „Die 
Speisen  sind  einfach;  wildes  Or»st, 
frisches  Wildbret  oder  geronuene 
Milch;  um  ihren  Hunger  zu  stillen, 
braucht  es  weder  eine  feine  Zube- 
reitung noch  ausgesuchte  Gewürze." 
D«»ch  lässt  sich  diese  Notiz  nicht 
unwesentlich  aus  anderen  Quellen 
ergänzen.  Man  ass  das  Fleisch  des 
Rindes  und  des  Pferdes,  und  be- 
reitete aus  der  Milch  Butter  und 
Käse,  welche  letztere  Sj>eise  PI  in  ins 
ein  Hauptnahrungsmittel  der  Ger- 
manen nennt.  Vom  Getreide  war 
namentlich  der  Hafer  beliebt;  aus 
ihm  gekochter  Brei  war  durchs 
ganze  Mittelalter  so  sehr  die  ge- 
wöhnliche Sncise  des  niederen  Volkes, 
dass  das   Wort  Brei   soviel  wie 


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Mahlzeiten. 


595 


Speise  bedeutete.  Daneben  kannten 
sie  Gerste  und  Weizen.  Und  wenn 
auch  die  römischen  Schriftsteller  des 
Brotes  als  einer  deutschen  Speise 
nirgends  erwähnen,  so  bezeugt  doch 
das  Alter  der  Worte  Brod  und 
Laib,  dass  die  Verwandlung  des 
Getreides  in  Kuchenform  den  Ger- 
manen nicht  unbekannt  gewesen 
sein  kann.  Von  Getränken  erwähnt 
Tacitus  Germ.  23:  Bier  und  Wein; 
daneben  war  der  Met  beliebt. 

Die  häuslichen  Mahlzeiten  der 
Germanen  werden  einzig  vom  physi- 
schen Bedürfnisse  bestimmt  worden 
sein;  festliche  Mahlzeiten  kamen 
namentlich  bei  Opfern  vor;  für  die 
gesellige  Unterhaltung  der  freien 
Männer  sorgte  das  Gelage,  wovon 
Tacitus  Germ.  22  und  23  handelt. 
Aus  dem  Beowulf  und  aus  skandi- 
navischen Sagen  erfahren  wir,  wie 
es  bei  einem  solchen  Gelage  zuging. 
Zu  den  Met-  und  Bierfesten  lud  der 
Wirt  entweder  bloss  seine  Bankge- 
nossen oder  auch  Freunde  und  I 
Nachbarn  ein;  die  Hausfrau  oder) 
Tochter  reichte  das  Trinkhorn  selbst 
herum,  wie  es  in  Wallhalla  die 
Wallküren  thun;  ja,  von  vielen  Gast- 
mählern wird  berichtet ,  dass  über- 
haupt die  Frauen  daran  teilgenom-  j 
men  und  tüchtig  getrunken  hätten. 

Aus  deutschen  Quellen  ist  für 
das  frühere  Mittelalter  wenig  be- 
richtet, was  auf  solche  Gelage  Bc- 1 
zug  hätte;  vielmehr  hat  offenbar  | 
auch  auf  diesem  Lebensgebiete  rö- 1 
inischer  EinHuss  bei  den  Franken 
früh  sich  geltend  gemacht  und  das 
alte  Gelage wesen  beseitigt;  Einhard 
erzählt  in  seinem  Leben  Karls  des 
Grossen:  „In  Speise  und  Trank  war 
er  massig,  massiger  jedoch  noch  im 
Trank,  denn  die  Trunkenheit  ver- 
abscheute er  an  jedem  Menschen 
aufs  äusserste,  geschweige  denn  an 
sich  und  den  Seinigen.    Im  Essen  j 
jedoch  konnte  er  nicht  so  enthaltsam 
sein,  vielmehr  klagte  er  häufig,  dass 
das  Fasten  seinem  Körper  schade. 
Höchst  selten  gab  er  Gsistereicn  und  ' 


nur  bei  besonderen  festlichen  Ge- 
legenheiten, dann  jedoch  in  zahl- 
reicher Gesellschaft.  Auf  seine  ge- 
wöhnliche Tafel  Hess  er  nur  vier 
Gerichte  auftragen  ausser  dem  Bra- 
ten, den  ihm  die  Jäger  am  Brat- 
spiess  zu  bringen  pflegten  und  der 
ihm  lieber  war  als  jede  andere 
Speise.  Während  der  Tafel  hörte 
er  gerne  Musik  oder  einen  Vorleser. 
Er  Hess  sich  die  Geschichten  und 
Thaten  der  Alten  vorlesen ;  auch  au 
den  Büchern  des  heiligen  Augusti- 
nus hatte  er  Freude,  besonders  an 
denen,  ,die  vom  Staate  Gottes'  be- 
titelt sind.  Im  Genuss  des  Weins 
und  jeglichen  Getränks  war  er  so 
mässig,  dass  er  über  Tisch  selten 
mehr  als  dreimal  trank.  Im  Som- 
mer nahm  er  nach  dem  Mittagessen 
etwas  Obst  zu  sich  und  trank  ein- 
mal, dann  legte  er  Kleider  und 
Schuhe  ab,  wie  er  bei  Nacht  that, 
und  ruhte  zwei  bis  drei  Stunden." 

Römischer  Einfluss  wird  es  auch 
gewesen  sein,  der  zahlreiche  neue 
Speisen  und  Getränke  aufbrachte 
für  deren  sichere  Herbeischaffung 
Karl  d.  Gr.  besonders  in  seinem 
Capitularium  de  villi»  Anweisung 
gab.  Was  man  jetzt  zur  königlichen 
Tafel  bedurfte,  erkennt  man  aus 
den  Vorschriften  für  die  Aufseher 
der  königlichen  Villen,  wenn  ihnen 
befohlen  wird,  Baumgärten  anzu- 
legen, für  Obst,  Gemüse  und  Kräuter 
Sorge  zu  tragen,  desgleichen  für  die 
Unterhaltung  einer  grösstmöglichen 
Anzahl  von  Hühnern,  Gänsen,  Fa- 
sanen, Rebhühnern,  Pfauen,  Turtel- 
tauben, und  wenn  im  besonderen 
folgende  Lebensmittel  genannt  wer- 
den: Rettiche,  Hirse,  gemästete 
Hühner  und  Gänse,  Eier,  Butter, 
Käs,  Honig,  frisches  und  getrockne- 
tes Fleisch,  Würste,  Schmalz,  neben 
dem  gewöhnlichen  Wein  auch  ge- 
kochter Wein,  wahrscheinlich  Ciaret, 
Brombeer-  und  Maulbeerwein,  mora- 
tum,  mhd.  moraz,  ein  aus  Fischen 
bereitetes  Getränk,  Bier,  Met,  Essig, 
Senf.    Auch  die  frühe  Bedeutung 

38* 


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Mahlzeiten. 


der  Hofämter  de«  Srhrnkm.  Trurk 
jtf-wn.  urtd  der  daran  sich  schliessen- 
den  de»  Kwhf-nmtistrr»,  f)t#rf»>rk  f-rs. 
K'lfnrra  u.  a.  sprechen  deutlich  für 
die  Bedeutung,  welch«-  dem  N'ahrunirs- 
uiittelwesen  jetzt  zukam.  Vom  könig- 
licheiiHof«*  verbreitete  «ich  derSj>eL-e- 
undGctränkeaufwand.mit  dem  selbst- 
verständlich die  Kochkunst  Hand  in 
Hand  ging,  an  die  kleinen  Höfe  der 
Fün>t<'!i  und  Kdelhige,  sodass  dem 
ausgebildeten  höfischen  Leben  schon 
eine  recht  ansehnliche  Tafel  zur 
Verfügung  stand.  Ks  seien  hier  nach 
St  fiitltz,  J/ofische$  LebtUf  Absehn.  IV 
folgende  Speisen  genannt  Gänse- 
braten, Tauben,  Hühner,  kajmn, 
Pfauenbrateu  mit  Pfeffersauce, 
Hirsch,  Reh,  Wildschwein,  Hasen, 
Kaniuchen;  von  wilden  Vögeln: 
Kraniche  und  Reiher,  Schwäne, 
Trappen,  Rohrdommeln,  wilde  Gans, 
wilöfe  Knte.  Fasan,  Regenpfeifer, 
'laucher,  Rebhuhn  und  Hauben- 
lerche. Die  Fische  ass  man  frisch 
oder  cingcsalzen;  genannt  werden 
Hering,  ein  verbreiteter  Handels- 
artikel, Lachs,  Lachsforelle,  Aal, 
Stör  u.  v.  a.  Sehr  beliebt  waren 
J\t*fetrn,  mhd.  die  ]>a*/eJr,  bast&U, 
hattet ,  aus  mittcllat.  pattdia,  von 
lat.  pattare  —  Teig  bereiten,  pasta 
aa  Teig;  es  werden  erwähnt  Hühner-, 
Reh-,  Kaninchen-,  Fasanen-  und 
Regenpfeifer-Pasteten.  Von  deirür- 
zen  kennt  man  ausser  Salz  den 
Pfeffer,  der  im  Mittelalter  weit  ver- 
breiteter war  als  jetzt,  daher  auch  die 
reichen  Kaufherren  im  15.  Jahrhun- 
dert den  Spottnamen  Pfeffersacke 
trugen;  dann  Kümmel,  Muskatnüsse 
und  Muskatblüten ,  Gewürznelken, 
Kardamon,  Zimmct.  Namen  von 
Saucen  sind  Salse,  altfr.  Sauce, 
Pfeffer,  Agraz.  Brot  lag  bei  jedem 
Gedeck  auf  der  Tafel,  mhd.  simefe, 
§etntsle.  Semmeln;  andere  Namen 
sind  Wittel  und  Wecken;  es  war 
aus  Weizenmehl  gebacken.  Als 
Nachtisch  wurden  verschiedene 
Kuchen  aufgetragen,  Honigkuchen, 
Gewürztorte,  gefüllte  Torte,  Krapfen, 


rfanl-worien  ;  auch  Käse  gehört  zum 
Nachtisch.  Das  Dessert  besteht  aus 
Obst  oder  Südfrüchten:  Äpfel  und 
Birneu.  Weintrauben,  Quitten,  Süsse. 
Himbeeren,  Pfirsiche,  geröstete  Ka- 
stanien, Mandeln,  Feigen,  grosse 
Rosinen  i  Kubeben  i,  Datteln,  Ingwer, 
Granatäpfel.  Cber  die  Getränke 
siehe  die  Art.  Birr,  Met  und  Wein. 
Das  älteste  Kochbuch,  aus  dem  14. 
Jahrhundert,  hat  Birt  inner  ver- 
öffentlicht unter  dem  Titel:  Ein  Puch 
von  guter  Speise,  Stuttg.  1844. 

Noch  menr  aber  als  die  Speisen 
und  Getränke  selber,  ist  eine  be- 
sondere TUrkzuck  t  für  das  höfische 
Leben  charakteristisch;  auch  ihre 
Formen  sind  ohne  Zweifel  in  Frank- 
reich zuerst  ausgebildet  worden  und 
sollten  dazu  dienen,  die  zu  dieser 
Zeit  gewiss  noch  rohe  Natursitte 
beim  Mahle  in  die  Formen  edeln 
Anstände»  und  würdiger  Geselligkeit 
zu  bannen,  wobei  sowohl  die  Zube- 
reitung und  Zurichtung  der  Speise 
als  das  Auftragen  derselben,  die 
gute  Sitte  der  Aufwartenden  sowohl 
als  der  Speisenden  gleichinässig  in 
Betracht  kam.  Je  reicher  das  Gast- 
mahl und  je  vornehmer  die  Teil- 
nehmer, desto  mehr  kamen  die  Re- 
geln der  höfischen  Zucht  zur  Berück  - 
'  sichtiguug,  am  meisten  ohne  Zweifel 
bei  den  grossen  königlichen  Hof- 
tafeln. 

Die  Tafel  war  mit  meist  weissen 
Tischtüchern,  Tischlaken,  bedeckt 
die  mit  Borten  verziert  waren;  jeder 
Gast  erhielt  eine  Serviette,  mhd. 
twckelc,  und  ein  Brot;  zum  Geräte 
gehörten  die  Salzfässer,  Schüsseln, 
Becher,  Messer  und  Löffel  (die  Gabel 
fehlte  noch)  und  Trinkgeiasse ;  aus 
der  kleinen  Schüssel  oder  dem  Teller 
speiste  bald  ein  Gast  allein,  bald 
zusammen  mit  einem  Tischgenossen. 
War  die  Tafel  und  Speise  zum 
Mahle  bereit,  so  trat  der  Truchse-«, 
mit  abgelegtem  Mantel,  den  Stab 
in  der  Hand,  zum  Herrn  des  Hauses, 
kniete  vor  ihm  nieder  und  meldete, 
dass  die  Mahlzeit  bereit  sei  und  das 


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Maifeld.  —  Maifest. 


597 


Waschwassergereicht  werden  könne. 
Der  Herr  lässt  darauf,  wenn  es  ihm 
beliebt,  Ruhe  gebieten  und  befiehlt 
dem  Truchsess,  das  Signal  zum 
Häudewaschen  zu  geben.  Durch 
Horn,  Trompete  oder  Zuruf  wurden 
die  Gäste  aufgefordert ,  ihren  Platz 
einzunehmen.  Unter  Leitung  des 
Kämmerers  boten  darauf  Edelknaben 
der  Reihe  nach  knieend  eine  Schüssel 
dar  und  gössen  aus  einem  Gicss- 
fasse  Wasser  über  die  Hände;  die 
Hände  wurden  an  der  twchele  ab- 
getrocknet, welche  die  Diener  um 
den  Hals  hängen  hatten.  Dann  setzte 
man  sich  zu  Tische.  Der  Fürst 
speiste  an  einem  besonderen,  auf 
einer  Estrade  erhöhten  Tisch  allein 
oder  mit  seiner  Gemahlin,  den  an- 
deren wies  der  Trnchsess  ihrem 
Range  gemäss  den  Platz  an.  Um 
die  Rangunterschiede  verschwinden 
zu  lassen,  hatte  Artus  seine  Gäste 
an  einen  runden  Tisch  gesetzt.  Nach 
der  älteren  Sitte  speisten  Herren 
und  Damen  gesondert,  nur  dass  etwa 
die  Hausfrau  den  Gästen  zur  Ehre 
sich  aus  Mahl  setzte.  Kinder  wurden 
nicht  zugelassen.  Zulassung  der 
Damen  zum  Mahle  kam  erst  in  der 
sinkenden  Ritterzeit  auf.  Das  Auf- 
tragen der  Speisen  leitete  unter 
Trommel  und  Posaunenschall  wie- 
derum derTruchsess,  der  samt  seinen 
Gehilfen  als  Abzeichen  einen  Stab 
in  der  Hand  trug;  Edelknaben, 
schön  gekleidet,  brachten  die  Speisen 
aus  der  Küche.  Grössere  gebratene 
Vögel  wurden  am  Spiesse  aufgetra- 

fen,  andere  Gerichte  auf  kostbaren 
latten;  das  Geflügel  kam  unzer- 
schnitten,  die  übrigen  Braten  aber 
zerlegt  auf  den  Tiseh.  Das  Zer- 
schneiden der  letzteren  besorgten 
Edelknaben  oder  junge  am  Hofe 
zur  Erziehung  lebende  Mädchen ;  sie 
hatten  dem  Gaste  knieend  vorzu- 
schneiden, die  Bissen  zuzureichen, 
den  Becher  zu  präsentieren.  Andere 
Knaben  reichten  den  Wein  herum, 
wobei  gewöhnlich  mehrere  Gäste 
aus  einem  Becher  tranken.  Spiel- 


leutc  und  Sänger  fehlten  bei  der 
Hoftafel  nicht.  Nach  aufgehobener 
Mahlzeit  wusch  man  sich  wiederum 
die  Hände,  die  Tischtücher  wurden 
abgenommen,  der  Tisch  selber 
hinausgetragen. 

War  die  höfische  Zucht  darauf 
bedacht,  namentlich  auch  das  Mahl 
unter  ihr  Gesetz  zu  bringen,  so  be- 
mühten sich,  als  iener  echte  (»eist 
der  Zucht  schwand,  mehrere  Schrift- 
steller, die  Regelu  der  Tischzucht 
aufzuschreiben;  man  hat  solche  Auf- 
zeichnungen vom  Tannhäuser  und 
eine  „Wiener  Tischzucht4',  später 
noch  von  Sebastian  Brant  im  Narren- 
schiff'  und  von  Hans  Sachs  nach- 
geahmt; doch  sind  das  höchst  äusser- 
fiche  Regeln,  die  weniger  sagen, 
was  Zucht  bei  Tische  sei,  als  welche 
Unzucht  man  lassen  solle,  z.  B.  mit 
blosser  Hand  ins  Salzfass  greifen, 
des  Nachbarn  Löffel  brauchen,  das 
Brotstück,  mit  dem  man  die  Schüssel 
austunkt,  abbeissen  und  wieder 
brauchen,  direkt  aus  der  Schüssel 
schlürfen,  sie  mit  dem  Pinger  aus- 
wischen ,  sich  auf  den  Tisch  auf- 
stützen, beim  Essen  schnaufen  und 
schmatzen,  mit  dem  Messer  in  den 
Zähnen  stochern,  während  des  Mahles 
den  Gürtel  weitern.  Schultz,  Höfi- 
sches Leben,  Abschn.  IV. 

Im  allgemeinen  blieb  die  Art, 
wie  man  in  der  höfischen  Zeit  das 
Gastmahl  einahm,  die  Norm  für  die 
folgenden  Jahrhunderte;  im  Kreise 
des  Adels  mag  sieh  das  äussere 
Zeremoniell  wenig  verändert  haben; 
auch  in  den  Städten,  wo  bald  Gast- 
mähler eine  grosse  Rolle  spielten, 
blieb  wenigstens  eine  bestimmte 
Tischzucht  zu  Recht  bestehen.  V^l. 
Krieqk,  Deutsches  Bürgertum  im 
Mittelalter.  Absehn.  XVIII.,  Mahl- 
zeiten und  Speisen. 

Maifeld,  siehe  Campus  Martins. 

Maifest,  Malfahrt,  Mairitt  ist 
das  uralte,  am  1.  Mai,  am  Walpurgis- 
tage,  gefeierte  deutsche  Frühlings- 
uud  Sommerfest.  Der  Tag  war  dem 
Donar  geweiht  und  einer  der  heilig- 


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598 


Major*Domus.  —  Malerei. 


sten  Tage  de»  deutschen  Heiden- 
tums, Opfer-  und  Gerichtstag  der 
Mai  Versammlung  des  Volkes,  wovon 
besonders  auch  die  in  die  voran- 

Smende  Nacht  verlegten  Hexentanze 
eweisc  ablegen ;  da  zieht  der  Böse 
mit  den  Hexen  nach  dem  Blocks- 
berg, wo  sie  einen  Tanz  aufführen, 
der  sich  wahrscheinlich  auf  die  Feier 
der  Vermählung  Wodans  mit  Frigg 
bezieht.  Namentlich  in  Skandinavien 
und  in  Norddeutschland  wurde  der 
Maitag  lange  noch  festlich  gefeiert. 
Zwei  Reiterscharen ,  die  eine  vom 
Winter  angeführt,  der  in  Pelz 
gehüllt  und  mit  Handspiessen  be- 
waffnet, Schneeballen  und  Eis- 
schollen auswarf,  die  andere  vom 
Blumengrafen,  der  mit  grünen  Zwei- 
gen, Laubwerk  und  kaum  erst  ge- 
fundenen Blumen  bekleidet  war, 
rückten  von  verschiedenen  Seiten 
in  die  Stadt  und  hielten  ein  Speer- 
stechen, worin  der  Sommer  den 
Winter  überwand  und  durch  Aus- 
spruch des  umstehenden  Volkes  für 
den  Sieger  erklärt  wurde.  So  im 
16.  Jahrhundert;  spater  wird  bloss 
noch  vom  Einführen  oder  Einreiten 
des  Sommers  durch  feierlichen  Um- 
zug des  Maigrafeu  gesprochen,  der 
den  Maienkranz  einbringt.  Es  war 
eine  Maienfahrt \  welche  Kaiser 
Albrecht  am  1.  Mai  1308  von  Baden 
nach  Brugg  unternahm,  und  die 
Kränze,  welche  er  den  Begleitern, 
auch  seinem  Neffen  aufsetzte,  waren 
Maikränze,  und  wenn  die  Königin 
spiiter  bei  Hinrichtung  der  unschul- 
digen Rurgmanuer  zu  Fahrwangen 
gesagt  haben  soll:  nun  bade  sie  im 
Maientau,  so  gehört  auch  dieser 
Ausdruck  zum  Maifest;  in  Schwaben 
z.  B.  heisst  der  Mairitt  mancherorts 
Maitauritt.  An  vielen  Orten  wurden 
am  Maitage  Mail>aume  im  Walde 
geholt  und  feierlich  bekränzt  und 
aufgestellt;  der  Baum  ist  eine  Birke, 
Tanne  oder  Kiefer,  oft  auch  heisst 
bloss  der  grüne  Zweig  Maie. 
Grimm,  Mythologie  735;  l  hl  and, 
Schriften,   III ,   31;    r.  Reinsberg- 


Düringsfeld,  Das  festliche  Jahr. 
Monat  Mai. 

Major  Domus,  siehe  JTausmeier. 

Malbergische  Glosse,  siehe  lege« 
barbarorum,  1.  I*x  Salica. 

Malerei,  a)  Romanische  und 
gotische  Zeit.  Den  eigentlichen  Ur- 
sprung der  Malerei  in  den  nörd- 
lichen Ländern  nachzuweisen,  ist 
deshalb  schwierig,  weil  einesteils 
die  Werke  der  Malerei  den  ver- 
derbliehen Einflüssen  der  Zeit  einen 
weit  geringeren  Widerstand  ent- 
gegensetzen, als  z.  B.  diejenigen 
der  Architektur  oder  Skulptur,  an- 
dernteils  aber,  weil  die  Jahrnunderte 
nach  der  Reformation  in  ein  feind- 
liches Verhältnis  zu  dem  traten,  was 
die  Vorzeit  besonders  iu  der  Malerei 
Grosses  hinterlassen  hatte.  Was 
wir  deshalb  aus  der  frühen  Zeit  der 
romanischen  und  gotischen  Epoche 
noch  besitzen,  beschränkt  sich  auf 
äusserst  weniges.  Das  meiste  be- 
steht in  Miniaturen,  jener  Aus- 
schmückung geschriebener  Bücher 
durch  Bilder,  Kandzcicluiungen  und 
Zierbuchstaben  (s.  den  Artikel  Minia- 
turen). Indessen  liegen  dennoch 
genug  Beispiele  vor,  aus  denen  sieh 
schlieasen  lässt,  dass  die  Malerei 
besonders  in  Wandgemälden  der 
Kirchen  sich  zu  grosser  räumlicher 
Wirkung  entfalte  tnattc,  und  dass  eine 
völlige  Bemalung  des  Inneren  der 
Kirchen  an  Wänden,  Gewölben  und 
Holzdeeken  allgemeine  Sitte  war. 

Der  Zusammenhang  mit  der 
Architektur  verlieh  dem  Stil  der 
Malerei  eine  strenge  Erhabenheit  und 
Würde.  Die  Regung  des  indivi- 
duellen Lebens  war  zwar  einge- 
schränkt, aber  dafür  gewährten  die 
Gestalten,  die  sich  in  kräftigen  Far- 
bentönen von  dem  in  derRcgei  blau  ge- 
haltenen Hintergrund  in  energischen 
Umrissen  abgehoben,  verbunden  mit 
einer  einfachen  architektonischen 
Gliederung,  welche  dem  Ganzen 
klare  Übersichtlichkeit,  rhythmi- 
schen Wechsel  und  reiches  Leben 
verlieb,  den  Eindruck  von  hoher 


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Malerei. 


509 


Würde  und  Macht.  Derart  enthält 
der  Wormser  Dom  viele  verblichene 
Wandmalereien.  In  der  Liebfrauen- 
kirche zu  Halberstadt,  in  der  Stifts- 
kirche zu  Quedlinburg  schimmern 
noch  die  alten  Malereien  hervor, 
und  in  manch'  anderen  Kirchen 
hat  die  Übertünchung  den  alten 
Sehmuck  heiliger  Wandmalereien 
nicht  ganz  vertilgen  können.  Unter 
denWerken  des  entwickelten  1 2..Jahr- 
hunderts  stehen  die  der  Kirche  in 
Schwarzrheindorf  an  Ausdehnung 
und  künstlerischem  Gehalte  obenan. 
I  n  der  Schlussepoche  des  romanischen 
Stiles  scheint  die  Wandmalerei  be- 
sonders am  Niederrhein,  in  West- 
falen und  Sachsen  sich  zu  umfas- 
senden Leistungen  ausgebildet  zu 
haben,  so  im  Kapitelsaal  in  Brau- 
weiler, in  der  Nikolaikapelle  zu 
So« »st  und  der  Kirche  zu  Methler, 
vor  allem  aber  in  den  bedeutenden 
Gewölbemalereien  im  Chor  und 
Querschiff  des  Domes  zu  Braun- 
schweig. Eines  der  wichtigsten 
Werke  dieser  Zeit  ist  die  Holzdecke 
der  Michaelskirchc  zu  Hildesheim, 
die  in  überaus  schöner  Einteilung 
und  reichem  ornamentalen  Rahmen 
den  Stammbaum  Christi  enthält. 

Bereits  in  der  frühen  Zeit  des 
13.  Jahrhunderts  entwickelt  sich 
neben  dem  romanischen  Stile  ein 
anderer,  welcher  mit  der  Zeit  all- 
gemein vorherrschend  wird.  Das 
Starre,  Strenge,  Ernste,  die  traditio 
nell  überlieferte  Bildungsform  ver- 
schwindet und  macht  einer  weiche- 
ren Führung  und  einem  eigen- 
tümlichen Schwünge  der  Linien 
Platz.  Die  Gestalten  verlassen  ihre 
ruhige  Stellung  oder  eckige  schroffe 
Bewegung  und  nehmen  etwas  Gra- 
ziöses in  Haltung  und  Geberdc  an; 
die  Falten  der  Gewänder  fliessen 
weich,  in  langen  Linien  und  Massen 
herab,  die  Gesichter  erhalten  die 
Andeutung  eines  lieblichen,  häufig 
sentimentalen  Ausdruckes,  der  zu- 
weilen zwar  nicht  ohne  Manier, 
insgemein  jedoch  auf  eine  schlichte, 


naive  Weise  hervortritt.  Es  ist  das 
Erwachen  des  subjektiven  Gefühls 
des  Künstlers,  welches  die  darge- 
stellten Personen  unbewusst  durch- 
dringt. Hand  in  Hand  mit  der 
Architektur  zeigt  sich  aber  auch 
hier  ein  typisch  wiederkehrendes 
Gesetz  der  1*  ormbildung.  Das  Ge- 
setz einer  architektonischen  Sym- 
metrie herrscht  über  Naturwahrneit 
vor.  Grössere  Darstellungen,  welche 
die  allgemeinen  Typen  des  gotisrhen 
Stiles  mit  grösserer  oder  geringerer 
Vollendung  tragen,  sind  mannigfach 
als  Tafelbilder,  Wandgemälde,  als 
Glasmalereien  und  gewirkte  Tep- 
piche erhalten.  Unter  den  bekann- 
ten gotischen  Wandmalereien  sind 
die  der  Frühzeit  angehörenden  Ge- 
mälde in  der  Apsis  zu  Brauweilcr, 
besonders  aber  die  Malereien  an 
den  Gewölben  und  Wandungen  der 
ehemaligen  Kapelle  zu  Ramersdorf 
bei  Bonn  Fig.  85  (Kunsthist.  Bilder- 
bogen), im  Dom  zu  Köln,  in  der 
Thomaskirche  zu  Soest,  der  Kloster- 
kirche zu  Wienhausen,  der  Marien- 
kirche zu  Kolberg,  im  Dome  zu 
Marien werder,  der  Vituskirche  zu 
Mühlhausen  a.  N.  und  viele  andere 
als  Beispiele  anzuführen. 

Indessen  verdrängte  der  sich 
rasch  ausbreitende  gotische  Stil  die 
Malerei  doch  immer  mehr  und  mehr. 
Die  grossen  Wandflächen,  welche 
die  romanische  Baukunst  geschaffen, 
schrumpften  zusammen  und  mach- 
ten einem  steinernen  Gerinpc  mit 
eingespannter  Feusterwanrt  Platz. 
Die  Architektur  drückte  ihre  Schwe- 
sterkunst zu  blosser  Ornamentik 
herab,  und  die  nordischen  Nationen 
erkauften  die  Befriedigung,  sich  im 
gotischen  Stil  mit  ihrer  ganzen  Kraft 
auszusprechen,  auf  Jahrhunderte  mit 
der  völligen  Einbusse  der  Fähigkeit, 
in  gro8sräumigen  Schöpfungen  ihre 
höchsten  Ideen  mit  den  Mitteln  der 
Kunst  darzustellen,  die  recht  eigent- 
lich zum  Ausdruck  derselben  be- 
stimmt schien. 

Die  Malerei  wurde  gezwungen. 


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600  Malerei. 


sich  auf  Schöpfungen  der  Kleinkunst  im  Gebrauche  waren.  Entsprechend 
zu  werfen.  Besonders  blüht  des-  der  Technik,  Auftrag  der  mit  Ei- 
halb  auch  in  dieser  Epoche  die  weiss  angemachten  Farben  auf  einem 
Miniaturmalerei  auf,  daneben  aber  feinen  Kreideüherzug,  sind  dieselben 


zu^h-ieh  die  sogenannte  Tafelmale-  meistens  zart,  licht  und  durch  häutig 
re»,  deren  Werke  jene  schließenden  angewandte  Vergoldung  abgetönt. 
Deckel  von  Altarschreinen  l>edeck- 1  Die  allgemeine  Richtung  der  Zeit 
ten,  wie  sie  zu  dieser  Zeit  allgemein  mit  ihrem  sanften  Gefühlsausdruck 


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Malerei. 


601 


uud  ihrem  Spiritualismus  wiegt  in 
diesen  Werken  zwar  vor,  indessen 
treten  doch  innerhalb  dieser  Grund- 
züge  seit  1350  besondere  Richtungen, 
selbständig  ausgeprägte  Schulen 
vor.  Der  einzelne  ordnet  sich  zwar 
wohl  noch  ein  Jahrhundert  lang 
völlig  den  gleichen  Prinzipien  unter, 
welche  seine  Genossen  befolgen; 
sein  Schaffen  geht  auf  in  dem  seiner 
Genossen  und  hebt  Bich  höchstens 
durch  den  höheren  oder  geringeren 
Grad  technischer  Ausführung,  nicht 
aber  dem  Charakter  nach,  von  der 
Menge  ab.  Vor  allem  waren  es  die 
drei  Städte  Köln,  Prag  und  Nürn- 
berg, welche  zu  Zentralpunkten  für 
Malerschulen  der  gotischen  Zeit 
wurden. 

Besonders  in  Köln  fand  die 
ideale  Erhebung  der  mittelalter- 
lichen Kirche  ihren  vollkommenen 
Ausdruck. 

Schute  von  Köln.  Die  schrift- 
lichen Nachrichten  über  die  einzel- 
nen Künstler,  denen  die  Werke 
dieser  Schule  angehören ,  sind 
äusserst  dürftig.  Man  knüpft  an 
die  bedeutendsten  Gemälde  die  Na- 
men zweier  Meister,  entsprechend 
den  beiden  Hauptepochen,  wie  sie 
im  Verlauf  in  der  Kölnerschule  beob- 
achtet werden  können.  Der  erste  von 
diesen  ist  der  Meister  Wilhelm  von 
Herle,  von  dem  die  gleichzeitige  Lim- 
burger Chronik  (1360)  berichtet, 
das«  er  der  beste  Maler  in  allen 
deutschen  Landen  gewesen  sei  und 
dass  er  jeglichen  Menschen  von  aller 
Gestalt  gemalt  habe,  als  hätte  er 
gelebt.  Bei  ihm  herrscht  reine 
Kinderunschuld,  Zartheit  der  Em- 
pfindung und  Holdseligkeit  des  Aus- 
drucks in  anmutigen  schlanken  Ge- 
stalten und  einem  duftigen  Schmelz 
des  Kolorits  vor.  Von  dem  be- 
deutenden Einrluss,  welchen  dieser 
Meister  auf  die  Kunst  seiner  Zeit 
ausübte,  giebt  eine  namhafte  An- 
zahl Bilder  seiner  Schüler  Zeugnis. 
Einem  unter  denselben  war  es  bc- 
sehieden,  den  vorzüglichen  I-eistun- 


f'en  seines  Meisters  noch  Vorzüg- 
icheres  an  die  Seite  zu  stellen. 
Dies  ist  der  Meister  des  berühmten 
Kölner  Domhilde*,  Fig.  86  Kunsth. 
Bilderbogen) :  Stephan  l^ochner.  Sei- 
nen Namen  hat  uns  Dürer  in  seinem 
Reisehandbuch  aufbewahrt.  Er  tritt 
vorerst  in  die  Fussstapfen  seines 
Meisters,  ist  erfüllt  von  derselben 
Tiefe  der  Andacht  und  Unschuld, 
bringt  sie  in  denselben  edlen  Ge- 
stalten zur  Erscheinung,  verleiht 
ihnen  aber  durch  kräftigere  Model- 
lierung, intensivere  Färbung  und 
Anwendung  schmuck  voller  Zeit- 
tracht einen  höheren  Grad  von 
Wirklichkeit.  Seine  Richtung  führt 
die  streng  kirchlich  ideale  Kunst 
des  Mittelalters  bereits  an  den 
äussersten  Grenzpunkt,  über  den 
hinaus  sie  keiner  Entwicklung  mehr 
fähig  ist,  ohne  ihren  unbeugsamen 
Prinzipien  völlig  untreu  zu  werden. 

Ganz  im  Gegensatz  zu  der  köl- 
nischen Schule  entfaltet  die  deutsche 
Malerei  eine  andere  Blüte  in  der 
Schule  zu  l'rag  unter  der  Regierung 
Kaiser  Karls  IV.  1 1346—78.)  Kaiser 
Karl  führte,  seiner  Weltstellung  ge- 
mäss, verschiedenartige  Elemente 
in  die  Malerei  seines  Hofes  ein,  wo- 
von die  Meisternamen  Thomas  von 
Modena  und  Nikolaus  Wurmser  von 
Strassburg  Zeugnis  geben;  auch 
scheint  byzantinischer  Einfluss  mit- 

fewirkt  zu  haben.  Allein  trotzdem 
ewahrt  die  böhmische  Schule  den 
einheitlichen  lokalen  Charakter,  als 
dessen  Vertreter  man  Meister  Kunze 
nennt.  Die  bedeutendste  Anzahl 
Werke  dieser  Künstler  sieht  man 
in  dem  von  Karl  erbauten  Schloss 
Karlstein  und  in  der  Kapelle  des 
heiligen  Wenzcslaus  im  Dome  zu 
Prag.  In  ihren  allgemeinen  Ver- 
hältnissen lassen  sie  das  Schlichte 
und  die  einfache  Würde  des 
gotischen  Stiles  erkennen.  Der  vor- 
wiegende Charakter  ist  der  einer 
überaus  grossen  Weichheit,  der  in 
der  Formgebung  fast  zum  Ver- 
schwommenen hinneigt.    Die  Farbe 


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602 


Malerei. 


ist  ausserordentlich  feiu  vertrieben,  unbchilflich  und  besonders  durch 
die  Formen  aber  sind  zumeist  breit  die  hohen  Schultern  und  deu  kurzen 
und  plump,  die  Nasen  überaus  dick  ,  Hals  ängstlich  gedrückt.  Allein  trotz 


Fig.  86.     Hügel  des  Kölner  Dombildcs. 


und  rundlich,  die  Lippen  voll,  die  alledem  lag  hier  mehr  als  in  Köln 

Augen  gross  und  von  weit  mehr  der  Ansatz  zu  grosser  monumentaler 

offenem  als  heiterem  Eindruck,  da-  Kunst,    Geschaffen    und  gehoben 

bei  die  Haltung  der  Gestalt  meist  durch  die  Gunst  Karls  IV.  erhielt 


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Malerei. 


(503 


diese  Schule  das  Gepräge  der  andern 
Vormacht  des  deutschen  Mittelalters, 
des  alten  Kaisertums. 

Zwischen  diesen  beiden  Polen 
deutscher  Kunstentwickelung  im 
Westen  und  Osten  liegt  die  Reichs- 
stadt JSürnhcrfl.  Wie  in  Köln  und 
Prag  sind  auch  hier  die  Elemente 
der  ersten  Entwickclung  dem  heimat- 
lichen Boden  entwachsen.  Doch 
führte  der  lebhafte  Verkehr  der  auf- 
blühenden baulustigen  Handelsstadt 
notwendig  zu  mannigfachen  Berüh- 
rungspunkten mit  der  Fremde,  und 
soweit  sich  der  Gesamtcharakter 
der  ersten  dortigen  Schule  aufstellen 
lässt,  liegen  deren  Eigentümlich- 
keiten zwischen  dem  Wesen  der 
Kölner  und  Prager  Schule  mitten- 
inne.  Die  Malerei  steht  hier  unter 
entschiedenem  Einfluss  der  mächtigen 
Skulpturthätigkcit  und  sucht  durch 
strenge  Zeichnung,  entschiedene 
Formgebung  und  Modellierung  mit 
der  Schwesterkunst  zu  wetteifern, 
während  zugleich  ein  kräftiges  Kolorit 
die  eigentliche  malerische  Wirkung 
festhält.  Die  Gestalten  zeigen  weiche 
aber  gedrungene  Formen,  die  Köpfe 
kindlichen  Ausdruck  bei  weit  ge- 
öffneten, meist  braunen  Augen.  Eine 
bedeutende  Anzahl  hierhergehöriger 
Bilder  sieht  mau  in  den  Haupt* 
kirchen  Nürnbergs  St.  Sebald  und 
St.  Laurenz.  Die  spätem  Werke 
machen  «ich  durch  ein  etwas  ge- 
drungenes Verhältnis  der  Formen 
bemerkbar,  wie  am  Tuchersehen 
Hochaltar  in  der  Frauenkirche. 
Weniger  noeh  als  in  Köln  oder 
Prag  lassen  sich  hier  einzelne  Künst- 
ler beim   Namen  nennen. 

Der  Entwicklungsgang,  der  sieh 
an  die  Nürnberger  Schule  anschliesst, 
entspricht  ganz  den  Geschicken  des 
deutschen  Volkes.  Die  Schulen  von 
Prag  und  Köln  vertraten  die  höchste 
Ausbildung,  deren  die  mittelalter- 
liche idealistische  Richtung  fähig 
war.  Jetzt  veränderte  sich  der 
Schwerpunkt  im  Leben  der  Nation. 
Die  Kaiscrmacht  verflüchtete  sich, 


und  die  Herrschaft  der  Kirche  wurde 
unterwühlt.  Dafür  erhob  sich  das 
Bürgertum  mehr  und  mehr  zu  selb- 
ständiger Bedeutung,  und  da  das- 
selbe sein  Augenmerk  irdischen 
Dingen  zuwandte,  musste  jede  weitere 
Vervollkommnung  der  Malerei  not- 
wendig zur  genaueren  Beobachtung 
der  Naturgegenstände  und  zum 
Überwiegen  der  realistischen  Be- 
handlung führen.  Die  ersten  Keime 
davon  fanden  wir  bereits  in  der 
Kölner  Schule  in  Lochner,  allein 
sie  erlag  dem  mächtig  einbrechenden 
realistischen  Zug  der  Zeit;  die 
Prager  Schule  aber  ging  in  den 
Stürmen  der  hussitisclicn  Wirren 
gänzlich  unter. 

Bevor  wir  jedoch  die  Entwickc- 
lung der  Malerei  in  Nürnberg  und 
auf  deutschen  Boden  weiter  verfol- 
gen, haben  wir  unseren  Blick  für 
einige  Zeit  nach  dem  Norden  zu  rich- 
ten. Hier  war  es  die  grosse  Handels- 
!  Verbindung  der  Hansa,  welche  von 
i  nun  an  die  gebietende  Weltstellung  im 
NordcnEuropas  einzunehmen  begann. 
Ihre  Hauptstadt  lag  in  den  Nieder- 
landen, und  wie  von  Brüjfgr  aus 
der  Markt  in  Süd  und  Nord  be- 
herrscht wurde,  so  sollte  auch  von 
Brügge  aus  der  neue  Geist  in  der 
Malerei  ausgehen. 

b)  Zeit  der  Kenaissance,  1.  Alt- 
flandrische  Schule.  Flandern  sollte 
!  die  Geburtsstätte  der  moderneu  Male- 
rei des  Nordens  werden.  Das  reiche, 
glänzende,  vielbewegte  Leben,  wie 
es  in  den  flandrischen  Städten  da- 
mals seinen  Gipfelpunkt  erreicht 
hatte,  musste  mächtig  auf  die  Ent- 
wicklung der  Malerei  einwirken, 
nachdem  das  Auge  des  Künstlers 
einmal  für  die  ihn  umgebende  Wirk- 
lichkeit geöffnet  war.  Die  un- 
endliche Mannigfaltigkeit  der  hier 
zusammenströmenden  Menschen,  in 
Physiognomie,  Geberde,  Tracht 
unü1  Sitten,  forderte  die  Beob- 
achtung heraus  und  schärfte  das 
Auge.  Das  Abgeschlossene  einzel- 
ner idealer  Gestalten    oder  sym- 


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604 


Malerei. 


j in- tri s.-h  geordneter  Gruppen  wird  geboren,  das  Geburtsjahr  »eines 
verlassen,  der  starre  Glanz  des  gol-  Bruders  fällt  gegen  1 400.  Über 
denen  Hintergrundes  hinweggetnan  die  Lebensumstände  der  beiden 
und  dem  Blick  die  Möglichkeit  er-  Meister  ist  wenig  bekannt,  dagegen 
öffnet,  in  die  Tiefe  und  Weite  ein-  glänzen  ihre  Verdienste  als  Be- 
zudringen.  Die  ganze  Welt  der  Kr- 1  gründer  einer  ganz  neuen  Weise 
scheinungen,  Himmel  und  Erde,  Nähe  I  der  Malerei  um  so  unzweifelhafter. 


Fig.  87.    Oentner  Altar.  Flügelbilder. 


und  Ferne,  anmutvolle  Bergzüge  Dem  Inhalte  nach  schliessen  sie 
und  grüne  Matten,  die  Behaglich-  sich  aufs  innigste  der  gedankenvoll 
keit  und  der  Schmuck  menschlicher  symbolischen  Kunstweise  des  Mittel- 
Wohnungen,  alles  das  wird  in  den  alters  an,  greifen  aber  zugleich  mit 
Werken  der  Folgezeit  wiedergc-  kühnem  Mut  ins  Leben  und  prägen 
spiegelt.  Au  der  Spitze  dieser  neuen  in  allem  scharf  die  Zustände  ihrer 
Richtung  stehen  ttie  Gebrüder  ran  Zeit  und  ihres  Vaterlandes  aus. 
Eyck:  Jan  und  Hubert.  Hubert  Zugleich  erfinden  sie  neue  Vor- 
w'urde  vermutlich  13fiG  in  Maaseyk  teile  in  Bereitung  und  Anwendung 


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Malerei. 


605 


der  Farben  und  erreichen  durch 
Verwendung  des  Öles  als  Binde- 
mittel eine  vorher  nicht  gekannt«! 
Leuchtkraft  und  Tiefe  derselben. 
Das  berühmteste  Werk  der  beiden 
Brüder  ist  das  grosse  Attanrerk, 
welches  von  ihnen  für  die  Kirche 
des  heiligen  Johannes  zu  Gent  ge- 
malt und  im  Jahre  1432  vollendet 
wurde.  Fig.  87.  (Kunsthistorische 
Bilderbogen).  Ein  grosser  Gedanke, 
der  Gedanke  der  Versöhnung,  der 
Grundgedanke  des  Christentums, 
durchzog  dasselbe.  Heutzutage  ist 
das  Werk  zum  Teil  zerstört,  zum 
Teil  verdorben.  Von  der  künstleri- 
schen Thätigkeit  des  Hubert  ist 
ausser  diesem  Riesenwerke  wenig 
auf  uns  gekommen,  dagegen  sind 
von  der  Hand  Jans  mehrere  Ar- 
beiten erhalten  geblieben.  Auch  die 
Schwester  der  beiden  van  Eyck, 
Margarete,  war  eine  bedeutende 
Malerin.  Obschon  historisch  be- 
glaubigte Arbeiten  von  ihr  kaum 
gekannt  sind,  so  kann  doch  manches 
von  den  Miniaturmalereien  vanEyck'- 
schen  Stiles  ihrer  Hand  zugeschrie- 
ben werden.  -  -  Die  von  den  van 
Eyck  begründete  Darstellungsweise 
übte  einen  unwiderstehlichen  Eiufluss 
auf  die  Zeitgenossen  aus,  wie  sich 
aus  den  zahlreichen  Bildern  ihrer 
Schüler  und  Nachfolger  ergiebt. 
Als  die  bedeutendsten  werden  ge- 
nannt: Gerhard  ran  der  Meere, 
Justus  von  Gent,  tler  fojehgeschatzte 
Hugo  ran  der  Goes,  Albert  Outca- 
ter  u.  8.  w. 

Als  einer  der  bedeutendsten  Maler 
wird  Hans  Memling  gerühmt,  der 
die  Weise  der  Eyckschen  Schule  in 
einem  eigentümlich  strengen  Sinn 
auffasst.  Die  Züge  der  Gesichter 
sind  hei  ihm  weniger  lieblich,  son- 
dern ernster,  die  Gestalten  nicht  so 
zierlich  schlank,  die  Bewegung  we- 
niger weich,  die  Behandlung  schärfer 
und  mit  genauerer  Ausbildung  des 
einzelnen.  In  der  Gruppenanord- 
nung befolgt  er  strenge  Symmetrie 
und  giebt  gern  im  Hintergrunde  die 


Begebenheit  vor  und  nach  der 
Haupthandlung  in  kleinerem  Mass- 
stabe. Seine  Landschaften  tragen 
den  Charakter  des  Sommers  an  sich. 
Übe  •raus  glücklich  ist  er  in  Darstel- 
lungen, welche  den  stärksten  Glanz 
des  Lichtes  voraussetzen.  Die  vor- 
züglichste Auswahl  von  seinen  Ge- 
mälden findet  man  im  Spital  des 
heiligen  Johannes  in  Brügge,  wo- 
runter namentlich  der  berühmte 
Ursulakasten,  die  Darstellung  einer 
der  anmutigsten  Heiligenlegenden, 
hervorzuheben  ist.  Der  eigentüm- 
lichen Darstellungsweise  Memlins 
verwandt  sind  die  Gemälde  des 
Dieriek  Bouts  von  Harlem.  Zu  den 
spätesten  Nachfolgern  der  Eyck- 
schen Schule  gehören  ferner  liogier 
ran  der  Weyden  und  Anton  Ctaes- 
sens.  Rogier  wurde  in  Tournay  ge- 
boren; seit  143H  wird  er  als  Maler 
der  Stadt  Brüssel  genannt,  in  deren 
Auftrag  er  vier  Bilder  für  den  Rat- 
haussal  malt.  In  realistischer  Treue 
und  Genauigkeit  der  Schilderung 

Seht  er  noch  über  Jan  van  Eyck 
inaus;  seine  Gestalten  sind  meist 
hart  und  eckig  und  mager,  die  Köpfe 
aber  voll  physiognomischer  Kraft 
und  Tiefe.  Eines  seiner  bedeutend- 
sten Bilder  ist  der  irrigerweise  so- 
genannte Reisealtar  Karls  V.,  ferner 
sein  jüngstes  Gericht  im  Hospital 
zu  Beaume.  Zum  Schlüsse  mag  noch 
eines  eigentümlichen  niederländi- 
schen Künstlers  gedacht  sein,  der 
sich  ganz  unabhängig  von  seinen 
Zeitgenossen  gebildet  hat,  des  Hiero- 
nymus Bosch.  Seine  Darstellungen 
sind  aus  einer  höchst  abenteuer- 
lichen Phantasie  hervorgegangen, 
wahre  Traumgebilde,  die  er  jedoch 
in  einer  merkwürdigen  Farbenglut 
zu  gestalten  wusste.  Namentlich 
war  ihm  die  Hölle  ein  beliebter 
Vorwurf,  worin  die  armen  Seelen 
aufs  unerhörteste  gepeinigt  werden, 
wahre  Küchenstücke  der  Hölle. 

2.  Deutsche  Schuten.  Bevor  wir 
der  mit  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
in   den  Niederlanden  sich  bahn- 


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606 


Malerei. 


brechenden  neuen  Richtung  unsere 
Aufmerksamkeit  zuwenden,  sei  vor- 
erst der  Entwicklung  der  Malerei 
in  deutschen  Landen  gedacht  Selbst- 
verständlich miu*ste  die  bedeutsame 
Thätijjkeit  der  flandrischen  Schule 
mannigfach  auch  über  die  Grenzen 
der  Heimat  hinauswirken  und  zur 
Nachfolge  reizen.  Es  wurde  schon 
betont .  dass  die  ältere  Kölner 
Schule,  trotzdem  Meister  Stephan 
Lochner  schon  leise  Anklänge  für 
die  neue  Richtung  angeschlagen 
hatte,  vor  dem  glänzenden  Realis- 
mus spurlos  zusammensank.  I  >as 
zeigt  sich  namentlich  in  dem  Meister 
der  Lyvensbergisehen  Passion,  wel- 
ches Bild  in  der  Ausführung  ganz 
an  die  Weise  R< »giers  van  der  Wey- 
den  sich  anlehnt.  Die  Einwirkung  des 
Meisters  der  Lyvenbergischen  Pas- 
sion auf  seine  Umgebung  war  sehr 
bedeutend.  Unter  seine  Nachfolger 
gehören  Bartholomäus  de  Jirun  und 
Jan  Joexf.  Zu  gleicher  Zeit  aber 
erhält  sich  in  Westfalen  die  erhabene 
Hoheit  der  älteren  Kolner  Schule, 
welche  im  Meister  von  Lishorn  einen 
letzten  Vertreter  findet,  der  im 
Hochaltar  des  Klosters  Lisborn  ein 
Beispiel  einer  seltenen  Verschmel- 
zung jenes  feierlichen  Stiles  mit  der 
realen  Charakteristik  und  lebensvol- 
len Ausbildung  hinterlassen  hat. 

Bedeutender  und  selbständiger 
nehmen  die  Schulen  von  Ober-  und 
Mitteldeutschland  die  flandrischen 
Einflüsse  auf.  Ohne  den  idealen 
Sinn  der  früheren  Zeit  völlig  preis- 
zugeben, huldigen  sie  der  neuen 
Richtung  in  manchen  Punkten  und 
erzielen  bisweilen  eine  glückliche 
Verschmelzung  der  beiden  Grund- 
elemente, so  in  dem  Altarwerk  der 
Kirche  zu  Tiefenbronn  von  Lucas 
^/oser,  auf  dessen  Rahmen  man  den 
Stossscufzer  des  Malers  liest:  „Schrey 
Kunst,  schrey  und  klag  dich  sehr, 
dein  begehrt  jetzt  Niemand  mehr", 
vielleicht  ein  Zeugnis  dafür,  dass  I 
die  Welt  anfing,  sich  von  den  Vcr- ! 
tretern   der  älteren   Schule  abzu- 


wenden. Zu  gleicher  Zeit  lebte  in 
Nördlingen  ein  Meister  Friedrich 
Herl  in  t  von  dem  im  Bürgerbuche 
von  1467  ausdrücklich  berichtet 
wird,  dass  er  mit  niederländischer 
Arbeit  umzugehen  wisse.  Bilder 
von  ihm  sieht  mau  in  der  Jakobs- 
kirche zu  Rothenburg,  den  städti- 
schen Sammlungen  zu  Nördlingen 
und    dem    National  -  Museum 


München. 

Viel  bedeutender  als  diese  beiden 
Meister  ist  der  Begründer  der  EUasscr 
Schule:  Martin  Schongauer  (auch 
Schön,  oder  Bei  Martino  genannt! 
vou  Kolmar.  Seine  Ausbildung  er- 
hielt er  von  Rogier  van  der  Wey- 
den.  Die  Auffassung  des  Lebens 
ist  bei  ihm  dieselbe,  wie  bei  den 
Niederländern;  in  der  Bchandluugs- 
weise  stimmt  er  jedoch  nicht  durch- 
aus mit  ihnen  überein.  Seine  Farbe 
ist  im  allgemeinen  nicht  von  kräf- 
tigem Tone,  sein  Faltenwurf  würdig 
gezeichnet,  seine  Karnation  meist 
sehr  weich.  Die  Gestalten  zeigen 
eine  ruhige  Würde,  in  den  Köpfen 
derselben  ist  der  Anklang  einer 
vollendeten,  gereiften  Schönheit  zu 
finden,  wie  er  fast  nirgends  in  der 
ältercu  Kunst  wahrgenommen  wird. 
Die  wichtigsten  Gemälde  Schon- 
gauers  haben  sich  in  Kolmar  selbst 
erhalten,  unter  welchen  die  Madonna 
am  Rosenhag  in  der  dortigen  Mar- 
tinskirche eines  der  bedeuten- 
deren ist.  Sehr  Treffliches  leistete 
Schongauer  im  Kupferstich,  wo  er 
teils  noch  in  ziemlich  nahem  An- 
8chluss  an  die  flandrische  Kunst, 
teils  schon  zu  einem  eigenen  Stil 
fortgeschritten  erscheint ,  dessen 
äussere  Merkmale  neben  der  feinen 
sinnigen  Schönheit  der  Köpfe  eine 

f gewisse  Unruhe  der  knitterig  be- 
landelten  Gewandung,  eine  scharfe 
eckige  und  magere  Zeichnung  und 
eine  Beimischung  oberdeutscher 
Trachten  sind.  In  anderen  Stichen 
tritt  das  phantastische  Element  her- 
vor, wie  z.  B.  in  einer  Versuchung 
des  heiligen  Antonius,  wo  der  Hei- 


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Malerei. 


607 


lige  von  wunderlichen  Dämonen  in 
die  Lüfte  emporgeführt  wird.  Sein 
Porträt  hat  uns  sein  Schüler  Hans 
Larqhmair  hinterlassen. 

in  einer  gewissen  Verwandtschaft 
zu  Martin  Schön  steht  sein  etwas 
jüngerer  Zeitgenosse  Hans  Jlofbein 
der  Altere,  der  um  1460  in  Augs- 
burg geboren  ward,  sich  bis  1499 
dort  aufhielt  und  dann  vorüber- 
gehend in  Ulm  und  Frankreich  lebte 
und  1524  in  Augsburg  starb.  Hol- 
bein tritt  in  die  Fussstapfen  Schon- 
gauers  eiu.  Seine  Bilder  verraten 
zwar  etwas  Handwerksmäßiges  und 
zeigen  scharfe,  eckige  Formen,  doch 
gewahrt  man  in  ihnen  das  Hingen 
eines  lebendigen  kräftigen  Geistes, 
in  einzelnen  vornehmlich  weiblichen 
Köpfen  eine  erfreuliche  Anmut  und 
überraschende  Zartheit.  Das  Böse 
stellt  er  nicht  in  eigentlich  häaslicher 
Gestalt  dar,  sondern  nur  in  dishar- 1 
monischen,  phantastischen  Formen.  ( 
Von  ihm  sind  zahlreiche  Werke  in  j 
der  Galerie  zu  Augsburg  und  der  j 
Pinakothek  zu  München  vorhanden.  | 
Holbein  war  seiner  Lebtag  arm  ge- 
blieben  und  hatte  gej^en  sein  Lebens- 
ende oft  mit  der  bittersten  Not  zu 
kämpfen.  Neben  Hans  Holbein  dem 
älteren  war  sein  Bruder  Sigmund 
ebenfalls  ein  bedeutender  Künstler. 

In  ähnlicher  Richtung  wie  Hoibein 
bewegt  sich  anfangs  Jlans  Burgk- 
maier ,  1472  zu  Augsburg  geboren. 
In  gewissen  Schärfen  der  Zeichnung, 
wie  auch  in  einzelnen  Phantastereien 
folgt  er  dem  Zuge  der  Zeit.  Durch 
seiueu  Aufenthalt  in  Italien  brachte 
er  die  Auffassung  der  Renaissance 
nach  der  Heimat.  Unter  den  im 
ganzen  nicht  sonderlichen,  aber  zahl- 
reichen Bildern  befinden  sich  einige, 
die  sich  durch  Kraft  der  Charak- 
teristik, lebendige  Schilderung  und 
warme  harmonische  Färbung  aus- 
zeichnen. In  der  Galerie  in  Augs- 
burg ist  der  Künstler  am  reichsten 
vertreten.  Seine  Hauptwerke  sind: 
Christus  und  die  Madonna,  von  den 
Heiligen    vereint,    die  Geisselung 


Christi,  Johannes  auf  Patmos  etc. 
Besonders  das  erstere  ist  mit  einer 
gewissen  Keckheit  hingeworfen. 

Abweichend  von  dieser  Richtung 
der  deutschen  Kunst  hatte  sich  im 
Beginn  des  16.  Jahrhunderts  in  Ulm 
eine  Malerschule  gebildet,  in  welcher 
das  phantastische  Elemeut,  das  sich 
schon  in  den  früheren  Entwickelungs- 
perioden  der  nordischen  Kunst  gel- 
tend machte,  vornehmlich  aber l>ei 
den  Malern  der  späteren  Zeit,  wie 
Martiu  Schön  und  dem  älteren  Hol- 
bein sich  zeigt,  minder  charakte- 
ristisch hervortritt.  Eine  eigentüm- 
liche edle  Milde  bildet  den  Grundzug 
ihrer  Kunst.  Einer  der  bedeutend- 
sten Künstler  der  Ulmer  oder  schwä- 
bischen Schule  ist  Bartholomäus  Zeit- 
blom  von  Ulm,  der  gegen  1450  ge- 
boren ward.  Fig.  88,  Geburt  Christi 
von  Zeilblom  (Kunsthist.  Bilder- 
bogen). Seine  Werke  zeigen  ein 
bewusstes  und  im  einzelnen  durch 
glücklichen  Erfolg  gekröntes  Streben 
nach  einer  würdigen  und  bedeut- 
samen Erfassung  des  Gegenstandes, 
verbunden  mit  einem  aufrichtigen 
Anschliessen  an  das  Vorbild  der 
Natur.  Seine  wichtigsten  Bilder 
in  der  öffentlichen 
Stuttgart.  Von  der 
Wirksamkeit  Zeit- 
verschiedene Werke 
als  Arbeiten  seiner 
Schule  betrachtet  werden  müssen, 
so  namentlich  der  Hochaltar  in  der 
ehemaligen  Klosterkirche  zu  Blau- 
beuren.  In  dem  grossartigen  Hoch- 
altar der  Kirche  zu  Tiefenbronn 
lernen  wir  einen  anderen  wackeren 
Künstler  der  Ulmer  Schule  kennen, 
den  Hans  Schühlein.  Allen  voran 
aber  geht  Martin  Schaffner,  zu 
dessen  trefflichsten  Werken  vier 
Tafeln  mit  der  Verkündigung,  Dar- 
stellung im  Tempel,  Ausgiessung 
des  heiligen  Geistes  und  dem  Tode 
Marias  gehören.  Andere  Bilder  des 
Meisters  bergen  der  Münster  in  Ulm 
und  die  Galerien  zu  Stuttgart,  Sig- 
maringen und  Berlin. 


befinden  sich 
Sammlung  zu 
ausgedehnten 
blom's  geben 
Zeugnis,  die 


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608 


Malerei. 


Fig.  88.    (Jclmrt  Oiriati  von  Barth.  Zeitblom. 


Malerei. 


009 


An  die  obengenannten  Künstler 
reiht  sich  wiederum  einer  der  bedeu- 
tendsten Meister  deutscher  Kunst  an: 
Hans  Holbein  der  Jüngere,  der  Sohn 
des  obengenannten  Künstlers  glei- 
ches Namens.  Zu  Augsburg  1497  ge- 
boren, wandte  er  sich  schon  in  frühen 
Jahren  nach  der  Schweiz,  Frankreich 
und  England,  wo  er  1543  in  London 
starb.  Schon  mit  18  Jahren  tritt  er 
als  tüchtiger  Maler  auf  und  gehört 
zu  den  wenigen  Meistern  des  Nor- 
dens, welche  entschieden  Einflüsse 
italienischer  Kunst  in  sich  aufgenom- 
men und  zu  vollkommener  Selbstän- 
digkeit verarbeitet  haben.  Holbeiu 
ist  vornehmlieh  Portratmaler.  Seine 
zahlreichen  Bildnisse  zeigen  ein 
inniges,  unbefangenes  Anschliesseu 
an  die  Natur  und  eine  edle  Kühe 
und  Gemessenheit.  Obschon  in  sorg- 
fältiger Behandlung  aller  Einzel- 
heiten den  Arbeiten  der  Zeitgenossen 
sich  anschliessend,  stehen  sie  den- 
selben doch  in  einer  schöneren  Fülle 
der  Formen  und  in  einer  kräftigeren 
intensiveren  Färbung  weit  voran. 
Die  historisch  beglaubigten  Arbeiten 
Holbein's  fangen  erst  in  Basel  an 
und  werden  im  dortigen  Museum 
aufbewahrt,  worunter  besonders  ein 
furchtbar  naturalistischer  Christus 
hervorzuheben  ist.  In  dieselbe  Zeit 
fallen  zwei  Gemälde  im  Münster  in 
Freiburg,  die  Geburt  Christi  und 
die  Anbetung  der  Könige,  ferner 
eine  Reihe  vorzüglicher  Porträts, 
wie  das  des  Bürgermeisters  Meier 
und  seiner  Frau.  Vor  allem  wich- 
tig sind  acht  Bilder  der  Passion, 
von  1520—1525  entstanden,  höchst 
dramatiseh,  kühn  und  gewaltig  in 
der  Komposition,  aber  geläutert 
durch  die  Einflüsse  Rattael  s.  Etwa 
um  1524  ist  die  berühmte  Madonna 
des  Bürger  m  ei  $/ers  Meier  entstan- 
den, keine  hinreissende  Schönheit, 
sondern  die  tief  empfundene  Schil- 
derung echt  deutsehen  Familien- 
lebens. Fig.  89.  Nieht  minder  stim- 
mungsvoll ist  die  Madonna  von 
Solothurn. 

K«*lle*lron  der  deutscheu  Altertümer. 


Wie  Holbein  monumentale  Auf- 
gaben behandelte,  erkennen  wir  in 
den  grossen  Wandgemälden  im  Saal 
des  Basler  Rathauses.  Seit  seiner 
Übersiedelung  nach  England  wid- 
mete er  sich  beinahe  ganz  der 
Porträtmalerei.  Auch  als  Miniatur- 
maler leistete  Holbein  Ausgezeich- 
netes.  In  genialster  Weise  bekundet 
dies  sein  Totentanz,  in  welchem  er 
dem  phantastischen  Geiste  der  Zeit 
den  schuldigen  Tribut  zahlt.  Wie 
er  aber  hier  im  kleinen  als  wahrer 
Künstler  wirkt,  so  wirkt  er  nicht 
weniger  im  grossen.  Seine  Entwürfe 
zu  den  Fassademalereien  bezeugen, 
mit  welch  genialer  Freiheit  er  die 
Malerei  in  monumentaler  Weise  zu 
verwenden  wusste. 

Als  direkte  Nachahmer  Holbein's 
gelten  Christof  Amlterger,  von  dem 
ein  paar  gute  Porträts  erhalten  sind, 
Urs  Graf  und  Nico/aus  Manuel 
von  Bern,  genannt  Deutsch,  der  als 
geistreicher  Anhänger  der  Reforma- 
tion die  Missbräuche  der  katholischen 
Kirche  durch  seine  Kunst  zu  ver- 
spotten wusste;  von  ihm  stammen 
auch  die  an  die  Kirchhofmauer  des 
Dominikanerklosters  in  Bern  in 
Farbe  ausgeführten  Totentänze. 

Fränkische  Schule.  Unabhängi- 
ger von  den  besonderen  Eigentüm- 
Rchkeiten  der  niederländischen  Ma- 
lerei und  nur  im  allgemeinen  auf 
verwandter  Entwickelungsstufe  ste- 
hend, erscheinen  die  Künstler  von 
Xümftera.  Wir  haben  schon  an- 
fangs gesehen,  wie  dort,  gestützt 
auf  ein  kräftiges  Bürgertum,  die 
neueiubrechenden  Ideen  freudig  auf- 
genommen wurden;  ja  Nürnberg 
sollte  für  Deutschland  sogar  das  wer- 
den, was  Brügge  für  die  Niederlande 
war.  Eine  ausserordentlich  rege 
Thätigkeit  hatte  sich  in  Nürnberg 
im  15.  Jahrhundert  in  der  Plastik 
entwickelt,  und  dieser  plastische  Geist 
blieb  nicht  ohne  Einfluss  auf  die 
Malerei.  Eine  auffallend  scharfe 
Formbezeichnung  und  energische 
Modellierung  sind  neben  einem  ins 

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010 


Malerei. 


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Malerei. 


611 


Einseitige  und  Hässlichc  gehenden  [  Lebens ,  die  Kunst  konnte  gross 
Streben  nach  Charakteristik  die  werden  an  umfassenden  monumeu- 
Merkmale  der  Nürnberger  Schule,  talen  Aufgaben.  Nicht  so  im  Nor- 
In  keinem  Meister  prägen  sich  «He-  den.  Der  Reichtum  der  nordischen 
selben  so  schroff  und  unerfreulich  Handelsstädte  hatte  zu  einem  bar- 
aus,  wie  in  Michael  Wohlqemuth  barisehen  Pomp  geführt,  der  in  der 
(1434 — 1519).  Seine  meisten  Werke  bunten  überladenen  Modetracht  mit 
verraten  einen  ziemlich  handwerks  den  bauschigen  Stoffen,  von  Sammet, 
massigen  Meister,  der  vornehmlich  Seide,  Brokat  und  Atlas,  einen  un- 
in  Darstellung  bewegter  Handlungen  erfreulichen  Ausdruck  fand;  die 
in  Härte  und  Unnatur  verfällt,  in  grossartige  Auffassung  der  Kunst 
dessen  Bildern  aber  zugleich,  wenn  |  abergingdendeutschenMachthabern 
sie  ruhigere  Momente  entwickeln,  vollends  ab.  Aber  auch  die  Natur 
mannigfache  Andeutungen  jenes  Ge- ,  bot  nicht  jene  Vorzüge,  nicht  jenes 
fühles  für  Anmut  der  Form  und  |  Leben.  Sie  schlummerte  die  Hälfte 
Zartheit  des  Ausdrucks  enthalten  des  Jahres  unter  Schnee  und  Eis, 
sind.  Sein  Hauptwerk  ist  der  Altar  all  ihres  Schmuckes  beraubt.  Das 
in  der  Marienkirche  zu  Zwickau,  I  reizte  das  Gemüt  zu  eigener  Thätig- 
wo  die  realistische  Richtung  fast  keit,  es  entstanden  jene  zahllosen 
überwiegend  im  Niedrigen  und  H;iss- |  Märchen  des  Nordens,  jenes  Höf- 
lichen sich  ergeht,  das  Ganze  aber  ,  sinnige  Spiel  der  Phantasie,  welche* 
trotzdem  von  grossartiger  Wirkung  schliesslich  ins  Mass-  und  Ziellos«' 
ist.  In  den  besseren  Werken  indes  hinausschweifte  und  das  Reich  der 
erfreut  der  Meister  oft  durch  eine  Schönheit  gefährdete.  Dieser  Hang 
fast  ideale  Schönheit  der  Köpfe,  zum  Phantastischen  war  den  nordi- 
Bedeutendes  hat  Wohlgemuth,  be-  sehen  Völkern  zwar  von  jeher  eigen, 
sonders  in  Verbindung  mit  seinem  allein  es  trat  besonders  jetzt  zu  Tage, 
Stiefsohn  Pleydenwurff,  im  Holz-  als  die  grosse  reformatorische  Be- 
schnitt geleistet,  wegung  Luthers  dem  Gedanken  eine 
Aus  dieser  Schule  indessen  sollte  einseitige  Berechtigung  einräumte.  — 
ein  Meister  hervorgehen,  der  alle  Aus  all  diesen  Gründen  kam  es, 
anderen  in  den  Schatten  stellte  und  dass  die  nordische  Malerei  sich  nie 
der,  was  angeborene  künstlerische  zu  jener  sonnigen  Höh«'  der  italieni- 
Begabung  betrifft,  den  Vergleich  sehen  Kunst  zu  erheben  vermochte 
selbst  mit  Raffael  und  Michelangelo  und  vielfach  in  handwerksmässige 
nicht  zu  scheuen  braucht.  Es  ist  Verknöcherung  versank  und  in  dieser 
Alhrecht  Dürer.  Allerdings  ist  ein  Gestalt  selbst  dem  grossen  Meister 
grosser  Unterschied  zwischen  den  Albrecht  Dürer  beinahe  unüber- 
Gipfelpunkten  deutscher  und  italic-  steigliche  Hindernisse  in  den  Weg 
nischer  Kunst.  In  Italien  entfaltete  legte.  Allein  bei  alledem  hat  die 
sich  eine  reiche  Blüte  höchster,  voll-  nordische  Malerei  doch  ihre  Vor- 
kommend-Kunstleistungen.  Die  alte  zü^e.  Das  ist  zunächst  die  Innig- 
Zeit  der  Hellenen  ward  wiedergebo-  keit  und  Wärme  der  Empfindung, 
ren.  Dazu  trug  die  südliche  Natur,  die  einfache  Wahrhaftigkeit  und 
welche  mit  der  Fülle  der  Vegetation  Naivität,  verbunden  mit  einer  grund- 
das  Auge  ergötzte  und  zur  Nach-  ehrlichen  Treuherzigkeit  und  Gc- 
ahmung  reizte,  nicht  wenig  bei.  j  diegenheit,  Eigenschaften,  die  ins- 
Aber  auch  das  öffentliche  Leben  gesamt  zwar  den  Mangel  an  Schön- 
italiens war  ein  anderes  als  das  des  lieit  nicht  ersetzen  können,  aber 
Nordens.  In  der  Kunst  erblickten  vermöge  ihrer  starken  sittlichen 
die  Magistrate  und  Fürsten  dos  Tüchtigkeit  für  manches  entsehä- 
Südens  den  höchsten  Schmuck  des  digen. 

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612 


Malerei. 


Albrecht  Dürer  wurde  im  Jahre  Werkstätte  ausgeartet  war,  möglichst  - 
1471  in  Nürnberg  geboren.    Sein  Herr  zu  werden.    Bilder  von  ihm 
Vater  war  Goldschmied.  Das  Hand-  sind  in  grosser  Menge  vorhanden, 
werk  der  Malerei  lernte    er   bei  so  in  der  Pinakothek  in  München 
Michael  Wohlgemuth.    1490  begab  der  sog.  Paumgärtner'sche  Altar  mit 
er  sich  auf  die  Wanderschaft,  von  der  Geburt  Christi,  im  Museum  zu 
der  er  1494  zurückkehrte  und  sich  Darmstadt  ein  Herkules,  in  den 
in  seiner  Vaterstadt  Nürnberg  als  Ufficien  in  Florenz  die  Anbetung 
Meister  niederliess.  1505  machteer  der  Könige,  im  Kloster  Strahof  zu 
eine  Reise  nach  Italien,  von  der  er  Prag  eine  Darstellung  des  Rosen- 
tiber schon  im  folgenden  Jahre  in  kranzfestes,  im  Museum  in  Dresden 
sein    geliebtes    Nürnberg   zurück-  das  vielleicht  vollendetste  Gemälde 
kehrte.  1520  besuchte  er  aie  Nieder- [  Dürer's,  ein   kleines  Kruzifix,  in 
lande  und  starb  1528  in  seiner  Vater-  j  der  Galerie  Pitti  in  Florenz  Adam 
stadt.    Seine  Arbeitskraft  war  un-  und  Eva,  im  Belvedere  zu  Wien 
geheuer.   Nicht  nur  brachte  er  den  die  mit  entsetzensvoller  Wahrheit 
Holzschnitt  und  den  Kupferstich  zu  gemalte    Marterszene    der    10  000 
künstlerischer  Vollendung,  sondern  er  Heiligen,  in  Frankfurt  wenigstens 
führte  daneben  auch  noch  Schnitz-  eine    Kopie   seiner   verloren  ee- 
wcrke  im  Buchsbaumholz  und  Speck-  gangenen  Krönung  Mariä ,  in  der 
stein  aus.  Aus  seinen  letzten  Jahren  Galerie   in    Wien   ein  Dreieinig- 
sind    ausserdem    mehrere    wissen-  keitsgemälde  etc.    Indessen  schien 
Bchaftliche    Arbeiten,    Anweisung  aber  Dürer,  wie  er  selbst  sagt,  „des 
über  Geometrie,  Befestigungskunst  I  fleissi^en  Kleibleus4'  müde  geworden 
und  die  Verhältnisse  des  mensch-  1  zu  sein.    Man  pflegte  eben  seine 
liehen  Körpers  erhalten.  —  Und  all !  Gemälde  nach  dem  Massstab*  der 
diese  erstaunliche  Fruchtbarkeit  ent- 1  handwerksmäßigen  Schöpfungen 
faltete  sich  unter  dem  Druck  un- '  seiner  Zeit  zu  bezahlen,  und  seine 
günstiger  Lebensverhältnisse.    Von  Klage  ist  gewiss  gerecht,  wenn  er 
seiner  ihm  so  lieben  Vaterstadt  mnsste  meint:    „Ks  verzehrte  Einer  schier 
er  sich  als  einzige  Gnade  erbitten,  drob",  und  wir  dürfen  uns  nicht 
ihm  ein  kleines  mit  merklicher  Mühe  wundern,  wenn  er  den  Vorsatz  fasst : 
erworbenes  Kapital    zu    geringem  „wieder  seines  Stechens  fleissiger 
Zinsfuss  zu  verzinsen,  und  Kaiser  zu    warten".     Denn    mit  seinen 
Maximilian,    der    dem    trefflichen  Kupferstichen    und  Holzschnitten, 
Meister  geneigt ,  aber  weder  ein  mit  welchen  seine  Frau  zur  Messe 
Julius  II.  noch  ein  Leo  X.  war,  zog,  vermochte  er  mehr  zu  verdienen, 
wusste  ihn  zu  nichts  Größerem  zu  So  veröffentlichte  er  1511 — 15  in 
verwenden,  als  zur  Ausschmückung  kurzer  Aufeinanderfolge  die  umfang- 
eines  Degenknopfes,  eines  Gebet-  reichen  Werke  der  grossen  Passion 
buches    und   zum  Entwerfen    des  und   das   Leben    Mariä   und  das 
„Triumphwagens"  und  der  „Ehren-  Kupferstichwerk :  Die  kleine  Passion, 
pforte",  eiuer  ziemlich  nüchternen  Gegen   Ende  seines  Lebens  legte 
Verherrlichung  des  Monarchen,  die  Dürer   in   den    sogenannten  vier 
Dürer  freilich  mit  dem  ganzen  Reiz  Kirchenstützen  sein  tiefstesGlaubens- 
seiner    Phantasie    ausstattete.     In  bekenntnis  ab.    Dieses  letzte  Werk 
seinen  Gemälden  strebt  Dürer  nach  Dürers  stellt  die  lebensgrossen  Ge- 
höchster Vollendung  und  sucht  durch  stalten  des  Johannes,  Petrus,  Mar- 
Studium   der  flandrischen  Meister  kus  und  Paulus  dar.  Aus  den  tiefsten 
über   das   Handwerksmässige,    zu  Gedanken  ,    welche    dazumal  den 
welchem  die  Malerei  in  Deutschland,  Meister  bewegten,  hervorgegangen 
besonders  in  der  Wohlgemuth'schen  und  mit  der  überzeugendsten  Kraft 


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614 


Malerei. 


und  Vollendung:  der  Darstellung 
vorgeführt,  hat  hier  Dürer  Grösse 
und  Einfachheit  des  Stiles,  Tiefe 
und  Harmonie  der  Farben,  vollen- 
dete Freiheit  der  Form  erreicht  und 
selbst  in  den  wunderbar  grossartigen 
Gewändern  alle  kleinliche  Manier 
überwunden.  Damit  hatte  Dürer 
«las  Ziel  der  Kunst  erreicht,  nach 
Vollendung  dieses  Werkes  durfte 
der  Meister  sein  Auge  schliessen. 
Kr  starb  denn  auch  bald  darauf  im 
Jahre  1528.  Dazu  Fig.  »0,  der 
Dürerschc  Holzschnitt  §(.  Michael 
mit  dem  Drachen  (Kunsthist  Bilder- 
bogen). 

Ihm  folgte  eine  zahlreiche 
Schule,  aber  mit  derjenigen  Höhe, 
wozu  er  in  seinem  letzten  Meister- 
bilde die  deutsche  Kunst  empor- 
geführt hatte,  war  es  für  lange 
Zeit  vorbei.  Seine  Schüler  ver- 
mochten wohl  seine  Manier  und 
seine  Darstellungsweise  nachzu- 
ahmen, allein  der  tiefe  Geist  des 
Meisters,  der  Genius  der  Kunst  war 
entflohen.  Einer  der  anziehendsten 
Schüler  ist  noch  Hans  von  Kulm- 
bach, von  dem  wir  in  der  Sebaldus- 
Kirche  in  Nürnberg  ein  grosses 
Altarbild  besitzen,  wahrscheinlich 
nach  einer  Zeichnung  Dürers  aus- 
geführt 

Heinrich  Aldcfjrerer  verdient  be- 
sonders als  fleissiger  Kupferstecher 
Aufmerksamkeit,  ebenso  Albrecht 
Alfdorfer.  Ein  tüchtiger,  gewandter 
Meister,  der  sich  ganz  leidlich  in 
die  Manier  Dürers  hineingearbeitet 
hat,  ist  Jlan«  Seluiiiff'elin.  Wenig 
ansprechend  ist  Barth,  lieham.  Er 
zeigt  eine  wilde  manirierte  phan- 
tastische Nachahmung  des  Dürer- 
schen  Stiles.  Sein  Bruder,  Hans 
Sebald  Iicltam,  widmete  sich  fast 
ausschliesslich  dem  Kupferstich. 
Als  vorzüglicher  Nachahmer  Dürers 
gilt  Mathias  G  Hinewald.  Ihm  wird 
ein  mächtiger  Flügelaltar  im  Museum 
zu  Kolmar  zugesehrieben.  Ausser- 
dem besitzt  das  Museum  von  Basel 
von  ihm  eine  Auferstehung.  Von 


I  den  unmittelbaren  Schülern  Dürers 
|  ist  noch  Georg  Pencz  zu  nennen, 
der  von  Dürer  weg  in  die  Schule 
Raffaels  ging.    Einen  ausgezeichne- 
ten Rang  nimmt  Pencz  namentlich 
als    Porträtmaler    und  tretflicher 
Kupferstecher  ein.  —  Zu  den  be- 
deutendsten   deutschen  Künsthm 
gehört  sodann  der  aus  der  schwä- 
bischen   Schule  hervorgegangene 
Jlans  Baldungy  genannt  Grien-  In 
ihm  feiert  der  Hang  zur  Phantastik 
eine  künstlerische  Verklärung,  wfe 
wir  sie  bei  keinem  anderen  Meister 
finden.  —  Besonders  reich  erblühte 
während  dieser  Epoche  die  Malerei 
in  München,  gefördert  durch  die 
kunstliebenden  Herzoge  von  Bayern. 
Hierher    gehört  namentlich  J/<im 
Muelich  von  München,  dessen  eeist- 
reiche,  lebendige  Art  der  DarsteUuiu: 
und  die  ungewöhnliche  Harmonie 
und  Pracht  der  Farben  an  Han? 
Holbein  erinnern. 

Sächsische  Schule.   Der  Richtung 
des   Albrecht   Dürer    und    seiiv  r 
Schule  zur  Seite  steht  die  siiehasch» 
Schule    mit    ihrem  HauptmeUter 
Lucas  Cranach.    Von  seinen  Vor 
gängern  in  Sachsen  ist  wem*:  be- 
kannt.   Lucas  Cranacb  der  Alten* 
stammt  aus  dem  sächsische^  Orte 
Cronach.    1504  wurde  er  Hofina!-* 
des  Kurfürsten  Friedrich  von  Sacfc- 
sen  und  blieb  in  dieser  Eigenschaft 
auch    unter    dessen    Naeh  folgert 
Cranach   starb   1553  in  Weimar. 
Als  eifriger  Anhänger  der  Reforma- 
tion versuchte  er  dem  Verhältnis 
der  neuen  Lehre  zu  der  überlieferter 
Anschauung  in  seinen  Bildern  Auf- 
druck zu  verleihen.    Cranach  hal 
vieles  mit  Dürer  gemein,  doch  rnü 
bei  ihm  an  Stelle  jenes  tiefsinniges 
Ernstes  und  grossartigvr  Kraft  mekt 
eine  naive,  kindliche  Heiterkeit,  nnri: 
jenes  Element  des  Phantastische! 
hat  bei  ihm  im  einzelnen  die  beb^ 
lichsten  märchenhaften  Blüten  pt\ 
trieben.  —  Von  seinen  Aharhüd«°rö 
sind    die    wichtigsten   «Üe   in  *H 
Kirche  zu  Schneeberg,  im  Dv>m  sa 


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Malerei. 


615 


Meissen  und  in  deu  Stadtkirchen  zu  Der  bedeutendste  war  sein  Sohn 

Wittenberg  und  Meissen.  Naraent-  Cranaek  der  Jüngere,  der  etwas  von 

lieh  aber  sind  von  Cranach  eine  dem  Ruhme  und  etwas  von  der 

grosse  Anzahl  Darstellungen  erhal-  Kunst  seines  Vaters  erbte, 
ten,  in  welchen  er  sein  Studium  des       3.  Holländische  Schule.  Dieselbe 


Fig.  91.    Christus  und  der  Versucher.    Von  Lucas  van  Leyden. 

nackten  Korpers,  namentlich  des  hatte  sich  aus  der  flandrischen  Schule 
weiblichen  zur  Geltung  zu  bringen  schon  sehr  früh  gebildet,  indem  die 
wusste.  Nebenbei  pflegte  er  den  ersten  Künstler  als  unmittelbare 
Kupferstich  und  Holzschnitt  und  Schüler  der  Gebrüder  van  Eyck  er- 
brachte es  besonders  in  letzterem  |  scheinen ,  so  der  schon  genannte 
zu  bedeutender  Meisterschaft.  — 1  Alltert  von  Omni f er  und  dessen  früh- 
Von  eigentlichen  Schülern  oder  Nach- t  verstorbener  Schüler:  Gerhard  von 
folgern  Cranach's  ist  wenig  bekannt. :  Harlan,  namentlich  aber  ein  anderer 


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616 


Malerei. 


Harlemer  Künstler:  LXerik  Bouts. 
An  diese  schlicsst  sich  Cornelius 
Enyelbrech  isen  (1468—1533)  von 
Leyden  an.  In  seinen  Bildern  er- 
kennt man  trotz  einer  gewissen 
Härte  noch  einen  Nachklang  der 
flandrischen  Schule,  zugleich  aber 
ein  Streben  nach  vollerer  Wirkung. 
Sein  Hauptwerk  ist  ein  Altargemälde 
im  Stadthause  zu  Leyden,  welches 
die  Kreuzigung  darstellt.  Mehr  als 
durch  eigene  Bedeutung  tritt  Engel- 
brechtsen  als  Lehrer  des  Lucas  van 
Leyden  (1494—1533)  hervor,  eines 
der  frühreifsten  Talente  der  Kunst- 
geschichte. In  bezug  auf  äussere  Be- 
handlungswcise  dürfte  dieser  Künst- 
ler zunächst  mit  Dürer  zu  vergleichen 
sein,  allein  es  hat  das  phantastische 
Wesen  der  Zeit  bei  ihm  bereits 
einen  bizarren  Charakter  angenom- 
men. In  solcher  Art  wenigstens 
erscheint  Lucas  in  seinen  zahlreichen 
Kupferstichen.  Dazu  Fig.  91.  Christus 
u na  der  Versucher;  Kupferstich  von 
Lucas  ran  Isyden  (Kunsthist.  Bilder- 
bogen). Gemälde  seiner  Hand  sind 
höchst  selten,  und  wirnennen  hiernur 
ein  umfangreiches  Hingstes  Gericht 
im  Museum  zu  Leyden  und  eine  Ma- 
donna in  der  Pinakothek  in  München. 

Schliesslich  wäre  noch  einer  ganz 
neuen  Richtung  zu  gedenken,  welche 
eine  grosse  Zukunft  vor  sich  hatte. 
Schon  die  Gebrüder  van  Eyck  hatten 
die  Landschaft  in  ihre  Bilder  ein- 

Seführt  dadurch,  dass  sie  den  gol- 
enen  gemusterten  Hintergrund  der 
mittelalterlichen  Bilder  zerrissen  und 
dem  Blick  erlaubten  in  die  Ferne 
zu  schweifen.  Jetzt  versuchten  es 
die  Künstler,  den  Hintergrund  zur 
Hauptsac  he  zu  machen  und  die  heili- 

fen  Geschichten  zu  blosser  Staffage 
erabzusetzen.  Dadurch  wurde  <fie 
moderne  Landschaftsmalerei  ge- 
schaffen. Namentlich  Joachim  Pa- 
tenier  (1490— 1550)  war  es,  welcher 
diese  Neuerung  in  die  Malerei  ein- 
führte. Entschiedener  für  die  wei- 
tere Entwickelung  derselben  trat  i 
Jlerri  de  Blcs  ein. 


4.    Weiterentwickelung  der  flan- 
drischen Schule.    Gegen  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  begannen  die  flan- 
drischen Künstler  eine  neue  Rich- 
tung einzuschlagen.  Es  drängte  sich 
nämlich  immer  mehr  das  Begehren 
hervor,  den  Menschen  aus  der  ihn 
umgebenden  Natur  zu  lösen  und 
Individualität   und  Charakter  des 
einzelnen  selbständig  hervortreten 
zu  lassen.   Der  liebevolle  kindliche 
Sinn,  mit  dem  die  Gebrüder  van  Eyck 
und  ihre  Nachfolger  die  gesamte 
Welt  der  Erscheinungen  in  ihren 
Bildern  wiedergegeben,  war  dem 
weiterstrebenden  Geiste  nicht  mehr 
genügend.  Das  Bekanntwerden  mit 
der  klassischen   Meisterschaft  der 
italienischen  Malerei  mochte  wohl 
den  ersten  Anstoss  zu  dieser  neuen 
Richtung  gegeben  haben.  Man  suchte 
nun  den  menschlichen  Körper  gründ- 
licher zu  studieren,  die  Form  grösser 
und  bedeutender  zu  fassen  und  in 
ganzer  Lebensfülle  darzustellen.  An 
der  Spitze  dieser  neuen  Richtung 
steht  Quintin  Messt/s  von  Antwerpen, 
der,  ursprünglich  ein  Goldschmied, 
die  Kunst   der   Malerei  erlernte, 
um   der    Hand    seiner  Geliebten 
würdig  zu  werden.    Wir  besitzen 
von  ihm  eine  Kreuzabnahme,  ein 
Werk  voll  gewaltiger  Kraft  und 
dramatischen  Lebens.    In  anderen 
Bildern,  deren  Gegenstand  die  pathe- 
tische Auffassung  des  vorigen  aus- 
schloss,  erscheint  Quintiu  reicher 
und    entwickelt    ein  eigentümlich 
heiteres  frisches  Leben,  so  in  meh- 
reren Altartafeln,  namentlich  der- 
jenigen mit  der  Sippschaft  Christi 
in  St  Peter  in  Löwen.  Besonders 
milde  und  anmutig  ist  eine  Madonna 
im  Museum  zu  Berlin.  Auch  Genre- 
darstellungen kennt  man  von  seiner 
Hand,    wie  der  Geldwechsler  im 
Louvrc  in  Paris,  Fig.  92,  Geldtcecksler 
und  Frau  von  Quintin  Messys (Kunst- 
hist. Bilderbogen),  und  die  beiden 
Geizhälse   in    Windsor-Castle.  — 
Eine  namhafte  Schule  scheint  sich 
an  Messys  nicht  angeschlossen  zu 


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Malerei. 


617 


haben;  dagegen  begegnen  wir  zur 
Reichen  Zeit  einer  nicht  unbedeu- 
tenden Anzahl  Künstler,  welche  die 
Mängel  der  alten  Schule  in  anderer 
Weise  auszugleichen  suchen.  Man 
behielt  das  Gemütvolle  der  alten 
Kornpositionsweise  bei  ohne  ihre 
Härten  und  Unregelmässigkeiten 
und  bildete  die  Gestalten  richtiger 


Die  vorzüglichsten  Künstler  dieser 
Zeit  sind  folgende:  Johann  von  Ma- 
hu4ey  zu  dessen  besten  Arbeiten  das 
grosse  Altarwerk  in  der  Galerie  zu 
Prag  gehört.  In  seiner  spateren 
Zeit  verfiel  er  dem  Manierismus  der 
römischen  Schule.  Ganz  ähnlich 
ging  es  dem  Bernhardin  van  Orlcy, 
dem  Jan  van  i<chirrcel,  dem  Michael 


I 


Fig.  92.    Der  Geldwechsler  und  seine  Frau.    Von  Quintin  Mesnys. 


voller.  Aber  mit  der  Naivität 
alten  Darstellung  verschwand 
i  zugleich  ihr  innerliches  geheim- 
)ll  ergreifendes  Wesen,  ohne 
man  im  stände  war,  den  tiefen 
J  aus  dem  die  vollendete 
itnng  der  italienischen  Kunst 
>or<hW  ergründen.  So 

tand  eine  Leere  dos  Gefühls, 
ron  der  grasartigen  Kr*ft  des 
,tio  Mcssy*   weit  entfcut  war. 


Chjciruiul  manchen  andern  Meistern. 
Sie  versuchten  bei  dem  ausgebildeten 
Idealstil  der  römischen  Schule  an- 
zuknüpfen; allein  was  dort  nach 
Jahrhunderten  langsam  erblüht  wsir, 
liess  sich  nicht  auf  fremden  Boden 
verpflanzen,  ohne  den  Charakter 
eines  Treibhausgewachscs  anzu- 
nehmen. Das  sahen  die  nieder- 
ländischen Meister  ein  und  ergaben 
sich  deshalb  ganz  der  Nachuhu. ung 


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618 


italienischer  Malerei,  doch  blieb  das 
Ideal,  zu  dem  sie  eich  emporzu- 
Hchwingen  versuchten,  eben  nur  ein 
formelles,  inhaltloses.  Ihre  Bedeutung 
für  die  Kunstgeschichte  besteht  im 
wesentlichen  darin,  dass  sie  ein  Ver- 
bindungsglied zwischen  den  älteren 
Meistern  und  den  grossen  Schulen 
des  folgenden  Jahrhunderts  erstellen. 
Zu  den  Malern  dieser  Übergangs- 
stufe gehören:  Lambert  J^ombard, 
dessen  berühmtestem  Schüler  Franz 
Floris  die  Niederländer  den  Titel 
des  flandrischen  RatTacl  beilegten. 
Ferner  Otto  Venius  oder  Oetavim 
ran  Veen,  der  Lehrmeister  von  Ru- 
beus.  Andere  wie  Antonio  Moro 
und  Franz  Pourbus  bewahrten  auch 
jetzt  noch  eine  einfache  Tüchtigkeit 
der  Frische  und  Auffassung,  indessen 
zeigen  die  Produkte  dieser  Über- 
gangsperiode wenig  Erfreuliches. 

c.  Sachbliite  der  Renaissance. 
Im  Verlaufe  des  anbrechenden  17. 
Jahrhunderts  erstand  die  Malerei 
nochmals  in  ungeahntem  Auf- 
schwung. Die  Brücke,  welche  da* 
1»>.  Jahrhundert  gebaut  hatte,  war 
aus  den  mannigfachen  Kämpfen  um 
innere  und  äussere  Freiheit  hervor- 
gegangen und  hatte  das  ihm  ent- 
sprechende Medium  für  den  Aus- 
druck seines  mannigfaltigen  Wesens 
in  der  Malerei  gefunden.  Sie  wurde 
zur  Lieblingkunst.  Nieht  nur  Italien, 
Brabaut  und  Holland  eröffneten  ihr 
ihr  (Gebiet,  sondern  auch  Spanien, 
Frankreich  und  England.  Einzig 
Deutschland,  welches  der  30jährige 
Krieg  zerfleischte,  hatte  die  Lust  an 
künstlerischen  Produktionen  ver- 
loren. Zugleich  erweitert  sich  aber 
auch  der  Ansehauungskreis.Während 
in  den  katholischen  Landen  die 
Kunst  noch  einmal  aus  der  uner- 
schöpflichen Quelle  der  kirchlichen 
Stoffe  neue  Anregungen  gewinnt, 
hat  das  Walten  des  modernen  prote- 
stantischen Geistes  den  alten  Bann 
der  Überlieferung  gesprengt  und 
den  Blick  auf  die  unermessliche 
Mannigfaltigkeit  des  wirklichen  Le- 


bens, auf  die  ewige  Schönheit  der 
landschaftlichen  Natur,  auf  die 
charakteristische  Bedeutung  der 
Tierwelt  hingelenkt.  Hier  bewegt 
sich  die  Malerei  mit  unendlicher 
Vielseitigkeit,  sie  sondert  sich  in 
Historienmalerei,  in  das  (»eure,  die 
die  Landschaft,  das  Tierstück  und 
Stillleben.  Ein  gemeinsamer  Zug 
aber  geht  durch  alle  Zweige,  der 
Naturalismus,  der  völlige  Bruch  mit 
aller  Tradition.  Das  Streben  nach 
dem  Höchsten  und  Gemeingültigen, 
nach  vollkommen  gereinigter  Schön- 
heit und  Idealität  ist  zwar  nicht 
mehr  vorhanden,  aber  in  der  Breite, 
in  frei  unabhängiger  Behandlung 
und  Würdigung  des  einzelnen  wird 
mannigfach  Bedeutendes  und  Neues 
gewonnen. 

1.  JfUtorienmaferei.  Gleich  von 
vornherein  sehen  wir  in  den  Nieder- 
landen zwei  Schulen  sich  noch  schärfer 
ausprägen,  welche  bereits  bestanden, 
einerseits  in  Brabant,  wo  die  Malerei 
grösstenteils  im  Dienste  der  Kirche 
bleibt,  anderseits  in  Holland,  das 
einen  gänzlich  unabhängigen  Weg 
der  Entwickelung  zeigt.  Neben 
diesen  beiden  grossen  Schulen  er- 
scheinen noch  vereinzelte  Maler  der 
Niederlande  und  von  Deutschland, 
welche  sich  im  allgemeinen  an  die 
italienischen  Naturalisten  anlehnen, 
aber  wenig  Erfreuliches  zu  Tage 
fördern. 

a)  Die  Schule  ron  Brabant.  Der 
Begründer  dieser  Schule,  der  erste, 
welcher  den  Manieristen  des  letzten 
Jahrhunderts  den  entscheidenden 
Krieg  erklärte,  war  Pete-r  Paul  Ru- 
ftcns,  wenn  er  auch  seinen  ersten 
Unterricht  im  Malen  bei  OttoVenius 
erhielt,  bei  welchem  er  höchstens 
jene  mauicristische  Nachahmung  der 
Italiener  lernen  konnte.  Allein  schon 
mit  23  Jahren  ging  er  selbst  nach 
Italien  und  erwarb  sich  dort  in 
siebenjährigem  Aufenthalte  eine  dem 
Drang«?  seiner  Zeit  entsprechende 
Grundlage  für  seine  Darstellung. 
Die  Formen  seiner  Gestalten  sind 


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Mulerei. 


619 


nicht  mehr  willkürlich  nach  einem 
allgemeinen  äußerlichen  Schönheits- 
gesetz gewählt,  sondern  es  sind  die 
einerderben  kräftigen  Natur.  Leiden- 
schaftliche Bewegung,  kühne  That- 
lust  und  tiefe  mächtige  Empfindung 
sind  die  Elemente  seiner  Kunst. 
Dem  entspricht  auch  der  hin- 
reisseudc  Zauber  eines  leuchtenden, 
frischen,  mit  breiten  kühnen  Pinsel- 
strichen behandelten  Kolorits.  — 
Einer  Menge  von  Arbeiten  seiner 
Hand,  oft  von  kolossalemUmfauge.be- 
gegnen  wir  in  den  Kirchen  seines  Va- 
terlandes, namentlich  in  Antwerpen 
den  beiden  berühmten  Bildern  der 
Kreuzaufrichtung  und  Kreuzabnah- 
me. Aber  auch  in  ausländischen  Mu- 
seen sprechen  zahlreiche  Gemälde 
für  die  ausserordentliche  Thätigkeit 
des  Meisters,  so  imBelvedere  in  Wien 
eine  Himmelfahrt  Maria,  in  Madrid 
eine  Anbetung  der  Könige,  in  Wien 
das  bekannte  Ambrosuisgemälde, 
wie  er  Theodorich  den  Eintritt  zur 
Kirche  verwehrt,  in  München  das 
kolossale  jüngste  Gericht.  An  diese 
Bilder  reihen  sich  eine  Menge  mythi- 
scher Darstellungen  von  heroischer 
Gewalt.  Gross  ist  Kubens  aber 
auch  iu  profangeschichtlichen  Dar- 
stellungen, namentlich  wo  es  auf 
dramatische  Schilderung  ankommt. 
Sodann  giebt  es  von  ihm  eine  Menge 
genialer  Genrebilder,  wild  bewegte 
Tieretücke,gros8artigeLandschafteii, 
Porträts  u.  s.  w.  Fig.  93.  Die  ricr 
Erdteile  von  Rubens.  Kunst  h  Bilder- 
bogen). Ja,  selbst  als  Architekt 
war  Kubens  thätig.  Es  würde  zu 
weit  fuhren,  alle  seine  Werke  auf- 
zuführen, in  denen  sich  alle  Fülle 
und  Pracht  jeuer  glänzenden  Epoche 
vereinigt.  Der  berühmteste  seiner 
Schüler  ist  Anton  van  Dyck  (1599 
his  1641'),  der  in  seinen  früheren 
Bildern  seinen  Meister  bis  zur  Über- 
treibung nachzuahmen  sucht,  nach- 
mals aber  durch  unmittelbare  Studien 
der  Venezianer  seinem  Stile  eine 
massvollere  edle  Schönheit  zu  ver- 
leihen weis«.  An  Stelle  des  Kuhens- 


schen  Thatendranges  tritt  bei  seinen 
Bildern  der  elegische,  selbst  bis  ins 
Thränenrciche  nnd  Sentimentale 
gehende  Ausdruck  der  Trauer.  Na- 
mentlich aber  als  Porträtmaler  er- 
warb sich  van  Dyk  einen  bedeuten- 
den Ruf.  Die  übrigen  zahlreichen 
Schüler  Kubens  ahmten  die  energi- 
schen Seiten  seiner  Darstellung  oft 
mit  Glück,  oft  aber  auch  nicht  ohne 
Schwere  und  Roheit  nach.  Der 
Talentvollste  unter  ihnen  ist  Jakob 
Jordaens. 

b)  Die  hulltindUchc  Schule.  Auch 
in  Holland  hatte  sich  gegen  Beginn 
des  17.  Jahrhunderts  eine  Opposition 
gegen  die  Manieristen  erhoben.  Den 
vollen  Ausdruck  gewinnt  die  neue 
Richtung  namentlich  in  den  soge- 
nannten Schützen  und  Regenten- 
stücken, in  jenen  Kollektivaarstel- 
lungen städtischer  Genossenschaften. 
Die  kirchliche  Tradition  wurde  von 
dem  strengen  Protestantismus  des 
Landes  zurückgewiesen,  und  die 
Kunst  sah  sich  zunächst  auf  treue 
Abspiegelung  der  Wirklichkeit  hin- 
gewiesen. Zu  den  tüchtigsten  Meistern 
gehören  Michael  Mierewelt  (1567  bis 
1641),  Jan  van  ßaveste-yn  (1572  bis 
1657),  Franz  Hals  und  Thomas  de 
Keyser  (1595-  1679).  Etwas  jünger 
als  die  genannten  ist  Bartholomaus 
van  der  Heist.  Er  neigt  in  der  Be- 
handlung zur  Manier  des  van  Dyck 
und  ist  ihm  namentlich  im  Kolorit 
nahe  verwandt.  Die  bisherigen 
Künstler  gingen  kaum  über  das 
Porträt  hinaus.  Im  zweiten  Viertel 
des  17.  Jahrhunderts  aber  trat  unter 
den  Holländern  ein  Künstler  auf, 
der  eine  eigentümliche  historische 
Malerei  schuf,  welche  einen  scharfen 
Gegensatz  zur  bra bantischen  Schule 
bildete.  E*  war  Hermann  Rem- 
brandt  van  Ryn  (1607—1669).  Zu- 
nächst schlosss  er  sich  dem  künst- 
lerischen Entwicklungsgange  der 
enannten  Meister  an.  Aber  was 
>ei  jenen  in  einem  gewissen  Grade 
unbewusst  und  unbefangen  geschehen 
war,  führt  er  mit  bestimmter  aus- 


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620 


Malerei. 


schliesslicher  Absicht  durch.  Er  oft  mit  Vorliebe  auf  die  Nachbildung 
nahm  sogar  eine  feindliche  Stellung  der  genieinen  Natur  aus.   Ihm  war 


ein  gegen  da»  Studium  ideal  pe-  es  nicht  um  Darstellung  erhabener 
reiuigter  Fraucnschouheit  und  ging  Ruhe  zu  thun,   welche   das  Aju- 


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Malerei. 


621 


schauen  vollendeter  Schönheit  ge- 
währt, er  wollte  nur  die  innere 
StimmungseinesGemütes,dasdunkle 
Gefühl  träumerischer  Kraft  und  ver- 
haltener Leidenschaft  zur  Erschei- 
nung bringen.  Während  die  Werke 
von  Kubens  bei  allem  derbsinnlichen 
Wesen  immerhin  einen  gewissen 
vornehmen  Charakter  haben,  er- 
scheint in  den  Werken  Rembrandt* 
jener  düstere  Trotz,  jene  im  Ver- 
borgenen gärende  Leidenschaft.  In 
seinen  früheren  Werken  treten  diese 
besonderen  Eigentümlichkeiten  nicht 
so  schroff  hervor.  Es  mag  dies  im 
Zusammenhang  stehen  mit  seiner 
Lebensgeschiente.  Die  ersten  Künst- 
lerjahre verlebte  er  an  der  Seite 
seiner  anmutigen  Gattin  Saskia  von 
Ulenburg.  Mit  dem  frühen  Tode 
der  geliebten  Frau  beginnt  das 
Leben  des  Künstlers  sich  zu  trüben; 
er  gerät  trotz  allen  rastlosen  Fleisses 
in  stets  wachsende  Bedrängnis,  die 
1656  zum  Bankerott  führte.  —  Meh- 
rere Porträts  aus  seiner  Frühzeit 
sind  im  Haager  Museum  und  in  der 
Galerie  zu  Kassel  aufbewahrt.  Seine 
späteren  Werke  beherrscht  einewun 
derbare  Ausbildung  des  Helldunkels, 
ein  keckes  verwegenes  Spiel  mit 
phantastischen,  selbst  grellen  Licht- 
effekten. Noch  vereinzelt  tritt  dieses 
Streben  beim  „Paulus  im  Gefängnis" 
aus.  Bei  der  sogenannten  „Nacht- 
wache" im  Museum  zu  Amsterdam 
erblicken  wir  ein  Meisterstück  die- 
ser Art.  Eine  genial  übermütige 
Ironie  spricht  aus  seinem  „Kaub 
des  Ganymed"  in  Dresden.  Mit 
Vorliebe  behandelte  Rembrandt  alt- 
testamentliche  Gegenstände,  so  das 
„Opfer  Abrahams" (Petersburg),  Mo- 
ses (Berlin),  Das  Leben  Simsons 
(Kassel)  u.  s.  w.  Zahlreiche  Dar- 
stellungen des  neuen  Testamentes 
hat  er  in  Radierungen  ausgeführt, 
bei  welchen  namentlich  wieder  das 
meisterhafte  Spiel  des  Lichtes  zur 
Bewunderung  hinreisst.  Endlich 
darf  nicht  vergessen  werden,  dass 
Rembrandt  mehrere  Landschaften 


von  grandioser  Kühnheit  hinter- 
lassen hat.  Den  Schülern  und 
Nachahmern  Rembrandt's  ging  es 
wie  allen  Nachahmern  grosser  Mei- 
ster. Siefassten  die  Manier  desselben 
auf,  ohne  seinen  Genius  im  ganzen 
Umfange  zu  ererben.  Gerbrand  van 
der  Eetchout  kommt  ihm  wohl  am 
nächsten.  Gorart  Flinck  ist  nüch- 
terner, oft  liebenswürdig  und  an- 
ziehend Ferdinand  Bot.  Ein  treff- 
licher Porträtmaler  ist  J.  TÄevenszy 
technisch  sehr  bedeutend  Satomon 
König. 

cj  Nachahmer  der  Italiener.  Ne- 
ben den  Meistern  der  beiden  grossen 
Schulen  sind  noch  eine  Anzahl  deut- 
scher und  niederländischer  Künst- 
ler vorzuführen,  welche  an  der  ita- 
lienischen Malerei  festhielten.  Am 
leidlichsten  spricht  sich  diese  Rich- 
tung in  Johann  Rottenhammer  von 
München  (1564—1622)  aus,  geradezu 
widerwärtig  in  anderen,  die  in  kläg- 
licher Mittelmässigkeit  dem  Michel- 
angelo nachstümpern.  Eine  Aus- 
nahme bildet  allein  der  liebenswür- 
dige Adam  Elzheimer  von  Frank- 
furt (1574—1620),  einer  der  frühe- 
sten Meister  der  Landschaftsmalerei. 
Zu  et  was  grösserer  Frische  hebt  sich 
die  Kunst  des  17.  Jahrhunderts  in 
Joachim  von  Sandrart}  Carl  Screta 
von  Prag  und  Johann  Kupetsky 
aus  Ungarn.  Das  18.  Jahrhuudert 
weist  in  Christian  Dietrich,  'JXsch- 
hein  und  Bernhard  Rode  ebenfalls 
einige  beachtenswerte  Kräfte  auf. 

Endlich  wäre  noch  einiger  Nieder- 
länder Erwähnung  zu  thun,  welche 
sich  der  Weise  des  Franzosen  Polis- 
tin anschlössen.    Der  bedeutendste 
scheint  Adrian   van  der  Werft'  zu 
sein ,  dessen  Bilder  den  höchsten 
Gipfelpunkt  zeigen,  bis  zu  welchem 
I  sauberste   Ausfuhrung    und  elfen- 
beinerne Gelecktheit  Ikü  allgemein 
!  richtiger  Zeichnung,  aber  gänzlichem 
I  Mangel  an  allem  geistigen  Element 
zu  treiben  ist. 

2.  Genre  -  Malerei.  Schon  die 
Gebrüder   van   Eyck    hatten  die 


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622 


Malerei. 


Fesseln  der  storengreligiösen  Malerei  I  mälde  dareli  treffliches  Helldunkel 
gesprengt  und  die  heiligen  Gestal-  fesseln 


ten  aus  der  Glorie  dos  Goldgrundes 
in  den  Garten  der  wirklichen  Welt 
gestellt  Der  Protestantismus  aber, 
der  die  traditionell  kirchlichen  Stoffe 
versehmähte,  hatte  den  ersten  An- 
stoss  gegeben,  dass  die  Künstler 
sich  unter  ihresgleichen  die  Ge- 
stalten ihrer  Bilder  suchten  und  die 
Motive  zu  ihren  Gemälden  dem  sie 
umgebenden  Leben  entnahmen. 
Darstellungen  des  werktäglichen 
Verkehrs  bildeten  den  Vorwurf. 
Hieraus  bildete  sich  die  sogenannte 
Genre-Malerei. 

Sie  scheidet  sich  je  nach  Auf- 
fassung in  höheres  und  niederes 
Genre;  dieses  bringt  Sehilderungen 
aus  den  natürlich  und  ungebunden 
sich  bewegenden  Kreisen  der  mensch- 
lichen Gesellschaft,  ienes  aus  dem 
durch  Sitte  und  Bildung  verfeiner- 
ten Leben  der  höheren  Stände.  — 


Näher  an  Tenier  steht  Adrutn 
Bromrer,  dem  man  nachsagt,  dass 
er  bei  seinen  Studien  im  Wirtshaus 
untergegangen  sei.  Auch  von  Jan 
Steen  weiss  man  allerlei  Übles  zu 
erzählen.  Seine  Bilder  aber  zeigen 
eine  freie  vergnügliche  Auffassung 
des  gemeinen  Lebens.  Er  ist  unter 
allen  Darstellern  des  niederen  Genres 
wohl  der  geistreichste  und  kühnste. 
Voll  von  Handlung  sind  seine  Bilder, 
und  das  gegenseitige  Verhältnis  und 
Interesse  der  dargestellten  Personen 
und  in  diesen  eine  geistreiche  man- 
nigfach verschiedene  Charakteristik 
zeugen  von  starker  Beobachtungs- 
gabe. —  Wesentlich  versehieden?von 
diesen  Meistern  bildete  sich  Feter 
ran  Laar,  der  in  Italien  studierte 
und  von  dort  den  Namen  „Bam- 
boccio"  mitbrachte,  wovon  die  ganze 
Gattung  des  niederen  Genres  die 


Schon  im  Ausgange  des  16.  Jahr-  I  Bezeichnung  Bambocciaden  erhielt, 
hunderts  tritt  Peter  Brüghel  der  i  Das  wilde  Soldatenleben  weiss  Jan 


Ältere,  der  Bauernbrüghel  genannt, 
in  soleher  Weise  selbständig  auf 
und  führt  mit  Behagen  und  derber 
Laune  Schilderungen  des  bäurischen 
Lebens  in  seiner  Roheit  vor.  Sein 
Sohn,  der  „Höllenbrüghel",  huldigt, 
wie  Hieronymus  Bosch,  allen  mög- 
lichen Teufeleien  unter  Anwendung 
einer  höchst  effektvollen  nächtlichen 
Keuerbeleuchtung.    In  verwandter 


fc  Dueij  und  der  etwas  spätere 
Philipp  Rugenda*  zu  schildern.  Als 
eigentliehe&chlachteninaler  erwarben 
sich  Wouwemumn  und  ran  der 
Meuten  einen  Platz  in  der  Geschichte 
der  Malerei. 

Der  edelste  unter  den  Meistern 
des  höheren  Genres  ist  Gerhard 
Terburrf%  welcher  das  Leben  und 
die  Sitten  der  feineu  Gesellschaft 


Weise  bewegt  sich  der  ältere  David  \  schildert.  Reiche  Kleiderstoffe,  zier- 
Teniers,  in  dessen  Sohn  die  eigent-  liehe  Bewegungen,  prächtige  Zimmer- 
liche reife  Entwickelung  des  iriede-  Hinrichtungen  und  dergleichen  ver- 


ren  Genres  einen  Vertreter  findet 
Namentlich  sind  es  Bauernhoch- 
zeiten, Zechgelage,  Prügeleien  und 
ähnliche  Kurzweil,  welche  er  durch 
meisterhafte  Anwendung  des  Hell- 
dunkels in  unübertrefflich  malerischer 
Gesamtwirkung  wiederzugeben  ver 


leihen  seinen  Bildern  einen  poetischen 
Reiz.  Insbesondere  alier  geht  er 
denselben  Weg  wie  Jan  Steen.  Er 
stellt  nicht  Zustände,  sondern  Hand- 
lungen und  Situationen  dar  und  regt 
dadurch  den  Beschauer  zum  Nach- 
denken an.    Nicht  minder  bedeu- 


steht.  Die  „Versuchung  des  heiligen  tend  ist  Gerhard  Dow,  der  in  Rem- 

Antonius"  giebt  ihm  reichen  Anlass  brandts  Schule    eine  meisterliche 

zur  Entfaltung  eines  phantastischen  Behandlung  des  Helldunkels  erlernt 

Spuks.    Minder    lebendig    bewegt  hat.  Der  Weise  Terburgs  und  Dows 

schildert  Adrian  ran   (Made  das  folgten  verschiedene  andere  Künst- 

Bauernleben,  wenn  auch  seine  Ge-  1er,  die,  wenn  sie  auch  im  allgc- 


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Malerei. 


G23 


meinen  nicht   die  VortrefHichkeit 
beiden  erreichten,  doch  in 


und  Artiges  hervorbrachten.  Zu 
den  Liebenswürdigsten  gehört  Ga- 


(iüzelnen  Fällen   sehr   Anmutiges ;  briel  Melzu,    ferner  der  äusserst 


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624 


Malerei. 


fruchtbare  Schüler  Dows:  Franz  von 
Mierig ,  Fig.  94  An  der  Staffelei  ran 
Franz  vonJlfieris  (Kunsthist.  Bilder- 
bogen) und  dessen  Sohn  Wilhelm. 
Sehr  Treffliches  hat  Caspar  Netscher 
geliefert;  in  Darstellung  zierlicher 
Lichteffekte  aber  namentlich  Gott- 
fried Schalcken,  wenn  er  auch  oft 
ins  Manierierte  verfallt.  Unter  den 
späteren  Genremalern  ist  endlich 
noch  Peter  ran  Houtfhe  anzuführen, 
der  sich  durch  schlichte  Auffassung 
und  gediegene  kräftige  Ausführung 
sehr  vorteilhaft  auszeichnet. 

3.  Landschaftsmalerei,  Tiersfiiek, 
Blumenstück  und  Still-Lel>en.  Schon 
im  16.  Jahrhundert  hatte  Joachim 
Pafenier  und  J Jerry  de  Hl  es  den 
Grund  zur  selbständigen  Ausbildung 
der  Landschaft  gelegt.  Auch  hier 
ist  es  wiederum  einer  der  Familie 
Brüghel,  welcher  diese  Richtung 
aufnimmt,  der  Sohn  des  Bauern- 
brüghels,  der  sogenannte  Sammet- 
oder  Blumeidtrüf/hel.  Ihm  schliessen 
sich  Hol  and  Kaveri/,  Darid  Vincke- 
Itoams  und  Jodocus  de  Moni  per  an, 
allein  es  herrscht  hier  überall  ein 
phantastisches  Einerlei  vor.  Erst 
Hubens  führt  die  Landschaft  mit 
grosser  durchgreifender  Künstler- 
schaft zu  jener  hohen  Bedeutung, 
in  der  sie  als  eine  freie  Nachahmung 
der  Natur  in  dem  Beschauer  eine 
ahnungsvolle  Stimmung  erweckt.  — 
Eine  besondere  Blüte  erreichte  die 
holländische  Malerei,  welche  sich 
die  heimische  Natur  und  deren 
Eigentümlichkeiten  ohne  weitere 
idealistische  Nebenabsichten  zum 
Vorbilde  nahm.  Die  holländischen 
Meister  dieser  Richtung  detaillieren 
bis  ins  Feinste  und  gehen  das 
Spiel  der  Luft  und  des  Lichtes  mit 
grösster  Wahrheit  wieder.  Der  erste 
Platz  unter  den  älteren  Meistern 
gebührt  Johann  ran  Gayen  (1596 
bis  1656)  und  dessen  vorzüglichem 
Schüler  Adrian  van  der  Kabel,  Eine 
bedeutende  Einwirkung  übte  Hrm- 
hrandt  aus,  besonders  durch  jenes 
Spielen  des  Lichtes  und  des  träume- 


rischen Helldunkels.  In  seine  Fuss- 
stapfen tritt  Artus  van  der  Seer, 
namentlich  MondscJieinlandschaften 
mit  Meisterschaft  darstellend.  Fig.  95. 
Jjandschaft  van  Artus  van  der  Neer 
(Kunsthist  Bilderbogen.)  Eine  ge- 
mütliche Auffassung  der  Natur  zeigt 
Anton  Waterloo  in  seinen  Wald- 
bildern. Jacob  Huisdael  ist  der- 
jenige, dessen  Bilder  den  eigent- 
lichen Kern  und  Mittelpunkt  dieser 
Richtung  der  Landschaft  ausmachen. 
Seine  Gemälde  bewegen  sich  in  den 
Formen  der  nordischen  Natur,  und 
spiegeln  darin  den  altgermani- 
schen Naturdienst  wieder.  Mit  über- 
mächtiger Gewalt  steht  die  Natur 
dem  Menschen  gegenüber;  seine 
Werke  zeigen  sich  meist  als  Ruinen, 
von  den  gewaltigen  Einwirkungen 
der  Natur  überwunden.  Minder  De- 
deutend sind  die  Bilder  seines  älteren 
Bruders  Salomon;  dagegen  hatte 
Jakob  in  seinem  Schüler  Minder- 
hout  llobbema  einen  tüchtigen  Nach- 
folger. 

Eigentümlich  steht  den  bisherigen 
AI  der!  van  Fverdingen  gegenüber, 
der  in  seine  Gebirgsgegenden  Nor- 
wegens eine  wilde  grossartige  Cha- 
rakteristik legt.  Neben  der  Land- 
schaft wird  in  Holland  auch  die 
Seemalerei  mit  Eifer  gepflegt.  Be- 
deutende Meister  dieses  Faches  sind : 
Jan  van  de  Capelle ,  Bonaventura 
Peters,  Jan  Peters,  Simon  de  Vlieqer. 
der  vorzüglichste  von  allem  aber: 
Willem  van  der  Velde  der  Jüngere. 

An  diese  schliessen  sich  die 
niederländischen  Architekturmaler 
an,  unter  denen  namentlich  Peter 
Neefs,  ran  der  Heyden  und  van 
Steentruck  der  Jüngere  Tüchtiges  in 
Perspektive  leisten. 

Eine  Verschmelzung  des  Genres 
und  der  Landschaft  erblicken  wir 
in  den  Bildern  Philipp  ffi/www*- 
maus.  Auf  die  Schilderung  dea 
Tierlebcns  war  schon  Jiul/ens  in  ge- 
waltigen Jagd-  und  Kampfscenen 
eingegangen.  Sein  Freund  Franz 
Snyders  brachte   es  im  Tierstück 


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Malerei. 


625 


zu  grosser  Meisterschaft,  ebenso  llcem ,  Johann  Hnt/sum  etc.  End- 
Johann  Fi//,  Karl  Rvthart  und  an-  lieh  ist  noch  der  sogenannten 
derc  mehr.  Stillichen  oder  Friihstüeksbilder  zu 


Fig.  95.    Landschaft  von  Artus  van  der  Nccr. 

In  der  Blumenmalerei  hatte  der  gedenken,  als  deren  vorzüglichste 
,,Blumcnbrüghel"  bereits  einen  zier-  Meister  Wilhelm  ran  Acht,  Aariacns- 
liehen  Anfang  gemacht.    Ihm  folg-  I  sen  und  Feier  Sason  gelten, 
ten    Daniel    Serfhers,     David    de  '      Damit  sind  wir  hart  an  die  Kunst 

Uealleilcon  der  dcuUchen  Altertümer.  40 


U20  Mandorla.  —  Mantel. 


der  Neuzeit  herangerückt.  Noch-  [  dein  Seh  werte  in  der  Hand  in  die 
mal»  wurde  dieselbe  durch  das  be-  Nachbarstaaten  trug.  Mit  der  Bie- 
geisterte  Wirken  Winekelmanns  an  derkeit  und  Einfaehheit  der  Re- 
den Quell  der  Kiinstscliöpfungen  publik  fiel  aber  auch  die  sehlichte 
des  klassischen  Altertums  zurück-  Ttxja  oder  artete  in  absonderliche 
geführt,  aber  aus  dem  antiken  Ge-  Formen  aus,  sodass  sie  ihrem  Zwecke 
dankenkreise  und  der  klassischen  oft  entfremdet  wurde. 
Forrnauffassung  war  auf  die  Dauer  Die  Franken  ahmten  in  ihrer 
eine  wahrhaft  lebendige  Fortbildung  Tracht  die  römischen  Formen  nach, 
der  Malerei  nicht  zu  gewinnen.  Sie  Sie  schnitten  ihre  Mäntel  aus  einem 
bedurfte  eines  neuen  Inhalts,  einer  viereckigen  Stück  Tuch,  und  trugen 
volkstümlichen  Nahrung,  einer  natio-  j  sie  „übereck",  sodass  die  Spitzen 
lüden  Grundlage.  Dies  wurde  ihr  vorn  und  hinten  bis  auf  den  Boden 
verschafft  durch  die  tiefeingreifenden  reichten,  zu  beiden  Seiten  aber  der 
Bestrebungen  der  Romantiker,  als  Unterschenkel  frei  blieb.  Deni- 
deren  erste  Vertreter  l  iier  Vorne- 1  selben  war  wohl  auch  —  nach  Art 
Uns,  Friedrieh  Orerheck,  J hilipp  '  der  romischen  paenufa  —  eine  Ka- 
Veit  und  Wilhelm  Sehaäow  erschei-  j.uze  angefügt,  zur  Deckung  von 
neu.  Nach  Lübbes  Grundriss  der  Kopf  und  Hals.  Nach  der  Farbe 
Kunstgeschichte.  Vergleiche  im  trug  man  sie  mit  Vorliebe  grau 
übrigen:  Geschichte  der  Malerei  von  oder  blau. 

H'olfmann.  Dahme,  Kunst  und  Vom  11.  Jahrhundert  an.  wird 
Künstler  des  Mittelalters.  U'oagen,  er  halbkreisförmig,  bald  auch  kreis- 
Handbuch  der  Geschichte  der  deut-  förmig  geschnitten,  und  erhält  sieh 
sehen  und  niederländischen  Maler-  in  diesen  beiden  Formen  durch  das 
schulen.  A.  H.  ganze  Mittelalter  hindurch.  Kr  wird 
Mandorla  oder  mystische  Mandel  auch  kürzer,  zierlicher,  köstlicher, 
heisst  eine  Glorie  in  Form  eines  dient  aber  immer  weniger  zum 
früher  stumpfen,  später  oben  und  !  Schutz,  als  zur  Zierde.  Getragen 
unten  zugespitzten  Ovals,  die  na- '  wird  er  anfanglich  auf  der  linken 
mentlich  den  Salvatorbildem,  der  Schulter,  auf  der  rechten  befestigt, 
verherrlichten  Madonna  und  der  dann  als  Rückcnmantel  auf  beiden, 
Maria  Magdalena  zukommt.  Name  vom  durch  ein  Band,  eine  Agraffe 
und  Bedeutung  erklärt  sich  daraus,  oder  Kette  (Mantelschlossi  zusum- 
dass  die  Maudelfrucht  als  süsse  mengehalten.  Der  Mantel  der  letz- 
Frucht  im  harten  Kerne  als  Sinn-  teren  Art  hiess  auch  „Glocke"  und 
bild  der  Menschwerdung  galt.  war  oft  der  ganzen  Länge  nach 
Mannschaft,  siehe  Lfhusmesen.  zum  Zuknöpfen  eingerichtet.  Beide 
Mantel.  Unter  den  eigentlichen  wurden  mit  oder  ohne  Gugelhaube  * 
Kleidungsstücken  ist  der  Mantel  das  getragen.  Auch  als  mit  dem  Bc- 
älteste  Wie  im  Oriente,  so  kommt  ginn  des  14.  Jahrhunderts  die  weit- 
er auch  bei  den  ältesten  Kidtur-  faltigen  Gewänder  den  Mantel  für 
volkern  des  Abendlandes  ursprüng-  den  gewöhnlichen  Gebrauch  leicht 
lieh  als  das  einzige  vor,  indem  er,  entbehrlich  machten,  wurdeergleich- 
aus  einfachen  Stoffen  gefertigt,  als  wohl  beibehalten,  wenn  auch  noch 
faltiges  Gewand  den  Körper  deckt,  mehr  gekürzt  und  mit  ausgezoddel- 
von  den  Schultern  bis  zum  Fuss,  ten  Rändern  geziert.  Zu  einem 
und  zwar  gehörte  er  beiden  Ge-  weitgeöffneteu,  nutzlosen,  oft  nur 
schlechtem  gemeinsam  an.  In  noch  lappeuähnlichen  Rückenbehang 
zweiter  Linie  tritt  dazu  das  ärmel-  wurde  der  Mantel  an  «1er  Wende 
lose  Untergewand.  So  in  Rom,  das  des  genannten  Jahrhunderts,  wäh- 
seine   Sitten    und   Gebräuche   mit  rend  er  in  der  Folgezeit  als  Zier- 


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Marienkultus. 


627 


kleid  falleu  gelassen  wird  und  mehr 
noch  als  Bedürfniskleid,  aber  als 
solches  wieder  längergefaltet  auf- 
tritt. 

In  bezug  auf  Stoff,  Farbe  und 
Verzierungen  unterschieden  sich  die 
verschiedenen  Stände  auch  in  ihren 
Mänteln  genau,  und  namentlich 
Amtspersonen  und  Würdenträger 
entbehrten  seiner  als  Symbol  oder 
Abzeichen  nicht;  bei  der  Amtsklei- 
dung spielte  neben  dem  Schwert 
und  Krummstab  auch  der  Mantel 
eine  wichtige  Rolle.  (Siehe  die 
Artikel  Krönungsinsignien  und  Or- 
nat.) Der  auf  der  Erde  ausgebrei- 
tete Mantel  ist  das  Zeichen  der  Be 
sitznahme  eines  Landes  durch  einen 
Feldherm,  die  Bekleidung  mit  dem- 
selben der  Einsetzung  in  ein  be- 
stimmtes Amt.  Der  Amtsrock  aber 
wurde  nur  getragen  während  der 
Ausübung  amtlicher  Funktionen. 
Vorehelich  geborene  Kinder  werden 
legitimiert,  indem  die  Mutter  sie  bei 
der  Trauung  mit  ihrem  Mantel  be- 
deckt; daher  ihr  Name  —  Mantel- 
kinder.  Verurteilte  aber  werden  in 
den  Verbrechermantel  gehüllt  und 
öffentlich  ausgestellt  oder  zur  Richt- 
stätte geführt. 

Marienkultas.  Ein  solcher  ist 
zwar  nicht  vor  dem  5.  Jahrhundert 
nachzuweisen;  doch  gehören  die 
Vorbereitungen  dazu,  welche  in  dem 
Bestreben  ihren  Grund  haben,  die 
Mutter  Jesu  über  ihre  neutestament- 
liche  Stellung  zu  erheben,  immerhin 
früheren  Jahrhunderten  an.  Das 
nächste  Interesse  zu  dieser  Erhe- 
hebung  liegt  in  der  reichereu 
Ausbildung  der  Lehre  vom  Gottes- 
menschen und  des  Aktes  seiner 
Menschwerdung.  Sodann  griff  die 
typisch  -  allegorische  Interpretation 
des  Alten  und  Neuen  Testaments 
schon  im  2.  Jahrhundert  zu  Verglei- 
chungen  der  Eva  und  der  Maria; 
jene  glaubte  der  Sehlange  und  wurde 
dadurch  Urheberin  der  Sünde,  des 
Todes;  diese  glaubte  der  Botschaft 
des   Engels    und    wurde  dadurch 


Werkzeug  des  Heiles,  des  Lebens; 
anfänglich  nur  als  unverfängliches 
Spiel  ausgesprochen,  gewöhnte  man 
sich  «loch  mit  der  Zeit  daran,  Maria 
im  vollen  Sinne  zur  Begründerin 
einer  neuen  Menschheit,  zur  Mitt- 
lerin und  Fürbitterin  bei  Christus 
zu  machen.  Eine  weitere  Entwick- 
lung der  Marienverehrung  liegt  in 
der  seit  dem  4.  Jahrhundert  beson- 
ders durch  das  Mönchtum  verbrei- 
teten und  geforderten  Wertschätzung 
des  asketischen  Lebens  und  der 
Virginität.  Anfänglich  nahm  man 
zwar  an,  Maria  sei  bloss  vor  der 
Geburt  Jesu  Jungfrau  gewesen, 
habe  aber  später  den  Josepn  geehe- 
licht und  ihm  Kinder  geboren;  spä- 
ter wurde  das  bestritten,  und  man 
nahm  entweder  bloss  eine  Schein- 
ehe an  oder  nannte  die  Brüder  Jesu 
Söhne  Josephs  aus  einer  früheren 
Ehe,  oder  bloss  Vettern  desselben; 
die  Scheinehe  aber  hielt  man  darum 
für  notwendig,  damit  dem  Fürsten 
der  Welt  das  Mysterium  der  jung- 
fräulichen Geburt  verborgen  bliebe. 
Die  weitere  Folge  dieser  Lehre  war, 
dass  man  Maria  nicht  bloss  mora- 
lisch, sondern  auch  physisch  Jung- 
frau bleiben  Hess,  und  annahm,  dass 
sie  mit  geschlossenem  Leibe,  clawto 
utero,  geboren  habe,  namentlich  in 
Anlehnung  an  Ezechiel  44,  1  —  3,  wo 
von  dem  verschlossenen  östlichen 
Thore  des  Tempels  die  Rede  ist, 
durch  welches  Jehova  hindurch- 
gegangen sei,  welches  nun  typisch 
auf  Maria  bezogen  wurde.  Dazu 
kam  schliesslich  die  Vorstellung, 
dass  Maria  auch  ohne  Schmerzen 
!  und  Belästigung  geboren  habe. 

Ihren  Ausdruck  erhielten  diese 
Ansichten  im  3.  und  4.  Jahrhundort 
in  einer  Reihe  von  apokryphischen 
Erzählungen,  durch  welche  die  dürf- 
tigen Nachrichten  des  neuen  Testa- 
mentes über  die  Jugendgeschichte 
Jesu  ergänzt  werden  sollten;  die 
älteste  derselben  ist  das  Protrran- 
qelium  Jakobi,  von  dem  die  Erzäh- 
lungen vom  Zimmermann  Joseph, 

40* 


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628 


Marienkultus. 


von  der  Geburt  der  Maria  und  von 
der  Kindheit  Jesu  bloss  verschie- 
dene Redaktionen  oder  Fortbil- 
dungen sind.  Danach  heissen  Marias 
Eltern  Joachim  und  Anna,  die,  ein 
kinderloses  Ehepaar,  im  Falle  der 
Geburt  eines  Kindes  dasselbe  dem 
Herrn  zu  weihen  gelobten,  dem  es 
alle  Tage  des  Lebens  in  steter  Vir- 
ginität  dienen  solle.  Obscbon  die 
Kirche  diese  Schriften  als  unecht 
verwarf,  blieben  doch  inaiiehe  Züge 
daraus  in  der  kirchlichen  Tradition 
bestehen,  ausser  den  Namen  der 
Eltern  die  Erziehung  der  Maria  im 
Tempel,  die  Seheinene  mit  dem  bei 
der  Versprechung  schon  90  Jahre 
alten  Joseph,  die"  Geburt  der  Maria 
in  einer  Höhle. 

Zur  Aufnahme  der  Marienver- 
chrung  trug  sodann,  obgleich  unbe- 
wusst,  der  Umstand  bei,  dass  die 
bekehrten  Heiden,  die  unwillkürlich 
nach  Analogieen  ihrer  herkömm- 
lichen Götterverehrung  mit  dem 
christlichen  Glauben  suchten,  in 
Maria  Züge  ihrer  weiblichen  Gott- 
heiten wiederzufinden  meinten  oder 
jene  in  ihre  Auffassung  der  Gottes- 
mutter hineinlegten;  bei  den  Ger- 
manen gingen  viele  Züge  der  Him- 
melskönigin Freia  auf  Maria  über 
(siehe  Freia). 

Ein  wichtiger  Wendenunkt  in 
der  Entwicklung  der  Marienver- 
ehrung war  der  Ncstorianische  Streit. 
Nettorinu,  seit  428  Erzbischof  von 
Konstantinopel,  der  für  die  Unter- 
scheidung aer  beiden  Naturen  in 
Christo  eintrat,  bestritt  die  Zweck- 
mässigkeit des  verbreiteten  Attri- 
butes der  Maria  tttoioxoj,  Gottes- 
gebärerin,  und  wollte  sie  lieber 
XQiarotöxo*,  Christusgeb;irerin,  ge- 
nannt wissen.  Gegen  ihn  trat 
Cyrillus,  Bischof  von  Alexandrien, 
auf  und  setzte  es  auf  der  Synode 
zu  Ephesus  431  durch,  dass  die 
Ansicht  des  Nestorius  verdammt 
und  die  Rechtgläubigkeit  des  Na- 
mens Gottesgebärerin  anerkannt 
wurde.    Ein  ungeheurer  Jubel  be- 


gleitete die  Entscheidung;  man 
nannte  jetzt  Maria  das  Paradies 
des  zweiten  Adam,  die  wahrhaftige 
leichte  Wolke,  auf  welcher  der  über 
den  Cherubim  Thronende  fährt,  die 
einzige  Brücke  Gottes  zu  den  Men- 
schen, den  beseelten  Strauch  der 
Natur,  den  das  Feuer  nicht  ver- 
brannt hat,  den  Webestuhl  der 
Menschwerdung.  Und  da  um  die- 
selbe Zeit  die  Verehrung  der  Mär- 
tyrer und  Heiligen  als  Fürsprecher 
für  die  Sünder  in  ihrer  kräftigen 
Blüte  stand,  trat  nun  Maria  an  ihre 
Spitze.  Die  Gebete  an  sie  wurden 
jetzt  erst  allgemein.  Kirchen  wur- 
den ihr  geweiht,  Altäre  errichtet, 
Bilder  aufgestellt;  im  Jahre  606 
wurde  das  längst  verschlossene 
Pantheon  des  Agrippa  zu  Rom  zu 
einem  Tempel  der  Maria  ad  mar- 
lyres  geweint. 

Bald  erzählte  man  auch  von 
Wundern,  welche  Maria  gewirkt 
haben  sollte,  und  stellte  ihr  Bild 
mit  denen  der  übrigen  Heiligen 
nicht  bloss  in  Kirchen,  sondern 
auch  in  Häusern  und  auf  Wegen 
allgemein  aus,  zündete  vor  ihnen 
Lichter  an,  beräucherte  sie,  betete 
vor  ihnen.  Es  bildete  sich  jetzt 
auch  eine  Tradition  über  ihre  Ge- 
stalt und  ihr  Aussehen;  im  11.  Jahr- 
hundert wurde  sie  mittlerer  Ge- 
stalt geschildert,  bräunlicher  Farbe, 
gelblichen  Haares,  ovalen  Ange- 
sichts, schmaler  und  länglicher 
Handbildung.  Als  das  berühmteste 
Bild  galt  das,  welches  angeblich 
von  Lukas  stammt. 

In  ihren  Bildern  stellte  man  an- 
fänglich Maria,  in  den  Gesichts- 
zügen ihrem  Sohne  ähnlich,  als  Ma- 
trone von  40 — 50  Jahren  .dar;  im 
13.  Jahrhundert  erscheint  sie  jünger 
und  ziemlich  von  gleichem  Alter 
mit  Jesus,  gegen  Ende  des  Mittel- 
alters oft  als  Mädchen  von  16—20 
Jahren.  Ausser  dem  langen  Unter- 
gewandc  trägt  sie  einen  weiten,  oft 
zugleich  als  Schleier  dienenden  Man- 
tel, den  Mantel  der  Gnade;  die  typi- 


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Marienkultus 


629 


echen  Farben  ihrer  Kleidung  sind 
blau  und  rot.  Nach  Offenb.  12,  1 
erseheint  Maria  in  Statuen  von  einer 
strahlenden  Sonne  umgeben,  auf 
dem  Haupt  eine  Krone  von  12 
Sternen,  in  der  einen  Hand  das 
Zepter,  auf  dem  anderen  Arm  das 
Kind,  zu  ihren  Füssen  den  Mond, 
der  auf  der  Erdkugel  steht,  um 
welche  sieh  eine  Schlange  windet 
mit  dem  Apfel  im  Maul. 

Man  unterscheidet  Marienbilder 
als  Gegenstand  religiöser  Verehrung, 
und  historische  Bilder.  Die  Marien- 
bilder als  (i  egenstand  religiöser  Ver- 
ehrung stellen  entweder  die  Jungfrau 
ohne  das  Kind  dar  als  verschleierte 
Matrone  mit  betend  ausgebreiteten 
Armen,  zur  rechten  HantT  ihres  ver- 
herrlichten Sohnes  sitzend,  Sponsa 
Bei;  in  einem  Buche  lesend  als 
Yirgo  Sapicntissima;  von  Gott  Vater 
und  Christus  gekrönt  als  Yirgo  in- 
coronata-,  ihren  Mantel  ausbreitend 
über  die  gläubige  Gemeinde  als 
Mater  misericordiae.  „Maria  Schutz" ; 
unter  dem  Kreuze  stehend;  ein 
Schwert,  auch  fünf  oder  sieben 
Schwerter  in  der  Brust,  mit  Be- 
ziehung auf  ihre  sieben  Schmerzen 
"  eschncidnng  Christi,  Flucht  nach 


evpten.  Verlier  ung  Jesu  im  Tem- 
pel, kreuztragnng  Jesu,  Kreuzigung, 
Kreuzabnahme,  (irablegung) ;  im 
Gegensatze  zu  den  sieben  Freuden 
(Verkündigung,  Heimsuchung,  Ge- 
burt Christi,  Anbetung  der  Weisen, 
Auferstehung  Christi,  Ausgiessung 
des  heiligen  Geistes,  Krönung  durch 
Gott  Vater  und  Christus)  als  Maler 
dolorosa;  auf  der  Mondsichel  als 
Yirgo  purissima,  Gottes  Magd;  Ke- 
rf i  na  sine  labe  original i  coneepta, 
Himmelskönigin.  Seitdem  15.  Jahr- 
hundert kommen  die  sogenann- 
ten Rosenkra uzbilder  auf,  in  wel- 
chen rote  und  weisse  Rosen  (Freu- 
den und  Leiden)  die  Jungfrau  um- 
geben, welcher  alle  Stande  Rosen- 
kranze überreichen;  ähnlich  sind 
die  Bilder  der  „Maria  im  Rosen- 
hag".   Oder  die  Jungfrau  isf  mit 


dem  Kinde  dargestellt ,  auf  dem 
Throne  sitzend,  das  Kind  auf  dem 
Schoss,  in  feierlich  ernstem  Typus 
als  Mutter  Gottes,  Saucta  Dei  geni- 
trix,  oder  das  Kind  auf  den  Armen 
haltend,  in  reizend  lieblichem  Ty- 
pus als  Mater  amabilisy  alma  Mater. 
Die  historischen  liilder  stellen  das 
Leben  der  heiligen  Jungfrau  nach 
jenen  apokryphischen  Legenden  und 
nach  der  heiligen  Schrift  vor.  (Siehe 
über  die  Bilder:  Otte.  Handbuch 
der  kirchlichen  Kunstarehäologie 
S.  940  ff.) 

Die  im  11.  Jahrhundert  auf- 
tretende asketische  Richtung  der 
Theologie  und  der  Kirche  nimmt 
im  Mariendienste  noch  höheren 
Schwung;  Peter  Damiani,  der 
Freund  Gregors  VII.,  nennt  Maria 
deißcata.  vergottet,  alle  Gewalt  ist 
ihr  im  Himmel  und  auf  Erden  ge- 
geben, kein  Ding  unmöglich,  Ver- 
zweifelnde richtet  sie  zur  Hoffnung 
auf.  Sie  tritt  vor  den  goldenen 
Altar  der  Versöhnung,  nicht  als 
Magd,  sondern  als  Herrin,  befeh- 
lend, nicht  bittend.  Sic  ist  das 
goldene  Bett,  auf  welchem  Gott  er- 
müdet von  der  Mensehen  und  Engel 
Treiben  sich  niederlegt  und  Ruhe 
findet.  In  wahrhafter  Verzückung 
erzählt  Damiani  die  Vorbereitungen 
zur  Verkündigung;  die  vernünftige 
Kreatur  fällt,  der  Allmächtige  birgt 
schweigend  seine  Verlegenheit,  end- 
lich wird  Maria  geboren  und  ent-  ' 
faltet  in  ihrer  Blüte  einen  solchen 
Zauber  der  Schönheit,  dass  aie 
selbst  das  Auge  Gottes  reizt;  in 
heftiger  Liebe  entbrannt,  sin^t  er 
das  ganze  hohe  Lied  zu  ihrer  Ehre; 
unfähig,  seine  Leidenschaft  zurück- 
zuhalten, sammelt  er  die  Engel  und 
verkündet  den  Staunenden  seinen 
Ratschluss,  dass  wie  durch  ihn  alles 
geschaffen,  so  auch  durch  sie  alles 
erneuert  werden  soll.  Dieser  Be- 
schluss  wird  in  Schrift  gefasst  dem 
Engel  Gabriel  übergeben.  Ähnlich 
sprechen  sich  Bernhard  von  Clair- 
veaux, Bonaventura  und  andere  aus. 


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630 


Marieiikultus. 


Infolge  dieser  Vorgänge  prägte 
sich  der  Marienkultus  seit  dieser 
Zeit  immer  mehr  in  den  Formen 
des  kirchlichen  Lebens  ans,  und 
wenn  es  an  mancherlei  Warnungen 
auch  jetzt  nicht  fehlte,  trat  ihre 
Verehrung  thatsächlich  ebenbürtig 
neben  diejenige  Christi.  Seit  dem 
11.  Jahrhundert  widmete  man  ihr 
in  den  Kl« »stern  ein  Offizium  und 
heiligte  ihr  den  Samstag,  wie  Christo 
der  Sonntag  geheiligt  war;  auf  dem 
Konzil  zu  Clermont  dehnte  Urban  II. 
1Q95  die  Rezitation  des  Offizium  auf 
den  gesammtcn  Klerus  aus.  Gegen 
das  Ende  dieses  Jahrhunderte  kennt 
man  im  Abendlande  schon  über  100 
der  Maria  geweihte  Kloster.  Natür- 
lich waren  auch  ihre  Reliquien  vor 
allen  anderen  gesucht  und  wunder- 
thätig.  Die  Kirche  zu  Chartres  be- 
sass  ihr  Hemd:  die  Klnsterkircho 
zu  Fleury  von  ihrer  Milch:  das 
Kloster  Trenorch  in  Frankreich  die 
Gewänder,  die  sie  teils  für  sich, 
teils  für  ihren  Sohn  gewoben;  dem 
Kloster  Monte  Cassino  schenkte 
Benedikt  VIII.  ein  Stück  von  ihrem 
Schleier.  Kaiser  Karl  IV.  besass 
ausser  den  Doubletten  aller  ge- 
nannten Stücke  einen  Rest  der 
Wachskerze,  die  bei  ihrem  Tode 
1  »rannte,  und  einen  Palmzweig,  den 
die  Apostel  vor  ihrer  Bahre  her- 
trugen. Die  berühmteste  Reliquie 
ist  aber  ihr  Wohnhaus,  welches 
1291,  als  Palästina  den  Abendhin- 
dern  völlig  verloren  ging,  von  Engeln 
nach  Tersale  in  Dabnatien ,  drei 
Jahre  später  aber  nach  Recanati  in 
Picenum  iLoretto)  getragen  worden 
sein  sollte. 

Besondere  Verehrung  genoss 
Maria  in  den  Orden.  Sie  war  Pa- 
tronin des  deutschen  Ritterordens; 
die  Dominikaner  widmeten  ihr  seit 
1270  den  Rosenkranz,  die  Franzis- 
kaner eiferten  fiir  ihre  unbefleckte 
Empfangiiis,  die  Karmeliter  er- 
richteten auf  der  Maria  Ermahnung 
hin  die  Skapulierbrüderschaft.  Seit 
dem  Ende  ((es  1 4.  Jahrhunderts  ver- 


einigten sich  allenthalben  gleichge 
sinnte  Marienverehrer  zu  Liebfrau«*n 
gilden,  die  sich  zur  feierlichen  Be- 
gehung der  Marienfeste  t siehe  den 
Artikel  Feste),  zur  Teilnahme  am 
Begräbnis  ihrer  Angehörigen  und 
dergleichen  verpflichteten. 

Mit  der  Zeit  war  der  Marieu- 
dienst  ein  beliebter  Stoß'  der  latei- 
nischen und  der  deutschen  Dichtung 
des  Mittelalters  geworden.  Iber 
das  Alter   der  frühesten 


hymnen  ist  nichts  Näheres  ausge 
macht;  es  gehört  dazu  namentlich 
der  Hymnus  Are  maris  stella.  Diese 
sind  gesammelt  in  Mone.t  lateinischen 
Hymnen  des  Mittelalters,  Bd.  II.. 
Marienlieder  1854. 

In  der  deutschen  Dichtung  be- 
ginnt die  Marienpoesie  nicht  vor 
dem  Anfang  des  12.  Jahrhundert«; 
Ottfried  und  Heliand,  die  doch  Ver- 
anlassung genug  gehabt  härten, 
zeigen  noch  keine  Spur  von  ausge- 
bildeter Marienverehrung.  Diese  be- 
ginnt vielmehr  mit  lyrischen  Dich- 
tungen zum  Lobe  der  Jungfrau, 
worunter  besonders  das  sugenaunte 
Mölker  Marien  h'ed,  dessen  erste 
Strophe  lautet: 

Ju  in  erde  leite 
Aaron  eine  fjerte: 
diu  ffrhar  mandaton 
nuzze  aU6  edile. 
die  suozze  hast  dü  füre  hrdht, 
mitofer  une  manne*  rat, 
saueta  Maria. 

Es  ist  aber  alle  Mariendichtung, 
lateinische  wie  deutsche,  getragen  und 
erfüllt  von  einer  reichen  Zanl  alle- 
gorisch-symbolischer Bilder,  die  sich 
meist  auf  das  Wunder  der  Geburt 
Christi  beziehen  und  Erscheinungen 
aus  der  Bibel  oder  aus  der  Natur 
betreffen,  in  denen  eine  wirkliche 
oder  scheinbare  übernatürliche  Wir- 
kung zu  Tag«'  tritt.  Wilhelm  Grimm 
hat  in  seiner  Ausgabe  von  Konrad 
von  Würzhura  goldener  Schmiede. 
Berlin  1840,  diese  Bilder  nach  ihren 
Fundorten  zusammengestellt,  von 


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Marionkultus.  631 


denen  hier  die  bezeichnendsten  an-  schliefst;  sie  ist  das   Wiesel,  von 

gemerkt    werden    mögen.     Maria  der  das  Hermelin   geboren  ward, 

wurde  von  Gott  durchdrungen  wie  Gold  und   Seide  oder  Seide  und 

die  Sonne  durch  Glas  scheint;  wie  Flachs   ward  zusammengebunden; 

Krystall  und  Beryll  kalt  bleiben,  sie   ist  der   Zünder,   an  welchem 

Während  eine  Kerze  durch  sie  ent-  Gottes  Flamme  sich  entzündete,  das 

zündet  wird,  so  ward  durch  den  Feuer  den  Lehm«,  in  dem  der  alte 

göttlichen  Schein  Christus,  das  wahre  Phönix  sich  verjüngte,  der  rersiegelte 

Licht,  entzündet.    Sie  ist  wie  ein  Brunnen   nach  Hohes  Lied  4,  l 

Spiegel,  der  tausend  Bilder  aufnimmt,  die  Erde,  mit  der  sich  der  Himmel 

ohne  verletzt  zu  werden;  wie  die  vereinte,  die  gebenedeite  Erde,  der 

Luft,  die  klar  und  hell  ist,  wenn  beschlossene  Garten,  den  Gott  selbst 

die  Sonne  durch  sie  scheint,  sonst  hütete,  nach  Hohes  Lied  4,  12;  die 

aber  dunkel;  wie  das  Gestirn  seinen  Aue,  die  von  Himmel  st  au  begossen 

Glanz  hervorbringt,   so  gebar  sie  und   beregnet,  Blumen   tragt;  das 


den  Herrn  ohne  Schmerz.   Gott,  war 


Lammfell   Gideons,   welches  allein 


bei  ihr,  w  ie  die  Sonne  hei  den  Blumen  von    dem   Tau    befeuchtet  ward, 

wenn  sie  den  Tau  verzehrt;  sie  ist  wahrend  alles  andere  trocken  blieb; 

der  feurige  Busch,  der  unversehrt  sie  ist  das  Sieget,  auf  welches  die 

blieb;  der  Berg,  aus  dem  der  Stein,  Gottheit  sich  abdrückte,  das  Ob/al- 

d.  i.  Christus   kam,   der  das  Bild  eisen  des  lebendigen  Himmelsbrotes, 

zerstörte,  welches  Nebukadnezar  im  Gottes  Tabernakel ,  der  geweihte  gol~ 

Traume  sah,  die  ewige  Horte  des  dene  Schrein,  der  das  Himmelsbrot 

Himmelreichs,  des  Paradieses,  der  beschlossen  hat,  der  Balsamschrein, 

Saelde,  denn  sie  empfing  das  Wort  der  qöldene  Eimer ,  das  Wachs,  in 

durch  das   Thor  ihres  Ohres,  wo-  welches  der  Honig  der  göttlichen 

durch  die  Tauhe,  der  heilige  Geist,  Süssigkeit  gelegt  ward,  das  Himmels. 

leise  in  ihr  Herz  geflogen  kam;  sie  nestdas  J'elikans,  das  oberste  Himmel- 

ist   die   Pforte    des  Tempels    gen  reich,    darin   Gott  wohnt,  Gottes 

Morgen,  die  verschlossen  war  und  Statt,  Zelle,  Pala>t,  Zelt,  Kapelle, 

durch  welche  nur  der  Herr  einging;  Saal.  Haus,  Gadern,  Arche,  Tempel, 

wie  das  Einhorn,  das  nicht  erjagt  Thron,  Scdel,  Sessel,  Fürstenstiihl, 

werden  kann,  aber  freiwillig  zu  einer  der  Werder,  in  dessen  herrlichem 

reinen  Jungfrau  kommt  und  in  ihrem  Kräuterduft  Gott  sich  erging,  die 

Schoss   entschlaft,   so   ist  Christus.  Kammer   der   wahren    Sonne,  die 

von  dem    Hiinmelsjäger  getrieben,  Krippe  des  Lammes,  Salomons  Thron 

zu   Maria  gekommen.    Sie  gleicht  und  Tempel. 

der  (werte  Aarons,  welche,  obgleich  Als  Mutter  und  Jungfrau  zu- 
dürr, dennoch  grünte,  blühte  und  gleich  heisst  sie  muofermeit.  meit- 
Mandeln  trug,  daher  sie  auch  Man-  muoier,  Gebärerin  des  Schöpfers, 
delbaumes  Blüte,  blühendes  Mandel-  Gottesbraut,  Himmelsbraut,  Braut 
reis,  blühendes  Himmelreis,  genannt  von  Sazareth,  Erwählte  Gottes  Dirne, 
wird;  sie  ist  die  blühende  Garbe  von  Gottes  Mutter,  Tochter,  Gemahl, 
Jesse  nach  Jesaias  11,  10  und  Kömer  Amme  -,  sie  war  bei  Joseph  wie  das 
15,  12;  eine  blühende  Aloe,  die  Hute,  blühend«' Rosenblatt  bei  dem  scharfen 
womit  Moses  das  Meer  teilte,  das  Dorne,  daher  sie  Uose  ohne  Dornen 
Körblein,  in  dem  Moses  auf  da"  heisst,  nach  Hohes  Lied  2,  2,  Rose 
Wasser  gesetzt  wurde;  wie  das  im  I/immelstau,  f.ilie  i»  Dornen, 
Seidenwürmlein  im  Gespinnst  wart!  Zederbaum  ohne  Wurm,  Turteltaube 
Christus  bei  ihr  gefunden;  sie  gleicht  ohne  Galle;  ihre  Keuschheit  gleicht 
der  Fffume  im  Meer,  in  welche  sich  dem  weissen  Schnee,  dem  Elfenbein, 
nachts   ein  Vogel  senkt  und   ein-  der  Tauhe,   dem  arabischen  Golde. 


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032  Marienkultus. 


Nach  einer  andern  Richtung  heisst  ihrer  Liebe  und  Reinheit,  brennende 

Maria   Himmelskaiserin ,    Kaiserin,  Minnenblüte.     Wie   die   rote  und 

sie  ist  von  David«  <  1  ischlecht,  Da-  weisse,  ist  sie  auch  die  kalte  und 

vids  Tum,  nach  Hohes  Lied  4,  4;  warme,  und  weil  sie,  die  weisse,  von 

Salomons  Kind ,    Tochter   von  Sion,  dem  Feuer  des  Geistes  berührt  und 

Jerusalems  Zinne.    Sie  heisst  Htm-  gebräunt  worden  ist,   ist  sie  auch 

mel.skönigin,   trägt   eine  Krone  von  die   schwarze   und   liebliehe,  nach 

zwölf  Sternen  auf  dem  Haupt,  hat  Hohes  Lied  1.  4,  5.    Sie  ist  die 

die  Sonne  zum  Kleid,   deu   Mond  Viole  wegen   ihrer  Demut,  Yiol- 

zum  Schemel  nach  Otfenb.  Job.  12,  1;  geruch  im  Marz,    Violenfeld,  6ster- 

sie  ist  selbst  die  Sonne,  das  Licht,  gloie,  zife/öse,  grüenender  klee,  Ital- 

die   Morgenröte,  der   Mond,   nach  sam,  balsamife,  myrrhe  nach  Hohes 

Hohes  Lied  0,  5»;  sie  gleicht  dem  Lied  5,  6,  bisam,  teirouchbühse,  la- 

Adler,    dessen   Augen    allein    das  rendel ,  Muskatblume,  Muskat  nuss, 

Sonnenlicht  ertragen,  sie  ist  eine  Seikenblüte,  Apotheke  nach  Hohes 

Fackel,   die   vor  Erschaffung   aller  Lied   3.  6.,    ll'einga rten ,  Traube, 

Dinge  vor  Gottes  Antlitz  brannte,  (färbe.  Weizengarbe,. Acker,  auf  dem 

Ii rics  und  Staub.  Gras  und  Laub,  der  Weizen  reifte,  Ölbaum,  Granat- 

Regcntropfen  und  Sterne,  könnten  bäum,  Zeder  auf  Libanon,  Cypressr 

sie  sprechen,  würden  ihr  Lob  nicht  in  Sion.  J'alme  von  Cadcs  nach  Job. 

zu   Lüde   bringen;   wie  das   Meer  7,  7.,  l*lafane. 

(marej  alle  Flüsse  sammelt,  so  ver- !       Maria,  die  Mutter  aller  Christen- 

einigt  Maria  alle  Güte.  Unerschöpf-  heit,    ist  die  zweite   Kva ;  daher 

lieh  sind  die  Gleichnisse,  die  ihre  grüsste  sie  Gabriel  mit  ave,  dem 

Herrlichkeit  ausdrücken:  sie  ist  der  u  ngekehrten  Eva;    sie  giebt  das 

Welt  Heil,  ein  Himmelshort.  Spiegel  Leben,  indem  sie  den  Sünder  zum 

der  Wonne,  Spiege/glanz  der  Kugel-  Heil  führt,  sie  erleuchtet  die  fin- 

schar.  der  Angel  Augenweide ,  der  stcre  Nacht,  als  sei  es  Tag,  sie  ist 

Kugel  Königin  und  K  aiserin,  Frau  daher    der   Meerstern ,  lettesterne, 

und  Vogt  in,  diu  höchste  in  himel  Morgenstern,  tremunUtne,  Stern  von 

über  clliu  laut,  himelrrouwe,  rrouwe  Jakob,  Stern  der  drei  Könige,  trost 

aller  rreude,  der  rreuden  für,  rröu-  der  wiseldsen  ,  ihr  banier  und  teit- 

dental,  wunaentanz,  seitenklanc ,  hi-  ran,  sie  tragt  die  höchste  Sturm- 

melsanc,  des  herzen  schal;  sie  ist  fahne  wider  die  Hölle,  sie  ist  der 

der  saelden  fac,  ursprinc,  gater  und  vrideschitt    der    Christenheit,  der 

houbetschatz ,  der  saelden  kint,  ein  Gnadensee,  wo  man  mit  Freuden 

Glücksrad,  des  Wunsches  wünsch,  ein  landet,  ankerhaft ,  Segelicind ,  Gna- 

Diamanf.  der  wei.se,  der  Edelstein  denjfuf,   Himmelsstrasse.  Himmels- 

in  der  Reichskrone,  der  Karfunkel,  pfad.    Da  ihr  Gewand  den  Geruch 

der    vor    Gottes    Thron    leuchtet,  von  Aromatkrautern  hat,  so  ziehen 

Smaragd.    Sanhir,    Perle,    goldes  ihr  die    kranken   Seelen   auf  der 

bouge,  die  triefende  Honigwabe  nach  Himrnelsstrassc   (der  Milehstrasse) 

Hohes  Lied  4,  11.,  Himmehmanna,  nach,   wie   dem    Panther  im  Mai 

Zuckerwabe,  Zuekerstande,  lebendiu  seines   süssen  Atems   wegen  alles 

himefspi.se,  Milch.   Sie  ist  der  Saal,  \\i\d    nachläuft.    Dem  Schwerer- 

der  Berg  und  Thal  eiuschliesst,  das  krankten  ist  sie  ein  salbe  und  lacf- 

Raradies  des  herrlichen  Obstes,  ein  j  icarje,  sie  reinigt  die  Seele  wie  der 

Garten  edler  Blumen  und  gewürz-  Kampfer  deu.  der  ihn  an  die  Nase 

reicher  K r.'iuter,  eine  blühende  Heide,  halt  ,  sie  ist  die  liüchse,  die  Salbe 

ein  Rosengarten,  eine  Himmelsrose,  trägt  für  alles  Weh,  die  Arznei  der 

Rose  von  Jericho,  Lilie,  Lilienaue,  Sünder,  die  wünsehefgerte  der  sael- 

Rose   und    Lilie,    zugleich    wegen  den,  die   Wüns'hclrüte  der  Gnade, 


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Marienkultus. 


633 


womit  in  der  Wüste  Wasser  aus 
dem  Stein  gesehlagen  wurde,  ein 
süsser  Tau,  ein  lebender  Brunnen, 
ein  Bach  den  Durstigen,  das  Wasser 
des  l'aradieses,  das  in  vier  Arme 
sieh  teilt,  das  sind  Christen,  Ketzer. 
Juden  und  Heiden,  über  die  sich 
ihr  Trost  ergiesst;  wie  der  Adler 
seine  Jungen  aus  dem  Neste,  so 
führt  sie  uns  der  Sonne  entgegen; 
wie  der  Strauss  seine  Eier  ausbrütet, 
indem  er  sie  anbliekt,  so  ist  ihr 
Auge  über  uns  geöffnet  und  be- 
wacht uns. 

Da  Maria  den  bösen  Feind  ver- 
jagt und  seine  Macht  zerstört,  so 
gleicht  sie  der  Judith,  die  dem  Ho- 
lofernes  das  Haupt  abschlug;  sie 
ist  vor  Christus  unsere  vögtinne,  ad- 
vocata,  süenaerinne ,  sünden  wende- 
rinne,  die  müllerin,  die  das  Korn 
der  Gottheit  gedroschen,  gemahlen 
und  zu  Himmelsbrot  gebacken  hat. 
Der  Schmerz  bei  dem  Tode  ihres 
Sohnes  drang  nach  Luk.  2,  35  als 
ein  Schwert  durch  ihre  Seele. 

Die  deutsche  Mariendichtung  der 
höfischen  Periode  geht  teils  von 
geistlichen,  teils  von  weltlichen  Dich- 
tern aus  und  gehört  entweder  der 
epischeu  oder  der  lyrischen  Gattung 
au.  Unter  die  epischen  Dichtungen, 
die  sämtlich  von  Geistlichen  her- 
rühren, zahlen  eine  Anzahl  breit 
ausgeführter  Marien/eben  nach  den 
oben  erwähnten  apokryphischen 
Quellen ;  dazu  gehört  ein  Gedicht 
des  Mönches  Wernhcr  von  Tegern- 
see, das  in  drei  lief  zerfällt,  deren 
erstes  die  Geschichte  Annens,  das 
zweite  die  Jugend  Marias  und  ihre 
Vermählung  mit  Joseph,  und  das 
dritte  die  Gebort  des  Heilands  und 
die  Geschichte  bis  zur  Rückkehr 
nach  Judäa  enthält;  im  14.  Jahr- 
hundert schrieb  Waltherron  Rheinau 
ein  Marienleben  in  15000  Versen, 
ein  anderes  Bruder  Philipp,  ein 
norddeutscher  Kartäuser  -  Mönch; 
auch  das  Passional  begreift  in  sei- 
nem ersten  Ruche  denselben  Inhalt. 

Von  höfischen  Dichtern  giebt  es 


Leiche,  Lieder  und  Sprüche  zum 
Lobe  Mariens,  doch  nicht  in  grosser 
Anzahl;  im  ganzen  war  ihr  Sinn 
mehr  weltlichen  Stoffen  und  nament- 
lich weltlicher  Minne  zugewandt, 
wenn  schon  anderseits  der  höfische 
Frauendienst  im  Mariendienste  seine 
religiöse  Weihe  erblickte,  beide  Er- 
scheinungen jedenfalls  ähnlichen 
inneren  Ursachen  ihr  Dasein  ver- 
danken; es  fällt  auf,  dass  in  Wolf- 
rams Werken  keine  Spur  von  einer 
Verehrung  der  Jungfrau  sich  zeigt. 
Ein  weitausgesponnener  Hymnus  auf 
Maria,  den  man  früher  Gottfried 
von  Strassburg  zuzuschreiben  pflegte, 
ist  nachgewiesenermasseu  nicht  von 
ihm,  und  ausser  Walther  von  der 
Vogelweide,  der  in  seinem  Leich 
das  Lob  der  Dreifaltigkeit  und  der 
Jungfrau  würdig  und  innig  singt, 
hat  man  bloss  von  etwa  einem 
Dutzend  Minnesänger  lyrische  Dich- 
tungen auf  Maria  erhalten.  Die 
dreimal  fünfzig  Marieng rüsse  eines 
Unbekannten  (herausgegeben  von 
Pfeiffer  in  Haupts  Zeitschrift,  VHI.), 
je  eine  vierzeilige  Strophe,  deren 
ein  Drittel  mit  tri«  qegrüezet ,  ein 
anderes  mit  rreue  clich,  und  ein 
drittes  mit  hilf  uns-  beginnt,  und 
Konrad  von  Würzburgs  goldene 
Schmiede  gehören  schon  nicht  mehr 
der  obersten  Blüte  höfischer  Poesie 
an;  doch  erhielt  sich  die  goldene 
Schmiede  bis  ins  15.  Jahrhundert  in 
Ansehen ,  was  sie  namentlich  der 
Gottfried  von  Strassburg  nachge- 
ahmten Feierlichkeit  der  Rede  und 
dem  Prunk  von  Worten  verdankt. 
Das  Gedicht,  das  2000  Verse  stark 
ist.  beginnt: 

ICi  kund  ich  wof  en mitten 
in  mines  herzen  smitfen 
getihte  uz  go/de  smelzen, 
und  Hellten  sin  gerelzen, 
von  karfunkel  schone  drin 
dir,  hohiu  himelkciserin, 
so  Wold  ich  diner  wirde  ganz 
ein  loj>  durch! iuehtie  unde  glänz 
dar  uz  vi/  harte  gerne  smiden. 
nü  bin  ich  an  der  künste  liden 


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034 


Markgenossenschaft. 


so  meisterliche»  niht  bereit, 
daz  ich  »Ach  diner  wirdekeif 
der  zunqen  hamer  künne  flohen, 
oder  wüten  munt  also  aetwaheu, 
daz  er  ze  dinem  prise  tüqe. 
ob  immer  vf  ze  berge  vlüqe 
min  rede  af-sam  ein  ade/ar, 
diu  lop  enkünd  ich  nimmer  gar 

mit  Sprüchen  üherhoehen  

Er  muoz  der  Künste  meijen  ru 
tragen  in  der  brüste  sin', 
strer  diner  teirde  schapelin 
sol  hläcmcn  unde  richten, 
daz  er  mit  roeselehten 
Sprüchen  ez  jtoriere 
und  allenthalben  ziere 
mit  violinen  trorten, 
so  daz  er  an  den  orten 
cor  allem  rafsche  es  Unter, 
und  wilder  rime  kriuler 
darunder  um!  dtrrztrisrhen 
vil  schone  künne  mischen 
in  der  siiezen  rede  bluot. 
Konrad  von  W'ürzburq  nennt  in 
seinem   Gedichte   Dominikus  und 
Franziskus  als  diejenigen,  welche 
Mariens    Lob    geprediget  hatten; 
anch  fernerhin  sorgten  die  neuen 
Münchsorden  und  die  Scholastiker 
dafür,  dass  die  Mniianischen  Ge- 
heimnisse immer  neu  unters  Volk 
gebracht  wurden;  es  giebt  bis  zur 
Reformation    zahlreiche  Maricnge- 
dichte,  welche  im  ganzen  demselben 
Bilder-  und  Gleichnisse  Kreis  ent- 
nommen sind,  der  id)erhanpt  der 
Marienverehrung    zu   Grund«1  lag, 
nur  dass  bei  der  zunehmenden  Be- 
schäftigung damit  die  Sache  mehr 
und  mehr  ein  handwerksmäßiges 
Ansehen  erhielt;  Mariendichtungen 
dieser  Art  sind  z.  B.  auf  uns  ge- 
kommen von  l'eter  von  Si'chentcirt, 
Muskatblüt ,  Heinrich   von  Laufen- 
bet'ff,  J/uffo  ron  Montforf,  Oswald 
von   Wolkenstein.    In  den  Meister- 
sangcrschulen  war  dieser  Stoff  bis 
zur  Reformation  sehr  beliebt,  auch 
Hans  Sachs  sang  anfänglich  Ma- 
rienlieder. 

Neben  diese  dogmatisch-schola- 
stische   Auffassung   der  .Jungfrau 


tritt  seit  dem  14.  Jahrhuudert  eine 
Auffassung,  welche  das  menschliche, 
das  mütterliche  Element  in  engster 
Verbindung  mit  dem  leidenden 
Christus  betont,  die  Romantik  des? 
Marienkultus  mit  menschlicher  Teil- 
nahme an  ihrem  Schicksal  ver- 
tauscht. Diese  Auffassung  findet 
sich  einesteils  in  den  Liedern  der 
Mystiker,  die  überhaupt  das  per- 
sönlich-menschliche Element  Christi 
wieder  hervorhoben,  auch  lateinische 
Hymnen  gehören  dahin,  namentlich 
Stabat  mater  dolorosa  von  dem  als 
Franziskaner  130s  gestorbenen  Ja- 
coponus  oder  Jacobus  de  lienedictis ; 
derselbe  soll  das  Lied  im  Gefang- 
nisse gedichtet  haben ,  in  das  ihn 
Bonifacius  VII.  deshalb  werfen  Hess, 

!  weil  der  Mönch  ihn  seiner  Sitten 
halber  streng  gerügt  hatte;  anderer- 
seits in  den  Ostcrs/dden.  in  denen 
die  Marienklane  ein  stehendes  Motiv 
war,  welches  auch  als  selbständige 
epische  oder  lyrische  Dichtung  An- 

I  Wendung  fand.    Siehe  namentlich 

'  Stri'z    in    Herzogs    Real- Eneykl.. 

,  Artikel  Maria,  Mutter  des  Herrn. 

Markgenossenschaft.  Marke. 
marka,  das  alte  deutsche  Wort  für 
Grenze,  Gebiet,  welches  erst  seit 
dem  14.  Jahrhundert  durch  das  sla- 

|  visehe  Wort  grenitz,  grenitza  ver 
drängt  wurde,  ist  im  Altdeutschen 
unter  anderen  Bedeutungen  das  Ge- 
biet einer  Bauerschaft;  es  besteht 
aus  dem  in  Privatbesitz  stehenden 
Ackerlande  und  dem  Gemeinlande. 
.Jenes.  das  Ackerland,  umlagerte  die 
als  Dorf  zusammenliegenden  oder 
zerstreuten  Höfe;  das  Gemeinland 
bestand  in  Waldungen,  Weiden. 
Gewässern,  Torfgründen  und  der- 
gleichen, so  zwar,  dass  das  Recht 
darauf  an  den  einzelnen  Höfen  hing. 
Die  Bauern  der  Gemarkung  bilde- 
ten eine  Gemeinde  mit  einem  Vor- 
steher, der  decanus,  tribunus.  Schult- 
heiss  hiess.  Auf  einem  Bauerntage 
wurden  die  Angelegenheiten  der 
Gemeinde,  namentlich  die  Aufnahme 
junger  Bauern  in  die  Gemeinde  er- 


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Markgenossenschaft. 


635 


ledigt.  Vollberechtigte  Mitglieder  I  Ackerland,  Gärten,  Obstbäume.  Die 
konnten  nur  echte  Freie  sein;  die  !  allgemeinsten  Ausdrücke  für  die 
Niederlassung  eines  Fremden  war  \  Mark  sind  Wald  und  Weide  oder 
an  die  Zustimmung  aller  gebunden.  Wald  und  Heide.  Die  edelsten 
Dieser  ältere  Zustand  der  Karo-  Bäume  sind  Eiche  und  Buche,  weil 
linger- Periode  durchdauerte  im  gan-  sie  das  beste  Holz,  dem  Vieh  die 
zen  unverändert  das  Mittelalter,  nur  reichste  Mast  geben;  sie  heissen 
dass  das  Amt  des  Schultheissen  oder  Hartholz,  alle  übrigen  Weichholz. 
rillicus  später  von  dem  Inhaber  der  Holz,  das  der  Wind  gefällt  und  ge- 
hohen Gerichtsbarkeit  verliehen  oder  brochen  hat,  heisst  Gefäll,  Wind- 
mit  einem  Hofe,  an  welchen  das  fall.  Windwerf,  Windbläsc.  Wind- 
Amt  geknüpft  war,  erblich  zu  Lehen  schlüge  und  dergleichen:  oder  auch 
gegeben  wurde.  Zusammen  mit  bloss  Wettersehlag,  Sturm  werter; 
Schöffen  aus  den  zur  Bauernschaft  sind  es  bloss  abgeschlagene  dürre 

Schürenden  Dorf  marken  handhabte  '  Aste  und  Späne,  so  sagt  man  After- 
er Schultheis  die  Dorfpolizei,  rieh-  schlage,  Afterzagel.  Zeil,  Abholz. 


Gipfel  und  Wipfel,  Stecken.  Jeder 
volle  Markgenosse  hat  freies  Holz 
für  Brand  und  Hart.  Bauholz  für 
Haus  oder  Scheuer  sollte  innerhalb 
Jahr  und  Tag,  nachdem  man  es 
gefällt,  wirklich  verbaut  sein ;  wollte 


tete  über  leichte  Straffällc  und 
brachte  wichtigere  Sachen  vor  den 
Bauerntag,  der  zu  regelmässigen 
Zeiten  abgehalten  wurde.  Behufs 
Benutzung  des  Gemeindelandes  bil- 
deten sich  eigene  Markgenossen- 
schaften mit  einem  llulzqrafen  oder  man  ein  Jahr  warten,  so  musste 
(>herm«rker  an  der  Spitze,*  welcher  man  es  umwenden  und  durfte  es 
oft  eine  vornehme  Person  war.  und  dann  ohne  Gefahr  der  Strafe  wieder 
mit  eigenen  Gerichten  oder  Miirker-  ein  Jahr  liegen  lassen;  Brennholz 
gedina&n,  wo  die  Markstreitigkeitcu  aber  musste  sofort  aus  dem  Walde 
entschieden  und  die  Markfrevel  ab-  geschafft  werden.  Die  Mark  vor- 
gestraft wurden.  steher  und  Beamten  haben  gewisse 
./.  Grimm  hat  in  den  Recht*-  Vorrechte;  dem  Förster  z.  B.  ge- 
aKcrtiitnern     194—532     zahlreiche  hören    von    Amts    wegen  Gipfel, 


Rechtsverhältnisse  zusammenge- 
stellt, die  sich  auf  die  Mark  be- 
ziehen und  von  denen  hier  einiges 
Wesentliche  auszugsweise  folgt.  Als 
die  natürliche,  älteste  Grenze  sieht 
Grimm  den  Wald  an;  in  Eichen 
wurde  das  Zeichen  gehauen.  Zwi- 
schen den  Wäldern  auf  dem  Gefilde 


Windfäll  und  was  die  Kinde  lässt, 
dürres  und  grünes,  was  dann  nieder 
gelegen  ist.  An  manchen  Orten 
steht  der  Windfall  dem  Pfarrer  zu, 
der  dafür  dem  Schulz  und  Schöffen 
auf  Martini  den  Tisch  decken,  ein 
Weiss-  und  Roggenbrot  auflegen  und 
den  Pferden  Rauhfutter  geben  muss. 


siedelten  sich  Leute  an,  daher  sich  Weichliolz,  dürren  Abfall  und  After- 
der  Begriff  der  Marke  geradezu  mit  schlag,  manchmal  sogar  hartes  Holz, 
dem  des  Waldes  berührt.  Markulf  durfte  der  Fremde  an  manchen  Or- 
oder  Markulf,  der  Häher,  ist  eigent-  teu,  aber  nur  bei  lichtem  Tage,  un- 
lieb Markwolf  —  Waldvogel,  Wald-  gestraft  im  Walde  holen,  in  anderen 
Schreier,  und  Markwart  ist  Wald-  Marken  ist  dieses  alles  verboten, 
oder  Grenzwart,  Förster.  Zur  Mark  Dagegen  darf  in  jedem  fremden 
gehörten  Wald ,  Flüsse  und  Bäche  Wald  Pflug  und  Wagenholz  für 
durch  den  Wald  ,  Viehtriften  und  augenblickliche  Notdurft  straflos  ge- 
ungebaute  Wiesen,  in  ihm  und  um  fällt  werden.  Wer  bei  nächtlicher 
ihn  her  gelegen,  Wild,  Gevögel  Weile  über  dem  Abhauen  eines 
(mhd.  ffffuffefr)  und  Bienen;  nicht  Stammes  betroffen  wurde,  dem  sollte 
aber,  „wohin  Pflug  und  Sense  gehet'',  nach  einer  alten  Rechtsaufzeichnung 


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Markgrat. 


das  Haupt  oder  die  Hand  auf  dem  von  heisst  ahd.  riutan,  mhd.  riuten,  reuten ; 
ihm  genommenen  Stamme  abge-  neu  ausgereutetes  Land  heisst^/™/*, 
hauen  werden;  dieselbe  Strafe  ist  niuriute,  mutende,  Neubruch,  terra 
auf  das  Waldbrennen  und  Baum-  norat.it;  später  sagte  man  rotten,, 
schälen  p-setzt;  eine  andere  Strafe  roden  und  Rotttand;  auch  sicenian, 
für  Waldbrenner  war.  dass  man  sie  schwenden  und  die  Sehuendi  haben 
in  die  Nähe  eines  grossen  Feuers  dieselbe  Bedeutung.  Sobald  ein 
setzte,  barfuss  und  gebunden,  so  Waldstück  gerottet  war,  was  oft 
lange,  ..bis  ihm  seine  Sohlen  ver-  durch  Niederbrennen  der  Stämme 
brennen  von  seinen  Füssen  und  geschah,  wurde  es  der  Kirche  zchnt- 
nicht  von  seinen  Schuhen'".  Brennt  pflichtig  und  verlor  dadurch  seine  alte 
der  Wald  noch  und  mau  hat  den  Freiheit.  Wo  immer  es  anging,  strebte 
Brenner  in  Gewalt,  so  soll  man  ihn  der  Markverband  dem  Ausroden 
in  eine  rauhe  Kuh-  oder  Ochsen-  entgegen.  Obstbäume  werden  in 
haut  thun  und  drei  Sehritt  vor  das  der  gemeinen  Mark  nicht  gelitten. 
Feuer,  da  es  am  allerheftigsten  Die  älteste  Art  der  Grenzbestiin- 
brenut,  legen,  bis  das  Feuer  über  mung  in  der  Mark  war  die  Harn- 
ihm  brennt.  Wer  einen  stehenden  merteilunq  (siehe  den  Artikel  Matt); 
Baum  schalet ,  dem  soll  man  seinen  sie  gründet  sich  auf  den  Axt-  oder 
Nabel  aus  dem  Baueh  sehneiden  I  Hammerwurf  und  dient  zur  Bestim- 
und  ihn  mit  demselben  an  den  Baum  mung  des  Masses,  wie  weit  sich  der 
nageln  und  denselben  Baumschäler  Boden  und  das  Gebiet  der  Mark  in 
um  den  Baum  führen,  so  lange  bis  die  übrige  Feldflur  hinein  erstrecken 
ihm  seine  Gedärme  alle  aus  dem  und  behaupten  lasse,  oder  wieviel 
Baueh  um  den  Baum  gewunden  von  der  Mark  an  den  einzelnen 
seien.  Von  dieser  uralten  Strafe  Privatmann  abgetreten  werden  solle; 
ist  übrigens,  so  verbreitet  ihre  Auf-  später  bediente  man  sieh  der  Baum- 
zeichnung  ist,  kein  geschichtliches  einschnitte  und  Mahlsteine. 
Beispiel  nachzuweisen.  —  Geduldet  Die  Markerqeriehte  wurden  zur 
wurde  von  den  Märkern,  dass  aus  Wahl  oder  Bestätigung  der  Vögte 
Holz  und  Rinden  Gefässe  verfertigt,  und  Amtleute,  Verleihung  der  Weis- 
Lohe  für  das  Leder  bereitet  und  tümer  (siehe  diesen  Artikel),  An- 
Brennholz zum  Brennen  irdener  bringung  und  Krlcdigung  der  Rügen, 
Töpfe  genommen  wurde.  Weit  ver-  sowie  zur  Einnahme  der  Bussen 
breitet  ist  für  den  Nutzen  der  ge-  verwendet,  gewöhnlich  mit  fröhlicher 
meinen  Mark  der  Ausdruck  Wunn  Zeche  und  Gelag  beendigt.  Gegen 
und  Weid,  womit  ursprünglich  die  einen  ungehorsamen  Märker  war 
doppelte    Benutzung    des  Wiesen-  die  härteste  Strafe,  dass  ihm  sein 

f rundes  durch  Heubereitung  und  Brunnen  gefüllt  und  sein  Backofen 
urch  Weide  gemeint  sein  soll,  eingeschlagen  wurde.  Der  Märker 
später  gehörte  es  zum  Begriff  der  durfte  sein  Eigentum,  Haus,  Hof 
gemeinen  Markweide,  dass  darauf  und  Acker  in  der  Markgemeinde, 
kein  Heu  geschnitten  werden  durfte,  nur  in  der  Mark  verkaufen,  und 
Die  Hauptsorgfalt  der  Märker  war.  allen  Markgenossen  stand  Näher- 
wann es  Eckern  gab,  auf  die  Ord-  recht  zu.  Vgl.  O.  L.  r.  Maurer: 
nung  der  Schweinemast  gerichtet.  Einleitung  zur  Geschichte  der  Mark-, 
Zur  Mark  wurden  auch  ausser  den  Hof-,  Dorf-  und  Stadtverfassung 
Eicheln  und  Buchnüssen  die  Holz-  und  der  öffentlichen  Gewalt,  München 
äofel,  Sehlehen,  Hagebutten  und  1851,  und  ebenderselbe,  Geschichte 
Haselnüsse  gerechnet.  der  Markenverfassung  in  Deutsch- 

Die  Mark  lichten,   Bäume  ver-  land,  Erlangen  lsö6. 

tilgen  und  den  Boden  urbar  machen  Mark* raf.  Karl  der  Grosse  war 


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637 


ea,  der  denjenigen  Grenzbezirken 
des  Reiches,  welche  ursprünglich 
nicht  zum  Reiche  gehörten,  sondern 
den  Nachbarn  abgenommen  waren, 
zur  Wahrnehmung  feindlicher  oder 
friedlicher  Beziehungen  zu  jenen, 
rine  besondere  Organisation  gab; 
der  Vorsteher  dieser  bald  grösseren, 
bald  kleineren  Bezirke  oder  Marken 
kk»  Graf,  oder  zur  Unterscheidung 
wo  den  übrigen  Gau  Vorstehern, 
w  denen  er  durch  Ansehen  und 
Bedeutung  hervorragte,  Markcraf, 
MfdU^  comes  marchae.  Unter  Karl 

seinen  nächsten  Nachfolgern 
werden  erwähnt    die  Hispanische, 
Britannische,  Sächsische  oder  Däni- 
sche, Sorbische,  A  varische  oder  Pan- 
nonische  und  die  Friaulische  Mark, 
fclles  Gebiete,  die  sich  an  die  grossen 
Stammgebiete  Bayern ,  Thüringen 
"*d  Sachsen  angeschlossen.  Seit 
dem  11.  Jahrhundert  nahmen  auch 
wiche  Fürstenhäuser    den  Mark- 
pifentitel  an,  welche  bloss  in  der 
Verwandtschaft    wirkücher  Mark- 
en standen.    Wie  die  Grafen 
ü?>rrhaupt,  so  benannten  sich  auch 
dft  Markgrafen  später  gern  nach 
ihren  Besitzungen  oder  Schlössern, 
«je  zum  Teil  gar   nicht  in  ihrer 
™rk  lagen.    Mit  der  eigentlichen 
*ark  war  regelmässig  eine  oder  die 
fc^en*  Grafschaft  in  einem  Grenz- 
{T*a  verbunden.  Im  ganzen  besassen 
'«ie  Markgrafen  dieselben  Rechte  und 
'»ren  denselben  Verpflichtungen 
*ie  die  Grafen  unterworfen;  doch 
«Dtwickelten  sie  sich  zum  Teil  für 
^  territoriale  Landeshoheit  günsti- 
Pf  als  jene.    „Es  waren",  sagt 
»«fe,  Verf -Gesch.,   VII.,  S.  93, 
♦^gedehntere  Gebiete,   an  Um- 

den  gewöhnlichen  Grafschaften 
•Ö  überlegen;  als  neu  gewonnene 
J-ande  mit  einer  zum  Teil  von  An- 
'*ng  an  abhängigen  Bevölkerung 
der  Gewalt  der  Markgrafen  völliger 
ttaterworfen ;  die  sich  bildende  Ritter- 
schaft überwiegend  aus  Ministerialen 
^vorgehend  und  so  auch  zu  stärke- 
retD  Dienst  verpflichtet;  die  geist- 


lichen Stifter,  selbst  die  hier  be- 
gründeten Bistümer,  wie  Meissen, 
Brandenburg,  Havelberg,  nicht  mit 
so  ausgedehnten  Privilegien  ausge- 
stattet, wie  andere  im  Reich,  sie 
und  ihre  Güter  nicht  ganz  der  Ein- 
wirkung der  Markgrafen  entzogen; 
die  Städte  meist  von  diesen  be- 
gründet und  mit  Freiheiten  bedacht. 
Daher  kam  es  hier  nicht  zu  einer 
solchen  Auflösung  des  Amtsgebiets, 
wie  sie  sich  in  den  alten  Provinzen 
des  Reichs  geltend  gemacht  hat. 
Die  Gewalt  der  Markgrafen,  fester 
begründet  und  zusammengehalten 
als  die  der  meisten  andern  Würden- 
träger des  Reichs,  gab  den  im  erb- 
lichen Besitz  bleibenden  Häusern 
eine  Bedeutung,  die  nur  wuchs,  je 
mehr  auch  die  alten  Herzogtümer 
der  Auflösung  anheimfielen.  Das 
erklärt,  warum  die  Marken,  vor  allem 
Österreich,  Meissen  und,  wie  später 
die  Nordmark  hiess,  Brandenburg, 
unter  den  deutschen  Fürstentümern 
eine  so  hervorragende  Stellung  ge- 
wannen, unter  den  territorialen  Bil- 
dungen fast  den  ersten  Platz  ein- 
nahmen.44 

Markt  und  Marktplatz  ist  im 
Mittelalter  der  Mittelpunkt  des  städti- 
schen Lebens,  er  fehlt  auch  der 
kleinsten  Stadt  nie,  liegt  gewöhnlich 
im  volksreichsten  Teile,  oft  gerade- 
zu in  der  Mitte  der  Stadt,  mit  man- 
cherlei Kunstgebilden  geschmückt 
und  häufig  schon  mit  Steinen  ge- 
pflastert. Ihn  ziert  in  norddeutschen 
Städten  oft  das  Rulandsbild ,  bald 
in  ritterlichemGewande  mit  Harnisch, 
bald  im  Krönungsornat,  bald  jugend- 
liche, bald  greise  Züge  tragend,  ein 
Wahrzeichen  der  städtischen  Ge- 
rechtigkeiten und  Freiheiten.  Weni- 
ger verbreitet  ist  das  Friedkreuz 
mit  dem  Königshandxchuhe,  ein  Stein- 
oder Holzkreuz  als  Verkünder  des 
die  Stadt  behütenden  sog.  St.  Peters- 
oder Gottesfriedens ,  woran  der 
Handschuh  aufgehangen  wurde, 
welchen  der  König  zum  Beweise 
bewilligter  Marktfreiung  den  da- 


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G38 


Markt  und  Marktplatz. 


mit  begnadigten  Städten  matten- 
den, pflegte. 

Die  Bedeutung  des  Marktes  ist 
aber  eine  doppelte,  eine  spezifisch- 
juristische  und  eine  icirtschaftfich- 
merkantile. 

A.  A1b  Ort  der  städtischen  Hechts- 
handhabung ist  der  Markt 

1.  die  sfadtgerich  fliehe  Dingstätte, 
WO  in  älterer  Zeit  namentlich  in 
peinlichen  Sachen  Gericht  gehegt  zu 
werden  pflegte.  Es  war  altherge- 
brachte Sitte,  dass  an  einem  freien 
und  unbedeckten  Orte  Recht  ge- 
sprochen wurde;  die  nötigen  Tische, 
Bänke  und  Einfriedigungen  wurden 
für  den  einzelnen  Fall  besonders 
aufgeschlagen.  Erst  allmählich  zog 
sich  das  (  iericht  in  ein  eigen  her- 
gestellte Ding-  oder  Oerich fshaus, 
das  ebenfalls  am  Markte  errichtet 
wurde.  Ursprünglich  waren  dies 
bloss  überdeckte ,  schuppenartige 
Hallen  von  Holz,  später  kleine  ein- 
stöckige Fach  werk-  oder  Steinbutten, 
die  an  der,  der  Strasse  zugekehrten 
Vorderwand  durch  breite  Fenster 
dein  Volke  vollen  Einblick  gestatte- 
ten. Schliesslich  wurden  stattliehe 
Amtshäuscr  eingerichtet. 

2.  Auch  ordentliche  Hichtslätfevf&r 
der  Markt  nlatz  in  älterer  Zeit;  hier 
wurden  Hinrichtungen,  öffentliche 
Ausstellungen,  Stäupungen  u.  dgl. 
vollzogen;  hier  oder  in  nächster 
Nähe  des  Marktplatzes  stand  der 
Pranger,  der  entweder  ein  aus  einem 
behauend]  Felsblocke  bestehender 
einfacher  Schandstein  war,  oder  ein 
Schand pfähl,  oberdeutsch  meist 
tchreiai,  d.  h.  Verrufsstätte, 
eine  Stein-  Holz-  oder  Ei>ensaule 
von  ansehnlicher  Länge,  an  der 
Spitze  zuweilen  mit  Schnitzerei,  z.  B. 
der  Figur  eines  Henkers  geziert, 
auf  einem  gestuften  viereckigen  fest- 
gemauerten Postamente  angebracht, 
oder  drittens  ein  Schandkorb ,  statt 
dessen  auch  die  preche  genannt  wird, 
ein  Lattenverschlag  oder  Bretter- 
kasten, oder  das  Surren-  oder  Drill- 
hämcken.  Für  st  rafrich  terl i chcZ  wecke 


fand  sich  im  Umfange  des  Markt- 
platzes das  Henkerhaus  und  der 
Stock,  der  letztere  ein  Bewahrungs- 
raum für  Verbrecher.  Aueh  die 
Richtstätte  wurde  im  Verlaufe  der 
Zeit,  und  zwar  meist  schon  früh, 
vom  Marktplatze  getrennt  und  ent- 
weder unmittelbar  vor  ein  Thor  oder 
noch  weiter  hinaus  verlegt. 

Übrigens  blieb  die  eigentliche 
Richtstätte  stets  der  Ort.  wo  da-s 
Hochgericht  oder  der  Oalgen  er- 
richtet stand;  derselbe  inusste  aber 
auf  freier,  weithin  sichtbarer  Stelle 
stehen.  Die  bauliche  Herstellung 
des  Hochgerichtes  lag  in  den  Städtcu 
bald  nur  gewissen  Zünften,  wie  den 
Zimmerleuten,  Schmieden,  und 
Schlossern  ob,  bald  den  gesamten 
Handwerken. 

B.  Auf  dem  Markte  findet  in  zwei- 
ter Linie  die  Entfaltung  des  mit  dem 
(ieteerbe  ena  verbundenen  Klein- 
handels statt.  Als  Handels-Ort  hatte 
der  Markt  ursprünglich  seine  feste 
räumliche  Abgrenzung.  Die  J  erkauf  s- 
sf äffen,  mit  dem  der  Markt  versehen 
war,  waren  entweder  Stände,  d.  h. 
offene  Stehplätze  samt  dazu  gehöri- 
gen auf  dem  Marktboden  angewiese- 
nen Auffährt-  und  Auslagestellen, 
oder  Bänke,  entweder  hohe  drei- 
beinige  Holzschemel  und  Tische, 
oder  kurzfüssige  leicht  ausgehöhlte 
Rohklötze  zur  Schaulegung  von 
Fleischwaren,  Fischen,  Bäckereien, 
Leder-  und  Schuhwerk;  au  Schrägen 
oder  Holzgestellen  wurden  fertige 
Kleider  und  geschlachtete  Tiere 
aufgehängt.  Eine  dritte  Art  der 
Ycrkaufsstätten  sind  Hütten,  mit 
Linnen  oder  Blähen  oder  mit  Holz- 
bedachuug  versehene  verschliessbare 
Bretterverschläge.  Die  genannten 
Verkaufs-Einrichtungen  hatten  ihre 
fixierten  Standorte  und  bildeten  ent- 
weder langgestreckte  Kolonnen  oder 
engere  Bänke-  und  Hütten -Kom- 
plexe, gleichsam  gemeinschaftliche 
Sonder  Markt -Orte  der  Einzelge- 
werbe darstellend.  Das  Eigentum 
an  den  Verkaufsstätteu  stand  der 


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Markt  und  Marktplatz. 


639 


Stadtgemeinde  zu  und  es  musste 
dafür  ein  „Standgeld"  bezahlt  werden, 
das  zuweilen  in  einem  Quantum 
Pfeffer  oder  in  anderen  Gewerbs- 
produkten bestand.  Eine  vierte 
Gattung  der  Verkaufsstätten  hiess 
buden,  aueli  banden,  krame,  gademen, 
koufgaden,  stadel ;  es  waren  durch 
Eiuuiauerung  fest  mit  dem  Erd- 
boden verbundene  Gehäuse,  bald 
völlig  freistehend,  bald  rücklings  an 
tili  anderes  Gebäude  angelehnt, 
regelmässig  ein  einziges  Gemach 
bildend,  mit  einer  seitwärts  ange- 
brachten Thüre  und  einem  die 
ganze  Breite  der  Vorderwand  füllen- 
den Auslage-  oder  Verkaufsfenster 
versehen,  durch  welches  der  auf 
Stapfein  davor  stehende  Käufer  die 
begehrten  Waren  empfing.  Ähn- 
licher Art  waren  Verkaufskammeru 
im  Unterteil  eines  Wohn-  oder  Ge- 
schäftshauses, oder  Vereinigungen 
mehrerer  Huden  zu  einem  einzigen 
eindachiffen  Gebäude,  oder  Halb- 
bildern «uilen  gab  es  auch  ausser 
dem  Marktplatze,  namentlich  an 
den  vorspringenden  Aussenteilen 
eines  Gotteshauses  angebaut.  Auch 
die  Buden  waren  in  der  Regel 
Eigentum  der  Stadtgemeinde,  doch 
kounten  sie  durch  Verlosung,  Ver- 
mietung, Verstiftung  auf  Lebenszeit 
und  durch  Erbverpachtung  über- 
tragen werden. 

Für  den  höheren  Detailhandel 
dienten  die  Lauben  -,  es  sind  ausser- 
halb des  Marktplatzes  in  breiten 
Strassen  angelegte,  ebenerdige, 
nach  drei  Seiten  offene,  überdeckte 
Bogen-  und  Säulengänge,  die  längs 
den  Häusern  bald  als  vorgeschobene 
Anbaue,  bald  als  Träger  der  oberen 
Stockwerke  hinliefen.  Sie  wurden 
zur  Feilbiet ung  von  „brot  und  fleisch, 
val  und  kram  uml  allerlei  kotij- 
manxchaft",  in  jüngerer  Zeit  vorzüg- 
lich für  feinere  Handelswaaren  ver- 
wendet. Es  gab  auch  Lauben,  unter 
denen  Gericht  gehalten  wurde. 

Die  Markthaltung  setzte  im  Mittel- 
alter   stets    eine    königliche,  be- 


ziehungsweise iu  jüngerer  Zeit  eine 
darauf  zurückführende  landes-  oder 
stadtherrliche  Verleihung ,  sei  es  in 
der  allgemeinen  Stadthandfeste,  sei 
es  in  einem  besonderen  Markt-] Privi- 
leg voraus.  Das  letztere  pflegte  sich 
über  die  Markt-Zeit  und  den  Markt- 
Frieden  zu  verbreiten. 

Die  Zeit  betreffend,  schieden  sieh 
die  städtischen  Märkte  in  Jahr-  und 
Wochen-Märkte. 

Der  Jahrmarkt  hängt  in  seinen 
Anfängen  aufs  engste  mit  dem  christ- 
lichen Kultus,  nämlich  dem  Kirch- 
weih-Feste zusammen,  daher  es  stets 
bestimmte  örtlich  hervortretende 
Feiertage  sind ,  nach  welchen  sieh 
ein  Jahrmarkt  benennt  Die  Zahl 
der  Jahrmarkte  an  einem  Orte 
wächst  bis  zu  sieben.  Die  Dauer 
geht  von  einem  Tage  bis  auf  zwei 
volle  Wochen. 

Der  H'ochenmarkt  begriff  ur- 
sprünglich wohl  nur  einen  einzigen 
Tag,  welchem  bei  vorhandenem  Be- 
dürfnisse später  ein  zweiter  hinzuge- 
fügt wurde.  BesondereUnterarten  des 
städtischen  Wochen  mark tes  sind  der 
sog.  Svnntags-Markt  und  der  sog. 
Tagemarkt,'  d.  h.  der  für  gewisse 
Gegenstände  des  Haus-  und  Unter- 
haltungs-Bedarfs innerhalb  gewisser 
Schranken  täglich  gestattete  Markt- 
verkauf. 

WTas  den  Marktfrieden  betrifft, 
so  setzte  die  Abhaltung  von  Märk- 
ten in  den  Städten  vor  allem  für 
diejenigen,  welche  davon  Nutzen 
ziehen  wollten,  die  Befugnis  freien 
Zutritts  und  einen  die  Besucher 
schützenden  besonderen  Frieden 
voraus,  ohne  welchen  gemäss  den 
Vorstellungen  des  Mittelalters  ein 
Markt  gar  nicht  gedacht  werden 
konnte.  Der  Marktfrieden  war  ur- 
sprünglich mit  dein  Kirchweih-Frie- 
den identisch  und  bewirkte  nament- 
lich die  schwerere  Bestrafung  aller 
an  den  Marktgängern  verübten  Fried- 
brüche ,  nämlich  mindestens  durch- 
schnittlich zweifache  Strafe;  in  das 
privatreehtlichc    Gebiet   griff  der 


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640 


Marschalk.  —  Martinsgans. 


Marktfriedon  dann  hinüber,  wenn 
die  Bestimmung  aufgestellt  \vurde,die 
Marktbesucher  gegen  gerichtliche 
Verfolgung  wegen  aller  ausserhalb 
des  betreffenden  Ortsmarktes  ent- 
standenen Schuldforderungen  sicher 
zu  stellen.  Ursprünglich  erstreckte 
sich  der  Marktfriede  wohl  nur  über 
den,  oft  bis  auf  die  Stunde  genau 
begrenzten  Zeitraum  der  Markt- 
haltung  selbst,  zu  welchem  Betraft 
Anfang  und  Ende  der  Marktzeit 
mittelst  öffentlicher  Zeichen  kund- 
gegeben wurde,  durch  Aussteckung 
und  Wiederabnahme  eines  Stroh- 
wisches oder  Hutes,  durch  Auf-  und 
Einziehen  einer  Marktfahne,  durch 
Ein-  und  Auslauten  mit  der  Kirchen- 
glocke. Spater  wurde  der  Markt- 
frieden auf  den,  den  Markttagen 
voraus  und  nachfolgenden  Tag  aus- 
gedehnt. 

Mit  der  Zeit  kamen  neben  dem 
alten  Hauptmarkte  örtlich  und  zeit- 
lich getrennte  Spezial*  oder  Sonder- 
Märkte  auf.  Dahin  gehören  der 
Viehmarkt  für  Grossvieh  (Schafe, 
Schweine  und  Ziegen  gehörten  auf 
den  Haupt  Marktplatz),  der  Pferde- 
öder  Rost- Markt,  Korn-  oder  Prueht- 
Markt,  Hopfen- Markt,  Hotz- Markt, 
Kohlen- Markt,  Fisch- Markt ',  Salz- 
Markt.  Nach  Genrjler,  deutsche 
Stadtrechts- Altertümer.  Erlangen 
1882.  Kan.  8,  9  und  10.  Vgl.  die 
Art.  Handel  und  Menne. 

Marsehai k,  siehe  Hofämter. 

Martinsons,  Martinslied.  Auf 
den  heiligen  Martin,  der  Legende 
nach  ein  Kriegsmann,  der  dem  in 
Bettler^estalt  umherwandelnden  Hei- 
land ein  Stück  seines  Mantels  mit 
dem  Schwerte  abschnitt  und  schenkte, 
sind  früh  Züge  des  Wodanskultus 
übertragen  worden;  so  der  Schim- 
mel, auf  dem  er  reitet;  ihm  zu 
Ehren  wird  ein  Backwerk  in  Form 
eines  Hornes,  sogenannte  Martins- 
hörner, gebacken,  das  sich  auf  die 
dem  Wodan  geopferten  Böcke  zu 
beziehen  scheint.  Ganz  besonders 
ist  aber  das  dem  Wodan  zu  Ehren 


gefeierte  Erntefest  auf  die  Feier 
des  Martinstages,  11.  November, 
übertragen  worden,  an  welchem  der 
Erntebraten ,  meist  eine  Gans,  vor- 
gesetzt wird  Auch  Martinsfeuer 
giebt  es,  wozu  Kinder  sich  Scheite  an- 
sammeln, indem  sie  zugleich  Birnen. 
Äpfel  und  Nüsse  als  Ernteopfer 
unter  Absingung  von  Liedern  zu- 
sammenbetteln. Sebastian  Frank 
schreibt  von  den  Franken:  „Sant 
Martins  und  Sant  Nielas  Fest  cele- 
briert  diss  volk  wunder  ehrlich, 
doch  unterschidlich,  Sant  Martin 
im  hauss  ob  tisch,  Sant  Niclas  in 
der  kirchen.  Erslieh  loben  sie  S. 
Martin  mit  guotem  wein,  gänsen, 
biss  sie  voll  werden,  unselig  ist  das 
hauss,  das  nit  auf  dise  nacht  ein 
gauss  zuessen  hat;  da  zäpfen  sie 
ire  neuwe  wein  an,  die  sie  bissher 
behalten  haben,  da  gibt  man  zuo 
Würtzburg  und  andersswa  auf  disen 
Tag  den  armen  ein  guote  notturft. 
Zwei  eberschwein  sehleusst  man  in 
ein  zirkel  oder  ring  auf  disen  tag 
zuosamen,  die  einander  zerreissen, 
das  fleisch  teilet  man  auss  unters 
volk,  das  best  schickt  man  der 
oberkeit".  In  Gegenden,  wo  die 
Gänse  seltener  sind,  werden  sie 
durch  andere  Gerichte  vertreten, 
am  Niederrhein  durch  frische  Wurst 
mit  Reisbrei,  an  der  Aar  durch 
„kalte  Milch  und  Wecksupp",  in 
Westflandern  durch  Waffeln,  in 
Norwegen  tritt  zur  Gans  oft  ein 
Ferkel.  An  vielen  Orten  war  am 
Martinstage  Austeilung  eines  ge- 
wissen Quantums  Wein  oder  Möst 
seitens  der  Obrigkeit  an  die  Diener- 
schaft, Beamten,  Lehnsinhaber. 
Bürger  gebräuchlich.  Das  15.  und 
16.  Jahrhundert  hat  eine  ganze  An- 
zahl Martinslieder  hervorgebracht, 
die  sich  bald  mehr  an  tue  Gans, 
bald  mehr  an  den  Martinstrunk  an- 
lehnen; sie  sind  zum  Teil  studen- 
tischen Charakters,  da  eines  der- 
selben sogar  die  Messforrael  oder 
andere  geistliche  Hymnen  parodiert, 
ein  anderes  gemischten  lateinisch- 


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Märzfeld.  —  Masse. 


641 


deutschen  Text  aufweist,  während 
andere  wiederum  mehr  volksmässige 
Trinklieder  sind.  Eines  der  kürzeren 
Lieder  lautet: 

lJraesulem  sanctUsimum  reneremur, 
Gaudeamus! 

Wollen  wir  nach  Gras  gan,  hollereio, 
St»  singen  uns  die  Vögclein,  hollereio, 
In  hoc  solemni  festo 
Zir  zir  passer. 

Des  Gutzgauch  frei  Sein  Melodei 
Helt  über  Berg  und  tiefe  Thal. 
Der  Müller  aut  der  Obermühl, 
Der  hat  ein  feiste  Gaus, 
Die  hat  ein  feisten  dicken  langen 

waidelichen  Kragen. 
Die  wöll  wir  mit  uns  tragen. 
Drussla    drussla    drussla  drussla, 
Jrussla  gickgack  gickgack 
Dulri  resonemus  melodia. 

Andere  Lieder  u.  a.  in  Hoff- 
mannt  von  Fallersleben  Deutschen 
Gesellschattsliedern,  Nr.  256-265. 
Über  Martinsgebräuche:  Reinsherg- 
Dürings/'cld,  Das  festliche  Jahr. 

MUrzfeld,  siehe  Campus  Mar tius. 

Masse.  Unter  diesem  Artikel 
mögen  nach  J.  Grimms  Rechlsalter- 
tümern  von  den  dort  beschriebenen, 
im  deutscheu  Rechtsleben  des  Mittel- 
alters vorkommenden  Massbcstim- 
muugen  volkstümlicher  Art  die  ver- 
breitetsten  zusammengestellt  werden. 
„Ihr  Grundcharakter",  sagt  Grimm, 
„ist  Auffassung  des  Rechtlichen 
durch  das  Sinnliche;  Weisung  dessen, 
was  festgesetzt  werden  soll,  durch 
etwas  Unfestes,  dem  Zufall  nie  ganz 
zu  Entzieheudes.  Meistens  tritt  eine 
Handlung  und  Gebärde  des  betei- 
ligten, ort  bedingt  von  der  einfach- 
sten Verwicklung,  mit  ins  Spiel;  zu- 
weilen wird  eine  andere  Einwirkung 
der  lebendigen  oder  unbelebten  Natur 
beachtet.  Es  sind  lauter  Masse  für 
die  Grösse,  Höhe,  Weite,  Ferne, 
Dicke  und  eiuige  andere  solcher 
Verhältnisse". 

1.  Wurf  oder  Schuss,  geschieht 
mit  Hammer,  Beil,  Speer,  Stab, 
Pfeil,  Sichel,  PHugcisen,  Löffel, 
Kugel,  Pfund,  Stein,  Erde,  und  zwar 

Beallexicou  dor  deuUchea  Altertümer. 


mit  Abmarken  der  äussersten  Grenze. 
Der  Gebrauch  des  Wurfes  war  bei 
allen  Germanen  verbreitet  und  deutet 
in  seiner  Entstehung  auf  eine  den 
niedergeschriebenen  Gesetzen  vor- 
hergehende Zeit.  Ausser  dem  Wurf 
überhaupt  ist  in  den  alten  Kechts- 
quellen  zugleich  Stellung  und  Ge- 
bärde der  Füsse  und  Hände  des 
Werfenden  angegeben,  welches,  wie 
es  scheint,  dieses  Geschäft  erschwe- 
ren und  den  Erfolg  nicht  ganz  von 
seinem  Willen  abhängig  machen 
soll.  So  soll  z.  1$.  der  Gegenstand 
über  Rücken  und  Achsel  geworfen 
werden,  oder  die  rechte  Hand  hat 
den  Wurf  unter  dem  linken  Beine 
zu  thun.  Dabei  ist  häufig  eine  un- 
sichere, schwierige  Stellung  auf  der 
Höhe  geboten,  auf  der  Mauer,  dem 
Zaune,  dem  Thore  des  Zaunes,  der 
Thürschwelle  und  dergleichen.  Bei 
der  rechtlichen  Ermittelung  der 
Herrschaft  über  einen  breiten  Strom 
reitet  der  Herr,  vollständig  und 
schwer  gewaffnet,  auf  einein  starken 
Hengst  in  die  Flut,  soweit  er  ge- 
langen kann,  worauf  er  erst  von 
dieser  Stelle  aus  den  Wurf  vor- 
nimmt. Überall  handelt  es  sich  hier 
nicht  um  den  ersten  Erwerb  an 
Grund  und  Boden,  sondern  um  die 
Abgrenzung  von  bestehendem  Eigen- 
tum oder  Besitztum  und  um  die  Be- 
fugnis gegen  die  Nachbarschaft  und 
Mark.  Der  Bienenbauer  wirft  sein 
Beil  oder  seinen  Löffel  zur  Erneue- 
rung seines  Zaunes;  Fischer  und 
Müller  erwerfen  die  Grenzeu  ihres 
Fischfangs  und  Mühlenreches. 

2.  Tieriihrumj  mit  Hammer,  Speer, 
Lauze,  Axt,  Beil.  Barte,  Messer, 
Rute,  Stock  und  Pfahl  kommt  nicht 
so  häutig  vor  wie  der  Wurf,  hatt 
aber  dieselben  Zwecke  wie  dieser, 
1  nämlich  Abmarken  der  äussersten 
Grenze,  Behauen  überhängiger  Äste, 
|  sei  es  auf  öffentlichem  Wege  oder 
auf  Privatgrundstück;  der  vornen 
über  den  Sattel  vorgelegte  Spiess 
ordnet  z.  B.  die  Breite  des  Weges; 
die   Landgrafschaft   Sissgau  geht 

41 


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642 


Masse 


rheinaufwärts  soweit,  als  einer  auf 
einem  Ross  in  den  Rhein  reiten  und 
mit  einem  Baaler  Speer  in  den 
Rhein  reichen  mag. 

8.  Mit  dem  Schein  oder  Schimmer 
fernleuchtender  Gegenstände  wird 
die  Weite  eines  Raumes  gemessen, 
wenn  es  z.  13.  heisst:  es  soll  ein 
Recht  soweit  ^ehen,  als  man  einen 
roten  Schild,  ein  weisses  Pferd,  den 
Gerichtsbalken,  den  Thürriegel  bei 
Tag  -ehen  kann. 

4.  Der  Schall,  vermittelst  dessen 
gemessen  wird,  ist  entweder  Kinder- 
schrei,  insofern  die  Lebens-  und 
Erbfähigkeit  eines  Kindes  danach 
gemessen  wird,  dass  „es  die  vier 
Wände  des  Hauses  beschreiet?,  oder 
Sehall  des  Horns,  (i  lockenklang, 
Tiergeschrei,  z.  B.  des  Hahnes,  fiel- 
desklang  und  Knochenklang ,  wobei 
Geld  und  Knochen  über  den  neun 
oder  zwölf  Fuss  weiten  Raum,  meist 
die  Strasse,  im  Schild,  später  im 
Becken  erschallen  mussten. 

Nach  dem  Sitzraum  wird  das 
Mass  eines  Raumes  bestimmt,  je 
nachdem  eine  Biene,  eine  Gans,  ein 
Tisch,  eine  Wiege  mit  einem  Kinde, 
ein  dreibeiniger  Stuhl,  eine  Bade- 
wanne darauf  Platz  findet. 

6.  Hergang  von  Tieren  ist  eine 
Massbestimmung  für  Bäume  und 
Äste,  wobei  es  darauf  ankommt,  ob 
ein  Schwein,  ein  oder  mehrere  Och- 
sen, ein  Rabe  und  dergleichen 
darunter  sich  bergen  können. 

7.  Fedcrjlufj.  Wer  unschlüssig 
war,  wohinaus  er  gehen  sollte,  blies 
eine  Feder  in  die  Luft  und  folgte 
ihrer  Richtung;  man  fragte  deshalb 
den  Ausziehenden :  wohinaus  blast 
du  deine  Feder?  Die  Stadt  Lindau 
hatte  soweit  Recht  über  den  Boden- 
see, aU  der  runs  eine  feiler  in  den 
see  treibe/. 

8.  Lauf.  Zeit  und  Raum  werden 
nach  der  Bewegung  in  ihnen  ge- 
messen: so  lauge  Zeit,  dass  man 
eine  Meile  Weges  gegangen;  so 
weiter  Weg,  als  man  in  einer  Stunde 
gelaufen  wäre.    Wo  zwei  Läufer, 


von  entgegengesetzten  Punkten  zu 
derselben  Zeit  anhebend,  zusammen- 
s fassen,  da  wird  die  streitige  Grenze 
gesteckt;  dies  ist  der  Fall  in  der 
Sage  vom  Glarner  und  Urner  Laufer. 

9.  Land  umgehen ,  umpßügen, 
wodurch  Land  erworben  wird;  das 
Alter  dieser  Erwerbsart  erhellt  dar- 
aus, dass  ihrer  nicht  mehr  in  Ge- 
setzen, sondern  bloss  in  Sagen  Er- 
wähnung geschieht;  so  erzählt  die 
elsässisclie  Chronik  Königshofens: 
König  Dagobert  habe  dem  heiligen 
Florentius  so  viel  Land  geschenkt, 
als  er  mit  seinem  Eselein  umfahren 
könnte,  bis  der  König  gebadet  und 
sich  die  Kleider  angezogen  hatte. 
Heinrich  der  Weif  Hess  sich  von 
Ludwig  dem  Frommen  soviel  Lan- 
des verleihen,  als  er,  solange  der 
König  zu  Mittag  schliefe,  mit  einem 
goldenen  Pfluge  umackern  oder  mit 
einem  goldenen  Wagen  umziehen 
könnte. 

10.  JAind  bedecken  und  umreiten 
ist  ebenfalls  eine  bloss  in  der  Sage 
erhaltene  Massbestimmung,  nach 
welcher  soviel  Land  erworben  wer- 
den soll,  als  ein  gewisses  Mass  von 
Erde  oder  Samen  auf  dem  Felde 
bedecken  oder  die  Haut  eines  Tieres 
belegen  könne.  So  soll  Ludwig  der 
Springer  den  Berg,  wo  jetzt  die 
Wartourg  liegt,  von  den  Herrn  von 

i  Frankenstt  in  durch  folgende  List 
i  gewonnen  haben:  Aus  seinem  Grund 
und  Boden  Hess  er  nachts  Körbe 
voll  Erde  auf  jenen  Berg  tragen 
und  ihn  ganz  damit  beschütten. 
Hernach  fing  er  an  da  zu  bauen. 
Die  Herren  von  Frankenstein  klag- 
ten vor  dem  Reich;  Ludwig  be- 
hauptete, dass  er  auf  dem  Seinen 
baute;  es  ward  zu  Recht  erkannt, 
wenn  er  das  mit  zwölf  ehrbaren 
Leuten  erweisen  könnte,  hätte  er 
es  zu  gemessen.  Ludwig  nahm  zwölf 
Ritter,  trat  mit  ihnen  auf  den  Berg, 
sie  zogen  die  Schwerter  aus,  steckten 
sie  in  die  Erde  und  schwuren,  dass 
der  Graf  auf  das  Seine  gebaut  habe. 
—  In  der  Sage  von  der  Melusine 


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643 


erbittet  sich  Raimund  von  Bertram, 
Grafen  zu  Poitiers,  soviel  Land, 
Feld  und  Erdreich  an  Äckern  und 
Wiesen,  als  er  in  eine  Hirschhaut 
umschliessen  oder  urnfahen  könne. 
Sobald  die  Urkunde  hierüber  aus- 
gefertigt ist,  kauft  Kaimund  eine 
schöngegerbte  Hirschhaut  und  lässt 
daraus  einen  sehr  langen  und  dünnen 
Riemen  schneiden,  womit  er  ein 
grosses  Thal  umzieht 

11.  Ein  Joch  Ochsen  sind  das 
Mass  für  die  Höhe  von  Husch  und 
Gesträuch  auf  einem  Acker;  wenn 
das  letztere  nämlich  so  hoch  gewor- 
den ist,  dass  sich  zwei  Ochsen  darin 
verbergen  können,  oder  dass  zwei 
Ochsen  es  nicht  niederdrücken  kön- 
nen, so  fällt  der  Acker  der  gemei- 
nen Mark  anheim. 

12.  Durchschlüpfende  Tiere.  Es 
wird  ein  mit  Holz  oeladener  Wagen 
daran  gemessen,  dass  sieben  Hunde 
einen  Hasen  hindurch  jagen  mögen 
oderdasseine  Atzeil  Elster)  mitauurc- 
reckten  Ohren  hindurchrliegen  kann. 

13.  Mannes  Kraft  enthalt  beson- 
ders insofern  eine  Massbesrimmung, 
als  die  Fähigkeit  freien  Handelns 
danach  gemessen  wird,  ob  er  ver- 
möge zu  gehen  und  zu  reiten  oder 
frei  zu  stehen  ,  un gehabt  und  unae- 
staht,  d.  h.  ohne  dass  man  ihn  halte, 
unterstütze,  und  ohne  dass  er  sich 
eines  Stabes  bediene;  oder  bestimm- 
ter, ob  er  in  seinem  Kürass  von  der 
Erden  auf  ein  hengstmässiges  Pferd 
sitzen  kann. 

14.  Die  Starke  der  Hühner  wird 
danach  gemessen,  ob  sie  auf  einen 
dreibeinigen  Stuhl  oder  auf  eine 
Tonne  Hiegeu  können. 

15.  Schnelle  Handlung  wird  nach 
folgenden  Bestimmungen  gemessen: 
es  soll  einer  eine,  unaufschiebliche 
Handlung  verrichten,  bevor  er  sein 
Messer  unabgewischt  in  die  Scheide 
gesteckt  hat;  wenn  er  den  einen 
Schuh,  die  eine  Hose  ausgethan 
hätte,  soll  er  den  andern  Schuh  u.s.w. 
nieht  austhun,  sondern  wieder  an- 
ziehen und  die  Sache  verrichten. 


16.  Berechnung  nach  Gliedern 
des  Leibes,  je  nach  Länge,  Höhe, 
Ausspannung  kommt  oft  vor:  soviel 
man  in  der  Hand  mag  halten,  soviel 
Finger  man  auf  eine  Wunde  setzen 
kann;  Brot  oder  Käse,  so  gross, 
dass  man,  den  Daumen  in  der  Mitte 
haltend,  mit  gestreckten  Fingern 
einen  Umkreis  machen  kann;  eine 
Garbe  muss  so  gross  sein,  als  ein 
vollkommener  Mann  unter  dem  Arm 
zwischen  der  Hüfte  beklemmen 
kann,  den  Pferden  soll  man  Futter 
geben  bis  über  die  Naslöcher  und 
Stroh  bis  an  den  Bauch. 

Meier ■  ahd.  meiory  maior,  mhd. 
meier,  tneiger,  rillicus,  major,  heisst 
der  Vorgesetzte  eines  Landgutes 
oder  Hofes;  ihm  lag  die  Leitung 
des  Feldbaues  und  der  Einzug  der 
Gefälle  ob;  da  er  zugleich  bei  den 
Hofleuten  die  Obrigkeit  vertrat, 
suchte  er  sich  oft  der  Landwirt- 
schaft zu  entziehen  und  sich  allein 
mit  dem  Gerichtswesen  abzugeben. 
Je  nach  dem  Stande  des  Gutsherren 
konnte  auch  derjenige  des  Meiers 
ein  verschiedener  sein;  Edle  waren 
Meier  desKönigs,  FreiediederEdeln, 
Knechte  die  der  Freien.  Oft  wussten 
sie  sich  infolge  der  auf  ihnen  ruhen- 
den Amtsgewalt  entweder  in  einen 
höheren  Stand  erblich  zu  erheben, 
daher  es  im  Mittelalter  unter  den 
höfischen  Ministerialen  viele  Meier 
giebt,  z.  B.  die  Tschudi,  welche 
Meier  der  Abtei  Säckingen  über 
ihre  Unterthanen  in  Glarus  waren, 
oder  sie  wussten  mit  der  Zeit  das 
ihnen  anvertraute  Gut  erblich  an 
sich  zu  bringen;  später  betrachtete 
man  oft  das  Meieramt  als  Lehen. 

Meister,  sieben  weise,  heisst 
einein  den  Rahmen  einer  Erzählung 
gebrachte  Sammlung  von  Geschich- 
ten, die  ursprünglich  aus  Indien 
stammt  und  Gemeingut  der  arabi- 
schen, persischen,  türkischen,  syri- 
schen, hebräischen,  neugriechischen, 
französischen  und  deutschen  Litte- 
ratur  geworden  ist.  Die  älteste 
indische  Quelle  trägt  den  Namen 

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644 


Meistergesang. 


Pantschatantra ;  aus  ihr  fliessen 
ausser  den  sieben  weisen  Meistern 
die  Fabeln  des  Bidpai,  die  unter 
dem  Namen  Buch  der  Weisheit  der 
alten  Weisen  schon  1483  und  später 
sehr  oft  wiederholt  deutsch  gedruckt 
wurden;  sodann  die  Hitopaeuta  und 
die  Disciplina  elericalis.  Vgl.  Ben- 
fey,  Pantschatautra.  2  Bde.  Leip- 
zig 1859. 

Der  Rahmen  der  Erzählung  ist 
folgender:  Ein  Kaiser  hat  einen 
Sohn,  den  er  von  sieben  Meistern 
in  aller  Weisheit  unterrichten  lässt. 
Als  der  Jüngling  wieder  an  den 
Hof  berufen  wird,  zeigen  die  Ge- 
stirne Lebensgefahr  für  ihn,  wenn 
er  ein  Wort  rede.  Er  erscheint 
also  und  redet  nicht.  Seine  Stief- 
mutter, erst  in  Liebe  zu  ihm  ent- 
brannt, dann  verschmäht  und  wü- 
tend, dringt  auf  seine  Hinrichtung 
und  bewegt  den  Kaiser  jedesmal  mit 
einer  bezugvollen  Geschichte,  dass 
er  den  Tod  seines  Sohnes  befiehlt; 
einer  der  Meister  aber  bewirkt 
•  jedesmal  mit  einer  Gegenerzählung 
einen  Tag  Frist.  So  vergehen  sie- 
ben Tage,  nach  denen  die  Gefahr 
verschwunden  ist.  und  nun  entdeckt 
der  Prinz  die  Schmach  seiner  Stief- 
mutter, die  samt  ihrem  Buhlen  ver- 
brannt wird.  Erzählungen  sowohl 
als  die  Namen  der  Meister,  des 
Kaisers  und  des  Prinzen  wechseln: 
in  den  deutschen  Bearbeitungen 
heisst  der  Sohn  Diokletian,  der  Va- 
ter Prinzipian  oder  Poetion  oder 
Domitian;  der  Haupterzieher  heisst 
bald  Virgil,  bald  Syntigyas.  In 
deutscher  Sprache  hat  man  eine  im 
Jahre  1412  geschriebene  poetische 
Bearbeitung  dieses  Stoffes  unter  dem 
Namen  Diokletians  lieben  von  Hans 
dem  Büheler,  der  zu  Poppelsdorf 
bei  Bonn  lebte,  und  das  vielverbrei- 
tete Volksbuch  in  Prosa,  dessen 
ältester  datierter  Druck  aus  dem 
Jahre  1473  stammt. 

Meistergesang:.  Die  Entstehung 
der  Singschulen  Hegt  bis  jetzt  noch 
sehr  im  Dunkeln;  denn  wenn  sich 


auch  die  Meistersänger  des  10.  Jahrb. 
als  unmittelbare  Nachfolger  der 
Minnesänger  ausgaben,  so  lässt 
sich  bis  in  die  Mitte  des  15.  Jahrh. 
durchaus  keine  Singschule  nach- 
weisen; höchstens  kann  man  vor 
dein  genannten  Zeitraum  von  ein- 
zelnen Meistersängern  sprechen,  d.h. 
Leuten  bürgerlicher  Herkunft,  welche 
den  Beruf  des  Sängers  und  Dich- 
ters ergriffen  hatten  und  den  Ehren- 
namen Meister  trugen;  schon  in 
der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr- 
hunderts kommen  die  Namen  meister- 
singer,  meistersanc  und  meistersanges 
oraen  vor,  aber  nur,  um  Gesang  zu 
bezeichnen,  der  allen  als  Muster 
dienen  könne.  Die  schulmässige 
Erlernung  des  Dichtens  knüpft  sich 
an  den  Namen  Heinrichs  von  Meissen 
oder  Frauenlobs,  der  1317  oder  1318 
zu  Mainz  starb  und  von  Frauen  in 
die  Abside  des  Domes  zu  Grabe 
getragen  wurde;  er  mit  Heinrich 
von  Müglin,  Klingsor,  dem  starken 
Popp,  Walther  von  der  Vogclweide, 
Wolfgang  Röhn,  Ludwig  Marner, 
Bart  hei  Hogenbögen,  Römer  von 
Zwickau,  Konrad  (Teiger,  dem  Kanz- 
ler aus  der  Steiermark  und  dein 
Alten  Steffan  soll  nach  einem  Meister- 
gesang des  16.  Jahrhunderts  der 
Stifter  der  Singschule  gewesen  sein, 
zur  Zeit  Otto  I.!  Aber  weder 
Frauenlob  noch  seine  Nachfolger 
kannten  das  Institut  der  Singscnu- 
len;  diese  findet  man  viclmcnr  als 
geschlossene  Gesellschaften  nach 
dem  Vorbilde  der  Zünfte  nicht  vor 
der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  und 
zwar  zuerst  in  Oberdeutschland,  in 
Mainz,  Strassburg,  Kolmar,  Frei- 
burg, dann  in  Augsburg,  Nürnberg, 
Ulm,  Regensburg,  Memmingen;  fer- 
ner in  Österreich ,  östlich  bis  nach 
Schlesien  hin  in  Görlitz  und  Dan- 
zig.  Es  scheint,  dass  neben  dem 
Zunftwesen,  welches  namentlich  die 
Teilung  der  Gesellschafter  in  Lehr- 
linge, Gesellen  und  Meister  vorbil- 
dete, auch  die  Scholastik  der  Uni- 
versitäten auf  die  Schulen  wirksam 


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Meistergcs  ang. 


645 


war.  Es  war  dabei  aufs  Singen 
und  aufs  Dichten  abgesehen.  Die 
ersten  Aufzeichnungen  der  Gesell- 
schaftsordnungen ,  Tabulatur  ge- 
nannt, stammen  aus  dem  16.  Janr- 
huudert.  Jedes  Gedicht  ist  nach 
der  Tabulatur  der  Nürnberger  Sing- 
schule ein  Lied,  d.  h.  strophisch  ge- 
baut und  für  den  Gesang  bestimmt, 
in  der  Kunstsprache  ein  liar  ge- 
nannt. Dasselbe  ist  nach  dem  Ge- 
setze der  höfischen  Kunst  dreiteilig, 
besteht  aus  Stollen,  Gegenstollen 
und  Abgesang,  die  einer  dreiteiligen 
Gliederung  der  Melodie  entsprechen; 
die  Strophe  heisst  (iesnlz,  Strophe 
und  Melodie  ein  Ton-,  die  Ver- 
schlingung der  Verse  und  die  An- 
zahl der  zu  einem  Gcsätz  verwen- 
deten Verse  ist  überaus  künstlich, 
die  letztere  geht  manchmal  über 
1(K)  Zeilen  hinauf.  Die  einzelnen 
Verse  werden  ausschliesslich  nach 
der  Zahl  der  Silben,  ohne  Beach- 
tung ihres  Wertes,  gemessen;  ihre 
Zahl  soll  nicht  über  dreizehn  stei- 
gen, ,.weil  maus  am  Atem  nicht 
haben  kann,  mehr  zu  singen".  Um 
die  künstlichen  Gesätze  und  Töne 
herauszubringen,  gestattete  man  sich 
anfangs  die  abscheulichste  Willkür 
in  der  Behandlung  der  Sprache, 
gebrauchte  verschiedene  Mundarten 
nebeneinander,  feilte  an  den  Wör- 
tern, hieb  Silben  einfach  weg  oder 
veränderte  sie.  Dagegen  wurden 
nun  freilich  in  der  Tabulatur  Ver- 
bote erlassen.  Als  Fehler  werden 
hier  aufgeführt  die  Milbe,  wenn  der 
letzte  Buchstabe  eines  Wortes,  das 
Halbwort,  wenn  eine  ganze  Silbe 
weggeworfen  wird:  wir  singe,  wir 
sage;  Anhang  heisst  eine  willkür- 
liehe Verlängerung  des  Wortes; 
KUbtiihe  das  Zusammenziehen  eines 
zweisilbigen  Wortes  in  eine  Silbe: 
gtan  für  getan;  Differenz  das  will- 
kürliehe Umstellen  der  Laute:  Deib 
für  Dieb.  Der  Vortrag  darf  nur 
gesangsweise  geschehen,  jedoch  ohne 
alle  musikalische  Begleitung.  In 
Bezug  auf  den  In  ha It  waren  falsche 


Meinungen  streng  verpönt,  d.  h. 
„alle  falsche,  abergläubische,  schwär- 
merische, uuchristliehe  und  unge- 
gründete Lehren,  Historien,  Exem- 
pel  und  schändliche  und  unzüchtige 
Wörter,  die  der  reinen,  seligmachen- 
den Lehre  Jesu  Christi,  gutem 
Leben,  Sitten,  Wandel  und  Ehrbar- 
keit zuwiderlaufen".  Vor  der  Refor- 
mation waren  es  namentlich  die 
Fragen  der  scholastischen  Theo- 
logie, über  die  unbefleckte  Empfäng- 
nis u.  dgl.  gewesen,  was  in  den 
Schulen  behandelt  wurde,  seit  der 
Reformation  der  Inhalt  der  Schrift. 

Die  Gesellschaftsmitgliedcr  wur- 
den eingeteilt  in  ifchüler  .,die  die 
Tabulatur  wissen",  Dichter,  die 
nach  fremden  Tönen  ein  Lied  zu 
machen  imstande  sind,  und  Meister, 
die  einen  neuen  Ton  erfunden  ha- 
ben. Der  angehend«'  Schüler  wählt 
sich  einen  Meister,  der  die  Lehre 
übernimmt;  ist  er  weit  genug  vor- 
geschritten, so  stellt  ihn  dieser  der 
Gesellschaft  vor,  welche  nach  vor- 
hergehender Prüfung  und  Verpflich- 
tung auf  die  Zunftstatuten  seine 
Aufnahme  verfügt.  Hat  er  sich 
„zu  Ehr  und  Vorteil  der  Gesell- 
schaft gehalten"  und  Proben  seiner 
Geschicklichkeit  abgelegt,  so  kann 
er  auf  Freisprechung  antragen. 
Diese  wird  in  uen  Singschulen  voll- 
zogen, welche  öffentlich  gehalten 
werden  und  mit  denen  Preisvertei- 
lungen verbunden  sind.  In  Nürn- 
berg wurde  der  dazu  bestimmte  Tag 
durch  Anschlagtafeln  bekannt  ge- 
macht. In  der  Kirche  zu  St.  Katha- 
rinen stand  dann  neben  der  Kanzel 
der  „Schaustuhl"  für  die  Siingcr, 
vor  dem  Chor  ein  mit  Vorhängen 
verschlossenes  Gerüste,  das  Gemerk. 
Auf  diesem  nehmen  die  Merker 
|  Platz,  die  Vorsteher  der  Zunft,  denen 
die  Aufrechterhaltung  der  Tabula- 
tur, das  Urteil  und  die  Zuerkennung 
der  Preise  obliegt.  Dann  beginnt 
zuerst  das  „Freisingeu",  bei  wel- 
chem kein  Preis  zu  gewinnen  ist, 
darauf  nach  einem  gemeiuschaft- 


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G46 


Melusine.  —  Merseburger  Zauberlieder. 


liehen  erbaulichen  Gesänge  das 
„Hauptsingen"  um  die  Ehrenkette, 
um  einen  Kranz  von  künstlichen 
Blumen  und  selbst  um  Gold,  wel- 
ches ein  Gönner  der  Gesellschaft 
ausgesetzt  hat  oder  das  am  Ein- 
gänge der  Kirche  gesammelt  wor- 
den ist.  Die  Merker  urteilen  auch 
über  die  Aufnahme  eines  neuen 
Meisters,  nachdem  dieser  einen  Mei- 
sterton erfunden  hat;  derselbe  wird 
unter  Assistenz  von  zwei  Gevattern 
auf  ,, einen  ehrlichen  Namen"  ge- 
tauft und  zu  ewigem  Gedächtiii*  in 
das  Meisterbuch  eingeschrieben.  Die 
Feier  sch Messt  mit  einem  Gelage 
auf  der  „Zeche",  dem  gewöhnliehen 
Versammlungsorte  der  Zunft,  wobei 
der  Gewinner  des  Kranzes  die  Auf- 
wartung zu  besorgen  hat.  Ein  Mei- 
ster durfte  seine  Kunst  nur  neltcn 
dem  Handwerk  treiben  und  sollte 
sie  nicht  durch  gewinnsüchtigen 
Betrieb  entweihen.  Der  Schüler 
hatte  zu  geloben,  ,,dass  er  kein 
Meisterlied  oder  Ton  auf  öffent- 
licher Gasse,  auch  nicht  bei  Ge- 
lagen und  Gastereien  hören  lassen 
wolle".  Die  Handwerke,  welche 
dem  Meistergesang  am  meisten  zu- 
gethau  waren,  sind  Schuhmacher, 
Kürschner  und  Weber.  Die  Nürn- 
berger Schule  erhielt  sich  bis  tief 
ins  18.  Jahrhundert;  in  Ulm  löste 
sich  die  noch  aus  vier  Meistern  be- 
stehende Singsehule  I8't9  auf  und 
setzt«'  den  Liederkranz  zum  Erben 
ihres  Eigentums  ein. 

Eine  bleibende  Wirkung  auf  die 
Eutwickclung  der  deutschen  Dicht- 
kunst hat  der  Meistergesang  kaum 

gehabt,  er  war  eine  Art  von  Fort- 
ildungsschule  für  Handwerker;  nur 
eine  einzige  Schule  kam  zu  höherem 
Ansehen,  diejenige  von  Nürnberg, 
aber  auch  nur  durch  Hans  Sachs. 
Doch  beruhte  auch  dieses  Mannes 
Ruhm  nicht  auf  seinen  zahlreichen 
Meisterliedern;  er  hat  deren  über 
4000  verfasst,  von  denen  zu  seinen 
Lebzeiten  keine  gedruckt  worden; 
was  von  ihm  durch  den  Druck  ver- 


breitet wurde,  sind  nur  ausser  der 
Schule  entstandene  Spruch-  und 
dramatische  Dichtungen.  Erst  Qoe- 
dekr  hat  im  ersten  Feile  der  von 
ihm  herausgegebenen  ,. Dichtungen 
von  Hans  Sachs,  Leipzig  1870**, 
159  Meisterlieder  gesammelt  und 
herausgegeben.  Siehe  Goedrke  und 
Tittmann,  Liederbuch  aus  dem  16. 
Jahrhundert,  Einleitung  zu  den 
Meisterliedern,  Wackcrnagel,  Lite- 
raturgeschichte, und  ( ioedtk'esGmnd- 
riss  §  139. 

Melusine  ist  die  Heldin  einer 
ursprünglich  keltischen  Feensage. 
Eine  Tochter  des  Königs  von  Alba- 
nien und  einer  Meeruymphe,  an 
Gestalt  von  ausserordentlicher  Schön- 
heit, musste  sie  an  gewissen  Tagen 
Fisch-  oder  Nixengestalt  annehmen. 
Einst  überraschte  sie  trotz  ihrer 
Warnung  ihr  Gemahl  in  dieser  Ge- 
stalt, worauf  sie  verschwand  und 
nun  in  dein  Turm  des  von  ihrem 
Gemahl  erbauten  Schlosses  die  Kollc 
der  weissen  Frau  übernahm.  Jean 
d' Arras  verfasste  danach  gegen  Ende 
des  14.  Jahrhunderts  ein  lateinisches 
Gedieht,  das  im  15.  Jahrhundert 
in  französische  Prosagebracht  wurde ; 
daraus  übersetzte  der  Berner  Thü- 
ring  von  Kingoltingen  145G  das 
deutsche  Volksbuch,  das  seit  1474 
oft  gedruckt  worden  ist. 

Merseburger  Zauberlieder 
heissen  zwei  in  einer  Handschrift 
der  Bibliothek  des  Domkapitels  zu 
Merseburg  (daher  der  Name)  ge- 
fundene Zaubersprüche  aus  altger- 
manischer Zeit,  die  zwar  erst  im 
10.  Jahrhundert  aufgesehrieben  wur- 
den. Der  eine  soll  den  verrenkten 
Fuss  eines  Pferdes  heilen,  der  an- 
dere die  Fesseln  eines  Kriesgefangc- 
nen  durch  die  im  Spruche  liegende 
Zauberkraft  lösen.  Beide  Sprüche 
zählen  zu  den  wichtigsten  Denk- 
mälern der  ältesten  Periode  unserer 
Litteratur.  Vergleiche  namentlich 
den  Exkurs  in  Müllenkoff"  und 
rer,  Denkmäler  deutscher 
und  Prosa. 


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Messen.  —  Miniaturmalerei. 


647 


Messen  in  merkantiler  Bedeutung 
sind  Jahrmärkte,  die  sich  durch  die 
religiöse  Anziehungskraft  der  sie 
veranlassenden  Kirchenfeste,  durch 
politische  Bedeutsamkeit  oder  gün- 
stige geographische  Lage  des  Markt- 
ortes, stets  aber  unter  dein  Einflüsse 
königlicher  Gnadenbriefe  zu  einer 
höheren  Gattung  entwickelt  haben. 
Der  Name  messe,  anfänglich  regel- 
mässig mit  der  alten  Bezeichnung 
/usammengebraucht:  ja  messe  und 
merkte,  mesyund jarmerkte ,  ist  seit 
dem  14.  Jahrhundert  nachgewiesen. 
Wo  Messen  überhaupt  vorkommen, 
gab  es  deren  regelmässig  mehrere 
oes  Jahres.  Gegenüber  den  Jahr- 
märkten zeigt  die  Messe  ein  Über- 
wiegen des  Fremden- Elementes.  Der 
Ausländerverkehr  wurde  durch  die 
von  den  Kaufleuten  einer  oder 
mehrerer  benachbarter,  geschäftlich 
verbundener  Städte  nach  den  Messe- 
ortengesellschaftlich  unternommenen 
Messtahrtcn  vermittelt  und  durch  die 
höchstmöglicheStcigcrungdesMarkt- 
friedeni  (siehe  den  Art.  Markt)  zur 
Messefrei /teil  gefördert;  das  letztere 
war  der  Fall,  wenn  der  betreffende 
Stadtherr  seinen  Schutz  für  Leib 
und  Gut  auch  auf  den  Fall  aus- 
dehnte, das«  er  mit  der  Landes- 
herrschaft, aus  deren  Gebiet  die 
fremden  Kaufleute  gekommen,  in 
offener  Fehde  begriffen  sein  sollte. 
Die  Messe  war  sodann  vorherrschend 
dem  Samptkauf,  d.  i.  dem  Menge- 
handel zugewandt,  sodass  darauf 
hauptsächlich  Kaufleute  mit  Kauf- 
leuten verkehrten,  in  ganzen  Wagen- 
und  Schiffsladungen,  Säumen  u.  dgl. 
Die  hauptsächlichsten  Grosshandeis- 
waaren  sind  Salz,  Getreide,  Wein, 
Seidenstoffe;  und  bessere  wollen« 
zeuge,  Buntwerk  i Felle),  Gewürze, 
namentlich  Pfeffer  und  Saffi  an.  Die 
Messe  hatte  eine  längere  Zeitdauer 
als  der  gemeine  Jahrmarkt;  schon 
das  uralte  Messe- Vorbild,  der  Dago- 
bertsehe Markt  von  Saint  -Denys 
1 629 ),  erstreckte  sich  über  vier 
Wochen;  die  deutschen  Messen  um- 


spann t e 1 1  eine  bis  vier  Wochen.  Die 
Messe  beschränkte  sich  nicht  auf 
den  Raum  des  Marktplatzes,  sondern 
breitete  sich  von  diesem  über  die. 
sämtlichen  einmündenden  Strassen, 
ja  häufig  über  weitere  ganze  Stadt- 
teile aus.  Nach  (1  engl  er,  Deutsche 
Stadtrechts-Altcrtümer.    Kap.  !». 

Messer,  auch  Gnippe,  kneif, 
kneip.  Die  Sitte,  neben  dem  Schwert 
noch  ein  Messer  als  Stoss-  oder 
Stichwaffe  zu  tragen,  geht  in  die 
früheste  Zeit  zurück.  Sehr  häutig 
finden  sie  sich  z.  B.  schon  in  den 
merowingischen  Gräbern  und  zwar 
in  der  Länge  von  10—11  Zoll,  £anz 
oder  bis  zur  Hälfte  zweischneidig. 
Die  Messer  wurden,  besonders  von 
den  südländischen  Völkern,  auch 
gern  geworfen. 

Tischmesser  zum  Vorschneiden 
der  Speisen  kommen  in  schriftlichen 
Nachrichten  auch  schon  früh  vor, 
ebenso  auf  Bildern.  Schon  die  St. 
Galler  Mönche  erwähnen  kleiner 
Tischincs8ercheu.  Tiscbmesser  und 
Gabeln  für  den  Gebrauch  jedes.ein- 
zeluen  Tischgenossen  kommen  erst 
im  IG.  Jahrhundert  in  Aufnahme. 

Met,  ahd.  mefu,  mhd.  mete  oder 
met,  ist  ein  uraltes  Getränk  der 
Germanen  und  blieb  mit  dem  Bier 
bis  tief  ins  Mittelalter  das  üblichste 
Getränk;  es  wurde  aus  gegorenem 
Honi^wasser  erzeugt,  wobei  man  im 
13.  Jahrhundert  auf  zwölf  Teile 
Wasser  einen  Teil  llouig  rechnete. 

Minderbrlider,  siehe  Franzis- 
kaner. 

Miniaturmalerei.  Unter  Mi- 
niatur versteht  man  die  Aus- 
schmückung geschriebener,  nicht  ge- 
druckter Bücher,  durch  Bilder,  Rand- 
zeichnungen,  Zierbuchstaben.  Die 
Miniatur  steht  deshalb  im  engsten 
Zusammenhange  mit  derKalligraphie. 
Der  Ausdruck  „miniatur" stammt  von 
minium  (ahd.  minig),  einer  roten 
Farbe,  welche  die  mittelalterlichen 
Maler  meist  aus  Bleiglätte  herstellten 
j  und  zur  Verzierung  der  grossen 
,  Buchstaben  oder  zur  Bezeichnung 


048 


Miniaturmalerei. 


von  Wangen  und  Lippen  oder  auch 
der  Gewänder  der  menschlichen  Ge- 
stalten anwandten.  Die  Technik  der 
Miniaturmalerei  int  je  nach  der  Zeit 
verschieden.  Die  iiitesten  bekannten 
Miniaturen  seheinen  in  der  Waehs- 
inalerei  ausgeführt  zu  sein,  wobei 
die  Farben,  mit  einer  zusammen- 

Cichmolzcnen  Mischung  von  Wachs, 
Oge  uud  Leim  versetzt,  heiss  auf- 
getragen und  nachträglich  geglättet 
wurden.  Später  wurden  die  Farben 
in  der  Regel  mit  Ei  weiss,  Eigelb 
oder  Leim  angemacht.  Das  Gold 
wurde  bald  als  Blattgold,  bald  mit 
dem  Pinsel  aufgetragen.  Im  enteren 
Falle  bildet  es  in  der  Regel  den 
Grund  der  Malerei.  —  Man  schrieb 
und  malte  auf  Pergament  oder  Baum- 
wollenpapier. Erstcres  bereiteten  die 
Mönche  selbst  aus  Schafs-  oder 
Kalbshaut ,  letzteres  fperyame/ia 
qi  at  ca,  carta  bamhagnia)  wurde  aus 
dem  Orient  bezogen.  Die  Vor- 
bereitungen zum  Malen  waren  man- 
nigfach. Vorerst  wurde  das  Per- 
gament mit  dem  Staub  von  Tinten« 
fiscfiknochen  grundiert,  dann  mit 
einem  Zahnrade  die  Abstände  der 
Schriftlinien  festgestellt.  Zum  Ent- 
werfen der* Zeichnung  bediente  man 
sich  eines  Silberstittes  oder  einer 
Mischung  aus  zwei  Teilen  Blei  und 
einem  Teil  Zinn.  Mit  Kielfeder  und 
Tinte,  einer  Mischung  von  Lampen- 
russ  und  Gummi,  zog  man  die  Um- 
risse nach,  mit  dem  Pinsel  von  Eich- 
h  öm  c  he  n  haaren  und  verdünnter 
Tinte  wurden  die  Schatten  angelegt. 
Den  Grund,  sofern  er  nicht  weiss 
gelassen  wurde,  färbte  man  oft  pur- 
purrot, seltener  grün  oder  blau. 
War  die  Schrift  und  Malerei  fertig  auf- 
getragen, so  glättete  man  die  Fläche 
mit  den»  Brunierstein  oder  Brunier- 
zahn  (Zahne  von  fleischfressenden 
Tieren  oder  Edelsteine:  ,je  edler, 
desto  besser").  Den  Schreibern 
(»rriptorc»  et  pictoret)  war  im  Kloster 
ein  eigener  abgetrennter  Raum,  das 
Scriptorium,  vorbehalten;  entweder 
lag  ihnen    ein  Original  vor  oder 


der  Armaiius  diktierte.  Was  ge- 
schrieben werden  sollte,  bestimmte 
der  Abt. 

Das*  schon  bei  den  Alten  das 
Illustrieren  von  Handschriften  durch 
bildliche  Darstellungen  vorgekom- 
men ist,  wissen  wir  aus  der  Er- 
zählung des  Plinius  von  den  grie- 
chischen Ärzten  Cratenas,  Dionysius 
und  Metrodorus,  welche  ihren  Ab- 
handlungen über  die  Eigenschaften 
der  Pflanzen  deren  Abbildungen  bei- 
fügten. Ähnlich  begann  man  früh 
schon  die  heiligen  Schriften  der 
Christen,  vornehmlich  die  des  alten 
Testaments  auszuschmücken;  ähn- 
liche Werke  byzantinischen  Stiles  aus 
dem  ersten  Jahrtausend  unserer  Zeit- 
rechnung sind  zahlreich  vorhanden. 

Während  im  byzantischen  Reiche 
die  Miniatur  ursprünglich  Gemälde, 
den  Büchern  eingefügt,  war  und  erst 
im  Laufe  der  Zeit  die  Ornamentation 
der  Schriftziige  selbst  hinzukam, 
nahm  die  Sache  im  Abendlande  den 
umgekehrten  Verlauf.  Den  Mön- 
chen kam  es  vor  allem  darauf  an, 
durch  Abschreiben  ihre  Klöster  in 
den  Besitz  der  heiligen  Bücher  zu 
bringen.  Nach  und  nach  erst  kamen 
die  Schreibkünstler  dazu,  durch 
grossere,  verzierte  Anfangsbuch- 
staben ihre  Schrift  auszuzeichnen. 
Kunstwerke  früherer  Epochen  stan- 
den ihnen  nicht  zu  Gebote,  deshalb 
mussteii  die  Tier-  und  Prlanzen- 
formen  ihrer  unmittelbaren  Um- 
gebung ihnen  die  Vorbilder  liefern. 
Aus  der  Kalligraphie  ging  aber  zu- 
gleich eine  streng  ornamentale 
Malerei  hervor.  Die  Zeichner  hatten 
kaum  die  Absicht,  die  Vögel.  Fische, 
Sehlangen,  Blätter  und  Blütenzweige 
naturgetreu  wiederzugeben,  selbst 
die  menschliche  Gestalt  musste  sich 
die  freieste  Behandlung  und  $e  Um- 
Wandlung  zum  Ornament  gefallen 
lassen. 

Irland  ist  die  Heimat  dieser 
frühesten  abendländischen  Malerei, 
und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  der 
Stil    und    die    Malertechnik  von 


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Miniaturmalerei. 


640 


Alexandria  aus  nach  Irland  durch 
Einwandern  ägyptischer  Mönche  ge- 
kommen und  von  der  keltischen  Be- 
völkerung später  eigentümlich  fort- 
gebildet worden  int.  Von  den  irischen 
Klöstern  ist  diese  Ornamentation  zu- 
förderst auf  englische  übergegangen. 
Ein  charakteristischer  Zug  der  iri- 
schen Manuskripte  besteht  darin, 
dass  die  Buchstanen  der  ersten  Zeile 
eines  Abschnittes  viel  grösseres  For- 
mat haben  als  die  übrigeu.  Zudem 
überragt  der  eigentliche  Initiale 
seine  Nebenmänner  um  ein  bedeu- 
tendes. Auf  die  erste  Zeih'  pflegen 
sich  auch  die  Zierraten  zu  beschrän- 
ken. Säume  von 
roten  Tupfen  um 
die   Initialen  sind 


manusenpts  geliefert,  auf  welches 
Werk  verwiesen  sei.  Einen  grossen 
Schatz  altirischer  Manuskripte  be- 
sitzt die  Bibliothek  des  ehemaligen 
Klosters  zu  St.  Gallen  (siehe  Bahn: 
Das  Pmlterium  Aureum  von  St.  Gal- 
len 1878).  In  den  noch  zahlreich  er- 
haltenen Werken  der  späteren  Zeit 
zeigt  sich  oft  eine  sonderbare  Ver- 
schmelzung des  irischen  Stils  mit 
dem  byzantinischen,  so  im  Evan- 
geliarium  der  Trierer  Dombibliothek 
und  in  demjenigen  der  Bibliothek  zu 
I  Boulogne.  Die  Zeichnung  der  Fi- 
guren ist  durchgängig  besser,  das 
Ornament  dagegen  weniger  zierlich ; 

die  spezifischen  Ele- 
mente desselben, 
die  Kombination 


die  ersten  schlich- 
ten Versuche,  ma- 
lerischen Schmuck 
anzubringen.  Dann 
wird  der  Körper 
der  mit  schwarzer 
Tusche  ausgeführ- 
ten Buchstaben  mit 
einem  verschlunge- 
neu Linicttorna- 
lnent  in  weisser 
Farbe  ausgestattet, 
die  einzelnen  Bal- 
ken der  Buchstaben  erhalten  Köpfe  j  worden  zu  sein 


Fig. 


von  Vögeln  oder  Reptilien;  in 
den  Winkeln  und  sonstigen  Zwi- 
schenräumen siedeln  sich  Vögel, 
Schlangen,  Drachen  u.  dgl.  an,  um- 


von  Linien,  Win- 
keln, Spiralen,  Rie- 
men u.  s.  w.  ver- 
schwinden nach 
und  nach  gänzlich. 
Fig.  96. 

Von  den  Bewoh- 
nern des  Festlan- 
des scheinen  beson- 
ders die  aus  Tieren 
zusammengesetzten 
Buchstaben  mit 
Begier  aufgegriffen 
Zeugnisse  hierfür 
besitzen  die  Bibliotheken  zu  Laon, 
Stuttgart,  München,  St.  Gallen  und 
Paris.  In  den  Ländern  Nordeuro- 
pas  datieren   die   ältesten  Denk- 


90.  Initial  aus  einem  Missale 
de*  8.  Jahrhunderts. 


geben  von  oder  verflochten  mit  dem  mäler    aus    der    Zeit    Karls  des 

auf  das  sinnreichste  geführten  Band-  Grossen.    Altchristliche,  noch  von 

oder  Riemenwerk.   Die  Farben  sind  antiker  Tradition  lebende  und  by- 

mit  starken  Bindemitteln  angemacht  zantinische  Vorbilder    und  häufig 

und  dadurch  vor  dem  Verblassen  auch  der  Einfluss,  der  aus  Irland 

geschützt.  Als  Boten  des  Christen-  gekommenen  Mönche  lassen  sich  in 

tums  bereisten  diese  Irliinder  nach-  den     noch     höchst  unbeholfenen 


mals  das  ganze  Europa;  mit  ihuen 
zog  zugleich  ihre  Schreib-  und 
Illuminierkunst  in  die  Welt  hinaus. 
Die  umfassendste  Arbeit  über  die 
Miniaturen  dieser  Schule  hat  J.  O. 
Westwood  in  seinem  Werke:  /''(Be- 


zeichnungen erkennen. 

Die  Farben  selbst  gewinnen 
eine  feste  symbolische  Bedeutung. 
Bei  ihrer  Verteilung  leitet  mehr  ein 
allgemeines  Gesetz  der  Harmonie 
als  die  Rücksicht  auf  die  Natur, 
/timiles  of  the  Miniaturen  and  orna-  und  es  ist  nicht  selten,  dass  Haare 
ment*  of  Amjlo   Saxon   and  Irhh  und  Bart  grün  oder  blau  gefärbt 


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650 


sind,  wenn  es  gerade;  passt  Als 
das  älteste  Werk  der  karoliugischen 
Epoche  gilt  das  Evangelistarium 
des  Godeslae,  welches  auf  Befehl 
Karls  des  Grossen  Angefertigt 
wurde.  Mit  dem  grössten  Luxus 
ausgestattet,  erscheint  die  Schrift  in 
Gold  und  Silber  auf  purpurfarbigem 
Pergament.  Fig.  97.  Zu  grosser 
Selbständigkeit  erheben  sich  die 
Miniaturen  des  9.  Jahrhunderts. 
Bisher  bewegten  sich  die  Künstler 
innerhalb  eines  sehr  engen  Kreises 
der  Darstellungen,  nun  aber  unte  r- 
nehmen sie  es, 
die  im  Text  er- 
zählten Vorgänge 
bildlich  wieder- 
zugeben, anfäng- 
lich   in  kleinen 

Zeichnungen, 
welchen  die  Ini- 
tialen als  Rah- 
mendienten, nach 
her  als  freie 
Kompositinn  in 
grossen  Bildern. 
Auch  die  Farben  • 
gebung  wird  we- 
niger hart ;  der 
Maler  bemüht 
sich  zu  modellie- 
ren ,  zum  Teil 
nach  dem  Vorbild 
der  Byzantiner 

mit  grünlichen  Schatten,  zum  Teil 
aber  auch  nach  der  Natur  mit  eigen- 
tümlicher Anwendung  goldener  Lich- 
ter in  den  Gewändern.  Hierhergehört 
nebst  anderen  die  Wessobrunner 
Handschrift  ( Hofbibliothek  Mün- 
chen), das  Evangeliarium  Lothars 
und  die  Bibel  Karls  des  Kahlen, 
das  reichste    aller  dieser  Werke. 

Auch  in  der  Folgezeit,  der  ro- 
manischen, verleugnet  die  Miniatur- 
malerei keineswegs  die  Anlehnung 
an  die  Antike,  wie  sie  durch  die  alt- 
christliche Kunst  überliefert  war.  In- 
dessen geht  die  Pflege  der  Kunst 
mit  «lein  Erlöschen  der  karolingi- 
schen   Herrschaft  von  Frankreich 


07.   Aus  dem 

ftodefdac.  H 


auf  Deutschland  über.    Die  Künst- 
ler sind  nach  wie  vor  Klostergeist- 
liche, aber   Auge   und   H:md  der 
deutschen  Maler  erweist  sich  noch 
als  ungeübter  und  ungelenker,  und 
das  Bestreben,  mit  der  Tradition 
die  Anschauung  der  Natur  zu  ver- 
binden, Bewegung  und  Ausdruck 
in  die  Zeichnung  zu  legen,  verleiten 
dieselben   zu  Üoertreibungen  und 
Verzerrungen.     Die  Gesichter  er- 
halten  eine  fahle,  selbst  grünliche 
Farbe,  die  im  Verein  mit  dem  Ila- 
geren, Eingefallenen,  den  laugge- 
©  <0     ^<r^\      streckten  Gestal- 
«nt'^t^^^j)      ten  und  den  leb- 
los schematichen 
Gewändern  die- 
sen Arbeiten  ei- 
nen bei  aller  Far- 
benpracht doch 
tristen,  abschrek- 
kenden  Aus- 
druckgeben. Un- 
ter den  Werken 
des  10.  Jahrhun- 
derts    hat  das 

Evangeliarium 
des  Bischofs  Eg- 
bert von  Trier 
in  der  dortigen 
städtischen  I5i- 
Kvangclistarium  dos  bliothek  grosse 
Jahrhundert.  Bedeutung.  Die 

Evangelisten  er- 
scheinen auf  violettem,  gold ver- 
ziertem Teppicherund,  grossartig 
feierlich  in  Haltung  und  Aus- 
druck. Der  byzantinisierende  Stil 
ist  besonders  ausgedrückt  in  den 
Miniaturen,  welche  Heinrich  II. 
für  das  Domstift  Bamberg  an- 
fertigen lies«.  Die  Zeichnung  ist 
konventionell,  halbverstandencn  Vor- 
bildern ohne  Rücksicht  auf  die 
Natur  nachgeahmt.  Im  weiteren 
j  Verlauf  des  11.  Jahrhunderts  be- 
mächtigt sich  eine  manieristische 
Entartung  des  Stiles,  die  in  seltsam 
verschrobenen  Körperformen,  wirren 
Gewandmotivenundoft  in  abstossen- 
der  Hasslichkeit  sich  geltend  macht 


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Miniaturmalerei. 


651 


und  den  tiefsten  Verfall  der  Kunst  ver-  ben  und  mit  zahlreichen  Abbildun- 

rät.  Fig.  98  (Kunsthist. Bilderbogen),  gen  versehen  hat,  denen  ein  viel- 

Von  der  Mitte  des  12.  Jahrhuii-  taches  Eingehen   auf   Natur  und 

derf.-  au  nimmt  die  Hildung  eines  Leben  einen  naiven  Reiz  verlieh, 

selbständigen    germanischen  Stiles  Von    der    freien,  schwungvollen 

ihren  Ausgang.    Eine  Kunst,  welche  Phantastik,  die   in   den  Randver- 

in  so  inniger  Beziehung  zur  Litte-  zierungen  und  Initialen  ihr  heiteres 

ratur  stand  wie  die  Miniaturmalerei,  Spiel  treibt,  geben  drei  Passionale 

konnte  ja  von  dem  Aufschwünge,  aus  dem  Kloster  Zwiefalten  ( Biblio- 


welchen  die  Poesie  in  Deutschland 
nahm,  nicht  unberührt  bleiben.  Die 
heiligen  Schriften  gaben  der  Malerei 
nicht  mehr  allein 
Stoff  und  Anre- 
gung; Legenden, 
Heldengedichte, 

I>oetische  Erzieh- 
ungen, Tiersagen 
und  Minneiie- 
der  eröffnen  dem 
Künstler  ganz 
neue  Welten.  Und 
mit  den  Gegen- 
ständen geht  auch 
die  Ausübung  der 
Kunst  aus  dein 
ausschliesslichen 
Besitz  der  Geist- 
Ucben  in  Laien- 
hände über.  Die 
Tracht  der  Zeit 
spiegelt  sich  deut- 
lich in  den  Male- 
reien wieder;  in 
Gesicht  und  Kör- 
perbildung  weicht 
der  byzantinische 
Typus  mehr  und 
mehr    einem  nationalen. 


thek  in  Stuttgart)  mehrfach  glän- 
zende Beispiele.  Die  Gestalten  sind 
in  roten  nud  schwarzen  Federzeich- 
nungen, zum  Teil 

auf  farbigem 
Grund  abgebil- 
det, dabei  sind 
die  nackten  Teile 
stets  in  roten  Um- 
rissen gehalten. 
Für  das  Studium 
des  Zeitkostüms 
namentlich  wich- 
tig sind  die  Mi- 
niaturen zu  Hein- 
rich von  Veldecks 
„Eneit"  in  der 
Bibliothek  zu  Ber- 
lin, insgemein 
ohne  Ausmalung. 
Dieselbe  Biblio- 
thek besitzt  eine 
aus  dem  13,  Jahr- 
hundert datieren- 
de, in  neugoti- 
schen Minuskeln 

geschriebene 
Kopie  des  Lebens 
.der    Maria  von 
Tegernsee.  Umge- 


98.    David.    Au»  dem  Psalter 
des  Notker  Labeo. 

Starke  Werinher  von 


schwarze  Umrisse  werden  auch  jetzt  kehrt  erscheinen  hier  die  Gewänder 


noch  beibehalten,  wie  auch  die 
phantastischen  Verschlingungen  an 
irische;  Initialen  erinnern;  die  Mo- 
tive aber  werden  der  Pflanzen-  und 
Tierwelt  entlehnt,  und  in  den  Zü- 


in  roten,  die  nackten  Teile,  in  schwar- 
zen Umrissen,  nur  die  Unterlippen 
sind  durch  einen  roten  Strich,  die 
Wangen  durch  rote  Punkte  be- 
zeichnet. 

gen  der  grosseu  Buchstaben  zeigt  Die  französische  Miniaturmalerei 
sich  Sinn  für  Schwung  der  Linien,  stand  in  der  romanischen  Epoche 
Eines  der  vorzüglichsten  Werke '  unter  überwiegendem  Einfluss  des 
dieser  Epoche  besass  die  Bibliothek  irisch-angelsächsischen  Stils.  In- 
zu  Strassburg  in  dem  ,  J/or(us  deli-  dessen  wirkt  der  gotische  Stil,  der 
darum",  welchen  die  Äbtissin  Her-  in  Frankreich  seine  Heimat  hat, 
rad  von  Landsberg  1175  geschrie-  hier  früher  und  entschiedener  auf  die 


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652 


Miniaturmalerei. 


Miniaturmalerei  ein  als  in  anderen 
Ländern.  In  der  Kunst  des  „Illu- 
minierens" waren  die  Pariser  Künst- 
ler weit  berühmt. 

Vorerst  beschränkte  man  sich  in 
der  gotischen-  Zeit  auf  schlichte 
Umrisszeichnungen ;  indessen  voll- 
zieht sich  der  Übergang  vom  By- 
zantinismus und  Komanismus  zu 
natürlicheren  Bewegungen  und  zur 
Individualisierung  uer  Köpfe  all- 
mählich. Die  Mittel  zum  Ausdruck 
der  Empfindungen  sind  noch  äusserst 
beschränkt:  Herabziehen  der  Mund- 
winkel für  Schmerz  etc.  Die  far- 
bigen Bilder  sind  anfangs  noch 
wirkliche  Federzeichnungen,  mit  un- 
gebrochenen Farben  illuminiert; 
erst  allmählich  gelangen  die  Künst- 
ler selbständig  wieder  auf  die  Stufe, 
welche  sie  mit  dem  Aufgeben  der 
byzantinischen  Technik  verlassen 
hatten;  sie  gebrauchten  Mitteltöne 
und  Übergänge  zwischen  Licht  und 
Schatten.  Das  Streben  nach  Zier- 
lichkeit und  Anmut  führt  zu  eigen- 
tümlich gewundeneu  Stellungen  und 
Verdrehungen  des  menschlichen 
Körpers.  Eines  der  liebenswürdig- 
sten Beispiele  dieser  Art  sind  die 
Handschriften  des  Parcival  Wolf- 
rams von  Escheubach  und  des 
Tristan  Gottfrieds  von  Strassburg 
in  der  Bibliothek  zu  München, 
schwarze  Federzeichnungen  auf  far- 
bigem Grunde.  Noch  entschiedener 
geht  der  Weingartner  Minnesänger- 
Kodex  (Königliche  Bibliothek  in 
Stuttgart)  und  der  Manessische 
( Bibliothek  in  Paris)  auf  den  charakte- 
ristischen Schwung  das  gotischen  Sti- 
lesein. Dazu  Fig.  99.  Alle  diese  Minia- 
turen zu  Profandichtungen  werden 
aber  überragt  von  den  auf  Gold- 
oder Tapetengrund  ausgeführten 
illuminierten  Federzeichnungen  zu 
Wolframs  von  Esehenbach  Ritter- 
roman Wilhelm  von  Oranse,  in  der 
Bibliothek  zu  Kassel.  Oft  ohne  jede 
nähere  Beziehung  zum  Texte  sind 
die  Randzeichnungen,  wie  wir  sie 
in  Bibeln,  Psaltern  oder  Evangelicn- 


bücheru  finden,  abenteuerliche  Un- 
gestalten  aus  Menschen-  und  Tier- 
leibern zusammengesetzt,  voll  origi- 
nellen, mitunter  derben  Humors 
mit  sicherer  Hand  gezeichnet,  sich 
auf  Ranken  und  dergleichen  tum- 
melnd. Reich  in  dieser  Beziehung 
ist  eine  Vulgata  der  öffentlichen 
Bibliothek  zu  Stuttgart.  Auch  in 
Böhmen  entwickelt  sich  im 
Lauf  des  13.  Jahrhunderts  eine 
verwandte  Richtung,  von  der  eine 
Bilderbibel  in  der  Bibliothek  des 
Fürsten  Lobtowiz  zu  Prag  zahl- 
reiche Beispiele  voll  Leben  und 
Originalität  bietet. 

Für  die  zweite  Periode  des 
gotischen  Stiles  ist  charakteristisch, 
dass  mehr  und  mehr  an  Stelle  der 
kolorierten  Federzeichnung  die  selb- 
ständige Malerei  mit  «lern  Pinsel 
tritt.  Das  Auge  hatte  sich  geschärft 
in  der  Beobachtung  der  Natur;  es 
fasste  die  Formen  richtiger  auf,  und 
der  Künstler  fing  an  sich  klar  zu 
werden  über  die  Bedingungen  der 
körperlichen  Erscheinung  der  Dinge. 
In  der  Zeichnung  menschlicher  Fi- 
guren verrät  sich  bereits  ein  genaues 
Studium  der  Köpfe  und  Hände, 
während  es  allerdings  mit  der  Ana- 
tomie des  übrigen  Körpers  noch 
übel  bestellt  ist.  Der  Faltenwurf 
der  Kleider  wird  leichtfliesseud,  den 
Hintergrund  bilden  Architekturen 
oder  sogar  Landschaften,  häufig 
indes  Schachbrett-  oder  Teppich- 
muster. 

Die  französischen  und  burgun- 
dischen Fürsten  besonders  Hessen 
sich  die  Pflege  der  Kalligraphie  und 
Buchmalerei  angelegen  sein,  und  es 
waren  namentlich  niederländische 
Miniatoren  die  ausführenden  Künst- 
ler. Für  Deutschland  kommt  in 
dieser  Periode  ganz  vorzüglich  die 
böhmische  Schule  in  Betracht.  Wie 
Karl  IV.  war  auch  sein  Sohn  Wenzel 
wenigstens  anfangs  beflissen,  die 
Kunst  in  Böhmen  zu  pflegen.  Zahl- 
reiche Handschriften,  für  die  ge- 
nannten Fürsten  angefertigt,  ver- 


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653 


Fig.  99.    Aus  der  Marte*wiachen  Bilder  Handschrift. 


654 


Miniaturmalerei. 


raten  niederländischen  oder  franzö- 
sischen Einfluss.  Als  Werk  eines 
böhmischen  Künstlers  und  zwar  des 
Leutpriesters  von  Landskron:  Jo- 
hannes von  Troppau  stellt  sich  ein 
Evangeliarium  uer  Wiener  Hof- 
bibliothek dar.  Für  den  König 
Wenzel  angefertigt  ist  eine  deutsche 
Bibelübersetzung,  die  Wenzelbibel, 
erhalten.  Die  fürstlich  Lichten« 
stcinische  Bibliothek  in  Wien  und 
das  Stift  Lilienfeld  besitzen  Exem- 
plare einer  Concordan/ia  caritatix. 
welche  erkennen  lassen,  dass  au 
jedem  Blatt  fünf  Künstlerhände  be- 
schäftigt gewesen  sind,  was  auf  eine 

Sewisse  fabrikmassige,  eine  grosse 
iachfrage  voraussetzende  Produk- 
tion Beimessen  lasst. 

Die  englischen  Miniaturen  dieser 
Zeit  pflegen  sich  von  den  französi- 
schen durch  geringere  Routine  in 
der  Zeichnung  zu  unterscheiden. 

Die  realistische,  individualisie- 
rende Richtung  in  der  Malerei,  von 
den  Brüdern  van  Eyck  und  der  alt- 
HandrLschen  Schule  weit  über  die 
Nachbarländer  hinaus  zur  Herrschaft 
gebracht,  fand  auf  dem  Gebiete  der 
Miniaturmalerei  einen  vorzüglich 
günstigen  Boden.  Die  porträtmässige 
Behandlung  der  Figuren,  das  Streben 
nach  Naturwahrheit  sind  von  nun 
an  hervorstechende  Züge  in  der 
Miniaturmalerei.  In  einzelnen  Wer- 
ken dieser  Zeit  glaubt  man  die  Hand 
der  berühmtesten  Meister  der  flan- 
drischen Schule  zu  erkennen,  wie 
die  Brüder  van  Eyck  selbst,  nament- 
lich aber  deren  Schwester  Marga- 
retha. Daneben  werden  die  Malereien 
der  für  Philipp  den  Guten  geschrie- 
benen Huünrc  du  rvyaumc  de  Jhe- 
runalcm ,  die  Miniaturen  im  Gebet- 
buch Karl  des  Kühnen  und  Philipp 
des  Guten,  die  Bilder  der  Geschichte 
des  Hennegaus,  diejenigen  aus  dem 
Breviarum  des  Kardinals  Grimani  etc. 
Rogier  van  der  Weyden,  Memling 
und  Direk  Stuerbot  zugeschrieben. 
Zu  den  reichsten  und  schönsten 
Büchern  dieser  Epoche  gehört  das 


Gebetbuch  der  Maria  von  Burgund 
in  der  Wiener  Hofbibliothek.  Eben- 
daselbst befindet  sich  eine  pracht- 
voll ausgestattete  deutsche  Über- 
setzung des  Horfulut  aninuic  von 
Seb.  Ürant.  Die  Initialen  in  den 
niederländischen  Manuskripten  wer- 
den mit  Vorliebe  mit  konventionell 
behandeltem  Blattwerk  behandelt, 
deren  Zwischenräume  mit  prächtigen 
Blumen  oder  Früchten  ausgefüllt 
oder  mit  farbenreichen  Vögeln  oder 
Insekten  bevölkert  werden  — 
Deutsche  Miniaturen  um  die  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  zeigen  meist 
noch  die  Nachwirkungen  früherer 
Kunstweisen.  Die  Weichheit  der 
Modellierung  erinnert  oft  an  den 
letzten  Vertreter  der  altkölnischen 
Schule:  Stephan  Lochner,  während 
in  der  Schönheit  der  Farben  sich 
bereitsder  Einfluss  der  van  Eyckschen 
Schule  bemerkbar  macht. 

Wie  in  allen  Zweigen  der  Malerei 
erscheint  auch  in  der  Miniaturmalerei 
Dürer  als  Grossmeister.  Hierher 
gehören  die  Randzeichnungen  zum 
Gebetbuch  Maximilians  I.  in  Blau 
und  Rot  auf  Pergament  ausgeführt, 
voll  Phantasie  in  den  zierlichen 
Arabesken  aus  Pflanzen  formen  und 
Linienverschlinguugen,  oft  gewürzt 
mit  köstlichem  Humor.    Fig.  100. 

Von  den  zahlreichen  Illuministen, 
welche  in  der  ersten  Hälfte  des  16. 
Jahrhunderts  in  Nürnberg  die  Aus- 
schmückung von  Büchern  gewerbs- 
mässig betrieben,  ist  vornehmlich 
Georg  Glockenton  zu  nennen,  dessen 
Kinder  und  Enkel  ihm  auf  der  Bahn 
folgten,  cianeben  Seb.  Beham. 
Bayern  barg  eine  grosse  Menge 
Illuministen.  Auch  aus  Böhmen 
sind  in  neuerer  Zeit  eine  grosse 
Zahl  Miniaturwerke  bekannt  ge- 
worden, wenn  auch  manches  iu  den 
hussi tischen  Stürmen  zu  Grunde  ge- 
gangen sein  mag. 

Frankreich  hatte  in  der  ersten 
Hälfte  des  15,  Jahrhunderts  keine 
Müsse  für  die  Pflege  der  Künste: 
Bürgerkriege   und  der  Krieg  mit 


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Fig.  100.    Handzeichnung  zum  Gebetbuch  Maximilians  von  Dürer. 


656 


Minimi  fratres.  —  Ministerialität. 


England  verwüsteten  das  Reich. 
Den  Stil  der  Renaissance  in  die 
französische  Miniaturmalerei  einge- 
führt zu  haben,  ist  das  Verdienst 
Jehan  Fouequeta.  Als  vorzüglichste 
Arbeit  seiner  Schule  erscheint  das 
Gebetbuch  des  Königs  Rene.  Don 
dominierenden  Einfluss  der  italieni- 
schen Malerei  unter  Franz  I.  verrät 
ein  Exemplar  der  Chanls  royaujr 
( Hof  bibliothek  in  Wien).  Von  Geo- 
froy  Torv,  dem  ausgezeichneten 
Buchdrucker,  Zeichner  und  Stecher, 
existieren  zwei  Miniatur  werke,  welche 
unter  dem  Einflüsse  der  Schule  von 
Foutainebleau  entstanden  zu  sein 
seheinen.  Später  kommen  in  Frank- 
reich, wie  anderswo,  die  Miniaturen 
in  den  Büchern  nur  noch  ver- 
einzelt vor. 

Vom  Entwicklungsgange  der 
Miniaturmalerei  im  Norden  wurde 
die  italienische  weniger  oder  gar 
nicht  berührt.  Die  ältesten  italieni- 
schen Miniaturen  besitzt  das  Kloster 
Montecas8ino  (6.  Jahrh.)  Im  allge- 
meinen datiert  die  Befreiung  der 
italienischen  Miniatur  aus  byzantini- 
schen Fesseln  erst  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert. Im  U.Jahrhundert  erlangt 
die  Schule  von  Siena  hervorragende 
Bedeutung.  In  Florenz  waren  im 
14.  Jahrhundert  die  Kamaldulenscr- 
mönche  rleissige  Miniatoren.  Die 
Miniaturmalerei  hielt  sich  in  Italien 
bis  ins  17.  Jahrhundert. 

Verdrängt  wurde  die  Buchmalerei 
einesteils  durch  die  Buchdrucker- 
kunst, andernteils  aber  namentlich 
durch  den  Holzschnitt;  indessen 
hiuterlässt  die  Miniaturmalerei  der 
Buehillustration  ein  reiches  Erbe  in 
Initialen,  Vignetten,  Zierleisten,  Ara- 
besken etc. 

Nach  Lübk  e,  Grundriss  der  Kunst- 
geschichte; Buche/%  Geschichte  der 
technischen  Künste.  Vgl.  Waagen, 
Handbuch  der  Malerschulen.  A.  II. 

Mi  n  i ml  f  rat  res,  m  indeste  briieder, 
Fremitae Minurum Fralrum  8,  Fran- 
cisci  de  Paula,  heisst  ein  von  Franz 
von  Paula  gestifteter  Mönchsorden. 


Der  Stifter,  im  Jahre  1416  zu  Paula 
im  Neapolitanischen  geboren,  war 
bei  seiner  Geburt  dem  neiligen  Franz 
von  Assisi  geweiht  und  entwickelte 
schon  als  Knabe  in  einem  Franzis- 
kanerkloster eine  ausserordentliche 
Neigung  zu  strenger  Askese;  als 
14  jahriger  Jüngling  lebte  er  in  der 
Nahe  der  Heimat  in  einer  abgelege- 
nen Felsengrotte  von  Kräutern  und 
frommen  Gaben,  erhielt  im  zwanzig- 
sten Jahre  gleichstrebende  Jünger, 
später  die  Erlaubnis  zur  Erbauung 
eines  Klosters  und  einer  Kapelle, 
welche  1436  von  den  Eremiten  des 
heiligen  Franz  bezogen  wurden.  Den 
drei  gewöhnlichen  Mönchsgelübden 
wurde  das  beständige  Fusteuleben 
beigefügt,  d.  h.  eine  Enthaltsamkeit, 
die  sich  nicht  nur  auf  eigentliche 
Fleischspeisen  erstreckte,  sondern 
auf  alle  vom  Fleisch  herkommenden 
Speisen  überhaupt,  also  auch  auf 
Eier,  Milch,  Butter,  Käse,  und  nur 
Brot,  Öl  und  Wasser  erlaubte. 
Sixtus  IV.  bestätigte  die  Ordtns- 
statuten  1474.  Der  Orden  verbrei- 
tete sich  schnell  in  Italien,  Frank- 
reich, Spanien  und  Deutschland. 
Die  Tracht  ist  ein  bis  an  die  Fersen 
reichendes  schwarzwollenes  Gewand 
mit  gleichfarbiger  Kappe,  die  vorn 
und  liinteu  bis  an  die  Hüften  reicht 
Ein  besonderer  Zweig  der  Miniinen 
sind  die  Minimen  •  lertiaricr  oder 
Minimen  Iteiderfei  Geschlechts,  auch 
von  Franz  von  Paula  für  weltliche 
Personen  gestiftet,  die  zu  einem 
gemeinschaftlichen  Leben  nicht  ver- 
pflichtet sind. 

Ministerialitat.  Ministerialen, 
ahd.  dienestmann,  Dienstmann, 
Diemtieute.  Ursprünglich,  in  der 
fränkischen  Periode,  verstand  man 
darunter  überhaupt  Leute  in  einer 
dienstlichen  Stellung,  wie  sie  an 
den  Höfen  des  Königs,  der  geist- 
lichen Stifter  und  aer  weltlichen 
Grossen  freie  oder  unfreie,  hohe 
oder  niedrige  Leute  einnahmen. 
Spätere  Zeit  benannte  mit  diesem 
Ausdrucke   vorzüglich    solche  ab- 


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Ministerialität. 


657 


hängige  Leute,  welche  durch  be- 
waffneten Dienst  und  hier  wieder 
namentlich  durch  Leistung  von  Ross- 
dienst, für  den  sie  vom  Herrn  Land 
zu  Benefizium  empfingen,  sich  in 
eine  von  den  übrigen  abhängigen 
Leuten  unterschiedene  Stellung  em- 
porarbeiteten, die  zuletzt  ihren  Ab- 
schluss  in  der  näheren  Beziehung 
zum  Hofdienst  erhielt.  Erst  seit 
dem  1 ! .  Jahrhundert  war  diese  ge- 
sellschaftliche und  rechtliche  Bil- 
dung zu  einer  bestimmten  Aner- 
kennung gelangt,  und  gab  es  seit- 
dem ein  Recht  und  einen  Stand  der 
Ministerialen,  obgleich  auch  immer 
noch  grosse  Verschiedenheiten 
herrschten.  So  hatten,  wie  vor  alters 
die  Königsleute,  so  jetzt  die  Dienst- 
mannen des  Königs  oder  des  Reichs 
eine  bevorzugte  Stellung,  dann  die 
der  Erzbistümer  und  Bistümer,  der 
Klöster  und  unter  diesen  der  Reichs- 
abteien, deren  Recht  den  Ministe- 
rialen anderer  Klöster  verliehen 
wird;  es  kommt  daher  seit  dem  11. 
und  12.  Jahrhundert  wiederholt  zu 
Aufzeichnungen  einzelner  Dienst- 
mannenrechte  (siehe  diesen  Artikel). 
Was  den  Eintritt  in  die  Klasse  der 
Ministerialen  betrifft,  so  hing  es  zu- 
nächst von  dem  Herrn  ab,  wen  von 
den  abhängigen  Leuten  er  zu  dem 
Hof-  oder  Heerdienst  heranziehen 
wollte,  in  manchen  Fällen  aber  auch 
von  dem,  der  Eintritt  begehrte; 
später  jedoch  wurde  das  \  erhält- 
nis  ein  dauerndes  und  erbliches, 
das  nicht  einseitig  aufgehoben  oder 

feändert  werden  konnte.  Im  Wesen 
er  Ministerialität  liegt  es,  dass  per- 
sönliche Freiheit  und  Dienstbarkeit 
nebeneinander  liegen  und  miteinan- 
der streiten;  insofern  die  Dienst- 
leute  zu  Dienst  verpflichtet  sind, 
einen  Herrn  haben,  dem  sie  Dienst 
schuldig  sind,  dem  sie  angehören, 
dessen  Diener,  Knechte  sie  neissen, 
sind  sie  unfrei.  Aber  der  Dienst 
selbst  heisst  freier  Dienst,  und  die 
Bedeutung  der  Abhängigkeit  tritt 
besonders  dann  zurück,  wenn  als 
Reallexicon  der  deutlichen  Altertümer. 


der  Herr  nicht  eine  Person,  König, 
Bischof  oder  dergleichen,  sondern 
die  Gewalt  selbst,  das  Reich,  Bis- 
tum, Fürstentum  betrachtet  wird. 
Gehören  sie  weder  zu  den  recht- 
lich Freien  noch  zu  den  Vasallen, 
so  gehören  sie  doch  zu  der  ange- 
sehenen und  ehrenvollen  Stellung 
der  Reisigen  oder  Ritter,  deren 
Rüstung  und  Tracht  sie  auch  trageu. 
Dem  Todfall  (siehe  Fall)  sind  die 
Ministerialen  meist  nicht  unterwor- 
fen, ebensowenig  einem  Heiratsgeld ; 
doch  durften  sie  anfange  mit  einer 
fremden  Frau  keine  Vermählung 
eingehen;  Ehen  mit  freien  Frauen, 
die  oft  vorkamen,  genossen  beson- 
dere Begünstigung.  Zu  Zeugnissen, 
Besitzübertragungen  und  anderen 
Rechtsgeschäften  sind  sie  neben  den 
Freien  befugt,  sie  nehmen  teil  am 
Grafengericht,  die  Ministerialen  des 
Reichs  am  königlichen  Hofgericht. 
Hinwiederum  hat  der  Herr  ein  Ver- 
fügungsrecht über  sie,  er  kann  sie, 
d.  h.  die  Rechte,  welche  er  über  sie 
hat,  an  andere  übertragen.  Sie  sind 
dem  Herrn  zur  Treue  verpflichtet, 
die  sie  eidlich  geloben. 

Der  Hofdienst,  der  um  die  Per- 
son des  Königs  und  der  Grossen  zu 
leisten  ist,  spaltet  sich  nach  den 
Amtern  des  Kämmererg,  Truch- 
sessen,  Schälks  und  Marschalls. 
Auch  diese  Hofamter  sind  ursprüng- 
lich nach  dem  Belieben  des  Herrn 
vergeben,  auf  Zeit,  ohne  bestimmte 
Dauer;  er  war  auch  kein  perma- 
nenter, sondern  wechselte  vielmehr; 
von  den  vielen  Ministerialien  eines 
geistlichen  Stiftes  sind  .die  einzel- 
nen den  verschiedenen  Ämtern  zu- 
geteilt, haben  aber  zeitweise  den 
wirklichen  Dienst  zu  leisten.  Später 
aber  sind  die  einzelnen  Amter  auch 
erblich  verliehen  und  gewähren  An- 
sehen, Vorteile,  Reichtum  und  Macht ; 
sogar  höher  gestellte  Freie  ver- 
schmähten nicht  in  den  Dienst  der 
reichen  Stifter  zu  treten  und  als 
Vorsteher  der  oberen  Hofamter  zu 
fungieren.    Über  den  Kriegsdienst 

42 


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658 


Minnesänger. 


der  Ministerialen,  siehe  den  Artikel  Teil  der  Ministerialen  übertragen. 

Heerwesen.  die  dazu  eine  eigene  Vereinigung 

Wer  zum  Dienst  herangezogen  bildeten,  für  welche  der  Name  Hau*- 

ward,  empfing  Unterhalt,  Kleidung  genvssen  in  Gebrauch  kam. 

und  Beihilfe  zur  kriegerischen  Rü-  Ministerialen  wurden  besonders 

stung;    Wohnung   und  Kost  die-  zur  Verteidigung  befestigter  Orte 

jenigen,  die  im  täglichen  Dienst  des  verwandt,  bildeten  die  Besatzung  von 

Herrn  standen;  besonders  aber  Land  l  Burgen,  wie  schon  unter  Heinrieh  I. 

als  Leben,  wobei  später  mit  be-  berichtet  wird.    Bischöfe  und  Äbte 

stimmten  Ämtern  bestimmte  Bene-  hatten  eine  Anzahl  ihrer  Dienstleute 

fizien  verbunden  waren,  die  eben-  an  dem  Sitze  des  Stiftes  zur  Hand, 

falls  mit  der  Zeit  erblich  wurden.  Daneben  beteiligten  sie  sich  in  den 

Ministerialen  werden  mit  den  Gütern  Städten,  wo  sie  sich  uiederliessen, 

veräussert  und  die  Güter  mit  jenen,  an  friedlichen  Geschäften,  wareu  als 

Von  diesen  Gütern  erhalten  sie  auch  Müuzer  zugleich  Wechsler  und  trieben 

später  die  unterscheidenden  Namen,  Warenhandel. 

die  dann  Familiennamen  wurden.  Seit  dem  13.  Jahrhundert  wurde 
Da  zu  Anfang  die  Beziehung  auf  |  der  Grund  der  Ministerialrat  nicht 
den  Herrenhof  überwog,  konnten  mehr  in  den  besonderen  Pflichten 
solche  Namen  verschiedenen  Fami-  dieses  Standes,  sondern  wie  bei  den 
lien  gemeinschaftlich  sein.  Eiu  Mi-  Vasallen  in  den  ihnen  verliehenen 
nisteriale  konnte  auch  Eigenjrut  ha-  Lehen  gefunden;  das  Dienst  verhält- 
ben,eben8oaufseinenGüternKnechte  nis  löste  sich  in  das  Lehnrecht  auf  ; 
und  andere  abhängige  Leute,  die  die  persönlichen  Bande,  die  den 
ihn  als  Knappen  in  den  Dienst  Dienstmann  an  den  Herrn  geknüpft 
begleiteten.  Einzelne  Ministerialen  hatten,  lockerten  sich,  und  der  or- 
spielten  als  Begleiter  ihrer  Herren,  deutliche  Hofdienst  wurde  durch 
als  Inhaber  der  grossen  Hofämter,  besoldete  Hof  beamte  ersetzt.  Auch 
als  Räte  eine  bedeutende  Rolle; !  der  Sprachgebrauch  änderte  sich, 
namentlich  wird  manches  von  Ver-  und  die  Ministerialen  wurden  gerade- 
gewaltigungen  berichtet,  die  sie  von  zu  als  Freie  bezeichnet ;  Dienstmanu 
festen  Burgen  aus  an  den  geist-  und  Vasall  wurde  gleichbedeutend, 
liehen  Stiftern  begangen  haben;  Meist  nach  U 'aitz,  v crf.-Gescb.  V. 
auch  auf  Besetzung  der  geistlichen  289  ff.  Vergl.  yi/z*ch.  Ministeria- 
Stifter  erlangten  sie  Einfluss.  In  lität  und  Bürgertum  im  11.  und  12. 
allen  wichtigen  Angelegenheiten  Jahrh.  Leipzig  1SÖ9. 
nahmen  sie  ein  Recht  des  Beirat«,;  Minnesänger.  Der  Name  minue- 
der  Mitwirkung  in  Anspruch,  treten  [  ginger  oder  minnesenger  wird  zwar 
als  gedigene ,  Degenschaft,  den  vereinzelt  von  höfischen  Dichtern 
Bisenöfen  und  Äbten  zur  Seite;  vor  verwendet ,  aber  keineswegs  als 
allem  gaben  sie  ihre  Zustimmung  stehender  technischer  Ausdruck  für 
bei  Aufnahme  in  ihre  Gemeinschaft  die  lyrischen  Dichter  höfischen 
oder  bei  Veränderungen,  die  den  Standes;  in  allgemeine  Aufnahme 
Besitzstand  betrafen.  Überhaupt  kam  das  Wort  erst,  seitdem  Bödmet' 
bildeten  sie  als  durch  gleiches  Recnt  und  Breitinger  ihre  „Sammlung 
und  gleichen  Dienst  Verbundene  von  Minnesingern*1  1758  und  1759 
eine  Genossenschaft,  zu  der  bald  alle  hatten  erscheinen  lassen.  Häufiger 
unter  demselben  Herrn  stehenden,  sagte  man  im  Mittelhochdeutschen 
bald  bloss  solche  zählten,  die  zu  einem  singaere,  singer,  wenn  man  die  Ly- 
einzelnen  Hof  oder  Dorf  gehörten;  riker  getrennt  von  den  Epikern  be- 
in  den  Bischofstädten  war  die  Aus-  nennen  wollte;  da  aber  die  Lyrik 
Übung  des  Münzrechtes  oft  einem  auch  die  Form  des  ungesunge'nen 


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Minoriten.  —  Missi  dominici. 


659 


Spruches  unter  sich  begreift  und 
überhaupt  bei  den  Lyrikern  dieser 
Periode  das  Singen  dem  Dichten 
untergeordnet  ist,  so  konnte  singcmur 
in  besonderen  Fällen  Anwendung  fin- 
den; Minnesinger  hiess  man  wohl 
einen  Lyriker,    insofern   er  dem 
Frauendienst  gewidmete  Dichtungen 
verfasste;  aber  einesteils  kennt  diese 
Lyrik  neben  dem  immerhin  vor- 
herrschenden   Frauendienst  doch 
auch  den  Herren-  und  Gottesdienst, 
und  andererseits  ist  das  Motiv  der 
Minne  nicht  minder  im  höfischen 
Epos  zu  Hause  als  in  der  Lyrik,  nur 
dass  man  jenes  freilich  nicht  mehr 
sang,  sondern  las.    Auffallend  ist 
immerhin,  dass  sich  in  Deutschland 
nicht  ein  Name  allgemeine  Geltung 
verschafft  hat,  mit  dem  man  den 
höfischen  Dichter  kurz  und  deutlich 
benenneu  konnte,  ähnlich  dem  pro- 
vencalischen  Troubadour  und  dem 
norafranzösischen  Trouvere,  das  ist 
Finder,  Erfinder.  Die  Ursache  dieses 
Mangels  liegt  darin,  dass  in  Deutsch- 
land die  Dichter  keinen  so  geschlos- 
senen Stand  bildeten,  wie  dieses  in 
Frankreich  der  Fall  war,  sondern 
nach  Lebensführung,  Art  des  Er- 
werbes, Dienstverhältnissen,  Kunst 
und  Verhältnis  zu  den  Frauen  sich 
mehr  alsjene  den  allgemeinen  Lebens- 
formen unterordneten,  die  damals 
die  herrschenden  waren.    Vgl.  die 
Artikel  Frauen  und  Höfische  Dich 
fang  und  die  schöne  Abhandlung 
Unlands,  Der  Minnegesang,  im  fünf- 
ten Bande  von  Uhland's  Schriften. 

Miuoriten,  siehe  Franziskaner. 

Miss!  dominici.  Sendboten,  Königs- 
hofen. Von  jeher  war  es  im  fränki- 
schen Reiche  Sitto,  da^s  der  König 
ausserordentliche  Abgesandte  in  die 
Provinzen  schickte,  um  einzelne 
wichtige  Geschäfte  vorzunehmen, 
namentlich  solche,  die  von  den 
ordentlichen  Beamten  nicht  erledigt 
werden  konnten  oder  sollten;  aber 
erst  Karl  d.  Gr.  gab  dem  Institute 
eine  bestimmte  Form  und  gestaltete 
es  zu  einem  wesentlichen  Teil  der 


Reichsregierung.  Die  lateinischen 
Quellen  nennen  die  Boten  missus, 
legatus,  nuntius,  mit  der  näheren 
Bezeichnung  dominicus,  regaNs,  pala- 
tinus;  der  deutsche  Ausdruck  ist 
nicht  überliefert;  Sendboten  und 
Königsboten  sind  neuer  Entstehung. 
Die  Pflichten  und  Befugnisse  der 
Königsboten  sind  verschiedener  Art. 
sie  vertreten  in  gerichtlichen  Sachen 
den  König,  halten  selbst  Gericht, 
wachen  über  die  Interessen  und 
Rechte  der  Kirchs,  führen  eine  all- 
gemeine Aufsicht  über  die  welt- 
lichen und  geistlichen  Beamten,  be- 
rufen im  Auftrage  des  Königs  grössere 
Versammlungen,  sind  als  Heerführer 
thätigj,  wirken  als  Gesandte  an  aus- 
wärtige Fürsten.  Die  Personen  der 
Boten  waren  bald  hohe  Hof  beamte, 
bald  sonst  angesehene  Manner,  bald 
Grafen,  bald  Getreue  niederen  Stan- 
des oder  Mitglieder  der  Geistlich- 
keit. Nach  der  Kaiserkrönung  waren 
es  namentlich  die  Königsboten,  wel- 
chen Karl  die  Durchführung  der 
höheren  staatlichen  und  kirchlichen 
Ordnung  übertrug.  Was  in  der  Re- 
gierung des  Reichs  eine  besondere 
Bedeutung  hatte  und  Karl  persön- 
lich am  Herzen  lag.  Staatliches  und 
Kirchliches,  namentlich  die  Beob- 
achtung von  Ordnung  und  Zucht, 
rechte  Handhabung  der  Gerichts- 
gewalt, Durchführung  der  Heerge- 
walt, Sicherung  und  Bewahrung  des 
kaiserlichen  Besitzes  und  Einkom- 
mens fiel  in  den  Bereich  ihrer  Thätig- 
keit.  Damit  die  Einrichtung  in  allen 
Teilen  des  Reiches  zur  Ausführung 
komme,  wurde  das  Reich  in  Distrikte 
geteilt,  missaticu m oder  fegafio,  deren 
jeder  mehrere  Königsboten  erhielt, 
oft  zwei,  nämlich  aVn  Erzbisehof 
und  einen  Grafen,  oder  mehrere 
Grafen  oder  mehrere  Geistliche; 
ein  einzelner  wurde  nur  ausnahms- 
weise als  Missus  ausgesandt.  Die 
Boten  erhielten  stets  ihre  besondere 
Instruktion,  die  bald  in  einem  Aus- 
zug aus  den  allgemeinen  Gesetzen 
des  Jahres  bestand,  bald  nähere 

42* 


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660 


Mitra.  —  Monatnamen. 


Anweisungen  für  einzelne  Vorkomm-  germanischen  Monatnamen,  das 
nissc  enthielt;  nach  Ablauf  der  ]  Schwanken  zwischen  allgemeinen 
Sendung  hatten  sie  dem  Kaiser  Be-  Zeitangaben  und  besonderen  Mouat- 
richt  über  ihre  Arbeit  zu  erstatten.  Worten  ,  die  Anwendung  gewisser 
Unter  den  letzten  Karolingern  ge-  Namen  auf  mehrere  Monate  zugleich 
riet  die  Einrichtung  in  Verfall,  und  und  die  leichte  Verdrängung  der 
die  sogenannten  Kammerboten,  nuntii  deutschen  durch  die  römischen  Na- 
eamerae,  Erchangcr  und  Berthold,  men,  Im  allgemeinen  liebten  die 
welche  in  den  St.  Gallischen  Kasus  Deutschen  mehr  als  Jahrteilung 
des  Ekkehart  als  Feinde  des  Bisehofs  '  nach  dem  Monde  eine  Teilung  nach 
Salomon  genannt  sind,  scheinen  zu  1  Wetter  und  Wirtschaft,  Tieren  und 
ihren  Namen  bloss  aus  der  Ver- ;  Gewächsen.  Die  ältesten  germani- 
bindung  verschiedener  Erinnerungen  scheu  Monatnamen  stammen  au.s 
des  Chronisten  gekommen  zu  sein.  Skandinavien  und  England.  Von 
Mitra,  frz.  mitre,  engl,  mitre,  den  Monatnamen  der  festländischen 
lat.  mitra  —  Band,  Kofbinue,  Mütze.  Deutschen  berichtet  zuerst  Einhart 
Siehe  den  Artikel  Kopfbedeckung.     in  Karls  d.  Gr.  Leben,  Kap.  29; 

Monatnamen.  Die  indogerma-  hier  ist  erzählt,  dass  Karl  an  Stelle 
nischen  Völker  belegten  erst  nach  der  bisher  durcheinander  gebrauch- 
ihrer  Teilung  in  Einzelvölker  die  ten  deutschen  und  lateinischen  Na- 


Mondabschnitte  des  Sonnenjahres 
mit  festen  Eigennamen,  die  daher 
nicht  voneinander  abgeleitet  sind. 
Nach  römischer  Überlieferung  soll 
Komulus  das  Jahr  in  10  Monate 
geteilt  und  den  ersten  nach  seinem 
göttlichen  Vater  Mars  Martius  be- 
nannt haben,  den  zweiten  April  is 
von  dem  Aufgehen  (aperire)  der 
Pflanzenknospen,  den  dritten  Majus 
nach  der  Maja,  der  Mutter  Merkurs, 
den  vierten  Junius  nach  der  Juno, 
die  übrigen  nach  der  Zahl  Quinc- 
tilU,  Sextiiis,  September,  Oetober, 
November,  December.  Später  erhielt 
der  Qu  inet  Ms  von  Julius  Cäsar  den 


menreihe  eine  gültige  deutsche  Na- 
menreihe gesetzt  habe,  die  folgender- 
lautet: 

1.  wintarmAnoth, 

2.  hornunc, 

3.  lenzinmunoth, 

4.  östarmanoth, 

5.  wunnimanoth, 

6.  brdchmdnoth, 

7.  hewimanoth, 

8.  aranmdnoth, 

9.  icitumdnoth, 

1 0.  teindu menui noth , 

11.  herbistmdnoth, 

12.  'heilagmdnotli. 
Davon  stammen  1,  3,  11  aus  den 


Namen  Julius,  der  Sixtilis  von  Au-  Jahreszeiten;  5,  6,  7,  8,  9.  10  ge- 

fust  den  Namen  Augustus.  Numa  hören  dem  Wirtschaftskalender  an ;  4 
ömpilius  soll  dann  den  Januarius  und  12  bedeuten  heilige  Zeiten; 
vom  Gotte  Janus  und  den  Febru-  Hornung  wird,  dem  altnordischen 
arius  hinzugefügt  haben,  der  von  der  horn ünger  =  „unehelicher  Sohnu 
dem  allgemeinen,  am  Schlüsse  eines  gemäss  und  in  Ansehung,  dass  der 
jeden  Jahres  dargebrachten  grossen  Monat  auch  der  kleine  Born  ge- 
Sühnopfer,  Februalia,  den  Namen  |  nannt  wird,  dem  Januar  gegenüber, 
hatte.  I  welcher  der  grosse  Horn  heisst,  als 

Die  Germanen  wurden  erst  nach  I  „unechter  Monat"  gedeutet,  Le,iz 
der  Bekanntschaft  mit  dem  römischen  i  ist  der  alte,  bis  jetzt  unerklärte 
Kalender  zur  Bildung  fester  Monat-  Name  des  Frühliugs,  icunnimdnoth% 
nameu  veranlasst,  und  zwar  erst  <  nach  anderer  Lesart  winnimdnofJ» 
nachdem  ihre  nähere  Verbindung  ist  soviel  wie  Weidemonat,  von  trin  - 
schon  aufgegeben  war;  daher  die  jan,  Winnen  *=  weiden,  erhalten  in 
Abweichung  in  den  nord-  und  süd-  '  der  alten  Reehtsfonnel  Wunn  und 


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Mönchswesen. 


661 


Weid;  arannuhiofh  ist  Erntemonat; 
icitumanoth  Ist  Holzmonat,  der  Monat, 
in  dem  man  im  Walde  Holz  holt; 
windumemanoth  ist  der  Monat  der 
Weinlese,  mhd.  wim  met,  schweizerisch 
IViimmet. 

Die  Namensreihe  Karls  blieb 
wirklieh  fortan  die  Grundlage  der 
deutschen  Monatsbezeichnungen,  nur 
dass  etwa  landschaftliche  Benen- 
nungen  hervortreten ;  daneben  er- 
halten sich  die  lateinischen  Namen. 
Die  Kalender  des  15.  und  16.  Jahr- 
hunderts haben  meist  folgende  Na- 
menreihe, die  im  ganzen  bis  ins  18. 
Jahrhundert  herrschend  blieb  und 
in  schweizerischen  Kalendern  heute 
noch  zu  Recht  besteht. 

1.  Jenner, 

2.  Hönning, 

3.  März, 

4.  April, 

5.  Mai, 

6.  Brachmond, 

7.  Heumond, 

8.  Augstmond, 

9.  Herbstmond, 

10.  Weinmond, 

11.  Wintermond, 

12.  Christmond. 

Die  landschaftlichen  Monatreihen 
der  Bayern,  Alemannen  u.  s.  w. 
weisen  davon  manche  Abweichungen 
auf.  Was  die  Bedeutung  der 
Monatnamen  betrifft, so  unterscheidet 
Weinhohl,  Die  Deutschen  Monat - 
namen,  Halle  1869,  dem  wir  diese 
Mitteilungen  überhaupt  entnehmen, 
Monatnamen  '  aus  dem  religiösen 
Leben  (Oster-  und  Christmonat), 
nach  Zeit  und  Wetter,  von  Pflanzen 
und  Tieren  und  nach  Geschäften 
in  Feld  und  Haus. 

Mönchswesen.  Da  einerseits 
über  die  in  Deutschland  vertretenen 
mittelalterliehen  Mönchsorden  in  be- 
sondere Artikeln  dieses  Werkes  ge- 
handelt ist,  und  es  andererseits  an 
einer  neueren  Darstellung  mangelt, 
welche  den  inneren  Zusammenhang 
dieser  Erscheinung  mit  der  allge- 
meinen Entwicklung  des  Mittelalters 


überhaupt  erschlösse,  so  können  hier 
bloss  einige  Anhaltspunkte  zur  Orien- 
tierung in  den  mannigfaltigen  Er- 
scheinungsformen des  Mönchswesens 
gegeben  werden. 

Das  Mönchswesen,  soweit  es  eine 
Erscheinung  der  christlichen  Religion 
ist,  beginnt  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten unserer  Zeitrechnung  mit 
den  morgenläudischen  Anachoreten, 
deren  Prinzip  vereinzelte  Weltflucht, 
Entsagung,  Askese  ist.  Erst  das 
4.  Jahrhundert  führte  die  Einsiedler 
im  Morgenlande  in  Klöster  zusam- 
men, griech.  xoiPoßlOv,  eoenobitum, 
coenibita,  lat.  claustrum,  von  claudere 
=  schlie8sen,  verschliessen;  auch 
Mönch  und  Sonne  sind  noch  griechi- 
schen Ursprungs;  pöruxog  zu  jtioio,-, 
ist  der  allein  Lebende,  vörvu  ist 
unerklärt.  Im  Abendlande,  wo  das 
Möuchstum  durch  Athanasius  be- 
kannt und  von  Ambrosius,  Augusti- 
nus und  Hieronymus  empfohlen 
wurde,  war  die  Lebensweise  der 
Mönche  weniger  der  persönlichen 
Askese  zugewandt  als  im  Morgen- 
land; neben  der  Betrachtung  lagen 
die  Mönche  der  Handarbeit  ob,  seit 
Cassiodorauch  dem  Bücherschreiben. 
Noch  waren  die  Mönche  meist  Laien 
und  nur  der  Abt  Presbyter,  die 
Klöster  vom  Bischöfe  abhängig; 
doch  galt  das  Mönchstum  schon 
seit  dem  Ende  des  4.  Jahrhunderte 
als  Pflanzschule  des  Klerus.  Be- 
sondere Orden  gab  es  nicht,  das 
Mönchstura  bildete  zusammen  einen 
einheitlichen  Stand;  die  einzelnen 
Klöster  folgten  den  Vorschriften 
ihres  Stifters.  Erst  die  Regel  des 
Benedikt  von  Nursia  und  ihre  all- 
mähliche Einführung  in  den  Klöstern 
des  Abendlandes  gab  dem  ganzen 
Institut  Einheit  und  Zusammen- 
hang. Das  Benediktiner  Mönchstum 
begleitet  die  Neubildung  der  frän- 
kisch-mittelalterlichen Bildung  bis  zu 
dem  Zeitpunkt,  wo  im  11.  Jahrhun- 
dert die  höfisch  -  ritterliche  Bildung 
der  Träger  der  mittelalterlichen 
Kultur  wird.  Verschiedene  Gründe 


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662 


Mönchs  wesen. 


äusserer  und  innerer  Art  mögen 
dem  Mönchs-  und  Klosterwesen  in 
dieser  Periode  zu  seiner  Bedeutung 
verholfen  haben;  das  Institut  kam 
in  die  germanisch-romanischen  Län- 
der als  ein  echon  vorhandener  Be- 
standteil der  Kirche,  so  zwar,  dass 
die  Missionäre  des  Christentums 
meist  selber  ihm  angehörten.  „Das 
Tiefsinnige,  Elegische  im  deutsehen 
Charakter,  sagt  Rettberg,  musste 
sich  in  dem  angeblich  Verdienst- 
lichen eines  Zurückziehens  von  der 
Welt  gefallen,  wobei  man  dem 
Schauerlichen  einer  wilden  Einsam- 
keit nachhängen  konnte.  Darum 
sind  in  Deutschland  keine  Gegenden 
so  dicht  mit  Klöstern  besetzt  als 
die  Thäler  der  Vogesen,  Ardennen 
und  das  bayerische  Hochland  mit 
den  lieblichen  Seen."  Die  Urbari- 
sierung  der  germanischen  Heiden- 
welt in  Beziehung  auf  den  Acker- 
bau sowohl  als  auf  die  Erziehung 
des  Volkes  zu  christlicher  höherer 
Bildungsfähigkeit  in  Wissenschaften 
und  Künsten  verlangte  offenbar 
mehr  als  einzelne  Prediger,  zu- 
sammenhängende, starke,  organi- 
sierte Gemeinwesen,  gleichsam  Fe- 
stungen des  christlichen  Glaubens, 
der  christlichen  Zucht  und  Arbeit 
wie  denn  wirklich  die  Klöster  es 
waren,  welche  in  den  verschieden- 
sten Beziehungen  die  Träger  neuer 
Bildungen,  Handwerke,  Kulturen, 
Künste  u.  dgl.  geworden  sind.  Weit 
entfernt,  in  ihren  Zwecken  und  Zie- 
len der  Welt,  dem  Volke,  der  Ar- 
beit nach  aussen  zu  entfliehen, 
finden  sie  ihre  Aufgabe  in  der  Hin- 
gebung an  das  Wohl  des  Ganzen. 
Sie  unterstützen  die  staatliche  Obrig- 
keit in  ihren  ideellen  Aufgaben,  wie 
umgekehrt  der  Staat  und  seine 
Träger  die  Klöster  als  ein  wesent- 
liches Mittel  ihrer  höheren  Zwecke 
ansehen  und  ehren.  Namentlich 
stützt  eich  Karls  d.  Gr.  Wirksam- 
keit für  die  Bildung  seines  Volkes 
auf  die  Mithilfe  der  Klöster;  der 
Zusammenhang  der  Klöster  mit  dem 


römischen  Stuhl  bezog  sich  bloss» 
auf  die  rein  kirchlichen  Angelegen- 
heiten; ihre  Obrigkeit  erkannten  sie 
durchaus  in  den  staatlichen  Ge- 
walten. 

Die  kulturgeschichtliche  Auf- 
gabe, welche  das  fränkische  Welt- 
reich sich  selbst  und  dein  Mönchstum 
gestellt  hatte,  wurde  von  der  fort- 
schreitenden Entwicklung  der  inne- 
ren Verhältnisse  aufgehalten  oder 
in  andere  Bahnen  gelenkt;  Karls 
und  seiner  Zeitgenossen  Hoflhung, 
auf  fränkischem  Boden  eine  rö- 
mische oder  der  römischen  gleich- 
wertige Bildung  herzustellen,  war 
ein  Traum,  und  während  im  9.,  10. 
und  11.  Jahrhundert  an  der  Ver- 
wirklichung desselben  gearbeitet 
wurde,  bereiteten  sich  diejenigen 
Bildungen  vor,  welche  im  12.  und 
13.  Jahrhundert  die  herrschenden 
waren,  das  Rittertum  und  dessen 
höfische  Bildung  einerseits  und  die 
katholische  Kirche  mit  ihren  spezi- 
fischen und  exklusiven  Bildungen 
andererseits.  Beiden  Bildungen 
neigen  sich  nun  auch  die  Klöster 
zu:  entweder  gehen  sie,  indem  sie 
das  kirchliche  Gewand  bis  an  die 
äusserste  Grenze  abstreifen,  in  das 
Lager  weltlich -höfischer  Staatsbil- 
dungen hinüber,  werden  gefurstete 
Abteien,  die  nur  äusserlicn  an  der 
Regel  des  heiligen  Benedikt  fest- 
halten, oder  sie  ergreifen  die  Partei 
der  neuerwachten  Kirehlicbkeit,  wo- 
bei man  Klöster  älteren  Datums 
unterscheiden  kann,  die  sich  einer 
kirchlichen  Reformation  unterstellen, 
oder,  was  viel  häufiger  vorkommt, 
Klöster  neuer  Orden,  die  eben  zu 
dem  Zwecke  gestiftet  werden;  es 
sind  die  Ctuniacenser,  Kamaldulen- 
ser,  Grammontaner,  Cisfereienser, 
Kartäuser,  Prämonstr  atenser,  Kar- 
meliter und  die  geistlichen  Bitter- 
orden ;  schon  ihre  Zahl  zeugt  dafür, 
dass  in  dieser  Periode  sehr  verschie- 
dene Richtungen  und  Kräfte,  und 
namentlich  der  Geist  einzelner  Per- 
sönlichkeiten eich  geltend  machten, 


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Mönchswesen.  •  663 


welche  die  karolingisch- fränkische  orden,  und  unter  diesen  namentlich 
Zeit  nicht  gekannt  hatte;  auch  ist  die  Dominikaner  und  Franziskaner, 
es  nicht  bloss  der  Gegensatz  zum  woneben  der  Geist  ausschliesslicher 
älteren  verweltlichten  Mönchstum,  Kirchlichkeit  nicht  minder  manche 
was  hier  wirkt,  sondern  nicht  min-  der  älteren  Orden  und  Klöster  be- 
<ler  der  Gegensatz  zum  Geiste  der  herrscht;  die  Dominikaner  sind  aber 
klerikalen  Kirche  selber,  manchmal,  zugleich  die  Haupthelfer  der  kirch- 
wie  bei  Cluniacensern  und  Cister-  lienen  Autorität  gegen  das  überall 
ciensern,  der  Gegensatz  zwischen  aufstrebende  Ketzertum,  und  beide 
Orden  und  Orden;  manche  dieser  Bettelorden  zusammen  die  Stützen 
Orden  hatten  übrigens  in  der  jetzt  der  Scholastik  und  dadurch  der 
schneller  arbeitenden  Zeit  das  Schick-  theoretischen  Ausbildung  des  mittel- 
sal  der  älteren  Benediktiner  Stif-  alterlichen  Kirchentums;  anderer- 
tungen,  reich  und  dadurch  dem  seits  stehen  sie  aber  auch  dem 
kirchlich  asketischen  Prinzip  untreu  verwilderten  Weltklerus  entgegen, 
zu  werden.  Bedenkt  man  ferner,  dessen  Seelsorge  sie  grösstenteils 
dass  diese  Mönchsorden  zahlreichen  auf  ihre  eigenen  Schultern  nehmen; 
andern  Neubildungen  auf  dem  Ge-  daher  beider  Bettelorden  Bedeutung 
biete  des  Staates,  der  Gesellschaft,  für  die  deutsche  Predigt  und  die 
der  Litteratur,  der  Kunst  parallel  Mystik;  dieses  Mönchstum  steht 
gehen,  so  ist  deutlich,  dass  jetzt  der  ferner  im  engen  Zusammenhang  mit 
Mönchsstand  überhaupt  an  Einfluss  dem  aufblühenden  Städtewesen,  in 
auf  den  Geist  der  Zeit  verloren  dem  die  Stiftungen  des  heiligen  Do- 
hat;  während  die  karolingischc  Pe-  minikus  und  Franziskus  nicht  die 
riode  kaum  ein  Lebensgebiet  kennt,  letzte  Stelle  behaupten;  endlich  re- 
an  dessen  Bebauung  und  Bildung  präsentieren  sie  der  humanistischen 
die  Klöster  keinen  Anteil  gehabt  vornehmeren  Bildung  gegenüber 
hätten,  so  giebt  es  jetzt  grosse  Gc-  den  bettelnden,  terminierenden,  bil- 
biete,  wie  dasjenige  der  höfischen  dungslosen  geistlichen  Pöbel,  zeigen 
Litteratur ,  wo  von  irgend  einem  also  im  ganzen  ein  höchst  vielsei- 
Orden  kaum  die  Rede  ist  ;  dagegen  tiges  Leben,  das  zum  Teil  zwar  aus 
haben  sie  sich  um  einzelne  Landes-  den  vielseitigen  Bedürfnissen  der 
teile,  Städte,  Länder,  gewiss  grosse  Zeit  entspringt,  zum  Teil  aber  eine 
und  bleibende  Verdienste  erworben.  Mannigfaltigkeit  und  Vielseitigkeit 
Zeigt  schon  die  Periode  der  re-  der  in  diesen  Orden  thätigen  in- 
formierten Klosterstiftungen  auf  dem  sonen  wiederspiegelt,  deren  Selb- 
Boden  des  Benediktinertums  eine  ständigkeit  Zeugnis  für  die  zuneh- 
bunte  Mannigfaltigkeit,  deren  inne-  mende  Bedeutung  des  Individuums 
rer  geschichtlicher  Bedeutung  schwer  in  dieser  Periode  ablegt, 
nachzukommen  ist,  so  gestaltet  sich  Neben  den  Bettelorden  sind  die 
in  der  Periode  des  volkstümlichen  älteren  Orden  mit  wenig  Ausnahmen 
Monchstums  das  Bild  zu  einem  noch  auch  in  dieser  Periode  lebendig,  und 
viel  bunteren,  entsprechend  dem  zwar  in  den  mannigfaltigsten  Ge- 
Geiste des  ausgehenden  Mittelalters, .  stalten ;  auch  sind  immer  noch  neue 
das  den  Zwang  höfischer  Zucht  und  Orden  im  Entstehen  begriffen ,  wie 
Bildung  hat  fahren  lassen  und  des-  die  Minimen;  lebenskräftiger  aber 
sen  zahlreiche  Neubildungen  noch  und  eine  schönere  Zukunft  vorbe- 
nirgends  zu  bleibender  Gestalt  ge-  j  reitend  erscheinen  die  Brüder  vom 
diehen  sind.  Dem  immer  mehr  ver-  gemeinsamen  Leben ,  aus  denen  wie 
schärften  Gegensatze  zwischen  den  aus  keinem  andern  Mönchsorden  ein 
Interessen  der  Hierarchie  und  des  i  Geist  der  neueren  kirchlichen  und 
Staates  dienen  vor  allem  die  Bettel- 1  humanen  Bildung  hervorgeht.  Mit 


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6G4 


Monogramm.  —  Monstranz. 


der  Reformation  wird  das  Mönchs- 
tum  eine  ausschliessliche  Erschei- 
nung der  katholischen  Kirche,  für 
«leren  Verteidigung  besonders  die 
Orden  der  Jesuiten  und  der  Kapu- 
ziner gestiftet  werden.  Von  älteren 
Schriften  über  diesen  Gegenstand 
sind  namentlich  die  beiden  Trak- 
tate \  'ad  i  ans  Von  dem  mbnehsstand 
und  Von  stand  und  icesen  der  stiften 
und  elbstern  zuor  zeit  der  alten 
teuf  sehen  Franken  zu  nennen,  ab- 
gedruckt in  Vadians  deutschen  histo- 
rischen Schriften,  Bd.  I,  3  103. 

Monogramm  Christi  heisst  die 
als  Inschrift  überaus  häufig  an- 
gewandte abgekürzte  Bezeichnung 
der  Namen  Christus,  Jesus  Christus 
und  Jesus. 

I.  Für  den  Namen  Christus  wird 
das  Monogramm  aus  und  P  (die 
griechischen  Majuskeln  des  lateini- 
schen Ch  und  Ii)  und  zwar  in  dop- 
pelter Weise  zusammengesetzt,  in- 
dem das  P  mitten  in  das  A' 
hingesetzt,  das  letztere  aber  entwe- 
der stehend  X  oder  liegend  +  ge- 
nommen wird.  Mit  der  letzteren 
Form  nahe  verwandt  ist  das  ägyp- 
tische Henkelkreuz  V,  das  Zeichen 
des  Lebens,  das  von  ägyptischen 
Christen  geradezu  statt  des  Kreuzes 
gebraucht  wurde;  die  andere  Form 

^9  ist  heidnischen  Ursprungs  und 

findet  sich  lange  vor  Christus  auf 
Münzen  des  griechischen  Altertums. 
Als  christliches  Zeichen  bedienen 
sich  zuerst  Privatdenkmäler  des 
Monogramms,  wie  Grabdenkmäler, 
Grabgeräte,  z.  B.  Lampen  und  Glas- 
gefasse,  Sarkophage,  dann  auch  ge- 
schnittene Steine  und  Ringe;  auf 
öffentliche  Denkmäler  geht  das 
Monogramm  durch  Kaiser  Konstan- 
tin d.  Gr.  über,  welcher  dasselbe  in 
das  Labarum,  die  kaiserliche  Stan- 
darte, auf  seinen  Helm  und  auf 
die  Schilde  der  Soldaten  setzen  Hess; 
auch  auf  Münzen  und  öffentlichen 
Bauwerken  erscheint  das  Zeichen 
von  jetzt  an  häufig. 


II.  Für  die  Namen  Jeftus  Christus 
heisst  das  Monogramm  im  Griechi- 
schen IC  XC,  im  Lateinischen  IHS 

XPS,  wo  also  die  ersten  beiden 
Buchstaben  dem  griechischen,  der 
dritte  dem  lateinischen  Alphabet 
entnommen  ist.  Es  findet  sich  auf 
Münzen,  in  Inschriften  und  Bild- 
werken, Malereien,  namentlich  Mi- 
niaturen, karolingischen  Handschrif- 
ten sowie  in  Tafelgemälden  des 
Mittelalters. 

III.  Für  den  Namen  Jesus  heisst 
im  Griechischen  «las  Monogramm 

III,  im  Abendlande  IHS;  das  letz- 
tere gewann  seit  dem  Ausgange  des 
Mittelalters  grosses  Ansenen  uud 
populäre  Verbreitung  durch  Bera- 
n ardin  von  Siena,  der  in  Predigten, 
die  er  im  Anfang  des  15.  Jahrhun- 
derts in  verschiedenen  Städten  hielt, 
zum  Schluss  eine  Tafel  mit  diesem 
Namenszuge  in  goldenen  Buch- 
staben, von  Sonnenstrahlen  rings 
umgeben,  zur  Verehrung  ausstellte. 
Auch  die  Jesuiten  haben  sich  dieses 
Monogramm  angeeiguet  Fij>er  in 
Herzogs  Real-Kncykl. 

Monogramme  der  Künstler  finden 
sich  seit  dem  14.  Jahrb.,  ähnlich  den 
Steinmetzzeichen ,  auf  Erzgiissen. 
Schnitzwerken,  besonders  auf  Gemäl- 
den, Kupferstichen  undHolz8chnitten. 
Sie  bestehen  entweder  aus  Anfangs- 
buchstaben der  Namen,  aus  Wappen- 
bildern der  Meister,  aus  Hausmarken 
oder  andern  willkürlich  gewählten 
Zeichen. 

Monstranz,  lat.  monstrantia,  hiess 
man  bis  zur  Einführung  des  Fron- 
leichnamsfestes l  um  1264)  den  trag- 
baren Relicpiicnbehälter,  der  auf 
einem  schlanken  P"u88,  in  einem 
zierlich  geschnitzten  Säuleuwerke 
hinter  Glas  oder  Krystall  die  Reli- 
quien zur  Schau  brachte  Mit  jener 
Zeit  aber  nimmt  die  Monstranz  die 
bis  dahin  im  Ciborium  verborgene 
Eucharistie  (die  Hostie)  auf,  was 
zwar  erst  um  1 330  allgemeiner  Ge- 
brauch wird. 


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Mörtel.  -  Mühlen 


665 


Die  Form  des  Gefasses  bleibt  In  einzelnen  Fällen  mag  auch  aus 
ziemlich  die  gleiche.  Der  Fuss  ist  Hochmut  ein  Fass  Wein  zu  diesem 
demjenigen  des  Kelches  ähnlich.  Zwecke  geleert  und  das  Blut  eines 
Das  eigentliche  Behältnis  war  ein  Widerspenstigen  in  die  Mörtelpfanne 
walzen- oder  linsenförmiges  Gehäuse  gefasst  worden  sein;  in  der  Regel 
von  Glas  oder  Krystall,  aer  Schmuck  aber  versah  das  Wasser  den  Dienst, 
ein  schlank  sich  "erhebendes,  durch  wie  heute  noch. 
Strebebogen  verbundenes  Pfeilwerk  In  altchristlicher  Zeit  verwendete 
mit  Blätter-,  Hanken-  und  Stabver-  man  in  Italien  ausser  dem  Kalk- 
zierungen,  sowie  mit  Figuren  von  sandmörtel  auch  Puzzolanerde ,  im 
Engeln  und  Heiligen.  Die  Spitze  Mittelalter  jedoch  fast  ausschüess- 
krönte  das  Kreuz.  Der  Stoff  war  lieh  den  ersteren,  im  Inneren  der 
Gold  oder  mindestens  stark  vergol-  Häuser  auch  den  Lehm,  aus  wel- 
det»'s  Silber.  Auch  die  Edelsteine  ehern  Stoffe  (nebst  dem  Holz)  die 
fehlten  nicht.  Die  deutschen  Mei-  j  Hütten  der  Armen  fast  durchweg 
ster  sollen  sich  in  der  Ausarbeitung  '  bestanden.  Sehr  haltbar  sind  fast 
köstlicher  Gerate  dieser  Art  aus-  sämtliche  Bauten  aus  dem  11.. 
gezeichnet  haben.  13.  — 15.  Jahrhundert.     Am  Rhein 

Das  16.  Jahrhundert  brachte  auch  scheint  auch  der  Trass  zur  Mörtel- 
hierin  neue  Formen.  Der  einfache  bereitung  verwendet  worden  zu  sein. 
Schaft  wurde  mannigfach  gegliedert  Mühlen.  Da  eine  historisch- 
und  verziert,  ähnlich  wie  es  oei  den  antiquarische  Untersuchung  über 
Kelchen  geschah.  Der  Behälter  er-  Mühlen  im  allgemeinen  zu  mangeln 
hielt  eine  reich  mit  Steinen  besetzte  scheint ,  mag  hier  aus  Genglers 
Umfassung,  meist  in  Gestalt  einer  deutschen  Städte- Altertümern r  Er- 
strahlenden Sonne.  Das  Ranken-  langen  1882,  Kap.  13  einiges  über 
werk  wurde  reicher  mit  Sinnbild-  städtische  Mühleu  zusammengestellt 
liehen  Figürchen  geschmückt,    so  werden. 

einerseits  mit  einer  Ähre  von  Dia-  Die  mittelalterlichen  städtischen 
manten,  anderseits  mit  einem  Trau-  Mühlen  sind  Wassermühlen,  Wind' 
beng**hänge  von  Rubinen,  den  hei-  mahlen  und  liossmühlen,  die  Wind- 
ligen  LeiD  (das  Brod)  und  das  mühlen  besonders  seit  dem  Aus- 
heilige Blut  (den  Wein)  versinnbild-  gange  des  13.  Jahrhunderts  auf 
lichend.  den  grossen  Stadtfehlern,  manch- 

Mürtel,  lat.  mortarium,  mortie-  mal  auf  den  Stadtmauer-Bastionen 
tum-,  frz.  mortier-,  engl,  mortar.  angelegt;  die  Rossmühlen  nicht 
Bekannt  ist  die  ungeheure  Wider-  minder  uralt  als  die  Haus-Mühlen 
Stands fähigkeit  der  alten  Ritterbur-  und  stets  von  hervorragender  Bo- 
gen,  deren  Steine  durch  ein  weit  deutung  in  Zeiten  von  Krieg  und 
besseres  Bindemittel  zusammenge-  Belagerung.  Unterarten  der  Wasser- 
fügt sein  müssen,  als  das  bei  neue-  mühlc  sindGetreide-Mahlmühlc,  Ge- 
ren Bauten  der  Fall  ist.  Der  Hass  treide  -  Stampfinühle ,  Grützmühle, 
des  Volkes  weiss  immer  noch  die  Oel-,  Malz-,  Lohe-,  Säge-  oder 
Schaudermären  zu  erzählen  von  Bretter-,  Schleif-,  Papier-  und  Walk- 
Bauernblut,  dann  auch  von  Wein,  mühle,  die  letztere  im  Tuchmacher- 
Fett  und  Stecknadeln,  die  zur  Be-  gewerbc  schon  im  12.  Jahrhundert 
reitung  des  Mörtels  verwendet  wor-  weit  verbreitet.  Was  die  Immobi- 
den  sein  sollen  und  es  lässt  sich  liarbestandteile  der  Mühle  betrifft, 
leicht  denken,  dass  manche  Thräue  so  nennen  die  Urkunden :  die  Müht- 
geflossen,  bis  das  nötige  Material  Baustitte,  das  Mühlen-Haus,  das 
auf  den  Platz  geschafft  und  zum  ge-  Mühl -Wasser,  den  Mühlen -Teich 
fürchteten  Bau  zusammengefügt  war.  und  den  Mühl-Graben,  durch  wel- 


6C6 


Mühlen. 


chen  das  überflüssige  Mühlwasser  aus  diesem  Mahl-Vorrechte  ein  Mahl- 
hin weggeleitet  wurde.  Für  die  innere  Zwangsrecht  hervor,  vermöge  dessen 
gewerbliche  Mobiliareinrichtung  der  die  Bewohner  des  betreffenden 
Mühle  kommen  in  betracht:  die  Mühlenortes  gehalten  waren,  ihre 
Rader,  deren  Zahl  in  den  Mühl-  Mahlbedürfnisse  ausschliesslich  in 
grüudungsbriefen  regelmässig  voraus  der  Bannmühle  befriedigen  zu  lassen, 
bestimmt  war;  zum  wenigsten  pflegte  Einen  wichtigen  Akt  bei  der  An- 
eine Mühle  zwei  Räder  oder  Gerinne  legung  einer  Mühle  bildete  stets  die 
zu  haben;  es  wird  aber  auch  von  Abstech unq  und  Tagung  des  Fach- 
zwölf  uud  mehr  Rädern  beriehtet:  baumes;  clie  eigentliche  Bauhand- 
und  die  Mühlsteine,  welche  sich  um  lun£  dabei  vollzog  der  Mühlen- 
ein«' eiserne  Spindel  in  einem  hol-  besJtzer  selbst  unter  Mitwirkung 
zernen,  oben  mit  einem  Einschütte-  von  mühlbaukundigen  Baumlegern, 
trichter  versehenen  vierwändigen  worauf  das  vollendete  Werk  von 
Kasten  herumdrehen;  sie  machten  der  Obrigkeit  feierlich,  z.  B.  unter 
gleich  den  Schleifsteinen  einen  be-  Vortragung  des  Gerichtsschwertes 
deutenden  Handelsartikel  aus,  für  bestätigt  zu  werden  pflegte, 
welchen  besondere  Niederlagen  be-  Die  Mühlen-Auf  aqen,  d.  h.  die 
standen.  ständigen  Sonderabgaben  der  Mühlen 

In  bezug  auf  die  Eigentums-  und  an  die  Stadt-  oder  grandherrliche 
Besitzverhiütuisse  sind  zu  unter-  Kasse,  bestehen  aus  der  Mühlen- 
scheiden: kirchenherrliche,  stadt-  Accise,  auch  Mühlen-Zoll  geheissen. 
herrliche,  in  den  Reichsstädten  meist  aus  dem  Mahl-Pfennie.  d.h.  einer 
Reichsgut  und  als  solches  vom  Natural«  niote  des  Manlkorns,  aus 
Könige  zu  Verpfändungen  benutzt,  dem  Mühlen-Handlohn,  bei  Besitz- 
griotdherrliche,  stadtgemeinliche  und  Veränderungen  in  festgesetzter 
stadtzünftige  Mühlen.  Gewöhnlich  Summe  entrichtet,  und  aus  dem 
wurde  die  Mühle  von  ihrem  Eigen-  Vogts-Scheffel, 
tümer  Zeitpacht-  oder  Erbleiheweise  Das  gesamte  städtische  Mühlen- 
an  andere  zum  Nutzbetriebe  über-  j  wesen  unterlag  einer  sorgfältig  ge- 
lassen. Der  Besitz  einer  zureichen-  übten  obrigkeitlichen  Beautsich- 
den  Anzahl  von  Mühlen  zählte  zu  tigung  in  technischer,  finanzieller 
den  Lebensfragen  einer  Stadt,  und  ,  und  gewerbspolizeilicher  Beziehung, 
häufig  wurde  schon  in  den  Hand-  Namentlich  verlangte  die  Müller- 
festen  die  Erbauung  von  Mühlen  in  Ordnung,  dass  der  Müller  richtigt*, 
Aussicht  genommen.  Überhaupt  mit  dem  eingebrannten  Probezeichen 
aber  bedurfte  jede  Neuanlegung  versehene  „Gemässe"  habe,  dass  er 
«hier  Mühle,  auch  wenn  der  Er-  das  ihm  anvertraute  Getreide  vor 
bauer  dazu  seineu  eigenen  Grund  Schaden  bewahre  und  nicht  betrü- 
und  Boden  verwendete,  der  Ge-  gerisch  mische,  dass  er  die  Mahl- 
nehroigung  des  Stadtherrn.  Ein  be-  gäste  nach  der  Reihenfolge,  wie  sie 
souderer  Vorzug  war  es,  wenn  einer  kommen,  befriedige  und  seine  Mahl- 
neu entstandenen  Mühle  von  dem  künden  nicht  Übernehme.  DieGegen- 
Landes-  oder  Stadtherrn  mit  der  An-  leistungen  der  Mahlkunden  bestan- 
lagebewilligung  zugleich  ein  Bau-  den  aber  aus  der  Mahlmetze2  he- 
recht verliehen  wurde,  wie  dies  im  stehend  in  einem  an  den  Müller 
früheren  Mittelalter  in  zahlreichen  I  fallenden  Brachteile  von  jedem  ihm 
Fällen  durch  die  Könige  geschehen  zum  Mahlen  übergebeuen  Scheffel 
ist ;  zunächst  durfte  niemand  anders  I  Getreides  oder  aus  dem  Mahl- 
als  der  Bauberechtigte  die  frag-  Schwing-,  Roll-  oder  Beutel geld,  das 
liehe  Wasserkraft  für  eine  Mühle  in  der  Kegel  auf  freier  Verabredung 
ausnutzen ;  mit  der  Zeit  ging  dann  beruhte. 


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667 


Nach  der  allgemeinen  Volks- 
anschauung des  Mittelalters  trübte 
das  Mühlgewerbe  den  Leumund; 
es  kommen  daher  Bestimmungen 
vor  wie  die,  dass  Müller  nicht  be- 
waffnet auf  die  Herberge  kommen 
sollten,  an  gewissen  Orten  war 
ihnen  sogar  der  Eintritt  in  die 
Innungen  verwehrt;  bei  Strang-Hin- 
richtungen hatten  mancherorts  die 
Müller  die  Galgenleiter  zu  liefern. 
Umgekehrt  erfreuten  sich  die  Mühlen 
eines  höheren  Friedens  und  ihre  Hof- 
räume  wurden  nicht  selten  zur  Ab- 
haltung grosser  Jahres- Volksfeste 
verwendet. 

Mummenschanz.  Die  Maske- 
raden sollen  unter  Karl  VI.  am 
französischen  Hofe  aufgekommen 
sein  und  zwar  bei  Gelegenheit  einer 
Hochzeit  zwischen  einer  Hofdame 
und  dem  Ritter  de  Vermandois  um 
1393.  Da  aber  mehrere  Masken 
verbrannten,  sah  sich  der  König 
veranlasst,  solche  Festlichkeiten  für 
die  Zukunft  zu  verbieten.  Sie  wur- 
den jedoch  in  kurzer  Zeit  wieder- 
holt und  zwar  mit  mehr  Glück  und 
kamen  so  rasch  in  allgemeine  Auf- 
nahme. 

MUnzwesen.  I.  Bei  den  Ger- 
manen versah  in  ältester  Zeit  haupt- 
sächlich das  Vieh  den  Dienst  des 
Geldes;  Ulfilas  übersetzt  Ausdrücke 
von  der  Bedeutung  des  Geldes  mit 
faihu;  althochdeutsche  Glossen  über- 
tragen pecunia  durch  fihu;  ebenso 
bezeichnet  altsächsisch  fehu,  angel- 
sächsisch feoh,  altnordisch  fe,  das, 
was  später  allgemein  Geld  heisst. 
Die  herkömmlichen  Busszahlungen, 
die  zur  Aufrechthaltung  des  Reehts- 
zustandes  und  öffentlichen  Friedens 
für  den  Fall  einer  Verletzung  vor- 
geschrieben waren,  und  das  Wergeid 
wurden  regelmässig  in  einer  be- 
stimmten Anzahl  Stücke  Vieh  be- 
zahlt und  berechnet,  vergleiche 
Tacitus  Germ.  12  und  21;  und  zwar 
galt  als  Werteinheit  eine  gewöhn- 
liche, gesunde,  milchgebende  Kuh, 
nach  deren  Wert  sonstiges  Vieh, 


Pferde,  Ochsen,  Kälber,  Schafe, 
Ziegen  und  Schweine  berechnet 
wurden;  nach  Jakob  Grimm  hängt 
damit  das  Wort  Schilling  zusammen, 
mit  dem  regelmässig  das  römische 
Wort  solidus,  die  als  allgemeine 
Werteinheit  geltende  römische  Gold- 
münze, übersetzt  wird;  es  soll  nam- 
I  lieh  Schilling  mit  skilan  —  töten, 
und  Schuld  verwandt  sein;  wer  ge- 
tötet hatte,  war  schuldig  Busse  zu 
zahlen,  und  der  Wertbetrag,  worin 
diese  Schuld  zu  entrichten  war,  hiess 
Schilling;  die  Übersetzung  der  rö- 
mischen Werteinheit  mit  der  ältern 
deutschen  Werteinheit  sei  aber  da- 
durch befördert  worden,  dass  beide 
Münzwerte  einander  ungefährgleich- 
kameu.  Nach  Anderen  soll  freilich 
mhd.  schillinc  von  schellan  herstam- 
men und  soviel  als  klingende  Münze 
bedeuten.  Dass  aber  der  römische 
Solidus  wirklich  dem  alten  Kuhwert 
gleichkam,  erhellt  aus  dem  Volks- 
recht der  Ripuarischen  Franken, 
worin  bei  der  Entrichtung  des  Wer- 
geides ein  gehörnter,  sehender  und 
gesunder  Ochse  für  2  Solidi ,  eine 
gehörnte,  sehende  und  gesunde  Kuh 
für  einen  Solidus,  ein  sehendes  und 
gesundes  Pferd  für  6  Solidi,  eine 
sehende  und  gesunde  Stute  für  3  So- 
lidi, ein  Schwert  mit  Scheide  für 
7  Solidi  gerechnet  wird. 

Neben  dem  Vieh  erscheint  aber 
bei  den  Germanen  die  Kenntnis 
und  der  Besitz  von  Metallen,  Gold, 
Silber,  Erz,  sehr  alt.  Tacitus  er- 
zählt im  fünften  Kapitel  der  Ger- 
mania: „Ich  weiss  nicht,  soll  ich 
es  eine  Gunst  oder  Ungunst  der 
Götter  nennen,  dass  sie  innen  Gold 
und  Silber  versagt  haben.  Zwar 
möchte  ich  doch  nicht  behaupten, 
dass  Germanien  keine  Silber-  oder 
Goldader  berge,  denn  wer  hat  je 
danach  geforscht?  —  aber  Besitz 
und  Gebrauch  dieser  edeln  Metalle 
machen  keinen  sonderlichen  Ein- 
druck auf  sie.  Man  kann  sehen, 
wie  bei  ihnen  silberne  Gefässe,  die 
ihren  Gesandten  und  Fürsten  zum 


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668 


Müuzwesen. 


Geschenk  gemacht  wurden,  gerade 
so  geringschätzig  behandelt  werden, 
wie  die  Töpfe,  die  sie  selbst  aus 
Thon  formen.  Nur  die  unserer 
Grenze  zunächst  Wohnenden  haben 
den  Gebrauch  von  Gold  und  Silber 
beim  Handel  kennen  gelernt  und 
wissen  sie  zu  sehätzen,  einzelne  Ge- 
präge haben  sie  sich  gemerkt  und 
nehmen  diese  mit  Vorliebe  an,  wäh- 
rend bei  den  Stämmen,  die  tiefer 
im  Innern  hausen,  noch  der  ur- 
sprüngliche, alte  Tausehhandel  im 
Schwange  geht.  Am  liebsten  sind 
ihnen,  weil  alt  und  längst  bekannt, 
die  am  Rande  gezackten  und  die 
mit  dem  Gepräge  eines  Zweige- 
spanns versehenen  Denare.  Silber 
ziehen  sie  dem  Golde  vor,  nicht  aus 
einem  Vorurteil,  sondern  weil  die 
grössere  Zahl  der  Silberstücke  für 
Leute  bequemer  ist,  welche  aller- 
lei wohlfeiles  Zeug  zu  verhandeln 
priesen." 

Indessen  bezeugen  zahlreiche 
Nachrichten  von  Tacitus  selber  wie 
von  anderen  römischen  Schrift- 
stellern, dass  es  in  den  römisch- 
ermanischen  Grenzländern  an  edclm 
letall  nicht  gemangelt  haben  kann, 
und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  die 
hauptsächlichste  Quelle  des  Zu- 
flusses edler  Metalle,  namentlich 
von  Si/ber.  nach  Deutschland  in 
den  Soldzahlungen  sowie  in  den 
häufigen  Geschenken  und  Subsidien 
der  römischen  Kaiser  an  germani- 
sche Truppen  und  Fürsten  zu  suchen 
ist.  Die  zahlreichen  Goldfunde  in 
norddeutschen  Gräbern  und  in  den 
O.stseeländern  weisen  aber  darauf 
hin,  dass  die  Germanen  noch  eine 
andere  Quelle  des  edeln  Metalls 
hatten;  ohne  Zweifel  kam  als 
Tauschmittel  für  ihren  Bernstein 
von  Westasien  her  im  Verkehr  mit 
den  griechischen  Kolonien  an  der 
Nordküste  des  schwarzen  Meeres 1 
viel  Gold  in  ihre  Hände,  welches 
sie  als  Rinygeld  verwendeten.  Ringe 
oder  bougen  in  der  verschiedensten 
Grösse,  geschlossen  oder  spiralför- 


f 


mig  gewunden  {teuntdne  bougä  des 
Hildebrandsliedes)  als  Arm-  oder 
Halssehmuck,  einzeln  oder  mehr- 
fach verkettet,  sind  oft  in  Gräbern 
aufgefunden  worden  und  werden  in 
noraischen  und  altdeutschen  Dich- 
tungen viel  genannt.  Freigebige 
Fürsten  heissen  Baugenbrecher. 
Baugenzerstückler,  Ring-  oder  Gold- 
Brecher.  Namentlich  war  das  Rimr- 
geld  in  Anwendung  beim  Tausch- 
handel und  für  die  Belohnung  ge- 
leisteter freiwilliger  Kriegsdienste. 
Dass,  wie  beim  Vieh,  auc  h  bei  den 
Ringen  ein  gewisses  Gewichts- 
system ,  eine  absichtliche  regel- 
mässige Gewichtsbemessung  ge- 
herrscht habe,  wird  von  der  neue- 
sten Forschung  abgewiesen.  Da- 
gegen liegt  es  auf  der  Hand,  dass 
zur  Bestimmung  und  Wertung  des 
Ringgeldes  Wage  und  bestimmtes 
Gewicht  notwendiges  Erfordernis 
war.  Wahrscheinlich  haben  die 
Germanen  auch  ihr  Gewichtswesen 
auf  demselben  Wege  erhalten,  auf 
welchem  sie  zuerst  gegen  den  Aus- 
tausch ihrer  Produkte  Edelmetall 
erhielten,  im  Verkehr  mit  den 
griechischen  Kolonieen  am  schwar- 
zen Meere,  und  zwar  war  es  nicht 
der  attische  Münzfuss,  den  die  Ger- 
manen von  daher  erhielten,  sondern 
der  besonders  in  der  Stadt  Cyzikus 
am  Bosporus  herrschende  hotpori- 
sehe  Münzfuss,  nach  welchem  die 
Drachme  H,71  Gramm  wog;,  es  ist 
das  nämliche  Gewichtssystem,  das 
man  in  den  ältesten  syrischen  und 
sidonischen,  hebräischen  und  ägyp- 
tischen Münzen  findet  und  das  zu- 
letzt auf  das  Fundament  des  ganzen 
Gewichtswesens,  das  babylonische 
Talent,  zurückführt. 

II.  Das  Jfünzwesen  des  mero' 
iririffi sehen  Reiehes  gründet  sich  auf 
das  römische  Münzwesen.  Im  römi- 
schen Reich  aber  war  seit  der  Mitte 
des  3.  Jahrhunderts  das  gesamte 
Münzwesen  in  die  ärgste  Verwirrung 
geraten,  sodass  der  Denar,  ursprüng- 
zu  3,41  Gramm  geprägt,  zu  einer 


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Münzwesen. 


immer  wertloseren  Billomnünze  und  der  letzteren  kamen  also  50  Stück 
schliesslich  zu  einem  winzig  kleinen  einer  Siliqua  und  1200  Stück  einem 
Weisskupferstück  hinabgesunken  ;  Solidus  an  Wert  gleich.  Eine  Neue- 
war. Auch  die  Goldmünzungen  ruug  trat  durch  das  fränkische 
waren  so  unregelmässig  gewortteti,  \  Münzsystem  insofern  ein.  als  an  die 
dass  die  Goldmünzen  schwerlich  Stelle  sowohl  des  alten  Silberdenars 
anders  als  mit  fast  jedesmaliger  Pest- 1  »Vi*  Solidus,  wie  der  Siliqua  —lju 
Stellung  des  Gewichtes  der  einzcl-  Solidus  ein  neuer  frankischer  Denar 
nen  Stücke  den  Geldumlauf  ver- 1  =I/40  Solidus  trat;  nach  ihm  sowohl 
mittein  konnten.  Kaiser  Konstantin  I.  als  nach  dem  Goldsolidus  werden 
brachte  endlich  eine  umfassende  im  Volksrechte  der  salischen  Frau- 
Reform  des  Münzwesens  zu  stände,  ken  die  Bussansätze  gewertet, 
welche  lange  Zeit  herrschend  blieb.  Die  Münzen  der  Merowingischen 
Als  oberste  Norm  der  Wertbestim-  Periode  sind  entweder  Gold-  oder 
mungen  sollte  von  nun  an  das  Pfund  Silbermünzen.  Von  den  Goldmünzen 
gereinigten  Goldes  nur  nach  dem  besteht  der  weitaus  grösste  Teil  in 
wirklichen  Gewichte  und  ohne  Rück-  Dritfel-Sofidi,  Trienten  oder  Tre- 
sieht  auf  das  Gepräge  gelten;  es  missen;  ganze  Solidi  sind  wenige 
wurde  eingeteilt  und  ausgemünzt  in  vorhanden ,  halbe  kommen  nicht 
72  Solidi,  welche  also  V«  Unzen  oder  vor.  Die  Goldmünzen  tragen  1.  ent- 
4  Skrupel  =  4,55  Gramm  wiegen  weder  den  Samen  der  ust römischen 
sollten.  Das  römische  Goldgeld  Kaiser,  wobei  aber  sonst  durch  aus- 
wurde als  allgemeine  Weltmünze  drückliche  Bezeichnung  der  frän- 
hetrachtet  und  Ausmünzung  des-  kische  Ursprung  dargethan  wird, 
selben  galt  als  ein  ausschliesslich  oder  2.  den  Samen  eines  fränkischen 
kaiserliches  Recht,  während  die  Aus-  Königs  und  ausserdem  entweder  den 
münzung  von  Silber  und  Kupfer  gewöhnlichen  Revers  der  damaligen 
seitens  fremder  Regenten  kein  Be-  oströmischen  Goldmünzen  Victoria 
denken  fand.  Als  Silbergeld  be-  Augustorum  oder  den  Namen  eines 
standen  während  des  5.  und  6.  Jahr-  Münzers,  eines  Ortes  und  verschie- 
hunderts  nur  die  siliquae,  deren  be-  den«;  Embleme,  wie  Kreuz,  Chrisma 
ständig  24  auf  den  solidus  gerechnet  (\Jonogram  Christi),  mit  sehr  starkem 
wurden.  Solidi  und  Siliquen  nebst  Relief  der  Bilder:  oder  3.  geben  sie 
entsprechender  Menge  von  Halb-  eine  spezielle  sachliche  Bestimmung 
Siliquen  und  wenigen  Doppelstücken  in  der  Aufschrift  kund,  wie  moneta 
der  Siliqua  waren  daher  die  Mün-  palatii,  racio  fisci,  racio  ecclesiae, 
zen,  welche  die  germanischen  Stäm- ,  racio  basilici  Sei  Marlini,  und  da- 
me  bei  ihrer  Niederlassung  in  den  j  neben  den  Namen  des  Münzers  und 
römischen  Provinzen  vorfanden  und  Ortes,  oder  4.  sie  tragen  nur  den 
welche  später  die  Grundlage  ihres  Namen  eines  Münzers  mit  Angabe 
eigenen  Münzsystemes wurden;  doch  des  Ortes  und  der  Prägung.  Eine 
besagen  die  Frauken  und  Gallier  Jahreszahl  hatten  diemerowingischen 
neben  den  beiden  genannten  Münz-  Münzen  nicht.  Die  Nachbildung  der 
s-orten  noch  ältere  römische  Silber-  oströmischen  Goldmünzen  gesehah 
denare  zum  Werte  von  '/ii  des  meist  in  sehr  roher  Weise  und  mit 
Goldsolidus,  und  eine  ebenfalls  Denar  auffallender  Korrumpierung  der  ko- 
geuannte  ausserordentlich  kleine  pierten  Schrift  und  der  Typen;  die 
Kupfermünze,  deren  6000  oder  eine  Ausmünzungen  wurden  in  grosser 
dieser  Summe  nahekommende  Zahl  Ausdehnung  und  vielerortsbetrieben, 
auf  den  Solidus  ging  und  von  wel-  Sowohl  hinsichtlieh  des  Gewichts 
eher  wieder  5  Stück  die  gewöhn-  als  des  Feingehalts  sind  diese  Mün- 
liche  Kupfermünze  ausmachten;  von  zen  sehr  ungleich;  es  gab  öffentliche 


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670 


Münzwesen. 


und  Privat-Münzanstalten.  Die  Aus- 
münzung der  einzelnen  Stücke  wurde 
nicht  mit  Genauigkeit  vorgenom- 
men, vielmehr  darauf  gesehen,  das» 
eine  bestimmte  Anzahl  zusammen 
das  normale  Gewicht  pro  Pfund 
oder  Unze  enthielt. 

Von  Silltermünzen  ist  aus  der 
merowingischen  Periode  bloss  der 
Silberdenar  nachgewiesen,  wahr- 
scheinlich den  Wert  des  alten  römi- 
schen Silberdenars  =  ljls  Solidus  hal- 
tend; über  Teilungen  des  Denars 
ist  man  auf  Vermutungen  angewiesen. 
Merowingisehe  Kupfermünzen  sind 
sehr  selten. 

Bei  den  Alemannen  und  Bayern 
erscheint  in  dieser  Periode  statt  des 
fränkischen  Denars  die  saiga,  d.  h. 
der  alte  römische  Silberdenar  =  l/H 
Solidus. 

III.  Unter  den  Karolingern.  Die 
wesentlichste  Veränderung  des  Münz- 
wesens unter  den  Karolingern  be- 
steht in  dem  im  8.  Jahrhundert  vor 
sich  gehenden  ilwrrjanq  von  der 
Goldwährung  zur  Silberwdhntng, 
hervorgerufen  durch  die  sich  mehr 
und  mehr  fühlbar  machende  Ab- 
nahme des  Goldvorrates,  verglichen 
mit  der  disponibeln  Silbermenjaje, 
und  infolge  der  damit  in  Verbin- 
dung stehenden  Einschränkung  und 
Verschlechterung  der  Goldausmün* 
zung;  als  die  Hauptursachen  der 
Abnahme  des  Goldvorrates  werden 
Abnutzung  und  Umschmelzung  der 
Münzen,  Verlorengehen  und  Ver- 
graben derselben  und  Ausfuhr  nach 
dem  Auslande  genannt.  An  Stelle 
des  Goldsolidus  trat  nun  ein  Silber- 
solidu»  von  72  Denarien,  der  aber 
nicht  geprägt,  sondern  nur  in  der 
Rechnung  gebräuchlich  wurde.  Die 
Goldprägung  hörte  seit  Pipin  so 
gut  wie  ganz  auf.  Während  aber 
vorher  wahrscheinlich  25  Solidi  zu 
12  Denarien  auf  ein  Pfund  Silber 
gerechnet,  also  300  Denarien  daraus 
geschlagen  wurden,  wurden  unter 
den  Karolingern  zuerst  22,  dann 


20  Solidi  auf  das  Pfund  gerechnet, 
eine  Veränderung,  die  mit  der  Ein- 
führung eines  grösseren  Pfundes,  des 
'  sog.  KarUpfunde»,   durch  Karl  d. 
Gr.  zusammenzuhängen scheint.  Eine 
völlige  Gleichheit  des  Münzwesens 
bei  allen  Stämmen  des  fränkischen 
Reiches  einzuführen,  gelang  Karl 
nicht;  bei  den  Friesen,  Sachsen  und 
Bayern  erhielten  sich  eigentümliche 
Münz  Verhältnisse.  Münzen  mit  den 
Namen  der  einzelnen  Münzer  und 
ohne  den  des  Königs  giebt  es  jetzt 
nicht  mehr;  die  Denarien  tragen 
ietzt  den  Namen  der  Könige  oder 
ihr  Monogramm;  daneben  erscheint 
als  fast  uuerlässlich  das  Kreuz;  einen 
Kopf  tragen  die  fränkischen  Münzen 
Karls  des  Grossen  nicht,  wohl  aber 
die  kaiserlichen,  deren  Köpfe  baare 
Nachahmungen     antiker  Gepräge 
sind   und    die   wahrscheinlich  für 
Italien    geschlagen    wurden;  das 
wichtigste  auf  den  Münzen  Karls 
ist  aber  immer  die  Schrift,  welche 
den  Namen  CAROLVS,  CARLVS. 
KAROLVS,  KARL  YS,  KARL, 
dann  den  Titel    R  F.  d.  i.  Rrx 
Franrorum,   und  die  Angabe  der 
Münzstätte    enthält;    die  Münzeu 
Ludwigs  des  Frommen  tragen  oft 
ein  Kirchengebäude    und    die  In- 
schrift christiana  religio.  Überhaupt 
wechselten  die  Münztypen  oft  in- 
folge der  verschiedenen  Münzstätten 


Ige  u 
ld  ai 


und  anderer  Umstände.  Die  Zahl 
der  Münzstätten  ist  eine  bedeutend 
geringere  als  unter  denMerowingern. 
Wenn  auch  an  verschiedenen  Orten 
zu  münzen  gestattet  war,  so  sollte 
es  nicht  ohne  ausdrückliche  Erlaub- 
nis und  unter  Aufsicht  des  Grafen 
geschehen.  Wie  unter  den  Mero- 
wingeru  ausnahmslos,  so  wurde 
unter  den  Karolingern  wenigstens 
vorherrschend  nur  in  den  Provinzen 
links  vom  Rhein  gemünzt,  wo  unter 
andern  als  Münzstätten  hervortreten 
Aachen,  Andernach,  Basel,  Bingen, 
Bonn,  Cambrai,  Chur,  Köln,  Löwen. 
Lüttich,  Mainz.  Mastrieht,  Metz, 
Möns,   Neuss,  Speier,  Strassburg, 


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Münzwesen 


671 


Toul,  Trier,  Verdun,  Wyk  de  Dner-  Münzrecht zunächst  zugunsten  eines 
stedc;  von  linksrheinischen  Münz-  Marktes  und  zwar  fast  regelmässig 
statten  werden  Regensburg,  Ess-  zugleich  mit  dem  Marktrecht;  seit 
Hilgen  und  Würzburg  genannt.  Meist  dem  Anfang  des  10.  Jahrhunderts 
hatten  die  Münzen  nur  einen  Um-  finden  sich  Münzen,  die  neben  dem 
lauf  in  der  Gegend,  wo  sie  ge-  königlichen  Namen  oder  statt  des- 
schlagen  wurden.  Da  Jeder  für  selben  den  eines  Herzogs  oder  Bi- 
seiue  Rechnung  prägen  lassen  konnte  sehofs  tragen;  die  ersteu  darunter 
und  daher  bei  der  Münze  Gelegen-  sind  Herzog  Arnulf  von  Bayern, 
heit  fand,  Metali  oder  alte  Münze  Hermann  L  von  Schwaben,  Bisehof 
in  die  eben  kursierende  zu  verwan-  Salomo  von  Konstanz,  Strassburger 
dein,  so  diente  die  Münze,  die  man  Bischöfe  aus  der  Zeit  Konrad  1. 
darum  auch  gern  mit  einem  Markt  Die  Verleihung  des  Münzrechte* 
verband,  zugleich  als  Weehselbank.  ging  eine  Stufe  weiter,  wenn  darun- 
Da  es  zum  Prinzip  der  Regierung  ter  die  Befugnis  verstanden  war, 
Karls  gehörte ,  das  Münzwesen  zu  an  jedem  Ort  des  Bistums ,  des 
konzentrieren,  geschahen  unter  ihm  Klostergebietes  oder  einer  Grafschaft 
keine  Verleihungen  des  Münzrechtes ;  eine  Münze  zu  errichten,  ohne  weitere 
dagegen  beginnt  die  Erteilung  von  Einholung  königlicher  Erlaubnis: 
Münzprivilegien  unter  Ludwig  d.  doch  waren  für  die  Übung  des  Münz- 
Fr.,  das  Bistum  Lemans  in  Frank-  rechtes  bestimmte  Bedingungen  ge- 
reich und  das  Kloster  Corvey  rühm-  stellt :  die  Münzen  sollten  probehal- 
ten sich,  dieses  Vorrecht  zuerst  em-  tig  sein,  öffentlichen  Gewichtes  und 
nfangen  zuhaben;  doch  erfolgte  die  reinen  Silbers,  oder  sie  sollten  nach 
Prägung  auch  hier  fortwährend  unter  dem  Vorbild  bekannter  und  ange- 
dem  Namen  des  Königs.  Die  Regel  sehener  Münzorte  geschlagen  wer- 
war,  dass  an  der  Münze  für  andere  ge-  den,  manc  hmal  mit  dem  Zusatz,  dass 
münzt  wurde;  schon  Pipin  erkannte  es  erlaubt  sein  solle,  die  Stücke  um 
dem  Münzer  einen  Solidus  vom  ein  Bedeutendes  leichter  auszuprä- 
Pfund  zu,  als  sog.  Schlagschatz,  gen,  als  es  dort  üblich  war.  Y)a- 
d.  h.  eine  Abgabe  an  den,  der  das  neben  Hessen  fortwährend  die  Könige 
Münzrecht  hatte.  Falschmünzerei,  auf  ihren  Pfalzen  oder  an  bedeu- 
die  unter  den  Merowingern  sehr  im  teuderen  Handelsorten,  welche  un- 
Schwange  gewesen  war.  gab  auch  den  mittelbar  unter  ihrer  Gewalt  stan- 
Karolingern  viel  zu  schaffen,  sei  es  den,  prägen.  Die  königlichen  Namen 
dass  einer  ohne  Münzrecht  münzte,  sei  tragen  jedoch  auch  viele  Münzen 
es  dass  Münzer  oder  Nichtmünzer  sich  geistlicher  und  weltlicher  Grossen, 
eigentliche  Fälschungen  zu  schulden  Die  Zahl  der  Münzstätten  ist  überaus 
kommen  Hessen;  die  Strafen  darauf  gross;  besonders  bedeutend  ausser 
waren  Schinden  im  Rücken,  Haar-  den  Bisehofsstädten  sind  die  könig- 
abscheeren,  Brandmarkung  im  Ge-  liehen  Orte  Dortmund,  Duisburg 
sieht  mit  den  Worten  f.  m.=  fal-  und  Goslar. 

sator  monetär,  Münzfälscher,  Ver-  Das  Gepräge  sehliesst  sich  an- 

lust  der  Hand.  fanjrs  an   das    der  karolingiseheu 

IV.  Zehntes  bu  dreizehnten  Jahr-  Periode  an:    die  vorherrschenden 

hundert.  In  dieser  Zeit  zerfällt  das  Typen  sind  Kreuz,  Kirchengebäude, 
durch  die  Karolinger  einheitlich  ge- !  Name,  selten  ein  Monogramm,  regel- 
ordnete Münzwesen  infolge  von  Pri- 1  mässig  die  Bezeichnung  des  Ortes, 

vilegien  zu  gunsten  geistlicher  Stifter  Das  Brustbild  der  Könige  erseheint 
und  der  Münzprägung  seitens  weit- 1  einzeln  unter  Otto  I. ,  häufiger  seit 

licher  Grossen  in  eine  neue  grosse  Otto  III.,  die  ganze  Figur  ist  selten : 

Zersplitterung.  Verliehen  wurde  das  |  später  Hessen  auch  geistliche  und 


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672 


Münzwesen. 


weltliche  Fürsten  ihr  Bild  aufneh- 
men. Von  Einfluß  auf  den  Stempel 
war  im  Norden  angelsächsischer,  im 
Süden  italienischer  Einflut*.  sodann 
«las  Vorbild  einzelner  einheimischer 
Münzstätten  und  ganz  besonders  das 
Belieben  der  Stempelschneider.  Seit 
dem  11.  Jahrhundert  fing  man  an, 
den  beiden  Seiten  der  Münzen  statt 
wie  früher  mit  einem  Sehlag  jeder 
für  sich  den  Stempel  aufzudrücken 
(llalhhrakteaten),  einem  Verfahren, 
dem  in  der  Staufischen  Zeit  die  Prä- 
gung mit  bloss  einem  Stempel  folgte 
(Brakteaten).  Immer  noch  hatten  die 
Münzen  einen  beschränkten  Umlaufs- 
kreis, daher  bei  Zahlungen  bestimmte 
Münzen  ausbedungen  wurden.  Als 
Münzstätten  werden  in  dieser  Periode 
genannt,  in  Lothrinqen  Gambrai, 
Verdun,  Metz,  St.  f>ic,  Lüttich, 
Brüssel,  Löwen,  Niveilcs,  Dender- 
monde,  Valenciennes,  Antwerpen; 
in  Friesland  Utrecht,  Tiele,  De- 
venter;  am  Unterrhein  Köln,  Re- 
magen, Duisburg;  in  Itheinfranken 
Speier  und  Worms;  in  Ostfranken 
\Viirzburg;  in  Alemannien  Strass- 
burg,  Basel,  Zürich,  Konstanz,  Ulm, 
vielleicht  Hall;  in  Bayern  Regens- 
burg; in  Kärnthen  Friesaeh;  im 
östlichen  Sachsen  Goslar,  Stade, 
Bardewic ,  Magdeburg ,  vielleicht 
Halle;  in  Westfalen  Dortmund, 
Soest,  Iserlohn,  Münster.  Iiibezug 
auf  das  Getcicht  werden  ein  öffent- 
liches oder  königliches  und  das  Kol- 
ner Gewicht  unterschieden.  Nach 
karolingischer  Ordnung  galt  das 
Pfund  Silber  gleich  20  Soluli  oder 
Schilf  innen  zu  12  Denarien,  wovon 

i'edoch  Kleinere  Abweichungen  vor- 
kommen. Seit  dem  Anfang  des  11. 
Jahrhunderts  wird  in  Deutschland 
auch  die  Rechnung  nach  der  von 
den  Angelsachsen  entlehnten  Mark 
gebraucht,  und  zwar  ist  die  Mark 
bald  soviel  als  Pfund,  bald  die 
Hälfte  desselben,  bald  hat  sie  noch 
anderen  Wert;  die  Kolner  Mark 
betrug  zwei  Drittel  Pfund  =  8  Unzen 
und  wurde  später  statt  zu  106  nur 


zu  144  Denarien  (12  Solidi  ä  12  De- 
narien) ausgeprägt. 

Während  Pfund,  Mark  und 
Schilling  nur  Kechnungseinheiten 
sind,  heisseu  die  einzig  ausgeprägten 
Münzen  Denar,  lat.  allgemein  nnm- 
mus,  deutsch  Pfennig,  and.  und  mhd. 
phennine,  phennic,  von  ahd.  das 
phant,  nhd.  Pfand,  also  eigentlich 
soviel  als  Pfandart;  dann  der  halb*' 
Denar,  helhlinc,  obulus,  Heller,  selten 
ein  Viertelsdenar.  Immer  noch  kam 
es  bei  grösseren  Summen  mehr  auf 
das  Gesamtgewicht  einer  grösseren 
Anzahl,  als  auf  das  dem  Wechsel 
unterworfene  einzelne  Stück  an. 

Gold  wurde  nur  getrogen,  nicht 
geprägt;  Goldmünzen,  die  etwa  um- 
liefen, waren  byzantinischen  Ur- 
sprungs oder  stammten  aus  fränki- 
scher Zeit. 

Was  unter  den  Karolingern  nur 
selten  geschah,  die  Umprägung  und 
wiederholte  Änderung  der  Münze, 
wurde  jetzt  Gewohnheit;  galt  es 
zwar  als  alte  Regel,  dass  die  Mün- 
zen der  Bischöfe  auf  deren  Lebens- 
zeit geschlagen  wurden,  so  wech- 
selten doch  manche  Bischöfe  mehr- 
mals im  Jahr,  bald  aus  Gründen 
der  Habsucht,  bald  um  eingerissenen 
Missbräuchen  zu  steuern. 

V.  Ende  des  Mittelalters.  Der 
zunehmende  Verfall  der  Reichsein- 
heit hatte  auch  eine  zunehmende 
Zerspaltung  und  Vereinzelung  des 
Münzwesens  im  Gefolge,  dergestalt, 
dass  im  14.  und  15."  Jahrhundert 
eine  zusammenfassende  Übersicht  der 
Münzen  kaum  möglich,  wenigstens 
bis  jetzt  noch  nicht  versucht  worden 
ist.  So  zahlreich  aber  die  vorhan- 
denen Münzgebietc  in  dieser  Zeit, 
die  landschaftlichen  Münznamen  und 
namentlich  die  einzelnen  Münzwerte 
sind,  so  fusseu  sie  doch  alle  bis  ins 
13.  Jahrhundert  auf  dem  Pfund 
Silber,  welches  20  Schillinge  oder 
240  Silberdenare  oder  Pfennige  ent- 
hält; da  sowohl  Pfund  als  Schilling 
blosse  Rechnung9münzen  waren,  so 


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Münzwesen 


673 


wurde  ihr  Wert  allein  durch  den 
Wert  des  Pfennigs  als  der  Einheit 
bestimmt.  Dieser  Wert  aber  war 
ein  sehr  veränderlicher,  da  jede  neue 
Silbermünze,  die  sich  Ansehen  und 
Kurs  verschaffte,  durch  geringere 
Ausprägung  wieder  verscnlcehtert 
wurde;  so  kam  der  Pfennig  der 
schwäbischen  Stadt  Hall,  der  als 
Heller  die  gangbarste  Silbermünze 
im  südwestlichen  Deutschland  wurde 
und  selbst  die  allgemeine  Bezeich- 
nung der  Pfennige  durch  die  be- 
sondere der  Heller  verdrängte,  durch 
ihre  Entwertung  im  14.  Jahrhundert 
auf  einen  halben  Pfennig  und  weiter 
herab.  Aus  dem  Wort  Pfennig 
lösten  sich  mit  der  Zeit  zum  Ten 
mit  der  Übertragung  der  ältern  Be- 
deutung auf  das  geprägte  Münzstück 
überhaupt  verschiedene  andere  selb- 
ständige Münzwerte  ab,  wie  Gulden 
=  güldener  Pfennig,  Berner,  Haller, 
Münchener,  geil.  Pfennig,  Groschen 
=  denarius  arossus,  Gross-Pfennig, 
substantivisch  der  Gross,  Grosch; 
Weiss- 1  fennig,  Kreuzer- Pfennig oder 
Kreuzer,  der  gülden  Florenzer,  oder 
Ducaten,  der  gülden  rheinisch,  der 
gülden  ungarisch  —  Pfennig;  der 
Dreier,  Vierer,  Sechser,  der  Joachims- 
Gulden  =  Grosch  —  Pfennig,  woraus 
Thaler  entsprungen  ist.  Vgl.  Sch mel- 
ier, Bayr.  Wörterb.,  unter  dem  Wort 
Pfennig. 

Neben  die  Silberwährung  stellt 
sich  seit  dem  13.  Jahrhundert  eine 
Goldwährung,  deren  Ausgangspunkt 
der  Florentiner  Gulden,  Flottn  d'oro, 
ist;  derselbe  wurde  seit  1252  von 
der  Republik  Florenz  ausgeprägt 
und  zeigte  auf  der  einen  Seite  das 
Bild  Johannes  des  Täufers,  des 
Schutzpatrons  von  Florenz,  auf  der 
andern  die  Lilie  als  Wappen  der 
Stadt.  Nach  diesem  Vorbilde  wurde 
zuerst  der  Venezianische  Ducaten 
oder  Zechin  im  Jahre  1283,  dann 
der  ungarische  Gulden  unter  der 
Regierung  Karl  Roberts,  aus  dem 
1 1 ause  A njou  von  Neapel ( 1 309 —1842) 
geprägt  Die  neue  Goldmünze  fand 

Reallexieuu  der  deutschen  Altertümer. 


bald  auch  in  Deutschland  Eingang, 
in  Böhmen  wurde  sie  von  König 
Johann  1325  eingeführt.  Seitdem 
in  der  goldenen  Bulle  den  geistlichen 
und  weltlichen  Kurfürsten  sowie  der 
Krone  Böhmen  das  Recht  zuge- 
sprochen war,  Gold-  und  Silber- 
münzen zu  schlagen,  Hessen  auch 
die  rheinischen  Kurfürsten  Gulden 
mit  dem  Bilde  Johannes  des  Täufers 
prägen. 

I)a  die  Goldmünze  die  verhält- 
nismässig konstante  Grösse  war, 
pflegte  diese  von  jetzt  an  den 
Wertmesser  für  die  Silber  Wäh- 
rung abzugeben;  das  Gewicht, 
nach  dem  in  dieser  Periode  die 
italienischen  Gulden  geprägt  wur- 
den, war  die  Kölnische  Mark;  die 
deutschen  Gulden  wurden  nach  Ge- 
präge, Schrot  und  Korn  bloss  jenen 
nachgeprägt,  wobei  die  Bestimmung 
des  Münzfusses  den  einzelnen  Münz- 
herren freigestellt  war. 

Um  der  auch  hier  überhand- 
nehmenden Verwirrung  abzuhelfen, 
vereinigten  sich  im  Jahr  1386  die 
vier  rheinischen  Kurfürsten  zu  einem 
Münzvertrag,  worin  sie  den  Müuz- 
fuss  der  Gold-  und  Silbermünzc  so- 
wie deren  gegenseitiges  Wertver- 
hältnis bestimmten.  Sie  beschlossen, 
Gulden  zu  münzen  mit  dem  St. 
Johannisbilde,  23karätig,  66  Stück 
auf  die  Mark  im  Gewicht;  doch  soll 
der  Münzmeister  für  die  Mark  fein 
Gold  nicht  mehr  als  67  Stück  geben 
und  jeder  Münzherr  einen  halben 
Gulden  als  Schlagschatz  bekommen. 
Ein  Gulden  dieser  Art  soll  20  neue 
Silberpfennige(wy8se  penning)  gelten 
und  ebensoviel  wie  die  ungarischen 
und  böhmischen  Gulden.  Als  trotz 
dieser  Vereinbarung  auch  die  Gold- 
währung sich  wieder  verschlechterte, 
wurde  endlich  1402  der  Münzfuss 
durch  ein  Reichsmünzgesetz  fest- 
gestellt, das  später  mehrmals  er- 
neuert werden  musste.  Seit  dem 
Jahre  1535  fing  man  an,  offenbar 
infolge  grösseren  .Silberzuflusses, 
Silberstücke  oder  silberne  Groschen 

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674 


Musik. 


zu  schlagen,  die  einen  Goldgulden 
im  Werte  gleich  sein  und  60  Kreuzer 
geben  sollten;  man  nannte  diese 
»Stücke  mit  einem  nicht  von  ihrem 
Stoffe,  sondern  von  ihrem  Werte  ent- 1 
lehnten  Namen  QtUdiner-Qroschen, 
G  uldiner ,  ( 1  uld n  er,  Meichsg  ul dn  er, 
Jieiehsqulden,  zu  unterscheiden  von 
dem  von  nun  an  tautologisch  so  ge- 
nannten Goldtjulde-n.  Als  diese 
Münze  im  Werte  stieg,  wurde  wieder- 
holt verboten ,  die  Güldener  höher 
als  60  Kreuzer  zu  nehmen,  mit  Aus- 
nahme der  in  Joachimsthal  in  Böhmen 
geschlagenen  Joachims!  hat  er- Quid- 
ner,  die  man  später  Thaler  nannte. 

Uber  das  älteste  Münzwesen  bis  zu 
den  Karolingern  handelt  Soetbeer  in 
den  Forschungen  zur  deutschen  Ge- 
schichte, Hand  I,  II,  IV  und  VI; 
über  „Die  deutscheu  Münzen  der 
sächsischen  und  fränkischen  Kaiser- 
zeit", Dannenberg,  1876;  über  die 
ältere  Zeit  Waitz  in  der  Verfassungs- 
geschich tc  und  Müller,  Deutsche 
Münzgeschichte  bis  zu  der  Ottonen- 
zeit  Leipzig  1860.  Über  das  spä- 
tere Mittelalter  namentlich  Hegel, 
Deutsche  Städtechroniken,  Nürn- 
berg, Band  L  S.  224-262,  und  II, 
531  ff.  und  Schindlers  Bayr.  Wörter- 
buch in  den  Artikeln  Pfenning, 
Schi  Hing,  Gulden,  Tlialer.  Eine  zu- 
sammenhängende vollständige  Münz- 
geschichte fehlt  bis  jetzt. 

Musik.  Die  ältesten  Nachrich- 
ten, welche  wir  über  die  Deutschen 
durch  einige  Schriftsteller  des  klassi- 
schen Altertums  erhalten,  bestätigen, 
dass  unsere  Vorfahren  früh  schon 
Poesie  und  Gesang  liebten  und  übten. 
Tacitus  erzählt  uns  von  dem  soge- 
nannten Barditus,  dem  Schlaent- 
gesang  der  Deutschen,  der  durch 
Vorhalten  der  Schilde  vor  den  Mund 
noch  wilder  und  furchtbarer  tönend 
gemacht  wurde  und  nach  dessen 
Wirkung  sieden  Ausgang  desTreffens 
glaubten  bestimmen  zu  können. 
Auch  die  Instrumentalmusik  hatte 
bei  den  alten  Germanen  schon 
frühe  Eingang  gefunden.  Selbstver- 


ständlich waren  es  anfangs  nur 
schallverstärkende  Lärm-  oderKling- 
instrumente:  Trommeln ,  Cymbeln 
und  höchstens  noch  das  weithin- 
schallende Horn  des  Stieres.  Wie 
unselbständig  die  Musik  in  den 
alten  deutschen  Dichtungen  auftritt, 
beweist,  dass  „singen  und  sagen" 
noch  bis  ins  13.  Jahrhundert  gleich- 
bedeutend war.  Der  altdeutsche  Ge- 
sang erscheint  vorwiegend  als  Voll- 
ender der  poetischen  Form  der 
Sprache;  er  bildet  die  Hauptstützen 
der  Vcrsbildung,  deren  Hauptregel 
das  Gesetz  der  Betonung  wurde. 
Im  Aoccnt  treten  einzelne  Töne 
unterscheidbar  heraus  und  diese  Be- 
tonung der  sogenannten  Liedstäbe 
musste  zur  Einführung  gewisser 
Intervalle  in  der  Tonhöhe  führen, 
welche  messbar  waren.  Höher  darf 
man  sich  den  Anteil,  den  der  Ge- 
sang an  der  Poesie  nahm,  wohl  kaum 
denken,  und  es  ist  daher  nicht  zu 
verwundem,  wenn  die  Römer,  wel- 
che ihr«'  Musik  grösstenteils  schon 
ausgebildet  von  den  Griechen  er- 
halten hatten,  von  der  Gesangkunst 
der  Deutschen  nicht  sonderlich  er- 
baut waren.  Zugleich  lernen  wir 
aber  auch  die  Mühe  würdigen, 
die  es  den  christlichen  Bekehreru 
verursachte,  unsere  Vorfahren  für 
den  Kirchengesang  zu  erziehen. 

1.  Musik  der  ersten  christlichen 
Zeil.  Über  die  früheste  Zeit,  in 
welcher  das  Christentum  in  Deutsch- 
land Eingang  fand,  siud  wir  weuig 
unterrichtet.  Die  Verheerungen  der 
Völkerwanderung  Hessen  den  Samen 
desselben  zu  keiner  gedeihlichen 
Fortentwicklung  unterden  Deutschen 
kommen.  Vollkommen  zur  Herr- 
schaft gelaugte  dasselbe  erst  unter 
seinem  ersten  Kaiser,  Karl  dem 
Grossen.  Durch  ihn  erst  gewann 
das  Christentum  in  deutschen  Landen 
festen  Fuss,  sodass  eine  vollständige 
Umgestaltung  deutscher  Kultur, 
Kunst  und  Sitte  erfolgen  kounte. 
Ganz  besondere  Sorgfalt  aber  ver- 
wandte Karl  auf  die  Pflege  des 


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Musik. 


675 


Kircbengesanges.  Derselbe  war  in 
Italien  inzwischen  schon  zu  einer 
bedeutenden  Entwicklung  gelangt. 

Wie  die  bildenden  KünBte  hatte 
auch  dort  die  Musik  das  Erbe  des 
Altertums  angetreten,  aber  statt 
einer  verständnisvollen  Fort-  und 
Ausbildung  des  Überlieferten,  trat 
eine  Vereinfachung,  eine  mehr  kind- 
lich naive  Auffassung  des  Gegebe- 
nen ein.  Wie  der  erste  christliche 
Kirchengesang  entstanden ,  wissen 
wir  nicht:  alte;  griechische  und  rö- 
mische Melodien,  jüdischer  Tcmpel- 
gesang  und  kunstloser  Naturgesaug 
werden  vereint  erklungen  haben, 
bis  sich  nach  und  nach  eine  feste 
Norm  ausbildete.  Ohne  Zweifel 
saug  vorerst  die  ganze  Gemeinde, 
denn  noch  der  Bischof  Ambrosius 
berichtet:  „Freilich  befiehlt  der 
Apostel,  dass  die  Weiber  in  der 
Kirche  schweigen  sollen,  aberPsalinen 
singen  sie  sehr  gut.  Die  süssen 
Stimmen  der  Jünglinge  und  Mäd- 
chen klingen  lieblich  zusammen,  ohne 
dass  es  Gefahr  bringt."  —  Allein 
bald  sah  sich  die  Kirche  doch  ver- 
anlasst, der  Gemeinde  das  Recht 
des  allgemeinen  Gesanges  zu  ent- 
ziehen; das  Kirchenjahr,  das  sich 
nach  und  nach  gebildet  hatte, 
verlangte  auch  eine  bestimmte  ein- 
heitliche Regelung  des  Gesanges, 
und  so  befahl  das  Konzil  von  Lao- 
dicea  (367):  es  solle  kein  Anderer 
in  der  Kirche  singen,  als  die  dazu 
verordneten  Sanger  von  ihre rTribüne. 
Wir  erfahren  denn  auch,  dass  be- 
reits unter  den  Päpsten  Sylvester 
und  Hilarius  eigene  Sängerschulcn 
entstanden.  Indessen  vermochte  dies 
alles  nicht,  denEinfluss  und  die  Nach- 
wirkungen der  antiken  Musik  zu  ver- 
wischen; im  Gegenteil  wurde  der 
letzte  Vertreter  derselben,  Boethius, 
das  Dogma  aller  mittelalterlichen 
Musikgciehrten.  Derselbe  hatte  ein 
schwerverständliches  Buch: 


goras,  Aristoxeno*,  PtolemäuS  etc. 
Die  Musik  ist  ihm  ein  Theil  Mathe- 
matik. Die  Grundlage  seines  Systems 
bildet  eine  Reihe  von  vier  Tönen 
im  Umfange  einer  reinen  Quarte: 
das  Tetiaehord.  Dasselbe  enthält 
stets  zwei  Ganztonintervalle  und  ein 
Halbtonintervall.  Je  nach  Stellung 
dieses  Halbtonintervalls  in  der  Aut- 
einanderfolge der  vierTöne  heisst  das 
Tetrachord  dorisch  (wenn  der  Halb- 
tonschritt in  der  Tiefe  liegt  ),phrygisch 
(wenn  er  in  der  Mitte  liegt)  oder 
lydisch  (wenn  er  in  der  Höhe  liegt). 
Setzt  man  nun  zwei  phrygische  Te- 
trachorde  derart  zusammen,  dass 
vom  höchsten  Ton  des  tiefen  Te- 
chraehords  zum  tiefsten  Ton  des 
höhern  Tetrachords  ein  ganzer  Ton- 
schritt ist,  so  erhält  man  eine  Ok- 
tavengattung,  in  welcher  die  Töne 
in  folgenden  Intervallen  aufeinander- 
folgen: 

Ton  (I  II  III  IV)  (V  VI  VII  Villi 
Interv.  1  %  1  1  1  »/• 
Diese  Toureine  nahm  man  nun  als 
Fundament  alles  Kirchengesanges 
in  die  christliche  Musik  herüber.  Da 
indessen  der  Wunsch,  bei  gewissen 
Gelegenheiten  oder  einzelnen  Texten 
durch  höhere  heller  klingende  Intona- 
tion eine  charakteristische  Wirkung 
hervorzubringen ,  fühlbar  werden 
mochte,  und  auch  die  nächsthöhern 
Oktavenreihen  den  menschlichen 
Singorganen  nichts  Ausscrgcwöhn- 
liches  zumuteten,  80  wurden  auch 
diese  noch  dazu  genommen,  so  dass 
man  vier  für  sich  nach  oben  und  unten 
abgegrenzte  Tonreihen  von  folgen- 
der Gestalt  erhielt: 

(Ton  VIII  ist  gleich  Ton  I,  nur 
eine  Oktave  höher,  also): 

I  II  III  IV  V  VI  VII  I 

i  «/•  i  i  i   7i  i 

II  III  IV  V  VI  VII  I  II 


fe  tnuttca  hinterlassen.  Darin  er- 
scheint er  als  gelehrter  Redactor 
der  musikalischen  Sätze  des  l'ytha- 


ii 


1   1  1 


1  1 


III  IV  V  VI  VII  I  II  III 

l    l  i    Vi  U_J»'*_ 
IV  V  VI  VII  I  II  III  IV 

.1  i   V,   i  i  V,  i 

43* 


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676 


Musik. 


Ob  bei  Aufstellung  der  Vierzahl 
irgend  welche  jener  Zeit  eigentüm- 
liche Symbolik  mitgespielt  hat,  bleibe 
dahingestellt;  dagegen  darf  nicht 
unterlassen  werden,  zu  betonen,  dass 
die  sich  durch  Verschmelzung  dieser 
vier  Oktavenreihen  erzielende  Ton- 
reihe: 

i  ii  iii  iv  v  vi  vii  I  ii  in  iv 
l  Vi  i  i  i  Vi  1  1  Vi  i 

als  kirchliches  Oesetz  betrachtet  und 
jede  Änderung  oder  Einschiebung 
fremder  Töne  strenge  untersagt 
wurde. 

Indessen  ergab  sich  doch  bald 
das  Bedürfnis,  an  dieser  Strenge  zu 
rüttteln,  besonders  als  man  anfing 
mehrstimmig  zu  singen  und  die  Be- 
gleitung der  Melodie  in  Quarten- 
läufen Deliebt  wurde. 

Betrachtet  man  nämlich  fort- 
schreitend die  Tonreihe,  so  wird 
man  finden,  dass  I  u.  IV,  II  u.  V, 

IV  u.  VII,  V.  u.  1  u.  s.  w.  immer 
je2  V»  Töne  auseinanderliegen;  einzig 
der  Tonschritt  III  und  VI  umfasst 
ein  Intervall  von  drei  ganzen  Tönen. 
Das  war  eine  übermässige  Quarte  und 
klang  unrein,  und  man  wusste  sich 
nicht  anders  zu  helfen,  als  dass 
man  den  Ton  VI  um  einen  Halbton 
erniedrigte  und  die  Strenge  der  dia- 
tonischen Skala  zerbrach.  Um  das 
zu  vermeiden,  zog  man  es  vor,  diesen 
Tonschritt  als  ,iaiabolus  in  murica" 
einfach  zu  verbieten. 

Die  vier  Oktavenläufe  oder  Ton- 
arten scheinen  indessen  nicht  genügt 
zu  haben,  und  schon  der  590  zum 
Papst  erwählte  Gregor  der  Grosse 
suchte  dem  Bedürfnis  nach  grösserer 
Mannigfaltigkeit  abzuhelfen,  indem 
er  aus  jedem  der  vier  Kircncntöne, 
die  man  nun  „Authentische"  nannte, 
je  einen  sogen.  „Magalen"  bildete. 
Dies  geschah  derart,  dass  er  die 
vier  obern  Töne  eines  jeden  Au- 
thentus  dem  gleichnamigen  um  eine 
Oktave  tiefer  versetzte,  also: 
=  llalbtouschritt)  « 


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Unter  die  erste  plagale  Tonreihe, 
als  die  mit  dem  tiefsten  Ton  be- 
ginnende, soll  nun  Gregor  die  Buch- 
staben ABCDEFG  gesetzt  und 
diese  aufwärts  in  gleicher  Reihen- 
folge wiederholt  haben,  so  dass  die 
acht  Kirchentonarten  nun 


DEFGabcd 
ABCDEFGa 

EFGabcde 
B  CDEFGab 

FGabcdef 
CDEFGabc 

Gabcdefg 
DEFGabcd 

Es  wurde  schon  vorhin  bemerkt, 
dass  der  Tonschritt  III  bis  VI 
oder,  wie  wir  ihn  jetzt,  nennen  kön- 
nen, F  bis  A,  unrein  klang  und  man 
sich  deshalb  veranlasst  sah,  das  b 


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Musik. 


677 


um  einen  halben  Ton  zu  erniedrigen. 
Demgeinäss  führte  inau  auch  zwei 
Zeichen  hierfür  ein,  da«  h  nudle  oder 
rotundum:  >  und  das  h  quadrum 
oder  durum:  woraus  nachmals 
unser  h  entstanden  ist 

Damit  war  das  Tonsystem  für 
das  ganze  Mittelalter  geschaffen. 
Die  starre  Diatonik  herrschte  bei- 
nahe unbeschränkt,  Halbtonsehritte 
gab  es  keine  anderen  als  die  zwei 
einmal  angenommenen  von  E—  F 
und  von  B  quadratum  zu  C.  Die 
enge  Zusammengehörigkeit  der 
authentischen  und  plagaJen  Tonar- 


aufwärts  und  eine  Quarte  abwärts 
steigen,  um  schliesslich  wieder  zu 
dem  mittleren  Grundton  zurückzu- 
kehren. 

Gregor  hatte  sich  indessen  noch 
ein  anderes  Verdienst  um  die  Musik 
erworben.  Mit  Eifer  sammelte  er 
die  Gesangsweisen,  welche  sich  nach 
und  nach  gebildet  hatten,  dichtete 
neue  dazu  und  ordnete  dieselben 
nach  den  Zeiten  des  Kirchenjahres. 
Was  aber  das  Wichtigste  war,  er 
sorgte  dafür,  dass  sie  niedergeschrie- 
ben wurden.  Dadurch  entstand  eine 
feste  Norm,  welche  heute  noch  in 


|\*  Utvs  awtV 

(Fig.  101.    Gregorianische  Buchatabennotierung. 

I  j 

Kl  fr  »1  f  J»  J  ^  7 — Ts 

Fig.  102.  Neumenotierung. 


ten,  deren  Verhältnis  von  den 
Schriftstellern  des  Mittelalters  durch 
die  Bezeichnung  männlich  und  weib- 
lich treffend  charakterisiert  ist,  zeigt 
sich  am  deutlichsten  darin,  dass 
der  musikalische  Schwerpunkt,  der 
Grund-  oder  Finalton  beiden  gemein- 
sam ist;  die  authentische  Tonart 
hat  ihn  in  der  Tiefe,  die  plagale 
dagegen  in  der  Mitte.  Nach  diesem 
Prinzip  teilte  man  auch  die  Melo- 
dien in  authentische  und  plagale 
ein,  nämlich  in  solche,  die  sich  vom 
Grundton  bis  zu  seiner  Oktave  und 
zurück  bewegen,  und  in  solche,  die 
von  ihrem  Grundton  aus  eine  Quinte 


der  katholischen  Kirche  unter  dem 
Namen  Grcgarianincher  Choral  als 
Ritualgesang  befolgt  wird.  Dieses 
sogenannte  Antiphonar  Hess  Gregor 
sonderbarerweise  nicht  nach  der  von 
ihm  erfundenen  Tonschrift  notieren, 
sondern  bediente  sich  der  mangelhaf- 
ten Tonschrift  der  Neumen,  Fig.  101 
und  102,  das  sind  gewisse  über  die 
Textessilben  geschriebene  Strichel- 
chen, Häkchen,  Punkte,  Halbbogen 
und  ähnliche  Figuren.  Vermutlich 
aus  den  Accenten  der  griechischen 
Schriftsprache  entstanden ,  hatte 
diese  Tonschrift  zwar  vor  der  Buch- 
stabenschrift die  Fähigkeit  voraus, 


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G78 


Musik. 


Steigen  und  Fallen  der  Stimme  an- 
schaulich zu  machen,  worin  der 
Keim  unserer  jetzigen  Notenschrift 
liegt;  allein  die  absolute  Höhe  des 
Tones  oder  die  Grösse  der  Intervalle 
war  nicht  herauszufinden  und  die 
Neumen  dienten  sicherlich  nur  als 
Gedächtnisnachhilfe  für  den  Sänger, 
der  die  Melodie  auswendig  kannte. 
Als  die  charakteristische  Eigenheit 
des  Gregorianischen  Gesanges  wird 
angenommen,  dass  er  im  Gegensatze 

Segen  den  metrischen,  die  Quantität 
er  Silben  nach  antiker  Art  genau 
beobachtenden  ambrosianischen  Ge- 
sang, keine  bestimmte  Zeitdauer  der 
einzelnen  Töne  angenommen,  son- 
dern es  dem  Sänger  überlassen  habe, 
nach  Belieben  zu  dehnen  und  zu 
verkürzen.  Dadurch  aber  war  das 
Hand  gerissen,  welches  bis  dahin 
die  christliche  Musik  noch  mit  der 
antiken  verknüpft  hatte.  An  Stelle 
der  früheren  poetischen  Metrik  trat 
nun  eine  musikalische.  Wo  früher 
Länge  und  Kürze  geherrscht,  da 
führte  jetzt  Arsis  und  Thesis  das 
entscheidende  Wort.  Dadurch  aber 
war  es  zugleich  ermöglicht,  auf  eine 
Silbe  mehrere  Töne  fallen  zu  lassen ; 
es  entstand  jener  verzierte  Gesang, 
der  unter  dem  Namen:  Vitalianischer 
bekannt  ist,  namentlich  aber  jene 
Jubellaute,  von  denen  der  Bischof 
Durandus  erzählt,  dass  man  das 
Alleluja  von  Alters  her  mit  dem  pneu- 
ma  gesungen  habe,  welches  pneuma 
eine  unaussprechliche  Freude  des  Ge- 
mütes über  das  Ewige  ausdrücke. 

Bis  zu  dieser  Entwickeluugs- 
stufe  war  der  Gesang  gediehen, 
als  Karl  der  Grosse  erschien,  die 
der  Kultur  widerspenstigen  Völker 
bezwang  und  sie  durch  die  Wohl- 
that  einer  höheren  Bildung  mit  seiner 
Herrschaft  dauernd  auszusöhnen  ver- 
suchte. Karl  gründete  Schulen  im 
ganzen  Umfange  seines  Reiches, 
von  denen  die  zu  Metz,  Soissons, 
Fulda,  Mainz,  Trier,  St.  Gallen  zu 
hohem  Ruhm  gelangten.  Gleich  den 
übrigen  Lehrgegenständen  wurde  hier 


auch  die  Musik  gepflegt.  Mit  Miss- 
vergnügen aber  bemerkte  Karl,  dass 
sich  imKirchengesange  Unterschiede 
einschlichen.  Mehrmals  Hess  er  da- 
her Sänger  von  Rom  kommen,  um 
durch  ihr  Beispiel  die  ungeübten 
Kehlen  seiner  fränkischen  Sänger 
zu  veredeln.  So  entstand  namentlich 
in  Metz  eine  berühmte  Sängerschule, 
aber  auch  in  St.  Gallen  sollte  die 
Sangeskunst  ungeahnt  aufblühen. 
Der  Grund  zu  dieser  Blüte  wurde 
gelegt  durch  Romanus,  einen  der 
zwei  römischen  Sänger,  welche  Papst 
Hadrian  I.  auf  Wunsch  Kaiser  Karls 
nach  Metz  sandte,  mit  zwei  authen- 
tischen Abschriften  des  gregoriani- 
schen Antiphonars  versehen.  Auf 
der  Hinreise  erkrankte  Romanus 
und  erreichte  mit  Mühe  St  Gallen, 
wo  er  denn  auch  auf  besondere 
Weisung  Karls  verblieb  und  mit 
ihm  ein  Exemplar  des  Antiphonars. 
welches  noch  heutzutage  auf  der 
St.  Gallischen  Stiftsbibliothek  liegt. 
Von  nun  an  begann  ein  reges  künstle- 
risches Streben  unter  den  St.  Galler 
Mönchen,  worüber  uns  Ekkehard  IV. 
in  seinem  Casu*  <S7.  Galli  Ausführ- 
liches zu  erzählen  weiss.  Besondere 
Verdienste  um  die  Ausbildung  der 
Musik  erwarben  sich  die  beiden  Not- 
ker, Labeo  und  Balbulus,  der  letztere 
Erfinder  einer  neuen  Kunstgattung, 
der  sogenannten  Sequenzen.  Diesel- 
ben entstanden,  indem  man  den  lang- 
atmigen Vokalisen  des  A  llehna  Worte 
unterschob  und  auf  diese  Weise  in 
die  wortlos  gewesenen  Melismen 
wieder  Sinn  und  Verstand  zu  bringen 
suchte. 

Dadurch  kamen  Dichtung  und 
Musik  in  ein  ganz  neues  Verhältnis. 
Die  Arbeit  des  Musikers  und  Dich 
ters  trennte  sich.  Der  erstere  erfand 
Melodien  für  künftige  mannigfach 
darunter  unterzulegende  Worte,  der 
letztere  dichtete  zu  bereits  vorhan- 
denen Melodien  Texte.  Notker  Bal- 
bulus unterzog  aber  zugleich  die 
bereits  vorhandenen  Jubilos  einer 
Art  Redaktion,  indem  er  50  davon 


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Musik. 


679 


mit  eigenen  Namen  bezeichnete  und 
dazu  neue  dichtete. 

Diese  Melodien  und  Gesänge 
galten  anderwärts  als  mustergültig 
und  wurden  mannigfach  nachgeahmt, 
namentlich  entstanden  ähnliche  Ge- 
sänge im  Volke,  welche«  dieselben 
teils  beim  Gottesdienste,  teils  bei 
Bittgängen,  beim  Kampfe  u.  s.  w.  an- 
stimmte. Hierher  gehören  die  beiden 
Dichtungen  :  Stabat  mafer  und  Die« 
trat. 

So  wirkte  der  gregorianische 
Gesaug  nach  allen  Seiten  und  strebte 
nach  unbedingter  Herrschaft,  und  wie 
die  gelehrte  Theorie  in  Boethius  eine 
gegebene  Grundlage  der  theoreti- 
schen Musik,  so  fand  die  Praxis  im  G  re- 
gorianisehen  Gesauge  einen  gege- 
benen Stoff  zu  musikalischer  Übung, 
er  wurde  der  eantu«  Jirmu«,  der 
Tenor,  an  dem  nicht  getastet  wer- 
den dürft*?.  Das  Mittelalter  hatte 
ein  tiefes  Bedürfnis  nach  einer  Art 
Autorität,  nach  dem  Dogma.  So 
nahm  es  seinen  Boethius  und  den 
gregorianischen  Gesang  wie  Dogmen 
hin;  der  letztere  durfte  aber  gerade 
deshalb  kein  Produkt  des  mensch- 
lichen Geistes  sein,  er  war  inspiriert 
und  damit  von  einer,  keiner  weitern 
Kritik  unterliegenden  Beglaubigung. 

Neben  der  Gesangskunst  wurde 
auch  die  Instrumentalmusik  in  St. 
Gallen  eifrig  betrieben.  Das  rauhe 
Klima  begünstigte  die  Entwicklung 
der  Gcsangsorganc  nicht  in  gleichem 
Masse,  wie  das  der  südlichen  Län- 
der, so  dass  der  Diakon  Joannes  in 
seinem  Leben  des  heiligen  Gregor 
meint,  die  Alemauen  und  Gallier 
strengten  sich  vergebens  an,  den 
römischen  Kirchengesang  auszufüh- 
ren und  Hessen  von  ihren  ungefügen 
Kehlen  nur  ein  donnerndes  Gebrüll 
hören,  welches  dem  Gepolter  eines 
bergabrollenden  Lastwagens  gleiche. 
Allein ,  hatte  die  Natur  den  Deut- 
schen den  Wohlklang  der  südlichen 
Stimmen  versagt,  so  war  es  dennoch 
der  Norden,  der  gerade  vermittelst 
seiner  Instrumentalmusik,  auf  die  er 


hingewiesen  ward,  dasjenige  Element 
in  die  Musik  einführen  sollte,  wel- 
ches recht  eigentlich  als  Unterschei- 
dungsmerkmal der  modernen  und 
der  antiken  Musik  gelten  darf,  die 
Mehrstimmigkeit 

2.  Anfange  der  Mehrstimmigkeit. 
Dieselbe  existierte  in  der  Instrumen- 
talmusik schon  lange,  bevor  man 
anfing,  mehrstimmig  zu  singen. 
Das  beweisen  namentlich  die  alten 
Geigeninstrumente,  die  sogenannte 
Crota  oder  Ruta,  ein  meist  mit  drei 
Saiten  bespanntes  Instrument  mit 
flachem  Steg  und  ohne  die  Seiten- 
einbuchtungen unseres  Geigenkör- 
pers. Durch  das  letztere  war  aber 
der  Bogen  gezwungen,  zu  gleicher 
Zeit  über  alle  drei  Saiten  zu  strei- 
chen, und  so  tönte  denn  neben  der 
auf  der  ersten  Saite  gespielten  Me- 
lodie der  (i  rundton  und  die  Quinte 
nach  Art  eines  Dudelsack  ei*  mit. 
In  ähnlicher  Weise  diente  der  Viel- 
stimmigkeit das  sogenannte  Orqn- 
j  nistrum,  von  dem  die  Art,  vielstim- 
mig zu  singen,  ihren  Namen  erhalten 
I  sollte.  Die  Kunst  des  Organisierens, 
'  d.  h.  die  Kunst,  zu  einer  gegebenen 
Melodie  eine  zweite  oder  dritte  Stimme 
zu  singen ,  fand  bald  Eingang  und 
Verbreitung,  und  schon  im  ersten 
I  Jahrtausend  unserer  Zeitrechnung 
I  in  dem  flandrischen  Mönche  lluebala 
einen  wissenschaftlichen  Vertreter. 
I  Hucbald  nennt  die  Kunst  des  mehr- 
stimmigen Tonsatzes  (organum  oder 
'  diaphonie)  einen  „einträchtig  zwie- 
I  spältigen  Gesang".  Derselbe  aber 
wurde  auf  zweierlei  Arten  zustande 
gebracht;  einmal  derart,  dass  eine 
Stimme  der  ersten  im  Intervall  einer 
Oktave,  Quinte  oder  Quarte  parallel 
folgte  (Parallelorganuml,  andern  teils 
derart,  dass  ein  Sänger  die  rechte 
Melodie  hielt  (Tenor),  während  der 
1  andere  mit  fremden  aber  passenden 
Tönen  die  Melodie  umspielte,  am 
Schluss  aber  beide  im  Einklang  oder 
der  Oktave  zusammentrafen  (Schwei- 
fendes Organum).  Beim  letzteren 
erscheinen     im     Gegensatz  zum 


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080 


Musik. 


Parallelorganum  im  Durchgänge 
auch  andere  Intervalle  als  Quinten 
und  Quarten,  nämlich  Sekunden,  Ter- 
zen u.  s.  w.,  sodass  also  schon  in 
dieser  frühen  Zeit  Dissonanzen  we- 
nigstens im  stufenweisen  Durch- 
gangs als  zulässig  erkannt  wurden. 
An  der  herrlichen  Wirkung  seines 
Organum  zweifelt  Vater  Hucbald 
keineswegs.  „Singen  ihrer/4  sagt  er, 
„zwei  oder  mehr  mit  bedächtiger 
und  einträchtiger  Strenge  zusammen, 
jeder  seine  Stimme,  so  wirst  Du 
einen  lieblichen  Zusammenklang  aus 


findung  führten  die  Romanusbuch- 
staben den  Reichenauer  Mönch  Her- 
mann Contractus  (t  1054)  der  auf 
den  Oedanken  kam,  über  den  Text 
Buchstaben  zu  setzen,  welche  dem 
Sänger  die  Fortschreitung  zum 
nächstfolgenden  Intervall  andeute- 
ten, z,  B.  e  (equatiter),  t  (tonus, 
Ganzton)  D  (Diatesseron),  A  (Dia- 
pente |  etc. 

Hucbald  nun  probirte  es  vorerst 
mit  einer,  der  alten  griechischen 
nachgebildeten  Notation.  Er  legte 
seinem  System  den  Buchstaben  F 


JJNJ 


DE  7  £    iL  V  e  i 


£ac«u.cntc& 


TTXZ 


Fig  103.    HucbaldMche  Ruchstabennotierung. 


4 


f 

mihi/ 

Mn\ 

1 

 ^MZ.  

Hilft  &  \  *l\ 

Co*/         itune  / 

UnV  50/ 

Hex  /6*U  <L> 

AI 

i 

Fig.  104.    Hacbaldnche  Liniennotierung. 


dieser  Vermischung  der  Töne  ent- 
stehen sehen". 

Hucbald  versuchte  auch  die  Ton- 
schrift zu  verbessern.  Schon  vor  ihm 
waren  mannigfache  Versuche  gemacht 
worden,  der  Unsicherheit  der  Neumen 
durch  eine  andere  Notation  abzu- 
helfen. So  hatte  schon  Romanus 
neben  den  Neumen  noch  andere 
Zeichen  angebracht,  die  sog.  Ro- 
manusbuchstaben. Über  dieselben 
hat  uns  Notker  Balbulus  ein  Ver- 
zeichniss  hinterlassen.  Sie  haben 
dreifache  Bedeutung:  teils  zeigen  sie 
die  Tonhöhe  an,  teils  das  Mass  der 
Bewegung,  teils  sind  es  Vortrags- 
zeichen. Auf  eine  eigentümliche  Er- 


zu  Grunde  und,  weil  es  für  die  vier 
Kirchentonarten  vier  Schlusstöne 
(finales)  gab,  erfand 
schiedene  Varianten: 


er  vier  ver- 


h   H    h  I 
D  E  G  F 

Zeichen,  durch  deren  Umkehrung 
und  Verdrehung  er  folgende  Skala 
erhielt.    Fig.  103. 

Diese  Tonschrift  hatte  aber,  wie  die 
Gregorianische,  den  Nachteil,  dass 
sie  aas  Steigen  und  Fallen  der  Stimme 
nicht  versinnlichte.  Er  versuchte 
eB  daher  mit  einem  Liniensystem, 
in  dessen  Zwischenräumen  dieTextes- 
silben  derart  aufgeschichtet  wurden, 


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Musik. 


681 


dass  die  Tonintervalle  von  einer 
Silbe  zur  andern  durch  die  Anzahl 
der  zwischenliegenden  Linien -Zwi- 
schenräume ersichtlich  wurde.  Zur 
besseren  Orientierung  setzte  er 
ausserdem  am  Beginn  jedes  Spa- 
tiuins  die  Buchstaben  T  {tonus  = 
Ganzton)  oder  S  {»emitonu*  —  Halb- 
ton). Allein  diese  Schreibweise  hatte 
etwas  ungemein  Schwerfalliges  und 
Unbehülfliches,  seine  Notenschrift 
blieb  unbenutzt.   Fig.  104. 

Erst  das  folgende  Jahrhundert 
sollte  den  Mann  hervorbringen,  der 
eine  wirklich  brauchbare  Tonschrift 
aufstellte.  Schon  vor  dessen  Erschei- 
nen hatte  man  in  Italien  querdurch  die 
Neumen  eine  rote  Linie  gezogen,  wel- 
che den  Ton  f  bedeutete.  Was  darüber 
stand  war  höher  als  f,  was  darunter, 
tiefer.  Später  zog  man  noch  eine 
gelbe  oder  grüne,  welche  den  Ton  c 
bedeutete.  Statt  die  Linien  zu  färben, 
begnügte  man  sich  auch,  vorn  an 
dieselbe  den  betreffenden  Buchstaben 
zu  schreiben.  Hieraus  sind  die 
„Schlüssel"  entstanden.  Fig.  105 
und  106.  Dadurch  hatte  man  viel 
gewonnen  und  der  Weg  war  ge- 
bahnt, der  auf  unser  heutiges  Noten- 
system führen  musste.  Diesen  Weg 
gefunden  zu  haben,  ist  das  Ver- 
dienst des  Benediktinermönches 
Guido  von  Arezzo  aus  dem  Kloster 
Pomposa  bei  Ravenna.  Statt  der 
zwei  Linien  zog  er  deren  vier  und 
benutzte  nicht  nur  die  Linien,  son- 
dern auch  die  Zwischenräume  zur 
Bezeichnung  der  absoluten  Ton- 
höhe. Zugleich  vereinfachte  er  auch 
die  Zahl  und  Gestalt  der  Neumen- 
zeichen,  welche  sich  schliesslich, 
nach  allerlei  Modifikationen,  in  die 
modernen  Notenzeichen  umwandel- 
ten. So  entstand  einerseits  die  von 
Tinctoris  erwähnte  Fliegenfu*»- 
schrifl,  welche  in  der  That  an  die 
Füsse  von  Mücken  erinnerte,  an- 
dernteils  die  eigentümlich  stilisierte 
Nagel-  und  Hufeisentchrift,  die  sich 
namentlich  im  Buchdruck  lange  be- 
hauptete. Fig.  107  und  108.  Nach  und 


nach  aber  schrumpften  die  Neumen 
auf  den  Puncto»  zusammen,  der  sich 
dann  in  die  sog.  Choralnote  ver- 
wandelte. 

Guido  war  aber  nicht  nur 
Theoretiker,  sondern  auch  Prak- 
tiker. Um  seinen  Schülern  das  Ton- 
merken beizubringen,  pflegteer  ihnen 
beimUuterrichte  die  Johauneshy  ran« : 
Fig.  109.  einzuprägen.  Das  Lied- 
chen schien  dem  lehrenden  Guido 
besonders  deswegen  zweckmässig, 
weil  seine  sechs  Verse  nacheinander 
mit  den  sechs  Tönen  der  Skala  von 
c  bis  fl  in  regelmässiger  Folge,  an- 
fingen: Ut  fiel  auf  c,  re  auf  </,  mi 
auf  e  etc.  Aus  diesen  Anfangs- 
buchstaben ut,  re,  mi,  fa  »ol,  la  ist 
dann  die  sogenannte  SolmüaHon 
entstanden.  Guido's  Skala  umfasste 
21  Töne,  nämlich: 

jTABCDEFGaptjcdcfg 
a  \>  Ij  e  d 
a  i  {  c  d 

Diese  teilte  er  nun  in  sieben  sechs- 
stufige Tongruppen,  Hexachorde  ge- 
nannt, deren  einzelne  Töne  mit  (Ten 
Silben  ut  re  mi  etc.  bezeichnet  wur- 
den, derart,  daas  zwischen  die  Silben 
mi  fa  stets  ein  Halbtonschritt  zu 
stehen  kam.  Selbstverständlich 
schliessen  diese  Hexachorde  nicht, 
wie  die  Oktaven  der  modernen 
Musik  aneinander  —  dies  würde 
eine  Reihe  von  42  Tönen  ergeben 
haben  — ,  sondern  sie  greifen  inein- 
ander ein.  Eine  vollständige  Ton- 
leiter von  acht  Tönen  Hess  sich  dem- 
nach nicht  unmittelbar  mit  den 
Guidonischen  Silben  singen,  sondern 
es  mussten  die  Hexachorde  gewech- 
selt werden,  man  hatte  zu  mutieren 
z.  B.: 

c  d  e?  g  a 
ut  re  mifasol  la 

ut  re  mi  fa 
Diese  Mutation  namentlich  war 
eine  erfolgreiche  Übung,  welche  die 
Sängerknaben  innerhalb  des  gesinn- 
ten Tongebietes  völlig  heimisch 
machte.   Mit  der  wachsenden  Fülle 


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682 


Musik. 


des  musikalischen  Darstellungsma- 
terials  wurde  die  Solmisation  indess 
zum  „cntjr  tenellorum  puerorttm". 


lieh  hatte  einer  seiner  Schüler  die 
Entdeckung  gemacht,  dass  die  Hand 
gerade  soviel"  Glieder  zählt,  als  das 


f  Fig.  105.    Neumen  mit  c-  und  f-Linien. 

rj  y  y  5: 7C  b:  a:  ^  # 
c  c  MI?  Hfl*  Ifc  II*  Iß 

Fig.  106.    F-,  C-  und  G-Schlüssel. 


1 


N*Jtl«l|Ttf} 


V«|l 


Fig.  107. 


5 ?-,  r^j^?^ 


/Ui^iifuifticlit'tfh 

Fig.  t08. 


Als  Gedächtnisnachhilfe  beifn  1  guidouische  Tonsystem  Töne,  iiäm- 
Mutieren  wurde  vielfach  die  Gui-  ,.  i1ft  d    A     .        ,  fc> 

donische  Hand  benutzt.  Wahrschein-  .  llch  19  von  1  ~  d>  da8  >.  UI,d  ? 


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Musik. 


683 


nicht  zugerechnet.  Jedes  Glied  wurde 
nun  zum  Sitz  eines  Tones  gemacht, 
das  obere  Glied  des  Daumens  erhielt 
den  tiefsten  Ton  r.  Von  da  fuhr 
man  herab,  dann  quer  hinüber,  am 
kleinen  Finger  hinauf,  an  den  oberen 
Gliedern  der  folgenden  drei  entlang, 


stimmigkeit  war  in  diesem  Zeitraum 
noch  nicht  viel  weiter  gediehen  als 
vorher.  Man  hatte  noch  immer  seine 
Freude  an  Quinten-  und  Quarten- 
parallelen;  indessen  bemerkt  man 
doch,  dass  man  anfing  die  begleiten- 
den Stimmen  in  abweichender  Weiße 


.4  + 


t 


1 


j3olv€  joolUK       Labil  r«ah/m     sjncfe  Joann« . 

Fig.  109.  Johanneshymne. 

am  Zeigefinger  herab  u.  s.  w.  im  zu  führen,  dem  Cantus  (der  ur- 
Kreise bis  zum  Ton  '    Fig.  110.     »P™^™  Melodie)   einen  Di«- 

d      *  cantus  (eine  abweichend  begleitende 

Trotz  aller  Theorie  stand  es  aber  Stimme)  zuzugesellen.  Die  Kunst 
mit  der  Musik  in  diesem  Zeitraum  des  Diskantierens  wurde  namentlich 


doch  wohl  reeht  böse. 
Sie  wurde  noch  immer 
als  das  Produkt  des 
rechnenden ,  kombi- 
nierenden Verstandes, 
nicht  der  Phantasie  an- 
gesehen; sie  brauchte 
nicht  schön  zu  sein, 
wenn  sie  nur  den  An- 
forderungen einer  ima- 
ginären Kegelrichtig- 
keit entsprach.  Höchst 
bemerkenswert  in  die- 
ser Hinsicht  ist  das 
rein  mechanische  Ver- 
fahren, welches  Guido 
zur  Erfindnng  neuer 
Melodien  vorschreibt 
und  welches  darin  be- 
stand, dass  man  jedem  der  fünf  Vo-  chen,  dass 
kalc  einen  Ton  der  Tonleiter  sub-  men  sich 


G^iomu^  Html 
Fig.  110. 


in  Frankreich  ausge- 
bildet und  es  ergab 
sich  dort  statt  des  an- 
fänglichen parallelen 
Gesanges  der  Stim- 
men schliesslich  eine 
Gegenbewegung  der- 
selben, ja  man  scheute 
sich  nicht,  ganz  ver- 
schiedene Melodien 
unter  sich  zu  mehr- 
stimmigen Sätzen  zu 
verbinden.  —  Je  mehr 
man  aber  im  Zusam- 
mensingen mehrerer 
Stimmen  Fortschritte 
machte,  um  so  mehr 
mii8ste  sich  auch  das 
Bedürfnis  geltend  ma- 
die  einzelnen  Stim- 
in    gleich  schnellen 


stituierte  und  dann  unter  die  ein- ,  Tempi   bewegten.    Hierfür  fehlte 
zelnen  Silben  eines  beliebigen  Textes  jedoch  vorderhand  jedwede  Noten- 
den  ihrem   Vokal  entsprechenden 
Ton  schrieb.    Fig.  III. 

3.  JlinfüfiruHff  der  Menmtral- 
musik.  Die  Fntwickelung  der  Mehr- 


schrift. Der  gregorianische  Kirchen- 
gesang hatte  es  dem  einzelnen  über- 
lassen, nach  seinem  Gutdünken  den 
Zeitwert  der   einzelnen  Noten  zu 


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684 


bestimmen.  Dies  musste  aufhören,  kam  man  mit  diesen  Notenwerten 
sowie  verschiedenartige  Stimmen  so  nicht  aus,  und  schon  Franco  führte 
geführt  werden  sollteu,  dass  sie  ver-  die  doppelte  Länge  (maxima)  und 
einigt  dem  Gehör  angenehm  er-  die  halbe  Brevis  (semibrevis)  ein- 
klangen. Damit  beginnt  etwa  in  Etwa  in  der  zweiten  Hälfte  des 
der  zweiten  Hälfte  des  zwölften  I  14.  Jahrhunderts  begann  mau  in 
Jahrhunderts  die  Entwicklung  der  '  Frankreich  die  Noten  nicht  mehr 
sogenannten  Mensuralmusik.  Der  schwarz  auszufüllen,  sondern  weiss 
erste  Schriftsteller,  welcher  über  die  zu  lassen,  wodurch  die  weisse  Choral- 
beim  „gemessenen  Gesänge"  zu  beo-  note  entstand.  Zugleich  versuchte 
bachtenden  Regeln  Auskunft  giebt,  j  man  auch ,  die  sogenannten  Me- 
ist Franco  von  Köln.  Aus  dem  Iismen,  das  sind  aie  auf  einer 
Punctus  der  Neumen  hatte  sich  im  Textsilbe  gesungenen ,  aus  zwei 
Laufe  der  Zeit  bereits  der  viereckige  oder  mehr  Tönen  bestehenden  Fi- 
Notenkopf  gebildet.    Diesen  nahm  guren  in  einem  Zeichen  darzustellen : 


rr 


i  m  r — vvm  ru  mma  

8 

-o— 

 J.  fr*  0  

c.te  =  ta>  -*n<  

Fig.  III.  Melodienfabrikation. 


mm  .  Un$a    mm  -trem    +  5ttttib#fWi   ■■■  jbm\  nuxtnu  6tc 

^  ligahira    O  hmpui  ftrf.  C  (\imp  (j)  ^  cfimtnvaho 

Fig.  112.  Choralnotcn. 

Franco  als  Grundlage  für  die  Men-  es  entstanden  die  Ligaturen  (liaafura 
suralnoten.  Vorerst  glaubte  man,  ascendena  und  deacendens,  ooltywn, 
mit  zwei  Noten  auszukommen,  mit  recta,  etc.)  Auch  des  Punktes  be- 
der  sogenannten  longa  (Punkt  mit  dienten  sich  schon  die  Mcnsuralisten 
Strich)  und  der  sogenannten  bferia  und  zwar  des  jyunetum  augmenta- 
I  Punkt),  entsprechend  den  kurzen  ,  tionia  oder  additwnia,  wenn  rlereelbc 
und  langen  Silben  der  antiken  Pro-  den  Wert  der  Note,  hinter  welcher 
sodic,  und  es  wurde  nach  den  meist  er  steht,  um  deren  Hälfte  verlängert, 
vorkommenden  Versmassen,  Tro-  und  des  punctum  diviaioni*,  um  an- 
chäus  und  Jambus  der  dreiteilige  zuzeigen,  dass  eine  Note  von  der 
perfekte  Rhythmua  herrschend,  indem  halben  Geltung  zur  vorhergehenden 
man  eine  Länge  gleich  zwei  Kürzen  oder  folgenden  doppelwertigen  ge- 
annahm. Fig.  1 1 2.  Erst  im  14.  Jahr-  zogen  werden  solle.  Ebenso  wie 
hundert  erscheint  der  zweiteilige  die  Töne  mussten  nun  auch  die 
Rhythmus,  den  man  auch  im  Pausen  bezeichnet  werden.  Dazu 
Gegensatz  zum  dreiteiligen  den  un-  bediente  man  sich  senkrechter,  durch 
vollkommenen    nannte.     Indessen  I  die  Linie  gezogener  Striche,  welche 


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Musik. 


685 


je  nach  ihrer  Länge  die  Zeitdauer 
ausdrückten.  Endlich  war  es  auch 
noch  nötig  das  Tempo  durch  ein 
Zeichen  zu  bestimmen.  Der  voll- 
ständige Kreis  wurde  das  Zeichen 
des  lempus  perfectum,  der  nach 
rechts  ofl'cne  für  das  Tempus  imper- 
fectum.  Bei  verdoppelter  Bewegung 
wurde  der  Kreis  durchstrichen  etc. 

Nächst  Franco  von  Köln  haben 
das  meiste  Verdienst  um  die  Aus- 
bildung der  Mensuralmusik  Mor- 
chettus  von  Padua  und  Johannes 
de  Müris.  — 

Hucbald,  Guido  und  Franco  hatten 
im  eifrigen  Studium  und  unter  un- 
endlichen Denkerqualen  den  Grund 

gelegt,  auf  welchem  sich  eine  wahr- 
afte  Kunstmusik  aufbauen  konnte ; 
allein  die  Musik  hatte  in  der  bedenk- 
lichen Nähe  der  Arithmetik  und 
Geometrie  beinahe  vergessen,  dass 
sie  von  Haus  aus  eine  schöne  Kunst 
und  dass  es  ihre  Aufgabe  sei,  das 
Schöne  in  Tönen  zu  verwirklichen; 
sie  begnügte  sich,  das  mathematisch 
Richtige  zu  erreichen,  bei  dem  nicht 
der  ästhetische  Sinn,  sondern  der 
Verstand  das  entscheidende  Wort 
hatte. 

Indessen  war  dafür  gesorgt,  dass 
die  Musik  nicht  in  spekulativer 
Wissenschaft  aufgehen  sollte. 

4)  Weltliche  Musik.  Die  Kreuzzüge 
sollten  auch  auf  dieMusik  neubelebend 
einwirken  und  ihr  das  verschaffen, 
was  sie  wieder  zur  wahren  Kunst 
machte.  Einesteils  waren  es  die 
neuen  Instrumente,  welche  die  Kreuz- 
fahrer aus  dem  Orient  mit  nach 
Hause  brachten,  audernteils  aber 
machte  sich  der  durch  die  Kreuz- 
züge geweckte  Dichtersinn  als  lyri- 
scher Gesang  Luft,  wo  Wort  und 
Melodie  vereint  erklangen,  wo  nicht 
die  Schulregel  eines  Tonlehrers,  nicht 
die  profunde  Wissenschaft  des  Mön- 
ches dareinzureden  hatte,  wo  viel- 
mehr nur  der  Drang  des  Gemütes  das 
Wort  in  Liebes-  und  Frühlingsliedern  j 
führte  und  zugleich  den  rechten  dazu 
gehörigen  Ton  fand.    Unter  dem  I 


lieblichen  Himmel  Südfrankreichs 
fand  diese  „fröhliche  Kunst"  ihre 
ersten  glücklichen  Vertreter.  Die 
Höfe  der  Grafen  von  Toulouse,  von 
Provence  und  von  Barcelona  waren 
Pflegestätten  der  Dichtkunst.  Nach 
dem  Erfinden  nannte  man  im  süd- 
lichen Frankreich  die  Dichter  Tro- 
badours.  Als  erster  von  ihnen  wird 
Wilhelm  von  Poitiers  genannt.  Der 
Troubadour  sang  selten  selbst,  viel- 
mehr hatte  er  kunstfertige,  im  Ge- 
sang und  Spiel  musikalischer  Instru- 
mente erfahrene  Diener  zur  Seite,  die 
Minstreis  oder  Jongleurs  (Spass- 
macher),  Leute  von  oft  sehr  unter- 
geordnetem Range.  Eine  Ausnahme- 
stellung unter  den  Troubadours 
nimmt  Adam  de  la  Haie  ein,  nach 
seinem  Wuchs  und  seiner  Vaterstadt: 
Der  Bucklige  von  Arras  genannt, 
indem  er  den  Erfinder  von  Gesängen 
und  den  ausübenden  Meister  in 
seiner  Person  vereint.  Er  gehört 
zugleich  zu  den  ersten  Tonsetzern, 
welche  vierstimmige  Singstücke  kom- 
ponierten. 

Derselbe  Geist,  der  bei  den  ro- 
manischen Völkern  die  Troubadours 
hervorgerufen,  fand  bei  den  germa- 
nischen Stämmen  Deutschlands 
seinen  Ausdruck  im  sogenannten 
Minnegesang.  Der  deutsche  Dichter 
aber  hatte  nicht  den  zweideutigen 
Jongleur,  den  Gaukler  zum  Ge- 
fährten ;  ebensowenig  gehörten 
alle  Minnesänger  dem  ritterlichen 
Stande  an.  Die  nichtritterlichen 
Sänger  hiessen  Meister.  Die  Vor- 
tragsweise der  Gesänge  glich  ziemlich 
dem  gregorianischen  Choral.  Von 
den  Rittern  und  ritterlichen  Sängern 
ging  indes  die  Kunst  bald  auf 
die  Bürger  und  ehrsamen  Hand- 
werker über:  der  ritterliche  Minne- 
esang  wurde  zum  zunftmässigen, 
leinbürgerlichen  Meistergesänge ; 
aus  der  blühenden  Rose  entwickelte 
sich  die  magere  Frucht  der  Hagebutte. 

Der  Hauptsitz  des  Meistergesanges 
war  anfangs  Mainz,  später  Strass- 
burg,  Augsburg  und  Nürnberg,  auch 


I 


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686 


Musik. 


Ulm  und  Regensburg.  Die  Kunst-  1 
gesetze  waren  in  der  sogenannten 
Tabulatur  verzeichnet,  wo  auch  für 
jeden  genau  bezeichneten  Felder 
eine  bestimmte  Strafe  festgesetzt 
war.  Zu  überwachen,  dass  die  Gc-  | 
setze  von  den  Singenden  gehörig 
beobachtet  wurden,  war  Sache  der 
sogenannten  „Merker".  Der  Ober- 
meister, Kronenmeister,  Merkmeister 
mit  seinen  Merkern,  der  Büchsen- 
meister und  der  Schlüsselmeister 
bildeten  zusammen  den  Zunftvor- 
stand. Jede  Zusammenkunft  hiess 
eine  Schule  und  die  Mitglieder 
nannten  sich  „Liebhaber  des 
deutschen  Meistergesanges".  Beim 
Beginn  der  Schule  nahm  das  Ge- 
merk  die  Sitze  an  der  Oberstelle 
ein.  Die  Vorträge  mussten  frei  ge- 
halten werden.  Die  vier  Merker 
teilten  sich  in  ihr  Wächteramt;  einer 
achtete  auf  die  Reime,  der  andere 
auf  das  Versmass,  der  dritte  auf  die 
Melodie  und  der  vierte  hatte  die  auf- 

feschlagene  Bibel  vor  sich,  damit 
ein  Verstoss  gegen  das  „Geschriflft" 
vorkomme. 

Die  Meistersänger  hatten  ihren 
Zunftschal  bestimmter  Melodien 
oder  Weisen,  denen  jeder  nach 
seinem  Gutdünken  sein  Poem  unter- 
schieben konnte,  obgleich  dem 
Meister  die  Erfindung  eines  neuen 
Tones  keineswegs  verwehrt  war.  j 
Wurde  dieser  neue  Ton  von  den  j 
Merkern  genehmigt,  so  gab  man  ihm 
einen  „ehrlichen  nicht  verächtlichen" 
Namen ,  welcher  insgemein  höchst 
verwunderlich  lautete.  Da  gab  es 
einen  blauen  Ton,  einen  roten  Ton, 
eine  geschwänzte  Aftenweis,  eine 
gelbe  Veiglinweis,  eine  „über  kurz 
Abendrotweis",  einen  „gläserneu 
Halbkrügelton"  und  wie  diese  vom 
baroksten  Ungeschmack  eingege- 
benen Benennungen  sonst  lauteten. 

Nach  dem  Beispiele  der  Meister- 
sänger vereinten  sich  nun  auch  die 
Instrumentalmusiker  zu  zunftmassig 
geordneten  Genossenschaften  und 
gaben  das  vagabundierende  Leben, 


welches  sie  bis  dahin  als  „fahrende 
Leute"  geführt,  auf.  Namentlich 
waren  es  in  den  Städten  die  Türmer, 
um  welche  sich  nach  und  nach 
Horn-  und  Pfeifenblaseransammelten 
und  sich  zu  Bruderschaften  ver- 
banden. 

In  Frankreich  war  es  besonders 
die  Confrerie  de  St.  Julien  de* 
Mencstriers ,  in  Deutschland  die 
1288  gestiftete  Nicolai-Bruderschaft. 
Einen  besonderen  Gönner  fanden 
die  fahrenden  Leute  an  Karl  IV., 
der  ihnen  einen  eigenen  König  gab, 
den  ,,/rV.r  omnium  nistrionum".  Der 
erste  war  Johannes,  der  „Fiedler*4 
genannt.  Diesem  Beispiele  folgend, 
ernannte  Adolf,  Kurfürst  von  Mainz, 
seinen  Hofpfeifer  Brachte  zum 
Pfeiferkönig.  —  Jährlich  hatten  so- 
wohl die  Pfeifer  als  die  Geiger 
ihren  Pfeifer-  und  Geigertag.  An 
diesem  Tag  wurde  der  König  neu 
gewählt  und  fanden  die  Gerichts- 
verhandlungen statt;  mit  Gottes- 
dienst wurde  er  eröffnet,  mit  Spiel 
und  Tanz  beendet. 

Die  erete  selbständige  Instru- 
mentalform, die  zugleich  bedeut- 
sam für  die  Entwicklung  der  ge- 
samten Kunst  wird,  ist  der  Taivz. 
Derselbe  wurde  in  doppelter  Weise 
ausgeführt,  als  umgehender  oder  ah* 
springender.  Der  erste  erinnert  an 
unsere  Polonaise,  der  letztere  an 
die  Reihen,  wie  sie  heute  die  Kinder 
noch  ausführeu.  Zur  Bezeichnung 
des  Taktes  genügte  zunächst  die 
Trommel;  bald  kam  die  Pfeife, 
namentlich  die  sogenannte  Sackpfeife 
(der  Dudelsack)  hinzu,  und  der 
Stimmung,  welche  der  Tanz  in  den 
Tanzenden  erzeugte,  wurde  in  man- 
nigfaltigen Tanzliedern  Ausdruck 
verliehen,  die  sich  im  Metrum  eng 
an  den  Tanzschritt  anschlössen  und 
deren  Inhalt  namentlich  die  Freuden 
der  Liebe  ausdrückte.  Diese  Tanz- 
melodien erlangten  grossen  und  be- 
deutenden Einfluss  auf  die  Ent- 
wicklung des  Liedes.  Das  rhvth- 
mische  Element  wurde  dadurch  iu 


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Musik. 


687 


die  Volksmusik  eingeführt.  Allein 
nicht  nur  das;  das  Volk  sang  nur, 
wenn  sein  Herz  voll  war,  sei  es  vor 
Freude  oder  Leid,  vor  Hoffen,  Sehnen 
oder  Bangen  und  sang  nichts  an- 
deres, als  was  sein  Herz  bewegte. 
Dann  aber  musste  es  singen  und 
die  Melodie  wurde  der  getreue  Aus- 
druck der  Empfindungen. 

Dem  Volke  waren  zugleich  die 
8|>ekulativen  Theorien  über  die 
Musik  unbekannt  Es  vermochte 
den  Ausdruck  seiner  Gefühle  nicht 
in  die  21  Töne  der  Guidonischen 
Skala  einzuzwingen,  sondern  benutzte 
eben  Zwischentone,  wie  sie  ihm  ge- 
rade passten.  Dadurch  aber  wurde 
der  Sturz  der  Kirchentonarten  mit 
ihrer  strengen  Diatonik  vorbereitet. 
Die  beliebteste  Tonart,  in  welcher 
das  Volk  sang  und  dichtete,  war  die 
mit  0  beginnende  (unser  Cdui). 
Dieselbe  wurde  mit  der  Zeit  neben 
der  m\tA  beginnenden  (  unser  Amoll) 
zur  eigentlichen  Normaltonleiter, 
nach  der  alle  andern  gebildet  wurden. 
Die  meisten  Volkslieder  wurden  von 
ganzen  Gesellschaften  verfasst,  wenn 
auch  der  weitaus  grösstc  Teil  der- 
selben dem  rein  persönlichen  Em- 
pfinden seine  Entstehung  verdankt, 
wie  die  zahlreichen  Liebes-,  Reiter-, 
Jäger-,  Studenten-,  Wein-  und  Ge- 
selLchaftslieder.  Die  Limburger 
Chronik  enthält  die  frühesten  Mit- 
teilungen über  die  Beschaffenheit 
der  Volksgesänge;  zahlreiche  Bei- 
spiele finden  sich  in  einer  im  15.  Jahr- 
hundert verfassten  Handschrift,  dem 
Lochheimcr  Liederbuch. 

5.  Die  Schule  der  Siederländer. 
Der  entscheidende  Kintluss  der 
Volkslieder  auf  die  Kunstmusik 
macht  sich  vorerst  in  der  Kunst 
des  Diskantierens  geltend ;  ja  die- 
sell  e  fand,  besonders  in  der  gesang- 
reiehen  Provence,  eine  so  eingehende 
Pflege,  dass  Papst  Johann  XII.  sich 
veranlasst  sah,  eine  Bulle  gegen 
den  Gebrauch  „melodienfremder  In- 
tervalle" beim  gregorianischen  Ge- 
sang mit  Ausnahme  „einiger  melo- 


diöser Konsonanzen  ',  in  Oktave, 
Quinte  und  Quarte  zu  erlassen. 
Allein  erst  Mitte  des  14.  Jahrhun- 
derts konnte  dem  Unfuge  des  Im- 
provisierens  des  Diskantes  vorläufig 
Schranken  gesetzt  werden,  dank  der 
Wirksamkeit  der  für  diese  Kunst 
besonders  begabten  Niederländer  in 
der  päpstlichen  Kapelle.  Schon 
früher  war  bei  den  päpstlichen 
Sängern  eine  Form  des  drei- 
stimmigen Gesanges  unter  dem 
Namen  Faux  —  bourdon*  (falscher 
Bus)  in  Aufnahme  gekommen. 
Derselbe  ist  nichts  anderes  als  eine 
Reihe  von  Sextakkorden  und  wenn 
auch  etwas  wohlklingender,  so  doch 
nicht  weniger  mechanisch  als  das 
Organum  des  Hucbald.  Über  den 
Namen  „falscher  Bass"  sind  die 
mittelalterlichen  Theoretiker  selbst 
nicht  ganz  einig.  Von  den  einzel- 
nen Stimmen  eines  solch  mehrstim- 
migen Gesanges  hiess  diejenige, 
welche  den  gregorian.  Cantus  Jir- 
mus  hielt:  Tenor;  die  Gegenstimme, 
der  I>iscantu*,  welche  in  der  Regel 
ein  dem  Volksgesang  entnommenes 
Motiv  verwendete:  Motetu*\  die 
eingeschobene  Zwischenstimme  aber 
hiess  Kontratenor.  Wie  sehr  aber 
auch  die  Kunst  des  mehrstimmigen 
Tonsatzes  durch  alles  dies  gefördert 
wurde,  so  blieb  daneben  doch  der 
improvisierte  Dutcantus  oder  Contra- 
punctum  (Gegenbewegung  von  Note 
zu  Note)  im  Gebrauch.  Der  erste 
bedeutende  Kontrapunktist,  welcher 
diesem  Contrapunto  a  mente  ent- 
gegenzutreten suchte  und  dessen 
Arbeiten  wirklichen  Stil  zeigen,  ist 
der  Niederländer  Wilhelm  Dufav 
aus  der  belgischen  Provinz  Henne- 
gau. Namentlich  ist  es  die  soge- 
nannte Sachahmungsform ,  welche 
er  mit  bewundernswertem  Eifer 
und  ausserordentlichem  Erfolge  an 
Stelle  des  freien  Discantu*  einführte. 
Diese  Nachahmungsform  (canon, 
fugaj  entstand  derart,  dass  eine 
zweite  Stimme  die  Melodie  der  er- 
sten zu  anderer  Zeit  und  oft  auch 


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688 


Musik. 


in  einer  andern  Tonhöhe,  ja  selbst  I 
in  verändertem  Tempus  begann,  j 
während  die  erste  dieselbe  zu  Ende  ; 
führte.  Sonderbar  sind  die  Notie- 
rungskünste, welche  die  niederlän- 
dischen Meister  hierbei  anwandten. 
Beim  einfachen  Kanon  lag  es  nahe 
genug,  sich  mit  Notierung  von  nur 
einer  Stimme  zu  begnügen  und  den 
Eintritt  der  übrigen  Stimmen  durch 
ein  Zeichen  anzudeuten.  Kompli- 
zierter wurde  die  Sache  allerdings  bei 
zusammengesetzten  Musikstücken, 
wobei  dem  Scharfsinn  der  Sänger 
sehr  viel  zugemutet  wurde,  be- 
sonders als  man  an  Stelle  der 
Zeichen  mysteriöse  Sprüche  zu 
setzen  begann.  Auf  die  Textworte 
nahmen  die  niederländischen  Ton- 
st" tzer  vorderhand  keine  Rück- 
sicht, ja  man  liess  oft  sogar  zwei 
ganz  verschiedene  Texte  durehein- 
andersingen,  besonders  als  die  Mu- 
siker au  Stelle  des  gregorianischen 
Chorals  Volksweisen  als  cantu*  Jir- 
mu*  einführten.  Als  Vertreter  des 
eigentlichen  Kontrapunkts  wird 
Ockenheim  bezeichnet ,  der  die 
Theorie  des  Kanons  bedeutend  er- 
weiterte. Die  Freude  der  Vielstim- 
migkeit erreicht  bei  ihm  bereits  eine 
ins  Grenzenlose  gehende  Form.  Als 
Beweis  mag  seine  36 stimmige  Mo- 
tette dienen.  Noch  weiter  als 
Ockenheim  brachte  es  sein  Schüler 
Josquin  dejt  Prix.  Mit  den  bestehen- 
den Kegeln  nahm  er  es  allerdings  j 
nicht  sehr  genau ,  sodass  zahlreiche  | 
Klagen  über  die  neue  Musik  laut 
wurden.  Allein  die  Tonkunst  sollte 
eine  neue  Basis  erhalten;  das  alte 
System  sollte  zerfetzt  und  ein  neues 
emporgetrieben  werden.  Nament- 
lich veranlasste  die  Einführung  des 
Volksliedes  in  die  Kunstmusik,  den 
Hann  der  alten  Kirchentonarten  zu 
sprengen,  und  wenn  auch  Josquin 
noch  manches  von  der  Pedanterie 
der  niederländischen  Schule  an- 
hängt, wie  der  Gebrauch  verschie- 
denartiger Texte  oder  ins  Weite 
getriebener  Polyphonie,  so  ist  doch 


das  Streben  bemerkbar,  den  Ton- 
satz der  Dichtung  anzuschmiegen. 
Auch  ist  er  der  erste,  der  den 
ästhetischen  Wert  der  Dissonanz 
erkannt  hat  und  sie  mit  Bewußt- 
sein und  Absicht  zum  Ausdruck 
leidenschaftlicher  Empfindungen  ver- 
wendet. 

6.  Italienische  Schulen.  Mit  noch 
grösserem  Erfolge  als  Josquin  strebte 
dessen  Landsmann  Adrian  Willaert, 
der  Begründer  der  venezianischen 
Schule,  darnach,  die  Kunst  des 
Tonsatzes  dem  musikalischen  Ge- 
danken dienstbar  zu  machen,  ins- 
besondere die  polyphonen  Gebilde 
durch  dramatischen  Ausdruck  zu 
beleben.  Die  Anlage  der  Markus 
kirehe,  an  welcher  Willaert  Kapell- 
meister war,  mit  ihren  zwei  Empo- 
ren, führte  ihn  auf  den  Gedanken, 
die  Chöre  örtlich  zu  trennen  und  so 
das  verwickelte  Gewebe  der  Poly- 
phonie mögliehst  zu  entwirren. 

Damit  hatte  er  die  Ziceihöriglceii 
geschaffen,  bei  welcher  die  einzelnen 
Stimmen  nicht  mehr  sich  selbstän- 
dig zu  entwickeln  strebten,  sondern 
vielmehr  sich  in  Massen  zu  vereini- 
gen bemüht  waren.  Das  bedingt 
aber  zugleich,  dass  man  von  jetzt 
ab  nicht  mehr  mit  dem  einzelnen 
Tone  operierte,  sondern  mit  Akkor- 
den und  dadurch  die  Bildung  har- 
monischer statt  melodischer  For- 
meln notwendig  machte.  Durch 
die  Massenwirkung  kam  zu- 
gleich auch  das  Wort  wieder  zu 
grösserer  Bedeutung,  welches  in 
dem  künstlichen  Tongeflechte  der 
niederländischen  Kontrapunktisten 
ganz  verloren  gegangen  war. 

Dass  an  der  strengen  Diatonik 
der  Kirchentonarten  bereits  vielfach 
gerüttelt  worden  war  und  zahlreiche 
Zwischen-  und  Halbtöne  eingeführt 
werden  mussten,  wurde  bereits  be- 
tont Den  entscheidenden  Schritt, 
die  Musik  aus  den  Bauden  der 
Diatonik  zu  befreien,  thaten  die 
Schüler  Willaert's:  Cyprian  de  Rore 
und  Zarlino.  Ersterer  dadurch,  tlass 


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Musik. 


689 


er  den  freien  Gebrauch  der  Chro- 
tmttik  (  wonach  die  Oktave  als  eine 
Aufeinanderfolge  von  zwölf  Halb- 
tonschritten erscheint)  in  bemer- 
kenswerter Weine  steigerte,  der  an- 
dere, indem  er  die  sogenannte  tem- 
perierte Musik  einführte. 

Die  Höhe  des  Tones  wird  durch 
die  Anzahl  der  Schwingungen, 
welche  der  tönende  Körper  in  einer 
gewissen  Zeit  macht,  bestimmt,  so- 
dass z.  B.  die  doppelte  Zahl  der 
Schwingungen  eines  angenommenen 
Tones  in  gleicher  Zeit  die  Oktave 
desselben  giebt.  Wie  aber  die  An- 
zahl der  Schwingungen  eines  Kör- 
pers durch  seine  Länge  bedingt 
wird,  so  auch  der  Ton.  Eine  um 
die  Hälfte  verkürzte  Saite  giebt  bei 
gleicher  Spannung  die  Oktave  des 
durch  die  ganze  Saite  erzeugten 
Tones,  um  73  verkürzt  triebt  sie  die 
Quinte,  um  8/4  die  Doppeloktave 
etc.  Untersucht  man  derart  die 
Schwingungszahlen  sämtlicher  Töne 
der  diatonischen  Skala  von  r,  welche 
neben  derjenigen  von  a  noch  fast 
ausschliesslich  im  Gebrauche  war, 
so  erhält  man,  wenn  C  in  einer  Zeit- 
einheit eine  Schwingung  macht,  für 

C     D     E    F    G    a      tf  c 

1         Hl       04/        3/        Sl      16/        118/  9 

1  /»  Ist  U  /3  in  ins  & 
Schwingungen.  Das  Verhältnis  von 
C :  K  also  vom  Grundton  zur  Terz 
ist  ein  sehr  kompliziertes,  und  da 
erfaliruugsgcmäss  nur  der  Zusam- 
menklang jener  Töne  dem  Ohre  an- 
genehm ist,  welche  in  einem  ein- 
fachen Zahlenverhältnis  stehen,  so 
musstc  C  —  J'J  notwendig  als  Disso- 
nanz erscheinen.  Zarlino  versuchte 
nun,  dem  abzuhelfen,  indem  er  die 
Terz  um  das  Intervall  9*/91  (das  so- 
genannte syntonische  Coma)  verklei- 
nerte uud  auch  den  diatonischen 
Halbton  :  in  ein  einfacheres  Ver- 
hältnis zum  Grundton  brachte.  Da- 
durch erhielt  er  folgendes  soge- 
nannte reine  diatonisene  System 

Ton  CDEFGatje 
Schwing.    1        «/*  V/.  V/u  2 

Reallexicon  der  deutlichen  Alfcrtümer. 


Nun  konnte  die  Terz  ruhig  unter 
die  Konsonanzen  aufgenommen  wer- 
den und  der  Akkord:  Grundton, 
Terz  und  Quinte,  der  sogenannte 
Dreiklang,  wurde  von  nun  an  die 
eigentliche  Basis  aller  polyphonen 
Musik.  Damit  hatte  die  venezia- 
nische Schule,  welche  in  Joh.  Ga- 
brieli  ihre  höchste  Blüte  gewonnen 
hatte,  den  Grund  zur  Harmonie  1 
gelegt. 

Diese  aber  bildete  ein  richtiges 
Gegengewicht  gegen  die  Ausschrei- 
tungen und  Missbräuche  der  nieder- 
ländischen Kontrapunktik i  u .  welche 
die  beim  Konzil  zu  Trient  versam- 
melten Väter  beinahe  bestimmt 
hätte,  die  mehrstimmige  oder  Figu- 
ralmusik  gänzlich  aus  der  Kirche 
zu  verbannen.  Glücklicherweise 
war  inzwischen  in  Pier  Lnufi 
Sanle,  nach  seiner  Geburtsstaxlt 
Palästrina  genannt,  der  Meister  er- 
schienen, welcher  Melodie  und  Har- 
monie im  richtigen  Masse  zu  ver- 
binden wusste.  Er  geht  den  um- 
gekehrten Weg  wie  die  Venezianer. 
Während  bei  diesen  die  einzel- 
nen Stimmen  sich  melodisch  zu  ent- 
falten und  zu  Akkorden  zu  verbin- 
den strebten,  lösten  ietzt  die  einzel- 
nen Stimmen  die  Akkordmassen  auf. 
Früher  war  das  mehr  flüchtige, 
melodische  Element  vorwiegend,  jetzt 
tritt  das  macht-  und  glanzvolle 
Ilannonische  in  den  Vordergrund: 
die  Akkorde  sind  gewissermassen 
die  Säulen,  über  die  und  zwischen 
denen  die  Melodie  ihre  Bogen 
schlägt. 

7.  Das  geistliche  Volkslied  und 
das  Kunstlied.  Während  so  jen- 
seits der  Alpen  die  kirchliche 
Kunstmusik  sich  entwickelt  und 
eine  hohe  Stufe  der  Vollendung  er- 
langt hatte,  war  es  dein  Norden 
beschieden,  dem  Volksliede  seine 
Pflege  zuzuwenden,  ohne  dass  die 
nordischen  Meister  versäumt  hätten, 
auch  der  Entwicklung  der  kirch- 
lichen Kunstmusik  zu  folgen,  welche 
in  Heinrich  Finck,  Heinrich  Isaak, 

44 


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690 


Musik. 


Stephan  Mahu,  Ludwig  Seufl,  na- 
mentlich aber  in  Orlandos  Lassos, 
dem  Müuchener  Kapellmeister,  be- 
deutende Vertreter  fand.  Von 
weittragender  Bedeutung  für  die 
Weiterentwicklung  der  nordischen 
Musik  war  vorab  die  Erschei; 
nung  Luthers  und  sein  Bestreben, 
statt  des  rituellen  lateinischen  Ge- 
sanges den  deutschen  Gemeindege- 
sang  beim  Gottesdienste  einzuführen. 
Wir  haben  bereit«  darauf  hinge- 
deutet, wie  ausserhalb  der  Kirche 
schon  ein  geistliches  Volkslied 
entstanden  war.  Das  12.  Jahr- 
hundert schon  hatte  das  recht  volks- 
thümliche:  „Crist  ist  erstanden", 
„In  Gottes  Namen  fahren  wir"  und 
eine  Anzahl  Marienlieder  erzeugt; 
indess  war  die  Teilnahme  des  Vol- 
kes an  der  Liturgie  als  singendes 
Glied  doch  immer  unbedeutend. 
Luther  erst  war  es  vorbehalten, 
deutsche  Sprache  und  deutschen 
Gesang  in  der  Kirche  zur  Herr- 
schaft zu  bringen.  In  richtiger  Er- 
kenntnis des  Guten  wühlte  er  zu- 
nächst aus  dem  altlateinischen 
Kirchengesang  solche  Melodien, 
welche  an  die  Liederform  erinner- 
ten, wie  das:  „Mitten  im  Leben 
sind  wir  vom  Tod  umfangen"  oder 
das  Vt/ii  redemptor  gentium-,  den 
gregorianischen  Choral  aber  ver- 
warf er  gänzlich.  Er  meint,  dass 
sei  „wüstes  Eselsgeschrei"  und 
töne,  „wie  Gesaug  der  Hunde  und 
Säue". 

Reichere  Ausbeute  als  der 
Kirchengesang  lieferte  dem  pro- 
testantischen Kirchengesang  das 
weltliche  Volkslied,  jene  Tanzmelo- 
dien, welche  schon  die  Niederländer 
als  Cantus  firmos  statt  der  gregoria- 
nischen Weisen  in  ihren  kontrapunk- 
tischen Werken  benutzt  hatten. 
Es  wurden  zu  diesen  gegebenen 
Melodien  neue  Texte  gedichtet,  wie 
zu  dem  Lied:  Innsbruck,  ich  muss 
dich  lassen:  „O  Welt  ich  muss 
dich  lassen".  Die  bedeutendste 
Verbesserung  war  jedoch,  dass  die 


Melodie   in  die  Oberstimme  ver- 
legt wurde,  während  sie  früher  in 
der  Mittelstimme,  im   Tenor  lag. 
Einen  treuen  Mitarbeiter  fand  Luther 
in  dem  Kapellmeister  Friedrichs  des 
Weisen,  Johaun  Walther,  welcher 
die    neue    kirchliche  Weise:  den 
Choral,  zunächst  noch  im  Sinne  der 
alten  Musikpraxis  mit  dem  Selunucke 
der  Kontrapunktik  ausstattete.  Un- 
gleich   bedeutender  wirkten  nach 
dieser  Richtung  Ludwig  Senfl  und 
Georg  Rhaw. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  16,  Jahr- 
hunderts beginnt  sich  der  Lintia« 
der  venezianischen  und  römischen 
Schule  geltend  zu  machen.  Man 
begann,  die  verflochtenen  Stimmen, 
welche  durch  Einführung  des  Kontra- 
punktes entstanden  waren,  einheit- 
lich in  der  Harmonie  zusammenzu- 
fassen. Mit  genialem  Verständnis 
erfasste  diese  Weise;  der  als  Tou- 
setzer  wie  als  Gelehrter  hoch- 
berühmte  iSW/*  Calrisius,  den  Höhtk- 
) »unkt  aber  erreicht  sie  in  Hans  f^x> 
Hassler,  Prätorius,  Eceard  und 
dessen  Nachfolger  Sfolxius. 

Neben  dem  kirchlichen  Chorale 
pflegten  diese  Meister  selbstverständ- 
lich auch  weltliche  Musik :  es  erstand 
das  sogenannte  Kunstlied,  das  ist 
die  mehrstimmige  Bearbeitung  von 
Volksmelodien  mit  genauer  Berück- 
sichtigung des  Textes.  Die  früheren 
Komponisten  hatten  nicht  an  eine 
im  Sinne  und  Geiste  der  Melodie 
erfolgende  Ausgestaltung  derselben 
gedacht,  dem  alten  Kontrapunkt 
waren  die  Volksweisen  nur  Ton- 
phrasen. Jetzt  werden  sie  Keim 
und  Wurzel  eines  sich  selbständig 
aus  denselben  entwickelnden  Kunst - 
gesanges.  Zugleich  wurde  auch 
versucht,  eigene  Melodien  zu  er- 
finden. In  Italien  war  namentlich 
das  sogenannte  Madrigal,  ein  kurzes, 
gewöhnlich  acht-,  höchstens  zwölf- 
zeiliges  Lied,  das  von  Liebe  oder 
von  der  Herrlichkeit  der  Natur 
handelte,  aufgekommen.  An  diesen 
Gedichten  versuchten  sich  die  Kontra- 


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Musik. 


691 


nunktisten  zuerst  in  der  freien  Er- 
findung. Die  natürliche  Folge  dieser 
Musikübung  war,  dass  nun  auch  der 
Einzelne  versuchte,  die  Oberstimme 
oder  selbst  ein«'  Mittelstimme,  die 
im  Grunde  nicht  weniger  Melodie 
hatte  als  jene,  allein  zu  singen  und 
die  fehlenden  Stimmen  durch  In- 
strumente zu  ersetzen.  Um  Aus- 
breitung dieser  Gcsaugsweiso  erwarb 
Bich  namentlich  der  berühmt»'  Säuger 
(iitdiot  'accini  Verdienste. In  Deutsch- 
land wurde  sie  von  l'rntorinsy  Hein- 
rich Schutz  und  Hermann  Schein 
weitergebildet  Dabei  spielte  selbst- 
verständlich die  Begleitung  vorerst 
eine  untergeordnete  Holle.  Die 
künstliche  Stimmvertlchtung  des 
Kontrapunktes  löste  sich  in  einfache 
Akkorde  auf.  Man  brauchte  des- 
halb neben  der  Melodie  nur  den 
Bass  zu  verzeichnen  und  die  beglei- 
tenden Akkorde  durch  Zahlen  an- 
zudeuten. Diesen  numerierten  Bass 
nannte  man  (ieneralhass. 

8.  Die  Ausbildung  der  Instru- 
mentalmusik, Das  beliebteste  Instru- 
ment, mit  welchem  die  Gesänge  im 
Jahrhundert  begleitet  wurden, 
war  unstreitig  einerseits  die  Laufe  — 
sie  war  zum  Hausinstrument  gewor- 
den —  anderseits  die  Oryel,  welche 
sich  in  der  Kirche  eingebürgert 
hatte.  Für  beule  war  denn  auch 
eine  eigentümliche  Notierungsform 
entstanden.  Für  die  Orgel  genügten 
noch  lange  die  Guid« mischen  Buch- 
staben, denn  die  Konstruktion  der- 
selben war  unsäglich  plump,  und 
man  begnügte  sich,  auf  derselben 
den  canfus  firmus  einstimmig,  höch- 
stens mit  dem  Organum  verbunden, 
zu  begleiten.  Dem  entsprechend  bil- 
dete sich  in  Deutschland  die;  soge- 
nannte Oraeltabutatur  aus.  Dieselbe 
bestand  vorerst  aus  den  Tönen  der 
diatonischen  alten  Skala,  welche  nun 
folgendermaßen  bezeichnet  wurden: 

L  -1i(  LrLE_FJL;  a  h  c  d  e  f  g 
a  h  c  d  e  f  g  a  h  c  d  e 

Als  dann  auch  die  Zwischentöne 


immer  erweiterten  Eingang  fanden, 
wurden  sie  durch  ein  angehängtes 
Hnkchen  oder  eine  Schleife  ange- 
zeigt, z.  B. :  /,  oder  f  ;  —  //*.  Nach- 
dem die  Verbesserung  des  Instru- 
mentes dann  auch  «lie  Ausführung 
der  Mensuralmusik  möglich  machte, 
musste  der  Zeitwert  derNotcn  gleich- 
falls bestimmt  angegeben  werden. 
Man  fügte  deshalb  der  Buchstaben- 
schrift besondere  Zeichen  bei:  ein 
l'unkt  bedeutete  z.  B.  eine  Brevis, 
ein  Strich  die  Scmibrevis  u.  8.  w. 
Im  Übrigen  wurden  die  Stimmen  so 
untereinander  gesetzt  wie  in  unserer 
Partitur. 

Diese  Art  der  Aufzeichnung  war 
für  Orgel,  Geige,  Laute  unet  die 
entsprechenden  Instrumente  im  Ge- 
brauch, kam  aber  auch  beim  Gesang 
zur  Anwendung.  Daneben  hatten 
die  I  i  ! 'nisten  noch  eine  eigene, 
die  Lautentabulaturcrfunden,  welche 
ganz  speziell  der  Spielweise  und  der 
Technik  des  Instrumentes  angeeignet 
war.  Dabei  ging  man  von  der  fünf- 
saitigen  Laute  aus,  deren  einzelne 
Saiten  man  mit  den  Zahlen  1,2,3,4,5, 
die  einzelnen  Gritfe  aber  mit  Buch- 
staben bezeichnete.  Die  Meister  des 
Lautenspiels  gaben  dazu  noch  man- 
cherlei ergänzende  Bestimmungen, 
wie  HansGerle  in  Musica  7 tusch. 
Eine  Zwischenstellung  zwischeuOrgel 
und  Laute  nimmt  ein  anderes  Saiten- 
instrument ein,  das  schon  früh  mit 
einer  Klaviatur  versehen  worden 
war.  Dasselbe  war  entstanden  aus 
dem  Monochord ,  einem  einsaitigen 
Instrument,  auf  welchem  durch  Ver- 
schiebung eines  Steges  die  verschie- 
denen Töne  erzeugt  werden  konn- 
ten. Um  sich  das  Verschieben  des 
Steges  zu  ersparen,  brachte  man  mit 
der  Zeit  eine  Anzahl  Tasten  an, 
welche  beim  Niederdrücken  die  Saite 
in  bestimmte  Längen  teilte  und  zu- 
gleich erklingen  machte.  Später 
nahm  man  statt  der  einen  Saite 
mehrere,  wodurch  das  Instrument, 
das  sogenannte  Clavichord,  bundfrei 
wurde,  da  die  Tasten  von  nun  an 

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692 


Musik. 


nur  mehr  die  Funktion  des  Erklingen- 
raaehens,  nicht  mehr  aber  des  Ab- 
teilen« zu  versehen  hatten.  In  dieser 
Form  nannte  man  das  Clavichord 
auch  Clavicymbcl ,  Spinell  oder 
Virqinal. 

Neben  diesen  Instrumenten  besass 
das  Mittelalter  noch  eine  Grosszahl 
anderer,  namentlich  waren  die 
Streich-  und  Blasinstrumente  viel 
zahlreicher  als  heutzutage.  Aus 
der  keltischen  Crota  war  die  Rota 
oder  Fidel,  Viola  (vergleiche  den 
Artikel  Musikinstrumente)  entstan- 
den, sowohl  die  Viola  di  qamba  als 
die  Viola  di  braeeio.  Ünter  den 
Blasinstrumenten  gelangten  nament- 
lich die  Pommern  und  Schalmeien 
zu  umfassender  Verwendung. 

Bisher  war  die  Instrumentalmusik 
beinahe  ausschliesslich  mit  der  Volks- 
musik verbunden  gewesen.  Je  selb- 
ständiger jedoch  dieselbe  wurde, 
umsomehr  musste  sie  sich  von  der 
Volksmusik  lostrennen  und  einen 
eigenen  Stil  ausbilden,  den  In*tru- 
mental&tU,  der  sich  vom  Vokalstil 
der  Hauptsache  nach  durch  grössere 
rhythmische  Bestimmtheit  —  ange- 
regt durch  den  Tanz,  zu  dessen 
Begleitung  die  Instrumente  geeigne- 
ter schienen,  als  die  menschliche 
Stimme,  —  sowie  durch  grössere 
Beweglichkeit,  durch  Zerlegen  des 
langgehaltencn  Gesan^tones  in  klei- 
nere Wertteile  auszeichnete.  Von 
grösster  Wichtigkeit  nicht  nur  für 
die  Instrumentalmusik,  sondern  für 
die  gesamte  Kunst  aber  war  die 
durch  eratere  geforderte  Annahme 
einer  bestimmten  einheitlichen  Ton- 
höhe und  dieEinführung  der  sogenann- 
ten yleichsch webenden  Temperatur. 

Schon  Zarlino  hatte  die  Tempe- 
ratur in  die  Musik  eingeführt  und 
war  zu  einer  Scala  gekommen,  deren 
einzelne  Töne  folgende  Schwingungs- 
zahlen  aufweisen.- 

cdefgaäc 

1     8/     4/     3/    ff    3/    8/  O 
1       /•     Ii     14     13     Ii    [tl  6J 

wobei  c—d  und/—  a  zu  einander  im 
Verhältnis  von  b  :  9;  d—c  und  a—h 


aber  in  dem  von  9  :  10  stehen.  Der 
Tonschritt  e  —  d  und  / — g  ist  also 
kleiner  als  derjenige  von  d—e  und 
a—h.  Dies  musste  aber  ausserordent- 
lich störend  wirken,  als  die  chroma- 
tische Tonleiter  und  die  feststehende 
Stimmung  eingeführt  wurde  und  die 
verschiedenen  Instrumente  ineinan- 
der musizierten.  Da  konnte  die 
mathematische  Reinheit  nicht  mehr 
aufrecht  erhalten  werden,  sondern 
die  Ungleichheiten  mussten  unter 
die  12  Halbtonschritte  der  chroma- 
tischen Skala  gleichmässig  verteilt 
werden.  Dieses  nannte  mau  die 
gleichsch wobende  Temperatur. 

Ein  Orchester  aus  dieser  Zeit 
war  noch  etwas  äusserst  bunt  Zu- 
sammengewürfeltes.    Es    galt  ja 
vorderhand  nur,  die  Singstimmen  zu 
ersetzen  oder  zu  unterstützen,  nicht 
aber  besondere  Klangwirkungen  zu 
erzielen.    Man  stellte  die  Instru- 
mente deshalb  zusammen,  wie  sie 
gerade  zu  haben  waren,  weshalb 
die  Komponisten  auf  ihre  Tonsrücke 
ziemlich  regelmässig  die  Bemerkung 
machten:  „auff  allcrley  Instrument 
zu  gebrauchen."    Indessen  beginnt 
doch  schon  in  Prätorius  das  Gefühl 
nach  verschiedenen  Klangwirkungen 
sich  zu  zeigen,  er  spricht  bereits 
von  verschiedenen  Seiten  des  Stirn  m- 
werks.  Einen  besonderen  Reiz  sollte 
die  Instrumentation  durch  das  so- 
genannte Kolorieren  und  Diminuieren 
erhalten,  das  aus  dem  Stegreif  ge- 
übt wurde  und  etwas  mit  der  Kunst 
des    Diskantiercns    gemein  hatte. 
Namentlich  zeigte  sich  dieser  Orna- 
mentalstil in  der  sogenannten  Toc- 
cata, wo  anstatt  der  Melodie  laufende 
und  gebrochene  Figuren  eingeführt 
sind.     Ihre    künstlerische  Gestalt 
verdankt  sie  dem  venetiancr  Orga- 
nisten  Claudio  Aferula,   die  volle 
Ausbildung  aber  wurde  ihr  durch 
Frencobatdi  zu  Teil,  dessen  Toccaten 
alle  musikalischen  Errungenschaften 
seiner  Zeit  in  sich  vereinigen :  die 
Fuge,  die  freie  Imitation,  glanzvolles 
Passageuwerk   und  mächtig 


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Musik . 


693 


mendc  Akkordfolgen.  In  einer 
zweiten  Kunstform,  der  sogenannten 
Xanzone,  kam  das  gesangreiche  Spiel 
mehr  zur  Anwendung,  und  in  der 
yiSymphonie"  und  dem  „Ritornell" 
begegnen  wir  bereits  ganz  selbstän- 
digen Orchestersätzen,  welche  ent- 
weder Vokalsätze  einleiten  oder  Er- 
holungspausen der  Sänger  ausfällen. 

In  Italien  war  zudem  die  Sonate 
eine  beliebte  Instrumentalform 
geworden.  Ihr  Name  bedeutet 
ursprünglich  nichts  als  Instru- 
mentalstück und  scheint  densel- 
ben Zwecken  gedient  zu  haben, 
wie  die  Symphonie.  Eingehende 
Pflege  fand  auch  im  17.  Jahrhundert 
die  Tanzweise.    Schon  die  Stadt- 

t>feifer  hatten  die  Gewohnheit  ge- 
iaht, eine  Anzahl  von  Tanzweisen, 
zu  einem  Cyklus  vereint,  ohne  den 
dazu  gehörigen  Tanz  vorzutragen. 
Diese  so  aneinandergereihten,  im 
übrigen  nur  durch  Gemeinsam- 
keit der  Tonart  zusammengehöri- 
gen Tanzstücke,  nannte  man  an- 
fangs Partie  (partita).  Später  wur- 
den sie  als  Suite  eine  der  belieb- 
testen Instruraentalformcn. 

Besonders  einflussreich  auf  die 
Weiterentwicklung  der  Instrumen- 
talmusik sollte  eine  Kunstgattung 
werden,  welche  im  Lauf  der  Zeit 
aus  Verbindung  von  weltlicher  und 
kirchlicher  Musik  sich  gebildet  hatte: 
9.  Die  Oper  und  das  Oratorium. 
Schon  im  12.  und  13.  Jahrhundert 
hatten  die  sogenannten  geistlichen 
Schauspiele  immer  mehr  Ausbreitung 
erlangt.  Dieselben  bestanden  aus 
Darstellungen  biblischer  Stoffe  in 
der  Kirche  und  waren  vorerst  mit 
der  Liturgie  aufs  engste  verbunden. 
Der  Gesang  war  teils  wirklich  ritu- 
aler Kirchen^esang,  teils  wurden  die 
nach  dem  Bibelworte  zusammenge- 
stellten oder  auch  frei  erfundenen 
Gesänge  nach  eigenen  Melodien  vor- 
getragen. Der  freie  derbe  Humor 
jener  Zeiten  verlangte  aber  zugleich 
Einmischung  komischer  Episoden : 
wie  wenn  der  Salbenkrämer  den 


zum  Grabe  eilenden  Frauen  seine 
Ware  unter  allerlei  Scherzen  anbietet. 

Damit  hatten  jedoch  die  geistlichen 
Schauspiele  ihre  höhere  Weihe  gänz- 
lich verloren  und  wurden  deshalb 
mit  Recht  aus  der  Kirche  verbannt. 
Allein  das  Volk,  das  einmal  grossen 
Gefallen  an  diesen  Spielen  fand, 
Hess  sieh  dieselben  nicht  nehmen, 
sondern  führte  sie  auf  freien  Plätzen 
oder  im  besondern  „Spilhus14  auf. 
Vgl.  den  Art.  Drama. 

Einen  wohlthätigen  Einfluss 
übte  auf  die  Entwicklung  des 
Schauspiels  der  erwachende  Geist 
der  Renaissance  aus.  Man  ver- 
suchte es,  die  altgricchischen  Ko- 
mödien nachzubilden  und  bracht  e 
dadurch  wieder  mehr  Ernst  in  die 
Sache.  Auch  dazu  ging  der  An- 
stoss  von  Italien  aus.  Das  dram- 
ma  in  musiea  oder  die  Tragedia 
per  musiea  fand  dort  namentlich  in 
Pen  einen  eifrigen  Vertreter  und 
Beförderer.  Wir  haben  schon  ge- 
sehen, wie  der  Sänger  Caccini  den 
Einzelgesang  oder  die  Monodie  wieder 
einzuführen  bestrebt  war.  Den 
weiteren  entscheidenderen  Schritt 
that  nun  Peri  in  seiner  ersten  Oper: 
„Dafne",  indem  er  einen  völlig  neuen 
Musikstil  einführte,  welcher  die 
Mitte  hielt  zwischen  Gesang  und 
ausdrucksvoller  Rede,  den  soge- 
nannten Stile  recitativo,  der  noch 
heute  in  unsern  Opera  gebraucht 
wird.  Peri  gewann  sich  dadurch 
die  ungeteilte  Zustimmung  der  Hörer. 
Man  glaubte,  die  dramatische  Musik 
der  alten  Griechen  wieder  aufge- 
funden zu  haben.  Allerdings  war 
jetzt  das  Material  zur  Rekonstruie- 
rung des  antiken  Musikdramas  wieder 
beieinander:  der  Chor  zum  Aus- 
druck der  Stimmung  der  Gesamt- 
heit, der  melodische  Gesang  (die 
Arie)  zur  Schilderung  der  Gefühle 
des  Darstellers  und  das  Recitativ 
für  den  Dialog  und  diejenigen  Em- 
pfindungen, welche  nur  vorüber- 
gehend anzudeuten  waren.  Durch 
seinen  Erfolg  ermutigt,  schuf  Petri 


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694 


Musik 


bald  darauf  das  Musikdrama  „Euri- 
dice",  ein  Werk,  welches  berufen 
war,  einen  Markstein  in  der  Ge- 
schiente der  Musik  zu  bilden;  denn 
mit  demselben  tritt  diejenige  Kunst- 
gattung ins  Leben,  die  von  nun  an 
ununterbrochen  die  musikalische 
Welt  beschäftigen  sollte:  die  moderne 

Oper. 

Die  Instrumentalbegleitung  war 
hierbei  noch  äusserst  dürftig  und 
beschränkte  sich  auf  einfache  Be- 
gleitung des  Gesanges.  Den  ersten 
Schritt,  auch  die  Instrumentalmusik 
in  der  Oper  zur  Charakteristik  der 
verschiedenen  Stimmungen  verwandt 
zu  haben,  that  Monteverde,  der  die 
Individualität  der  einzelnen  Instru- 
mente und  ihre  verschiedenen  Klang- 
farben erkannt  hatte. 

Bedeutenden  EinHuss  auf  die 
Weiterentwicklung  der  dramatischen 
Musik  übte  Giaeomo  Carissimi  aus, 
der  zwar  keine  Opern  schrieb,  aber 
den  wichtigsten  Anteil  an  der  Aus- 
bildung einer  der  Oper  .ähnlichen 
Kunstgattung,  dem  Oratorium  hat. 
Als  Begründer  desselben  erscheint 
der  römische  Priester  Filippo  Serif 
der  auf  den  Gedanken  kam,  seine 
Erklärungen  der  heiligen  Schrift 
mit  geistlichen  Chorgesängen  zu  ver- 
binden, welche  dieselben  gleichsam 
illustrierten.  Zu  wirklich  selbstän- 
diger Bedeutung  aber  gelaugte  das 
Oratorium  erst  durch  Ludarico  Via- 
dana, der  mit  seinen  Coneerti  da 
ehiexa  die  von  Caccini  neuerfundene 
Monodie  zuerst  wieder  in  der  Kirchen- 
musik heimisch  machte  und  durch 
Einführung  eines  selbständigen  obli- 
gaten Instrumentalbasses,  des  Hots» 
continuo,  eine  durch  das  ganze.  Stück 
ohne  Pause  sich  hindurchziehende 
Grundstimmc  schuf.  Das  wirklich 
dramatische  Element,  die  Umge- 
staltung der  einfach  liedartigen  Kan- 
tate zu  einer  Art  dramatischen  Scenc 
mitRecitativ,  Ariosen  undEnsemble- 
einsätzen  i  freilieh  ohne  sichtbar  dar- 
gestellte Handlung)  führte  erst  Ca- 
in  «las  Oratorium  ein  und 


schuf  dadurch  die  sogenannte  A  am- 
mrrkantate,  bei  welcher  die  Auf- 
merksamkeit des  Zuhörers  weder 
durch  äussere  Darstellung,  wie  in 
der  Oper,  noch  durch  religiöse  Cere- 
monien,  wie  in  der  Kirchenmusik 
mit  in  Anspruch  genommen  wird 
und  sich  also  durchaus  auf  das  Ton- 
werk konzentriert.  In  dieser  stren- 
gen Schule  bildete  sich  Slarfatti. 
der  dadurch  die  Fähigkeit  erlangte, 
auf  jedem  Spezialgebiet  mit  Erfolg 
zu  wirken.  Seine  Fruchtbarkeit  war 
ein«!  unglaubliche.  Er  dichtete  114 
Opern  und  200  Messen,  daneben 
eine  Menge  Kantaten.  Skarlatti 
führte  die  italienische  Oper  zu  ihrem 
Glanzpunkte,  wenn  er  auch  dem 
sich  steigernden  Bedürfnis  nach 
sinnlichem  Reize  die  antike  Einfach- 
heit derselben  opfert. 

Mit  grossem  Eifer  wandten  sich  der 
d  rama  t  isch  en  For  m  n  un  auc  h<lie  deut- 
schen Meister  zu.  Schon  längst  hatte  in 
Deutschland  wie  iu  Italien  das  geist- 
liche Schauspiel  bestanden,  aus  dem 
sich  mit  der  Zeit  das  weltliche  Spiel 
entwickelt  hatte.  Die  Thätigkeit 
»ler  schlesisehcn  Dichterschule  gab 
der  ganzen  Sache  einen  anderen 
Verlauf,  indem  jetzt  ebenfalls 
versucht  wurde,  nach  klassi- 
schen Mustern  der  ganzen  Richtung 
einen  bestimmten  Weg  vorzuzeieb- 
nen.  Der  alte  deutsche  Schwank 
wurde  zum  Sinfj.tjae/e ,  in  welchem 
das  deutsche  Lied  eine  nicht  un- 
wichtige Rolle  spielte.  Die  Ein- 
führung der  eigentlichen  Oper  aber 
veranlasste  Peri's  Daphne,  welche 
Martin  Opitz,  der  Begründer  der 
schlesisehcn  Dichterschule,  im  Auf- 
trag des  Kurfürsten  Johann  Georg  I. 
von  Sachsen  in's  Deutsche  über- 
setzte und  wozu  der  Dresdener 
Hofkajiellmeister  Heinrich 
die  Musik  dichtete,  die 
dem  italienischen  Stile  auf  das 
Engste  anschloss.  Indessen  ver- 
mocht!» die  Oper  in  Deutschland 
vorderhand  doch  nicht  recht  auf- 
zukommen ,    der  30jährige 


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Musik. 


695 


lähmte  alle  Kunst  in  ihrem  Fort- 
schreiten. Einzig  in  Hamburg  kam 
sie  zu  einer  gewissen  Blüte,  in 
dem  ihr  besoiulers  zwei  Doktoren 
der  Medizin:  Francke  und  Frötscb 
ihr  musikalisches  Talent  widme 
ten.  Zu  grösserer  Bedeutung,  ge- 
langten diese  Versuche  erst  mit 
Sigismund  Kusser,  der  nicht  nur 
ein  gründlicher  Kenner  italienischer, 
sondern  auch  französischer  Musik 
war.  Namentlich  hatte  Lully,  der 
Begründer  der  französischen  Oper, 
auf  ihn  eingewirkt.  In  Frankreich 
hatte  die  Oper  ganz  denselben  Weg 
genommen,wiein  Italien  undDeutsch- 
land.  Von  dem  schon  genannten 
Adam  delaHale  kennt  man  die  ältesten 
Liederspiele,  kleine  artige  Lieder- 
stücke. Entschiedenen  Einfluss  hatte 
aber  auch  in  Frankreich  die  italie- 
nische Oper,  welche  durch  italienische 
Sänger  nach  Paris  gebracht  und 
dort  mit  grossem  Beifall  aufge- 
nommen ward.  Das  regte  die  in- 
ländischen Poeten  und  Tonsetzer  zu 
eigener  Thätigkeit  an;  namentlich 
waren  es  Perrin  und  Cambert, 
welche  mit  ihrer  Oper  Pornone  all- 
gemeinen Beifall  ernteten.  Allein 
eine  wirkliche  nationale  Gestalt  er- 
hielt die  französische  Oper  erst  durch 
Lully,  dessen  Oper  zwar  als  musi- 
kalisches Kunstwerk  hinter  denen 
der  Italiener  zurücksteht  (bei  ihm 
liegt  der  Schwerpunkt  in  der  musi- 
kalischen Deklamation  und  Rhetorik), 
aber  in  der  geschickten  Anwendung 
der  äusseren  theatralischen  Mittel 
eine  genaue  Kenntnis  der  Bühne  ver- 
rät. Durch  Lullv  fand  auch  die 
Instrumentalmusik  selbständige  Ver- 
wendung, indem  er  die  Ouvertüre,  die 
Vor-  und  Nachspiele  einführte.  Nur 
Ein  Komponist  vermochte  es,  sich 
neben  Lully  Geltung  zu  verschaffen, 
Jean  l'hilijtp  Rameau,  der  theore- 
tische Begründer  unseres  modernen 
Musiksystems.  Schon  Jahrhunderte 
früher  waren  die  sogenannte 
ionische  und  acolische  (die  mit  c 
und  a  beginnende)  Kirchentouart 


im  Volksgesange  fast  ausschliesslich 
zur  Anwendung  gekommen.  Sie 
gelangten  zur  Un  iversalherrschaft, 
als  man  anfing,  nach  Einführung 
der  gleichschwebenden  Temperatur, 
alle  12  Halbtöne  der  Oktave  als 
Grundtöne  ebensovieler  Transposi- 
tionen der  Dur  (ionischen)  und  der 
Moll  (äolischen)  Skala  zu  gebrauchen 
und  damit  die  der  modernen  Kom- 
position hinderlichen  Schranken  der 
alten  Tonarten  durchbrach. 

Mit  grosser  Sorgfalt  und  ein- 
gehendem Fleisse  war  namentlich 
in  Deutschland  die  kirchliche  Form 
des  Oratoriums  gepflegt  worden. 
Bereits  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts scheint  es  Ehrensache  für 
jeden  Kontrapunktisten  gewesen  zu 
sein,  die  Passion  in  Musik  zu  setzen. 
Schon  Orlandus  Lassus  hatte  in 
seinen  Busspsalmen  den  ersten  An- 
stoss  zur  Pflege  dieser  Kunstgattung 
gegeben.  Namentlich  aber  ist  es 
1 lein  rieh  Schütz,  der  als  Schüler 
Gabrielis  die  in  Italien  empfangene 
Anregung  benützte,  um  seine  deutsche 
Tiefe  uud  Kernhaftigkeit  in  vollem 
Umfange  zur  Geltung  zu  bringen. 
Zugleich  aber  schuf  er  eine  neue 
Form  des  Oratoriums.  Bisher  hatte 
sich  darin  alles  nur  chorweise  be- 
wegt, jetzt  versuchte  er  es,  die  han- 
delnden Personen  selbständig  aus 
dem  Chor  als  Solopartien  hervor- 
treten zu  lassen  und  komponierte  ein  , 
zwei- und  mehrstimmige  Sätze,  je  nach 
Anzahl  der  sprechenden  Personen. 
An  der  Erweiterung  des  Oratoriums 
wirkten  neben  Schütz:  H.  Schein, 
Rosenmüller  u.  a.  in. 

So  waren  mit  der  Neige  des  17. 
Jahrhunderts  die  letzten  Vorbedin- 
gungen erfüllt,  um  alle  Musikformen 
in  höchster  Vollendung  erstehen  zu 
sehen.  Namentlich  deutsche  Meister 
sind  es,  welche  die  Aufgabe  des 
18.  Jahrhunderts  zu  lösen  begannen: 
die  Kunst  über  die  nationalen  Be- 
dürfnisse emporzuheben  und  Kunst- 
werke im  höchsten  Sinne  des  Wortes 
zu  schaffen. 


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G96 


Musik. 


10.  Das  18.  Jahrhundert.  Ham- 
burg wurde  bereits  als  der  Ort  ge- 
nannt, wo  die  bedeutendem  Opern 
des  In- und  Auslandes  zur  Aufführung 
gelangten,  und  zwar  war  es  dort  neben 
Kusser  namentlich  Reinhard  Keiner, 
welcher  auf  Entwicklung  der  deut- 
schen Oper  wesentlichen  Einfluss 
ausübte.  Indessen  hinderte  der 
szenische  Pomn,  mit  welchem  man 
die  Gesangsaramen  auszustatten 
suchte,  die  reichere  musikalische 
Ausbildung.  Ging  man  auch  in 
Hamburg  nicht  so  weit,  wie  an 
einzelnen  Höfen  Deutschlands 
und  Italiens  oder  in  Paris,  so 
Hess  man  es  doch  in  musikalischer 
Hinsicht  an  der  notwendigen  Sorg- 
falt fehlen  und  weder  Matheton 
noch  Telemann,  die  Nachfolger 
Heisere,  vermochten  diesem  Fehler 
gründlich  abzuhelfen.  Die  deutsche 
Oper  musste  neuerdings  der  ita- 
lienischen weichen,  welche  im 
übrigen  Deutschland  viel  eifriger 
gepflegt  wurde,  namentlich  in  der 
veredelten  Form,  die  ihr  Aga- 
sfino  SleJJani,  der  Vorgänger  Han- 
dels an  der  Oper  zu  Hannover,  da- 
durch gegeben,  dass  er  mit  ihr  den  | 
etwas  verfeinert  deklamierenden  Stil 
der  französischen  Oper  zu  ver- 
schmelzen suchte.  Grossen  Erfolg 
errang  auch  in  Deutschland  die 
nur  auf  virtuose  Gesangskunst 
basierte  Oner  der  Neapolitanischen 
Schule,  uie  durch  Allessandro 
Scar/atti  begründet  und  dann  durch 
Leonardo  Leo.  Leonardo  Vinci. 
Cimarosa,  Jomelli  etc.  weitergebildet 
worden  war.  Besondere  durch  die 
letzterwähnten  fand  sie  auch  in 
Deutschland  Verbreitung.  Unter 
den  deutschen  Opern -Komponisten 
aber,  die  sich  der  Pflege  derselben 
widmeten,  sind  besondere  Hasse, 
Graun  und  Naumann  zu  nennen. 
So  war  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  die  italienische 
Oper  die  völlig  herrschende  in 
Deutschland.  Auch  in  Frankreich 
erstand  der  durch  Lully  gegrün- 


deten grossen  Oper  1752  durch 
die  Ankunft  einer  italienischen 
Operntruppc  eine  bedeutende  Kon- 
kurrenz. 

Das  musikalische  Paris  teilte  sich 
alsbald  in  zwei  Parteien,  die  unter 
dem  Namen  Buffonisten  oder  Anti- 
buffonisten  entweder  auf  Seiten  der 
italienischen  oder  der  nationalen 
Oper  standen.  In  dem  hartnäckigen 
Kampfe  zogen  schliesslich  die  Ita- 
liener den  kürzeren,  wenn  auch,  an- 
geregt durch  die  opera  twjja,  die 
opera  comique,  welche  namentlich 
in  Gr6try  einen  praktischen,  in 
Rousseau  einen  theoretischen  Ver- 
treter fand,  enstauden  war.  Zum 
Abschluss  gelangen  sollte  der  Kampf 
erst  durch  das  Erscheinen  eines  der 
grösstenMännerderMusikgesehichte, 
eines  Deutschen,  durch:  Christof 
Willibald  von  Gluck,  der  nicht  nur 
Frankreich,  sondern  auch  Deutsch- 
land zu  einem  mustergültigen 
Opemstil  verhalf.  Dieser  war 
nur  dadurch  zu  finden,  dass  der 
weitschweifige  Mechanismus  der 
durch  Scarlatti  gegründeten  italie- 
nischen Oper  zusammengerückt,  zu 
einem  lebendigen  Organismus  be- 
seelt und  zugleich  mit  der  grossem 
Schlagfertigkeit  der  Daretellungs- 
mittel  der  französischen  Oper  aus- 
gestattet wurde.  Durch  jahrelange 
unausgesetzte  Thätigkeit  hatte  sich 
Gluck  den  italienischen  Stil  zu 
höchster  Kunstfertigkeit  angeeignet 
und  sich  mit  demjenigen  der  französi- 
schen Oper  in  gleicherweise  vertraut 
gemacht.  Durchschlagenden  Erfolg 
sollte  Gluck  mit  seiner  Oper:  Alccste 
erringen,  allein  erst  mit  seiner 
Iphigenie  gewann  er  den  neuen 
Standpunkt  vollständig.  Hier  hat 
er  den  ganzen  Apparat  der  italie- 
nischen und  französischen  Oper 
von  allem  Unwesentlichen  entkleidet 
und  beide  damit  zu  lebendigem  Or- 
ganismus erhoben.  Die  charakteri- 
stischen Intervallenschritte,  welche 
die  Recitation  der  französischen 
Oper  seit  Lully  auszeichnen,  erhob 


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Musik. 


697 


er  zu  bedeutsamen  Wort-  und  Uo- 
fühlsaccenten,  und  indem  er  dieselben 
zugleich  auch  der  melodienreichcn 
italienischen  Arie  einverleibte,  ge- 
langte diese  zu  einer  Innigkeit  der 
Empfindung,  die  ausschliesslich  das 
Interesse  dein  dramatischen  Verlauf 
zuwendet  Dadurch  wurde  die 
treffendste  Charakteristik  der  han- 
delnden Personen  ermöglicht  und 
die  Handlung  entwickelte  sich  dra- 
matisch belebter  und  wahrer.  Zu- 
gleich eignet  der  Meister  auch  dem 
Chor,  der  durch  die  Italiener  ver 
nachlässigt  worden  war,  diese  neuen 
Mittel  an,  wodurch  auch  dieser  dra- 
matisch bedeutsam  wird. 

Während  so  Gluck  den  ganzen 
Apparat  der  Oper  jener  Zeit  ver- 
engte, um  ihn  recht  dramatisch  zu 

festalten,  erweitert  ihn  jener  andere 
feister  —  Händel  —  der  gleichfalls 
die  eine  Hälfte  seines  Leben  der 
italienischen  Oper  gewidmet  hatte, 
ins  Gewaltige  und  Grossartigc,  um 
den  Ausbau  der  Form  des  Oratoriums 
auszufuhren.  Handel  giebt  keins 
der  Mittel  der  italienischen  Oper  auf. 
Die  breiten  Formen  derselben  er- 
weitert er  noch  und  trägt  sie  na- 
mentlich auch  auf  den  Chor  über; 
und  indem  er  sie  dann  mit  seinem 
gewaltigen,  mit  den  Wunderthaten 
der  heiligen  Schrift  erfüllten  Geiste 
belebt  und  durch  die  Meisterschaft 
seines  Kontrapunktes  neu  gestaltet, 
gewinnt  er  die  rechte  Gestalt  für 
oratorische  Darstellungsweise,  die 
ohne  äusseren  Theaterapparat  die 
ganze  heilige  Geschichte  vor  Augen 
zu  führen  oestimmt  ist. 

Während  Händel  und  Gluck  den 
Gestaltungsprozess  der  neuen  Musik- 

Kraxisdes  1 8.  Jahrhunderts  jeder  nach 
esonderer  Richtung  zu  Ende  führten, 
erfasste  ihn  ein  drittergrosser  Meister 
dieser  Zeit,  Sebastian  liaeh,  in  seiner 
Gesamtheit,  um  ihn  zum  Abschluss 
zu  bringen  und  zugleich  die  Keime 
zu  neuer  grossartiger  Entwickelung 
zu  legen.  Bach  machte  den  geist- 
lichen Volksgesang,  den  Choral,  zum 


Mittelpunkt  seiner  künstlerischen 
Wirksamkeit,  und  indem  er  den- 
selben in  den  kunstvollen  Formen 
des  doppelten  und  mehrfachen  Kon- 
trapunktes verwendet,  führt  er  den 
Gestaltungsprozess,  der  durch  die 
Niederländer  angeregt  worden  war, 
zu  Ende. 

Um  sein  ganzes  reich  erfülltes 
Innere  aber  austönen  zu  lassen,  be- 
durfte Bach  auch  der  Instrumcutal- 
stimmen,  welche  nunmehr  allmählich 
ebenso  wie  die  Singstimme  zu  aus- 
drucksvollen Trägern  seiner  Ideen 
wurden.  Dadurch  gelangte  er  zu 
jenem  Kantatenstil,  bei  welchem 
Vokal-  und  Orchesterstimmen  sich 
gegenseitig  ablösen  und  sich  in 
einem  künstlich  ineinander  gefloch- 
tenen Gewebe  ergänzen.  Zu  wahr- 
haft dramatischer  Form  gestalteten 
sich  namentlich  seine  Passionen, 
in  denen  sich,  besonders  in  der 
Matthäus- Fassion,  sein  ganzes  künst- 
lerisches Vermögen  zeigt:  kunst- 
gemässc  Behandlung  des  protestan- 
tischen Chorals, unumschränkte  Herr- 
schaft über  den  fugierten  Stil  und 
endlich  vollständige  Kenntnis  der 
Orchesterinstrumente.  —  In  Bach 
vollendet  sich  die  Kunst  als  christ- 
liche und  tritt  zugleich  als  weltliche, 
als  selbständige  Instrumentalmusik, 
in  bisher  nicht  gekannter  Bedeutung 
hervor.  Namentlich  gründete  Bach 
den  sogenannten  Klavierstiel  aus, 
insbesondere  durch  sein  epoche- 
machendes Werk:  Das  wohltem- 
perierte Klavier,  eine  grosse  Fugen- 
sammlung. Noch  wunderbarer  er- 
weist sich  Bach 's  geniale  Kraft  in 
den  Orgelstücken.  Wie  in  den 
Klavierstücken  das  weltliche  Volks- 
lied, so  bildet  in  manchen  Werken 
für  die  Orgel  das  geistliche  meist 
die  Grundlage.  Mit  Sebastian  Bach 
war  jene  Bewegung,  welche  seit  der 
Reformation  die  Entwickelung  der 
Tonkunst  bestimmt  hatte,  die  Ein- 
führung des  Volksliedes  in  die  Kunst- 
musik, bis  in  ihre  äussersten  Kon- 
sequenzen    erschöpft.  Zugleich 


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G98 


Musikinstrumente 


hatte  er  den  Keim  zu  neuer  herr- 
licher Entfaltung  gelegt,  indem  er 
die  Tonkunst  in  eugere  Beziehung 
zum  Individuum  und  zum  Leben 
überhaupt  gesetzt  hatte.  Wie  die 
folgenden  Meister  diese  Aufgabe 
gelöst,  fallt  ausser  den  Rahmen 
dieses  Artikels.  (Nach  Rei**mann, 
Gesch.  der  Musik.  Ambro*,  Gesch. 
der  Musik.)  A.  H. 

'Musikinstrumente:  Die  Zahl 
der  Musikinstrumente,  über  welche 
das  Mittelalter  verfugte,  ist  eine 
überaus  grosse.  Es  wimmelt  in  den 
musikalischen  Werken  des  Mittel- 
alters von  allen  möglichen  Namen. 
Gar  viele  gehören  wohl  demselben 
Instrument  an,  welches  bei  oft  ge- 
ringfügiger Formveriinderung  auch 
andere  Benennung  erhielt.  Für 
viele  Instrumente  fehlen  uns  be- 
stimmte und  zutreffende  Nachrichten 
und  auch  die  vorhandenen  sind  oft 
unvollständig  und  unklar.  Die 
Musiker  waren  in  seltenen  Fällen 
auch  Schriftsteller,  und  sofern  sie 
es  doch  waren,  befassten  sie  sich 
in  der  Hauptsache  fast  ausschliess- 
lich mit  dem  Tonsatze  und  seiner 
Technik  und  nur  nebenher  erlangen 
wir  Aufsehluss  über  das  eine  oder 
andere  namhaftgemachte  Instrument. 
Für  die  ersten  Zeiten  der  christ- 
lichen Musik  geben  die  Miniaturen 
noch  den  besten  Aufsehluss  über 
Musikinstrumente.  Ein  umfassende- 
res Werk  über  dieselben  haben  wir 
erst  in  dem,  Ende  des  15.  Jahrhun- 
derts von  dem  Oberkapellmeister 
König  Ferdinands,  Namens  7\nc- 
tori*,  bearbeiteten  Lexikon.  Mehr 
Ausbeute  gewährt  uns  die  „Mu- 
rica  getuscht"  von  dem  Basler 
Organisten  Seh.  Virduna,  der  in  der 
zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts 
lebte  und  seiner  Beschreibung  der 
Musikinstrumentederen  Abbildungen 
in  Holzschnitt  beifügte.  Gegen 
Ende  des  15.  Jahrhunderts  erschien 
von  Martin  Agricola,  Kantor  in 
Magdeburg,  ein  ähnliches  Werk  mit 
vielen  Zeichnungen,    ihm  schliesst 


sich  Anfangs  des  16.  Jahrhunderts 
Michael  Prätori  u*  und  gegen  Ende 
desselben  Johann  Mathrson  In 
liild  und  Wort  an.  Trotz  dieser 
Quellen  bleibt  die  Bedeutung  vieler 
Namen  dunkel  und  unklar,  wes- 
halb im  folgenden  nur  die  aller- 
gebräuchlic  listen  Instrumente  auf- 
gezäldt  werden  sollen.  Näheres  ist 
aus  dem  „Musikalischeu  Konver- 
sationslexikon" von  Mendel  u.  Rri**- 
mann  zu  erfahren. 

Die  Instrumente  pflegt  man  ge- 
wöhnlich in  Saiten-,  Blas-  und  Lärrn- 
instrumente  einzuteilen.  Zu  den 
ersten  gehören  diejenigen,  bei  wel- 
chen eine  Darm-  oder  Metallsaite 
durch  Schlagen,  Streichen  oder 
Bensen  zum  Tönen  gebracht  wird. 
Zu  den  zweiten  alle  icne,  bei  wel- 
chen die  in  einer  Röhre  enthaltene 
Luftsäule,  welche  durch  einen  von 
aussen  eindringenden  Luftstrahl  in 
Vibration,  gesetzt  wird,  der  eigent- 
lich tönende  Körper  ist.  Die  dritte 
Gattung  wird  gebildet  durch  jene 
Instrumente,  welche  sich  auf  eine 
I  blosse  Verstärkung  und  schärfere 
Markirung  der  Rhythmen  beschrän- 
|  ken,  also  nicht  Töne,  sondern  nur 
|  ein  „Geräusch"  von  sich  geben. 

A)  Saiteninstrumente  (in  alphabe- 
tischer Ordnung.) 

1.  Cythara  teutonira  Ist  aus  der 
Harfe  entstanden  und  besteht  aus 
fünf  bis  sieben  Saiten,  welche  über 
ein,  unserem  Geigenkörper  in  der 
Form  ahnliches,  gewölbtes  Brett  ge- 
spannt sind.  Die  einzelnen  Saiten 
werden  durch  einen  Saitenhalter  mit 
dem  Rahmbrett  verbunden.  Sie 
kommt  besonders  seit  den  Kreuz- 
züjxen  vor  und  verdankt  ihre  Form 
wahrscheinlich  der  arabischen  drei- 
saitigen Rebec,  Ribible  oder  Re- 
berbe. 

2.  Fidel  oder  Videl  wurde  im 
Mittelalter  die  aus  der  Rotta  ent- 
standene Geige  genannt.  Das  Wort 
Fidel,  mhd.  rideh;  ridel,  soll  von 
lat.  ritulare  =  springen  wie  ein 
Kalb,   herkommen    und   also  ein 


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Musikinstrumente. 


699 


Saiteninstrument  zu  Sprung  und 
Tanz  l>edeuteu  und  hat  sieh  in  un- 
serer Violine  erhalten.  Die  Fidel 
war  ein  ungemein  beliebtes  In- 
strument. Ursprünglich  (zehntes 
Jahrhundert)  nur  einsaitig,  ent- 
wickelt sie  sich  rasch  zur  drei- 
saitigen kleinen  Geige,  auch  pol- 
nische Geige  genannt,  deren  es  vier 
Arten  gab:  Diskant-,  Alt-,  Tenor- 
und  Hassgeig«'.  Unterschieden  war 
die  kleine  Geige  von  der  sogenann- 
ten grossen,  deren  es  ebenfalls  vier 
Arten  gab,  dadurch,  dass  letztere 
mehr  Saiten,  bis  zu  neun,  besass 
und  Bünde  zeigte,  wie  die  Laute. 

Die  Geigen  des  Mittelalters  be- 
sitzen keinen  Steg  und  die  Saiten 
liegen  sämtlich  in  einer  Ebene. 
Zugleich  hat  der  Geigenkörper  eine 
mehr  mandolinenmiissige  Form.  Man 
war  deshalb  gezwungen,  auf  allen 
drei  Saiten  zugleich  zu  spielen ;  auf 
der  höchsten  die  Melodie,  auf  den 
anderen  die  akkordische  Ergänzung 
(Grundton  und  Quinte).  Erst  der 
Anfang  des  sechszehnten  Jahrhun- 
derts brachte  den  Geigen  die  ge- 
wölbte Decke  und  den  Steg,  wo- 
durch der  selbständige  Gebrauch 
jeder  einzelneu  Saite  ermöglicht  I 
wurde.  Dies  war  das  Verdienst 1 
von  Gaspard  Duiffopruggar,  der  in  j 
Bologna  geboren  ward  und  der  f 
Geige  die  Gestalt  gab,  die  sie  im  | 
wesentlichen  heute  noch  hat.  In 
Italien  nannte  man  die  Geigen  Vio- 
len und  unterschied  zwischen  Viola 
da  (jamha  (Kniegeigen,  heute:  Vio- 
loncello) und  Viola  da  hrarcio  (Arm- 
geigen). Jede  dieser  Gattungen 
hatte  wieder  verschiedene  Arten, 
je  nach  der  Grösse  und  dem  Um- 
fange. Zur  Vollendung  sollte  die 
Technik  der  Geige  erst  durch  An- 
tonio Amati  (15<K)-1619),  den  be- 
rühmten Cremonescrgeigenbauer, 
gelangen. 

3.  Hachhrelt.  Dasselbe  wurde 
schon  im  neunten  Jahrhundert  geübt. 
Der  Klangkörper  ist  ein,  mehrere 
Fuss  breiter  und  langer  Kasten,  der 


je  nach  der  Saitcnläuge  sich  ver- 
kürzt. Häufig  findet  man  ihn 
später  in  eleganterer  Form  mit 
gewölbtem  Resonanzboden.  Auf 
dem  letzteren,  welcher  mit  zwei 
Schalllöchern  versehen  ist,  sind  die 
Saiten  gezogen  und  zwar  Metall- 
saiten, welche  durch  Wirbel  ge- 
stimmt und  mit  hölzernem  Klöppel 
angeschlagen  werden.  Der  Ton  ist 
scharf  und  durchdringend,  weshalb 
das  Instrument  namentlich  bei  länd- 
lichen Tänzen  verwendet  wurde. 
Anfangs  hatte  es  nur  einen  be- 
schränkten Umfang  von  vier  oder 
fünf  Tonen  und  war  nur  einehörig, 
d.  h.  für  jeden  Ton  war  nur  eine 
Saite  vorhanden;  später  erreichte 
es  einen  Umfang  von  vier  Oktaven 
in  dreichörigem  Bezüge.  Künst- 
lerisch bedeutsam  wurde  es  nur  in- 
sofern, als  es  einen  Theil  seiner 
Mechanik  dem  Klavichord  lieh. 

4.  Die  Harfe,  ahd.  harafa,  mhd. 
harpfe,  dunkler  Herkunft,  ist  un- 
streitig das  älteste  Instrument. 
Über  die  Form,  welche  die  Harfe 
in  der  frühesten  Zeit  ihrer  Ver- 
wendung beim  Gesaug  hatte,  sind 
wir  zwar  nicht  unterrichtet,  doch 
darf  man  annehmen,  dass  sie  der 
einfachen  Spitzharfe  glich,  einem 
dreieckigen  hölzernen  Kähmen  mit 
mier  aufgespannten  Saiten.  Sie 
durfte  nur  von  massiger  Grösse 
und  leicht  tragbar  sein ,  sodass 
sie  der  Spieler  ohne  Anstren- 
gung im  Arm  halten  und  auch  an 
einen  andern  weiter  geben  konnte, 
denn  bei  den  Gastmahlen  wurden 
Rundgesange  ausgeführt.  In  der 
Regel  wurde  die  Harfe  mit  den 
Fingern  geschlagen  oder  gerissen, 
seltener  wohl  mit  einem  Plcktrum. 
Bei  Begleitung  von  Massencesängen 
scheint  eine  mehrchörige  Harfe  in 
Anwendung  gewesen  zu  sein.  Die 
Saiten  sind  unten  mittelst  Sai- 
tenhaltern befestigt,  nicht  wie  bei 
der  Spitzharfe  im  Kähmen. 

5.  Klavichord.  Dasselbe  entstand 
aus  Verbindung  des  Hackbrette  und 


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700 


Musikinstrumente. 


des  Monochords.  In  einem  Kasten, 
der  wie  beim  Hackbrett  die  Form 
eines  Rechtecks  hatte,  befindet  sich 
der  Stiftstock  und  der  Wirbelstock, 
jener  mit  feststehenden  Stiften,  an 
welche  die  Saiten  aus  Messingdraht 
angehängt  waren,  dieser  mit  Wir- 
beln, vermittelst  welcher  die  Saiten 
gestimmt  wurden.  An  Stelle  der 
Klöppel,  mit  denen  die  Saiten  beim 
Hackbrett  erklingen  gemacht  wur- 
den, traten  Metallzungen,  die  am 
Ende  eines  Hebelanns,  in  wel- 
chen jede  niederzudrückende  Taste 
{Claves)  ausgeht,  aufrechtsteheud 
angebracht  waren,  sodass  sie  die 
betreffende  Saite  ansehlugen  und 
dadurch  ertönen  machten.  Anfangs 
waren  nicht  so  viel  Saiten  vorhan- 
den als  Töne,  und  die  Tasten  hatten 
zugleich  den  Zweck  die  Saiten  ab- 
zuteilen. Allein  musstc  das  äusserst 
störend  sein  und  man  kam  denn 
auch  bald  dazu,  für  jeden  Ton  eine 
eigne  Saite  aufzuziehen. 

Das  Instrument  beschränkte  sich 
noch  zu  Prätorius  Zeit  auf  20  Töne, 
„alfene  in  genere  diatonieo  gemacht, 
darunter  nur  zwecne  schwartze  Cla- 
ves,  das  ?  und  t}  gewesen."  Später 
nahm  die  Zahl  der  Claves  immer 
mehr  zu,  und  schon  Virdung  kennt 
„neuwer  Clavieordia  mit  4  Okta- 
ven." Gewöhnlich  war  in  späterer 
Zeit  die  Besaitung  dreichörig,  d.  h. 
jede  Saite  war  drei  Mal  vorhanden, 
dabei  waren  auch  etliche  Chöre,  die 
„gar  kein  Schlüssel4«  (Taste)  an- 
rührte, die  nur  da  waren,  die  Re- 
sonanz zu  verstärken.  Die  untern 
Chöre  waren  mit  Messing-,  die 
oberen  mit  Stahlsaiten  bezogen. 
Zwischen  den  Saiten  zog  sieh 
auch  schon,  wie  Virdung  berich- 
tet ,  ein  „  Zötlcin  von  Wellen- 
tuch" hin,  um  das  Nachtönen  zu 
verhindern.  Schon  im  Anfange  des 
soehszehnten  Jahrhunderts  ver- 
wandte man  auf  die  Ausschmück- 
ung dieses  Instruments  bedeutende 
Sorgfalt. 

6.  Klarieymhalum  unterscheidet 


sich  vom  Klavichord  dadurch,  dass 
bei  ihm.  statt  der  Metallzungen,  auf 
die  Stäbchen  stehende  Rabenkiele 
an  dem  Ende  des  Hebelarmes  der 
Taste  angebracht  waren,  durch 
welche  die  Saiten  in  ähnlicher 
Weise  erklingen  gemacht  wurden, 
wie  die  Saiten  der  Streichinstru- 
mente beim  Pizzicato. 

Auf  gleiche  Weise  war  das 
Klaviryferum  konstruiert,  nur  dass 
statt  der  metallenen,  Darmsaiten 
angewendet  wurden.  Saiten  und 
Resonanzboden  standen  aufrecht 
und  das  Instrument  hatte  nach 
Prätorius  „eine  Resonanz  fast  der 
Zithern  oder  Harffen  gleich."  Das 
Bedürfnis,  einen  stärkeren  Ton  zu 
gewinnen,  führte  dazu,  das  Klavi- 
cymbalum ,  auch  Gravecymbalum 
genannt,  sogar  vierchörig  zu  be- 
ziehen. Nach  Prätorius  war  es  ein 
„länglicht  Instrument  und  wurde 
von  etlichen  ein  Flügel,  weil  es  fast 
also  formieret,  ist,  genannt:  Von 
etlichen  sed  male  ein  Schweinskopff, 
weil  es  so  spitzig,  wie  ein  wilder 
Schweiuskopt  fornen  an  zugehet" 
Er  bezeichnet  es  ferner  als  ein  In- 
strument „von  starkem,  hellem  fast 
lieblichen  Resonantz  und  Laut,  mehr 
als  die  andern,  wegen  der  doppel- 
ten, dreifachen,  ja  auch  wohl  vier- 
fächtichen  Saitten."  Aus  dem  Kla- 
vicymbalum,  das  anfänglich  auch 
nur  aus  20  Tönen  bestand,  entstand 
das  Klavieymbalum  universale  seu 
perfeefum.  Immer  aufs  neue  wareu 
nämlich  Versuche  gemacht  worden, 
auch  auf  den  Tasteninstumeuteii 
die  Enharmonik  darzustellen,  dt* 
und  et,  cm  und  des  u.  s.  w.  zu  un- 
terscheiden. So  erzählt  Prätorius 
von  einem  derartigen  Instrument, 
welches  „hi  vier  Oktaven   von  C 

bis  r  in  alles  77  Claves  gehabt 
hat." 

7.  Klaviorganum.  Dasselbe  hatte 
neben  den  Saiten  noch  einige  Re- 
gister Orgelpfeifen,  welchen  durch 
die  hinten  angebrachten  Blasebälge 


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Musikinstrumente. 


701 


Luft  zugeführt  wurde.  Im  übrigen 
entsprach  es  ganz  dem  Klavicymbel. 

8  Geigenklavier.  Bei  demselben 
sind  die  Stöckchen,  durch  deren 
Anschlagen  an  die  Saiten  beim  Kla- 
vichord der  Ton  erzeugt  wird,  durch 
kleine,  mit  Pergament  überzogene 
und  mit  Kolophonium  überstricuene 
Räderchen  ersetzt,  welche  wiederum 
durch  ein  grosses  Rad  und  unter- 
schiedene Rollen,  unter  dem  Saug- 
boden liegend,  im  vollen  Schwünge 
gehend,  erhalten  werden.  „Wenn 
nun,"  berichtet  Prätorius,  „ein  Cla- 
ves  fornen  niedergedrückt  wird,  so 
rühret  dieselbige  Saite  an  der  umb- 
laufenden  Räder  eines  und  giebt 
den  Resouautz  von  sich  gleich  als 
wenn  mit  einem  Bogen  drüber  ge- 
zogen würde."  Prätorius  erzählt 
zugleich,  dass  das  Instrument  von 
Hans  Heyden  in  Nürnberg  erfunden 
worden  sei,  zur  besseren  Nach- 
ahmung der  Singstimmen,  und  um 
den  Ton  zu  halten.  Die  neuern 
Versuche  dieser  Art  sind  unter  den 
Namen  Klaviergamba,  Bogenklavier 
iL  s.  w.  bekannt. 

\).  Ixtu/e,  mhd.  laufe  und  lüfe, 
aber  erst  im  fünfzehnten  Jahrhun- 
dert geläufig;  das  Wort  kommt  mit 
dem  Instrument  aus  Frankreich, 
wo  es  französisch  luth.  altfranzösisch 
leül,  provenz.  laut,  ahnt,  italienisch 
fiüfo,  leiifo,  liüdo,  lautet,  Namen, 
welche  aus  spanisch  latid,  portugie- 
sisch alaude  stammen,  die  ihrer- 
seits wieder  ihren  Stamm  in  ara- 
bisch (mit  dem  Artikel  al)  al'üd, 
alaüd  finden  =  Aloeholz,  gekrümm- 
tes Holz,  Laute.  Mit  Laut  und 
Lied  hat  also  das  Wort  nichts  zu 
thun.  Sie  machte  im  sechszchnten 
Jahrhundert  allen  andern  Saiten- 
instrumenten den  Rang  streitig. 
Schon  im  vierzehnten  und  fünf- 
zehnten Jahrhundert  war  sie  als 
fünfsaitiges  mandolinenartiges  In- 
strument beliebt  Der  sogenannte 
l>autenkörper  —  „Bauch"  —  oder 
auch  Corpus  genannt,  Ist  bei  weitem 
mehr  gewölbt,  als  der  der  Streich- 


instrumente oder  unserer  Guitarre, 
mit  dem  das  Instrument  noch  die 
meiste  Ähnlichkeit  hat  Der  Lau- 
tenkörper ist  augenscheinlich  der 
Schildkrötenschale  oder  einem  hal- 
ben Kürbis  nachgebildet,  welche 
ursprünglich  zu  diesem  Instrument 
verwendet  wurden. 

Virdung  giebt  in  seiner  Schrift 
eine  Abbildung  der  mittelalterlichen 
Lauten.  Die  Saiten  sind  unten  an 
einem  Saitenhalter  befestigt,  oben 
in  dem  sogenannten  Kragen,  der 
zurückgebogen  ist  Das  Griffbrett 
ist  mit  Querleistchen  versehen,  den 
sogenannten  „Bünden,"  vermittelst 
welcher  die  Griffe  für  die  verschie- 
denen Töne  abgegrenzt  wurden, 
ähnlich  wie  beim  Monochord.  In 
der  Regel  war  die  Laute  des  vier- 
zehnten Jahrhunderts  schon  mehr- 
chöri«^  bezogen,  so  dass  die  Saiten 
für  den  einen  Ton  in  doppelter 
Zahl  vorhanden  waren.  Nach  Prä- 
torius hatte  sie  im  fünfzehnten 
Jahrhundert  vier  und  dann  fünf 
Chöre.  Virdung  berichtet,  dass 
etliche  Lautenisten  auf  neun  Saiten 
in  fünf  Chören  spielen,  andere  wie- 
der auf  elf  Saiten  in  sechs  oder  auf 
dreizehn  Saiten  in  sieben  Chören,  wo- 
raus geschlossen  werden  kann,  dass 
nur  ein  Teil  der  Saiten  doppelt 
vorhanden  war.  Die  drei  tiefsten 
Saiten  hiessen:  Grossbruinmer,  Mit- 
tclbruminer  und  Kleinbrummer.  Man 
gab  ihnen  gewöhnlich  oben  die  Ok- 
tave bei:  „weil  sye  grob  und  gross 
synd,  So  mag  man  sye  doch  nit 
so  laut  oder  so  stark  hören  clyngen 
als  die  claynen,  oder  die  hohen, 
darum  gibt  man  ihnen  Oktaven  zu", 
sagt  Virdung.  Der  vierte  Chor 
wird  mit  zwei  Messingsaiten,  die 
im  Einklang  gestimmt  sind  —  die 
Grosssangsaite  —  bezogen  und 
ebenso  der  fünfte,  die  Kleinsang- 
saite, dann  folgt  die  Quintsaite,  die 
nur  einfach  aufgezogen  ist  Eines 
Normaltons  bedurfte  man  in  jener 
Zeit  noch  nicht  und  Agricola  lehrt 
deshalb ; 


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702 


Musikinstrumente. 


„Zeuch  die  Quintsait  so  hoch 
du  magst;  dass  sie  nicht  reisst, 
wenn  Du  sie  schlägst/'  Die  Laut«' 
diente  ursprünglich  nur  zur  Beglei- 
tung des  Gesanges.  In  der  Regel 
wurden  die  Saiten  mit  dem  Finger 
gezwickt.  Erst  später  wurde  die 
Laute  zu  einein  selbständigen  In- 
strument und  gelangte  namentlich 
im  achtzehnten  Jahrhundert  neben 
dem  Klavier  zur  Herrschaft. 

10.  Die  Lyra  war  ein  drei-  oder 
mehrsaitiges  Instrument ,  welches 
mit  dem  I'lectrum  geschlagen  wurde. 
Im  übrigen  gleicht  es  vollkommen 
der  Harte. 

11.  Das  Monochord.  Dasselbe 
bestand  aus  einem  Resonauzkörper, 
über  welchem  eine  Saite  gespannt 
war,  deren  klingender  Teil  ver 
möge  eines  beweglichen  Steges  ver- 
kürzt werden  konnte,  je  nach  dem 
Verhältnis  des  zu  erzeugenden  In- 
tervalls. Auf  der  Decke  des  Reso- 
nanzkastens waren  die  Stelleu,  nach 
denen  der  bewegliche  Steg  gescho- 
ben werden  musste,  um  den  be-  : 
treffenden  Ton  zu  erhalten,  genau 
angegeben. 

Das  Monochord  fand  in  den 
Klöstern  zunächst  und  zwar  schon  \ 
vor  Guido  von  Arezzo,  beim  Ge- 1 
Sangsunterricht  Anwendung,  um  die  I 
Schüler  anzuleiten,  die  Intervallen-  | 
Verhältnisse  zu  unterscheiden  und  rein 
singen  zu  lernen.  Da  es  sich  dann 
als  notwendig  erwies,  dem  Schüler 
die  acht  Tonstufen  jedes  Kirchen- 
tones deutlicher  zu  machen  und 
einzuprägen,  kam  kurz  nach  Guido 
die  sogenannte  vierteilige  Figur  des 
Monochords  in  Gebrauch,  bei  dem 
auf  dem  obern  Brett  des  Resonanz- 
kastens  eine  vierfache  Skala  für 
die  Bewegung  des  Steges  angebracht 
war,  so  dass  jede  Saite,  deren  man 
entsprechend  nur  vier  aufzog,  die 
Verhältnisse  des  zugehörigen  Kir- 
chentons in  authentischer  und  pla- 
galer  Führung  angab.  Auch  führte 
man  schon  frühe,  ähnlich  wie  beim 
Organistrum,    eine  Klaviatur  ein, 


wodurch  das  Aufstellen  und  Um- 
legen der  Stege  erspart  wurde.  Das 
Monochord  wandelte  sich  später  in 
das  Klavichord  um. 

12.  Orqanistrum.  Dasselbe  ist 
aus  der  Rotte  entstanden,  indem 
man  statt  des  Fidelbogens  ein  Räd- 
lein  anbrachte,  welches  die  Saiten 
strich.  Auch  hier  mag  die  oberste 
Saite  melodieführend  gewesen  sein, 
welche,  wie  aus  Abbildungen  zu 
ersehen  ist,  durch  Tasten  (Cla- 
ves»  in  längere  und  kürzere  Teile 
abgeteilt  werden  konnte.  Das  In- 
strument heisst  seit  dem  Ausgang 
des  zwölften  Jahrhunderts  auch 
Symphonie  oder  Chifonie,  wahr- 
scheinlich weil  es,  in  der  Art  des 
Organums  Hucbalds,  der  Mehr- 
stimmigkeit diente.  Anfangs  schei- 
nen zwei  Personen,  die  das  Instru- 
ment auf  dem  Schosse  liegen  hatten, 
zur  Bedienung  desselben  nötig  ge- 
wesen zu  sein.  Die  eine  drehte 
das  Rad,  wahrend  die  andere  die 
Stege  aufhob  und  niederlegte.  Im 
sechszehnten  Jahrhundert  war  da* 
Instrument  eines  der  beliebtesten, 
nachher  sank  es  zur  sogenannten 
Bettlerleyer  herab  und  wurde  ver- 
achtet und  vergessen. 

\3.Qui  ufern:  eine  Abart  der  Laute 
14.  Rotta .  Dieselbe  ist  eines  der 
ältesten  Instrumente.  Die  erste 
Form  desselben,  Crotta  genannt,  war 
eine  Art  Lyra,  die  mit  dem  rlec- 
trum  gerührt  wurde.  Aus  dem  Plec- 
trum  hatte  sich  nach  und  nach  der 
Geigenbogen  entwickelt.  Die  Zahl 
der  Saiten  soll  ursprünglich  6,  snäter 
3  betragen  haben  Später  glich  die 
Rotta  mehr  einer  Mandoline.  Die 
Saiteneinbuchtungen  unserer  Violine 
fehlten  also  und  der  Bogen  musste 
infolge  dessen,  da  auch  kein  Steg 
vorhanden  war,  über  alle  Saiten 
zugleich  gezogen  werden;  so  tönte 
dann  wahrscheinlich  neben  der  auf 
der  ersten  Saiten  gespielten  Me- 
lodie stets  der  Grundton  und  vielleicht 
auch  die  Quinte  nach  Art  eines 
Dudclsackes   mit    Aus  der  Rotta 


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Musikinstrumente. 


703 


entwickelte  sich  einerseits  das  Orga- 
nistrum, anderseits  die  Fidel. 

15.  Bebec,  ltilrible  oder  lieberbe 
ist  ein  durch  die  Kreuzzüge  ver- 
mitteltes arabisches  dreisaitiges  In- 
strument von  der  Form  der  Cy- 
thara  tetttunica. 

16.  H-yhebcn  nannte  man  die 
Grossgeigen  (siehe  Fidel). 

1 7.  Scheitholtz  entsand  direkt  aus 
dem  auf  3 — 4  Saiten  erweiterten 
Monochord.  Weder  Virdung  noch 
Agricola  erwähnen  desselben,  und 
auch  Prätorius  zählt  das  Scheitholtz 
„unter  die  Lumpeninstrumente", 
giebt  indessen  darüber  eine  Be- 
schreibung, wonach  das  Instrument 
aus  einem  Holzkasten  mit  4  einge- 
spannten Saiten  bestand,  „darunter 
3  in  Unis8ono  uftgezogen,  die  eine 
aber  unter  denselben,  in  der  mitten 
mit  einem  Haeklin  also  niederge- 
zwungen wird,  dass  sie  umb  eine 
Quint  höher  resonniren  muss."  Auf 
der  4.  Saite  wurde  die  Melodie 
gespielt. 

18.  Spineft.  Dasselbe  ist  eine 
Abart  des  Klavichords.  Es  war  im 
16.  Jahrhundert  gebräuchlich,  hatte 
nur  drei  Oktaven  Umfang  und  war 
einchörig  mit  messingenen  Saiten 
bezogen.  Nach  Prätorius  war  es 
„umb  eine  Oktave  oder  Quint  höher 
gestimmt,  als  der  rechte  Thon." 

19.  Das  Trummseheil  hatte  eine 
ähnliche  Konstruktion,  wie  das 
Scheitholtz,  „Uff  der  gröbsten  Saite 
aber  wird  mit  dem  anrühren  des 
Daumens  die  rechte  Melodey,  gleich- 
wie ein  rechter  Clarin  uff  einer 
Trummet,  zu  wege  bracht,  also,  dass 
es  nicht  anders  lautet  als  wenn 
vier  Trumtier  miteinander  bliesen." 

20.  Virginal  nannte  man  in  Eng- 
land eine  Abart  des  Klavichords  oder 
Klavicymbels. 

B.  Blasinstrumente. 

1.  Alphorn.  Dasselbe  war  nament- 
lich im  Süden  gebräuchlich.  Schon 
früh  wurden  die  Alphörner  dadurch 
gewonnen,  dass  man  junge  Tannen- 
bäumchen  ausbohrte  und  an  der 


weiten  Öffnung  mit  einem  Schall- 
bechcr  versah.  Das  Instrument  das 
bei  gehöriger  Länge  (5—6  Fuss) 
einen  starken  Ton  giebt,  wurde  zu- 
gleich als  Signalhorn  benutzt  und 
auch  aus  andern  Stoffen  gearbeitet 
Es  erzeugte  so  die  lange  Trompete 
in  der  Form,  wie  sie  in  den  Psalmen- 
büchern häufig  als  Gerichtsposaune 
abgebildet  ist.  Das  Instrument 
kommt  auch  in  etwas  gebotener 
Form  vor  und  erzeugte  so  die  Zinken 
und  Krummhörner. 

2.  Die  Clareta  besteht  aus  einer 
gewundenen  angelöteten  Metallröhre. 
Sie  gehört  zu  der  Gattung  der  Trom- 
peten. 

3.  Dudelsack  (siehe  Saekpfeife). 

4.  Das  Fagott  kam  im  16.  Jahr- 
hundert auf  und  hiess  dazumal  auch 
Dolcian.  Den  ersten  Austoss  dazu 
gab  ein  von  dem  Domherrn  Afranio 
konstruiertes  Instrument:  „J'ha- 
ffotum".  Dasselbe  bestand  aus  zwei 
'cylindrischen,  mit  Klappen  und  Ton- 
löchern  verseheneu  grösseren  und 
zwei  zwischen  ihnen  stehenden 
kleinem  Röhren,  die  unter  sich  sämt- 
lich durch  Windkanäle  verbunden 
waren.  Ein  Blasbalg  führte  ihnen, 
wie  bei  der  Orgel,  die  Luft  zu. 
Wann  die  Umwandlung  des  so  kon- 
struierten Instruments  zum  Fagott 
erfolgte,  ist  nichtbekannt;  doch  wird 
von  einem  derältcsten  Pfeifenmacher, 
Sigmund  Schnitzer,  gerühmt,  dass  er 
auch  vortreffliche  Fagotte  bis  zu 
ausserordenthcherGrössc  verfertigte. 

5.  Feldtrompete,  siehe  Trompete. 

6.  Die  Flöte,  mhd.  flotte,  vloite, 
aus  altfranzösisch flahute,  flaute,  von 
flaüter  =  die  Flöte  blasen,  woraus 
mhd.  vloitieren  entstanden  ist;  die 
Wurzel  ist  lateinisch  Jfdtus  =  das 
Blasen. 

aj  Die  Langflöte  wurde  so  ge- 
blasen wie  unsere  Klarinetten  oder 
Oboen  und  kam  als  Diskant-, 
Alt-.  Tenor-  und  Bassflöte  vor. 
Das  Instrument  ist  augenscheinlich 
aus  der  einfachen  Pfeife  hervorge- 
gangen.   Von  den  acht  Tonlöchern 


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704 


Musikinstrument«. 


ist  das  unterste  doppelt  vorhanden, 
weil  ein  Bläser  die  rechte,  ein  an- 
derer die  linke  Hand  unten  hielt, 
und  dem  entsprechend  wurde  das 
eine  oder  andere  mit  Wachs  ver- 
klebt. Für  die  Bassflöte  war  eine 
Klappe  angebracht,  die  vom  kleinen 
Finger  sowohl  der  rechten  wie  der 
linken  Hand  erreicht  werden  konnte. 

b)  Die  Querflöte,  die  wie  unsere 
heut  üblichen  Flöten  geblasen  wurde, 
auch  Schweizerpfeife  genannt,  war 
ebenfalls  in  den  vier  Arten  der  Dis- 
kant-, Alt-,  Tenor-  und  Bassflöte 
vorhanden.  Der  Umfang  jeder  ein- 
zelnen erstreckte  sich  auf  zwei  Ok- 
taven, und  auch  die  Art  der  Technik 
war  dieselbe,  wie  bei  den  Lang-  oder 
Schnabelflöten.  Im  18.  Jahrhundert 
verdrängte  die  Querflöte  die  Lang- 
flöte gänzlich.  Des  bequemeren 
Transportes  halber  wurde  sie  in  drei 
Stücke  zerlegt.  Dabei  entdeckte 
man,  dass  darin  zugleich  ein  Mittel 
gewonnen  war,  die  Stimmung  des 
Instrumentes  zu  reguliren. 

7.  Die  Hoix/e,  die  ganz  direkt 
aus  der  Schalmei  hervorging,  gelangte 
erst  im  18.  Jahrhundert  zu  um- 
fassender Verwendung. 

8.  Das  Krummhorn  (Kromphom) 
ist  eine  besondere  Art  Pfeife,  welche 
durch  Umbiegung  des  einen  Endes 
aus  dem  Alphorn  entstanden  ist. 
Es  kommt  gleichfalls  in  dem  vier 
Arten  als  Diskant-,  Alt-,  Tenor-  und 
Basskrummhorn  vor.  Der  Umfang 
reichte  nicht  über  eine  Oktave. 
Trotzdem  war  das  Krummhorn  im 
10.  Jahrhundert  sehr  beliebt  und 
fehlte  in  keiner  Kapelle. 

9.  Orgel,  ahd.  orgela  neben  Organa 
(mit  Übergang  vom  n  in  /),  mhd. 
orgel  neben  vereinzeltem  orgen,  aus 
griechisch-lat.  organum  =  jedes  Werk- 
zeug, dann  insbesondere  die  Wasser- 
orgel. Die  Orgel  ist  in  ihren  Grund- 
ziigen  ein  Vermächtnis  des  Alter- 
tums, wo  die  Wasserorgeln  bereits 
eine  bedeutende  Entwicklung  erlangt 
hatten.  In  Deutschland  indessen 
fanden  uicht  die  Wasserorgeln  der 


Römer,  sondern  die  pneumatischen 
der  Byzantiner  Eingang.  Wieder- 
holt wird  erzählt,  dass  byzantinische 
Kaiser  nach  Deutschland  solche 
Orgelwerke  verschickten.  So  soll 
bereite  Kaiser  ConstantinCopronimus 
dem  FrankenkönigPipin  dem  Kleinen 
eine  Orgel  zum  Geschenk  gemacht 
haben,  welche  dann,  wie  der  St.  Galler 
Mönch  berichtet,  von  den  Werkleuten 
nachgeahmt  wurde.  Im  Laufe  des 
10.  und  11.  Jahrhunderts  werden  die 
Orgeln  allgemeiner.  Sie  fanden 
in  den  Kirchen  beim  Gottesdienst 
Eingang,  wenn  auch  noch  nicht  als 
unentbehrliches  Instrument.  Diese 
Orgeln  inuss  mau  sich  freilich  als 
im  Tonumfang  beschränkte  und 
sehr  plumpe  schwerfällige  In- 
strumente denken.  Die  Tasten  waren 
noch  mehrere  hundert  Jahre  später 
oft  4—5  Zoll  breite  schaufelfbrmige 
Claves,  plumper  als  unser  Pedal. 
Der  Organist  musste  die  Orgel  des- 
halb mit  Fäusten  schlagen  oder  mit 
den  Ellenbogen  niederdrücken.  Die 
Pfeifen  waren  nach  der  diatonischen 
natürlichen  Skala  gereihet.  Der  Um- 
fang stieg  von  einer  Oktave  bis 
21  Töne.  Dass  die  Orgeln  schall- 
stark gewesen,  ist  wohl  anzunehmen. 
Über  dem  Klang  der  Orgel  im 
Münster  zu  Aachen  sollen  sogar 
Weiber  in  Ohnmacht  gefallen  sein. 
Eine  Ricsenorgel  Hess  Bischof  Elfegg 
bauen.  Sic  hatte  400  Pfeifen  und 
26  Blasbälge,  zu  deren  Regierung 
70  starke  Männer  nötig  waren,  die, 
wie  der  Berichterstatter  schreibt,  un- 
gemein schwitzten.  Das  Orgelspiel 
wurde  von  zwei  Organisten  besorgt, 
deren  jetler  seine  cigeue  Oktave  re- 
gierte. Man  begnügte  sich  also  nicht 
mit  zweistimmigem  Spiele,  sondern 
spielte  auch  drei-  und  vierstimmig. 
Das  ganze  Werk  hatte  nur  10  Töne, 
so  dass  40  Pfeifen  auf  einen  Ton 
kamen  und  einen  wahren,  mit  dem 
Getöse  des  einströmenden  Windes 
vermischten  Donnerspektakel  ver- 
führten. Insgemein  indessen  waren 
die  Orgeln  weit  entfernt,  solch 


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Musikinstrumente. 


705 


Werke  zu  sein.  „Es  waren,"  um 
mit  Priitoriii8  zu  reden,  „solcher  In- 
vention  und  Erbauungen  keine 
grossen,  sondern  gar  kleine  Werke, 
so  stracks  an  einen  Pfeiler  oder  in 


nicht  selbständig  dem  Werk  beige- 
fügt, sondern  nur  dem  Manual  an- 
gehängt. Das  Portativ  war  ein 
kleineres  tragbares  oder  doch  ver- 
setzbares Positiv,  in  der  Regel  mit 


die  Höhe  des  Chores  als  Schwalben-  nur  einem  Register  und  einer  OkUve 
nester  gesetzt  worden  sind  und  schärft*  Umfang.  Das  Regal  war  ein  noch 
und  stark  geschrien  und  geklungen  kleineres  Werk,  in  der  Regel  mit 
haben."  Da  es  für  etwas  Schönes  nur  einer  Zungenstimme,  daher  heisst 
galt,  die  Quinte  oder  Quarte  stets  auch  ein  Zungenregister  unserer 
mittönen  zu  lassen,  so  ist  nicht  un-  Orgeln  noch  Regal 


möglich,  dass,  um  nicht  immer  zwei 
oder  drei  Tasten  niederdrücken  zu 
müssen,  schon  sehr  früh  die  soge- 
nannten Mixturen  erfunden  wurden, 
bei  welchen  zum  angeschlagenen 
Ton  dessen  Oberquinte  und  hohe 
Oktave  mittönt. 

Vom  14.  Jahrhundert  an  ver- 
besserte sich  der  Mechanismus  der 
Orgeln    wesentlich.    Die  Tasten 


10.  Die  Racket  ten  waren  den 
Fagotten  ähnlich,  nur  viel  kürzer. 
Da  die  innere  Röhre  neunfach  zu- 
sammengelegt war,  so  gaben  sie  so 
tiefe  Töne,  wie  das  grösste  Doppel- 
fagott.  „Sie  haben  viele  Löcher, 
aber  nicht  mehr  als  Elfte  zu  ge- 
brauchen", sagt  Prätorius,  „an  Re- 
sonantz  seyena  sie  gar  stille,  fast 
wie  mau  durch  einen  Kam  bläset 
wurden  schmäler  gemacht  und  da-  und  haben  keine  sonderliche^m/m  w." 


durch  nicht  nur  die  Spiclbarkeit  er- 
leichtert, sondern  aucn  die  Möglich- 
keit gegeben,  den  Umfang  zu  er- 
weitern. Ein  bedeutsamer  Fortschritt 
war  ferner  die  Erfindung  des  Pedals, 
die  man  dem,  in  Venedig  von 
144f>— 59  als  Organist  thatigen  Bern- 
hard dem  Deutschen  zuschreibt. 

Während  die  Orgeln  früherer 
Zeit  sich  zumeist  auf  die  Töne  der 


1 1 .  Rausch  pfeife.  Sie  unterscheidet 
sich  von  der  gewöhnlichen  Pfeife  da- 
durch, dass  das  Mundstück  nicht 
direkt  an  das  Rohr  gesetzt  ist,  son- 
dern in  das  sogenannte  Kopfstück, 
das  als  Mittelstück  zwischen  Mund- 
stück und  Rohr  tritt.  Die  Rausch* 
pfeife  ist  der  Urahn  der  Oboen  und 
Klarinetten.  DieRausehpfeifer  zogen 
meist  in  Gesellschaft  der  Dudelsacks- 


diatonischen Tonleiter  beschränkten,  I  pfeifer,  um  Tänze  aufzuspielen. 


begann  man  schon  im  13.  Jahrhun 
dert  die  chromatischen  einzuschieben. 
Im  14.  Jahrhundert  wurde  in  Halber- 
stadt eine  Orgel  erbaut,  welche  im 


12.  Renal  (siehe  Orgel). 

13.  Sackpfeif c  oder  Dudelsack 
war  schon  frühe  bekannt  und  diente 
zum  liegleiten  des  Tanzes.    Sie  be- 


obersten Manual  (damals  Diskant  steht  aus  einem  Schlauch,  einem  An- 
genannt) 14  diatonische  und  8  chro-  satzrohre  und  einer  oder  mehreren 
matische,  im  Ganzen  22  Töne  hatte,  andern  Röhren.  Vermittelst  des  An- 


Berühmte  Orgelbauer  des  15.  Jahr- 
hunderts waren  Konrad  Rothen- 
burger,HeinriehKraiiz,Traxdorffetc. 

Als  besondere  Arten  von  Orgel- 
werken werden  von  Virdung  das 
I'ortafir,  das  Positiv  und  das  Regal 


8atzrohres  bläst  der  Sackpfeifer  Luft 
in  den  Schlauch,  den  er  mit  dem 
Arm  so  bearbeitet,  dass  die  Luft  in 
die  gegenüber  am  Schlauch  angesetzte 
Schalmei  treibt;  diese  ist  mit  sechs 
oder  sieben  Tonlöchern  versehen, 


genannt,  die  sich  nur  in  ihrer  Grösse  die,   um  Tone  von  verschiedener 

und dcrAnzahlderStimmen(Regist<.?r)  Höhe  und  Tiefe  zu  erzeugen,  ge- 

von  einander  unterschieden.    Dem  schlössen  oder  geöffnet  werden,  wie 

Positiv,  einer  kleinern  Orgel  mit  bei  der  Flöte;  auf  dieser  Schalmei 

meist  nur  zwei  Registern,  rehlt  in  spielt  der  Sacknfeifer  seine  Melodie, 

der  Regel  das  Pedal  oder  es  ist  Ausserdem  sind  noch  eme  oder  zwei 


Keallexicon  der 


45 


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706 


Musikinstrumente. 


Röhren  angebracht,  die  nur  je  einen 
Ton  geben,  den  sie  ununterbrochen 
fortsummen;  sie  heissen  deshalb: 
Summer,  Hummeln,  Stimmer,  Bour- 
dons.  Ihr  Ton  bildet  in  derselben 
Weise  eine  Art  Bass  zur  Melodie, 
wie  wahrscheinlich  die  verschiedeneu 
Saiten  beim  Organistrum.  Das  In- 
strument war  seit  denil-4  .Jahrhundert 
unstreitig  das  beliebteste  zur  Rege- 
lung des  Tanzes.  Noch  im  17.  Jahr- 
hundert waren  mehrere  Arten  Saek- 
pfeifen  im  Gebrauch,  die  Prätori  us 
beschreibt,  Sie  führten  verschiedene 
Namen:  Der  Hock  mit  einem  grossen 
langen  Horn  als  Summer,  die  Schaber- 
pfeijf'init  zwei  Summern,  das  Jlümel- 
ehen,  ebenfalls  mit  zwei,  der  Jhtdey 
aber  mit  drei  Summern  u.  s.  f. 

14.  Die  Schalmei  ist  ursprüng- 
lich eine  einfache  Rohre,  der  man 
erst  später  ein  Mundstück  ansetzte, 
welches  dann  durch  2  Rohrblätter 
ersetzt  wurde,  die  man  in  eine  be- 
sondere Kapsel  steckte. 

15.  Schleen el  ist  die  älteste  Form 
«ler  Pfeife.  Nach  einem  alten  Glossar 
einer  Strossburgcr  Handschrift  be- 
deutet Schwege!  den  Teil  des  Beines 
eines  Tieres  vom  Knie  bis  zum 
Fuss  und  zugleich  die  daraus  bereitet«' 
Pfeife.  Die  ältesten  Pfeifen  bestan- 
den also  aus  dem  Schienbeinknochen 
bestimmter  Tiere,  Andere  Glossa- 
rien übersetzen  Streguld  mit  Stirn- 
htteca  I  Hollunder)  oder  mit  Intimus, 
so  dass  man  annehmen  muss,  diese 
Pfeifen  oder  Flöten  seien  aus  dem 
Rohr  verschiedener  Pflanzen  ge- 
fertigt worden.  Später  nennt  mau 
die  Schwegein  Querflöten,  Zweien* 

pfeifen  oder  Schweizerpfeifen. 

16.  Tromnctc,  mhd.  trumpet  und 
(rumet,  entlehnt  aus  franz.  die  trum- 
pette,  dem  Diminutiv  von  ital.  die 
tromba;  aus  demselben  Worte  kommt 
mhd.  die  trummc,  trumbe,  auch 
trumj>a,  ursprünglich  soviel  als  Trom- 
pete, Posaune,  dann  Trommel.  Die- 
selbe hatte  schon  im  15.  Jahrhun- 
dert im  wesentlichen  dieselbe  Form 
wie   heute.    Die  Feldtrompete  ist 


eine  gewundene  und  zusammen  ge- 
lötete Röhre  mit  Mundstück  und 
Schalllöchern.  Anders  gewunden 
ist  die  Klareta  und  wieder  anders 
das  Türmerhorn.  Die  l'osaune  hat 
ebenfalls  bis  in  unsere  Zeit  die  Form 
behalten,  welche  sie  damals  schon 
hatte. 

17.  Wasserorgel.  Dieselbe  ent- 
stand dadurch,  dass  man  den  in 
Stössen  aus  dem  Blasebalg  aus- 
strömenden Wind  durch  einen 
Wasserbehälter  strömen  Hess,  damit 
er  sich  dort  reguliere,  bevor  er  iu 
die  Pfeifen  eintrete.  Erfunden  wurde 
die  Wasscrorgel  schou  von  d  cid 
griechischen  Architekten  Ktesibius. 

18.  Die  Zinken  waren  bereits  im 
15.  Jahrhundert  in  deu  Stadtpfeife- 
reien meistenteils  in  mehrfacher  An- 
zahl vorhanden.  Die  Zinken  sind 
aus  der  Schalmei  entstanden  und 
erseheinen  entweder  als  gerade  oder 
krumme  Zinken.  Ihre  Konstruktion 
unterscheidet  sich  wenig  von  der 
der  Schalmei. 

19.  Ztcerch  pfeifen  siehe  Flöte. 
C.  Lärm  instru matte. 

1.  Trommeln  kamen  schon  bei 
den  Germanen  zur  Auwendun 


ur 


Unterstützung  des  Tanzes.  Im  all- 
gemeinen hatten  sie  dieselbe  Ge- 
stalt wie  heute  und  wurden  gleich- 
falls mit  2  Schlägeln  geschlagen. 
Eine  abweichende  Behandlung  zeigt 
das  Taborum,  eine  kleine  Trommel, 
welche  an  einem  Bande  um  den 
Hals  getragen  wurde. 

2.  Die  Cifinheln.  Metallplatten, 
die  aneinainlergeschlagcn  worden, 
hatten  die  gleiche  Form  wie  heute. 

3.  Dos  Tintinahitlum  (Rota  ctfm- 
balum)  war  ein  aus  radförmig 
zusammengestellten  Glocken  be- 
stehendes Instrument,  mit  welchem 
fleissig  auch  in  der  Kirche  ge- 
klingelt wurde. 

4.  Tympanum.  Nach  Abbildungen 
des  9.  und  10.  Jahrhunderts  zu  schhes- 
sen,   bestand    dasselbe  aus  einer 


Metallplatte,  welche  meist  an 
Bautie.  um  den  Hals  getragen  und 


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Muskete.  —  Mystik. 


707 


mit  einer  Art  Piektrum  geschlagen 
wurde. 

Meist  nach  Reijotttuinn:  Illustrierte 
Geschichte  der  deutschen  Musik. 

A.  H. 

Muskete.  »Siehe  den  Artikel 
Handfeuerwaffen. 

Muspüli  hat  Sehmelier  ein  von 
ihm  1832  aus  einer  Münchenerlland- 
schrift veröffentlichtes  altdeutsches 
Gedicht  vom  jüngsten  Tage  genannt; 
dasselbe  möchte  nach  Schmcllers 
Vermutung  von  König  Ludwig  dem 
Deutschen  seihst  aufgeschrieben 
worden  sein;  die  Versart  ist  noch 
die  alliterierende,  der  Stoff'  ein 
christlicher;  an  das  germanische 
Heidentum  erinnert  das  Wort  .\fu- 
epiüi,  der  altgennanisehe  Name  des 
Weltbrandes.  Nach  Art  einer  Pre- 
digt wird  der  christliche  Mythus  vom 
jüngsten  Gerieht  dargestellt,  um  die 
Seele  des  Sterbenden  kämpfen  zwei 
Scharen,  Engel  und  Teufel;  der 
Antichrist  kämpft  mit  Elias,  jener 
wird  besiegt,  dieser  verwundet,  und 
sein  tropfeudes  Blut  setzt  die  ganze 
Schöpfung  in  Brand.  Darum  soll 
sich  jeder  Christ  rechtzeitig  zum 
jüngsten  Gericht  vorbereiten  und 
wenn  er  sich  sündig  weiss,  Busse  thun 
im  Sinne  der  Kirche.  Der  Schluss 
des  Gedichtes  ist  abgebrochen.  Ver- 
gleiche namentlich  den  Exkurs  zum 
Gedicht  bei  AfültenhojJ'wnA  Scheret, 
Denkmäler  deutscher  Poesie  und 
Prosa. 

Mütze.  Siehe  den  Artikel  Kopf- 
bedeckung. 

.Mystik  heisst  die  dem  14.  und 
15.  Jahrhundert  angehörende  Rich- 
tung der  deutschen  Theologie  des 
Mittelalters,  welche  der  verstandes- 
m aasigen  Scholastik  gegenüber  das 
religiöse  Recht  der  gläubigen  Seele, 
ihr  Eins  werden  mit  Gott,  die  Sache 
des  christlichen  Gemütes  gegenüber 
der  vorgeschriebenen  Glaubensregel 
der  Kirche  betonte.  Diese  mystische 
Richtung  ist  zwar  an  sich  weit  älter, 
die  griechische  Kirche  kannte  sie 
in  hohem  Grade,  Scotus  Erigena 


hing  ihr  im  9.  Jahrhundert  an,  sie 
zeigt  sich  unter  den  Ketzern  des 
13.  Jahrhunderts,  namentlich  den 
Katharern,  sie  ist  sogar  bei  den 
Scholastikern  selbst  vertreten,  durch 
Bernhanl  von  Clairveaux,  Hugo  von 
St.  Viktor  und  Albertus  Magnus, 
aber  in  dem  Gewände  der  lateinischen 
Sprache;  in  deutscher  Sprache  er- 
scheint sie  zuerst  bei  den  Domini- 
kanern des  14.  Jahrhunderts;  die 
ihnen  im  13.  Jahrhundert  voraus- 
gehenden deutschen  Predigten  der 
Franziskaner,  Bruder  licrthold  von 
:  lteqensburg  an  der  Spitze,  enthalten 
I  nients  Mystisches,  vielmehr  volks- 
[  tümliche,  auf  kirchlichem  Grunde 
ruhende  Sittenlehre.  Den  Franzis- 
kanern gegenüber,  deren  Wirksam- 
keit wesentlich  von  der  Kanzel  aus- 
ging und  auf  die  Menge  berechnet 
war,  ist  die  Mystik  der  Dominikaner 
für  eine  kleinere  Schar  von  Aus- 
crwähltcn  berechnet  und  benützt 
gerne  den  Lehrstuhl  des  Lektors 
oder  Lesemeisters.  Die  Hauptstätten 
dieser  Bewegung  sind  die  Lehr- 
institute der  Prediger  zu  Köln  und 
Strasburg;  der  Kreis,  auf  den  sie 
wirken,  zunächst  die  Klöster,  sei  es 
des  Predigerordens  selber  oder  an- 
derer Orden,  in  besonderm  Masse 
Frauenkloster,  in  denen  das  bräut- 
liche Verhältnis  der  Seele  zu  ihrem 
|  himmlischen  Bräutigam  nach  dem 
!  Vorgange  des  hohen  Liedes  das  be- 
reiteste Verständnis  fand.  Die  be- 
liebteste Form  des  mystischen  Vor- 
trages war  die  collnzie,  ein  freier 
Dialog,  der  aufgezeichnet  und 
der  dialogischen  Form  entäussert 
nachmals  als  Lesestück  dienen 
konnte;  war  sie  der  Erörterung  theo- 
logischer Fragen  gewidmet,  so  ent- 
stand daraus  der  Traktat.  In 
manchen  Frauenklöstern  beteiligten 
sich  die  Schwestern  selber  au  der 
Aufzeichnung  eigener  und  fremder 
Erfahrungen  auf  dem  Gebiete  der 
Mystik,  von  Visionen,  Träumen  und 
i  Oftenbarungen.  Einen  weiteren  Kreis 
|  teilnehmender  Genossen  fand  die 

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708 


Mystik. 


Mystik  in  den  Beginen  und  Bet- 
hanien, Frauen  und  Männern,  die 
ohne  Gelübde  und  nur  unter  einer 
freien  Regel  der  Welt  entsagt  und 
sich,  allein  oder  mehrere  zusammen, 
einem  geistliehen  Leben  gewidmet 
hatten.  Wieder  ein  anderer  Kreis 
waren  die  (iottesfreunde  (ihr  Name, 
aus  Joh.  15,  15  entnommen,  war 
bereits  den  ältcm  Waldcnsern  ge- 
läufig), bei  denen  der  Unterschied 
zwischen  Laien  und  Priestern  grund- 
sätzlieh  ausgeglichen  war;  die  Ex- 
kommunikation, welche  1324  gegen 
Ludwig  den  Baier  und  alle  ihm  an 
hängenden  Länder  ausgesprochen 
war  und  bis  1347  dauerte,  zwang 
manche  Laien,  sich  in  geistlichen 
Dingen  selber  zu  helfen,  und  gottes- 
freundliehe  Priester,  ineist  wieder 
Dominikaner,  standen  ihueu  bei. 
Man  besitzt  von  einem  derselben, 
der  den  Namen  des  Cottesfreundes 
OH*  dem  Oberlande  trägt,  eine  An- 
zahl mystischer  Traktate,  die  von 
ihrem  Herausgeber  Schmidt  einem 
Nikolaus  von  Hasel  zugeschrieben, 
dann  diesem  abgesprochen  und 
neuerdings  als  Erfindung  eines 
dritten  nachgewiesen  wurden.  Die 
weitere  Entwicklung  der  Mystik 
knüpft  sich  an  die  Dominikaner 
Nikolaus  von  Sfrassbura  und  Eckard; 
jener  streift  nur  in  den  dreizehn 
von  ihm  erhaltenen  Predigten  die 
mystische  Denk-  und  Kmphndungs- 
weise,  da  er  im  übrigen  seinen  Stoff 
nach  Art  der  Scholastik  wissen- 
schaftlich beherrscht;  erst  JCekard 
i*t  der  philosophisch  schöpferische 
Genius  der  deutsehen  Mvstik  ge- 
worden; er  stammte  aus  Thüringen, 
war  bis  1298  Prior  des  Prediger- 
klosters zu  Erfurt,  dann  Lehrer  zu 
Paris,  Provinzialprior  der  Ordens- 


urg;  wegen  Verdachts  der  Ketzerei 


rovinz  Sachsen,  Lektor  zu  Strass- 

wurde  vom  Papste  über  ihn  eincUnter- 
suchung  verhängt,  deren  Verlauf 
unbekannt  ist.  Er  starb  1327,  und 
zwei  Jahre  darauf  wurden  durch  eine 
päpstliche  Bulle  2S  Lehrpuukte  des 


Verstorbenen  als  ketzerisch  oder 
übelklingend  und  der  Ketzerei  ver- 
dächtig bezeichnet :  „Die  altern  My- 
stiker und  insbesondere  diejenigen, 
die  bisher  zu  «lern  Volk  in  seiner 
Sprache  geredet,  hatten  das  Eins- 
werden  der  Seele  mit  Gott,  um  das 
sich  alles  mystische  Denken  dreht, 
in  den  Willeu  gesetzt,  Eckard  setzte 
es  in  das  Wesen.  Wenn  die  Be- 
trachtung der  Früheren  daher  ein 
rein  asketisches  Gepräge  trug,  m  usste 
die  seiuige  ein  spekulatives  an  nehmen. 
In  der  Behauptung  einer  Wesens- 
einheit der  Seele  mit  Gott  war  das 
erste  Glied  zu  einer  Kette  gegeben, 
welche  nur  mit  der  letzten  meta- 
physischen Frage  ihren  Abschluß 
erreichte.  Da  in  dieser  Wesens- 
einheit vou  Gott  sowohl  als  von  der 
Seele  die  Vorstellung  der  Persön- 
lichkeit notwendig  ausgeschlossen 
war,  so  musste  hinter  Deideu  der 
Gedanke  eines  unpersönlichen  Ab- 
soluten oder  reinen  Seins  aufsteig\»n, 
in  welchem  beide  ihren  Grund  und 
daher  auch  ihre  Einheit  fanden. 
Das  reine  Sein  aber  konnte  nur 
durch  ein  ins  Eudlose  fortgesetztes 
Abstreifen  all  und  jeder  Bestimmt- 
heit gedacht  werden  und  ward  so 
alsbald  dem  Nichts  gleich.  Im  Nichts 
daher  sich  selbst  und  Gott  zu  finden, 
im  Nichts  ihm  gleich  zu  werden,  er- 
schien als  höchste  Aufgabe  der  Seele 
und  als  Inbegriff  der  Seligkeit,  nach 
welcher  sie  sich  sehnte.  Erst  wenn 
sie  auf  diese  Welse  in  ihren  Ursprung 
zurückgekehrt  uud  wieder  Gott  tre 
worden  ist,  kann  der  Vater  in  ihr 
das  Wort  sprechen  oder  den  Sohn 
gebären,  für  den  eine  jede  Seele 
Maria  zu  werden  bestimmt  ist." 

Ausser  Eckard  nennt  die  deutsche 
Mystik  des  14.  Jahrhunderts  noch 
zwei  grosse  Prediger,  Johanne* 
Tauler,  1290—  1 36 1 ,  Predigennönch 
zu  Strassburg,  Verfasser  der  Xach- 
folge  des  armen  Lefjens  Christi,  der 
dem  spekulativen  Meister  gegenüber 
wieder  mehr  volksmässige  Dar- 
stellung sucht  und  findet,  und  Hein- 


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709 


rieh  Siuse,  lat.  Suso,  aus  dem  Hegau 
gebürtig  und  Dominikaner  zu  Kon- 
stanz und  Ulm,  eest.  1365,  auch 
Seelsorger  in  verschiedenen  Fraucn- 
klöstcrn,  ein  schwärmerischer  Mann 
voll  Phantasie  und  dichterischer  An- 
lagen, ein  Minnesänger  auf  geist- 
lichem Gebiete,  dessen  Hauptwerk 
das  Buch  von  der  ewigen  n  eisheit 
heisst.  Noch  sind  ausserdem  von 
andern  Mystikern  Denkmäler  ihrer 
Wirksamkeit  erhalten,  darunter  von 
einem  ungenannten  Priester  im 
Dcutschordenshause  zu  Frankfurt, 
der  sog.  Frankfurter,  ein  Buch,  das 
Luther  1516  zuerst  veröffentlichte 
und  Eyn  deutsch  Theolo«ria  betitelte ; 
auch  Lieder  mystischen  Inhalts,  zum 
Teil  von  Nonnen  gedichtet,  giebt  es 
in  ziemlicher  Anzahl,  siehe  darüber 
JloJJmann  v.  Fallersleben,  Geschichte 
des  deutschen  Kirchenliedes,  2.  Aufl. 
§.  6. 

Im  15.  Jahrhundert  tritt  die 
Mystik  zurück;  lateinische  Predigten 
und  mit  ungeistlichen,  würdelosen 
Geschichten,  Schwänken  und  Fabeln 
vermischte  deutsche  Reden  kommen 
in  Gebrauch.  Andrerseits  bewirkt 
die  Verbreitung  der  Bibel  einen 
reineren  Bibelglauben,  der  sich  unter 
anderen  in  dem  von  Thomas  von 
Kempen  zuerst  lateinisch  verfassten 
Büchlein  De  imitatione  Christi  zeigt; 
im  Gefolge  der  humanistischen  Be- 
wegung endlich  verdrängt  eine  all- 
gemeine menschliche  Moralphilo- 
sophie die  ältere  auf  dem  Boden  der 
christlich  -  mittelalterlichen  Weltan- 
schauung stehende  Andacht.  Nur 
einen  Mann  hat  das  15.  Jahrhundert 


als  Spätling  der  grösseren  Mystiker 
des  vorhergehenden  Jahrhunderts 
noch  hervorgebracht,  Johannes  ( reifer 
von  Kaisersberg,  1448  zu  Schaff  - 
hausen  geboren,  aber  in  der  elsäs- 
sischen  Reichsstadt  Knisersberg  er- 
zogen, Priester  und  nicht  mehr  Möneh, 
Lenrcr  an  den  hohen  Schulen  zu 
Basel  und  Freiburg  im  Breisgau, 
zuletzt  32  Jahre  lang  bis  zu  seinem 
1510  erfolgten  Tode  Gemeinde-  und 
Klosterprediger  zu  Strassburg.  Seine 
Kanzelreden  gehörten  meist  reihen- 
weise zusammen  und  stellten  in 
solcher  Verbindung  ein  zusammen- 
hängendes Lehrbuch  dar;  derart 
sind  seine  Predigten  über  des  Al- 
bertus Magnus  Buch  De  virtntihus, 
welche  unter  dem  Namen  „Das 
Seelen- Paradies"  vereiuigt  sind,  und 
die  Predigten  über  Sebastian  Brants 
Narrenscniff.  Geiler  war  schon  vom 
Geist  desHumanismus  durchdrungen, 
was  sich  namentlich  in  der  Abwei- 
sung mancher  abergläubischer  Ele- 
mente zeigt,  die  in  den  früheren 
Mystikern  noch  wirksam  waren. 
Seine  Predigten  bekundeten  weniger 
den  religiös  erbaulichen  als  uen 
sittlich  zurechtweisenden  Charakter, 

;  und  durch  die  lebensvolle,  realistische, 
farbige  Auffassung  der  Verhältnisse 
erinnert  er  an  Bruder  Berthold  von 
Regensburg.  Nach  W.  H'aeker- 
nagel,  altdeutsche  Predigten  und 
Gebete,  S.  376  ff.  und  desselben 

!  Littenitur- Geschichte,  $.90.  Vgl. 

]  Greith,  deutsche  Mystik  im  Prediger- 
orden, 1861.  Preger,  Geschichte  der 
deutschen  Mystik  im  Mittelalter,  bis 

|jetzt2Bände.  Leipzig,1874  und  1881. 


N. 

Nachtwächter,  ulM  nahtwahlari,  I  noch  bei  Strafe  des  Heerbannes  zum 
ist  schon  durch  das  Horn,  das  er  Wachcdienste  (waeha  aut  icardaj 
trägt,  als  eine  sehr  alte  Erscheinung  verbunden  sein  sollten,  und  zwar 
bezeugt.  Karl  d.  Gr.  verordnete,  zu  Tag-  und  Nachtwachten,  zur 
dass  die  freien  Leute  ausser  dem  Aufrechthaltung  der  Ordnung  im 
Heerdienste  im  Felde  ausdrücklich  Innern  des  Landes  sowohl  als  zur 


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710 


Namen.  —  Namen  von  Sachen. 


Bewachung  der  Städte  und  Festun 
gen  und  der  Grenzen  des  Reiches; 
im  besonderen  soll  der  Wachdienst 
den  Armeren  obliegen,   welehe  die 
Kosten   des  Feldzuges   und  Heer- 
lagern nicht   zu  erschwingen  ver- 
mögen.   In  der  Kitterzeit  tritt  der 
Nachtwächter,  namentlich  in  dem  Amt 
des  Tu nn  warft  t 'ers,  in  den  Dienst  der 
Höfe  und  Burgen,  und  hier  mögen 
sieh  gewisse  Funktionen   für  sein 
Amt  ausgebildet  haben,  die  ausser- 
halb des  kriegerischen  Zweckes  lagen 
und  mehr  einem  allgemeinen  mensch- 
liehen Bedürfnisse,  dem  des  geselli- 
gen und  friedlichen  Zusammenlebens 
der  Burgbewohner,  ihr  Dasein  ver- 
dankten. Hier  wohl  entstand  der  bis 
in   neuere  Zeit  erhaltene  Morgen- 
und  Abendruf,  welcher  der  christ- 
lichen Denkweise  des  Mittelalters 
gemäss  dahin  lauten  musste,  dass 
Gott  den  Mensehen  eine  gute  Nacht 
und  einen  guten  Tag  geben  möchte. 
Denselben  Turmwächter  mit  seinem 
taget  iet  hat  Wolfram  von  Eschen- 
bäch  als  Person  in  das  s.  g.  Ttuje- 
fird  (siehe  diesen  Art.)  eingeführt, 
daher  diese  Lieder  auch  morqensanCj 
(fr«  trahters  lief,  imitier*  (Jim.  irarne- 
»attc,   tatfkoru   hiessen.  Fliegende 
Blatter   des  16.  Jahrh  ,  auf  denen 
Tagelieder  gedruckt  waren,  zeigen 
auf  dem  Titel  in  grobem  Holzschnitte 
den  auf  der  Zinne  wachenden  Wäch- 
ter mit  dem  Horn.   Des  höfischen 
Wächters  Nachfolger  wird  der  städti- 
sche Nachtwächter;  in  dem  dieser  das 
Horn  beibehält,  vertauscht  er  Spiess 
oder  (»er  mit  der  Hellebarte;  den 
Abend-  und  Morgenruf  beibehaltend, 
erwächst  ihm   mit  Einführung  der 
Turmuhren  die  neue  Funktion  des 
Stundenrufes;  derselbe  ist,  wie  der 
Ausdruck  //•  Iterren bezeugt,  in  erster 
Linie  an  die  llatshcrrcn  gerichtet; 
die   älteste   uns   bekannte  Formel 
stammt   aus  dem    15.  Jahrh.  und 
lautet:  Merkt  ir  herren  und  laut 

rurft  Mutfrn,  dir  qfork  hat  Seehxe  qe- 
.tchftKjt  u.  Hüetx  f'etrr;  wofhin  queter 
*(chttc.    In  italienischen  Städten  rief 


der  Nachtwächter  neben  der  Stande 
auch  das  Wetter  aus.  Mit  der  Zeit 
wurde  der  Nachtwächter  an  gewissen 
Orten  unter  die  unehrlichen  Leute 
(s.  d.  besonderen  Art.)  gezählt;  «lie 
weit  verbreiteten  kürzern  und  langem 
Nachtwächterlieder  stammen  höch- 
stens aus  dem  16.  Jahrb.  Vgl.  den 
Art.  Nachtwächter  in  der  kriintiz- 
*ehen  Encykl. 

Namen,  siehe  auch  Per tonen- 
und  Familiennamen,  Ortsnamen. 

Namen  von  Sachen.  Ausser  den 
Personen  erhalten  namentlich  in 
ältester  Zeit  auch  Gegenstände  nicht 
menschlicher  Art  Sondernamcn,  es 
sind  Waftcn,  Haustiere  und  der- 
gleichen andere  Dinge,  die  dem  Be- 
sitzer vertraulich  nah  stehen,  gleich 
einem  Familienglied«',  denen  eine 
gewisse  dämonische  Beseelung,  eine 
Persönlichkeit,  sogar  eine  göttliche, 
innc  zu  wohnen  scheint,  oder  die  als 
besonders  seltener  und  kostbarer 
Besitz  gelten.  Zwar  kennt  man  diese 
Namen  erst  aus  den  mittelalterlichen 
Schriftwerken,  aber  viele  daruuter 
gehören  der  weit  älteren  Heldensage 
und  damit  dem  Kulturleben  der  alten 
Germanen  an.  Dergleichen  Gegen- 
stände sind: 

Waffen,  nämlich  Schwert,  Pan- 
zer und  Helm;  Speer  und  Schild 
gehören  nicht  dazu,  wie  denn  Tacitus 
in  der  (iermania  6  berichtet,  dass 
ieder  Krieger  mit  Speer  und  Schild 
bewaffnet,  sei,  wenige  aber  mit 
Schwert,  Panzer  und  Helm.  I>a> 
Sehtrert,  gothisch  hairttJt  und  m/lreis. 
zeigt  schon  durch  sein  männliches 
Geschlecht  eine  persönliche  Auf- 
fassung an;  in  Griff  und  Spitze  aus- 
gezeichneter Sehwerter  wohnen  nach 
der  nordischen  Auffassung  oft  Wurm 
und  Natter.  Besondere  Schwerter 
der  deutschen  Heldensage  sind  unter 
anderen  Adrtrinq,  in  dänischen  Lie- 
dern da*  Schwert  Siegfrieds,  Hat- 
munr,  Siegfrieds  Schwert  in  der 
deutschen  Dichtung;  lirinniq,  das 
Seh  wert  Iii  Idebrands;  Kekesahs,  auch 
blos  Sahs  und  dais  alte  Salis  genannt. 


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Namen  von  Sachen. 


711 


«las  zuletzt  Dietrich  von  Bern  besitzt, 
im  heidnischen  Mythus  aber  einst 
ein  Gott  mag  besessen  haben;  Gram, 
der  altnordische»  Name  von  Sieg- 
frieds Schwert,  Miminc  Mimung, 
Wittigs  Schwert;  Xagelrinc, Schwert 
Heimes;  Wade»  oder  Wasche,  d.  h. 
Baske,  Schwert  Walthers  von  Spa- 
nien; Welsunc  altnordisch  l'ölsung, 
zuerst  Biterolfs,  dann  seines  Sohnes 
Dietleibs  Schwert.  Die  gefeiertsten 
darunter  sind  Eckesahs,  Miminc  und 
Nagelrinc,  deren  jedes  von  dem 
Schmied  an,  der  es  fertigt,  seine 
ganze  Geschichte  hat,  wie  es  von 
einem  Helden  an  den  andern  ge- 
kommen ist.  Die  berühmtesten 
Schwcrterschmicde  sind  Mime,  Hert- 
rich  und  Wieland.  Schwerter  der 
Karlssage  sind  Durentart  das  im 
Besitze  Oliviers,  und  Halteclair  oder 
Alteclere,  d.  h.  Hochglanz,  das  im 
Besitze  Rolands  steht 

Helmnamen  sind  weniger  zahl- 
reich; nordische  sind  llildisvin  und 
J/i/digolf,  das  letztere  von  Gölt  — 
Eber,"  beide  Wörter  also  dem  auf 
dem  Helm  angebrachten  Eberkopf«' 
entnommen;  Jliffegrim  oder  Hilfe- 
grin  heisst  Dietrichs  Helm,  wieder 
ans  hihi  =  Kampf  und  zudem  aus 
grima  Maske  «der  Helm  zusammen- 
gesetzt. Rolands  Helm  heisst  Vene- 
ranf.  Von  Panzernamen  ist  nur  ein 
einziger  in  der  Edda  erhalten;  er 
lautet  Finnslei  f.  Ein  Horn  mit 
eigenem  Namen  ist  Rolands  Oliva nt, 
d  h.  Elfenbein,  von  altfranzösisch 
ofif'ant  =  Elefant  Der  Stier  von 
lfri  ist  ein  Auerochsenhora.  Re- 
uannte  Hinge  sind  Odins  Dranpni; 
Andraranauf  ist  dagegen  kein  Eigen- 
name, er  bedeutet  Ring  (naut)  des 
Zwerges  Andvari. 

Unter  den  benannten  Rossen 
nimmt  die  erst«1  Stelle  ein  Sleipni, 
Odins  Ross.  d.  h.  das  gleitende,  zu 
hochdeutsch  s/ifen.  Der  Heldensage 
gehören  an  Betehe.  das  Ross  Diet- 
richs; Falke,  das  Pferd  Dietrichs 
und  Wolfdietrichs;  Uranu  Siegfrieds 
Ross    in    der   nordischen  Ueber- 


lieferung  d.  h.  das  graue  oder  grau- 
gewordene; Rispa  heisst  Heimes, 
Sehemine  oder  Schemmine  Wittigs 
Ross;  das  letztere  ist  der  Bruder 
Falkes,  Granis  und  Rispas;  der  Name 
gehört  zu  scheine  =  Schimmer. 

Unter  den  zahlreichen  Rossen  der 
Karlssage  ist  das  berühmteste  Bayart, 
das  die  vier  Haimonskinder  trägt 

Alte  Hundenamen  betreffen  meist 
Jagdhunde;  doch  heisst  in  der  Edda 
(lärm  der  Hofwart,  hovateart,  d.  i. 
Hofhüter  der  Hölle.  Ein  besonders 
häufiger  Haushundname  ist  Wacker 
=  der  Wachsame.  In  der  Thidrichs 
Sage  wird  von  den  abenteuerlichen 
I  Jagdzügen  des  Grafeu  Iron  von 
!  Brandenburg  erzählt,  der  60  Hunde 
'mit  sich  führt;  deren  beste  sind 
I  Stapp,  Stuft,  Luscta,  Rnsca,  Baron, 
Bonikt,  Bracka  und  Bortai  man 
erklsirt  sie  als  Stapf  und  Stuft,  d.  i. 
Schritt  und  Trotz;  der  schleichende 
(ahd.  Inschen)  und  der  rasche,  muntere, 
wie  ein  andermal  auch  ein  Pferd 
Rusche  heisst;  Baron  wird  zu  ahd. 
haro  =  Mann  gestellt,  J'orxazwbirxen. 
birschen;  Boni kl 'gehört  vielleicht  zu 
ahd.  punit  =  Diadem,  und  Bracka 
ist  Bracke,  Spürhund.  Vereinzelte 
Namen  blos  giebt  es  von  dem  Rind, 
der  Ziege,  dem  Esel,  der  Katze,  dem 
Bären,  dem  Falkcu. 

Zur  Eigenbenamung  der  Schiffe 
führte  schon  die  uralte  Verglcichung 
dieses  Gegenstandes  mit  dem  schwim- 
menden Vogel  und  dem  rennenden 
Pferd:  Schnitzarbeit  am  Vorderteil 
Hess  das  Ganze  als  einen  Drachen 
erscheinen;  so  hicss  Baldurs  Schiff 
Hringhorni  mit  Bezug  auf  den  Ring- 
selunuck  seines  Stevens,  ein  nor- 
disches Königsschiit'  heisst  Wunsch- 
jungfrau, YValküre,  ein  anderes 
'Mannshaupt.  Zwei  Schiffe  des  deut- 
schen Ordens  in  Preussen  hiessen 
JHlgerin  und  Vriedeland  d.  i.  Be- 
schütze das  Land !  Im  späteren  Mittel- 
alter heissen  Schifte  auf  den  schweize- 
rischen Landseen  Gans,  Fuchs,  Ente, 
Bär,  Schnecke. 

Geschütze  wurden  anfänglich,  be- 


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712 


Narren. 


vor  das  Pulver  in  Gebrauch  kam, 
nach  dem  Vorgange  des  Altertums, 
mit  Tiernamen  benannt,  aber  in 
appellativcr  Weise  nur  je  die  Gattung, 
z.  B.  Katze,  Krebs,  Tarant,  Igel; 
eigentliche  Individuen-Namen  kamen 
erst  mit  den  Feuergeschützen  auf. 
wobei  sich  die  Phantasie  den  freiesten 
Spielraum  erlaubte:  Äff, Drach, Falk, 
Falkonet,  Fledermaus,  Fuchs,  Hor- 
nuss,  Hurlebus  oder  Hurlebaus,  d.  h. 
Brummkatze,  Lewe,  Luchs,  Nach- 
tigal,  Püfel,  d.  h.  Büffel,  Purlebaus 
oder  Purlapaus  s.  v.  a.  Hurlebus. 
zu  harren  =  brummen,  Schlange, 
Schrötel,  d.  h.  Schröter,  Hirschkäfer, 
Wolf;  jungfraie  Falkenet,  Dromefte- 
rin,  Maurbreeherin,  Singerin,  Xar, 
Roraff,  dieses  ein  Strassburger  Ge- 
schütz, das  seinen  Namen  von  dem 
Wahrzeichen  der  Stadt  hat,  einem 
lächerlichen  Baucmbild  an  der 
Münsterorgel;  Ketterl  in  von  Eimen 
(Ensesheim),  Metz  oder  Mette,  Met- 
teke,  Kosewort  zu  Meehtild,  Week- 
auf;  auch  Monatnamen,  Namen  der 
Pfaneten  und  der  Zeichen  des  Tier- 
kreises, ja  die  Buchstaben  des  Al- 
phabetes kommen  als  Geschütznamen 
vor;  als  Moritz  von  Oranien  1591 
Nimwegen  aus  solch  einem  ABC 
beschoss,  nannten  ihn  die  Belagerten 
A  BCschütze. 

Türme  empfingen  oft  Eigen- 
namen: Luginsland,  Sehütt  den  heim, 
Hans  in  allen  (fasten. 

(ifoeken  sind  sehr  früh  getauft 
und  damit  zugleich  benannt  worden; 
das  älteste  Beispiel  ist  die  Glocke 
im  Lateran,  die  Papst  Johann  XIII. 
nach  sich  und  dem  Heiligen  der 
Kirche  Johannes  nannte;  auch  später 
sind  es  meist  Heiligenuamcn,  mit 
denen  man  die  Glocken  versieht. 
Nach  W.  Waekernagel ,  die  deut- 
schen Appellativuamen,  Abschnitt  I, 
Pfeiffers  Germania,  IV  und  V,  und 
kleinere  Schriften  Iii. 

Narren.  Name  und  Begriff  des 
Narren,  ahd.  narro,  mhd.  narre, 
d unk ler  Herkunft,  spielen  in  den 
Zeiten  des  ausgehenden  Mittelalters 


eine  grosse  Rolle;  seitdem  sich  der 
Geist  der  Zeit  von  den  religiösen,  ge- 
sellschaftlichen, staatlichen,  künst- 
lerischen   Prinzipien    der  höfisch- 
romantischen  Welt  losgelöst  hatte 
und  nach  neuen  Grundlagen  des 
Lebens  drängte,  konnte  es  nicht  aus- 
bleiben, dass  der  Gegensatz  zwischen 
dem  Weisen  und  dem  Thoren,  dem 
Vernünftigen  und  Unvernünftigen 
mit  in  den  Vordergrund  der  Zeit- 
begriffe rückte   uud   nach  festen, 
plastischen  Formen  in  Sprache,  Lit- 
teratur,  Kunst  und  in  dem  Leben 
der  Gesellschaft  ausging.  Damit 
verbanden  sich  ältere,   meist  der 
Volkskomik  angehörende  Elemente, 
didaktischer  Inhalt  des  alten  Testa- 
mentes, Einrluss  antiker  Schriftsteller 
und  welsche,  besonders  italienische 
Einflüsse    komischer   und  humori- 
stischer Art,  die  ihrerseits  zum  Teil 
wieder  auf  altrömischen  Gebräuchen 
beruhen.    Eine  zusammenhängende 
Untersuchung  über  diese  genannte 
Erscheinung    fehlt    bis  jetzt,  am 
meisten  findet  man  in  der  Einleitung 
zur  Ausgabe  von  Sebastian  Brants 
Narrenschiff  durch  Zarneke  und  in 
Weinholds  Abhandlung    über  das 
Komische  im  altdeutschen  Schauspiel, 
in  Gosche 's  Jahrbuch  für  Litteratur- 
geschichte,  Bd.  1. 

Die  ältere  Zeit  zieht  den  Namen 
före  dem  narren  vor.  gebraucht  aber 
synoym  damit  vielfach  die  Namen 
der  drei  Tiere  äffe,  esel  und  qoueh, 
wie  es  z.  B.  in  alten  Sprüchen  ficiast: 
Ieh  bin  ir  narr,  ir  goueh,  ir  äff,  im 
esels  ireis  ieh  si  angaff;  äffen  zegel 
(Schwänze)  und  esels  6ren  tragen/ 
veil  der  Werlte  toren ;  die  Wichtig- 
keit des  Aflentums  in  dieser  Zeit, 
die  übrigens  mit  dem  lautlichen  Zu- 
sammenhang des  Tiernamens  mit 
dem  Worte  Affentür,  Affenteur  statt 
Arentnr,  Abenteur  zusammenzuhän- 
gen scheint,  ergiebt  sich  unter  an- 
dern aus  den  Kompositionen  äffen- 
hanc,  affeidtere,  affenhoehsit ,  äffen- 
hü/,  affenkleit ,  affenra/,  affensalhe, 
affenseif,  affensmulz,  affenspil,  offen- 


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713 


s/nse,  ajfental,  ajfentanz,  affenvuore, 
aJJ'enwort,  ajf'enzagel  unu  aff'enzit, 
wo  überall  statt  des  Tieres  Thor 
oder  Narr  gesetzt  werden  kann. 
Früh  ist  der  Esel  zur  Ehre  eines 
unvernünftigen  Tieres  gekommen; 
Notker  sagt  schon  von  einem  Narren, 
er  lebe  in  esiles  wise,  und  spater 
heisst  es:  Esels  stimme  unt  gouches 
sane  erkenne  ich  (in  ir  beider  dune ; 
ist  er  ein  esel  oder  gouch,  dasselb  is  t 
er  zuo  J'aris  oueh ;  sied  man  den  esel 
kroenet,  da  ist  daz  lant  gehoenet; 
der  esel  gurret  uf  den  icän,  er  waenet 
teol  gesungen  htin;  maneger  trotte 
gerne  sin  ein  esel  oder  ein  esel in, 
daz  man  seife  maere,  wie  wunderlich 
er  waere;  In  rede  erkenne  ich  toren, 
den  esel  In  den  6ren.  Zahlreiche 
althergebraehte  Redensarten  drehen 
sich  um  das  langohrige  Tier:  einem 
den  esel  bohren,  den  esel  zeitjen,  den 
esel  stechen,  d.  h.  den  Zeige-  oder 
kleinen  Finger  gegen  ihn  ausstrecken, 
wahrend  die  übrigen  drei  eingebogen 
werden,  einem  den  esel  strecken, 
schnitzen,  den  esel  kroenen,  einen 
auf  den  esel  setzen  oder  brinqen,  den 
esel  reiten,  eine  beschimpfende  Strafe, 
die  aus  Bürger's  Ballade  »Der  Kaiser 
und  der  Abt"  bekannt  ist;  von  Zu- 
sammensetzungen mit  dem  Esel  ge- 
braucht allein  l)r.  Luther  Eselbapst, 
Eselbischof,  Eseljurist,  Eselreiter, 
Eeelsforz,  Esclskopf,  Eselskunst, 
Eselthcolo^. 

Das  dritte  Tier,  den  Gauch  oder 
Kukuk,  kennt  ebenfalls  schon  Notker 
als  Sinnbild  des  Narren,  wenn  er 
zusammenstellt  der  unteiso  unde  der 
gouh;  später  heisst  es:  wisiu  wort 
unt  tumhiu  icerc,  diu  haftent  diu  van 
Goucherslterc\  der  ahlAz  dunket  toren 
quot,  den  ein  gouch  dem  andern  tuot. 
Zum  ausgeführten  Bilde  der  Narren- 
welt wurde  der  Gauch  in  der  Gauch- 
matte  oder  G  euch  matte,  ein  Name, 
der  im  lfi.  Jahrhundert  sprichwört- 
lich wurde,  dtirch  zwei  Dichtungen 
(  iengenbachs  und  Murners,  die  beide 
in  Basel  spielen;  es  ist  die  Darstel- 
lung einer  Matte,  auf  der  die  Gauche, 


die  verliebten  Narren,  zu  einem  Feste 
zusammenkommen,  eine  Vorstellung, 
die  sich  an  eine  Seite  des  uralten 
Maifestes  anschlichst  Zu  den  Mai- 
tanzen nämlich  vereinigten  sich 
einzelne  Paare,  die  oft  das  Los  oder 
die  Darreichung  und  Annahme  eines 
Laubreises  und  Strausses  bestimmte, 
und  die  dann  den  ganzen  Sommer 
oder  das  grosse  Fest  hindurch  mit- 
einander tanzten.  An  jenem  Feste 
hatte  der  Kukuk  eine  wichtige  Rolle 
als  Bote  des  Frühlings  und  wurde 
als  solcher  gefeiert;  sein  Rufen  galt 
den  Liebenden  als  Wahrsagung, 
man  machte  sein  Rufen  nach  und 
stieg  zu  diesem  Zwecke  sogar  auf 
Bäume. 

Als  Name  für  den  unweisen 
Menschen  wird  in  älterer  Zeit,  wie 
schon  erwähnt,  tdr  angewendet 
Frfdane  hat  einen  längeren  Ab- 
schnitt, der  überschrieben  ist  Von 
den  icisen  und  toren.  Er  beginnt 
mit  dem  Spruch:  Gof  hat  den  icisen 
sorqe  gegeben,  da  In  den  toren  senfle 
I  leben,  und  fasst  in  dem  Sinne  dieses 
Eingangsspruches  den  Thoren  all- 
gemein als  denjenigen,  welcher  un- 
vernünftig handelt,  und  noch  nicht 
als  besondern  Stand:  wir  gorallen 
alle  uns  selber  wol,  des  ist  daz  lant 
der  toren  vol.  Swer  waenet,  daz  er 
wise  si,  dem  wont  ein  ttire  nahe  In. 
Dem  toren  dunket  selten  guot,  swaz 
ein  wise  man  geluot.  Swer  toren 
welle  stillen,  der  rede  nach  ir  willen. 

Indessen  brauchen  doch  schon 
Zeitgenossen  Freidanks   auch  das 
Wort   narr   und    die  Zusammen- 
setzungen narrenweg  und  narren- 
sml;  so  erscheint  der  Kolben,  den 
der  Narr  trägt,  wenigstens  im  14. 
Jahrhundert,  ein  Beweis,  dass  sich 
in  dieser  Zeit,  ohne  Zweifel  von 
Frankreich  und  Italien  her,  der  Be- 
griff der  Narren  als  einer  sclbstän- 
I  digen  Gestalt  und  Bildung,  einer 
l  besondem  Spezies  der  Menschen, 
I  auszubilden  begonnen  hatte;  auch 
das  romanische  Wort  fou,  von  spät 
I  lat.  foltere,  sich  hin  und  her  bewegen, 


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714 


Narren. 


follis,  etwas  Hieb  hin  herbewegendes, 
auch  Blasebalg,  daher  Jolle  soviel 
als  possenhaft,  grillenhaft,  ist  erst 
im  Mittelalter  in  Gebrauch  gekom- 
men. Das  15.  Jahrhundert  hat  be- 
reits ganze  Fastnachtspicle,  die  von 
Narren  handeln,  aber  es  sind  fast 
immer  nur  die  verliebten  Narren 
gemeint;  siehe  übrigens  über  den 
Narren  im  Spiele  weiter  unten.  Seine 
bleibende  charakteristische  Gestal- 
tung in  der  Litteratur  und  dadurch 
auch  in  der  Anschauungs-  und  Aus- 
druckswei.se  der  Zeit  überhaupt  er- 
hielt jedoch  der  Narr  bei  uns  erst 
dureli  Sebastian  Uran/s,  im  Jahre 
1494  zuerst  erschienenes  Narren- 
schiff,  wo  auch  zuerst  die  besonde- 
ren Beziehungen  des  Narrendaseins 
zum  vollen  sprachliehen  Ausdruck 
gelangten;  von  Brant  stammen  die 
Redensarten:  Kr  ist  in  der  narren 
raff,  im  narrenorden,  die  pfifft»  zun 
dem  narrenreien,  narrentanz,  narren- 
feit,  narrenbery,  die  ziehen  doch  den 
narren pjhuHj ;  und  da nzt  hernach  am 


narrenholz,  und  wird  am  narrenseil 
ffefüert,  man  sieh/  sie  im  narren- 
strick,  er  gehört  uf  den  narren- 
seh  Iii,  man  setzt  in  uf  den  narren- 
bank,  ich  dank  in  tief  in  narrenbri, 
er  stückt  im  narrenbri.  Die  Wir- 
kung des  NarrenschifTes  war  eine 
ausserordentliche,  es  wurde  das  ge- 
lesenste  Buch  seiner  Zeit,  durch 
zahlreiche  deutsche  Ausgaben  in 
Deutschland,  durch  zwei  lateinische 
Bearbeitungen  iu  der  europäischen 
Gelehrten  weit  und  durch  mehrfache 
Übersetzungen  in  die  französische, 
englische  und  niederliindischeSprache 
auch  in  der  ungelehrten  Leserwelt 
dieser  Lander  verbreitet;  Deutseh- 
land erstattete  Frankreich  damit 
zurück,  was  dieses  ihm  an  Narren- 
erscheinungen zu-  und  vorbereitet 
hatte.  Der  Verfasser  des  Narren - 
seinfies  wurde  als  der  erste  deutsche 
Dichter  gefeiert,  als  ein  zweiter 
Dante,  eine  Epoche  der  Litteratur 
sollte  mit  ihm  begonnen  haben. 
Wirklich   ist   auch    durch  das 


ganze  16.  Jahrhundert  und  bis  in 
das  erste  Viertel  des  17.  kaum  ein 
deutscher  Dichter  von  BrantsNarren- 
schitf  unabhängig,  die  bedeutendsten 
unter  ihnen  am  meisten;  doch  be- 
zieht sich  diese  Abhängigkeit  in 
erster  Linie  auf  die  Weltanschauung 
Brants  überhaupt ,  auf  seinen  sitt- 
lichen und  vernünftigen  Massstab, 
mit  dem  er  die  1  >inge  rnnst.  auf  den 
reichen  und  vollen  Gebrauch  der 
freien  Rede,  und  erst  in  zweiter 
Linie  auf  das  Narrentum.  Dennoch 
ist  auch  sein  Narrenturn  als  der 
Revers  der  Weisheit,  der  Seharten 
hinter  dem  Lichte  der  Vernunft,  in 
zahlreichen  Büchern  und  Dichtungen 
weiter  gebildet  worden.  In  der  la- 
teinischen Litteratur  der  Gelehrten 
steht  hier  des  Erasmus  Knkomium 
Moriae  obenan,  das  selber  wieder 
ein  eigentliches  Weltbueh  geworden 
ist;  vgl.  die  Übersetzung  der  Moria 
durch  Sebastian  Frank,  Ausgabe 
von  Krnst  Götzinger,  Leipzig  1SS4. 
Von  deutschschreibenden  Schrift- 
stellern hat  sich  zuerst  Thomas  Mur- 
ner  das  Narrens«  hift*  zum  Vorbilde 
von  vier  Hauptwerken  genommen, 
der  ( iduchmaft ,  der  Sehet mt ozunft, 
»ler  Sarrenheschtcorunfi  und  vom 
(j rohe n  Inf  herischen  Narren.  Während 
aber  der  streitbare  Mönch  mit  seinen 
Narren  allmählich  in  die  hasserfüllte 
religiöse  Partei  -  Satire  gedrängt 
wurde,  blieb  Hans  Sachs  in  seinen 
zahlreichen  Narrengedichten  bei  der 
Verspottung  des  menschlich  Unver- 
nünftigen stehen  und  verstand  es 
mit  seinem  heitern  Humor,  fern  von 
aller  Verletzung  berechtigter  Inter- 
essen, der  Thorheit  ihr  natürliches 
Recht  zu  gönnen  und  zu  lassen. 
Sein  berühmtestes  Narrengedieht  ist 
das  Fastnachtspiel, das  XarrrnseJtn*4- 
den,  wo  das  Wort  Narr  die  Personi- 
fikation einer  bestimmten  Narrheit 
bedeutet,  HolVart,  Geiz,  Neid,  Un- 
keusehheit,  Füllerei,  Zorn  und  de rgl.  ; 
überhaupt  aber 

Allerlei  Gattung,  als  falsch  Jurist»in, 
Sehw-ai  zkünstler  und  die  Alchamisten, 


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Narren. 


715 


Finanzer,  Alefanzer  und  Trügner, 
Schmeichler,  Spotfeier  und  Lügner, 
Wunderer,  Egelmeier  und  leunisch, 
Grob,  olperer,  unzüchtig  und  heu- 
niseh, 

Undankbar,  Stocknarren  und  gech, 
Fürwitzig,  leichtfertig  und  frech, 
Gronct.  und  gremiseh,  die  allzeit 
Borgen, 

Boss  Zalcr,  die  doch  gern  borgen, 
Eiferer,  so  hüten  ihrer  Frauen, 
Die  on  Not  rechten  und  on  Not 
bauen, 

Spieler,  Bögschützen  und  Waidleut, 
Die  viel  verton  nach  kleiner  Beut, 
Summa  Summarum,  wie  sie  nannt 
Doktor  Sebastian  us  Brant 
In  seinem  Narrenschiß*  zu  farn. 

Narrenschwänke  von  Hans  Sachs 
sind  der  Narrenbriifer ,  der  Kram 
der  Narrenkappen,  der Na rrenfresser, 
das  Aarrenbad ;  von  andern  Dichtern 
stammen  Spiele,  Sprüche  und  Lieder, 
genannt  aas  Na rrenqi essen ,  die 
Narrenschnle ,  die  Narrenkappen, 
die  Narrenhatz,  Spital  unheilsaner 
Narren.  Mit  der  Einführung  des 
( ►pitzischen  Geschmackes  geht  diese 
Littcratur,  die  durchaus  volkstüm- 
lich war,  aus ;  einzig  Abraham  a  St. 
Clara  hat  noch  einen  nicht  unglück- 
lichen Nachtisch  geliefert  in  seinem 
L-entifolium  stuf  forum  in  Quarto 
oder*  hundert  ausbüudige  Narren 
in  Folio. 

In  allen  genannten  Narrenschrif- 
ten bezeichnet  der  Narr  denjenigen, 
der  in  seiner  Lebensführung,  die- 
selbe mag  im  übrigen  sein  welche 
sie  wolle,  vom  Wege  der  Vernunft 
abweicht;  diese  Narrheit  ist  eine 
Krankheit,  eine  Schwäche,  die  ab- 
gelegt und  geheilt  werden  soll  und 
kann,  eine  Verirrung,  die  auf  den 
rechten  Weg  zurückgeführt  werden 
muss.  Parallel  mit  diesen  Narren 
geht  nun  in  der  Literatur  eine  an- 
dere Narrenklasse  von  geborenen 
Narren,  von  Naturnarren,  denen  die 
Natur  selber  das  Recht  ihrer  Existenz 

Sjgeben  hat,  die  nicht  in  ihrem 
erufe  närrisch  handeln,  deren  Be- 


ruf vielmehr  ist,  Narr  zu  sein.  Die 
höfische^  Gesellschaft  kennt  auch 
diese  Narren  nicht;  äusseres  An- 
sehen, hoher  Stand  decken  die 
Mängel  des  Verstandes;  diese  Nar- 
ren gehören  der  niederen  Volksklasse 
an.  Sie  sind  aber  wieder  unter  sich 
verschieden ;  entweder  sind  sie  ganze 
Narren,  oder  sie  sind  Schalksnarren, 
die  ihrem  niedern  Stand  getreu  auch 
ein  geringes  Mass  von  Weisheit  an- 
wenden und  sich  namentlich  darin 
gefallen,  durch  Ungezogenheit,  un- 
flätige Worte  und  Geberden,  gute 
und  schlechte  Witze  die  Weisheit 
und  die  Lebensart  der  höhern  Stände 
parodierend  zu  verhöhnen.  Einzelne 
Streiche  gehören  der  Weltliteratur 
an  und  verbreiten  sich  über  ganz 
Europa,  sind  sogar  in  Asien  nach- 
gewiesen worden.  Ein  solcher 
Schalksnarr  ist  Markolf  oder  3/u- 
rolf  in  dem  sehr  alten  Uoinan  oder 
Volksbuch  von  Saloinon  und  Morolf, 
ein  einfältiger,  tölpelhafter  Bauer, 
der  aber  mit  seinem  Mutterwitz  den 
weisesten  König  doch  zu  Schanden 
macht,  ein  VorTäufer  oder  Vorbote 
des  Hofnarren.  Mit  Vorliebe  er- 
zählen andere  Bücher  von  Pfaffen 
niedrigen  Standes,  welche  durch 
tolle  Streiche  diesen  ihren  Stand 
gleichsam  rächen,  so  das  Buch  vom 
Pfaffen  Ami*  von  dem  Stricker,  der 
Pf  aß' vom  Kutenbertj  und  Peter  Leu, 
der  ursprünglich  Blöckträger  in  Hall 
war,  dann  unter  die  Armaniaken 
geriet  und  zuletzt  Pfatf  wurde.  Der 
vollendetste  Volksnarr  des  niedern 
Volkes  wird  aber  Eulenspiajcl.  Die 
Spezies  der  Ganznarren  ist  vertreten 
durch  die  Schildbürqer\  dieses  Volks- 
i  buch  ist  aus  der  Zusammenfassung 
vereinzelter  Stichelschwänke  über 
gewisse  Städte  und  Städtchen  ent- 
standen, verrät  aber  in  seinem  un- 
bekannten Verfasser  einen  recht 
geistvollen  Kenner  des  menschlichen 
Herzens.  Von  einem  der  vielen 
Weisen  Griechenlands  lässt  er  das 
Völklein  abstammen  und  ursprüng- 
lich   mit    der    höchsten  Weisheit 


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71G 


Narren. 


begabt  seiu;  sie  werden  daher  von 
allen  Fürsten  zu  Rat  berufen  und 
keiner  von  ihnen  kann  daheim  blei- 
ben, bis  endlich  ihre  Weiber  sie 
zurückfordern,  ihr  verwildertes  Haus- 
wesen herzustellen;  worauf  sie  denn, 
um  ferneren  Drang  nach  ihrer  an- 
geborenen Weisheit  zu  vermeiden, 
beschliessen ,  sieh  närrisch  zu  stel- 
len, und  sich  nun  allmählich  so  in 
die  Narrheit  verlieben  und  fest- 
rennen, dass  sie  nicht  mehr  anders 
können.  Nachdem  sie  sich  in  allen 
Arten  der  Narrheit  meisterlich  ver- 
sucht und  befestigt  und  vom  Kaiser 
ein  Privilegium  mit  Brief  und  Sie- 
gel dafür  erhalten  haben,  geht  ihre 
Narrheit  zuletzt  ins  Tragische  über, 
zerstört  ihren  eigenen  W  ohnsitz  und 
zwingt  sie,  nach  allen  Gebenden 
hin  auszuwandern:  so  sind  sie  nun 
wieder,  wie  die  Juden,  durch  die 
ganze  Welt  zerstreut  und  überall 
anzutreffen. 

An  den  Narren  der  didaktischen 
und  erzählenden  Litteratur  schliessen 
wir  den  Xarren  des  Schauspiels-,  er 
steht  mitten  inne  zwischen  einer 
allegorischen  Personifikation  der 
Thorheit  und  Unvernunft  und  zwi- 
schen dem  lebendigen  Lustigmaeher 
der  Gesellschaft.  An  die  Auffas- 
sung des  Lästere  als  Thorheit  er- 
innert im  mittelalterlichen  Schau- 
spiel die  Behandlung  des  Teufels  als 
komischer  Person;  als  Vater  der 
Sünde  ist  der  Teufel  auch  Vater 
der  Thorheit;  andere  mit  der  Narr- 
heit verflochtene  Personen  sind  die 
Verliebten  oder  Liebesnarren,  die 
Hhenarren ,  Männer  ,  welche  ihren 
Frauen  die  Hose  mit  dem  längern 
Messer  lassen,  der  Faulenzer,  der 
Aufschneider,  unter  den  einzelnen 
Berufsklassen  in  erster  Linie  der 
Bauer,  dann  der  Hirte  im  An- 
schlüsse an  die  Hirten  im  Weih- 
nachtsspiel, die  Uärtner,  die  Söld- 
ner, welche  im  Passionssniel  die 
Wächter  am  Grabe  vorstellen ;  sel- 
tener werden  fahrend*  Ix-ute,  und 
eigentliche      Handwerker,  etwa 


Schneider,  Schuster,  Leineweber  für 
das  dramatische  Spiel  verwendet: 
dagegen  sind  beliebte  komische 
Personen  die  Krämer,  Quaektaiher 
und  Arzte,  durch  den  Salbenk  ramer 
im  Passionsspiel  veranlasst,  welcher 
die  älteste  lustige  Person  unseres 
Schauspiels  ist,  dann  die  «/«<//*«. 
Mönche,  Pfajfen  und  alten  1  Velber  \ 
doch  sind  diese  Figuren  nicht  die 
I  eigentlichen  Quellen  und  Vorbilder 
!  der  Narren  als  eiuer  bestimmten 
einzelnen  Person  des  Spiels;  viel- 
mehr entwickelte  sich  der  Narr  des 
Dramas  aus  den  Lustigmaehern, 
welche  neben  dem  Spiel  herliefen 
und  deren  Aufgabe  es  war,  Raum 
für  die  in  Gesamtheit  auftretenden 
Spieler  und  die  nötige  Stille  zu 
schaffen;  zugleich  (Jienten  sie  ab 
Eiu-  und  Ausschreier  oder  Vor- 
läufer. Es  scheint  nun,  dass  zwei 
Strömungen  nebeneinanderliefen, 
eine,  welche  diesen  Gaukeltn&nn. 
qouygler,  wie  bisher  die  genannten 
Funktionen  verrichten  hess,  und 
eine  ernstere,  die  ihn  in  einen  ehr- 
samen Spruchsprecher,  oft  auch  in 
einen  stattliehen  Herold  umzuwan- 
deln zwang,  neben  welchen  dann 
jene  Narren  blos  noch  uebenzu  mit- 
liefen; manchmal  gebot  der  Narr 
bloss  Stillschweigen,  mit  der  Auf- 
forderung, dem  Argument  des  He- 
rolds zu  lauschen.  Zu  einer  cha- 
rakteristischen Benutzung  des  Nar- 
ren erhob  sich  die  dramatische 
Kunst  des  deutschen  Dramas  im 
16.  Jahrhundert  nicht;  nur  Jacob 
Ruef  aus  Zürich  machte  ihn  in 
seinem  Neujahrsspiel  bedeutender, 
indem  er  ihm  die  Aufgabe  politi- 
scher Satirc  gab,  und  Hans  Sachs 
gab  ihm  in  der  Esther  die  Stimme 
des  gesunden  Verstandes,  der 
schimpfweis  die  Wahrheit  sagt,  und 
legte  ihm  sogar  in  der  „Comexlia" 
von  Vater  Sun  und  Narr  mephisto- 
phelische Züge  bei,  was  aber  nur 
vereinzelt  blieb. 

Durch  das  Vorbild  der  engli- 
schen Komödianten  kam  der  eng- 


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Narren. 


717 


lische  Clown  ins  deutsche  Schau- 
spiel; der  Herzog  Heinrich  Julius 
von  Braunschweig  nennt  ihn  stets 
Jahn,  und  stellt  ihn  als  scheinbar 
dummen,  abermutterwitzigcnKnecht 
hin;  in  den  Tragödien  und  Komö- 
dien des  Jakob  Ayrer  heisst  er 
seltener  Narr,  sonst  auch  Jahn,  ein 
unflätiger  Knecht,  in  einzelneu 
Spielen  mit  den  besonderen  Unter- 
scheidungen Jahn  der  Bott,  Jahn 
Posset,  Jahn  Clam  der  Bott,  Jahn 
Panser  der  Leibknecht,  Jahn  der 
Narr,  Jahn  der  Kurzweiler,  Jahn 
Türk  der  närrische  Knecht;  auch  in 
Fastnachtsspielen  hat  Ayrer  den 
Jahn  verwendet,  aber  ebenfalls  ohne 
Glück. 

Wieder  andere  Namen  für  den 
Narren  begegnen  in  den  zahlreichen 
Spielen,  die  im  16.  Jahrhundert  von 
Geistlichen  und  Schulmeistern  ver- 
fasst  wurden:  Narrolt  oder  Recken- 
kolben, Hans,  Heinz,  Jäckel,  Jogle, 
Veit,  Claus,  Lorenz;  Hanswurst  und 
Hans  Han  bezeichnen  anfangs  nur 
den  Bauernhaus,  den  groben  Tölpel. 

Nicht  minder  mannigfaltig  als  die 
Erscheinung  des  Narren  in  dem  al- 
tern Schrifttum  ist  diejenige  im 
Leben  des  Volkes;  auch  dieses 
Narreutum  ist  international  imd  hat 
sich  mehr  in  den  Ländern  roman- 
tischer Zunge  und  in  Deutschland 
in  den  Grenzgebieten,  besonders  in 
Köln  und  Wien  festgesetzt.  Dass 
auch  die  Kirche  daran  teilnimmt, 
braucht  für  das  Mittelalter  keiner 
Entschuldigung,  da  sich  in  ihr  oft 
religiöse  Weihe  hart  und  unvermit- 
telt mit  höchst  weltlichem  Gcbahren 
zusammen  gekoppelt  vorfindet.  An 
römische  Gebräuche  bei  der  Satur- 
nalieu-Feier  pflegt  man  das  soge- 
nannte Narrenfest  anzuknüpfen, 
fest  um  fatuorum,  Istultorum,  follu- 
rum,  von  dem  im  12.  Jahrhundert 
zuerst  ein  Theolog  berichtet.  Man 
Hess  dio  Schüler  Kinderäbte  und 
Kinderbischöfe  wählen,  welche  in 
den  Kirchen  den  liturgischen  Dienst 
verschen,  es  wurden  dabei  eigens 


gedichtete  Lieder  gesungen  und 
Prozessionen  veranstaltet  Nachher 
wurde  die  Parodie  zur  burlesken 
Mummerei.  Die  Zeit  der  Feier  war 
gewöhnlich  zwischen  Weihnachten 
und  Epiphauien.  Au  Stelle  des 
Kinderabtes  und  Kinderbischofes 
trat  dann  ein  Narrenbischof  oder 
Narrenerzbischof  oder  ein  Narren- 
papst: die  als  Weiber,  Tiere  oder 
Possenreisser  vermummton  Geist- 
lichen betraten  das  Chor  mit  Tan- 
zen und  Absingen  schlechter  Lie- 
der; auf  dem  Altar,  vor  der  Nase 
des  messelesenden  Priesters,  assen 
die  Diakonen  und  Subdiakonen 
Würste,  spielten  Karten  und  Wür- 
fel, thaten  alte  Schuhsohlen  u.  dgl. 
ins  Kauchfass.  Auch  in  den  Mönchs- 
und Nonnenklöstern  wurde  das 
Narrenfest  gefeiert,  das  zu  Antibes 
bei  den  Franziskanern  folgeuder- 
masseu  vor  sich  ging:  Am  Tage 
der  unschuldigen  Kinder  kamen 
statt  des  Guardian  -  und  der  Priester 
die  Laienbrüder  ins  Chor,  zogen  zer- 
rissene und  umgewendete  priesterli- 
che Kleider  an,  hielten  die  Bücher  ver- 
kehrt, hatten  Brillengestelle  auf  der 
Nase,  worin  statt  der  Gläser  Porac- 
rauzenschalen  befestigt  waren,  blie- 
sen die  Asche  aus  den  Rauchfässern 
einander  ins  Gesicht  oder  streuten 
sie  sich  auf  die  Köpfe,  murmelten 
unverständliche  Worte  und  blökten 
wie  das  Vieh. 

Immer  ist  es  mehr  der  Name 
Narrenfest  als  die  Person  des  Narren, 
die  hier  beteiligt  ist.  Der  eigent- 
liche Narr  in  der  Gesellschaft  des 
Mittelalters  ist  eine  Verbindung  des 
freiherumgehenden  Blödsinnigen  mit 
dem  Lustigmacher,  wobei  die  Heran- 
ziehung lies  erstern  in  die  Gesell- 
schaft nicht  blos  ein  rohes  Ver- 
gnügen, sondern  zugleich  eine  Ver- 
sorgung solcher  für  diesen  Zweck 
noch  brauchbarer  Menschen  gewesen 
sein  mag.  Die  Entwickclung  dieser 
Figur  rindet  teils  innerhalb  der  ge- 
sellschaftlichen Formen  des  Mittel- 
I  alters,  am  Hofe,  in  den  Städten 


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718 


Narren. 


statt,  teils  im  Anschlüsse  an  den 
italienischen  Karneval.  Die  Ent- 
stehung des  Hofnarrentunis  liegt  im 
Dunkeln.  Nur  so  viel  ist  sicher, 
dass  die  Hofnarren,  zuerst  in  Frank- 
reich, an  die  Stelle  der  Hofspiel- 
leute und  Posscnreisscr  traten;  auf 
deutschem  Hoden erscheinteinsolcher 
narre  oder  tore  zuerst  in  einer  «1er 
Fortsetzungen  von  GottfriedsTristan, 
die  ums  Jahr  1H0U  verfasst  ist;  hier 
lasst  sich  Tristan,  um  zu  einer  Dame 
zu  gelangen,  ein  torenkleit  machen 
von  wunderlichen  Sachen,  einen  rock 
seltsacn  getan,  und  eine  gugel  daran 
vz  snoedem  tuoche,  daz  was  grd, 
daruf  qesniten  hie  unt  da  narren 
bilde  uz  roter  trat,  daz  nieman  ge- 
seehen  hat  so  toerisch  einen  rok  ge- 
statt,  und  nam  einen  Kothen  grdz ; 
aus  seinem  verruchten  Gebahren, 
das  er  nur  der  Königin  gegenüber 
zur  Schau  trägt,  ersieht  man  deut- 
lich, dass  es  sich  hier  um  einen  Blöd- 
sinnigen handelt,  welcher  der  Sitte 
der  Zeit  gemäss  seine  eigene  Kleidung 
und  Tracht  anhatte.  Die  Narren 
von  Beruf  und  Anlage  sind  aber 
nicht  durchweg  verdingt ,  sondern 
treiben  ihrHandwerk  oft  auf  eigene 
Faust,  indem  sie  bald  hier  bald  dort, 
bald  einzig,  bald  in  TrupjM'n  sich  an- 
stellen lassen  und  bleiben,  bis  ihr 
Schatz  geleert  ist.  Namentlich  sind 
sie  bei  festlichen  Anhissen  unent- 
behrlich. Sie  treten  bald  als  eine 
eigentliche  Körperschaft  auf,  die 
ihre  eigenen  Satzungen  hat  uud  sich 
namentlich  durch  ihre  Kleidung 
äusscrlich  schon  kennzeichnet.  Auf 
einer  französischen  Spielkarte  aus 
dem  Schlüsse  des  14.  oder  dem  An- 
fange des  15.  Jahrhunderts  findet 
sich  ein  solcher  Narr  (Jbu)  in  ganzer 
Figur  dargestellt,  umgeben  von 
Kindern,  welche  ihn  hänseln.  Hier 
zeigt  sich  derselbe  uuterhalb,bis  zu  den 
Hüften  hin,  völlig  nackt;  nur  um 
die  Hüften,  die  Scham  verhüllend, 
mit  einer  schmalen  Sackbinde  ge- 
gürtet. Den  Oberkörper  bedeckt 
eine  Art  Hemd  mit  massig  weiten 


unterwärts  kurz  aufgeschlitzten  Halb- 
ermein; darüber  ein  fast  ebenso 
langer,  tief  ausgezaddelter  Schulter- 
kragen,  der  gleichmässig  rings- 
herumfallcnddemHalse ziemlich  enge 
sich  anschliesst.  Die  Kopf  bedeckung 
hat  die  Form  eines  runden  Spitz- 
hutes mit  turbanähnlicher  Umwin- 
dung,  aus  der  sich  zur  rechten  und 
zur  linken  ein  eselohrförmiger  Lappen 
erhebt;  die  Spitze  ist  mit  einer 
Schelle  versehen.  Das  Gesicht  ist 
bartlos,  auch  das  Haupthaar  völlig 
verdeckt. 

Dieses  Kostüm  blieb  in  der  Haupt- 
sache unverändert  bestehen.  Schellen- 
kappen, Kselsohren,  Hahueukamm. 
lange,  mit  Schellen  besetzte  Ennel, 
Kolben  und  Fuchsschwanz,  nebst 
den  tollen  Sprüngen  —  das  alles 
machte  den  Narren  aus.  Vgl.  dazu 
die  oben  augeführte  Abhandlung  von 
Wein  hold,  S.  39  ff. 

Reicher  noch  waren  die  Hof- 
narren gekleidet,  so  namentlich  am 
französischen  Hofe;  doch  geschah 
das  nicht  immer  mit  würdigen  Neben- 
beziehuugen.  So  war  es  z.  B.  Sitte, 
die  (übrigens  kostbare)  Kleidung  der 
Narren  aus  demselben  Stoffe  herzu- 
stellen, mit  dem  der  geheime  Stuhl 
des  Königs  überzogen  war. 

Von  <ien  eigentlichen  Hofnarren 
zu  unterscheiden  sind  die  sogenannten 
lustigen  li/tte,  kurzweilige  Rate  oder 
Tischrnte,  meist  geistreiche  Männer, 
die  sich  des  Vorrechts  der  freien 
RVde  bedienten,  um  die  Thorheiten 
und  Gebrechen  ihrer  Zeit  und  Um- 
gebung zugeisseln  und  zu  verspotten. 
So  ein  Mann  war  der  lustige  Rat 
Kaiser  Maximilians,  Kunz  von  der 
Kosen.  Auf  fahrende  Schalksnarren, 
die  in  keinem  ordentlichen  Dienste 
stehen,  sollte  gefahndet  werden. 
Das  Institut  der  Hofnarren  dauerte 
etwa  bis  17(10. 

Zuerst  am  Niederrhein,  also  wieder 
an  der  Grenze  Frankreichs ,  wird 
von  decken-  und  Sarrenqesell- 
schaffen  erzählt,  wohl  in  Nach- 
ahmung ritterlicher  Orden  errichtet ; 


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Narrenhüuschcn.  —  Nekrologien. 


719 


»Ii»'  erste  derselben  wird  im  Jahr 
1381  von  2  Grafen  und  Hf>  Herren 
aus  der  Clevesehen  Ritterschaft  ge- 
stiftet. Ihr  Ordens/eichen,  das  sie 
gestickt  auf  ihren  Kleidern  trugen, 
stellte  einen  Narren  vor,  der  eine 
halb  rote  und  halb  von  Silber  ge- 
stickte Kappe  mit  gelben  Schellen, 
gelbe  Beinkleider  und  schwarze 
Schuhe  trug  und  eine  vergoldete 
Schaale  mit  Früchten  in  der  Hand 
hielt.  Sie  wählten  alle  Jahn;  einen 
König  und  sechs  Ratsherrn ;  Narren- 
freiheit; Freiheit  von  dem  Zwange 
des  lastigen  Hofzeremoniells  war  der 
Hauptzweck  der  Gesellschaft.  In 
Dijon  bestand  eine  ähnliche,  aber 
grössere  Narreng« -Seilschaft,  genannt 
die  Narrenmutter,  La  Mf-re  folie, 
Mater  s/v /forum.  7.' Infanterie  I)i- 
jonnoie.  Ihr  Obmann,  der  sich  durch 
gute  Gestalt,  gefällige  Manieren 
und  Rechtsehaft'enheit  auszeichnen 
mitsste,  hie88  im  Besondern  die 
Narrenmutter  und  hatte  cineneigent- 
liehen  Hofstaat;  auf  der  Fahne  der 
Infanterie  waren  eine  Menge  Narren- 
kopfe mit  Narrenkappen  gemalt,  mit 
der  Überschrift:  Stuf  forum  infinitus 
est  numerus.  Die  T>0  Schweizer, 
welche  die  Narrenmutter  zu  ihrer 
Wache  hatte,  waren  die  vornehmsten 
Künstler  der  Stadt.  Der  Aufnahme 
in  die  Brüderschaft  ging  ein  Examen 
in  Versen  voraus,  das  mit  Versen 
beantwortet  w  erden  musste.  Gecken- 
oder Narrengerichte  in  kleinerm 
Massstabc  gehören  noch  heute  unter 
die  Fastnachtlustbarkeiten  mancher 
Gegenden. 

Die  letzte  Ausbildung  des  Narren 
tums  vollzieht  sich  im  Geleite  der 
italienischen  Renaissance  im  14.  und 
15.  Jahrhundert.  Es  ist  der  römische 
und  florentinische  Karneval,  der  in 
Anlehnung  an  die  Volkssitte,  viel- 
leicht auch  an  altklassische  Züge 
und  unterstützt  von  der  damals  herr- 
schenden ausserordentlichen  Freude 
an  plastischen  Darstellungen  nament- 
lich grosse  Aufzüge  zu  Wagen,  zu 
Pferd  und  zu  Fusse  veranstaltete, 


mit  allegorischen  Darstellungen  der 
manigfaltigsten  Art;  beliebt  war  be- 
sonders der  aus  dem  Heidenturne 
herübergenommene  Schiffwagen,  ei- 
gentlich das  IsisschitV,  das  am  5.  Marz 
als  Sjnibol  der  wieder  eröffneten 
Meerfahrt  ins  Wasser  gelassen  wurde. 
Es  ist  dieselbe  Vorstellung,  die  wahr- 
scheinlich nach  einem  Vorbilde  der 
Niederländer,  zu  denen  der  ita- 
lienische Karneval  Eingang  gefunden 
hatte,  unserm  Sebastian  Braut  als 
Eiukleiduug  seine**  XarrrnsrliiJ/'es 
diente;  eines  Schiffes  also,  das  auf 
einem  Wagen  gezogen,  den  Stand 
der  Narren  zu  tragen  bestimmt  ist. 
Vgl.  noch  F/of/e/y  Geschichte  der 
Hofnarren,  und  Geschichte  des  Gro- 
tesk-Komischen. 

Narrenhuuschen,  frz.  cackot, 
nannte  man  ein  auf  der  Vorderseite 
offenes,  vergittertes  Vcrliess,  in  dem 
namentlich  Ehebrecher  von  der 
kirchlichen  Behörde  an  den  Pranger 
gestellt  wurden.  Es  war  in  der 
Kirche  selber,  meist  zur  rechten  oder 
linken  des  Chors  angebracht,  so  in 
der  Stadtkirche  zu  Meissen  und  in 
derjenigen  zu  Jena.  An  den  Rat- 
häusern waren  solche  Häuschen  für 
nächtliche  Ruhestörer,  für  Betrun- 
kene etc. 

Nasenschirme,  frz.  und  engl. 
nasal \  lat.  nasale.  Der  Nasenschirm 
ist  ein  circa  4  cm  breiter  Metall- 
streifeu,  der  zum  Schutze  der  Nase 
auf  den  ursprünglich  glucken-  oder 
kegelförmig  gestalteten  Helm  des 
Kriegers  aufgenietet  wurde.  Siehe 
den  Art.  Helm.  Auch  die  Ross- 
stirn  der  Pferderüstung  war  damit 
versehen. 

Nekrologen  heissen  Verzeich- 
nisse der  Todestage  aller  derer, 
deren  Gedächtnis  in  der  Kirche 
oder  dem  Kloster,  dem  diese  Auf- 
zeichnungen angehörten,  durch  Er- 
schliessung in  die  öffentliche  Fürbitte 
gefeiert  werden  sollte.  Sie  sind  nach 
dem  Kalender  geordnet  und  ent- 
halten, da  jeder  angesehene  Mann 
sich  um  seiner  Seligkeit  willen  ein 


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720 


Nestel.  —  Nibelungenlied. 


solches  Gedächtnis  zu  sichern  pflegte, 
die  Namen  der  angesehensten  Männer 
geistliehen  und  weltlichen  Standes, 
namentlich  aber  der  Stifter  mit  ihren 
Familien  und  der  Wohlthäter,  welche 
Schenkungen  gemacht  oder  Seelen- 
messen gestiftet  hatten.  Ihre  Namen 
pflegte  man  durch  grössere  Schrift, 
farbige  Dinte  und  sonstige  Verzie- 
rungen auszuzeichnen.  Das  Nekro- 
logium  von  Fulda  enthält  Namen 
von  7  HO  bis  1065.  Diejenigen  No- 
krologien,  welche  bloss  die  Namen 
von  Stiftern  enthalten,  heissen 
Anniversarien. 

Nestel,  \at.  nuittula,  xthjula,  nennt 
man  eine  zum  Zusammenschnüren 
der  Kleider  dienende  Schnur,  die 
meist  —  nach  Art  der  heutigen 
Schuhnesteln  —  an  den  Enden  mit 
Metallspitzcn  versehen  waren. 

Netz.  Das  Fhtehernetz  ist  in  vor- 
geschichtlicher Zeit  erfunden  worden 
und  ist  ohne  Zweifel  der  Kunst, 
Tuch  zu  weben,  vorausgegangen. 
Das  Haarnetz,  l&t.Jlecht,  Jlexa,  era- 
tula,  kam  auf  deutschem  Boden  im 
14.  Jahrhundert  in  Gebrauch.  Frauen 
schmückten  und  banden  damit  das 
geflochtene  und  aufgebundene  Haar. 
Im  15.  Jahrhundert  trat  infolge  der 
völligen  Haarkürzung  bei  Männern 
und  Frauen  an  seine  Stelle  die 
Jfaarhaitfe,  welche  teils  allein,  teils 
unter  dem  Barett  getragen  wurde. 

»innen,  siehe  Musik. 

Nibelungenlied,  ein  strophisches 
Epos  der  mittelhochdeutschen  Zeit, 
dessen  StoftderVolkssage  entnommen 
ist,  wurde  wahrscheinlich  zwischen 
1 1 80  und  1 1 00  gedichtet  Es  ist  nur 
in  zwei  Umarbeitungen  aus  der 
ersten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
erhalten. 

I.  Sein  Inhalt  ist  in  den  Haupt- 
zügen folgender: 

In  Worms  halten  die  drei  Könige 
der  Burgunder,  Gunther,  Gernot  und 
Giselher  Hof.  Einmal  träumt  ihrer 
Schwester  Kriemhild,  wie  ihr  zwei 
Adler  einen  wohlgczähmtcn  Falken 
zerreisen,  was  ihre  Mutter  auf  den 


Tod  ihres  Geliebten  deutet.  Stolz 
entgegnet  das  Mädchen:  Was  sagst 
du  mir  von  einem  Geliebten?  Ich 
weiss  wohl,  wie  die  Liebe  mit  Leid 
lohnt  und  will  die  Minne  meiden. 
Die  Antwort  der  Mutter  lautet,  dass 
die  höchste  Seligkeit  des  Weibe« 
Maunes-Minne  sei. 

In  Niederland  ist  der  Sohn  des 
Königs,  Siegfried,  eben  zum  Ritter 
geschlagen  worden.  Man  hat  ihm 
viel  von  Kriemhilds  Schönheit  er- 
zählt, und  er  beschlicsst,  um  sie  zu 
werben.  Die  Warnung  vor  der  Macht 
und  besonders  vor  Hägens  Stärke 
schlagt  er  in  den  Wind;  giebt  man 
ihm  das  Mädchen  nicht  gutwillig,  so 
will  er  es  Bich  mit  Gewalt  erzwingen. 
Es  ärgert  ihn,  dass  man  ihn  vor  der 
Tapferkeit  der  Burgunden  warnt,  ihn, 
der  sich  jeden  zu  bestehen  getraut, 
und  in  dieser  Stimmung  reitet  er  in 
da«  Burgundenland. 

In  Worms  sieht  man  ihn  an- 
kommen, weiss  aber  nicht,  wer  er 
ist.  Nur  Hagen  vermutet,  dass  der 
stattliche  Held  wohl  Siegfried  sein 
möge.  Er  erzählt,  wie  derselbe  in 
den  Besitz  des  Nibelungenhortes  ge- 
kommen sei,  indem  er  die  Kiesen 
Schilbung  und  Nibelung  erschlug 
und  700  Recken  ihres  Landes  be- 
zwang, wie  er  dem  Zwerg  Albrieh 
die  Tarnkappe  nahm  und  einen 
Drachen  tötete,  dessen  Blut  seine 
Haut  undurchdringlich  machte.  Die 
Könige  werden  dem  kühnen  Recken 
gewogen  und  empfangen  ihn  freund- 
lich, allein  Siegfried,  noch  ganz  unter 
dem  Eindrucke  beleidigten  Stolzes, 
weil  man  ihn  den  Burgunden  nicht 
gewachsen  gehalten  hat,  fordert  den 
König  Gunther  ungestüm  zum  Zwei- 
kampfe heraus;  auch  Ortwin  und 
Hagen  beleidigt  er.  Gernot  und 
Giselher  aber  vermitteln,  und  Sieg- 
fried denkt  dann  doch  auch  au  die 
herrliche  Jungfrau,  die  zu  gewiunen 
er  gekommen  ist.  Es  bildet  si<*h 
bald  ein  freundschaftliches  Verluilt- 
nis,  so  dass  Siegfried  ein  ganzes  Jahr 
in  Worms  bleibt.     Oft   sieht  ihn 


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Nibelungenlied. 


721 


Kriemhild  bewundernd  bei  den 
Ritterspiclen  von  den  Frauenge- 
mächern aus  und  bald  keimt  in  Dir 
die  Neigung  zu  dem  stattlichen 
Helden. 

Die  Könige  der  Dänen  und  Sach- 
sen sagen  den  Burgunden  den  Krieg 
an.  Diese  sind  in  grosser  Besorgnis, 
allein  Siegfried  erklärt  sich  bereit, 
den  Kampf  mit  Hilfe  von  1000  Rittern 
bestehen  zu  wollen.  Er  nimmt  gleich 
zu  Anfang  den  rekognoszierenden 
König  der  Dänen  samt  seinem  Ge- 
folge gefangen,  und  als  ihn  der 
Saehsenkönig  in  der  Feldschlacht  er- 
kennt, ergiebt  er  sich  verzweifelnd 
mit  seinem  Heere.  Boten  eilen  mit 
der  Siegesnachricht  heim.  Kriem- 
hild brennt  vor  Begierde,  von  den 
Thaten  des  herrlichen  Ritters  zu 
hören,  den  sie  im  Herzen  trägt,  aber 
sie  wagt  kaum  nach  einem  der  Boten 
zu  senden,  denn  sie  furchtet  zu  ver- 
raten, dass  ihre  Teilnahme  den 
Thaten  des  Geliebten  gelte.  Der 
Bote  schildert  den  Kampf  anschau- 
lich; immer  tritt  Siegfrieds  Helden- 
gestalt in  den  Vordergrund.  Die 
Jungfrau  lauscht  seinen  Worten  mit 
Begeisterung;  sie  freut  sich  wohl 
auch  über  die  Thaten  ihrer  Brüder, 
aber  ihr  Herz  ist  erfüllt  von  Sieg- 
frieds herrlichem  Bilde.  Nach  der 
Rückkehr  der  Kämpfer  bereitet  man 
sich  zum  Siegesfest,  und  um  dasselbe 
noch  glänzender  zu  machen,  lassen 
die  Könige  ihre  Schwester  Kriemhild 
zum  erstenmale  mit  ihrem  Gefolge 
vor  den  Rittern  erscheinen.  Da  putzt 
sich  mancher  junge  Ritter  und  hofft, 
dass  ein  schönes  Auge  wohlgefällig 
auf  ihm  verweilen  möchte.  Siegfried, 
der  Hauptheld,  wird  bestimmt,  die 
königliche  Jungfrau  zu  geleiten. 
Schüchtern  führt  er  sie  an  der  Hand, 
und  der  höfischen  Sitte  gemäss,  darf 
ihm  seine  holde  Begleiterin  auch 
einen  Kuss  gewähren.  Wie  mancher 
Recke  sieht  da  sehnsüchtig  nach  den 
Beiden!  Sie  dankt  ihm  für  den  Bei- 
stand, den  er  ihren  Brüdern  geleistet 
hat,  und  so  sind  sie  die  zwölf  Tage 

Keallexicon  der  deutschen  Altertümer. 


des  Festes  hindurch  in  traulichem 
Beisammensein.  Zum  guten  Schlüsse 
werden  die  gefangenen  Könige  nach 
dem  edelsinnigen  Vorschlage  Sieg- 
frieds ohne  Lösegeld  freigelassen. 

Gunther  hat  sich  Brünhilde,  die 
Königin  von  Island,  zur  Gemahlin 
ausersehen  und  bittet  Siegfried  um 
Hilfe  bei  der  gefahrvollen  Werbung. 
Dieser  sichert  sie  ihm  gerne  zu  und 
wagt  nun  endlich  auch  mit  seiner 
Werbung  hervorzutreten:  Kriemhild 
soll  sein  Lohn  sein.  Wohlgerüstet 
begeben  sich  die  Helden,  nachdem 
alle  Vorkehrungen  getroffen  sind, 
zu  den  Schiffen:  Kriemhild  bittet 
Siegfried,  ihren  Bruder  zu  schützen. 

In  Island  angekommen,  werden 
sie  von  der  Königin  empfangen, 
welche  Siegfried  für  den  werbenden 
König  hält,  er  weist  sie  aber  auf 
Gunther  hin,  für  dessen  Diem<tmann 
er  sich  ausgiebt  Dieses  grosse  Opfer 
bringt  er,  um  sich  unbemerkt  ent- 
fernen und  ihm  heimlich  beistehen 
zu  können,  ohne  dass  sein  Fehlen 
unter  den  Gästen  auffällt.  Nun  be- 
ginnen die  Kampfspiele,  in  denen 
Brünhilde  durch  Gunther  besiegt 
werden  muss,  um  ihm  als  Gattiu 
nach  Worms  zu  folgen.  Siegfried 
geht  zu  den  Schiffen  und  holt  die 
Tarnkappe,  welche  ihn  unsichtbar 
macht  So  verhilft  er  Gunther  zum 
Siege  und  stellt  sich  nachher,  als 
hätte  er  den  Spielen  nicht  beige 
wohnt. 

Brünhild  nimmt  von  den  Ihrigen 
Abschied  und  mit  günstigem  Winde 
segeln  sie  nach  Worms.  Siegfried 
eilt  als  Bote  voraus  und  wird  von 
Kriemhild  freudig  empfangen.  Sie 
entschuldigtsich,  sie  habe  kein  Boten- 
brot für  einen  so  reichen  König;  er 
aber  antwortet,  wenn  er  dreissig 
Lande  hätte,  so  würde  ihn  eine  Gabe 
aus  ihrer  Hand  glücklich  machen. 
Als  Gunther  angekommen  ist,  wird 
die  Vermählung  gefeiert  und  bei  der 
darauf  folgenden  Tafel  Kriemhild 
mit  Siegfried  verlobt,  indem  sie  die 
Ringe  wechseln.  Das  muss  der  Brün- 

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722 


Nibelungenlied. 


hilde  auffallen,  weil  sie  ja  Siegfried  Die  Gä*te  werden  wohl  empfan- 
für  einen  Eigenmann  Gunthers  hält,  gen;  Brünhild  wirft  verstohlen  man- 
Sie  befriedigt  sich  nicht  mit  den  ehen  Blick  auf  ihre  Schwägerin. 
Ausflüchten  Gunthers,  droht,  ihm  deren  Schönheit  Alle  überstrahlt, 
ihre  Minne  nicht  gewahren  zu  wollen  Schon  elf  Tage  dauert  das  Fest,  da 
und  bindet  ihm.  da  er  sich  ihr  im  sehen  die  Königinnen  einmal  zu- 
Braut gern  ach  liebewerbend  naht,  sammeudem  Wanenspielezu.  Kriem- 
Händc  und  Füsse  zusammen,  worauf 1  hild  ist  glücklich  über  die  Tbaten 
sie  ihn  an  einen  Nagel  hän^t.  Am  ihres  Gatten ;  ihr  liebendes  Herz 
Morgen  da  er  Siegfried  sein  Leid  fliesst  über  in  bewundernden  Worten, 
klagt  und  ihm  seine  geschwollenen  In  ihrem  Glücke  überhört  sie  die 
Hände  zeigt,  verspricht  ihm  dieser  Rede  der  Brünhild,  welche  hervor- 
scinen  Beistand.  Abend«  schleicht  hebt,  dass  er  eben  doch  Gunther* 
sich  Siegfried  von  seiner  Gemahlin  Leibeigener  sei.  Brünhild  wieder- 
weg  und  geht,  durch  die  Tarnkappe  holt  diese  Worte,  welche  Kriemhild 
unsichtbar  geworden,  in  Guuthers  einfach  dadurch  zurückweist,  dass 
Gemach.  In  gewaltigem  Ringen  be-  Gunther  sie,  seine  Schwester,  doch 
siegt  er  das  starke  \Veib,  das  ihn  gewiss  nicht  seinem  Leibeigenen 
für  Gunther  hält,  und  dieser  darf  vermählt  hätte.  Brünhilde  aber  wird 
sieh  nun  ihrer  Minne  erfreuen.  Sieg-  immer  bitterer,  und  nun  gerät  auch 
fried  nimmt  im  Übermute  einen  Ring  Kriemhild  in  Aufregung,  sie  stellt 
von  Brünhildens  Hand  und  ihren  Siegfried  sogar  höher  als  Gunther. 
Gürtel  mit  und  übergiebt  diese  Gegen-  Zornig  spricht  die  Burgundenkönigin : 
stände  seiner  Gemahlin.  „Ich  will  sehen,  ob  mau  dich  oder 
Siegfried  zieht  nun  mit  seiner  mich  mehr  ehrt.''  „Jawohl,"  ent- 
Gemahlin in  sein  Königreich.  Brün-  gegnet  Kriemhild,  „mein  Gatte  ist 
bilden  lässt  es  aber  keine  Ruhe,  dass  der  Trefflichste,  der  je  eine  Krone 
er  gar  keine  Zeichen  von  Unter-  trug."  Sie  trennen  sich,  um  sich 
thänigkeit  giebt,  keinen  Zins  ent- '  zum  Kirchgange  zu  kleiden.  Brün- 
richtet und  sich  nie  bei  Hofe  sehen  hild  mit  ihrem  Gefolge  ist  die  erste 
lässt.  Sie  verlangt  von  Gunther,  beim  Münster  und  erwartet  Kriem- 
dass  er  ihm  einmal  herzukommen  hild.  um  zu  sehen,  ob  sie  es  wagen 
befehle,  worauf  dieser  endlich  ein-  werde,  vor  ihr  die  Kirche  zu  be- 
willigt ihn  einzuladen.  Brünhild  er-  treten.  Dieselbe  naht  mit  ihrem  Ge- 
kündigt sich  eifersüchtig  bei  den  folge,  das  im  Glänze  seiner  Kleidung 
Boten,  ob  denn  Kriemhild  noch  immer  alles  überstrahlt.  Brünhild  ruft  ihr 
so  schön  sei.  Die  reichen  Geschenke,  zu:  „Nun  warte-,  vor  der  Köuigin 
die  ihnen  Siegfried  gespendet  hat.  soll  keine  leibeigene  Magd  gehen." 
erwecken  in  Hagen  den  Gedanken  „Schweige,"  entgegnet  die  aufs 
an  dessen  grossen  Schatz.  Er  war  höchste  gereizte  Kriemhild,  „du  bist 
von  ieher  von  Neid  gegen  Siegfried  ja  ein  Kebsweib;  wisse,  dass  dir 
erfüllt.  Früher  hatte  er  die  erste  mein  Manu,  nicht  Gunther,  das  Magd- 
Rolle  am  Hofe  der  Burgunden  ge-  tum  genommen  hat."  Darauf  schreitet 
spielt,  sein  Rat  war  die  letzte  Zu-  sie  mit  ihrem  Gefolge  ins  Münster 
flucht  der  Könige  gewesen,  seit  aber  und  lässt  die  weinende  Brünhild 
Siegfried  gekommen  ist,  sieht  er  sich  draussen  stehen.  Diese  wartet,  bis 
beiseite  gestellt.  Der  Besitz  eines  Kriemhild  zurückkommt  und  setzt 
Schatzes  verschafft  Macht,  mit  Gold  sie  zur  Rede.  Kriemhild  bekräftigt 
kann  man  Heere  werben,  und  es  ihre  Worte  durch  den  Ring  und  deu 
keimt  in  Hagens  Sinn  sofort  der  Gürtel,  den  sie  von  ihrem  Gemahle 
W  unseh.  Siegfried  beiseite  zu  schaffen  erhalten  hat.  Laut  weinend  lüssr 
und  den  Hort  zu  gewinnen.  Brünhild  ihren  Gatten  und  Siegfried 


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Nibelungenlied. 


723 


rufen,  welcher  seine  Unschuld  durch  rät  ihr,  ein  rotes  Kreuzchen  auf  die 
den  Reinigungseid  bezeugt.  j  Stelle  zu  nahen,  die  er  schützen 

Hagen  kommt  dazu  und  findet  solle.   Damit  hat  er  seinen  Zweck 
die  Zeit  höchst  günstig  für  seine  Ab-  erreicht  und  der  angebliche  Krieg 
sichten.    Unter  dem  Vorwaud,  die  wird  nun  wieder  abgesagt. 
Schmach  seiner  Königin  zu  rächen,       Bald  nachher  rüstet  man  sich  zu 
kann  er  den  verhassteu  Nebenbuhler  einer  Jagd,  die  am  Odenwalde  statt- 
beseitigen und  zugleich  den  Schatz  finden  soll.    Böse  Träume  haben 
gewinnen.    Er  rat  also  den  bur- !  Kriemhild  geängstigt,  sie  beschwört 
gundischen  Königen  Siegfrieds  Tod;  Siegfried,  dieses  Mal  zurückzublci- 
anders  könne  die  erlittene  Schmach  ben,  allein  er  lässt  sich  durch  ihre 
nicht  gesühnt  werden.    Sie  wollen  Besorgnis  nicht  abhalten.    Auf  der 
aber  nicht  darauf  eingehen;  Sieg-  Jagd  thut  er  Wunder  der  Kühnheit; 
fried  hat  ia  den  Reinigungseid  g^c-  er  fängt  sogar  einen  Bären,  bindet 
leistet  und  seine  vielfachen  Beweise  ihn  lebendig  und  hängt  ihn  an  den 
uneigennütziger  Freundschaft  sind  Sattel.    Alles  staunt  den  wunder- 
noch  in  frischer  Erinnerung.   Jetzt  liehen  Fang  an;  im  Lager  lässt  er 
tritt  Hagen  mit  seinem  eigentlichen  das  Tier  los,  das  sich  eiligst  flüeh- 
Gedanken  hervor:  „Wenn  uns  Sieg-  tet  und  dabei  unter  die  Kessel  und 
frieds  Tod  seinen  Schatz  verschaffte,  j  Töpfe  der  entsetzten  Köche  gerät, 
so  würde  sich  unsere  Macht  über  was  drollige  Szenen  veranlasst, 
alle  Lande  ausbreiten  !"  Gunther  ist       Hagen  bemerkt  plötzlich,  dass 
zu  unselbständig,  als  dass  er  Hagens  man  ja  den  Wein  vergessen  habe, 
Rat  ohne  weiteres  verwerfen  könnte,  kennt  aber  eine  nahe  Quelle,  die 
Er  weist  nur  darauf  hin,  dass  bei  den  Labetrunk  spenden  soll.  Gun- 
der  Stärke  Siegfrieds  doch  kein  Er-  ther  schlügt   einen  Wettlauf  mit 
folg  zu  hoften  wäre,  wenn  man  den  Siegfried  vor.    Dieser  nimmt  seine 
Plan  auch  ausführen  wollte.    „Das  Warfen,  Schild  und  Schwert  zur 
überlasst  nur  mir,"  spricht  Hagen,  Hand  und  legt  sich  sogar  auf  die 
,, dafür  werde  ich   schon  sorgen".  Erde,  während  Gunther  und  Hagen 
Er  weiss,  dass  Siegfried  eine  ver-  blos  mit  den  Hemden  bekleidet  zu 
wundbare  Stelle  hat  und  es  gilt  nun  laufen  beginnen.  Trotzdem  erreicht 
vor  Allem,  von  Kriemhild  zu  erfahren,  er  die  Quelle  zuerst,  wartet  aber 
wo  sich  dieselbe  befindet.  Zu  diesem  auf  Gunther,  um  ihm  die  Ehre  des 
Zwecke  ersinnt  er  eine  List;  er  lässt  ersten  Trunkes  zu  lassen.  Sorglich 
durch  eine  falsche  Botschaft  den  legt  er  ihm  den  Schild  zu  dem 
Burgundenkönigen  den  Krieg  an-  Vi  asser  hin,  damit  er  nicht  auf  die 
sagen.    Siegfried  bietet,  wie  zu  er-  Erde  knien  müsse.    Nachdem  Gun- 
warten  war,  sofort  seine  Hilfe  an,  ther  getrunken  hat,  kniet  Siegfried 
Kriemhild  aber  ist  in  höchster  Angst,  nieder:  „do  engalt  er  siner  zühte", 
denn  sie  fühlt  wolü,  dass  sie  eine  da  lohnte  man  ihm  seine  Liebens- 
feindliche  Stimmung  gegen  Siegfried  würdigt  eit  !     Hagen    schafft  alle 
hervorgerufen  hat.  Daher  sucht  sie  Waffen  schnell  bei  Seite,  ergreift 
Hagen,  der  am  meisten  zu  fürchten  einen  Speer  und  durchbohrt  Sieg- 
ist, zu  gewinnen.    Als  er  zu  ihr  fried  an  der  Stelle,  wo  das  rote 
kommt,  um  Abschied  zu  nehmen,  Kreuzchen  aufgenäht  ist.  Totwund 
gesteht  sie,  Unrecht  gehabt  zu  haben,  erhebt  sich  aer  Held,    mit  dem 
oittere  Reue  quäle  sie.  Sie  vertraut  Schild   schlägt  er   den  fliehenden 
ihm  auch  ihre  Besorgnis  an,  man  Hagen   nieder,   der   noch  nie  in 
möchte  ihre  Schuld  Siegfrieden  ent-  grösserer  Lebensgefahr  war.  Aber 
gelten  lassen  und  fleht  ihn,  denselben  Siegfried  ist  zu  schwach,  und  fällt 
zu  schützen.   Das  verspricht  er  und  in  die  Blumen  Mehr  als  die  Wunde 

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724 


Nibelungenlied. 


schmerzt  ihn  die  Treulosigkeit  als  neue  Herrin  in  Etzeinburg  ein. 
seiner  Verwandten,  und  es  ist  ruh- I  Ein  Söhnehen  beglückt  sie,  aber 
rend,  wie  er  bittet,  wenigstens  seine  j  ihre  Gedanken  weilen  doch  noch 
liebe  Gemahlin  wohl  zu  behandeln,  oft  am  Rhein;  sie  wünscht  ihn 
Niemand  wagt  es,  der  Kriem- 1  gute  Mutter  her  und  träumt  von 
hild  die  Trauerbotschaft  zu  über- 1  Giselher,  ihrem  jüngsten  und  lieb- 
bringeu;  Hagen  aber  zeigt  seine  '■  sten  Bruder. 

ganze  Roheit  und  legt  ihr  den  i  Zwölf  Jahre  sind  vergangen : 
Leichnam  gerade  vor  die  Schwelle,  i  noch  immer  betrauert  sie  Siegln  ed 
Als  sie  am  Morgen  die  Leiche  er-  in  ihrem  Herzen.  Sorglich  hat  sie 
blickt,  ist  ihr  Jammer  furchtbar.  Alles  vorbereitet  und  nun  soll  die 
Wie  Hagen  und  Gunther  zu  dem  i  Rache  über  Hagen  hereinbrechen. 
Toten  treten,  beginnen  die  Wunden  Sie  läcst  ihre  Brüder  durch  König 
wieder  zu  bluten,  jetzt  ist  kein  Etzel  in  das  Hunnenland  einladen 
Zweifel  mehr:  Brünhild  riet  die  und  trägt  den  Boten  noch  besonders 
That,  und  Hagen  ist  der  Mörder.    ,  auf,  doch  ja  dafür  zu  sorgen,  das> 

Rache,  blutige  Rache  ist  der  i  Hagen  mitkomme.  Die  Könige 
einzige  Gedanke,  der  im  Herzen  nehmen  trotz  der  Warnung  Hagem- 
des unglücklichen  Weibes  noch  die  Einladung  an  und  Hagen  ent- 
Raum  hat.  Mit  den  Brüdern  ver-  schliesst  sich  mitzugehen,  obgleich 
söhnt  sie  sich  zwar  wieder,  nicht  er  den  Plan  der  Kriemhild  dureh- 
aber  mit  Hagen.  Sie  lässt  den  schaut  und  weiss,  dass  es  besonders 
Nibelungenhort  nach  Worms  kom-  auf  ihn  abgesehen  ist.  Die  Boten 
men  und  wirbt  fremdes  Kriegsvolk  bringen  die  Nachricht  zu  den  Hun- 
damit,  was  ihre  Brüder  beunruhigt:  nen  und  Kriemhild  frohlockt,  da  sie 
sie  nehmen  ihr  den  Sehatz  und  vernimmt,  dass  Hagen  nicht  zurück 
ü beigeben  ihm  Hagen ,  der  ihn  zu  bleiben  werde. 
Loheim  in  den  Rhein  versenkt.  Hagen  ist  zu  stolz,  als  dass  er 

Etzel,  (Attila),  dem  seine  Gat-  den  Anschlügen  Kriemhilds  furcht- 
tin  gestorben  ist,  wirbt  durch  den !  sam  ausweichen  wollte,  da  doch  die 
Markgrafen  Rüdeger  um  Kriemhild.  Könige  die  Gefahr  nicht  fürchten. 
Hagen  rät  den  Brüdern  ab,  der  Er  muss  am  Zuge  teilnehmen,  wenn 
Werbung  Gehör  zu  schenken,  denn  er  nicht  für  feige  gehalten  sein 
alle  Macht  in  den  Händen  dieses  will.  Er  sieht  ein,  dass  dem  Ver- 
aufa tiefste  verletzten  Weibes  er-  hängnis  nicht  zu  entrinnen  ist  und 
scheint  ihm  gefährlich.  Allein  die  geht  ihm  trotzig,  die  Gefahr  selbst 
Brüder  willigen  ein.  Kriemhild  herausfordernd,  entgegen.  Ab  Ute, 
selbst  will  zuerst  nicht  darauf  ein-  die  Mutter  der  Könige,  ihre  Söhne 
gehen,  bis  ihr  Rüdeger,  der  nichts  beschwört,  nicht  fortzuzieheu,  da 
von  den  Verhältnissen  weiss,  schwört, '  ein  böser  Traum  ihr  Unheil  ver- 
ihr  stets  der  nächste  sein  zu  wollen,  kündet  habe ,  ist  Hagen  der  erste, 
der  ein  ihr  zugefügtes  Leid  räche,  der  sie  zurückweist  und  Weiber- 
Mit  ziemlich  kaltem  Abschied  träume  Thorheiten  nennt  Kine 
scheidet  sie  von  ihren  Brüdern  und  komische  Rolle  spielt  der  Küchen- 
reist  mit  dem  Markgrafen  dem  rech-  meister  Rumold,  der  Gunther  zu- 
ten  Donauufer  entlang.  Nach  dem  rückzuhalten  sucht  und  verspricht, 
freundlichen  Empfang,  den  ihr  Rü-  ihm  dann  immer  sein  Lieblingsge- 
degers  Familie  zu  Bechelaren  bc-  rieht  kochen  zu  wollen, 
reitet  hat,  trifft  sie  Etzel  an  der  Die  Donaunixen  weissagen  Ha 
Grcnze.  Die  achtzehntägige,  reiche  gen  auf  der  Reise,  dass  niemand 
Vermählungsfeier  findet  zu  Wien  ausser  dem  Kaplan  wieder  heim- 
statt  und  darauf  zieht  Kriemhild  kehren  werde.    Hagen  wirft  ihn  auf 


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Nibelungenlied. 


725 


der  Überfahrt  ins  Wasser,  um  die 
Prophezeihung  zu  prüfen.  Der 
Misshandelte  schwimmt  aber  wieder 
zurück  ans  Ufer,  wo  er  seinem  Ar- 
ger durch  weidliches  Schimpfen 
Luft  macht.  Jetzt  erkennt  Hagen, 
dass  er  richtig  vorausgesehen  nat; 
niemand  wird  seine  Heimat  wieder 
sehen,  und  er  zertrümmert  das 
Boot,  das  sie  übergeführt  hat.  Die 
Herren  des  Landes,  die  sich  ihnen 
in  den  Weg  stellen,  werden  besiegt; 
tlie  Schaar  zieht  weiter  und  trifft 
auf  den  Markgrafen,  der  die  Grenze 
behütet  und  sie  warnt 

Während  so  auf  allen  Seiten 
trübe  Wolken  den  nahenden  Sturm 
verkünden,  bricht  plötzlich  ein 
heller  Sonnenstrahl  hervor  und  zeigt 
uns  ein  liebliches  Bild,  den  reizend 
dargestellten  Aufenthalt  bei  Rüdeger 
in  Bechelaren.  Es  ist  allerliebst  ge- 
schildert, wie  die  schöne  Tochter 
Rüdegers  beim  Empfang  den  grim- 
migen Hagen  lieber  nicht  geltüsst 
hätte,  was  sie  doch  der  Etiquette 
gemäss  thun  muss.  Dagegen  ge- 
fällt ihr  der  junge  Burguuderkönig 
Giselher  sehr  gut.  und  die  gegen- 
seitige Neigung  führt  zur  Verlo- 
bung. Jeder  erhält  beim  Abschiede 
ein  Geschenk,  Gunther  eine  Rü- 
stung, Gernot  ein  Schwert,  Hagen 
einen  vortrefflichen  Schild.  Nur 
Giselher  erhält  nichts;  Rüdeger  hat 
ihm  ja  das  Beste,  was  er  besitzt, 
seine  schöne  Tochter  zu  eigen  ge- 

geben.    Er  giebt  seinen  Gästen  das 
releite,  damit  sie  sicher  bei  Etzel 
ankommen. 

Der  König  Dietrich  von  Bern, 
der  an  Etzels  Hofe  weilt,  reitet 
ihnen  entgegen  und  warnt  sie,  in- 
dem er  verrät,  dass  Kriemhild  den 
ermordeten  Siegfried  noch  immer 
beweine,  somit  sei  es  geboten,  auf 
der  Hut  zu  sein.  Hagen  spottet: 
.,lhre  Thränen  werden  ihn  wohl 
nicht  so  schnell  wieder  lobendig 
machen. ••  Kriemhild  geht  ihnen 
zum  Empfang  entgegen,  es  ist  ihr 
aber    nicht  möglich,   ihren  Groll 


ganz  zu  verbergen;  mit  Hagen 
wechselt  sie  bittere  Worte.  Die 
Burgunden  geben  die  Waffen  nicht 
ab,  und  zornig  sieht  die  Königin, 
dass  sie  gewarnt  worden  sein 
müssen. 

Hagen  und  der  Spielmann  Vol- 
ker, der  das  Schwert  eben  so  gut 
zu  führen  weiss,  als  den  Fieael- 
bogen,  sitzen  nachher  zusammen 
vor  dem  Saal  und  Kriemhild  geht 
an  ihnen  vorüber.  Volker  will  sich 
erheben,  wie  es  sich  geziemt,  Hagen 
aber  sa^t:  „Nein,  sie  könnte  glau- 
ben, wir  fürchten  sie."  Er  ent- 
blösst  vielmehr  sein  Schwert,  das 
Siegfried  einst  gehört  hat,  und  ent- 
gegnet der  Königin,  die  ihm  Vor- 
würfe macht,  kaltblütig:  „Ja  wohl, 
ich  habe  dir  Leides  genug  gethau: 
ich  habe  dir  den  Siegfriea  erschla- 
gen." Die  Ritter  im  Gefolge  der 
Königin  wagen  es  aber  nicht,  den 
Kampf  mit  den  Beiden  aufzuneh- 
men, und  so  geht  diese  günstige 
Gelegenheit  vorüber.  „Nehmt  das 
Eisengewand  und  ergreift  die 
Schwerter,"  ruft  Hagen  seinen  Ge- 
nossen am  Morgen  zu,  als  sie  zur 
Messe  gehen,  und  da  Etzel  sich 
darüber  wundert,  erwidert  er,  das 
sei  so  der  Burgunden  Brauch. 
Nachher  wird  turniert  und  Volker 
tötet  dabei  einen  der  vornehmsten 
Himuen;  Etzel  aber  beschwichtigt 
seine  Leute,  da  es  nur  ein  unglück- 
licher Zufall  gewesen  sei. 

Kriemhild,  die  vergeblich  Diet- 
rich von  Bern  und  seinen  Waffen- 
meister Hildebrand  gebeten  hat,  sie 
zu  rächen,  wendet  sich  nun  an  Blö- 
delin,  der  mit  seinen  Leuten  alle 
Knappen  in  der  Herberge  der  Gäste 
erschlägt.  Dankwart  tötet  ihn 
und  bannt  sich  einen  Weg  durch 
die  Feinde,  um  zu  seinen  Gefährten 
zu  gelangen,  die  mit  Etzel  im  Saale 
zu  Tafel  sitzen. 

Hier  hat  Hagen  den  Hunnen- 
könig gröblich  beleidigt  und  Alle 
sind  in  aufgeregter  Stimmung.  Plötz- 
lich erscheint  Dankwart  bluttriefend 


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720 


Nibelungenlied. 


vor  dem  Saal.  Da  fährt  Hagen  auf:  setzt  den  Schild  vor  den  Fuss  zum 
„.Jetzt  wollen  wir  dorn  König  seinen  Zeichen  der  Fehde.  Die  Helden 
Wein  bezahlen;44  Der  erste  Schlag  klagen:  Willst  du  deine  Tochter 
trifft  Etzels  Söhnlein,  dessen  Haupt  denn  schon  zur  Wittwe  machen?" 
in  den  Schoss  Kriemhilds  rollt,  ruft  ihm  Giselher  zu.  Hagen  zeigt 
Volker,  der  Spielmann,  fiedelt  mit  den  Schild,  den  er  von  ihm  al* 
seinem  Schwerte  ungefüge  Töne  auf  Gastgeschenk  empfangen  hat  und 
den  Leibern  der  Hunnen,  die  sämt-  der  ganz  zerhauen  ist.  Rüdeger 
lieh  erschlagen  werden.  Nur  Etzel  giebt  ihm  den  seinen  und  wünscht, 
und  Kriemhild  werden  von  Dietrich  dass  er  ihn  noch  in  seinem  Heimat- 
gerettet und  auch  Rüdegcr  mit  seinen  lande  tragen  möge.  Thranen  der 
Mannen  verlässt  den  Saal,  der  nun  Rührung  treten  den  Helden  ins 
von  Etzels  Mannen  rings  umzingelt  Auge  bei  diesem  letzten  Zeichen  von 
wird.  Hagen  wird  von  mehreren  |  Rüdegere  Treue  und  Freigebigkeit. 
Hunnen  bestanden  und  in  grosse  i  Dann  beginnt  der  Kampf.  Die 
Not  gebracht,  siegt  aber  schliesslich  Mannen  Rüdegers  und  die  Über- 
doch  immer.  Die  Burgundenkönige  bleibsel  des  burgundischen  Gefolges 
suchen  ihre  Schwester  zu  besänftigen,  fallen:  Rüdeger  und  Gernot  er- 
und  sie  ist  auch  zum  Frieden  bereit,  schlagen  sich  gegenseitig  und  wer- 
aber  nur  unter  der  Bedingung,  dass  den  von  den  Burgunden  tief  beklagt. 
Hagen  ausgeliefert  werde,  worauf  Dietrich  hört  von  dem  Tode 
die  Burgunden  natürlich  nicht  ein-  Rüdegers ,  seines  treuen  Freundes, 
gehen  können.  Da  lässt  Kriemhild  und  verlangt  zornig  den  Leichnam 
das  oberste  Stockwerk  des  Saales  heraus.  „Hole  ihn  selber",  ist  die 
anzünden;  die  Haupthelden  der  Be-  trotzige  Antwort.  Volker  fahrt  fort, 
lagerten  bleiben  aber  immer  noch  zu  höhnen  und  zu  spotten,  und  so 
am  Leben.  Das  Blut  steht  so  hoch  kommt  es  zum  Kampfe,  in  welchem 
im  Saal,  dass  die  niedersinkenden  Alle,  ausser  Dietrich  und  Hilde- 
Verwundeten  ertrinken,  und  auf  brand,  Guntherund  Hagen  fallen.  Za- 
Hagens  Rat  stillen  die  Helden  ihren  letzt  überwältigt  Dietrich  die  beiden 
Durst  damit.  Burgunden  und  bringt  sie  gebunden 
Jetzt  ist  noch  Rüdeger  übrig  von  vor  Kriemhild,  indem  er  ihr  Gnade 
den  hunnischen  Recken.  Der  König  für  die  kühnen  Recken  empfiehlt, 
bittet  ihn,  den  Streit  mit  den  Feinden  Sie  verlangt  von  Hagen  die  An- 
zu  bestehen,  und  so  kommt  der  !  gäbe  des  Ortes,  wo  der  Nibelungen- 
Markgraf  in  eine  verzweifelte  Lage  hört  verborgen  liegt.  Hagen  weiss 
Er  fleht:  „Nimm  mir  mein  Lehen,  wohl,  dass  Nichts  mehr  sein  Leben 
alles,  was  ich  besitze,  lass  mich  retten  kann,  will  der  Königen  aber 
betteln  gehen,  nur  fordere  nicht,  noch  den  letzten  Schaden  anthim: 
dass  ich  meinen  Gästen,  meinen  sie  soll  den  Ort  des  Schatzes  nie 
Freunden,  meinen  Verwandten  in  erfahren.  „So  lange  einer  meiner 
ihrer  Not  als  Feind  gegenübertrete!"  Herren  lebt,"  sagt  er,  werde  ich 
Da  erinnert  ihn  Kriemhild  an  den  den  Ort  nicht  verraten."  Da  lasst 
Eid,  den  er  ihr  geleistet  hat,  als  er  sie  ihrem  Bruder  das  Haupt  ab- 
um  sie  warb ,  dass  er  jederzeit  der  schlagen  und  zeigt  es  Hagen.  „Jetzt 
erste  sein  wollte,  der  ihr  Leid  räche,  ueiss  den  Schatz  niemand,  als  Gott 
Nun  kann  er  nicht  mehr  ausweichen,  und  ich;  und  du  wirst  seinen  Ort 
er  muss  sein  Schwert  gegen  die  nie  erfahren!'4  ruft  er  frohlockei.d 
ziehen,  die  mit  ihm  durch  die  eng-  aus.  Da  zieht  sie  Siegfrieds  Schwert 
sten  Bande  verbunden  sind.  Als  aus  der  Scheide  und  erschlagt  ihn. 
er  den  Burgunden  naht,  glauben  sie,  Ergrimmt  darüber,  dass  die  kühnen 
dass  ihnen  Hilfe  komme;  allein  er  Helden  durch  die  Hand  des  blut- 


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Nibelungenlied. 


727 


durstigen  Weibes  gefallen  sind,  dem  Resultate,  dass  das  ganze  Ge- 
dessen  wilde  Rache  so  viel  Unheil  dicht  aus  20  romanzenartigen  Liedern 
stiftete,  haut  Hildebrand  auch  sie  zusammengefügt  sei,  deren  Strophen- 
nieder.  So  nimmt,  was  in  Liebe  zahl  sich  immer  durch  7  teilen  lasse, 
und  Glück  begonnen  hat,  ein  bluti-  Diese  Volkslieder  wurden  seiner 
ges  Ende,  „als  ie  diu  liehe  leide  an  Zeitbestimmung  zufolge  etwa  um 
dem  ende  (ferne  qit."  1190—1210  gedichtet,  dann  mit  Zu- 
II.  Die  Frage  nach  dem  Hand-  sätzen  versehen  und  um  1210  zu 
xchriften  Verhältnis*,  womit  auch  die  einem  Ganzen  vereinigt,  wie  es  A, 
Frage  nach  der  Entstehung  des  Ge-  freilich  schlecht,  überliefert.  Der 
dichtes  zusammenhängt,  ist  noch  Verfasser  des  Textes  B  verbesserte 
keine  endgültig  gelöste.  Es  sind  die  rohe  Arbeit  und  sein  Text  wurde 
sehr  viele  Handschriften  vorhanden. ;  dann  in  C  um  1 220  noch  einmal 
Die  meisten  gehören  zu  der  Gruppe,  [  geglättet  und  verfeinert.  Lachmann 
welche  man  die  Vul^ata  zu  nennen  i  suchte  nun  aus  A  die  ältesten  Lieder 

f>flegt,  an  deren  Spitze  B,  die  St.  wieder  herauszuschälen,  von  denen 
j»alfer  Handschrift,  als  die  beste  er  annahm,  dass  sie  ganz  unver- 
stellt. Die  Hohenems-Müuchener  ändert  in  das  Epos  aufgenommen 
Handschrift  A  nimmt  in  dieser  seien.  Nach  allerdings  nicht  immer 
Gruppe  eine  eigentümliche,  sclbstän-  konsequent  durchgeführten  Krite- 
dige  Stellung  ein.  Weniger  zahl-  rien  erklärt  er  eine  Menge  Strophen 
reich  ist  die  Gruppe,  deren  Haupt-  für  unächt,  vom  Bearbeiter  hinzu- 
vertreter  die  Hdlhenems-Lassbergi-  gedichtet,  und  kam  so  zu  den  20 
sehe  Hdschr.  C  ist.  Liedern. 

Bodmer  wurde  zuerst  auf  die  Zuerst  trat  Holtzmann  (1854) 
Hdschr.  C  aufmerksam  gemacht  und  gegen  diese  Aufstellungen  Laeh- 
gab  deren  letzten  Teil  heraus,  Malier  manns  auf,  die  lange  Zeit  unange- 
liess  dann  auch  noch  den  vordem  fochten  geblieben  waren,  und  ihm 
Teil  abdrucken,  aber  nach  der  folgten  sogleich  mehr  Gelehrte.welche 
Hdschr.  A.  Bodmer  hielt  A  für  die  der  Kritik  Lachmanns  den  Vorwurf 
idteste  Hdschr.,  und  diese  Meinung  der  Befangenheit  in  einer  vorge- 
wurde  allgemein  angenommen,  ohne  fassten  Meinung  machten.  Wahrend 
dass  irgend  Jemand  einen  Beweis  sonst  in  der  Kritik  der  Grundsatz 
versucht  hätte.  Schon  Dornt  blieb  gilt,  dass  man  vom  besten  Texte 
es  nicht  verborgen,  dass  C  die  älteste  auszugehen  und  ,  sofern  nichts  da- 
der  uns  erhaltenen  Handschriften  gegen  spricht,  die  ältesten  Hand- 
ln. Lach  mann,  der  anfänglich  diese  Schriften  besonders  zu  berücksichti- 
Meinung  teilte ,  gelangte  später  zu  gen  hat,  so  war  in  diesem  Fall  von 
der  entschiedenen  Ansicht,  dass  die  Lachmann  das  umgekehrte  Verfahren 
spätere  Hdschr.  A  eine  ältere  Ge-  eingeschlagen.  Nur  die  Liedertheorie 
stalt  des  Textes  enthalte.  Den  Unter-  konnte  ihn  dazu  berechtigen,  nur 
suchungen  Wolfx  zufolge  sind  die  ho-  1  wenn  diese  feststand,  ergab  sich  A 
merisehen  Gedichte  als  Verknüpfun-  als  der  ursprüngliche  Text,  aber  die 
gen  einzelner  Lieder  zu  betrachten,  Liedertheorie  selbst  war  bloss  zu 
und  die  mehrfache  Vergleichung  des  stützen,  wenn  A  als  ursprünglich- 
Nibelungenliedes  mit  der  Ilias,  na-  ster  Text  angenommen  wurde.  Die 
mentlich  aber  die  vielen  inneren  Kriterien  für  die  Ausscheidung  der 
Widersprüche  in  der  Hdschr.  A,  Lieder  fand  man  zu  willkürlich  und 
wiesen  darauf  hin ,  zu  untersuchen,  die  Teilbarkeit  durch  7  in  der 
ob  «ich  nicht  auch  für  das  deutsche  Strophenzahl  ungenügend  begründet. 
Epos  das  gleiche  Verhältnis  nach-  Die  Ansichten  des  damals  bereits 
weisen  lasse.    Lachmann  kam  zu  verstorbenen  Lachmann  suchten  be- 


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728 


Nibelungenlied 


sonders  Müllen  hoff'  und  Lielienkron, 
in  neuerer  Zeit  auch  von  Muth  gegen 
diese  Angriffe  zu  verteidigen,  während 
WV/wflw;j*,anLachmann  anknüpfend, 
mit  einer  neuen  Ansicht  von  der 
Entstehung  des  Gedichtes  hervortrat. 

Holtzmann  gelangte  zum  Resul- 
tate, dass  C  den  Text  am  besten 
erhalten  habe,  während  B  und  A 
stufenweise  Verschlechterungen  des- 
selben seien.  Durch  Zamcke  wurde 
diese  Ansicht  besser  begründet,  da 
Holtzmanns  Ausführungen  noch  man- 
ches Unüberlegte  und  Flüchtige 
enthalten  hatten.  Seinen  Untersu- 
chungen zufolge  ist  die  Handschrift 
C  im  Beginn,  B  in  der  Mitte,  A 
gegen  das  Ende  des  13.  Jahrhun- 
derts geschrieben  worden.  Das  Ori- 
ginal des  Nibelungenliedes  ist  uns 
zwar  verloren,  aber  in  C  ziemlich 
treu  erhalten.  B  enthält  den  Text 
einer  grobkörnigeren  Bearbeitung, 
und  A  ist  durch  vielfache  Aus- 
lassungen und  Verschlechterungen 
aus  B  entstanden. 

Ein  anderer  Gegner  erwuchs  der 
Lachmann'schen  Ansicht  in  Barigeh. 
Auch  er  legt  A  keinen  massgeben- 
den Wert  bei,  stellt  das  Verhältnis 
von  C  und  B  aber  etwas  anders 
auf,  als  Zarncke.  Nach  ihm  sind 
C  und  B  Umarbeitungen  eines  ver- 
lorenen Originals;  dafür  spricht  na- 
mentlich der  Umstand,  dass  die 
Kombination  mancher  Lesarten,  wo 
die  beiden  Handschriften  im  Reime 
von  einander  abweichen,  Assonanzen 
ergiebt,  welche  C  und  B  offenbar 
in  reine  Reime  umzuwandeln  streb- 
ten. B  soll  dabei  mehr  Ursprüng- 
liches in  sich  schliessen,  als  C,  was 
Bartsch  durch  die  Untersuchung 
der  Metrik  in  den  Strophen,  welche 
nur  in  einer  der  beiden  Handschrif- 
ten stehen,  darzuthun  bemüht  ist 

Die  beiden  Bearbeitungen  gehen 
so  weit  auseinander,  dass  an  eine 
Rekonstruktion  des  Originals  nicht 
zu  denken  ist;  man  hat  sich  also 
an  eine  derselben  zu  halten.  Ob  C 
oder  B.  mehr  Ursprüngliches  er- 


halten haben,  ist  eine  noch  nicht 
endgültig  entschiedene  Frage :  für  B 
sprechen  mehr  äussere,  für  C  mehr 
innere  Gründe.  Allgemein  wird 
aber  anerkannt,  dass  C  die  weitaas 
schönere  und  feinere  Textesrezension 
in  sich  schliesse;  jedem,  der  das 
Nibelungenlied  des  ästhetischen  Ge- 
nusses we^en  lesen  will,  ist  C  in 
erster  Linie  zu  empfehlen. 

III.  Für  die  Entstehung  des  C^ed  icM- 
tes  sind,  den  Ansichten  über  das  Hand- 
schriftenverhältniss  entsprechend, 
ebenfalls  abweichende  Meinungen 
vorhanden.  Dass  der  Sagenstoff 
ursprünglich  in  einzelnen  Liedern 
verbreitet  war,  ist  durch  die  Lieder 
der  altern  Edda,  soweit  sie  die^n 
Sagenkreis  betreffen,  bezeugt,  dann 
aber  auch  noch  durch  zwei  wichtige 
Stellen  in  der  vita  Canuti  und  bei 
Saxo  Crrammatieus.  In  den  ersten 
Tagen  des  Jahres  1131  sucht  der 
deutsche  Sänger  Siward  den  Herzog 
Knud  Laward  von  Schleswig  vor 
der  hinterlistigen  Einladung  des 
dänischen  Königs  zu  warnen,  indem 
er  ihm  dreimal  den  vielbesungenen 
Verrat  der  Kn einbilde  an  ihren 
Brüdern  vorsingt.  Nach  Lachman» 
ist  das  Nibelungenlied  einfach  eine 
Verknüpfung  solcher  Lieder.  Za-r-ncke 
und  Bartsch  sehen  es  dagegen  als 
das  Werk  eines  einzigen  Dichtere, 
eines  fahrenden  Sängers  an,  der  nur 
den  Stoff  aus  den  alten  Liedern 
schöpfte.  Wilmanns  ist  in  neuerer 
Zeit  mit  einer  Ansicht  aufgetreten, 
die  derjenigen  Lachmann's  ähnlich 
ist,  aber  trotzdem  ganz  neue  Gesichts- 
punkte enthält.  Er  nimmt  an,  dass 
sich  Gedieh  te,  welche  einzelne  Haupt- 
helden des  Nibelungensa^eukreises 
zum  Mittelpunkt  hatten,  miteinander 
verbanden,  und  dass  diese  grösseren 
Dichtungen  wieder  ineinander  gear- 
beitet wurden.  Es  wäre  dies  also 
eine  Entstehung  durch  Kontamina- 
tion. So  geistvoll  diese  Anschauung 
ist,  so  fehlt  es  ihr  doch  au  über- 
zeugender Kraft,  und  sie  hat  sich 
wenig  Geltung  verschafft  (  Vgl.  Ger- 


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Nibelungenlied. 


729 


mania  XXIV,  201 )  und  die  anderen 
dort  aufgeführten  Rezensionen. 

IV.  über  die  Person  des  Dichters 
sind  manche  Ansichten  aufgestellt 
und  als  haltlos  zurückgewiesen  wor- 
den. Am  meisten  hat  die  Vermutung 
Pfeiffer 's  für  sich,  welche  dann  von 
Bartsch  verteidigt  wurde,  dass  das 
Gedicht  dem  Kürnberger  zuzuschrei- 
ben sei,  dessen  Minnelieder,  in  der 
Pariser  Handschrift  erhalten,  die 
Form  der  Nibelungenstrophe  zeigen. 
Diese  Ansicht  ist  aber  nicht  durch- 
gedrungen, da  sie  auf  zu  unsichern 
Boden  gebaut  ist. 

V.  Die  Zeit  der  Verbindung  jener 
20  Lieder,  aus  welchen  er  das  Epos 
zusammengefügt  sein  lässt,  setzt 
Lachmann  um  1190—1210.  Holtz- 
mann  stellte  die  Abfassung  des  Ni- 
belungenliedes ins  10.  Jahrhundert, 
was  entschieden  unhaltbar  ist;  nach 
Zarncke  ist  es  nicht  viel  vor  1200 
entstanden,  wie  sich  aus  Verskunst, 
Keim  und  Sprache  schliessen  lässt. 
Nach  Barisch  fällt  die  Entstehung 
des  Originals  in  die  Zeit  von  1140 
bis  1150,  da  Kürnberger  seine  Lieder 
um  diese  Zeit  dichtete.  Wer  aber 
die  Verfasserschaft  des  Kürnbergers 
für  das  Nibelungenlied  nicht  an- 
nimmt, für  den  fällt  auch  diese 
Datierung:  denn  das  Gedicht  selbst 
giebt  durchaus  kein  Recht  zur  An- 
nahme eines  so  hohen  Alters,  spricht 
vielmehr  eher  dagegen.  (Vgl.  Paul, 
Beiträge  III,  373.)  Die  beiden  Be- 
arbeitungen des  Originals,  welche 
durch  B  und  C  vertreten  sind,  weist 
Bartsch  der  Zeit  von  1190—1200  zu. 

VI.  Als  Ort  der  Entstehung  des 
Liedes  hat  man  allgemein  Österreich 
angenommen;  Zarncke  suchte  (1857) 
darzuthun,  dass  mehr  Wahrschein- 
lichkeit für  Tirol  spreche. 

VII.  Die  Strophe  besteht  aus  vier 
Langzeilen,  deren  jede  in  zwei  Hälf- 
ten zerfällt.  Jede  Hälfte  wird  durch 
drei  Hebungen  gebildet  und  die 
erste  hat  klingenden,  die  zweite 
stumpfen  Schluss.  Nur  die  letzte 
Hälfte  des  vierten  Verses  enthält 


vier  Hebungen  mit  stumpfem  Aus- 
gang. Solche  Verlängerungen  des 
Strophenschlusses  waren  im  12.  Jahr- 
hundert sehr  beliebt  Dieselbe  Stro- 

S'ienform  wurde   schon  von  dem 
innesinger  Kürnberger  verwendet. 
(  Minnesangs  Frühling  S.  7.) 

VIII.  Die  yihelunqen- Klage  ist  eine 
angehängte  Schlussdichtung  in  Reim- 
paaren und  in  den  meisten  Hand- 
schriften des  Nibelungenliedes  ent- 
halten, so  dass  dessen  Handschriften- 
verhältnis auch  für  die  Klage  gilt. 
Der  Inhalt  besteht  aus  einer  kurzen 
Wiederholung  der  Handlung,  welche 
der  zweite  Teil  des  Nibelungenliedes 
darstellt,  worauf  Klagereden  Etzel's, 
Dietrich's  und  Hildeorand's  um  die 
gefallenen  Helden  folgen.  Der  Spiel- 
mann Swemmel  bringt  die  Trauer- 
kunde nach  Bechelaren  und  Worms. 
Dietrich  zieht  mit  seiner  Gemahlin 
und  Hildebrand  heim  nach  Bern. 

In  den  kurzen  Erzählungen  der 
Kämpfe  hat  die  Klage  einen  ältern 
Text  des  Nibelungenliedes  benutzt, 
als  der  uns  vorliegende  ist.  Gestützt 
auf  die  Verse  4675—4702 ,  auf  die 
Untersuchungen  Zarncke 's  (Beiträge 
u.  s.  w. ,  1857)  und  Dümmler's  darf 
man  mit  höchster  Wahrscheinlich- 
keit folgendes  aufstellen:  Um  980 
Hess  der  Bischof  Piligrim  von  Passau 
durch  seineu  Schreiner  Kuourad  in 
lateinischer  Prosa  eine  Redaktion 
vom  zweiten  Teile  des  Nibelungen- 
liedes verfassen  und  die  Klage  eben- 
falls in  lateinischer  Prosa  anfügen. 
Darauf  fussend  schuf  ein  Dichter 
(vielleicht  derjenige  des  Biterolf) 
ein  Gedicht  in  Keimnaaren,  welches 
der  Dichter  des  Nibelungenliedes 
an  sein  Werk  anschloss.  Ausgaben 
von  Lachmann,  der  Nibelungen  Not 
und  Klage,  1326,  5.  Ausgabe  1870, 
Bartsch,  Die  Klage,  1875,  Edzardi, 
die  Klage  mit  vollständigem  kriti- 
schen Apparat,  Hannover  1875. 

IX.  Die  Verbreitung  der  Sage  war 
gross.  In  Deutschland  und  zwar 
wahrscheinlich  bei  den  Franken,  den 
Nachbarn  der  Burgunden,  entspruu- 


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730 


Nibelungenlied. 


gen,  wanderti'  sie  nach  dem  Norden  Schwester  gerettet  und  tötet  da? 
und  erwarb  sich  auch  dort  viele  Untier.  Um  einen  Rächer  für  den 
Freunde.  Dass  sie  im  Norden  nicht  Tod  ihrer  Brüder  zu  gewinnen,  ver- 
einheimisch war,  zeigt  sich  deutlich  wandelt  Signy  ihre  Gestalt  und 
tiarin,  dass  sie  auch  in  der  nordischen  zeugt  mit  ihrem  Bruder  Sigmund 
(»estalt  am  Rhein  spielt  und  mit  den  Sinfjötli.  der  also  von  väter- 
den  Namen  der  burgundischen  Hei-  licher  und  mütterlicher  Seite  Odin? 
den  verwachsen  ist.  Es  sind  zwei  Nachkomme  ist.  Im  Walde  verbor- 
Überführungen  der  Nibelungensage  gen  wächst  er  zum  tüchtigen  Recken 
nach  dem  skandinavischen  Norden  auf  und  verbrennt  mit  Sigmund  den 
zu  unterscheiden.  Siggeir  in  dessen  Burg.   Signy.  be- 

In  der  ersten  Hälfte  des  9.  Jahr-  friedigt,  die  Pflicht  der  Vaterraehe 

hunderts  war  die  Sage  im  Norden  erfüllt  zu  haben,  sucht  in  den  Flam- 

schon  bekannt  geworden,  und  ihren  men  des  Palastes  den  Tod.  Sigmund 

Inhalt  besangen  Lieder,  von  denen  vermählt  sich  mit  Borghild,  welche 

uns  ein  Teil  in  der  «Item  Edda  den  Sinfjötli  umbringt.    Dir  zweite 

aufbewahrt  ist.     Lücken ,   welche  Ehe  schliesst  Sigmund  mit  Hjöördis, 

diese  Lieder   im  Zusammenhange  der  Tochter  des  Königs  Eylimi  von 

der  Sage  lassen,  werden  durch  die  Frakkland    (Franken),    wird  von 

jüngere  Edda  und  die  Vöhuufiasaqe  Hunding  erschlagen  und  von  einem 

ausgefüllt,  die  in  der  zweiten  Hälfte  Sohne    gerächt.    Hialprek  nimmt 

des  13.  Jahrhunderts  verfasst  wurde.  Hjördis  gefangen  und  in  der  Ge- 

Um  die  Mitte  des  13.  Jahrhun-  fangenschaft  gebiert  sie  Sigurd,  von 

derts  wurde  die  Sage  zum  zweiten  dem  ihre  nachfolgende  Heirat  mit 

Male  nach  dem  Norden  gebracht  König  Alf  den  Makel,  in  der  Ge- 

und  nebst  anderen  um  Dietrich  von  fangenschaft,  also  unfrei  geboren 

Bern  gruppiert.    So  entstand  die  zu  sein,  nicht  wegnehmen  kann. 
Thidreksaqa.    Das   Nibelungenlied       b.    Gewinnung    des  Schatzes, 

lag  dem  Verfasser  dieser  Saga  in  Der  Zwerg  Audvari  hütet  in  Gestalt 

einer  Handschrift  der  Gruppe  B  eines  Hechtes  einen  Schatz.    In  der 

vor;  er  versuchte  aber  eine  Anglei-  Nähe  lebt  ein  Bauer,  dessen  drei 

chung  au  die  im  Nordeu  schon  vor-  Söhne  Otr,  Fafnir  und  Regin  heissen. 

handene  Sageufassung  herzustellen,  Der  erste  hält  sich  als  Otter  im 

wie  sie  sieh  infolge  der  ersten  Ent-  Wasser  auf,    der  zweite  ist  ein 

lehnung  der  Sage  verbreitet  hatte.  Drache,  der  dritte  ein  kunstgeübter 

Eine  Darstellung  der  nordischen  Zwerg.    Die  Götter  Odin,  Hönir 

$a<ien<jestalt wie  sie    aus  diesen  und  Loki  kommen  dahin,  und  der 

Denkmälern  resultiert,  ist  ziemlich  letztere  schlägt  die  Otter  tot.  AU 

schwer  zu  geben,  da  die  einzelnen  Sohnesbusse  verlangt  der  Bauer  so 

Quellen    sich  in    manchen  Zügen  viel  Gold,  dass  die  Otter  ganz  damit 

widersprechen.    Doch  lässt  sich  im  verdeckt  werden  kann.    Loki  fangt 

allgemeinen  folgendes  feststellen:  den   Andvari,   nimmt  ihm  seinen 

a.    Vorgeschichte.    Von  Odin's  Schatz  und  zuletzt  auch  noch  seinen 

Nachkomme  Völsung  stammen  Sig-  Ring,  an  den  der  Zwerg  wütend 

mund ,  seine  neun  Brüder  und  ihre  seinen  Fluch  heftet.    Den  ganzen 

Schwester  Signy.  Deren  Gemahl  Schatz  müssen  sie  als  Busse  hin- 
Siggeir  tötet  den  Völsung  und  lässt ,  geben ,  selbst  den  Ring  noch ,  der 

die  zehn  Söhne,  die  den  Vater  bald  seine  verderbliche  Wirkuni: 
rächen  wollen ,  im  Wralde  festbin- ,  zeict.   Es  entsteht  Streit  um  das 

den,  wo  sie  nacheinander  durch  ein  Gold  unter  dem  Bauer  und  seinen 

Ungetüm  getötet  werden.  Nur  Sig-  beiden  Söhnen,  sie  erschlagen  ihn. 

mund  wird  durch  die  Hilfe  seiner  Der   Drache    Fafnir    nimmt  den 


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Nibelungenlied.  731 


Schatz,  bei  dem  auch  ein  Helm,  sieh  und  sie  und  tauscht  dann  seine 
eine  Brünne  und  ein  treffliches  Gestalt  wieder.  So  wird  Brvnhild 
Schwert  liegt,  für  sich  allein  und  Gunnars  Gattin ;  sie  fühlt  sich  aber 
hütet  ihn  auf  einer  Haide.  Regin  immer  mächtiger  zu  Sigurd  hinge- 
schmiedet ein  vorzügliches  Schwert  zogen,  traurig  gehen  ihr  die  Tage 
und  bringt  es  Sigurd  ins  Franken-  dahin.  Eines  Tages,  als  sie  mit 
land  mit  der  Aufforderung,  den  Gudrun  ihn*  langen  Haare  am 
Drachen  zu  töten.  Dies  vollführt  Strande  wäscht,  erhebt  sich  Streit 
Sigurd  und  Regin  ist  nun  im  Besitze  unter  ihnen,  welche  die  Vornehmere 
des  Schatzes.  Er  verlangt  von  Si-  sei.  Zuletzt  hält  ihr  Gudrun  vor, 
gurd  als  Bruderbusse  ein  Zeichen  dass  sie  den  würdigern  Gatten  be- 
der  Dienstbarkeit,  er  soll  ihm  das  sitze,  denn  Sigurd  habe  das  Feuer 
Herz  Fafnir's  braten.  Dabei  kommt  durchritten.  Die  Wirkung  aufBryn- 
ihm  etwas  von  dem  Blute  an  seine  hild  ist  furchtbar,  nicht  nur  ihr  Stolz 
Lippen,  und  nun  versteht  er  die 1  ist  tief  beleidigt,  sie  ist  um  ihr 
Sprache  der  Vögel,  die  ihn  vor  Re- 1  Lebensglück  betrogen.  Es  bleibt 
gm's  Tücke  warnen.  Er  erschlägt  j  kein  andrer  Ausweg:  Sigurd,  der  ihr 
diesen  und  reitet  mit  Schatz  und  nicht  angehören  kann,  muss  sterben. 
Ring  davon.  Guthorm  ermordet  Sigurd  im  Bette. 

III.  Sigurd  und  Brynhild.  Sigurd  Jetzt  ist  sein  Betrug  gesühnt,  jetzt 
kommt  zur  Sigrdrifa,  einer  Walküre,  kann  ihm  Brynhild  angehören;  sie 
welche  Odin  wegen  ihres  Ungehor-  lässt  einen  Scheiterhaufen  errichten 
sams  in  Schlaf  versenkt  und  mit  und  verbrennt  sich  neben  ihm  als 
einem  Feuerkreis,  der  Waberlohe,  seine  rechtmässige  Gattin, 
umgeben  hat.  Sigurd  reitet  durch  IV.  Gudrun  und  Atli.  Der  König 
das  Feuer,  die  Walküre  lehrt  ihn  Atli  trachtet  darnach  den  Schatz 
die  Runen,  und  er  zieht  wieder  weiter.  Sigurds  zu  gewinnen,  den  jetzt 
Seinen  entflogenen  Falken  suchend, ■  Gunnar  und  seine  zwei  Brüder  be- 
kommt er  zu  einem  Turm ,  wo  er  sitzen.  Er  befehdet  sie,  und  zur 
die  Brynhild  mit  Sticken  beschäftigt  f  Besänftigung  erhält  er  die  Hand  der 
findet.  Von  ihrer  Schönheit  hinge-  Gudrun.  Allein  dies  beschwichtigt 
rissen,  verlobt  er  sich  mit  ihr.  seine  Gier  nicht.    Trotz  der  War- 

Weiter  ziehend  gelangt  er  an  nung  ihrer  Schwester  kommen  die 
den  Rhein,  wo  drei  Brüder  herrschen,  Könige  auf  Atlis  Einladung  in  dessen 
Gunnar,  Högni,  Guthorm.  Ihre  Land  und  werden  da  bis  auf  Gunnar 
Mutter  Grimhild  wünscht  ihn  zum  und  Högni  erschlagen.  Gunnar  er- 
Eidam und  giebt  ihmeinen  Vergessen-  klärt,  er  werde  das  Versteck  des 
heitstrank,  worauf  ersieh  mit  ihrer  Schatzes  nicht  nennen,  so  lange 
Tochter  Gudrun  verlobt.  Gunarwill  Högni  lebe.  Atli  lässt  diesen  töten, 
um  Brynhild  freien  und  Sigurd  ver-  worauf  Gunnar  als  einziger  Besitzer 
spricht  ihm  seine  Hilfe,  da  ihm  der  des  Geheimnisses  schwört,  dasselbe 
Vergessenheitstrank  alle  Erinnerung  nicht  verraten  zu  wollen.  Seinen 
an  seine  frühere  Verlobung  mit  ihr  Tod  rächt  Gudrun ,  indem  sie  ihre 
geraubt  hat.  Brynhild  erkennt  ihn  und  Atlis  Kinder  tötet  und  diesen 
auch  nicht  wieder,  fühlt  aber  grosse  in  seinem  Paläste  verbrennt. 
Neigung  zu  ihm.  Nur  der  soll  sie  Die  Jörmunreksaga  erzählt  die 
gewinnen,  der  durch  loderndes  Feuer  weitern  Schicksale  der  Gudrun,  aus 
reiten  kann.  Das  vermag  aber  nur  denen  sich  aber  nichts  Weiteres  für 
Sigurd,  welcher  deshalb  die  Gestalt  die  Nibelungensage  ergiebt. 
mit  Gunnar  tauscht  und  sich  mit  |  Für  die  Entsfehiuuisqeschichte  der 
Brynhild  verlobt.  In  der  Brautnacht  Sibelunffensage  ist  die  nordische 
legt  er  ein  blosses  Schwert  zwischen  Sagengestalt  sehr  wichtig.  EineVer- 


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732 


Nibelungenlied. 


gleichung  derselben  mit  der  deutschen 
zeigt  klar,  dass  in  der  nordischen 
Gestalt  mehr  Ursprüngliches  erhalten 
ist,  obwohl  die  Sage  ihre  eigentliche 
Heimat  in  Deutschland  hatte.  Da 
die  Christianisierung  im  Süden  viel 
energischer  betrieben  wurde,  ver- 
blassten  in  Deutschland  die  alten 
heidnischen  Götter  viel  schneller, 
als  im  Norden.  So  sind  viele  zur 
Handlung  notwendige  Züge,  wie 
z  B.  die  Walkürennatur  der  Brün- 
hild,  in  der  deutschen  Sage  verwischt. 
Auch  einzelne  historische  Züge  hat 
das  nordische  treuer  bewahrt. 

In  der  Entwicklung  der  Sagen 
und  Mythen  beobachtet  man  zwei 
Wege:  1.  Ein  vielbesungener  Held 
wird  von  derVolksphautasie  schliess- 
lich in  den  Götterhimmel  versetzt 
und  seine  Thaten  werden  zu  gött- 
lichen, das  heisst,  die  Sage  wird 
zum  Mythus  oder  2.  Göttergestalten 
verblassen  mehr  und  mehr,  sie 
werden  zu  Heroen  und  ihre  Thaten 
werden  ins  Menschliche  übertragen: 
der  Mythus  wird  zur  Sage.  Für 
den  ersten  Fall  ist  die  Geschichte 
des  Herkules,  für  den  zweiten  die- 
jenige Wodans  bezeichnend,  den 
wir  im  wilden  Jäger  und  zuletzt 
gar  in  der  Person  eines  Oberjäger- 
meisters von  Braunschweig  wieder- 
erkennen. 

Für  den  Kern  der  Nibelungen- 
sage ist  offenbar  die  zweite  Art  der 
Entwicklung  anzunehmen.  Was  für 
ein  Mythus  aber  zu  Grunde  Hegt, 
ist  unsicher.  Lachmann  nahm  an, 
es  sei  der  Baldr- Mythus,  und  der 
Grundgedanke  sei  der,  dass  das  Gold 
alle,  die  nach  ihm  streben,  der  Ge- 
walt finsterer  Mächte  weiht.  Gegen 
diese  Annahme  wenden  sich  Bugges 
Untersuchungen  über  Baldr  und  die 
Beobachtung,  dass  die  Mythen  sich 
auf  Vorgänge  in  der  Natur,  aber 
wohl  kaum  je  auf  ethische  Gedanken 
gründen.  W.  Müller  verglich  daher 
einen  Naturmythus,  denjenigen  von 
Freyr,  dem  Gott  der  Fruchtbarkeit 
Der  Grundgedanke  wäre  ihm  zufolge 


der  Kampf  zwischen  Winter  und 
Sommer  um  die  Erde. 

Mit  dem  Mvthenstoffe  vermischten 
sich  historische  Sagenzüge  aus  der 
Erinnerung  der  Franken,  bei  denen 
die  Sage  wohl  ihren  Ursprung  nahm. 
Im  Jahre  437  erlitten  die  Burgunden. 
die  südlichen  Nachbarn  der  Franken, 
eine  gewaltige  Niederlage  durch  die 
Hunnen.  Manche  Einzelheiten  dieses 
gewaltigen  Ereignisses,  welche  sich 
geschichtlich  nachweisen  lassen,  hat 
die  Nibelungensage  treulich  bewahrt. 
20  Jahre  nach  der  grossen  Schlacht 
flog  die  Kunde  durch  die  deutschen 
Gauen,  dass  Attila  tot  sei,  und  zwar 
habe  ihn  sein  eigenes  Weib,  die  II- 
dico,  getötet.  Ildico  ist  das  Demi- 
nutivum  von  Hilde  und  kann  wohl 
mit  Kriemhilde  identisch  sein.  Es 
mag  also  wohl  auf  historischen  Re- 
miniszenzen beruhen,  wenn  Kriem- 
hilde (deren  Namen  im  Norden  erst 
später  durch  Gudrun  verdrängt 
wurde)  ihren  Gemahl  Atli  (Attila) 
vernichtet.  Später  drangen  auch 
noch  Züge  aus  der  Dietrichsage  ein. 

So  lebte  die  Nibelungensage  fort 
ein  willkommener  Gast  bei  Hoch 
und  Niedrig,  bis  im  12.  Jahrhundert 
die  Sagen  fremder  Nationen  den 
Blick  der  vornehmen  Gesellschaft 
in  den  höfischen  Kreisen  auf  sich 
lenkten.  Von  da  ab  gehörte  das 
Singen  und  Sagen  dieser  volkstüm- 
lichen Epen  nicht  mehr  zum  feinen 
Ton  und  das  Nibelungenlied  zog  sich 
mit  seinen  stammverwandten  Dich- 
tungen in  den  Kreis  des  niedrige  rn 
Adels  und  des  Volkes  zurück,  dessen 
Schoss  es  entsprossen  war.  Die 
zahlreichen  Jahrmarktsdrucke  des 
Volksbuches  vom  hörnenen  Seifrid 
zeigen,  wie  lieb  ihm  der  Stoff  war. 
und  jetzt  noch  findet  man  dieses 
Volksbuch  auf  den  Jahrmärkten  feil- 
geboten, während  die  vornehmern 
Kreise  ihren  Irrtum  bereits  erkannt 
haben  und  stolz  darauf  sind,  dem 
vergötterten  Homer  ein  ebenbürtiges 
Kunstwerk  an  die  Seite  stellen  zu 
könuen,  dem  heimisches  Blut  in 


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Nimbus.  —  Nixen 


733 


den  Adern  schwungvoller  Verse 
schäumt. 

Ausgaben  auf  Grund  von  A  durch 
Lachmann,  der  Nibelungen  Not  und 
die  Klage,  Berlin  1826,  5.  Ausgabe 
1878;  nach  B  von  Bartsch,  das 
Nibelungenlied  1866,  4.  Auflage  1875. 
Eine  grosse  kritische  Ausgabe  mit 
sämtlichen  Varianten  und  Wörter- 
buch lieferte  auch  Bartsch,  der 
Nibelunge  Not,  2  Teile  1870-1880. 
C  legt  zu  Grunde  Zarncke,  das 
Nibelungenlied,  Leipzig,  1 856.  5.  Auf- 
lage 1875.  Ausser  einer  trefflichen 
Einleitung  findet  sich  hier  auch  ein 
vollständiges  Verzeichnis  aller  Schrif- 
ten über  Lied  und  Sage  und  sämt- 
licher Ausgaben.  R.  Sp. 

Nimbus,  Glorie,  Heiligenschein, 
kommt  schon  bei  den  alten  Hindus, 
Ägyptern,  Griechen  und  Römern  an 
Götter-  und  Heldenbildern  in  Ge- 
stalt einer  runden  Seheibe  um  das 
Haupt  vor.  In  der  christliehen  Kunst 
findet  dieses  symbolische  Zeichen 
des  sinnlichen  Glanzes  zuerst  im 
Orient  Aufnahme,  seit  dem  C.  Jahr- 
hundert ist  dasselbe  als  Attribut  der 
drei  Personen  der  Gottheit,  der 
Engel  und  Heiligen  allgemein  üblich 
und  je  nach  dem  Stande  der  Per- 
sonen klassifiziert  Bei  den  drei 
Personen  der  Gottheit  ist  der  Nim- 
bus mit  einem  Kreuze  bezeichnet, 
dessen  Mittelpunkt  und  unterer  Arm 
von  Kopf  und  Hals  bedeckt  sind; 
statt  des  kreisförmigen  Nimbus  oder 
auf  demselben  tragen  Gott  Vater 
und  Sohn  oft  drei  Lilien  oder  drei  [ 
Strahlenbündel.  Im  allgemeinen  ist 
bis  zum  12.  Jahrhundert  der  Nimbus 
eine  feine  Kreisfläche  oder  Scheibe ; 
im  12.  und  13.  Jahrhundert  wird  er 
dicker  und  grösser;  im  14.  und  15.  < 
Jahrhundert  verschwindet  allmählich ! 
die  Kreisfläche  und  bleibt  bloss  eine 
dünne  Kreislinie  übrig;  am  Ende  I 
des  15.  und  zu  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts gleicht  der  Nimbus  einer 
Kokarde  oder  runden  Kappe;  oft 
wird  er  auch  zu  einem  formlosen 
Lichtschein    vergeistigt,    der  als 


Strahlenglanz  namentlich  die  ganze 
Figur  der  Salvator-  und  Marienbilder 
umgiebt.  Im  frühern  Mittelalter 
wurden  übrigens  auch  Kaiser  und 
Könige  mit  dem  Nimbus  verschen. 
Auf  Gemälden  ist  der  Nimbus  meist 
golden  oder  gelb,  manchmal  be- 
zeichnet die  Farbe  eine  gewisse  Rang- 
ordnung der  Heiligen.  Nach  Ofte, 
Kunst -Archäologie,  §.  160. 

Nixen,  von  noch  unerklärter 
Ableitung  (ahd.  nihhus  bedeutet 
Krokodil  l  sind  Wassergeister,  mann- 
liehe und  weibliche,  mit  den  beson- 
dern  Namen  Nicker,  Nickel,  Nickel- 
mann, Wassermann,  Hakemann, 
Seemensch,  Wasserjungfern,  Was- 
serfräulein, Wassertrauen,  See  jung- 
fern,  Seeweibel,  Wasserlissen.  Sic 
hängen  mit  Wodan  zusammen,  der 
als  Wolken^eist  auch  Meergeist  ist. 
Der  männliche  Nix,  meist  bärtig 
und  alt,  mit  grünem  Hut  und  grü- 
nen Zähnen,  oft  auch  grünen  Haa- 
ren und  grünem  Bart,  lebt  meist 
einzeln  und  ist  sehr  bösartig;  seine 
klagende  Stimme  lässt  sich  beson- 
ders des  Abends  hören,  oft  wie  der 
Hilferuf  eines  Ertrinkenden,  um 
Menschen  heranzulocken:  sie  ist  oft 
so  verlockend,  dass  der  Mensch  un- 
widerstehlich nach  dem  Wasser 
hingezogen  wird  und  sich  hinein- 
stürzt. Sein  blosser  Blick  ist  ge- 
fahrlich und  zieht  Kinder  ins  Was- 
ser. Er  hat  Liebschaften  mit 
menschlichen  Mädchen  und  Weibern 
und  zieht  sie  ins  Wasser,  wo  sie  in 
der  Wassertiefe  in  einem  Krystall- 
palast  leben  und  mit  dem  Nix  Kin- 
der zeugen.  Die  weiblichen  Nixen 
sind  freundlicher;  sie  tauchen  mit 
dem  halben  Körper  aus  dem  Was- 
ser, die  untere  Hälfte  hat  die  Ge- 
stalt eines  Fischschwanzes  oder 
einer  Schlange.  Sie  erscheinen 
meist  des  Nachts  auf  dem  Wasser, 
unter  Brücken,  sitzen  aber  auch 
gern  an  der  Sonne  und  kämmen  ihr 
langes  Haar.  Sie  lieben  Tanz,  Ge- 
sang und  Musik,  singen  schön  und 
erscheinen,  in  ganz  menschlicher 


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734  Nomen. 

Gestalt,  bei  ländlichen  Tänzen  auf  der  Menschen  beraten  und  beherr- 
Hochzeiten ;  aber  ein   Zipfel  ihres  sehen.    Zwei  von  ihnen  sind  gut 
Kleides  ist  immer  nass.    Bisweilen  und  freundlich,  die  eine  ist  kreide- 
leben sie  auch  längere  Zeit  unter  weiss,  die  andere  trä^t  ein  rot  und 
den  Mensehen  verheiratet  und  ge-  weisses  Kleid,  die  dritte  Schwester 
baren  ihren  Männern  Kinder,  von  dagegen  ist  böse  und  furchtbar,  am 
denen   das  siebente  dem   Wasser  Körper  schwarz,  mit  feurigen  Äußren, 
gehört;  manchmal  ziehen  sie  ihre  Die  Nomen  sind  wie  im  Ganzen 
Geliebten  mit  ins  Wasser,  wo  sie  die  Göttinnen  überhaupt,  von  der 
mit   ihnen   Kinder   erzeugen,    die  Grundgestalt  der  Wolkenfrau  aus- 
aber  immer  Sehwimmhäute  zwischen  gegangen,  wobei  sich  an  die  schwarze 
den  Zehen  haben.    Sie  lassen  etwa  Wolke  die  Idee  des  nächtigen  To- 
auch  ihre  so  gewonnenen  Männer  des,  an  die  weisse  die  Idee  der  Ge- 
nach einiger  Zeit  wieder  auf  die  burt  und  Heirat  knüpfte.    Aus  der 
Erde  zurückkehren,  bringen  auch  Schar  der  Wolkenfrauen  traten  nun 
ihr  neugeborenes  Kind  hinauf  zu  diei  besondere  Sehicksalsgöttinneu 
den  Menschen,  um  es  von  diesen  hervor,  von  denen  zwei,  die  Vertre- 
aufziehen  zu  lassen ;  ist  es  erwachsen,  terinnen    der  lkhtweisseu  Wolke, 
so  fordern  sie  es  zurück  oder  ziehen  vorzüglich  bei  Geburt  und  Hochzeit, 
es  gewaltsam  ins  Wasser.    Gern  die  Jungfrau  der  schwarzen  Wolke 
saugen  sie  Kindern  das  Blut  aus  beim  Tode  die  Schicksalsmacht  aus- 
und  sperren  ihre  Seele  unter  um-  iibte;  eine  Erinnerung  an  die  drei 
gekehrte  Töofe,  die  ins  Wasser  ge-  Schwestern  ist  in  dem  weirverbrei 
worfen  wurden,  und  zwingen  sie,  teten,  mancherlei  Variationen  unter- 
selbst  Nixe  zu  werden.     Oft  for-  liegenden  Kinderliedchen  enthalten, 
dem  sie  alljährlich  ein  Mensehen-  dessen  eine  Form  z.  B.  lautet: 
leben.    Auch  haben  sie  selbst  Hän- ,  Sonne,  Sonne  schein! 
del   untereinander.     Wasserfrauen  pa}lr  üDer  jen  Rhein 
werden  von  Wassermännern  in  au-  Fahr  über  dag  goldne'  Haug 
dere  Gewässer  entfuhrt.    Sie  kön-  Da  schauen  drei  alte  Jungfrauen 
nen  sieh  in  grosse  Kröten  verwan-  heraus, 
dein.   Vielfach  berühren  sie  sich  mit  Eine  8pinnt  Seide, 
den  Zwergen.    Nach  Wuttke,  deut-  pio  amlre  wickelt  Weide, 
scher  Volksaberglaube,  §  54-56.  l)ie  dritte  geht  ans  Brünnchen. 

dornen  heissen  in  altnordischer  Tränkt  ein  goldenes  Kindchen. 
Sprache  die  Schicksnlsgöttincn  ;  der 

Name  ist  noch  nicht  genügend  er-  .  Eine  oberdeutsche  Form  ist: 
klart;  beiden  Angelsachsen heissensie  Kite,  rite,  Kössli. 
Met/ena,  d.  h.  die  abmessenden,  ab-  «'  Bad«  s*0"*  e  Schlössli, 
wägenden,  oder  1  V^/m,  alts.Tf  'urthi.  ^e  stoht  e  goldis  Hus, 
Sie  werden  oft  als  Spinnerinnen  ge-  Lueget  drei  Mareie  dms. 
nannt;  doch  ist  die  griechische  Vorstel-  Di  eint  spmnt  Side, 
hing  voneinemSpinnen  und  Abschnei-  Die  ander  schnätzlet  Chride, 
den  des  Lebensfadens,  wie  dies  den  Die  dritt  spinnt  Haberstrau, 
Parzen  zugeschrieben  wird,  auf  deut-  Ulmet  mer  Gott  mis  Chindli  au. 
schein  Gebiete  nicht  nachweisbar.  Ab-  An  die    sächsische  Schicksals- 
bilder ihres  Gespinstes  erkannte  man  göttin    Yyrdh  oder    Wurth ,  d.  h. 
im  feinen  Gespinste  des  Spätsom-  das  Gewordene,  die  Vergangenheit, 
mers,  der  deshalb  Mädchentom  mer,  scheint  sich  die  Vorstellung  ange- 
Ai 'teireibersom mer  heisst.  In  Ba Vera  schlössen  zu  haben,  dass  sie,  be- 
heissen  die  SehicksalsgöttinnenZ/eiV-  rufen    in    der   Schlacht   die  zum 
rätinnen,  d.  h.  Wesen,  die  das  Glück  Tode   bestimmten    Männer  auszu- 


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Noten.  —  Novelle. 


735 


suchen,  selbst  ihrem  Opfer  einen  Noten,  siehe  Musik. 
Speer  oder  spitzen  Nagel  in  den  Novelle.  Mit  diesem  in  Deutsch- 
Kopf  treibe  und  es  so  in  ewigen  land  erst  seit  dem  18.  Jahrhundert 
Schlaf  versenke.    Eine  Erinnerung  aufgekommenen   Namen,   der  ur- 
daran  ist  die  alte  spinnende  Frau,  sprünglich  von  den  Italienern  auf- 


del  sticht,  und  die  Königin,  welche  Erzählung  bedeutet,  benennt  man 
Schneewittchen  eine  Blume  oder  in  der  Literaturgeschichte  ver- 
einen Kamm  in  das  Haar  steckt,  schiedene  Erscheinungen,  die  darin 
worauf  beidemal  Schlaf  oder  Tod  zusammentreffen,  dass  es  schrift- 
erfolgt. Nach  einer  andern,  höhern  stellerische  Erzeugnisse  erzählender 
Auffassung  wohnten  die  7'urdhen  Natur  sind,  welche,  kürzeren  Um- 
als  Beisitzerinnen  dem  Göttergericht  fangs,  von  geringerer  Verwicklung, 
bei  und  sprachen  als  Schöninnen  leichten  Inhaltes,  die  Phantasie  au- 
das  Urteil  aus,  welches  als  ewiges  genehm  reizen.  Sie  stehen  im  Ge- 
Schicksal jedem  Menschen  zukommt.  gensatz  teils  zur  eigentlichen  Historie, 
Ahnlich,  nur  weiter  ausgebildet,  teils  zur  alten  Sage  —  mhd.  niutee 
haben  die  nordischen  Deutschen  meiere  im  Gegensatze  zu  alten  mae- 
ihre  Normen  entwickelt;  hier  sind  reu  — ,  teils  zur  ausgeführten  Epo- 
es  ihrer  drei:  Urdhr,  d.  i.  Vergan-  pöie;  auch  das  Element  des  Spottes 
genheit,  dasselbe  Wort  wie  Wurth,  und  Witzes  ist  ihnen,  gegenüber 
die  älteste ;  Verdhandi,  d.  i.  Gegen-  dem  würdigern  Ernste  der  altem 
wart,  die  zweite,  und  Skuld,  oder  epischen  Dichtungen,  eigen,  und  der 
Zukunft  die  jüngste.  Sie  sind  aus  Umstand,  dass  hier  dem  Verfasser 
dem  See  unter  der  Esche  Ygydrasil  freie  Erfindung  des  ganzen  Inhaltes 
hervorgestiegen,  sitzen  nun  zwischen  gestattet  ist,  was  (He  ältere  Epik 
den  Zweigen  des  Weltbaums  oder  ebenfalls  nicht  kannte.  Auf  die 
au  ihrem  Fusse,  und  hüten  den  !  äussere  Form,  ob  Verse  oder  Prosa, 
Lebensborn,  der  unter  einer  der  kommt  es  ursprünglich  nicht  an: 
drei  Wurzeln  des  Baumes  liegt  je  nachdem  sich  die  Novelle  aus 
und  Urdharbrunnen  heisst.  Mit  verschiedenen  ältern  Erscheinungen 
seinem  heiligen  Wasser  begiessen  entwickelt,  bedient  sie  sich  dieser 
sie  Tag  für  Tag  den  Weltbaum,  oder  jener  Form, 
der  davon  immer  grün  in  ewiger  I  Lateinisch  geschriebene  Xorellen 
Jugend  prangt.  Mit  weissem  Ne-  i  findet  man  als  anmutige  Geschich- 
bel  begossen  sendet  die  Esche  den  ten,  Anekdoten  und  Legenden  schon 
Tau  in  die  Thaler  der  Erde;  die !  früh  zerstreut  bei  den  ältern  Ge- 
Bienen nähren  sich  davon.  Die  J  Schichtschreibern  des  Mittelalters; 
Nornen  legen  hier  die  Gesetze,  er-  in  reicherer  Zahl  beisammen  zuerst 
kiesen  den  Zeitenkiuderu  das  Le- !  in  dem  Policraticus  des  Johann*r>on 
ben,  urteilen  beim  Götterricht,  das  Salisburu,  1159  dem  Kanzler  Tho- 
sich  täglich  unter  der  Esche  ver- 1  mas  Becket  gewidmet.  Johann  war 
sammelt.  Ihr  Spruch  ist  unabwend-  in  Frankreich  ein  Schüler  Bern- 
bar,  sie  steigen  selbst  zur  Erde  hards  von  Clairveaux  gewesen  und 
nieder,  um  seine  Ausführung  zu  sein  Werk  war  dazu  bestimmt,  den 
bemerken;  sie  fordern  hilfreich  das  Kanzler  au  seine  Pflichten  gegen 
Licht  der  Sonne ,  treten  an  die '  die  Kirche  zu  mahnen,  wozu  denn 
Wieg«'  des  Menschen  und  neben  zahlreiche  Erzählungen  dienen  soll- 
die  Bande ,  welche  sein  künftiges  ten.  Eine  Nachahmung  dieses  Bu- 
Gcschick  umspannen  sollen.  Mann-  ches  ist  das  Werk  des  Wal f her  Map 
hardt,  Götter  der  deutschen  und  De  nugis  Curiafium,  welches,  dem 
nordischen  Völker.    S.  321—328.  fanatischen  und  habsüchtigen  Klerus, 


welche  Dornröschen  mit  ihrer  Spi 


bracht  wurde  und  so  viel  als  neue 


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736 


Novelle. 


namentlich  aber  dem  Cistercienser-  Vertiefung,  einen  idealen  Auf- 
Orden Feind,  mit  Märchen  und  schwung  des  Geistes  verlangt,  so 
Geschichten ,  Sittenschilderungen  wollte  man  sich  jetzt  nur  noch  reizen- 
und  moralischen  Betrachtungen  ge-  den,  schnell  wechselnden  Unter- 
pen sie  ankämpft.  An  demselben  eng-  haltungsstoff  gefallen  lassen,  span- 
lisch-französischen  Hofe  lebte  Ger-  nende  Neuigkeiten,  Novellen.  E>er 
vasius  von  Tilbury,  auch  am  Hofe  des  Gegensatz  zur  höfischen  Dichtung 
deutschen  Königs  Otto  IV.  eine  Zeit  liegt  ferner  darin,  dass  das  Gesotz 
lang  im  Amt,  der  für  König  Hein-  der  höfischen  Zucht  jetzt  zum  Ge- 
rich den  jüngeren  ein  Liber  face-  genstande  des  Witzes  und  Spottee 
Harum  schrieb.  Auf  deutschem  wird.  „Diese  Komik  ergreift  nun 
Boden  erwuchs  der  Dia loau*  mira-  schonungslos  alle  Kreise  und  Ver- 
cuhrum  des  Caesarius  von  Heister-  hältnisee  des  Lebens,  nichts  ist  ihr 
hach,  eines  Kölners  im  Cistercienser-  heilig,  unantastbar.  Im  Königssaale 
Kloster  Heisterbach  unweit  Bonn,  wie  in  der  Bauernhütte  ist  sie  zu 
der  eine  ausserordentliche  Fülle  Hause,  auch  die  Klostermauer  und 
namentlich  geistlicher  Geschichten,  selbst  die  Kirchenthüre  schliessen  sie 
Wunder,  Visionen  zusammenschrieb,  nicht  aus,  besonders  gern  aber  reibt 
Siehe  über  die  genannte  Gruppe  sie  sich  an  faulen  ehelichen  und  ge- 
lVattenbach,  Geschichtsquellen,  Ad-  schlechtlichen  Verhältnissen  im  all- 
schnitt V,  §  24.  |  gemeinen :  die  Ehemänner  scheinen 
Anderer  Art  sind  die  seit  |  nur  da  zu  sein,  um  von  ihren 
dem  13.  Jahrhundert  auftretenden  Weibern  und  deren  Liebhabern. 
deutschen  Sovel len\  sie  sind  vor-  nicht  selten  Pfiffen,  betrogen  zu 
läufig,  im  Anschluss  an  die  episch-  werden,  und  die  Töchter  wetteifern 
höfische  Dichtung,  in  Reimpaaren  mit  einer  Lüsternheit  und  Koketterie, 
geschrieben ,  ihr  Stoff  entweder  die  gern  die  Maske  der  Naivität  ver- 
erfunden oder  dem  in  den  un-  mummt,  galanten  Rittern  oder  fah- 
teren  Volksschichten  längst  vor-  renden  Schülern,  jungen  Geistlichen, 
handenen  gangbaren  Erzählungsstoff  wo  nicht  gar  einem  verstellten 
entnommen,  wobei  man  im  ganzen  Thoren,  von  dem  Verschwiegenheit 
leicht,  im  einzelnen  oft  schwer,  zu  hoffen,  ihre  Gunst  zu  erweisen, 
solche  Geschichten  unterscheiden  Roheit  und  Frivolität  sind  die  Ex- 
kann,  die  von  Anfang  an  deutschem  treme,  in  die  diese  Komik  gern  ver- 
Boden entstammen,  und  solche,  die  ,  läuft,  und  wenn  die  ritterliche  Dich- 
aus der  Fremde  kommen;  eine  reiche  tung  mit  dem  Weibe  einen  läcber- 
Strömung  von  Erzählungsstoff  wälzt  liehen  Götzendienst  getrieben,  so 
sich  im  Mittelalter  aus  Indien,  na-  erfreut  man  sich  jetzt  daran,  zu 
mentlich  den  buddhistischen  Län-  hören,  wie  ein  roher  Mann  seine 
(lern,  über  Arabien  und  Persien  in  widerspenstige  Gattin  und  Schwieger 
den  Occident,  so  zwar,  dass  er  auf  mit  sehr  hanagreif  liehen  Argumenten 
seinen  Wanderungen  und  Etappen  zum  Gehorsam  bekehrt".  Lambel, 
mit  Leichtigkeit  der  Denk-  una  Er- ;  Erzählungen  und  Schwänke,  1872. 
zählungsweise  desjenigen  Volkes  sich  Einleitung  VIII.  Eine  besondere 
anschmiegt,  das  ihm  bei  sich  das  Rolle  spielt  hier  der  Kampf,  den  der 
Bürgerrecht  schenkt.  Standen  die  niedere  Klerus  und  die  unteren 
obengenannten  Novellen  den  eigent-  Stände  gegen  die  herrechende  Geist- 
liehen Geschichtswerken  entgegen,  |  lichkeit  und  den  Adel  begannen, 
so  stellen  sich  die  deutschen  No-  Durch  den  Druck  ihrer  Oberhirten 
vellen  in  Gegensatz  zu  den  höfischen  sahen  sie  sich  gezwungen,  mit  List 
Epopöien;  hatten  diese  vom  Hörer  und  Betrug  ihr  Leben  zu  fristen, 
eine  willige  Hingebung,  liebevolle  und  gegenüber  der  Macht,  der  tiber- 


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Novelle. 


787 


legencn  Freiheit  und  Gelehrsamkeit 
ihrer  Gegner  und  Unterdrücker 
nahmen  sie  unter  der  Maske  der 
Einfalt  und  Naivität  zur  LLst  und 
zum  angeborenen  Mutterwitze,  zum 
Narrenturn  ihre  Zuflucht,  wobei  mit 
Vorliebe  eine  grobe  Derbheit  hervor- 
gekehrt wurde. 

Ks  lässt  Hieb  dem  Gesagten  gc- 
miiss  erwarten,  das«  die  Dichter,  die 
hier  in  Betracht  kommen,  nieht  dem 
adeligen  Stand  angehören  werden: 
es  sind  vielmehr  Bürgerliche,  Hand- 
werker, fahrende  Sänger  und  Spiel- 
leute.  Von  vielen  der  erhaltenen 
.Novellen  kennt  man  den  Dichter 
überhaupt  nicht. 

Folgende  Gruppen  lassen  sich 
unterscheiden: 

1 .  Seh  irr nke*a m m l ><  ngen ,  deren 
Heid  ein  Mitglied  de*  niedrigen 
Klent*  isl,  welcher  sieh  durch  seine 
derben  Spässe  an  dem  vornehmen 
und  hochmütigen  Gebahren  seiner 
Oberen  rächt;  dahin  gehören  der 
ITaJ/e  Ami*  von  St-ricker,  der  Pfqffh 
com  Kolmberg  von  Philipp  Frank- 
furter zu  Wien. 

2.  Au*  dem  Orient  herrührende 
Xorel1en*ammlnngen.  welehe  teils 
durch  mündlichen Verkehr  der  Kreuz- 
fahrer, der  Araber  und  Mongolen, 
teils  dun  h  jüdische  und  arabische 
Schriften  nach  Europa  kamen.  Auf 
Grund  dieser  entstanden  zunächst 
lateinische  Übersetzungen,  aus  denen 
die  Stotf'c  dann  in  die  Volkssprachen 
übergingen.  Die  Hauptquelle  ist  die 
indische  Sammlung  ß'anfschatantra, 
die  Benfei/  Ubersetzt  und  kommen- 
tiert hat,  Leipzig  1859.  Die  be- 
rühmtesten lateinischen  Sammlungen 
sind  die  Diseiplina  eferieali*  des 
Petrus  Alfons!,  das  Buch  mm  den 
*iehen  wei*cn  M*i*(ern ,  die  Gvsta 
Romanorum  (siehe  überall  die  be- 
sonderen Artikel  ),  und  die  obgenann* 
ten  Liber  face  darum  des  Gervasius 
und  J>ialo<jus  miraeuhrum  des  Cä- 
sarius  von  Helsterbach. 

3.  Aus  solchen  lateinischen 
Büchern,  zumeist  aber  aus  den  seit 


der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts  an 
den  französischen  Höfen  beliebten 
J'ahliaiuc  schöpften  nun  deutsehe 
Dichter  die  Vorbilder  zahlreicher, 
oft  leichtsinniger  und  schlüpfriger 
Erzählungen,  die  ihrer  Entstehung 
nach  meist  ins  13.  und  den  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts  gehören.  Schon 
früh  wurden  grössere  Sammlungen 
solcher  gereimter  Novellen  angelegt; 
gedruckt  sind  u.  a.  der  Kolaczaer 
Kodex  altdeutscher  Gedichte,  von 
Mailath  und  Köffinger,  Pesth,  1807; 
Bd.  1  —3  von  Lassbergs  Liedersaal, 
1820—1825;  Von  der  Hägens  Ge- 
samtaben teuer  1K50,  und  Latnbel, 
Erzählungen  und  Schwänke  1872. 
Indem  wir  auf  diese  Sammlungen 
selbst  verweisen,  stellen  wir  hier 
blos  die  Titel  einiger  Erzählungen 
zusammen,  da  sich  schon  daraus  der 
Charakter  dieser  Stücke  einiger- 
ma8scn  erraten  lässt:  Wiener  Meer- 
fahrt, das  Hüslein,  der  Fischer  und 
der  Pfaft'e,  die  alte  Mutter  und 
Kaiser  Friederich,  Kittertreue,  die 
Konigin  von  Frankreich  und  der 
ungetreue  Marschall,  die  Heidin,  der 
Kozze,  der  Wcinschwelg,  der  Wein- 
schlund, derSchülerzu  Paris,  Frauen- 
turnei,  der  Weltheilige,  Aristoteles 
und  Fillis,  Alten  Weibes  List,  die 
halbe  Birn,  der  müneh  der  ein  kint 
truor,  der  entlaufene  Hasenbraten, 
ron  den  ledigen  teilten,  der  Ritter 
unterm  Zuber,  die  Fischreusen,  da: 
maere  ron  dem  *pertcaere,  das  Gäns- 
lein, das  Sehneekind,  die  Beichte, 
die  Meierin  mit  der  Geiss,  das 
Schretel  und  der  Wasserbär;  zu  den 
merkwürdigsten  gehört  }  frier  Jfefm- 
l>rechty  gegen  1250  von  Wem  her  dem 
Gartenaere  gedichtet. 

Erst  dem  Ende  des  1 4.  und  dem 
15.  Jahrhundert  gehören  an:  Der 
Ritter  von  Staufenberg,  Schwanke 
de-«  Hans  Folz,  Barbiere rs  zu  Nürn- 
berg um  1480,  von  dem  man  auch 
Fastnachtspiele  hat,  Metzen  Hoch- 
zeit, Pyramu8  und  Thisbe.  der  König 
im  Bade  von  ltan*  RotenbltU,  der 
ebenfalls   zugleich  Fastnachtspiele 

47 


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738 


Novelle. 


verfasste,  der  Brennenberger.  das 
Meerwunder,  Virgilius  im  Korbe. 
Der  letzte  Ausläufer  dieser  Dichtun- 
gen ist  Hans  Sachs  mit  seinen  Schwän- 
ken ,  mit  ihm  geht  dieser  Litteratur- 
zweig  auf  deutschem  Boden  aus. 

4.  Novelle»  oder  Schminke  in 
Prosa  nehmen  ihren  Hauptausgangs- 
punkt  aus  Italien,  wo  sich  unter  der 
Herrschaft  der  Renaissance  und  na- 
mentlich hervorgerufen  und  unter- 
stützt vom  Charakter  der  italienischen 
Gesellschaft  die  Prosa-Novelle  rasch 
zu  einer  höchst  beliebten  Litteratur- 
gattung  erhebt.  Die  Stoffe  sind  zum 
Teil  die  alten,  zu  denen  Erfindung 
und  Erfahrung  immer  wieder  Neues 
hinzuthut.  Ihre  Wirksamkeit  beruht 
einesteils  auf  den  Spott  und  Witz, 
in  welchem  sich  die  gesteigerte  In- 
dividualität dieser  Periode  mit  Vor- 
liebe Luft  macht.  „Es  sind  meist 
keine  eigentlichen  Geschichten,  son- 
dern Antworten,  die  unter  gewissen 
Umständen  gegeben  werden,  horrible 
Naivitäten,  womit  sich  Halbnarren, 
Hofnarren,  Schalke,  liederliche  Wei- 
ber ausreden;  das  Komisch«'  liegt 
dann  in  dem  schreienden  Gegensatz 
dieser  wahren  oder  scheinbaren 
Naivität  zu  den  Verhältnissen  der 
Welt  und  zur  gewöhnlichen  Mo- 
ralität;  die  Dinge  stehen  auf  dem 
Kopf.  Alle  Mittel  der  Darstellung 
werden  zu  Hilfe  genommen,  auch 
z.  B.  schon  die  Nachahmung  be- 
stimmter obcritalienischer  Dialekte. 
Oft  tritt  an  die  Stelle  des  Witzes 
die  bare,  freche  Insolenz,  der  plumpe 
Betrug,  die  Blasphemie  und  die  Un- 
Häterei."  Burckhardt,  Renaissance, 
Abschnitt  II.  Die  andere  Wirkung 
stützt  sich  auf  die  schöne  Form,  der- 
gestalt, dass  Boccaccio  mit  seinen 
Novellen  sich  den  Namen  eines  Be- 
gründers der  italienischen  schönen 
Prosa  zu  erwerben  vermochte;  es 
hängt  das  damit  zusammen,  dass  auch 
auf  diesem  Gebiete  klassische  Mu- 
ster vorlagen,  namentlich  sogenannte 
Apophthcgmata  des  Plutarch  u.  A. 
Die  älteste  Novellensammlungder  Ita- 


liener sind  die  Cento  norellc  a  ntiche.&xv 
nochzu  Ende  des  13.  Jahrhundertsent- 
standen sind,  die  einflussreichste  der 
Dckamerone  uud  das  lateinisch  ver- 
fasste  Buch  von  den  ftcruhmten 
Frauen,  de  claris  mulieribu*  des» 
Boccaccio.  Auf  deutschem  Boden 
hat  es  diese  Gattung  nie  zu  einer 
klassisch  -schönen  Form  gebracht, 
schon  darum  nicht,  weil  die  deutsche 
Prosa  des  16.  Jahrhunderts  eigent- 
liche sehönc  Formen  kaum  kannte; 
ihr  standen  Kraft,  Wahrheit  und  Na- 
tur höher  als  Schönheit.  Es  wardah«r 
hier  mehr  der  witzige  Inhalt,  der 
sich  in  der  Novelle  geltend  machte, 
mit  Ausnahme  lateinisch  geschrie- 
bener Sammlungen,  unter  denen  die- 
jenige des  F.rasmus  «las  meist«*  An- 
sehen geuoss.  Im  einzelnen  lassen 
sieh  noch  verschiedene  Gruppen 
unterscheiden:  Übersetzungen  und 
Bearbeitungen  älterer  Sammlungen, 
w  ie  der  (iesta  Romano™  in  und  der 
sieben  weisen  Meister,  dann  Über- 
setzungen der  italienischen  Novellen, 
des  Dekamerone,  zueist  Ulm  1472; 
und  nachher  oft  wiederholt,  de« 
Buches  von  den  berühmten  Frauen, 
zuerst  Augsburg  1471  von  Hei  mich 
S(f  inhöirt  l ;  sodann,  für  Gelehrte  und 
Studenten  bestimmt,  die  Facetten 
(siehe  den  besondern  Artikel»,  welche 
wieder  als  ( 1  cschwtth  verdeutscht 
wurden,  und  endlich  eine  Anzahl 
volkstümlich  deutscher,  meist  sehr 
beliebter  Sehwanksarnmlungen,  die 
von  allen  den  genannten  Gruppen 
und  (Quellen  abhängig,  gewöhnlich  ein 
besonderes  Lesepublikuin  im  Auge 
hatten:  An  der  Spitze  steht  das 
Novellenbuch  des  Johannes  l\iuli. 
Schint/if 'und  Frust,  d.  h.  Seherz  und 
Ernst;  der  Verfasser,  dessen  ur- 
sprünglicher Name  Paul  Pfeders- 
heitner  lautet,  war  ursprünglich 
Jude,  liess  sich  taufen,  trat  in  d<  n 
Barfüsserordcn ,  der  ihn  1518  zum 
Lesem«'ister  im  FranziskanerkloMer 
zuSchlettstadt,  1518zuThan  machte, 
wo  er  um  1530  starb.  Seine  Samm- 
lung, zuerst  1522  zu  Strassburg  ge- 


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Oblate. 


730 


druckt,  enthält  etwa  700  Schwanke; 
Ausgabe  von  Osterley,  Bd.  85  der 
Bibliothek  des  lit.  Vereins  in  Stutt- 
gart. Von  Jöty  H'irkram  aus  Kol- 
mar  im  Elsass  stammt  das  Rolhrarfcn- 
biirhlein.  Ein  neuws,  vorunerhörtes 
Büchlein,  darin  vil  guoter  schwenk 
und  historien  begriffen  werden,  so 
man  in  schiffen  und  auf  den  roll- 
wegen  (  Markt wagen, Omnibus),  dess- 
gleiehen  in  scherheuscren  und  bad- 
stuben,  zuo  langweiligen  Zeiten  er- 
zellen  mag,  die  schweren  inelaneo- 
lischen  gemüter  damit/.ur  ermüntern, 
vor  aller  menigklich,  jungen  und  alten, 
sunder  allen  nustoss  zuo  lesen  und  zuo 
hören,  allen  kauHeuten,  sodieinessen 
hin  und  wieder  brauchen,  zur  einer 
kurzweil  an  tag  bracht  und  zuosamen 
gelesen  durchJörg W'iekrauunen,statt- 
schreiberzuo  Burckhaim.  Anno  1555. 
Neu  herausgegeben  und  mit  Erläute- 
rungen versehen  von  Heinrich  Kurz, 
Leipzig  l*6s. — Dief  utrtcnrjexrf /schaff 
dc&Jaroh  Frt  9,Sta<  1  tseh  reiber  z.Maurs- 
münster  in  Elsass:  Ein  new  hüpsches 
und  schiinptlichs  Büchlein,  genannt 
die  Gartcngescllschaft,  darin  vil  frö- 
liehs  gesprächs,  sehimpfreden,  spei- 
werk  und  sonst  kurzweilig  bossen 
von  historien  und  fabulen  gefunden 
werden,  wie  sie  zuo  seifen  die  selben 


in  den  schönen  gelten,  hei  den  külen 
brunnen,  auf  den  grünen  wisen,  bei 
der  edlen  musik,  auch  andern  ehr- 
lichen Gesellschaften,  (die  schweren 
verdrossnen  gemüter  wieder  zuo  re- 
eitieren  und  aufzuoheben)  frölich 
und  freundlich  geredt  und  auf  diu 
bau  werden  gebracht.  Erste  Aus- 
gabe 1550.  —  Wtq-h'ürtzrr  des 
Martin  Mnntanux  von  Strassburg, 
ein  sehr  schön  lustig  und  aussder- 
massen  kurzweilig  Büchlein,  darin 
vil  schöne  lustiger  und  kurzweiliger 
historien,  in  gärten,  zechen  und  dein 
Feld  sehr  lustig  zu  lesen.  —  Michael 
Linde/irr,  Kafzipori ,  darin  newe 
inugken,  seltzutne  grillen,  unerhörte 
tauben,  visierliche  zotten  verfasst 
und  begriffen  sein,  durch  einen  guoteu 

•  companen,  allen  guoten  schluekern 
zuo  gefallen,  zusammen  getragen 
155N.  —  Sachtbiichlcin ,  zu  nacht 
nach  dem  allen  oder  auf  wegen  und 
Strassen  zu  lesen,  von  Valentin 
Schumann,  schriftpresser,  der  gehurt 
von  Leiptzig  155«.».        U't iitiunnutt 

,  von  Hans  H'i/hc/m  Kirchhof,  erste 
Ausgabe  Frankfurt  a  M.  1563;  neue 
Ausgabe  von  <  Jsterley  in  Bd  95 
bis  911  der  Bibliothek  de* litt.  Vereines 
in  Stuttgart.  Vgl.  die  Litt.  Gesch. 
von  Waekernagel  und  Goedeekc. 


o. 

Oblate  oder  Hostie,  lat.  oJda/a,  i  ehen,  die  das  Abendmahl  nicht  ge- 
ithlia,  obfarfia.  ob/cta%  hi>stia,fnrmafa,  nossen ,  im  Refektorium  vor  «lein 
mit  uns  ccclcitiatticHtn,  panis  benedie-  Essen  gereicht,  auch  etwa  d«1  Toten 
fns,  saneta  species  heisst  die  aus  auf  die  Brost  gelegt  und  mit  in  den 
Weizenteig  gebackene  Waffel,  die  Sarg  gegeben.  Seit  dein  15.  Jahr- 
seit  dem  II.  Jahrhundert  an  der  hundert  f  kennt  man  Oblaten, 
Stelle  des  üblichen  runden  Brotes  Schweiz.  Of/tc/rn,  auch  J/ii/>cn  und 
als  Leib  Christi  bei  der  Messe  gc-  Ifipe/t  genannt,  als  Name  eines  sprö- 
iiossenwird.  Die  erstere  Benennung  den  braunen  Gebäckes,  «bis  aus 
wendet  man  auf  die  ungeweihtc,  die  einer  papierdünnen  runden  Scheibe 
zweite  auf  die  geweihte  Waffel  an.  von  2-  :t  Zoll  Durchmesser  besteht, 
Sie  wird  mittels  des  Ilosficnciscns  auf  dem  Arabesken  oder  Familicn- 
geprägt  und  trägt  anfänglich  ein  wappen  abgedrückt  sind.  Von  den 
Kreuz  oder  ein  Monogramm  Christi,  zum  Erstellen  solcher  Gebäcke  not- 
VOm  13.  Jahrhundert  an  ein  Kruzifix  wendigen  Ofdatcnciscn  sind  einige 
mit  Kreuzestitel.  Gesegnete  (nicht  Exemplareabgebildet  im  Anzeiger  für 
geweihte)  Oblaten  wurden  den  Mön    Kunde  d.  d.  Vorzeit.    ls7T.    S.  'J5H. 

47* 


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740 


Ochsenzunge.  —  Ofen. 


Ochsenzunge    hiess    ein    circa  ans  griech.-lat.   eaminu*  -  Feuer- 

0,4.*»  in  langer  Dolch,  der  von  der  statte,    Zimmerherd;    daher  mhd. 

Bürgerschaft  bis  zu  Ende  des  Mittel-  *  1  i« ■  kernen  Ate  =  heizbares  Zimmer, 

alter«  viel  getragen  wurde.  wie  mhd.  sfnbe,  nhd.  Stube,  aus  ital. 

Octaviaiuis  hcis>t  der  Held  eines  stuft'  —  Einrichtung  zw  warmem 
nach  französischer  Quelle  bearbci  Baden,  Badstube,  Ofen,  entstanden 
teten  Volksbuches,  das  dem  karo-  ist;  die  Etymologie  des  Wortes 
(logischen  Sagen  kreise  angehört  Die  \  Ofen  ist  unsicher.  Die  beiden  For- 
ernte 1535  erschienene  Ausgabe  führt  inen  der  Heizeinrichtitng  teilen  sich 
den  Titel:  Eine  schöne  und  kurz-  nun  so  in  Europa,  das«  der  Süden 


wellige  Histori  von  dem  Keyser 
Octaviano,  seinem  weih  und  zweien 
Bttnen,  wie  die  in  das  eilend  ver- 
schickt und  wunderbar  lieh  in  Frank- 
reich bei  dein  frumm«  n  König 
Dagobert  widerumb  zusammen  kom- 


wnd  Westen  mit  England,  Holland 
und  Ostfriesland  «lern  Kamin,  die 
slavfech.cn  und  germanischen  Länder 
dem  Ofen  huldigen.  Im  Baurisse 
des  Klosters  St.  Gallen  ans  dem 
9.  Jahrhundert,  siehe  den  Artikel 


men  sind.  Neulich  aus  frantz.  sprach  Klotteranlafieu ,  sind  drei  verschie- 
iu  teutsch  verdolmetscht  dene  Heizsysteme  angedeutet,  das 

Odin,  siehe  Wvotan.  I  römische  Hypokaustum  unter  dem 

Ofen.  Er  entsteht  aus  dem  ur- [  Direktorium,  im  Wohnsaal  der  Novi- 
alten  steinernen  Herde,  welcher  der  zen  und  im  Krankensaal,  sodann  die 
heilige  Mittelpunkt  des  Hauses  war,  einfache  Herdeinrichtung,  loeus  fori. 
die  alte.  Opfemtättc ,  der  Altar  des  in  der  Mitte  des  Speisesaales  der 


Hauses.  Manches  von  der  ursprüng- 
lichen Heiligkeit  des  Herdes  ist  da- 
her spater  auf  den  Ofen  überge- 
gangen; Herd  und  Ofen  gehören  der 
Holle;  die  junge  Ehefrau  und  eine 
neue  Magd  wird  beim  Betreten  des 


Fremdenwohnung,  und  zahlreiche 
<  »fen  von  länglich  runder  Form  in 
den  Ecken  der  Stuben.  Die  höfischen 
Dichter  erwähnen  sowohl  des  Ofens 
als  des  Kamins,  dessen  mittelhoch- 
deutscher Name  finrrttme,  Feuer- 


Hauses  zuerst  dreimal  um  den  Herd  rahme  ist.    Das  Material   für  die 

geführt.      In    der    Xeujahrsuaeht  i  Ofen  des  Mittelalters  scheinen  thou- 

guekeu  die  Jungfrauen  in  den  Ofen  gebrannte  und  glasierte  Kacheln  ge- 

und  gewahren  darin  das  Bild  des  wesen  zu  sein;  während  die  ältesten 

zukünftigen  Bräutigams;  daher  der  bekannten  eisernen  Öfen  schwerlich 

Kinderspruch:    „Lieber  Ofen,   ich  über  das  Jahr   1400  hinaufgehen, 

bete  dich  an,  du  brauchst  Holz  und  findet  man  schon  auf  den  Darstel- 

ich   ein'  Mann"!     In    Sagen   und  hingen  vom  Ende  des  13.  Jahrhun- 


Märchen  wird,  z.  B.  bei  den  ver  derts  den  Kachelufem\  die  ältesten 
schiedcncnsngcuanntcnMordnächtcu ,  erhaltenen  Kacheln  werden  dem 
(Zürich,  Eu/ern  und  an  anderen  14.  Jahrhundert  zugewiesen  und  ent- 
Orten)  dem  Ofen  gebeichtet  halten  in  kräftigem  Kelief  figürliche 

Die  ursprüngliche  FormderFeuer-  Darstellungen,  Minueszcnen,  Tierge- 
stättc  war  der  einfache,  auf  Stein-  stalten,  Jiigdbilder  u.  dgl.;  ganze 
platten  erhöhte  Herd;  das  Wort  Ofen  sind  z.  B.  erhalten  auf  der 
Herd  selbst  bedeutet  sowohl  den  Veste  zu  Salzburg  mit  gotisch  stili- 
Boden  (obgleich  es  mit  Erde  nicht  sierten,  fast  freistehenden  ßlumen. 
verwandt  ist)  als  die  Feuerstätte,  vom  Jahre  141K),  und  auf  Schloss 
Aus  der  ältesten  Form  entstanden  Tirol  bei  Meran. 
nun,  als  sich  der  Kochherd  von  der  1  Zahlreicher  sind  die  aus  der 
Heizeinrichtitng  trennte,  einerseits  Renaissance  erhalteneu  Kachelöfen, 
der  Kamin,  anderseits  der  Ofen;  die  namentlich  in  der  Schweiz  im 
Kamin,    mhd.  der  kamt»,  kemin,  •  16.  und  17.  Jahrhundert  eine  hohe 


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741 


ßlüteperiode  gehabt  haben.  Ihrer 
Anlagenach  bestehen  sie  aus  einem 
unteren,  breiter  vortretenden,  auf 
Füssen  ruhenden  Teile,  über  welchem 
ein  schmalerer  turinähnlicher  Ober- 
bau aufragt,  der  nicht  selten  durch 
zinnenartige  Bekrönung  ausdrück- 
lich al»  Turm  charakterisiert  ist. 
Der  breite  Unterbau,  der  die  Feue- 
rung aufzunehmen  hat,  steht  mit  der 
Wand  in  Verbindung,  da  das  An- 
heizen von  Aussen  her  stattfindet. 
Die  enge  Ecke  zwischen  Wand  und 
Ofen  wird  fast  immer  zur  Anlage 
eines  erhöhten  Sitzes  benutzt,  zu 
welchem  man  über  zwei  breite 
Stufen  gelangt.  Nicht  bloss  die 
Kacheln  des  ganzen  <  »fengebäudes 
wurden  nun  mit  plastischem  Schmuck 
oder  farbiger  Zier  bedeckt  sondern 
auch  die  Wandflächen  des  Zimmers 
in  der  Nähe  des  Ofens  erhielten 
ihre  Bekleidung  mit  gemalten 
Kacheln,  und  selbst  ein  Teil 
des  Fussbodens  wurde  mit  glasierten 
Fliesen  belegt.  Ks  lassen  sich  in 
der  Geschichte  der  Schweizer  Kachel- 
öfen drei  Stadien  unterscheiden,  die 
aber  nicht  durchaus  nacheinander, 
sondern  teilweise  nebeneinander 
herrschen,  in  der  ersten  Epoche 
erscheint  der  Ofen  rein  als  archi- 
tektonisches Werk  behandelt  und  mit 
plastischen  Gliederungen  ausge- 
stattet; seine  Gesamtform  ist  meist 
rund,  doch  kommen  auch  einfach 
viereckige  vor.  Er  ist  in  der  Regel 
einfarbig,  da  die  Kacheln  fast  durch- 
gängig nur  die  grüne  Bleiglasur 
Beigen.  In  der  zweite»  Epoche  wird 
der  Ofen  zum  plastischen  Kunstwerk  -, 
wahrend  Gesamtform  und  einfarbige 
Glasur  meist  unverändert  bleiben, 
erhalten  die  Kacheln  in  stark  vor- 
tretendem Relief  allerlei  figürlichen 
Schmuck.  Die  dritte  Entwicklunqs- 
stufe  giebt  den  Ofen  in  die  Hände 
der  Malerei;  das  plastische  Element 
in  Gliederungen  und  Verzierungen 
wird  zurückgedrängt,  während  die 
reiche  Farbenpracht  zunimmt.  Die 
grüne  Bleiglasur  verschwindet;  die 


Kacheln,  die  jetzt  grösser  werden, 
erhalten  einen  milchweißen  Email- 
grund, auf  weichem  die  Darstellungen 
farbig  gemalt  erscheinen.  Ein  schönes 
Blau  bildet  die  Grundlage  der  Zeich- 
nung; daneben  kommt  gelb,  grün, 
violett  und  schwarz  zur  Anwendung. 
Die  Öfen  dieser  Periode  beginnen 
mit  ziemlich  reicher  polychromer 
Entfaltung,  werden  dann  im  weite- 
ren Verlaufe  des  17.  Jahrhunderts 
zunächst  etwas  matter  im  Farben 
auftrag  und  sehliessen  im  18.  Jahr- 
hundert mit  mildem  Blau  auf  weissem 
Grunde,  der  sentimentalen  Wehmut 
des  Jahrhunderts  angemessen.  Die 
figürlichen  Darstellungen,  mit  latei- 
nischen und  deutsehen  Sprüchen 
und  Versen  verschen,  gehören  der 
biblischen  und  antiken  Geschichte, 
der  vaterländischen  Geschichte,  der 
Mythologie,  Symbolik  und  Allegorie. 
Der  Hauptsitz  dieser  Ofentechnik 
war  Winter/hur,  die  angesehenste» 
Hafnerfamilie  daselbst  diejenige  der 
1*1  au.  Die  Bilder  entstammen  meist 
den  Kupferstichen,  Radierungen  und 
Holzschnitten      der  Zeitgenossen. 

Uber  alte  Ofen  in  der 
Schweiz,  namentlich  im  Kauton 
Zürich.    2.  Aufl.    Zürich  1M0Ö. 

Öffnungen,  siehe  Weistümer. 

Ohrgehänge,  <  >hrringe,  mhd.  or- 
rinya,  lat.  inaures,  arraueanes,  jtar- 
ceti,  pendente*,  waren  besonders  bei 
den  Orientalen  seit  alters  in  Ge- 
brauch und  auch  bei  den  Griechen 
und  Römern  sehr  beliebt.  Auch 
die  alten  Gallier  und  Germanen 
beiderlei  Geschlechts  trugen  sie  als 
grosse  Goldringe.  In  der  Karolinger- 
zeit trugen  sie  die  Frauen  als  kurze, 
perlenbesetzte  Gehänge,  im  11.  Jahr- 
hundert vornehme  Männer  und 
Frauen,  während  sie  zu  Ende  des  12. 
wieder  ausser  Mode  kamen  und 
mehr  nur  noch  von  Frauen  niederen 
Standes  getragen  wurden.  Sie  kom- 
men aber  aut  Denkmälern  fast  nie 
zum  Vorschein  und  werden  auch 
später  von  den  Dichtern  nicht  näher 
beschrieben,  so  dass  wir  über  ihre 


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742 


Ohrstern.  —  Oper. 


Formen  wenig  wissen.  Was  sich 
an  Überresten  aus  den  altern  Zeiten 
her  erhalten,  ist  wohl  byzantinischen 
Ursprungs.  Die  deutsche  Gold- 
sehmiedekunst  (Augsburg,  Nürn- 
berg) wird  im  13.  Jahrb.  als  vor- 
züglich erwähnt;  doch  ist  auch  von 
ihr,  was  die  Verfertigung  von  Ohr- 
gehä ngen  anbelangt,  nichts  bekannt. 

Olirstern  oder  Gehörrose  nannte 
man  die  rofcttcnartigcn ,  durch- 
löcherten  Plättehen  der  Sturmhaube 
(Helm),  welche  speziell  die  Ohren  zu 
E  chutzen,  dem  Schall  aber  möglichst 
ungehinderten  Zutritt  zu  gestatten 
den  Zweck  hatten. 

Oktaven  oder  Stanzen,  ital. 
ottarr  Wiste,  nianza,  dieses  entstanden 
aus  mittellat.  xtantia  =  Aufenthalt. 
Wohnung.  Zimmer,  von  xtare  — 
stehen;  xtanza  also  ein  Reimt/e&rWe, 
ein  Zimmer,  wie  denn  auch  in 
mittelhochdeutschen  Dichtungen  eine 
dichterisch  in  Gedanken  und  Form 
abgeschlossene  Hede  unter  dem 
Hilde  eines  zimherx  —  Gebäudes. 
Hauses,  dargestellt  wird  W'rirjaml. 
DieseStroj.be  wurde  durch  die  erste 
schlesische  Diehtersehule  bei  uns 
eingeführt,  und  war  anfänglich  in 
der  Kegel  aus  Alexandrinern  zu- 
sammengesetzt, z.  H.  in  der  metrischen 
l'bersetzung  von  Tassos  befreitem 
Jerusalem  durch  Dietrich  von  dem 
Werder,  Frankfurt  W2t"».  Später 
hat  namentlich  Wicland  die  Oktave 
in  die  schöne  deutsche  Littera- 
tur,  aber  mit  Abänderungen,  ein- 
gebürgert. 

Ol.  Für  die  ewigen  Lampen, 
die  schon  um  das  Jahr  IHM)  vor  jedem 
Altar  brannten,  sollte  ausschliesslich 
Olivenvöl  verwendet  werden.  Das 
Zeremoniale  spricht  den  Wunsch 
aus,  es  sollten  am  Tabernakel  3— .">, 
am  Hochaltar  3,  an  den  Nebenaltären 
eine  Lampe  brennen  und  zwar  Tag 
und  Nacht.  Sämtliche  sollten 
nicht  mit  Butter,  sondern  mit  Oliven- 
öl gespeist  werden.  Der  Ölbehälter 
dieser  Lampen  besteht  aus  gefärb 
tem  (ihis.    Ausser  diesem  einfach 


gesegneten  Tiiennöl ,  oleum  heuedic- 
(uni,  wurde  zu  kirchliehen  Zwecken 
verwendet  das  Krankmöl,  oleum  in- 
firmomm^  das  Salböl  (Chrysam) 
oleum  ej'ftn  i. tat  um.  ehrixmalr  oleum, 
ehrixmale  xanefum  und  das  h'ate- 
elmmenenöl.  tieilbt ,  oleum  raterhu- 
menorum ,  oleum  xanetum.  Sie  alle 
wurden  am  Gründonnerstag  vom 
Bischof  geweiht. 

Ölberge,  d.  h.  Christi  Leiden 
darstellende,  oft  lebensgrosse  Krup- 
pen in  Stein,  von  Gethsemane  an 
bis  zur  Kreuzigung,  Grablegung  und 
Auferstehung,  werden  seit  dem  15». 
Jahrhundert  gewöhnlieh  in  Neben 
raumen  oder  ausserhalb  derKirehcn 
angebracht.  Sie  gehören  zu  den 
Stationen. 

Oper.  Dieselbe  hat  Namen  und 
Ursprung  aus  Italien,  wo  sich  am 
Ende  des  Jahrhunderts  im  Gegen- 
sätze zur  ausschliesslichen  Pflege 
des  Kontrapunktes,  die  damals 
herrschte,  eine  besondere  Teilnahme 
an  individueller  Behandlung  der 
Melodie  und  des  Textes  kundgab, 
zum  Teil  in  der  Absicht,  damit  die 
verloren  gegangene  Musik  der  alten 
Griechen  zu  erneuern.  Es  galt  zu 
dem  Hude  einen  melodisch  heraiis- 
gebildeten  und  dem  Texte  ent- 
>prechenden  Sologesang  zu  erwecken. 
Als  erstes  derartiges  Stück  gilt  die 
im  Jahre  1  f»07  zu  Florenz  aufge- 
führte Dafne  des  Ottario  /{inureini, 
mit  Musik  von  l'ari.  Im  Jahr  1600 
wurde  unter  Schaustellung  eines 
ausserordentlichen  Prunkes  »lie  von 
denselben  Meistern  herrührende 
Oper  Kuridice  zur  Vermählungsfeier 
Heinrich  IV.  mit  Maria  von  Mediei 
aufgeführt.  I  >ns  erste  grosse  Talent, 
das  an  dieser  neuen  umsikalisch- 
dramatischen  Gattung  arbeitete,  war 
Claudio  Monteren/e.  erste  Hälft«*  des 
17.  Jahrhunderts,  durch  welchen  das 
Interesse  für  die  Oper  erst  ein  all- 
gemeines wurde;  seitdem  wurden  in 
allen  grösseren  Städten  Italiens 
( »pernaurtnhrungen  veranstaltet. 

Als  erste  (hutxehe  Oper  gilt  die 


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Opfer. 


743 


von  Opitz  nach  dem  genannten 
italienischen  Vorbild  bearbeite  te 
Daphne;  ein  gewisser  //.  Schutz, 
der  »ich  in  Italien  ausgebildet  hatte, 
setzte  sie  in  Musik.  Die  Aufführung 
geschah  1627  zu  Torgau  bei  Ge- 
legenheit der  Vermahlung  einer 
sächsischen  Prinzessin.  Seitdem  blieb 
die  Oper  in  Deutschland  vorläufig  in 

gänzlicher  Abhängigkeit  von  Italien: 
ie  Stoffe  waren  biblische,  mytho- 
logische, allegorische,  mit  Vorliebe 
der  Schitferwelt  entnommene,  die 
hauptsächlichen  Veranlassungen 
Feste  an  Höfen  und  andern  Orten, 
die  vorzüglichsten  Dichter  Darid 
Schirmvr,  Andr.  Grifphius,  Sigmund 
von  Birken  und  J.  Schwiegcr.  Gegen 
das  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  als 
die  Oper  in  einzelnen  Städten,  na- 
mentlich in  Mamburg ,  festere  Sitze 
gewann  und  damit  ein  allgemeines 
Unterhaltungsmittel  der  höhern 
Stände  wurde,  erweiterte  sieh  die 
Oper  nach  Form  und  Inhalt.  Neben 
den  älteren  Stoffen,  die  auch  in 
den  Nebenarten  der  Oper,  den  Bal- 
letten, Maskeraden,  Serenaten,  Pasto- 
rellen,  Oratorien,  Kantaten  zur  Dar- 
stellung gelangten,wurden  historische 
Stoffe  beliebt,  daneben  solche,  die 
der  Wirklichkeit  und  der  Gegen 
wart  entnommen  waren.  Die  Aus- 
stattung wurde  immer  prächtiger. 
Musik,  Malerei,  Architektur,  Tanz- 
kunst und  Mechanik  unterstützten 
sich  gegenseitig.  Worauf  es  die 
I  >iehter  abgesehen  hatten ,  war  die 
Entfaltung  von  Verwandlungen, 
Wolkenfahrten ,  Illuminationen  u. 
dgl.  Unter  den  zahlreichen  Dichtem 
dieser  späteren  Periode  werden  her- 
vorgehoben: Christian  Richter,  JI-. 
rostet  und  ./.  (  '.  von  König.  Vom 
Jahr  1H7H,  dem  Eröffnungsjahr  der 
Hamburger  Oper,  bis  I72H,  wurden 
Iiier  gegen  300  Opern  gegeben,  der 
Komponist,  Keifser  konijwmicrte  107 
Stücke.  Gegen  die  Mitte  des  18. 
Jahrhunderts  erlosch  diese  Oper, 
teils  weil  der  tiefere  Krnst  der  Zeit 
ihrer  überdrüssig  wurde,   teils  in- 


! 


folge  von  öffentlicher  Kritik,  der 
sie  namentlich  Gottsched  unterzog. 
Vgl.  den  Art.  Musik. 

Opfer.  Das  deutsche  Wort  Opfer 
leitet  sich  von  dem  lat.  ojjerre  ab; 
ahd.  opfaron,  opj'uron,  opfar\  mhd. 
optieren,  upher;  altn.  <>Jfr;  «las  Wort 
ist  erst  durch  das  Christentum  ein- 
geführt worden,  während  die  Sache, 
die  sie  bezeichnet,  eine  heidnische 
ist.  Der  älteste,  bei  allen  Germanen 
gebräuchliche  Ausdruck  der  Gottver- 
ehrung durch  <  >pfer  war  got.  und 
augels.    htotnn,    altn.    hlota,  ahd. 

tzan.  Schon  dieser  Ausdruck 
ehrt,  dass  die  .Opfer  vorzüglich 
blutige  waren,  was  sich  übrigens 
für  Jägervölker  von  der  Art  der 
Germanen  von  selbst  verstand. 
Die  sichersten  Angaben  über  die 
Opferungen  und  die  damit  verbun- 
denen Festgelage  geben  uns  die  un- 
erschöpflichen Sagen  des  Nordens. 
Daneben  sind  es  die  Berichte  der 
Römer,  die  uns  manches  erzählen; 
und  die  Verbote  der  Kirche,  die 
namentlich  gegen  heidnische  Tisch- 
gelage  und  Festtänze  gerichtet  sind, 
beweisen  uns  vollends,  dass  die 
nordischen  Gebräuche  auch  in 
Deutschland  zu  finden  waren. 

Unter  den  blutigen  Opfern  stan- 
den die  Menschenopfer  obenan.  Sie 
waren  bei  den  Germanen  so  ge- 
bräuchlich, wie  bei  allen  andern 
Völkern  des  Altertums  und  galten 
dem  Wodan  und  Zio,  im  Norden  dem 
Thor.  „Ihrem  Wesen  und  Ur- 
sprünge nach  sind  sie  sühnend.  Ein 
grosses  Unheil,  ein  schweres  Ver- 
brechen kann  nur  durch  mensch- 
liches Blut  beschworen  und  getilgt 
werden."  Nicht  nur  wurden  nach 
errungenen  Siegen  die  gefangenen 
Feinde  zum  W ohlgefallen  der  Götter 
an  den  Bäumen  aufgehängt  und 
die  gesainte  Beute  an  Pferden  und 
Geräten  vernichtet,  wie  es  z.  B. 
durch  die  Cimbern  und  Teutonen 
nach  dem  grossen  Siege  an  der 
Rhoue  geschah;  sondern  auch  seine 
eigenen  Leute  opferte  man,  wenn 


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744 


Opfer. 


man  die  Götter  erzürnt  glaubte. 
Eigentümlich  war  »1er  schwedische 
Brauch,  bei  eintretender  Hungers- 
not den  König  zu  opfern,  nicht  nur 
weil  er  das  köstlichste  Opfer  war, 
das  man  den  Göttern  darbringen 
konnte,  sondern  auch  weil  er  als 
Oberpriester  des  ganzen  Landes 
durch  Vernachlässigung  des  Opfer- 
dienstes die  Götter  erzürnt  und  so- 
mit die  Not  verschuldet  haben 
musste.  So  fiel  König  Domaldin, 
nachdem  ein  Ochsenonfer  im  ersten 
and  ein  Menschenopfer  im  zweiten 
Herbste  die  Hungersnot  nicht  ge- 
brochen hatten;  sjo  fiel  auch  König 
Olaf  Tretelja,  wie  die  Ynglintja  tagu 
erzählt:  „da  entstand  ein  grosses 
Misjahr  und  Hunger;  «las  gaben  sie 
ihrem  Könige  schuld,  sowie  die 
Schweden  gewohnt  sind,  ihrem 
Könige  sowohl  das  gute  als  das 
Misjahr  schuld  zu  geben.  König 
Olaf  war  ein  geringerer  Opferer; 
das  gefiel  den  Schweden  übel,  und 
sie  meinten,  daher  komme  das  Mis- 
jahr. Da  zogen  die  Schweden  ein 
Heer  zusammen,  machten  einen  An- 
griff auf  König  Olaf  und  umringten 
sein  Haus,  verbrannten  ihn  darin, 
und  schenkten  ihn  dein  Odin  und 
opferten  ihn  für  sich  um  ein  gutes 
Jahr.- 

Ganz  besonders  aber  stand  das 
Menschenopfer  im  Dienste  der 
Rechtspflege.  Die  Todesstrafe  war 
eine  Sühne,  die  den  Göttern  nicht 
verweigert  werden  durfte.  Der 
Verbrecher  wurde  vor  dem  Tempel 
am  Opferstein  gebrochen,  oder  in 
den  Opfersumpf  versenkt  und  mit 
Reisig  zugedeckt.  Aber  auch  zur 
Erhaltung  und  Verlängerung  des 
eigenen  Xcbens  opfert  König  Ön 
neun  seiner  Söhne  und  erhalt  von 
den  Göttern  jedesmal  gnädig  eine 
weitere  Frist;  wie  er  aber  den 
zehnten  Sohn  auch  noch  opfern  will, 
da  widersetzen  sich  die  Schweden 
und  der  König  starb.  Von  Kinder- 
Opfern  sind  übrigens  in  den  alten 
Nolkssagcn  auch  noch  weitere  Spu- 


ren vorhanden.  Sie  sollen  haupt- 
sächlich zur  Abwehr  ansteckender 
K  rankheiten  angewendet  worden  sein 
und  zwar  durch  Einmauern  in 
Grundwälle,  wobei  man  denselben 
Speisen  und  Spielsachen  mitgab. 
Dieser  Umstand  spricht  deutlich 
dafür,  dass  an  ein  Fortleben  nach 
dem  Tode  und  zwar  unter  gleichen 
Bedürfnissen  und  Bedingungen  ge 
glaubt  wurde,  wie  auch  den  Göttern 
das  Bedürfnis  nach  Speise  und 
Trank  zugedacht  war.  Daher  wur- 
den auch  bei  den  häufigen 

Tirroyfcrn  nur  reiue  Geschöpfe 
gewählt,  deren  Fleisch  für  den 
Menschen  geniessbar.  d.  h.  zu  essen 
erlaubt  war;  eine  Ausnahme  macheu 
Hunde  und  Habicht*1,  die  durch 
ihre  bekannten  Dienstleistungen 
gleichen  Rang  haben,  wie  die  be- 
vorzugtesten Tiere.  Zu  diesen  zäh- 
len in  erster  Linie  die  I^>rtic,  die 
geradezu  als  heilige  Tiere  verehrt 
wurden.  (Siehe  den  Art.  Heilige 
|  Tiere.)  Ihr  Fleisch  wurde  von  den 
I  heidnischen  Germanen  mit  Vorliebe 

fjepessen,  und  die  Bewohner  Islands 
»ehielten  sich  bei  der  gesetzlichen 
Einführung  des  Christentums  aus- 
j  drücklich  den  unbehinderten  Genuss 
des  Pferdefleisches  vor,  während 
er  anderorts  von  den  Glaubensboten 
aufs  strengste  untersagt  wurde. 
Wie  schwer  es  aber  hielt,  das  Ver- 
bot durchzuführen  und  wie  mancher 
Rückfall  die  äussere  Not  veran- 
lasste, das  beweisen  die  wiederhol- 
ten kirchlichen  Erlasse.  Die  jün- 
gere Olafs-Sage  berichtet,  dass  bei 
einem  Misswachse  die  bereits  zum 
Christentum  übergetretenen  Bauern 
von  Throntheim  um  Wintersanfang 
grosse  und  stark  besuchte  Gast- 
mähler hielten.  „Da  waren  grosse 
Trinkgelage.  Dem  .Könige  Olaf 
wurde  gesagt,  dass  da  alle  Minne 
dem  Thor  geweiht  werde  und  dem 
Odin,  der  Freyja  und  den  Ahsen, 
alles  nach  altheidnischer  Sitte.  Da- 
zu wurde  auch  weiter  erzahlt,  dass 
da  Vieh  und  Pferde  geschlachtet 


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Opfer. 


745 


und  die  Altäre  mit  dem  Blute  be- 
strichen wurden  und  dasB  der  Opfer- 
dienst ganz  offenbar  abgehalten  und 
dabei  die  Formel  gesprochen  werde, 
dass  dies  für  die  Besserung  des 
Jahrganges  [Cd  ärbSiar)  geschehen 
solle.  Daxu  wurde  beigefügt,  dass 
es  .allen  Leuten  klar  seheine,  dass 
die  Götter  darüber  zornig  seien, 
dass  die  Ilalogaländer  sich  zum 
Christentum  gewandt  hätten."  Und 
so  muss  der  (christliche)  König 
Hak* in  seinem  Volke  zu  lieb  an 
dem  Opferfeste  zu  Gladir  aus  dem 
dem  Odin  geweihten  Becher  trin- 
ken (freilich  macht  er  darüber  vor- 
erst das  Kreuzeszeichen,  statt  das- 
jenige des  Hammers)  und  entgeht 
dem  Tode  nur,  da  er  wenigstens 
zum  Schein  über  den  Pferdeneisch- 
kessel  den  Mund  öffnet,  als  geniesse 
er  Fleisch,  Fett  und  Brühe.  Die 
Pferdeopfer  sollen  sieh  in  Schweden 
bis  in  die  zweite  Hälfte  des  11.  Jahr- 
hunderts erhalten  haben. 

Riiidri'upfer  waren  nicht  minder 
allgemein,  der  Stier  war  dem  Freyr 
oder  Fro  geheiligt,  ja  er  führt  in 
der  Edda  geradezu,  den  Namen  der 
Gottheit  selbst.  Übrigem  opferte 
man  ihn  auch  nicht  selten  dem 
Wodan,  als  dem  Gott  der  Ernte, 
des  Aeherbaues  und  der  Viehzucht. 

Eber opfer  waren  ebenfalls  sehr 
häufig,  wie  Werketujjfer,  Frijfrimj 
( Frischling),  was  die  Überlieferungen 
fast  mit  Gewissheit  annehmen  las- 
sen. Noch  im  13.  .Jahrhundert  be- 
nennt eine  bischöHiehe  Urkunde  in 
Passau  die  zu  entrichtenden  jungen 
Schweine  mit  xi/rurittrhhu/,  xitfri- 
.tf/tinff,  srittt  r,  seitfrutchiiifi ,  was 
ohne  Zweifel  ein  junges  Schwein 
bedeutet,  das  nach  heidnischem  Ge- 
brauche sich  zum  Gesotten  werden 
eignen  würde,  also  ein  Opferschwein. 
Im  Norden  wurde  der  Sühneber, 
sunarqoltr^  ein  feierliches  Opfer,  das 
dem  Freyr  au  Julabenden  gebracht 
wurde.  „Am  Abend  erfolgten  Ge- 
lübde; der  Sühneber  wurde  vor 
gefühlt,  die  Leute  legten  auf  ihn 


ihre  Hände  und  legten  da  ihre  Ge- 
lübde ab  beim  Bragabecher."  — 
„König  Heidreker  Hess  einen  Eber 
füttern,  der  war  so  gross  wie  der 
stärkste  Ochs  und  so  schön,  dass 
edes  Haar  aus  Gold  zu  sein  schien. 
>er  König  legte  seine  Hand  dem 
Eber  auf  den  Kopf  und  die  andere 
auf  die  Borsten  und  legte  da  das 
Gelübde  ab,  dass  niemals  jemand 
so  Schweres  verwirken  solle,  dass 
er  nicht  rechtes  Urteil  seiner  Wei- 
sen erlangen  sollte,  und  die  soll- 
ten des  Eners  pflegen;  oder  auch 
sollte  er  solche  Rätsel  vorbringen, 
dass  sie  der  König  nicht  zu  raten 
vermöchte.'4  Dieses  yüldenborstigen 
Ebers  ist  auch  in  Deutschland  oft 
und  in  späten  Zeiten  noch  erwähnt, 
so  in  einem  Lautenbacher  Weistum 
,  vom  Jahre  15N9,  wo  es  heisst,  dass 
zu  einem  auf  Dreikönigstag  (also  in 
der  Julzeif)  gehalteneu  Gerichte 
„die  Hübner  ein  reines,  schon  bei 
,  der  Milk  vergelztes  i  noch  saugend 
!  verschnittenes)  Goldferch  acht  hal- 
ben Schillingen  wert  liefern  sollten." 
j  Der  Preis  ist  ein  unverhältnismassig 
hoher,  was  darauf  schliessen  läset, 
dass  das  Tier  bei  diesem  Anlasse 
eine  besondere  Bedeutung  hatte, 
wie  heute  noch  das  Ei  zu  Ostern 
und  die  (Jans  am  Martinstage.  Das 
Ferkel  wurde  nämlich  rund  durch 
die  Bänke  geführt  und  ohne  Zwei- 
1  fei  hernach  geschlachtet  und  ver- 
speist, was  offenbar  auf  einen  heid- 
nischen Opferbrauch  zurückzuführen 
ist.  Auch  die  oben  angeführten 
Sühneber  des  Freyr  fanden  sich  in 
England  noch  lange  Zeit,  und  heute 
nocli  wird  in  Ostergotland  am  Jul- 
al>ende  ein  mit  einer  Schweinshaut 
überzogener  Block  (julhuckm)  auf 
den  Tisch  gesetzt,  auf  den  die 
Hausgenossen  einander  ihren  Tieu- 
sch wur  ablegen.  Auch  das  mit 
Lorbeer  und  Rosmarin,  Citrone 
oder  Pomeranze  geschmückte 
Schweinshaupt  unserer  Tafeln,  so- 
wie die  zu  Oxford  feierlich  und 
unter     Gesang  umhergetragene 


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746 


Opfer. 


Eberhaut  und  dergleichen  Gebräuche 
mehr  sind  Erinnerungen  an  die 
Eberopfer  unserer  heidnischen  Vor- 
väter. 

W'idderopfer  werden  als  gerin- 
gere Opfer  seltener  erwähnt,  was 
jedoch  nicht  beweist,  dasa  sie  auch 
selten  dargebracht  worden  wären, 
in  Norwegen  bestaud  die  gesetzliche 
Verordnung:  „Kommt  ein  Unfreier 
zu  Land  oder  eigenem  Haushalt, 
so  soll  er  sein  Freiheitsbier  {frrfsidl) 
bereiten,  jeder  Mann  neun  Eimer 
Hier  und  einen  Widder  schlachten; 
ein  echtgeborener  soll  das  Haupt 
abschneiden  und  sein  gesetzlicher 
Herr  die  Halslösung  von  seinem 
Haupte  nehmen." 

Ebenso  kamen  Iiurknpfer  vor, 
so  bei  den  heidnischen  Langobar- 
den, die  sie  wie  Gregor  der 
Grosse  meldete  —  dem  Teufel  dar- 
brachten. Der  Hock  war  dem 
Donnar  heilig,  die  Geisa  der  llolda. 
Doch  wurden  sie  auch  dem  Wodan 
dargebracht.  Kleinere  Tiere,  wie 
Hunde  und  (icffwjtl,  scheinen  wenig 
und  fast  nur  als  Opfer  für  die 
Erntegottheiten  dargebracht  worden 
zu  sein. 

Die  uiihfirfif/rn  Opfer  waren 
ebenfalls  dankende  und  bestanden 

in  (legenständen,  die  von  den 
Mensehen  als  lx»bensbedürfnisse 
sehr  geschätzt  waren.  Dem  Gottc 
Thor  opferte  man  im  Tempel  zu 
llunthorp  täglich  vier  Laibe  ///•<>/, 
da  mau  die  Götter  überhaupt 
menschlicher  Speise  bedürftig  hielt. 
Auch  die  Göttin  Herchta  erhielt, 
wie  Rochholz  nachgewiesen,  ihre 
Opferbrote,  und  die  vielen  hestku- 
rhrn  und  Frsfhmtr ,  die  man  noch 
heute  in  ganz  Deutschland  bei  ver- 
schiedenen Festanlassen  backt  und 
unter  den  verschiedensten  Gebräu- 
chen verzehrt,  beweisen  genügsam, 
dass  derlei  Dinge  früher  für  die 
Götter  und  ihre  geheiligten  Tiere 
bestimmt  waren.  Auch  Bier  brachte 
man  denselben  dar,  wahrscheinlich 
in  der  Art,  das»  ein  Teil  davon 


feierlich  für  die  Gotter  ausgegossen, 
das  übrige  aber  in  einem  Gelage 
ebenfalls  in  ihrem  Dienste  getrun- 
ken wurde,  wie  solches  in  den 
schaumburgischen  Erntefeierlichkei- 
ten sich  vielleicht  am  deutlichsten  er- 
halten hat.  Ebenso  lassen  die  vie- 
len abergläubischen  Verwendungen 
der  Gründonnerstags-  und  Chartrei- 
tagsfeicr  darauf  schlicssen,  daas  die 
Kirr  auch  eine  Götterspeise  waren; 
daneben  sind  es  Milch  und  Honig, 
namentlich  für  die  Hausgeister, 
Wichtelmännchen  und  für  den  Bo- 
ten der  Holda,  für  das  Marienkäfer- 
ehen, auch  (itßld  und  Silber,  Klei- 
dunatttürke  und  Warnen. 

Die  unblutigen  Opfer  durfte  der 
Opfernde  selbst  darbringen  (in  der 
Regel  (hat  das  der  Hausvater);  die 
blutigen  hingegen  wurden  von  den 
Priestern  behandelt  und  zwar  in  den 
meisten  Fällen  bei  Anlass  grosser 
Festlichkeiten,  im  Beisein  der  ge- 
samten Bewohnerschaft  eines  Gaues, 
als«)  der  Teinpclgeineinde.  Dem  da- 
mit verbundenen  Opfermahle  stand 
der  Opferhäuptling  vor,  ein  echtge- 
borener, der  ohne  Zweifel  vom  Volke 
selbst  der  Ehre  des  Vorsitzes  ge- 
würdigt worden.  Aus  Meister  Adam 's 
Beschreibung  des  grossen  Opferfestes 
zu  öpsala  la<st  sich  schlieascn,  da*s 
EU  den  Opfern  in  der  Hegel  nur 
;  männliche  Tiere  verwendet  wurden. 
1  Auch  scheint  die  Farbe  den  Wert 
eines  Opfertiercs  nicht  unwesentlich 
bestimmt  zu  haben.  Wrisse  Pferde 
waren  geschützter,  als  rote  und 
schwarze;  ebenso  die  Schafe;  das 
Opferhuhn  durfte  keine  andern  als 
weisse  Federn  halten,  und  noch  in 
spaten  Rechtsdenkmälern  ist  nach 
Grimm  die  Unverletzlichkeit  schlieft- 
weisser  Ferkel  zugesichert.  Den 
unterirdischen  Gottheiten  dagegen 
opferte  man  vorzugsweise  schien  rzr 
/Iiere,  namentlich  schwarze  Schaf- 
und  Ziegenix »cke.  Die  Opfertiere 
wurden  also  wahrscheinlich  zu  die- 
sem Zwecke  jung  schon  ausgewählt, 
gezogen  und  gemästet  und  dürften 


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Opfer.  747 


schwerlich  je  zu  menschlichem  Ge-  das  Zeichen  des  Hammers  machte, 

brauch  gedient  haben;  wenigstens  Diese  Becher  trank  man  sich  über 

stellen  alte  Kechtsdenkmale  diese  die  Feuer  weg  gegenseitig  zu,  was 

Bedingungen  an  Pohlen  und  Kinder,  man  minni  (Gedachtiiis,  Erinnerung) 

die  zu  feierlichem  Landerwerb  oder  nannte.    So  nahm  das   Fest  den 

zum  Totpflügi'U  der  Marksteinfrevler  \  Charakter  eines  heiteren  Mahles  an 

verwendet  werden  wollen.  und  wurde  daher  im  Norden  auch 

Forderten  die  Götter  ein  Meli-  Opfermahl,  hlotveizla,  oder  geradezu 

schenopfer  und  waren  deren  meh-  Opferfreude,  hlotfagnadr,  genannt, 

rere  bereit,  so  hatten  sie  das  be-  Diese  Feste  waren  entweder  reli- 

trerl'i'iide  durch  das  Los  näher  zu  fftosc,  die  alljährlich  zu  bestimmten 

bezeichnen.  Das  geschah  durch  dir  Zeiten  in  der  ganzen  germanischen 

Kunen  oder  nach  einer  Formel,  die  Welt    gefeiert  wurden,    oder  sie 

der  angelsächsischen  Andreas  legende  waren   durch   besondere  Veranlas 

entnommen    war,    natürlich    unter  sungen   hervorgerufen,   durch  den 

Anrührimg  und   Beschwörung  der  Amtsantritt  eines  h'önias,  der  zugleich 

betreffenden    Götter.     Die    Opfer  oberster  Priester  war,  bei  Gericht*- 

wurden  sodann  geschmückt,  durch  oder  Dinyversammlnngen ,   vor  und 

den  Volkshaufen  geführt  und  ge-  i  nach  <1er  Schlacht,  bei  Hungersnot 

schlachtet.    Das  Blut  wurde  in  dem  und  Seuchen  u.  s.  w.   Die  drei  (reli- 

0pfcrkc88cl   aufgefangen   und   mit  giösen)  Hauptfeste  aber  waren: 

dem   Blutzweig  darauf  der  Altar,  1.    Das   Herbatopfer ,  haustblöt, 

die  Tempelwand,   auch   etwa   der  das  Opfer  um  ein  gutes  Jahr  oder 

Baum ,  die  Lebensmittel  und  das  nach  einer  Missernte  „um  ein  besse- 
Volk  besprengt.     Pell  und  Haupt j  res  Jahr".    Ks  war  also  ein  Krnte- 

wurdeu  vom  Opfer  getrennt  und  an*  fest,  ein  Dankopfer,  im  zweiten  Falle 
einem  Baume  aufgehangen,  worauf!  auch  ein  Sühnopfer,  mit  dem  man 

der  Tanz  und  Pestgesang  begann,  sich   im   Anfang  des  Jahres  idas 

In    grossen    Kesseln    wurde    das  Jahr   beginnt   bei  den  nordischen 

Fleisch  gesotten,  weswegen  die  Teil-  Bauern  heute  noch  mit  dem  Winter) 

nehmer    am   Opferfeste  $upnavfar  der  Gunst  der  Götter  versichern 

(Sudgenossen)     hiessen;     daneben  wollte.    Dieses  Opfers  wegen  Iiicss 

wurden  die  Opferkuchen  gebacken  im  Norden  der  Oktober  (formannor, 

und  das  Bier  gebraut,  welche  Arbeiten  nach  der  Ausweidung  der  gesehlach- 

wahrschcinlich  den  weisen  Frauen  teten  Tiere,  bei  den  Schweden  hlot- 

< »hingen.  Die  edleren  Teile  dos  ge-  mänad,  slatjtmanad ;  die  Angelsach- 

kochten  Tieres,  Herz,  Leber,  Lunge,  ,  seil  hiessen  den  November hfötm/mad, 

wurden  vermutlich  den  Göttern  dar-  die  Friesen  heissen  ihn  noch  heute 

gebracht,  der  Uest  aber  samt  derBrühe  stach  tnwänne;  die  Niederländer  nann- 

voni  Volke  verzehrt,  nachdem  alles  ten  den  Dezember  slachfmaent,  was 

von  dem  Könige  oder  Opferfürsten  darauf  hinweist,  dass  dieses  Fest 

von  seinem  Hochsitze  aus  geweiht  nicht  an  allen  Orten  zu  gleicher  Zeit, 

worden  war.   So  ging  das  Opferfest  sondern  im  Norden  früher,  als  im 

in  ein  allgemeines  Opfermahl  über,  Süden   begonnen   wurde,  was  mit 

bei  dem  auch  das  Natioualgeträuk,  !  dem  gleichzeitigen  Vorrücken  des 

das  Bier,  nicht  fehlen  durfte.   Man  Winters     zusammenhängen  mag. 

trank  Odins  Vollbecher  um  Sieg  und  Übrigens  scheint  das  Fest  wenig- 

Machtfür  den  eigenen  König,  Niördrs  stens  einen  halben  Monat  gedauert 

und  Freyrs  Horn  um  ein  gutes  Jahr  zu  haben,  weswegen  man  für  das- 

iind  Frieden,  auch  Bragi's,   Freyrs  selbe  den  Winter  abwarten  niusste, 

und  Thors  Becher  wurden  getrunken,  der  den  wilden  Kämpfen  der  Horden 

über  welch  letzteren  jeder  trinkende  von  selbst  ein  Knde  machte. 


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748 


Opfer. 


2.  Das  MitirinterJ'est,  das  grosse  zciteu,  und  so  bind  in  Deutschland 
hanpfhnf,  wurde  zu  Anfang  des  Mo-  die  Kirchmessen  (Kirmseji  i  entstan- 
nats  Tfiorri  (14.  Januar)  gefeiert  den,  Volksfeste,  jedes  religiösen 
und  dauerte  drei  Tage.  Ks  ist  iden  Charakters  bar.  Aus  dem  Julfeate 
tisch  mit  dem  deutschen  .lulfeste,  wurde  unsere  Weihnachtsfreudo,  aus 
/"V.  jolareizla ,  jn/irf>t><>,  jolaha/lii,  «lern  (loib/ot  Maria  Lichtmess:  ua- 
'ftSfwfrjpMya,  (las  später  zehntägige  mentlieh  das  letztere  hat  sieh  in 
Dauer  hatte.  Die  Bewohner  Got-  |  den  Fastnachtsgebräuchen  noch  un 
und  Finnlands  erbaten  sich  von  1  verkennbar  fortgepflanzt, 
ihrem  Thorri  Schnee  und  gute  Ks  erübrigt  noch,  der  prirnf*n 
Schlittenbahn,  während  das  Fest  im  Öpferfeste  mit  einem  kurzen  Worte 
allgemeinen  der  neugeborenen  Sonne  zu  gedenken.  Sie  begleiteten  den 
galt  und  dem  Frever  der  Sühneber  Menschen  durch  alle  Lebenslagen, 
dargebracht  wurde.  J  WO  er  der  Hilfe  der  Gütter  sieh 

.'V  Das  Opferfest  des  Summen 'in-  benötigt  fand,  und  konnten  an 
zu<fx  wurde  einen  Monat  naeh  dem  !  geheiligten  Statten,  in  Frivattein- 
T&orrobtöt .  zu  Anfang  de«  Monats  peln,  auch  im  eigenen  Hause  dar 
fftft,  also  im  Februar,  abgehalten»  ]  gebracht  werden.  Kinzig  die  feier- 
und wahrte  eine  Woche.  Ks  war  liehe  Handlung,  wonach  der  Vater 
Wohl  vorzugsweise  ein  Opfer  um  oder  dessen  Vertreter  das  neug^bo- 
Sieg  für  die  herannahenden  Heer-  reue  Kind  mit  Wasser  begoas  und 
fahrten  und  hiess  deshalb  auch  ;  ihm  damit  die  Lebensberechti^unj; 
jfiff/h/of.  Daneben  galt  es  der  He-  zusprach,  scheint  ohne  Opfer  voll 
grüssung  des  Sommers  und  war  ein  zogen  worden  zu  sein.  Dagvgeu 
Bittopfer  um  reichen  Krtrag  des  opferte  die  Wöchnerin  von  ihrer 
Feldes.  Sämtliche  Feste  fielen  als«»  [  ersten  Mahlzeit,  Nornengrütze  ,  den 
auf  den  Winter.  Daneben  sind  als  Sclücksalsgötf  innen.  HeiKinMfftuuui 
speziell  deutsehe  Opferfeste  noch  einer  Khe  sodann  wurde  ein  feier- 
genannt die  Ottara,  das  Mnifesf  liebes  Mahl  aligehalten  und  Thors, 
und  das  Fest  HerSummertonnenwende.  Odins  und  Freyrs  Minne  getrunken. 


Hekannt  ist,  wie  leidenschaftlich 
der  Deutsehe  an  diesen  althergebrach- 
ten Gebrauchen  festhielt  und  wie 
die  christlichen  ßlaubensbotetl  die 
Fest«:  nicht  verbieten  konnten,  ohne 


Zur  Weihung  der  Bräute  diente 
Thors  Hammer.  Das  Totenoyfer 
bestand  nach  Mannhardt  iu  einer 
Kuh  und  einem  Ochsen,  die  in  einem 
feierlichen    Lcichcninahl  vorzehrt 


ihre  Sache  preiszugeben.  Aus  Nach-  !  wurden.  Auch  Rosmarin  und  Zi 
richten  von  Gregor  dem  Grossen  trotten    scheinen    dem  Totengotte 


u.  a.  in.  geht  vielmehr  deutlich  her 
vor,  dass  man  sich  damit  begnügte, 
den  heidnischen  Festen  auf  die 
schonendste  Weise  einen  christlichen 
Charakter  zu  geben,  und  es  halt 
daher  sehr  leicht,  namentlich  mit 
Zuhilfenahme  der  vielen,  auf  unsere 
Zeit  fast  unverändert  herübergekom- 
menen Festgebräuche  den  Zusam- 
menhang nachzuweisen  zwischen  den 
Festen  der  Väter  utid  den  unserigen. 
Aus  dem  Oktoberfeste  sind  nach 
zahlreichen  nordischen  Nachrichten 
die  Kirchspielfeste  geworden  unter 
dein  Namen  der  Hier-  und  Trink- 


dargebracht worden  zu  sein.  Beim 
Krbschaftsantritt  durfte  das  Erl- 
sclutftsmahl.  nicht  fehlen,  das  (tc 
dächtnis  des  Verstorbenen.  Geopfert 
wurde  auch  bei  der  Besitznahme 
von  Land,  bei  der  Ackerbestellung. 
bei  der  Freilassung  eines  Sklaven, 
beim  Zweikampfe  und  bei  W >/..-- 
»Offungen,  wo  sie  die  Gottheit  für 
ihre  geneigte  Kundgebung  belohnen 
sollten.  Das  Opfer  diente  oft  selbst 
zur  Weissagung,  indem  sieh  aus 
seinem  Blute  oder  aus »1er  Beschaffen- 
heit der  Kingeweide  die  Zukunft 
sollte  erschlicssen  lassen.  Andern 


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Ordalien.  -  Ortsnamen. 


749 


fall»  legte  man  der  Gottheit  bei  der 
Opferung  selbst  die  Frage  vor  und 
über  Hess  es  ihr,  die  Antwort  auf 
beliebige  Weise  zu  geben  (durch 
den  Tod  des  Tieres,  durch  Vogcl- 
pchrei  u.  s.  w\),  oder  man  entsehied 
Uber  dem  ( )j»t'er  selbst  durch  das  Los. 

Nach  J.ftuMHiaiiH,  in  Ei  seh  und 
Gruber,  Art.  (lo/fcr/emjict. 

Ordalien,  siehe  Gottesurteile. 

Orden,  siehe  Afönckstresen,  Ritter- 
orden. 

Orendel  heisst  eine  hy/antiniseh- 
nalastinisehe  Dichtung  des  12.  Jahr- 
hunderts, deren  Verfasser,  wahr- 
seheinlieh  ein  fahrender  Spielmann, 
unbekannt  ist.  Sie  verbindet  mit  der 
eigentlichen  Orendeleage  die  Sage 

nun  it iKfen/tfifctt  h'ocfc  l  'hritti.  Das 
Gedieht  beginnt  mit  Erzählung  der 
seltsamen  Sehieksale  des  grauen 
Rockes  Christi:  Maria  hat  ihn  ge- 
sponnen, die  hl.  Helene  gewirkt. 
( 'hristus  hat  darin  die  heiligen 
vierzig  Tag«'  gefastet;  nach  seinem 
Tode  verlangt  ein  alter  Jude  von 
Merodes  den  Kock  zum  Lohne 
L>:<jnhrigen  Dienstes.  Der  Jude 
wäscht  ihn  am  Brunnen  und  breitet 
ihn  an  der  Sonne,  aber  des  Heilandes 
rosenfarbnes  Blut  bleibt  daran.  Da 
befahl  Herodes  den  Rock  fortzu- 
schaffen, in  einem  steinernen  Sarg 
wird  er  ins  Meer  versenkt:  doch 
eine  Sirene  I »rieht  den  Sarg  auf,  der 
Kock  schwimmt  ans  Ufer,  wo  ihn 
ein  armer  Waller  als  Gabe  Gottes 
auf  hebt;  das  rosenfarbne  Blut,  das 
dem  Waschen  widersteht,  verriit 
ihm  das  Geheimnis;  und  Bich  un- 
würdig wähnend  den  heiligen  Kock 
zu  tragen,  wirft  er  ihn  wieder  in 
die  Flut.  Ein  Wal  kommt,  ver- 
schlingt ihn  und  trägt  ihn  mehrere 
Jahre  im  Magen,  bis  er  «lern  Helden 
des  Gedichtes  zu  teil  wird. 

Orendel  ist  der  Sohn  des  Königs 
Eigel  zu  Trier  an  der  Mosel.  Als 
er  zu  seinen  Jahren  gekommen,  soll 
er  um  eine  ferne  überm  Meer 
wohnend«'  Jungfrau  werben,  tireide 
mit  Namen,  der  das  heilige  Grab 


und  viel  Heidenschaft  dient.  Mit 
freiwillig  ihm  folgenden  Gefährten 
führt  er  Mosel-  und  Kheinabwärts 
auf  einer  Flotte  ins  Meer:  in  der 
Nähe  des  gelobten  Landes  aber  ver- 
senkt ein  Sturm  alle  Schilfe,  Orendel 
allein  wirf!  «un  kt  ans  Land  getrieben. 
Hier  tritt  er  in  die  Dienste  eines 
Fischers  und  fangt  hei  seinein  ersten 
Fang  unter  anderen  jenen  Wal,  in 
dessen  Magen  der  Kock  gefunden 
wird.  Orendel  kauft  diesen  um 
dreissig  Goldpfennige,  welche  ihm 
Maria  durch  den  Engel  Gabriel  ge- 
sendet hat,  zieht  in  dem  Kock  zum 
heiliget)  Grabe,  besteht  für  die  schöne 
Breide  viele  und  ungeheure  Kämpfe 
gegen  die  Heidenschaft  und  vermählt 
sieh  mit  Breide,  doch  so,  dass  nach 
Geheiss  eines  Engels  immer  ein 
Schwert  zwischen  ihnen  liegt.  Sein 
Name  ist  der  graue  Rock.  Nach 
vielen  seltsamen  Thaten  und  Wun- 
dern entsetzt  er  seinen  Vater  zu 
Trier  von  der  Belagerung  eines 
heidnischen  Heeres,  tauft  die  Heiden, 
die  sich  ihm  unterworfen  haben  und 
liisst  den  grauen  Rock  auf  den  Be- 
fehl eines  Engels  hin  zu  Trier 
zurück.  Noch  befreit  er  das  in  die 
Gewalt  der  Heiden  gefallene  heilige 
Grab,  in  dessen  Dienste  er  mit  seiner 
Gattin  lebt,  bis  die  Engel  ihre 
Seelen  hinführen. 

Orgel,  siehe  musikalische  In- 
strumente. 

Ort  ist  schon  bei  den  höfischen 
Dichtern  der  vierte  Teil  von  Mass, 
Gewicht  und  Münze,  später  beson- 
ders der  vierte  Teil  eines  Guldens: 
ein  Ortsgulden  —  14  Kreuzer,  ein 
Ortsthaler  —  '  ,  Thlr.  Der  gewöhn- 
lichen Vermutung,  Ort  in  dieser  Be- 
deutung sei  aus  quart  entstanden, 
Widerspricht  /  exer  im  inhd.  Wörter- 
buch, indem  er  bemerkt,  dass  diese 
Bedeutung  von  Ort  vielmehr  von 
den  viereckigen,  durch  ein  Kreuz 
in  vier  Orte  geteilte  Münzen  aus- 
gegangen und  erst  dann  auf  Mass 
und  Gewicht  übertragen  worden  sei. 

Ortsnamen.    Unzweifelhaft  ge- 


750 


Ortsnamen. 


hören  die  Orte-  wie  die  Personen- 
namen unter  die  Altertümer;  sie 
jedoch  in  ihrer  geschichtlichen  Ent- 
wicklung darzustellen,  ist  bis  jetzt 
kaum  möglich ;  für  einzelne  Gegen- 
den ist  es  geschehen,  namentlich 
für  Hessen  in  dem  Werke  von 
W.  Arnold,  Ansiedelungen  und 
Wanderungen  deutscher  Stamme, 
zumeist  nach  hessischen  Ortenamen, 
Marburg  1875.  Wir  beschränken  uns 
hier  auf  eine  Übersicht  desjenigen 
Materials.dasdergelehrtestedeutsche 
Namenforscher,  Ernst  Eörstemann, 
in  seinem  Buche,  die  deutschen  Orfa- 
na nun,  Nordhausen,  1 863,  zusammen- 
gestellt hat.  wobei  wir  seltene  und 
bloss  landschaftlich  vorkommende 
Namen  und  Namengruppen  über- 

fchen  und  im  einzelnen  neuere 
'orschungen  und  Ansichten  zu  Kate 
ziehen.  Auf  Material  zu  praktischen 
Ortsetymologien  ist  es  hier  natürlich 
nicht  abgesehen;  dazu  gehört  in 
jedem  einzelnen  Falle  die  Kenntnis 
der  ältesten  Wertform  und  sehr  oft 
die  Kenntnis  v«m  der  Besonderheit 
des  Lokals,  an  dem  der  Name  haftet; 
datier  auch  die  Ortenarnenforsehung 
ihrem  Wesen  nach  lokaler  Grund- 
lage bedarf. 

Ortsnamen  sind  Namen  örtlicher 
Individuen,  dieselben  mögen  bloss 
der  Natur  angehören  oder  erst  durch 
den  Anbau  der  Menschen  zu  Indi- 
viduen geworden  sein.  Ursprüng- 
lich sind  es  Gemeinnamen,  deren 
Übergang  zu  Eigennamen  sprachlich 
besonders  durch  Aufgeben  des  Go- 
Bchlechtesund  Abwerfen  des  Artikels 
geschieht.  Forstemann  unterscheidet: 

A.  Natürliche  OrtUvhkeitcn. 

I.  .YfM.fr*  Element. 

Das  Grundwort  Wasser  ist  nur 
selten  als  Ortsname  verwandt,  häu- 
figer See,  ahd.  inte,  bewegtes  Wasser 
in  Fluss,  See  und  Meer;  ahd.  aha. 
got.  ahva,  verwandt  mit  lat.  aqua, 
oft  zu  ach  oder  an  geschwächt; 
eine  Bildung  dieses  aha  ist  antra, 
otea,  aica,  dessen  ursprüngliche  Be- 


deutung Fluss  mehr  und  mehr  der 
Bedeutung  eines  be wäss«  -rten  W  icae  n  - 
grundes  weicht,  nhd.  Aue;  zum  selben 
Wortstamm  rechnet  man  drittens 
auch  den  Flussnamen  ajffa,  der  nach 
Arnold  dem  aha  an  Zeit  voraus- 
geht; er  ist  besonders  in  Hessen  und 
Westfalen  verbreitet.  H:iufig  er- 
scheint der  Name  Seifen,  Siefen  oder 
Siepen  als  Gcbirgsbaeh;  seltener 
siua  ahd.  giozo  unu  mhd.  vlu'z  und 
vluz1  diese  letztere  zu  ahd.  ßiessen ; 
der  gemeinste  Name  des  fliessenden 
Wassers  aber  ist  Back;  älter  als 
dieses,  aber  in  Deutschland  selten, 
ist  alh  und  a1j\  schwedisch  elf.  Den 
Begriff  dci ■  Quelle  auszudrücken 
dienen  die  Namen  ahd.  sprinc  und 
prunno;  die  Mündung  wird  bezeich- 
net durch  ahd.  mnnd.  Stromschnellen 
und  Wirbel  durch  ahd.  hlouf\  nhd. 
Lauf,  eine  Krümmung  durch  ahd. 
hiuffo  und  bor/o,  nhd.  Beuge  und 
Bogen;  fih<\.  fartundfurl  sind  Kamen 
für  Flussübergänge,  beide  vonfara*. 
fahren,  abgeleitet.  IJfemamen  geben 
ahd.  urfar,  mhd.  nover  (Ufer'  und 
'ahd.  sf'ad  -  Gestade,  d.  h.  Stelle, 
wo  die  Schifte  nach  der  Fahrt  stehen 
bleiben,  landen,  ahd.  stadtin.  IVr 
verbreitetste  Inselname  ist  ahd. 
trarid,  nhd.  werth  und  Wörth, 
Kaiserswerth  und  Donauwörth. 

II.  Trockenes  Element. 

Das  gemeinste  Wort  für  Bodener- 
höhung  ist  Berfj,  welches  in  alten 
Namen  oft  mit  dem  etymologisch 
verwandten  Burg  wechselt;  ver- 
wandt sind  ferner  ahd.  und  mhd. 
houc  und  sein  Deminutiv  Hü'jrl. 
das  aber  erst  Luther  in  die  Schrift- 
sprache einführte;  bloss  eine  von 
diesem  Hügel  veränderte  Form  ma^r 
das  Wort  Hubel  sein,  ahd.  huhtt; 
viel  verbreitet  ist  in  Süddeutschland 
huhif,  Büchel,  eine  Verkleinerungs- 
form des  ebenfalls  vorkommenden 
buc.  Weit  verbreitet,  als  Appellativ 
aber  längst  versehollen,  ist  der 
Hügelname  ahd.  hleo,  mhd.  le9  das 
I  sich  lautlich  gern  mit  lehen  - 


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<  h  tsnamen. 


751 


gut  vermengt.     Mehr  in  Nieder- 
deutsehland zu  Hause  sind  die  zu 
werfen  gehörigen  Bildungen  Wurp, 
Wurp,    Warf,    Wurf,    Werf  und 
Werfen,  es  sind  aufgeworfene  Bo- 
denerhebungen, auch  Gcrichtsstät- 
ten,  ja  Geriehtsversammlungen  da- 
mit geineint.    Von  den  beiden  Bcrg- 
namen  Haupt  uud   A'ojtJ  iat  jenes 
in  ällerm,  dieser  in  jüngerm  Ge- 
brauch.   Dem  Begriff  des  Abhang* 
dienen  ahd.  hlita,  mhd.  Ute,  später 
auch  leit,  Ieih\  leiten,  leute,  leuten 
und  dgl.,  dann  ahd  hang,  ha/da  und 
rein,   nhd.   oft    Rain  geschrieben. 
Alt  und   verbreitet  ist   als  Name 
einer    Wasserscheide    ahd  seeit. 
Scheid,  Scheide,  Scheidt.    Deu  Fel- 
sen und  Klippen  dienen  die  Namen 
ahd.  stein,  selten  feit,  neuern  Da- 
tums Klippe,  dann  sah*  und  stouf 
wie    in  Hohenstaufen.     Dem  Be- 
griffe des  Thaies  dient  in  erster 
Linie  dieses  Wort  ahd.  tal  selber, 
das  seit  dem  8.  Jahrhundert  ziem- 
lich verbreitet  ist;   sodann  grund 
und  fall.    Überaus  reich  vertreten 
sind  in  den  Ortsnamen,  der  Ansied- 
hing  der  Deutschen  in  den  Wal- 
dern gemäss,  die  Ausdrücke  von 
Wald    und    Busch.     Ausser  dem 
Worte  Wald,  ahd.  wald,  hat  man 
holz,  ritu,  besonders  in  allen  Gau- 
namen  auf  -  wide  vertreten,  marea, 
forsf,  hnr*f,  oder  hörst,  hard,  hae, 
nhd.  Hag,  welches  anfänglich  den 
Wald,  erst  später  das  schützende 
Buschwerk,  Kinhegung  bedeutet  ha- 
ben soll;  ahd.  Itagan,  nhd.  hagen 
ist   eine   vielgebrauchte  Ableitung 
davon;  zu  derselben  Begriffsgruppc 
zählt  ahd.  linse,    Busch,  Schachen, 
/.oh,  mhd.  der  und  das  loch.  Als 
( h-tsnauic  in  ähnlichem  Sinne  wer- 
den auch  einzelne  l'Hanzennameu 
verwendet:  die  allgemeinen  Bannt 
und   das   ältere   tar,   dann  Eiche, 
Buche,  Birke,  Tanne,  Fichte.  Aifel- 
ha  um,  ahd.  apholfra  und  dgl.  Dem 
freien  Felde  gehört  als  das  häu- 
figste,   schon    im    5.  Jahrhundert 
überlieferte  Wort   Feld  an,  dann 


Heide,  ahd.  heida  -,  wang,  das  bloss 
im  Süden,  und  gest,  geest.  das  bloss 
im  Norden  Deutschlands  zu  Hause 
ist;  ahd.  ebanot,  Ebenet;  Boden; 
auch  Gau,  ahd.  gawi,  scheint  in 
seiner  ältesten  Bedeutung  dahin  zu 
gehören.  Dem  Begriff  der  M'iese 
gehören  ausser  dem  genannten 
Worte  selber  an:  ahd.  weida, 
Weide;  angar,  Anger.  Zu  den 
Sumpfnamen,  deren  Fülle  wie  beim 
Wald  auf  eine  ältere  Bodenkultur- 
stufe  hinweist,  gehören  ahd.  brvoeh, 
nhd.  Bruch,  mos,  nhd.  Moos,  womit 
sich  ahd.  mour,  nhd.  Moor,  aber 
bloss  hinsichtlich  des  Tones,  berührt, 
während  mar  mit  dem  letztern  wirk- 
lich verwandt  ist;  ahd.  fenni.  mhd. 
reit;  phuof,  unser  Pfuhl;  tacha,  nhd. 
Lache.  Andere  Namen  bezeichnen 
mehr  die  horizontale  Form  eines 
Landstriches,  das  Hineinspringen 
des  Waldes  ins  Feld  oder  des  Fel- 
des in  den  Wald,  des  Berges  in  die 
Ebene  oder  umgekehrt;  dahin  ge- 
hören ahd.  das  ort  =  Ecke,  Winkel, 
Spitze;  dann  ahd.  ekka,  Ecke,  win- 
ktl,  Zipfel,  (Sehren  —  keilförmiges 
Ackerstück ;  auch  Horn ,  Sterz, 
Schwanz,  Zagef,  Zunge  werden  der- 
art verwendet 

B.  Ausdrücke,  welche  ein  Wirken 
der  Menschenhand  bezeichnen. 

Zum  (traben,  wozu  man  das  Eb- 
nen des  Bodens  zu  irgend  einem 
Zwecke  rechnen  kann,  gehören  die 
Namen  Weg,  seitdem  h.  Jahrhundert 
bezeugt,  ahd.  steic,  welches  sich  seit 
alter  Zeit  in  Steig,  Stieg  und  Steg 
spaltet.  Wasserwege  sind  (SraJten, 
niederdeutsch  Gracht,  ahd.  sil  = 
Kanal;  wahrend  das  niederdeutsche 
Deich  die  Eidaufschüttung  bezeich- 
net, ist  das  hochdeutsche  Teich  eine 
mit  Wasser  gefüllte  Erdaushohluug; 
Niederland  und  Friesland  besitzen 
mehrere  landschaftliche  Namen  für 
ähnliche  Begriffe.  Auf  das  Schlagen 
oder  Niederbrennen  des  Waldes  und 
das  Ausgraben  der  Wurzeln,  nieder 
deutseh  roden,  hochdeutsch  reute», 


752 


Ortsnamen. 


bezieht  sich  niederdeutsch  rode  und 
iuide,  oberdeutsch  riufi ,  auch  shtf, 
shte.  Strand  und  meint,  brand  und 
hm  usf. 

Durch  ackern  und  pflanzen  er- 
geben sich  zuerst  die  Namen  bracha, 
Breite,  mhd.  der  esch  -  Ortsflur. 
Saatfeld;  zum  Kinhcgen  und  Um- 
zäunen gehören  namentlich  mhd. 
eride  —  Zaun,  Gehege;  ahd.  mttra, 
Mauer;  hora;  ahd.  sire'nja,  bairi?ch 
Schwaig  --  Viehhof;  ahd.  '/<//7o,dessen 
iiiteste  Bedeutung  ebenfalls  Umzäu- 
nung ist.  Der  höheren  und  zu- 
saw mengesetzteren  Thätigkeit  des 
Menschen,  wodurch  er  sich  und 
seinem  Eigentum  zuerst  ein  Obdach 
schafft,  gehören  an  ein  als  Ap|>cllativ 
früh  verschwundenes  ahd.  Idr,  das 
die  Bedeutung  Stätte,  Niederlassung 
im  allgemeinen  gehabt  haben  mag; 
ahd.  hus,  bis  zum  .Jahr  1100  in  nahe- 
zu 1000  Ortsnamen  nachgewiesen, 
ahd.  bür  gufalffWM,  bauen,  d.i.  wohnen 
mit  den  besonderen  Formen  bura. 
buri.  burin ,  huren,  heuern  u.  dgl.. 
sal  und  sa/ida,  mhd.  sal  und  selde 

Wohnung;  halla  und  teil,  über 
welch  letzteres  Wort  gestritten  wird, 
ob  es  von  lat.  rilht  abgeleitet  oder 
ein  selbständiger  mit  eilin  bloss  ver- 
wandter deutscher  Name  sei;  ahd. 
zimbar  wird  später  in  Ortsnamen 
Zimmern;  sfal  in  der  Bedeutung  von 
Stelle,  Stätte.  Unter  den  ( )rtsnamen, 
die  von  gottesdienstlichen,  meist  mit 
lateinischen  Namen  benannten  Ge- 
bäuden hergenommen  sind,  wie 
Kirche,  Kapelle,  sei  hier  das  ahd. 
netapnr  =  Bitthaus, erwähnt.  Herren- 
häuser haben  die  Namen  bürg  aus 
ältester  Zeit,  bitrtfstal  zuerst  im  8., 
und  seh  los*,  kaum  vor  dem  14.  Jahr- 
hundert nachgewiesen.  I  >as  ahd. 
tum  ist  im  11.  Jahrhundert  zuerst 
erwähnt,  früher  dagegen  uarta  = 
Ort  zum  Ausschauen.  Zum  Teil 
sehr  alt  sind  die  Ausdrücke  für  die 
Scheune,  chasfo  und  scura,  nhd. 
Scheuer. 

Namen  für  Häusergruppen ,  ge- 
meinsam   bewohnte  aneinanderge- 


rückte Wohnstätten  sind  ahd.  heim. 
got.  Int  i  ms,  von  griechischen  Schrift- 
stellern schon  im  1.  Jahrhundert 
n.  Chr.  erwähnt  und  ausserordentlich 
verbreitet;  seine  erste  Bedeutung 
war  einfau  h  «bis  Haus,  wohin  man 
gehört.  Ahd.  »tat,  das  vor  dem  S. 
.Jahrhundert  sich  nicht  findet,  hat 
die  allgemeine  Bedeutung  von  Stätte 
und  ist  so  wenig  als  Fhcken  häutig 
für  Namen  verwandt;  aus  dem  7.  Jahr- 
hundert stammen  die  ersten  Zeug- 
nisse für  Dorf,  ahd.  darf;  tcilari. 
Weiler  ist  mittellat.  rilht rr,  welches 
eine  Adjektivbildung  zu  rilht  ist; 
nur  verwandt  dagegen  mit  lat.  riet* 
ist  ahd  wich,  altsächsisch  trik,  das 
z.  B.  in  Brauuschweig  steckt. 

Das  Ziel  des  Grabens,  Pflanzen*, 
Kinhegens  und  Bauens  ist  endlich 
der  liesitz;  dahin  zählen  Namen  wie 
httolnt.  Hufe  und  Hube,  Ableitungen 
von  sitze» i  saza ,  stiss,  sitz,  sedal  ■. 
eiffttn,  arbi,  Krbe;  ahd.  pittnt,  jetzt 
ftaint.  poinf,  peunf,  Imnd,  das  durch 
einen  Zaun  von  der  gemeinen  Mark 
losgebundene,  die  Hofstatt. 

Das  Bedürfnis  nach  weiterer 
Schöpfung  von  Ortsnamen  hat  dem 
Geiste  der  deutschen  Sprache  gemäss 
hierwie  in  deiiPersonennamen  zu  zahl- 
losen zusa nimenrfesetzfcn  Orfsnmnm 
geführt  ,  wobei  in  erster  Linie  die 
Grundwörter  selber  zugleich  als  Be- 
stimmungswörter verwendet  wurden  : 
Wasserburg,  Bachheim,  Laufdorf, 
\\Vrdhcim,IIaldewaneh,Spitzbergen. 
Staufeneck,  Hagoiiried,  Brühlhof, 
Bruchbach.  Wegefurt,  Wallburg, 
Brachfeld.  Zaunhof,  Hofkirchen, 
Schweiglehen,  Zimmerberg,  Burgfeld, 
Wartsfein,  Heimbronn,  Sedelhof; 
bei  ä(K)  Grundwörtern  ergäbe  diese 
Art  der  Ortsnamengebung  eine  Zahl 
von  25000  möglichen  Bildungen. 
Dazu  kommen  aber  noch  sehr  viele 
Bildungen  durch  Bestimmungswörter 
anderer  Art.  wie  Zahlen  ( Kinsiedeln, 
Zweibrüeken.  Fünf kirchen),  Förthen 
I  Weissenburg,  Schwarzwald),  durch 
Attribute  der  Grösse  (Michilinstat, 
Luzilunburch  I,  der  Höhe  (Tiefenbach , 


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Ortsnamen. 


753 


l'fhova,  JSiderhusun),  der  Mitte 
I  Mittiiibrunnen,  Zwischenberg),  der 
Breite,  Lunge,  Weite  u.  dgl.,  der 
Trockenheit  und  Nässe,  Hein  heil  und 
'frühe  der  Gewässer,  der  Warme 
und  Kulte,  des-///-,  JVrw-,  und  Jung- 
seins,  der  Himmelsgegenden ;  sodann 
die  Nachbarechaft  bestimmter  Flüsse, 
wonaeh  Gaue,  <  Mlichkeiten  und 
Völker  benannt  werden;  seltener 
sind  Mineralien,  reichhaltiger  ver- 
tretendas  /7fa»2e»m<*/',W'aldbäuiue, 
Hasel  und  Dorn,  Getreide,  Gras,  die  ; 
Tierwelt,  Haustiere  sowohl  als  wilde 
Tiere,  Vögel. 

Unendlich  häufig  sind  es  endlich 
Personennamen ,  welche  den  Orts- 

Srunduamcn  näher  bestimmen  helfen; 
a  nun  die  deutschen  Personen- 
namen meist  selber  Komposita  sind, 
so  ergiebt  sich  als  Regel  eine  mehr- 
fache Komposition,  wobei  der  zweite 
Teil  des  Personen  namens,  der  somit 
die  Mitte  des  ganzen  dreiteiligen 
Wortes  bildet,  am  meisten  der  laut- 
lichen Verwitterung  ausgesetzt  ist. 
Weniger  zahlreich  sind  diejenigen 
Ausdrücke,  welche  eine  bestimmte 
Menschenklasse,  einen  Stand  oder 
ein  Gewerbe  benennen,  wie  König, 
Herzog,  Graf,  Fron,  Bischof,  Abt 
u.  dgl. ;  Meister,  Meier ;  Bezöge  des 
Hirtenstandes,  der  KneehtsehaJ't,  des 
Handwerks ,  des  Volkes  [volk,  Hut 
und  diel),  Volks-  und  Stummnamen, 
wie  Frankfurt,  Düringfeld,  Paicr- 
brunnen;  Gott  in  Göttweig,  Herr,] 
Himmel;  abstrakter  Natur  sind 
Hunger,  Namen  für  Krieg  und  Sieg, 
Hilfe  und  Freiheit,  die  Attribute  des 
heitiff  und  selig  und  das  Kreuz. 

r/ju  diesen  Ortsnamen,  denen  stets 
ein  Appellativ  des  Ortes  zu  Grunde 
liegt,  tritt  endlich  die  Bildung  eines 
blossen  Personennamens  mit  der 
Endung  ingen,  welche  die  Herkunft, 
die  Abstammung,  die  Angehörigkeit 
zu  der  genannten  Person  aussagt; 
ingen  ist  aber  der  Dativ  der  Mehr- 
zahl von  der  Einzahl  ing:  ein  Nach-  | 
komm«;  oder  ein  bloss  Angehöriger 
eines  Filo,  Tacho,  Gruono,  Vhnabi 
hiess  ein  Filing,  Taching,  Gruoning, 
Berillexleon  der  deutnohen  Altertümer. 


{'hnabing ;  eine  Mehrzahl  derselben, 
Söhne  oder  Angehörige  die  Filinge, 
Tackinge ,  Grtwninge ,  Chnabinge ; 
der  Ort,  wo  sie  wohnten,  ze  den 
Filinqen,  'Lachingen,  Gruoningen  und 
Chnahingen,  woraus  endlieh  die  weit 
verbreiteten  Ortsnamen  auf  ingen 
entstanden  sind.  Überlumpt  sind, 
wenigstens  im  Mittelalter,  die  meisten 
Ortsnamen  Dative,  weil  bei  dem 
Abgang  einer  flexivischenOrtsnamcn- 
bildung  im  Deutschen  nicht  anders 
auszukommen  war. 

Was  nun  das  allmähliche  Hervor- 
treten der  einzelnen  Ortsnamen  be- 
trifft, so  hat  Arnold  in  dem  oben 
genannten  Buche  eine  eingehende 
Untersuchung  der  hessischen  Orts- 
namen geliefert,  auf  welche  er  um 
so  mehr  Gewicht  le^t,  als  Hessen 
das  einzige  oder  weitaus  sicherste 
Gebiet  für  diese  Untersuchung  sei; 
denn  nur  hier  haben  innerhalb  der 
beglaubigten  Geschichte  stets  deut- 
sche Stämme  gewohnt.  Wir  teilen 
hier  die  Resultate  dieser  Forschungen 
in  derjenigen  Form  wörtlich  mit, 
wie  sie  derselbe  Gelehrte  in  seinem 
Buche  Deutsehe  Frzeit,  Gotha  1*79, 
niedergelegt  hat.  Er  schreibt  da- 
selbst Seite  211  ff.:  „Die,  Orte  zer- 
fallen ihrem  Alter  nach  in  drei 
Klassen,  die  sich  teils  durch  die  geo- 
graphische Lage,  teils  durch  das 
relative  Alter  ihrer  Namen  bestim- 
men lassen,  und  zwar  im  allgemeinen 
um  so  sicherer,  als  die  dadurch  ge- 
wonnenen Zeiträume  zugleich  genau 
den  in  der  Geschichte  allgemein  an- 
genommenen Perioden  entsprechen. 
Die  erst«'  Klasse  begreift  die  Namen 
der  Urzeit  bis  zur  Bildung  des 
fränkischen  Reichs  oder  den  frän- 
kischen Wanderungen  im  fünften 
Jahrhundert.  Eis  sind  entweder  ein- 
fache, oft  sehr  schwer  zu  enträtselnde 
Namen,  oder  Komposita  mit  den 
später  in  der  Sprache  ausgestorbenen, 
daher  jetzt  ebenfalls  nicht  mehr  ver- 
ständlichen Worten  aßt  (Wasser), 
lar  (Ort,  Stätte),  loh  tWald),  mar 
(Quelle,  Sumpf),  und  tar  (Baum, 
Strauch).    Sie  sind  meist  den  ein- 

48 


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754 


Ortnit.  —  Osterfeuer. 


fachsten  .sinnlichen  Wahrnehmungen 
entlehnt  und  führen  auf  die  örtliche 
Lage,  die  Bodenbeschatfenheit,  die 
Pflanzen,  Bäume  oder  Tiere  zurück, 
welche  sich  zufällig  am  Ort  der 
Niederlassung  zuerst  fanden.  Alle 
hierher  gehörigen  Orte  liegen  in 
offenen  Thälern  oder  fruchtbaren 
Ebenen,  während  die  Berge,  wenn 
es  sich  nicht  etwa  um  alte  Be- 
festigungen handelt,  erst  später  an- 
gebaut werden.  Denn  natürlich 
nahm  man  zuerst  den  besten  Boden 
in  Anspruch  und  stieg  erst,  als  die 
Bevölkerung  dichter  wurde,  in  die 
kleinen  Seitenthäler  und  die  höher 
gelegenen,  minder  ergiebigen  Ge- 
genden hinauf.  Die  zweite  Klasse 
begreift  die  Namen  der  nteroeinqi- 
sehen  Fpoche  bis  zur  Einführung  des 
Christentums  in  Hessen  und  Thürin- 
gen, also  die  Zeit  vom  fünften  bis 
zum  achten  Jahrhundert.  Sie  lassen 
sich  zuerst  mit  Sicherheit  auf  den 
oberfrankischen  Wanderungen,  be- 
sonders in  den  überrheinisehcn  Ge- 
bieten, verfolgen  und  bezeichnen 
deutlich  den  inzwischen  erfolgten 
l Ibergang  zur  festen  Ansiedelung 
und  vollen  Sesshaftigkeit  des  Volks. 
Es  sind  meist  Zusammensetzungen 
mit  den  jüngeren  Lokalbczeich Illin- 
gen -au,  -lach,  *bergy  -bom,  -fehl, 
•scheid,  -statt,  die  an  die  Stelle  der 
älteren  Grundworte  treten,  oder  mit 
Worten,  die  von  Anfang  an  mensch- 
liche Wohnsitze  bezeichnen,  wie 
•hären,  -darf,  -heim,  -hausen,  -trüf  und 
anderen,  oder  schliesslich,  und  zwar 
immer  häufiger,  mit  Personennamen^ 
welche  auf  die  Erbauer  oder  Eigen* 
tümer  der  Orte  gehen  und  die  vor 
allem  die  festere  Verknüpfung  der 
Ansiedler  mit  dem  in  Besitz  genom- 
menen Land  andeuten.  Die  drifte 
Klasse  endlich  begreift  die  Namen, 
welche  der  christlichen  Zeit  bis  zum 
Aufkommen  der  Städte  oder  dem 
neunten  bis  dreizehnten  Jahrhuudert 


angehören,  womit  die  Geschichte 
des  ältern  Anbaues  schliefst,  da  seit 
dem  Aufkommen  der  Städte  die 
Bevölkerung  dichter  zusammen- 
rückte Qua  von  den  früheren  Or- 
ten, namentlich  gerade  den  später 
gegründeten,  viele  wieder  eingingen. 
Die  Zeit  des  Interregnums  bildet 
etwa  die  Grenze,  wo  die  Rodungen 
in  der  bisherigen  Weise  aufhörten. 
Es  sind  vorzugsweise  die  Namen 
auf  -haqen,  -rode,  -sess,  -hury,  -feix, 
•stein,  deirchen,  -Cappel,  -münster  und 
-zeit,  welche  dahin  zählen;  daneben 
blieben  natürlich  auch  die  Grund- 
Worte  der  vorigen  Periode  in  Ge- 
brauch, und  die  jüngeren,  die  der 
dritten  und  letzten  angehören,  kom- 
men nur  neu  hinzu.'*  Vgl.  Ab- 
schnitt X  bei  Förstemann. 

Die  Litteratur  über  die  Ortsna- 
men ist  80  reich  und  nach  den 
Landschaften  verteilt,  dass  eine  Zu- 
sammenstellung der  engern  Samm- 
lungen hier  kaum  wird  erwartet 
werden.  Dagegen  seien  noch  er- 
wähnt die  grösseren  Werke  von 
Pütt,  die  Personen-  und  Familien- 
namen unter  Berücksichtigung  der 
Ortsnamen ,  zweite  Ausgabe.  Leip- 
zig 1859:  Försfemann,  altdeutsches 
Namenbuch  ;  Oberdeutsches  Fliirna- 
menbuch,  von  Dr.  Bück,  Stuttgart, 
18M0. 

Ortnit,  siehe  Heldensage. 

Ostereier.  Ihr  Ursprung  ist 
unzweifelhaft  heidnisch,  worauf  auch 
die  gewöhnlichen  Farben  derselben, 
rot  und  gelb,  die  Sonnenfarben, 
deuten.  Sie  sind  die  Sinnbilder 
des  neu  beginnenden  Naturlebens. 
Auch  der  Hahn,  der  sie  legt,  wahr- 
scheinlich als  Sinnbild  der  Frucht- 
barkeit, gehörte  der  Frühlings^öt- 
tin;  er  war  den  alten  Deutschen 
heilig,  sie  assen  ihn  nicht.  Wufti-e, 
Aberglauben,  §  82. 

Osterfeuer,  siehe  Feuer. 


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Palimpsc8tc.  —  Panisbrief. 


755 


P. 


Piilimpseste  heissen  beschrie- 
bene Blätter,  die  man  durch  Ver- 
nichtung der  ersten  Schrift  noch 
einmal  zum  Schreiben  brauchbar 
gemacht  und  benutzt  hat.  Sie  wa- 
ren im  Altertum  sehr  häufig,  wo 
man  von  Papyrus  die  altere  Schrift 
abwusch  oder  abkratzte,  daher  der 
schon  bei  den  Griechen  vorkom- 
mende Name  [itßXiov  Tiukifiynaiov, 
wiederabgekratztes  Buch.  Auch 
Pergament  wurde  schon  im  Alter- 
tum ahnlich  verwendet;  aber  erst 
im  Mittelalter  wurde  die  Tilgung 
älterer  Pergamentschrift  als  eine 
besondere  Kunstfertigkeit  geübt  und 
in  bedeutendem  Umfange  betrieben ; 
es  sind  verschiedene  Rezepte  und 
Anweisungen  dazu  erhalten.  In  den 
letzten  Zeiten  des  untergehenden 
Römerreiches  und  den  zunächst  fol- 
genden Jahrhunderten  wurde  im 
Abendlande  sehr  viel  reskribiert; 
die  meisten  aber  und  fast  allein 
wertvollen  lateinischen  Palimpscstc 
stammen  aus  dem  7.  bis  N.  Jahr- 
hundert. Watlenhach,  Schriftwesen 
des  Mittelalters.  Abschn.  III. 

Palissaden,  d.  h.  Pfahlbäume 
(  von  palis,  Pfahl)  wurden  schon 
von  den  Kelten  und  Germanen  als 
Befestigungswerke  benutzt,  bald 
allein,  bald  in  Verbindung  mit  Grä- 
ben und  Erd-  oder  Steinwällen. 
Vorgeschobene  geschlossene  Palis- 
saden, sogenannte  Palissadenzwin- 
ger,  scheinen  seit  dem  9.  Jahrhun- 
dert in  Gebrauch  zu  sein. 

Pallium.  Siehe  den  Art.  geist- 
liches Ornat, 

Palme,  lat.  palma.  Schon  im 
römischen  Altertum  ist  die  Palme 
Sinnbild  des  Sieges,  der  Palmzweig 
des  Siegers  Ehrenlohn.  Schon  die 
Katakomben  zeigen  Christi  Bild  mit 
demselben  geschmückt.  Erst  später 
wurde  der  Palmzweig  auch  Attribut 


der  Engel  und  aller  Märtyrer  mit 
Bezug  auf  Psalm  92,  13. 

Palmenordeu,  siehe  Fruchtbrin- 
gende Gesellschaft. 

Palmsonntag:,  dominica  palma- 
rnm,  wurde  in  der  orientalischen 
Kirche  schon  im  4.  Jahrhundert  ge- 
feiert; in  der  occidentalischen  ist 
Beda  Venerabiiis,  8.  Jahrhundert, 
der  erste,  von  dem  sich  eine  Pre- 
digt auf  diesen  Tag  erhaltne  hat. 
Schon  früh  wurde  den  zur  Taufe 
vorbereiteten  Katechumenen  auf 
ihre  Meldung  und  Bitte  um  Zulas- 
sung zum  Sakrament  an  diesem 
Tage  das  ihnen  bis  dahin  vorent- 
haltene Glaubensbekenntnis,  Symbo' 
/um  Jidei,  mitgeteilt.  An  demsel- 
ben Tage  findet  die  Palmenweihe 
und  die  Palmenprozcssion  statt;  die 
palmsfuden,  so  an  dem  pal  m  tag  ge- 
segnet, sind  nit  allein  kreffiq  für 
tüfelsche  gesnenst,  sunder  'och  alle 
ungeteilter,  domler,  hagel,  platzreffen 
ze  rertrihen,  so  die  anrfezündt  und 
der  roiteh  dem  iretter  entgegen 
schlacht.  Kessler,  Sabbata,  l!  105. 
Von  Alters  her  war  man  bemüht, 
die  Prozession  möglichst  genau  der 
in  den  Evangelien  berichteten  nach- 
zuahmen. In  den  Klöstern  und 
Kirchen  des  Mittelalters  benützte 
man  oft  einen  lebendigen  Esel,  der 
nichtig  geschmückt  entweder  eine 
'alme  mit  der  konsekrierteu  Hostie 
oder  ein  Evangelienbuch  trug,  oder 
man  begnügte  sich  mit  einem  auf 
kleinen  Rädern  laufenden  hölzernen 
Palmesel  und  einer  darauf  gesetz- 
ten Puppe,  die  den  Herrn  darstellen 
sollte. 

Panisbrief  heisst  die  Urkunde, 
in  welcher  der  Kaiser  oder  Landes- 
herr einem  Kloster  oder  Stift  be- 
fiehlt, eine  gewisse  Person  fortan 
zu  ernähren.  Solche  Pfründen  gab 
es  im  Mittelalter  in  ganz  Europa; 

48* 


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75G 


sie  leiteten  sich  von  dem  alten 
Rechte  weltlicher  Herrschaften  auf 
Unterhalt  in  geistlichen  Stiftern 
während  ihrer  Reisen  her.  In 
Deutschland  verzichtete  der  Kaiser 
erst  17iȆ  auf  das  Recht,  Panisbriefe 
zu  erteilen. 

Panzer,  panzir,  banzier,  nach 
Diez  von  panfejc  =  Bauch,  Wanst, 
abstammend,  nennt  man  die  Aus- 
rüstung des  Kriegers.  Ob  damit 
anfänglich  bloss  die  Brust-  oder  die 
Bauchbedeckung  bezeichnet  worden, 
lässt  sich  aus  den  verschiedenen  An- 
gaben nicht  genau  nachweisen. 
<S.  Harnisch.) 

Panzerbrecher  wurde  ein  Dolch 
genannt  von  circa  40  cm  Länge; 
Panzersteeher  ein  einschneidiger, 
spitzer  Sto&sdegen. 

Papier.  Der  Ursprung  dieses 
Schreibstoffes  ist  dunkel.  Die  Be- 
reitung von  Papier  aus  Baumwolle 
soll  bei  Chinesen  aus  uralter  Zeit 
üblich  und  bei  der  Eroberung  von 
Samarkand  um  704  den  Arabern 
bekannt  geworden  sein,  welche  in 
Damaskus  die  Fabrikation  lebhaft 
betrieben;  durch  die  Araber  kam 
die  Kunst  zu  den  Griechen,  welche 
im  10.  Jahrhundert  auf  Papier  ge- 
schrieben und  im  13.  den  Gebrauch 
des  Pergamentes  überholt  haben 
sollen.  Den  Namen  bekam  der 
neue  Schreibstoff  vom  altern  Nil- 
papier, charta  und  papyriut,  auch 
rharta  humhycina.  Ursprünglich 
Boll  die  rohe  Baumwolle  zur  Pa-  j 
pierbereitung  verwendet  worden  sein, 
Lumpenpapier  wird  zuerst  im  12. 
Jahrhundert  erwähnt;  da  in  den 
Lumpen  sicher  auch  oft,  ja  oft  vor- 
herrschend tinnene  Lumpen  waren, 
so  veränderte  sich  damit  von  sel- 
ber das  Material  des  Papiers;  doch 
ist  möglich,  dass  schon  die  alten 
Ägypter  auch  Linnenpapier  berei- 
teten. Von  den  Arabern  lernten 
die  Spanier  und  Italiener  die  Pa- 
pierfaorikatiou.  Von  Venedig  und 
Mailand  wurde  anfangs  Süddeutsch- 
land, von  Frankreich  und  Burgund 


das  westliche  und  nördliche  Deutsch- 
land mit  Papier  versorgt.  Die  er- 
sten deutschen  Fabriken  befanden 
sich  zwischen  Köln  und  Mainz,  am 
1320  bei  Mainz.  In  Nürnberg, 
welches  mit  Venedig  in  lebhaftem 
Handelsverkehr  stand,  errichtete 
Ulman  Stromer  1390  eine  Papier- 
mühle mit  Benutzung  von  Wasser- 
kraft, wozu  er  sich  italienische  Ar- 
beiter verschaffte.  In  Ravensburg 
wurde  1407  ein  Papirhüs  erbaut, 
aus  welchem  das  Papier  mit  dem 
Ochsenkopf  (derselbe  wird  als  Zei- 
chen des  heiligen  Lukas,  des  Pa- 
trons der  Malergilden,  erklärt)  her- 
vorging, so  man  aar  gern  in  den 
kanzleicn  nutzt.  Während  man  je- 
doch feinere  Papiere  noch  lange 
aus  Italien  bezog,  hatte  die  grosse 
Ravensburger  Handelsgesellschaft 
umgekehrt  im  15.  Jahrhundert  ihre 
Häuser  in  Valencia,  Alicante  und 
Zaragoza.  Eine  Basler  Fabrik  lies* 
1470  zur  Vervollkommnung  der  Pa- 
pierbereitung  spanische  Arbeiter  aas 
Galicien  kommen.  Von  den  Ara- 
bern wurde  auch  das  Wort  raz- 
mah  =  Bündel,  mit  dem  Papier 
übernommen,  span.  re*ma,  itaL 
risma,  franz.  ramc,  engl,  rcat*, 
deutsch  rie*,  riesz  =  20  Buch  zu 
25  Bogen. 

Das  älteste  sichere  Beispiel  einer 
Urkunde  auf  Baum  wollenpapier  ist 
eine  Urkunde  des  Königs  Roger 
von  Sicilien  vom  Jahr  1102,  das 
älteste  bekannte  kaiserlieheSchreibeii 
auf  diesem  Stoffe  ist  von  Friedrich  II. 
1228  aus  Barletta  an  ein  Nont 
kloster  in  Steiermark  gerichtet 
noch  in  Wien  vorhanden;  doch  ver- 
bot derselbe  Kaiser  1231  die  Au- 
wendung des  Papiers  zu  Urkunden, 
weil  es  zu  vergänglich  sei.  Italienische 
Notare  mussten  noch  in  späterer 
Zeit  bei  ihrem  Amtsantritte  ver- 
sprechen, kein  Panier  zu  Urkunden 
zu  verwenden;  doch  gebrauchte  man 
es  zu  Protokoll-,  Konzeptbüehem, 
Registern  u.dgl.  Wattenhach,  Schrift^ 
wesen  im  Mittelalter. 


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Parzival. 


757 


Parzival  ist  der  Held  des 


n 


höfischen  Ritterepos  von  Wolfrain 
von Esc  h  e  u  hu  c  h ,  das  nach  ihm  selber 
Parzival  hcisst  und  zwischen  1200 
bis  1207  eitstanden  ist.  Die  Handlung 
des  Parzival  gehört  der  (Jralsage 
an;  doch  haben  schon  die  französi- 
schen Quellen  des  deutschen  Ge- 
dichtes Züge  der  Artussage  damit 
verflochten.  Der  Gehalt  des  Parzi- 
val-Gcdiehtes  ist  ein  wesentlich 
ethischer;  „Parzival  ist  das  Symbol 
des  Menschen,  der  Gott  sucht,  aber 
iu  Irrtum  und  auf  Abwege  gerät, 
von  Gott  sieh  entfernt,  der  an  Gott 
in  dem  Glauben  irre  wird  und  zur 
Verzweiflung  gelangt.  Aber  vor  der 
Verzweiflung  findet  er  Genesung, 
die  Reue  erwacht,  er  besiegt  den 
eigenen  Trotz  und  Hochmut,  er 
wird  demütig,  uud  nun  erst  ist  er 
vollkommen  würdig,  das  geistliche 
Königtum  zu  erlangen.  Er  hatte 
es  gefunden,  ohne  es  zu  suchen,  in 
der  Hcrzcnseinfalt  und  Reinheit  der 
Jugend,  aber  eben  in  dieser  Ein- 
falt den  Besitz  des  höchsten  Gutes 
verscherzt.  Das  reine  Gemüt  der 
Jugend  befähigt  ihn  zum  höchsten 
Besitze;  daher  vermag  Gawein,  der 
diese  Herzensreinheit  nicht  hat,  wenn 
er  auch  in  weltlichem  Sinne  als  ein 
Ideal  des  Rittertums  bezeichnet  wer- 
den kann,  den  Gral  nicht  zu  er- 
ringen, die  Gralburg  nicht  aufzu- 
finden. Aber  erst  wenn  der  Mensch 
durch  das  Feuer  des  Leids,  durch 
innere  Trübsal,  durch  die  Nacht  des 
Zweifels  hindurchgegangen  ist,  ge- 
langt er  nach  Besiegung  des  Zweifels 
in  den  dauernden  Besitz.  Sündig 
wie  er  ist,  muss  er  in  Hochmut,  in 
Verzweiflung  an  Gott  und  au  sich 
selbst  fallen;  aber  gereinigt  geht 
er  aus  diesen  Kämpfen  hervorzum  er- 
sehnten Königtum."  Bartseh,  Einleit. 
Die  Aufgabe,  einen  ethischen  Inhalt 
von  so  umfassendem  Gehalt  in  die 
Form  romantisch-höfischer  Ritter- 
aventüren  zu  giessen,  war  sehr 
schwierig,  und  schon  Wolframs  Zeit- 
genossen haben  daher  die  dunkle 


Weisheitgetadelt,  ja  verhöhnt.  Nach- 
dem über  die  Bedeutung  der  Gral- 
sage schon  im  Art.  ttral  gesprochen 
worden,  gilt  es  hier  nur  eine  kurze 
Skizze  der  Handlung  des  deutschen 
Gedichtes  zu  geben: 

Parziral,  mhd.  Parzirtil,  altfranz. 
i'erceral,  hretonisch  Peredttr  (die 
Schreibung  Parsival  beruht  auf  einer 
von  G< irres  aus  dem  Persischen  auf- 
gestellten falschen  Deutung  des 
Namens),  ist  der  Sohn  da- 
mitrr/s  aus  dem  königlichen  Ge 
schlechte  von  Anjou  und  der  aus 
dem  Königsstamme  der  Gralshüter 
entsprossenen  Jlcrzrloide.  Nach  des 
Vaters  frühem  Tode  wird  er  von 
der  besorgten  Mutter,  fern  von  der 
Welt,  in  der  Einöde  Soltane  erzogen, 
damit  ihn  nicht,  wie  bei  seinem 
Vater  geschehen,  ein  früher  Tod  im 
Kampf  erreiche.  Da  lauscht  er 
nun  in  kindlicher  Unschuld  dem 
Gesang  der  Vögel.  Als  er  zum 
Jüngling  herangewachsen,  ziehen 
drei  gewappnete  Ritter  durch  den 
Wald,  die  der  Jüngling,  in  Er- 
innerung an  ein  Wort  der  Mutter. 
„Gott  sei  lichter  als  »1er  klare  Tag,4' 
jeden  für  Gott  hält;  er  erfährt  aber 
von  ihnen,  sie  seien  Ritter,  und 
Artus  sei  es,  der  Ritterschaft  ver- 
leihe. Sofort  erwacht  das  unwider- 
stehliche Verlangen  in  ihm,  vom 
König  Artus  Ritterschaft  zu  er- 
langen. Zwar  lässt  ihm  die  Mutter 
statt  einer  Rüstung  eines  Thoren 
Gewand  anlegen,  aus  Sacktuch  und 
Kälberfell  genäht,  und  so,  als  ein 
tumper.  zieht  er  hinaus  in  die  Welt, 
die  Mutter  fällt  vor  Gram  tot  zur 
Erde.  Parzival  aber  gelangt  nach 
Nantes  an  den  Hof  des  Königs  Artus, 
wo  er  durch  seinen  Aufzug  solches 
Aufsehen  erregt,  dass  eine  Fürstin, 
die  noch  niemals  gelacht,  durch  ihn 
zum  ersten  Auflachen  bewogen  wird. 
Auch  seine  rauhe  und  ungefüge 
Tapferkeit  erregt  Aufsehen.  Die 
erste  That,  die  er  nun  ausführt,  ist 
der  Kampf  für  die  von  übermütigen 
Freiern    bedrängte  Konduiramur 


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758 


Parzival. 


dieselbe  wird  seine  Gemahlin,  «loch 
lassen  ihn  Heimatsehnsucht  nnd 
Wandertrieb  nicht  lauge  bei  ihr 
ruhen;  er  zieht  aus,  nach  «einer 
Mutter  zu  sehen.  Anf  dieser  Fahrt 
gelangt  er  nun,  ohne  es  zu  ahnen, 
auf  die  Grahhunj  Miin.stihrri.tf/tf; 
blendende  Pracht  und  Herrlichkeit 
empfangt  ihn  im  Burgsaale.  Ein 
Knappe  bringt  eine  blutende  Lanze 
herein,bei  deren  Anblick  alle  jammern, 
Jungfrauen  tragen  Leuchter,  silberne 
Messer  und  dergleichen,  endlich  dir 
Königin  Renansc  den  Gnil,  der  alles 
Wünschbare,  auch  Speise  undTrank 
in  Fülle  gibt.  Der  Wirt  schenkt 
seinem  Gaste  ein  Schwert;  da  aber 
Parzival,  eingedenk  der  Lehre  eines 
alten  Kitters,  dass  er  nicht  allzuviel 
fragen  möge,  auch  hier  «Iii*  Frage 
nach  der  Bedeutung  dieser  Dinge 
unterlässt,  findet  er  am  nächsten 
Morgen  das  Schloss  öde  und  ver* 
lassen  und  sein  Pferd  gesattelt  auf 
dem  Ib»fe  stehen.  Bald  triflt  er 
nun  auf  Artus,  der  mit  seiner  Ritter- 
schaft den  roten  Kitter  sucht,  um 
ihn  in  seineTafelrundc  aufzunehmen. 
Da  sich  Parzival  im  Kampf  mit 
Artus'  Rittern  als  der  stärkste  be- 
währt, erklären  ihn  bald  alle  als 
der  Tafeh unde  würdig;  man  nimmt 
ihn  auf,  aber  mitten  im  Feste  er- 
scheint vom  (irale  kommend  die 
Zauberin  Vmtdrif,  verHucht  Parzival, 
weil  er  die  Frage  nicht  gethan  habe, 
und  erklärt  die  Tafelrunde  durch 
seine  Genossenschaft  für  entehrt. 
Darauf  scheidet  Parzival  aus  der 
Tafelrunde,  deren  er  sich  unwürdig 
dünkt,  und  zieht,  an  ( Jott  verzweifelnd, 
von  dannen,  den  Gral  zu  suchen. 

Über  vier  .Jahre  irrt  er  nun, 
fern  von  Gott  und  der  Heimat, 
trotzig  und  verzagt,  zweifelnd  um- 
her; das  Gedicht  verliert  ihn  ganz 
aus  den  Augen,  um  in  langer  Aus- 
führung die  Herrlichkeit  des  welt- 
lichen Rittertums,  deren  Held  Ciairrin 
ist,  zu  schildern.  Nach  vier  Jahren 
endlich,  an  einem  Karfreitag,  dessen 
Heiligkeit  er  durch  Waffentrageu 


verunchrt  hat,  weist  ein  Ritter  im 
grauen  Gewände  Parzival  zu  in  ersten- 
mal wieder  auf  das  höhere  Ziel  seines 
Lebens  hin.  indem  er  ihn  an  die 
Treue  Gottes  mahnt.  Ein  Einsiedler, 
es  ist  sein  eigener  Oheim  7 rerriz*  ttf. 
belehrt  ihn  über  die  Geheimnisse 
des  Grals;  sein  Bruder  Anfortas, 
der  Gralkönig,  habe  einst  auch  das 
Fcldgeschrei  Amur  vor  sich  herge- 
tragen, darum  habe  er  im  Streit 
unterliegen  müssen,  sei  mit  jenem 
vergifteten  Speer  verwundet  worden 
und  daher  siech,  obgleich  der  An- 
blick des  Orals  sein  Leben  friste: 
Heilung  werde  er  erst  erlangen, 
wenn  ein  Kitter  auf  die  Oralburg 
komme  und  freiwillig  nach  dem 
Leiden  des  Königs  und  nach  dem 
Gral  fragen  werde;  diesem  werde 

■  dann  Anfortas  das  Gralkönigtum 
übergeben;  er  selber  aber,  Parzival, 
sei  dafür  bestimmt.  Nachdem  er 
nun  noch  zahlreiche  Thaten  voll- 
führt,   und   infolge   davon    in  die 

;  Tafelrunde  des  Artus  aufgenommen 

|  worden,   wird  ihm  durch  dieselbe 

'  Gralsbotin,  die  ihn  einst  verflucht 
hatte,  seine  Bestimmung  zum  Köui^ 
des  Grals  angekündigt;  er  zieht  auf 

i  die  Burg,  thut  die  Frage,  erlöst  seinen 
Oheim  von  seinen  Schmerzen,  nimmt 
von  dem  Königtum  Besitz  und  findet 

'  zuletzt  seine  Gattin  mit  seinen  beiden 
Söhnen  Kurt /<•/.«.*  und  fstkrriimjritt 

I  wieder;  dieser  soll  ihm  im  Gral- 
königtum, jener  in  den  weltlichen 
Reichen  seines  Vaters  nachfolgen.  — 
Als  Grundgedanken  fasste  Wolfram 
den  Gegensatz  zwischen  dem  Stre- 
ben nach  weltlicher  iniischer  Lust 
(Oawein)  und  dem  Hingen  nach  dem 
geistigen  himmlischen  Besitze  (Parzi- 
val). Die  Geheimnisse  der  Gralburg 
und  die  verhängnisvolle  Frage  bilden 
den  Mittelpunkt,  um  welchen  der 
ganze  Stoff  sich  schürzt.  Parzival 
ist  das  Symbol  des.  Menschen,  der 
Gott  sucht,  aber  in  Irrtum  und  auf 
Abwege  gerät,  von  Gott  sich  ent- 
fernt, der  an  Gott  und  dem  Glauben 
irre  wird  und  zur  Verzweiflung  ge- 


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Passional.  —  Patronat. 


750 


langt.  Aber  von  der  Verzweiflung 
findet  er  Genesung,  die  Reue  cr- 
waeht,  er  besiegt  den  eigenen  Trotz 
und  Hochmut,  er  wird  demütig,  und 
nun  erst  ist  er  vollkommen  würdig, 
das  geistliche  Königtum  zu  erlangen. 
Kr  hatte  es  gefunden,  ohne  es  zu 
suchen,  in  der  Herzenseinfalt  und 
Reinheit  der  Jugend,  aber  eben  in 
dieser  Einfalt  den  Besitz  des  höch- 
sten Glückes  verscherzt.  Das  reine 
Gemüt  der  Jugend  befähigt  ihn  zum 
höchsten  Besitze;  daher  vermag 
Gaweiu,  der  diese  Herzensreinheit 
nicht  hat,  wenn  er  auch  in  welt- 
lichem Sinne  als  ein  Ideal  des  Ritter- 
tums bezeichnet  »erden  kann,  den 
(iral  nicht  zu  erringen,  die  Gral- 
burg nicht  aufzufinden.  Aber  erst 
wenn  der  Mensch  durch  das  Feuer 
des  Leides,  durch  innere  Trübsal, 
durch  »He  Nacht  des  Zweifels  hin- 
durchgegangen ist,  gelangt  er  nach 
Besiegung  desZweifels  in  den  dauern- 
den Besitz.  Sündig  wie  er  ist,  muss 
er  in  Hochmut,  in  Verzweiflung  an 
Gott  und  sich  selbst,  fallen;  aber 
gereinigt  geht  er  aus  diesen  Kämpfen 
hervor  zum  ersehnten  Königtum. 
Nicht  im  lauten  Treiben  der  »Veit 
findet  Parzival  den  verlorenen  Glau- 
ben wieder,  sondern  in  der  Einsam- 
keit bei  dem  Einsiedler  Trcvrezcnt, 
in  weichein  er  seinen  Oheim  erkennt. 
Dieser  belehrt  ihn,  dass  Hochmut 
und  Zweifel  den  Gral  niemals  er- 
ringen können.  Trevrezent  erzählt 
ihm,  er  selbst  habe,  wiewohl  dem 
Königsgeschlecht  des  Grals  ange- 
hörend, der  Würde  eines  Pflegers 
entsagt  und  büsse  als  Einsiedler; 
sein  Bruder  Anfortas,  der  Gralkönig, 
habe  einst  im  Kampfe  das  Fcldge- 
schei  „Amur"  ertönen  lassen,  welt- 
liche Liebe  aber  ziemen  dem  Gral- 
königc  nicht,  daher  sei  er  verwundet 
worden  und  schleppe  ein  langes 
Leben  dahin,  er  könne  nicht  sterben, 
da  er  aus  dem  Anblick  des  Grals 
immer  neues  Leben  schöpfe;  aus 
einer  Inschrift  am  Gral  wisse  man 
aber,  es  werde  ein  Ritter  kommen, 


der  die  Frage  nach  dem  Grunde  der 
Trauer  auf  der  Gralburg  thue, 
diesem  werde  Anfortas  das  König- 
tum übergeben.  Trauernd  und  doch 
voll  Trost  scheidet  Parzival  von 
ihm:  schwere  Proben  muss  er  be- 
stehen, ehe  er  das  Ziel  erreicht.  Er 
muss  mit  seinem  besten  Freunde 
Gaweiu  kämpfen,  ohne  ihn  zu 
kennen;  denn  zwischen  beiden  be- 
steht ein  innerer  Gegensatz,  der 
zum  Austrag  kommen  muss.  Der 
letzte,  schwerste  Kampf  ist  der  mit 
seinem  Halbbruder  Feirefiz,  also 
mit  dem  ihm  am  nächsten  stehen- 
den Menschen.  Aber  auch  hier  ist 
der  Kampf  motiviert  und  notwendig, 
weil  Feirefiz  noch  Heide  ist.  Der 
nach  Gott  ringende  Mensch  darf 
auch  das  Teuerste  auf  Knien  nicht 
schonen.  Mit  diesem  Kampfe,  den 
er  für  Gaweiu  besteht,  ist  seine 
Reinigung  äusserlich  wie  innerlich 
vollzogen,  und  er  darf  in  die  Gral- 
burg zurückkehren,  wo  er  die  ver- 
säumte Frage  thut.  das  Königtum 
gewinnt  uml  sein  Weib  und  seine 
beiden  Kinder  wiederfindet."  Nach 
Bartsch  in  der  Einleitung  zur  Parzi- 
val-Ausgabe.  Vgl.  Birch-llirxch- 
feld,  die  Sage  vom  Gral.  Leipzig  1H77. 

Passional,  siehe  Legenden. 

Passionsspiele,  siehe  Drama. 

Pastourelle,  Pastoreil,  heisst 
in  der  provencalischen  Lyrik  eine 
Dichtart,  welche  den  Dichter  in 
Berührung  mit  Schäferinnen  und 
Schäfern  zeigt  und  es  namentlich 
liebt,  Stücke  von  Volksliedern  in 
der  Art  eines  Refrains  anzuhäugen. 

Im  17.  Jahrhundert  tragen  den- 
selben Namen  nach  italienischem 
Muster  abgefasste  Schäferspiele.  Mit 
Ausnahme  einiger  lyrischer  Teile, 
wieder  „musikalischen  Vorbereitung" 
zu  Anfang  und  der  „musikalischen 
Application"  zu  Ende  sind  sie  in 
Alexandrinern  abgefasst  Es  gab 
auch  Pastorellen  in  Prosa  mit  ein- 
gelegten Gesangsstücken  und  ganz 
gesungene  Pastorellen. 

Pat  ronat  über  Kirchen.  Schon 


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760 


Pegnitzsehüfer.  —  Pelz. 


im  römischen  Reich«  waren  den  Er- 
bauern einer  Kirche  gewisse  Rechte 
gesichert,  Ehrenrechte,  Erwähnung 
de«  Namens  im  Kirchengehete,  Em- 
pfang mit  Weihrauch  heim  Eintritt, 
besonders  aber  Eiurluss  auf  die  An- 
stellung des  Geistlichen.  Auf  germa- 
nischem Bodeil  bildete  sich  dieses 
Verhältnis  dadurch  weiter  aus,  dass 
überhaupt  eine  Kirche  mit  ihren 
Rechten,  Gütern,  Einkünften  und 
ihrem  Personal  als  ein  Besitz  galt. 
Karl  tler  Grosse  räumte  daher  ohne 
weiteres  ein,  dass  der  freie  Mann, 
der  eine  Kirche  baue,  das  Recht 
habe  dieselbe  zu  vergeben  und  zu 
verkaufen,  sobald  nur  die  Erhaltung 
des  Gebäudes  und  des  Kultus  darin 
gesichert  bleibe.  Auch  an  ein  Kloster 
oder  an  einen  bischofllichen  Sitz 
konnte  eine  Kirche  inkorporiert 
werden,  was  wie  bei  andern  Schen- 
kungen vonGi  undbesitzuntersymbo- 
lischcn  Formen  geschah,  gewohnlich 
durch  Entwicklung  der  Schenkungs- 
urkunde in  das  Altartuch  oder 
mittelst  des  Glockenseils.  Dein  Be- 
sitzer der  Kirche  stand  in  erster 
Linie  das  Recht  zu,  den  Geistlichen 
anzustellen,  eine  Befugnis,  die  früh 
mit  der  bischöflichen  Gewalt  in 
Konflikt  geriet  und  oft  Streitigkeiten 
veranlasste;  eine  Auskunft  war  u. 
a.  die,  dass  man  den  Patronen  bloss 
die  Präsentation  geeigneter  Subjekte 
zusprach,  dem  Bischof  aber  die 
eigentliche  Erteilung  des  Amtes 
zugleich  mit  der  Ordination.  Das 
Recht  des  Patrons  ging  aber  noch 
weiter,  der  Patron  machte  Anspruch 
auf  das  Einkommen  der  Kirche, 
manchmal  verlangte  er  sogar  von 
den  auf  dem  Altar  geopferten  (iahen 
die  Haltte.  Obgleich  die  Synoden 
sich  gegen  dieses  Prinzip  wehrten, 
blieb  für  den  Patron  das  Recht 
auf  denjenigen  Teil  des  Kirclienein- 
kommens  bestehen,  der  nach  der 
Bestreitung  des  geistlichen  Dienstes 
übrig  blieb.  Infolge  der  stärkern 
Betonung  des  Kirchenrechtes  im 
1 1.  und  12.  Jahrhundert  wurde  parallel 


mit  den  Streitigkeiten  um  die  In- 
vestitur der  Bischöfe  den  Stiftern 
das  Eigentumsrecht  abgesprochen 
und  dafür  das  Recht  der  Kirche  in 
den  Voi  dergruiH  1  ges  teil  t ;  dem  G  rund  - 
herrn  blieb  nur  einerseits  «las  Recht 
des  Schutzes  und  der  Aufsicht  über 
das  Kirchengut, anderseitsdiePrascn- 
tation  zu  dein  erledigten  Amte. 

PegriiitzschHTcr,  siehe  Blumen 
orden. 

Pelz.  Aus  den  Fellen  einheimi- 
scher Tiere  verfertigten  sich  schon 
die  Germanen  ihre  notdürftige  Be- 
kleidung. Es  wird  aber  auch  ge- 
meldet, dass  sie  ihre  Pelze  auf  üer 
äussern,  rauhen  Seite  mit  köstlichen 
Pelzstücken  geziert,  die  sie  ihren 
nördlichen  Nachbarvölkern  abgehan- 
delt. Bekannt  ist,  wie  zu  Karl  des 
Grossen  Zeit  sich  die  Hofleute  in 
der  Beschaffung  köstlicher  Pelz- 
mäntel überboten,  und  zwar  werden 
als  solche  Marder-  und  Hermelinfelle 
genannt.  Scandinavisehe  und  rus- 
sische Pelze  gehörten  bald  zu  Ehren- 
geschenken, „deren  Duft"  —  wie 

|  Adam  von  Bremen  im  11.  Jahrhun- 
dert klagt  —  „unserer  Welt  das  töd- 
liche Gift  der  Hoffart  und  Eitelkeit 
eingeflösst  hat.  Und  schätzen  jene 
nordischen  Völker  die  Felle  nicht 
höher  denn  Mist,  und  damit  ist  uns 
wohl  das  Urteil  gesprochen,  da  eben 
wir  mit  jeglichen  Mitteln,  rechten 
«»der  unrechten,  nach  einem  kost- 
baren Marderkleid  wie  nach  der 
höchsten  Seligkeit  trachten.'*  Wohl 

j  vom  Anfang  des  12.  Jahrhunderts 
an  unterschied  man  die  zarten  Balge 
der  Zieselmaus  als  Buntwerk,  das 

i  Fell  der  grauen  Eichkätzchen  als 
Grauwerk  und  eine  Mischung  beider 
als  Buntgrau.  Geschätzt  waren 
Zobel,  Biber  und  Hermelin.  Die 
Pelzmäntel  wurden  von  beiden  Ge- 
schlechtern getragen,  ungefähr  in 
Knielänge,  von  Männern  mit,  von 
Frauen  auch  ohne  Armstück,  aber 
mit  Kapuze,  von  Kriegern  auch 
über  der  Brünne.  Das  Gesagte  hat 

jedoch  nur  auf  die  höheren  Staude 


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Pentagramm.  —  Perlmutter. 


761 


Bezug;  den  niederen  sowie  dem 
Bürgerstande  war  das  Tragen  von 
Pelzen  bis  zu  Ende  des  Mittelalters 
crän/.lich  untersagt,  während  der 
Ritterstand,  dem  von  Reichswegen 
ebenfalls  Vorsehriften  gemacht  wur- 
den, in  diesem  Luxus  sieh  nicht  ein- 
schränken liess.  Der  Pelz  wird 
immer  weiter,  schliesst  sich  vorn 
und  erhält  namentlich  beiden  Frauen 
solche  Länge,  dass  zum  Tragen  der 
Schleppe  eine  dienende  Hand  nötig 
wird.  Im  15.  Jahrhundert  wird 
der  Pelz  wieder  enger  und  ver- 
sehwindet auch  beim  weiblichen 
Geschlecht«  so,  dass  ausser  dem 
Schulterkragen  uur  noch  eine  köst- 
liche Pel/garuitur  des  Obcrkleides 
Platz  greift.  Auch  bei  den  Männern 
wird  er  in  der  zweiten  Hälfte  des 
genannten  „Jahrhunderts  zu  einem 
einfachen  Überrock,  während  er  im 
16.  Jahrhundert  sich  wieder  ver- 
längert und  erweitert 

Wehn,  Kostümkundc;  vergl. 
Weinhold,  deutsche  Frauen,  Ab- 
schnitt IX. 

Pentagramm,  siehe  Drudenfuss. 

Pergament  soll  seinen  Nnmen 
folgender  Begebenheit  verdanken: 
Als  König  Eumenes  II.  in  Pergamus 
eine  Bibliothek  anlegte  und  so  als 
Nebenbuhler  der  Ptolemäer  in  Ale- 
xandrien auftrat,  verboten  diese  aus 
Eifersucht  die  Ausfuhr  des  Papyrus 
und  zwangen  dadurch  die  Gelehrten 
von  Pergamus,  sich  wieder  dem 
altasiatischen  Schreibstoff,  den  Tier- 
häuten, zuzuwenden;  da  sich  infolge 
davon  die  Zubc reitung  der  letzteren 
sehr  verbesserte,  wurden  sie  seitdem 
als  charta  Penjamena  bezeichnet. 
Seitdem  blieb  das  Pergament  neben 
dem  Papyrus  ein  beliebter  Schreib- 
stoff.  Im  Mittelalter  unterschied 
man  das  italienisch  -  spanische  und 
das  deutsch-französische  Pergament; 
bei  jenem  sind  die  beiden  Seiten 
verschieden,  bei  diesem  meist  gleich 
bearbeitet.  Das  feinste  Pergament 
gaben  die  Häute  ungeborener  Läm- 
mer; es  ist  sehr  dunn,  weiss  und 


glatt,  konnte  aber  nur  zu  ganz  klei- 
nen Handschriften  dienen;  es  heisst 
schon  im  Mittelalter  Jungfern perga- 
ment;  das  gewöhnliche  Pergament 
war  von  der  Haut  des  Hammels, 
der  Ziege  und  des  Kalbes.  Das 
Pergament  war  ein  Handelsartikel, 
wurde  aber  in  abgelegenen  Gegen 
den,  Klöstern  u.  dgl.,  oft  recht  löche- 
rig und  roh,  zum  eigenen  Bedarf 
zubereitet.  Nach  und  nach  entstand 
ein  Gewerbe  der  Pcrgamentinacher, 
mhd.  pergamenter,  Itermenter ,  per- 
munzer,  pinneler,  htutchf eller ;  sie 
verkauften  ihre  Ware  nach  Stücken, 
Häuten  und  Quuternen. 

Schon  in  alter  Zeit  färbte  man 
das  Pergament  purpurn,  zuerst  wohl 
nur  für  den  Umschlag  der  Köllen 
oder  für  das  am  oben»  Runde  der 
Rolle  ungebruchte  Titelblättehen. 
Im  3.  Juhrhundert  über  war  schon 
die  Mode  herrschend,  ganze  Werke 
uuf  purpurnem  Pergumeiit  mit  Gold 
und  Silber  zu  schreiben;  Hieronymus 
und  Chrysostomus  eiferten  dugegen; 
die  merkwürdigste  und  vielleicht 
älteste  dieser  Handschriften  ist  der 
Codex  argen  tett*  der  gotischen  Bibel- 
übersetzung zu  Upsala.  Von  Italien 
kam  diese  Kunst  zu  den  Angel- 
sachsen; auch  Karl  der  Grosse  hatte 
eine  Vorliebe  dafür;  meist  waren* 
es  Bibt'lhandschriftcn .  denen  diese 
Ehre  zu  Teil  wurde.  Nach  dem 
9.  Jahrhundert  schrieb  man  bloss 
noch  einzelne  Blätter  auf  diese  Art 

Wattenbach,     Schriftwesen  im 

Mittelalter. 

Perlen  werden  als  besonders 
kostbarer  Schmuck  neben  Edelstei- 
nen wohl  schon  früh  im  Mittelalter 
erwähnt,  dagegen  als  Halsbänder, 
Hut-,  Hauben-,  Kragen-.  Ärmel-  und 
Hamlschuhbcsatz  der  Damen  erst 
eigentlich  im  16.  Jahrhundert.  An 
den  Höfen  hielt  man  zur  Anfertigung 
solcher  Arbeiten  eigene  „Perlen- 
hefter". 

Perlmutter.  Die  Perlmutier 
war  schon  den  Meistern  des  früheren 
Mittelalters  bekannt  und  namentlich 


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762 


Perrüeken. 


ZU  eingelegten  Arbeiten  un<l  'fablet-  ,  Sie  kostete  bis  KHM)  Thaler  und  war 


Perrüeken  waren  schon  in  Rom  j  wer  sie  nicht  so  köstlich  aus  Mcn- 


lich:  sie  verschwinden  jedoch  —  sen,  der  begnügte  sieh  mit  einer 
wenigstens  im  Abendlande  -  vom  j  kleineren,  die  auch  nötigenfalls  aus 
Schauplätze,  bis  sie  im  15.  Jahr-  [gesottenen  Pferde-  oder  Ziegen- 
hundert am  burgundischen  Hofe  auf- 1  haaren  hergestellt  sein  durfte.  Bot 
tauchen.  Das  Bestreben,  lange  Haare  der  Nachahmungssucht  der  Nach- 
zu  tragen  und  diese  durch  Wickel,  barvölker  fehlte  es  nicht,  dass  in 
Brennen  und  Kinölen  zierlich  zu  kurzer  Zeit  der  französische  Ge- 
kräuseln, liess  diejenigen,  denen  die  schmaek  auch  hierin  ringsum  An- 
Natur den  starken  Haarwuchs  ver-  klang  fand. 

sagt  hatte,  auf  den  Gedanken  kom-j  Als  Amtstracht  erscheint  die 
inen,  das  Fehlende  künstlich  zu  er-  Perrücke  besonders  bei  den  Advo- 
setzen.  So  nahmen  sie  zu  dem  kateu;  doch  suchten  sich  auch  zu 
„falschen  Haare"  Ihre  Zuflucht.  Her  wiederholten  malen  und  nicht  ganz 
Name  „Perrücke44,  franz.  prmn/u*.  ohne  Frfolg  Geistliche  das  Recht 
engl,  periwig,  findet  sich  zuerst  bei  des  Tragens  einer  „bescheidenen 
Brantöme  um  1570.  Am  beliebte-  Pernicke44  auszuwirken,  wie  sehr  auch 
sten  waren  die  hhmden  Perrücken,  eben  ihre  Synoden  die  neue  Mode 
wie  denn  überhaupt  die  blonden  als  lächerlich  und  sündhaft  erklärten 
Flechten  für  die  schönsten  galten;  und  mit  scharfen  Erlassen  gegen 
eine  Ansicht,  die  von  den  französi-  dieselbe  ankämpften.  Auch  Schrift 
sehen  Frauen  ausgegangen  sein  i  steller  leisteten  das  Menschenmög 
soll  und  für  lange  Zeit  im  ganzen  liehe,  aber  nicht  mit  mehr  Krfolg. 
Abeudlande  unangefochten  blieb.  So  schreibt  Michael  Freund  in  seinem 
Die  Haare  wurden  daher  nötigen  „AhtmnihTtnßt^  um  1682:  „Heu 
falls  gefärbt  und  gebeizt.  Aber  tiges  Tages  regieret  auch  ein  b«- 
auch  die  Männer  suchten  sich  auf  sonderet  Haar-Teuffel  bey  d»*u 
ähnliche  Weise  zu  schmücken.  Nach  Mann-  und  Weihspersonen,  sie  führen 
einem  Briefe  des  italienischen  Dich  damit  einen  sonderlichen  Pracht, 
ters  Marino  trugen  um  Mi  15  in  hissen  dieselben  weiss,  gelb,  bleich, 
Paris  auch  die  Männer  „auf  dem  n»th,  braun  färben,  mit  besonderen 
Kopfe  einen  falschen,  aus  Haare  ,  Zangen  krausen,  auftYeihen  und 
nachgemachten  Kopp*  und  bald  war  !  puffen.  Wie  viel  tausend  und  aber 
auch  der  schönste  natürliche  Haar-  '  Iteiehsthaler  werden  vor  J'ttnu/rr,, 
wuchs  nicht  mehr  gut  genug;  die  I  bezahlet?  die  mancher  gar  wohl 
Perrücke  war  zur  Modesache  und  entrathen  könnte,  weil  er  sonst  Haar 
so  für  die  Leute  von  Stand  zum  I  genug  autf  seinem  Koptfe  hat.  Wie 
Bedürfnis  geworden,  dass  um  die  j  viel  hundert  Dukaten  verstieben 
Mitte  der  fünfziger  Jahre  das  Fak-  mit  dem  HaarpouderV  Die  stinkende 
totuin  seiner  Zeit,   Ludwig  XIV..   Perrücke    bestreuet    mancher  mit 


sondern  auch  gleichzeitig  4M  Hof-  da*s  er  eines  Müllen  Sohn  nicht 
perrüekeninacher  ernannte  und  für  ungleich  siehet;  oder  man  doch  zum 
Paris  und  die  Vorstädte  eine  eigene  >  wenigsten  vermeinen  sollte,  dass  er 
Körperschaft  von  2(H)  JWrui/uirr.'t  den  Konff  im  Meelsacke  gehabt 
ernannte,  von  welcher  die  durch  des  hätte.  Vor  andern  hat  der  Alaino- 
Königs  heib- jH-rrw/ttier  Binette  um  >  dische  Haar-Teuffel  sein  Spiel  mit 
tfiTl  erfundene  .J»  nette  Ojrand  /«-  den  Alamodischen  Locken,  so  man 
folioj"  getreulich  nachgeahmt  wurde,  über  die  Stirn  und  Gesicht  herunter- 


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Personen-  und  Familiennamen. 


<63 


hangen  lasset,  wiedieloekete  Wassor- 
hund,  mit  sonderbaren  Haarhauben, 
so  von  frembden  Haar  gernaehet, 
und  anft'  das  Haupt,  als  wenns  na- 
türlich Haar,  gesetzet  werden,  lassen 
ihnen  güldene  Feilspäne  darein 
streuen,  auch  wohl  gar  Gold  darein 
flechten";  u.  s.  w. 

Nach  Weixx,  Kostümkunde. 

Personen-  und  Faiiiilieiiiiauieii. 

I.  Personennamen. 

Hei  den  Germanen  geschah  die. 
Saniemjettiinq  der  Kinder,  altnordisch 
nafnfexti  —  NamenfestigUHg,  in  feier- 
licher Weise  nach  der  Geburt:  nach- 
dem das  Kind  durch  den  Vater  vom 
Hoden  aufgehoben,  gebadet  und  mit 
Wasser  begossen  war,  wurde  ihm 
vom  Vater,  oft  aber  auch  vom  Gross- 
vater oder  vom  mütterlichen  Oheim 
der  Name  zugeteilt  und  dabei  ein 
Geschenk  übergeben.  Der  Name 
wurde  aber  hauptsächlich  mit  Rück- 
sicht darauf  gewählt,  dass  derselbe  die 
verwandtschaftlichen  Heziehungen 
angeben  sollte,  und  zwar  auf  ver- 
schiedene Art.  Entweder  geschah 
die  Abwandlung  der  Namen  durch 
Ablaut  oder  Luutstcigcrung:  Ad<i 
und  Iota,  Adalhilt  und  Codalhilt, 
(Hier  durch  den  Stabreim:  Sigelint, 
Siaeinuitt,  Sigefrit;  Dietirart,  Diet- 
mar, Dielerieh;  Wolf  hört ',  Wolf 
braut;  Liudger,  JJudgart ;  Hilde- 
ttrant,  floduhroiif;  (1  initiier,  (ierudt, 
Gutelker,  wobei  meist  der  ganze 
erste  Teil  der  Komposition  bewahrt 
worden  ist;  auch  der  zweite  Teil 
der  Wortzusammensetzung  wurde 
zur  Andeutung  der  Verwandtschaft 
gebraucht,  z.  H.  in  St.  Gallischen 
Urkunden  die  Hrüder  Erinnert  und 
Amol  perl;  Tintulf,  Mero/f  und  lJix- 

adf;    Hilpert    Und     Ixauihert;  gern 

wurde  dem  neugeborenen  Kinde 
auch  der  Name  des  Grossvaters  oder 
des  Oheims  gegeben.  Auch  das  | 
kam  vor,  da«s  man  dem  Kinde  einen 
Namen  aus  den  Namen  von  Vater 
und  Mutter  zurechtmachte. 

Abgesehen  von  den  genannten 


/erwandtsehaft  liehen  Rücksichten 
waren  die  Deutschen  gewohnt,  Sinn 
und  Bedeutung  auf  den  Namen  zu 
legen;  es  sollte  ein«'  heilsam  weis- 
sagende Kraft,  die  im  Namen  lag, 
dein  Träger  zugute  kommen.  Ein- 
fache Namen  sind  wenige  auf  uns 
gekommen;  es  gehören  dazu  Emxt, 
ahd.  Eruuxt,  der  zum  Kampfe  ent- 
schlossene, Karl.  Liupoxta,  Tragan/a, 

Wahxanta  (die  Tragende  und  Wach- 
sende), Perahta  —  Hertha,  Ida,  Ära, 
Sira/thi ,  Vrixtinna.  Weit  häufiger 
sind  die  zusammengesetzten  Namen, 
in  denen  die  einfachen  Namens- 
8tämme  in  allen  möglichen  Kombi- 
nationen sich  verbinden.  Ihre  Fülle 
und  Mannigfaltigkeit  setzt  in  Kr- 
Btaunen,  und  zwar*  ist  es  namentlich 
zweierlei,  was  sich  in  ihnen  zumeist 
wiederspicgclt  :  Die  Heziehungen  des 
Menschen  zur  Gottheit  und  die 
häutigste  und  ruhmvollste  Heschäf- 
tigung,  der  Kampf. 

Das  deutsche  Wort  Hott  Huden 
wir  in  den  Namen  GoÜeih,  woraus 
G  off  lieb  entstanden  ist,  er  bedeutet 
aber  ursprünglich  gottgeboren;  ferner 
in  Godefria,  GodaJtcalc  (Gottes- 
knecht), Godurin  (Gottesfreund), 
(i utahart,  Goderam  (Gottes  Rabe). 
Während  dann  freilich  die  Namen 
der  hohen  Götter  und  Göttinnen 
selbst,  wie  Wim/an,  Donar,  Ziu, 
Ero,  Erigg  in  Xamenzusammcn- 
setzuugen.  wohl  aus  religiöser  Sehen, 
nur  ausnahmsweise  verwandt  werden, 
sind  dagegen  die  untergeordneten 
Götterwesen  sehr  häutig,  so  nament- 
lich die  Axen  oder  Anten,  in  A Ux- 
heim, Anxberf,  Anxfred  und  in  angel- 
sächsischer Form  Oxlor,  Oxtrold. 
Au  die  Äfften  oder  Elfen  erinnern 
AUirrirh,  Albuin  (Albwin  =  Elfen- 
freund),  Alfred  =  Elfenrat,  Alpger, 
Albxind.  Im  Gegensätze  zu  ihnen 
stehen  die  Iii  exen.  Hünen  und  Thur- 
sen,  deren  Geschlecht  in  Ilunittatd, 
Huuipreht  (franz.  Uvdtert,  ital.  Um- 
fterto),  Hunfrid,  Humltotd,  Thurix- 
mund  niedergelegt  ist.  Heilige  Tiere, 
die  in  der  Namengebung  viel  ver- 


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764 


Personen-  und  Familiennamen. 


wandt  wurden,  wind  Wolf  und  Rahe, 
ahd.  ram.  Wolf  lej^t  "sich  in  der 
Form  uff  oder  off  fast  an  jeden 
andern  Stamm,  und  es  linden  sieh 
z  B.  Adulf\  Arnulf  Gero/f  Gundolf, 
Hildulf.  Meinolf  Rudolf  Reginoff 
Thitufotf  ififfo/f;  Fnrstrmann  Eählt 
Ihrer  etwa  870;  auch  an  erster  Stellt' 
des  Namens  erscheint  das  Wort, 
wie  in  Wolfrat,  Woffger,  Wolfart. 
Wie  der  Wolf,  so  ist  aueh  der  Rabe 
WuotanA\s  dem  obersten  Schlachten- 
Lenker  heilig:  sein  Name  liegt  in 
Jlifliram,  Guntram,  Stgiram»  Wolf- 
hraban,  Waldram,  Bertram,  Ram- 
Itert.  Wich  ram,  Aid  ram,  Enge!  ram. 

Die  Tiernamen  haben  aueh  eine 
allgemeinere  Beziehung  zum  Mut, 
zur  Kampfeslust  der  Germanen;  in 
diesem  Sinne  erhielt  u.  a.  der  Knabe 
den  Namen  Ehenein  oder  Wolf  tritt, 
Eber-  oder  Wolfsfreund.  Auf  den 
Büren  weisen  Namen  wie  Bt  rnhart, 
Bernteart.  Brrno/d,  Ileringar,  Isan- 
pero,  auf  den  AarArnotfuml  Arnold, 
auf  den  Eber  Eherhart,  Eltertrart, 
Ehersteind.  Lint  =  Sehlange,  und 
Sieana  =  Schwan  dienen  zu  weib- 
licher Namengebung:  Ger/int,  Burg- 
lint,  Rih/inl,  Stranahild,  Straiuthurg, 
Str  anagart. 

Noch  wirksamer  für  die  Namen- 
gebung  der  Männer  wie  der  Frauen 
sind  Namen  des  Krieges,  des  Ruhmes, 
der  Ehre;  die  hierher  gehörenden 
Worte  sind  namentlich  gund,  hild, 
hadti,  teijf.  Von  gund  kommt  z.  B. 
Guntram,  Gunthelm,  Gundhert, 
Gttnthari  =  Günther,  Gttnfoff  Gun- 
dohert,  ( itindemar  ;  Hildegunde,  Adel- 
gunde, Kunigunde, Fredegunde.  Noch 
zahlreicher  sind  die  Zusammen- 
setzungen mit  hild:  Hifdehrand, 
Nif  derieh .  Hildehert,  Hildefons, 
Hildebald,  Hildoff,  weibliche  Namen 
HUdehurg ,  Hildegard ,  Hiltrud, 
Mt  t  eh  lifd ,  B  ru  nhif.de ,  G  i  'im  h  ilde, 
(Mathilde.  Das  Wort  hadu  begegnet 
in  lladtthrant,  J/adttmar,  Hadolt, 
Rudolf  J fad u  triff ;  im  letzteren  Namen 
erscheint  hadu  mit  dem  Kriegswort 
mg  verbunden,  das  sich  u.  a.  auch 


in  Hl g  hold,  Wiff/jert,  Wirft  man, 
Wielef  Hlmloteig  =  Ruhineskampf, 
Hartteig  und  He  neig  vorfindet.  An 
den  Streit  schliesst  sieh  der  Siegt 
daher  Siffteart,  Sigfrid,  Sigmund, 
Sigihald,  Sig/tert,  Sigharf,  Sigimar, 

I  Sigihelm,  Sigilind.    Auch  die  U'ajfen 
der  Helden  klingen  aus  den  Namen 

|  wieder,  zunächst  das  Eisen:  I*in- 
grim.  Isenhart,  Isenlnjld.  Als  haupt- 
sächliche Trutzwafte  erscheint  die 
kurze  Lanze,  ger  oder  her,  welches 
in  Ganhaid,  Gerhard,  Gerotd,  (Itr- 
laeh,  Gerwin,  Gerltert,  in  Sofk-rr, 
Berengar,  Edgar,  Wolfger,  Anxiaar 
=  altsächsisch  Osgar,  die  Wehr  der 
Ansen,  vorkommt;  ebenso  findet 
ä'whgisal  —  Peitsche,  grima  —  Helm, 
lind  heim  selbst  in  Namen  wie  Gixel- 
hreeht  und  Giselher;  Isengrim  um! 
Eohrngrim ;  Jfe/nwld  und  Helmger ; 
Wilhelm  (Willensschutz)  und  Anjt- 
ftetm  (  Asenschutz),  JHethelm  =  Volks- 
schutz. In  Eekehart,  Eglnrt,  Egi- 
nolf  steekt  eg  oder  «'»7//*  =  Schwert. 

Unter  den  kriegerischen  Eigen- 
schaften ist  vor  allem  Kraft  und 
Stärk«*,  ellan  und  magan  hervorzu- 
heben, daher  Ell  an  hart  und  EJUn- 
trud;  Meginral  oder  Meinrad  und 
Meinfiart,  Meinhold.  Meainhold  und 
Meginhreht.  Der  Begriff  der  Kuhn 
heit  liegt  in  den  mit  nattd  und  Imld 
gebildeten  Namen:  Sa ndulf  (kühner 
Wolf ),  Siginand  (siegeskühn);  BaJd- 
trin,  Bai  de  rieh,  ThetAmld  —  der  mit 
tapferem  Volk,  lAutbold  oder  Eru- 
jtotd,  Willibald,  Sigihald  und  Hrri- 
hald.  Unser  heutiges  Wort  Kuhn 
rindet  man  in  Kuvno  uud  Kuonrat 
=  Kühn  im  Rat.  Hart  bezeichnet 
strengen  Mut  und  ausharrende  Kraft, 
davon  Hartum/t,  Harfmuot ,  Hart- 
hert,  Sithart  =  stark  im  Zorn,  Ger- 
hart, Gehhart,  Bernhart  =  der  mit 
Barenkraft,  Eiterhart,  Wolf  hart. 
Burehart,  Riehhart,  Regin-  oder 
Reinhart,  Meqin-  oder  Meinhart, 
Golhart,  Erhart,  Eckehart.  Mit 
mar  =  berühmt,  kommen  vor  Adal- 
mar,  Dancmar ,  Waldemar,  l'olk- 
mar,   Rudmar.    Zahllos  sind  die 


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Personen-  und  Familiennamen. 


765 


Namen,  die  mit  pcraht  oder  preht 
=  glänzend  gebildet  sind:  Albreh  t 
aus  Adalperaht,  der  durch  Adel 
glänzende,  Hildebreht,  woraus  später 
Jlildebrant,  Haduberaht Megin- 
fterahf.  Herrschaft  und  Gewalt  sind 
ausgedrückt  in  rieh:  Richbert,  Rieh- 
irin,  Richbatd,  Friderich,  Heinrich, 
Theoderich ,  Jlilderich ,  Rieht  int, 
Richdrut.  Kollektivbcgriffe,  aus 
denen  sich  Personennamen  bilden, 
sind  Heer, flhd.  hari,  heri:  Hermann, 
Heribert,  Guntaehar- Günther,  Chfo- 
thachar- Lothar-  Luthar ,  Giselher, 
Sipeher.  Merilint,  Heriswind,  rote  in 
Folcwin,  Folerat;  ahd.  diot,  mhd. 
diel  in  Dietrich,  Diethild,  Dietpert, 
Diefhelm,  Thietmar,  Diether,  Diet- 
linde, Theoderada,  und  mhd.  Hut, 
nhd.  Leut,  in  Luitpold,  l.iutprand, 
Luit  per  u.  a.  Ahnlicher  Natur  sind 
Namen,  in  denen  laut  und  marc 
stecken,  wie  iMndfrid  und  Marc- 
warf. Geburt  und  Stellung,  Dienst- 
verhältnisse und  Stand  bezeichnen 
Begriffe  wie  schalk  =  Knecht,  diu 
oder  deo,  der  oder  die  Dienende,  in 
Engildeo,  L*mindeo,Adaldeo;  sodann 
deipin  (Degenhart),  erl  und  karl  in 
Krlebald  und  Karlman\  kuni  = 
Geschlecht,  in  Kunigunde ;  fara  von 
derselben  Bedeutung  in  liurgundo- 
fara,  Adal  in  zahlreichen  Namen. 
Wieder  eine  andere  Gruppe  schliesst 
den  Begriff  des  Schützenden,  Ber- 
genden in  sich;  dahin  gehören  die 
mit  berga,  birg,  bürg,  zusammenge- 
setzten Namen;  sie  werden  meist 
für  Personen  weiblichen  Geschlech- 
tes, wie  Hilthurg,  Frideburc,  Gun- 
disberga,  verwendet,  während  um- 
gekehrt ahd.  munt  =  Schutz,  Vor- 
mundschaft, seiner  Bedeutung  ge- 
mäss fast  ausschliesslich  zur  Bildung 
von  Männernamen  gebraucht  wira: 
Sigmund,  Faramund ,  Ratmund. 
Auch  das  Wort  fride  bedeutete  ur- 
sprünglich Schutz  und  Sicherheit 
und  ward  wie  wart  und  walt  einst 
gerne  zu  Namen  verwendet:  Fride- 
heim.  Marewarf ,  Walthari ,  Walt- 
frid,   Oswald;  das  letzten?  Wort 


walt  wird  dann  zu  oald  —  Rodoald, 
H'uffoald  —  und  zuletzt  zu  old, 
Reinold,  Gerold,  Arnold,  Bernold. 
Zwei  Stämme  haben  die  Bedeutung 
von  Rat:  das  ältere  ragin  oder  reqin 
in  Reginwald,  Reginfiald ,  Regins- 
wind, und  das  Wort  rat  selber,  das 
z.  B.  bei  den  Namen  Ratmund  und 
Radegunde  vertreten  ist. 

Aus  solchen  und  vielen  andern 
Wortbildungen  —  es  ist  hier  bloss 
eine  Auswahl  zur  Besprechung  ge- 
langt —  setzte  sich  der  alte  Schatz 
der  deutschen  Personennamen  zu- 
sammen und  blieb  im  Ganzen  bis 
gegen  das  Ende  des  Mittelalters  zu 
Recht  bestehen,  wobei  Stammes- 
und Familienüberlieferiingeu  oft  von 
Einflu88  waren;  so  kommen  Fried- 
rich, Rudolf  und  Albert  vorwiegend 
in  Schwaben,  Luitpold  und  Diet- 

E)ld  bei  den  Bayern,  Heinrich, 
udwig  und  Kuonrat  bei  den  Rhein- 
franken vor.  Im  karlingischen  Ge- 
schlecht waren  Karl,  Ludwig  und 
I^othar  zu  Hause,  bei  den  Hohen- 
staufen Friedrich,  bei  den  Zährin- 
gern Egino,  bei  den  Habsburgern 
Albrecht,  Rudolf,  Leopold  und  Fried- 
rich, bei  den  Wittelsbachcrn  Otto. 
Heiligennamen  kamen  für  geistliche 
Personen  seit  dem  7.  und  8.  Jahr- 
hundert, aber  nur  vereinzelt  vor; 
die  höfische  Romantik  bevorzugte 
eine  Zeitlang,  doch  mit  nicht  we- 
sentlichem Erfolg,  Namen  des  hö- 
fischen Epos,  wie  Parzival,  Tristan. 
Zu  derselben  Zeit  nahm  die  Zahl 
der  kirchlichen  Namen  zu,  nament- 
lich Johannes,  Petrus,  Paulus,  Ja- 
cobus,  Philippus,  Michael,  Christoph, 
Martin,  Georg,  Judith,  FJisabeth, 
Maria,  die  zum  Teil  besonders  da 
sich  verbreiteten,  wo  der  Heilige 
besonderer  Verehrung  genoss.  Die 
Häufung  mehrerer  Vornamen  kommt 
seit  dem  14.  Jahrhundert  auf. 

Seit  der  Reformation  wurden  in 
protestantischen  Ländern  biblische 
Namen  und  im  Gegensatze  dazu  in- 
folge der  Gegenreformation  in  ka- 
tholischen Gegenden  die  Heiligen- 


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766 


Personen-  und  Familiennamen. 


namen  sehr  geläufig,  so  dass  seit- 
dem  von  den  alten  deutschen  Na- 
men  nur  ein  kleiner  Bruchteil 
übrig  blieb,  solche,  welche  ebenfalls 
heilige  Patrone  aufzuweisen  hatten, 
und  solche,  wfelehe  besonders  unter 
dein  Landvolk  als  stets  wieder- 
kehrende Rufnamen  festwurzelten, 
wie  Karl,  Fritz,  Heinz,  Kunz. 
II.  Familiennamen. 

Familiennamen  treten  um  die 
Mitte  des  11.  .Jahrhundert-  zuerst 
beim  Adel  auf  und  beziehen  sich 
auf  Güter  oder  Schlosser,  die  der 
Familie  angehören.  Doch  w  echseln 
sie  noch  in  den  folgenden  Genera- 
tionen, sind  auch  etwa  bei  Brüdern 
nach  deren  verschiedenem  Besitz 
verschieden.  Eigentliche,  stehende 
Geschlechtsnamen  findet  man  zuerst 
in  Venedig,  wo  schon  H0(.*  «"ine  Fa- 
milie Ha  rti  einen*,  dann  836  Tarda- 
nini*,  887  Caiidianujt  vorkommt, 
wie  man  vermutet,  nach  einem  von 
Konstantinopel  her  eingeführten 
Brauche;  von  Venedig  verbreitete 
sich  die  Sitte  in  andern  italienischen 
Städten,  in  Mailand  seit  882,  in 
Verona  seit  905,  Florenz  973,  und 
trat  im  12.  Jahrhundert  bei  uns  auf, 
in  Köln  z.  B.  seit  1106,  in  Zürich 
seit  1145,  in  Basel  seit  1168.  Über- 
all findet  man  die  Geschlechtsna- 
men zuerst  in  den  grösseren  Städ- 
ten und  zwar  bei  den  vornehmem 
Bürgern,  Ministerialen  und  Patri- 
ziern. Was  an  Rang  über  und  was 
unter  diesem  Stande  ist,  der  hohe 
Adel  und  die  Geistlichkeit,  der 
Handwerker  und  hörige  Bauer,  hält 
vorläufig  noch  an  dem  alten  Brauch 
der  einfachen  Namengebung  fest; 
erst  infolge  grösserer  bürgerlicher 
und  staatlicher  Freiheit  nehmen  die 
letztern  mit  der  Zeit  auch  Ge- 
schlechternamcn  an,  wie  denn  unter 
den  freien  Landleuten  von  Uli 
schon  im  13.  Jahrhundert  solche  zu 
Tage  treten. 

In  bezug  auf  die  "Bedeutung  der 
Famif iennatnen  lassen  sich  etwa 
folgende  Gruppen  unterscheiden: 


a)  JWxonennamcn  ah  (ie- 
schlechhnamen  sind  dadurch  entetau - 
,  den,  dass  sich  ein  Geschlecht  als 
•  Nachkommen  eines  angesehenen  Ah- 
nen benannt  hat,  wobei  Anfangs 
der  vollständige  Ausdruck  lautete 
wie  z.  B.  Heinrich,  Sohn  des  Ar 
nold.  Es  ist  aber  auffallend,  dass 
die  überwiegende  Mehrzahl  dieser 
Namen  nicht  im  Genitiv  sondern  im 
Nominativ  auftritt,  z.  B.  schon  im 
8.  Jahrhundert  ein  Sigfrid  ßlit** 
Siijmundu*,  im  11.  Jahrhundert 
bquo  Folcaldns,  eine  Erscheinung, 
die  man  aus  einer  gewissen  Erstar- 
rung der  Sprache  erklärt.  Im  bo- 
sondern  wandte  man  zur  Bezeich- 
nung der  patronymischen  Abstam- 
mung folgende  Mittel  an: 

Die   l  erklrineru  nys-  oder  K  osf  - 
fbrm  des  J'erttonennamenx ;  dieselbe 
wirkt  natürlich  in  erster  Linie  in 
den    Personennamen    als  solchen, 
wie  denn   in   einer  Urkunde  des 
10.  Jahrhunderts  die    Notiz  steht: 
l  odafrieum  ob  le^arem  wcarerttnt 
Uexonem,  den  Ulrich  nannte  man 
in  kosender  Weise  Utz.    Die  An- 
wendung der  Koseform  aber  auf 
den   Familiennamen    oder  die  in- 
folge der  Geschlechts -Anwendung 
erfolgte    Verkleinerung    und  Ver- 
stümmelung des  vollen  Personenna- 
mens lässt  sich  grösstenteils  daraus 
erklären,  dass  die  innere  Bedeutung 
des  Namens  im  Familiennamen  früh 
'  verschwand  und  der  Name  hier  bloss 
noch  als  Zeichen  der  Geschlechte- 
1  Zusammengehörigkeit  diente.  Die 
älteste  Art  des  Kosenamens  ent- 
steht dadurch,  dass  die  eine  Hälfte 
des  Namens,  meist  die  zweite,  weg- 
fällt und  der  Rest  ein  abschliessen- 
des   o    erhält:     Burchart  liurex,, 
Dankmar  Dniico,   Fndrieh  FrüL>, 
Uarihatd  Garo,  Heribert  Jfero,  Ot- 
mar ( >tto,  Hevfinart  Meyino.  Eigent- 
liche Verkleinerungssilben,  die  so- 
dann mit  Abstossung  des  u  au  diese 
Namen  treten,  sind  i;  N/71,  Kuni  .- 
iko%  ihi  izo :    Süfifo>f  äSirfi/u  und  N#- 
ffüto.     Die    Diminutivendung  Uco 


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Personen-  und  Familiennamen. 


767 


liegt  der  niederdeutschen  Familien- 
nameneuduug  zu  (»runde,  deren  be- 
sondere Formen  später  auf  ke,  k, 
ch,  ken,  chrn  ausgehen;  an  die  En- 
dung i/o  schliessen  sieh  die  ober- 
deutschen Formen  mit  el,  /,  le.  Ii, 
/in,  len,  lein  -,  ausgiebiger  aber  als 
Beide  war  die  Endung  izo,  welche 
teils  für  sich,  teils  mit  den  andern 
beiden  Endungen  und  ihren  Ausläu- 
fern vermischt,  einen  überaus  rei- 
chen Namenschatz  hervorgerufen  hat. 

b)  Hans-  und  Hofnamen.  Wie 
sich  der  Adel  nach  seiner  Burg  be- 
nannte, so  der  angesehene  Bürger 
nach  seinem  städtischen  Wohnsitze, 
vom  Neumarkt,  de  foro  =  vom 
Markte,  zer  Linden,  am  Tor,  im 
Tum.  In  den  genannten  Beispielen 
ist  es  die  Lage  des  Hauses,  welche 
den  Namen  hervorruft;  ein  anderes- 
mal  wird  der  Name  der  Häuser  das 
Bestimmende ;  daher  Frankfurter 
Namen  zum  Kranich,  zum  Römer, 
zum  Paradies,  zum  Schnabel,  zum 
Rebstock,  zum  Weiterhahn,  zum  Klo- 
befauch.  Da  nun  alle  möglichen 
( legenstände,  namentlich  aber  Tiere, 
Pflanzen  und  Ortschaften,  ihren 
Namen  an  Häuser  abzugeben  pfleg- 
ten, so  konnten  auch  solch«'  Ge- 
schlechtsnamen den  mannigfaltigsten 
Inhalt  erhalten:  Biber ,  Fink, 
Schaßi,  Luchs,  Jlaas,  Kreits,  See- 
rage/,  Hirsch,  Gembs,  Kinkelin 
( Kaninchen ) ,  Läm  mit ,  Orchsti. 
Seh iran.  Auf  dem  Lande  konnte 
in  ähnlicher  Weise  der  Hof  namen- 
gebend sein;  in  beiden  Fällen  aber 
sehwindet  meist  die  volle  Ortsbe- 
zcichnuug,  der  Haus-  und  Hofname 
büsst  seine  Präposition  ein  und 
wird  unter  Umständen  durch  eine 
Bildung  auf  er  ersetzt:  Stalder, 
Sluder,  (i ruber,  Brunner,  Zell  weger, 
Sttndercgger,  1  lühler,  Wegscheidel', 
A\  ussba  u  mer,  Und  er. 

c)  Samen  aus  Amt  und  Würden 
entsprungen.  Das  Mittelalter  hat 
den  grossen  Reichtum  seiner  meist 
zur  Erblichkeit  gebrachten  Amter 
wenigstens    in  Geschlechtsnamen 


der  spätem  Zeit  hinterlassen;  Ge- 
sehlechtsnamen  sind  z.  B.  die  Na- 
men der  obern  HofUmtcr,  Schenk, 
Truchsess,  Marschalk,  Kämmerer; 
sodann  Schultheis»  oder  Schulze, 
Vogt,  Ammann,  Meier,  Keller,  Zol- 
ler, Zollner,  Zehnter,  Münzer,  He- 
rold, Venner,  WaUtel,  Heimlicher 
(Mitglied  des  Geheimen  Rates), 
Fortner,  Küster,  Glöckner,  Messner, 
Sigrisf,  Stocker  und  Sulzer  (Gefäng- 
niswärter), Meister,  I Pfänder,  Fech- 
ter, Falkner,  Holzwart,  Markwart, 
J lag  mann. 

d)  Namen  aus  Geschäft,  Gewerbe 
und  Handwerk  entstanden  bieten  in 
ihrer  Mannigfaltigkeit  ein  höchst 
anschauliches  Bild  der  mittelalter- 
lichen Gewerb  Verhältnisse;  neben 
den  noch  bestehenden  Handwerken, 
wie  Müller,  Schneider,  Schmied, 
Kessler,  erinnern  andere  w'ivSchwerf- 

j'eqer,  Schafter,  Hölzer,  Armbruster, 
Hamister  an  später  ausgestorbene 
Arbeitsleistungen. 

e)  Namen  von  der  Heimat,  wo- 
bei bald  der  Volksstamm,  Schwab, 
Bayer,  Sachs,  bald  der  Heimatort 
den  Namen  bestimmt;  im  letztem 
Falle  tritt  entweder  die  Präposition 
an,  von  Speier,  von  MecheL  oder 
der  Ortsname  steht  nackt:  Hagen- 
bach, Kehlstadt,  Werth,  oder  die 
Endung  er  tritt  hinzu;  SchaJJ'hauser, 
Ha  mbu  rger,  A ppen zeller. 

f)  Persönliche  I  'ms  fände  anderer 
Art  treten  hinzu,  namentlich  Adjek- 
tive, sei's  dass  diese  allein  stehen, 
wie  Weiss,  Schwarz,  Rot,  All,  Jung, 
Gross,  Klein,  Reich,  wobei  die  äl- 
tere Form  den  Artikel  hat,  der 
Jung,  der  Rot;  sei's  dass  diese 
Wrö*rter  sich  mit  andern  Namen  zu- 
sammensetzen: Kleinmichel,  Klein- 
paul, Junghans,  Kleinknecht,  Gross- 
knecht. 

g)  l  Iternamen  humoristischer 
////•,  welche  neckischer  Laune,  dem 
Witz,  dem  Spott  und  Hohn  ihr  Da- 
sein verdanken.  Zu  unterscheiden 
sind  zwei  Schichten  dieser  Namen, 
eine  ältere  vorzugsweise  den»  12. 


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768 


Peterspfennig. 


und  13.  Jahrhundert,  und  eine  jun- 
gen*, dein  14.  und  15.  Jahrhundert 
angehörende  Schicht.  Der  altern 
Schicht  gehören  an  Samen  von 
Körpergliedern,  mit  dem  Humen, 
Barftioz,  Buntchart ',  Harderust ; 
substantivische  Namen,  die  eine 
charakteristische  Thätigkeit  bezeich- 
nen: Fraz,  Stetere  (Schläfer),  Sehe- 
eher  (Räuber),  Schad,  M anesse  (Men- 
schenfresser), Boneze,  (Bohnenesser); 
dann  Adjektivnamen  wie  Overstolz, 
Ungestome,  Unverzagt,  Kleingedank, 
Wolgemul,  Freidank,  Friie;  Tierna- 
men, sofern  sie  nicht  von  Hausna- 
men  stammen,  waren  beim  Land- 
adel beliebt,  wie  Bär,  Wolf,  Fuchs, 
Geier,  Unke.  Überaus  reich  sind 
die  Satznamen  ausgestattet,  die  als 
Nebcnnamen  schon  früher  in  Italien 
und  Frankreich  nachgewiesen  wer- 
den, in  Deutschland  freilich  bloss  beim 
niedem  Adel  nicht  vordem  12.  Jahr- 
hundert vorkommen;  ihre  Blütezeit 
ist  das  14.  und  15.  Jahrhundert. 

In  der  Jüngern  Schicht  spiegelt 
sich  erst  recht  das  wildlaufeude 
Treiben  der  letzten  mittelalterlichen 
Periode  ab,  wo  die  Bande  der  hö- 
fischen, kirchlichen,  staatlichen  Zucht 
gesprengt  und  der  Willkür,,  der 
Laune,  «lern  Mutwillen,  dem  Über- 
mut, der  Zuchtlosigkeit  jeder  Art 
die  Welt  offen  stand.  Entstanden 
sind  die  Namen  dieser  Zeit  im  Lager 
der  Landsknechte,  auf  den  Kaub- 
und Verwüstungszügen  der  Fürsten 
und  Städte,  im  Gelage  der  Herberge, 
der  Zunftstube,  der  „Bauernkilbr4'. 
Eine  verständige  Veranlassung  zu 
sehr  vielen  dieser  Namen  ist  gar 
nicht  abzusehen,  war  auch  nie  vor- 
handen; sie  verdanken  offenbar] 
meist  ihr  Dasein  einem  plötzlichen 
Einfall,  um  dann,  wenn  das  Schicksal  I 
es  wollte,  am  Opfer  des  Einfalls 
hangen  zu  bleiben.  Man  kann  unter- 
scheiden Kriegsnamen,  wie  Tselin, 
Stähelin,  Eisen  hut,  namentlich  reich 
in  Satznamen  repräsentiert;  Durch- 
denkopf,  Schlagt  ntteeit,  Eilinvelt, 
Findenfund,  Füllsack,  Fürdenschild, 


Schlaqinhaufen,  Fürdenspitz,  Greif, 
drauf,    Hateinhoden ,    J  Ichdens  t  reit- 
;  f^eichen  würfet,  Raumensaltel.  Hau  ms- 
glas,     Seh  Ottenheim,  Suchentrirt, 
Zerre  nmantel.  —  Handwerksnamen 
humoristischer  Art,  If enningspeck, 
Swinpcck,    Grillensmid ,    Oa  reisen, 
Gerbeisen;  Namen  von  Zeiten  wir 
Oster  tag,  Sonntag;  Namen  von  Speisern 
und  Gerichten:  Schwei nejteisch,  Kalh- 
Jleisch,   Wurst,   Seh  unken,  A/ttcegg, 
Sauerwein,  Kindelbier ;  von  Münzen: 
Schilling,  Halbling,  drosch,  Heller ; 
von  Pflanzen,  besonders  Blumen: 
Wolgemul,  Luzeiy,  Wegetritt,  Gr-üu- 
|  lauh,  Hölderlin,  Ronenhl  uest,  Waeh- 
holder,  Hagebutte ;  Namen,  die  einer 
Redetutart'  ihr  Dasein  verdanken: 
Helfgott,  Gothelf,  Gotseigeert,  Gütz 
zom,   Hallo,  Kärlich,  Hotop  (Hut 
auf!)    Über  die  lateinischen  Namen 
des    Humanismus    siehe  daselbst. 
Die  Litteratur  über  diesen  (Gegen- 
stand ist  zum  grossen  Teil  lokaler 
Natur;  das  Hauptwerk  über  die  alt 
deutschen  Namen  ist  Förstern* nn. 
Altdeutsches  Namenbuch.     Bd.  I. 
Personennamen.   Nordhausen,  l?<5fi. 
Andere  Arbeiten  sind  O.  AlteU  Die 
deutschen  Personennamen ,  Berlin. 
1853;  L.  Steuh,  Die  oberdeutschen 
Familiennamen,    München,  1ST0: 
Ii  (mar,  Deutsches  Nameubüchleiu : 
Stark,  Kosenamen  der  Germanen. 
Wien,  1868;  Heiutze,  Die  deutschen 
Familiennamen,  Halle,  1882;  Wrin- 
ho/d.    Die    deutschen   Frauen  im 
Mittelalter,   Wien,   1882,   2.  Aud. 
Abschn.  I.    Für  die  Familiennamen 
ist   von    uns    namentlich  benutzt 
Becker,  Die  deutschen  Geschlechts- 
namen,  ihre  Entstehung  und  Bil- 
dung, Programm  der  Gewerbeschule 
zu  Basel.  1864. 

Peterspfennig  hiess  eine  ur- 
sprünglich freiwillige  Abgabe,  die 
in  England  seit  dem  8.  Jahrhundert 
für  den  Papst,  jedoch  mit  häufigen 
Unterbrechungen,  erhoben  wurde. 
Nach  dem  Vorgange  Englands 
wurde  diese  Abgabe  auch  in  andern 
Ländern  üblich,  nämlich  in  I>äne- 


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r 


Pfaff.  -  Pfahlbauten.  769 


mark,     Polen,    dem    Ordensland  >  ähnlichen  Untersuchungen  in  zahl- 

Preussen,  Schwedeu  und  Norwegen,  reichen  andern  Seen  der  Schweiz 
In  Frankreich  und  Spanien  gelang  namentlich    dem    Dr.  Ferdinand 

es  nicht,  die  Steuer  einzuführen.  Keller  in  Zürich,  gest.  1891 ;  seitdem 
Mit  der  Zeit  war   die  freiwillige 1  sind    ähnliche    Ansiedelungen  im 

Abgabe    an    manchen    Orten    in  j  Mecklenburgischen ,   in  Pommern, 

eine    notwendige    Steuer    überge-  Posen,  Mähren ,  in  den  bayrischen 

gangen.  '  und  österreichischen  Alpenseen  und 

Pfaff.    Das  Wort  kommt  von  in  den  Seen  Oberitaliens  gefunden 

lat.  papa  =  Vater,  womit  bei  den  |  worden.  Ähnliche  Niederlassungen 
Kirchenvätern  ein  höherer  Geist- 1  beschreibt  auch  Herodot:  „Diejenigen 

licher,  ein  Bischof  benannt  wurde;  Päonier,  welche  auf  dem  See  Pra- 

es  ist  schon  ins  Gotische  aufge-  sias  in  Makedonien  auf  Pfahlbauten 

nommen  und  erhält  später  im  And.  leben,  rammen  bei  der  ersten  An- 

die  Form  pfaffb,  mhd.  phaJTe,  pfajfe  läge    auf   Kosten    der  Gemeinde 

mit  der  Bedeutung  des  Weitgeist-  Prahle  in  den  Grund  und  befestigen 

liehen  überhaupt.    Aus  der  gnechi-  die  darüber  gelegten  Dielen  aneiu- 

schen  Form  jenes  lat.  papa ,   aus  ander.   Eine  einzige  schmale  Brücke 

papas,  welches  in  derKirchensprache  !  führt  vom  Ufer  her  auf  das  Gerüst, 

ein  Name   des  höchsten  Priesters  Auf  demselben  hat  ein  jeglicher 

war,  entstand  ahd.  und  mhd.  hähes,  eine  Hütte  zur  Wohnung,  in  der 

habest,  nhd.  Papst.    Pfaffen  werden  eine  Fallthüre  durch  die  Dielen  ab- 

im  Mittelalter  den  Laien  und  den  wärts  in  den  See  führt.    Damit  die 

Mönchen  entgegengesetzt ;  leien  unde  Kinder   nicht    ins  Wasser  fallen, 

pfaffen   ist   soviel  als  jedermann,  werden  sie  am  Fusse  mit  einem 

Die  geistlichen  Geschäfte  der  Pfaffen  Stricke  angebunden.    Ihre  Pferde 

sind    namentlich   Eheeinsetzungen,  i  und  anderes  Vieh  füttern  sie  mit 

Seelenmessen,     Begräbnisse    und  Fischen,  woran  sie  einen  solchen 

Beichte.    Wenn  zwar  an  unzähligen  Überrluss  haben,    dass   sie  einen 

Orten  von  sündhaftem  Thun  der  Korb,  den  sie   an  einem  Stricke 

Pfaffen  erzählt  wird,  so  wird  doch  durch    die   Fallthüre   in   den  See 

oft  eingeschärft,  dass  ihr  heiliges  herablassen,  nach  kurzer  Zeit  voll 

Amt  von  ihrem  persönlichen  Lebens-  von  Fischen  heraufziehen."  Andere 

wandet  zu  unterscheiden  sei   und  Schriftsteller  erwähnen  solcher  An- 

uuter  letzterem  nicht  ernstlich  leide.  Siedlungen  am  schwarzen  Meer,  in 

Erst  um  die  Zeit  der  Reformation  Syrien,  und  ebenso  findet  inau  sie 

verlor  das  Wort  seine  ursprüngliche  noch  heute  bei  wilden  Völkern,  z.  B. 

würdevolle  Bedeutung,  doch  bemerkt  in  Neuguinea,  auf  den  Sundainseln, 

schon  Aventin  etwas  früher,   der  in  Hinterindien,  am  Euphrat,  in 

Name  Pfaff  sei  ein  „unehrliches  und  Inner-Afrika,  bei  Iudianerstämmen 

Schmachwort".    Siehe  die  Wörter-  Südamerikas. 

bücher   von    Müller -Zarncke    und  In  den  Pfahlbauten  der  Schweiz 

Schindler.  wurde  je  nach  der  Beschaffenheit 

Pfahlbauten    heissen   die    auf  des  Seegrundes  der  Unterbau  ver- 

Pfählen  in  Seen  und  Sümpfen  er-  schieden    hergestellt.     In  kleinen 

bauten     menschlichen     Niederlas-  Gewässern    mit    thonigem  Boden 

einigen,    auf   die  mau   zuerst  im  schichtete  man  Knittel  und  Reisig 

Winter    von    1853    auf   1854    im  abwechselnd  mit  Lehm  und  Kies 

Zürichersee  aufmerksam  wurde;  mau  aufeinander;    meistens   aber  trieb 

verdankt  die  erste  wissenschaftliche  man  eine  Anzahl  zugespitzter  Pfähle 

Untersuchung  derselben   uud  den  aus  jüngern  Baumstämmen  so  tief 

dadurch  herbeigeführten  Anstoss  zu  in  deu  Grund,  dass  sie  tragfähig 

Reaüextcon  der  deutschen  Altertümer.  49 


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770 


Pfahlbauten 


wurden,  und  legte  auf  die  Köpfe 
den  Wohnboden.    Wo  dieses  Mittel 
nicht  ausreichte,  wurden  die  Pfähle 
mit  schweren  Steinen  umstellt  oder 
in  wagrecht   liegenden  Schwellen 
von  Eichenholz  befestigt,  die  einen 
Kost  bilden  mussten.    Die  Hütten 
waren  einstöckig,    und  enthielten 
Kaum  für  eine  Familie  und  den 
Viehstand.   Für  Wände  uud  Dächer 
wurd»  Stammholz,  Rinde,  Reisig, 
Schilf  oder  Stroh  verwendet.  Die 
Verbindung    mit    dem  trockenen 
Lande  bildete  einen  Steg,  der  sich 
leicht  zurückziehen  Hess.    In  jeder 
Hütte   stand    ein   Feuerherd;  zur 
Aufbewahrung  von  Lebensmitteln 
dienten   Töpfe   von    schwach  ge- 
branntem 'J  hon.    Geräte  zur  Jagd 
und  Fischerei,  zum  Schlachten  der 
Tiere,  zur  Bearbeitung  von  Holz 
und  Stein,  Knochen  und  Horn  oder 
Fellen  und  Geweben,  sowie  zur  Be- 
reitung der  Speisen  waren  reichlich 
vorhanden .  A  ugenscheinlich  ernähr- 
ten sich  die  Pfau lbaube wohner  nicht 
bloss  durch  Jagd  und  Fischerei,  son- 
dern in  immer  steigendem  Masse 
durch    Viehzucht   und  Ackerbau. 
Ihre  Bedürfnisse  verstanden  sie  fast 
ohne  Ausnahme  selbst  zu  befriedigen ; 
doch  erwarben    sie  auch  Einiges 
durch  Tauschhandel,  wie  Metalle, 
Bernstein  und  Glas.    In  Schlamm 
und  auf  dem  Grunde  der  Seen  sind 
Reste  von  Haustieren,  von  Rindvieh, 
Hunden,  Schweinen  uud  Ziegen,  von 
Gewild,  von  Weizen,  Gerste  und 
Hirse,  ja  von  Brod  und  Brei,  von 
Nüssen,  Beeren  und  Obst  gefunden 
worden;  daneben  Strohgeflechte  und 
Gewebe,  Schnüre  und  Fäden  von 
Flachs.  An  Geflossen  kommen  Koch- 
töpfe, Teller,  Becher  und  Krüge, 
an  Werkzeugen    Beile,  Hämmer. 
Meissel,  Koniquetscher,  Lanzen  und 
andere  Waffen  aus  Stein,  Nadeln 
und  Pfeilspitzen  aus  Knochen  vor, 
welche  uur  mit  Hilfe  von  steinernen 
Geräten  hergestellt  werden  konnten ; 
denn  die  meisten  schweizerischen 
Pfahlbauten  kennen  noch  kein  Metall. 


I 


Doch  scheint  immerhin  die  Bronze 
schon  früher  verwendet  worden  zu 
sein,  ohne  dass  es  bis  jetzt  gelungen 
wäre,  die  Frage  nach  der  Herkunft 
dieses  Materials  für  diese  Kultur- 
stätten zu  lösen.  Die  jüngsten  Pfahl 
bauten  sind  ohne  Zweifel  diejenigen, 
in  denen  das  Eisen  zur  Verwertung 
elangt;  immerhin  ist  es  nicht  mög- 
ich,  diese  Fundstätten  ausschliess- 
lich nach  dem  Stein-,  Bronze-  und 
Eisenmaterial  zu  sondern ,  da  die 
genannten  Stoffe  fast  nirgends  in 
ganzer  Reinheit,  sondern  gemischt 
vorliegen. 

Über  die  Ornamentik  auf  den 
Fundgegenständen  der  Pfahlbauten 
drückt  sich  Bahn,  schweizerische 
Kunstgeschichte,  S.  26  ff.,  folgeuder- 
massen    aus:    An    den  ältesten 
Fundgegenständen   aus   der  soge- 
nannten Steinzeit  beschränkt  sich 
die     Zierat    auf    ein  einfaches, 
beinahe  zufälliges  Linienspiel.  Die 
derbe,  mehr  an  den  Kampf  uud 
die  Mühsale  der  Jagd  gewöhnte  Hand 
übt  sich  in  losen  und  unsicheren 
Strichen,  die  kaum  durch  ihre  paral- 
lele Lage  einigen  Zusammenhang 
verraten,   oder  es  sind  auch  ein- 
fache Dupfen,  welche  regellos  die 
Fläche  bedecken.    Zuletzt  kommt 
dann  noch  die  Kreislinie  hinzu,  und 
aus   diesen    drei  Elementen  ent- 
wickelt sich  nun  die  ganze  Orna- 
mentik der  Pfahlbauer.  Die  Linien 
werden  zum  Zickzack,  sie  verbinden 
sich  zum  aufrechten  oder  über  Eick 
gestellten  Quadrate,  der  Kreis  wird 
mit  konzentrischen  Ringen  gefüllt 
oder  durch  Seinesgleichen  gekreuzt. 
Sodann  erwacht  das  Streben  nach 
rhythmischem  Wechsel,  nach  der 
Gliederung  verschiedener  .Motive  in 
regelmässiger  Wiederkehr.  Der  Zick- 
zack wird  durch  Vertikallinien  unter- 
brochen, die  einzeln  vorherrschend 
diagonal  komponierten  Zierbänder 
an  Gefässen  und  Spangen  werden 
durch  horizontale  Zwischenteile  ge- 
trennt, die  Kreise,  leer  uud  gefoult, 
treten  in  ein  bestimmtes  Wechsel- 


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Pfahlbürger. 


771 


Verhältnis  unter  sich,  oder  sie  wer- 
den mit  anderen  Kombinationen 
versetzt  Die  Horizontallini«1  wird 
gebrochen,  zieht  sich  rechtwinkelig 
oder  mit  Krümmungen  ein  und 
setzt  sich  auf  diese  Weise  fort;  sie 
wird  dem  Ornamente  ähnlich,  wel- 
ches die  Alten  nach  jenem  vielfach 
sich  schlangelnden  Flusse  Klein- 
asiens  als  Mäander  bezeichneten. 
Neben  diesen  mannigfaltigen  und 
entsprechenden  Äusserungen  einer 
kindlich  schaltenden  Phantasie 
macht  sich  schon  früh  der  Einfluss 
anderer  Fertigkeiten  auf  die  Orna- 
mentik geltend.  Zahlreiche  Kombi- 
nationen z.  B.  weisen  unzweideutig 
auf  den  Ursprung  aus  der  Teppich- 
wirkerei, dem  Flccht-  und  Nestel- 
werke zurück.  Doch  sind  diese 
Ornamente  ohne  Rücksicht  auf  ihre 
Herkunft  und  ihre  struktursymboli- 
sche Bedeutung  auf  alle  möglichen 
Stoffe  und  Formen  angewendet,  ein 
Beweis,  dass  ein  Verständnis  der 
Formensprache  fehlte,  und  dass  es 
nur  darauf  ankam,  die  Phantasie 
durch  ein  anmutiges  Spiel  der  Linien 
zu  beschäftigen.  Erst  zuletzt  er- 
weitert sich  das  Formenwesen  der- 
art, dass  die  umgebende  Natur,  ins- 
besondere die  Pflanzenwelt  zur  Nach- 
ahmung auffordert.  Am  reichsten 
entfaltet  sich  diese  Ornamentik  an 
den  Fundgegenständen  des  soge- 
nannten Eisenalters,  so  namentlich 
an  den  bei  Marin  am  Neuenburger- 
see  gefundenen  Schwertern.  Hier 
sind  auch  mehrfache  Tonfiguren, 
Vögel,  Einhörner  u.  dgl.  zum  Vor- 
schein gekommen,  dann  auch  eigen- 
tümliche zangenfortnige  Ornamente, 
wie  sie  unter  allen  bisherigen  Fun- 
den neu,  dagegen  wohl  mehrfach 
auf  ostgotischen  und  alemannischen 
Denkmälern  nachgewiesen  worden 
sind.  Es  ist  indessen  wahrschein- 
licher, dass  diese  Schwerter  schon 
nicht  mehr  als  Produkte  einheimi- 
scher Kunstindustrie,  sondern  als 
importierte  Werke  gallischer  Her- 
kunft, etwa  aus  den  Werkstätten 


der  Provinz  Belgien  zu  betrachten 
sind. 

Das  Ende  der  Pfahlbautenkultur 
ist  nicht  minder  rätselhaft  wie  ihr 
Anfang.  Wahrscheinlich  fand  ein 
allmähliches  und  friedliches  Ver- 
lassen statt,  nachdem  die  Verhält- 
nisse ein  Wohnen  auf  dem  trocke- 
nen Lande  wünschenswerter  ge- 
macht hatten. 

Gänzlich  im  Dunkeln  liegt  die 
ethnographische  Kenntnis  des  Pfahl- 
bauten-\  olkes.  Man  weiss  weder, 
wie  weit  die  sogenannten  Stein-, 
Bronze-  und  Eisenstationen  ausein- 
auderliegen ,  noch  welchem  Volk 
überhaupt  diese  Ansiedelungen  an- 

fehören:  darf  man  für  die  jüngsten 
erselben  auf  Kelten  schlieasen,  so 
ist  doch  höchst  auffallend,  dass  kein 
einziger  römischer  Schriftsteller  ihrer 
erwähnt,  zumal  da  in  Oberitalien 
selber  solche  Niederlassungen  nach- 
gewiesen worden  sind.  Die  Haupt- 
quelle für  diese  Erscheinungen  sind 
die  zahlreichen,  in  den  Mitteilungen 
der  Züricher  antiquarischen  Gesell- 
schafterschienenen Berichte  Dr.  Fer- 
dinand Kellers;  die  Hauptsammlung 
von  Gegenständen  ebenfalls  diejenige 
derselben  Gesellschaft  in  Zürich. 
Vgl.  die  Zusammenstellung  in  Baer 
und  Hellwald,  Der  vorgeschicht- 
liche Mensch,  Leipzig.  1874.  S.  210 
bis  260. 

Pfahl btlrgrer,  mhd. pfälburgaere, 
sind  ausser  der  Stadt  auf  dem  Lande 
lebende  Herren.  Ritter,  Prälaten 
oder  gemeine  Freie,  welche  das 
Bürgerrecht  einer  Stadt  erhalten 
haben;  sie  mussten  der  letzteren 
durch  Beihilfe  in  ihren  Fehden, 
durch  Beherbergung  ihrer  reisenden 
Boten  u.  dergl.  beistehen,  genossen 
aber  dafür  den  Schutz  der  Stadt, 
den  Gerichtsstand  in  derselben,  den 
freien  Absatz  ihrer  Erzeugnisse  und 
andere  Vorteile.  Erst  im  15.  Jahr- 
hundert gelang  es  den  durch  das 
Pfahlbürgertum  geschädigten  Lan- 
desherrn/unter Mithilfe  der  Reichs- 

49* 


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772 


Pfalzgraf.  —  Pfarrer. 


gesetze  diese  Einrichtung  zu  unter- 
drücken. 

Pfalzgraf,  mm«  palatii,  Graf 
des  königlichen  Palastes  oder  der 
königlichen  Pfalz,  ist  schon  unter 
den  Merovingern  dem  Könige  bei 
der  Ausübung  seiner  höheren  Ge- 
richtsbarkeit zugeordnet.  Unter 
Karl  und  seinen  Nachfolgern  hatte 
er  die  obere  Leitung  alles  dessen, 
was  mit  der  königlichen  Gerichts- 
barkeit zusammenhing;  Sachen  ge- 
ringerer Personen  machte  er  für 
sich  ab,  während  Angelegenheiten  an- 
gesehener Männer  dem  Könige  vor- 
behalten blieben.  Wahrscheinlich 
lag  ihm  auch  die  Vollstreckung  der 
Gerichtsurteile  des  königlichen  Ge- 
richtshofes ob.  Nach  dem  Aus- 
sterben der  Karolinger  scheint  dieses 
altere  Amt  aufgehört  zu  haben;  da- 
gegen werden  seit  Otto  I.  neuer- 
dings Pfalzgrafen,  com  lies  palatini, 
in  anderer  Stellung  genannt,  deren 
Bedeutung  sehr  im  Dunkeln  liegt. 
Mau  findet  sie  in  Bayern,  Sachsen, 
Lothringen  und  Schwaben,  wo  sie 
überall  zu  den  Grafen  gerechnet 
werden,  auch  eine  bestimmte  Herr- 
schaft inne  haben;  andere  Pfalz- 
grafen als  diese  vier  genannten,  die 
den  alten  Stammesherzogtümern  ent- 
sprechen, hat  es  nie  gegeben.  Ob 
es  sich  bei  ihrer  Einsetzung  darum 
handelte,  den  Herzogen  ein  gewisses 
Gegengewicht  zu  geben  und  durch  sie 
die  eigentlich  königlichen  Interessen 
wahrnehmen  zu  lassen,  ist  nicht  aus- 
gemacht. In  Bayern  scheint  die 
Würde  der  Pfalzgrafen  an  die  Pfalz 
in  Regensburg  geknüpft,  in  Lo- 
thringen gab  die  Bedeutung  Aachens 
dem  Amte  eine  besondere  Bedeu- 
tung, welche  diesem  später  den 
ersten  Platz  unter  den  Pfalzgrafen 
verschaffte;  doch  trat  die  Beziehung 
zur  alten  Kaiserpfalz  später  so  in 
den  Hintergrund,  dass  sein  späterer 
Name  Pfalzgraf  vom  Rheine  wurde;  I 
er  galt"  als  efer  erste  unter  den  j 
fränkischen  Fürsten.  Nach  dem 
Sachsenspiegel  war  es  als  ein  Recht . 


der  Fürsten  anerkannt,  dass  sie  bei 
dem  Pfalzgrafen  bei  Rhein,  als  des 
Kaisers  oberstem  stellvertretenden 
Richter,  Klage  gegen  den  Kaiser 
führen  konnten.    Für  den  Fall  sei 
uer  Abwesenheit  von  Deutschland 
konnte  der  König  das  Richteramt 
über  die  Fürsten  demselben  Pfalz- 
Grafen  übertragen,  der  auch  den 
"orsitz  im  Fürstengericlit,  das  Erz- 
truchsessenamt,  das  Reichsvikariat 
und  die  Kurwürde  besass.  Wie 
andere  Fürstentümer,    so  wurden 
auch  die  mit  der  Pfalzgrafensehaft 
verbundenen  Herrschaften  mit  der 
Zeit  erblich  und  der  Wertmesser 
für  das  Ansehen  und  die  Bedeutung 
ihrer  Träger.    Der  letzte  Rest  des 
Pfalzgrafenamtes  scheint  in  den  von 
Karl  IV.  ernannten  Hofpfalzgrafeu, 
comite«    sacri   palatii,    zu  liegen, 
welche  namentlich  Doktoren,  La- 
centiaten,  gekrönte  Poeten,  kaiser- 
liche   Notarien    kreieren,  unehe- 
liche Kinder  legitimieren  und  da* 
Recht   der  Volljährigkeit  erteilen 
konnten. 

Pfarrer.  Das  Wort  ist  eine  Ab- 
leitung von  „die  Pfarre,  Pfarrei", 
welches  seinerseits  von  kircb.-lat 
parochia  =  Sprengel  eines  Bischofs 
kommt;  der  griechische  Stamm  nn- 
ootxia  bedeutet  ursprünglich  das 
Wohnen  an  einem  Ort  als  Fremder, 
später  Bischofssprengel,  gleichsam 
Bei-  oder  Umwohnung  eines  Bi- 
schofs.   Die  Entstehung  des  Pfarr- 
amtes liegt  in  der  Errichtung  christ- 
licher Gemeinden  auf  dem  Lande, 
über  welche  von  dem  in  der  Stadt 
wirkenden  Bischof  städtische  Pres- 
byter gesetzt  wurden.    Der  Name 
dieser  Kleriker  war  pre*bytery  z.  T. 
mit  dem  Zusätze  parochuinu*  oder 
parochiaJt*;  als  Vorsteher  einer  Ge- 
meinde, plebs,  heisst  er  plebauu*. 
mhd.    liutpriester ,    welcher  Name 
zwar  meist  nur  den  Archipresbytern 
zukommt,  deren  Kirchen  das  Tauf- 
recht besitzen;  andere  Namen  sind 
reefor  (eecUtiae),   pasfor,  curafu*. 
d.  h.  mit  einem  Benefizium  versehen. 


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Pfeifergericht.  —  Pferd. 


773 


persona  eccfesiae.  Zu  den  älteren 
Parochialkirchen  oder  Taufkirchen 
traten  im  Mittelalter  Privatkirchen 
auf  den  Gütern  der  Grundherrn, 
oratoria,  capellae,  in  welchen  bloss 
Messe  gelesen,  aber  nicht  getauft 
wurde;  doch  erhoben  sich  viele  der- 
selben mit  der  Zeit  zu  wirklichen 
Pfarrkirchen. 

Pfeifergericht,  s.  König  der 
Spielleute. 

Pfennig,  s.  Münzen. 

Pferd.  Unter  allen  Haustieren 
stand  schon  im  Altertum,  besonders 
aber  durch  das  ganze  Mittelalter 
dem  Deutschen  keines  so  nahe  wie 
das  Pferd.  Ross  und  Reiter  waren 
so  unzertrennlich  wie  Seele  und  Leib. 
Daher  die  Unmasse  von  Sprichwör- 
tern und  Redensarten,  die  sich  aufs 
Pferd  beziehen,  und  die  grosse  Zahl 
der  Namen  für  dieselbe.  Jähns 
nennt  deren  dreiundsechzia  und  sieht 
dabei  ab  von  der  Fülle  der  lokalen 
und  historischen  Varianten.  Die  ge- 
bräuchlichsten Bennennungen  sind: 
ahd.  hros,  ros,  equus,  cahallus,  jumen- 
tum,  marah;  nord.  mar,  mert,  angs. 
innere,  me-re,  equa;  oder  auch  pherit, 
poledrus,  vifi»  equus,  parafrid,  para- 
fredus,  veredarius-,  mhd.  ros,  ors, 
Merck,  marc,  pfaerit,  phaerit,  pfaert, 
merhe,  meriene,  equa;  die  Sprache 
ist  nicht  konsequent  in  diesen  Be- 
zeichnungen. Im  Volksepos  über- 
wiegt der  Ausdruck  marc  im  Sinne 
von  Streitross,  das  sonst  in  der 
Regel  ors  oder  kastelan  genannt 
wird  im  Gegensatz  zum  cläpper, 
Klepper,  ein  Nebenpferd.  Das 
Wort  Gaul,  gül,  bezeichnet  ursprüng- 
lich den  Eber,  das  Ungeheuer,  auch 
den  Hahn  und  ging  erst  im  15.  Jahr- 
hundert auf  das  Pferd  über  und 
zwar  auf  das  männliche  Zuchtpferd, 
während  caballus  einen  verschnitte- 
nen Hengst  bezeichnen  soll,  einen 
Walach ,  tcallach.  Zelter  oder 
Passgänger  heisst  ein  Pferd  mit 
sanfter  Gangart ,  ein  Frauen - 
pferd.  Das  runztt  ist  ein  Klepper 
von  geringerer  Qualität,  der  höch- 


stens von  Dienern  oder  Knappen 
zum  Reiten  benutzt  wird.  Der  Ren- 
ner heist  ravit;  ein  kraftloses,  stol- 
perndes, hinkendes  Pferd  heisst 
Kracke  oder  gurre.  Die  jumente 
oder  Stute  ist  ein  weniggeschätztes 
Lasttier,  das  nur  von  Leuten  ge- 
ringen Standes  geritten,  meist  aber 
für  den  Karren  verwendet  wird. 
Die  soumaere,  soumari,  soumare,  so- 
ma reponiere,  soumar,  burdo,  trug  auf 
den  schlechten  Saumpfaden  die  soum- 
schrin,  leitschrin,  worein  die  Effekten 
verpackt  waren,  in  welche  Arbeit 
sich  auch  der  Maulesel,  mv.l,  lat. 
mulus,  ahd.  muf ,  mulus,  mülin, 
mula,  teilte,  der  höchstens  von  Prie- 
stern und  Frauen  zum  Reiten  be- 
nutzt wurde.  Hangt,  hanke  be- 
deutet ursprünglich  Füllen,  erst 
gegen  Ende  des  Mittelalters  legt  der 
Sprachgebrauch  dem  Worte  hengst, 
hengest  die  Bedeutung  von  Vollross 
zu,  welches  bis  dahin  mit  madum, 
aithms,  maiden,  benannt  wurde,  auch 
mit  meienpfert,  münehpfert. 

Keineswegs  gleichgültig  ist  die 
Farbe  des  Pferdes.  Obenan  steht 
der  Schimmel,  blancros,  bleich  ros. 
Durch  das  ganze  Mittelalter  werden 
die  Dichter  nicht  müde,  die  icün/wc- 
lichen  gerar  (Farbe)  der  Pferde 
dieser  Art  zu  schildern.  Der  Schimmel 
ist  schon  in  der  Mythologie  das  Attri- 
but der  guten  Götter,  in  der  Sage 
ist  er  oft  eine  rettende  Erschei- 
nung, und  so  bleibt  er  auch  im 
täglichen  Dienst  als  Streit-  und 
Jagdross  das  Königspferd.  Der 
Hoppe  ist  das  Attribut  des  Bösen. 
Falbe  Pferde  waren  wenig  geschätzt. 
Die  vier  Hauptfarben:  Schimmel, 
Rappe,  Fuchs  und  Brauner  wurden 
gern  mit  den  vier  Elementen  und 
den  vier  Temperamenten  zusammen- 
gehalten. Der  Schimmel  repräsen- 
tierte das  weiche  Element  des  Was- 
sers und  das  Phlegma,  der  Rappe 
als  Melancholiker  die  Erde,  der 
Fuchs  als  Choleriker  das  Feuer  und 
der  Braune  musste  ein  Sanguiniker 
sein    und    die   Eigenschaften  der 


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774 


Pferd. 


leicht  beweglichen  Luft  besitzen. 
Doch  sind  die  Angaben  hierüber 
oft  verschieden. 

Die  Herkunft  des  Pferdes  ist 
nicht  nachzuweisen;  dass  aber  die 
germanischen  Völker  schon  sehr 
früh  sich  das  Tier  dienstbar  ge- 
macht haben,  ist  unzweifelhaft. 
Herodot  berichtet,  in  den  Ländern 
jenseits  der  Ister  würden  Pferde 
gehalten,  die  sich  durch  ihre  14  Zoll 
langen  Mälinen  auszeichnen,  aber 
brauchbarer  zum  Ziehen  als  zum 
R»'iten  seien.  Dieser  Beschreibung 
entspricht  nicht  sehlecht  das  langhaa- 
rige und  schwere  germanische  Pferd, 
wie  es  das  frühere  Mittelalter  aufweist, 
wahrscheinlich  als  eine  Eigenart 
der  deutschen  Lande,  denn  die  antike 
Welt  kennt  nur  das  leichte  Pferd 
von  orientalischem  Typus.  Tacitus 
und  Cäsar  sind  nicht  sehr  erbaut 
von  diesem  deutschen  Pferde.  Der 
kräftige  Bau  desselben ,  die  breite 
Brust,  der  volle  Hirschhals  ent- 
sprechen nicht  nur  der  rauheren 
Weide  des  Nordens,  sondern  auch 
dem  anstrengenderen  Dienst. 

Das  wilde  Pferd  scheint  in  Ger- 
manien nicht  vorgekommen  zu  sein, 
wohl  aber  das  verwilderte  in  grossen 
Scharen.  Übrigens  scheint  der 
Pferdekultus  wenigstens  in  bezug 
auf  das  weisse  Pferd  eine  sorgfäl- 
tige reine  Zucht  schon  früh  be- 
dingt zu  haben.  Die  heiligen  Hengste 
der  Tempelhaine  hatten  eine  gewisse 
Anzahl  Stuten,  die  sich  nur  mit  ihnen 
paarten,  und  so  erhielt  sich  durch 
den  Kultus  der  auserlesenste  Stamm 
der  Pferde  unverraischt.  In  den  älte- 
sten Zeiten  hielt  sich  die  Herde  wohl 
fastdas ganze  Jahrauf  der  Waldweide 
auf;  doch  gehört  schon  bei  den  Ale- 
mannen zu  den  vollständigen  Wirt- 
schaftsgebäuden auch  ein  „annentum 
equorum".  Eine  vollständige  Heerde 
(stodhross,  equaritia)  zählte  zwölf  Stu- 
ten und  einen  Hengst.  Diese  stand 
unter  einem  Rossekneeht  oder  man- 
schalle,  mariscalcus.  Die  Kastration 
war  wenigstens  denQuaden  nicht  im- 


bekannt.  Besonders  sorgfältig  wurden 
Schweif  und  Mähne  der  Pferde  ge- 
pflegt; nach  denselben  erhielten 
diese  meist  ihren  Namen.  Nach 
angelsächsischem  Rechte  musste  der- 
jenige, der  sich  am  Haarschmuck 
eines  Pferdes  vergriff,  dasselbe  so 
lange  ans  Futter  nehmen,  bis  der 
Schaden  ausgewachsen  war,  und  er 
hatte  dem  Geschadigten  unterdessen 
ein  anderes  Pferd  als  Pfand  zu 
leihen  und  zur  freien  Benutzung  zu 
überlassen.  Verlor  ein  Pferd  den 
Schweif  völlig,  so  ward  es  dienst- 
untauglich erklärt.  Berühmt  waren 
die  friesischen  Pferde  durch  Aus- 
dauer und  Kraft,  die  burgundigehen 
durch  Schönheit  und  Gewandtheit 
ganz  besonders  aber  die  thüringi- 
schen, die  sich  eines  hohen  Rufes 
erfreuten.  Vegetius  empfiehlt  sie 
sogar  den  Römern,  um  deren  Kriegs- 
pferdezucht wieder  aufzufrischen,  und 
Theodorich  d.  Gr.,  dem  der  Thü- 
ringer König  Hermanfrid  edle  Pferde 
gesandt,  gedenkt  mit  grosser  Auer- 
kennung  ihrer  Trefflichkeit,  preist 
ihre  schöne,  silberne  Farbe,  ihre 
edle  Gestalt,  den  feinen,  hirschähu- 
licheu  Hals,  die  bei  ihrer  Grösse 
und  mächtigem  Bau  auffallend** 
Schnelligkeit,  ihren  leichten  Schritt 
und  ihre  Ausdauer.  Noch  im  Mittel- 
alter genossen  die  thüringischen 
Pferde  den  gleichen  Ruf. 

Auf  diese  Weise  wurde  die 
Pferdezucht  ohne  Zweifel  bald  zu 
einer  nicht  unergiebigen  Quelle  des 
Wohlstandes  unserer  Altvordern. 
Schon  sehr  früh  fand  ein  ausgedehn- 
ter Pferdehandel  mit  deu  römischen 
Provinzen  statt;  später  war  na- 
mentlich nach  England  der  Absatz 
stark.  Noch  Hugo  Capet  sandte 
dem  britischen  Bürsten  Atheistan. 
um  dessen  Schwester  er  warb,  aU 
vorzügliehstesGeschenk  germanische 
Hengste ,  und  der  gleiche  britische 
König  erwähnt  in  seinem  Testamente 
als  besonders  wertvoll  mehrere  säch- 
sische Rosse  mit  Namen.  Abgesehen 
davon,  wurde  von  deu  alten  Ger- 


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Pferd 


manen  die  Stutenmilch  nicht  ungern  soll  silberweiss  sein.   Im  westgoti- 

getrunken  sowie  auch  zur  Butter-  scheu  Gesetze  werden  neben  Sklaven 

Bereitung  verwendet,  und  der  Gen  ms  dreissig  Rosse  und  Rinder  als  die 

des  Pferdeßeisches  war  ein  ganz  all-  wesentlichen  Teile  des  Mundschatzes 

gemeiner.  Dieser  wurde  erst  durch  erwähnt,   und  auch   bei  Ostgoten 

die  christlichen  Glaubensboten  ver-  und  Franken  fuhren  edle  Freier  dem 

drängt,  da  das  Schlachten  und  Ver-  Brautvater    erlesene  geschmückte 

speisen  des  Pferdes  bei  den  Ger-  Pferde  zu.    Dichterische  Übertrei- 

manen  mit  dem  Wodansdienste  eng  bung  ist  es  ohne  Zweifel,  wenn  die 

zusammenhing.  Mähnen  dieser  Tiere   oft    bis  auf 

Über  die  damaligen  Pferdepreise  die  Hufe  herniederreichen, 

sind  nur  spärliche  Angaben  vornan-  Das  Besteigen  des  Pferdes  gehört 

den;  die  wenigen,  die  man  kennt,  zur  Mündigkeitserklärung,   ist  ein 

zeigen  an,   dass  das  Pferd  zahl-  Zeichen  des  Besitzes  der  Vollkraft, 

reich  vorhanden  und  darum  leicht  Das   Pferd    fehlt    darum  bei  der 

erhältlich    war.      Nach     alteng-  Schwertleite  nicht,  ja  diese  Schwert- 

lischcn    Gesetzen    schätzte    man  leite  fand  nach  einer  alten  Sage 

ein  Fohlen  unter  einem  Jahr  auf  zumeist    „am    grossen  Pferdetag*' 

24   Schillinge,    im    zweiten  Jahre  statt,  am  St.  Stefanstag,  wie  denn  fiber- 

wurde  es  48,  im  dritten  60  Schil-  haupt  St.  Stefan  der  grösste  Pferde- 

linge  wert  und  für  dienstfähig  an-  heilige  ist.  Ihm  kommt  der  heilige 

erkannt.    Acker-  und  Karrengaul  Georg  am  nächsten.    Das  Reiten 

behielten  diesen  Wert  bei,  während  hat  also  eine  feierliche  symbolische 

Schlacht-  und  Saumrosse  bis  auf  das  Bedeutung.     Schun    im  Altertum 

Doppelte  steigen  konnten.    Nach  wurde  der  neugewählte  König  aufs 

der   lex   saliea  betrug  der  Preis  Pferd  gesetzt,  damit  er  sich  allem 

eines    solchen  Pferdes   40  Soiidi;  Volke    als    würdig    und  gewählt 

ein  Stier  galt  35  Soiidi.     Dieser  zeigen  konnte.     In  diesem  Sinne 

Vergleich  lehrt,   das.s   die  Pferde  bestieg  auch  Chlodwig,  als  er  die 

nicht  bedeutend  teurer  waren  als  ihm  vom  Kaiser  Anastasius  über- 

die  Rinder.  sandten.  Insignien,    Diadem  und 

Von  den  Tiergefechten,  die  im  Purpur,  angelegt  hatte,  sein  Pferd 

Altertum  beliebt  waren,  finden  wir —  und  zeigte  sich  dem  Volke,  das  ihm 

wiederum  bezeichnend  geuug  —  auf  jubelnd    den    Titel     „Consul  et 

deutschem  Boden  die  Hengsthatz,  Augustus^  entgegenrief.    Für  Edle 

hestafing,  hestavig.                         |  war  das  Zufussegehen  für  höchst 

Wie  kräftig  im  Kriegsdienste  die  unanständig  angesehen,  es  galt  ge- 
deutsche Reiterei  schon  im  Altertum  |  radezu  für  eine  Schmach.  Vom 
mitgewirkt  hat,  ist  im  Artikel  Kriegs-  König  Harald,  Kaimts  d.  Gr.  Sohn, 
we*en  dargethan  worden.  Das  Pferd  erzählt  der  Chronist,  er  sei  von 
war  auch  das  älteste  und  ursprünq-  seinem  Vater  so  abgeartet  und  so 
lichste  Lehensgui.  Bei  den  Tench- ,  unbekümmert  um  edle  Sitten  ge- 
terern  wurde  das  Streitross  daher;  wesen,  dass  er  gegen  seine  könig- 
nicht  auf  den  ältesten  Sohn  vererbt,  liehe  Würde  lieber  zu  Fuss 
wie  das  beim  übrigen  Nachlass  der  gegangen  als  geritten  sei  und 
Fall  war,  sondern  auf  den  kühnsten  daher  auch  den  Namen  „Harald 
und  besten  Krieger  unter  den  Hin-  Harefoef,  iHaseufuss)  empfangen 
terbliebenen.  Sogar  beim  Brautkauf  .habe. 

spielt  das  Ross  die  erste  Rolle.   Der  Die    Gewandtheit    im  Reiten 

germanische  Bräutigam  brachte  als  wurde  massgebend  für  die  Tüchtig - 

Heiratsgabe  ein  gezäumtes  Ross  und  keit  und  Brauchbarkeit  eines  Manne*, 

die  nötigen  Waffen.   Dieses  Ross  Daran  erinnert  z.  B.  der  Reehtsge- 


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776 


Pferd. 


brauch  des  Rittersprunges  (Hier  des  Wie  das  Pferd  im  Leben  vom 
Vorritts.  .Sc  hon  nach  alemannischen  Reiter  unzertrennlich  war,  so  blieb 
Gesetzen  weist  sieh  der  Herzog  in  es  auch  im  Sterben.  Es  klingt 
der  Weise  über  feine  Befähigung  ohne  Zweifel  an  den  Gebrauch 
zum  Felddienste  aus,  dass  er  ohne  der  häufigen  Pferdeopfer  an,  trenn 
Hilfe  sein  Rosa  zu  besteigen  weiss;  im  deutschen  Altertum  dem  abge- 
die  volle  persönliche  Zurechnungs-  schiedenen  Reiter  das  Pferd  eben- 
fahigkeit  wird  auch  noch  durch  das  falls  beigegef)en  trurde.  bekanntlich 
ganze  Mittelalter  auf  gleiche  Weise  verbrannten dieDeutschenihreToten. 
bewiesen.  In  schriftlichen  Vertragen  Dass  dabei  das  Leibross  des  Ver- 
ist  bemerkt,  daas  der  Geber  oder  storbenen  mitverbrannt  wurde,  be- 
Verpfiinder  verfügt  habe  „dieweil  kündet  Tarif  us  Anmerkung: 
er  reiten  und  gehen  konnte",  oder  rundam  igni  equus  adjicitur."  I)as 
„dieweil  er  noch  so  jung  und  gesund  Pferd  war  ohne  Zweifel  auch  ein 
war,  dass  er  in  seinem  kurris  von  Opfer,  das  dem  Totengotte  dar- 
der  Erde  auf  ein  hengstmassig  Pferd  gebracht  wurde,  und  sollte  dem 
sitzen  und  sich  in  dieser  Stellung  Kitter  gleich  mitgegeben  werden, 
dem  Landvogt  erzeigen  mag."  Hatte  damit  es  ihm  im  Jenseits  unter 
z.  B.  der  adelige  Besitzer  eines  keinen  Umstünden  an  dem  nof- 
Mannslchens  keine  männlichen  Er-  wendigsten  Freunde  fehle.  Schon 
ben,  so  durfte  er  sein  Gut  ohne  in  vorchristlicher  Zeit  ging  man 
weitere  Erlaubnis  des  Landesherm  jedoch  von  der  Verbrennung  der 
veräussern,  sobald  er  seine  un-  Leichen  zur  Bestattung  über, 
zweifelhafte  „Dispositionsfahigkeit"  Hervorragende  Männer  wurden 
dadurch  bewies,  dass  er  —  voll-  nun  auf  ihrem  Lieblingarosse 
kommen  kriegerisch  gerüstet,  ohne  sitzend  in's  Grab  gesenkt,  wäh- 
Hilfe,  namentlich  ohne  die  Steig-  rend  die  übrigen  Rosse  des  Ver- 
bügcl  zu  berühren,  „in  das  gereite  storbenen  auf  dem  Grabhügel  ge- 
sprang". DieVerordnung  desSachsen-  opfert  wurden. 

Spiegels  ist  milder;  sie  verlangt  nur,  Das  kriegerische  Reitertum  tritt 
dass  der  Vererbende  noch  vermöge,  besonders  durch  die  Franken  in  ein 
mit  Schwert  und  Schild  auf  ein  helleres  Licht,  Hand  in  Hand  mit 
Ross  zu  kommen,  „von  einem  Stein  der  Ausgestaltung  des  Lehen  Weyens, 
oder  Stock,  einer  Daumellen  hoch,  Jeder  Vasall  empfängt  sein  Lehen 
also  doch,  dass  man  ihm  Ross  und  und  ist  zur  berittenen  Heerfolge  ver- 
Stegreif halt."  Man  sieht  aus  dem  pflichtet.  Aber  auch  der  „Gemein- 
Zusammenhang  dieser  Gebräuche,  freie"  tritt,  wenn  er  eigenen  Grund- 
weich  hohe  Wichtigkeit  auch  im  besitz  hat,  als  Reiter  auf.  Oer 
Rechtsleben  daa  Pferd  hatte,  und  Edelmann  besitzt  das  Rittergut,  der 
daher  ist  es  ganz  begreiflich,  wenn  freie  Bauer  den  Sattelhof,  das  Reif- 
die  altgermanische  Justiz  der  rechten  lehn.  Reiterlehn,  Klepperlehn,  den 
Rand  und  dem  linken  Fuss  einen  \  Flepperbesitz  oder  die  Reithufe.  Der 
höheren  Wert  beilegte,  als  der  linken  Unterschied  zwischen  dem  adeligen 
Hand  und  dem  rechten  Fuss.  Denn  |  Ritter  und  dem  berittenen  Freien 
wie  die  rechte  Hand  das  Schwert  trat  erst  im  10.  Jahrhundert  schroffer 
führt,  so  ist  es  der  linke  Fuss,  der  hervor,  da  der  erstere  in  bezug  auf 
„intanfet,"  d.  h.  beim  Aufsitzen  in  die  Ausrüstung  mit  Trutz-  und 
den  Steigbügel  tritt.  Der  Frevel  an  Schutzwaften  immer  weiter  ging  und 
diesem  wird  daher  mit  einem  höheren  grosse  Summen  auf  das  Gereite  ver- 
,, Wehrgeld"  bezahlt,  als  der  an  den  wendete,  während  der  Bauer,  dem 
entsprechenden  anderen  Glied-  diese  Mittel  nicht  zur  Verfügung 
massen.  standen,    dadurch    vom  achweren 


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Pferd. 


777 


Ritterdienst  ausgeschlossen,  ja  buch- 
stäblich vom  Pferde  verdrängt  wurde. 
Es  wurde  auch  bald  Gewohnheits- 
recht, dass  Lehen,  von  denen  die 
berittene  Heerfolge  verlangt  war, 
nur  noch  an  solche  vergeben  wurde, 
deren  Väter  den  gleichen  Dienst 
schon  geleistet  hatten.  So  bildete 
sich  besonders  seit  Konrad  II.  ein 
Stand  der  Äfilites.  Vgl.  den  Art. 
Adel  und  Heerwesen. 

Was  die  Pferdezucht  betrifft, 
so  hat  Pipin  noch  dem  Pferdeman- 
gel hauptsächlich  durch  Requisition 
abgeholfen,  sodass  ihm  z.  B.  die 
Sachsen  und  Thüringer  einen  jähr- 
lichen Tribut  von  300  Pferden 
entrichten  mussten;  schon  Karl 
Martell  benutzte  die  Pferde,  die 
er  den  ins  Frankenland  eingefalle- 
nen Arabern  abgenommen  hatte, 
zur  Hebung  der  inländischen  Zucht 
und  legte  so  den  Grund  zu  den 
trefflichen  Limousiner  Schlägen. 
Sichere  Nachrichten  liegen  aus  der 
Zeit  Karls  d.  G.  vor.  Auf  dem 
Königshof  zu  Asnapium  wurden  51 
Stuten,  jumenta  majora ,  nebst  fünf 
dreijährigen,  sieben  'zweijährigen  und 
sieben  einjährigen  Stuten  gehalten, 
sodann  zwölf  zweijährige  und  acht 
jährige  Hengstfohlen,  poledri;  und 
endlich  die  Beschäler,  emissarii. 
Auf  einem  andern  Königshofe  waren 
vorhanden:  79  alte  Stuten,  24  drei- 
jährige, 12  zweijährige  und  dreizehn 
jährige  Stutenfullen,  ferner  sechs 
zweijährige  und  zwölfjährige  Hengst- 
fohlen, sowie  fünf  Beschäler.  Es 
sind  dies  die  ältesten  Nachrichten 
über  deutsche  Gestüte.  Karl  gab 
den  Rossen  Königsfrieden  ,.pacem 
haheant  per  hannum  regit"  und  ver- 
bot die  Ausfuhr  von  Hengsten. 
Eins  der  ausgezeichnetsten  Gestüte 
des  nachfolgenden  Jahrhunderts 
scheint  dasjenige  des  Herzogs 
Ludolf  von  Schwaben  gewesen  zu 
sein,  der  um  940  jenen  berühmten 
Stutengarten  besass,  welcher  der 
Stadt  Stuttgart  den  Namen  gege- 
ben hat. 


Die  Folgezeit  betrachtete  es  zu- 
nächst als  ihre  Aufgabe,  ein  schweres 
Pferd  zu  ziehen,  da  dasselbe  nicht 
nur  eine  grosse  Last  zu  tragen  fähig 
sein  musste,  sondern  auch  selbst  als 
Waffe  diente,  indem  es  mit  der 
Wucht  seines  Körpergewichtes  die 
feindlichen  Reihen  mitunter  zu  spren- 
gen hatte.  Das  Gewicht  des  Reiters 
aber  soll  mit  demjenigen  der  Aus- 
rüstung von  Ross  und  Reiter  im  12. 
Jahrhundert  340,  im  16.  Jahrhundert 
ungefähr  440  Pfund  betragen  haben. 
Die  Stutereien  im  eigenen  Lande 
mehrten  sieh  beträchtlich,  und  um 
den  Kriegern  den  Besitz  dieser 
schweren  Pferde  zu  sichern,  ver- 
boten Verordnungen  des  14.  Jahr- 
hunderts den  Besitz  eines  Ritter- 
pferdes jedem  Nicht- Wappengenos- 
sen. Die  Zucht  dieser  Pferde  scheint 
hauptsächlich  in  Niederdeutschland 
und  Dänemark  geblüht  zu  haben, 
wurde  dann  aber  durch  die  Hohen- 
staufen auch  nach  Süddeutsch- 
land verpflanzt,  so  besonders  durch 
Friedrich  II.,  der  auch  auf  sizilia- 
nischen  Gebieten  grosse  Stutereien 
unterhielt. 

Doch  hatte  die  deutsche  Pferde- 
zucht zu  ihrer  Hebung  auch  schon 
fremdet  edles  Blut  verwendet,  so 
namentlich  spanisches,  spanjol,  rävit, 
von  Spanje,  Aaste/an,  welch  letzterer 
Ausdruck  so  viel  heisst,  als  Schlacht- 
ross  aus  Kastilien,  ja  er  ist  gerade- 
zu der  Inbegriff  des  Vollkommenen. 
Die  Römerzüge  führten  das  italieni- 
sche Blut  ein  und  die  Kreuzzüge 
das  morgenländische.  Die  arabischen 
Rosse,  mit  dem  orientalischen  Origi- 
nalwort ,Jaris"  benannt,  waren  zwar 
leicht  an  Körpergewicht,  aber  nichts- 
destoweniger schon  sehr  geschätzt. 
Später  wurden  auch  türkische  Pferde 
eingeführt.  Diese  morgenländischen 
Pferde  wurden  aber  mehr  als  Parade- 
pferde verwendet  und  konnten  na- 
mentlich im  Felddienste  dem  deut- 
schen schweren  Rosse  den  Rang 
nicht  streitig  machen. 

Der  l*ferdediebstah!  war  ein  alt- 


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778 


Pferd. 


germanischer    Brauch.     Wie    der  mit  der  Entwickelung  der  Adels- 
Araber  heute  noch  keine  Sünde  da-  reiterei   ging   auch  diejenige  der 
rin  erblickt,  dem  Nachbar  ein  Pferd  Konttabler  in  den  Städten.  Auch 
wegzunehmen,   wenn  er  im  Fort-  die  reichen  Kaufherren  der  Städte 
eilen   diesem   zurufen   kann:   „Ich  zogen  den  Kriegsdienst  zu  Pferde 
nehme  dir  dein  Pferd!"  so  scheint  vor.    Die  geringeren  Zünfte  thaten 
das  deutsche  Sprichwort:  „Mit  Ver-  Dienst  zu  Fuss.    Da   ihnen  aber 
luub  kann    man  dem  Bauer  das  nach  und  nach  dieser  Dienst  auch 
Pferd  aus  dem  Stalle  stehlen,4*  ziem-  zu  beschwerlich  werden  wollte  und 
lieh  dasselbe  anzud«'iilen.    In  der  sie  sich  der  reise  nur  sehr  un^erne 
That  gehörte  der  Pferdediebstahl  anschlössen,  ,,icurdent  sie  rettend? 
mit  dem  Holz-  und  Jagdfrevel  in  uf  wegeren",    Mau  setzte  nämlich 
die  gleiche  Kategorie  des  Diebstahls,  ihrer  vier  bis  sechs  auf  einen  Wuxst- 
in  diejenige  nämlich,  die  ein  ge-  wagen  und  fuhr  sie  als  gespanx- 
wisses  Privileg  und  die  volle  Sym-  glevener.   icagenreuter ,  tritrstrenter 
pathie  des   \  olkes   für   sich   nat.  dem  Heere  nach,  freilich  mussten 
Zwar  verwies  das  altdeutsche  Recht  sie  sich  die  beissendsten  Spottreden 
den  Pferdedieb  an  den  Galgen,  aber  gefallen  lassen.  Vielerorts  ^Deutsch- 
es scheint,  dass  die  augedrohte  Strafe  land  kannte  man  den  sogenannten 
wenig  fruchtete.  „umgehendeu  Rossedieust",  d.  h.  die 
Bei  der  vermehrten  Aufmerk-  vermögenden  Bürger   hielteu  ab 
samkeit,   die  man  dem  Pferd  im  wechselnd  gej?eu  Kost   und  Ent- 
Mittelalter zuwendete,  wurden  auch  Schädigung   ein  gerüstetes  Pferd, 
die   Preise  bedeutend  höher.    Zu  um  auf  Ratsgebot  „mit  der  Stadt 
Anfang  des  10.  Jahrhunderts  wurde  Gefahr'*  eine  Reise  zu  thun. 
ein  Streitross  mit  30  Joch  Landes       Dass  das  Schlachtr  jss  ein  Hengst 
und  einer  Hofstelle  bezahlt.     In  sein  musste,  war  ganz  selbstverständ- 
Westfalen  galt  100  Jahre  später  ein  lieh;  Walache  oder  gar  Stuten  zu 
gutes  Pfera  dreissig  Schillinge,  wo-  reiten,    galt    für   den  Edeln  als 
für  man  wol  Hunderte  von  Scheffel  schimpflich.  Über  die  lurniere  siehe 
Korn  kaufen  konnte;  und  derselbe  den  bes.  Art. 

Preis  erscheint  auch  noch  im  12.       Erstaunen  darf  man  auch,  mit 

Jahrhundert,  zu  einer  Zeit,  in  der  welchem  Aufwand  an  Pferden  die 

dreissig  Schillinge  so  viel  wie  1000  grossen  weltliehen  und  kirchliche* 

Viertel  Weizen  galten.    1385  blieb  Feste   des  Mittelalters  verbunden 

dem  Ritter  Simon  von  Haune  im  waren.    Ein  Festbericht  vom  Konzii 

Gefecht  ein  schwarzer  Hengst,  wel-  in  Konstanz  (1414)  sagt  u.  a. :  „Des 

eher  auf  150  Gulden  angeschlagen  ersten  ritt  der  Graf  Hugo  Planani 

wurde ;  einen  anderen  Hengst ,  der  von  Rymelu,  des  Ba|>sts  Marschalk, 

unter  ihm  erstochen  ward,  schätzte  in  einem  roten,  sameten  Rock,  und 

man  auf  130  Gulden.  gingen  ihm  nach  zwölf  weisse  Pferd 

Im   Kriege   galt   im    11.   und  gesattelt,  mit  rotem  Tuch  verdeck*. 

12.  Jahrhundert  der  schwergerüstete  darnach  des  Bapstes  Kreuz,  darnach 

Reiter  soviel  wie  12  Fussstreiter,  die  Singer  des  Babstes,  darnach 

Er  ritt  auf  der  „reise",  leicht  ge-  ritten  auch  die  Advocaten  und  Au- 

harnischt,    einen   palefrei;    seine  ditores  in  ihrem  Habit.    Nach  den 

schwere  Rüstung  war  einem  beson-  Auditores  kamen  die  Abt  und  die 

deren  Klepper  aufgebürdet,  während  Bischöff  und  die  ErzbischöfF,  die  zu 

der  Kästet 'an,  das  eigentliche  Streit-  reiten  hatten,  der  waren  au  der 

ross,  ledig  folgte,  damit  es  frisch  Zahl  hundertundsechsuudzwanzig. 

sei,    wenn    es    bei    beginnendem  alle  mit  verdeckten  Rossen,  und  hatt 

Kampf  bestiegen  würde.    Parallel  ihr  jeglicher  einen  Ehrbarn,  der  ihm 


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Pferd.  779 


das  Pferd  bei  dem  Zaum  führte,  das  letzt  Pfardt  ein  Saw."  Die 
Nachdem  führte  mau  einen  schönen  gleichen  Preise  erscheinen  auch 
hohen  Hut,  der  war  weit,  dass  er  anderorts,  so  in  Wien  und  Augs« 
wol  an  einer  engen  Strass  von  einem  bürg.  1470  erscheint  ein  Preis  von 
Haus  zu  dem  anderen  reichet,  und  45  Gulden  in  bar.  Eine  bayerische 
der  war  rot  und  geel  geteilet,  nach  j  Landesordnun?  von  1616  verbietet 
der  Lance  und  darauf  ein  guldener  diese  Feste,  da  sie  in  der  Fasten- 
Engel.  Darnach  gewappnet  Leut  zeit  schier  wöchentlich  angestellet 
und  alle  Stadt  und  Zünften  Kerzen,  werden. 

und  all  Posaunen,  die  posauneten  Das  Gereite  oder  Reitzeug  be- 
aber  nicht.  Darnach  ritten  die  steht  aus  Zaum,  Sattel  und  Sporn. 
Kardinal,  je  zween  und  zween,  derer  1  Zum  Zaum  gehört  die  Halfter,  ahd. 
warens  zweiundzwanzig.  Darnach  halftra,  mhd.  halfeter,  der  Konf- 
drei  Patriarchen,  darnach  unser  riemen  mit  Halsgurt,  ferner  das 
heiliger  Vater,  der  Bupst,  und  ritt  Gebiss.  Im  weiteren  Sinne  zerfallt 
un verdeckt,  dass  ihn  allermännlich  er  in  das  Hauptgestell,  Mundstück 
sahen,  und  sass  mit  der  Krone  und  und  die  Zügel.  Das  Gebiss,  bridel, 
mit  seinem  ganzen  Habit  auf  ein  prittil,  bredel,  bestand  ursprünglich 
weisses  Pferd ,  das  war  mit  Rotem  aus  Hanf,  dann  aus  Holz  und  end- 
verdecket. Und  ging  unser  Herr,  lieh  aus  Metall.  Die  letzteren  unter- 
der  König,  zu  Fuss  dar  uud  neiget  scheidet  man  in  Trenser-  und 
sich  auf  seine  Knie  fmd  nahm  das  Staugengebisse;  Trense  ist  die 
Boss  zu  einer  Seiten  mit  der  Hand  ältere  Form.  Der  Saftet,  ahd.  satul, 
beim  Zaum,  und  nahm  es  zu  der  mhd.  sätet,  hersessel,  besteht  aus  dem 
andern  Seiten  auch  bei  dem  Zaum  Holzgestell,  den  Sattelbäumen,welehe 
der  Markgraf  von  Brandenburg  und  durch  Stege  oder  Schaufeln  mitein- 
hinter  dem  König  ging  Herzog  ander  verbunden  sind,  und  den 
Ludwig  von  Bayern  und  hub  des  Polstern.  Unten  hangen  die  Stei^- 
Rosses  Deckeu  auf  zu  einer  Seiteu,  bügel,  stegenhaft ,  stegreif.  Die 
und  zu  der  andern  Seiten  ein  Sporen,  sporin,  sporn,  sitzen  am 
geforsteter  Graf,  und  zogen  also  Fusse  des  Reiters  und  dienen 
ab  dem  Hof,  und  ward  dem  nicht  nur  zum  Antreiben  des  Pferdes, 
Bürgermeister  Heinrichen  von  Ulm  sondern  haben  auch  eine  symbolische 
das  Koss,  darauf  der  Bapst  geritten  Bedeutung,  diejenige  der  Kitterschaft 
war."  und  Wehrfähigkeit.   Der  Reiter  trug 

Im  Ganzen  wird  die  Zahl  der  noch  im  10.  Jahrhundert  nur  einen 

Fremden,  die  sich  zu  diesem  Konzil  Sporen  und  zwar  am  Unken  Fuss 

in  Konstanz  eingefunden  haben,  auf  und  ohne  Rad.  Die  alten  Deutschen 

100,000,  die  Zahl  ihrer  Pferde  auf  kannten  den  Sattel  noch  nicht;  sie 

30,000  angegeben.  sassen  auf  dem  nackten  Pferd.  Zur 

Neben  den  Turnieren  waren  auch  Zeit  der  Römerkrie^e  noch  hielten 

Wettrennen    schon    im   Mittelalter  sie  denselben  für  ein  Zeichen  von 

beliebt.    Dieselben  waren  mit  den  Weichlichkeit  und  glaubten,  er  ver- 

Lenz-,  hauptsächlich  aber  mit  den  rate  Mangel   an  Geschick  iu  der 

Jakobifesten  verbunden.   Die  Preise  Behandlung  des  Pferdes.  Später 

waren  nach  heutigen  Begriffen  etwas  bediente  man  sich  des  übergeworfenen 

niedrig.   So  feierte  München  sein  Tierfells  als  Sattel  und  hiess  dasselbe 

erstes  „Rennend"  1488  unter  Albrecht  hast.    Iu  Ermanglung  eines  solchen 

dem  Frommen.  „Das  vordrist  phardt  mag  auch  der  Baumbast  Verwendung 

gewann   ein    scharlachthuch,    das  gefunden  haben,  wie  auch  der  Zaum 

ander  darnach  ein  Sperber  mit  seiner  ursprüuglich  aus  demselben  Stoffe 

Zugehöruug,  das  dntt  ein  Armbrust,  bestand;  noch  im  Mittelalter  tritt 


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780 


Pferd. 


dergleichen  Zaumzeug   auf.     Von  Kreuzfahrer   von    den  Orientalen 

Parzivals  Klepper  heisst  es:   „sin  herübergekommen  sein  soll. 

zuum,  der  was  pästin."    Den  ersten  j      Was  die  Rüstung  des  Streitroases 

Reitsattel  erwähnt  der  heilige  Hie-  anbelangt,    so   bestand    diese  im 

ronymus  um  340  n.  Chr.,  ohne  ihn  1 1 .  Jahrhundert  aus  „Schindeln  und 

jedoch  näher  zu  beschreiben.    Üb-  Rauten":  Im  1 3.  Jahrhundert  traten 

lieh  war  noch  bis  spät  ins  Mittel-  leichtere  geflochtene  „Kettenpanzer*1, 

alter  ein   kleiner  Sexsei,  der  ver-  |  parsen,  barschen,  wahrscheinlich  per- 

mittelst   Riemen   auf  dem   Pferde  sischen  Ursprunges  auf,   und  die 

festgemacht  wurde.  Jedenfalls  hatte  Rüstung  umgab  bald  das  ganze  Tier 

der  Sattel  des  germanischen  Alter-  mit  Ausnahme  der  Beine  und  Weich- 

tums  noch  keine  Steigbügel.    Da-  teile.    Den  Kopf  des  Streithen<rstes 

gegen  finden  sich  bei  den  Gräber-  bedeckte  die  Kossstirn.  chanfrirn, 

Funden  aus  der  Merowingerzeit  schon  ein  larvenartiger  Stirnschutz,  der 

trefflich   gearbeitete    Trenser   mit  auch  —  aber  selten  —  zum  völligen 

eingekettetem  Gelenk  und  eisernen  Kopfpanzer  ausgebildet  wurde.  L>ie 

Rosetten.  Augen  waren  durch  Drahtgitter  ge- 

Schon  im  9.  Jahrhundert  finden  schützt.  Oben  ragten  meist  zwei 
sich  die  ersten  Spuren  von  der  Be-  kleine  Röhren  empor  zur  Aufnahme 
panzern  na  des  Pferdes,  wenn  auch  von  Federbüschen,  an  deren  Stelle 
nach  der  berühmten  Tapete  von  auch  das  qiigerel,  houbestiudedj  ein 
Bayern  dieselbe  noch  lange  nicht  metallenesWappenbild  treten  konnte 
allgemein  in  Aufnahme  kam.  Die  Über  die  Nase  ging  eine  etwas 
Gräberfunde  zeigen  neben  Sättel-  längere  Schneppe,  und  unten  am 
schnallen,  eisernen  Gebissen,  ciser-  Maul  öffnete  sich  ein  Ausschnitt, 
nen,  verzinnten  Steigbügeln  und  um  die  gehörige  Festigung  des  Ge- 
starken Hufbeschlägen  Teile  eines  bisses  und  der  Stange  anzubringen. 
Pferde -Schuppenpanzers.  Ein  in  Die  mehrfach  gegliederte  Halt- 
Stuttgart  befindliches  Psalterium  rüsfung  war  aus  verschiebbaren 
aus  dem  10.  Jahrhundert  zeigt  etwas  Metallstreifen  zusammengesetzt  un«l 
schlanke  Pferde ,  gezäumt  mit  ein- '  mit  eisernen  Stäbchen  an  das 
facher  Trense.  Die  Sättel  entbeh- 1  Kopfstück  befestigt.  —  Den  läng- 
ren  noch  der  bald  nachher  üblichen  lieh  gewölbten  Brustharnisch  hielten 
hohen  Lehnen.  Bis  zur  ersten  Hälfte  (  Haken  am  Sattel  fest.  Er  war  in 
des  14.  Jahrhunderts  erscheint  auch  der  Mitte  häufig  mit  einer  metalle- 
auf  allen  Darstellungen,  namentlich  nen  Halbkugel  geschmückt,  an  der 
auf  den  Reitersiegeln,  immer  nur  sich  die  Gewalt  etwaiger  Lanzen 
ein  Zügel  oder  bridel :  von  da  an  stösse  brach.  Das  Htnterfeilstnci 
erscheinen  sie  zu  zweien.  Auch  das  war  ebenfalls  mit  Haken  am  Sattel 
Gebiss  verschärft  sich  namentlich  befestigt.  Es  war  sehr  breit  und 
im  Turnierdienste  sehr.  Zu  den  hoch  gewölbt  und  bedeckte  die  ganz» 
stärksten  dieser  Instrumente  gehört  Kuppe.  Alles  das  wurde  mit  star 
das  Wolfsgebiss,  orginoe,  lupafa,  zu  ken  Riemen  und  Schnallen  fest  zu- 
den  eigentümlichsten,  aber  häufigen  sammengehalten.  Zu  Ende  de* 
der  Zaum  mit  Maulkorb,  der  sich  13.  Jahrhunderts  wurde  es  überdies 
bis  zum  Ende  des  16.  Jahrhunderts  üblich,  das  Pferd  zu  „verdecken**, 
vielfach  findet.  Der  Zaum,  nament-  rerlankenieren,  also  über  die  Rüsturu: 
lieh  der  Hauptzügel  erscheint  mit  I  noch  eine  Oberlegedecke,  das, »Dach**, 
glänzendem  Beschlag.  kleit  des  orses,  ate  qröpüre  oder  co* 

In  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahr-  rerture  zu  breiten,  die  oft  bis  auf  den 

hundert»  kommt  auch  das  Schelfen-  Huf  des  Pferdes  herniederTeichte 

zeug  am  Zaume  vor,   das  durch  Diese  Decken  waren  Schausruckr 


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Phönix. 


781 


und  enthielten  oft  das  gestickte 
Wappen  des  Ritters.  Beim  Kampf 
wurden  sie  aufgeschlagen.  Der 
Sattel  bestand  aus  Buchenholz  und 
war  stark  mit  Eisen  beschlagen, 
natürlich  nach  innen  und  aussen 
gepolstert  und  reich  verziert  Die 
honen  Vorder-  und  Hinterpauschen 
(satelboge)  gewährten  einen  über- 
aus sicheren  und  bequemen  Sitz. 
Die  Turniersättel  wurden  zudem 
vome  bis  zu  den  Steigbügeln  hinab 
schildartig  verlängert  zum  Schutze 
der  Beine  des  Ritters,  und  sahen 
darum  einer  kleinen  Festung  nicht 
unähnlich.  Sie  waren  nicht  sel- 
ten zinnoberroth  angestrichen. 
Zum  Reisen  benutzte  man  leich- 
tere Sättel,  die  eine  freie  Bewegung 
gestatteten. 

Die  Quersättel  für  Frauen  kamen 
im  12.  Jahrhundert  auf.  Zwar  fan- 
den sie  nicht  so  rasch  Eingang  und 
man  findet  auf  bildlichen  Darstel- 
lungen noch  lange  fort  Frauen, 
die  schrittlings  ritten.  Übrigens 
ritten  Mann  und  Frau  auch  nicht 
selten  auf  Pferde.    Die  Frau 

hielt  sich  in  diesem  Fall  am  Gürtel 
des  Mannes  fest. 

In  bezug  auf  das  Verkehrswesen 
ist  endlich  noch  zu  bemerken, 
dass  bis  auf  unsere  Zeit  das  Pferd 
der  einzige  Vermittler  war.  Daher 
genoss  es  auch  im  jus  prov.  elem. 
schon  das  Recht,  überall  das  be- 
nötigte Futter  zu  beanspruchen. 
„Ain  fremde  man  snidet  wol  sinem 
mueden  ff  ariden  ain  Juoter,  daz  gen 
ainem  pfeni  wert  tst,  ob  er  irent, 
daz  es  im  erliegen  welle  ....  Er 
tat  auch  sin  pfärde  treten  mit  den 
sonderen  fuezen  in  das  korn  und  lat 
ez  ezzen,  und  er  soll  des  fuoters  nit 
von  dannen  fueren."  Em  altmodi- 
sches Recht  erklärt  sogar,  dass  der 
Reiter,  der  sein  Pfera  abgesattelt 
und  Herberge  genommen  hat,  den 
Schutz  geniessen  soll,  als  sei  er  auf 
seinem  eigenen  Boden,  während  doch 
der  Fremde  sonst  als  vooelfrei  an- 
gesehen wurde.    Nach  San-Marte. 


Waffenkunde  und  Jahns,  Ross  und 
Reiter  im  Leben  und  Sprache,  Glau- 
ben und  Geschichte  der  Deutschen. 
Leipzig  1872. 

Phönix  ist  eine  aus  dem  Alter- 
tum stammende  mythische  Vorstel- 
lung, die  im  Mittelalter  sehr  beliebt 
war.  Die  Sage  stammt  zunächst 
aus  Ägypten,  und  zwar  erzählt  He- 
rodot,  dass  der  Phönix  nur  selten, 
alle  fünfhundert  Jahre,  wie  die 
Heliopoliteu  sagen,  von  Arabien 
nach  Ägypten  komme ,  und  zwar 
alsdann,  wenn  sein  Vater  gestorben 
sei,  den  er  in  Myrrhen  gehüllt  nach 
dem  Sonnentempel  bringe  und  dort 
bestatte.  Der  Phönix  habe  ein  gol- 
denes und  rotes  Gefieder  und  sei 
an  Gestalt  und  Grösse  am  meisten 
dem  Adler  ähnlich.  Erst  seit  Ovid 
ist  von  diesem  Vogel  bei  Griechen 
und  Römern  mehr  und  häufigdie  Rede 
und  seine  Geschichte  und  Beschrei- 
bung wird  weiter  ausgeschmückt. 
Plinius  erzählt,  dass  der  Vogel  ein 
Nest  bereite,  es  mit  Wohlgerüchen 
erfülle  und  sterbe;  aus  seinem  Mark 
und  Knochen  entstehe  zuerst  ein 
Wurm,  daraus  ein  Junges,  welches 
den  Vater  bestatte.  Endlich  bil- 
dete das  Altertum  die  Phönix-Sage 
dahin  um,  dass  der  Vogel  sich  ver- 
brenne und  aus  der  Asche  der  neue 
Vogel  entstehe,  und  verwendete  ihn 
daher  als  Sinnbild  einerseits  der 
Unsterblichkeit  und  ewigen  Dauer, 
anderseits  der  steten  Erneuerung 
und  Verjüngung.  Die  Vorstellung 
vom  Phönix  fand  sodann  Eingang 
in  den  jüdischen  und  in  den  christ- 
lichen Vorstellungskreis;  im  letztern 
tritt  er  als  Symbol  in  den  Dienst 
der  Auferstehung  und  der  über- 
natürlichen Erzeugung  Christi;  als 
ein  Bild  Christi  erscheint  er  auch  im 
Physiologus.  Inder  christlichen  Kunst 
erscheint  der  Phönix  zuerst,  analog 
einer  ältern  Verwendung,  auf  Mün- 
zen christlich -römischer  Kaiser. 
Eigentümlich  christlich  ist  dagegen 
die  Verbindung  des  Phönix  mit 
dem  Palmbaum,  dem  man  dieselbe 


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782 


wunderbare  Eigenschaft  zusehrieb,  zu  achten,  da  von  dem  planetari- 
wiederholt abzusterben  und  aus  rischen  Götterkreis  auch  die  Tage 
sich  selbst  wieder  aufzulebeu ;  beide  der  Woche  ihre  Namen  erhielten, 
symbolische  Gegenstände  tragen  zu-  ursprünglich  in  astrologischem  Sinn, 
gleich  im  Griechischen  denselben  dass  jeder  Tag  unter  der  Herrschaft 
Samen  ifoivi£,  soviel  als  Palme  des  betreffenden  Planeten  und  so- 
und  Phönix.  Später  wurde  eiue  mit  auch  des  Gottes  stehe,  nach 
Zusammenstellung  des  Phönix  mit  dem  er  benannt  wird.  Die  Kirchen- 
dem  Pelikan  beliebt,  der  seine  Brust  lehrer  wiedersetzten  sich  deshalb 
mit  dem  Schnabel  aufritzt,  um  die  diesen  Benennungen  strenge,  in- 
unter ihm  im  Neste  sitzenden  Jun-  dem  si<-  die  Dämonen  der  Planeten 
gen  mit  seinem  Blut  zu  ernähren,  für  gefallene  Engel,  oder,  wie  bei 
Viper,  Mythologie  der  christl.  Kunst,  Origenes  geschieht,  für  höher» 
[,  446  —  471.  Geisterwesen  erklärten,  welche  zu 

Physiologus  heisst  eine  im  Mit-  Gott  beten  und  den  Herrn  loben, 
telalter  lateinisch  und  deutsch,  in  Da  jedoch  die  Kirche  die  letztere 
Prosa  und  in  Versen  mehrfach  be-  Ansicht  für  ketzerisch  erklärte, 
arbeitete  Deutung  mythischer  Tiere  ging  man  allmählich  auf  die  in: 
auf  Christus  und  den  Teufel.  Vgl.  Mittelalter  allgemein  verbreitete  An 
den  Art.  Tierkunde.  schauung  über,  dass  Sonne,  Mond 

Pickelhering,  auch  Pickelhäring  und  Sterne  von  Engeln  bewegt 
"eschrieben,  eigentlich  ein  in  Pökel  werden,  ähnlich  wie  die  Menschen 
Hegender  oder  gelegener  Hering,  ist  im  Schutze  von  Engeln  stehen, 
als  Name  des  Lustigmachers  in  der  Was  die  Darstellung  der  Planeten 
Komödie  durch  die  englischen  Schau-  in  der  christlichen  Kunst  betrifft. 
Spieler  im  ersten  Viertel  des  17.  Jahr  so  scheint  der  altchristlichen  Kunst 
hunderts  bei  uns  eingeführt,  aus  eng-  die  Vorstellung  der  Planetengötter 
lisch  pickl  eherring  von  der  oben  fremd  geblieben  zu  sein.  Erst  seit 
angegebenen  Bedeutung.  Das  Wort  dem  9.  Jahrhundert  kommen  in 
dürfte  den  magern  Narren  gegen-  astronomischen  Bildwerken  Bilder 
über  Hanswurst  dem  Feisten  be-  der  Planetengötter  mit  ihren  der 
zeichnen.  antiken  Kunst  entnommenen  Attri- 

Plstolen  will  man  als  „Schlüssel-  buten  vor;  im  Zusammenhang  kirch- 
büchsen"  von  einer  Spanne  Länge  licher  Ideen  sind  sie  noch  nicht  zur 
bereits  um  1364  in  Italien  gekannt  Darstellung  gelangt.  Häuficer  trifft 
haben,  die  zu  Ende  des  15.  Jahr-  man  seit  dem  15.  Jahrhundert  die 
hunderts  in  Pistoja  durch  Anbrin-  Planeteugötter,  teils  in  Nachahmung 
gung  eines  Luntenschlosses  bedeu-  des  klassischen  Altertums,  teils  in 
tende  Verbesserungen  erfahren  ha-  astrologischem  Interesse,  indem  man 
ben  sollen.  Die  genannte  Stadt  das  menschliche  Leben  unter  dem 
will  der  später  namentlich  bei  der  Einflüsse  der  Planeten  stehend 
Reiterei  beliebten  Waffe  den  Na-  wahnte;  namentlich  ist  das  der  Fall 
men  gegeben  haben.  Im  Museum  in  den  sog.  Planeten  folgen,  d.  h. 
zu  Sigmaringen  wird  eine  sieben-  einzelnen  Blättern,  auf  welchen  die 
läufige  Pistole  gezeigt,  die  dem  Eigenschaften,  Häuser,  Umlaufs- 
16.  Jahrhundert  angehören  soll.  Zeilen  und  Wirkungen  auf  die  unter 
Im  17.  Jahrhundert  machte  man  ihnen  geborenen  Kinder  angegeben 
Mörserpistolen  mit  sehr  weitem  und  die  sowohl  handschriftlich  ah*  in 
Lauf.  Holzschnitt    und  Kupferstich  illu- 

Planeten.  Man  war  im  ehrist-  striert  werden;  von  da  werden  seit 
liehen  Altertum  um  so  mehr  veran-  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts  die 
lasst,  auf  die  Namen  der  Planeten  Planeten-Figuren  in  die  mit  kolo- 


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Plaphart.  —  Plastik.  783 

Herten  Holzschnittfiguren  versehe-  gäbe  ist  die  Darstellung  der  lebenden 

neu  gedruckten  Kalender  aufgenom-  Natur,  in  erster  Linie  des  Menschen, 

rnen;  und  zwar  stehend,  nackt,  mit  etwa  noch  des  Tieres:  die  Wieder- 

einem  Stern  auf  der  Scham.    Piper  gäbe  der  Landschaft,  der  Bäume, 

in  der  Mythologie  der  christl.  Kunst,  Blumen  etc.  ist  ihm  untersagt,  er 

II,  199 — 276.  kann  sie  höchstens  andeutend  be- 

Plaphart,  Plapharter,  Plappert,  handeln, 

hcisst  ein  ehemaliger  ursprünglich  jn  der  klassischen  Kunst  hat  man 

ausländischer     Dickpfennig     oder  dic   Schönheit    des  menschlichen 

Grosch  von  nicht  völlig  3  Kreuzern;  Körpers  zuerst  wiederzugeben  sich 

es  werden  genannt  alte  Plappharter  bemüht,  die  griechische  Kunst  leistete 

oder  beheimische  Grosch,  gute  PI.,  in  Darstellungdes  nackten  Menschen- 

Kreuzpl.,  Kreuzerpl.;  der  gestempft  das  Vorzüglichste. 

Beheimisch  in  der  Gemeine  (96  Stück  T^.    ,     ,   ,.   «  ...  ,  ..  , 

aus  8»'s  Lot  2  gl.  fein  Silber)  zu  „.  ^e  dureh  die  Schönheit  geadelte 

9%,  dn!  schwarz;  dann  Maylander  ^ichkeit,  wie  sie  das  Altertum 

Scnlangen-Pl-,  Grossen-Pl.,  knch-  Ä"der  l^L^Ltn  dh!e 


Kappen-PL    Der  Name  schiint  aus  "^JSSulSSSS^ nTSf^ 
^  Ki0;rti,    antota\n  warddashochsteZielderDarstellung. 


weh  he.  Euerseits  l  ahd  3  Von  dcr  körperlichen  Form  bedurfte 
furo,   A  i.   bleichfarben   stammen  ma"    nur    noch  des  täuschenden 


franz.    blafard  =  bleich  entstellt, 

Schimmers,  damit  trat  die  Malerei 


soll;  die  Münze  wäre  also,  wie  der  ,  ., 

WnL» i?  u„  1,1  >hre  eigentliche  Bestimmung  und 

<nbeÄa1nt  die  Rolle  der  1>la*tik  «^ie/ aus- 
Plastik. Die  Bildhauerkunst  f  jj* ;  ,.Je  «chtlicher  aber  die 
(Plastik,  Skulptur)  stellt,  wie  die  ^unst  selbst  verfiel,  um  so  weniger 
Architektur,  ihre  Werke  körperlich,  w*ren  .  auclJ  d,eK  Künstler  der 
d.  h.  in  dm  Raumdimensionen  dar.  gierigen  Aufgabe,  einen  nackten 
Sind  ihre  Arbeiten  so  ausgeführt,  Körper  gut  und  schon  wiederzugeben, 
dass  sie  rund  der  Natur  nachgebildet  £  wachsen.  Zudem  waren  die  meisten 

erscheinen  und  von  vorn,  von  den  ^  ?lldw,cr  K°              v     wfi"  Pf" 

o  «i.         •           ]     ty-t  V.    '     u  brauch  bestimmt.    Man  bekleidete 

leiten,  wie  von  der  Rückseite  be-  j   {*       n    p  " 

schaut  werden  können,  so  werden  1  es  *  e  1^UI*rn- 
dieselben  Rundfiguren  oder  Statuen  Das  Wenige,  das  noch  geleistet 
genannt;  ist  dagegen  das  Wrerk  so  wurde,  zehrte  von  antiken  Keminis- 
angelegt,  dass  es  gleich  wie  ein  zenzen  und  wiederholte  in  immer 
Bild  nur  von  einer  Seite  betrachtet  roherer  geistloserer  WTeise  die 
werden  soll,  dass  der  Hintergrund,  wenigen  neuen  Typen  und  Dar- 
von  dem  sich  die  einzelnen  Figuren  Stellungskreise,  welche  das  Christen- 
abheben,  eine  mehr  oder  minder  tum  hervorgerufen  hatte, 
ebene  Fläche  bildet,  so  bezeichnet  Selbst  die  rein  ornamentale 
man  solche  Arbeiten  als  Reliefs;  Skulptur  ist  anfangs  noch  äusserst 
je  nachdem  die  Figuren  mehr  oder  schwach  und  getraut  sich  kaum, 
weniger  aus  dem  Hintergrund  her-  einige  schüchterne  Linien  zu  ver- 
vortreten, spricht  man  von  Hoch-  suchen;  die  Plastik  sinkt  zur  Klein- 
oder Basreliefs.  kunst  herunter  und  bleibt  es  bis  ins 

Das  Gebiet,  welches  der  Bild-  12.  Jahrhundert, 

hauer*  beherrscht,  ist  ein  Verhältnis-  Romanische  Epoche:  Unter  den 

mtfssig  eng  begrenztes.    Seine  Auf-  Werken  des  10.  und  11.  Jahrhunderts 


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784 


Plastik. 


AI- 
die 
Ho 
und 
mit 
aus. 


Fig.  113.    Elfenbeinrelief  des  Tutilo. 


steht  die  Elfern- 
beinarbeit  in  erster 
Reihe.  Sie  ist  fast 
ausschliesslich  wie 
alle  Kunst  dieser 
Zeit,  für  kirch- 
liche Bedürfnisse 

thätig.  Sie 
schmückt  die  klei 
uen  tragbaren 
tare,  stattet 
Bücherdeckel , 
stienbüchsen 
andere  Geräte 
Bildwerken 
Die  Darstellungen 
bestehen   meist  in 
kräftigem  Relief, 
das   bisweilen  mit 
einer  gewissen 
Starrheit  und 
Schwerfälligkeit, 
mitunter  selbst  rot 
und  ungeschickt 
behandelt  ist.  Dies 
zeigt  unter  andern 
der  angebliche  Re- 
liquienkasten 
Heinrich  I.  in  der 
Schlosskirche  zn 
Quedlinburg,  Vor- 
gänge    aus  dem 
Leben  Christi  dar- 
stellend. 

Einen  merkwür- 
digen Gegensatz 
hierzu  bietet  ein 
Diptychon  in  der 
Sammlung  des  Hotei 
Cluny  in  Paris,  au* 
der  Zeit  Otto  I- 
der  sich  mit  der 
griechischen  Prin- 
zessin Theophane 
verlobt  hatte;  was 

zur  Verbreitung 
des  byzantinischen 
Stiles,  der  sich 
mentlich 
steifen 
w ändern 
wähnten 


UA- 


in 


den 
Prunkge- 
des  er- 
Dipt* 


Google 


Plastik. 


785 


c/ions  zeigt,  ein  besonderer  An-  flüchtig  aufgefasst,  namentlich  Köpfe, 
la8s  war.  Wie  sehr  sich  dieser  Stil  Hände  und  Füsse  ungebürlich  gross 
ausbreitete,  beweist  eine  grosse  Zahl  und  ungeschickt  gezeichnet, 
ähnlicher  Arbeiten,  darunter  zwei  Mit  der  Elfenbeinschnitzerei  ging 
Belief  tafeln  in  der  Bibliothek  zu  i  die  Arbeit  in  kostbaren  Metallen 
St.  Gallen,  die  man  Tutilo  zuschreibt.  Hand  in  Hand.  Namentlich  wurden 
Fig.  1 1 3  (Kunst  hißt  Bilderbogen),  die  Altartische  mit  Antependien  von 
Durch  den  Byzantinismus  erhielt  getriebenen  Metallplatten  bekleidet, 
die  in  Roheit  versunkene  Technik  an  welchen  Reliefs,  Schmelzmalerei 
doch  wieder  eine  strengere  Richtung.  I  und    kostbare  Edelsteine  sich  in 

r- 


Fig.  114.    Antependium  von  Basel. 

Aber,  wenn  sie  sich  auch  eine  bessere  j  prunkvoller  Wirkung?  verbanden, 
und  geschicktere  Behandlung  an-  So  wird  uns  über  die  Ausstattung 
eignet,  so  nimmt  sie  doch  nicht  ohne  {  der  Abteikirche  Petershausen  vom 
weiteres  die  seelenlose  Starrheit  des  i  Jahr  983  berichtet,  dass  am  Altar 
byzantinischen  Stiles  an.  Vielmehr  mit  Silbernlatten  bekleidete  Säulen 
strebt  sie  überall  nach  neuem  Aus-  einen  reien  mit  Metall  verkleideten 
druck,  nach  dramatischer  Lebendig- ;  Baldachin  trugen  und  das  Antepen- 
keit.  Dadurch  jedoch  werden  die  i  dium  mit  gediegenem  Gold  und  Edel- 
äussern  formalen  Gesetze  aufs  neue  steinen  besetzt  gewesen  sei.  Auch 
vernachlässigt,  die  Verhältnisse  des  von  St.  Gallen,  von  Mainz  und 
menschlichen  Körpers  unrichtig  und  vielen   andern  Orten   wissen  die 

Reallexlcon  der  deuUchen  Altertümer.  50 


786 


Plastik. 


Geschichtschreiber  von  kostbaren 
Gefässen,  welche  grösstenteils  in 
Gestalt  von  Dracnen,  Greifen, 
Kranichen  und  Löwen  gebildet 
waren,  von  goldenen  Kruzifixen  und 
reichen  Antependien  zu  erzählen. 
Das  umfangreichste  und  bedeu 
tendste  Denkmal  dieser  Art  ist  die 
Altartafel  aus  dem  Münster  zu  Basel, 
welche  sich  gegenwärtig  im  Hotel 
Ctunv  zu  Paris  befindet,  und  ganz 
aus  Goldblech  getrieben  ist.  Fig.  1 14 
Altartafel  zu  Basel  (Kunstbist.  Bil- 
derbogen). 

Neben  diesen  Prachtarbeiten 
beginnt  auch  seit  Beginn  des 
11.  Jahrhunderts  der  Erzguss  eine 
um  so  grössere  Bedeutung  zu  er- 
langen, ab  er  den  Obergang  zu  um- 
fassenderer monumentaler  Anwen- 
dung der  Plastik  bildet.  Die  her- 
vorragendsten Arbeiten  knüpfen  sich 
an  die  Persönlichkeit  des  Bischofs 
Bermcard  ron  Hildesheim  (f  1023), 
eines  gelehrten,  in  Kunst  und  Wissen 
gleich  erfahrenen  Mannes.  Seine 
erste  Arbeit  ist  die  grosse  eherne 
Thür  des  Doms  zu  Hildesheim, 
welche  in  16  viereckigen  Feldern 
auf  der  einen  Seite  die  Momente 
der  Schöpfungsgeschichte,  auf  der 
andern  Vorgänge  aus  dem  Leben 
Christi  giebt.  Der  Stil  ist  noch 
ungemein  primitiv  und  die  Behand- 
lung der  Gestalten  von  seltsamem 
Ungeschick.  Noch  eine  Reihe  an- 
derer Arbeiten  erzeugte  der  Erzguss 
im  11.  Jahrhundert,  alle  aber  ver- 
raten, namentlich  im  Figürlichen, 
eine  harte  Strenge  des  Stiles.  Zu 
hoher  Anmut  und  Freiheit  entfaltet 
sich  dagegen  gleichzeitig  das  Deeo- 
rative,  wie  in  den  beiden  Kron- 
leuchtern im  Dom  zu  Hildesheim, 
namentlich  aber  in  dem  prachtvollen 
siebenarmigen  Leuchter  der  Stifts- 
kirche in  Essen. 

Weniges  lässt  sich  von  der 
Stein-  und  Holzskulptur  des  10.  und 
11.  Jahrhunderts  sagen;  grössere 
Bedeutung  sollte  sie  erst  im  folgenden 
Jahrhundert  mit  der  reichen  Aus- 


bildung der  Architektur  erlangen. 
Unter  den  selbständigen  Werken 
stehen  zwei  Reliefplatten  im  Münster 
zu  Basel  mit  streng  antikisierenden 
Gestalten  obenan. 

Das  /2.  Jahrhundert.  Wie  schon 
angedeutet,  wurde  die  Plastik  im 
Laufe  des  12.  Jahrhunderts  über- 
wiegend   vou  der  Architektur  in 
Anspruch  genommen  und  dadurch, 
da  sie  sich  nun  nicht  mehr  so  frei 
bewegen  konnte,  wie  in  den  kleinem 
dekorativen  Werken,  einer  andere 
Bestimmung,  einer  neuen  Entwick- 
lung entgegengeführt.  Noch  einmii 
wird  die  Antike  zum  Ausgangspunkt 
genommen,  aber  der  bedeutend  er- 
weiterte Kreis  des  Daseins,  den  der 
Glanz  des  ritterlichen  Lebens,  du 
Aufblühen  der  Städte,  die  weiten 
Fahrten  in  den  Orient,  uamentikk 
die  Kreuzzüge  eröffnet  hatten,  er- 
füllte die  alten  Formen  mit  en*m 
jugendlichen,  freien  uudedlenLd*  • 
Das    Zusammenwirken    nrit  der 
Architektur,   die   sich  von  unwr 
standener  Nachahmung  der  AnoJ 
nun  befreit   und   im  romin: 
Baustil  ihre  eigene  Form  ^efun 
hatte,  trieb  die  Plastik  zu  einer 
baulichen  Organismus  parallel 
fenden  Umgestaltung, 
sollte  erst  das  18.  Jahrh 
reifen  Früchte  dieses  Umseh 
ernten,  die  Plastik  musste  im  12. 
hundert  vorerst  lemen,Bieb 
Raumverhältnissen 
und  in  gleichmässiger  Kompn 
architektonischen  Gesetzen  «eb 
fügen. 

Wie    schwer    ihr    oft  wtwj 
die  Schätze  dunkler  Symbolik, 
der  sie  sich  beladen  hatte,  mit  <Jw 
klaren  Rhythmus  eines  Bauwerke 
in   Einklang   zu  bringen, 
manche    Portale ,  Chorsch 
Lettner  und  Fac&den.  Nicht 
stehen    deshalb    die  Werke 
12.  Jahrhunderts  tiefer  als  die 
des  vorangegangenen,  ja  oft 
Plastik    in    äusserst  e  Roheil 
Barbari  zurück,  und  selbe! der 


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Plastik. 


787 


lose  Byzantinismus  erobert  sich  noch  |  fortschreitende  Entwicklung  lässt 
einmal  gewissen  Einfluss.  |  sich  in  den   sächsischen  Kirchen 

An  der  Spitze  der  Leistungen  nachweisen;  zumeist  bestehen  die- 
steht  auch  im  12.  Jahrhundert  Deutsch-  selben  aus  Stuck,  wie  diejenigen  an 
land.  Dem  Anfange  desselben  ge-  den  Chorschranken  von  St.  Michael 
hört  zunächst  das  Relief  der  Exter-  in  Hildesheim.    Bemerkenswert  ist 


Fig.  115.    Taufbecken  in  der  Bartholomäuskirche  in  Lüttich. 


steine  bei  Horn  in  Westfalen  an,  eine 

§ rossartig  angelegte  Romposition 
er  Kreuzabnahme  enthaltend.  Das 
"Werk  ist  in  eine  Felswand,  wahr- 
scheinlich 1115  eingehauen  worden. 
Eine  ganze  Reihe  Reliefkomposi- 
tionen und  in  ihnen  eine  konsequent 


der  freie  künstlerische  Humor,  der 
sich  in  den  Werken  Bahn  bricht, 
wie  z.  B.  an  den  Reliefs  am  Chor 
zu  Königslutter,  wo  die  Momente 
einer  frönlichen  Hasenjagd  darge- 
stellt sind. 

In  Süddeutschland  sind  es  vorab 

50* 


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788 


Plastik. 


die  bayerischen  Lande,  welche  sich  i  haften  Gestalten  Christi  und  der 
an  einer  reichen  Übung  der  Plastik  Heiligen  fröhliche  Jaedsienen  in 
beteiligen.  Hier  mischen  sich  die  erfreulicher  Frische  una  Lebendig 
balbverschollenen  Gestalten  der  alten  keit  abgebildet  sind, 
nordischen  Sagen  mit  den  christ-  Eine  besondere  Gattung  toü 
liehen  Anschauungen  zu  einer  PI  um-  Denkmalen,  die  Grabsteine,  ist  im 
tastik,  die  in  unkünstlerischem  Durch-  j  12.  Jahrhundert  nur  aufnahm*- 
einander  ihre  wilden  Aphorismen  weise  künstlerisch  vertreten.  M&ii 
planlos  über  Portale  und  Facaden  begnügte  sich ,  die  Gestalt  de* 
ninstammelt.  Ein  Prachtstück  dieser  .  Verstorbenen  mit  eingeritzten  Li 
Art  ist  das  Portal  von  St.  Jacob  in  ;  nien  oder  aus  flachem  Relief  dar 
Kegensburg.  Der  gleichen  Richtung  zustellen. 


mm  1*  s 

SC 


Fig.  116.    Romanischer  Kronleuchter  aus  Combarg. 


huldigt  die  grosse  Säule  in  der 
Krypta  des  Domes  zu  Freising. 
Vom  Fusse  bis  zum  Kapital  ist  das 
Ganze  ein  Gewirr  von  menschlichen 
Gestalten,  Drachen  und  andern  un- 
geheuerlichen Zusammensetzungen 
—  eine  wahre  Martersäule  für  die 
gelehrte  Auslegung.  Auch  Schwaben 
weist  eine  Menge  derartiger  Arbeiten 
auf,  in  denen  die  Fülle  symbolischer 
Beziehungen  die  künstlerische  Be- 
deutung weit  überragt  Neben  der 
Kirche  zu  Alpirsbach  ist  es  nament- 
lich die  Johanniskirche  in  Gemünd, 
an  der  neben  unglaublich  puppen- 


Neben  der  Steinskulptur  i 
jetzt  auch  der  Erzqust  eine  wi 
Stellung  ein.  En  bedeutende*^ 
dieser  Zeit  ist  das  Taufbecken 
St.  Bartholemy  zu  Lüttich, 
gegen  1112  durch  iMmbert 
von    Dinant  geschaffen 
Fig.  115  (Kunsthiat,  Bil 
Hieher  gehören  ferner  eine 
Kirchengeräte  und  Thür»  u. 
lieh  aber  sind  jene 
Kronleuchter  zu  erwähnen, 
mit  den  zwölf  Thoren  das  himwiw 
Jerusalem  bedeuten  sollten,  * 
der  Abteikirche  zu  Combnrg.  rV  I 


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Plastik. 


789 


(Kunsthist.  Bilderbogen)  und  im 
Münster  zu  Aachen.  Der  Erzguss 
findet  nun  auch  zuweilen  bei  Grab- 
platten Anwendung,  wie  am  Grab- 
mal des  Gegenkönigs  Rudolf  von 
Schwaben  im  Dom  zu  Merseburg 
in  flachem  Relief;  die  Augäpfel  und 
Gewandung  waren  ehemals  reich  mit 
Edelsteinen  geschmückt 


Eines  der  grossartigsten  Werke  ist 
der  Schrein  der  heil,  drei  Könige 
im  Dom  zu  Köln.  Fig.  117  (Kunst- 
hist. Bilderbogen). 

Frühgotitche  Epoche  1200—1300. 
Das  13.  Jahrhundert  führte  den 
Prozess,  der  im  12.  begonnen,  zu 
Ende.  Einen  glänzenden  Aufschwung 
zeigt  vorerst  die  Architektur.  Das 


Fig.  117.    Dreikönigsschrein  im  Kolner  Dom. 


Holz-  und  Elfenbeinschnitzerei 
ersteigen  in  dieser  Epoche  keine 
neue  Stufe,  dagegen  macht  sich  an 
den  Arbeiten  der  Goldschmiede  ein 
ueuer  Geist  in  Auffassung  und 
Durchführung  der  Arbeiten  bemerk- 
bar, namentlich  in  prachtvollen  Re- 
liquienschreinen, die  in  architekto- 
nischer Weise  angelegt  werden. 
Der  Hauptsitz  dieser  Arbeiten  scheint 
das  Rheinland   gewesen   zu  sein. 


nördliche  Frankreich  stellt  in  dem 
neuen  gotischen  Stile  eine  Schöpfung 
hin,  in  welcher  Kühnheit  der  Kon- 
struktion und  Scharfheit  der  Be- 
rechnung sich  mit  glänzender  Pracht 
und  dem  edlen  Ausdruck  einer  be- 

feisterten  Empfindung  verschmelzen. 
>ies  vermochte  sich  aber  nur  durch 
eine  reichere  Anwendung  und  höhere 
Entwicklung  der  Plastik  auszu- 
sprechen.   Daher  sehen  wir  in  den 


790 


Plastik. 


Portaleu  und  Vorhallen,  in  den 
Galerien  der  Faeadeu,  den  Bal- 
dachinen der  Strebepfeiler,  den 
Wanden  der  Chorschraukeu  die 
Architektur  eifrig  bemüht,  der 
Sch\ve8tcrkun8t  eine  freiere  Stätte 
zu  bereiten.  Architektur  und  Plastik 
zeigen  nun  wieder  eine  Wechsel- 
beziehung und  ein  lebendiges  Zu- 
sammenwirken, wie  es  seit  der 
griechischen  Blütezeit  nicht  mehr 
erblickt  worden  war. 

Das  vollständigste  Bild  von  einem 
Künstler  des  13.  Jahrhunderts  ist 
uus  in  den  Skizzenbuche  de&J'ilfard 
von  llonnecourt  erhalten,  welches 
sich  auf  der  Bibliothek  zu  Paris  be- 
findet. Besonders  wichtig  ist  da* 
Buch  durch  mehrere  Tafeln,  auf 
denen  er  Anleitung  zum  Figuren- 
zeichnen gibt.  Er  verfthrt  dabei 
nach  einer  unter  seinen  Zeitgenossen 
allgemeinen  üblichen  Regel,  indem 
er  durch  Einzeichnen  von  geometri- 
schen Figuren,  namentlich  von  Drei- 
ecken in  die  menschliche  Gestalt, 
die  Sache  dem  architektonisch  ge- 
bildeten Künstler  zu  erleichtern  sacht. 
Dies  stellt  sich  uns  als  ziemlich  will- 
kürliches Verfahren  dar,  aber  es 
gibt  Aufschluss  darüber,  warum  die 
zahllosen  Statuen  jener  Zeit  so 
sicher  stehen,  so  fest  in  ihrem  Schwer- 
punkt ruhen.  An  diesem  einzigen 
Beispiel  sehen  wir,  wie  strebsam 
die  damaligen  Künstler  waren ;  aber 
das  Leben,  das  sie  umgab,  war 
auch  dazu  angethan,  ein  künstle- 
risches Auge  zu  begeistern.  Es  war 
überall  anmutiger  und  geschmeidi- 
ger geworden,  die  Sitten  waren 
milder,  man  legte  Wert  auf  die 
Schönheit  des  Äussern.  Darnach 
entwickelte  sich  die  Tracht,  welche 
den  barbarischen  Prunk  byzantini- 
scher Hofgewänder  abschüttelte  und 
dafür  die  Formen  des  Körpers  klar 
hervortreten  und  sich  in  edler  Be- 
wegung frei  entfalten  Hess. 

Für  die  völlige  Wirkung  der 
Plastik  dieser  Epoche  wird  aberauch 
eine    entsprechende   Malerei  not- 


wendig. Bereits  hatte  die  Archi- 
tektur der  romanischen  Zeit  von 
der  Polychromie  umfassenden  Ge- 
brauch gemacht.  Als  dann  die 
Plastik  anfing,  sich  an  der  Dekora- 
tion des  Innern  zu  beteiligen,  mußten 
auch  ihre  Werke,  um  sich  harmo- 
nisch dem  Ganzen  anzuschliessen, 
kräftige  Bemalung  erhalten.  Mit 
diesem  gesteigerten  Ausdrucks- 
mittel hatten  die  Künstler  zugleich 
einen  nicht  minder  reich  entwickel- 
ten Ideengehalt  auszudrücken.  Was 
die  Scholastik  in  tiefsinniger  Durch- 
dringung der  Hcilslehre  als  gross- 
artig dogmatisches  Gebäude  hin- 
gestellt, was  die  von  der  Kirche  aus- 
gegangene dramatische  Kunst  in 
den  Mysterien  dem  Volke  in  lebeu- 
den  Bildern  vorgeführt  hatte,  das 
wurde  nun  auch  in  den  Portalen  und 
Vorhallen  der  Kathedralen 


meiselt:  sie  geben  in  den  grossen 
symbolisch-historischen  Bilderkrei- 
sen  die  Summe  des  Glaubens  und 

I  Wissens  ihrer  Zeit. 

Endlich  findet  auch  der  Humor  eine 
Stätte,  zunächst  wie  früher  in  man- 

i  cherlei  originellen  Gebilden  an  Kon- 
solen und  wohl  auch  an  Kapitalen, 
sodann   aber   vorzüglich    an  den 

|  Wasserspeiern ,  welche  als  phanta- 

I  stische  Drachen ,  Tier-  und  Untier- 
cestalten    gebildet    werden.  Die 

IPhantastik,  die  den  Völkern  des 
Nordens  im  Blute  steckt  und  in 
jener  Zeit  sich  unbefangen  als  grobe, 
selbst  unflätige  Possenreisaerei  so- 
gar in  die  kirchlichen  Mysterien  ein- 

,  drängen  durfte,  suchte  und  fand  in 

j  jenen  abenteuerlichen  Gestalten  ihren 
Ausdruck. 

In   Deutschland    tritt    uns  die 

!  Plastik  dieser  Zeit  nicht  so  gross- 
artig   und  einheitlich  geschlossen 

!  entgegen,  wie  namentlich  in  Frank- 
reich,   wo    durch  den  schnellen 

.  Sieg   des   gotischen  Systems  das 

I  bunte  Treiben  der  frühern  lokalen 
Schulen  zum  Schweigen  gebracht 
wurde.  Als  treuer  Nachhall  politi- 
scher Verhältnisse   erhebt  sich  in 


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Plastik 


791 


Deutschland  der  hartnäckige  Unab- 1  allen  Portalen  die  erste  Stelle  ein. 

hängigkeitssinn  der  einzelnen  Schulen  Fig.  118. 

gerade  jetzt  zu  grosser  Kraft.  Wie  Derselben  Richtung  begegnen 
in  der  Architektur  bilden  sich  in  wir  in  einem  zweiten  Werke  der 
der  Plastik  lokale  Gruppen,  welche  Kirche  zu  Wechselhurq.  dem  plasti- 
sich  noch  lange  dem  neuen  franzö-  sehen  Schmucke  des  Hochaltars, 
sischen  Stile  widersetzen.  So  über-  Wie  die  romanische  Architektur, 
flutet  noch  in  den  ersten  Dezennien  so  vermochte  auch  die  reife  Blüte 
des  13.  Jahrhunderts  eine  ebenso  ihrer  Skulptur  vor  dem  übermächtig 
formlose  als  wilde  Phantastik  die  eindringenden  gotischen  Stile  Frank- 
Chornische  an  der  Kirche  zu  Schön-  reichs  sich  nicht  zu  halten.  Die 
grabern  in  Niederösterreich  und  die  glühende  Begeisterung,  die  innige 
Fa^aden  von  St  Stephan  in  Wien.  Sehnsucht  und  die  schwärmerische 
Welche  Anhänglichkeit  man  auch  Hingebung  musste  sich  in  den  ge- 
immer  in  den  verschiedensten  Gegen-  meisselten  Gestalten  aussprechen, 


Fig.  118.    Von  der  Kanzel  zu  Wechselburg. 


den  Deutschlands  dem  ältern  Stile  und  so  verloren  denn  auch  die  Figuren 
widmete,  beweisen  unter  anderm  die  I  die  stattliche  Würde ,  das  an  die 
bedeutenden  Leistungen  der  fränki- 1  Antike  erinnernde  Gepräge  von  er- 
schen  Schule  am  Dom  zu  Bamberg. ,  habener  Ruhe,  sie  werden  schlank, 
Welch  seelenvoller  Schönheit  aber  (  zart  aufgeschossen  und  mit  schwär- 
auch  die  alte  Auffassung  fähig  war,  |  merischer  Neigung  des  Lockeu- 
erkennen  wir  an  den  Arbeiten  der  hauptes  dargestellt.  Eine  eigentüm- 
snchsUchen  Schule,  namentlich  an  ,  liehe  Bewegung  zieht  sich  durch  den 
den  Reliefs  der  Kanzel  zu  Wechsel-  j  ganzen  Körper,  als  wollte  derselbe 
bürg.  Noch  glänzender  entwickelt  ,  den  Schwingungen  des  Empfindens 
sich  derselbe  Stil  an  den  Skulpturen  folgen.  Die  Gewandung  fliesst 
der  golden  Pforte  zu  Freiberg  im  |  voll  und  faltenreich  und  nähert  sich 
Erzgebirge.  In  grossartiger  Anlage,  immer  mehr  der  kleidsamen  Zeit- 
in Adel  der  Romantik,  vor  allem  ,  tracht.  Eine  liebevolle  Behandlung 
aber  in  reichlicher  Anwendung  bild-  erfährt  namentlich  das  Gesicht: 
nerischen  Schmuckes  nimmt  sie  unter  es  ist  ja  der  Sitz  der  Gedanken, 


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793 


da«  Spiegelbild  der  gemütlichen  Er-  vereinigen:  der  Bürgerstand.  Auch 
regungen  des  Innern.  Ein  Zug  im  Schosse  der  Kirche  gewinnen 
lächelnder  Holdseligkeit  erhellt  fast 1  die  bürgerlichen  Mönchsorden  über 
ohne  Ausnahme  das  jugendliche  Ge-  die  aristokratischen  Geuossenschaf- 
sicht.  Das  energisch  Mannhafte,  ten  der  Benediktiner  und  Cister- 
trotzig  Kühne  liegt  diesem  Stil  cienser  die  Oberhand;  an  Stelle 
ferne,  und  selbst  seine  männlichen  der  abgestorbenen,  verknöcherten 
Gestalten  haben  den  Ausdruck  Scholastik  tritt  die  innerlich  ge- 
einer  fast  weiblichen  Anmut.  Den  wordene  subjektiv  erregte  Schwärme- 
ersten  Werken  des  neuen  Stils  be- 1  rei  der  Mystiker.  Schon  gegen 
gegnen  wir  auf  deutschem  Boden  I  das  Ende  der  vorigen  Epoche  sind 
an  der  Liebfrauenkirche  zu  Trier,  wir  den  lyrisch  wiederkehrenden 
allein  es  waltet  hier  noch  eine  Bewegungen  des  Körpers  begegnet 
Befangenheit,  welche  die  Ele- ;  und  haben  auf  das  konventionelle 
meute  des  neuen  Stils  sichtlich  als  I  Lächeln  hingewiesen.  Diese  Züge 
fremde,  ungewohnte  handhabt.  In  werden  jetzt  immer  mehr  verstärkt, 
reifer  Vollendung  und  Schönheit  Die  Gestalten  ergreift  ein  seltsames 
finden  wir  ihn  alsdann  an  der  1  inneres  Wehen,  das  sich  in  geschwun- 
plastischen  Ausstattung  des  Domes  genen  Stellungen  Luft  macht,  in 
zu  Bamberg.  Selbst  zu  Reiterstand-  starkem  Herausbiegen  der  einen  und 
bildem  versteigt  sich  diese  iugend-  ebenso  starkem  Einziehen  der  andc- 
kräftige  Zeit,  wie  das*  leoendige  ren  Körperhälfte,  in  übertriebenem 
Reiterbild  de*  Königs  Konrad  Iii.  Lächeln,  wobei  die  Augen  sogar 
Figur  119  (Kunsthistorische  Bilder-  schief  gestellt  werden.  Die  Ge- 
bogen) am  Dom  zu  Bamberg  wandmassen  werden  gehäuft  und 
beweist.  Rasch  verbreitet  sich  der  durch  übermässig  viele  Falten  gc- 
neue  Stil  über  Sachsen  und  das  brochen.  Aber  auch  an  Tiefsinn 
südwestliehe  Deutschland ,  wo  wir  und  Fülle  der  Gedanken  sind  die 
die  herrlichsten  Beispiele  am  stid-  Werke  desH.  Jahrh.  denen  des  IS. 
liehen  Portal  und  an  der  Haupt-  j  nicht  ebenbürtig.  Nur  selten  be- 
fayade  des  Strassburger  Münsters  er-  gegnen  uns  noch  als  Nachhall  Jener 
blii  ken.  Fig.  120  Statuen  vom  Sfrass-  grossen  Zeit  die  bedeutsamen  Bilder- 
burger  Münster,  (Kunsthistorische  eyklen.  Allein,  wenn  auch  die 
Bilderbogen).  Plastik  in  wichtigen  Punkten  der 

Noch  entschiedener  als  die  Stein-  frühern  untergeordnet  erseheint ,  so 
skulptur  hielt  die  Goldschmiedekunst  suchte  sie  dafür  in  anderer  Hin- 
an den  prunkenden  Formen  der  sieht  einen  Fortschritt  durch  ge- 
romanischen Weise  mit  ihrer  reichen  naues  Eingehen  auf  die  Natur,  durch 
Ornamentik  fest.  Die  Erzplastik  schärfere  Bezeichnung  und  vollere 
aber  tritt  beinahe  ganz  zurück.  Entwicklung  der  Formen;  aber,  da 

Spätgotische  Epoche,  1300— 1450.  <*in  Verständnis  des  gesamten  körper- 

Mit  dein  Beginn  des  14.  Jahrhun-  liehen  Organismus  auch  jetzt  noch 

derts  ist  der  Höhepunkt  des  Mittel-  mangelte,  so  blieb  es  bei  einzelnen 

alters  überschritten.     Lberall  ge-  Ansätzen.     Zugleich  war  sie  aus 

raten    die  alten  Institutionen   ins  den    Händen   der    Mönche  ganz 

Schwanken.    Das  majestätische  Ge-  in    diejenige   bürgerlicher  Meister 

bäude  der  Hierarchie  sieht  sieh  in  übergegangen  una  hatte  an  dem 

seinen  Grundfesten  erschüttert,  aber  zünftigen  netriebe  zwar  <'ine  solide 

nicht  minder  ohnmächtig  sinkt  das  technische  Schule    erhalten,  aber 

Kaisertum  dahin.    Ein  neuer  Stand  auch  eine  unverkennbare  geistige 

beginnt   aufzublühen,  in  dem  die  Schranke.    So   dürfen  wir  denn, 

gesunden  Elemente  der  Zeit  sich  trotz  mancher  gelungenen  Einzelheit. 


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794  Plastik. 


den  hereinbrechenden  Verfall  des  das  sie  umgebende  Leben  häufiger 
Mittelalters  nicht  in  Abrede  stellen,  betrachteten  und  ihren  Darstellungen 


Fig.  120.    Vom  nördlichen  Seitenportal  der  Haasfront  des  Strassburger  Münster« 

Ende  des  13.  Jahrhunderts. 

wenn  auch  der  aufkeimende  Natur-  I  manche  genrehafte,  selbst  humoristi- 
nnn  der  Plastik  manche  Bereiche-  sehe  Züge  beimischten.  Das  war 
rung  verschaffte  und  die  Künstler  aber  auch  das  einzige  Mittel,  die 


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Plastik. 


795 


nachgerade  etwas  verbrauchten  Stufte  Kompendium 
etwas  aufzufrischen. 
Die  Region  der  Teu- 
fel (bei  Schilderun- 
gen desjiin^ten  Ge- 
richtes) gab  schon 
früher  mannigfa- 
chen Anlass  zu  kräf- 
tig derbem  Humor. 


Jetzt  weicht  die 
dämonische  Un- 
heimlichkeit  völlig 
burlesken  Ausma- 
lungen und  das  Nie- 
drigkomische findet 
reiche  Verwendung. 

Unbedingt  die 
erste  unter  den 
plastischen  Schulen 
des  1 4.  Jahrhunderts 
ist  die  Nürnberg!« 
sehe.  Ihre  erste  be- 
deutende Leistung 
ist  das  Westportal 
der  Lorenzkirche 
und  mehrere  Portale 
von  St.  Sebald.  Zu 
den  bedeutendsten 
Werken  der  späte- 
ren Zeit  gehört : 
der  schone  Brun  neu 
Figur  121  iKunst- 
historische  Bilder- 
bogen). 

Einer  zweiten 
bedeutenden  Schule 
begegnen  wir  in 
Schwaben,  zunächst 
in  den  Portalen  des 
Doms  von  Augs- 
burg und  desjenigen 
in  Ulm,  sodann  an 
der  Heil.  Kreuz- 
kirche in  Gmünd 
bei  den  humoristi- 
schen Wasserspei- 
ern. 

In    den  rheini- 
schen Gegenden  fin- 
den   wir  zunächst 
am  Münster  zu  Freiberg  tüchtige 
plastische    Arbeiten.     Em  ganzes 


Fijf.  121.  V 
lirunnen  in 


der  heil.  Geschichte 
ist  in  miuiaturarti- 
ger  Ausführung  am 
Westportale  der 
Kirche  zu  Thann 
zusammengedrängt. 

Einen  hohen 
Wert  besitzen  end- 
lich die  Statuen 
Christi,  seiner  Mut- 
ter und  der  Apostel 
im  Chor  des  Kölner 
Domes;  sie  sind 
namentlich  auch 
durch  die  treffliche 
Polvchromie  von 
besonderem  Inter- 
esse. 

Neben  dieser  rei- 
chen Anwendung 
der  Steiuskulptur 
stehen  die  in  an- 
derem Material  aus- 
geführten Werke 
merklich  zurück. 
Die  Holzskulptur 
tritt  nur  ganz  ver- 
einzelt aut. 

Wichtiger  dage- 
gen sind  einige  Ar- 
beiten des  hrzgus- 
se8.  Neben  einer 
Menge  kleiner,  meist 
haudwerksmässiger 
Arbeiten  gewinnt 
das  Reiterstandbild 
des  heil.  Georg  auf 
dem  Hradschiu  zu 
Prag  durch  Leben- 
digkeit erhöhte  Be- 
deutung. 

Die  Grobsteine 
behalten  in  der  er- 
sten Zeit  des  14. 
Jahrhunderts  noch 
eine  Weile  das  edle 
Gepräge  der  frühe- 
ren Zeit,  die  typische 
Allgemeinheit  der 
Gesichtszüge ,  die 
ernste  Ruhe  der  Haltung,  die  verklärte 
Lieblichkeit    namentlich    in  weib- 


om  schöneu 
Nürnberg. 


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796 


Plastik. 


liehen  Köpfen.  Auch  die  Tracht 
bleibt  zuerst  noch  dieselbe  ideale, 
fast  antikisierende  Gewandung.  In- 
dessen fangen  die  Bildhauer  doch 
auch  hier  an,  nach  und  nach  die 
Natur  vor  Augen  zu  nehmen.  Zu- 
erst versucht  sich  das  Streben  nach 
individueller  Charakteristik  an  männ- 
lichen Köpfen,  die  durch  kräftigere 
Entwicklung  der  Formen,  auch  wohl 
durch  den  Bart  dem  Bildner  einen 
Anhaltspunkt  gewährten.  Für  die 
weiblichen  Köpfe  hielt  man  dagegen 

gern,  auch  bei  sogenannten  Porträt- 
üsten,  an  dem  idealen  Typus  fest, 
der  sich  allmählich  herausgebildet 
hatte.  Erst  im  weitern  Verlauf  der 
Epoche,  nachdem  mehrfach  die 
Künstler  begonnen  hatten,  den  leer 

Gewordenen  Typus  der  Madonna 
urch  das  untergeschobene  Bild 
irgend  einer  schönen  und  liebwerten 
irdischen  Jungfrau  zu  beleben,  ge- 
wann man  auch  für  weibliche  Por- 
tratstatuen das  Gepräge  der  be- 
stimmten Persönlichkeit. 

Ein  Hindernis  für  die  Entfaltung 
der  Plastik  wird  schon  seit  Mitte 
des  Jahrhunderts  die  veränderte 
Tracht  in  den  Reiterstatuen;  denn 
mit  den  kurzen  Waffenröcken,  den 
zuerst  au  den  Gelenken  auftreten- 
den Eisenschienen,  die  den  ganzen 
Körper  in  steife  Fesseln  schlagen, 
ist  jede  Möglichkeit  einer  edlen  Dar- 
stellung ausgeschlossen.  Die  Ge- 
stalten zeigen  sich  nun  mit  gespreiz- 
ten Beinen  und  abstehenden  Armen, 
in  derselben  ungeschickten  Schwer- 
fälligkeit, wie  sie  eben  das  Leben 
mit  sich  brachte.  Fig.  122  Grabmal 
des  Landgrafen  Ulrich  (Kunsthisto- 
rische Bilderbogen).  Die  schönste 
Veranlassung,  porträtwahre  Charak- 
teristik mittlen  Anforderungen  eines 
würdevollen  Stiles  zu  verbinden, 
boten  die  bischöflichen  Denkmäler, 
da  gerade  diese  Tracht  die  prächtig- 
sten Motive  für  stilvolle  Gewand- 
behandlung bot. 

Unter  den  Kleinkünsten  erfreute 
sich    vornehmlich    die  Elfenbein- 


schnitzerei reicher  Pflege,  nament- 
lich zu  kleinen  tragbaren  Altären 
oder  Schmuckkästchen,  Gefässen 
IL  dergl. 

Minder  Günstiges  lässt  sich  von 
der  anspruchsvollen  Technik  der 
Goldschmiede  sagen;  denn,  seitdem 
auch  in  diesen  Werken  das  gotische 
Stilgesetz  durchgedrungen  war, 
wurde  jedes  Gefass  und  Gerät  seiner 
natürlichen  Form  entkleidet  und  als 
kleines  Bauwerk  maskiert,  wodurch 
die  freie  Plastik  nur  kümmerlichen 
Raum  für  sich  behielt. 

Seuere  Zeit:  1450—1550.  Schon 
seit  Beginn  des  15.  Jahrhunderts 
hatte  sich  im  Norden,  gleich  wie  in 
andern  Ländern,  namentlich  in 
Italien,  der  Sinn  für  die  Wirklich- 
keit, der  Sealismus  geregt.  Was 
den  völligen  Durchbruch  der  neuen 
Auffassung  in  der  nordischen  Plastik 
erschwerte,  war  nicht  der  Mangel 
an  realistischem  Sinne,  sondern  die 
lange  noch  fortdauernde  Herrschaft 
der  gotischen  Architektur.  Die  neue 
Plastik,  lebenswahr  und  selbst 
extrem  realistisch,  fand  keinen  Platz 
mehr  in  dem  System  der  Gotik,  die 
neuen  Gestalten  wollten  freie  Be- 
wegung haben,  wofür  in  den 
engen  Hohlkehlen,  an  den  be- 
schränkten Bogenfelderu  der  Portale, 
zwischen  den  knappen  Säuienstellun- 

fen  der  Baldachine  kein  Raum  war. 
lIs  nun  trotzdem  der  Zug  nach 
realistischer  Treue  die  Plastik  mit 
fortriss,  musste  ein  Kompromiss  mit 
der  Architektur  geschlossen  werden : 
allein  die  Konzessionen,  welche  die 
Gotik  machen  konnte,  waren  wohl 
hinreichend,  ihr  eigenes  Gesetz  auf- 
zulockern, aber  nicht  genügend,  d*»n 
gerechten  Anforderungen  der  Plastik 
nachzukommen.  Darin  liegt  auch 
der  Grund,  weshalb  die  nordische 
Bildnerei  nicht  zu  jenerharmonischen 
Gesamtkunst  sich  entfalten  konnte, 
wie  in  Italien,  von  1420—1520,  wo 
der  Ein  Auas  der  Antike  zugleich 
eine  neue  Architektur  geschaffen 
hatte,  welche  den  beiden  DÜdenden 


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798 


Plastik. 


Künsten  in  ihrer  fortgeschrittenen 
Gestalt  einen  neuen  Rahmen,  eine 
zusammenfassende  Einheit  gegeben 
hatte.  Aber  auch  die  Ungunst  der 
äussern  Zeitverhältnisse  wirkte  ein. 
Die  ehrsamen  Bürger  und  tölpisehen 
Bauern  des  15.  Jahrhunderts  waren 
kein  Gegenstand,  an  denen  sich  ein 
reines  Schönheitsgefühl  hätte  nähren 
und  stärken  können.  Eine  unschöne, 
bunte,  überladene  Tracht  steigerte 
das  spiessbürgerliche  Gepräge 
der  Plastik  ins  Phantastisch  -  ver- 
zwickte. Dafür  konnte  die  aus- 
drucksvolle Kraft  der  männlichen, 
die  holde  Anmut  der  weiblichen 
Köpfe  allein  nicht  entschädi- 
gen, denn  die  Plastik  bedarf  mehr 
als  des  Kopfes;  sie  muss  auf  eine 
harmonische  Ausbildung  des  ganzen 
Körpers  bedacht  sein. 

Im  Norden  fehlt  endlich 
auch  das  Material,  das  dem  Süden 
zur  Verfügung  stand:  der  weisse 
Marmor.  Man  ist  auf  den  grob- 
körnigen Sand  oder  Kalkstein  an- 
gewiesen, mehr  aber  noch  und  mit 
bezeichnender  Vorliebe  auf  das  derbe 
Eichen-  und  Lindenholz,  aus  dessen 
Blöcken  das  kühn  gehandhabte 
Messer  des  Bildschnitzers  eine  Welt 
von  reichen  Altarwerken  u.  dergl. 
zu  gestalten  weiss. 

Die  Mehrzahl  dieser  Werke  in 
Stein  und  Holz  erhält  deshalb  ihre 
volle  Bemalung  und  wetteifert  an 
Goldglanz  und  Farbenschimmer  mit 
den  gemalten  Tafeln,  die  sich  mit 
ihnen  oft  zu  grossen  Gesamtkompo- 
sitionen verbinden.  So  strebt  die 
nordische  Plastik  ins  Malerische 
hinein. 

Die  Stoffe  für  ihre  Werke  nimmt 
sie  meistens  aus  dem  Leben  Christi, 
namentlich  aus  der  Passions- 
geschichte In  diesen  Szenen  kann 
sie  ihrem  Hange  nach  leidenschaft- 
licher Schilderung  vollauf  genügen, 
und  sie  thut  es  mit  unerschöpflicher 
Erfindungskraft. Weder  im  Charakter 
ihrer  Gestalten,  noch  im  Ausdruck 
der  Empfindungen  sucht  sie  dabei 


das  Edle,  Geläuterte,  vielmehr  sind 
ihr  die  derbsten  Charakterfiguren, 
die  heftigsten  Motive,  die  rückhalt- 
losesten Geberden  die  liebsten. 
Man  war  der  ewig  gleichförmigen 
Schönheit  im  Wurf  der  Falten,  de* 
stillen  monotonen  Lächelns  der  Ge- 
sichter satt  und  wollte  lieber 
die  Wirklichkeit  in  ihren  eckigen 
Gestalten,  ihren  vielfach  gebrochenen 
Gewändern,  als  jene  leer  und  all- 
gemein gewordene  Schönheit  Die? 
musste  auf  eine  ungleich  grössere 
Mannigfaltigkeit  der  Richtungen 
führen,  denn  jeder  Meister  hatte, 
namentlich  für  Madonnen-  und  an- 
dere Frauenköpfe,  nur  sein  eigenes 
in  der  Wirklichkeit  vorhandenes 
Schönheitsideal,  in  welchem  wir  noch 
ietzt  oft  den  schmerzlich  süssen 
Reflex  subjektiver  Herzenserlebnisse 
ahnen  können. 

a)  Die  Holzschnitzerei. 

Am  unmittelbarsten  knüpft  die 
Holzschnitzerei  in  Technik  und  In- 
halt an  die  mittelalterliche  Tradition 
an.  Sie  ist  die  Lieblingskunst  ge- 
worden. Früher  spielte  sie  eine  be- 
scheidene Rolle.  Wohl  kommen 
auch  im  14.  Jahrhundert  oder  im  An- 
fange des  folgenden  hie  und  da  HoLz- 
schnitzaltäre  vor,  aber  erst  seit  der 
Mittedea  1 5.nimmtdieHolzschnitzerei 
in  Deutschland  einen  solchen  Auf- 
schwung, dass  ihre  Werke  die  Ge- 

I  bilde  in  Erz  und  Stein  überragen. 

\  Die  Hauptthätigkeit  erstreckt  sieh, 
wie  schon  bemerkt,  auf  jene  zahl- 

i  reichen  Altäre,  welche  sien  in  vielen 
Abteilungen  neben  und  übereinander 

I  aufbauen,  mit  doppelten,  ja  oft  vier- 
und  sechsfachen  Flügeln  versehen. 
Der  Hauptteil  besteht  in  der  Regel 
aus  einem  tiefen  Schrein,  der  ent- 
weder mit  einigen  Statuen  oder 
Reliefszenen  ausgefüllt  ist.  Dieselben 
schildern  die  Vorgänge  durchaus 
malerisch,  auf  perspektivisch  ent- 
wickeltem Plan  mit  landschaftlichen 
Hintergründen,  und  repräsentieren 
die  in  Holz  übersetzten,  mit  reicher 


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Plastik. 


799 


Bcmalung  belebten  geistlichen  Schau-  j 
spiele,  die  sog.  Mysterien  jener  Zeit. 
(  Vergl.  Artikel  Altar  | 

Die  Priorität  in  Aufnahme  und 
Ausbildung  des  neuen  realistischen 
Stils  darf  die  schwäbische  Schule  in 
Anspruch  nehmen.  Auffallend  frisch 
tritt  diese  Richtung  bereits  an  zwei 
Altären  der  Kirche  zu  Tiefenbrunn 
hervor,  gefertigt  von  Lucas  Moser  \ 
und  Hans  Schuhlein;  um  dieselbe 
Zeit  ist  der  Maler  Friedrich  Herlin 
in  Franken  thätig.  Der  Hauptsitz 
der  schwäbischen  Schule  aber  ist 
einerseits  Ulm,  wo  neben  Schuhlein 
die  beiden  Jorg  Syalin,  Vater  und 
Sohn,  uns  in  den  Chorstühlen  im 
Münster,  im  sog.  in  Stein  ausge-  • 
führten  Fischkasten  (Marktbrunnen), 
in  den  Chorstühlen  zu  Blaubeuern 
und  dem  in  üppiger  Dekoration  durch- 
gerührten Schaildeekcl  im  Münster 
grossartige  Meisterwerke  hinterlassen 
haben.  Beinahe  keine  Kirche 
Schwabens  entbehrt  glanzvoller  Bei- 
spiele, ja  selbst  bis  weit  in  die 
Schweiz  hinein  erstreckt  sich  die 
Thätigkeit  der  schwäbischen  Schule, 
wie  aer  von  Jacob  Rösch  im  Dom 
zu  Chur  1 499  ausgeführte  Hochaltar 
und  zahlreiche  Altiire  in  Graubünden 
darthun. 

Am  Oberrhein  zeigen  die  wenigen 
noch  vorhandenen  Schnitzarbeiten 
viel  Verwandtschaft  mit  dem  dort 
durch  Martin  Schongauer  in  der 
Malerei  begründeten  Stil. 

Neben  Ulm  ist.  Augsburg  ein 
Hauptsitz  schwäbischer  Kunst.  Auch 
in  Österreich  findet  sich  eine  grosse 
Zahl  solcher  Werke,  von  denen 
manche,  namentlich  im  Tirol,  ihre 
Entstehung  demBildschnitzerJ/icÄfl^/ 
Pocher  verdanken.  Aber  auch  am 
Khein,  in  Westfalen,  in  Pommern, 
lassen  sieh  zahlreiche  Beispiele  auf- 
führen. 

Eine  besondere  Bedeutung  haben 
sodann  die  fränkischen  Arbeiten,  die 
grösstenteils  unter  Leitung  des  auch 
als  Maler  thatigen  Michael  Wohl- 
gemufh  ausgeführt  wurden;  aber  erst 


gegen  Ausgang  der  Epoche  tritt 
Nürnberg  durch  den  Bildschnitzer 
Veit  Stoss  wirklich  in  den  Vorder- 
grund. Seine  beste  und  grösste 
Arbeit  in  Nürnberg  ist  der  Kosen- 
kranz  in  der  Lorenzkirche.  Dazu 
Fig.  123  Verkündigung  von  Veit 
Stoss  (Kunsthist.  Bilderbogen). 

b)  Steinskulptur. 

Der  Steinskulptur  blieb  in  dieser 
Epoche  nur  ein  enges  Feld.  Die 
Architektur  verschmähte  mehr  und 
mehr  ihre  Beihilfe.  Die  gotischen 
Bauwerke  werden  entweder  in 
nüchterner  Kahlheit  aufgeführt  oder 
suchen  und  Huden  ihren  Schmuck 
ausschliesslich  in  den  geometrischen 
Zierformen  eines  spielend  ausgebil- 
deten Maass  werkes.  Die  Stein - 
skulptur  sieht  sich  deshalb  ganz  auf 
kleinere  Gegenstände,  wie  Kanzeln, 
Brunnen,  namentlich  aber  auf  Grab- 
steine aufwiesen.  In  allen  diesen 
Fällen  ist  es  namentlich  das 
Hoch-  oder  Flachrelief,  und  so  ist 
klar,  dass  die  Plastik  unaufhaltsam 
ins  malerische  Gebiet  hinüberge- 
drängt wurde.  In  einseitig  scharfer 
Nachbildung  der  Wirklichkeit  aber 
wetteifert  die  Steinplastik  mit  der 
Holzskulptur. 

Auch  hier  weist  einesteils  Schwaben 
in  den  Portalen  der  Frauenkirche 
zu  Esslingen  und  am  Ulmer  Münster, 
im  Sakramentshäuschen  daselbst 
und  manchen  andern  Werken  Pracht- 
stücke auf.  Prunkvolle  Kauzein  be- 
sitzen die  Dome  zu  Freiburg,  die 
Münsterzu  Strassburgund  St.  Stephan 
in  Wien.  Eine  Reihe  tüchtiger Grab- 
mäler  in  den  Rheingegenden  gibt 
ein  anschauliches  Bild  von  der  Ent- 
wicklung dieser  Art  Monumente. 
Von  grossem  Wert  ist  namentlich 
der  bald  nach  1468  entstandene  Grab- 
stein des  Königs  Ludwig  in  der 
Frauenkirche  zu  München. 

Kein  Ort  in  Deutschland  ist  jedoch 
für  Entwicklung  auch  der  Stein- 
skulptur so  bedeutend,  wie  gerade 
Nürnberg,  welches  in  Adam  Krajft 


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800 


Plastik. 


einen  der  bedeutendsten  Meister  j  das  Sakramentshäuschen  in  St  Lo- 
her vorbrachte.  Eines  der  kunst-  j  renz.  Gleichzeitig  arbeitete  er  tn 
vollsten    Erzeugnisse    Kraflnts    ist  |  mehreren    Grabmälern,   wie  am 


Fig.  1U3.    Die  Verkündigung  von  Veit  Sto«9. 


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Plastik. 


801 


Perzensdorferschen  in  der  Frauen- 
kirche etc. 

Mit  wie  frischer,  lebensvoller 
Naivität  der  Meister  auch  das  ge- 
wöhnliche Dasein  zu  ergreifen  wusste, 
bewies  er  au  dem  anziehenden  Re- 
lief der  Stadtwage ,  eines  prächtigen 
Genrebildes.  Fig.  124  iKunsthist. 
Bilderbogen). 


Karmeliterkirche  zu  Boppard  und 
desjenigen  des  Erzbischofs  Albrecht 
im  Dom  zu  Mainz. 

c)  Erzarbeit. 

Auch  in  der  Erzarbeit  gebührt 
Nürnberg  weitaus  der  erste  Rang, 
denn  neben  Veit  Stoss  und  Adam 
Krafft  erscheint  als  dritter  grosser 


Fig.  124.    Relief  vom  Waghaus  zu  Nürnberg  von  Krafft. 


Um  dieselbe  Zeit  lebte  ein  eben- 
falls sehr  tüchtiger  Meister  in  Wiirz- 
burg:   1^1  man  Künsenstch neide r. 

Im  Stephansdom  zu  Wien  schuf 
Meister  yiclas  Lerch  und  Michael 
Dichter  das  stattlichste  Grabmonu- 
ment der  ganzen  Epoche  für  Kaiser 
Friedrich  III.  Ganz  in  die  Formen 
der  Renaissance  kleiden  sich  die 
Grabmäler  des  Johann  Eitz  in  der 

fteallexicon  der  deutseben  Altertümer. 


Meister:  Peter  Vischer  in  seinem 
Hauptwerk,  dem  Sebaldusgrab 
Fig.  125  (Lübke,  Geschichte  der 
Renaissance)  in  der  Kirche  des 
heil  Sebaldus.  Ungezwungen  mischen 
sich  hier  die  Elemente  der  herein- 
brechendenRenaissance  mitgotischen 
Motiven.  Eine  Menge  Grabmaler 
verdanken  demselben  Meister  die 
Entstehung.     Der  Ruf  der  Nürn- 

51 


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802 


Plastik. 


berger  Giesshütte  vorbreitete  sich 
weit  herum.  Sogar  für  den  Dom 
zu  Schwerin  wurde  bei  Vischer  eine 
Erztafel  bestellt.  Neben  dem  Sohne 
Vischers  leistete  nach  seinem  Hin- 
gang namentlich  sein  Schüler  Pan- 


wahrscheinlich  zum  grossen  Teil 
noch  von  Vischer  selbst  ausgeführt 
wurde. 

Das  17.  und  18.  Jahrhundert. 
Waren  bis  jetzt  die  Einflüsse  Italien  - 
auf  die    nordische    Bildnerei  nur 


Kfifiitiiiiü-üfniiriiiiiniiiiein' 


Fig. 


Viachers  Sebaldusgrab. 


craz  Labenieoff  Bedeutendes.  Die 
glänzendste  Leistung  der  Nürnberger 
Schule  steht  in  dem  Denkmal  Maxi- 
milians in  der  Hofkirche  zu  Inns- 
bruck, welches  unter  Leitung  und 
nach  der  Idee  des  Hofmalers  OUg 
Sesslschreiber  von  Augsburg  in  der 
Nürnberger  Giesshütte   und  zwar 


leichter  Art  gewesen,  so  tritt  nun 
der  Einfluss  namentlich  der  durch 
Michelangelo  gegründeten  römischen 
Schule  ausschliesslich  hervor.  Man  zog 
immer  mehr  italienische  und  nieder- 
ländische Meister  nach  Deutsch- 
land ;  denu  die  religiösen  Wirren,  die 
gewaltigen  Bewegungen  der  Refor- 


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Plastik. 


803 


mation  zogen  die  ein- 
heimischen Kräfte  von 
einem  ruhigen  künstle- 
rischen Schaffen  ab.  Die 
Aufgaben,  welche  diese 
Zeit  der  Plastik  stellt, 
zeigen  die  zunehmende 
Verweltlichung  derKunst. 
Rezeichnend  in  dieser 
Richtung  ist  die  ver- 
änderte Gesinnung,  in 
welcher  man  jetzt  die 
Grabmonumente  anord- 
nete. Schon  am  Denkmal 
Kaiser  Maximilian»  zu 
Innsbruck  hatte  die  kirch- 
liche Auffassung  kein 
Wort  mehr  mitzureden, 
die  Reliefs  erzählen  nur 
von  kriegerischen  und 
politischen  Thaten  des 
Gefeierten.  Demselben 
Geiste  begegnen  wir  in 
dem  Denkmai  des  Kur- 
fürsten Moritz  im  Dom 
zu  Freiberg. 

Die  Erzgiesserei  fand 
ein  weites  und  dankba- 
res Feld  an  den  pracht- 
vollen Brunnen,  wie  am 
Augustsbrunnen  zu  Augs- 
burg, daneben  an  einer 
Menge  Statuen  und  Stand- 
bildern. 

Für  die  Steinskulptur 
boten  die  prunkvollen 
Grabmäler  ergiebiges 
Feld.  Die  Dome  zu 
Köln,  Mainz,  Würzburg 
sind  besonders  reich  an 
gediegenen  Arbeiten,  aus- 
serdem gehören  die  // 
Standbilder  der  württem- 
bergischen Fürsten  im 
Chor  der  Stiftskirche  zu 
Stuttgart,  zu  den  tüch- 
tigsten, Fig.  126  Graf 
Eberhard  tn  der  Stifts- 
kirche zu  Stuttgart  (Lübbe 
Kunst-  Geschtchte)y  die 
zahlreichen  Gräber  im 
Chor  der  Stiftskirche  zu 


iiwlili 


Fig.  126.    Grabmal  aus  der  Stiftskirche  zu  Stuttgart. 


804 


Platte.  —  Polterabend. 


Tübingen  zu  den  prunkvollsten 
Werken.  Ein  Prachtstück  plasti- 
scher Dekoration  endlich  ist  die 
Facade  des  Heidelberger  Schlosses. 

Im  1 7 .  Jahrh  un  dert  ward  e  Deu  tsch- 
land  durch  die  Verheerungen  des 
30jahrigen  Krieges  nicht  allein  von 
allem  künstlerischen  Schäften  abge- 
halten, sondern  auch  für  lange  25eit 
in  Erschöpfung  und  Mutlosigkeit  ge- 


tur  sprechen  die  zahlreichen  deko- 
rativen Reliefs,  welche  er  im  könig- 
lichen Schloss  zu  Berlin  ausführte, 
sowie  die  ergreifenden  Köpfe  g/erfte ti- 
der Krieger  über  den  Fenstern  des 
Zeughauses,  Fig.  127  (Kunsthist. 
Bilderbogen';  vor  allem  aber  die 
kolossale  bronzene  Reiterstatue  des 
grossen  Kurfürsten  auf  der  langen 
Brücke.   Etwas  später  war  in  \N  leu 


Fig.  127.    Zwei  Masken  sterbender  Krieger  vom 
Berliner  Zeughaus  von  Schlutter. 


stürzt.  Eine  neue  Triebkraft  bricht 
in  dem  Staate  zuerst  wieder  hervor, 
der  durch  den  Heldensinn  der  grossen 
Fürsten  der  Zeit  sich  damals  in 
jugendlicher  Frische  erhob,  in  Bran- 
denburg. Vorerst  muss  ihm  aller- 
dings Holland  seine  Baumeister  und 
Bildhauer  leihen,  unter  denen  An- 
dreas Schlutter  (1662—17141  einer 
der  grössten  Künstler  ist.  Für  seine 
hohe  Bedeutung  im  Fach  der  Skulp- 


der  durch  edle  Xaf  urauffassung  her- 
vorragende Rafael  Donner  thäfig. 
Nach  Liibke:  Grundriss  der  Kunst- 

feschichte;   Liibke:  Geschichte  der 
lastik,  vergl.  auch;  Alvin  Schutz: 
Kunst  und  Kunstgeschichte.   A.  H. 

Platte,  PlattenrUstunff.  Siehe 
den  Art.  Harnisch. 

Polterabend,  d.  i.  eine  Vorfeier 
der  Hochzeit  am  Vorabend  dersel- 
ben, wird  erst  seit  dem  Ende  des 


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Pönitentialbüeher.  —  Postwesen.  805 


Mittelalters  erwähnt;  in  Leipzig  pferd,  welches  man  von  der  Haupt- 
beisst  sie  die  Rammelnacht.  In  Strasse  ab  für  Reisen  auf  den  Seiten- 
manchen  Gegenden  heisst  eine  ähn-  wegen  benutzte,  und  traetonae,  d.  i. 
liehe  Vorfeier  Kranzelabeud  oder  Urkunden,  welche  ihren  Inhabern 
Kranzelblndabend.  das  Anrecht  auf  freie  Verköstigung 

Pönitentialbüeher.  Das  Buss-  und  auf  freien  Unterhalt  für  die 
wesen  ist  auf  griechischer  Grund- 1  ganze  Dauer  einer  Reise  gewährte, 
läge  zunächst  in  der  britischen  und  vVenn  aber  auch  gewisse,  der  Be- 
irischen Kirche  ausgebildet  worden,  forderung  von  königlichen  Gesandten 
daher  auch  hier  die  ersten  Anwei- ,  dienende  Leistungen,  Halten  von 
-ungen  zur  Verwaltung  desselben  Pferden,  Vorspanndienste,  Beherber- 
entetauden  sind,  lihri  poenilentiales,  j  gang,  vorhanden  waren,  so  fehlte 
poenitentialia.  Irische  Missionare,  diesem  Dienst  jedenfalls  der  einheit- 
wie  Columban ,  verpflanzten  dieses  liehe  Charakter  und  die  einheitliche 
Institut  in  die  fränkische  Kirche.  Leitung. 

Daneben  wurde  dasselbe  lebhaft  in  Neue  Ansätze  zu  einem  offent- 
der  angelsächsischen  Kirche  gepflegt,  liehen  Postverkehr  liegen  in  den 
wo  unter  den  Namen  des  Beda  Ve-  regelmässigen  Boten ,  welche  von 
aerabilis,  gest.  735,  und  des  Egbert  den  neu  entstehenden  Korporationen 
r-yn  York,  gest  767,  verfasste  Beicht-  für  ihre  Bedürfnisse  angestellt  wur- 
bücher  im  Gebrauehe  waren.  Auch  den.  Dies  war  in  erster  Linie  bei 
von  hier  aus  wurde  die  Bussdisziplin  den  Kauf  leuten  der  Fall,  deren  be- 
im Frankenreich beeinflusst;  bekannt  eidete  Boten  den  Verkehr  zwischen 
unter  den  fränkischen  Bussbüchern  den  Kaufmannschaften  der  mitein- 
ist besonder* dasjenige  des  Rhabanus,  ander  in  regelmässigem  Verkehr 
Portiuncula-  Ablass  heisst  der  stehenden  Stäate  besorgten;  Einzel- 
AbUss,  den  Papst  Honorius  III. '  forschungen  über  dieses  Städte- 
1333  dem  Franziskanerorden  für  Boten  wesen  mangeln  bis  jetzt;  an- 
alle  diejenigen  erteilte,  welche  am  geführt  wird  u.  a.,  dass  Leipzig 
t  August  in  der  Kirche  zu  Por-  schon  1388  durch  Briefboten  zu  Fuss 
riuncula  ihre  Andacht  verrichten  und  zu  Ross  mit  Nürnberg,  Augs- 
würden.  Bei  dieser  Kirche  hatte  bürg,  Braunschweig,  Magdeburg, 
sieh  nämlich  Franz  von  Assisi  mit  Hamburg,  Köln  an  der  Spree,  Dres- 
den Ordensbrüdern  niedergelassen, ;  den,  Prag  und  Wien  in  regelmässi- 
und  in  dieser  Kirche  sei  ihm  der 1  ger  Verbindung   gestanden  habe. 


Herr  erschienen  und  habe  ihm  er- 
laubt sich  zum  Besten  der  Mensch- 
heit eine  Gnade  zu  erbitten,  worauf 


Natürlich  besassen  auch  die  Hanse- 
städte ihre  Botenzüge.  Vortrefflich 
organisiert  war  die  Postanstalt  der 


Franz  eben  den  Ablass  sich  erbeten,  deutschen  Ordensritter  \  in  Marien 
Der  Ablass  wurde  später  nach  ver-  bürg  leitete  der  oberste  Pferdemar- 
*chiedenen  Seiten  hin  erweitert  und  j  schall  den  Briefstall  und  beaufsich 
ist  noch  in  Übung.  tigte  die  Briefjungen  oder  Postillione; 


Zwar  war  die  öffent- 1  welche  mit  ihren  Pferden,  Schweiken 

Ii- be Staatspost  des  römischen  Kaiser-  oder  Briefschweiken  (SwoikenJ  ge- 

reiches,  der  cursus  mtblicus,  mit  dem  nannt,  die  einzelnen  Poststrassen  zu- 

Reiche  selber  zu  Grunde  gegangen;  rücklegten.  Auf  allen  Ordenshäuseru 

'loch  hatten  sich  einzelne  Spuren  war  der  Komtur    zugleich  Post- 

Javon  bis  in  die  Karolingische  Zeit  meister,  und  auf  jedem  Ordenshause 

erhalten;  sogar  einige  alte  technische  musste  Aufgabe  oder  Ankunft  und 

Ausdrucke  sind  stehen  geblieben:  Abgang  des  Briefes,  sowohl  in  einem 

mamsio,  Postherberge,  veredus,  Post-  Buche  als  auf  einem  mitgegebenen 

pferd,  parareredus.  d.  h.  das  Privat-  Stundenzettel   angemerkt  werden. 


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806 


Postwesen. 


Nur  ganz  lokale  Verbreitung  scheint 
die  sogenannte  Metzgerpost  gehabt 
zu  haben,  wonach  z.  B.  in  Esslingen 
das  Postreiten  bei  deu  Metzgern  der 
Reihe  nach  umging;  solche  auf  den 
Vieheiukauf  basierte  Posten  gab  es 
in  Württemberg  bis  ins  17.  Jahr- 
hundert Früh  erscheinen  Boten  der 
f'nirersität  von  Paris,  welche  eine 
eigene  Botenanstalt  bildeten;  im  Jahr 
1296  wurde  den  Mitgliedern  dersel- 
ben für  einen  Krieg  urkundlich 
Sauvegarde  erteilt.  Die  Organisa- 
tion dieser  Botenanstalt  scheint  eine 
sehr  umfassende  gewesen  zu  sein. 

Die  erste  staatliche  Posteinrich- 
tung stammt  von  Ludwig  XI.  von 
Frankreich,  die  von  ihm  1464  ge- 
gründete königliche  Post.  Dieselbe 
war  ausschliesslich  für  den  Dienst 
des  Königs  und  des  Staates  be- 
stimmt. Auf  den  Hauptrouten  des 
Königreiches  sollten  von  vier  zu  vier 
Stunden  taugliche  Leute  zur  Haltung 
von  vier  bis  fünf  Pferden  aufgestellt 
werden;  an  der  Spitze  der  Anstalt 
stand  der  Conseiller  gratis  Maitre 
des  Coureurs  de  France.  Die  könig- 
lichen Kouriere  waren  verpflichtet, 
die  vom  König  abgesandten  Kou- 
riere zu  begleiten  und  die  Depeschen 
und  Berichte  sofort  weiter  zu  be- 
fördern. Nach  Ausweis  und  gegen 
taxmässige  Bezahlung  konnten  sich 
auch  die  Boten  und  Kuriere  des 
Papstes  und  anderer  mit  Frankreich 
befreundeter  Höfe  der  Anstalt  be- 
dienen. Zum  Gedächtnis  an  die 
Errichtung  der  königlichen  Post 
Üess  der  König  eine  Münze  nrägen, 
deren  Revers  zwei  galoppierende 
Kuriere  zeigt,  deren  vorderer  ein 
Brieffelleisen  hinter  sich  hat.  In 
einem  die  Anstalt  ergänzenden  Patent 
vom  Jahre  1487  kommt  zuerst  der 
Ausdruck  postes  vor.  Schon  1480 
erweiterte  sich  die  Anstalt  dahin, 
dass  Privatpersonen  zu  sechs  Sol.  für 
die  Station  per  Pferd  befördert 
werden  konnten;  auch  Privatkorre- 
spondenzen kamen  bald  zur  Beför- 
derung.    Lange    konkurrierte  die 


Universitätspost  mit  der  königlichen, 
und  erst  im  Jahre  1719  sind  beide 
Anstalten  verschmolzen  worden. 

Auf  deutschem  Boden  waren  mit 
der  Zeit  Sladtljotenämter  entstanden, 
die  auf  ihren  Routen  ebenfalls  Pferde- 
wechsel unterhielten;  ihrer  bediente 
sich  auch  gegen  Vergütung  der 
kaiserliche  Hot.  Die  erste  landes- 
herrliche Post  entsteht  im  Branden- 
burgischen, wo  unter  Kurfürst  Al- 
brecht ein  Botengaug  zwischen 
Küstrin- Ansbach  eingerichtet  wurde. 
Die  zweimal  im  Monat  abgesendeten 
Boten  brauchten  für  den  68  Meilen 
langen  Weg  24  Tage,  für  den  Weg 
von  Ansbach  nach  Wolfenbüttel  15 
Tage.  Andere  Obrigkeiten  befolgten 
bald  das  brandenburgische  Beispiel. 
Das  erste  in  Leipzig  errichtete 
Postamt  stammt  vom  Jahre  1611, 
der  erste  Postmeister  erhielt  120  Gul- 
den Gehalt.  In  Österreich  datieren 
die  ersten  Nachrichten  über  ein  regel- 
mässiges Kurierwesen  aus  der  Zeit 
Kaiser  Friedrich  III.  H440— 1493); 
die  Leistung  des  für  Pferdewechsel 
eingerichteten  Dienstes  stand  unter 
dem  Oberjägermeister  Hoger  (1)  von 
Taszis  ;  diese  Post  ging  durch  Steier- 
mark und  Tirol,  unter  Maximilian 
errichtete  Francesco  de  Taszi*  1516 
eine  reitende  Post  von  Brüssel  nach 
Wien. 

Die  Familie  Taxis  stammte  von 
den  Torriani,  Herren  von  Mailand; 
der  spätere  Name  des  Geschlechtes 
war  de  la  Tour,  deren  einer  sieh 
im  Gebiete  von  Bergamo  niederliess 
und  daselbst  von  dem  ihm  gehören- 
den Berge  Tasso  (Dachsberg)  den 
Namen  def  Tasso,  später  de  TasstJt 
annahm.  Nachkommen  von  ihm  wa- 
ren jener  Roger  und  Francesco. 

Der  letztere  erhielt,  wohl  in  Nach- 
ahmung der  französischen  Einrich- 
tung, von  Kaiser  Max  Titel  und 
Würde  eines  Generalpostmeisters; 
den  vier  Neffen  desselben  übertrug 
Karl  V.  die  Aufsicht  des  Boten - 
Kurierwe8ens  in  seinen  Landen, 
und  zwar  dem  Maphee  für 


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Prämonstratenser. 


807 


dem  Simon  fürs  Mailändische,  dem 
David  für  Tirol,  während  sodann 
BapiUta  de  Taxis,  der  den  Mittel- 
punkt seiner  Thätigkeit  nach  den 
Niederlanden  verlegte,  über  alle 
gesetzt  wurde.  Dadurch,  dass  Karl  V. 
den  niederländischen  Oberpostmeister 
zugleich  zum  Oberpostmeister  des 
deutschen  Reiches  ernannte,  war  der 
erste  Schritt  zu  einer  Zentralisation 
der  Posten  gethan;  zwar  sträubten 
sich  die  einzelnen  Landesherren 
lange  und  oft  mit  Erfolg  gegen 
dieses  neue  Reichsregal;  auch  kam 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts 
die  Thum-  und  Taxische  Anstalt 
selber  in  Verfall.  Zur  Wiederauf- 
richtung derselben  diente  namentlich 
der  Umstand,  dass  Kaiser  Matthias 
den  Grafen  Lamoral  in  den  Reiths- 
freiherrn8tand  erhob  und  für  ihn 
und  seine  Nachkommen  mit  der 
Reichspost  belehnte.  Hartmann, 
Entwickelungsgeschichte  der  Posten. 
Leipzig  1868. 

Prämonst  ratenser  heisst  der  von 
Sorl>ert  im  12.  Jahrhundert  gestif- 
tete Orden  von  Chorherren,  welcher 
unter  die  reformierten  Klosterstif- 
tungen des  11.  und  12.  Jahrhunderts 
gehört.  Sorbert  war  ein  Kanoniker 
von  vornehmer  Abkunft,  geboren  in 
Xanten,  der  in  angesehener  Stellung 
am  Hofe  lebte,  verwandt  mit  Hein- 
rieh V.  Plötzlich  entschloss  er  sieh 
(1115)  der  Welt  zu  entsagen;  ein 
Blitzstrahl,  der  ihn  betäubte,  be- 
stärkte ihn  in  seinem  Vorsatz,  und 
er  nahm  zu  Siegburg  das  Mönchs- 
kleid an,  ohne  doch  eigentlich  in 
den  Orden  einzutreten.  Vielmehr 
ging  er  umher  und  predigte,  wozu 
er  sich  vom  Papste  Gelasius  eine 
formliche  Vollmacht  auswirkte;  be- 
sonders Hess  er  es  sich  angelegen 
sein,  die  zahllosen  Fehden,  welche 
damals  Frankreich  wie  Deutschland 
erfüllten,  beizulegen  und  Frieden 
zu  stiften.  Im  folgenden  Jahre  Hess 
er  sich  von  seinem  Freunde,  dem 
Bischof  von  Laon  bewegen,  dauernd 
in  dessen  Sprengel  sich  niederzu- 


lassen; in  unwirtlicher,  sumpfiger 
Gegend  gründete  er  1121  das  Kloster 
Premonstre'  (Praemanstratum)  nach 
der  Regel  des  heiligen  Augustinus 
(siehe  Kanoniker),  die  er  durch 
strengere  Bestimmungen  schärfte. 
Die  Erwerbung  von  Kappenberg  in 
Westfalen  für  den  Orden  führte 
Norbert  wieder  häutiger  nach 
Deutschland;  mit  dem  Erzbischof 
Friedrich  von  Köln,  der  ihn  zum 
Priester  geweiht  hatte,  war  er  nahe 
befreundet.  Bald  gewann  er  auch 
grossen  Einfluss  auf  Kaiser  Lothar, 
der  Norberts  Wahl  zum  Erzbischof 
der  sehr  verwilderten  und  verwahr- 
losten Magdeburger  Kirche  bewirkte, 
eine  Stellung,  zu  der  seine  übertrie- 
bene mönchische  Askese  ihn  keines- 
wegs geeignet  machte.  Er  erfuhr 
dort  den  hartnäckigsten  Widerstand 
und  konnte  zu  keiner  bedeutenden 
Wirksamkeit  gelangen.  Erst  nach 
seinem  Tode  {l\34)  breitete  sich  der 
Prämonstratenser -Orden  in  diesen 
Gegenden  weiter  aus  und  leistete 
viel  für  den  Anbau  und  die  Germa- 
nisierung der  slavischen  Lande. 

Der  Orden  der  Prämonstratenser 
umfas8te  30  Provinzen  oder  Circa- 
rien,  denen  jedesmal  ein  Circarier 
vorstand.  Daneben  übte  das  Mutter- 
kloster gewisse  Rechte  über  die  von 
ihm  abgeleiteten  Stiftungen.  Das 
höchste  Ansehen  hatten  die  vier 
ältesten  Stiftungen  Premontr6,  St. 
Martin,  Floreff  und  Cuissy,  die  das 
Recht  der  Visitation  sämtlicher  Klö- 
ster besassen.  Der  Abt  von  Pr£- 
montr£  hatte  die  Oberleitung  des 
Ordens.  Eine  gewisse  unabhängige 
Stellung  nahm  die  sächsische  Circarie 
unter  dem  Propst  von  Magdeburg 
und  die  spanische  Circarie  ein.  Die 
Tracht  des  Ordens  ist  weiss  und 
besteht  in  Tunica,  Skapulier,  Kappe 
und  Baret.  Es  giebt  auch  Fraueu- 
klöster  des  Ordens.  Vogel  in  Her- 
zogs Real-Encyklopädie;  Watten- 
bach, Gescbichtsquellen,  V,  §  3; 
Fr.  Winter,  Die  Prämonstratenser 
des  12.  Jahrhunderts  und  ihre  Be- 


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808 


Pranger.  —  Predigt. 


deutung  für  das  nordöstliche  Deutach-  göttliche  Dinge  bezeichnet,  die  sieh 

land.    Berlin,  1865.  mündlich  an  eine  grössere  Menge 

Pranger  nannteman  den  Schand-  richtet, 
pfähl,  die  Staupsäule  oder  den  Pfeiler,  Daneben  haben  sich  vereinzelte 
an  dem  die  Verbrecher  zur  öffent-  Beispiele  der  in  der  älteren  Kirche 
liehen  Beschämung  ausgestellt  wur-  hochgeschätzten  eigentlichen  Reden 
den.  Statt  derselben  errichtete  man  erhalten,  für  deren  Betrieb  Gregor 
auch  an  einer  Strassenecke,  am  lieb-  d.  Gr.  ein  eigenes  Gesetzbuch,  den 
sten  beim  Rathaus  selbst,  oder  in  Uber pa^tora/is,  verfasst  hatte.  Der 
der  Kirche  eigene  Häuschen,  Stäup-  Name  dieser  Predigt  im  engeren 
häuschen,  Narrenhäuschen  (siehe  Sinne  war  sermo,  tractatus,  griech. 
dort),  wo  die  Verurteilten  vermittelst  homilia,  homelia,  omelia-,  je  nachdem 
des  Halseisens  festgebunden  und  diese  ihr  Thema  aus  den  Evange- 
zur  Schau  ausgestellt  wurden,  oft  lien,  Episteln  und  Psalmen  nahmen, 
mit  einer  Rute  in  der  Hand,  deren  für  die  man  schon  früh  in  den  so- 
Gebrauch  jedem  Vorübergehenden  genannten  Lectionarien  eine  be- 
freistand, stimmte  Wahl  und  Reihenfolge  fest- 

Predigt,  deutsche.  Eine  eigent-  gesetzt  hatte,  oder  aus  den  Heiligen  - 

liche  Predigt  in  der  Form  einer  leben  schöpften,  unterschied  man 

Rede  geistlichen  Inhalts  gab  es  im  xermone*  de  tempore  und  sermons* 

altdeutschen  Zeiträume  noch  nicht;  de  mneth.    Daneben  schrieben  so- 

Bischöfe   und   Priester    begnügten  wohl  die  Benediktinerregel  als  Chro- 

sich,  dem  Volke  deutsch  abgefasste  degangs  regula  canoniea  (siehe  Ka- 

kirchliche  Formulare.  Stücke  des  noniker)    nach   der  gemeinsamen 

damaligen  KateehUmu«  vorzutragen:  Mahlzeit  nredigtartige  Ansprachen 

es  sind  mehrere  für  diesen  Zweck  vor;  der  Name  dafür  ist  colfati<). 

verfasste  katechetische  Handbücher  mhd.  coll/izje.    Von   Bonifaz  sind 

auf  unsgekommen,  z.B.  aus  Weissen-  nur  15  Sermones   in  lateinischer 

bürg  und  St.  Gallen,  welche  das  Sprache  erhalten,  von  denen  jedoch 

Vaterunser,  das  apostolische  Glau-  acht  weiter  nichts  als  Glaul>ens-  und 

bensbekenntnis,  den  Hymnus  Zacha-  Beichtreden  sind;  auch  die  übrigen 

riä  (Benedict^*)  aus  Ev.  Luc.  1,  sind  sehr  einfach  und  kurz  und  ent- 

das  Kantikum  Mariä  CMaanificatj,  halten  wenig  mehr  als  erbauliche 

das  Athanasische  GlaubensDekennt-  Paraphrasen  biblischer  Stücke.  Nun 

nis,    ein  Beichtformular   und  die  war  aber  das  Recht  der  Predigt 

Teufelsentsagung,  bald  mehr,  bald  auf  die  Bischöfe  eingeschränkt  wor- 

weniger  vollständig,  enthalten,  bald  den  und  der  niederen  Geistlichkeit 

ohne,  bald  mit  eingestreuten  kurzen  nur  gestattet,  ältere  lateinische  Ho- 

Erläuterungen.     Wo    solche  Aus-  inilien  vorzulesen  oder  herzusagen 

legungen  des  Glaubens  und  des  Ge-  Für  die  Bischöfe  Hess  Karl  d.  Gr. 

betes  zum  Nutzen  der  Gemeinde  782  durch  Paulus  Diakonus  ein 

etwas  breiter  wurden,  galt  es  schon  Sammlung  von  lateinischen  Predig 

für  eine  Predigt.    Noch  die  karo-  ten,  tractatu*  atque  sermone*,  auf 

lingischen  Kapitularien    verlangen  alle  Sonn-  und  Festtage  fertigen 

von  den  Pfarrern  nichts  als  solche  und  stellte  ihnen  dieselbe  mit  einem 

Glaubens-  und  Paternosterreden ;  die  empfehlenden  Rundschreiben  zum 

Exhortatxo  ad  plebem  Christianam  Gehrauche  zu;  sie  enthält  200  Pre- 

(siche  diesen  Art.i  ist  ein  Exempel  digten  der  Kirchenväter;  Rliubur.  - 

davon.    Der  lateinische  Ausdruck  Maurus  und  Haimo  vou  Halberstadt 

ist  praedicare,  altdeutsch  hrediga,  veranstalteten  bald  nachher  ähnliche 

hreaiqon,  bredigari,  was  ursprünglich  Sammelwerke;  aber  erst  81 3  befahl 

jegliche  Mitteilung  über  Gott  und  Karl  den  Bischöfen,  die  Homilien 


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Predigt. 


809 


von  jetzt  an  in  der  Volkssprache 
vorzutragen,  eiue  Verordnung,  die 
zwar  mehrmals  erneuert,  doch  bis 
zum  10.  Jahrhundert  wenig  Beach- 
tung fand.  Eine  Ausnahme  macht 
eine  in  sächsischer  Sprache  erhaltene 
Homilie  Bedas. 

Diejenige  Predigtfonn,  die  viel- 
mehr vorläufig  der  Bildung  des 
Volkes  am  meisten  entsprach,  war 
diejenige  der  Dichtung ;  eine  Art 
Predigt  ist  das  alliterierende  Gedicht 
MuspUli  (siehe  diesen  Art.),  an  Pre- 
digten erinnern  die  epischen  Lieder, 
aus  denen  Otfrieds  Evangelienhar- 
monie besteht.  Erst  im  11.  Jahr- 
hundert finden  sich  die  Anfänge 
einer  wirklich  deutschen  Predigt, 
um  von  da  an  nie  mehr  zu  ver- 
schwinden. Schon  Satiren  Über- 
setzung und  Erklärung  der  Psalmen 
sind  zum  Teil  beim  Grottesdienst  in 
der  Klosterkirche  vorgetragen  wor- 
den, wenn  sie  gleich  in  einem  sehr 
nüchternen,  schulmässigen  Stile  ge- 
halten sind;  dagegen  zeigt  die  so- 
genannte Bamberger  Beicht  rede, 
welche  eine  Schilderung  des  Him- 
mels und  der  Hölle  enthält,  schon 
eine  poetisch  gehobene  Darstellungs- 
art, und  aus  demselben  11.  Jahr- 
hundert, dem  dieses  genannte  Stück 
angehört,  hat  man  auch  die  erste 
Sammlung  deutscher  Predigten,  die 
sogenannten  Amhraser  Predigten 
(Möllenhoff  und  Scherer,  Denkmäler. 
Nr.  86);  sie  sind  dem  Gedankenge- 
halte nach  aus  Gregors  d.  Gr.  Homi- 
lieu  entnommen;  in  gemässigt  ein- 
facher Haltung  der  Rede  begleiten  sie 
die  Texte  von  Schritt  zu  Schritt  mit 
erbaulicher  Auslegung,  wobei  die 
Methode  durchgängig  die  seit  den 
Kirchenvätern  übliche  allegorische 
ist.  Die  von  jetzt  an  immer  neu 
entstehenden  Predigtsammlungen 
siud  zunächst  Handbücher  für  Prie- 
ster, zum  Teil  geradezu  Predigtfor- 
mulare, und  schwerlich  in  ihrer  Ge- 
samtheit wirklich  gehaltene  Pre- 
digten. Von  grosser  Wirkung  war 
auf  diesem  Gebiete  namentlich  die 


lateinische  Predigtsammlung ,  Spe- 
ml  um  eccletiae,  des  Bononm  Au- 
gustodunensis  (von  Autun),  Anfang 
des  12.  Jahrhunderts,  die  vielfach 
für  deutsche  Predigten  Muster  ge- 
liefert hat.  Vorläufig  bleibt  noch 
die  in  den  alten  Sermonen  zu  Recht 
bestehende  Predigtweise  in  Kraft; 
die  Sermone*  de  sanctis  pflegen  aus 
einer  kurzen  Erzählung  mit  ange- 
hängter erbaulicher  Ermahnung  zu 
bestehen;  au  der  Spitze  der  Ser- 
mone* de  tempore  steht  in  der  Regel 
die  Perikope.  zuerst  lateinisch,  dann 
in  deutscher  Umschreibung:  dieser 
Text  wird  dann  in  der  Weise  der 
Homilie,  ohne  dass  zuerst  ein  ein- 
heitliches Schema  daraus  abgeleitet 
würde,  Glied  für  Glied  belehrend 
und  erbaulich  ausgelegt  und  ange- 
wendet; den  Sehluss  bildet  eine 
allgemein  gehaltene  Ermahnung  und 
ein  kurzer  Gebetruf  um  den  Segen 
Gottes.  In  der  allegorischen  Me- 
thode ist  nunmehr  gegen  früher  die 
Veränderung  eingetreten,  dass  die 
Thatsachen  der  evangelischen  Ge- 
schichte selbst  nicht  mehr  symbo- 
lisch gewendet  werden;  vielmehr 
bleiben  sie  in  ihrer  ersten  und 
eigentlichen  Bedeutung  stehen,  es 
wird  ihnen  aber  etwas  anderes  als 
sie  abspiegelndes  Symbol  an  die  Seite 
gestellt;  diese  Sinnbilder  aber  sind 
entweder  natürliche  Dinge  oder  Er- 
eignisse und  Personen  des  alten 
Testamentes,  welches  als  Typus  und 
Vorahnung  des  neuen  Testamentes 
aufgeführt  zu  werden  pflegte.  Mehr 
als  die  dogmatische  Seite  liegt  die- 
sen Predigten  die  Bethätigung  des 
Glaubens  durch  Wandel  und  Werke 
am  Herzen,  wobei  die  ethischen 
Forderungen  sehr  den  Geist  alt- 
testamentlicher  Gesetzesstrenge  tra- 
gen. Sind  die  Predigten  überhaupt 
mit  der  Zeit  ausführlicher  geworden, 
so  gewöhnt  man  sich  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert an  die  Einschaltung  kurzer 
Geschichten,  Legenden,  Anekdoten, 
namentlich  des  vorchristlichen  Alter- 
tums. 


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810 


Predigt. 


Einen  neuen  Aufschwung  nimmt  hohe  Vorzüge  rhetorischer 

die  Predigtweise    in   Deutschland  ohne  es  zu  wissen,  er  arbeitet  mehr 

dadurch,  dass  die  namentlich  gegen  mit  dem  Gemüt  und  der  Phantasie 

die  Ketzer  gestifteten  Bettelorden  als  mit  dem  Verstand,  und  es  ist  ihm 

der  Franziskaner  und  Dominikaner  mehr  um  die  sittliche  Bethätigung 

sich   um  eine  im  höheren  Sinne  des  Glaubens  als  um  den  Glauben 

volksgemässe     Predigt  weise     be-  selber  zu  thun;  seine  Wirkung  war 

mühen;  man  erkennt  den  Einfluss  so  gross,  dass  viele  Chroniken  der 

der  Orden  sofort  auch  daran ,  dass  Zeit  seines  Auftretens  und  seines 

jetzt  zum  erstenmal  Autorennamen  Todes  als  eines  grossen  Ereignisses  er- 

auf  diesem  Zweig  der  Litteratur  wähnen.  Bertholds  Predigtweise,die 

auftreten ,  wie  denn  überhaupt  erst  doch  auch  nicht  ohne  vorbereitende 

jetzt  die  Persönlichkeit  des  Red-  Anfanger  war,  gaben  den  Anstoss 

ners  zum  Durchbruche  zu  kommen  zu  mannigfachen  ähnlichen  Versuchen 

beginnt.  und  Sammlungen,  unter  denen  be- 

Vorläufig  sind  es,  im  13.  Jahr-  sonders  diejenige  hervorragt,  die 

hundert,  die  Franziskaner,  von  de-  von  Grieshaber  „Deutsche  Predigten 

wen  diese  Wirkung  ausgeht.    Die  des  13.  Jahrhunderts.  Stuttg.  1844i4 

Vertreter  dieses  Ordens  sind  hier  herausgegeben  worden  ist. 
David  von  Augsburg  und  Berthuld  ,      Im  14.  Jahrhundert  ist  es  der 

von   Regenshurg ;  von  jenem  ,  der  Frediaerorden,  der,  ohne  dass  dabei 

1271  zu*  Augsburg  starb,  sind  zwar  der  Fortgang  der  älteren  Richtung 

keine  deutschen  Predigten,  sondern  der  Minderbrüder  aufhört,  der  Pre- 

bloss  deutsche  geistliche  Abhand-  digtweise  eine  neue  Bahn  bricht, 

hingen,  Betrachtungen  und  Gebete  Sie  entwickelt  sieh  zunächst  nicht 

erhalten ,  welche  überall  eine  erst  auf  der  Kanzel,  sondern  auf  dem 


aus  dem  lateinischen  Ausdruck 
sich  mühselig  entwindende  deutsche 
Sprechart   verraten.     Desto  selb- 


Lehrstuhl  des  Lehrmeisters  oder 
Lektors  im  Ordenshause.  Das  Stu- 
dium generale  des  Predigeroniens 


ständiger  ist  Davids  Schüler,  Bert-  zu  Köln  und  das  Studium  sententia- 

hold  von  Regensburg;  seine  Pre-  rum  zu Strassburg  wurden  die Hanpt- 

digten  sind  1824  unvollständig  von  sitze  der  mystischen  Predigtweise. 

Kling  und  seit  1862  vollständig  von  Dieselbe  richtete  sich  zunächst  an 

Franz  FjYiffer  erschienen.  Berthold  die  Bewohner  der  Predigerklöster 

gehörte  dem  1221  gegründeten  Or-  selbst  und  an  diejenigen  Klöster, 

denshause  der  Franziskaner  zu  Re-  die  sieh  seinem  Einflüsse  öffneten, 


gensburg  an  und  starb  daselbst  1272.  mentlich  an  Frauenklöster.  Die haupt- 
Von  1250  bis  1265  durchzog  er  als  |  sächlichen  Vertreter  dieser  Rich- 
Landprediger  die  deutschen  Länder,  tung  sind  zunächst  die  anonyme,  bei 
auch  Ungarn  und  slavische  Gebiete,  ,  Wackernagel  abgedruckte  Predigt- 


wo  ihm  ein  Dolmetscher  zur  Seite 
stand.  Die  Zahl  seiner  Zuhörer 
stieg  ius  Unglaubliche,  so  dass  er 
auf  freiem  Felde,  im  Walde  oder 
von  Mauertürmen  herunter  predigen 
musste.  Seine  zahlreich  auf  uns  ge- 
kommenen Predigten  sind  ohne 
Zweifel  von  gedächtnisstarken  Jün- 
gern aufgezeichnet  worden.  Seine 
Manier  ist  durchaus  von  seiner  Per- 
son getragen,  er  will  ans  Gewissen 


sanunlungjsodann  Xikolaus  vonSfrau- 
burg.  Lektor  zu  Köln  und  £ekard; 
der  letztere  gebürtig  aus  Thüringen, 
Prior  des  Predigerklosters  zu  Erfurt, 
wirkte  als  Lehrer  zu  Paris,  Strass- 
burg, Köln;  starb  zu  Köln  1327. 
er  war  der  Ketzerei  angeklagt  ge-' 
wesen  und  eine  päpstliche  Bulle 
bezeichnete  zwei  Jahre  nach  seinem 
Tode  achtundzwanzig  seiner  Lehr- 
sätze teils  als  ketzerisch,  teils  als 


des  Einzelnen  sprechen,  er  besitzt  übelklingend  und  der  Ketzerei  ver- 


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Priamel.  —  Priester. 


811 


dächtig.  Eckard  ist  der  spekulativ  Priamel,  aus  mittellat  praeam- 
hervorragendste  unter  den  deutschen  bulum  =  Vorgang,  Vorlaut,  Vorrede, 
Mystikern  des  14.  Jahrhunderts;  als  Sprichwort,  zu  ambulare  =  gehen, 
Prediger  aber  wird  er  von  Johannes  wandeln,  heisst  ein  einem  Rätsel 
Tauler  übertroffen;  dieser  war  vergleichbarer  Reimspruch,  dessen 
Eckards  Schüler,  Lesemeister  und  einzelne  Sätze  als  Vorspiel  der  den 
Predieer  zu  Strasburg;  mehr  als  Sehluss  bildenden  Lösung  erschei- 
vielgeleseuer  Schriftsteller,  denn  als  neu.  Sie  kommen  schon  im  13.  Jahr- 
Prediger,  erlangte  Heinrich  Suse  hundert,  z.  B  bei  Freidank,  vor  und 
dat.  Suso)  Bedeutung,  gest.  1365  siud  im  weiteren  Verlauf  der  v««lks- 
im  Dominikanerkloster  zu  Ulm.  tümliehen  Litteratur  sehr  beliebt. 

Gegen  das  Ende  des  14.  Jahr-  Namentlich  haben  die  Nürnberger 
hunderts  fand  die  Blüte  der  mysti-  Hans  Rosenblut  und  Hans  Folz 
sehen  Predigt  ihren  Abschluss  (vgl.  ( 15.  Jahrhundertl  solche  Sprüche, 
den  Artikel  Mystiker);  das  15.  Jahr-  zum  teil  mit  unsauberem  Inhalt 
hundert  zeigt  in  der  Predigt  einen  verfertigt.  Vgl.  Ad.  von  Keller. 
meist  verdorbenen  Geschmack,  so-  Alte  gute  Sehwänke.  2.  Aufl.  Heil- 
wohl was  die  Ausführung  der  Pre-  bronn.  1876. 
digtteile,  als  was  die  Behandlung  Priester  als  eigentlichen  Stand 
der  Allegorie  betrifft;  namentlich  kannten  die  Germanen  nicht;  für 
wurde  jetzt  auch  das  maerlin,  das  sein  Haus  besorgte  der  Hausvater 
früher  nur  spärlich  zur  Veranschau-  die  gottesdienstheheu  Handlungen, 
Heining  der  Lehre  gedient  hatte,  im  Opfer  und  Gebete  selbst ;  für  die 
Übcrmass  und  possenhaft  verwendet;  Gemeinde  that  es  der  Fürst,  prin- 
man  legte  jetzt  sogar  Predigtmaer- 1  ceps.  Immerhin  erwähnen  römische 
lein  an.  Der  einzige  bedeutende  Schriftsteller  m.  a.  Tacitus  Germ.  7. 
Prediger  dieses  Jahrhunderts  ist  10.  11.  40.  43.)  eines  Priesters  bei 
Johannes  Geiler  von  Kaisersberg,  den  Germanen,  als  beteiligt  bei  der 

S?b.  1440  zu  Schaffhausen  lauf  der  Losung  in  öffentlichen  Angelegen- 
urchreise  seiner  Eltern),  Priester  heiten,  als  I*eiter  der  Strafe  oder 
und  Lehrer,  nicht  Mönch,  an  den  des  Sühnopfers;  man  erklärt  das 
hohen  Schulen  zu  Basel  und  Frei-  entweder  daraus,  dass  hier  immer 
bürg  im  Breisgau,  zuletzt  Prediger  von  Fürsten  im  priesterlichen  Amte 
am  Münster  zu  Strassburg,  gest.  1510;  die  Rede  sei,  oder  dass  es  bestimmte 
er  zeigt  schon  den  Einffuss  des  Hu-  Familien  gegeben  habe ,  denen  das 
mani8mus,  was  sieh  namentlich  in  Recht  des  Priestertums  zustand, 
der  Abwerfung  de«  abergläubischen  Ausser  der  Handhabung  der  Opfer- 
Elements  zeigt.  Er  pflegte  über  Gebete  hatten  sie  namentlich  den 
ganze  Werke  zu  predigen,  wie  über  Willen  der  Götter  vor  allen  wich- 
des  Albertus  Magnus  Buch  de  vir-  tigen  Handlungen  zu  erkundigen, 
tutibus  und  über  das  Narrenschiff,  was  durch  Beobachtung  des  Vogel- 
Er  selber  schrieb  nur  lateinische  flugs,  der  Begegnung  verschiedener 
Entwürfe  und  überliess  die  Aus-  Tiere,  des  Wasserstrudels  der  Flüsse, 
tuhrung  dem  Momente  und  die  des  Wieherns  heiliger  Schimmel, 
Überlieferung  der  gehaltenen  Pre-  durch  den  Zweikampf  eines  Ge- 
digt  Freunden  und  Verehrern.  Nach  fangen«  -n  mit  einem  Krieger  des 
Jf .  Wackernagel,  Altdeutsche  Pre-  eigenen  Volkes  und  endlicn  durch 
digten  und  öebete,  Basel  1^76.  die  Weissagungen  aus  Los  und 
Marbach,  Geschichte  der  deutschen  Runen  geschah.  Alte  deutsche  Na- 
Predigt  vor  Luther,  und  Cruel,  Ge-  meu  für  Priester  sind  got.  gudja, 
schichte  der  deutschen  Predigt  im  noch  im  oberdeutschen  Götti  und 
Mittelalter,  Detmold,  1879.  Gotte  =  Pate  und  Patin,  erhalten; 


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812 


Priester  Johannes.  —  Propheten. 


ahd.eftrt/V= Gesetzbeobachter;  haru- 
gari  und  parutcari  von  harug  und 
paro  =  Tempel.  Auch  Priesterinnen 
Kann  es  demnach  nicht  gegeben  ha- 
ben, und  wenn  alte  Nachrichten 
von  germanischen  Frauen  berichten, 
die  als  Deuterinnen  und  Verkünde- 
rinnen des  göttlichen  Willens  galten, 
so  beruht  das  immer  nur  auf  der 
besonderen  persönlichen  Hochach- 
tung und  Verehrung,  die  man  ein- 
zelnen Frauen  zollte. 

Priester  Johannes  galt  dem 
europäischen  Abendlande  als  ein 
geheimnisvoller  grosser  König,  der 
im  Morgenlande  über  ein  christliches 
Volk  herrschen  sollte,  und  von  dem 
man  ausgiebige  Hilfe  zur  Eroberung 
und  Erhaltung  des  gelobten  Landes 
erhoffte.  Die  erste  Nachricht  über 
den  Priesterkönig  oder  Presbyter 
Johannes  bringt  der  Geschichts- 
schreiber Otto  von  Freising,  der  Stief- 
bruder Kaiser  Konrad  III.  Otto  be- 
richtet, dass  er  1145  aus  dem  Munde 
eines  syrischen  Bischofes  folgendes 
habe  erzählen  hören:  Vor  wenigen 
Jahren  sei  im  fernen  Osten  jenseits 
Armenien  und  Persien  ein  gewisser 
Johannes,  Priester  und  König  zu- 
gleich über  ein  nestorianisches  Volk, 
aufgetreten,  habe  erst  die  medische 
Hauptstadt  Egbatana  erobert  und 
dann  die  samiardischen  Bruderkö- 
nige, die  in  Persien  und  Medien 
herrschten,  in  dreitägiger  Schlacht 
besiegt  und  sei  weiter  nach 
Westen  gerückt,  um  der  bedrängten 
Kirche  in  Jerusalem  beizustehen. 
Aber  der  Tigris  habe  seinem  Zuge 
Halt  geboten  und  ihn  zur  Umkehr 
genötigt.  —  Das  hier  genannte  Er- 
eignis wird  auf  die  im  Jahr  1141 
geschehene  Schlacht  bei  Samarkaud 
gedeutet  in  welcher  der  tungusisch- 
mand8churische  Volksstamm  der 
Chitanen  unter  ihren,  Korchan  oder 
Gurchan  (woraus  allmählich  der 
Name  Johannes  entstanden  sein 
soll)  genannten  Fürsten  den  persi- 
schen Sultan  Sandschar  mit  seinen 
Neffen  besiegten.    Andere  denken 


an  den  siegreichen  Kampf  des  Jo- 
hann Orbelian,  des  Grosswtirden- 
trägers  und  siegreichen  Feldherrn 
des  georgischen  Königs  David,  mit 
den  Türken,  um  1123.  Jedenfalls 
suchten  später  die  abendländischen 
Reisenden  den  Priesterkönig  im 
Osten  des  kaspischen  Meeres  und, 
als  sie  ihn  dort  nicht  fanden,  denn 
das  Reich  der  Chitanen  war  1215 
zerstört  worden,  immer  weiter  im 
Osten  bis  nach  China.  Die  Ver- 
wechslungen und  Verschiebungen 
des  Priesters  Johannes  dauerten  bis 
ins  14.  und  15.  Jahrhundert,  wo  man 
ihn  schliesslich  im  christlichen  König 
von  Habesch  entdeckt  zu  haben 
glaubte,  an  welchen  noch  im  16.  Jahr- 
hundert portugiesische  Gesandte  ab 
gingen.  Rüge,  Geschichte  des  Zeit- 
alters der  Entdeckungen.  Berlin 
1881.    S.  37—40. 

Pritschennleister,  hiess  der- 
jenige, der  bei  den  Schlitzen  festen 
die  Ordnung  auf  dem  Schiessplatze 
zu  handhaben  hatte;  er  bediente 
sich  zu  dem  Ende  der  Pritsche, 
eines  flachen,  in  mehrere  dünne 
Brettchen  gespaltenen  Werkzeuge*, 
womit  er  die  Unfolgsameu  schlug 
Er  war  zugleich  Lustigmacher  der 
Gesellschaft  und  hatte  auf  die  Fest- 
lichkeiten Spruchgedichte  anzuferti- 
gen. Sie  Destanden  mit  eigener 
Tracht  an  mauchen  Höfen  bis  in 
den  Anfang  des  18.  Jahrhunderts 

P  rohen  lichte  nennt  man  die 
durch  zwei  Schweizer  Weistümer 
des  16.  Jahrhunderts  belegte  Sitte 
oder  vielmehr  das  Recht  eines  Herrn 
über  die  erste  Nacht  einer  Ehe,  die 
sein  Höriger  mit  einer  Hörigen  ein- 
geht, jus  primae  noctis.  Nach  der 
neuesten  Untersuchung  von  Karl 
Schmidt,  jus  primae  noctis,  Freiburg 
im  Br.,  1881,  ist  dieses  vermeintliche 
Recht  ein  gelehrter  Aberglaube,  der 
»ich  seit  dem  16.  Jahrhundert  ver- 
breitet hat. 

Propheten  kommen  in  der  mittel- 
alterlichen Kunst  entweder,  wo  es 
sich  um  messianische  Weissagungen 


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PseudoisidoriBche  Dekretalien. 


813 


handelt,  vereinzelt  mit  anderen  Per- 
sonen des  alten  Testaments  vor, 
z.  B.  mit  Jakob,  Moses,  David,  oder 
zusammen,    namentlich    die  vier 

grossen  Propheten  mit  Aposteln, 
vangelisten,  Engeln  oder  den  Si- 
byllen. Ihre  allgemeinen  Attribute 
sind  eine  Schriftrolle  oder  ein  Spruch- 
band mit  dem  Namen  in  der  Hand, 
Sandalen  an  den  Füssen,  aber  kein 
Nimbus.  Die  Darstellungsweise  der 
einzelnen  Propheten  ist  Folgende : 

Jesajas  hält  den  Mandelblüten- 
zweig oder  das  Christuskind,  dessen 
Kommen  er  weissagte,  oder  eine 
Sage,  weil  er  auf  der  Flucht  von 
einer  Zeder  verschlungen  und  in 
dieser  zersägt  worden  sein  soll. 

Jeremias  trägt  nach  Jer.  1,  11 
den  Wächterstab,  d.  h.  die  Rute 
des  Zornes,  oder  nach  1,  12  einen 
hoch  schwebenden  Kessel. 

Hesekiel  halt  ein  Thor  mit  Tür- 
men auf  der  Hand,  weil  er  sein 
Volk  mit  dem  Wiederaufbau,  des 
Tempels  tröstete. 

Daniel,  ein  Jüngling  mit  eng 
anliegender  Kleidung  und  phrygi- 
scher  Mütze,  oder  unbekleidet  mit 
ausgestreckten  Armen  in  der  Lö- 
wengrube liegend. 

Hosea  betet  mit  ausgestreckten 
Armen,  neben  ihm  eine  säugende 
Mutter  mit  Knabe  und  Töchterlein, 
nach  1,  3  ff. 

Joel  mit  dem  Löwen,  der  ihn  zer- 
rissen haben  soll. 

Arnos  nach  7,  14  als  Hirt  mit 
Hirtenstab,  von  Schafen  umgeben, 
neben  ihm  ein  wilder  Feigenbaum. 

Obadja  oder  Obdias,  Wasserkrug 
und  Brot  neben  sich. 

Jonas  schläft  in  der  Kürbiskeule 
(4,  6)  oder  wird  vom  Fisch  ver- 
schlungen und  ausgeworfen,  un- 
zäbligemal  dargestellt 

Micha  oder  Michäus,  nach  5,  1 
mit  der  Linken  zum  Himmel ,  mit 
der  Rechten  auf  ein  Kind  weisend. 

Sah  um,  der  Prophet  des  Unter- 
ganges von  Ninive,  jugendlich  dar- 
gestellt, wandelt  über  Bergspitzen 


(nach  2,  1)  oder  hat  dürres  Holz- 
werk neben  sich,  das  vom  Feuer 
Gottes  vernichtet  wird. 

Habakuk,  als  Knabe,  wie  ihn 
der  Erzengel  Michael  bei  den  Haaren 
durch  die  Luft  entführt,  um  dem 
Daniel  in  der  Löwengrube  Brot  und 
Obst  zu  bringen. 

Zephanja  trägt  eine  Laterne,  um 
nach  1,  12  Jerusalem  zu  durch- 
suchen. 

Haggai  hat  nach  2,  9  einen  Geld- 
beutel in  der  Hand,  aus  dem  Geld 
herausfällt. 

Sacharja  oder  Zacharias  hat  die 
mit  dem  Tempelbau  beschäftigten 
Juden  oder  nach  4,  2  den  sieben- 
armigen  Leuchter  neben  sich. 

MaJeachi  nach  3,  1  mit  einem 
Engel,  oder  mit  drei  Schafen,  deren 
eines  blind,  ein  zweites  lahm  ist. 
Müller  und  Moihes,  Archäol.  Wör- 
terbuch. 

Pseiidoisidorisehe  Dekretalien. 

Um  das  Jahr  850,  also  etwa  um  die 
Zeit  des  Vertrages  von  Verdun, 
entstand,  wahrscheinlich  in  Mainz 
oder  in  Reims,  eine  unter  dem  Namen 
des  heiligen  Isidorus  gehende  ver- 
fälschte Dekretaliensaminlung  (siehe 
den  Art.  Kanonisches  Rechtsbuch), 
zu  dem  Zwecke ,  anscheinend  aus 
den  ältesten  Quellen  des  Kirchen- 
wesens alle  die  Befugnisse  herzu- 
leiten und  als  schon  verliehen  dar- 
zustellen, nach  deren  Besitz  die 
Kirche  trachtete,  um  Selbständigkeit 
und  eine  ihrer  hohen  Aufgabe  wür- 
digere Stellung  dem  Staate  gegen- 
über zu  erlangen.  Die  Form  dieses 
trügerisch  erfundenen  Machwerkes 
sind  Schreiben  der  römischen  Bi- 
schöfe aus  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Christentums ;  die  Hauptabsicht 
der  Sammlung  aber  ist,  die  Kirche 
durch  engeres  Zusammenschliessen 
derselben  unter  dem  Primate  Petri 
unabhängiger  vom  Staate  und  seinen 
hemmenden  Einrichtungen  zu  machen 
und  sie  dadurch  aus  uem  Zustande 
der  Unsicherheit  und  Erniedrigung 
zu  retten,  in  welche  sie  ihre  Unter - 


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814 


Puppen.  —  Puppenspiele. 


Ordnung  unter  dem  Staat  und  die  I  mit  dem  heidnischen  Götterdienste 

Leiden  des  Bürgerkrieges  unter  Lud-  geschlossen  hat.    Der  Hortus  deU- 

wig  dem  Frommen  und  seinen  Söhnen  darum  der  Herrad  von  Landsberg 

gestürzt  hatten.  Neben  dieser  Haupt-  enthalt  ein  Bild,  das  zwei  junge 

absieht  scheint  die  Nebenabsicht  ge-  Leute  darstellt,  welche  über  einen 

waltet  zu  haben,  auf  die  Erhöhung  Tisch  hin  zwei  geharnischte  Glieder- 
einer gewissen  Metropole  im  frän- 1  puppen  mit  Schnüren  bewegen  und 
kischeu  Reiche  — Mains  oder  Reims  —  i  miteinander  fechten  lassen.  Nähere 

zu  einer  erhabeneren  Stellung  hin-  Nachrichten  hat  man  über  diese 

zuwirken.     Die    Pseudoisidorische  Spiele  nicht 

Sammlung  bietet  eine  Art  Gegen-  Zu  weiterer  Ausbildung  gelangten 
stück  zu  dem  Vertrage  von  Verdun ;  die  Puppenspiele  in  den  Ländern 
während  dieser  ohne  jede  Rücksicht  romanischer  Zunge,  namentlich  in 
auf  die  Interessen  der  Kirche  den  Italien  und  Frankreich.  In  Italien 
Metropolitanverband  an  mehreren  scheinen  sieh  Spiele  mit  automati- 
Stellen  durchschnitt,  die  Besitzungen  sehen  Puppen  von  der  Römerzeit 
der  Bistümer  und  Klöster  willkürlich  her  erhalten  zu  haben;  im  16.  Jahr- 
für die  Kosten  des  Bürgerkrieges  hundert  waren  sie  allgemein  be 
in  Anspruch  nahm,  Biscnöfe  und  liebt,  und  es  gab  stehende  Puppen- 
Äbte  durch  einseitige  Verfügung  der  theater  sowohl  als  wandernde  Buden 
weltlichen  Gewalt  von  ihren  Sitzen  mit  Marionetten,  bura/fini.  Entweder 
verjagte,  so  erklärte  die  Dekretalien-  wurden  kleinere  Puppen  mit  der 
Sammlung  die  BesitzreehtederKirche  Hand  dirigiert  und  dazu  rezitiert 
für  heilig  und  unantastbar,  eximierte  oder  lebensgrosse  Puppen  wurden 
die  Geistlichen  vom  weltlichen  Ge-  durch  Fäden,  Drähte  oder  Federn 
richte  und  Hess  sie  in  letzter  Instanz  in  Bewegung  gesetzt.  Aus  Italien 
nur  von  dem  selbst  unabsetzbaren  sollen  diese  Spiele  ihren  Weg  nach 
Papste  gerichtet  werden.  Erwähnt  Frankreich  gefunden  haben,  wo  auch 
wird  die  Sammlung  zum  erstenmal  der  Name  Marionetten  aufkam ;  man 
im  Jahre  857  auf  dem  Reichstage  deutet  ihn  als  Diminutiv  von  Maria, 
von  Chiersy  und  bald  darauf  ihre  wobei  man  erwähnt,  dass  auch  zu 
Gültigkeit  von  Papst  Nicolaus  I.  aus-  i  religiösen  Zwecken  in  den  französi- 
drücklich  den  französischen  Bischöfen  sehen  Kirchen  des  Mittelalters  ähn- 
gegenüber  behauptet.  Im  15.  Jahr-  liehe  bewegliche  Puppen,  namentlich 
hundert  erwachte  die  Ahnung  des  am  Feste  Mariä  Himmelfahrt .  An- 
Betruges, im  16.  Jahrhundert  wurde  Wendung  fanden,  als  Ersatz  für  die 
dieser  durch  protestantische  Gelehrte  früher  von  lebenden  Personen  ge- 
zur  Gewissheit  gebracht.  spielten  Mysterien  oder  geistlichen 

Puppen ;   mit  solchen  spielten  Spiele.   In  dem  Sinne  eines  Volks- 

wie  einst  die  römischen,   so  die  tneaters   erscheint    der  Ausdruck 

jungen  Mädchen  des  Mittelalters;  marionettes  zuerst  um  1600.  Ihre 

die  toeken  sind  im  9.  und  10.  Jahr-  stehenden  Charaktere  empfing  diesr 

hundert  allgemein  bekannt;  auch  der  Puppenkomödie    vom  wirklichen 

Puppenwiege  geschieht  Erwähnung.  Volkstheater,  namentlich   um  das 

Puppenspiele,  d.  h.  dramatische  Jahr  1630  den  französischen  Hans- 
Spiele  mit  künstlich  hergestellten  wurst.  Der  berühmteste  franxo«- 
Figuren,  kennt  man  in  Deutschland  sehe  Marionettenspieler  war  Jean 
seit  dem  12.  Jahrhundert;  der  Name  Brioche,  seines  Berufes  Zahnbrecher 
für  die  aus  Holz,  Lappen  oder  Wachs  und  Puppenspieler, 
verfertigten  Puppen  ist  tocke,  auch  Nach Deutschland  brachten  herum- 
kofxjlt,  teiehtel  und  taterman,  daher  ziehende  fremde  Marionettenspieler 
man  auf  Zusammenhang  dieser  Spiele  aus  England.  Frankreich,  Holland. 


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Purpur.  —  Rapier. 


815 


Italien  und  Spanien  zur  Zeit  des  j  Sohn,  Genoveva,  Fräulein  Antonie, 
dreissigjährigen  Krieges  diese  Volks-  Marianna  oder  der  weibliche  Strassen- 
belustigung:  im  Jahre  1675  findet  räuber,  Don  Juan,  Trajanus  und 
man  sie  in  Frankfurt  a/M, ;  in  Wien  Domitianus,  die  Mordnacht  in  Äthio- 
eteblierte  sich  1667  ein  vierzig  Jahre  nien,  Fanny  und  Durmann;  der 
lang  bestehendes  italienisches  Pup-  Hanswurst,  der  dabei  seine  stehende 
pentheater;  auch  in  Hamburg  sind  Rolle  hatte,  hiess  seit  der  Mitte  des 
solche  Spiele  seit  derselben  Zeit  18.  Jahrhunderts  Kasperle.  Flöget* 
nachgewiesen;  sie  stellten  hier  u.  a.  Geschichte  des  Grotesk-Komischen, 
als  Komödie  Maria  Stuart,  Königin  neu  bearbeitet  von  Fr.  W.  Ebeling, 
der  Franzosen  und  Schotten,  dar,  ,  Leipzig  1862.  —  Grässe,  Zur  Ge- 
wobei der  Hanswurst  sich  als  lusti-  schichte  des  Puppenspiels  und  der 
ger  Franzmann  zeigte;  dänische  i  Automaten,  1856.  —  Deutsche  Pup- 
privilegierte  Hofacteurs  gaben  eben-  penkomödien ,  herausgegeben  von 
falls  in  Hamburg  das  geistliche  Stück  Karl  Engel.  Oldenburg,  1875. 
„die  öffentliche  Enthauptung  des  Purpur.  Die  köstlichen  Purpur- 
Fräulein  Dorothea",  das  ursprünglich  kleider  stammen  aus  dem  entarteten 
ein  ludus  gewesen  war  (siehe  Drama) ;  Rom  und  wurden  in  Deutschland 
ein  Haupteffekt  darin  war  der,  dass,  kaum  vor  dem  13.  Jahrhundert  ein- 
wenn  die  Dorothea  enthauptet  wor-  geführt.  Noch  im  10.  Jahrhundert 
den  war  und  die  Zuschauer  da  Capo  durften  in  Byzanz  nur  die  Hofleute 
schrieen,  der  Direktor  der  Puppe  Purpur  tragen,  während  er  in  Italien 
den  abgehauenen  Kopf  nochmals  so  verbreitet  war,  das  Weiber  und 
aufsetzte  und  ihr  dann  denselben  Mönche  sich  seiner  bedienten.  Seine 
zum  zweiten  Mal  abhauen  Hess.  Auch  Farbe  war  übrigens  nicht  das  heutige 
Opern  und  Singspiele  wurden  durch  Dunkelrot,  sondern  ein  Violettrot. 
automatische  Puppen  dargestellt.  Noch  um  1100  war  bei  uns  der 
Das  Hauptstück  der  deutschen  Besitz  eines  Purpurs  an  diplo- 
Puppentheater  war  der  Dr.  Faust;  matische  Abmachungen  geknüpft, 
andere  Stücke  waren:  Der  Raub-  sodass  Alexius  I.  zufolge  einer 
ritter,  Der  schwarze  Ritter,  Medea,  Übereinkunft  den  deutschen  Hof 
Alceste,  Judith  und  Holofernes,  mit  gefärbten  Zeugen  zu  versehen 
Haman  und  Esther,  Der  verlorene  hatte. 


R. 

Rabenschlacht,  siehe  Heldensage,  dienst,  bei  der  Errichtung  von  Schanz  - 
Rad  und  rädern,  siehe  Strafen,  werken. 

Ramme.  Die  Bockramme  oder!  Rapier.  Rappier.  Im  achten 
Hoye  diente  im  Mittelalter  —  wie  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  kam 
heute  noch  bei  Brücken-  und  Wasser-  unter  diesem  Namen  zuerst  in 
hauten  —  zum  Einrammen  der  Spanien,  dann  in  Frankreich  und 
Pfähle.  Sie  bestand  in  der  Regel  den  übrigen  europäischen  Staaten, 
aus  einer  schweren  Holzart  und  war  ein  Stossaegen  auf.  der  im  ausser- 
an  der  Stirne  mit  einem  Metall-  kriegerischen  Gebrauche  das  Schwert 
beschlag  versehen.  Ihre  häufigste  verdrängte.  Er  war  dem  alther- 
VerwendungfandsieimBelagerungs-  kömmlichen  Panzerstecher  ziemlich 


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816 


Rasselkarren.  —  Rathaus. 


ähnlich,  die  Klinge  0,75  in  lang, 
schmal,  vierkantig.  Der  Griff  war 
hügellos  oder  hatte  höchstens  einen 
dünnen  Faustbügel,  dagegen  eine 
gerade  Querparierstange  und  über 
derselben  eine  „Glocke"  als  Stich- 
blatt. Dasselbe  war  auch  zu  einem 
netz-  oder  siebartigen  Korbe  aus- 
geziert. 

Hassel  karren  wurden  vielerorts, 
mit  Schnarren  versehen,  vom  Grün- 
donnerstag bis  Ostern  durch  die 
Strassen  der  Stadt  geführt,  um  den 
verstummten  Glockenklang  zu  er- 
setzen. 

Rathaus.  Die  beiden  Kardinal- 
Gt  bäude  der  mittelalterlichen  Stadt 
sind  Rathaus  und  Kaufhaus.  Das 
Hat  Ii  ans.  rathus,  rathof,  burqerhtts, 
dinchhus,  hus  überhaupt,  erscheint 
in  Deutschland  zuerst  im  Zwölften 
Jahrhundert.  Die  einzelnen  Bestand- 
teile desselben  sind: 

Die  ratest  übe,  ratsdörnfze,  aes- 
tuarium,  der  Hauptsaal  des  Gebäu- 
des, mit  allerlei  Prunk  und  Zierrat 
ausgestattet,  namentlich  war  oft 
über  dem  Bürgermeistersitze  das 
jüngste  Gericht  aufgehängt,  ausser- 
dem die  sogen.  Rats-bpruchtafel 
mit  Reimen,  aus  denen  sich  eine 
eigentümliche  Form  didaktischer 
Poesie,  die  ratmanne  reime  ent- 
wickelte, welche  auch  in  die  Reehts- 
bücher  Aufnahme  fanden.  Die  wich- 
tigsten Geräte  der  Ratsstube  sind: 
der  Ratstisch,  darüber  eine  kost- 
bare, zuweilen  seidene  Decke,  da- 
rauf ein  Kästchen  mit  Reliquien, 
worauf  die  Staatseide  geleistet  wur- 
den, wenn  man  sich  für  diesen 
Zweck  nicht  mit  einem  hölzernen 
Heiligenbilde  begnügte.  —  Die  Rats- 
Dank,  mit  Kissen  oder  Polstern 
belegte  Sitze,  auch  der  ratstuel  ge- 
nannt ,  darunter  namentlich  des 
Bürgermeisters  Sitz  ausgezeichnet. 
—  Die  Ratsstuben- Almer,  armaria, 
ein  Aktenschrein.  —  Die  Rats- 
Truhe  oder  Trog ,  ein  massives 
eisenbeschlagenes  Holzbehältnis,  in 
welchem    die   bedeutenderen  ma- 


gistratischen Geschäfts  -  Utensilien 
untergebracht  waren  und  wozu  in 
der  Regel  mehrere  Ratsangehörige 
die  Schlüssel  trugen;  dazu  zählte 
das  grosse  Insiegel,  falls  dasselbe 
nicht  in  einem  gesonderten  GefiLss. 
der  sogen.  Siegel- Lade,  aufbewahrt 
wurde.  In  der  Ratsstube  fanden 
die  Neuwahlen  der  Ratsmannen,  die 
Plenarversammlungen  des  ganzen 
Rates,  d.  h.  der  neuen  samt  der 
alten  Räte,  wozu  die  Einzelnen  in  d»  r 
Regel  besonders  eingeladen  wur- 
den, dann  die  Wochen-Sessionen  de* 
regierenden  Rates  statt,  dessen  Ge- 
schäfte sich  auf  die  Rats-Gerichts- 
barkeit, die  Bürgerrechts -Ange- 
legenheiten und  auf  das  sogen. 
Rats-Notariat  bezogen,  d.  h.  auf 
die  Verbriefung  und  Verbuchung 
der  an  den  Ratsstul  verwiesenen 
Privatrechtshandlungen.  Ausserdem 
war  die  Ratsstube  die  Fest-  und 
Belustigungrs8tätte  des  Rates,  be- 
ziehungsweise der  Bürgerschaft,  wo 
Empfangsfeierlichkeiten,  Huldigun- 
gen, Rats -Mahlzeiten,  Rats -Hoch- 
zeiten ,  sogar  Fastnachts  -  Mumme- 
reien und  Tänze  abgehalten  wurden. 
An  manchen  Orten  hatte  der  Rat 
seine  eigenen  Stadtnarren  mit  einem 
Spielgrafeu  au  der  Spitze.  Die 
Ratsstube  war  fiir  solche  Fälle 
mit  dem  erforderlichen  Hausräte, 
Flaschen,  Kannen,  Tellern  u.  dgL 
ausgestattet  und  eigene  Stuben- 
knechte waren  zur  Bedienung  der 
Gäste  aufgestellt.  Die  RatsLauhe 
war  ein  geräumiger,  balkon-  oder 
gallerie-artiger,  nach  dem  Markte 
oder  der  Strasse  zu  offener  und  mit 
einer  Brüstung  versehener  Ausbau 
an  einer  oder  mehreren  Seiten  des 
Hauptgebäudes,  worin  die  jährliebe 
Ablesung  der  Bursprake  vor  dem 
Volke  und  die  Verkündigung  der 
neuen  Ratsherren  vollzogen  wurde. 

Die  Tresekamer  war  bestimmt  zur 
Unterbringung  des  Staatsschatzes, 
der  aus  mannigfaltigen  Kunstge- 
räten bestand. 

Die  Rammerei,  camera,  Avrfent- 


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Rätsel  und  Rätsellieder.  817 

• 

haltsort  der  mit  dem  Kassen-  und  Deutsche    Stadtrechts -Altertümer. 

Rechnungswesen  betrauten  Kamme-  Kap.  16. 

rer  der  Stadt.  Rätsel  und  RHtsellieder.  Rätsel, 
In  deutschen  Rathäusern  jüngerer  ahd.  rdtissa,  rdtisca,  mhd.  rätische, 

Zeit  rindet  man  häufig  ausserdem :  raetsche,  raetersehe,  rdUal,  raetsel. 

eine  Wettstube  für  aie  durch  die  mit  vielen  andern  Nebenformen,  sind 
sogen.  Wetteherren  besorgte  Baga-  eine  uralte  Gattung  der  Volkspoesie, 
teli-Gerichtsbarkeit,  vornehmlich  in  namentlich  in  der  altnordischen  und 
Übertretungsfällen  der  Handwerker  der  angelsächsischen  Dichtung  in 
und  Zünfte;  reicher  Fülle  erhalten;  das  Dunkle 
eine  Bau-  oder  Bauamisstube;  darin  und  das  Finden  und  Binden 
eine  Ra (»dient r-Stube ;  derselben  zeigt  sich  ähnlich  in  den 
die  Rathaus-Kapelle,  worin  die  mythologischen  Anschauungen,  in 
Ratmannen  vor  Beginn  der  Sitz-  alten  Rechtsgebräuchen,  in  der  Art 
tingen  einer  Messe  beizuwohnen  des  menschlichen  Verkehrs  der 
pflegten;  ältesten  Zeiten.  Schon  sehr  früh 
die  Ratsküchex  wurden  gewisse  Rätselgruppen  zu 
den  Rathaus-'lurm  von  mehre-  Rätselliedern  zusammengeorduet, 
ren  gewölbten  Etagen,  deren  un-  deren  eine  Hauptform  die  ist,  dass 
terst«'  zuweilen  das  Archiv  enthielt,  der  Wirt  und  der  ankommende  Gast 
während  die  oberen  verschiedene  sich  in  Wechselrede  prüfen;  der 
Glocken  beherbergten ,  die  Rats-  letztere  sollte  durch  sein  eigenes 
glocke  zur  Einläutung  gewisser  Wort  von  seinem  Wesen  zeugen; 
Ratshandlungen ,  die  nein-  oder  er  wird  zunächst  um  Namen,  Her- 
Bierg locke,  auch  Feier-  oder  Wach-  kunft.  Weg  und  darum  befragt,  wo 
terglocke  genannt.  er  die  letzte  Nacht  geherbergt  habe, 
Die  Rats- Kassenkamme r.  Fragen,  denen  er  seinerseits  mit 
Der  Ratskeller  zog  sich  ur-  doppelsinnigen  Erwiderungen  und 
sprünglich  regelmässig  unter  dem  Wortspielen  ausbeugt,  woraus  sich 
Rathaus  selber  hin,  während  man  dann  ein  Wechsel  von  Frage  und 
ihn  später  unter  Umständen  in  ein  Antwort  entspinnt.  Auch  um  Völker, 
anderes  Gebäude  verlegte.  Er  war  Könige  und  Länder  wird  der  Wan- 
zunäehst  zur  Aufbewahrung  der  derer  befragt,  und  nicht  minder  gilt 
dem  Rate  gehörenden  Weine  und  es  im  Wettspiel  mit  ihm  den  allge- 
Biere  bestimmt  und  hatte  eine  meinen  Zusammenhang  und  tiefern 
Trinkhalle  für  den  Ausschank  die-  Grund  der  Dinge  zu  erfassen,  die 
ser  Getränke:  sogen.  Rats-Keller-  Quellen  geistiger  Erkenntnis  abzu- 
wirtschaften, an  verschiedenen  Or-  spüren.  So  lässt  schon  die  Edda 
ten  der  Stadt,  durften  bloss  das  den  Asenvater  Odin  wissbegierig 
städtische  Bier  verzapfen.  Aus  dem  ausfahren,  die  Weisheit  der  Riesen 
Ratskeller  wurden  die  sogen.  Ehren-  zu  prüfen  und  über  Ordnung,  Ur- 
weine,  Tischtrünke  unef  Weinde- 1  Sprung,  Untergang  und  Wieder- 
putate  verabreicht.  In  einzelnen  geburt  der  Welt  sich  zu  messen ; 
Städten  durften  vornehme  Thunicht-  gegenseitig  wird  dabei  das  Haupt 

fute  ihre  Strafen  auf  einer  Rats-  zur  Wette  gesetzt. 

eller-Stube  absitzen.  Deutsche  Volksrätsel  finden  sich 

Das  Rats-Gefangnis.  zuerst  in  einem  Büchlein  von  1505 

Die  Rathaus-Buden,  an  Hau-  gesammelt,    welches    von   da  an 

delsleute  vermietete  Verkaufsstätten  fleissig  und  unter  verschiedenen 
im  Unterge8choss  des  Hauses.         ,  Titeln,  wie  Raeterschbüch/ein,  Reter- 

Das  Rathaus  war  in  allen  seinen  buchlein ,  nachgedruckt  und  über- 

Teilen   befriedet.     Nach   Gengier,  arbeitet  wurde.    Siehe  Strassburger 

Realleiicon  der  deutschen  Altertümer.  52 


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818 


Ratzel  und  Ratsellieder. 


K^nelhueh.  neu  herausgegeben  von 
A.  F.  Buttch,  Strasburg,  1876.  und 
SifH rock i  Das  deutsche  K<>t*el-Buch. 
3.  Aufl.    Frankfurt  a  M.  1874. 

Unter  den  deutschen  Ruttel  Uedem. 
denen  der  altertümliche  Rahmen  der 
Prüfung  des  ankommenden  Gastes 
eigen  ist,  ist  das  älteste  das  Trau- 
fjevmnrl'itüpd \  das  man  in  seiner  er- 
haltenen Form  ins  12.  Jahrhundert 
setzt.  Ein  fahrender  Mann,  Meister 
troufjewutif.  d.  h.  Dragoman  =  Dol- 
metscher, dem  72  Lande  kund  sind, 
wird  bewillkommnet  und  gefragt, 
wo  er  die  Nacht  gelegen,  womit  er 
bedeckt  war,  wie  er  Kleider  und 
Speise  gewinne?  „Mit  dem  Himmel 
war  ich  bedeckt,  mit  Rosen  um- 
steckt, in  eines  stolzen  Knappen 
Weise  bejage  ich  Kleiderund  Speise" ; 
worauf  dann  nach  der  wieder- 
kehrenden Formel:  Nun  sage  mir, 
Meister  Traugemund ,  zweiund- 
siebenzig  Lande  die  sind  Dir  kund, 
die  Rätsel  und  ihre  Antworten 
folgen.  Dieselben  beziehen  sich  zu- 
nächst auf  Eigenschaftswörter,  be- 
sonders der  Farbe,  und  suchen  den 
Gegenstand,  dem  dieselben  in  voll- 
stem Mass  zukommen,  z.  B.  Was 
ist  weisser  als  der  Schnee,  was  ist 
schneller  als  das  Reh.  was  ist  höher 
als  der  Berg,  was  ist  finsterer  als 
die  Nacht?  Antwort:  Sonne,  Wind, 
Baum  und  Rabe. 

Anderer  Art,  aber  ebenfalls 
Rätseldichtungen,  sind  die  Hand- 
werkst} rüsse,  die  zur  Losung  unter 
denAngehörigendersell>en  Genossen- 
schaft dienten,  Empfangagespräche 
zwischen  dem  Wandergesellen  und 
dem  Altgesellen  der  Zunft,  die  in 
Zeiten,  wo  es  noch  keine  Wander- 
bücher gab.den  Ausw  eis  des  Fremden 
vertraten.  Dieser  wird  gefragt,  wo 
er  herkäme?  wie  er  sich  nenne? 
wo  er  gelernt?  wo  er  seinen  Gesellen- 
namen bekommen  und  wer  dabei 

gewesen?  Diese  Grüsse,  in  gereimter 
'rosa  gehalten,  reichen  in  ihren 
Aufzeichnungen  zwar  nicht  über 
das  1*.  Jahrhundert  hinauf,  zeigen 


daher  auch  den  verdorbenen  Ge- 
schmack des  Volkes,  ohne  doch  die 
Spuren  älteren  Ursprunges  gaur 
vermissen  zu  lassen.  Alter  in  der 
Aufzeichnung  und  frischer  in  der 
Haltung  sina  die  Weidspi-v^ht.  ..wo- 
durch ein  Jäger  den  andern  geprüft 
hat  und  wodurch  sie  sich  zu  be- 
lustigen pflegen.4-  Sie  l>etrerTer. 
grossenteils  die  genaue  Kenntnis  der 
r'äbrteu  und  Zeichen  des  Waides, 
sowie  ihrer  kunstmässigen  Be- 
nennungen; manche  sind  echte 
Rätselaüfgaben,  aber  mit  weid- 
männischer Schlusswendung ,  die 
eigentümlichsten  aber  beschäftigen 
sich  mit  dem  Hirsche.  Vgl.  den 
Art.  Jagd. 

Am  sorgfältigsten  ausgebildet  ist 
die  Übung  des  Rätsel  -Grüsseus  in 
der  Sinnschule s  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts  erscheint, 
noch  sparsam  uud  vereinzelt,  das 
Rätsel  in  der  Lyrik,  so  zwar,  das* 
der  Sänger  die  Antwort  eines  andern 
Sängers  verlangt.  Dies  geschah 
namentlich,  seitdem  der  von  den 
Höfen  zum  Bürgerstand  übergesie 
delte  Gesaug  in  deu  Geheimnissen 
des  Glaubens  seinen  höchsten  uui 
beliebtesten  Gegenstand  gefunden 
hatte.  Diese  Rätsel  sind  nun  frei- 
lich nicht  mehr  kurz,  sondern  spitz- 
findig ausgesonnen ,  weitläufig  an- 
geführt und  künstlich  gebaut.  Der 
Art  ist  der  sog.  Warthttr<jkrü?gy  dann 
Lieder,  in  denen  Heffeitbopr»  mit 
Fravenloh  und  beide  einander  m»- 
meutlich  geistliche  Rätsel  zu  erraten 
geben.  Oft  wird  dabei  biKUicn 
eines  Werbens  um  einen  Rosenkranz 
gedacht,  Rosen  zum  Kranze  brechen, 
bedeutet  die  Kunstwerbung,  und  aus 
sieben  edein  Rosen,  d.  h.  den  freien 
Künsten,  soll  das  Kränzlein  gemach: 
sein.  Daneben  aber  wird  vom  Aus- 
hängen des  Kranzes,  vom  Schwenken 
an  der  Stange,  vom  Abgewinnen 
uud  Aufsetzen  derselben  auf  eim 
Weise  gesungen,  die  nicht  bezweif ein 
lässt,  das 8  dem  bildlichen  Auadrucke 
die  Anschauung   eines  wirklichen 


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Rauchgefässe.  —  Rechtssyinbole. 


819 


Herkommeus,  des  Wettgesangs  um  Geiste  des  alt^n  Rechts,  beziehen 
einen  aushängenden  Roseukrauz,  zu  sich  gewöhnlieh  auf  Grund  und 
Grunde  liege.  Wirklich  sind  auch  Boden  oder  auf  persönliche  Ver- 
solehe  volkstümliche  Kranzlieder  er-  hältiüsse  und  zwar  so,  dass  Sache 
halten,  deren  Inhalt  wiederum  Volks-  oder  Person  dabei  selbst  sinnlich 
rätsei  sind,  siehe  den  Art.  Kranz  und  leiblieh  vergegenwärtigt  werden 
und  Kranzlieder.  Vhtands Schriften,  müssen;  doch  ist  bei  maucnen  Sym- 
Bd.  III,  181  ff.  boleu  der  Bezug  des  Zeichens  auf 
Rauch  gefüsse,  thurihuhim,  tura-  die  Sache  verdunkelt  Wenn  das 
buhim,  thi/miaterium ,  waren  schon  Symbol  aufbewahrt  und  gerichtlich 
in  der  vorchristlichen  Zeit  als  Opfer-  vorgezeigt  wird,  steht  ihm  der  Name 
gefässe  im  Gebrauch.  Der  Weih-  Wahrzeichen  zu.  Die  folgende  Auf- 
rauch versinnbildlicht  die  zum  Zeichnung  ist  den  Rechtsaltertümern 
Himmel  aufsteigenden  Gebete.  Die  Jakob  Grimms  entnommen. 
Kirche  unterscheidet  schon  früh,  1.  Erde,  fr  ras;  dieses  wurde  aus- 
wenigstens  vom  11.  Jahrhundert  an,  geworfen  sowohl  von  dem,  der  von 
das  grosse,  meist  zur  Seite  des  seinem  Grund  und  Boden  schied, 
Altars  feststehende  und  das  kleine,  das  Land  räumte,  wie  von  dem,  der 
tragbare  Rauclnrefäss.  Beide  sind  ein  einzelnes  Grundstück  auf  einen 
metallen,  von  Silber,  Kupfer,  später  andern  zu  eigen  oder  Pfand  über- 
auch  von  Messing  oder  Eisen,  mit  tragen  wollte:  leistete  der  Schuld- 
oder ohne  Vergoldung.  Der  Deckel  ner  keine  Zanlung,  so  setzte  der 
ist  durchbrochen,  um  dem  Rauch  Richter  durch  dieses  Symbol  den 
den  Durchgang  zu  gestatten.  In  Glaubiger  in  deu  Besitz  des  Gutes; 
ihrer  Form  weichen  sie  sehr  von  dasselbe  wurde  also  durch  Aus- 
einander ab.  Während  das  letztere  schneiden  und  Darreichen  der  Gras- 
durchweg die  tiefe  Beckengestalt  erde  aufgelassen,  durch  Annahme 
beibehielt,  wie  verschieden  aucn  sein  derselben  in  Empfang  genommen. 
Zierrat  sein  mochte ,  richtete  sich  Die  besoudern  deutschen  Namen  für 
die  Gestalt  des  ersteren  nach  dem  die  Graserde  sind  Erdscholle,  Rasen ; 
jeweiligen  Geschmack  des  Künstlers  in  sächsischer  und  niederdeutscher 
oder  nach  dem  herrschenden  Zeit-  Sprache  Torf.    Bei  einem  Greils- 

feschniack  oder  Baustil  überhaupt,  streit  setzten  die  Kämpfenden  ihre 

>ie  ursprüngliche  Kugelforin  machte  Schwerter  an  das  in  einem  Tuch  vor 

einem  turmartigen  Gebilde  Platz,  den  Grafen  gebrachte  Raseustück 

das  oft  in  künstlerischer  Arbeit  die  und    schwuren;    etwas  Ähnliches 

verschiedensten  Ecktürmchen.  Gie-  scheint  es  zu  bedeuten,  wenn  in 

bei  wändchen,  Strebenfeiler,  Spitz-  alten  Sagen  und  Liedern  schwörende 

türmchen,  Fialen-  unu  Nischenwerk  Helden  das  Schwert  bis  an  den 

in  sich  vereinigte  und  mit  allerlei  Griff  in  den  Erdboden  stecken, 

ausgeschnitzten  Figuren  geziert  war.  2.  Halm  -,  siehe  den  besonderen 

Aber  auch  verschiedene  Tiere  liehen  Artikel. 

dem  Künstler  ihre  Formen  zur  Dar-  3.  Ast.  Wenn  ein  Baumgarten, 

stelluug  dieses  Gefässes     So  soll  Waldgruud  oder  Weinberg  über- 

Wtfligis,  der  Erzbischof  der  Dom-  tragen  wurde,  so  pflegte  man  einen 

kirche  zu  Mainz,  zwei  silberne  Rauch-  Laubzweig,  eine  Kebe  zu  brechen, 

gefässe  geschenkt  haben,  die  einen  ,  in  die  Scholle  zu  stecken  oder  allein 
Lranich  in  natürlicher  Grösse  dar- j  darzureichen,  wobei  sieh  die  Art 

Sestellt  haben.  Der  Rauch  stieg  aus  j  der  Zweige  nach  dem  Grundstück 

em  geöffneten  Schnabel  der  Vogel,  richtete;  aus  Gärten  nahm  man  sie 

Rech tssyui hole ,  d.  h.  bildliche  ,  von  Apfelbäumen,  in  Gebüsch  und 

Vollbringung  eines  Geschäftes  im  Wald  von  Haseln  und  Birken. 

52' 


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820 


Rechtssymbole. 


4.  Stab  dient  a)  als  Zeichen  der 
Guterabtretung  und  zwar  meist  für 
grössere  Landschaften ;  b  i  als  Zeichen 
der  Landflüchtigkeit,  Erniedrigung 
und  Knechtschaft  für  den,  der  ihn 
in  der  Hand  trägt.  Die  sich  auf 
Gnade  und  Ungnade  ergeben  haben, 
tragen  tceU.se  Stäbe  in  rländen.  In 
Holland  gehen  dienstlose  Mägde  mit 
weissen  Stäben;  c)  als  Zeichen 
höchster  Gewalt;  König,  Fürsten 
und  Richter  tragen  ihn  in  der  Hand, 
ebenso  die  Boten  und  Herolde  des 
Könige  und  Richters:  von  Bittenden, 
Gelobenden  und  Schwörenden  wurde 
dieser  Stab  angerührt;  d)  als  Symbol 
des  Todesurteils;  denn  über  dem 
Haupt  des  Verurteilten  wurde  der 
Stab  gebrochen  und  ihm  vor  die 
Füsse  geworfen ;  es  drückt  aus,  dass 
der  Missethäter  nichts  weiter  zu 
hoffen  hat  und  auf  sein  Leben  ver- 
zichtet. 

5.  Hand  und  Finger,  siehe  den 
besondern  Artikel. 

6.  Hisse.  Es  scheint  allgemein 
Sitte  der  Vorzeit  gewesen  zu  sein, 
dass  der  Sieger  den  Fuss  auf  d<n 
zu  Boden  gestreckten  Feind  setzte, 
zum  Zeichen  vollendeterBezwiugung ; 
wenn  liegendes  Gut  angesprochen 
wurde,  musste  der  rechte  Fuss  auf- 
gesetzt werden. 

7.  Mund.  Bei  Belehnungen  ist 
der  küssende  Mund  Symbol,  was 
auch  mit  der  Formel  „mit  Hand  und 
Mund  belehnen  4  gesagt  sein  will. 
Den  Kuss  gab  der  Lehnsherr  dem 
Vasallen. 

8.  Ohr.  Noch  im  18.  Jahrhun- 
dert herrschte  in  mehreren  Gegen- 
den Deutschlands  die  Sitte,  bei 
wichtigen  Anlässen,  als  der  Leguug 
eines  Grundsteins,  Setzung  eines 
Grenzsteins,  Fiudung  eines  Schatzes 
u.  dgl.  Knaben  zuzuziehen  und  sie  un- 
versehens in  die  Ohrlappen  zupfetzen 
oder  ihnen  Ohrfeigen  zu  stecken,  da- 
mit sie  sich  des  Vorgangs  während 
ihres  ganzen  Lebens  erinnern  sollten ; 
dabei  empfingen  sie  kleine  Geschenke. 
Namentlich  in  Bayern  war  diese 


Sitte  seit  den  ältesten  Zeiten  üblich, 
wo  aber  nicht  bloss  Kinder,  sondern 
die  erwachsenen  eigentlichen  Zeugen 
selbst  an  den  Ohreu  gezupft^ 
werden  pflegten. 

9.  Ba rt  u  nd  Haar  waren  Zektea 
und  Tracht  des  Standes  würdiger 
Freier;   Abschneiden  des  Hau:' 
haares,  bei  Erwachsenen  des  Bar«, 
war  Goten,   Franken  und  Laii*~ 
barden  Symbol  der  Annahme  an 
Kimle-sstatt.  Ein  Freier  konnte  äch 
durch  Übergabe  seines  abgeschnitten 
nen  Haars  in  die  Knechtschaft  eii  «S 
andern   begeben.  Etwas 
war  es.  wenn  jemand  sich  <U> 
abschnitt  und  sie  dem,  dessen 
stand  er  anflehte,  zum  Zeichen  an 
gender  und  unverstellter  Not  um 
sendete.  Schwörende  Männer  rühr 
Bart  und  Haar    an,  schwö: 
Frauen  legten  die  Finger  der 
Hand  auf  ihre  Haarflechten. 

10  und  11.  Hut  vndllt\*«<  ] 
siehe  die  besondern  Artikel. 

1 2 .  Sek uh.  Im  altnordischen Keci 
kam  das  Symbol  des  Schuhs 
der  Adoption  und  Legitimation 
Der  Vater  soll  ein  Mahl 
einen  dreijährigen  Ochsen  sehla 
dessen  rechtem  Fusse  die  Hast 
lösen  und  daraus  einen  Scinh  mae 
diesen  Schuh  zieht  er  dann 
an,  nach  ihm  der  adoptierte 
legitimierte  Sohn,  hieraut  die 
und  Freunde;  man  heisst  das 
einem  in  den  Schuh  steigen-  X: 
altdeutscher  Sitte  wurde  dei 
auch  bei  dem  Verlöbnis  gebra 
der  Bräutigam  bringt  ihn  der 
sobald  diese  ihn  an  den  Fuss 
hat,  wird  sie  als  seiner  Gewalt 
worfen  betrachtet.  Nachher 
es  üblich,  der  Braut  neue  Sc 
darzubringen.    Mächtigere  K 
sandten  geringeren  ihre  Schuh« 
welche  diese  zum  Zeichen  der  Cr 
werfung  trageu  konnten. 

13.  Gürtel,  und  zwar  d«je 
der  die  innerste  Bekleidung. 
Hemde,  über  den  Hüften  xui 
hält.    Die  symbolische 


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Rechtssymbole.  821 


desselben  ist  eine  vierfache :  a)  land-  grossen  Banner  der  Reichsfürsten 

räumige,  auf  Gnade  und  Ungnade  vom  Königsstuhl  herabgeworfen  und 

sich  unterwerfende  Männer  mussten  den  Kriegsknechten  preisgegeben, 

den  Gürtel,  wie  die  Schuhe,  ablegen:  Bei  Märkten  steckte  man  zum  Zeichen 

bi  bei  der  Haussuchung  mussten  die  der  Marktfreiheit  Fahnen  auf. 
Eintretenden  im  Hemd  und  entgärtet       17.  Pfeil.    Im   Norden  wurde, 

gehen:  c)  Frauen,  die  auf  die  Erb-  wenn  der  Feind  ins  Land  brach, 

Schaft  ihres  verstorbenen  Mannes  ver-  eiu  Raub  oder  Mord  geschah,  schnell 

achteten,  warfen  ihn  entweder  gleich  ein  Pfeil  herumgescnickt  und  allem 

bei  der  Beerdigung  auf  sein  Grab  Volk  entboten,  sich  zu  versammeln 

oder  lösten  hernach  vor  Richter  und  und  dem  Thäter  nachzueilen :  dies 

Zeugen  den  Gürtel:  vermutlich  ge-  war  der  Heerpfeil,  herör.  DeuLango- 

nügte  es  bald,  ihn  bloss  darzureichen;  barden  war  der  Pfeil  Symb>l  der 

d)  mit  dem  Gürtel  geschah  auch  Freilassung. 

die    feierliche   Verfiusserung  eines       13.  Hammer,  siehe  den  besondern 

einzelnen  Gutes.  Artikel. 

14.  Rockschoss,  mhd.  yere,  d.  i.  19.  Speer  bedeutet  in  der  älteren 
der  gefältelte  Teil  des  Leibgewandes,  und  gesetzlichen  Sprache  Mann  und 
Das  Abnehmen  und  Hinwerfen  des-  Mannesstamm,  im  Gegensatz  zu 
selben  war  wieder  Symbol  der  Auf-  Spindel  oder  Kunkel:  dalier  die  Aus- 
lassung eines  Gutes.  Durch  Greifen  drücke  ipermdge,  girm&get  swert- 
an  den  Rockschoss  überliefert  der  vwae  =  Verwandtschaft  von  seiten 
Forderer  den  Geforderten,  derGläu-  des  Mannes,  und  spimlelmfyp,  .wifl- 
biger  den  Schuldner  rechtlich.  Auch  mnae,  kunk  ehiuiqe  =  Verwandtschaft 
bei  einigen  Eidschwüren  wurde  ver-  von  seiten  des  Weibes.  Gleich  Stab 
mutlich  die  Hand  auf  den  Geren  und  Fahne  war  der  Speer  für 
gelegt.  Könige    ein    Symbol    der  l'ber- 

15.  Mantel  ist  ein  Zeichen  des  gäbe  von  Reich  und  Land.  Er 
Schutzes,  besonders  der  von  Fürsten  diente  aber  auch  wie  Hut  und  Pfeil 
getragene.  Mantelkinder  heissen  zur  Ansage  des  Krieges.  In  Skau- 
die  adoptierten  Kinder ,  weil  sie  dinavien  wurde  neben  dem  Heer- 
unter den  Mantel  genommen  wurden,  pfeil  in  vielen  Gegenden  auch  ein 
Zu  Frankfurt,  wenn  eine  Frau  ihren  angebrannter  Stock  herumgesandt, 
Mantel  auf  des  Mannes  Grab  fallen  der  Kriegsgefahr  wegen  das  Volk 
Hess  und  nicht  mehr  als  ein  Kleid  zusammenzuberufen. 

behielt,  war  sie  nicht  schuldig,  für       20.  Schwert;  auf  den  Griff  des 

dessen  Schulden  einzustehn.  Schwertes  mit  in  die  Erde  gesteckter 

16.  Fuhne-,  mit  der  Aufrichtung  Spitze  wurde  bei  Schwüren  undGe- 
der  Fahne  wie  des  Hutes  wurde  lübden  die  Hand  gelegt,  in  ältester 
das  Volk  aufgeboten  und  versam-  Zeit  wohl  auch  durch  blosses  Aus- 
melt.  In  der  Schweiz  rief  die  in  ziehen  des  Schwertes  geschworen, 
einen  Brunnen  getauchte  Fahne  alle  Die  Freischöffen  bei  der  r  ahne  legten 
Mannschaft  zu  den  Waffen ;  man  ihre  Finger  aufs  breite  Schwert  und 
tauchte  die  Fahne  ins  Wasser  und  schwuren.  Die  sich  ergaben,  gingen 
schwur  nicht  zurückzukehren ,  es  entweder  ohne  Schwert  oder  fassten 
wäre  denn  der  Feind  geschlagen  das  Schwert  an  der  Spitze,  ihrem 
oder  die  Fahne  au  der  Luft  ge-  Sieger  den  Griff  reichend.  Durch 
trocknet.  Mit  der  Fahne  geschah  das  Schwert  geschah  auch  Uber- 
die  Belehuung,  wobei  der  Vasall  gäbe  von  Land;  es  war  Symbol  der 
dieselbe  dem  Herrn  darbrachte  und  Gerichtsbarkeit,  besonders  der  pein- 
dieser  sie  ihm  hernach  wiederbot,  liehen  über  Leben  und  Tod.  Die 
Nach   der  Belehnung  wurden   die  Friesen  trugen  der  Braut  bei  der 


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822  Rechtssymbole. 


Brautfnhrung  ein  Schwert  vor.  zum  verbunden  vor,  dass  an  dem  Kreuz 

Zeichen ,  dass  der   Mann  Gewalt  ein  Handschuh  hängt,  c  I  Der  Kläger 

über  ihr  Leben  habe.    Übersendung  oder  Gerichtsbote  steckt  ein  Kreuz 

und  Annahme  des  Schwertes  be-  an  das  Haus  oder  auf  die  Sache 

zeichnet  die  zu  vollziehende  Hin-  des   verklagten    und  verurteilten 

rieh  tun  iL'.    Es    war    endlich   Sitte.  Schuldners. 

wenn  ein  Mann  bei  einer  Frau  2x  Spttn.  Gerichtliche  Über- 
schlief, die  er  nicht  berühren  wollte,  gäbe  eines  Hauses  wurde  symbolisch 
dass  er  ein  Schwert  zwischen  sich  dadurch  bewerkstelligt,  dass  der 
und  sie  legte:  nach  der  Sage  geschah  Fronbote  einen  Snan  aus  dem  Thür- 
dies  z.  B.  zwischen  Sigurd  und  Brun-  pfosten  hieb  und  dem  neuen  Besitzer 
hild;  in  deutschen  Dichtungen  zwi-  einhÄndigte.  Der  Gantknecht  zeigt 
sehen  Tristan  und  Isolde,  zwischen  einen  Span  vor,  auch  aus  dem 
VVolfdietrich  und  der  Heidentochter,  Galgen  schnitt  man  ihn  zum  Wahr- 
Orendel  und  Frau  Breide  und  in  zeichen. 

vielen  andern  Sagen.  26.   Thun-.     Der  Besitz  eines 

21.  Me.**er  bezeichnete  wiederum  Hauses  wurde  angetreten,  indem  der 
die  Übergabe  von  liegenden  Gütern.  Erwerbende  in  nie  Thüre  einging. 
Wenn  die  Freischötfen  einen  ge-  seinen  rechten  Fuss  auf  die  Thür- 
richtet  und  im  Wald  aufgehängt  schwelle  setzte  oder  mit  der  rechten 
hatten,  steckten  sie  ein  Messer  in  Hand  Thürpfosten  oder  Tbürriu«r 
den  Baum.  Ähnlich  stecken  im  oder  Thürnagel  fasste  oder  auc& 
Märchen  zwei  scheidende  Freunde  bloss  die  Thüre  auf-  und  zu  tfcai 
ein  Messer  in  den  Baum:  auf  wessen  Auch  Eide  wurden  mit  auf  die  Thür 
Seite  es  rostet,  des  Leben  ist  vorbei,  gelegter  Hand  abgelegt:  ein  Schlag 

22.  S f  indet  ist  Symbol  der  Frau  mit  der  Hand  an  die  Kirchenthüre 
und  Hausfrau,  vgl.  Xr.  19.  Der  war  bei  den  Ripuariern  feierlicher 
Ehemann  durfte  die  ehebrecherische  Einspruch  gegen  den  in  der  Kirche 
Hausfrau  mit  der  Kunkel  und  vier  abzulegenden  Eid.  Über  die  Thür- 
Pfennigen  aus  dem  Hause  weisen  schwelle  durfte  man  nicht  den  Leich- 
und  war  ihr  weiter  nichts  schuldig,  nam  eines  Missethäters  schleifen, 
wenn  sie  ihm  auch  noch  so  viel  man  musste  sie  durch  ein  unter  ihr 
Gut  zugebracht  hatte.  gegrabenes  Loch  ziehen. 

23.  Schee re  bedeutet  Abschneiden  27.  Schlüssel  sind  das  Svmbol 
der  Haare,  also  Verlust  der  Freiheit,  iungfräul icher  Gewalt;  bei  der  feier- 
Zur  beschimpfenden  Strafe  wurde  liehen  Einsegnung  erscheint  die 
Schee re  und  Besen  getragen,  ein  Braut  mit  Schlüsseln  geschmückt. 
Zeichen  verwirkten  Haarschnitts  die  am  Gürtel  hingen;  sie  müssen 
und  Rutenschlags;  an  Geringen  bei  der  Scheidung  dem  Manne  zu- 
wurde nämlich  die  Strafe  selber  rückgestellt  werden. 

vollstreckt,  Vornehme  kamen  mit  j      28.  Ring.  Der  Bräutigam  pflegte 

dem  blossen  Symbol  davon.  der  Braut  zum  Zeichen    des  ge- 

24.  Kreitz.  Hier  sind  folgende  schlossenen  Eheverlöbnisses  einen 
symbolische  Anwendungen  zu  unter-  Ring  an  den  Finger  zu  stocken, 
scheiden :  a)  Das  Zeichen  des  Kreuzes  doch  war  diese  Sitte  aus  den  ro- 
war  bei  den  Grenzen  in  rechtlichem  manischen  Ländern ,  wo  sie  Fort- 
Gebrauch  ,  dergestalt  dass  in  die  setzung  des  römischen  Heirat  sringes 
(»renzbäume  Kreuze  eingehauen  und  war,  nach  Deutschland  gekommen- 
Nägel  eingeschlagen  wurden.  blEin  Nach  den  Gedichten  des  13.  Jahr- 
Kreuz  bedeutet  >Iai  ktgerechtigkeit  hunderts  empfingen  die  Liebhaber 
und  Weichbildsfrieden,  gleich  dem  Rinere  von  ihren  Damen. 
Handschuh:  oft  kommen  beide  so       29.  Münze.    Bei  den  sali  sc  hon 


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Rechtssymbole.  823 


und  ripuariBchen  Franken  galt  fol-  auch  der  Besitz  jedes  andern  Grand - 

f;ende  eigentümliche  Weise  der  Frei-  stücke»  angetreten.  Weigert  sich 
assung:  der  Herr  warf,  schlug  <»der  der  Richter  einer  vorzunehmenden 
stiess  von  der  Hand  seines  Knechtes  Belehnung  oder  Entsetzung,  ho  kann 
eine  kleine  Münze  herunter,  wodurch  wer  ein  Recht  hat ,  sie  zu  fordern, 
dieser  in  den  Stand  der  Freien  über-  mit  einem  solchen  Stuhl  die  feier- 
ging. Grimm  vermutet  ,  dass  der  liehe  Handlung  selbst  begehen,  muss 
Knec  ht  die  Münze  gleichkam  zum  aber  die  schuldige  Geldabgabe  darauf 
Kaufpreis  gab,  den  der  Herr,  sie  zu  legen;  statt  des  Stuhles  kommt  etwa 
Boden  schnellend,  verschmähte.  auch  ein   dreibeiniger  Tisch  vor. 

.'tu.  Sfein.    Kleine  Steine,   ver-  Auch  das  Sprichwort:  einem  den 

mutlich  Kiesel,  sind  ein  Zeichen  der  Stuhl  vor  die  Thür  setzen,  d.  h.  einen 

Ubergabe.  bisher  zu  Sitz  berechtigten  aus  dem 

31.  Faden;  ein  Zwirn- oder  Seiden-  Hause  weisen,  scheint  einer  früher 
faden  reichte  hin,  symbolisch  zu  vorgenommenen  symbolischen  Hand- 
binden, sogar  bei  der  Zulieferung  lung  sein  Dasein  zu  verdanken, 
schädlicher  Menschen,  Vagabunden.  36.  Wasser;  ein  Trunk  Wassers 
Auch  gebannte  Grundstücke  wurden  war  Zeichen  der  Entsagung;  sonst 
durch  einen  darum  gezogenen  Seiden-  ist  auffallend,  dass  ausser  dem 
faden  gehegt,  wie  auch  die  Rosen-  Netzen  der  Fahne  in  Brunnenwasser 
garten  der  Sage  mit  seidenen  Fäden  (siehe  Nr.  16 1  ein  sonst  so  einfaches, 
umgeben  sind.  In  den  dänischen  naheliegendes  Symbol  keine  weitern 
Volksliedern  binden  die  Helden,  um  Zeugnisse  seiner  Anwendung  auf 
sieh  festzumachen,  rote  Seidenfäden  deutschem  Boden  hinterlassen  hat. 
um  ihre  Helme.  37.  Wein,  Bier  oder  Met  wurde 

32.  Seil;  mit  dem  Glockenseil  von  altersher  in  Deutschland  zur 
werden  Kirchengüter  übergeben.  Bekräftigung  feierlicher  Verträge 
Ein  Seil  um  den  Hals  tragen  sowohl  und  Bündnisse  getrunken,  ja  unter 
Bolche,  die  sich  auf  Tod  und  Leben  vielen  Teilnehmern  und  Zeugen 
ergaben,  als  an  gewissen  Orten  die  förmliches  Gelag  und  Mahl  gehalten. 
Freibauern  zum  Zeichen  geringerer  Namentlich  war  dieses  Sitte  bei 
Knechtschaft  oder  Hörigkeit.  Friedensschlüssen,  Aussöhnungen, 

33.  Waffen.  Ein  Land  mit  dem  Erbschaftsteilungen  und  Hochzeiten; 
Wagen  befahren  ist  Zeichen  der  doch  ist  dieser  Brauch  kaum  aus 
Besitznahme;  Heinrich  der  Weif  einer  symbolischen  Bedeutung  des 
Hess  sich  der  Sage  nach  von  Ludwig  Weines  oder  dgl.  herzuleiten,  da 
dem  Frommen  so  viel  Landes  ver-  kein  Gesetz  den  Weintrunk  zur  Ein- 
leihen,  als  er,  solange  der  König  zu  gehung  irgend  eines  Rechtsgeschäftes 
Mittag  schliefe,  mit  einem  goldnen  fordert.  Im  Mittelalter  scheint  die 
Pflug  umackern  oder  mit  einem  allgemein  und  weitverbreitete  sym- 
goldnen  Wagen  umziehen  könnte,  höfische  Auwendung  des  Weintrunks 

34.  Pflug;  auch  mit  ihm  wird  zur  Feier  eingegangener  Käufe, 
neuerworbenes  Land  befahren,  mhd.  Htkouf,  mnkouf,  von  mhd.  lit 
Siehe  Nr.  33.  =  Obst-  und  Gewürzwein,  geistiges 

35  Stuhl  und  Tisch.  Als  Rechts-  Getränke  überhaupt,  aufgekommen 

symbol  hat  der  Tisch  immer  drei  zu  sein. 

Beine;  der  geringste  Gutsbesitz  wird  38.  Blut;  nach  Nachrichten  aus 
durch  den  Kaum  bezeichnet,  worauf  der  ältesten  heidnischen  Zeit  und 
ein  dreibeiniger  Stuhl  steht;  ein  nach  Sagen  wurden  feierliche  Eide, 
Stück,  das  keinen  Stuhl  fasst,  ist  Gelübde  und  Bündnisse  mit  Blut 
des  Grundeigentums  unfähig.  Durch  bekräftiget.  Dieses  geschah  bei  Ein- 
einen dreibeinigen  Stuhl  wird  aber  gehung  der  Brüderschaft,  wo  beide 


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824  Regalien.  -  Reichsdörfer. 


Freunde  ihr  Blut  in  eine  Grube  zu-  aus  dem  Geleitsrecht.    Spater  ist 
sammenrinnen  Hessen,  dass  es  sich  durch  Kinrluss  der  Fürsten  manche? 
mit  der  Erde  vermische.  was  früher  Gemeingut  war.  2.  B.  die 

39.  Feuer  -,  Zünduug  und  Nährung  Salzgewinnung,  als  Regal  erklärt 
desselben  auf  einem  Grundstück  war  worden. 

Zeichen  rechtlicher  Besitznahme  und       RegeubogeuschUsselehei,  oaei: 
Inhabuug;  dem  Rechtlosen  wurde  der  Meinung  des  Landvolkes  da  an- 
das  Wasser  gestopft  und  das  Feuer  zutreffen,  wo  der  Regenbogen  auf 
erlöscht,  und  uoch  bis  auf  die  neuere  die  Erde  stosse.  sind  Münzen  ke> 
Zeit  galt  in  einigenGegendenDeutsch-  tischen  Ursprungs,  mit  einer  schüssel 
lands  die  Sitte,  bei  Gutsübergaben  förmigen  Gestalt  imd  sehr  roh*r 
das  alte  Feuer  zu  löschen  uud  ein  Arbeit,  ohne  Schrift,  aber  mit  ver 
neues    anzuzünden.     Angezündete  schiedenen  Stempeln  versehen:  ddi? 
Feuer  geben  in  der  Schweiz  und  in  einem  Vogelkopt  oder  einer  drt; 
Friesland  in  Kriegsnot  und  Landes-  teiligen  Figur,  einem  offenen  Kiiu 
aufruhr  ein  Zeichen  zurVersammlung.  mit    verschiedenen  ku#elformijr»ii 

40.  S^v>/i//'wcä<»  werden  &i»  Stangen  Gebilden.  Man  hat  solch»*  zum  t^u 
auf  Wiesen  und  Felder  gesteckt,  in  sehr  grosser  Anzahl  im  süd»cv 
um  sie  zu  hegen,  daher  herieirinch,  liehen  Deutschland  gefunden,  bes-m 
od«*r  den  Weg  zu  sperren;  sie  be-  ders  zwischen  Bodeusee,  Inn  und 
zeichnen  auch  etwas  feiles,  z.  B.  ein  Donau,  zwischen  Donau  und  Main, 
gerichtlich  zu  verkaufendes  Grund-  sowie  in  Böhmen,  Rheinbavern  and 
stück.  Endlich  bezeichnet  die  um-  Rheinhessen.  Als  Periode  ihrer 
gedrehte,  umgekehrte  und  ange-  Prägung  wird  da*  erste  nud  iw«nt« 
brannte  Schaube  die  Besitznahme,  Jahrhundert  vor  Chr.  angenommen, 
was  wahrscheinlich  der  symbolischen  als  keltische  Völker  noch  in  dirsen 
Kraft  des  Feuers  gilt.  Grimm,  Rechts-  Gegenden  wohnten,  und  das  vol 
altertümer,  S.  109 — 207.  ihnen  im  Lande  gewonnen?  G<^i 

Regalien.  Das  Wort  renalia  in  auf  diese  Weise  ausmünzten:  de« 
der  Bedeutung  von  dem  Könige  zu-  man  weiss,  dass  früher  in  den  be- 
stehenden Hoheitsrechten  findet  man  mischen  Flüssen  und  Bachen  na»! 
nicht  vor  dem  12.  Jahrhundert:  was  in  den  norischen  Alpen  viel  toW 
damit  zusammenhängt,  dass  im  gewonnen  wurde,  biehe  S*f**+* 
früheren  Mittelalter  Einkünfte  des  Beiträge  zur  Geschichte  des  GeW- 
Reiches  und  des  Königs  nicht  ge-  und  Müuzwesens  in  Deutschland.  » 
trennt,  sondern  als  ein  und  dasselbe  den  Forschungen  zur  deutsch*1» 
gedacht  wurden.  So  gehörten  von  Geschichte  I,  244  ff. 
alter  Zeit  Zölle  und  Weggelder,  das  Regenschirin.  Erwähnt  rai 
Münzrecht,  das  Recht  auf  Gewinnung  der  Regenschinn  zuerst  im  11.  Jahr 
der  Metalle  dem  Reiche,  und  erst  hundert,  wo  er  durch  die  Xoroi&ö' 
als  im  Verlaufe  des  Mittelalters  der  nen  in  England  eingeführt  wwJ 


MiueUtÄ, 

nc*zetf  u» 
ahrhtrn^ 


Kaiser  diese  Rechte  und  Befugnisse  Doch  war  er  im 

einzelnen  Fürsten  und  Herren  zu  ja  noch  in  der 

Lehen  übertrug,  nahmen  sie  den  allgemeiu.     Im    lti.  J 

Charakter  von  Hoheitsrechten  an  spannten   namentlich   Krauen  wtm 

und  wurden  als  solche  weiter  aus-  besseren  Schutze  des  Kopte»  üra 

§ebildet.    Es  gehörten  dazu  Zölle.  Mantelkapuzeu  mit  Fischbein 

ibgaben  von  Innungen,  Standgelder  Draht  über  denselben  aus. 
von  den  Jahrmärkten,  Münzreeht,       Reichsapfel,  siehe 


Forst-   und  Jagdrecht.    Fischerei,  siqnien. 
Fähr- und  Mühlengerechtigkeit.Berg-       Reiehsdürfcr,   heis&en  gr-mi** 
werke.  Judenschutzgelder.  Einkünfte  Dörfer,  Flecken  und  freien  Uaki> 


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Reichskammergericht.  —  Reichsveraammlung,  Reichstag.  825 


meinden.  die  teils  Überreste  ehe- 
maliger Reichsgüter,  teils  Güter  ehe- 
maliger Dynasten  waren .  welche 
nicht  wieder  zu  Lehen  gegeben 
worden  waren.  Sie  standen  nur 
unter  dem  Kaiser  und  regierten 
sich  sonst  selbst.  Man  hat  ihrer  an 
120  nachgewiesen,  die  meist  von 
den  Königen  wieder  verpfändet,  ver- 
kauft, zu  Lehen  gegeoen  wurden 
u.  dgl.  Zuletzt,  als  man  sie  1803 
mediatisierte,  waren  bloss  noch  fünf 
übrig. 

Keichskamnienreileht ,  siehe 
Äff  m  merqerich  te. 

Iteichskleinodien,   siehe  Kra- 


nit • 


Keichsstiidte,  siehe  Stadtetresen. 

Relehsversamniluiig,  Reichs- 
tag. Schon  unter  den  Karolingeru 
galt  es  als  Pflicht  der  geistlichen 
und  weltlichen  Würdenträger,  sich 
an  den  hohen  Festen  des  Jahres. 
Ostern.  Pfingsten.  Weihnachten  und 
Mariä  Geburt,  am  Hoflager  einzu- 
finden, die  kirchliche  Feier  mit  ihm 
zu  begehen  und  dann  in  geistlichen 
und  andern  Angelegenheiten  mit 
ihm  thätig  zu  sein.  Es  ergingen 
förmliche  Einladungen  dazu,  so  aas* 
di«'se  Versammlungen  seit  den  fran- 
kischen Kaisern  den  Charakter  von 
Hof-  und  Reichstagen  annahmen. 
Der  Name  ist  curia,  concilium,  con* 
Pen (ut  1  placitum.  am  häufigsten  aber 
CoftoquiuMi  mhd.  spräche,  ähnlich 
dem  in  England  gebräuchlich  ge- 
wordenen Wort  Parlament.  Neben 
diesen  regelmässigen  Hoftagen  gab 
es  auch  andere,  zu  denen  der  König 
die  Grossen  des  Reiches  überhaupt 
oder  diejenigen  einzelner  Provinzen 
berief.  Es  wurde  mehr  als  Pflicht, 
denn  als  »'in  Recht  betrachtet,  die 
Hof-  und  Reichstage  zu  besuchen. 
Die  Grossen  kamen  oft  in  zahlreicher 
Begleitung,  so  dass  mau  gezwungen 
war,  sich  unter  freiem  Himmel  zu 
lagern  und  zu  tagen.  Jeder  hatte 
dabe  i  zunächst  für  seinen  Unterhalt 
selbst  zu  sorgen,  daher  bei  längerem 
Aufenthalt  bedeutende  Kosten  auf- 


laufen konnten.  Da  der  Zug  auf 
den  Reichstag  als  Reichsdieust  galt, 
erschien  es  als  ein  Recht  der  Fürsten, 
sich  dafür  von  ihren  Untergebenen 
eine  Beisteuer  zahlen  zu  lassen.  Die 
Geschäfte  des  Reichstages  konuten 
sehr  verschieden  sein.  Beratung 
über  kirchliche  wie  über  weltliche, 
äussere  und  innere  Angelegenheiten, 
Bestimmungen  über  das  Recht. 
Schenkungen,  Verlobungen,  Ver- 
leihung der  höhern  Würden  in 
Staat  und  Kirche,  Privilegien  und 
Gnadenbezeugungen.  Im  15.  Jahr- 
hundert führte  die  hervorragende 
Stellung  der  Kurfürsten  dazu,  dass 
dieselben  nach  Vorlegung  der  kaiser- 
lichen Pronosition  zu  einer  abge- 
sonderten Beratung  und  Besch  luss- 
nahme  darüber  zusammentraten,  ein 
Vorgang,  dem  zuerst  die  übrigen 
Fürsten  und  Herreu,  dann  die  Reichs- 
städte folgten,  so  dass  der  Reichs- 
tag nunmehr  in  drei  Kollegien  zer- 
fiel, in  dasjenige  der  Kurfürsten, 
in  den  Reichsfürstenrat  und  in  das 
Kollegium  der  Reichsstädte,  welch 
letzere  Wilhelm  von  Holland  1225 
zuerst  zum  Reichstage  zugelassen 
hatte.  Eine  gemeinsame  Versamm- 
lung der  drei  Kollegien  fand  nur 
bei  besonderen  Festlichkeiten  statt. 
Der  Gang  der  Verhandlungen  war 
folgender:  die  kaiserlichen  Präpo- 
sitionen ,  welche  an  den  Reichstag 
gelangten,  wurden  gleichzeitig  an 
das  Kurfürstenkollegium  und  au 
den  Fürstenrat  zur  Beratung  abge- 

Seben;  stimmten  die  Beschlüsse 
ieser  beiden.  Relation  und  Cor- 
relation  genannt,  überein,  so  kam  die 
Sache  an  das  Kollegium  der  Städte ; 
sonst  war  sie  schon  verworfen. 
Traten  die  Städte  bei,  so  hiess  der 
Beschluss  Reichstjutachten ;  wenn  er 
vom  Kaiser  die  Sanktion  erhalten 
hatte,  hiess  er  Reichssehl uss.  In 
den  Kollegien  selbst  entschied  Stim- 
menmehrheit. Die  Reichsschlüsse 
wurden  erst  am  Schlüsse  eines  Reichs- 
tages zusammen  verkündet,  und  der 
Name    dafür    war   Reichsahschied . 


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82ü 


Reif  rocke.  —  Reim. 


Seit  Friedrich  III.  nahm  der  Reich»-  sodass  sie  nur  am  Halse  den  Leib 
tag  den  Charakter  eines  Gesandten-  berührten:  im  Winter  wurden  sie 
kongresses  an,  indem  die  meisten  um  die  Hüfte  gegürtet.  Ihre  grösste 
Fürsten  nicht  mehr  in  Person  er-  Bedeutung  und  Verbreitung  hatten 
schienen;  der  Kaiser  Hess  sich  da-  sie  um  1730,  während  sie  schon  zur 
bei  durch  einen  aus  dem  Fürsten-  Zeit  Ludwigs  XV.  am  Hofe  aofge- 
stande  genommenen  Prinzipalkom-  geben  und  erst  wieder  durch  Maria 
missär  vertreten.     Das  Präsidium  Antmnette  in  Schwung  kamen,  dies- 
auf  dem  Reichstage  führte  Mainz  mal  platt  von  vorn  nach  hinten,  an 
als  Reichs-Erzkanzler.   Im  Fürsten-  den   Hüften  aber  breit.    Sie  ver- 
rate präsidierten  abwechselnd  Üster-  schwanden  aber  bald  wieder,  um 
reich  und  Salzburg.    Ursprünglich  nach  einer  kurzen  Pause  der  „c?iU 
wurden  die  Stimmen  nach  Köpfen  de  Parur*  Platz  zu  machen,  die  aber 
geführt:  später  hafteten  sie  auf  den  ebenfalls  nur  kurze  Zeit  sieh  halten 
Ländern,  und  zwar  war  als  Normal-  konnte.     Mit    dem    Becinne  der 
jähr    für    die    Stimmgebung    im  zweiten  Hälfte  unseres  Jahrhunderts 
Reichstage    das   Jahr   1582  ange-  kam  der  Reifrock  als  ..Krinoline~ 
nommen.    Die  Grafen  und  Herren  wieder  auf,  freilich  auch  diesmal 
hatten  nur  Gesamtstimmen,  d.  h.  nur  auf  kurze  Dauer.  Der  „gute  Ge- 
Curiatstimmen,    und  zwar    hatten  schmaek"  wird  ihn  aber  ohne  Zweifel 
die  Grafen  anfänglich  zwei  Curien,  wieder  auf  die  Weltbühne  ruf»-n. 
die  wetterauisrhe  und  die  schwäbische       Reim.    Derselbe  ist  im  9.  Jahr- 
Grafenbank,  später  kam  eine  fränki-  hundert  aus  der  lateinischen  Reim- 
sche  und  eine  westfälische  Grafen-  poesie  der  Kirche,  wo  er  seit  «lern 
bank  hinzu.    Die  Prälaten  zerfielen  'S.  Jahrhundert  gefunden  wird,  in 
bei  ihren  zwei  Kuriatstimmen  in  die  die  deutsche  Dichtung  gedrungen, 
rheinische  und  schwäbische  Prälaten-  aus  der  er  schnell  die  ältere  Allitte- 
bank.    Die  Reichsstädte  teilten  sich  ratiou  verdrängte;  namentlich  war 
seit  1174  in  die  rheinische  und  in  es  Otfrieds  Einfluss,  der  hier  wirk- 
die  schwäbische  Städtebank.  Waifz,  sam  war.    Mit  der  Aufnahme  des 
Verfaas.-Geschiehte.  —  Wacker,  der  Reims  in  engster  Beziehung  stehr 
Reichstag  unter  den  Hohenstaufen  ebenfalls  aus  der  christlich- lateini- 
Leipzig  1882.    Waltet',  Reehtsgesch.  sehen  Dichtung  her  die  Aufnahme 
KeifrUcke  trugen  die  Spanierinnen  der  Strophe,  die  ihrerseits  wieder 
zuerst  und  zwar  im  16.  Jahrhundert;  mit  der  Entwicklung  des  Gesänge 
unter  «lern  Namen  rertitgalle*  oder  in  dieser  Periode  zusammenhing: 
vertugadins,     „Tugendwardeinen."       Das  Wort  Beim.  mhd.  rim,  bar 
Von  da  aus  fanden  sie  in  Frank-  ahd.  als  rim  und  hrim  die  Bedeu- 
reich  Eingang,  welches  sie  in  kurzer  tung  von  Zahl,  Vielheit»  eine  Be- 
Zeit auch  in  den  übrigen  europä-  deutung,  welche  erst  im  Mittelhoch- 
isehen  Staaten  zur  Modesache  machte,  deutschen  in  die  des  durch  Gleich- 
wie lächerlich   und  unbequem  sie  laut  mit  einem  andern  gebundenen 
auch   erscheinen   mussten.    Neben  Versgliedes  übergegangen  ist.  Alk 
den   eisernen  Reifen,    ,, Springer*',  althochdeutschen  Gedichte  mit  End- 
kamen Drahtgeflechte  und  Feigen-  reimen,  die  vor  dem  11.  Jahrhundert 
körbe  zur  Verwendung  und  Hessen  entstanden  sind,  bestehen  aus  Stro- 
die  Röcke  in   faltenloser  Glocken-  phen,  die  älteren  derselben,  in  denen 
form  erscheinen.  Vorn  waren  diese  auch  Otfricd  seine  Lieder  schrieb, 
bald  offen,  damit  das  Unterkleid  aus   vier  Zeilen;   daneben  finden 
durchscheine,  bald  geschlossen;  bald  sich  in  den  ältesten  Reimgedichten 
sind  sie  langer,  bald  kürzer.    Im  dreizeilige  Strophen;  Strophen  von 
Sommer  trug  man  sie  ohne  Gürtel,  mehr  als  vier  Versen  finden  sieb 


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Reim. 


827 


vorläufig  bloss  in  Gedichten  gemisch-  Blütezeit  der  höfischen  Kunst  hat 
ter  Strophenarten,  den  sog.  Leichen,  die  Reinheit  des  Reimes  zu  einer 
Im  11.  Jahrhundert  tritt  eine  all-  fast  fehlerlosen,  bis  heute  nie  mehr 
seitige  Verwilderung  der  Reim-  und  erreichten  Vollendung  gebracht; 
Verskunst  ein.  teils  infolge  der  in  ■  namentlich  zeichnet  sich  Hartmann 
dieser  Zeit  eintretenden  Verdiinnung  von  Aue  in  dieser  Beziehung  au*, 
und  Abschleifung  der  Endsilben,  i  Der  Zerfall  der  hofischen  Kunst 
teils  infolge  davon,  dass  jetzt  Ge-  seit  der  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
dichte  aufkommen,  die  bioss  zum  galt  auch  der  Kunst  des  Reimes; 
Lesen  bestimmt  waren,  denen  daher  derselbe  wurde  wieder  unrein,  so- 
<las  strengere  musikalische  Band  wohl  infolge  mangelnder  Kunstbil- 
abging.  Die  zum  Lesen  bestimm-  dung,  als  des  Eindringens  Limi- 
ten Gedichte  bedienten  sich  des  aus  schaftlicher  Formen  in  die  Schrift- 
dern  allitterierenden  Langverse  her-  spräche;  er  wurde  aber  auch  ge- 
vorgegangenen Reimpaares,  das  an-  künstelt  und  unnatürlich,  und  na- 
fangs,  zum  Teil  auch  in  Anlehnung  mentlich  kamen  jetzt  Strophenunge- 
an  lateinische  Vorbilder,  sehr  un- !  tümc  auf,  welche  das  Mass  des 
geregelt  war  und  daher  den  Namen  Schönen  weit  überschritten.  Dasalte 
Meimprota  erhalten  hat.  Künstlich  !  Reimpaar,  jetzt  seiner  zerknitterten 
verschlungene  Reimgebäude  sind  Verse  wegen  Knittelvers  genannt, 
zuerst  in  der  Lyrik  aufgekommen ;  blieb  nicht  bloss  für  die  erzählende 
anfangs  bestanden  diese  Strophen  und  die  Spruchpoesie  der  tvpische 
bloss  aus  zwei,  drei  oder  mehr  mit  Vers,  es  wurde  auch  für  die  neu 
einander  verbundenen  Reimpaaren,  aufkommende  dramatische  Dichtung 
aus  den  gewöhnliehen  kurzen  Verden  die  übliche  poetische  Form.  Was 
der  erzählenden  Gattung;  später  strophische  Dichtung  betrifft,  so  er- 
verband  man  Langverse  ebenfalls  |  hielten  sich  in  den  Singschulen  der 
paarweis,  und  zwar  wenigstens  ihrer  Meistersänger  wohl  einige  alte  von 
vier,  zu  einem  strophischen  Reim-  den  Meistersängern  überkommene 
gebiiude,  deren  merkwürdigstes  die  Töne;  dazu  aber  wurden  stets  neue, 
Strophe  Kürenljerf/ers  oder  die  Sihe-  meist  recht  abenteuerliche  Töne  er- 
lumgenHrophe  ist.  Alt  ist  auch  die  funden,  oft  höchst  verwickelt  und 
Erweiterung  der  aus  zwei  kurzen  Geschmacklos,  manchmal  über  100 
Reimpaaren  bestehenden  Strophe  Verse  lang,  denen  auch  das  beibe- 
durch  Einschiebung  einer  reimlosen  haltene  Gesetz  der  Dreiteiligkeit  nicht 
Zeile  zwischen  das  zweite  Paar,  nach  mehr  zur  anschaulichen  Gliederung 
dem  Schema  a  a  b  x  b.  Mit  dem  zu  verhelfen  vermochte.  Daneben 
Fortschritte  der  lyrischen  Kunst  herrschen  im  Volksliede  ältere  und 
wächst  dann  schnell  die  Kunst, ,  einfachere  Strophenformen,  von  vier, 
Strophen  zu  bauen.  Im  ganzen  fünf  oder  sechs  Verszeilen,  welche 
waltet  bei  den  mittelhochdeutschen  von  der  einfachen  Volksweise  ge- 
Strophen das  Gesetz  der  Dreiteilig-  tragen  sind.  Der  seit  Jahrhunderten 
keit,  siehe  den  Art.  Lied;  alles  dies  dauernden  Reimverwilderung  macht 
bedingt  durch  den  Charakter  der  endlich  (hntz  ein  Ende;  doen  ist  es 
Musik  dieses  Zeitalters.  In  bezug  weniger  der  Reim,  als  vielmehr  die 
auf  die  Reinheit  der  Reime  gelingt  Versmessung,  welche  die  Grundlage 
es  anfangs  bloss,  den  Reimklang  von  Opitzens  Reform  ist  und  welche 
annähernd  zu  treffen,  so  dass  dieser  dann  auch  den  Reim  zwingt,  sich 
oft  mehr  einer  Assonanz  als  einem  in  rhythmischer  Beziehung  strenge- 
wirklichen Reime  gleicht,  in  welchem  ren  Gesetzen  zu  unterwerfen.  Die 
Vokal  und  Schlüsskonsonauz  sich  auf  dem  Ton  der  Vokale  und  Kon- 
zil decken  bestimmt  sind;  erst  die  sonanten  beruhende  Vollkommenheit 


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82* 


Reimchroniken.  —  Reliquien. 


des  Reimes  war  innerhalb  der  hoch-  dienten,  Handel  trieben.  Schon  zu 
deutsehen  Sprache  kaum  mehr  her- 1  Karl  des  Grossen  Zeit  kamen  sehr 
zustellen,  da  die  Aussprache  der ;  abenteuerliche  Reliquien  auf;  wäli- 
einzelnen  Laute  jetzt  ungleich  mehr  rend  der  Kreuzzüge  mehrten  sie  sieh 
landschaftlichen  Nüanzieningen  un-  noch  mehr;  es  Kamen  z.  B.  vom 
terlag  als  dies  in  der  Suraehe  der  j  Leibe  Christi  ein  Zahn,  Haare,  Stücke 
höfischen  Dichter  der  Fall  gewesen  vom  Nabel  zum  Vorschein;  Einwen- 
war;  daher  pflegte  die  deutsche  düngen  frommer  Männer,  aueh 
Poetik  bis  Schiller  der  lautlichen  Gottesurteile,  die  zur  Unterscheidung 
Reinheit  des  Reimes  mir  ein  mässi-  echter  und  unechter  Reliquien 


ges  Interesse  zuzuwenden.  Die  Auf-  geordnet  wurden,  fruchteten  nichts, 
nähme  romanischer  Vers-  und  Stro-  Der  Dom  zu  Halle  a.  S.  besaas 
phengattungen  durch  <  >pitz  und  seine  vor  der  Reformation  8 133  Partikeln. 
Nachfolger  konnte,  was  den  Reim  darunter  in  einem  Sarge  1243.  und 
betrifft,    keinerlei    Schwierigkeiten  42  gange  Körner,  in  mehr  als  200 
begegnen;  die  höfische  Kunst  hatte  Behaltnissen,  deren  Vorzeigung  jähr- 
längst viel  grössere  überwunden.  lieh  am  Sonntag  nach  Maria  Geburt 
Reimchroniken,  siehe  Geschieht-  stattfand.    Die  Vorzeigung  geschah 
Schreibung.  in  einzelnen  Abteilungen,  entweder 
Reliquieuder  Heiligen  als  Gegen-  vor  einem  Altare  in  der  Kirche, 
stände  gläubiger   Verehrung    sind  oder  von  Altauen  oder  Galerien, 
zur  Zeit  der  Christen  Verfolgungen  der  sog.   Heiligtumsstühlen,   herab  an 
ersten  Jahrhunderte  aufgekommen,  das  im  Freien  versammelte  Volk 
anfangs   unter  teilweisem   Wider-  Auf  Reliquien,  mhd.  heütvom  oder 
Spruch  einzelner  Kirchenlehrer;  doch  htilectuom,  wurden   im  Mittelalter 
sprachen  sich  gerade  die  angesehen-  Eide  geschworen, 
sten  Väter  der  Kirche,  wie  Chry-        Von     nachhaltiger  Bedeutung 
sostomus,  Hieronymus.  Ambrosius  wurde  die  Reliquienverehrun*:  für 
und  Augustinus,  zu  gunsteu  der  Re-  die  bildende  Kunst  und  das  Kunst- 
liquienverehrun^  aus.  Ohne  Zweifel  liandwerk,    welche  eine  unzählige 
ahmte  man  damit  zum  teil  den  Kultus  Menge  von  Reliquienbebälteru  u 
nach,  den  die  Heiden  mit  den  Grä-  Gold,  Silber,  Elfeubeiu,  Edelsteinen, 
bern  ihrer  Heroen  zu  treiben  pflegten.  Kristall,    feinen  Holzarten  u.  dgl 
Wie  diese  auf  solchen  Gräbern  Tem-  schufen.    Die  älteste  Stelle  der  & 
pel  bauten,  so  die  Christen  über  den  liquie  war  eine  verschlossene  Ver- 
Gräbern der  Apostel  und  Märtyrer:  tiefung  unter  der  Altarplatte.  #*»/»■•'• 
waren  keine  Gräber  vorhanden,  so  ckrum,  zur  Aufnahme  eines  bleierner 
erwarb  man  Reliquien,  wobei  na-  Kästchens  mit  der  Weihungsjurkund? 
mentlich  die  römischen  Katakomben  und  der  Reliquie  bestimmt;  die*? 
unerschöpflichen  Vorrat  boten.  Die  durften  bei  keinem  Altare  fehlen. 
Wallfahrten    nach    dem   gelobten  da  jeder  Altar,  im  Anschlüsse  ao 
Lande  brachten  neueReliquienschätze  die  altchristliche  Abendmahlsfeier 
in  Umlauf.  Reliquien  Christi  und  der  über  den  Gräbern  der  Märtvrer, 
Apostel  und  neu  daran  sich  knüpfende  das  Grab  eines  Heiligen  vorstellt. 


\\  uuder.   Es  waren  aber  nicht  bloss  Im  Verlaufe  der  Zeit 

die  Körper  der  Heiligen,  einzelne  zahlreiche  besondere  Formen  voc 

Teile  derselben  oder  Teilchen,  Par-  Reliquienbehältern,  die  Otte,  kireb- 

tikeln,  sondern  auch  Dinge,  die  mit  liehe  Kunst-Archäologie,  §  38,  au: 

den  Heiligen  in  Berührung  gestanden  folgende  Klassen  zurückfuhrt, 
hatten.  Schon  Augustin  Klagt,  dass        t.  Reliquienbehälter  in  der  Fora 

müssige  Mönche  mit  den  Reliquien,  eines   viereckigen   Kattens,  S-^tr^ 

welche  auch  als  Schutz- und  Heilmittel  Kästchen,  Pulte,  Bücher,  Sc/iachtc!» 


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Reliquien. 


829 


Behältnisse  für  einen  oder  für  einige  des  Schädels  der  Heiligen  im  Kopfe 
ganze  Körper  heissen  Kasten,  capsa,  der  Büste,  darunter  aas  Brustbild 
mhd.  chafsa,  kafs,  Jeans,  chefsa  und  Karls  d.  Gr.  im  Aachener  Dom; 
ähnlich;  cista,  Kiste,  Lade,  Schrein,  Arme,  die  Röhrknochen  des  Heiligen- 
Sarg.  Nach  Art  antiker  Sarge  haben  Armes  enthaltend;  auch  diese  i orm 
sie  einen  dachartigen  Oberteil ,  also  kommt  in  Aachen  für  den  Arm 
die  Form  eines  Hauses  oder  einer  Karls  d.  Gr.  vor;  Finger;  Küsse  { 
Kirche,  selbst  mit  Seiten-  oder  \  einzelne  grössere  Gebeine,  Rippen. 
Querschiffen,  analog  dem  jedesmali-  Wirbelknochen  u.  dgl. ,  in  Metall 
gen  Baustile.  Der  Kasten  besteht  gefasst:  Bilder,  Statuetten  der  Heili- 
aus  Holz ,  mit  vergoldetem  Metall-  gen  zur  Aufnahme  der  Reliquien, 
blech,  Silber  oder  Kupfer  überklei- 1  aus  Metall  getrieben  oder  hohl  ge- 
det,  das  mit  getriebenen  Reliefs  aus  1  gössen,  auch  aus  Holz  geschnitzt, 
der  biblischen  oder  heiligen  Ge-  j  5.  Behältnisse,  welche  durch  ihre 
schichte  reich  verziert  erscheint;  I  Form  auf  die  in  denselben  enthal- 
derart  ist  der  Kasten  mit  den  Ge-  tenen  Reliquien  oder  auf  die  Le- 
beinen Karls  des  Grossen  im  Münster  ,  gende  der  Heiligen  deuten.  Derart 
zu  Aachen  und  der  Kasten  der  heil,  sind  Kreuze  oder  Kruzifixe  als  Be- 
drei  Könige  im  Kölner  Dom.  Der  hältnisse  von  Partikeln  des  wahren 
Gebrauch,  solche  Särge  auf  Bahren  Kreuzes,  in  unzähligen  Formen  und 
in  den  Prozessionen  herumzutragen, ;  Grössen  erhalten.  Seitdem  die  Kai- 
gab Veranlassung,  solche  Schreine  serin  Helena  Partikeln  des  heil, 
anzufertigen,  welche,  auf  den  Schul-  Kreuzes  genommen  hatte,  vermehrten 
tern  von  Klerikerfiguren  ruhend,  sich  diese  dergestalt,  dass  schon  30 
von  diesen  scheinbar  getragen  wer-  Jahre  nachher  Cyrillus  bezeugte, 
den.  Zur  Aufnahme  von  Partikeln  die  ganze  Welt  sei  mit  Partikeln 
dienten  Kästchen  oder  Sargchen  ähn-  des  Kreuzholzes  erfüllt.  Zu  den 
lieber  Gestalt,  deren  noch'  sehr  viele  Behältnissen ,  welche  in  Form  der 
vorhanden  sind,  zum  Teil  aus  Elfen-  Attribute  oder  Symbole  der  betreffen- 
bein  oder  aus  Holz,  welches  mit  den  Heiligen  verfertigt  sind,  gehören 
Elfenbeinplatten  überzogen  ist.  An-  ein  silbervergoldeter  züngelnder 
dere  Behälter  haben  die  Form  eines  Drache,  als  Attribut  der  heil.  Mar- 
Setzvulles,  wie  sie  auf  Altären  zum  garethe,  eine  Kahne,  mit  Perlen 
Auflegen  des  Messbuches  gebräuch-  durchstickt ,  für  St.  Moritz  und  St. 
lieh  waren.  Gregor,  eine  thönerne  Lampe  der 

2.  Cylindrische  Behältnisse  hat-  heil.  Elisabeth,  ein  geflügelter  Lowe 
ten  die  besondere  Gestalt  einer  des  Evangelisten  Markus,  ein  sil- 
Büchse ,  eines  Turmes  oder  eines  berner  Phönix  auf  dem  Scheiterhau- 
Tahernakels ,  Gefässe ,  die  ebenfalls  fen,  als  Symbol  der  Unsterblichkeit, 
zur  Aufbewahrung  der  Eucharistie  mit  16  Partikeln  der  heil.  Jungfrauen, 
dienten.  Das  Tabernakel  war  ein  ein  Schiff  der  heil.  Ursula,  ein  Schwert 
aus  einem  Walde  von  Strebepfeilern  als  Marterwerkzeug  vieler  Heiligen, 
komponiertes,  vielfach  durchbreche-  eine  silberne  Wiege  mit  Heiligtum 
nes  Keliquiarium ,  in  dessen  Sockel  von  den  unschuldigen  Kindlein, 
die  Reliquie  aufbewahrt  wurde.  6.  Reliquientafeln,  tafatlae,  seien 

3.  Tatchen,  im  Orient  am  Gürtel  es  mit  Flachmalereien  oder  Reliefs  ge- 
getragen und  durch  Pilger  und  Kreuz-  schmückte  Tafelbilder  oder  grössere 
f ahrer  im  Abendlande  verbreitet    i  und  kleinere  Flügelschreine.  Dahin 

4.  Behältnisse  für  bestimmte  zählen  auch  die  sog.  Kusatäfelchen 
Körperteile  in  Form  der  letzteren,  oder  Pacems,  welche,  seitdem  der 
meist  aus  vergoldetem  Silber.  Dahin  eigentliche  Friedenskuss  nicht  mehr 
gehören  Brustbilder  zur  Aufnahme  üblich  war,  den  Gläubigen,  besonders 


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830 


Renaissanee-Stil- 


den  Geistlichen,  vor  der  Kommunion  einzuführen-  Diese  Renaissance  ging 

wahrend  des  Agnus  Dei  zum  Küssen  von  einem  sorgfältigen  Studium  der 

dargereicht  wurden  und  gewöhnlich  antiken  Überreste  aus,  welche  das 

Reliquien  enthielten.    Sie  bestehen  alte  Rom  hinterlassen  hatte, 
aus  Elfenbein  oder  Marmor,  sind  vier-       I.  Jnfänae  der  Senator  nee  bei 

eckig  oder  gewö  Ibt.  mit  Reliefs  aus  Matern  unct  Bildhauern.  Während 

der  heil.  Geschichte.  dies««  Umgestaltung  sich  im  Süden 

7.  Monstranzen ;  hier  findet  sich  vollzog .  brach  der  Norden  nicht 
das  sichtbare  Heiligtum  in  einem  minder  entschieden,  wenn  auch  in 
senkrecht  gestellten  Kristall-Cylin-  anderer  Weise  mit  den  Traditionen 
der,  der  von  einem  gotischen  Kelch-  des  Mittelalters.  Hier  war  es  die 
fusse  getragen  wird  und  oben  mit  Natur,  aus  der  die  Kunst  sich 
einem  Tabernakel  in  den  mannig-  verjüngen  sollte.  Dieser  Zug  nach 
faltigen  Formen  der  gotischen  Archi-  grösserer  Naturwahrheit,  welche  der 
tektur  gekrönt  ist.  Solche  Gefässe  traumhafte  Idealismus  des  Mittel- 
sind erst  seit  dem  14.  Jahrhundert  alters  nicht  gekannt  hatte,  zeigt  sieb 
in  Gebrauch.  zuerst  in  der  Malerei.    Hubert  und 

8.  Allerlei  Gefässe.  Geräte  und  Jan  van  Kyck  sind  die  ersten  Bahn 
Geschirre  aus  Stein,  Glas  und  Metall,  brecher  einer  neuen  Epoche,  aber 
die  sonst  im  kirchlichen  und  haus-  bald  verbreitet  sich  der  Einfl uss  der 
liehen  Gebrauche  zur  Aufnahme  von  ihnen  gegründeten  flandrisches 
von  Flüssigkeiten  dienen,  wie  Scha-  Schule  über  alle  Gebiete  Deutsch- 
len,  Berken,  Glaser,  Becher,  Kel-  lands.  Dadurch  entstand  ein  schar- 
rt, Kannen,  und  die  zum  Zwecke  fer  Konstrast  mit  der  herrschen- 
der Reliquien-Aufbewahrung  mit  den  Architektur,  welche  völlig  in 
Deckeln  versehen  wurden.  Auch  den  Dienst  eines  handwerklichen 
Blashömer  sind  zu  diesem  Gebrauche  Schematismus  geraten  war,  und 
verwendet  worden.  ;  in  dem  in  der  Routine  ergrauten 

9.  Kleinodien  der  verschiedensten  Handwerk  eine  Stütze  fand,  welch* 
Art;  mit  ihnen  wurden  in  den  Re-  den  gotischen  Stil  bis  ins  IT.  Jahr- 
liqiüenschätzen  der  Dome  oft  Kurt-  hundert  hinein  neben  der  von  Italien 
ota  und  Raritäten  aufbewahrt,  die  einbrechenden  Renaissance.,  auf- 
nach  Umständen  auch  als  Reliquien-  recht  erhielt. 

behälter,  oder  aber  sonst  als  Schau-    ,   Unter    den    Kunstwerken  der 

gegenstände   oder  als  Erinnerung  Übergangsepoche  ist  vielleicht  keine* 

an  eine  Pilgerfahrt  dienten.    Dazu  welches  den  Übergang  so  vielseitig 

gehören  seit  dem  9.  Jahrhundert  veranschaulicht,  wie  die  Chronik  von 

ötrausseneier,  Kokosnüsse,  Smaragd-  Hartmann  Schedel  (1493 1  mit  ihren 

Gefässe,  Greifenklauen ,  d.  h.  meist  von  Michael  Wolgemuth  und  J^et 

mit  Tierfüssen  versehene  Hörner,  denmtfff  entworfenen  Holzschnitten 

rorsündjlu fliehe  Knochen ,  Walfisch-  Während  sich  einerseits  darin  di« 

rippen,  Schildkrolenschafen,  Meteor-  mittelalterlieheAnschauung  mit  ihrer 

steine,  Alraunwurzeln.  Gleichgültigkeit  gegeu   das  ReaJe- 

Renalssance-Stll.     Schon   um  ihrem  Hange  zu  phantastischer  W ill- 

das  Jahr  1420 griffen  die  italienischen  kür  in  vielen  Städtebildern  zeigt 

Architekten,  die  den  gotischen  Stil  iNinive,  Damaskus,  Babylon,  Athen 

nur  äusserlich   aufgenommen  und  sehen  aus  wie  mittelalterliche  Städte 

selbst   innerhalb   seiner  Tradition  und  Ninive  genau  so  wie  Korinth 

sich  bald  dem  Rundbogen  wieder  Damaskus   wie   Neapel,  Perugia, 

zugewendet  hatten,  mit  ßewusstsein  Verona,  Siena,  Mantua,  Ferrara).  so 

zu  den  antiken  Formen  zurück,  um  bemerkt  man  doch  in  andern  einen 

eine  „Wiedergeburt44  der  Baukunst  gewissen  Sinn  für  Wirklichkeit,  wi* 


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Renaissance-Stii. 


831 


in  den  Bildern  von  Nürnberg,  Würz-  von  Detail*  dieser  Art  wahrhaft 
bürg,  Venedig,  Florenz  u.  s.  w.,  überströmen.  Aldegrever,  Altdorfer, 
namentlich  aber  die  Neigung,  die  Peucz,  SchäutFelin,  Hans  Sebald  Be- 
dargestellten Gebäude  in  Kenais-  ham  sind  die  Vertreter  dieser  Epoche, 
sanceformen  zu  kleiden.  Gleichzeitig    mit    der  Malerei 

Mit  dem  Begiun  des  16.  Jahr-  wendet  sich  auch  die  Plastik  dem 
hunderts  tritt  eine  neue  Generation  neuen  Stile  zu,  und  gerade  an  einem 
von  Künstlern  auf  den  Schauplatz,  der  grössten  Meister  läsat  sich  der 
welche  ihre  Anregungen  direkt  aus  Umschwung  der  Anschauungen 
Italien  holt  und  der  Renaissance  den  deutlich  nachweisen.  Es  ist  Peter 
Eingang  in  die  deutsche  Kunst  bahnt.  Vucher  von  Nürnberg  mit  seinem 
Der  Vorrang  gebührt  hier  der  Augs-  Hauptwerk  ,  dem  Sebaldusgrab  in 
burger  Schule,  wo  Hans  Burgkmai  r  St.  Sebald  ,  welches  so  vollständig 
einer  der  ersten  ist  ,  welcher  die  wie  kein  anderes  die  Verschmelzung 
Kunst  des  Südens  nach  Norden  zu  des  neuen  Stils  mit  der  Gotik  zeigt, 
verpflanzen  sucht.  Ihm  schliesst  Während  die  Erzarbeit  durch  diese* 
sich  die  Familie  Holbein  an,  vorerst  Meisterwerk  rasch  und  entschieden 
mit  Hans  Holbein  dem  ältern,  na-  dem  neuen  Stile  zugeführt  wird, 
mentlich  aber  mit  Holbein  dem  verharrt  die  Steinskulptur  und  mehr 
jüngern.  der  vollständig  mit  dem  noch  die  volkstümliche  Holzschnitze- 
Mittelalter  bricht  und  sich  dem  rei  bis  tief  ins  16.  Jahrhundert  bei 
neuen  Stile  mit  Entschiedenheit  zu-  den  Formen  der  Gotik.  Die  Haupt- 
weudet,  nicht  nur  in  zahlreichen  meister  dieser  Kunstzweige,  Jorg 
Gemälden  seiner  Hand,  sondern  Syrlin  von  Ulm,  Veit  Stoss  und 
auch  in  den  bekannten  Faeade-  Adain  Krafft  bleiben  unentwegt  auf 
maiereien,  aber  auch  in  Entwürfen  den  Bahnen  des  Mittelalters,  wenn 
zu  Glasgemälden  und  Gegenständen  sich  auch  in  ihren  Werken  ein  or- 
des  Kunstgewerbes.  Ganz  anders  freuliches  Ringen  nach  Naturwahr- 
gestaltet  sich  das  Verhältnis  zur  heit  deutlich  zeigt.  <Jeringen  Ver- 
italienischen Renaissance  bei  dem  such  in  Anwendung  der  Reuaissance- 
Hauptvertreter  der  fränkischen  formen  macht  Tilmau  Riemenschnei- 
Schule:  Albrecht  Durer.  Erstrebt  der  von  Würzburg.  Am  entschieden- 
weniger  als  Holbein,  sich  die  Formen-  sten  dringt  der  neue  Stil  an  Grah- 
welt  der  italienischen  Renaissance  mälern  vor,  die  in  zwei  Formen  auf- 
zu  eigen  zu  machen.  Die  Haupt-  treten,  entweder  als  Wandgrab,  von 
sache  ist  bei  ihm  getreue  Nach-  einer  reichen  und  kräftigen  Archi- 
ahmung  der  Natur.  Dass  er  aber,  tektur  eingerahmt,  mit  stehenden 
wo  es  ihm  darauf  ankam,  die  an-  Gestalten  der  Verstorbenen,  oder 
tiken  Formen  zu  beherrschen  wusste,  als  Freigrab,  welches  den  Toten 
erkennen  wir  aus  seiner  herrlichen  auf  prachtvoll  geschmücktem  Sarko- 
Handzeichnung  des  Basler  Museums  phage  liegend  darstellt, 
von  1509,  welche  die  Madonna  mit  Die  Chöre  der  Kirchen  zu  Wert- 
dem  Kinde,  sitzend  in  einer  pracht-  heim,  Pforzheim,  Tübingen,  Stutt- 
vollen  Halle  mit  korinthischen  Säulen,  gart,  Freiberg  bergen  eine  Menge 
darstellt.  derselben.    Namentlich  das  pracht- 

Inz wischen  wird  die  Strömung  volle  Monument  des  Kurfürsten 
der  Renaissance  mächtiger  und  Moritz  von  Sachsen  in  Freiberg  ge- 
die  Lust  am  reizenden  Spiel  hört  zu  den  bedeutendsten  Leistungen 
ihrer  Formenwelt  verbreitet  sich  I  der  Renaissance.  Bereits  ganz  seib- 
unter den  deutschen  Künstlern  bald  ständig  tritt  die  Plastik  an  dem 
so  allgemein,  dass  die  Gemälde,  Kup-  Grabmonument  des  Kaisers  Max  zu 
ferstiche  und  Holzschnitte  etwa  seit  Innsbruck  auf. 


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832 


Renaissance-Styl. 


2.  Renaissance  in  der  Architektur,  urnfasst  die  frühesten  Versuche,  die 
Während  so  in  den  bildenden  Kün-  neue  Bauweise  auf  deutsehen  Boden 
sten  die  Renaissance  bereits  festen  zu  übertragen.  Hierher  gehören  die 
Fuss  gefasst  hatte,  war  das  Mittel-  Denkmäler,  die  zwischen  1520  und 
alter  in  der  Architektur  zu  Anfang  des  1 550  entstanden  sind.  Der  Charakter 
16.  Jahrhunderts  noch  keineswegs  derselben  fusst  auf  einer  naiven  An- 
abgethan.  Namentlich  beim  Kirchen-  eignung  der  Frührenaissance  Ober- 
bau begnügte  man  sich  noch  lange  italiens.  namentlich  Venedigs.  Das 
mit  gotischen  Konstruktionen  und  Dekorative  waltet  vor  und  zwar  in 
Formen,  und  selbst  im  17.  Jahrhun-  dem  leichten  zierlichen  Gepräge 
dert  lassen  sich  gotische  Einzel-  eines  überwiegend  vegetativen  ur- 
heiten,  namentlich  Portale  nach-  naments  von  ßlumenranken,  durch- 
weisen.  webt  mit  Masken  und  anderem  Figur- 

Mit  Macht  beginnt  etwa  seit  der  liehen,  dessen  Ausführung  indessen 

Mitte  des  Jahrhunderts  die  Renais-  den  deutsehen  Steinmetzen  selten 

sance  sich  aller  Orte  in  Deutsch-  recht  gelingen  will.    Die  selbe  tan- 

land  auch  in  der  Architektur  aus-  digen  Glieder  der  Architektur,  na- 

zubreiten.    Seit   dem  Augsburger  mentlieh  die  Säulen  mit  ihrem  Zu- 

Religionsfrieden  1 1 555 )  begann  das  behör,  werden  ohne  genaueres  Ver- 

Reieh  sich  »von  den  Religionskämpfen  ständnis,  unsicher  und  seh  wankend 

zu  beruhigen,  welche  Ruhe    erst  gehandhabt.    Daneben    spielt  da« 

durch  den  Ausbruch  des  30  jährigen  Gotische  in  Gliederungen  und  Detail*. 

Krieges  ihr  Ende  finden  sollte.    In  in    Thür-    und  Fenstergewänden, 

diesen  60  Jahren  fast  ununterbroche-  Treppen  und  dergl.  immer  noch  eine 

neu  Friedens,  wo  Handel  und  Ver-  grosse  Rolle. 

kehr  blühte,  ein  neues  geistiges  Die  zweite  Phase  der  Entwieke- 
Leben  sieh  überall  regte,  entwickelte  hing  beginnt  um  die  Mitte  des 
sich  nun  auch  die  deutsche  Renais-  Jahrhunderts.  Man  hat  durch  Lehr- 
sance  in  ihrer  ganzen  Fülle.  Hätte  bücher  die  antiken  Formen  besser 
Deutschland  einen  dominierenden  kennen  gelernt.  Die  schwankende 
Königshof  besessen,  wie  Frankreich,  Unsicherheit  tritt  zurück,  aber  für 
so  würde  der  Gang  seiner  Renais-  eine  wahre  Ausbildung  der  Arehi- 
sance  ebenso  einfach  und  übersichtlich  tektur  fehlten  bedeutende,  tonan- 
sein, wie  dort.  Während  dort  sich  gebende,  führende  Meister.  Ein 
die  einzelnen  Epochen  nach  den  Regie-  jeder  suchte  in  seiner  Weise  iu 
rungszeiten  der  einzelnen  Könige  dem  Chaos  verschiedener  Former) 
gliedern,  ist  die  Bewegung  in  Deutseh-  sich  zurechtzufinden.  Neben  den 
fand  eine  viel  mannigfaltigere  und  Elementen  der  klassischen  Archi- 
kompliziertere.  tektur  und  den  Reminiszenzen  der 

Die  geistige  Konfiguration  des  Gotik   stellten   sich  _  zugleich  die 

deutschen  Kulturlebens  Desteht  auch  frühen  Vorboten  des  beginnenden 

jetzt  aus  einer  Anzahl  gesonderter  ßarokstils  ein.  Dies  alles  beding! 
provinzieller  Gebiete,  die  fast  bis ,  eine  Mischung,  welche  nicht  immer 

zum  Eigensinn  ihre  Originalität  und  glücklich  ausfiel ,  gleichwohl  aber 

Selbständigkeit  behaupten.  doch  in  einigen  Meisterschöpfungen. 

Von  einer  stetig  fortschreitenden  wie  in  dem  Otto  Heinrichsbau  in 

historischen  Entwicklung  ist   des-  Heidelberg,  sich  bedeutsam  ausgv- 

halb    bei  der    deutschen    Renais-  prägt  hat. 

sance  wenig  zu  spüren,  wenn  sich  |      Diese  Stilentwickelung  geht  dann 

auch  etwa  drei  verschiedene  Stadien  unmerklich  in  die  dritte  Stufe  über, 
in  der  Nüancierung  dieses  Stiles  ;  In  ihr  gewinnt  alles  einen  derberen 
unterscheiden.    Die   erste   Epoche  i  Ausdruck,  die  Formen  häufen  sich 


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833 


Fig.  128.    Vom  Kanzleigebitude  in  Überlingen. 
&«*l!exlcon  der  deutschen  Altertümer.  53 


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834 


Renaissance-Stil. 


nicht  selten   bis  zur  Überladung,  ist.  Dem  unteren  Teil  des  Schafte«, 
Barokes  und  Willkürliches  mischt  der  durch  einen  Ring  begrenzt  ist. 
sich  ein,  besonder»  die  Ornamentik  gibt  man  deshalb  in  der  Kegel  rei 
verläset   den  feinen  Grundzug  der  ches  plastisches  Ornament,  aus  wel 
früheren  Zeit  und  wendet  sich  wie-  ehern  dann  wohl  Löwenköpfe  und 
der  einem  Spiel  mit  geometrischen  dergleichen  aus  der  Mitte  vorsprin- 
Formen    unu    einer   Nachahmung  gen.    Dergleichen  Säuleu  zeigt  ein 
fremdartiger  Ornamente,  namentlich  Portal    an    der  Kanzleistrasse  zu 
aus  dem  Bereiche  der  Schiniedear-  Stuttgart,  das  Portal  des  Kanzle: 
beit,  zu.    Mit  dem  Ausbruch  des  gebäudes  in  Uberlingen    und  da? 
d reissigjährigen  Krieges  findet  auch  Portal  des  Schlosses  zu  Tübingen 
<lie8e  Entwickelung  ihr  Ende,  und  Die  spätere  Zeit  wendet  sich  mi' 
der  französische  Stil  Louis  XIV.  Vorliebe  den  einfacheren  Säulen 
tritt  in  die  Lücke  ein.  Ordnungen,  namentlich  der  dorischci 

a)  Die  Detailformen.  Um  nun  und  tosKanischen  zu.  Fig.  12S.  J'o'- 
im  einzelnen  den  Charakter  der  tal  vom  Kanzlevjelxiude  in  llxrr 
deutschen  Renaissance  zu  schildern,  lingen  {Lübke,  Geschichte  drr  K- 
ist  vorab  mit  der  Behandlung  der  naUsance). 

Details  zu  beginnen.  Was  zunächst       In  ganz  anderer  Weise   als  b. 
den  Säulenbau  betrifft,  so  gibt  es  keine  Portalen,    (irabmälern  ,  Brunter 
grössere  Anzahl  von  Varietäten  als  u.  s.  w.  wird  die  Säule  da  behau 
die  deutsche  Renaissance  sie  bietet;  delt,  wo  sie  eine  ernsthaftere  Firni 
es  wimmelt,  namentlich  iu  Zeich-  tion  zu   erfüllen    hat ,  besonder 
nungen  und  Holzschnitten,  von  einer  bei  Arkaden,  wie  sie   namenrli  t 
fast  unabsehbaren  Mannigfaltigkeit  in   Schlosshöfen  vorkommen,  fr 
der  Formen,  so  voll  von  Willkür,  dingt   durch    die    niedrige  Stod 
dass  es  sich  einer  systematischen  werkshöhe  wird  die  Säule  stamiroj 
Analyse  vollständig  entzieht.    Aber  und  gedrungen  gebildet,    mit  fn  ier 
die  meisten  hielten  alle  diese  oft  Umgestaltung  der  antiken  Verbiß 
wunderlich  angethanen  Formen  für  nisse.    Gerade  dadurch    aber  p> 
wirkliche  Renaissance,  und  manches  winnt  sie  oft  den  Charakter  eins 
drang  in  die  monumentale  Archi-  eigentümlichen   kraftvollen  Sclx-c 
tektur    ein,    so    namentlich  jene  heit,   so  in  trefflicher   Weis*-  in 
prlanzenhafte  Behandlung  der  Säule,  Schlosshofe    zu    Stuttgart.  NVt 
welche  dem  Schaft  in  seinem  un-  derber  ist  die  Behandlung  der  SaU 
teren  -Teile  eine  Ausbauchung  gibt  len  im  alten  Münzhof  in  Münchs 
und  dieselbe  mit  gezacktem  Blatt-       Endlich  sind  noch  jene  Fälle  zz 
werk  umkleidet,  die  Basis  ebenso  nennen,  wo  die  Säule  vereinzelt  m 
willkürlich  aus  knollig  geschwellten  Anwendung  kommt,  namentlich  br. 
Gliedern  zusammensetzt  und  auch  Brunnen,  aber  auch  bei  Mariensaa- 
das  Kapitäl  in  einer  Mischung  von  len-  u.  s.  w.    Hier  wird  sie  frei  na<; 
mittelalterlichen  und  unklar  aufge-  dem  Schönheitsgefühl   des  Küß.-' 
fassten  antiken  Motiven  behandelt  lers  gestaltet,  so  an  dein  schock 
iwie  z.  B.  am  Erker  vom  Schlots  Brunnen  in  Nürnberg,  einem  Brti> 
Hartenfels  zu  Torgau  i.  Neben  die-  neu   zu  Gmünd   uud  Rothenberg 
sen   unklar  spielenden  Formen  er-  Streng  klassisch  ist  die  Marien**! 
scheinen    indessen    auch    andere,  iu  München  behandelt,  originell  di- 
welche  mit  grösserer  Sicherheit  die  Säule  an  der  alten  Kanzlei  in  Stirn 
Elemente   der  Renaissance  zur  Er-  gart,    welche   eine  Wendeltre-Y- 
scheinung  bringen,  wenn  auch  bei  birgt. 

ihnen  ein  starker  Hang  zu  orna-  l^ie  Behandlung  der  Jitattr 
mentaler    Behandlung   vorwiegend  schliesst  sich   in  (Ter  Regel  derj*- 


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Renaissance-Stil. 


835 


nigen  der  entsprechenden  Säulen-  Otto  Heinrichbaues  in  Heidelberg. 

Stellungen   an.     Meistens  kam-llirt  Fig.   129.     Sc/iloss   zu  Heidelberg 

man  sie,  aber  eben  so  oft  werden  (Kunsthistorisehe  Bilderbogen), 

sie  mit  einein  Rahmen  umgeben.  Gegen  Ausgang  der  Epoche  wird 


Die  Flächen  erhalten  Ornamente  es  beliebt,  die  l'ilaster  eutweder 
von  Blättern,  in  deren  Raukenwerk  ä  la  Rnstica  mit  Bossagen  zu  be- 
sieh Figürliches  mischt.  Beispiele  handeln,  oder  sie  nach  unten  ver- 
dieser  Art  zeigt   die  Faeade   des  jüngt  als  Hermen,  häufig  mit  schup- 

53* 


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836 


Renaissance-Stil. 


Denartiger  Behandlung  aufzufassen,  bau   im   allgemeinen  durchmacht 

Noch  öfter  bekleidet  man  den  un-  Portale  mit  geradem  Sturz  gehören 
teren  Teil  des  Sehaftes  ähnlich  wie  I  zu  den  Ausnahmen ,  Regel  ist  der 
die  Säulen  mit  spielendem,  Metall-  j  Kundbogen,  obwohl  bisweilen,  wie 

beschlagen   ähnelndem    Ornament,  am    Rathaus    in  Mühlhausen,  der 

Das  Barockste  ist,  wenn  plötzlich  in  Spitzbogen   oder   wohl    auch  der 

der  Mitte  des  Schaftes  sich  ein  Teil  Flachbogen  vorkommt.  Anfang  ohne 

desselben    vom  (»runde   zu  lösen  viel  Zierat,  umrahmt  sich  das  Por- 

beginnt  und  in  starker  Ausbauchung  tal  nach  der  Mitte  des  Jahrhunderts 

vorspringt,  um  sich  dann  voluten-  mit  den  antiken  Säulenordnungen, 

artig  dem  Schafte  wieder  auzuchlies-  wie  die  Portale  zu  Überlingen,  zu 

sen.     Beispiele    derart    zeigt    die  Stuttgart,  zu  Danzig,  Rothenburg. 

Kapelle  in  Liebeustein.    Daneben  Eine  kräftige,  oft  reich  geschmückte 

macht  die  Spätzeit  besonders  unge-  Konsole  bezeichnet  den  Schlussstein 

mein  ausschweifenden  Gebrauch  von  des  Bogens,   Ornamente  vegetabi- 

Hermen  und  Karyatiden,  und  zwar  lischer  und  figürlicher  Art  schmücken 

nicht  bloss  mit  nach  unten  verjüng-  die  Zwickel  und  die  Flächen  der 

tem  Schaft,  sondern  auch  mit  aller-  Archivolte.  wie  auch  des  Friese*, 

lei    phantastischen    Verzierungen.  Für  die  obere  Bekrönung  begnügt 

Dagegen   macht  sich  zuletzt  eine  man  sich  vorerst  mit  dem  einfachen 

Reaktion  geltend,  welche  den  Pi-  Giebel,   später  wird  derselbe  oft 

laster  in  strengerer  Weise  als  struk-  in   barocker  Weise  durchbrochen, 

tives  Glied  mit  straffer,  meist  etwas  oder  es  wird  —  besonders  wo  ein 

verjüngter    Bildung   des   Schaftes  Fenstcraystem  mit  dem  Portal  ver- 

aunasst.  hunden  werden  soll  —  ein  attika 

Der  selbständige  Pfeilerbau  fin-  artiger  Aufsatz  mit  Pilastern  und 

det  sich  hauptsächlich  bei  den  Ar-  Seitenvoluten  und  nicht  selten  mit 

kaden  der  Höfe  angewendet,  wie  reicher  Bekrönung  angebracht.  Mit 

in  der  Residenz  in  Freising,  dem  dieser  Form  des  Portals  kam  man 

Pellerhaus  in  Nürnberg  und  in  der  bei  allen  Gebäuden,  kirchlichen  un  1 

Trausnitz  bei  Landshut.    Fig.  130.  profanen  aus;  als  eine  Ausnahm 

Hof  im   lJellerhaus   in   yürnberg  erscheint  es,  wenn  dem  Hauptpomi 

(Lübke,  Geschichte  der  Renaissance),  ein  kleineres  für  Fussgänger  beise 

Die  Behandlung  des  Rogens,  mag  geben  ist,  vielleicht  ein  Einfluß 

derselbe  mit  Säulen  oder  Pfeilern  des  französischen  Schlossbaues.  Du 

verbunden   sein,    klingt   noch    in  |  Anordnung    findet    man    an  det 

manchen  Teilen  ans  Mittelalter  an.  Schlössern  zu  Stuttgart  und  Tübfo- 

Zwar  verdrängt  der  Rund- und  Flach-  gen,  dem  Piastenschloss  zu  Brief, 
bogen  allmählich  den  Spitzbogen,       Die   Behandlung    der  JFetut^ 

allein  die  Profilierungen  sind  noch  hat  manche  Verwandtschaft  mit  dec 

ganz  im  Sinne  des  Mittelalters  Ab-  j  Portalbau,  zei^t  aber  eine  grösser^ 

fassungen  und  Auskehlungen.    In-  Mannigfaltigkeit    in  Vernuschoni: 

dessen  gewinnt  auch  hier  die  An-  mittelalterlicher  Formen  mit  deneti 

tike    mit    ihren    rechtwinkeligen  des  neuen  Stils.  Spitzbogen,  FUuh 

architravierten  Formen  das  Über-  bogen,  Rundbogen  und  gerader  Stur: 

gewicht,  sei  es,  dass  man  dieselben  kommen  gleicnmässi^    vor.  Aucb 

bloss  durch  Profil  wirken  läset  oder  hier  sind  zuerst  die  mittelalterlichen 

dass  man  auch  den  Bogen  völlig  Profile  beliebt,  wie  am  Tucherhau? 

mit  Ornamenten  bekleidet,  wie  auf  in  Nürnberg.    Antikisierende  Ein 

der  Plessenburg.  fassung  mit  Architravprofilen  zeärt 

Der  Portalbau  nimmt  an  den  das  Piastenschloss  zu  Brie$*.  JnVi- 

Wandlungen  Teil,  welche  der  Bogen-  stens  sind  die  Fenster  ungeteilt,  >c 


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Renaissance-Stil.  837 


Fig.  130.    Hof  im  Pellerhaus  in  Nürnberg. 


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838 


Renaissance-Stil. 


dass  die  kleinen  runden,  in  Blei  ge- 
fussteu  Scheiben  bloss  durch  hölzern»- 
Rahmen  gehalten  werden.  Bei 
stattlicheren  Anlagen  wird  das 
Fenster  durch  einen  mittleren  Stein- 
pfosten geteilt,   der   häufig  einen 


Doppelfenstern  begegnet  man  auch 
dreifachen  mit  erhöhtem  Mittel- 
feuster,  ia  bisweilen  kommen  grup- 
piert«' Rundbogenfenster  vor,  WK 


pierte  ttunubogei 
am  Rathaus  in  Konstanz. 

Besonders  bezeichnend  für 


Iii  III  WlD  ' 

il"'  l'i  'i'llüll! 

Flg.  131.    Steinoroament  vom  ehemaligeu  Lusthaus  in  Stuttgart. 


Schmuck  von  Hermen  und  Karya- 
tiden erhält,  wie  am  Heidelberger 
Schlossbau.  Die  Friese  erhalten 
reichen  Ornamentschmuek.  und  über 
dem  Gesims  wird  entweder  eine 
fr«'ie  plastische  Bekrönnng  oder  ein 
einfacher,  wohl  mit  Masken  ge- 
schmückter Giebel  angeordnet  Auch 
durchbrochene  Giebel  kommen  in 
der  Spätzeit  auf.     Neben  diesen 


gesammte  deutsche  Renaissance  i?1 
<iie  Bildung  des  Ornaments.  As*" 
gehend  von  der  Ornamentik  der  ita- 
lienischen Frührenaissance,  welche 
durch  rhythmischen  Schwung  umi 
klaren  Fluss  der  Linien,  sowie  durch 
anmutige  Verteilung  im  Räume  sk* 
auszeichnet,  wird  diese  grazi«»9c  Or- 
namentik gegen  Mitte  des  Jahrhun- 
derts  immer  mehr  zurückgedrängt 


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831) 


und  schliesslich  ganz  beseitigt.    Aus  sich  eine  maunigfache  Anwendung 

dem    italienischen   Barocco  dringt  von    Voluten    und    ähnlichen  ge- 

vorerst  schon  früh  das  sog.  Kar-  schwungenen  Linien,    in    welchen  • 

touchenwerk  nach  Deutschland:  auf-  wiederum  der  Hang  zum  Geometri- 

ferollte,  abgeschnittene,  mit  ihren  sehen  hervortritt.  (Residenz  in 
Inden  scharf  herausgrbogene  und  |  München), 
frei  vorspringende  Bänder,  die  einer  j  bl  Facadenentwicklunrj.  Noch 
biegsamen  Masse  nachgebildet  sind  scharfer  prägt  sich  die  deutsche 
und  ihre  Entstehung  wahrscheinlich  Eigentümlichkeit  aus  in  der  Koinpo- 
Augeublicksdekorationrn  verdanken,  sition  der  Faeaden.  Während  in 
In  Deutschland  besonders  verbindet  Italien  der  Horizontalismus  der  »II- 
sich  nun  dieses  Ornament  mit  einer  gemein  herrschende  war,  geht  in 
Flächendekoration,  die  ihre  Motive  Deutschland  der  Fac,adenbau  auf 
aus  der  glänzend  betriebenen  die  Form  des  mittelaltcrlichenBürger- 
Schlosser-  und  Schiniedekunst  her-  hauses  zurück.  Hoch  und  schmal 
leitet  und  aufs  Genaueste  den  Stil  aufragend  kehrt  das  Haus  in  der 
von  Metallbesehlägen  nachahmt,  so-  Regel  seinen  steilen,  meistens  abg«- 
gar  die  Nieten  und  Nägel  werden  treppten  Giebel  der  Strasse  zu.  Ila- 
getreuliehst  wiedergegeben.  Das  durch  bleibt  der  Hochbau  mit  aus- 
figürliche Element  aoer  macht  sich  gesprochener  Vertikal teudenz  das 
namentlich  in  Köpfen  und  Masken  Prinzip  der  deutschen  Renaissance, 
geltend.  Fig.  131.  Steinovnament  In  der  Gliederung  der  Faeaden  über- 
rom  ehemaligen  Liuttfiau*  in  Stuft-  wiegt  anfangs  noch  das  mittelalter- 
fjart  (Kunsthistorische  Bilderbogen ).  liehe  Prinzip  ruhiger  Flächen,  welche 
Wie  üppig  diese  Ornamentik  auch  durch  zahlreiche,  meist  gotisch  pro- 
bei  kleineren  Prachtstücken  vom  filierte  Fenster  durchbrochen  werden, 
Holzschnitzer  verwendet  wurde,  zeigt  die  zu  zweien  oder  dreien  gruppiert 
die  Säule  von  einem  Altar  aus  Über-  nur  durch  das  Kaffgesimse  mit  einan- 
lingen.  der  verbunden  werden.  Bald  werden 
Die  Ornamentik  ist  die  Stärke  dieantikenOrdnungenzurGliederung 
und  Schwäche  der  deutscheu  Re-  der  Facade  verwendet,  wenn  auch 
naissance.  Einerseits  spricht  sich  meist,  wegen  der  Niedrigkeit  der 
in  ihr  eine  Fülle  von  Phantasie,  Stockwerke,  in  verkrüppelter  Gestalt. 
Originalität,  eine  gewisse  Kraft  und  In  der  Regel  begnügt  mau  sich  mit 
kecke  Derbheit  aus,  andernteils  aber  Pilasterstellungen,  wobei  man  in  der 
zeigt  sie  auch,  wie  tief  der  Hang  zu  Anwendung  der  einzelnen  Systeme 
geometrischen  Formspielen  und  mitgrosser  Willkür  verfährt.  Fig.  132. 
Künsteleien  im  deutschen  Geiste  l'elurhaux  in  Samberg  (Kunst- 
steckt. Derselbe  Zug  hatte  in  der  historische  Bilderbogen), 
gotischen  Zeit  zuletzt  alles  in  Mass-  Am  wichtigsten  für  die  Wirkung 
werk  aufgelöst,  derselbe  Sinn  bringt  der  Facade  ist  die  Behandlung  des 
die  Architektur  unter  die  Herrschaft  Giebels.  In  freier  Umbildung  der 
des  Metallstiles.  abgetreppten  Form  wird  er  mit  Vo- 
Doch  verdrängt  er  das  freiere  luten,  hornartigen  Schweifen  und 
Ornament  nicht  ganz.  Besonders  andern  phantastischen  Formen  uin- 
in  der  Stuckdekoration  und  den  tre-  kleidet,  wobei  namentlich  wieder  die 
malten  Verzierungen  behält  das  Nachahmung  von  Metallbeschlägen 
Vegetative,  gemischt  mit  Figürlichem  eine  grosse  Rolle  spielt.  Die  Giebel- 
die  Oberhand,  aber  auch  hier  wird  wand  wird  in  der  Kegel  mit  Pilaster- 
die  zierliche  Vortragsweise  der  ersten  Stellungen  gegliedert  und  durch 
Zeit  verlassen  und  die  Formen  grösser  kräftige  Gesimse  in  mehrere  Ge- 
und  breiter  gemacht.    Dazu  gesellt  schösse  geteilt.  Auf  die  vorspringen  - 


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840 


Renaissance-Stil. 


den  Ecken  werden,  in  freier  Umbil-  man  setzte  sogar,  allerdings  nur  ao*- 
dung  gotischer  Fialen .  Obelisken,  nahmsweise.  kleine  Giebel  auf.  wenn 


Kitf.  132.     l'ellers  Hau»  in  Nürnberg. 

"<l<  r    : t n c •  i i    wohl    Kup-ln    ur-  >t«'llt.  <\:i>  Hau.-  mit  «ler  I.  -: 

I  >ie  Mannigfaltigkeit  in  Ausbildung  der  Strasse  lag:  die  Regel  va*1 

8<»kher  Hiebcl  ist  überaus  gross,  ja  vielmehr,  da.*  Dach  unmaski-frt 


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Renaissance-Stil. 


841 


Fig.  133.    Zeughaus  in  Danzig. 


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842  Renaiasance-Stil. 

zeigen  um!  es  etwa  durch  buntfarbige  sodann  aus  Verbindung  des  Backstein- 
Ziegel  zu  dekorieren,  wie  am  Rathaus  rohbaus  mit  dem  Quaderbau,  w  obei 
zu  Mühlhausen.  die  Flächeu  aus  im  verputztem  Back- 
Den  Hauptreiz  erhalten  die  Facaden  stein  bestehen,  die  konstruktiven 
durch  die  ebenfalls  echt  nordische  Glieder  aber  in  Haustein  gebildet 
Eigentümlichkeit  des  Erkers.  Wenn  werden.  Die  Heimat  dieses  Stils  Ist 
es  irgend  angeht,  legt  mau  denselbeu  in  den  Niederlanden,  alleine*  verbrei- 
in  die  Mitte  der  Facade,  doch  kommt  tete  sich  derselbe  rasch  nach  Xord- 
er  auch  häufig  in  unsymmetrischer  deutschland,  England  und  Dänemark. 
Lage  vor,  wie  am  Hause  zum  Ritter  Noch  grössere  Ausdehnung  hat 
in  Heidelberg.  Wo  aber  ein  Ge-  eine  dritte  Art  architektonischer  Be- 
bäude  eine  frei  heraustretende  Ecke  handlung,  welche  in  hervorragender 
bildet,  da  wird  diese  sicherlich  zur  Weise  einen  deutschen  Charakter 
Anlage  des  Erkers  ausersehen,  der  tragt:  die  Verwendung  der  Holz- 
nun  entweder  in  rechtwinkliger  konstruktionin  Verbindung  mit  Stein. 
Form  überecks  vorgelegt  wird  oder  im  Fachirerlxhau  i  siehe  Artikel:  Holz- 
sich kreisförmig  oder  noch  häufiger  arehitektur»  ge  fluiden.  Namentlich 
polygen  entwickelt  Die  Auskragung  sind  in  den  Städten  wie  Braunschweig, 
wird  stets  durch  mehr  oder  min-  llildesheim,  Goslar  u.  a.  noch  zahl- 
der  reiche  antike  Gesimse  geglie-  reiche  Beispiele  vorhanden.  Fig.  133. 
dert,  welche  unten  auf  einer  Säule  Zeughaus  in  Danzig  (Lii}tkey  Ge- 
ruhen.  schichte  der  (hufsehen  Renaissance  <. 

In  den  norddeutschen  Niederungen  Endlich  ist  noch  einer  andern 
war  schon  zu  gotischer  Zeit  der  Gattung  von  Facaden  zu  gedenken. 
Backsteinhuu  weit  verbreitet;  dort  derpemn Ifen  Facaden.  Zu  den  ersten, 
bleibt,  wenn  auch  nicht  mehr  in  der  welche  diese  Sitte  künstlerisch  aus- 
Ausdehnung wie  im  Mittelalter,  in  geprägt  haben,  gehört  Hans  Holbein, 
der  Zeit  der  Renaissance  sein  Haupt-  En  den  meisten  Fällen  hatte  die 
sitz.  Von  einem  Übergangsstil  ist  Facaden  maierei  die  Aufgabe,  die 
bei  diesen  Bauten  wenig  zu  ver-  Unregelmässigkeiten  des  Aufbaus 
spüren.  Die  sehulgemässe  Verweu-  zu  verdecken,  indem  sie  das  Gerüst 
düng -der  antiken  Formen  hatte  sich  einer  idealen  Architektur  über  die 
bereits  weit  verbreitet,  als  diese  Ge-  Fläche  warf,  und  dasselbe  nicht  bloss 
genden  die  Renaissance  aufnahmen,  mit  ornamentalen  Gebilden,  sondern 
Da  dieselben  aber  vom  Quaderbau  auch  mit  figürlichen  Kompositioneii 
ausgegangen  waren,  verfiel  man  in  ausfüllte.  DerküustlerischeCharakter 
steinarmen  Gegenden  auf  Nachbil-  dieser  Darstellungen  wurzelt  in  einer 
dung  derselben  in  Stuck,  wenn  man  kräftigen  Polvchromie.  Dazu  kom- 
aich  nicht  zu  dem  Luxus  verstieg,  men  allerlei  perspektivische  Tau- 
Steine  von  fernherkommen  zu  lassen,  schungen,  gemalte  Gallerien  mit 
Der  heimischen  Bauw  eise  blieb  man  neugierigen  Zuschauem,weite Bogen- 
einzig  in  Mecklenburg  treu  und  er-  hallen  mit  landschaftlichen  Hinter- 
richtete eine  Anzahl  prächtiger  Ge-  gründen  etc.,  so  dass  diese  Facaden 
bände,  bei  welchen  man  die  Flächen  das  Gepräge  eines  heitern  Lebens 
zwar  mit  Putz  verkleidete,  aber  die  erhalten.  Fig.  134.  Haus  zum 
Portale  und  Fenster  mit  ihren  Ein-  ,  weissen  Adler  in  Stein  am  Rhein 
fiassungen,  die  Gesimse  und  Friese  ( Luhke,  Geschichte  der  deufjtehen  R* 
und  die  übrigen  ornamentalen  Teile  naissance).  Leider  ist  wenig  von  diesen 
in  gebrannten  Steinen  ausführte.  Das  Werken  auf  uns  gekommen.  Eins 
Hauptwerk  dieser  Architektur  ist  der  der  vollständigsten  und  reichsten 
Fürstenhof  in  Wismar.  Prachtstücke  bietet  das  Haus  zum 
Zierliche  Bauwerke  entstanden  Ritter  in  Schaffhausen. 


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Renaissance-Stil. 


843 


c)  Grundrusanlagen.  DerSchloss-  bei  Gelegenheit  der  Riugelrennen 
hau.  Während  der  italienische  Palast-  nnd  anderer  Ergötzlichkeiten,  die 
bau  der  Renais- 
sance sich  von 

aller  mittelalter- 
lichen Tradition 
zu  lösen  sucht 
und  zu  repel- 
niAssigen  klarL'e- 
gliederten  Anla- 
durchdringt, 
behalten  die  deut- 
fchen  und  tran- 

zasischen 
Schlags  bau  tri  i 
auch  fernerhin 
<k«  malerische 
öeprtce  mittel- 
aMeher  Uur- 
W:  eine  un- 
rcgelrnässige  An- 
bisweilen 
i*  runden  Kck- 
Brme,  die  selb- 
?n  Wen- 
>pen  mit 
Stiegen- 
?rn.  Fig.  135. 

Schlots  in 

ttaarf  ( Lübbe, 
*K»ici/e  dtr 

nep/Dieeinzel- 
»  Hügel  des 
'Wesses  grup- 
sich  um 
in  der 
unregel- 
n  fiof. 
>i«weilen  mit 
taden  umzo- 
gen wurde 
(blosser  zu 
und 


nen  i 

hin 
r  biawe 


leasenl 
lebe  te 
rbindm 


burgi. 
teil- 


der 

idung  der 
Km    Räume . 
P  aber  auch 
Schauplätze 
die  Herr- 
aften  dienten, 


i 

Haus  zum  weissen  Adler  in  Stein. 


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844 


Renaissance-Stil. 


man  in  den  Schlosshöfen  abzuhalten 

Sflegte.  Im  Innern  des  Schlosses  feil- 
et der  grosse  Rittersaal,  die  Türnitz, 
den  Kernpunkt  der  Anlage.  Die  deut- 
sche Vorliebe  fürs  Bankettieren  Hess 
diese  grossen  Säle,  die  gewöhnlich  ei- 
nen ganzen  Flügel  einnahmen,  als  den 
wichtigsten  Teil  der  Anlagen  erschei- 


Gegen  Ausgang  der  Epoche  streift 
der  Schlossbau  manche  seiner  mittel- 
alterlichen Eigenheiten  ab.  Die 
runden  Ecktürme  fallen  fort,  und 
man  liebt  es  statt  dessen  jene  hohen 
Giebel  anzubringen,  welche  der  Stolz 
der  deutschen  Architektur  sind  wie 
am  Schlossbau  zu  Aschaffenburg. 


Fig   135.    Stuttgart,  altes  Schloss. 


neu.  In  der  Nähe  des  Saales  war  die 
Kapelle  angeordnet,  in  der  Regel  in 
gotischen  Formen  gehalten.  Nament- 
lich sind  die  Wendelstiegen  der  Stolz 
der  alten  Werkmeister.  Alan  legt  sie 
in  den  Ecken  des  Schlosshofes  in  vor- 
springendenTürmen  an.  Prachtstücke 
sind  die  Treppen  in  den  Schlössern 
zu  Mergentheim  und  zu  Göppingen. 


Neben  dem  Schlossbau  steht  in 
zweiter  Linie  das  bürgerliche  Tl'oh*- 
hau*.  Der  Grundriss  ist  schmal 
und  in  die  Tiefe  gestreckt,  ganz 
nach  Art  des  Mittelalters.  Ein 
H<>f  verbindet  in  der  Regel  da* 
Vorderhaus  mit  den  Hintergebäu- 
den. Hölzerne  Gallerien  vermitteln 
die  Verbindung,  an  deren  Stell? 


Goog 


Renaissance-Stil. 


845 


bisweilen  steinerne  Arkaden  treten  j 
(Pellerhaus     in   Nürnberg).  Die 
Treppen  sind  stets  als   steinerne  i 
Wenaelstiegen  in  den  Ecken  der ! 
Höfe  angebracht  und  mit  den  Galle- 
rien  in  Verbindung  gesetzt.    In  den  | 
meisten  Fällen  bleiben  diese  deutschen 
Hofanlagen  eng  und  schmal. 

Von  den  städtischen  Gebäuden 
stehen  die  Rathäuser  in  erster  Linie. 
Im  Gegensatz  zu  den  italienischen, 
werden  die  Fa<;aden  geschlossen  I 
behandelt  und  nur  durch  grosse  j 
Freitreppen ,.  wie  in  Heilbronn,  aus-' 
gezeichnet.  In  solchen  Fällen  wird  | 
das  Erdgesehoss  gewöhnlich  mit  i 
Bogenhallen  auf  Pfeilern  angelegt 
und  als  Waarenlager  und  zu  ahn- 
lichen Zwecken  verwendet.  Im 
Hauptgeschoss  zieht  sich  vor  dem 
Kats-  und  Gerichtssaal  in  der  Hegel 
ein  grosser  Vorplatz  hin.  Kir 
Bureaus  und  Schreiberzwecke  waren 
DUZ  wenige  Räume  erforderlich. 
Deshalb  wirkt  das  Innere  durch  die 
paar  grossen  Räume,  den  Vorplatz 
und  den  Hauptsaal,  höchst  bedeutend. 
Die  Treppe  liegt  in  der  Regel  als 
Wendelstiege  in  einem  vorspringen- 
den Turm.  Erst  später  werden  die 
Treppen  ins  Innere  gezogen  und  mit 
geraden  Läufen  und  Podesten  an- 
gelegt. Wo  aber  die  Treppentürme 
bleiben,  erhalten  sie  eine  meist 
kuppelartige  Bedachung,  welche 
den  schlanken  mittelalterlichen  Hel- 
men schnurstracks  entgegengesetzt 
sind  und  oft  durch  originell  ge-  j 
8chwungenen  Umriss  eine  malerisch 
pikante  Wirkung  gewinnen. 

d)  Innendekoration.    Die  künst- 1 
lerische  Ausbildung  des  Innern  be- 
wegt sich  bei  allen  Profanbauten 
der  Renaisssance  in  ziemlich  über-  j 
einstimmender  Richtung.    Was  zu- 
nächst die  Deckenbildung  betrifft, 
so  ist  die  Anwendung  von  Gewölben 
besonders    im    Erdgeschoss,  den 
Treppenräumen  und  den  Korridoren 
überwiegend  und  zwar  beinahe  immer 
in   gotischer  Form.    Die  meisten  j 
Räume  jedoch  erhalten  flache  Decken, 


zunächst  einfache  mittelalterliche 
Balkendecken.  Bald  dringt  indess 
auch  hier  die  antike  Formbildung 
ein  und  man  giebt  den  Sälen  und  Zim- 
mern geschnitzte  Kassettendecken, 
oft  mit  farbigen  Intarsien  geschmückt. 
Damit  verbindet  sich  eine  nicht 
minder  reiche  Täfelung  der  Wände. 
Schliesslich  kommt  die  Auschmük- 
kung  der  Decken  in  die  Hände  der 
Maler  und  Stukatoren.    Den  Über- 

fang  zu  den  Wänden  mit  ihrer 
eppichbekleidung  bildet  dann  eine 
grosse  Hohlkehle  mit  Stuckreliefs. 
Oft  prangen  diese  Decken  in  eross- 
artiger  Farbenpracht,  oft  aber  bleiben 
sie  auch  weiss  und  bezeichnen  den 
Übergang  von  der  mittelalterlichen 
Polycl  jromie  zu  der  nüchternen  Ein- 
farbigkeit  des  Barocco. 

e)  Verschiedene  Bauwerke.  Den 
künstlerischen  Trieb  der  Zeit  ver- 
gegenwärtigt vielleicht  nichts  so 
deutlich,  wie  die  Ausführung  der 
zahlreichen  Brunnen  auf  öffentlichen 
Plätzen.  Dieselben  scheiden  sich 
in  Zieh-  nnd  Röhrenbrunnen.  Der 
erstere  verlangt  in  der  Regel  ein 
steinernes  Gerüst  zum  Aufhängen 
der  Rolle,  bei  letzterem  ergiesst  sich 
das  Wasser  in  ein  grosses  Bassin. 
Die  Renaissance  bildet  dieselben  in 
der  Regel  so,  das-  sich  in  der  Mitte 
des  Beckens  eine  Säule  erhebt,  auf 
deren  Kapitäl  man  eine  Figur  zu 
stellen  liebt.  Fig.  136.  Brunnen 
in  Gmünd  (LÜbke,  Geschichte  der 
deutschen  Renaissance).  Fast  alle 
alten  Städte  haben  noch  als  schön- 
sten Schmuck  ihrer  Strassen  und 
Plätze  solche  Brunnen  bewahrt, 
wie  Basel,  Gmünd,  Rothenburg. 
Rottweil,  Nürnberg,  Augsburg  und 
München.  Von  den  städtischen 
Bauten  zu  Schutz  und  Trutz  ist 
noch  manches  erhalten,  obschon  die 
gewaltigen  Wälle  von  unserer  nivel- 
lierenden Zeit  mit  Eifer  beseitigt 
werden,  wie  die  unvergleichlich  gross- 
artigen  Mauern  von  Nürnberg. 

Noch  wären  schliesslich  mehrere 
Lehranstalten,  namentlich  Jesuiten- 


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846 


Renaissance-Stil. 


Kollegien  anzuführen,  ferner  verschie- 
dene Spitäler,  Kanzleien,  Fleisch- 
hallen, Zeughäuser  und  Gebäude 
für  höfische  Festlichkeiten,  unter 
welchen  das  in  unsertn  Jahrhundert 
zerstörte  Lusthaus  in  Stuttgart  ein 
Unicum  bildete:  indessen  tragen 
alle  diese  Bauten  im  allgemeinen 


Renaissance  giebt  uns  die  bei  Merlan 
aus  der  Vogelschau  genominen«  Dar- 
stellungdes  Schlossgartens  zu  Heidel- 
berg. Das  Ganze  macht  mit  seinen 
regelmässig  abgeteilten  Blumen- 
beeten, eingefasst  von  kleinen  ruod- 
gestutzten  Bäumeben,  durchbogen 
von  Taxushecken  und  überwölbten 


Fig.  136.    Brunnen  in  Gmünd. 


n 


der  Behandlungs  weise  die  be- 
reit1* geschilderten  Züge  in  ziemlicher 
Übereinstimmung  an  der  Stirn. 

f)  Garienanlagen.  MitdenSchlös- 
sern  und  fürstliehen  Lusthäusem. 
aberauch  mit  reichen  Bürgerhäusern, 
standen  fast  immer  Gartenanlagen 
in  Verbindung,  allerdings  heute  fast 
nirgends  mehr  erhalten.  Den  voll- 
ständigsten Begritf  eines  Gartens  der 


Laubgängen,  zwischen  Springbnn 
nen,  Statuen  und  Gartenhäuschen.  n> 
seinen  Grotten,  Labyrinthen 
andern  zierlichen  Spielereion  d< 
Kindruck  einer  streng    mit  Lioei 
und  Zirkel  behandelten  Anlage. 

g)  Der  Kirchenbatt.  Der  Kirche: 
bau  wie^t  in  der  deutschen  Ro 
sance  nicht  schwer.    Bis  tief 
16.  Jahrhundert  bleibt  derselbe 


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Renaissance-Stil. 


847 


Gotik  treu.   Erst  in  der  2.  Hälfte 
des  16.  Jahrunderts   dringen  all- 
mihlich  die  Formen  des  neuen  Stils 
ein,  indessen  wird  dasgotischeRippen- 
K-wÖlbe  auch  jetzt  noch  in  den 
Komplizierten  Netz-  und  Stern  Ver- 
bindungen festgehalten.    Auch  die 
Fenster   werden  übereinstimmend 
Doch  mit  Masswerk  behandelt.  Selbst 
der  Grandriss  folgt  noeh  der  goti- 
schen Überlieferung  und  schliefst 
'ias  Langhaus  mit  polygonem  Chor. 
[He  Renaissauce  mit  ihren  antiken 
Formbildungen   kommt  hauptsäch- 
lich den  freien  Stützen,  den  Em- 
poren und  den  Portalen   zu  gute. 
tiD    vollkommenes    System  von 
fr'genballen,  mit  allen  Elementen 


Architektur  mit  Säulenordnungen, 
abgebrochenen  Giebeln,  Voluten  und 
allen  Ausgeburten  des  Baroeco  um- 
rahmt wurde;  Taberuakel,  Sakra- 
mentshäusehen u.  s.  w.  sind  bemüht, 
ihr  Möglichstes  zur  Ausschmückung 
des  Gotteshauses  zu  thun. 

3.  Renaissance  in  den  Kunstge- 
werben. Grosse  Bedeutung  gewinnt 
der  neue  Stil  der  Renaissance  na- 
mentlich in  dem  weiten  Gebiete  des 
Kunsthandwerks.  Was  zur  Aus- 
stattung der  Wohnräume,  was  im 
engern  und  weitern  Sinne  zum  Kostüm 
gehört,  erfreute  sich  in  Deutschland 
einer  um  so  lebendigeren  Pflege, 
als  hier  der  Sinn  für  häusliches  Be- 
hagen vorzugsweise  ausgebildet  war. 


et  drei  antiken  Ordnungen  um- 
jeidet,  umzieht  das  Innere  der 
nivereitatskirche  zu  Würzburg. 
Jw  alles  Übrige  trägt  auch  der 
f-zvw'xiM  dieselben  Spuren  von  Stil- 
ischung  an  sich.  Der  vollständige 
ruch  mit  dem  Mittelalter  vollzieht 
ch  an  der  Michaelishofkirche  in 
"liehen  und  dem  mit  kolossalem 
luongewölbe  überbauten  Bau  der 
rafaJtigkeitskirche  zu  Regensburg. 

Die  innere  Ausstattung  dieser 
irchen  setzte  alle  künstlerischen 
rftfte  in  Bewegung.  Kunstreiche 
.ritter,  prächtige  Grabmäler, 
geschnitzte  Chorstühle  und 
Itlre,  deren  Hauptstück  nun  das 
in  Maler  angefertigte  Altarbild 
urde,  welches  von  einer  in  mehre- 
n  Stockwerken  sich  aufbauenden 


Selbst  die  grossen  Meister,  wie 
Dürer  und  Holbein  T  verschmähten 
nicht,  dem  Kunstgewerbe  Vorbilder 
zu  schaffen.  Auen  hier  wirken  die 
mittelalterlichen  Formen  noch  lange 
nach,  und  erst  seit  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  wendet  man  sich 
dem  neuen  Stile  zu,  aber  bis  zum 
Ende  der  Epoche  mischt  sich  immer 
noch  manches  Mittelalterliche  da- 
bei ein. 

a)  Holzarbeit.  Die  Solzarbeit 
hat  ihre  glänzende  Ausbildung  in 
erster  Linie  im  Dienste  der  Kirche 
gewonnen.  Nicht  bloss  die  zahl- 
reichen Schnitzaltäre,  sondern  na- 
mentlich auch  die  Chorstühle  gaben 
reiche  Gelegenheit  zur  Entfaltung. 
Die  Formen  der  Renaissance  er- 
scheinen   erst   1550,    dann  aber 


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Renaissance-Stil. 


849 


schon  mit  barocken  Elementen 
gemischt,  wie  an  dem  Chorgestühl 
der  Klosterkirche  zu  Danzig  und 
Wettingen.  Mit  aller  Energie  wirft 
sich  dann  diese  Technik  auf  die 
Ausstattung  der  Wohnräume.  Zu- 
nächst sind  es  die  Wände  und  Decken 
der  Zimmer,  welche  in  gediegenster 
Weise  mit  Täfelwerk  ausgestattet 
werden,  erstere  mit  einem  System 
von  Pilastern  oder  Halbsäulen  und 
farbig  eingelegtem  Ornament,  dazu 
Fig.  137.  Intarsia -Ornament  (Kunst- 
historische Bilderbogen)  letztere 
mit  reichem  Kassetten  werk  nach  an- 
tiker Art.  Ein  hübsches  Beispiel 
bietet  ein  Zimmer  des  alten  Seiden- 
hofs in  Zürich;  Fig.  13S,  Zimmer 
aus  dem  Seidenhof  in  Zürich  {Lübbe, 
Geschichte  der  deutschen  ^Renais- 
sance), zum  höchsten  Prunk  aber 
steigert  sich  die  Behandlung  im 
goldenen  Saale  des  Rathauses  zu 
Augsburg. 

Neben  diesen  grossen  Pracht- 
stücken bringt  die  Kunsttischlerei 
alle  jene  in  ihr  Gebiet  fallenden 
Gegenstände,  welche  zum  MoUliar 
der  damaligen  Bürgerhäuser  und 
Schlösser  gehören,  in  mannigfaltig- 
ster Weise  nervor.  Dazu  verwendet 
man  dann  nicht  nur  einheimische 
Holzarten,  sondern  auch  Ebenholz 
und  Elfenbein,  Perlmutter,  Schild- 
patt, Lafislazuli  u.  s.  w.,  was  den 
Werkeu  .jener  Zeit  die  reiche  Farben- 
pracht einer  durchgebildeten  Poly- 
chromie  verleiht.  Am  einfachsten 
gestalten  sich  in  der  Regel  die 
grossen  Schränke  für  Kleider,  die 
Truhen  für  Leinenzeug,  die  Büffets 
und  Kredenzen.  Die  Renaissance 
führt  dieselben  als  kleine  Bauwerke 
auf,  die  mit  Pilaater  und  Säulen- 
etellungen  eingerahmt  und  selbst 
mit  Portalbildungen  versehen  werden. 
Einen  höhern  Anlauf  nimmt  die 
Kunsttischlerei,  wo  es  gilt  Pracht- 
gegenstände zn  schaffen,  seien  es 
einzelne  Bettladen  oder  aber  nament- 
lich sogenannnte  A'u.tistschränke, 
die,   auf  prachtvollen  Tischen  auf- 

Reallexico.i  <!er  deutschen  Altertümer. 


gestellt,   in  ihren  zahlreichen,  teils 
geheimnisvoll  versteckten  Fächern 
und  Schubladen  zur  Aufbewahrung 
von  allerlei  Kostbarkeiten  und  Rari- 
täten bestimmt,  oft  aber  auch  ledig- 
lich zu  Schreibtischen  dienend,  durch 
den    erdenklichsten    Aufwand  an 
prachtvollem   Material    und  sinn- 
reicher Arbeit  stets  einen  hohen 
Wert  gewinnen.    Die  Gesamtform 
I  dieser  Schränke  bildet  einen  Auf- 
;  satz  in  Gestalt  kleiner  palastartiger 
I  Prachtbauten ,  reich  gegliedert,  in 
I  mehreren  Stockwerken  durch  reich- 
;  verzierte  Säulen ,  Karyatiden  und 
,  Atlanten  in  Hermenform  auf  ge- 
schmückten Postameuten ,  dazwischen 
Statuetten  und  Reliefs  in  reichem 
Rahmen,  das  Ganze  bekrönt  von 
durchbrochenen  Ballustraden.  Der 
Mittelbau  ist  öfter  eingezogen,  stets 
aber  mit  einem  Prachtportal  und 
darüber  mit  einer  offenen  Loggia 
auf  Säulen  ausgestattet. 

b)  Elfenbeinschnitzerei  und  Gold- 
schmied ekwist.  An  diese  kunstvollen 
Tischlerarbeiten  schliesst  sich  die 
Elfenbeinschnitzerei  und  Gold- 
schmiedekunst. Zunächst  bedarf 
die  genussfrohe  Zeit  eines  ausser- 
ordentlichen Vorrats  von  Trinkge- 
schirren aller  Art.  Holbein  und 
Dürer  waren  mit  Anfertigung  von 
Zeichnungen  zu  prachtvollen  Poka- 
len beschäftigt.  Allein  die  Neigung 
zum  Seltsamen  und  Phantastischen 
verleitete  andere  Meister  zu  den 
wunderlichsten  Erfindungen.  In 
Gestalt  von  Brunnen  und  Drei- 
füssen, von  Burgen,  Schiffen  u.  dgl., 
von  Damen  mit  aufgebauschtem 
Reifrock,  wurden  die  Gefasse  mit 
Vorliebe  dargestellt.  Fig.  139.  Trink- 
qefässe  (Kunstiii ,  toi  Bilderbogen). 
Unermesslich  ist  der  Schmuck,  mit 
welchem  man  diese  Geräte  aus- 
stattete. Das  ganze  Reich  der 
Mythologie  und  Allegorie  wurde 
in  Kontribution  gesetzt  und  dazu 
noch  üppiger  Pflanzenschmuck  ge- 
fügt. Eins  der  glanzvollsten  un- 
ter allen  erhaltenen  Werken  ist  der 

54 


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b50 


berühmte  Tafelaufsatz  von  Wenzel 
Jamnitzer,  gegenwärtig  im  germa- 
nischen Museum  zu  Nürnberg.  Aber 
die  Thätigkeit  des  Goldschmieds 
erstreckte  sich  noch  weiter  über 
alle  Gebiete  des  Schmuckes  und 
zwar  nicht  bloss  der  schmückenden 
Geräte  im  engeren  Sinne,  vielmehr 
die  ganze  Kleidung  wurde  Gegen- 
stand prächtiger  Ausstattung.  Nicht 


Bei  alledem  sind  die  verschie- 
denen Richtungen  der  Metallarbei: 
dieser  Zeit  noch  nicht  erschöpft. 
Reiches  Tafelgeschirr  aus  edlem 
Metall,  Platten,  Schüsseln,  Schalen. 
Teller,  Näpfe,  Konfektträger  und 
Kühlgefasse  variieren  in  den  mannig- 
faltigsten künstlerischen  Form?» 
und  werden  mit  getriebenen  oder 
flach  gravierten  Ornamenten  und 


►  .SetLfftsert 


Fig.  139.  Trinkgefaiwe. 


allein  Ringe,  Ketten  und  Gürtel, 
Spangen  und  Agraffen  gaben  An- 
las» zu  künstlerischer  Behandlung, 
sondern  auch  Röcke,  Mantel  und 
Hüte  wurden  oft  reich  mit  Zier- 
raten bedeckt,  zu  deren  Erfindung 
selbst  Holbein  Kopf  und  Hand  zu 
bieten  nicht  verschmähte.  Ferner 
ist  auch  an  den  Waffen  die  künst- 
lerische Ausstattungeine  wahrhaft  be- 
wundernswerte. Daran  schliesst  sich 
die  nicht  minder  glanzvolle  Arbeit 
der  Harnischmacher  oder  Plattner. 


figürlichen  Darstellungen  bedeckt. 
Auch  die  Löffel  und  Messer  werden 
beliebte  Gegenstände  für  die  erfin- 
dungsreiche Thätigkeit  des  Gold- 
schmiedes. Endlich  sind  noch  die 
Standuhren  zu  erwähnen,  welche 
namentlich  in  Augsburg  und  Nürn- 
berg verfertigt  wurden. 

c)  Schmiedearbeiten.  Beschty- 
denere  Arbeiten  lieferten  die  Eisen- 
schmiede, aber  Arbeiten,  die  durch 
höchste  technische  Vollendung  und 
sinnreiche  Erfindung  sich  nunWert 


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Renaissance-Stil. 


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von  Kunstwerken  erhoben.  Die  (fem  W.  Jahrhundert  (Kunsthist 
Schlösser  und  Thürbeschläge  Bowie  Bilderbogen).  Das  Prinzip  derselben 
die  Tlriirklopfer  erfreuen  sich  der  besteht  darin,  rundeStäbe  in  mannig- 
reichsten  Ausbildung  und  werden  faltigen  Verschlingungen  und  Duren- 
in  ihren  Flächen  häufig  durch  ein- 1  schneidungen  so  mit  einander  zu 


Fig.  140.    Eigengitter  ans  dem  16.  Jahrhundert. 


gegrabene  und  geätzte  Ornamente,  j  verbinden,  dass  das  Ganze  einen 
bisweilen  selbst  durch  Vergoldung  I  festen  Zusammenhalt  bildet.  Dieser 
und  Touchierarbeit  geschmückt.  Be-  j  wird  nicht  bloss  dadurch  hergestellt, 
sonders  aber  glänzt  die  Erfindung  j  dass  an  den  durchschneidenden 
und  Kunstfertigkeit  der  Meister  in  Stellen  Bänder  angebracht  werden, 
Herstellung  der  schmiedeeisernen  sondern  noch  häufiger  dadurch,  dass 
Gitter.    Fig.  140.    Eisengitter  aus  man  das  Stabeisen  durcheinander- 

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Renaissance-Stil. 


steckt,  indem  mau  an  den  Kreuz- 
punkten ein  sogenanntes  geschwell- 
tes Auge  anschmiedet,  eine  wahre 
Geduldsprobe  für  den  ausführenden 
Meister.  Daneben  erhalten  die  un- 
tergeordneten Endungen  oft  freies 
Blattwerk  oder  seltsame  Fratzen, 
Menschen-  oder  Tierköpfe.  Neben 
diesen  Gittern  aber  schuf  die 
Schmiedekunst  noch  treßliches  aller 
Art :  Leuchter,  Wetterfahnen, Kreuze, 
kleine  Kästchen  u.  s.  w. 

d)  Töpferarbeiten.  Zu  den  wich- 
tigsten Kunstgewerben  der  Zeit 
gehört  ferner  die  Töpferei,  welche 
nicht  nur  die  gewöhnlichen  Gefässe 
des  Haushaltes  mit  verschiedenfar- 
biger Glasur  und  tausendfach  va- 
riierten Ornamenten  schafft,  sondern 
auch  die  Fliessen  zu.  Fussböden, 
namentlich  aber  zu  Ofen  lieferte. 
Der  Ofen  besteht  in  der  Regel  aus 
einem  Unterbau,  der  auf  meist  plas- 
tisch gestalteten  Füssen  ruht  und 
aus  welchem  eiu  schmaler  Oberbau 
aufsteigt.  Der  ganze  Aufbau  wird 
architektonisch  durchgebildet,  mit 
kräftigem  Fuss-  und  Deckgesimsen 
versehen.  Hermen  und  Karyatiden, 
wohl  auch  Pflaster  betonen  die  ver- 
tikale Gliederung,  und  die  einzelnen 
Felder  werden   als  Bogennischen 

S bildet,  welche  man  mit  figürlichen 
diefs  schmückt  Die  meisten 
Werke  dieser  Art  sind  mit  einer 
schönen  grünen,  andere  mit  einer 
schwarzen  Glasur  überzogen.  Be- 
sonders vielseitig  und  lang  an- 
dauernd hat  die  Schweiz  die  Ofen- 
fabrikation  gepflegt  Der  Hauptsitz 
war  Winterthur,  wo  die  Familien 
Pfau  und  Erhart  eiue  Anzahl  ge- 
schickter Hafnermeister  und  Ofen- 
maler lieferte.  In  der  Regel  wird 
neben  dem  Ofen  in  der  Ecke  des 
Zimmers  ein  bequemer  Sitz  mit 
Rücken-  und  Armlehne  ebenfalls 
aas  Kacheln  aufgebaut.  —  Sehr  bald 
tritt  an  die  Stelle  des  einfarbig 
grünen  Ofens  mit  seiner  plastischen 
Durchbildung  der  vielfarbige  mit 
malerischer  Behandlung.    Die  Far- 


ben werden  dünn  und  leichtflüssig 
aufgetragen.  Diese  Polychromit 
behalten  die  Ofen  bis  in  die  zweite 
Hälfte  des  siebenzehnten  Jahrhun- 
derts, dann  werden  sie  matter  und 
matter,  bis  sie  schliesslich  ganz  ins 
Weisse  erblassen. 

e)  GlcumuMlerei.  Nicht  in  glei- 
chem Umfang,  aber  doch  in  an- 
sehnlichem Betriebe  wird  die  Glas- 
malerei gepflegt.  Teils  verwende4 
man  sie  zur  Herstellung  von  Trink- 
gläsern und  Bechern,  teils  zur  Her- 
stellung farbiger  Fenster.  Auch  ua 
war  es  namentlich  die  Schweiz, 
welche  diesen  Kunstzweig  bis  in? 
achtzehnte  Jahrhundert  hinein  mit 
grossem  Eifer  pflegte. 

f)  Textih  Kunst.  Schliesslich 
ist  noch  ein  Blick  auf  die  textilfn 
Künste  zu  werfen,  die  in  dieser 
Zeit  im  Wetteifer  mit  der  gesamm- 
ten  künstlerischen  Bewegung  ihre 
Meisterschöpfungen  hervorbrachten 

i  Flandern  war  es  vor  allem,  wo  (£' 
Teppicbstickerei  aufblühte ,  die  in 

j  der  vollen  Anwendung  und  reichen 
Abstufung  der  Farben  und  im  Her- 
beiziehen des  Goldes  die  mouumen 
tale  Malerei  zu  überbieten  suchte. 
Ausser  diesen  Teppichen,  mit  wel- 
chen die  Wände  bedeckt  zu  werden 

Sflegten,  fertigte  man  namentlich 
ie  Kissen  und  Polster  für  Stuhl- 
und  Bänke.   Auch  das  Bett  wir- 
oft  prächtig  mit  Stickereien  auser- 
stattet.    Vorzüglich   aber  wendet 
man  die  Stickereien  an  Gewänden, 
an.    Hierher  gehören  endlich  auch 
die  Arbeiten  in  gepresstem  L#eder 
welches  seine  Verwendung  nament- 
lich zu  Büchereinbänden  fand  un- 
denselben  ein  unvergleichlich  stil- 
volles Gepräge  verleiht.    So  zeigt 
sich  das  Kleinste  wie  das  Grösste 
von  derselben  künstlerischen  StrCv 
mung  ergriffen. 

4.  Theoretiker  und  Architek'te,,. 
Über  die  Studien  und  Stellung'  der 
damaligen  Architekten  liegen"  nur 
spärliche  Notizen  vor.  Es  waren 
anfangs    schlichte  handwerklich» 


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853 


Meister,  die  ihrer  Lebensstellung 
und  ihrem  Bildungsgänge  nach  sich 
nirgends  über  die  Schranken  der 
hergebrachten  Anschauung  erhoben, 
im  Gegensatze  zu  den  italienischen 
und  französischen  Architekten,  voll 
höherer  Bildung  und  voll  stolzen 
Bewusstseins  derselben.  In  der  zwei- 
ten Hälfte  des  sechszehnten  Jahrhun- 
derts fangen  zwar  allmählich  die 
Werke  an,  sich  klassischer  zu  ge- 
stalten; aber  erst  gegen  Ausgang 
der  Epoche  trifft  man  unter  innen 
solche,  die  auf  Studien  in  Italien 
deuten.  Die  damaligen  deutschen 
Meister  scheinen  nur  ausnahmsweise 
Studienreisen  nach  Italien  unter- 
nommen zu  haben.  Ihre  Kenntnis 
der  antiken  Architektur  schöpften 
sie  zumeist  aus  den  zahlreichen 
theoretischen  Schriften.  Der  ersten 
einer,  welcher  solche  herausgab,  war 
Albrecht  Dürer.  Die  Resultate  sei- 
nes Nachdenkens  uud  die  Erfah- 
rungen seines  gesamten  Lebens  beab- 
sichtigte er  in  einem  umfassenden 
Werke  niederzulegen,  von  welchem 
nur  ein  Teil  zur  Ausführung  ge- 
langt ist,  die  Unterweisung  der 
Messung  mit  Zirkel  und  Richtscheit 
und  die  Vier  Bücher  von  mensch- 
licher Proportion.  Seine  Unterwei- 
sungen gieot  er  mit  steter  Rücksicht 
auf  Grössen  und  Zahlen  Verhältnisse, 
auf  die  Geometrie,  und  fusst  einer- 
seits auf  den  überall  noch  in  Kraft 
befindlichen  Ueberlieferungen  des 
Mittelalters,  anderseits  sucht  er  sich 
an  Vitruv  anzulehnen.  Bezeichnend 
ist  seine  Bemerkung,  dass  jeder 
streben  solle,  etwas  Weites  und 
Fremdes  zu  finden;  denn  wenn 
auch  der  hochberühmte  Vitruvius 
uud  andere  gesucht  und  gute  Dinge 
gefunden  hätten,  so  sei  damit 
nicht  aufgehoben,dass  nichts  Anderes, 
das  gut  sei,  möge  gefunden  werden. 
Diesen  Hang  zu  willkürlicher  Freiheit 
der  Erfindung  erkennt  man  denn 
auch  in  manchen  seiner  Komposi- 
tionen; denn,  obwohl  er  die  Antike 
im  Auge  hat,  mischt  er  die  einzelnen 


Ornamente  in  ungebundensterWeise. 
Eigentümlich  geniuj  sind  die  Entwürfe 
zu  drei  Gedächtnissäulen,  wobei  es 
sich  bei  einer  um  einen  Sieg  über 
aufständische  Bauern  handelt  und 
die  der  Sonderbarkeit  halber  hier 
beschrieben  sei.  Die  sehr  gut  gezeich- 
neten Gruppen  gefesselten  Viehes, 
welche  er  auf  die  untersten  Stufen 
der  Basis  legt:  „Kühe,  Schafe, 
Schweine  und  allerlei"  kann  man  sich 
noch  gefallen  lassen.  Aber  auf  die 
Ecken  des  Postaments  rät  er  Körbe 
mit  Käse,  Butter,  Eier,  Zwiebeln, 
Kräutern  oder  was  dir  einfallt,  zu 
stellen.  Auf  diesen  Unterbau  setzt 
er  allen  Ernstes  einen  Haferkasten 
und  stürtzt  darüber  einen  Kessel, 
auf  welchen  er  einen  Käse.napf  stellt, 
der  mit  einem  starken  Teller  zuge- 
deckt wird.  Auf  denselben  setzt  er 
ein  Butterfass,  auf  dieses  wieder 
einen  Milchkrug.  Dieser  trägt  eine 
Korngarbe,  in  welche  Schaufeln, 
Hauen,  Hacken,  Mistgabeln,  Dresch- 
flegel u.  dgl.  eingebunden  sind. 
Darüber  folgt  ein  Hühnerkorb  und 
auf  diesem  ein  Schmalzhafen,  auf 
welchem  ein  trauernder  Bauer  sitzt, 
dessen  Rücken  mit  einem  Schwert 
durchstochen  ist.  Dies  eine  Beispiel 
mag  genügen,  zu  zeigen,  wie  sehr 
Dürer  zwar  dem  Naturalismus  hul- 
digte, aber  auch  zugleich,  wie  wenig 
er  im  stände  war,  zu  reinen  archi- 
tektonischen Prinzipien  durchzu- 
dringen. Bald  nach  Dürers  Tode 
erschien  eine  verständlichere  Dar- 
stellung der  „Kunst  der  Messens4* 
von  Hieronymus  Rodler,  der  von 
den  Dürerschen  Büchern  meint,  sie 
seien  nur  für  die,  so  eines  grossen 
Verstandes,  vielleicht  dienlich.  In 
der  That  geht  Rodler  einfach  prak- 
tisch zu  Werke  und  bringt  eine 
Reihe  von  Beispielen,  an  welchen  er 
die  perspektivische  Erscheinung  und 
Darstellung  der  Dinge  nachweist. 
Uberall  bemerkt  man  in  seinen 
Zeichnungen  eine  steigende  Lust 
zur  Anwendung  von  Renaissance- 
formen, die  aber  gleichwohl  von 


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Renaissance-Stil. 


einem  wirklichen  Verständnis  weit 
entfernt  sind. 

Nicht  lange  darauf  gab  in  Nürn- 
berg Walther  Rivius  seine  umfang- 
reichen Werke  Heraus,  1547  die 
„Neue  Perspektive"  und  1548  den 
Deutschen  Vitruv",  den  er  nach  der 
1521  zu  Como  erschienenen  Ausgabe 
und  dem  Kommentar  des  Cesariano 
bearbeitete-,  auch  die  Illustrationen 
sind  meist  nach  Cesariano.  Über- 
haupt ist  die  Auffassung  des  Autors 
durch  die  seiner  italienischen  Vor- 

fänger  beherrscht.  Seine  Schriften 
ezeichnr  n  offenbar  den  Moment,  wo 
die  italienische  Behandlung  der 
Formen  in  Deutschland  eindrang. 
Von  Sympathie  für  die  Kunst  des 
Mittelalters  ist  wenig  mehr  zu  spüren, 
wenn  er  auch  den  Mailänder  Dom 
in  Grund  und  Aufriss  bringt.  Die 
architektonischen  Details,  die  er  ab- 
bildet, sind  korrekt  nach  dem 
Muster  der  Italiener  wiedergegeben, 
und  er  ritt,  die  Ordnungen  nicht  zu 
vermischen.  Doch  spukt  auch  bei 
ihm  die  Neuerungssucht  der  Zeit  in 
mancherlei  Vorschlägen  zu  „Veren- 
derung  der  Bossen,  so  ein  versten- 
diger  Baumeister  weiter  nach  seinem 
Gefallen  in  mancherlei  Werk  bringen 
möge."  Wenn  schon  hier  viel 
Barockes  mit  unterläuft,  so  bringt  er 
denn  doch  das  barockste  Zeus  unter 
den  künstlichen  Säulen  von  Bildwerk, 
,,wie  solche  dieser  Zeit  bei  den  Wel- 
schen in  Brauch/'  Was  Rivius  von 
Anlage  und  Gesamtform  antiker  Ge- 
bäude vorbringt,i8t  begreiflicherweise 
nachCcsarinound  uimmtsich  wunder- 
lich genug  au*.  Sogicbter  die  Grund- 
formen aer  griechischen  Tempel 
ganz  nach  dein  Schema  mehrschiffiger 
Kirchen.  Wie  ernsthaft  man  es  aber 
nahm,  ersehen  wir  aus  der  Stelle, 
wo  er  den  Architekten  nicht  bloss 
ermahnt,  dass  er  „so  er  der  Sym- 
metrie behende  und  wohl  erfanreu 
sein  solle,  sich  der  geometrischen 
Messung  heftig  üben  müsse,"  sondern 
auch  nach  Vitruv  die  Unterschiede 
der  Tempel  nach  verschiedenen  Gott- 


heiten, besonders  männlichen  und 
weiblichen ,  einschärft.  In  seiner  zwei- 
ten Schrift,  der  neuen  Perspektive, 
kommt  er  überall  auf  die  ,,wunder- 
barliche  Art,  Ev^enschafft  und  Ge- 
rechtigkeit des  Kirkels"  zurück  und 
giebt  umständliche  Anleitung,  wie 
alle  möglichen  Formen  mit  Zirkel- 
schlägen zu  konstruieren  seien. 

Im  weitern  Verlaufe  des  16.  Jahr- 
hunderts steigert  sich  die  Lust  und 
das  Bedürfnis  nach  theoretischen 
Schriften,  namentlich  erfreut  sich 
die  Perspektive  erneuter  Behandlung, 
wie  von  Erhard  Schön,  Hirschvogel. 
Stoer,Jamnitzer,Lenker  etc., daneben 
auch  die  Anatomie,  wie  in  der  deut- 
schen Übersetzung  der  Anatomie 
Vesals  von  Johann  Baumann. 

In  der  spätem  Zeit  des  Jahrhun- 
derts nehmen  die  architektonisclieu 
Lehrbücher  überwiegend  den  Cha- 
rakter eines  ausschweifenden  Barock- 
stils au.  Immer  aber  wissen  die 
Herausgeber  sieh  dabei  viel  mit  der 
Lehre  Vitruvs  zu  beschäftigen,  welche 
sie  noch  iu  ihren  tollsten  Phantasie- 

Sebilden  treu  zu  befolgen  glaub-  o 
>erart  ist  die  Architektura  des  „vi- 
truvianischen  Architekten  Rutger 
Kässmann,Bildhaweruiid  Schreiner.* 
I  n  ein  vollständiges  System  wird  aber 
die  tolle  Willkür  der  Zeit  durch  da? 
„Schweiffbüchlein*4  Gabriel  Krämer* 
gebracht.  Das  Werk  ist  ein  Kom- 
pendium barocker  Detailformen: 
trotz  alledem  ist  aber  doch  Methode 
in  diesem  Wahnsinn,  da  alle  dien* 
Ausgeburten  der  Phantastik  streue 
nach  den  verschiedenen  Säulenord- 
nungen  durchgeführt  sind,  so  das? 
für  jede  derselben  eine  bestimmte 
Art  der  Verschnörkelunc  zum  Gesets 
erhoben  wird.  Massvoller  ist  eine 
andere  Sammlung,  welche  durch 
Georgen  Haasen,  Hoftischler  und 
Bürgerin  Wien,  1583  herausgegeben 
wurde.  Alle  Zeitgenossen  übertrifft 
aber  an  Üppigkeit  der  Erfindung  und 
barockem  Schwulst  der  Strassburger 
Baumeister  undMaler  Wendel  Dietter- 
lein  in  seinem  Werk:  „Architektur« 


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Renner.  —  Ring. 


S55 


and  Austeilung  der  fünf  Setdn." 
Am  ungebundensten  bewegt  sich 
seinePhantasieindenPilasterhermen, 
welche  er  jeder  Säulenordnung  bei- 
giebt.  Bei  der  toskanischen,  die  er 
einem  groben  Bauern  vergleicht, 
zeigt  derPilaster  wirklich  die  Gestalt 
eines  solchen.  Ein  andermal  ver- 
wendet er  einen  feisten  Koch  als 
Atlanten,aufdemKopfzweiSchüsseln, 
am  Gürtel  zwei  Bündel  Schnepfen 
und  ein  Küchenmesser,  in  der  Iiand 
einen  Schöpflöffel.  Praktische  Nach- 
folge haben  diese  Dinge  glücklicher- 
weise nur  an  Altären  und  Epitaphien 
gefunden,  der  Profanbau  hielt  sich 
im  allgemeinen  rein  davon,  während 
die  Kirche  das  tollste  Zeug  nicht 
verschmähte. 

Die  durch  solche  Schriften 
gebildeten  Architekten  gewannen 
denn  auch  im  Dienst  der  Fürsten 
allgemach  eine  angesehenere  Lebens- 
stellung. Über  einen  derselben, 
Heinrich  Schickhart,  sind  nähere 
Berichte  auf  uns  gekommen,  welche 
das  Leben  und  Studium  eines  dama- 
ligen Architekten  veranschaulichen 
und  welche  in  der  öffentlichen  Biblio- 
thek zu  Stuttgart  aufbewahrt  sind. 
Wenn  er  auch  zwei  Studienreisen 
nach  Italien  machte,  so  geht  im 
ganzen  aus  seinem  LebensbUde  doch 
hervor,  dassdie  damaligenBaumeister 
meist  auf  litterarische  Quellen  für 
das  Studium  der  antiken  Kunst  an- 
gewiesen waren.  Zugleich  abergaben 
sich  die  damaligen  Architekten  auch 
alle  Mühe,  über  die  gleichzeitig  auf- 
geführten Bauten  sich  Kenntnis  zu 
verschaffen  und  kopierten  einzelne 
Teile  derselben  in  eigenen  Entwürfen 
oft  ganz  genau.  Nach  Lübke,  Ge- 
schichte der  deutschen  Renaissance, 
Allg.  Teil.  A.  H. 

Renner  ist  der  Name  eines  aus- 
gedehnten deutschen  Lehrgedichtes 
des  Hugo  von  Trimberg  aus  dem 
Würzburgischen,  1260—1301)  Schul- 
meister am  Collegiatstift  an  der 
Theurstadt  vor  Bamberg.  Das  über 
24000  Verse  starke  Gedicht  entbehrt 


eines  festen  Planes  und  ist  mehr  eine 
allgemeine  Strafpredigt,  aber  lebhaft 
geschrieben  und  durch  eingestreute 
Fabeln  und  Erzählungen  belebt.  Es 
war  neben  dem  Freidank  das  ge- 
achtetste  Lehrgedicht  des  Mittelalters 
und  wurde  in  einer  Erneuerung  schon 
1549  gedruckt.  Neue  Ausg.  Bam- 
berg 1833.  Renner  heisst  es,  weil 
es  aurch  alle  Lande  zu  rennen  sieh 
vorgenommen  hat. 

KiclitstelgLaudrechts und  Richt- 
steig Lehnrechts  sind  die  Namen 
systematischer  Werke  über  den 
rrozess,  aus  dein  Sachsenspiegel  ge- 
zogen, um  dessen  Anwendung  zu  er- 
leichtern. Verfasser  des  Richtsteig 
Landrechts  ist  Johann  von  Buch,  der 
auch  die  erste  Glosse  zum  Landrecht 
verfasst  hat  ( siehe  Sachsenspiegel). 
Namentlich  dieser  Richtsteig  war  sehr 
verbreitet  und  wurde  im  15.  und  16. 
Jahrhundert  öfters  mit  dem  sächsi- 
schen Landrecht  zusammen  heraus- 
gegeben, zuerst  Basel  1474;  die  vor- 
züglichste Ausgabe  von  Hontet/er, 
Berlin  1857. 

Ring.  Armringe,  Barnten,  ahd. 
und  mhd.  lx>uc,  werden  in  den  ältesten 
Dichtungen  sehr  oft  erwähnt  und 
sind  eines  der  zahlreichsten  Gräber- 
fundstücke;  sie  dienen  nicht  bloss  als 
Schmuck,  sondern  sie  vertreten  zu- 
gleich das  gemünzte  Geld  (siehe  den 
Art  Münzen);  Baugenverteiler  und 
Baugenbrecher  sind  Ehrennamen  des 
Königs;  in  den  Schatzkammern  der 
Könige  lag  das  edle  Metall  in  Ring- 
form aufgehäuft.  Die  Stoffe  waren 
Erz  und  Gold,  Eisen  und  Silber,  auch 
Glas.  Die  häufigsten  Formen  sind 
die  halb-  oder  ganzrunden  geschlos- 
senen oder  halboffenen  eigentlichen 
Baugen  und  die  spiralischen  Draht- 
ringe.  In  höfischer  Zeit  kamen  die 
Armringe  der  Männer  ausser  Mode 
und  blieben  fortan  bloss  ein  Schmuck 
für  das  weibliche  Geschlecht.  Finger- 
ringe finden  sich  oft;  sie  heissen 
mhd.  fingerlin.  Sie  zeigen  in  alter 
Zeit  die  einfache  Reiffonn  oder  die 
spiralförmige,  in  merovingischer  Zeit 


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856 


Rise.  —  Rittergesellschaften. 


häufig  die  des  römischen  Siegelriugs ; 
die  Platte  ist  mit  barbarischen  Or- 
namenten, Kreuzen,  Inschriften  und 
Nachbildungen  römischer  Münzen  ge- 
schmückt. Durch  edle  Steine  erhielten 
die  Hinge  nach  dem  Glauben  des 
Mittelalters  Wunderkraft.  Der  Stoff 
war  Gold,  Silber,  Kupfermischung, 
Zinn  und  Glas,  liahrinqe  oder  Hals- 
baugen waren  Nachbildungen  römi- 
scher  und  gallischer  Sitte.  Ohrringe 
aus  Bronce-  oder  Silberdraht  werden 
in  den  heidnischen  Gräbern  ebenfalls 
viel  gefunden,  werden  auch  in  der  hö- 
fischen Periode  mit  den  Armspangen 
häufig  als  beliebter  Frauenschmuck 
genannt.  Sie  bestehen  zuweilen  aus 
mehreren  ineinander  geflochtenen 
Drähten. 

Als  Zeichen  der  Verlobung  stammt 
der  Ring  aus  den  romanischen  Län- 
dern, wo  er  Fortsetzung  des  römi- 
schen Heiratringes  war.  Einen  Ring- 
wechsel des  Brautpaares  kennt  daher 
das  frühere  Mittelalter  nicht,  sondern 
nur  der  Bräutigam  übergiebt  einen 
King  der  Braut.  Er  verbreitete  sich 
durch  Hilfe  der  Kirche.  Siehe  Wein- 
hold, deutsche  Frauen. 

Die  Siegelringe  wurden  wohl 
weniger  an  dem  Finger  getragen,  als 
unter  den  Amtsinsignien  mitgeführt. 
Die  eigentlichen  Font ißkal ringe,  die 
einen  wesentlichen  Bestandteil  der 
Weih-  und  Krönungsinsignien  aus- 
machten, wurden  seitdem  •  1  :mn- 
dertvoi*schrifitsgemä88  am  Ringfinger 
der  rechten  Hand  getragen,  früher  am 
Zeigefinger.  Der  Ring  ist  auch  hier 
Ehering,  das  Zeichen  der  geistigen 
Vermählung  des  Bischofs  mit  seiner 
Diözese,  des  Königs  mit  seinem 
Lande.  Vom  13.  Jahrhundert  an 
wurden  namentlich  die  Bischofsringe 
immer  reicher  mit  Edelsteinen  aus- 
geschmückt, sodass  deren  obere 
Fläche  sich  oft  turmartig  erhöhte  und 
dasTragen  —  namentlich  im  15.  und 
16.  Jahrhundert  —  schwierig  wurde. 
Ringe  dieser  Art  wurden  über  dem 
Handschuh  an  den  Finger  gesteckt. 
Rise,  siehe  Kopfbedeckung. 


Uitterg-esellschaften  sind  als 
Mittel,  den  niedern  Adel  durch  kor- 
porative Verfassung  den  zahlreichen 
andern  Korporationen  gegenüber  zu 
halten,  im  1 4.  Jahrhundertentstandei). 
nachdem  die  französische  Ritterschan 
mit  ähnlichen  freien  Eidgenossen- 
schaften im  13.  Jahrhundert  voraus- 
gegangen war.  In  der  zweiten  Hälfte 
des  14.  Jahrhunderts  spielen  sie  eine 
entscheidende  Rolle  in  allen  Kriegen 
und  Fehden.  Die  wichtigsten  da- 
runter sind  seit  1332  die  Wet(eraui*th< 
Gesellschaft ,  die  Gesellschaft  vom 
Stern  1371,  in  Sachsen,  Thüringen 
und  dem  Oberrhein;  1375  die  Gesell- 
schaft von  der  alten  Minne  in  der- 
selben Gegend,  1378  vom  Horn  in 
Oberhessen,  vorri  Falken  in  Hessen 
und  Westfalen  circa  1380,  fortgesetzt 
von  dem  1S91  gestifteten  Bennet*,  - 
bunde;  die  Gesellschaft  mit  der  Sicht' 
1391  ebenfalls  in  Hessen,  dito  di^ 
Buchner  1397  und  die  Gesellschaft 
vom  Luchs.  In  Franken  entstand 
1355  die  Gesellschaft  der  Fürspd noer. 
1379  die  mit  dem  Greifen,  in  Thü- 
ringen 1410  eine  vom  Hunhorn.  Von 
Schwaben  und  Bayern  gingen  Gesell- 
schaften von  ausgeprägt  politischer 
Tendenz  und  grossem  Einfluss  aus- 
weiche die  Grundlage  der  späten 
reichsfreien  Ritterschaft  wurdm: 
neben  den  Martintvogeln  (1367»  dK 
Gesellschaft  vom  Schwert  (1370 \  dk 
von  der  Krone  und  die  mit  d«  n 
Wölfen  (1372);  die  Gesellschaft  von 
St.  Georg  und  St.  Wilhelm  (beidf 
1379),  und  in  demselben  Jahre  die 
Gesellschaft  vom  Läicen,  die  sich  bis 
in  die  Niederlande,  den  Thüringer 
Wald  und  in  die  Bayerischen  Alpen  er- 
streckte u.  Herren  u.  Städte  aufnahm. 
Als  dieser  Adelsbund  sich  mit  den 
Gesellschaften  von  St.  Georg  und 
St.  Wilhelm  vereinigte  und  alle  dn  i 
der  grossen  Einigung  von  Herren  und 
Städten  von  1382  beitraten,  schien 
es,  als  sollten  die  Gesellschaften  der 
Ritter  einen  festen  Platz  in  der  Ord- 
nung des  Reiches  erhalten.  Doch 
scheiterten  die  Versuche  der  Reich  e- 


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Rittergepellschaft  cn. 


857 


einung,  und  die  Ritterbtinde  uahmeii 
wieder  einen  mehr  partikularen 
Charakter  an.  Es  traten  auf  1392 
die  Gesellschaft  vpn  St.  Georqenschild 
und  die  schon  13GT  aufgehobenen, 
1394 — 1396  aber  erneuten  Schlegeler. 
Wo,  wie  im  Norden  und  Osten 
Deutschlands,  dieLandeshoheit  schon 
stärker  entwickelt  war,  mussten  die 
Ritterbünde  ihre  politischen  Absich- 
ten teilweise  hinter  dem  Seheiii  eines 
lediglich  geselligen  Vereines  ver- 
bergen, wie  die  Geckengesellschaft 
in  Kleve  1 1381 ),  oder  sie  kamen  von 
Anfang  au  unter  höfischen  Einfluss, 
wie  die  grosse  Rittereinung  vom 
Drachen  in  Österreich,  Steiermark 
und  Ungarn,  an  deren  Spitze  der 
Herzog  von  Österreich  und  der  König 
von  Ungarn  standen.  In  den  Donau- 
landen  erhoben  sieh  um  1408  die 
Gesellschaften  vom  Hirsch  und  vom 
Rüden,  im  Kulmer  Land  1397  die 
Gesellschaft  von  der  Eidechse,  in  der 
Mark  die  Stell  meiser,  in  Tirol  der 
Elefantenbund.  Die  letzte  derartige 
Gesellschaft  war  die  1489  gegen  den 
Herzog  von  Bayern  gestifteteBaycri- 
scheGesellschaft  vom  Zoicen.  Von  den 
iiltern  Gesellschaften  dauerte  nur  die 
schwäbische  Gesellschaft  von  St.  Ge- 
orqenschild als  ein  selbständiger  po- 
litischer Verein  fort,  absorbierte  seit 
1450  die  Rechte  der  übrigen  Gesell- 
schaften, nahm  überhaupt  alle  Ele- 
mente des  niedern  Adels,  welche  sich 
der  Landsässigkeit  zu  erwehren  ver- 
mocht hatten,  in  sich  auf  und  veran- 
lasste schliesslich  die  korporative 
Verfassung  der  Reichsritterschaft. 

Die  Grundlage  dieser  ritterlichen 
Einungen  ist  einzig  und  allein  der 
durch  einen  Eidscnwur  bekräftigte 
freie  Wille  der  Verbundenen.  Ihrer 
Organisation  nach  lehnen  sie  sich 
teils  an  die  Städtebünde,  teils  an  die 
geistlichen  Ritterorden.  Hauptzweck 
war  in  der  Regel  Friede  unter  den 
Genossen,  Herstellung  eines  geord- 
neten Rechts  und  gemeinschaftliche 
Verteidigung  der  Interessen  der 
Glieder.    Dazu  kam  häufig  gegen- 


seitige Unterstützung  in  Notfällen, 

gesellige  Gemeinschaft,  religiöse  Ver- 
rüderung  u.  dgl.  Äusserlich  pflegte 
zum  Zeichen  der  innigen  Verbindung 
eine  gemeinsame  Kleidung  oder  doch 
ein  besonderesErkennungszeichen  be- 
stimmt zu  werden,  und  zwar  wurde 
ein  goldenes  Zeichen  für  die  Ritter 
und  ein  silbernes  für  die  Edelknechte 
unterschieden.  Ein  oder  mehrere 
Mal  im  Jahre  wurde  die  Versamm- 
lung aller  vollberechtigten  Gesellen 
(das  Kapitel)  abgehalten.  Die  Vor- 
stände hicssen  Ilauptleute,  auch 
Könige,  Marschälle,  Oberste,  Ge- 
korene über  die  Einung.  In  allen  Be- 
ziehungen trat  die  Gesellschaft  als 
Einheit  auf,  schloss  Verträge,  Bünd- 
nisse und  Vergleiche,  erklärte  Fehden, 
fällte  Schiedssprüche  und  verhandelte 
mit  Kaiser  und  Fürsten. 

A  usl äufer  dieser  politischen  Ritter- 
gesellschaften sind  mannigfache  ge- 
seilige  Vereine,  namentlich  die  in  aer 
zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhundert» 
mit  dem  Versuch  der  Neubelebung 
der  längst  verschollenen  Turniere 
zahlreich  emporwachsender  Turnier- 
gesellschaften, welche  eine  bestimmte 
Anzahl  von  Ahnen  für  die  Aufnahme 
forderten,  ein  Gesellschaftszeichen 
trugen  und  bei  den  Waffenspielen 
fest  zusammenhielten ;  solche  Gesell- 
schaften sind  diejenigen  des  Esels, 
mit  dem  Drachen,  des  Fisches,  des 
Falken ,  der  Krone,  des  Wolfes  in 
Schwaben;  dexSvanqe,  des  Einhorns, 
des  Bären  in  Franken;  des  gelben 
Hundes  und  des  gekrönten  Steinbocks 
am  Rhein.  Später  kommen  auch 
adelige  Mässigkeitsvereine,  Adels- 
geselbchaften  gegen  das  Fluchen  und 
Zutrinken  u.  a.  vor. 

Endlich  gingen  die  Adelsinnungen 
dadurch  in  fürstliche  Ritterorden 
über,  dass  die  Fürsten,  indem  sie 
sich  selbst  an  die  Spitze  von  Gesell- 
schaften stellten,  das  gegen  sie  ent- 
standene Institut  zu  ihrem  Vorteil 
wandten.  Teils  mit  andern  Fürsten 
gemeinsam,  teils  ausschliesslich  unter 
ihrem  Adel  stifteten  sie  seit  dem 


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858 


Ritterorden,  geistliche. 


14.  Jahrhundert  Gesellschaften  mit 
geselligen,  religiösen  und  sozialen 
Tendenzen,  in  welche  man  nur  unter 
gewissen  Bedingungen  der  Geburt, 
später  auch  des  Verdienstes  aufge- 
nommen werden  konnte.  Das  Er- 
kennungszeichen wurde  zum  Ehren- 
zeichen, die  Aufnahme  ging  aus- 
schliesslich oder  doch  vornehmlieh 
auf  den  Landesherrn  über.  Solche 
Gesellschaften  sind  z.  B.  die  1398 
von  clen  Grafen  von  der  Mark  und 
Kleve  gestiftet«*  Brüderschaft  von 
den  Rosskämmen,  die  „freundliche 
fröhliche  Gesellschaft  vom  Rosen- 
kränz'1,  zu  welcher  der  Erzbischof 
von  Köln  und  die  Bischöfe  von 
Paderborn  und  Münster  gehörten, 
die  Einhornsgesellschaft  Balthasars 
von  Thüringen  1407,  die  Gesellschaft 
mit  dein  Q reifen  1379,  die  österrei- 
chische Gesellschaft  mit  dem  Zopfe 
1376;  die  Präge rbrüderschaft  mit 
dem  Reife  und  Hammer  1382,  die 
freundliche  Gesellschaft  mit  dem 
Sit tieh  in  Bayern  1414,  der  thüringi- 
sche Fleglerbund  1412.  Näher  den 
modernen  Orden  stand  schon  die 
Gesellschaft  vom  Lindwurm,  welche 
Kaiser  Sigismund  1424  aufthat;  mehr 
noch  die  nach  dem  Vorbilde  des  1431 
von  Herzog  Philipp  von  Burgund  ge- 
stifteten qoldenenl  liesses  errichteten 
Gesellschaften,  wie  die  vom  Kaiser 
Albrecht  1431  gestiftete  Gesellschaft 
mit  dem  Adler,  und  die  1440  gegrün- 
dete Brandenburgische  Sefiu-anen- 
qesellschaft  unserer  Lieben  Frauen 
Kettenträger,  die  um  1420  an  märki- 
echeEdelleute  verliehene  schlesische 
Gesellschaft  mit  dem  Rüekenhande, 
die  1450  gestiftete  österreichische 
Gesellschaft  vom  Salamander.  Nach 
Gierke,  Rechtageschichte  der  deut- 
schen Genossenschaft.    S.  46. 

Ritterorden,  geistliche,  sind 
während  der  Kreuzzüge  im  gelobten 
Lande  ursprünglich  von  französischen 
Rittern  ausgegangen  und  waren  dazu 
bestimmt,  die  Regel  des  weltlichen 
Rittertums  mit  derjenigen  desMönchs- 
tums  zu  verbinden;  anfangs  ohne 


Zweifel  sehr  persönlichenStirnmuii^en 
einzelner  Individuen  ihr  Leben  ver- 
dankend, haben  sie  sich,  durch  den 
Geist  der  Zeit  getragen  und  äu? 
ihm  entsprungen,  mit  der  Zeit  zc 
einflussreichen  Institutionen 
Staates  und  der  Kirche 
bildet. 

1.  Tempelherrn,  Templer,  Fra  fr** 
milifiae  fem  pH,  mi  Ii  feit  sire  equi**s 
lemplarii,  hiessen  die  sieben  Kitter. 
welche  zuerst  1119,  zwanzig  Jahre 
nach  der  Eroberung  Jerusalems  und 
der    Gründung    aes  Königreich* 
Jerusalem,  unter  der  Leitung  von 
Hugo  von  Rayen»  und  (iot/fHed  r*» 
Omer  zusammentraten   und   in  dir 
Hand  der  Patriarchen  von  Jeru&aien. 
die  Gelübde  der  Keuschheit,  der 
Armut  und  des  Gehorsams  ablegten; 
damit  verbanden  sie  den  Schwur. 
Strassen  zu  schützen,  Wallbrud-'r 
zu  den  heiligen  Stätten  zu  geleiten 
und  gegen  Überfall  zu  verteidigen 
und  zur  Beschirmung  des  pelobtei 
Landes    wider    die  Ungläubigen 
ritterlich  ihr  Leben  dran  zu  setzen. 
Den  Namen  erhielten  sie  von  deaa 
ihnen  vom  König  eingeräumten,  an 
die  Morgenseite  des  salomonische» 
Tempels  anstossenden  Palaste.  An- 
fänglich lebten   sie   in  wirklicher 
Dürftigkeit,  ihren  heiligen  Pflichten 
nachkommend;  nach  neun  Jahr: 
erst  nahmen  sie  auf  des  Könk* 
Vorschlag    neue    Mitglieder  tn 
Bernhard  ik»h  Clairveaux,  derseUV. 
der  dem  Cisterzienser-Orden  so  zc- 
gethan  war,  nahm  sich  der  Templer 
warm  an,  schrieb  auch  eine  ei-jet* 
Sehriff  für  sie:  de  laud*>  MUrfia* 
ad  Mi  Ute*  lern  pH;  worauf  Pap»! 
Honoriii8  auf  der  Kirchen  Versamm- 
lung zu  Troyes  1129  den  Ordea 
bestätigte  und    den   Brüdern  al* 
Ordenskleid  einen  weissen  Mantel 
bewilligte,  dem  später  Engen  III 
ein  einfaches  rotes  Kreuz  auf  dem 
selben  hinzufügte.   Auch  die  Rege 
des  neuen  Ordens  ist  ohne  Zweifei 
Abt  Bernhards  Werk;  ihr  liegt  di- 
Regel  des    heiligen    Benedikt  zu 


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Ritterorden,  geistliehe. 


R59 


Grunde.  Jeder  Bruder  kommt  Tag 
und  Nacht  seinem  Gelübde  nach; 
das  zehnte  Brot  soll  den  Armen 
übergeben  werden;  die  Kleidung  der 
Brüder  soll  stets  von  Einer  l?arbe 
sein;  die  Diener  tragen  sie  schwarz. 
Haare  und  Bart  übermässig  wachsen 
zu  lassen  ist  nicht  erlaubt,  ebenso- 
wenig die  Kleider  zu  schmücken  oder 
am  Keitzeugc  Gold  und  Silber  zu 
tragen.  Jeuer  Templer  darf  bloss 
drei  Pferde  halten  und  nur  einen 
Diener.  Alle  Bedürfnisse  giebt  der 
Orden;  dem  Meister  ist  strenger 
Gehorsam  zu  leisten,  auch  in  Kleinig- 
keiten; die  Jagd  mit  Falken  ist  dem 
Templer  untersagt,  nur  Löwen  zu 
jagen  ist  seiner  würdig.  Verhei- 
ratete Brüder  sind  gestattet,  doch 
dürfen  sie  das  weisse  Kleid  nicht 
tragen.  Die  Küsse  eines  Weibes, 
selbst  der  Mutter,  Tante  oder  Schwe- 
ster, sind  zu  meiden,  und  dergleichen. 
Von  der  Kirchenversammlung  zu 
Troyes  reiste  Huffo  von  Payens, 
nachdem  er  in  der  Würde  als  GVoss- 
meister  bestätigt  worden  war,  zur 
Aufnahme  seines  Ordens  an  den 
Höfen  umher,  warb  überall  neue 
Mitglieder  und  nahm  zu  Händen 
des  Ordens  reiche  Güter  und  Lände- 
reien als  Geschenk  entgegen;  dies 
geschah  namentlich  in  England, 
aber  auch  in  Deutschland,  den 
Niederlanden,  Spanien  und  Portu- 
gal; mit  300  Rittern  kehrte  er  ins 
heilige  Land  zurück.  Um  das  kriege- 
rische Leben,  das  in  der  ersten 
Regel  nur  wenig  berücksichtigt  war, 
besser  zu  ordnen,  wurden  allmählich 

genauere  Ordens-Statuten  aufgestellt, 
ie  zwischen  1227  bis  1266  gesam- 
melt und  in  provenzalischer  Sprache 
abgefasst  wurden. 

Diesen  Statuten  gemäss  bildeten 
den  Kern  des  Tempelordens  die 
Ritter,  deren  Aufnahme  mit  feier- 
lichen Zeremonien  verbunden  war; 
sie  mussteu  adeligen  Standes  sein. 
Ihnen  standen  aus  bürgerlichem 
Stande  die  dienenden  BrüderzurSeite 
(fratres  servientes),   die  wiederum 


in  die  W  affenbrüder  (armigeri)  und 
die  Handwerksbrüder  (famuJi)  zer- 
fielen. Jene  bildeten  eigene  Scharen 
im  Kriege  und  hatten  gewisse  Ehren- 
rechte mit  den  Rittern  gemeinsam ; 
diese  betrieben  die  Gewerbe  und 
hauswirtschaftlicheu  Geschäfte  des 
Ordens;  in  der  Folge  schlössen  sich 
auch  weltliche  Personen  dem  Orden 
als  Affilierte  an.  Seitdem  sich  die 
Templer  von  der  Gerichtsbarkeit  der 
Patriarchen  zu  Jerusalem  befreit 
hatten,  erhielten  sie  eigene,  eben- 
falls adelige  Geistliche  und  Kaplaue, 
welche  unmittelbar  unter  dem  Papste 
standen.  Oberhaupt  des  Ordens  war 
der  GrossmeUter ,  mit  fürstlichem 
Rang;  ihm  zur  Seite  stand  das 
Generalkapitel  oder,  da  dieses  nur 
selten  zusammen  kommen  konnte, 
der  Konvent  zu  Jerusalem.  Die 
übrigen  Ordensoberen  waren  dor 
Grosskomtur  oder  Grossprior ,  der 
Seneschall ,  der  Marschall,  der 
dem  Kriegswesen  vorstand,  der 
Grosspräceptor  oder  Komtur  des 
Königreichs  Jerusalem,  der  Drapier, 
der  über  die  Kleider  verfügte,  der 
Turkopolier,  Befehlshaber  der  leich- 
ten Reiterei,  und  die  Generalvisita- 
toren. Eine  ähnliche  Ordnung  be- 
stand in  den  Provinzen. 

Der  Orden  nahm  nun  gewaltig 
zu;  er  erhielt  von  den  Päpsten 
ausserordentliche  Freiheiten  und  Be- 
günstigungen ,  wie  Zehntenfreiheit 
von  seinen  Gütern;  Eroberungen 
und  Vermächtnisse  vermehrten  seinen 
Reichtum;  150  Jahre  nach  seiner 
Gründung  zählte  er  gegen  20000 
Ritter  und  besass  9000  Komtnreien 
(inhd.  kommentier,  commendur  aus 
mittellat.  eommendator,  zu  commen- 
dare= befehlen),  Balleien  (aus  mittel- 
lat. balius,  bajulus  —  Träger ,  Ge- 
schäftsträger, Vorwand)  und  aus 
Prioritäten, deren  jährliche  Einkünfte 
gegen  54  Millionen  Franken  betrugen ; 
die  bekannten  Provinzen  des  Ordens 
sind  im  Morgenlande  Jerusalem, 
Tripolis,  Antiochien  und  Cypern; 
im  Abcndlande  Portugal,  Castilien 


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860 


Ritterorden,  geistliche. 


und  Leon,  Aragonieu,  Frankreich 
imdAuvergne,  Aquitanien  undPoiton, 
Provence,  England,  Deutschland, 
Ober-  und  Mittelitalien,  Apulien 
und  Sieilien.  Anfangs  war  Jerusa- 
lem der  Hauptsitz,  spater  Cvpern, 
zuletzt  Frankreich.  Hut  erhob  sich 
im  Beginne  des  14.  Jahrhunderts 
ein  abscheuliches  Gericht  über  den 
Orden,  dem  er  bald  gänzlich  zum 
Opfer  fiel.  Die  Ursache  n  der  Feind- 
schaft gegen  sie  waren  zum  Teil 
wirkliche  Ausartungen,  die  Anklage, 
dass  sie  in  treulosem  Einverständ- 
nis mit  den  Saracenen  gestanden 
hätten  und  der  schlimme  Ausgang 
der  Kreuzzüge  ihnen  am  meisten 
zur  Last  falle;  die  Eifersucht  der 
Johanniter;  die  Abneigung  der 
Bischöfe  und  Weltgeistlichcn,  von 
deren  Gericht  der  Orden  gänzlich 
emanzipiert  worden  war:  am  meisten 
aber  die  von  den  Reichtümern  des 
Ordens  gereizte  Habsucht  des  Königs 
Philipps  IV.  und  die  Schwäche  des 
Papstes  Clemens  V.  Im  Jahre  1306 
erfolgte  durch  königlichen  Befehl 
die  gleichzeitige  Verhaftung  aller  in 
Frankreich  lebenden  Tempelritter, 
und  Einziehung  ihrer  Güter.  Die 
Anklagenunkte  waren  vornehmlich 
auf  die  Verleugnung  Christi,  die  Ver- 
ehrung des  Götzenbildes  Baffomet 
und  auf  unnatürliche  Wollust  ge- 
richtet; ausserdem  sollten  sie  das 
Kreuz  bespeien,  mit  dem  Teufel  im 
Bunde  stehen,  einen  schwarzen  Kater 
anbeten  und  küssen,  Kinder  opfem 
und  dergleichen.  An  der  Spitze 
der  königlichen  Untersuehungskom- 
mission  stand  der  Dominikaner 
Wilhelm.  Die  Untersuchung  wurde 
höchst  grausam  und  willkürlich  ge- 
führt; viele  standhafte  Ritter  er- 
litten den  Feuertod.  Im  Jahre  1312 
erklärte  der  Papst  den  Orden  für 
aufgehoben,  indem  er  die  Personen 
und  die  Güter  des  Ordens  seiner 
und  der  Kirche  Verfügung  vorbe- 
hielt; die  letztern  sollten  dem  Johan- 
niterorden  zufallen.  Trotzdem  eig- 
nete  sich   Philipp  IV.  ungeheure 


Schätze  zu;  in  andern  Ländern 
wurden  die  Güter  der  Krone  zu  teil, 
oder  dem  Johanniterordeu ,  oder, 
wie  in  Aragonieu  und  Portugal,  ein- 
heimischen Ritterorden-  Vgl.  jlarf- 
mann,  Geschichte  des  Ausgangs  dt> 
Tempelherrenordens,  Stuttgart  1>4* 
—  l*rntz,  Kulturgeschichte  (Tor  Kreuz- 
züge.   Berlin  1H83.    S.  274 — 310. 

2.  Der    Johanniterorden ,  auch 
RhodUer  und   Maltheserritter  ge- 
nannt, Johannifac,   Fratret  Aotyi- 
tat  es  St.  Johannis,  Müites  kos^itaU* 
St.  Johannis  Hierosolymitoni ',  H--*- 
pitatani.   Die  Stiftung   dieses  Or 
dens  knüpft  sich  an  dasjenige  der 
zahlreichen,   zu  Jerusalem  schou 
vor  den  Kreuzzügen  zur  Aufnahme 
der  Pilger   gestifteten  Hospitäler- 
weiches  dem  heiligen  Johannes  v<* 
Alexandrien    geweiht    war.  Den 
Bewohnern    dieses  Gotteshauses, 
welche  sich  der  Regel  des  heilig 
Benedikt  unterworfen  harten,  sta&i 
zur  Zeit  der  Eroberung  Jerusalem* 
der  Provence  Gerhard   als  Pro- 
kurator   vor.     Bald    nach  diesen 
Ereignisse  gaben  sich  die  Hospitf 
ler  von  St.  Johann,  ohne  sich  iurr 
ursprünglichen  Aufgabe,  der  Priest 
von  Armen  und  Krauken,   zu  en: 
fremden,  eine  eigene  Regel,   dere  i 
Befolgung  sie  dem  Patriarchen  ge 
lobten.    Ein  schwarzes  mit  einem 
weissen  Kreuze  auf  der  Brust  ge- 
ziertes Gewand  zeichnete  die  ßr> 
der  aus.   Gleichzeitig  mit  der  neu** 
Regel  (1113)  erwaib  sich  der  Orden 
durch  Papst  Paschalis  II.   die  IV- 
freiung  von  dem  an  den  Patriarchen 
zu  entrichtenden  Zehuten  und  d*.* 
Recht,  sich  seine  Vorsteher  selb- 
ständig zu  wählen.    Der  erste  der 
selben  war  Gerhard,  dessen  Nack 
folger  seit  1118  Raymund  du  Pg*. 
unter  dem  erst  durch  eine  Anzali 
neuer  Regeln  der  Orden  eine  fester- 
Gestaltung  gewann.  Es  wurde  uän 
lieh   zu   den  Klostergelübden  dk 
Verpflichtung   gefügt,    gegen  d> 
Ungläubigen  zu  kämpfen;    zu  der: 
Ende  war  die  ganze  Geseilschar 


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Ritterorden,  geistliche. 


SGI 


in  die  drei  Klassen  der  Kitter, 
Priester  oder  Kapellane  (Gehör- 
eamsbrüder)  und  dienenden  Brüder 
geteilt,  von  denen  die  erste  für  den 
Krieg,  die  zweite  für  den  geist- 
lichen Dienst,  die  dritte  für  die 
Pflege  der  Wallfahrer  bestimmt 
war.  Die  kriegerische  Thätigkeit 
des  Ordens  war  es  vornehmlich, 
die  ihm  schnell  die  Gunst  des 
Papstes  und  der  weltlichen  Fürsten 
verschafften;  doch  artete  infolge 
der  ungeheuren  Reichtümer  auch 
diese  Gesellschaft  schon  früh  aus. 
Nach  dem  Verluste  Jerusalems  ver- 
legte der  Orden  seinen  Sitz  zuerst 
nach  Ptolemais,  dann  nach  Limisso 
auf  Cypern,  von  wo  aus  er  sich 
1309  aer  Insel  Rhodus  bemäch- 
tigte; nach  langen  Belagerungen 
eroberten  1522  die  Türken  die 
Insel  Rhodus,  worauf  sich  die  Jo- 
hanniter bald  da  bald  dort  aufhiel- 
ten, in  Candia,  Sizilien,  Rom.  bis 
Carl  V.  ihnen  1530  die  Inseln  Malta, 
Gozzo  und  Comino  mit  Tripolis 
unter  der  Bedingung  zu  Lehen  gab, 
dass  sie  die  Türken  und  Seeräuber 
bekämpften ,  Tripolis  beschützten 
u.  a.  Nachdem  schon  die  Refor- 
mation dem  Orden  grosse  Verluste 
gebracht,  erlag  er  »1er  Revolution 
gänzlich. 

Zur  Zeit  seiner  Blüte  bestand 
der  Orden  aus  sieben  Nationen  oder 
Zungen,  welche  Abgeordnete  zum 
Kapitel  schickten:  1  )Die  Provence  mit 
dem  Grosskomtur  des  Ordens,  als  Prä- 
sidenten des  Schatzes;  2)  Auvergne 
mit  dem  die  Landtruppen  befehli- 
genden Ordcusmarsehall;  3|  Frank- 
reich mit  dem  Grosshospitalmeister; 
4)  Italien  mit  dem  Admiral  oder 
General  der  Galeeren;  5)  Arago- 
nien,  Navarra  und  Katalonien  mit 
dem  Grosskonservator;  6)  Deutsch- 
land mit  dem  Grossbailli;  1)  Kasti- 
lien und  Portugal  mit  dem  Gross- 
kanzler; 8)  England  mit  dem  Turko- 
Polier,  dem  Kommandanten  der 
Wachen  und  der  Reiterei.  Jede 
Zunge  zerfiel  wieder  in  Prioreien, 


Balleien  und  Komtureien.  Die  höchste 
Ordenswürde  war  die  des  Gross- 
meisters des  heiligen  Hospitals  zu 
Jerusalem  und  Guardian  der  Armen 
Jesu  Christi:  er  wurde  aus  dem 
Kapitel  gewählt,  das  sich  aus  den 
Abgeordneten  jeder  Zunge  konsti- 
tuierte. Die  Aufnahme  der  von 
vier  Gliedern  väterlicher-  und  müt- 
terlicherseits adeligen  Mitglieder 
konnte  mit  dem  16.  Jahre  erfolgen, 
mit  dem  17.  begann  das  Noviziat, 
mit  dem  18.  wurden  die  Gelübde 
abgelegt.  Das  Ordenswappen  be- 
stand in  einem  silbernen  aenteckigen 
Kreuze  in  rotem  Felde,  mit  einer 
von  einem  Rosenkranze  umgebenen 
Krone,  unten  mit  einem  kleinen 
Maltheserkreuze  und  der  Unter- 
schrift Pro  fide.  Die  Ritter  trugen 
im  Frieden  einen  langen  schwarzen 
Mantel,  auf  demselben  und  auf  der 
Brust  das  weisse  achteckige  Kreuz; 
im  Kriege  sollte  die  Ordenstracht 
in  einem  weissen  Waffenrocke  mit 
einem  einfachen  Kreuze  auf  der 
Brust  und  auf  dem  Rücken  be- 
stehen. Neudecker  in  Herzogs 
Keal-Encykl.  —  Prutz,  Kulturge- 
schichte der  Kreuzzüge,  233  —  255. 

3)  Deutschorden  Als  bei  An- 
lass  der  Belagerung  von  Akkon 
viele  deutsche  Pilgrime  in  dem 
durch  Seuchen  und  Hungersnot 
heimgesuchten  Lager  hinstarben, 
schlugen  einige  Bremer  und  Lü- 
becker Bürger,  die  unter  der  Füh- 
rung des  Grafen  Adolf  von  Holstein 
ins  gelobte  Land  gesegelt  wareu, 
vermittelst  ihrer  Schiffsegel  Zelte 
zur  Pflege  jener  Pilger  auf;  mit 
ihnen  verbanden  sich  um  1190  Brü- 
der des  deutschen  Hospitals  zu  Je- 
rusalem. Anwesende  Fürsten  und 
namentlich  der  junge  Herzog  Frie- 
drich von  Schwaben  fassteu  darauf 
den  Entschlus.%  dieses  Institut  zu 
einem  Ritterorden  nach  dem  Vor- 
bilde der  Johanniter  und  Templer 
zu  gestalten;  die  beiden  Meister 
dieser  Orden  entwarfen  nun  ge- 
meinsam mit  dem  Patriarchen  und 


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862 


Ritterorden,  geistliche. 


anderen  hohen  Geistlichen  eine  neue 
Regel,  so  zwar,  dass  man  die  Ge- 
setze für  die  ritterliche  Thätigkeit 
von  dem  Tempelorden,  die  Pflege 
christlicher  Mildthätigkeit  aber  von 
den  Johannitern  entlehnte.  Die 
neue  Gemeinschaft  hiess  „Orden 
des  deutschen  Hauses  unserer  lie- 
ben Frau  zu  Jerusalem4'  und  erhielt 
1191  die  Bestätigung  des  Papstes 
Clemens  III.  Das  Ordenskleid  der 
Ritter  wurde  ein  weisses  Gewand 
mit  einem  schwarzen  Kreuze;  der 
erste  Hochmeister  war  Heinrich 
Walpott  von  Bassenheim  in  den 
Rheinlanden.  Die  Brüder  zerfielen 
in  zwei  Klassen,  in  Ritter  und 
Krankenpfleger;  die  Priester,  die 
den  Gottesdienst  zu  besorgen  hatten, 
wurden  erst  später  dem  Orden  als 
eigentliche  Mitglieder  eingeordnet, 
pie  erste-  bedeutende  Schenkung 
kam  dem  Orden  durch  Kaiser  Hein- 
rich VI.  zu,  ein  Cistercienserkloster 
zu  Palermo,  dessen  Besitzer  wegen 
widerspenstigen  Benehmens  vertrie- 
ben worden  waren.  Schnelleren 
Aufschwung  nahm  aber  der  Orden 
erst  seit  1210,  unter  dem  Hoch- 
meister Hermann  von  Salza,  der 
seiner  grossen  Verdienste  wegen 
für  sich  und  seine  Amtsnachfolger 
zur  Reichsfürsten  würde  erhoben 
wurde  und  die  Erlaubnis  erhielt, 
auf  seinem  Schilde  und  in  seiner 
Ordensfahne  den  schwarzen  Adler 
zu  führen. 

Das  folgenreichste  Ereignis  für 
die  Zukunft  des  Ordens  war  seine 
Berufung  nach  Prcusseu.  Der  Bi- 
schof Christian  von  Kulmerland  und 
der  Herzog  Konrad  von  Masovien, 
ausser  stände,  sich  der  beständigen 
Einfalle  und  Verheerungen  der  heid- 
nischen Preussen  zu  erwehren,  ka- 
men nach  Besprechung  mit  den 
masovischen  Grossen  überein,  dem 
Hochmeister  des  Deutschordens,  der 
damals  in  Venedig  residierte,  eine 
Schenkung  des  Kulmerlandes  und 
eines  anderen  Gebietes  an  der 
Grenze  Preussens  anzubieten,  wenn 


er  sich  entschliesse,  einen  Teil  seiner 
Ordensritter  berbeizusenden.  Nach- 
dem Kaiser  Friedrich  II.  dem  Hocb- 
I  meister  Vollmacht  erteilt ,    mit  der 
ganzen  Macht   seines    Ordens  in 
Preussen  einzudringen  und  zugleich 
bewilligt  hatte,  dass  der  Orden  so- 
wohl das  verheissene  und  das  soa<-t 
I  noch  an  ihn  zu  verleihende,  als  da? 
I  sonst  zu  erwerbende  Land  frei,  ohne 
!  Dienstlast  und  Steuerpflicht  besetzen 
sollte,  schickte  Hermann  von  Salz.-, 
eine  Schar  Ordensbrüder  unter  An- 
führung des  Deutschmeisters  Her- 
mann  Balk   und   des  Marschall? 
[  Dietrich  von  Bernheim  nach  lYeu>- 
I  sen  ab.    Das  Land   wurde  eing*- 
l  nommen,   Burgen  und  Städte 
gründet ,  auch   vereinigte  sich  drr 
Orden  mit  den  schon  früher  bestao 
denen  Orden  der  Dobrinrr  Ktitf' 
hriider  und   dem  Itifterortien 
Schicerthri'uler    in    Livt-and.  Ih- 
ersten  Beamten  waren  ausser  det 
auf  Lebensdauer  gewählten  Hoeb- 
!  meister    der    Grosskomtur .  ckr 
j  Oberst-Spittler,  der  Oberst- Trap^r 
'der   Tressler   oder  Schatzmeister 
die  Residenz  des  Hochmeisters  ulJ 
seiner  Würdenträger  war  Akkco. 
wo  auch  das  Generalkapitel  geh* 
ten  wurde.   Für  die  einzelnen  Lac 
der  wurden  Stellvertreter  emanm 
der   Statthalter    von  Deutschland 
hiess  Deutschmeister,  der  von  Liv 
land  Heermeister,  der  von  Preus*?r 
!  Landmeister.     Den  einzelnen  Be- 
I  zirken ,   deren  es  in  Deutschland 
1  elf  gab,  standen  Komture  vor,  neb** 
welchen  es  in  Preussen  Ordensvögte 
cab.    Seit   1309  war  der  Sitz 
Hochmeisters  in  Marienburg.  Da* 
14.  Jahrhundert  war  die  Blüte»:: 
des  Ordens;   den  ersten  schweren 
Stoss  erlitt  er,  als  in  der  Schlack: 
bei  Tannenberg  1410  die  Blüte  d-- 
Ordens  von  dem  vereinigten  pc4- 
nisch- litauischen  Heere    Vernich trt 
wurde;    durch    den    Frieden  toi. 
Thorn,  1466,  geriet  das  Orden&laD  - 
in    polnische  Lehensabhäugig-keir 
das  Kulmer  Land,  Elbing  und  Ma 


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Ritterorden,  weltliche.  —  Rittertum. 


863 


rienburg  gingen  ganz  verloren.  Der 
Ordensstaat  war  in  völliger  Auf- 
lösung begriffen,  als  auf  den  Rat 
Luthers  der  Hochmeister  Markgraf 
Albrecht  von  Brandenburg  die  Sä- 
kularisation des  Ordensstaates  und 
die  Einführung  der  Reformation 
ins  Werk  setzte.  Die  in  Deutsch- 
land befindliehen  Reste  des  Ordens 
wählten  einen  neuen  Hofmeister, 
der  seinen  Sitz  zu  Mergentheim 
nahm.  Klüpfel  in  Herzogs  Real- 
Encyklopädie.  —  I  oigt,  Geschichte 
des  deutschen  Ritterordens,  2  Bände. 
Berlin  1857-59.  Prutz,  in  dem 
angeführten  Werke,  S.  255—264. 

Ausser  den  genannten  Ritter- 
orden entstanden  zu  derselben  Zeit 
noch  zahlreiche  andere,  die  mehr 
oder  minder  grosse  Bedeutung  ge- 
wannen. Dazu  gehören  u.  a.  der 
Orden  von  St.  Jago,  um  1170  in 
Spanien  zur  Vertilgung  der  Mauren 
und  zur  Beschützung  der  Jakobs- 
fahrer gegründet;  der  Calatrava- 
Orden,  von  der  kastilischen  Stadt 
Calatrava  benannt,  um  1158 
die  Sarazenen  gestiftet;  der 
von  Alkantara,  um  1156  gestiftet; 
er  besass  die  Regel  der  Cistercien- 
ser  und  widmete  sich  namentlich 
der  Krankenpflege  und  dem  Schutz 
der  Kirche  und  der  Pilger. 

Ritterorden,  weltliche.  Nach 
dem  Vorbilde  der  geistlichen  Ritter- 
orden entstanden  seit  dem  Ende  des 
12.  Jahrhunderts  Rittergesellschaften 
weltlicher  Natur,Brüderschaften  oder 
Bünde,  die  je  nach  Ermessen  geist- 
liche oder  weltliche  Geschäfte  ver- 
banden. Von  Anfang  an  vorzugs- 
weise von  Fürsten  und  dem  höchsten 
Adel  gegründet,  ging  das  Recht  ihrer 
Stiftung  früh  einseitig  auf  die  Herr- 
scher über,  die  sich  dieser  Stiftungen 
für  ihre  dynastischen  Zwecke  De- 
dienten. 2ai  den  frühesten  Orden 
dieser  Art  gehört  der  1190  vom 
Dänenkönig  Kaimt  IV.  begründete 
Elej'antenorden,  und  der  1219  eben- 
falls in  Dänemark  vom  König  Wal- 
demar II.  gestiftete  Orden  mm  Dane- 


en 


brog.  In  die  rechte  Blüte  als  einer 
zum  weltlichen  Fürstenstaat  gehö- 
renden Institution  kamen  diese  Orden 
nicht  vor  dem  14.  Jahrhundert,  wo 
ihr  Zweck  Verherrlichung  des  Hofes, 
Auszeichnung  und  Heranziehung  der 

geeignetsten  Persönlichkeiten  inHof-, 
Kriegs-  und  Staatsdienst  wurde. 
Diese  Richtung  ist  vorhanden  in  dem 
von  Philipp  von  Burgund  1430  ge- 
stifteten Orden  vom  goldenen  Wesse, 
im  englischen  Hosenbandorden  (1454), 
im  französischen  Orden  des  heiligen 
Michael  (1469»  und  vom  heil.  Geist 
(1578);  desgleichen  in  dem  des  heil. 
Ludwig  (1693). 

Rittertum.  Die  Entstehung  des 
Ritterstandes  liegt  in  der  zunehmen- 
den Bedeutung  des  Rossedienstes;  in- 
dem sich  ausserhalb  der  durch  das  Ge- 
burtsrecht bedingten  Ständeunter- 
schiede die  Art  des  Kriegsdienstes 
in  den  Vordergrund  drängte,  ergab 
sich  ein  Band,  das  namentlich  die 
bis  jetzt  getrennten  Stände  des  hohen 
Adels  und  der  Ministerialen  unter 
einer  neuen  Einheit  vereinigte;  der 
lateinische  Name  ist  mües,  aus  dem 
deutschen  Wort  riter  zweigt  sich  das 
Wort  ritler  ab.  Man  findet  auf 
deutschem  Boden  diese  Namen  zuerst 
in  Lothringen,  das  sich  in  seiner  Ent- 
wicklung dem  benachbarten  Frank- 
reich anschloss,  in  königlichen  Ur- 
kunden zuerst  unter  Lothar,  1125  bis 
1137.  Im  Verlauf  des  12.  Jahrhun- 
derts bildete  sich  die  Ansicht  immer 
fester  aus,  wonach  alle  zum  Ritter- 
dienst berechtigten  und  verpflichteten 
Personen  als  eine  geschlossene  Ge- 
sellschaft, das  Schildes  ampt,  ordo 
militaris,  equestris,  vereinigt  gedacht 
wurden.  Sie  bildeten  einen  eigenen 
Stand,  dessen  Erhaltung  namentlich 
auf  der  standesmässigen  Erziehung 
der  Söhne  beruhte.  Freie  eheliche 
Geburt  und  Wahl  der  kriegerischen 
Lebensart  waren  die  Vorbedingungen, 
um  diesem  Stande  anzugehören;  sonst 
konnte  jeder,  er  mochte  Fürst  oder 
Dienstmann  sein,  Ritter  werden; 
dennoch  bildete  sich  auch  dieser 


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864 


Rittertum. 


seiner  Natur  nach  auf  der  Persön- 
lichkeit der  Einzelnen  beruhende 
Stand  dem  Geiste  der  Zeit  gemäss 
früh  wieder  in  einen  erblichen  Stand, 
den  der  Ritterbürtirfen  aus,  dem  alle 
diejenigen  angehörten,  deren  Vater 
undGrossvater  Ritter  gewesen  waren ; 


machten  diese  jungen  Fürsten  so- 
fort 400  andre  zu  Rittern. 

Die  ritterliche  Erziehung  dauerte 
in  der  Regel  bis  zum  21.  Jahr.  Bü 
zum  7.  Jahr  blieb  der  Knabe  bei  der 
Mutter;  dann  kam  er  an  einen  fremden 
Hof  oder  zu  einem  fremden  Rirt»-r. 


dem  Kaiser  blieb  dabei  die  Befugnis,  um  sich  hier  gemeinsam  mit  andern 
um    besonderer  Verdienste    willen  Knaben  in  höfischer  Sitte  unterrichten 
auch  Knechte  zu  Rittern  zu  machen;  und  üben  zu  lassen:  sein  Name  ist 
doch  war  das  gegen  die  allgemeine  jetzt  leint,  juncherre,  junchrrrrlh 
Regel   und   ungern  gesehen.    Das  Sein  Dienst  galt  besonders  der  Damt-. 
Symbol  des  Rittertums  ist  das  Schild,  an   deren  Hof  er  sich  befand:  er 
daher  der  Name  Schilden  ampt,  das  musste  sie  bei  Tisch  l>edienen,  ihr 
soviel    als    Ritterdienst    bedeutet.  Aufträge  und  Befehle  vollziehen,  dVj 
Ritter  ist  in  der  höfischen  Periode  Boten  machen,  sie  auf  Reisen,  auf 
der  verbreitetste  Name  für  den  An-  Spaziergängen  und  auf  der  Jagd  b- 
gehörigen  des  höfischen  Standes,  da  gleiten,  ihres  Winkes  gewärtig  »»in 
er  allein  alle  besondern  Abteilungen  es  war  die  Vorbereitung  zum  später, 
und  Arten  desselben  umfasst;  so  ritterlichen  Frauendienst.  Daneben 


wurde  er  in  mancherlei  Kenntnissen 
und  Fertigkeiten  von  „weiser. 
Männern"  unterrichtet,  ineist  Gckt 
liehen  oder  fahrenden  Sängern:  -i:» 
standen  sie  denn  wohl  unter  der  Auf- 
sicht eines  besondern  zuchfmeis'en 


heisst  es  z.  B. :  der  heiser,  die  künige, 
derfürsten  schar,  grurenxfrien,  dienst- 
man,  —  teaz  ice'rder  ritlere  hat  der 
plan  etc. 

Charakteristisches  Zeichen  der 
Ritterwürde  istdie*Kvv7/ei7<?t  die  Um- 
gürtung mit  dem  Schwert,  das  Wort  Auch  körperliche  Übungen  u. 
ritteruae  kommt  mittelhochdeutsch  wurden  getrieben :  Laufen,  Springen 
nur  vereinzelt  vor;  die  Zeremonie  i  Reiten,  Schwimmen,  mit  Bogen  tu* 
stammt  aus  der  uralten  Wehrhaft-  Armbrust  schiessen ,  Steinwerfen, 
machun^  der  Germanen  (siehe  den  Sehwert,LanzeundSenUd  handhaben 
Art.  Erziehung)  und  hatte  sich  ohne  I  Mit  dem  vierzehnten  Jahre  wur& 
besonderes  Aufsehen  als  Gewohnheit  i  das  kint  zum  knappen,  famulm* 
und  Recht  der  Freien  bis  jetzt  er- 1  armiger,  befördert;  auch  das  W  ir 
halten.  Die  häufigsten  Gelegenheiten  knecht  wird  etwa  gebraucht.  Er  er 
zur  sicertleite  boten  die  hohen  Kirchen-  hielt  jetzt  ein  Seliwert  umgehän^ 
feste,  namentlich  das  Pfingstfest,  und  trat  in  die  Dienste  des  Kittel 


Verkündigungeines  Friedens, Reichs- 
tage, Krönungsfeste,  Vermählungen 
und  dergleichen,  sodann  benutzte 
man  mit  Vorliebe  den  Moment  vor 
oder  nach  einer  Schlacht  oder  son- 


Jetzt  hatte  er  für  Reinhaltung  dtt 
Waffen,  für  die  Pferde  zu  sorgen,  der 
Herrn  zur  Jagd,  zum  Turnier,  in  d« 
Krieg  zu  begleiten,  wobei  er 
Herrn  Lanze  trug  und  das  Streitroft- 


stigen  kriegerischen  Begebenheit,  den  1  desselben  am  Zügel  neben  sich  fuhrt' 
Ausbruch  eines  Krieges.  Zu  den  In  der  Schlacht  blieben  die  Knappen 
Vorrechten  derRitterbürtigen  gehörte  in  unmittelbarer  Nähe  der  ritterliche 
auch  das  Recht,  die  Würde  andern  Schlachtreihe.  Seine  Wehr  bestac: 
zu  erteilen,  und  es  kam  vor,  dass  in  einer  leichten  Blechhaube,  einen 
gerade  dieses  der  erste  Akt  eines  j  Schild  und  einem  Schwerte ;  sUt- 
Wehrhaftgemachten  war;   als  Phi-  eines  Streitrosses  hatte  er 


lipp,  Sohn  Philipps  des  Schönen,  Klepper.  Ehre  und  Anstand  geb*< 
an  einem  Pfingstfest  seine  drei  dass  sein  Herr,  meist  der  Lehnsherr 
Söhne  zu   Rittern  gemacht  hatte,  ihn  zierlich  kleidete,  in  der  Regel  i: 


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Rittertum. 


8o5 


den  Farben  seines  Wappens.  Am  letzte  sei,  den  er  sich  müsse  gefallen 
Hof  hatte  der  Knappe  die persön liehe  lassen;  später  war  der  Backenstreich 
Bedienung  des  Herrn,  in  der  Schlaf-  die  Zeremonie ,  welche  den  Edel • 
kammer,  bei  Tische,  in  Küche  und  knaben  zum  Knappen  machte.  So- 
Keller,  im  Stall,  so  zwar,  dass  an  dann  wurde  ihm  mit  dem  ritterlichen 
grössern  Höfen  diese  verschiedenen  Gürtel  das  Schwert  um  den  Leib 
Obliegenheiten  unter  die  Knappen  gegürtet  und  darauf  die  goldenen 
unter  der  Aufsicht  der  obern  Hof-  Sporen  und  die  einzelnen  Stücke  der 
beamten  verteilt  waren.  Überhaupt  Rüstung  nach  einander  angethan, 
aber  war  es  in  der  Blüte  des  Ritter-  endlich  das  Ritterpferd  vorgeführt, 
tums  dem  Herni  daran  gelegen,  den  auf  dem  er  sich  sofort  in  dem  nun 
Knappen  nicht  bloss  körperlieh,  son-  folgenden  Turnier  in  seiner  Würde 
dem  geistig  und  sittlich  zu  einem  bewähren  konnte, 
rechten  vrunten ,  d.  h.  trefflichen  Das  einer  belgischen  Chronik  ent- 
Ritter zu  machen;  daher  sich  in  Prosa  nommene  berühmte  Zeremoniel  bei 
und  Versen  eine  eigene  Zucht-  und  der  Ritterweihe  des  Königs  Wilhelm 
Anstandslehre  für  junge  Knappen  12U7  hat  sich  als  Fälschung  heraus- 
ausbildete, die  namentlich  in  dem  gestellt.  Siehe  Roth  v.  Schreckenstein 
Gedicht  „Winsbeke"  erhalten  ist.     in  den  Forschungen  z.  d.  G.  XXII. 

Mit  dem  21.  Lebensjahre  war  die  233  —  247. 
Knappeuzeit  abgelaufen  und  durfte  Die  mit  der  Schwertleite  vollen- 
die  Schwertleite  erfolgen;  andere  dete  ritterliche  Erziehung  bildete 
Xameu  dafür  sind  daz  strert  nemen,  nun  die  Grundlage  des  ritterlichen 
steert  leiten,  daz  swerl  geben;  diese  Geistes,  der  ritterlichen  Bildung, 
zu  erwerben  war  jeder  verpflichtet,  welche  die  eigentliche  Blüte  des 
vom  Kaiser  bis  zum  adeligen  Dienst-  mittelalterlichen  Geistes  geworden 
mann;  doch  mussten  sie  Christen  ist.  Der  Kern  dieses  Rittertums 
sein  und  es  war  gegen  die  Regel,  ist  seiner  innern  Natur  nach  ein 
wenn  Riehard  Löwenherz  und  Fried-  Ideal,  ein  Geist,  eine  Kraft,  ein 
rieh  II.  edelu  Sarazenen  den  Ritter-  Begriff,  der  sich  im  einzelnen  Ritter 
schlag  erteilten.  Ein  einheitliches  nie  vollständig  verwirklichen  konnte, 
Zeremoniel  gab  es  anfangs  nicht;  der  aber  für  die  ganze  Bildung  des 
auch  bedingten  Ort  und  Zeit  wesent-  Standes  von  ausserordentlichen  Fol- 
liche  Änderung;  ein  Schlag  war  in  gen  war.  Es  wird  nie  gelingen,  aus 
ältesterZeitiedeufalls nicht ineHaupt-  den  vorhandenen  Regeln  des  Ritter- 
sache, sondern  die  Umgürtung  mit  tums  das  ganze  Bild  der  Erschei- 
dem  Schwert.  Das  französische  nung  zu  gewinnen;  am  ehesten  ist 
Ritual  war  ausgebildeter  als  das  das  aus  den  von  des  Dichters  Auge 
deutsche,  und  die  spätere  Zeit  gefiel  erschauten  RittergeMalten  möglich, 
sieh  um  so  mehr  in  Zeremonien,  je  namentlich  aus  den  Artusgedichten, 
mehr  der  thätige  Geist  des  kriegeri-  Tristan  und  Isolde,  Iwein,  Parzival. 
sehen  Rittertums  gewichen  war.  Die  vier  Haupt  rieht  ungen  der  rittet'' 
Immer  ginc  ein  Gottesdienst  voraus,  liehen  Lebensführung  sind  aberpreis- 
wobei  der  Knappe  beichtete  und  das  würdiger  vollkommener  II  affen- 
Abendmahl  empfing.  Nachdem  er  dienst,  Ehre,  höfische  Zucht  und 
dann  knieend  die  Ermahnungen  an-  Frauendienst,  von  welchen  die  beiden 
gehört  und  das  Gelübde  mit  einem  erstem  mehr  aus  der  ältern  Zeit 
Eidschwur  abgelegt,  empfing  er  mit  (  herübergenommen,  aber  höfisch  aus- 
der  Flüche  des  Schwertes  dreiSchläge  gebildet,  die  beiden  letztern  neu  sind, 
über  die  Schulter  oder  den  Rücken,  Des  Ritters  Waffendienst  achlivsst, 
oder  einen  leisen  Schlag  an  den  Hals,  was  früher  nicht  der  Fall  war, 
zum  Zeichen,  dass  dies  nunmehr  der  jeden  andern  Lebensberuf  als  des 

Realkxlcon  der  deutschen  Altertümer.  55 


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866  Rittertum. 


Ritters  unwürdig:  aus;   er  bestellt  kraft  welches  sowohl  die  Drittperson. 
nicht  einmal  sein  eigenes  Hofgut,  sei  sie  höfischen  Standes  oder  nicht, 
aus  dem  er  doch  herausgewachsen  ihm,  dem  Ritter,  die  ihm  gebührend-: 
ist :  noch  viel  weniger  darter  Handel  äussere   und   innere  Achtung  ent- 
und  Gewerbe  treiben.    Der  Ritter  gegenzubringen  hat,  als   er  selbst 
ist  geborner  Kriegsmanu;  auf  den  zu  handeln,  zu  sprechen,   zu  em- 
Wanendienst  sind  in  erster  Linie  pfinden  verpflichtet  ist.    Es  gieb; 
Wohnung,  Kleidung,  Unterhaltung,  wohl  auch  Regeln  der  Ehre;  doch  Ls: 
Spiel  und  Erziehung  gebaut ;  so  eng  diese  nicht  bloss  äusserlich  erkennbar, 
ist  der  Dienst  mit  dem  Wesen  des  denn  auch  sie  ist  eine  Kraft,  eine 
Ritters  verflochten,  dass  dieser  kraft  Idee,  die  im  Gemüte  wurzelt  uai 
seines  Standes  nicht  bloss  im  ernsten  von  da  aus  das  granze  Lebeu  duneh- 
Waffendienst  dem   Feinde  gegen-  dringen  muss.  H eise,  d.  h.  erfahrene, 
über  zu  kämpfen  hat,  sondern  dass  ältere  Männer,  sind  es,  welche  der 
er  als  Ritter  verpflichtet  ist,  immer  Jugend,    der  tumpheit,    zu  sage: 
uud  überall  freiwillig  kriegerischen  wissen,  was  tre  sei;  denn  Ehre  »iL 
Kampf  aufzusuchen  und  sich  daran  Erfahrung.     Das  Ideal    der  Ehr 
zu  bethätigen;  daher  ist  der  Waffen-  konnte  sich  am  allerwenigsten  ii 
kämpf    nicht    bloss  eine    tagliche  einem   Ritter  verwirklichen. 
Übung  des  Ritters  auf  seinem  Hofe,  Natur  des  Menschen  trägt  auch  Un- 
solidem er  hat  an  fremden  Höfen,  ehre  an  sich.    Besonders  gefahritct 
in  fremden  Ländern,  in  der  Nähe  war  dieser  Begriff  für  die  Wert- 
und  in    der    Ferne  seinem  Beruf  Schätzung  des  Ritters  nach  M*k- 
nachzugehen,    er  tuocht  fremediu  gäbe  seiuer  geistigen  intellcktuclH 
lanf.  Überdies  hat  sich  der  ritterliche  Gaben  und  seines  weltlichen  Be 
Waffendienst    zu  einer   besondern  sitzes;  von  dem  letztem,  dem  Reit  b 
Kunst  und  Erscheinung  ausgebildet,  tum,  war  die  Ehre  des  Ritters  ue 
die  im  ernsten  Krie^rskampfe  sowohl  abhängig,  ein  Umstand,  der  es  a'ikii 
als  im  Ritterspiel,  in  der  Form  des  dem  besitzlosen  Edeling  ermöglicht» 
ijost,  buhurt  und  furnier  ihren  eige-  in  den  Kreis  der  hohem  höfisch« 
nen,  streng  vorgeschriebenen  Ge-  Gesellschaft  einzutreten;  aber  die 
setzen  folgt.    Sielie  die  besonderu  :  selbe  Verachtung  des  Reichtums  ver- 
Artikel.  !  langte  von  dem ,  der  ihn  besä.- 
Auch  die  Ehre  ist  gewiss  etwas  stets  und  überall  so  zu  handeh 
weit  älteres  als  das  Rittertum;  sie  als  ob  es  für  ihn  gleichgültig  ta 
eignet  ihrer  Natur  nach  jedem  höher  wie  viel  und  wie  ort  er   zu  gebes 
gestellten  Wesen,  sie  eignet  Gott,  habe;  daraus  fliesst  die  ritVrhV' 
dem  König,  dem  Herrn,  dem  Freien,  Tugend  der  milte,  der  Freicebit 
und  die  Deutschen  zumal  übteu  von  keit,  welche  eine  grosse  Schuld  in 
altersher  die  Ehre  des  Dienstmannes,  spätem    ökonomischen    Ruin  dr? 
welche  man  Treue  heisst;  ja  gerade  Adels  auf  sich  getragen  hat,  Wec 
die  Treue  scheint  sich  ihm  schon  ger  gefährlich  mag  der   UmeU: : 
sehr  früh  zu  einem  Lebensideal  ge-  gewesen  sein,  dass  auch  die  inte  Utk 
staltet  zu  haben,  welches  wesentlich  tuclle  Wertschätzung   ausser  d»iu 
zur  Entwicklung  des  spätem  Be-  Begriff  der  Ehre    lag:   denn  vte 
griffes  der  ritterlichen  Ehre  beitrug.  Lieblingsgebiet  des  Taleutes,  d: 
Doch  ist  diese  mehr  als  Treue;  sie  Wissenschaft,  lag  gänzlich  au^: 
ist  der  sittliche  Inbegriff  alles  dessen,  der  Sphäre  des  Rittertums,  wek±^ 
was  ihn  der  Gesellschaft  gegenüber  nicht  einmal  der  Schreibekunst  i>~ 
zum  Ritter  macht,  sie  ist  jetzt  ein  dürftig  war:  nicht  lesen  und  schre 
spezifisch  ritterlicher  Begriff,  der  ben  zu  können,  verstösst  nicht  geg>  - 
Abglanz    des    ritterlichen    Amtes, 1  die  Ehre  des  Ritters,  aberNarrheitts. 


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Rittertum. 


867 


Sünden  gegen  die  Vernunft  zu  be-  Ritterideal  etwas  weichliches  und 

gehen  eben  auch  nicht,  uud  wenn  weibliches,  wie  sich  auch  die  Poesie 

in  der  Blüte  der  höfischen  Bildung  mit  Vorliebe  der  frischen,  auf  blühen- 

die  Ehre  stark  genug  gewesen  sein  den  Jugend  zuwendet,  wenn  noch 

wag,  auch  hier  vermittelnd  einen*  das  Rot  und  Weiss  der  Wangen 

greifen,  schliesslich  hat  sich  doch  zart  erglüht.    Selbst  die  Kleidung 

aus  dem  höfischen  Rittertum  ein  des  Ritters  ist  nicht  ohne  weiblichen 

Don  Quixote  entwickelt.  Zug.    Die   höfische  Sitte  verlangt 

Wesentlich   neu    und  erst   der  zunächst  ein  bartloses  Gesicht,  von 

Bildung  des  höfischen  Lebens  an-  welchem  bloss  hohe  fürstliche  Pereo- 

gehörend  ist  die  höfische  Zucht,  die  nen  und  würdige  Alte  Ausnahme 

hörescheit,  die  cvurtouie,  die  mau  machten.    Dagegen  gestattete  man 

zwar  auch  unter  den  Begriff  der  dem  Haupthaar  mehr  Spielraum  und 

Ehre   unterordnen    dürfte.    Es  ist  Hess  es  in  sauften  welligen  Locken 

das  Gebahren  des  Ritters  in  der  zu  beiden  Seiten  des  Gesichtes  am 

höfischen  Gesellschaft.  Gewiss  hatte  stets  freigetragenen   Halse  herab- 

sich  schon  lauge,  namentlich  am  fallen,  doch  nicht  so  lang,  dass  es 


königlichen  Hofe,  eine  Regel  des  die  Schultern  erreichte.  T)er  lance 

hofinässigen    Benehmens    herange-  Rock  des  Ritters  ging  bis  über  ihe 

bildet,   aber  zur  lebendigen,  den  Knie,  ja  selbst  bis  auf  die  Füsse 

ganzen  Stand  umfassenden  Lebens-  herab;  er  war  rings  geschlossen,  am 


tührung  ist  die  höfische  Zucht  erst ,  Oberteile  nach  dem  Wüchse  ge- 
setzt geworden?  Auch  sie  ist  ihrem  schnitten  und  in  ziemlicher  Enge 
Wesen  nach  innerlich,  geistig,  ideal ;  an  den  Körper  schliessend,  während 
aber  die  Gesellschaft  bemüht  sich,  j  er  unten  weit  die  Beine  umwallte; 
sie  leiblich  ins  Leben  einzuführen,  auch  war  er  mit  einem  meist  kost- 
Zucht  ist  das  Gefühl  für  Wohlan-  baren  Gürtel  gegürtet.  Um  die 
ständigkeit,  sie  ist  so  notwendig,  Schultern  legte  sich  zur  Vervoll- 
dass  sie  sogar  (iott  selbst  beigelegt  stiindigung  der  ritterlichen  Kleidung 
wird.  Leiblich  aber  ist  sie  edle  Au-  ein  weiter  wallender  Mantel,  der 
standigkeit  im  Betragen ,  Geberde,  auf  der  Brust  durch  eine  Agraffe 
Kleidung;  sie  bewahrt  sich  besonders  gehalten  wurde.  Die  Rüstung  legte 
beim  J'!mj>  fange,  beim  Ah*chied,  in  der  der  Ritter  nur  an,  wenn  er  sie 
GeselUchitft,  namentlich  in  der  auf-  brauchte;  in  der  Gesellschaft  und 
merksamen  und  feinen  Bedienung  sogar  auf  dem  Kriegszug  Abends 
bei  Tafel.  Das  sehickliche  Wort  in  der  Herberge  trug  er  die  gewöhn- 
in  schicklicher  Form  bei  der  Be-  liehe  Kleidung.  Die  Rüstung  be- 
gegnung  und  in  der  Unterhaltung  |  stand  aus  dem  Kettenhemo  und 
zu  finden  und  zu  gebrauchen,  ist  ähnlichen  aus  Ringen  geflochtenen 
stets  ein  Beweis  der  Zucht.  Das  i  Bekleidungen  des  Kopfes,  der  Hand 
Lebenselement  der  zucht  ist  aber  und  der  Beine.  Über  den  Ringen 
das  Mass,  die  m uze,  das  gemessene  lag  lang  und  weit  und  flatternd 
Handeln,  die  Rücksicht  auf  die  Um-  '  ein  prachtvoller  Waffenrock  der  in 
stände,  die  Vermeidung  des  Zuviel,  Farben  leuchtete  und  mit  den  Zeichen 
des  Zuwenig,  die  Bändigung  des  und  Bildern  des  ritterlichen  Wappens 
leidenschaftlichen  Benehmens,  und  bedeckt  war. 


doch  eine  Beweglichkeit,  welche 
die  Scheu  und  die  Unbeholfenheit 
überwindet.  Die  Forde  rung  höfischer 


Die  höfische  Zucht,  als  eine 
eigenartige,  auf  einen  hohen  Grad 
von  Gefühl  für  das  Edle  und  Schöne 


Zucht,  die  Unterordnung  des  Manues  gebaute  Lebensführung,  die  nicht 
unter  eine  gebotene  Gesellschafts- !  bloss  in  der  Phantasie  vorhanden 
regel   giebt  dem    mittelalterlichen  war,  obgleich  sie  hier  die  höchste 

55* 


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868  Rittertum. 


Ausbildung   erreicht   haben    mag,  Werber  zum  Vater  und  nieht  zur 
steht  nun  im  engsten  Zusammen-  Tochter  hinwies.    Die  Liebe  ent- 
hang  mit  dem  Frauend iensf,  der  das  sprang  in  dem  Busen  des  Weibe» 
Eigentümlichste  ist,  was  die  höfische  und  der  Mann  nahm  sie  hin  als 
Bildung  hervorgebracht ;  im  Dienste  Anerkennung    seiner  Tüchtigkeit, 
der  Frau  steht  zugleich  des  Ritters  die  er  fordern  konnte  und  die  ff 
Waffe,  Ehre  und  Zucht.  Die  Stellung  mit  ehelicher  Zuneigung  belohnte 
des  Weibes  war  bei  den  Germanen  Hatte  der  Mann  auch  Achtuns  vor 
wie  bei  allen  andern  Völkern  ur-  der  einzelnen  Frau,  dem  Gesehleck  f 
sprünglich  eine  sehr  niedrige.  Das  versagte  er  eine  ihm  ebenbürtig* 
Weib  musste  sich  mit  dem  toten  Stellung.     Die   alten  Heldensagen 
Manne  verbrennen  lassen,  der  Mann  der  Germanen  kennen  wohl  leiden 
hatte  das  Recht,  es  zu  verkaufen  schaftliche,  den  Männern  sogar  über- 
oder  zu  verschenken.    Nur  durch  legene    einzelne    Heldinnen,  aber 
die  Gnade  des  Vaters  wurde  ihm  Lieder  der  Liebe  sind  es  nie  und 
zu  leben  erlaubt,  durch  Geld  wurde  nimmer  gewesen, 
es  von  einem  Fremden  dem  Vater       Das  ändert  sich  jetzt  fast  plöcz- 
abgekauft;  auf  dem  Weibe  allein  lieh,  ohne  dass  man  genau  sagex 
lag  die  Bestellung  von  Haus  und  könnte  warum;  wir  erkennen  blos?. 
Feld.    Diese  ältesten  harten  Ver-  dass  eine  Veränderung  eingetret« r. 
hältnisse  waren  nun  freilich  schon  ist.  zufolge  welcher  weibliche  Sckö* 
früh,  lange  bevor  das  Christentum  heit  an  Stelle  der  männlichen  Tüd 
bei  den  Germanen  herrschend  wurde,  tigkeit  zur  Quelle  der  Liebe  p  - 
teils  durch  das  Aufkommen  eines  macht  ist.  Eine  Hauptursache  dieser 
milderen  Rechtes  oder  wenigstens  Erscheinung  war  gewiss  die,  das 
einer    milderen  Gewohnheit,    teils  die  soziale  Ausbildung  des  Ritter- 
dureh  die  Wirkungen  religiöser  An«  I  Standes  als  eines  von  der  nichtritter- 
schauungen   veredelt.    Doch   blieb  liehen  Welt  getrennten  von  seihet 
das  ganze  Mittelalter  hindurch  der  auch  die  weibliche  Bevölkerung  des 
Grundsatz,  dass  die  Frau  kein  eige-  Standes  in  die  Sphäre  des  abge 
nes  Recht  besass;  sie  stand  unter  sonderten  Standeslebens  zog;  div 
der  Vormundschaft  und  dem  Schulze  Ehre  des  Ritters  zog  die  Khre  bei- 
des Mannes,  und  wenn  sich  auch  nes  Weibes  nach  sich.    Im  OrieQ: 
im  praktischen  sowohl  als  im  eitt-  that  sich  für  die  Kreuzfahrer  dü 
liehen  religiösen  Leben  Anschau-  Bild  eines  verfeinerten,  ausgebt! 
ungen  geltend  machten,  welche  der  deten,  durch  Poesie  und  Kunst  p 
Stellung  der  Frau  sehr  zugute  kamen,  schmückten  Standeslebens  auf.  w<- 
dergestalt,  dass  sie  des  Mannes  Ge-  rin  das  Weib  eine  wesentliche  Roll- 
nosfnn  in  Freud  und  Leid  war,  dem  spielte;  die  Ausbildung  des  Markt- 
Gesinde  gegenüber  die  Herrin  des  kultus   stellte   für   den  gläubige 
Hauses,  so  blieb  doch  ihr  Stand  ein  Christen  ein  jungfräuliches  Weih 
gedrückter;  denn  der  freie  Germaue  \  in  die  nächste  Sähe  Gottes  urd 
sah  ja  die  Teilnahme  an  der  Volks-  gab  den  Jungfrauen  und  Fraovt 
gemeinde  und  am  öffentlichen  Leben  der   Gegenwart   ein  erwünschte? 
als  seine  erste  und  oberste  Pflicht  durch  die  Kirche  geheiligtes  Ideal 
an,  an  welcher  die  Frau  keinen  Und  ein  Ideal  ist  das  Weib  der 
Anteil  nahm;  war  sie  ja  sogar  auf  höfischen  Zeit  in  erster  Linie,  sogut 
dem  eigenen  Hofe  mit  ihren  Töchtern  wie  das  ganze  Rittertum;   wer  di-.' 
und  Dienerinnen  in  eiu  besonderes  höfische  Dame  kennen  lernen  will 
Frauenyemaeh  verwiesen.    Liebes-  mag  die  Dichter  der  Zeit  darum 
Verhältnisse  konnten  der  Ehe  nicht  fragen.  Aber  dieses  Ideal  war  doeb 
vorausgehen ,  weil  das  Gesetz  den  auch    Wirklichkeit ,    die  höfisch- 


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Rittertum. 


869 


Dame  strebte  darnach,  ihr  Vorbild 
im  Lebeu  zu  erreichen,  die  Erzie- 
hung der  Töchter  hatte  dasselbe 
Ziel  im  Auge;  das  verfeinerte  Ge- 
fühl für  das  Anständige,  Schick- 
liche, Schöne  wirkte  in  That  und 
Wahrheit,  und  auch  der  Frauen- 
dienst der  Männer  wäre  doch  kaum 
verständlich,  wenn  er  nicht  von 
einer  erhöhten  äusseren  und  inneren 
Bildung  der  Frauen  getragen  wäre. 
Auch  die  erhaltenen  bildlichen  Dar- 
stellungen in  den  Miniaturen  lassen 
trotz  ihrer  künstlerischen  Unbehol- 
fenheit auf  die  Weichheit,  die  Natür- 
lichkeit, die  Anmut  der  weiblichen 
Bewegungen  unleugbar  schliessen. 
Mit  bewusster  Absicht  strebte  die 
ritterliche  Welt  nach  der  Schönheit 
und  Anmut  des  Ausseren.  Die 
Schönheitslehre  war  Stück  für  Stück 
durchgedacht,  und  wäre  viel  davon 
zu  sagen,  vom  langen  blonden  Haar, 
von  der  aus  rot  und  weiss  gemisch- 
ten Gesichtsfarbe,  dem  roten  und 
wie  eine  Blüte  durchscheinenden 
Mund ,  dem  kleinen  und  festge- 
schlossenen; den  weissen  Zähnen, 
den  gebogenen  Augenbrauen,  der 
geraden  und  langen ,  weder  zu 
stumpfen  noch  zu  spitzigen  Nase, 
dem  gerundeten  Kinn  mit  einem 
weissen  Grübchen.  Dass  die  Klei- 
dung der  Damen  derjenigen  der 
Männer  an  wirklich  edlem  Ge- 
schmacke  nicht  nachgab,  versteht 
sich  in  dieser  Zeit  von  selbst. 

Diesem  Geschlechte  also  widmete 
der  Ritter  seinen  Dienst,  den  Minne- 
oder  Frauendiensf,  und  damit  ist 
freilich  eine  Seite  des  höfischen 
Lebens  erwähnt,  wo  eine  befrie- 
digende Deckung  zwischen  Idee 
und  Wirklichkeit  kaum  mehr  mög- 
lich ist.  Ob  der  französische  Ritter, 
denn  in  Südfrankreich  ist  der 
Frauendienst  entstanden,  durch  das 
plötzliche  Erwachen  seiner  Frauen- 
welt aus  einem  langen  Schlummer 
aus  der  Bahn  des  hergebrachten 
sittlichen  Lebens  geworfen  wurde, 
ob  bei  ihm  dieses  sittliche  Leben 


etwa  gar  nicht  bestanden,  ob  er 
sich  durch  Bilder  des  Oriente  ver- 
zaubern Hess,  kurz,  er  begann  der 
Frau  einen  Dienst  zu  widmen,  ähu- 
lich  und  nachgebildet  dem  Treu- 
dienst, den  der  Vasall  seinen  Lehns- 
herrn schuldig  ist.  Er  wählte  sich 
eine  Dame,  es  durfte  auch  für  den 
Ritter  niedriger  Herkunft  eine  hoch- 
geborene sein,  der  er  seinen  Dienst 
widmete,  mochten  sie  und  er  ver- 
heiratet sein  oder  nicht;  nur  die 
eigene  Frau  war  zur  Dame  des 
Ritters  untauglich.  Nahm  sie  sei- 
nen Dienst  vorläufig  an,  so  gewährte 
sie  ihm  eine  mehrjährige  Prüfungs- 
zeit; erst  nachdem  er  diese  bestan- 
den, wurde  er  der  Vasall  seiner 
Herzenskönigin  und  förmlich  von 
ihr  belohnt  und  zwar,  wenigstens 
in  Frankreich,  mit  den  gleichen 
symbolischen  Zeichen  staatlicher 
Belehnuug:  Knieen,  Händefalten, 
Kuss  und  Ring.  Der  Ritter  trug 
nun  an  Schild  und  Lanze  die  Far- 
ben der  Frau  und  ein  von  ihr  er- 
teiltes Wappenzeichen,  Ring,  Gürtel, 
Haarband,  Schleier  oder  Ärmel. 
Die  Frauen  verlangten  ausser  all- 
gemeinen Beweisen  der  Liebe  diese 
oder  jene  That  des  Gehorsams,  oft 
auf  sehr  launenhafte  Art,  manche 
Ritter  sind  von  ihrer  Dame  ge- 
zwungen worden,  einen  Kreuzzug 
mitzumachen.  Uberhaupt  aber  sollte 
der  Waffendienst  des  Ritters  der 
Frau  gewidmet  sein.  Es  braucht 
der  besonderen  Beweise  nicht,,  um 
einesteils  das  Unsittliche,  andern- 
teils  das  Unmännliche  eines  solcheu 
Dienstes  nachzuweisen;  aber  es  ist 
eben  so  sicher,  dass,  obgleich  manche 
1  Ritter  diesem  Dienste  huldigten, 
|  derselbe  doch  mehr  in  ihren  Köpfen 
I  und  ihrer  Phantasie ,  namentlich 
I  aber  in  ihren  Liedern  vorhanden 
I  war,  als  auf  ihren  Burgen,  und  in 
!  Deutschland  zumal  ist  es  mehr  der 
|  gesellschaftliehe  und  poetische  Re- 
flex, der  aus  der  Provence  herüber- 
scheint, als  die  Sache  selber.  Wür- 
diger eines  tugendhaften  Ritters  — 


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870 


Rittertum. 


und  Tugend  stand  bei  der  Wür- 
digung des  Ritters  stets  obenan  — 
war  der  Zug  der  Zeit  zu  treuer 
d  reiner  Liehe,  die  sich  jedoch 


im 


auch  in  den  Formen  ritterlicher 
Galanterie  bewegt.  Mit  der  kon- 
ventionellen Frauenminne  oder  dem  j 
Frauendienste  war  im  aufgeschlosse-  I 
neu  Gemüte  dieser  Zeit  natürlich 
auch  wahre  Liebe  erwacht,  die  den 
Jüngling  zur  Jungfrau  hinzieht. 

Diese  Minneträger  sind  nicht 
mehr  frouwe  und  herr,  sondern 
man  und  wip}  und  der  beliebte 
Streit,  was  edler  und  besser  sei, 
frouire  oder  wip,  beruht  wesentlich 
auf  der  Frage  nach  höfisch  kon- 
ventioneller Minne  oder  nach  der 
tiefer  gegründeten  Ziehe.  Die  we- 
nigen tiefempfundenen  Lieder  unter 
der  Unzahl  der  Minnelieder  sind 
Lieder  der  Liebe:  die  Liebe  ist  es 
auch,  die,  immerhin  an  den  ritter- 
lichen Fraueukult  erinnernd,  das 
Nibelungenlied  und  die  Gudrun  in 
sich  aufgenommen  haben: 

soltu  immer  herzen  liehe  zer  werfte 

werden  frö, 
daz  kümt  von  Jroiren  minne,  du 

wirst  ein  sehoene  wipy 
oh   dir  gut  gefueget  eins  rechte 

quoten  ritters  Up. 
Darin  klingt  noch  tief  und  voll 
die  ältere  Auffassung  vom  Verhält- 
nis des  Mannes  zum  Weibe,  und 
ebenso  in  dem  zweiten  Grund  der 
Abweisung  Kriemhildens  (der  erste  I 
ist,  dass  sie  ihrer  jungfräulichen 
Schönheit    nicht    verlustig  gehen 
will),  dass  liehe  mit  leide  ze  jungest 
Ionen    kan.     Denn   während  der 
Name  Minne  in  seinem  ursprüng- 
lichen   Werte    längst  verdunkelt, 
zum  konventionell  höfischen  Liebes-  j 
ausdriii  k  geworden  war,  gab  das 
Wort  tiehe  eben  durch  seinen  Ge- ' 
genpart,    das    feit,    dem  Begriffe 
neues,    unmittelbares   Leben,    das  I 
ausserhalb   der   höfischen  Gesell- 
schaft, in  dem  Schicksal  des  Her- , 
zens  selber,  seinen  Grund  hatte. 
Zur  ritterlichen  Gesellschaft  ge- 


hört  durchaus  der  Sanfter.    Ks  ist 
kein  Zweifel,  das  Mittelalter  hätv 
auch   unter  anderen  Lebeiiid>e<üii- 
gungen  als  denjenigen  des  Lehens- 
wesens eine  Lyrik  und  daher  auch 
einen  Stand  der  Lvriker  hervorge- 
bracht;  da  nun  af>er  in  der  Font 
der  ritterlichen  Gesellschaft  sein« 
Blüte  aufging,  so  musste  auch  der 
Sänger  ein  Glied  des  Rittertums 
sein.    Da  wo  Hartmann   von  A» 
ein  Bild  seines  ritterlichen  Helden 
des  armen  Heinrich,  giebt  and  er- 
zählt, wie  herrlich  es  um  ihn  ge- 
standen an  ere,  zuht,  mitte,  fugest 
triuwe,  jugent,  da  schliesst  er  MN 
Bild  mit  den  Worten:  er  saue  ri7  «r< 
von  minneu.  Der  Gesang  verlangte 
aber  Form  und  Gehalt,  Wort  uni 
Wohllaut.  Wie  der  Ritter  mit  Lanr* 
und  Schwert  der  Frau  diente,  wa» 
doch  auch  hätte  unterbleiben  kön- 
nen, so  diente  mit  mehr  Recht  un«i 
Billigkeit  der  Dichter  seiner  Herrn; 
mit  dem  Liede.    Auch  ihm  mnsst-: 
sich  nach  der  Sitte  der  Zeit  cB' 
Dame  erkenntlich  erweisen,  ja  »* 
nahm   ihn,   wenigstens  in  trank 
reich  und  Italien,  förmlich  in  ihr»fj 
Dienst.     Noch  mehr  als  Waftvt- 
kunst  stellte  die  Dichtkunst  d« 
Sänger,  auch  den  Armen,  den  Höh'; 
und  Fürsten  gleich.     Es  konntet 
natürlich  nicht   alle  singen,  dock 
hat  ieder  Stand  des  Rittertums,  bi- 
zu  den  Kaisern  hinauf,   seine  Säd- 
ger  gehabt,  und  wer  von  den  Für 
sten  nicht  selber  singen  konnte,  üVr 
wurde    Gönner    und    Freund  der 
Sänger.    Hat  doch  sogar  die  Sa*? 
den  kunstliebenden  Hof  des  Lan» 
grafen    Hermann    von  Xhüring^c 
zu  Eisenach  bleibend  verklärt. 

Der  Ritterstand  war  also  in  s»**ir*r 
Entstehung  und  höchsten  Ausbildun. 
mehr  eine  Würde,  eine  Ehrt»,  die  an' 
der  Person  ruht*1,  von  ihr  erworb- 
werden  musste,  mit  ihr  starb  und  w>s. 
jedem  Sohn  neuerdings  renomro-^ 
werden  musste,  als  ein  GeburtssTan- 
mit  gewissen  staatlichen  Rechtrti 
denn  auch  die  Rechte,  welche  «fc 


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Rock.  —  Roman.  871 


Kitlerwürde  gab,  waren  bloss  Ehren-  die   sog.  Ritterorden   und  Ritter- 

rechte  der  höfischen  Gesellschaft,  ges* U 'schaffen ,  siebe  die  besondern 

Gemeinsamkeit  des  Kampfes,  der  ^Artikel.  —  San-JJarfe,  die  Gegen- 

Tafel.  der  Kleidung,  der  Erziehung,  sätze  des  heiligen  Grales  und  von 

and  nicht  der  staatlichen  Ober-  und  ritten    orden.     Halle,    1862.  - 

Unterordnung,  des   Gerichts-   und  Schultz,  höfisches  Leben.  —  Falke, 

Ei^entumswesens.    Für  den  hochge-  die  ritterliche  Gesellschaft  im  Zeit- 

sfeiJten  Mann,  den  König,  Herzog,  alter  des  Frauenkultus.  —  Weinhold, 

Fürsten,  Grafen,  blieb  daher  das  die  deutschen  Frauen. 

Kittertum  ein  Schmuck,  eine  Grund-  Rock,  siehe  Tracht. 

hg«  der  Geselligkeit,  später  eine  Er-  Roland    ist    der  berühmteste 

iniiemng  au  eine  glänzende  Ver-  Paladin  in  Karls  des  Grossen  Tafel- 

suigenheit.  wie  denn  Maximilian  der  runde.    Geschichtlich  ist  von  ihm 

fetzte  Ritter  genannt  wurde.    Da-  nichts  bekannt  als  sein  Name  und 

i&tn  für  die  untern  Schichten  des  Einhards  Notiz  im   Leben  Karls, 

Mischen  Standes,  die  Dienstmannen  Kap.  9:    es  sei   im  Engpass  der 

und  die  Lehnsmannen,  war  die  An-  Pyrenäen  nebst  vielen  anderen  ge- 

ftthürijjkeit  zum  Ritterstand   nicht  fallen   JIrolandits  britannici  linutis 

wm  eine  Brücke  zur  geselligen  Ver-  uräfectus,  d.  h.:  Roland,  der  Befehls- 

riüiguog  mit  den  höchsten  Lebens-  naoer    im  britischen  Grenzbezirk. 

krtUen.  sondern  zugleich  ein  Mittel  Nach  Hugo  Mever  liegt  der  frän- 

:u  selbständiger  rechtlicher  Stellung,  kischen   Kolandssage    ein  Mythus 

Nur  diese  Ritter  niederen  Adels  sind  von  einem  Gotte  Hruodo  oder  Rodo 

e*.  welche  sich  zu  einem  Gehurts-  zu  Grunde,  der  ums  .Jahr  700  etwa 

thwle  entwickeln,  der  sich  auf  Lehn-  diese  Form  hatte:   Der  Sonnengott 

Eiligkeit    und    Lehnfolgefähigkeit  Hruodo,  Berthas  Sohn,  ursprünglich 

gründet;  statt  lehnfähig  heisst  es  eins  mit  den  Sonnengöttern  kranit) 

ÜB,  vornehmer  klingend,  von  ritters-  und  Ziu,   ausgezeichnet  durch  sein 

nttermaezec,  ritterbürtig.    Mit  Seh  wert  uud  sein  Horn,  wird  vom 

dieaem  Hauutreehte  der  Lehnsfähig-  Altfeiude  der  Götter,  Gamalo,  ver- 

»fit  verbanden  sieh  dann  allmählich  raten,    von    seinem    Bluts  oder 

n.»ch  andere  Vorzüge,  wie  Wappen-  Bundesbruder  Aller,  dem  Schildgott, 

fiiii^keit,Turnier-undStiftstUhigkeit,  dessen  Schwester  er  liebt,  wider 

Uottahigkcit,  auch  Steuerfreiheit  und  dessen  Willen  tödlich  verwundet,  und 

Undtagsfähigkeit,  die  Fähigkeit,  im  endet  so  im  Kampf  wider  die  Un- 

Lthngeiichte  als  Richter  und  Schofle  holde  im  Dornenthai  unter  dem  Welt- 

jjufzutreten.    Bei  der  Vorliebe  des  bäum.  Die  Sonne  bleibt  nach  seinem 

Mittelalters  für  zunftmässige  Ver-  Tode  stille  stehn,  die  Steine  weinen 

*;UiigUDgen  konnte  es  sodann  nicht  um  den  Verstorbeneu,  die  Geliebte 

khleu,  dass  nicht  auch  die  Mitglieder  folgt  ihm  in  den  Tod.    Cber  das 

gl  Ritterstandes  zu  ähnlichen  Ver-  Rolandslied  siehe  den  Art.  Karlssage. 

Bindungen  zusammentraten.    Daliin  Rolandslied,  siehe  Karlssage. 

geboren   als   natürliche  Genossen-  Roman.  Schon  der  Name  dieser 

Behalten  einerseits  die  ritterlichen  Dichtungsart  erinnert  an  die  franzö- 

Wi»  nbesitzer  von  Reichsgütern,  die  sische  Quelle ;  roman  bedeutete  im 

Kfc  Reichsdienstleute,  Reichsritier-  Altfranzösischen  zuerst  die  Volks- 

™aJ'i  genannt,  und  anderseits  die  spräche  gegenüber  dem  Latein,  dann 

Jitterbürticen  Leute  einer  gewissen  die  in  solcher  Sprache  geschriebene 

Landschaft,   Landesritterschaft  ge-  Dichtung,  und  sofort  eingeschränkter 

uaunt;  sodann  bildeten  sich  auch/mV  j  die  in  Prosa  erzählte  Gesehichts- 

wterliche  Genossenschaften  mit  eige-  dichtung,  besonders  die  in  Prosa  er- 

Statuten   und  Ordnungen  aus,  zählte  und  erdichtete  Liebes-  oder 


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872 


Roman. 


abenteuerliche  Geschichte.  Bei  den 
Franzosen  entstanden  schon  im  12. 
und  13.  Jahrhundert  prosaische  Be- 
arbeitungen der  kurz  vorher  in  poe- 
tischer Form  behandelten  mittel- 
alterlich-ritterlichen Sagenstoffe;  in 
Deutschland  geschah  dasselbe  nach 
dem  Absterben  der  dichterischen 
Produktivität  im  14.  Jahrhundert, 
nur  dass  man  hier  vorläufig  mit  Vor- 
liebe fremde  Romane  aus  französi- 
schen, italienischen  und  lateinischen 
Quellen  übersetzte ;  immer  noch  sind 
es  adelige  Kreise,  für  welche  diese 
Arbeiten  bestimmt  sind,  und  adelige 
Damen  nahmen  mit  Vorliebe  Anteil 
daran:  auch  wo  bürgerliche  Über- 
setzer genannt  werden,  standen  diese 
im  Dienste  adeliger  Gönner.  Zu 
diesen  ältesten  Romanen  in  deutscher 
Sprache  gehören  Alexander  der 
Grosse,  SaTomon  u.  Markolf, Flore  und 
Blanscheflur,  Apollonius,  die  sieben 
weissen  Meister,  Amicus  und  Amelius, 
Athis  und  Prophilias,  Hug  Schapler 
(eigentlich  Hugo  Capet),  Fortunat 
mit  dem  Wünschhütlein;  manches 
darunterberührt sich  mit  derNovellen- 
dichtun^,  siehedenbesondernArtikel. 
Zwar  nicht  eigentlich  Original,  aber 
doch  ganz  freie,  von  bewunderns- 
würdiger Sprachgewalt  zeugende 
Arbeit  ist  Fischarts,  zuerst  1575  ge- 
druckte, dem  ersten  Buche  von 
Rabelais  Gargantua  entnommene 
Geschichtsklitterung  oder  Gargantua. 
Im  16.  Jahrhundert  wuchs  diese  Litte- 
ratur  ansehnlich:  aus  Frankreich 
kamen  Fierabras,  die  vier  Haimons- 
kinder,  Kaiser  Oktavian,  die  schöne 
Magelone  undRitter  Galmy .  Deutsche 
Stoffe  sind  der  Eulenspiegel,  die 
Schildbürger  und  Doktor  Faust,  alle 
drei  durch  Konzentration  gangbarer 
Volksgeschichten  auf  einen  Helden 
oder  auf  einen  Ort  entstanden.  Als 
Erfinder  von  Romanen  wird  im 
1*5.  Jahrhundert  bloss  Jorg  Wickram 
aus  Kolmar  genannt,  der  in  den 
Jahren  1551  —  155«  vier  Romane 
schrieb,  Gabriotto  und  Reinhard,  den 
Goldfaden,  den  Knabenspiegel  und 


die  guten  und  bösen  Nachbarn ; 
Muster  sind  die  Volksromane,  sein 
Publikum  die  deutsche  Jugend.  Da- 
neben hörte  die  Einfuhr  französisch- 
Übersetzungen  nichts  weniger  als  au£ 
namentlich  wurde  der  weitläufige 
Roman  des  „Helden  Amadis  ata 
Frankreich"  die  Lieblingslektüre  d«  t 
deutschen  Adels,  er  wuchs  von  15^ 
bis  1594  allmählich  auf  24  Bände  an 
und  erhielt  sich  lange  die  Gun>t 
seines  Publikums,  auch  nachdem  viri 
anderes  Material  auf  den  Markt 
geführt  war.  DonOuixote.  1621 
erstenmal  ins  Deutsche  übertragen, 
machte  wenig  Aufsehen;  dagegen 
trat  der  Schäferroman,  noch  mehr 
aber  der  Helden-  und  Liebesromao 
nach  französischem  Muster  auf.  so 
zwar,  dass  sich  unter  der  Hülle  d*r 
Schäfer-  und  Heldentums  wirkliche 
Erlebnisse,  Personengeschichteu  unc 
politische  Ereignisse  der  neuesten 
Zeit,  mit  Erfundenem  vermischt,  zt 
verbergen  pflegten;  aus  dem  Spa- 
nischen erhielt  man  die  Schelmen 
romane,  Lebensbeschreibungen  wo 
Landstreichern  und  Abenteurern  ge- 
ringer Herkunft.  Mitten  unter  diesen 
meist  geschmacklosen  Machwerke 
begegnet  man  drei  schönen  altera 
Volksbüchern ,  die  der  Kapuziner 
Pater  Martin  von  Kochern  aus  einen, 
französischen     Jesuiten  schöpfte. 
Griseldis,  Genovefa  und  H Irland*. 
Aus  der  Nibelungensage  taucht  er-' 
jetzt  als  letzte  Erinnerung  das  Buch 
Vom  gehörnten  Siegfried  auf.  Doch 
fehlt  es  auch  nicht  an  Romanen, 
die  Deutsche  zu  Verfassern  habeiv 
und  zwar  legte  man,  dem  Charakter 
der  Bildung  des  17.  Jahrhundert* 
gemäss,  die  mehr  ins  Breite  als  in 
die  Tiefe»  ging  und  deren  Haupt- 
quelle  das  Reisen  war,  in  die  Romain 
ganze  Lehrbücher  des  Wissenswerten 
nieder,   Geschichte,    Länder-  und 
Völkerkunde,  Altertümer,  Litteratur- 
geschichte,Religions  und  Sittenlehre. 
Reisebeschreibungen,  Astrologie  un  i 
Aberglaube;  man  fügte  auch  poe- 
tische Stücke,  Dramen,  Schäfer-  und 


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Romanische  Baukunst. 


873 


Tanzspiele  ein.  Solche  deutsche 
Romanschriftsteller  sind  Dietrich 
v.  d.  Werder,  Philipv  von  Zesen. 
A.  G.  Buchholz,  der  Herzog  Anton 
VI -rieh  von  Braunschtceig,  Heinrich 
Anselm  von  Ziegler  mit  der  oft  auf- 
gelegten „asiatischen  Banise"  und 
Lohenstein  mit  dem  Arminius. 
Selbständiger  und  bedeutender  aber 
sind  die  spanischen  Mustern  nach- 
gebildeten Romane  des  Moscherosch 
„Gesichte*4,  und  der  Simplicissimus 
des  Christoffel  von  Grimmelshausen, 
1625  —  1676.  Ihr  Nachfolger  ist 
Christian  Weise:  „die  drei  Ärgsten 
Erznarren",  „die  drei  klügsten  Leute" 
und  „der  politische  Näscher".  Die 
bald  nachher  auftretenden  Bobin- 
sonaden  und  deren  Nachahmungen, 
die  Aventüriers,  ftihren  schon  auf 
den  englischen  Einfluss,  unter  dem 
in  Gemeinschaft  mit  französischen 
Mustern  der  moderne  Roman  er- 
wachsen ist.  Siehe  die  Literatur- 
geschichten von  Wackernagel,  Kober- 
stein  und  Scherer. 

Romanische  Baukunst.  1.  All- 
gemeines. Nachdem  das  karoiingi- 
sche  Reich  zerfallen  war,  brach  über 
die  nordischen  Völker  vorerst  eine 
traurige  Zeit  herein.  Innere  Partei- 
ungen  zerfleischten  das  Reich,  die 
räuberischen  Scharen  der  Ungarn, 
Wenden  und  Normannen  verheerten 
die  Länder.  Um  die  Wende 
des  Jahrtausends  entstand  ein 
ungestümer  Feuereifer,  der  sich  in 
frommen  Werken,  im  Niederreissen 
alter  Kirchen  und  Wiederaufbau 
neuer  prachtvollerer,  nicht  genug- 
thun  konnte;  denn  die  schlimmsten 
innern  und  äussern  Stürme  hatten 
sich  mittlerweile  ausgetobt,  die  staat- 
lichen Verhaltnisse  begannen  sich 
zu  festigen  und  der  germanische 
Volksgeist  hatte  diejenige  Stufe  der 
Entwicklung  erreicht,  dass  er  selbst 
bestimmend  auf  die  weitere  Gestal- 
tung der  Kunst  seinen  Einfluss  aus- 
üben konnte.  Bisher  hatten  für  die 
Kunst  jene  altchristlich  -  römischen 
oder   byzantinischen  Formen  den 


allgemeinen  Typus  gegeben;  jetzt 
begann  ein  selbständiges  freies 
Umgestalten  der  alten  Formen, 
woraus  schliesslich  jener  Stil  her- 
vorging, den  man  mit  dein 
Namen  des  romanischen  bezeich- 
net, nach  dem  Vorgange  der 
Sprachwissenschaft,  welche  die  Idi- 
ome, die  sich  gleichzeitig  und  unter 
entsprechenden  Verhältnissen  aus 
der  alten  Römersprache  bildeten, 
mit  demselben  Worte  benennt.  Die 
ausschliessliche  Trägerin  der  Bildung 
war  in  dieser  Epoche  die  Kirche,  und 
es  ist  nicht  zu  verwundern ,  wenn 
der  Charakter,  den  die  Bauwerke 
dieser  Epoche  tragen,  ein  hieratischer 
ist.  Vorab  waren  es  die  Mönche, 
in  deren  Händen  sich  die  Baukunst 
befand.  Sie  entwarfen  für  ihre 
Kirchen-  und  Klosteranlagcn  die 
Risse  und  leiteten  den  Bau.  Feste 
Schultraditiouen  entsprangen  daraus 
und  knüpften  ihre  Verbindungen  von 
Kloster  zu  Kloster.  Gleichermassen 
verbanden  sich  aber  auch  die  welt- 
lichen Handwerker,  welche  den 
Mönchen  bei  Ausführung  der  Bauten 
dienten,  zu  genossenschaftlichen  Ver- 
bindungen, aus  denen  in  der  Folge 
ohne  Zweifel  die  Bauhütten  hervor- 
gingen. Der  Geist  des  Bürgertums 
aber  dringt  erst  gegen  Ausgang  der 
romanischen  Epoche  selbständig  in 
diesen  Stil  ein. 

2.  Das  romanische  Bausystem. 
a)  Die  Basilika.  Die  altchristliche 
BasiÜka  ist  der  Ausgangspunkt  für 
die  mittelalterliche  Architektur.  Das 
Langhaus  erstreckt  sich  als  breites 
hohes  Mittelschiff  zwischen  zwei 
nur  halb  so  hohen  und  breiten  Sei- 
tenschiffen. Figr.  141  und  142.  Quer- 
und  JJingeschmtt  romanischer  Basi- 
liken (Kunsthistorische  Bilderbogen). 
Am  Ende  desselben  scheidet  ge- 
wöhnlich ein  kräftig  vorspringen- 
des Querhaus  von  der  Höne  und 
Breite  des  Langhauses  das  letz- 
tere vom  Chore,  die  Kreuzesgestalt 
der  Kirche  klar  ausprägend.  Bis- 
weilen tritt  allerdings   das  Quer- 


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874 


Romanische  Baukunst 


schiß*  nicht  über  die  Seitenschiffe 
vor,  oft  bleibt  es  sogar  ganz  weg. 
Die  wesentlichste  Umgestaltung  er- 
fuhr vorerst  der  Chorraum.  In  der 
altchristlichcn  Basilika  schloss  sich 
derselbe  als  eine  halbrunde  Nische 
unmittelbar  an  das  Querhaus  an. 
Die  grössere  Zahl  der  Geistlichkeit 
verlangte  nun 
vorerst  eine 

Vergröße- 
rung dieses 
Raumes,  wel- 
che dadurch 
bewerkstelligt 
wurde,  dass 
mau  dem  Chor 
noch  ein  der 
sogenannten 
J'irrunq,  d.  h. 
der  Durch- 
schneidung 
von  Quer-  und 
Langhaus  ent- 
sprechendes 
Quadrat  vor- 
legte. In  glei- 
cher Weise 
verlängerte 


das  Langhaus 


Fig.  141. 


Langhaus  und  die  Querhausflügel  ab- 
sehloss.  Gegen  das  Schiff  zu  wurde 
diese  Schranke  oft  tribünenmässig 
erhöht  und  diente  als  Uctorium 
ihttner),  von  wo  aus  dem  Volke 
das  Evangelium  verlesen  wurde. 
Der  ganze  Chorraum  aber  war  über 

mehrere  Stufen 
erhöht  und 
barg  unter 
sich  stets  eine 
Gruftkapelle, 
mit  Kreuzge- 
wölben über- 
deckt, die  auf 
kurzen,  stäm- 
migen Säulen 
ruhten.  Diese 
Kapelle,  die 
Krypta,  diente 
als  Begräbnis- 
platz für  ange- 
sehene Perso- 
nen und  hatte 
ihren  eigenen 
Altar.  In  der 
räumlichen 
Ausdehnung 
des  Chores 


(Querschnitt  einer  romanischen 
Basilika. 


in  n 

'  M 

m 

1  n  L 

ß  C  C  C  C  ßj 


Fig.  142.    Länginschnitt  einer  romanischen  Basilika. 


man  das  Querhaus  nach  rechts  und 
links,  wodurch  der  mittlere  Teil  des- 
selben ,  die  Vierung ,  ein  nach 
allen  Seiten  freiliegender ,  von 
vier  kräftigen  Pfeilern  und  ebenso 
vielen  hohen  Gurtbogen  abgegrenz-  j 
ter  Raum  wurde,  den  man  gewöhn-  | 
lieh  zum  Chor  hinzuzog  und  mit 
steinernen   Schranken    gegen  das 


entwickelte  sich  indessen  im  Laufe 
der  Zeit  eine  grosse  Mannigfaltig- 
keit. Teils  liess  man  die  Seiten- 
schiffe jenseits  des  Querhauses, 
ähnlich  dem  Mittelschiffe,  mit  Ab- 
siden  oder  Couchen  endigen, 
teils  Hess  man  dieselben  um  den 
ganzen  Chor  herumlaufen ,  teils 
wandte  mau  sich  auch  einfacheren 


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Romanische  Baukunst. 


875 


Anlagen   zu   und    schloss  sowohl  genannte  Paradies,  stehen  und  der 

Mittelschiff  als  Seitenschiff  einfach  im    Atrium    stehende  Cantharus 

g  radlinig  ab.    Die  reichste  Anlage  schrumpfte  zum  Weihwasserbecken 

z^igt  sich  da,  wo  an  das  um  den  zusammen.  Fig.  144.  Dom  zu  Speier 

Chor   herumgeführte    Seitenschiff  (Kunsthistorische  Bilderbogen), 

sich  in  radialer  Stellung  halbrunde  Manchmal  forderte  indessen  das 

Alrarnischcn  anschliessen.  Fig.  143.  kirchliche  Bedürfnis  auch  eine  rei- 

«>V.  Maria  am  Kapitol   zu   Köln  chere   Ausbildung  des  westlichen 

Kansthistorische        Bilderbogen).  Teiles.    Namentlich  in  grossen  Ab- 

Auch  hier  richtete  sich  die  Gestal-  teicn  ward  die  Anlage  eines  zweiten 

tang  des  Grundplanes  stets  nach  Chores,  dem  östlichen  entsprechend, 

'km  Bedürfnis,  nach  der  Zahl  der  beliebt,  ja  oft  legte  man  demselben 


Fig.  143.    St.  Maria  am  Kapitel  zu  Köln. 


g  ütlichen,  der  erforderlichen  AI-  ein  zweites  Querhaus  vor.   Fig.  145. 

tär»'  u.  s.  w.  67.  Michael  in  Bildesheim  (Kunst- 

Während  so  die  östliche  Partie,  historische  Bilderbogen), 
(man  legte  deu  Chor  stets  nach       In  der  Regel  aber  öfrnete  sich 
C»sten  zu),  eine  Bereicherung  er-  am  Westende  aer  Kirche  das  grosse 
fuhr,  vereinfachte  man  in  gewisser  Portal,  von  zwei  mächtigen  Tür- 
Beriehung  die  westlichen  Teile  der  men  eingeschlossen ,    welche  nun 
^christlichen  Basilika.    Dort  hatte  nicht   mehr  freistehend  aufgeführt, 
ich  der  Narthex  und  das  Atrium  sondern  mit  dem  übrigen  Bauwerk 
uisgedehnt,   in   welchem  sich  ge-  verbunden  werden. 
ri*se  Stufen  der  Laienwelt  wäh- 1      Bei  Nonnenklöstern  wird  äusser- 
nd des  Gottesdienstes  hatten  auf-  dem   meist   über  dem  westlichen 
*hen  müVäL-n.    Jetzt  gewann  die  Teile  des  Mittelschiffes  eine  Em- 
anze  Gemeinde  Zutritt  zum  Gottes-  pore  auf  Säulen  eingebaut,  der  so- 
MBte  und  so  Hess  man  höchstens  genannte  Sonnenchor. 
Meh  eine  kleine  Vorhalle,  das  so-       Die  Bedeckung  der  Riiume  er- 


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876 


Romanische  Baukunst. 


folgte  vorerst,  mit  Ausnahme  der 
Krypta,  beinane  ausschliesslich  mit 


Fig.  144.    Dom  zu  8peyer. 

einer  flachen  Holzdecke,  entspre- 
chend derjenigen  der  altchristlicnen 


Basiliken;  allein  die  tragenden 
Glieder  erfahren  doch  schon  vor 
Einführung  des  Gewölbe- 
baues eine  durchgreifende 
Veränderung,  vor  allem  die 
Stützen,  welche  die  auf  Ar- 
kaden ruhende  Oberwand 
des  Mittelschiffes  tragen. 
Statt  der  Säulen  mischen 
sich  öfters  Pfeiler  ein,  ent- 
weder abwechselnd  oder  je 
das  dritte  Säulenpaar  ver- 
drängend ,  oder  geradezu 
ausschliesslich,  wodurch  die 
ursprüngliche  Säulenba- 
silika eine  Pfeilerbasilika 
wird.  Die  hohe  Obermauer 
des  Mittelschiffes  aber  sucht 
man  zu  beleben,  indem  man 
mit  Überschlagung  einer 
Säule  oder  eines  Pfeilers 
je  zwei  Arkadenbogen  mit 
einem  grösseren  Bogen  rah- 
menartig umspannt.  Dar- 
über offnen  sich  alsdann 
die  kleinen,  mit  stark  ab- 
geschrägter Leibung  ver- 
sehenen Fenster,  welche 
regelmässig  im  Halbkreis 
geschlossen  sind.  Ähnliche 
Fenster  enthalten  die  Wände 
der  Seitenschiffe  und  die 
Apsiden. 

Die  mit  flacher  Holz- 
decke  versehene  Basilika 
ward  inzwischen  bald  durch 
den  Geicölbebau  verdrängt, 
der  als  ein  Bedürfnis  sich 

feltend  machte;  denn  die 
äufigen  Brände,  die  den 
Dachstuhl  ergriffen,  zerstör- 
ten nicht  nur  diesen,  son- 
dern auch,  da  die  hölzernen 
Decken  herunterstürzten, 
den  ganzen  Innenraum  der 
Kirchen.  Vorerst  griff  man 
zum  1  onnenpetcölbe und  über- 
wölbte nur  die  Seitenschiffe, 
da  bei  dem  höher  liegen- 
den Mittelschiff  der  Seiten- 
nur  schwer  aufzuheben  ge- 
wäre.   Auch  mit  der  Kup- 


druck 
wesen 


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Romanische  Baukunst. 


877 


pel  versuchte  man  auszukommen; 
indessen  war  auch  bei  dieser  Ge- 
wölbeform die  Schwierigkeit,  dem 
Seitensehube  zu  begegnen,  nicht 
wohl  zu  überwinden.  Die  bessere, 
freiere,  lebendigere  Lösung  ver- 
suchte man  erst 
zuletzt,  obschon 
man  bei  unter- 
geordneten Räu- 
men, besonders 
bei  Krypten,  die- 
selbe schon  längst 
praktisch  ange- 
wendet hatte,  das 

Kreuzgetcölbe. 
Dasselbe  besteht 
aus    zwei  sich 

rechtwinkelig 
durchschneiden- 
den, halbkreisför- 
migen Tonnen- 
gewölben und  be- 
darf, da  der  Ver- 
tikaldruck und 

Seitenschub 
durch  die  ent- 
stehenden Diago- 
nalrippcn  wesent- 
lich auf  die  vier 
im  Quadrat  lie- 
genden Eckpunk- 
te geleitet  wird, 
nur  an  jenen  Stel- 
len einer  ent- 
gegenwirkenden 
wuchtigen  Mauer- 
inasse.  Fig.  146. 
Roman isekes  Ge- 

wolbesystem 
l  Kunsthist.  Bil- 
derbogen). Zuerst 
begann  man  auch 
hier  damit,  die 
Seitenschiffe  zu  überwölben,  was 
um  so  leichter  war,  da  die  Breite 
derselben  ungefähr  dem  Abstände 
der  Pfeiler  entsprach,  also  quadra- 
tische Felder  sich  ergaben.  Der 
durch  die  Wölbung  erhaltene 
festere  Unterbau  ermutigte  aber  zu- 
gleich zur  Anbringung  von  Empo- 


ren über  den  Seitenschiffen,  welche 
sich  gegen  das  Mittelschiff  zu  ar- 
kadenartig öffneten  und  die  kahle 
Oberwand  des  Mittelschiffes  in  an- 
genehmer Weise  gliederten.  Fig.  1 47. 
Querschnitt  des  Ihmes  zu  Limburg 

(Kunsthist.  Bil- 
derbogen). Man 
behielt  diese  Ar- 
kaden auch  später 
noch  bei,  als  man 
von  den  Emporen 
wieder  abkam ; 
es  bildeten  sich 
daraus  die  so- 
genannten Trifo> 
rien. 

Das  Kreuzge- 
wölbe verlangte, 
solange  es  aus  dem 
Rundbogen  kon- 
struiert wurde, 
stets  quadratische 
Felder.  Da  nun 
die  Pfeiler  in  Ab- 
ständen gleich  der 
Seitenschiffbreite 
standen ,  welche 
halb  so  gross  als 
die  des  Mittel- 
schiffes war,  so 
musste  bei  Über- 
wölbung des  letz- 
teren stets  ein 
Pfeiler  überschla- 
en  werden.  Da- 
urch  erhielt  die 
Basilika  ein  ganz 
neues  Gepräge, 
indem  es  nun  an- 
gezeigt wurde,die- 
jenigen  Stützen, 
welche  die  Gurt- 
bogen  des  Mittel- 
schiffes aufzunehmen  bestimmt  wa- 
ren, stärker  zu  gliedern,  als  die 
anderen.  Man  brachte  Pfeilervor- 
sprünge in  Form  von  Halbsäulen 
und  dergleichen  an  und  gab  da- 
durch dem  ganzen  eine  höhere  rhyth- 
mische Gliederung,  welche  sich  in 
reicher  Abwechselung  von  Pfeiler 


S 


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Fig.  140.    Romanisches  Gewrölbesy  stein. 


Fig.  147.    Dom  zu  Limburg,  Querschnitt. 


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Romanische  Baukunst. 


879 


und  Säule  in  angenehmer 
kundgab. 

In  der  Detail- 
Irildung  ging  man 

naturgemäss 
ganz  von  der  An- 
tike aus,  wie  die- 
selbe   von  der 
altchristlichen 
Kunst  rtherlifft'rr 
werden  war,  ohne 
ich  indessen  an 
die  strengen 
Fetischen  Ge- 
tierselben 
idwie  zu  hal- 
Vorab  er- 
die  &iuJe 
tiue  unifassende, 
iere  Umbil- 
r.  Der  Stamm 
Iben  wird 
:l»  dem  Be- 
fais,  bald  derb 
w  en,  bald 
fchlank7,  ohne 
Schwellung ,  ja 
in    der  Regel 
auch  ohne  An- 
*ug.  einfach  cy- 
ris«-h.  p-bil- 
Die  Baris, 
HL  148,  Saufen  • 
***u  m  if  Eckhlatt 
'Kunsthist.    Bil  • 
»gen),  hat 
ich  die 
der  atti- 
L  wenn  auch 
in  der  Ge- 
itform  dcsPro- 
keineswega 
in  den  Ver- 
m.  Als 
;f«*risti- 
iichen  des 
üschen  Sti- 
srerscheint 
sogenannte 
Matt  %  das 
den  untern 


Weise 


the  sich 
leeren 


Fig.  148.    Säulenbaais  mit  Eckblatt 


Fig.  149.    Kapital  AUS  dem 
fareuzgäng  zu  Laach. 


herabneigt  und  so  die 

n   der   Platte  ausfüllt. 
Dasselbe  kommt 
in  mannigfacher 
Gestalt,  als  Pflan- 
zenblatt, als  Tier- 
gestalt, als  klei- 
ner Pflock,  oft 
aueh  in  ganz 
phantastischen 
Formen  vor.  wo- 
bei besonders 
«■ine  Abwechse- 
lung selbst  bei 
Säulen  derselben 

Arkadeu  reihe 
äusserst  beliebt 
ist.  In  späterer 
Zeit  überkleidete 
man  auch  den 
Saulenschuft  mit 
gefälligen  linea- 
ren Dekorations- 
formen. Am  wich- 
tigsten ist  die 
j  Ausbildung  des 
J  Kapitals,  Man 
unterscheidet  da- 
bei zweierlei  For- 
men. Einmal  ver- 
suchte man  es, 
das  überliefert«,' 
korinthische  Ka- 
oitäl  frei  nachzu- 
bilden, Fig.  149. 
Kapital  aus  ift  m 
Krtuzgang  zu 
Laach]  Kunsthist. 

Bilderbogen  l, 
freilich  meist  roh 
und  unbehilflich, 
audernteils  schuf 
die  romanische 
Baukunst  eine 
eigene  Art  *hs 
Kapitals,  welche 
für  diesen  Stil  ge- 
radezu charakte- 
ristisch wurde. das 


sogenannte  hu- 

Wulst  der  Basis  bische  oder  \VürfelkapitM*  Fig.  15(>. 
eg  auf  die  quadratische  Plin-  ilvunsthistorisehe  Bilderbogen.)  In 


880 


Romanische  Baukunst. 


seinem  obern  Teile  quadratisch,  erhält 
es  an  den  vier  Flächen  nach  unten 
eine  halbkreisförmige  Begrenzung, 
um  von  dort  aus  in  die  runde  Form 
des  Säulenschaftes  überzugehen.  Die 
Deckplatte  besteht  entweder  aus 
einer  Plinthe  oder  einer 
Abschrägung  oder  aus 
einer  Komposition  von 
antiken  Gliedern.  Die 
Flächen  des  Würfel- 
kapitäls  erhalten  oft 
reichen  plastischen 
Schmuck  und  bergen 
ganze  historische  Dar- 
stellungen in  sieh. 

Neben  diesem  Wür- 
felkapitäl  gestaltet  sich 
das   antike  korinthi- 
sche zum  Kelchkapi- 
tal aus,  das  wieder- 
um in  mancherlei  Varianten  sich 
mit  dem   Würfelkapitäl  verbindet 
oder  in  Verbindung  mit  reichem 
plastischem  Schmuck  äusserst  zier- 


Fig.  150.  Würfelkapital 


Unten  schliefst  er  in  der  Kegel 
durch  eine  attische  Basis  ab,  die 
sich  oben  oft  in  verkehrter  Form 
wiederholt.  Im  übrigen  treten  die 
mannigfaltigsten  Gesimsbildungen 
auf;  Hohlkehlen,  Wulste  und  Platt- 
chen sind  in  völliger 
Freiheit  zusammenge- 
stellt. Oft  sucht  man 
dem  etwas  schweren 
Pfeiler  dadurch  eine 
leichtere  Form  zu  ge- 
ben, dass  man  ihn  an 
den  Ecken  abfast  oder 
aber  die  Ecken  recht- 
winklig ausschneidet 
und  schlanke  freiste- 
hende Säulchen  hinein- 
stellt, welche  sich  am 
Fuss  und  Kapital  mit 
den  Gesimsen  des 
Pfeilers  verbinden.  Dieser  reichern 
Gestaltung  des  Pfeilers  folgt  dann 
auch  eine  reichere  des  auf  densel- 
ben aufsitzenden  Bogen*,  den  man 


Fig.  151.    Bogenfries  von  der  Kirche  zu  8chÖngrabem. 


liehe  Gestaltungen  zeigt,  in  denen 
sieh  der  phantastische  Zug  der  Zeit 
in  Verschlingung  von  Tier-  und 
Menschengestalten  nicht  genug  thun 
kann. 

Neben  der  Säule  ist  der  Pfeiler 
zu  betrachten.  Seine  Grundform 
ist    viereckig,    meist  quadratisch. 


an  den  Kanten  häufig  mit  grossen 
Wülsten  versieht,  und  im  Profil 
nace  dem  Zentrum  zu  in  treppen- 
artigen Absätzen  verjüngt. 

Das  Äussere  der  romanischen 
Kirchen  baut  sich  in  ernsten  ruhigen 
Massen  kräftig  auf.  Die  Gesimse 
erinnern  im  allgemeinen  an  antike 


Googl 


I 


Romanische  Baukunst. 


881 


Vorbilder.  Für  < li«>  Teilung  der 
Wandflächen  verwendet  manschmale 
pi  lasterartige  Streifeu,  sogenannte 
Lisenen,  die  gewöhnlieh   oben  in 


scher  Bauten  und  wird  oft  mit  Kon- 
solen reicher  ausgebildet.  Uber 
ihm  schliefst  das  Daehgesims  an. 
das  vielfach  von  bandartigen  Friesen 


«•Mi 


i  ■  ■  i  ■  ■  in 


Fig.  152.    St.  Aposteln  zu  Köln, 
einen  Fries  auslaufen,  der  aus  kleinen  |  begleitet  wird;  namentlich  sind  dii 


Rundbogen  zusammengesetzt  ist. 
Fig.  151.  Bogen  fries  von  der  Kirche 
zu    Sehöngrabern    ( Kunsthistorische 


sog.  St ronisch  i eh len  <  übereckgestcllte 
Steine)  und  der  Sch <ichbref(f -riex 
(mehrere  Reihen  erhöhter  und  ver- 


Bilderbogen I.   Dieser  Bogenfrie»  ist  tiefter  Steine)  sehr  beliebt. 


ein  untrügliches  Merkmal  romani- 
Beallexlcon  der  deutschen  Altertümer. 


Hei 


reichern  Anlagen 


tritt  an 


56 


882 


Romanische  Baukunst. 


Stelle  der  schwach  vortretenden 
Lisenen,  namentlich  an  den  Chorab- 
siden,  eine  Gliederung  mit  schlanken 
Halbsäulen.  Eine  besondere  Aus- 
zeichnung erhalten  die  Absiden 
in  manenen  Gegenden  durch  freie 
auf  kleinen  Säulen  ruhende  Gale- 
rien ,  welche  sich  unmittelbar 
unter  dem  Dachgesimse  als  Lauf- 
gänge ähnlich  wie  die  Triforien  im 
Innern  hinziehen.  Fig.  151.  St.  Apo- 
steln zu  Köln  ^Kunsthistorische  Bil- 
derbogen). 

Auf  die  Gestaltung  der  west- 
lichen Fa<;ade  wirkt  namentlich  der 
Turmbau  ein.  In  frühester  Zeit 
sind  die  sich  vor  die  Seitenschiffe 
legenden  zwei  Türme  in  der  Rejjel 
rund,  später  werden  sie  viereckig, 
der  bessern  Verbindung  mit  dem 
übrigen  Bauwerke  wegen.  Die  Gliede- 
rung der  Türme  ist  äusserst  ein- 
fach und  wird  in  der  Regel  durch 
schwach  vorspringende  Lisenen  und 
Rundbogengesimse  bewerkstelligt, 
welche  denTurm  in  mehrere  Ge- 
schosse teilen.  Die  obern  Geschosse 
erhalten  Schallößhungen ,  parweise 
und  zu  dreien  gruppierte  und  durch 
Säulchcn  geteilte  fensterartigeDurch- 
brechungen  der  Mauer,  die  nach 
oben  grösser  und  zahlreicher  werden. 
Oft  geht  der  Turm  oben  ins  Acht- 
eck über.  Die  Vermittlung  vom 
Viereck  insAchteck  geschieht  mittelst 
einfacher  schräger  Abdachungen. 
Gedeckt  wird  der  Turm  in  der 
Regel  durch  einen  einfachen,  etwas 
niedrigen  und  gedrückten  Helm, 

Den  Mittelpunkt  der  Westfa^adc 
bildet  das  Haupt  portal,  dessen  Wände 
auf  beiden  Seiten  sich  von  innen 
nach  aussen  erweitern  und  mehr- 
fach rechtwinklig  eingeschnittensind, 
in  welche  Einschnitte  gleichwie  bei 
den  Heilern  schlanke  Säulchen  ge- 
stellt werden.  Gedeckt  ist  aas 
Portal  stets  durch  eine  reiche  Archi- 
voitc, deren  Gliederung  sich  der- 
jenigen der  Seitenwiinde  anschlichst, 
und  die  oft  von  einem  flachen  Giebel 
überdeckt   wird.     Die  eigentliche 


Eingangsöffhung  wird  meist  horizon- 
tal gedeckt  und  es  bildet  sich  dn- 

I  durch  eine  halbkreisförmige  FiäcbeT 
das  sog.  Tympanon,  auf  dem  häufig 
Relieftlarstellungen  aufgeführt  wur- 
den. Überhaupt  entfaltet  sich  an 
den  Portalen  die  volle  Pracht  der 
Ornamentation.    Über  dem  Portale 

,  öffnet  sich  manchmal  ein  grosses 
kreisförmiges  Fenster,  das  durch 
Gesimsstfibe  gegliedert  ist,  die  nach 
dem  Zentrum  laufen  und  wegen 
seiner  radähnlichen  Gestalt  den  Na- 

j  men  Had/enster  erhalten  hat.  Die 
volle    Ausbildung   sollte  dasselbe 

.  erst  im  gotischen  Stil  erhalten.  Oben 
schliesst  die  Westfacade  entweder 

I  mit  dem  Giebel,  der  durch  das 
Dach  des  Mittelschiffes  bedingt  ist, 
oder  es  legt  sich  ein  hoehaufragjen- 
der  Querbau  als  Verbindung  zwischen 
die  Türme.  Neben  der  einfachen 
Anlage  der  zwei  Westtürme  findet 
man  bei  romanischen  Kirchen  auch 
noch  andere  mannigfaltige  An- 
ordnungen von  Türmen,  welche  deu 
bedeutenderen  Abtei-  und  Katbedral- 
kirchen  eine  grossartige  prachtvolle 
Gruppierung  verleihen.  Besonders 
erhebt  sich  oft  über  der  Durch- 
schneidung vom  Lang-  und  Quer- 
haus, auf  der  sog.  Vierung,  ein 
mächtiger  turmartiger,  meist  acht- 
eckiger Körper  aus  der  Masse  des 
Gebäudes,  der  bestimmt  ist,  in 
seinem  Innern  die  Kuppel  aufzu- 
nehmen, die  man  ob  der  Vierung 
bei  Aufnahme  des  Gewölbebaus  aus- 
zufahren pflegte.  In  Heinem  Äussern 
ist  derselbe  oft  reich  mit  Arkaden 
gegliedert  und  schliesst  mit  einem 
polygonen  Pvramidcndach  ab.  Zu 
diesen  kuppelartigen  Türmen  treten 
dann  oft  zu  beiden  Seiten  des  Chores 
oder  am  Ende  der  Xebenschiffe 
schlanke  Türme  hinzu,  ja  manch- 
mal wiederholt  sich  die  Kuppel  auf 
einem  zweiten  Kreuzschiff  und  ver- 
bindet sich  auch  hier  mit  zwei 
Türmen,  wodurch  die  ganze  Anlage 
einen  ungemein  stattlichen  Eindruck 
gewinnt.    Auch  in  der  Bedeckung, 


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Romanische  Baukunst.  * 


883 


sei  dieselbe  massiv  oder  aus  Holz 
konstruiert,  zeigt  sich  eine  mannig- 
fache Verschiedenheit  in  stumpfen 
und  schlanket  Helmen,  in  Fäcner- 
dächern  u.  s.  w. 

Mit  all  diesen  Gliedern  des  Baues 
verbindet  sich  nun  eine  reiche  Orna- 
mentik, welche  teils  dem  vegetativen 
Leben  angehört,  jedoch  niemals  be- 
stimmten Naturformen  naehgcbildet 
ist.  sondern  nur  in  kraftigen  Zügen 
ein  mehr  stilistisches  allgemeines 
Gesetz  zu  erkennen  giebt,  teils  ihre 
Motive  aus  verschlungenen  und  ver- 
knoteten Bändern,  Mäandern,  wellen- 
förmigen, zickzackartigen,  gebroche- 
nen Linien,  Schunpcn,  Scnachbret- 
mustern  u.  dergl.  zusammensetzt, 
teils  endlich  zu  diesen  Formen  Tier* 
und  Menschenleiber,  monströse  Ge- 
bilde aller  Art,  oft  von  symbo- 
lischem Gehalt,  oft  lediglich  Aus- 
flüsse nordischer  Phantastik,  gesellt. 

Mit  der  reichen  Gliederung  und 
Dekoration  hing  aufs  innigste  der 
Farbensehmuek  zusammen.  Derselbe 
bestand  nicht  allein  in  Darstellung 
heiliger  Personen  und  Geschichten 
an  den  breiten  Wandflächen,  sondern 
auch  aus  einer  Bemalung  der  Glieder 
und  Ornamente,  derSäulen,  Gesimse, 
Gewölbrippen  u.  s.  w.  In  dieser 
polychromen  Ausstattung  beobachtet 
die  romanische  Kunst  ein  bestimmtes 
Gesetz  rhythmischen  Wechsels.  Die 
Hauptfarben  sind  rot  und  blau  mit 
hinzugefügter  Vergoldung.  An  dem 
einen  Bündelpfeiler  haben  dann  oft 
die  Säulenkapitäle  blaue  Ornamente 
auf  rotem  Grunde,  während  am 
gegenüberliegenden  das  Verhältnis 
gerade  umgCKehrt  ist. 

In  den  bezeichneten  Grundzügen 
beharrte  der  romanische  Stil  Dis 
weit  über  die  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts. Um  diese  Zeit  aber  machen 
sich  innerhalb  tles  romanischen 
Formengebietes  Erscheinungen  be- 
merklich, die  in  gewissem  Grade 
die  Reinheit  und  Strenge  des  Stiles 
verwischen  und  an  die  Stelle  seiner 
bei  aller  Mannigfaltigkeit  im  Einzel- 


nen doch  imposanten  Ruhe  ein  un- 
ruhiges Schwanken  und  selbst  ein 
zweckloses  Spiel  mit  Gliederungen 
und  Konstruktions-Elementen  setzen. 

Grundanlage,  Aufbau  und  Ein- 
teilung der  Räume  bleiben  zwar  im 
wesentlichen  dieselben,  allein  es 
macht  sich  das  Bestreben  nach 
grösserer  Leichtigkeit  und  Schlank- 
heit geltend,  und  zu  den  auf  den 
höchsten  Grad  des  Reichtums  und 
der  Zierlichkeit  entwickelten  Formen 
des  alten  Stils  gesellt  sich  als  fremd- 
artig neues  Element  der  Spitzbogen. 

Man  nennt  diese  Entwicklungs- 
stufe, weil  sie  zwischen  streng  ro- 
manischem„Stil  und  Gotik  die  Mitte 
hält,  den  Uberyanggstil.  In  Frank- 
reich kam  derselbe  nie  zur  Geltung. 
In  kurzer  Frist  hatte  sich  dort  der 
gotische  Stil  gebildet.  Seine  Blüte- 
zeit fand  der  Übergangsstil  in 
Deutschland,  das  mit  zähem  Fest- 
halten am  Überlieferten  sieh  noch 
lange  gegen  den  von  Frankreich  ein- 
brechenden ausgebildeten  gotischen 
Stil  sträubte. 

Das  hervorstechendste  Merkmal 
des  Übergangsstils  ist,  wie  schon  be- 
tont, der  Spitzbogen,  der  zuerst  eine 
vorwiegen«!  dekorative  Stellung  im 
Innern  der  Kirche  einnimmt,  bald 
aber  sich  beimGewölbebau  eindrängt, 
da  durch  Anwendung  desselben  das 
Überwölben  nicht  quadratischer 
Felder  mittelst  Kreuzgewölben  be- 
deutend erleichtert  wurde;  denn  beim 
Spitzbogen  konnte  über  gegebener 
Sprengweite  eine  beliebige  Scheitel- 
höhe erlangt  werden,  während  die- 
selbe beim  Rundbogen  ein  für  alle 
mal  gegeben  war  und  dem  Übcl- 
standc  nur  durch  unnatürliches  Er- 
höhen der  Kreisbogen  über  den 
Mittelpunkt,  durch  sogenanntes 
Stehen  abgeholfen  werden  konnte. 
Indessen  behält  der  Spitzbogen  im 
Übergangsstil  doch  immer  noch  eine 
sehr  gebrückte  Gestalt.  Dagegen 
kam  es  immer  mehr  in  Gebrauch, 
die  Scheitel  der  Kreuzgewölbe  in 
die  Höhe  zu  ziehen,  so  dass  dieselben 

56* 


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884 


Romanische  Baukunst 


bedeutend  höher  lagen,  als  die  Seheitel 
der  zugehörigen  Gurtbogen.  Das 
Streben  nach  zierlichen  Verhältnissen 
giebt  »ich  namentlich  auch  an 
den  Profilierungen  zu  erkennen. 
An  Stelle  dereinfacheu  Wulste  treten 
Hohlkehlen  u.  dgl.  Wahrscheinlich 
angeregt  durch  das  Vorbild  des 
französischengotisclieii  Stiles  wurden 
die  Kanten  des  Gewölbes  (an  den 
Diagonalen)  mit  rundprotilierten 
Kreuzrippen  ausgestattet,  so  dass 
die  grossen  Flächen  der  Gewölbe 
»  ine  viel  schärfer  markierte  Eintei- 
lung zeigen.  Der  Ausbildung  des 
Gewölbebaues  entspricht  die  des 
Pfeilers,  der  oft  eine  Menge  von 
Ecksäulchen  und  Halbsäulehen  er- 
hält. Überhaupt  werden  in  ver- 
schwenderischer Weise  schlanke 
Säulchen  an  Wänden  und  Mauer- 
ecken, oder  in  den  Arkaden  der 
Kreuzgänge,  einzeln,  paarweise  oder 
zu  mehreren  verbunden,  was  oft, 
namentlich  in  Kreuzgängen,  zu  glän- 
zender Entwicklung  der  Architektur 
führt. 

Bezweckten  alle  diese  Neuerungen 
eine  lebendigere  Gliederung  der 
Massen,  so  war  es  natürlich,  dass 
dasselbe  Streben  sieh  auch  am 
Grundriss  selbst  durchsetzte.  Die 
halbrunde  Chornische  geriet  mit 
ihrer  ruhigen  Linie  in  Gegensatz 

fegen  die  Richtung  der  neuen  Bau- 
unst  und  man  brach  deshalb  die 
Rundung  in  ein  Polygon.  Aber 
auch  die  niedrige  dunkle  Gruftkirche 
stimmte  nicht  mehr  zu  der  nach 
Licht  und  Freiheit  strebenden  Rich- 
tung. Man  lieas  sie  deshalb  bei 
neuern  Bauten  stets  fort. 

Der  Umgestaltung  des..  Innern 
folgte  bald  auch  die  des  Äussern. 
Am  erfolgreichsten  erwies  sich  hier 
die  Ausbildung  der  Fenster.  Aus- 
gehend vou  den  Fenstergruppen, 
Wie  sie  schon  der  romanische  Stil 
geschaffen,  kam  man  bald  dazu, 
diese  meist  zu  dreien  angeordneten 
Fenster  in  ein  Fenster  zusammeuzu- 
und   die   frühere  teilende 


Wandfläche  durch  schlanke  S:iul- 
chen,  die  in  der  Mitte  meist  einen 
Ring  erhielten,  zu  ersetzen  und  den- 
selben statt  des  Ruudbogens  den 
Spitzbogen  zu  geben.  Noch  freier 
verfährt  man  da,  wo  zwei  Fenster 
zusammengeordnet  werden,  wo  dann 
die  obere  Fläche  durch  ein  kleines 
Dreiblatt  oder  Rundfenster  durch- 
brochen wird.  Auch  die  frühem 
Radfenster  entwickelten  sieh  zu 
brillanten  Rosenfenstern. 

Oft  findet  man  auch  selbst  hal- 
bierte Radfenster,  Fenster  in  Fächer- 
form  und  noch  andere  auffallende 
Bildungen. 

Die  Portale  behalten  im  wesent- 
lichen die  reiche  Gestalt  der  roma- 
nischen Epoche;  indessen  tritt  auch 
hier  an  Stelle  des  Rundbogens  der 
Spitzbogen  oder  der  Dreiblatt-  oder 
Kleeblattbogen,  wobei  die  Bogen- 
linie  gebrochen  und  aus  drei  Kreis- 
teilen zusammengesetzt  wird.  Ja 
sogar  der  maurische  Hufeisenbogen 
wird  augewendet. 

Dem  entsprechend  werden  auch 
die  Gesimse,  namentlich  die  so 
charakteristischen  Rundbogenfriese 
umgestaltet,  wobei  sich  die  Rund- 
bogen oft  in.  einander  ver- 
schlingen. Im  Übrigen  bleibt  für 
die  Gliederung  des  Äussern  das 
Gesetz  des  romanischen  Stiles.  Nur 
an  den  Türmen  bemerkt  man  ein 
j  schlankeres  Aufstreben,  was  sich 
namentlich  in  den  steilern  Dach- 
helmen kundgibt. 

Das  Streben  nach  kräftigerer 
Wirkung  durchdringt  nun  auch  alle 
Details.  An  Säulenbasen,  Deck- 
platten und  Gesimsen  wird  durch 
tiefe  Auskehlung  und  Unterschnei- 
dung, sowie  durch  scharfes  Vor- 
springen der  vielfach  gehäuften 
Glieder  eine  schlagende  Wirkung 
erzielt.  Das  Ornament  erreicht  oft 
den  höchsten  Grad  von  Schönheit 
und  Eleganz.  An  den  Kapitalen 
wird  die  sehlankere  Kelchform  über- 
wiegend gebraucht  und  namentlich 
mit    knospenartigen,    an  langen 


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Romanische  Baukunst. 


885 


Stengeln  sitzenden  ßlätteni  ausge- 
stattet. Der  Schaft  der  laugen 
dünnen  Säulen  erhalt  häufig  in  der 
Mitte  einen  King.  Oft  bricht  auch 
die  Säule  in  halber  Höhe  plötzlich 
ab  und  bezeichnet  die  Stelle  ihres 
Aufhörens  durch  reichgezierte  kon- 
solenartige Glieder,  wahrscheinlich 
ein  Mittel  um  Kaum  zu  gewinnen. 

Gegen  die  Mitte  des  13.  Jahr- 
hunderts musstc  der  Übergangsstil 
dem  von  Frankreich  einbrechenden 
gotischen  das  Feld  räumen. 

b)  Abweichende  Kirchen- Anlagen 
und  andere  Haufen.  Zu  den  von 
der  Basilikaform  abweichenden 
Formell  gehören  vorerst  die  ein 
fachen  Dorf  kirchen,  die  meistenteils 
nur  einschiffig  sind  und  des  Quer- 
sehitfes  entbehren.  Daneben  trifft 
man  auch  z  teeisch  iffige  Anlagen 
mit  zwei  gleich  hohen  und  breiten 
Schiffen.  Ausserdem  giebt  es  eine 
kleine  Zahl  kirchlicher  Bauwerke, 
welche  auf  die  kreisrunde  oder  polg- 
yo/i<r  Form  zurückgehen,  deren  Iunen- 
raum  entweder  ungeteilt  behandelt 
und  mit  einer  Kuppel  bedeckt  wurde 
oder  einen  durch  Säulen  getrennten 
niedrigem  Umgang  erhielt.  Beliebt 
war  diese  Form  besonders  für  Tauf- 
und Torenkapellen. 

Eine  sehr  originelle  Bauanlage 
treffen  wir  in  den  Doppel- 
kapellen, die  man  namentlich  auf 
Burgen  findet.  Hierbei  sind  zwei 
Kapellen  von  derselben  Grund- 
form aufeinander  angelegt  und  ver- 
bunden durch  eine  in  dem  Gewölbe 
der  untern  Kapelle  gelassene  weite 
Öffnung,  welche  den  oben  weilenden 

f stattete,  an  dem  in  der  unteren 
aoelle   gehaltenen  Gottesdienste 
Teil  zu  nehmen. 

Nicht  so  sehr  im  G rundplane, 
aber  dafür  desto  entschiedener  im 
Aufbau  weichen  die  Hallenkirchen 
von  der  herrschenden  Basilikenform 
ab,  bei  welchen  die  drei  Schiffe 
gleich  hoch  und  oft  auch  beinahe 
gleich  breit  gemacht  wunden. 

Die   Kirchen   waren  meist  mit 


klösterlichen  Stiftungen  verbunden, 
deren  umfangreiche  Gebäude  sich 
an  dieselben  anschlössen.  Zur  Ver- 
bindung der  einzelnen  Gebäude 
diente  der  Kreuzgaug.  Au  ihn 
schlössen  sich  der  Kapitelsaal  und 
das  Refektorium,  sowie  die  anderen 
Räume  an.  Der  ganze  Bezirk  wrurde 
mit  Mauern  umzogen  (siehe  Artikel 
Klosteranlagen  i. 

Die  Profanarchitektur  ist  noch 
vorwiegend  einfach,  und  einzig  macht 
etwa  die  Schlossarchitektur  Anspruch 
auf  künstlerische  Gestaltung,  so  z.  B. 
die  Wartburg.  Die  bürgerliche 
Architektur  aber  ist  nur  sehr 
ausnahmsweise  in  dieser  Epocho 
schon  zumonumentalerkünstlerischer 
Ausprägung  gelangt.  Einzelne  ro- 
manische Häuser  haben  sich  in 
Trier  und  Köln  erhalten;  einen  sel- 
tenen Reichtum  frühmittelalterlicher 
Architektur  bewahrt  Goslar. 

3)  Historischer  Abriss.  Die  ar- 
chitektonische Bewegung  schreitet 
während  der  romanischen  Epoche 
in  den  einzelnen  Ländern  so  ver- 
schiedenartig vor,  dass  es  beinahe 
unmöglich  ist,  eine  feste  geschicht- 
liche Einteilung  aufzustellen.  Nur 
so  viel  lässt  sich  im  allgemeinen 
vorausschicken,  dass  der  Baustil 
während  des  11.  Jahrhunderts  durch- 
weg eine  gewisse  Strenge  und  Ein- 
fachheit atmet,  dass  er  im  Laufe 
des  12.  Jahrhunderts  seine  reichste 
und  edelste  Blüte  entfaltet  und 
gegen  Ende  dieses  und  im  ersten 
Viertel  des  13.  Jahrhunderts  zum 
!  Teil  ausartet,  zum  Teil  sich  mit 
gewissen  neuen  Formen  verbindet 
und  ein  buntes  Gemisch  verschie- 
denartiger Elemente  darbietet. 

Flachgedeckte  Basiliken  von 
grosser  Strenge  und  Einfachheit 
der  Behandlung  finden  sich  nament- 
lich in  den  sächsischen  Gegenden. 
Überaus  altertümlich  und  streng 
'  erscheint  die  Kirche  zu  Gernerode 
(gegründet  9(>1).  Freier  und  edler 
gestalten  sich  die  antiken  Reminis- 
zenzen in  der  Schlosskirche  in  Qued- 


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886 


Romanische  Baukunst. 


linburg.  Aus  dem  Anfange  des 
12.  Jahrhunderts  datieren  die  glän- 
zenden Werke  in  Hilde>heim,  wie 
die  Gerbardi-kirche  ill46>  und  die 
Michaeliskirche  ibeg.  1033,  erneuert 
1180  ),  mit  ihrer  doppelchörigen  An- 
lage. Chorumgang  und  reicher  Turm- 
anlage. 

Einfachere  Anlagen  von  strenger 
Durchführung  des  Gewölbebaues 
sind  die  Cistercienserkirchen  zu 
Loccum  und  Riddaghausen ,  beide 
mit  geradem  Chorscliluss,  bei  letz- 
terer aber  mit  Umgang  und  Ka- 
pellenkranz. 

Am  Rhein  i.st  eine  der  mäch- 
tigsten Säulenbasilikeu  die  1030 
gegründete  Klosterkirche  zu  Lim- 
burg; ferner  der  1047  beendete 
Dom  zu  Trier. 

Andere  Säulenbasilikeu  haben 
sich  zu  Uersfeld  (1047),  Hirschau 
(10711,  Schwarzbach,  Konstanz, 
Sehaffhausen  erhalten.  Als  Bei- 
spiele für  Pfeilerbasiliken  mögen  die 
Dome  von  Würzburg  und  Augs- 
burg, mehrere  Bauten  in  Regens- 
lmrg,  der  Dom  von  Salzburg  (1127), 
der  Dom  von  Gurk  und  Fünfkir- 
chen angeführt  sein. 

Der  (yctcÖtWmi/  trug  in  Deutsch- 
land zuerst  in  den  rheinischen  Ge- 
benden den  Sieg  über  die  flachce- 
deekte  Basilika  davon.  Hieher 
gehört  der  doppelchörige  Dom  zu 
Mainz  (nach  einem  Brande  1081 
begonnen),  der  Dom  zu  Speier  (1030 
gegründet),  der  Dom  zu  Worms 
(1181  eingeweiht),  die  Abteikirche 
zu  Laach  (1156  vollendet).  Alle 
diese  Bauten  zeigen  auch  bereits 
die  reiche  Turmanlage  mit  Vier- 
ungsturm und  mehreren  Treppen- 
türmchen. 

Eine  originelle  Anlage  ist  der 
zierliche  Zentralbau  der  Doppel- 
kirche zu  Schwarzrheindorf. 

In  wesentlich  verschiedener,  aber 
ebenfalls  in  künstlerisch  bedeutsa- 
mer Weise  entwickelt  das  alte  Köln 
seinen  Kircheubau.  Eines  der 
frühesten  Denkmaler  ist  St.  Maria 


im  Kapitol  1 1049  geweiht«.  Der 
Bau  ist  von  origineller  Disposition. 
Sowohl  der  Chor,  als  auch  die  bei- 
den Kreuzarme  sind  im  Halbkreis 
geschlossen,  aber  vollständig  von 
niedrigen  Umgängen  umzogen.  Dies«' 
zentralisierende  Behandlung  der 
Chorpartie  fand  im  Laufe  des  12. 
Jahrhunderts  an  St.  Aposteln  und 
Gross  St.  Martin  eine  weitere  Aus- 
bildung: bei  letzterer  Kirche  na- 
mentlich in  dem  imposanten  Vier- 
ungsturm,  auf  dessen  Ecken  vier 
schlanke  Türmchen  vortreten.  Das 
Gepräge  des  Übergangsstiles  zeigt 
St.  Gereon  (1212—1227). 

In  der  weitern  Umgegend  Kölus 
erscheint  die  Ruine  der  Äbteikirehe 
zu  Helsterbach  besonders  durch  die 
Chorbaute  als  orijnnelle  Komposi- 
tion im  Stile  des  Übergangs.  Der- 
selben Zeit  gehört  das  nicht  minder 
prächtige  Münster  in  Bonn  an. 

Am  Mittelrhein  erscheint  der 
Übergangsstil  an  der  mit  rlaehge- 
decktem  Langhaus  versehenen  Pfarr- 
kirche zu  Gelnhausen  (1235  einge- 
weiht), vorzüglich  aber  am  Dom  zu 
Limburg  an  der  Lahn. 

Ungleich  strenger  und  schlichter 
tritt  der  Gewölbebau  in  den  west- 
fälischen und  sächsischen  Gegenden 
auf,  so  am  Dom  zu  Soest.  Die 
Übergangsepoche  ist  durch  den  Dom 
zu  Münster  vertreten.  Namentlich 
finden  sich  in  Westfalen  einige 
Hallenkirchen,  wie  zu  Herford,  Pa- 
derborn und  Methler. 

In  den  sächsischen  Gegenden 
tritt  die  Wölbung  in  Verbindung 
mit  dem  alten  strengen  Basiliken- 
stil des  Landes  zuerst  bedeutsam 
am  Dom  zu  I>  raun  schweig  (1171) 
auf.  Ihm  folgte  die  Kirche  zu  Kö- 
nigslutter. Den  Übergangsstil  be- 
zeichnet der  1242  geweihte  Dom  zu 
Naumburg.  Den  Gipfel  erreicht 
aber  derselbe  im  Dom  zu  Bamberg. 

Unter  den  gewölbten  Bauten 
des  südlichen  Deutschlands  und  der 
deutschen  Schweiz  sind  der  Dom 
zu  Freising.  die  Stiftskirche  zu  Ell- 


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Rosengarten.  —  Rosenkranz. 


887 


wangen  und  der  Grossmünster  in 
Zürich  hervorzuheben. 

Früh  und  bedeutend  tritt  der 
Gewölbebau  im  Elsas*  auf.  Im 
strengen  Stil  des  11.  Jahrhunderts 
erscheint  die  Kirche  zu  Ottmars- 
heim, eine  wohlerhaltene  Nachbil- 
dung des  karolingischeu  Münsters 
zu  Aachen.  Ans  der  Frühzeit  des 
12.  Jahrhunderts  stammt  die  Abtei- 
kirche Murbach,  die  Kirehe  zu  Geb- 
weiler, die  östlichen  Teile  und  das 
mächtige  Querschiff  des  Strassbur- 
ger  Münsters. 

Überaus  reich  und  glänzend  hat 
sich  gerade  die  letzte  Epoche  des 
Romanismus  in  den  österreichischen 
Ländern  ausgeprägt.  In  Wien  zählt 
die  Fa^ade  der  Stephauskirche,  so- 
wie der  edle  Schiffbau  der  Miehae- 
liskirehe  hierher.  Dem  Über^angs- 
stil  gehören  die  Cistercienserkirchen 
zu  Heiligenkreuz,  Lilienfeld  und 
Zwetl  an. 

Bis  tief  naeh  Ungarn  und  Sie- 
benbürgen hinein  finden  wir  diesen 
prächtigen  Stil  verbreitet.  Das 
Hauptwerk  ungariseher  Architektur 
ist  die  Kirche  St.  Jack. 

Eine  für  sich  durchaus  geson- 
derte Gruppe  bilden  die  Bauwerke 
der  Nordostlande,  welche  meist  in 
Ziegelstein  aufgeführt  werden  inuss- 
ten  und  im  Ausseren,  da  sie  un- 
verputzt blieben ,  eine  malerische 
Wirkung  erzeugten.  Namentlich 
ergab  sich  für  die  Detailbilduug 
manche  Umgestaltung  Die  Basen 
wurden  vereinfacht  und  die  Kapi- 
tale aus  der  Würfelform  in  den 
massigeren  Backsteincharakter  über- 
setzt. Oft  allerdings  nahm  man 
für  diese  Details  auch  den  Hau- 
stein zu  Hilfe.  Unter  den  vorhan- 
denen Denkmalen  steht  die  Kloster- 
kirche zu  Jericho v  in  der  Altmark, 
eine  flachgedeckt«'  Säulenbasilika, 
als  eins  der  bedeutendsten  Bei- 
spiele da. 

In  gleicher  Mannigfaltigkeit  und 
Pracht,  wie  in  Deutschland,  bildete 
sich  der  romanisch*1  Baustil  auch 


in  den  übrigen  Ländern,  in  Italien, 
Frankreich,  '  England,  Skandinavien 
und  Spanien  aus.  Lühke,  Grund- 
riss  der  Kunstgeschichte.  Otte,  Ge- 
schichte der  deutschen  Baukunst. 
Kuqler,  Geschichte  der  Baukunst. 
Sc&naate,  Geschichte  der  bildenden 
Künste  des  Mittelalters. 

Rosengarten,  siehe  Heldensage. 

Rosenkranz,  rosarium,  Pater- 
noster, heisst  die  durch  eine  Reihe 
Perlen  gezogene  Schnur,  deren  man 
sich  in  der  römischen  Kirche  be- 
dient, um  eine  bestimmte  Anzahl 
von  Vaterunsern  oder  Avc-Maria's 
zu  beten.  Die  Sitte,  das  Vaterunser 
mehrmals  zu  wiederholen,  wird  im 
Einsiedler-  und  Mönchsleben  schon 
des  5.  Jahrhunderts  erwähnt;  zu 
dieser  Zeit  hat  ein  Abt  Paulus  in 
der  Wüste  Pherme  das  Vaterunser 
300  mal  hintereinander  gebetet,  wo- 
bei er  sieh  300  gezählter  Steinchen 
bediente.  Der  eigentliche  Rosen- 
kranz wurde  aber  erst  von  den 
Dominikanern  gebraucht;  es  ist 
möglich,  dass  die  Kreuzzüge  den 
Gebrauch  des  Rosenkranzes  des- 
halb begünstigten,  weil  auch  die 
Brahmincn  und  Mohamedancr  sich 
desselben  bedienten.  Der  Name 
Rosenkranz  ist  ohne  Zweifel  der 
aus  Rosen  hergestellten  Krone  nach- 
gebildet; die  mittelhochdeutschen 
Wörterbücher  kennen  das  Wort  in 
dieser  Bedeutung  noch  nicht;  nach 
Weigand  soll  es  im  15.  Jahrhundert 
aufgekommen  sein.  Volksmässig 
wurde  der  Gebrauch  des  Rosen- 
kranzes jedenfalls  erst  nach  der 
Reformation,  als  deutliches  Unter- 
scheidungszeichen den  Protestanten 
gegenüber.  Unter  den  Rosenkranz- 
anaachten sind  die  bekanntesten: 

1)  Der  vollständige  oder  Domini- 
kaner-Rosenkranz, besteht  aus  15 
Dekaden  kleiner  Marienperlen , 
welche  durch  15  grössere  Paternos- 
ter-Perlen getrennt  sind,  zum  Ab- 
zählen von  je  zehn  englischen  Grüs- 
sen    zwischen    zwei  Vaterunsern. 

2)  Der    gewöhnliche  Rosenkranz 


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hss  Rosenkreuzer.  —  Kother. 


umfa.sst  fünf  Dekaden  Marienperlcii  vor  etwa  200  Jahren  errichtet  habe, 
und  fünf  Paternosterperlen*,  dreimal  Derselbe,  1888  geboren,  sei  im 
wiederholt  bildet  er  den  Marien-  Orient  gewesen,  sei  von  den  Ara- 
psalter.  3)  Der  mittlere  Rosenkranz  bern  in  die  Geheimnisse  der  Phy- 
mit  *13  Marien-  und  bieben  Pater-  sik  und  Mathematik  eingeweiht  wor- 
nosterperleu .  zur  Andeutung  der  den  und  habe,  nach  Deutschland 
63  Lebensjahre,  welche  die  Legende  zurückgekehrt,  mit  wenigen  Freun- 
der Jungfrau  Maria  beilegt.  4  t  Der  den  einen  geheimen  Orden  ge>tiftet, 
kleine  Rosenkranz  hat  zur  Eriune-  der  hauptsächlich  der  unentgelt- 
rung  an  die  33  Lebensjahre?  Christi  liehen  Heilung  der  Kranken  ge- 
drei  Dekaden  Marienperlen  und  drei  widmet  worden  sei;  übrigens  seien 
Paternosterperlen.  5)  Der  englische  die  Brüder  im  Besitz  der  höchsteu 
Rosenkranz,  rotarium  äuget  icum,  Wissenschaft  und  bei  makellosem 
hat  ebensoviel  Perlen  wie  der  vorige;  Lebenswandel  frei  von  Krankheit 
doch  wird  bei  jeder  Dekade  der  und  Schmerz,  jedoch  wie  andere 
Marienperlen  nur  zu  der  ersten  Ma-  dem  Tod  unterworfen.  Da  es  der 
rienperle  der  englische  Gruss  ge-  Ratschluss  Gottes  sei,  dass  jetzt 
sprochen,  zu  den  folgenden  nur  das  um  «1er  Welt  Glückseligkeit  willen 
Sanktus  mit  der  kleinen  Doxologie.  die  Brüderschaft  vermehrt  und  aus- 
61  Die  Krone  besteht  aus  SS  Pater-  gebreitet  werde  unter  allen  Stän- 
nostern  zum  Gedächtnis  der  33  Lc-  den  ,  Fürsten  und  Unterthanen, 
bensjahre  Christi  und  aus  fünf  Reichen  und  Armen,  so  wurde 
Ave -Maria  zur  Feier  der  fünf  Wun-  durch  diese  Schriften  zum  öffent- 
den  desselben.  liehen  Beitritt  eingeladen.  Als  Ver- 

Die  erste  Rogenlraiizbrudergchaft  fasser  galt  schon  früh  Jo h.  V  alentin 

stiftete   1475  in  der  Dominikaner-  Andrea,     ein  württembergischer 

kirche  zu  Köln  der  Dominikaner  Theolog  lös6 — 1654,  der  damit  die 

Jakob  Sprenger,  derselbe,  der  sich  Geheimnissucht   und  die  Vorliebe 

mit  der  Hexenverfolgung  berühmt  für     mystische    Thorheiten  geis- 

gemaeht  hat  und  Mitverfasser  des  sein   wollte.    Es  entwickelte  sich 

im  Jahre  14.s9  erschienenen  Hexen-  bald  eine  Litteratur,  die  für  und 

hämmere  gewesen  ist.    Sixtus  IV..  wider    den    vermeintlichen  Orden 

der  die  Brüderschaft  mit  einem  Ab-  Partei  nahm.    Eine  ums  Jahr  1622 

lass  privilegierte,  forderte  zur  Ver-  im  Haag  entstandene  und  von  da 

breitung  derselben  unter  Männern  weiter  verbreitete  Gesellschaft  von 

und  Frauen  auf.    Steift  in  Herzogs  Alchvmisten    nannte    sich  Rosen- 

Real-Encykl.  kreuzet* ,  ähnlich  wie  im  18.  Jahr- 

Rosenkreuzer  sollten  die  Teil-  hundert  ein  Zweig  der  Freimaurer 
nehmer  einer  geheimen  Gesellschaft  sich  mit  demselben  mvstisehen  Xa- 
sich  genannt  haben,  von  denen  die  inen  zu  decken  beliebte.  A'/ü/fef 
in  Kassel  1604  erschienene  anonyme  in  Herzogs  Real-Encykl. 
Schrift:  „Fama  Frafernitatis  des  Hut  her.  König,  neisst  ein  epi- 
löblichen Ordens  der  Rosenkreuzer*',  sches  Gedicht  eines  unbekannten 
die  Schrift  vom  Jahre  1615:  „Cb/i-  Dichters,  das,  in  den  Rheinlanden 
feggion  oder  Bekaudtnis  der S»cietat  entstanden,  der  Vorbereituugszeit 
und  Brüderschaft  R.  C.  An  die  der  höfischen  Litteratur  angehört 
Gelehrten  Furopae''  und  die  Schrift  und  zur  byzantinisch-palästinischen, 
vom  Jahr  161 B:  „Chvmischc  Hoch-  Dichtung  gezahlt  wirrt.  König  Ro- 
zeit.  Christian  Rosenkreutz"  Kunde  ther  herrscht  zu  Bari  in  Apulien 
gaben.  Es  war  darin  von  einer  ge-  und  sendet,  da  er  sich  zu  vermählen 
lieimen  Gesell.-ehaft  berichtet,  die  beschlossen  hat,  zwölf  Mannen  nach 
ein  gewisser  Christian  Rosenkreuts  Konstantinopel  zu  Kaiser  Konstan- 


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Rotwelsch.  —  Ruiandsbilder. 


889 


tin,  Werbung  anzustellen  um  des-  Ruiandsbilder  waren  in  der  ältesten 
sen  Tochter;  die  Boten  werden  Zeit  insgesamt  aus  Holz  geschnitzt 
aber  ^  gefangen  genommen  und  in  und  sind  erst  bei  späterer  Erneue- 
den Kerker  gesteckt;  worauf  Rother  rung  seit  dem  15.  Jalirhundert  durch 
selber  unter  fremdem  Namen  nach  Stein  ersetzt  worden.    Die  Ausfüh- 


Konstantinopel  fährt  und  die  Kö- 
nigstochter entführt;  Konstantin 
aber    lässt   dieselbe   durch  einen 


rung  ist  durchaus  in  kolossaler 
(Crosse,  die  den  Eindruck  des  Rie- 
sigen und  Gewaltigen,  ja  Schreck- 


Spielmann,  der  sie  auf  sein  Schiff  haften  hervorbringen  soll.  Die  durch 


lockt,  dem  Rother  wieder  entreissen 
Darauf  zieht  Rother  mit  einem 
grossen  Heere  vor  Konstantinopel 
und  zwingt  den  Kaiser,  ihm  seine 
Frau  wieder  herauszugeben.  Erst 
infolge  späterer  Erfindung  ist  diese 
namenlose  Frau  zur  Ahnmutter 
Karls  des  Grossen  gemacht  worden. 


schnittliche  Grösse  scheint  13—14 
Fuss  gewesen  zu  sein.  Alle  Ruiands- 
bilder stellen  einen  aufrecht  stehenden 
bewaffneten  Mann  in  ernster  gebie- 
tender Haltung  dar,  die  meisten 
einen  noch  jugendlichen,  das  Kinn 
völlig  bartfreijSchnurrbart  nur  selten, 
das  Haupthaar  voll  und  lockig,  die 


Ausgabe  mit  Einleitung  von  Hein-  Augen  gross,  der  Blick  starr.  Das 


ru 


h 


Rücke  rt,  König  Rother.  Leip-  Haupt  ist  meist  unbedeckt ,  selten 
xig,  1872.  von  einer  Königskrone  oder  einem 

Rotwelsch,  siehe  Gauner.  Helm  geziert.    Den  Leib  schützt 

Rudolf,  Graf,  ist  ein  episches  meist  der  ritterliche  Harnisch  des 
Gedicht  aus  der  Vorbereitungs-  15.  Jahrhunderts,  mit  Arm-  und 
periode  der  höfischen  Kunstepik,  Beinschienen;  ältere  Bilder  aber 
ums  Jahr  1170  entstanden,  daseineu  zeigen  als  ältern  Typus  die  kaiser- 
flandrischen Grafen  Rudolf  zu  Je-  I  liehe  Tunica.  Die  Hände  sind  mit 
rusalem,  Askalon  und  Konstantino- J  Handschuhen  bedeckt.  Charakteri- 
pel  im  Kriege  mit  Heiden  und  stisch  ist  das  gerade  und  entblösste 
Christen  und  im  Liebesbunde  mit  Sehwert,  welches  der  Ruland  meist 
einer     heidnischen    Königstochter  in  steifer  Haltung  in  der  rechten 

Faust  trägt.  Der  Schild  scheint 
erst  später  beigefügt  worden  zu  sein. 
Der  Standort  des  Rulands  ist  meist 
z  vor  dem  Rathause; 
hier  steht  er  ohne  Bedachung  unter 
freiem  Himmel. 

Da  vor  dem  Ruland  unter  freiem 
Himmel  auf  dem  Markte  Gericht 
gehalten  zu  werden  pflegte,  scheint 
seine  erste  Bedeutung  diejenige  einer 
Gerichts-,  inbesoudere  einer  Bhit- 
Säule  gewesen  zu  sein.  Und  zwar 
scheint  das  Rulandsbild  hervorge- 
gangen zu  sein  aus  der  ältern  Sitte, 
an  Gerichtsnlätzen  einen  Dingbaum 
oder  einen  Pfahl  mit  einem  daran 
gehängten  Schild  oder  Schwert  zu 
errichten.    In  enger  Verbindung  da- 


zeigt.  Ausgabe  von  Wilhelm  Grimm, 
Göttingei^  lh44. 

Ruiandsbilder.  Di«-  älteste  Er 
wähnung  der  von  Thüringen  an  über  der  Marktplat 
ganz  Norddeutsehland  verbreiteten 
Ruiandsbilder  geschieht  in  einer 
Bremer  Urkunde  vom  Jahr  1 1 1 1 ;  ein 
häufigeres  Vorkommen  derselben 
ist  erst  durch  die  Schriftsteller  des 
15.  Jahrhunderts  konstatiert.  Sie 
finden  sich  sämtlich  in  Ländern,  von 
welchen  aus  die  germanische  Herr- 
schaft von  den  Zeiten  Karls  d.  Gr, 
an  nach  dem  Norden  sich  ausbreitete 
und  unter  den  Ottonen  sich  befe- 
stigte, wobei  sich  drei  Kreise  unter- 
scheiden hissen :  der  eine  an  den 
Küsten  der  Nordsee,  mit  Bremen 


und  Hamburg  als  Zentren,  der  an- !  mit  steht  die  Bedeutung  des  Ruland 
dere  das  Erzbistum  Magdeburg,  und  i\\b  Marktsäule  (vgl.  den  Art.  Markt). 
der  dritte  die  Mark  Brandenburg,  Insofern  sodann  jeder  Ort,  der  zur 
Uckermark    und    Neumark.     Die  Stadt  oderzum Marktflecken  erhoben 


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800 


Runen. 


wurde,  eine  Immunität  vom  gemeinen 
Landgerichte  erhielt,  wurde  der  Ru- 
land  auch  ein  Wahrzeichen  der 
städtischen  Immunität  oder  eine 
Mundats-Säufe.  ähnlich  andern  Mun- 
dats-Zeichen  in  der  Form  steinerner 
Kreuze,  worauf  eine  Hand  abgebil- 
det war,  hervorgegangen  aus  altern 
hölzernen  Kreuzen  mit  angehängtem 
kaiserlichem  Handschuh.  In  den 
Reichsstädten  nahm  endlich  der 
Ruland  noch  eine  besondere  Bedeu- 
tung an,  insofern  er  das  Wahrzeichen 
der  Reichsfreiheit  wurde. 

Aus  den  genannten  Bedeutungen 
der  Rulandssäule  ergibt  sich,  dass 
der  Ruland  ursprünglich  ein  Kaiser- 
bild ist,  das  den  Kaiser  als  Richter 
darstellt,  als  denjenigen,  von  dem 
allein  die  Gerichtsbarkeit,  nament- 
lich die  über  Hals  und  Hand,  er- 
worben werden  konnte,  der  der 
oberste  Richter  und  die  Quelle  aller 
Gerichtsbarkeit  ist.  Insofern  es  nun 
wahrscheinlich  ist,  dass  die  Rulands- 
bilder  zuerst  in  der  Zeit  der  Ottonen 
entstanden  sind,  lässt  es  sich  ver- 
muten, dass  sie  ursprünglich  den 
roten  König  Otto  oder  Otto  IL  dar- 
gestellt haben,  auf  den  verschiedene 
Thatsachen  hinweisen. 

Der  Name  Rulandssäule  wird 
von  Zöpfl  als  eine  auf  dem  roten 
Lande,  der  roten  Erde,  d.  h.  auf 
der  Blutgerichtsstätte  errichtete 
Säule  erklärt  Als  man  diese  älteste 
Bedeutung  nicht  mehr  verstanden 
hätte,  sei  der  Name  auf  den  Paladin 
Karls  d.  Gr.  gedeutet  worden;  mit- 
unter wurde  der  Säule  auch  das 
Standbild  Karls  d.  Gr.  oder  eines 
mächtigen  Landesherrn,  wie  Heinrich 
der  Löwe,  untergeschoben;  au  einigen 
Orten  sank  der  Ruland  bis  zum 
städtischen  Schildhalter  herunter. 
Endlich  sind  auch  auf  die  Rulands- 
bilder  mancherlei  Gebräuche  und 
Sagen  übertragen  worden,  welche 
teils  an  den  Schwert-Gott  Ziu,  teils 
an  den  Fro,  ja  selbst  an  Wuotan  er- 
innern. Nacii  Zoepjf,  die  Rulauds- 
Säule,  Leipzig  1881,  auch  Bd.  3  von 


Zoepfls  Altertümer  des  deutscheu 
Reichs  und  Rechts. 

Runen  heissen  die  von  den  Ger- 
manen angewendeten  Schriftzeichen : 
der  Bedeutung  des  Wortes  gemäss, 
got.  runa,  ahd.  ru/m  =  Geheimnis, 
geheimer  Ratschlag,  wurde  diese 
Schrift  nicht  für  zusammenhängende 
schriftliche  Aufzeichnung  des  ge- 
wöhnlichen Lebens,  sondern  zur 
Losung  und  Weissagung,  zu  Segens- 
und Verwünschungsformelu  ange- 
wendet. Die  Runenzeichen  stammen 
aus  dem  griechisch  -  phönikischen 
Alphabet:  wie  und  waun  sie  den 
Germanen  zukamen,  ist  nicht  be- 
kannt; wahrscheinlich  geschah  es 
auf  dem  alten  Handelswege  von 
Griechenland  und  dem  Schwarzen 
Meere  her.  Die  Anwendung  der 
Runen  zur  Losung  geschah  dergestalt, 
dass  man  Stäbchen  aus  den  Zweigen 
von  fruchttragendem  Hartholze,  be- 
sonders von  der  Buche  (daher  ahd. 
buochstah,  Buchstabe,  in  der  Bedeu- 
tung von  Lautzeichen  und  das  Wort 
buoch  =  das  Buch,  aus  die  buoeke. 
dXx^.jnwcha)  schnitt,  in  jedes  Stäbchen 
eine  Rune  ritzte  und  aus  den  aufs 
Geratewohl  herausgegriffenenRunen- 
stäbchen  eine  Deutung  zu  gewinnen 
suchte;  dabei  vertraten  die  Runen 
nicht  sowohl  einzelne  Laute,  als 
Begriffe,  mystische  Zeichen,  die  erst 
durch  das  'gesungene  Lied,  worin 
die  Runen  als  Anlaute  gewisser 
Hauptworte  allitterierend  wieder- 
kehrten, ihre  Bedeutung  erhielten. 
Daher  die  Rune  auch  »tab  hiess, 
wie  die  allitterierenden  BegriftV 
wörter  des  stabreimenden  ^  erses. 
Der  technische  Ausdruck  für  das 
Einschneiden  oder  Einritzen  der 
Runen  war  ahd.  rizan,  altsächs.  und 
angelsäe] is.  icritan,  in  engl.  wriie, 
erhalten  und  nhd.  Abriss,  Keissbrett, 
das  Wort  wurde  durch  das  lat.  <rn- 
bere  verdrängt,  ahd.  scriban,  nhd. 
schreiben.  Erst  mit  der  Zeit  lernte 
man  die  Runen  als  blosse  Laut- 
zeichen verwenden.  Das  erste 
Runenalphabet  enthielt  ursprünglich 


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KuodJieb.  —  Sachsenspiegel.  891 


bloss  15  oder  16  Zeichen,  später  er-  schritt  für  deutsch.  Altert.  Baud  XIII, 
hielt  es  eine  Erweiterung  bis  zu  22,  1867  uud  Pfeiffers  Germania X,  1865. 
bei  den  Angelsachsen  sogar  bis  zu  Ruodlieb  heisst  ein  von  einem 
33  Zeichen.  Der  Gebrauch  der  unbekannten  Klostergeistlichen, 
deutschen  Runen  hörte  mit  der  Ein-  wahrscheinlich  in  Bayern."  ums  Jahr 
führungder  lateinischen  Schrift  durch  1050  in  Hexametern  verfasstes  epi- 
christliche Lehrer  schnell  auf;  bei  sches  Gedicht,  das  zwar  Anklänge 
den  Angelsachsen  und  den  Skandi-  an  die  überlieferte  Sage  hat,  sonst 
naviero  erhielt  sich  die  Runenschrift  aber  nach  Art  des  Romans  seinen 
bis  tief  in  die  christliche  Zeit.  Aus  Stoff  frei  erfindet.  Das  Gedicht  ist 
einer  Vermischung  des  Ruuenalpha-  nur  Bruchstückweis'»  erhalten.  Es 
betes  mit  dem  griechischen  schuf  findet  sich  abgedruckt  in  Grimms 
Ulfilas  sein  gotisches  Alphabet,  und  Schmellcrs  lat.  Gedichten  des 
W.  Grimm,  über  deutsche  Runen.  10.  und  11.  Jahrhunderts.  Göttingen 
Göttingen  1821.  W.  Lilienhron  und  1838;  neue  Ausgabe  von  Friedr. 
MüllcnhofJ\  zur  Runenlehre.  Zwei  Seiler,  Halle  1SM2. 
Abhandlungen.  Halle  1852.  Zacher*  j  Rüstung.  Im  weiteren  Sinne 
das  gotische  Alphabet  Vulfilas  und  versteht  man  unter  der  Rüstung  die 
das  Runenalphabet.  Leipzig  1855.  vollständige  Bewaffnung  eines  Kxie- 
Über  die  in  der  letzten  Zeit  gefun-  gers,  im  engeren  Sinne  nur  die 
denen  und  erklärten  Runen  vgl.  Schutzwaffen.  Siehe  die  Art.  Har- 
namentlich  Dietrich  in  Haupts  Zeit-  nisch  und  Helm. 


s. 

Säbel.  Das  Wort  stammt  aus  I  gruudsätze  in  grösseren  Arbeiten  zu- 
dem Slavouischen  (sabla),  welches  sammenzustellen ,  wobei  sie  nicht 
eine  einschneidige,  gekrümmte  Hieb-  bloss  das  Bedürfnis  der  Schöffen  im 
waffe  bedeutet.  Der  Säbel  war  als  Auge  hatten,  sondern  zugleich  ver- 
solcher  schon  den  alten  Persern  und  suchten,  das  gesamte  Recht  darzu- 
Iberiern,  sowie  den  Römern  zu  Tra- 1  stellen,  Privatrecht,  Strafrecht  und 
jans  Zeit  bekannt.  In  Deutschland  Gerichtswesen,  Staatsrecht  und  Recht 
erscheint  er  schon  im  4.  Jahrhundert  der  Kirche,  soweit  es  von  praktischem 
neben  dem  eigentlichen  Schwert,  Interesse  sein  konnte.  Das  wich- 
kommt aber  in  eigentlichen  Gebrauch  tigste  dieser  Rechtsbücher  ist  der 
erst  im  17.  Jahrhundert.  in  niederdeutscher  Sprache  verfasste 

Sachsenspiegel  ist  der  erste  Ver-  Sachse  nspieqel.  Derselbe  ist  von 
stich,  das  gesamte  deutsche  Recht !  FÄke  von  Kepgotve  verfasst,  einem 
wissenschaftlich  darzustellen;  die  Manne  aus ritterbürtigem Geschlecht, 
alten  Volksrechte  waren  in  Vergessen- !  das  sich  nach  dem  zwischen  Dessau 
heit  geraten;  die  Reichsgesetzgebung  und  Kothen  liegenden  Dorfe  Rep- 
war  spärlich  und  beschäftige  sich  pichau  nannte ,  er  wird  in  den 
meist  bloss  mit  dem  Strafrecht  und  Jahren  1209—1233  als  Schöffe  in  der 
der  Aufrichtung  von  Landfrieden;  |  Grafschaft  Billingshöhe  in  der  Nähe 
die  übrigen  Rechtsquellen  waren  des  Harzes  aufgeführt.  Er  schrieb 
lokaler  Art,  Stadt-,  Dorf-,  Hof-  und  j  sein  Rechtsbuch  wahrscheinlich 
Dicnstrechte;  erst  im  Aufaug  des  |  zwischen  1226  und  1238  zuerst  in 
13.  Jahrhunderts  unternahmen  es  lateinischer  Sprache  und  übersetzte 
Privatleute,  die  allgemeinen  Rechts-  dasselbe  erst  auf  Veranlassung  des 


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892  Sachsenspiegel. 


Grafen  Hoier  von  Falkenstcin  ins  des  andern  unterworfen  sein  soll. 
Sächsische.  Spiegel  nannte  er  es  Der  Mensch,  Gottes  Bild,  soll  nur 
nach  der  litterarischen  Mode  .seiner  Gott  angehören,  und  wer  ihn  einem 
Zeit,  da  das  Recht  seines  Volkes  andern  unterwerfen  will,  der  handelt 
gewissermaßen  in  einem  Stiegel  zur  wider  Gott.  In  Wahrheit  hat  die 
Anschauung  gebracht  werden  sollte.  Knechtschaft  ihren  Ursprung  in 
Das  Buch  zerfallt  in  das  Sächsische  Zwang,  Gefangenschaft  und  un- 
Laitthecht  und  das  Sächsische  Lehn-  j  rechter  Gewalt,  und  was  zuerst 
recht.  Landrecht  ist  hier  das  Kecht,  durch  Unrecht  seinen  Anfang  nahm, 
wie  es  in  den  Landgerichten,  welchen  sucht  man  jetzt  wegen  der  langen 
die  Freien  unterworfen  sind,  gehand-  Gewohnheit  als  Recht  zu  behaupten, 
habt  wird;  nur  dem  Recht  des  freien  Als  Gott  den  Mensehen  schuf,  gab 
Ritters  und  des  freien  Bauern  ist  er  ihm  Gewalt  über  Fische,  Vogel 
also  das  Buch  gewidmet;  die  Städte  und  wilde  Tiere,  daher  kann  uie- 
werden  nur  gelegentlich  erwähnt  mand  seinen  Leib  an  diesen  Dingen 
und  das  Hof-  und  Dienstrecht  aus- ;  verwirken,  aber  der  König  gibt  den 
drücklich  ausgeschlossen.  Geschrie-  wilden  Tieren  an  bestimmten  Orten 
bene  Quellen  sind  im  Landrecht  durch  seinen  Bann  Frieden.  Die 
sehr  wenige  benützt,  vom  römischen  Welt  wird  durch  zwei  Gewalten 
Recht  fast  keine  Spuren.  Einzelne  regiert,  die  weltliche  und  die  geist- 
Bestimmungeu  haben  einen  sehr  liehe:  von  den  zwei  Schwertern, 
altertümlichen  Charakter,  der  dem  welche  Christus  auf  der  Erde  zu- 
12.  Jahrhundert  oder  noch  früherer  rückliess,  um  die  Christenheit  zu 
Zeit  angehört;  so  entspricht  die  beschirmen,  gehört  dem  Papst  das 
Schilderung  der  ständischen  Ver-  geistliche  und  dem  Kaiser  das  welt- 
hältnisse  wenig  dem  im  13.  Jahr-  liehe.  Der  Papst  reitet  zu  gewissen 
hundert  schon  allgemein  herrschen-  Zeiten  auf  einem  Schimmel  und  der 
den  Lehnwesen:  die  fünf  sächsischen  Kaiser  soll  ihm  den  Steigbügel 
Köuigsp falzen  entsprechen  wohl  dem  halten,  damit  sich  der  Sattel  nicht 
11.  aber  nicht  dem  13.  Jahrhundert,  verschiebe.  Das  ist  ein  Zeichen  da- 
so  dass  es  scheint,  der  Verfasser  für,  dass  wenn  sich  ein  Widerstand 
habe  sich  bisweilen  an  altherkömm-  gegen  den  Papst  erhebt,  und  er  ihn 
liehe  Traditionen  gehalten,  deren  mit  dem  geistlichen  Recht  nicht  zu 
praktische  Bedeutung  längst  ab-  heben  vermag,  der  Kaiser  mit  seinem 
banden  gekommen  war.  Ursprüng-  weltlichen  Recht  ihm  den  Gehorsam 
lieh  war  das  Landrecht  bloss  in  ein-  erzwinge.  Und  ebenso  soll  auch  die 
zelne  Artikel  eingeteilt,  erst  von  geistliche  Gewalt  der  weltlichen 
späteren  Abschreibern  stammt  die  helfen.  Beide  Gewalten  sollen  also 
Gliederung  in  drei  Bücher,  wozu  j  in  Eintracht  neben  einander  be- 
dann  als  viertes  das  Lehnrecht  stehen,  jede  hat  ihren  eigenen  Kreis 
kommt.  Die  Zahl  der  Handschriften  und  keine  ist  der  andern  überge- 
ist  eine  sehr  grosse.  ordnet    Daher  darf  der  Papst  mit 

Als  dem  sachsischen  Landrecht  seinen  Geboten  nicht  das  weltliche 
eigentümliche  Auflassungen  hebt  Recht  umändern  und  kann  den 
Stohltr,  I,  S.  301,  folgende  heraus:  Bann  gegen  den  Kaiser  nur  aus- 
„Vor  Gott,  welcher  den  Menschen  sprechen,  wenn  er  an  dem  rechten 
nach  seinem  Bilde  schuf,  sind  alle  Glauben  zweifelt,  sein  eheliches 
Menschen  gleich  und  in  der  Zeit,  Weib  verlä'sst  oder  Gotteshäuser 
als  die  Sachsen  das  Land  eroberten,  zerstört.  Der  König  ist  der  gemeine 
gab  es  keine  Knechte,  sondern  alle  Richter  überall  und  richtet  auch 
waren  frei;  überhaupt  gibt  es  keinen  über  Leib  und  Leben  der  Fürsten; 
Grund,   warum  einer  der  Gewalt  aber  er  ist  nicht  Herr  alles  Rechts, 


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Sage.  —  Salomon. 


893 


sondern  selbst  dem  Gesetz  unter- 
worfen und  verantwortlich:  er  muss 
vor  dem  Pfalzgrafen  zu  Recht  stehen 
und  kann  seinen  Leib  verwirken, 
nachdem  ihm  das  Reich  durch  Ur- 
teil aberkannt  ist.  Da  er  nicht 
überall  in  seiuem  Reich  sein  und 
nicht  jede.«*  Urteil  richten  kann,  so 
setzt  er  Grafen  und  Schultheissen 
ein,  welche  von  ihm  ihre  Gewalt 
haben." 

Der  Sachsenapiegel  erlangte 
schnell  eine  weitausgedehnte  Ver- 
breitung;, namentlich  in  den  nörd- 
lichen Gegenden  Deutschlands;  er 
galt  nicht  bloss  als  Rechtsbuch,  son- 
dern bei  den  Gerichten  sogar  als 
Gesetzbuch:  wozu  unter  andern  die 
allmählich  entstandene  Ansicht  bei- 
trug, dass  der  Sachsenspiegel  auf 
einem  Privileg  Karls  des  Grossen 
und  auf  andern  Kaisergesetzen  be- 
ruhe. Auch  bei  andern  Volks- 
stämmen hat  derSpiegel  Verbreitung 
gefunden  und  ist  die  Quelle  einer 
grossen  Zahl  von  Rechtsbüchern  ge- 
worden, die  mittelbar  oder  unmittel- 
bar von  ihm  abstammen.  Dazu  ge- 
hören der  Deutschenspieqel  und  der 
Schwabenspiegel  für  ganz  Süddeutsch- 
land; dann  das  Maqdeburgische 
Weichbildrecht,  das  sich  über  ganz 
Sachsen  ausbreitete,  der  sogenannte 
vermehrte  Sachsenspiegel  oder  das 
Rechtsbuch  nach  Di-stinkt  tonen,  das 
in  Thüringen  entstand,  der  Richt- 
steig  lAtnd  rechts,  ein  Märkisches 
Lenrbuch  des  Prozesses,  und 
der  Richtsteig  Lehnrechts.  Für 
Breslau  und  Polen  wurde  der  Sach- 
senspiegel ins  Lateinische,  für  Po- 
leu  auch  ins  Polnische  übersetzt, 
für  das  Herzogtum  Breslau  als 
Landrecht  publiziert,  für  Görlitz 
und  Hollana  besonders  bearbeitet. 
Endlich  entnahmen  eine  grosse  An- 
zahl Stadtrechte  einzelne  Sätze  und 
ganze  grössere  Partien  dem  Sach- 
senspiegel, z.  B.  diejenigen  von 
Hamburg,  Lübeck,  Stade,  Bremen, 
Berlin,  Gosslar;  andere  Städte  und 
Gerichte,  wie  Krakau  und  Braun  - 


schweig,  Hessen  den  Sachsenspiegel 
abschreiben,  um  ihn  beim  Reent- 
sprechen zu  Grunde  zu  legen;  der 
dritte  Teil  Deutschlands,  hiesfl  es 
noch  am  Ende  des  Mittelalters  auf 
.einem  deutschen  Reichstage,  lebe 
nach  dem  Sachsenspiegel,  ja  es 
bildete  sich  allmählich  die  Ansicht, 
dass  der  Sachsenspiegel  gemeines 
Recht  sei. 

Der  Sachsenspiegel  regte  auch 
zuerst    die    Thätigkeit  deutscher 
Rechtslehrer   zu  wissenschaftlicher 
Bearbeitung  der  Rechtsquellen  auf, 
offenbar  in   Nachahmung  italieni- 
scher Rechtslehrer,  und  zwar  war 
es     vornehmlich     der  Gegensatz 
deutscher   und    römischer  Rechts- 
grundsätze, der  diese  Arbeiten  ver- 
anlasste.   Diese  Schriften  heissen 
Glossen  zum  Sachsenspiegel,  deren 
älteste  dem  märkischen  Ritter  Jo- 
hann von  Ruch,  in  Urkunden  1321 
bis  1355  genannt,  angehörte;  sein 
Werk  ist  wie  der  Spiegel  selber  in 
i  niederdeutscher  Sprache  geschrie- 
ben.   Endlich  hat  man  auch  den 
Text    des    Sachsenspiegels  durch 
Bilder  zu  erläutern  versucht,  die 
I  man    in    mehreren  Handschriften 
findet;  diejenigen  der  Heidelberger 
Handschrift,  deren  Originale  dem 
i  13.  Jahrhundert  anzugehören  schei- 
nen, sind  in  Auswahl  herausgegeben 
von  Kopp,  Bilder  und  Schriften 
der  Vorzeit,  1819;  vollständig  in: 
I  Teutache  Denkmäler,  herausgegeben 
1  und  erläutert  von  Batt,  v.  Rabo, 
!  Kitenbenz,  Äfone  und  Weber,  erste 
Lieferung  Heidelberg  1820.  —  Die 
{  älteste  gedruckte  und  datierte  Aus- 
i  gäbe  des  Sachsenspiegels  erschien 
1474  zu  Basel.    Nach'S/oAfo,  Ge- 
schichte der  deutschen  Rechtsquellen, 
Braunsen  weig  1860.     Die  bedeu- 
tendste Ausgabe  des  Sachsenspiegeb 
ist  die  von  Homeyer,  2.  Ausgabe. 
Berlin  1835. 

Sage,  siehe  Heldensage. 
Salisches  Oesetz,  siehe  Leget 
barbarorum. 

Salomon  und  Marko] f  heissen 


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804 


Salzfass.  —  Särge. 


eine  Reihe  älterer  deutscher  Dich- 
tungen. Die  erste  derselben ,  der  | 
höfischen  Epik  vorausgehend ,  von  | 
einem  fahrenden  Sanger  strophisch 
gedichtet,  enthält  ein  Gewebe  von 
Entführtnigsgeschichten,  die  zwi- 
schen Salomo,  König  von  Jerusa- 
lem ,  und  den  heidnischen  Königen 
Pharao  und  Princian  um  Salomons 
Weib  Salome  bestanden  werden ; 
Salomons  Bruder  Morolf  erscheint 
dabei  als  listiger  Diener,  der  jenem 
die  zweimal  durch  List  geraubte 
Gemahlin  zweimal  durch  grössere 
List  wiedergewinnt.  Ein  jüngeres, 
dem  14.  Jahrhundert  angehöriges 
Gedicht,  Salomon  und  Markolf,  das 
im  15.  Jahrhundert  überarbeitet 
wurde,  stellt  dem  weisesten  Könige 
den  nässlichen  und  tölpelhaften 
Bauern  Markolf  gegenüber,  der  zur 
Verspottung  der  Weisheit  allerlei 
Narrenstreiche  begeht.  Derselbe 
Stoff,  der  auch  in  lateinischer  Be- 
arbeitung vorliegt,  wird  schliess- 
lich zu  einem  weit  verbreiteten  pro- 
saischen Volksbuch  verarbeitet,  das 
zuerst  1487  zu  Nürnberg  erschien 
und  den  Titel  führt:  Frage  und 
Antwort  Salomons  und  \farkolfi. 
Siehe  die  deutschen  Dichtungen  von 
Salomon  und  Markolf,  herausge- 
geben von  Friedrich  Vogt.  I.  Band. 
Halle  1880. 

Salzfass.  Neben  den  thönernen 
Salzfässern  des  Bürgerstandes  findet 
man  auf  den  Tafeln  der  Vornehmen 
für  diesen  Zweck  Gold-  und  Silber- 
gefsisse,  die  oft  auf  Rädchen  laufen, 
damit  die  Tischgenossen  dieselben 
sich  leichter  zuschieben  können. 
Vorhanden  ist  im  Mu*ee  de  Cluny 
ein  zinnernes  aus  dem  13.  Jahr- 
hundert, auf  dessen  Deckel  die 
Verkündigung  dargestellt  ist.  Das 
bekannteste  aber  ist  das  goldene  Salz- 
fass Franz  Lf  gefertigt  durch  Ben- 
venuto  Cellini,  gegenwärtig  im  Münz- 
und  Antikenkabinet  in  Wien  zu 
sehen.  Es  ist  freilich  mehr  ein 
Schaustück,  «las  seinem  Zweck  ent- 
fremdet ist.  Der  Unterbau  ist  oval, 


nach  oben  massig  verjüngt,  stellt 
Felsgestein  dar,  von  See-  und  Land- 
tieren, Schlingpflanzen,  Blumen  und 
Früchten  umgeben.  Auf  diesem 
ruht  einerseits  Neptun  mit  dem 
Dreizack,  der  Gott  des  Meeres,  der 
das  Salz  spendet.  Er  neigt  sich 
etwas  rückwärts,  die  Hand  auf  ein 
kleines  Schiffchen  legend,  das  zur 
Aufnahme  des  Salzes  bestimmt  ist. 
Auf  der  entgegengesetzten  Seite 
sitzt  Cybcle  als  die  fruchtbare  Erde, 
die  den  Pfeffer  erzeugt;  dessen  Be- 
hältnis lehnt  sich  an  einen  zier- 
lichen Tempel.  Beide  Figuren  sind 
nackt  und  wie  alles  übrige  von 
reinstem  Golde. 

Särge  machten  die  Deutschen  in 
vorchristlicher  Zeit  einfach  aus  einem 
Baumstamm,  indem  sie  ihn  durch- 
sägten, die  eine  Hälfte  aushöhlten 
und  die  andere  als  Deckel  benutzten. 
Das  waren  die  eigentlichen  Baum- 
sarge  oder  Tofenh/iume,  wTelch  letzte- 
rer Ausdruck  sich  bis  in  unsere  Zeit 
erhalten  hat.  Die  Särge  waren  zwar 
noch  selten;  etwas  häufiger  wurden 
sie  mit  der  Einführung  des  Christen- 
tums, und  zwar  waren  es  im  9.  und 
10.  Jahrhundert  Behälter  von  Holz 
oder  Stein,  im  ersteren  Falle  Kaste* 
oder  Tonnen.  Die  Truhen  erhielten 
auf  dem  Deckel  etwa  eine  Sägeblatt  - 
artige  Stab  Verzierung,  die  —  wie 
man  vermutet  —  eine  Schlange  dar- 
stellen soll.  Die  Einführung  des 
Christentums  setzte  an  deren  Stelle 
das  Kreuz. 

Die  Steinsärge  oder  Sarkophage 
waren  schon  im  Altertum  bekannt. 
Der  letztere  Name  bezeichnete  an- 
fangs den  Sargstein,  einen  klein- 
asiatischen  Kalkstein,  der  die  Ver- 
wesung der  Toten  befördert  haben 
soll  und  den  die  Griechen  und  By- 
zantiner darum  mit  Vorliebe  zum 
Auslegen  der  Särge  benutzten. 
Später  verstand  man  daruuter  ein- 
fach einen  steinernen  Prunksarg. 
Das  Material  war  Sandstein,  Mar- 
mor, Porphyr,  Granit,  Basalt  und 
dergleichen.    Auch    in  deutschen 


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Sattel.  —  Schachspiel. 


895 


Gegenden  waren  diese  Särge  be- 
kannt. So  berichtet  das  Nibelungen- 
lied über  Siegfrieds  Beerdigung: 

„Smide  hiez  mangdhen,  beicürken 

einen  sark, 
ton  edebn  mermehteine  vil  michel 

mute  stark, 
man  hiez  in  raste  binden  mit  ge- 

spenge  guot.u 

Aach  diese  Steinsärge  waren 
ki-tenformig,  und  sie  zuerst  hatten 
einen  giebelfbrmigen  Deckel.  Die 
Seitenflächen  wurden  bald  archi- 
tektonisch gegliedert  und  der  Deckel 
mit  der  in  Stein  gehauenen  Porträt- 


Kriegsspiel  in  Indien  im  6.  Jahr- 
hundert erfunden,  von  da  nach 
Persien  gekommen  und  hatte  in 
Arabien  seine  Ausbildung  gefunden. 
Von  hier  kam  es  nach  dem  Abend- 
lande, wo  es  Peter  Damani,  der 
Freund  Gregor  VII.,  als  leiden- 
schaftliches Spiel  der  Priester  ver- 
klagt, Mitte  des  11.  Jahrhunderts. 
Seit  dem^  13.  Jahrhundert  findet 
man  die  Spuren  des  Spiels  in  den 
Dichtungen  der  höfischen  Periode 
weit  verbreitet;  sein  mhd.  Name 
ist  schdehzabel ,  dessen  zahel  das 
lat.  tabula  =  Tafel,  Brett  ist; 
entstellte  Formen  sind  srhafzahet, 


Fig.  153.    Schachspiel,  aus  Ingo]  da 
goldenein  Spiel. 


figur  des  Verstorbenen  geziert. 
Daneben  sind  namentlich  einige 
Brf  uns  gekommene  altchristlicne 
i&rge  (Rom,  Ravenna,  Mailand, 
fyalatot,  mit  biblischen  Darstel- 
lungen geschmückt,  sehr  sehens- 
wert. 

Sattel,  siehe  Pferd. 

San  Hinter  nannte  man  einen  im 
späteren  Mittelalter  bei  der  Eber- 
jagd  gebrauchten  Spiess  mit  messer- 
tonniger  Klinge  und  fast  meter- 
langem Schaft. 

?»ax  (scramasax).  Ein  einschnei- 
diges Stutzschwert ,  semispatum. 
•^he  Schwert. 

Schachspiel.   Dasselbe  war  als 


schdfzapel ,  sehaehftapel ;  Schach 
spielen  heisst  seh  Ach  zabel  ziehen, 
spilen,  sich  daran  setzen;  der 
und  das  sehdeh  bedeutet  den 
König  im  Schachspiel,  das  Brett 
und  das  Spiel.  Die  ältesten  erhal- 
tenen Schachfiguren  gehören  dem 
12.  Jahrhundert  an,  schwere  faust- 
gro8se  Stücke  aus  Elfenbein,  Hirsch- 
horn oder  Holz.  Die  mittellatei- 
nischen  Namen  der  sehdehzabelfje- 
steine  sind  rex,  domina  oder femtna 
oder  regina,  eques,  alßcus  oder 
senex,  roehus,  pedifes,  die  altfranzö- 
sischen roy,  roine  oder fierge.  cheva- 
Her,  datiphin,  roeh,  pcons,  die 
deutschen  künec,  künegtnne,  ritter. 


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896 


Schamkapsel.  —  Schild. 


hundert  an  von  den  Rittern  als 
Standesabzeichen  getragen  wurde 
und  zwar  um  den  Leib  gebunden 
oder  über  die  rechte  Schulter  nach 
der  linken  Hüfte. 

Scharwaeht    nannte    man  im 
die  patroullierend»' 
Name   hat   sich  auf 


alte,  roch,  venden  oder  vuozqengen. 
Der  Dominikaner  Jakobus  de  Ces- 
soles,  1260—300,  hielt  eine  Reihe 
Predigten  über  das  Schachspiel, 
worin  er  dasselbe  symbolisch-alle- 
gorisch auslegte;  dieselben  fanden 
lateinisch  und  übertragen  die  wei-  Kriegsdienst 
teste  Verbreitung;  aueh  ins  Deutsche  Wacht.  Der 
waren  sie  übersetzt.  Ausserdem  giebt  die  kleinen  Wachttürmchen  an  den 
es  in  deutscher  Sprache  vier  zum  Ecken  der  Wälle  übertragen  und 
Teil  von  Cessole*  abhängige  alle-  lebt  heute  noch  mancherorts  im 
gorische  Schachgedichte,  deren  be-  Munde  des  Volkes  fort  indem  ausser- 
kanntestes  von  Konrad  von  Ammen-  ordeutlichen  Nachtwachedienst  zur 
Imsen ,  Leutpriester  zu  Stein  am  ;  Beaufsichtigung  und  Unterstützung 
Rhein,  stammt.  Dazu  Fig.  153  aus  I  derXachtwächterbeierhöhterFeuers- 
Jngoldx  goldenem  Spiel .  Augsburg  ■  gefahr,  z.  B.  bei  starkem  Fölin  in 
1472.  tf'einhold.  deutsehe  trauen,  den  Bergthälern  der  Alpen. 
2.  Auflage  I,  1 16  ff.;  Schmitz,  häfi«  Schaube,  siehe  Mantel  und 
sehes  Leben,   I,  415  ;    Mawmann,  Tracht. 

Geschichte  des  mittelalterlichen  ■  Schenk,  siehe  Hofamter. 
Schachspieles,  Quedlinburg  1839.'  Schere.  Die  Schere  kommt 
A.  r.  d.  Linde,  Geschichte  und  annähernd  in  ihrer  jetzigen  Form 
Litteratur  des  Schachspieles,  Berlin  schon  auf  Bildern  des  10.  Jahr- 
1874.  Ebenderselbe,  Quellenstudien  hunderts  vor.  am  häufigsten  hat  sie 
zur  Geschichte  des  Sehachspieles,  aber  durch  das  ganze  Mittelalter 
Berlin  1881.  die  Form  unserer  Schafscheren. 

Sc  Ii  am  kapsei  nannte  man  den-  Schiffahrt,  siehe  Seewesen, 
jenigen  Teil  der  Plattenrüstung,  der  Schild.  Unter  den  Schutzwaffen 
die  Geschlechtsteile  des  Mannes  der  Germanen  ist  die  am  allermeisten 
fasste  und  schützte.  Das  Wort  be-  verbreitete  und  älteste  unzweifel- 
greift  im  weiteren  Sinne  auch  das  haft  der  Schild  (ahd.  *ki/f,  ags. 
vorgenähte  Säckchen  oder  Lätz-  scild,  got.  skildus,  nord.  skyla,  angels. 
eben  in  sich,  das  die  knappe  Hose  scildan).  Die  Schilde  der  germa- 
des  15.  Jahrhunderts  notig  machte  nischen  Völker,  wie  sie  in  Be- 
und  das  auch  bei  der  weiten  Plu-  Schreibungen  und  Originaldenk- 
derhose  beibehalten  war.  mftlern  erhalten  sind,  zerfallen  schon 

Sehandbilder  waren  die  ge-  in  den  ältesten  Zeiten  in  zwei  ganz 
bräuchlichsten  Begleiter  der  Schand-  |  von  einander  verschiedene  Arten, 
briefe,  die  ungeduldig  gewordene  in  die  wandartigen  und  mit  grellen 
Gläubiger  ihren  Schuldnern  zustell-  Farben  bemalten  Ge'stelle  und  die 
ten  oder  an  öffentlichen  Plätzen  an-  bronzenen  Rundschilde.  Die  erste- 
schlugen.  Sie  erklärten  den  Dar-  reu  waren  starke  Holzrahmen,  aus- 
gestellten als  ehrlos.  Beliebt  waren :  gefüllt  mit  festem  Flechtwerk,  auf 
Hängen,  Rädern,  Stäupen,  Pranger-  der  Rückseite  mit  einer  Handhabe 
stehen,  Esels-  und  Sauritt  u.  s.  w.,  versehen  und  sonstiger  Vorrichtung 
überhaupt  Darstellung  derjenigen  zur  Befestigung  am  linken  Vorder- 
Strafmethoden,  die  gegen  öffentliche  arm.  Diese  Schilde  waren  von 
Vergehen  thatsächlich  ausgeführt  zu  mächtigem  Umfange  und  wahr- 
weraen  pflegten.  j  scheinlich    mit    Tierhäuten  über- 

Scliapel.  siehe  Kopfbedeckung.    I  zogen.    Auf  ihnen  schiffte  man  so- 

Schärpe.  Sie  ist  ein  breitge- 1  gar  über  Ströme.  Die  Bronre- 
sticktes  Band,  das  vom  13.  Jahr- 1  schildc  waren  kleiner,  meist  rund 


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Schild. 


897 


oder  oval,  nach  aussen  etwas  aus- 
gebaucht und  geschmückt,  mit  einer 
Spitze  auf  der  Mitte ;  auf  der  Innen- 
seite ist  wieder  das  nötige  Riemen- 
werk für  Hand  und  Arm.  Statt 
der  Spitze  kommt  nicht  selten  auch 
eine  Höhlung  in  der  Mitte  vor,  die 
nach  aussen  als  Buckel  hervortritt, 
innen  aber  für  die  Hand  Raum 
lässt  und  mit  der  Handhabe  über- 
spannt ist.  Ringsherum  geht  ein 
starker  Bronzereif.  Dergleichen 
Schilde  finden  sich  vornehmlich  bei 
den  nordischen  Völkern,  was  in  dem 
Metallreichtum  ihre»  Landes  seine 
Erklärung  findet.  Aber  auch  von 
dem  trefflichen  Schutz  der  Gestelle 
weiss  Casars  Bericht  über  oüe 
Schlacht  gegen  Ariovist  zu  melden. 
Hier  deckte  sich  die  Masse  mit  6 
Fuss  hohen,  vier  Fuss  breiten  Schilden 
derart,  dass  die  vordem  Glieder 
den  Schild  vor  sich,  die  innere  Masse 
dagegen  denselben  über  sich  hielt, 
daner  die  römischen  Pfeilschützen 
ihnen  nichts  anhaben  konnten,  bis 
die  kühnsten  auf  das  Schilddach 
sprangen  und  es  durchbrachen.  Da 
solche  Schilde  ausserordentlich 
schwer  zu  führen  waren,  kamen 
allmählich  kleinere  in  Gebrauch  von 
drei  bis  vier  Fuss  Höhe  und  l1/* — 2 
Fuss  Breite,  die  entweder  aus  Wur- 
zeln geflochten  und  mit  Leder  über- 
spannt, oder  aus  Brettern  geschnitten 
waren;  am  liebsten  seneint  man 
das  weiche  und  leichte  Lindenholz 
dafür  verwendet  zu  haben,  wes- 
wegen der  Schild  auch  geradezu 
Linde  genannt  wird  (Hildebrands- 
lied). Die  Schilde  waren  bemalt, 
daher  schiltaere,  schilteraere,  Schild- 
raaler,  Schildmacher.  Wahrschein- 
lich gab  es  bereits  Stammesfarben; 
wenigstens  erwähnt  Tacitus  von  dem 
Stamme  der  Arier  ausdrücklich, 
dass  er  an  seinen  schwarzen  Schilden 
kenntlich  gewesen  sei.  Die  alt- 
friesischen Gesetze  sprechen  von 
braunen  Schilden  als  den  eigenen 
und  von  roten  sächsischen.  Die 
fränkischen  Schilde  beschreibt  Apolli- 

Reallexlcon  der  deutschen  Aitwtömer. 


narius  im  5.  Jahrhundert  als  in  der 
Mitte  goldgelb,  nach  dem  Rande 
zu  weiss  bemalt.  Im  Norden  galt  der 
rote  Schild  als  Zeichen  des  Krieges, 
der  weisse  als  ein  solches  des  Friedens. 

Eiserne  Schildbuckel  hatten  nur 
die  Schilde  der  Vornehmen.  Die 
grösste  Zahl  derselben  hat  sich  in 
den  Gräbern  des  Rheinlandes  ge- 
funden. Die  Buckel  (umbo),  auch 
Nabel  genannt,  waren  mit  starken 
eisernen  Nägeln  und  Spangen  an 
den  Schild  befestigt.  Der  Schild- 
beschlag reicher  Edler  und  Fürsten 
war  vergoldet  und  oft  mit  Edel- 
steinen besetzt.  Diese  hatten  zu- 
dem ihre  Schildträger,  da  sie  für 
den  Notfall  mehrere  Schilde  mit 
sich  führten. 

Im  11.  und  12.  Jahrhundert 
herrscht  der  mandelförmige,  nabel- 
lose Hochschild  vor,  der  an  der 
„Schildfessel"  über  den  Schultern 
hing  und  den  der  Krieger,  wenn 
er  ihn  nicht  brauchte,  auf  dem 
Rücken  trug.  Genabelte  Rund- 
schilde  trifft  man  nur  bei  leichtge- 
rüsteten Fusskämpfern.  Während 
des  12.  Jahrhunderts  nimmt  bei 
fast  allen  europäischen  Völkern  die 
Grösse  des  Schildes  allmählich  ab. 
In  Frankreich  geht  man  sogar  zu 
den  kleinen  Oval-  und  Kreisschilden 
über,  während  in  Spanien  der 
spitze  Langschild  seine  höchste 
Entwicklung  erreicht.  Der  kleine 
Dreispitz  in  Frankreich  und  der 
ebenfalls  dreieckige  rheinische  Schild 
wurde  an  einem  Hängebande  an 
dem  Hals  getragen,  damit  der  Reiter 
die  linke  Hana  für  den  Zügel  des 
Pferdes  oder  für  das  zweihändige 
Schwert  frei  habe,  was  bei  der 
verbesserten  Maschenrüstung,  die 
sich  bereits  über  den  ganzen  Körper 
ausdehnte,  wohl  ohne  zu  grosse 
Gefahr  gewagt  werden  durfte. 

In  der  Regel  bildet  eine  Holz- 
tafel den  Kern  des  Schildes.  Der 
Überzug  besteht  beim  gemeinen  aus 
leimge  tränk  terLeinwand,  beischönen 
Exemplaren  aus  Leder  oder  Perga- 

57 


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898 


Schild. 


ment ;  auf  ersteren  wurde  das  Wappen- 
bild  gemalt,  auf  letzteren  ausge- 
schnitten, oder  in  kostbarem  ausge- 
schnitztem Pelzwerk  aufgenagelt. 
Aus  Metall  wurden  die  Schilde  bei 
der  Verbesserung  der  übrigen  Aua- 
rüstung und  trotz  derselben  immer 
weniger  gemacht,  da  sie  nicht  so 
schwer  sein  durften.  Die  Dichter 
berichten  daher  viel,  dass  Schilde 
in  Splittern  den  Kampfplatz  deckten, 
oder  dass  die  Lanzen  in  denselben 
stecken  blieben,  bis  der  Schild  für 
den  Arm  zu  schwer  geworden. 

Die  Armbrustschützen  bedienten 
sich  in  der  Folgezeit  mit  Vorliebe 
des  Setzschildes,  der  Sturmwand, 
eines  grossen,  gerundeten  oder  nach 
der  Mitte  in  eine  senkrechte  Kante 
verlaufenen  Gerätes,  das  unten  in 
einer  geraden  Linie  abgeschnitten 
und  mit  schwachen  Spitzen  versehen 
war,  die  sich  leicht  in  den  Boden 
stecken  Hessen,  so  dass  der  Schild 
auf  demselben  feststand.  Der  Schütze 
trug  den  Schild  auf  dem  Rücken 
an  Ort  und  Stelle  und  benutzte  ihn 
während  des  Kampfes  als  Schutz  - 
wall,  indem  er  hinter  demselben 
seinen  Bogen  spannte,  was  wenig- 
stens eine  Minute  Zeit  und  seine 
ganze  Aufmerksamkeit  erforderte. 

Der  ritterliche  Schild  ffcuj  des 
14.  Jahrhunderts  ist  ziemlich  klein, 
zumal  in  Frankreich.  Im  allge- 
meinen ist  er  dreieckig,  im  obern 
Rand  bald  geschweift,  Dald  gerad- 
linig, auch  verschieden  in  der  Stärke 
seiner  Ausbiegung  auf  der  Trutz- 
seite.  Schilde,  welche  von  der  drei- 
eckigen Gestalt  abweichen,  werden 
jetst  Tartschen  (tarqes)  genannt, 
welches  Wort  von  den  einen  aus 
dem  arabischen  tarcha  oder  dardy 
hergeleitet  wird,  als  wäre  dasselbe 
zu  r  Zeit  der  Kreuzzüge  entstanden ; 
Diez  aber  weist  nach,  dass  Tartsche 
deutschen  Ursprungs  ist  und  Schutz- 
wehr heisst  (angels.  (arge,  altn. 
targa,  ahd.  zarga).  Solche  Tartschen 
haben  oben  rechts  häufig  einen 
Ausschnitt,  um  die  eingelegte  Lanze 


durchzulassen.  Innen  waren  sie 
meist  gepolstert  und  mit  Schild- 
fessel versehen.  Parese,  franz.  pavoU, 
pavart;  ital.  pavete,  palvese,  nennt 
man  die  Tartsche  des  Fussvolkes 
im  Unterschied  zur  Renntartsche. 
Erstere  ist  ein  grosser  Schild  von 
ovaler  oder  rechteckiger  Gestalt, 
insbesondere  von  Bogenschützen 
gebraucht  seit  Ende  des  13.  Jahr- 
Hunderts.  Diese  Schutzwaffe  ist 
meist  1  m  hoch  und  0,49—0,60  m 
breit.  In  der  Mitte  hat  sie  eine 
tiefe  Rinne,  welche  nach  aussen 
als  Rippe  erscheint  und  dem  Schild 
nicht  nur  eine  grossere  Festigkeit 

S'bt,  sondern  es  auch  ermöglicht, 
n  an  einen  in  den  Boden  getrie- 
benen Pfahl  anzulehnen.  Das  In- 
strument gleicht  in  der  Art  seines 
Gebraucheader  8chwerenSetztartsche 
(Setzschild). 

Seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhun- 
derts hört  der  Schild  auf,  den 
Rittern  im  Gefechte  zu  dienen  und 
erhält  sich  nur  noch  auf  dem  Tur- 
nierplatze; denn  seit  die  Platten- 
rüstung fürden  Feldgebrauch  (so  sehr 
vervollkommnet  durch  Schulterstuck 
und  doppelten  BrustDanzer)  aufge- 
kommen war,  gewährte  sie  mehr 
Schutz,  als  der  leichte  Schild,  und  war 
dieser  somit  mehr  hinderlich  als  för- 
derlich. Als  ausgezeichnetste  Werk- 
stätten zur  Hcrstclltung  dieser 
Schutzwaffen  galten  die  zu  Wien, 
Nürnberg,  Genf,  Paris  und  Rouen. 

Der  heutige  Sprachgebrauch 
weist  mehrfaeh  darauf  hin,  dass 
der  Schild  auch  seine  symbolische 
Bedeutung  hatte.  „Schildes-Amf 
ist  so  viel  als  Ritterwürde,  „Schil- 
des-Amt  haben4'  heisst  Ritter  sein. 
Schon  bei  den  alten  Germanen 
machte  nach  Tacitus  der  Schild 
den  heranwachsenden  Knaben  wehr- 
haft. Schild  und  Speer  waren  die 
Begleiter  des  Mannes  in  die  Volks - 
und  Gerichtsversammlungen.  Die 
Zahl  der  streitbaren  Männer  wurde 
wie  nach  Rossen ,  Helmen  und 
Speeren,  so   auch  nach  Schilden 


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Schildbürger.  —  Schmucksachen. 


899 


bestimmt.  Der  Schild  war  der 
Hauptträger  des  fürstlichen  oder 
ritterlichen  Wappens  und  gewann 
in  dem  ganzen  Kitterwesen,  beson- 
ders in  der  Heraldik,  die  weitgrei- 
fendste  Bedeutung.  „Den  Schild 
verunehrt  zu  bähen"  ist  der  schimpf- 
lichste Vorwurf,  der  einen  Mann 
treffen  kann.  Das  Gesetz  bestraft 
diesen  Schimpf,  wenn  er  ein  un- 
verdienter ist,  mit  den  härtesten 
Strafen.  Die  grossen  Schilde  dien- 
ten nach  beendetem  Kampf  zum 
Heben  und  Tragen  der  kostba- 
ren Beute  sowohl  als  der  Toten. 
Der  neue  König  (der  gewählte 
sowohl  wie  der  erbliche),  wurde 
auf  einem  Schilde  dreimal  im 
Kreise  des  versammelten  Volkes 
herumgetragen,  dass  Jedermann  ihn 
sehen  könne.  Die  Ripuarier  gaben 
ihre  Zustimmung  zu  aen  Vorschlä- 
gen Clodoveehs  durch  Zusammen- 
schlagen ihrer  Schilde  zu  erkennen 
und  übertrugen  ihm  die  Herrschaft 
bei  seiner  Königswahl  durch  Er- 
hebung auf  den  Schild.  Nach  Jahns, 
Geschichte  des  Kriegswesens  und 
San-Mar/e,  Warenkunde. 

Schildbürger  heisst  das  be- 
kannte, aus  Stichelschwanken  über 
Städte  und  Städtchen  zusammen- 
gestellte Volksbuch  eines  unbekann- 
ten Verfassers;  die  erste  Ausgabe 
führt  den  Titel:  Die  Schildbürger. 
Wunderseltzame  Abendtheurlicne , 
unerhörte,  und  bisher  unbeschrie- 
bene Geschichten  und  Thaten  der 
obgemelten  Schildbürger  in  Misno- 
potamia  htnder  Utopia  gelegen. 
Itzund  also  frisch  zusammengetragen 
und  auss  Utopischer  und  Rothwel- 
scher in  Deutsche  Sprach  gesetzt. 
Durch  M.  Aleph,  Beth,  Gimel.  Mis- 
nopotamia  1598.  Ein  anderer  Name 
ist:  Das  TAifenfwch,  gedruckt  zu 
Laienburg.  Vgl.  den  Artikel  Nar- 
rentum. 

Sehirmvoyt,  siehe  Vogt. 

Schlaraffenland.  Mhd.  Slüder- 
äffe,  sluraffe,  ist  zusammengesetzt 
aus  slüder,  Faulenzer,   träges  Ge- 


schöpf, und  äffe  als  Bezeichnung 
für  den  Narren,  siehe  den  Artikel 
Narrentum  Der  Name  Schlauraffe 
ist  im  15.  Jahrhundert  ein  gewöhn- 
liches Schimpfwort;  Sebastian  Brant 
schildert  im  108.  Kapitel  des  Narren- 
schiffes das  Schluraffenschiff.  Das 
ohne  Zweifel  duren  Brant  beein- 
flusste  Gedicht  Hans  Sachsens 
stammt  aus  dem  Jahr  1530;  seitdem 
ist  der  Schwank  noeh  öfters  in 
Prosa  und  Versen  behandelt  wor- 
den. Vgl.  Zarncke,  Brants  Narren- 
schiff.   S.  455  ff. 

Schleier,  siehe  Kopfbedeckung. 

Schleuder.  Die  Schleuder  ist 
als  Kriegshandwerkzeug  schon  aus 
Davids  Zeit  bekannt  und  ohne 
Zweifel  von  ältesten  Zeiten  her  viel 
gebraucht  worden.  Die  Dichter 
erzählen  uns  aber  wenig  von  ihr, 
da  sie  nur  eine  Waffe  des  gemeinen 
Kriegsvolkes  ist  und  als  Handwaffe 
an  Bedeutung  verliert,  sobald  die 
Bepanzerung  des  Mannes  fester 
wird  Die  Schleuder  bestand 
aus  einem  Strick  mit  Riemen, 
dessen  Ende  den  zu  werfenden 
Stein  in  einer  Schlinge  fasste.  War 
der  Riemen  an  einem  Stabe  be- 
festigt, so  entstand  die  Stabschlinge, 
stapaslinga  im  Gegensatz  zur  slinga, 
ftinda,  fundibula.  Die  Schleuderer 
Messen  slingaere.  Die  Tragweite 
erstreckte  sich  auf  300— 350 Schritte; 
auf  die  Entfernung  von  100—150 
Schritte  war  die  Wirkung  eine  mör- 
derische, namentlich  als  in  der 
Folgezeit  auch  platzende  Granaten 
geworfen  wurden. 

Schmucksachen.  Dass  die  Ver- 
arbeitung des  Metalls  bei  den  Ger- 
manen, denen  sonst  Handarbeit  als 
eines  freien  Mannes  unwürdig  vor- 
kam, in  hohem  Ausehen  stand,  be- 
zeugt der  Umstand,  dass  manche 
Halbgottheiten  unter  der  Gestalt 
von  Schmieden  gedacht  wurden,  so 
Wieland  und  die  Zwerge.  Die  erste 
Ehre  der  Schmiedekunst  betraf  zwar 
das  Schwert  und  den  Pflug,  daneben 
aber  auch  mannigfachen  Schmuck, 

57* 


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900 


Schnabelschuhe.  —  Scholastik. 


wie  denn  Wieland  dem  König  Neit-  Kranz  benennt.  Weinhold,  deut- 
hart Schwerter  und  Bauge,  Brust-  j  sehe  Frauen,  2.  Aufl.  II.  S.  298  ff. 
spangen  und  Ringe  sehmieden  muss.  Vgl.  Schultz,  Höfisches  Leben,  Bd.  I. 
Die  erste  Stelle  unter  dem  Ge-  Abschnitt  III. 
sehmeide  nehmen  die  Bauge  ein.  Sehnabelschuhe,  siehe  Fussbe- 
dann   die    Finqer-   und   Armringe  kleidung. 

(siehe  den  Artikel  Ring),  Halsringe  Scholastik,  von  scholasticus . 
und  anderer  Halsschmuck,  Stein- j  d.  h.  Lehrer  an  einer  Kloster-  oder 
ehen,  Thonkügeleheu,  Beinstück-  Stiftsschule,  bellst  die  ausgebildete 
oben,  Muschelschalscheiden,  Zähne  theologische  Wissenschaft  des  Mit- 
und  GlasHussperlen,  die  auf  Fäden  telalters.  Die  karolingische  Periode, 
gereiht  sind;  auch  Bernstein  wird  welcher  eine  innere  notwendige 
dazu  verwandt.  In  Skandinavien  Trennung  und  Unvereinbarkeit  des 
werden  echte  oder  nachgemachte  natürlichen  Lebens  und  der  Reli- 
byzantinische,  Medaillen  und  Gold-  gion  noch  fremd  war,  begnügte 
münzen  mit  Öhren  am  Halse  getra-  sieh  in  ihren  theologischen  Arbeiten 
gen.  Halbmondförmiges  Geschmeide  an  der  Reproduktion  des  von  den 
kommt  aus  Gold,  Silber  und  Bronze  Kirchenvätern  her  überlieferten 
vor.  Ketten  sind  in  früherer  Zeit  theologischen  Material».  Erst  im 
selten,  erst  im  späteren  Mittelalter  1 1.  Jahrhundert,  als  sich  der  innere 
sind  zierliche  Halskettchen  beliebt.  Kern  des  Mittelalters  zu  seinen  cha- 
Der  Anhang  am  Halsband  erweitert  rakteristisehen  Formen  entwickelte, 
sich  zum  Brusfgesehmeide,  das  sehr  wozu  namentlich  die  gänzliche  Treu- 
mannigfache  Formen  aufweist,  die .  nung  des  natürlichen  und  des  reli- 
Gcwandnadeln  oder  Fibeln,  Rüsche,  giösen  Lebens  gehörte,  entwickelte 
Broschen,  mhd.  bratsche  oder  brelse,  sich  die  bloss  dem  Mittelalter  eigene 
aus  franz.  broche,  fürspan:  es  sind  scholastische  Arbeit;  sie  hängt  ru- 
entweder  dem  Dorn  nachgebildete  sammen  mit  den  Klosterrefionna- 
Nadeln  mit  Widerhaken,  oder  Sicher-  tionen  und  den  Neugründungen  der 
heit8nadeln  mit  Bügeln,  diese  letz-  Cistereienser-,  Cluniacenser-  und 
teren  oft  als  rohes,  phantastisches  Bettelorden  und  mit  der  Ausbildung 
Tierbild  behandelt :  seltener  ist  die  der  höfischen  Bildung,  insofern  als 
Schild-  oder  ovale  Schalenform,  die  gänzliche  Trennung  der  rittex- 
Statt  der  Nadeln  kommen  auch  liehen  Bildung  und  Biiaungsbedürf- 
Scheibenfibeln  vor,  die  aus  einer  nisse  von  derjenigen  der  Kirche 
runden  metallenen  Platte  mit  hin-  diese  letztere  dem  natürlichen  Le- 
ten  befestigtem  Dorn  bestehen.  In  ben  entfremden  half  und  sie  einem 
der  höfischen  Zeit  steckte  das  für-  einseitigen  Bücher-  und  Verstau- 
span  am  Hemd  oder  am  Rock  *  als  desleben  überantwortete,  das  jedoch 
Scheibe  oder  Vierblatt  oder  Rosette,  so  wenig  als  sein  Gegeupart,  das 
Raute  und  Schildform  gebildet.  Rittertum,  romantischer  Züge  ent- 
Andere  Schmucksachen  sind  Ohr-  behrte.  Die  Thatsachc,  dass  die 
ringe.  Zum  Haarschrnuck  gehört  ganze  europäische  Welt,  Bofero  sie 
der  Kamm  (siehe  den  bes.  Artikel),  sich  überhaupt  um  höhere  wisseu- 
Haarnadeln  aus  Gold,  Silber  und  schaftliche  Bildung  bemühte,  der 
Erz.  Zur  Festhaltung  der  Schei-  Scholastik  angehört  und  dass  wirk- 
telung  und  des  Haaren,  auf  welche  lieh  originelle  Meister  in  ihr  auf- 
die  höfische  Mode  viel  gab.  wurde  traten,  lässt  erkennen,  dass  sie  eine 
ein  Stirnstreifen  um  die  Haare  ge-  notwendige  Frucht  der  europäischen 
legt,  mhd.  undirbant,  sc-regiblant, !  mittelalterlichen  Entwicklung  ge- 
schcifelbanf,  härbant,  oft  auch  seha-  wesen  sein  muss;  sie  war  die  letzte 
pef,  womit  man  sonst  auch  den  Frueht;   ihr   namentlich  galt  der 


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Schöpfung. 


901 


Kampf  der  humanistischen  Denk- 
art, mit  der  das  Mittelalter  aufhört 
und  eine  neue  Zeit  heranbricht.  Zu 
unterscheiden  ist  übrigens  von  vorn- 
herein die  Scholastik  im  engeren 
Sinne  und  die  scholastische  Methode 
des  Mittelalters,  die  sich  nicht  allein 
auf  Theologie  und  Philosophie,  son- 
dern auf  das  ganze  Gebiet  der 
Wissenschaften  erstreckte;  in  Hu- 
manistenkreisen pflegte  man  die 
Schuollerer  von  Pari*  und  die  Ju- 
risten von  Bononi  (Bologna)  als 
eine  gemeine  Erscheinung  anzu- 
sehen. Man  unterscheidet  drei 
Perioden  der  Scholastik.  In  der 
ersten  Periode  begnügten  sich  die 
Theologen  mit  einer  bloss  dialek- 
tischen Bearbeitung  des  augusti- 
nisch-kirchlichen  Lenrbegriffes.  An- 
selm von  Canterbury,  gest.  1109, 
suchte  vor  allem  doch  den  Glauben 
von  allen  philosophischen  Unter- 
suchungen ungefährdet  zu  bewahren, 
und  als  Roscellinus,  Kanonikus  zu 
Compiegne,  durch  kühne  Behaup- 
tungen über  die  Trinitiitslehre  den- 
selben zu  bedrohen  schien,  bekämpfte 
ihn  Anseimus  und  nötigte  ihn  zum 
Widerrufe.  Die  mit  diesem  Streite 
verwickelte  philosophische  Streit- 
frage über  die  Bedeutung  der  Uni- 
versalien gab  den  Parteinamen  der 
Realisten  und  Nominalsten  ihren 
Ursprung;  der  Nominalismus  er- 
klärte die  allgemeinen  Begriffe  für 
blosse  Abstraktionen  des  Verstandes 
aus  den  gegebenen  Gegenständen; 
der  Realismus  erklärte  die  allge- 
meinen Begriffe  für  das  Ursprüng- 
liche im  göttlichen  und  menschlichen 
Geiste.  Seit  dem  Anfange  des  13. 
Jahrhunderts  wurde  Paris  der 
Hauptsitz  der  scholastischen  Theo- 
logie; während  näinlich  bis  dahin 
in  den  Schulen  nur  das  Trivium 
und  das  Quadrivium  gelehrt  waren, 
traten  jetzt  hier  zuerst  Lehrer  für 
die  Philosophie  und  Theologie  auf. 
Nächst  Paris  erhielt  Oxford  für  die 
scholastische  Theologie  am  meisten 
Bedeutung.    In  Paris  hatte  zuerst 


Abälard,  gest.  1108,  das  meiste 
Ansehen;  gegen  ihn  traten  Bern- 
hard von  Clairraux  und  Xorbert 
auf,  welche  jede  Abweichung  von 
der  überlieferten  Auf fassungs weise 
missbilligten  und  Abälard  eiue  Ver- 
urteilung durch  den  Papst  zuzogen. 
Seitdem  fingen  die  Theologen  an, 
ihre  dialektischen  Erörterungen  durch 
Authentizitäten  der  heiligen  Schrift 
und  der  Väter  zu  sichern;  dies 
that  namentlich  der  Jahrhunderte 
hindurch  gelesene  Magister  senten- 
tiarum  Petrus  Lomfxtrdus. 

Die  zweite  Periode  der  Scholastik 
wird  dadurch  eingeleitet,  dass  man 
auf  den  maurischen  Schulen  in 
Spanien  die  Schriften  des  Aristoteles 
kennen  lernte.  Aus  dem  Arabischen , 
bald  darauf  auch  aus  der  griechi- 
schen Ursprache  wurden  jene  nun 
für  das  Abendland  ins  Lateinische 
übersetzt  und  namentlich  von  den 
Dominikanern  und  Franziskanern 
zur  Erweisung  der  christlichen  Wahr- 
heiten benutzt.  In  diese  Periode 
gehören  der  Franziskaner  Alexander 
von  Haies,  Doctor  irrefragabilis, 
gest.  1245;  der  Dominikaner  Albertus 
Magnus,  gest.  1280;  und  dessen 
Schüler  Thomas  von  Anuino,  Doctor 
angelicus,  gest.  1274.  Im  Gegensatz 
zu  diesem  hob  der  Franziskaner 
Bonaventura,  Doctor  seraphicus,  gest. 
1274,  die  Mystik  wieder  hervor;  dem- 
selben Orden  gehört  der  Doctor  sub- 
til is  Johannes  Duns  Scotus  an,  gest. 
1308,  den  die  Franziskaner  dem 
Thomas  gegenüberzustellen  pflegten. 
Die  Polemik  der  beiden  Orden  und 
ihrer  theologischen  Vertreter,  der 
Thomisten  und  Scotisten,  füllt  die 
dritte  Periode  der  Scholastik,  die 
sich  nun  in  unfruchtbarer  Polemik 
über  das  Mass  der  Freiheit,  der 
Genugthuung  Christi  und  über  die 
unbefleckte  tmpfiingnis  Mariä  ge- 
fielen. Als  der  Humanismus  auf- 
trat, war  die  Scholastik  schon  am 
Untergehen. 

Schöpfung  der  Welt.  Die  älteste 
Kirche  hatte  den  Sonntag  nebeu  der 


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002 


Schreibkunst  und  Schrift. 


Feier  der  Auferstehung  dem  Ge- 
dächtnis der  Weltschöpfung  geweiht; 
der  Schöpfung  galten  auch  zwei, 
Gregor  d.  Gr.  zugeschriebene,  für 
die  Sonntagsfeier  bestimmte  Hymnen, 
Primo  (Herum  omnium  und  Lucis 
creator  optime.  So  wurde  auch  von 
altersher  die  jahrliche  Auferstehungs- 
feier  durch  das  Gedächtnis  der 
Weltschöpfung  und  durch  die  kirch- 
liche Verlesung  und  Auslegung  des 
biblischen  Schöpfungsbericntes  ein- 
geleitet. Dan.it  hängt  zusammen, 
dass  die  alt*-  Kirche  die  Mensch- 
werdung Christi  auf  den  Ü5.  März 
verlegte,  den  Tag  des  Frühlings- 
anfanges nach  dem  Julianischen 
Kalender;  derselbe  Tag,  der  auch 
für  den  Jahrestag  gehalten  wurde, 
an  welchem  die  Welt  angefangen 
habe,  nämlich  das  Licht  geschaffen 
worden  sei.  —  Die  bildliche  Dar- 
stellung des  Schöpfungswerkes  wird 
unterstützt  durch  den  Wortlaut  der 
Schrift,  wonach  Gott  selber  svricht 
und  Himmel  und  Erde  seiner  Hände 
Werk  heisst.  Es  wird  aber  zur 
bildlichen  Darstellung  gebracht,  so- 
wohl der  Schöpfer  (und  zwar  ent- 
weder als  sprechend,  bereitend  oder 

§ segnend,  oder  als  bei  sich  zu  Rate 
ehend  oder  als  ausruhend  vom 
chöpfungswerk  ),  als  das  Schöpf  unqs- 
icerk  selber.  Im  Abendlande  wurile, 
nicht  vor  dem  9.  Jahrhundert,  zu- 
erst die  Erschaffung  des  Menschen 
abgebildet,  seit  dem  10.  Jahrhundert 
die  übrigen  Schöpfungswerke,  an- 
fangs zum  Zwecke  der  Aus- 
schmückung der  heiligen  Schrift  mit 
Miniaturen,  seit  dem  12.  Jahrhundert 
zum  Zwecke  der  Ausschmückung 
von  Kirchengebäuden  und  Gerät- 
schaften durch  Malerei  und  Bild- 
hauerarbeit, wobei  die  sämtlichen 
sechs  Tagewerke  entweder  zu  einem 
Bilde  vereinigt  vor  dem  Schöpfer 
oder  jedes  einzeln  zur  Darstellung 
gelangt  ist,  das  letztere  namentlich 
in  den  Mosaiken  der  Vorhalle  von 
St.  Marco  zu  Venedig  und  in  den 
Skulpturen  an  der  Kathedrale  zu 


Chartres.  Ausserdem  sind  die  ein- 
zelnen Tagewerke  vielfach  zur  Dar- 
stellung gelangt.  ^«per,  Mythol.  and 
Symbolik  der  christlichen  Kunst,  I, 
Th.  2,  S.  172  ff.  Ders.  Evangel. 
Kalender  f.  1854.    S.  15  ff. 

Ungefähr  zur  gleichen  Zeit  mit 
den  Bildern  der  Weltschöpfung  er- 
scheint die  erste  poetische  Darstel- 
lung der  Schöpfung  unter  den  in 
Keimprosa  verfassten  sog.  Reden 
des  11.  Jahrhunderts,  welche,  reli- 
giösen Inhalts  und  von  altertüm- 
licher Form,  den  weltlich  höfischen 
Dichtungen  des  12.  und  13.  Jahr 
huuderts  vorangehen. 

Schrei bkunst  und  Schrift.  L 
Zubereif unq  des  Stoßes.  Über  den 
Stoff  vergleiche  man  die  Artikel 
Pergament  und  Papier.  Die  erste 
Thätigkeit  des  abendländischen 
Schreibers  bestand  in  der  Instand- 
setzung des  nur  sehr  roh  gearbeiteten 
Pergamentes,  damit  es  überall  die 
Tinte  annehme;  es  wurde  abgeschabt, 
dann  mit  Bimsstein  geglättet,  Risse 
und  Löcher  verklebt  oder  zusammen- 
genäht. Dann  wurde  das  Pergament 
Ihmert,  wozu  man  ihm  zuerst  mit 
dem  Zirkel  eine  Anzahl  genau  ab- 
gemessener Stiche  beibrachte.  Das 
in  allgemeinstem  Gebrauch  des 
Altertums  stehende  Schreibwerkzeug 
war  das  Schreibrohr,  calamus,  es 
wurde  auch  im  Mittelalter  ange- 
wendet und  war  aus  Italien  zu  be- 
ziehen; doch  kommt  seit  dem  5.  Jahr- 
hundert die  Feder  mehr  und  mehr 
auf;  scribmezer  oder  acriptrai  heisst 
das  Federmesser;  neben  den  echten 
Federn  kommen  auch  solehe  von 
Metall  vor;  auch  Bleistifte  werden 
für  die  Schrift  auf  Tafefn  erwähnt. 
Die  Tinte  ist  in  den  alten  Hand- 
schriften von  vorzüglicherBesehaffeu- 
heit;  später,  als  man  seit  dem 
13.  Jahrhundert  mehr  schrieb,  wird 
sie  schlechter;  au  Tintenrezepten, 
wobei  immer  Galläpfel  und  Vitriol 
die  Hauptsache  sind,  mangelt  es  in 
mittelalterlichen  Quellen  nicht;  ge- 
wöhnlich wird  Wein  dazu 


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Schreibkunst  und  Schrift. 


903 


Das  Tinten  fast  war  häufig  ein  ein- 
faches Horn,  welches  durch  eine 
Öffnung  des  Schreibpultes  gesteckt 
wurde;  das  Schreibzeug,  scnripziuc, 
war  häufig  dazu  eingerichtet,  auch 
Rohre  und  Federn  aufzunehmen. 
Rote  Farbe  zur  Hervorhebung  der 
Abschnitte  war  schon  den  alten 
Ägyptern  bekannt;  im  Mittelalter 
war  die  Sitte  allgemein  verbreitet, 
nicht  nur  die  Abschnitte  durch  rote 
Rubriken  hervorzuheben ,  sondern 
oft  auch  jedes  irgend  bedeutendere 
Wort  mit  einem  roten  Strich  zu  be- 
zeichnen; es  giebt  Handschriften, 
wo  die  Daten  rot  geschrieben  sind; 
oft  der  Text  neben  dem  schwarzen 
Kommentar;  vom  13.  Jahrhundert 
an  sind  rote  und  blaue  Farbe  regel- 
mässig für  die  Anfangsbuchstaben 
und  sonstige  Verzierungen  in  Ge- 
brauch. Goldschrift  war  namentlich 
im  byzantinischen  Reiche,  aber  auch 
im  Äbendlande  beliebt;  bald  schrieb 
man  ganze  Handschriften  in  Gold, 
bald  nur  die  ersten  Seiten  oder  die 
Überschriften,  den  übrigen  Text 
häufig  in  Silber.  Gern  erhöhte  man 
den  Glanz  des  Goldes  durch  pur- 
purnes Pergament. 

II.  Das  Sehreiben.  Der  altger- 
manische Ausdruck  dafür  ist  jgot. 
rreitan,  ahd.  rizan,  angels.  vritan, 
englisch  to  wrile,  in  Reissbrett, 
Reissblei,  Riss  erhalten;  es  wurde 
verdrängt  durch  das  lat.  scribere, 
ahd.  scriban.  Der  Schreiber  sitzt 
auf  der  cathedra,  dem  schribsluol; 
das  Brett  desselben  heisst  schrib- 
bret.  Vor  sich  hat  der  Schreiber 
das  exemplar.  Um  die  Zeilen  nicht 
zu  verfemen  oder  mit  dem  Suchen 
die  Zeit  nicht  zu  verlieren,  hatte  der 
Schreiber  die  carilla,  den  durluog ; 
oft  hält  er  vermittelst  eines  ge- 
krümmten, von  der  linken  Hand 
gehaltenen  Messers,  das  Pergament 
fest.  Sehr  häufig  sind  in  denUnter- 
schriften  der  Schreiber  Bemerkungen 
über  die  grosse  Mühsal  ihrer  Arbeit, 
wobei  der  Vergleich  mit  dem  Er- 
reichen des  Hafens  am  Ende  der 


I  Arbeit  namentlich  beliebt  ist.  Oft 
heisst  es : 

Scribere  qui  nescit,  nullum  putat 

esse  laborem, 

Tres  digiti  scribunt  totum  corpusque 

laborat. 

Ein  St  Galler  schreibt:  Sicut 
aegrotus  desiderat  sanitatem,  ita  de- 
siaerat  scriptor  finem  libri.  Der 
i  Schwäche  der  Augen  wurde  seit 
dem  14.  Jahrhundert  durch  Brillen 
nachgeholfen.    Die  Zeit  einer  Ab- 
I  schritt  hing  natürlich  von  der  Ge- 
übtheit des  Schreibers  und  der  Art 
I  der  Schrift  ab;  Notkers  Psalmen- 
I  Übersetzung  wurde   einmal  in  14 
j  Tagen  abgeschrieben ;  ein  prächtiges 
I  neues  Testament  von  278  Blättern 
in  gross  Folio  in  sechs  Monaten. 
Die  Kostbarkeit  des  Schreibmaterials 
führte  zu  Abkürzungen,  deren  Über- 
mass  oft  das  Lesen  sehr  erschwert; 
Johann  von  Tilbury  versuchte  im 
12.  Jahrhundert  eine  Zeichenschrift 
zu  erfinden,  mittelst  deren  man  im 
stände  sein  sollte,  alle  Vorlesungen 
nachzuschreiben  und  sich  so  alle 
Weisheit  anzueignen;  er  kam  aber 
nicht  damit  zu  stände. 

III.  Schreiber.  In  der  römischen 
Periode  pflegten  professionelle  Kalli- 
graphen die  Bücher  zu  schreiben, 
im  Mittelalter  wurden  die  Mönche 
die  eigentlichen  Bücherabschreiber, 
welche  mehr  und  mehr  darin  einen 
wesentlichen  Teil  ihres  Berufes 
fanden.  Schon  Hieronymus  em- 
pfiehlt den  Mönchen:  scribantur 
libri;  aber  erst  Cassiodor  führte 
grundsätzlich  in  die  Klöster  die 
innen  bis  dahin  fremden  gelehrten 
Studien  ein  (siehe  Geschientschrei- 
bung); er  gab  zu  dem  Zwecke  seinen 
Mönchen  eineSammluug  vonSchriften 
über  Orthographie,  die  er  93 jährig 
zu  ihrem  Gebrauch  exzerpierte,  zu- 
gleich Buchbinder  und  Musterbände. 
St.  Benedikts  Regel  setzt  die  Exi- 
stenz einer  Bibliothek  im  Kloster 
voraus,  aus  welcher  jeder  Mönch 
Bücher  zum  Studium  erhält.  Eine 


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904 


Schreibkunst  und  Schrift. 


eigentlich  gelehrte  Thätigkeit  ent- 
wickelt sich  jedoch  erst  in  den 
Klöstern  neubekehrter  Länder,  wo 
auf  den  Mönchen  die  ganze  Last 
der  vorhandenen  Bildung  ruhte,  zu- 
nächst in  Irland  und  England,  wo 
massenhaft  und  sehr  schön  ge- 
schrieben wird.  Aber  auch  die 
Schottenmönche  teilten  vielfach  die 
barbarische  Verwilderung  der  Zeit, 
und  erst  Karl  der  Grosse  brachte 
eine  bleibende  Besserung  zu  weg; 
seit  jener  Zeit  fehlte  es  in  keinem 
gut  eingerichteten  Kloster  an  einer 
Schreibstube ,  Scriptorium ;  immer 
wenn  ein  Kloster  einen  neuen  Auf- 
schwung nimmt,  erkennt  man  diesen 
auch  aus  den  Arbeiten  seiner 
Schreiber;  das  ist  auch  noch  bei 
den  Clunia^ensern  und  den  Kar- 
thäusern der  Fall;  auch  Nonnen 
übten  die  Kunst,  dagegen  war  sie 
in  einigen  alten  Beuediktinerklöstern 
im  IB.  Jahrhundert  so  gut  wie  aus- 

festorben,  so  in  St.  Gallen  und  Mur- 
ach. Die  Bettelorden  verlegten 
sich  mehr  auf  Abschriften  ihrer 
eigenen  Kompilationen  und  schola- 
stischer Schriften  als  auf  die  Ver- 
vielfältigung älterer  Werke.  Manche 
vorher  verfallenen  Benediktiner- 
klöster erlebten  um  die  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts  einen  neuen  Auf- 
schwung der  gelehrten  Studien.  Die 
Brüder  vom  gemeinsamen  Treben 
machten  aus  dem  Abschreiben  ein 
Gewerbe,  unterschieden  sich  aber 
von  den  Lohnschreibern  durch  ihre 
genossenschaftliche  Organisation  und 
durch  ihre  Bestrebungen  für  Unter- 
richt, Gelehrsamkeit  und  Erbauung. 

Eine  weitere  Schreiberklasse  des 
Mittelalters  sind  die  Kanzleibeamten. 
Aus  Italien,  wo  sie  sich  aus  der 
alten  Zeit  erhalten  hatten,  verbreitete 
sich  der  Stand  der  weltlichen  Notare 
nach  dem  13.  Jahrhundert  auch  in 
andere  Länder.  Zwar  harten  die 
M^rovinger  noch  weltliche  Kanzlei- 
beamte gehabt;  aber  unter  den 
Karolingern  fielen  Kapelle  und 
Kanzlei  zusammen,  und  viele  Jahr- 


hunderte hindurch  wurden  seitdem 
ausserhalb  Italiens  alle  Urkunden 
von  Geist  liehen  geschrieben;  ganz 
besonders  war  auch  alle  Korrespon- 
denz in  geistlichen  Händen,  Jeder 
Mann  von  einiger  Bedeutung  rousste 
seinen  clericM,pfaff' haben,  der  seine 
Briefe  las  und  schrieb;  es  war  dies 
für  die  Kleriker  zugleich  der  Weg 
zu  Ansehen  und  Ehre;  die  Vorsteher 
der  königlichen  Kanzlei  (siehe  den 
Artikel  Kapelle)  wurden  Bischöfe, 
den  übrigen  fielen  geringere  Pfründen 
zu.  Die  Anleitung  zum  Brief- 
schreibeh  bildete  deshalb  seit  alter 
Zeit  einen  wichtigen  Teil  des  Unter- 
richts, man  nannte  es  dictare,  einen 
brief  dihten. 

Lohnschreiber  gab  es  in  Italien 
ebenfalls  seit  alter  Zeit,  sie  erhielten 
sich  hier  durch  das  ganze  Mittel- 
alter und  wurden  später  von  den 
Universitäten  als  Zugehörige  unter 
ihre  Jurisdiktion  und  ihren  Schutz 
aufgenommen.  ImfränkischenReiche 
gab  es  ohne  Zweifel  viele  Geistliehe, 
welche  als  Lohnschreiber  ihren 
Lebensunterhalt  fanden,  doch  werden 
sie  selten  erwähnt.  Auch  schrieben 
wohl  Mönche  für  einen  auswärtigen 
Besteller  um  Lohn  ab,  während  sie 
natürlich  für  die  eigene  Bibliothek 
umsonst  schrieben.  Rechtshand- 
schriften wurden  auf  deutschem 
Boden  früh  von  Laien  abgeschrieben ; 
vom  13.  Jahrhundert  an  werden 
eigentliche  gewerbsmässige  Schreiber 
aus  dem  Laienstande  häufiger  uud 
übertreffen  an  Zahl  die  geistlichen; 
sie  heissen  cathedrales  oder  stuol- 
schriber.  Auch  Frauen  kennt  man, 
die  um  Lohn  abschreiben,  und  Schul- 
meister; Graf  Hugo  von  Montfort 
(gest.  1423)  liess  seine  Minnelieder 
durch  seinen  Knappen  niederschrei- 
ben und  mit  \\  eisen  versehe». 
Bürgerliche  Schreiber  beschäftigten 
sich  vorzüglich  mit  Büchern  in  den 
Volkssprachen;  kirchliche  und  ge- 
lehrte Bücher  fielen  noch  immer 
vorzugsweise  der  Geistlichkeit  und 
dem   entstehenden  Gelehrtenstand 


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Schreibkunst  und  Schrift. 


905 


zu.  Die  erste  gedruckte  Schreibe-  weiter  ausgebildet.  Es  gehören  da- 
kunst  verfa8ste  der  Nürnberger  hin  die  la  ngobardische ,  die  west- 
Anton  Neudörfler,  gotische  und  die  merowingische  Schrift. 

IV.  Entwicklung  der  Schrift.  Die  j  5.  Die  irische  Schrift.  Das  Haupt- 
Hauptgattungen  der  lateinischen  land  der  Kalligraphie  war  vom  6. 
Schrift  sind:  Jahrhundert  an  Irland;  es  bildeten 

1.  Kapitalschrift  heisst  die  Ma-  sich  hier  mehrere  grossere  und  klei- 
juskelschrift  in  den  vollen  schönen  nere  Schriftgattungen  aus.  Vorzug- 
Formen  des  lateinischen  Alphabetes,  lieh  liebten  die  Iren  den  reichsten 
wo  jeder  Zug,  sei  er  geradlinig  oder  Farbenschmuck  und  verzierten  die 
runa,  wesentlich  int.  In  ganzen  Hand-  Initialen  und  ganze  Seiten  mit  der 
Schriften  erscheint  die  sonst  der  künstlichsten  Verflechtung  von 
römischen  Bildung  angehörige  Schrift  Spiralen  und  schmalen  farbigen 
bis  ins  6.  Jahrhundert ;  späterbehielt  Bändern.  Mindestens  wurden  die 
man  sie  nur  noch  für  Überschriften  grossen  Buchstaben  mit  Reihen  roter 
und  für  die  ersten  Seiten  von  Punkte  umgeben,  namentlich  charak- 
Prachthandschriften  bei,  vorzüglich  teristisch  aber  sind  die  überall  an- 
in  karolingischer  Zeit.  gebrachten  Schlangen-  und  Vogel- 

2.  Unicalsehrift  y  ist  aus  der  Ka-  köpfe.  Irisehe  Mönche,  die  man  in 
pitalschrift  hervorgegangen ,  deren  Deutschland  Schottenmönche  heisst, 
gerade  geometrische  Züge  nach  Be-  verbreiteten  ihre  Schrift  über  den 
quemliehkeit  bei  ihr  durch  runde  ganzen  Kontinent. 

ersetzt  sind;  einzelne  Buchstaben  6.  Die  angelsächsische  Schrift 
reichen  schon  über  und  unter  die  empfing  Einflüsse  teils  von  der  iri- 
Zeilen.  Diese  Schrift  bestand  Jahr- ;  sehen,  teils  von  der  römischen  und 
hunderte  lang  völlig  ausgebildet  wirkte  wie  die  irische  ebenfalls  auf 
neben  der  Kapitalschrift.  Man  kann  das  fränkische  Schriftwesen  ein. 
in  den  Handschriften  diese  Schrift  7.  Die  karolingische  Minuskel. 
mit  zunehmender  Entartung  vom  4.  Die  Bemühungen  rtarls  des  Grossen 
bis  ins  8.  Jahrhundert  verfolgen.      um  die  Reorganisation  der  öffent- 

3.  Die  altrömische  Kursivschrift  liehen  Bildung  richteten  sich  ausser 
ist  aus  der  Unicalsehrift  hervorge-  der  verwilderten  Orthographie  und 
gangen ;  die  Buchstaben  hängen  zu-  Interpunktion  auch  aut  die  Pflege 
sa m inen  und  werden  ineinander  ge-  der  Handschrift.  Für  Prachtstücke 
zogen;  einzelne  Züge  treten  über  kehrte  man  zur  alten  Unicalsehrift 
und  unter  die  Linie;  diese  Schrift  zurück;  für  den  gewöhnlichen  Ge- 
repräsentiert zugleich  die  Entstehung  brauch  wurde  eine  Minuskel  ausge- 
der  Minuskel.  Anfänglich  für  den  bildet,  die  wesentlich  eine  Reform 
Schulgebrauch  und  das  bürgerliche  der  merowingischen  Schrift  dar- 
Leben  bestimmt ,  wird  diese  Schrift  stellt ;  ihr  Ausgangspunkt  ist  Al- 
vom  4.  Jahrhundert  an  auch  zu  neu  kuins  berühmte  Schule  im  Martins- 
verfas8ten  Handschriften  ange-  kloster  zu  Tours ;  von  hier  wurde  die 
wendet.  neue  Sehreibart  durch  das  ganze 

4.  Die  Nationalschriften.  Auf  der  Frankreich  verbreitet.  Die  Karo- 
gemeinschaftlichen  Grundlage  der  ■  liugische  Schrift  ist  rundlich ,  stark 
römischen  Kursive,  verbunden  mit  mit  kursiven  Elementen  und  einzel- 
Elementen  der  Unicalsehrift,  haben  neu  Unicalbuchstaben  gemischt; 
sieh  nun  verschiedene  National-  j  charakteristisch  sind  besonders  die 
Schriften  entwickelt;  anfangs  dem  keulenförmig  nach  oben  verdickten 
Charakter  der  Völkerwanderung  ,  Langstriche.  Neben  der  Arbeit  für 
gemäß  ausserordentlich  verwildert,  den  täglichen  Gebrauch  war  die 
wurden  sie  mit  derZeit  kalligraphisch  Richtung  dieser  Zeit  vorzüglich  der 


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906 


Schuh.  —  Schulwesen. 


Verfertigung  von  Prachtstücken  zu- 
gewandt; Purpurnes  Pergament, 
Gold,  Silber,  Kapitalschrift,  nach 
den  besten  alten  Inschriften  kopiert, 
verschiedene  Unicalformen ,  Orna- 
mente und  Bilder  nach  antiken  und 
byzantinischen  Mustern  ausgewählt, 
vereinigte  sich  zur  Herstellung 
staunenswerter  Kunstwerke. 

8.  Die  ausgebildete  Minuskel. 
Die  fränkische  Schrift  kam  mit  der 
Zeit  zur  Alleinherrschaft.  Ihr  Ent- 
wicklungsgang besteht  darin,  das« 
sie  bis  zum  12.  Jahrhundert  zu  immer 
grösserer  Regelmässigkeit  fortschrei- 
tet; jeder  Buchstabe  hat  seine  be- 
stimmte Form  und  steht  unabhängig 
neben  dem  andern,  die  Striche  sind 
scharf  und  gerade,  die  Worte  voll- 
ständig getrennt.  Gegen  deu  Aus- 
gang des  1 2.  Jahrhunderts  beginnen 
an  den  früher  gerade  abgeschnitte- 
nen untern  Enden  der  Buchstaben 
starke  Abschnittslinien  bemerklich 
zu  werden;  dann  biegen  sich  die 
Striche  selbst  unten  nach  vorn  in  die 
Höhe  und  geben  dadurch  der  ganzen 
Schrift  ein  verändertes  Aussehen; 
man  schreibt  viel  mehr  und  deshalb 
viel  rascher  und  nachlässiger.  Um 
Platz  für  ihre  ungeheuer  umfäng- 
lichen Produkte  zu  schaffen,  treiben 
namentlich  die  Bcttelmönche  den 
Gebrauch  der  Abkürzungen  auf  die 
Spitze.  Im  Verlaufe  des  14.  Jahr- 
hunderts wird  die  Schrift  immer 
eckiger  und  es  bildet  sich  die  gitter- 
artige Schrift  aus,  die  man  qotisch 
oder  Mönchisch  riß  nennt,  tn  den 
Verzierungen  herrscheu  die  im  13. 
Jahrhundert  aufkommenden  ab- 
wechselnd roten  und  blauen  vor. 
Dazu  kommen  die  reichen  Blattver- 
zierungen, namentlich  das  Dornblatt- 
muster,  im  15.  Jahrhundert  ganze 
Pflanzen,  Blumen  und  Früchte,  mit 
Käfern  und  Schmetterlingen  auf 
Goldblattgrund.  Die  Humanisten 
kehrten  endlich  zur  reinen  Minuskel 
des  12.  Jahrhunderts  zurück.  Nach 
Wattenbach,  das  Schriftwesen  im 
Mittelalter,  zweite  Aufl.,  Leipzig  1875 


und  ebenderselbe,  Anleitung  zur 
lateinischen  Paläographie;  zweite 
Aufl.  Leipzig  1872. 

Schuh,  siehe  Beinbekleidung. 
Schüler,  fahrende,  siehe  fah- 
rende Schüler. 

Schult  Ii  ei  ss.  mittel  la  t.  scultetus, 
ahd.  scultkeizo,  mhd.  scultheize,  von 
ahd.  scult  =  za  leistende  Verpflich- 
tung, zu  leistende  Verbindlichkeit, 
und  heizan  =  heissen,  befehlen.  Dieser 
j  schon  im  8.  Jahrhundert  nicht  seltene 
!  Name  bezeichnet,  nach  Sohm  fränki- 
sche Reichs-  und  Gerichtsverfas- 
sung, Weimar  1871,  §  9  S.  213  ff; 
den  Centenar.  Er  wird  in  der 
Regel  vom  Grafen,  ausnahmsweise 
vom  König  ernannt;  er  ist  also  ein 
gräflicher,  kein  unmittelbar  könig- 
licher Beamter.  Seine  Amtsfunk- 
tion ist  die  Exekution  des  durch 
den  Grafen  als  Richter  ausgespro- 
chenen Urteils,  mag  dies  nun 
ein  peinliches  btrafurteil  oder  ein 
Civilerkenntnis  sein;  zugleich  ist  er 
der  Unterbeamte  des  Grafen  für 
die  Eintreibung  der  auch  auf  öffent- 
lich rechtlichem  Titel  ruhenden  Ein- 
künfte des  Königs.  Er  hat  ferner 
die  Führerschaft  über  die  Büttel 
der  öffentlichen  Polizei  undExekutiv- 

Scwalt.  Seitdem  an  vielen  Orten 
ie  gräfliche  Gewalt  an  einzelne 
Grundherrn  übergeht,  tritt  der 
Schultheiss  dem  Grundherrn  gegen- 
über in  die  Stellung,  die  er  früher 
zum  Grafen  hatte;  ihm  steht  jetzt 
die  Erhebung  der  Zinsen  und 
Einkünfte  aus  den  ßrundherrlichen, 
meist  geistlichen  Gütern  zu;  sein 
Amt  nähert  sich  bald  dem  des 
Vogtes,  bald  dem  des  Meiers;  er 
wird  jetzt  nicht  mehr,  wie  wahr- 
scheinlich früher  immer  der  Fall 
war,  aus  der  Zahl  der  Freien  ge- 
nommen, sondern  kann  selber  unfrei 
sein.  Aus  den  genannten  Ursachen 
ist  seine  Stellung  in  der  grund- 
herrlichen Verfassung  überall  ver- 
schieden. 

Schulwesen.  Schule  entsteht 
überall  da,  wo  sich  gewisse  Kennt- 


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Schulwesen. 


907 


nisse  und  Fertigkeiten  ausgebildet 
haben,  welche  der  Jugend  zu  über- 
liefern allgemeines  Bedürfnis  ge- 
worden ist  und  zu  deren  Überliefe- 
rung es  bestimmter  Lehrer  bedarf, 
in  erster  Linie  also  da,  wo  die 
Kunst  des  Lesens  und  Schreibens 
bekannt  und  zum  Bedürfuis  ge- 
worden ist.  Die  Schule  erweitert 
sodann  den  Umfang  ihrer  Lehrziele, 
wenn  sie  die  weitere  Aufgabe  erhalt, 
ein  gewisses  Mass  höherer  Kennt- 
nisse, fremde  Sprachen,  schriftstelle- 
rische Erzeugnisse,  überhaupt  das, 
was  zu  einer  höheren  litterarischen 
Bildung  gezählt  wird,  zu  über- 
liefern, und  sie  steigt  noch  höher, 
wenn  sie  sich  dafür  einrichtet,  zum 
Lehrinstitut  für  solche  zu  werden, 
deren  Amt  und  Beruf  selber  auf  der 
Aneignung  solcher  höheren  Bildung 
beruht 

Die  Germanen  hatten  vor  der 
christlichen  Zeit  keine  Schule  ent- 
wickelt; daher  verstand  es  sich  von 
selbst,  dass  der  christlichen  Kirche, 
welche  neben  ihrem  Glauben  auch 
eine  eigene  fremde  Sprache  und  ein 
sehr  ansehnliches  Gebiet  höhern 
Wissens  mitbrachte,  vorläufig  die 
Stiftung  und  Leitung  von  Schulen 
zufallen  musste.  Für  den  Elemen- 
tarunterricht im  Lesen  und  Schreiben 
der  lateinischen  Sprache  war  die 
notwendige  Lehrmethode  in  der 
lateinischen  Grammatik  längst  ge- 
geben; die  Schulkenntnisse  nöherer 
Art  kamen  in  derjenigen  Form  und 
Ausdehnung  ins  Mittelalter,  in  wel- 
cher die  spätere  römische  Zeit  nach 
dem  Vorgange  des  Boethius  und 
Cas8iodorus  den  Unterricht  zu 
fassen  pflege,  in  derjenigen  der 
sieben  freien  Künste ,  des  aus 
Grammatik,  Rhetorik,  Dialektik  und 
Arithmetik  bestehenden  Quadririums 
und  des  aus  Musik,  Geometrie 
und  Astronomie  bestehenden  Tri- 
viums ,  alles  in  sehr  enger  und  ein- 
seitiger Weise  an  theologische  Stoffe 
angelehnt.  Wie  wenig  jedoch 
im  Geiste  der  Kirche  anfänglich 


der  Schulunterricht  zu  bedeuten 
hatte,  zeigt  der  Umstand,  dass  die 
Benediktinerrcgel  nichts  auf  Schul- 
unterricht bezügliches  enthält.  Die 
erste  Veranlassung  zur  Einrichtung 
eines  solchen  haben  in  den  Klöstern 
ohne  Zweifel  die  pueri  oblati  ge- 
geben, Knaben,  die  von  ihren  El- 
tern früh  zum  geistlichen  Dienst 
bestimmt  und  deswegen  dem  Kloster 
übergeben  wurden.  Am  k<  iniglich 
fränkischen  Hof  bestand  früh  in 
Nachahmung  älterer  römischer  Sitte 
für  die  Prinzen  eine  Hof  schule; 
sonst  wuchs  die  Mehrzahl,  selbst 
der  Grossen  und  Vornehmen,  sowie 
die  gesamte  übrige  Bevölkerung, 
ohne  jeglichen  Unterricht  auf,  ab- 
gesehen etwa  von  der  Gedächtnis- 
eiuprägung  lateinischer  Gebetsfor- 
meln und  christlicher  Zeremonien. 
Karl  der  Grosse  war  es,  dem  zu- 
erst das  Bedürfnis  einer  höheren 
und  allgemeinen  Bildung  aufging; 
italienische  und  angelsächsische  Zu- 
stände dienten  ihm  dabei  zum  Bei- 

3iel  und  Sporn.  Er  erneuerte  die 
ochschule,  an  deren  Unterricht 
er  selbst,  seine  Kinder  und  Hof- 
leute teilnahmen,  er  befahl  in  einem 
Kapitular  von  789,  es  sollen  mit 
allen  Bischofskirchen  und  Klöstern 
Schulen  verbunden  werden,  in  denen 
nicht  bloss  die  Kinder  der  Leibeige- 
nen (aus  denen  sich  der  Klerus  ge- 
wöhnlich ergänzte),  sondern  auch 
die  Kinder  der  Freien  und  Edeln 
unterrichtet  werden,  und  zwar 
in  Psalmen,  Noten,  Gesang,  Kom- 

Futus  (Rechnen)  und  Grammatik, 
n  einem  anderen  Kapitular  vom 
Jahre  801  wird  geradezu  gefordert, 
dass  ein  Jeder  seinen  Sohn  zur  Er- 
lernung des  Lesens  in  die  Schule 
schicke  und  ihn  bis  zur  Vollendung 
des  Unterrichts  dort  verweilen  lasse. 
Theodulf  von  Orleans,  einer  der 
Genossen  Karls,  legte  seinen  Geist- 
lichen sogar  ausdrücklich  die  Un- 
entgeltlichkeit  dieses  Unterrichtes 
ans  Herz,  damit  sich  auch  der 
Ärmste  die  im  bürgerlichen  Leben 


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908 


Schulwesen. 


notwendigen  Kenntnisse  erwerben 
könne  (794).  Schnell  blühten  nun 
die  Kloster-  und  Stiftsschulen  em- 
por. Jene  zerfielen  in  die  schola 
inferior  für  die  oblati,  welche  von 
Anfang  an  dem  Klosterleben  ge- 
weiht waren,  und  in  die  schola  ex- 
terior  für  Zöglinge  weltlichen  Stan- 
des. Den  Unterricht  leitete  ein 
gewöhnlicher  Mönch  oder  ein  scho- 
tasticus;  in  grösseren  Klöstern  wa- 
ren für  die  einzelnen  Disziplinen 
Magist  ri  angestellt,  die  oft  weither 
aus*  anderen  Klöstern  berufen  wor- 
den waren;  Lehrlust  und  Lehrgabe 
spielten  natürlich  hier  schon  eine 
grosse  Rolle.  Frauenklöster  besassen 
ähnlich  eingerichtete  Schulen  für 
Mädchen,  etwa  auch  für  jüngere 
Knaben.  Noch  mehr  als  die  Kloster- 
schulen  dienten  die  in  den  Städten 
gelegenen  Dom-,  Stifts-  oder  bischöf- 
ichen  Schulen  den  Söhnen  welt- 
iehen  Standes.  In  Bezug  auf  den 
Umfang  des  Unterricht«  hatten  die 
niedrigen  Schulen  oder  Klassen  vor- 
nehmlich das  Lesen  im  Auge;  Kir- 
chengesang, Rechnen  unu  latei- 
nische Grammatik  bildeten  die  erste 
Erweiterung  des  Elementarunter- 
richtes; nur  an  den  grossen  Ge- 
lehrtenschulen trat  das  Quadrivium 
dazu.  Der  grammatische  Unterricht 
(nach  Donat,  Priscian,  Beda,  Al- 
kuin u.  a.)  war  wie  überhaupt  aller 
Unterricht  mühsam  und  auf  Ein- 
übung von  Regeln,  Wörtern  und 
Phrasen  beschränkt;  von  alten  Dich- 
tern kamen  besonders  Virgil,  dann 
Ovid  und  Horaz,  Lucian  und  Sta- 
tius,  seltener  Terenz  zur  Behand- 
lung; auf  Versemachen  wurde  grosses 
Gewicht  gelegt.  Die  Kenntnis  der 
lateinischen  Prosaiker  war  eine  sehr 
beschränkte.  Livius,  Cäsar,  Cicero 
waren  selten,  häufiger  Seneca,  Sal- 
lust  und  Sueton.  Die  Kenntnis  des 
Griechischen  war  nur  ganz  spora- 
disch vorhanden.  Die  scnulmässi^e 
Behandlung  des  Deutschen  war  je- 
denfalls selten  und  von  der  beson- 
deren   Denkweise    eines  Lehrers 


abhängig;  Notker  Laljeo,  der  St. 
Galler,  bemerkt  in  einem  Brief,  er 
habe,  um  seine  Schüler  in  das  Ver- 
ständnis der  Klassiker  einzuführen, 
etwas  Ungewöhnliches  gethan  und 
die  lateinischen  Schriftsteller  in  die 
Muttersprache  übersetzt  und  in  die- 
ser erläutert,  denn  in  der  heimischen 
Sprache  werde  leicht  gefasst,  was 
in  einer  fremden  kaum  oder  nicht 
ganz  begriffen  werden  kann.  Viel 
Gewicht  legte  man  auf  Gesang  und 
Schönschreiben.  Die  Schulzucht 
war  streng  und  die  Rute  häufig 
gehandhabt.  Als  Aufseher  waren 
circafores  bestellt.  Doch  fehlte  es 
nicht  an  erlaubten  Ergötzlichkeiteu: 
Würfelspiel,  Wettlauf,  Ringen  mit 
gesalbten  Händen,  StockspieT,  Stein- 
wurf. In  St.  Gallen  hatten  die 
Schüler  bereits  da&festum  sanctorum 
innocenfium,  an  welchem  sie  der 
Zucht  entbunden  waren  und  jeden 
bei  ihnen  eintretenden  Fremden 
festnehmen,  als  Schulabt  auf  das 
Katheder  führen  und  zu  einer  Los- 
kaufung nötigen  konnten.  Die 
Lehrmethode  ist  am  ehesten  aus 
den  Lehrbüchern  Alkuins  ersicht- 
lich ;  in  seiner  Grammatik  tritt  nach 
angelsächsischem  Muster  besonders 
der  Dia  top  hervor;  der  Lernende 
fragt  und  der  Lehrende  antwortet, 
manchmal  reden  auch  zwei  Schüler 
miteinander  und  mit  dem  Lehrer: 
öfters  werden  die  Rollen  vertauscht 
Die  disputatio  Pipnini  cum  Albino 
Schofastico  ist  ein  derartiges  Hand- 
büchlein  für  Denkübungen  in  dia- 
logischer Form.  Darin  sind  Defi- 
nitionen von  verschiedenen ,  dem 
Menschen  naheliegenden  Objekten 
und  Begriffen  gegeben,  am  liebsten 
in  Metaphern;  z.  B.  was  ist  die 
Zunge?  Eine  Geissei  der  Luft. 
Was  ist  der  Nebel?  Die  Nacht  am 
Tage,  die  Mühe  der  Augen.  Was  ist 
der  Tag?  Die  Anregung  der  Ar- 
beit. Erinnern  schon  diese  Fragen 
und  Antworten  an  das  Rätsel,  so  lasst 
ein  zweiter  Teil  dieses  Büchleins  dem 
Schüler  wirkliche  Rätsel  aufgeben. 


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Schulwesen. 


909 


Die  Blüte  de«  karolingischen 
Schulwesens  dauerte  etwa  bis  in 
die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts,  so 
zwar,  dass  man  innerhalb  dieses 
Zeitraumes  zwei  Höhepunkte,  im 
9.  und  am  Ende  des  10.  Jahrhun- 
derts, unterscheiden  kann;  nach 
1050  führen  zum  Teil  längst  schon 
vorbereitete  innere  und  äussere  Ur- 
sachen einen  schnellen  Verfall  die- 
ses Schulwesens  herbei.  Dahin  ge- 
hören die  Verweltlichung  der  grossen 
Abteien  und  Domstifter,  die  Aus- 
bildung des  höfischen  Standes  und  der 
durch  denselben  bedingten  höfisch- 
weltlichen  Bildung,  das  Auftreten 
der  strengen  reformierten  Mönchs- 
orden, wie  der  Cluniacenser  und 
Cistercienser,  deren  kirchlich-aske- 
tische Ziele  wissenschaftliche  Stu- 
dien wenig  oder  gar  nicht  förderten. 
Für  den  Adel  und  das  .Rittertum 
bildete  sich  eine  höfisch-ritterliche 
Erziehung  aus ,  die  auf  adelige 
Künste  und  Fertigkeiten,  auf  welt- 
männisches Benehmen ,  auf  die 
Kenntnis  der  französischen  Sprache 
Bedacht  nahm  und  nur  ausnahms- 
weise (Hartmann  von  Aue)  eigent 
liehen  schulmassigen  Studien  sieh  zu- 
wandte. (Vgl.  Rittertum  und  Erzie- 
hung.) Was  man  an  den  Höfen  an 
Lehrern  etwa  bedurfte,  besorgten 
fremde  Spielleute,  fahrende  Kleriker 
und  dergleichen  als  Privatlehrer. 
Nur  vereinzelt  erhielten  sich,  durch 
die  Gunst  einzelner  Persönlichkeiten 
getragen ,  grössere  Kloster-  und 
Stiftsschulen  unter  angestellten 
Lehrern. 

Eine  Erneuerung  des  Schulwe- 
sens wird  erst  im  12.  Jahrhundert 
sichtbar,  und  zwar  in  zweierlei 
Gestalt,  in  der  Bildung  elementarer 
Stadtschulen  und  derjenigen  der 
Universitäten;  über  die  letzteren 
siehe  den  besonderen  Artikel.  Was 
die  Stadtschulen  betrifft,  so  finden 
sich  solche  zuerst  in  den  frühen t- 
wickelten  italienischen  Städten.  Im 
12.  Jahrhundert  entstanden  dann  in 
den  Städten  nördlich  von  den  Al- 


pen, namentlich  früh  in  den  nord- 
deutschen und  niederländischen , 
deutsche  oder  Schreibschulen ,  die 
teils  die  notwendige  bürgerliche 
Elementarbildung  in  der  Landes- 
sprache darboten,  teils  als  Vorschule 
für  die  lateinische  Schule  dienten. 
Sie  haben  besonders  anfangs  manche 
Kompetenzstreitickeiten  mit  den 
geistlichen  Obrigkeiten  zu  bestehen, 
welche  die  Schule,  für  welche  die 
Kirche  doch  selten  mehr  etwas 
that,  für  ihr  Monopol  ansahen;  na- 
mentlich suchte  die  Kirche  zu  ver- 
hüteu,  dass  sich  diese  Schulen  dem 
Zuge  der  Zeit  gemäss  in  lateinische 
Schulen  umwandelten.  Die  Unter- 
richtsmethode unterschied  sich  nicht 
von  derjenigen  in  den  kirchlichen 
Schulen,  gedieh  auch  nirgends  zu 
einem  durchgreifenden  allgemeinen 
Schulsystem.  Schulbücher,  selbst 
Papier  für  den  Gebrauch  der  Kin- 
der war  zu  teuer;  daher  bestand 
der  Unterricht  zum  grossen  Teil 
in  Auswendiglernen  und  Aufsagen. 
Noch  spielte  in  der  Disziplin  die 
Rute  eine  grosse  Rolle.  Daneben 
erscheint  in  den  lateinischen  Schu- 
len seit  dem  16.  Jahrhundert  der 
Asinusy  ein  in  der  Schulstube  ste- 
hender hölzerner  Esel,  den  der  straf- 
fällig gewordene  Schüler  am  Ende 
der  Lehrstunde  besteigen  musste. 
Die  Verfassung  der  städtischen 
Schulen  war  zunft-  und  handwerks- 
gemass.  Der  Rektor  oder  Schul; 
meister  wurde  von  der  Obrigkeit 
auf  ein  Jahr  gemietet;  die  Hilfs- 
lehrer, seine  Gesellen,  wählte  er 
selbst;  Bildung  und  Lohn  derselben 
war  gering  Meist  hatte  nur  der 
Rektor  festen  Gehalt,  der  jedoch 
jahrlich  höchstens  40  Gulden  be- 
trug, wozu  dann  allerlei  andere 
Emolumenta,  namentlich  Geschenke, 
kamen:  Ostereier,  Fastnachtkuchen, 
Kirchweihgeschenke,  Fastnachthüh- 
ner, Gutjahr.  In  kleineren  Ort- 
schaften war  der  Pfarrer  Schul- 
herr, der  dann  für  das  Lehramt 
gewöhnlich    einen   Gehilfen,  den 


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910 


Schulwesen. 


Kindermeister ,  annahm ,  welcher  und  scolares  ad  nuwpam  oder  ad 
neben  den  Schul  Verrichtungen,  wie  scutel tarn,  d.  h.  solcne,  denen  ^das 
der  Pfarrer  selbst,  durch  kirchliche  Stift  regelmässig  die  ganze  Kost 
Dienste  seinen  Lebensunterhalt  auf-  gab;  übrigens  benutzten  die  Chor- 
brachte. Da  feste  und  bleibende  schäler  ihre  Singkunst,  um  sich 
Anstellungen  fehlten,  bildete  sich  auch  ausserhalb  des  Gottesdienstes 
ein  wandernder  Lehrstand.  Die  Geld  zu  verdienen,  z.  B.  bei  den 
älteren  Gesellen,  scholares  vagantes,  Fastnachten  des  Rates  oder  vor  der 
Bacchanten  ,  nahmen  dabei  die  Herberge  einer  durchreisenden  fürst- 
Dienste  jüngerer  Schüler  in  An-  liehen  Person.  An  manchen  Orten 
spruch,  die  ebenfalls,  um  der  Wissen-  reichte  ihnen  das  Spital  den  Über- 
schaft nachzugehen,  die  Heimat  rest  vom  Gesindeesseu,  daher  jeder 
verlassen  hatten.  Mit  Betteln  und  von  ihnen  am  Gürtel  ein  hölzernes 
Stehlen  mussten  diese  „Schützen"  Gefäss  befestigt  hatte,  das  ihnen 
ihre  Bacchanten  auf  ihren  Kreuz-  den  Namen  Mäfeleinbuben  eiutrug. 
und  Querzügen  begleiten;  viele  gin-  In  allen  Lateinschulen  wurde  der 
gen  bei  diesem  Üinherwandern  zu  Unterricht  in  lateinischer  Sprache 
Grunde.  Solche  fahrende  Schüler  erteilt,  und  die  Schüler  sollten  auch 
(vgl.  den  besonderen  Artikel!  bil-  untereinander  nur  Latein  sprechen, 
deten  nun  das  Hauptkontingent  für  Die  tägliche  Z  ihl  der  Lehrstundeu 
den  Schuldienst;  doch  nahinen  auch  oder  Lektionen  war  an  den  meisten 
andere  Männer,  die  des  Lesens  und  Schulen  vier,  seltener  drei  oder  fünf. 
Schreibens  kundig  waren,  die  Schul-  Vormittags  begann  derllnterrichtiur 
Haltung  auf  sich;  besassen  sie  wirk-  Sommerszeit  um  6  oder  7,  sogar  um 
lieh  Kenntnisse  ,  so  fanden  sie  5  Uhr,  im  Winter  eine  Stunde  später, 
gleichzeitig  andere  Verwendung,  Schulprüfungen  kennt  das  Mittelaltar 
z.  B.  als  Schreiber  im  Dienste  der  nicht;  diese  sowohl  als  die  Schul- 
Stadt  oder  Ortschaft,  und  diese  be-  prämien  kamen  erst  in  der  Refor- 
lohnte  unter  Umständen  treue  und  mationszeit  auf.  Auch  von  Schul- 
ausdauernde  Dienste  mit  dem  Bür-  ferien  wusste  man  nichts;  sogar  an 
gerrecht.  Eine  Schulpflicht  für  die  den  auf  Wochentage  fallenden 
Kinder  bestand  in  keinem  Fall,  kirchlichen  Feiertagen  fand  z.  B.  in 
um  so  weniger,  als  mancherorts  der  Nürnberg  regelmässig  Schulunter- 
Schullohn  ausschliesslich  aus  dem  rieht  statt.  Dagegen  hatte  der 
Schulgeld  der  Kinder  bestand;  eben-  Lehrer  fast  überall  das  Recht,  den 
sowenig  eine  festgesetzte  Schul-  j  Schülern  einmal  einen  oder  mehrere 
dauer;  doch  mag  die  ursprüngliche  :  freie  Wochentage  ..durch  lust  und 
Bedeutung  des  6.,  oder  7. — 12.  Le-  spils  willen  irem  Übe  zu  trost"  zu 
bensjahres  auch  hier  meist  mass-  gewähren;  manchmal  Hess  sich  der 
gebend  gewesen  sein.  Auch  städti-  Lehrer  dafür  von  den  Schülern  be- 
sehe Madchenschulen  hat  es  vor  zahlen.  Desto  grösser  war  die  Be- 
der  Reformation  gegeben.  deutung  der  Schulfeste;  es  waren 
Sehr  alt  war  das  Institut  der  das  namentlich  das  Crreqoriusfest 
Chorschüler;  zwar  nahm  die  ganz?  (siehe  den  besondern  Artikel),  die 
Schule  am  Kirchengesange  teil;  für  Schulkomödien  und  das  Virgatum- 
ausserordentliche  Leistungen  aber,  ■  Gehen.  In  manchen  Städten  war 
bei  Trauungen ,  Beerdigungen  und ;  es  nämlich  von  alter  Zeit  her  ge- 
dergleichen,  genügte  ein  aus  den  '  bräuchlich,  dass  an  einem  Sommer- 
ärmern  Schülern  gebildeter  Chor,  tage  die  ganze  Schuljugend  in  den 
in  den  Stiftsschulen  teils  Pannenses  t  Wald  zog,  um  die  nötigen  Ruten 
oder  Brotschüler  genannt,  d.h.  solche,  I  herbeizuschaffen ;  dieses  heisst  der 
die  regelmässig  bloss  Brot  erhielten, 1  Rutenzug  oder  das  Virgatnm-  Gehen 


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Schürze.  —  Schützenfeste. 


911 


und  war  ein  Fest  der  Freude;  die; 
Jugend  führte  dabei  allerlei  Spiele  ' 
auf  und  liess  sich  von  Eltern  und  i 
Lehrern  bewirten. 

Was  die  Lehrlnicher  betrifft,  so 
trat  an  die  Stelle  der  alten  Gramma- 
tiker etwa  seit  1240  das  Doctrinale 
puerorum  des  Alexander  von  Ville- 
dieu  (de  villa  DeiJ,  eine  Grammatik 
in  Versen  und  Reimen  von  übler 
Beschaffenheit;  ein  Buch,  von  dem 
im  15.  Jahrhundert  mehr  als  50  Auf- 
lagen erschienen  sind;  es  zerfiel  in 
drei  Teile:  Etymologie,  Syntax  und 
Pronunziation.  Andere  Lehrbücher 
für  den  lateinischen  Unterricht  waren 
die  Gemma  Gemmarum,  das  Catho- 
licon  (von  dem  Dominikaner  des 

14.  Jahrhunderts  Job.  de  Balbis), 
der  Modus  latinitatis.  Ein  Schul- 
buch dieser  Zeit  ist  auch  der  Cisio- 
Janus,  ein  aus  24  lateinischen 
Versen  bestehender  Festkalender, 
der  vielleicht  schon  im  10.  oder  11. 
Jahrhundert  entstanden  ist.  Ein  viel 
umfassendes  Schulbuch  war  die 
Margaritha  philosophica  des  Kar- 
thäusers  Gregor  Ketsch ,  Ende  des 

15.  Jahrhunderts,  die  in  12  Büchern 
grammalicae  rudimenta  (in  Versen), 
dialecticae  principia,  rhetoricae  par- 
tes, arithmeticae  species ,  musicae 
principia  (mit  Noten),  geometriae 
elementa,  astronomia*  theorematica, 
naturalis  philosoyhicae  principia,  al- 
chimiae  principia,  einiges  de  anima 
und  deprincipiis  philosophiae  darbot. 
Die  Buchdruekerkunst  warf  sich 
schnell  anf  die  Verbreitung  dieser 
Bücher. 

Zu  einer  rationellen  Vervoll- 
kommnung erhob  sich  endlich  das 
Schulwesen  durch  den  Humanismus; 
hier  erst  wurde  es  zugleich  höhere 
Erziehung.  In  Italien  sind  es  na- 
mentlich zwei  vortreffliche  Männer, 
Vittorino  da  Feltre  und  Guarino 
von  Verona,  welche  diesen  Zug  des 
Humanismus  wirklieh  schön  ausge- 
prägt haben.  Auf  deutschem  Boden 
bemächtigten  sich  zuerst  und  mit 
grossem  Erfolg  die  Brüder  vom  ge- 


meinsamen Letten  (siehe  den  beson- 
deren Artikel )  oder  die  Hicronymianer 
dieser  Aufgabe;  ihnen  folgen  andere 
Humanisten  kreise,  namentlich  in 
den  Rheinlanden,  wo  u.a.  die  Schlett- 
stadter  Schule  eine  Zeitlang  zu 
hoher  Blüte  gedieh.  Die  Wirksam- 
I  keit  der  Humauisten  wurde  jedoch 
in  Deutschland  schnell  durch  die 
Reformation  gehemmt  oder  wenig- 
stens in  mehr  kirchliche  Bahnen 
gezogen.  Es  ist  bekannt,  wie  Luther 
und  Melanchlhon  die  Neubegründer 
der  deutschen  Schule  geworden 
sind,  jener  mehr  für  die  Volksschule, 
dieser,  auf  dem  Boden  des  Huma- 
nismus weiter  bauend,  mehr  für  die 
Gymnasien  und  den  höheren  Unter- 
richt. Mit  Benutzung  von  Kämmet, 
Artikel  Mittelalterliches  Schulwesen 
in  Schmidt  Encyklopädie  des  Er- 
ziehungswesens, Bd.  IV,  S.  766  bis 
816;  Ebenderselbe:  Geschichte  des 
deutschen   Schulwesens   im  Über- 

fang  vom  Mittelalter  zur  Neuzeit, 
■eipzig  1882;  Hunziker,  Geschichte 
der  schweizerischen  Volksschule, 
Zürich  1881,  Vorgeschichte,  und 
Kriegk,  Deutsches  Bürgertum,  II. 
Abschn.  4. 

Schürze.  Als  Schutzmittel  bei 
der  Arbeit  ist  die  Schürze  schon 
aus  dem  frühereren  Mittelalter  be- 
kannt ;  als  Kleidungsstück  der  Frauen 
und  Jungfrauen  tritt  sie  um  die  * 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  auf. 

Schüsseln  verlangten  ihrem 
Zweck  gemäss  eine  mehr  oder 
minder  tiefe  Schaleuform.  AlsTisch- 
gefässe  waren  sie  schon  in  früherer 
Zeit  irden,  als  kirchliche  Gefässe 
metallen  und  zwar  je  nach  Ver- 
mögen und  Zweck  von  Gold,  Silber, 
Zinn  oder  Kupfer,  letztere  dienten 
entweder  zur  Aufnahme  der  Hostie 
oder  dann  einfach  als  Waschbecken 
für  die  Priester. 

Schützenfeste,  früher  Schiessen, 
Freischiessen,  Geselle nschiessen  ge- 
nannt, sind  gegen  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts nachweisbar;  sie  hängen 
teils  mit  der  Aufnahme  der  Arm- 


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912 


Schützenfeste. 


brüst,  teils  mit  dem  in  den  Städten  I  Mantel  für  die  feierlichen  Kirchen- 
erwachenden Volksgeist  und  der  gänge  übrig;  den  Schützenkönig 
Freude  an  gemeinsamer  Festlust,  zeichnete  bald  das  Zepter  mit  dem 
teils  mit  den  ältern  Turnieren  zu-  j  silbernen  Vogel,  bald  die  Ehrenkette 
sammen,  von  denen  einzelne  tech-  mit  dem  Kleinod  aus;  die  Schützen- 
nische Ausdrücke ,  wie  „rennen",  ältesten  trugen  den  Gildestock, 
„stechen"  in  die  Sprache  der  Ge-  Die  Aufnahme  in  die  Zahl  der  brüder, 
sellenschiessen  tibergehen.  Seitdem  schiitzenbrüder ,  kumpane,  gesellen, 
13.  Jahrhundert  veranstalteten  die  gemein  schiessgeseflen ,  war  in  der 
wehrpflichtigenStadtbewohnerregel-  Kegel  durch  ehrlich  Geschlecht  und 
massige  Übungen  im  Gebrauche  der  Herkommen,  einen  ungetrübten  Leu- 
Armbrust,  die,  vom  Rate  oft  unter-  mund  und  den  Besitz  des  städtischen 
stützt,  eine  regelrechte  Gestaltung  Bürgerrechtes  bedingt  und  erfolgte 
annahmen.  Bald  trat  wie  bei  allen  gegen  Erlegung  einer  Einkaufs- 
derartigen Verbindungen  des  Mittel-  gebühr  in  die  Lade.  Das  oberste 
alters  neben  das  militärisch-soziale  Gebot  in  den  Schätzen  -  Satzungen 
ein  religiöses  Element.  Ungefähr  war  gesittetes  Betragen  und  ruhiges 
seit  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  friedliches  Verhalten  gegenüber  den 
traten  die  Schützen- Brüderschaften  Genossen  sowohl  als  auf  dem  Schiess- 
ais äusserlich  abgeschlossene,  orga-  platze  und  im  Gesellen- Zelte.  Bei 
nisch  geordnete  Körperschaften  her- 1  dem  Tode  eines  Gildenbruders  oder 
vor.  Seit  der  Erfindung  des  Schiess-  seiner  Hausfrau  hatten  sämtliche 
pulvers  traten  zu  den  ältern  Stahl-  Glieder  der  Brüderschaft  dem 
oder  Rüsfungsschiifzen  die  jüngern  Leichenbegängnisse  beizuwohnen. 
Büchsenschützen.  Durch  landesfürst-  Eines  Freiscniessens  wird  aus  dem 
liehe  Gnadenbriefe  empfingen  sie  !  Jahr  1387  zu  Magdeburg,  1394  eines 
mancherlei  Freiheiten  und  gaben  solchen  zu  Turnay  in  den  Nieder- 
sich  eigene  Willküren  oder  Statuten,  landen  erwähnt.  Von  da  an  sind 
Der  gewöhnliche  Name  war  Sankt-  sie  auch  in  Süddeutschland  ganz 
Sebastians  -  Brüderschaft,  Sankt-  i  gewöhnlich;  um  1500  erreichen  sie 
Sebastians -Schützen.  Jede  Brüder-  ihren  Höhepunkt  und  zeigen  vor 
schaft  hatte  ihre  eigene  Kapelle  dem  30jährigen  Krieg  Spuren  des 
oder  wenigstens  einen  eigenen  Altar.  Verfalls.  Die  Schiessen  waren  ein 
Die  Gesellschaftsschiessen  waren  beliebtes  Mittel,  der  Politik  uachzu- 
teils  engere  Schiessen  nach  dem  helfen  und  ihr  Nachdruck  zu  ver- 
vogel  oder  schiebe,  sog.  schiesslagr,  schaffen;  gemeinsame  Interessen 
an  denen  höchstens  um  geringe  wurden  ausser  dem  Schiessstand  be-- 
Gewinnsto,  rortel,  meist  umb  die  sprachen.  Reden  gehalten;  nach 
hosen  oder  um  ein  zinnern  kandet  einem  Krieg  fanden  sich  die  Feinde 
geschossen  wurde;  teils  das  solenne  am  ehesten  wieder  auf  dem  Schützen- 
Gesellen-Freischiessen.  Ausserdem  platz.  Oft  war  die  Zahl  der  einge- 
Ehrenkönige  als  Jahres-Prasidenten  ladenen  Orte  sehr  gross,  bia  200, 
hatten  die  Brüderschaften  ordent-  und  dem  ein  besonderer  Preis  aus- 
liche Vorsteher,  Beisitzerund  Pfleger,  gestellt,  der  am  teitesten  har  tum 
Jede  Gesellschaft  besass  ihr  eigenes  schiessen  kommen  icas.  Bei  dem 
Panner.  Die  Schützentracht  bestand  Ausschreiben  ward  bei  der  Armbrust 
in  älterer  Zeit  in  Eisenkappe  mit !  der  Umfang  des  Bolzens,  beim  Rohr 
Schulterkragen,  Streitkolben  oder  die  Schwere  der  Kugel  voraus  be- 
Pike, Ledervorschutz  und  Schild, '  stimmt,  ebenso  die  Entfernung  dea 
also  einer  vollständigen  Kriegs-  Schützenstandes  von  der  Scheibe, 
rüstung;  später  blieb  ausser  Wehr  wobei  die  Länge  des  üblichen 
und  Waffe  höchstens  ein  farbiger  Masses   in   schwarzer  Linie  dem 


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s 


Schwaben  spiegel.  9  i  3 


Briefe  aufgedruckt;  dito  die  Anzahl  sie  die  gleichen  Schüsse  gethan,  mit 
der  abzugebenden  Schüsse,  die  von  einander  stechen  müssen.  Jeder 
12  bis  etwa  40  variieren.  In  noch  Schütze  musste  beim  Beginn  des 
älterm  Gebrauch  als  die  Armbrust  Festes  einen  Geldbetrag,  den  Dop- 
steht der  Handbogen  mit  Pfeil;  dann  pel,  einlegen,  dessen  Betrag  von 
kommt  seit  1400  die  Armbrust;  bald  anfangs  2  Gulden  bis  auf  12  Keichs- 
naehher  tritt  die  Büchse  auf,  welche  thaler  stieg.  Grosse  und  kleine 
aber  an  Vornehmheit  noch  lange  Fahnen  gehörten  zu  allen  Preisen 
der  Armbrust  nachstand;  in  der  des  Hauptsehiessene.  Der  Preis 
Schweiz  namentlich  wird  die  Büchse  heisst  Abenteuer;  Hauptpreise  sind 
bevorzugt  und  hier  1472  das  grosse  ein  Widder,  ein  Ochs,  Pferd,  in  der 
Freiseinessen  zu  Zürich  nur  für  die  ,  Schweiz  ein  „Muni",  oft  mit  wert- 
Büchse  ausgeschrieben.  Uralt  war  vollem  Tuch  bedeckt;  Nebenpreise 
als  Ziel  der  Vogel  auf  der  Stange;  sind  ein  kleiner  Becher,  Silberschale, 
ihn  verdrängte  jedoch  im  grössten  Gürtel,  Armbrüste,  Schwert  und 
Teile  Deutschlands  die  Schiessmauer  namentlich  Stoff  zu  einem  paar 
oder  schwebende  Scheibe.  Die  Ent-  Hosen;  bald  kommen  auch  Gcld- 
fernung  des  Zieles  betrug  für  die  preise  auf.  um  löOOsind  IUI  Gulden 
Armbrust  340,  später  300  Fuss,  für  das  Beste,  dann  abwärts  bis  auf  1 
die  Büchse  durchschnittlich  6u0  bis  Gulden.  Die  Geldbetrage  werden 
760  Fuss  Die  Zielstatt  war  nament-  häufig  in  besondern  restmünzen 
lieh  für  die  Annbrustschützen  viel-  und  Medaillen  gezahlt,  deren  es 
fach  geschmückt,  als  Holzbau  mit  grosse,  kleine,  vergoldete,  häufig 
Thtiren  und  Stockwerken,  mit  Tri- .  drei-  und  viereckige  gab,  s.  g.  Klip- 
umphbogen,  einem  Tempel  mit  pen.  Der  letzte  Schütz,  Oer  auf 
Kuppeltürinchen,  mit  Wappen  und  einen  Gewinn  Anspruch  machen 
Figuren  verziert  dargestellt;  zuoberst  konnte,  erhielt  unter  vielen  Gratu- 
ein  künstliches  Uhrwerk,  darauf  lationen  des  Pritschmeisters  ausser 
eine  bewegliche  geschnitzte  Figur,  .  der  kleinsten  Geldprämie  eine  Sau, 
oft  Fortuna  auf  einer  Kuppel.  Sehr  mit  einer  Fahne,  auf  der  dieses 
wichtig  waren  bei  jedem  Feste  die  Thier  abgebildet  war.  Neben  dem 
Pritschmeister,  welche  das  Amt  des  Wettschiessen  waren  „offene  Spiele'' 
Ausrufers,  Stegreifdichters,  Polizei-  eingerichtet,  Steinstossen,  Springen, 
beamten  und  Po-senreissers  in  sich  Laufen,  < las  letztere  für  die  Gesellen 
vereinigten;  sie  wurden  oft  von  der  und  für  die  „Frauen'';  auch  Rosse- 
Fremde,  namentlich  aus  Nürnberg  rennen  kamen  vor,  sogar  Ringen 
oderAugsburg,  verschrieben.  Siebner  und  Tanzen  erhielten  wohl  Preise; 
und  Neuner  heissen  die  obersten  in  Augsburg  erhielt  150S  auch  der 
Richter  nach  dem  Schiessrecht, '  einen  Preis,  der  dem  Volk  die 
welchen  auch  die  Prüfung  der  grosste  Lüge  erzählen  konnte.  Früh 
Waffen  obliegt.  Es  war  das  Be-  spielte  bei  den  Freischiessen  der 
str«  ben,  so  viele  Schützen  als  möglich  Glückstopf  oder  Glückshafen,  das 
mit  Preisen  zu  versehen;  so  erhielt  Lotto,  eine  Rolle;  es  erscheint  schon 
der  beste  Sehuss  jedes  Kennens,  der  14H7  auf  dem  Armbrustschiessen  zu 
„Zweckschuss"  seinen  Preis;  dann  München.  Meist  nach  Gr,  Freitag, 
wer  die  meisten  Schüsse  zunächst  Bilder  aus  der  deutschen  Vergangen- 
am  Nagel  gethan;  die  Hauptge-  heit,  11,  2,  aus  dem  Jahrhundert 
winne  aber  waren  für  diejenigen  der  Reformation,  Abschnitt  10,  die 
Schützen ,  denen  am  Entie  des  WalTenfeste  des  Bürgers,  und  Geng- 
Schiessens  die  meisten  Zirkelschüsse  (er,  deutsche  Städte-Altertümer,  Ex- 
zusammenaddiert  wurden.     Ritter-  kurs  IX. 

schützen  heissen  die,  welche,   weil       Schwabcnspiegel.    Die  Bedeu- 
Reoüexlcon  <3er  deutschet!  Altertümer.  53 


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914 


Schwanjungfrauen.  —  Schweisstuch  Christi. 


tung,  welche  der  Sachsenspiegel 
schnell  in  Norddeutschland  gewann, 
veranlasste  auch  süddeutsche  Be- 
arbeitungen dieses  Rechtsbuches. 
Deren  erste  ist  der  Deutsch  enspiegel 
oder  der  Spiegel  deutscher  Leute, 
unvollendet  und  zum  teil  bloss  eine 
oberdeutsche  Übersetzung  des  nieder- 
deutschen Vorbildes;  an  einzelnen 
Stellen  sind  andere  Quellen  benutzt, 
römisches  und  kanonisches  Recht, 
die  Lex  Alemannorum,  das  Frei- 
burger Stadtrecht,  die  Bibel,  die 
Kaiserchronik  u.  a.;  es  ist  wahr- 
scheinlich, dass  er  um  die  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  in  Augsburg  ent- 
standen ist.  Ausgabe  von  Picke  r, 
1859.  Während  dieser  Deutschen- 
spiegel bald  vergessen  wurde,  er- 
langte eine  zweite  oberdeutsche  Be- 
arbeitung des  Sachsenspiegels,  der 
Schwabe nspiegel ',  in  allen  Teilen  Süd- 
deutschlands eine  weite  Verbreitung 
und  grosses  Ansehen  in  den  Ge- 
richten. Er  zerfällt  wie  der  Sachsen- 
und  der  Deutschenspiegel  in  Land- 
recht  und  Lehnrecht.  Der  Schwa- 
benspiegel wird  von  dem  Verfasser 
selbst  landrechthuoch  genannt,  in 
den  Handschriften  Xana-und  Lehn- 
rechtbuch, Kaiser  KarU  Recht  (für 
das  Landrecht),  Kaiser  Friedrichs 
Recht  (für  das  Lehnrecht),  Kaiser- 
recht, in  den  ältesten  Ausgaben 
Striegel  kaiserlichen  und  qemeinen 
Landrechts;  der  Name  Schwalten- 
Striegel  stammt  von  Goldast,  der 
aas  Buch  zwar  in  der  Ausgabe  von 
1600  Kaiserliches  Land-  und  L.ehn- 
recht  nannte,  am  Rande  aber  Schwa- 
benspiegef  hinzufügte.  Der  Ver- 
fasser des  Schwabenspiegels  kannte 
den  Sachsenspiegel  selbst  nicht;  er 
benutzte  ihn  vielmehr  bloss  in  der- 
jenigen Gestalt,  welche  er  im  Deut- 
schenspiegel durch  Bearbeitung  und 
Verbindung  mit  andern  Quellen  ge- 
wonnen hatte;  ausser  den  Quellen, 
welche  schon  der  Deutschcnsniegel 
neu  herangezogen  hatte,  sind  hier 
noch  andere  selbständig  benutzt,  die 
Lex  Bajurariorum  (siehe  Leget  Bar- 


barorum), die  Kapitularien,  Reichs - 

Sesetze,  das  Augsourger  Stadtrecht, 
listorische  Schriften,  der  Freidank, 
Predigten.  Die  Tendenz  des  Ver- 
fassers ist,  das  allgemeine  deutsche 
Recht  darzustellen,  das  er  aber 
weniger  im  Gewohnheitsrecht  eines 
bestimmten  Volkes,  als  vielmehr  im 
mosaischen  Gebot,  im  römischen 
Recht  und  dem  Recht  Karls  des 
Grossen,  im  Dekret  und  den  Dekre- 
talen  findet.  So  ist  denn  seine  Ar- 
beit mehr  eine  gelehrte,  aus  Büchern 
geschöpfte,  welche  der  Rechtsbildung 
der  Zeit  gemäss  voll  von  Wider- 
sprüchen und  Missverständnissen 
sein  musste.  Gegenüber  der  freieren 
weltlichen  Auffassung  Eikes  von  Rep- 
gowe  ist  der  Verfasser  des  Schwaben- 
spiegels mehr  der  päpstlichen  Partei 
zugewandt  Wie  der  Sachsenspiegel, 
zerfallt  auch  der  Schwabenspiegel 
nur  in  Artikel  oder  Kapitel,  nient 
in  Bücher.  Die  Entstehung  wird 
zwischen  1273—1282  gesetzt.  Der 
Verfasser  ist  unbekannt;  er  lebte 
in  Schwaben  oder  Bayern,  vielleicht 
wie  der  Berarbeiter  des  Deutecben- 
spiegels  in  Augsburg.  Der  Schwa- 
benspiegel ist  in  verschiedenen  Mund- 
arten überliefert,  überwiegend  jedoch 
in  mittel-  und  oberdeutschen  Idi- 
omen, doch  gibt  es  auch  nieder- 
deutsche Handschriften.  Überhaupt 
aber  ist  die  Zahl  der  Handschriften 
eine  sehr  grosse  und  ihr  Text  ein 
überaus  verschiedener;  Homever 
zählt  .220  bekannte  Handschriften 
auf.  Alteste  datierte  Ausgabe  Strass- 
burg  1440.  Ausgaben  des  Land- 
rechts von  Lassfjerg,  1840;  TT. 
Wackernagel,  1840,  Gengier,  1851. 
Nach  6VoW>V,Geschichte  derdeutsehen 
Rechtsquellen.  Bd.  I. 

Schwanjungfraueu,  siehe  Wal- 
küren. 

Schweisstuch  Christi  jralt  als 
eine  der  wertvollsten  Reliquien;  die 
h.  Veronika  begleitete  nach  der 
Legende  Jesum  zur  Richtstätte  und 
reichte  ihm,  da  sie  ihn  schwitzen 
und  bluten  sah,  ein  dreimal 


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915 


sammengesetztes  Tuch  dar,  in  das 
er,  als  er  sich  abtrocknete,  aus 
Dankbarkeit  dreimal  sein  Bildnis 
abdrückte.  Mit  einem  dieser  Ab- 
drücke heilte  Veronika  den  Kaiser 
Tiberius  von  einer  schweren  Krank- 
heit; später  kam  er  in  die  Hände 
eines  Papstes  und  zuletzt  durch 
Konstantin  den  Grossen  an  die 
Kirche  des  h.  Petrus  zu  Horn;  ein 
zweiter  Abdruck  blieb  in  Jerusalem, 
ein  dritter  kam  nach  Spanien.  Auch 
Turin  und  Besancon  wollten  dieselbe 
Reliquie  besitzen. 

Sehwert.  Wie  aus  der  Römer- 
zeit, so  sind  aus  den  merovingischen 
Funden  längere  und  kürzere,  ein- 
und  zweischneidige  Schwerter  zu 
Hieb  und  Stich  zu  unterscheiden, 
die  einen  mit  langer  zweischneidiger 
Klinge  und  kurzem  Griff,  die  andern 
mit  kurzer  einschneidiger  Klinge  und 
langem  Griff. 

Das  lange  Schwert  ist  nach  grie- 
chischen und  römischen  Berichten 
die  Waffe  der  Völker  des  Westens 
und  Nordens.  Es  ist  oft  von  der 
ungefügigsten  Länge  und  für  den 
Stoss  zu  wenig  widerstandsfähig, 
denn  es  biegt  sieh.  In  den  mero- 
vingischen Gräbern  trifft  man  die 
spata  selten,  da  sie  als  ein  köstliches 
Erbstück  hoch  geschätzt  wurde.  Sie 
hatte  eine  Länge  von  2,/4  bis  3 Vi 
Fuss  bei  einer  Breite  von  2  bis  3 
Zollen. 

Das  kurze  Schwert  fteramateutu» 
oder  semispata)  ist  einschneidig, 
schmal,  messerartig,  bis  2  Fuss  lang 
und  l1/*  Zoll  breit  mit  4  Linien 
breitem"  Rücken,  dem  heutigen 
Weidmesser  oder  Hirschfänger  nicht 
unähnlich.  Das  Langschwert  wurde 
an  einem  Gürtel  an  der  linken  Seite 
getragen,  das  Halbschwert  (Sax)  an 
der  rechten,  in  der  Regel  mit  Ketten 
am  Ringhemd  befestigt. 

Mit  Beginn  der  eigentliehenRitter- 
zeit  verschwindet  die  Führung  zwie- 
facher Schwerter  und  an  die  Stelle 
des  Sachs  tritt  öfters  nur  ein  Dolch 
oder   Messer.     Gleichwohl  erhielt 


sich  der  Ausdruck  sahs  noch  längere 
Zeit  bei  den  ältern  Dichtern,  bis  er 
sich  bei  den  jüngem  auf  die  Be- 
deutung Messer  beschränkt.  Dichter 
übertreiben  die  Struktur  und  Grösse 
der  Schwerter  oft  und  lassen  sie 
auf  die  wunderlichste  Art  entstehen. 
Glaublich  aber  ist,  dass  ein  starker 
Arm,  verbunden  mit  einer  aufs 
höchste  gesteigerten  Kampf wut  man- 
chen „Schwabenstreich"  ausgeführt, 
der  Erstaunen  erregte  und  besungen 
zu  werden  verdiente.  Die  Haupt- 
tugenden des  Schwertes  sind  Schärfe, 
Härte  und  Stärke.  Die  Schneide 
heisst  ecke,  egge ;  die  Blut  rinne  durch 
die  Mitte  heisst  valz;  der  Grift  heisst 
ahd.  helza,  ags,  helt,  hielt,  altn.  hialt, 
mhd.  heize,  gehilze,  helza.  Er  ist 
bald  länger,  bald  kürzer  und  oft 
mit  Gold,  P  erlen  und  Edelsteinen 
geschmückt.  Beim  Beginn  de» Griffes 
verwandelt  sich  die  Klinge  in  einen 
festen,  starken  Stab,  der  in  einem 
Knopf  von  Eisen  oder  andern  Me- 
tallen sich  schliesst,  während  der 
Stab  oft  mit  Leder  oder  Lein- 
wand überzogen  ist.  Die  scra- 
maaajre  haben  statt  des  Knopfes 
oft  eine  höchst  einfache  Befestigung 
der  Klinge  an  dem  Griff,  indem  die 
Angel  einfach  durch  die  Holzhülse 
geschoben  und  umgenietet  wird. 
Parierstangen  (zum  Schutz  der  Hand) 
finden  sich  weder  am  Knauf  der 
spata,  noch  des  seramasajr,  wohl  aber 
am  Rittersehwert,  und  zwar  stehen 
senkrecht  zum  Griff  und  bilden 


mit  diesem  ein  Kreuz,  oder  sie  sind 
etwas  gegen  die  Schneide  gebogen, 
oft  auch  s  förmig.  Die  Scheide  war 
schon  früher  ein  notwendiges  Zu- 
behör. Sie  bestand  aus  Holz  mit 
Leinen-  oderLederüberzug.  Metallene 
Scheiden  waren  durch  das  ganze 
Mittelalter  sehr  selten.  Die  Schwert- 
fessel (swertfczzcl)  ist  der  um  die 
!  Hüften  geschlungene  Gürtel,  an 
welchem  das  Schwert  getragen  wird, 
das  eigentliche  cingulum  militare, 
dessen  Umgürtung  beim  Ritterschlag 
feierlich  geschah.  Es  war  von  Leder, 

58* 


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916 


Sehwertmag.  —  Seewesen. 


doch  mit  lammet,  Borten  und  Edel-       Sehwertmag,  .siehe  Familie, 
steinen  oft  reich  verziert.  Vieelserüt,    Seclliaus,  Seel- 

Der  J}usvh  (bauch  i  scheint  ein  bau".  Mhd.  selqeraete,  zu  das  pe- 
hölzernes  Schwert  oder  ein  Stock  raete,  dem  Kollektiv  zu  rat  =  Vor- 
gewesen zu  sein,  dessen  sich  die  sorge,  Ausrüstung,  Vorrat  ist,  was 
Jugend  bei  den  Fechtübuugen  man  zum  Heil  der  Seele  (seiner 
l  Steckenspiele  i  bediente.  oder  anderen  einer  geistlichen  An- 

Maunigfach   ist  die  symbolische  stalt  für  Seelenmessen  und  dcrglei- 

Bedeutung  des  Schwertes.    Es  ist  eben  vermacht.     Mhd.  selnti*,  ist 

der  unzertrennliche   Begleiter  der  ein  Haus  oder  eine  Wohnung,  die 

Person  und  hat  seinen  eigenen  Xa-  jemand    zum  Heil   der  Seele  für 

men   und  seine  eigene  Geschichte;  ärmere,    unverehelichte  Personen 

als  Familienerbstück  geht  es  von  weiblichen    Geschlechtes  gestiftet 

Geschlecht  zu  Geschlecht.    In  nor-  hat,  die  unter  dem  Namen  sefnnn- 

dischen  Liedern  ist  es  eine  Schlange,  nen ,  selswesfern,  sei fr'* treu,  selwiber 

die  zischend  unter  die  Feinde  fahrt,  in  Gemeinschaft  darin  lebend,  für 

Die  Schwertsaqe  ist  in  erster  Bc-  die  Abgeschiedenen  zu  beten  hatten, 
deutung  der  Weihe*  und  Segens- ,  So  heisst  Seelb  d  das  Bad,  welches 

Spruch,  welcher  bei  Umgürtung  des  jemand    zum   Heil   der   Seele  für 

Schwertes   über  den  jungen  Ritler  Arme  gestiftet  hat,  entweder  ein 

ausgesprochen   wird   vom  Priester  einzelnes  am  Jahrestag  seines  Todes 

oder   Fürsten.    In   zweiter  Bedeu-  zu   bestreitendes,    oder  eine  f<»rt- 

tung  ist  es  der  auf  der  Klingt?  oder  währende  Anstalt, 
am   Grift'  eingegrabene,    oder    in        Seewesen.     Die  Entwickelung 

Goldschrift     angebrachte    Segens-  der  Marine  des  Mittelalters  sondert 

spruch,  wodurch  man  glaubte,  dem  sich  in  zwei  grosse  Hauptgruppen, 

Schwert  besonders  mystische  Kräfte  in  die  den  antiken  Traditioneil  fol- 

zu   verleihen,  oder  durch  den  der  gende  Mittelmeergruppe  und  in  die 

Führer  desselben  an  seine  Pflichten  Ozeangruppe,  der*  die  germanischen 

f ernannt  werden  sollte.  In  dritter  und  romanisch -keltischen  Völker 
tedeutung  ist  die  Schwertsage  die  angehören.  Der  Natur  des  stillern, 
Beschwörungsformel, welche  denBe-  buchtenreichen  Mittelmeeres  gemäss 
sprochenen  gegen  Verletzung  durch  bevorzugt  die  erste  Gruppe  die 
das  Schwert  sicher  stellen  soll.  Beim  Ruderschijfahrt,  die  zweite  der 
Kreuz  (das  Griff  und  Parierstange  Natur  des  Ozeans  gemäss  die  Segel* 
bildeten)  wurde  geschworen  und  schiJJ'ahrt  mit  Hochbordschiffen  von 
gebetet.  Wolfdietrich  legt  das  fester  Fügung.  Die  Kreuzzüge  be- 
schwert zwischen  sich  und  die  zau-  dienen  sich  des  Ruders;  das  Zeit- 
berische  Heidentochter  ins  Bette,  alter  der  Entdeckungen  lässt  das- 
dass  sie  ihn  nicht  verführen  kann:  selbe  dem  Segel  weichen. 
wer  pumpt  und  rvet  niete,  der  selb  Zur  Mitfelmcergruppc  zählen: 
rer&vhnetdet  sich.  —  Wer  sich  dem  1.  die  Byzantiner,  deren  Flotte 
Sieger  ergab,  der  ging  entweder  j  vom  4.  bis  lt>.  Jahrhundert  die 
ohne  Schwert  auf  denselben  zu  oder' erste  des  Mittelmeeres  war;  ihre 
er  fasste  es  bei  der  Spitze  und  Kiegsschiffe  hiessen  Drumoner,  eine 
reichte  demselben  den  Knauf.  Bei  kleinere  Gattung  Galeeren,  yaUat, 
den  Goten  scheint  Adoption  durch  das  heisst  Haifisch  (nach  anderer 
das  Srhwert  stattgefunden  zu  haben.  Erklärung  stammt  der  Name  aus 
Dasselbe  war  auch  Symbol  der  Ge-  einem  arabischen  Wort,  das  Bie- 
richtsbarkeit,  zumal  der  peinlichen  nenkorb  bedeutet,  siehe  Weigand). 
Gewalt  über  Leben  und  Tod.  2.  die  Araber  erscheinen  seit 
Nach  San-Marfe,  Waffenkunde,  dem  T.Jahrhundert  im  Mittelmeer; 


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Seewesen. 


911 


ihr  Einfluß  ist  in  einigen  aus  dem  derts;  es  ist  das  am  Hintersteven 

Arabischen  stammenden  Seewörtern  durch  starke  Haken  und  Finger- 

uoch  erhalten:  Admiral,  von  Amyr  linge   beweglich    befestigte,  meist 

=  Fürst;  Kabel,  von  kahl,  =  An-  aus  drei  Stücken  zusammengesetzte 

Jcertau:  Arsenal,  italienisch  darsena  Ruderholz.      Eine   Brustwehr,  die 

aus  d<\r-azzan's  =  Haus  der  Be-  den  Bord  umzog,  deckte  die  Ru- 

triebsamkeit;  kalfatern  von  qafafa  derer;    ausserdem    errichtete  man 

ss  ein  Schiff  verkitten,  und  Kur-  auf  dem  Schiff«-  turmartige  Schan- 

veffe  von  tjhorah  =  Rabe.  zen  oder  Kastelle. 

3.  die  Ifaliener,  namentlich  TV-,      4.  die  Katalanen ;  ihnen  verdankt 

itedia,   Genua,   Pisa   und  Amalfi.  das   Mittelalter  das   in  Barcelona 

Im  Gegensatz  zu  den  Byzantinern  entstandene    Libro  del  Consufado, 

und   den  Genuesen    scheinen  die  eine  Sammlung  der  Seegewohnhei- 

Venetianer  keine  Kriegsschiffe  von  ten,  das  erste  gemeine  Seerecht  des 

mehreren    übereinander    liegenden  Mittelalters   enthalten!;    auch  die 

Ruderreihen  gebaut  zu  haben;  viel-  Seeversicherung  ist  hier  zuerst  in 

mehr  entwickelt  sich  bei  ihnen  die  Anwendung    gekommen.  Gegen 

aus  dem  antiken  langen  Flaehschiffe,  Ende   des   15.  Jahrhunderts  nahm 

dem    Fünfzigruderer ,    abgeleitete  die   Bedeutung   der  katatonischen 

Form   der  Galeere  zu  der  Bedeu-  Marine  schnell  ab. 
tung  und  Gestalt,   die  ihr  bis  ins       Bei  den  Ozean-Völkern  unter- 

1$.  Jahrhundert  geblieben  ist.  Eine  scheidet,  Jahns: 
besonders  grosse  Form  hiess  Ga- '      1.  dieSüdgermanen  bh  auf  Karl 

Imzze.  Die  Cialeeren  waren  bedeckt  den  Grossen. 

und  auf  dem  Deck  sassen  die  Ru  \      Die  ersten  Nachrichten  über  die 
derer,   durch  einen  Mittelgang  ge- ,  Schiffahrt   deutscher  Stamme  be- 
trennt;  auf  eine  Bank  kamen  zwei,  zb'hen    sieh    auf  Binnenschiffahrt, 
drei,  sogar  vier  Ruder,  zu  welchem  Roh  ausgehöhlte  Baumstämme,  be- 
Zw eck  di«*  Bänke  schräg  gegen  den  sonders    eschene,    vermochten  30 
Bord  standen.    Später  zog  man  es  bis  40  Menschen  zu  tragen.  Den- 
vor,  die  Bänke  gerade  gegen  den  noch   stellten   sieh   die  Germanen 
Bord  zu  stellen  und  zwei  bis  fünf  den    römischen    Flotten  entgegen 
Bankgenossen  an  einem  schweren,  und    wagten   Raubzüge    über  das 
meist  50  Fuss  langen  Ruder  arbei-  Meer  hin,   namentlich  werden  die 
ten  zu  la-sen,   so  zwar,   dass  das  Friesen  als  Seefahrer  gerühmt.  Die 
innere,    13  Fuss  lange  Stück,   da^  batavische  Flotte  bestand  überwie- 
st   Blei    ausgegossen    war .    im  gend    aus   Schiffen   mit   ein  oder 
Gleichgewichte  mit  dem  äusseren,  zwei  Ruderbänken,  zahlreichen  Käh- 
37  Fuss  langen  stand.  Die  gewöhn-  neu  und  buchten  R-uinschifien.  Man- 
Sehe  Galeere  hatte  auf  jeder  Seite  nigfaelie  buntfarbige  Segel  waren 
25  —  26  Ruder,   die  Ruderer  waren  aufgezogen.  Im  3.  Jahrhundert  be- 
meist    verurteilte  Verbrecher.    Für  sassen   die  Goten  auf  dem  Mittel- 
die  sogenannten  lateinischen   oder  meer  eine  anselmliche  Flotte.  Spä- 
dreiecki#<*n    Segel  waren   ein   bis  ter  traten  Franken  und  Sachsen  als 
iweL,   seltener  drei  Mäste  vornan-  Seefahrer  in  den  Vordergrund.  Die 
i-n;    der  Hauptmast   stand  in  der  Hauptarten   ihrer  Kriegsfahrzeuge 
Witte.    Die  Steuerung  geschah  bis  sind  die  von  den  Römern  Mvonaren 
nun  13.  Jahrhundert  durch  ein  oder  genannten  Schiffe   und   die  Kiele, 
rwei    grobe,    vom    Hinterteil    des  Die  Mijoparen  waren  leichte  Kriegs - 
•chiffee    n.us   regierte   Hader,  das  barken,  die  aus  Weiden-Flechtwerk 
mdeme  Steuerruder  erscheint  nicht  hergestellt  und  mit  Leder  überzogen 
or    dem    Ende   des    1J.  Jahrhun«  wurden.    Die  Briten    sollen  nach 


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J18 


Seewesen. 


Plinius  auf  solchen  Schiffen  bis 
nach  Norwegen  und  Island  gefahren 
sein.  Die  Kiele  waren  grössere 
Langschiffe,  welche  ein  Segel  führ- 
ten; auf  solchen  fuhren  Casar  und 
Claudius,  später  die  ersten  Sachsen 
nach  Britannien.  Auch  dem  neuen 
Frankreich  mangelte  es  nicht  an 
Schiffen.  Karl  Martell  suchte  die 
Friesen  zu  Schiffe  auf,  und  Karl 
der  Grosse  erliess  wiederholte  Be- 
fehle, Schiffe  zu  bauen  und  zu  be- 
mannen, doch  scheint  es  nicht  zu 
genügenden  Anordnungen  Über  Be- 
mannung und  Führung  der  Schiffe 
gekommen  zu  sein. 

2.  die  Skandinavier.    Nach  Ta- 
citns  Germ.  44  waren  die  Suino- 
nen,  d.  h.  die  Bewohner  Skandina- 
viens, mächtig  durch  ihre  Flotten. 
Ihre  Schiffe  waren  auf  beiden  Sei- 
ten  spitz   und  dadurch  geeignet, 
beliebig  mit  der  einen  oder  der 
anderen    den   Strand  anzulaufen. 
Sie  bedienten  sich  weder  der  Segel, 
noch  versahen  sie  das  Schiff  mit 
festen  Ruderbänken.    Das  Steuer 
bestand  aus  zwei  grossen  beweg- 
lichen Schaufelrudern.  Ausgiebiger 
werden  die  Nachrichten  erst  für 
die  Xormannenzei/ ;  die  grösste  Art 
der    normannischen  Kriegsschiffe 
hiess  Drachen,  wahrscheinlich  weil 
am  Vorderteil  ein  geschnitzter  Dra- 
chenkopf   angebracht    war,  der 
dazu  diente,  die  Feinde  zu  schrecken 
und   deren  Schutzgeister  zu  ver- 
scheuchen.   Ein  besonders  grosser 
Drache  wird  erwähnt,  der  auf  je- 
der Seite  34  Ruder  führte;  andere 
hiessen  Schnecken,  ursprünglich  = 
Schildkröte  oder  Schaltier,  daneben 
gab  es  viele  Gattungen  kleinerer 
Fahrzeuge.   Nach  alten  Bildern  auf 
Tapeten  und  Siegeln  sind  alle  nor- 
mannischen Schiffe  vom  und  hinten 
ganz  ähnlich  gebaut,  grössere  Hallen 
im  Deck,  unter  dem  die  Ställe  und 
Kammern  lagen;  gern  entfalteten 
die  Seekönige  an  ihren  Fahrzeugen 
grosse  Pracht:   vergoldete  und  be- 
malte Drachen-  und  Rosshäupter, 


in  christlicher  Zeit  Symbole.  Die 
Steuerung  geschah  durch  ein  an 
der  rechten  Seite  des  Fahrzeuge» 
angebrachtes  Schaufelruder.  Die 
Schiffe  hatten  nur  einen  Mast  und 
ein  grosses  viereckiges  Segel,  das 
Takelwerk  war  sehr  einfach,  an 
der  Mastspitze  wehte  eine  Flagge; 
die  Segel  waren  oft,  namentlich 
mit  Wappenfiguren,  bemalt  Übri- 
gens haben  die  Seefahrten  der  Nor- 
mannen die  Nautik  kaum  wesent- 
lich befördert;  es  scheint,  dass  sie 
nicht  einmal  diejenige  Stufe  der 
nautischen  Kenntnisse  erreichten, 
welche  die  Sachsen  schon  im  5. 
Jahrhundert  erstiegen  hatten. 

3.  Die  Deutschen.    I.  Die  vor- 
hansische  Zeit.    Erst  im  11.  Jahr- 
hundert, nachdem  die  Einfälle  der 
Normannen  auf  deutsches  Gebiet 
aufgehört  hatten,  begann  sich  der 
maritime  Geist  der  norddeutschen 
Küstenstämme  zu  regen.  Die  Bremer 
wagten  sich  als  Kauffahrer  und  Frei- 
beuter auf  die  Ostsee,  die  Kölner 
fuhren  nach  England,  die  Friesen 
drangen  als  See-  und  Küstenräuber 
ins  Alittclmeer;  an  der  Ostsee  ent- 
wickelte sich  eine  icendische  See- 
macht   deren    Mittelpunkt  Rügen 
war;  sie  erlag  schon  im  12.  Jahr- 
hundert den  Dänen.  Die  erste  grosse 
Seeunternehmung,  an  welcher  sich 
die  Deutschen  beteiligten,  war  der 
dritte  Kreuzzug;  Bremer,  Kölner, 
Flandrer,  Dänen  und  Friesen  zogen 
mit  94  Schiffen  an  die  Küste  des 
gelobten  Landes ;  am  fünften  Kreuz- 
zuge war  die  Beteiligung  der  deut- 
schen Seemacht  noch  viel  beträcht- 
licher; 50000  Friesen  nahmen  daran 
Anteil,  für  die  allein  die  Gebiete 
des  Kölnischen  Sprengeis  300  Meer- 
schiffe ausrüsteten.   Zu  gleicher  Zeit 
zogen  Niedersachsen  von  Lübeck 
aus  gegen  die  heidnischen  Livländer, 
setzten  sich  in  Riga  fest  und  be- 
freiten Lübeck  für  immer  von  der 
dänischen  Oberhoheit  (1234). 

Die  in  dieser  Zeit  in  deutschen 
Schriften  erwähnten  Fahrzeuge  Bind  r 


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Seewesen. 


919 


Der  Kiel,  im  Beowulf  ein  allge- 
meiner Ausdruck  für  Schiff  über- 
haupt; bei  mittelhochdeutschen 
Dichtern  bedeutet  Kiel  soviel  als 
Langschiff. 

Rocke,  ahd.  kocho,  mhd.  kocke, 
altholld.  kogghe,  niederd.  kogge,  be- 
zeichnet das'  massiv  gebaute,  hoch- 
bordige  ,  vollbäuchigo  Fahrzeug. 
Seit  dem  Ausgang  des  13.  Jahr- 
hunderts war  die  Kogge  in  den 
nördlichen  Gewässern  das  eigentliche 
Schlachtschiff;  vorn  und  hinten  trug 
sie  kastellartige  Erhöhungen,  welche 
gleich  dem,  einem  kleinen  bezinnten 
Turme  nachgebildeten  .Mastkorbe, 
mit  der  Elite  der  Mannschaft  besetzt 
wurden.  In  der  Mitte  standen  die 
Bleiden  und  treibenden  Werke.  In 
Frankreich  entspricht  der  Kogge 
la  coque  und  la  nef.  Beides  waren 
reine  Segelschiffe  ohne  Ruder.  Die 
Nefs  hatten  ein  bis  drei  Decke,  ihr 
Rumpf  lud  vom  Kiel  her  weit  aus 
und  stieg  hoch  auf. 

Schnecke,  sniggi,  ist  die  nordische 
kleinere  Schwester  der  Galeere,  auf 
Segel  und  Ruder  eingerichtet,  lang 
und  schmal,  offen  und  seit  alter  Zeit 
in  stetem  Gebrauche. 

Die  Schute,  niederl.  schuit,  ist 
ein  Segelschiff  mit  Verdeck  als  ein- 
mastige Jacht  getackelt,  mit  einer 
Tragfähigkeit  von  12  bis  15  Last, 
für  den  kleinen  Küstenverkehr  an 
der  Nord-  und  Ostsee  noch  im  Ge- 
brauch. Der  Name  Schute,  eins 
mit  „Schus8".  deutet  auf  die  Ge- 
schwindigkeit hin. 

DivGaleerc,mh(\.galie,gale*e,galine, 
galeide,  mittellat.  galea,  engl,  galley, 
altfranz.  galee  ist  oben  beschrieben 
worden.  Andere  in  niederdeutschen 
Schriften  vorkommende  Namen  sind 
Börding,  Busen,  Einer  und  Esping 
für  Seefahrzeuge;  Kunkel,  Bolscip, 
Prahm,  (promptuarium),  Tungetship, 
Xankau,  Envar,  Kelze  für  Fluss- 
fahrzeuge. 

Von  mhd.  Dichtern  werden  ferner 
eine  Anzahl  fremder,  meist  franzö- 
sischer Schiffsnamen  gebraucht: 


Die  Vsniere,  Lastschiff  zum 
Kavallerietransport.  Hier  lag  der 
hui*,  d.  h.  die  Pforte  zum  Einschiffen 
der  Pferde,  am  Hinterteile  des 
Schiffes  und  zwar  unter  der  Wasser- 
linie, wurde  daher  nach  vollendeter 
Einschiffung  wasserdicht  verschlos- 
sen. Gewöhnlich  nahmen  sie  25 
Pferde  mit  voller  Fourage  auf. 

Treimunde,  Iragamunde,  wahr- 
scheinlich das  franz.  Dr&mon,  aus 
jenem  ältern  byzantinischen  Schißs- 
namen  entstanden. 

II.  Die  hansische  Zeit.  Schon 
1254  bestätigte  König  Wilhelm  von 
Holland  den  rheinischen  Bund,  der 
von  mehr  als  70  Städten  von  Basel 
abwärts  bis  Koblenz  geschlossen 
worden  war  und  eine  Bedeutende 
Schiffsstreitmacht  auf  dem  Rheine 
entwickelte.  Dauerhafter  als  dieser 
früh  verfallene  Bund  war  die 
Hansa.  Das  Wort  bedeutet  im  got. 
und  ahd.  eine  streitbare  Schar,  ags. 
h6s  gilt  von  einer  Schar,  einer  ge- 
schlossenen Vereinigung  überhaupt; 
als  kaufmännische  Vereinigung  mit 
bestimmten  richterlichen  Befugnissen 
erscheint  hans,  hanse  in  süddeutschen 
Handelsplätzen,  in  Regensburg  seit 
799.  „Hansen"  haben  im  ersten 
Drittel  des  12.  Jahrhunderts  ihr 
hanshus  in  London.  Aus  dem  ge- 
meinsamen Rechte  deutscher  Han- 
delsherren im  Auslande  nun  und 
aus  dem  Bündnisse  deutscher  Städte 
in  der  Heimat  erwuchs  nach  und 
nach  der  Hansabund.  Dem  bevor- 
rechteten „Stahlhofe"  der  Kölner 
Kaufleute  zu  London  schloes  sich 
Lübeck  an;  Lübecker  und  Ham- 
burger Häuser  gewannen  Privilegien 
zu  Brügge;  mit  den  wendischen  See- 
städten Rostock,  Wismar,  Stralsund 
und  Greifswald  schloss  sich  Lübeck, 
mit  den  Städten  Niedersachsens 
Hamburg  zusammen.  Zu  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts  vereinigten 
sich  beide  Gruppen,  worauf  bald  die 
westfälischen  mit  denen  Prcussens 
in  Verein  traten.  Diesen  Handels- 
bündnisien   zur  Seite  gingen  die 


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920 


Segen  ssprüe  he. 


grossen  Landfriedensbündnisse  von  binden  oder  verschliessen,  Waffen 
vorwiegend  militärischer  Bedeutung,  fest   oder  weich ,   Schwerter  taub 
ein  System  von  Bünden,  aus  denen  machen;  Knoten  schürzen,  die  Rinde 
sieh  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhun-  vom  Baum  lösen,  Saat  verderben, 
derts  der  Organismus  der  grossen  hösc  Geister   rufen    und  bannen, 
Hansa  darstellte.    Die  Sehiftsmann-  Diebe  binden.    Nach  heidnischem 
schaft  der   Hansatlotte   setzt    sieh  Brauehe  wurden  auf  Toteohfigelll 
fast  ausschliesslich  aus  Bürgern  zu-  und  (»rabern  Lieder  ausgesprochen, 
sammen;  die  Schwerbewaffneten  da-  damit  ein  Toter  Rede  stehe  oder 
gegen    waren    meist    Soldtruppen,  I  etwas  herausgebe.  Die  älteste  Form 
Kitterbürtige    mit    Knappen    und  der  Segen  ist  die  erzählende,  so 
Knechten.     Als    Leichtbewaffnete  zwar,    das«    immer  etwas  erzählt 
w  urden  Leute  des  gemeinen  Volkes  wird,  was  mit  dem  zu  besprechenden 
angeworben.    Die  Führung  lag  in  in   einer  gewissen  gleichlaufenden 
den  Händen  von  Ratmannen.  Neben  Beziehung  steht,  ursprünglich  dem 
der  geordneten  Heeresmaeht  geht  Kreise  des  Mythus,  später  dem  «1er 
die  Kaperei  her,  welche  die  Hansen  heiligen  Geschichte  und  Sage  »uler 
jedesmal  dann  begünstigten,  wenn  dem  Gebiete  der  natürlichen  Wirk- 
sie selbst  nicht  mehr  recht  leistungs-  lichkeit     (Mond  nimmt  zu,  Warze 
fähig  waren.    Jedes  KaufTartcischitf  nimmt   ab),    oder  der  dichtenden 
war  selbstverständlich  zu  jener  Zeit  Phantasie  entnommen;  auf  die  Er- 
wehrlich    gerüstet.      Nach    Jahns,  Zählung  kann  der  Befehl  kommen, 
Geschichte  des  Kriegswesens,  Seite  der  in  spätem  Segensformeln  oft 
1      —  1 2»i»> ,   wo   Seite   12GG-12-S  allein  herrscht,  indem  einfach  die 
auch    die    Franzosen,    Engländer,  Krankheit,  der  Dieb.  Dämon  und 
Portugiesen  und  Spanier  behandelt  dergl.    angeredet   und  beschworen 
sind.  Vgl.  .SV///  Harte,  Warfenkunde,  wird  zu  weichen.    Ursprünglich  ist 
Teil  I,  Abschnitt  2,  SeJiiJfiitcejiea  und  der  Beschwörungsspruch  in  allitterie- 
SckuftZ)  höfisches  Leben,  H,  Kap.  V.  render  Form  gehalten:    seit  dem 
SegeussprUclie.    Nach  dem  äl-  Untergang  dieser  Reimart  hat  er 
testen   wie   dem    neuesten   Volks-  sieh  in  prosaischer  Form  erhalten 
glauben  soll  in  dem  ausgesprochenen  oder  sich  dem  Nachfolger  des  Stab 
Segen  oder  Fluch  eine  unmittelbare,  reime»,  dein  Reimpaar  oJ«  r  Knittel- 
magische  Wirkung  liegen,  die  sieh  vers  anbequemt.    Die  ältesten  er- 
aber  nie  auf  allgemeine,  sittliche  halteuen  Segen,  welche  zum  Teil 
Dinge,  sondern  auf  die  zeitlichen  an  indische  Segenssprüche  erinnern, 
Vorteile  des  Menschen,  auf  Abwehr  sind  die  beiden  8.  g.  Merseburger 
von  zeitlichen  Übeln,  Erlangung  ir-  Zaubersprüche  auf  den  verrenkten 
dweher  Güter  und  Vollbringung  des  Fuss   eines    Pferdes  und   auf  die 
persönlichen   Hasses   bezieht.    Die  Fesseln  eines  Kriegsgefangenen;  es 
älteste  Form  des  Besegnens  (»der  folgen  dann  der  Wiener  Hundsegeii. 
Bespreehciis  ist  die  Rune  oder  das  Wurm-,  Blut-  und  Reisesegen  u.  a., 
Lied;  die>e  können  töten  und  vom  abgedruckt    bei    Miillmhoff  und 
Tode  wecken  wie  gegen  den  Tod  Srherer,  Denkmäler.     Darnach  soll 
sichern;  heilen  und  krankmachen,  die  Entstehung  der  meisten  christ- 
Wunden     binden,      Blut     stillen,  liehen  Segen  mit  Wahrscheinlichkeit 
Schmerzen  mildern.  Schlaf  erregen,  in  die  Zeit  fallen,  wo  mit  der  zweiten 
Feuer  löschen.  Meerstürme Bäuftigen,  Hälfte    des    11.  Jahrhunderts  die 
Regen  und  Hagel  schicken,  Bande  geistliche  Dichtung  in  der  Volk>- 
snrengen,  Fesseln  zerreissen.  Riegel  spräche  eiu»  n   neuen  Aufschwung 
abstossen.  Berge  öffnen  u.  sehliessen,  nahm  und  dann  bis  gegen  den  Ab- 
schätze aut'tluin.  Kreissende  ent-  gang  des  12.  Jahrhunderts  mit  Eifer 


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1 

Seinporfreie.  —  Sibyllen.  921 


penrJegt  wurde.  Oft  sind  in  ohrist- j  tionen  forthallen  Hess;  er  hiess  auch 
fiel  geformten  Segen  die  heidnischen  jubila  oder  juhihttt».  Softer  Bai- 
Grundlagen  noch  unverkennbar;  an  Indus  (gest.  912)  in  St.  Gallen  war 
Stelle  W  odans,  Donars,  der  Frigg  es,  der  diesen  Tonreihen  selb- 
traten  Christus,  Petrus  und  Maria,  ständige  Worte  unterlegte  und  zu- 
S>  bt  die  hiiufigp  Formel :  ..Christus  gleich  neue  Tonreihen  zu  obendem- 
Hnd  Petrus  gingen  über  Land44,  den  selben  Gebrauch  komponierte.  An- 
Wanderungen Wodans  mit  andern  fänglieh  immer  noch  als  Teil  des 
Göttern  eutnommen;  in  böhmischen  Mes-gesanges  vorgetragen,  lösten 
Besprechungen  der  Würmer  heisst  sie  sieh  mit  der  Zeit  davon  ab  und 
es:  „Es  war  eine  makellose  Jung-  braten  selbständig  auf.  In  den  Mess- 
frau Maria,  die  hatte  drei  eigene  bücheru  des  Mittelalters  mehrte  sich 
Schwestern:  die  eine  spann,  die  die  Zahl  dvr  Sequenzen  bis  auf  100; 
ander»*  wickelte  auf,  die  dritte  segnete  später  kamen  die  meisten  wieder  in 
die  Würmer44,  oder:  „die  heilige  Abgang:  Sequenzen  sind  u.a.  Veui 
Lucia  hatte  drei  Töchter:  die  erste  sanete  Spiritus,  T.auJa  Zion  safvtt- 
»l«ann,  die  zweite  wickelte  auf,  die  |  torem,  Stabat  mafer  und  Dir*  irae. 
dritte  weifte'4,  es  sind  Frigg  mit  Man  nimmt  an,  dnss  die  Sequenz 
den  drei  Nornen.  Einzelne  Formeln  von  wesentlicher  Wirkung  aut  den 
wllten  von  den  Ägyptern,  von  weltlich  deutschen  Gesang,  nament- 
•salomon,  den  Arabern  stammen,  bei  lieh  auf  den  Leich,  gewesen  sei. 
einigen  Formeln  zum  Festmachen  Feril.  Wolf)  über  die  Lais,  Sc<|uen- 
vyird  gesagt,  sie  seien  vom  König  zen  und  deiche,  Heidelberg,  1841, 
Karl  d.  Gr.  gebraucht.  Wuttke  hat  Schubiyer,  St  Gallische  Sängerschule; 
u.  a.  Beispiele  zusammengestellt  lb5S.  Sarfsr/i ,  die  lateinischen  Se- 
<las  Fieber,  gegen  Friesel,  q Uenzen  des  Mittelalters  in  musikali- 
S  hlaflosigkeit,  Schwinden,  Gicht,  scher  und  rhythmischer  Beziehung, 
Vrrenkung,  gegen  ein  Fell  auf  den  Rostock, 

Augen,  ecgen  Blutungen,  Zahn-  Servietten  brauchte  man  schon 
'•(limerz,  Würmer  im  Leibe,  Kolik,  in  Rom  in  der  spateren  Kaiserzeit; 
die  Rose,  Entzündungen,  gfgen  sie  wurden  durch  das  ganze  Mittel- 
Mundfäule,  gegen  Warzen,  den  alter,  jedoch  nur  von  Vornehmen, 
Schlangenbi«s.geiren Wunden, Brand-  benutzt.  Bei  Bürgersleuten  kamen 
wanden,  gegen  Versengungen  über-  sie  zu  Ende  des  IB.  Jahrhunderts 
haupt,  wenn  man  von  einem  Hunde  in  Gebrauch. 

angefallen  ist,  gegen   Aufblähung  Sibyllen.   Bei  den  Alten  waren 

d'  s  Rindviehs,  Feuersegen,  um  sich  Sibyllen  weissagende  mit  dem  Apollo- 

kugelfest  zu  machen,  wenn  man  vor  kultus  im  Zusammenhang  stehende 

Bericht  geht,  gegen  Diebe,    (h-imm,  Frauen,  von  denen  die  sogenannten 

Mythologie,  Kap.  3*;  die  Sammlung  sibyllinischen     Bücher  herrühren 

von  Segen,  die   als   Anhang  der  sollen.    Die  Zahl   dieser  Sibvllen 

ersten   Ausgabe    beigegeben    war.  wurde  verschieden  angegeben,  bloss 

ist  in  der  zweiten  Ausgabe  wegge-  eine  oder  drei,  vier,  zehn.   Seit  dem 

blieben:      HruUke9      Aberglauben,  Ende  des  ersten  Jahrhunderts  ist 

221— 242.  'unter     den  Kirchensehriftstellern 

Seuiperfrele,    mhd.    9entbarret  auch  von  christlichen  Sibvllen  und 

>n l« irre  rrie  sind  solche,    w  iche  sibyllinischen    Büchern    die  Rede, 

am  sent  (ans  synwlns),  d.  h.  Grafen-  uivil   zwar  wieder  in  verschiedener 

lynchte  teilnehmen  dürfen.  Zahl;    erhalten   sind    mehrere  von 

Sequenz  hiess  derjenige  Teil  de«  jüdischen  und  christlichen  Schrift- 

Mc^rr^sanges,  der  die  fetzte  Silbe  stellern  verfaßte  weissagende  Bücher 

des  Halhlujah   in   langen  Modula-  unter  dem  alten  Titel,  welche  von 


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922 


Sieben  freie  Künste.  —  Siegel. 


den    Kirchenvätern    häufig   eitiert  j  in   Staffelei-  und  Miniaturbildem, 

werden.    Im    Mittelalter    kommen  als  in  Werken   der  Skulptur;  so 

namentlich  bei  Franziskanern  zwei  enthalten  die  Chorstühle  im  Mtin- 

neue  Sibyllensagen  auf;  die  erste  ster  zu  Ulm   neun   Sibyllen.  Sie 

berichtet,  Kaiser  Augustus  habe  die  1  dienen  als  Trägerinnen  des  „Lichtes, 

Pythia  befragt,  wer  nach  ihm  herr- 1  welches  im  Finstern  scheint."  Da- 

echen   werde,  worauf  sie  anfangs  her  ihnen  etwa  eine  Laterne  oder 

keine  Antwort,  dann  aber  die  Wei-  ein  Licht   in  die  Hand  gegeben 

sung  gegeben:  er  solle  schweigend  wird,  als  Träger  evangelischer  Vor- 

von  ihren  Altären  sich  entfernen,  Verkündigung   in  der  Heidenwelt, 

da  ein  hebräisches  Kind ,  welches  mit  den  Propheten  und  Kircheu- 

über    die     unsterblichen     Götter  lehrern  zusammen  als  Zeugen  der 

herrsche,  ihr  heisse  von  dem  Sitz  |  Wahrheit    aus    dem  Heidentum, 

zu  weichen  und  in  den  Orkus  zu-  Judentum  und  Christentum.  Von 

rückzukehren.    Darauf  habe  Augu-  den  Sibyllen  handelt  auch  ein  zu- 

stus  auf  dem  Kapitol  einen  noch  erst  in  Frankfurt  1531  erschienene» 

stehenden  Altar  errichtet  mit  der  Volksbuch:   „Ztcölf  Sibyllen  Weis- 

Inschrift;  haec  est  am  primogeniti  sagunqen  vil  wunderbarer  Zukunft 

dei,  dieses  ist  der  Altar  des  erst-  von  Anfang  bis  End  der  Welt  be- 

geboruen  Gottes.   Die  andere  Sage  sagende.    Der  Königinn  von  Saba> 

erzählt,  Augustus  habe  die  tibur-  König  Salomeh  gethane  Prophe- 
tinische  Sibylle  zu  sich  kommen  [  ceien."    Hier  ist  in  Holzsehuitten. 

lassen,  um  über  einen  Antrag  des  jede  Sibylle  einzeln  dargestellt;  ihre 

Senats,  der  ihm  göttliche  Ehre  er-  Namen  lauten  hier:  persische  Si- 

weisen  wolle,  sie  zu  befragen;  sie  bylle,  Libica,  Delphica,  Chimeria, 

aber  habe  geantwortet:  „vom  Hirn-  Samia,  Cumana,  Hellespontia,  Phri- 

mel  wird  der  König  kommen,  der  gia,  Europea ,  Tiburtina,  Erithrea, 

es   in    Ewigkeit   sein   wird."    So-  Agrippa  und  Nichaula,  Königin  von 

gleich  öffnete  sich  der  Himmel  und  Saba  „welche  eine  rechte  Sibylla 

er  sah  dort  eine  Jungfrau  in  herr-  gewesen  sei,  eine  Prophetin  und 

licher  Schönheit,  auf  einem  Altar  Wahrsagerin  der  heimlichen  Räthe 

stehend,  mit   einem  Knaben  auf  zukünftiger  Dinge  Gottes."  ity«*, 

dem  Arm  und  hörte  eine  Stimme:  Mythologie  der  christlichen  Kunst, 

haec  ara  ßlii  dei  est,  dieses  ist  der  I,  472 — 507. 

Altar   des   Sohnes   Gottes.     Der  Sieben  freie  K linste,  siehe  freie 

Kaiser  betete  darauf  an  und  that  Künste. 

dem  Senat  die  Vision  kund.  Die-  Siegel,  aus  lat.  sigillumy  mhd. 
selbe  ereignete  sich  in  dem  Gemach  ;  siqel,  sieget,  sigilU.  insigele,  war  im 
des  Augustus,  wo  jetzt  die  Kirche  Mittelalter,  als  die  Unterschrift  noch 
St.  Maria  in  Capitolio  ist.  fehlte ,  das  gewöhnlichste  Beglau- 
Auf  den  Grund  solcher  sagen-  bigungsmittel  einer  Urkunde;  als 
hafter  Voraussetzungen  sah  sich  die  die  Unterschrift  allgemeiner  wurde, 
Kirche  veranlasst,  die  Sibyllen  neben  trat  das  Siegel  zurück;  allgemein 
den  Propheten  in  den  Kreis  christ-  wird  sein  Gebrauch  etwa  seit  909. 
licher  Kunstvorstellungen  zu  ziehen,  Was  das  Material  angeht,  so  ist 
was  aber  nicht  vor  aem  12.  Jahr-  dasselbe  entweder  Metall;  dann 
hundert  geschah.  Und  zwar  stellte  I  heisst  das  Siegel ,  wie  die  Urkunde 
man  entweder  die  Sibylle  vor,  wie  selbst  btdla;  das  Metall  ist  Gold 
sie  dem  Kaiser  Augustus  das  Kom-  oder  Blei,  und  zwar  ist  das  goldene 
men  des  Sohnes  Gottes  offenbart,  Siegel  in  der  älteren  Zeit  nur  bei 
oder  die  Sibyllen  überhaupt,  sowohl  den  griechischen  Kaisern,  im  Abend- 
in Fresko-  und  Glasmalereien,  als  lande  seit  Otto  III.  in  Gebrauch; 


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Siegel. 


923 


es  wird  als  ein  Vorrecht  der  deut- 
schen Kaiser  für  Fürstenbriefe,  Er- 
teilung von  Herzogtümern  und  dergl.,  j 
später  für  Erhebungen  in  den  Grafen- 
stand  angesehen;   zuletzt  konnte 
jeder,  der  aus  der  kaiserlichen  Kanz- 
lei eine  Ausfertigung  bekam,  für 
die  Taxe  ein  goldenes  Siegel  be- 
kommen.   Meistens  sind  sie  hohl 
und  bestehen  nur  aus  Goldblech, 
das  mit  Wachs  ausgefüllt  ist.  Bleierne 
Bullen  sind   das  Hauptsiegel  der 
Geistlichkeit,  der  Pfipste  seit  den» 
8.  Jahrhundert,  dergeistlichenFürsten 
bis  zum  Bischof  und  dem  reichs- 
freieu  Äbte  bis  etwa  1300;  auch 
die  Konzilien  von  Konstanz  und  Basel 
siegelten  damit:  Kaiser  nur  selten. 
Das  häufigste  Material  ist  Wachs, 
dem  man  anfangs  alle  möglichen 
Farben  gab,  bis  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert die  natürliche  Farbe  für 
gewöhnliche  Zwecke  die  Oberhand  j 
erhielt.    Rote  Siegel  kamen  zuerst  j 
bei  Kaisern  und  Bischöfen  vor,  dann  | 
siegelten  seit  dem  13.  Jahrhundert ; 
reiehsfreie  Fürsten  damit,  und  es 
galt  als  ein  kaiserliches  Recht,  das 
Privileg  des  roten  Siegels  zu  er- 
teilen.   Grüne  Siegel  sind  seit  dem 
13.  Jahrhundert  gebräuchlich  und 
seit  dem  15.  allgemein;  damit  siegelte 
besonders,  wer  nicht  rot  siegeln 
durfte,  niedere  Stifte,  niederer  Adel, 
viele  Städte:  schwarze  Siegel  kom- 
men bei  den  geistlichen  Ritterorden 
vor.  Den  Gebrauch  von  Harz  oder 
Siegellack  kennt  man  seit  dem  Ende 
des  16.  Jahrhunderts;  aus  derselben 
Zeit  den  der  Oblaten.   Was  die.Se- 
festigvng  der  Siegel  betrifft,  so  wur- 
den sie  anfangs  auf  die  Urkunden 
aufgedrückt,  später  hing  man  sie  an 
die  Urkunden,  und  zwar  mit  Schnüren 
oder  Pergamentstreifen ;  die  Schnüre 
sind  bei  den  päpstlichen  Urkunden 
von  ungefärbtem  Hanf;  seidene  von 
gelb  und  roter  Farbe  sind  feier- 
licher Art.    Kaiserliche  Urkunden 
haben  bis  zum  15.  Jahrhundert  will- 
kürliche Farben,  seit  Friedrich  III. 
schwarzgelbe  oder  gelbe  Schnüre. 


Die  älteste  Form  der  Siegel  ist  die 
runde;  später  wird  sie  länglich  oder 
eiförmig;  dreieckig  waren  die  Siegel 
der  niedern  Adeligen,  das  Bild  des 
Schildes.   Jedes  Siegel  enthält  ein 
Bild,  signum,  das  anfangs  willkür- 
lich angenommen  war,  erst  seit  dem 
12.  Jahrhundert  von  ganzen  Familien 
festgehalten  wurde;  immer  war  die 
Bedeutung  des  Bildes  durch  eine 
Umschrift  erklärt.    Im  besonderen 
kann  man  unterscheiden:  Kaiser- 
siegel.    Die  Karolinger  haben  einen 
Kopf  oder  höchstens  ein  Brustbild 
mit  Umschrift;  seit  Arnulf  kam  der 
Reichsapfel  dazu ;  die  Ottouen  haben 
ein  halbes  Leibstück  mit  Diadem, 
Schild  und  Lanze;  seit  Otto  III. 
Hessen  sich  die  Kaiser  als  ganze 
Figur  abbilden,   auf  dem  Throne 
sitzend,  mit  Reichsapfel  und  Zepter; 
dieses  Siegel  blieb  als  Majestäts- 
siegel   seitdem    die   Regel.  Als 
Kanzleisiegel  diente  der  Reichsadler. 
Fürsten  und  Grafen  Hessen  sich  zu 
Pferde  mit  Schild  und  Fahne  ab- 
bilden, wobei  das  Schild  oft  ein 
signum  trug,  oder  sie  führten  das 
Schwert;  das  sind  die  sog.  Reiter- 
sieget;  Fusssiegel  sind  selten,  dann 
aber   stets   geharnischt   mit  dem 
Schild    als  signum.     Der  niedere 
Adel  trägt  erst  nach  dem  14.  Jahr- 
hundert einen  Helm  in  den  Siegeln. 
Die  Städtesiegel  zeigen  das  Bilu  des 
Schutzheiligen,  ein  Stadtthor,  Rat- 
haus, Stadtkirche  und  dergl.  Über 
die  päpstlichen  Bullen  siehe  (Jen 
Artikel  Bulle.    Bischöfe  und  Abte 
Hessen  sich  bis  zum  11.  Jahrhundert 
in  rundem  Siegel  mit  halbem  Leib- 
stück, den  Hirtenstab  und  ein  Buch 
in  der  Hand,  mit  einer  den  Namen 
tragenden  Überschrift,  dann  sitzend 
auf  einem  Throne  abbilden.  Das 
Kirchen-  oder  Konventssiegel  tragt 
den  Schutzheiligen.    An  weltlichen 
Urkunden  hängen  soviel  Siegel,  als 
Personen  bei  den  Rechtsgeschäften 
beteiligt  sind,  daher  man  Urkunden 
von  300  und    mehr  Siegeln  hat; 
Zeugen  hängen  erst  seit  dem  15. 


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924  Skapulier.  —  Sonett. 


Jahrhundert  die  Siegel  mir  an.  Vgl.  alle  ir  hemm  mein, 

Lt*f,  Katechismus  der   Urkunden-  der  Winter  ist  fein ! 

lehre.    Leipzig,    18*2.  §§.  91-108.  B 

Skapulier  nannte  man  ein  mönehi-    ,      .  Sommer. 
s<- lies  Kleidungsstück,  das  einer  Tuni-  ^°  Dm  *en  (^cr  Sommer  also  fein, 
ka  ähnlieh  sah,  etwas  kürzer  als  diese,  1  zu  meinen  Zeiten  da  wechst  der  wein; 
vom  geschlossen,   statt  der  Ärmel  all*-'  ir  herren  mein, 

mit  weiten  Armsehlitzen  versehen.  ,  t'er  Sommer  ist  fein!  u.  s.  w. 

Das  Skapulier  wurde  spater  Vorzugs-      !>...,,        OA     .      ,  . 
weise  nur  noch  bei  körpirUcher  Arbeit      D,e  drei  leteten  Strophen  heissen: 
getragen  und  daher  auf  beiden  Seiten  \y :  n  t  or 

weit  aufgeschlitzt.  Seit  dem  1  J.Jahr-  lAls  ,     «  '.   ,  .  ,  . 

hundert  sind  Vorder-  u.  Rüekenstrei-  ü.h,'l)t'i;iSommi;r-  ^  ?"*  <Je»n  haud, 
fen  durch  ein  Querband  verbunden,  w,r  WölU;"  ™,Y\cn  111  frembde  land! 
die  Seiten  aber  für  den  Ann  ganz  frei.  Tle  ?  hcnvn.  nu;in' . 

Sommer  und  Winter.  Diejenige  der  Sommer  lst 

Naturerscheinung,  welche  wie*  keine  Sommer, 
andere   zur  Mythenbildung   beige-  Also  igt  unser  kri  voIlbmcht( 
tragen  hat  spielt  noch  während  des  gott  gob  (,uch  alleJein  gllt(?  nacht: 

fZT  KÄ"!  ,  ,a,d  -mf Ir  alle  ir  herren  mein, 

tluseh,  bald  mehr  allegorisch,  eine  j,...  Winter  ist  fein' 

wesentlich.-  Rolle  in  Sitte  und  Denk-  6    ,St  *Un' 

artdes  Volkes.  Am  Sonntag  Lätare,  Winter, 
zu  Mitfasten  ,  wurde  namentlich  am  Ir  herren,  ir  solt  mich  recht  verstau, 
Rhein  ein  Ringkampf  zwisehenSom-  der  Sommer  hat  das  best  getan: 
mer  und  Winter  aufgeführt  ,  wobei  alle  ir  herren  mein, 

jener  m  Laubwerk,  dieser  in  Stroh  der  Sommer  ist  fein! 

und  Moos  gekleidet  war:  der  Winter 

unterlag  und   wurde  seiner  Hülle        Man  hat  auch  verschiedene,  mehr 
beraubt.     Die   dabei   versammelte  kunstmässige    Bearbeitungen  des 
mit  weissen  Stäben  versehene  Jugend  Themas,  lateinische  aus  Karl  d.  Gr. 
sang  dabei:  stab  aus,   stab  aus!  ^eit»  altfranzösische,  inittelhochdeut- 
(staubaus!)  stecht  dem  Winter  die  sehe,  niederdeutsche,  auch  eine  von 
Augen  aus!  Schon  früh  entwickelte  ,Ian8  Sachs;  in  einer  St.  Gallischen 
sich  dieser  Aufzug  zum  aufgeführten  Urkunde  vom  Jahr  858  sind  Winter 
Gespräch,  in  welchem  in  Liedform  u,1*|  Sommer    die    Namen  zweier 
beide    Streitende  die  Gründe    zur  Brüder.    Eine  spätere  Form  dieses 
Berechtigung  ihres  Das -ins  im  wohl-  Wettstreites  ist  die,  dass  die  Ge- 
pordneten  Jahreslaufe    darthaten.  wachse,  welche  sonst  nur  das  be- 
Der  älteste  erhaltene  volksmassige  zeichnende  Beiwerk  herleihen,  selbst 
Text  aus  dem  Lude  des  l<>.  Jahr-  lln,l  persönlich  die  Gegner  sind:  so 
hunderfs  beginnt:  stehen   in   einem   englischen  Lied 

Sommor  Stechpalme  und  Epheu,  in  dem  be- 

U»ut  \  *  niw.iV   't,  (■  i V  i      m         kannten  seit  dem  16.  Jahrhundert 
Heut  ist  auch  ein  fröhlicher  lag,     verbreiteten  deutschen  Liede  Buch*. 
d^smandn.N.mnHu-gewiunenmag;  hllHm  Uü(i  FM  jWeide) ,  ein- 
ti^uTSkl  -f^genübe,  ^Abschriften, 

c                 Winter.  Sonett,  stammt  aus  Italien,  wo 

So  bin  ich  dm-  \\  inter,  ich  gib  dirs  die   ältesten  dieser  Strophen  ver- 

..  .    _           .  ,   ,lit  feent,  mutlich  um  120«»  eitstanden  sind; 

o  lieber  Sommer,  du  bist  mein  knecht!  es  besteht  aus  zwei  vier-  und  zwei 


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\ 


Sonne  und  Mond.  —  Spiegel.  925 

dreiseitigen  Strophen;  die  vierzei-  Mond  finden  sieh  sowohl  bei  alt- 
ligen  haben  denselben  Reim,  so  testamentliehen  Ereignissen,  na- 
zwar,  dass  die  beiden  innern  Zeilen  mentlich  in  der  Schöpfung  und  bei 
von  den  beiden  äussern  umrahmt  1  der  Geschichte  des  Joseph,  Josua 
werden;  die  dreizeiligen  Strophen  und  Jonas,  als  bei  der  Person 
sind  in  der  Kegel  Terzinen.  Nach-  Christi  in  verschiedenen  Epochen 
dem  Dante  und  Petrarca  diese  Form  seines  Lebens  angebracht,  bei  der 
zur  höchsten  Vollendung  gebracht,  Geburt,  unzähligcmal  bei  der  Kreil- 
kam  sie  nach  Frankreich,  England,  zigung,  wobei  Sonne  und  Mond, 
Spanien  und  Portugal,  und  durch  zum  Zeichen  der  Verfinsterung,  in 
Weckherlin  und  Opitz  nach  Deutsch-  der  Kegel  ihr  Antlitz  mit  dem  Ge- 
land  ,  wo  man  sie  KU  angedickt  wand  oder  einem  Tuch  verhüllen, 
hiess  und  als  Vers  den  Alexandri-  sodann  bei  der  Kreuzabnahme,  der 
ner  wühlte;  besonders  Paul  Flein-  Himmelfahrt  und  öfter  zur  Seite 
ming  hat  schöne  Sonette  gedichtet,  des  verherrlichten  Christus.  Seit 
Seit  dem  Untergang  der  schlesischen  dem  13.  Jahrhundert  hört  die  per- 
Dichterschulen  hurte  die  Vorliebe  söllliche  Darstellung  von  Sonne 
für  das  Sonett  für  einige  Zeit  wie- !  und  Mond  auf  und  sie  erscheinen 
der  auf,  bis  Bürger  und  die  Ko-  statt  dessen  in  der  Hand  von  Engeln 
inantiker  sie  neu  belebten.  Welli,  oder  Genien,  oder  bloss  als  Gesicht, 
beschichte  des  Sonettes  in  der  oder  in  mathematischer  Figur  als 
deutschen  Dichtung.   Leipzig  1884.  Scheibe  und  Sichel.    Seit  Anfang 

Sonne  und  Mond  als  Kunsleor-  des  16.  Jahrhunderts  wurde  die 
Stellung.  Das  klassische  Altertum  Vorstellung  von  Sonne  und  Mond 
stellte  Sonne  und  Mond  mit  dem  neben  dem  Gekreuzigten  fast  allge- 
Wagcn  auf  der  Himmelsbahn  sich  mein  aufgegeben,  während  dagegen 
bewegend,  vor,  jener  von  vier,  diese  im  Gebiete  der  profanen  Kunst 
von  zwei  Pferden  gezogen,  Helios  die  Personifikation  beider  Himmels- 
emporsteigend,  Selene  sieh  senkend,  körper  mit  voller  mythologischer 
Wo  der  Wagen  fehlt,  ist  der  S<>n-  Ausstattung  neuerdings  dem  Alter- 
nengOtt  am  Strahlenkranz  und  an  tum  entnommen  wird,  l'iiirr,  My- 
der  Peitsche,  der  Fackel  oder  einer  thologie  der  christlichen  Kunst  Ii, 
Kugel  in  der  Hand,  die  Monds-  S.  116-199. 
göttin  an  der  Sichel  über  dem  Speer,  siehe  Lanze. 
Haupt  und  an  dem  kreisförmig  über  Spiegel,  aus  lat.  sjjeculum,  von 
demselben  ausgespannten  Gewand  Glas  kannte  das  Altertum  nicht, 
kenntlich;  auch  nur  als  Brustbilder,  wohl  aber  solche  aus  blank  polier- 
oder  als  Köpfe,  oder  endlich  bloss  tem  Metall  %  Bronze,  Stahl  oder 
nach  der  mathematischen  Figur  als  Silber.  Das  Glas,  in  seiner  Verwen- 
Scheibe  nnd  Sichel  findet  man  sie.  düng  zu  Fensterscheiben  schon 
Manchmal  ist  das  Haupt  des  Son-  längst  bekannt,  kam  in  dieser  Ei- 
nengottes  mit  Strahlen  umgeben,  genschaft  nicht  vor  dem  12.  oder 
sowie  sich  die  Sonne  auch  als  Ge-  13.  Jahrhundert  zur  Anwendung 
sieht  mit  neun  Strahlen  in  einem  und  zwar  in  kleinen,  ineist  runden, 
Kund  abgebildet  findet.  Die  christ-  zierlich  gefassten  Handspiegeln,  die 
liehe  Kunst  hat  die  beiden  Gestirne  namentlich  von  Frauen  um  den 
sowohl  in  mathematischer  Figur,  als  Hals  oder  am  Gürtel  getragen 
in  den  erwähnten  drei  Graden  der  wurden.  An  der  Stelle  des  Queck- 
Personifikation  abgebildet:  bloss  an-  silberbcleges  findet  .-ich  ein  Auf- 
gedeutet  durch  das  Gesicht,  oder  als  guss  von  Blei,  Zinn  oder  Harz, 
halbe  Figur  oder  in  ganzer  Gestalt.  Das  Quecksilberamalgam  kam  zu 

Die    Figuren    von   Sonne    und  Ende  des  \V.  Jahrhunderts  auf,  und 


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926 


Spiele. 


dadurch  erhielt  der  Glasepiegel  erst 
seine  Vorzüge,  durch  welche  er 
den  Metallspiegel  verdräugte.  Doch 
hielt  er  sich,  was  seine  Ausdehnung 
anbelangte,  noch  immer  in  sehr 
beseheiaenem  Masse,  denn  Glasta- 
feln von  mehr  als  zwei  Fuss  Seite 
zu  machen,  war  noch  eine  Unmög- 
lichkeit. An  der  Umrahmung  aber 
wurde  nichts  gespart,  in  Schnitzerei, 
Parqueterie,  Metallarbeit,  Bema- 
lung, Vergoldung  und  Einfügung 
von  köstlichen  Steinen. 

Der  Spiegel  ist  das  Symbol  der 
Selbstprüfung,  des  Gewissens,  daher 
die  Sittenprediger  ihre  Werke  gern 
nach  demselben  benannten:  Sach- 
senspiegel, Schwabenspiegel,  Laien- 
spiegel, Heilsspiegel,  Spiegel  deut- 
scher Leute,  Klagspiegel,  Spiegel 
der  Rhetorik,  Ritterspiegel,  Sveeulum 
humanae  salvalionis,  Speculum  mo- 
rum,  Speculum  puerorum,  Speculum 
universale.  In  der  Renaissance  wird 
der  Spiegel  das  Emblem  der  Wahr- 
heit. Vgl.  Wackemaqel,  kl.  Schrif- 
ten, Bd.  1.  Über  die  Spiegel  im 
Mittelalter. 

Spiele  sind  nicht  minder  als 
Wohnung,  Nahrung,  Kleidung, 
Recht ,  Erziehung ,  Kampfweise 
u.  s.  w.  ein  natürlicher  und  mit 
der  Entwickelung  der  Menschen 
und  Völker  wechselnder  Ausdruck 
des  niederen  und  höheren  Lebens, 
und  es  wäre  von  hohem  Interesse, 
die  Entwickelung  eines  Volkes  im 
Lichte  seiner  Spiele  nachzuweisen. 
Da  die  Nachrichten  über  diesen 
Stoff  nur  spärlich  s«'in  können,  muss 
man  sich  hier  mit  wenigen  Notizen 
und  Andeutungen  begnügen.  Vor 
allem  ist  im  Auge  zu  behalten,  dass 
der  Natur  der  Sache  nach  Spiele 
der  Jugend  und  der  Erwachsenen, 
der  Männer  und  der  Frauen  zu 
unterscheiden  sind;  erst  wenn  rieh 
gewisse  Stände  aus  der  Allgemein- 
heit der  Bevölkerung  ausscheiden, 
kann  man  von  besonderen  Spielen 
solcher  engeren  Kreise  sprechen, 
wie  von   Spielen   der  Ritter,  der 


Städter,  der  Landsknechte,  der  Stu- 
denten, der  Schulkinder,  der  Bauern. 
Zu  unterscheiden  sind  dann  Spiele 
im  Freien,  welche  dem  Wechsel 
der  Jahreszeit  angehören,  nament- 
lich Frühlingsspiele,  die  grössere 
Kreise  von  Teilnehmern  umfassen, 
und  Spiele  des  Hauses,  deren  Teil- 
nehmer bis  zur  Zahl  zwei  sinken 
kann;  jene  beschäftigen  mehr  den 
Körper,  diese  den  verstand.  Nur 
im  weiteren  Sinne,  obgleich  sie  mit 
Recht  denselben  Namen  Spiel  tra- 
gen, gehören  zu  den  Spielen  dieje- 
nigen Spielbeschäftigungen,  deren 
Übung  sich  mit  der  Zeit  zu  einem 
eigentlichen  Berufe  ausgebildet  hat, 
wozu  die  Musik,  das  Schauspiel 
und  die  niederen  Spiele  der  Seil- 
tänzer und  dergleichen  zählen;  daher 
der  im  Mittelalter  so  viel  verbreitete 
Stand  der  Spielleute,  vgl.  fahren- 
des Volk. 

Aus  altgermanischer  Zeit  er- 
wähnt Tacitus  Germania  24  des 
Schtcerttanzes:  Nackte,  Junge  Män- 
ner, sagt  er,  führen  dieses  Spiel 
aus,  indem  sie  tanzend  zwischen 
Schwerter  und  drohende  Speere 
dringen.  Sicher  ist,  dass  auch  an- 
derer Tanz  den  Germanen  nicht 
fremd  war;  ihm  kam  auch  eine 
wesentliche  Rolle  bei  ihren  Gottes- 
diensten zu.  Spiele  der  Männer 
waren  das  Steinstossen ,  Speer- 
schiessen, Wettlaufen;  die  Erinne- 
rung an  sie  ist  im  Wettkampfe 
zwischen  Brunhild  und  Gunther  er- 
halten. Auch  das  Kegeln  (siehe 
diesen  Artikel)  scheint  sehr  alt  zu 
sein.  Ausserdem  erwähnt  Tacitus 
an  dem  genannten  Orte  das  If'ür- 
felspiel;  der  Germane  betrieb  das- 
selbe bei  völliger  Nüchternheit  als 
ein  ernsthaftes  Geschäft  mit  solcher 
Leidenschaftlichkeit  bei  Gewinn  und 
Verlust,  dass  er,  wenn  sonst  alles 
verloren  sei,  Freiheit  und  Person 
auf  den  letzten  Wurf  setzte. 

Als  mit  der  Völkerwanderung 
die  altgcrmanische  Sitte  allmählich 
in  die  des  Mittelalters  überging. 


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Spiele. 


927 


teilten  sich  die  Spiele  in  diejenigen 
des  Landvolkes  und  diejenigen  der 

höfischen  Kreise;  das  Landvolk 
hielt  mehr  an  den  offenen  Spielen 
fest  und  an  denjenigen,  welche  der 
Wandel  der  Jahreszeit  mit  sich 
brachte:  Steinstossen,  Springen,  Ke- 
geln, Reigentanzen;  den  grossen 
und  kleinen  Höfen  fielen  die,  in 
ihrer  Art  umgewandelten  Kampf- 
ziele zu,  die  sich  mit  der  Zeit  zu 
den  eigentlichen  Ritterspielen,  Tjost, 
Buhurt,  Turnier  entwickelten ;  auch 
die  Falkenjagd  erhält  den  Namen 
vtdertpil.  Die  Ausbildung,  zum  Teil 
auch  die  Na- 

mengebung 
dieser  Spiele 
zeigen  franzö- 
sischen Ein- 
Hasa,  was  na- 
mentlich auch 
vom  höfischen 
Tanze  (siehe 
diesen  Artikel) 
gilt  Auch  die 
erst  jetzt  auf- 
tretende K  las- 
se der  Spiel- 
lente  ist  un- 
deutschen Ur- 
sprungs. Un- 
ter den  offe- 
nen Spielen 

namentlich  der  weiblichen  Jugend 
bürgerlicher  Kreise  erscheint  im 
Mittelalter  zuerst  und  dann  sehr 
oft  das  Ballspiel  (siehe  den  bes. 
Artikel);  aus  dem  4.  Jahrhundert 
stammt  die  erste  Nachricht  vom 
Brettspiel,  welches  seit  dem  11. 
•Jahrhundert  mit  dem  Schachspiel 
das  beliebteste  Verstandsspiel  hö- 
fischer Kreise  war.  Daneben  ging, 
niedriger  Spielleidenschaft  am  mei- 
sten genügend,  das  alte  Würfel- 
*piel,  das  freilich  von  geistlichen 
und  weltlichen  Obrigkeiten  viel 
verfolgt  wurde;  Otto  der  Grosse 
verbot  es  den  Geistliehen,  Frie- 
drich II.  seinen  Beamten.  Dazu 
Fig.    154    aus    Ingolds  goldenem 


Spiel.  Augsburg  1472.  Vgl.  die 
Bilder  zu  Brettspiel  und  Schach- 
spiel. 

Der  Charakter  des  Spieles  in 
der  der  höfischen  Zeit  nachfolgen- 
den Periode  wird  bestimmt  einer- 
j  seits   durch   die    auch  im  Spiele 
wirksame  Assoziation ,  andernteils 
I  durch  die  wilde,  ausgelassene  und 
I  raffinierte  Art,  wie  man  das  Spiel 
betreibt.    Während  die  ländlichen 
Spiele  ohne  Zweifel  die  ältere  Art 
beibehielten,  trat  namentlich  in  den 
städtischen  Spielen  das  Spielen  um 
\  Geld  in  den  Vordergrund,  wie  man 

aus  zahlrei- 
chen dagegen 
gerichteten 
Rats  Verord- 
nungen er- 
kennt; es  wur- 
de um  Geld 
gekegelt ;  in 
Frankfurt  a. 
M.  bestand 
von  1390  bis 
1493eineWür- 
fel-Spielbank , 
die  von  der 
Stadtbehörde 
selber  betrie- 
ben wurde,wie 
denn  über- 
haupt das  15. 


Fig.  154. 


Jahrhundert  als  die  Blütezeit  leiden 
schaftlichen  Glücksspieles  gilt;  der 
Prediger  Capistranus,  der  öffent- 
lich die  Spieler  ermahnte,  ihm  Kar- 
ten- und  Spielbretter  zum  Verbren- 
nen zu  übergeben,  soll  allein  in 
,  Nürnberg  3640  Spielbretter,  über 
'  40000  Würfel  und  „Kartenspiele 
'  ohne  Zahl"  vernichtet  haben; 


ar- 


tenspiele bilden  jetzt  einen  bedeu- 
tenden Handelsartikel.  Förmliche 
Spielstuben  wurden  eingerichtet, 
deren  Besitzer  Schulderer  hiessen; 
auch  an  Falschspielern  fehlte  es 
nicht.     Diesem  niederen  Spielzuge 

fehört  auch  das  Lotterie-Spiel  an; 
assclbe  kam  in  Italien  auf,  wo  es 
daraus  entstand,   dass  Kaufleute, 


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928  Spielkarten.  —  Spinnräder. 


um  schnell  und  mit  Vorteil  zu  ver-  Offizier,  Hauptmann  abstammend) 
kaufen,  jedermann  gegen  ein  klei-  untersagte,  und  zehn  Jahre  spater 
ncs  Stück  Geld  eine  ihrer  Nummern  verbietet  auch  der  Prevot  von  Pa- 
ziehen  Uessen,  auf  denen  ihre  Waa-  rifl  den  Handwerkern  das  Würfel-, 
reu  verzeichnet  waren.  In  Deutsch-  Ball-,  Kugel-  und  Kegel-  irtid  end- 
land  hiess  man  das  Spiel  den  lieh  auch  da«  Kartenspiel.  Erlaubt 
(ifüvkshaj'tn  oder  Gfürkstujtf;  in  bleibt  es  nur  an  Feiertagen.  Au- 
Italien  wurde  es  Lotto  tLoosi  und  fanglich  hielt  man  sich  wohl  au 
seit  1522  Loteria  genannt.  An-  die  ursprünglichen  orientalischen 
fänglich  waren  es  immer  Waren,  Figuren  und  Benennungen,  bis  in 
welche  auf  diese  Art  ausgespielt  Paris  zur  Erheiterung  des  geistes- 
wurden;  später  wurden  Geldpreise  kranken  Königs  Karl  VI.  ein  be- 
daraus.  In  Deutschland  war  der  solideres  Kartenspiel  gemalt  wurde, 
Glückshafen  >eit  etwa  1470  an  den  worauf  bis  gegen  die  Mitte  des  15. 
Schützenfesten  gebräuchlich,  wo  Jahrhunderts  in  Frankreich ,  Spa- 
auch  die  uralten  Volksspiele.  Stein-  nien,  Italien  und  Deutschland  die 
stosseu,  Springen  und  Wettrennen  Kunst  des  „Briefmalens"  sich  eigene 
gegen  Preise  geübt  wurden.  Sonst  Wege  gebrochen  hatte  und  dadurch 
wurde  dieses  Spiel  lange  bloss  für  das  Spiel  nicht  bloss  in  allen  seinen 
mUdthätige  Zwecke  gestattet  und  Beziehungen  erweitert,  sondern  auch 
ausgeübt.  Siehe  Schultz,  höfisches  zum  beliebtesten  Gesellschaftsspiele 
Leben  I,  Abschnitt  VI;  U'einhold,  wurde,  das  alle  obrigkeitlichen  Kr- 
deutsehc  Frauen.  2.  Aufl.  I,  lo7  ff.  las>e  nicht  mehr  zu  entfernen  ver- 
Krictk,  Bürgerleben I,  Abschnitt  19:  mochten. 

die  öffentlichen  Vergnügungen  und  Nach  ihren  Farben  und  Figuren 
Lustbarkeiten, und  die  besondereuAr-  teilen  sich  die  Spielkarten  in  drei 
tikel  Brettspiel,  Kegeln,  Kinderspiele,  Gruppen.  1.  Die  französische  mit 
Schach-,  'lanz-  und  Würfelspiel.  den  Farben  coettr  (englisch  hear()y 
Spielkarten  kennt  man  bei  uns  trifte  (englisch  ctuh),  carreau  (eng- 
seit  dem  14.  Jahrhundert,  wo  sie  lisch  diu mond),  pi<pte\ englisch  .tj>ak)\ 
zuerst  in  einer  handschriftlichen  2.  die  italienischen  und  spanischen 
Chronik  des  Nikolaus  von  Cavel-  mit  den  vier  Farbennamen  cupi 
luzzo  erwähnt  werden,  mit  der  Be-  (Becher,  coeur),  denai'i,  (Münzen, 
merkung,  dass  sie  1879  in  Viterbo  triJfe)Jhasto)iHi^U*QkeMtiibe,carreov\ 
eingeführt  w  orden  und  zw  ar  aus  spadi  (Degen, pitpie);  3.  die  deutschen 
dem  Lande  der  Sarazenen.  Sie  und  die  nordischen,  deren  vier  Farben 
stammen  wahrscheinlich*  aus  China  Rot  oder  Herz,  drün  oder  Blätter 
und  Indien,  wie  das  Schachspiel,  (Spaten ,  Schippen»,  Eicheln  oder 
ja  sie  scheinen  aus  diesem  hervor-  Kreuz  und  Schellen  sind.  Vergl. 
gegangen  zu  sein  durch  Übertra-  A'ricrjk,  Deutsches  Bürgertum,  I. 
gung  der  Figuren  auf  einzelne  Blät-  432  und  £ifclberqer  in  den  Mittei- 
ter oder  1  äfelchen.  Die  Araber  hingen  der  k.  k.  Zentralkommission, 
kannten  das  Spiel  schon  im  12.  |  Wien.  1860,  v,  93— 102,  140—147. 
Jahrhundert,  und  von  dorther  brach-  Spielleute,  siehe  fahrendes  Volk, 
teu  es  die  Kreuzfahrer  ins  Abend-  Spinnräder  kennt  man  seit  1 530, 
land,  zunächst  nach  Italien,  wo  es  in  welchem  Jahre  sie  durch  den 
längere  Zeit  nicht  recht  aufkommen  Bildschnitzer  Johann  Jürges  in 
w  ollte.  Aber  schon  1387  erliess  •  Watenbüttel  erfunden  wurden.  Ge- 
Johann von  Kastilien  eine  Verord-  spönnen  wurde  zwar  schon  im  Alter- 
nung,  worin  er  die  Würfel,  das  tum,  jedoch  vermittelst  der  Spindel, 
Schach  und  die  Karten  inaupts,  die  erst  zu  der  oben  genannten  Zeit 
von  dem  arabischen   naib1  d.  h. ,  durch  die  Spule  ersetzt  wurde. 


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Spitzen  —  Sprichwörter.  929 


Spitzen  als  Seiden-,  Baumwollen-  tung.  Der  Überwundene  gab  dem 
oder  Leinengewirke  waren  im  frü-  Sieger  nebst  seinem  rechten  Hand- 
heren Mittelalter  sehr  selten.  Die  schuh  auch  den  rechten  Sporn,  mr 
Kunst  des  Spitzenklöppelns  wurde  Versicherung,  dass  er  die  verspro- 
um  1536  von  Venedig  aus  nach  der  chenen  Bedingungen  erfüllen  wolle. 
Schweiz  und  nach  Deutschland  ver-  Pontus  Heuter  erzählt,  dass  noch 
pflanzt,  und  damit  fand  auch  das  im  Jahr  1382  in  4er  Oberkircbe  zu 
Produkt  bald  eine  allgemeine  Ver-  Cortrycht  500  Paar  goldene  Sporen 
breitung.  'gelegen  hätten,  die  man  1302  den 

Sporen.  Ein  ritterliches  not- 1  Franzosen  bei  Groningen  abge- 
wendiges und  allgemeines  Rüststück  nommen.  Knappen  trugen  höchstens 
scheinen  die  Sporen  (althd.  sporo,  silberne  Sporen;  die  goldenen  zeich- 
*/*oro»;  angels.  spora,  spura;  nord.  neten  den  Ritter  aus.  Sie  wurden 
tpori;  franz.  Operon;  engl,  spur)  erst  ihm  bei  Erteilung  der  Ritterwürde 
im  12.  Jahrhundert  geworden  zu  ,  von  einem  andern  Ritter  oder  von 
sein,  obschon  sie  sich  in  Liedern,  einer  Dame  umgebunden,  zuerst  der 
Bildern  und  Wappen  viel  weiter  linke,  dann  der  rechte.  Die  Dame 
hinauf  nachweisen  lassen  und  solche  erteilte  ihm  dabei  die  Ermahnung, 
aus  den  ältesten  fränkischen  und  dass  die  Sporen  ihm  nicht  bloss  dazu 
burenndischen  Gräbern  Deutsch-  dienen  sollten,  das  Pferd  anzutreiben, 
lanofe  und  der  Schweiz  ausgegraben  |  sondern  sie  sollen  ihn  hauptsächlich 
werden.  Der  Ritter  trug  einen  Sporn  !  erinnern,  dass  Tapferkeit  und  Ehre 
und  zwar  am  linken  Fusse,  wohl  der  einzige  Sporn  zu  edlen  Thaten 
um  dem  Ross  den  Druck  nach  rechts  für  ihn  sein  sollen.  San-Marte, 
zur  bewaffneten  Hand  des  Gegners  Waffenkunde. 

m  treuen.  Die  Bilder  zum  Rolands-  Sprichwörter,  mhd.  ein  alt- 
liea  zeigen  doppeltgespornte  Ritter, ,  sprachen  wort,  aldez  wort,  alter  ■ 
viele  Reitersiegel  einfachgespornte  sprnch,  Sprichwort,  altez  Sprichwort, 
und  die  mehrfach  genannten  Tep- ;  und  dergleichen,  sind  uralte  Form 
piche  von  Bayenx  lassen  die  Mehr-  der  Volksweisheit,  ursprünglich  in 
zahl  der  Ritter  ohne  Sporen  auf-  alliterierender  Gestalt,  die  sich  in 
treten.  Wo  aber  solche  vorkommen,  vielen  Fällen  erhalten  hat,  später  in 
da  sind  es  einfache,  wenig  aus  dem  ,  Prosa  oder  mit  Endreim;  schon  früh 
Bügel  hervorragende  Stacheln  von  gesammelt,  bilden  sie  unter  anderem 
nicht  sehr  starkem  Eisen.  Diese  einen  wesentlichen  Bestandteil  von 
Stachelsporen  dauern  fort  bis  ins  Freidanks  Bescheidenheit;  kleinere 
15t  Jahrhundert,  wenn  auch  mehr  Sammlungen  stammen  aus  dem  15., 
ausnahmsweise,  denn  die  Räder- 1  umfassendere  aus  dem  16.  Jahr- 
sporeu  hatten  sie  aus  dem  allge-  hundert.  Die  bedeutendsten  unter 
meinen  Gebrauch  verdrängt.  Diese  ,  den  sehr  zahlreichen  Sammlungen 
^den  mit  zierlichen  Borten  über  sind:  Johannes  Agricola  von  Eis- 
sen Eisenschuh  geschnallt  oder  ge-  leben,  1492  —  1566,  zuerst  nieder- 
bunden  und  waren,  zumal  wenn  das  deutsch  1528,  dann  1529  hochdeutsch 
I*ferd  in  einen  Eisenpanzer  gehüllt  unter  dem  Titel:  Dreyhundert  Ge- 
war,  von  beträchtlicher  Länge  (bis  meyner  Sprichwörter,  später  auf  750 
ein  Fuss).  Zur  Zeit  der  Platten-  vermehrt,  mit  Auslegungen  „die 
rüsrung  wurde  der  Sporn  unter  den  meistens  sehr  neben  dem  Sinne  her- 
Fussschienen  getragen  und  ragte  |  gehen."  —  Sebastian  Franck  von 
aus  einer  Spalte  hervor.  Donauwörth,  etwa  1500— 1565,  geist- 

in der  Blütezeit  des  Rittertums  voller  in  der  Auslegung  der  Sprieh- 
hatten  die  Sporen  wie  der  Hand-  Wörter  und  reichhaltiger  ;seineSprich- 
sH-huh  auch  ihre  symbolische  Bedeu-  Wörter    erschienen    zuerst  1541. 
Reallexicon  der  deutlichen  Altertümer.  59 


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930  Spruch.  —  Stadtbefestigung. 


r;ö</*&tf,  Grundrias       103.  Zingerle,  seinen  Nachahmungen  (vergl.  den 

die    deutschen    Sprichwörter    im  Artikel  Xarrentum),  bis  endlich  bei 

Mittelalter.    Wien,  18K4.  Hans    Sachs    alles  Spruch  hebst. 

Spruch.    In  der  höfischen  Lyrik  was  weder  gesunkenes  Lied  noch 

benennt  man  mit  diesen  Namen  seit  gespieltes  Drama  ist,  mag  es  nun 

Simrock  im  Gegensatz  zu  Lied  und  im  Desonderen  der  Erzählung,  der 

Leich  die  einzeln  stehende,  meist  Allegorie,   dem    Lobspruch,  dem 

grössere ,  aus  langen  Versen  be-  Schwank ,    dem    Gespräch ,  dem 

stehende,  manchmal  dem  Gesetz  der  Traum  etc.  angehören    In  dieselbe 

Dreiteiligkeit    nicht    unterworfene  Kategorie  gehören  endlich  die  zahl- 

Strophe,  die  mehr  gesagt  als  ge-  lose   Menge    von  Einzelsprüchen, 

sungen  wurde;  wenigstens  wird  bei  welche  in  diesen  Jahrhunderten  der 

ihr  nirgends  musikalischer  Begleitung  Lehrhaftigkeit   überall  angebracht 

erwähnt;  der  Spruch,  der  sich  erst  wurden,  an  Häusern,  Brücken,  auf 

allmählich  vom  gesungenen  Liede  Schwertern,  Truhen,  auf  Wappen, 

löst,   dient  besonders  politischem,  Glas- und andereuGemälden,Gläsern, 

gnomischem  und  satirischem  Inhalt  Humpen,    Krügen,  Salzgetassen. 

und  nimmt  daher  um  so  mehr  zu,  Ofen  etc.    Vergl.   Wichmann .  die 

als  die  hochgespannte,  religiöse  und  Poesie  der  Sinnsprüche  und  Devisen, 

dem  Frauendienst  gewidmete  Em  Düsseldorf,  1S82. 
pfindung  abnimmt.    Die  bedeutend-        Stab.     Abtstab .  Bischofsstab, 

sten  Sprüche  stammen  von  Walther  Krummstab,  sind  Abzeichen  kirch- 

von  der  Vogelweide.  licher  Ämter.    Aber  auch  unterge- 

In  anderer  Bedeutung  erscheint  ordnete  Kirchendiener  trugen  ihn, 

Spruch  als  Name  eines  gesprochenen  so  der  Vorsänger  den  Kantorstab 

Gedichtes  belehrenden  I  nhaltes,  unter  und  der  Kirchendiener  den  bdton 

Umständcu  eines  Gedichtes  in  Reim-  de    hedeau.     Auch    die  weltliche 

(jaaren  überhaupt.  Solche  Dichtungen  Herrschaft  bediente  sich  neben  dem 
ösen  sich  langsam  seitdem  12.  Jahr-  Zepter  des  Stabes, 
hundert  von  den  epischen  Dichtungen  Stadtbefestigung.  Über  die  äl- 
ab;  im  13.  Jahrhundert  am  Ab-  testen  Stadtbefestigungen  in  Deutsch - 
sehluss  der  Blütezeit  der  höfischen  laud  sind  nur  wenige  Notizen  er- 
Dichtung  stehen  die  drei  berühmten  halten;  einzelne  Daten  sind:  für 
Spruchgedichte  Freidanks  Beschei-  Mainz  712  und  730;  Reaensburg 
denheit,  der  Welsche  Gast  des  Tho-  734 ;  Köln  716,  die  Brücke  789; 
masin  von  Zirklar  und  der  Renner  Worms  897;  985  wird  eine  feste 
des  Hugo  von  Trimberg.  Von  dieser  Burg  im  Innern  der  Stadt  erwähnt; 
Zeit  nimmt  mit  der  Abnahme  der  Frankfurt  a.  M.  stammt  aus  der 
erzählenden  Dichtungen  diese  gc-  Zeit  Ludwigs  des  Frommen ;  Strass- 
reimte  Spruchweisheit  bis  ans  Ende  bürg  wird  anfangs  des  8.  Jahrhun- 
des Mittelalters  stetig  zu;  der  Witts-  derts  zum  ersten  Mal  erweitert,  zum 
beke  und  die  Winsbekiny  Lehren  und  zweitenmal  im  13.  Jahrhundert; 
Ermahnungen  eines  adeligen  Vaters  Augsburg  hat  zur  Zeit  der  Ungarn- 
und  einer  adeligen  Mutter  an  Sohn  Schlacht  955  eine  Ringmauer;  Türme 
und  Tochter  enthaltend,  gehören  erhält  es  erst  nach  der  Schlacht; 
noch  der  guten  Zeit  an.  Es  treten  St.  Gallen  wird  953  befestigt  und 
dann  Tierfabeln,  kleine  weltliche  soll  13  Türme  bekommen  haben; 
und  geistliche,  märchenhafte  und  Hildesheitn  wird  933  mit  Mauern 
allegorische  Erzählungen  in  diesen  und  Türmen  versehen;  über  die  von 
Kreis;  nach  einer  Pause  erscheint  den  sächsischen  Kaisern  befestigten 
am  Ende  des  15.  Jahrhundert  Sc-  Orte,  siehe  den  Artikel  Burg.  Bau- 
bastiau    Brauts  yarrenschiff,   mit  liehe    Überreste    sind    vor  dem 


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Stadtbefestigung. 


931 


11.  Jahrhundert  keine  erhalten;  es  gung,  die  in  Frankeu  llainqraben 
scheint,  das«  den  meisten  Städten  hiess.  Dieselbe  bestand  aus  breiten 
eine  massig  dicke  und  hohe,  in  Stein  ,  Gräben,  starken  Zäunen  und  Erd- 
erbaute Ringmauer,  hinter  einem  aufwürfcn,  die  mit  Hecken  bepflanzt 
breiten ,  momöglich  Wassergraben  waren.  Flügelthore,  weit  genug,  um 
genügte.  Die  Bewachung  und  Ver-  j  einen  Erntewagen  durchzulassen,  " 
teidigung  war  so  unter  die  verschie-  J  öffneten  sich  meist  nur  „zwei  Wegen 
denen  Klassen  der  Bewohner  ver-  gegenüber.  Die  Hauptverteidigung 
teilt,  dass  den  Einzelnen  bestimmte  ,  des  Dorfes  lag  im  Kirchhofe  mit 
Strecken  oder  gewisse  Türme  zuge-  der  Kirche,  siehe  Friedhof.  Ähn- 
wiesen waren.  Im  11.  Jahrhundert  liehe  Verhältnisse  traten  bei  einem 
war  die  Bedeutung  der  Städte  als  Teile  der  deutschen  Städte  ein,  es 
feste  Plätze  eine  wesentlich  erhöh-  sind  die  sogenannten  Lfarfstadte, 
tere;  sie  dienten  als  Sammelplätze  die  für  ihre  Befestigungen  lange 
der  Heere,  auch  der  Kirchen-  und  Zeit  durch  auf  Holz  und  Erde  an- 
Reichsversammlungen;  die  Belage-  gewiesen  blieben;  auch  wo  die 
rungen,  von  denen  berichtet  wird,  eigentliche  Stadt  mit  Mauern  eiuge- 
Würzburg  1077  und  1086,  Augsburg  schlössen  war,  blieben  die  Vorstädte 
1091  und  1087,  Rcgeusburg  1086,  meist  auf  die  alte  Befestigung  mit 
Marburg  1105,  Köln  1116,  waren  Grabeu  und  Pfählen  angewiesen, 
meist   vergeblich.    Auch  aus  dem  Die  Elemente  der  Stadtbefestigungen 

12.  Jahrhundert  sind  die  Überreste  aber  waren  jetzt  die  meist  neu  an- 
städtischer Befestigungsbauten  noch  \  gelegten  Mauern  in  einer  Höhe  von 
spärlich;  ihre  Elemente  sind  Grabeu,  30— 50  und  einer  Dicke  von  5 — 7 
Kingmauern,  Türme  und  Vorhöfe.  (  Fuss.  Der  Wehrgang  lag  anfangs 
Der  Aufschwung,  den  im  12.  und  13.  oben,  später  oft  in  halber  Höhe; 
Jahrhundert  der  Burgenbau  infolge  in  der  Mauer  waren  für  die  Arm- 
der  Kreuzzüge  nahm,  tarn  bald  auch  I  brüst  3  Fuss  breite  mit  Laden  Ver- 
den deutschen  Städten  zu  gute;  er  |  schliessbare  Fenster  oder  kreuz- 
ging Hand  in  Hand  mit  dem  sich  förmige  Seharten,  für  den  Bogen 
entwickelnden  Bürgertum  und  den  vertikale  und  für  die  Feuerwaffen 
Zünften  und  die  letzteren  dienten  runde  Scharten  angebracht.  In  all- 
zugleich als  militärische  Gliede-  gemeinem  Gebrauche  ist  auch  eine 
rungen,  sowohl  zur  Besetzung,  als  aussen  herumgehende,  auf  Trag- 
zur  Unterhaltung  und  Erneuerung  steinen  ruhende  Gallerie  mit  durch- 
bestimmter Teile  der  Umwallung.  i  brochenem  Fussboden,  von  wo  aus 
Da  baute  und  schmückte  denn  jede  man  siedendes  Wasser,  brennendes 
Zunft  nach  ihrem  Sinne,  was  man-  Pech  u.  dgl.  herabgiessen  konnte.  — 
ehe  seltsame  Anlage  ergab;  auch       Die  Türme  waren  40-70  Fuss 


ihre  Namen  bekamen  gewisse  Teile 
des  Mauergürtels  von  ihren  Innungen, 
wie  Bäckerthor,  Schueiderbrücke. 
Besondere  Aufmerksamkeit  ver- 
wandte man  auf  die  Thorburg,  das 


hoch;  sie  springen  bis  zum  Beginne 
des  14.  Jahrhunderts  in  Deutschland 
selten   Über    den  Mauerzug 


vor; 


später  ruhen  sie  zuweilen  als  Halb- 
türme  erkerartig  auf  der  Mauer; 


Propugnaculum ,  das  übrigens  nicht  erst  im  15.  Jahrhundert  werden  sie 

bloss  verteidigen,  sondern  auch  die  zur  Seitenbestreiehung  des  Zwingers 

Macht  und  das  Ansehen  der  Stadt  über  die  Mauer  hinausgerückt.  Die 

repräsentieren  sollte.  Form  der  deutsehen  Türme  ist  meist 

Infolge  des  seit  dem  13.  Jahr-  viereckig,  nach  hinten  zumeist  offen; 

hundert  zunehmenden  Fehdeweseus  in  Frankreich  die  Form  geschlossener 

versah    man   in   vielen  Gegenden  Cylinder.   Bei  der  Armierung  nahm 

sogar  die  Dörfer  mit  einer  Befesti-  man  die  Spitzdücher  ab  und  stellte 

59* 


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932  Stadtbefestigung. 

auf  den  Plattformen  Wagarmbrüste,  j  die  Stadt  angesiedelt,  seis  dass  in 
später  Büchsen  auf.  —  Die  Thore,  die  fertige  Stadt  eine  Burg  gebaut 
welche  stets  mit  der  Brücke  über  worden  war.    In   Deutschland  ist 
den  Graben  und  dem  jenseits  liegen-  der  erste  Fall  namentlich  in  den 
den     Brückenköpfe     zusammenge-  preussischcn  Städten  mit  den Ordens- 
höri^e  Befestigungen  bildeten,  er-  bürgen  eingetreten;   doch  kommt 
scheinen    als    seinständige  Werke  dieselbe  Erscheinung  auch  in  altern 
innerhalb    der  Umfassung,    daher  Städten  vor,  in  Münster,  Bamberg, 
manchmal  geradezu  Burgen  genannt.  Leipzig, Würzburg,  Nürnberg,  Lanci*- 
Bei  einer  und  derselben  Stadt  kann  hut,    Eichstädt,   Kempten,  Halle, 
ihre  Anordnung  sehr  mannigfaltig  Meissen.    Lag  die  Burg  höber  ab 
sein.  Die  Thoröffnungen  sind,  offen-  die  Stadt,  so  verband  man  Burg 
bar  um  den  schweren  Lanzenreitern  und  Stadt  durch  eine  Mauer ,  die 
bei  Ausfällen  den  nötigen  Raum  zu  den  Berg  herablief  und  an  die  Stadt- 
bieten, auffallend  hoch  und  breit,  mauer  anschloss. 
weshalb  sie  spater  wiederholt  einge-        Durch  das  Auftreten  der  Feuer- 
baut werden  mussten.  Vor  dem  Thor  Schlünde  war  das  im  14.  Jahrhundert 
war  eine  Barbigan  angebracht,  ein  herrschende  Fortifikations-Systein  in 
Aussenwerk,  das  die  Ausfallpforte  Unordnung  gekommen,  und  die  Ver- 
deckte und  der  Besatzung  gestattete,  suche  es  herzustellen,  gehen  von 
sich  vor  der  Ringmauer  geschützt  der  Mitte  des  15.  bis  ins  17.  Jahr- 
zu  sammeln;  sie  war  von  Holz  oder  hundert.    Das  Problem  der  Kriegs- 
Krde  hergestellt,  seltener  aus  Stein,  baumeister  ist  nunmehr:  Möglich- 
und  mit  Zugbrücke,  breitem  Graben  keit  rasanter  Geschützwirkung  bei 
und  äussern  Pallisaden  versehen.  —  Aufrechthaltung    voller  Sicherheit 
Die   Gräben   waren  anfangs   sehr  gegen  Leitersteigung.    Infolge  da- 
schmal  und  seicht;  zu  Ende  des  14.  von  kam  man  von  der  Sitte,  das  Ge- 
Jahrhunderts und  zu  Anfang  des  schütz  auf  den  Türmen  aufzustellen, 
15.  wird  in  vielen  Städten  ein  zweiter  ab,   schüttete  den  Wehrgang  der 
Groben  angelegt.  Mit  dem  jenseiti-  Mauer  mit  Erde  an  und  schuf  so 
gen  Grabenrande  waren  die  Thore  einen  Wallgang  hinter  der  Mauer, 
durch  Brücken  verbunden,  die  nach  von  dem  aus  das  Geschütz  feuern 
aussen  so  stark  wie  möglich,  nach  konnte;   daher  der  Name  Schütte, 
der  Stadt  zu  ganz  schutzlos  herge-  franz.  rempart,  von  remparer— parer 
stellt  wurden.  Das  Stüek  der  Brücke  «  nouveau.    Da  jedoch  der  Sturz 
unmittelbar  vor    dem   Thore   war  der  gebrochenen  Mauer  in  diesem 
stets   eine    bewegliche   Zugbrücke.  Falle  unbedingt  den  der  Erdmasse 
Meist  liefen  die  Brücken  schräg  auf  nach  sich  zog,  wendete  man  lieber 
das  Thor  zu:  ihr  Material  war  ge-  eine  äussere  Schüttung  an  und  schuf 
wohnlich  Holz;  Brücken  mit  steiner-  einen  äussern  Xiederwall ',  den  man 
nein   Unterbau  waren  wieder  mit  mit  den  bestehenden  Mauern  und 
Türmen  besetzt.    Jenseits  des  Gra-  Türmen  verbinden  konnte  und  der 
bens  lagen  die  Barhigancn,  welche  die  Beibehaltung  des  älteren  Systeme« 
seit  dem  15.  Jahrhundert  gewöhn-  gestattete.    Ausserhalb  der  Tbore 
lieh  Bolt irrrke  oder  Basteien  genannt  baute  man  statt  der  alten  Barbi- 
werden;  weiter  hinaus  Zäune  (Palis-  gane  grössere  Bollwerke,  die  das 
fadenreihen)    und    Schütten    (Eni-  Geschütz  aufnahmen  und  wiederum 
wälle),  welche  eine  Art  gedeckten  mit  Gräben  versehen  wurden.  Eine 
Weges  bildeten.  bedeutende  Rolle  spielten  nunmehr 
Allgemein  in  Europa  war  die  auch  breite  und  tiefe  Gräben;  um 
Verbindung   von   Burg   und.  Stadt,  diese  selbst  zu  verteidigen,  errichtete 
seis  dass  sich  an  und  um  die  Burg  man  an  den  Ecken  der  Umwallung 


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.  Stadtbefestigung. 


933 


im  Graben  selbst  austretende  Streich- 
wehren. 

Die  genannten  neuereu  Bauten, 
bei  deuen  der  Erdwall  eine  grosse 
Rolle  spielt,  wurden  bloss  als  Er- 
qänzungsbauten  der  mittelalterlichen 
Wehreinrichtungen  hergestellt  An- 
derer Natur  sind  die  fundamentalen 
Neubauten,  bei  welchen  der  Mauer- 
bau  zu  kühner  Ausgestaltung  und 
grandiosen  Dimensionen  gelangt. 
Die  Absicht  dabei  ist,  die  Mauer 
der  gesteigerten  Artillerie  Wirkung 
halber  zu  verstärken  und  in  den 
untern  Geschossen  der  Werke  Hohl- 
räume zu  gewinnen,  die  dem  dort 
aufgestellten  Geschütz  einen  rasanten 
Schuss  sicherten.  Die  Verstärkung 
der  Mauer  geschah  durch  ausser- 
ordentliche Stärken,  Hohlräume 
wurden  gewölbt;  ältere  MaueröfFnun- 
gen  wurden  nach  verschiedenen 
Methoden  zu  Geschützscharten  um- 
gewandelt. Die  Türme  wurden 
niedriger  und  mit  grösserem  Durch- 
messer angelegt,  auch  mehr  nach 
Aussen  vorgeschoben  und  die  Zahl 
der  Scharten  vermehrt.  Die  Batterie 
hinter  den  Zinnen  wurde  geblendet 
und  dann  unmittelbar  au  den  Rand 
der  Turmplattform  vorgerückt.  Na 
mentlich  die  Anlage  und  Einrichtung 
der  Basteien  waren  ein  Gegenstand 
unablässiger  Versuche  für  alle  euro- 

f>äischen  Völker;  im  allgemeinen 
latten  um  das  Jahr  1500  afie  Neue- 
rungen im  Befestigungswesen  noch 
vorwiegend  lokalen  Charakter  und 
eigentliche  Militär-Ingenieure  gab  es 
noch  nicht. 

Eine  allgemein  anerkannte  Be- 
festigungskunst entwickelte  sich  zu- 
erst auf  dem  Boden  der  italienischen 
lienaissance ;  hier  entstand  die  bald 
überall  angenommene  Altitaliensche 
Befesligungsireise  oder  die  bastion  ierte 
Befestigung,  die  man  angemessener 
Jfurtißtcation  mit  Bastionen  oder 
Polygonalbefestigungen  heissen  sollte. 
Nach  Jahns,  Geschichte  des  Kriegs- 
wesens. 

Diesen  kriegsgeschichtlichen  An- 


deutungen seien  hier  einige  rechts- 

feschicntliche  beigefügt,  die  wir 
em  Werke  Genglers ,  deutsche 
Städte- Altertümer,  Erlangen  1882, 
Abschn.  I,  II  und  III  entnehmen. 

1)  Mauern.  Ihre  Herstellungs- 
Arbeit  teilte  sich  zwischen  versten- 
digen  werklüten  und  den  Bewohnern 
der  Stadt.  Die  Dienste  der  letz- 
teren heissen  die  Mauer-Baulast; 
sie  beruht  auf  sämtlichen  Ein- 
wohnern der  Stadt,  welche  den 
Dienst  entweder  persönlich  oder 
durch  Drittpersonen  ausüben;  oft 
erhalten  sie  dafür  von  den  Stadt- 
herren Befreiung  von  Steuern  und 
anderen  Diensten.  Den  Geldauf- 
wand für  die  Errichtung  und  In- 
standhaltung der  Stadtmauer  suchte 
man  in  der  Regel  durch  die  allge- 
meinen städtischen  oder  durch  be- 
stimmte landesherrliche,  der  Stadt 
überwiesene  Einkünfte  zu  decken; 
bisweilen  aber  schuf  man  einen 
eignen  Befestiqungs-Baufond,  dessen 
Einnahmsquellen*  die  Mauersteuer, 
der  Mauerzoll,  das  heisst  ein  Zu- 
schlagszoll zu  dem  ordentlichen  Weg - 
gelde,  die  Mauer-Accise  oder  das 
Mauer-Ungeld,  die  Mauer- Vermächt- 
nisse, d.  h.  in  jedem  Testament 
auszusetzende  Zwangsbeiträge,  das 
Mauer-Drittel  von  allen  bei  Todes- 
fällen sich  ergebenden  erblosen 
Gütern,  die  Mauer-Geldbusse,  bei 
gewissen  an  öffentlichen  Orten  ver- 
übten gewalttätigen  Handlungen. 
Eine  ähnliche  Frevelstrafe,  z.  B.  bei 
Friedbrüchen  und  Geheimbündnis- 
sen, erscheint  häufig  mit  der  Lei- 
stung von  zehn-  bis  füufzigtausend 
Mauersteinen  zum  Stadtbaue,  wäh- 
rend andere  Vergehen  durch  Lei- 
stung einer  gewissen  Anzahl  von 
Pfählen  oder  Fuder  Steine  gebüsst 
werden.  Wenn  Wohnhäuser  oder 
anderer  Grundbesitz  unmittelbar  an 
den  Mauerbau  anstiessen,  also  spe- 
ziell durch  denselben  geschützt  wa- 
ren, wurde  zuweilen  der  Eigentümer 
zu  einem  Bruchteil  des  Baukosten- 
Betrages  verpflichtet. 


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934  Stadtbefestigung. 


Die  Stadtmauer  galt  für  unver-  der  Regel  wurden  dann  entweder 
letzlich  oder  heilig,  und  zwar  der  die  Bürgermeister  oder  einzelne 
Anschauung  des  Mittelalters  gemäss  Ratsglieder  bevollmächtigt,  jeden 
um  der  in  den  städtischen  Kirchen  Abend  die  Thorschltiasel  in  Em- 
aufbewahrten  Reliquien  oder  um  pfang  zu  nehmen, 
der  Schutzpatrone  willen.  Als  be-  Für  die  Thorhut  bestanden  die 
sonders  mauer- schädigende  Hand-  Amter  des  Thorwartes  und  der 
Langen  werden  in  den  Stadtrechten  Thorwächter.  Der  Thorwart  sass 
aufgeführt  die  Mauer -Zerstörung,  in  der  Thorstube  und  war  allein 
die  Mauer- Verletzung,  die  Mauer-  befugt,  den  Einlass  begehrenden 
Verbauung,  die  Mauer -Überstei-  das  Thor  oder  die  kleinere  im  Thor- 
gung  und  die  Mauer- Begehung,  tiügcl  angebrachte  Durchgangsthüre 
Zuweilen  wurde  solchen  Klöstern,  zu  öffnen;  nach  einzelnen  Stadt- 
welche  die  Mauer  berührten,  ge-  rechten  hatte  der  Thorwart  auch 
stattet,  kleine  Durchgangspforten  die  satzungsgemässen  Thorgelder 
oder  bloss  Fenster  durch  den  Mauer-  einzuheben,  die  Einfuhr  fremder 
körper  anzulegen.  Gewerbsprodukte  zu  kontrollieren, 

Für  die  Mauer  bestand  eine  das  Thorgef&ngnis,  wo  ein  solches 
eigene  Mauerwaehe ,  für  welche  bestand,  zu  überwachen  und  die 
ein  eigener  Wächtergang ,  ur-  im  Thorgelasse  aufbewahrten  Ge- 
sprünghch  regelmässig  innerhalb  schütze  und  WafFenvorräte  zu  beauf- 
der  Mauer,  zwischen  dieser  und  den  sichtigen.  Unter  seinem  Befehle 
anstosseudcn  Häusern,  ausnahms-  standen  die  Thorwächter,  welchen 
weise  auch  ausserhalb  der  Mauer  die  Wache  unter  dem  Thorbogen, 
zwischen  ihr  und  dem  Stadt-  die  Spähe  auf  der  Thorzinne  und 
graben  zu  ebener  Erde  herum  an-  die  sogen.  Gitterwart  oblag, 
gelegt  war,  an  dessen  Statt  später  3)  die  Thürme  scheiden  sich  in 
ein  sogen,  oberer  Umgang  in  der  Wart-  und  Wehrtürme  aus. 
Höhe  (Ter  Schiessscharten  angelegt  Der  Wart -Turm,  wart  turn, 
wurde,  eine,  auch  Letze  genannte  warte,  wart  befand  sich  stets  ausser- 
hölzerne  und  gedeckte  GaUerie.       halb  der  Stadt,  doch  im  Umkreise 

Um  den  Mauergürtel  ging  der  ihrer  Markung,  in  der  Regel  auf 
Stadt-Graben,  der  auf  der  Gegen-  einem  erhöhten  Punkte,  der  oft 
seite  der  Mauer  durch  den  Stadt-  wartberg  heisst.  Es  waren  meist 
Wall  begrenzt  war.  massive  Steinbaue  von  schlanker. 

2)  Stadt-Thore,  mhd.  tore,  por-  oft  viereckiger  Gestalt  und  ansehn- 
ten,  ttatporten,  portel,  portel,  tüerL  licher  Höhe.  Den  Dienst  darauf 
Sie  sondern  sich  in  Walt-  oder  versah  ein  Turmwärter,  in  Kriegs- 
Grabenthore  und  in  Mauer-  Thore.  zeiten  ein  bewährter  angesehener 
In  der  lange  verfolgbaren  Vierzahl  i  Mann ,  der  mit  den  städtischen 
lassen  sie  den  uraltertümlichen  Ein-  Mauer-  und  Turmwächtern  durch 
flu 88  der  vier  Himmelsgegenden  j  verabredete  Merkzeichen  eine  fort- 
erkennen, währende  Verständigung  unterhielt. 

Die  Thorqewalt  oder  die  Ver-  Die  Wehrtürme  sind  fünferlei 
fugung  über  aie  Stadtthore,  nament-  Art:  1)  Mauer-Türme,  Bestandteile 
lieh  die  Rechte  der  Thorbesetzung  der  Mauer  selbst,  entweder  ureprüng- 
und  Schlüsselverwahtutng,  gebührte  lieh  freistehende  kleine  Burgen,  die 
ursprünglich  allein  dem  Staatherrn ;  man  nachher  bei  Anlegung  der 
doch  trat  im  Verlaufe  der  Zeit  das  Stadt  in  den  Mauerring  einbezog, 
Bestreben  der  Bürger  hervor,  die  oder  mit  dem  Mauerbau  zusammen 
volle  Verfügungsgewalt  über  ihre  erbaut ,  ihrer  Bauart  nach  meist 
Stadtthore  an  sich  zu  bringen;  in  mittelhoch,  schmal,  mit  einem  ko- 


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Städte 


935 


nischen  oder  spitzen  Ziegeldache  in  Feuer-,  Eis-  und  Wassersnot, 
überdeckt.  Stets  sind  zahlreiche  bei  Aufstand,  bei  Verbrechen  dann, 
Mauertürme  Zierde  und  Stolz  der  wenn  es  galt,  die  schnelle  Verfol- 
deutschen  Städte  gewesen.  2)  Wall-  gung  und  Ergreifen  des  Schuldigen 
oder  Graftentürme  sprangen  basteiai-  ins  Werk  zu  setzen,  bei  Beginn 
tig  an  den  Ecken  oder  Umbiegun-  des  Malefiz Verfahrens, 
gen  des  Walles  auf  Damm- Ausläufern  Eingekerkert  in  den  Türmen 
derselben  vor;  von  ihrer  kurzen  wurden  schedliche  Leute  von  der 
bauchigen  Rundform  heissen  sie  Haftnahme  bis  zur  Gerichtsverhand- 
rondelc.  3)  Thor-Türme  erhoben  lung,  sodann  zur  Einkerkerung 
sich  ein-  oder  zweistöckig  über  den  Verurteilte ,  wobei  es  manchmal 
Hauptthoren  in  den  mannigfaltigsten  Spezialkerker  für  Verbrecher  ver- 
Formen. 4)  Zwinger ,  a.  h.  zum  schiedener  Art,  für  die  beiden  Ge- 
speziellen Schutze  einzelner  Mauer-  schlechter ,  für  patrizische  Ver- 
teile bestimmte,  meist  eylinderför-  brecher  und  für  Verbrecher  aus 
mige,  nicht  bedeutend  hohe,  aber  bestimmten  Zünften  gab.  Ebenso 
sehr  weite  Steintürme,  zur  Unter-  wurden  in  einem  Turme  diejenigen 
bringung  schweren  Geschützes  und  verwahrt,  welche  die  Strafe  des 
beträchtlicher  Besatzungen.  5)  Berq-  Henkers  zu  erwarten  hatten,  sowie 
friede ,  ursprünglich  transportable  auch  Folterungen  darin  vorgenom- 
Holztürme  zur  Belagerung,  sodann  men  wurden. 

Türme  ähnlicher  Art,  aber  zur  Ab-  Turmnamen  sind  benannt  ent- 
wehr des  Feindes  an  die  Mauer  weder  nach  der  Bauform:  lang, 
gestellt;  noch  später  feststehende  hoch,  rund,  Mehlsack;  oder  nach 
Türme,  häufig  noch  aus  Holz,  ent-  der  Farbe  des  Daches  oder  Ge- 
weder bloss  zur  Bergung  der  Ein-  mäuers:  grün,  rot,  blau,  weiss,  oder 
wohner  und  ihrer  wertvolleren  Fahr-  nach  den  Handwerkern,  die  in  ihrer 
habe  während  einer  Belagerung  Nähe  angesessen  waren.  Viele 
bestimmt,  dann  im  Innern  der  Türme  aber  sind  nach  Tieren  und 
Stadt,  oder  als  Schutztürme  vor  Bäumen  genannt:  Adler,  Bär,  Dach, 
der  Stadt  erstellt.  Hatzel,    Papagei,    Birke,  Tanne 

In   Friedenszeiten    sassen    auf  i  u.  dgl. 
denjenigen  Türmen,  die  man  als  \      Städte.    Das   got.  Wort  der 

Wacht  türme  benützte,  hiieter  oder  stath*  bedeutet  bloss  Stätte,  Stelle, 

wachter;  unbentitzte  Türme  über-  Raum,  Gegend;  die  Bedeutung  der 

liess  man  wohl  zeitweise  an  Klöster  Stadt  wird  im  Gotischen  durch  baurgs 

oder  Privatpersonen  zu  Besitz  und  ausgedrückt;  erst  im  Althd.  beginnt 

Nutzung,  sei's  als  Wohnungen,  sei's  sich  für  das  Wort  die  stat  die  Be- 

als  Kornspeicher  u.  dgl.  deutung  Ortschaft  zu  entwickeln,  bis 

Einer  unter  den  Wachttürmen  im  Mhd.  stat  neben  der  alten  Be- 

5 alt  als  Beobachtung»-  und  Melde-  deutung  diejenige  einer  über  andere 
Wm,  wo  dessen  Funktionen  nicht  im  Range  gestellten  Ortschaft  hat. 
etwa  dem  Kirchturm  übertragen  Vgl.  Genglery  Deutsche  Stadtrechts- 
waren. Vom  Melde-Turm  aus  wurde  Altertümer,  Exkurs  I:  Die  quellen- 
der Bürgerschaft  durch  bestimmte  mässigen  Bezeichnungen  der  deut- 
Zeichen,  Flaggen-Aushängung  und  sehen  Städte  im  Mittelalter. 
Glockenschlag  gewisse  Zeichen  ge-  Ursprünglich  kennen  die  Deutschen 
geben.  Die  zu  diesem  Zwecke  keine  Scheidung  der  verschiedenen 
dienende  Glocke  hiess  Sturm-,  Bau-  Wohnsitze;  was  in  den  eroberten 
oder  Eidglocke;  auch  Mordglocke  Provinzen  von  römischen  und  galli- 
kommt  vor.  Die  Glocke  wurde  sehen  Städten  dem  fränkischen  Ge- 
angeschlagen in  Krieg8geschäften,  biete  einverleibt  wurde,  wurde  nicht 


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936 


Städte. 


anders  als  die  heimischen  Dörfer 
behandelt;  doch  erlangten  manche 
stärker  bevölkerten  Ortschaften  im- 
merhin eine  erhöhte  Wichtigkeit  als 
Bischofssitz,  Mittelpunkt  eines  Graues, 
Wohnung  eines  Grafen,  als  fester 
Platz,  wo  Gewerbe  und  Handel  Zu- 
flucht fanden,  als  Sitze  von  Klöstern, 
Pfalzen  der  Könige  und  Fürsten, 
als  Orte,  deren  günstige  Verhältnisse 
einen  lebhafteren  Verkehr  beför- 
derten. Es  ist  bekannt,  dass 
Heinrich  I.  Klöster  und  andere 
grössere  Wohnnlätze  mit  Mauern 
und  Gräben  umziehen  und  mit  regel- 
mässiger Besatzung  versehen  Hess 
(vgl.  den  Artikel  Burg).  Jeder  be- 
festigte Ort,  aber  auch  jede  grössere 
zusammenhängende  Ortschaft  hiess 
Burg.  Entscheidend  für  die  Ent- 
stehung einer  Stadt  war  aber  nicht 
die  Ummauerung,  die  man  auch  bei 
Burgen  und  Klöstern  findet,  auch 
nicht  das  Vorhandensein  einer  selb- 
ständigen Gemeindeverwaltung ;  son- 
dern die  Verleihung  des  Marktrechtes 
erhob  eine  Niederlassung  zur  Stadt 
und  bot  für  die  Folgezeit  die  Grund- 
lage, auf  der  sich  städtisches  Wesen 
im  Sinn  des  Mittelalters  ausbildete. 
Anlass  aber  zu  gesteigertem  Markt- 
verkehr bot  besonders  der  Besuch 
von  Kirchen:  hier  kaufte  man  ein, 
was  fremde  Händler  oder  die  Hand- 
werker des  Ortes  darbrachten,  und 
bot  dagegen  den  Ertrag  der  eigenen 
Wirtschaft.  Mit  dem  Marktrechte 
war  für  die  Besucher  des  Marktes 
sowohl  als  für  die  gesamte  städtische 
Einwohnerschaft  ein  besonderer 
königlicher  Frieden  verbunden  (vgl. 
den  Artikel  Friede),  auf  dessen  Ver- 
letzung die  Strafe  des  Königsbannes 
stand;  er  bezog  sich  zunächst  auf 
die,  welche  den  Markt  besuchton, 
sowohl  auf  diesem  selbst  als  auf 
dem  Hin-  und  Rückwege.  Zeichen 
des  Köiügsfriedens  war  das  auf  dem 
Marktplatze  errichtete  Kreuz.  Mer- 
catus  und  forum  sind  anfänglich 
gleichbedeutend  mit  onpidum  und 
civitas.    Für  die  Marktherrn  lag  in 


der  Verleihung  des  Marktes  das 
Privileg  zur  Erhebung  von  Zoll-  oder 
Marktgeldern,  für  die  städtische  Ge- 
meinde aber  war  vielfach  schon  mit 
der  Verleihung  des  Marktes  die 
Immunität  verbunden,  d.  h.  die  Los- 
lösung von  der  gräflichen  und  die 
Aufstellung  einer  eigenen  Gerichts- 
barkeit über  alle  Sachen,  die  sich 
auf  Verletzung  derselben  bezogen, 
über  alle  Personen,  die  an  dem 
Orte  wohnten.  Die  Verleihung  des 
Marktrechtes  ging  ursprünglich  nur 
vom  Könige  aus.  Von  ihm  erhielten 
es,  stets  nur  für  einen  bestimmten 
Ort,  die  Bischöfe,  zunächst  für  ihre 
Hauptstädte,  dann  wohl  auch  für 
einzelne  andere  Niederlassungen ; 
ebenso  erlangten  es  einzelne  Grafen 
und  Klöster  für  ihre  Sitze.  Oft 
wurde  bei  der  Verleihung  des  Markt- 
rechts auf  das  Vorbild  anderer 
Märkte  Rücksicht  genommen,  im 
Süden  auf  Regensburg ,  Augsburg, 
Konstanz,  Basel  und*  Zürich;  in 
Franken  auf  Würzburg  und  Bam- 
berg ;  am  Rhein  auf  Wurms,  Mainz 
und  Köln  -,  weiter  im  Westen  auf 

Trier  und  Cambrai;  im  nördlichen 
Deutschland  auf  Dortmund,  Goslar 
und  Magdeburg.  So  bildete  sich 
eine  gewisse  gleichmässige  Ordnung, 
ein  Recht  der  Kaufleute  und  des 
Marktes.  Die  bewilligten  Märkte 
sind  entweder  Jahrmärkte,  die  ohne 
Zweifel  mit  dem  Feste  des  Kirchen- 
heiligen  zusammenfielen,  oder  auch 

Wochenmarkte;  die  Zeitdauer  des 
Jahrmarktes  wechselt  von  zwei  bis 
zu  acht  Tagen,  am  häufigsten  sind 
es  drei ;  auch  mehrere  Märkte  werden 
in  einem  Jahr  gestattet.  Während 
anfänglich  bloss  der  König  Markt- 
recht verlieh,  errichteten  später,  an- 
fangs wenigstens  mit  Genehmigung 
des  Königs,  geistliche  und  weltliche 
Grosse  ihrerseits  Märkte.  Die  Er- 
richtung eines  Marktes  und  der  da- 
durch oedingte  Aufschwung  von 
Handel  und  Verkehr  gaben  Anlass, 
den  Bewohnern  der  Stadt 
speciell  den  Kaufleuten  noch 


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Städte. 


93  7 


cherlei  andere  Vergünstigungen  zu- 
kommen zu  lassen:  Verhängung 
strenger  Strafen  wegen  Gebrauch 
von  Waffen  innerhalb  der  Stadt, 
Bestimmungen  über  Marktdiebstahl, 
Vergünstigung  betreffs  Erwerbung 
von  Grundeigentum  behufs  städti- 
scher Wohnstätten,  Erlaubnis,  An- 
gehörige anderer  Herrschaften  bei 
sich  autzunehmen,Freiheit  von  Zöllen, 
die  Freiheit,  kein  Vogtgericht  ausser- 
halb der  Stadt  zu  besuchen.  Vgl. 
den  Art  Markt. 

Was  die  Beamten  der  Stadt  in 
der  ersten  Zeit  betrifft,  so  sind  die- 
selben durchaus  aus  den  älteren 
Reichsbeamten  hervorgegangen ;  die 
LTäfliche  oder  Gau -Gerichtsbarkeit 
hat  ein  Burggraf  (vgl.  den  besondern 
Artikel)  oder  ein  bischöflicher  mit 
gräflicher  Gewalt  ausgerüsteter  Vogt. 
Der  Burggraf  scheint  ursprünglich 
nichts  anders  als  ein  auf  die  Stadt 
beschränkter  Graf  gewesen  zu  sein ; 
wo  der  Bischof  mit  der  Zeit  die 
gräflichen  Rechte  an  seine  Kirche 
brachte,  tritt  dafür  ein,  mit  gräf- 
lichen Rechten  ausgestatteter,  vom 
Bischof  ernannter  Vogt  ein,  der 
aber  wie  die  echten  Grafen,  den 
vornehmsten     Geschlechtern  des 
Landes  entnommen  und  bischöflicher 
Lehnsmann  ist.    Unter  dem  Burg- 
grafen oder  Vogt  steht  der  Ver- 
treter  des   alten  Centenars,  der 
Üchultheiss  (siehe  diesen  Artikel); 
er  ist  der  Exekutor  des  Grafen,  und 
verwaltet  zugleich  die  Erhebung  der 
Zinsen   und   Einkünfte    aus  den 
bischöflichen  Gütern;  auch  er  ist, 
wie  meist  der  Vogt,  aus  den  Mini- 
sterialen desBischofs  hervorgegangen 
und  oft  hat  sich  mit  seinem  Amt 
dasjenige    des   Meters  verbunden. 
Bischöfliche  Beamtungen  unterge- 
ordneter Art  sind  der  Zöllner  und 
der  Münzmeister.     Der  Burggraf 
oder  Vogt  stand  auch  wie  von  alters- 
her  an  der  Spitze  des  Heerbanns; 
die  Einwohner  und  die  derUmgegend 
□tussten    nach    alter    Weise  zum 
Unterhalt  der  Mauern  und  Türme 


mithelfen,  Wacht-  und  Wartdienste 
thun;  viele  Städter  wurden  durch 
fortgesetzte  kriegerische  Lebensart 
wirkliche  Rittersleute;  überhaupt 
wurde  so  der  Grund  zu  der  später 
so  bedeutenden  Kriegsmacht  der 
Städte  gelegt. 

Die  Einwohnerschaft  bestand  aus 
Freien,  halbfreien  Zinsleuten  und 
Knechten.  Jene,  die  Freien,  bildeten 
ihrer  ausschliesslichen  Schöffenbar- 
keit  wegen  einen  engem  Kreis,  die 
cives  oder  bürge nses-,  sie  beschäftigten 
sich  mit  Handel  und  höhern  Ge- 
werben und  waren  meist  auch  auf 
dem  Lande  begütert;  die  milites 
bildeten  die  höchste  Klasse  der- 
selben ;  auch  freie  Handwerker  trifft 
man  in  den  Städten.  Eine  zweite 
Einwohnerklasse  waren  die  Welt- 
und  Ordensgeistlichkeit  und  die 
bischöflichen  Ministerialen,  in  deren 
Händen  das  Regiment  ruhte  und 
welche  allmählich  den  freien  ritter- 
mässigen  Geschlechtern  gleich 
wurden;  die  halbfreien  Zinsleute  des 
Stiftes  und  die  hörigen  Knechte  des 
Stiftes  sowohl  wie  anderer  in  der 
Stadt  befindlichen  geistlichen  An- 
stalten trieben  Handwerke,  Acker-, 
Gartenbau  u.  dgl. ;  sie  standen  unter 
Hofrecht  und  waren  den  gewöhn- 
lichen Lasten  dieser  Stände  unter- 
worfen. Wie  aber  der  ältere  freie 
und  der  jüngere  unfreie  Adel  mit 
der  Zeit  zum  Ritterstande,  und  die 
freien,  halbfreien  und  unfreien  Be- 
wohner des  Landes  mit  der  Zeit 
zum  einheitlichen  Bauernstand  zu- 
sammen wuchsen,  so  wurden  die 
verschiedenen  Einwohnerklassen  der 
Städte  mit  der  Zeit  Bürger,  und  die 
frühern  Unterschiede  vermischten 
sich. 

Die  Beiziehung  der  städtischen 
Einwohnerschaft  zum  Regiment 
knüpft  sich  an  die  Beisitzer  des 
Vogtgerichts,  die  Schöffen,  welche 
allmählich  zu  einem  städtischen 
Ratskollegium  wurden,  oft  so,  dass 
ebendieselben  Männer  unter  Vorsitz 
des  Vogtes  zu  Gericht  sassen,  unter 


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938 


Städte. 


Vorsitz  des  Bürgermeisters,  den  sie 
mit  der  Zeit  sich  erworben  hatten, 
als  städtisches  Ratskollegium  fun- 
gierten. Zur  Wahrung  der  gemein- 
schaftlichen Interessen  entstanden 
nun  in  den  Städten  engere  Verbin- 
dungen, welche  es  mit  der  Zeit  da- 
hin brachten,  neben  den  Schöffen 
noch  andere  Männer  in  den  Rat  zu 
wählen,  die  bald  Ratmannen,  bald 
Konsuln  u.  s.  w.  hiessen.  In  andern 
Städten  zog  die  Gesellschaft  der 
Münzer  oder  Hausgenossen  unter 
dem  Münzmeister  die  Besetzung  des 
Rates  an  sich.  Trotz  der  Verbote 
der  Kaiser  bildeten  sich  nach  den 
Gewerben  Fraternitäten,  die  ihre 
Meister  selbst  wählten;  doch  blieb 
zwischen  ihnen  und  den  alten  rats- 
fähigen Geschlechtern  ein  scharfer 
Unterschied. 

Den  Umfang  der  Stadt  betreffend 
unterscheidet  man  Innenstadt  und 
Aussenstädtc.  Die  Innenstadt  zer- 
fiel in  verschiedene  Arten  von  Be- 
zirken. 

a)  Die  verbreitetste  Einteilung 
ist  diejenige  in  Viertel,  Quartale. 
Quartier,  deren  jedes  anfänglich 
seiner  örtlichen  Beschaffenheit  nach 
aus  einer  der  vier,  den  Himmels- 
gegenden gemäss  angelegten  Haupt  - 
Strassen  nebst  den  darin  einmünden- 
den Nebenstrassen  bestand.  Der 
Charakter  dieser  Viertel  war  über- 
wiegend ein  militärischer;  jedes 
Viertel  hatte  demgemäss  sein  eigenes 
Banner,  seine  eigenen  Führer, 
houptman,  bannerherr,  bevelkabere, 
seinen  eigenen  Lernten  platz  oder 
Sammelort;  bei  Kriegszügen  im 
Ausland  fand  in  der  Beteiligungs- 
pflicht  der  Viertel  ein  Wechsel  statt. 
Später  standen  unter  den  Viertels- 
meistern oder  Quartierherrn  eine 
gewisse  Zahl  Hauptleute.  In  man- 
chen Städten  verlor  die  Viertel-Ein- 
teilung mit  der  Zeit  ihren  militäri- 
schen Charakter  und  die  Viertel 
blieben  nur  noch  bestehen  als 
Steuer-,  Wach  und  Feuerschutz- 
und  als  Gewerbe- Distrikte. 


b)  Eine  Einteilung  in  Wachten 
oder  Wachen,  vigiliae,  findet  man 
in  Regensburg,  wo  der  militärische 
Charakter  dieser  Gliederung  mit  der 
Zeit  völlig  verschwand. 

c)  Die  Einteilung  in  Bauer- 
schaf len.  Anfänglich  war  die  Bauer- 
schaft eine  selbstthätige  Körper- 
schaft innerhalb  der  Staatgemeinde 
und  nahm  erst  in  zweiter  Linie, 
da  auch  ihr  Wohn-  und  Feldrmum 
im  gesamtstäd tischen  Grundrauine 
eine  gesonderte  Örtlichkeit  darstellte, 
zugleich  den  Charakter  eines  Be- 
zirkes an.  Solche  Bauerschaften 
finden  sich  u.  a.  in  Braunschweig 
und  Hildesheim,  während  die  Bauer- 
schaften  in  Köln  dörflich  oder  fron- 
höfisch organisierte  Genossenschaften 
blieben,  die  niemals.,  eigentliche 
Stadt-Bezirke  wurden.  Ähnliche  Be- 
deutung wie  dieBauerschaften  haben 
die  Leisehaften  in  Münster  und 
Osnabrück,  die  Kluchten  oder  Nack- 
barschaffen in  Coesfeld  und  die 
Höferschaften  in  Soest. 

d)  In  Grafschaften  zerfiel  die 
Stadt  Aachen. 

e)  In  Pfarrsprengel  oder  Kirch- 
spiele zerfiel  Köln,  deren  jeder  seine 
eigene  Behörde ,  Gemeinde  -  Recht, 
Bürgerrecht,  Ding-  und  Versamm- 
lungs-Gebäudc  und  seine  eigene 
Schatz-  und  Urkunden-Lade  besass. 

Die  Aussenstädte  schieden  sich 

[  in  Sehen-  und  Vorstädte  aus: 

a)  Die  Nebenstadt  entstand  in 
der  unmittelbaren  Nähe  und  meist 

(  unter  den  Kultur  -  Einflüssen  einer 
bereits  vorhandenen  Stadt,  bald  als 

j  selbständige  Anlage,  bald  bloss  als 
Ausdehnung  der  Innenstadt.  Der 

i  Name  war  meist  nova  civitas,  nüwe 
stat.  Anfänglich  zeigten  die  Neben- 
städte schon  im  Äussern  eine  völlige 
Abschliessuug  von  der  alten  Stadt, 

|  die  man ,  auch  nachdem  beide  im 
Verlaufe  der  Zeit  eine  gemeinsame 
Mauer  erhalten  hatten,  an  den  da- 
zwischen durchströmenden  Bächen 
und  an  einem  s.  g.  Zingel-  oder  Ziel- 
thor erkannte.  Auch  im  Innern  hatte 


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Städte. 


939 


die  Nebenstadt  vollkommene  Selb- 
ständigkeit und  eigene  Rats-,  Rechts- 
and Gerichtsverfassung.  Mit  der 
Zeit  sieht  man  beide  Städte  zu  einem 
einheitlichen  Gemeinwesen  ver- 
schmelzen, was  entweder  auf  dem 
Wege  des  Vertrags  oder  auf  dem- 
jenigen des  Privilegs  geschah,  Vor- 
gänge, die  zu  den  bedeutsamsten 
Ereignissen  in  der  politischen  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Städte 
zahlten. 

Die  Vorstädte  lagen  regelmässig 
in  der  Richtung   auf  die  innen- 
rtidtischen  Hauptthore  zu  und  be- 
fanden bald  nur  aus  einer  einzigen 
t'asse ,  bald  aus   einem  Geflechte 
von  Strassen,  wobei  es  übrigens  an 
einer  schützenden  Umwehrung  meist 
nicht  fehlte.    Ihre  Entstehung  ver- 
dankten die  Vorstädte  dem  Dasein 
eines    angesehenen    Stiftes  oder 
Klosters,  einer  neuen  Flussbriicke, 
der  Kultivierung  öder  Plätze  oder, 
wie  es  bei  den  s.  g.  RaU  -Vorstädten 
der  Fall  ist,  einer  Finanzoperation 
der  Stadtverwaltung;  am  öftesten 
aber    wandeln    sich  benachbarte 
Dorfer  allmählich  in  Vorstädte  um. 
Die  Einwohner  der  Vorstädte  standen 
nun  Teil  in  abhängigem  Verhältnis 
von  städtischen  Geschlechtern  oder 
Stiftern,  auf  deren  Besitz  sie  sich 
angesiedelt  hatten.    In  bezug  auf 
ihre  Berufsthätigkeit  waren  es  Feld- 
bau und  Gärtnerei  treibende  Leute, 
auch    grasburqer    genannt,  oder 
Krämer- und  Kleinhandwerker.  Auch 
die  Verfassung  der  Vorstädte  beruhte 
ursprünglich  auf  selbständigerGrund- 
lage;  doch  pflegte  man  auch  sie  mit 
der  Zeit   mit  den  Prinzipalstädten 
zu  vereinigen. 

Die  städtischen  Strassen  können 
in  fünffacher  Weise  eingeteilt  werden: 

1)  in  Haupt-  oder  Sebenstrassen. 
Eine  kauptstrasse  oder  haupfgasse 
verlief  gradlinig  von  einem  nach 
dem  entgegengesetzten  anderen 
Thore  oder  sie  Gerührte  oder  führte 
zu  den  wichtigsten  Gebäuden  und 
Platzen. 


2)  Natur-  und  Kunststrassen;  die 
letztern  entweder  bloss  chaussiert, 
d.  h.  mit  Holzbohlen,  Kleingestein 
und  Kies  belegt  oder  mit  zugehauenen 
Steinen  gepflastert.  Die  Anlage  der 
letztem  begann  in  den  wohlhaben- 
deren Städten  mit  dem  13.  Jahr- 
hundert, und  es  wurde  zu  diesem 
Behufe  vom  Rat  ein  estricher  oder 
estn'chermeister  gedungen;  noch  im 
16.  Jahrhundert  gehörten  in  kleinern 
Residenzorten  gepflasterte  Strassen 
zu  den  Seltenheiten. 

3)  Fahrwege  und  Fusspfade;  das 
Breitenmass  war  meist  genau  be- 
stimmt. 

4)  Innen-  und  aussenstädtische 
Strassen.  Zu  den  letztern  gehörten 
die  Reichs-  und  Landes- Heerstrassen, 
auch  kaiserliche,  königliche,  des 
Reichs  offene  Strasse,  freie  Strasse, 
Landstrasse  genannt. 

5)  Öffentliche  Strassen  und  Privat- 
wege. 

*  Zur  Herstellung  und  Unterhal- 
tung der  städtischen  Strassen  dienten 
zunächst  die  Weggelder,  Wagen-, 
Karren-  und  Räder-Zölle,  Deicnsel- 

§ fennige  u.  dergl.,  von  denen  es  je- 
och  zahlreiche  Befreiungen  gab, 
namentlich  für  die  innenstädtiseneu 
Bürger  und  für  die  ritterliehen  und 
geistlichen  Personen.  Ausserdem 
war  dem  Bürger  oft  geboten,  den 
Weg  vor  seinem  Hause  selbst  zu 
bessern.  Zur  Aufsicht  über  das 
Strassenbauwesen  bediente  sich  der 
Rat  eigener  wegemeistere ,  wenn 
nicht  diese  Funktion  dem  Baumeister 
übertragen  war;  an  zahlreichen  poli- 
zeilichen Verordnungen  über  die 
Offenhaltung  der  Strassen  u.  dergl. 
mangelte  es  nicht.  Wegen  politi- 
scher Vergehen  geschah  es  im  Mittel- 
alter, dass  einer  Stadt  die  vier 
Hauptstrassen  mittelst  Aufstellens 
s.  g.  Meineidsäulen  dauernd  verun- 
ziert wurden. 

Die  Strassennamen  sind  herge- 
nommen von  einer  Xachbarstadt, 
von  ehemaligen  Feldmarken  und 
Fluren,  von  Gewässern  und  Dämmen, 


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940 


Städte. 


Mauern,  Thoren,  Türmen,  Plätzen,  i  Gewalt  freiere  Hand,  ihr  Verhältnis 
Gebäuden,  von  Amtshäusern,  Hau- 1  zum  Reich  in  einem  ihr  zusagenden 
dels-Niederlageu  und  grösseren  Ge  Sinne  zu  ordnen.  Der  Kreis  der  Frei- 
werbestätten, von  Hausmarken,  von  städte  warabernichtoffiziell bestimmt 
der  örtlichen  Lage  der  Strassen  im  und  abgeschlossen;  unzweifelhaft 
Stad  träume,  von  der  besondern  Form  als  solche  galten  bloss  die  sieben 
der  Strassen-Aulage,  von  den  darin  alten  Bbchofsstädte  Köln,  Mainz, 
überwiegend  wohnhaften  Ständen,!  Worms,  Speier,  Sfrassburg,  Botel 
von  edeln  Geschlechtern  oder  bürger-  und  Regentburg  ;  bei  Trier  stiesa 
liehen  Familien,  namentlich  aber  der  Gebrauch  des  Titels  auf  Wi- 
vou  Gewerben  und  nationalen  Ele-  j  derspruch,  noch  mehr  bei  Braun- 
inenteu.  |  schweig  und  Freiburg  i/Br.  Jene 

Man  unterscheidet  Städte  des  sieben  alten  Bischofastädte  aber 
Reichs  und  Städte  der  Fürsten ;  jene  führen  bis  in  die  zweite  Hälfte  des 
werden  unmittelbar  durch  königliche  15.  Jahrhunderts  den  von  der  kai- 
Bcamten  verwaltet,  in  diesen  übt  serlichen  Kanzlei  anerkaunten  Na- 
der Landesherr  die  öffentliche  Ge-  men  Freistadt  und  definieren  diesen 
walt  aus.  Zu  den  Städten  des  stets  dahin:  1.  gegenüber  dem  Bi- 
Reichs oder  Königsstädten,  civitates  schof,  weil  sie  ihm  als  Landstadt 
regiae,  imperiales,  werden  aber  un-  nicht  gehören;  2.  gegenüber  dem 
unterschieden  gezählt,  sowohl  die  König,  weü  sie  von  der  Reichs- 
Pfalzsfädte  als  die  Städte  der  geist-  Steuer  und  dem  Reichsdienste  der 
liehen  Fürsten,  die  letzteren  darum,  Reichsstädte  frei  seien  und  nur  ver- 
weil der  Burggraf  oder  Vogt  hier  pflichtet  zum  Dienst  über  Berg  (zur 
mit  dem  Blutbann  vom  König  be-  Kaiserkrönung)  und  zum  Krieg 
lehnt  wird  und  so  den  Charakter  wider  die  Ungläubigen.  Die  übrigen 
eines  königlichen  Beamten  erhält,  bischöflichen  Städte,  also  die  grosse 
Seit  Karls  IV.  (1346—1378)  Zeit  be-  Mehrzahl,  wurden  nicht  Freistadte, 
reitet  sich  aber  eine  Änderung  vor,  sondern  sie  wurden  entweder  zu 
deren  Resultat  die  Ausscheiduug  bisehöflichen  Landstädten  oder,  vom 
von  Freistädten  aus  den  Reichs-  König  wieder  an  das  Reich  gezogen, 
Städten  ist.  Freistädte  sind  seitdem  zu  Reichsstädten,  z.  B.  Augsburg 
diejenigen  Städte,  welche  der  landes-  und  Konstanz.  Auch  die  Abteistädte 
herrlichen  Vogtei  entwachsen,  den-  wurden  teils  der  Landeshoheit  der 
noch  aber  nicht  in  das  enge  Pflicht-  Äbte  unterworfen,  teils,  wie  Zürich, 
Verhältnis  zum  Reich  zurückgetreten  wieder  an  das  Reich  gezogen;  auch 
sind,  in  welchen  die  Pfalz-,  nunmehr  einige  ursprünglich  der  Landeshoheit 
Reichsstädte  standen.  Schwören  sie  von  Fürsten  unterworfene  Städte, 
zwar  ihren  alten  Herrn  den  Eid  wie  Lübeck  und  Hamburg,  sind  im 
bloss  noch  proforma,  nicht  als  Hui-  Laufe  der  Zeit  dem  Reiche  wieder 
digungs-  und  Treueid  der  Unter-  gewonnen  worden.  So  ergibt  sieh 
thanen  gegen  den  Fürsten,  sondern  nun  für  die  Mitte  des  15.  Jahr- 
ais Bundeseid  des  Gleichstehenden  hunderts  der  Unterschied  von  Frei- 
geben deu  Feind,  BO  schwören  sie  städten,  Reichsstädten  und  Land- 
denselben  ebensowenig  dem  König  städten,  zugleich  aber  bahnt  sich 
als  ihrem  Herrn;  dem  Landesherrn  jetzt  eine  Vermischung  der  Frei- 
gegenüber  erklären  sie  unter  dem  und  Reichsstädte  an.  Die  Freistädte 
Reich  zu  stehen,  dem  König  gegen-  nämlich,  die  auch  auf  deu  Reichs  - 
über  berufen  sie  sich  darauf,  dass  tagen  erschienen,  wo  sie  mit  den 
er  sich  selbst  seines  Rechts  über  sie  Reichsstädten  die  Städtebank  teil- 
entäussert  habe;  dadurch  erhielten  teu,  näherten  sich  mehr  und  mehr 
WC  beim   Erwerb  der  öffentlichen  den   Reichsstädten,   nahmen  etwa 


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Städte. 


941 


auch  diesen  Titel  an,  wahrend  um- 
gekehrt Reichsstädte  sieh  des  Titels 
rreigtÄdte  bedienten;  schliesslich 
nannten  sich  die  Freistädte  freie 
Reichsstädte. 

Durch  Handel    und  Reichtum 
hob  sich  die  Macht  der  Städte  mehr 
und  mehr;  unfreie  Leute  vom  Lande, 
welche  in  den  Städten  Zuflucht  und 
Beschäftigung   fanden,    und  nach 
Jahr  und  Tag  von  der  Leibeigen- 
schaft frei  wurden,  vermehrten  die 
Bevölkerung:  noch  mehr  die  Aus- 
htrqer   oder    Pfahlbürger,    d.  h. 
Heini,  Kitter,   Prälaten,  Klöster 
und  gemeine  Freie,  die  auf  dem 
Lande  wohnhaft,  doch  in  das  Bür- 
gerrecht der  Stadt  traten;  sie  ver- 
pflichteten sich,  der  Stadt  durch 
Beihilfe  in   ihren   Fehden,  durch 
Beherbergung  ihrer  Boten  u.  dgl. 
beizustehen,   und  waren  dafür  des 
Schutzes  der  Stadt,  des  Gerichts- 
standes in   derselben ,   des  freien 
Absatzes  ihrer  Erzeugnisse  teil  haf- 
fig.   Schliesslich  gingen  einzelne 
mächtigere  Städte  zur  Erwerbung 
eigentheherUnterthanengebieteüber, 
deren  Mittel  meist  die  V  erpfändung 
wicher  Gebiete  von  Seiten  geldbe- 
dürftiger Dynasten  war;  den  meisten 
Erfolg  hatten  in  dieser  Richtung 
die    schweizerischen  Reichsstädte 
Bern  und  Zürich.  Sq  erwarben  sich 
die  Städte  mit  der  Zeit  auch  die 
verschiedenen    Hoheitsrechte ,  wie 
das  Zoll-  und  Münzrecht,  endlich 
auch  die  Gerichtsbarkeit,  die  Vogtei 
und  das  Schultheiasenamt,  sei  es 
unmittelbar,  sei  es  aus  der  Uand 
eines  anderen,  an  welchen  dieselben 
bereits  verfiussert  oder  verpfändet 
«orden  waren;   wo  das  geschah, 
*nirde   die   Gerichtsbarkeit  durch 
einen  städtischen  Vogt  oder  Sehul- 
theissen  ausgeübt.  Von  grossem  Ein- 
misse wurden   die   seit   dem  18. 
Jahrhundert    auftretenden  Stmlte- 
f'ündnis*e;  dasjenige,  aus  welchem 
"•eit  1241  der  Hansabund  hervorge- 
gangen,   umfasste  an   80  Städte; 
über  60   Städte  am  Rhein  traten 


dem  Bunde  bei,  der  1254  einen 
grossen  Landfrieden  errichtete.  Von 
bleibender  Bedeutung  für  die  Aus- 
bildung der  Staatsgewalt  war  bloss 
die  Eidgenossenschaft  der  schweize- 
rischen Städte,  welche  ausser  den 
Städten  ländliche  Territorien  oder 
sogenannte  Länder  umfasste. 

Mit  der  zunehmenden  Bedeutung 
der  Städte  entwickelte  sich  die 
Verfassung.  An  der  Spitze  standen 
meist  zwei  erwählte  Bürgermeister, 
deren  einer  ursprünglich  dem  Rat 
als  Gericht,  der  andere  dem  Rat 
als  der  Obrigkeit  vorstand,  und  der 
Rat  selber,  welcher  aus  den  Schöffen 
und  den  Ratmannen  bestand,  wo 
beide  zusammen  vorkamen.  Um 
die  Macht  des  Rates  zu  massigen, 
wurde  oft  seit  dem  12.  Jahrhundert 
dem  kleinen  oder  engeren  Rat  ein 
grosser  Rat  obgeordnet,  an  anderen 
Orten  wurden  die  Schöffen  gänzlich 
aus  dem  Rate  verdrängt  und  die 
obrigkeitlichen  Funktionen  den  Rat- 
mannen allein  übertragen,  so  zwar,. 
da8s  manchmal  in  wichtigen  Fällen 
der  Rat  des  vorigen,  in  noch  wich- 
tigeren auch  derjenige  des  vorvo- 
rigen Jahres  zugezogen  wurde.  Die 
Bedingungen  der  Wählbarkeit,  die 
Amtsdauer  und  die  Art  der  Er- 
neuerung sind  überall  verschieden. 
Seit  dem  12.  Jahrhundert  erwarben 
sich,  oft  durch  blutige  Kämpfe,  die 
Handwerker  Anteil  am  Regiment, 
wodurch  oft  eine  ganz  neue  Ver- 
fassung nötig  wurde.  In  Köln  er- 
langten 1370  die  Handwerker  zu- 
nächst nur,  dass  neben  dem  engen 
Rat  von  50  aus  den  Geschlechtern 
ein  weiterer  Rat  von  50  aus  den 
Handwerkern  angeordnet  wurde; 
erst  1396  wurde  die  ganze  Bürger- 
schaft in  22  Zünfte  unter  den  Na- 
men Amter  und  Haffeln  eingeteilt, 
wovon  fünf  edle  Geschlechter  ent- 
hielten; das  Schöffengericht  wurde 
vom  engeren  Rate  getrennt  und 
statt  beider  Räte  ein  neuer  von  49 
Mitgliedern  eingesetzt,  deren  36  von 
den  Haffeln,  die  übrigen  13  von 


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942 


Stadtrechte. 


den  36  gewählt  wurden;  für  beson- 
ders wichtige  Verhandlungen  war 
bestimmt,  dass  die  Sache  vorher 
den  22  Ämtern  uud  Haffeln  kund- 
gethan  und  aus  jeder  zwei  Mitglie- 
der abgeordnet  wurden ,  welche 
gemeinschaftlich  mit  dem  Rate  be- 
rieten; anders  war  der  Ausgang 
der  Zunftwirreu  in  anderen  Städten, 
vgl.  den  Artikel  Zunftwesen. 

Um  ein  richtiges  Bild  und  Mass 
von  der  Bcdeutuiig  der  Städte  für 
die  drei  letzten  Jahrhunderte  des 
Mittelalters  zu  erhalten,  gälte  es, 
den  Einfluss  der  Städte  auf  die 
verschiedensten  Zweige  des  Kultur- 
lebens und  umgekehrt  allseitig  ins 
Auge  zu  fassen;  sind  in  der  karo- 
lingischen  Zeit  die  Stifter  uud 
Klöster  neben  den  königlichen  Pfal- 
zen die  Zentren  der  Bildung,  und 
werden  diese  seit  dem  11.  Jahrhun- 
dert von  den  zahlreichen  Höfen  der 
Edeln  darin  abgelöst,  so  sind  es 
ietzt  die  Städte,  auf  welche  nicht 
bloss  die  Hauptaufgaben  jener  äl- 
teren Kulturperioaen  übergehen, 
sondern  auf  welchen,  immerhin  ne- 
ben anderen  Instituten,  die  sich 
doch  meist  wieder  an  die  Städte 
anschliessen,  die  neuen  Aufgaben 
des  Kulturlebens  liegen:  Grosshan- 
del und  Kleinhandel,  Binnen-  und 
Aussi  nhandel,  Schiffahrt  und  Kriegs- 
kunst, Justiz- und  Verwaltungswesen, 
Münz-  und  Bankwesen,  Judentum, 
Bauwesen,  öffentliche  Gesundheits- 
pflege, Armen-  und  Kranken wesen, 
Genossenschaftswesen  aller  Art, 
Brüderschaften,  Klöster,  namentlich 
der  Bettelorden,  Handwerk-  und 
Marktwcsen ,  was  zur  Belebung 
der  Geselligkeit  gehörte,  Spiele, 
Schützenwesen  und  Schützenfeste, 
Fechtschulen,  Hochzeiten,  Tisch- 
ordnungen, städtische  Tracht-  und 
Kleiderordnungen,  Zunftfeste  und 
Zunftgelage ,  Meisterschulen  und 
Meistersänger,  Mysterien  und  Fast- 
uachtspiele ,  öffentliche  Unzucht, 
Schulwesen,  Universitäten,  Biblio- 
thek wesen,  Geschichtschreibung,  das 


Kunsthandwerk  nach  seineu  ver- 
schiedenen Seiten,  Architektur,  Ma- 
lerei, Holzschnitt,  Buchdruekerkuust, 
alles  dies  und  noch  viel  Anderes 
hat  sich  erst  entwickeln  können, 
als  der  bürgerliche  Geist  in  unab- 
lässigem Ringen  nach  innerer  und 

1  äusserer  Freiheit  und  Selbständig- 
keit in  Staat,  Gesellschaft,  Kunst, 
Bildung,  Gewerbe  den  Boden  dazu 
bestellte.  In  den  Städten  ist  auch 
zuerst  der  Gedanke  der  Nationalität 
und  das  Gefühl  der  Vaterlandsliebe 

I  mächtig  geworden,  und  sie  haben 
deshalb  für  die  nationale  Monarchie 
am  Anfang  der  neuen  Zeit  überall 
eine  Hauptbasis  gebildet.  W aiiz. 
Verf.  Gesch.  VII,  Abschnitt  12; 
Arnold,  Verfassungsgeschiehte  der 
deutschen  Freistädte ,  Hamburg, 
1854.  2  Teile.  Heusler,  Ursprung 
der    deutschen  Stadteverfassung. 

!  Weimar,  1872.  Walter,  Rechtsge- 
schichte, S.  230  bis  246.  GUrlce. 
Rechtsgeschichte  der  deutschen  Ge- 
nossenschaft, Berlin,  1^68.  Gettg- 

\  ter,  deutsche  Stadtrechts- Altertümer, 

|  Erlangen,  1882.  Das  ältere  Haupt- 
werk, das  für  die  Kulturgeschichte 
viel  Ausbeute  gibt,  ist  Hülttnann, 

I  Städtewesen    des   Mittelalters ,  4 

I  Teile,  Bonn,  1826;  aus  neuerer  Zeit 
in  dieser  Beziehung  besonders  be- 
deutend Kriegk;  Deutsches  Bürger- 
tum im  Mittefalter,  2  Bände,  Frank- 
furt a.  M.,  1868  und  1871.  Vgl.  den 
Artikel  Stadtbefestigung. 

Stadtrechte.  Die  individuelle 
Eutwickelung  der  Städte  brachte 
es  mit  sich,  dass,  im  Gegensatz  zu 
den,  grössere  Territorien  umfassen- 
den allgemeinen  Rechten,  jede  Stadt 
ihr  besonderes  Recht  heranbildete ; 
die  Aufzeichnungen  derselben  sind 
nach  den  verschiedenen  Stufen  der 
städtischen  Selbständigkeit  verschie- 
dene. Sie  beginnen  mit  Privilegien, 
deren  älteste  die  dem  Herrn  der 
Stadt  erteilten  Immunitätsprivile^ieu 
sind,  durch  welche  der  bischöfliche 
Ort  von  der  Grafschaft  eximiert 
und  die  gräfliche  Gewalt  auf  den 


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Stadtschreiber.  —  Stände. 


943 


Vogt  übertragen  wird;  seit  dem 
Anfange  des  12.  Jahrhunderts  kom- 
men Privilegien  zum  Besten  der 
Städte  und  ihrer  Einwohner  hinzu, 
welche  sich  meist  bloss  auf  einzelne 
Rechtsbestiramungen  beziehen,  wie 
Markt-  und  Zoll  Verhältnisse,  Hörig- 
keit, Erbrecht  u.  a.  Weitaus  die 
meisten  dieser  Urkunden  sind  Be- 
statigungsurk unden.  Nur  städtische 
Neugründungen  erhalten,  was  ältere 
Orte  durch  eine  Reihe  Urkunden 
bekommen  hatten,  durch  ein  ein- 
maliges Privilegium.  Anderer  Natur 
sind  solche  Aufzeichnungen,  welche 
infolge  von  Streitigkeiten  zwischen 
der  Bürgerschaft  und  dem  Herrn 
der  Stadt  oder  zwischen  den  ein- 
zelnen Klassen  der  Einwohner  als 
endgültige  Anerkennung  der  städti- 
schen Rechte,  oft  unter  kaiserlicher 
Vermittelung  entstanden,  sie  heissen 
Handfesten.  Da  neu  gegründete 
Städte  von  ihrem  Landesherrn  das 
Recht  einer  anderen  Stadt  erhielten, 
kam  es  vor,  dass  eine  solche  Mutter- 
stadt erst  durch  Abforderung  ihres 
Rechtes  von  Seiten  einer  Tochter- 
stadt zur  Aufzeichnung  ihres  Rech- 
tes veranlasst  wurde.  Von  der 
Stadt  selbst  ausgegangene  Rechts- 
bestimmungen  heissen  Küren,  Buer- 
kören,  WiUkören.  Einungen,  Skraa 
(in  sächsischen  Gegenden),  Recht; 
solche  Rechtsbestimmungeu.  meist 

Solizeilicher  Natur,  pflegte  man  mit 
en  Handfesten  und  Privilegien  in 
dem  sogen.  Stadtbuche  zu  vereinigen, 
das  auch  Ordeelbuch ,  rotes  und 
schwarzes  Buch  heisst.  Dazu  kamen 
oft  Urteile  des  Stadtgerichtes,  die 
zugleich  einen  allgemein  gültigen 
Rechtssatz  enthielten.  Um  solchen 
meist  sehr  verschiedenen  Rechts- 
stoff einheitlich  zu  verarbeiten,  wur- 
den seit  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
huuderts  in  manchen  nord-  und 
süddeutschen  Städten  Kommissionen 
niedergesetzt,  die  nun  das  gesamte 
öffentliche  und  Privatrecht  zu  einem 
Stadtrechte  zusammenstellten;  das 
geschah  z.  B.  in  Augsburg  unter 


Gestattung  König  Rudolfs  im  Jahre 
1276,  in  Strasburg  1322.  Neben 
den  eigentlichen  Stadtrechten  gab  es 
in  manchen  norddeutschen  Städten, 
wie  Bremen,  Hamburg,  Lübeck, 
Wismar,  Stendal,  sogen.  Bauer- 
sprachen,  welche  diejenigen  polizei- 
lichen Vorschriften  enthielten,  nach 
denen  sich  jeder  Bürger  zu  richten 
hatte  und  die  jährlich  zur  Nach- 
achtung verkündet  wurden.  Seit 
den  Zeiten  der  Zunft  im  ruhen  wur- 
den sogen.  Friedensbücher  verfasst. 
Stobfje,  deutsche  Rechtsquellen  I, 


50. 


Stadtschreiber,  Syndici,  kamen 
seit  dem  Eude  des  14.  Jahrhunderts 
.  dadurch  auf,  dass  die  Städte  eigent- 
I  liehe  Rechtskonsulenten  in  i hren 
,  Dienst  nahmen,  welche  auch  zugleich 
Beisitzer  des  Stadtgerichtes  waren. 
Sic  brachten  das  römische  Recht 
nicht  bloss  in  die  Urteilssprüche 
hinein ,  sondern  vermittelten  auch 
seine  Aufnahme  in  das  Stadtrecht, 
dessen  Redaktion  hauptsächlich  ihnen 
überlassen  war.  Manchmal  geschah 
es,  dass  Männer,  die  bisher  auf 
Universitäten  doziert  hatten,  zu  dem 
Amte  des  Syndikus  berufen  wurden; 
namentlich  gab  sich  Nürnberg  Mühe, 
berühmte  Männer  als  Rechtsbeistand 
zu  erhalten. 

Stahl,  lat  azarum,  stalum,  ver- 
wendeten und  kannten  schon  die 
Alten  uuter  den  Namen  „chalyb- 
disches  Erz".  Die  Bereitung  des- 
selben war  jedoch  der  deutschen 
Werkstätte,  obwohl  sie  ihn  kannte, 
zu  umständlich.  Noch  im  12.  Jahr- 
hundert bezog  sie  ihn  zum  grössten 
Teil  aus  Indien. 

Stünde,  LundstUnde.  Neben 
den  grossen  Gerichtsversammlungen, 
den  lanttädingen  oder  lanttagen,  die 
sich  bis  ins  13.  Jahrhundert  erhielten 
und  regelmässig  auch  von  den  Landes- 
herrn oenutzt  wurden ,  um  mit  den 
Landsassen  über  Landesangelegen- 
heiten zu  verhandeln,  finden  sich  in 
den  grössern  Territorien,  den  Herzog- 
tümern und  Fürstentümern,  in  wel- 


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944 


Stauchen.  —  Stein-,  Erz-  und  Eisenalter. 


chen  Bischöfe,  Grafen  und  andere 
Landesherra  sassen,  in  Nachbildung 
der  Reichstage  Hof  tage,  durch  den 
Herrn  berufene  Versammlungen  der 
(Brossen  des  Landes,  auf  welche  der 
Name  Landtag  von  jenen  allmählich 
aussterbenden  Gerichtsversamm- 
lungen überging.  Die  hauptsäch- 
lichsten Verhandlungsgegenstände 
waren,  ausser  den  vor  dieselben 
gehörigeu,  Lehnrechtsachen,  An- 
ordnungen und  Einrichtungen,  die 
zi  im  Vollzüge  der  Reichsschlüsse 
notwendig  waren,  Aufbringung  der 
Mannschaften  und  Kosten  der  Reichs- 
kriege, sowie  überhaupt  die  Kosten 
der  Landesregierung.  Denn  da  der 
Ertrag  der  herrschaftlichen  Güter 
und  der  Regalien  nicht  mehr  wie 
früher  zurBestreitungdes  Regimentes 
ausreichte,  galt  es  allerlei,  anfangs 
ausserordentliche  Beihilfen ,  später 
regelmässig  wiederkehrende  Steuern 
zu bewilligen,  deren  Grösse  oder  Art 
der  Herbeischaffung  Gegenstand  der 
Verhandlung  wurde.  Seit  dem  14. 
Jahrhundert  fingen  die  Landstände 
(der  Name  erscheint  im  Mhd  noch 
nicht  und  mag  wohl  erst  später  aus 
dem  franz.  etat*  übersetzt  worden 
sein;  der  alte  Name  ist  lantherren) 
an,  sich  über  ihre  Rechte  und  Frei- 
heiten von  den  Landesherrn  urkund- 
liche Zusicherungen  erteilen  zu  lassen ; 
schlössen  auch  unter  einander  zur 
Wahrung  ihrer  Rechte  und  Frei- 
heiten Bündnisse.  Gewöhnlich  teilten 
sie  sich  in  drei  Kurien:  Prälaten, 
Ritterschaft  und  Städte:  in  Tirol 
und  Württemberg  kamen  noch  Abge- 
ordnete des  Bauernstandes  nach 
Ämtern  hinzu.  Jeder  Stand  beriet 
und  bc8chlos8  für  sich,  und  es 
brauchte  erst  gegenseitiger  Verhand- 
lungen, um  zu  einem  gemeinsamen 
Schlüsse  zu  gelangen.  Seit  dem  17. 
Jahrhundert  behaupteten  sie  sich 
nur  in  wenigen  Territorien  in  voller 
Bedeutung. 

Stauchen  trugen  die  Frauen  des 
15.  Jahrhunderts  bei  ihren  häus- 
lichen Arbeiten  über  den  üblichen 


kostbaren  Kleidern.  Sie  bedeckten 
besonders  die  Arme  als  eine  Art 
Übe  rärmel. 

Der  Name  bezeichnet  auch  den 
Brechkragen  oder  St 
den    Achselstücken  der 
rüstung. 

Stäup  oder  Stauf,  lat.  staupn*, 
stopus,  »toupus.  Der  Stäup  ist  ein 
Tnnkgefass,  das  im  früheren 
Mittelalter  neben  dem  Becher,  dem 
Kelch,  der  Justa,  Füll,  Ker 
oder  Kar  und  den  Hörnern  viel  ge- 
braucht wurde.  Daneben  führten 
namentlich  Reisende  die  L*d*rfta$cke 
(UdrfUukaJ  mit  sich.  Streitbare 
Männer  bereiteten  sich  (im  Norden  I 
nach  heidnischem  Brauch  wohl  auch 
noch  eine  Trinkschale  aus  dem 
Xchädelknochen  eines  erschlagenen 
Feindes. 

StaupsKule,  Schandpfahl,  Pran- 
ger, hiess  die  Säule,  an  der  gemeine 
Verbrecher  ausgestellt  und  gestäupt, 
d.  h.  mit  Ruten  gegeisselt  wurden. 

Stecher  zur  leichteren  Lösung 
des  Schneppers  im  Schloss  der 
Feuerwaffen  kennt  man  seit  1543. 
Sie  wurden  in  München  erfunden. 

Stein-,  Erz-  und  KNen alter. 
Um  die  Mitte  der  dreissiger  Jahre 
kam  in  Deutsehland  und  noch  mehr 
in  Dänemark,  hier  namentlich  durch 
C.  J.  Tkonum,  den  Direktor  des 
Museums  für  nordische  Altertümer 
in  Kopenhagen,  die  Ansicht  auf, 
dass  sich  die  germanischen  Alter- 
tümer vorchristlicher  Zeit  in  drei 
grosse  strenggeschiedene  Gruppen 
abteilen  Hessen,  deren  bestimmende 
Merkmale  in  dem  verschiedenen 
Material  der  Waffen  und  Werkzeuge 
aus  Stein,  Erz  und  Eisen  zu  erkennen 
seien ;  diesen  drei  Kulturperioden 
sollten  wenigstens  für  das  Nord- 
uud  Ostseegebiet  ein  dreimaliger 
Wechsel  derWaldvegetation  (Tanne, 
Eiche  und  Buche}  und  drei  ver- 
schiedene Völker  mit  ebenso  vielen 
Haustieren  entsprechen.  Man  ist 
seitdem  zu  der  Überzeugung  gelangt, 
dass  dieses  Dreiperiodenaystem  nur 


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Stein-,  Erz-  und  Eisenalter. 


945 


mit  grosser  Vorsicht  anzunehmen 
sei:  mit  der  Entwicklung  von  Einzel« 
Völkern  steht  es  nur  insoweit  im  Zu- 
sammenhang, als  Gerate  aus  Knochen 
und  Stein  eben  eine  durchgehende 
Grundlage  des  gesamten  vorge- 
schichtlichen Kulturstandes  sind  und 
ebenso  überall  der  Übergang  von 
Stein  zum  Eisen  durch  die  Mittel- 
stute der  Bronze  geht;  es  können 
also  sehr  verschiedene  Völker  sich 
gleichzeitig  desselben  Materials  und 
umgekehrt  Abteilungen  desselben 
Volkes  je  nach  besondern  Umständen 
sieh  gleichzeitig  eines  verschiedenen 
Materials  für  ihre  Waffen  und  Ge- 
räte bedient  haben;  um  die  Objekte, 
welche  Zeugen  dieser  ältesten  Zeit 
sind,  in  ihrem  Zusammenhang  zu 
beurteilen,  genügt  es  nicht  allein 
auf  den  Stoff  zu  sehen;  auch  der 
Fundort,  die  Form,  begleitende 
Überreste  der  Pflanzen  und  Tierwelt 
müssen  mit  herbeigezogen  werden. 
Dennoch  ist  es  von  Wert,  im  Material 
ein  bequemes,  leicht  erkennbares 
Unterscneidungsmittel  zu  besitzen. 

I.  Steinzeit.  Am  allerwenigsten 
lässt  sieh  über  jene  Menschen  etwas 
Geschichtliches  vermuten ,  deren 
Steingeräte  den  Zeitaltern  des  Mam- 
mut und  des  Renntieres  angehören; 
menschliche  Geräte  der  Mammut  zeit 
hat  mati  namentlich  im  Thale  der 
Somme  (Pikardie)  und  in  Höhlen 
Frankreichs,  Belgiens  und  Steier- 
marks  entdeckt;  reicher  sind  die 
Überreste  der  Renntierzeit  vertreten 
und  zwar  ebenfalls  in  Süd-Frank- 
reich, Belgien  und  ausserdem  in 
Schwaben,  der  Schweiz,  Bayern, 
Westfalen  und  Mähren;  der  benutzte 
Stein  ist  meist  der  Feuerstein  oder 
Flint;  vermittelst  seiner  wurden  so- 
gar Tierbilder  in  Schieferplatten, 
auf  Renntierknochen,  auf  Geweih- 
stüeke  eingeritzt;  doch  findet  man 
auch  andere  Steine  benutzt,  Gneis, 
Diorit,  Serpentin,  Nephrit,  harte 
Rollkiesel  u.  .a.  Die  Gegenstände 
bestehen  aus  roh  zugeschlagenen 
Steinen,  ohne  jeden  Versuch  eines 

Reallexfoon  der  deutschen  Altertümer. 


Schliffs,  oder  aus  eben  so  roh  be- 
arbeiteten Horn-  und  Knochen- 
stücken. Doch  erkennt  man  bereits 
Steinäxte,  Steinmesser,  steinerne 
Lanzenspitzen  und  Pfeilspitzen. 

Eine  jüngere  Steinzeit,  deren  ge- 
schichtlicher Zusammenhang  aber 
meist  ebenfalls  sehr  dunkel  ist, 
charakterisiert  sich  durch  geglättete 
oder  geschliffene  Steingeräte» 

In  diese  Periode  gehören:  a) 
der  sogenannte  Kjökkenmoddinqer, 
d.  h.  Küchenmoder  aus  Dänemark. 
Es  sind  das  terrassenförmige*  Bänke 
an  der  Meeresküste  von  30  bis  500  m 
Litnge,  6  m  Breite  und  1  bis  2  m 
Höhe.  Sie  bestehen  unter  einer 
Decke  von  Rasen  und  Rollstein  aus 
Muschelschalen,  Gräten,  Knochen, 
Asche,  Kohlen  und  Geräten  von 
Kieselstein,  Horn  und  Knochen. 
Ausser  in  Dänemark  findet  man 
ähnlichen  Abhub  an  der  Rhone- 
mündung, am  Golf  von  Genua,  an 
den  Küsten  Südamerikas.  —  b)  Torf- 
moore in  Dänemark,  Schweden,  im 
Thal  der  Somme.  -  c)  die  I fahl- 
bauten, siehe  den  besonderen  Artikel. 
—  d)  Steinhaufen.  Dahin  gehören 
die  sogenannten  Bohnen  oder  Stein- 
tisehe,  auch  Kromleh  oder  Mensir 
genannt,  grosse  aufgerichtete  Steine, 
die  zum  Teil  in  Kreise  zusammen- 
gestellt sind  und  auf  denen  ein 
riesiger  Stein  gleich  einer  Tisch- 
platte ruht.  Hir  Ursprung  liegt 
gänzlich  im  Dunkeln;  dass  es  keine 
Druidenaltäre  sind,  ist  erwiesen; 
wo  man  Steingeräte  darin  findet, 

gehören  dieselben  den  polierten 
feinen  an.  Man  findet  sie  über 
den  ganzen  Westen  und  Südwesten 
von  Frankreich,  und  bis  an  die  Ost- 
see, in  Dänemark,  Schonen  und 
Westgotland,  südlich  bis  Thüringen 
und  Schlesien,  auch  die  britischen 
Inseln  sind  reieh  daran.  Sie  sehei- 
nen in  Zusammenhang  zu  stehen 
mit  den  dänisch-schwedischen  Gang- 
gräbern  oder  Riesenkammern,  in 
welchen  die  Toten  sitzend  oder 
liegend  beigesetzt  wurden. 

60 


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946 


Stein-,  Erz-  und  Eisenalter. 


Die  Waffen  der  zweiten  Stein-  sind  die  Pfahlbauten,  die  sogenannten 
periode  sind  die  Axt,  welche  mehr  Taramaren,  d.  h.  ausgetrocknete 
Keilform  hat  und  zum  Spalten  dient;  künstliche  Wasserbecken  in  den 
das  Beil,  an  der  Schneide  minder  Provinzen  Parma.  Moden  i  und 
breit  und  nur  an  einer  Seite  schräg  j  Reggio. 

angeschliffen,  da  es  zum  Bebauen       Die  Elastizität  der  Bronze  war 
dient;  Do/che  und  Messer,  Pfeif-  damals  auf  einen  Grad  gelangt,  der 
spitzen ,  Meissel.    Die  Befestigung  seitdem  nicht  mehr  erreicht  worden 
der  Steinklingen  am  Grifft?  geschah  ist.    Überall  dauert  der  Gebrauch 
teils  durch  Festbinden  mit  Sehne  der  Steiuwaften  wahrend  der  Broiize- 
oder  Bast,  teils  durch  Einkleben  zeit  fort  und  ragt  noch  tief  in  die 
mit  Erdpech  und  ähnliehen  Stoffen,  Eisenzeit  hinein;  Gewohnheit,  er- 
teil« durch  Einklemmeu.  erbte  Fertigkeit,  das  Beispiel  der 
II.  Bronzezeit.  Das  erste  Metall,  Vorfahren,  Mythus  und  Aberglaube 
das  die  Menschen  in  ihren  Gebrauch  waren  dabei  wirksam.    Bei  Hartings 
zogen,  war  unstreitig  das  gediegen  fochten  im  11.  Jahrhundert  Dänen 
vorkommende    Gold.     In    zweiter  und  Sachsen  ausser  mit  eisernen 
Linie  steht  das  ebenfalls  gediegen  Waffen  mit  solchen  von  Stein,  noch 
vorkommende    Kupfer,    das    sich  später    die    heidnischen  Preussen 
durch  Schlagen  mit  Steinen  in  jede  gegen  die  deutscheu  Ordensritter, 
gewünschte  Porm  bringen  Hess;  es  Auch   erkennt    man  den  Einfluss 
gab  Völker,  z.  B.  in  Mesopotamien  metallener  Geräte  deutlich  an  der 
und  am  Nil,  welche  vom  Gebrauche  kunstvolleren  Herstellung  der  metal 
der  Steinwaffen  zu  den  Kupferwaffen  lenen  Vorbilder, 
übergingen ;  häutiger  ist  aber  die  j      Die  eherne  Streitaxt  kommt  als 
Anwendung  der  durch  Schmelzung  Celt .  als  Paalstab  und  als  eipent 
gewonnenen,  aus  90  Teilen  Kupfer  liehe  Axt  vor.    Die  Celle  dienten 
und   10  Teilen  Zinn  bestehenden  sowohl   zum   Nahkampf  als  zum 
Bronze.     Die  Anwendung   dieses  Wurf;   sie  haben  die  Form  eines 
Metalls  hatte  in  verschiedenen  Ge- i  Keils,  sind  aber  nach  dem  Rücken 
genden  ohne  Zweifel  sehr  verschie-  hin  gerundet  und  zur  Aufnahme 
aene  Dauer.    Wahrscheinlich  kam  eines  Schaftes  ausgehöhlt ;  die  etwas 
die  Kenntnis  der   Bronze   sowohl  breiter  werdende  Schneide  ist  scharf 
durch    eingewanderte,    erobernde  zugeschliffen.    Viele  sind  mit  einer 
Stämme,  als  durch  Handelsverbin-  j  Öse  versehen,  durch  die  man  einen 
düngen  nach  Europa;  die  Form  der  Riemen  knüpfte,  mit  welchem  man 
Verzierungen,  die  Kürze  der  Schwert-  die  Klinge  dem  Stiele  sicher  ver- 
griffe mancher  Bronzegegenstände  band.    Die  Klingen  der  PaaUt.^he 
lassen  vermuten,  da^s  u.  a.  phöni-  zeigen  die  Gestalt  des  Meisseis,  der 
zische  Händler  ihre  Waare   nach  nach  der  Schneide  zu  breiter  wird; 
Europa  brachten.    Doch  mangelte  rückwärts  befinden  sich  zwei  Schaft- 
es hier  nicht,  wie  die  zahlreich  vor-  läppen  zur  Befestigung  an  den  Holz- 
gefundenen Gussformen   beweisen,  stab,  mit  dem  sie  durch  eineSehnürung 
an  eigenen  Bronzewerkstättcu.    Am  verbunden  sind.    Unter  dem  Namen 
reichsten  trat  diese  Industrie  in  den  fratnea  ist  das  die  älteste  National- 
nördlichen  Gebieten  auf,  welche  ihr  waffe  der  Germanen.    Die  eigent- 
Zinn  und  zum  Teil  ihr  Kupfer  leicht  liehen  Streitäxte  zerfallen  in  solche 
von  den  Scilly  -  Inseln  und  der  be    mit  einfachem  Schaftloch,  in  solche, 
nachbarten  Küste  von  Cornwall  be-  welche  mit  Schaftröhren  versehen 
kommen   konnten,    in   Dänemark,  sind  und  in  Doppeläxte;  die  be- 
Schweden, Norddeutschland ;  andere  rühmtestc  Form  der  einfachen  Axt 
Fundstätten    minderen    Reichtums  ist  die  dorfranrisca,  die  zweischneidig 


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Stelzsehuhe.  —  Sternbilder. 


947 


und  kurzstielig  sich  sowohl  zum  Ge- 
brauche in  der  Faust  als  zum  Wurfe 
eignete.  Streitkolben  und  Stachel- 
knöpfe  von  Bronze  haben  auf  einer 
gegossenen,  über  einen  Holzschaft 
geschobenen  Hohlwalzc  mehrere 
Keinen  von  Stacheln.  Die  Lanzen- 
spitzen  der  Bronzezeit  haben  ge- 
wöhnlich die  Form  eines  Weiden- 
blartes  mit  starkem  Mittelrücken  und 
sind  zur  Befestigung  mit  Schaftröhre 
oder  mit  Angeln  versehen.  Bronzene 
Pfeilspitzen  sind  selten,  der  Flint- 
stein genügte  hier  vollständig;  die 
Erzmesser  sind  im  Gegensatz  zu 
den  steinernen  Messern  einschneidig. 
Als  eine  ganz  neue  Waffe  erscheint 
ietzt  das  Schwert,  dessen  ursprüng- 
liche Form  wahrscheinlich  die  ein- 
schneidige ist,  wahrscheinlich  die- 
selbe Waffe,  die  bei  den  Germanen 
scramasajc  hiess.  Später  entwickelt 
sich  die  schlanke  zweischneidige 
Form  des  eigentlichen  Schwertes; 
seine  Klinge  nat  die  Gestalt  eines 
Schilf blattes ,  nimmt  also  nach  der 
Mitte  an  Breite  zu  und  läuft  spitz 
aus;  der  Griff  ist  nie  länger  als 
2,5  Zoll  und  in  der  Regel  mit  Spiral- 
und  Zickzackverzierungen  ge- 
schmückt. Kaum  vom  Schwert  zu 
trennen  ist  der  zweischneidige 
Dolch.  Seltener  als  die  Angriffs- 
waffen  sind  Schutzwaffen  aus  Bronze: 
Helm,  Schild  und  Panzer.  Auch 
Schalen  von  Bronzeblech  sind  zahl- 
reieh  und  weitverbreitet  gefunden  wor- 
den, dann  Hängeurnen  mit  glocken- 
förmigem oder  plattem  Deckel. 

Erst  das  Metall  gab  sodann  Ver- 
anlassung, die  Kunst,  welche  Waffen 
herstellt,  zugleich  zu  Gegenständen 
für  die  Frauenarbeit  und  nament- 
lich für  Schmucksachen  zu  verarbeiten. 
Überall  erscheinen  Nähnadeln,  Arm- 
und  Fingerringe,  Knöpfe,  Haar- 
nadeln und  Kämme;  um  vieles  reich- 
haltiger ist  der  Bronzeschmuck  der 
nordischen  Länder;  hier  erscheinen 
Diademe,  Kopf-,  Hals-,  Arm-  und 
Fingerringe,  Agraffen,  Fibeln,  Ge- 
wandnadeln. 


III.  Eisenzeit.  Auch  der  Anfang 
des  Eisern  bleibt  in  Dunkelheit  ge- 
hüllt Dass  die  alten  Germanen  die 
Anwendung  dieses  Metalles  gekannt, 
davon  zeugt  die  Bedeutung  und 
Ehre,  welche  die  Schmiedekunst  und 
die  Schmiede  bei  ihnen  hatten;  es 
ist  die  einzige  Handarbeit,  die  von 
Anfang  an  eines  freien  Mannes 
würdig  erachtet  wurde;  auf  die  frühe 
Stahlbcreitung  deutet  die  Sage  vom 
Schmied  Wieland,  der  sein  Schwert 
zerfeilte,  die  Eisenfeilspähne  mit  dem 
Mehlbrei  seinen  Gänsen  zu  fressen 
gab,  den  Gänsekot  ausglühte  und 
von  dem  zurückbleibenden  Eisen- 
staube  das  schärfere  Schwert  schmie- 
dete; in  den  tierischen  Exkrementen 
ist,  wie  auch  andern  Völkern  früh 
bekannt  wurde,  Stählung  wirkender 
Kohlenstoff  enthalten.  Mit  der  Er- 
findung des  Eisens  wird  das  Schwert 
die  Hauptwaffe.  Nordische  Alter- 
tumsforscher wollen  zwei,  einzelne 
sogar  drei  Perioden  des  Eisenzeit- 
alters unterschieden  haben.  Jahns , 
Geschichte  des  Kriegswesens,  S.  1 
bis  14.  —  Baer  und  Hellwald,  der 
vorgeschichtliche  Mensch,  Leipzig 
1874. 

Stelzschuhe  wurden  namentlich 
von  Leuten  kleiner  Statur  im  15. 
und  16.  Jahrhundert  viel  getragen 
und  zwar  bis  zu  zwei  Fuss  Höhe. 
Sie  erhielten  sieh  bei  den  Vornehmen 
weniger  lang,  weil  der  Bürgerstand 
sich  uirer  bald  bediente,  und  fielen 
dann  auch  um  die  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts zum  zweitenmal  aus  aller 
Gunst  durch  die  Courlisane,  die  sie 
über  alles  Mass  aufbauschten. 

Sternbilder.  Die  Aneignung  der 
griechischen  Sternnamen  wurde  von 
den  alten  Kirchenlehrern  als  etwas 
heidnisches  bekämpft;  höchstens, 
doch  auch  nicht  unwidersprochen, 
werden  die  Sternbildernamen  des 
Buches  Hiob  nach  der  Scpfuaainta: 
Pleyaden,  Arcturus  und  Orion  und 
aus  der  Vulgata  die  Hyaden  zuge- 
lassen. Am  meisten  Beachtung 
fanden   die   Sternbilder    des  Tier- 

60* 


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948 


Steuerwesen. 


kreise* ,  welche  doch  von  einigen  tumliche  Stembenennungen  kennt 
Kirchenlehrern  ebenfalls  für  ein  man,  wie  Jakobsstrasse  für  die  Milch- 
Werk  der  Dämonen  erklärt  wurden.  Strasse,  Jakobsstab  für  die  drei 
Sonst  ging  sowohl  die  mythologische  |  Sterne  im  Gürtel  des  Orion.  In 
als  die  natürliche  Erklärung  der  neuerer  Zeit  haben  u.  a.  Wilhelm 
Tierkreiszeichen  auf  das  Mittelalter  Schichard,  Professor  der  Mathematik 
über.  Während  die  Kunstvorstellung  und  der  orientalischen  Sprache  zu 
der  Sternbilder  in  »1er  altchristlichen  Tübingen  16J3  und  Garsaörjter  um 
Kunst  sich  nicht  sicher  nachweisen  1656  den  Versuch  gemacht,  aie  hcid- 
lässt,  findet  sie  sich  häufig  seit  dem  nischen  Namen  durch  christliche  zu 
9.  Jahrhundert  in  Malereien  und  ersetzen,  tiyer,  Mythologie  der 
Skulpturen,  sowohl  lediglich  als  i  christlichen  Kunst.  II.  276 — 310. 
astronomisches  oder  Kalender-  i  Steuerwesen.  Die  alten  Ger- 
Bild,  als  im  Zusammenhang  christ-  '  manen  wussten  von  Steuern  nichts ; 
lieber  Gedanken.  Deu  Tierkreis-  dagegen  war  Sitte,  dass  sie  ihren 
zeichen  der  Kalenderbilder  sieht  Fürsten  Geschenke  darbrachten  als 
man  häufig  eine  menschliche  Figur  Zeichen  der  Ehrfurcht  und  des 
beigesetzt,  was  auf  eine  alte  astro-  Dankes.  Solche  Geschenke  dauerten 
logische  Lehre  des  Altertums  und  in  mehrfacher  Anwendung  noch 
alter  Kirchenlehrer  zurückgeht,  wo-  lange  fort;  entweder  machte  man 
nach  den  zwölf  Zeichen  des  Tier-  sie  dem  König  aus  persönlichen 
kreises  eine  Wirksamkeit  auf  den  Gründen,  zur  Unterstützung  einer 
Leib  des  Menschen  zusteht,  und  Bitte,  zur  Erlangung  eines  Amtes, 
zwar  auf  die  einzelnen  Leibesglieder  bei  Gelegenheit  einer  in  der  könig- 
verteilt, so  dass  z.  B.  dem  Widder  liehen  Familie  gefeierten  Hochzeit; 
der  Kopf,  dem  Stier  der  Rachen,  oder  es  waren  jährliche,  fest  be- 
den  Zwillingen  die  Schultern,  dem  stimmte  oder  frei  gewählte  Gaben, 
Krebs  die  Brust  eigen  sind.  Aus  die  man  anfangs  an  die  Märzver- 
dieser  menschlichen  Figur  ist  der  i  Sammlungen  brachte,  später  bei 
Aderfassina  tut  abgeleitet.  Im  Zu-  anderen  Terminen,  an  Weihnacht 
sammenhang  christlicher  Gedanken  oder  Neujahr;  namentlich  wurden 
findet  man  Skulpturen  der  Stern-  geistlichen  Stiftern  solche  Geschenke, 
bilder  im  Innern  der  Kirchen  und  in  Rossen  und  Waffen  bestehend, 
an  Portalen,  als  Bild  des  Himmels  als  Leistung  auferlegt.  Geschenken 
und  der  ganzen  Welt,  oder  als  Bild  letzterer  Art  ähnlich  sind  die  Tribute, 
des  Jahres  und  seiner  zwölf  Monate,  welche  ein  unterworfener Y'olksstamm 
Auch  als  Häuser  der  Matteten,  deren  oder  Fürst  dem  Herrn  zu  bezahlen 
Lehre  chaldäischen  Ursprungs  ist,  hatte.  Diese  Leistung  hiess  steora, 
sind  die  Tierkreisbilder  in  der  Regel  Steuer  oder  ttuofa  und  bestand  eben- 
in den  s.  g.  Planetentolgcn  abge-  falls  aus  Naturalien:  Rindern, 
bildet.  Pferden.  Lämmern,  Hühnern,  Eiern, 
Schon  früh  hat  es  nicht  an  Ver-  Honig,  Gewändern,  Holz,  teilweise 
suchen  gefehlt,  die  heidnischen  auch  in  Geld;  ob  aber  zu  dieser 
Sternbilder  durch  christliche  zu  er-  Steuer  alle,  z.  B.  die  Thüringer, 
setzen,  am  häufigsten  so.  dass  man  Sachsen ,  Alemannen  verpflichtet 
mit  Beibehaltung  der  Figuren  nur  waren,  ist  nicht  deutlich.  Bei  einer 
die  Bedeutung  änderte,  in  dem  man  Landesuot  wurden  auf  die  Stifte, 
die  Namen  einen  christlichen  Sinn  Klöster,  Grafen  und  königlichen 
unterlegte  und  sie  auf  Geschichten  Vasallen  ein  Tribut  ausgeschrieben, 
des  Alten  oder  Neuen  Testamentes  kraft  dessen  sie  von  ledern  ihrer 
bezog.  Beda  soll  dies  zuerst  gethan  Haupt-  und  Xcbcnhöfe  ein  Be- 
haben.    Auch  einige  deutsch-volks-  stimmtes  zu  zahlen  hatten;  Juden 


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Steuerwesen. 


949 


mussten  dann  einen  Zehnten,  Han- 
delsleute ein  Elftel  entrichten;  sonst 
aber  bestand  noch  in  der  Zeit  der 
Karolinger     «1er  altgermanische 
Grundsatz,  dass  der  Freie  weder 
von  seinem  Lande  noch  von  seiner 
Person  eine  Abgabe  zu  entrichten 
habe.    Die  Einkünfte  des  Königs, 
welche  eins  waren  mit  denjenigen 
des  Reiches,  bestanden  im  Ertrage 
der  königlichen  Güter,  der  Friedens- 
gelder  und  Bannbussen,  aus  den 
Häufigen  Konfiskationen,  der  Ein- 
ziehung erbloser  Güter,  dem  Tribut 
fremder  Völker,  der  Kriegsbeute; 
dazu  kamen  Zölle,  Weg-,  Brüeken- 
umi  Fahrgelder  auf  den  öffentlichen 
Wegen  und  Flüssen,  der  Ertrag  des 
Münzwesens  und  zahlreiche  Natural- 
leistungen des  Volkes  für  besondere 
öffentliche  Zwecke.    Dahin  zahlten 
o>r  Unterhalt  der  öffentlichen  Wege, 
Schleusen  und  Brücken,  der  Aufent- 
halt, den  man  königlichen  Gesandten 
zu  leisten  hatte,  Leihung  von  Pferden 
und  Fuhren  derselben,  zahlreiche 
Naturalleistungen,  die  das  Kriegs- 
wesen mit  sich  brachte. 

Ausserordentliche  Beiträge,  Bei- 
hilfen für  verschiedene  besondere 
Anlässe  waren  es,  aus  denen  sich 
allmählich  der  Begriff  der  öffent- 
lichen Steuer  entwickelte.  Solcher 
iVatur  waren    die  Zahlungen  ab- 
hängiger   Leute   an   ihren  Herrn 
wegen    nicht    geleisteten  Kriegs- 
dienstes, die  lieersteuer,  ahd.  he- 
risfiura,  mhd.  herstiure,  siehe  den 
Artikel  Heerwesen.    Ahnlicher  Art 
sind  in  Bischofsstädten  Zahlungen 
au  den  Herrn   als  Beihilfen  zur 
Heer-  und  Hof-Fahrt.  Andere  Bei- 
hilfen sind  zwar  dem  Namen  nach 
freiwillig,  werden  auf  Bitten  gege- 
ben, daner  die  Namen  petitio,  pre- 
airia,  betfa,  bete,  bede,    aber  die 
Bitte  wurde  oft  strenge  Forderung 
und   durchaus   regelmässig.  Ab- 
hängige Leute  verschiedenen  Stan- 
des unterliegen  diesen  Forderungen, 
in   den  geistlichen  Stiftern  regel- 
mässig von  seiten  der  Vögte ;  Freie 


unterlagen  solchen  Forderungen  in 
der  Regel  nicht.  Auch  die  Könige 
brachten  es  vorderhand  nur  zu 
ausserordentlichen  Beihilfen;  als 
dazu  verpflichtet  galten  vor  allem 
die  von  alters  her  zu  solcheu 
Leistungen  verpflichteten  geistlichen 
Stifter;  neu  kamen  jetzt  die  Städte 
hinzu  und  zwar  musste  ein  solcher 
Beitrag,  dem  ohne  Zweifel  andere 
zur  Bestreitung  gemeinsamer  Be- 
dürfnisse zur  Seite  gingen,  von  den 
Angehörigen  der  Stadt  aufgebracht 
werden.  Eine  eigentümliche  Abgabe 
ist  das  in  den  Städten  aufgekom- 
mene unweit,  eine  Abgabe  von  Ein- 
fuhr und  Verkauf  der  Lebensmittel, 
eine  Zehr-  und  Verbrauchssteuer; 
die  Bürger  nannten  sie,  weil  es 
dafür  keinen  Rechtsgrund  gab,  wm- 
(jdt,  d.  h.  was  man  nicht  schuldig 
ist,  indebitum;  später  wurde  das 
Wort  entstellt  zu  umhgclt*  noch  in 
der  Schweiz  als  Ohmgelt  erhalten. 
Es  wurde  anfangs,  doch  ohne  Er- 
folg, von  Reichs  wegen  verboten. 
Seit  dem  14.  Jahrhundert  ahmten 
Landesherrn  in  ihren  Territorien 
diese  Steuer  nach. 

In  den  Städten  nun  und  in  den 
landesherrlichen  Territorien  ent- 
wickelten sich  die  eigentlichen  re- 
gelmässigen Steuern.  Wie  die  Um- 
lage verteilt  wurde,  war  verschieden; 
an  einigen  Orten  nach  dem  Ein- 
kommen, an  anderen  nach  dem 
Kapitalvermögen,  in  den  Städten 
nach  den  Häusern  und  dem  beweg- 
lichen Vermögen;  auch  ein  Grund- 
zins von  jeder  überlassen-  Bau- 
stelle kam  häufig  vor.  Daneben 
blieb,  wie  früher  dem  König,  so 
jetzt  dem  Landesherrn  vorbehalten, 
zu  ausserordentlichen  Bedürfnissen 
ein  notbete  zu  verlangen,  bei  drän- 
gender Kriegsnot,  zur  Auslösung 
aus  der  feindlichen  Gefangenschaft, 
zur  Tilgung  von  Schulden,  zum 
Besuche  der  Reichstage  und  des 
Hof  lagers,  zu  einem  Römerzug,  zur 
Ausstattung  einer  Tochter,  zu  den 
Festlichkeiten    des  Ritterschlages 


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950 


Strafen 


der  Söhne.  Seit  dem  15.  Jahrhun-  rat,  Übergang  zum  Feind,  Feigheit 
dert  war  die  Einführung  neuer  oder  oder  Flucht,  mit  dem  Tode  be- 
die  Erhebung  bestehender  Steuern  i  straft,  alle  übrigen  durch  J'ermö- 
an  den  Beirat  oder  die  Bewilligung  genshussen  gesühnt.  Neben  der  Straf- 
der  Landstände  gebunden;  dieses  gewalt  der  Gemeinde  stand  das 
geschah  dann  auf  gewisse  Jahre  |  Fehderechf  der  Familie,  dessen  kräf- 
oder  auf  unbestimmte  Zeit  unter  tigster  Ausdruck  die  Blutrache  war. 
den  Namen  Schätzung,  Geschoss,  Von  den  Vermögensbussen  fiel  ein 
Kontribution,  und  es  wurden  ent-  Teil,  Komposition  oder  Busse  ee- 
weder  die  steuerpflichtigen  Personen  nannt,  an  den  Verletzten  zur  Ge- 
oder  Güter  unmittelbar  nach  ihrem  nugthuung  für  das  erlittene  Un- 
Vermöcen  oder  Ertrage  besteuert,  recht,  der  andere  Teil,  der  Fredum 
oder  die  ganze  Summe  nach  be-  oder  Wette  hiess.  an  das  Gemein- 
stimmten Quoten  auf  die  Prälaten,  wesen  zur  Sühne  des  verletzten 
Kitterschaft,  Städte  und  gemeine  .  Friedens;  später  trat  noch  der  Bann 
Landschaft  verlegt.  als  Sühne  des  verletzten  Königs- 

Nachdem  mit  der  Zeit  die  ur-  friedens  dazu.    Besass  der  zu  Büs- 

spriinglichen   Reichseinküufte    fast  I  sende  kein  Vermögen,  so  büsste  er 

ganz  aufgehört  hatten,  kamen  im  durch  körperliche  Züchtigung  oder 

15.  Jahrhundert  für  vorübergehende  musste  dem  anderen  seinen  Leib 

ausserordentliche  Bedürfnisse  Reichs-  für  die  Schuld  verpfänden  oder  sich 

steuern  auf.    Die  eine  Form  der-  ihm  in  Knechtschaft  ergeben  oder 

selben  war  die  Ausschreibung  eines  endlich,  wenn  nicht  Verwandte  und 
gemeinen  Pfennigs  auf  alle  Ein- '  Freunde  für  ihn  eintraten,  mit  dem 

wohner  des  Reichs,  nach  dem  Ver-  ]  Leben  herhalten.  Sklaven  oder  leib- 

hältnis  ihres  Vermögens,  die  andere  eigene  Knechte  lagen  durchaus  in 

ein  den  Reiehsständeu  auferlegter  der  Gewalt  des  Herrn. 

Anschlag,  der  dem  Kontingent  je-  Mit  der  Zeit  nahm  das  Straf- 

des  Standes  entsprach;  seit  1535  recht  eine  andere  Richtung  an.  Für 

geschah  der  Anschlag  so,  dass  die  die  römische  Bevölkerung  der  ger- 

zu  Worms  1521  für  den  beabsich-  manischen   Reiche   blieb   das  rö- 

tigten  Römerzug  entworfene  Mann-  mische  Strafrecht  in  Anwendung; 

sthaftsmatrikel  zu  Grunde  gelegt  das  Christentum,  das  den  Grand 

wurde,  wornach  der  Fussknecht  zu  der  Strafe  auf  den  Begriff  der  Ge- 

vier,  der  Reisige  zu  zehn  Gulden  rechtigkeit  und  dessen  Zusammen- 

monat/ich   angeschlagen  war;  das  hang  mit  der  sittlichen  Weltordnung 

Geldkontingent  für  eine  monatliche  zurüekführte   und    zum   Teil  das 

Lösung    hiess  Romermonat.     Die  mosaische  Recht  anerkannte,  dann 

einzige  stehende  Reichssteuer  war  die   höhere  Vorstellung   von  den 

die  von  den  Reichsständen  seit  1548  Pflichten    des  königlichen  Amtes, 

zum  Unterhalte  des  Reichskammer-  endlich  das  Bedürfnis,  die  allge- 

gerichtes  übernommene.  Die  Römer-  meine  Ordnung  und  Sicherheit  durch 
monate  und  die  letztgenannte  Steuer  Strafen  zu  stärken,  alles  dies  rief 
wurde  in  den  einzelnen  Territorien  ein  auf  harte  Lebens-  und  Leibes- 

auf  die  Unterthanen  verlegt.  Waitz,  strafen  gebautes  Strafrecht  hervor. 

Verfassungs^eschichte  und  Walter,  Dasselbe  bildete  sich  vorherrschend 

Rechtsgeschichte.  lokal  und  zum  Teil  willkürlich  aus, 

Strafen.  In  altgermanischer  Zeit  und  erst  seit  dem  15.  Jahrhundert 
ging  die  Ausübung  der  Strafgewalt  wurden  in  Deutschland,  beeinflusst 
vom  obersten  Gericht,  der  Gauver-  von  der  italienischen  Jurisprudenz, 
Sammlung  aus;  doch  wurden  nur  zusammenhängende  Systeme  ver- 
tue schweren  Verbrechen,  wie  Ver-  sucht. 


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'  Strafen. 


951 


Was  die  besonderen  Strafen  be- 
trifft, so  sind  zu  unterscheiden: 

A .  1  'erm  vgeu  »straf ?n . 

1.  Komposition  oder  Wergel 'd, 
Vgl.  den  Art.  Wergeid. 

2.  Das  Fredum  oder  die  Wette 
war  das  Strafgeld,  das  zur  Sühne 
des  verletzten  t  riedens  ursprünglich 
an  das  Volk,  später  an  den  König 
entrichtet  wurde.  Komposition  und 
Fredum  gehören  zusammen,  so  zwar, 
dass  in  jener  der  Begriff  der  per- 
sönlichen Genugthuung,  in  diesem 
der  Begriff*  von  Strafe  vorherrscht. 
Die  Grösse  des  Fredum  betrug 
gewöhnlich  ein  Drittel  der  Kom- 
position. 

3.  Der  Bann  ist  die  Busse, 
welche  wegen  des  Ungehorsams 
gegen  ein  königliches  Baungebot 
zu  entrichten  war;  sie  betrug  re- 

gelmässig  60  Solidi.  Wer  die  Bann- 
usse  nicht  zahlen  konnte,  erhielt 
tJO  Hiebe. 

4.  Konfiskation  des  Vermögens 
war  ursprünglich  immer  mit  der 
Friedlosigkeit  verbunden ,  später 
kam  sie  in  der  Verbindung  mit  der 
Verbannung  oder  der  Todesstrafe 
oder  auch  selbständig  vor. 

B.  Lehens-  und  Leihesstrafen. 

I.  Die  Todesstrafe.  Tacitus 
Germ,  erwähnt  zweier  bei  den 
Germanen  angewendeter  Todesstra- 
fen, des  Aufhängens  und  des  Ver- 
8eukens  in  Moor  und  Sumpf;  es 
ist  kein  Zweifel,  dass  noch  andere 
Todesstrafen  daneben  bestanden 
haben,  welche  aber,  wie  dies  auch 
später  vorkam ,  nach  jeweiliger 
liechtsanschauung  und  der  beson- 
deren Sitte  eines  Volksstammes 
verschieden  waren.  Fand  auch  eine 
gewisse  Beziehung  statt  zwischen 
der  Natur  des  Verbrechens  und 
der  Art  der  zu  wählenden  Todes- 
strafe, so  war  doch  der  Sitte  und 
Willkür  in  diesen  Zeiten  hier  ein 
grosser  Spielraum  gelassen. 

1.  Enthaupten  scheint  die  ge- 


wöhnlichste Todesstrafe  gewesen  zu 
sein;  die  Enthauptung  geschah  mit 
Barte  und  Schlegel:  der  Verurteilte 
legte  seinen  Hals  auf  einen  Block, 
die  Barte  (Beil)  wurde  darüber  ge- 
halten und  mit  dem  Schlegel  ein 
Schlag  gethan.  Die  Anwendung  des 
Schwertes  scheint  edler  und  krie- 

§erischer.  Alte  Sitte  scheint  es, 
ass  das  gefallene  Haupt  in  die 
Höhe  gehoben  und  gezeigt  oder 
auf  einem  Sneer  umhergetragen 
wurde.  Alle  übrigen  Strafen  schei- 
nen mehr  ab  qualifizierte  gegolten 
zu  haben,  die  bei  solchen  Ver- 
brechen zur  Anwendung  kamen, 
wo  neben  der  unrechten  Gewalt 
auch  eine  böse  und  niedrige  Ge- 
sinnung vorhanden  war. 

2.  Die  weitverbreitetste,  am 
meisten  übliche  von  diesen  scheint 
da*  Hängen  gewesen  zu  sein,  nach 
alten  Formeln:  in  der  Luft  reiten, 
die  Luft  über  sich  zusammenschla- 
gen lassen,  den  Ast  bauen,  den 
dürren  Baum  reiten.  Uralt  ist  und 
in  alten  deutschen  Mundarten  ver- 
breitet das  Wort  ahd.  ga/go,  Gal- 
gen; ausser  dem  Galgen  benutzte 
man  bestimmte  lautlose  Bäume 
oder,  wenn  diese  ausstarben,  ein- 
gerammelte Stämme  und  Pfähle. 
Statt  der  hänfenen  Seile  drehte 
das  einfache  Altertum  Zweige  von 
frischem,  zähem  Eichen-  oder  Wei- 
denholz, mhd.  rCr,  vif  (Holz)  und 
wide.  Uralte  Sitte  scheint  Verhül- 
lung des  Antlitzes,  oft  mit  einem 
schwarzen  Tuch.  Das  Gesicht  des 
Verbrechers  wurde  nach  Norden 
gerichtet.  Die  Strafe  wurde  meist 
in  der  Art  vollzogen,  dass  der  Tod 
sogleich  beim  Aufknüpfen  selbst 
erfolgte.  In  der  Schaustellung  des 
Missethäters  lag  ein  erschwerendes 
Moment  dieser  Strafe,  daher  der 
Galgen  an  offener  Heerstrasse  oder 
bei  einem  Scheidewege  aufgestellt 
wurde;  höher  hängen  war  noch 
eine  besondere  Erschwerung.  Eine 
altertümliche  Erschwerung  der  Gal- 
genstrafe war  es  auch,  dass  Wölfe 


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952 


Straten. 


oder  Hunde  neben  dem  Verurteil-  j  lieh  das  heimliche  Wegthun,  das 
ten  aufgehängt  wurden.    Hängen  Entziehen  eines  ehrlichen  Begräb- 
war die  eigentliche  Diebstablsstrafe.  nisses  in  Betracht  kam. 
Frauen  sollten  nicht  gehängt  wer-  7.  Ertrunken  war  vorzüglich  Strafe 
den,  sondern  statt  dessen  dem  Ver-  der  Frauen  und  Zauberinnen.  Das 
brennen,  Ertränken  und  Steinigen  Schwimmen  der  Ertränkten  zu  ver- 
unterliegen.    Sonst   gilt   Hangen  hindern,  band  man  ihnen  Steine, 
nächst  der  Hinrichtung  im  Verhält-  Mühlsteine  um  den  Hals;  erschwert 
nis  zu  den  anderen  üblichen  Todes-  wurde  die  Strafe  dadurch,  dass  man 
strafen  als  minder  harte  Strafe.  die  Missethäterin  in  einem  Sack  mit 
5.  Söder»  oder  Radebrechen,  aufs  I  Hund,  Ratze  und  Schlange  zusam- 
Rad  legen,  kommt  ebenfalls  sehr  men  ertränkte, 
früh  vor.  Die  Strafe  bestand  darin, '      Die  übrigen  Todesstrafen  sind 
dass  die  Glieder  des  Missethäters  j  seltener  erwähnt  und  nieht  allge- 
mit  einem  Rade  zerstossen,  der  Ver-  mein  angewendet  worden : 
urteilte  mit  zerbrochenen  Gliedern '      8.  Ausdärmen  galt  für  Baum- 
aufs Rad  geflochten  und  so  auf  schäler  und  Pflugräuber, 
einem  Pfahl  oder  Galgen  ausgestellt  9.  Fleischsehneiden  aus  der  Brust 
wurde.    Grimm  vermutet,  dass  das  ist  Strafe  des  bösen  Schuldners 
Zerstosseu    der  Glieder    mit  dem  10.    Tierteilen,    mhd.  zerliden; 
„ueun-  oder  zebnspeichigen  Rade"  oft  geschah  das  so,  dass  einzelne 
erst   später  entstanden    und  man  Glieder  des  Missethäters  an  den 
statt  dessen  früher  mit  einem  Wagen  Schweif  eines  wilden  Rosses  gebun- 
über  den  Missethäter  gefahren  sei.  den  und  zerschleift  oder  dass  Arme 

4.  Das  Verbrennen  ist  eine  schon  und  Füsse  an  mehrere  Pferde  be- 
bei  den  heidnischen  Sachsen  und  festigt  und  diese  nach  verschiede- 
Franken  bezeugte  Todesart.  nament-  neu  Seiten  hin  getrieben  wurden, 
lieh  für  Zauberer  und  Giftmischer,  Oft  wird  diese  Strafe  in  den  Ge- 
später für  Ketzer.  Besonders  nahe  dichten  des  karolingischen  Sagen- 
lag es,  die  Mordbrenner  selbst  dieser  kreises  verhängt. 

Todesart  zu  weihen:    auch    beim  11.  Zertreten  von  Pferden  wird 

Ehebruch  war  diese  Strafe  üblich,  in  nordischen  Sagen  erwähut  und  ist 

5.  Steinigen  wird  in  nordischen  dem  Zerstossen  der  Glieder  durch 
und  fränkischen  Quellen  erwähnt.  Wagen  zu  vergleichen;  siehe  oben 
Der  Missethäter  wurde  an  einen  3.  Kadern. 

Stamm  oder  Pfahl  gebunden  und  12.  Sieden,  in  siedendem  Wasser 

mit  Steinen  nach  ihm  geworfen.  töten,  scheint  an  Ketzern  vollstreckt 

6.  Lebendigbegraben  erwähnt  Ta-  worden  zu  sein. 

citus   Germ.   12.    Später    galt   als  13.  In  ein  sleuerhses,  leckes  Schij? 

Regel,  wenn  Männer  gehängt  und  setzen,  kommt  bloss  in  Liedern  und 

gerädert  werden  sollten ,  solle  man  '  Sagen  vor. 

Weiber  „der  weiblichen  Ehre  willen"  14.  Tieren  vorwerfen  erscheint 

lebendig  begraben.  Mit  dieser  Strafe  auf  deutschem  Boden  ebenfalls  bloss 

wurde    noch    später   oftmals    das  in  der  Sage. 

Treiben  eines  Pfahles  durch  den  II.  Lethesstrafen.  Auch  die  An- 
Leib,  besonders  *  bei  Kindesmörde- ,  wendung  dieser  oder  jener  Leibes- 
rinnen ,  verbunden.  Das  Versenken  strafe  stand  oft  in  der  Willkür  des 
in  Moor  und  Pfützen,  das  Lebendig-  Richters,  wobei  neben  der  Gerech- 
begraben und  selbst  daa  Ertränken  rigkeit  auch  Rücksichten  auf  die 
scheinen  alle  fast  nur  verschiedene  Person,  deren  Stand,  Gefährlichkeit 
Formen  einer  und  derselben  Straf-  u.  a.  leiteten.  Manche  dieser  Strafen 
art  gewesen  zu  sein,  wobei  vorzüg-  konnten,    gleichsam    als  Schär- 


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Strafen. 


953 


fungen,  mit  der  Todesstrafo  ver- 
bunden werden. 

1.  Verstümmelnde  Strafen,  wo- 
durch der  Missethäter  eines  Gliedes 
oder  Sinneswerkzeuges  beraubt 
wurde.  Dahin  gehören: 

a)  Hand-  und  Fussabhauen,  wo- 
bei rechte  Hand  und  Unker  Fuss 
mehr  galten  als  die  andern;  jene 
führt  das  Schwert  und  schwingt  den 
Speer,  mit  diesem  tritt  der  Mann 
in  den  Steigbügel.  Iu  Waldweis- 
tümern  kommt  oft  Abhauen  des 
Daumens  vor. 

b)  Blenden,  sei  es  bloss  eines,  sei 
es  beider  Augen. 

c)  Abschneiden  der  Xase,  eines 
oder  beider  Ohren  oder  wohl  von 
Nase  und  Ohren  zugleich.  Besonders 
Sklaven  mögen  mit  dieser  Strafe 
belegt  worden  sein,  weil  dadurch 
ihrer  Arbeitsfähigkeit  weniger  ge- 
schadet wurde. 

d)  Entmannung.  Geisseihiebe 
und  Entmannung  waren  bei  den 
salisehen  Franken  die  beiden  Strafen 
für  Unfreie;  wer  bei  den  Friesen 
Heiligtümer  entweiht  hatte,  sollte 
vor  der  Hinrichtung  entmannt 
werden. 

Weniger  allgemeine  und  häufige 
Strafen  derart  scheinen  gewesen  zu 
sein:  Ausschneiden  der  Zunge,  be- 
sonders für  Verleumder  und  Ver- 
räter, Abschneiden  der  Oberlippe 
mit  der  Nase,  Ausbrechen  der  Vorder- 
zähnedem  gegenüber,  der  den  andern 
beisst;  Abscnneiden  oder  Abhauen 
einzelner  Finger. 

2.  Geisslunq  oder  Stäupung,  Aus- 
hauen des  Malefikanten ,  der  dabei 
an  einen  Pfahl  gebunden  oder  auf 
eine  Bank  hingestreckt  wurde,  mit 
Ruten,  Riemen  oder  Stricken  auf 
blossem  Rücken.  Dadurch,  dass 
diese  Strafe  nach  erfolgtem  Rechts- 
spruch, unter  Aufsicht  des  Gerichts, 
öffentlich  geschah,  unterschied  sie 
sich  von  aer  blossen  Züchtigung, 
wie  sie  dem  Herrn  gegen  seine 
Hörigen  und  selbst  gegen  die  in 
seiner   Mannschaft   stehenden  Fa- 


milienglieder erlaubt  war.  Die  Zahl 
der  Hiebe  wird  in  alten  Volks- 
rcchten  von  40  bis  300  gestellt. 
Namentlich  Unfreie  mussten  ihre 
Missethat  mit  ihrer  Haut  büssen; 
Freie  wurden  nur  dann  dieser 
Strafe  unterworfen,  wenn  sie  nicht 
im  staude  waren  die  Busse  zu 
bezahlen;  erst  mit  der  Zeit  wur- 
den unbedingt  gewisse  Missethaten 
mit  körperlicher  Züchtigung  bedroht. 
Die  körperliche  Züchtigung  zog, 
wenn  ein  Freier  sie  erlitt,  den  Ver- 
lust der  Freiheit  keineswegs  nach 
sich;  dagegen  scheint,  gleichsam  als 
ein  Bestandteil  der  Strafe  selbst,  das 
Abscheeren  der  Haare  damit  ver- 
bunden gewesen  zu  sein. 

3.  Schinden,  Abziehen  der  Haut 
mit  den  Haaren,  eine  Strafe,  die 
für  sehr  schimpflich  galt;  ausser- 
dem war  im  Altertum  noch  ein  be- 
sonderes Riemenschneiden  aus  der 
Haut  als  Strafe  bekannt. 

4.  Brandmarken  war  nicht  bloss 
Strafe  wegen  des  Schmerzes  und 
Schimpfes,  sondern  diente  auch  da- 
zu, den  einmal  Verurteilten  und 
noch  anderweitig  Bestraften  wieder 
zu  erkennen;  es  geschah  meist  durch 
Einbrennen  eines  Schlüssels  in  Wange 
oder  Stirn. 

5.  Werjemanden miteinemMesser 
gestochen  hatte,  dem  sollte  dasselbe 
Messer  vor  Gericht  durch  die  Hand 
qeschlaaen  werden. 

6.  Ünvorsätzliche  Mörder  wurden 
im  Mittelalter  kirchlich  angehalten, 
mit  schweren  Ketten  oder  Ringen 
um  den  Leib  oder  die  Arme  be- 
lastet, Wallfahrten  zu  thun  In 
leichteren  Fällen  musste  der  Mörder 
wenigstens  an  hohen  Festen  ent- 
kleidet und  nackt  bis  zum  Gürtel 
vor  der  Prozession  ziehen ,  in  jeder 
Hand  eine  gebundene  Rute,  und 
sich  selbst  schlagen,  dass  es  blutete, 
und  die  Bande  tragen,  bis  sie  ab- 
fielen. 

III.  Freiheilsstrafen.  \. Sklaverei. 
Wer  in  alter  Zeit  einen  Friedens- 
brueh  mit  Geld  zu  sühnen  unver- 


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954 


Strafen 


mögend  war,  wurde  Sklave  oder  wohnen,  musste,  wenn  er  ihnen  auf 
Höriger  seines  Schuldners:  ja  nach  dem  \\  eg  begegnete,  ausweichen, 
einigen  Gesetzen  war  es  ihm  sogar  Mittelalterliche  Formeln  dafür  sind 
gestattet,  Frau  und  Kinder  in  die  einen  erlös  und  rechtlos  sagen,  kün- 
Hörigkeit  zu  geben,  um  für  ihn  die  Jen,  bannen,   verbannen,  rerfestm, 
Schuld  mit  abzuverdienen.     Nach  verweisen ,    verschalten ,  verfemen. 
andern  Gesetzen  konnte  ein  Misse-  verzelen,     aechten,  einen 
thäter   überhaupt    dem   Verletzten  menniglichen   erlauben.  Waldgang 
oder  Nächstbeteiligtcn  in  beständige  hiess  in  ältester  Zeit  der  härteste 
Knechtschaft  hingegeben    werden.  Grad  der  Verbannung,  der  Ver- 
Dem  Gi  ad  nach  scheint  die  Hin-  bannte  Waldmann,  Waldganger,  auch 
gäbe  in  Sklaverei  der  Todesstrafe  varaus-  Wolf  und  Räuber,  *  weil  der 
am  nächsten  gestanden  zu  haben.  Verbannte  gleich  dem  Raubtier  ein 
In  deutschen  von  der  Kirche  beein-  Bewohner  des  Waldes  ist  und  gh  ich 
flussten   Volksrechten    wird    auch  dem  Wolf  ungestraft  erlegt  werden 
Sonntagscnthciligung  und  Ehebruch  darf.    Verwiesene  räumten  barfuss. 
mit  dieser  Strafe  belegt.  entgürtet,  und  einen  Stab  tragend 
2.  Verbannung.     Wahrend   die  das  Land;   ihn  sollte  niemand  be- 
Flucht aus  dem  Lande  früher  eine  herbergen  und  speisen.    Die  Aus- 
notwendige Folge  des  Friedensver-  Schliessung  aus  der  Gemeinschaft 
lustes  war,  um  dadurch  der  ver-  ging  zunächst  nur  das  engere  Ver- 
hängten Strafe  der  Tötung  oder  der  nältnis  an,  die   Mark,   den  Gau. 
Hinrichtung  zu  entgehen,  wurde  die  später  auch  die  Stadt;  es  gab  aber 
Verbannung  später  zu  einer  besondern  auch  Verhältnisse,  wo  der  Verbrecher 
Freiheitsstrafe.    Sie  erscheint  aber  des  Friedens  im  ganzen  Volk  ver- 
in  den  Rechtsquellen  mehr  eine  von  I  lustig  wurde.     Die  Kirche  setzte 
dem  König  oaer  Herzog  als  hoch-  spater  oft  an  Stelle  des  weltlichen 
stem  Richter  in  den  ihm  geeignet  Bannes  die  Wallfahrt  an  heilige 
scheinenden  Fällen  willkürlich,  oft  Örter,  wobei  der  Verbrecher  Bande 
an  Stelle  anderer  Strafarten  aufer-  und  Kette  trug.    Frauen  unterlagen 
legte  Strafe  gewesen  zu  sein.  Doch  deshalb  der  Verbannung  nicht,  weil 
kommt  die   Verbannung   auch   in  sie  nicht  in  der  Gemeinschaft  der 
andern  Verhältnissen  vor.    Wenn  freien  Männer  standen.  Landesver- 
die Markgenossen  oder  Gaubewohner  wiesene  durften,  wenn  sie  sich  bei 
einen  Verbrecher  aus  ihrer  Gemein-  feierlichem  Einzug  des  Fürsten  an 
schaft  8chliessen  wollten,  zerstörten  dessen  Wagen  oder  Pferd  hielten, 
sie  ihm  sein  Haus:  das  Dach  wurde  sicher  zurückkehren, 
abgetragen,  das  Thor  verufahlt,  der  3.   Gefängnisstrafe ,  zeitweilige 
Brunnen  mit  Erde  zugedeckt,  der  und  lebenslängliche,'  wird  zuweilen 
Ofen  eingeschlagen.  Häufig  wurden  erwähnt;  sie  kam  aus  den  römischen 
im  Mittelalter  die  Wohnungen  von  eroberten  Ländern,  und  wenn  Karl 
Kapitalverbrechern  zerstört,  abge-  der  Grosse  befahl,  dass  jeder  Graf 
sehen  von  der  sonst  über  sie  ver-  in  seiner  Grafschaft  für  ein  ge- 
hängten Strafe.    In  die  Burg  ver-  höriges   Gefängnis    sorgen  sollte, 
urteilter  Ritter  wurde  ein  Kreuz  ge-  so    fehlte    es    doch   noch  spater 
rissen ,  d.  h.  die  Mauer  von  vier  oft  an  Aufbewahrungsorten  für  Ver- 
Seiten her  durchbrochen.    Der  von  urteilte. 

der  Genossenschaft  freier  Männer  IV.  Ehrenstrafen.  Diese  sind  in 

Ausgeschlossene  durfte  fortan  keinen  der  früheren  Zeit  mindestens  selten 

Umgang  mit  ihnen  haben,  den  Ver-  gewesen  und  scheinen  erst  mit  der 

sainnilungen ,    Gerichten    und    im  bestimmteren  Ausbildung  eines  Stan- 

Heidentum  den  Opfern  nicht  bei-  des,  der  auf  bevorzugte  Ehre  An- 


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Strafen. 


055 


Spruch  machte,  ausgebildet  und  üb-  trugen  Sättel.  Unfreie  ein  Fßugrad. 

hcher  geworden  zu  sein.  Frauen  trugen  Steine  um  den  Jlals. 

1.  Widerruf  und  Abbitte.  Wer  5.  Eselritt.  Eine  Frau,  die  ihren 
den  anderen  gescholten,  ihm  ein  Mann  geschlagen  hatte ,  musste 
Verbrechen  vorgeworfen  hatte,  ohne  rückwärts  auf  einem  Esel  reiten 
es  bewähren  zu  können,  musste  und  dessen  Schwanz  haltend  durch 
sich  öffentlich  auf  den  Mund  sehla-  den  ganzen  Ort  ziehen.  Ahnliche 
gen  und  sagen:  Mund,  da  du  das  Ehrenstrafen  sind,  hinterrücks  auf 
Wort  redetest,  lögest  du !  einen  weissen  Gaul,  oder  auf  einen 

2.  Schimpfliche  Tracht,  wie  das  schwarzen  Widder  gesetzt  zu  werden. 
Abschneiden  des  Haares,  das  Kür-  6.  Dachabdeckung  ist  ebenfalls 
zen  des  langen  Gewandes,  beides  eine  Strafe  für  den  Ehemann,  der 
besonders  bei  Frauen,  die  ihre  Un-  sich  von  seiner  eigenen  Frau  hat 
schuld  nicht  beweisen  konnten.  raufen,  schlagen  und  sehelten  lassen. 

8.  l'ntersagung  der  Waffen  und  7.  Mit  Jr'ech  bestreichen  und  in 

des  ritterlichen  Gerätes.  Ein  ehrloser  Federn  wälzen. 

Ritter   sollte   Stiefel   ohne  Sporn  8.  Pranger  i  der  Verbrecher  wird 

tragen,  ein  Pferd  ohne  Hufeisen,  an   einen   auf  dem  Gerichtsplatz 

ohne  Sattel  und  mit  bastenem  Zaum  oder    sonst    öffentlich  stehenden 

reiten;  das  hiess  mhd.  einen  von  Ffahl,  Block-  oder  Stein  gebunden, 

Schildes  ambet  scheiden  und  recht-  angeschlossen  oder  eingespannt  und 

los  sagen.   Edelleuten,  die  sieh  ver-  den  Blicken  des  Volkes  ausgestellt; 

gangen  hatten,  wurde  das  Tisch-  dieser  Schandpfahl  heisst  in  N'ieder- 

tuch  zerschnitten  und  das  Brot  ver-  deutschland  hake,  in  Schwaben  die 

kehrt  gelegt.  Schraiat,  in  Bayern  die  Freche,  in 

4.  Symbolische  Frozession.  Die  Norddeutsehland  die  Fiedel ,  in 
Missethäter  mussten  in  demütigen-  Schwaben  die  Geit/e.  Härtere  Strafe 
dem  Anzug,  ein  Zeichen  der  ver-  ist  der  Schandkorh,  der  für  Garten- 
wirkten Strafe  auf  ihrem  Hals  oder  \  diebe,  zänkische  Weiber  und  Ehe- 
Rücken  tragend,  vor  ihrem  Herrn  brecher  gebraucht  wurde,  und  das 
erscheinen  und  eine  vorgeschriebene  Aufhängen  im  Kefich. 
Strecke,  gewöhnlieh  bis  zur  Grenze  t  9.  Vnehrliches  Begräbnis.  Tote 
des  Gaues  durchwandern,  gleich-  Ubelthäter  und  Verbreeher  wurden 
sam  damit  ihre  Entehrung  jeder-  auf  den  Kreuzweg  begraben  und 
mann  im  Lande  bekannt  würde,  nicht  über  die  Schwelle,  deren  Hei- 
Edle  und  Freie  trugen  ein  blosses  ligkeit  nicht  entweiht  werden  durfte, 
Schicert,  Unfreie  den  Strang  um  aus  dein  Haus  getragen,  sondern 
ihren  Hals,  zum  Symbol,  dass  sie  durch  ein  Loch  unter  der  Schwelle 
verdient  hätten,  enthauptet  oder  hergeschleift:  so  der  beim  Einbruch 
gehangen  zu  werden.  Missethäter  ersclilagene  Nachtdieb  und  der 
trugen  auch  Hüten  oder  Besen  in  Ketzer,  namentlich  aber  derSelbßt- 
der  Hand,  zum  Zeichen  des  ver-  mörder. 

wirkten  Staupenschlags,  wie  dem  Nach  Wilda ,  Strafrecht  der 
ergriffenen,  vor  Gerieht  geschlepp-  Germanen,  Halle  1842;  J.  Grimm, 
ten  Dieb  Schere  und  Besen  auf  Rechtsaltertümer,  680 — 744;  Wal- 
dau Rücken  gebunden  wurde.  Edle  ter,  Rechtsgeschichte.  Vgl.  Drewer, 
Verbrecher  trugen  Hunde ,  wohl  antiquarische  Anmerkungen  über 
um  anzudeuten,  dass  sie  wert  wä-  <  einige  in  dem  mittleren  Zeitalter 
reu,  gleich  einem  Hund  erschlagen  in  Teutschland  und  dem  Norden 
und  aufgehängt,  an  der  Seite  eines  üblich  gewesene  Lebens-,  Leibes- 
Hundes  aufgehängt  zu  werden.  |  und  Ehrenstrafen,  Lübeck  1792,  und 
Blosse  Freie   oder   Dienstmannen  Kriegk,   Deutsches  Bürgertum,  I. 


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956 


Strafverfahren. 


Abschn.  XI,  Kriminaljustiz  und 
Abachn.  XII,  Die  Kriminalstrafen ; 
Schutz,  höfisches  Leben,  II,  149 
bis  157. 

Strafverfahren.  In  diesem  Ar- 
tikel sollen  als  Ergänzung  namentlich 
des  Artikels  Gerichtswesen  einige  Ge- 
richtsaltcrtümer  besprochen  werden, 
wobei  besonders  (trimm*  Rechts- 
attertiimer  Buch  VI,  Kap.  V  und 
VI  und  Walter*  Rechtsgesehiehte 
als  Quelle  lionen. 

1.  Ladung.  Schon  früh  im  Mittel- 
alter wurde  das  gebotene  Gericht 
be/äutet  und  beschreit.  Die  (Hocke 
rief  alle  Freien  und  die  Urteiler 
insbesondere  zu  ihrem  Rechte,  wie 
die  Kirchenglocke  zum  Gottesdienst, 
die  Sturmglocke  gegen  Feind,  Mör- 
der und  Feuer  aufrief.  Der  Gegner 
dagegen  wurde  in  der  ältesten  Zeit 
ohne  Einmischung  des  Richters  ge- 
rufen; der  Kläger  selbst  forderte 
seinen  Schuldner,  in  Beisein  von 
Zeugen,  vor  Gericht;  der  Ausdruck 
dafür  ist  ahd.  manou,  nhd.  mahnen. 
Zu  dem  Ende  verfügte  sich  der 
Kläger,  von  Zeugen  begleitet,  zu 
der  Wohnung  des  Schuldners,  for- 
derte ihn  nochmals  auf  seine  Verbind- 
lichkeit zu  erfüllen  und  bestimmte 
dem  Weigeroden  ein  Gericht.  Wurde 
die  Ladung,  was  später  aufkam, 
von  dem  Richter  oder  dessen  Boten 
vorgenommen,  so  hiess  sie  Bann-, 
dieser  geschah  mündlich,  oder  spä- 
ter auch  schriftlich,  durch  den  Ge- 
richtsboten, der  unter  Umständen 
die  Ladung  an  die  Thüre  stecken 
oder  hängen  durfte.  Gewaltsam 
konnte  in  der  Re^el  kein  Freier 
vor  Gericht  gebracht  werden,  am 
wenigsten  nach  der  ersten  Ladung; 
solcher  Ladungen  aber  waren  in 
den  alten  Volksrechten  drei  bis 
sieben  vorgeschrieben.  Bei  den 
höheren  Ständen  mussten  bis  ins 
15.  Jahrhundert  zur  Ladung  Eben- 
bürtige gebraucht  werden.  Über 
die  gesetzlich  gestatteten  Entschul- 
digungsgründe siehe  den  Artikel 
ShafHu  not. 


2.  Hegung  des  Gerichtes.  Die 
feierliche  Aufstellung  des  Gerichtes 
hiess  grrihte  htnen.  eigentlich  mit 
einem  Hat/  abscliliessen.  Es  scheint, 
dass  beim  Sitze  des  Richters  ein 
Schild  aufgehängt  wurde,  vielleicht 
an  einem   in  die  Erde  gesteckten 
Speer;  die  gewöhnlichen  Gerichte 
wurden  aber  seit  dem  Mittelalter 
bloss   durch   Spannung   der  Bank 
und    mit   dem  Stab   gehegt;  am 
Schlüsse  des  Gerichtes  pflegten  die 
Brinke  gestürzt  ('zusammengeworfen) 
zu  werden.    Erstes  Geschäft  des 
Richters  ist,  Stille  zu  gebieten.  Ge- 
richtsfrieden  zu  bannen,  ban  und- 
frid  qebieten.  Bis  wieweit  der  Um- 
stand* (die  Umstehenden)  dem  geheg- 
ten Gericht  nahen  durfte,  bestimmte 
entweder  Seil  und  Schranken,  oder 
besondere  Verfügung.  Fremde  muss- 
ten sich  in  noch  weiterer  Feme 
halten;  Überschreitung  der  gesetzten 
Schranke  wurde  hart  gebüsst. 

3.  Streit.  Der  Prozess  wurde 
als  ein  Kampf  gedacht;  der  Kläger 
greift  an.  der  Beklagte  wehrt  sich: 
die  Ladung  ist  eiue  Kriegsankün- 
digung,  die  Gemeinde  schaut  zu 
und  urteilt,  wer  unterlegen  sei; 
Zeugen  und  Mitschwörende  helfen 
auf  beiden  Seiten;  zuweilen  löst 
sich  das  ganze  Verfahren  in  das 
Gottesurteil  eines  leiblichen  Zwei- 
kampfes auf.  Klage  und  Antwort 
und  das  übrige  Verhalten  vor  Ge- 
richt war  an  genau  abgemessene 
Ausdrücke  gebunden.  Der  Gang 
der  Verhandlung  war  ängstlich  ab- 
gemessen und  die  Ausdrücke  für 
das  Einzelne  so  ^enau  vorgezeich- 
net, dass  die  kleinste  Abweichung 
Nachteil  und  Gefahr  mit  sich  führte. 

Klage  ist  ursprünglich  das  Ge- 
schrei, mit  dem  man  seinen  An- 
kläger beschuldigt,  dass  es  mög- 
lichst alle  hören,  und  die  Hilfe  des 
Richters  anruft.  Wirklich  war  es 
im  Mittelalter  Sitte,  dass  derjenige, 
der  den  Verbrecher  auf  der  That 
ertappte  oder  selbst  vergewaltigt 
worden   war,  das   Geschrei,  mhd. 


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Strafverfahren. 


957 


uiid  das  Gericht  gab  Urlaub,  den 
Toten  zu  begraben;  doch  wurde 
an  einigen  Orten  das  blutige  Ge- 
wand oder  die  rechte  Hand  zurück- 
behalten, manchmal  aber  statt  der 
letzteren  eine  wächserne  Hand  zu- 


das  gerüefte,  den  truof  oder  tcuoft, 
erhob;  diesem  Warfenruf,  wozu 
nach  Umständen  das  Lärmhoru 
geblasen  und  die  Sturmglocke  ge- 
läutet wurde,  war  jeder  Erwach- 
sene bei  Strafe  zu  folgen  verbun- 
den. Hatte  man  den  Verbrecher  j  gelassen.  Blieb  der  Verklagte  im 
eingefangen,  so  zog  man  zum  Rieh- 1  dritten  Te  rmine  aus,  so  wurde  er 
ter,  der  alsbald  das  Gericht  ver-  in  die  Mordacht  erklärt, 
sammelte.  Der  Leichnam  ,  die  Uber  die  Beweismittel  Eid  mit 
gestohlene  Sache  oder  andere  Wahr-  Eideshelfern ,  Gottesurteile,  Zwei- 
zeichen  der  That  mussten  vor  Ge-  (  kämpf,  später  Tortur  siehe  die  be- 
rieht gebracht  werden ,  was  der  .sondern  Artikel. 
blick&nae  tekin  oder  seh  üb  hiess;  4.  Verurteilung.  Urteil  war  die 
später  musste  wenigstens  die  abge-  Antwort  der  Schöffen  auf  die  ihnen 
löste  Hand  als  Leibzeicheu  vorge-  vom  Richter  gestellte  Trage  Ab- 
legt werden,  bfc*  zuletzt  die  ße-  stimmende  Urteiler  pflegten  wohl 
sientigung  der  Schöffen  und  das  mit  einer  Formel  zu  scliliessen;  z.  B.: 
ProtoKoll  der  Sektion  aufkam.  Auch  kunne  anders  ieman  iht  gesaqen,  der 
vor  dem  versammelten  Gericht  spreche  sunder  mitten  zorn.  Gewöhu- 
wurde  die  Klage  mit  Gerufte  er-  lieh  galt  Stimmenmehrheit.  Folge 
hoben,  welches  auch  bei  Klage  heisst,  wenn  dem  Urteilenden  die 
auf  übernächtige  That  eintrat.  In  übrigen  Schöffen  oder  auch  die  um- 
diesem  Fall  konnte  nach  uraltem  stehenden  freien  Männer  beipflichten: 
Brauch  der  Beklagte,  umringt  von  „ein  unerfolgtes  Urteil  ist  kein  Ur- 
verwandten und  Freunden ,  vor  j  teil".  Ein  gefundenes  Urteil  an- 
Gerieht  treten,  doch  war  im  Mittel-  fechten,  hiess  schelten  oder  strafen, 
alter  die  Zahl  derselben  auf  dreissig  was  ursprünglich  durch  ein  Gottes- 
höchsteus  mit  einem  Schwerte  be-  urteil  geschehen  konnte.  Später 
waffnete  eingeschränkt.  Besonder*  war  die  gewöhnliche  Wirkung  des 
ausgebildet  war  die  Klage  wegen  Scheltens,  dass  der  Streit  vor  andere 
Totschlag  und  Wunden.  Auch  Urteiler  gebracht  wurde,  entweder 
hier  musste  der  Tote  mitgebracht  unter  Vorsitz  desselben  Richters 
werden;  ja  nach  einigen  Hechten  oder  bei  einem  hohem  Gericht, 
wurde,    wenn   ein   Gericht  nicht  Einem  Verbreeher  schwere  Strafe 


gleich  zu  haben  war,  die  Leiche 
in  einem  Fass  mit  Kalk  unter  Sie- 
gel aufbewahrt  und  damit  geklagt. 
Vor  dem  versammelten  Gericht  er- 
hoben der  Kläger,  seine  Verwandten 
und  Freunde  mit  gezogenen  Schwer- 
tern das  dreimalige  Geschrei,  sie 
rerschrieen  den  Mörder,  indem  sie 
jedesmal  den  Toten  etwas  näher 
Wachten.      Nachdem    ein  Urteil 


ihnen  die  Schwerter  einzuthun  ge- 
boten und  der  Schultheis  mit  den 

Schöffen  den  Mord  besehen  hatten,  waisen,   deine  lehen  dem 
rief  der  Schultheiss  den  Verklagten  von  dem  sie  rühren ,  dein 
dreimal  mit  Namen  auf,  und  wenn 


zuerkennen,  hiess  ihn  verzollten,  ahd. 
firzellan  oder  firtuoman,  Jirtuun, 
finnizan;  die  Schöffen  hoben  dabei 
ihre  Finger  auf.  Eine  Verurteilungs- 
formel  der  Verbannung  und  Verfeh- 
mung  lautet  z.  B. : 

„des  urteilen  und  ächten  wir 
dich  und  nehmen  dich  von  uns  aus 
allen  rechten  und  setzen  dich  in 
alles  unrecht,  und  wir  teilen  deine 
wirtin  zu  einer  wissenhaften  witewen 
und   deine    kinder    zu  ehehaften 

herrenr 
erb  und 


derselbe  nicht  anwesend  war,  wurde 
ein  Termin  über  14  Nächte  gesetzt, 


eigen  deinen  kindern,  dein  leib  und 
fleisch  den  tieren  in  den  Wäldern, 
den  vögeln  in  den  lüften,  den  fischen 


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958 


Strickerei.  —  Strümpfe. 


in  den  wogen :  wir  erlauben  dich !  «einen  Umgang,  bei  der  Austeilung 
auch  männiglieh  allen  Strassen,  und  :  des  Abendmahls  Dumte  er  es  zu 
wo  ein  ieglich  man  frid  und  geleit !  allerletzt  nehmen.  Nur  in  Notfällen, 
hat,  soltu  keins  haben  und  weisen  I  wenn  der  Scharfrichter  mangelte 
dich  in  die  vier  Strassen  der  weit."  oder  nicht  allein  fertig  werden 
Oder:  konnte,  trat  die  Verbindlichkeit  der 


„der  Scharfrichter  soll  ihn  führen 
auf  freien  platz,  da  am  meisten  volk 


Gemeinde  hervor,  Hilfe  zu  leisten, 
und  sie  musste  alsdann  förmlich  von 


ist,  und  mit  dem  schwert  seinen  ihrem  Richter  aufgefordert  werden, 
leib  in  zwei  stück  schlagen,  dass  An  einigen  Orten  (z.  B.  in  Reut- 
der  leib  das  grösste  und  der  köpf  lingen  )  wurde  dem  untersten  Schöffen, 
das  kleinste  teil  bleibe;  [ist  einer  an  andern  fz.  B.  in  fränkischen 
zum  Strick  verurteilt:]  soll  ihn  Gegenden)  dem  jüngsten  Ehemanne 
führen  bei  einen  grünen  bäum,  da  die  Hinrichtung  aufgetragen.  Eigen- 
soll er  ihn  anknüpfen  mit  seinem  tümlich  war  der  Gebrauch,  mehrere 
besten  hals,  dass  der  wind  ander  Verurteilte  an  einander  selbst  die 
und  über  ihn  zusammenschlägt;  Strafe  vollstrecken"  zu  lassen, 
auch  soll  ihn  der  tag  und  die  sonne  Strickerei.  Erfunden  winde  sie 
anscheinen  drei  tage,  alsdann  soll  um  1550,  wahrscheinlich  in  Spanien, 
er  abgelöst  und  begraben  werden."  und  befasste  sich  anfanglich  mit 
Über  einen  zum  Tod  Verurteilten  der  Anfertigung  männlicher  Bein- 
wurde  der  Stab  gebrochen.  kleider.  der  „Trikot",  die  bis  dahin 
5.  Hinrichtung.    Strafen  zu  voll-  :  aus  mehreren  Stücken  zusammen- 


strecken scheint  ursprünglich  nicht 
das  Amt  bestimmter  Leute  gewesen 
zu  sein:  wie  die  Gemeinde  selbst 


genäht  waren.  Namentlich  die  sei- 
denen Trikots  waren  sehr  geschätzt. 
Heinrich  VIII.  von  England   Ii«  ss 


das  Urteil  fand,  musste  sie  auch  an  1  sich  1547  das  erste  Paar  aus 
dessen  Vollziehung  Hand  legen  oder  1  Spanien  kommen.  Heinrich  II.  von 
sie  etwa  dem  Klager  und  seinem  |  Frankreich  erschien  1559  ebenfalls 
Anhang  überlassen.  Immerhin  be-  in  Trikots.  William  Lee  erfand 
sorgte  schon  sehr  früh  meistenteils  1  1589  den  Strumpfstrickstuhl  zu 
der  Gerichtsbote  die  Hinrichtung.  Cambridge;  da  aber  die  Haudstricker 
Scherge  und  Fronbote  waren  ange-  dessen  Konkurrenz  fürchteten  und 
sehene  Leute.  Alte  Namen  der-  der  König  ihnen  beistimmte,  floh 
selben  sind. *ra /•/>/,  tdzinari,  iciziscalh,  der  Erfinder  nach  Paris  und  liess 
jüngere:  Henker  %  Sachrichter,  ]  sich  dann  in  Kouen  nieder. 
Scharfrichter,  Stocker,  Meister,  I  M  rumple  waren  anfangs  von 
Anas} man».  Weil  aber  zu  Schergen  I  Leder  oder  Wollenzeug  genant  und 
und  Gerichtsdienern  unfreie  Leute  mit  den  Hosen  verbunden,  i  Strumpf  - 
genommen  werden  konnten,  also  die  •  hosen.)  Um  1550  kam  die  Strickerei 
Hinrichtung  in  knechtische  Hände  auf  und  zwar  die  Strumpfstrickemi 
zu  fallen  pflegte;  weil  es  dem  natür-  1  durch  Elisabeth  von  England.  Die 
liehen  Gefühl  widerstrebte,  dass  sich  Strümpfe  wurden  fortan  getrennt 
ein  Mensch  dazu  hergab  und  gleich-  von  den  Hosen  getragen  und  aus 
sam  sein  Geschäft  daraus  machte,  Wolle,  Baumwolle  oder  Seide  her- 
andere urns  Leben  zu  bringen,  so  gestellt.  Der  Strumpf  war  faltenlos 
trennte  sich  mit  der  Zeit  das  Amt  an  den  Unterschenkel  gepasst  „wie 
des  Henkers  von  dem  des  Gerichts-  das  Fell  einer  Trommel",  und  bald 
boten  und  jenes  sank  in  Verachtung,  wurde  er  mit  verzierten  Zwickeln 
Jede  Strafe,  die  der  Henker  vollzog,  i  und  köstlichen  Strumpfbändern  der- 
verunehrte;  jede  Berührung  von  art  ausgestattet,  dass  die  Sitten- 
seiner Hand  beschimpfte.  Man  mied  richter  ihm   den  Krieg  erklärten. 


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Stuhl  —  Synoden. 


959 


Besonders  beliobt  waren  die 
weissen  Strümpfe  aus  Filet  de 
Florrnce.  Die  Strümpfe  zahlten 
auch  zu  den  Krönungsinsignien. 
Siehe  dort. 

Stahl.  Wie  andere  jetzt  not- 
wendige Zimmergeräte  kommt  der 
Stuhl  im  früheren  Mittelalter  noch 
selten  vor,  eigentlich  nur  als  Pracht- 
und  Thronstuhl  für  hohe  Würden- 
träger etwa  auch  als  Ehrensitz  für 
den  Hausvater  und  für  Fremde. 
Die  Familie  setzte  sich  auf  Schemel, 
Bänke,  Truhen  oder  Hütschen, 
Klappstühle  und  Sessel.  Am  Schlüsse 
des  11.  Jahrhunderts  findet  man, 
zwar  immer  noch  nur  bei  Vornehmen, 
Schemel  mit  Rückenlehnen,  also 
Holtmühle  im  täglichen  Gebrauch. 
Im  13.  Jahrhundert  wird  die  Sitz- 
platte sechs-  bis  achteckig  und  das 
'ierät  hat  entsprechend  die  gleiche 
Zahl  von  Stützen  oder  Beinen.  Für 
den  Richterstuhl  dagegen  besteht 
aus  der  gleichen  Zeit  die  Vorschrift, 
da;»8  er  vierbeinig  sein  soll,  und 
ebenfalls  im  13.  Jahrhundert  fertigte 
man  auch  schon  Stühle  aus  dünnen 
Eisenstäbeu,  bereitete  den  Sitz  aus 
Riemen  oder  Gurten  und  legte 
Kissen  auf  dieselben.  Überaus 
kostbar  waren  schon  die  byzantini- 
schen und  römischen  Prachtstühle, 
und  sie  blieben  es  durch  das  ganze 
Mittelalter.  Die  Rücklehnen  waren 
besonders  hoch  und  mit  köstlichen 
>H:hnitzereien  geziert,  ihre  Säulen 
sowohl  wie  die  Füsse  mehr  oder 
minder  geschmackvoll  geschweift 
und  gedrechselt.  War  das  Holz- 
werk weniger  kostbar,  so  überdeckte 
man  es  von  oben  bis  unten  mit 
einecn  gestickten  oder  gewirkten 
Überzug.  Der  Prachtstuhl  stand 
nie  frei,  sondern  meist  vor  der 
Mitte  einer  Wand. 

Sutane,  lat.  sutana,  nennt  man 
das  ausserdienstliche  Kleid  der 
katholischen  Geistlichkeit.  Es  ist 
bei  Kardinälen  hochrot,  bei  Bischöfen 
und  Hausprälaten  des  Papstes  violett, 
beim   Papste    selbst  weisswollen, 


bei  der  ganzen  übrigen  Priester- 
schaft schwarz. 

Synoden.  Versammlungen  der 
Bi-chöfe  kommen  schon  in  den 
ersten  Jahrhunderten  der  Kirche 
vor;  anfangs  auf  engere  durch 
Nationalität  und  Sprache  verbundene 
Kreise  beschränkt,  umfassen  sie  seit 
Konstantin  d.  Gr.  das  ganze  römi- 
sche Reich,  die  gauze  Christenheit. 
Bis  in  die  Mitte  des  9.  Jahrhunderts 
wurden  solche  ökumenische  Synoden 
nur  im  griechischen  Sprachgebiet, 
und  zwar  in  Kleinasien  oder  Kon- 
stantinopel gehalten;  es  sind  das 
die  Synoden  1.  von  Nicäa  325, 
2.  von  Kontantinopel  881,  3.  von 
Ephesus  431,  4.  von  Chalcedon  451, 
5.  von  Koustantinopel  553,  6.  von 
Konstantinopel  680,  7.  von  Nicäa 
787,  8.  von  Konstantinopel  869. 
Daneben  gibt  es  zahlreiche  Pro- 
vinzial-  und  Metropolitansynoden. 
Für  diejenigen  Synoden,  die  im 
fränkischen  Reiche  abgehalten 
wurden,  nahmen  die  Könige  von 
jeher  die  Befugnis  in  Anspruch, 
dazu  ihre  Zustimmung  zu  erteilen 
oder  geradezu  Zeit  und  Ort  der 
Synode  zu  bestimmen;  hatte  der 
König  selbst  die  Bischöfe  zur  Ver- 
sammlung eingeladen,  so  pflegte  er 

j  wohl  auch  persönlich  sich  dazu  ein- 
zußnden  und  die  weltlichen  Grossen 

!  mit  zu  berufen ,  wobei  dann  die 
Geistlichen  bald  für  sich  allein,  bald 
mit  den  weltlichen  Grossen  zusammen 
berieten;  Regel  war,  dass  diese 
Synoden  mit  den  Reichs  Versamm- 
lungen zum  Teil  zusammenfielen, 

I  daher  die  Reichssynoden  geradezu 

!  als  Reichstage  betrachtet  wurden; 
so  blieb  es  bis  ins  11.  Jahrhundert. 
Seit  der  Ausbildung  des  Primates 

I  und  der  asketisch-kirchlichen  Reform 
der  Welt-  und  Klostergeistliehkeit 

I  verloren   die   deutschen  Synoden 

I  ihren  weltlich-staatlichen  Charakter, 
und  päpstliche  Legaten  lenkten 
jetzt  den  Gang  und  Geist  der  Ver- 
sammlungen ;  nacheinander  traten 
nun  auf  Befehl  des  Papstes  meist 


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960 


Tabernakel.  —  Tagelieder. 


in  seiner  eigenen  Pfarrkirehe,  dem  kouzilien    schliessen  sich    an  die 

Lateran ,    grosse     abendländische  beiden  Lyoner  Synoden  1245  und 

Synoden  auf,  die  erste  im  Jahr  1123  1274  und'  das  Konzil  von  Yienuc 

zur  Genehmigung    des    Wormser-  1311,  das  den  Tempelorden  aufhob. 

Konkordates,  die  zweite  1139,  die  Gegenüber  diesen  päpstlichen  Sy- 

d ritte  1170,  die  vierte  und  zugleich  noden,  die  mehr  approbierende  Ver- 

die  glänzendste  im  Jahr  1215,  von  Sammlungen    für    päpstliche  Be- 

Innocenz  III.  veranstaltet,  an  der  Schlüsse  waren,  folgen  die  reßsrma- 

412  Bischöfe,  800  Äbte  und  Prioren  torischen  Konzilien  des  15.  Jahrhun- 

uebst  Abgeordneten   der  morgen-  derts,  welche  die  Kirche  an  Haupt 

ländischen  Patriarchalkirchen   und  und  Gliedern  zu  reformieren  beab- 

zahlreiche   Gesandte    von  Fürsten  sichtigten.     Dahin     gehören  die 

und  Herren  teilnahmen;  hier  wurde  Konzile  von  Pisa  1409,  Konstanz 
das    Dogma    von    der  Wandlung !  1414— 1418,     Basel     1431  —  1443, 

sanktioniert,  die  Ohrenbeiehte  ge-  Ferrara  und  Florenz  1438—  1439. 

setzlich   festgestellt    und    Verord-  Der    .Restitution    des  Papsttums 

nungen  über  Inquisition  und  Ketzer-  diente  endlich  15 15— 1563  das  Konzil 

gerichte  erlassen.    Diesen  Lateran-  von  Trient. 


T. 

Tabernakel.  Anfangs  wurde  die  ist  90  Fuss  hoch.  3)  Türme,  di<  au 
Eucharistie  über  dem  Altare  am  j  einer  Seite  mit  der  Wand  verbunden 
Baldachin  desselben  aufgehängt;  sind.  Otte,  airchl.  Archäol.  §.  45. 
nachdem  der  Altarbaldachin  weg-  \  Tajrelieder,  mhd  taneliet ',  laqe- 
gefalleu  war.  führte  das  Bedürfnis  wise,  sind  eine  beliebte  Gattung  3er 
der  Aufbewahrung  des  Ciboritims  höfischen  Lyrik  sowohl  in  der  fran- 
zur  Errichtung  besonderer  stehender  zösischen  als  in  der  deutschen  Litte- 
Gefässe  ,  deren  Namen  Tabernakel  ratur  Sie  bestehen  aus  einem  an 
(d.  h.  Häuschen),  Sakramenlshdus- '  den  Anbruch  des  Morgens,  den  Auf- 
chen,  Jferrgoftshä  tischen,  Gotteshütt-  gangdes  Morgensternes  anknüpfen- 
chen,  Fromcalme  ist.  Es  sind  drei  den  Gespräch  zwischen  dem  Ge- 
verschiedene Arten  desselben  be- ,  liebten  und  der  Geliebten,  worin 
kannt:  1)  Wandschränke  in  Brust-  die  wehmütige  Empfindung  des 
höhe  über  der  Erde,  gewöhnlich  mit  nötig  gewordenen  Scheidens  zum 
einer  eisernen  Gitterthürgeschlossen.  lyrischen  Ausdrucke  kommt.  Die 
2)  Freistehende  Tabernakel  in  Form  Situation  ist  ursprünglich  ohneZweifel 
eines  Turmes,  monumentale  Mon-  die  allgemein  über  Europa  verbrei- 
stranzen  in  grossem  Massstabe,  seit  tete  Sitte  des  loerschen  tnligen,  der 
dem  14.  Jahrhundert  und  namentlich  von  seite  der  Geliebten  gestatteten 
infolge  der  Einführung  des  Fron-  Probenächtc  der  Enthaltsamkeit, 
leichuamsfestes  in  Gebrauch.  Auf  wobei  ausser  Kuss  und  Umarmung 
einem  hohen  Sockel  ruht  der  rings  nichts  weiter  gestartet  war,  der- 
von  durchsichtigem  Gitterwerke  um-  selben  Sitte,  die  heute  noch  unter 
schlössen e  Schrein,  über  welchem  den  Namen  zu  Kitt  gehen,  kilten, 
sich  ein;  erotische,  oft  bis  zum  Ge-  j  Gassei  qehn,  gassein,  fenstem,  hran- 
wölb  reichende  Pyramide  erhebt;  fein,  schnurren  u.  a.  in  verschiede- 
das  Tabernakel  im  Münster  zu  Ulm  nen  Gegenden  zu  Recht  besteht. 


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Tagesbezeichnung. 


961 


Die  nachweisbaren  Lieder  dieses  bekannteste  derselben  ist  das  Lied 
Inhaltes  beginnen  aber  erst  mit  dem  von  Philipp  Nicolai,  „Wie  schön 
Eintritte  der  Lyrik  in  dieLitteratnr;  leuchtet  der  Morgenstern";  dasselbe 
sie  heissen  bei  den  Provencalen  war  namentlich  als  "Hoehzeitslied 
alhas,  von  alba,  Morgenstern,  bei  verbreitet.  Weinhold,  Deutsche 
den  Franzosen  aubes.  Die  deutschen  Frauen,  zweite  Aufl.  1, 261  ff.  Bartsch, 
Tatrelieder  stellen  entweder  die  ein-  im  Album  des  litt.  Vereins  zu  Nürn- 
fachere  Szene  dar,  wenn  die  Frau ,  berg,  1865.  S.  1—75. 
erwacht,  den  Liebenden  weckt  und  Tagesbeieichiiung*«  Die  Tages- 
beide  scheiden ,  oder  die  Szene  ge-  bezeichnung  im  Mittelalter  ist  eine 
staltet  sieh  durch  die  Einführung  |  fünffach  verschiedene;  die  älteste  ist: 
des  Wichten  belebter,  indem  dieser  1.  Die  altrömische  Datierung 
von  der  Zinne  des  Burgturmes  bei  nach  Kaienden,  (Anfang  des  Monats), 
dein  ersten  Scheine  der  Morgenröte  Iden  (Mitte  des  Monats)  und  Nonen 
ein  warnendes  Lied  anstimmt.  Auch  (9.  Tag  vor  den  Iden ,  diesen  und 
dieser  Ziig  dürfte  auf  der  wirklichen  ,  den  Tag  der  Iden  mitgerechnet); 
Sitte  beninen,  dass  der  Nachtwächter,  i  nur  der  sprachliche  Ausdruck  die- 
wie  es  bis  in  neuerer  Zeit  geschah,  ser  Datierung  ist  etwas  anders  ge- 
ausser  dem  gewöhnlichen  Stunden-  worden. 

rufe  regelmässig  noch  einen  Abend-  2.  Die  heutige  Tagesbezeichnung, 
und  einen  Morgenruf  singt.  Wolf- 1  vom  1.  bis  28.,  29.,  30.  oder  31. 
ram  von  Eschenbach  hat  den  Wäeh- !  3.  Die  consuetudo  Bononiensu, 
ter  zuerst  in  das  Tagelied  einge- ,  seit  dem  11.  Jahrhundert  vorkom- 
führt.  Wieder  eine  Variation  ist  es,  j  mend;  darnach  heisst  der  erste  Teil 
wenn  statt  des  Wächters  ein  Freund  des  Monats  mensis  intrans  und  wird 
des  Ritters  die  Wache  versieht;  nie  vorwärts  gezählt,  der  zweite  Teil 


aber  hat  man  in  den  zahlreich  vor- 
handenen Tageliederu,  welche  zum 


des  Monats  bis  zum  Schlüsse  men- 
*is  stans,  astans,  exiens   und  wird 


Teil  den  besten  Minnesängern,  Wal-  rücklaufend  gezählt.  In  Deutschland 
ther  v.  d.  V.  und  Wolfram  ange-  findet  sich  diese  Rechnung  selten 
hören,  erlebte  Liebesereignisse  zu  und  erst  seit  der  Mitte  des  13.  Jahr- 
erkennen, sondern  stets  bloss  Lieder  hunderts. 

der  Liebe,  welche  dem  Geschniaeke  4.  Die  Taaesbezeichnung  nach 
der  Zeit  zufolge  mit  Vorliebe  .Festen  und  Jleiligentagen,  sei  es,  dass 
diese  Form  annahmen;  daher  ist  |  die  Datierung  direkt  dem  Feste  oder 
es  auch  nicht  allzuhoch  zu  ver-  Heiligentage  selbst  entnommen,  sei 
wundern,  wenn  berichtet  wird,  ein  ]  es,  dass  sie  durch  Bezeichnung  der 


Abt  von  St.  Gallen  habe  Tagelieder 
gesungen.  Mit  dem  Aussterben  der 
höfischen  Lyrik  erscheint  das  Tage- 
lied in  der  Form  des  Volksliedes, 
wie  denn  z.  B.  das  bekannte  Lied: 
„Es  stehen  drei  Steine  am  Himmel, 
die  geben  der  Lieb  ihren  Schein" 
ursprünglich  ein  Tagelied  ist.  Im 
1(5.  Jahrhundert  wurden  Tagelieder 
auf  fliegende  Blätter  gedruckt,  wel- 
che auf  dem  Titel  in  grobem  Holz- 
schnitte den  Wächter  mit  dem  Horn 
auf  der  Zinne  zeigen.  Auch  geist- 
liche Umdichtungen  dieser  Lied- 
Gattungen  waren  früh  beliebt;  die 
Reallex'con  der  deutschen  Altertümer. 


Wochentage  vor  oder  nach  einem 
solchen  Tage  beschafft  wurde. 

Die  mittelalterlichen  Wochenfags- 
bezeiclinungen  (über  ihre  Bedeutung 
und  Entstehung  siehe  den  besonde- 
ren Artikel)  sind: 

Sonntag:  feria  dominica,  feria 
prima,  dies  So/i*,  ttur  Dci,  Frontag, 
Sunnetac. 

Montag.-  feria  secunda,  dies  Lu- 
nae,  Montac. 

Dienstag:  feria  tertia,  dies  Mor- 
tis, Eritag\  Frchtag,  Zistag,  Zins- 
tag u.  s.  w.,  Aftermontag. 

Mittwoch  .-feria  f/uarta,  dies  Mer- 

61 


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962  Tageseinteilung. 


curii,  Wudenstaq.  media  septimana,  St.  Amte*  i21),  St.  Vincentiu*  lerita 

Mittwochen.  l22),  St  Timotheus  (24),  St.  Pauli 

Donnerstag:  feria    qninta.   dies  mnrersio  [16),  S/.   Polycarpus  i26'. 

J^riJ»,  Donnerstag,  Phinstag.  Der  Cisio  Janus  w  ird 'mehrfach  als 

Freitag:  feria  sexta,  die*  Veneris,  Unterrichtsgegenstand  erwähnt  und 

Pro  Venustag,  Fridaeh.  wurde  öfters  in  deutsche  Verse  über- 

&j>i nahend :  dies  Satumi,  Sambes-  tragen:  da  lautet  z.  B.  der  A/>rit: 

tag,  Sv nn abend.  Aprill  und  Bbchof  Ambrosius 

Bei  der  Festbezeich  nung  sind  foi-  Faren  doher  und  sprechen  alsus. 

geude  stehende  Ausdrücke  erwäh-  Die  Ohren  weUenTirDurtium  bringen, 

nenswert:  So  wil  Valerianus  das  Alleluja singen. 

Festnm,  deutsch  fest,  hohgezite,  Sprechen  Jörg  und  Marx  zur  Hand. 

duit,  wird  jeder  grossere  Feiertag  Wüs*te  das  Petermeylant 

genannt.  Siehe  l*iclel,  das  heilige  Namenbu»  h 

Viqifia,  ncrrigilium, iU'Utxvh  abend,  von  Konrad  von  Danngrotzheim  mit 

vorattend,  bannfasten ;  dies  pro  festo,  einer  Untersuchung  über  den  Cisio 

profestum,  deutsch   rot  fest,   rorßr.  Janus.  Strassburg  1878.    Der  ganze 

rorhochtid,  derfoddere  tagh  bedeutet  Artikel  nach  Grotefend,  Handbuch 

den   Tag  ror  einem  Feste.     Vigilia  der  historischen  Chronologie.  Han 

rigifiae,    praerigilia,     rorfirtibend  nover  1872.   §.  11  — 17. 
kömmt  regelmässig  bei  Weihnachten,       Tageseinteilung.  Der  Tag  des 

Pfingsten  und  Allerheiligen,  einzeln  deutschen  Mittelalters  währte,  ge- 

bei  andern  grössern  Festen  vor.  Die  genüber  dem  von  Mitternacht  zu 

rrastino,  sequenti  die,  proximo  die,  Mitternacht     gezählten  römischen 

am  toteren  dage,  morgens,  m^rnenfz  Tage ,    von    Sonnenuntergang  zu 

heisst  immer  am  unmittelbar  folgen-  Sonnenuntergang.    In  der  verschie 

den  Tage  nach  dem  Feste.  Oetara,  denen  Eiuteüun^sweise  wirkten  rö- 

der  achte  Tag  ist  insofern  der  achte  mische,  germanische  und  spezifisch 

Tag  nach  einem  Feste,  als  stets  An-  christliche  Elemente  zusammen, 
fangs-  und  Endtermine  mitgezählt       Römischen  Ursprungs  sind  die 

werden.  populären    Bezeichnungen  media 


Eine  seit  dem  14.  Jahrhundert 
viel  verbreitete  Art  der  Datierung 
nach  Festen  und  Heiligentagen  ge- 
schieht mit  Hilfe  des  Cisio janus, 
d.  h.  aus  den  Anfangssilben  der 
grössern  Festtage  und  willkürlichen 


nox,  Mitternacht;  galhcinium,  der 
erste  Hahnenschrei,  diluculum,  Mor- 
gendämmerung, primo  mane,  früh 
morgens,  mane.  morgens,  ad  meri- 
diem  ,  am  Vormittag ,  meridie* . 
Mittag,  de  meridie,  am  Nachmittag, 
Einschiebseln  zusammengestöppelter  solis  occasus  ,  Sonnenuntergang  . 
Memorierverse.  Der  Vers  des  Ja-  respera  ,  Abend  ,  crepuseuhm  , 
nuar  lautet:  Abenddämmerung.  tummUms  aeceu- 

Cisiu  Janus  Em  sibi  rindicat  Oc  sis,  die  Zeit   des  Lichtanzündens, 
Feli  Mar  An  atnctdna,  der  erste  Schlaf,   intern  - 

Prisca  Fab  Ag  J'incen  Ti  Pav  Po  pesta  nox,   ad  median*  noefem,  vor 

nobile  /umen.  Mitternacht 


Das  will   heissen:   Der  Januar       Dem  christlichen  Got 

macht  Anspruch  auf  das  edle  Licht  gehört   die  Einteilung  in  rigiliac 

der  Beschneidung  Christi,  circum-  und  horae  canonicae. 
cisio,  I  i),  auf  Fpiphania  (»>),  Oktava        Vigiliae    sind    infolge    der  zu 

Domini,  d.  h.  Weihnachtsoktave  (1),  gottesdienstlichen  Zwecken  dienen- 

St.  Felix  (14),  St.  Marcellus  (16),  den  klösterlichen  Nachtwachen  ent- 

St.  Anton  eremita  (17),  St.  Prisca  standen;  man  teilte,  der  miht'iri- 

18),  St.  Fabianus  et  Sebastianus  (20),  sehen  VigiUeneinteilung  der  Römer 


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Tannengesellschaft.  —  Tannhäuser. 


963 


aualog,  die  Xacht  iu  vier  gleiche 
Teile,  die  von  6-9,  9-12,  12—3 
und  3—6  währten. 

Iforae  canonicae  sind  für  das 
Mittelalter  die  eigentliche  Einteilung 
des  lichten  Tages;  sie  beginnen 
ungefähr  um  drei  Uhr  morgens 
und  reichen  bis  sechs  oder  sieben 
Uhr  abends.  Sie  bilden  die  Fix- 
punkte für  die  meist  alle  drei  Stun- 
den vorzunehmenden  Stundengebete 
(Tagzeiten)  der  Geistlichen  und 
werden  in  allen  Klöstern  durch 
Geläute  verkündigt,  welches  sich 
je  nach  der  Jahreszeit  verfrühte 
oder  verspätete. 

1.  Matutina  (hora),  Mette,  Früh-  | 
mette,  begann  iu  Klöstern  in  der 
Regel  um  drei  Uhr  morgens,  wäh- 
rend die  Weltgeistlichkeit  den  An- 
fang noch  weiter  in  den  Tag  hinein  ■ 
verzog,  ja  endlich  die  ganze  Mette 
am  Tage  vorher  voraus  nahm. 
Streng  genommen  währte  die  hora 
matutina  von  der  Mitternacht  bis 
zur  Prima. 

2.  Prima,  zur  preim  zit,  umb 
prim  zit,  von  fünf,  resp.  sechs  Uhr 
morgens  bis  zur  Tertia. 

3.  Tertia,  zu  Terzen  zit,  von 
acht,  resp.  neun  Uhr  morgens  bis 
zur  Sexta.  Zu  dieser  Stunde  begann 
der  Tag  des  öffentlichen  Lebens. 

4.  Sexta,  um  sexte  zit,  zu  sexten 
zit,  von  elf,  resp.  zwölf  Uhr  mittags 
bis  zur  Nona. 

5.  Nona,  zu  nonen  zit,  von  zwei 
oder  drei  Uhr  nachmittags  bis  zur 
Vesper. 

6.  Vespera,  hora  vesperarum, 
oder  vesperorum,  hora  vespertina, 
zu  vesper  zit,  von  vier,  resp.  fünf 
Uhr  bis  zur  zweiten  Vesper. 

7.  Completorium,  hora  eompleta, 
um  eomplete  zit,  Complet,  selten 
zweite  Vesper  genannt,  gleich  nach 
Sonnenuntergang.  Zu  dieser  Zeit 
findet  das  Ave- Maria-  flauten  statt, 
am  Abend  gleich  nach  Sonnenun- 
tergang, welches  auch  den  Namen 
„die  letzten  Glocken"  trägt. 

Endlich   kennt  das  Mittelalter 


auch  eine  Einteilung  in  Stunden, 
von  1—24  fortlaufend  und  von 
Abends  sechs  Uhr  unserer  Zeit- 
rechnung ab  gezählt.  An  den 
Kirchtürmen  und  an  sonstigen 
hervorragenden  Orten  angebrachte 
Sonnenunren  regulierten  die  Zäh- 
lung. Der  Übergang  von  der  ganzen 
zur  jetzigen  halben  Uhr  vollzog 
eich  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts, 
spätestens  des  ersten  Viertels  des 
16.  Jahrhundert*.  Nach  Orotefend, 
§  18,  siehe  den  vorstehenden  Ar- 
tikel. 

I  an nengesellsehaft, /  . 

zu  Strassburg,  ist  eine  der  zu  Opitz 
Zeit  nach  italienischem  Muster  ge- 
stifteten Akademien;  ihr  Stifter  ist 
Esaias  Römpler  von  Löwenhalt, 
das  Jahr  1633;  sie  sollte  deut- 
sche Gesinnung  fördern,  der  Mutter- 
sprache ihre  Reinheit  wiedergeben 
und  die  Rechtschreibung  feststellen. 
Sie  hat  nur  wenige  Mitglieder  ge- 
zählt und  scheint  sich  nicht  über 
den  nächsten  Bereich  des  Stiftungs- 
ortes ausgebreitet  zu  haben. 

Taniihäaser.  Der  historische 
Tannhäuser  ist  ein  deutscher  Minne- 
sänger, der  vermutlich  zu  dem  bayc- 
riscli  -  österreichischen  Geschlecnte 
der  freien  Herren  von  Tannhusen 
gehörte  und  neben  Nithart  der 
este  Repräsentant  der  höfischen 
Dorfpoesie  (siehe  diesen  Artikel) 
ist/  Er  kam  weit  in  der  Welt 
herum,  machte  eine  Kreuzfahrt  und 
andere  grosse  Reisen ,  lebte  gern 
fröhlich  und  lustig,  liebte  schöne 
Weiber,  guten  Wem  und  schmack- 
hafte Bissen,  um  deren  willen  er 
vor  Verpfändung  seiner  Habe  nicht 
zurückschreckt.  Die  von  ihm  er- 
haltenen Gedichte  sind  meist  Tanz- 
lieder. Ausser  diesem  historischen 
Tanuhäuser  des  13.  Jahrhunderts 
kennt  die  Sage  noch  einen,  ohue 
dass  es  bis  jetzt  gelungen  wäre, 
den  Zusammenhang  beider  deutlich 
zu  erkennen.  Ein  Volkslied  erzählt 
von  ihm:  Tannhäuser  im  Venus- 
berg sehnt  sich  von  dannen  und 

61* 


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964 


Tanz. 


wird  vergebens  von  Frau  Venu 8 
zurückzuhalten  gesucht;  als  er  die 
Jungfrau  Maria  anruft,  läset  das 
Weib  ihn  scheiden.  Er  geht  zum 
Papst  Urban,  von  ihm  Vergebung 
seiner  Sünden  zu  erlangen;  der 
Papst  aber  weist  auf  den  dürren 
Stab,  den  er  in  der  Hand  halt  und 
spricht:  so  wenig  der  grünen  werde, 
so  wenig  wertie  Tannhäuser  Ver- 
gebung seiner  Sünden  erwerben. 
Traurig  geht  Tannhäuser  wieder 
in  den 'Berg.  Da  fängt  am  dritten 
Tag  an  der  Stab  zu  grünen.  Der 
l'apst  schickt  in  alle  Lande  aus, 
wo  Tannhäuser  hingekommen?  Der 
aber  war  wieder  im  Berge  und 
hatte  sein  Lieb  erkoren.  Deshalb 
muss  der  vierte  Papst  Urban  ewig 
verloren  sein.  Im  einzelnen  weichen 
die  besonderen  Formen  des  Tann- 
häuserliedes von  einander  ab.  Frau 
Venus  im  Venusberg  ist  niemand 
andere»  als  Freya  (siehe  diesen 
Artikel  I;  was  für  andere  Bezüge 
aber  in  dem  Liede  stecken,  ist 
vorläufig  Sache  der  Vermutung. 
Abhandlungen  über  den  Tannhäu- 
ser von  Graste,  184«  und  1861, 
und  von  Zander,  1858.  Herriq, 
Archiv,  Bd.  6h;  S.  43-51. 

Tanz  war,  je  weiter  zurück  in 
das  Altertum  man  ihn  verfolgt, 
eine  um  so  wichtigere  geselligere 
Freude ,  eines  der  verDrei  tetsten 
Spiele  des  Leibes.  Er  wird  ur- 
sprünglich von  dem  Gesänge,  dem 
Lied  getragen  und  trat  bei  jeder 
festlichen  Handlung,  auch  bei  der 
religiösen,  als  notwendiger  Teil  des 
Ganzen  auf.  Tacitus  erwähnt  Ger- 
mania 24  des  Schwert  tanze.*,  ausge- 
führt von  nackten  Jünglingen,  die 
tanzend  zwischen  Schwerter  und 
drohende  Speere  springen;  Aus- 
läufer desselben  sind  bis  in  die 
neuere  Zeit  in  Städten  und  auf  dem 
Lande  in  LbLiig  geblieben.  Uralt 
ist  ferner  die  Bedeutung  des  Tan- 
zes bei  der  Hochzeit,  wo  ihm  eine 
Fülle  symbolischer  Beziehungen 
eignet,  sodann  Tänze   um  die  hei- 


ligen Feuer,  wie  Osterfeuer,  Sonn- 
wendfeuer ,  vielleicht  auch  die 
überall  verbreiteten  Kirch  weih  tinze 
und  die  zahlreichen  Tänze,  welche 
das  Kinderspiel  erhalten  hat.  Auch 
Zauberkraft  wird  dem  Tanze,  »ei 
es  ein  wirklicher  Tanz,  sei  es  bloss 
ein  Herumgehen  um  den  Gegen- 
stand, wie  bei  allen  indogermani- 
schen Völkern,  so  auch  bei  uns, 
zugeschrieben;  man  spinnt  dadurch 
ge wissermassen  einen  Gegenstand 
in  den  eigenen  Machtbereich  hi- 
nein; so  geht  man  dreimal  um  die 
Kirche,  um  den  Heerd,  um  ein 
brennendes  Hau-,  um  das  Feld,  um 
Bäume,  um  verdächtige  Menschen. 

Der  alte  Name  für  den  Tanz 
ist  gotisch  laikan,  ahd.  und  mhd. 
der  leich  ;  l eichen  =  hüpfen.  A  lo- 
dere Ausdrücke  für  tanzen  waren 
ahd.  salzCn,  aus  dem  gleichbedeu- 
tenden lat.  saltare,  plinsjan  aus 
dem  Slawischen,  spilon  =  spielen, 
und  tumbjan;  auch  ahd.  dtn*nn 
und  danson  scheint  das  Fähren 
und  Hin-  und  Herziehen  der  Paare 
bezeichnet  zu  haben,-  denn  aus 
dem  Stamme  dieser  Verben  ist  das 
romanische  datuse  gebildet,  welches 
die  Deutschen  seit  dem  Ende  des 
12.  Jahrhunderts  von  den  Franzosen 
zurücknahmen. 

In  der  höfischen  Periode  unter- 
schied man  als  die  beiden  Haupt- 
arten des  Tanzes  den  Tanz  im 
engern  Sinne,  der  getreten  wurde, 
und  den  Reihen,  der  gesprungen 
wurde,  danser  und  caroler.  Th%r 
bloss  getretene  oder  gegangene  Tanz 
war  vorzugsweise  in  höfischen  Kreiden 
zu  Hause;  es  wurde  eine  Reihe  ge- 
bildet, jeder  Mann  nahm  eine  Frau 
oder  auch  zwei  bei  der  Hand,  und 
unter  dem  Saitenspiele  des  voraus- 
schreitenden Spielmanns  und  unter 
Gesang  hielten  die  Tänzer  mit 
schleifenden  leisen  Schritten  ihre 
Umgänge.  Oder  die  Gesellschaft 
schloss  einen  Kreis,  und  mit  sanfter 
Bewegung  gingen  sie  singend  in  der 
Kunde  herum,  indem  der  Inhalt  des 


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Tanz. 


965 


Gesanges  durch  Mienenspiel  und  Geigen,  Pfeifen,  Flöten,  Zithern, 
einfache  Bewegungen  äusserlich  Trommeln  oder  Tamburin  begleitet, 
dargestellt  wurde.  Auch  den  Bauern  Das  Tanzlied  wurde  gewöhnlich  von 
waren  diese  ruhigeren  Tänze  nicht  einem  Vorsänger  oder  einer  Vor- 
unbekaunt,  sie  wurden  aber  wesent-  Sängerin  vorgetragen  und  die  Menge 
lieh  zur  Winterszeit  in  den  Stuben  stimmte  nur  in  den  Refrain  ein  oder 
getanzt;  besondere  Namen  dafür  sang  die  einzelnen  Verse  nach, 
sind  die  Stadelweise,  der  Ridewanz,  Der  Inhalt  der  Tanzlieder  war  ein 
der  Firggandray,  der  Mürmum,  der  sehr  verschiedener:  Liebeslieder, 
Trypotey.  Instrumentalmusik  und  politische  und  Rügelieder,  Scherz- 
Gesang  war  sowohl  dein  Tanz  als  lieder,  am  häufigsten  natürlich  das 
dem  Reigen  eigen;  ein  Vorsänger  1  Liebeslied;  doch  sind  auch  historische 
oder  eine  Vorsängerin  leitete  ihn ;  Tanzlieder  reichlich  vertreten ,  und 
die  Frauen  gingen  rechts  von  den  man  darf  annehmen,  dass  die  alten 
Männern  una  wurden  entweder  bei  Heldenlieder  in  ältester  Zeit  zu  den 
der  Hand  oder  am  Ärmel  geführt;  Tänzen  gesungen  wurden;  das  nahe 
herumgetanzt  ward  nach  links.  Verhältnis  des  Tanzes  zum  erzäh- 
Die  Reigen  waren  gesprungene  lentlen  Gedicht  hat  sich  im  romani- 
Tänze  und  namentlich  von  alter  sehen  Namen  des  Tanzliedes,  hallata, 
Zeit  her  beim  Laudvolkc  in  Ge-  erhalten.  In  bezug  auf  die  Form 
brauch.  Sie  wurden  seit  dem  i  gehört  der  Leich  (siehe  diesen  Art) 
14.  Jahrhundert  immer  wilder.  Be-  mit  seinen  wechselnden  Rhythmen 
sondere  Reigennamen  sind  der  mehr  dem  springenden  Reigen,  das 
krumme  Reier,  der  Jfopnaldei,  der  strophische  Lied  dem  tretenden 
Heierleis,  Firlei,  Firlefei  und  Firle-  Tanze.  Oft  verband  sich  mit  dem 
Janz;  manche  dieser  Namen  scheinen  Tanze  das  Ballspiel 
dem  Slawischen,  Flämischen  oder  Der  Tanz  kommt  zwar  zu  jeder 
Französischen  anzugehören,  andere  Zeit  vor,  doch  ist  er  vorzugsweise 
erklären  sich  durch  mundartliche  Aus-  Spiel  des  Frühlings,  wo  das  Volk 
drücke  und  aus  der  kecken  Sprach-  ganze  Taee  vertanzte.  Sonst  wählte 
bildungslust  des  aussehenden  Mittel-  man  am  liebsten,  dem  stets  wieder- 
alters.  Reihen  werden  wohl  auch  holteu  Kirchenverbote  zum  Trotz, 
die  Frontanze  gewesen  sein,  die  ur-  Sonn- und  Feiertage.  Zum  Schmucke 
sprünglich  den  Zweck  gehabt  zu  der  Weiber,  wenn  es  zum  Tanze 
haben  scheinen,  die  Grundherrschaft  g"j£,  gehörte  vor  allem  der  Kranz 
zu  unterhalten,  und  später  als  eine  auf  dem  Haupte,  der  zuweilen  auch 
symbolische  Anerkennung  der  Herr-  der  Preis  war,  um  den  bei  dem 
schaft  dienten;  man  findet  sie  in  Ringeltanz  von  den  Gesellen  ge- 
Thüringcn  und  in  der  Rheinpfalz,  rangen  wurde.  Siehe  den  Artikel 
In  Langenberg  im  Geraischen  Kranz.  Auch  ein  kleiner  Spiegel 
tnussten  z.  B.  jedes  Jahr  am  dritten  war  beliebt;  er  wurde  in  der  Hand 
Pfingstfeiertage  die  Bauern  von  getragen  oder  hing  an  einer  seidenen, 
mehr  als  acht  Dörfern  paarweise  um  den  Hals  gewundenen  Schnur; 
zusammenkommen,  um  unter  einer  Männer  kamen  wohl  mit  dem  Schwert 
Linde  in  Gegenwart  ihrer  Herr-  bewaffnet  zum  Tanze, 
schaft  einen  Tanz  aufzuführen;  Das  Volk  tanzte  am  liebsten 
von  der  Herrschaft  erhielten  unter  freiem  Himmel,  und  es  gab 
sie  Bier  und  Kuchen;  man  nannte  daher  an  vielen  Orten  zum  Tanzen 
diese  Tänze  auch  Pfingstl-  oder  bestimmte,  besondere  Räume  im 
Diensttänze.  Freien,  Tanzbühel,  Tanzplan  oder 
Aller  Tanz  wurde  entweder  Tanzrain;  dahin  führende  Weg«« 
durch  Gesang  oder  durch  Musik,  heisseu  Tanzwege  und  Tanzgasseu. 


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066 


Taschentücher.  —  Taufgelöbnisse. 


Hier  nun  wurde  um  eine  Linde 
herum  getanzt,  <*lcr  man  •  rrirhtete 
für  die  Kirchwc  ih  oder  andere  Feste 
einen  bedeckten,  mit  Maien  ge- 
schmückten Tanzboden .  der  Tanz- 
hau*,  Tanzhütte  «»der  Tanzlaulje  hiess. 
Die  höfische  Gesellschaft  tanzte  im 
geschlossenen  Raum,  im  Saal  oder 
ralas.  unter  Umständen  aber  auch 
vor  der  Burg.  In  den  Städten  gab 
es  wohl  eigene  Tanzhäuser,  in  den 
Dörfern  Sni*lhtiu*er ,  welche  eben- 
falls zum  Tanzen  dienten.  In  man- 
chen Städten  benutzten  die  Patrizier 
die  Ratsstube  zum  Tanzen,  oder  ein 
anderes  öffentliches  Gebäude,  be- 
sonders aber  die  Zunftstuben.  Nicht 
blos*s  die  Kirche  eiferte  gegen  das 
Tanzen:  dasselbe  stamme  vom  Teufel 
ab  und  der  erste  Tanz  sei  der  Tanz 
der  Juden  um  das  goldene  Kalb 

frewesen:    sondern  auch  die  welt- 
ichen  Obrigkeiten  erlicssen  Verbote 
gegen  Ta j i zü be rsch rei tu n gen . 

Eine  eigentümliche  Sitte  war  am 
Rhein  das  Mai- Lehen.  Dasselbe 
bestand  darin,  dass  am  Ostermontag 
oder  am  Vorabend  des  1.  Mai  unter 
die  versammelten  Burschen  eines 
Ortes  die  Jungfrauen  desselben  ver- 
steigert wurden,  von  welchen  letzteren 
dann  eine  jede  das  Jahr  hindurch 
nur  mit  ihrem  Ersteigerer  taneen 
durfte  Das  erlöste  Geld  wurde 
für  die  Tanzmusik  und  für  die  Be- 
wirtung der  Maifrauen,  d.  h.  eben 
der  ersteigerten  Mädchen  verwendet. 
In  St.  Goar  aber  geschah  die  Ver- 
steigerung auf  dem  Rathause  und 
der  Erlös  floss  in  die  Stadtkasse. 

Auch  ein  Hahnentanz  wird  als 
ein  „fremdländischer*'  und  „heid- 
irischer" Tanz  erwähnt:  er  bestand 
darin,  dass  die  Paare  um  eine  Stange 
tanzten,  auf  dessen  Spitze  ein  Hahn 
befestigt  war,  und  dass  dabei  der 
Täuzer  springend  das  Ende  eines 
an  der  Stange  quer  angebrachten 
Armes  zu  berühren  suchte,  auf  dem 
ein  gefülltes  Glas  stand.  Gelang 
es  ihm.  dieses  dadurch  zum  Umfallen 
zu  bringen,  so  hatte  er  einen  der 


ausgesetzten  Preise  gewonnen. 
Weinhold.  deutsche  Frauen,  2.  Auf- 
lage. I.  3s* -391:  II,  157  —  182. 
krietjk,  deutsches  Bürgertum.  I, 
415—423:  vgl.  Schröder,  die  höfische 
Dorfpoesie,  in  Gosches  Jahrb.  f.  Lit. 
Gesch.  I,  Berlin  1S65.  Voss,  der 
Tanz  und  seine  Geschichte.  Berlin 
1670. 

Taschentücher  kennt  man  bei 

um«  seit  der  zweiten  Hälfte  des 
16.  Jahrhunderts,  wo  sie  von  Italien 
her  in  Gebrauch  kamen.  Sie  waren 
nicht  mit  Unrecht  als  ein  Luxus- 
artikel verschrien:  denn  nicht  nur 
waren  sie  aus  feinster  Leinwand 
oder  aus  Kammertuch  gefertigt, 
sondern  auch  mit  Stickereien,  kost- 
baren Spitzen  und  feinen  Quasten 
geziert,  sogar  mit  Gold,  Silber  und 
Perlen  verbrämt.  Schon  im  16.  Jahr- 
hundert feuchteten  Damen  ihre 
Taschentücher  mit  wohlriechenden 
Wässern  an  und  meinten  damit 
nicht  nur  ihre  Nachbarschaft  zu  er- 
freuen, sondern  auch  zugleich  den 
Teint  zu  konservieren. 

Tassen  von  Ton  und  Metall  siinl 
aus  der  Bronzezeit  noch  erhalten. 
Als  Tischgefässe  zum  täglichen  Ge- 
brauch sind  die  spätestens  in? 
13.  Jahrhundert  zurückzuführen  und 
zwar  sind  sie  meist  aus  Metall  ge- 
macht, mit  zwei  Henkeln  und  einer 
Untertasse  versehen. 

Tnucher-und  Schwimmapparatc 
des  Mittelalters  findet  man  in  mehre- 
ren Bilderhandschriften  des  15.  Jahr- 
hunderts zahlreich  dargestellt,  ohne 
dass  nähere  Nachricht  über  die 
praktische  Verwendung  derselben 
vorhanden  wäre.  Abbildungen  im 
Anzeiger  f.  Kunde  des  d.  Altert. 
1871.    Sp.  257. 

Taufgelöbnisse,  d.  h.  kirchliche, 
dem  Glaubensbekenntnisse  voran- 
gehende Formeln,  welche  die  Ab- 
schwörung des  Glaubens  an  heid- 
nische Götter  und  Götzendienst 
enthalten,  sind  in  der  deutschen 
Sprache  mehrere  enthalten :  dasjenige 
in  sächsischer  Sprache  ist  nament- 


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Taufsteine.  —  Teppiche. 


967 


lieh  deshalb  merkwürdig,  weil  darin 
die  Namen  der  obersten  germani- 
schen Gottheiten  angeführt  sind, 
Donar,  Wodan  und  Saxnot,  d.  i.  Ziu. 
Mit  Kommentar  sind  sie  u.  a.  ab- 
gedruckt bei  Mxdlenhoff  und  Svherer, 
Denkmäler,  Nro.  51,  52  und  53. 

Taufsteine.    Wahrend  man  in 
den  ersten  christlichen  J ahrhunderten 
in  jedem  beliebigen  Wasser  taufte, 
kamen  seit  Konstantin  eigene  Tauf- 
hauser,  Baptitterien ,  in  Gebrauch, 
die  in  der  Nähe  der  bischöflichen 
Kirchen  errichtet  waren;  denn  in 
älterer  Zeit  hatten  bloss  die  Bischöfe 
das  Recht,  die  Taufe  zu  vollziehen. 
Den  Mittelpunkt  der  Baptisterien 
bildete  das  Taufbassin,  in  welches 
der  Täufling  untergetaucht  wurde; 
larüber  erhob  Bich  das  Gebäude  in 
Form  der  Rotunde,  siehe  den  Art. 
Kapelle.     Das  Bassin    war  rund 
oder  achteckig  und    reich  ausge- 
stattet.   Mit  der  Einführung  uer 
Kindertaufe  musste  man  die  Taufe 
auch  andern  als  bischöflichen  Kirchen 
gestatten,  was  bis  zum  13.  Jahrhun- 
dert durchgeführt  war;  aus  dem 
nämlichen  Grunde  verlegte  man  den 
Tatifraum  in  die  Kirche  selbst  und 
zwar  an  die  nördliche  Seite  der 
Vorhalle;  endlich  kamen,  da  statt 
des  ältern  Üntertaucheus  das  Über- 
eprengen    mit    Wasser  Gebrauch 
wurde,  statt  des  Taufbassins  seit 
dem  9.  Jahrhundert  die  Tanfsteine 
auf,  denen  man  mit  Vorliebe  in  Er- 
innerung an  die  Form  des  Bassins 
ebenfalls    runde    oder  achteckige 
Form  gab.    Ihrer  besonderen  Ge- 
stalt nach  unterscheidet  man  mehr 
frogartige  oder  mehr  pokal-  oder 
kesselartige,  auf  einem  Schaft  oder 
Stengel  ruhende  Steine.    Wo  das 
Steinmaterial  fehlte,  wendete  man 
die    sogenannten    Taufgrapm  an, 
iL  h.  aus  Metall  gegossene  Tauf- 
s-teine,    die    auf  Füssen  standen, 
welche  gewöhnlich  menschliche  oder 
Tierfiguren  darstellten.  Schliesslich 
wurde  der  Taufstein  zum  blossen 
Taufständer  für  die  flache  Tauf- 


schüssel ;  zur  letzteren  gehörte  noch 
ein  besonderes  Giessgefass,  ein 
Kännchen,  aus  dem  das  Wasser 
über  den  Täufling  ausgegossen 
wurde.  L.  Brockhau*  in  Herzogs 
ßeal-Encykl.  2.  Aufl.  Art,  Bap- 
titterium.  Vgl.  Olle,  kirchl.  Archäol. 
§  49. 

Teller  von  Ton,  Metall  und 
Holz  kommen  auch  bei  den  deutschen 
Völkern  schon  in  ältester  Zeit  vor; 
doch  wurden  darin  bloss  die  Speisen 
aufgetragen,  worauf  jeder  Tischge- 
nosse sein  Stück  auf  eine  Brod- 
schnitte gelebt  erhielt  und  mit  dem 
Messerzerklemertc.  Erst  im  12.  Jahr- 
hundert setzte  man  den  Gästen 
noch  besondere  Teller  vor  und  zwar 
anfanglich  je  einen  für  zwei  Tisch- 
genossen. Die  Teller  der  Armen 
waren  von  Holz,  seltener  von  Ton, 
diejenigen  der  Wohlhabenden  von 
Zinn  und  die  der  Reichen  von 
Silber.  Die  Teller  dieser  Zeit  waren 
etwas  kleiner,  im  übrigen  aber  von 
gleicher  Form,  wie  die  unsrigen,  die 
einen  mehr  flach,  die  andern  vertieft. 

Teppiche  verwendete  man  im 
Mittelalter  schon  recht  häutig  zur 
Belegung  der  Fussböden  und  Gänge 
in  Kirchen  und  Wohnhäusern,  sowie 
auch  als  Vorhänge  für  Wände, 
Thür-  und  Fensteröffnungen.  Von 
^anz  besonders  kostbaren  Teppichen 
ist  schon  in  der  alten  orientalischen 
Geschichte  die  Rede.  So  sollen  die 
Araber  bei  Eroberung  des  Perser- 
reiches  in  Khosru's  Palast  einen 
Teppich  vorgefunden  haben,  der 
sechzig  Ellen  im  Geviert  gemessen, 
aus  Seide  gewirkt  und  mit  Gold, 
Silber  und  farbigen  Edelsteinen 
geziert  war,  die  einen  in  Blüten  und 
Früchten  prangenden  Obstgarten 
darstellten.  Omar  verteilte  den 
Teppich  unter  seine  Freunde,  deren 
Zahl  nicht  angegeben  wird;  doch 
soll  ein  Stück  von  Ali  mit  20,000 
Silberstücken  bezahlt  worden  sein. 

Die  Teppiche  des  früheren  Mittel- 
alters stammen  meist  aus  dem  Orient. 
Vom  11.  Jahrhundert  an  weben  die 


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968  Terzine.  —  Teufel. 


Laienbrüder  der  Klöster  Teppiche  Form  nicht  an,  so  dass  sie  erst  am 

in  Leinwand  und  die  Nonnen  ahmen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  bekannter 

die     vorliegenden     orientalischen  wurde. 

Muster  nach.  Die  Bodenteppiche  Teuerdank  heisst  ein  allegori- 
werdennurmitgeometrischenFiguren  j  sehet,  höchst  unbehilfliches  Reim- 
oder mit  Ornamenten  geziert,  aller-  werk  Kaiser  Maximilians,  worin  des 
höchstens  mit  Bildern  ausdenniedern  Kaisers  Jngendschicksale  unter  dein 
Tierklassen,  „mit  bösem  Gewürm44 ;  allgemeinen  Bilde  einer  Brautfahrt 
die  Vorhangteppiche  aber,  sowie  die  des  Teuerdank  (Maximilian)  nach 
zum  Decken  der  Möbel  verwendeten  Ehrenreich  (Maria  von  Burgund), 
werden  namentlich  vom  13.  Jahrhun-  König ÄM/iwi/WctaiKarlsdesKühneiij 
dert  an  zu  eigentlichen  Luxusgegcn-  Tochter  erzählt  werden.  Auf  dieser 
ständen.  Die  kirchlichen  erhalten  Fahrt  kommt  der  Held  au  drei  Eng- 
kirchliche  Bilder,  diejenigen  für  den  passe,  an  deren  jeden  ihn  ein  Feind 
Privatgebrauch  zum  Teil  weltliche,  erwartet :  Füncittig,  d.  i.  Unbeson- 
Berühmt  ist  die  äusserst  wertvolle  nenheit  der  Jugend,  l'nfalo,  d.  s. 
„Tapete  von  Bayeux",  die  für  die  Unglücksfalle,  und  Seidc/hard}  d.  s. 
Kostümkunde  ihrer  Zeit  wichtige  die  politischen  Feinde.  Schliesslich 
Aufschlüsse  gibt.  Auf  einer  Lein-  besiegt  Teuerdank  seine  Gegner 
wandfläehe  von  63  m  Länge  und  und  sie  werden  als  Verbrecher  ge- 
9,46  m  Höhe  schildert  sie  in  72  richtet.  Das  Werk,  dessen  Redak- 
Szenen  mit  530  Figuren  die  Er-  tion  dem  Kaplan  des  Kaisers.  Mel- 
oberung  von  England  durch  Wil-  chior  l*finzing,  übertragen  war. 
heim  dem  Eroberer.  Die  Stickerei  wurde  mit  verschwenderischer  Pracht 
ist  im  Plattstich  ausgeführt  und  mit  und  vielen  Bildern  in  vierzig  Exem- 
vielen  Inschriften  versehen.  Die  plaren  auf  Pergament,  zugleich  aber 
Arbeit  stammt  wahrscheinlich  aus  auf  Papier  gedruckt  und  erhielt 
der  2.  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  späte1*  noch  viele  Auflagen.  Der 
und  wird  von  den  einen  der  Ge-  Titel  der  ersten  Ausgabe  lautet: 
mahlin  Wilhelms,  der  Königin  Ma-  „Die  geuerlicheiten  und  »»ins  teils 
thilde ,  von  andern  der  Tochter  der  geschichten  des  löblichen  streit- 
Heinrichs  I.  von  England  zuge-  baren  und  hochberühmten  Heids 
schrieben.  und  Ritters  Tewrdanuckhs.  Gedr. 

Sehr  sehenswerth  sind  auch  die  Nürnberg  durch  den  Eltern  Hann- 
Zeltteppiche  Karls  des  Kühnen,  die  sen  Schönsperger  Burger  zu  Auss- 
er bei  Granson  verlor.    Sie  stellten  purg,  1517. 

die  Kriegsthaten  Julius  Casars  dar  Teufel.  Es  ist  bloss  die  nüttel- 
und  sind  ohne  Zweifel  eine  nieder-  alterliche,  verkörperte  Gestalt  des 
ländische  Arbeit,  wie  denn  über-  Teufels,  der  Teufel  des  Volksglau  - 
haupt  die  Niederländer  sich  im  bens,  der  unter  die  deutschen  Alter- 
späteren  Mittelalter  auch  in  der  tümer  gehört,  und  nicht  der  ältere 
Teppiehstickerei  besonders  hervor-  Teufel  der  biblischen  und  kirch- 
getnan  haben.  liehen  Lehre.  Nur  das  sei  in  bezug 
Terzine,  die  d  reizeilige  Strophe,  auf  den  letztern  hier  bemerkt,  dass 
in  der  Dante  seine  göttliche  Komödie  der  ältere  Teil  des  alten  Testamentes 
dichtete  und  deren  äussere  Zeilen  I  den  Teufel  noch  nicht  kennt;  erst 
mit  einander  reimen,  während  die  im  Exil,  nimmt  man  an,  hätten  die 
Mittelzeile  den  Reim  für  die  folgende  Judeu  von  der  Zoroastrischen  Reli- 
Terzine  anschlägt,  wurde  durch  gion  der  Perser,  welche  zwischen 
Paul  Meliiutiui  1572  zuerst,  aber  nur  Ormuzd  und  Ahriman,  dem  guten 
ganz  vereinzelt,  ins  Deutsche  einge-  und  bö*en  Geist,  unterschieden,  den 
fuhrt;  die  Opitzianer  nahmen  diese  Versucher  kennengelernt,  der  dann 


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Teufel. 


969 


mehr  und  mehr  in  ihr  Volksbewusst- 
sein  überging,  aber  noch  lange  nicht 
als  körperlich  gedacht  wurde.  So 
tritt  er  im  Neuen  Testament  auf. 
Später  trug  namentlich  die  Be- 
rilhrung  mit  einigen  Sekten,  den 
Gnostikern  und  Manichäern,  zur  dog- 
matischen Ausbildung  des  Teufels- 
Dogmas  bei  und  es  bildete  sich  aus 
si'hr  verschiedenen  Elementen  im 
Gegensatz  zur  Welt  der  Engel  eine 
Welt  böser  Geister  aus,  die  zum 
Teil  als  von  Gott  abgefallene  Engel 
betrachtet  wurden  und  deren  Ober- 
haupt der  Teufel  ist.  Die  herrschende 
Vorstellung  von  dem  Teufel  wurde 
wesentlich  dadurch  erweitert,  das 8 
die  absterbenden  heidnischen  Götter 
zwar  für  besiegt  und  ohnmächtig, 
aber  nicht  ganz  für  machtlos  erklärt, 
sondern  in  das  Gebiet  der  teuflischen 
Mächte  verwiesen  wurden,  und  zwar 
gesehah  dies  in  erster  Linie  mit 
denjenigen  heidnischen  Gottheiten, 
welche  von  Natur  übelthätig  und 
finster  waren,  wie  die  deutschen 
Götter  Loki  und  Hei;  dann  aber 
auch  mit  den  übrigen,  sonst  als  gut 
gedachten  Gottheiten,  sofern  nicht 
die  fortschaffende  Phantasie  ihre 
Züge  andern  guten  Gestalten  des 
Christentums,  wie  Maria  und  den  ' 
1  leiligen  zuwies.  So  sagt  denn 
Grimm ,  der  Teufel  sei  jüdisch, 
christlich ,  heidnisch ,  abgöttisch, 
elbisch,  riesenhaft,  gespenstig,  alles 
zusammen. 

Der  Same  Teufel,  ahd.  fiural, 
mhd.  tievel,  Huf  et,  ist  nichts  als  das 
griech.  diaSoko*;  es  ist  ein  inter- 
nationaler Ausdruck  fast  aller  euro- 
päischen Völker;  zahlreiche  Euphe- 
mismen des  Namens  sind  hochdeutsch 
Deichet,  Deisl  u.  dgl. ;  satan  wird 
mhd.  selten  angewandt.  Den  übrigen 
Benennungen  liegt  entweder  der 
Charakter,  die  Gestalt,  oder  der  Auf 
enthallde&Teufels  zu  Grunde.  Seinem 
Charakter  oder  innern  Prinzip  nach 
heisst  der  Teufel,  im  Gegensatz  zum 

gütigen,  freundlichen  und  milden 
krtte,  der  Bö*e,  Feindliche,  der  f  V 


lutld.  Andere  Ausdrücke  sind  der 
Leidige,  der  Altfeind,  der  Alte, 
mhd.  rdlant,  nhd.  Volland,  Junker 
Volland ,  Partizip  zu  ags.  vaelan  = 
verführen,  schrecken.  Seiner  äussern 
Gestalt  nach  heisst  der  Teufel  der 
hinkende,  Hinkebein,  der  schwarze, 
Graumann,  Graumännlein ;  in  allen 
übrigen  Gliedern  sonst  wie  ein 
Mensch  geformt,  verrät  ihn  Bocks- 
ohr, Horn,  Schwanz  oder  Pferde- 
fuss. Der  Bock  ist  das  heilige  Tier 
Donars-,  daher  er  oft  in  Schwüren 
und  Verwünschungen  erscheint :  dass 
dich  der  bock  sehend!  Alle  Hexen 
dachten  sich  ihren  Meister  als  schwar- 
zen Bock,  wie  er  in  der  Hexenver- 
saimnlung  erschien;  der  Teufel  ist 
es  auch,  der  die  Ziegen  oder  die 
Gemsen  erschaffen  hat.  Nächst 
dem  Bock  ist  der  Eber  ein  Teufels- 
tier, er  war  ursprünglich  dem  Fro 
heilig  und  gab  in  Waihalla  der 
Helden  Speise  her;  daher  er  und 
die  Sau  Teufelstiere  sind.  Oft  er- 
scheint der  Teufel  als  Wolf,  welches 
wohl  der  Wolf  Wodans  ist;  wenn 
er  dagegen  als  schwarzer  Hund  mit 
Feueraugen  erscheint,  so  deutet  das 
wieder  auf  den  Gewittergott.  Gern 
nimmt  der  Teufel  die  Gestalt  von 
Wodans  Tier,  des  Haben,  an.  Alt 
und  verbreitet  war  die  Erschein ung 
des  Teufels  als  Schlange,  Wurm  und 
Drache,  eine  Vorstellung,  die  sich 
teils  an  die  Schlange  im  Paradiese, 
an  Apokalypse  20,  2  und  an  den 
Leviathan,  teils  an  den  einheimischen 
Volksglauben  von  feuerspeiendeiij 
giftigen  Würmern,  schatznütenden 
Drachen  und  wunderbaren  Schlangen 
anschliesst.  Auch  zwei  Geräten, 
dem  Hammer  und  dem  Riegel  wird 
der  Teufel  verglichen ;  von  welchen 
der  Hammer  Donar,  der  Riegel  Loki 
zusteht ;  ia  man  schrieb  den  Sturm- 
wind una  die  Windsbraut  geradezu 
später  den  Riesen  oder  Teufeln  zu. 

Von  seinem  Aufenthalt  in  der 
Hölle,  aus  welcher  er  die  heidnische 
Göttin  Hei  (siehe  diesen  Artikel) 
verdrängt  hat,   heisst  der  Teufel 


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07Ö 


Teufel. 


helleicarle,  hellehirte,  heflen-irt.   Ur-  die  Wolken  bringt,  so  werden  Helden 
sprünglich  der  Aufenthalt  der  Todes-  aus  ferner  Gegend  von  dem  Teufel 
gottin  Hei,  und  dadurch  Wohnung  plötzlieh  durch  die  Lüfte  zur  Heim  ar 
der  Toten,  zwar  traurig  und  freuden-  getragen ;  das  ist  der  Fall  bei  Heiii- 
leer,  aber  frei  von  jeder  Strafe  und  rieh  dem  Löwen,  Klinsor,  Ofter- 
Qual  seiner  Bewohner,  wurde  die  dingen,  Faust.    Die  meisten  Eigen- 
Hölle  der  Name  des  Ortes  der  Ver- 1  Schäften  des  Teufels  aber  sind  von 
dämmten,   ein   mit  Flammen  und  Donar  übernommen;  er  haust  im 
Pech    erfüllter    Pfuhl;    die    alten  Gewitter  und  Wirbelwind ;  er  hinter- 
Sachsen nannten  diesen  Ort  noch  lässt,  wenn  er  durch  ein  heilige« 
lange,  weil  ihnen  das  einheimische  Wort  oder  ein  heiliges  Zeichen  über- 
hellia  noch  zu  heidnisch   vorkam,  wiesen  wird,  immer  einen  Schwefel- 
mit  dem   biblischen  Namen  infern  gestank,  der  auf  den  Blitz  deutet, 
oder  verkürzt  fern.    Grimm  ver-  Die  Donnerkeile  heissen  auchTcufels- 
mutet,daßsdie/VeMö//<>denGrierhcu  finger;  in  Flüchen  ist  Donner  und 
von  den  Slawen  zugebracht  worden  Teufel  oft  dasselbe.  Donnerkind 
sei;  denn  in  slawischen  Sprachen  ist  sowiel  wie  Teufelskind;  sehwie- 
bedeutet  dasselbe  Wort  Pech   und  rige  Schmiede-  und  Schlosserarbeiten 
Hölle.  Ein  eigentümlich  mittelalter-  werden  dem  Teufel  zugeschrieben, 
lieber  Name  für  die  Hölle  ist  Ab&w-  Die  grossen  feurigen  Augen,  »ein 
kniff,  auch  griech.-lat.  ahunsus  —  Ab-  Erscheinen  als  schwarzer  Hund,  die 
grund,  Hölle  und  niederdeutsch  der  rote  Farbe  seiner  Kieiduug,  die  rote 
X-röo,  Krug  —  geringe  Schenke;  die  Hahnenfeder  auf  dem  Hut  sind  dem 
Hölle  ist  also  hier  als  Wirtshaus  Gewittergott  entnommen, 
und  der  Teufel  als  Wirt  gedacht.  Aus  dem  deutschen  Heideurume 
Alle    heidnischen    Götter    ver-  stammen  auch  die  Teufefinnen,  Ge- 
wandelten sich  den  neuen  Christen  stalten,  die  dem  Judentume  durch- 
geht bloss  in  Götzen,  sondern  in  aus    fremd   sind.     Schon  Ulfilas 
Teufel.    „Wer  den  alten  Göttern  übertrug  das  griechische  daimoni>,a 
anhing,  ihnen  heimlich  opferte,  hiess  durch  ein  weibliches  Wort;  die  um- 
Teufehd teuer;  die  alten  Taufgelöb-  hultho,  d.  i.  unholde  Frau;  diese 
nisse  fragten  einfach:   Widersagst  vertritt  unter  den  Neubekehrten, 
du  dem  Teufel;  Antwort:  Ich  wider-  was  sich  ihre  Voreltern  unter  Holda 
sage  dem  Teufel  und  der  Teufels-  gedacht  hatten.    Holda  ist  es  auch 
Verehrung  und   allen  Werken  und  wahrscheinlich,  die  unter  dem  Na- 
Worten  des  Teufels,  dem  Donar  men    „des   Teufels  Grossmutter*4 
und  dem  Wodan  und  dem  Saxnot  bekannt  ist. 

und  allen  den  Unholden,  die  ihre '      Einzelne  Opfer,  die,  weil  sie  mit 

Genossen  sind."'  Aus  Wiiotan,  dem  Gebräuchen  und  Festen  zusamxnen- 

wilden  Jäger,  wurde  ein  jagender  hingen,  noch  lange  Zeit  hindurch, 

Teufel,  der  hellejager.  der  auch  als  zuletzt  als   unverstandene  sehuld- 

Jäger  in  grünem  Kock  mit  Hahnen-  lose  Sitte  fortgeführt  wurden,  wur- 

feder  auf  dem  Hut  erscheint.  Gleich  den  dem  Teufel  zugeschrieben,  «o 

Wuotan  und  Donar  fahrt  der  Teufel  Lämmer    und     Boeklein  ,  meist 

bald  auf  schwarzem  Rosse,  bald  in  seinen  rze,    die  in   Norwegen  dem 

stattlichem  Wagen.    Wie  Wuotan  Wassergeist  zugeschrieben  wurden ; 

als  Gott  und  Erfinder  des  Spiels,  bei  Schatzhebungen    kehrt  dieser 

namentlich  des  WTürfels  galt,    so  schwarze,  genau  ein  Jahr  und  einen 

wird  jetzt  das  Würfelspiel  auf  den  Tag  alte  Geissboek  immer  wieder. 

Teufel    bezogen,    er   würfelt    mit  Auch   selncarze   Hühner  kommen 

Menschen,  die  ihre  Seele  aufsetzen,  vor,  an  denen  aber  keine  weisse 

Wie  Wuotan  seinen  Schützling  durch  Feder  sein  darf;  das  Opfer  eines 


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Teufel. 


971 


Lichtes  hat  sich  bis  jetzt  in  der 
Redensart  erhalten:  „dem  Teufel 
*m  Licht  anstecken". 

Vieles  hat  der  Teufel  von  den 
Dämonen  und  Geistern   der  deut- 
schen Naturreligion  aufgenommen; 
CT  heisst  daher  der  Wicht,  Böse- 
rieht,  Helletcich  t\  gleich  Elben  hat 
er  die  Gabe  zu  erseheinen,  zu  ver- 
schwinden und  sieh  zu  verwandeln, 
nur  dass  die  mehr  neckische  Scha- 
denfreude dieser  Geister  dem  Teu- 
fel immer  als  bitterer  Ernst  ange- 
rechnet wird.     Teufelbesessen  ist 
der,  dem  es   die  Elbe  angethan 
haben;  er  gleieht  der , Wohnung,  in 
welcher  sich  Poltergeister  festge- 
setzt  haben.     Gutmütigen  Haus- 
geistern  gleich    trägt  der  Teufel 
Beinen  Freunden  und  Günstlingen 
<>ld  oder  Getreide  zu.    Ganz  dc- 
«'•ndere  ist  aber  der  Teufel  an  die 
Stelle  der  alten  Riesen  getreten; 
beide,  Kiesen  und  Teufel,  verfolgt 
der  Donnergott  mit  seinem  Ham- 
mer:  wie    cler  Riese   von  Thors 
Miölnir,    so  wird  der  Teufel  im 
Märchen  von  des  Schmiedes  Ham- 
mer getroffen.  Riesig  erscheint  na- 
mentlich   der  Teufel  da,  wo  ihm 
das  Volk   ungeheuere  Bauten  und 
Steinten rfe  beilegt;  der  dumme  Ten- 
ftl  gilt  wie  der  dumme  Biese.  Die 
Erbauung   christlicher  Kirchen  ist 
ihm  vernasst,  er  sucht  sie  zu  zer- 
trümmern, sein  Plan  wird  aber  je- 
desmal  von  einer  höheren  Gewalt 
'•der   durch    überlegene  List  der 
Menschen,    z.   B.  einen  künstlieh 
gewirkten  Hahnenschrei  oder  durch 
etwu    Heiliges   vereitelt.  Gleich 
den  Riesen  zeigt  er  sich  selbst  oft 
als  erfahrenen  Baumeister,  welcher 
•  ine   Burg,    Brücke  oder  Kirche 
aufzuführen    übernimmt   und  sich 
zum  Lohn  die  Seele  dessen  ausbe- 
dingt,  der  den  neuen  Bau  zuerst 
betritt:    daher  man  wohlbedächtig 
zuerst  einen  Hahn  oder  eine  Gemse 
über  die  neue  Brücke  laufen  lässt; 
!>eim  Kirchenbau  ist  es  ein  Wolf. 
Teufelssteine  heissen  entweder  die. 


welche  er  zum  Bau  tragend  aus 
der  Luft  fallen  Hess  oder  die  er, 
sein  begonnenes  Werk  zerstörend, 
auf  die  Berge  trägt  oder  die  er 
nach  der  Kirche  geworfen  hat. 
Teufel  »mauern  erklärt  das  Volk  so: 
der  Teufel  habe  damit  die  Grenze 
seines  Reiches  abschliessen  wollen. 
Hervorragende  Felsklippen  heissen 
Tntfels  kanzeln ,  da  soll  der  böse 
Feind  dem  versammelten  Volk  ge- 
predigt haben ;  es  sind  vielleicht 
alte  Kultusplätze. 

Zweifelhaft  ist  der  Ursprung  der 
Sage  von  verf  ragsmässigen  Bnnd- 
I  nissen  mit  dem  Teufel,  wodurch 
für  die  von  dem  Teufel  erlangten 
irdischen  Glücksgüter,  besonders 
aber  für  die  Zauberkraft,  die  eigene 
Seele  verkauft  wird.  Das  iiiteste 
Beispiel  dieser  Sage  stammt  aus 
dem  4.  Jahrhundert,  wo  aber  noch 
keiner  1'erschreihung  gedacht  wird; 
tlas  früheste  Beispiel  eines  Bünd- 
nisses mittelst  Verschreibung  an 
den  Teufel  bietet  die  Geschichte 
des  Theophilus.  Dieser,  ein  überaus 
frommer  Mann,  lebte  zu  Adana  in 
Cilicien  als  Ökonomus  oder  Vize- 
dominus  der  Kirche  zur  Zeit  der 
Persereinmlle  in  das  Reich.  Nach 
des  Bischofs  Tode  wurde  er  zum 
Bisehof  erwählt,  lehnte  aber  die 
Wahl  aus  Demut  ab.  Der  statt 
seiner  nun  gewählte  neue  Bischof 
entsetzt,  durch  Verleumdung  ge- 
blendet, den  Vizedominus  seines 
Amtes,  worauf  dieser,  bitter  ge- 
kränkt, sich  an  einen  als  gewaltigen 
Zauberer  bekannten  Juden  wendet, 
durch  dessen  Beistand  er  wieder 
zu  seinem  Amte  zu  kommen  hofft. 
Der  Zauberer  führt  den  Theophilus 
am  nächsten  Tage  in  den  Zirkus 
und  mahnt  ihn,  vor  keiner  Erschei- 
nung zu  erschrecken  und  sich  mit 
dem  Zeichen  des  Kreuzes  zu  be- 
schützen. Dort  treffen  sie  eine 
Menge  Weiber  mit  brennenden 
Fackeln  umherziehend,  Loblieder 
singend;  in  ihrer  Mitte  thront  Sa- 
tanas, der  die  Huldigungen  seiner  go- 


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972 


Teufel. 


treuen  Unterthanen  entgegennimmt 
Auch  Theophilus  fällt  auf  die  Knie 
und  küsst  des  Teufels  Füsse;  da 
Satauas  »ich  jedoch  nicht  erinnert, 
den  Theophilus  je  gebchen  zu  haben, 
verwundert  er  sich  über  die  Drei- 
stigkeit des  Eindringlings.  Auf  die 
barsche  Frage,  was  er  wolle,  er- 
widert Theophilus:  deinen  Befehlen 
gehorchen.  Da  erhebt  sich  Satanas 
ein  wenig,  streichelt  dem  Theophi- 
lus den  Bart,  küsst  und  begrüsst 
ihn  freundlich  als  seinen  lieben 
Unterthan;  Theophilus  aber  entsagt 
hierauf  Jesus  und  der  Maria  und 
überreicht  dem  Teufel  die  von  ihm 
selbst  geschriebene  und  mit  Wachs 
versiegelte  Urkunde.  Am  folgenden 
Tage  wird  Theophilus  vom  Bischof 
aut  die  ehrenvollste  Weise  in  sein 
Amt  wieder  eingesetzt  und  führt 
fortan  als  des  Teufels  Lehnsmann 
ein  übermütiges  Leben.  So  geht  es 
eine  Zeitlang;  später  aber  wird 
Theophilus  von  Reue  ergriffen;  40 
Tag«;  und  Nächte  lang  fleht  er 
Maria  in  ihrer  Kirche  um  Beistand 
an;  sie  lässt  sich  erweichen,  be- 
wegt auch  ihren  Sohn  dem  Sünder 
zu  verzeihen,  schafft  die  Urkunde 
wieder  herbei  und  legt  sie  ihm, 
während  er  in  der  Kirche  einge- 
schlafen war,  auf  die  Brust.  Er- 
wachend ,  findet  er  die  Schrift, 
bekennt  öffentlich  seine  Sünde, 
verbrennt  die  Schrift  und  stirbt 
drei  Tage  darauf  eines  seligen  To- 
des. Die  spätere  Zeit  versetzte  ihn 
unter  die  Heiligen.  —  Die  Unter- 
schrift  mit  Blut  kommt  zuerst  im 
13.  Jahrhundert  vor. 

Über  den  Teufel  in  den  Ile.ren- 
prozessen  siehe  diesen  besonderen 
Artikel. 

Was  die  Literatur  des  Teuf  eh 
betrifft,  so  ist  dieselbe  in  der  karo- 
lingischen  Periode  bei  dem  keu- 
scheren, dem  Altertum  nicht  wenig 
zugekehrten  Sinn  noch  kaum  in 
besonderen  Werken  vertreten;  der 
Erzbischof  Agobard  von  Lyon,  aus 
der  karolingisehen  Schule  hervor- 


gegangen, gestorben  £41,  trat  noch 
gegen  den  Glauben  an  die  Wetter- 
macherei  durch  den  Teufel  auf. 
Auch  die  höfische  Bildung  bevor- 
zugt den  Teufel  noch  in  keiner 
Weise,  so  oft  auch  sein  Name  als 
böses  Prinzip  in  den  Schriften  die- 
ser Periode  angetroffen  wird.  Erst 
die  kirchlich  -  asketische  Bildung, 
die  seit  dem  11.  Jahrhundert  auf- 
trat und  namentlich  in  den  neueren 
Orden  ihren  Halt  hatte,  war  es. 
welche  das  Interesse  am  Teufel 
wachhielt  und  belebte.  Daher  die 
zahlreichen  Teufelsgeschichten  in 
den  Legenden,  in  den  Wunder- 
erzählungen des  Cistercieusermöuchs 
Caesar  ins  von  Helsterbach,  13.  Jahr- 
hundert, des  gleichzeitigen  Augusti- 
ner-Mönches Alherirus,  das  Buch 
des  wenig  späteren  Cistereieuser- 
Abtes  Richalnus,  „Buch  der  Offen- 
barungen über  die  Nachstellungen 
und  Tücken  des  Teufels",  sodann 
die  Teilnahme  der  neuen  Orden, 
desonders  der  Dominikaner,  an  deu 
Ketzerverfolgungen,  wo  immer  auch 
der  Teufel  ins  Spiel  gezogen  wurd^. 
an  der  Aufhebung  des  Templeror- 
dens, an  den  Hexen-Prozessen.  Eine 
eigentümliche  und  im  späteren  Mit- 
telalter mehrfach  bearbeitete  Schrift 
ist  der  Satanspruzessy  proeessus  &»- 
tanae,  eine  Art  Prozeaslehrbuch. 
,.ein  nützlicher  Gerichteshandel  vor 
Gott  dem  allmechtigen  unserm 
Herren,  durch  die  gloriwirdisrsten 
Jungkfrawen  Mariam,  fürsprecherin 
des  menschlichen  geschlecht*,  am 
einen,  uud  verraaledevten  Satha- 
uam,  anwalt  der  hellischen  schale k 
heit,  am  andern  Teil  geübet'1;  die 
Schrift  wird  meist  einem  gewissen 
Bartolus,  14.  Jahrhundert,  zuge- 
schrieben, sie  scheint  aber  im  13. 
Jahrhundert  von  einem  Juristen 
erfunden  worden  zu  sein. 

Der  Teufel  kam  endlich  als  ko- 
mische Person  auf  die  Bühne,  und 
im  15.  und  16.  Jahrhundert  gehört«' 
er  in  Spanien ,  Frankreich  und 
Deutschland  zu  den  Würzen  der 


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Teufel. 


973 


geistliehen  Spiele.  Hier  war  er 
recht  wie  der  Teufel  des  Volks- 
glaubens ausgestattet,  machte  gro- 
teske Sprünge  und  Tänze  und  ver- 
gnügte die  Zuschauer  namentlich 
auch  durch  sein  Schmerz-  und 
Angstgeheul.  In  einem  zu  Zürich 
aufgerührten  Spiele  wurde  der  Teu- 
fel sogar  klisticrt,  worauf  er  ein 
Mausenest  von  sich  gab.  Seine 
Rolle  im  Spiel  Ist  eine  doppelte, 
als  Bestrafer  des  Lasters  und  als 
Vater  aller  Sünde.  In  der  ersten 
Rolle  ist  er  ernst,  man  liebte  es, 
ihm  der  Reihe  nach  alle  möglichen 
Stände  zuzuführen  und  bildete  so 
eine  Art  Teufelstanz  dem  Toten- 
tanz nach.  Am  weitläufigsten  ist 
dieser  Gedanke  in  dem  Gedichte 
..des  fiufeh  segi"  behandelt,  her- 
ausgegeben unter  dem  Namen  „des 
Teufels  Netz"  von  Barack,  Stutt- 
gart 1863,  ausserdem  in  mehreren 
Spielen.  Als  Vater  der  Sünde  ist 
der  Teufel  zugleich  Vater  der  Thor- 
heit  und  nähert  sich  dadurch  dem 
Narren.  Unter  den  Spielen,  worin 
der  Teufel  eine  Rolle  spielt,  findet 
man  auch  iene  oben  erwähnte  Sage 
von  Theophilus  wieder;  ein  anderes 
ist  das  Spiel  von  Frau  Jutta,  dessen 
Inhalt  die  Sage  von  der  Päpstin 
Johanna  ist.  Ein  Mädchen  aus 
England  ist  mit  einem  Geistliehen, 
ihrem  Geliebten,  in  Mannskleidern 
nach  Paria  gegangen,  wird  daselbst 
Doktor,  in  Rom  Kardinal  und  zu- 
letzt Papst;  als  solcher  aber  wird 
sie  mit  Sehimpf  entlarvt  und  von 
den  Teufeln  in  der  Hölle  empfan- 
gen, jedoch  durch  die  Fürbitte 
Maria's  und  des  heiligen  Nikolaus 
dennoch  befreit.  Auch  in  der  Posse 
spielt  der  Teufel  als  komische  Fi- 
gur seine  Rolle.  Siehe  Weinkold 
in  Gosehus  Jahrbuch  für  Lit.-Geseh. 
Bd.  I,  Seite  17  ff. 

Bildlich  kommt  der  Teufel  früh- 
zeitig bei  der  Darstellung  des 
Sündenfalle*  in  der  christlichen 
Kunst  vor  unter  dem  biblischen 
Bilde  einer  Schlange  mit  oder  ohne 


Menschenhaupt  ;  später  kommen  als 
Sinnbilder  der  Drache  hinzu,  mit 
welchem  Michael  kämpft,  und  der 
Löwe,  den  Heilige  unter  die  Füsse 
treten.  Vereinzelt  erscheint  er  im 
9.  Jahrhundert  bei  der  Versuchung 
Christi  als  böser  Engel  in  nackter 
Menschengestalt,  geflügelt  und  von 
grüner  Farbe;  seit  dem  11.  Jahr- 
hundert erseheint  er  teils  in  mensch- 
licher, teils  in  tierischer  Gestalt, 
aber  immer  htfsslieh,  mit  haarigein 
Körper,  Schwanz, gespalteneu  Hufen, 
Hörnern,  Fledermausflügeln  u.  dgl. 
Magiern  oder  Feinden  Gottes  sitzt 
er  als  ein  schwarzer  Galgenvogel 
auf  der  Schulter;  den  Besessenen 
fahren  die  Teufel  aus  dem  Munde. 
In  der  Hölle  thront  Satan,  umgeben 
von  seinen  Vasallen,  in  allen  mög- 
lichen scheusslichen  Gestalten.  Seit 
1500  überlicssen  sich  die  Maler  über- 
haupt bei  Darstellung  der  Hölle 
und  ihrer  Bewohner  den  ausschwei- 
fendsten Phantasien.  (Hie,  kirch- 
liche Archäologie,  £  15?.  Wessel y, 
die  Gestalten  des  Todes  und  des 
Teufels  in  der  darstellenden  Kunst. 
Leipzig  1H76. 

Im  15.  Jahrhundert  schien  die 
Bedeutung  des  Teufels  abzunehmen; 
der  Humanismus  kannte  ihn  nicht 
mehr,  die  mönchische  Anschauung 
war  in  Verachtung  geraten,  und 
die  plastisch-dramatische  Darstellung 
seiner  Gestalt  sprach  deutlich  dafür, 
dass  man  ihn  zu  fürchten  verlernte. 
Da  regte  Luther  den  Teufelsglauben 
von  neuem  auf.  Von  Natur  und 
Familie  war  er  einem  stark  sinnlich- 
altertümlichen Teufelsglauben  ge- 
neigt und  trug  denselben  vielfach 
in  seine  Reden  und  Schriften  über. 
Nun  war  schon  früher  der  Teufel 
satirisch-didaktisch  als  Allegorie  des 
Bösen  verwendet  worden,  unter 
anderm  war  1489  ein  lateinischer 
Klagebrief  über  das  Elend  der 
Pfarrer  erschienen,  worin  die  armen 
Landgeistlichen  von  neun  Teufeln, 
darunter  der  Bisehof,  gequält  dar- 
gestellt wurden.    Diese  Epistel  Hess 


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974  Tiara.  —  Tierbilder. 

Luther  1540  mit  eiuer  Vorrede  be-  deutung  sind  zuerst  aus  der  antiken 

gleitet  wieder  abdrucken,  und  nun  Welt  in  die  christlichen  Bildwerke 

entwickelte  sich  eine  ganze  Teufels-  hinübergenommen  und  hier  zum  tei. 

ütteratur,  die  150  Jahre  anhielt  und  christlich  umgedeutet  worden:  dal* 

worin  die  verschiedenen  Lasterhaften  kommt  in  Betracht  der  Unterschied 

als  ebenso   viele  Teufelsbesessene  zwischen  reinen  und  unreinen  Tieren 

gegeisselt  wurden,  ähnlich  wie  man  als  Symbole  des  Lichtes   und  der 

sonst  das  Laster  als  Narrheit  dar-  Finsternis;  Raubtiere  sind  Repru 

zustellen  pflegte.     Diese  Teufels-  sentauten  christenfeindlicher  Mächt»  , 

traktate,  in  Prosa,  in  Versen,  auch  wehrlose  Tiere  bezeichnen  die  be- 

in  dramatischer  Form,  bringen  nun  drängte  Christenschar;  Jagdazenei. 

d»*r  Reihe  nach    einen  Hofteufel,  bedeuten  die  Bekehrung  der  Sünder. 

Hosen-,  Fluch-,  Ehe-,  Sauf-,  Jagd-,  die  gejagten  Tiere  die  einzelnen 

Junker-,  Geiz-  und  Wucher-,  Faul-,  Sünden,  die  Jagdhunde  die  Bus? 

Iloftarts-,  Zauber-,  Sehnaps-,  Haus-,  prediger,  die  aufgestellten  Netze  *U  u 

Bau-,  Gesind-,  Tanz-,  Spiel-,  Pesti-  Glauben  und  die  Gottesverehrun^ 

lenz  und  viele  andere  Teufel.    Ihrer  Anfangs  herrsehte  in  diesen  christ 

24  sind  in  dem  grossen  Folianten  liehen  Tierbildern  noch  ein  bann 

abgedruckt,   der   156U,    1575   und  loser  Ton,  der  namentlich  Lamme: 

1587    unter  dem   Titel    Iheatrum  und  Schafe  bevorzugt ;  seit  aber  di' 

Diaboforum  zu  Frankfurt  a.  M.  er-  Apokalypse    bekannter  gewoni't 

schien.  war,    traten    die  ungeheuerliebe:. 

Erst  das  Auf  klärungszeitalter  Tiere  der  OÖeubarung  in  den  Bilder 
hat  den  Teufel,  der  bei  Protestanten  kreis  ein,  um  den  Sieg  der  chriii 
und  Katholiken  seit  der  Reformation  liehen  Kirche  über  den  Satan  ru 
auch  in  die  Katechismen ,  Gebete  versinnlichen :  der  Erzengel  Michas 
und  Gesangbücher  Einlass  gefunden  besiegt  den  Drachen,  Ritter  Geon: 
hatte,  in  die  Dogmatik  verwiesen,  den  Lindwurm;  phantastische  Ge- 
Orimm, Mythologie, Kap. 33;  Wuttke,  stalten  aller  Art  trateu  auf,  Meu- 
VolksabiTglauben.  noskojf,  Ge-  sehen  mit  Tierköpfen,  Tiere  mif 
schichte  des  Teufels,  zwei  Bände.  Menschenköpfen,  barocke  an  ägyp 
Leipzig  186'J.  Freitag,  Bilder  aus  tisehe  Gottheiten  erinuerude  Min- 
der deutschen  Vergangenheit.  Aus  gestalten,  darunter  der  Tetrauaorph. 
dem  Jahrhundert  der  Reformation,  welcher  die  vier  Evangelisten  dar- 
Abschnitt  11:  Der  deutsche  Teufel  stellt  uud  ein  aus  Mensch,  Ocl^ 
im  16.  Jahrhundert.  Adler  und  Löwe  gebildetes  vierte; 

Tiara    heisst  die  krouenartige  biges  und  vierköpfiges  Ungeheuer 

Kopfbedeckung  des  Papstes.    Au-  ist.    Die  Plastiker  des  11.  Jahrhun- 

fiinglich  warsieglatt,  ohne  Kronrand,  derts  brachten  diese  symbolischem 

dann  gestreift  mit  einem  Stirnreif  Tiere,  zu  deren  Gebrauch  und  h» 

versehen,  hoch,  kegelförmig.    Boni-  wähl  auch  der  Phi/siuhgu*  mitwirkte 

facius  VIII.  (1294  —  1303)  gab  dem  in  die  kirchliche  Ornamentik;  w 

Stirnreif  die   Gestalt   eines  Krön-  nächst  ^ab  mau  kirchlichen  GerÄM: 

reifes  und  setzte  einen  zweiten  über  in  Messing  und  Email,  den  Mes> 

denselben,  ungefähr  in  die  Mitte  kanuen,  Salbflasehen,  Weihrauch 

des  Kegels.    Urban  V.  (1362  — 1370)  büchsen,   die   Form   von  (»reifen 

fügte  den  dritten  hinzu,  und  so  ent-  Sträussen,   Kranichen,  Delphinen 

stand     die    sogenannte    dreifache  während    das    Ciborium    die  alt* 

Krone.    Sie  trägt  auf  der  spitze  Form  der  Taube   beibehielt;  die 

den  Reichsapfel  und  das  Kreuz,  zu  Weihwasserkessel    erhielteu  zw»»; 

beiden  Seiten  je  ein  Band.  sich    begegnende    Drachen  zuo. 

Tierbilder  in  symbolischer  Be-  Henkel,  ähnliche  Gestalten  bekaniec 


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Tierfabel. 


075 


die  Leuchter  für  ihr  Untergestell. 
Dann  kamen  die  gleichen  Figuren 
in  die  monumentale  Dekoration  des 
Kirchenbaus;  anfangs  auf  die  Aus- 
schmückung der  Säulenkapitäle  des 
Innern  beschränkt,  verbreiteten  sie 
sich  im  12.  Jahrhundert  auch  über 
alle  Facadeuteile  der  romanischen 
Kirche,  und  zwar  in  der  ernsten 
Absicht,  damit  das  Böse  nnd  seine 
unseligen  Folgen  so  abschreckend 
als  möglich  abzubilden;  auch  sind 
die  Darstellungen  anfangs  noch 
streng  und  der  kirchlichen  Tradi- 
tion getreu  gehalten;  im  13.  und 
14.  Jahi  hundert,  als  weltliche  Bau- 
meister und  Steinmetzen  auftraten, 
Hess  man  dagegen  der  persönlichen 
Laune  und  Satire  die  Zügel  schiessen, 
und  brachte  die  freiesten,  mutwillig- 
sten Schöpfungen  auf.  Es  gibt 
auch  Tierdarstellungen,  welche 
direkt  dem  deutscheu  Tierepos  ent- 
nommen sind.  Abgesehen  von  der 
häufigen  Abbildung  des  Wolfes  und 
Fuchses,  findet  man  an  den  Pfeiler- 
friesen  der  Krypta  des  Basler 
Münsters  den  ganzen  Inhalt  von 
Isengrims  Not  (Tiersage  Nr.  5). 
namentlich  die  Krankheit  und  Hei- 
lung des  Königs  Löwe  abgebildet; 
ähnliches  auf  einem  Teppich  zu 
Lübeck,  der  einst  als  Altardecke 
diente.  Ott*,  Irirehl.  Archäologie, 
S.  875  ff.  —  Wackernaget^kl.ücliriften, 
II,  309  ff.  R  Kolloff,  die  sagen- 
hafte und  symbolische  Tiergeschichte 
des  Mittelalters,  in  Raumers  hist. 
Taschenbuch.  Vierte  Folge,  Jahrg.  8, 
S.  179-269. 

Tierfabel.  Die  Tierfabel,  welche 
im  Kleide  einer  scheinbar  der  Tier- 
welt entnommenen  Szene  eine  für 
die  Menschen  weit  berechnete  Lehre, 
eiue  Erfahrung  oder  Warnung  ent- 
hält, stammt  aus  dem  Orient;  bei 
den  Indiern  ist  sie  vertreten  durch 
die  Pantschatantra  und  die  aus 
dieser  Sammlung  hervorgegangenen 
Bearbeitungen  aifapadeta  unof  Bid- 
pai.  bei  den  Griechen  durch  Äsop 
und  bei  den   Römern  namentlich 


durch  Hiaedrus.  Das  Mittelalter 
überkam  die  Fabeln  des  Altertums 
vornehmlich  aus  einer  prosaischen 
Fabelsammluug  eines  gewissen  Ro- 
main*, der  auf  Asop  beruht;  es 
gibt  aber  daueben  noch  einige 
andere,  teils  in  Prosa,  teils  in  Versen 
verfasste  Fabelsammlungen  des 
Mittelalters.  Mit  ihnen  mischten 
sich  orientalische  Tierfabeln,  die 
man  aus  den  Novellenbüchern  kennen 
lernte,  aus  der  Disciplina  clericalis, 
den  desta  Romanorum,  den  sieben 
weisen  Meistern  (vgl.  den  Artikel 
Novellen).  Die  deutsche  Litteratur 
zeigt  für  diese  Dichtnngsart  erst 
Geschmack,  nachdem  gegen  die 
Mitte  des  13.  Jahrhunderts  die 
Blüte  der  höfischen  Dichtung 
vorbei  war  und  die  frei  schaffende 
Phantasie  die  Leitung  der  Poesie 
an  den  Verstand  abgegeben  hatte. 
Der  älteste  Fabeldichter  ist  der 
Stricker;  ihm  folgt  mit  einer  Edel- 
stein genannten,  um  1330  gedichte- 
ten Sammlung  von  100  Fabeln  der 
Berner  Predigermönch  Ulrich  Boner, 
es  ist  das  erste  in  deutscher  Spruche 
gedruckte  Buch;  Bamberg  1461; 
dann  Heinrich  von  Mikjlin,  der  seine 
Fabeln  in  lyrischer  Strophenform 
dichtete,  während  die  übrigen  Fabel- 
dichter das  gewohnte  Reimpaar  an- 
wendeten; auch  in  den  Renner  des 
Hugo  von  Trimberg  sind  vielfach 
Fabeln  eingeschoben.  Der  ahd. 
Name  für  diese  lehrhaften,  ohne 
Zweifel  von  den  Tierepen  beein- 
flussten  Tierfabeln,  denen  meist  die 
Lehre  gesondert  beigefugt  ist,  ist 
bitoel,  zu  ahd.  und  mhd.  das  spei 
=  Rede,  Erzählung,  Sage,  woraus 
erst  nhd.  Beispiel  wurde.  Erst  im 
15.  Jahrhundert  kehrte  man  zu  der 
ursprünglichen  Form  der  Fabel  zu- 
rück, zur  Prosa,  und  zwar  über- 
setzte der  Ulmer  Arzt  Heinrich 
Steinhowel  sowohl  die  Fabeln  des 
Äsop  als  den  indischen  Bidpai,  den 
letztem  unter  dem  Titel  Buch  der 
Beispiele  der  alten  Weisen,  und  zwar 
aus  einer  lateinischen  Bearbeitung, 


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Tierkunde. 


welche  im  IS.  Jahrhundert  Johann  Sinne  Geist  des  Mittelalters  „M,.—, 
von  Capua  unter  dem  Titel  direc-  die  den  Grundlagen  des  natür- 
torium  numanae  vitae  verfasst  hatte,  liehen  Lebens  abgewendete,  dem 

seinen  Wundem 
zugewandte,  phantastisch-romaui- 
tisi  he  Weltanschauung,  so  hat  diese 
für  die  Gegenstände  der  Natur  über- 
haupt wie  insbesondere  für  die  Tier- 
welt nur  sehr  wenig  Verständnis, 
und  soweit  sie  sich  der  Tierwelt 
nicht  ganz  entschlägt,  zieht  sie  die- 
selbe mit  Vorliebe  in  den  Diener 
ihrer  metaphysisch-symbolischen 
Ideen  von  Himmel  und  Hölle,  Christus 
und  Maria,  Tugenden  und  Laster 
u.  dgl.,  dergestalt,  dass  die  Zoologie 
des  Mittelalters  wenig  anders  als 
ein  Stück  Theologie  scheint.  Vor- 
gearbeit  hatte  aber  in  dieser  Be- 
trachtungsweise schon  die  alte  Welt. 


SteinhöweFs  Äsop  erschien  vor  1480,  Christentum  und 
das  Buch  der  Beispiele  1483.  Beide 
Bücher  bewiesen  durch  die  zahl- 
reichen Neudrucke,  die  sie  durch 
mehr  als  ein  Jahrhundert  hindurch 
erlebten,  wie  sehr  jetzt  die  Zeit  der 
Fabel  geneigt  war.  Durch  die  Vor- 
liebe und  Empfehlung  Luther  s,  der 
selber  äsopische  Fabeln  übersetzte 
und  veröffentlichte,  gewann  die 
Gattung  noch  mehr  Einfluss,  so  dass 
nun  im  16.  Jahrhundert  die  Zahl 
der  gereimten  und  ungereimten, 
kurzen  und  ausführlichen  Fabel- 
sammlungen sehr  gross  wird.  So 
schrieb  Sel>astian  Hrant  Fabeln  in 
Prosa,  Han*  Sachs  als  Meisterge- 
sänge und  in  Spruchfonn.  Weit 
verbreitet  waren  die  Fabeln  des 
Kraxmus  Allem*,  gest.  1558,  der 
auch  geistliche  Lieder  dichtete;  ihr 


welche,  die  exaktere  Beobachtungs- 
Methode  des  Aristoteles  vc 


ihre  Kenntnis  und  Teilnahme  an 
der  Tierwelt  vielfach  mit  wildem 


Name  ist  „das  Buch  von  der  Tugend  Aberglauben  verquickte;  Zeugnisse 
und  Weisheit";  ebenso  der  „Esojms,  davon    sind    Plinius    und  Alisn. 


ganz  neu  gemacht  und  in  Reimen  deren  Nachrichten  zum  Teil  in 
irerfasst  mit  sampt  hundert  neuer  Encyklopädie   des   Isidor  überge- 


Fabeln"  von  Burkhard f  Waldi*\  J  gangen  and.  Das  Hauptwerk  aber 
noch 

Ha  tt  mann 


"  ~  —   •  ■     — .........     f^nu^y  u    oiuu,       i/no  iiauuinvin  - 

andere  Sammlungen  haben  der  Tierkunde  des  früheren  Mittel- 
ann  Schober,  Nathan  Ch  i/,  i  aiter8   \9t   der  Fhysioloffns,  dessen 


Hu/drich 


ausserordentliche  Verbreitung 


tr<his,  Daniel  Jtoirzmann 

Wotnemut  veranstaltet.     Mit  dem  daraus  erhellt,  dass  man  ihn,  pro- 

Aufleben     des    Opitzischen    Ge-  saisch  oder  metrisch,  in  griechischer, 

schmackes  verschwindet  die  Fabel  lateinischer,  syrischer,  armenischer, 

für  längere  Zeit  fast  ganz  aus  dem  arabischer,    äthiopischer,  althoch 

Gesichtakreise  der  deutschen  Litte-  deutscher,  angelsächsischer,  alteng- 

ratur,  und  erst  im  18.  Jahrhundert  lischer,  irländischer,  provencalischer 

erhielt  sie  durch  den  Vorgang  La  und  altfranzösischer Sprache  erhalten 

Fontaine*'  und  durch  das  Gewicht,  findet.     Dieses    Lehrbüchlein  der 

das  die  Zürcher  Kritiker  Bodmer  mittelalterlichen  Welt  scheint  in  den 

und  Breitinger  auf  diese  Gattung  ersten  Jahrhunderten  der  christlichen 


Zeitrechnung  von  Lehrern  onenta- 
lisch-alexanarinischer  Christenge- 
meinden verfasst  worden  zu 


legten,  erneuerte  Teilnahme. 

Tierkunde  des  Miftefatfer*.  Dass 
dem  natürlichen  Auge  des  Mittel- 
alters Tierbeobachtung  nicht  fremd  Die  Tiere,  welche  darin  zurBeschrei- 
war,  beweist  die  Verbreitung  und  bung  kamen,  waren  die  hihlisehen, 
liebevolle  Bearbeitung  der  Tiersage;  den  narurhistorischen  Gehalt  boten 
doch  wurzelt  diese  mehr  in  den  die  heidnischen  Tierfabeln  und  Tier- 
volksmiissig-natürlichen  Anlagen  des  geschichten,  Zweck  des  Buches  war 
mit  der  Natur  zusammenlebenden  schliesslich  symbolische  Anwendung 
Menschen;    was   man    im    engern  der  Tierwelt  auf  die  christliche  Lehre. 


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Tierkunde. 


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Erst  mit  der  Zeit  erhielt  die  Samm- 
lang eine  kanonisch  fixierte  Gestalt, 
an  welcher  dann  nur  noch,  durch 
Ort  und  Zeit  veranlasst,  Äusserlich- 1 
keiten  geändert  wurden.  Anfangs 
war  die  Kirche  dem  Physiologus 
nicht  günstig,  seit  Gregor  d.  Tir. 
galt  er  aber  als  anerkanntes  Lehr- 
buch der  christlichen  Zoologie;  seine 
Bedeutung  erlischt  erst  im  14.  Jahr- 
hundert.   Viele  Handschriften  des 
Physiologus  oder  Besliarius,  wie  er 
auch  heisst,  waren  illustriert.  Die 
hauptsächlichsten  Tiere  des  Physio- 
logus sind  der  Ixuce ,  der  Panther 
otier  Pardel,  ein  Tier,  das  nie  seines- 
gleichen auf  der  Welt  hatte,  — 
sanftmütig  und  wundersam,  das  Fell 
rot,  blau,  gelb,  grün,  schwarz  und 
grau  gefleckt,  aus  seinem  Munde 
strömt  ein  Geruch,  lieblicher  als 
ein  ganzes  Blumenbeet  oder  Speze- 1 
reigewölbe,  so  dass  die  Tiere  von 
allen  Seiten  seiner  Färte  folgen;  er1 
ist  das  Sinnbild  Christi  Der  Elefant 
ist  das  grösste  Tier  der  Welt,  hat 
viel  Verstand  und  wenig  Geschlechts- 
trieb.   Er  schläft  stehend,  an  einen 
Baum  gelehnt ;  Jäger,  die  ihn  fangen  : 
wollen,  suchen  die  Stellen  und  Bäume 
auszukundschaften,  wo  er  schläft,  | 
nachher  sägen   sie  den  Baum  bis 
auf  ein  dünne*  Ende  durch,  und 
wenn  der  Elefant  sich  daran  lehnt, 
so  fällt  er  mit  dem  Baume  um  und 
schreit  erbärmlich.    Das  Horn  des 
Einhorn*  (der  Stosszahn   des  Nar- 
wal  galt  dafür)  bewahrt  den  Be- 
sitzer vor  Vergiftung;  Probierlöffel- 
ehen daraus  dienen,   mit  silbernen 
Kettchen  angelötet,  namentlich  an 
Salzfässern  und  Trinkbechern,  um 
bei  Tafel  vor  heimtückischen  An- 
schlägen zu  sichern.    Das  Einhorn 
selbst  ist  Symbol  der  unbefleckten 
Empfängnis.    Seine  Gestalt  dachte 
man  sich  anfangs  als  ein  Ziegen- 
lamm,  später  als  Rhinozeros  oder 
Schimmel.  Das  Antholops  oder  Ap- 
tolops,  Aptolos,  Antula  ist  ein  wildes 
Hcbnellfüssiges Thier  mit  zwei  langen 
Hornern,  scharf  wie  eine  Messer- 
Reallexiron  der  deutschen  Altertümer. 


klinge  und  zackig  wie  eine  Säge, 
so  dass  es  damit  che  dicksten  Bäume 
zerschneiden  oder  umsägen  kann; 
diese  Horner  .sind  die  beiden  Testa- 
mente. Der  Waldesel  oder  Wildesel. 
bei  weichem  Nebukadnezar  wohnte, 
lebt  in  Afrika  und  schreit  nur,  wenn 
er  nichts  mehr  zu  fressen  hat.  .Jedes 
Jahr  am  25.  März  brüllt  er  zwölf 
Mal  in  der  Nacht  und  ebenso  oft 
am  Tage;  daraus  erkennt  man,  dass 
die  Nächte  ebenso  lang  sind  als  die 
Tage.  Der  Wolf  ist  stark  an  den 
Füssen,  aber  schwach  in  den  Rippen 
und  so  geartet,  dass  er  den  Kopf 
nicht  nach  hinten  hinwendeu  kann ; 
wenn  er  hinter  sich  sehen  will,  muss 
er  sich  deshalb  mit  dem  ganzen 
Leibe  umdrehen.  Die  Wölfin  wirft 
im  Monat  Mai  Junge,  und  nur,  wenn 
es  donnert.  Von  den  zahlreichen 
Kniffen  des  Fuchses  steht  im  Physio- 
logus bloss  die  Geschichte,  wie  er 
sich  scheinbar  tot  mit  dem  Rücken 
auf  die  Erde  legt,  in  der  Absicht, 
unbesonnene  Vogel  als.  Aas  anzu- 
locken und  sie  nachher  zu  töten. 
Es  folgen  dann  der  Bock-,  der  Biber, 
der  Igel,  das  Wiesel,  der  Hudriut 
oder  ldrisj  eigentlich  das  Ichneu- 
mon, der  Adler-,  wenn  er  altert,  so 
erlahmt  die  Kraft  seiner  Flügel  und 
trübt  sich  die  Hellsichtigkeit  seiner 
Augen;  dann  fliegt  er  zur  Sonne 
auf,  wärmt  sich  an  ihren  Strahlen, 
senkt  sich  nieder  und  taucht  drei- 
mal in  einen  Brunnen,  woraus  er 
völligyerjüngt  hervorgeht  ;  der  Geier  -, 
der  nahe;  uer  Straus*;  der  Sforch ; 
der  Falk'  (Reiher);  der  Kranich-,  der 
Ibis -t  der  Hahn;  der  Kalander,  nach 
der  deutsch-mittelalterlichen  An- 
schauung der  Lewark,  die  grosse 
Haubenlerche;  er  ist  ein  ganz  weiss 
und  ein  äusserst  kluger  Vogel,  dessen 
zu-  oder  abgewandter  Blick  über 
Leben  und  Tod  entscheidet.  Er  hat 
nämlich  die  Art,  wenn  man  ihn  zu 
einem  siechen  Menschen  bringt, 
so  deutet  er  an,  ob  der  Mensch 
sterben  oder  genesen  soll.  Ver- 
schmäht er  des   Kranken  Antlitz 

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Tierkunde 


und  wendet  seine  Augen  von  ihm 
ab,  so  stirbt  der  Kranke;  kehrt  er 
sich  aber  zu  dem  Kranken  hin  und 
legt  seinen  Schnabel  auf  dessen 
Aiund,  so  genest  der  Kranke,  denn 
der  Vogel  nimmt  sein  Siechthum 


Gestirne.  Thomas  hat  ausser  dem 
Aristoteles  die  ganze  dieser  Zeit  zu- 
gängliche zoologische  Litteratur  be 
nutzt;  ausser  den  Alten,  wie  Theo- 
phrast  und  Plinius,  die  Kirchen- 
väter,   den    Isidor,  verschiedene 


an  sich,  fliegt  damit  hoch  in  die  mittelalterliche  Schriftsteller,  anch 


Luft  hinauf  und  verbrennt  es  an 
den  Sonnenstrahlen.  Der  Kalander, 
auch  dalmnder,  CalandriuSj  Cara- 
drius  genannt,  ist  ein  Sinnbild  Christi. 
Die  kule;  das  Rehhuhn  ;  die  Drachen 
und  deren  Abart,  die  Serra ;  die 
Sch/a/uje;  die  Otter;  die  Viper. 

In  der  höfischen  Dichtung  findet 
man  den  Einfluss  des  Physiologus 


den  Physiologus  und  ähnliche  selte- 
nere Lehrbücher,  nnd  wenn  er  natür- 
lich weder  von  der  moralisierenden 
Methode  noch  vom  Wunderglauben 
frei  ist,  so  bezeichnet  seine  Anschau- 
ung zufolge  ihrer  grösseren  Otyek- 
tivität  doch  einen  wesentlichen  Fort- 
schritt. Sein  Lehrer  ist  Alhrrt^ 
Afagnus,  gest  1280;  dessen  Werk 


namentlich  in  demjenigen  Abschnitt  über  die  Tiere  ist  aber  später  als 
von  Freidank*  Bescheidenheit,  der  dasjenige  des  Thomas  geschrieben. 
von  tieren  überschrieben  ist.  um  1250;  es  enthält  ausser  den  19 

Eine  Erneuerung   seiner  Tier- 1  Büchern  des  Aristoteles  noch  sieben 
künde  erlebte  das  Mittelalter  erst  weitere,  in  welchen  von  der  Natur 
dadurch,  dass  im  13.  Jahrhundert  der    tierischen  Körper,    von  dm 
durch  Vermittlung  der  Araber  die  Vollkommenheitsgranen,  den 
zoologischen  Schriften  des  Aristoteles  füssigen  Tieren,  Vögeln,  W 
im   Abendlande  bekannt  und  ins  tieren,  Schlangen  und  den  klein** 
Lateinische  übersetzt  wurden;  die  blutlosen  Tieren    gehandelt  \rini: 
beiden    Ubersetzer    sind    Michael  j  Albert  hat  das  Werk  seines  YV- 
Scofus,    wie    erzahlt   wird,   durch  gängers   und  Schülers  fleissig  ni 
Kaiser  Friedrich  IL,  den  Verfasser  Rate  gezogen,  zeichnet  sich  aber 
des  Buches  über  die  Falkenjagd,  ihm  gegenüber  durch  eine  planvolle 
dazu  aufgefordert,  und  Wilhelm  von  systematische  Durcharbeitung  der 
Moerbeke.  Unter  Benutzung  des  Ari-  Aristotelischen  Naturphilosophie  au>- 
stoteles  stellten   sieb   darauf  drei  Der  dritte  Dominikaner  ist  der  be 
Dominikaner    in    der    Mitte    des  kannte     Yincentius  Belkwcr**'- 
13.  Jahrhunderts  die  Aufgabe,  das  dessen  Speculum  quadruptei  isn-br 
gesamte    zoologische    Wissen    der ;  Geschichtschreibnng»    auch  einen 
Zeit  in  umfassender  Form  zur  Dar-  specuJum  naturale  enthält.    Er  hax 
Stellung  zubringen;  und  zwar  schrieb  noch  mehr  Schriftsteller  als  sen* 
Thomas  von   Cantimpre  (1201   bis  beiden  Vorgänger  ausfrezotren.  aurfu 


1263) 


471 


wie  Albert,  den  Thomas  stark  be- 
nutzt;   sonst    ist    ihm  Albert 
Sicherheit  und  Konsequenz  der 
sichten    überleben.  f>er 


m  20  Büchern  de  na  tu  vi* 
rerum;  Buch  1  beginnt  mit  der 
menschlichen  Anatomie,  2  handelt 
von  der  Seele,  3  von  den  monströsen 

Menschen  des  Orients,  4  —  9  von  den  kaner-  Orden  nimmt  an  diesen 
Tieren.   10 — 12  von  den  Bäumen  logischen  Arbeiten  durch  ein 
und    Kräutern,    13  —  20    von   den  des  Bartholomaus  AhqUchs  de 
Quellen,  Edelsteinen,  vielen  Metallen,  prietatihus  rerum  Anteil,  das 
sieben  Gegenden  und  humores  der' 
Luft,  dem  Himmelsgewölbe  und  den 
sieben  Planeten,  dem  Donner  und 
ähnlichen  Erscheinungen,  den  vier 
Elementen  und  der  Bewegung  der 


reru  m 
Jahrhundert 


neu 


ins  Ii, 
wurde. 

Mit  den  genannten  Werken 
vorläufig  ein  Stillstand  iu  drr 
logischen    Forschung    ein:  doch 


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Tiersage. 


979 


wurden  von  Bedeutung  zwei  im  Zoologie,  München  1872;  JE  Kolloff. 
1 4.  Jahrhundert  entstandene  Bear-  die  sagenhafte   symbolische  Tier- 


Megenbery ,  herausgegeben  von  Tierpflege  an  den  deutschen  Höfen, 
Franz  Pfeiffer,  Stuttgart  1861,  und  in  Raumers  Taschenb.  I.  1830  und 
eine  verifizierte  niederländische,  der  VI,  1835.  —  Piper,  die  Herrschaft 
„Xatnren  hloeme11  von  Jakol)  von  des  Menschen  über  die  Tiere. 
Maerlant.  Konrad  von  Megenberg  Evangel.  Kalender  1860.  IS.  28  —  38. 
war  ebenfalls  Dominikaner,  um  1309  Tiersage.  Kein  anderes  Volk 
in  Bayern  geboren,  starb  1374  als  hat  eine  so  ausgebildete  Tiersage 
Domherr  zu  Regensburg:  sein  Buch  j  entwickelt,  wie  das  deutsche,  und 
der  Natur  war  »ehr  verbreitet  und  in  ihm  besonders  der  Stamm  der 
wurde  bloss  vor  1500  sechsmal  ge-  Franken;  ja  im  Mittelalter  tritt 
druckt.  Jakob  von  Maerlant  starb  das  Tierepos  in  einer  reichen  Fülle 
1300  als  Stadtschreiber  in  West- i  von  Dichtungen  fast  in  Konkurrenz 
flandern.  zum    Heldenepos.     Während  nun 

Die  Anfange  der  neuern,  auf  die  Jakob  Grimm  in  seinem  Werke 
Beobachtung  der  Natur  selbst  ge-  i  Reinhart  Fuchs,  Berlin  1834,  diese 
gründeten  Natur  und  Tierkunde  Dichtung  als  ein  urwüchsiges  Pro- 
sucht man  in  Italien;  schon  an  dukt  des  germanischen  Lebens  und 
Dante  bewundert  man  die  reiche  Gemütes  anschaute,  haben  in  neuerer 
Fülle  von  Naturbetrachtung:  Tier-  Zeit  andere  Forscher  das  Tierepos 
gärten  waren  in  Italien  früh  Sitte  aus    der    äsopischen    Fabel  vom 

feworden ;  schon  Kaiser  Friedrich  II.  kranken  Löwen  herleiten  wollen, 
atte  sich  einen  angelegt,  im  15.  Jahr- 1  der  auf  den  Rat  eines  Fuchses 
hundert  gehörten  sie  zum  regel- 1  durch  einen  frischen  Wolfsbalg  ge- 
mässigen  Luxus  der  Fürsten  und  heilt  wird;  diese  Fabel,  sagen  sie, 
Städte.  Doch  war  das  Hauptinteresse  sei  aus  Indien  nach  Griechenland, 
des  Humanismus  sowohl  als  der  un-  von  da  nach  Italien  und  von  da 
mittelbar  folgenden  Zeiten  immer  spätestens  im  achten  Jahrhundert 
nur  in  bescheidenem  Masse  der  nach  Deutschland  gekommen.  Um 
Tierwelt  zugewendet.  Die  Samm-  940  sei  sie  einem  kleinen  von  einem 
hingen  naturwissenschaftlicher  Ge- 1  Mönche  in  Toni  verfassten  lateini- 
genstände  blieben  noch  lange  Rari-  ]  sehen  Epos  eingefügt  worden,  wel- 
täten  -  Kabinete;  im  Mittelalter1  ches  parabolisch  in  der  Form  einer 
freilich  waren  sie  den  Reliquien-  Tiergeschichte  die  Flucht  eines 
Sammlungen  in  den  Kirehen  ange-  Mönches  aus  seinem  Kloster  er- 
hängt worden.    Manches  trugen  die  zählte;    worauf  später  die  Fabel 


durch  viel  andere  erweitert  und  zu 
wahren  Epen  aufgeschwellt  worden 


Entdeckung  des  neuen  Weltteils  und 
Reisen  nach  andern  Ländern  zur 

Erforschung  der  Naturbeobachtung  sei.     Keller  in  f^leckeiseus  Jahr- 
bei,  und  der  freiere  Forsehungsgei^t,  büchem,  Suppl.  Bd.  IV.  —  MüJlen- 
der  überhaupt  seit  dem  15.  Jahr-  hoff'xw Haupts Zeitschr.  f.  d.A.X VIII. 
hundert  erwacht  war,  brachte  es 
mit  sich,  dass  auch  die  Tierkunde 


S.  1  -  9. "  Dieser 
vieles  entgegen, 


Ansicht  steht 
die  deutschen 


namentlich  durch  ein  klassisches  i  Namen  der  Tierhelden,  das  ur- 
Werk der  Reformationszeif  wesent-  sprüngliche  Königtum  des  Bären, 
liehe  Erneuerung  erfuhr,  durch  die  auffallend  starke  Neigung  des 
Konrad  Getaner*  ftixtoria  animalium  germanischen  Stammes  zur  Mitem- 
155'.    J.  V.  Caru*.  Geschichte  der  pfindung  und  Befrachtung  des  Tier- 

62* 


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980  Tiersage. 


lebcns,  die  sich,  abgesehen  vom  der  Fuchs.  Der  Wolf  heisst  Isen- 
eigentlichen  Tierepos,  auch  in  zahl-  gritn  =  Eisenhelm  (altnordisch  qrima 
reichen  Volksliedern,  Tiermärchen,  ==  Maske,  Helm),  der  Fuchs  tieujin- 
Kinderliedern  u.  dgl.  abspiegelt,  hart,  Reinkart,  d.  h.  Ratstark ,  der 
Auf  dieser  Ansicht  fusst  gegen-  eich  und  andern  immer  Rat  weiss; 
wärtige  Zusammenstellung,  die  sich  beide»  sind  auch  menschliche  Nameu 
auf  die  Abhandlung  W.  Wackernagels  Ursprünglich  ist  der  Wolf,  obschon 
stützt:  Von  der  Tiersage  und  den  er  immer  durch  den  Fuchs  zu 
Dichtungen  aus  der  Tiersage.  Klei-  Schaden  kommt,  doch  als  der  hehlen 
nere  Schriften,  II,  234—326.  haftere  gedacht  und  nimmt  die  be 

Der  Mensch  der  Vorzeit  sah  in  vorzugtere  Stellung  ein,  während 
den  Tieren  ein  halb  Übermensch- ,  der  Fuchs  erst  neben  und  nach  ihm 
liches  Wesen  und  einen  Stand  näher  steht.  Über  Wolf  und  Fuchs  stand 
den  Göttern  selbst;  das  zeigt  das  !  als  König  einst  der  Bär,  Brun ;  statt 
hohe  Lebensalter,  das  man  einzelnen  seiner  ist  erst  später  aus  der  äsoni- 
Tieren  znschrieb,  dann  die  Rätsel-  sehen  Fabel  der  Löwe  eingcfünrt 
haftigkeit  ihres  Todes,  sobald  sie  worden.  Seinen  Eigenschaften  nach 
von  selbst  ungewaltsam  sterben,  der  ist  der  Wolf  alt,  grau,  greis,  alter 
Aufenthalt  der  Vögel  hoch  in  freier  Gevatter.  Oheim,  stark, ungeschlacht 
Luft,  die  Art  der  Sprache,  die  dem  dick,  plump,  beschränkt,  gierig,  gt 
Menschen  nur  unter  besondern  Um-  frässig,  unersättlich,  frech,  schamlos, 
ständen  verständlich  wird,  derGlaube,  stolz,  neidisch,  grausam,  wütig, 
dass  eine  übernatürliche  Kraft  Men-  Räuber,  Mörder,  ungetreu,  alter  ver 
sehen  in  Ticrgestalt  verzaubere,  und  stockter  Bösewicht,  Teufel,  Habnni. 
die  Annahme  einer  Seelenwanderung,  angeführt,  besiegt;  der  Fuchs  da- 
die  auch  dem  Germanen  nicht  fremd  gegen  rot,  frisch,  jung,  junger  Ge- 
war,  sodann  die  Angehörigkeit  ein-  vatter,  Neffe,  schlank,  glatt,  sch warb, 
zeluer  Tiere  an  einzelne  Gottheiten,  fein,  schlau,  durchtrieben,  listig, 
ihre  Bedeutung  für  Weissagung,  die  ränkevoll ,  Schleicher.  Schmeichler, 
Anwendung  von  Namen  edier  Tiere,  Schalk,  Betrüger,  Dieb,  böse,  bos- 
wie  des  Adlers,  Raben,  Wolfs,  Bären,  haft,  treulos,  gottlos,  teuflisch,  lecker, 
als  Menschennamen  (siehe  den  Art.  geil,  Taugenichts,  Ehebrecher,  ver 
Personennamen).  schlagen,  vorsichtig,  erfahren,  be- 

Wie  nun  das  Götterepos  und  das  redt,  Ratgeber,  Meister  und  Sieger 
Heldenepos  die  Götter  und  Helden  Die  übrigen  Tiere  haben  für  di* 
in  epische  Handlung  bringt,  so  das  Sage  nur  untergeordnete  Bedeu- 
Tierepos  seine  Tiere.    Und  zwar  tung. 

sind  es  bloss  die  Tiere  des  Waldes,  Die  Mut  irr  der  Handlung  ent- 
die  sich  der  Herrschaft  uud  Ver-  sprechen  dem  niedrig  tierischen 
traulichkeit  des  Menschen  entziehen,  Charakter  der  Helden  und  streifen 
nicht  die  zahmen  Haustiere:  diese  daher  ans  Komisehe;  namentlich  der 
gehören  als  Begleiter  des  Menschen  Fuchs  ist  ein  arges  Tier,  da  er 
um  Meuschenepos.  Zum  Ticrhelden  nicht  einmal  das  heilige  Band  der 
aber  wurde  die  Tiergattimg  dadurch,  (Jevatterschaft,  ja  der  näheren  Sipp- 
dass  man  die  letztere  als  Einzel-  schaft  (er  ist  einmal  lseugrims 
wesen  anschaute,  das,  wie  der  Neffe)  scheut.  „Die  Tiersage  schliefst 
Mensch  seinen  persönlichen  Eigen-  in  sich  den  Gegensatz  eines  Starken, 
namen  trägt  uud  iu  seinen  Hand-  dem  seine  Thorheit  alles  Handeln 
lungen  lokalisiert,  an  einen  heimat-  iu  Leiden  verkehrt,  und  eines 
liehen  Wohnort  gebunden  ist.  Schwachen,  der  durch  Klugheit  alle* 

Träger  oder  Helden  der  'Hersage  Leiden  in  ein  Handeln  wendet  zum 
sind  in  erster  Linie  der  Wolf  und  eigenen  Vorteil  und  zum  Schaden 


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Tiersage. 


981 


und  bis  zum  Untergang  des  ihn  be- 
drohenden Starken." 

Die  Heimai  der 
sage  ist  Franken, 
die    Niederlande , 
Frankreich  und 
Deutschland,  und  < 
das»  gerade  dieser 


deutschen  Tier- 
im  besonderen 
das  nördliche 
das  westliche 
is  ist  möglich, 
Stamm  seine 


besondere  in  der  merovingischen 
Zeit  noch  sehr  rauhe  Eigenart  in 
den  Eigenschaften  des  Wolfes  und 
Fuchses  wieder  erkannte.  Auch 
zeichnete  sich  Pallien  schon  im 
frühesten  Mittelalter  durch  seine 
Vorliebe  für  die  Tierfahel  aus, 
deren  Eintiusa  auf  die  Tier/tage 
schon  die  Verdrängung  des  Bären 
durch  den  Löwen  zeigt.  Wiiklich 
gehören  auch  die  ältesten  von  frän- 
kischen Schriftstellern  aufgeschrie- 
benen Tiergedichte  mehr  der  Fabel 
als  der  Sage  an.  Die  bedeutenderen 
Dichtungen  der  eigentlichen  Tier- 
sage sind  folgende: 

1.  Die  Meiosis,  aus  dem  10. 
oder  11.  Jahrhundert,  lateinisch  in 
Versen  abgefasst;  das  Gedicht  er- 
zählt die  Flucht  eines  Kalbes  von 
seiner  Herde;  es  gerät  in  die  Ge- 
walt des  Wolfes  und  wird  von  die- 
sem in  seine  Burg  geschleppt.  Diese 
wird  hierauf  im  Auftrage  des  Königs 
Löwe  und  unter  Anführung  des 
Fuchse«  durch  die  übrigen  Tier«' 
belagert  und  erstiegen  und  der 
Wolf  getötet.  Ausgabe  von  E.  Voigt, 
Ecb.,  das  älteste  Tierepos  des  Mittel- 
alters. Strassburg,  1875.  Vgl.  Eben- 
ders.  Kleinere  lateinische  Denkmäler 
der  Tiersage  aus  dem  12.  bis  14. 
Jahrhundert.  Strassburg  1878. 

2.  Isengrimus,  lateinisches  Ge- 
dicht des  11.  oder  12.  Jahrhunderts. 
Eis  erzählt  zuerst  die  Heilung  des 
kranken  Löwen  durch  Umlegen 
des  Felles,  das  auf  Reinharts  Rat 

gezogen  worden  ist, 
Ereignis  aus  früherer 
Wolfes,  das  der 
verschiedene  Tiere 
nämlich,  darunter  Renardus,  machen 
eine  Pilgerfahrt;   da  sie  in  einer 


dem  Wolfe  ab* 
und  sodann  ein 
Lebenszeit  des 
Fuchs  erzählt: 


Waldherberge  rasten,  schleicht  Isen- 
grimus in  räuberischer,  mörderischer 
Absicht  herzu,  wird  aber  durch 
listige  Vorkehrungen  des  Fuchses 
abgeschreckt. 

3.  Reinardus,  lateinisches  Ge- 
dicht des  12.  Jahrhunderts,  viel 
umfangreicher  als  die  bisher  ge- 
nannten Gedichte,  über  6000  Zei- 
len stark;  zugleich  das  erste  Gedicht 
der  Tiersag«',  dessen  Dichter  „3t- 
rardn/t",  ein  im  übrigen  unbekannter 
Mann,  sich  genannt  hat.  Das  Ge- 
dicht hat  den  Inhalt  des  Isengrimus 
zum  Teil  wörtlich  in  sich  aufge- 
nommen und  zahlreiche  andere  Tier- 
abenteuer dazu  verbunden ;  im  gan- 
zen sind  es  dieser  zwölf. 

Mit  Ausnahme  des  Isengrimus 
sind  schon  diese  Dichtungen  stark 
mit  Satire  durchzogen,  und  zwar 
ist  diese  teils  persönlich,  bezieht 
sich  auf  ganz  bestimmte  Zeitge- 
nossen und  Verhältnisse,  auf  be- 
kannte und  genannte  Bischöfe  und 
Abte,  teils  bezieht  sie  sich  auf  den 
in  dieser  Periode  ausgebrochenen 
Kampf  zwischen  Kaisertum  und 
Papsttum,  so  zwar,  dass  die  Ver- 
fasser, obwohl  selber  Geistliche, 
alle  auf  Seite  des  Reiches  gegen 
die  Kirche  stehen,  und  obwohl  sel- 
ber Mönche,  doch  mit  besonderer 
Vorliebe  das  Mönchsrum  persiflie- 
ren ,  namentlich  das  reformierte 
Mönchstum  der  Oistercienser,  deren 
Hauptvertreter  Bernhard  von  Clair- 
vaux  seinen  Namen  Bernardus  dem 
Widder  und  dem  Esel  hat  verleihen 
müssen. 

4.  Mama*  de  Renart,  umfasst 
30362  Verse  und  zerfällt  in  27  zum 
Teil  sehr  selbständige  Stücke  oder 
Branehes  (Zweige  am  Baum  der 
Sage);  die  Dichtung  ist  nur  sehr 
allmählich  durch  die  Arbeit  mehre- 
rer entstanden  und  reicht  von  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  bis  ins  14. 
Jahrhundert;  von  manchen  Stücken 
werden  die  Dichter  genannt.  Der 
Iuhalt  ist  teils  dem  Renardus,  teils 
anderen    schriftlichen  und  münd- 


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932 


Tiersage. 


liehen  Quellen  entnommen.  —  Die  »las  vorzüglichste  Werk  unter  alleu 
reichere  Ausführung  zeigt  die  Ein-  Tierepen  und  gehört  überhaupt  zu 
Wirkungen  der  höfischen  Epik,  zu  den  besten  dichterischen  Erzeug- 
den  Haupttieren  ist  ein  zahlreiches  nissen  des  Mittelalters.  Es  enthält 
Nebeupersonal  gekommen,  deren  Na-  die  Anklage  des  Fuchses,  die  Vor- 
men  meist  französisch  ist;  der  Löwe  ladung  desselben  durch  den  Bären, 
heisst  hier  zuerst  Sohle-,  die  Satire  den  Kater  und  den  Dachs,  seine 
ist  dürftiger  und  matter  geworden,-  Lossprechung  gegen  «las  Gelübde 
ihr  Hauptträger,  bisher  der  Wolf,  eiuer  Pilgerfahrt  und  seine  Cbel- 
ist  jetzt  der  Fuchs,  und  ihre  Spitze  |  thaten  gegen  den  Hasen  und  den 
nicht  mehr  gegen  die  Kirche,  sou-  Widder,  also  das,  wa*  den  Inhalt 
dorn  gegen  das  Hofleben  gerichtet,  des  ersten  Büches  im  Reinecke  bil- 
Nur  oeiläufig  mögen  noch  zwei  det;  ein  Abschluss  mangelt.  Eine 
andere  französische  Tiergedichte  lateinische  Bearbeitung  dieses  Jiei- 
des  13.  und  14.  Jahrhunderts  er-  naert  in  Distichen  von  einem  ge- 
wähnt werden,  die  ganz  in  das  Ge-  wissen  Bafdirinujt,  R&ynardtt*  emm 
biet  der  satirischen  Allegorie  fallen:  pet,  wurde  noch  im  13.  Jahrhundert 
Le  couronnemens  Renart  ist  eine  verfasst  und  im  16.  zu  Utrecht  ge- 
Satire gegen  die  Bettelmönche  und  druckt.  Um  1300  erhielt  der  Sei- 
Renart  le  nouvel  eine  solche  gegen  naert  von  einem  unbekannten  Flae- 
die  Ritterorden.  nüng  eine  Fortsetzung,  gleichfalls 

5.  Isengrimes  n6t  von  Heinrich  auf  Grundlage  französischer  Dich- 
dem  Glichezare,GHchesaere,  Gliche-  hingen;  diese  wiederholt  in  stören 
naere,  d.  i.  dem  Heuchler,  Gleiss-  der  Weise  den  alteren  Reinaert 
ner,  einem  Elsässer.  Seine  Haupt-  die  Versammlung  der  Tiere,  die 
quelle  ist  ein  französisches  Tierepos,  Klage  derselben  über  den  Fuchs, 
aa-*  nicht  mehr  erhalten  ist,  sich  seit»  Erscheinen  bei  Hofe,  seine 
aber  in  den  französischen  Namen  lügenhafte  Erzählung  von  den 
und  anderen  Verhältnissen  überall  Schätzen,  alles  nur  breiter,  gelehr- 
kundgibt. Man  kann  zwölf  Aben-  ter,  mit  äsopischen  Fabeln  durch- 
teuer  oder  Branchen  unterschei-  streut  und  sehr  stark  ins  satirisch- 
den;  auch  hier  richtet  sich  die  didaktische,  ja  ins  allegorische 
Satire     vornehmlich    gegen    den  gezogen. 

Hof.    Von  der  ursprünglichen  Ge-       Der  flämische  Reinaert  iu  seiner 

stalt  sind   nur  Bruchstücke ,    das  ganzen    Ausdehnung  wurde  nun  die 

Ganze  in  einer  Überarbeitung  des  Quelle  zahlreicher  Überarbeitungen. 

13.  Jahrhunderts  erhalten,  die  den  In  holländischer  Prosa  erschien  eine 
Namen  Reinhart   Fuchs  trägt  — {solche  1479  und    1495,  aus  deren 

Andere  Dichtungen  dieser  Art  hat  Verkürzung  ein  jetzt  noch  in  Hol- 

die  Littevatur  des  deutschen  Mittel-  land  vielgelesenes  Volksbuch,  Sei' 

alters  nicht  hervorgebracht;   statt  naert  de  »w,  hervorging;  ebendie- 

der  Tiersage  pflegte  man  auf  deut-  selbe  erschien  in  englischer  (143H 
schein  Boden  vielmehr  die  Tier- :  und  in  französischer  Übertragung 

fabel,  die  immerhin  auch  vereinzelte  1566,   die  letztere  als  Regnier  lf 

Züge  der  Sage  in  sich  aufnahm.  renard.    Neben  der  Auflösung  in 

6.  Reinaert,  ein  flämisches  Ge-  holländischer  Prosa  gab  es  .aber 
dicht  von  Willem,  aus  der  zweiten  vom  alten  Reinaert  auch  eine  l'ber- 
Hälfte  des  13.  Jahrhunderts,  meist  Setzung  in  holländische  Verse,  von 
nach  französischen  Quellen  bear-  deren  Druck  leider  bloss  sieben 
beitet.  Zwar  in  überlieferter  Weise  Blätter  vorhanden  sind;  das  Ge- 
satiriseli  gemeint,  ist  das  Gedicht  dicht  erscheint  hier  zuerst  in  Ka 
doch  rein  episch  gehalten.    Es  ist  pitel  eingeteilt,    deren  jedes  mit 


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Tjost.  —  Tisch. 


983 


•einer  vorausgeschickten  prosaischen 
Inhaltsangabe  und  einer  lehrhaften 
Nutzanwendung  in  Prosa  versehen 
ist.  Der  Verfasser  und  Bearbeiter 
hies  Hinrek  van  Alkmer. 

7.  Reinke  de  vos,  in  niederdeut- 
scher Sprache  zuerst  1498  zu  Lü- 
beck erschienen,  wahrscheinlich  zum 
Teil  hervorgerufen  durch  die  ein 
Jahr  vorher  ebendaselbst  erschie- 
nene niederdeutsche  Ausgabe  von 
Sebastian  Braut's  Narretutchi/f.  Die- 
ser Reinke  de  vos  ist  bloss  eine 
niederdeutsche  Übersetzung  des 
holländischen  Gedichtes  von  Hein- 
rich van  Alkmar.  Die  Ausgaben 
dieses  Volksbuches  zerfallen  in  zwei 
Klassen;  deren  erste  bietet  den 
Text  mit  der  ursprünglichen  Ge- 
stalt der  Glosse,  wohin  u.  a.  die 
Ausgaben  von  Lübben,  Oldenburg 
1867,  Hoffmann  von  Fallersleben, 
Breslau  1845  und  185 '2,  und  Schrö- 
der, Leipzig  1872  (die  beiden  letz- 
teren ohne  die  Glossen)  gehören,- 
die  zweite  Klasse  beginnt  mit  dem 
Roatocker  Druck  von  1539,  wo  die 
frühere  Glosse  durch  eine  weit- 
läufige neue  vom  protestantischen 
Standpunkte  ersetzt  ist.  Die  ausser- 
ordentliche Seltenheit  der  ersten 
Ausgabe  rührt  daher,  dass  katho- 
lische und  protestantische  Geist- 
liche das  Buch  eifrig  verfolgten; 
mau  setzte  es  sogar  auf  den  Index. 
Übertragen  wurde  endlich  das  Buch 
im  Verlaufe  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts ins  Hochdeutsche,  Fran- 
zösische, Dänische,  Schwedische, 
Isländische,  Englische,  Holländische, 
Lateinische;  diese  letztere  Über- 
tragung unter  dem  Titel  Spectdum 
vitae  aulicae  siebenmal  gedruckt. 
Die  Bearbeitung  Goethe's  erschien 
1794.  Holzschnitte  besass  schon  die 
holländische  Ausarbeitung  des  Hein- 
rich von  Alkmar,  wie  fortan  die 
späteren  Ausgaben.  Eigentümlich 
ist  dabei  die  heraldisch-verzogene 
Manier,  in  der  die  Tiere,  für  diesen 
Zweck  nicht  unpassend,  gehalten 
sind. 


Tjost,  mhd.  die  und  der  tjoste, 
tjust,  ioste,  schütte  u.  dergl.,'  aus 
inittelfranz.  jouste,  von  lat.  juxta, 
ist  der  ritterliche  Zweikampf  mit 
dem  Speere,  gegenüber  dem  Bu- 
hurt  oder  Reihenkampf.  Der  Speer 
ist  beim  Tjost  abgestumpft  und 
statt  der  Spitze  mit  einer  flachen, 
etwas  gezackten  Platte,  dem  kroen- 
Un,  verschen.  Ritter  wie  Ross  wa- 
ren gepanzert,  sprengten  im  Galopp 
an  und  stürmten  dann  mit  ver- 
hängten Zügeln  auf  einander  los. 
Jeder  versuchte  mit  der  eingelegten 
Lanze  den  Gegner  zu  treffen,  mit 
dem  Schilde  den  Stoss  zu  parieren. 
Das  Aufeinanderprallen  der  Kämpfer 
heisst  ahd.  puneiz.  Traf  der  Speer 
den  Gegner  richtig,  so  wurde  der- 
selbe entweder  aus  dem  Sattel  ge- 
hoben, oder  die  Lanze  zersplitterte 
an  dem  richtig  parierenden  Schilde, 
so  dass  die  Stücke,  tvunzune,  um- 
herflogen. Schultz,  höfisches  Leben, 
II,  Seite  107.  Vergl.  Buhurt  und 
Inrnier. 

Tip,  Tippe,  spitzes  Ende  der 
Mautelkapuze,  das  durch  Einlagen 
von  Fischbein  oder  Pappe  nach 
vom  gebogen  wird  und  hornartig 
über  aie  Stirn  hervorragt.  Die 
Tippe,  Tip-Heuke,  Tip-Hoike,  war 
besonders  in  Niedersachsen  im  16. 
und  zu  Anfang  des  17.  Jahrhun- 
derts beliebt. 

Tisch.  Der  Name  TÜch  ist  aus 
griech.-lat.  discus  =  Wurf-,  Ess- 
scheibe, Teller  entlehnt,  eine  Be- 
deutung, die  das  Wort  in  nordger- 
manischen  Mundarten  lange  beibe- 
hielt; der  echtdeutsche  Name  des 
Gerätes  ist  got.  biuds,  ahd.  piot,  biet, 
ursprünglich  Opfertisch,  von  bieten 
=  darlegen.  Die  Germanen  und 
Skandinavier  hatten  sehr  massive 
Speisetißche  auf  vier  starken  Pfosten, 
oder  auf  einem  sägebockartigen,  ge- 
kreuzten Gestell,  wie  solche  durch 
das  ganze  Mittelalter  vorherrschen. 
Die  grossen  viereckigen  Tische  wur- 
den bei  der  Mahlzeit  gewöhnlich  mit 
einem  Tischtuch  bedeckt.  Daneben 


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984 


Titurel.  —  Tortur. 


hatte  man  kleine  runde,  auch  halb- 
runde und  ovale  Tische.  In  das 
Reich  der  Märchen  wird  es  zu  rech- 
nen sein,  wenn  Roderich  von  Toledo 
meldet,  dass  die  Araber  im  Schatz 
der  Westgoten  bei  der  Eroberung 
Spaniens  einen  grossen  Tisch  von 
Smaragd  oder  Glasfluss  vorgefunden, 
der  überdies  mit  drei  Reihen  Ferien 
besetzt  war  und  auf  365  goldnen 
Füssen  stand,  sodass  dessen  Wert 
'»00  000  Goldstücke  betrug.  Auch 
Karl  der  Grosse  soll  drei  silberne 
und  einen  goldenen  Tisch  hinter- 
lassen haben,  deren  einer  auf  der 
Flatte  den  eingegrabenen  Stadtplan 
von  Konstantinopel,  ein  zweiter  die 
Ansicht  von  Rom  und  ein  dritter 
die  Himmelskarte  zeigte.  Den  golde- 
nen Tisch  schenkte,  er  der  Peters- 
kirche in  Rom  mit  einigen  Prunk- 
eefassen.  Karl  selbst  muss  solche 
Kostbarkeiten  von  aussen  ebenfalls 
gesehenksweise  erhalten  haben,  so 
besonders  von  Byzanz,  denn  die 
deutsche  Kunst  lag  noch  zu  sehr  in 
ihren  Anfängen  ,  als  dass  sie  solche 
Meisterwerke  aufzuweisen  im  stände 
war.  Den  vorerwähnten  goldenen 
Tisch  hält  man  vielleicht  nicht  mit 
Unrecht  für  eine  südfranzösische 
Arbeit  eines  Meisters  aus  der  Schule 
des  heiligen  Eligius.  Von  Otto  III. 
wird  tadelnd  erwähnt,  dass  er  — 
entgegen  der  deutschen  Art  —  aHein 
an  einer  kleinen,  halbrunden  Tafel 
speiste.  Im  13.  Jahrhundert  er- 
hielten die  hölzernen  Tische  Zargen , 
eine  erhöhte  Einrahmung,  wohl  auch 
schon  Schublade,  sehrägstehende 
Beine,  die  behufs  Erzielung  einer 
grösseren  Solidität  und  zur  Bequem- 
lichkeit mit  Fussstaugen  versehen 
wurden.  Die  Tische  wurden  übrigens 
oft  von  Steinplatten  gemacht  und 
auf  Stein  gestützt. 

In  der  früheren  Renaissancezcit 
stellte  man  die  gedrechselten  und  mit 
grossen  Knäufen  versehenen  Beine 
wieder  meist  lotrecht  und  verband 
sie  in  ihrer  unteren  Hälfte  durch 
einen  Kreuzsteg. 


Titurel  heisst  ein,  bloss  in  zwei 
Bruchstücken  erhaltenes,  unvollendet 
gebliebenes  Jugendwerk  Wolframs 
von  Eschenbach.  Dasselbe  ist  stark 
lvrisch  gehalten  und  in  einer  eigens 
dazu  gedichteten,  der  Gudrunstroph»- 
nachgedichteten    Strophe  erhalten. 
Das  Gedicht  gehört  wie  der  Parzi- 
val  der  Gralsage  an  und  bildet  eine 
Art    Vorgeschichte   des  grösseren 
Werkes.    In    den    beiden  Bruch- 
stücken sind  die  schönsten  Partien 
herausgegriffen  und  behandelt,  und 
zwar  sind  im  ersten  Bruchstücke 
die  keimende  Liebe  Schionatulandrrf, 
nach  dem  eigentlich  das  ganze  Ge- 
dicht genannt  sein  sollte,  zu  Signne, 
dann  der  Tod  Gahmurcts,  des  Er- 
ziehers von  Schionatulander,  und  des 
letztern  Klage  um  ihn  behandelt,  im 
zweiten  Bruchstücke  die  Abenteuer, 
welche  die  Wiedererlangung  eines 
kostbaren,     verloren  gegangenen 
Brackenseiles    bezwecken.  Diese 
Bruckstücke,    die    in    den  letzten 
Jahr. 'ii   des   12.  Jahrhunderts  ge- 
dichtet sein  mögen,  hat  50  Jahre 
nachher^ (brecht von  Scharfenberg,  ein 
bayerischer  Ritter,  zu  einem  grossen 
und  langweiligen  Epos  ausgearbeitet, 
das  der  jüngere  Titurel  heisst.  Das- 
selbe war  im  Mittelalter  fast  be- 
rühmter als  der  Parzival,  ist  aber 
ein  abgeschmackt  gelehrtes  Mach- 
werk, mit  einer  starken  Hinneigung 
zum  römisch-kirchlichen  Parteistand- 
nunkt.    Siehe  Bartsch  in  der  Ein- 
leitung zu  Wolfram's  Parzival  und 
Titurel,  Leipzig  1870. 

Tortur.  Dieselbe  stammt  aus 
dem  römischen  Rechte,  wo  sie  an- 
fangs nur  gegen  Sklaven,  wenn  sich 
der  Herr  für  seine  Unschuld  auf 
ihr  Zeugnis  berief,  später  auch  gegen 
Freie  und  zwar  zuerst  beim  Maje- 
stätsverbrechen, allmählich  aber  auch 
bei  andern  schweren  Vergehen  au- 
gewendet wurde.  In  den  alten  deut- 
schen Volksrechten  kommt  die  Tor- 
tur bloss  gegen  Sklaven  vor,  ver- 
schwindet dann  aber  wieder;  und 
das  eigentliche  Mittelalter  kennt  als 


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Tortur. 


98* 


Mitteides  Beweis  Verfahrens  bloss  den 
Iteinigungseid ,  die  Fideshelfer  und 
das  Gottem  Heil.    Erst  im  15.  Jahr- 
hundert trat,  in  Deutsehland  eine 
wesentliche  Änderung  im  Verfahren 
und  Beweissystem  ein.  Die  Gerichte 
fingen  an,  zum  Teil  auf  kaiserliche 
Privilegien  gestützt  und  nach  dem 
Vorgange  der  geistlichen  Gerichte, 
Alles  vom  Geständnisse  der  Ange- 
schuldigten abhängig  zu  machen, 
welches  man  nun  auf  alle  Weist* 
herbeizuführen   sucht.    Als  Mittel 
hierzu  wurde,  wieder  nach  dem  Vor- 
gänge der  geistlichen  Gerichte  und 
der  italienischen  Praxis  und  Doktrin, 
zur  Folter  gegriffen,  welche  nun 
nach  und  nach  durch  Laudesgesetze 
und  im  16.  Jahrhundert  durch  die 
Reicbsgesetzgebung  bestätigt  wurde; 
auch  das  Wort  holter  stammt  aus 
Italien,    wo   im  mittellateinischen 
joledrus,  pölelrus,  von  griech.  polos 
=  Füllen,  ein  Marterwerkzeug  be- 
zeichnet, das  ein  Gestell  mit  vier 
Füssen  nach  der  Art  eines  ljerd- 
<hens  darstellt.    Erfordernisse  zur 
Anwendung  der  Folter  waren:  dass 
weder  durch  Geständnis  noch  durch 
Beweis  die  Wahrheit  bereits  ent- 
deckt worden  sei  oder  in  der  Folge 
entdeckt  werden  könne;  dass  die 
Beschuldigung  in  einem  schweren 
Verbrechen  bestehe;  dass  das  Cor- 
w*   delicti  von  demjenigen  Ver- 
brechen, über  welches  die  Folter  er- 
kannt werden  sollte,  berichtiget  sei ; 
dass  wider  den  zu  Folternden  wich- 
tige Anzeigen  vorhanden  seien,  die 
einen  starken  Verdacht  gründeten 
und  dass  der  Verbrecher  die  Folter 
auszuhalten  fahip  und  nicht  gegen 
dieselbe  privilegiert  sei;  privilegiert 
waren  aber  hohe  Adels-  und  Ge- 
richtspersonen, fürstliche  Räte  und 
Soldaten.    Die   Folter  wurde  auf 
verschiedene   Grade   erkannt,  die 
aber  nicht  überall  gleich  waren; 
meist  nahm  man  ihrer  drei  an.  Der 
Der  erste  oder  geringste  Grad  war 
da«  Schnuren,  wobei  dem  Angeklag- 
ten die  Hände  an  den  Gelenken  bis 


auf  die  Knochen  mit  Seilen  stark 
zusammengeschnürt  und  auf  den 
Kücken  gebunden  wurden ;  an  andern 
Orten  bestand  der  erste  Grad  in 
den  Daumenschrauben  oder  Daumen- 
stöcken, wobei  dem  Inquisiten  die 
Daumen  beider  Hände  zusammen - 

Sepresst  wurden;  noch  an  andern 
»rten  gehörten  die  Span  ischen  Stie  feln 
oder  Beinsch  rauhen  zum  ersten  Grade, 
wodurch  die  Waden  und  Schienbeine 
des  Inquisiten  gequetscht  wurden. 
Der  zweite  Grad  bestand,  nach  dem 
sächsischen  Rechte,  darin,  dass  der 
Angeklagte  auf  die  Leiter  gezogen, 
ihm  die  Spanischen  Stiefel  ange- 
legt, hierauf  sein«'  Glieder  auf  der 
Leiter  ausgedehnt  und  auseinander- 
gezogen wurden,  welcher  Grad  nun 
noch  dadurch  vermehrt  ward .  dass 
man  das  Seil  einige  Male  anzog, 
oder  dem  unten  losgebundenen  In- 
quisiten einige  Gewichte  von  Stein 
oder  Eisen  an  die  Füsse  gehängt 
wurden,  und  dann  an  das  Seil  ge- 
schlagen oder  ihm  an  die  spanischen 
Stiefel  geklopft  wurde;  oder  man 
bewarf  den  Angeklagten  mit  Schwefel- 
faden.  An  andern  Orten  bestand 
der  zweite  Grad  allein  darin,  dass 
der  Angeklagte  mit  auf  den  Rücken 
gebundenen  Händen  aufgezogen  und 
eine  Zeitlang  hängen  gelassen  wurde. 
Wenn  endlich  der  dritte  Grad  der 
Folter  erkannt  wurde,  so  ward,  nach 
sächsischem  Rechte,  der  auf  der 
Leiter  aufgespannte  Leib  des  An- 
geklagten noch  weiter  gepeinigt,  in- 
dem man  Federkiele  in  zerlassenen 
Schwefel  eintauchte  und  angezündet 
dem  auf  der  Leiter  liegenden  In- 

3uisiten  auf  den  Leib  warf,  oder 
avon  gemachte  Pflaster  anzündete 
und  auf  den  Leib  klebte,  oder  einen 
Knaul  von  einem  eine  halbe  Elle 
langem  Holze,  mit  Hanf  umwunden, 
in  zerlassenes  Pech  eintauchte,  mit 
I  Hanf  wieder  umwickelte,  wiederum 
eintauchte,  bis  der  Knaul  die  Grösse 
j  einer  Faust  erhielt,  den  man  her- 
I  nach  anzündete  und  dem  Tnquisiten 
auf  den  blossen  Leib  warf,  jedoch 


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986 


Totenkleid.  —  Totentanz. 


auf  keine  edlen  Teile;  oder  wenn 
man  ihm  spitz  gemachte  Kienhölzer 
unterdie  Nägel  schlug  und  anzündete. 
An  einigen  Orten  bestand  der  dritte 
Grad  allein  darin,  dass  mit  dem  Auf- 
ziehen des  Inauisiten  das  Schlagen 
an  die  Seile  oder  das  Anhängen  von 
Gewichten  verbunden  ward.  In 
manchen  deutsehen  Landen  waren 
neben  den  oben  angeführten  drei 
Graden  auch  noch  andere  Arten  und 
Werkzeuge  zur  Folter  eingeführt, 
als  das  Bamhergische  Instrument, 
der  spanische  Bock  oder  das  Mehlen- 
burgische  Instrument ,  die  Spanische 
Kappe,  der  Dinische  Mantel,  die 
Englische  Jungfrau,  der  gespickte 
Haie,  die  Feuertortur,  der  Schicitz- 
kasten,  das  Fiedeln  mit  dem  Riemen 
u.  s.  w.  Zahlreich  waren  die  Vor- 
schriften über  Dauer,  Art,  Exekution, 
Wiederholung  der  Folter,  und  ihre 
hässlichste  und  schrecklichste  An- 
wendung fand  sie  in  den  Hexenpro- 
zessen, siehe  den  besondern  Art. 
Nachdem  schon  im  16.  Jahrhundert 
einige  Stimmen  sich  gegen  die  Folter 
erhoben  hatten,  fiel  sie  endlich  im 
18.  der  Aufklärung  zum  verdienten 
Opfer;  namentlich  Thomasius,  Bec- 
caria,  Voltaire,  Sonnenfels  uud  Ju- 
stus Moser  hatten  sich  gegen  sie 
ausgesprochen.  Friedrich  d.  Gr. 
schaffte  sie  zuerst  ab,  1 740  und  .175  4 ; 
dann  folgte  Dänemark  1770,  Oster- 
reich 178  t  und  87,  Frankreich  1781). 

Toten k leid,  Totenhemd.  Nach 
heidnischem  Brauch  wurden  im 
früheren  Mittelalter  die  Leichen 
möglichst  prunkvoll  beerdigt,  Krieger 
in  ihrem  Waffensf  hmucke.  Würden- 
träge in  ihrem  Amtsornat.  Die  christ- 
liche Kirche  eiferte  dagegen  und 
verhiess  Verkürzung  der  Busszeit 
im  Fegefeuer,  wenn  Verstorbene  sich 
im  ßusskleid  beerdigen  lassen.  So 
wurde  aus  dem  langen  Bnsskleid 
das  übliche  Sterbekleid ,  meist  von 
weisser  Leinwand  gemacht  und  mit 
schwarzem  Besatz  versehen. 

In  der  Renaissaucezeit  kam  es 
für  kurze  Dauer  in  Abnahme,  er- j 


hob  sich  aber  im  17.  Jahrhundert 
zu  noch  allgemeinerem  Gebrauch. 

Toteuleuchter,  Kirchhofs!  ater- 
neu,  Armseelenlichter,  Lichthäos- 
chen,  Lichtsäulen  waren  schon  früh 
im  Gebrauch.    Heidnischer  Volks 

?;laube  war  es,  vermittelst 
ieuchters  die  bösen  Geister  v 
Grabe   der  Seinigen  fernzuhalten. 
So  erhielt  anfänglich  jedes  Grab 
sein  besonderes  Limpcheu,  wenig- 
stens dasjenige  eines  Heiligen  oder 
eines  Hochgestellten  überhaupt.  Aus 
dieser  Sitte  entsprang  die  weitere, 
ent  weder  auf  dem  Gottesacker  selbst 
auf  einer  mehr  oder  minder  hohen 
Säule  oder  dann  in  einem  erker- 
,  artigen  Lichthäuschen  an  der  an 
Blassenden  Kirchenmauer  ein  ewiges 
Licht  zu  unterhalten,  wovon  die 
]  erste  sichere  Meldung  auf  das  ^.Jahr- 
hundert zurückweist.    In  Deutsch- 
I  land  sind  einige  Totenlichter  aus 
I  dem  13.— 16.  Jährhundert  erhalten, 
z.  B.  in  Schulpforta,  Regensburg. 
Klosterneuburg,  das  letztere  (vom 
Jahre  1381)  9  m  hoch  und  mit  Re- 
liefs aus  der  Passions^eschichte  ge- 
schmückt. An  der  Säule  ist  oft  auch 
eine   essenartige    Vertiefung,  ein 
kleiner  Herd,  in  welchem  als  Arin- 
seeleulicht  Weihholz  (Weideu-  und 
Wachholderzweige,  am  Palmsonntag 
geweiht)  verbrannt  wurde.  Ob  dieses 
an  manchen  Orten  das  eigentliche 
und  einzige  Totenlicht  war,  oder  ob 
daneben  eine  ewige  Lampe  brannte, 
kann  genau  nicht  ermittelt  werden. 
In  Frankreich  haben  einige  Toteu- 
leuchter aussen  herum  eine  Wendel- 
treppe, über  die  man  zum  Toteu- 
licht     emporsteigen     konnte ;  in 
Deutschland  sind  keine  solche  er- 
halten geblieben. 

Totentanz.  Uuter  die  humo- 
ristisch-allegorischen Lieblingsfigu- 
ren des  ausgehenden  Mittelalters 
ziihlt  nächst  dem  Narren  und  dem 
Teufel  namentlich  der  Tod.  Schon 
früh  war  die  Personifizierung  des 
Todes  nichts  ungewöhnliches:  man 
stellte  ihn,  einem  biblischen  Bilde 


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Totentanz. 


987 


folgend,  dar  als  Ackermann,  der  den 
Garten  des  Lebens  jätet  und  die 
Blumen  bricht,  der  über  das  Schlacht- 
feld schreitet  und  es  mit  Blut  düngt, 
mit  Schwertern  furcht  und  mit  Lei- 
chen ansät;  oder  als  König,  der 
durch  die  Lande  fahrend  seine  Heer- 
scharen, die  Sterbenden,  sammelt, 
der  seinen  Feinden,  deu  Menschen, 
Krieg  ankündigt,  gewappnet  auszieht 
und  sie  gefangen  nimmt,  der  sie  in 
sein  gastliches llaus  oder  als  Richter 
vor  seinen  Gerichtsstuhl  ladet; 
Krankheiten  sind  seine  Boten,  Zwei- 
kämpfe und  Schlachten  seine  Pro- 
zesse. Seit  dem  14.  Jahrhundert 
nimmt  man  die  Bilder  des  Todes 
mit  Vorliebe  aus  dem  niedem  All- 
tagsleben, nennt  den  Kampf  ein 
Beichtehören,  ein  Ablass  und  Segen- 
Erteilen,  den  Tod  ein  Feierabend 
machen,  oder  mau  setzte  den  Tod 
ans  Schachbrett,  wo  er  den  Figuren 
desselben,  als  Päpsten,  Kaisern,  Kö- 
nigen, Schach  oder  Matt  bietet,  oder 
man  dachte  sich,  der  Tod  gebe  den 
Menschen  ein  Gastmahl,  einen  Trunk, 
mit  Musik  und  Tanz,  überhaupt  einen 
Tanz,  zu  welchem  der  Tod  den  Men- 
schen aufspiele.  Dieser  musizierende 
und  mit  den  Menschen  davon  tan- 
zende Tod  wurde  nun  im  Beginn 
des  14.  Jahrhunderts  zum  Gegen- 
stand dramatischer  Dichtung  und 
Schaustellung  gemacht,  so  zwar,  dass 
der  Tod  eine  Reihe  von  Menschen 
verschiedener  Art  und  Stände  musi- 
zierend und  tanzend  entführte,  wo- 
bei sich  der  Dialog  auf  kurze  Worte 
und  Gegenworte  beschränkte;  ohne 
Zweifel  sind  solche  Spiele  von  Geist- 
lichen aufgeführt  worden;  aus  Paris 
ist  eine  derartige  Aufführung  aus 
dem  Jahre  1424  bekannt.  In  Frank- 
reichbegann man  auch  an  demselben 
Ort  ,  wo  man  die  Totentänze  zu  spielen 
pflegte,  auf  die  Mauer  des  Kirchhofs 
die  Bilder  des  Tanzes  zu  malen. 
Dasselbe  geschah  in  Deutschland, 
und  zwar  ist  das  älteste  Beispiel  ein 
Gemälde  in  der  Marienkirche  zu 
Lübeck;  es  weist,  gleich  dem  alten 


Spiele,  bloss  24  Personen  auf,  und 
zwar  Papst,  Kaiser,  Kaiserin,  Kar- 
dinal, König,  Bischof,  Herzog,  Abt, 
Ritter,  Karthäuser,  Bürgermeister, 
Domherr,  Edelmann,  Arzt,  Wuche- 
rer, Kapellan,  Amtmann,  Küster, 
Kaufmann,  Klausner,  Bauer.  Jüng- 
ling, Jungfrau  und  Kind.  Diese 
tanzen  in  lauger  Reihe,  je  eine  To- 
desgestalt  und  eine  menschliehe 
nebeneinander,  also  einen  Reigen; 
.der  Tod  ist  hier  nirgends  ein  gänz- 
lich entfleischtes  Gerippe,  wnchea 
er  im  16.  Jahrhundert  wird,  sondern 
nur  eine  eingefallene  zusammenge- 
schrumpfte Leiche,  ein  vielfältig  um 
den  Leib  sich  schlingendes  una  ihn 
grossen  teils  verdeckendes  Grabtuch 
tragend;  der  letzte  Tod  des  Lübecker 
Totentanzes  führt,  in  Erinnerung  an 
jenen  Ackermann,  deu  Schnitter  Tod, 
eine  Sense.  Der  Lübecker  Toten- 
tanz war  lange  ein  Ruhm  der  Stadt 
und  erweckte  vielerlei  Nachahmung. 
Die  ältesten  oberdeutschen  Toten- 
tänze sind  in  Biicherhandschriften 
oder  in  Holzschnitten  erhalten;  sie 
unterscheiden  sich  von  der  nieder- 
deutschen Gruppe  durch  eine  etwas 
andere  Auswahl  der  Personen,  dann 
dadurch,  dass  eine  kurze,  einem  Pre- 
diger in  den  Mund  gelegte  gereimte 
Vermahnung  voraus  uud  nach  geht, 
und  dass  endlich  die  Bilder  den  zu- 
sammenhängenden Reigen  in  einzelne 
lanzaruppen  auflösen.  Sowohl  von 
der  Lübecker  als  von  der  soeben 
genannten  Holzschnitt  -  Auffassung 
abhängig  ist  der  lotentanz  im  Basler 
Klingenthal ,  einem  Frauenkloster 
des  Dominikaner-Ordens;  er  nimmt 
die  Personen  der  beiden  genannten 
Grunpen  zusammen  und  vermehrt 
sie  durch  einige  neue  bis  zu  39;  der 
Tanz  ist  ebenfalls  in  lauter  einzelne 
Paare  aufgelöst. 

In  den  genannten  Gemälden  wa- 
ren die  Bilder  den  Worten  unter- 
geordnet, diese  das  ältere,  jene  das 
spätere  daraus  abgeleitete  Element; 
seit  mau  das  Spiel  des  eigentlichen 
Totentanzes  nicht  mehr  aufführte, 


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088 


änderte  sich  das  Verhältnis,  und  die  Fig.  1 55  (Kunsthist.  Bilderbogen  t.  Di- 
Bilder  wurden  zur  Hauptsache,  die  beigegebenen  Verse  verfasste  zuerst 
Worte  traten  zurück;   die   Bilder  auf  Französisch  Corroret,  dann, 


wanderten  ietzt  von  Ort  zu  Ort,  wäh- 


rren  i 

rend  die  Verse  sich  änderten  oder 


übersetzend,  auf  Lateinisch  Groroi*  ' 
Aftnilius.    Dass  Holbein  auch  den 


ganz  verschwanden.  Muster  für  alle  Grossba^ler  Totentanz  gemalt  habe, 
spätem  Totentänze  blieb  der  K/in-  war  eine  grundlose  Sage.  Ji'acker- 
genthaler  von  Basel,  der  zuerst  in  nagel,  kl.  Schriften,  1,802 — 875.  Vir! 
einem  Totentanz  des  Basler  Predi-  ,  J.  C.  Wessel y.  die  Gestalten  des  To 
gerkl  osters  nachgeahmt,  künstlerisch  [  des  und  des  Teufels  in  der  darstel- 
aber  von  ihm  übertroffen  wurde.  '  lenden  Kunst.    Leipzig  1876. 


Erst  dieser,, Tod 
von  Basel"  wur- 
de das  aufge- 
suchte Wahr- 
zeichen der 
Stadt  und  ein 
Sprichwort  des 
Volkes  und  das 
nähere  Vorbild 
aller  folgenden 
Darstellungen, 
so  in  den  Pre- 
digerklosterv  zu 
Strassburg  und 
zu  Bern ,  die 
letztere  von  37- 
kolaus  Manuel, 
welcher  Maler, 
Dichter,  Staats- 
mann zugleich 
war  und  seine 
geniale  Laune 
in  den  Linien 
und  Versen  sei- 
nes Totentanzes 
gleich  originell 
spielen  zu  las- 
sen verstand. 
Tod  auch  Veranlassung 


Tracht.  Über 
die  Kleidung»- 
artder  al  tenGer- 
manen  und  ihrer 


wandten  sind 
wir  durch  die 
Römer  gen&o 

unterrichtet 
Tacitu*  be- 
schreibt  sie  io 
17.    Kap.  der 
Germania  fol- 
genderen assec : 
Tai  nAestnifhi 
ist  bei  Allen  ein 
Überwurf,  be- 
stehend aus  ei- 
nem viereckigen 
Tuchstüek.  da? 
mit  einer  Span- 
ge oder  in  deren 

Ermangelung 
mit  einem  Dorn 


Fig.  155.    Aua  Holbeins  Totentanz. 


zusammeng«  - 
heftet  wird. 
Ohne  andere  Be 

So  ist  der  Basier  |  deckung  liegen  sie  ganze  Tage  lan? 

am  Herdfeuer.  Die  Wohlhabenden 
unterseheiden  sich  durch  den  Stoff 


*  geworden 

zu  den  Holzschnitten  Holbeins,  die 


als  Imagines  mortis  seit  1530  er-  des  Unterkleides,  das  nicht  bauschig, 
schienen.  Hier  sind  nun  eine  be- !  wie  bei  den  Sarmaten  und  Partnern, 
liebige  Zahl  von  Personen  zu  einer  sondern  anliegend  ist  und  die  ein- 


Grupne  vereinigt  und  als  geschlos 
sene  Bilder  komponiert,  auth  ist  der 
Tanz   aufgegeben    und    der  Tod 


zelnen  Gliedmaassen  hervortreten 
lässt.  Auch  Tierfalle  tragen  sie. 
wobei  die  Anwohner  des  Khe  ins  und 


schreitet  und  greift  sonst  wie  auf  i  der  Donau  keinen  besonderen  Unter- 
die  jedesmal  angemessene  Weise  in  schied  machen ;  dagegen  sind  die 
das  Treiben  der  Menschen  hinein. !  im  Innern  des  Landes  wählerischer. 
Erst  hier  ist  auch  der  Tod  als  voll-  j  da  ihnen  kein  Handel  sonstigen 
kommenes  Gerippe  aufgefasst.  Dazu  1  Putz  briugt.    Sie  ziehen  gewisse 


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Tracht. 


989 


Tierarten  vor  und  durchsetzen  ihre 
Felle  mit  Lappen  aus  andersfarbigen 
Bälgen,  welche  sie  vom  entlegneren 
Ozean  und  dem  uns  unbekannten 
Meere  her  erhalten.  Das  Kleid  der 
Frauen  ist  ganz  gleich,  wie  das  der 
Männer,  nur  hüllen  sie  sieh  öfter  in 
leinene,  mit  Purpur  verbrämte  Ge- 
wänder. Der  obere  Teil  des  Kleides 
wird  nicht  zu  Ärmeln  verlängert, 
sondern  Ober-  und  Unterarm  sind 
ganz  frei  und  ebeuso  ist  die  Brust 
vom  Halse  an  zum  Teil  bloss. 

Spärlich  fliessen  die  Quellen  der 
folgenden  Jahrhunderte  bis  auf  Karl 
d.  G.  Thatsache  ist,  dass  die  an  die 
römischen  Provinzen  angrenzenden 
Volksstämme  schon  früh  sich  in 
Sitten  und  Gebräuchen,  so  auch  in 
ihrem  äusseren  Auftreten,  in  der 
Kleidung  beeinflussen  Hessen.  Es 
geschah  das  aber  nicht  mit  einem- 
mal und  nicht  an  allen  Orten  zu 

f leicher  Zeit  und  in  gleicher  Weise, 
icher  ist,  dass  die  altgerma- 
nische Einfachheit  nach  und  nach 
dem  römischen  Prunke  wich ,  über 
die  Art  und  Weise  des  Weichens 
der  einen  und  des  Fortsehreitens  der 
anderen  sind  keine  bestimmten  An- 
haltspunkt, vorhanden.  Wenn  ein- 
zelne Nachrichten  von  einem  Prunke 
reden,  der  den  römischen  übertrifft, 
so  sind  das  entweder  Sagen  oder 
haben  zum  mindesten  nur  auf  die 
höchstgcstellten  Personen,  auf  Kö- 
nige und  Bischöfe  Bezug;  während 
man  mit  Sicherheit  annenmen  darf, 
dass  das  gemeine  Volk  noch  Jahr- 
hunderte lang  den  Sitten  der  Väter 
in  bezug  auf  Kleidung  treu  blieb, 
was  ihre  Lebensweise  überhaupt 
schon  mehr  oder  weniger  bedingte. 

Der  früheste  Berichterstatter 
über  die  Kleidung  der  Franken  Ist 
Sidonius  Apollinaris,  der  um  die 
Mitte  des  fünften  Jahrhunderts 
schrieb :  „Wallend  und  blond  ist  das 
Haar  der  Franken,  blau  ihr  Auge; 
ihre  grossen  und  starken  Glieder 
umsehliesst  ein  enganliegendes  Kleid ; 
sichtbar  (nackt)  ist  das  Knie,  um 


den  Leib  tragen  sie  einen  Gurt;  mit 
ihren  Streitäxten  hauen  sie  weit; 
den  Schild  zu  handhaben  ist  ihnen 
Spiel,  dem  Wurfspeer  kommt  selbst 
ihr  Angriff  zuvor;  schon  in  der 
Kindheit  ist  Krieg  ihre  Freude;  über- 
mannt kennen  sie  keine  Furcht,  ihr 
Mut  dauert  über  das  Leben  hinaus." 

Dass  aber  auch  in  der  Mero- 
vingerzeit  der  Aufwand  bei  fürst- 
lichen Personen  schon  gross  gewesen 
sein  muss,  geht  aus  verschiedenen 
Nachrichten  nervor.  Nach  dem  Tode 
des  jüngsten  Sohnes  Chilperichs  liess 
Fredegunde,  die  Mutter,  aus  Betrüb- 
nis sämtliche  Kleider,  „die  seidenen 
und  die  von  anderen  Stoffen",  sowie 
die  Schmucksachen  verbrennen  und 
brauchte  zum  Fortschaffen  derselben 
vier  Karren.  Das  Gold  und  Silber 
liess  sie  schmelzen  und  that  es  bei 
Seite,  „damit  nichts  in  seiner  alten 
Gestalt  verbliebe,  was  ihr  die  Trauer 
zurückriefe". 

Besser  unterrichtet  sind  wir  über 
die  Tracht  der  Karu/inffer.  Durch 
das  ausgesprochene,  lebenskräftige 
Deutschtum  Karl  des  Grossen  wird 
der  Luxus  von  dem  Hofe  und  da- 
mit aus  den  oberen  Ständen  wieder 
verdräiigt  und  kommt  die  frän- 
kische Tracht  zu  ihrer  Entfaltung. 
Karl  selbst  bediente  sich  derselben. 
Über  sein  Auftreten  sagt  Einhard, 
sein  Biograph:  „Der  Kaiser  Karl 
kleidete  sich  nach  vaterländischem , 
fränkischem  Brauch.  Auf  dem  Leib 
trug  er  ein  linnenes  Hemd  und 
ebenfalls  linnene  Unterhosen,  da- 
rüber ein  mit  seidenen  Streifen 
verbrämtes  Wams  und  Beinkleider; 
sodann  bedeckte  er  die  Beine  mit 
Binden  und  die  Füsse  mit  Schuhen. 
Nur  im  Winter  bediente  er  sich 
zum  Schutz  der  Schultern  und  der 
Brust  noch  eines  eigenen,  aus  See- 
hundsfell und  Zobelpelz  verfertigten 
Bockes;  auch  trug  er  einen  meer- 
grünen Mantel  und  beständig  das 
Schwert  an  der  Seite,  dessen  Hand- 
griff und  Gehenk  aus  Gold  oder 
Silber  gearbeitet  waren.  Mitunter 


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990 


Tracht. 


i'edoch,  so  namentlich  bei  Festlich- 
keiten oder  wenn  die  Gesandtschaf- 
ten fremder  Völker  vor  ihm  er- 
schienen, führte  er  auch  ein  noch 
reicher  mit  Gold  und  Edelsteinen 
verziertes  Schwert.  Ausländische 
Tracht  aber  wies  er  zurück,  mochte 
sie  auch  noch  so  prunkend  sein, 
und  Hess  sich  solche  niemals  an- 
legen, nur  ausgenommen  zweimal 
in  Rom,  wo  er  einmal  auf  Wunsch 
des  Papstes  Hadrian  und  ein  an- 
dermal auf  die  Bitte  von  dessen 
Nachfolger  Leo  die  lange  Tunika, 
die  Chtamt/x  und  römische  Schuhe 
anzog.  Einzig  bei  festlichen  Vor- 
kommnissen erschien  er  in  gold- 
durehwirktem  Kleide  und  Schuhen 
mit  Edelsteinen  besetzt,  den  Mantel 
durch  eine  goldene  Hakenspange 
zusammengehalten  und  auf  dem 
Haupte  ein  Diadem  von  Gold  mit 
Edelsteinen  geschmückt.  An  an- 
deren gewöhnlichen  Tagen  indes 
unterschied  sieh  seine  Kleidung  nur 
wenig  von  der  gemeinen  Volks- 
tracht'4. Aus  einer  Mitteilung  in 
den  „Lorscher  Jahrbüchern*4,  be- 
treffend die  Begräbnisfeierlichkeit 
desselben  Kaisers,  ist  ersichtlich, 
dass  er  „heimlich  auch  unausgesetzt 
ein  härenes  Gewand  auf  blossem 
Leibe  getragen  hat44.  Die  Kleider 
wurden  von  den  Frauen  selber 
verfertigt,  sogar  am  Hofe  des  Kai- 
sern, in  den  sogen.  Frauenhäusem. 
Die  Kaiserin  uud  ihre  Töchter  „be- 
schäftigten sich  mit  Spindel,  Spinn- 
rocken uud  Wollenarbeit ,  damit 
letztere  nicht  in  Trägheit  verfielen 
und  sich  an  Müssiggang  gewöhn- 
ten44. Zwar  konnte  es  nicht  fehlen, 
dass  bei  dem  lebhaften  Verkehr 
mit  den  auswärtigen  Höfen,  sowie 
angesichts  der  vielen  kostbaren 
Geschenke,  die  Karl  von  Byzanz 
und  sogar  von  Persien  her  erhielt, 
manch  köstliches  Stück  in  den  Hof- 
schatz kam,  das  namentlich  den 
Frauen  in  die  Augen  stach  und  sie 
wenigstens  veranlasste,  selbige  nach- 
zuahmen.   Und   in  der  Thar  ver- 


wandte man  am  Hofe  grosse  Sorg- 
falt  auf  Handarbeiten    aus  dem 
Stickereifach.    Wie  gründlich  ab-  r 
der  Kaiser   seinen  Hofleuten  dir- 
j  Gier  nach   köstlichen  Pelzwerke!: 
verleidete,    erzählt   die  bekann'? 
Anekdote  von  dem  zu  Wasser  ge- 
wordenen Jagd  vergnügen.  tTber- 
haupt  war  Karl  ein  ausgesprochener 
Feind  der  fremden  Trachten,  was 
schon  aus  seiuen  Kleidewrdnttnqe* 
erhellt.  Siehe  den  besonderen  Artikel. 

Auf  die  Zeit  Ludwig  des  Deut- 
schen hat  bezug,  was  der  „Mönch 
von  St.  Gallen44  von 
Tracht  berichtet ,   wenn  er 
„Die  Tracht  der  alten  Franken 
stand  in  Schuhen,  aussen  mit  GoW 
geschmückt,  nebst  drei  Ellen  langer 
Schnüren,  scharlachnen  Binden  um 
die  Beine  und  darunter  aus  linnenen 
ebenso  gefärbten  Hosen,  aber  mÜ 
kunstreicher    Arbeit  geschmückt. 
Über   diese   und  die   Binden  er- 
strecken sich  in  kreurweiser  Win- 
dung, innen  und  aussen,  vorn  und 
hinten,  jene  langen  Schnürbänder. 
Dann  ein  Hemd  von  Glanzleine- 
wand, und  darüber  ein  Schwertge- 
henk.    Dieses  Sehwert  wurde  zu- 
nächst durch  die  Scheide,  dann 
durch   irgend  eine  Art  Leder  und 
drittens  von  weisser  und  mit  hellem 
Wachse   gestärkter  Leinwand  so 
umgeben,  dass  es  mit  seinen  in 
der  Mitte    blinkenden  Kreuzchen 
zum  Verderben  der  Heiden  fest  er- 
halten ward.  Das  letzte  Stück  ihres 
Anzuges  war  ein  blaues  oder  graues 
Gewand,    viereckig   und  doppelt, 
dergestalt,  dass  es  über  beide  Schul- 
tern gehängt,  vorn  und  hinten  die 
Füsse  berührte,    seitwärts  jedoch 
kaum  bis  zum  Knie  reicht«».  Dazu 
führten  sie  in  der  rechten  einen 
Stab   mit   gleichmassigen  Knoten 
von  einem  geraden  Baumstamme, 
schön,  stark  und  schreckbar  zu- 
gleich, mit  einem  Handgriff  von 
Gold  oder  Silber,  den  schöne,  er- 
habene Arbeit  schmückte". 

Wie  sehr  nun  von  alten  Sehrift- 


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Tracht. 


991 


stellern  diese  Tracht  als  die  alt- 
fränkische angeführt  wird,  so  ist 
doch  nicht  zu  verkennen,  dass  sie 
eigentlich  die  alt  römische  ist,  was 
namentlich  die  erhaltenen  Miniatur- 
hilder  aus  dieser  frankischen  Zeit 
bestätigen.  Die  Männer  erscheinen 
auf  denselben  in  einer  bis  zum  i 
Knie  reichenden ,  enganliegenden 
Tunikaxmi  langen,  knappen  Ärmeln. 
Die  Beinkleider  sind  ebenfalls  eng, 
der  Unterschenkel  umbunden.  Ver- 
kürzt sich  die  Fnterschenkelhinde 
zur  Kniebinde,  so  tritt  noch  eine 
besondere  Fussbekleidung  dazu,  die 
Socken  oder  Stiefel.  Hochgestellte 
erscheinen  auch  etwa  in  einem  vier-  j 
eckigen  Schultermantel,  dessen  En- 
den vorn  und  hinten  tiefer  hangen, 
als  zu  beiden  Seiten.  Die  Frauen 
tragen  mehr  oder  minder  reichver- 
zierte, lange  Unterkleider,  einen 
vermittelst  der  üblichen  Spange ' 
gehefteten  Mantel  und  kurz  zuge- 
spitzte farbige  Schuhe.  Als  ein  j 
König,  der  der  fremden  Tracht 
sehr  zugethan  war,  wird  Kart  der 
Kahle  genannt,  der  nach  den  Jahr- 
büchern aus  dem  Kloster  Fulda 
itMGi  griechischen  Prunk  aus  Ita- 
lien herüberbrachte, einen  langen,  fal- 
tenreichen, dalmatinischen  Talar  trug 
mit  darüber  geschlungenem  Gürtel, 
der  bis  auf  die  Fusse  hing,  den 
Kopf  in  Seide  gehüllt  und  mit  dem 
Diadem  gekrönt.  Dasselbe  bekräf- 
tigen die  Jahrbücher  von  St.  Ber- 1 
tin,  die  Karl  auf  der  Synode  zu 
Pontion  am  21.  Juni  876  „mit  einem 
golddurchwirkten  Gewände  nach 
fränkischem  Schnitte4'  erscheinen 
lassen,  wahrend  er  am  Schlüsse 
derselben,  am  16.  Juli,  ein  grie- 
chisches Gewand  und  die  Krone 
trägt.  Die  den  Römern  entlehnte 
Tracht  entsprach  aber  in  der  Haupt- 
sache den  Anforderungen  der  Fran- 
ken ,  und  erhielt  sich  deshalb 
ziemlich  unverändert  zwei  volle 
Jahrhunderte  hindurch,  ia  in  ihrem 
Grundcharakter  bis  in  den  Anfang 
des   14.  Jahrhundert«.    Die  Abän- 


derungen erstrecken  sich  besonders 
auf  die  verschiedenartige  Beklei- 
dung der  Beine.  Mit  der  allmäh- 
lichen Verbreitung  der  männlichen 
Beinkleider  wurden  die  Schenkel- 
binden verdrängt,  wogegen  Stiefel 
oder  Socke  von  Filz  und  Leder 
häufiger  wurden  und  selbst  der 
Kopf  zu  seinem  Schutze  hier  und 
da  (z.  B.  in  Sachsen  schon  im  10. 
Jahrhundert)  den  leichten  Strohhut 
erhielt.  Vom  12.  Jahrhundert  an 
wurde  auch  das  Untergewand  noch 
mehr  verlängert  und  der  Schulter- 
mantel erhielt  zuweilen  eine  Kapuze. 
Die  Vornehmen  trugen  Kleider  nach 
demselben  Schnitt,  jedoch  mit  rei- 
chen Randverzierungen  und  in  ver- 
schiedener Färbung;  der  einfache 
Bundschuh  wurde  zum  höher  ge- 
schnittenen HalhstiefeL  Die  Frauen 
erscheinen  im  II.  Jahrhundert  auch 
etwa  in  einer  oberen  Tunika  mit 
weitgeöffueten  Halbärmeln  und  ge- 
wöhnlich in  rot  oder  blau  gefärbten 
Schuhen.  Die  Könige  trugen  sich 
nach  Art  Karls  des  Kahlen;  doch 
wird  bei  Widukind  in  der  Schil- 
derung der  Krönungsfeierlichkeit 
vom  Jahre  936  (Otto  I.)  ausdrück- 
lich erwähnt,  dass  der  König  ,,mit 
dem  enganliegenden  fränkischen 
Gewände  bekleidet  war"  im  Ge- 
gensatz zu  der  langwallenden,  üppi- 

S'en  griechischen  Kleidung.  Dieser 
'ränkischen  Gemessenheit  in  der 
Tracht  entsprach  auch  das  allge- 
meinüblich kurzgeschnittene  Haupt- 
haar, während  man  am  griechischen 
Hof  Haar  und  Bart  lang  trug  und 
in  farbige  seidene  Tücher  hüllte. 

Im  11.,  vielleicht  schon  im  10. 
Jahrhundert,  entsteht  in  den  höheren 
Ständen  der  Brauch,  auf  dem  Leibe 
zunächst  ein  leinenes  Hemd  zu 
tragen ,  welches  aus  naheliegenden 
Gründen  bald  allgemein  angenom- 
men wurde.  Wer  sich  dessen  ent- 
hielt und  das  schon  aus  dem  8. 
Jahrhundert  bekannte  grobhärene 
Büsserhemd  trug ,  meinte  damit 
den  Himmel   zu  verdienen.  Allge- 


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992  Tracht. 


meiner  wurde  auch  tu  dieser  Zeit  Nhüve,  Bagdad,  Alexandrien,  Adra 
schon   die   Kopfbedeckuiig   (siehe  mant.  Assagauk,  Alamansura.  Pel 
dort).    Aus  einer  Klage  Thietmars  ,  piuntc,  Meuriente,  Ecidemonia,  Ag;*- 
von  Merseburg    ist   zu  sehliessen,  thyrsienthe,  Tabronit,  Mohrenland 
dass  sieh  schon  zu  Ende  des  1 1.  Jahr-  Zazamank  u.  s.  w.  Als  Stoffe  werde:, 
hunderts  Frauen  gelüsten  Hessen,  sonst  noch  genannt:  der  Baldachin 
„die  einzelnen  Teile  des  Körpers  Blialt  oder  Plialt,  Cyclat.  Palma! 
auf  unanständige   Weise   zu  ent- '  IMawin,Triblat,Pfellel,Tvra«,Tvnii! 
blossen,  allen  Liebhabern  offen  zu  Taft,  Marroch,  Sindel,  bei  welcher 
zeigen,   was  an  ihnen  feil  sei,  und  Gelegenheit   mit  Weitschweifigkeit 
also,  obwohl  als  ein  Greuel  vor  auch  die  Heimat  und  Zubereitung* 
Gott  und   eine  Schande  vor  der  ( art  des  betreffenden  Stoffes  ante 
Welt,  ohne  irgend  welche  Scham  ceben  wird,  wobei  oft  die  wunder 
allem  Volke  zur  Schau  einhegst!-  neusten  Mären  erzählt  werden.  Am 

Sehen".  Aus  den  Miniaturbildern  höchsten  gesehätzt  war  der  lyellef 
ieser  Zeit  ist  nicht  zu  ersehen,  dann  der  Baldachin  von  Kaibeek 
wie  Thietmars  Worte  zu  verstehen  (Bagdad)  und  der  Samml,  der  m 
sind.  Es  darf  aber  angenommen  Ende  des  12.  Jahrhunderts  unier 
werden,  dass  nicht  völlige  Nackt-  den  Vornehmen  schon  stark  ver 
heit  der  Frauen  den  Ankläger  so  breitet  war.  Häufig  kam  auch  d^r 
schamrot  gemacht  hat  ,  sondem  Siglat  oder  Cyglaf  in  Gebrauch,  d  t 
vielmehr  die  knappe  Gewandung,  man  oft  wie  (len  Baldachin  besticku 
welche  die  Körpertormen  zu  deut-  und  mit  Goldfäden  durchwirkt'- 
lieh  hervortreten  Hess.  j  Selbstverständlich  war  man  auch  b* 

Mit  dem  Aufschwung,  den  der  müht,  diese  Stoffe  nachzuahmen,  d.  Ii 
Handel  —  zum  grossen  Teil  durch  I  im  eigenen  Lande  zu  verfertigen, 
die  Kreuzzüge  veranlasst  —  im  12. '  so  wird  bereits  in  dieser  Zeit  der 
Jahrhundest  nahm,  brachen  sich  Zürcher  Seide  und  des  Regensburp*  - 
auch  die  verschiedenen  ausltindUchen  Zendals  erwähnt.  So  wurde  auci 
Trachten  immer  mehr  Bahn.  Zur  die  einheimische  Weberei,  die  Leit 
Metropole  dieses  Handels  warVenedig  wand-  und  Wolltuchweberei,  namei  t 
geworden,  auf  dessen  Markte  Byzanz,  lieh  vom  Niederrheine  aus  verarbeite 
Indien,  Ägypten,  Nordafrika  und  und  verbessert.  Neben  der  scb.a 
Spanien  mit  ihren  Erzeugnissen  ver-  aus  Karls  des  Grossen  Zeiten  r*- 
treten  waren,  und  zwar  bestanden  kannten  „Friese"  kamen  jetzt  dun  -h 
diese  vornehmlich  in  Schmucksachen,  Verwendung  englischer,  uugarisrlier 
Kleiderstoffen  und  fertigen  Kleidern,  und  spanisener  \Volle  auch  feiner^' 
Bei  den  Beziehungen ,  welche  auch  Tücher  auf,  Scharlach,  Saja,  Ras.'h. 
die  deutschen  Städte  mit  Venedig  Fritschal,  Bogram,  Barragan.  Ivodeu 
pflegten  und  besonders  der  deutsche  und  Kamelot.  Der  Bogram  wuruV 
Hof,  konnte  es  nicht  fehlen,  dass  aus  Ziegenhaaren  gewoben,  der 
die  alte  fränkische  Tracht  bei  den  Kamelot  aus  Kamelhaaren.  Auch 
höheren  Ständen  bald  völlig,  beim  die  Benennungen  Z\cillieh,  Belker 
aufstrebenden  Bürgerstande  nach  und  Schetter  kamen  in  dieser  Zeit 
und  nach  verdrängt  wurde.  Seidene  schon  auf.  Mit  der  Weberei  kamen 
und  köstliche  baumwollene  Tücher  auch  die  Färberei,  Wirkerei  und 
verdrängten  die  einheimischen,  und  Stickerei  mehr  iu  Aufnahme.  WM 
es  konnte  der  Wettstreit  zwischen  überhaupt  ein  Gewerbe  da^  ändert 
den  Ständen  und  Geschlechtern  sich  unterstützte  und  anregte, 
nach  Belieben  entfalten.  Viel  er-  Selbstverständlich  ist,  dass  nicht 
wähnt  wird  bei  den  Dichtern  des  iede  Hausfrau  sich  getraute,  dies- 
12.  und  13.  Jahrhunderts  Seide  aus  köstlichen  Stoffe  selim   in  Arbit 


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Tracht. 


993 


zu  nehmen ,  um  so  mehr,  da  auch  oder  minder  weit  ausgeschnitten  und 
der  Schnitt  der  Kleider  immer  kom-  offen  getragen  oder  mit  Kiemen  ge- 
plizierter  wurde.    So  entstand  im  bunden,  sogar  vereinzelt  auch  ge- 

12.  Jahrhundert  ein  neues  Hand-  schnäbelt,  welche  Manier  Graf  Fulko 
werk  und  damit  eine  neue  Zunft,  von  Anjou  oder  Angers  um  1089 
die  der  Snidcr,  in  Frankreich Talierer  seiner  übelgebauten  Füsse  wegen 

fenannt,  die  anfänglich  die  Tuch-  aufgebracht  haben  soll.  Am  deut- 
rämer  auch  in  sich  begriffen.    Im  lichsten  zeigte  sich  der  fremde  Ein- 

13.  Jahrhundert  hebst  man  sie  fluss  im  Hoc  oder  Rock.  Bei  den 
„Mentler,  Gewand- und  Flickschnei-  dienenden  Ständen  herrschte  als 
der"  und  erst  später  werden  sie  in  Untergewand  zwar  immer  noch  die 
„Manns-  und  Frauenschneider"  aus-  kurze  Ärmeltunika  vor,  bei  den  Be- 
geschieden, amten  aber  und  bei  Personen  von 

Was  nun  die  Art  der  Kleidungs-  Rang  oder  Stand  verlängerte  diese 
stücke  und  ihre  Zahl  betrifft,  so  sich  derart,  das»  sie  oft  aufgeschürzt 
bleibt  dieses  trotz  der  veränderten  werden  musste.  Das  Stutzertum 
Verhältnisse  so  ziemlich  gleich,  —  schlitzte  sie  auch  vom  Gürtel  ab- 
Hemd, obere  Tunika,  Beinkleidung  wärts  ganz  auf  und  zackte  den  untern 
und  Mantel  machen  in  der  Haupt-  Hand  zu  schmalen  Lappen  aus. 
sache  auch  jetzt  noch  die  männliche  Auch  trug  man  mitunter  über  diesem 
Tracht  aus.  Das  Hemd,  hemede,  ein  zweites ,  ärmelloses  Unterge- 
nider-tcAt,  nider-kteit,  ist  von  Lein-,  wand,  das  ungegürtet  herabhiug, 
wand  gemacht,  kurzärmelig,  nach  !  vom  13-  Jahrhundert  an  als  Schav- 
Art  der  Tunika  vorn  geschlossen,  perun,  Warkus,  Kappe,  beständig 
Die  Hose,  ealiga,  hatte  vielfach  doch  j  zum  vollen  Anzug  gehörte  und  jetzt 
die  Gestalt  der  Trikots,  indem  sie  '  eine  Kapuze  oder  Ärmel  oder  auch 
als  Langstrümpfe  die  Beine  bis  in  |  beides  zugleich  erhielt  und  zwar 
die  Mitte  der  Oberschenkel  beklei-  die   Ärmel  als  weite  Halb-  oder 


dete  und  dort  an  die  Broche,  femo- 
ralia,  (unserer  Schwimmhose  ähn- 
lich) anscbloss  oder  auch  als  ein 


Hängeärmel.  Das  untere  Gewand 
hiess  Sukkenie  und  wurde  in  seinem 
oberen  Teile  sehr  verengt.    Es  war 


Stück  mit  derselben  den  Leib  bis  das  Hauskleid,  während  die  „Kappe" 
zur  Hüfte  bedeckte.  Bei  den  Armen  auf  Reisen  und  zur  Jagd  darüoer 
tritt  eine  einfache  Pumphose  auf,  |  angezogen  wurde.  Vornehme  trugen 
die  am  obern  Rande  durch  einen  auf  der  .Jagd  auch  ein  besonderes 
eingenähten  Riemen  zusammenge-  „Pirsgeiranl",  einen  kurzen  Umhang 
zogen  wird.  Auch  die  ganzen  Trikots  von  Pelzwerk.  Der  Mantel  (siehe 
wurden  mittelst  Schnüren  an  den  Hüf-  dort)  hatte  seine  ursprüngliche  Form, 
tengeheftet,  d.  h.  meist  mitdem  Ober- '  diejenige  eines  halbkreisförmigen, 
kleide  zusammengenestelt,  wozu  diese  menr  oder  minder  weiten  Umhangs, 
sowohl  wie  der  Hüftengürtel  ent-  noch  immer  bewahrt,  wurde  nun 
sprechend  durchlöchert  waren.  Diese  aber  nicht  mehr  ausschliesslich  nach 
Trikots  wurden  aus  Seide  oder  römischer  Sitte  auf  der  linken  Schul- 
Wolle  gewebt,  vorherrschend  ein-  ter  getragen,  sondern  als  Rücken- 
färbig,  besonders  rot,  dann  oft  auch  mantel  auf  beiden  Schultern  zu- 
gestreift oder  jeder  Beinling  in  gleich.  Die  Kopfbedeckung  kommt 
eigener  Farbe  Die  Schuhe.  Halb-  noch  selten  vor,  wo  sie  aber  auf- 
stiefeln,  wurden  nach  wie  vor  aus  tritt,  da  ist  es  die  Rundkappe,  die 
Zeug,  Filz  oder  Leder  gefertigt  und  spitzige  Pelzmütze  und  der  breit- 
erhalten  immer  noch  verschiedene  krempige  Strohhut.  (Siehe  Kopf- 
Farben;  doch  herrscht  bereits  die  bedeckung.) 

schwarze  vor.    Sie  wurden   mehr       Die  weibliche  Kleidung  entsprach 
Kealleiieon  der  deutschen  Altertümer.  63 


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99-4 


Tracht. 


der  eben  besprochenen.  Zunächst 
ist  es  auch  im  12.  Jahrhundert  nur 
noch  ein  Kleid,  der  Rock,  der  auf 
blossem  Leibe  getragen  wird.  Er 
bleibt  auch  längere  Zeit  noch  das 
einzige  Kleidungsstück  der  Bedien- 
steten und  der  Armen.  Vermög- 
liche tragen  bald  das  Hauptkleidungs- 
stück über  demselben  und  seit  der 
zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhunderts 
auch  schon  das  dritte.  Der  Stoff 
des  Hemdes  ist  Leinwand  oder 
Seide;  wo  es  ein  einziges  Kleidungs- 
stück bleibt  —  ein  grober  Wollen-  | 
stoff.  Der  Hock  bedeckte  den  Ober- 
körper sehr  knapp,  erweiterte  sieh 
aber  an  den  Hüften  zu  einem  langen 
Schleppkleide,  dem  die  weiten  Hänge- 
ärmel entsprachen.  Die  Geistlich- 
keit nahm  Anstoss  an  dieser  Tracht 
und  untersagte  hie  auf  einem  Konzil 
um  11S5  auts  nachdrücklichste.  Sie 
erhielt  sich  jedoch  bis  in  den  An- 
fang des  13.  Jahrhunderts,  wo  die 
(in  ihrem  oberen  Teile)  weitere  ärmel- 
lose Sugqenie  oder  Stick  euie  aufkam, 
die  auch  vou  den  Männern  bald 
allgemein  getragen  wurde.  Erwähnt 
werden  bei  den  Dichtern  noch  der 
kurze  Boll,  wahrscheinlieh  ein  Über- 
wurf, der  Surkot,  ein  dem  Skajmlier 
ähnlicher  Überhang,  vorn  und  hinten 
herabhängend,  an  den  Seiten  offen, 
oben  mit  einem  Kopfloch  versehen 
—  und  ferner  der  Strunz  oder  das  ' 
Strunze/ in,  vermutlich  eine  Suckenie 
mit  Schleppe.  Mantel,  Fuss-  und 
Kopfbekleidung,  wenigstens  erstere 
zwei,  unterschieden  sich  nicht  von 
denjenigen  der  Männer,  wogegen 
die  kostbaren  fremden  Geschmeide 
von  den  Frauen  im  allgemeinen 
mehr  geliebt  werden,  als  von  den 
Männern,  wie  wenig  auch  die  Männer, 
natürlich  die  Fürsten  vorab,  den 
glänzenden  Erzeugnissen  der  Gold- 
schmiedekunst abhold  waren.  Im 
Inlande  zeichneten  sich  auf  diesem 
Gebiete  die  Augsburger  und  Nürn- 
berger Goldschmiedewerkstätten  aus. 
Haar  und  Bart  wurden  immer  noch 
kurz  geschnitten;    der   volle  Bart 


kennzeichnet  den  Juden,  dem  über- 
dies ein  zuckerhutförmiger  Hut  mit 
kurzem,  herabhängenden  Rand  vor- 
geschrieben war,   welche  Bestim- 
mungen von  späteren  Kirchen  Ver- 
sammlungen dahin  erweitert  wurden, 
dass  der  Hut  hornartig  gekrümmt 
und  das  Unterkleid  auf  der  Brust 
oder  dann  der  Mantel  mit  einem 
orangefarbenen     Rad  bezeichnet 
werden  müsse.  Ebenso  mussten  sich 
die  jüdischen  Weiber   und  Kinder 
auffällige  Kennzeichnung  gefallen 
lassen. 

Wohl  auch  gegen  Ende  des  12. 
Jahrhunderts  mögen  besondere  Ah- 
zeirhen  für  Beamte  aufgekommen 
sein,  sei  es  nun  dass  diese  in  einem 
eigenartig  gestaltetcnK  leid  ungsstüek 
selbst  oder  in  einer  Verzierung  des- 
selben bestanden. 

Auch  des  Stabe*  wird  als  eine? 
solchen  Abzeichens  erwähnt.  Es 
müssen  aber  diese  Abzeichen  über- 
haupt anfänglich  nur  bei  besonders 
hohenFestlicnkeiten  getragen  worden 
sein,  wenigstens  erscheint  auf  einem 
Bilde  in  der  Manesseschen  Lieder- 
handschrift, die  zwischen  1280  und 
1 328  gesammelt  worden,  der  Böhmen- 
könig Wenzel  II.  in  seinem  volles 
Ornate,  während  seine  sämtlichen 
Begleiter  ohne  besondere  Kenn- 
zeichen dargestellt  sind.  Auch  ist 
mit  Gewissheit  anzunehmen,  dass 
in  gleicher  Weise  die  Auszeichnung 
der  Kur-  oder  Wahlfürsten  kaum 
vor  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
aufkam.  Diese  bestand  in  einem 
langen,  roten  Mantel,  besetzt  und 
gefüttert  mit  Hermelin  und  einem 
Kragen  von  demselben  Stoffe,  und 
in  einer  roten  Rundkappe  mit  Her- 
melinbesatz, bei  den  vier  weltlicheu 
Fürsten  von  Summet,  bei  den  geist- 
lichen von  Tuch. 

Zu  eben  der  Zeit,  als  der  7/V 
seine  Beamten  äusserlich  kennzeich- 
nete, nahm  auch  die  bürgeriieh* 
Amtskleidung  in  den  städtischen 
Gemeinwesen  ihren  Anfang.  Die 
höchste  Gewalt  war  die  richterliche. 


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Tracht. 


1)95 


und  für  ihre  Trager'  findet  man  zu-  um  so  kräftiger  herein.    Adels-  und 

erst  —  und  zwar  schon  in  den  Bürgerstand  suchten  sich  zu  über- 

Rechtsbüchern    des    13.   Jahrhun-  bieten  „und  was  beide  in  äussern 

derts  —   bestimmte    Vorschriften  Genüssen  nicht  selber  ersannen  oder 

über  ihr  Erscheinen  bei  deren  Aus-  vermochten,  ersann  und  vollführte 
Übung.    Der  Richter  musste  auf  die  Geistlichkeit.    Wie  heftig  auch 

i  inem  vierbeinigen  Stuhle    sitzen  der  Einspruch  wurde,  den  emzelne 

.  als  ein  grisgrimmender  Lowe,  den  gesinnungstüchtige  Männer,  Pradi- 
rechten  Fuss  über  den  linken  ge- (  kanten  und  Moralisten,  und  selbst 

Mhlagen",  bekleidet  mit  einem  Behörden  dagegen  erhoben,  und  wie 
Mantel,  den  sollen  sie  „tippen  den 1  wirksam  auch  dies  teilweise  war, 

*?hulderen  h ebben  ,  sunder  wapenen  im  ganzen  blieb  man  sich  getreu, 

toten  sie  si?i".     Und  „swar   man  ja  fühlte  sieh  darum  um  so  ent- 

bnget  in  bi  koninges  banne,  dar  ue  schiedener  geneigt,  im  Eigenwillen 

*al  noch  scepenen  (Schöffen)  noch  <  zu  beharren   und   eben   nur  sich, 

nehtere  kappen  hebben  an  noch  hü-  \  dann  oft  bis  zum  Mutwillen,  in  un- 

kken  noch  huren  noch  handschuheu.  gebundenster  Art  zu  genügen." 

Zudem   trägt    der    Richter    einen  Zwischen  1330  und  1340  kam 

weissen  (entrindeten)  Stab.    Schul-  die  neue  Tracht  iu  Aufnahme ,  zu- 

iheissen  und  Landgrafen  sitzen  auch,  erst  bei  der  Jugend,  dann  bei  den 

^owie  die  übrigen  Schoppen  oder  Erwachsenen      männlichen  Ge- 

SchörTen  auf  der  Schönnen -Bank,  schlechts,  zuletzt  bei  den  Frauen. 

Sie  tragen  Stab  und  Afantel  und  Der  Verfasser  der  Limburger  Chro- 

uberdies  einen  gelben  Krempenhut,  nik  (1349)  sagt  hierüber:  „Die  alten 

dessen  Spitze  noruartig  rückwärts  Leut,  mit  Namen  die  Manne,  trugen 

gebogen  erscheint.    Untergeordnete  !  weite  und  lange  Kleider,  die.hatten 

Beamte   trugen    die    Farben    der  nicht  Knäufe,  allein  an  den  Ärmeln 

otldt,  vielleicht  auch  die  Wahr-  hatten  sie  drei  oder  vier  Knäufe, 

zeieheu   derselben    in    Form    von  Die  Ärmel  waren  beschcidentlieh 

Wappenschi Idcheu,  wie  auch  jede  j  weit,  und  die  Röcke  oberhalb  der 

Zunft  —  mancherorts  auch  einzelne  ,  Brüste  gerunzet    und  eingefranzt, 

( '»  .schlechter  —  ihr  eigenes  Wahr-  vorne  geschlitzet  bis  an  den  Gürtel, 

ziehen  führte.  Die  jungen  Mannsleute  trugen  kurze 

■Schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  Kleider,    abgeschnitten,    auf  den 

13.  Jahrhunderts  hatte  Deutschland  ,  Lenden  .gerunzet  und  gefalten,  mit 

'lie  Führerschaft  unter  den  euro-  engen  Ärmeln,  die  Kogeln  gross, 

j'  tLjchen    Landen   an   Frankreich  Darnach  zur  Hand  trugen  sie  Köcke 

abtreten  müssen,  das  auch  in  bezug  mit  vierundzwanzig   oder  dreissig 

auf  die  Tracht  eine  völlige  Umge-  Girnen ,   und  lange  Heuken ,  die 

«taltung  hervorrief,  hindern  es  mit  waren  gekneuft ,  vorne  nieder  bis 

den  altrömischen  Überlieferungen  auf  die  Füss,  und  Stumpf- Schuh, 

völlig  brach  und  dadurch  für  das  Etliche  aber  trugen   Kogeln,  die 

Kostüm  eine  durchaus  selbständige,  hatten  vonie   einen  Lappen ,  die 

höchst  wechselvolle  Fortgestaltung  reichten  herab  bis  an  die  Knie,  die 

anbahnte.    Deutschland  widerstand  ,  Lappen  verschnitten  und  verzuselt. 

dem  französischen  Einflüsse  bis  gegen  Es  hat  diese  Tracht  gar  manches 

He  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  und  Jahr  gewährt." 

ierGrundeharakterderBekleidungs-  „Die  Herren  und  Ritter,  wenn 

wt  blieb  bis  dahin  dem  bisherigen  sie  hoffahrten,  hatten  lange  Kappen 

gleich.     Dann    aber    brach    mit  an  ihren  Ärmeln  bis  auf  die  Erde 

inemmale  der  ganze  Widerstand,  herabhängend ,  gefüttert  mit  Bunt 

und  die  Flut  des  Neuen  brach  nun  oder  kleinem  Spelt  i  grauem  Pelz- 

63* 


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996  Tracht. 

werk),  als  wie  es  den  Herrn  und  Rücken  hin.  Dahingegen  vergingen 

Rittern  gebührt/'1  nun  die  weiten  und  kurzen  Leaersen. 

„Frauen    und    Weibspersonen  die  hatten  oberhalb  gut  Leder  und 

waren  gekleidet,  wann  sie  gingen  waren  (uuterwärts)  verhauen.  Da 

zu  Hof  oder  Tanz,  mit  Perkkleideru,  I  ging  auch  an,  dass  die  Männer  sieb 

darunter  Röcke  mit  engen  Ärmeln,  vorne,  hinten  und  neben  zunestelt'n 

und  das  oberste  Kleid  hiess  Sorkcte;  und   gingen   also    hart  gespannt, 

es  war  zu  beiden  Seiten,  beneben  und  Die  jungen  Männer  trugen  gemein  ig 

unten  aufgeschlitzt   und  gefüttert,  lieh  geknäufte  Kugeln,  als  wie  di  • 

im  Winter  mit  Bunt,  im  Sommer  Frauen.     Diese    Kogeln  währten 

mit  Zindel,  darnach  es  auch  jedem  dreissig  Jahr  und  vergingen  «larnaob 

Weibe  ziemlich  war.  —  Es  trugen  j  wieder." 

die  Frauen,  so  Bürgerinnen  waren,        Wie  es  bei  Nachäffereien  zu  ge 

in    den    Städten    gar    ziembliche  schehen  pflegt,  waren  es  besonders 

Heuken,  die  nannte  man  Veelen  und  die  auffälligsten  Absonderlichkeiten 

war   daran    des   kleinen  Gespens  |  der  französischen  Mode,  die  eifrig 

(Gespenstes)  von  Distelschit  kraus  nachgeahmt  und  überboten  werden 

gefallen  und  eng  gefalten,  bei  dem  \  wollten,  so  die  überaus  weiten  Hänge- 

einen   mit  einem  Saum   bei  nahe  ärmel  der  Röcke,  die  Schwänze  der 

einer  Spanne  breit,  und  kostet  einer  Kapuzen,  die  Schnäbel  der  Sehnte 

neun  oder  zehn  Gulden."  |  und  die  Auszattelung  der  Ränder 

Zum     Jahre      1350     schreibt  Während  die  Franzosen  z.  B.  di- 

derselbe    Chronist:    —    —    ,,und  engen  Röcke  vollständig  zugeknöpft 

machten  die  Leute  neue  Kleidung,  trugen ,    schlitzten    die  Deutsehen 

Nun  waren  die  Röcke  unten  ohne  dieselben  zuerst  an  den  Seiten  noch 

Girncn,  und  sie  waren  auch  nit  ge-  etwas    auf    und    versahen  dies« 

kürzet,  sondern  lang  und  dergestalt  Schlitzen  wieder  mit  Knöpfen  in 

enge,  dass  ein  Mann  nicht  wohl  dichtester  Reihe.    Den  kurzen  Rock 

darin  schreiten  mochte,  und  gingen  nannte  mau  schlechthin  „Scheelr 

eine  Spanne  unter  die  Knie;  da  und    entlehnte    diesen  Ausdrnek 

fingen  auch  die  Schnabelschuhe  an."  wahrscheinlich     dem  Englischem 

„Die  Frauen  trugen  neue  Haupt-  (jade,  jackel),  den  längeren  nannt- 

ii nst am,  so  dass  man  die  Brüste  mau  Ii  ams,  icamniesin,  iratnhetouy 

beinahe  halb  sähe.    Wiederum  auch  gambesou,  mit  welchem  Ausdruck 

machten  die  Männer  Röcke  kurz  anfänglich    das    ritterliche  Unter 

eine  Spanne  unter  die  Gürtel;  auch  gewand    bezeichnet   wurde.  Der 

trugen  sie  Heukeu,  die  waren  alle  Hüftgürtel  behielt  seine  ursprün^- 

rund  und  ganz,    die  hiesse  man  liene' Stelle  bei  uns  noch  lange  Zeit 

Glocken,  die  waren  weit,  lang  und  bei,  indem  nur  vereinzelte  Stutz  r 

auch  kurz."  ihn  tiefer  hinunterrückten,  wie 

Und    schon    1362    weiss    der  die  französische  Mode  vorschrieb 

Chronist  eine  weitere  Neuerung  zu  Als  Beinkleid  war  die  enganliegend* 

berichten:  „In  diesen  Tagen  ver-  Hose  jetzt  am  verbreitetsteu ,  doch 

gingen  die  grossen  weiten  Ploder-  ,  waren  auch  die  alten  Einzelbeinling* 

hosen  und  Stiefeln;  diese  hatten  noch  üblich.    Was  aber  der  Ver 


oben  rot  Leder  und  waren  verhauen 
(aufgeschlitzt)  und  gingen  die  langen 
Ledersen  an.    Die  waren  eng,  mit 


fasser  der  Limburger  Chromk  unter 
der  „Ploderhosc"  versteht,  ist  nicht 
ersichtlich.     Die  spitzen  Schnabel 


langen  Schnäbeln,  hatten  Krappen,  der  Schuhe  waren  oft  eine  Elle  lan^: 

•  •inen  bei  dem  anderen,  von  der  und  die  gleiche  unsinnige  Ühertrei 

grossen  Zehe  an,  bis  oben  aus,  und  buug  bemächtigte  sich  der  Kuoeh 

hinten  aufgenestelt  bis  halb  auf  den  (Gugeln, Kogeln,  Gogeln,  lat  eumltu. 


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Tracht.  997 

Kappe», der üblichenKopfbedeckung,  j  reich  verziert  und  im  Laufe  der  Zeit 
die  mit  Lappen-  und  Zaddelwerk  unförmig  verbreitert.    Als  Kopfbe- 
uuförmig  behängen  und  mit  mehr  deckung  benutzten  auch  die  Frauen 
als  ellenlangen  Schwänzen  versehen  den  Gugel.    Daneben  kommt  als 
wurden,    tür  die  Mantel  behielt  eine  deutsche  Kopftracht  die  Haube 
man   die    zwei    bisher    üblichen  vor,  die  Kopf  und  Schultern  bedeckt 
Formen  der  „Heuke"  und  „Glocke",  und  an  ihrem  äussern  Rande,  der 
den  linken  Schultermantel,  der  auf  das  Gesicht  umschließt,  einen  wei- 
der rechten  geheftet  wird,  und  den  chen  Besatz  von  Krausen  trügt,  wes- 
zweiteiligen  Schurz,  der  oben  ein  wegen  sie  auch  „Hullen"  oder„Kru- 
Knopfloch  besitzt,  vom  und  hinten  seier"  genannt  werden.  Die  jungen 
weit  herabhängt  und  zu  den  Seiten  Mädchen  tragen  noch  den  Stirnreif 
offen  ist.  oder  Schapel  Dei  orTenem  oder  lang- 
Gleichzeitig  mit  der  neuen  Tracht  geflochtenem  Haar.    Der  Schleier 
kam  bei  den  Männern  auch  das  lange  wurde  immer  häufiger. 
Haar  und  der  Barl  wieder  in  Auf-  Als  Mantel  beliebte  den  Frauen 
nähme,  wie  Haqeciu*  schon  um  1329  immer  noch  der  bis  dahin  übliche 
sagt:  .,Nun  auch  begann  die  Ritter-  Rückenmantel,  der  auf  der  Brust 
scuaft  ihre  Bärte  lang  wachsen  zu  befestigt  wurde ;  seltenertrugen  sie 
lassen ,  da  man  sich  vordem  glatt  die  „Heuke."    Im  übrigen  ist  zu 
trug;  auch  trugen  einige  Knebel-  bemerken,  dass  das,  was  hier  auf- 
bärte,  gleich  Hunden  und  Katzen  kommt,  dort  schon  fallt,  und  was 
nach  heidnischer  Art.  Andere  aber,  von  einer  Stadt  gesagt  werden  darf, 
ihre  Mannheit  verleugnend,  nahmen  auf  eine  andere  nicht  Bezug  hat, 
weibischen  Gebrauch   an,   trugen  wenigstens  nicht  in  demselben  Grade; 
langherabhängendes  Haar,  kämmten  denn  —  wie  ein  österreichischer  Chro- 
und  bleichten  es  nass  an  der  Sonne,  nist  sagt:  „Jeder  kleidete  sich  nach 
Etliche,  die  vor  allen  andern  berufen  Gefallen,  einige  trugen  Röcke  von 
und  schön  erscheinen  wollten,  brann-  zweierlei  Tuch,  bei  andern  war  der 
ten  und  kräuselten  ihr  Haar,  und  linke  Ärmel  beträchtlich  weiter  als 
je  zierlicher  einer  dies  konnte,  je  der  rechte,  ja  bei  manchen  sogar 
schöner  er  sich  zu  sein  bedünkte."  noch  weiter  als  der  ganze  Rock 
Die   Frauen  gaben  zuerst  das  lang  war.    Andere  hatten  beide 
ärmellose  Unterkleid  auf  oder  wan-  Ärmel  von  derartig  gleicher  Weite, 
delten  es  zum  Harket  um,  indem  sie  und  wiederum  andere  verzierten  den 
es  zur  rechten  und  zur  linken  von  linken  auf  mancherlei  verschiedene 
unten   herauf   stark   aufschlitzten.  (  Weise,  teils  mit  Bändern  von  allerlei 
Darauf  Hess  man  es  wieder  unge-  Farben,  teils  mit  silbernen  Körnlein 
teilt,  verengte  es  aber  und  versah  an  seidenen Sehnüren.  Einige  trugen 
♦^8  mit  Ganzärmeln.  Bald  aber  über-  auf  der  Brust  ein  Tuchstück  von 
boten  sie  ihre  Männer  im  Wetteifer,  verschiedener  Farbe,  mit  silbernen 


nach  französischer  Art  sich  zu  kleiden. 
Das  Kleid  wurde  in  seinem  obern 
Teile  eng,  dafür  aber  tief  ausge- 
schnitten, sodass  Hals  und  Schultern,  andere  wickelten  sich  die  Brust  ganz 
oft  auch  ein  grosser  Teil  der  Brust  mit  seidenen  Ringen  ein.  Einige 


und  seidenen  Buchstaben  geziert. 
Noch  andere  trugen  Bildnisse  auf 
der  linken  Seite  der  Brust,  und  aber 


l  ntblösst  erschienen.  Um  so  ver- '  Hessen  sich  die  Kleider  so  eng  ma- 
schwenderischer  war  man  mit  dem  chen,  dass  sie  solche  nur  mit  Hilfe 
faltigen  untern  Teile  desselben,  der  anderer  oder  vermitteist  Auflösung 
—  wenn  auch  nicht  in  demselben  einer  Menge  kleiner  Knöpflein,  wo- 
Afasse  wie  in  Frankreich  —  in  einer  mit  die  Ärmel  bis  auf  die  Schultern, 
Schleppe  endigte.  Der  Gürtel  wurde  auf  Brust*  und  Bauch  ganz  besetzt 


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Tracht. 


waren,  wirklich  an-  und  ausziehen  wollte,  schlug  man  sie  auf.  —  Diu 

konnten*'  etc.  Hundskogcln    fahrten    Rittor    im  1 

Auch   der  mehrmals  genannte  Knechte,  Bürger  und  auch  reisige 

Limburger  Chronist  verliert  die  Ge-  Leute.  —   Item  auch  trugen  du 

duld,  die  jeweiligen  Änderungen  in  Männer  Ärmel  und  Wämser  ohn- 

der  Tracht  mit  der  Ausführlichkeit  Schoppen  und  andere  Kleidung,  di 

zu  behandeln,  wie  er  es  anfangs  hatten    Stauchen    bis     nah  aal 

gethan.  So  sagt  er  vom  Jahre  1370  die  Erde,  uud  wer  von  ihnen  die 
kurz:  „Neue  Kleidung  ging  an  in '  allerlängste    trug,    das    war  ein 

dem  Jahre,  das  waren  die  langen  Mann." 

Tapperte,  die  trugen  sowohl  Männer  „Böhmische  Kugeln  trugen  dk 

als  Frauen,  und  trugen  die  Männer  Frauen,  die  gingen  da  an  in  diesen 

die  Hauken  kurz,  weit,  auf  beiden  Landen.    Dicso  Kugel  stürzte  eine 

Seiten  geknäuft;  und  währte  nicht  Frau  auf  ihr  Haupt  und  standen 


springt  dann  zehn  Jahre  uud  be-  als  wie  man  die  Heiligen    in  der 
merkt  (1380):  ,. Wer  heuer  ein  guter  Kirche  malet  mit  den  Diademen." 
Schneider    war,    der   taugt   jetzt       Der  ,,Tapj>ert",  auch  Trappert 
nicht  eine  Fliege,  also  hat  sich  der  oder  Trapphart  genannt,   war  ein 
Schnitt  verwandelt  in  diesen  Landen  Üb  erzieh  rock  von  raäs«iger  Weite 
in  so  kurzer  Zeit."  anfangs  bis  auf  die  Fü<se  reichen! 

„In  demselben  Jahr"  —  erzählt  vorn  vom  Gürtel  abwärts  aufg* 
er  weiter  —  gingen  die  Männer  schlitzt,  mit  beliebigen  Ärmeln  ver- 
um! die  Frauen,  edle  und  unedle,  sehen.  Bald  wurde  er  verkürzt  uni 
Knaben  und  Jungfrauen  mit  Tap-  reichte  so  nur  noch  bis  zum  Knie. 
perTen,  und  hatten  die  in  der  Mitte  Gegürtet  wurde  er  mit  dem  „Duch- 

fe^urtet,  und  die  Gürtel  hiess  man  sing"  {Dapsiug,  D.isiug,  Teusink-M. 
)ucksinff;  die  Männer  trugen  sie  der  nach  einer  alten,    nun  ueu 
kurz  und  lang,  wie  sie  wollten,  und  erstandenen  Sitte  mit  Schellen  uu  \ 
machten  daran  grosse,  lan^e  und  Glöckchen  geziert  war. 
weite  Stauchen ,  einesteils  nis  auf       Diese  wurden  zuerst,  wie  es  heute 
die  Erde.    Diesen  Schnitt  haben  sie  noch  üblich  ist,  mit  dem  Pferd^- 


„Da  auch  fing  es  an,  dass  man  man  sie  aber  auf  Gürtel,  Ärmel, 
nicht  mehr  die  Haarlocken  und  Zöpfe  Kugel  und  sogar  auf  die  SehmV 
trug,  sondern  die  Herren,  Ritter  uud  '■  übertrug .  da  liessen  sich  die  Be- 
Knechte trugen  gekürztes  Haar  oder  hörden  dagegen  auf.  So  gebot  1343 
Krüllen,  über  den  Ohren  abgeschnit-  der  Rat  zu  Nürnberg:  „Kein  Mann 
ten,  gleich  wie  die  Co nrersb rüder,  noch  Frau  soll  keinerlei  Glocken. 
Da  dies  die  gemeinen  Leute  sahen,  Schellen ,  noch  irgend  von  Silber 
thaten  sie  es  ihnen  nach."  I  gemacht  hangende  Dinge  an  einer 

„Es  führten  die  Ritter,  Knechte,  Kette  noch  an  einem  Gürtel  tragen." 
Bürger  und  die  reisigen  Leute  über- 1  Und  nach  der  Göttinger  Chronik 
haupt,  lange  Schecken,  Schecken-  |  erschienen  auf  den  grossen  Feston. 
rocke,  geschlitzet  hiuten  und  beue-  die  Herzog  Otto  um  1370  und  1376 
beu,  mit  sehr  grossen  und  weiten  veranstaltete,  viele  Ritter,  Weiber 
Ärmeln,  die  Piexchen  (Wülste)  an  und  Jungfrauen  geziert  mit  herrli- 
den  Ärmeln  betrugen  eine  halbe  chen  Purpurgewändern  und  klingen- 
Elle  oder  mehr.  Das  hing  den  Leu-  den,  silbernen  und  goldenen  Gürteln 
ten  über  die  Hände  und  wo  man  und  Borten,  mit  langen  Röcken  und 


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Tracht. 


Kleidern,  die  gingen  alle  schurr  I  und  vorne,  dass  man  Brüste  und 

schurr  und  kling  kling.'*  Rücken  fast  entblösst  sah.  Auch 

Wie  der  Tappcrt  selbst  sich  er-  waren  diese  Rocke  geflügelt  und  auf 
weiterte,  so  wurde  das  Unterkleid  i  den  Seiten  ausgefuttert.  Etliche, 
nach  französischem  Muster  immer  damit  sie  schmal  blieben,  schnürten 
kürzer  und  enger,  sodass  die  Rate  ,  sich  so  enge  ein,  dass  man  sie  um- 
allen Ernstes  zur  Wahrung  des  spannen  mochte.  Die  adeligen  Frauen 
Schicklichkeitsgefühls  dagegen  auf- 1  hatten  geschwänzte  Röcke  (Schlep- 
treten  mussten,  so  der  zu  Konstanz  pen),  vier  oder  fünf  Ellen  lang,  so- 
im  Jahre  1390:  „Wer  in  einem  dass  sie  Knaben  nachtrugen.  Die 
blossen  Wamms  zum  Tanz  oder  auf :  Frauen  und  Mädchen  hatten  an 
die  Strasse  geht,  soll  es  fein  ehr-  Röcken  dopple  dicke  Säume,  hand- 
bahrlich  machen  und  die  Scham  breit;  die  reichen  Weiber  silberne 
hinten  und  vorne  decken,  dass  man  Knäufen  oder  breite  silberne  Schaleu, 
die  nicht  sehen  möge."  von  oben  bis  unten  auf  die  Schuh. 

Die  Frauen  hinwieder  Wetteifer-  Die  Mägde  trugen  Haarbänder  von 

ten  darin,  ihre  „Leibchen"  auf  Brust  Silber,  vergoldete  Spangen  und  han- 

und  Rücken  recht  weit  auszuschnei-  gende  Flammen  (Schleier)  zum  Ge- 

deu  und  diese  entblössten  Teile  recht  schmück  auf  den   Häuptern ;  die 

voll  erscheinen  zu  lassen  durch  An-  Weiber  auch  lange  Mäntel  mit  Fal- 

wendung  eines  breiten,  engen  Gür-  ten,  unten  weit,   mit  zwiefachem 

tels,  dnr  die  Taille  möglichst  lang  Saum  handbreit,  oben  mit  dickem,  ge- 

und  dünn   erscheinen  Hess.     Der  stärktem  Kragen,  anderthalb  Schuh 

Schellengürtel  hing  nur  lose  an  den  lang:  hiessen  Kragenmäntel.  Auch 

Hüften.    Als  Kopfbedeckung  kam  hatten  die  Männer  Wämmser  von 

zu  der  bisherigen  noch  neu  hinzu  Barchent ,  mitten   waren  doppelte 

das  aus  Gold-  und  Silberfäden  ge-  Kragen  mit  Taig  zusammengeklei- 

flochtene,  mit  kleinen  Metallanhäng-  stert,  und  kurze  Röcke  mit  zwei 

sein,  Perlen  und  Steinen  reich  ge-  Falten,  kaum  wurde  der  Hinterste 

zierte  Haarnetz,  ebenfalls  ein  deut-  bedeckt." 

sches  Produkt,  das  den  damals  in  Noch  weiter  ging  das  15.  Jahr- 
Frankreich  allgemein  verbreiteten  hundert.  Namentlich  die  Jugend  war 
„Atour"  nicht  recht  aufkommen  Hess,  bemüht,  die  gegebenen  Formen  der 
Wie  allgemein  aber  zu  Ende  des  bisherigen  Tracht  durch  neue  Zu- 
Jahrhunderts die  neue  Tracht  schon  thaten  noch  auffälliger  zu  machen, 
war,  d.  h.  wie  sie  auch  die  kleinen  weswegen  denn  auch  Verordnung 
und  kleinsten  Städte  schon  völlig  über  Verordnung  erschien,  dem 
für  sich  eingenommen  hatte,  beweist  „Lappen-  und  Zaddelwerk",  der 
eine  Nachricht  aus  Kreuzburg:  „Die  „geteilten  Kleidung",  der  „Schellen- 
reichen Leute  hatten  Teusinke  um,  tracht"  und  den  „Schnabelschuhen" 
war  ein  silberner  Gürtel,  da  hingen  den  Krieg  zu  erklären.  Doch  herrschte 
Glöcklein  an ;  wenn  eines  ging,  —  sagte  ein  alter  Chronist  —  „anno 
schellte  es  um  ihn  her.  Das  Manns-  1400  und  bis  man  schrieb  1430  ein 
volk  hatte  Kappen  mit  wollenen  so  grosser  Überfluss  an  prächtigem 
Troddeln,  ellenlang  und  setzten  sie  Gewand  und  Kleidung  der  Fürsten, 
über  die  Stirn.  Ihre  Schuhe  waren  der  Grafen ,  Herrn ,  Ritter  und 
vorn  spitzig,  fast  ellenlang.  Ja  Knechte,  auch  der  Weibspersonen, 
einige  machten  an  die  Spitzen  Schel-  \  als  vor  niemals  gehört  worden;  auch 
len.  Auch  hatten  die  Männer  Hosen  I  trug  man  da  silberne  Fassungen 
ohne  Gesäss,  banden  solche  an  die  oder  Bänder  mit  Glocken  von  zehn, 
Hemden.  Die  reichen  Jungfrauen  zwölf,  fünfzehn  und  zuweilen  von 
hatten  Röcke  ausgeschnitten  hinten  zwanzig  Marken  (etwa  zehn  Pfund I. 


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1000 


Tracht. 


Etliche  auch  trogen  rheinische  Ket-  gebundenen  Flechten,  die  mit  Ro- 
ten von  vier  oder  sechs  Marken,  setten-  und  Edelstein  gezierten  Gold 
samt  kostbarlichen  Halsbändern,  streifen,  künstlichen  Kränzen,  gl- 
grossen  silbernen  Hüftgürteln  und  stickten  Bändern,  mit  Blumen  ue' 
mancherlei  Art  von  Spangenwerk."  Federn  geschmückt  wurden.  Wer 

Zur  Auszaddelung  eignete  sich  das  Geld  für  einen  ersten  Schmuck 
der  Tappert  am  besten;  er  erhielt  erlegen  konnte,  der  iiess  »iehs  nicht 
daher  in  dieser  Zeit  die  weiteste  gereuen,  unglaubliche  Summen  n 
Verbreitung.    Ausgezaddelt  wurden  opfern ;  wer  keinen  echten  bezahlet) 
zuerst  die  weiten  Ärmel,  dann  aber  konnte,  begnügte  sich   mit  einrn 
der  ganze  Rand  und  endlich  der  unechten,  wTie  er  ihn  bei  öffenrlito 
HalskrHgen  und  selbst  die  Schulter-  zu  Recht  bestehenden  Handwerk- 
stücke.    Bald  war  der  ganze  Rock  innungen  haben  konnte.  Seine  Blät- 
ausgezaddelt ,    das*    er    weder  zu  aber  erreichte  das  Stutzertum  in  d<  r 
schützen,  noch  zu  decken  vermochte,  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhundert- 
Die  einzelnen  Zaddeln  waren  von  und  zwar  am  hurqundischen  11 
ungleicher  Grösse  und  Form,  und  wo  es  sich  in  beiden  Geschlechter- 
oft  mit  weiteren  Zaddeln  derart  über-  jedweder  Fessel  entwand  und  d;e 
legt  und  übernäht,  dass  das  ganze  tolle  Laune  dem  Anstand,  der  Scta. 
wirklich  ein  „Zaddelwerku  genannt  heit  und  Zweckmässigkeit  überorl- 
werden  durfte.    Mit  der  Mitte  des  nete.  Monstrelet  schreibt  zum  Jahr- 
15.  Jahrhunderts  kam  dann  neben  1467  in  sehr  bezeichnender  Wei*- 
dem  Tappert  auch  die  Schauhe  auf.  In  dieser  Zeit  machten  die  Mänct: 
indem  jener  auf  der  Vorderseite  g<  -  die  Kleidung  so  kurz,  das«  man  <ü* 
öffnet  allmählich  in  diese  umgestaltet  genaue  Form  ihrer  cuh  und 
wurde.   Die  sogenannte  Teilung  der  toire*  sehen  konnte,  ganz  so,  w<! 
Kleider  hatte  immer  noch  zumeist  bei  den  bekleideten  Affen.  Auch  ia 
auf  die  Beinkleider  Bezug.   Da  der  Deutschland    trug   man   statt  <ie: 
Tappert  als  mehr  oder  minder  langes  langen  Tapperte  nun  die  vorn  offene 
Obergewand  den  Rock   oder  das  Schauhe  oder  den   kurzen,  engw 
Wams  bedeckte,  schenkte  man  letz-  Scheckenrock,  dazu  eine  Hose,  derta 
terem     weniger    Aufmerksamkeit.  Knappheit  sich  bis  zur  Schamlos?" 
Doch  gab  es  auch  etwa  einzelne  keit  gesteigert  hatte  und  die  eit« 
Stutzer,  die  den  Rock  in  zwei  Far-  Schamkapsel   erforderlich  machte 
ben,  zwei  Hälften,  geteilt  trugen,     '  Auch  wurde  die  Jacke  weit  ausp^ 

Von  der  Kleidung  der  Frauen  schnitten,  der  Ausschnitt  mit  k«,s;- 
ist  wenig  neues  zu  melden.  Wüh-  liehen  Borden  verziert  und  mit  einexo 
rend  einige  Frauen  der  höchsten  Brustlatz  unterlegt,  w;ie  ihn  &r 
Stände  sich  durch  ihr  schlichtes,  Frauen  trugen.  Die  Ärmel  war 
würdevolles  Auftreten  auszeichneten  den  verkürzt,  aufgeschlitzt  und  & 
und  darum  den  Künstlern  ihrer  Zeit  Schlitze  unterpufft.  Hie  und  da  fau- 
als  Vorbilder  zu  Darstellungen  der  den  auch  schon  die  französisch« 
Maria  und  andern  Heiligenbildern  ;  hochaufqepohterten  Schultern  ihre 
dienten,  bemühten  sich  die  übrigen,  Anwendung.  Der  Mantel 
im  Wettstreit  mit  den  Männern  den  begreiflicherweise  lappenartig  ver- 
sieg davon  zu  tragen,  indem  sie  das  kümmern  oder  zu  einem  Mose« 
Zaudel-  und  Schellen  werk  nachahm-  Schaustücke  sich  verengen,  das  - 
ten,  Brust  und  Rücken  womöglich  mit  einer  weiten  Halsöffnung  ver- 
noch  schamloser  entblössten  und  das  sehen  —  nur  etwa  den  Rücken  ^ 
Schniirleibchen,  „Gefängnis",  noch  ,  deckte  und  vorne  auf  der  Brust  durch 
enger  machten.  Die  freien  Haar-  eine  thunlichst  lange  Schnur  zu<*w 
locken  wichen  mehr  wieder  den  auf-  mengehalten  wurde,  damit  ja  ^  ' 


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Tracht. 


1001 


Auge  des  Beobachters  nichts  vor-  I 
enthalten  bleibe,  was  derselbe  sehen 
wollte  und  sehen  sollte.  Auch  das 
Rückenstück  wurde  zuweilen  ausge- 
schnitten wie  die  Brust  und  daun 
in  gleicher  Weise  mit  einem  Unter- 
latz versehen.  An  kostbaren  Be- ! 
ratzen  und  Stickereien  fehlte  es  eben- 
falls nicht;  letztere  stellten  nicht 
selten  einen  Sinnspruch  oder  ein 
Sinnbild  dar  und  fehlten  sogar  auf 
den  Beinlingen  der  Hose  nicht.  Diese 
w  ar  eigentlich  auf  das  Bein  gespannt, 
mit  Nesteln  gebunden.  Oft  zerfiel 
sie  der  Länge  nach  in  zwei  Stücke, 
indem  der  Unterschenkel  seine 
eigene  Bekleidung  hatte,  die  am 
Knie  an  die  obere  Hose  angenestelt 
wurde.  Auch  trug  man  überhaupt 
zwei  Hosen  übereinander,  die  untere 
lang,  die  obere  von  anderer  Färbung 
nur  bis  zum  Knie.  Die  Brust  war 
auch  etwa  geschlossen  und  dann 
weiberbusenartig  hoch  gepolstert. 

Hinsichtlich  der  „Gehalwirung" 
oder  Teilung  [mipartt)  ging  man  nun 
so  weit,  dass  nicht  nur  die  Hose, 
sondern  überhaupt  das  ganze  Kleid 
in  zwei  Hälften  zerfiel,  nach  Farbe, 
Form  und  Stoff,  was  sogar  auf  die 
Kopfbedeckung  und  Fussbekleidung 
Bezug  hat,  sodass  der  Mann  von  der 
einen  Seite  etwa  ganz  rot,  von  der 
andern  ganz  blau,  von  vom  und 
hinten  aber  halb  blau  und  halb  rot 
erschien.  So  kleidete  1459  der  Pfalz- 
graf am  Khein  1300  Mann  in  blau 
and  weiss,  und  die  Frankfurter  Chro- 
nik erzählt  von  einem  Bernhard  von 
Rohrbach,  einem  reichen  Stutzer  da- 
selbst, dass  er  um  1464  sich  ein 
..geteilt  Kleitu  machen  Hess,  „rot 
und  wys  zu  eyn  Farbe  uff  der  lin- 
ken Sitten  und  mitten  uß  der  Gosen 
ah  das  Rothe  und  wys  zusammen 
genegt:  ytel  Knop  und  mit  Gattein 
rot  und  tcusy  und  oben  uff  iklichem 
Knop  eyn  silbern  Spant f  gesiegt,  als 
Pertin,  und  also  auch  Rock,  Koller 
und  Kogel.11  Doch  beliebte  auch 
die  Mehrteilung;  so  waren  um  1473 
die  Krieger  der  Stadt  Augsburg 


dreifarbig  gekleidet,  weiss  und  rotr 
durch  grün  geteilt.  Die  Teilung 
nach  .der  Form  erstreckte  sich  auf 
die  Ärmel  und  Beinlinge. 

Die  Schnal)elschuhe  erhielten  sich 
trotz  der  heftigsten  Angriffe,  die  sie 
von  allen  Seiteu  erlitten  und  trotz 
der  augenfälligen  Unzweckmässig- 
keit  bis  zum  Jahre  1490,  wo  man 
ins  andere  Extrem  überging,  näm- 
lich zum  breiten,  „entenschnabel- 
förmigen'4 Schul».  Kopfbedeckungen 
waren  vorab  der  Huf  in  den  ver- 
schiedensten Gestaltungen,  daneben 
die  Mützen,  Sendelbinden  und  Gu- 
geln.  Das  Haupthaar  trug  man  ge- 
gen Sehluss  des  Jahrhunderts  lang; 
wer  von  Natur  dieses  Schmuckes 
entbehrte,  der  trug  falsche  Haare 
(siehe  Perrücke);  der  Bart  wurde 
mit  wenigen  Ausnahmen  immer  noch 
geschoren.  Ausgenommen  in  der 
Teilung  der  Kleider,  machten  die 
Frauen  auch  in  der  burgundischen 
Tracht  getreulich  mit.  Die  Schleppe 
wird  bis  4  Ellen  laug,  und  muss  von 
dienender  Hand  getragen  werden. 
Dadurch  wird  auch  das  Unterkleid 
sichtbar,  weswegen  es  unterwärts 
reich  besetzt  wird.  Der  Halsaus- 
schnitt bleibt  weit,  ja  er  vertieft 
sich  noch  und  nimmt  das  kostbare, 
feine  aber  durchsichtige  Vorsteck- 
iueh  auf,  das  die  Gestalt  eines  Kra- 
gens oder  eines  Brustlatzes  hat,  da- 
rin die  sonst  völlig  freien  Brüste  vom 
Leibchen  unterstützt,  ruhten.  So 
schreibt  der  Erfurter  Chronist  zum 
Jahre  14£0:  „Mädchen  und  Frauen 
trugen  köstliche  Brusttücher,  auch 
vorn  mit  breiten  Säumen  gestickt, 
mit  Seide,  mit  Perlen  oder  Flitter, 
und  ihre  Hemden  hatten  Säcke,  da- 
hinein sie  die  Brüste  steckten,  das 
alles  zuvor  nicht  gewesen  war." 
Gegen  Ende  des  Jahrhunderts  teilte 
man  auch  nach  französischer  Manier 
das  Leibchen  von  dem  Rock  und 
gab  nun  dem  ersteren  noch  freiere 
Gestaltung.  Besondere  Aufmeik- 
samkeit  schenkten  sie  auch  jetzt  der 
Kopfbedeckung.    Neben  den  vielen 


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1002 


Tracht. 


einheimischen  Formen  tritt  besondere  Frauen.  Letztere  behielten  dau 
die  französische  ,,henninlt  auf,  meist  ben  uur  noch  die  enganschlie^sen  1 
kegelförmig  geflochten  und  mit  einem  Haarhauhe. 

breiten,  flügelartigen  Behänge  ver-       Was  den  Stoff  der  Kleider  an 
sehen.    Sie  ist  vereinzelt  si-hon  in  belangt  und   die  Ausstattung  ml 
der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  Schmucksachen  und  Stickereien.  * 
zu  treffen,  kann  sich  aber  auch  jetzt  blieb  es  auch  hierin  beim  alten,  d.  h. 
noch  nicht  nachhaltig  einbürgern,  jedermann  wendete  hiefür  auf,  hol- 
wie  überhaupt  die  Gefallsucht  in  der  seine   Mittel  erlaubten,  weswegen 
Tracht  am  Schluss  der  15.  Jahr-  denn  auch  die  geistlichen  und  wvh 
hunderts  jene  Höhe  erreicht  hatte,  liehen   Behörden  in  zahllosen  Er 
die  sie  keinen  ruhigen  Halt  mehr  lassen  gegen  die  überhand  nehmende 
gewinnen  liess.  Prachtliebe  auftraten  und   bis  ins 

Die  erste  Hälfte  des  10.  Jahr-  kleinste  bestimmten,  wie  sieh  di»? 
hunderte  brachte,  was  die  Tracht-  verschiedenen     Geschlechter  w*l 
anbelangt  ,  wenig  neues.    Man  be-  Stände  zu  tragen  hätten.    Der  Er- 
^nügte  sieh  im  allgemeinen,  das  alte  folg  blieb  aus.    Auch  die  Press* 
in  etwas  veränderter  Form,  bald  benutzte  bald  nach  Erfindung  de: 
verbessert  und  bald  verschlechtert,  Buchdruckerkunst  die  günstige  Gr 
bald  vereinfacht  und  bald  erweitert,  legenheit,  Flugschriften  in  die  Wel: 
immer  wieder  zu  probieren.    Na-  hinauszuschieben,  die  das  verblendete 
mentlich   was   die    Kleidung    der  Volk  belehren  sollten.    So   schrie  • 
Frauen  betrifft,  trat  nach  und  nach  der    Magister    Westphal:  „Wem; 
eine  Wendung  zum  Zweck  mäßigeren  man  sich  in  der  weiten  Welt  urr- 
und Anständigem  insofern  ein,  als  siehet  und  Achtung  darauf  gibt.  s<> 
die  Schleppt*  sich  verkürzte  und  man-  wird  man  finden,  das  fast  alle  V»»l- 
cherorts  ganz  wegfiel  und  das  Leib-  ker,  Länder  uud  Xationes  ihre  ei- 
ehen  sich  nach  oben  wieder  mehr  geue  besondere  gewisse  Tracht,  Art 
schloss  oder  bei  eiuem  weiten  Hals-  und  Form    der  Kleidung  haben 
ausschnitt  der  „Goller"  Schultern  Allein  wir  Deutschen  haben  nicht« 
und  Brust  deckte.    Für  die  männ-  gewisses,  sondern  mengen  dies  jetrr 
liehe  Kleidung  waren  die  Lands-  erzählte  und  noch  viel  mehr  alle? 
knechte  tonangebend,  deren  locke-  durcheinander,  tragen  Welsch.  Fran 
res  Wesen  selbstverständlich  keine  zösisch,  Husernisch,   und  ja  nah»1 
durchgreifende  Wendung  zum  Guten  allerdingen  Türkisch   dazu.  Wer 
versprach.  Vielmehr  gestaltete  sich  wollte  oder  könnte  wohl  erzählen 
namentlich  die  Hose  schamloser,  als  die   mancherlei  wunderlichen    un  i 
je,  sodass  schon  zu  Maximilians  Zeit  seltsamen  Muster  und  Art  der  Klei- 
die  Hofleute  ernstliche  Klagen  gegen  dung,  die  bei  Manns-  und  Weibs- 
die  Kriegsgeaellen  und  ihr  Auftreten  pereonen  oder  Volk  in  dreissig  Jah- 
zu  führen  sieh  bemüssigt  fanden;  der  ren  her,  auf-  und  wieder  abgekoai- 
Kaiscr  aber,  der  sie  nicht  entbehren  j  men  ist,    von   Ketten.  Sehauben, 
konnte,    antwortete    ausweichend,  Mänteln,  Pelzen,  Körsen,  Röcken 
dass  man  ihnen  für  ihr    kümmer-  u.  s.  w.V  Jetzt  hat  man  den  Sehwei- 
lich und  unselig  Leben  doch  ein  zerschnitt,  bald  den  Kreuzschnitt 
wenig    Freud    und    Er^ötzlichkeit  den  Pfauenschwanz  in  die  Hosen 
gönnen  solle."  Die  wichtigste  Neue-  geschnitten,  und  eine  solche  sehänd- 
rung  dieser  Zeit  ging  mit  der  Kopf-  liehe,  gräuliche  und  abscheuliehe 
h -deekung  vor,  indem  das  Barett  Tracht  daraus  worden,    dass  ein 
die  bisher   bestehenden  in  kurzer  fromm  Herz  dafür,  erschrickt  und 
Zeit  aus  dem   Felde  schlug ,  und  seinen  grossen  Unwillen  daran  sieht, 
zwar  bei  Männern  sowohl  als  bei  Denn  kein   Dieb  am  Galgen  so 


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Tracht. 


1003 


hässlich  hin  und  hör  bommelt.  zer- 
ludert u.  zerlumpt  ist  ab  die  jetzi- 
gen Hosen  der  Eisenfresser  und 
Machthansen,  pfui  der  Schande!4' 

Um  1553  wurde  nämlich  durch 
Landsknechte  eine  völlige  Umge- 
staltung der  Hose  hervorgerufen; 
es  entstand  die  vielgenannte  und 
vielgehasste  „zerluderte,  zucht-  und 
ehrverwegene  pludrige  Teufelshose", 
die  sogenannte  Pluderhose.  Man 
fertigte  sie  aus  einer  Ueberfülle 
von  sehr  dünnem  Stoff,  gewöhnlich 
aus  Seidengewebe,  und  fasste  diesen 
durch  mehrere  bandartige  Streifen 
von  Sammet  oder  Tuch,  sodass  das 
ganze  weit  und  schlotterig  von  den 
Hüften  hcrabhing.  Die  Nürnberger 
Chronik  nennt  das  Lager  des  Kur- 
fürsten Moritz  (Magdeburg)  als  den 
Ort,  wo  diese  Hose  erfunden  wor- 
den sein  soll;  während  in  dem  Ge- 
dichte: „Ein  new  Klaglied  eines  al- 
ten Deutschen  Kriegsknechts  wider 
die  greuliche  vnd  vnerherte  Klei- 
dung der  Pluderhosenu  das  „Braun- 
sch  teeiger  landf"  genannt  ist  als 
der  Ort,  wo  erfunden  worden  sei 
„eine  grosse  sünd  vnd  sehand".  Je- 
denfalls ist  sie  eine  deutsche  Erfin- 
dung, denn  Andreas  Musculus  sagt 
um  1555:  „Wer  Lust  hätte  von 
Wunders  wegen  solche  unflathige, 
bubische  und  unzuchtige  Pluderteu- 
fel  zu  sehen,  der  such  sie  nit  unter 
dem  Papsttum,  sondern  gehe  in  die 
Städte  und  Länder,  die  jetzund  lu- 
therisch und  evangelisch  genennet 
werden,  da  wird  er  sie  häufig  zu 
sehen  kriegen,  bis  auf  den  höchsten 
Greuel  und  Ekel,  dass  ihm  auch 
das  Herz  darüher  wehe  thuen  und 
dafür  als  für  dem  greulichsten  Meer- 
wunder  sich  entsetzen  und  er- 
schrocken wird."  Die  Landsknechte 
müssen  ihre  Freude  an  solchen  An- 
griffen gegen  ihr  liebstes  Kind  ge- 
habt haben,  denn  sie  verlängerten 
die  Hose,  die  anfänglich  nur  bis 
zum  Knie  reichte,  bald  bis  auf  die 
Knöchel  herab  und  brauchten  ge- 
wöhnlich 20—40  Ellen  für  eine  Hose, 


während  in  einzelnen  Fällen  100 
—  130  Ellen  verwendet  wurden.  Die 
:  gleiche  Verschwendung  wendeten 
sie  auf  die  Ärmel  ihrer  Jacke  an, 
und  als  dann  in  den  sechsiger  Jah- 
ren ein  hoher,  fast  kegelförmiger 
Filz-  oder  Pelzhut  als  Köpfte- 
;  deckung  hinzukam,  der  selber  wie- 
der von  Federbüschen  oder  Bändern 
flatterte,  da  war  »las  Kostüm  aller- 
!  dim*s  bis  zu  einem  gewissen  Ab- 
schluss  gediehen,  aber  für  einen 
Krieger  im  Felde  viel  weniger  ge- 
schickt, als  für  einen  Hauswurst 
auf  dem  Jahrmarkt.  Doch  erhielt 
die  Hose  auch  unter  der  Zivilbevöl- 
kerung in  kurzer  Zeit  grossen  An- 
hang, wie  sehr  aueh  die  Sittenrichter 
gegen  sie  auftraten.  Kurfürst  Jo- 
achim II.  von  Brandenburg  Hess 
mehrere  Lumpenhösler  aufgreifen, 
in  einem  Käfig  drei  Tage  hindurch 
öffentlich  ausstellen,  Musikanten  da- 
vor aufspielen.  Auch  Hess  er  eini- 
gen Edelleuten  das  „zottige  Hosen- 
eeplurap"  auf  offener  Strasse  heim- 
lich loslösen,  so  dass  sie  allem  Volke 
zum  Gespötte  wurden.  Das  alles 
half  nicht,  die  Hose  erhielt  sich  bei 
den  Landsknechten  sowohl,  als  im 
Volke  überhaupt,  bis  zum  Erlöschen 
des  freien  Sölunertums,  bis  in  das 
letzte  Jahrzehnt  des  16.,  in  der 
Schweiz  bis  in  da*  17.  Jahrhundert. 

Die  „ehrbar  gesinnten"  Bürgers- 
leute und  der  Adel  jedoch  befreun- 
deten sich  wenigstens  mit  der  langen 
Pluderhose  nie,  trugen  aber  eine 
kurze,  die  weniger  bauschig  war 
und  zwischen  dieser  und  der  engen 
Schlitzhose  die  Mitte  hielt.  Doch 
wendeten  auch  sie  verhältnissmässig 
zur  Ausstattung  des  Latzes  oder  der 
Schamkapsel  zu  viel  auf  an  allerlei 
Schleifenwerk.  Neben  dieser  Hose 
oder  vielmehr  in  Verbindung  mit 
derselben  trug  man  auch  jetzt  noch 
die  enge  Kniehose,  sowie  die  älte 
Strumpfhose  mit  und  ohne  Zwickel, 
die  lange  Hose  dagegen  nur  noch 
in  den  höchsten  Ständen.  Daneben 
kamen  auch  die  seidenen  gestrickten 


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1004 


Tracht. 


Hosen  auf,  wenn  auch  nicht  allge- 
mein, da  sie  noch  zu  teuer  Ovaren. 
Noch  seltener  waren  die  spanischen 
und  spanisch  -  französischen  Ober- 
schenkelhosen und  die  glatten  oder 
mit  Bandstreifen  dicht  überzogenen, 
straff  ausgepolsterten  Rundwülsten, 
häufiger  wieder  die  von  den  Hüften 
bis  zum  Knie  reichenden  ausgepol- 
sterten Pumphosen  und  die  unten 
offene  Kniehose.  Mit  diesen  ver- 
söhnten sich  die  Sittenrichter  all- 
mählich; wenn  sie  auch  die  spa- 
nischen „Herpauken"  und  die 
Schlumperhosen  anfangs  nicht  ganz 
billigen  konnten,  so  waren  sie  doch 
annehmbarer  als  die  „Pluderhosen". 
Zwar  schreibt  Johann  Strauss:  Die 
Plumphosen  zieren  wohl,  weun  sie 
ohne  Latz  gemacht  werden  und 
nicht  gar  so  weit.  Jetzt  aber  müs- 
sen sie  mit  Haar  ausgefüllet  sein, 
dass  einer  darin  pauset  wie  ein 
Malzsack.  Man  muss  drei  Kälber- 
häute (das  Haar»  zu  einem  Paar 
haben.  L'nd  da  sonst  nichts  ausge- 
zogenes darin  ist,  so  muss  doch 
d'Stotzer,  wie  sie  es  nennen,  ausge- 
zogen sein  und  unter  die  Augen 
sehen.  Pfui  der  Schand!  Man 
machet  Diebsäck  (Taschen)  drein, 
dass  man  wie  die  Spitzbuben,  aller- 
lei Gattung  bald  hinraffen  mag." 

Die  Jacke,  die  man  zu  den  Plu- 
derhosen trug,  war  eng,  reichte  vom 
Hals  bis  zu  den  Hüften,  hatte  da 
einen  Vorstoss  und  war  wattiert 
und  gesteppt.  Die  unentbehrliche 
Schlitze  wurde  mit  Streifen  besetzt 
oder  mit  allerlei  Knopfwerk.  Die 
Ärmel  hatten  dieselben  Verzierun- 
gen, waren  aber  weit.  Johann 
Strauss  schreibt  darüber:  „Was  für 
Üppigkeit  mit  Wams  und  Pufrjackeu 
getrieben  wird,  das  siehet  man.  Der 
Leib  am  Wams,  ob  er  wohl  fein 
und  glatt  angemacht  wird,  so  muss 
er  doch  mit  Seiden  durch  uud  durch 
umstöppt  sein;  vorne  seltsame 
Kneuffel  dran,  von  Stein,  Korallen, 
Glas  oder  Horn.  Oben  einen  Kra- 
gen darauf,  der  weit  hinausstarret, 


Ärmel  daran,  die  einer,  wegen  «2a 
Grösse  und  Weite,   kaum  an  dm 
Armen  tragen  kann.     Die  müss-u 
vorn  auch  eingefaltet  sein,  das*  sj 
Kröss  gewinnen.    Die  träfet 
an  den  Armen,   wie  die  Gart*:; 
kuecht  ihre  Camisseckel    an  ä-zz 
Armen  tragen."    Mit  dem  Fall  <i-r 
Pluderhosen     wurden  wenigstet- 
auch  die  Ärmel  der  Jacken  eii. 
facher,  im  übrigen  war  aber  gera«. 
das  Wams  den  fremden  Einritt-** 
am  meisten  unterworfen.    Man  ver 
sah  dasselbe  mit  Schuf  tertrüUt' 
polsterte  es  unter  der  Taille  zu  <k& 
Spfäebauch  aus  und  nahm  setgar  »h  s 
französischen   Gänsebauch    an,  so 
dass   1586   Andreas  Osiander  d*-" 
Jüngere,   Diakon  zu  Urach.  suL 
darüber  also  vernehmeu  liess:  „J*V 
gar  herrlicher  Schmuck  abe-r  sei* 
die  hasslichen   langen  ausgefüllt. 
Gcnssbiiuchy  die  oben  gleich  unf- 
dem  Hals  anfangen  uud  herab  '. 
weiter  unter  die  Gürtel  hanqen,  tn- 
ein  Erker  an  ein  Haus  hanget, 
er  schier  umziehen  mochte.'* 


Der  Halskragen  oder  die 
war  bis  in  die  Mitte  dieses  Jalr 
hunderts  mit  dem  Hemde  verbünd»  i< 
als  ein  leicht  gekrauster   Streif«  = 
Weisszeug.    Von  da  ab  wurde  er 
selbständig  behandelt  und  verbr»i 
tetc  sich  immer  mehr,  bis  die  „über 
sieh  ragenden  oder  auf  die  Sehulrer 
herabhängenden  Mühlstein- K ragt  n 
daraus  entstanden.    Der  mehrgt 
nannte  Johann  Strauss  sagt  betref- 
fen« 1  der  Kröscn:  Obwohl  das  HeB^i 
von  Materie  nit  gar  so  köstlich  L>: 
und  bisweilen  von  grober  Leinwand?, 
so  muss  doch  oben  darauf  kommen 
eüi  Krauss  oder  Gekröes  von  gar 
köstlichem   Gezeug,  und  dasselbe 
über  alle  Massen  weit  und  hoch, 
dass  kaum  die  Ohren  herausragen 
und  der  Kopf  herausgucket ,  wi<* 
aus  einem  Sacke.    Das  muss  ge- 
stärket Bein,  dass  es  starret  mj.i 
steif  stehet.    Solche  Krausen  sw<\ 
etwa  gedoppelt  und  hinten  zugi- 
macht  (  u.  s.  w ).     Welsche  mnl 


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Trac  ht 


1005 


spanische  Kragen,  mit  viel  abhän- 
genden Schnürlein,  tragen  ihrer 
eins  Teils  auch.  Die  alte  Tracht, 
wie  man  etwa  die  alten  Fürsten 
t  on  Sachsen  mit  ihren  Hemdpn  und 
Kragen  um  den  Hals  malet,  taug 
nit  mehr.  Vorne  zu  den  Armein 
müssen  auch  Kröss  herausgehen, 
wie  das  höllische  Feuer  zu  allen 
Fenstern  herausschlägt.*' 

Iber  die  Oberkfettler  sagt  der- 
selbe: „Ein  Leibrock  mit  einem 
selbstangeschlossenen  Schurz  oder 
eine  Harzkappe  stehet  ehrbaren 
Leuten  wohl.  Die  Handwerksleut 
haben  ihr  Schurzfei/,  Fürhänge  und 
Koller,  ist  ehrbar  und  stehet  wohl. 
Oberkleider  sind  jetzt,  Gottlob,  das 
meiste  Teil  leidlich  und  löblich; 
feine  Bürgerröck  zu  Winter  und 
Sommer;  sonderlich  die  feinen,  langen 
und  ehrbaren  Kap]>en  oder  Mantel 
ohne  und  mit  Ärmel,  die  kleiden 
und  zieren  wohl  alte  und  junge 
Leute."  Aber  bald  darauf  sagt  er: 
..Die  ehrbaren  Leibröcke  und  Harz- 
kappen gehen  ab  und  kommen  auf 
die  ruffiacken,  die  sind  gar  auf  die 
Kürze  aogericht,  dass  der  Stossdegen 
hinten  vor  kann  ragen,  und  vorne 
müssen  sie  offen  sein,  dass  man  die 
Kneuffel  am  Wamms  und  anderes 
mehr  sehen  mag.  Die  Heffte  draun 
müssen  gar  gross  und  ungeschälten 
sein.  Die  Schlingen  wie  die  Ge- 
achirrinken  so  gross;  die  Haken 
wie  die  Schnäbel  an  Löffelgänsen." 

Unter  der  Harzkappe  ist  eine 
verkürzte  Schaube  verstanden,  die 
wie  der  kloine  spanische  Schulter- 
mantel jetzt  viel  getragen  wurde. 
Beide  wurden  mit  einem  breiten, 
hochstehenden  Schulterkragen  ver- 
gehen oder  mit  Pelzwerk  reich  ver- 
brämt, und  es  herrschte  zwischen 
ihnen  kaum  ein  merklicher  Unter- 
schied, ausser  dass  die  Harzkappe 
üi  Anlehnung  an  die  Schaube  meist 
weite  Armlöcher  oder  auch  weite 
geschlitzte  Halb-  oder  Ganzärmel 
erhielt.  Wurde  sie  bis  zu  den  Hüften 
gekürzt,  so  hiess  sie  Pujfiacke.  — 


Die  ursprüngliche  lange  Schaube 
dauerte  fort  beim  Alter,  bei  dem 
Gelehrtenstande  und  als  Abzeichen 
der  höheren  Beamten. 

Als  Kopfbedeckung  erhielt  sich 
das  Barett  bis  in  die  achtziger 
Jahre  neben  dem  spanischen  Hute, 
welcher  es  dann  verdrängte.  Es 
war  unterdessen  einfacher  gewor- 
den, meist  ungeschützt,  ein  Haches, 
deckeiförmiges  Käpplein.  Di«'  Schuhe 
erhielten  endlieh  wieder  eine  Form, 
die  dem  Fusse  angepasst  war, 
mussten  dagegen  immer  noch  aus 
verschiedenen  Stoffen  hergestellt, 
geschlitzt  und  unterpufft  sein ,  ,  auf 
dass  das  Wasser  bald  wieder  her- 
auskommen kann,"  meint  schalkhaft 
Johann  Strauss.  Dabei  bediente 
man  sich,  wie  bisher,  eines  Unter- 
schuhes, der  aber  jetzt  die  Gestalt 
der  Pantoffeln  erhält.  Auch  durch 
diese  fühlt  sieh  Strauss  beleidigt: 
„Auch  muss  man  nicht  allein  im 
Winter  (welches  etliehermassen  eine 
Entschuldigung  hätte),  sondern  auch 
mitten  im  Sommer  auf  Pantoffeln 
daherschlürfen  und  junge  Kerl  schlei- 
fen dieselben  an  den  Füssen  her- 
nach, und  klopfen  damit  wie  die 
alte  sechzigjahrige  oder  siebzigjäh- 
rige Weiber."  Und :  „Was  soll  man 
sagen  von  den  ungeheuer  grossen 
Hcntzsken,  die  etliche  auch  im 
Sommer  tragen,  so. weit,  dass.  einer 
ein  ziemlich  Paar  gerade  Ärmel 
daraus  könnte  machen  lassen."  Diese 
Hentzsken  waren  weniger  Finger- 
handschuhe, als  grosse  stulpenartige 
Fäustlinge  von  derbem  Zeug  oder 
feinem  Leder. 

Die  Haartracht  war  weniger 
bestimmt,  als  in  früheren  Perioden. 
Im  ganzen  trug  man  sich  kurzge- 
schoren und  bartlos,  doch  stricheu 
einzelne  das  Haar  vorn  „über  sich 
und  machten  gepuffte  Kolben,  da- 
raus man  siebet,  wie  eiu  rauher 
Igel"  oder  „wann  eine  Sau  zornig 
ist,  dass  ihr  die  Borsten  über  sich 
stehen."  Neben  glattrasierten  Ge- 
sichtern findet  man  auch  wallende 


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1006 


Tracht. 


Vollbarte,  zugespitzte   Kinn-    und  ist  etwa  das  KUeid  oben  kaum  Sa<  i 
blosse  Lippenbärte.  ;  lein  wand.    Springer  darunter,  d-t- 
Die  weibliche  Kleidung  sehlug  in  sie  wie  eine  Glocke  einen  Zirk- 
das  Gegenteil  um.    An  die  Stelle  geben  und  weit  um  sich  s|>an>: 
der  beliebten  Nacktheit  des  früheren  Die    feinen   Leibjäckchen    tun  Sr. 
Jahrhunderts  trat  jetzt  in  rascher  weg,  nehmen  Schäublein.  iI&rzküf-£- 
Aufeinanderfolge  eine  Versteifung,  lein,  und  dieselben  kurz  genugr.  da-- 
Verhüllung  von   Brust    und  Hals  man  den  Pracht  unten  sehen  nutj 
wurde  zur  unerlüsslichen  Anstands-  Vor  Zeiten  trug  das  Frauenzimm' 
forderung.    Die  Halskrause  fehlte  fein  lange  Sehauben.  jetzt  sind  <:e 
nicht.    Die  Ärmel  wurden  eng  und  verhauen  bis  auf  die  Gürtel .  wk 
blieben  ungeschlitzt.  Dafür  erhielten  der  Landsknecht  Käppiein.  Wv 
die  Schulterstücke    eine    wulstige,  für  Unkosten  auch  an  die  Mantrl 
breitausladende  Erhöhung.  Während  gewendet  worden,  das  sieht  xsx&u 
die  Sittenrichter  noch  vor  kurzem  vor  Augen.  Man  kann  so  teure  Gr- 
äber die  „unflctige,  schautbarliche"  wandt  nicht  bekommen,  man  braue) " 
Nacktheit  sich  ausiiessen,  richteten  es  dar/u,   und    welche  Frau  do 
sie  ihre  Pfeile  nun  gegen  eine  über-  teuersten  hat,  dass  ist  die  bei*»*, 
triebene  „Vermummelung",  die  aus  Die  Jungfrauen  desgleichen.  Au: 
der   Eitelkeit    entsprungen,    recht  diese  und  dergleichen   Stücke  is? 
ehrbar  zu  scheinen  und  den  Teint  nun  jetzt  aller  Dichten  und  Traeb- 
zu  schonen.  Die  Schleppe  war  wep-  ten  gerichtet,  und  was  sie  verdien«  l 
gefallen ,  der  obere  Kock  hing  m  ergattern   und   erobern ,  bisweüVo 
massiger    Weite    vielfach   gefaltet  auch  dass  es  wohl  besser  döcht,  dal 
herab,   sodass  er  auch  den  Fuss  wenden  sie  an  die  leidige  Hoffart 
völlig  deckte.    Auch  das  Leibchen  Und  geht  manche  Dienstmagd  der 
war  durchaus  geschlossen.  Dat. eben  mausen  her,  dass  sie  es  wohl  ein»r 
tru^  man  auch  nach  spanisch-fran-  reichen    Bürgerstochter  zuvortut, 
züsischer  Mode  geöffnete  Röcke,  und  Darnach  wenn  sie  zur  Ehe  greifen 
zwar  hiess  man  sie  enge ,  wenn  sie  sollen,  da  ist  weder  Bett.  Kiscen 
nur  von  der  Taille  abwärts,  ireife,  j  noch  Pfuhl,  Decke  noch  Strecke." 
wenn  sie  ganz  herauf  geöffnet  waren.  Es  war  also  lediglich  der  allzugross> 
Natürlich  waren  die   Unterkleider  Aufwand,  der  nun  getadelt  werde:» 
in  diesem  Falle  um  so  köstlicher,  konnte  und  was  der  äusserst  ge- 
Das  <  >bcrkleid  wurde  durch  Unter-  strenge  Sittenrichter  hier  hervorhebt, 
fütterung  mit  derbem  Stoff,  Filz  Die  Rügen  betreffs  der  Schlitzro 
oder  mit  metallenen  Reifen  (Springer)  und   durchsichtigen  Ärmel    geh«  a 
mehr  oder  minder  starr  ausgespannt,  nur  nebenher  und  können  wohl  nur 
Es  geschah  das  beim  geschlossenen,  für  die  erste  Zeit,  jedenfalls  nieb: 
wie  beim  offenen.  Lassen  wir  wieder  allgemeine  Geltung  haben, 
den  eifrigen  Johann  Strauss  reden:       Der   offene  Oberrock   rief  der 
„Die  Krösen  tragen  sie  (die  Frauen)  Schürze,  die  aus  Weisszeug,  scliwar 
mit    den    Mannspersonen    gemein,  zer  Seide  oder  leichtem  Taffet  ge- 
Die  Ärmel  müssen  unter  den  Uch-  macht  und  mit  Stickereien  und  tu* 
6en  und  unten  am  Ann  durchsichtig  deren  Besatz  geziert  wurde.   Am  h 
sein,  dass   man  die   weisse  Haut  Gürtel    mit    zierlichen  Taschektn. 
sehen  mag.  Die  Brustlätze  auf  das  Bestecken  (Scheiden)  und  Schlüsse7. > 
schönste  gezieret,  mit   Pulsterlein  behängen,  Fächer,  Trarfsyuyel,  l'hrt* 
fein  gefüttert,  dass  sie  pausen,  als  und   Handschuhe    trug  man  nach 
sie  reif  zum  Handeln   sein.     Die  spamseh-französischem  vorbilde, und 
Schweife  unten  an  Kleidern  müssen  das   Taschentuch   wurde   zu  einem 
von  Sammet  und  Seiden  sein,  und  eigentlichen  Prunkstück.  Besondere 


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Tracht. 


1007 


Unterröcke,  wie  sie  in  Frankreich 
bereits  üblich  geworden,  scheinen 
noch  selten  zu  sein  und  die  Frauen- 
hose wird  in  deutschen  Trachtbüchern 
noch  um  das  Jahr  1600  als  eine  Be- 
sonderheit der  italienischen  Frauen 
erwähnt.  Hinsichtlich  der  Fuss- 
bekleidung ist  wenig  Neues  zu  be- 
richten. Die  Frauen  schlössen  sich 
hierin  den  Männern  an,  trugen  also 
den  geschlitzten  farbigen  Schuh  und 
den  Pantoffel  oder  die  Trippe. 

Der  Mantel  gestaltete  sich  bei 
den  Frauen  frei.  Er  war  bald  kür- 
zer, bald  länger,  bald  mit  einem 
leichten  Umhange  versehen,  bald 
köstlich  pelzverbrämt.  Hochstehende 
Kragen  wurden  bei  ungünstiger 
Witterung  auch  etwa  aufgeschlagen 
und  bedeckten  so  den  Hals  und 
Kopf  zugleich.  Als  Kopfbedeckung 
kommen  neben  Barett  und  Haar- 
haube auch  gold-  und  silbergezierte 
Müizen  und  Schleier  oder  Stürzen 
wieder  mehr  in  Aufnahme.  Das 
Haar  wurde  nach  wie  vor  am 
Nacken  hochgebunden;  Bräute  und 
Brautjungfern  trugen  es  frei  oder 
legten  es  in  Flechten  um  den  Kopf. 
Nach  den  sechziger  Jahren  Hess 
man  es  in  zwei  Zöpfen  über  den 
Rücken  herunterhängen,  was  zu 
dem  Luxus  der  falschen,  blonden 
Zöpfe  führte.  Von  1585  an  trug 
man  die  grosseu  Halskrägeu,  ver- 
zichtete um  ihretwillen  auf  die 
Zöpfe  und  band  das  Haar  hochauf- 
Htrebend  mit  mancherlei  Schmuck 
ausgestattet  nach  französischer  Fri- 
sur. Da  diese  nicht  selten  mit 
Draht  unterstützt  war,  verglich  sie  1 
Oslander  in  nicht  sehr  galanter 
Weise  mit  „Sauhägen ,  da  man  die 
Ruten  über  die  Tremel  zeucht.4-' 

Für  die  Tracht  des  17.  Jahr- 
hunderts blieb  Frankreich  mass- 
gebend oder  wurde  es  mehr  als  je. 
Schon  zu  Anfang  desselben  erhielt 
die  kurze,  rundwulstig  gespannte, 
langstreifig  geschlitzte  Oberscneukel- 
ho&<-  am  Pariser  Hofe  den  Vorzug 
und  gelangte  bald  zu  weitester  Ver- 


breitung. Das  Wamms  erhielt  lange 
i  Schösse,  die.  den  Unterleib  bedeck- 
ten, die  Taille  rückte  höher  oder 
verschwand  ganz  und  wurde  bloss 
durch  ein  farbiges  Schleifenwerk 
angedeutet.  Die  Ärmel  erweiterten 
sich.  Den  Fuss  kleidete  ein  hoher 
Reiterstiefel,  der  bald  in  seinem 
obern  Teile  sich  beträchtlich  er- 
weiterte. Der  niedere  Schuh  war 
mit  Maschenwerk  geziert  und  steckte 
in  einem  schützenden  Überschuh. 
Der  Mantel  wurde  beträchtlich  er- 
weitert, oft  zu  einem  förmlichen 
Knöpfrock  umgestaltet,  die  Ärmel 
gekürzt  oder  zur  Hälfte  umgeschla- 
gen, der  Rand  oft  mit  Pek  Desetzt, 
der  Kragen  vielgestaltig.  Der  Hut 
wurde  breitkrämpig  und  über- 
schwänglich  geziert,  das  Haar  frei 
und  wallend. 

Die  verschiedeneu  deutschen 
Landesteile  verhielten  sich  zu  diesem 
französischen  Einflüsse  ungleich.  Die 
einen  erlagen  ihm  bald,  die  andern 
erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahr- 
hunderts. Leicht  zugänglich  waren 
für  dieselbe  z.  ß.  die  Höfe  in  Düssel- 
dorf, derjenige  der  Pfalz,  von  Bayern, 
Braunsen  weig  und  Hannover,  am 
schwersten  derjenige  zu  Wien  und 
unter  den  Städten  Hauiburg,  Lübeck, 
Bremen,  Ulm,  Nürnberg,  Augsburg, 
Frankfurt  a.  M.  und  Strassburg. 
Am  gierigsten  griff  das  Stutzertum 
darnach,  und  dieses  verbreitete  seine 
Losung  „a  la  mode"  oder  „alfa- 
mode1'  (gegenüber  stand  ,,all  väte- 
rlich"! seit  den  Zwanzigerjahren  mit 
sichtlichem  Erfolg.  Zahlreich  und 
heftig  waren  die  Angriffe  der  Geg- 
ner. Namentlich  von  den  Kanzeln 
wurde  das  Wort  Gottes  in  unzwei- 
deutigem Sinne  ausgelegt;  aber  um- 
sonst. Da  war  es  wieder  die  Presse, 
die  das  Wort  festhalten  und  dem 
Auge  aufnötigen  mueste,  wenn  das 
Ohr  nicht  hören  wollte.  Kaplan 
Johann  Elliuger  schrieb  im  Jahre 
1629  den  „Altmodischen  Klcyder 
Teuffei1'1  und  zierte  den  Titel  mit 
acht  allmodisch  gekleideten  Figuren. 


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1008 


Tracht. 


Dem  Wort  kam  auch  die  dar-  wer  sieh    seines    eigenen  Har- 

stellende  Kunst  zur  Hilfe.  Um  1628  schämt,  der  ist  nicht  werth,  das?  t 

erschienen  die  ersten    „fliegenden  einen  deutschen  Kopf  hat"  (u.  s. "» 

Blätter",  welche  zum  Teil  in  mass-  ,,Bist  du  ein   Deutscher  ?  warti 

losen  Übertreibungen  die  hoffartigen  denn  musst  du  ein  Welsch  Hü 

Neuerungen  bildlich  zum  Gespötte  tragen?    Warumb  muss    das  Hu 

machten  und  sie  mit  Spottgedichten  also  lang  über  die  Schultern  her* 

begleiteten.   Ein  solches  ist  betitelt :  hangen?  warumb  willst u  es  nicht  ka- 

„Monsieurisch  Atta  mode  vnd  Da-  beschneiden  auf  deutsche  Weis^ 

mische  Bisa rrie".  Ein  anderes  führte  Und  vom  Bart:    .  Da    deine  V.  : 

unterwärts  die  Aufschrift:  „  Wie  sich  fahren  es  für  die  grösste  Zierde  z< 

ein  deutscher  Monsieur  in  Kteydern  halten  haben,  so  sie  einen  reol' 

halten  soll,  er  soll  haben:  Immagina-  schaffenen  Bart  hatten,    so  wol]-' 

Hon    —   haar,    Patient  —   barth,  ihr    den    welschen  unbeständige? 

Respmsion  —  huth.   Indifferent  —  Narren  nach  alle  Monat,  alle  Woeh  : 

hutschnur,  Legation  — jeder  —  —  füre  Bärte  beropfeu  und  bescheerrc 

—  Stultisissmus  —  gang  vnd  ge-  bestummcln,  bestutzen ,  ja  alle  Ta> 

berdenu  u.  8.  w.  im  ganzen  zwanzig  und  Morgen  mit  Eisen  und  Feu-- 

verschiedene  Stücke.  peinigen,  foltern  und  martern,  zieh 

Die  Zerrüttung  Deutschlands  in  und  zerren  lassen?  jetzt   wie  t- 

politischer  Beziehung  und  der  wech-  Schnecken  —  Bärtel .  bald  wie  e: 

selvollc,  alles  verheerende  Krieg  hat-  Jungfrauen  —  Bärtel.  ein  Teller  - 

ten  namentlich  die  Jugend  aus  Band  Bärtel,  ein  Spitz  —  Bärtel,  ein  M*:- 

und  Band  gebracht  und  besonders  kiifer  —  Bärtel"  (u.  s.  w.i  „Nu 

die  erwachsene  männliche  Jugend,  ist  eure  meiste  Sorge,  sobald  ifcr 

die  nichts  Grösseres  kannte,  als  die  morgens  aufgestanden ,  wie  ihr  d  r 

französische  Grossthuerei  in  allen  Bart  rüsten  und  zuschneiden  mögei 

Stückeu  nachzuahmen.   Das  erklärt  damit  ihr  vor  jungen  Narren  ui." 

denn  auch  das  Auftreten  eines  Hans  Lappen  könnt  durchwischen.   O  iL- 

Michael  Moscherosch  (1600—1669),  Weibcr-Mäuler!  Ihr  Unhärigen.  h 

der  wie  kein  anderer  Schriftsteller  den  Löffeljabren  geht  ihr  zu  npfita 

seiner  Zeit,  berufen  war,  die  Ent-  zu  trillcu,  zu  ropfen,  bis  die  Gauch? 

artung  seines  Volkes  zu  geissein,  haar  herauswollen;  und  wann  ihr 

Er  schrieb  als  Philander  von  Sitte,  durch  Gunst  der  Natur  dieselbü: 

wähl  164(5  eine  satirische  Schrift:  endlich  erlangt  habt,  so  wisst  ihr 

„Wunderliche   und   wahrhafte  Ge-  ihnen  nicht  Marter  genug,  bis  ihr 

sichte'"    und    bald    darauf    seinen  sie   wieder  vertreibet!     Ihr  Barr 

»Alamode  Kehraus",  worin  es  unter  Schinder!   Ihr  Bart-Schneider!  Ih: 

anderm  heisst: ,, Diese  langen  Haare,  Bart-Stutzer:    Ihr    Bart  -  Zwacker' 

also  herunterhangend,  sind  rechte  Ihr  Bart- Folterer!  Ihr  Bart-Wipp- 

Diebeshaare,  und  von  den  Welschen,  rer!"  u.  s.  w.    Und  vom  Hut  snr 

welche  umb  einer  Missethat  oder  er:  „Wie  viele  Gattungen  von  Hüte; 

Diebsstücks  willen  irgend  ein  Ohr  habt  ihr  in  wenigen  Jahren  nioh' 

abgeschnitten,  erdacht  worden ,  da-  nachgetragen?    Jetzt  ein  Hut  wir1 

mit  sie  mit  den  Haaren  es  also  be-  ein  Ankerhafen,  dann  wie  ein  Zuck»r 

decken  möchten.     Und   ihr  wollt  hut,  wie  ein  Cardinalshut,  daun  wk 

solchen  lasterhaften  Leuten  in  ihrer  ein  Schlapphut.  da  ein  Stilp  Ehlen 

Untugend  nachäffen?  ja  oft  eurer  breit,  da  ein  Stilp  Fingers  breit;  danc 

eignen  deutschen  Haare  euch  schä-  von  Geissenhaar,  dann  von  Kameel* 

men?    Wollt  hingegen  lieber  eines  j  haar ,   dann  von   Biberhaar ,  von 

Diebs  oder  Galgenvogels  Haar  euch  Affenhaar,  von  Narrenhaar;  dam; 

auf  den  Kopf  setzen  lassen?   Aber  ein  Hut  als  ein  Schwarzwälder  Käv-. 


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Tracht. 


1009 


dann  wie  ein  Holländer  Käss,  dann 
wie  ein  Münster  Kass."  11 'am*  und 
Hose:  „Und  möchte  mancher  mei- 
nen, er  sehe  einen  Kramladen  auf- 

fcthan  oder  in  einen  Paternoster- 
,aden,  so  mit  mancherlei  Farben 
von  Nesteln,  Bändeln,  Zweifel- 
.stricken,  Schlüpfen  und  anderen,  so 
sie  Juroren  ( Liebespfänder I  nennen, 
sind  sie  an  Haut,  an  Hosen  und 
Wams,  an  Leib  und  Seel  behenket, 
beschicket,  beknöpfet  und  beladen." 
So  behandelt  er  auch  die  andern 
Teile  der  Tracht. 

Besonderer  Beliebtheit  erfreuten 
sich  die  französischen  Stulpstiefel  von 
ausserordentlicher  Weite,  unten  mit 
breitem  Snornleder  und  mit  schwe- 
ren ,  rasselnden  Ledersporen ,  sowie 
die  weitstulpigen ,  langbef ranzten 
Handschuhe  und  die  ledernen  Uber- 
ziehtdimser,  kurzschossig,  mit  Armein 
oder  wenigstens  mit  Armlöchern 
versehen. 

Aber  auch  die  Frauen  hatten 
ihre  Sittenrichter.  Georg  Friedrich 
Messerschmid  sagt  in  einer  gedruck- 
ten Predigt  (Strassburg  1615)  über 
sie:  „So  lasset  uns  doch  nicht  von 
der  Narrheit  abweichen,  ehe  wir  zu- 
vor die  Eitelkeiten  der  Weiber  in 
den  ausserlichen  Aktionen,  Thun. 
Vorhaben  und  Lassen  entdecken  una 
offenbarem:  als  wie  sie  sich  so  sehr 
dclectiren  und  belustigen,  hübsch 
zu  sagen,  sich  mit  mancherlei  Far- 
ben anzustreichen  und  schön  zu  ma- 
chen. Sie  erkühlcn  das  Antlitz  mit 
fersigblühend  Wasser,  bestreichen 
und  zärteln  das  Fleisch  mitLimonen- 
saft,  mit  Escismilch.  Sie  erhalten 
sich  mit  Rosenwasser,  Wein  und 
Alaun.  Sic  gebrauchen  sich  der  Tra- 
gant -Täfelein  von  Quittenkernen, 
des  gebranden  Weins,  des  unge- 
löschten Kalks,  ihnen  ein  recht  voll- 
kommen Bleiweiss-Sälblein  zu  prä- 
pariren.  —  Siehe,  da  werden  ge- 
sehen ausstaflfirte  Spiegel-,  Rosen- 
uud  Spicanardiwasser ,  Bisam ,  Zü- 
beth,  Rauchwerke,  schmäkend  Pul- 
ver von  Aloes,  Cipern,  Stabwurz, 

Renlltxioon  der  deutlichen  Altertümer. 


Schmalkügelein,  Bisamkopf,  Muskat- 
nüssen —  —  —  da  sieht  man  Sträl 
(Kämme),  Spiegel, Ohrenlöffel,  Haar- 
eisen, Haarschären,  Rumpfzwänglein 
und  Pfriemen.  Da  stehen  Schäch- 
telein, Büchslein,  irdene  Geschirrlein, 
gläserne  Fläschlein,  Schisselein, 
Schärblein,  Häfelein,  Eyerschaalen, 
Muscheln,  gespickt  und  ausgefüllt 
von  allerhand  Pflästerlein  und  Sälb- 
lein.  —  —  —  Da  tritt  die  Magd 
herbei,  die  Haarbögen  zu  rüsten, 
ihnen  die  Rosen  und  Nestel  zu  bin- 
den, die  Haarscheidel  zu  machen, 
die  Haar  recht  zu  ordnen  und  zer- 
teilen, sie  cinzuschmiren,dic  Achseln 
zu  ziehen  und  einzuhalten,  um  ihnen 
davornen  und  dahinten  zu  helfen, 
die  Pantoffeln  und  Stelzenschuhe 
beizutragen,  die  Falten  zu  erheben, 
den  Schweiff  (die  Schleppe)  zu  er- 
lupfen." — 

„Da  tritt  dann  Frau  Venus  herein 
mit  wohlaufgeputztem  Kopfe,  mit 
aufgelegten  Büschen,  mit  auf  der 
Seite  aufgebundenen  Hörnen,  mit 
gelben,  braunen,  blauen,  grünen, 

!  schwarzen,  weissen  Haarflechten, 
mit  güldnen  Binden  und  Floren,  mit 
Masken,  mit  Larven,  mit  Feder- 

|  büschen,  mit  einem  Huth,  darauf 

\  Stiefriten,  Mcdaglien,  oder  vergüldten 
Müntzen;  mit  neugebachen,  fantasti- 

j  sehen  Bossen :  mit  Armbanden  um 
den  Arm ,  mit  diamantnen  Ringen 
an  den  Fingern,  mit  Ketten  um  den 
Halss  und  Gehenkten  an  durch- 
löcherten Ohren;  mit  Nägelsblumen 
(Nelken)  wohl  offtermalen  in  der 
rechten,  mit  Rosen  in  der  linken 
Hand.  Auf  solche  Manier,  nun 
herausgeputzt,  da  kommt  sie  eben 
recht  für,  wie  eine  Falsche  und  an- 
gestrichene Isabella.  —  Weiteres  zur 
grösseren  Zärtlichkeit  trägt  sie  seidne 
oder  von  Gold  gestückte  Handschuh; 
zu  Winterszeit  ein  Schlaffer  von 
Zobel,  den  Sommer  durch  einen 
Windfahnen  oder  Mückenschleicher. 
Was  wollen  wir  nun  aber  von  ihrer 
Halszierde  erzählen?  wie  viel  ich 
deren  gesehen,  welche  Kragen  tra- 

64 


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1010 


Tracht. 


gen ,  die  vielmehr  für  Karrenräder  j 
zu  haltend  seynd?  Und  ich  weiss 
nicht,  wie  sie  sieh  dafür  zeichnen 
(bekreuzen)  können.  Und  obsehon 
die  Sache  mehrers  nicht  werth  ist, 
thut  es  doch  Not,  Thüren  und  Pfo- 
sten zu  erweitern,  sonst  können  sie 
nicht  hinein.  Auch  sieht  man  zwar, 
dass  sie  monatlichen  solcher  Kragen 
formen,  verändern  und  changiren, 
welche  Veränderungen  dann  offter- 
malen  mehr  kosten,  als  wohl  bis- 
weilen ein  ganz  newes  Kleide.  Und 
ich  weiss  eine  Persohn,  die  hat  für 
einen  dicken  Kragen  fünfzig  Kronen 
spendirt;  ist  zwar  für  einmal  genug. 
N  un  fragt  sich,  ob  dieses  nicht  Wir- 
kungen der  Narrheit  sein,  welche 
solchen  Leuthen  es  dermassen  so  I 
süss  einredet,  dass  sie  sich  dürfen 
bereden,  sie  stehen  desto  besser,  je 
mehr  sie  mit  dergleichen  parfümirten 
Bossen  aufgezogen  kommen." 

Zu  diesen  Thorheiten  wurden 
den  Frauen  gerechnet  das  knöpf- 
roekartig  gestaltete  Uherkleid  mit 
langen  Schössen  und  kurzen  oder 
langen  geschlitzten  Ärmeln,  die  vorn 
mit  Litzen  und  Knöpfen  dicht  be- 
setzt waren,  dann  der  grosse  Sch lapih 
hut,  wie  sie  ihn  den  Männern  nach- 
trugen, der  gefältete ,  breitherab- 
fallende Kragen  und  die  Shüphand- 
schuhe,  sowie  die  Hosen,  die  ,,die 
hohen  Madonnen  unter  den  Röcken 
trugen." 

Auch  die  haushälterische  Kurfür- 
stin Magdalena  Sibylla  von  Sachsen  , 
beklagt  sich  brieflich  schwer  über 
die  Leipziger  Frauen  (ihrem  Gatten 
Johann  Georg  II.  gegenüber)  und 
Dr.  Höpner  in  dort  gelangt  1641  an 
den  Senat  wegen  eines  Schneiders, 
der  französische  Pracht  und  Hoftart 
von  „theuren  Halssgen  und  allerlei 
Hauptgeschmuck  und  ander««  neue 
Moden  zu  Stärkung  der  verbotenen 
und  verpönten  KleiderhorVarth  zu 
feilem  Kauf  auslasse,  also  dass  von 
Frauen  und  Jungfrauen  ein  grosser 
Concursvs,  gleichsam  eine  \\  allfart, 
zu  ihm  angestellt  werde.    Da  Gott 


dadurch  erzürnt,  der  Obrigkeit  (V- 
bot  übertreten  und  der  Stadt  ein 
grosses  Unglück  zugezogen  werde. 
...  so  sollte  die  Obrigkeit  ihres  hohen 
Amtes  handhaben  und  gegen  die 
Förderer  und  Fortpflanzer  aer  ver- 
maledeiten Kleiderhoffardt  mit  exem- 
plarischen Strafen  verfahren.'* 

Auch  in  Versen  wurde  die  neut: 
Mode  viel  gegeissclt.  Friedrich  Lonau 
(1804-  1659)  sehreibt  in  seinen  Epi 
grammen : 

„Diener  tragen  insgemein  ihrer  Her- 
ren Liverei: 
Soll's  denn  sein,  dass  Frankreich  Herr. 

Deutschland  aber  Dieuer  sei ! 
Freies  Deutschland,  schäm  dich  doch 
dieser  schnöden  Kriecherei !- 

Und  ein  anderer  deutscher  Sa 
tiriker,  Joachim  Rachel  (IG IS  —  89 
schreibt: 

„Ein  jeglich  zweites  Wort,  muss 

jetzt  französisch  seyn; 
Französisch  Mund  und  Hart,  fran- 
zösisch alle  Sitten, 
Französisch  Rock  und  Wams,  fran- 
zösisch zugeschnitten. 
Was  immer  zu  Paris  die  edlf 

Schneiderzunft 
Hat  neulich   aufgebracht ,  auch 

wider  die  Vernunft, 
Das  macht  ein  Deutscher  nach. 

Sollt  ein  Franzos  es  wagen. 
Die  Sporen  auf  dem  Hut.  Schuh 

au  der  Hand  zu  tragen. 
Die  Stiefel  auf  dem  Kopf,  ja 

Schellen  vor  dem  Hauch, 
Anstatt    des    Nestelwerks:  der 

Deutsche  thät  es  auch. 
Bei  einem  sammtnen  Rock  die 

groben  Leinwandhosen? 
Wer  hat  es  sonst  erdacht,  als 

Narren  und  Franzosen? 
Wenn  selber  Heraklit  den  Piuu- 

der  sollte  sehen: 
Er  liess  (mit  Gunst  gesagt)  vor 
Lachen  Einen  gehen." 

In  der  zweiten  Hälfte  des  Jahr- 
hunderts geht  es  in  gleicher  Weii*e 
fort.  Bei  den  Mannern  ist  es  be- 
sonders die  schlitzförmige  „l'nfer- 


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1011 


rodabte",  die  im  Verein  mit  der 
Perrücke  am  meisten  angefochten 
wild.  Wolf  gang  Ouw,   Pastor  zu 
Flensburg,  üess  sich  um  1663  fol- 
gendennassen über  dieselben  ver- 
nehmen: „Was  sind  die  unerhörte 
weite  Männerhosen ,  die  für  einem 
Jahr  erstlich  auffgebracht,  anders 
Iii  abgekürtzte  Weiber  -Rock,  es 
pebea  20—30  und  mehr  Ellen  darein, 
daraus  man  vor  diesem  zwei  und 
m<hr  Kleider  hat  machen  können. 
0  der  grossen  Üppigkeit !  Von  diesen 
Hosen  möchte  man  fast  eben  das- 
jenige schreiben,  was  vor  Jahren 
von  den  Zucht-  und  Ehrverwegenen 
pludrichten  Hosen  Teuffei  ist  auff- 
gezeichnet  worden.    Pfuy,  wie  hat 
dieser  Teuffei,  in  so  geschwinder 
Eil.  so  viel  Länder  und  Städte  ein- 
genommen. 

Die  Weiber  standen  hinter  ihren 
Mannern  in  keiner  Weise  zurück. 
Sie  Hessen  sich  allmonatlich  eine 
Modepuppe  von  Paris  kommen,  um 
ja  keine  Thorheit  länger  als  nötig 
war  zu  versäumen;  sie  schickten 
auch  ihre  Schneider  dorthin,  dass 
diese  sich  dort  über  alles  vergewis- 
sern, was  die  Tracht  beschlagen 
konnte. 

Der  obengenannte  Wolfqanq  Ouw 
schrieb  weiter  (1663):  „Wollte  je- 
mand die  Kleiderpracht  der  Weiber 
anatomiren,  würae  man  genug  zu 
thun  kriegen.  Kürtzlich  und  wahr- 
haftig kann  man  davon  also  urteilen. 
1.  Wird  gesündiget  superßuitate,  dass 
man  an  Gewand,  Kammertuch,  Bän- 
der etc.  mehr  gebraucht,  als  die 
N'othdurft  erfordert.  2.  Wird  ge- 
sündigt tumptuositate,  da  man  allerlei 
theure  Sachen  auff  den  Leib  leget, 
in  Gold  und  Silber  -  Stück ,  Seiden, 
Kämmet,  Atlas  und  andern  theuer- 
bahren  Wahren  sich  kleidet.  3.  Wird 
gesündigt  nwitate,  dass  keine  Tracht 
K>  neu,  bunt,  krauss,  wunderlich, 
liamodisch,  man  närret,  äffet  und 
Üamodiret  immer  nach,  bald  gehet 
nan  Frantzösisch ,  bald  Englisch, 
>ald  Niederländisch,  bald  Polnisch, 


ja  sollten  die  Türken  kommen,  man 
wurde  wol  auff  Türkisch  gekleidet 
gehen.  4.  Wird  gesündiget  levitate 
und  seit  rili  täte,  da  mau  sich  mit 
leichtsinniger  Kleidung  behanget, 
die  Glieder,  so  Gott  und  die  Natur 
zudecken  heisset,  schändlich  ent- 
blösset,  und  sonst  auff  ander  Weise 
seine  Leichtsinnigkeit  an  den  Tag 
giebet,  oder  andere  mit  Kleider  dazu 
anreitzete!  — 

Wenn  Ouw  sich  hier  darüber  be- 
klagt, dass  nicht  nur  die  französische 
Mode  nachgeahmt  werde,  sondern 
auch  die  aller  andern  Länder  und 
Völker  Europa's,  so  ist  es  wohl  mehr 
der  Unmut,  der  dieses  schreibt,  als 
die  Wahrheitsliebe;  denn  wenn  auch 
Frankreich  selbst  das  eine  und  an- 
dere in  ähnlicher  Form  dem  Aus- 
land entlehnt,  d.  h.  von  diesem  irgend 
eine  Anregung  empfangen  haben 
mochte,  so  zeigte  sich  jetzt  der  fran- 
zösische Erfinaungsgeist  auf  diesem 
Gebiete  so  unerschöpf lieh ,  dass  er 
auch  dem  putzsüchtigsten  Stutzer- 
tum  ein  vollständiges  Genüge  leisten 
konnte. 

Neben  der  übermässigen  Verwen- 
dung des  Haarpuders,  der  Schminke 
und  der  Schön pflästerchen  waren  es 
jetzt  die  Schleppen,  die  Brustlätze 
und  „Fonfangen",  die  am  meisten 
Anstoss  erregten.  Die  letztere  war 
ein  Kopfputz  und  rührte  von  der 
schönen  Fontange  her.  Ihre  Ent- 
stehungsgeschichte zeigt  so  recht  die 
überreif  Krankhafte  Modesucht  des 
französischen  Hofes.  Auf  einer  Jagd- 
partie trug  nämlich  die  Maitresse 
einen  kleinen,  mit  Federn  geschmück- 
ten Hut.  Ein  heftiger  \\  ind  nötigte 
sie,  den  Hut  zu  entfernen  und  ihr 
Haar,  damit  es  nicht  allzusehr  in 
Unordnung  gerate,  mit  Bändern  auf- 
binden zu  lassen.  Wie  nun  der 
König  die  Enden  und  Schleifen  der- 
selben im  Winde  flattern  sah,  ward 
er  so  entzückt,  dass  er  die  Trägerin 
bat,  so  zu  verbleiben.  Natürlich 
wursten  die  übrigen  Hofdamen  nichts 
eiligeres  zu  thun,  als  schleunigst  den 

64* 


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1012 


Tracht. 


zufälligen  Putz  ihrer  Konkurrentin 
nachzuahmen,  und  so  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  der  Modewelt  das  neue 
Glück  in  kurzer  Zeit  zugetrageu 
wurde. 

Im  Jahre  1689  erschien  gegen 
die  Fontange  ein  Schriftchen,  das 
an  Derbheit  der  Sprache  nichts  zu 
wünschen  übrig  Hess.  Es  war  be- 
titelt: „Der  gedoppelte  Blasbalg  der 
üppigen  Wollust,  nemlich  die  er- 
hnfiete  Fontange  und  die  blosse  Brust, 
mit  welchem  das  al amodische  und 
die  Eitelkeit  liebende  Frauenzimmer 
in  ihrem  eigenem  und  vieler  unvor- 
sichtigen Manns- Personen  sich  darin 
veraasenden  Herzen  ein  Feuer  der 
verhothenen  Liebes-  Brunst  ange- 
zündet, so  hernach  t  n  et  n  er  hellleuch- 
f enden  grossen  Flamme  einer  bitteren 
l'nlust  ausschlägt,  Jedermsinniglieh, 
absonderlich  dem  Tugend  und  Ehr- 
barkeit liebenden  Frauenzimmer  zu 
guter  Warnung  und  kluger  Vor- 
sichtigkeit vorgestellet  und  zum  Druck 
befördert  durch  Ernestum  Gottlieb, 
burtig  zu  Veron.u  Eine  zweite  er- 
schien ein  Jahr  später  zu  Frankfurt : 
„Die  verabqötterte  Fontanqe  im  Gna- 
dt  nschoss  des  Königs  von  Frankreich 
verblichen ,  jetzund  aber  auf  den 
Häuptern  (les  Frauenzimmers  in 
Teutschland  wieder  lebendig  worden, 
von  F.  L.  von  Hohen- 1  [ff er" .  Der 
ausgesprochene  Eifer  und  der  nicht 
zu  verkennende  gute  Wille  blieben 
auch  hier  ohne  Erfolg;  die  Fontange 
erhielt  sich  bis  um  1720,  denn  sie 
war  französisch,  und  ein  im  Jahr 
1689  zu  Geyersbcrgk  erschienenes 
Schriftchen  sagt  mit  Recht:  „Es 
ist  ja  leider!  mehr  als  zu  sehr  be- 
kannt, dass,  so  lange  der  Franzosen- 
Teuffei  unter  uns  1  eutschen  regieret, 
wir  uns  am  Leben .  Sitten  und  Ge- 
bräuchen also  verändert,  dass  wir 
mit  gutem  Recht,  wo  wir  nicht  gar 
naturalisirte  Franzosen  seyn  und 
heissen  wollen,  den  Namen  eines 
neuen,  sonderlichen  und  in  Franzosen 
verwandeltes  Volk  bekommen  kön- 
nen. Sonaten  w  urden  die  Franzosen 


bei  den  Teutschen  nicht  astimirei. 
heute  zu  Tage  können  wir  nicht 
ohne  sie  leben  und  muss  alles  fran- 
zösisch sein.  Französische  Sprach«-, 
französische  Kleider,  französische 
Speisen,  französischer  Hausrat,  fran- 
zösisch Tanzen,  französische  Musik, 
französische  Krankheiten,  und  ich 
befahre,  es  werde  auch  ein  franzrj- 
sischer  Tod  darauf  erfolgen,  weil  ja 
die  hiedurch  verübten  Sünden  nicht* 

amiers  prognostizieren  Die 

meisten  deutschen  Höfe  sind  fran- 
zösich  eingerichtet,  und  wer  heut- 
zutage an  denselben  versorgt  sein 
will,  muss  französisch  können  unl 
besonders  in  Paris ,  welches  gleich- 
sam eine  Universität  aller  Leicht- 
fertigkeit ist,  gewesen  seyn,  wo  nicht, 
darf  er  sich  keine  Rechnung  am 
Hofe  machen.  Indessen  mochte  die? 
noch  hingehen  ....  Allein  dies  i-' 
auch  bis  auf  Privatpersonen,  unl 
bis  zu  dem  Pöbel  gekommen ,  und 
man  darf  sich  nur  in  den  Städten 
umsehen,  so  wird  man  rinden:  alles 
ist  französich." 

„Will  ein  Junggesell  heute  zu 
Tage  bev  einem  Frauenzimmer  at- 
tresse  hauen,  so  muss  er  mit  fran- 
zösischen Hütigen,  Westen,  galanten 
Strümpfen  u.  8.  w.  angestochen  kom- 
men. Wenn  dieses  ist,  mag  er  erleich 
sonst  eine  krumme  Habichts-Nase. 
Kalbes- A up']].  Buckel  (oder  wie  es 
andere,  die  dergleichen  Personen 
ajf'ectionirt  sind,  hohe  Schulter  nen- 
nen). Raffzähne,  krumme  Beine  uud 
dergleichen  halten,  so  fragt  man  nichts 
darnach:  genug,  dass  er  sich  nach 
langem  1  .ernen  a  la  mode  frans  stellen 
kann.  Man  halt  ihn  für  einen  recht 
geschickten  Kerl,  ob  er  gleich  nicht 
für  einer  Fledermaus  erudition  im 
Kopff.und  anstatt  desGehirns  Hecker- 
ling hat.  Es  ist  und  bleibt  ein  Mvn- 
sieur,  bevoraus  wenn  er  etwas  weniges 
parliren  kann.44 

Unter  sothauen  Umständen  hielt 
es  schwer,  ja  es  war  ganz  unmög- 
lich, durch  eine  äussere  Macht  dem 
Unwesen  Einhalt  zu  thun.  Selbst 


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Tracht. 


1013 


die  hochobrigkeitiichen  Erlasse  dieser 
Zeit  treten  weniger  mehr  gegen  die 
Tracht  selber  auf,  als  gegen  die  Ver- 
mischung der  Stände.  Diese  sollen 
auseinandergehalten  werden ,  also, 
da*s  man  sie  erkenne  in  ihrem  äusseren 
Auftreten.  Das  war  es,  was  der  Hof 
und  der  Adel  wollte,  was  aber  die 
andern  Stände  eben  hassten.  Die 
Standesunterschicde  waren  dicHaupt- 
triebfedern  dieser  Konkurrenz  auf 
Leben  und  Tod,  indem  die  einen  sie 
mit  aller  Mühe  wiederherstellen,  die 
Andern  verwischen  wollten. 

In  diesem  Sinne  erlässt  Georg  L 
von  Sachsen  schon  um  1612  eine 
Verordnung,  die  jedem  Stand  bis 
ins  kleinlichste  vorschreibt,  was  er 
tragen  darf  und  was  nicht,  wie  viel 
Zeug  zu  diesem  Kleidungsstücke 
verwendet  werden  dürfe  und  wie 
viel  zu  jenem  und  wie  jedes  Zeug 
zu  schneiden,  zu  zieren  und  zu 
tragen  sei.  Da  erhalten  ihre  Vor- 
schriften: „Die  vom  Adel  und  das 
adeliche  Frauenzimmer:  Professores 
vud  Doctores  auff  den  Universitäten. 
Deren  Weiber;  der  Doctoren  Töch- 
ter; Hoffdiener  so  nit  graduiret,  Item 
Secrctarien ;  Magistri;  der  Hoffdiener 
und  Secretarien  Weiber  (und  „ihre 
Töchter" ):  Pfarrern,  Weiber  vnd 
Kinder;  Studiosi;  Schlösser,  Amt- 
vögte, Verwalter,  Bürgermeister  vnd 
Ratsverwandten  (Manns-  vnd  Weibs- 
personen); deren  Söhne;  deren  Wei- 
bern,Jungfrawen;  vonllandelsleuten, 
Kramern  vnd  vermögenden  Bürgern, 
so  nicht  von  ihrem  Handwerge,  son- 
dern von  jhren  Gütern,  Reuthen 
oder  anderm  bürgerlichem  Gewerb 
sich  allein  ernehren;  deren  Söhne, 
Weiber  vnd  Töchter,  Gemeine  Bür- 
ger, Hand wergsleute  vnd  Gesellen; 
Gemeinen  Bürger  vnd  Handwerger 
Weiber  vnd  Töchter;  Handwerger 
in  Vorstädten;  Vorstädter,  so  eigene 
Häuser  haben,  auch  die  Pfalbürger; 
Dienstboten,  Knechten  und  Mägtfen; 
der  Bawerssmann  beneben  Weib  vnd 
Kindern  .  .  .  ." 

Im  is.  Jahrhundert  —  um  auch 


dieses  der  Vollständigkeit  willen  noch 
kurz  zu  berühren  —  blieb  Frankreich 
trotz  seines  sittlichen  Zerfalles  immer 
noch  massgebend.  Noch  unter  der 
Regierung  Ludwig  XIV.  trat  für  die 
männliche  Kleidung  der  Charakter 
der  Faltenlosigkeit  ein.  Der  R»ck 
wurde  bald  etwas  enger  getragen, 
bald  weiter  uud  £anz  geöffnet,  nach 
dem  Tode  Ludwigs  ganz  oder  halb 
zugeknöpft.  Die  Stutzer  Hessen  ihn 
von  der  Taille  abwärts  mit  derben 
Stoff  oder  mit  Fischbein  glocken- 
förmig aussteifen,  was  bis  zum  Aus- 
gang der  Vierzigerjahn1  beliebte. 
T)er  Kragen  blieb  weg,  die  Ärmel 
erhielten  einen  breiten  Überschlag. 
Der  Besatz  blieb  ein  reicher.  Die 
Wette  verlängerte  sich  wieder  bis 
zum  Knie.  Die  Ofjerschenkef  hose  ver- 
engte sich  wieder  und  die  Strumpf- 
hose bestand  meist  aus  weisser  Seide. 
Als  Fussbekleidunff  griff  man  zum 
Schuh  mit  Seidenlaschen  und  Spann- 
schnalle. Die  Perrucken  wurden  be- 
deutend einfacher. 

Die  Damenwelt  verzichtete  auf 
den  übermässig  aufgetürmten  Kopf- 
putz, da  1714  der  König  an  zwei 
Engländerinnen  den  „niederen"  so 
reizend  gef  unden,dass  er  sich  äusserte : 
„  Wenndoch  die  französischen  Damen 
nur  so  verständig  wären,  ihre  lächer- 
liche Coiffurc  gegen  jene  zu  ver- 
tauschen". Uud  eben  durch  dieselben 
kam  auch  der  kleine  Reif  rock  wie- 
der zu  Ehren,  der  bald  einen  Um- 
fang von  sieben  und  mehr  Fuss  er- 
reichte. Um  aber  die  Schleppe  doch 
nicht  zu  entehren,  befestigte  man 
rücklings  zwischen  den  Schultern 
oder  ander  Taille  eine  entsprechende 
Stoffmasse.  Der  Oberleib  steckte 
in  einem  engen  Leibchen,  der  Hals- 
ausschnitt wurde  tiefer.  Begreiflich 
erhielt  jedes  Stück  einzeln  wieder 
seine  besondere  Durchbildung. 

Deutschland  fahr  fort,  das  neueste 
nachzuahmen.  Unberührt  blieb  da- 
von höchstens  noch  etwa  die  Land- 
bevölkerung, die  einesteils  die  Mittel 
nicht  hatte,  solchen  „Staat"  anzu- 


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1014 


Tracht. 


schaffen,  andernteils  die  Zeit  nicht, 
ihn  zu  tragen  und  zu  pflegen.  Auch 
war  bei  dem  Abhängigkeitsverhält- 
nis, das  zwischen  Stadt  und  Land 
zu  gunsten  der  ersteren  vielorts  noch 
herrschte,  bei  dem  letzteren  dieAb- 
seheu  vor  der  städtischen"  Mode 
schon  allein  vermögend,  sie  in  Miss- 
kredit zu  bringen.  So  ging  der  Mode- 
Teufel"  seinen  Gang  trotz  der 
immerwährenden  Angriffe,  die  er 
auch  jetzt  zu  erdulden  hatte,  nament- 
lich von  seiten  der  Frommen,  die  an 
der  Hand  der  Bibel  haarscharf  nach- 
wiesen, dass  diese  Mode  vor  Gott 
ein  Greuel  sei.  So  die  Schrift:  Jn- 
versus  Dekaloaus  Münch.  Das  ist: 
Die  verkehrte  Welt  Oder  zehn  Haupt- 
Zaster  der  heutigen  Welt.  Wider  die 
H.  Zehn  Geltote  Gottes,  Sehr  anmutig 
und  lustig  zu  leiten.  Xebsf  einen  an- 
genehmen Valet  der  Welt,  Vorbe- 
stellet von  Einem  Weltkündigen  Lieb- 
haber der  Wahrheit,  Gahmens  B. F.  H. 
Gedruckt  im  Jahr  Christi  1712." 
u.  a.  m. 

Mehr  und  mehr  wich  auch  in  den 
östlichen  Staaten  aller  Widerstand; 
selbst  Wien  erschloss  sich  nach  dem 
Ableben  Karl  VI.  der  jeweiligen 
Mode  immer  mehr,  und  in  aerzweiten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  war  kaum 
ein  deutscher  Hof  zu  finden,  der  nicht 
nach  französischem  Muster  einge- 
richtet gewesen  wäre.  Selbst  das 
Zubehör  an  Jagden,  Festen,  Opern 
u.s.w.  wollte  Keiner  mehr  entbehren. 
Voran  Sachsen  unter  August  I.  und  II. 
und  dem  Günstling  des  letzteren, 
dem  Grafen  von  Brühl,  der  einen 
eigenen  Öofstaat  unterhielt  mit  zahl- 
losen Hausbeamten,  |z.  B.  dreissig 
Köchen),  für  die  er  die  Kleidungs- 
stücke bis  hVs  Kleinste  aus  Paris 
bezog.  Die  Sachsen  galten  daher 
mit  Recht  als  „die  I  ranzosen  in 
Deutschland". 

Die  Prachtliebe  des  ersten  nreus- 
sisehen   Königs,   Friedrich   1.,  ist 
bekannt.  Anders  verhält  sich  Frie- 
drich  Wilhelm ,    der   bei   seinem  | 
Regierungsantritt  (17 13)  88  Kammer- 1 


herren   und  zahlreiche  andere  Be- 
dienstete entliess  und  dadurch  un- 
zweideutig zu  erkennen  gab,  wessen 
man   sich  bei    ihm    zu  verseben 
habe.  Er  selbst  trug  eineu  braunen 
Rock  (Habit)  mit  englischen  Auf- 
schlägen und  eine  rote,  mit  Silber 
bordierte  Weste,  von  1719  an  eine 
schmucklose  Uniform.  Die  Wolken- 
perrücke  vertauschte  er  zuerst  mit 
dem  einfachen  ^Muffer"  oder  „Mir- 
leton",  entfernte  aber  auch  diesen 
bald  und  flocht  die  eigenen  Haare 
in  einen  Zopf,  was  er  auch  auf 
sein  Heer  ubertrug.    Sein  granzer 
Hof,   Gemahlin  und  Kinder  inbe- 
griffen ,    folgten    seinem  Beispiel. 
Auch   in  weiteren  Kreisen  blieb 
sein  Vorgehen  nicht  ohne  Eiuflus.-. 
da  er  klug  genug  war,  nicht  durch 
Erlasse,  die  doch  nicht  aufzuführen 
waren,  sich  selber,  sondern  die  Hof- 
fart selbst  durch  ihre  Darstellung  zu 
blamieren.  So  führte  er  der  franz.v 
sischen    Gesandtschaft ,    die  aus 
dreissig  Personen  bestand  und  deren 
Einfluss  bei  Hofe  er  brechen  wollte, 
bei  einer  Revue  ganz  unerwartet 
die   Profosen   der  Regimenter  in 
französischer  Tracht  vor  mit  mög- 
lichster Übertreibung  —  in  riesigen 
Hüten,    mit  Federn   bedeckt,  in 
Röcken  mit  tibergrossen  Aufsehlä- 
gen und  mit  gewaltigen  Haarbeu- 
teln.   Das  that  gute  Wirkung,  um 
somehr,  da  der  König  bald  darauf 
auch  allen  als  „infam"  Erklärten 
den  Haarzopf  abschneiden  und  die 
Perrücke  aufsetzen  Hess.  So  wählte 
er  auch    für  seine  lustigen  Rsite 
immer  dasjenige  aus,  was  er  lächer- 
lich machen  wollte.  Auf  diese  Weise 
brachte  er  bei  den  Männern  eine 
soldatische  Kleidung,  den  knappen, 
abgeschrägten,  blauen  Frack  und 
den  dreieckigen  Hut  zu  ziemlicher 
Verbreitung.    Die  grosse  Perriicke 
blieb  nirr  noch  bei  Ministern,  Rä- 
ten, Doktoren  und  Geistlichen  und 
wurde  im  übrigen  durch  den  „Muf- 
fer" ersetzt    Wer  sich  mit  dem 
Zopfe    nicht    befreunden  konnte, 


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Trauerkleider.  —  Tristan. 


1015 


kräuselte  die  Haare  über  den  Ohren 
zu  kleinen  Rundwülsten  auf.  Vor- 
steckärmel und  Schürzen  wurden 
gebraucht,  ...Jabot*' und  Manschetten 
von  den  Hemden  getrennt  behan- 
delt, überhaupt  ging  von  Preussen 
ein  neuer  Geist  der  Ernüchterung 
und  Sparsamkeit  aus.  Weniger 
glücklich  war  der  König  mit  seinen 
Reform  planen  bei  den  brauen.  Diese, 
anfänglich  schüchtern  nachgebend, 
entschädigten  sich  für  die  be-  j 
schränkte  Stofffülle  durch  die  Aus- , 
stattung  mit  köstlichen  Spitzen,  und  ; 
als  Friedrich  Wilhelm  starb  und 
Friedrich  IL  den  Thron  bestieg, 
verfielen  sie  wieder  vollständig  dem 
Hang  nach  der  französischen  Mode ; 
wie  auch  die  Männer,  trotz  dem 
militärischen  Gepräge,  das  ihr  Auf- 
treten behielt,  für  den  französischen 
Einfluss  wieder  zugänglicher  waren, 
um8omehr,  da  der  neue  König, 
wenn  auch  nicht  ein  Freund  der 
französischen  Tracht,  so  doch  ein 
Verehrer  der  französischen  Bildung 
war  und  die  französischen  Gelehrten 
an  seinem  Hofe  stets  gern  gesehen 
und  gelitten  waren.  Zudem  war 
Friedrich  viel  zu  sehr  mit  seinen 
weitgehenden  Plänen  beschäftigt, 
als  da&s  er  den  kleinlichen  Streit 
um  den  „Frack  der  Friedrich-Wil- 
helms-Männer"  hätte  aufnehmen 
und  weiterführen  mögen.  In  seinem 
Alter  sprach  er  sich  wohl  hie  und 
da  scharf  gegen  den  modischen 
Kleideraufwand  aus;  es  geschah 
das  aber  mehr  nur  in  einer  An- 
wendung seiner  eigensinnigen  Herr- 
scherlauue  und  blieb  darum  auch 
ohne  Erfolg.  Frankreich  hatte  mit 
i-einer  Mode  zu  Ende  des  Jahrhun- 
derts die  Welt  eiobert  und  es  be- 
hielt sie,  bis  es  ihr  mit  dem  Schwerte 
in  der  Hand  auch  die  „Freiheit" 
bringen  wollte.  Der  Ausgang  des 
Kampfes  ist  bekannt:  Das  alte  Eu- 
ropa wurde  in  seinen  Grundfesten 
erschüttert.  Die  alten  Staatsformen 
fielen  mit  ihren  beengenden  Vor- 
schriften   und  Verordnungen  und 


mit  diesen  fiel  auch  der  Gegen- 
stand, den  sie  bekämpft,  die  fran- 
zösische Tracht.  Nacn  Weiss,  Ko- 
stümkunde. Köhler,  die  Entwicklung 
der  Trachten  in  Deutschland,  Nürn- 


berg 1878.    Vgl.  Jakob  von  Falke, 

;hicnte 
Stuttgart  1880. 


Kostümgeschi 


der  Kulturvölker, 


Trauerkleider.  Die  Trauer- 
farbe der  Alten  war  Violett.  Witt- 
wen  verhüllten  um  1350  den  Kopf 
nach  Nonnenart,  trugen  dunkles 
Kleid,  weisses  Skapulier  mit  ge- 
stickten oder  gemalten  schwarzen 
Thränen  und  einen  Strick  als  Gür- 
tel. Um  1500  kam  die  schwarze 
Tracht  auf,  welche  die  standige 
blieb  und  nur  noch  in  ihren  Zu- 
thaten  —  Binden,  Mützen,  Gürteln 
und  Schleier  —  variierte,  die  bald 
weiss,  bald  schwarz  getragen  wur- 
den. 

TrinkhÖrner  waren  neben  der 
hohlen  Hand  wohl  bei  allen  Völ- 
kern die  ersten  Trinkgefasse.  Auch 
die  Germanen  liebten  sie  und  boten 
sie  bei  ihren  Festen  fleissig  herum. 
In  einer  Leipziger  Sammlung  fin- 
det sich  ein  thönernes  Trinkhorn 
aus  der  Bronzezeit. 

Tristan  heisst  das  höfische 
Kunstepos,  das  Gottfried  von  Sfrass- 
burg  hinterlassen  hat.  Die  Sage  ist 
wie  diejenige  des  Artus  eine  britan- 
nische, scheint  aber  im  Gegensätze 
zu  dieser,  welche  einen  historischen 
Hintergrund  hat,  mehr  mythischer 
Natur  zu  sein;  wie  dieselbe,  ohne 
Zweifel  durch  normannisch  eng- 
lische Sänger,  in  die  nordfranzö- 
sische Litteratur  geriet,  ist  nicht 
ausgemittelt ;  ebensowenig  sind  die 
französischen  Gedichte  erhalten, 
aus  denen  Gottfried  seiner  eignen 
Aussage  zufolge  seine  Geschichte 
entnahm.  Eine  Verbindung  der 
Tristansage  mit  der  Artus-  und 
Gralsage  ist  nur  sehr  ttusserlich 
hergestellt  worden.  Auch  das  un- 
terscheidet die  Tristansage  von  der 
Artus-  und  Gralsage,  dass  jene  von 
vornherein  eine  Liebessage  ist,  ähn- 


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1016  Tristan. 


lieh  den  Sagen  von  Pyramus  und  leite,  bei  welcher  Gottfried  Yeran- 

Thisbe,  Hero  und  Leander,  Romeo  lassung  nimmt,  in  einer  berühmt 

uud  Julie.    Von  der  Beliebtheit,  gewordenen  klassischen  Stelle  sein 

welcher   sich  die  Tristansage  im  Urteil  über  die  bedeutendsten  deut 

Mittelalter  erfreute,  geben  nament-  sehen  höfischen  Dichter  auszuspre- 

lich  verschiedene  bildliche  Darstel-  chen.  Nachdem  Marke  seinem  Nerfvn 

hingen  Zeugnis,  so  Freskodarstellun-  versprochen,  dass  er  seinetwegen 

gen  auf  dem  Schlosse  Runkelstein  unverehelicht  bleiben  wolle,  kehrt 

bei  Bozen,  ferner  mehrere  Teppiche,  dieser    in   seine    Heimat  zurück, 

ein  geschnitztes  Elfenbeinkästchen  rächt  seinen  Vater,  übergibt  aber 

u.  a.  sein  wiedergewonnenes  Land  seinen; 

Das  Gedicht  Gottfrieds  beginnt  geliebten  Rual  und  kehrt  zu  seinem 
mit  der  Geschichte  der  Eltern  des  Oheim  Marke   zurück.     Hier  ist 
Helden,  Ritralin  und  Blanscheßur,  soeben  Moroff  von  Irland  erschie- 
welch  letztere  die  Schwester  des  neu,  um  für  seinen  Schwäher  den 
Königs  Marke  von  Kurnewal  ist;  seit  mehreren  Jahren  auferlegten 
der  Vater  ist,  von  einem  Feinde  Zins  und  dreissig  edle  Jünglinge 
besiegt,  kurz  vor,   die  Mutter  bei  zu  heischen;  Tristan  bewegt  seinen 
der  Geburt  des  Söhnleins  gestorben,  Oheim  den  Zins  zu   weigern  und 
das  nun  von  dem  getreuen  Mar-  besteht  den  in  diesem  Falle  ausbe- 
schall  des  Vaters,  Rual,  als  desseu  duugenen  Zweikampf  mit  Morolt: 
eigenes  Kind  zu  sich  genommen  zwar  besiegt,   ersenlägt  er  dieseu 
und  auferzogen  wird.  Norwegische  im  zweiten  Waffengange,  nachdem 
Kaufleute  entführen  den  14jährigen  er  freilich  irn  ersten  Waffvngange 
Knabeu,    an   dessen   Gestalt  und  i  durch  Morolts  vergiftetes  Schwert 
Begabung  sie  Gefallen  gefunden,  eine  Wunde  erhalten ,    die  ua«*b 
mit  sich,  setzen  ihn  indes,  durch  Morolts  eigener  Aussage  bloss  durch 
einen  schrecklichen  Sturm  zur  Er-  dessen  Schwester  I*ot  geheilt  wer- 
kenntnis  ihrer  Raubthat  gekommen,  den  kann.    Da  infolge  de»  Aus- 
wieder  ans  Land.    Von  zwei  Pil-  gangs  dieses  Kampfes  Irland  für 
gern  begleitet,  trifft  er  zufällig  auf  Tristan  verschlossen  ist,   sieht  er 
die  Jäger  seines  ihm  unbekannten  sich  genötigt,  als  Spielmann  ver- 
Oheims Marke,  deren  Lob  er  sieh  kleidet  jenes  Land  zu  betreten,  wo 
durch   seine   meisterliehen  Jäger-  es  ihm  wirklieh   durch   seine  List 
künste  gewinnt;   auch  der  König  gelingt,   bei  der  Königin  Einlas* 
selbst  fühlt  sieh  so  zu  dem  Jüng-  und  von  ihr  Heilung  seiner  Wunde 
ling  hingezogen,  dass  er  ihn  zu  zu  erlangen;  als  Entgelt  dafür  hat 
seinem  Jägermeister  ernennt ,    ja  er  die  Tochter  der  Königin,  die 
ihm,  nachdem  jener  sich  auch  im  junge  Uot,  in  Saitenspiel  und  Spra- 
höchsten  Grade  der  Sprache  und  chen  zu  unterweisen.    Naehdetn  er 
des  Saitenspioles  kundig  erwiesen,  zu  Marke  zurückgekehrt,  sieht  sieh 
geradezu    seine  Freundschaft    an-  dieser  auf  den  Rat  von  Neidern 
trägt.    Vier  Jahre  schon  hält  sich  \  Tristans  und  auf  dessen  eigenen 
Tristan  an  Markes  Hof  auf,  als  Rat  hin  veranlasst,  an  eine  Ver- 
sein  Pflegevater  Rual  nach  müh- '  eheliehuug  zu  denken   und  zwar, 
seligen  Wanderungen,  die  er  um  ■  wieder  auf  Tristans  Rat  hin.  mit 
Tristans  willen  unternommen  hat,  der  jungen  Isot.    Natürlich  kann 
den  Ersehnten  findet  und  vor  Kö-  kein  anderer  als  Tristan  selber  der 
nig  Marke  das  Rätsel  seiner  Ge-  Brautwerber  sein,  und  es  gelingt 
burt  löst,  worauf  sieh  dieser  bereit  ihm   nach  vielen  Abenteuern,  wo 
erklärt,  Erbvater  seines  Neffen  sein  runter  auch  ein  Drachenkampf  er- 
zu  wollen.  Er  folgt  Tristans  Schwert-  seheint,  die  Einwilligung  zu  erhalten. 


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Trojanischer  Krieg. 


1017 


Zur  Heimfahrt  gibt  die  alte  Kö- 
nigin ihrer  Tochter  ihre  Niftel 
Brangaene  und  zugleich  einen 
Minnefrank  mit,  welche;i  Bran 
gaene,  nachdem  sich  Jsot  und  Mark  e 
in  Liebe  vereint  hätten,  diesen  statt 
Weines  schenken  möge.  Während 
die  Reisenden  einmal  Ruhe  halten, 
und  das  Volk  sich  zur  Erlustigung 
an  das  Land  begeben  hat,  besucht 
Tristan  die  Königin  und  begehrt 
während  des  Zwiegespräches  zu 
trinken;  da  reicht  ihm  eine  der 
anwesenden  Jungfrauen  unwissent- 
lich jenes  Gefäss;  Tristan  bietet 
es  zuerst  der  Herrin,  dann  trinkt 
er  .selber  und  sofort  erwacht  in 
beider  Herzen  glühende  Liebe,  und 
es  nützt  nichts  mehr,  dass  die  er- 
schrockene Brangaene  das  Glas 
ins  Meer  wirft.  Nun  folgen  ver- 
schiedene Abenteuer,  welche  alle 
darauf  hinauslaufen,  den  mit  Isot 
vermählten  König  Marke  wegen 
der  Treue  seiner  Gattin  zu  täu- 
schen, wobei  ausser  dem  Könige 
selbst  bald  dessen  Truchsess,  bald 
ein  Zwerg  der  Betrogene  ist.  End- 
lich überzeugt  sich  dennoch  der 
König  der  Untreue  seines  Neffen 
und  seiner  Gattin,  doch  sind  ihm 
beide  zu  lieb,  um  sie  zu  töten,  er 
verbannt  sie.  In  der  Wildnis  hal- 
ten sie  sich  in  einer  herrlichen 
Minnegrotte  auf,  wo  siederjagende 
König  neuerdings  findet  und,  durch 
eine  List  von  neuem  getauscht, 
beiden  vergibt.  Wiederum  aber 
überrascht  Marke  das  Paar,  worauf 
Tristan  flieht  und  in  der  Fremde 
eine  Liebschaft  mit  einer  anderen 
Isot,  Isot  Weisshand ,  anknüpft. 
Die  Dichtung  bricht  mit  der  Er- 
zählung ab,  wie  Tristan  dieser 
neuen  Geliebten  schöne  Lieder  ge- 
dichtet und  gesungen  habe. 

Das  unvollendet  hinterlassene 
Gedicht  hat  zwei  Fortsetzer  gefun- 
den: VI  rieh  von  Türheim  schrieb 
um  1240  seine  etwas  schwächere 
und  notdürftige  Weiterführung;  er 
wurde  wesentlich  und  mit  Glück 


übertroffen  von  Heinrich  von  Frei- 
berrj,  um  1300.  Ausgabe  des  Tristan 
mit  sämtlichen  Fortsetzungen  von 
Fr.  H.  v.  d.  Hagen,  2  Bände,  Bres- 
lau 1823.  Neueste  Ausgabe  von 
Gottfrieds  Tristan,  v.  Reinnold  Bech- 
stein,  2  Bände,  Leipzig,  1869.  Von 
1  ebendemselben  der  Tristan  des  Hein- 
rich von  Fretfwg,  Leipzig. 

Trojanischer  Krieg  gehört  zwar 
unter  diejenigen  Stoffe  des  höfischen 
Epos,  welche  der  antiken  Sagenwelt 
entnommen  sind,  erfreute  sich  aber 
durchaus  nicht  der  Beliebtheit  wie 
•die  Sagen  von  Aeneas  und  Alexan- 
der; einesteils  fehlte  es  an  geuügen- 
'  den  Quellen,  denn  Homer  wurde  in 
dieser  Periode  auf  deutschem  Boden 
nicht  gelesen ;  andererseits  an  einem 
Helden,  der  wie  Aeneas  und  Alexan- 
I  der  zum  Typus  des  Rittertums  um- 
gebildet werden  konnte.    Die  latei- 
nischen Quellen  der  mittelalterlichen 
Trojaner-Gedichte  sind  Dares  und 
Dietys.     Von    diesen    gilt  Dares 
.  Phrygius  als  Verfasser  einer  Iiistori  a 
1  deexcidio  TViz/Vi^ehierkurzgefaseten, 
;  flüchtig  und  '  in  schlechtem  Latein 
'  geschriebenen   Erzählung  von  der 
zweimaligen  Zerstörung Trojas,  durch 
Herkules  und  durch  die  Griechen, 
I  mit  kurzer  Berührung  der  Argo- 
nautenfahrt, angeblich  von  Cornelius 
Nepos  ins  Lateinische  übersetzt:  der 
■  Verfasser,  nimmt  man  an,  habe  etwa 
|  im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  gelebt. 
Ergänzt  wurde  Dares  aus  den  Ephe- 
meris  hell!   Trojani  eines  gewissen 
Dictys,  unter  dem  sich  ein  späterer 
Grammatiker  verbirgt.    Aus  diesen 
Quellen   hat  der  nordfranzösische 
Dichter  Benoit  de  Saint -More  im 
1 2.  Jahrhundert  ein  grosses  Gedicht 
von  etwa  30  000  Versen  verfasst, 
destritetion    de    Troyes ,    roman  de 
Troyes,  welches  seinerseits  Quelle 

feworden  ist  für  ein  deutsches  Epos 
es  Herhort  von  Fritzlar,  lief  von 
Troye;  dieses  Gedicht  ist  im  Auf- 
trage des  kunstliebenden  Landgrafen 
Hermann  von  Thüringen  geschrieben, 
der  das  französische  Original  von 


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1018 


Truhe.  —  Turnier. 


dem  Landgrafen  von  Lohrinden  er- 
halten hatte;  es  füllt  also  in  den 
Anfang  des  13.  Jahrhunderts.  Un- 
gleich vollkommener  in  Darstellung 
und  Ausdruck  als  dieses  Gedicht 
ist  der  Trojaner  Krieg  des  Konrad 
von  Ji'ürzhurfj,  dessen  Hauptquelle 
derselbe  französische  Dichter  war; 
Konrad  starb  über  dem  unvollendet 
gebliebenen  Werke,  das  dann  ein 
Unbekannter  vollendete.  Berühmter 
als  die  genannten  Bearbeitungen  der 
Trojanersage  wurde  endlich  der  la- 
teinische Prosaromau  des  Guido  de 
Colu m na,  Richter  in  Messina:  Iii- 
storia  desfi^uctionis  Trojae,  1287  voll- 
endet, ebenfalls  unter  Benutzung  des 
französischen  Gedichtes  ausgear- 
beitet. Der  Roman  wurde  fast  in  alle 
Sprachen  Europas  übersetzt  und  in 
einer  Masse  von  gedruckten  Aus- 
gaben verbreitet;  man  hat  Über- 
setzungen ins  Italienische,  Fran- 
zösische, Spanische,  Englische,  Deut- 
sche, Niedersächsische,  Holländische, 
Böhmische,  Dänische.  Aus  ihm  ent- 
lehnte auch  Boccaccio  den  Stoff  zu 
seinem  Filostrato,  welcher  die  Haupt- 

2uelle  zu  Shakespeares  Troilus  und 
'ressida  wurde.  Die  verbreitetste 
deutsche  Übersetzung  stammt  von 
Haus  Yair  oder  lians  Mair  von 
Nördlingen,  aus  d.  J.  1392  und  ist 
oft  gedruckt  worden.  Endlich  hat 
ein  unbekannter  Dichter,  der  sich 
betrügerisch  Wolfram  von  Eschen- 
bach nennt,  im  14.  Jahrhundert  die- 
selbe Sage  in  etwa  30  000  Versen 
behandelt.  U.  Dünger,  Die  Sage 
vom  trojanischen  Kriege  in  den 
Bearbeitungen  des  Mittelalters.  Leip- 
zig 1860. 

Truhe  nannte  man  einen  recht- 
eckigen Kasten  mit  flachem  oder 
gewölbtem  Deckel.  Die  Vorderseite 
warnach  Vermögen  mit  Schnitzereien 
und  Malereien  geziert.  Die  Truhe 
diente  zur  Versorgung  der  Klei- 
der und  kostbarer  Hausgeräte,  zu 
Hause  sowohl,  wie  namentlich  beim 
Trans  port. 

Tunicella,  eine  etwas  kürzere 


Tunika,  die  im  früheren  Mittelalter 
von  der  griechischen  Geistlichkeit 
unter  der  lJalmatika  getragen  wurde. 
Zu  Anfang  des  9.  Jahrhunderts, 
scheint  sie  auch  im  Abendlande  auf 
zutreten  und  zwar  als  Unterkleid 
aller  Geistlichen.  Der  Diakonus 
trug  die  Tunicella  und  die  I  )almatik  . 
zugleich,  der  Subdiakonus  ersten 
allein.  Die  Tunicella  war  bis  ins 
1 1 .  Jahrhundert  weiss,  mit  violettem 
Saumstreifen  besetzt,  dann  mit  Gold 
verbrämt  und  etwa  mit  kleines 
Schellen  behangen.  Siehe  aueh  den 
Art.  Krön  u  nqsi nsifl n  ieu . 

Tunika,  das  erst  ärmellose,  s^it 
Angustus  Zeit  mit  Ärmeln  versehene 
leinene  oder  wollene  Unterkleid,  da? 
auf  blossem  Leibe  unter  dem  Mantel 
getragen  wurde. 

Turnier.  Die  Turniere  and 
neben  der  höfischen  Dichtung  dtr 
eigenartigste  Ausdruck  des  mittel- 
alterlichen Rittertums.  Sie  entsteh'  - 
ohne  Zweifel  aus  älteren  Heiter- 
spielen,  von  denen  der  Geschicht- 
schreiber Xifhard,  Vier  Bächer 
Geschichten  III,  6  folgendes  an- 
schauliche Bild  gibt:  ,,Zur  Leibes- 
übung  stellteu  sie  —  es  ist  von  den 
beiden  Söhnen  Ludwig  des  Frommen. 
Luwie  dem  Deutschen  und  Karl 
dem  Kahlen,  die  Rede  —  auch  oft 
Kampfspiele  an.  Dann  kamen  sie 
auf  einem  besonders  auserlesenen 
Platze  zusammen  und  während  rings 
umher  das  Volk  sich  scharte,  stürzt*  l 
sich  zuerst  von  beiten  Seiten  gleich 
starke  Scharen  von  Sachsen,  Wasken. 
Austrasicrn  und  Brittonen  wie  zum 
Kampfe  in  schnellem  Laufe  auf- 
einander; darauf  wendeten  die  einen 
ihre  Rosse  und  suchten  mit  den 
Schilden  sich  deckend  vor  dem  An- 
griff der  Gegner  durch  die  Flucht 
sich  zu  retten,  während  diese  die 
Fliehenden  verfolgten;  zuletzt  stür- 
men beide  Könige,  umgeben  von 
der  ganzen  jungen  Mannschaft,  in 
gestrecktem  Lauf,  die  Lanaen 
schwingend,  gegen  einander,  und 
bald   von  dieser,  bald  von  jener 


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Turnier. 


1019 


Seite  zur  Flucht  sich  wendend,  ahmt 
man  den  wechselnden  Kampf  der 
Schlacht  nach.  Und  es  war  ein 
Schauspiel  bewundernswert  wegen 
des  Glanzes  und  der  Ordnung,  die 
herrschten:  denn  auch  nicht  einer 
von  dieser  so  grossen  Menge  und 
von  diesen  verschiedenen  Völkern 
wagte,  wie  es  selbst  unter  Wenigen 
und  unter  Bekannten  zu  geschehen 
pflegt,  einem  andern  eine  Wunde 
zu  schlagen  oder  einen  Schimpf 
anzuthun." 

Diese  Reitspiele  erhielten  mit  der 
Aufnahme  des  Kitterw  esens  in  Frank- 
reich ihre  ritterliche  Ausbildung,  und 
zwar  wird  in  den  Zeitbüchern  der 
Franzose  Gudefroi  de  Prieuilhf, 
11.  Jahrhundert,  als  derjenige  ge- 
nannt der  das  Turnier,  turn ea m en  tu  m , 
von  lateinisch  tornare  =  drehen, 
kehren,  wenden,  französisch  tour- 
»oyrr,  provencalisch  torneiar,  mhd. 
furnieren,  erfunden  habe;  es  ist 
nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Er- 
findung des  französischen  Ritters 
darin  bestand,  dass  er  das  bestehende 
knnstmässige  Reitspiel  mit  dem 
ritterlichen  Waffenkampfe  verband, 
eine  Veränderung,  welcne  einerseits 
das  blosse  Neckspiel  dem  ernsten 
Kampfe,  anderseits  den  ebenfalls 
uralten  blossen  Lanzen*  und  Schwert- 
Kampf  dein  schönen  künstlerischen 
Spiele  näherte;  es  war  gleichsam 
eine  Verbindung  des  Tanzes  mit 
dem  Kampfe. 

In  Deutschland  wird  zuerst  im 
Jahr  1 127  ein  torneamentum  erwähnt, 
das  Kaiser  Lothar  bei  Würzburg 
abhielt.  Seitdem  ist  es  in  Deutsch- 
land wie  in  Frankreich  völlig  hei- 
misch, wie  u.  a.  die  wiederholten 
Verbote  der  Päpste  beweisen;  doch 
erfolgt  die  eigentliche  Ausbildung 
dieses  Ritterspieles  auf  deutschem 
Boden  erst  in  der  zweiten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts;  auf  dem  Kreuz- 
zuge unter  Konrad  II.  und  Lud- 
wig VII.  wurden  die  Deutschen  noch 
wegen  ihrer  Ungeschicklichkeit  im 
Reiten  von  den  Franzosen  verhöhnt. 


Man  muss  nun  durchaus  unter- 
scheiden zwischen  den  Turnieren 
der  eigentlichen  höfischen  Zeit,  im 
12.  und  13.  Jahrhundert,  und  zwi- 
schen den  späteren  Turnieren  des 
14.  bis  16.  Jahrhunderts.  WTas  die 
erste ren  oder  die  echten  Turniere 
betrifft,  so  unterscheiden  sich  die- 
selben von  den  in  dieser  Zeit  sehr 
geläufigen  ritterlichen  Kampf-  und 
Keitspielen,  dem  tjost  und  dem 
huhurt,  dadurch,  dass  diese  jeden 
Augenblick  zur  Übung,  zur  Kurzweil, 
auf  den  Wunsch  irgend  einer  Per- 
son angestellt  werden  können, 
während  das  Turnier  stets  vorher 
angetagt  ist.  Das  Turnier  fand 
nicht  überall  in  gleicher  Weise  statt, 
die  Franzosen  z.  B.  galten  als  hitziger 
als  die  Deutschen,  mauche  Stämme 
hatten  grössere  Vorliebe  für  da« 
Spiel,  andere  geringere  Freude 
daran.  In  Beziehung  auf  den  Zweck 
des  Turniers  unterscheidet  man: 

a)  turnet  durch  lernen,  mittellat. 
tirocinium;  diese  Spiele,  durch  wel- 
che Knappen  in  aie  Turnierkunst 
eingeführt  werden  sollten,  fanden 
unter  Aufsicht  älterer  Ritter  statt. 
Aber  bloss  die  drei  letzten  Jahre 
der  Knappenzeit,  in  welchen  der 
Knappe  kneht  hiess.  berechtigten 
zur  Teilnahme  an  diesen  Turnieren; 
es  war  die  Zeit,  wo  er,  aber  nur 
geduldet,  schon  das  ritterliche 
Schwert  führte  und  das  ritterliche 
Ross  ritt;  doch  trug  er  jenes  noch 
nicht  gegürtet,  sondern  musste  es 
an  den  Sattel  hängen.  Ein  solches 
Knechtturnier  fand  auch  am  Tage 
vor  der  Schwertleite  statt,  zur  Prüfung 
der  Kandidaten  des  Rittertums. 

b)  turnet  umbe  quot.  In  jedem 
Turniere  gehörte  die  Rüstung  und 
das  Ross  des  Gefangenen  von  Rechts 
wegen  dem  Sieger,  und  der  Ge- 
fangene musste  sich  für  eine  von 
diesem  geforderte  Summe  auslösen. 
Doch  galt  es  für  anständig,  den 
Gefangenen  freizugeben.  Aber  nicht 
alle  Turnierer  beobachteten  diesen 
A  nstand,  namentlich  diejenigen  nicht, 


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1020 


Turnier. 


die  erbelos  im  Lande  herum  aben-  sondern  ein  Turnier,  das  wirkliche 
teuerten ,    gewandt    im  Turnieren  Feinde  nach  gegenseitiger  Verab- 

waren  und  sich  lediglieh  durch  Tur-  redung  mit  seharfen  Waffen  &b- 
niere  erhielten.  Um  solchen  Leuten  hielten. 

ihre  Freude  zu  lassen,  stiftete  man  b)  der  turnei  ze  schimpfe  ist  ein 
geradezu  furniere  umbe  ff  not,  Tur-  Turnier  mit  stumpfen  Waffen,  dessen 

niere.   wo    das  Beutemachen    die  Hauptgewicht  auf  den  durch  da> 

Hauptsache  war;  wer  hier  keiu  Löse-  künstliche     Reiten  ausgebildeten 

geld  hatte,  musste  ze  den  Jude nfa rn.  '■  Speerkampf  fällt;   es   kommt  hier 

Am  Rhein  fanden  solche  Turniere  vor  allem  darauf  an,  möglichst  viele 

das  ganze  Jahr  statt.  I  Gegner  aus  dem  Sattel  zu  heben 

c)  der  turnei  durch  die  vrou-  und  sie  zur  Sicherheit,  flauet  zu 
wen;  darunter  versteht  man  sowohl ,  bringen;  der  Besiegte  verlor  da- 
den  auf  jedem  ordnungsmässigen  durch  seine  Freiheit  und  es  stand 
Turnier  stattfindenden  Danwnshch,  völlig  in  dem  Belieben  des  Sieger-, 
an  welchem  namentlich  die  vrou  wen  ob  und  wann  er  ihn  freilassen,  ob 
ritter  teilzunehmen  hatten,  als  über-  und  für  welche  Summe  er  ihm  sein 
haupt  solche  Turniere,  welche  zu  Kampf-Zeug  zurückgeben  wollte.  Im 
Ehren  und  zur  Belustigung  der  I  Gegensatze  zu  diesem  Turnier  steht 
Frauen  angestellt  wurden.  Frauen  c)  der  turnei  ze  schimpfe  mif 
nahmen  überhaupt  den  lebhaftesten  Pride;  hier  setzte  man  von  vom 
Anteil  an  solchen  Belustigungen;  herein  eine  Lösesummc  fest,  die  der 
ja  es  wird  erzahlt ,  wie  sie  sogar  Besiegte  an  den  Sieger  zu  zahlen 
Männerrüstung  angelegt  und  zum  hatte  und  die  im  Durchschnittswert 
Sehimpfe  (zur  Kurzweil)  furniert  der  zu  Felde  gebrachten  Turnier- 
hätten.  Diese  Turnierart  artete  leicht  rüstungen  bestand.  Unter  Umstän- 
in  ein  Galanteriespiel  aus.  den  war  diese  Turnierweise  gefähr 

d)  der  turnei  durch  tre  ist  das  lieber  als  die  vorhergehende:  dort 
edelste  Turnier;  hier  konnten  bloss  ;  konnte  ein  edelmütiger  Sieger  seinen 
erprobte  Ritter  mit  Erfolg  kämpfen.  Gefangenen  unter  Umständen  frei- 
Gefangene  wurden  sofort  freige-  geben:  hier  verstand  es  sich  unter 
geben.  Wurden  zwar  bei  diesem  allen  Umständen,  dass  das  vorher 
Turniere,  was  bei  den  drei  antlern  ausgemachte  Lösegeld  bezahlt  wer 
Arten  vermutlich  nicht  stattfand,  den  musste. 

Preise  ausgesetzt,  so  blieb  der  Haupt-  d)  Der  turnei  ze  schimpfe  wt 
lohn  für  den  Sieger  doch  immer  der,  Pride  mit  hippern  ist  das  einzige 
der  geschickteste  Turnierer  genannt  Ritter-Turnier,  in  welchem  es  den 
zu  werden.  In  den  höfischen  Ge-  Knappen  gestattet  war  in  den  Kampf 
schichten  geschieht  es  oft,  dass  bei 1  einzugreifen;  da  sie  indes  keino 
einem  solchen  Turnier  eine  Dame  ritterlichen  Waffen  tragen  durften, 
sich  und  ihr  Land  dein  Sieger  als  mussten  sie  sich  mit  einem  ein- 
Preis anbietet.  fachen  Knüttel  behelfen;  auch  konn- 

Naeh  den  Bedingungen  ,  unter  ten  sie  nicht  zu  Rosse  sitzen.  mus£- 

denen  das  Turnier  stattfand,  kann  ten  vielmehr  ihrem  Herrn  zu  Fasse 

man  unterscheiden:  nachgehen.    Ihre  Aufgabe  war  den 

ai  der  turnei  ze  ernste.  Darunter  abgestochenen  Ritter  so  langte  mit 
war  nicht  etwa  ein  Turnierkampf  Prügeln  zu  traktieren,  bis  er  Sicher- 

verstanden,  der,  friedlich  begonnen,  heit  gelobte.    Diese  wenig  höfische 

durch  den  Zorn  der  unterliegenden  I  Kampfweisc  wurde  besonders  im 
Partei  in  einen  wirkliehen  Kampf  Turnier  umftc  gnot    geduldet :  ipi 

ausartete,  wobei  man  die  stumpfen  turnei  durch  t're  schl^s«*  man  «<* 
Waffen   mit  seharfen  vertauschte, ,  gewöhnlich  aus. 


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Turnier.  1021 

Die  im  Turnier  geübte  Keif-  und  trifft,  den  Stössen  der  übrigen  zu 

Kampfkunst  erhellt  am  deutlichsten  entweichen.  Dieser  Stich  ist  daher 

aus  einer  Stelle  im  Parzival,  812,  schwieriger  als  die  vorhergehenden, 

0—16:  aber  verhältnismässig  selten  und 

t-"  ,„„  /„,.,„•„  hAu  muss  deshalb  als  eine  Art  Extra- 

bunfsttehe  mac  turnteren  Mn:  T  - 

die  smt  mit  miner  haut  getdn.  4  ^       ^        .  . 

™f  **'  zempune%Z:  Einzelattaque  mit  eingelegter  Lanze 

Ar  dritte  tst  zen  muoten:  ^       h       Seitc  her   ^.  R 

» rekter  tjost  den jjuoten  ^  Einzelnen  ist  hier,  durch  ge- 

M*  hurtechchen  han  aeriten,  8chickte8  Reiten  sich  dem  Hurt  äes 

«*<l  <fe«  zor  rofy«  »i**  r,rm»/^.  Ge8amtkampfes  zu  ontziehen  und 

Diese  Stelle  wird  erklärt:  es  gebe  richtig  zu  beurteilen,  ob  es  im  ein- 
fünf  Reittouren  im  Turnier,  in  denen  zelnen  Falle  rötlich  sei,  gerade  oder 
auf  den  Gegner  gestochen  werden  schräg  den  Gegner  anzurennen, 
kann,  Turnierspeerkampf:  zu  ihnen  wann  in  beiden  Fällen  in  die  Kar- 
kommt dann  der  Turnierschwert-  riere  zu  fallen  sei  und  ob  es  gut 
kämpf,  das  zäumen.  sei,  gleich  anfangs  ze   trviers  zu 

Der  Tnrnierspeerkampf  besteht  reiten  oder  erst,  nachdem  man  Hchon 

also  aus  folgenden  Touren    oder  im  puneiz  die  Karriere  genommen 

Stichen:  hat,  plötzlich  in  die  Richtung  ze 

1 .  Der  Stich  zem  puneiz  ist  eine  treviers  zu  fallen ,  was  besonders 
Attaque  sämtlicher  Scharen  von  grosse  Gewandtheit  erforderte.  Jede 
vorne  auf  den  Feind  mit  eingeleg-  Tjoste,  die  als  kunstgemäss  „ge- 
ter  Lanze  und  hurt,  d.  h.  mit  dem-  messen"  gelten  soll,  muss  richtig 
jenigen  stossenden  Anreiten ,  das  geritten  und  richtig  gestochen  wer- 
auch  dem  buhiirt  zu  Grunde  liegt,  den.  Die  beiden  tjostiure,  d.  i.  die 
Die  Kunst  für  den  einzelnen  besteht  tjostierenden,  reiten  geradlinig  auf- 
darin,  zu  richtiger  Zeit,  sobald  der  einander;  ist  die  Tjoste  zu  Ende, 
Führer  der  Scharen  den  Befehl  so  „Jceren?'  sie  oder  sie  „tuont  den 
„zem  puneiz**!  d.  h.  zum  Wechsel  teanc",  d.  h.  sie  reiten  zum  ersten 
des  Galopp-  und  Karriereritts  gibt,  Standorte  zurück ,  lassen  sich  ueue 
diesen  auszuführen,  damit  er  nicht  Speere  geben  und  beginnen  den 
hinter  den  anderen  zurückbleibt.     !  gradlinigen  Ritt   wieder ,  so  dass 

2.  Der  Stich  ze  treviers  ist  eine  man  also  vom  ersten,  zweiten,  fünf- 
Attaque  sämtlicher  Scharen  von  der  \  ten  Tjost  snricht.  Die  Tjost  be- 
rechten  Seite  auf  den  Feind  mit  ein-  ginnt  im  Galopp  und  geht  nachher 
gelegter  Lanze  und  Hurt.  Die  Kunst  in  die  Karriere  über ,  wobei  die 
für  den  einzelnen  besteht  darin,  Kunst  darin  besteht,  zur  rechten 
sobald  der  Führer  das  Kommaudo  Zeit  den  Wechsel  des  Tempos  ein- 

treviers"  gibt,  zugleich  aus  dem  treten  zu  lassen.  Dabei  treten  zwei 
Galopp  in  die  Karriere  und  aus  der,  Fälle  ein:  entweder  reiten  die  bei- 
^eraden  in  die  schräge  Richtung  zu  den  tjostiure,  während  sie  die  Speere 
fallen,  damit  er  nicht  zurückbleibt ;  verstechen,  aneinander  vorüber,  oder 
sie  ist  also  viel  schwieriger  als  im  sie  treffen  mit  den  Rossen  Brust 
Stiche  ze  puneiz.  j  an  Brust  zusammen;  der  Name  die- 

3.  Der  Stich  zen  muoten  ist  das  ses Zusammenrennens  mit  den  Rossen 
Stechen  eines  einzelnen  gegen  eine  ist  hurten ,  der  oder  die  hurt.  Ehe 
ganze  Schar,  wobei  es  für  diesen  die  tjostiure  zum  Stiche  aneinander 
darauf  ankommt,  während  er  den  ritten,  galt  es  die  tjost  zi/n,  d.  h. 
einen  aufs  Ziel  genommenen  Gegner  Schild  uud  Speer  kunstgerecht  zu 


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1022 


Turnier. 


halten,  den  Schild  mit  der  linken 
Hand  so,  das»  er  den  ganzen  Ober- 
körper vom  Hals  bis  zu  den  Knien, 
von  vorne  und  von  der  linken  Seite 
bedekt;  daz  sper  ander  den  arm 
sinken,  daz  »per  lif  die  brüst  Urnen. 
Zielpunkte  des  Speerstosses  sind  die 
vier  Saget  oder  der  Hals  des  Geg- 
ners; die  vier  Nägel  befanden  sich 
auf  demjenigen  Teile  des  Schildes, 
welcher  während  des  Kampfes  die 
Hand  deckte;  es  sind  ohne  Zweifel 
dieselben  Nägel,  welche  innen  die 
Handriemen  festhielten  und  um  den 
Schildbuckel  herum  lagen.  Besiegt 
ist  der  Gegner,  wenn  er  durch  den 
St 083  auf  die  vier  Nägel  oder  auf 
den  Hals  abgestochen  oder  wenn 
beim  Hurt  das  Ross  mit  samt  dem 
Reiter  zu  Boden  gesunken  ist;  un- 
entschieden ist  der  Kampf  und  hat 
also  aufs  neue  zu  beginnen,  wenn 
die  aus  dürrem  Holze  gefertigten 
Speere  zersplittert  sind  oder  wenn 
beim  hurten  das  Ross  zwar  den 
Stoss  ausgehalten  hat,  die  Riemen 
dagegen,  welche  den  Sattel  halten, 
durch  den  Hurt  gelöst  sind  und  der 
Sattel  mit  samt  dem  Reiter  vom 
Rosse  herabgerutscht  ist. 

5.  Der  Stick  zer  volge  ist  ein 
Stich ,  der  naeh  den  eigentlichen 
Turnieren  stattfindet  und  bloss  von 
den  gewandtesten  Reitern  gestochen 
wird;  es  ist  noch  mehr  als  der  dritte 
Stich  der  sogenannte  Damenstich: 
er  wird  bloss  auf  ausdrückliche 
Provokation  und  Zustimmung  des 
Provozierten  hin  gestochen  und  ist 
im  übrigen  auch  ein  tjost. 

Die  stehende  Formel  für  den 
Schluss  eines  getroffenen  Stiches 
war,  dass  der  Abgestochene  fragte: 
wer  hat  mich  überwunden?  worauf 
der  Sieger  antwortete:  ich  bin  N, 
und  der  Besiegte:  min  Sicherheit  si 
din.  Wurde  aber  dem  Gegner  bloss 
Helm-  oder  Schildriemen  locker  ge- 
macht oder  die  Riemen  des  Rosses 
zerstochen,  so  war  er  nicht  besiegt, 
musste  aber  vom  Turnierplatz,  um 
sich  mit  Helm,   Schild  und  Ross 


aufs  neue  zu  versehen.   Beim  End 
urteil  kam  dann  freilich  mit  iu  Be 
tracht,  wie  oft  dieses  letztere  ein- 
getreten war. 

Neben  dem  Turnierspeerkanipt 
besteht  ein  TurnierschwertXam^ 
Er  heisst  das  zoumen  und  besteht 
darin,  dass  der  Ritter  das  Ro?? 
seines  Gegners  am  Zügel  nimmt, 
mit  ihm  umwendet  und  es  nach  der 
Seite  seiner  Turniergenossen  hin 
vom  Turnieq)latz  zu  ziehen  sucht. 
Da  dieses  jedoch  meist  nicht  so  glatt 
von  statten  ging,  musste  die  Ge- 
wandtheit des  Reiters  durch  den 
Kampf  unterstützt  werden,  wozj 
man  eben  den  Schwertkampf  be- 
nutzte. Eben  in  dieser  Turnier 
tour  griffen  nun  in  sehr  unhöfiseher 
Weise  jene  kinf>er  ein,  deren  oben 
gedacht  ist.  Kipper  ist  eine  turoier- 
unfähige  Person,  welche  sich  während 
des  Kampfes  der  Beute  der  Ritte: 
mächtigt,  in  erster  Linie  Knappen; 
ihre  Waffe  ist  ein  Prügel,  mit  drn 
sie  das  Ross  des  Gegners  ihi>~ 
Herrn  namentlich  beim  zoumen  trak- 
tieren. Wer  gezäumt  war,  galtuatür 
lieh  als  besiegt 

Was  die  J  eranstaltung  und  Jbtt 
richtung  eines  Turniers  sonst  betrirlr 
so  hatte  der,  der  ein  Turnier  ab 
halten  wollte,  zunächst  den,  gegen 
den  er  zu  kämpfen  beabsichtigte, 
davon  in  Kenntnis  zu  setzen, 
turnet  anbieten.  Nahm  es  dieser  an. 
so  einigte  man  sich  über  die  Be 
dingungen,  unter  denen  der  Turnei 
abgehalten  werden  sollte,  ob  zeerv*!* 
oder  ze  schimpfe,  mit  rride  oder«"*' 
vride,  wie  der  Turnei  stdn  oder  pfiff 
soll,  d.  h.  wie  hoch  die  Auslösung*- 
summe  anzusetzen  sei,  ob  Kipper 
zuzulassen  seien  oder  nicht.  Dann 
wurde  Zeit  und  Ort  für  den  Turn»' 
festgestellt,  was  die  Zeit  betruft 
immer  im  Sommer  und  zwar  mei>t 
am  Montag.  Turnierort  ist  ein  grosser 
freier  Platz,  in  der  Regel  in  der 
Nähe  einer  grösseren  Stadt.  Beide 
Teile  sorgten  jetzt  für  die  Am- 
kündung  des  Turniers,  den  turn* 


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Turnier. 


1023 


schrien,  was  durch  Knappen  an  be- 
stimmte Personen  oder  an  jeden 
turnierffchigen  Mann  geschah,  der 
angetroffen  wurde.  Mindestens  drei 
Wochen  dauert  es  von  da  bis  zum 
bestimmten  Termin.  Der  Turnier- 
platz ist  von  Sehrauken,  hAmit,  um- 
schlossen worden,  hinter  denen  sich 
das  gestüele  für  die  Damen,  alten 
Herrn  und  die  Mitglieder  des  Turnier- 
gerichts erhebt.  Die  zum  Turnier 
Erschienenen  wurden  gemustert  und 
geprüft,  ob  sie  turnierfähig,  d.  h. 


herabreichte  und  oben  Löcher  für 
das  Auge  hatte;  der  Brust:  die 
plate;  der  Knie:  das  schinnelier, 
alles  dies  von  innen  besonders  be- 
polstert. Wie  der  Ritter  ist  das 
Rosa  in  eine  eiserne  Decke  gehüllt. 
Schutzwaßen  sind:  der  Turnierhelm, 
iih  Gegensatz  zu  dem  in  der  Schlacht 
zu  dieser  Zeit  nochmeistgebrauchteu 
isenhuot,  mit  der  zimier,  dem  Helm- 
schmuck  versehen;  und  der  Tnrnier- 
tekild  in  Form  eines  abgerundeten 
Dreiecks,  mit  dem  bunt  bemalten 


Kitter  seien  und  zur  Zeit  in  keinem  ]  Wappenbilde.    Die  Angriffs  warten, 


unfreien  Verhältnisse  stünden.  Jeder 
Turnierteilnehmer  kam  allein  oder 
mit  seinen  Gesellen,  welche  ent- 
weder Dienstmannen  oder  Ritter 
waren,  die  sich  ihm  freiwillig  an- 

Sesehlossen  hatten  und  dann  wie 
ie  Dienstmannen  während  des  Tur- 
niers das  Wappen  ihres  erkorenen 
Dienstherren  trugen.  Wer  ganz  auf 
eigene  Faust  kam,  hieasmuotwiltaere, 
wozu  die  lantvaraere  gehörten,  die 
das  Turnier  des  Erwerbs  wegen  auf- 
suchten. Ferner  wurde  konstatiert, 
ob  jeder  im  vorgeschriebenen  Tur- 


Speer  und  Seh  wert  ,  beide  abge- 
stumpft, jener  womöglich  bemalt. 
Vergleiche  die  besonderen  Artikel. 

Der  eigentliche  Turnierkampf 
zerfällt  in  die  resperie,  den  turnei 
im  engem  Sinn,  nnd  den  Damen- 
sfoJts.  und  zwar  so,  dass  vesperie 
und  Damenstoss,  die  beim  klassi- 
schen Turnei  Regel  sind,  beim 
turnei  umhe  guot  gewöhnlich  fehlen. 
Die  vesperet  ist  ein  Turnei  am  Vor- 
abend des  Festes,  an  dem  sich  vor- 
wiegend jüngere  Ritter  und  Knechte 
beteiligen;    für    das    Urteil  des 


nieraufzuge  gekommen  sei,  nämlich  Turniergerichts  kommt  dieses  Spiel 

georset,  mit  einem  ort  —  Streitross.  nicht  in  Betracht.    Der  eigentliche 

versehen,  das  stets   männlich  una  Turnei  beginnt  mit  Anhörung  einer 

meist  ein  Hengst  war,  und gezimiert,  Messe;  dann  ordnen  sich  die  Kitter, 


der  turnei  wirf  gefeilt,  so  zwar,  dass 
völlige  Harmonie  der  einzelnen  Streit- 
gruppen vorhanden  sein  muss,  jede 
Abteilung,  teil  oder  parte  genannt, 
hat  ihren  Hauptführer,  zerfällt  aber 


d.  h.  mit  der  zimierde,  dem  Helm- 
schmuck und  dem  Wappen  auf  dem 
Schilde  versehen.  Sodann  müssen 
die  WaJ/en  spiegelblank  aussehen, 
ganz  neue  Riemen  haben  und  bei 

allen  gleich  sein.  Dazu  gehören:  wieder  in  schäm  oder  rotten  mit 
Das  harnas  oder  har nasch,  Ring-  ,  Einzelführem.  Am  Damenstoss  be- 
panzer,  welcher  wieder  aus  der  He- 1  teiligen  sich  nur  ausgewählte  Ritter; 
deckung  des  Kopfes  besteht,  die  doch  heisst  es  erst,  wenn  er  ge- 
rat/«?, koufe,  kupfe,  die  entweder  den  '  stoehen  ist,  mi  hef  der  turnei  ende. 
ganzen  Ropf  umschliesst  und  bloss  Auf  den  Turnei  folgt  der  f'rteils- 
Löcher  für  die  Augen  lässt  oder  Spruch    und  die  Preiszuerkennung 


das  Gesicht  ganz  frei  gibt;  aus  der 
Bedeckung  des  Oberkörpers:  hals- 
perc,  und  aus  derjenigen  der  Beine 
und  Fiisse:  isrrhosen  oder  iserkolzen. 
Dazu  kommt  zum  Schutze  des  Halses : 
tlas  collier  des  Kopfes:  die  barbier, 


Das  Turnierqericht  setzte  sich  zu- 
sammen aus  den  ältesten  und  er- 
fahrensten Rittern,  die  nicht  selber 
furnierten  und  aus  ihren  für  diesen 
Dienst  bestimmten,  erprobten  und 
wappenkundigen  Knappen ,  knal>en 


eine  gewölbte  Platte,  die  von  der  ron  dem  wApen,  denen  alle  Kost 
Stimleiste  des  Helmes  bis  zum  Kinn  barkeiten,  Wappen  und  Zimierden, 


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1024 


die  auf  dem  Turnierplätze  liefen  j  1530  Georg  Rüxuer  aus  Bayern  unter 

geblieben  sind,  als  ihr  rechtmässiges  dem  Titel:  „Anfang,  Ursprung  und 

Eigentum  zufallen.  Sieger  kann  im  herkommen  desThurniers  in  tcutscher 

furnei  durch  ere  nur  einer  sein,  der  Nation".  Der  Verfasser  führte  darin 

den  pris  ze  beiden  siien  hat,  d.  h.  die  Anfange  der  Turniere  auf  di^ 

wer  den  turnicrmässigen  Speer-  und  Zeiten  Heinrich  I.  zurück  und  brachte 

Sehwertkampf  am  gewandtesten  ge-  sie  mit  dem  glücklichen  Kampfe 

kämpft  und  am  elegantesten  dabei  gegen  die  Ungarn  in  Verbindung, 

geritten  hat.    Die  Preise  waren  ge-  wobei  er  sich  auf  ein  älteres  Büch- 

ring.  Nach  F.  Siedner,  Das  deutsche  lein  stützte,  das  1 508  über  dieselbe 

Turnier  im  12.  und  13.  Jahrhundert.  Materie  zu  Augsburg  erschienen  war. 

Berlin  1881.   Vgl.  Schultz,  höfisches  Es    ist   unglaublich,    mit  welcher 

Leben,  II,  Kap.  2.  Frechheit  Rüxner  einesteils  die  ein- 

Gegen  die  Mitte  des  13.  Jalir-  zelnen  Turniere  datiert  und  auf- 

hundcrs  verfielen  die  Turniere  rasch  gezählt ,  anderseits  die  Unzahl  von 

und  gestalteten  sich  zu  solennen,  aber  Namen  adeliger  Teilnehmer  erfunden 

gehaltlosen  Privat  Vergnügungen  des  und  zusammengestellt  hat.  Die  ersten 

höhern  Adels.  Eine  aus  den  Quellen  |  bessern  Schriftsteller,  die  sich  durch 

Seschöpfte  Darstellung  der  Turniere  Rüxner    betrügen   liessen,  waren 

es  14.  bis  16.  Jahrhunderts  scheint  '  Sebastian  Frank   in  der  Chronik, 

zu  mangeln.    Was  man  in  ältcrn  und  Hans  Sachs  in  einem  Spruch: 

Werken  darüber  findet,  beruht  zum  Historia  vom  Ursprung  und  Ad- 

grössten  Teil  auf  einer  der  ärgsten  kunft  des  Thunders  1541.  Siehe 

Ueschick/sfälscAungen, die mau  kennt,  darüber  Waitz,  Heinrich  I.  2.  Ausg. 

auf  Rüjcners  Turnierbuch.    Dieses  S.  252  ff. 
veröffentlichte  zu  Frankfurt  im  Jahr 


u. 

Vebersetzuiigen  nehmen  bei  der  nähme  macheu  bloss  kirchliche 
mannigfachen  Wechselwirkung,  wel-  Schriften,  deren  Mitteilung  an  einen 
che  das  alte  und  mittlere  Zeitalter  weiteren  Kreis  der  Volksgenossen 
und  die  verschiedenen  Einzcllittera-  wünschbar  war.  Zwar  die  Bibel 
turen  des  Mittelalters  auf  einander  ist  im  altdeutschen  Zeitraum  nie 
haben,  eine  wesentliche  Stelle  in  der  vollständig  ins  Deutsche  übersetzt 
Litteratur  des  Mittelalters  ein.  Hier  worden  (siehe  den  Art  liihei- 
kann  es  sich,  zumal  eine  gesonderte  Übersetzungen  ),  zum  Teil  ohne  Zwei- 
Behandlung  dieses Litteraturzweiges  fei  deshalb,  weil  die  ersten  Mis- 
mangelt,  nur  um  eine  kurze  Uber-  sionare  in  Deutschland  Irländer, 
sieht  derselben  handeln.  Da  im  also  Fremde,  waren;  dagegen  hat 
Mittelalter  alle  gelehrte  Bildung  und  man  zahlreiche  Übersetzungen  litur- 
Schriftstellerei  von  der  Kirche  aus-  gischer  Katechismusstücke ,  der 
geht,  welche  sich  ununterbrochen  Glaubensbekenntnisse,  des  Unser- 
uer  lateinischen  Sprache  bedient,  so  vaters,  von  Beichtformeln;  etwas 
zeigt  sich  vorläufig  kaum  ein  Be-  weiter  reicht  der  Versuch  Tatians 
dürfnis,  die  Werke  der  antik-  Evaiigelienharmonie  zu  übersetzen, 
christlich-römischen  Litteratur  ins  es  ist  dies  wie  die  Interlinearvorsion 
Deutsche  zu  übersetzen.  Eine  Aus-  der  Ambrosianischen  Hymnen  und 


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Übersetzungen. 


1025 


die  Übersetzung  zweier  Schriften 
des  Isidor  von  Sevilla  ein  Zeugnis 
von  der  durch  Karl  d.  Gr.  ge- 
weckten Teilnahme  für  die  deutsche 
Muttersprache;  dieses  Interesse  ver- 
schwindet aber  bald  wieder,  und  die 
kommentierten  Übersetzungen  des 
Hiob  und  der  Psalmen  wie  ver- 
schiedener Werke  der  römischen 
Profanlitteratur,  des  Boethius,  des 
Martianus  Capeila  und  des  Aristo- 
teles durch  Sotker  Laheit  aus 
St.  Gallen,  die  ums  Jahr  1000  ent- 
standen sind,  fanden  Jahrhunderte 
lang  keine  Nachfolge. 

Mit  dem  Begriffe  einer  Über- 
setzuiurslitteratur  berührt  sich  eng 
die  Thätigkeit  der  Dichter  des 
hofischen  Kunstepos,  welche  dem 
Zuge  der  Zeit  und  namentlich  des 
Rittertums  gemäss  die  französischen 
Epen  von  Karl  d.  Grossen,  Aneas, 
Alexander,  Artus,  dem  Gral,  Tristan 
u.  dgl.  aus  dem  Französischen  ins 
Deutsche  übersetzten ;  wenn  sie  aber 
auch  im  Beginn  ihres  Gedichtes 
regelmässig  ihre  französische  Quelle 
benannten  und  die  Verantwortung 
der  Thatsachen  auf  jene  abschoben, 
so  galten  und  wirkten  diese  Dich- 
tungen doch  als  Originalschriften; 
ihr  Name  ist  getihte,  buoch,  sage, 
maere,  dventiure  und  nie  translahon 
oder  dergleichen;  man  wollte  nicht 
das  franzosische  Vorbild  in  seiner 
Eigenart  deutsch  übertragen  be- 
sitzen, sondern  man  wollte  denselben 
Stoff  und  dieselbe  Form,  wie  ihn 
die  französischen  Ritter  besassen, 
auch  in  Deutschland  zu  eigen  haben, 
und  deshalb  übertrug  man  denn 
auch  freier,  als  es  der  eigentliche 
Übersetzer  zu  thun  gewohnt  ist; 
auch  lateinische  Quellen,  die  man 
etwa  für  Legcuden  benutzte,  unter- 
lagen dergleichen  Bearbcitungsweisc. 

Die  Bearbeitung  französischer 
Schriftwerke  in  deutscher  Form  hört 
seit  der  höfischen  Zeit  nicht  mehr 
auf  und  nähert  sich  mehr  und  mehr 
der  eigentlichen  Übersetzung.  Meist 
sind  es  auch  vorläufig  die  höhern 

Reallexicon  der  deutschen  Altertümer. 


adeligen  Stände,  für  welche  solche 
Arbeiten  unternommen  werden.  Das 
13.  und  14.  Jahrhundert  überträgt 
zahlreiche  fabliaiur  (siehe  den  Art 
Sovellen),  dann  kommt  der  Roman 
(siehe  diesen)  an  die  $eihe,  bis 
schliesslich  gegen  Ende  des  16.  und 
in  den  folgenden  Jahrhunderten 
Französisch  die  Umgangs-  und  Lese- 
sprache aller  derjenigen  Bevölke- 
rungskreise Deutschlands  wird,  wel- 
che Anspruch  auf  Vornehmheit 
machen. 

Eine  andere  Gruppe  von  Uber- 
setzungen, die  sich  aber  zum  Teil 
mit  der  französischen  Gruppe  be- 
rührt,   bilden    jene  prosaischen 
Schriften,  die  zum  Teil  schon  wäh- 
rend der  höfischen  Periode,  noch 
mehr  aber  in  den  letzten  Jahrhun- 
derten desMittelalters  internationales, 
gemeinsames  Eigentum  der  europäi- 
schen Völker  werden;  sie  stammen 
teils  aus  dem  Orient  und  gelangen 
,  anfänglich  meist  durch  Vermittelung 
der   lateinischen   Sprache   in  die 
Volkslitteraturen;   es   ergänzt  sich 
aber    diese   Volkslitteratur  immer 
wieder    durch    neu  auftauchende 
Werke,  von  denen  jedes,  wie  ein 
ins  Wasser  geworfener  Stein,  einen 
engern  oder  weitern  Ring  in  das 
Gcoiet   benachbarter  Litteraturen 
zieht.    Solche  Weltbücher  sind  der 
Physiologus  (siehe  den  Art.  Tier- 
kunde), die  sieben  weisen  Mehter, 
die  Gesta  Romanorum,  die  Legenda 
aurea,  die  Mehrzahl  der  Volksbücher, 
Sebastian  Brants  Sarrenschiff,  Rei- 
ft eke  Fuchs,  Eulenspiegel  u.  a.  Auch 
diesen    Übersetzungen    liegt  aber 
nicht  die  Absicht  zu  Grunae,  einen 
fremden    Schriftsteller    in  seiner 
Eigenart  durch  das  Mittel  der  Volks- 
sprache näher  zu  bringen,  sondern 
es  ist  immer  das  stoffliche  Bildungs- 
interesse,   das   sich  dieser  Weit- 
bücher bemächtigt.  .. 

Die  eigentliche  Üf>ersefzung  von 
Profanschriftstellern  hat  erst  der 
Humanismus  auf  die  Bahn  gebracht, 
eine  Lebensrichtung,  der  zuerst  die 

65 


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1026 


Uhren. 


Bedeutung  des  Individuums,  auch  Praktiker,  und  in  der  gänzlichen 
des  schriftstellernden,  zum  Bewusst-  Übergehung  der  Lyriker;  grieebi- 
sein  gekommen  war.    Doch  wusste  sehe  Schriftsteller,    für    die  man 
man  vorläufig  zwischen  wirklichen  überhaupt  nur  noch  geringes  Ver- 
Schriftstellern  des  Altertums  und  ständnis  besass,  wurden  oft  dnrea 
zwischen    lateinischen    Skribenten  Vermittelung  lateinischer  Versionen 
der  Neuzeit  noch  wenig  Unterschied  j  verdeutscht.     Im   16.  Jahrhundert 
zu  machen,  und  bei  der  Mehrzahl  kamen    zu  den   schon  genannten 
der  Leser,  namentlich  der  ungebil-  J  Autoren ,  die  meist  öfters  erneut 
deten,  für  welche  diese  Arbeiten  |  wurden,  folgende  neue  hinzu:  Hemer 
berechnet   waren,    überwog    noch  Odyssee  1537;    Utas  16lo;  T'erp>' 
lange  das  stoffliche  Interesse.    Der  Bucolica  1567\  Otitis  Ate tumorpho^  „ 
neuerfundene  Buchdruck   bemäch-  / 5 71  —  Flavius  Josephus  1531;  un d 
ticte  sich  schnell  dieses  Zweiges  der  (  von  da  an  in  zahlreichen  Ausgaben 
Litteratur.   Einer  der  ersten  Über-  \  Justin  1531;  Herodian  1531;  TAi- 
setzer  war  Xiclas  ron  Wyle,  aus  I  eydides  1533;  Herodot  1535 ;  Orusiaj 
Bremgarten,  Schulmeister  in  Zürich,  1539;  Xenophon  1540;  Demo*the*t< 
dann  Katschreiber  zu  Nürnberg  und  1543;  Kuchdes  1562;  Polybiu*  1574 
Esslingen,  zuletzt  Kanzler  des  Grafen  Sueto   und   Tacitus   1535 ; 
von   Württemberg.    Er  übersetzte  historia  naturalis  1543;  Diodor  1554 
eine  Reihe  kleinerer  Schriften  des  i  l'itruvius  1548;  Frontin  1532". 
iJoggius,Aneas!Silrius.  Felix Hemmer-        Von  griechischen  Dramatikern  er- 
Uhu.  a.,  die  zum  Teil  anfangs  be- 1  schien  iii  deutscher  Verdolmetschun* 
sonders  gedruckt  und  dann  1478,  zuerst  Furimdes  Iphigenia  in  AmUi 
ihrer  achtzehn  an  der  Zahl,  unter.  1565;  Medea   1598;  Alcettis  ißn4 
dein  Titel  Translationen  zusammen-  Heculsa  1615;  Sophocles  Aiajr  16»* 
gestellt  wurden.    Andere  vorrefor-  j  und  Aristovhanes  Xubes  1613. 
matorische  Übersetzungen,  bei  denen  j      Goedectes  Gruudriss  I,   §  1 14 
die  beigesetzte  Jahrzanl  das  Datum  ,  und  148;  J.  F.  Degen,  Litteratur 
des  ersten  datierten  Druckes  be-  der  deutschen  Übersetzungen  d«r 
zeichnet  sind:  Der  trojanische  Krieg  Römer,  Altenburg  1794—99,  3  Bd.  . 
des    Guido  Columna    1474    (siehe  und  Litteratur  der  deutschen  Über 
Trojanischer  Krieg);  Boethius  .De  Setzungen  der  Griechen,  1797— S*. 
consolati(/ne  philosophiae  1473;  Asov  2  Bände. 

(vor  1480);  Terenz  i486;  Cicero  de  1'hrcii,  mhd.  üre,  6re,  aus  lat 
oßteiis  1488;  Hyginus  1481;  Aristo-  hora ,  bedeutet  zuerst  die  Stunde. 
feles  Prohlemata  1492;  Linus  1505;  orglocke,  die  Stundenglocke,  horx*,- 
Oiesar  1507  ;  PUiutus  1511;  Lukian  gium.  Das  frühere  Mittelalter  be- 
1512;  Seneca  1507;  Plinius  lobsagung  nutzte  ausschliesslich  die  schon  dein 
vom  heiligen  Feyser  Trajano  1515;  !  Altertum  bekannten  Sonnen-,  Sand- 
Sallust  1513;  Vergils  Aeneis  durch  .und  Wasseruhren,  von  denen  die 
Dr.  Thomas  Murner,  1515;  Isoer ates  erste  Art  zuweilen  an  den  Kirchen 
1517;  J  lutarch  1519.  ,  angebracht  war.    Wann  die  durch 

Nach  der  Reformation  mehren  .  ein  Gewicht  in  Bewegung  gesetzten 
sich  zwar  die  Übersetzungen,  doch  '  mechanischen  Uhren  aufgekommen 
macht  sich  das  Vorwiegen  des  stoff-  sind ,  ist  nicht  mit  Gewissheit  be- 
liehen Interesses  noch  lange  geltend,  1  kannt;  man  hat  die  Erfindung  der- 
teils  darin ,  dass  man  die  alten  I  selben  bald  dem  Priester  PaeinYu- 
Klassiker  in  meist  sehr  ungenügender  aus  Verona  im  9.  Jahrhundert,  bald 
Form  überträgt  (Vergil  und  Homer  dem  Papst  Silvester  IL,  Gerbert, 
in  Knittelversen),  teils  in  der  Vor- 1  gest.  1003,  zugeschrieben.  Erwähnt 
liebe  für  die  Geschichtschreiber,  die  werden  sie  zuerst  in  um  das  Jahr 


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Umzüge.  —  Unehrliche  Leute. 


1027 


1120  zusammengetragenen  Statuten 
des  Cistercienzer- Ordens,  wo  dem 
Sakristan  aufgegeben  wird,  die  Uhr 
so  zu  regeln,  dass  sie  schlügt  und 
ihn  vor  dem  Frühgottesdienst  weckt. 
Das  Zifferblatt  war  bis  ins  16.  Jahr- 
hundert in  24  Stunden  geteilt,  wel- 
ches die  ganze  oder  die  grosse  Uhr 
hiess.  Die  erste  Räderturmuhr  be- 
kam Augsburg  1364,  Breslau  1368, 
Strassburg  1370,  Nürnberg  1462. 
Künstliche  astronomische  Uhren  er- 
hielten das  Münster  zu  Strassburg 
1352—54,  die  Marienkirche  in  Lü- 
beck 1405;  jenes  Strassburger  Werk 
wurde  durch  ein  neues,  von  Isaack 
Habrecht  aus  Schaff  hausen  in  den 
Jahren  1547—1574  verfertigtes  und 
aufgestelltes  Werk  ersetzt,  das  für 
ein  Wunder  der  Mechanik  galt,  aber 
im  Jahr  1789  zu  gehen  aufhörte. 
Um  die  Mitte  des  16.  Jahrhunderts 
waren  Raderuhrwerke  mit  Schlag- 
werk und  Wecker  als  Stubenuhreu, 
ebenso  Taschenuhren  schon  vielfach 
im  Gebrauch.  Als  der  Erfinder  der 
letztem  wird  der  Nürnberger  Peter 
Hele  bezeichnet,  als  das  Jahr  der 
Erfindung  1510. 

rnizlijjre  der  germanischen 
Götter  werden  in  verschiedener 
Weise  erwähnt.  Am  feierlichsten 
war  der  Umzug  mit  dem  Bilde  oder 
dem  Symbol  der  Gottheit,  wobei 
man  sich  diese  selbst  von  ihrem 
Heiligtume  aus  unter  den  Menschen 
ihren  Umzug  haltend  dachte.  Der 
Wagen  mit  dem  Bilde  wurde  über- 
all festlich  empfangen,  Opfer  und 
Weihgeschenke  ihm  dargebracht 
und  Festfriede  gehalten.  Tacitus 
Germania  40.  Namentlich  zur  Er- 
bittung eines  fruchtbaren  Jahres 
wurden  solche  Umzüge  im  Frühlinge 
abgehalten.  Anderer  Art  sind  die 
Nachrichten  von  Umzügen  mit  einem 
Schiffs  tragen,  d.  i.  einem  mit  Rädern 
versehenen  grossen  Schiffe.  Ein 
solcher  wurde  1133  in  einem  Walde 
unweit  Aachen  gezimmert  und  durch 
die  Mitglieder  der  Weberzunft,  die 
sieh  vorspannten,  weit  im  Lande 


herumgezogen,  unter  grossem  Zulauf 
und  Geleite  des  Volks.  Die  An- 
kunft des  Schiffes  war  in  den 
Städten  voraus  gesagt,  wer  die 
Erlaubnis  erbat,  das  Schiff  berühren 
zu  dürfen,  musste  die  Kleinode  von 
seinem  Halse  den  Webern  geben 
oder  sich  durch  eine  andere  Gabe 
lösen. 

Die  deutsche  Mythologie  ist  auch 
an  solchen  Umzügen  reich,  welche 
die  Götter  ohne  Vermittelung  der 
Priester  halten;  dahin  gehört  der 
Umzug  Wodans  mit  dem  wütigen 
Heere  und  der  Umzug  der  Götter- 
mutter  Freia.  Rassmann  in  Ersch 
und  Gruber.  Artikel  Götterbilder; 
Grimm,  Mythol.,  S.  237  ff. 

Die  christliche  Kirche  ersetzte 
diese  Umzüge  zum  Teil  durch  Grenz- 
umgänge,  Bittfahrten  zu  Wallfahrts- 
kirchen, die  ebenfalls  meist  im  Vor- 
sommer stattfinden  und  ein  frucht- 
bares Jahr  vom  Himmel  erbitten 
sollen.  Solche  Prozessionen  fanden 
und  finden  immer  noch  in  katholi- 
schen Gegenden  regelmässig  in  der 
Kreuzirocne,  in  den  Tagen  vor  und 
nach  dem  Himmelfahrtsfest  statt; 
einzelne  an  andern  Terminen,  oft 
mit  Aufwand  grosser  Pracht  und 
Schaustellung;  in  Schwaben  nennt 
man  diese  Umzüge  Esch-  oder  Flur- 
gänge; die  ganze  Gemeinde  umzieht, 
den  Geistlichen  an  der  Spitze,  die 
Markung;  an  vier  Stellen  macht 
man  Halt,  um  das  Evangelium  zu 
lesen  und  den  Wettersegen  entgegen- 
zunehmen, und  Häuser,  Menscneu 
und  Tiere  werden  mit  Weihwasser 
besprengt.  Berühmt  ist  namentlich 
der  sog.  Blutritt  im  ehemaligen 
Kloster  Weingarten. 

Unehrliche  Leute»  Bürgerliche 
Ehr-  und  Rechtlosigkeit  lastete  im 
Mittelalter  nicht  bloss  auf  denjenigen, 
die  sich  gewisser  Verbrechen  schuldig 

femacht  hatten,  sondern  auf  allen 
enen,  welche  keine  Waffen  trageu 
durften,  wie  der  Knechte,  Juden, 
Türken  und  Heiden,  und  nicht  min- 
der auf  gewissen   Gewerben  und 

65* 


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]  028  Unehrliche  Leute. 


Dienstverhältnissen,  deren  Ausübung  |  meinschaft  absondern  könnten.  Spi 
sich  nach  der  Auffassung  der  Zeit  mit  tere  Reichsgesetze  erklärten  die 
der  vollen  Ehrenhaftigkeit  eines  Pfeifer  und  Trommler  für  ehrlich 
freien  Mannes  nicht  vertrug.  Über  und  warfen  bloss  noch  die,  „so  siel 
die  letztern  hat  Otto  Beneke  in  auf  Singen  und  Reiinensprech'  i. 
einem  Büchlein  gehandelt,  das  den  legen"  als  fahrende  Leut«'  in  d&- 
Titel  führt:  Von  unehrlichen  Leuten,  gleiche  unehrliche  Recht  zu  des 
Hamburg  1863.  Daraus  mögen  hier  Schalksnarren.  Als  im  dreissic 
einige  Nachrichten  zusammengestellt  jährigen  Krieg  fahrende  Spielleutr 
werden.  in  die  stehenden  Verbände  der  ai 

Als  unehrlich  galten  Hirtoi,  gesehenen  Trompeter  und  Ptnüte*- 
Schäfer  und  Mütter.  Söhne  von  Schleper  eingetreten  waren,  erwirk 
Müllern  waren  zu  Karls,  d.  Gr.  Zeit  ten  eine  Anzahl  angesehener  kaber 
von  allen  geistlichen  Amtern  und  licher  und  fürstlicher  Hof-  und  Felo 
Würden  ausgeschlossen.  Mancher-  trompeterund Heeipauker ein kaiser 
orts  war  den  Müllern  die  Lieferung  liebes  Privileg,  wonach  der  Kriegs 
aller  benötigten  Galgenleitern  auf-  und  Hofdienst  den  Türmern  uuc 

Gebunden,  und  erst  im  16.  Jahr-  blasenden  Komödianten  strenge  ver- 
ändert wurden  durch  Reichspolizei-  schlössen  bleiben  sollte.  Auch  d: 
Ordnungen  die  Müller  mit  den  Hirten  in  den  Städten  fest  angesiedelte: 
und  Schäfern  vollständig  ehrlich  J^eifer,  welche  ebenfalls  zu  Ver 
erklärt,  doch  brauchte  es  noch  man-  bVüdcrungen  zusammeneetretr: 
eher  kaiserlichen  Erklärung,  bis  sie  waren,  die  Kunstpfeifer,  Stadtpfeifer 
Zulassung  zu  allen  ehrlichen  Zünften  oder  Katsmusikanten,  wollten  nicht* 
und  Gilden  erhielten.  von  den  fahrenden  Spielleuten  wisser 

Spielleute  gehörten  schon  ihrer       Bader  und  Barbiere  sind  schon 
wandernden  Lebensart  halber  keiner  '  früh  der  Unehrlichkeit  anheim  gv- 
bestimmten  Genossenschaft  an ;  dass  fallen ,  offenbar  darum ,    weil  5k 
sie  zudem  Gut  fiir  Ehre  nahmen,  Bäder  mit  der  Zeit  ab  Herberge 
und  sich  selbst  für  Geld  zu  eigen  der  Leichtfertigkeit  angeseheu  wur 
gaben,  machte  sie  unehrlich.    Und  den.  Als  Kaiser  Wenzel  durch  ein- 
zwar  war  hier  mit  der  Ehrlosigkeit  heroische  Bademagd  aus   der  G^ 
eine  Art  Rechtlosigkeit  verbunden,  fangenschart    errettet    wurde,  b»- 
welche  sich    auf   die   Unfähigkeit  lohnte  er  MCKi  diesen  Dienst  durcl 
bezog,  zu  gerichtlichen  und  anderen  ein  Privileg,  wonach  das  Handwerk 
Ehrenämtern  gewählt  zu  werden;  der  Bader  künftig  überall  mak«  Ii  - 
war  ein  Spielmanu  unverdient  ge-  j  ehrlich  und  rein  angesehen  werdec 
kränkt  worden,  so  bestand  seine ,  sollte ;  zugleich  verordnete  er  des 
ganze  Genugthuung  darin,  dass  man  Badem  ein  Zunftwappeu,  nainlicfc 
mm  den  Schatten  seines  im  Sonnen-  im  güldenen  Schild  eine  kuotenwei- 
schein  gegen  die  Wand  gestellten  Be-  verschlungene  Aderlassbinde.in  dervc 
leidigers  Preisgab;  diesem  Schatten-  Mitte  ein  grüner  Papagei  prang' 
bilde  durfte  er  dann  einen  Schlag  Doch  hatte  das  Privileg  wenisrWir 
an  den  Hals  geben.    Eine  Reichs-  kung,  und  die  vornehmeren  Zunft» 
polizei- Ordnung  des  16.  Jahrhunderts  versagten  noch  lange  den  Sohn*  i 
verfügte,  dass  alle  Schalksnarren,  von  Badern    die  Aufnahme.  Di« 
Pfeifer,     Spielleute,     Landfahrer,  Ursache  der  Unehrlichkeit,  iu  wri 
Sänger  und  Reimensprecher   eine  eher  die  Barbierer  standen,  nuu: 
besondere,   leicht  erkennbare  Klei-  ihre  Mitwirkung  an  der  Inquirierunj 
dung  tragen  sollten,  damit  die  ehr-  und  Torquierung  von  grefangenet 
liehen  Leute  sich  desto  leichter  vor  Missethätem  gewesen  sein. 
Schaden  hüten  und  von  ihrer  Ge-       Leineiteber  kamen  wie  die  Mülle: 


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Unehrliche  Leute. 


1029 


deshalb  in  den  Verruf  unehrlicher 
Leute ,  weil  ihr  Gewerbe  eine  viel- 
fache und  bequeme  Verführung  zum 
Betrüge  darbieten  sollte ;  entweder  sei 
das  Garn  oder  der  Kleister  gefälscht 
oder  das  Längen-  und  Breitenmass 
unrichtig.  Waren  an  einigen  Orten 
die  Müller  verpflichtet,  die  Leiter 
zum  Galgen  zu  liefern,  so  war  den 
Leinewebern  auferlegt,  den  Galgen 
selber  zu  machen.  Verschiedene  alte 
Leineweberlieder  bestätigen  die  An- 
sicht, die  man  von  diesem  Gewerbe 
hegte ;  in  einem  solchenLiede  heisst  es : 

Der  Leineweber  schlachtet  alle 
Jahr  zwei  Schwein, 

Das  eine  ist  gestohlen,  das  andre 
ist  nicht  sein. 

Übrigens  war  die  Unehrlichkeit 
der  genannten  Gewerbe  nicht  all- 
gemein, und  es  gab  Landschaften, 
Städte,  Zeiten,  wo  Müller,  Barbierer 
und  Leineweber  sich  eines  durchaus 
ehrlichen  Namens  erfreuten;  die 
vornehmste  Zunft  in  St.  Gallen  war 
z.  B.  diejenige  der  Leinwandweber, 
weil  auf  ihnen  der  Reichtum  und 
Ruhm  der  Stadt  beruhte.  An  einigen 
Orten  waren  auch  diejenigen  Gerb  fr 
verrufen ,  die  Hundshäute  verarbei- 
teten, au  andern  Tuchmacher,  die 
Kaufwolle  verarbeiteten,  hie  und 
da  auch  Schornsteinfeger  und  Essen- 
kehrer. 

Von  Staats-  und  ( lemeindedienern, 
welche  in  teilweiser  Unehrlichkeit 
standen,  wurden  durch  das  Reichs- 
gesetz von  1731  der  Unehrlichkeit 
los-  und  freigesprochen  die  Gassen- 
kehrer, Bachfeg  er,  Holz-  und  Feld- 
hüter, Leute/  die  offenbar  durch 
ihren  zum  Teil  schmutzigen  und 
niederen  Beruf  zu  der  öffentlichen 
Unehre  gekommen  waren.  Ihnen 
schliefen  sich  an  die  Zöllner,  die 
Totengräber ,  die  Türmer,  und  zwar 
diese  oft  um  deswillen,  weil  man 
die  Beaufsichtigung  der  als  Haft- 
lokale dienenden  Türme  den  Scharf- 
richtern übertrug,  welche  den  Dienst 
durch  einen  Knecht  versehen  Hessen, 


daun  die  Bettelvogte.  Von  den 
Xachtwächtern  gehörten  nur  die- 
jenigen zur  Klasse  der  unehrlichen 
Leute,  welche  zugleich  zum  Diebs- 
fangeu  gebraucht  wurden :  die  richti- 
gen Nachtwächter,  welche  mit  Lanze, 
Horn  und  Leuchte  vigi Herten,  galten 
als  ehrlich. 

Gerichts-  und  Polizeidiener 
waren  in  ältester  Zeit  durchaus  ehr- 
lich ;  erst  als  man  die  Schergen  für 
Straf-  und  Blutgerichtc  von  den 
gewöhidichen  Fronboten  in  Zivil- 
sachen trennte  und  für  jene  häufig 
Unfreie  nahm,  kam  der  Dienst  in 
den  Geruch  der  Unehrlichkeit,  der 
ihm  bis  ins  18.  Jahrhundert  an  man- 
chen Orten  blieb.  Unehrlicher  aber 
als  alle  genannten  Stände  war  der 
Stand  des  Scharfrichters  und  Henkers. 
Auch  dieser  zwar  war  nach  der 
ältesten  Sitte  ein  ehrlicher  Mann, 
oft  der  jüngste  Richter  selbst  oder 
der  jüngste  Ehemann  in  der  Ge- 
meinde. Das  Amt  büsste  zwar 
schon  dadurch  an  bürgerlicher  Ehren- 
haftigkeit ein,  dass  es  sich  zu  einem 
Berufe  entwickelte,  der  nur  von  un- 
freien Leuten  übernommen  werden 
mochte,  dass  sich  mit  der  Einfüh- 
rung des  römischen  Rechts  die 
verhasste  Exekution  der  Tortur  da- 
mit verband  und  endlich,  dass  der 
Scharfrichter  zugleich  Abdecker  oder 
Schinder  wurde.  Um  nun  die  ver- 
achteten Scharfrichter  gegen  die 
Folgen  einer  volkstümlichen  Vogel- 
freiheit zu  schützen,  wurden  sie 
durch  kaiserliche  oder  landesherr- 
liche Privilegien  geschirmt,  daher 
ihr  Name  Freimann  und  Freiknecht. 
Mit  der  Zeit  wurde  das  verachtete 
Scharfrichteramt  fast  erblich,  wie 
es  der  Unehrlichkeit  des  Geschlechtes 
gemäss  kaum  anders  sein  konnte, 
zugleich  aber  war  es  ein  recht  ein- 
trägliches Amt  geworden.  Wie  bei 
den  Fechtmeistern  gab  es  Scharf- 
richterfamilien, deren  Angehörige 
über  eine  ganze  Provinz  verbreitet 
waren;  sie  hiessen  Schelmensippen. 
Erst  im  Reichspolizeigesetz  von  1731 


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1030 


Unehrliche  Leute. 


wurde  bestimmt,  dass  zwar  die  Un- 
ehrlichkeit bei  den  Nachkommen 
des  Sehinders  in  erster  und  zweiter 
Generation  stehen  bleiben  soll,  die 
ferneren  Generationen  aber  zu  allen 
und  jeden  ehrlichen  Handwerken 
und  Erwerbsarten  zugelassen  werden 
sollen.  Durchgreifeuder  lautete  da* 
kaiserliche  Patent  von  1772,  wo- 
nach die  Kinder  der  Wasenmeister, 
welche  die  verwerfliche  Arbeit  ihres 
Vaters  noch  nicht  getrieben  haben, 
noch  treiben  wollen,  von  den  Hand- 
werkeu  nicht  auszuschliessen ,  son- 
dern ehrlich  zu  achten  seien. 

Es  war  Sitte,  dass  in  der  Scharf - 
richterfainilie  der  älteste  Sohn  des 
Vaters  Meistertitel  und  Lehen  erbte, 
wahrend  die  jungem,  falls  sie  nicht 
einen  eigenen  Dienst  erhielten, 
Henkersknechte  und  Abdeckerleute 
wurden,  zu  denen  sich  etwa  unehr- 
liche Leute  andern  Standes,  ja  Räu- 
ber und  Mörder  gesellten.  Innerhalb 
einer  solchen  vom  Verkehr  mit  der 
übrigen  Welt  ausgegossenen  ver- 
achteten und  gefürchteten  Familie, 
bestand  aber  eine  gewisse  Strenge 
und  Gesetzmässigkeit.  Seine  Frau 
fand  der  Meister  in  der  Familie 
einer  auderen  Scharf  richterei ,  die 
jüngeren  Söhne  bliebeu  meist  ledig. 
l>ie  Scharfrichtersöhne  hatten  ihre 
L»'hr-  und  Wanderjahre  durchzu- 
machen, wobei  sie  ihren  besonderen 
Handwerksgruss  besassen.  Da  jede 
Berührung  eines  Ehrlichen  mit  dein 
Henker  besehimpfend  wirkte,  war 
derselbe  zu  einer  eigenen,  leicht  er- 
kenntlichen Kleidung  verbunden,  er 
sass  in  der  Kirche  auf  einem  ent- 
legenen, gesonderten  Platz  und  ge- 
noss  das  Abendmahl  allein  und  zu- 
letzt. Eine  verunglückte  Exekution 
wurde  wohl  augenblicklich  durch 
die  Volksjustiz  geahndet,  indem  man 
den  Scharfrichter  marterte,  steinigte, 
zerriss;  daher  mau  ihm  später,  als 
das  freie  Geleit  nichts  mehr  fruch- 
tete, eine  starke  Militärmacht  bei- 
gab. Es  war  auch  Sitte  und  Vor- 
schrift, dass  nach  vollzogener  Exe- 


kution der  Scharfrichter  vom  Sehatfui 
herab  den  anwesenden  Richter  an- 
redete und  fragte,  ob  er  recht  ge- 
riehtet?  Nachdem  dieser  geantw*r 
tet:  „Du  hast  gerichtet,  wie  Urtri 
und  Recht  gegeben  und  wie  der  arr>- 
Sünder  es  verschuldet  hat*\  entg'-*: 
nete  jeuer  schliesslich:  ,.Davor  -  l*nk 
ich  Gott  und  meinem  Meister,  der 
mir  diese  Kunst   gelerncL'*  Dir 
Diensteinnabmen  des  Scharfrichter- 
bestanden  ausser  der  Wohnung  in 
den  nach  bestimmten  Taxen  gert 
gelten  einzelnen  Verrichtungen.  Ge- 
ringere Strafen,  wie  StaupensehU^ 
und   Bra  ml  marken ,    besorgte  dei 
Meisterknecht;  in  grossen  Städton 
fielen  diesem  auch  die  Exekution« *t 
mit  Galgen  und  Rad  auheim,  wofür 
er  den  Spezialtitel  Henker  erhielt 
und  der  Scharfrichter  selber  hand- 
habte bloss  das  Schwert.    Oft  funk 
tionierte  er  zugleich,  im  Geiieii__ 
natürlich,  als  Tier-  und  Menschei 
arzt,  wobei  er  vielfach  in  den  Ruf 
zauberkundiger  Mittel  geriet.  Be- 
rühmt war  namentlich  der  Scharf- 
richter  zu  Parsau,  der  16t I  deu 
Soldaten    des   Erzherzog  Matthit- 
einen  Talisman  gegen  Hieb,  Sehu>- 
und  Stich  verkaufte;  da*  Geheim 
mittel  kam  so  in  Schwung,  dass  e? 
den    Namen    Passauer- Kunst  er 
langte,  welche  noch  die  Nachkom 
inen  des  Erfinders  ausbeuteten-  An- 
dere Scharfrichter  verstanden  sich 
auf  Freikugeln,  aufs  Festmachen, 
auf  sympathetische  Mittel  u.  dpi. 

Ausser  der  Person  des  Scnart- 
richters  und  seiner  Gesellen  nahmen 
die  bei  seinen  Verrichtungen  ge- 
brauchten Gerate  Anteil  au  dem 
Rufe  der  Unehrlichkeit.  Dazu  ge- 
hört das  AbJeckermesser,  womit  siel; 
der  Träger  gegen  diejenigen  wehrte 
welche,  entgegen  dem  ihm  erteilten 
Privilege,  in  betreff  der  Bestattung 
alles  verlebten  Viehes,  etwa  einen 
Huud,  eine  Katze  oder  dgl.  aut 
eigene  Faust  töteten  oder  begruben 
In  das  Haus  eines  solchen  Rechts- 
verletzers und  zwar  in  den  Thür 


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Universitäten. 


1031 


pfosten  desselben  stiess  er  dann  sein 
allbekanntes  Abdeckermesser;  der 
an  ihm  haftenden  Unehrlichkeit  we- 
gen wagte  niemand  es  herauszu- 
nehmen und  war  kein  anderes  Hilfs- 
mittel ,  als  den  Wasenmeister  zu 
beschicken  und  ihm  die  Gebühr  zu 
zahlen.  Gefürchtet  und  gemieden 
war  das  Richtschwert es  ist  ein 
massig  langes ,  breites ,  schweres 
Klingeneisen,  mit  beiden  Händen 
zu  schwingen,  und  steckt  gewöhnlich 
in  "chwarzlederner Scheide,  meist  mit 
einer  Inschrift  auf  der  Klinge,  z.  B. : 

Wenn  ich  das  Schwert  thu  aufheben, 
wünsch  ich  dem  armen  Sünder 
das  ewige  Leben. 

Eine  Ehrlichsprechung  geschah 
nicht  bloss  in  bezug  auf  ganze  Stände 
und  Gewerbe  von  seite  des  Kaisers  j 
und  Reichstage  <,  sondern  es  sind 
auch  einzelne  unehrliche  Leute,  die 
sieh  verdient  gemacht  hatten,  vom 
Kaiser  ehrlich  gesprochen  worden. 

I  ni \ersi taten.  I.Gründung.  Die 
Ausbildung  der  Universitäten,  einer 
gesamteuropäischen  Erscheinung, 
geschieht  im  12.  Jahrhundert,  pa- 
rallel mit  der  Ausbildung  des  Ritter- 
tums und  des  neuen  Cistcrcienser 
Monchstums.  Der  Trieb  des  intel- 
lektuellen Lebens,  die  neue  Wissen- 
schaft der  rationalen  oder  dialekti- 
schen Theologie,  die  Scholastik, 
welche  die  heilige  Lehre  mit  den 
Kräften  des  natürlichen  Denkens 
innerlich  zu  bewältigen  und  sich 
anzueignen  suchte,  zeitigte  das  In-  • 
stitut  der  Universitäten.  Wie  Ritter- 
tum und  asketisches  Mönehstum  geht 
<1ie  Universität  von  Frankreich  aus. 
Ptrii  ist  das  Muster  der  deutschen 
tuiveraitäten. 

Die  Pariser  Universität  ist  aus 
alten  kirchlichen  Schulen  hervor- 
gangen,  der  Domschule  und  den 
Klosterschulen  zu  St.  Generiere  und 

Virtor.  Der  Ruf  der  grossen 
Lehrer,  die  hier  im  12.  Jahrhundert 
wirkten,  zog  aus  allen  Ländern  eine 
zahlreiche  Schülerschaft  nach  Paris. 


Der  Kanzler  oder  Scholastikus  des 
Domkapitels,  dem  die  Pflicht  oblag, 
fiir  den  Unterricht  an  der  Dom- 
schule  zu  sorgen,  sah  als  weitere 
Amtspflicht  die  Anstellung  oder 
Lizentierung  und  Überwachung  aller 
Lehrer  der  T)iözese  an.  Daraus  her- 
vorgegangenen  Missbräuchen  ent- 

? ;egenzutreten,  entstanden  die  An- 
änge  der  Korporationen  der  Lehrer- 
schaft. Innocenz  III.  regelte  1213 
zuerst  das  Verhältnis  zwischen  dem 
Kanzler  uud  der  unire raitag  mapi* 
strorum  et  scolarium.  Allmählich 
erhielten  die  lockern  Interessenver- 
bände bestimmtere  Form,  und  man 
unterschied  in  der  zweiten  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  vier  Nationen 
der  Artisten:  Franzosen,  Norman- 
nen, Pikarden  und  Engländer  (  später 
Deutsehe),  jede  unter  einem  procu- 
rator  oder  prorisor.  die  Gesamtheit 
unter  einem  rertor.  In  Sachen  der 
Lehre  und  der  Disziplin  (facultas) 
berieten  alle  Magister  aller  Nationen 
als  Gesamtheit.  Daneben  bestan- 
den als  autonome  Körperschaften 
von  etwas  späterer  Bildung  die  drei 
Faeu!  taten  der  Theologen ,  Dek fett- 
sten und  Mediziner  unter  einem 
Vorsteher,  Dekan  genannt.  In 
äusseren  Angelegenheiten  der  Ge- 
samtheit wurde  von  der  Kongrega- 
tion dieser  sieben  autonomen  Körper- 
schaften Beschluss  gefasst,  als  Haupt 
der  Gesamtheit  galt  der  rertor. 

Im  15.  Jahrhundert  führte  das 
Institut  der  Kollegien  die  Univer- 
sität zu  einer  inneren  Umbildung. 
Die  Kollegien  wurden  seit  dem  13. 
Jahrhundert  als  Stiftungen  für  arme 
Scholaren  gegründet  mit  besouderm 
Wohnhaus.  Allmählich  zog  sich  der 
Unterricht  aus  den  öffentlichen  Lek- 
torien  in  diese  Kollegien  zurück  und 
wenigstens  die  Artistenfakultät  löste 
sich  in  eine  Anzahl  Internatsschulen 
auf., 

Alter  als  die  Pariser,  aber  für 
die  spätem  deutschen  Stiftungen 
von  w  eniger  Einfluss  waren  die  ita- 
lienischen Universitäten.   Die  medi- 


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1032 


Universitäten. 


zinische  Schule  zu  Salerno  bestand  worden   waren.   —    3.  Heidelberg 
schon  im  11.  Jahrhundert;  seit  der  1385.—  4.  Köln  1386,  wo  das  thev- 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts  blühte  logische  Studium  schon  blühte  and 
die   Bechtsschule  zu  Bologna  auf,  es  sich  bloss  darum  handelte,  die  in 
aus  der  im  13.  Jahrhundert,  durch  verschiedenen  Klöstern  und  Stiften 
eine  Auswanderung,  die  zu  laduu  vorhandenen    Kurse  ziisammenru 
entstand.     In    Bologna    zerfallen  fassen,  mit  dem  Recht  der  Erteilung" 
die   Studierenden    in  citramontani  akademischer  Grade.  —  5.  J^rfurt 
und   ultramontani ,    die    aus  ihrer  1389,  eine  stadtische  Stiftung.  — 
Mitte  je  einen  Rektor  wählen.  Die  Als  Nachzügler  der  ersten  EjK»che 
Studierenden  sind    nicht   Knaben,  sind  zu  nennen  6.  Leipzig  1409,  ge- 
wie  in  den  Pariser  Artistenschulen,  gründet  in  unmittelbarer  Folge  a&- 
sondern  geistliche  und  weltliche  Her-  von ,  dass  zu  Prag  die  böhmische 
ren.  die  durch  ihre  soziale  Stellung  Nation  von  den  drei  anderen  NV 
zur  Bildung  selbständiger  Korpora-  tionen  (Bajern,  Sachsen,  Polen !  den 
ttonen  befähigt  scheinen.    Was  die  Vorrang  in  den  Stimmen  erhielt, 
Lehre  betraf,  so  lag  hier  alles  in   und  7.  Bostock  1419. 
der  Hand  des  Doktorkollegiums.  Erst        Die    Gründungen    der  r«rW/-n 
im  13.  Jahrhundert  kam  zu  der  alte-   Fpoche  scheinen  infolge  eines  ausser- 
ren  Rechtsschule eine uiiirersifas phi-   ordentlich  starken  Andranges  zu  den 
losophorum  et  medicorum ,  oder  zu-  Studien  stattgefunden  zu  haben,  in- 
sammen  artislaruni  hinzu;  die  theo-  folge  des  Humanismus,   des  Auf- 
logische Schule  wurde  1362  errichtet,  kommens  der  römischen  Rechtsge- 
Nachdem  nach  dem  Bilde  von  lehrten  als  eines  besonderen  Standes. 
Paris  und  Bologna  in  Frankreich,  steigenden  Wohllebens,  wirtschart  - 
England,  Italien  und  Spanien  wäh-  liehen  Aufschwunges, 
rend  des  18.  und  14.  Jahrhunderts        1.  Grcifsicald,  1456.  2.  Jrreilmrg. 
ähnliche  Schulen  entstanden  waren, 1  1460  eröffnet.  3.  Basel,  1460.  4.  fm- 
folgte    zuletzt   Deutschland.     Hier  golstadt,Wr>.  5. 2W«\1473.  6. Mainz. 
scheiden   sich   für  das  Mittelalter  1476.  7.  Tübingen,  1477. —  Als  Nach- 
zwei Gründungsperioden:  die  erste  zügler  &.inttenberq,lbQ2.  9.  Frank- 
fällt  in  die  zweite  Hälfte  des  14.,  fürt  a.  O.,  1506. 
die  andere  in  die  zweite  Hälfte  des  '     Die  Universitäten  sind  in  erster 
15.  Jahrhunderts.  Linie  kirchliche  Schulanstalten,  den 

Die  erste  Epoche  folgt  der  Pe-  ältern  kirchlichen  Schulanstalten  in 
riode  des  wirtschaftlichen  Auf-  Disziplin  und  Einrichtungen  ähnlieh. 
Schwungs  zwischen  1150  und  1300;  j  Ihr  Zusammenhang  mit  der  Kirche 
zahlreiche  neue  Kanonikatc  waren  erweist  sich  1.  darin,  dass  überall 
gestiftet,  Stadtschulen  errichtet,  die  die  päpstliche  Mitwirkung  bei  der 
Dom-  und  Stiftsschulen  vermochten  Gründung  einer  Universität  eingeholt 
mit  den  auswärtigen  Universitäten  wird,  wodurch  man  sich  nicht  alieb 
nicht  mehr  zu  konkurrieren.  des  notwendigen  und  vollkommenen 

1.  lJrag}  1347;  gemäss  der  Stif-  Einverständnisses  des  Hauptes  der 
tiingsurkunde  werden  den  Gliedern  Christenheit  versicherte,  sondern  tx*- 
der  Universität  alle  Privilegien,  Im-  sonders  die  Ermächtigung  zu  lehren 
munitäten undFreiheiten  zugesichert,  und  Grade  zu  erteilen  erhielt;  die 
deren  die  Glieder  der  Pariser  und  1  Verwaltung  dieser  Befugnis  wurde 
Bologneser  Universität  sich  erfreuen,  regelmässig  von  einem  ortsanwesen- 
—  2.  Wien,  1365  gestiftet,  doch  erst  den  Vertreter  der  Kirche,  der  Kanzler 
1 384  recht  ausgeführt,  zum  Teil  durch  hiess,  überwacht,  meist  der  Bischof 
Pariser  Lehrer,  die  wegen  des  kirch-  I  oder  sonst  der  vornehmste  Geistliche 
liehen  Schismas  aus  Paris  vertrieben  am  Ort  der  Universität.    2.  In  der 


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Universitäten 


1033 


Ausstattung  der  Lehrer  mit  Einkorn-  eine  komplizierte,  indirekte  Wahl 
men  aus  Kanonikaten  und  Pfarreien,  den  Rektor.  Dieser  ist  Vertreter 
Die  weltliche  Obrigkeit  stellte  sich  der  Universität  nach  aussen  und 
anfänglich  nicht  anders  zur  Univer-  führt  das  Siegel,  handhabt  die  der 
sität,  als  zu  jeder  andern  kirchlichen  Korporation  vom  Landesherrn  ge- 
Stiftung, im  15.  Jahrhundert  dehnten  gebene  Gerichtsbarkeit.  Jedem  Rek- 
sieb jedoch  die  landesherrlichen  Be-  tor  ist  ein  Rat,  consilium  univerri- 
fugnisse  sehr  aus.  tatis,  beigegeben,  zu  dem  jede  Xa- 

II.  Organisation.  Wahrend  in  tion  zwei  Mitglieder  abordnet.  Zu 
Paris  in  unregelmässigem  Wachstum  diesen  Ämtern  konnten  anfanglich 
und  nach  verschiedenem  Bildungs-  sowohl  Graduierte  als  Nichtgra- 
prinzip  vier  selbständige  Körper-  duierte  wählen  und  gewählt  werden ; 
Schäften ,  vier  Nationen  und  drei  doch  wurde  schon  früh  die  Stimm- 
Fakultäten  entstanden  und  äusser-  fahigkeit  auf  die  Graduierten  cin- 
lich  zu  einer  universitas  verbunden  geschränkt ;  die  passive  Wahlfähig- 
worden waren,  gingen  die  deutschen  keit  blieb  dagegen  allgemein,  besou- 
Neugründungen  umgekehrt  von  der  ders  der  Rektor  war  oft  ein  Nicht- 
Eiuheit  der  Anstalt  aus  und  glie-  graduierter.  Die  Einteilung  in  Xa- 
derten  nun  dieselbe  in  Anlehnung  tionen  hatte  aber  auf  den  deutschen 
an  das  schematisierte  Pariser  Vor-  Universitäten  von  Anfang  wenig 
bild  auf  doppelte  Weise  in  Nationen  Einfluss;  die  Dekane  der  Fakultäten 
und  Fakultäten,  einer  doppelten  nahmen  von  selbst  neben  den  Räten 
Funktion  der  Lehre  und  der  politi-  der  Nationen  die  Stelle  von  Bera- 
schen Verwaltung  entsprechend;  als  tem  des  Rektors  ein  und  die  jün- 
Lehranstalt  heisst  die  Universität  gern  Universitäten  begnügten  sich 
studium  generale  und  teilt  sich  in  überhaupt  mit  der  Einteilung  in  Fa- 
vier  Fakultäten,    als  Korporation  kultäten. 

heisst  sie  universitas  studii 1J ragen  sis.  Was  die  Lehranstalt  und  die  Fa- 
llen nensis  u.  s.w.,  so  dass  jedes  Glied  kultäten  betrifft,  so  gibt  es  auf  einer 
der  Universität  in  beiden  vorkommt,  mittelalterlichen  Hochschule  weder 
_J)ie  Saiionen  bilden  eine  rein  eine  bestimmte  Zahl  fester,  besol- 
äusserliche  Einteilung  der  Gesamt-  deter  Lehrstühle  für  die  verschie- 
heit  für  die  Zwecke  der  Verwaltung  denen  Disziplinen ,  noch  einen  be- 
nach  der  geographischen  Lage  des  rufsmässigen  Professorenstand,  noch 
Heimatortes  der  Mitglieder.  Aus  I  Studenten  im  heutigen  Sinne.  Lehren 
.  dem  Universitätsorte  als  Mittelpunkt  und  lernen  geht  ineinander;  man 
wird  die  ganze  Christenheit  in  vier  fängt  den  Kursus  lernend  an ,  geht 
Quartiere  eingeteilt,  jedes  nach  dem  allmählich  zum  Lehren  weiter  und 
Namen  einer  am  stärksten  vertre-  schliesst  ihn  bloss  lehrend.  Jede 
tenen  Landschaft  benannt.  Jede  Fakultät  ist  mit  Beziehung  auf  die 
Nation  wählt  einen  Vorsteher,  Pro-  Lehre  selbständig.  Der  Scolaris 
curator,  der  die  Mitglieder  in  die  schliesst  sich  als  Lehrling  einem  be- 
Listen der  Nation,  Matrieula  ^  ein-  stimmten  nuigister  an,  tritt  meist  in 
trägt,  die  Versammlungen  beruft,  seinen  Haushalt  ein,  der  klösterlicher 
die  Kasse  verwaltet.  Iii  die  vier  Natur  ist.  Nachdem  er  in  etwa  zwei 
Nationen  gegliedert,  übt  die  Ge-  Jahren  die  Anfangsgründe  der  Lehre 
zamtheiUcongregatio  unirersi tatis, die  er\eriit,  wird  er  der  versammelten 
gesetzgebende  Gewalt,  beschliesst,  Meisterschaft  vorgestellt,  von  ihr 
nach  Nationen  stimmend,  Statuten  geprüft  und  zum  ha real 'aureus,  Ge- 
oder  Disziplinargesetze,  zu  deren  seilen,  ernannt.  Dieser  lernt  weiter, 
Haltung  alle  Glieder  durch  Eid  sich  wird  jedoch  durch  einen  Eid  ver- 
verpflichten .  wählt  zum  Teil  durch  1  pflichtet,  unter  Aufsicht  des  Meisters 


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Universitäten. 


seinerseits  die  Elemente  der  Kunst 
zu  lehren.  Nach  etwa  zwei  Jahren 
wieder  geprüft  und  von  der  kirch- 
lichen Behörde  mit  der  licentia  aus- 
gestattet, wird  er  durch  öffentlichen 
Akt  von  seinem  Meister  zum  Meister 
gemacht.  Durch  den  Meistereid  ist 
er  verpflichtet,  wenigstens  noch  zwei 
Jahre  in  der  Stadt  zu  bleiben,  um 
als  Meister  zu  lehren,  die  Meister- 
schaft aufrecht  zu  erhalten.  Er 
nimmt  jetzt  selbständig  Lehrlinge 
an,  die  er  zu  Gesellen  und  Meistern 
heranzieht.  Dieser  vollständige  Kurs 
der  freien  Künste  heisst  facultas 
artium\  verlasst  der  Magister  nach 
zweijähriger  Ausübung  der  Kunst 
die  Stadt  nicht,  so  mag  er  die  höheren 
Künste  auf  dieselbe  Weise  lernen: 
Medizin,  Jurisprudenz,  Theologie, 
und  zu  diesem  Zwecke  kann  er  in 
eine  Stiftung,  colleaium,  eintreten, 
wo  er  Wohnung  und  einiges  Ein- 
kommen erhält;  überdies  erhalt  er 
von  seinen  Lehrlingen  das  Lehrgeld, 
uastus,  tu i nerval.  Man  bleibt  dann 
Meister  in  der  Artistenzunft  und  ist 
Lehrling  oder  Geselle  in  einer  der 
andern  Zünfte;  erst  wenn  man  Mei- 
ster in  einer  der  höhern  Fakultäten, 
do  lor,  wird,  scheidet  man  aus  der 
untern  aus.  Erhält  man  endlich  eine 
Kanonikatspfründe,  so  mag  man 
lebenslang  als  Lehrer  an  der  Uni- 
versität bleiben.  Die  wenigsten  ma- 
chen aber  diesen  vollständigen  Stu- 
diengang durch ;  die  Zahl  der  Schüler 
in  den  obem  Fakultäten  war  immer 
gering. 

Ihren  Unterhalt  vermochten  sieh 
bloss  die  Lehrer  der  Artistenfakultät 
durch  den  Schullohu  zu  erwerben; 
Doktoren  der  höhern  Fakultäten  ge- 
wann man  dadurch,  dass  man  eine 
bestimmte  Anzahl  von  Kanonikaten 
mit  der  Universität  verband,  eines- 
teils mit  einem  Kanonikat  die  Pflicht 
der  Vorlesungen  vereinigte  oder  an- 
derseits ein  Kanonikat  von  allen  oder 
einigen  geistlichen  Pflichten  dispen- 
sierte. Erst  allmählich  erlangte  die 
Landesobrigkeit  Einfluss  auf  die  Be- 


setzung der  Lehrstellen  durch  Grün- 
dung besonderer  Professuren;  seit 
dem  15.  Jahrhundert  besetzte  die 
Obrigkeit  die  Lehrerstellen  der  oben. 
Fakultäten  von  sich  aus.  Die  An- 
zahl der  Lehrer  der  Artistenfakultät 
hing  von  der  Frequenz  der  Anstalt 
ab  und  erst  im  16.  Jahrhundert  waren 
auch  hier  überall  eine  bestimmte  An- 
zahl von  Stellen  festgesetzt 

Die  Artistenfakultät  war  die  Vor- 
bereitungsanstalt für  die  obern  Fa- 
kultäten, die  philosophischen  Pro- 
fessoren waren  Studenten  in  den 
andern  Fakultäten.    An  Rang  und 

'  Recht  standen  die  Artisten  an  der 
letzten  Stelle.  Vorhandene  ältere 
Stadtschulen  wurden  oft  in  die  Uni- 
versität einverleibt.  Der  unterste 
Kurs  der  Artisten  hiess  manchmal 
paedagofftunt  ;  das  Alter  der  Sehüler 
ging  oft  nicht  über  12  Jahre  hinaus. 
Schulen,  die  sich  die  Vorbereitung 
zur  Universität  zur  Aufgabe  mach- 
ten, gab  es  im  Mittelalter  nicht;  erst 
seit  dem  16.  Jahrhundert  beginnen 
die  Gymnasien.  Grössere  Stadt- 
sehulen  lehrten  unter  Umstanden 

1  den  gleichen  Stoff  wie  die 
schulen,  wenigstens  in  ihrem 
Kurs,  dem  sogen.  Trivium. 

Inder  aussei  n  Lel>ensordnitHff  sii 
tlie  Universitätsglieder  ursprünglich 
den  Angehörigen  der  Kirche  nach- 
gebildet. Die  Gesamtheit  der  Mit- 
glieder der  Wiener  Universität  heisst 
clerus  unirersitafis,  die  Uuiversitats- 
feste  sind  kirchlicher  Natur.  Die 
Artistenfakultät  feierte  besonder» 
den  Tag  der  hl.  Katharina.  Auch 
die  Kleidung  war  die  geistliche: 
lauger  Rock  von  einfarbig  dunklem 
Zeuge,  für  die  Scholaren  mit  Kapuze 
und  Gürtel,  für  den  Magister  mit 
Barett.  Studeutenkrawalle  richteten 
sich  u.  a.  gegen  das  Tragen  des 
Gürtels.  Die  Dozenten  standen  unter 
dem  Cölibat ;  von  der  weltliehen 
Obrigkeit  der  Schule  wartl  bloss  der 
Rektor  zum  Cölibat  verpflichtet. 
Mediziner  brachen  wohl  zuerst  diese 
alte  Sitte,  dann  Juristen  und  Ar- 


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Universitäten. 


1 035 


tisten.  am  Schluss  des  15.  Jahrhun- 
derts war  ein  verheirateter  Magister 
keine  Seltenheit  mehr. 

Im  Hause  des  Kollegiums,  in 
welchem  auch  die  Räume  für  die 
Vorlesungen  und  Universitätsakte 
und  Wohnungen  für  Scholaren  sich 
befanden,  wohnten  die  Magister  klö- 
sterlich zusammen.  Jeder  hatte  seine 
Stube,  die  Mahlzeiten  waren  gemein- 
sam. Jeder  Magister  hat  einen  Scho- 
laren als  Bedienten,/rt/»«/i/Ä,  serrifor. 
Heizbar  sind  die  Gemächer  der  Scho- 
laren regelmässig  nicht.  Die  Mahl- 
zeit pflegte  überaus  einfach  zu  sein, 
im  grossen  Kollegium  in  Leipzig  gab 
es  13  mal  im  Jahr  ein  Extragericht 
nebst  Wein  und  Früchten.  Daher 
freute  man  sich  so  sehr  auf  die  Fest- 
sehmäuse. 

Ihre  Unterkunft  fanden  die  Stu- 
denten entweder  mietsweise  in  den 
Kollegien,  wo  sonst  die  Magister 
wohnten,  oder  in  besondern  Stif- 
tungshäusern;  auch  Privatunterneh- 
mutigen  einzelner  Magister  werden 
erwärmt.  Ein  solcher  Konvikt  hiess 
hursa,  von  dem  wöchentlichen  Bei- 
trag (bur§a  —  Börse),  den  die  ein- 
zelnen Mitglieder,  eombursafes, 
bursaleg,  domicelli,  socii ,  leisteten. 
Der  Magister,  der  Unternehmer  oder 
Vorsteher  war,  hiess  conrentor,  Ver- 
miether, auch  rector  bursae,  regen* 
bursam,  daher  die  Burse  auch  re- 
(fentia.  Ausserhalb  der  Kollegien 
oder  der  approbierten  Bursen  zu 
wohnen,  war  überall  verboten ;  Aus- 
nahmen kamen  bei  vornehmen  Per- 
sonen, armen  Leuten  in  dienender 
Stellung  und  Ortsangehörigen  vor. 
Die  Zahl  der  Bursenbewohner  war 
oft  eine  beschränkte,  8,  10  oder  12 
Mitglieder.  Die  Mitglieder  der  Burse 
bildeten  die  Lehrlingschaft  des 
Meisters,  sie  hörten  seine  Vorlesun- 
gen, nahmen  an  den  Disputations- 
Übungen  Anteil ,  die  regelmässig 
nach  dem  Abendessen ,  oft  auch 
nach  dem  Mittagessen  stattfanden. 
Daneben  hielten  sie  die  öffentlichen 
Vorlesungen  in  den  Lektorien  der 


Kollegienhäuser.  Die  Rcpetitions- 
kurse  in  den  Bursen  hicssen  resnmp- 
tiones  und  waren  £egeu  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  meist  obligatorisch. 
Der  Rektor  kontrollierte  den  Besuch 
der  Vorlesungen  und  die  Akte  der 
Fakultät,  war  auch  verpflichtet,  die 
Studenten  ad  latinisandutn  anzu- 
halten und  Übertretungen  durch 
theutonisare,  deutsch  reden,  zu  stra- 
fen.    Heimlich    aufgestellte  Auf- 

f)asscr,  lujn,  aus  der  Mitte  der  Scho- 
aren  notierten  die  Fehlbaren.  Ging 
der  Magister  öffentlich  aus ,  zur 
Kirche,  zu  den  Fakultätsakten,  spa- 
zieren oder  ins  Bad,  so  begleitete 
ihn  die  Lehrlingschaft.  Die  einzel- 
nen Kammern  der  Bursenmitglieder, 
unheizbar,  hiessen  camerae,  cellae, 
commoda,  die  heizbare  Speise-  und 
Schulst  übe  stuba  com  in  u  n  itatis.aestua- 
rium.  Habsucht  keilte  oft  in  eine 
einzige  Kammer  bis  12  Scholaren. 

Der  Tisch  wurde  aus  den  Bei- 
trägen der  Bursenmitglieder  be- 
stritten, Koch  war  entweder  der 
famulus  oder  die  Bursalen  selber  in 
bestimmter  Abwechslung. 

Das  mittlere  Alter  der  Scholaren 
beim  Anfang  ihrer  Studien  war  das 
15.  oder  16.  Lebensjahr,  doch  kom- 
men auch  jüngere  Scholaren  vor. 

Mittel  des  Unterrichts  waren 
Vorlesungen  und  Disputationen  nach 
Inhalt  undMethode  der  Scholastik,die 
letztern  namentlich  mit  der  Kunst 
einer  absichtlich  unredlichen  Sophi- 
stik  ausgebildet  und  oft  so  heftig 
und  erbittert  geführt,  dass  z.  B.  an 
der  Sarbonne  in  Paris  der  Platz 
des  Opponenten  von  dem  des  Re- 
spondenten  durch  eine  Bretterwand 
geschieden  war,  damit  die  Dispu- 
tierenden sich  nicht  in  die  Haare 
fahren  könnten. 

Infolge  der  Reformation  änderte 
sich  der  Charakter  der  Universi- 
täten in  mancher  Beziehung,  im 
ganzen  aber  hat  sich  kaum  ein 
mittelalterliches  Institut  so  zäh  gegen 
die  Formen  neuer  Bildung  und  neuer 


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1036 


Unzucht. 


Lebensanschauungen  erwiesen,  wie 
die  hohen  Schulen. 

An  Stelle  der  kirchlichen  Obrig- 
keit trat  in  den  protestantischen 
Ländern  der  Landesherr  oder  die 
Landesobrigkeit;  Bestätigung  gab 
der  Kaiser,  die  Auflösung  aer  ßursen 
und  Kollegieu  machte  selbständige 
Vorbereitungsanstalten  notwendig, 
Gymnasien  u.  dgl.,  wodurch  der 
bisherigen  Artistenfakultät  der  Char 
rakter  einer  Vorbereitungsschule  ge- 
nommen und  sie  zur  selbständigen 
philosophischen  Fakultät  heranwuchs. 
JSTeustiftungen  sind  Marburg  1527, 
Königsberg  1544,  Dillingen  1554, 
Jena  1558,  Helmstadt  1575,  Altorf 
1578,  Würzburg  1582,  Grätz  1585, 
Paderborn  1592  ,  Giessen  1607, 
Rinteln  1621,  Strassburg  1621,  Salz- 
burg 1G23,  Münster  1631,  Osnabrück 
1632,  Duisburg  1655,  Kiel  1665, 
Innsbruck  1672,  Halle  1694,  Bres- 
lau 1702,  Fulda  1734,  Göttingen 
1734,  Erlangen  1743,  Stuttgart  1775, 
Landshut  1K02.  Dem  Geiste  der 
nachreformatorischen  Bildung  ge- 
mäss machte  der  lebendige,  geistige 
Aufschwung  der  Reformationszeit 
einem  ängstlichen,  breiten  und  geist- 
losen Schematismus  Platz,  dem 
namentlich  die  Reinheit  der  Lehre 
und  die  Abweisung  neuer  Lehren 
am  Herzen  lag.  Die  Vorlesungen 
wurden  nur  in  lateinischer  Sprache 
gehalten,  bis  Christian  Thomasius 
der  Erste  wurde,  der  deutsche  Vor- 
lesungen einrichtete.  Die  Teilnahme 
der  Studierenden  an  der  Leitung 
der  Universitäten  hörte  auf,  die  per- 
sönliche Leitung  der  Studierenden 
durch  die  Lehrer  trat  ebenfalls  zu- 
rück, so  dass  es  möglich  war,  dass 
sich  namentlich  seit  dem  30  jahrigen 
Krieg  ein  rohes  Studentenwesen  aus- 
bildete, dessen  hässlichster  Auswuchs 
der  Pennalismus  war ,  eine  rohe 
burschikose  Vergcwaltung  der  ältern 
Studenten  oder  Schönsten,  d.  h.  der- 
jenigen, welche  die  andern  Schoren, 
gegen  die  angehenden  Mitschüler. 
Damals    kamen  die  studentischen 


ien  XeoristijJ'u/peculae,  Füchte, 
#*,  Blinde,  Vitult,  Mutterk&lber, 


Namen 

Caeci, 

Säuglinge,  Innocentes ,  Unschuldige, 
Imperfecti ,  Galli  domestici,  Haus- 
hähne,  Duminasfri,  Rappsehnabel., 
Bacchanten  auf.  Diese  Jüngern  muß- 
ten nun  den  Altern  die  niedrigsten 
Dienste  leisten  und  sich  gleichsam 
zur  Wehrhaftmachung  nach  Ablauf 
eines  Jahres  der  Depositum  oder 
Enttölpelung  unterziehen  ,  einer 
lächerlichen,  zum  Teil  schmerzlichen 
Zeremonie  mit  einer  Menge  sym- 
bolischer Handlungen.  Zu  derselben 
Zeit  kam  unter  den  Studenten  das 
Üuell  auf,  ebenso  die  Land^manu- 
sch äffen  oder  l'erbindunqea  ,  die 
Stuaentenlieder  und  eine  Litterstur 
kleiner  Büchlein,  worin  sich  ein 
lustiger,  oft  auch  schmutziger  Hui  - 
jeder  Art  geltend  machte.  Die  gei- 
stige Erneuerung  der  deutschen 
Universitäten  beginnt  mit  wenigen 
Ausnahmen  erst  im  18.  Jahrhundert 
Paulsen,  die  Gründung  der  deut- 
schen Universitäten  im  Mittelalter, 
in  Sybels  historischer  Zeitschrift  1881. 
Vgl.  Zu  rucke,  zur  Geschichte  der 
deutschen  Universitäten;  I%u/nci\ 
Vorgeschichte  des  Rationalismus ; 
A'.  v.  Raumer,  Geschichte  der  Pä- 
dagogik.  Bd.  4. 

I  nzneht.  Eheliche  Keuschheit 
galt  dem  Römer  als  ein  Hauptmerk- 
mal germanischer  Sitte.  „Die  Ehe, 
sagt  Tarifus  Germ.  18  und  19,  wird 
bei  den  Germanen  streng  gehalten, 
und  wohl  in  keinem  Stücke  haben 
die  Germanen  mehr  Anspruch  auf 
Hochachtung;  denn  von  allen  Har- 
barenvölkem  sind  sie  fast  die  ein- 
zigen, welche  sich  mit  einem  Weibe 
begnügen.  Sehr  wenige  machen 
davon  eine  Ausnahme  und  zwar 
nicht  von  Sinnlichkeit  geleitet,  son- 
dern weil  sie  ihres  Ansehens  wegen 
mit  mehreren  Anträgen  angegangen 
werden.  Die  Frauen  fuhren  ihr 
Leben  in  den  Schranken  keuscher 
Sittlichkeit  ,  frei  von  den  Ver- 
lockungen üppiger  Schauspiele,  un- 
berührt von  dem  Sinnentaumel  sitten- 


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Unzucht. 


1037 


loser  Gelage.  Von  geheimen  Liebes- ,  Kinder  der  Kebsen  erbten  bloss  von 
briefeu  weiss  weder  Mann    noch  der  Mutter  und  gehörten  nicht  zur 
Frau;  Ehebruch  kommt  bei  dem  so  Sippe  des  Vaters,  waren  also,  wo 
zahlreichen  Volke  sehr  selten  vor,  der  Vater  Fürst   war ,    von  der 
und  die  Strafe,  welche  der  ßestim-  Thronfolge  ausgeschlossen,  wenn 
mung  des  Gatten  überlassen  bleibt,  nicht  besondere  Umstände  und  per- 
folgt ihm  auf  dem  Fusse  nach.  Für  söuliche  Vorzüge  ihren  Stand  ver- 
vcrlorcne  Keuschheit  gibt  es  keine  deckten.   Oft  erhielten  uneheliche 
Gnade;  weder  Schönheit  noch  Ju-  Fürstensöhne  hohe  geistliche  Stellen, 
gfnd  noch  Reichtum  werden  ihr  je  Öffentliche  Weiber  sind  dagegen 
einen  Gatten  zuführen.    Denn  cla  den  Deutschen  erst  durch  die  uu- 
ist  niemand ,  der  über  das  Laster  tergehende  römische  Welt  zugekom- 
scherzte ,  niemand,  der  verführen  men;  doch  zeigt  schon  die  Fülle 
und  verführtwerden  den  Lauf  der  der   ihnen    angehörenden  Namen, 
Welt  nennte.    Gewiss  steht  es  mit  wie  diese  Menschenklasse  auch  in 
einem  Staate,  wo  nur  Jungfrauen  Deutschland  um  sich  griff;  mittei- 
sich  vermählen,  und  wo  die  Gattin  hochdeutsche  Namen  sind  z.  B.  ge- 
mit  ihrer  Hoffnung  und  ihrem  Ge-  meine  f rotten  fröutre/in  oder  ttijj; 
lübde  ihr  Leben  für  immer   he- 1  armiu  valschiu  boesiu  ttip.  varende 
stimmt,  besser  als  mit  dem  unsern.  frouicen,veilfrovtren;  irrii<,strachiu, 
Einen  Gatten  erhält  das  Weib,  wie  'üheliu  ttijj,  wandelbare  vroutten,  mi- 
nt nur  einen  Körper  und  nur  ein  ttip,  üppige  frvmren ,  teil  diu  irip, 
Leben  empfing,  und  kein  Gedanke,  gihterin  ,    hübsche  rinne  ,  knaberin, 
kein  Gelüst  soll  diese  Schranken  lennelin.    Zwar  für  die  Blütezeit 
übertreten,  sie  soll  in  ihrem  Garten  des  Rittertums  wird  man  annehmen 
nicht  den  Mann,  sondern  die  Ehe  müssen,  dass  der  ideale  Zug  der 
lieben."   Schon  Tacitus  erwähnt  an  Zeit,  die  hohe  Stellung,  die  natnent- 
dieser  Stelle  der,  politischer  Rück-  lieh  die  deutschen  Ritter  dem  Weibe 
sichten  we^en,  vorkommenden  Viel-  einräumten,  die  zerstörende  Macht 
veiberei;  dieselbe,  ohne  Zweifel  aus  der  gemeinen  Buhlerei  beschränkt 
frühem  rohen  Zuständen  überkom-  i  habe;  der  Geist  der  höfischen  Dich- 
men,  war  im  Geschlechte  der  Mero-  tungen  Walthers.  Hartmanns,  Wolf- 
vinger  gewöhnlich;  bei  den  Nord-  rams  legt  dafür  Zeugnis  ab.  Ander- 

Sjermanen  dauerte  sie  noch  lange  seits  lag  es  in  der  Natur  der  romanti- 
Ort  und  war  z.  B.  in  Schweden  schenFrauenverheiTlicuung,dassdie- 
im  11.  Jahrhundert  allgemein  ver-  selbe  geradezu  einem  natürlich  der- 
breitet. Auch  Konkubinat  war  den  beren  Verhältnis  der  geschlecht- 
Oermanen  nicht  fremd;  die  Kebse,  liehen  Verbindungen  zu  rufen  geeig- 
mhd.  kebese,  kebeswib,  friundinne,  net  war;  dann  war  der  Ritter,  seiner 
gelle ,  zuoteip ,  btsläfe,  bislaeferinne,  Lebensart  zufolge,  die  ihn hauptsäch- 
Mfirip,  sUffrouxte,  war  dem  Manne  lieh  körperlich  entwickeln  Hess,  durch 
nicht  vermählt,  lebte  aber  in  dauern-  Jagd,  Spiel,  Kampf,  Reisen,  mit 
der  Verbindung  mit  ihm.  Ursprüng-  einer  Leibeskraft  ausgestattet,  die 
lieh  scheinen  es  unfreie  Weiber  ge-  j  gewiss  gern  über  die  Schranken 
wesen  zu  sein ,  die  in  diesen  Stand  des  Gesetzes  hinauslaufe,  und  end- 
eintraten; doch  war  da*  Verhältnis  lieh  war  die  kosmopolitische  Welt- 
während des  ganzen  Mittelalters  bildung  des  Ritters  und  seine  Ab- 
von  den  Vornehmen  gepflegt,  ohne  hängigkeit  von  der  Denk-  und  Han- 
dass  die  öffentliche  Meinung  beson-  delsweise  des  französischen  Ritter- 
deres  Ärgernis  daran  nahm;  so  hat-  tums  einer  gesellschaftlichen  Prü- 
ten  Karl  d.  Gr.  und  Ludwig  der  derie  nicht  zugethan,  wie  man  zum 
Fromme  ihre  Beischläferinnen.  Die  Teil  wieder  aus  den  Dichtungen 


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1038 


Urbarbücher. 


der  genannten  besten  höfischen 
Dichter  erkennen  kann.  Als  dann 
aber  bald  nach  dem  ersten  Viertel 
des  18.  Jahrhunderts  der  ideale 
Sinn  der  ritterlichen  Gesellschaft 
schnell  erblasste  und  eine  allge- 
meine Autlösung  der  gesellschaft- 
lichen Pflichten  und  Rücksichten 
eintrat,  da  verwilderte  namentlich 
auch  das  Verhältnis  des  Mannes 
zum  Weibe  in  auffallendem  Grade. 
Zeugnis  davon  gibt  schon  Gottfried 
von  Strassburg,  ebenso  Nithart  von 
Riuwental  und  die  andern  höfischen 
Dorfdichter,  noch  mehr  aber  die 
zahlreichen  Novellen  und  Erzäh- 
lungen, unter  denen  nach  dieser 
Seite  hin  namentlich  Von  der  Ha- 
gens Gesamtabeuteuer  sich  aus- 
zeichnen. Dabei  ist  jedoch  zu  be- 
rücksichtigen, dass  die  Ansieht  des 
Mittelalters  von  Sitte  und  Sittlich- 
keit überhaupt  eine  laxere  war  und 
die  öffentliche  Meinung  vieles  ohne 
weiteres  gestattete,  was  spater  als 
strafwürdig  oder  schlecht  galt;  der 
Verkehr  mit  feilen  Weibern  brachte 
den  Männern  des  ausgehenden 
Mittelalters  keinen  Makel.  So  liest 
man  denn,  dass  den  französischen 
Kreuzheeren  ganze  Sehaaren  von 
Dirnen  folgten,  im  Jahre  llbO  z.  B. 
1500  miteinander.  Am  französischen 
und  englischen  Hofe  gab  es  einen 
besondern  Marschall  zur  Beaufsich- 
tigung jener  Personen.  Auch  in 
Deutschland  zogen  den  Söldner- 
truppen und  Landsknechten  ganze 
Schaaren  gemeiner  Weiber  nach, 
die  einem  eigenen  Amtmann  unter- 
worfen waren  und  demselben  eine 
wöchentliche  Abgabe  zahlten.  In 
Magdeburg  setzte  1279  ein  Bürger 
bei  einem  von  ihm  veranstalteten 
Turnier  ein  Mädchen  als  Sieges- 
preis aus:  der  Kaufmann  von  Gos- 
lar, der  es  gewann,  stattete  es  aus 
und  brachte  es  zu  einem  tugend- 
haften Wandel  zurück.  Am  Konzil 
zu  Konstanz  wurden  1 500  Freuden- 
mädchen gezählt.  Solche  waren  es 
auch,  die  dem  einziehenden  Herr- 


scher auf  Veranstaltung  der  Obrig- 
keiten Kränze  und  Blumen  zu  üb«  r- 
reichen  pflegten.  Von  den  kleinen 
und  grossen  Höfen  verbreitete  ach 
diese  Unzucht  in  die  Kreise  der 
städtischen  Bevölkerungen ,  wo  die 
Frauenhäuser ,  siehe  den  besondera 
Artikel,  zu  den  notwendigen  städti- 
schen Anstalten  und  Stiftungen 
zählten.  Um  das  Bild  dieser  Hett 
des  sozialen  Lebens  zu  vervollst»'.- 
digen.  ist  noch  des  Verhaltens  ti r-i 
Geistlichkeit  zu  erwähnen.  Klurtu 
über  Unzucht  des  geistlichen  Sud 
des  beginnen  schon  in  den  ersteD 
Jahrhunderten  des  Mittelalters  und 
bilden  bis  zur  Reformation  eine  un- 
unterbrochene Kette,  deren  Zeug- 
nisse und  Urkunden  unzählbar  sind: 
sie  liegen  vor  in  Ratsprotokollen 
Zeitbüchern,  Verordnungen  und  na- 
mentlich auch  in  den  Pastnachtspie- 
len, Fazetien  und  Novellen  des  14 
und  15.  Jahrhunderts,  deren  Inhalt 
zum  allergrössten  Teile  die  Verfüh- 
rung einer  Frau  durch  einen  lieder- 
lichen Pfaffen  ist  „Man  duldete  die 
Sünde  der  Hurerei,  als  eine  nicht  m 
beseitigende  menschliche  Schwäche, 
um  dercnwillen  der  Betreffende  sich, 
vermittelst  der  kirchlichen  Gnadeu- 
inittel,  lediglich  mit  Gott  und  sei- 
nem Gewissen  abzufinden  habe." 
Auf  diesem  Gebiete  hat  jder  Gei>t 
des  Humanismus  keine  Änderung 
vielleicht  eher  eine  Verschlimmern!!? 
hervorgebracht;  denn  nie  war  die 
Unzucht  auf  einen  hohem  Grad  ge- 
stiegen, als  am  Ende  des  15.  und 
am  Anfang  des  16.  Jahrhundert*, 
und  es  bedurfte  der  gründlichste» 
Massregeln  von  Seite  der  protesta» 
tischen  übrigkeiten,  um  hier  ei'* 
nur  langsam  wirkende  Umkehr  zu  er- 
reichen. Weinhold,  deutsche  Franc«, 
II.,  Abschnitt  7  und  8.  8ck*l& 
höfisches  Leben,  I.,  Kap.  7;  Kritik. 
deutsches  Bürgertum,  II,  Abschnitt 
12  bis  15.  Burckhardt,  Renaissan«  <?. 
Abschnitt  V. 

rrbarbttcher,  von  mhd.  urisry 
urhor  =  zinstragendes  Grundstück. 


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Uhrfeh«l»v  —  Vaganten. 


1039 


Zinsent,  Zins  von  einem  solchen, 
welches  zum  mhd.  Verb  erbern  = 
ertragen  gehört,  sind  Verzeichnisse 
der  Besitzungen,  Lehen,  grundherr- 
lichen  Abgaben  und  Pflichten.  Sie 
kommen  Dei  geistlichen  Stiftern 
wie  bei  weltlichen  Herrschaften  seit 
dem  12.  Jahrhundert  vor;  bekannt 
ist  z.  B.  das  von  Pfeiffer  heraus- 
gegebene habsburgtsch- österreichi- 
sche Urbarbuch ,  welches  die  habs- 
burgischen  Besitzungen  im  Elsass, 
in  Schwaben  und  der  Schweiz  1304 
-1311  enthalt. 

I  rfehde,  mhd.  urvehe  und  ur- 
rthede,  ist  ein  eidlich  gelobter  Ver- 
zicht auf  Rache  für  erlittene  Feind- 
schaft; eine  Urfehde  wurde  von 
Gerichtswesen  der  freigesprochenen 
Angeklagten  zu  dem  Zwecke  aufge- 
bunden, damit  er  an  seinem  Anklä- 
ger keine  Rache  übe.  Als  die  Tor- 


tur aufkam,  mussten  häufig  un- 
schuldig befundene  Torquierte  dem 
Gerichte  selbst  eine  Urfehde  schwö- 
ren, dass  sie  sich  wegen  der  Marter 
nicht  rächen  wollten.  Endlich  nann- 
te man  Urfehde  auch  den  Eid,  wel- 
chen ein  aus  einem  Gerichtsbezirke 
Verbannter  dahin  schwören  musste, 
dass  er  während  der  Dauer  der 
Verbannung  ohne  Erlaubnis  des 
Rates  weder  zurückkehren ,  noch 
sich  wegen  dieser  Strafe  und  der 
überstandenen  Gefangenschaft  rä- 
chen wolle. 

Ursulinerinnen  heisst  eine  zu 
Ehren  der  hl.  Ursula  1537  durch 
die  hl.  Angela  Merici  (1470—1540) 
in  Brescia  gestiftete  Frauen-Schwe- 
sterschaft zum  Zwecke  des  Jugend- 
unterrichtes  und  der  Krankenpflege. 
Zur  Verbreitung  des  Ordens  trug  na- 
mentlich der  Kardinal  Borromeo  bei. 


V. 

Vaganten,  clerici  vayantes,  ragt,  in  Berührung;  in  Frankreich  zogen 
Mnd  Geistliche,  die  eines  ständigen  ganze  Scharen  von  Scholaren  durch 
Kirchen amtes  als  Quelle  ihres  Le-  die  Lande,  auch  deutsche  Genossen 
bensuuterhaltes  eutbehren  und  des-  mit  sich  führend,  und  da  die  Zeit 
halb  unstät    herumziehen.     Schon  dem  Gesänge  überaus  günstig  und 
im  4.  und  5.  Jahrhundert  werden  diese  Leute  als  Kleriker  des  Latei- 
Kirchengesetze  gegen  das  unordent-  nischen    kundig    waren,  entstand 
liehe  Treiben  solcher  Kleriker  er-  unter  ihnen  in  Nachahmung  der 
lassen,  ineist  ohne  nachhaltigen  Er-  ritterlich  -  höfischen    Sänger  eine 
folg.    Besonders  zahlreiche  Klagen  höchst  charakteristische ,  originelle 
werden  im  karolingischen  Zeitalter  lateinische  Vaganten-Lyrik,  nament- 
laut,  und  Karl  d.  Gr.  erneuerte  in  i  lieh  Liebes-,  Wein-  und  Spiellieder, 
mehreren  Kapitularien  die  altkirch-  Sprüche  satirisch  -  persönlicher  Art 
liehen  Verbote  der  ordinatio  vaga.  \  u.  dgl.    Die  bedeutendste  Samm- 
Ein    kirchlicher  Schriftsteller   des  hing  derselben  sind  die  sog.  Carmi- 
12.  Jahrhunderts  erklärt  die  Va-  j  na  burana ,  siehe  den  bes.  Artikel; 
ganten ,  weil  sie  weder  rechte  Kle-  der  begabteste  Dichter  dieser  Volks- 
riker,  noch  Laien  seien,  für  eine  k lasse  war    H'alther  der  Erzpoet% 
Art  Hippocentauren  und  für  eine  Are hivoeta .  der  mehrere  Jahre  in 
Synagoge  Satans.    In  eben  dem-  der    Umgebung    des  Erzbischofs 
>elben    Jahrhundert  gerieten   nun  Reinhold  von  Köln,  des  Kanzlers 
diese  Vaganten  mit  den  Spielleuten  Barbarossas,  lebte;  er  ist  der  Dich- 


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1040 


Vallombrosa.  —  Vasall. 


ter  von  Mihi  est  prooositum  'in  ta-  \ 
herna  muri.  Seine  Dichtungen  hat 
J.  Grimm  veröffentlicht  unter  dem 
Titel:  Gedichte  des  Mittelalters  auf 
Friedrich  I.  Berlin  1854.  Später 
vereinigten  sich  die  Vaganten  mit 
den  fahrenden  Schülern. 

Vallombrosa,  Orden  von,  ist 
eine  der  zahlreichen  Ordens-Neu- 
gnindungen  des  11.  Jahrhunderts. 
Der  Gründer,  Johannes  Gualfterf, 
Herr  von  l'istoja,  soll  der  Ordens- 
legende  zufolge  von  seinem  Vater 
zur  Verfolgung  eines  Mörders  von 
einem  seiner  v  et  wandten  ausgesen- 
det worden  sein;  an  einem  Char- 
freitage  findet  er  den  Mörder  in 
einem  Hohlwege,  verzeiht  ihm  aber, 
da  ihn  jener  bei  der  Liebe  des  ge- 
kreuzigten Jesu  um  Gnade  bittet. 
Dafür  nickt  ihm  das  in  der  näch- 
sten Kirche  befindliche  Kruzifix, 
vor  dem  er  betete,  dankend  zu,  und 
Gualbert  fasst  den  Entschluss,  sich 
der  Kirche  und  dem  Dienst  Gottes 
zu  weihen.  Er  wird  zunächst 
Mönch  eines  schon  bestehenden 
Klosters,  dann  1039  Einsiedler  in 
Yallis  umbrosa  in  den  Appenninen 
unweit  Florenz,  wo  er  nun  andere 
Genossen  um  sich  sammelt,  welche 
die  strengste  Erfüllung  der  Regel 
Benedikts  geloben,  namentlich  in 
betreff  der  Klausur,  des  Stillschwei- 
gens und  der  andächtigen  Betrach- 
tung des  Lebens  und  Sterbens 
Jesu.  Gualbert  starb  1093.  Das  Or- 
denskleid war  grau,  daher  man  die 
Ordenslcute  auch  graue  Mönche 
nannte;  seit  1500  nahmen  sie  je- 
doch braune  Ordenstracht  an.  Der 
Orden  war  nie  besonders  verbreitet. 

Vasall,  mittelalt.  vassus  und  va- 
satlus,  ein  wahrscheinlich  aas  dem 
Keltischen  zu  den  Franken  gewan- 
dertes Wort,  das  anfangs  den  un- 
freien Diener  bedeutete ,  bezeichnet 
ursprünglich  denjenigen,  der  in  den 
Schutz,  in  das  Mundium  eines  an- 
dern aufgenommen  ist;  der  Eintritt 
in  ein  solches  Sehutzverhältnis  trägt 
den  Namen  Kommendation.  Schon 


in  der  merovingischen  Zeit  hatte 
dieselbe  besonders  gegenüber  dem 
König  einen  sehr  weiten  Umfang, 
indem  ganze  Klassen  der  Bevölkerung 
einen  Anspruch  auf  den  Königsschutz 
hatten,  namentlich  Witwen  und  Wai- 
sen. Auch  ausdrücklich  wird  er  hau 
fig  erteilt :  Geistlichen  bloss  für  ihre 
Person  oder  zugleich  für  ihre  Kirche. 
Kaufleuten,  Juden,  Frauen.  Kom 
mendation  tritt  auch  regelmässig  bei 
den  jungen  Männern  ein,  die  an  den 
Hof  den  Königs  gebracht  werden, 
um  sich  hier  zum  Dienste  vorzube- 
reiten oder  in  ein  bestimmtes  Hof- 
amt einzutreten.  Doch  beschränkt- 
sieh  dieses  Verhältnis  nicht  auf  den 
König;  auch  Grafen,  Bischöfe,  geist 
liehe  Stifter  konnten  einen  ähnlichen 
Schutz  erteilen.  Alle  nun.  die  sich 
kommandiert  haben,  mag  es  ein 
niederer  Landbesitzer  einem  Stif: 
oder  einem  anderen  Herrn  gegen 
über,  ein  vornehmer  Weltlicher  aVn. 
König  gegenüber  sein,  tragen  den 
Namen  rassus  oder  vasatius,  seit 
der  Karolinger  Zeit  auch  gasind**, 
homo,  derjenige  aber,  der  den  Schtm 
gibt,  heisst  dominus  oder  senior. 

Mit  der  Zeit  unterschied  man 
von  den  Schutzverhältnissen  über 
haupt  als  eine  besondere  Art  der 
selben  die  VasaUilät,  und  zwar  er- 
folgte die  Kommendation.  welch» 
die  VasallitÄt  begründete,  durch 
einen  bestimmten,  svmbolischen  Akt. 
in  der  Weise,  dass'der  Vasall  seine 
Hände  zusammengefaltet  in  die  de* 
Schutzherrn  legte;  nach  der  Hand- 
reichung erfolgte  regelmässig  ein 
besonderes  Treurersprechen. 

In  der  karolingischen  Periode 
zeigt  sich  noch  eine  grosse  Ver 
schiedenheit  in  den  Verhältnis^ 
der  Vasallen.  Zwar  dem  Stand» 
nach  sind  es  regelmässig  Freie:  da- 
gegen ist  der  Unterschied  zwischen 
den  Vasallen  des  Königs  und  den- 
jenigen anderer  Herren  ein  grosser. 
Manche  Vasallen  leben  als  Aufsehe 
über  die  Dienerschaft  oder  über  di? 
Ökonomie    im  Hause   des  Herrn. 


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Vitae  patrum.  —  Vitalienbrüder. 


1041 


andere  haben  Land  vom  Herrn  em- 
pfangen, oft  hat  der  Vasall  wieder 
andere  Vasallen  unter  sich.  König- 
liche Vasallen  werden  für  staatliche 
Angelegenheiten  in  Anspruch  ge- 
nommen, als  Köni^sboten,  Heer- 
fuhrer,  Beamte.    Die  grosse  Zahl 
der  königlichen  Vasallen  und  die 
noch  grössere  derjenigen,  die  zu 
geistlichen  Stiftern  und  zu  weltlichen 
Grossen  im  Verhältnis  der  VasaUität 
stehen,  hängt  zum  grossen  Teil  da- 
mit zusammen,  dass  sich  der  Grund- 
satz feststellte,   alle  die,  welche 
Beneßcium  empfingen,  hätten  sich 
dem  Verleiher  zu  kommendieren, 
sich  in  die  VasaUität  zu  begeben. 
Freilich  war  das  nicht  bei  jeder 
I^andverleihung  der  Fall,  z.  B.  da 
nicht,  wo  der  Schenker  sein  Gut 
zum  Niessbrauch  wieder  erhielt,  und 
überhaupt  nicht  in  bäuerlichen  Ver- 
hältnissen; durch  Empfang  von  Be- 
nefizien  verschiedener  Herren  konnte 
einer  Vasall  mehrerer  Herren  wer- 
ben.  Das  Verhältnis  der  VasaUität 
war  von  beiden  Seiten  lösbar  und 
erlosch  jedenfalls  mit  dem  Tode, 
konnte  aber  natürlich  von  den  Söh- 
nen erneuert  werden.  Die  Verpflich- 
tungen der  VasaUität  waren  gegen- 
seitige, und  der  Herr  war  dem  Va- 
sallen Schutz  zu  leisten  verpflichtet; 
unterliess  er  es,  so  konnte  inn  dieser 
verlassen.    Auch  eine  gewisse  Ge- 
richtsbarkeit steht  dem  Herrn  über 
seine  Vasallen  zu,  und  namentlich 
konnten  die  Sachen  der  Vasallen 
vor  das  königliche  Gericht  gebracht 
werden.  Eine  besondere  Anwendung 
wurde  diesem  Verhältnis  schon  vor 
Karl  d.  Gr.  dadurch  gegeben,  dass 
man,  um  die  im  Frankenreich  auf- 
gekommenen mächtigen  territorialen 
Gewalten  wieder  zu  unterwerfen, 
die  Inhaber  derselben  zur  vasalli ti- 
schen Huldigung  anhielt.  Ebenso 
mussten  unter  Karl  d.  Gr.  und  sei- 
nen  Nachfolgern  fremde  Fürsten, 
die  sich  dem  fränkischen  Könige 
unterwarfen,  die  Huldigung  leisten, 
was  ausdrücklich  bei  sarazenischen, 

Reallexlcon  der  deutschen  Altertümer. 


britischen,  slawischen  und  dänischen 
erwähnt  wird. 

Seine  spätere  engere  Bedeutung 
I  erhielt  nun  die  VasaUität  erst,  seit- 
dem die  vasallitisehe  Huldigung  mit 
1  der  Ausbildung  des  Lehenwesens 
ein  wesentliches  und  charakteristi- 
sches Erfordernis  des  Lehenempfangs 
wurde.  Lehnsmann  und  Vasall  wird 
jetzt  gleichbedeutend,  Lehn-  oder 
FeudaTrecht  ist  zugleich  Recht  der 
VasaUität,  und  da  der  Hauptzweck 
der  Belehnung  die  Verpflichtung  zu 
kriegerischen  Leistungen  ist,  so 
nimmt  der  Begriff  Vasall  nunmehr 
auch  diese  Richtung.  Daher  kom- 
men jetzt  auch  vasallus,  vir,  homo. 
mifes  nebeneinander  und  in  gleicher 
Anwendung  vor.  Vgl.  den  Art. 
L^hnswesen.  Nach  Waitz,  Verfas- 
sungsgeschichte. 

Vitae  patrum,  auch  Hhtoria 
eremitica  genannt,  ist  eine  von  Ru- 
finus  im  4.  Jahrhundert  verfasste 
Sammlung  von  Lebensgeschichten 
ägyptischer  Mönche,  geschrieben  „in 
Erinnerung  an  des  Rufinus  Reise 
nach  Ägypten  und  das  viele  Wun- 
derbare, das  ihm  Gott  dort  zum 
Heile  seiner  Seele  zeigte,  und  zwar 
auf  den  öfters  ausgesprochenen 
Wunsch  der  Mönche  des  Olberges." 
Das  Buch  sollte  für  das  Mönchs- 
leben Propaganda  machen;  es  wirkte 
stark  auf  die  Phantasie  des  mittel- 
alterlichen Lebens,  war  weit  ver- 
breitet und  wurde  bis  ins  17.  Jahr- 
hundert öfters  gedruckt  und  in  ver- 
schiedene neuere  Sprachen  übersetzt. 
Eine  mittelhochdeutsche  Bearbei- 
tung, der  veter  kuoch,  ist  im  Artikel 
Legende  erwähnt. 

Vitalienbrttder  heissen  See- 
räuberbanden,  welche  vom  letzten 
Viertel  des  14.  Jahrhunderts  an 
fünf  Jahrzehnte  hindurch  die  nor- 
dischen Meere  und  Küsten  beun- 
ruhigten. Hervorgegangen  aus  dem 
älteren  Seeräubertum  dieser  Gegen- 
den, nahmen  die  Vitalienbrüder  da- 
durch ihren  Anfang,  dass  nach  der 
Besiegung  und  Gefangennahme  des 

66 


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1042 


Vogt. 


Königs    Albrecht    von    Schweden  vertritt  und  in  bezug  auf  sie  alle 
durch  die  Königin  Margarete  von  diejenigen  Befugnisse  übt,  welche 
Dänemark    die    Verwandten     des  kraft  der  Immunität  den  königlichen 
Schwedenkölligs,  nämlich  die  Her-  Beamten  entzogen  sein  sollten.  Ihm 
zöge  von  Mecklenburg  im  Verein  la^  zugleich  die  Pflicht  ob.  das 
mit  den  Städten  Rostock  und  VVis-  Stift  zu  schützen,  seinem  geistlichen 
mar,  Freibeuter  gegen  die  drei  nor-  Vorsteher  den  Beistand  zu  leisten, 
dischen  Reiche  aufriefen,  die  na-  '  dessen  derselbe  bedürftig  wäre ;  doch 
mentlich  auch  den  Auftrag  hatten,  ist  der  Xame  Schirmrogt,  der  sich 
das   dem   Köuige  treu  gebliebene  auf  diese  letztere  Funktion  bezieht, 
Stockholm  mit  \  iktualien,  überhaupt  im   Mittelhochdeutschen   noch  un- 
mit  Zufuhr  zu  versorgen;  daher  der  bekannt.     Karl  d.  Gr.   hatte  die 
Name  Vitatieubriider,  den  sie  sich  Funktionen  des  Vogtes  gesetzlich 
selber  beilegten,  um  unter  diesem  geregelt  und  namentlich  festgestellt, 
ehrenhaften  Namen  ihr  übriges  un-  dass  ein  Stift  oder  Kloster  in  jeder 
ehrenhaftes  Gewerbe  zu  verdecken.  Grafschaft  einen  Vogt  haben  solle. 
Auch  Liekendeler,  d.  h.  Gleichteiler,  wo  es  Güter  besass,  und  dass  nicht 
Gleichbeuter  hiessen  sie,  weil  sie  der  Graf  oder  Centenar,  sondern 
den  gemachten  Kaub  oder  den  da-  stets    ein    in  der  Grafschaft  he- 
raus gelosten  Gewinn  stets  zu  glei-  güterter  Mann  zum  Vogte  genommen 
eben  Teilen    unter   die  Genosseu  werden  solle.  In  der  karoliiigischeu 
einer  Rotte  .oder  Horde  zu  verteilen  Zeit   wurde  derselbe    noch  unter 
pflegten.    Über  die  Disziplin  oder  Mitwirkung  des  Königs  und  seiner 
innere  Verfassung  dieser  Raubge-  Beamten  eingesetzt,  später  gilt  e> 
nossenschaften  ist  wenig  bekannt,  als  Recht  des  Bischofs  oder  Abteis 
Nachdem  sie  einige  glückliche  Er-  den  Vogt  selber  zu  wählen.  Grün- 
folge gegen  die  Schweden  und  Da-  der  neuer    Klöster   oder  Kirchen 
neu   gehabt    uud    1394    die   Insel  pflegten  sich  und  meist  auch  ihrer 
Gotland  erobert,   ratften  sich  end-  Nachkommenschaft  die  Vogtei  ver- 
lieh der  deutsche  Orden,  die  Königin  zubehalten.  Obgleich  sich  der  Pape-r 
von  Dänemark,  Hamburg  und  Lü-  ausdrücklich  dagegen  erklärte,  wm  le 
beck  gemeinsam  gegen  sie  auf.   Ein  die  Vogtei  nicht  bloss  in  dein  zu- 
Teil  der  Vitalienbrüder  kehrte  nach  letzt  gekannten  Falle    meist  wie 
der  Heimat  zurück,  die  grössere  andere  Amter  des  Mittelalters  erh- 
Zahl  fand  bei  den  friesischen  Häupt-  lieh,  es  kam  vor,  dass  der  ei^t-nf 
lingen  Unterkunft,  von  wo  aus  sie  liehe  Vogt  Stellvertreter  setzte,  die 
neuerdings  viel  Unheil  anrichteten,  an  seiner  Statt  die  Befugnisse  übten. 
Die  Hamburger  schlugen  sie  end-    Vizeröqte,    l'nterrögte,  zweite 
lieh  1402  entscheidend  bei  Helgo-  drifte  Vögte,  ein  Verhältnis,  das  die 
land   und    brachten  die  Anführer  Stiftungen  gern  zu  verhindern  such- 
Klaus  Störtebeker  und  Wigman  vom  ten.    Grössere  Stifter  hatten  mit 
Leben  zum  Tode.    Im  Jahre  1439  Rücksicht  auf  die  Lage  der  Güter 
brannten  die  Vitalienbrüder  Bergen  regelmässig  mehrere  Vogte,  maneh- 
nieder;  doch  verschwindet  seituem  mal   auch   für    einzelne  Distrikte, 
ihr  Name.    J.  Voigt  in  Räumern  Orte  und  Güter  einen  besonderen 
historischem  Taschenbuch.    1841.      Vogt;  doch  wird  im  Laufe  der  Zeit 
Vogt,  mhd.  roget,  rot/t,  roit,  aus  immer  allgemeiner    einer  als  der 
mittellat.  vocatm  für  adrocatu* ,  ist  eigentliche    und   wahre  Vofljt  be- 
in  erster  Linie  der  Name  desjenigen  zeichnet     Unter  den  Karolingern 
Beamten,  der  die  einem  Stifte  mit  war  ausdrücklich  bestimmt  worden, 
der  Immunität  gegebenen   Rechte  dass  der  Graf,  den  ja  der  Voet 
handhabt,  die  Angehörigen  des  Stifts  wesentlich  zu  vertreten  hatte,  nicht 


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und  sie  schliesslich  als  eine  Art 
Herrschaft  über  die  ihr  Unterworfe- 
nen ausübte,  die  dann  wie  Unter- 


Vogt. 1043 

selber  Vogt  sein  könne;  das  änderte  der  Graf  als  Richter  empfing.  Auch 
sich  später  so,  dass  fast  regelmässig  dieses  Verhältnis  führte  oft  den  Miss- 
eiii hönerer  Beamter,  der  Graf  oder  brauch  mit  sich,  dass  sich  der  Vogt 
der  Herzog,  in  den  Besitz  der  Vogtei ;  als  den  Inhaber  der  Gerichtsbarkeit 
über  die  zu  seinem  Amtsbezirk  ge-  betrachtete,  dieselbe  auf  die  Mit- 
liörigen  Stifter  oder  die  hier  bc- 1  glieder  des  Stiftes  selber  ausdehnte 
legenen  Güter  anderer  Stifter  ge- 
langte, ein  Verhältnis,  das  jenen 
weltlichen  Gewalten  die  ihnen  durch 
•lie  Immunität  früher   entrissenen  i  thanen  eidlich  verpflichtet  wurden; 
Güter  und  Rechte  nur  in  anderer  '  es  kam  vor,  dass  der  Vogt  einen 
Form  und   meist  bleibend  wieder  Abt  sogar  ernannte  und  investierte, 
zubrachte.    Namentlich  die  Klöster  Übergriffe,  denen  die  Stifter  mit 
-ind  der  Mehrzahl  nach  der  Macht  (  allen  ihnen  zu   Gebote  stehenden 
ihrer  Vögte  mit  der  Zeit  unterlegen.  Mitteln  zu  wehren  suchten;  durch 
Xar  bei  solchen  Klöstern,  die  uu-  königliehe    Privilegien,  Reehtsent- 
mittelbar  unter  des  Königs  Schutz  Scheidungen,  Verträge  wurden  die 
standen,  blieb  wohl  dem  König  und  Rechte  der  Vögte  festgesetzt,  bei 
dein  Reiche  die  Vogtei  vorbehalten,  neuen  Verleihungen  bestimmte  Vor- 
der er  liess  sie  sich  förmlich  über-  behalte  gemacht,  bei  Neugründungen 
tragen,  um  dann  in  der  einen  oder  von  vorne  herein  die  Vogtei  an  Le- 
andern Weise  wieder  über  sie  zu  schränkende  Bedingungen  geknünft ; 
verfügen,  War  aber  der  Vogt  auch  auch  versuchte  man  es,  die  Erb- 
vom  Vorsteher  des  Stiftes  selbst  I  lichkeit,  ja  auch  die  Lebenslanglich- 
^rewalilt ,   eingesetzt  wurde  er  von  keit  des  Amtes  zu  durchbrechen, 
'lern  König,  der  ihm  das  Recht  des  oder  man  gab  die  Vogtei  in  die 
königlichen  Bannes  zu  erteilen  hatte.  1  Hände  von  Minhtenalen,  die  sich 
Mit  der  Zeit  wurde  die  Vogtei  alt  immer   in  grösserer  Abhängigkeit 
I.thea  hetraehtef,  wodurch  der  Ein-  vom  Stifte  befand«'n,  oder  überhaupt 
fluss  und  die  Gewalt,  die  der  Vogt  von  solchen,  welche  wirkliche  Be- 
über  das  Kloster  hatte,  noch  stärker  amte  waren  und  blieben,  Meier  oder 
wurde.    Sonst  erhielten  die  Vögte  Schultheisse,  welche  in  diesem  Fallt' 
bloss  bestimmte  Güter  zu  Lehen,  die  dann  auch  Vogte  hiessen.    In  man- 
als  Belohnung  oder  Besoldung  für  eben  Fällen  gelaug  es,  durch  Ab- 
ihr  Amt  angesehen  wurden,  Güter,  lösung,  Verzicht  oder  Schenkung  des 


die  m  auch  mal  einen  ausserordent- 
lichen Umfang  erreichten. 

Die  Funktionen  und  Rechte  des 


Inhabers  die  Vogtei  ganz  zu  besei- 
tigen; der  Cistereienser-Orden  nahm 
für  seine  Neugründungen  das  Recht 


Vogtes  wurden  oft  durch  Verein-  der  Vogteifremeit  in  Anspruch, 
barung  oder  urkundliche  Festsetzung  Ausser  den  geistlichen  Stiftern 
bestimmt.  Nach  diesen  sollte  er  zu-  kommen  Vögte  auch  in  andern,  welt- 
lichst der  Vertreter  des  Stifts  und  liehen  Verhältnissen  vor.  So  gibt 
seines  Vorstehers  sein;  er  voll-  es  könUjIiche  Vögte,  die  es  meist  nur 
zog  Rechtsgeschäfte,  Erwerbungen,  mit  der  Vertretung  des  Königs  in 
Tausche  u.  dgl.,  führte  die  Rechts-  einzelnen  Rechtsfällen  zu  thun  haben, 
sachen.  Innerhalb  der  Immunität  Späterer  Entstehung  sind  die  Reichs  - 
ist  der  Vogt  Richter  über  die  ab-  röqte  als  Vorsteher  von  Reichsro<i- 
hängigen  Leute  des  Stifts  oder  die, {fett»,  d.h.  solcher  Territorien,  die 
welche  später  der  Gerichtsbarkeit  bei  der  Auflösung  des  Reiches  in 
desselben  unterworfen  worden  sind.  Territorien  geistliener  oder  weltlicher 
Bussen  und  andere  Gerichtsgefälle  Herren  dem  Reiche  übrig  geblieben 
erhält  er  in  dem  Umfange,  wie  sie  waren,  sei  es,  dass  freie  Keichsgüter 

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1044 


Volksbücher. 


oder  freie  Grundeigentümer  sich  er- 1  ein  liebliches  Lesen  u.dgl.,  was  darauf 
halten  hatten,  was  besonders  am  deutet,  dass  es  eben  nicht  die  Kunst- 
Rhein,  in  Schwaben,  Franken,  im  form  der  Novelle  oder  des  Romans 
Rednitzgau,  in  Südthüringen  der  Fall  war,  was  man  darin  suchte  und  fand 
war;  Reichsvoqf  hiess  der  Vorsteher  sondern  der  unterhaltende  Inhalt 
einer  städtischen,  Landvogt  einer  Derselbe  entstammt  den  allerver- 
läudlicheu  Reichsvogtei ;  aoch  er-  schiedensten  Gebieten,  dem  Orient 
hielten  sich  auch  diese  Vogteien  nicht  (sieben  weise  Meisterl,  dem  Mvthus 
lange,  teilten  vielmehr  das  Schicksal  (Genofeval,  den  höfischen  Sagen 
aller  übrigen  Landesteile  Deutsch-  kreisen  der  Franzosen  (Karolrngi- 
lands,  einzelnen  Territorien  einver-  scher  Kreis,  Artus,  Tristan),  dem 
leibt  zu  werden.  Wieder  andere  deutschen  Sagenkreis  (Hömener 
sind  Beamte  weltlicher  Fürstentümer  Siegfried),  dem  Volkswitz  (Eulen- 
und  landesherrlicher  Territorien;  es  sniegel),  wobei  aber  alles  der  naiv«  n 
sind  Stellvertreter  des  Landesherm,  Weise  der  Zeit  gemäss  in  die  An 
die  davon  den  Namen  Landrogt  tra-  schauung,  Lebens-,  Denk-  und  Em 
gen,  und  handhaben  wie  ehemals  der  pfindungsweise  der  Gegenwart  ge^ 
Graf  die  hohe  Gerichtsbarkeit.  End-  stellt  ist,  so  zwar,  dass  sich  oft  unter 
lieh  haben  auch  die  S/Vn/te  regelmässig  der  meist  unscheinbaren  Hülle  der 
ihren  Vogt  gehabt;  es  ist  Ursprung- 1  Begebenheit  grosse  Lebensweisheit, 
lieh  niemand  anders  als  ein  oder  der  tiefe  Einsicht  in  das  Wesen  der 
Vogt  des  Bischofs ,  auf  dessen  Ge-  menschlichen  Seele  verbirgt :  auch 
biet  die  Stadt  liegt  und  in  dessen  1  die  Erzählungsart  erinnert  an  dk 
Händen  die  gräfliche  oder  hohe  Ge-  I  Plastik  der  Holzschnitte  jener  Zeh 
richtsbarkeit  liegt,  dem  Schultheiss  Übrigens  lässt  sich  der  Begriff  der 
oder  dem  Nachfolger  des  Gentenars  Volksbücher  weiter  oder  enger  fassen 
gegenüber ,  dem  die  Ausübung  der  im  engern  Sinne  gehören  nur  er- 
niedernGerichtsbarkeitobliegt.  Doch  zählende  Bücher  dazu,  im  weitem 
gibt  es  Städte,  z.  B.  Köln,  wo  jener  Sinne  allerlei  andere  für  das  Volk 
aen  Namen  Burggraf  und  dieser  den  bestimmte  Schriften,  Volkslieder 
Namen  Vogt  trägt.  Seitdem  sich  Sammlungen,  Rätsel,  Sprichwörter, 
die  Städte  auf  eigene  Füsse  stellten  Traumbücher,  kurz  alles,  was  in 
und  die  Gerichtsbarkeit  von  sich  aus  Buchform  auf  den  Jahrmärkten  au?- 
an  die  Hand  nahmen,  blieb  Vogt  geboten  wurde.  Die  Veranlasser 
der  Name  für  den  Vorsteher  des  dieser  Bücher  mögen  in  den  meisten 
Rates,  wenn  dieser  als  hohes  Ge-  Fällen  unternehmungslustige  Bucb- 
richt  zusammentrat;  später  nannte  drucker  gewesen  sein,  manchmal 
man  ihn  in  den  sog.  Reichsstädten  neunt  sien  Bearbeiter  oder  Über- 
den  Reichsrogt.  TT 'aitz,  Verf.  Gesch.  setzer,  von  dessen  nähern  Umstanden 
VII,  Abschn.  12,  und  Walter,  Rechts-  jedoch  in  der  Regel  nichts  Nähere« 
geschiente.  bekannt  ist.    Die  erste  Sammlmu. 

VolksbUcher  heisst  man,  wie  es  einer  Anzahl  Volksbücher  erschien 
scheint,  erst  seit  der  Zeit  der  Roman-  unter  dem  Namen  Buch  der  JA*^ 
tiker,  Novellen  und  Romane,  welche  zu  Frankfurt  15T8  und  1587.  Di*> 
seit  den  letzten  Jahrhunderten  des  einzelnen  Bücher  wurden,  mit  Hob 
Mittelalters  die  beliebteste  Lektüre,  schnitten  versehen,  auf  den  Markte 
anfangs  mehr  der  adeligen,  später  der  verkauft,  zum  Teil  mit  der  L^nter- 
volksmässigen  Bevölkerung  waren  schrift  „gedruckt  in  diesem  .Jahr  , 
und  seit  der  Erfindung  des  Buch-  verloren  aber  mit  der  Zeit  viel  an 
drucks  als  Bücher  weit  verbreitet  ihrem  ursprünglichen  Ausdruck.  Die 
wurden;  sie  nennen  sich  selber  meist  Romantiker  wiesen  zuerst  auf  diesen 
eine  Historie  oder  ein  Buch  oder  von  der  gebildeten  Welt  ganzlich 


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Volksbücher.  1045 


verkannten  und  geringgeschätzten  6.  Barbarossa .-  ,,Ein  wahrhafftige 
Teil  der  alten  Litteratur  hin;  na-  History  von  dem  Kayser  Friedrich, 
mentlich  hat  Tieek  sich  durch  seine  der  erst  seines  Namens,  mit  einem 
Neubearbeitungen  und  Görret  durch  langen  roten  Bart,  den  die  Walsen 
sein  Werk :  „Die  teutschen  Volks-  nennten  Barbarossa,"  Landshut  und 
bücher.  Nähere  Würdigung  der  Augsburg  1519.  Das  Büchlein  be- 
tonen Historien-,  Wetter- und  Arz-  richtet,  wie  Barbarossa  mit  König 
neybüchlein .  welche  teils  innerer  Philipp  von  Frankreich  und  Richard 
Wert,  teils  Zufall,  Jahrhunderte  hin-  von  England  Jerusalem  erobert,  wo- 
durch bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  bei  ein  Herzog  Eckhart  von  Bayern 
hat,"  Heidelberg  1807,  grosses  Ver-  zu  Hilfe  kommt,  der  seinen  Bund- 
dienst erworben.  Die  Volksbücher  schuh  als  Banner  aufsteckt;  bei  einem 
nach  den  besten  alten  Texten  neu  Bade  wird  Barbarossa  durch  Verrat 
bearbeitet  zu  haben ,  ist  das  Ver-  des  Papstes  vom  Sultan  gefangen, 
dienst  Simrocks:  Deutsrhe  Volks-  nach  einem  Jahr  aber  wieder  ent- 
bücher  nach  den  echtesten  Ausgaben  lassen,  worauf  er  nach  Rom  zieht, 
hergestellt.  Berlin  und  Frankfurt  um  sich  an  dem  Pap^t  zu  rächen. 
1839  ff.  Das  folgende  Verzeichnis  Es  erfolgt  aber  Versöhnung  und 
beruht  grösstenteds  auf  Goedeke's  Tod  des  Kaisers. 
Grundriss,  §  105  und  173.  7.  Der  Jf ajf t  um  Kalenberg,  eine 

1 .  Herze*!  Ernst,  gegen  Ende  des  gereimte  Schwänkcsammlung,  die 
15.  Jahrhunderts  aus  dem  ältern  Ge-  ein  sonst  unbekannter  Philipp  jrrank- 
dicht  prosaisch  aufgelöst.  Siehe  hier  furter  gegen  Ende  des  14.  Jahr- 
wiebeiden meisten  andern  Nummern  nunderte  zu  Wien  gedichtet  haben 
den  besonderen  Artikel.  soll,  die  aber  erst  seit  dem  Ende  des 

2.  Wigalou,  aus  dem  ältern  Ge-  15.  Jahrhundert  nachzuweisen  ist. 
dichte  des  Wirnt  von  Grafenberg  Erster  Druck  Frankfurt  1550. 
1472  in  Prosa  aufgelöst  und   141)3  8.  Peter  Leu,  Fortsetzung  des  Ka- 
in  Augsburg  zum  ersten  Mal  ge-  lenbergers,  verfasst  von  Achilles  Ja- 
•Iruckt.                                        \$on  Wtdmann  von  Schwäbiseh-Hall, 

3.  Tristan,  aus  dem  überarbeiteten  zuerst  Blockträger  daselbst,  später 
Gedichte  des  Eilhart  von  Oberge,  Pfaffe ;  erster  Druck  Frankfurt  ohne 
des  Vorgängers  von  Gottfried  von  Datum;  Nürnberg  1560. 
Strassburg,  in  Prosa  aufgelöst:  von  9.  Eulenspiegel,  Strassburg  1519. 
der  leut  iceyen,  die  xolichar  gereim-  10.  Die  sieheu  weisen  Meister, 
ter  bin  her  nit  genadJtabent,  hab  ich  erster  datierter  Druck  Augsburg 
ongenanter  dise  hystori  in  die  form  1473. 

nep rächt.    Augsburg..  149H.  11.  S<thmon  und  Marcelf,  Nürn- 

4.  Wilhelm  von  Österreich  ;  es  ist ,  berg  1487,  ging  auch  als  lateinisches 
dieses  eine  nur  einmal  (Augsburg  Volksbuch  um  unter  dem  Titel:  Cot- 
14  6 1  gedruckte  Prosaauflösung  eines  lationes  quas  dicuntur  fecisse  mutuo 
Gedientes,  dessen  Verfasser  Johann  rex  Solomon  sapientissimus  et  Mar- 
der Schreiber  von  Würzburg  durch  colphus  facie  deformis  et  turpissimus, 
Nachahmung  älterer  Gediente  das  tarnen,  uf  fertur,  eluquentissimus. 
österreichische  Fürstenhaus  zu  ver-^  12.  Gnseldis,  „Diss  ist  ain  epistel 
herrlichen  gedachte.                      '  Francisci  Petrarch,  von  grosser  stäti- 

5.  Die  heiligen  drei  Koniqe,  ur-  (  keit  ainer  frowen  Griselgehaissen," 
sprünglich  von  Johannes  von  Hildes-  ,  Augsburg  1471. 

heim,  starb  1375,  für  Köln  lateinisch  13.  Appollonius ,  nach  dem  La- 
bearbeitet, 135>9  deutsch  übersetzt  teinischen  des  Gottfried  von  Viterbo 
und  um  1480  zu  Strassburg  er-  ( „ron  laiin  zu  ttutsch  gemachet'1, 
schienen.  Augsburg  1471. 


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1046 


Volkskrankheiten. 


14.  Flore  und  Tilansrhefur,  nach 
dem  aus  dem  Französischen  ge- 
schöpften Romane  Filicopo  des  Boc- 
caccio, Metz  1499. 

15.  Lother  und  Malter ,  Stras- 
burg 1514. 

16.  Fortunatm,  Augsburg  1509. 

17.  Melusine,  1456  von  Thüring 
von  Ringoltingen  aua  dem  Franzö- 
sischen ubersetzt  und  zu  Strasburg 
um  1474  zum  ersten  Mal  gedruckt. 

18.  Der  Ritter  von  Tum,  nach 
französischer  Quelle  durch  Marquard 
von  Stein  übersetzt,  Basel  1493. 

19.  Pont u#  und  Sidunia,  aus  einem 
französischen  Roman  durch  Eleonore 
von  Österreich  übersetzt,  Augsburg 
1498. 

20.  Hug  Sr/mpter,  die  sagenhafte 
Geschichte  des  Hugo  Capet,  von  der 
Herzogin  Elisabeth  von  Lothringen 
aus  dem  Französischen  verdeutscht, 
Strasburg  1500. 

21.  Ii  erpin ,  ebenfalls  aus  dem 
Französischen.    Strasburg  1514. 

22.  Mayelone,  von  VeitWarbeck 
aus  dem  Französischen  ins  Deutsche 
übersetzt.  Augsburg  1535. 

23.  Ficraitras,  eine  Riesenge- 
schichte  aus  dem  Karolingischeu  Sa- 
genkreise, nach  französischer  Quelle, 
Siemern  1533. 

24.  Die  vier  Haimonslinder,  1 
Siemem  1535. 

25.  Okfarionu*,  von  Wilhelm 
Salzmann  aus  dem  Französischen 
bearbeitet,  Strassburg  1">35. 

26.  Ritter  (tatmf  ebenfalls  aus 
dem  Französischen,  Strassburg  1539. 

27.  Der  Finken  riffer ,  eine  Zu- 
sammenstellung von  Lügenmärchen, 
Strassburg  um  1560. 

28.  Claus  Xarr,  Geschichten  des 
sächsischen  Hofnarren  ebendessel-  \ 
ben  Namens,  der  von  1486  bis  1532 
lebte,  Eisleben  1572. 

29.  Jlang  dauert,  ein  zweiter 
Eulenspiegel,  beschrieben  durch  Bar- 
tholomäus Krüger,  Stadtschreiber  zu 
Trebbin  in  der  Mark,  daher  das  Buch 
auch  der  märkische  Eulenspiegel 
heisit.    Berlin  1591. 


30.  Faust,  Frankfurt  1587. 

31.  Schildbürger,  1589,  auch  /.  '- 
tenhueh  genannt. 

32.  Der  ewige  Jude,  Danxigl6<>2 

33.  Oqier,  aus  dem  Dänische 
durch  Egenberger  von  Wertheim 
übersetzt,  Frankfurt  1571. 

34.  Genofeva. 

35.  Hirtanda.  Die  beiden  letzter: 
Nummern  sind  erst  im  17.  Jahrburi 
dert  durch  den  Kapuziner  Pat  r 
Martin  von  Cochem  in  Verbindung 
mit  Griseldis  und  andern  Legend  t. 
und  Geschichten  als  ,, Auserlesenes 
History-Buch"  dem  Werke  ein«:? 
französischen  Jesuiten  nacherzählt 
worden,  haben  aber  bald  den  Ran^: 
der  beliebtesten  Volksbücher  er 
würben. 

Volkskrankheiten.        I.  tkf 

schirarze  Tod,  gemeiniglich  in  der. 
zeitgenössischen  Chroniken  ,.da« 
grosse  Sterben'4  genannt ,  ist  jei> 
furchtbare  Pestseuche,  die  1348  in 
Europa  auftrat,  bald  eine  allgemein 
Verbreitung  erlangte  und  zahlW 
Opfer  hinwegraffte.  Sie  bestand  in 
einem  hitzigen  Fieber,  begleitet  von 
Blutauswurf;  bald  erschienen  Brand 
beulen  und  schwarze  Flecken  anf 
der  Haut  (daher  der  Name:  schwarze: 
Tod»,  die  Lymphdrüsen  schwollen 
an,  Bubouen  brachen  in  den  Achsen 
und  Weichen  hervor:  in  drei  Tap"^ 
war  der  von  der  schrecklich«' 
Krankheit  Befalleue  eine  Leicb» 
Zuerst  wird  ihr  Auftreten  an  der 
Südküste  Europas  gemeldet  im  Jahn 
1348,  von  wo  aus  sie  im  Osten  durefc 
Oberitalien  Eingang  fand  in  Käm- 
then,  Steiermark  und  Asterreich,  itn 
Westen  durch  das  Rhonethal  in  der 
Schweiz  und  Burgund.  Von  Oster- 
reich griff  sie  iu  westlicher  Richtung 
hinüber  nach  Bayern,  wo  um  M.- 
ehaeli  1348  ihr  neftigeg  Auftreten 
in  Mühldorf,  einer  salzburgischei; 
Enklave  im  Bayerischen,  gemeide' 
wird;  von  hier  ist  ihr  Vorschreiten 
ein  allmähliches.  Regensbur^  wird 
erst  1350  erreicht  In  der  Scbw^ 
wird  fast  allgemein  1349  als  da* 


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Volkskrankheiten. 


1047 


Pestjahr  angegeben.  Deutschland 
sah  sich  also  zugleich  durch  einen 
Angriff'  von  Westen  her  bedroht, 
und  in  der  That  erscheint  das  un- 
heimliche Gespenst  der  durch  Bur- 
gund vorgerückten  Krankheit  in  der 
oberrheinischen  Tiefebene  früher  als 
an  den  Ufern  des  Bodensees,  die 
durch  das  vorgelagerte  Hochgebirge 
vor  der  Ansteckung  geschützt  waren. 
Strassburg  wird  im  Juni  1349  er- 
reicht, im  August  und  den  folgen- 
den Monaten  die  mittelrheiniscnen 
Städte,  Frankfurt  schon  im  August, 
Köln  nicht  vor  Mitte  September. 
Im  gleichen  Jahre  noch  erscheint 
die  Seuche  in  Preussen,  mit  Beginn 
des  Jahres  1350  in  Jütland,  Schles- 
wig und  Holstein,  so  dass  der  ganze 
nordwestliche  Teil  Deutsehlands  zwi- 
schen Elbe  und  Rhein  gleichzeitig 
von  Süden,  Westen  und  Norden  be- 
droht wird;  übereinstimmend  wird 
für  das  ganze  Gebiet  für  das 
Jahr  1350  der  Ausbruch  der  Pest 
gemeldet.  Die  landläufige  Annah- 
me ist,  dass  bis  1350  der  schwarze 
Tod  eine  pandemische  Verbreitung 
in  ganz  Europa,  mit  Ausnahme  von 
Russland  erlangt  habe.  Im  wesent- 
lichen sind  es  jedoch  die  grossen 
Handels-  und  Verkehrsstrassen,  die 
zugleich  Heerstra><sen  des  schwarzen 
Todes  wurden;  abgelegene,  vom 
Verkehr  wenig  berührte  Orte  mögen 
verschont  geblieben  s«-in.  Aber  auch 
an  grossen  und  ausgedehnten  Ge- 
bieten ist  der  erste  Ansturm  glück- 
lich vorübergegangen,  wo  durch 
hemmende  Gebirgszüge  mit  weuig 
frequentierten  Passen  dem  direk- 
ten Kontagium  eine  Grenze  ge- 
steckt war.  So  Ostfranken,  und 
weiter  ostwärts  in  gleicher  Weise 
Böhmen,  wo  die  Pest  erst  1359  und 
zwar  massig  und  sporadisch  auftrat ; 
das  kräftige  Aufblühen  dieses  letz- 
teren Gebietes  in  den  ersten  Jahren 
von  Karls  IV.  Regiment  wäre  sonst 
schwerlieh  zu  erklären,  wenn  die 
besteu  Kräfte  des  Landes  durch  den 
schwarzen  Tod  vernichtet  worden 


wären.  Ähnlich  verhält  es  sich  mit 
Schlesien;  in  Breslau  zeigt  sich  die 
Pest  erst  1372  nach  einer  glaub- 
würdigen Notiz,  und  mit  Polen,  wo 
eine  energisch  durchgeführte  Qua- 
rantäne denselben  Schutz  gewährte, 
wie  für  Ostfrauken  die  natürliche 
Grenze  von  Odenwald,  Spessart, 
Rhön  und  Thüringerwald,  und  für 
Böhmen  die  dieses  Land  umgeben- 
den Gebirgszüge. 

Eigentümlich  und  interessant  in 
bezug  auf  die  Ergründuug  der  Ur- 
sachen einer  so  furchtbaren  Heim- 
suchung ist  die  erste  wissenschaft- 
liche Grundlage,  die  derselben  ge- 
geben wurde.  In  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  fand  nämlich  eine 
Reihe  von  Erderschütterungen  statt, 
deren  Mittelpunkt  Villach  war,  wo 
am  25.  Januar  1348  ein  Erdbeben 
nicht  unerhebliche  Zerstörungen  ver- 
ursachte; in  unmittelbaren  chrono- 
logischen Zusammenhang  damit 
wird  nun  der  Ausbruch  der  Pest  ge- 
setzt, indem  man  glaubte,  der  „irdi- 
sche Dunst"  habe  sich  einen  gewalt- 
samen Ausweg  verschafft,  die  Luft 
vergiftet  und  verpestet,  und  infolge 
dieser  Luftvergiftung  sei  die  Pest 
entstanden.  Darin  sehen  wir  die 
erste  wissenschaftliche  Begründung 
des  direkten  Zusammenhanges  des 
schwarzen  Todes  mit  gleichzeitigen 
Vorgängen  im  Naturleben.  Dass 
übrigens  noch  allerlei  sonderbare 
Dinge  mit  dem  Erscheinen  der 
Krankheit  in  Zusammenhang  ge- 
bracht wurdeu,  ist  selbstverständ- 
lich bei  dem  krassen  Aberglaubeu, 
der  die  Geister  im  Mittelalter  be- 
fangen hielt.  Zum  Zorn  Gottes  üb»*r 
die  Verschlechterung  der  Mensch- 
heit kamen  astralische  Einflüsse, 
seltsame  Konjunkturen  der  Planeten 
Mars,  Jupiter  und  Saturn;  je  spä- 
ter die  Chronisten,  desto  mehr  be- 
richten sie  von  Erdbeben,  Über- 
schwemmungen, Regenfluten,  ge- 
mischt mit  Schlaugen  und  Kröten, 
Heuschreckenschwärmen ,  giftigen 
Nebeln,  unheimlichen  Himmelszei- 


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1048 


Volkskrankheiten. 


chcn,  Kometen,  Feuerkugeln,  woran  tiefe  Dunkel,  das  über  dem  schwanen 
eich  natürlich  allerlei  abergläubi-  Tod  in  pathologischer  Beziehung 
sehe  Geschichten  knüpfen.  Heckers  lag,  lichten.  „Die  heutige  medizini- 
Ansicht  ist  gleichsam  der  Schluss-  sehe  Wissenschaft  konstatiert  eine 
stein  dieser  Theorie  „der  kosmische  gewisse  Gleichartigkeit  in  dem 
Ursprung  des  schwarzen  Todes  be-  Wesen  der  sogenannten  Infekfion*- 
ruhe  in  einem  unerhörten  Aufruhr  Krankheiten.  Die  Krankheit  seihst 
der  Elemente  über  und  unter  der  wird  bei  dem  Individuum  durch 
Erde,  wie  er  in  gleicher  Ausdehnung  Aufnahme  eigentümlicher  giftiger 
nie  wiedergekehrt  sein  soll".  Auch  Substanzen  in  dem  Organismus  ver- 
Haeser  ist  der  Ansicht,  „der  schwarze  ursacht.  Diese  Substanzen  sind  »1 
Tod  ist  eingeleitet  und  vorbereitet  ihrem  Ursprünge  und  in  ihrer  che- 
dureh  die  heftigsten  Erschütterungen  mischen  Zusammensetzung  noch 
der  Erde  und  des  sie  umgebenden  nicht  völlig  ergründet.  Abertausend 
Luftkreises".  ,  fache  Erfahrungen  weisen  immer 

Wir  werden  wohl  diese  Ansich-  wieder   auf  die    mit  allgemeinen 
ten,  bei  denen  der  verpestet«-  Wind  .  sozialen  Missständen  gegebenen  Zer- 
von  1348  eine  bedeutende  Rolle  spielt,  |  setzungsherde  organischer  Stoffe  als 
als  auf  unsinnigen  Erfindungen  der  die    gemeinschaftliche   Quelle  «te 
Spateren  beruhend,  in  die  gehörigen  ,  Krankheitsgiftes."  -  Hirsch  weist  nun 
Schranken    zurückweisen    müssen.'  die  Entstehung  der  Krankheit  aussei  - 
„Die  grosse  Zahl  der  zeitgenössi-  halb  Europas  nach,  alle  Zeitgenosse:! 
sehen  Schriftsteller  wissen  bis  1348  stimmen  darin  überein.   dass  der 
so  gut  wie  nichts  von  aussergewöhn-  schwarze  Tod  sich  über  den  west- 
liehen  Vorgängen   im  Naturleben. ;  liehen  Teil  Asiens  und  über  Euro;* 
Erst  mit  dem  Herannahen  der  furcht-  und    Afrika    verbreitet    habe:  ••<» 
baren  Krankheit  tauchen  allerhand  i  werden  wir  wohl  Hirsch  unbedingt 
wüste  Gerüchte  auf:  „unter  entsetz-  beistimmen   können,    dass  wir  in 
liehen  Stürmen  seien  Kröten,  Schlan-  einigen    nordwestlichen     Gebiet« » 
gen,  Eidechsen,  Skorpionen  in  gif-  i  Hiudostans,  und  speziell  in  den  am 
tigern  Regen  auf  die  Erde  gefallen,  südlichen  Abhänge  des  Himalavii 
darauf  hätte  Blitz  und  Hagel  unzäh-  gelegenen  Provinzen  die  eigentlich 
lige  Menschen  getötet  und  schliess-  Heimat  der  unter  dem  Namen  de* 
lieh  Feuer  und  Qualm  vom  Himmel  schwarzen  Todes  bekannt  gewor- 
sehlagend  den  Rest  alles  Lebens  denen    Pestepidemien    zu  suchen 
vernichtet."    Aber  alles  soll  nach  (  haben.    Auch  über  das  Wesen  der 
dem  Avignoner  Brief  vom  27.  April  |  Krankheit  sind  wir  jetzt  im  Klaren: 
1348  vor  sich  gegangen  sein  ctrea  es  ist  eine  durch  Lungenaffektk'D 
ifmli am  majorem  in  orientalihu*  par- .  wesentlich  modifizierte  orientalische 
tihus  in  quadam  prorineia;  auch  die  Beulenpest,  deren  spezifische  Eigeu* 
anderen  Quellen  lassen  diese  Vor- ,  tümlichkeit  eben  dieLungenaffekricn 
gänge  in  angemessener  Entfernung  ist;  eine  Krankheitsform,  die  Dtcfc 
passieren  „um  zinziber  nascitur";  da-  Hirsch  vollkommen  übereinstimmt 
gegen   die  späteren  Kompilatoren  mit  der  indischen  Pest 
ziehen  sie  heran  und  machen  schliess-       Dass  die  Seuche  in  den  rasebau/ 
lieh  die  Heimat  zum  Schauplatz,  blühenden  mittelalterlichen  Städten, 
und  alles  erfährt  natürlich  die  seit-  wo  auf  verhältnismässig  gering^ 
samsten   Deutungen   und  schreck-  j  Flächenraum     grosse  Älenscnen- 
lichsten  Prophezeiungen  und  Kom-  i  massen  eingepfercht  gewesen  sein 
binationen.      Erst    die     neueren  ;  müssen,  sich  üppig  entwickeln  and 
ätiologischen    Forschungen    lassen  t  grosse     Verheerungen  anrichten 
uns   Rückschlüsse    thun    und   das  konnte,  ist  natürlich.    Mit  diesen 


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Volkskrankheiten. 


1049 


Missständen  vereinigte  sich  ein  hef- 
tiges Widerstreben  gegen  vernünftige 
Massregeln  der  Hygieine,  abscheu- 
liche Missbräuche  in  der  Handhabung 
des  Leichen  wesens ;  die  Toten  wurden 
begraben  in  Kirchen,  oder  doch 
innerhalb  der  Stadtmauern,  so  dass 
dadurch  neue  Ansteckungsherde  ent- 
standen.   Schmutz,  Elend,  Unsitt- 
lichkeit    waren    die  mächtigsten 
Bundesgenossen     des  schwarzen 
Todes,  wozu  noch  an  manchen  Orten 
anormale  Wittcrungsverhältnisse  und 
deren  Konsequenzen  mögen  hinzu- 
gekommen   sein.     Daraus  erklärt 
t*ich  die  Intensität  und  die  anhaltende 
Dauer  der  Seuchenperiode.  Hirsch 
hält   es  „für  unzweifelhaft,  dass, 
wenn  auch  nicht  alle,  so  doch  viele 
der  in  den  folgenden  Jahren  bis 
1380   beobachteten  Pestepidemien 
unter     den     Erscheinungen  des 
schwarzen  Todes  verlaufen  sind. 

Mit  Ausgang  1351  scheint  eine 
Pause  in  der  Sterblichkeit  für 
Deutschland   eingetreten   zu  sein, 

1356  wird  das  Wiedererscheinen 
des  schwarzen  Todes  gemeldet,  der 

1357  bis  an  die  Grenzen  der  Mark 
Brandenburg  und  südlich  bis  Bayern 
und  Baden  vordrang,  1358  das 
ganze  südwestliche  Deutschland  über- 
zogen hatte,  und  zwar  nach  Closner 
und  Königshofen  in  der  Richtung 
nach  Nora  und  Süd  seinen  Zug 
nehmend.  1359  und  1360  wird  die 
ganze  Nord-  und  Ostseeküste  von 
neuem  entvölkert,  gleichzeitig  Öster- 
reich zum  zweitenmale  heimgesucht, 
am  Ende  dieses  Jahrzehnts  auch 
Böhmen,  Schlesien  und  Polen. 
Ende  der  sechziger  und  Anfang  der 
siebziger  Jahre  fällt  das  dritte  Auf- 
treten der  Pest;  und  Chalin  de 
Vinario,  Arzt  in  Avignon,  stellt  die 
Fortdauer  der  Seuchenperiode  in 
Aussieht.  Bis  zum  Ausgang  des 
Jahrhunderts  vergeht  fast  kein  Jahr, 
wo  nicht  ein  „grosses  Sterben"  ge- 
meldet wird,  auch  noch  im  Anfang 
des  15.  Jahrhunderts.  Ein  genauer 
Abßchluss  lässt  sich  erklärlich  nicht 


datieren,  wir  werden  jedoch  gut 
thun,  bei  Untersuchung  der  Folgen 
nicht  über  das  14.  Jahrhundert 
hinauszugehen.  Jedenfalls  nahm 
die  Sterblichkeit ,  wo  auch  die 
Krankheit  noch  auftrat,  in  jedem 
Jahr  immer  mehr  und  mehr  ab. 

Nach  den  gleichzeitigen  Berichten 
ist  kein  Zweifel  zu  hegen,  dass  ein 
beispielloses  Entsetzen  die  Gemüter 
ergriff  und  Leidenschaften  entfesselt 
wurden,  die  sich  roh  und  gewaltsam 
äusserten;  unverkennbar  steigerten 
.«ich  t  ppigkeit,  Luxus  und  Ver- 
schwendung, zügellose  Begierden 
nach  Genuss  in  den  letzten  vielleicht 
noch  vergönnten  Augenblicken. 
Charakteristisch  sind  daher  die  seit 
Mitte  des  14.  Jahrhunderts  (1356) 
in  Deutschland  häufigen  Verord- 
nungen gegen  Kleiderluxus,  an- 
stössige  Trachten  und  Schwelgerei. 
Eine  direkte  Beeinflussung  der  Ge- 
staltung politischer  Verhältnisse 
durch  den  schwarzen  Tod  tritt  in 
geringem  Masse  zu  Tage.  Die 
rarteikämpfe  wurden  gelähmt,  die 
durch  die  Seuche  selbst  oder  die 
Angst  vor  ihr  hervorgerufene  all- 
gemeine Verwirrung  und  Bestürzung 
musste  einen  momentanen,  lähmen- 
den Druck  ausüben  auf  die  öffent- 
liche Thätigkeit.  Bestimmter  er- 
kenntlich sind  die  Einwirkungen  der 
Seuchen periode  auf  die  wirtschaft- 
lichen Verhältnisse.  Was  zuvörderst 
den  Menschenverlust  betrifft,  so  sind 
die  Zahlenangaben  des  Mittelalters 
von  sehr  zweifelhaftem  Werte.  Die 
überlieferten  Verlustziffern  für  Lü- 
beck schwanken  z.  B.  zwischen 
9000  und  80  000  Umgekommenen. 
Völlig  wertlos  sind  die  allgemeinen 
Berechnungen  der  Zeitgenossen, 
wie  Chalin  de  Vinario,  die  Verluste 
der  ersten  Epidemie  auf  60  °/0,  Guy 
de  Chauliac  auf  75  %  der  Bevölke- 
rung angibt.  Vorzugsweise  hatten, 
wie  natürlich,  die  untersten  Volks- 
schichten zu  leiden;  so  war  z.  B. 
1350  in  Westfalen  kein  Hirt  und 
kein    Schnitter   zur  Erntezeit  zu 


■ 


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1050 


Volkskraukheiten. 


finden ;  Ähnliche  Berichte  sind  in  sind  deswegen,  weil  sie  explodierend 

grosser  Zahl  zu  finden.   Eine  un-  ausgebrochen  sind,  zügellos  und  rvt. 

ausbleiblichc  wirtschaftliche  Folge  geworden.    Beide  Bewegungen,  die 

war  eine  Steigerung  der  Arbeit«-  Judenverfolgung  von  Süafrankreich 

lohne,    die   aber  wieder  reduziert  gleichzeitig  mit  der  Pest,  die  Geiasrl- 

wurde  durch  eine  beJeutende  Wert-  fahrt  im  Osten  Deutschlands,  als 

Verminderung    der    Scheidemünze,  Präventivmassregel  der  Pest  und 

hervorgerufen  durch  eine  allgemeine  zur    Besänftigung    des  göttlichen 

Verschlechterung  der  Prägung.  Ein  Zornes,  unmittelbar  vor  Ausbruch 

solcher  Zustand   musste    natürlich  des   schwarzen  Todes  ausgebend, 

dem  Kleinhandel  ganz  empfindlieh  eilen  in  ihrer  rapiden  Verbreitung 

schaden,   aber  selbst  Münzverord-  über  Deutsehland  der  Pest  voraus 

nungen,  wie  -diejenigen   der  Erz-  An  einzelnen  Orten  fallen  sie  zeit 

bisehöfe  von  Trier  und  Köln,  sowie  lieh  zusammen,  wie  Pest  und  Geisse, 

die   Bemühungen    Karls  IV.    ver-  fahrt  in  Strasburg,  in  Flandern 

mochten  dem  drückenden  Übel  nicht  zuweilen  tritt  an  einem  Orte  die 

abzuhelfen.    Dagegen  wusste  sieh  Pest  auf,  ihr  folgte  die  Judenver- 

der    deutsehe     Grosshandel     zu  folgmnj,   hervorgerufen  dureh  die 

sichern   durch   Hinübernahme  des  unsinnige  Mär  von  der  Brunnen 

den  Kursschwankungen  weniger  Vergiftung  durch  die  Juden,  oder 
unterliegenden  rlorentinisehen  Gold-  ,  der  Fanatismus  der  Geissler  schürt- 
guldens.    Im  allgemeinen  aber  be- !  den  Judenhass  wie  in  Frankfurt  aM  . 

merken  wir,  nachdem  der  allgemeine  Köln,  Breslau;  im  allgemeinen  ahe: 

Ausgleich  der  Bevölkerungsverhalt-  werden  die  Juden  vorher  die  Opfer 

nisse  der  wirtschaftlichen  und  ge-  der  blinden  Verfolgungswut.  Die 

schäftlichen  Stockung  wieder  Ab-  Geisseifahrten  erreichen  schon  ihr 

hilfe  verschafft  hatte,  in  den  Städten  Ende,  bevor  auch  nur  die  Halft'- 

besonders   einen   raschen   und  er-  deutschen  Gebietes  vom  schwarzen 

freulichen  Aufschwung  und  Fort-  Tod  überzogen  ist;  Juden  Verfolgung 

schritt.    Zudem  fallt  in  diese  Zeit  und  Geisseifahrt  treten  auch  da  auf. 

auch  die  Stiftung  der  ersten  deut-  wo  die  Krankheit  bei  ihrem  ersten 

sehen    Universitäten,    Prag    1348,  Verwüstungszug  durch  Deutschland 

Wien  13*55,  Heidelberg  13s6t  Köln  vorbeizog. 

13S9,    Erfurt   1392.     „Die  zweite       Noch  zu  erwähnen  haben  wir. 

Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  ist  die  dass  sich  auch  die  Kirche  die  all- 

Zeit,  in  der  der  deutsche  Handel  gemeine  Todesangst  zu  Nutze  n 

den  Weltmarkt  zu  erobern  beginnt,  machen  wusste,  wovon  eine  Unzahl 

In  immer  steigendem  Masse  erblüht  von  Testamenten  und  Immunitäten 

Handel  und  Industrie,  und  selbst  beredtes  Zeugnis  ablegen:  niemals 

Künste  und  Wissensehaft  gelangen  war  der  klingende  Erfolg  grosser 

wieder  zu  neuen  Ehren."    Am  all-  als   13"»0,  als  Clemens  VI.  einen 

gemeinen  Charakter  des  14.  Jahr-  Jubiläumsablass  ausschrieb  und  ein« 

Kunderts  ..dieser  wilden  gährenden  ungeheure  Menschenmenge  in  Rom 

Zeit  voll  gewaltiger  Impulse  und  zusammenströmte.     Ferner  wuchs 

roher    Leidenschaften"    hat    der  der  Grundbesitz  und  das  Vermögt' 

schwarze  Tod  nichts  geändert.    Die  der  Kirchen  und  Klöster  an,  was 

Anarchie  in  den  Jahren  134s — 50  sich   offenbarte  in  der  eminenten 

hat  gewiss  die  Pest  verschuldet,  und  Bauthätigkeit  nach  dem  Ausbruch 

gewiss  stehen  Geisseifahrt  und  Juden-  der  Pest. 

Verfolgung  mit  ihr  im  Kausalzu-       Fassen  wir  die  Geschiebte  des 

sammenhang.    Aber  beide  beruhen  14.  Jahrhunderts  zusammen:  „Für 

auch  im  Charakter  der  Zeit  und  die  politische  Geschichte  ist  der 


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Volkskrankheiten.  1051 

schwarze  Tod  fast  bedeutungslos  erhoben  sich  acht-  und  zehnjährige 
geblieben.  Der  enorme  Menschen  Propheten  und  führten  dem  jungen 
verlust  hat  auch  den  mächtigen  Strphanus  ganze  Heere  der  von 
Aufschwung  von  Handel  und  In-  der  Bewegung  fortgerissenen  Kin- 
dtistrie,  die  glänzende  Entwicklung  derwelt  zu,  deren  Fanatismus  nichts 
der  deutschen  Städte  nicht  aufhalten  zu  bändigen  im  stände  war.  So 
können,  und  was  sich  von  der  angeb-  waren  bald  30  000  bewaffnete  und 
liehen  Verwilderung  des  Mensehen-  unbewaffnete  Kinder  beisammen, 
g<  schlechtes  unter  den  Schrecken  die  unter  der  Führung  des  heiligen 
und  Freveln  der  Pestzeit  zu  erkennen  Stephan u 8  zur  Eroberung  Jerusa- 
riht,  bewegt  sieh  völlig  in  dem  Leina  auszogen;  keine  Beschwerde 
Charakter  der  Zeit,  nna  tritt  iu  der  Pilgerreise  vermochte  ihre  hei- 
älinlicher  Webe  schon  vor  dem  lige  Begeisterung  und  Andacht  zu 
Ausbrueh  des  schwarzen  Todes  zu  ersticken.  In  Marseille  wurden  die 
Tage.  Nirgends  tritt,  wenn  wir  jungen  Pilger  auf  sieben  Schiffen 
allenfalls  von  der  Entstehung  der  eingeschifft  von  denen  jedoch  zwei 
Sanitätspolizei  absehen,  in  der  Ent-  mit  den  darauf  befindlichen  Kin- 
wickelung  der  Verhältnisse  ein  Im-  dern  untergingen;  die  anderen  fünf 
puls  zu  Tage,  der  nicht  schon  vor-  lieferten  ihre  Insassen  schmählich 
Wr  wirksam  gewesen  wäre,  und  den  Sarazenen  als  Sklaven  in  die 
kein  neuer  Gesichtspunkt  macht  sich  Hände.  Nicht  so  übel  erging  es 
iu  der  Gestaltung  der  Dinge  be-  den  jungen  Kreuzfahrern  in  Deutsch- 
merkbar."  land,  wo  sich  die  Bewegung  ebenso 

Nach  /)/•.  Ruhrrf  JTonifjer,  Der  mächtig  zeigte  und  unter  ähnlichen 

hwarze  Tod  in  Deutschland.   Ein  Umständen  verlief.  Hier  zogen  zwei 

Beitrag    zur   Geschichte    des    14.  Heereshaufen,   die    an   Zahl  den 

Jahrhunderts.  Berlin  18H2.  französischen  Zug  wohl  noch  über- 

II.  Kin »Irrfahrten.  Heeker  be-  stiegen,  dem  Meere  zu,  das,  wie 
zeichnet  sie  in  Verbindung  mit  der  auch  sie  zuversichtlich  glaubten. 
Tanzwut  als  die  Psychopathien  des  vor  ihnen  zurücktreten  würde,  so 
Mittelalters.  Die  g'rossartigstc  Er-  dass  sie  trockeuen  Fusses  das  hei- 
ßt heinung  dieser  Kmderfahrten,  die  lige  Land  erreichten.  Der  eine 
ihren  Ursprung  im  religiösen  Enthu-  Haufe,  unter  der  Führung  eines 
siasmus  und  in  der  Gemütserregung  gewissen  Nikolaus  von  unbekannter 
der  Zeit  haben,  ist  der  Kinder-  Herkunft,  wandte  sich  über  den 
kreuzzug  vom  Jahre  1212.  Die  Mont  Cenis  und  erreichte  im  Au- 
Idee  der  Wiedereroberung  des  hei-  gast  in  der  Zahl  von  noch  "000 
ligen  Landes,  das  schon  wieder  in  Teilnehmern  Genna.  Die  Genueser 
die  Hände  der  Sarazenen  gefallen  öffneten  ihnen  jedoch  erst  nach 
war,  ergriff  die  Gemüter  mit  er-  einigen  Unterhandinngen  die  Thore 
neuter  Heftigkeit,  und  bei  der  da-  am  24.  August;  aber  schon  waren 
maligen  Stimmung  konnten  über-  viele  der  Kreuzfahrt  müde,  sie  such- 
spannte  Ausbrüche  derselben  nicht  ten  und  fanden  gastliche  Aufnahme 
ausbleiben.  Den  ersten  Anstoss  gab  und  blieben  iu  Genua  zurück.  Die 
ein  Hirtenknabe  Etieune,  aus  dem  anderen,  genötigt  nach  einigen  Ta- 
Dorfe  Cloies  bei  Vendöme:  er  hielt  gen  die  Stadt  zu  verlassen,  zer- 
sich  für  einen  Abgesandten  des  streuten  sich  nach  verschiedenen 
Herrn,  der  ihm  erschienen  sei,  von  Richtungen.  Viele  versuchten,  sich 
ihm  Brot  genommen  und  einen  nach  Deutschland  durchzusehlagen, 
Brief  an  den  König  gegeben  habe,  die  wenigen,  denen  es  gelang,  wur- 
1  >ie  Hirtenknaben  der  Umgegend  den  dort  mit  Hohn  und  Spott  ein- 
strömten ihm  in  Scharen  zu,  taglich  pfangen.  Ein  Teil  blieb  jedoch  sei- 


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1052 


Volkskrankheiten. 


nein  Vorhaben  treu,  durchzog  in  eine  neue  Volkskrankheit  in  Deutsch- 
verschiedenen  Haufen  Italien;  eine  land,  die  Tanzwut.  Schon  1374  ka 
Anzahl  Knaben  wallfahrtete  nach  men  in  Aachen  Männer  und  Frauen 
Rom  und  musste  dort  dem  Papste  an,  die  in  Kirchen  und  Strassen 
das  Gelübde  ablegen,  wenn  sie  ner-  dem  Volk  ein  seltsam  Schauspiel 
angewachsen  seien,  einen  Kreuzzug  darboten.  Stundenlang  tanzten  aie 
abzulegen.  Von  dem  anderen  Kin-  in  geschlossenen  Kreisen  in  wilder, 
derheer  haben  wir  keine  Kunde,  bacchantischer  Raserei,  bis  sie  vor 
auch  den  Namen  des  Führers  kennen  Erschöpfung  niederfielen.  Dann 
wir  nicht.  Es  nahm  seinen  Weg  klagten  sie  über  Beklemmungen, 
über  den  St.  Gotthard,  wurde  aber  bis  man  ihnen  den  Unterleib  mit 
in  der  Lombardei  mit  eisiger  Kälte  i  Tüchern  zuschnürte,  oder  mit  Faust- 
aufgenommen;  viele  kamen  um,  schlagen  und  Fusstritten  von  ihrem 
die  Stärksten  uud  Gläubigsten  Leiden  half,  worauf  nach  einiger 
gelangten  nach  Brindisium,  wo  sie  Zeit  ein  neuer  Anfall  sie  in  den 
Sarazenen  als  willkommene  Beute  früheren  entsetzlichen  Zustand  zu- 
in  die  Hände  fielen.  ,  rück  versetzte.  WTahrend  des  Tanzes 

Ein  Zeichen  der  Erregung  in  i  hatten  sie  Erscheinungen,  einige 
der  Kinderwelt  dieser  Zeit  ist  eine  sahen  den  Himmel  offen  mit  den 
zweite  Kinderfahrt,  die  sich  aber  Heiland  und  der  Maria.  Die  An- 
auf  die  Stadt  Erfurt  allein  be-  j  falle  begannen  mit  fallsüchtig^ 
schränkte.  Am  15.  Juli  1237  ver- !  Zuckungen;  die  von  diesen  Beba:- 
liessen  gegen  1000  Kinder  tanzend  teten  fielen  bewusstlos  und  sehnst  • 
und  springend  die  Stadt  und  wan-  bend,  Schaum  vor  dem  Mund,  zo 
derten  über  den  Steigerwald  nach  Boden,  dann  sprangen  sie  auf  und 
Arnstadt.  Am  folgenden  Tage  wur-  begannen  ihren  Tanz  unter  dru 
den  sie  von  ihren  Eltern,   die  in-  schrecklichsten  Verzerrungen.  Die 


zwischen  den  Vorgang  erfahren 
hatten,  wieder  abgeholt;  viele  sollen 


Krankheit  verbreitete  sich  bald  von 
Aachen  aus  über  die  Niederlande. 


noch  lange  nachher  krank  gewesen  wo  die  heran  wachsende  Schar  der 
und  namentlich  an  Zittern  der  Glie-  Johannistäuzer  allmählich  Beson- 
der gelitten  haben.  Der  ganze  Vor-  nis  erregte  und  man  anfing,  z° 
fall  ist  in  seinen  Ursachen  dunkel;  Beschwörungen    und  Bittgebeten 


noch  dunkler  eine  Kinderfahrt  vom  seine  Zuflucht  zu  nehmen,  um  zu 

Jahre  1458,  deren  Motive  offenbar  verhüten,  dass  die  Krankheit  auch 

religiöser  Natur  waren.    Sie  galt  die  höheren  Stände  ergriff'.  Einm 

der  Verehrung  des  Erzengels  Mi-  Monat  später  als  in  Aachen  war 

chael.    Mehr  als  100  Kinder  aus  die  Tanzsucht  auch  in  Köln,  wo 

Hall  in  Schwaben  wanderteu  wider  j  500    Menschen    von    ihr  befallen 

Willen  ihrer  Eltern  nach  der  da-  wurden,  und  in  Metz,  wo  die  Zahl 

mala    weltberühmten ,    jetzt    zum  sogar  auf  1100  anstieg.  Landleut*. 

Staatsgefangnis  gewordenen  Abtei  Handwerker,  Dienstboten,  Knaben 

St.  Michel  in  der  Normandie,  wo  und  Mädchen,  verheiratete  und  un- 

sie  auch  wirklich  angekommen  sein  verheiratete  Frauen  schlössen  sich 

sollen.  Der  Magistat,  der  die  Fahrt  j  dem  unheimlichen  Reigen  an,  der 

nicht  hindern  konnte,  gab  ihnen  bald  zur  Brutstatte  wilder  Begier 


wenigstens  einen  Führer  und  einen  den  und  Leidenschaften  wurde.  Er?* 
Esel  zum  Tragen  des  Gepäcks  mit.  nach  vier  Monaten  gelang  es,  die- 
Weitere  Nachrichten  fehlen.  ses  dämonischen  Treibens  in  den 
III.  Die  Tanzwut.  1.  St.  Jo-  rheinischen  Städten  Herr  zu  werden. 
hannstanz.  Bald  nach  dem  Wüten  ohne  jedoch  seine  gänzliche  Ver- 
des schwarzen  Todes  verbreitete  sich  nichtung  zu  erreichen.    Die  Beoe- 


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Volkskrankheiten. 


1053 


huug  Johannes  des  Täufers  zur 
Tanzwut  ist  folgende:  Seit  den  äl- 
testen Zeiten  feiert«*  man  den  Jo- 
hannistag mit  allerlei  sonderbaren, 
wilden,  heidnischen  Gebräuchen. 
Die  Deutsehen  verlegten  den  uralten 
heidnischen  Gebrauch  der  Notfeuer 
auf  diesen  Tag,  wobei  ein  wilder, 
bacchantischer  Tanz  aufgeführt 
wurde,  eine  Erscheinung,  die  sich 
auch  bei  anderen  Völkern  zeigte. 
Es  liegt  nun  die  Vermutung  nahe, 
dass  die  ausgelassene  Feier  von 
1374  den  Anstoss  zum  Johannis- 
tanz gab,  da  die  Tänzer  immer 
den  Namen  des  heiligen  Johannes 
im  Munde  führten. 

2.  Der  St.  Veitstanz.  Im  Jahre 
1418  erschien  in  Strassburg  der 
gleiche  Wahnsinn  wie  in  den  rhei- 
nischen und  belgischen  Städten; 
hier  nahm  sich  üer  Magistrat  der 
Kranken  an  und  Hess  sie  in  ein- 
zelnen Haufen  nach  den  Kapellen 
des  heiligen  Veit  nach  Zabern  und 
Rotestein  geleiten,  wo  ihnen  durch 
Messen  und  anaere  heilige  Ge- 
bräuche, einen  feierlichen  Umzug 
um  den  Altar  und  kleine  Opfer 
von  ihrem  Almosen  Heilung  erneht 
werden,  sollte;  viele  genasen  wirk- 
lich. Über  St.  Veit,  einen  der  14 
„Nothelfer",  geht  folgende  Legende: 
er  habe,  ehe  er  sich  unter  das 
Schwert  gebeugt,  zu  Gott  gebetet, 
er  möge  alle,  die  seinen  Abend 
fasten  und  seinen  Tag  feiern,  vor 
dem  Tanz  bewahren,  und  darauf 
eine  Stimme  vernommen:  „Sankt 
Vite,  du  bist  erhöret".  So  wurde 
St.  Veit  der  Schutzheilige  der  Tanz- 
süchtigen. Diese  Tanzsueht  ist  übri- 
gens keine  neue  Erscheinung.  Wir 
werden  nicht  umhin  können,  jene 
Kinderfahrt  von  1237  in  Erfurt  als 
eine  Form  der  Tanzwut  zu  erklären. 
Ein  ähnlicher  Vorfall  hatte  sich 
ereignet  in  Utrecht  am  17.  Juni 
1278,  wo  200  Tänzer  auf  der  Mo- 
selbrücke nicht  aufhören  wollten 
zu  tanzen,  als  bis  ein  Priester  den 
Leib  Christi   zu   einem  Kranken 


vorübertrüge:  allein  die  Brücke 
brach  vorher  und  alle  ertranken. 
1201  wurde  von  18  Landleuten  auf 
dem  Friedhof  der  Klosterkirche 
Kolbig  bei  Bernbnrg  durch  Lärmen 
und  Tanzen  der  Gottesdienst  in 
der  Christnacht  gestört,  worauf  der 
Priester  Ruprecht  den  Fluch  über 
sie  habe  ergehen  lassen,  ein  Jahr 
lang  zu  schreien  und  zu  tanzen.  Dies 
sei  wirklich  in  Erfüllung  gegangen, 
bis  sie  durch  das  Gebet  zweier 
frommer  Bischöfe  erlöst  worden 
seien.  Ein  Zeichen  mittelalterlicher 
Roheit  ist  auch  ein  auf  diesen 
Fluch  wohl  zurückgehendes,  jetzt 
längst  untergegangenes  Sprichwort: 
„dass  dich  Sanct  Veitstantz  an- 
komme1'''. Eine  Ursache  für  diesen 
Tanz  wurde  gefunden  in  der  un- 
kräftigen Taufe  unzüchtiger  Priester. 
Dass  für  den  Klerus  hieraus  grosse 
Gefahr  entsprang,  ist  leicht  zu  er- 
klären, und  derselbe  suchte  sich 
gegen  den  allgemeinen  Unwillen 
durch  Beschwörungen  zu  helfen, 
die  aber  ebensowenig  nützten,  wie 
die  Gebete  am  Altare  St.  Veits. 
Denn  von  der  Heftigkeit  der  Tanz- 
sucht geben  uns  Beschreibungen 
aus  dem  16.  Jahrhundert  lautes 
Zeugnis,  wo  sie  eigentlich  schon  im 
Abnehmen  begriffen  war.  Die  mil- 
dere Form  war  häutiger,  seltener  die 
heftige.  Damals  sollen  sich  viele  an 
Ecken  und  Wänden  die  Köpfe  zer- 
schmettert oder  sich  in  Flüsse  ge- 
stürzt haben,  wo  sie  den  gesuchten 
Tod  fanden.  Sie  konnten  nicht  an- 
ders gebändigt  werden,  als  dass  man 
die  Rasenden  mit  Tischen  und  Stühlen 
umstellte  und  sie  so  zu  hohen  Sprün- 
gen zwang,  dass  sie  bald  in  äusser- 
ster  Erschöpfung  zu  Boden  stürzten. 
Selbst  hochschwangere  Frauen  sah 
man  ohne  Schaden  der  Leibesfrucht 
an  dem  tollen  Tanze  teilnehmen. 
Dass  lebhafte  Musik  die  Erregung 
steigerte,  liegt  im  Wesen  der  Krank- 
heit. Magistrate  mieteten  daher  oft 
Musikanten,  um  die  Anfälle  rascher 
vorbeizuführen.    Es  mussten  auch 


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1054 


Volkskrankheiten. 


Verbote  erlassen  werden  gegen  das 
Tragen  der  roten  Färbt',  welche  die 
Wut  und  Raserei  der  Kranken 
hervorrief.  Allmählich'  wich  die 
Krankheit  nun  doch  zurück,  wenig- 
stens kamen  Wanderungen  von  Staut 
zu  Stadt  nicht  mehr  vor.  Manche 
wurden  auch  nur  alljährlich  betallen. 
Den  ganzen  Juni  vor  dem  Johannis- 
fest  fühlten  sie  Unruhe  und  Uube- 
haglichkeit,  Schmerzen  trieben  sie 
unstät  umher.  Sehnlich  erwarteten 
sie  den  Vorabend,  um  vor  dem 
Altar  des  hl.  Johannes  oder  des  hl. 
Veit  zu  tanzen.  Zwei  Kapellen  des 
letztern  waren  besonders  besucht, 
die  eine  in  Bienen  bei  Breisaeh,  die 
andere  in  Wasenweiler.  Wenn  sie 
mit  einem  dreistündigen  Tanze  den 
Forderungen  der  Natur  genüge  ge- 
than  hatten,  blieben  sie  das  ganze 
Jahr  unangefochten.  Im  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts  war  die  Tanzwut 
seltener.  1(523  berichtet  man  noch 
von  Frauen  in  Drefelhausen  bei 
Weissenstein  im  Ulmer  Gebiet,  die 
alljährlich  zu  den  Kapellen  des  hl. 
Veit  hinwanderten,  um  ihre  Tanz- 
anfalle abzuwarten  und  dann  Tag 
und  Nacht  bis  zur  Erschöpfung  zu 
tanzen.  Allmählich  verschwindet  sie 
ganz  bei  der  zunehmenden  Aufklä- 
rung der  Geister.  Gleichseitig  und 
in  sehr  naher  Beziehung  zum  Veits- 
tanz trat  in  Italien  der  Jlaranfmnus 
auf,  der  in  Italien  im  17.  Jahrhun- 
dert seine  höchste  Höhe  erreichte, 
als  der  Veitstanz  schon  erloschen  war. 

IV.  Der  englische  Schweix»  ist 
jene  heftige  Krankheit,  die  nach  der 
Schlacht  bei  Bogworth  im  siegreichen 
Heere  Heinrich  VII.  ausbrach,  in 
den  ersten  Tagen  des  August  14hG. 
,,Es  war  ein  überaus  hitziges  Fieber, 
das  nach  kurzem  Froste  die  Kräfte 
wie  mit  einem  Schlage  vernichtete, 
und  während  schmerzhafter  Magen- 
riruck,  Kopf weli  und  schlafsüchtige 
Betäubung  hinzutraten,  den  Körper 
in  übelriechenden  Schweiss  auflöste. 
Dies  alles  geschah  innerhalb  weniger 
Stunden  und  niemals  blieb  die  Ent- 


scheidung iiber  Tag  und  Nacht  in 
Unerträglich  war  den  Kranken  \\t 
innere  Hitze,  doch  brachte  ihneu 
jede  Abkühlung  den  Tod."  Kaum 
war  der  König  in  London  angelaitf. 
da  brach  bald  nachher  am  zl.Scp» 

[  tember  auch  hier  die  Krankheit  in 
und  wütete  furchtbar  bis  Ende  uk- 
tober.  Dann  verschwand  sie  wie«!  : 
bis  sie  im  Sommer  1507,  aber  obn 
bedeutende  Sterblichkeit  und  vxs 
von  kurzer  Dauer,  in  London  wieder 
auftrat.  Bei  ihrem  dritteu  Auftrete:, 
in  London  im  Juli  151S  fordert.-  sie 
zahllose  Onfer,  verbreitete  sich  aui  . 
während  des  ganzen  AVinters  in  da 
meisten  englischen  Städten.  In  <K"J 
letzten  Tagen  des  Mai  152t«  trat  ^ 
in  der  Hauptstadt  mit  derselben  He: 
tigkeit  auf  wie  lölfS,  die  Menscht 
Verluste  lassen  sich  bei  ihrer  rascltf> 
und  allgemeinen  Verbreitung  nkfc" 
beziffern.  Gegen  den  25.  Juli  «r 
schien  sie  zum  ersten  Mal  in  H» 
bürg  und  erregte  eine  allgemeuj' 
Bestürzung.  Ein  Schiffer,  N*an):<- 
Hermann  Evers,  soll  aus  Eariad 
zurückgekehrt  sein,  mit  jungen 
ten,  von  denen  12  in  zwei  Tagen  J«f 
Seh weisssucht  erlagen. 

In  der  Nacht  nach  der  Ankuii:: 
starben  in  Hamburg  4  Personen, 
dann  täglich  40—60,  während 
JHägigcn  Dauer  der  Krankheit,  h 
Lübeck  starb  am  3o.  Juli  eine  Frau 
daran,  dann  folgte  eine  reisscu^' 
Zunahme  der  Todesfälle.  In  * 
gleiche  Zeit  fallt  ihr  Ausbruch  ■ 
Rostock,  Boitzenburg,  Zwickau;  i° 
letzterem  Orte  wurden  am  U.Aqg*" 
19  Todte  beerdigt,  in  der  Nacht  er 
krankten  schon  100  Mensehen.  0 
gen  Ende  August  und  Anfanc  l*Jj 

I  tember  tritt  die  Schweisssuclit  ;i&: 
inStettin (31. August i,  Danzigil  ^P 

I  tember),  in  der  ISlark  Branden!»"1* 

|  Schlesien,  Augsburg  (6.  SeptenuVr 
Köln  (  7.  September),  Frankfurt  »  >' 

I  Marburg,  Göttingen,  Eimbeck,  Lüne 
bürg  u.  s.  f.  In  Strassburg  war  »i 
schon  am  24.  August  In  Preu*s«> 

I  starben  etwa  30  000  Menschen  dahin, 


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Volkslied.  1055 

in  Augsburg  iji  «  Tagen  800.  In  geführt,  weil  die  Furcht  vor  der 
Strasburg  waren  3000  krank,  aber  neuen  Krankheit  die  Ketzer  ergriffen 
nur  wenige  starben.    Der  einzige  hätte. 

Kranke  in  Marburg  genas.  Autfal-       Was  die  Arzte  dieser  Zeit  betrifft, 
lend  ist,  dass  die  Niederlande ,  wo  so  verordneten  die  unwissenden  und 
der  Verkehr  mit  England  ungleich  erwerbslustigen,  da,  wo  der  gesunde 
bedeutender  war,,  erst  vier  Wochen  Sinn  des  Volkes  uicht  dagegen  auf- 
sjiiiter  ergriffen  wurden ,  auch  hier  kommen  konnte,  in  einer  Fülle  von 
wie  in  Deutschland  ist  die  Zeit  ihres  Flugschriften  das  unsinnige  24stün- 
Verweilens  eine  beispiellos  kurze,  dige  Schwitzen,  wodurch  die  Krauken 
Ihr  Auftreten  fällt  in  Dänemark  in  gleichsam   tot  geschmort  wurden; 
die  letzten  Tage  des  September,  von  und  eine  Unmasse  von  Pillen,  Lat- 
da  wanderte  sie  auch  iu  die  skan-  wergen,  Tinkturen,  Aderlässe,  Ab- 
dinavische  Halbinsel  hinüber.    Am  führungen,  herzstärkende  Arzneien 
spätesten  tritt  sie  in  der  Schweiz  gaben  dem  Volk  alle  möglichen  und 
auf.  in  Basel  im  Spatherbst,  nachher  unmöglichen  Geheimmittel ,  wobei 
von  hier  aus  in  Solothurn  und  Bern,  sie  natürlich  gute  Geschäfte  mach- 
Während  die  Verluste  in  Basel  be- 1  ten.   Gegen  diesen  Unsinn  erhob 
deutend  waren,  starben  in  Bern  von  sich  aber  doch  eine  gesunde  ener- 
Erkrankten  nur  drei.  DieErschüt-  fische  Reaktion,  die  dem  englischen 
terung  der  Gemüter  war  über  alle  Verfahren  bald  die  verdiente  An- 
Beschreibung heftig,  sie  wurde  noch  erkennung    verschaffte    und  der 
♦  rhoht  durch  haarsträubende  Erzäh-  Krankheit  Einhalt  that. 
luiigen  von  den  Qualen  der  Kranken.  I      Am  15.  April  1557  erschien  der 
Hierzu    kam     der    unglückselige  alte  Erbfeind  des  englischen  Volks 
Wahn,  wer  von  der  Krankheit  er-  wieder,  und  zwar  zum  letzten  Mal, 
griffen,  entrinnen  wolle,  müsse  24  in  Shrewsbury,  verbreitete  sich  als- 
*tunden  unablässig  schwitzen,  wäh-  bald  über  ganz  England  bis  an  die 
•end  gerade  in  England  allgemein  schottische  Grenze,  und  rarfte,  keinen 
der  Rat  half:  massige  Erwärmung,  Stand  verschonend,  eine  sehr  bedeu- 
keine  Nahrung,  nur  mildes  Getränk,  teude  Menschenmenge  hinweg, 
keine  starken  Arzneien,  ruhig  24  Stun         Deutschland    wurde  verschont, 
den  ausharren  bis  zur  Entscheidung,  i  und  es  liegt  nahe,  die  Eigentümlich- 
Viele  beherrschte  auch  die  Einbil-  keit  der  englischen  Atmosphäre  und 
düng,  vom  englischen  Sch weiss  be-  der  Bodenbeschaffenheit  als  Grund 
fallen  zu  sein,  so  dass  sie  unter  einem  aufzufassen.  Seitdem  ist  die  Krauk- 
oerg  von  Betten,  auf  den  sich  noch  heit  nicht  wieder  erschienen.  —  Nach 
einige  Gesunde  oft  legten,  ihren  Tod  HeckerAxe  grossen  Volkskrankheiten 
fanden.  Nicht  zu  vergessen  ist,  dass  i  des  Mittelalters,  herausgegeben  von 
in  dieser  Zeit  der  Glaubenskämpfe  i  Hirsch.    Berlin  1865.  Vgl.  Haeser, 
der  Seuche  eine  besondere  Beden-  Lehrbuch  der  Geschichte  der  Me- 
tung  zugeschrieben  wurde.  Die  Volks-  dizin.  Uber  den  Aussatz  siehe  den 
Krankheit  wurde  als  Geissei  Gottes  besondern  Artikel, 
hingestellt,  und  die  päpstliche  Partei       Volkslied.  Der  Name  Volkslied 
bemühte  sich  auf  alle  Weise,  sie  stammt  erst  aus  dem  18.  Jahrhun- 
atn-zuschreieii  als  offenbare  Abmah-  dert  und  kam  auf,  seitdem  Herder 
nung  vom  Luthertum ,  wobei  man  den  Unterschied  von  Kunst-  und 
sieh  natürlich  auch  der  Unwahrheiten  Volksdichtung  als  den  für  das  Wesen 
"|<  ht  scheute.  So  wurde  behauptet,  der  Poesie  eingreifendsten  zu  betonen 
die  Zusammenkunft  der  Reforma- ,  begann.   Den  Romantikern,  nament- 
toren  in  Marburg  am  2.  Oktober  lieh  Achim  von  Arnim  und  Klemens 
hätte  deshalb  zu  keiner  Einigung  Brentano,  den  Verfassern  von  „Des 


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1056  Volkslied. 


Knaben  Wunderhorn"  und  den  bald  Volksdichtungen    oder  künstlich* 

darnach   auftretenden   Begründern  Nachahmungen  derselben.  Di^ 

der  deutschen  Literaturgeschichte  Art  sind  der  Heliand  und  die  Er<t 

verdankt  man  die  Untersuchung  über  gelienha-rmonie  Off  rieth,  der  Lekt 

die  Entstehung  und Entwickelung des  auf  den  heiligen  Petrus,  das  Li- 

Volksliedes;  so  reich  nunmehr  die  von  der  Samariterin,  die  ebenfal! 

Sammlungen  von  Volksliedern  ge-  in  Leichform  gedichteten  Legende 

worden  sind,  so  fehlt  immer  noch  vom  heiligen  Georg  und  vom  hr: 

eine  eingehendere  Monographie  über  ligen  Gallus.  Was  zwar  dein  Volk? 

dieses  Litteraturgebiet;  die  herrlichen  gesang  jetzt  wesentlichen  Abbrc 

Abhandlungen  I'htands   über   das  tliat,  warder  Umstand.  dass  ?;< 

Volkslied,  die  den  dritten  Band  seiner  jetzt  das  ganze  Gebiet  der  wü^r 

Schriften  bilden ,  sind  leider  Frag-  schaftlichen  und  damit  der  feuvr--- 

ment  geblieben.  Geisteskultur  überhaupt   von  ihn 

In  seiner  Entstehung  knüpft  das  j  absonderte  und  in  die  ,  vorlaut 

Volkslied  an  die  älteste  Dichtung  lateinische  Prosa  überging.  Do«l 

überhaupt  an,  wonach  alle  Dichtung  hörte  der  Volksgesang  nicht  au? 

Volksdichtung  und  alle  Volksdich-  nur  wurde    er   selten    durch  -h- 

tung  Gesang  ist.  Lieder  mythischen  Schrift  überliefert.  Historische  Volk? 

Inhalts  wurden  vom  begleitenden  lieder  geschichtlicher  Natur,  die  gt 

Volke  bei  religiösen  Fest-  und  Um-  sungen  worden  sind ,  werden  u.  t 

zügen  gesungen.    Vor  dem  Beginn  j  erwähnt  auf  Erzbischof  Hatto  JH 

der  Schlacht  sangen  nach  Tacitus  auf  die  Schlacht  bei  Heresburg^l- 

Germania  4  die  Germanen  von  Her-  auf  Bischof  Ulrich  von  Augsbur- 

kules,  d.  h.  von  Donar.  Neben  Lie-  auf   Herzog  Boleslav    den  Pol* 

dem  mythischen  hatte  man  Lieder  1109.  Reicher  noch  waren  die  LH«*: 

geschichtlichen  Inhalts ,  wobei  man  welche  der  Heldensage  angehört« % 

ohne  Zweifel  sehr  früh  wieder  sagen-  ihr  Dasein  ist  durch  die  im  i: 


hafte  Lieder  und  solche  unterschei-  Jahrhundert  aus  ihnen  entstandene 
den  konnte,  welche  eine  That  der  Epopöien  der  deutschen  Heidend 
Gegenwart  feierten.  Lieder,  welche  i  bezeugt ,  denen  verloren  gegangen 
die  Thaten  und  Kriege  der  alten !  gesungene  Volkslieder  in  rekb?' 
Könige  besangen,  Hess  Karl  d.  Gr.  Anzahl  vorausgegangen  sein  mü>*-': 
aufzeichnen  und  lernen  und  Ludwig  Zu  ihnen  gesellten  sich  die  Lecen 
der  Fromme  verbannte  sie  wieder  und  kirchliche  Sage,  und  übernan: 
aus  Vortrag  und  Unterricht.  Leider  der  vielfache  Erzählungsstoff.  ^r 
ist  von  allen  Liedern  mythischen  seit  dem  Beginne  der  Kreuxzür 
Inhalts   nichts,  von   Liedern   der  durch  den  vermehrten  Verkehr  n- 
Sage  bloss  das  Hildebrandslied  er«  j  dem  Auslande  in  die  mittelalterlu 
halten;  eine  schöne  Probe  des  ge-  Welt  eingeströmt  war. 
schichtlichen  Volksliedes  aus  dem       Die  bänger  dieser  Volk-'lH'' 
9.  Jahrhundert    bietet    der   Lcich  sind  im  ganzen  die  Fahrenden,  ^ 
auf  König  Ludwig  III.  und   die  ger  von  Fach  und  Crewerbe;  * 
Normannenschlacht  von  881.    Die  I  sind  von  alters  her  die  eigentlich 
christliche  Bildung  änderte  wenig  j  Pfleger   der  Kunst    des  Vol*^n 
an  diesen  ältesten  Verhältnissen  des  Hanges,  sie  bewahren  in  ihrem  ^ 
Volksliedes,  abgesehen  davon,  dass  däentnis  und  in  ihrem  Vortrag 
an  Stelle  heidnisch-mythischer  Lie-  stofflichen  Inhalt  des  Volkslie- 
der christliche  und  an  Stelle  des  sie  bilden  die  Technik  des  Dichte- 
Stabreimes  der  Endreim   trat;  im  des  Singens    und  Sagens  weit*' 
übrigen  sind  die  Dichtungen   der  Ohne  zunftmässige  Abgeschlo**'1 
christlich-kirchlichen  Periode  wieder  heit,  besitzen  und  erben  sie  fort  d»« 


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Volkslied 


1057 


Lehre  und  Übung  des  Gesanges, 
des  Vortrags ,  der  dichterischen 
Technik. 

Im  12.  Jahrhundert  trat  nun  die 
höfische  Kunstdichtung  neben  die 
Dichtung  des  Volkes  und  drängt 
diese  letztere  dadurch  um  so  weiter 
von  ihr  weg  in  Roheit  und  Ge- 
ringschätzung, als  jetzt  die  besseren 
UDO  aufstrebenderen  Talente  der 
Volksdichtung  für  kurze  Zeit  ins 
Lager  der  höfischen  Dichtung  über- 
traten, wo  allein  Ehre  und  Verdienst 
zu  erholen  war.  Das  dauert  aber 
bloss  bis  gegen  das  Ende  des  13. 
Jahrhunderts,  wo  mit  dem  Unter- 
gang der  höfischen  Bildung  der 
volksmässige  Gesang,  sj>ezicU  das, 
was  man  jetzt  Volkslied  heisst,  in 
reichster  Fülle  zu  tage  tritt.  Die 
Limburger  Chronik  erzählt  zum 
Jahre  1370  „dass  am  Rhein  ein  aus- 
sätziger Mönch  die  besten  Lieder 
und  Reigen  in  der  Welt  machte, 
von  Gedicht  und  Melodien ,  dass 
ihm  Niemand  uf  Rheinstrom  oder 
sonstwo  gleichen  mochte.  Und  was 
er  sang,  das  sangen  die  Leute  alle 
gern,  und  alle  Meister  pfiffen,  und 
andere  Spielleute  führten  den  Ge- 
sang und  das  Gedicht".  Über  das 
Alter  der  einzelnen  Volkslieder  ist 
selten  etwas  Gewisses  zu  sagen; 
ihre  Aufzeichnung  beginnt  mit  dem 
14.  und  wird  erst  häufiger  im  15. 
Jahrhundert,  wo  dann  der  Buch- 
druck zuerst  in  fliegenden  Blättern, 
später  in  Liedersammlungen  sich 
mit  Vorliebe  dieses  Stoffes  bemäch- 
tiget Gewiss  ist,  dass  die  unge- 
bundene, dem  individuellen  Gemüts- 
leben so  viel  Freiheit  gönnende 
Denkart  dieser  Zeiten  dem  Volks- 
liede  stets  neue  Nahrung  und  neuen 
Stoff  zuführt ;  ältere  Lieder  lassen 
sich  zum  Teil  an  ihrer  episch -dra- 
matischen Darstellung  als  solche 
erkennen,  erst  später,  namentlich 
im  16.  Jahrhundert,  tritt  die  reinere 
lyrische  Behandlung  au  Stelle  der 
epischen. 

Alte  Namen  für  den  Begriff  des 


Volksliedes  als  eines  gangbaren 
Liedes  der  Menge  in  der  Landes- 
sprache sind,  dem  gelehrten  lateini- 
schen versus  und  carmen  gegenüber, 
carmen  barbarum,  Carmen  vulgare, 
seculare,  triviale,  rustieum,  publicum, 
gentile;  bürengesang ,  ein  lief,  ein 
neuic  tief,  ein  hübsch  nein  lied,  ein 
Reiterliedlein,  ein  Berg  reihen,  Gras- 
liedlin ,  Strassen  lied ,  ( ?  assen  qedich  t, 
Gassenhauer,  gute  Gesellenliedlein, 
Reuter  liedlein.  Die  hier  folgende 
Gliederung  des  Volksliedes  nach 
seinem  Inhalte  folgt  der  Einleitung 
zum  altdeutschen  Liederbuch  von 
Franz  31.  Böhme,  Leipzig  1877. 

1.  Balladen  und  Romanzen ,  die 
lyrische  Fortsetzung  des  alten  Epos; 
inr  Stoff  ist  dem  Mythus  und  der 
alten  Sage  entnommen,  oft  auch 
dann,  wenn  Namen  von  Personen 
und  Orten  scheinbar  der  Handlung 
eine  spätere  Zeit  zuweisen ;  was 
diese  zum  Teil  uralten  Zeugen  der 
Volkspoesie  erhalten  hat,  ist  meist 
der  allgemein  menschliche,  die  Zeit- 
ereignisse überdauernde  Gehalt.  Lei- 
der ist  die  Zahl  dieser  Lieder  gegen- 
über der  skandinavischen  und  schot- 
tischen Litteratur  bei  uns  nur  eine 
kleine.  Von  eigentlichen  Helden- 
liedern sind  bloss  das  Hildebrands- 
lied (das  jüngere),  das  Ermenrich- 
lied  und  der  Jäger  aus  (Jriechen- 
land,  der  Wolf- Dietrichsage  ange- 
hörend, erhalten.  Mythischen  Ur- 
sprungs sind  Lieder  vom  Wasser- 
mann, von  Nixen,  Geistern  und  Ge- 
spenstern, vom  Tannhäuser;  auch 
einzelne  Liebesballaden ,  wie  die 
Schwimmersage,  gehen  auf  mythi- 
schen Urspruug  zurück. 

2.  Tag-  oder  Wnchterlieder;  ur- 
sprünglich der  höfischen  Lyrik  un* 
gehörend  (siehe  den  Art.  Tagelied), 
hat  sich  diese  Gattung  im'Volks- 
liede  später  in  reicher  Fülle  ( r- 
halten. 

3.  Lieheslieder  im  engem  Sinne. 
Sie  werden  schon  im  8.  Jahrhundert 
erwähnt,  da  Bonifacius  Reigen  der 
Laien  und  Gesänge  der  Mädchen 

G7 


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1058 


Volkslied 


in  den  Kirchen  verbietet  und  ein 
Kapitidar  Karls  d.  Gr.  von  789  be- 
stimmt ,  dass  die  Nonnen  keine 
mnileodes,  d.  h.  Freundes-,  Gesellen- 
lieder, von  wine  —  Freund,  sehreiben 
oder  ausschicken  sollen.  Leider  ist 
von  solchen  Liebesliedeni  des  alt- 
hochdeutschen Zeitraumes  nichts  er- 
halten; Lieder  ähnlicher  Art  müssen 
es  aber  gewesen  sein,  an  welche 
anknüpfend  das  höfische  Minnelied 
sich  entfaltete;  dasselbe  trägt  als  j 
Zeugnis  seines  volksmässigen  Ur- 
sprungs namentlich  den  Umstand, 
dass  es  regelmässig  an  die  Wand- 
lang  der  Jahreszeit  anknüpft,  so  \ 
zwar,  dass  die  glückliche  Zeit  des  ] 
Frühlings  den  Anbruch  der  Liebe, 
die  Zeit  des  Herbstes  und  Winters 
die  Trennung  von  der  Geliebten, 
der  Liebe  Leid  in  sich  trägt.  Die- 
sen Zug  trägt  auch  da.s  spätere 
Volkslied  noch  an  sich. 

4.  Abschieds-  und  Wanderlieder 
gehören  zu  den  rührendsten  und 
ergreifendsten  Volksliedern,  die  man 
hat;  sie  stehen  im  Zusammenhang 
mit  der  allgemeinen  Wanderlust  des 
15.  und  16.  Jahrhunderts,  und  mit 
der  damit  verknüpften  Beschwer- 
lichkeit des  Reisens,  der  Unsicher- 
heit des  Besitzes,  der  Unstätigkeit 
des  Lebens.  Solehe  Lieder  sind 
,, Innsbruck  ich  muss  dich  hissen", 
,,Aeh  Gott,  wie  weh  thut  scheiden4', 
„Ich  stund  an  einem  Morgen  heim- 
lich an  einem  Ort". 

5.  Rätsel-,  Welt-  Wunsch-  und 
Ttügenlieder  gehören  ihrem  Inhalte 
nach  zu  den  ältesten  Dichtungen, 
die  in  engem  Zusammenhang  so- 
wohl mit  dein  Mythus  und  der  reli- 
giösen Denkweise  als  mit  den  älte- 
sten Zuständen  des  gesellschaftlichen 
Lebens  stehen  (vgl.  den  Art.  Ratsei 
und  Rätsel  Lieder).  Das  älteste 
Ratscllied,  zugleich  eines  der  ältesten 
erhaltenen  Volkslieder,  ist  das  aus 
dem  1  H.Jahrhundert  erhaltene  Trage- 
mundealied.  Zu  den  Wettgespräehen,  I 
in  welchen  sich  in  urgerumnischer 
Z  'it  zwei  Männer  zur  Prüfung  ihres  ' 


Wissens  herausforderten  und  wobei 
sie  auf  ihre  Antwort  Sagen  von  der 
Welt  und  den  Göttern  mitteilen, 
gehören  auch  die  Wettstreitlieder 
zwischen  Sommer  und  Winter  (siehe 
den  bes.  Art.  )  und  das  diesen  nach- 

femachte  zwischen  Buchsbaum  und 
elbinger.   Siehe  Unland,  Abhami 
hing  III:  Wert-  und  Wunschliedcr 

6.  Tanz-  und  Kranzlieder  wur- 
den beim  Reigen  von  den  Tanzen- 
den selbst  gesungen ,  wobei  iBe 
Tanzenden  sich  bei  den  Händen  jre- 
fasst  hielten  und  langsam  umher- 
traten; erst  auf  diesen  ersten  Teil 
folgte  als  zweiter  und  aus  dcrselbeo 
Melodie  geformt  der  S achtanz  oder 
Springtanz.  Die  Kranzlieder  ge- 
hören inhaltlieh  zu  den  RäteelnV 
dern;  vgl.  die  Art.  Tanz  uud  Kran: 

7.  Trink-  und  Zechlieder  pbt 
es  erat  seit  dem  16.  Jahrhundert; 
die  höfische  Zeit  und  die  unrnittel 
bar  folgenden  Jahrhunderte  brach- 
ten an  Trinkliedern  bloss  lateinisch 
Vaganten-  und  MönchsUeder  herr  T. 
Desto  üppiger  treiben  sie  im  16 
Jahrhundert,  wo  zahllose  Festlieh 
keiten,  Schmause  und  Zechgelacr 
zur  Ausübung  solcher  Poesie  An- 
lass  boten.  Ihr  wesentlichster  Inhah 
ist  Ermunterung  zürn  heitern  Lebens- 
genüsse, Lob  des  Weines  und  Z* 
Spruch  zum  Trinken;  eine  bw 
dere  Art  der  Trinklieder  sind  die 
Martinslieder. 

8.  Historische  Lieder.    In  ihrer 
Entstehung  wiederholt  sich  die  Ed* 
stehungsart  des  geschichtlichen  Ltf- 
des  von  ältester  Zeit  her,  nur  dt** 
die  besondern  historischen  IMis 
gungeu,  welche  das  Volkslied  de- 
13.  ois  16.  Jahrhundert*  zeitkt«  a 
ihren  besoudem  Charakter  erhkltn 
durch  den  im  13.  Jahrh.  rx»ginn^ 
den  Kampf  der  untern  Stande  trepr. 
den  Adel.    Kaum  beginnt  ' 
Kampf  der  Städte  .   Eidgenoss»  i> 
schatten,  Thal-  und  Landschafttii 
gegen  ihre  bisherigen  Herrn , 
Kampf,  der  recht  eigentlich  dr*n 
Geiste  der  Zeit  Richtung  gibt,  w*\ 


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Volkslied. 


1059 


ein  neues  Heldenalter  herbeiführt, 
so  erscheinen  auch  die  Lieder  Schlag 
aufSehlag.  Wo  überall  auf  deutschem 
Boden  das  Volk  seine  Fesseln  bricht, 
zuerst   in    der  Eidgenossenschaft, 
dann  im  Niederland,  bei  den  Ditmar- 
schen,  später  allerorts  in  Deutsch- 
land, da  folgen  den  Schlachten,  Er- 
oberungen der  Städte  und  Burgen 
ihre  Lieder;  den  wirklichen  Ereig- 
nissen ihr  bleibendes  Bild.  Dieses 
ist  keine  Schlachtbeschreibung,  son- 
dern ein  von  gesteigerter  Einbil- 
dnngskraft    erschautes  Einzelbild, 
dem  meist,  wie  beim  alten  Epos,  die 
direkte   Rede,    das  Zwiegespräch 
charakteristisch  ist    Die  Sammlung 
v.  Lilienkrons,  welche  die  histori- 
schen Lieder  vom  13.  bis  16.  Jahr- 
hundert umfasst,  enthält  623  Num- 
mern, worunter  freilich  manche  bloss 
gesprochene      Dichtungen ,  sog. 
Syrüche,  inbegriffen  sind.    Die  im 
strengern  Sinne  historischen  Lieder 
wollen    immer    zugleich  politisch 
wirken,  der  Partei  dienen,  wobei 
freilich  das  Lied  in  der  Kegel  bloss 
den  Sieg  zu  begleiten  pflegt.  Mehr 
unmittelbar  dichterischen  Eindruck 
als  die  historisch-politischen  Lieder 
machen  diejenigen  Volkslieder,  in 
denen  eine  zwar  historische,  aber 
ins  Gebiet  der  Romantik  streifende 
Tfiat  sich  zum  Liede  gestaltet  hat, 
wie  das  vom  Lindenschmied,  vom 
Kppele  von  Gailingen.  Wiederum 
seheint  sich  in  andern  Liedern  ein 
aus  früher,  vielleicht  aus  sehr  früher 
Zeit    hergekommener  historischer 
oder  mythischer  Zug  bloss  einem 
historischen  oder  für  historisch  ge- 
glaubten Namen  angepasst  zu  haben, 
wie  z.  B.  jetzt  das  alte  Hildebrands- 
lied  als    eine  romantische  Ritter- 
ballade zum  Vorsehein  kommt. 

9«  La ndsk nechts-  uud  Reiterlieder 
des  15.  und  16.  Jahrhunderts  sind 
die  Soldatenlieder  der  Vorzeit;  sie 
berühren  sich  teils  mit  dem  histori- 
schen Lied,  teils  mit  dem  Liebeslied. 

10.  Jiujerlieder  und  Jayerroma nzcn 
'  rseheinen  seit  dem  Ende  des  16.  Jahr- 


I  hunderts  und  waren  seit  der  Zeit 
I  bis  ins  18.  Jahrhundert  beliebt;  sie 
sind  zum  Teil  nach  französischem 
Vorbilde  gesungen  worden. 

11.  Lieder  auf  verschiedene 
Stünde  sind  weder  alt,  noch  waren 
sie  je  allgemeiner  verbreitet,  abge- 
sehen von  den  schon  genannten 
Typen,  worin  sich  u.  a.  der  Geist 
der  Städter,  Bauern,  Landsknechte 
u.  dgl.  andern  Ständen  gegenüber 
ausspricht.  Dagegen  sind  Hand- 
werks- und  Zunftlieder,  worin  die 
Thätigkeit  des  Handwerks  beschrie- 
ben ist,  kaum  vor  dem  16.  Jahr- 
hundert und  nur  sporadisch  dage- 
wesen. Die  gereimten  Zunftlieüer 
waren  nach  ihrem  Inhalte  sog. 
Ruhm-,  Ehr-  und  Lohlieder  der 
Handwerker,  meist  auf  eine  und 
dieselbe  Schablone  zugeschnitten, 
an  Poesie  arm  und  nüchtern.  Erst 
im  17.  und  noch  mehr  im  18.  Jahr- 
hundert sind  von  Volkspädagogcn 
und  Aufklärern  eine  grössere  An- 
zahl Berufsgesäugegedientet  worden, 
an  denen  namentlich  das  Mildheimcr 
Liederbuch,  1799,  reich  war. 

12.  Scherz-,  Spott-  und  Schand- 
licder  bilden  eine  besondere  Gattung 
von  Volksliedern;  unter  denen  be- 
sonders die  auf  Bauern  und  Pfaffen 
zahlreich  sind,  auch  auf  einzelne 
Handwerker,  wie  die  Schneider  und 
Leineweber.  Dahin  gehören  Stoss- 
seufzer  geplagter  Eheleute,  Spott- 
lieder auf  menschliehe  Gebrechen, 
Missheiraten,  z.  B.  des  kleinen 
Mannes  mit  dem  grossen  Weibe. 

13.  Kinderreime,  siehe  den  Art. 
Kinderspiele. 

14.  Geistliche  Volkslieder,  siehe 
den  Art.  Kirchenlied.  Über  den 
Übergang  des  Volksliedes  ins  Ge~ 
scll schaffst  icd,  siehe  den  besondern 

|  Artikel.  Sammlungen  von  Volks- 
liedern sind  viele  vorhanden;  es 
seien  hier  erwähnt  ausser  dem 
Wunderhorn  (neue  Ausgabe  von 
Birlinger  und  Crecelius,  Wiesbaden 
1874),  L'hland,  alte  hoch-  und  nieder- 
deutsche    Volkslieder,  Stuttgart 

67  * 


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1060 


1844 — 46,  kürzlich  unverändert  neu  I  1851  und  1872;  Erl\  deutsche: 
aufgelegt;  dazu  gehören  in  Band  3  Liederhort,  Berlin  185»; ;  rvn  Udv* 
von  llumuli  Schriften  die  Abhand-  \cron,  die  historischen  Volkslit^kr 
lungen,  von  denen  bloss  folgende  der  Deutschen  voin  13.  bis  16.  Jah: 
vier  bearbeitet  und  erschienen  sind:  hundert,  Leipzig  1865—69.  4  Bd> 
Sommer  und  Winter;  Fabellieder;  Goedeke  und  Tttfmann,  Liederbu-b 
Wett-  und  Wunschlieder;  Liebes-  aus  dem  16.  Jahrhundert,  Leipzir 
lieder;  und  die  Anmerkungen  in  1867;  Böhme,  altdeutsches  Liedrr 
Band  4  der  Schriften;  Simrock',  die  buch,  Leipzig  1877,  besonders  fcr 
deutschen    Volksbücher,  Frankfurt  j  die  Melodien  bearbeitet. 


w. 


Wagen  erscheinen  als  vierrädrige 
Wagenkarren  schon  in  der  Mero- 
wingerzeit,  da  die  Könige  sich  ihrer 
als  eines  uralten  Vorrechtes  be- 
dienten; diese  Königskarren  waren 
mit  euicm  Gespann  von  Ochsen  be- 
nannt, die  nach  Bauernart  ein 
Kindcrhirte  leitete.  So  blieb  es 
noch  sehr  lange,  und  es  ist  bekannt, 
wie  Kaiser  Friedrich  III.  vermittelst 
eines  Oehsenwagens  seine  Länder 
bereiste.  Unmittelbar  auf  den 
Achsen  ruhte  ein  zwei-  oder  vier- 
rädriger Karren  mit  viereckigem 
Wagenkasten,  die  Pferde  bald  zwei 
neben-,  bald  zwei  hintereinander 
angespannt.  Zum  Antreiben  be- 
diente man  sich  der  Geissei  oder 
eines  Stabes  mit  eisernem  Stachel. 
Ein  gewisser  Aufwand  in  der  äussern 
Ausschmückung  des  Wagens  trat 
erst  im  13.  Jahrhundert  hauptsäch- 
lich in  Frankreich  zu  Tage,  wo 
Ludwig  der  Schöne  den  Damen 
vom  Hofe  den  Gebrauch  von  Wagen 
als  Auszeichnung  gestattete.  Der 
Aufwand  bestand  jetzt  in  Verzierung 
der  Aussen  wände  des  Wagenkastens 
durch  Schnitzwerk  und  Malerei, 
Überspannung  des  Kastens  durch 
Tücher  vermittelst  Reifen,  Aus- 
stattung der  Sitze  durch  Polster; 
im  übrigen  zogen  bis  über  das 
Mittelalter  hinaus  auch  Damen  das 
Reiten   oder   die    Irmjsänfte  dem 


holprigen  Wagen  vor.    In  Frank 
reich  führte  man  im  1 6.  Jahrhundert 
eine  Verbesserung  der  Wagen  «Ii 
durch  ein,  dass  man  den  Kasten  L' 
ein  Riemengehänge  befestigte  oi^ 
Thüre  und  Tritt  des  Wagens  sei! 
wärts    anbrachte,    infolge  davon 
auch  die  Sitze  der  Breite  nach  m 
ordnete.  Die  langsame  Verbessert^ 
des  Personenfulmverks  namenuVfc 
in  Deutschland  hing  zum  Teil  <i* 
mit  zusammen,  dass  die  Lande* 
Herren  den  Gebrauch  von  Wapt 
als  nur  ihnen  zuständig  oder 
Weibern  zu  gestatten  erachtet«  n 
noch  im   16.  Jahrhundert  wuniei 
die  Kutschwagen  —  der  Name 
in  dieser  Zeit '  aus  dem  Ungarische 
nach  Deutschland  gekommen  —  jj 
verschiedenen  Staaten  verboten  uti'i 
allen  denen,  die  am  Hofe  etwa*  ^ 
schaffen  hätten,  eingeschärft,  *:' 
möchten  zu  Rosse  erscheinen,  la 
England  wurden  Kutschen  an  Stell* 
der  ältern  Karren  erst  um  1-'»* 
von  Deutscldand    aus  eingefuhr 
Doch    blieb    der    Gebrauch  *J 
Kutschen  sogar  in  Frankreich  1 
vereinzelt,  und  es  soll  zu  Paris  itf 
1540  z«  täglicher  Benutzung  bl** 
zwei  Kutschen  gegeben  haben,  e""' 
für  einen  adeligen  Herrn,  der  irin« 
Beleibtheit  wegen  nicht  reiten  könnt« 
und  die  andere  für  die  Bervtsi" 
von  Yalentinois.    Heinrich  IV.  °»' 


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Wagenburg.  —  Wahrzeichen. 


1061 


sass  für  sich  und  die  Königin  nur 
ciiien  Wagen,  und  in  Spanien  ge- 
stattete Philipp  II.  die  Benutzung 
der  Kutschen  nur  denen,  die  mit 
vier  eigenen  Pferden  fahren  konnten; 
wer  dies  nicht  vermochte,  hatte  auf 
Maultieren  zu  nuten.    Dagegen  gab 
es  schon  etwas  früher  reich  ausge- 
stattete Luxuswagen;  bei  der  Kaiser- 
krönung Maximilians  II.,  um  1502, 
erschien  der  Kurfürst  von  Köln  mit 
H,  bei  der  Huldigung  in  Warschau 
15i»4  der  Markgraf  von  Brandenburg 
mit  3»;  Kutschen.   Um  1599  erschien 
der  Marschall  Francois  de  Bassom- 
jiicrre  zuerst  in  einer  Rutsche  mit 
Glasfenstern,  die  er  aus  Italien  mit- 
gebracht.   Der  Kutscher  sass  bis 
dahin  regelmassig  auf  dem  Pferde. 
In  dieser  Zeit  kamen  auch  die  ge- 
schmückten   Luxus -Schlitten  auf. 
Seit  dem  Regierungsantritte  Lud- 
wigs XIV.  stiec  in  Paris  die  Menge 
der  Wagen  schnell  und  um  1651 
wurde  schon   zur  Errichtung  von 
Mieflcutschm    gesehritten ,  welche 
nach  ihrem  Standort,   dem  Hotel 
St.  Fiacre,  den  Namen  Filtere  er- 
hielten.   In  Deutsehland  war  es  der 
verschiedene  Geschmack  der  Höfe, 
der  den  Gebrauch  der  Wagen  be- 
günstigte (»der  zurückhielt;  als  in  | 
der  Schweiz  1IJ71  der  französische, 
Gesandte  seinen  Einzug  in  Baden 
in  einer  Kutsche  hielt,  fiel  dieses 
ungewöhnliche      Schauspiel  auf. 
TraffSliihlcutivY  lJorte-ch<iixcx  fanden 
im  17.  Jahrhundert  ausser  wie  seit- 
her   zum   Gebrauch    für  Kranke, 
wenig   Anklang.    In  Dresden  be- 
steht bis  heute  die  ums  Jahr  170"> 
zum  Besten  des  Armenwesens  ge-  j 
stiftete  Sänftenträgeranstalt.  Ff  Vif*, ! 
Kostüm- Kunde. 

Waerenbunsr.  Für  nomadisie- 
rende Völker,  welche  auf  dieser 
Stufe  ihrer  Entwickeluug  die  Feld- 
befestigung noch  nicht  kenneu, 
bietet  die  Wageriburg  den  natur- 
tremässesten  Ersatz.  Auch  die  alten 
Deutschen  bedienten  sich  derselben 
regelmässig  und  rnanöverierten  da- 


mit oft  mit  Geschick.  Die  Wagen- 
burg erhalt  sich  bei  einzelnen 
Völkerschaften  durch  viele  Jahr- 
hunderte und  gelangt  in  den  Hussiten- 
kriegen nochmals  zu  einer  gewissen 
Berühmtheit.  Städte  und  befestigte 
Lacer  machten  sie  anderorts  bald 
entbehrlich.  (Siehe  den  Artikel 
Kriegswesen.) 

Wahrzeichen,  mhd.  warzeickent 
zu  mhd.  die  tear  =  Achtsamkeit, 
also  Zeichen  zur  Achtsamkeit,  schon 
im  Mhd.  gern  mit  Wortzeichen  zu- 
sammengestellt. Man  versteht  dar- 
unter gewisse  Denkmale  und  Ku- 
riosa,  die  in  oder  an  Kirchen  und 
«Indern  öffentlichen  Orten  einer  be- 
stimmten Stadt  angebracht  sind. 
Sie  bestehen  entweder  in  Baudenk- 
zeichen, und  sind  dann  teils  Schluss- 
steine,  namentlich  an  Brücken,  teils 
zu  tage  gelegte  G rundstücksbezeich- 
nungen,  Bauamulette,  z.  B.  die  Huf- 
eisen ,  Fusssohlen,  Kreuze,  Köpfe, 
teils  aber  nur  Bauhütten-  oder  Stein- 
metzzeichen, teils  Schlüssel  alter 
Bausagen,  oder  sie  sind  aus  eigent- 
lichen Landesgerichtszeichen  ent- 
standen, oder  endlich  aus  den  miss- 
verstandenen  ältesten,  ursprüng- 
lichen Städtewappen  hervorgegan- 
gen. Diese  Wahrzeichen  spielten 
in  der  Geschichte  der  Gewerbs- 
verbände eine  grosse  Rolle,  indem 
die  zuwandernden  Gesellen  oder 
Knechte  sich  dem  Altgesellen  gegen- 
über durch  die  Kenntnis  der  Wahr- 
zeichen über  den  Aufenthalt  in 
andern  Städten  ausweisen  mussten. 
Es  war  daher  Erfordernis,  dass  jeder 
Handwerksgeselle  oder  Knecht,  so- 
bald er  in  einer  Stadt  in  Arbeit 
kam  oder  auch  nur  das  Geschenk 
erhielt,  sich  »las  Wahrzeichen  der 
Stadt  besah  und  sich  die  dazu  ge- 
hörigen Gedenkverse  einprägte,  da- 
mit er  im  gegebenen  Falle  das 
Examen  bestehen  konnte.  Die 
Kenntnis  der  Wahrzeichen  vertrat 
daher  gleichsam  das  spätere  Wan- 
derin ich.  W.  Schäfer,  Deutsche 
Städtewahrzeifhen.    Leipzig  1M58. 


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1062 


Waisenhäuser.  —  Waltharilied. 


Waisenhäuser,  von  ahd.  weist, 
mhd.  weise  =  beraubt,  cnthlösst, 
das  Wort  Waisenhaus  zuerst  1618 
nachgewiesen.  Waisenhäuser  finden 
sich  mehr  bei  den  germanischen, 
Findeihäuser  bei  den  romanischen 
Völkern.  Das  erste  in  der  Ge- 
schichte bekannte  Waisenhaus  ist 
die  von  Kaiser  Trafen  geinachte 
Stiftung  für  5000  Waisenkinder; 
im  Jahr  330  n.  Chr.  wurde  in  Kon- 
stantinopel  «'in  Waisenhaus  ge- 
gründet; das  älteste  französische  soll 
das  durch  den  Bischof  von  Angers 
654  gestiftete  sein.  In  Deutsch- 
land Kommt  im  0.  Jahrhundert  im 
Kloster  Weissenburg  eine  solche  An- 
stalt vor,  bürgerliche  Waisenhäuser 
scheint  es  dagegen  hier  nicht  vor 
dem  14.  Jahrhundert  gegeben  zu 
haben ;  sie  blieben  auch  von  da  bis 
ins  17.  Jahrhundert  noch  selten,  da 
man  die  Sorge  für  Waisen  meistens 
den  bestehenden  Armenanstalten 
und  Krankenhäusern  überliess.  In 
einzelnen  Fällen  gewährte  auch  die 
Obrigkeit  einen  Beitrag,  um  einem 
elternlosen  Kinde  zu  helfen,  oder 
man  setzte  ein  wöchentliches  Almosen 
dafür  aus  und  gab  etwa  ein  Waisen- 
kind zur  Verpflegung  auf  das  Land. 
Ein  Findrlhaus  wird  im  7.  Jahr- 
hundert in  Trier  erwähnt;  zu  Flo- 
renz 13 Iß  und  zu  Paris  1362,  in 
Deutschland  im  14.  Jahrhundert  zu 
Freiburg  der  fanden  l  indlin  /ins,  und 
1386  zu  Ulm;  1473  zu  Esslingen. 

WalkUren,  Walkyrien,  altnord. 
ralfo/rja,  ahd.  tralar?iuriäy zusammen- 
gesetzt aus  altnordiseh  der  valr  = 
Gesam  theit  der  Todes«v//j/,  d.  h.  der 
für  Walhalla  erwählten  und  daher 
in  der  Schlacht  gefangenen  Krieger, 
Gesamtheit  der  vom  Schlachtentod 
betroffenen,  dann  der  Kampfplatz, 
das  Schlachtfeld  selbst;  und  aus 
einer  den  Sinn  von  „Wählende, 
Auswählende*,  Empfangnehmerin44 
tragenden  Ableitung  des  Verbs 
huren  oder  kiesen,  das  Ganze  also 
ein  aus  zwei  sinnverwandten  Wur- 
zeln bestehendes  Wort.    Di«'  Wal- 


küren haben  ausser  dein  Amte  dei 
Totenwahl  dasjenige  der  Schenk 
mädchen  Odhins  und  der  Einberief; 
sie  dienen  in  Walhall,  bringen  da> 
Trinken  und  verwahre«  das  Tmh 
zeug  und  die  Metschalen.  In  beider 
lei  Hinsicht  sind  sie  Vervielffclti 
gungen  der  Freia,  erscheinen  tbd 
auch  als  Vollstreckerinnen  des  Wil- 
lens Odhins.  WTie  die  Nomen  wir 
ken  sie  auf  das  Geschick,  aber  mehr 
in  bezug  auf  die  Schlacht,  wie  sie 
denn  auch  Walmädchen,  Schild 
und  Helmmädchen  heisseu.  Eise 
der  Walküren  heist  Mist  —  Neb*  L 
Wolke;  auf  Wolkenrossen  schweben 
sie  über  dem  Schlachtfelde  und  Tau 
träuft  von  den  Mähnen  ihrer  Bosse 
in  tiefe  Thäler.  Wenn  sie  Luft 
und  Wasser  reiten ,  legen  die  Wal 
küren  Seh  wanenhemden  an  oder  vi  r 
wandeln  sich  in  Schwäne,  wol* 
das  Anfügen  des  Schwaneugefieder- 
durch  den  Schwanring  vermittelt 
wird.  Wie  es  irdische  Norn»i 
gibt,  und  die  Gabe  der  Weissagung 
und  des  Zaubers  auch  sterbliebet 
Frauen  übertragen^  werden  kann, 
so  können  auch  Königstöchter  rc 
den  Stand  der  Walküren  treten 
wenn  sie  kriegerisches  <  le werbe  er 
greifen  und  ewige  Jungfrauschart 
geloben.  Sie  heissen  dann  Wunsch 
mädchen,  Adoptivtöchter  OdtoV 
Solche  Walküren  sind  die  drei 
Meerweiber,  die  im  Nibelungenlied 
bei  der  Überfahrt  der  Burgunder 
über  die  Donau  erscheinen;  in  der 
Gudrun  erscheint  ein  weissagender 
Engel  in  der  Gestalt  eines  schwim- 
menden wilden  Vogels,  ursprünglich 
ohne  Zweifel  eines  Schwanes;  audt 
Brunhild  ist  ursprünglich  eine 
küre.  Der  Zahl  der  Walküren  wir' 
verschieden  angegeben,  zwölf,  sieb*,u 
oder  neun.  Simroek ,  Mythologie- 
Waltharilied  ist  ein  in  lateim 
sehen  Hexametern  von  dem  Sankt 
galler  Mönch  Ekkehart  I.  in  der 
ersten  Hälfte  des  10.  Jahrhundert« 
verfasstes  Gedicht,  dessen  Inhal' 
kurz  folgender  ist.    Den  mächtigen 


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Waltharilied. 


1 063 


Hunnenkönig  Etzel  ergreift  wieder 
einmal  die  Kriegslust.  Die  Franken 
will  er  diesmal  mit  seinen  Horden 
heimsuchen.  Zu  Worms  herrscht 
über  das  Frankenland  König  Gibich. 
Eben  ist  ihm  ein  Sohn  Gunther  ge- 
boren. Da  kommt  Nachricht,  Etzel 
stehe  mit  einem  ungeheuren  Heere 
an  den  Grenzen  des  Landes.  Un- 
sinn wlire  es.  Widerstand  zu  leisten, 
Bündnis  und  Geiseln  sind  hier  besser 
angebracht  als  Feindschaft  und 
Kampf,  so  denken  Gibich  und  seine 
Räte.  Noch  ist  Gunther  zu  klein 
um  als  Geisel  seinem  Vaterlande 
Ruhe  und  Frieden  zu  erkaufen; 
deshalb  wird  des  Königs  Vetter 
Hagen  zu  Etzel  gesandt.  Weiter 
wälzt  sieh  die  Heereswoge  der 
Hunnen  gegen  das  Land  der  Bur- 
gunder, welches  König  Herrieh  re- 

fiert.  Ihm  wächst  als  Tochter  auf 
ie  reizende  Hildegund.  Sie  gibt 
der  Vater  als  Geisel  hin.  Noch 
einen  Herrscher  will  der  Hunnen- 
fürst heimsuchen ,  nämlich  König 
Alpher  von  Aquitanien.  Der  Hof 
von  Burgund  und  der  von  Aqui- 
tanien stehen  in  freundschaftlicher 
Beziehung,  welche  durch  die  Ver- 
mählung von  Alphers  Sohn  Walthari 
und  der  schönen  Hildegund,  die  noch 
Kinder,  doch  schon  für  einander 
bestimmt  sind,  in  Zukunft  noch 
enger  werden  soll.  Wie  seine 
beiden  Vorgänger,  der  Franken-  und 
der  Burgunderkönig,  hält  es  auch 
Alpher  von  Aquitanien  für  besser, 
statt  mit  dein  Schwert  durch  Löse- 
geld und  Geisel  sich  den  gefähr- 
lichen Feind  vom  Halse  zu  schaffen; 
er  überliefert  seinen  Sohn  Val/liari 
dem  Hunnenfürsten ,  der  nun  mit 
Hagen,  Hildegund  und  Wsilthari 
heimwärts  zieht  an  die  blaue  Donau. 
Die  Kinder  werden  an  dem  hunni- 
schen Hof  gut  gehalten.  Wohl 
unterrichtet  in  den  Werken  des 
Krieges  und  des  Friedens  wachsen 
die  beiden  Knaben  auf,  während 
Hildegund  unter  die  Obhut  der  Ge- 
mahlin Etzels,  der  Königin  Ospirin 


tritt  und  vermöge  ihrer  Tüchtigkeit 
und  ihrer  Tilgenden  es  bis  zur  Auf- 
seherin des  Hofschatzes  bringt. 

In  Worms  ist  nach  dem  Ab- 
leben Gibichs  Gunther  auf  den  Tron 
gekommen.  Er  bricht  das  Bünd- 
nis mit  den  Hunnen  und  verweigert 
den  üblichen  Zins  zu  zahlen.  Das 
hört  Hagen  und  verschwindet  bei 
Nacht  und  Nebel.  Walthari  dient 
vorläufig  seinem  Herrn  als  treff- 
lieher  Feldherr;  doch  hegt  auch  er 
Fluchtgedanken ,  und  wie  er  nach 
einem  siegreichen  Feldzuge  ruhm- 
gekrönt  zurückkehrt,  verabredet 
er  mit  Hildegund  die  Flucht;  die- 
selbe soll  unmittelbar  nach  dem 
Siegesgelage  stattfinden.  Hildegund 
als  Hüterin  der  Schatzkammer  wird 
]  die  Beschaffung  der  Ausrüstung  an- 
vertraut, bei  der  zwei  Schreine  mit 
Spangen  und  Gold,  sowie  Angel- 
haken nicht  fehlen  dürfen. 

Der  verhängnisvolle  Abend 
kommt  heran.  Bald  hat  des  Wei- 
nes Kraft  die  Hunnenhelden,  Etzcln 
an  der  Spitze,  besiegt  und  in  tiefen 
Schlaf  versenkt.  Jetzt  ist  die  Ge- 
legenheit zur  Flucht  da  und  bald 
trägt  das  gewaltige  S.'hlachtross 
„Löwe"  seinen  Herrn  und  Hilde- 
gund samt  den  entwendeten  Schätzen 
hinaus  dem  Westen  zu,  zum  grossen 
Verdrussedes  endlich  aufwachenden 
Königs.  Walthari  und  Hildegund  fris- 
ten ihr  Leben  mit  dem  Fleische  der 
gefangenen  Vö^el  und  der  geangelten 
Fische.  Nach  vierzig  Tagen  setzen  sie 
bei  Worms  über  den  Rhein.  Als  Be- 
lohnung bietet  Walthari  dem  Fuhr- 
mann die  letztgefangenen  Fische 
dar  und  reitet  weiter.  Doch  jetzt 
naht  das  Verhängnis.  Der  Fähr 
mann  bringt  die  geschenkten  Fische 
dem  Koch  des  Königs,  sie  kommen 
auf  Gunthers  Tisch  und  aufmerksam 
gemacht  durch  die  Fremdartigkeit 
der  Speise  forscht  er  nach  deren 
Gel>er.  in  welchem  denn  auch  Hagen 
aus  des  hergerufenen  Fergen  Er- 
zählung seinen  Jugcndgespielen 
Walthari   mit  Hildegund  erkennt. 


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1064 


Waltharilied. 


Da  erfasst  Habsucht  das  Herz  des 
Frankel  ifürsteu,  es  lechzt  nach  den 
Goldschreinen,  die  VValthari  mit  sich 
führt  und  in  denen  nach  des  Kö- 
nigs Meinung  das  Geld  sei,  das  sein 
Vater  als  Zins  nach  Ungarn  ge- 
liefert. Trotz  Hagens  Abraten  reitet 
der  habgierige  König  mit  zwölf 
auserlesenen  Recken ,  darunter 
Hagen,  aus  zur  Verfolgung  des 
Aquitaniers,  der  unterdessen  land- 
einwärts reitend  in  den  Wasichen- 
wald  gelangt  und  Abends  beim 
Wasgenstein  nach  vierzigtägigem 
Reiten  eine  wohlverdiente  Nacht- 
ruhe gemessen  will,  während  seine 
scharfäugige  Gefährtin  Hildegund 
die  Wache  hält.  Walthari  fährt 
aus  dem  süssen  Schlummer  auf; 
er  erkennt  in  den  Gegnern  die 
Franken,  nistet  sich  zum  Gefecht, 
tröstet  die  entsetzte  Hildegund  und 
rieht  Gott  um  einen  günstigen  Aus- 
gang des  Kampfes  an.  Nochmals 
will  Hagen  den  König  bestimmen 
von  einem  Angriff  auf  Walthari 
abzusehen.  Sein  Bitten  nützt  nichts. 
Vielmehr  sendet  Gunther  den  Ca- 
melo von  Metz  Walthari  entgegen 
mit  dem  Auftrag  vom  Aquitanier 
die  Schreine  Goldes,  das  Ross  und 
die  Maid  zu  verlangen.  Camelo 
thut  nach  seines  Herrn  Befehl,  wird 
aber  von  Walthari  zurückgeschickt 
mit  dem  Bescheid,  dass  er  dem  Kö- 
nig hundert  Spangen  als  Weggeld 
geoen  wolle.  Wieder  erhebt  der 
erfahrene  Hagen  seine  warnende 
Stimme,  wird  aber  vom  König  mit 
höhnenden  Worten  der  Feigheit  ge- 
ziehen, so  dass  der  also  Geschmähte 
schweigt  und  von  Ferne  dem  be- 
vorstehenden Kampfe  zuzuschauen 
gedenkt.  Sein  früheres  Verlangen 
zu  wiederholen  wird  Camelo  noch- 
mals von  Gunther  angeschickt.  Er 
geht  und  nachdem  Walthari  ver- 
gebens zweihundert  Spangen  ihm 
angeboten,  entspinnt  sich  der  Zwei- 
kampf, welcher  mit  dem  Tode 
Camclos  ein  blutiges  Ende  nimmt 
Dem  Camelo  folgen   die  übrigen 


Helden,  deren  jeder  in  der  ihn. 
eigentümlichen  Waffe  und  Gefecht 
art  den  Helden  vergebens  angreift. 
VValthari  erwehrt  sich  sämtlich«: 
Gegner  und  tötet  sie.  Nur  Gm- 
(her  und  Haqen  bleiben  übri^ 
Kalt  bleibt  Hagen  bei  den  in 
brünstigen  Bitten  seines  Herrn,  auch 
teilzunehmen  am  Kampfe,  einpe 
denk  der  frühern  bittern  Worte 
Königs,  die  ihn  und  seine  Ahnen 
der  Feigheit  beschuldigt.  Erst  ti 
Gunther  auf  den  Knien  vor  Om 
liegt  und  er  sieht,  dass  die  Ehi> 
der  Franken  auf  dem  Spiele  steht, 
entschliesst  sich  Hagen  endlich  im 
Zweikampf  seinem  Freund  ent- 
gegenzutreten. Doch  will  er  Wal 
ther  in  das  freie  Feld  ziehen  las*t 
und  dort  den  Waffentanz  beginnen 
Um  ihn  sieher  zu  machen  und  10 
seinen  Abzug  zu  veranlassen,  ziehet 
sich  die  beiden  Franken  zurück 
Gegen  Morgen  erhebt  er  sich  au- 
dem  Schlummer,  schaut  nach  drt 
gefangenen  Rossen  und  nimmt  ab 
Kriegsbeute  den  Besiegten  Panier. 
Spangen,  Schwert  und  vVehrgehM 
ab.  Dann  rüsten  sich  er  oe° 
Hildegunde  zur  Weiterreise,  & 
mit  der  Beute  beladenen  Rosse  treibt 
er  vor  sich  her,  als  plötzlich  vun 
einer  Anhöhe  Gunther  und  Hsp-n 
herabsprengen  zum  blutigen 
scheidungskampf.  Durch  eiue!i 
furchtbaren  Sehlag  mit  dem  Schwer: 
trennt  Walthari  dem  König  Gunther 
das  eine  Bein  vom  Rumpfe;  ihm  der 
Todesstreich  zu  geben  gelingt  nicht, 
da  Hagen  dem  Hiebe  sich  entgegen 
wirft,  so  dass  an  seinem  eisenharten 
Helme  Waltharis  Schwert  wie  Gl* 
zersplittert  Walthari  will  «■ 
Schwertknauf  verächtlich  mg** 
fen,  da  gibt  er  seiner  Rechten  ein? 
Blosse  und  mit  wohlgezieltem  Schlaf 
haut  sie  ihm  Hagen  ab.  Nocl»  & 
Walthari  nicht  verloren,  mit  sein« 
Linken  erfasst  er  das  krumm«: 
Hunnenschwert  und  schlägt  dem 
Hagen  ins  Gesicht,  dass  ein  Aup* 
und  sechs  Backenzähne  der 


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Waltharilied. 


1005 


Kämpe  lassen  muss.    Jetzt  hat  das  eines  Abtes  verzichtete  zu  gunsten 

Ringen  ein  Ende.    Versöhnt  setzen  Purehards,  des  Sohnes  des  Grafen 

sich   die  beiden  Helden   auf  den  Ulrich  von  Buchhorn.    Vom  ganzen 

Wiesengrund.     Hildegund    kommt  Kloster  tief  betrauert  starb  er  den 

herbei,    verbindet   die    klaffenden  14.  .Januar  973.     Das  Gedicht  ist 

Wunden  und  kredenzt  den  Lechzen-  eine  Jugendarbeit,  denn  als  Kloster- 

den  den  Labetrunk.    Mit  Schurz  schüler  verfasste  es  Ekkehart  im 


und  Neckereien  über  die  gegen-  Auftrage  seines  Lehrers  Geraldus. 
seitigen  Verstümmelungen  wird  der  Die  Entstehung  des  Gedichtes  fallt 
Weiu    gewürzt,   dann  geht  jeder  in  die  Zeit  von  920—940.    Die  uns 


seiner  Wege. 


vorliegenden  Verse  sind  allerdings 


Mit  Freuden  wird  Walthari  in  nicht  die  ursprünglichen ,  welche 
Aquitanien  empfangen  und  an  der  Ekkehart  der  L  verfasste.  Sie  sind 
Seite  seiner  treuen  Hildegund  be-  vielmehr  durch  die  bessernde  Hand 
herrscht  er  nach  seines  Vaters  Tod  des  Geraldus  gegangen  und  haben 
noch  dreissig  Jahre  lang  das  Volk 
von  Aquitanien  zu  dessen  Segen  und 
Ruhm. 

Der  Verfasser  des  Walthariliedcs 
ist  der  St.  Gallische  Mönch  Jükke- 
hart,  der  durch  den  Heiuamen  der  I. 
unterschieden  wird  von  seinen  beiden 
Neffen  Ekkehart  dem  IL  und  III. 
und  Ekkehart  dem  IV.,  von  denen 
der  erstere  es  war,  der  wegen  sei- 
ner funkelnden  Augen  und  seiner 


später  nochmals  in  Ekkehart  «lein  IV., 
dem  oben  erwähnten  gewandten  La- 
teiner, einen  sorgfältigen  Korrektor 
gefunden.  Wie  hoch  schon  die 
Zeitgenossen  Ekkeharts  das  Gedicht 
zu  schätzen  wussten,  zeigt  der  Um- 
stand, dass  es  mit  einer  Widmung 
versehen  von  Gerald  dein  Bischof 
Erchenbald  von  Strassburgzugesandt 
wurde  und  durch  Ekkehart  des  IV. 
Vermittelunfr  auch  an  dem  Hof«  des 


herrlichen  Gestalt  von  der  Herzogin  '  Erzbischofs  Aribo  von  Mainz  sich 


Hadwig  zum  Lateinlehrer  ausge 
wählt  wurde  und  990  als  Dompropst 
zu  Mainz  starb,  während  von  Ekke- 
hart dem  III.  man  nur  weiss,  dass 
er  seinen  Netten  Ekkehart  den  II. 
auch  einmal  auf  den  Hohentwiel 
begleitete  und  es  in  St.  Gallen  bis 
zur  Würde  des  Dekans  gebracht, 
Ekkehart  der  IV.  (c.  980  bis  c.  1060) 
aber  besonders  bekannt  ist  als  Ver- 
fasser verschiedener  lateinischer  Ge- 
dichte und  als  Fortsetzer  der  von 
Ratpert  bis  zum  Jahre  883  geführten 
Casus  Sanofi  dalli ,  die  er  selber 
mit  dem  Jahre  975  abschliesst. 


Ansehen  zu  verschaffen  wusste. 

Unserem  lateinischen  Walthari- 
liede  diente  offenbar  als  Vorlage 
ein  althochdeutsches  Heldenlied,  das 
die  Waltharisage  behandelte,  uns 
aber  leider  verToren  gegangen  ist 
Nach  Wackernagel  enthält  die 
Waltharisage  wahrscheinlich  eine 
Beimischung  aus  der  Göttersage, 
oder  wurzelt  vielleicht  ganz  in  letz- 
terer: in  dem  Entscheidungskampfe 
wird  Walthari  einhändig,  wie  Tyr 
und  Hagen  einäugig  wie  Hödhr 
blind  ist ;  Hildegund  aber  vereinigt 
in  sich  die  Namen  zweier  Valkyrien 


Aus  der  Gegend  von  Gossau  oder  Hildr  und  Gunnr. 
Herisau,  nach  anderen  von  Jonswil       Die  Waltharisage  lie^t  uns  in 


war  Ekkehart  L  nach  St.  Gallen  in  drei  Gestalten  vor  (Müllenhoff,  Zeit- 

die  Klostermauern  eingezogen.    Er  schrift  für  deutsches  Altertum  XII., 

brachte  es  zu  hohen  Würden,  indem  273) : 

er  die  Stelle  eines  Dekans  beklei-  1.  in  einer  alemannischen ,  2.  in 

dete  und  nach  Abt  Cralohs  Tod  einer  fränkischen ,  und  3.  in  einer 

958  interimistisch  selbst  als  Amts-  polnischen. 

Verweser  die  Geschäfte  des  Klosters  Die  alemannische  (testalt  der 

leitete,  dann  aber  auf  die  Würde  i  Sage  tritt  uns  in  dem  Waithanus 


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1066 


Wappen. 


manufortU  des  Ekkehnrt  entgegen, 
ferner  in  den  Anspielungen  auf  die 
Waltharisage  in  dem  Nibelungen- 
lied und  im  Biterolf  und  endlich 
noch  in  dein  angelsächsischen  Ge- 
dicht l'ahlere,  das  aus  dem  9.  Jahr- 
hundert stammend  die  älteste  uns 
erhaltene  Aufzeichnung  der  Sage  ist 
und  uns  in  zwei  Fragmenten  wenige 
einzelne  Züge  der  Sage  erzählt. 

In  der  fränkischen  Fassung  liegt 
uns  die  \Valtharisage  in  der  Thi- 
drckssarja  vor,  wo  der  Held  als 
Yaltart  af  Vaskasteiniy  dessen  Vater 
nicht  genannt  wird,  und  als  Schwe- 
stersohn Ermenrichs  erscheint.  Ihr 
schliesst  sich  auch  das  Fragment 
eines  österreichischen  Gedichtes  über 
Walthari  aus  der  besten  Zeit  des 
mittelhochdeutschen  Epos  an.  Auf 
die  Seite  der  Hunnen  stellt  sich  der 
Pole  Boquphalu*  (f  1253),  der  in 
seinem  Clironiean  Poloniae  die  Wal- 
tharisage  erzählt. 

Über  die  Litteratur  des  Walthari- 
liedes  vgl.  die  Walthariusausgabe 
von  Scheffel  und  Holder  p.  174. 

Wappen,  das  gleiche  Wort  mit 
Waffen,  mhd.  icafen,  wozu  ttdpen 
als  niederdeutsche  Bildung  gehört; 
und  zwar  beide  Formen  inifen  und 
icupen  in  beiderlei  Bedeutung  ver- 
wandt. Der  Ursprung  der  Wappen 
liegt  ohne  Zweifel  in  dem  Umstände, 
dass  die  gallischen  und  germanischen 
Völker  in  der  Urzeit  buntbemalte 
Schilde  trugen  und  die  Helme  mit 
Tierfiguren  ausschmückten;  Tacitus 
Germ.  6.  Diese  Gewohnheit  musste 
dazu  führen,  die  Helmfigur  und  na- 
mentlich den  bemalten  Schild  als 
Unterscheidungszeichen  der  Person 
zu  benutzen.  Die  ältesten  siehern 
Zeugnisse  für  das  Vorhandensein 
wirklicher  Wappen  sind  den  Siegeln 
der  Könige  und  des  hohen  Adels 
aus  dem  11.  und  12.  Jahrhundert 
zu  entnehmen.  Sie  zeigen  den  In- 
haber entweder  im  Ornate,  mit  der 
Krone  auf  dem  Haupte,  auf  dem 
Throne  sitzend,  oder,  bei  dem  hohen 
Adel  und  zuweilen  auch  bei  den 


Königen,  in  voller  Rüstung  mit 
Banner  und  Schild  auf  dem  Pferde 
einhersprengend.  Die  Wappenbilder 
finden  sich  nun  hier  entweder  auf 
Schild,  Helm  und  Bauner  der  Reiter 
gestalt,  oder  für  sich  selbständig 
auf  kleinen  Siegeln,  die  als  s.  g 
Gegensiegel  auf  der  Rückseite  der 
grossen  Wachssiegel  abgedrückt 
wurden  und  im  Verlaufe,  nachdem 
sie  lange  Zeit  neben  den  grossen 
Siegeln  vorgekommen,  diese  letztere 
völlig  verdrängen.  Das  älteste  be- 
kannte  Wappensiegel  hängt  an  einer 
Urkunde  des  Grafen  Robert  I.  von 
Flandern  vom  Jahr  1072  und  zeigt 
auf  dem  Schilde  bereits  den  flan- 
drischen  Löwen.  Zahlreicher  wer 
den  die  Wappenbilder  erst  seit  der 
Mitte  des  12.  Jahrhunderts,  ja  di» 
meisten  Geschlechter  des  nohen 
deutschen  Adels  können  ihre^Vap 

Senbilder  nicht  vor  der  ersten  Hälft 
es  IB.  Jahrhunderts  nachweisen 
Sogar  die  Reichswappen  fixieren  fiel) 
nicht  in  früherer  Zeit.  Die  fran 
zösischen  Lilien,  früher  auch  anders 
wo  häufig  vorkommendes  Sym^'l 
des  vom  König  gewährten  Frieden>. 
die  englischen  drei  Leoparden,  der 
aufgerichtete  schottische  Löwe  i» 
doppelter  Lilienreihe  erscheinen  al* 
feststehende  Reichswappen  erst  ü» 
der  zweiten  Hälfte  des  12.  Ja«' 
hunderts.  Der  deutsehe  Reichsadler 
zeigt  sieh  als  ständiges  Wappen  ertf 
auf  den  Siegeln  Rudolfs  von  Hab> 
bürg,  der  Doppeladler  erst  unter 
Sigismund.  Die  vielen  Sagen  über 
den  alteren  Ursprung  einzelner 
Wappen  sind  slso  sämtlich  Fabeln 
und  ein  Wappensiegel  des  10.  Jahr 
hundert  ist  immer  unecht. 

Die  Entstehung  des  Wapi*ui 
ist  also  offenbar  von  der  Entstehom: 
und  Ausbildung  des  Rittertmev 
abhängig.  Die  Erhebung  eines  be- 
sonderen Ritterstandes  verlang 
ein  äusseres  Zeichen  derRitterw'ürde 
die  verhüllende  Eisenrüstung  ei" 
sonderes  Kennzeichen  des  einzelne" 
Ritters;  die  Standes    und  Krieger 


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Wappen. 


1067 


ehre  verlieh  diesen  Zeichen  hohen 
Wort  und  bestimmte  die  Erben,  an 
dem  einmal  angenommenen  Zeichen 
festzuhalten,  und  die  aufblühende 
Kunst  beeilte  sieh,  den  willkomme- 
nen Gegenstand  in  würdiger  Weise 
darzustellen.  Die  Ausbildung  der 
Wappenkunde  als  einer  Berufs- 
wissenschaft durch  die  Herolde 
\ siehe  diesen  Art.)  kam  erst  nach 
•ler  höfischen  Zeit  auf;  von  den 
Herolden  aber  stammen  die  im  14. 
Jahrhundert  systematisch  entwickel- 
ten und  schriftlich  aufgezeichneten 
Kegeln  der  Wappenkunst,  Herold*- 
htnst  oder  Heraldik  her.  Der  fran- 
zösische Ausdruck  Vart  du  blason 
wird  von  dem  deutsehen  Urnen  ab- 
geleitet, dem  Hornrufe,  womit  der 
Ritter  an  den  Turnierschranken  den 
Herold  zu  rufen  hatte.  Das  ge- 
brauchte Horn  soll  dann  auf  dem 
Helm  als  Zeichen  der  geschehenen 
Zulassung  befestigt  worden  sein. 

Bestandteil  de*  Wappens  bildet 
Bild  und  Farbe  des  bemalten  Sehil- 
de* und  der  den  Hehn  zierende 
Srhmuek;  von  Schild  und  Helm 
wurden  dann  die  Wappenfiguren 
auf  den  Wappenrock,  das  Panier, 
die  Pferdedecke  übertragen,  so  zwar, 
dass  auch  hier  meist  die  Schildform, 
oft  mit  Beifügung  des  Helmes,  bei- 
behalten ist  und  das  ganze  als  Nach- 
bildung der  zur  Turoierschau  aus- 
gestellten oder  der  vom  Ritter  selber 
zu  Pferde  getragenen  Waftenstüeke 
sich  darstellt.  Meist  sind  die  alten 
Wappenabbildungen ,  wie  in  der 
Manessischen  H  andschrift  der  Minne- 
sänger, von  der  Art.  dass  man  ohne 
irgend  welche  Veränderung  den 
Ritter  selbst  nur  hinter  dem  Schild 
in  den  Helm  eingefügt  sich  zu 
denken  braucht,  um  das  volle  Profil- 
bild des  Ritters  zu  haben,  wie  er, 
am  linken  Arme  den  Schild  tragend, 
in  kunstgerechter  Stellung  zu  Pferde 
sitzt  Die  Siegel  des  13.  und  14. 
Jahrhunderts,  welche  Wappen  ent 
lialten,  haben  ursprünglich  häufig 
selbst  Schilderform .  daneben  wird 


die  runde  Form,  die  den  Schild  bloss 

1  als  inneres  Siegelbild  zeigt,  immer 

i  gewöhnlicher.  Dabei  findet  sich  an- 
fangs Schild  und  Helm  selten  ver- 

,  einigt,  entweder  bloss  Schild  oder, 
namentlich  in  kleinen  Handsieg<*ln, 

|  der  Helm  mit  der  Helmzicr.  Erst 
spätere  Zeit  verbindet  regel- 
mässig Schild  und  Helm.  Im  \  er- 
lauf der  Zeit  wurden  die  Wappen 

I  auf  Siegeln  und  anderen  Darstel- 
lungen immer  reicher  ausgeschmückt, 
Symbole  der  Amtswürde  oder  Adels- 
stufe des  Inhabers,  wie  Kronen, 
Mützen,  Hüte,  Stabe,  auch  Helm- 
decken kommen  dazu;  femer  im 
16.  und  17.  Jahrhundert  besondere 
Schildhalter,  Devisen  als  Kriegsruf 
des    Geschlechtes,   endlich    s.  g. 

!  Ii 'appenzelte  oder  Wappenmäntel, 
die  von  den  Rittermänteln  herge- 

|  nommen  sind. 

Nur  die    Wajtpen    der  Städte, 

'  Kirehen  und  Klöster  lassen  sich 
nicht  direkt  von  der  Ritterrüstung 
ableiten,  obgleich  sie  ebensowenig 
aus  den  älteren  Siegeln  dieser  Kor- 
poral ionen  abgeleitet  werden  können. 
Wahrscheinlich  verdanken  sie  ihren 
Ursprung  den  Panieren,  unter  denen 
die  Angehörigen  der  Stadt,  des  Bi- 
schofs oder  Abtes  zu  Felde  zogen; 
die  Schildesform  ist  also  hier  blosse 
Nachahmung ;  die  Wappenfarbe 
kann  nur  von  der  Farbe  des  Pa- 
niers oder  der  Kleidung  der  dem- 
selben zu  Fuss  folgenden  Krieger 
herrühren.  Alte  Wappenrollen  ent- 
halten Städte  -  und  Stifts wappen 
wirklich  in  Form  von  Fahnen. 

Herrsehafts-  und  Uindertrapnen 
sind  durchwegs  dem  (»eschlecnts- 
wappen  des  Herrn  entnommen:  erst 
wo  etwa  die  Herrschaft  wechselte 
und  das  ältere  Wappen  für  das  Land 
blieb,  wurde  die  Hcrleitung  ver- 
dunkelt; denn  gewöhnlich  nahm 
nicht  das  Land  «las  Wappen  des 
neuen  Herrn,  sondern  der  neue  Herr 
das  Wappen  der  neu  erworbenen 
Herrschaft  an. 

Ursprünglich   scheint  man  die 


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1068 


Wappen. 


Bilder  zum  Teil  aus  Pelzwerk  aus- 
geschnitten und  auf  den  Schild  be- 
festigt zu  haben;  daher  die  schwarze 
Farbe  noch  im  13.  .Jahrhundert  ge- 
wöhnlich mit  zohel  bezeichnet  wird; 
weiss  ist  hermin.  Die  üblichen  Far- 
ben sind  Silber  und  Gold ,  dann 
Hei^t,  Schwarz,  Rot,  Blau,  Grün; 
gewöhnlich  ist  das  Feld  Metall  und 
das  Wappenbild  gefärbt,  oder  um- 
gekehrt. 

Uber  den  Grund,  welcher  ein 
Geschlecht,  eine  Stadt  oder  Korpo- 
ration veranlasste,  dieses  oder  jenes 
Wappeiibild  anzunehmen,  ist  selten 
etwas  Zuverlässiges  anzugeben  mög- 
lich. Am  erkennbarsten  liegt  er 
vor  bei  den  s.  g.  redenden  Wappen, 
bei  denen  Bild  und  Name  entspre- 
chen sollen,  oft  zwar  nach  voll- 
standig  erfundener  Etymologie,  so 
wenn  Helfenstein  einen  Elefant, 
Schaffhausen  ein  Schaf  (einen  Wid- 
der) im  Wappen  tragt;  doch  sind 
diese  Bilder  oft  erst  spater  adoptiert. 
Nicht  selten  ist  das  Wappenschild 
oder  die  Farbe  zum  Andenken  an 
irgend  eine  tapfere  Waffenthat  ver- 
liehen oder  angenommen  worden. 
Unter  den  Tierfiguren  erscheinen 
weitaus  am  häutigsten  die  Löwen 
und  Adler,  Symbole  der  Kraft  und 
des  Mutes,  die  schon  im  12.  Jahr- 
hundert vorkommen ;  ursprünglich 
zu  den  vornehmsten  Wappenbildern 
des  hohen  Adels  gehörig,  finden  sie 
sich  infolge  von  Verleihung  oder  als 
Zeichen  der  Abhängigkeit  schon 
früh  auch  in  Wappen  des  niederen 
Adels,  der  Ministerialen  und  Städte, 
oft  so,  dass  das  abgeleitete  Wappen 
durch  eine  Veränderung  seiner  Farbe 
oder  Figur  oder  durch  einen  Zusatz 
zu  der  letzteren  von  seiner  Quelle 
unterschiedeu  wurde;  so  finden  sich 
die  Löwen  der  schwäbischen  Her- 
zöge nicht  selten  in  den  Schilden 
des  schwäbischen  Adels,  die  Löwen 
der  Grafen  von  Kiburg  in  den 
Wappen  der  Städte  Winterthur, 
Diessenhofen  und  Andelfingen.  An- 
dere alte  Wappenzeichen  sind  der 


Leojiard,  die  Bärentatze ,  die  wild' 
Meerkatze,  der  Wolf,  der  El>cr,  der 
Hirsch,  der  Steinl/ock,  der  Widder, 
der  Greif  der  Windhund,  der Straa". 
der  l'apaqei,  Fische,  das  Schiff.  Aach 
Zeichen  Jen  in  der  Familie  erMich^ 
Amtes  oder  Dienstes  können  «Ii- 
Wappen  sein;  so  führen  maiich- 
Truchsessen-GeschlechtereinenKes 
sei  oder  eine  Schüssel,  manche  Sehen 
ken  einen  Becher  im  Schilde;  hau 
figer  indes  deutet  nur  das  Helmkleino  i 
auf  ein  solches  Verhältnis  hin,  wot*i 
j  das  sonstige  Familienwapi>en  uupr 
stört  bleibt ;  die  geistlichen  Herren 
I  die  Kurfürsten  und  Fürsten  habtx 
Hüte  und  Mützen  in  bestimmt' r 
Form,  und  von  ihnen  abgeleitet  mit- 
!  unter  auch  ihre  Vasallen;  daneben 
kommen  dieselben  Stück«'  als  Sjin- 
'  bole  der  Freiheit ,  zuweilen  wohl 
auch  ganz  ohne  Bedeutung  häufe 
vor,  als  Helmzier  oder  auch  Mo* 
als  Unterlage  einer  solchen.  Krot** 
finden  sich  als  8.  g.  Rangkromn 
nicht  bloss  in  den  Wappen  des  hohen 
Adels,  sie  kommen  schon  um  13M 
in  den  Siegeln  des  niederen  Add- 
vor.  Auch  auf  die  Beschaffenhei' 
der  Helme  selbst  wurde  bis  gep'Q 
die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  ken: 
besonderes  Gewicht  gelegt;  der 
wohnliche  Helm  in  Wappen  uu-i 
Siegeln  war  der  einfache  geschlos 
sene;  seit  Ende  des  15.  Jahrnundert- 
galten  dagegen  geschlossene  oder 
s.  g.  Stcrhhehne  für  Zeichen  eine? 
nicht  adeligen,  offene  oder  s.  g 
Tnrnierhelme  als  Zeichen  eines  tur 
nierfähigen  adeligen  Geschlechte. 

Die  Bedeutung  des  eeJiten  Hin- 
pens  besteht  darin,  dass  es  Zeichen 
eines  ritte  runtssigen ,  turnierfahip" 
und  seit  Ausbildung  des  niedere 
Adels  adeligen  Gcachlechtsist.  \Nap" 
pengenoss,  wajfenf/enoz ,  zu  SchiM 
und  Helm  geboren  und  ritterbürtig 
sind  gleichbedeutende  Ausdruck- 
Erteilung  eines  Wappenbriefes  fiM 
mit  der  Erhebung  in  den  Adels- 
stand zusammen.  „Seit  Ende  *J 
14.  Jahrhunderts  dehute  sich  jedoch 


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1069 


der  Gebrauch  der  Wappen,  nament- 
lich bei  den  Bürgern  der  Städte, 
viel  weiter  aus.  Je  mehr  die  wirk- 
lich rittermässigen  Geschlechter  der 
Bürgerschaft  mit  den  andern  zu 
einer  Genossenschaft  zusammen- 
schmolzen und  Mühe  hatten,  ihren 
Stand  gegenüber  der  nicht  in  Städten 
niedergelassenen  Ritterschaft  zu  be» 
haupten,  desto  mehr  näherten  sich 
ihnen  die  bürgerlichen  Geschlechter, 
insofern  diese  wenigstens  kein  un- 
ritterliches Gewerbe  trieben;  und 
die  Unterscheidung  wurde  um  so 
geringer,  als  ja  ursprünglich  diese 
Stanilesverschiedenheit  nur  auf  der 
Lebensart  beruht  und  die  Unter- 
lage persönlicher  schöppenbarer  Frei- 
heit gerade  in  den  Städten  auch 
ausser  dem  Adel  ungesehwächt  sieh 
erhalten  hatte.  Dazu  halfen  die 
Privilegien  mit,  die  den  Bürgern 
einzelner  Städte  allgemeine  Lehens- 
fähigkeit erteilten.  Das  Wappen 
konnte  hier  um  so  weniger  mehr 
als  ein  Zeichen  des  Adels  gelten, 
als  es  überhaupt  die  Beziehung  auf 
Kitterschaft  und  Kriegswesen  immer 
mehr  verlor  und  die  praktische  Be- 
deutung auf  das  Siegelbild  sieh 
konzentrierte.  In  der  Schweiz  dehnte 
sich  der  Gebrauch  der  Wappen  so- 
gar auf  die  Bauern  und  auf  einzelne 
Dörfer  aus.  Doch  unterschied  die 
strenge  Heraldik  fortwährend  zwi- 
schen adeligen  %md  nicht  adeligen 
Wappen,  und  gab  nur  den  erstem 
die  Kraft  des  eigentlichen  Wappens." 

Seit  der  vollendeten  Ausbildung 
des  Wappeninstitutes  im  14.  Jahr- 
hundert gilt  das  eigentliche  Wappen 
als  notwendig  und  unveränderlich. 
Wappen  Verleihungen  kommen  erst 
im  14.  Jahrhundert  vor;  bei  bürger- 
liehen Familien  wurde,  früher  wie 
später,  das  Wappen  willkürlich  von 
dem  hierzu  Berechtigten  angenom- 
men. Das  Wappen  vererbt  sich 
nach  den  Grundsätzen  der  Familicu- 
erbfolge  auf  die  ebenbürtigen  Nach- 
kommen; es  gilt  als  ein  wichtiges 
nutzbares  Recht,  dessen  Verletzung 


durch  Verhöhnung,  Missbrauch  oder 
unbefugte  Anmassung  Anrufung  des 
richterlichen  Schutzes  und  Strafe 
rechtfertigen  kann;  es  kann  sogar 
als  Teil  des  Vermögens  veräussert 
werden,  wie  z.  B.  der  Freiherr  Leut- 
hold  von  Regensburg  1370  sein  Helm- 
kleinod, den  Brakenkopf,  aus  Geld- 
not den  Burggrafen  von  Nürnberg 
verkauft«'.  Viel  grösser  aber  ist 
die  sonstige  Bedeutung  des  Wap- 
pens. Ritterehre  und  Familienstolz 
vereinen  sich,  den  Ruhm  des  alt- 
hergebrachten Wappens  zu  wahren 
una  zu  erhöhen.  Veredlung  des 
Wappens  durch  kaiserliche  Ver- 
leihung ist  höchste  Belohnung  be- 
wiesener Tapferkeit;  während  dem 
j  Verbrecher  der  Wappenschild  vom 
Herold  umgestürzt  und  durch  den 
Kot  geschleift  wird,  deckt  edel  ge- 
bliebene Toten  noch  im  Grabe  der 
Stein  mit  dem  Wappenbild;  stirbt 
aber  der  letzte  des  Geschlechtes,  so 
wird  über  dem  Grabe,  da  auch 
Schild  und  Helm  ihn  nicht  über- 
leben soll,  das  Ehrensymbol  feier- 
lich zerschlagen.  Meist  nach  Fried- 
rich v.  Wjfas.  Über  Ursprung  und 
Bedeutung  der  Wappen,  im  sechsten 
Baude  der  .Mitteilungen  der  Zürcher 
Antiquarischen  Gesellschaft.  Schultz, 
höfisches  Leben,  II,  Abschnitt  1. 
Vgl.  Mager,  0.  v.,  Herald.  Abc- 
Buch,  18.f>7,  und  O.  Hefner,  Hand- 
buch der  theoretischen  und  prak- 
tischen Heraldik,  1863. 

Wartburgkrieg.  Die  Wartburg 
war  unter  der  Herrschaft  des  Land- 
grafen Hermann  von  Thüringen 
der  Sammelplatz  der  grossen  Dichter. 
Da  konnte  wohl  manchmal  die  Eifer- 
sucht und  der  Wetteifer  der  Sänger 
ein  poetisches  Turnier  veranlassen, 
in  welchen  sie  ihre  Kräfte  massen. 
In  einen  solchen  Wettgesang,  der 
im  Jahre  120»>  oder  1207  auf  der 
Wartburg  stattgefunden  haben  soll, 
werden  wir  durch  das  Gedicht  „Der 
Wartburgkrieg"  eingeführt.  Die 
berühmtesten  Sänger  der  damaligen 
Zeit  sind  daran  beteiligt:  Walther 


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1070 


Wartburgkrieg. 


von  der  T'ogelweide,  W  olfram  von 
Kfchenbach  uud  Reimar  der  Alte, 
ferner  der  tugendhafte  Sehreiher. 
Biterolf  und  Heinrieh  von  Ofter- 
dingen, von  welch  letzterem  wir 
sonst  so  gut  wie  nichts  wissen. 

Im  ersten  Teile  des  Gedichtes, 
im  Streitgedieht,  kämpfen  die  Sünder 
über  den  Vorzug  von  Fürsten.  Hein- 
rich von  Ofterdingen  macht  sich 
anheischig  seinen  Herrn  den  Herzog 
Leopold  VII.  von  Österreich  zu 
preisen,  gegenüber  Wolfram  von 
Eschenbacn  und  dem  tugendhaften 
Schreiber,  welche  den  Landgrafen 
Hermann  von  Thüringen  über  den 
Österreicher  steilen  und  gegenüber 
Biterolf,  der  die  Stimme  erhebt  zur 
Verherrlichung  seines  Herrn,  des 
Grafen  von  Henneberg.  Walther 
von  der  Vogelweide  zeigt  sich  an- 
fangs ungehalten  auf  Österreich  und 
gibt  dem  König  von  Frankreich 
vor  allen  andern  Fürsten  den  Preis; 
später  bereut  er  es,  sich  von  Öster- 
reich losgesagt  zu  haben  und  ver- 
gleicht Leopold  mit  der  Sonne. 

Heinrich  von  Ofterdingen  gibt 
dies  stillschweigend  zu,  ist  durch 
eine  unschöne  List  Walthers  besiegt 
worden  und  soll  nun  durch  den 
Henker  Stempfei  aus  Eisenach  hin- 
gerichtet werden.  Zu  seiner  Hilfe 
ruft  er  den  Zauberer  Klingtor  aus 
Ungarn,  dieser  erscheint  und  mit 
seinem  Auftreten  hebt  der  zweite 
Teil  des  Gedichtes  an,  den  Simrock 
das  RaUehpiel  überschrieben  hat. 
Klingsor  giebt  nämlich  dem  Wolf- 
ram vou  Eschenbach  acht  Rätsel 
auf,  welche  dieser  mit  Leichtigkeit 
löst.  So  hat  der  einfache  Glaube 
des  Minnesängers  gesiegt  über  die 
schwarze  Büchergelehrsamkeit  des 
ungarischen  Zauberers.  Dieser  will 
Rache  nehmen,  für  seine  Niederlage 
und  zugleich  erfahren,  mit  welcher 
überirdischen  Macht  Wolfram  im 
Bund«'  stehe,  dass  er  die  schwieri- 
gen Rätsel  so  schnell  gelöst.  Er 
beschwört  zu  diesem  Zwecke  den 
Teufel  Nasion,  der  bei  Nacht  Wolf- 


ram heimsucht  und  ihn  über  de* 
Lauf  der  Gestirne  fragt.  „Dcrjeuip 
der  die  Gestirne  gemacht  hat,  regelt 
und  kennt  ihren  Lauf,  mich  beküm 
mert  das  nicht4',  ist  die  Antwort 
Wolframs,  der  zugleich  durch  <la* 
Zeichen  des  Kreuzes  den  Teufel 
zum  Fliehen  zwingt. 

An  diesen  zweiten  Hauptteil  da 
Wartburgkrieges,  der  mit  dem  ersten 
allerdings  in  einem  ziemlich  lo^  n. 
aber  doch  in  einem  Zusammenhan-' 
steht,  sind  nun  noch  verschiedem 
Dichtungen  gereiht,  die  mir  dm 
Wartburgkrieg  so  gut  wie  nicht« 
zu  schaffen  haben. 

Wer  der  Verfasser  des  Wart 
burgkrieges  gewesen,  ist  nicht  sicher 
anzugeben.     Ohne    Zweifel  aber 
Stammt  er  nicht  von  einem  einzig 
Dichter.    Die  Pariser  Handschrift 
der  Minnelieder  bezeichnet  als  «Ion 
Dichter  Wolfram  von  Eschcnbaci 
während  die  Jenaische  Liederbanl 
schrift  den  ersten  Teil  dem  HeiiJ 
reich  von  Ofterdingen ,  den  Rät«: 
kämpf  aber  Wolfram  von  Eschl- 
bach in  den  Mund  legt.    Auch  <^ 
Entstehung  der  einzelnen  Teile  tallt 
in  verschiedene  Zeiten. 

Von  jeher  betrachtete  man  de* 
Wartburgkrieg  als  einen  Versuch- 
dem  geistlichen  Drama  ein  weit 
liches  entgegenzusetzen.  Der  Dicht' 7 
I  schloss  sich  bei  diesem  Untcrtai»^ 11 
!  an  das  Streitgedicht  an  und  ver 
knüpfte  mit  diesem  einen  RÄtseJ 
kämpf,  wie  ihn  seine  Zeit  liebt«-. 
Streitgedichte  mit  unter  SttgJn 
verteilten  Rollen  fand  er  bei  d«-n 
Franzosen  vor  unter  dem  Nanut 
jeu  parti.  Vor  dem  Wartburgkrieg 
waren  sie  in  Deutschland  nicht  vcl** 
tümlich,  das  einzige  ausgenommen 
•  las  den  Streit  zwischen  SflBJ»* 
und  Winter  behandelt  und  als  älteste 
Quelle  solcher  poctUchcrWettkiunpH 
betrachtet  werden  kann.  ^Hel 
kämpfe  dagegen  kommen  sch<>nin<h'r 
deutschen  Mythologie  vor.  l^iü  r, 
halte  und  der  Form  nach  erhebt  m* 
der  Wartburgkrieg  nicht  über  dtö 


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Wechsler. 


1071 


Charakter  <  les  Streitgedichtes,  und  der 
erste  Versuch  rein  deutscher  Dra- 
matik m uss  somit  als  misslungeu 
bezeichnet  werden,  wie  das  ganze 
Gedicht  überhaupt  im  grossen  und 
ganzen  poetisch  wertlos  genannt 
werden  darf.  Wohlthuend  ist  der 
Hauch  der  Ehrfurcht  und  der  Be- 
wunderung, welcher  das  ganze  Ge- 
dicht durchweht,  für  den  grössten 
deutschen  Dichter  des  Mittelalters, 
für  Wolfram  von  Eschenbach.  Der 
Wartburgkrieg,  herausgeg.,  geordnet, 
übersetzt  und  erläutert  von  A\  Sita- 
roek.  Stuttg.  1858. 

Wechsler.  Die  ausserordentliche 
Verwirrung  der  Münz  Verhältnisse 
im  Mittelalter,  die  Ausbeutung 
des  Münzregals  von  seite  der 
Territorialherrschaftcn ,  überhaupt 
die  allgemeine  Verschlechterung  der 
Münzen,  alles  dies  verlangte  mit 
Notwendigkeit  die  Ausbildung  des 
Inatitutes  der  Wechsler.  Unter  die- 
sen kann  man  einheimische  deutsche 
und  fremde  Wechsler  unterscheiden. 
Zu  den  einheimisch  deutschen  Wechs- 
lern gehören  in  erster  Linie  die 
Dienstmännischen  oder  patrizischen 
(^schlechter  in  einigen  Städten, 
welche  eine  eigene  Zunft,  die  Haus- 
nrnossen,  unter  dem  Münzmeister 
bildeten;  diese  besassen  ausser  dem 
eigentlichen  Münzrecht  als  Lehen 
das  ausschliessliche  Vorrecht,  in  den 
Städten  Geld  wechseln  zu  dürfen; 
sie  hatten  dem  zufolge  den  Namen 
ramysores ,  caml/iatorcs,  Wechsler. 
Das  Privileg  hing  damit  zusammen, 
dass  die  Münzer  als  die  Münzschauer 
das  Recht  und  die  Pflicht  hatten, 
die  probehaltige  Münzt;  zu  versie- 
geln, die  nicht  probehaltige  zu  zer- 
schneiden, überall  nach  der  Echtheit 
der  Münzen  zu  sehen  und  alle  be- 
trächtlichen Zahlungen  zu  kontro- 
lieren.  In  Litauen  und  Polen, 
Krakau  und  Breslau  besorgten  da- 
gegen lediglich  angesehene  Kaufleutc 
den  Geldwechsel  der  grossen  Be- 
träge einheimischer  Geldarten,  die 
aua  diesen  Gebieten  seit  dem  12.  Jahr- 


hundert in  Baarsendungen  als  Ab- 
gaben an  den  päpstlichen  Hof  gingen. 
Vielleicht  aus  den  Hausgenossen 
hervorgegangen  findet  man  drittens 
seit  dem  13.  Jahrhundert  eine  Zahl 
von  Seljenicechslern,  die,  unter  der 
Aufsicht  der  Hausgenossen  steheud 
oder  unabhängig  neben  ihnen  gegen 
Kaution  und  Abgaben  von  den 
städtischen  Obrigkeiten  Erlaubnis 
zum  Wechseln  erhalten.  Sie  be- 
treiben fast  lediglich  den  Hand- 
wechsel, Geldtransport  und  das  Hiu- 
leihen  von  Darlehen  gegen  Pfänder, 
nehmen  auch  Depositen  an  und  be- 
sorgen Wechsel  auf  Bestellung,  in- 
des nicht  nach  entfernten  Zahlungs- 
orten. Sie  finden  sich  besonders  in 
norddeutschen  Städten ,  Lübeck, 
Hamburg,  Breslau,  in  Preussen  und 
Polen.  Viele  derselben  besassen 
erbliehe  Wechselbänke,  die  sie  nach 
Belieben  vor  dem  Rate  übertrugen 
und  die  meist  nahe  dem  Rathause 
und  der  späteren  Börse  stehen. 
Fremde  Wechsler  aus  Italien  uud 
Südfrankreich  waren  namentlich  in 
Süddeutschland  ansässig.  Schon  seit 
dem  8.  Jahrhundert  hatten  die  italie- 
nischen Haupthandelsplätzc  Amalfi, 
Ankona,  Venedig,  dann  französische 
Handelsorte  Niederlassungen  im 
Orient  zur  Ausbreitung  des  Handels 
errichtet,  und  die  Blüte  dieser  Nie- 
derlassungen hatte  die  ihnen  beson- 
ders nützlichen  Kreuzzüge  über 
dauert.  Daraus  entstand  nun  der 
weitverzweigte  Geld-  und  Waren- 
handel der  italienischen  Kaufleute 
und  Wechsler  (Bankhäuser)  über 
Frankreich,  die  Niederlande  und 
England.  Die  Kommanditeu  der 
grossen  italienischen  Bankhäuser 
folgten  den  Kaufleuten  in  die 
Fremde,  um  ihnen  bei  Regulierung 
des  von  ihnen  im  Eigenhandel 
übernommenen  Geldes  erwünschte 
Dienste  zu  leisten.  In  derselben 
Weise  verschafften  sie  sich  auch 
als  Kaufleute  wie  als  Wechsler 
Eingang  in  Süddcutsehland.  Man 
findet  sie  hier  im   13.  Jahrhundert 


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1072 


Weihnacht. 


in  Worms,  im  14.  Jahrhundert  in 
Siegburg  bei  Bonn,  Bingen,  Solo- 
thurn,  in  Nürnberg  seit  dem  15.  Jahr- 
hundert. Sie  tragen  den  Namen 
Lombarden,  Lamjnirter.  Lummerte, 
Walen,  Kairertsrhen  (siehe  den  be- 
sondern Artikel).  Vereinzelt  zeigen 
sie  sieh  auch  in  Norddeutsehland, 
z.  B.  in  Lübeck  und  Breslau.  Eine 
dritte  Gruppe  von  Wechslern  bilden 
die  Juden,  welche  von  einzelnen 
Landesherren  das  Privileg  des  Wech- 
selrechtea  erhalten. 

Von  den  Geschäften  der  italie- 
nischen Wechselhäuser  betreiben 
die  Wechsler  in  Deutschland  vor- 
nehmlich nur  drei,  den  Bandtrechsel, 
das  Darlehn  und  den  Wechsel- 
betrieb,  doch  betreiben  die  Deutschen 
und  Juden w-  chsler  den  Wechsel- 
betrieb innerhalb  kleinerer  Entfer- 
nungen innerhalb  Deutsehland;  über 
Deutschland  hinaus,  namentlich  nach 
Frankreich  und  Italien,  pflegen  ihn 
die  italienischen  Wechsler.  Eine 
grosse  Zahl  der  Wechsler  Hess  sich 
ohne  Zweifel  neben  ihrem  kauf- 
männischen Gewerbe  an  dein  Ge- 
winne des  Handwechsels  genügen, 
während  andere  die  stete  Bereit- 
haltung von  Darlehen  meist  in 
kleiner  Summe  und  auf  kurze  Zeit 
daran  knüpften.  Neben  solehen 
privaten  Darlehnsbankeu  wurden 
mit  der  Zeit  durch  kaiserliches  oder 
landesherrliches  Privileg  von  den 
städtischen  Obrigkeiten  städtische 
Wechselbänkc  und  l^eihhäuser  an- 
gelegt. 

Da  jedoch  diese  Institute,  soweit 
sie  nicht  von  Juden  betrieben  wur- 
den, gegen  das  allgemeine  kirch- 
liche Wucherverbot  des  Mittelalters 
waren  und  doch  nicht  entbehrt  wer- 
den konnten,  richtete  die  Kirche 
eigene  Darlehnsbanken  für  die  geld- 
suchenden Bedürftigen  ein,  die  sie 
benje  der  miltikeit,  montes  pietafis 
nannte,  und  wo  dem  kanonischen 
Glaubenssätze'"  getreu  gar  keine 
Zinsen  von  dem  Darlehnsnehmer 
gefordert  werden  sollten;  geistliche 


Mittel  sollteu  zur  Herbeiscbaffanj 
des    nötigen    Kapitals  angewandt 
werden:  Vermächtnisse,  Schenkun- 
gen frommer  reicher  Leute,  Beför- 
derung zu  akademischen  und  ande- 
ren Würden,  zum  Adel,  für  dK 
welehe  angemessene  Einlagen  in  di- 
montes  thaten;  unehelich  Geboren- 
werden der  Rechte  der  ehelich  Ge 
borenen  teilhaft,  und  wer  der  Ver 
waltung  der    montes  unentgeltlich 
Gehilfendienste  widmete,   dem  ver 
sprach  man  deu  Lohn  des  Himmel*. 
Da  jedoch  die  frommen  Spenden 
bald  versiegten,  sah  sieh  die  Kirch» 
gezwungen,  zur  Deckung  der  Gr 
Schäftsunkosten  und  der  Verlusv 
einen  geringen  Betrag  von  jährlich 
10— 15%  zu  fordern;  den  Begüter 
ten  aber,  falls  sie  ihre  Gelder  ein 
längere  bestimmte  Zeit  den  wo« h  ■ 
zinslos  überliessen,  versprach  mar 
die  Summen  nach  Ablauf  der  Zeit 
vervielfacht  zurückzubezahlen .  uno 
so  kam  es  erst  in  Italien,  dann  ancL 
in  Deutschland  in  Gebrauch,  da» 
ein  Vater  nach  der  Geburt  einer 
Tochter  die  Mitgift  der  letzteren 
sogleich  in  die  Kasse  der  monUs 
zahlte,  um  nach  deren  achtzehntem 
Lebensjahre  den  zehnfachen  Betra 
dein  Verlobten  des  Mädchens  eii: 
zuhändigen;  heiratete  das  Mädchen 
früher,  so  ging  das  Kapital  an  die 
jüngere  Schwester  über,  und  fiel, 
wo  eine  solche  nicht  existierte,  der 
Kasse  der  montes  anheim. 

Die  weiteren  Funktionen  der 
italienischen  Wechsler  übernehmen 
in  Deutschland  die  Genossenschaften 
der  Kauflcute  und  die  statt  tixcAr 
Behörden,  namentlich  ».las  gross». 
Da  Hehns-  und  Dcpositcnqescfcf?. 
die  Akkomenda  und  den  Werks*  i- 
umlauf.  Nach  JSenmunn,  Geschichte 
des  Wvuchers  in  Deutschland,  Halle 
1865. 

Weihnacht.  Hier  sollen  in  Aus 
führung  des  Artikels  kirchlütte  Fest* 
die  näheren  Bezüge  zusammen- 
gestellt werden,  in  welchen  die 
kirchliche  Weihnachtsfeier  zum  heid- 


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Weihnacht. 


1073 


nisch  -  germanischen  Volksglauben 
steht.     Das    Weihnachtsfest  ent- 
stammt einem  Naturfeste,  das  bei 
.sehr    vielen    Völkern  einheimisch 
war,  der  Feier  der  Wintersonnen- 
wende,   dem    nahenden  Wieder- 
erwachen der  Natur;  so  feierten  die 
Hindu  das  Wiedererwachen  des  in 
tiefen  Schlaf  versunkenen  Gottes 
Wischnu;    in  Griechenland  zeigte 
man  am  20.  Dezember  im  Tempel 
zu  Delphi  das  Grab  des  Dionysos 
und  trauerte  um   ihn  mit  wilden 
<jJeberden,  bis  man  ihn  sich  bald 
darauf  wieder  wachend  vorstellte 
und  seine  Neugeburt  pries.  Ebenso 
feierten  die  Römer  an  den  sieben 
Tagen  vom  17.  bis  24.  Dezember 
das  Fest  des  Saturnus,  zündeten  in 
seinem  Tempel  als  Abbild  des  neu 
geschenkten  Sonnenlichtes  viele  Lich- 
ter au,  ergaben  sich  ausgelassener 
Festfreude,    beschenkten  einander 
und  "Irr deichen,  später  fügten  die 
Kaiser  dem  Saturnalienfeste  noch 
den  25.  Dezember  als  allgemeinen 
Festtag  hinzu,  zur  Feier  der  zwar 
von  den  Schatten  des  Winters  be- 
kämpften, aber  dennoch  unbesiegten 
Sonne;  an  eben  demselben  Tage 
wurde  das  Geburtsfest  des  unbe- 
siegten   Sonnengottes    Mithra  be- 
gangen und  der  Gott  dargestellt, 
wie  er  in  einer  Felsengrotte,  dem 
Abbild  des    nächtlichen  Himmels, 
geboren  wurde.     Feste  ähnlicher 
Bedeutung  wurden  auch  an  anderen 
Jahreszeiten  gefeiert,  wobei  der  ver- 
schiedene Neujahrsanfang  oft  be- 
stimmend einwirkte. 

So  begingen  von  den  germani- 
schen Völkern  die  Skandinavier  in 
den  älteren  Zeiten  ihr  mit  dem 
12.  Januar  als  ihrem  Neujahrsanfang 
beginnendes  dreitägiges  Fest  der 
Mit  wintern  acht  oder  das  Julfest  als 
Abschluss  der  Mitte  Oktober  be- 
ginnenden „Winternacht".  Ähnlich 
war  es  bei  den  Angelsachsen,  wo 
das  Julfest  Muttemacht  hiess.  Schon 
im  6.  Jahrhundert  erzählt  der  grie- 
chische   Sophist    und  Geschicht- 

Re»11eSicon  der  deuUchen  Altertümer. 


Schreiber  Prokop,  er  habe  gehört, 
dass  die  nördlichsten  Bewohner  von 
Schweden  und  Norwegen  am  35.  Tage 
der  langen  Winternacht  Boten  auf 
die  Gipfel  ihrer  höchsten  Berge 
schickten,  um  die  wiederkehrende 
Sonne  zu  erspähen;  wenn  sie  er- 
blickt werde,  so  erhebe  sich  uner- 
meßlicher Jubel,  alles  feiere  „das 
Fest  der  frohen  Botschaft".  Aus 
Furcht,  die  Sonne  möchte  einmal 
ganz  ausbleiben,  schlachteten  sie 
unaufhörlich  den  Göttern  und  höhern 
Mächten  der  Luft,  des  Himmels, 
der  Erde  Opfer,  zumal  dem  vor- 
nehmsten von  Allen,  dem  Kriegs- 
gott, dem  als  edelste  Gabe  ein 
Kriegsgefangener  Mann  an  einem 
Galgen  erhängt  oder  in  die  Dornen 
geworfen  wurde.  Nach  dem  Glau- 
ben der  Germanen  schlief  im  Win- 
ter Wodan  mit  seinen  Geister- 
scharen verzaubert  im  Berge,  die 
bösen  Geister  trieben  ihr  Wesen; 
Kiesen,  Weihnachtsbuben  oder  Weih- 
nachtswichte genannt,  sollten  von 
den  Bergen  herabkommen  und  mit 
langen  Haken  aus  den  Vorratskam- 
mern der  Bauern  Dörrfleisch  stehlen 
oder  die  Menschen  in  ihre  finstern 
Höhlen  rauben.  In  Dänemark  bildet 
man  diese  Gestalten  nach  und  ein 
Knecht  mit  geschwärztem  Gesicht, 
eine  in  einen  langen  Schwanz  en- 
digende Pferdedecke  über  den  Kör- 
per geworfen  und  einen  mit  bren- 
nenden Lichtern  bedeckten  Stock 
im  Munde,  kriecht  in  die  Häuser 
und  sammelt  Äpfel  und  Nüsse  ein, 
und  stösst  Drohungen  aus,  falls  er 
nichts  bekomme.  Schon  gegen  das 
Ende  der  langen  Winternacht  war 
man  mit  Hoffnung  der  nahenden 
Sonnenwende  erfüllt;  au  den  drei 
Donnerstagen  vor  Weihnachten,  den 
drei  Rauhnächten  oder  Klöpfleins- 
nächten,  ziehen  in  Süddeutschland 
Knaben  vor  die  Häuser  ihrer  Be- 
kannten und  werfen  mit  Erbsen  au 
die  Fenster.  Nun  kommt  die  Zeit, 
wo  Wodan  mit  der  Schar  der  ge- 
fallenen Helden   als   wilde  Jagd 

6H 


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1074 


Wein. 


durch»  Land  zieht.  Lärmt  das 
Wuetersheer  recht,  so  darf  man 
ein  fruchtbares  Jahr  erhoffen  Auch 
milde  Göttinnen  sind  im  Zuge,  Frau 
Gode,  Fria  oder  Holda.  1  tildliche 
Darstellungen  Wodans  aus  der 
Adventszeit  sind  noch  der  Schimmel - 
reiter  und  Knecht  Ruprecht,  beides 
ursprünglich  Beinamen  Wodans 
selbst,  ahd.  hrtwdperaht  =  ruhm- 
glänzend, und  in  den  Geschenken, 
die  er  den  Kindern  bringt,  an  die 
Segnungen  fies  Gottes  erinnernd; 
auch  manche  Weihnachtsgebäcke 
aus  Lebkuchenteig  sollten  ursprüng- 
lich rohe  Abbildungen  des  Gottes 
sein.  Das  dreitägige  Julfest  selber 
leitete  in  Skandinavien  ein  feier- 
liches Opfer  um  Fruchtbarkeit  und 
Frieden  ein;  Herolde  verkündigten 
einen  dreiwöchentlichen  Julfricden; 
auf  den  Höfen  fand  gastliche  Be- 
wirtung statt.  Auf  den  Feldern  und 
Bergen  lohten  Feuer,  man  pflanzte 
Tannenbäume  vor  die  Häuser,  die 
man  mit  Bändern  und  Lichtern  be- 
hing. Als  Sinnbild  des  neuen  Lich- 
tes brannte  in  der  Halle  des  Hauses 
ein  mächtiger  Baumklotz  auf  dem 
Herde,  auf  dem  Tische  zündete 
man  dreinstige  Kienspäne  als  Jul- 
lichter  an.  Zwei  Leute,  als  Wodan 
und  Friga  gekleidet,  traten  auf  und 
Jünglinge  tanzten  um  sie  einen 
Schwerttanz;  auch  Sommer  und 
Winter  stritten  miteinander.  Als 
uralte  Festgerichte  galten  Hafer- 
grütze mit  Heringen,  die  aus  dem 
Kückenstück  eines  frischgcschlach- 
teten  Sehweines  gekochte  Julsuppc, 
ein  Kbcrbraten.  Unzählig  waren  die 
Gebräuche,  vermittelst  welcher  man 
in  der  Julnacht  das  zukünftige  Ge- 
schick zu  erschauen  vermeinte.  An 
das  eigentliche  Julfest  schlössen 
sich  als  eine  heilige  Zeit  die  Zirulf- 
nächte,  die  jetzt  genau  die  Zeit  vom 
Wcihnachtstag  bis  zum  6.  Januar, 
dem  Dreikönigstag,  füllen.  Auch  hier 
ruhte  alle  Arbeit,  Die  zwölf  Nächte 
galten  als  ein  Abbild  des  kommen- 
den Jahres;  wie  in  jedem  der  zwölf 


Tage  das  Wetter  war,  so  erwartet 
man  es  an  jedem  entsprechenden 
Monate.  Mannhardt,  Weihnacht* 
blüten  in  Sitte  und  Sage,  Berür, 
1  »64 ;  Vgl.  Rcinsherrj  -  Du rinqfj'ria. 
das  festliche  Jahr,  und  H'utth. 
Volksaberglaube. 

Wein.    Die  ursprünglichen  Ge- 
tränke   der   germanischen  Völker 
sind  Met  und  Bier  (siehe  die  bt 
sonderen  Artikel),  und  nur  bei  ei- 
nigen Völkerschaften  Obstwein  <»d<; 
fit;    im   bayerischen    Sprach^  bi- ' 
heisst  lithm  eine  Schenke,  liftfei* 
der  Wirt  und  litlouf,  der  Gelöbnis 
trunk  beim  Abschlüsse  eines  Hau 
dels.    Doch  erwähnt  schon  Tacitu? 
Germania  23,  dass  die  ßewohiur 
der   römischen   Grenzgebiete  v«*- 
den  Römern  Wein  erhandelten;  der 
römischen  Ursprung  bezeugen  aucL 
die   der   römischen   Sprache  eut 
nommeneu  Wörter,   ahd.  irin.  SM 
rinum,  ahd.  winzuriJ,    Winzer,  au> 
vinitor,  ahd.  icimlenwn,  mundartlich 
wimmeln,  wimmen,  aus  vimletnum 
Presse,    Torkol   und  Kelter 
nressa,    torcti/ar,  calctirare; 
Trotte  ist  deutscher  Abstammung 
Früh  wurden  die  Rebberge  an  oö 
Mosel  deutsches  Eigentum,  seit  den> 
6.  Jahrhundert  wurde    Wein  l*1 
Andernach  im  Speiergau  und  am 
unteren  Neckar  gebaut.    Karl  oft 
Grosse  wendete  «lern  Weinbau  sein«1 
Aufmerksamkeit  zu,  später  war  na- 
mentlich Ulm  ein  eigentlicher  Wein 
markt.    WTie  der  verfeinerte  <> 
schmack  der  höfischen  Gesellschaft 
tlen  Wein  bevorzugte,  erkennt  man 
u.  a.  daraus,  dass  m  den  Gedicht«« 
des  11.  und  12.  Jahrhunderts  IM 
und  Wein    noch    regelmassig  ak 
gleich  angesehene  Getränke  nebeu 
einander  erwähnt  werden,  während 
die  höfischen  Dichter  des  13.  Jahr 
hunderte  den  Met  fast  gar  nicht 
mehr  kennen.    Doch  scheint  (h'r 
einheimische  Wein,  mhd.  der  /<"■'' 
irin,  mit  Ausnahme  derjenigen  6*" 
genden,  wo  den  Reben  von  den 
Römern  her  überlieferte  sorgsamere 


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Woin. 


1075 


Pflöge  zu  Hilfe  kam,  nicht  in  be- 
sonderem Ansehen  gestanden  zu 
haben,  er  palt  als  sauer,  und  die 
Härte  der  Trauben  soll  im  Mittel- 
alter dazu  genötigt  haben,  die  Kel- 
terbäume  aus  den  längsten  und 
dicksten  Stammen  des  Waldes  zu 
machen.  Als  gute  einheimische 
Weine  waren  vorzüglich  Rheinwein, 
EUasser,  Botzener  geschätzt  ;  sonst 
tranken  die  Vornehmen  mit  Vor- 
liebe ausländische  Weine,  von  denen 
man  eine  reiche  Namen  liste  kennt. 
Zu  den  verbreitetsten  gehören  der 
Malranier,  ein  griechischer  Wein 
von  Napoli  di  Malvasia  in  der 
Morea ,  vielleicht  überhaupt  von 
(Griechenland;  wie  andere  südliche 
Weine  bezog  man  ihn  meist  von 
Venedig.  Ein  anderer  südlicher 
Wein  ist  der  Rnmanij,  Romonij, 
Kommenji,  Roniinere,  Kuinmenie 
u.  dgl.  genannt,  aus  Napoli  di  Ro- 
mana bezogen,  wenn  der  Name 
recht  hat  Diesen  Weinen  an  Preis 
gleich  stand  der  Muscateller  oder 
Mustadelle;  unter  welschem  Wein 
oder  ninum  latinum  ist  wahrschein- 
lich italienischer  zu  verstehen;  der 
rinum  Ra/tiole,  Ririglio,  Reinfal 
oder  Reinfan  stammt  aus  Istrien 
und  wächst  zu  Prosecco  bei  Triest, 
Berühmt  war  auch  der  eippenrin, 
Uyperwein  von  der  Insel  Cypern. 

Fast  noch  lieber  als  die  natür- 
lichen Weinsorten  trank  das  Mittel- 
alter solche  Weine,  die  durch  Ein- 
kochen rersüsst  oder,  wie  unser 
Maiwein,  durch  Beimischung  von 
geteürzhaften  Kräutern  und  anderen 
/uthaten  verstärkt  werden.  Schon 
in  der  merovingischen  Zeit  würzte 
man  gelegentlich  den  Wein,  doch 
kam  diese  Sitte  erst  im  11.  Jahr- 
hundert in  allgemeineren  Gebrauch, 
und  zwar  kennt  man  als  ältere 
Arten  dieses  Getränkes  den  moraz. 
Ist  mwratum,  d.  h.  Wein  über 
Maulbeeren  abgezogen,  Glühwein 
und  eine  Mischung  von  Wein  und 
Honig;  zur  eigentlichen  Sitte,  den 
Wein  zu  würzen,  wurde  es  aber 


i  erst  in  den  Zeiten  der  Kreuzzüge, 
und  zwar  ohne  Zweifel   in  Nach- 
j  ahmung  der  Franzosen;  die  belieb- 
testen Sorten  gewürzter  Weine  sind 
jetzt : 

Das  pigmenti  fr-  piment;  insofern 
pigmentum  eigentlich  ein  stark-  und 
wohlriechendes  Gewürz,  Spezerei 
bezeichnet,  war  mgnient  anfänglich 
nichts  anderes  als  ein  mit  Gewürzen 
versetzter  Wein;  doch  wird  auch 
einer  Zuthat  von  Honig  für  diesen 
Wein  Erwähnung  getlian,  wodurch 
derselbe  die  gleiche  Bedeutung  er- 
hält wie 

der  claret,  franz.  claret,  lat. 
claratum,  clarelum ;  es  ist  ein  guter 
Rotwein,  der  so  lange  mit  Gewürzen 
und  Honig  gemischt  und  gerüttelt 
wurde,  bis  er  klar  geworden  war. 

Eine  wohl  besonders  auf  arznei- 
liche Wirkung  berechnete  Art  des 
Clarets  war  der  nach  Hippokrates, 
dem  sprichwörtlich  berühmtesten 
j  Arzte,  genannte  J/ippokras.  Eine 
andere  Art  Claret  hiess  man  ihrer 
roten  Farbe  wegen  sinopel,  von  lat. 
cinnabaris,  deutsch  Zinnober. 

Der  am  häufigsten  vorkommende 
Name  für  den  angemachten  Wein 
ist  aber  lütertranc,  ein  dem  Wort 
]  claret  nachgebildeter  Name:  doch 
I  scheint  zwischen  ihnen  ein  Unter- 
,  schied  bestanden  zu  haben,  insofern 
man  den  lütertranc  vorzüglich  aus 
weissem  Wein  und  vermittelst  schar- 
fer und  wohlriechender,  frischge- 
wachsener oder  gedörrter  Kräuter 
bereitete. 

Das  Mittelalter  kennt  übrigens 
auch  schon  gefälschte  Weine,  und 
seit  dem  14.  Jahrhundert  gibt  es 
obrigkeitliche  Verordnungen  ,  in 
denen  jede  Änderung  am  Wein 
verboten  wurde;  es  steht  darin 
manchmal,  es  dürfe  niemand  den 
Wein  anders  machen,  als  Gott  der 
Herr  ihn  habe  wachsen  lassen. 
Doch  sah  mau  sich  gezwungen, 
die  künstliche  Bearbeitung  von  um- 
geschlagenem Wein  zu  gestatten; 
die  dafiir  erlaubten  Stoffe  waren 

08* 


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1076 


Wein. 


anfangs  Erde  und  Milch:  seit  dem 
16.  Jahrhundert  kam  das  Schwefeln 
auf.  Am  Ende  des  Mittelalters 
kamen  von  Reichs  wegen  Weinver- 
ordnungen zu  Stande,  und  1487  ar- 
beitete ein  zu  Rotenburg  an  der 
Tauber  gehaltener  Reichs-Deputa- 
tions-Tag  nach  dem  Gutachten  der 
Ärzte  eine  Weinordnung  aus,  welche 
nachher  vom  Reichstage  angenom- 
men und  publiziert  und  später  noch 
oft  wiederholt  und  verschärft  wurde. 

Überaus  zahlreich  sind  die  städti- 
schen Verordnungen  über  den  Wein- 
verkehr, Weiuhandel  u.  dgl.  Da 
unseres  Wissens  eine  Zusammen- 
stellung derselben  bis  jetzt  nicht 
vorliegt,  mag  hier  einiges  aus  den 
Verhältnissen  mitgeteilt  werden,  wie 
sie  Kriegh  für  Frankfurt  berichtet, 
wobei  vorläufig  zu  vermuten  ist, 
dass  die  Einrichtungen  anderer 
Städte  im  ganzen  ähnliche  gewesen 
sein  werden. 

In  Frankfurt  a.  M.  war  der 
Weinhandel  innerhalb  der  Stadt 
gesetzlich  an  die  obrigkeitlich  be- 
stellten Weinstecher  gebunden,  die 
eine  eigene  Zunft  bildeten.  Sie 
hatten  nicht  bloss  Käufer  und  Ver- 
käufer gegen  Übervorteilung  sicher 
zu  stellen,  sondern  auch  die  bei 
jedem  Weinverkauf  vorgeschriebene 
städtische  Abgabe  zu  erheben,  das 
sog.  Stichgeld,  wovon  sie  als  Mak- 
lergebühr zwei  Dritteile  behielten, 
den  dritten  Teil  aber  an  die  Stadt- 
kasse  abzuliefern  hatten.  Die  Wein- 
stecher waren  in  vier  Gruppen 
eingeteilt,  deren  jede  das  Geschäft 
gemeinschaftlich  trieb.  Beim  Frank- 
furter Weinhandel  ist  zwischen  dem 
in  und  dem  ausser  der  Messe  zu 
unterscheiden.  Auch  Fremde  durf- 
ten ausserhalb  der  Messe  Weinhan- 
del treiben,  jedoch  mit  der  Einschrän- 
kung, dass  sie  zwar  an  Bürger  jede  be- 
liebige Quantität,  an  Fremde  aber  nur 
grössere  vorgeschriebene  Lasten  ver- 
kaufen durften.  Von  ausgeführtem 
Wein  musste  jedermann  einen  Aus- 
fuhrzoll, die  Steinfuhr,  bezahlen,  ein 


Name,  der  daher  rührt,  dass  ur- 
sprünglich jeder,  der  ein  Fass  Weil: 
aus  Frankfurt  fuhr,  der  Stadt  ein 
Fuder  Steine  für  ihre  Bauten  batt> 
zuführen  müssen.    Von  Seiten  der 
Bürger  und  Einwohner  durfte  der 
Verkauf  von  Weinen  nur  nach  der 
Frankfurter  Eiche  geschehen,Freimk 
durften  Fässer  einer  andern  Eich« 
benutzen.    Kein  Wein,  der  nicht 
eigenes  Gewächs  eines  Bürgers  war 
durfte  nicht  anders   als  öffentlich 
verkauft,  d.  h.  er  mus-ste  zum  Ver- 
kauf auf  den  Markt  gebracht  werden. 
Während  der  Messezeit  war  auch 
den  fremden  Wein-  und  Bierhämilero 
gestattet,  im  kleinen  auszuschenken, 
doch  mussten  sie  so  gut  wie  die  Bür 
ger  von  dem  ausgeschenkten  W»-in 
und  Bier  die  zweifache  Abgabe  d»* 
Siederlagegeldes  und  des  ingeldt* 
entrichten;    von    dem    selbst  ge- 
trunkenen Wein  aber  zahlten  Fremde 
wie  Bürger  den  Glitte- Pfennig,  der 
in  der  vierten  Mass  bestand. 

Ausserhalb  der  Me^sczeit  wir 
das  Weinschenken  von  altersher  nur 
einem  Bürger  gestattet.  Esscbenktei 
aber  nicht  bloss  berufsmässige  Wein 
wirte  Wein  aus,  sondern  alle  Bürger, 
die  Weinbau  trieben,  verzapften  ihr 
selbstgewounenes  Erzeugnis;  in  an- 
dern Städten  war  das  Ausschenken 
bestimmter  Weinsorten  dem  Ra'1' 
vorbehalten;  dagegen  übte  der  Kai 
von  Frankfurt  au?  seinen  Dörfern 
das  ausschliessliche  Recht  des  Wein 
Verkaufes  im  kleinen  aus,  er  besä* 
dort,  wie  es  hiess,  den  Bann***« 
ein  Recht,  das  er  etwa  für  ein  Fast 
oder  bloss  für  die  Kirchweihe  an 
eine  Dorfgemeinde  oder  an  eine« 
Wirt  abtrat.  Das  Ausschenken  de; 
eigenen  Weines  war  notwendig,  weil 
der  gewöhnliche  Landwein  als  Han- 
delsartikel weder  gut  noch  dauenni 
genug  war.  Doch  musste  der  Bor 
ger  zuerst  die  Erlaubnis  zum  Au? 
schank  von  den  Rechenmeistern  ein- 
geholt haben;  diese  gaben  ihm  dann 
ein  Zeichen,  das  er  an  die  Visie*rr 
abgab,  die  ihrerseits  die  nötigen  Vor 


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Wein 


1077 


bereitungen  für  Reinheit  des  Weines 
und  für  Erlegung  der  Abgaben 
trafen.  Stets  war  die  Erlaubnis  zum 
Weinschenken  auf  vier  Wochen  be- 
schränkt. Wer  jene  erhalten  hatte, 
lie.ss  seinen  Wein  und  dessen  Preis 
in  den  Strassen  ausrufen  und  steckte 
über  seine  Hausthüre  ein  Abzeichen 
auf,  das  im  Gegensatz  zu  den  Wirts- 
hausschilden in  einem  grünen  Busch, 
Zweig  oder  Strohbündcl  bestand; 
solche  temporäre  Schenken  hiessen 
Busch-  oderStraussmrtschaßen.  Das 
Anstechen  jedes  zum  Verzapfen  be- 
stimmten Fasses  geschah  durch  die 
Visieret'  oder  Vngelder.  Weinknechte 
hiessen  diejenigen,  welche  den  Wein 
ausriefen  und  in  der  Wohnung  des 
Ausschenkers  das  Abzapfen  und 
Auftragen  des  Weines  besorgten; 
auch  sie  standen  im  Dienste,  der 
Obrigkeit  und  bildeten  eine  eigene 
Zunft:  kein  Wirt  durfte  mehr  als 
zwei  Weinknechte  im  Dienst  nehmen, 
den  einen  als  Weinzapf  er,  den  an- 
dern als  Weinrufer  oder  Weinsager. 
In  der  Regel  durften  die  Weinwirte 
nur  zwei  Sorten  oder  zwei  Zapfen 
zugleich  schenken,  nur  ausnahms- 
weise drei  oder  gar  vier.  Beide 
Zapfen  mussten  verschiedenen  Preis 
haben,  den  der  Rat  festsetzte,  oft 
zum  Verdruss  der  Wirte.  Vor  der 
Hausthüre  pflegte'  des  Wirtes  Wein- 
knecht den  Wein  zum  Versuchen 
darzureichen.  Zahlreiche  Verord- 
nungen und  Verbote  zeugen  von 
dem  oft  bunten  und  wilden  Treiben 
in  der  Wrrtsstube. 

Ausser  den  eigentlichen  Wein- 
und  Bierhäusern,  den  für  bestimmte 
Kreise  bestehenden  Trinkstuben  und 
den  temporären  Wirtshäusern  der 
weinausschenkenden  Bürger  gab  es 
Gasthäuser  für  Fremde  oder  Her- 
heraen.  Die  Trinkstuben  waren  Wein- 
stuben für  geschlossene  Korpora- 
tionen oder  Vereine  und  sehr  ver- 
breitet; es  gab  solche  für  die  Rats- 
mitglieder, die  Zünfte  und  andere 
sog.  Stuhengeselhchaften.  Die  eigent- 
lichen Wirtshäuser,  d.  i.  die  bleiben- 


den Wein-  und  Bierschenken,  wur- 
den vorzugsweise  von  solchen  Leuten 
besucht,  welche  wie  die  nichtzünftigen 
Handwerker,  die  Haudwerksknechte 
und  Dienstboten ,  keiue  Trinkstube 
hatten.  Schon  früh  war  eine  be- 
stimmte Stunde  des  Weggehens  fest- 
gesetzt und  in  allen  deutschen  Städten 
die  Einrichtung  getroffen,  dass  die- 
selbe durch  das  Läuten  einer  ( Hocke, 
Weingfocke,  letzte  Glocke  oder  lange 
Glocke  angekündigt  wurde;  in  der 
bessern  Jahreshälfte  „läutete  man 
die  letzten"  um  U,  in  der  schlimmen 
um  8  Uhr;  der  Wechsel  trat  an 
Maria  Verkündigung  (25.  März)  und 
an  Gallustag  (16.  Okt.)  ein. 

Selten  kam  man  im  Mittelalter 
zu  einem  gemeinschaftlichen  Ge- 
schäfte zusammen,  ohne  dabei  Wein 
zu  trinken;  und  da  selbst  städtische 
und  Ratsgeschäft«*  nicht  ohne  Wein 
abgehandelt  wurden,  so  war  es  für 
die  städtischen  Obrigkeiten  geboten, 
einen  Ratskeller  zu  haben:  lag  die 
Stadt  im  Wein  lande,  so  pflegte  der 
Wein,  welchen  die  Stadt  von  ihren 
eigenen  Reben  oder  als  Zins,  Ab- 
gabe u.  dgl.  erhielt,  hier  abgelagert 
zu  werden ;  mancherorts  war  es  auch 
der  Spital,  in  dessen  Keller  der 
städtische  Wein  lae.  Bei  festlichen 
Gelagen,  Bürgermeisterwahlen,  beim 
Besuch  hoher  Fürsten  oder  Gesandt- 
schaften wurde  mit  städtischem  Weine 
aufgewartet,  was  man  Weinschen- 
kinen  hiess. 

Zwar  bezieht  sich  der  Begriff  des 
Trinkens  zugleich  auf  die  übrigen 
Getränke,  doch  mag  hier  einiges 
Allgemeine  über  diese  bekannte  Na- 
tional-LeidenschaftderDeutschen  zu- 
sammengestellt werden.  Mythologie 
und  Geschichte  erzählen  schon  aus 
ältester  Zeit  vom  Trinken  der  Ger- 
manen; in  Walhall  tranken  Odin 
und  die  Einherier  Met  und  Bier  aus 
den  Hirnschädeln  der  überwundenen 
Feinde;  als  Schenkmädchen  dienten 
die  Walküren.  Aus  dem  Tranke 
eines  göttlichen  Met  erlangt  man 
1  nach  der  Edda  Weisheit  und  Dicht- 


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1078 


Wein. 


kunst.  So  waren  die  Gcruiaiteu  aueb 
grosse  Freunde  von  Gelagen;  ge- 
meinschaftliche Opfer  und  Feste,  bei 
denen  zu  Ehren  der  Götter  gewaltige 
mit  Silber  beschlagene  Auerochsen- 
hörner  geleert  wurden,  waren  häufig. 
Ein  gallischer  Bisehof  des  6.  Jahrhun- 
derts,  Venantius  Fortunatus,  der 
Bolchen   Gesellschaften  beigewohnt 
hatte,   berichtet:    „Sänger  sangen 
Lieder  und  spielten  die  Harfe  dazu.  | 
Umher  sassen  Zuhörer  bei  ahornen 
Hechern  und  tranken  wie  Rasende 
Gesundheiten  um  die  Wette.  Wer 
nicht  mitmachte,  wart!  für  einen 
Thoren  gehalten.    Man  musste  sich 
glücklich  preisen,  nach  dem  Trinken 
noch  zu  leben."  Bündnisse  auf  Leben 
und  Tod,  Verträge  und  öffentliche 
I  !  i  Hungen  wurden  beim  Trünke 
abgeschlossen,  der  Trunk  gehörte 
unter  die  gottesdienstlichen  Hand- 
lungen; in  den  Tempeln  wurden  die 
Gott  geweihten  Becher  durch  die 
Opfernamme  gehoben,  und  der  erste 
zu  Wodans,  fler  andere  zu  Thors 
und  Freyas  Verehrung  geleert,  der 
dritte  galt  dem  Gedächtnis  berühmter 
Helden,  der  vierte,  Minnebecher, dem 
Andenken    geschiedener  Freunde. 
Auch  auf  den  Gräbern  feierten  sie 
Gastgelage  und  stellten  den  Ver- 
storbenen Speise   und  Trank  hin. 
Kein  Wunder,  wenn  der  ernste  Römer 
an  mehreren  Stellen  seines  Büchleins 
(Tacitus  Germania  22  und  23)  der 
Trunkleiden8chaft    der  Germaueu 
Erwähnung  thut  und  seither  eine  fast 
fortlaufende  Kette  ähnlicher  Nach- 
richten zu  Gebote  steht;  namentlich 
spielt  dabei  das  Wett-  und  Zutrinken  I 
eine  grosse  Rolle;  dasselbe  wird  schon  1 
erwannt  von  Priscus  bei  der  Be- 
schreibung eines  Attilaschen  Gast- 
gebotes, wobei  auch  Deutsehe  an- 
wesend waren.  Sobald  die  römischen 
Gesandten    das    Gemach  betreten 
hatten,  brachte  ihnen  ein1  Schenk 
einen  Becher  zum  Trinken  dar.  Hier- 
auf eröffnete  der  Länderbezwinger 
das  Gelage  mit  einer  Gesundheit, 
die  er  den  vornehmsten  seiner  Tisch- 


genossen ausbrachte  und  die  diese 
stehend  erwiderten;  später  forderte 
er  seine  Gäste  zu  einem  allgemeine 
Trinhfcfccht  auf.  Ähnlieh  kling? 
die  bekanntere  Schilderung  des  Atti 
laschen  „Weinturniers44,  die  Ekkc 
hart  im  Walthariliede  niedergeht 
hat.  Wiederholt  erliessen  fränkischr 


Synoden  Erlasse  gegen  Trunksucht 
der  Geistlichkeit.    Zwar  Karl  d.  Gr. 
hielt  auch  hier  Mass;  er  war  kein 
Freund  von  Gastereien  und  suchte 
durch  mancherlei  Verordnungen  de  tu 
Laster  seines  Volkes    entgegen  zu 
wirkeu;  dagegen  hat  sieb  Ludwig 
der  Deutsche  im  Vertrage  von  Ve-r- 
dün  ausdrücklich  die  jenseits  de» 
Rheins  gelegenen  Bistümer  Speier. 
Worms  und  Mainz  deshalb  ausbe 
düngen,  weil  sie  starken  Weinbau 
hatten.  Auch  die  Bedeutung,  welche 
das  Schenkenamt  an  den  Höfen  de* 
Mittelalters  besass,  spricht  für  die 
Bedeutung  des  Weiugenusses.  We 
höfische  Zucht  zügelte  für  einige  Zeit 
die  wilde  Leidenschaft,  wofür  es  iu 
den  Aussprüchen  der  Dichter  mancht 
Belege  gibt;  desto  schlimmer  wurde 
es  in  den  folgenden  Jahrhunderten, 
zuletzt  besonders  im  15.  und  16. 
welche  die  Blütezeit  der  deutschen 
Säuferei  sind.    Die  Zeugnisse  dafür 
sind  unzählbar,  alle  Stände,  vor»}' 
aber  der  Adel,  dann  die  Bürger 
Studenten,  Landsknechte,  die  Geist 
liehen  brachten  dem  Trunk-Gottf 
ihren  Zoll.    Die  Chroniken,  z.  B.  die 
Zimmersche,  Satiren,  wie  das  N*r 
renschiff  (Kap.  16),  Fastnachtspiele, 
die  Schriften  des  Hans  Sachs,  na 
mentlich  auch  die  Selbstbiographie 
des  Ritters  Harn  mn  Sehweiniei^ 
sind  voll  Material  zur  Geschieht'1 
der  Säuferei;  ein  grosser  Trinker 
zu  sein,  war  eine  Ehre,  und  der  g« 
nannte  Schweinichen  erzählt  einmsi 
,,Habe  auf  diesem  Ritt  im  R*'*cJ 
grosse  Kundschaft  bekommen  und 
mir  mit  meinem  Saufen  einen  gm*«11 
Namen  gemacht."    Unter  den  s*n 
risch-moralischen  Schriften  des  1<»- 
Jahrhunderts,diedenNamen„Teutel'' 


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Wein. 


1079 


tragen,  fehlt  natürlich  auch  der  „Sauf- 


teufel"  i 


Erfreulicher  als  diese  bis  ins 
18.  Jahrhundert  dauernde  Erschei- 
nung ist  das  Aufkommen  der  Wein- 
pjexie.  Der  höfischen  Lyrik  ist 
noch  jedes  Wein-  und  Trink- 
motiv  fremd;  die  erste  Weinpoe- 
sie.  ein  Spruchgedicht  in  Keim- 
paaren, genannt  der  Weiuschirehf, 
stammt  schon  aus  der  zweiten  Hälfte 
des  13.  Jahrhunderts  und  schildert 
höchst  ergötzlich  einen  Allein- 
Zecher,  der  in  regelmässigem  Fort- 
schritt —  dö  fuwb  er  üf  unde  tranc 
—  sein«*  Kanne  mit  Wein  leert, 
denselben  preist,  forttrinkt  und  fort- 
trinkt, bis  er  am  Schluss  des  Ge- 
dichtes —  erst  eigentlich  anhebt  zu 
trinken.  Erst  im  14.  Jahrhuudert 
tritt  mit  dem  Volkslied  auch  das 
Trink-  und  Gesellschaftslied  auf, 
das  sehr  heitere  Blüten  getrieben 
hat,  und  wenn  der  Spruch:  „wer 
nicht  liebt  Wein,  Weib  und  Gesang4* 
u.  s.  w.  auch  nicht  von  Luther  her- 
rühren sollte,  so  bezeichnet  er  doch 
den  Inhalt  des  Volksliedes  seiner 
Zeit,  das  neben  der  Liebe  und  «lern 
Gesang  namentlich  den  Wein  be- 
singt: „Der  liebste  Buhlen,  den  ich 
hau,  der  leit  beim  Wirt  im  Keller, 
er  hat  ein  hölzin  Röcklein  an  und 
hebst  der  Muskateller.4'  Es  sind 
ineist  Schlemmerlieder,  die  ein  Hans 
Ohnesorge  in  die  Welt  hinaussingt, 
•  ■der  mutwillige  Gesellschaftslieder, 
wozu  auch  die  Martinslieder  gehö- 
ren; vgl.  Unlands  Volkslieder,  Nr. 
205 ff.;  Hoffmann  r.  F.,  Gesellschafts- 
lieder, Nr.  174—265.  Ergötzlich  sind 
auch  die  aus  Mariengrüssen  paro- 
dierten Weint/ nisse  und  Weinsetjen 
des  Nürnberger  Wappenmalers  Hans 
Rosenblüt,  genannt  der  Sehnepperer. 

An  den  Trunk  knüpft  sieh  end- 
lieh auch  das  Trinkgefäss  und  das 
Fass,  in  weiterer  Linie  Tisrh,  Stuhl 
und  Schenktisch.  Das  älteste  Trink- 
geschirr ist  das  Horn,  unter  Um- 
ständen mit  Silber  eingefasst  und 
bis  zum  12.  Jahrhundert  in  Gebrauch  : 


in  Aachen  wird  noch  das  Horn 
Karls  d.  Gr.  und  in  Braunschweig 
dasjenige  Heinrichs  des  Löwen  auf- 
bewahrt. Aus  uralter  Zeit  wird  von 
Schädeln  erschlagener  Feinde  be- 
richtet, aus  denen  die  Germanen 
getrunken  hätten;  bei  den  Lango- 
barden hiess  dieses  Gefäss  sehala. 
Spater  traten  zum  Teil  nach  römi- 
schem Muster  rohgeformte  (»efässe 
aus  Metall,  Bronze,  Silber  oder  Gold 
auf,  deren  Grundformen  der  Kelch 
und  der  Becher  sind.  Siehe  den 
Art.  O efässe.  Auch  hölzerne  Becher 
waren  im  Brauch,  aus  Ahorn-,  Fich- 
ten- und  Nussbaumholz;  aber  der 
Vornehme  bediente  sich  wenigstens 
bei  Festlichkeifen  der  metallenen, 
zum  Teil  mit  Edelsteinen  geschmück- 
ten Pokale,  auf  welche  man  seit  dem 
10.  und  11.  Jahrhuudert  viel  Geld 
und  Arbeit  verwendete.  Im  12.  und 
13.  Jahrhundert  werden  Köpfe  und 
Schafen  als  übliche  Trinkgefasse  ge- 
nannt, jener  ein  dem  Kelch  ver- 
wandtes halbkugelförmiges,  auf 
einem  Fuss  stehendes,  dieses  ein 
flachgewölbtes  Trinkgefäss  ohne 
Fuss.  Uninässige  Zecher  tranken 
aus  Kannen.  Mit  der  Zeit  vermehrte 
sich  die  Grösse  der  Köpfe  und  Hum- 
pen, ähnlich  wie  man  eine  Ehre  da- 
rein zu  setzen  anfing,  ungeheure 
Fässer  im  Keller  zu  haben.  Kur- 
fürst Johann  Kasimir  von  der  Pfalz 
Hess  1501  ein  Fass  von  132  Fudern 
zimmern;  1664  Hess  Karl  Ludwig 
ein  grösseres  von  201  Fudern  auf- 
stellen, bis  endlich  Karl  Theodor 
das  jetzige  Fass  zu  Heidelberg  von 
250  Fudern  bauen  liess;  es  wurde 
1752  am  Martinstage  zuerst,  später 
noch  drei  Mal  gefüllt;  seit  1769  steht 
es  leer;  noch  grösser  waren  die  Kö- 
nigsteiner Fässer,  deren  grösstes 
1725  erbaut  wurde,  34  Fuss  lang 
und  24  Fuss  hoch  war  und  601) 
Eimer  mehr  als  das  Heidelberger 
Fass  fasste.  —  Wackernaffel ,  Mete 
Bier  Win  Lvtertrane  in  den  kl. 
Schriften  I;  K'riet/k,  Bürgertum,  I, 
Abschnitt  16;  Schultz,  höfisches  Le- 


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1 080 


Weisende  Tiere.  —  Weistürner. 


bell,  I,  Abschnitt  4 ;  Deutscher  Trunk. 
Kulturhistorische  Skizzen.  Leipzig, 
1863;  B.  Schutze,  Geschichte  des 
Weins  und  der  Trinkgelage,  Berlin 
1867;  Sorf/hoff]  der  vormalige  Wein- 
bau in  Noradeutschland,  Münster 
1877;  Hahn,  Kulturpflanzen  und 
Haustiere. 

Weisende  Tiere  nennt  die  Mytho- 
logie solche  Tiere,  welche  auf  gött- 
lichen Katschiusa  dem  Menschen, 
der  zu  irgend  einem  Vorhaben  den 
Weg  nicht  kennt,  die  Richtung  da- 
hin weisen,  sei  es,  dass  es  gilt  eine 
Niederlassung  zu  gründen,  Städte, 
Burgen,  Kirchen  zu  bauen,  einen 
Toten,  besonders  einen  Heiligen  oder 
einen  Verdammten  zu  bestatten. 
Schon  die  Hebräer,  Griechen  und 
Römer  kennen  die  weisenden  Tiere; 
in  der  deutschen  Sage  sind  es  na- 
mentlich Rabe  und  Wolf,  die  Lieb- 
linge Wodans,  dann  der  Bär,  der 
Hirsch  und  die  Hündin,  etwa  so, 
daas  der  Hirsch  Jägern,  der  Stier 
Hirten  und  der  Wolf  Helden  de» 
Weg  weist.  Auch  in  der  Legende 
des  hl.  Gallus  geleiten  zwei  noch 
ungezähmte  Pferde  den  Wagen  mit 
dein  Sarge  des  Heiligen;  der  hl. 
Lucius  von  Chor  spannt  zwei  wilde 
Waldbüffel  in  einen  Karren  und 
fahrt  mit  ihnen  nach  der  Heimat. 
(trimm,  Mythologie  1093. 

Weiaskunig  beisst  eine  von  Kai- 
ser Maximilian  entworfene  und  hand- 
schriftlich Unterlassene  allegorische 
Geschichte  in  Prosa,  die  1775  mit 
Holzschnitten  zu  Wien  in  Folio 
herauskam.  Der  „weise  Kunig"  ist 
des  Kaisers  Vater. 

WeistUmer  hiessen  die  mittel- 
alterlichen Aufzeichnungen  der  Hof- 
und  Dorfrechte.  Vereinzelt  finden 
sie  sich  schon  seit  dem  8.  Jahrhun- 
dert, in  grösserer  Zahl  seit  dem 

13.  Jahrhundert,  bis  sie  mit  dem 

14.  Jahrhundert  in  fast  unüberseh- 
barer Masse  in  den  meisten  Gegen- 
den Deutschlands  zum  Vorschein 
kommen.  Da  es  grössere  Land- 
schaften umfassende  Rechtsnormen 


im  Bauerurecht  gar  nicht  gab  un  i 
jeder  einzelne  Hof  sein  durch  H«  r 
Kommen    oder    Übereinkunft  de, 
Herrn  mit  den  Unterthanen  enr 
wickel tes  eigenes  Recht  hesass,  s- 
hatten  die  Bauern  auch    Int  r>- 
daran,  die  geltenden  RechtssäL.- 
immer  von  neuem   in  Erinneruiti. 
zu  bringen,  damit  dem  Herrn  di 
Möglichkeit  benommen  würde,  seii- 
Reeht  wirklich  weiter  auszudehnen 
Es  war  daher  Sitte,  dass  an  be 
stimmten  Tagen,  wo  die  ganze  Ge- 
meinde sich  versammelte  und  der  Herr 
oder  sein  Vertreter  zugegen  war.  be 
sonders  in  den  ungebotenen  Gerichte! 
( siehe  (Seriehtewesen),  die  wichtigster. 
Rechtssätze  ausgesprochen  wurden 
welche  sich  so  von  Geschlecht  zo 
Geschlecht  weiter  forterbten.  Spater 
verzeichnete  man  die  Rechtssäti» 
und  las  sie  in  den  Gerichten  vor 
Das  Recht  verlesen  oder  ans  der 
Erinnerung  mitteilen,  hieas  nun  das 
Recht  weisen,  eröffnen,  und  die  dar- 
über aufgesetzte  Ürkunde  If  Vi*/»*. 
Öffnung,  mhd.   tcisfwnn,  offemutt»v, 
in  Bayern  ehaftrecht,  in  Osterreich 
pantauling.   I^ie  Form  des  Weisen* 
war  verschieden:  bald  werden  die 
Schotten,  die  Gerichts] >crsonen  oder 
alle  Männer,  welche  am  besten  da? 
Herkommen  kennen,  nur  im  alige 
meinen  aufgefordert,  alles  was  si» 
vom  Recht  wissen,  auszusagen ;  bal 
thut  der  Richter,  Beamte  oder  Herr 
einzelne  Fragen  und  die  Gemeinde 
glieder  geben  darauf  ihre  Antworten . 
ist  ihnen  dabei  etwas  nicht  voll 
ständig  bewusat,  so  versprechen  sie 
zu  antworten,  soweit  es  aie  Sinn  und 
Witz  lehre,  oder  sie  erkläreu,  dat* 
sie    keine    Entscheidung  wüssteu. 
weil  ihnen  ein  solcher  Fall  noch 
nicht  vorgekommen  8ei,  oder  sie 
bitten  sich  zur  Antwort  einen  spa- 
tem Termin  aua.    Mit  der  Zeit  ta>\z 
mau  zur  schriftlichen  Aufzeichnung 
der  Weistümer  Notare  oder  sonstig»' 
Schreiber  zu,  welche  dieselben  in 
der  Form  von  Fragen  uud  Ant- 
worten oder  in  derjenigen  vou  ein- 


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Welseher  Gast.  -  Wergeid. 


1081 


zelneu  Rechtssätzen  redigierten ;  man 
sehrieb  sie  auf  einzelne  Blätter  oder 
Pergamentstreifen  oder  trug  sie  in 
Bücher  und  Register  ein.  Aueh 
die  spät  niedergeschriebenen  Weis- 
tümer    enthalten    meist  sehr  alte 
Rechtssätze,  welche  schon  seit  Jahr- 
hunderten gegolten  hatten,  und  man 
wusste,  dass  man  althergebrachte» 
Reeht  mitteile;  die  Schöffen,  heisst 
es,  weisen  das  Recht,  wie  sie  es  von 
den  Vorfahren  und  ihren  Mitbrii- 
dern  erlernt  und  gehört  haben,  und 
halten  es  für  Pflicht  ihrer  Nach- 
kommen, es  unangetastet  spätem 
Generationen  zu  überliefern.  Man 
schrieb  die  alten  Weistümer  wört- 
lich von  neuem  wieder  ab,  selbst 
dann,  wenn  die  veränderten  Verhält- 
nisse eine  Änderung  erforderten  und 
fügte  bloss  einzelne  neue  Sätze  hinzu. 

Der  Inhalt  der  Weistümer  ist 
sehr  mannigfaltig,  je  nachdem  die 
Bauern  frei  oder  unfrei  sind  u.  s.  w. 
Einige  Weistümer  sind  blosse  Dorf- 
ordnungen,  andere  Hofrechte.  Ks 
gibt   Mark-    und  Forstweistümer, 
welche  sich  nicht  auf  eine  einzelne 
Gemeinde,  sondern  auf  die  Rechte 
mehrerer  Dörfer  au  der  gemeinen 
Mark,  auf  Markfrevel  u.  a.  beziehen; 
ferner  Bergrechte  für  Weinbau  trei- 
bende Dörfer,  Grenzweistümer,Zeid- 
lerrechte,  Wrasserrechte,  Deich-  und 
Mühlenrechtc ,    Fischerei  weistümer, 
Fährweistümer,  Flurordnungen,  Kir- 
chenrechte. Den  Hauptinhalt  bildet 
die  Stellung   der  Gemeinde  zum 
Landes-,    Gerichts-,    Vogtei-  und 
Grundherren;    die  Zahl    und  Be- 
schaffenheit der  einzelnen  Güter  wird 
aufgezeichnet,  die  Abgaben,  Zinsen 
und  Frohnden  aufgezahlt,  die  Ver- 
pflichtungen des  Herrn  genannt,  die 
Grundsätze  mitgeteilt  über  die  V«-r- 
erblichkeit  und  Übertragbarkeit  der 
GHIter,  Strafen  für  niedere  Frevel  u.a. 
Nach  S/of)be,  Rechtsauellen,  I,  585  ff. 
Die  bedeutendste   Sammlung  von 
Weistümern  wurde  seit  1840  von 
Jacob  Grimm  veranstaltet  und  nach 
seinem  Tode  fortgesetzt. 


Welscher  Gast,  d.  h.  der  Fremde 
aus  Welschland,  heisst  ein  mittel- 
hochdeutsches Lehrgedicht,  das  der 
aus  Friaul  gebürtige  llivmaxin  von 
Zcrclaere  ums  Jahr  1215  in  14742 
Zeilen  dichtete.  Das  erste  von  zehn 
Büchern  enthält  allerlei  Regeln  für 
das  gesellige  Leben;  Buch  2 — 8 
trägt  das  eigentliche  System  vor, 
wobei  alle  Tugenden  aus  der  staetr, 
d.  i.  der  Beharrlichkeit,  abgeleitet 
werden  und  die  Unveränderlichkeit 
im  Leben  der  Tiere  und  der  Pflan- 
zen und  in  den  Bewegungen  der 
Planeten  der  sündhaften  Veränder- 
lichkeit des  menschlichen  Geistes 
entgegengesetzt  wird.  Buch  han- 
delt vom  Richteramt,  dem  weltliehen 
und  geistlichen  Gericht,  Buch  10 
über  Freigebigkeit  und  Geiz.  Aus- 
gabe von  Kihkert,  Quedlinburg  1852. 

Wenreld,  ahd.  trerigelt,  zu  ahd. 
ver  =  Mann,  also  eigentlich  Mann- 
geld, war  im  altgermanischen  Recht 
die  bestimmte,  gegen  Totschlag  an 
die  Blutsfreunde  zu  entrichtende 
Busse;  dieselbe  wurde  als  Befriedi- 
gung und  Sühne  für  ein  Verbrechen 
gegeben,  und  bezeichnet*1  den  Wert, 
wozu  jeder  nach  seinem  Stande  in 
dem  Gemeinwesen  geschätzt  und 
versichert  war;  ursprünglich  ent- 
sprach das  Wergeid  dem  Wert  der 
Hufe.  Die  Forderung  de«  Wergei- 
des ging  von  den  Blutsfreunden  des 
Erschlagenen  aus,  die  jenes  auch 
unter  sich  verteilten,  und  ebenso 
waren  die  Blutsfreunde  des  Thäters 
genötigt,  zudem  geforderten  Wergeid 
beizutragen  oder  es  unter  Umstän- 
den ganz  zu  zahlen.  Wilda  unter- 
scheidet, Strafrecht  der  Germanen, 
!  S.  871,  folgende  verschiedene  Stufen 
|  in  der  Entwickelungsgcschichtc  des 
Wergeides.  1)  Eis  bildete  sich  und 
bestand  neben  dem  ältesten  auf 
Friedlosiykcit  gegründeten  Straf- 
recht und  war  weder  Gegenstand 
der  Gesetzgebung,  noch  der  Rechts- 
pflege. 2)  Es  wurde  eine  Rechte- 
!  Institution ,  die  dazu  diente ,  die 
Familien,  ohne  notwendige  Rück- 


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1 082 


Werwolf.  —  Wiclaud. 


siebt  auf  den  Thäter,  lediglieh  um 
ihrer  selbst  willen  zu  versöhnen. 
3)  Ks  wurde  der  Familie  zur  Pflicht 
gemacht,  zum  Wergeid  beizusteuern, 
damit  der  Schuldige  selbst  sich  von 
weiteren  Folgen  seiner  That  be- 
freien könnt',  ohne  dass  jener  vorige 
Gesichtspunkt  ganz  erlosch.  4)  Die 
Gesetze  beschrankten  diese  Pflicht 
der  Familien,  bis  sie  dahin  kamen, 
jede  notwendige  Beteiligung  auf- 
zuheben und  den  Grundsatz  auf- 
zustellen, es  solle  der  Thäter  allein 
für  seine  Schuld  büssen,  mit  Aus- 
schluss jeder  subsidiären  Haftung. 
Das  Wergeid  uahm  nun  ganz  die 
Natur  einer  Strafe  an;  es  war,  nebst 
dem  beim  Totschlage  zu  zahlenden 
Friedensgelde,  rein  an  die  Stelle 
der  den  Schuldigen  treft'eudeu  Fried- 
losigkeit  getreten.  5)  bis  war  dieses 
auch  nicht  etwa  nur  in  Beziehung 
auf  den  Totschlag  der  Fall,  sondern 
eine  Menge  anderer  Missethaten 
sollten  nach  den  gesetzlichen  Be- 
stimmungen mit  dem  Wergeide, 
uud  zwar  bald  des"  Verletzten,  bald 
des  Schuldigen  gebüsst  werden,  ohne 
dass  sich  dafür,  wenn  man  das 
eine  oder  andere  gewählt  hat,  eine 
feste  Regel  auffinden  lasst.  Indem 
man  dann  dieses  Wergeid  auch  ver- 
vielfachte und  teilte,  war  es  zu 
einem  allgemeinen  Busssatz  ge- 
worden. 

Werwolf,  mhd.  weneolf  von 
ahd.  kw  =  Mann,  also  Mannwolf, 
ist  nach  einer  bei  slawischen,  roma- 
nischen, keltischen  und  germanischen 
Volkern  herrschenden  Anschauung 
ein  in  einen  Wolf  verwandelter 
Mensch;  die  Annahme  der  Wolfs- 
gestalt hängt  von  dem  Überwerfen 
eines  Wolfgürtels  oder  Wolf  hemds 
ab;  wer  dieses  anlegt,  erfährt  Um- 
wandlung und  darf  erst  am  zehnten 
Tag  in  menschliche  Gestalt  zurück- 
kehren; nach  andern  Sagen  muss 
er  drei,  sieben  oder  neun  Tage  in 
dem  Wolfsleib  beharren;  mit  dem 
Aussehen  nimmt  er  zugleich  Wild- ! 
heit  und  Heulen  des  Wolfes  an  | 


und  zerfleischt  wälderdurchstreifcn»! 
alles,  was  ihm  in  den  Weg  kommt 
In  den  Hexenprozessen  spielte  dieser 
Aberglaube  eine  grosse  Rolle,  un-1 
zwar  war  hier  die  gewöhnliche  An- 
nahme, die  Verwandlung  werdr 
durch  einen  um  den  I^eib  gebundwn 
Kiemen  bewirkt;  der  <ȟrtel  ta 
nur  drei  Finger  breit,  und  aus  d<r 
Haut  eines  Menschen  geschnitten. 
Von  natürliche:)  Wölfen  soll  «■ 
Werwolf  an  seinem  abgestumpften 
Schweif  zu  erkennen  seiu.  ( rrimat. 
Mythologie  1048;  vgl.  l^eubturh^r, 
Uber  die  Werwölfe  und  Tierver 
Wandlungen  im  Mittelalter.  Berlin 
1850. 

Wessobrnnnenrebet  heisst  einr 
aus  dem  8.   oder  9.  Jahrhundert 
stammende  kurze  deutsehe  Dichtung 
in  alliterierenden  Versen,  die  au* 
mehreren    ursprünglich    nicht  zu- 
sammengehörenden Stücken  kompi 
liert  ist.    Der  erste  aus  vier  Lau£ 
versen  bestehende  Teil  ist  der  Ein- 
gang eines  heidnischen,  ursprüng  heb 
altsächsischen   Gedichtes   von  der 
Weltschöpfung;    die    vier  weitem 
Verse;    enthalten    eine  christlich« 
Schilderung  von  der  Weltschöpfunjr. 
und  der  Schluss  besteht  aus  einem 
christlichen    Gebet.    Den  Namen 
hat  das  Fragment  davon,  dass 
in  dem  bayerischen  Kloster  Wesso- 
brunn aufgefunden  worden  ist 

Wetterkahit  auf  dem  Glocken 
türme  kommt  schon  im  10.  Jahr 
hundert  zu  St.  Gallen  vor;  er  er- 
innert an  die  Wachsamkeit  in  Beo- 
bachtung der  kanonischen  Stunden, 
da  man  vor  der  Erfindung  der  Uhreu 
den  Anfang  des  Frühgottesdienstes 
nach  dem  Hahnenschrei  richtete. 
Statt  des  Hahnes  kommen  auch 
Kirchenpatrone  vor. 

Wieland  ahd.  WioUtnt,  angel 
sächs.  Velandy  altnord.  Völundr  heis"* 
der  Held  eines  aus  mythischer  An- 
schauung hervorgegangenen  Sagen- 
kreises, dessen  Hauptinnalt  folgender 
ist:  Riese  Wada,  der  Sohn  dcsWü- 
k iniis  und  der  Meerfrau  Wacbilde, 


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Wigalois. 


gibt  seinen  Sohn  Wieland  erst  bei  i 
Mime,  dann  bei  Zwergen  in  die 
Lehre,  die  ihn  zum  kunstreichsten 
Sehmied  machen.  Darauf  wohnt 
er  mit  seinen  Brüdern  Eigil  und 
Slagfidr  eine  Zeitlang  in  Ufdalir, 
wo  sie  drei  Sehwanjungfrauen  finden 
und  mit  ihnen  zusammenleben,  bis 
diese  nach  sieben  Jahren  als  Wal- 
küren davon  Hiegen.  Dann  kommt 
Wieland  zu  König  Nidung  und  be- 
siegt im  Wettkampfe  den  Sehmied 
Amilias  mit  dem  Sehwerte  Mimung. 
Nidung  lässt  ihn  lähmen,  aber  Wie- 
land rächt  sich,  indem  er  des 
Königs  beide  Söhne  tötet  und  seine 
Tochter  entehrt;  ihr  gemeinsamer 
Sohn  ist  der  Held  Wittich.  Dann 
entflieht  er  in  einem  Federkleid.  — 
Die  Sage  vom  Sehmied  Wieland 
war  im  Mittelalter  weit  verbreitet, 
wie  u.  a.  viele  mit  Wieland  zu- 
sammengesetzte Ortsnamen  bezeu- 
gen. Dagegen  ist  leider  kein  deut- 
sches Gedicht  dieses  Inhaltes  erhalten 
geblieben;  bloss  ein  dem  14.  Jahr- 
hundert angehöriges  Gedicht  Fried- 
rich von  Schwaben  erzählt  Abenteuer 
des  Helden,  die  eigentlich  diejenigen 
Wielands  sind;  unter  dem  Namen 
Wieland,  heisst  es  hier,  habe  Fried- 
rich seine  Geliebte  Angelburg,  ein 
halb  geisterhaftes  Wesen,  gesucht 
und  sei  ihm  Hoffnung  gemacht 
worden,  an  einem  bestimmten  Ort 
seinen  Wunsch  zu  erreichen.  Als 
er  dort  augelangt  ist,  sieht  er  drei 
Tauben  zu  einer  Quelle  fliegen,  die 
sich  darin  baden  wollen.  Indem  sie 
die  Erde  berühren,  werden  sie  zu 
Jungfrauen,  deren  eine  Angelburg 
ist.  Sie  werfen  ihre  Gewänder  ab 
und  springen  ins  Wasser.  Wieland, 
durch  Hilfe  einer  Wurzel  unsicht- 
bar, nimmt  ihnen  die  Kleider  weg. 
Darüber  erheben  die  Mädchen 
grosses  Geschrei,  aber  Wieland, 
sichtbar  hervortretend,  erklärt  sich 
nur  dann  zur  Zurückgabe  der 
Kleider  bereit,  wenn  eine  davon 
ihn  zum  Manne  nehmen  wolle.  Sie 
entsehliessen  sich  endlich  und  über- 


I  lassen  ihm  die  Wahl,  worauf  er  die 
geliebte  Angelburg  wählt,  die  mit 
Freuden  den  Friedrich  von  Schwaben 
in  ihm  erblickt.  Reicher  fliessen 
die  Quellen  der  Wielandssage  in 
der  altnordischen  Litte  rat  ur;  diu 
Wülundarquida,  ein  Heldenlied  der 
alten  Edda  (siehe  unter  dem  Artikel 
Edda  «las  zweiundzwanzigste  Lied 
der  Heldensage),  dem  übrigen»  nach 
Simrock  wahrscheinlich  ein  deut- 
sches Lied  zu  Grunde  liegt,  erzählt 
von  Wieland.  Noch  deutlicher 
liegt  der  deutsche  Ursprung  in  der 
l'ilkina- oder  Viltina-Saye  vor,  einem 
nordischen  l'rosaroman,  der  um  das 
Jahr  1300  aus  Mitteilungen  sächsi- 
scher und  westfälischer  Männer  zu- 
sammengestellt worden  ist.  Auch 
die  Franzosen  kannten  die  Sage 
von  Wieland  oder  Holland,  wie  er 
bei  ihnen  heisst;  ein  französischer 
Roman  dieses  Stoffes,  Partenopeus 
und  Melior,  wurde  wahrscheinlich 
von  Konrad  von  Würzburg  unter 
dem  Namen  Partinopier  und  Meliur 
ins  Deutsche  übertragen. 

Wigalois  heisst  ein  der  Artus 
sage  augehöriges  höfisches  Epos  dc.^ 
Dichters  Wirnt  von  (rraeenberg, 
der  dasselbe,  ein  Nachahmer  Hart 
manns  von  Aue,  im  ersten  Viertel 
des  13.  Jahrhunderts  nach  einem 
französischen  Gedichte  des  Henau/ 
die  JJeaujcn  bearbeitete.  Ein  unbe- 
kannter Ritter,  der  an  Artus  Hofe 
erscheint,  fordert  die  Genossen  der 
Tafelrunde  auf,  ihm  einen  Wunder- 
gürtel abzugewinnen;  nachdem  alle 
unterlegen  sind,  führt  er  des  Königs 
Neffen  Gawein  gefangen  mit  sich 
fort,  um  ihn  mit  seiner  Nichte 
Ftorie  zu  vermählen.  Als  Gawein, 
nachdem  er  einen  Sohn  gezeugt,  an 
Artus  Hof  zurückgekehrt  ist,  kann 
er  da,  weil  er  den  Wundergürtel 
nicht  mitgenommen,  das  Land 
Flories  nicht  wiederfinden.  Mit 
dem  Gürtel  nun  zieht  sein  Sohn 
Wigalois  auf  Abenteuer  aus,  kommt 
an  Artus  Hof,  wird  zum  Ritter  ge- 
schlagen und  schliesst  mit  seinem 


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1084 


Wilhelm  von  Orleans.    -  Willehalm. 


Vater,  ohne  von  ihm  gekannt  zu  I 
werden,  Freundschaft.  Im  Dienste 
Königs  Artus  besiegt  er  darauf  den 
Feind  der  Larie  von  Korutin,  Roaz 
von  Glojfs,  kämpft  mit  Kiesen  und 
Drachen  und  wird  von  einem  in  I 
Feuer  umgehenden  Geiste,  den  er 
erlöst,  über  seine  Herkunft  unter- 
richtet,  worauf  er  sieh  mit  Larie 
vermählt  und  König  ihres  Landes 
wird.  Ihr  Sohn  heisst  Ii  fori  (iatva- 
nide$ ,  dessen  Aventiurc  zwar  in 
welscher  Sprache  aufgezeichnet,  aber 
für  des  deutschen  Dichters  Kunst 
zu  schwer  sind.  Vielfache  Betrach- 
tungen erhöhen  dm  Wert  der  sonst 
dürftigen  Erzählung. 

Wilhelm  von  Orleans  oder 
Dourlens  ist  ein  1241  gedichtetes 
höfisches  Epos  des  Rudolf  von  Ems, 
das  mit  Wilhelm  dem  Eroberer  be- 
ginnt und  mit  Gottfried  von  Bouillon 
aufhört;  Wilhelm  erscheint  darin 
als  ein  Fürst  von  Brabant  (Bouillon), 
der  in  Turnier  und  Krieg  die 
Königstochter  und  das  Königtum  in 
England  gewinnt. 

nillielmiter  heissen  die  Mönche 
eines  reformierten  Benediktiner- 
ordens, von  dessen  Stiftung  wenig 
bekannt  ist.  Der  Gründer,  ein  hei- 
liger Wilhelm,  soll  sieh  nach  einem 
ausschweifenden  Leben  bekehrt  und 
auf  den  Rat  des  Papstes  Eugen  III. 
als  Einsiedler  in  eine  Wüste  von 
Toscana  zurückgezogen  haben. 
Aber  erst  im  Gebiete  von  Siena 
fand  er  das  öde  steinige  Thal,  das 
er  suchte  und  wo  er  sich  1155  zu 
einem  entsagungsvollen  Leben  nieder- 
liess.  Der  Ort  Stabulum  Rhodi*, 
später  Malavalle  genannt,  wurde 
der  Ausgangspunkt  von  Eremiten- 
Kongregationen,  die  sieh  nach  dem 
heil.  Wilhelm  benannten  und  sich 
durch  Italien,  Deutschland,  die 
Niederlande  und  Frankreich  ver- 
breiteten. Der  Orden  war  nie  be- 
deutend. Nach  anderer  Auffassung 
sollen  Wilhelmiter-Möuche  der  Name 
der  durch  Abt  Wilhelm  von  Hirsau 
reformierten  Benediktiner  -  Kongre- 


gation sein.  Stalin,  Württemberg 
Gesch.  II,  685. 

Willehalm  heisst  das  letzt«-  der 
drei  höfischen  Epen  Wolfram*  von 
E&chcnhach.  Es  gehört  dem  Ivar'  - 
lingiseben  Sagenkreise  an  und  geh' 
wie  die  übrigen  Epen  Wolframs 
auf  ein  französisches  Buch 
das  der  Dichter  durch 
Gönner,  den  Landgrafen  IL  rma 
von  Thüringen,  erhalten  hart»'. 
Willehalm,  Graf  von  Oranire  in 
Südfrankreich  (es  ist  eigentlich  d»T 
heil.  Wilhelm,Graf  Wilhelm  von  Arjui 
tanien,  der  793  gegen  die  Sarazenen 
focht,  und  obgleich  besiegt,  das 
Vordringen  der  Feinde  hemmte), 
der  Vasall  Ludwig  des  Frommer, 
war  in  die  Gefangenschaft  de»  Hei- 
denkönigs Terrainer  id.  i.  /*"  rm* 
(Voutre  mer,  der  König    von  Jen- 


seits des  Meeres)  geraten, 
von  der  zu  ihm  in  Liebe  entl 
ten  und  von  ihm  in  der  Gefangen- 
schaft zum  Christentum  bekehrten 
Tochter  des  Königs  Arabel ,  der 
Gemahlin  des  Königs  Tybalt,  be 
freit  worden  und  mit  ihr  zurückge- 
kehrt.   Zur  Rache  für  diese  That 
fallen  nun  der  Vater  und   der  Ge- 
mahl Arabels  oder,  wie  diese  seit 
der  Taufe  heisst,  Gyburcs,  in  Wille- 
halms Land  ein;  mit  der  Beschrei- 
bung der  ersten  Schlacht  auf  dem 
Felde  von  Alischanz  beginnt  das 
Gedicht;  Willehalm  wird  geschlagen 
und  cntschliesst  sich  deshalb,  sich 
an  den  Hof  nach  Orleans  zu  be- 
geben, um  bei  Loys  (Ludwig-  der 
•  romme),  der  seine  Schwester  zur 
Ehe  hat,  Hilfe  zu  suchen.  Mit  dem 
Hilfsheer,  in  dem  sich  namentlich 
auch  der  furchtbar  starke  Knapp«» 
Rennewart  befindet,  trifft  er  vor  «fem 
von  den  Heiden  belagerten  Orange 
ein.  Die  Entscheidungsschlacht  wird 
hauptsächlich    durch  Rennewarts 
Tapferkeit,  der  sich  übrigens  als 
der  einzige,  als  kleines  Kind  schon 
entführte  Bruder  der  Gyburc  her- 
ausstellt, zu  gunsten  der  Christen 
gewendet;    doch    wird    nach  der 


I 


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Willkomm.  —  Winde  und  Weltgegenden. 


1085 


Schlacht  Kennewart  vermiest,  wor- 
auf  Willehalm    gegen    das  Ver- 
sprechen, ihm  die  Auslieferung  sei- 
nes Helden  zu  bewirken,  25  ge- 
fangene heidnische  Fürsten  freilässt. 
Damit  schliesst  das  Gedicht,  dessen 
Weiterführung  wahrscheinlich  durch 
des  Dichters  Tod  verhindert  wurde. 
Wie  Wolframs  Titurel,  so  hat  auch 
sein  Willehalm,  den  die  Zeitgenossen 
sehr  hoch  schätzten,  von  jüngem 
Dichtern  Ergänzungen  erfahren,  und 
zwar  wurden  sowohl   die  Vorge- 
schiehte  als  der  scheinbar  fehlende 
Sehluss   hinzugedichtet.     Die  Er- 
gänzung des  Schlusses  unternahm 
i  '/rieh  von  Türkei m  aus  der  Gegend 
von  Augsburg  um  1242.    Das  Ge- 
dieht ist  noch  ungedruckt;  Wille- 
balm   und    Gyburc    gehen  darin 
sehliesslich  ins   Kloster.     Die  Er- 
gänzung der  Vorgeschichte  rührt 
von  II  rieh  von  dem  'Für/in,  einem 
kärntnischen  Dichter,  her,  der  im 
Dienste  König  Ottokars  von  Böhmen 
0253 — 78)  arbeitete.    Auch  dieses 
Gedicht  ist  bis  jetzt  ungedruekt. 

Willkomm  messen  die  grossen 
Pokale  oder  kannenartigen  Humpen, 
die  auf  der  Wrillkommstube  der 
Zünfte  zum  Empfang  der  Gäste  ge- 
leert wurden.  Sie  hatten  mit  An- 
lehnung an  das  Gewerbe  der  be- 
treffenden Zunft  verschiedene  For- 
men, die  eines  Schiffes,  eines  Hutes, 
eines  Stiefels ,  einer  Tonne  oder 
Kanone  etc. 

Winde  und  Weitgegenden  in 
der  Kunst.  Das  Altertum  gab  den 
Winden  volle  Persönlichkeit  und 
erwies  ihnen  göttliche  Verehrung; 
in  Bildwerken  erscheinen  sie  unge- 
riiteelt  oder  mit  Flügeln  versehen, 
teils  in  ganzer  Figur,  teils  nur  mit 
halbem  Leibe  sichtbar;  gern  blasen 
sie  auf  einer  Muscheltrompete,  wo- 
bei sie,  um  den  ausgehenden  Wind- 
stoss  einen  Rückhalt  zn  geben,  die 
Hand  an  das  Hinterhaupt  legen; 
selten  und  spät  ist  die  Vorstellung 
der  Winde  als  Köpfe ,  aus  deren 
Munde  Strahlen  hervortreten.  Die 


christliche  Kunst  stützte  sich  bei 
der  Verwendung  der  Winde  auf  den 
Vorgang  der  heiligen  Schrift,  nament- 
lich bei  der  Fahrt  Christi  auf  dem 
galiläischen  Meer,  wo  er  den  Wind 
und  das  Meer  bedrohte,  aber  auch 
bei  anderm  Unwetter,  z.  B.  als  Jonas 
ins  Meer  geworfen  wurde.  Zu  einer 
höhern  Auffassung  erhebt  sich  die 
Darstellung  der  Winde ,  wenn  bei 
den  letzten  Dingen  die  vier  Winde 
erscheinen,  Offcnb.  7,  1,  gleichwie 
bei  der  Weltschöpfung  die  vier 
Weltgegenden  vorgestellt  worden 
sind;  aus  diesen  wehen  nach  der 
Anschauung  des  alten  Testamentes 
die  vier  Winde.  Das  christliehe 
Mittelalter  hat  die  Winde  meist 
bloss  durch  einen  Kopf  dargestellt, 
von  dessen  Munde  ein  Hauch  aus- 
geht, selten  durch  Tierköpfe.  Als 
Naturerscheinung  kommen  die  vier 
Winde  zur  Darstellung  in  deutschen 
Kalendern  seit  dem  letzten  Viertel 
des  15.  Jahrhunderts,  so  zwar,  dass 
an  die  Erklärung  ihrer  Eigenschaften 
und  ihres  Einflusses  auf  den  Körper 
sich  die  Ermahnung  knüpft:  ,,und 
also  wenn  die  Winde  kommen,  so 
mag  sieh  ein  jeder  darnach  halten ;" 
der  dazu  gehörende  Holzschnitt 
stellt  die  Winde  als  blasende  Köpfe 
dar,  in  einem  Kreise  angebracht. 

Die  Winde  dienen  auch  zur  Ver- 
anschaulichuug  der  Weitgehenden, 
sowohl  im  alten  Testament  als  im 
klassischen  Altertum.  Doch  hat  das 
letztere  die  vier.  Winde  durch  Hin- 
zufügung der  Zwischen  winde  auf 
eine  Windrose  von  acht  oder  von 
zwölf  Winden  erweitert.  Auf  das 
Mittelalter  ging  die  12  strahlige 
W  indrose  über,  mit  folgenden  Namen : 
(Siehe  folgende  Seit*.) 

Es  sind  dieselben  Winde,  für 
welche  Karl  d.  Gr.  nach  dem  Leben 
Einhards  deutsche  Namen  aufstellte: 
und  zwar  nannte  er  den  Suhsolamts; 
o*trvniieiu/,  den  eurus  osüsundroni, 
den  euroanxter  mndostroni ,  den 
auster  xundroni ,  den  ausfmaj'ri- 
mndteesfroni,  den  afriens  irest- 


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1086 


Winsbecke  und  Winsbeckin.  —  Witwe. 


xundroni ,  den  zephyrn-x  irexfrtmi, 
den  eurux  trestnordruni ,  den  circiux 
nordicestroni ,  den  xeptemtrio  nord- 
rorri,  den  aguilo  nordox/roni,  den 
rulturnujt  oxtnordroni.  Andere  ein- 
fache Windnamen  im  Altdeutschen 
sind  nach  Grimm  Grammatik  III. 
390  altn.  byr;  pixa  für  den  scharfen 
Nordwind,  noch  schweizerisch  als 
luxe  erhalten.  Die  Weltgegenden 
wurden  übrigens  im  Mittelalter  nicht 
bloss  durch  die  Winde ,  sondern 
auch  unmittelbar  persönlich  darge- 
stellt in  halber  Figur,  verschieden- 


alters.  Ausgabe  von  Haupt,  Leipzig. 
1845. 

Witwe,  got.  ridttro .  altsächs. 
iridua,  ahd.  trituted,  mhd. 
teifire,  kommt  von  dem  gleichbe 
deutenden  lat.  ridua,  d.  h.  die  (dV> 
Gatten)  beraubte.     Nach  altdeut- 
schem Recht  musste  die  kinderlos* 
Witwe  alsbald  nach  dem  Tode  de? 
Mannes  und  nachdem  sie  in  dfn 
Besitz  des  ihr  rechtlich  Zukommen 
den  gesetzt  war,  das  Gut  ihn* 
Mannes  verlassen,  das  seine  nAcli 
sten  Verwandten  in  Besitz 


( 'ireiux 
x.  Thraxeirtx 


Sepfentrio 
x.  Aparrtia* 

m 


A<ptilo 


Cortts  x.  Argeste* 


Vulfurnna  x.  tarda* 


Zephyritx  x.  Famniusf  W) 
Afrieux  x.  Lihx 


  COjStdj*o/<mu**.A/)c/iof*< 


Euntx 


lÄlmnotus 
x.  Auxtrortfrinix 


Ämter 
x.  Nofux 


l\uroauxter 


farbig  bekleidet.  Piper,  Mythologie 
der  christl.  Kunst  II.  S.  433  474. 

Winsbeckc  und  Winsbeckin  (der 
und  die)  heissen  zwei,  der  guten 
höfischen  Zeit  angehörende  Lehr- 
gedichte in  strophischer  Form,  worin 
ein  Vater  dem  Sohne  und  eine 
Mutter  der  Tochter  Unterweisungen 
in  allen  Tugenden  des  adeligen 
Lebens  geben.  Ob  der  Name  „der 
Winsbeckc'4  auf  den  Dichter  oder 
auf  den  Charakter  des  Gedichtes 
gehen  soll,  ist  nicht  ausgemacht; 
einige  Handschriften  haben  die 
Namen  dex  ra/er  und  der  muoter 
lere.  Beide  Gedichte  gehören  zu 
den  ausgezeichnetsten   des  Mittel- 


bloss  wenn  sie  sich  nach  vorzog* 
gangener  Unfruchtbarkeit  beim  Tod* 
des  Mannes  für  schwanger  erklärte, 
durfte  sie  bis  zur  Entscheidung  d»r 
Richtigkeit  ihrer  Angabe  im  ITauk 
bleiben.   Waren  aber  Kinder  vor 
I  banden ,  so  blieb  die  Witwe  bei 
diesen,  führte  das  Hauswesen  fort 
und  stand  dabei  unter  der  Mund 
schaft  des  nächsten  Schwertmagen 
ihrer  Kinder;  im  andern  Falle  kam 
sie  unter  den  Schutz  ihrer  nächste* 
angebornen  Verwandten  zurück.  In 
der  ältesten,  vorhistorischen  Zeit 
folgte  die  Witwe  dem  Garten  in 
den  Tod;  so  Brynhild  dem  Sigurd 
in  der  nordischen  Sage;  es  bt  ei* 


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Wochentage. 


1087 


uralter  auch  bei  den  Indern,  Thra- 1 
kern,  (kriechen  und  Slawen  bekann- 
ter Brauch,  dem  die  Auffassung  der 
Frau  als  eines  Eigentumes  des  Man- 
nes zu  Grunde  liegt ,  das  gleich 
Pferd  und  Knechten  mit  ihm  ster- 
ben muss.  Auf  diese  Periode  folgte 
diejenige,  in  der  zwar  die  Witwe 
fortlebte,  sich  aber  nicht  wieder 
vermählen  durfte;  Tacitus  bezeugt 
sie  Germania  19.  Die  nach  der  Vol- 
kerwanderung aufgestellten  Volks- 
rechte gestatten  hinwiederum  dir 
Wiederverheiratung  der  Writwe; 
doch  erhielt  sich,  von  der  Kirche 
unterstützt,  noch  lange  eine  gewisse 
Abneigung  gegen  eine  Wicderver- 
hciratutiß  der  Frau;  das  zeigt  z  B. 
der  in  einigen  Städten  für  Witwen- 
trauungen bestimmte,  sonst  vermie- 
dene Mittwoch;  und  es  ist  nicht  un- 
wahrscheinlich ,  dass  die  Katzen- 
muxik  von  dem  Höllenlärm  bei  der- 
artigen Verlobungen  oder  Braut- 
läufcn  ihren  Ursprung  genommen 
hat.  Um  zu  rascher  Wiederver- 
heiratune  Schranken  zu  setzen,  ge- 
bot die  Kirche  wenigstens  ein  Jahr 
trauernder  Enthaltsamkeit,  was  aber 
selten  inne  gehalten  wurde.  Wein- 
hotd,  deutsche  Frauen.  Abschnitt  V 1 1 . 

Wochentage.  Dass  die  Woche, 
d.  i.  der  Zeitabschnitt  von  Mond- 
viertel zu  Mondviertel,  den  alten 
Germanen  schon  vor  der  Einführung 
des  Christentums  bekannt  war,  zeigt 
schon  der  deutsche  Name  dafür,  got. 
vikö,  ahd.  teehha,  mhd.  iroche  und 
tcw'he,  welches  Wort  mit  weichen 
und  Wechsel,  auch  mit  lat.  ricis  — 
Wechsel  verwandt  ist  und  soviel 
aLs  Zeitwechsel  (Mondwechsel)  be- 
deutet. Doch  scheint  bei  Benennung 
der  Wochentage,  ebenfalls  schon 
vor  Einführung  des  Christentums, 
römischer  Einfluss,  vielleicht  über 
Gallien  her,  gewaltet  zu  haben.  Von 
den  ursprünglich  wahrscheinlich 
ägyptischen  und  um  den  Schluss 
des  2.  Jahrhunderts  bei  den  Römern 
völlig  eingebürgerten  astrologischen 
Namen  der  sieben  Wochentage  wur- 


|  den  die  für  Sonntag  und  Montag 
beibehalten,  die  übrigen  aber  durch 
die  Namen  der  entsprechenden  ger- 
manischen Gottheiten  bezeichnet. 
Dem  römischen  Mars  entsprach  der 
deutsche  Ziu  oder  Fr,  daher  ahd. 
Ziestac,  d.  i.  Zitcestac,  oberdeutsch 
Zistig  ,  bayerisch  Er  tag ,  Erchtag, 
Eritag.  Merkur  wurde  mit  Wodan 
übertragen,  daher  durch  alle  nieder- 
deutschen und  nordischen  Sprachen 
bis  heute  der  Tag  Gtuiestag,  du- 
denslag,  nieder).  Woensdach,  angels. 
Vödenes  dag,  engl.  H'ednes  dag,  alt- 
nordisch udhinsd^tgo ,  schwedisch 
und  dänisch  Onsdag  heisst,  dessen 
altdeutscher  Name  Wodanes  tag  ge- 
lautet haben  wird,  während  in  Öber- 
deutschland  sich  früh  ein  abstraktes, 
die  mittawecha,  später  «ler  mitheoche, 
mit  ergänzend  hinzugedachtem  Tag 
zeigte,  bis  jetzt  nicht  vor  dem  10. 
Jahrhundert  nachgewiesen.  JHts 
Joris  wurde  überall  zum  Tag  des 
Donar, ahd.  Toniris  tac,  mhd.doners-, 
donres-,  dunrestac,  engl,  thursdag, 
altnord.  thursdag r,  schwedisch  und 
dänisch  torsdag.  Dies  Veneris  würde 
zum  Tag  «ler  Fria,  nordisch  Fr  tag, 
der  Gemahlin  Wodans,  und  nicht, 
wie  man  früher  annahm,  der  Göttin 
der  Liebe  und  Fruchtbarkeit;  denn 
nach  ihr,  der  altnord.  Freuja ,  ahd. 
Froutrti  benannt,  würde  aer  Tag 
nicht  fria  tac  sondern  froutcuntac 
heissen  müssen.  Beim  letzten  Wochen- 
tage gehen  die  germanischen  Spra- 
chen wieder  auseinander;  den  dies 
Saturni  bewahrte  das  Niederlän- 
dische, Angelsächsische,  Englische 
und  Westfälische  \Üalcrsdag),  wäh- 
rend sich  im  Norden  ein  langardagr, 
d.  i.  Badetag,  festsetzte,  und  in 
Oberdeutschland  die  Namen  Samstag 
oder  Sonnabend;  das  letztere  Wort 
heisst  ahd.  der  sunnün  aband,  mhd. 
der  sannen  tdtent  und  „läset  die 
Sonne  an  dem  Vorabend  des  ihr 
geweihten  Tages,  des  Sonntages, 
als  zur  Ruhe  gehend  erscheinen, 
um  dann  an  diesem,  dem  ersten  der 
Woche,  gleichsam  mit  ihrem  Laufe 


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1088 


Winten. 


neu  zu  beginnen".  Der  Samstag 
hingegen,  ahd.  sanütaztac  und  sa- 
miztac,  mhd.  samtez-,  samcz-,  samztac 
n6D6n  »amen-,  *ami*-,  aanuttac,  franz. 
namedi,  ist  dem  lat  sahlniti  dies  ent- 
sprungen. Gemäss  ihren  altheid- 
niBcben  Patronen  haben  die  Wochen- 
tage, nur  etwas  umgebildet  durch 
christliche,  besouders  römisch- katho- 
lische Einrichtungen,  vielfach  ihre 
alten  Beziehungen  erhalten.  Allge- 
mein gilt  der  Sonntag  als  glück- 
licher Tag  und  wird  daher  beson- 
ders zu  Trauungen  gewählt;  Sonn- 
tagskinder sind  Glückskinder  und 
können ,  wie  der  Sonne  nichts  un- 
verborgen ist,  vieles  andern  Men- 
schen verborgene  sehen  und  erken- 
nen. Der  Montag  übernimmt  eben- 
so die  Bedeutung  des  Mondes,  der 
mit  der  Nacht,  der  Veränderlichkeit, 
der  Dunkelheit  verwandt  ist;  er  ist 
also  meist  ein  Unglückstag ;  am 
Montag  darf  man  nichts  unterneh- 
men, was  dauernd  sein  soll,  nicht 
Wäsche  waschen ,  in  keine  neue 
Wohnung  ziehen ,  nicht  Hochzeit 
machen,  die  Ernte  beginnen ,  einen 
Dienst  oder  eine  Reise  antreten  u. 
dgl.  Insofern  aber  der  Mond,  bei 
fast  allen  Völkern,  als  Förderer  der 
Fruchtbarkeit  gilt,  besonders  als 
zunehmender,  ist  der  Montag  gün- 
stig für  alles,  was  wachsen  soll,  also 
zum  pflanzen.  Der  Dienstag,  einst 
dem  Hott  des  Krieges,  des  Schwertes 
und  des  Gerichtes  geheiligt,  ist 
wichtig  für  Gerichts-  und  Vertrags- 
sacheu,  daher  er  auch  früher  dingstac, 
d.  h.  Gerichtstag,  genannt  wurde; 
deshalb  wird  er  auch  für  Trauungen 
und  zum  Antreten  eines  Dienstes  gün- 
stig geachtet.  Der  Mittwoch,  dem 
Gott  des  Sturmes  -und  Ungewitters 
gehörend,  ist  ein  Unglückstag;  am 
Abend  fahren  die  Hexen  aus,  nichts 
was  von  Dauer  sein  soll,  darf  an- 
gefangen werden;  getraut  werden 
an  diesem  Tage  nur  gefallene 
Mädchen  und  Witwen.  Vor  allen 
andern  Tagen  unheilvoll  ist  der 
Donnerstag;    manche    Arbeit  ist 


untersagt,  weil  der  Tag  ein  bei«i- 
nischer    Festtag    war:    kein  H«rk 
darf  gehauen,  kein  Mist  ausgeführt, 
abends    nicht   gesponnen  werden: 
man  muss  sorgfaltig  allen  Zaubvr 
schütz  beobachten,  denn  die  Heien 
halten  Umzug.  Sofern  Donar  aud 
Gott  der  rechtlichen  Ordnung  Ut 
und  durch  seinen  Hammer  Geac-u 
und  Vertrag  festigt,  ist  der  Do:* 
uerstag  früher,  zum  Teil  auch  jetzt 
noch,  Gerichtstag.   Der  Frritag  i-T 
der  verhängnisvollste  Wochentag 
je   nachdem    aber   die  heidnisch* 
oder  die  christliche  Überlieferant: 
überwiegt,  gilt  er  als   der  glück 
lichste  oder,  aber  seltener,  als  der 
unglücklichste  Tag.  Er  eignet  siel, 
vor  allem  zu  Hochzeiten;  Freitag* 
kinder,  am  Sonntag  getauft,  rgeltei: 
den  Sonntagskindern  gleich.  Ihr 
Sonnabend   gehörte  wahrscheinlici 
dem  Fro;  an  diesem  Tag  soll  d« 
Sonne  scheinen,    wenn   auch  nur 
zu  Mittag  drei  Minuten  lang;  denn 
die  Mutter  Gottes  will  ihr  Henni 
trocknen.    Am  Abend  darf  nicht 
gesponueu  werden;  denn  wsu*  man 
da  spinnt  wird  in  der  Nacht  wieder 
verdorben     oder  weggenommen 
Grimm,  Mythologie  111:  Zacher  in 
Ersch  und  Gruber,  Artikel  Uernia- 
nien,  Seite  373;    Wuitke,  Volks 
aberglaube,       66—72.  KitcKhultz. 
die    deutschen    Wochentage,  in 
deutscher    Glaubt;    und  Brauch. 
Berlin  1867,  II.,  1—64. 

Wodan,  (ahd.  Wmotam,  ags.  I©. 
detif  altnord.  Odhinn).  oberster  Gott 
der  germanischen  Völker.   Die  hV 
mer  glaubten  in  Wodan  ihren  Mer- 
kur wieder  zu  erkeunen.  Im  Frau 
zösischen    ist   der  Mittwoch  dem 
Merkur  geweiht  Mcrcredi,  im  Ei 
lischen  aber  dem  Wodan  U'edn 
day.  niederl.  Wocnsdag,  westfälisch 
Cltulensdag.    Der  Name  hängt  zu 
summen  mit  dem  ahd.  Verb  watam. 
praet.  icuot,  unser  „waten",  dessen 
ursprüngliche  Bedeutung  „durch- 
dringen" war,  und  so  bezeichnet 
denn  der  Name  Wodan,  wie  der 


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Wodan. 


10SO 


Gott  bei  den  Alteachsen  hiess,  das 
alldurchdringende  Wesen,  die  all- 
durchdringende  schaffende  und  bil- 
dende Kraft.    Von  wa tan  ist  aber 
auch  unser  „Wut"  abgeleitet  und 
so   tritt  uns  denn  zuerst  Wodan 
entgegen  als  Vertreter  des  alles- 
durchdringenden    Elementes ,  der 
Luft,  die  aufgeregt,  oder  bildlich 
gesprochen,  in  Wut  versetzt,  zum 
Sturme  wird.    Als  Stvrmgott  reitet 
Wodan  auf  milchweissem  Pferde, 
in    einen  weiten  blauen  fleckigen 
Mantel  gehüllt  und  mit  einem  breit- 
krämpigen  Hute  bedeckt  entweder 
allein,  oder  an  der  Spitze  der  wil- 
den Jagd  und  des  wütenden  Heeres 
durch  die  Lüfte.    Der  Glaube  an 
die  wilde  Jagd,  die  wie  da.s  wütende 
Heer  aus  den  als  Lufthauch  dem 
Leichnam  entfliehenden  Seelen  der 
Verstorbenen  besteht,  gehört  dem 
Norden  Deutschlands  an.  während 
die  Vorstellung  des  watenden  Heeres 
in  Süddeutschland  volkstümlich  ist. 
Der  Wödc  iage,  heisst  es  in  Pom- 
mern, Mecklenburg  und  Holstein, 
der  Wöejüger  in  Hannover,  der 
Wöinjäger  ziehe  um  in  Oldenburg, 
wenn   der  Sturm  durch  den  Wald 
tost.    Der  weite  Mantel  hat  dem 
Gott    in   einem  Teile  Westfalens, 
im  Harz   und   im  Thüringcrwald 
den   Namen  „Hackelbärend"  oder 
„Haeke/berff",  d.  h.  „Mantelträger", 
verschafft,  während   er  wieder  in 
anderen    Gegenden  Norddeuteeh- 
lands wegen  seines  weissen  Rosses 
„Schimmelreiter44    genannt  •  wird. 
Eine  Eule,  Tutursel  mit  Namen, 
fliegt  dem  Zuge  voran,  Raben  und 
Hunde   mit  Lichtern  folgen  ihm. 
Nur  wenn  man  sich  platt  auf  den 
Boden  wirft  mit  dem  Angesicht, 
kann   man  sich  vor  dem  Mitge- 
rissenwerden hüten.    Schaut  man 
zum  Fenster  hinaus  beim  Heran- 
nahen  der  wilden  Jagd,  so  erhält 
man    einen    betäubenden  Schlag, 
oder  wird  blind,  oder  wahnsinnig. 
Wo  Wodan  sein  Ross  weidet,  da 
windet  es  fortwährend.    Auf  be- 

Reallexlcon  der  deutschen  Altertümer. 


stimmten  Wegen  rast  die  wilde 
Jagd  dahin,  besonders  gern  durch 
Häuser  und  Scheunen,  in  denen 
zwei  oder  drei  Thüren  hintereinan- 
der liegen.  Bei  solchen  Durelizügen 
kommt  es  oft  vor,  dass  der  Wilde 
Jäger  einen  seiner  Hunde,  welche 
seine  Kinder  oder  Seelen  von  Böse- 
wichtern sind,  im  Hause  zurück- 
lässt  und  übers  Jahr  wieder  abholt. 
Der  Feuerherd  ist  die  Wohnstätte 
des  Hundes,  Asche  seine  Nahrung. 
So  jagt  Wodan  mit  seinen  Hunden, 
denen  sich  oft  noch  eine  aus  Toten 
gebildete  Schar  anschliesst,  ent- 
weder einem  Eber,  oder  einem 
Pferde  oder  einem  geisterhaften 
Weibe  nach,  das  er  endlich  nach 
sieben  Jahren  einholt  und  vor  sich 
hin  quer  aufs  Ross  legt.  In  Mittel- 
deutschland aber  und  Tirol  verfolgt 
die  wilde  Jagd  die  sog.  Moosweib- 
chen, Lohjungfern,  Holzfräulein, 
welche  die  Personifikationen  des 
Laubwerkes  sind  und  dem  Land- 
mann bei  seiner  Arbeit  helfend 
zur  Seite  stehen.  Wer  aufgefordert 
in  den  Jagdruf  des  Wode  und  seiner 
Genossen  einstimmt,  dem  schenkt 
er  eine  Pferdekeule,  die  sich  in 
Gold  verwandelt,  wer  aber  höhnt 
auf  den  wilden  "Jäger,  dem  heftet 
er  auf  den  Rücken  oder  an  das 
Haus  einen  nach  Schwefel  stinken- 
den Pferdeschenkel,  der  nicht  mehr 
zu'  entfernen  ist. 

Das  wütend*  Heer  ist  dasselbe 
wie  die  wilde  Jagd,  nur  ist  es  eben 
keine  Jagd,  d.  h.  keine  Verfolgung 
irgend  eines  Wildes.  Die  verschie- 
denen Namen  Wuotes  Heer,  Mün- 
tes, Wuotunge8  Heer,  Guenis  Heer 
gehen  auf  di*  Form  Wuotanes 
Heer  zurück,  während  wieder  in 
anderen  Gegenden  die  unheimliche 
Erscheinung  unter  den  Bezeich- 
nungen: ..das  Nacht volk4',  „Nacht- 
gejäge44  oder  „die  wilde  Fahre44 
bekannt  ist.  Als  ein  Zug  von  Gei- 
stern in  menschlicher  Gestalt,  manch- 
mal in  einer  grossen  schwarzen 
Kutsche  sitzend,  braust  das  wütende 

69 


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1090 


Wodan. 


Heer  daher  unter  bezauberndem 
Gesang  und  wunderbar  schöner 
Musikbegleitung.  Wehe  dem,  der 
dem  Warnungsruf  des  voraussehrei- 
tenden Mannes  nicht  gehorcht  und 
sich  nicht  platt  auf  die  Erde  wirft. 
Entweder  muss  er  mit  rasen  oder 
wird  geblendet  oder  seines  Hauptes 
beraubt.  Im  Herneroberland,  Grau- 
bünden und  Wallis  erscheint  das 
wütende  Heer  als  Nachtvolk,  To- 
tenvolk oder  Totenschar,  welches 
mit  dem  Tode  an  der  Spitze  die 
Leichname  derer  herumträgt,  die 
bald  sterben  müssen  und  so  das 
Eintreten  eines  Todesfalles  verkün- 
den. Klopft  das  Nacht volk  an  eine 
Thüre ,  so  muss  mitziehen  oder 
sterben,  wer  ihm  antwortet. 

Diese  Sagen  beruhen  alle  auf  Na- 
turvorgangen. Vor  dem  Sturmwind 
wirft  man  sieh  auf  den  Boden,  um 
nicht  mitgerissen  zu  werden.  Wie 
die  wilde  Jagd,  so  zieht  auch  der 
Wind  besonders  heftig  durch  hinter- 
einanderliegende  Thüren  und  Fen- 
ster. Durch  den  Kamin  heult  der 
Wind  und  wirbelt  die  Asche  des 
Herdes  auf,  auf  der  Feuerstatte 
winselt  und  heult  aber  der  Sage 
nach  auch  Wodans  Hund  und  frisst 
Asche.  Wodans  Mantel  ist  der 
Himmel,  sein  Hut  die  Wolke.  Der 
Sturmwind  scheucht  die  Wolken 
vor  sich  her,  der  wilde  Jäger  das 
Ro8s,  den  Eber  oder  die  Geister- 
jungfrau. Der  Luftzug  weht  das 
Laub  von  den  Bäumen,  wie  Wo- 
dans Heer  die  Waldgenien  mit  sich 
reisst.  Der  Blitz  ist  es,  der  als 
schweflige  Pferdekeule  den  Spötter 
trifft.  Die  wilde  Jagd,  wie  das 
wütende  Herr  werden  begleitet  von 
Blitz,  Donner  und  Regen.  Die 
schwarze  Gewitterwolke  ist  die 
Geisterkutsche ,  der  Donner  ihr 
Rollen.  Mehrfach  kehrt  die  Sage 
wieder,  dass  Geister  des  wütenden 
Heeres  eine  Kuh  schlachteten  und 
verzehrten,  die  sie  dann  aus  der 
abgezogenen  Haut  wieder  erneuten 
und  ins  Leben  zurückriefen.  Es 


iu 
in 


Altenbuns: 
Schleswig 


ist  die  Wolke  als  Kuh  gedacht 
von  der  die  Windgeister  <üe  Scek- 
zehren,  indem  sie  den  Regen  der- 
selben auf  die  Erde  giessen.  Nw 
ein  kleines  Wölkchen,  die  Haut, 
bleibt  übrig,  und  aus  dieser  ersteh: 
und  wächst  die  Kuh,  wie  sie  war 
zu  neuem  Leben.  —  Im  Laufe  der 
Zeit  trat  an  die  Stelle  des  Wod*L 
als  Anführer  des  wilden  Heeres 
ein  Held  der  deutschen  Vorzeit, 
in  der  Lausitz  und 
Dietrich  von  Bern , 
Herzog  Abel,  der 
ermorden  Hess.  Doch  nicht  nur 
Deutschland  kennt  die  wilde  Jafri 
und  das  wütende  Heer.  In  FranV 
reich  spukt  sie  unter  dem  Namtro 
Chatte  Merode,  t -heute  de  Gm*. 
Chatte  Maehahee,  Chatte  ein  diaM*, 
('hasse  ff  alerte,  Chasse  gatfrrr.  Chat** 
l 'tria tief.  Ihre  Anführer  sind.  wv 
teils  ihre  Namen  andeuten,  Merode 
und  Kaiu,  dann  in  der  Gegeud  vor 
Tours  Hugo  Kapet,  an  anderes 
Orten  St.  Hubert  und  St.  Eu&ra 
chius.  Selbst  der  König  derTaf^ 
runde,  Artus,  wurde  zum  wilder 
Jäger  gemacht.  In  England  wini 
die  wilde  Jagd  nach  deren  An 
führer,  König  Herla,  Hcrlathi*- 
genannt. 

Aus  der  wilden  Jagd  oder  dec 
wütenden  Heere  entwickeln  sid 
allmählich  andere  Sagen.  So  wuni 
Wodan,  der  an  der  Spitze  seiner 
Genossen  das  alles  in  Bewegung 
setzende  Sturmlied  singt,  zum  kunst 
fertigen  Sj>iefmann,  wie  er  uns  ai« 
Rattenfänger  von  Hameln  in  d»r 
populärsten  Weise  entgegentritt 
Einen  viel  edleren  Charakter  ha? 
Wodan  in  der  Gestalt  des  alle.« 
bezaubernden  Säugers  Horant.  d«r 
namentlich  in  der  Gudrun  bei  dei 
Eutführung  der  irischen  Königs 
tochter  Hilde  eine  grosse  Kolle 
spielt. 

Nahm  der  heidnischen  Auffas- 
sung zufolge  die  wilde  Jagd  all« 
Seelen  mit,  so  beschrankte  da* 
Christentum    die    Aufnahme  da 


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Wodan. 


1091 


durch,  dass  sie  bloss  aus  den  Gei- 1 
stern  von  Leuten  bestehend  ge- 1 
dacht  wurde ,  die  Sonntags  und 
Werktags  gejagt,  das  Landvolk 
durch  Fronknechte  zur  Treibhatz 
getrieben  und  in  ihrer  wilden  Lust 
selbst  der  Saaten  und  des  Schwcis- 
ses  der  Bauern  nicht  geschont  hät- 
ten. Darum  trügen  sie  zur  Strafe 
die  Köpfe  unter  dem  Arm  und 
ritten  auf  Kossen  ohne  Kopf. 

Als  die  deutsche  Mythologie 
einen  immer  kriegerischeren  Cha- 
rakter annahm,  so  ging  dieser  auch 
auf  die  wilde  Jagd  über,  welche 
aus  im  Kampfe  gefallenen  Helden 
nunmehr  zusammengesetzt  war  und 
durch  ihr  £rscheinen  den  Ausbruch 
eines  Krieges  verkündete.  L'armee 
furie-use  heisst  in  Frankreich  der 
Spuk.  Im  Odenwald  ist  der 
durch  Scheffels  Claudeamu*  so 
populär  gewordene  Rottensteiner 
der  Anführer  dieser  wilden  Scha- 
ren, welche,  so  oft  feindliche  Völ- 
ker es  wagen  den  Rhein  zu  über- 
schreiten ,  ausbrechen  aus  dem 
Schnellertsberge  und  ihnen  entge- 
gentreten und  erst  wieder  in  den 
Berg  zurückziehen,  wenn  die  frem- 
den Soldaten  über  den  FIuss  zu- 
rückgegangen sind.  In  Oberhessen 
ist  an  die  Stelle  Wodans  sogar  cm 
Held  der  neuern  Zeit  Karl  V.  ge- 
treten, der  auch  beim  Herannahen 
einen  Krieg'*  mit  seinem  Gefolge 
seine  Bergheimat  verlässt. 

Aus  den  Wolken  quillt  der  Segen, 
strömt  der  Regen.  Auch  Wodan 
mit  seinem  wilden  Heere  wird  so 
zum  liege  ngott,  zum  Befruchter  der 
Sttafc»,  welchem  von  den  from- 
men Landleuten  Opfer  dargebracht 
werden.  Dieser  heidnische  Gebrauch 
herrschte  noch  im  vorigen  Jahr- 
hundert in  Mecklenburg,  wo  bei 
der  Roggenernte  am  Ende  eines 
jeden  Feldes  ein  Streif  Getreide 
iinabgernäht  blieb,  mit  dem  Garben 
zusammengeflochten  und  mit  Hier 
besprengt  wurde.  Mit  entblössten 
Hauptern   baten  dann  die  Bauern 


j  Wöda  um  eine  gute  Ernte  für's 
I  nächste  Jahr.  Ein  ähnliches  Opfer 
war  noch  im  Anfang  dieses  Jahr- 
hunderts in  Lippe-Schaumburg  üb- 
lich, und  noch  heute  heisst  in,  Hessen 
die  letzte  Garbe  „Waulroggen".  In 
Bayern  wurde  Wodan  als  Erotegott 
unter  dem  Namen  Oanswald,  Uans- 
wald,  Aswald  oder  Oswald  verehrt. 
War  Wodan  einmal  Sturm-,  Wolken- 
und  Regengott,  wurde  das  Gelingen 
oder  Missli ngen  der  Ernte  als  von 
ihm  abhängig  betrachtet,  so  lag  es 
nahe  ihn  überhaupt  zum  Gott  des 
Himmels  und  der  Luftregionen  zu 
machen.  Er  ist  als  solcher  ein- 
äugig; denn  die  Sonne  ist  sein  Auge, 
das  Sternbild  des  grossen  Bären 
sein  Wagen,  auf  welchem  er  die 
Toten  in  das  Seelenreich  führt.  Da 
sich  Wodan  jetzt  zu  einem  Himmels- 
gott, zu  einem  milden  und  segen- 
spendenden Wesen  erhoben  hatte, 
so  wurden  seine  früheren  zerstören- 
den Wirkungen  als  Sturmgott  einem 
Eber,  dem  sogenannten  „ Windcber44 
zugeschrieben,  mit  welchem  Wodan 
kämpft.  Der  Gott  besiegt  das  Un- 
tier, stirbt  dann  aber  selbst;  der 
milde  segnende  Gott,  welcher  die 
goldne  Frucht  des  Ackers  spendet, 
erschien  als  ein  sommerlicher,  mit 
seinem  Tode  oder  Verschwinden 
machte  er  dem  frostigen  Winter 
Platz.  Im  Wolkenberge,  in  der 
Wolkeuburg,  welche  dann  geschlos- 
sen ist  und  nicht  befruchtenden 
Regen,  sondern  nur  eisigen  Schnee 
zur  Erde  sendet,  träumt  er  mit 
seinem  ganzen  Heere  dem  Frühling 
entgegen.  Wie  als  wilder  Jäger, 
so  ging  als  Schlafender  Wodan  in 
die  Gestalten  von  Lieblingshelden 
des  deutschen  Volkes  über.  Kaiser 
Karl  der  Gross«'  schläft  im  Desen- 
berge  bei  Warburg,  in  der  Burg 
Herstaila  an  der  Weser,  in  der 
Karleburg  bei  Lohr  im  Spessart,  im 
Trautberg  und  Donnersberg  in  der 
Pfalz.  Otto  der  Grosse  sitzt  ver- 
zaubert im  Kyffhäuser.  Später  trat 
an  Stelle  Ottos  Friedrich  Barba- 

6l>* 


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1002 


Wodan. 


rossa,  der  schlafen  muss,  so  lange 
die  Raben  um  die  Burg  herumfliegen. 
In  Schottland  träumt  König  Artus 
mit  seiner  Tafelrunde  in  den  Hügeln 
von  Alderley  Edge.  Nach  einer 
andern  Sag«'  irrt  Wodan  sieben 
Jahre,  welche  die  sieben  Winter- 
monate  bedeuten,  als  ein  Verbann- 
ter herum,  fem  von  seiner  Gattin, 
um  die  der  blasse,  winterlicheWodan 
wirbt.  Nach  Ablauf  der  sieben 
Jahre  respektive  sieben  Monate  aber 
kommt  er  zurück,  vertreibt  seinen 
Nebenbuhler  und  erweckt  an  der 
Seite  seiner  Gemahlin  alles  wieder 
zu  neuem  Leben.  Wieder  in  einer 
andern  Fassung  heisst  es,  der  Him- 
melsgott jage  sieben  Jahre  seinem 
Weibe  nach,  der  Wolkengöttin, 
welche  verzaubert  ihm  untreu  ge- 
worden. Es  ist  dies  die  geisterhafte 
Jungfrau,  welche  schon  oben  als 
von  der  wilden  Jagd  verfolgt  er- 
wähnt  wurde. 

Vom  21.  Dezember  der  Winter- 
sonnenwende an  werden  die  Tage 
wieder  länger,  und  dies  betrachtete 
man  als  eine  Vorbedeutung  für  die 
Wiederkehr  des  Frühlings  und  Som- 
mers. Die  auf  das  Wintersolstiz 
folgenden  «zwölf  Nächte",  in  Eng- 
land unter  dem  Namen  licet/ Sights 
wohl  bekannt,  gelten  in  bezug  auf 
das  Wetter  vorbedeutend  für  das 
folgende  Jahr.  Die  Geister  der 
Verstorbenen  steigen  in  dieser  Zeit 
zur  Erde  nieder  und  wandeln  unter 
den  Sterblichen.  Die  wütende  Jagd 
durehtost  das  Land.  Mit  den  Ver- 
storbenen mischen  sich  auch  die 
Götter  unter  die  Menschen  und  ver- 
langen Verehrung.  Heilige  Feuer 
lohen  auf  den  Bergen  zur  Ehre 
Wodans.  In  den  Dörfern  aber 
wurden  die  Kultusgebräuehc  drama- 
tisch dargestellt.  Noch  jetzt  reprä- 
sentiert in  Braunschweig,  Schlesien, 
Schwaben  und  auch  in  England  der 
sogenannte  „Schimmelreitcr"  oder 
das  WiMnirnhorxc ,  Hotitnfhorse  den 
auf  weissem  Ro«s  daher  brausenden 
Wodan.  In  seiner  Gesellschaft  sind 


oft  ein  Schmied,  der  den 
beschlägt,  ein  Bär,  welchen  ein  \l 
Erbsenstroh  gehüllter  Bursche  spirk 
au  dessen  Stelle  in  Usedom  &z 
Klapperbock,  in  Schweden  der  JrJ'- 
bock,  in  Obersteiennark  die  Hahr 
gais   tritt.    Oft   auch    folgt  de» 
Schimmelreiter  Hans  Ruprecht  od-^r 
Knecht  Ruprecht,   welcher  sich 
jetzt  noch  nicht  nur  auf  dem  Lan  i 
sondern  auch  in  den  St&dtcn  er 
halten  hat  und  mit  seinen  Gab*: 
die  braven  Kinder  beglückt,  mit 
seiner  Kufe  die  unartigen  bestraft. 
Selbst  Gebäcke  wurden   um  die* 
Zeit  in  Pferdeform  gemacht.  Nock 
einmal   tritt  der  Winter    in  seio» 
Rechte,  dann  aber  ergreift  der  sep-i 
spendende  Sommergott  wieder  dau- 
ernd die  Herrschaft  über    die  in 
frischen  Schmucke  prangende  Eni- 
Im  Mai  schlägt  Wodan  in  rntichri 
dender  Schlacht  den  kalten  Hern 
des  Winters  aus  dem   Felde.  It 
England  zieht  dann  Robin  Hood  hl; 
seinen  fröhlichen  Jagdgesellen  ein 
Wieder  spielt  bei  deu  Frühlingsfe>r 
lichkeiten,  wie  sie  in  den  zwölf  erstem 
Maientagen  in  Deutschland,  Englat  i 
und  bis  nach  Frankreich  hinein  vor 
der    frohen  Bevölkerung  gefeien 
werden,   der   Schimmelreiter  en> 
grosse  Rolle.    Ihm  zur  Seite  steh 
aber  die  ebenso  wichtige  IVrsonlkl 
keit  der  Maikönigin  oder  des  Mai- 
königs in  England,  des  Maigraf'  c 
in  Niedcrdeutschland.  des  Pfingst 
butz  in  Schwaben,  des  Wasscrvo^  i* 
in  Bayern,  welche  alle   mit  Gnk 
und  Blumen  geschmückt  den  Ein 
zug  der  warmen  Jahreszeit  veran 
schaulichen  sollen. 

Wie  das  sanfte  Wehen  des  Win 
des  die  Luft  reinigt  und  Krank 
heitsstofte  verscheucht,  so  tritt  auclr 
Wodan  als  Heitgott  auf,  der,  wie 
der  zweite  Merseburger  Zauber 
spruch  zeigt,  z.  B.  die  Fussverreukmu: 
von  Balders  Fohlen  heilt,  naehden 
vergebens  die  heilkundigen  Weiber 
Sinthgunt  und  Sünna,  Fria  und 
Volla  das  Tier  besprochen. 


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Wodan. 


1093 


Dem  doppelten  Charakter  des 
Gottes  gemäss,  empfing  Wodan  auch 
zweierlei  Opfer.  Als  segenspendendem 
Erntegott  wurden  ihm  Feldfrüchte 
dargebracht  Der  wilde  Herr  des 
Sturmes  und  der  Schlachten  aber 
lechzte  nach  Blut,  und  so  fielen 
Pferde  und  selbst  Menschen  unter 
tiein  Messer  oder  durch  den  Strick 
des  opfernden  Priesters;  denn  na- 
mentlich die  Seelen  der  Gehängten 
sind  dem  Gotte  lieb. 

Wenn  er  nicht  im  wilden  Sturm- 
wind einherfährt,  so  weilt  Wodan  mit 
seinem  Gefolge  iu  seinem  Palaste  hin- 
terden  Wolken.  Zu  diesem  goldlcueli- 
tenden  Mause  führt  ein  Weg,  der  mit 
edlen  Steinen  gepflastert  ist.  Auch  für 
Liebe  ist  das  Herz  des  Himmels- 
gottes nicht  unempfänglich,  die 
Sage  weiss  von  einer  Verlobung 
Wodans  mit  der  reizenden  Köhlers- 
tochter LUt  Ebenso  weiss  der  ge- 
waltige Gott  die  selbstvertrauende 
Macht  und  Klugheit  der  Menschen 
zu  achten  und  zu  würdigen. 

Der  Gott,  welcher  den  Menschen 
den  Sieg  verlieh ,  wurde  bald  auch 
der  Geber  alles  Glückes  und  aller 
höheren  Güter,  er  wurde  Geber  des 
Wunsches  und  gar  der  Wunsch 
selber;  denn  mit  diesem  Worte  be- 
zeichneten noch  die  Dichter  des 
Mittelalters  ein  gewaltiges,  schöpfe- 
risches Wesen« 

Wie  bei  den  (»riechen  und  Rö- 
mern waren  auch  bei  den  Germanen 
die  Herrscher  darauf  versessen,  von 
Göttern  abzustammen.  Bei  der  eng- 
lischen Kötügsfamilie  reicht  der 
Stammbaum  bis  aufW  odan  hinauf  und 
mit  Ililfenahme  weiblicher  Zwischen- 
glieder bis  Königin  Viktoria  herab. 

Bei  den  Nordgermanen  finden 
wir  den  Namen  Wodan  in  Od/rinn 
(oft  mit  verdeutschter  Schreibung 
Odin  geschrieben)  verwandelt.  Seine 
Bedeutung  ist  dieselbe  geblieben. 
Auch  Odhinn  ist  Sturmgott,  als 
solcher  sogar  früher  als  Adler 
abgebildet,  daher  der  Name  Arn- 
hhfdhi  (adlerhäuptigi),   welcher  an 


der  Spitze  der  wilden  Jagd  in 
Dänemark  oder  des  wütenden  Heeres 
in  Schweden  und  Norwegen  sein 
Wesen  treibt,  Atgardhreidh,  d.  h. 
Fahrt  nach  Asgardh,  mit  welchem 
Namen  Odhinns  Wohnsitz  bezeichnet 
wird,  nennt  man  die  Erscheinung. 
Geister  von  Trunkenbolden,  Schlä- 
gern, Neidern  und  Betrügern,  die 
für  den  Himmel  nicht  reif,  für  die 
Hölle  zu  gut  sind,  bilden  das  Ge- 
folge des  Gottes  und  treiben  es 

Sinz  gleich  wie  ihre  Brüder  in 
eutscnland.  Auch  Odhinn  wohnt 
im  Wolkenberg,  ist  einäugig,  weil 
die  Sonne  sein  Auge  bildet,  stellt 
durch  seinen  weiten  Mantel  das 
Himmelszelt,  durch  seinen  breit 
randigen  Hut  die  Wolken  dar  und 
reitet  auf  weissem  Koss,  »las  Slcip- 
nir  heisst  und  acht  Füsse  besitzt. 
Ähnliche  Gebräuche  wie  in  Deutsch- 
land herrschen  auch  in  Skandinavien 
an  der  Wintersonnenwende  und  im 
Frühlingsanfang. 

Ganz  anders  allerdings  gestaltet 
sich  das  Bild  Odhinns,  wenn  wir 
die  Edda  zu  Rate  ziehen,  welche 
sich  einen  Götterhimmel  geschatten, 
wie  die  Griechen  ihn  besassen.  Da 
ist  Odhinn  der  König  und  väter- 
liche Regierer  der  Welt  und  des 
Götterstaates.  Er  wird  daher  All- 
vater genannt.  Als  solcher  thront 
er  in  der  Götterburg  Asgardhr, 
welche  in  ihrem  Mauerring  viele 
herrliche  Paläste  umschliesst.  Der 
prächtigste  von  diesen  ist  Glads 
heim  (Welt  der  Freude),  wo  ge- 
räumig die  goldschimmenide  Vall- 
höll  (Walhalla,  d.  h.  die  vor 
vorzügliche  Halle)  sich  erhebt.  In 
dieser  Halle  freuen  sich  dieEinherier, 
die  im  Kampfe  gefallenen  Helden, 
ihres  Lebens,  essen  das  Fleisch  des 
Ebers  Sährimnir,  das  ihnen  der  Koch 
Andhrimnir  in  dem  Kessel  Eldhrim- 
nir  zubereitet,  laben  sich  an  der 
nie  versiegenden  Milch  der  Ziege 
Heidrhun,  während  die  holden  Val- 
kyrien  ihnen  aus  goldenen  Hörnern 
köstlichen  Met  kredenzen.  Odhinn 


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.  1094 


Wodan. 


selbst  sitzt  auf  goldenem  Throne, 
umgeben  von  den  beiden  Wölfen 
Gcri  (der  Heisshtingrige)  nnd  Freki 
(der  Gefrässige),  umflogen  von  den 
Haben  Hugin  (Gedanke)  und  Munin 
( Erinnerung).  Zu  den  Einheriem 
gehören  bloss  die  im  Kampfe  ge- 
fallenen Könige,  Herzoge,  Adelige 
und  reichen  Herren.  Sie  werden 
ausgewählt  auf  blutiger  Wahlstatt 
von  den  Valkvricn  und  ein  festlicher 
Empfang  wird  ihnen  bereitet  in 
Walhalla.  Einst  wird  Odhinn  die 
Einherier  gebrauchen:  in  der  Götter- 
dämmerung, wenn  es  gilt  gegen  die 
dämonischen  Mächte,  welche  den 
Untergang  der  Welt  herbeiführen, 
den  Entscneidungskampf  zu  schlagen. 
Odhinn  ist  Kriegsgott.  Ja  er  säet 
sogar  Zwietracht,  wenn  Frieden  im 
Lande  ist.  Entbrennt  die  Schlacht, 
so  kämpft  er  selbst  unsichtbar  mit. 
Von  ihm  allein  hängt  der  Sieg  ab. 
Im  Vertrauen  auf  die  Hilfe  Allvaters 
verrichteten  die  Nordmänner  Wun- 
der der  Tapferkeit  und  sahen  lachen- 
den Mundes  dem  Tod  ins  Angesicht. 
Bis  zum  Fanatismus  begeistert  stürz- 
ten sie  sich  wohl  panzcrlos,  als 
Berserkir,  in  die  Scharen  der  Feinde 
und  bissen  um  sich  wie  Wölfe. 

Odhinns  Dienst  war  blutig,  Men- 
schenopfer fielen  an  seinen  Altären. 
Wie  in  Deutschland  wurden  auch 
in  Skandinavien  die  zum  Opfertode 
bestimmten  vorzugsweise  gehängt. 

Doch  nicht  nur  auf  dem  Fest- 
lande  ist  Odhinn  Herr.  Auch  die 
Seefahrer  flehen  ihn  um  günstigen 
Fahrwind  an  und  vertrauen  auf 
seine  Hilfe  in  des  Sturmes  Nöten. 
Recht  bezeichnend  ist  es  für  die 
Germanen,  denen  ja  schon  Taeitus 
Liebe  zum  Trünke  vorwirft,  dass 
sie  ihren  obersten  Gott  gleichsam 
auch  als  obersten  Bierbrauer  an- 
sahen. Im  engsten  Zusammenhang 
damit  steht  aber  auch,  dass  Odhinn 
Dichtergott  ist,  welcher  den  Sängern 
den  Trank  der  Begeisterung  ein- 
flösst.  Er  selbst  ist  der  beste  der 
Dichter,  und  ihm  werden  sogar  eine 


Reihe  von  Sinnsprüchen    in  dea 
Mund  gelegt,  die  unter  dem  Nam** 
Havamal,  d.  h.  Sprüche  des  Hohen 
gesammelt  sind.    Ebenso  gross  vi 
sein  dichterisches  Talent   ist  seil 
Geschick  Rtitxel  aufzulösen,  selb-t 
den  Riesen  Vafthrudnir  besiegt  sein» 
Weisheit  im  Rätselkampfe.  Odhinr 
ist  allwissend,  denn  er  hat  aus  deiri 
Weisheit  spendenden  Brunnen  dt^ 
Riesen  Mimir  getrunken,  wofür  -t 
aber  dem  Riesen  zur  Belohnung  d* 
eine  Auge  lassen  musste.    Mit  de- 
Gottes  Allwissenheit    hängt  aoofc 
seine  Allmacht  zusammen.    Er  ist 
Erfinder  der  Runen,  der  Schöpf- r 
und  Ordner  im  Reiche  der  Natur 
und  alles    höheren    Lebens.  Mi' 
seinen  Brüdern  Vili  (der  Wollend» 
und  Ve  (der  Heilige)   hat  er  au* 
dein  Chaos  Himmel  und  Erde  er- 
hoben und  die  organische  und  «II 
liehe  Weltordnung  geschaffen.  Aa- 
Bäumen  hat  er  die  Menschen  ^ 
bildet  und  ihnen  die  Seele  eintx 
haucht.    Fort  und  fort  erhält  « 
als  König  dem  Götterstaate  fj 
stehend,  seine  Weltordnung  aufrecht 
Er  ist  Vorbild  der  Gesetzgeber  m*i 
wacht  über  die  Heüighaltung  dt* 
Eides.  Auch  Kinder  werden  Odhw 
zugeschrieben.     Mit  Frigg  hat  <" 
den  lichten  Haider  erzeugt,  mit  d* 
Erdgöttin  Jördh  den  starken  DonDft 
gott  Thorr,  mit  Rindr  den  Vali, 
der  Riesin  Gridhr  den  schweigend.3 
Vidharr;  auch  die  Kampfgötter  Tyr 
und  Hödhr,  der  Dichtergott  Bra^ 
der  Götterwächter  Heimdallr 
Hermodhr,  der  Götterbote,  nannte 
den  Allvater  Odhinn  ihren  Erzeugt 
Als  die  Heiligen  der  christliche 
Kirche  den  heidnischen  Göttern  d<* 
Kriec  erklärten  und   sie  allmahli«'1 
aus  dem  Felde  schlugen,  da  nahm«3 
doch  einige  der  Sieger  Züge  vi« 
den  Unterdrückten  an.  1  >er  Erzcnp» 
Michael,  dieser  „Fahnenträger  j 
himmlischen  Heerscharen'1,  trat  *n 
Wodans    Stelle.     Auf  denselben 
Plätzen,  wo  Wodans  Tempel  p- 
standen,  erhoben  sich  Kapellen  d« 


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Würfelspiel  —  Zahlen. 


1095 


Erzengels  Michael;  in  Schweden 
lodern  Michaelsfeuer  ZU  derselben 
Zeit,  in  der  sonst  dem  Odhinn  auf 
diese  Weise  das  Volk  seine  Ver- 
ehrung bezeugte.  Wodan  als 
Hackelbärend  ging  auf  in  dem 
Heiligen  Martin,  der  bekanntlich 
als  Ritter  dem  in  Gestalt  eines 
Bettlers  ihn  anflehenden  Heiland 
ein  Stück  seines  Mantels  gegeben, 
Was  früher  dem  Wodan  gegolten, 
geschieht  jetzt  dem  heil.  Martin  zu 
Ehren.  Er  wird  als  Schimmelreiter 
dargestellt;  ihn  günstig  zu  stimmen 
feiert  man  an  Martini  in  der  Mark 
Erntefeste  und  zündet  Freudenfeuer 
an.  In  Süddeutschland  zeigt  sich 
St.  Martin  zur  Weihnachtszeit  in 
der  Rolle  des  Knecht  Ruprecht  als 
Pelzmärtel.  Endlich  hat  auch  St. 
Sikolaus,  der  kinderfreundliche 
Bischof  von  Mira,  dessen  Festtag 
(6.  Dezember)  in  die  Zeit  der  Winter- 
sonnenwende fiel,  seinen  Namen  dem 
Wodan  borgen  müssen.  Auf  einem 
Schimmel,  oder  als  Knecht  ver- 
mummt zieht  er  in  der  Nacht  vom 
5.  auf  den  6.  Dezember  in  den 
Dörfern  herum  und  legt  den  Kin- 
dern Apfel,  Birnen  und  Nüsse  in 
die  Schuhe,  in  welch'  letztere  von 
den  Kleinen  Heu  gestopft  wird  am 
Vorabend,  damit  der  Schimmel  des 
freundlichen  Gebers  auch  etwas  zu 


fressen  habe.  So  lebt  auch  heute 
noch  mehr  oder  weniger  deutlich 
das  Andenken  an  Wodan  im  deut- 
schen Volke  fort. 

Nach  Mannhardt,  Die  Götter  der 
deutsehen  und  nordischen  Völker. 

WUrfelspiel  wird  schon  von 
Tacitus Germania  24  als  eine  Leiden- 
schaft der  Deutschen  geschildert, 
das  sie  sogar  im  nüchternen  Zu- 
stande treiben.  Haben  sie  alles  ver- 
spielt, so  setzen  sie  auf  den  letzten 
Wurf  Leib  und  Freiheit.  Das  Spiel 
blieb  das  ganze  Mittelalter  hindurch 
bei  Männern  und  Frauen  beliebt, 
auch  bei  Mönchen  und  Nonnen,  und 
keines  der  zahlreichen  geistlichen 
und  weltlichen  Verbote  hatte  nach- 
haltige Wirkung;  Otto  der  Grosse 
bedrohte  z.  B.  die  Geistlichen,  die 
vom  Würfelspiel  nicht  abliessen,  mit 
der  Absetzung.  Um  das  Spiel  un- 
schädlicher zu  machen,  erfand  der 
Bisehof  Wibold  von  Cambray  (972) 
ein  besonders  kunstreiches  und  auf 
geistliche  Verhaltnisse  umgedeutetes 
Würfelspiel.  Die  Würfel  waren  aus 
Elfenbein  oder  Knochen,  die  Num- 
mern hiessen  Esse,  Tus,  Drie, 
Kwater,  Zinke  und  Ses.  Ein  be- 
sonderes Würfelbrett  gehörte  zum 
Spiel.  Später  waren  namentlich  die 
Landsknechte  für  ihre  Leidenschaft 
zum  Würfelspiel  berüchtigt. 


z. 

Zahlen.  Der  Gebrauch  gewisser  schauungen,  nicht  minder  der  Volks- 
Zahlen  ist,  abgesehen  von  dem  I  abcrglaube,  die  Magie,  die  volks- 
natürlichen Zah  len  wert  derselben,  massige  Anschauung  überhaupt;  so 
in  symbolischer  Bedeutung  bei  den  beruht  das  Nachtwächterlied  „Hört 
meisten,  wo  nicht  bei  allen  Völkern  ihr  Herrn  und  lasst  euch  sagen, 
im  Schwange;  besondere  Ausbildung  Unsre  Glock  hat  zehn  gesehlagen", 
hat  die  Zahlensymbolik  u.  a.  bei  den  Simrock  Volkslieder  Nr.:i7i),  auf  der 
Hebräern,  den  Griechen  und  Römern  Anwendung  folgender  heiliger  Zah- 
(  Pythagoras),  und  im  Mittelalter  er-  len:  Zwölf  Gebote,  Eilf  Apostel, 
langt:  die  christliche  Symbolik  des  Ein  Gott,  Zwei  Wege  des  Menschen, 
Mittelalters  ist  reich  an  solchen  An-  Dreieinigkeit,  Vierfaches  Ackerfeld: 


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1096 


Zahlen. 


und  tla.s  Lied  O  J^ector  Leeforum 
oder  die  katholische  Vesper  (Sim- 
rock  Xr.  3351,  welches  anfangt: 
„Guter  Freund,  ich  frage  dich.  Sag 
mir,  wa«  ist  Eines?4'  und  worin  in 
jeder  Strophe  eine  weitere  heiÜge 
Zahl  zugesetzt  wird,  lautet  in  der 
Schlussstrophe: 

Guter  Freund,  ich  frage  dich, 

Guter Fn  und,  was  fragst  du  mich? 

Sag  mir,  was  sind  zwölfe? 

Zwölf  sind  Apostel, 

Eilf  tausend  Jungfrauen, 

Zehn  Gebote  Gottes, 

Neun  ("höre  der  Engel, 

Acht  Seligkeiten, 

Sieben  Sakramente, 

S«-chs  Krüg  mit  rotem  Wein 

Hat  der  Herr  geschenket  ein 

Zu  Kana  in  Galiläa. 

Fünf  Wunden  Christi, 

Vier  Evangelisten. 

Drei  Patriarehen, 

Zwei  Tafeln  Moria, 

Eins  und  Eins  ist  Gott  «1er  Herr, 

Per  da  lebt 

Und  da  schwebt 

Im  Himmel  und  auf  Erden. 

Aehnlich  legte  nach  Vadian 
(deutsche  Schriften  III.  509,  26)  ein 
ftfaj/'und  pftirrer  ZUO  Tal  bi  Itineffa, 
(ias  Kartenspiel,  das  er  am  Neujahrs- 
tag 1533  auf  die  Kanzel  gebracht 
hatte,  seinen  Zuhörern  also  aus: 
der  küna  der  Itedüte  Gof  den  ob- 
eisten;  der  ofterbitob  unser  fromren, 
der  underbuob  die  l'J  boten  ;  die  nüne 
dir  nun  frombden  fünd;  die  aehfe 
die  acht  »(iiikeifen ;  die  sibne  die  si- 
ben  fofxiiud:  die  seelise  die  jteeJis 
wereh  der  barmherzikait ;  die  vier 
dte  vier  evautff  listen ;  die  drii  die 
hahjen  drifalfikait ;  die  ztvai  die 
zwei  tajlen  *  Moisi. 

Eine  Zusammenstellung  kirch- 
lich -symbolischer  Zahlen  ist  uns  un- 
bekannt; vgl.  indes  J.ei/rer  in  Her- 
zogs Keal-Encyklopüdie,  Art.  Zahlen 
bei  den  Hebräern;  dagegen  hat  ./. 
(tri nun  in  den  Rcchtsaltcrtiimem, 
Kap.  5,  Zahlenverhältnisse  aus  dem 


Gebiete  des  deutschen  Rechtet 
sammelt,  von  welchen  hier  ante 
Beiziehung  des  Grimm'schen  to. 
des  Schmeller'schen  Wörterbuch* 
Einiges  angemerkt  werden  soll.  Natt: 
Grimms  Beobachtung  zerfallen  b 
symbolischen  Gebrauche  des  Recl 
tes  schon  die  einzelnen  Zahlen  a 
zwei  ungleiche  Theile,  dergestalt 
dass  einer  geraden  Basis  eine 
gerade  Zugabe,    einer  ungerade 
eine  gerade   bei^ 'fügt  zu  wenH 
pflegt;    im  ganzen    werden  daK' 
meist  ungerade  Zahlen  gebrauch! 
und  gefordert,  namentlich  drei  f - 
ben  und  neun. 

1)  Dreizahl .  Drei  bezeichnet  da 
abgeschlossene,  vollendete,  vollste 
dige;    wenn   bei  den  heidnische 
Deutschen  das    feierliche  Werfm 
der  Lose  stattfand,  um  eine  gött 
liehe  Entscheidung  zn  erlangen,  v 
wurden  drei  von  den  hingeschün. 
ten  Losstäben  herausgenommen  odvT 
das  Losen  ward  an  drei  verseht" 
denen  Tagen  wiederholt;  in  \olkv 
liedern  finden  rieh  drei  Rosen,  dm 
Reiter  zu  Pferd,  drei  Haslein,  «Jn 
Wolken  am  Himmel,  drei  Gans  itr> 
Haberstroh,  drei  Bursehe,  die  über 
den  Rhein  ziehen  und  vieles  andm 
Ihrer  ethnogonisehen  Sage  zuWc 
stammten  die  drei  Stamme,  in  «ei- 
che das  Gesamtvolk  der  Genniw* 
zerfiel,  die  lugävoneu,  Hcrmü'net 
und  Istävonen,  von  den  drei  Söhne* 
dea  Mannus.    Die  Zahl  der  Stand* 
ist  drei:  Adel,  Freie  und  Kncchto 
Am  Gerichtsplatz  stehen  drei  Eichen 
dreimal  wird  etwas  bekannt  gemacht 
wird  aufgefordert,  angekündigt,  p 
warnt,  geantwortet,  ein  Zeichen  p 
geben ;  drei  ist  die  Zahl  der  ehhatn1' 
Nöte:  von  drei  Strafen  wird  ha»^ 
dem  Verbrecher  die  Wahl  W 
eine  auszulesen;  einen  Gast  bei"*11 
man  drei  Tage. 

2)  Tierzahl  ist  meist  bloß*  «1ü/ 
den  Einfiuss  der  vier  Himmelsge^cn 
den,  auf  die  Laudeseinteiluug,  Weg' 
und  Gerichtsplätze  bezogen;  häiibf 
war  eine    Landeintciluug  in  v»pr 


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Zahlen. 


Stücke,  mit  vier  Ecken,  Wänden  I 
nnd  Wegen;  auf  dem  quadrimum,  I 
der  Wegscheide,  wurden  verschie- 
dene Rechtefeierlichkeiten  vorge- 
nommen; ein  Mann  wohnt  binnen 
seinen  vier  Pfählen;  über  dem 
Haupte  des*  zum  Tode  Verurteilten 
wertlen  vier  gebrochene  Stabe  nach 
den  vier  Seiten  hin  geworfen.  Vier 
Pfennige  sind  eine  häufige  Abgabe. 
Vierer  oder  l'ienneuter  sind  eine 
dörfliche  und  in  Städten  eine  zünf- 
tige Behörde,  die  man  manchmal 
Führer  geschrieben  findet 

3)  Fünf  zahl  findet  im  alten  Recht 
selten  Verwendung;  dagegen  grün- 
det Otfried  die  Einteilung  seiner 
Evangelienharmonie  in  fünf  Bücher 
auf  die  fünf  Sinne;  vielleicht  an  die 
Zahl  der  Sinne  oder  der  Finger 
denkend  verlangt  Gottfried  von 
Strassburg  fünf  Dinge  von  der 
Minne:  Keinheit,  Keuschheit,  Milde, 
Demut,  Geduld.  Ein  bayeriseher 
Spottausdruck  Bauemfünfer  hat 
nach  Schindler  vielleicht  Bezug  auf 
die  altern  Schranncngerichte,  bei 
welchen  wenigstens  „fünf  erber 
mau'*  oder  „fünf  bider  man"  als 
geHchworne  Rechtsprecher  Bassen, 
die  auf  dem  Lande  ans  Bauern  ge- 
nommen wurden. 

4l  Sechjtzahl  ist  sehr  selten. 

b)  Siehenzahl  ist  Zahl  der  Schöf- 
fen, der  Zeugen  (daher  besiebnen, 
übersiebnen).  Vor  Gericht  erseheint 
jeder  Freie,  der  an  Grund  und  Bo- 
den sieben  Schuh  hinter  sich  und 
vor  sich  besitzt;  den  Sarg  nennen 
die  Dichter  das  Haus  von  sieben 
Füssen.  Am  Gerichtsplatz  stehen 
svhen  Eichen,  daher  der  Ortsname. 
Häufig  sind  sieben  Strassen,  z.  B. 
in  Heunegau  sieben  Heerstrassen  des 
Königs,  vier  mit  rotem,  drei  mit 
schwarzem  Steine  gepflastert;  in 
Frieslaud,  das  noch  im  10.  Jahr- 
hundert in  sieben  Landschaften  zer- 
fiel, vier  Wasser-  und  drei  Land- 
strassen; sieben  Pfennige,  vier  dem 
himmlischen,  drei  dem  irdischen  Kö- 
nige, sind  eine  Abgabe;  sieben  Hcer- 


1097 


|  Schilde  zählt  der  Sachsensniegel.  Es 
I  giebt  sieben  Frieden,  für  Haus,  Weg, 
Ding,  Kirche,  Wagen,  Pflug  und 
Teich.  Sieben  Jahre  und  sieben 
Tage  sind  häufig  fristbestimmend, 
z.  B.  für  die  Grenzbegehung;  ein 
»ibenaere  ist  einer  von  sieben  auf- 
gestellten Sachverstandigen  bei  Be- 
sichtigung von  Bau-,  Flur-  und  Grenz- 
sachen; der  Sichnergang  ist  die  jähr- 
liche Besichtigung  sämtlicher  Mar- 
ken einer  Flur  durch  die  Siebner. 
Der  Sieben /,  der  siebente,  ist  der 
siebente  Tag  nach  Beisetzung  einer 
verstorbenen  Person,  an  welchem 
ehemals  der  zweite  Gottesdienst  für 
sie  gehalten  zu  werden  pflegte. 

(})  Ach/zahl  ist  wiederum  im 
Recht  ungebräuchlich;  acht  Tage 
sind  ein  alter  Ausdruck  für  die 
Woche,  indem  man  von  der  neuen 
Woche  den  ersten  Ta^  mitzählt. 

7)  Xcunzaht;  ncunKinder  können, 
der  Annahme  des  friesischen  Ge- 
setzes nach,  erzeugt  werden;  sonst 
gibt  es  neun  Urteiler,  neun  Pflug- 
scharen beim  (iuttegurteil  (.siehe  die- 
sen Art.  Nr.  3>;  die  eine  leibeigne 
Frau  haben,  sollen  neun  Sehritte 
von  der  Geriehtshütte  stehen  blei- 
ben; neun  Jahre,  neun  Tage,  neun 
Nächte. 

8)  Zehnzahl  seheint  im  Recht 
überall  aus  9  +  1  zu  erklären;  der 
Zehnte  bedeutet  die  Entrichtung  des 
Stückes,  das  auf  das  neunte  tolgt; 
ebenso  sind  Fristen,  zehn  Nächte, 
zehn  Jahre  Verbannung  zu  er- 
klären. 

9)  F.ilf  zwölf  und  dreizehn  be- 
deuten oft  gleichviel,  11  die  Ver 
minderung,  13  die  Vermehrung  der 
12  um  eins;  bei  11  Schoflen  ist  der 
Richter  der  zwölfte,  bei  12  Schorlen 
der  dreizehnte:  oft  erscheint  ein 
Herr  mit  eilf  oder  zwölf  Dienst- 
mannen;  im  letztem  Fall  ist  er 
selbst  mitgezählt.  Elfer  sind  auch 
eine  städtische  Behörde. 

10)  Vierzehn  ist  die  Verdopplung 
von  sieben.  Fünfzehn  der  Zusatz 
von  einem  zu  vierzehn,  achtzehn. 


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Ziihlen. 


1098 


— 

Verdoppelung  von  neun,  bezeichnet 
z.  B.  aie  Jahre  der  Mündigkeit 

11)  Unter  den  Zwanzigern  ist  21, 
24  und  27  in  Gebrauch/  21  und  27 
Verdreifachung  von  7  und  9 ;  24  Ver- 
doppelung von  12.  Ein  Hausgenoese 
darf  21  Jahr  abwesend  sein,  ohne 
sein  Recht  einzubüßen. 

12)  Dreissig  Jahre  bestimmen 
den  Ablauf  der  Verjährung,  eine 
aus  römischem  Recht  hergeleitete 
Frist. 

die  wisen  jehent  und  ist  ottch  war, 
daz  kein  unmdze  nie  geteerte  dri- 

zee  oder: 
kein  unfuoc  weret  drizec  jdr. 

Der  Dreissigste  ist  der  dreißigste 
Tag  nach  der  Beerdigung  eines  Ver- 
storbenen, an  welchem  ehemals  der 
letzte  Seelengottesdienst  für  den- 
selben gehalten  zu  werden  pflegte, 
jetzt  überhaupt  der  letzte  Seelen- 
gottesdienst 

13)  Vierzig  Tage  oder  Nächte 
ist  eine  alte  r ristbestimm ung,  die 
besonders  beim  Heerbann  galt,  doch 
auch  in  den  (iedichten  des  Mittel- 
alters vorkommt. 

14 )  Zwriundsie?>enzig  Eideshelfer, 
d.  h.  8  x  9  oder  6  X  12  kommen 
in  den  alten  Volksrechten  vor;  sonst 
trifft  man  Strafe  um  72  Pfennige; 
72  Dienstleute,  72  linder,  72  Spra- 
chen. 

15)  Zugahe- Zahlen.  Entspringen 
schon  einzelne  Zahlen  für  denRechts- 
gebrauch  aus  blosser  Zugabe,  näm- 
lich vier  ans  3+1,  acht  aus  7  +  1, 
zehn  aus  9  +  1,  dreizehn  aus  12  +  1, 
fünfzehn  aus  14  +  1,  dreissig  aus 
27  +  3,  vierzig  aus  39  +  1 ;  seltener 
aus  Verminderung,  wie  sechs  aus 
7  —  1,  eilf  aus  12—1,  sechsund- 
zwanzig aus  27  -  1 ,  so  offenbart 
sieh  dieses  Prinzip  in  erweitertem 
Masse  vorzüglich  bei  Fristbestiin- 
mungen.  Der  Verstrich  einer  Frist 
ist  nämlich  erst  dann  für  voll  zu 
achten,  wenn  in  die  ausser  ihr  lie- 
gende Zeit  eingetreten  wird,  wes- 
halb noch  ein  Stück  dieser  neuen 


Zeit  mit  dazu  geschlagen  zu  werden 
pflegt.  Die  ältere  Zählung  ist  die, 
das»  einer  gewissen  Zahl  vou  Näch- 
ten, z.  B.  7  oder  14,  ein  Tag  zuge- 
geben wird,  was  sich  bis  in  sehr 
späte  Zeit  erhält;  spätere  Zahlung 
nennt  bloss  Tage  und  nimmt  den 
Zugab -Tag  gleich  in  die  ganze  Zahl 
mit  auf;  also  statt  7  +  1:8;  statt 
14  +  1:  15  Tage.  Längere  Fristen 
wurden  aus  Linzeinen  zusammen 
gesetzt,  wobei  sich  die  Zugaben 
nach  den  Einzelfristen  richteten;  so 
bestand  eine  sechswöchentliche  Fri*t 
aus  45  Tagen,  d.  h.  drei  vierzehn- 
nächtige Fristen  (42  Tage)  mit  je 
einem  Zugab-Tag:  42  +  3  =  45. 
Die  Fristen  und  Formeln,  die  das 
alte  Recht  kennt  sind  folgende: 

a)  dreinächtige  und  siebennäcb- 
tige  ohne  Zugab-Tag  nach  den  Älte- 
sten Gesetzen; 

b)  einen  dag  und  rierzeh n  nackt. 

c)  vierwöchentliche  oder  monat- 
liche werden  meist  durch  30  Tag? 
ausgedrückt:  vier  trocken  und  zrei 
tage; 

d)  sechswöchentliche  Frist  Ut 
sehr  verbreitet  und  beruht  auf  drei 
maliger  Wiederholung  der  vierzehn 
tägigen  Frist  mit  drei  Zugaben :  dm 
tag  und  sechs  Wochen ,  sechs  Wochen 
und  dri  tag,  drei  vierzehn  tage  v»i 
noch  drei  tage  -, 

e)  die  vorige  Frist  verdreifathr 
=  135  Tage:  dreimal  sechs  vxke* 
und  neun  tage; 

f)  Jahresfrist  hat  die  Formel 
jdr  und  tag,  und  ist  namentlich  Be- 
stimmung für  verjährenden  Besitz 
und  für  die  Dauer  des  Aufenthaltes. 
Diese  Frist  galt  nun  aber  nicht  so 
viel  als  ein  Jahr  und  ein  voller  Ta#: 
dazu,  sondern  sie  wurde  seit  Jahr 
huuderten  bei  den  (Berichten  nach 
der  sechs  wöchentlichen  Frist  (oben 
d)  gerechnet  und  war  soviel  als 
ein  Jahr  sechs    Wochen   und  dm 
Tage; 

g)  zehn  Jahr  und  ein  Tag  kommt 
in  bayerischen  Urkunden  oft  vor  und 
wird  im  alemannischen  Landredrt 


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Zattclwerk  —  Zauber. 


1099 


wieder  gedeutet  als  zehen  jar,  sech* 
wochen  und  drie  tage  ; 

h)  achtzehn  JaHr  und  ein  Tag; 

i)  dreissig  Jahr  und  ein  Jahr, 
eine  uralte  Bestimmung,  die  schon 
im  7.  Jahrhundert  bezeugt  ist;  später 
wird  daraus  dreissig  Jahr  und  ein 
Tag,  oder  einunddreissig  Jahre  und 
fin  Tag; 

k )  fünfzig  Jahr  und  ein  Tag  be- 
stimmt den  Begriff  eines  Hagestolzen ; 

1)  hundert  Jahr  und  ein  Tag  ist 
Formel  für  ewige  Verbannung. 

Zattelwerk.  Dieses  entstand 
durch  das  übliche  Ausschneiden  der 
Ränder  namentlich  an  der  männ- 
lichen Kleidung,  wie  solches  vom 
13. — 15.  Jahrhundert  in  Deutsch- 
land üblich  war.  Siehe  Tracht  und 
Kleiderordn  unq. 

Zauber.  Zauber,  ahd.  zaupar, 
mhd.  das  und  der  zouher,  ist  die 
schädliche  und  unbefugte  Ausübung 
übernatürlicher  Kräfte  und  wurde 
erst  den  gesunkenen  verachteten 
Gottern  zugeschrieben;  nächst  diesen 
den  Mittelwesen  zwischen  ihnen  und 
den  Menschen,  den  Riesen,  Elben 
und  Zwergen,  zuletzt  unter  Umstän- 
den den  Menschen.  Gegenüber  dem 
Wunder,  der  heilsamen  und  mit 
rechten  Dingen  zugehenden  Wirkung 
übernatürlicnerKrftftc,  geht  der  Zau- 
ber mit  unrechten  Dingen  zu.  „Un- 
mittelbar aus  den  heiligsten,  das  ge- 
samte Wissen  des  Heidentums  in 
sieh  begreifenden  Geschäften,  Gottes- 
dienst und  Dichtkunst,  muss  zugleich 
aller  Zauberei  Ursprung  abgeleitet 
werden;  Opfern  und  Singen  tritt 
über  in  die  Vorstellung  von  Zaubern , 
Priester  und  Dichter,  Vertraute  der 
Götter  und  göttlicher  Eingebung 
teilhaft,  grenzen  an  Weissager  und 
Zauberer.'4  Schon  die  heidnischen 
Deutschen  kannten  neben  dem  Göt  ter- 
kultus die  Zauberei;  aber  erst  seit 
das  Christentum  alle  Begriffe  und 
Bräuche  der  Heiden  für  T'rug  und 
sündhaftesIMendwerkerklärte.nossen 
die  beiden  Gebiete  zusammen.  „Bald 
erzeugten  sich  Überlieferungen  von 


unmittelbarem  Zusammenhang  des 
bösen  Feindes  mit  dem  Wesen  der 
Zauberei;  die  unerhörteste  grausame 
Verwirrung  zwischen  Phantasie  und 
Wirklichkeit  ist  daraus  hervorge- 
gangen. Dergestalt  verflossen  ver- 
übte und  eingebildete  Zauberkünste 
ineinander,  dass  sie  weder  in  der 
Bestrafung  noch  selbst  in  der  Be- 
gehung geschieden  werden  konnten." 

Zauberei  wurde  von  Männern  wie 
von  Frauen  betrieben;  doch  schrieb 
das  früheste  Altertum  dieselbe  schon 
vorzugsweise  Frauen  zu.  Ihnen  war 
»las  Auslesen  und  Kochen  kräftiger 
Heilmittel  angewiesen ;  Salbe  fertigen, 
Linnen  weben,  Wunden  biuden  war 
ihr  Geschäft,  ebenso  Buchstaben 
schreiben  und  lesen.  Erfahrung 
und  behagliche  Müsse  verliehen  den 
Weibern  Befähigung  zu  heimlicher 
Zauberei.  Dazu  kam  ihr  wärmeres 
und  empfanglicheres  Einbildungs- 
vermögen; namentlich  alte  Wewer, 
die  der  Liebe  und  Arbeit  abgestorben 
waren,  verlegten  wohl  ihr  Sinnen 
und  Trachten  vorzugsweise  auf  ge- 
heime Künste.  Das  ist  der  Ursprung 
der  weisen  Frauen,  aus  denen  später 
die  Hexen  sich  entwickeln,  siehe  den 
besondern  Artikel.  Von  besonderen 
Arten  desZauberus  sowohl  der  Hexen 
als  anderer  Zauberer  werden  erwähnt 
Ilagelmachen  und  Saatverderhen,  wo- 
bei sich  jene  manchmal  einer  Wanne 
oder  eines  Kruges  bedienen;  gewöhn- 
liche Schimpfwörter  gegen  Hexen 
waren  Wettermacherin,  Wetterhexe, 
Wetterkatze,  Donnerkatze,  Nebel- 
hexe, Strahlhexe,  Blitzhexe,  Wolken- 
giisse;  manchmal  geht  dabei  die  Ab- 
sicht des  Zaubers  weniger  darauf 
aus,  die  Frucht  zu  verwüsten,  als 
vielmehr  sich  ihrer  zu  bemächtigen. 
Unter  den  Geräten,  vermittelst  wel- 
cher gezaubert  wird,  spielen  das  Sieh 
und  Wachsbilder  eine  Rolle;  dem 
letztern  thut  man  unter  Aussprechung 
geheimer  Worte  etwas  an,  um  auf 
abwesende  Menschen  einzuwirken, 
es  wird  in  die  Luft  gehängt  oder 
ins  Wasser  getaucht,  am  Feuer  ge- 


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1100 


Zehnte. 


biiht  oder  mit  Nadeln  durchstochen 
unter  der  Thürachwelle  vergraben; 
ein  solches  Wachsbild  heisst  ein 
Atzman;  roher  war  der  Gebrauch, 
die  Erde  oder  Raten  auszuschneiden, 
auf  welchen  der  Fuss  eines  Menschen 
gestanden  hat,  den  man  verderben 
will-  Ein  anderer  Zauber  liegt  in 
dem  Vermögen,  Tierff  estalt  anzu- 
nehmen, was  namentlich  beim  Wer" 
irolfe  (siehe  den  besoudern  Artikel» 
der  Fall  ist;  seltener  als  in  einen 
Wolf|  kommt  die  Verwandlung  in 
einen  Bären,  in  eine  Katze,  eine 
(iansyav.  Wenn  die  abgelegte  Klei- 
dung weggenommen  wird,  ist  keine 
Wiederherstellung  der  verlassenen 
(testalt  möglich  ausser  unter  der 
Bedingung,  dass  ein  unschuldiges 
Mädchen  sieben  Jahre  lang  stumm 
und  schwTeigend  ein  Hemd  fertig 
spinne  und  nahe,  das  über  den  Ver- 
zauberten geworfen  werde;  ein  sol- 
ehes  Hemd,  im  Mittelalter  St.  <ie- 
oruenhemde  geheissen,  löst  nicht  nur 
den  Zauber,  es  macht  auch  fest  und 
siegreich.  Zauber  ist  auch  möglich 
ohne  alle  Berührung  durch  blossen 
Mick,  was  mhd.  entgehen  heisst;  das 
triefende  neidische,  üble  Antje  der 
eintretenden  Hexe,  geschweige  ihr 
Haueh  und  ( »mss,  kann  plötzlich  ver- 
letzen. Grimm,  Mythologie,  Kap.  34; 
vgl.  Wuttte,  Volksaberglaube. 

Zehnte,  ahd.  zehando,  mhd.  ze- 
hende, zende;  Plural  die  Zehnten,  hat 
seine  Entstehung  in  den  Vorschriften 
des  Alten  Testaments,  wonach  jeder 
Israelit  den  zehnten  Teil  seiner  Feld- 
und  Baumfrüchte  und  das  zehnte 
Stück  des  Kind-  und  Kleinviehs  an 
die  Leviten  zu  ihrem  Unterhalte 
abgaben,  die  dann  wieder  den  Zehn- 
ten davon  an  die  Priester  ablieferten, 
Bestimmungen,  die  später  dahin  er- 
weitert wurden,  dass  ein  zweiter 
Zehnt  von  Ackerprodukten,  Ül  und 
Most  und  die  Erstlinge  des  Rind- 
und  Kleinviehs,  zu  einer  Mahlzeit 
beim  Zentralheiligtum  verwandt  wer- 
den sollten.  Auf  diese  Satzungen 
berufen  sich  im  4.  und  5.  Jahrhundert 


die  Kirchenväter,  wenn  sie  die  Glan 
bigen  zur  Entrichtung  der  Zehnt« 
ermahnen;  doch  galt  die  Leistm; 
aufangs  nur  als  ein  Werk  der  LUV 
und  erst  im  6.  Jahrhundert  drohv 
eine   fränkische  Synode  mit  dec 
Banne,  wenn  ferner  die  Christen  d«t 
Priestern  den  ihnen  von  Gott  anp 
wiesenen  Zehnten  verweigern  wtr 
den.     Neben    diesem  tort&tidn 
Zehnten  gab  es  aber  auch  tw>r- 
welt liehen,  aus  den  römischen  (V 
setzen  herrührenden;  diese  kannt»s 
nämlich  ein  Zehntverh&ltnis  für  Ji- 
Bebauer  der  Staatsdomäne,  des 
pubfieus,  welcher  durch  Eroberun. 
in  allen  Provinzen  als  Eigentum  d^ 
römischen  Volkes,  später  der  Kaiser 
erworben  war;  wer  Stücke  darau» 
zur  Bebauung  übernahm,  bezahlt- 
als  Anerkennung  des  unvollkommm*  i 
Eigentums,  über  das  der  Staat  unM 
Umständen    anderweitig  verfüg«: 
konnte,  die  zehnte  darbe.    Ein  ahn 
liebes  Verhältnis  eines  unvollkomnK 
neu  Besitzes  bestand   bei  dem  l» 
mischen  Kolonaf  seit  Konstantin  i 
Gr.,  wobei  persönlich  freie,  jed«>d 
an  die  Scholle  gebundene  Bcbaur 
von  Landgütern  das  Eigentum  d* 
Grundherrn  gegen  Abgabe  des  Zehn 
ten  bebauten.    Dieses  letztere  \cr- 
h&ltnis  blieb  vielfach  auch  auf  dt* 
schem  Boden  namentlich  für  die*  nad) 
römischem  Recht  lebende  Kirche  ■ 
Geltung,  so  zwar  dass  die  Kirrk 
von  den  auf  ihren  Gütern  lebend« ' 
Kolonen  den  alten,  an  den  Inhal*' 
der  Domäne  zu  entrichtenden,  dal** 
aus  weltlichen  Zehnten  als  Ren*'' 
bezog.    Zur  Einführung  des  kird- 
liehen  Zehntens,   für  dessen 
führung  das  Volk  lange  keine  ÜBJ* 
hatte,  so  oft  und  viel  die  Kirche  da- 
zu ermahnte,  machten  besonders  & 
Fürsten  in  der  Weise  den  Anfang 
dass  sie  den  auf  ihren  eigenen  Krön- 
gittern    liegenden  grnndherrlitk'* 
Zehnten  an  manchen  Orteu  der  Kirr"'' 
überwiesen;  ein  Vorbild,  das  nQU 
die  übrigen  Grundbesitzer  za 
liehen  Schritten  bestimmte:  für 


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Zeitungen.  —  Zigeuner. 


1101 


Saehsenland  bestimmte  Karl  d.  Gr. 
die  Zehntpflicht  als  alleemein  für  alle 
besitzenden  Stände.  Mit  der  Zeit  ver- 
schwand der  Unterschied  beider  Zehn- 
ten, und  die  Kirche  machte  für  alle 
Zehnten  nur  noch  den  Gesichts- 
punkt ihres  auf  göttlicher  Anordnung 
beruhenden  Rechtes  geltend.  Für 
die  Verwendung  des  bischöflichen 
Zehntens  galt  als  Kegel  eine  Ver- 
wendung nach  vier  Portionen,  deren 
eine  dem  Bischof,  die  andere  den 
Klerikern,  die  dritte  den  Armen 
und  die  vierte  der  Kirchenbaukasse 
zukam ;  der  Zehnten  der  Pfarr- 
kirchen sollte  zu  gleichen  Teilen 
dem  Priester,  den  Armen  und  der 
Kirchenfabrik  ( Kirchenbaukasse )  zu- 
fallen, erst  später  wurde  ein  vierter 
Teil  auch  dem  Bischof  verrechnet. 
Dadurch,  dass  die  Könige  und  an- 
dere weltliche  und  geistliche  Grund- 
besitzer das  von  innen  der  Kirche 
verlieheue  zehntbare  Gut  vielfach 
an  Laien  zu  liehen  gaben,  kam  viel 
zehntbares  Gut  in  weltliche  Hände; 
auch  Patrone  zogen  oft  die  Zehnten 
zurück,  die  ursprünglich  den  auf 
ihrem  Grunde  erbauten  Kirchen  ge- 
hörten. Seit  dem  11.  Jahrhundert 
verbot  zwar  die  Kirche  dieses  Vor- 
gehen und  sprach  zuletzt  den  Grund- 
satz aus,  dass  schon  der  Besitz 
eines  Zehnten  in  den  Händen  eines 
Laien  eine  Sünde  und  ein  Verstoss 
gegen  die  göttlichen  Gesetze  sei; 
es  ist  klar,  dass  die  Kirche  nicht 
überall  durchdrang.  Richter ,  Kir- 
chenrecht ;  Rettberg ,  Kirchenge- 
schichte. 

Zeitungen  heissen  anfanglich 
gedruckte  Berichte,  die  über  ein- 
zelne das  allgemeine  Interesse  in 
Anspruch  nehmende  Thatsachen  von 
unternehmenden  Buchdruckern  seit 
dein  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
veranstaltet  wurden,  sei's  in  Prosa, 
sei's  in  Versen;  ähnliche  Blätter 
tragen  die  Namen  „Anzeigen,  Be- 
richte, Historien,  Relationen",  mit 
Vorliebe  aber  „wahrhaftige  neue 
Zeitungen".    Die  erste  gedruckte 


Zeitung  soll  aus  dem  Jahr  1505 
stammen;  sie  enthält  Berichte  aus 
Brasilien.  Im  Jahr  1566  wuchs  mit 
der  Türkengefahr  die  Zahl  der  Zei- 
tungen und  es  entstanden  zum  ersten 
Male  numerierte  Blätter,  von  1  bis 
8,  welche  Strassburger  und  Basler 
Buchdrucker  herausgaben  und  viel 
nachgedruckt  wurden.  Von  1591 
an  brachte  ein  Jakobus  Frankus, 
d.  i.  Konrad  Lautersbach,  bei  P. 
Brachfeld  in  Frankfurt  einen  halb- 
jährig erscheinenden  Bericht  Rela- 
tiones  /tijttoricae,  welcher  in  monat- 
lichen Übersichten  «las  Neueste  mit- 
teil te;  als  „Frankfurter  Mcss-Rela- 
tionen"  wurde  dieses  Unternehmen 
bis  1792  fortgesetzt.  Das  Auftauchen 
wöchentlicher  Zeitungen  fallt  in  das 

17.  Jahrhundert,  und  zwar  gab  der 
Frankfurter  Buchhändler  Egenolf 
Emme!  das  erste  Beispiel  dazu  1606, 
ein  Blatt,  aus  dem  mit  der  Zeit  das 
Frankfurter  Journal  hervorgegangen 
ist.  Einen  grössern  Aufschwung 
nahm  das  Zeitungswesen  erst  im 

18.  Jahrhundert.  Prutz,  Geschichte 
des  deutschen  Journalismus ,  und 
Weiler^  Die  ersten  deutschen  Zei- 
tungen, litterarischer  Verein  in  Stutt- 
gart, 1872,  Bd.  111. 

Zepter.  Das  Zepter  der  by- 
zantinischen Kaiser  war  ein  oben 
gekrümmter  Stab  von  60—70  im 
Länge,  dasjenige  der  Karolinger 
und  ihrer  Nachfolger  ein  goldener 
Stab  mit  einem  Adler,  Kreuz,  einer 
Kugel  oder  Lilie.  Das  ursprüng- 
liche Reichszepter  ging  früh  ver- 
loren, wahrscheinlich  um  1270;  das 
älteste  der  drei  vorhandenen  stammt 
—  wie  man  vermutet  —  aus  dem 
13.  Jahrhundert.  Siehe  den  Artikel 
Krönungsinsignien. 

Zijreuiier  sind,  wie  die  Sprach- 
forschung erwiesen  hat,  ein  alter, 
aus  seinen  Ursitzcn  ausgewanderter 
Stamm  Indien*;  der  Name  Sintc, 
den  sie  sich  selbst  beilegen,  daher 
ital.  zinquno  und  zintjaro,  deutsch 
Zigeuner,  scheint  auf  Anwohner  des 
Indus  (oder  Sind)  hinzuweisen.  Wie; 


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1102 


Zimmerausstattung. 


sie  nach  Europa  gekommen  sind, 
ist  bis  jetzt  unausgemacht,  wahr- 
scheinlich geschah  es  infolge  eines 
Mongolensturmes  im  13.  Jahrhun- 
dert unter  den  Nachfolgern  Dschin- 
gischans,  und  zwar  nördlich  dem 
Schwarzen  Meer  entlang  in  die  Wa- 
lachei. Von  hier  wanderten  einzelne 
Randen  seit  1415  nach  Nord-  und 
Westeuropa;  auf  deutschem  Boden 
findet  man  sie  zuerst  1417,  zur  Zeit 
des  Konstanzer  Konzils ,  in  den 
Hansestädten  an  der  Nord-  und  Ost- 
see; mau  nannte  sie  Tätern,  d.  h. 
Tartaren,  Heiden,  Zigeuner,  Böhmen ; 
sie  selber  hiessen  sich  Secaner  oder 
Roma.  Ohne  Kinder  zählte  die 
Bande  etwa  300  Köpfe,  an  ihrer 
Spitze  standen  ein  „Herzog"  und 
ein  „Graf14.  Sie  wiesen  Sehutzbriefe 
des  Kaisers  Sigismund  vor,  die  er 
ihnen  angeblich  zu  Konstanz  oder 
Lindau  ausgestellt  haben  sollte  und 
laut  welchen  sie  aus  Klcin-Ägypten 
kommen  und  ursprünglich  gute 
Christen  gewesen  sein  sollten,  bis 
ihre  Väter  abtrünnig  geworden  und 
sich  zum  Heidentum  gewandt;  dar- 
auf hätten  ihnen  ihre  Bischöfe  als 
Busse  auferlegt,  sieben  Jahre  laug 
die  Welt  zu  durchirren  und  von 
den  Almosen  der  Christenheit  Ihr 
lieben  zu  fristen.  Da  man  die  kai- 
serlichen Privilegien  für  echt  an- 
sah, fanden  die  Abenteurer  in  Lüne- 
burg, Hamburg,  Lübeck,  Wismar, 
Rostock,  Stralsund  und  Greifswald 
zuvorkommende  Aufnahme.  Doch 
konnten  sie  ihren  Charakter  nicht 
lange  verleugnen  und  wurden  aus 
Norddeutschland  verjagt,  worauf  sie 
sich  1418  nach  der  Scnweiz  wandten, 
von  wo  sich  wieder  kleiuere  Ban- 
den nach  Südfrankreich,  Süddcutsch- 
land  und  Italien  abzweigten;  aus 
«lern  letztern  Lande  brachten  sie 
angeblich  Schutzbriefe  des  Papstes 
Martin  V.  mit,  worin  es  hiess,  ihre 
Ahnen  hätten  einst  in  Ägypten  die 
Maria  und  den  Joseph,  der  mit  dem 
Jesuskindchen  bei  ihuen  Gastfreund- 
schaft erfleht,  von  sich  gestossen: 


dafür  müssten  uun  sie,  die  Nach- 
kommen, Jahrhunderte  lang  ohne 
Rast  und  Unterlans  im  Elend  um- 
herwanderu;  an  andern  Orten,  wie 
in  Paris,  wo  sie  1427  erschienen, 
tischten  sie  wieder  andere  Märchen 
auf;  mit  dem  Jahre  1433  scheint 
diese  erste  Horde  vollständig  ver- 
schollen oder  aufgerieben  oder  in 
die  Heimat  zurückgekehrt  zu  sein. 
Die  eigentlichen  grosseren  Einwaii 
derungen  der  Zigeuner  in  West- 
Europa  und  ihre  Zerstreuung  über 
den    ganzen    Kontinent  datieren 
höchstens  vom  Jahre  143S.  Ander 
Spitze  der   jetzt    nach  tausenden 
zahlenden  Banden  stand  ein  „Könige 
Zindl  genannt.   Lange  scheinen  sie 
nun  in  Deutschland  nerum^ezogen, 
sich  auch  hie  und  da  angesiedelt  zo 
haben,  bis  1500  auf  «lern  Augsburger 
Reichstage  das  erste  Verbannungs- 
edikt gegen  die  „Spioue  des  Tfir 
kischen  Sultans"  publiziert  wurde, 
dem  nun  viele  andere  folgten;  ahn 
liebes  geschah  in  Frankreich,  da- 
die  Zigeuner    wirklich  ausrottete, 
während  sie  in  Deutschland.  SparuVu 
und  England  sesshaft  blieben.  /V/. 
die  Zigeuner  in  Europa  und  Asien, 
2  Bände,  Halle  1844  —  45;  LiefnrK 
die  Zigeuner,  Leipzig  1S63;  Hoyt 
die  Einwanderung  der  Zigeuner  ■ 
Europa.    Gotha  1870. 

Zimmerausstattung-.  Diese  war 
bei  den  Germanen  selbstvn-ständ- 
lieh  noch  äusseret,  einfach.  Von 
einer  häuslichen  Einrichtung  nach 
unseren  Begriffen  weiss  ein  nomadi 
sierendes  Volk  nichts,  und  wenn 
auch  die  Germanen  schon  in  ihren 
asiatischen  Wohnsitzen  den  Acker 
bau  kennen  gelernt  und  wohl  ancl» 
ausgeübt  haben,  was  (trimm  au- 
dem  ihn  betreffenden  Wortschatz» 
nachgewiesen  hat,  s«»  brachte  decb 
der  grosse  Zug  nach  dem  Nord- 
westen diese  Völkerschaften  o«»tgv 
drungen  wieder  aus  der  stilleren 
Lebensweise  heraus  und  lies«  sie 
bei  den  römischen  Berichterstattern 
den  Kelten  gegenüber  als  ein  nn- 


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Zimmeraus»  tat  tung. 


1103 


stäte»  Nomadenvolk  erscheinen,  da» 
die  festen  Wohnsitze  verschmähte. 
Zum  kleineren  Teile  aus  Verach- 
tung, zum  grösseren  aus  Bequem- 
lichkeit oder  Faulheit  nimmt  »ich 
der  Manu  der  Wirtschaft  nicht  im 
mindesten  an,  er  pflegt  nur  die 
Waffe.  Haus  und  beld  besorgt  die 
Frau,  was  eine  sehr  primitive  Ein- 
richtung des  enteren  und  eine 
mangelhafte  Bestellung  des  letzteren 
notwendig  zur  Folge  nat. 

Das  Häuschen  war  leicht  aus 
Holz  gebaut  und  sass  entweder 
*chon  auf  einem  Wagen  oder  Hess 
sich  auch  beim  Weiterzuge  leicht 
ranz  oder  zerlegt  auf  denselben 
neben.  Gelegentlich  benutzte  man 
auch  vorhandene  Höhlen  und  baute 
sich  diese  in  der  Folgezeit  als  den 
sogenannten  ///«r,  welche  Benennung 
von  dem  Dünger  herrühren  soll, 
mit  dem  diese  zum  »Schutze  gegen 
die  Winterkälte  bedeckt  wurden. 
Mit  d  en  festen  Wohnsitzen  kamen 
dauu  auch  die  festen  Wohnstätten 
in  Gebrauch.  Dass  diese  anfäng- 
lich nur  aus  Holz  gebaut  waren, 
lasst  sich  schon  aus  dem  Umstand 
schliessen,  dass  dieses  Material  über- 
all vorhanden  und  leicht  zu  ver- 
arbeiten war.  Dieser  Annahme  ent- 
sprechen auch  die  ältesten  Aus- 
drückefür dieThätigkeit  des  Bauens: 
Ahd.  zimbarjan ,  zimbar6u  ,  got. 
timriau,  alt-  und  angelsächsisch 
timhrjan,  altnordisch  Ümbra,  Inner- 
halb der  vier  Pfähle  bestand  das 
Hans  aus  einem  einzigen  Raum.  In 
den  beiden  Kurzseiten  waren  die 
Thüröffnungen,  die  nicht  nur  als 
Eiu-  und  Ausgang  dienten,  sondern 
auch  zugleich  unsere  Fenster  ver- 
treten mussten.  Die  eine  Thür 
fehlte  auch  mitunter,  und  diese  Seite 
(wahrscheinlich  die  nördliche)  bekam 
statt  derselben  eine  Erhöhung.  Ein- 
zig zwei  Stützbalken  bildeten  im 
Norden  die  rohe  Gliederung  des 
Raumes.  Sie  standen  in  der  Mitte 
desselben.  Zwischen  ihnen,  gegen 
die  Sonne  gekehrt,  erhob  sich  der 


Sitz  des  Hausherrn.  Nach  beiden 
Seiten  hin  verliefen  die  Bänke  und 
zwischen  diesen  brannte  das  grosse 
Herdfeuer.  Die  Erhöhung  an  der 
einen  Kurzseite  trug  im  Norden  den 
Frauensitz,  in  Westfalen  den  Herd. 
Kleinere  Verschlage,  die  meist  an 
einer  Langseite  angebracht  waren, 
bildeten  die  Schlafstätten  und  Vor- 
ratskammern. Gedeckt  war  der 
Kaum  unmittelbar  durch  das 
Dach,  durch  dessen  Lücken  der 
Rauch  seinen  Ausgang  suchte. 
Mitunter  waren  freilich  zu  die- 
sem Zwecke  auch  viereckige 
Lücken  bereitet,  durch  die  neben- 
bei auch  der  Tag  seinen  Eingang 
finden  sollte. 

Das  Vieh  fand  mancherorts  sei- 
nen Schutz  unter  dem  gleichen 
Dache;  auf  grösseren  Höfen  aber 
war  es  in  einem  getrennt  gebauten 
Stalle  untergebracht.  In  Upland 
z.  B.  gehörten  sieben  Gebäude  zu 
einem  vollständigen  Hofe,  das  Wohn- 
haus (sturaj,  die  Küche,  die  Scheune, 
die  Kornkammer,  das  Vorratshaus, 
das  Schlafhaus  und  d«-r  Viehstall. 
Ein  dichter  Zaun  oder  Lebhag  um- 
gürtete sie  gemeinsam.  In  andern 
Höfen  bildete  wenigstens  das  Frauen- 
haus einen  abgesonderten  Teil,der  mit 
einem  eigenen  Zaune  umgeben  war. 
Von  eigentlichen  Hausgeräten,  noch 
viel  weniger  von  etwaigem  Zimmer 
sehmuck  ist  nicht»  bekannt;  es  ist 
auch  sehr  unwahrscheinlich,  da»s 
in  dieser  Hinsicht  viel  Aufwand  ge- 
macht wurde.  Ein  beim  Bau  ab- 
fallender Block  oder  ein  in  der 
Nähe  liegender  Stein  war  doch  ein 
solider  Sitz;  wurde  er  mit  einem 
Bären-  oder  Wolfspelz  überdeckt, 
so  mochte  er  auch  als  bequem  und 
schön  erscheinen;  die  Bank  war 
aus  einem  behauenen  Stück  Holz 
leicht  und  billig  herzustellen,  des 
Tisches  bedurfte  man  entweder  gar 
nicht,  oder  man  bereitete  sich  den- 
selben wieder  aus  einem  massiven 
Blocke;  das  Stroh-  oder  Mooslager 
ward  auf  dem  Boden  bereitet  und 


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1104 


Zimmerausstattung. 


den  Wandschmuck  bildete  die  Waffe 
des  Hausherrn. 

So  blieb  es  in  den  unteren  Schich- 
ten der  Bevölkerung  noch  weit  bis 
in  das  Mittelalter  herauf,  auch  als 
durch  das  Beispiel  der  Römer  an- 
geregt, die  Wohnsitze  der  Adeligen 
aus  festem  Mauerwerke  aufgeführt 
wurden  und  in  der  Folgezeit  Klöster 
und  Kirchen  der  deutsehen  Bau- 
kunst Gelegenheit  zu  ihrer  Ent- 
faltung gaben.  Wenn  auch  die 
bürgerlichen  Wohnstatten  nach  und 
nach  etwas  bequemer  und  zu  Karl 
d.  Gr.  Zeit  schon  vielfach  aus  Stein 
aufgeführt  wurden,  so  bestanden 
sie  doch  vorzugsweise  immer  noch 
aus  nur  einem  Raum,  der  für  die 
häusliche  Arbeit,  für  die  geselligen 
Zusammenkünfte,  als  Ess-  und 
Trinkstube  und  zugleich  als  Schlaf- 
zimmer diente  und  zwar  für  beide 
Geschlechter,  für  die  Frauen  und 
für  die  Mägde,  für  die  Herren  und 
ihre  Knechte,  wie  es  im  Norden 
vielfach  bis  in  unsere  Zeit  geblieben 
ist.  Wenn  die  Nacht  anbrach,  be- 
legte man  den  Boden  des  Saales 
mit  Stroh  und  jeder  legte  sich  an 
jener  Stelle  unter  den  Tisch,  wo  er 
vordem  seinen  Platz  zum  Sitzen 
hatte.  An  den  Wänden  waren  auch 
etwa  verschliessbare  Sehlafräume 
(lokhrilur)  angebracht,  die  jedoch 
für  die  Gäste  oder  für  besonders 
vornehme  Hausgenossen  reserviert 
blieben.  Um  Üngehörigkeiten  zu 
vermeiden,  brannten  die  ganze  Nacht 
hindurch  eine  entsprechende  An- 
zahl Lichter.  In  höfischen  Kreisen 
sind  die  Schlafstätten  nach  Ge- 
schlechtern getrennt.  Der  Herr 
schläft  bei  seinen  Knechten ,  die 
Frau  mitten  unter  ihren  Weibern 
und  Mädchen.  Auch  die  eigent- 
lichen Zimiturgeräte  kommen  hier 
in  Aufnahme  und  dringen  nach  und 
nach  —  in  gleichem  Masse,  wie  die 
Kultur  überhaupt  fortschreitet  — 
auch  zu  den  unteren  Schichten  der 
Bevölkerung  durch.  Dieses  Fort- 
schreiten ist  freilich  ein  sehr  all- 


mähliches und  nirgends  deutle 
nachweisbar. 

Zum  Sitzen  bediente  man  sich  - 
hier  in  Abweichung  von  der  r«i?n 
sehen   Gewohnheit   der  sophaaW 
liehen  Gestelle  —  im  besten  Fa* 
des  Srssels ,  der  die  Gestalt 
k leinen  Klappstuhles  hat,  wie  er  s 
den  Hütten  der  Bergbewohner  fomii 
noch  gefunden  wird.    Doch  firniß 
dieser  in  der  Regel  nur  als  Ehrec- 
sitz  seine  Anwendung;  die  Famii> 
sitzt  bei  Tische,    zur  Arbeit  uue 
Unterhaltung  auf  langen  Biüik hl 
die  aus  Holz  gezimmert  und  an  de 
Wänden  befestigt,  selten  bewes1.»^ 
Bind.  Gepolsterte  und  mit  Teppiche 
belegte  Lehnstühle  kommen  nur  t 
den  Häusern  der  Vornehmsten, 
auch  da  nur  sehr  vereinzelt  1* 
Die  Tische  sind  auch  an  die  Watt 
geklappt  oder  aus  schweren,  vir: 
eckigen   Tafeln   bereitet,  die  aa2 
einem    ineist  gekreuzten  Gest»'!!* 
ruhen.    Doch  kommen  auch  sch>i 
Kuudtisohe  vor,  die  ohne  Zweiir 
mehr  zur  Zierde  in  der  Mitte  d^ 
Zimmers  aufgestellt  wurden.  »* 
rend  die  eigentlichen  Arbeite-  w> 
Esstische  in  einer  Ecke  angebraoh 
waren.    Kostbarkeiten,  wohl  au'£ 
Kleider  und  kleinere  Geräte,  W">r 
den  in  koffe  rar  t  igen  Truhen  ann* 
wahrt.     Unter  dem   Deckel  e«^ 
solchen  sollte  nach  der  Enählois 
(ircifnrs  rou  Tours  die  widerspenstig 
RigiuUke,  Chilpericki  Tochter,  du 
Gehorsam  gegen  ihre  Mutter  lern«" 
die  ihr,  aufgebracht  über  ihr  » 
massendes  Wesen,  über  ihre  m 
verdienten  Schmähungen  und  rat- 
schlage,   die   Truhe  öffiiet, 
Schmucksachen  ihres  Vaters  heraus- 
zunehmen erlaubt,  dann  aber  den 
scharfkantigen  Deckel  so  sehr  a"1 
den  Nacken   drückt,  dass  ihr  * 
Augen  aus  dem  Kopfe  quellen  un' 
nur  die  herbeieilende  Magd  sie  J* 
dem  Tode  errettet.    Diese  En»**- 
lung  lässt  es  als  unzweifelhaft  *'r" 
scheinen,    dass    unter  derartig?11 
Truhen   nicht  ein  Schmuckkaaten 


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1105 


zu  verstehen  sei,  sondern  eine  grosse 
Lade,  wie  sie  die  Landbevölkerung 
heute  noch  zur  Aufbewahrung  seiner 
Fruchtvorräte  benutzt.  In  einem 
solchen  einfachen  Holzbehältnis  fan- 
den sich  in  der  Gruft  des  heil. 
Gallus  das  härene  Gewand  und  die 
Geissei  vor.  Ihr  Verschluss  war 
ein  Band,  dem  dae  Wachssiegel 
aufgedrückt  wurde.  Was  über  die 
Betten  dieser  Zeit  gesagt  wird,  er- 
geht sich  in  Mutmassuugen.  Es 
wird  angenommen,  ilass  dieselben 
nach  Art  der  spatrömischen  aus 
einem  vierbeinigen  Gestell,  teilweise 
mit,  teilweise  ohne  Kopf-  und  Fuss- 
lehne  bestanden  haben,  auf  das  die 
nötigen  Unterpolster  und  Decken 
zu  liegen  kamen.  Tücher  und  Tep- 
piche kommen  häufig  vor  und  dienen 
nicht  nur  zum  Belegen  der  Möbel, 
sondern  auch  zum  Verkleiden  der 
Wände  und  Verhängen  der  Thür- 
und  Fensteröffnungen.  Vielleicht 
auch  wurden  an  grossen  Häusern 
die  Söller  damit  überspannt,  zur 
Zeit,  da  man  auf  denselben  zu 
speisen  pflegte.  Als  Wandschmuck 
kommen  metallene  Spiegel  vor, 
vom  9.  Jahrhundert  an  auch  etwa 
Malereien,  meist  durch  italienische 
Künstler  ausgeführt.  Die  Pracht- 
geräte Karls,  von  denen  einige 
Schriftsteller  so  gerne  und  so  viel 
erzählen,  sind  meist  byzantinische 
Ehrengeschenke  und  können  darum 
hier  nicht  in  Betracht  kommen. 

Bis  um  die  Mitte  des  12.  Jahr- 
hunderts vermochte  das  deutsche 
Handwerk  in  Zimmermöbeln  nicht 
viel  neues  zu  schaffen.  Die  spär- 
lichen vorhandenen  Abbildungen 
zeigen  durchweg  noch  dieselbe  rohe 
Profilierung  und  dieselbe  Schwer- 
fälligkeit. Neben  den  Klappstühlen 
erscheint  als  gewöhnlicher  Sitz 
ein  dem  römischen  Di  van  nach- 
geahmter Kasten,  mit  oder  ohne 
Lehne,  öfters  auch  sattel-  oder 
schlitteiiartig  gestaltet,  mit  mon- 
strösen Tiernguren  geziert  oder  ver- 
unstaltet.   Zum  Besteigen  desselben 

Reallexicon  der  deutschen  Altertümer. 


wurde  die  Fussbank  vorgesetzt. 
Neben  dieser  erscheint  ein  drei- 
beiniger Fusssrheine/.  Die  Tische 
sind  halbrunde  oder  länglich  vier- 
eckige Platten,  auf  unmittelbar  da- 
mit verbundenen  Füssen  oder  auf 
einem  sägeboc kartigen  Gestell.  1  )oeh 
zeigen  die  Abbildungen  aus  dieser 
Zeit  auch  schon  Schreibtische  im 
Gebrauch,  die  einen  Fuss  und  eine 
schrägstehende  Tafel  haben,  auf  der 
das  Dintenfass  in  Gestalt  eine« 
kurzen  Horns  befestigt  ist.  Der 
Fuss  ist  derb  profiliert,  die  Tafel 
zum  Stellen  eingerichtet.  Diesem 
entsprechend  waren  die  Lese  puffe, 
teilweise  festgemacht ,  wohl  mehr 
aber  versetzbar.  (Bezüglich  der 
Betten  verweisen  wir  auf  den  Ar- 
tikel Latfersfattcn.) 

Besondere  Beachtung  verdienen 
die   Beheiziingseinrichtunffcn.  Das 
I  älteste  und  natürlichste  war  das 
j  offene  Feuer.    Je  mehr  aber  das 
I  Zimmer  seinen  Zweck  des  Schutzes 
;  gegen  die  Unbilden  der  Witterung 
!  erfüllen  sollte  und  je  schöner  man 
|  es  zu  seiner  eigenen  Behaglichkeit 
ausstattete,  um  so  mehr  wurde  das 
offene  Feuer  verdrängt.    Es  ent- 
standen in  kurzer  Aufeinanderfolge 
verschiedene    Ersatzmittel.  Auch 
in  den  Wohnräumlichkeifen,  wie  in 
der   Kirche   (diese  Vergünstigung 
kam  in  der  Regel  nur  der  Geist- 
lichkeit zu  gute)  wärmte  man  sich 
!  die  Hände  an  sogenannten  Catefae- 
|  forien ,  an  kleinen  Gefässchen ,  die 
die    Form    eines    hohlen,  durch- 
brochenen Apfels  hatten  und  mit 
einem  metallenen  Einsatz  zur  Auf- 
nahme glühender  Kohlen  oder  eines 
erhitzten   Eisens    versehen  waren. 
Eine  grössere  Art  derselben  hatte 
die  Gestalt  eines  Tisches  oder  eines 
niedrigen ,    vierrädrigen  Wagens. 
In  Tischgestalt  ist  das  Gerät  mehr- 
fach abgebildet,  z.  B.  in  den  Mi- 
niaturgemäldcn    zu    dem  „Jfurtns 
deticiarumu   der   Äbtissin  J/errad 
\  von  Landspcrg,  die  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  12.  Jahrhunderts  stam- 

70 


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1106 


Zimmerausstattung. 


men.  Die  vier  Füsse  des  Tisches 
sind  unterhalb  verziert.  Auf  dem- 
selben steht  das  Kohlenbecken,  das 
die  Form  einer  vierekigen,  rostartig 
durchbrochenen  Schüssel  hat.  Frühe- 
stens aus  dem  Anfange  des  13.  Jahr- 
hunderts stammt  das  Gerät  in  sei- 
ner zweiten  Form.  Es  ist  aus  Bronze 
oder  aus  Eisen  gemacht  und  be- 
steht aus  einem  umfangreichen,  vier- 
eckigen Behältnis  für  die  Feuerung, 
dessen  Boden  rostartig,  dessen 
Wände  aber  zur  Erzielung  eines 
möglichst  starken  Luftzuges  ein  ge- 
flochtenes Stab-  und  Kankenwerk 
bilden.  Das  aus  einer  Platte  be- 
stehende Untergestell  ist  mit  vier 
kleineu  Speiehcnrädern  und  einer 
Deichsel  als  Handhabe  versehen. 
Für  grössere  Räumlichkeiten  reich- 
ten zwar  diese  „Feuersorgen"  nicht 
aus;  da  bedurfte  man  doch  wieder 
des  lebhaften  Holzfeuers,  das  aber 
aus  der  Mitte  des  Zimmers  nach 
einer  Wand  verlegt  und  aus  leicht 
begreiflichen  Gründen  in  die  Mauer 
geborgen  wurde.  So  entstand  das 
Kaminfeuer.  Metalleue  Feuerböcke 
trugen  die  starken  Holzkloben. 
Sie  bestanden  aus  zwei  völlig  gleich- 
gestalteten Gestellen,  deren  jedes 
eine  senkrechtstehende  Vorstange 
mit  einem  unterwärts  rechtwinklig 
daran  festgemachten  Stabe  zeigte. 
Sie  waren  für  sich  beweglich,  konn- 
ten also  je  nach  Bedürfnis  weiter 
auseinander  oder  näher  zusammen- 
gerückt werden.  An  den  Vor- 
staugen waren  Ringe  und  Häk- 
chen angebracht,  an  die  Feuer- 
gattein  t  Kohlenzangen  und  andere 
nebengeordnete  Gerätschaften  an- 
gehängt werden  konnten. 

Spiegel  und  I  hren  gehören  auch 
jetzt  noch,  selbst  in  den  Zimmern 
der  Vornehmen,  zu  den  ungewöhn- 
lichen Dingen. 

Deutlicher  und  entschiedener 
werden  die  Fortschritte  im  13.  Jahr- 
hundert, wo  sich  als  Frucht  der 
Kreuzzüge  und  Anzeichen  eines 
geistigen  Erwachens  überhaupt  in 


der  Ausstattung  des  Zimmers  der 
orientalische  Einrluss  immer  metr 
kund  gibt,  namentlich   in   der  Be- 
schaffenheit   der    Huhe-beUe-n  und 
»Sessel,    sowie   ganz   besonders  ia 
derjenigen    der    Thron*/ühl*  unc 
Ohrensessel.    Neben  den  bisherign 
Formen  treten  nämlich  ganz  beioa 
ders  hohe,  um&ngreiehe  StuJk/e  xli: 
runder  oder  vieleckiger  Sitzplan 
auf,   mit  entsprechender  Kücktu 
und  Seitenlehne.    Diese  steigt  senk 
recht  auf  und  umschliesst  oft  dr 
ganzen  Sitz,  mit  eiuziger  Kreilassua«; 
der  nötigen  Sitzotfnung.     Am  hau 
figsten  sind  die  sechseckigen  Sitzt. 
die  in  der  Regel  auf  drei,  seltener 
auf  fünf  Seiten  mit  einer  Lehr* 
versehen  sind.    Im  letzteren  Falir 
sind  die  beiden  Lehnenstücke,  die  de-  : 
Sitzotfnung  zunächst  stehen,  etwa; 
niedriger  gebaut.  Überhaupt  pflegt«- 
man  die  Lehne  nach  Art  eines  eio 
oder  mehrreihigen  zierlichen  Gitter 
werkes  zu  behandeln  und  ihre  senk 
rechten  Zwischenpfosten  mit 
geschnitzten  Knauf  zu 
Der  Anzahl  der  Ecken  und  Pfostro 
entsprach    auch    die    Anzahl  dtr 
Stützen  oderFüase,  so  dass  der  sech? 
eckige  Stuhl  deren  ebenfalls  sech* 
erhielt;  der  runde  dagegen  stützte 
sich  auf  drei  oder  vier.    Auch  der 
Raum  zwischen  diesen  Füssen  war 
namentlich  bei  der  Sechszahl,  mrt 
ähnlichem  Ranken-  und  Gitterwerk 
ausgefüllt,  und  gleichsam  als  Stut*- 
des  Ganzen  wurden  unter  die  Füssr 
Tiergestalten  gesetzt,  vornehmlich 
Löwen,  meist  in  kauernder  Stellung 
Teppiche,  Fussbänklein  und  Scbenio 
fehlten  natürlich  auch  hier 


alumbe  an  allen  sitzen 
mit  senften  plumiten 
manec  gesitz  da  wart  gefriiy 
druf  man  tiure  kultern  breit. 

Auf  die  Veränderungen,  die  in 
dieser  Zeit  mit  den  Tischen  vorge- 
nommen worden,  lässt  sieh  w eniger 
schliessen,  da  die  grösseren  derselben 
auf  den  Abbildungen  stets  bis 


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Zimmerausstattung. 


Fussboden  herunter  mit  einem 
Teppich  behangen  erscheinen.  Es 
lässt  sich  daher  nicht  einmal  genau 
feststellen,  ob  sie  überhaupt  noch 
durch  Vereinigung  einer  Platte  mit 
selbständigen  stützen  hcrgestelltoder 
ob  man  sie  von  vornherein  mit  den 
nötigen  Füssen  versah.  Grosse 
Speisetische  wurden  ohne  Zweifel 
stabil  aus  Stein  verfertigt  Auch 
wueüe  es,  entgegen  dem  bisherigen 
deutschen  Gebrauch,  nunmehr  üb- 
lich, grössere  Tischgenossenschaften 
nicht  mehr  an  einer  grossen,  son- 
dern an  mehreren  kleinen  Tischen 
zu  bewirten,  die  aus  Holz  und 
Metall  gearbeitet,  namentlich  an  den 
Füssen  mehr  oder  minder  künstlich 
verziert,  bereits  als  wirkliche  Zimmer- 
gerätc  angesehen  werden  können. 
Die  Lese-  und  Schreibpulte  behielten 
ihre  Form  bei.  Letztere  trugen  das 
Dintenhorn  oft  in  einem  Kästchen, 
das  zugleich  zur  Aufnahme  der 
Federn  und  des  Messers  diente. 
Auf  dem  Pulte  lag  die  Wachstafel, 
in  die  nach  römischer  Weise  mit 
einem  metallenen  Griffel  die  gewöhn- 
lichen Notizen  eingeritzt  wurden. 

Die  Teppiche  dieser  Zeit  sind 
schon  recht  kostbar.  Wenn  die 
einheimischen  Gewirke  die  orienta- 
lischen Muster  auch  bei  weitem 
nicht  erreichen,  so  zeigt  sich  in 
dieser  Kunst  doch  ein  entschiedener 
Fortschritt,  und  so  konnte  es  nicht 
fehlen,  dass  nicht  nur  die  Möbel, 
sondern  auch  die  Fussböden  und 
Wände  immer  reichlicher  mit  den 
Erzeugnissen  derselben  behangen 
wurden,  wie  folgende  Stellen  aus 
Parzival  und  Tristan  bekunden: 

Manec.  rücke  lachen 
in  dem  palas  wart  gehangen, 
alda  wart  niht  gegangen 
wan  üf  tepichen  wol  geworcht. 

und: 

des  herzogen  palas 
was  alumb  und  umbe  gar 
behangen  mit  sperlachen  cldr 
diu  meisterliche  wärn  gebritenf 


wol  geworht  und  underspriten 
mit  siden  und  mit  golde. 

Wer  aber  keine  Fusstepnich«; 
aufzubringen  vermochte,  behalt  Bich 
mit  geflochtenen  Strohmatten  oder 
mit  einer  Streu  von  Binsen  oder  bei 
festlichen  Anlässen  mit  grünen 
Reisern,  Blättern  und  Blumen. 

manic  gelbe  bluomen  tol-de* 
rasen  rot  und  grüenes  gras 
üf  den  estrich  gestreuet  was. 

(Tristan.) 

Schon  im  13.,  mehr  aber  noch 
im  14.  Jahrhundert,  gründete  sich 
der  deutsche  Handwerkerstand  und 
konsolidierte  sich  in  seineu  zahl- 
reichen Zünften  oder  Innungen. 
Damit  war  die  Losung  zu  einer 
freien  En twickelungder  gewerblichen 
Künste  gegeben,  die  bis  auf  die  be- 
sagte Zeit  in  der  Hand  der  Geist- 
lichkeit lag,  in  den  Klöstern  ihren 
Sitz  hatte  und  fast  ausschliesslich 
der  Kirche  diente.  Die  altrömischen 
plumpen  Formen  fielen  und  an  ihre 
Stelle  traten,  auch  was  das  Geräte 
selber  anbetrifft,  die  schlanken,  ger- 
manischen Säulen-  und  Ranken - 
formen.  Mit  der  Kräftigung  dieser 
Zünfte  begann  erst  das  eigentliche 
Städteleben  und  gründete  sich  der 
habliche  Bürgerstand,  der  die  ein- 
heimische Kunst  weit  mehr  zu  for- 
dern fähig  und  willig  war,  als  es 
der  ausgeartete  Adel  konnte,  und 
der  alle  Schichten  der  Bevölkerung 
weit  mehr  zur  Nachahmung  seines 
Beispieles  reizte.  Die  einteiligen 
Wohnhäuser  genügten  nicht  mehr. 
Sie  wurden  erweitert  und  in  mehrere 
Räume  eingeteilt,  deren  jeder  seinen 
bestimmten  Zweck  hatte.  So  ent- 
standen die  gesonderten  Wohn-, 
Gesellschafts-,  Arbeite-  und  Schlaf- 
gemächer. Ja,  man  ging  noch 
weiter  und  erstellte  in  einem  von 
diesem  ganz  gesonderten  Teil  des 
Hauses  noch  besondere  Fremden- 
zimmer. Diese  besonders,  aber  auch 
die  Familienzimmer,  wurden  nun 
auch  nach  bestimmten  Grundsätzen 

70* 


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1108 


Zimmerausstattimg. 


ausgestattet,  je  nach  den  Mitteln, 
die  man  dafür  zur  Verfügung  hatte. 
Die  Wände  wurden  mit  einem 
glatten  oder  geschnitzten  Holzgetäfel 
versehen,  mit  Teppichen  oder  mit 
ledernen  Tapeten  verkleidet,  die 
womöglich  bebildert  wurden.  Die 
Sonne  wurde  durch  Vorhänge  fem 
gehalten  oder  auch  schon  durch 
Fensterläden,  die  der  Grösse  und 
Breite  nach  geteilt,  oft  aber  auch 
ungeteilt  waren.  Die  Möbel  waren 
dem  entsprechend  gearbeitet.  Vor- 
nehmlich die  Sessel  waren  geeignet, 
das  Versuchsfeld  der  jungen  Kunst 
zu  werden.  Seiten-  und  Rücken- 
lehnen gestaltete  man  vorerst  noch 
zumeist  geradlinig,  seltener  gebogen, 
und  gnb  ihnen  durchgängiger,  als 
es  bia  dahin  der  Fall  war,  die  Form 
von  mehrfach  gegliederten  Pfeilern 
oder  Säulen  mit  darauf  ruhenden 
Karniesen  und  dazwischen  geord- 
netem, erhobenem  oder  durch- 
brochenem„Masswerku,  gemeiniglich 
aus  dem  sogenannten  „Dreiblatt" 
und  „Vicrblatt"  bestehend.  Der 
Ti*ch  hingegen  verlangte  seines 
Zweckes  wegen  mehr  die  Beibehal- 
tung der  gegebenen  Formen,  höch- 
stens das  Fussgestell  erlaubte  eine 
freie  Behandlung.  Die  Truhe  blieb  j 
das  gebräuchlichste  Repositorium, 
doch  Kam  der  Schrank  oder  Kasten  i 
bereits  stark  in  Aufnahme,  der  dann 
in  seinen  verschiedenen  Grössen 
und  Gestalten  bald  das  kostbarste  | 
Hausgeräte  wurde.  Noch  war  er ! 
grossentcils  sehr  einfach  gestaltet, 
ein  unmittelbar  auf  dem  Boden  oder  ! 
auf  kurzen  Füssen  stehender  Bretter- 
verschlag  mit  mehreren  nebenein- 
anderliegenden  und  übereinauder- 
steheuden  Abteilungen ,  deren  jede 
ihr  eigenes  Thürchen  hatte.  Ausser 
dem  Beschläge  ist  kaum  eine  Ver- 1 
zierung  vorhanden.  Zunächst  folgt 
dann  das  oben  aufgelegte  „Mass- 
werk4', der  gesimsartige  Kranz. 
Die  Wände  werden  hierauf  mit  Per- 
gament verkleidet  und  bunt  bemalt. 
Die  Tttron-  und  J£hrenscsselhatten 


teils  noch  immer  die  Gestalt  der 
viereckigen  Kasten,  mit  geradauf- 
steigenden Eckpfeilern,  teils  die- 

1'enigen  der  sägebockähnlich  sich 
kreuzenden  krummen  Füsse 
Lehnen.  Der  Unterbau  derselben 
wurde  erhöht,  um  auch  den  Fuss- 
kissen  und  Fussbänkchen  eine  freien 
Gestaltung  und  grössere  Ausdehnung 
zu  gestatten.  Darüber  breitete  sieh 
der  Thronhimmel  aus,  der  zuweilen 
mit  Seiten  vorhängen  versehen  wxr 
An  einem  solchen  Sessel  arbeiteten 
verschiedene  Handwerke.  Die  erste 
Arbeit  fiel  dem  Holzarbeiter  zu,  der 
ein  feiner  Schnitzler  sein  musste; 
daun  wurde  das  Geräte  bemalt, 
vergoldet,  mit  Elfenbein  und  anderen 
Stoffen  ausgelegt,  auch  mit  goMen*Ti 
oder     silbervergoldeten  Zierater. 

mit  farbigen  Emaillen  und  stellen 
weise  selbst  mit  Steinen  und  Perleu 
bedeckt.  Eiserne  oder  bronzen" 
Geräte  formte  und  zierte  man  wo 
möglich  noch  hünstücher.  Lehnen. 
Fussgestelle  und  Sitae  wurden  nach 
wie  vor  gerne  mit  Tierköpfen  oder 
ganzen  Tierfiguren  geziert,  nament- 
lich mit  Löwen,  Tigern,  Hunden  etc 
als  Sinnbilder  der  Kraft  und  Wach- 
samkeit Die  Teppiche  waren  vot 
purpurfarbiger  Seide  oder  tob 
Samnift  mit  Gold  bestickt 

Im  bürgerlichen  Hause  blieb  <i«r 
kleine  lehuenlose  Klappstuhl  imntfr 
noch  in  seiner  Geltung,  wenn  aoeb 
selbst  er  eine  freiere,  leichtere  Be- 
handlung erfuhr  und  gelegentlich 
seinen  Tierkopf  darstellen  dorne 
Die  grossen  sebwerbewegharer 
Bankkasten  dagegen,  die  sieh  licc- 
den  Zimmerwänden  hinzogen,  kar 
mehr  und  mehr  ausser  Göhra»* 
oder  wurden  durch  leichtere  Gerät- 
derselben  Art  ersetzt,  die  BÜ 
Füssen  versehen,  auf  der  vorder*1 
Langfläche  gefeldert.  mit  gerader 
Lehne,  hoher  Rückwand,  oft  mit 
überhängender  Bedachung  und  mit 
Sehnitz-  und  Schnörkel  werk  ausge- 
stattet wurden.  Die  Vcrsetzhimlr 
waren  bald  kastenartig  gesehl«»as»en 


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Zimmerausstattung. 


1109 


bald  nur  von  Füssen  unterstützt, 
mit  Seiten-  oder  Rücklchnen,  auch 
mit  beiden  zugleich  versehen,  offen 
oder  geschlossen,  nach  Sitzplätzen 
abgeteilt  oder  auch  nicht.  So  ist 
um  1365  erwähnt  „eine  Bank  aus 
Eichenholz  zum  Bewegen,  von 
zwanzig  Fuss  Länge  nebst  Rücken- 
lehne, um  vor  den  grossen  Speise- 
tisch des  Königs  aufgestellt  zu 
werden".  Kleinere  Bänke  dieser 
Art  gestaltete  man  bald  rund,  bald 
dreieckig  (mit  drei  Füssen).  Sol- 
che fehlten  in  keinem  auch  nur 
massig  begüterten  Hausstände.  Die 
grosse  kastenartige  Bank  wurde 
auch  mitunter  zur  eigentlichen 
DoppeWank  von  beträch tlicherBreite. 
Jede  Schmalseite  trug  eine  senk- 
recht aufsteigende  Wand ,  deren 
Mitten  durch  eine  in  Scharnieren 
vor-  und  rückwärts  bewegliche  ge- 
rade Lehne  verbunden  waren,  so 
dass  mehrere  Personen  bequem 
Rücken  gegen  Rücken  sitzen  konn- 
ten. Solche  Bänke  stellte  man 
etwa  vor  das  Kamin  und  legte  sich 

f;ar  darauf  schlafen,  in  welchem 
""alle  zum  Schutze  gegen  die  direkte 
Wärmestrahlung  ein  zeltartiger  Tep- 
pich vorgehäugt  wurde.  Daneben 
wurden  die  Truhen  auch  als  Sitze 
verwendet 

Tische  verfertigte  man  aus  Me- 
tall, aus  Stein  und  Holz.  Oft  wa- 
ren die  Füsse  aus  diesem ,  die 
Platte  aus  eintun  anderen  Stoffe. 
G  rosse  Tafeln  behielten  meist  das 
gekreuzte  Fussgcstell.  Das  TUch- 
tach  fehlte  nie,  doch  war  es  nicht 
durchweg  weiss,  sondern  oft  farbig 
und  gemustert. 

Unter  den  Kleingeräten  waren 
namentlich  die  zierlichen  Kästchen 
zur  Aufnahme  von  Schmucksachen, 
Messern,  Nähzeug  u.  dgl.  bei  den 
Frauen  beliebt.  Die  grösseren  be- 
standen zuweilen  aus  zwei  oder 
mehreren  neben-  und  übereinander 
geordneten  Schubladen,  nebst  zwei 
verschliessbaren  Flügelthürchen. 
Waren  sie  gar  kostbar  aus  edlen 


Metallen  und  Gesteinen  gefertigt, 
so  steckte  man  sie  auch  in  eigens 
bereitete  Futterale  aus  Leder,  die 
durch  Pressung,  Malerei  und  Be- 
schläge selber  wieder  reich  ausge- 
stattet wurden.  Die  iSfneqcl  dagegen 
waren  fast  durchweg  blosse  Hand- 
sniegel von  geringem  Umfange, 
aber  von  zierlichster  Beschaffenheit 
und  reichster  Ausstattung.  Sie  be- 
standen aus  poliertem  Metall,  Gold, 
Silber,  Stahl,  Zinn,  auch  aus  ge- 
|  schliffenem  Kristall,  selten  aus  Glas. 
I  Die  Amalgamisierung  desselben, 
j  wodurch  der  Glasspiegel  alle  an- 
!  deren  aus  dem  Felde  schlug,  wurde 
erst  im  15.  Jahrhundert  erfunden. 
|  Erwähnt  werden  z.  B.  um  13 IM 
„Ein  Spiegel  von  Silber",  um  1372 
„ein  Spiegel  von  Kristall,  welchen 
ein  Weib  in  Gestalt  einer  Sirene 
von  vergoldetem  Silber  hält",  um 
1380  „ein  Spiegel  von  Gold  mit 
vier  Rubinen,  vier  Saphiren  und 
vierunddreissig  Perlen  besetzt'S 
„zwei  hohe  Spiegel  mit  zwei  Füs- 
sen von  Elfenbein,  der  eine  grösser 
als  der  andere",  „zwei  Spiegel  von 
Stahl ,  der  grössere  von  Kupfer 
eingefasst  und  rückwärts  damit  be- 
deckt, der  andere  auf  einem  Holz- 
gestell stehend"  und  „ein  kleiner 
Spiegel  von  Silber,  längs  den  Rän- 
dern und  rücklings  emailliert,  getra- 
gen von  zwei  Kindern  in  Mäntelchen 
und  langen  Kappen,  diese  mit  Blüm- 
chen in  Email  bedeckt,  stehend  auf 
einem  Plättrhen  mit  einer  Maske 
nebst  zwei  Füssen,  darunter  eine 
gesimsartige  Platte  mit  emaillierter 
Darstellung  einer  Hirschjagd".  Auch 
treten  gegen  Ende  dieses  Zeitrau- 
mes neben  den  längst  bekannten 
Sand-  und  Waxserufiren  grössere 
Wanduhren  mit  einer  Art  Rüder- 
werk auf,  freilich  noch  sehr  selten 
und  einfach,  nur  mit  einem  Zeiger 
versehen.  Denkt  man  sich  noch 
die  mit  kostbaren  Teppichen  ver- 
hängten Zimmerwände  und  die  eben- 
falls aus  kunstreich  gestickten  Tü- 
chern gefertigten,  in  Holz  gerahmten 


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1110 


Zi  mmerausst  att  ung. 


Flügehcändc  zum  Verstellen  der 
Thür-  und  Fensteröffnungen  hinzu, 
so  kann  man  sich  einen  ungefähren 
Begriff  von  einem  Zimmer  des  14. 
Jahrhunderts  machen.  Freilich  er- 
laubte sich  der  schlichte  Bürger- 
stand einen  solchen  Luxus  noch 
nicht.  Die  schweren  Bankkästen, 
einige  bewegbare  Truhen,  ein  oder 
mehrere  Langtische  und  die  erfor- 
derliche Anzahl  von  Betten  machte 
hier  ohne  Zweifel  das  gesamte  Mo- 
biliar aus.  In  den  Hütten  der 
Armen  machten  die  Truhen  sogar 
den  Tisch  entbehrlich,  waren  alles 
in  allem,  höchstens  noch  etwa  von 
besonderen  Schlafstellen  begleitet. 

Im  15.  Jahrhundert  brach  sich 
der  burgundische  Einfluss  Bahn, 
der  in  dem  kräftigen  deutschen 
Handwerkerstande  einen  fähigen 
Träger  fand.  Die  Goldschmiede- 
kunst und  ihre  Zweige,  die  Email- 
lierung und  Steinschneiderei,  das 
Handwerk  der  Schmiede,  Schlosser, 
Kupferschmiede,  Bronzegiesser  und 
Zinnarbeiter  wetteiferte  mit  dem 
der  Elfenbeinschnitzler,  der  eigent- 
lichen Bildschnitzer,  Schreiner, 
Töpfer  u.  s.  w.  Den  grössten, 
d.  n.  den  für  die  Ausstattung  der 
Wohnräume  praktisch  verwendbar- 
sten Schritt,  thaten  wohl  die  Gla- 
ser, die  nun  neben  allerlei  nütz- 
lichen Dingen  die  Glaxfenster 
herstellten,  aus  Kundscheiben  zusam- 
mengesetzt, wie  sie  sich  bis  in 
unser  Jahrhundert  erhalten  haben. 
Weun  auch  die  unvermeidliche 
Bleifassung,  verbunden  mit  der 
meist  noch  geringen  Qualität  des 
Glases,  ein  Produkt  entstehen  Hess, 
das  der  Vollkommenheit  noch  fern 
stand,  so  war  doch  dieses  schon 
von  grosser  Bedeutung,  ein  nicht 
gering  zu  schätzender  Fortschritt 
gegenüber  den  früheren  Fenster- 
verschlüssen  aus  Horn  oder  geöl- 
tem Papier.  Diese  gelangten  über- 
haupt nie  zu  allgemeiner  Verbrei- 
tung. 

In  bezug  auf  die  Teppichicirkerei 


genossen  die 
stätten  eines 
allem  durch 
Wirkerei  mit 


flandrischen 
hohen  Rufe« ,  vw 
die  „  hochschäfrLT 
senkrechter  Ken. 


durch   die  „hautelisge".     Der  Auf- 
wand  an  solchen  Teppichen  übn 
stieg   zuweilen  jedes  erdenklkk 
Mass.    So  wird  erzählt:    „Als  mar 
bei  Gelegenheit   der  Verrnähhiit: 
Karl  VIII.  (um   U91)  das  Schk* 
Ambaue  ausstattete,  verwandte  mit 
dazu  an   seidenen  und  golddarcb- 
wirkten  Wandteppichen   nicht  ve- 
niger als  mehrere  tausend  Ell»* 
Allein  um  den  Hof  damit  zu  be- 
decken, bedurfte  man  viertausev 
Haken,  und  zu  einem  einzigen  G»- 
mach  dreihundertsiebenunavierris: 
Ellen   von  dem  stärksten  Seide* 
stoff,  darauf  in  fortlauf enden  Bild« ti 
die  Geschichte  Mosis  zu  sehen  war 
Die  anderen  Teppiche  enthielte 
Szenen  aus  der  Mythologie,  »l- 
der  älteren  und  der  neueren  Ge- 
schichte.   Auf  ihnen  erblickte 
unter  anderem  die  siegreichen  Tta 
ten  des  Herkules,  die  Geschieh* 
der  Sibyllen,  die  Eroberung  wm 
Troja,  die  Zerstörung  Jerusalem- 
einzelnes  aus  dem  Romau  von  <iri 
Rose  und  die  Schlacht   von  For 
migni,  in  welcher  um  1450  Karl  VII 
die   Engländer  schlug".     Zur  I> 
deck ung    der   Zimmergerate  ud- 
zum  Uberziehen  der  Polster  wählt 
man  fortwährend  mit  Vorliebe  «> 
gewöhnlich  bestickten,  einfarbige 
oder  buutbemusterten  Stoffe. 

Auch  in  bezug  auf  die  Verfer 
tigung  von  Uhren  ward  ein  wich 
tiger  Schritt  vorwärts  gethan.  Er- 
ging von  Frankreich  aus.    Um  dar 
Jahr  1480  erfand  dort  ein  gewiss*  r 
Carorage  oder  Carvragitts  die  Spi 
ralsprungfeder  und  verwandte  de 
ren  Triebkraft  zur  Herstellung  vor: 
kleineren  Wanduhren,    die  kum 
Zeit  hernach  (1500)  Peter  Helc  ic 
Nürnberg  derart  vervollkommnet«', 
dass  er  als  der  eigentliche  Erfin 
der  der  Taschenuhren 
werden  darf. 


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ZimmcrauHatattung. 


1111 


In  bezug  auf  die  Gestaltungs- 
weise des  Geräts  im  allgemeinen 
hielt  man  sich  an  die  germani- 
schen" Grundformen,  so  dass  da- 
rüber, namentlich  aus  der  ersten 
Hälfte  des  Jahrhunderts,  weniger 
zu  berichten  ist.  Die  verzierende 
Ausstattung  freilich  wurde  immer 
mannigfaltiger,  ja  in  dem  Streben, 
durch  immer  neue  Erfindungen  zu 
glänzen,  verlor  sie  gegen  Ende  des 
Jahrhunderts  den  feineren  Sinn  für 
künstlerischen  Zusammenhang,  sie 
führte  zur  Überladung  und  zur 
Willkür  und  in  ihrem  Umschlag 
zur  nüchternen  Leere,  so  dass  sie 
sich  endlieh  teils  in  launenhafter  Ver- 
mischung von  starren  oder  doch 
nur  maasig  ornamental  belebten 
Flächen  mit  einer  zumeist  übertrie- 
benen Fülle  von  bunt  zusammen  - 
geordnetem  Zierwerk,  teils  in  aus- 
schliesslicher Verwendung  des  letz- 
teren verlor. 

Neben  den  bisher  üblichen 
verschiedengestalteten  Lehnsesseln 
tritt  der  ähnlieh  aussehende  Dreh- 
sexsel  auf,  der  wie  der  Rollstuhl 
hauptsächlich  von  Kranken  mag 
gebraucht  worden  sein.  An  Schrän- 
ken und  Truhen  suchte  man  nun 
vorzüglich  die  gesteigerte  Fülle 
baulicher  Verzieruugsformen  zur 
Geltung  zu  bringen,  auch  kommen 
an  denselben  neben  kostbarem 
Schnitzwerk  oft  Goldverzierungen, 
sowie  Holz-  und  Metall«  n  lagen 
vor.  Die  Truhen  stellte  man  gern 
auf  Tierköpfe;  die  Schränke  erhiel- 
ten grössere  Flächen,  damit  die 
Verzierungen  reichlicher  angebracht 
werden  konnten.  DieThüren  wur- 
den kleiner,  deren  Umrahmungen 
aber  verbreitert,  sowie  die  wage- 
rechten Leisten  zwischen  den  Fä- 
chern. Neben  den  grösseren  Stand- 
oder Wandschränken  bediente  man 
sich  auch  kleinerer,  die  an  die 
Wand  gehängt  werden  konnten 
und  eben  ihrer  Kleinheit  wegen 
um  so  köstlicher  geziert  wurden. 

Unter   den   vielen   Arten  des 


Tisches  begegnet  man  am  häufigsten 
dem  kleinen,  einfüssigen.  mit  run- 
der, ovaler  und  viereekigerPlatte,  und 
dem  scharnierbeweglichen  Klapp- 
tische. Beide  kommen  mehrfach 
im  Zimmer  vor  und  zwar  ihrer 
Kostbarkeit  wegen  mehr  als  Zier- 
tisch. Die  Platte  ist  Marmor  oder 
Serpentin,  zum  mindesten  eine  sel- 
tene Holzart,  mosaikartig  ausge- 
legt, bemalt,  auch  wohl  am  Rande 
zierlich  eingefasst.  Die  Füsse  sind 
Metallarbeit,  aus  Holzsehnitzwerk 
oder  aus  einzeln  gearbeiteten  Or- 
namentstücken zusammengesetzt. 
Auch  die  Füsse  der  mehrfüssigen 
Tische  sind  die  hauptsächlichsten 
Träger  der  Verzierungen.  Auch  die 
Schenk-  oder  Kredenztische  fanden 
ziemlich«'  Verbreitung;  die  Schau- 
gestelle oder  ,,d  ressoi  rsu  und  die 
Anrichtetafeln  oder  Jtußets'1  stellte 
man  mit  der  Zunahme  der  Prunk- 
gesrhirre  (Glas-  und  Thonwaren, 
Gold-  und  Silbergeschirre,  Brunnen 
f  Giessfasser],  Dreifüsse  und  Schiffe) 
viel  häufiger  und  umfangreicher 
her,  als  es  früher  geschah  und  er- 
mangelte selbstverständlich  auch 
nicht,  sie  selber  mit  allem  erdenk- 
lichen Zierat  zu  schmücken.  Als 
Zimmerschmuck  wären  endlich  noch 
die  grossen  Tafelbilder,  auf  Holz 
gemalt  und  zierlich  eingefasst,  sowie 
die  gläsernen  Wandspiegel  zu  nen- 
nen. 

Wenn  auch  das  bürgerliche 
Wohnhaus  all  diese  Pracht  noch 
nicht  auf  einmal  nachzuahmen  ver- 
mochte ,  so  wuchsen  doch  auch 
dort  die  Bedürfnisse  stetig.  Die 
Bankkästen  blieben  noch,  die  Tru- 
hen ebenso,  doch  werden  daneben 
mehr  oder  minder  reichverzierte 
Tische,  Stühle,  Bänke,  Schränke, 
Lesepult«?  u.  s.  w.  fast  allgemein 
angetroffen,  und  auch  die  nicht 
einmal  reich  Begüterten  erlaubten 
sich  zu  Ende  des  Jahrhunderts  den 
Luxus  der  Hängeteppiche  und  des 
Holztafelwerkes. 

Für  das  16.  Jahrhundert  wird 


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1112 


Zimmcrausstattung. 


Italien  tonangebend.  Dort  hatte  sich 
zuerst  wieder  das  Bedürfnis  der 
Auffrischung  des  Geschmackes  an 
dem  Vorbild  der  Alten  kund  ge- 
than.  In  eingehender  Verwendung 
der  altklassischcn  Formen  zuförderst 
im  baulichen  Betriebe,  war  man  zu- 
gleich bemüht,  auch  die  antike  Vcr- 
zieruugsweise  wieder  aufleben  zu 
lassen,  was  der  Geratebildung  mit 
zu  statten  kam.  Anfänglich  ahmte 
man  die  Muster  getreu  nach,  lernte 
das  Ebenmass  der  Teile  wieder 
schätzen  und  die  Fülle  der  Zieraten 
damit  in  Einklang  bringeu,  was 
aueh  für  die  neuen  Verhältnisse 
nicht  über  Gebühr  schwer  sein 
durfte.  Behandelten  doch  die  Vor- 
bilder in  wechselvollster  Durchbil- 
dung und  Anordnung  die  blossen 
Phantasie-Ornamente,  die  mannig- 
faltigsten Gegenstände  aus  dem 
Tier-  und  Pnanzcnleben  und  aus 
der  altrömischen  Yerkehrswelt,  dem 
kultlicheu,  kriegerischen  und  all- 
täglichen Leben ,  was  alles  nicht 
nur  die  Sinne  bildete,  sondern  auch 
die  Phantasie  zu  eigenen  Kombi- 
nationen anregen  musste. 

Die  „Renai*aanctM  ging  zunächst 
auf  Spanien,  dann  auf  Frankreich 
und  erst  durch  dieses  auf  die  Nieder- 
lande und  auf  Deutsehland  über; 
jedes  dieser  Länder  hat  sie  in  seiner 
eigenen  Art  empfangen  und  aufge- 
griffen ,  keinem  aber  hat  sie  noch 
vollends  so  ein  bestimmtes  Gepräge 
aufgedrückt,  wie  dem  letztgenannten, 
das  sein  Jtaus  und  seine  Stadt  in 
einer  Weise  herausbildete,  dass  der 
objektive  tieferblickende  Fremde 
mit  seiuetn  Beifalle  nicht  zurück- 
halten konnte.  So  sagt  der  feinge- 
bildete Italiener,  Äneas  Svlvius, 
Papst  Pius  II.  (1458  1464»',  dass 
er  die  grösseren  niederländischen, 
deutschen  und  schweizerischenStädte 
ihrer  besonderen  Sauberkeit,  Ord- 
nung und  Wohlhabenheit  wegen, 
lediglich  abgesehen  von  Kunst- 
sehmuck, den  grösseren  italienischen 
und  französischen  Städteu  weit  vor- 


ziehe und  viele,  wie  vor  allein  Gen 
Brügge,  Breslau,   Pra^r »  Lübeck. 
Aachen,  Trier,  Kölo,  Ulm,  Wkn 
Strassburg,  Salzburg,  Basel,  Züri.  « 
u.  a.  als  Musterbilder,  ja  einzeln 
wie  Augsburg  und  Nürnberg,  p 
radezu  als  Ideale  einer  vollkomn^ 
I  nen  Stadt  bezeichnet  werden  müsset 
I  Und  ähnlich   sprach   sich    in  diT 
zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhundert 
Michel  de  Montaigne  aus ,  der  ait 
i  drücklich  hervorhebt,  dass  in  dt m 
j  deutschen      und  schweizerische 
Städten  die  Strassen  und  öffentlich» :. 
Plätze,  die  Wohnungen  samt  ihr-ir 
Hausrat,  ihren  Tafeln  und  Tafcl 
gesehirren,  weit  schöner  und  sau- 
berer seien,  als  in  Frankreich. 

In  der  Behandlung  der  edtln  1/- 
falle  und  Steine  waren  unter  den  den: 
sehen  Meistern  die  Augsburger  luvi 
Nürnberger  am  berühmt«  -sten,  do»-h 
genossen  auch  die  Ulmer,  Kölner. 
Frankfurter  (a.  Bf.),  Prager,  Wieue. 
und  Dresdener  eines  guten  Rufe* 
Die  JClfenbeinsch nitzerei    hatte  Ix 
sonders  in  Augsburg    ihren  Nitz. 
Die  Arbeit  in  Holz  hatte  selten  im 
15.  Jahrhundert  in  rein  technisch,  r 
wie  in  künstlerischer  Hinsicht  eint 
Stufe  erreicht,  die  eine  bedeutend«* 
Weiterentwickelung  kaum  mehr  zu 
Hess;  aber  das    immer  steigeudi 
Bedürfnis  für  derartige  Arbeiten  für 
weltliche,  und  bis  zum  Ablauf  der 
dreissiger    Jahre    auch    noch  fi:r 
kirchliche  Zwecke,  Hess  doch  man- 
cherlei Neuerungen  und  V  erbest* 
rungen  unvermerkt  entstehen.  Ein" 
solche    war   die  von    Italien  aar 
Frankreich    und    dann    auch  auf 
Deutschland     übergehende  Li«h 
haberei    für    geschnitzt*  Zimmer 
decken.    In  der  ersten  Hälfte  de? 
Jahrhunderts  begnügt  man  sich  uoeb 
mit  einem  sich  kreuzenden,  einfach 
gegliederten  Balkenwerk  mit  Ver 
zierungen    in   Flachschnitzerei;  in 
der  zweiten  Hälfte  aber  entwickelt 
sich   die   Decke    durchgängig  zu 
einem  sehr  verschiedenen,  oft  äusserst 
künstlichen  Kassetten  werk, 


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Zimmeraus*  tat  tung. 


1113 


füllt  mit  erhabenen  Schnitzereien 
und  Gemälden  im  Wechsel ,  oder 
auch  in  ihrem  Verlaufe  lediglich 
mit  Malereien.  Doch  blieb  der  Ge- 
schmack für  gute  Schnitzarbeit 
immer  vorhanden,  ja  man  begnügte 
sich  nicht  mehr  damit,  bloss  die 
Flachen,  deren  Einfassungen  und 
Bekrönungeu  damit  zu  zieren,  son- 
dern fügte  noch  völlig  rund  ge- 
arbeitete Einzelteile  bei,  Figuren  von 
Menschen  und  Tieren,  zuweilen  in 
Gruppen,  Köpfe,  Tierfüsse,  Säulen, 
Pfeiler,  Stützen  u.  dgl.  Neben  den 
einheimischen  Holzarten ,  Eichen- 
und  Nussbaumholz,  gelangen  nun 
auch  fremde  zur  Verwendung,  so 
besonders  das  aus  Ostindien  be- 
zogene Ebenholz,  das  anfangs  seines 
hohen  Preises  wegen  nur  zu  kleinen 
Geräten  verwendet  werden  konnte, 
von  den  siebziger  Jahren  an  aber, 
infolge  eingetretener  Preisermässi- 
gung, bei  aen  vornehmen  Familien 
geradezu  vorherrschend  wurde.  Be- 
liebt waren  namentlich  die  Möbel 
mit  Elfenbein-  und  Silbereinlagen. 
Die  Sehreiner  setzten  sich  zu  diesem 
Zwecke  mit  den  Künstlern  von  Fach 
in  Verbindung  und  waren  nicht 
selten  selber  tüchtige  Schnitzer  und 
Baumeister. 

Nicht  minder  rührig  waren  die 
Metallarbeiter,  Schmiede,  Schlosser, 
Kupferschmiede,  Bronze-  und  Zinn 
giesscr.  Auch  sie  wussten  zu  leisten, 
was  das  Handwerk  überhaupt  je 
zu  leisten  vermochte.  Namentlich 
die  Arbeiten  der  damaligen  Schlosse- 
rei verdienen  heute  noch  unsere  Be- 
wunderung. Es  sind  nicht  nur  kunst- 
reich gearbeitete  Schlösser  und  Be- 
schläge, sondern  auch  einige  l'hr- 
irerke,  die  als  Turmuhren  mit  einem 
Schlagwerk  und  mancherlei  kunst- 
reichen und  ergötzlichen  Zuthaten 
versehen  sind,  daneben  auch  astro- 
nomische Instrumente  und  ver- 
schiedenartige Figuren,  die  durch 
einen  künstlichen  Mechanismus  ihre 
Thätigkeiten  ausführen.  Die  GUuh 
fabrikation  und  Verarbeitung  dieses 


immer  wichtiger  werdenden  Stoffes 
ruhte  besonders  noch  in  der  Hand 
der  Venezianer.  Alle  köstlicheren 
Stücke  kamen  von  dort  her.  Im 
eigenen  Lande  machte  man  ausser 
den  Fensterscheiben  und  kleinen 
Spiegeln  nur  die  kleinen  Ge- 
fässe  für  den  Hausbedarf,  aller- 
höchstens  etwa  Deckelgläser  (Hum- 
pen )  mit  eingebrannten  Pinsel- 
zeichnungen. Auch  die  Töpferkunst 
und  Steingutfabrikation  blühte  in 
Italien  zumeist  und  ging  von  da 
nach  Frankreich  über.  Als  Werk- 
stätten letzterer  Art  waren  in  Deutsch- 
land und  in  den  Niederlanden  be- 
sondere Delft  und  Köln  bekannt. 
Köln  that  sich  auch  in  der  Teppich  - 
Wirkerei  und  Verarbeitung  des  ge- 
pressten  Leders  hervor. 

Der  neuen  Geschmacksrichtung 
folgte  auch  in  Deutschland,  wie 
anaerorts,  anfänglich  weniger  der 
Hof  und  der  Adel  überhaupt,  als 
das  vornehme  Bürgertum,  so  in 
Augsburg  die  Fugger  und  Welser. 
Der  Gelehrte  Beatus  Rhenanus  be- 
schreibt in  einem  Briefe  vom  Jahr 
1581  das  Haus  des  Anton  Fugger 
folgendermassen :  „Welch  eiuel  'rächt 
ist  nicht  in  Anton  Fuggers  Haus. 
Es  ist  an  den  meisten  Orten  ge- 
wölbt, und  mit  marmornen  Säulen 
unterstützt.  Was  soll  ich  von  den 
weitläufigen  und  zierlichen  Zim- 
mern, den  Stuben,  Sälen  und  dein 
Kabinette  des  Herrn  selbst  sagen, 
welches  sowohl  wegen  seines  ver- 
goldeten Gebälkes,  als  der  übrigen 
Zieraten,  und  der  nicht  cemeinen 
Zierlichkeit  seines  Bettes  das  aller- 
schönste  ist?  Es  stösst  daran  eine 
dem  heiligen  Sebastian  geweihte 
Kapelle,  mit  Stühlen,  die  aus  dem 
kostbarsten  Holze  sehr  künstlich 
gemacht  sind.  Alles  aber  zieren 
vortreffliche  Malereien  von  aussen 
und  innen.  Raymund  Fuggers  Haus 
ist  ebenfalls  köstlieh  und  hat  auf 
allen  Seiten  die  angenehmste  Aus- 
sicht in  Gärten.  Was  erzeuget  Ita- 
lien für  Pflanzen,  die  nicht  darin 


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1114 


Zimmerausstattung. 


anzutreffen  wären ,  was  findet  man 
darin  für  Lusthänser,  Blumenbeete, 
Baume,  Springbrunnen,  die  mit  Erz- 
hildern  der  Götter  geziert  sind? 
Was  fiir  ein  prächtiges  Bad  ist  in 
diesem  Teile  dos  Hausos.  Mir  ge- 
fiolon  dio  königlich  französischen 
Gärten  zu  Blois  und  Tours  nicht 
so  gut.  Nachdem  wir  ins  Haus 
hinaufgegangen,  beobachteten  wir 
sehr  breite  Stuben,  weitläuftige  Säle 
und  Zimmor,  dio  mit  Kaminen, 
aber  auf  sehr  zierliche  Weise,  zu- 
sammengefügt waren.  Alle  Thoren 
gehen  aufeinander  bis  in  die  Mitte 
des  Hauses,  so  dass  man  immer  von 
einem  Zimmer  ins  andere  kommt. 
Hier  sahen  wir  die  trefflichsten  Ge- 
mälde. Jedoch  noch  mehr  rührten 
uns.  nachdem  wir  ins  obere  Stock- 
werk gekommen,  so  viele  und  grosse 
Denkmale  des  Altertums,  dass  ich 
glaube,  man  wird  in  Italien  selbst 
nicht  mehrere  bei  einem  Manne 
finden.  In  einem  Zimmer  die  eher- 
nen und  gegossenen  Bilder  und  die 
Münzen,  im  anderen  die  steinernen, 
einige  von  kolossaler  Grösse.  Man 
erzählte  uns,  diese  Denkmale  des 
Altertums  seien  fast  aus  allen 
Teilen  der  Welt,  vornehmlich  aus 
Griechenland  und  Sizilien,  mit  grossen 
Kosten  zusammengebracht.  Ray- 
mund ist  selbst  kein  ungelehrter 
Mann,  von  edler  Seele." 

Einfacher  (das  reiche  Basel  aus- 
genommen) wohnte  man  in  der 
Schweiz.  Aloysius  v.  Orelli  schreibt 
zwischen  1 550  und  1 575  aus  Zürich, 
dass  überall  Reinlichkeit  die  grösste 
Zierde  sei.  daneben  aber  Einfach- 
heit herrsche.  Teppiche  habe  er  nur 
in  zwei  Häusern  vorgefunden.  Der 
vornehmste  Schmuck  der  Zimmer 
sei  das  nussbaumene  Getäfel  mit 
gotischem  Sehnitzwerk.  Die  Fuss- 
böden der  Wohnzimmer  seien  von 
Holz,  die  der  anderen  von  Backstein 
gemacht,  deren  viele  ohne  Zierat, 
andere  mit  einer  Blume  oder  einer 
sonstigen  Zeichnung  geziert  seien.  Die 
Zimmerdecke  dagegen  sei  vielfach 


köstlich  geschnitzt  und  bemalt,  hin 
und  wieder  mit  massivem  Gipswerk 
(Stuck)  in  Waffen  und  Harnischen, 
auch  etwa  mit  Gold  geziert.  Da- 
neben seien  lateinische  Denksprücbe 
hingemalt.  Zur  Erwärmung  der  Zim- 
mer bediene  man  sich  grosser  Ofen. 
Die  Trinkgefasse  seien  von  Zinn, 
oft  der  einzige  Schmuck  der  dunkln 
Stube,  dahertägTichblankgescbeu.>rt 
„Die  Gerätschaften"  —  schreibt  er 
weiter  —  „sind  auf  Dauer  gemacht 
wenig  zahlreich,  viel  weniger  pracb- 
tier,  aber  oft  in  gutem  Geschmack. 
Für  den  täglichen  Gebrauch  sind 
in  den  Wohnzimmern ,  längs  der 
Wand  und  um  einen  grossen  Tisch 
herum,  lange  Bänke  für  die  Haas- 
haltung hingestellt,  wovon  die  oberste, 
für  den  Herrn  und  die  Frau  des 
Hauses  bestimmt,  mit  Tuch  ausge- 
schlagen ist.  Kömmt  Gesellschaft 
so  werden  in  den  reichen  Häusern 
hölzerne  Stühle  hingestellt,  deren 
I  Sitz  mit  Saramet  beschlagen  nnd 
:  mit  seidenen,  auch,  doch  selten,  mit 
silbernen  und  goldenen  Fransen 
!  geziert  sind.  Weniger  Reiche  be- 
gnügen sich  mit  Stühlen,  mit  jre 
farbtem  Tuch  oder  Leder  ausge- 
schlagen, oder  mit  Polstern  darauf, 
von  den  Frauen  und  Töchtern  im 
Haus  gestickt;  mit  dergleichen,  und 
etwa  auch  mit  gestickten  Teppichen, 
werden  bei  festlichen  Anlässen  die 
Tische  bedeckt  Lehnstähle  halt 
dies  rüstige  Volk  nur  für  Kranke 
oder  Greise  tauglich."  Er  redet 
dann  von  der  Menge  silberner  und 
vergoldeter  Trinkgefasse.  Pokale 
Schüsseln  u.  dgl..  die  man  in  reichen 
Häusern  finde  und  mit  denen  hei 
festlichen  Anlässen  die  Tafel  gedeckt 
und  geschmückt  werde,  auch  von 
der  in  Sammet  gebundenen,  mit 
Silber  und  Gold  gezierten  Hau.*bibel 
und  fährt  dann  fort:  ..So  einfach 
und  haushälterisch  die  Speisen  im 
täglichen  Leben  sind,  so  einfach  ist 
auch  das  Tischgeräte.  Die  Ldflel 
sind  durchgängig  von  Holz 
Horn, 


- 


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Zimmerausstattung. 


1115 


die  des  Hausvaters  und  der  Haus- 
mutter, mit  ein  wenig  Silber  ver- 
ziert. Von  gleichem  Gehalt  sind 
auch  die  Teller  der  Gemeinen,  die 
der  Reichen  von  Zinn,  wenigstens 
des  Hausherrn  und  der  Hausfrau 
ihre.  Die  Schüsseln  sind  von  ver- 
zinntem Kupfer,  Zinn  oder  gebräun- 
ter Erde;  so  auch  die  Trinkgefässe. 
Glas  hat  man  nicht  zum  täg- 
lichen Gebrauche,  deshalb  sind 
die  Flaschen  von  hartgebranntem 
Thon,  die  Becher  hölzern  oder  von 
Zinn." 

Zu  bedenken  ist  bei  der  Beur- 
teilung? dieser  beiden  wertvollen 
Nachrichten,  dass  Rhenanus  den 
Haushalt  des  Bürgerfürsten,  Orelli 
aber  absichtlich  den  der  einfachen 
Bürgersleute  beschreibt,  und  dass 
sie  sich  darum  zur  Kombinierung 
eines  Gesamtbildes  gegenseitig  er- 
gänzen. Der  eigentliche  Bürger- 
stand wird  auch  in  Deutschland 
mehr  nach  der  zweiten  Schilderung 
gewohnt  und  gelebt  haben.  Wie 
viel  übrigens  zu  einem  mittleren 
Hausstand  schon  nötig  war,  be- 
schreibt Hans  Sachs  in  dem  um 
1544  erschienenen  Gedichte  „Der 
ganze  Haussrat  bey  drey hundert 
Stücken,  so  ungefehrlich  in  ein  jedes 
Hauss  gehört"  folgendermassen : 

„Erstlich  in  die  stuben  gedenk, 
Musst  haben  Tisch,  Stul,  Sessel  und 
Benk, 

Bankpolster,  Küss  und  ein  Faulbett, 
Giesskalter  und  ein  Kandelbrett, 
Handtzwehel,  Tischtuch,  Schüssel- 
ring, 

Pfannholz,  Löfl,  Teller,  Küpferling. 
Krausen,  Aengster  und  einBicrglass, 
Kuttrolff,  Trachter  und  ein  Salzfass, 
Ein  Külkessel,  Kandel  und  Flaschen, 
Ein  Bürsten,  Gläser  mit  zu  waschen, 
Leuchter.  Butzscher  und  Kerzen  viel, 
Schach,  Karten,  Würfel,  ein  Bret 
spiel, 

Ein  reisende  Uhr,  Schirm  und  Spiegel, 
Ein  Schreibzeug,  Tinten,  Papir  und 
Sigel, 


Die  Bibel  und  andere  Bücher  mehr 
Zu  Kurtzweil  und  sittlicher  Lehr. 
Damach  in  die  Kuchen  verfug 
Kessel,  Pfannen,  Häfen  und  Krug, 
Drifus8,  Bratsniess  gross  und  klein, 
Ein  Rost  und  Bräter  muss  da  seyn, 
Ein  Wurtzbuchs  und  ein  Essigfass, 
Mörser,  Stempffel,  auch  über  aas 
Ein  Laugenfass,  Laugenhäfen,  zwo 
Stützen, 

Zu  Fewersnot  ein  messen  Sprützen, 
Ein  Fischbret  und  ein  Ribeisen, 
Schüsselkorb,   Sturtze,  Spiknadeln 
preisen, 

Ein  Hakbrett,  Hakmesser  darzu, 
Salzfass,   Bratpfann,  Senflsehüssel 
zwu, 

Ein  Fülltrichter,  ein  Durchschlag  eng, 
Feimlöffl  und  Kochlöffl  die  meng. 
Ein  Spülstandt,  Panzerfleck  darbey, 
Schüssel  und  Teller  mancherlev. 
Pietz  klein  und  gross  ich  dir  nit  leug, 
Schwebel,  Zunder  und  Fewerzeug, 
Ein  Fewerzangen,  ein  Ofenkruken, 
Das  Fewerpöklin  zuhin  schmuken, 
Ein  Tegel,  Blassbalg,  Ofenrohr, 
Ein  Ofengabel  musst  haben  vor 
Kyn,  Spän  und  Holz  zum  Fewer 
frisch, 

Ein  Besen,  Strohwisch  ,und  Fleder- 
wisch, 

Auch  musst  du  haben  im  Vorrat 
In  der  S]>eisskammer  früh  und  spat 

Ein  Auf  hebschüssel,  ein  Zerlegteller. 
Nun  musst  auch  haben  in  demKeller 
Wein  und  Bier,  je  mehr  je  besser, 
Ein  Schrotleiterund  ein  Dambmesser, 
Ein  Fassbörer  muss  auch  da  seyn, 
Ein  Rören  und  ein  Kunnerlein, 
Ein  Stendtlein  und  auch  etlich  Kandel, 
Weinschlaueh  und  was  gehört  zu  dem 
Handel. 

Wilt  nun  in  die  Schlaf  kammer  gehn, 
i  Ein  Spanubett  muss  darinnen  stehn 
Mit  Strohsack  und  ein  Federbett, 
Polster,  Küss  und  ein  Deckbett, 
Deck,  Pruntzscherb,  Hamglass  und 
Betttuch 

Und  auch  ein  Truhen  oder  zwu, 
I  Darein  man  wol  beschliessen  thu 


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Ziuunerausstattung. 


1116 


Gelt,  Silbergeschirr  und  Pocaln, 
Kleinat,  Sehe  wem,  Porten  undSchalu. 


Auch  mus8t  du  haben  ein  Gewand- 
halter. 


Auch  wie  man  zu  dem  Gwand  muss 
brauchen 

Ein  G wandbürsten  und  ein  Gwaud- 
besen. 


Auch  musst  sunst  haben  in  gemein 
Vil  Hausratt  iu  dem  Hause  deiu, 
Damit  man  täglich  flück  und  besser 
Ein  Segen,  Reben-  und  Scheitmesser, 
Hammer,  Negel,  Maissl  und  Zangen, 
Hobel,  Handbeihl,  einLaiter  hangen, 
Schaufel,  Hawen,  Axt  nutzt  man  gern, 
Ein  Rechen,  Sehlegel  und  Latern. 
Auch  Werkzeug  mancherlei  Vorrath 
Zum  Handel  selb  in  dein  Werkstatt. 


Auch  musst  du  für  dein  Maid  und 
Frawen 

Nach    einem    Spinnrädlein  umb- 

schawen, 
Rocken,  Spindel  und  Hespa  gut, 
Scher,  Nadel,  Ein  und  Fingerhut, 
Ein  schwarzen  und  ein  weissen  Zwirn, 
Markkorb,  Tragkorb,  Fischsack,  kern 

ihm, 

Auch  muss  sie  haben  zu  dem  Waschen 
Laugen,  Seiffen,  Holz  und  Aschen, 
Multer,  Waschböek  und  Züberleiu, 
Gelten  und  Scheffel,  gross  und  klein, 
Schöpfer,  Waschtisch,  Wasehpleul 

und  Stangen, 
Daran  mau  die  Wesch  auf  thut  hangen. 

Wenn  man  dann  ins  Bad  will  gan, 
Hin  Krug  mit  Laugen  muss  man  hau, 
Badmantel,  Badhut  und  Haubtuch, 
Beck,  Pursten,  Kamp,  Schwammen 

und  pruch. 
Geht  dann  dieFraw  mit  einem  Kindel, 
So    tracht    umb  vierundzweinzig 

Windel, 

Ein  Fürhang  und  ein  Rumpelkess, 
Weck,  Käss  und  Obst  zu  dem  Ge- 
fräss, 

Ein  Kindlbett,  dem  Kindt  ein  Wiegen, 


Musst  hüben  Milch,  Mal  und  k 
pfanneu, 

Ein  Kindmaidt  und  ein  Lüdelein. 


Kannst   du    solches   alles    nit  er- 
schwingen, 
Musst  in  versetzten  Thon  da  singen. 

So  hab  ich  dir  gelt  ausgesundert 
Des  Hausrathsstück   bis   iii  drey- 
hundert, 

Wiewol  noch  viel  gehört   zu  den 
Dingen. 

Traust  du  dir  den  zuwegen  bringen 
Und  darzu  Weib  und  Kind  ernähren. 
So  magst  du  greiften  wol  zu  ehren, 
Daruinb  bedenk  dich  wol,  es  liegt 
an  dir.** 


Die  Möbel  nahmen  au  Uuifang 
zu.  Als  Sitze  blieben  die  I^ekn- 
scsscl,  S fühle,  Schemel,  Ranire  und 
sophaartiqc  (wes/elle  in  Gebrauch. 
Die  Rücklehnen  der  Sessel  wurden 
hie  und  da  etwas  rückwärts,  die 
Armlehnen  etwas  einwärts  geneigt 
Doch  blieben  im  Durchschnitt  die 
gerade  Linie  und  der  rechte  Winkel 
herrschend.  Die  KlappstüJifo  kamen 
bedeutend  in  Abgang,  wie  auch  die 
feststehenden  hohen  Geatühle,  alles 
musste  möglichst  leicht  und  be  weglich 
sein.  Statt  der  aufgelegten  Kissen 
brachte  man  jetzt  festgenagelte  Kü- 
ster an.  Die  Lehuen  waren  ent- 
weder auch  gepolstert  oder  aus  Stab- 
werk mit  reicher  Verzierung  aufge- 
baut, in  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahrhunderts  wie  die  Sitze  selber 
oft  ein  künstliches  aber  derbes  Hokr- 
gefleckt.  Metallene  Stühle  wurden 
selten.  Die  gleiche  Wandlung  maeb- 
ten  auch  die  verschiedenen  Arten 
der  Bänke  durch,  bis  sie,  die  Bank 
kästen  zuerst,  gegen  Ende  des  Jahr- 
hunderts aus  den  Wohnzimmern 
von  Stil  ganz  verschwanden  und 
höchstens  noch  etwa  in  deu  Vor- 
zimmern und  Tanzsälen  geduldet 
waren.  Die  Wandlungen  der  7X#eÄr 
dieser  Zeit  sind  bedeutend  und  be- 
schränken sich   hauptsächlich  auf 


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Zimmerausstattung. 


1117 


die  Verzierungen  des  Fussgestelles. 
Neu  traten  grosse  halbrunde,  drei- 
fünsige  Tische  hinzu,  die  beliebig 
als  Ziertische  an  die  Wand  gestellt 
oder  je  zu  zweien  auch  als  Speise- 
tisch Denutzt  werden  konnten.  Die 
reichlichste  Durchbildung  erfuhren 
die  Schreibtische,  durch  die  Erfindung 
der  Buchdruckerkunst  veranlasst. 
Doch  bereitete  man  auch  jetzt  schon 
besondere  Büchergestelle,  die  wie  che 
Büßet*  und  Schautische  sich  zu  köst- 
lichen Schaustücken  herausbildeten. 
Die  Truhen  und  Schränke  kommen 
auch  jetzt  noch  nebeneinander  vor, 
doch  werden  die  letzteren  häufiger 
und  dienen  erstere  fast  ausschliess- 
lich nur  noch  zum  Versorgen  der 
Leibwäsche  u.  dgl.;  überhaupt  ver- 
sehen sie  den  Dienst  unserer  Kommo- 
den, während  Kleider  und  Schmuck- 
sachen an  die  Schränke  übergehen. 
Die  „Toilette"  dagegen  bildete  nur 
in  Ausnahmefällen  ein  zierlicher 
Koffer;  in  der  Regel  war  sie  ein 
einfaches  Tuch  oder  ein  aus  dem- 
selben bereitetes  Säckchen,  das  alles 
das  in  »ich  barg,  was  zur  Nachtzeit  und 
beim  Morgenauputz  erforderlich  war. 

Die  Ausartung  blieb  auch  dies- 
mal nicht  aus.  Von  den  dreissiger 
Jahren  des  77.  Jahrhunderts  an  hatte 
die  Willkür,  der  „Barockstil"  über 
die  Renaissance  den  Sieg  davonge- 
tragen. Auch  er  ^ing  von  Italien 
aus  und  nahm  seinen  Weg  über 
Frankreich  zu  uns.  Freilich  ver- 
mochte er  auf  deutscher  Erde  weniger 
leicht  Fuss  zu  fassen,  auf  der  über- 
haupt der  furchtbare  Bruderkrieg 
alles  künstlerische  Leben  für  einige 
Zeit  darniederhielt.  Deutschland 
verfiel  in  dieser  Hinsicht  mehr  als 
in  jeder  andern  sklavisch  dem  Arme 
Frankreichs.  Die  Tafeigernte,  'lYink- 
und  (Hessgefässe  erlitten  freilich 
neben  einer  Vervollständigung  einer- 
seits in  gewisser  Beziehung  eine  Ver- 
minderung. Die  Brunnen  und  Drei- 
füsse  gingen  in  den  zwanziger,  die 
Schiffe  und  schiffsformigen  Becken 
in  den  dreissiger  Jahren  ab.  Auch 


als  Trinkgefässe  bleiben  in  der  Haupt- 
sache nur  noch  bestehen  die  Humpen, 
Kelche,  Becher  und  Schalen.  Die 
Zimmermöbel  verlieren  wieder  an 
Umfang,  da  es  immer  mehr  beliebte, 
sie  nicht  für  einen  bestimmten  Stand- 
ort fest,  sondern  möglichst  leicht  be- 
wegbar herzustellen.  Als  Verzie- 
|  rungen  dauern  die  Schnitzereien  fort, 
|  doch  beliebter  sind  die  Einlagen  und 
aufgesetzten  Verzierungen  von  far- 
bigem Gestein,  Glas,  Schildpatt  und 
besonders  von  Metall,  Silber  oder 
vergoldeter  Bronze.  Für  die  Sitze 
erhielt  sich  bis  stark  auf  die  Mitte 
des  Jahrhunderts  die  gerade  Linie 
und  der  rechte  Winkel  noch  fast 
durchweg,  worauf  sie  aber  durch 
die  geschwungene  verdrängt  wurde, 
die  anfänglich  auf  die  Armlehne, 
dann  auf  die  Rücklehne  und  in  den 
siebziger  Jahren  auf  die  Füsse  über- 
tragen wurde,  worauf  sie  auch  für 
die  Sitzplatte  durchweg  gefordert 
wurde.  Die  Polsterungen  nahmen 
an  Umfang  noch  immer  zu.  Sie 
dehnten  sich  nicht  nur  über  den  Sitz, 
sondern  bald  auch  über  dir  Rück- 
und  Armlehnen  aus.  Zum  Uberziehen 
der  Polster  verwendete  man  statt 
des  bisher  üblichen  Leders  und  Samts 
mit  Vorliebe  bestickte  Seidenstoffe. 
Die  IHsche  machten  die  gleiche 
Wandlung  durch.  Auch  sie  erhiel- 
ten namentlich  gezierte  und  ge- 
schwungene Füsse.  Die  eigentlichen 
Gebrauchsschränke  behielten  ihre 
Form  läuger,  während  die  Kumt- 
schränke eine  kleinkünstlerische 
Prachtarchitektur  von  oft  wunder- 
licher Durchbildung  erfuhren.  In  der 
zweiten  Hälfte  des  Jahrhunderts  er- 
scheint dann  auch  ein  schrankarti^er 
Behälter  mit  ein  oder  zwei  Schieb- 
kasten von  durchgehender  Länge  als 
Vorläufer  der  Kommode,  welche  die 
Truhe  zu  verdrängen  bestimmt  war. 
und  gegeu  Ende  des  Jahrhunderts 
kam  ein  Toiletten  -  Geräte  auf,  be- 
stehend in  einem  tischartigen  Schrank 
mit  schmalem  Ausziehkästchen  und 
daraufruhendem  Spiegel. 


* 


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1118 


Ziu.  -  Zoll. 


Das  18.  Jahrhundert  endlich 
brachte  wieder  seine  besonderen 
Verhältnisse.  Namentlich  seit  dem 
zauberhaften  Aufblühen  derjieuen 
russischen  Hauptstadt  wurden  auch 
in  deutschen  Städten  die  Neubauten 
zu  Palästen,  damit  aber  auch  zu  ka- 
sernenartigen Mietshäusern,  die  dem 
Familienleben  nach  altem  Brauche, 
überhaupt  dem  „deutschen  Hause" 
den  Todesstoss  gaben.  Natürlich 
wirkten  noch  viele  andere  Umstände 
mit.  Was  speziell  die  Ausstattung 
der  Zimmer  anbelangt,  so  zeigte  sich 
bald,  dass  mehr  und  mehr  das  Hand- 
werk von  der  Kunst  sich  trennte 
und  dadurch  in  Misskredit  kam.  Die 
Maschinen  halfen  treulich,  den  Wert 
einer  Arbeit  mehr  nach  der  Quan- 
tität zu  bemessen,  als  nach  der  Quali- 
tät, und  die  bald  allseitig  eröffnete 
Konkurrenz  brachte  endlich  die  Zu- 
stände unserer  Zeit. 

Nach  Weinhold,  die  deutschen 
Frauen,  und  Weiss,  Kostümkunde. 

Ztu,  got.  7V?/x .  angelsächB.  ZY«, 
ahd.  Ziu  und  Zio,  altnord.  rJ)/r,  war 
der  Gott  des  lichten  Himmelsge- 
wölbes, der  Vater  Himmel;  er  ent- 
spricht dem  Laut  und  Begriff  nach 
dem  griechischen  Zeus  und  dem 
römischen  Jupiter.  Nach  ihm  ist 
der  dritte  Wochentag,  ahd.  Zhcestac, 
Dienstag,  oberdeutsch  Ziestig  ge- 
nannt. Sonst  weiss  man  wenig  von 
ihm.  Er  gilt  als  der  Gott ,  den 
Tacitus  Germania  39  den  National- 
gott der  Semnonen  nennt,  welche 
sich  für  die  ältesten  und  edelsten 
der  Sueven  ausgeben.  „Zu  einer  be- 
stimmten Zeit  des  Jahres  schicken 
alle  stammverwandten  Völkerschaf- 
ten ihre  Vertreter  her  in  einen  durch 
die  Weihe  der  Vorfahren  und  das 
mit  Ehrfurcht  erfüllende  Wesen  der 
Vorzeit  geheiligten  Wald,  und  mit 
einem  für  den  Staat  gebrauchten 
Menschenopfer  beginnt  die  schaurige 
Feier  nach  barbarischer  Sitte.  Noch 
in  anderer  Weise  zeigt  sich  die 
religiöse  Elirfurcht,  mit  der  dieser 
Hain  verehrt  wird:  Niemand  betritt 


ihn  anders,  als  gefesselt, 
Unterwürfigkeit  unter  die  Gewah 
der  Gottheit  zu  bekunden.  Fall: 
etwa  einer  zu  Boden,  so  darf  er 
weder  aufstehen,  noch  sich  aufrit-b- 
ten  lassen;  auf  dem  Boden  mos*  er 
sich  hinaus  wälzen.    Alle  diese  reh 
erlösen  Gebräuche  weisen  dahin,  dass 
hier  die  Wiege  des  Volkes  sei,  da* 
hier  der  alles  beherrschende  Oed 
wohne,  dem  alles  andere  untertl 
und  dienstbar  sei.44  Noch  in  Gl« 
des  9.  und  10.  Jahrhunderts  werdet) 
die  Schwaben  Ziu  wart,  Männer  de- 
Ziu  genannt;  Augsburg  nies«  nacb 
dem  Kulte  des  Gottes  Ztesburc*  Burj 
des  Ziu.  Da  der  Himmel  die  Strahlt  d 
des  Lichtes  wie  des  Blitzes  aussen 
det,  die  man  mythisch  mit  Schwert 
und  Pfeil  verglich,  so  warde  Ziu  « 
einem  Schwert-  und  Kriegsgotte. 
daher  er  auch  in  seinem  Wochen 
tage  den  Mars  vertritt.  Als  Kriegs- 
gott führte  er  den  Beinamen  -drAr-w. 
angelsächs.  Earh,  Ear,  ahd.  Errk 
/r.  d.  i.  Strahl,  Pfeil,  got.  hairu  = 
Schwert;   daher  der  Dienstag  iL 
Bayern  auch  Erstag,  Irtag  heisst 
Von  ihm  hatte  die  »Stadt  AW*&rry 
an  der  Diemel,  jetzt  Stadt  bergen, 
den  Namen.  Für  einen  besonderen 
Namen  des  Ziu  hält  man  tlen  süchsi 
sehen  Namen  Sahsnot,  d.  i.  der  des 
Schwertes  geniessende,  waltende, 
der  nur  aus  der  sächsischen  Ab 
schwörungsformel  bekanntist.  Afam*~ 
hardt,  Götterwelt,  S.  262  ff. 

Zoll,  ahd.  und  mhd.  der  zol,  ent- 
lehnt aus  dem  gleichbedeutenden 
griechisch  -  mittellateinischen  teh*- 
nium  wie  Maut,  mhd.  mute,  ahd. 
und  mittellat.  müta,  got  motu,  zu 
lat.  mutare  =  verändern,  wechseln, 
ist  eine  den  Deutschen  ursprünglich 
fremde,  aus  dem  römischen  Reiche 
in  das  merovingisch-fränkische  her- 
übergenommene Abgabe ,  die  ur- 
sprünglich keinen  anderen  Zweck 
hat  als  Geld  aufzubringen.  Die 
Zölle  sind  urerjrünglich  weder  Aus- 
fuhr- noch  Einfuhrzölle,  sondern 
Transitzölle,  insofern  sie  überall  ge- 


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Zoll. 


1119 


zahlt  werden,  wo  eine  Ware  eine 
bestimmte  Zollstätte  passiert;  diese 
letzteren  aber  sind  überall  angelegt, 
wo  ein  lebhafterer  Verkehr  statt- 
findet, nicht  bloss  an  den  Häfen 
oder  an  den  Grenzen,  sondern  auch 
an  allen  bedeutenden  Städten.  Be- 
stimmte Zolllinien  gab  es  nicht,  so 
wenig  als  es  einen  Zoll  für  den  Ort 
gab,  wohin  die  Ware  bestimmt  war; 
vielmehr  musste  diese  einfach,  so 
oft  sie  einer  Zollstätte  begegnete, 
die  festgesetzte  Abgabe  zahlen.  Diese 
scheint  ungefähr  nach  dem  Wert 
und  dann  nach  ganzen  Wagen-  oder 
Schiffsladungen  berechnet  zu  sein. 
Die  Zahlung  geschah  regelmässig 
nicht  in  Geld,  sondern  in  den  Waren 
selbst.  Regelmässig  war  mit  jedem 
Markt  eine  Zollerhebung  verbunden, 
welche  erlassen  wurde,  um  einen 
neuen  Markt  zu  begünstigen,  oder 
demjenigen  zufiel,  dem  der  Markt 
gehörte;  bestimmten  Personen  oder 
geistlichen  Stiftern  wurde  unter  Um- 
ständen Zollfreiheit  für  alle  oder 
einzelne  Gegenstände  verliehen.  Ab- 
gaben ähnlicher  Art  wurden  für  die 
Erlaubnis  erhoben,  gewisse  Strassen 
zu  Lande  oder  zu  Wasser  zu  pas- 
sieren, Strassengelder,  Brückengel- 
der, Thorgelder,  Marktgelder,  Last- 
tiergelder, Wagengelder,  nach  den 
Rädern  oder  der  Deichsel  berech- 
net u.  a. 

Diese  Zustände  blieben  im  ganzen 
und  grossen  wahrend  des  Mittel- 
alters herrschend:  eine  Abgabe  auf 
den  Märkten  und  überhaupt  bei 
allem  Handel,  ein  Schiffsgeld  in  den 
Hafen  und  an  den  Flüssen,  und  eine 
Zahlung,  die  hauptsächlich  an  den 
Brücken  und  anderen  Übergangen, 
dann  aber  auch  in  Städten  vorkam. 
Unter  mancherlei  Vorwand  wurden 
die  Leistungen,  namentlich  der  letz- 
teren Art,  nicht  bloss  im  Namen 
dts  Staats,  sondern  auch,  häufig 
inissbräuchlich,  von  den  Anwohnern 
der  Strassen  und  Flüsse  und  den 
Erbauern  der  Brücke  erhoben.  Oft 
wurde  über  alle  diese  Abgaben  zu 


gunsten  anderer  verfügt,  sei  es,  dass 
der  König  Zollfreiheiten  erteilte, 
bald  allgemein,  bald  für  bestimmte 
Routen  oder  Gebiete,  für  eine  be- 
stimmte Anzahl  von  Waren  und  eiue 
bestimmte  Anzahl  von  Schiffen,  Bei 
es,  dass  die  Erträgnisse  selbst  oder 
gewisse  Quoten  an  andere,  nament- 
lich an  geistliche  Stiller  verliehen 
wurden,  welche  dann  regelmässig 
selbst  die  Erhebung  und  ihre  eigenen 
Zöllner  hatten.  So  kamen  Zölle  und 
ähnliche  Abgaben  in  die  Hände  von 
Privaten ,  was  wiederum  allerlei 
Missbräuche  zur  Folge  hatte.  Feste 
Grundsätze  über  die  Hohe  der  Ab- 
gaben gab  es  nicht. 

Mehr  und  mehr  war  der  Zoll  aus 
den  Händen  des  Reiches  in  den  Be- 
sitz der  Landesherren  und  Gemein- 
den übergegangen  und  dadurch  die 
ehemals  so  ergiebige  Einnahmequelle 
des  Reiches  versiegt;  auch  die  Ober- 
aufsicht über  das  Zollwesen  war  seit 
Friedrich  II.  und  seinen  Nachfol- 
gern an  das  Kurfürstenkollegium 
gekommen,  welches  sich  jene  regel- 
mässig in  den  Wahlkapitulationen 
vom  Kaiser  bekräftigen  liess.  Das 
Bestreben,  den  landesherrlichen  Zoll- 
besitz .gegen  den  Widerspruch  der 
Unterthauen  und  die  Zolleinnahmeu 
durch  Befriedigung  der  Landstrassen 
zu  sichern,  machte  seit  dem  14. 
Jahrhundert  das  Zollwesen  zum  Ge- 
genstand öffentlicher  Verträge  oder 
Aolleinigungen  zwischen  den  Lan- 
desherren, die  neben  den  Landfrie- 
den hergingen  oder  in  denselben  ein- 
geschlossen waren.  Beim  städtischen 
Zollwesen  ist  zwischen  Markt-  und 
Durchfuhrzöllen  zu  unterscheiden; 
jene  kamen  früher  als  diese  in  den 
Besitz  der  Städte  und  waren  un- 
trennbar mit  dem  Marktrechte  ver- 
bunden (vgl.  den  Art.  Städte);  so 
zwar,  dass  beides  ursprünglich  dem 
Herrn  des  Marktes  gehörte,  von 
dem  die  Gemeinde  es  erst  gemäss 
ihrer  örtlich  bedingten  Verhaltnisse 
durch  Verpfändung,  Kauf  oder  Be- 
leihung  au  sich  brachte,  worauf  es 


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1120 


Zunft-  und  Gildewesen. 


erst  zu  einem  unabhängig  verwal- 
teten städtischen  Zollwesen  umge- 
staltet werden  konnte;  dieses  ge- 
schah seit  dem  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts. Verleihungen  von  Weg- 
und  Brückengeldern  an  Städte  und 
Gemeinden  werden  ebenfalls  häufig, 
und  seit  dem  14.  Jahrhundert  be- 
gannen Zollerwerbungen  durch  ein- 
zelne Bürger.  In  jeder  Stadt  ge- 
staltete sich  übrigens  das  Zollrecht 
anders,  stand  aber  den  landesherr- 
lichen Zollrechten  gleichwertig  zur 
Seite.  Von  besonderer  Wichtigkeit 
für  die  Städte  sind  die  Zollljefrei- 
ii liefen ,  die  sich  jene  mit  Plan  und 
Überlegung  an  allen  denjenigen  Zoll- 
stätten zu  erwerben  suchten,  welche 
auf  den  für  die  Stadt  wichtigen 
Handelslinien  lagen.  Darin  liegen  die 
Anfange  einer  städtischen  Handels- 
politik, die  sich  namentlich  seit  dem 
Ende  des  12.  Jahrhunderts  in  Gegen- 
seitigkeitsverträgen manifestierte. 
Diejenigen  zwischen  Hamburg  und 
Lübeck  bilden  den  Ausgangspunkt 
für  die  Handelspolitik  der  Hansa. 
Auch  die  Landesherren  richteten  seit 
dem  13.  Jahrhundert  ähnliche  Ver- 
träge mit  den  Städten  auf;  Nürn- 
berg z.  B.  erwarb  sich  auf  solche 
Weise  Zollfreiheit  in  mehr  als  70 
Städten.  Damit  aber  dennoch  das 
alte  Zollrecht  gewahrt  bleibe,  wurde 
die  Zollfreiheit  immer  nur  als  eine 
freiwillig  gegebene  Vergünstigung 
aufgefasst,  um  welch«*  formell  der 
Begünstigte  jährlich  von  neuem 
nachsuchen  musste;  es  geschah  das 
durch  gesetzlich  bestimmte  symbo- 
lische Geschenke,  die  sich  seit  dem 
15.  Jahrhundert  zu  bunten  Förm- 
lichkeiten ,  in  Frankfurt  a.  M.  z.  B. 
zum  Pfeittergericht  ausgestalteten. 
Die  Geschenke  bestanden  aus  dem 
Zeichen  der  ursprünglich  königlichen 
Landesobri^keit,  den  Handschuhen, 
entweder  einem  Paar  oder  nur  dem 
rechten,  und  zwar  ohne  Daumen. 
Darau  schloss  sich  das  weisse  Stab- 
Irin,  das  Svmbol  der  anerkannten 
Gerichtsbarkeit  der  Zoll-  und  Markt- 


herren; als  Symbol  für  die  ursprüng- 
lich in  Waren  bezahlten  Abgaben 
galt  der  Pfeffer,  das  Lieblingsge- 
würz des  Mittelalters.  Ein  anderes 
symbolisches  Überbleibsel  des  Na- 
turalzolles  war  der  Hut ,  wozu  an 
manchen  Zollstätten  noch  Hutschnürt 
kamen;  Überbleibsel  des  alten  Na* 
turalzolles  von  Holzwaren  war  der 
toeisse  hölzerne  Becher,  der  vielleicht 
auch  für  den  Weinzoll  vorkam;  der 
Waffenhandel  bewahrte  sein  An- 
denken in  der  Übergabe  eines 
Schwertes  oder  Degens;  Gürtler- 
oder Sattlerwaren  wurden  durch 
einen  ledernen  Gürtel,  der  Eisen- 
haudel  durch  ein  eisernes  Gefiiss  oder 
ein  Pack  Sahnadeln  repräsentiert 
Derjenige  Beamte,  dem  die  Auf- 
sicht über  den  Zoll  oblag,  hiess  der 
Zöllner,  neben  welchem  seit  den» 
13.  Jahrhundert  ein  ZolUckreifier 
erscheint;  mit  dem  Amte  des  Zöll- 
ners war  immer  eine  strafrechtlich»1 
Gewalt  gegen  die  Übertreter  der 
Zollgesetze  verbunden.  J.  Falke, 
Geschichte  des  deutschen  Zo  11  wesen*. 
Leipzig  1869;  Waitz,  Verfassungs- 
Geschichte. 

Zunft-  und  Gildewesen,  ine 
Entwickelung  des  genossenschaft- 
lichen Triebes  bewegte  sich  ur- 
sprünglich in  den  natürlich  erwach- 
senen Gemeinschaften  des  Ge- 
schlechts, der  Nachbarschaft,  der 
Mark,  des  Hauses  und  des  Volkes; 
über  ihnen  erhoben  sich  mit  der 
Auflösung  namentlich  des  Ge- 
schlechtverbandes die  Herrschaib- 
I  und  Dienstverbäude.  Die  letale 
I  Stufe  der  Genossenschaften  bilden 
endlich  die  freien  oder  gewillkürt,  u 
I  Genossenschaften,  welche  bloss  der 
gegenseitige  Eidschwur,  die  feier- 
liche Willenserklärung  ins  I>asoin 
rief.  Ihr  ältester  Name  ist  Gilde, 
und  die  Zeit  ihrer  Entstehung  die- 
jenige der  beginnenden  Auflösung 
j  der  alten  genossenschaftlichen,  l»e- 
sonders  der  geschlechtsgenoascu- 
8chaftlichcn  Verbände ;  die  erste 
Nachricht  solcher  auf  ger 


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Zunft-  und  Gildewesen. 


1121 


manischer  Grundlage  beruhenden 
Einungen  findet  man  in  eiuein  Ka- 
pitular  vom  Jahre  779.  Sie  er- 
streckte sich  auf  alle  Seiten  des 
Lebens ,  auf  den  ganzen  Menschen, 
hatte  also  zugleich  religiöse,  gesel- 1 
Hge,  sittliche,  privatrcchtlichc  und  i 
politische  Ziele;  Teilnahme  an  einer 
Gilde  schloss  von  jeder  andern  der- 
artigen Genossenschaft  aus,  und 
wenn  auch  häufig  ein  bestimmtes  ] 
Bedürfnis  Anlass  zur  Vereinsbildung 
gab  und  demgemäss  der  Verein  I 
vorzugsweise  nach  einer  bestimmten 
Seite  fortgebildet  wurde,  so  waren 
die  Genossen  doch  auch  immer  zu- 
gleich für  alle  andern  menschlichen 
Gemeinschaftszwecke  vereint.  Als 
religiöse  Genossenschaft ,  als  eine 
Gemeinschaft  des  Kultus,  wie  dies 
wahrscheinlich  auch  die  Wortbe- 
deutung ihres  Namens  anzeigt,  hatte 
die  Gilde  einen  Heiligen  als  Schutz- 
patron, der  ihr  meist  den  Namen 
gab,  und  einen  besondern  Altar; 
Stiftung  von  Wohlthätigkeitsinstitu- 
ten,  ewigen  Messen  u.  dgl.  waren 
Vereiuszweck,  ebenso  Sorge  für  das 
Begräbnis  und  das  Seelenheil  ver- 
storbener Genossen.  Regelmässige 
Zusammenkünfte,  teils  in  Erinne- 
rung heidnischer  Opfer-  und  Toten- 
mahle, teils  als  christliche  Liebes- 
mahle ,  wahrten  einen  religiösen 
Charakter  und  lagen  zugleich  dem 
geselligen  Charakter  der  Gilden  zu 
Grunde,  die  man  daher  auch  eonvivia 
nannte.  Aber  auch  sonst  hatte  die 
Gilde,  die  man  auch  Brüderschaft, 
confraternitas  hiess ,  für  den  er-  \ 
krankten,  verarmten  oder  notleiden- 
den Bruder  zu  sorgen,  wozu  regel-  , 
massige  Beitrage  der  Mitglieder  in 
Anspruch  genommen  wurden.  Im 
öffentlichen  Recht  traten  sie  als 
Körperschaften  zur  Abwefir"  des 
Unrechtes  auf  und  nahmen  als  solche 
den  Charakter  von  Schutzgilden  an,  j 
welche  durch  gemeinsame  Selbst- 
hilfe den  vom  Staate  nicht  mehr 
gewährten  Rechtsschutz  zu  errei- 
chen suchten;  sie  sollten  das  Eigen- ! 
Remllexicon  der  deutschen  Altertümer. 


tum,  die  Person,  das  Leben  und 
die  Freiheit  jedes  Genossen  schützen, 
ihm  durch  Zeugnis  und  Eideshilfe 
vor  Gericht  beistehen.  Ihre  Orga- 
nisation ging  von  der  Versammlung 
aller  Vollgenosseu  aus,  die  teils  zu 
regelmässigen  Zeiten,  teils  auf  be- 
sondere Berufung  stattfand.  Es  be- 
stand ein  besonderer  Gildffriede 
und  ein  Gilderecht.  Ein  eidliches 
Gelöbnis  oder  eine  anderweitige 
Erklärung  band  die  Genossen  zu- 
sammen. 

Während  nun  aber  in  England 
das  Gildewesen  von  seiner  Ent- 
stehung an  in  einen  organischen 
Zusammenhang  mit  dem  Staate  ge- 
bracht wurde,  traten  im  fränkischen 
und  anfangs  auch  im  deutschen 
Reich  Staat  und  Kirche  der  freien 
Einung  auf  das  Entschiedenste  ent- 
gegen und  sowohl  königliche  Ver- 
ordnungen als  kirchliche  Gesetze 
und  Konzilienbeschlüsse  suchten  ' 
sie  zu  unterdrücken,  aber  ohne  Er- 
folg. 

Früh  trat  eine  Spaltuug  des 
Gildewesens  in  gewisse  Hauptzweige 
ein,  zuerst  eine  Scheidung  aer  geist- 
lichen und  weltlichen  Bruderschaften, 
ohne  dass  diese  beiden  Zwecke  im- 
mer geschieden  gewesen  wären.  Die 
geistlichen  Bruderschaften  verbrei- 
teten sich  im  8}>ätern  Mittelalter  so. 
dass  in  einer  grösseru  Stadt  oft  bis 
zu  hundert  vorhanden  waren,  doch 
sind  sie  schon  weit  früher  nachge- 
wiesen. Auch  sie  übten  neben  reli- 
giösen Zwecken  solche  der  Gesellig- 
keit und  des  Rechtes,  hatten  ein 
Gildehaus,  das  zugleich  als  Ver- 
sammlungsort, Festsaal  und  Trink- 
stube diente.  Eine  besondere  Art 
derselben  sind  die  Kalandsgilden. 
Vgl.  den  Artikel  Bruderschaften. 
Uie  weltlichen  Gilden,  bei  denen 
die  religiöse  Bedeutung  mehr  zu- 
rücktrat, bilden  vor  allem  die  poli- 
tische Seite  ihrer  Vereinigung,  die 
Friedens-  und  Rechtsgenossenschaft 
aus,  sie  wurden  Schutzgilden,  von 
denen  sich  hauptsächlich  aus  eng- 

71 


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1122 


Zunft-  und  Gildewesen. 


lischen,  dänischen,  französischen  und 
niederländischen  Städten  Nachrich- 
ten erhalten  haben.  Auch  in  Deutsch- 
land haben  ohne  Zweifel  schon  vor 
Entstehung  der  Stadt  Verfassung  ähn- 
liche Gilden  bestanden;  aber  uur  von 
der  Richerzeche  in  Köln  vermag 
man  mit  Bestimmtheit  zu  sagen, 
dass  sie  eine  sehr  alte  Schutzgilde 
unter  den  Mitgliedern  der  altfreien 
Markgemeinde  Kölns  gewesen  ist; 
dieselbe  wurde   später  zum  Aus- 

Sngsjmnkt  der  ältesten  Stadtver- 
jsung  Deutschlands. 
Denn  erst  in  den  Städten,  für 
welche  die  Entwickelung  eines  rei- 
chen und  selbständigen  genossen- 
schaftlichen Lebens  geradezu  cha- 
rakteristisch ist,  vollzog  sich  die 
Entwickelung  der  freien  Einungen 
zu  bleibenden  und  staatlich  höchst 
wirksamen  Instituten.  Zwar  die  ur- 
sprünglichen, aus  der  vorstädtischen 
Periode  herrührenden  Lakai-  oder 
Spezial-Getneinden,  die  sich  in  eini- 
gen ältern  und  grössern  Städten  er- 
hielten, waren  nicht  gerade  wichtig; 
doch  hatten  sie  hier  immerhin  recht- 
liche ,  kriegerische ,  religiöse  und 
wirtschaftliche  Bedeutung;  in  kirch- 
licher Beziehung  waren  sie  Pfarreien. 
Besonders  ausgebildet  findet  man 
sie  als  Bur(fgenossenschaften  in  Köln, 
wo  sie  ein  eigenes  genossenschaft- 
liches Recht  besassen.  Wichtiger  als 
diese  lokalen  sind  die  auf  freier 
Vereinigung  beruhenden  bürger- 
lichen Genossenschaften,  in  erster 
Linie  die  Köperschaften  desGesehlech- 
lerstandes.  Es  waren  dies  die  pa- 
trizischeu  sogenannten  Altbürger- 
ffUde.tiy  die  teils  aus  den  alten  Schutz- 
gilden  oder  Brüderschaften  aller 
Vollbürger,  teils  aus  neuen  im  Ge- 
gensatz zu  den  Körperschaften  der 
aufstrebenden  niederen  Stände  ge- 
schlossenen Vereinigungen  hervor- 
gingen; sie  hiessen  höchste  Gilde, 
Aechc  der  Reichen  oder  Genannten, 
Stuhen ff esell schaffen,  Artushöfe,  Jun- 
kerkompagnien,  KonstaJTeln  (aus  am- 
s/almlus,    Oberstallmeister,  franz. 


connestahle],  Gewerhschaften,  in  Ita- 
lien und  Frankreich  Hallen  oder 
Lauben.  Sie  waren  Rechtsschutz- 
vereine und  übten  eine  gewisse  Ge- 
richtsbarkeit über  ihre  Mitglieder 
aus,  hatten  ihren  Schatzpatron,  ihre 
Kapelle,  pflegten  auf  ihrer  Triuk- 
stube  der  Geselligkeit,  übten  gegen- 
seitige Unterstützung  und  besa»sen 
bewegliches  und  unbewegliches  Kor- 
porationsvermögen. Als  Hauptbe- 
stimmung der  Genoasenschaft  aber 
erschien  mehr  und  mehr  die  Erhal- 
tung und  Ausübung  eines  der  Ge- 
samtheit der  Genossen  zustehenden 
politischen  Vorrechtes  bezüglich  des 
Stadtregimentes.  Dieses  Vorrecht 
war  aber  verschieden:  ursprünglich 
oft  die  ausschliessende  oder  nur  mit 
gleichstehenden 
geteilte  Gesamtregierung  euthj 
äusserte  es  sich  seit  der  Ratsver- 
fassung in  der  alleinigeu  Ratsbe- 
setzung oder  doch  in  eiuem  Vorrecht 
bei  dieser.  Die  Kölner  Rieherzeck* 
hatte  das  ausschliessliche  Recht  an- 
dern Vereinen  das  Zunft-  oder  Bru- 
derschaftsrecht, das  Recht  der  Eigen- 
tumsfähigkeit u.  s.  w.  zu  verleihen; 
sie  übte  die  höchste  Handels-  und 
Verkehrspolizei,  hatte  die  Oberauf- 
sicht über  den  gesamten  kaufmän- 
nischen und  gewerblichen  Verkehr 
und  ernannte  für  jede  Zunft  einen 
Obermeister,  der  neben  dem  Zunft- 
meister einen  Anteil  von  den  Straf- 
und  Eintrittsgeldern  bezog.  Mitglied 
der  Genossenschaft  konnte  man  nur 
durch  die  erklärte  Absicht  zum  Ein- 
tritt und  die  Aufnahme  seitens  der 
Genossen  werden,  welche  neben  Un- 
bescholtenheit uud  ehelicher  Gebort 
stets  Reichtum  und  Ansehen  for- 
derten, die  den  neuen  Genossen  in 
stand  setzten,  „müssig",  d.  h.  ohne 
niedere  gewerbliche  Thätigkeit  ro 
leben;  überdies  erhob  man  ein  sehr 
hohes  Eintrittsgeld  und  gelangte  zu- 
letzt zu  einer  vollkommenen  Schlies- 
sung der  Gesellschaft  Den  durch 
sie  verschärften  Zunftbewegungen 
erlagen  sie  entweder  völlig  oder  sie 


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Zunft-  und  Gildewesen. 


1123 


wurden  ihrer  Vorrechte  beraubt 
und  den  übrigen  Zünften  gleich- 
gestellt. 

Die  kaufnuinuischen  Gilden  sind 
im  11.  und  12.  Jahrhundert  dadurch 
entstanden,  dass  die  aus  Kaufleuten 
bestehenden  Bürgerverbrüderungen 
das  gemeinsame  Handelsinteresse 
unter  die  Vereinsangelegenheiten 
aufnahmen;  im  13.  Jahrhundert  er- 
fuhren diese  Gewerbsgilden  oder 
Handelsinnungen  eine  reiche  äussere 
und  innere  Entwickelung.  Zunächst 
sind  solche  in  der  Heimat  und  solche 
im  Auslande  zu  unterscheiden. 

Die  Gilden  der  Kaufleute  in  der 
Heimat  waren  eines  der  hauptsäch- 
lichsten Glieder  der  städtischen  Ver- 
fassung. Sie  standen  in  der  Mitte 
zwischen  den  alten  Schutzgilden  der 
Volksbürger  und  den  Handwerker- 
zünften.  und  teilten  mit  diesen  die 

f ewerbliche  Richtung  und  manche 
Irinnerung  einer  einst  unvollkom- 
menen Freiheit,  während  sie  mit 
jenen  eine  freiere  Stellung,  ausge- 
dehntere Autonomie  und  vielfache 
politische  Vorrechte  gemeinsam  hat- 
ten. In  den  Bürgerschaften  älterer 
Herkunft  nehmen  sie  in  der  Regel 
die  zweite,  in  den  jüngeren  Städten 
die  erste  Stelle  ein,  weil  hier  die 
ganze  erbgesessene  Bürgerschaft  aus 
Kaufleuten  zu  bestehen  pflegte;  doch 
entwickelte  sich  auch  vielfach  aus 
den  reich  gewordenen  Kaufmanns- 

feschlechtern  ein  Patrizierstand,  der 
landel  und  Gewerbe  verschmähte 
und  dessen  patrizische  Gilden  sich 
dann  über  die  eigentlichen  Handels- 
gilden, die  Genossenschaften  der 
aktiven  Kaufleute,  stellten.  Die 
Handelsinnungen  besassen  ebenfalls 
ein  selbständiges  Korporationsrecht, 
Strafgewalt,  Kasse,  Siegel,  ebenso 
gemeinsame  religiöse  und  gesellige 
Zwecke  und  die  Verpflichtung  zu 
gegenseitiger  Unterstützung;  doch 
überwog  bei  ihnen  das  Handelsin- 
terese«';  und  da  sowohl  der  Geist 
ihrer  Statuten  als  ihnen  erteilte 
Handels- Privilegien  und  Freiheiten 


mit  der  Zeit  ein  besonderes  Handels- 
recht schufen,  so  ging  daraus  für 
sie  als  Genossen  zugleich  ein  Han- 
delsmonopel  hervor,  ein  ausschliess- 
liches Recht  auf  den  Handel  eines 
Landes,  einer  Gattung  oder  einer 
Ware.  Ähnlich  beschaffen  waren 
die  Genossenschaften  der  deutschen 
Kaufleute  im  Auslande ;  aus  vorüber- 
gehenden oder  wandernden  Genos- 
senschaften waren  an  ausländischen 
Handelsemporien  dauernde  Gilden 
oder  Hansen  geworden,  die  bleibende 
Versammlungshäuser  und  Lager- 
stätten besassen  und  Handelsprivi- 
legien und  Freiheiten  erwarben.  Ihre 
weitergehende  Entwickelung  beginnt 
damit,  dass  sich  die  sämtlichen  deut- 
schen Einzelhansen  einer  Stadt  zu 
einer  einzigen  Genossenschaft  ver- 
binden; zwar  bestanden  die  beson- 
deren Körperschaften  mit  eigenen 
Vorstehern,  Rechten  und  Vermögen 
fort,  doch  bildete  den  Fremden  ge- 
genüber die  Gesamtheit  ein  abge- 
schlossenes kaufmännisches  Gemein- 
wesen. Von  hier  aus  dehnte  sich 
die  Einung  über  die  Gilden  anderer 
Städte  desselben  Landes  aus,  um 
schliesslich  die  gesamte  deutsche 
Kaufmannswelt  in  den  nordischen 
Fremdländern  zu  ergreifen,  während 
gleichzeitig  die  norddeutschen  Städte 
sich  ebenfalls  verbanden,  bis  endlich 
aus  dem  Zusammenwachsen  der 
Kaufmannsvereine  und  Städtebünde 
die  grosse  deutsche  Ilansa  hervor- 

S'ng;  die  Hauptmittelpunkte  dieser 
euossenschaft  waren  London,  Wis- 
by,  Nowgorod  und  Brügge. 

Die  zuletzt  entstandenen  städti- 
schen Genossenschaften  sind  die- 
jenigen der  Handwerker  oder  die 
Zünfte.  Sie  waren  ihrem  Grund- 
wesen nach  Kinungen  oder  Gilden 
der  durch  die  Gemeinschaft  des  Be- 
rufs einander  nahe  stehenden  Ge- 
werbtreibenden,  sowohl  der  Künst- 
ler und  der  eigentlichen  Handwerker, 
als  der  nicht  den  Kaufleuten  zuge- 
rechneten Krämer  und  Händler,  der 
Fischer  und  anderer  Personen  des 

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1 1 24 


Zunft-  und  Gildeweseu. 


Xährstandes.  Als  eine  auf  freige- 
wollter  Vereinigung  beruhende  Ver- 
bindung nannte  sie  sieh  Brüderschaft, 
fratermtas,  Cfjnfratemitas,  Genossen- 
schaft oder  Gesellschaft,  consortium, 
societas,  sodalitium,  conrivium,  eine 
geschworene  Einung,  unio,  conju ratio, 
oder  Innung ',  Gilde,  Zeche  (mhd. 
zeche  =  Ordnung,  Reihenfolge,  Wur- 
zel noch  nicht  sieher  erkannt), 
Gaffel  (angelsächsisch  gefol,  engl. 
garet,  mittelat.  gahuhtm,  zu  geben, 
also  eigentlich  ein  Verein  zu  gleicher 
Abgabe)  oder  Zunft,  mhd.  die  zunft, 
aha*,  zumft  =  Versammlung,  zum 
Verb  ziemen,  also  ursprünglich  wohl 
soviel  als  Ziemlichkeit,  Passlichkeit 
zu  einander.  Der  Zweck  dieser  Ge- 
sellschaften war  ursprünglich  auf  die 
Gemeinschaft  überhaupt  gerichtet, 
und  neben  der  Fürsorge  für  das 
gleichartige  Gewerbe  verfolgte  sie 
politische  und  kriegerische,  gesellige 
und  religiöse,  sittliche  und  rechts- 
genossenschaftliche Zwecke.  In  der 
Kegel  lag  diesen  freien  Vereinen 
der  Betrieb  eines  gewissen  Hand- 
werkes oder  Gewerbes  ob  und  stand 
ihnen  als  Gesamtrecht  zu,  so  zwar, 
dass  dieses  Gesamtrecht  ein  öffent- 
liches Amt  war  und  hiess,  auch  die 
Genossenschaft  selbst  darnach  ein 
Amt,  officium,  hantwerk,  gewerk, 
opus  genannt  wurde.  Der  aus  dem 
Amtsbegriff  folgende  Zunftzwang 
bestand  ursprünglich  nur  darin,  dass 
den  Zünften  das  Recht  erteilt  wurde, 
jeden,  welcher  das  betreffende  Hand- 
werksamt erlangte  oder  ausübte, 
zum  Eintritt  in  die  Genossenschaft 
zu  zwingen;  denn  nur  so  konnte 
nach  der  Meinung  der  Zünfte  die 
Ehre  des  Handwerkes  und  das  ge- 
meine Beste  gewahrt  werden.  Das 
Gewerbemonopol  der  Zunft  im  Ver- 
hältnis zu  den  Unzünftigen  be- 
schrankte sich  deshalb  im  14.  und 
noch  wesentlich  im  15.  Jahrhundert 
auf  den  Ausschluss  der  nicht  der 
Zunftkontrolle  unterliegenden  Ar- 
tikel von  Verkehr  und  Handel. 
Fremde  mussten  sich  nur,  wenn  sie 


ihre  Waren  in  die  Stadt  brachten, 
der  genossenschaftlichen  Arbeits- 
polizei unterwerfen  und  konnten 
sonst  namentlich  auf  den  regelmässi- 
gen Märkten  ihre  Arbeit  absetzen. 
Erst  allmählich  traten  grössere  Be- 
schränkungen der  8.  g.  Gäste  hin- 
sichtlich der  Zeit,  des  Ortes  und  der 
Art  des  Verkaufes  ein,  die  sich  aber 
erst  spät  zu  völliger  Ausschliessung 
der  Konkurrenz  fremder  Städte  und 
zu  ungebührlicher  Ausdehnung  des 
Bannmeilenrechts  oder  des  Verbotes 
des  Handwerksbetriebes  auf  dein 
umliegenden  Lande  steigerten.  Auch 
im  Verhältnis  zu  den  übrigen  städ- 
tischen Körperschaften.  Kaufleuten 
und  Krämern  einerseits,  verwandten 
!  Zünften  andererseits,  über  welches 
schon  im  14.  Jahrhundert  viel  ge- 
stritten und  verordnet  wurde,  wal- 
tete doch  mehr  der  Gedanke,  die 
öffentliche  Stellung  der  Zunft  zu 
schützen,  als  durch  Beschneidung 
der  Konkurrenz  den  Gewinn  der 
einzelnen  zu  erhöhen.  So  war  aorL 
in  den  Zeiten  der  aufsteigenden  Ent- 
wickelung  die  Erteilung  des  vollen 
Gewerbeberufes  durch  die  Aufnahme 
in  die  Zunft  weit  weniger  eine  Frage 
des  Nutzens  als  der  AI  acht,  des  An- 
sehens und  der  Ehre  der  Genossen- 
schaft; vor  allem  wurde  daher  ma- 
kelloser Ruf  verlangt,  wozu  nach 
mittelalterlicher  Anschauung  auch 
eheliche  Geburt  erforderlich  war. 
In  der  zw  eiten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hundert kam  in  vieleu  Zünften  da« 
Erfordernis  eines  bestimmten  eig- 
nen Vermögens  hinzu,  und  endlich 
verlangte  man,  dass  der  Neueintre- 
tende das  Handwerk  verstehe.  Die 
Forderung  einer  bestimmten  Lehr- 
und  Dienstzeit  jedoch,  eine  s.  c. 
Probe-  oder  Mutzeit,  und  dgl.  wurdf 
ursprünglich  nicht  verlangt,  dagegen 
seit  dem  Ende  des  14.  Jahrhundert» 
eine  förmliche  Prüfuug  durch  An- 
fertigung des  Meisterstückes  üb- 
lich. Vermochte  Jemand  diese 
Erfordernisse  durch  ein  Zengni* 
seinerZunft  oderStadt  I 


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Zunft-  und  Gildewesen. 


1125 


so  wurde  ihm  die  Aufnahme  nicht 
versagt;  Schliessung  der  Zunft,  seit 
dem  16.  Jahrhundert  ihr  vornehm- 
stes Privileg,  galt  ursprünglich  als 
gefurchte  tes  Verbot;  so  weiss  auch 
die  frühere  Zeit  nichts  von  s.  g. 
Bonhasen  oder  Pfuschern.  Der  Ent- 
richtung von  Gebühren  an  die  Zunft- 
kasse von  seite  des  Eintretenden, 
von  Wachs  zu  Kerzen,  Küstzeug  zur 
Zunftwehr,  Wein  oder  Bier  zum 
Trünke,  auch  wohl  einer  ganzen 
Mahlzeit,  was  man  den  Kauf  der 
Zunft  nannte,  lag  ursprünglich  der 
Gedanke  eines  Einkaufs  an  das 
Zunft  vermögen  zu  Grunde.  Das  Ge- 
no8senrecht  war  unübertragbar,  un- 
veräusserlich,  unteilbar  und  unver- 
erblich ,  nur  dass  Söhnen  von  Ge- 
nossen und  denen,  welche  die  Tochter 
oder  Witwe  eines  solchen  ehelichten, 
Erleichterungen  und  Begünstigungen 
bei  der  Aufnahme  zu  Teil  wurden. 
Auch  in  dieser  Beziehung  beginnen 
die  Auswüchse  des  Familiensinnes 
erst  im  15.  Jahrhundert. 

Die  Zunft  war  zugleich  eine  Ge- 
meinde für  sich  und  ein  Teil  und 
Organ  der  Stadtgemeinde.  In  letzter 
Hinsicht  war  sie  nicht  bloss  Trägerin 
eines  ihr  von  der  Stadt  anvertrauten 
Amtes,  sondern  zugleich  ein  städti- 
scher Wahlkörner,  dessen  Vorstände 
in  den  städtischen  Kollegien  die  ge- 
samte Bürgerschaft  vertreten  halfen, 
sie  war  von  Wichtigkeit  für  die 
Steuerverfassung  der  Stadt,  bildete 
eine  eigene  Abteilung  im  Bürger- 
heer, die  unter  dem  Zunftbanner 
focht  und  im  Frieden  Waffen  in  Be- 
reitschaft hielt.  Im  Übrigen  suchte 
man  möglichst  die  Harmonie  zwischen 
Selbstverwaltung  und  Aufsie htsreeht, 
zwischen  genossenschaftlicher  Frei- 
heit und  staatlicher  Einheit  herzu- 
stellen. Für  die  Entstehung  einer 
Zunft  musste  zur  freigewollten  Eini- 
gung der  Genossen  die  Genehmigung 
des  Rates  hinzutreten,  ebenso  zur 
Vereinigung  bisher  getrennter  Amter 
zu  einem.  In  ältern  Zeiten  unvoll- 
kommener   Freiheit    wurden  den 


j  Zünften  patrizisehe  oder  dienst- 
;  männische  Vorsteher  gegeben ;  später, 
j  als  sie  ihre  Vorsteher  selbst  wählten, 
t  unterlag  wenigstens  die  Ernennung 
oder  Bestätigung  der  Meister  oder 
Älterleute  dem  Hat,  bis  zuletzt  die 
Zunft  in  der  Wahl  ihrer  Vorstände 
ganz  selbständig  wurde.  Ähnlich 
verhielt  es  sich  mit  dem  freien  Ver- 
sammlungsrecht der  Zünfte.  In  den 
innern  genossenschaftlichen  Ange- 
legenheiten war  zur  Zeit  der  Zunft- 
freiheit die  Selbstverwaltung  wenig 
oder  nicht  beschrankt.  In  politischer 
und  militärischer  Hinsicht  war  die 
Zunft  für  ihre  Genossen  das  ver- 
kleinerte Abbild  der  Stadt,  doch 
|  kam  es  vor,  dass  mit  der  Zeit  durch 
Eintritt  von  Nichthandwerkern,  Tei- 
lung des  Gewerbes  u.  dgl.  neue  (je- 
wertdiche  Innungen  entstanden,  die 
sich  mit  den  iiolitisch-mifitnrischen 
Zünften  nicht  mehr  völlig  deckten. 
In  reliniöser  Hinsicht  hatte  die  Zunft 
einen  heiligen  als  Schutzpatron,  ver- 
folgte kirchliche  und  wohlthätige 
Zweeke,  versammelte  ihre  Mitglieder 
zu  Gebet  und  Andacht,  unterhielt 
oft  einen  eigenen  Altar  oder  doch 
eigene  Kerzen  in  der  Kirche  und 
I  Hess  für  die  verstorbenen  Brüder 
Seelenmessen  singen;  doch  geschah 
es  auch  hier,  dass  aus  der  gesonderten 
Verwaltung  des  Kirchen  Vermögens 
der  Zunft  und  durch  Hinzuziehung 
der  Frauen  und  anderer  Mitglieder 
sich  zuletzt  aus  einer  Zunft  eine 
[  selbständige  geistliche  Bruderschaft 
[  ablöste.  \  on  grossem  Eiufluss  wurde 
das  gesell  irje  Leben  der  Zünfte,  in 
dem  sich  eine  Reihe  positiver  Sitten- 
gebräuche ausbildete,  die  ebenso- 
wohl das  tägliche  Leben  auf  den 
Zunftstuben  und  Herbergen  als  die 
I  einzelnen  feierlichen  Akte  vor  der 
|  Genossenschaft  mit  sinnigen  Formen 
umkleideten;  zu  formalen  und  zwin- 
genden Zeremonien  arteten  diese 
jedoch  erst  später  aus.  Als  sittliche 
Verbindung  machte  die  Zunft  ihren 
Genossen  eine  gegenseitige  werk- 
tätige Liebe  zur  Pflicht,  die  sich 


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1126 


Zunft-  und  Gildewesen. 


in  <lcr  Unterstützung  kranker  oder  mit  die  Kosten  der  Produktion  gleich 
verarmter  Genossen  und  in  der  Ver-  seien,  wurde  der  Arbeitslohn  von 
anstaltung  eines  ehrenvollen  Be-  der  Zunft  reguliert  und  sowohl  Be- 
gräbnisses kund  gab,  und  übte  ein«'  tragalsArt  derArheitaentschadigung 
Sittenpolizei  über  ihre  Mitglieder  für  Lehrlinge  und  Gesellen  genau 
aus,  namentlich  über  die  Gesellen  bestimmt,  überhaupt  auch  das  ganz» 
und  Lehrlinge.  Die  Hauptpflicht  Verhältnis  zwischen  Meister  und 
der  Zunft  als  Wirfschaf fafenossen-  Gehilfen  von  der  Genossenschaft  ftir 
schaß  war  die  Sicherung  der  Güte  Alle  gleich  geordnet  Bezüglich  det 
und*  Brauchbarkeit  des  Arbeitpro-  Absätze»  war,  um  die  Genossen  gleich 
dukts,  herbeigeführt  besonders  durch  zu  machen,  verordnet,  das»  kein  un- 
die  genossenschaftliche  Kontrole  anständiges  oder  unredliches  Mittel, 
der  Arbeit;  auf  Verzögerung  der  keine  unschickliche  Reklame  n.  d^L 
Arbeit,  auf  Anfertigung  und  Ver-  stattfinden  solle.  Der  Verkauf  mit- 
kauf schlechter  Ware  waren  Strafen  tels  Hausierens  war  in  der  Regel 
gesetzt  und  eine  regelmässige  Vi-  ganz  verboten.  Oft  sollte  jeder  nur 
sitation  der  Werkstätten  und  der  einen  Laden  oder  eine  Verkaufsstatn- 
Arbeit  durch  die  Zunftvorsteher,  die  halten,  Kunden  oder  Käufer  durfte 
sog.  Schau,  eingeführt;  auch  Maxi-  man  sich  nicht  gegenseitig  abwendig 
malpreise  wurden  von  den  Zünften  machen.  So^ar  aas  Vermögen  der 
aufgestellt.  Die  Zunft  verpachtete  Zunft  diente  nicht  bloss  zu  allgemeinen 
ihre  Mitglieder  zur  Arbeit  in  Per-  Zunftzwecken,  sondern  gleichmas>ic 
ton ;  in  deren  Dienst  sollte  das  Ka-  durfte  auch  jeder  die  Zunfthäu^  r 
pital  stehen;  überhaupt  aber  wurde  besonders  bei  Familienfesten  zu  sei- 
unbedingte  Gleichheit  aller  Genossen  nein  geselligen  Vergnügen  benutzen, 
angestrebt ,  daher  kam  die  Aus-  In  besag  auf  das  Hecht  der  Zunft  yab 
Schliessung  der  freien  Konkurrenz  ee  einen  besondern  Zunft -»i>^*. 
unter  den  Genossen  und  die  äusserste  dessen  Handhabung,  Wahrung  und 
Beschränkung  des  Einzelnen  bei  Herstellung  bei  ihr  war,  und  ein 
Produktion  und  Absatz  zu  gunsten  Zunftgericnf,  vor  welches  alle  Strei- 
der  Gesamtheit,  Beschränkungen,  tigkeiten  unter  Genossen  gebracht 
die  zwar  der  Entfaltung  des  Einzel-  werden  mussten,  ehe  man  an  dfn 
neu  hinderlich  waren,  aber  den  Stand  ordentliehen  Richter  ging, 
der  Gewerbtreibenden  hob  und  an-  Die  Organisation  der  Zünfte  stellte 
fangs  nicht  als  hemmende  Fesseln  an  die  Spitze  die  Versammlung  der 

fefühlt  wurden.    Diese  Beschritt-  Meister;  dieselben  waren  auf  regel- 

ungen  bezogen  sich  in  erster  Linie  massigen  oder  gebotenen  Dingenden 

auf  die  Beschaffung  des  Rohstoffes,  echten  und  geboteueu  Dingen  der 

so  zwar,  dass  entweder  alles  Material  freien  Gemeinde  nachgebildet.  <>r 

nur    gemeinschaftlich    angeschafft  gan  der  Gesamtheit  waren  die  ge- 

werden  durfte  oder  dem  Linzeinen  wählten  oder  erlosten,  nach  Zahl 

verboten  war,  Rohstoffe  bestimmter  und  Amtsdauer  verschiedenen  Meister 

Art  über  ein  gewisses  Quantum  hin-  oder  Älterleute,  die  vereidigte  und 

aus  oder  nur  für  sich  selbstzu  kaufen,  verantwortliehe  Obrigkeit  der  Zunft. 

i>lme  die  Gelegenheit  zum  Kauf  den  Schutzgenossen  der  Zunft,  die  nur 

Brüdern    anzuzeigen.     Möglichste  passiv  an  dem  Frieden  und  Recht 

Gleichheit  wurde  ferner  angestrebt  der  Körperschaft  teilnahmen,  waren 

bezüglich  des  Vmfanges  der  Pro-  einesteils  die  Frauen  und  Kinder 

duktion,  worauf  namentlich  die  Fixic-  der    Amtabrüder,    andern  teil*  die 

rung  der  Zahl  der  Lehrlinge  und  Ge-  Lehr/ingc  und  Gesellen.  Dieselben 

seilen  eines  Meisters  hinzielt;  auch  waren  anfänglich  überall  Mitglieder 

die  Arbeitszeit  war  oft  fixiert.    Da-  des  Hauswesens  ihres  Meisters  und 


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Zunft-  und  Gildewesen.  1127 


der  Zunftgeriehtsbarkeit  unter-  seilen  in  einen  gewissen  Gegensatz 
worfen.  Schon  die  Lehrjuntjen  be-  zu  den  Meistern  traten,  da  traten 
durften  einer  förmlichen  Aufnahme  sie  auch  zu  eigenen  Gesellschaften 
ins  Amt,  wobei  Unbescholtenheit,  zusammen,  nannten  sich  auch  seit- 
freie, eheliche  und  deutsche  Geburt  dem  erst  mit  dem  Namen  „Gesellen", 
und  die  Entrichtung  gewisser  Ein-  stellten  eigne  Rollen  und  Statuten 
trittsgebühren  in  Geld,  Wachs,  Wein  auf,  wühlten  eigene  Vorstände  (Alf- 
oder  Hier  gefordert  wurden.  Durch  gesellen)  und  Beamte  und  verwal- 
Absolvierung  der  vorgeschriebenen  teten  unter  Aufsicht  eines  ihnen 
Lehrzeit  erlangte  der  Lehrling  das  meist  gegebenen  Meisters  (Gese/Ien- 
Recht,  in  die  Klasse  der  Gesellen  rater)  ihre  Angelegenheiten  selbst; 
aufgenommen  zu  werden.  Die  Ge-  schon  früh  führten  sie  plaumässige 
«eilen  standen  zu  ihrem  Meister  wie  Koalitionen  und  Arbeitseinstellungen 
zu  der  Zunft  ursprünglich  rechtlich  herbei. 

in  demselben  Verhältnis  wie  die  Lehr-  Wie  überhaupt  in  den  Genossen* 
linge;  auch  der  Geselle,  „Knecht"  Schäften  des  Mittelalters  der  Trieb 
oder  ,, Knappe",  gehörte  zum  Haus-  herrschte,  sich  mit  gleichartigen  Ver- 
wesen dea  Meisters,  dessen  Haus  er  einen  zu  grösseren  Gesamtheiten  zu 
nicht  einmal  auf  eine  Nacht  ver-  verbinden ,  so  war  auch  die  Ge- 
lassen durfte;  zunächst  war  auch  er  nossenschaft  der  Handwerker  be- 
der  Hausgewalt  des  Meisters,  in  strebt,  Innuntjsvereine  über  den  eill- 
böherer  Instanz  aber  der  Zunft  uu-  zelnen  Zünften  zu  gründen,  und  so- 
terworfen.  Hatten  sie  aber  die  vor-  wohl  in  einzelnen  Städten  standen 
geschriebene  Dienstzeit  ausgehaltcn  teils  vorübergehend  teils  dauernd 
oder  statt  dessen  auf  der  Wander-  die  verschiedenen  Zünfte  in  mehr 
schaff,  die  zwar  erst  im  16.  Jahr-  oder  minder  organisiertem  Verbände, 
hundert  rechtliches  Erfordernis  als  auch  förmliche  Kr  ei  seereine  aller 
wurde,  schon  vorher  aber  üblich  war,  Zünfte  einer  Gegend  oder  eines  Lau- 
unter Wahrung  des  Zusammenhangs  des  vorkamen.  Zu  einer  allgemei- 
rnit  der  Zunft  die  nötigen  Fähigkeiten  neren  engen  Verbindung  der  Zünfte 
erworben,  so  hatten  sie  einen  lieehts-  j  trug  sodann  die  Gewohnheit  und 
ansprurh  auf  die  Aufnahme  als  Mei-  später  die  Vorschrift  des  Wandern* 
ster.  Sie  waren  also  in  der  Blütezeit  bei;  es  wurde  dadurch  geradezu 
des  Zunftwesens  nichts  als  werdende  die  Vorstellung  einer  Gesamtge- 
Mcister  und  es  gab  keinen  beson-  nossenschaft  aller  Handwerker  des 
deren  Stand  der  Gesellen,  keinen  Reiches  geweckt,  durchweiche  sich 
unselbständigen  Arbeiterstand,  son-  ein  gemeiner  deutscher  Handwerks- 
dern  nur  eine  Lehr-  und  Dienstzeit  gebrauch  und  ein  gemeines  dent- 
ale Vorschule  und  Vorstufe  für  ei-  sches  Handwerkerrecht  ausbildete; 
gene  Ausübung  des  Amtes.  Des-  die  eigentlichen  Träger  dieser  Ge- 
nalb war  auch  von  einer  besondem  ,  meinsamkeit  sind  aber  weit  weniger 
körperschaftlichen  Verbindung  der  I  als  die  Meister,  die  Gesellen,  deren 
Gesellen  ursprünglich  nicht  die  Gesellenzünfte  mehr  als  die  Meister 
Rede,  nur  dass  zu  frommen  Zwecken  zünfte  in  einen  regen  Gesamtver- 
geistliche Brüderschaften  unter  ihnen  kehr  traten  und  ein  gemeines  Ge- 
vorkainen.  Sobald  indes,  was  seit  sellenrecht  und  gleichartige  An- 
dern Beginn  des  15.  Jahrhunderts  schaumig  und  Sitte  hervorbrachten, 
geschah,  durch  die  Erschwerungen  Im  Gewerbe  der  Steinmetzen  traten 
des  Meisterwerdens,  die  Verlänge-  sogar  vor  der  Gesamtgeiiossenschaft 
ruug  von  Lehr-  und  Wanderzeit  die  lokalen  Bruderschaften  in  den 
und  das  Vorkommen  von  Gesellen,  Hintergrund.  Anfänglich  zuuächst 
die  nie  Meister  wurden,  die  Ge-  in  den  einzelnen  Städten  und  Ge- 


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1 1 28 


Zwerge. 


geuden  vereint,  wirkte  in  ihnen  früh  Die  Organisation  der  Zunft  wurde 
die  Idee  von  einem  durch  das  ganze  oligarchisch  gestaltet.  Die  politi- 
deutsche  Reich  vertretenen  Bruder-  sehe  Bedeutung  hörte  seit  dem  Nie- 
bund. Durch  traditionell  fortge-  der^ang  der  Reformationsbeweeung 
pflanztes  und  von  der  Sage  auf  die  ineist  ganz  auf.  Brutale  Hand- 
Heiligen  zurückgeführtes  Gewohn-  hingen  gegen  Pfuscher  und  Stör»*r, 
heitsrecht  entstand  allmählich  eine  Grenzirrungeu  und  (iewerb&srreitig- 
bestimmte  Verfassung  dieser  Ver-  keiten  mit  auderen  Zünften  und 
bindung,  vgl.  den  Art.  Bauhütten,  j  Professionen,  ausführlichst«*  Arbeits- 
Seit  dem  16.  Jahrhundert  zeigen  regulierung,  Fixierung  der  Arbeiter- 
in im  Zunftwesen  die  Keime  des  zahl,  Beschränkung  der  Material- 
Verfalls.  Statt  der  freien  Einung  besehaffung,  der  Werkzeuge,  des 
der  Berufsgenossen  wurde  das  zum  Absatzes  u.  dgl.  waren  anderTajres- 
Privileg  und  womöglich  zum  Mono-  Ordnung.  An  die  Stelle  der  religiöa- 
pol  gestaltete  Recht  auf  eine  be-  sittlichen  Genossenpfliehten  trat  ein 
stimmte  Art  des  Gewerbebetriebes  verschnörkeltes  Zeremoniell .  r«»he 
Grundlage  und  Zweck  der  Zunft;  Gelage,  gegen  den  Neuling  geübte 
mehr  und  mehr  ging  der  sittliche  Spässe.  von  Seiten  des  Staate» 
Inhalt  der  Zunft  verloren  und  die  suchte  man  jetzt  die  Zünfte  dem 
alten  Genossentugenden  schlugen  in  obrigkeitlichen  System  einzuordnen 
die  entsprechenden  Fehler  um.  Als  \  und  sie  zu  blossen  Polizeianstalten 
begehrenswertestes  Prinzip  erstrebte  zu  machen.  Entstehung  und  Auf- 
jetzt  die  Zunft  die  Geschlossenheit,  hebung  der  Zunft  wurde  unbedingt 
so  dass  oft  das  Handwerk  als  das ,  in  den  Staatswillen  verlegt;  die 
erbliche  Besitztum  einer  Anzahl  von  Obrigkeit  erlangte  einen  bestimmen- 
Familien  erschien;  in  vielen  Statuten  den  Einfluss  auf  die  Zusammen- 
wurde für  den  Fremden  die  Heirat  setzung  der  Zunft,  indem  sie  Kl- 
einer Meisterwitwe  oder  Meister-  sondere  Freimeister  für  die  Zonft 
tochter  zur  unerlässlichen  Bedingung  ernannte;  das  L«hrlingswesen  wurde 
der  Aufnahme  gemacht  und  ver- ,  obrigkeitlich  reguliert  und  eine  Mens* 
heirateten  Männern  der  Eintritt  ver-  Verordnungen  «Hassen  über  Dinge, 
sagt.  Die  Vorbedingungen  des  Ein-  welche  früher  bloss  Sache  der  Zunft 
tritts  für  den  Lehrling  wurden  er-  gewesen  waren;  doch  gaben  sich 
schwert,  die  Gebühren  erhöht,  die  diese  obrigkeitliehen  Erlasse  oft 
Gesellen  durch  Verlängerung  der  Mühe,  eingerissenen  Schäden  und 
Wanderzeit  und  durch  besondere  Missständen  im  Zunftwesen  abru- 
das  Meisterstück  betreffende  Ver-  ■  helfen.  Nach  Gierke.  Rechtsp*- 
ordnungen  schikaniert.  Eine  immer  j  schichte  der  deutschen  Genossen- 
mehr vermehrte  Anzahl  von  Be-  j  schaft.  Berlin  1868.  Vgl.  Matci*. 
schäftigungeu  wurde  für  unehrlich  Das  deutsche  Gewerbewesen.  P«>ts- 
crklärt,  Leinweber,  Barbiere,  Müller,  dam  1866. 

Zöllner,  Stadtknechte,  G<richtsdie-  /  w  ertre  und  Riestu.  Die  Zwerge 
ner,  Turm-,  Holz-  und  Feldhüter,  gehören  zu  der  Klasse  der  /JV» 
Totengräber,  Nachtwächter,  Bettel-  oder  Wichte ,  mit  welchen  Nauen 
vögte,  Gassenkehrer,  Bachfeger,  man  Wesen  bezeichnet,  denen  etwa» 
Schäfer,  Musikanten  I siehe  den  Ar  Übermenschliches,  was  sie  den  <iot- 
tikel  unehrliche  Leute).  Wegen  der  tern  nähert,  beigemischt  ist,  welche 
Schuld  der  Frau  schloss  man  den  1  die  Kraft  besitzen,  dem  Menschen 
Ehemann,  wegen  derjenigen  der  zu  schaden  und  zu  helfen,  sich  aber 
Eltern  die  Kinder  aus.  Mehr  und  !  zugleich  wieder  vor  diesem  scheuen, 
mehr  wurden  die  Gesellen  der  Ge-  weil  sie  ihm  leiblich  nicht  gewach- 
nossenschaft  der  Meister  entfremdet,  sen  sind ,  indem  sie  entweder  weit 


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Zwerge. 


1129 


unter  menschlichem  Wachstum  oder  sichtsfarbe  und  grobe  Tracht  hinzu, 

ungestaltet  erscheinen,  und  welchen  Auch  ihre  Küsse  sind  ungestaltet, 

das  Vermögen  eigen  ist,  sich  un-  oft  denen  der  Ente  gleichend,  wes- 

sichtbar  zu  machen.    Solche  Elben  halb  sie  dieselben  stets  sorgfältig 

kommen    schon    in  der  indischen  den  Menschen  verbergen  und  sehr 

Mythologie  vor  unter  den  Namen  ungehalten    werden,    wenn  Neu- 

Maruts,  Ribhus,  JRudras.    Marut  ist  gierige  durch  Asche,  welche  sie  den 

aber  abgeleitet  von  der  Wurzel  mri.  Zwergen  auf  den  Weg  streuen,  die 

sterben,  und  so  sehen  wir.   dass  Form  der  Füsse  erforschen  wollen, 

ursprünglich  die  Elben  als  die  Seelen  Die  Zwerge  bilden  unter  sich  ein 

von  Verstorbenen  angesehen  wur-  Volk,  dem  ein  Ziem/körnig  vorsteht, 

den.    In  der  germanischen  Mytho-  Manche  unter    diesen  Herrschern 

logie  ist  diese  Anschauung  allerdings  haben    eine    Berühmtheit  erlangt, 

sehr  verwischt,  sie  erscheinen  hier  Es  sei   hier  nur  an  Alkerich  er- 

vielmehr  als  Halbgötter,  welche  Vor-  innert,    der    in  der  französischen 

fjänge  in  der  Natur  bildlich  darsfcl-  Dichtung  als  Oheron  erscheint, 
en  sollen.  In  der  Edda  werden  die  dann  an  Sehilhung  und  Xihelumj, 
Elben  eingeteilt  in  Gifoaffär  (Licht-  welche  im  Nibelungenliede  eine 
elben)  und  Sieartalfar  oder  Dorl  a/-  Rolle  spielen.  Ferner  sind  zu 
far  (Schwarz-  oder  Dunkelelben  i.  erwähnen  Sin  nein  von  Palakers  und 
Zu  den  Dunkelelben  werden  nun  Laiirin,  ersterer  aus- dem  Wartburg- 
auch die  Zwerge  gerechnet,  deren  krieg,  letzterer  als  Herr  des  Rosen- 
Namen  im  Gotischen  dvairps,  ags.  gartens  im  Tirolergebirge  bekannt. 
dreortj,  ahd.  tuere,  mhd.  teere  lautet  Die  Zwerge  wohnen  in  Schluchten 
und  nach  Grimm  von  dem  Grieehi-  und  Höhleu  des  Gebirgs,  das  sie 
sehen  &eovQf6g,  d.  h.  übernatürliche  trotz  Abgründen  und  Abhängen 
Dinge  verrichtend,  herstammt.  Diese  mit  wunderbarer  Behendigkeit  und 
Annahme  bestätigen  nicht  nur  die  Sicherheit  durchstreifen.  Im  Innern 
Gesetze  der  Lautverschiebung,  son-  der  Berge  dienen  prächtige  Ge- 
dern auch  der  Volksglaube,  der  sich  mächer  oft  den  Zwergfürsten  zur 
die  Zwerge,  gleich  den  Kyklopen.  Wohnung,  wohin  auch  Menschen 
gern  als  kunstfertige  Schmiede  denkt,  und  Helden  oft  gelockt,  festgehalten 
welche  in  Bergeshöhen  ihr  Wesen  und  dann  ,  reich  begabt  entlassen 
treiben.  Entstanden  sind  die  Zwerge  werden.  Überhaupt  brauchen  die 
als  Maden  in  dem  Leichnam  des  Zwerge  die  Menschen.  So  holen 
Ries« 'ii  Ymir,  später  wurde  ihnen  sie  Frauen  und  Hebammen,  um 
Verstand  zu  teil,  so  dass  sie  nur  der  kreissenden  Zwerginnen  beizustehen, 
Gestalt  nach  dem  Menschen  nach-  dann  wenden  sie  sich  an  verständige 
stehen,  indem  sie  schon  mit  dem  Männer,  wenn  es  sich  um  Teilung 
dritten  Jahre  ausgewachsen  und  eines  Schatzes  handelt,  und  endlich 
mit  dem  siebenten  (»reise  sind.  Die  erbitten  sie  von  den  Menschen 
Vorstellungen  über  die  Grösse  der  Räumlichkeiten,  um  ihre  Hochzeiten 
Zwerge  schwanken  noch.  Bald  sol-  darin  abhalten  zu  können.  Mit  dem, 
len  sie  das  Wachstum  eines  vier-  was  die  Unterwelt  bietet,  mit  Segen, 
jährigen  Kindes  erreichen,  bald  nur  und  Glück  spendenden  Kleinodien 
Daumengross  sein,  unter  welchen  werden  die  Menschen  jeweilen  be- 
Umstänoen  sie  dann  Däumling  ge-  lohnt  für  ihre  Dienste  und  Zuvor- 
uannt  werden,  bald,  wie  der  klein-  kommenheit.  Den  Zwergen  sind 
ste  in  einem  dänischen  Liede,  nicht  auch  Heilkräfte  bekannt,  welche 
grösser  als  eine  Ameise  sein.  Zu  Pflanzen  und  Steinen  innewohnen, 
dieser  Kleinheit  kommt  in  der  Regel  Trotz  ihrer  geistigen  Überlegenheit 
noch  ein  Höcker,  eine  dunkle  Ge-  haben  die  Zwerge  vor  dem  Menschen 


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1130 


Zwerge. 


doch  eine  gewisse  Scheu.  Besonders 
zuwider  ist  ihnen  als  heidnischen 
Wesen  und  rohen  Natursöhnen  die 
Ausbreitung  des  Christentums  und 
der  Kultur,  namentlich  wenn  letztere  ! 
in  ihr  Bereich  kommt,  Felder  bestellt 
und  die  Berge  mit  Schachten  durch- 
wühlt werden.  Daraus  entspringt  nun 
aber  auch  ein  feindliches  Verhältnis 
zwischen  Zwergen  und  Menschen. 
Diese  achten  jene  nicht  und  so 
schaden  die  Zwerge  den  Menschen 
und  necken  sie.  Die  Berührung 
oder  der  Anhauch  von  Zwergen 
kann  bei  Menschen  und  Tieren 
Krankheit  und  Tod  verursachen. 
Ihr  Schlag  lähmt  Körper  und  Geist. 
Das  Volk  schreibt  den  Elben  auch 
die  Astlöcher  im  Holze  zu;  wer 
durch  ein  solches,  oder  durch  da« 
Loch,  welches  der  Pfeil  eines  Zwergs 
in  die  Haut  eines  Tieres  geschossen, 
schaut,  der  sieht  sonst  verborgene 
Dingo.  Allen  Zwergen  steht  das 
Vermögen  zu,  sich  unsichtbar  zu 
machen,  teils  vermittelst  ihrer  Kopf- 
bedeckung, den  sogenannten  Nebel- 1 
oder  Tarnkappen,  teils  mit  Hilfe 
ihrer  Röcke  oder  Mäntel.  Wer  eines 
dieser  Kleidungsstücke  an  sich  zu  I 
reissen  versteht ,  gewinnt  nicht  nur 
die  Macht  sich  unsichtbar  zu  machen, 
sondern  auch  grössere  Körperstärke 
und  die  Herrschaft  über  das  Volk 
und  das  Eigentum  der  Zwerge.  Von 
ihrer Fähigkeit,  dieGestaltzu  bergen, 
machen  die  neckischen  Wichte  oft 
Gebrauch,  um  die  Menschen  zu  be- 
trügen und  zu  täuschen.  Ihrem  | 
Einfluss  wird  auch  eine  Krankheit 
zugeschrieben ,  welche  eine  Ver- 
fügung der  Kopfhaare  zur  Folge 
hat;  Alpzopf,  Drutenzopf,  Wichtel- 1 
oder  Weichselzopf  wird  diese  Er- 
scheinung genannt.  Das  englische 
Verbum  „ro  effu  heisst  geradezu  ] 
„das  Haar  verfilzen".  Alle  Zwerge 
und  Elben  sind  diebisch  und  ent- 
führen nicht  nur  leblose  Dinge,  son- 
dern auch  Menschen ,  namentlich 
Jungfrauen  und  Kinder,  an  deren 
Stelle  sie  dann    die   sogenannten  I 


Wechselbälge ,  hässlicbe  kretinen- 
artige  Geschöpfe  in  die  Wiege  legen. 
Verhindern  kann  man  den  Kinder- 
austausch, wenn  man  einen  Schlüssel, 
oder  eines  von  des  Vaters  Kleidern, 
oder  Stahl  oder  Nähnadeln  in  die 
Wiege  legt,  den  Wechselbalg^  sich 
vom  Halse  schaffen  aber ,  indem 
man  durch  etwas  Sonderbares,  z.  B. 
durch  Wasserkocheu  in  Eierschalen, 
ihn  in  Verwunderung  versetzt.  Zweck 
der  Jungfrauen-  und  der  Kinder- 
entführung ist  den  Zwergen  durch 
Kreuzung  mit  dem  Menschen  ihr 
eigenes  Geschlecht  auf  eine  höhere 
Stufe  der  Entwickelung  zu  bringen. 
Ein  unwiderstehlicher  Hang  zur 
Musik  und  Tanz  wohnt  den  Elben 
Ume.  In  Mondscheiiinaehten  frob- 
nen  sie  auf  Wiesen  ihrer  Lust. 
Wehe  dem,  der  sich  durch  die  süssen 
Töne  zur  Neugierde  verlocken  lässt. 
um  ihn  ists  geschehen.  Auch  die 
Gabe  der  Weissagung  wird  den 
Zwergen  zugeschrienen,  oft  erschei- 
nen sie  als  kluge  Ratgeber.  Die 
Zwerginneu  spinnen  und  weben  feine 
Stoffe,  die  Männchen  aber  schmie- 
den kunstvolle  Geräte.  Gegen  klei 
nen  Lohn  kann  man  robes  Eisen, 
das  man  vor  die  Höhlen  der  Zwerge 
legt,  am  andern  Morgen  geschmie- 
det und  verarbeitet  wieder  abholeu. 

Unter  den  Elben  spielen  nun 
einige  eine  besonders  Dedeutende 
Rolle,  so  der  Pilwitz.  dessen  Name 
in  zahlreichen  Variationen  häufig 
in  mhd  Gedichten  auftritt.  Er 
ist  ein  böser  Dämon,  der  Haare 
verfilzt  und  verwirrt  und  dem 
Landmaun  namentlich  dadurch  zur 
grossen  Plage  wird,  dass  er.  eiue 
Sichel  an  den  Fuss  gebunden,  durch 
das  reifende  Korn  geht.  Von  dem 
Teil  des  Getreidefeldes,  welchen  fr 
mit  seiner  Sichel  durchschneidet, 
fliegen  alle  Körner  in  seine  Scheune, 
oder  in  diejenige  des  Bauern,  dem 
er  gerade  als  Hausgeist  dient.  Oft 
reitet  er  auch  auf  einem  \V+  k 
durch  die  Getreidefelder.  Detn 
Pilwitz  zur  Seite  steht  der  Sem'. 


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Zwerge.  1131 

der  in  Wäldern  herumspukt  und  Bermann,   dem  Herrn  der  Nixen, 

sich  im  Laufe  der  Zeit  aus  der  ermordet,  ein  Blutstrahl,  welcher 

ernsteren,    grösseren  Gestalt   des  aus  der  Tiefe  des  Gewässers  em- 

Waldteufels  zu  dem  kleinen,  necki-  porspritzt,  zeigt  deutlich  au,  wie 

sehen   Schreitet   entwickelte.     Er  das    unglückliche    Mädchen  ihre 

hat  in  seinem  Wesen  viel  Ahnlich-  Versäumnis    gebüsst.  Überhaupt 

keit  mit  den  Satyrn  und  Faunen  sind  die  Wassergeister  viel  blut- 

der    griechischen    und    römischen  dürstiger  als  ihre  Vettern  in  Ge-  ■ 

Mythologie.    Der  Wald  wird  noch  birg  und  Wald.    Ein  unschuldiges 

von    anderen   kleinen  Geschöpfen  Kind  wurde  in  alter  Zeit  dem  Ni- 

bewohnt,  den  sogen,  wilden  Leuten,  chus  geopfert,  und  noch  herrscht 

Waldleuten,  Holzleuten,  welche  dem  der  Glaube,  dass  der  Wasserneck 

Mensehen  immer  hilfreich  zur  Seite  Ertrunkene  als  Opfer  in  das  nasse 

stehen  und  deren  grösster  Schreck  Grab  gezogen  habe, 
der  wilde  Jäger  und  Kümmelbrot       Dem    Menschen    am  nächsten 

ist  stehen  die  Hausgeister,  die  Kobolde 

In  Zusammenhang  mit  den  Wald-  oder  Heinzelmännchen.  Sie  sind 
geistern  stehen  die  Wassergeister,  stets  männlichen  Geschlechts.  Aus 
welche  allerdings  oft  nicht  als  kleine  Buchsbaumholz  wurden  kleine  Mäun- 
Geschöpfe  aufgefasst  werden,  son-  chen  geschnitzt  und  im  Zimmer 
dem  vielmehr  als  ungeheure  Geister,  aufgestellt.  Was  früher  heiliger 
ein  Schrecken  des  Meeres,  wie  die  Ernst  war,  indem  man  in  diesen 
Nicores  im  Beowidf.  Die  weib-  Holzfiguren  gütige  Laren  verehrte, 
liehen  Wesen  heisst  man  Staun,  wurde  später  zum  Scherz.  In  Ge- 
die  männlichen  Sixe,  welche  Na-  stalt,  Aussehen  und  Tracht  kommen 
men  sich  auf  das  ahd.  nickus,  ags.  sie  den  Zwergen  gleich.  Ihr  Kopf- 
nicor}  zurückführen  lassen.  Die  haar  und  Bart  ist  rot,  auch  sie 
männlichen  Wassergeister  werden  tragen  die  spitze  rote  Kapuze.  Sich 
gewöhnlich  schon  ältlich  und  lang-  unsichtbar  zu  machen  liegt  eben- 
bärtig vorgestellt.  Viel  bekannter  falls  in  ihrer  Macht.  Mittelst  ge- 
sind die  weiblichen  Geschöpfe,  die  feiter  Schuhe  oder  Stiefel  ist  es 
Nixen,  welche  so  oft  von  Dichtern  ihnen  leicht  die  weitesten  Wege 
verherrlicht  werden  und  deren  Zau-  mit  der  grössten  Geschwindigkeit 
bergesang  manches  Menschenkind  zurückzulegen.  Ihre  Wohnstätte 
hinabgelockt  hat  in  die  Wasser-  ist  meistens  Stall  oder  Scheune, 
tiefe,  wo  prächtige  Korallenpalaste  Hier  und  in  der  Küche  ist  der  Be- 
die  reizenden  Jungfrauen  aufneh-  reich  ihres  stillen,  unsichtbaren 
inen.                                '  Schaffens  und  Wirkens.    Glück  und 

Neben    der   Bezeichnung  Nixe  Segen  ist  in  dem  Hause,  in  welchem 

kommt  auch  der  Name  Mummet,  ein  kleiner  Hausgeist  sein  Wesen 

Mühmchen,  Wassermuhme  vdr,  de-  treibt.    Fleissige  Dienstboten  unter- 

nen   unter   anderem    der  düstere  stützt  er,   faule  aber  haben  von 

Mummelsee  im  mittleren  Schwarz-  seinen  Neckereien  viel  zu  leiden, 

wald  seinen  Namen  verdankt.  Wie  Treu  hält  er  bei  seine  21  Hausherrn 

die  Oper  „Undine"  von  Lortzing,  aus,  ja  er  vermehrt  sogar  dessen 

oder  aas  Märchen  „Melusine"  zeigt,  Gut  auf  Kosten  der  Nachbarn.  Er 

verlassen  die  Nixen  oft  ihre  nasse  ist  mit  sehr  geringem  Lohn  zufric- 

Heimat  und  mischen  sich  unter  die  den.    Essen  und  Trinken  muss  ihm 

Menschenkinder.     Doch   zu  einer  täglich  hingestellt  werden.  Dann 

bestimmten  Zeit  müssen  sie  wieder  fordert  er  noch,  wenns  hoch  kommt, 

zurückkehren  in  ihr  Wasserreich,  einen  Hut,  eine  "Tote  Kappe,  einen 

AVer  sich  verspätet,  wird  vom  Was-  bunten  Rock  mit  klingenden  Schel- 


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1132 


Zwerge. 


len.  Manchmal  nehmen  es  aber  die 
kleinen  Wichte  übel,  wenn  man  sie 
mit  Kleidern  beschenkt,  und  ziehen 
von  dem  Hause  weg,  aus  welchem 
dann  zugleich  auch  aller  Wohlstand, 
die  Eintracht,  kurz  dasGlück  schwin- 
det. Diese  Kobolde  sind  überhaupt 
sehr  empfindlich.  Werden  sie  im 
geringsten  vernachlässigt,  so  rächeu 
sie  sich  an  den  Hausgenossen  im 
besten  Fall  durch  Wegzug,  oder  sie 
lassen  ihnen  und  dem  Vieh  als 
Polter-,  Plage-  und  Quälgeister  Tag 
und  Nacht,  bei  Arbeit  und  Schlaf 
keine  Ruhe.  Es  kann  den  Böse- 
wichten sogar  in  den  Sinn  kom- 
men, einem  einfach  das  Haus  über 
dem  Kopfe  anzuzünden. 

Treffend  wird  der  Charakter 
der  soeben  kurz  beschriebenen  Gei- 
ster durch  Grimm  in  folgenden 
Worten  zusammeugefasst :  „Durch 
das  ganze  Wesen  der  Elbe,  Nixe 
und  Kobolde  geht  ein  leiser 
Grundzug  von  Unbefriedigung  und 
Trostlosigkeit:  Sie  wissen  ihre 
herrlichen  Gaben  nicht  recht  gel- 
tend zu  machen  und  bedürfen  im- 
mer der  Anlehnung  an  die  Men- 
schen. Nicht  nur  streben  sie,  ihr 
Geschlecht  durch  Heirat  mit  Men 
sehen  zu  erfrischen,  sie  haben  auch 
zu  ihren  Angelegenheiten  des  Rates 
und  des  Beistands  der  Menschen 
von  nöten.  Obgleich  geheimer  Heil- 
kräfte der  Steine  und  Kräuter  in 
höherem  Grade  als  die  Menschen 
kundig,  rufen  sie  dennoch  zu  ihren 
Kranken  und  kreissenden  Frauen 
menschliche  Hilfe,  leihen  von  den 
Menschen  Back-  und  Braugeräte, 
feiern  selbst  ihre  Hochzeiten  und 
Feste  in  Sälen  der  Menschen.  Da- 
her auch  ihr  Zweifel,  ob  sie  der 
Erlösung  teilhaftig  werden  können, 
und  der  unv«'rhaltne  Schmerz,  wenn 
verneinende  Antwort  erfolgt." 

Den  stärksten  Gegensatz  zu  den 
Zwergen  bilden  die  Riesen.  Sind 
die  Zwerge  an  Verstand  dem  Men- 
schen überlegen ,  stehen  sie  ihm 
aber  nach  in  Bezug  auf  den  Körper, 


so  wohnt  gerade  bei  den  Riesen  in 
einem  kräftigen  Leibe  ein  beschränk- 
ter Geist.    Im  Norden  heissen  die 
Riesen  Jöfunn,  plur.    Jotnar,  das 
Simrock  von  dem  Got.  „essen*4 
ableitet,  so  dass  dadurch  der  Riese 
als  der  Gefrassige  bezeichnet  würde, 
während  der  andere  vorkommende 
Name  Thürs  mit  unterm  Durst  zu- 
sammenhängt und  so  dem  Rieaen- 
geschlechte   auch  die  Liebe  zum 
Trunk  zugeschrieben  wird.  Jeden- 
falls ist  sicher,  das*  in  dem  Wesen 
der  Rieseu  das  sinnliche  weit  über 
dem  geistigen  steht,  der  Körper 
weit  über  der  Seele.    In  der  Schö- 
pfungsgeschichte  sind  die  Riesen 
die  ersten  lebenden  Wesen.  Der 
Urriese  Ymir  ist  aus  dem  Nieder- 
schlag der  urweltlichen  Gewässer, 
aus  Reif  und  Tau  entstanden  und  aus 
seines    Leibes    ungeheurer  Ma.-<>e 
wurde  hernach  Erde,  Wasser,  Berg 
und  Wald  erzeugt.  Die  Riesen  wer- 
den für  dumm  und  eiutaltig  gehal- 
ten ;   in  der  deutschen  MvthoJo- 
*ie  wenigstens  wird  ihnen  Treu- 
erzigkeit  zugeschrieben ,  während 
sie  in  andern  Gegenden  Europas  in 
dem  Rufe  wilder  Mens*  heu  nvsüer 
stehen.     Doch   nicht   alle  Riesen 
trifft  der  Vorwurf  der  Dummheit. 
Lange   streitet    im  Rätselkarapfe 
Wodan  mit  dem  weisen  Vaftkrudnir 
und  erst  durch  einen  Trunk  aus 
Mimirs  Quelle  kann  Wodan  All- 
wissenheit erlangen.     Zum  Zorne 
gereizt ,   werden  die  Riesen ,  wir* 
es  bei  geistig  nicht  hoch  begabt»- u 
Wesen  in  der  Regel  der  Fall  fc*, 
furchtbar  ungestüm  und  sind  dann 
ebenso  tückisch  und  plump  im  Angriff, 
als  sie  gutmütig  und  plump  in  der 
Ruhe  waren.  Felsblöcke  werden  gc- 

§eu  die  Feinde  geschleudert,  ganze 
iäume  aus  dem  Boden  gerissen  und 
so  heftig  gestampft,  dass  das  Bein 
bis  zum  Knie  in  die  Erde  einsinkt. 
Zu  den  Göttern  stehen  die  Riesen 
bald  freundlich,  bald  feindlich.  Zwi- 
schen der  Wohnung  der  Riesen, 
Jötunheimr,    und    dem  Gottersitx 


f 


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1133 


Asaheimr  finden  häufige  gegenseitige  Wasserriesen  gehört  z.  B.  der  aus 
Besuche  statt.  Manche  Götter  sind  dem  angelsächsischen  Epos  Beowulf 
mit  Riesentöchtern,  die  sich  oft  bekannte  und  berüchtigte  Grendel, 
durch  bezaubernde  Schönheit  aus-  Spuren  von  Waldriesen  finden  sich 
zeichnen,  durch  die  Ehe  verbunden,  in  zahlreichen  Sagen.  Kyklonen- 
Wollen  aber,  wie  es  auch  geschieht,  mauern  kennt  nicht  nur  Grriecnen- 
die  Riesen,  gleich  himmelstürmendcn  land ,  sondern  auch  Deutschland. 
Titanen,  die  Götter  stürzen  und  die  Den  Riesen  werden  auch  hier  Bauten 
Weltherrschaft  an  sieh  reissen  und  der  Vorzeit  zugeschrieben.  In  Rie- 
entspinnt  sich  ein  Kampf,  so  ist  ihr  scnheryen ,  Rtcsenhürfetn,  Hünen- 
furcntbarster  Feind  Thor,  welcher  betten  dachte  sich  das  Volk  die 
mit  seinem  Hammer  schon  manches  Leichname  der  Kolosse  ruhend,  oder 
Rebellen  Haupt  zerschmettert.  Die  i  aber  es  sind  diese  oft  sehr  bedeuten- 
Rolle  Thors  als  gewaltiger  Riesen-  den  Erhöhungen  durch  Riesen  her- 
überwinder  wurde  in  der  christlichen  getragen  worden.  In  Norddcutsch- 
Sagengeschichte  dem  heil.  Olaf  an-  land  ist  die  Sage  weitverbreitet, 
vertraut.  Was  das  Verhältnis  zu  dass  ein  Riese  eiue  Brücke  über 
den  Menschen  betrifft,  so  ist  es  bei-  eine  Meerenge  bauen  wollte,  zu  die- 
nahe  rührend  zu  sehen,  wie  den  sem  Zwecke  Steine  oder  Sand  her- 
Riesen  die  Erdbewohner  zwar  an  beitrug,  dann  etwas  von  seiner  Last 
Körper  als  nichtige  Käfer  oder  im  fallen  liess,  wodurch  denn  ein  Berg, 
Staube  wühlendes  Gewürm  erschei-  eiue  Sandbank  oder  gar  eine  kleine 
ncn,  wie  sie  aber  doch  fühlen,  dass  Insel  entstand.  Die  grössten  Steine 
der  geistig  Starke  trotz  seiner  phy-  und  Felsblöcke  dachte  die  Volks- 
sischen  Schwäche  die  Fleischkolosse  phantasie  an  den  bestimmten  Ort 
immer  mehr  verdrängt  und  dass  sie  gesetzt,  weil  sie  einst  deu  Riesen 
selbst  so  vor  dem  Vorsehreiten  der  j  im  Schuh  drückten,  wie  uns  Sand- 
Kultur  einem  sichern  Untergange  körner  oder  kleine  Kiesel.  Mit  der 
entgegengehen,  wie  die  Urwälder  Grösse  steht  auch  die  Unempfind- 
und  die  wilden  Tiere,  welche  in  lichkeit  der  Riesen  gegen  Ver- 
diesen  hausten.  Wie  die  Riesen  letzungen  im  Verhältnis.  Ein  Blatt 
ihre  Abhängigkeit  von  den  Menschen  sei  auf  ihn  herabgefallen,  meint  der 
fühlen,  das  zeigt  die  weitverbreitete  j  aus  dem  Schlafe  erwachende  Hüne 
Sage  von  dem  pflügenden  Land-  Skrymir,  als  Thor  mit  seinem  Ham- 
manne mit  seinen  Zugtieren,  den  mer  ihm  einen  wuchtigen  Streich  aufs 
ein  Riesenmädchen  in  der  Schürze  Haupt  versetzt.  Auch  ihr  Hunger 
dem  Vater  als  artig  Spielzeug  zu-  und  Durst  ist  gross.  Der  Gargan - 
trägt,  von  ihm  aber  strenge  ange-  tua  des  Rabelais  steht  mit  jedem 
halten  wird  die  zappelnden  Dinger  Fuss  auf  einem  hohen  Berg  und 
wieder  an  Ort  und  Stelle  zu  bringen.  I  trinkt,  sich  niederbeugend,  den  da- 
Die  Riesen  wohnen  auf  Felsen  zwischenfliessenden  Strom  aus.  Stark 
und  Bergen;  ihre  ganze  Natur  hängt  sind  die  Riesen  auch  im  Stein- 
mit  dem  Steinreich  zusammen,  sie  '  schleudern ,  stets  findet  man  die 
sind  entweder  belebte  Steinmassen  ganze  Hand  des  Werfers  auf  dem 
oder  versteinerte,  früher  lebendige  harten  Blocke  abgedrückt,  ebenso 
Geschöpfe.  Auch  ihre  Schutz-  und  lassen  sie  im  Stein  Fusspuren  zurück 
Angriffs waffen,  Schild  und  Ketde,  und  ihre  ganze  Gestalt  ist  einge- 
sina  aus  Stein.  Wie  bei  den  Zwergen  prägt  in  Felswänden,  an  die  sie 
kann  man  aber  auch  bei  den  Riesen  sich  gelehnt. 

neben  Bergriesen  noch  Wald-  und  Der    Glaube    an    Riesen  ist 

Wasserriesen  unterscheiden,  je  nach  [  schneller  geschwunden  als  der  an 

ihrem    Aufenthaltsort.      Zu    den  die  Zwerge.    In  der  mhd.  Dichtung 


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1 1 34  Zwerge. 


wertlen  sie  besonders  von  höfischen  Kuneran,  im  Wolfdieterich  Hutzt 

Dichtern,  welche  ihre  Stoffe  aus  und  Welle.    Man  findet  denn  auch 

dem  Romanischen  entlehnten,  nur  von  Opfern,  welche  Riesen,  wie 

mit  allgemeinen  Zügen  geschildert,  freundliehen  Elben  und  Hausgeistern 

Lebendiger  und  drastischer  treten  gebrac  ht  worden  wären,  kaum  eine 

sie  in  der  Heldensage  auf,  so  im  bpur. 

König   Rotber  Aspirian,    Grimme  Nach:    Grimm    und  Simrocl;, 

und   Widolt,  im  Hürnen  Siegfried  Mythologie. 


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Sachregister. 


ABC-Schützen  lfiÖ. 
Abenteuer  L 
Aberglaube  1. 
Abschneiden  von  Nase 

und  Ohr  253. 
Abt  2. 
Acht  & 
Achteahl  1097. 
Ackerbau  iL 
Ackerfriede  2^4. 
Adalbert 
Adel  tt. 

Adetaradia  37jl 
Adelheid  378. 
Aderlassmann  948. 
Adler  388,  977. 
Adrian  378. 
Affe  1UL 
Afra  378. 
Agatha  3I& 
Aegidius  378. 
Agnes  378. 
Agnus  Del  12, 
Ahasver  166. 
Ahnmutter  225. 
Akademie  LL 
Akoluth  503. 
Akrostichon  HL 
Alah  3iLL 
Alamode  LL 
Albanus  37>L 
Albe  2£ä. 
Alben  322. 

Albertus  Magnus  379. 
Albi,  Albati  245, 


Albigenser  486. 
Aleheinfe  LL 
Alexander,  Sanct,  37'.». 
Alexandersage  liL 
Alexandriner  liL 
8t.  Alexius  16j  Slfi, 
Alkantara-OrcTen  863. 
Allegorie  16,  74, 
Aller  Heiligen  lfifL 
Aller  Seelen  IM. 
Allltterierender  Vers 

17,  15JL 
Allöd  1Ü. 
Almagest  212. 
AI  man  ach  IS* 
Almosen  3JL 
Aloisius  3IÄ. 
Alpharts  Tod  3M. 
Alphorn  lillL 
Altar  1A. 
Altarbckleidung  2L 
Alte  Leute  21* 
Alter  des  Lebens  21, 

Am  ad  is  um  Frank  reich 

22. 

Amalberga  379. 
Ambo  22. 

Ambrosianlscher  Lob- 
gesang _:>■ 
Ambrosius  370. 
Amiculum  267. 
Amtskleidung  994. 
Anastasius  379. 
A  neiden  28. 
Angang  22. 
Anna  311L 


Annalen  24j  280. 
Anuaten  2 1. 
Anniversarien  «1. 
Annolied  iL 

Annulus  piscatorius  8JL 
Anredeformen  132. 
Ansgarius  379. 
Autnolope  977. 
Antichrist  2fc 
Antipendium  25,  19. 
Antiphon  2JL 
Antonterherren  25. 
Antonius  der  Einsiedler 
37JL 

Antonius  von  Padua  379. 

Antrnstio  21L 

Antwerc  57. 

Apollinaris  37'.). 

Apollonia  379. 

Apollonias  von  Tyrus 
21L 

Apostel  27. 

Apostelbrttder,  Apo- 
stelorden, Apostoli- 
ker  30. 

Apostellöffel  30. 

Aposteltage  196. 

Apotheke  30j  35i 

Apsis  30. 

Aquamanilia  3L 

Arbogast  379. 

Archipoeta  [LL 

Architekten  85Q, 

Archivwesen  iL 

Aren  446. 

Arkebusierer  ^L  323. 
Armbrust  32,  62. 


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1136 


Sachregister. 


arme    Cölestiner  Ere- 
miten 212. 
Armen p  11  ege  -VI. 
Armer  Heinrich  391. 
Artillerie 

Artushöfe  487^  1122. 
Art  ossäre  litt. 
Ärzte 

Aschermittwoch  äfL 
Asch  3iL 
asinus  909. 
Ast  82L 
Astrologie  Ü1L 
Asyl  iL 
Athanasius  37 ft, 
Athis  und  Prophilias 

Attribute  der  Heiligen 

BIS. 

Augustiner  11, 

Augustiner  -  Regel  474. 
Aufgebot  3Ji2. 
Auskauf  857. 
Aussatz  4J^ 
Aussenstädte  935. 
Aussenwcrk  5JL 
Autobiographie  288. 
Ave  Maria  4jL 
Aventiure,  Avcnturiers 
L 

Axt  12, 

B. 

Babacane  96. 
Baccalaureus  1033. 
Bacchanten  169. 
Backsteinbau  33^  322, 
840. 

Bader    und  Barbiere 

1026. 
Badewesen  4i 
Bahrrecht  337. 
Haider  :LL 
Ball  Um 
Ballade  iü. 
Ballet  45, 
Ball  werfen  4JL 
Bänke  und  Stände  6_38_ 
Bann  40^  33^  9_5_L 
Bar  4JL 
B:ir  38_8_, 


Barbara  46j  379. 
Barbarossa  468,  1015. 
Barbigan  9J12. 
Barden  4JL 
Barett  525, 
BarfUsser  47,  21& 
Barlaam  und  .Josaphat 

Barmherzige  Brüder 

4JL 

Barmherzige  Schwe- 
stern 4JL 
Barockstil  4JL 
Baron  4ü, 
Bart  51i  am 
Basillaner 
Basilika  51^  873. 
Batzen  sHET 
Bauernhöfe  24Q. 
Bauerschaft  9_äfi. 
Baugen  66s,  855. 
BauliUtteiTa2. 
BUume,  heilige  SUL 
Beati  STL 
Beatus,  St.  379. 
Becher 

Beehtclitag  1£9. 
Befestigungen  der  al- 
ten Germanen 
Begharden,  Beginen 

Mi 

Behaimisch  54. 

Beheizungseinrichtun- 
gen 1105. 

Beichtbticher  hL 

Beichte  öl. 

Beichtiger  377. 

Beichtstühle  ü 

Beil  i2, 

Beilager  393, 

Beinhaut  237. 

Beinkleider  55. 

Bekenner  377. 

Belagern»?  57_j  537, 
543. 

Benedikt   von  Nursia 

am 

Benediktiner  •  Orden 

60. 

Benediktionen  62. 
Benefizialwesen  570« 


7.  5HL 


Beowulf  ülL 
Berehta  6ti. 

Bergfrid  59,  9JL 
Bergreihen  07, 

Bernhard  von  Clairvaux 

380. 

Bernhardiner  67. 
Beruhardiner  von  der 

Observanz  (II. 
Bernhardinus  von  Siena 

3m 

Bermvard  3SQ. 

Bertha  22Ö, 
,  Berührung  K4l . 
i  Bescheidenheit  222. 

Bett  562. 

Bettelorden  67,  2&L 
Bettclwesen  1>8. 
Beunde  68. 
Bianchi  265. 
Bibelübersetzungen 
6S, 

Biblia  pauperum  HL 
Bibliotheken  HL 

Biene  39X 
Bier  72. 

Bifang-   und  Bifansr- 

recht  73. 
Bilder,  religiöse  HL 

Birgitta  330, 
Birgittenorden  7-">. 
Bisehof  76. 
Bischofsstab  267. 
Bispel  7JL 

Biterolf    und  Dietleib 

Bittgänge  77, 
Blaphart  28. 

Blasius  380. 
Blau  17& 
Blcidc  59_. 
Bleistift  902, 
Blitz  a2A 
Blond  HL 

Blume    der  Tugend 

7JL 

Blumenorden  7JL 
IU u mens p räche  7^. 

ßlumcnstäck  62jL 
Blut  823. 
Blutbann  iß. 
Blutrache  HL 


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- 


Sachregister. 


1137 


Bock  387. 

Böcke  7JL 

Bockopfer  74t;. 

Bogren  SIL 

Bogenschützengesell- 
schaften 8£L 

Böhmische  Brüder  7SL 

Böller  33. 

Bonifacius  H80. 

Boten  8Ü5, 

Botendienst  VL 

Brache  5. 

Brakteaten  &L 

Brandmarken  *)f>3. 

Branntwein  &JL 

Bratsche  s2. 

Braun  113. 

Braut  214. 

Brautfrau  143. 

Brautkauf  141,  214, 

Brautkranz  142,  892. 

Braut lanf  S27142. 

Brettspiel 

BreTe  83. 

Brevier  SIL 

Briccius  380. 

Briefmaler 

Bronzezeit  946, 

Brot  &L 

Bruch  55. 

Brücken  SJk  932. 

Brüekenbrfider  und 
BrUckeuknpellen  SIL 

Bruder  Rausch  &1* 

Brüder    des  freien 
Geistes  &L 

Brüder  der  strengen  Ob- 
servanz 212. 

Brüder  vom  gemein- 
samen Leben  S8. 

Brüdersebaften  87, 

1121. 
Brünne  SS,  363. 
Branncu~sk  843. 
Brunnen  ~äls  Gefaase 

Bruno  330, 

Biiehdruckerkunst  SLL 
Bücher  U2. 

Büchse  36. 
Buden  33JL 
Büffet  1111. 


Buhllied  IKL 
Buhurt  9JL 

bullarium  -m. 
Bulle 

Bulle,  goldene  3ÜL 

Buudhaube  524. 

Bundschuh  94j  243. 

Bnoseui  173. 

Burg  94,  241,  930,  936. 

BUrgerl&lL 

bürgerliche  Feste  200. 

Burgfrieden  11. 

Burggraf  Ü1L 

Burgkapellen  47w. 

Burgstall  95, 

Burkhard,  hl.  380. 

Burs,  Burse  9^  1035. 

Bursfelder,  Kongrega- 
tion 62. 

BuHstajre  öl« 

Byzantinischer  Bau- 
stil 97. 


C. 

CUcilia  Iis. 
Calatravaorden  863. 
Calvarieuberg-e  99, 
Campus  Madius  9JL 
Campus  Martius  ■>•». 
Canon i.^sae  fi2i. 
Capitularia  101. 
Carmina  burana  101. 
Carolina  1Ü2, 
Ca^sianus  3so. 
Cassius  38JL 
Castor  3SÜ. 
Cato,  deutscher,  102, 
Celte  944. 
centena  440. 
Centenar  303, 
Central  bauten  102. 
Chiromantie  101. 
Chokolade  104. 
Chor  104.  874. 
Chorrock  26JL 
Chorschüler  Uli}. 
Chorstühle  105. 
Christkind  22iL 
Christophorns  105. 
Christusbilder  lfiL 


Rea'leitoon  der  deutichen  Altertümer. 


Chroniken  233. 

Chronostichou  107. 

Ciborium  107,  UL 

Cingulum  2SET 

Cisiojanus  962. 

Cisterclenser  -  Orden 
109,  508. 

Cifhära  112, 

Clara  380. 

Clara-Orden  213. 

Ciaret  1075. 

Clareta  I0JL 

(Klarissen  21 1. 

Clavichord  691. 

Cluniacenser- Kongre- 
gation 112,  61^  507. 

Codex  canonum  475. 

Cölestiner-Orden  LLL 

Cmibat  Iii, 

collazie  ISO. 

Collegia  Musiea  114. 
13. 

Columban  380. 
comnoaitio  183. 
Confessores  377. 
Coustantin  d.  Gr.  380. 
Corbinianus  380. 
Corpus  juris  canonici 
4±L 

Cosmas  und  Damianus 

am 

Credo  233. 

Crispinns  und  Crispiuia- 

nus  H80. 
Crota  313. 
Cunibert  38L. 
Cyglat  9.33, 
Cymbeln 

Cvthara  teutonica  69H. 


D. 

Dachabdeckung  955. 
Dachreiter  LLL 
Daktylische  Verse  115. 
Dalmatica  233, 
Damast  115. 
Dame  1 1  5. 

Decretum  Gratiani  I7(j. 
Dei  irratia  115,  517. 
Denar  BlfL 

72 


113S 


Sachregister. 


Deutsch  115. 
Deutsche  Gesellschaf- 
ten 11"). 
Deutsche  Reiter  IliL 

deutsche  Schulen  909. 

Deutschgesinnte  Ge- 
nossenschaft LLiL 

Deutschherren  5J_L 

Deutschorden  861 , 

Diakon  50JL 

Dichter  HfL 

Dielung  213. 

Dienstadel  L 

Dienste  der  Kolonen 
248. 

Dienste  in  der  gotischen 

Baukunst  309. 
Dienstmann  656. 
Dicnstinanneu  -  Rechte 

118. 

Diesirae  dies  lila  11AL 
Dietrich  Ton  Bern  1  LiL 

Dietrichs  Drachen- 
kampfe 398. 

Dietrichs  Flucht 

Ding,  echtes  und  un- 
echtes, 277,  441. 

Dingfriede  234. 

Dionysius,  heil.,  380. 

Diptychen  Lüh 

Directorium  humanae 
Tltae  12!L 

Disciplina  clcricalis 
121L 

Dismas  38Q. 

Disputatiouen  1035. 

Doctor  1034. 

Dolch  120. 

Dolmen  945. 

Domenieus  3&L 

Domherrn  474. 

Dominikaner  -  Orden 
120,  hüL 

Domkapitel  507. 

Douar  122,  322. 

Donatus  381. 

Doppelhaken  361. 

Dorfpoesie,    hüll  sehe, 

Dorfstädte  9&L 
Dorothea  3_8_L 
Doxologien  124. 


Drache  124.  3m 
Dragoner  12Ü. 
Drama  1  -  •">. 

Dreifeldersystem  4. 
Dreikönigsfest  1Ü1L 
Dreipass  193. 
Dreissig  1098. 
Dreissigste  586. 
Dreiteiliger    Strophen  - 

bau  o'JO. 
Dreizahl  1096. 
dritter  Orden  21L 
Drude  1BL 
Drudeufuss  CLL 
Du,  Duzen  ltt2. 
Dudclsack  Tüä, 
dult  198. 

Dukaten  134^  ßlfl. 
Durchschlüpfende  Tiere 
643. 

dürrer  Baum  468. 
Dusek,  Duseke,Dlsak, 
Disecken  1114, 


E. 

Ebenhöhe  5JL 
Ebenholz  1112. 
Eber  SSL 
Eberopfer  745. 
Ecbasis  98JL 
Ecken  Ausfahrt  397. 
Eckhart,  der  getreue 

Edda  IM* 

Edeling  6_ 
Edelknabe  14AL 
Egerte  &. 
rliaftiii  not  U1L 

Ehe  U1L 

Ehescheidung  145. 
Ehre  &m 
Ehrenstrafen  954. 
Ehrschatz  14ö. 

Eiche  375. 

Eid,  Eideshelfer, 
Treueid  14i 

Einhom  977. 
einigung  iL 
Eisen,  heisses  336. 
Eisenalter  944. 


Elben,  Elfen  148*  322, 
1128. 

Elbschwanenorden 

L4JL 
Elefant  977. 
Elemente,  Tier,  141». 

112. 

Elend   und  Elenden- 

Herberge  149. 
Klfenbelnarbeitenl~><», 

783,  849,  1112. 

ElisäbetnaSL 
Kllbogen-Geschütze  36_. 
Elster  389. 
Email  L±L 
Eromeran  381. 
EneyklopHdieu  151, 
2si 


Engel  1Ö3,  19JL 
englische  Komödianten 
129. 

englischer  Seh  weiss 1 05 4 . 
Enkomium  Moriae  Ti  4, 
Enthauptung  951. 
Entmannung  953. 
Epiphanias  19JL 
Epistelseite  IM. 
Kpistolae  obseuroru  in 

virorum  1~>4. 
Epistolare  165. 
Epochen  44fi 
Epos  1>">5. 
Erasmus,  heil.  381. 
Erbämter  415. 
Erbrecht  liV 
Erde  hliL 
Erek  lik 
Erker  96,  8£L 
Erlöserorden  Hl 
Ermenrlch  159. 
Ernst  Herzog  1  »V.». 
erste  Messe  413. 
Erstgeburtarecht  172. 
Ertränken  9:»  2. 
Erzürnter  415. 
Erzblschof  1Ü1L 
erzen  133. 

Erzguss  1G0,  786^  78i>, 
801. 

Erziehung-  161j  21vl 
Brniotar  Iis. 

ErzjK)et  3_L 


d  by  Google 


Sachregister. 


1139 


Erzpriester  479. 
Esche  3IIL 
Esch  iL 

Eselsrücken  317. 
Eselsrest  104. 
Eselsritt  955. 
Etzel  UlL 

Etzels  Hofhaltung  3m 
Eustachius  381. 
Eulenspiegel  KU. 
EYangeliarlum  105. 
EYaugellenharmonien 
16». 

Evangelienseite  105. 
Erangelisten  10ö. 
Ewald,  heil.  381. 
Ewiger  Jude  100. 
Exhortatio  ad  plebem 

christlanam  167. 
Exorcist  5Q:t. 
Extersteine  787. 
Exuperautius  381. 


Fabel  B2JL 
Fabian  :<M. 
Faeetiae  lüiL 
Faden  823. 
Fagott  20k 
Fahne  168j  £2L 
Fahnlehen  522. 
fahrende  Leute  686. 
Fahrende  Schüler  1S9. 
910. 

Fahrendes  Yolk  U1L 
Falken  3JL 
Falkenbeize  HL 
Fall  112. 
Fallgatter  lü 
Falithor  L 
Familie  122. 
Familiennamen  9±  763. 
Farben  Ü2JL 
Farbenspraehe  UJL 
Fasching  177. 
Fasten  1Z& 
Fastentueh  177. 
Fastnacht,  Fasnacht 

■  NM 

I  77. 

Fastnachtspiele  12L 


äiL 


Faust,  Dr.  lliL 

Faustrecht  1*3. 

Fechtkunst  18ö. 

Feder  9.QSL 

Federfechter  185. 

Federflug  ü±2. 

Feen  UüL 

Fegfeuer  IM. 

Fehderecht  1S3. 

Feiertage  liLL 

Feldgeschrci  533. 

Feldnonnen  5_L 

Felicitas  aaL 

Felix  und  Regula 

Femgericht  IM, 

Fenster  193,  811^  882. 

Festbezeichnuug  961. 

Feste,  christliche  IM, 

Feste,  weltliehe  19s, 
III* 

feudum  577. 

Feuer  201.  S24. 

Feuerprobe  :n6. 

FeuerwalTen  202,  59, 

Feuerwerksbuch  8JL 

Fibeln  2M. 

Fideikommiss  IL 

Fidel  l.'l 

Fides  8_8_L 

Findelhaus  1062. 

Flnkenritter  20L 

Fischblase  IM. 

Flagellanten  2fi2. 

Fliegende  Mütter  2iLL 

Fliesenfuasboden  24JL 

Flohgediehte  2üL 

Flores  temporum  285. 

Florentius  3JLL 

Florian  SÄL 

Flore  und  Mansche- 
flur 205. 

Flöte  1DJL 

Flüsse  20JL 

Folter  410,  984. 

Formelsammlungen  u. 
FormelbUcher  2ÜI. 

Fortunat  208. 

fragner  356. 

Framea  20». 

Francisca  42. 

Franziskauerorden 
209,  5J1L 


i  Francisco  v.  Assisi  88 1 . 
Fraticelleu  212L 
Fraueu  213,  133* 
1  Fraueudienst  217,  418^ 
868. 

Fraueuhaus  222,  103;*. 
Frauenzi  oiiner  228» 
Fred  um  9_5_L 
Freia,  Fria,  Frigg  2ft4. 
tifL 

Freidauk  222, 
i  Freie  Kttuste 
Freier  Stand  22s,  \h 
Freiheitsstrafen  Ö5JL 
Freiherr  231,  kl 
Freihof  21L 
Freimaurerei  2ÜL 
Freischiesseu  9_1L 
freie  Reichstädte  911. 
Freist&dte  9_4iL 
Friede  233,  1*3. 
FriedhöIeiM. 
Fried  kreuz  637. 
Friedlosigkeit  2  ■  . 
Fridolin  38_L 
Frö,  Freyr  231. 
Fron- 

Frondienst  240. 
Fronfasten  Ufi. 
FronhoTe  239. 
Fronleichnamsfest 

24JL 
Fronwage  357. 
Froschmüuseler  243. 
frouwe  und  wip  B2SL 
Fruchtbringende  Ge- 
sellschaft 
Frühling8naehtgleiche 

Fuchs  57,  9Ö0. 
Fünfzahl  109L 
i^Urst  2KL 
FUrstenschulen 
Fussbekleidung  2±h* 
Fussboden  illL 
Füsse  820. 
Fusswaschung  241k 

G. 

Gabel  2M. 
Galanterie  2ML 

72* 


Digitized  by  Google 


1140 


Galeere  917^  919. 
Galten  foöj  B8& 
Gallus  381, 
Gamblson  368. 
Ganerbschaft  IL 
Gangolf  Ml* 
harten  250,  846. 
Gassenhauer  268, 
Gast  ,  Gastfreund- 

sehaft  i'-'i 2. 
Gaathandel  S5L 
Gau  254,  33i*. 
Gauch  ÜB. 
Gaunertum  255. 
Gebende  22iL 
Gebhard  SSL 
Gebück  53, 
Geekeiigesellschaften 

na. 

Gefängnisstrafe  954, 
Gefässe 

Ge  Hisse,  häusliche  25s. 
GefUsse ,  kirchliche 

mL 

Gefolge  wesen  2<i  1 . 
Geige  ß9_S. 
Geigenklavier  Tül. 
Geisel  2li2. 
Geissler  262. 
Geisslung  953. 
Geistliches  Ornat  2«5. 
Geistliche  Spiele  126. 
Gekrönten ,    die  vier 

3ÜL 
Gelb  ITH. 
Geld  26$)j  ßfijj 
G  elejrenhe  i  t  sdlc  htere  i 

209. 

Gelehrtentracht  2fi2. 
Gcleitswesen  358. 
Gemahl  3_9_iL 
Gemalte  Facaden  842. 
Gemeine  Mark  5. 
Genovera  270,  382. 
Genre-Malerei  62 1 . 
Geographie  271. 
Georg,  heil.  273,  382. 
Ger  5JLL 

Gerade  274,  IM, 
Gereon  382, 
Oerichtsdiener  1029. 
<  Jerichtshauä  688. 


Gcrichtsladung  954. 
Gerichtswesen  214* 
Germanen  278. 
Gertrud  382. 
Gervasius   und  Prota- 

sius  382. 
Geschenke  948. 
Geschichtsehreibung 

218, 
Geschlecht  122, 
Geschleekterstaat  288. 
Geschrei  956. 
Geschütznamen  711. 
Gesellen 

Gesellenschiessen  911 
Gesellschaftslieder 
2S8. 

Gesta,  Geste,  Chanson 

de  Geste  28». 
Gesta  Romanorum  2ML 

Gestirne  326. 
Gestrickte  Hosen  5JL 
Getreidearten  ß. 
Gewandhaus  487. 
Gewann 

geweihter  Bissen  33  L 
Gewitter  32fi, 
Gewölbebau  305j  Slfi. 
Gewölberippen  309. 
Gezogene  Läufe  362. 
Giebel  839. 
Giessgefässc  2JüL 
Gildewesen  LL21L 
Gläf  5JLL 

Glasfabrikation  1113. 
Glasfenster  1110. 
Glasmalerei  290,  8. Vi. 
Glaubensbekenntnis 

Glocke  2iWL 
Gloekcnuamen  712. 
Glockenrad,  Glocken- 
spiel 2US* 
Glorie  IM, 
Glosse  2im, 
GlUckskafeu,  Glttcks- 
topf  21ÜL 
GlUcksrad  3ÜÜ, 
Goar,  St.  382. 
Godehard  382. 
Goldene  Bulle  Ml* 
Goldenes  Vliess  «02. 


Goldschmie  dearbeiten 

789,  849. 
Goliarden  169. 
Gotischer  Baustil  302. 
Götter  der  Germanen 

322. 

Götterda,iumerung32t;. 

Göttertempel  und 
Götterbilder  330. 

Gottesfreunde  333. 

Gottesfriede  333,  IM* 

GottesurteilelSL 

Gottfried    v.  Kappen- 
berg 382. 

Gott  Vater  322, 

Grabhügel  582. 

Grabkapellen  479. 

Grabmaler  338. 

Grabstätten  580. 

Grabstein  237,  IßfL 

Graf  331L 

Gral  3JIL 

Grandmontaner* 
Mönchsorden  344. 

Gras  819. 

Gregor  d.  Gr.  382. 

0 regor  vom  Steine  34  4. 

Gregorianer  Bs. 

Gregorianische  Kalen- 
derreform 470. 

Gregorianischer  Choral 
677. 

Gregor! us fest 

Grenadiere  34«. 

griechisches  Feuer  202. 

Griselda  347. 
i'Grisette  175. 

Groblanus  34s. 

Groschen  34  s,  673. 

Grosshändler  352» 

Grün  HS. 

i  Gudrun  34S.  ^ 
Gudula 

Gugel  525^  526^  ftöfi. 
Guidonische  Hand  682- 
Gulden  613, 
Gürtel  62a 


Haar  352,  2HL 
Hackbrett  699. 


d  bv  Goo 


1141 


Häfeleinbuben  910. 
Haga  553. 
HagelhüchMO  ilfL 
Hagestolz  85ja  382. 
Hahn  388. 

Halm  auf  dem  Glocken- 
turme ttftft. 

Halmonskinder  3r>3. 

Haingraben  331» 

Hakenbüchsen  8tt& 
360. 

Hallenkirchen  316,  885. 
Hülm  K>ll. 
Halsberge  3>">4. 
hämit  5JL 
Hammer  354. 
Hammerteilung  4. 
Hand 

Handarbeiten  3  .">:>. 
Handberge  3M* 
Handel  3äfL 
HHndewaschen  3,">9. 
Handfeste  Mi 
Handfeuerwaffen  3Ö9. 
Handrohr  3ßX 
Handschuhe  30^  266, 
36JL 

Hand-  und  Fussabhauen 

953. 

Handwerker  1123. 
Hängen  95_L 

Hansa  9)9. 

Hansen  1123, 

Hansgrafen  35JL 

Hanswurst  3#2» 

hantgemäl  36JL 

Harfe  699. 

Harnisch  303. 

Hasel  3IfL 

Hatschier  369. 

Haubitze  309,  3JL 

Haufnitz  36. 

Hauptbüchsen  3JL 

Haupt-  und  Staatsaktio- 
nen 131L 

Haus  im  hohen  Adel 
IL 

Hausgeister  1131. 
Hausmarke  3<>9. 
Hausmeler  370. 
Haus-  und  Hofstatt  L 
Hedwig  382, 


Heerbann  371. 
Heerfriede  '234. 
Heergeräte  Lüh. 
Heerschild  373. 
Heersteuer  374. 
Heerwesen  370. 
Heilige  Bäume  37JL 
Heilige  Tiere  3*6. 
Heiligenbilder  Hl 
Heiligenschein  733. 
Hei  Ilgen  verehrung 

Heiligsprechung  377. 

Hcimfriedc  23A. 

Heimgarten  25-L 

heimliches  (iericht  lßü. 

heimstiur  141. 

Heinrich  II.  382. 

Heinrich,  armer  39 1 . 

Heinzelmännchen  U&L 
i  Heiraten  und  Hoch- 
zeiten 3JLL 

Hei  31LL 

Helbling  31LL 
!  Heldenbuch  394. 
!  Heldensage  397>. 

Hi  lena  38JL 

Heiland  39IL 

Hellebarte  11IL 
'Heller  40^  tili 

Helm  fiflC 
jHelmbrtinne  404. 

Helmzierde  404. 

Hemd  9JH,  993. 

Henker  1029. 

Herbstopfer  7  17. 

Herd  740. 

herisliz  312, 

Herold  ULL 

Herr  407».  13IL 

Herrenhaus  239. 

Herzog  4Uö. 

Hexenhammer  409. 

Hexen  und  Hexenpro- 
zesse 407. 

Hieronymianer  8Ü. 

Hieronymiden  410. 

Hieronymus  382. 

Hildebrandslied  411. 

Hildegard  382. 
I  Himmel ,    Erde  und 
Elemente  ii-. 


Hinrichtung  958. 
Hippokras  1075. 
Hirlanda  104H. 
Hirten  102* 
Hirtenstab  267. 
historia  tripartita  279. 
Historienbibeln  413. 
Historienmalerei  618- 
Hoboe  704. 
höchgezit  20iL 
Hochzeit  142,  3ÄL 
'Hochzeiten,  geistliche 

Hochzeitsgeschenke  393. 
Hochzeitslader  3Ü3. 
Hof  247. 
Hofümter  413. 
Hofburgen  95. 
Hofdienst  9j  ÜäL 
Hofhaltung  2J1L 
Höfische  Dichtung  41 
Hofkapellan  480. 
Hofnarren  4lM  . 
Hofrecht  21L 
Hofrichter  4Ü. 
höker  35_1L 
Hölle  394j  971. 
Holmgang  335. 
Holunder  376. 
Holzarbeit  845. 
Holzarchitektur  422. 
Holzschneidekunst 

Holzschnitzerei  789^  79s. 
Holztafeldruck  9_L 
horae  canonicae  963. 
Htfrlgkeit  434,  241L 
Horn  434. 

Hörnerner  Siegfried 
434. 

Hortulus  deliciarum 

43iL 

Hosen  55. 

Hospitäler  511. 

Hospitaliter  des  hl.  An- 
tonius 2JL 

Hospitaliter  oder  Ho- 
spitalbriider  43i 

Hube  3. 

Hubertus  'd^L 

Hufe  3, 

Hugdietrich  3ä9_ 


xJ  by  Google 


1142 


Sachregister. 


!  Interlinearversion  29JL 
Investitur  457,  TL 


Hügelgräber  580. 
Humanismus  485.  2ßü 
H  um  Hi  utenorden  4JL1L  j  Joachim  383. 
Hunde  tragen  955.         Joch  Ochsen  643. 
Hundenamen  711. 
Hunderte  254. 


Hundertschaft  410. 
HUnengrabfH  U  neu  h  e  1 1 

441,  5S0. 
Hungertuch  177. 
Höpen,  Hipen  73fl. 
Hürde  5^ 
Hürden  9JL 
Husar  441 . 
Hut  441,  524. 
Hyacmlhus 
Hymnen  4Ü 


I  (J). 

Jagd  44:;. 
Jäxjerschreie  445, 
Jahresanfang  445. 
Jahresbezeichnung- 
44fL 


Johanneshymne  683. 
Johannesminne  oder 
Johannessegen  457. 

Johannes  Chrysostomus 

383. 

Johannes    der  Täufer 
388, 

I  Johannisfeuer  2ffl  1 . 
Johannistag  1  '.''■». 
Johanniter  861L 
St.  Johannstanz  LÜ52. 
Joseph 

irische  Schrift  90k 
Irmin  458. 
Isengrimes  not  ä&L 
1  Isengrimus  9hl , 
iserkolzen  Sfifl, 
itis  211. 

Jubeljahr  45s. 
Juchart  4^ 
Juden  459,  175. 
Julfest  198. 


Jalireselnteiluug  411. j  Jungbrunnen  2-J4. 


Jahreszeiten  447. 
Jahrmarkt  639. 
Jahrzeit  586. 
Jahrzeitbuch  44s. 
JakobsbrUder  44s. 


Jungfrauen,  11000  283, 
Junker  ifla. 
Junkerhöfe  487. 
Junkerkonipagnien 
1122. 


Jambisches 

44JL 

Ida    von  Toggenburg 
271 . 

Idhunn  111L 
Jesuitenorden  44«J. 
Jesuitenstil  48. 
Ignatius  383. 
ihrzen  132. 
Illuminatcn  233. 
I  nulluni tUt  462,  8* 
Impostor i  bus  de  t  ri  bus 
402. 


Vers m ass  Iwein  465. 


Kaedmon  lüli. 
Käferkultus  3ALL 
Kaffee  4£L 
Kaiserchronik  467. 
Kaisersage  467. 


Kalande,  KalaudsbrU- 

der  468. 
Kalander  9TL 
Kalender  4ft9. 
Index  librorum  prohi-  Kamaldulenser  4-71. 

hi forum  452,  453.     Kamin  740 
Indiktion  4537  Kamm  412. 

Inkunabeln  454.  Kammerbüchsen  30^3^0. 

Innungsvereine  H2L    j  Kämmerer  414 
Instrumentalmusik  £9_L  Kammergericht,  kai- 
Inquisition  455.         I    serliches  412. 


Kampf  urteil  335. 
Kannen  47:t,  25*. 
Kanone  203. 
Kanoniker  474. 

Kanonische  Stunden  >4. 
9Ü3. 

Kanonisches  Rechts* 

buch  475. 
Kanzel  477. 
Kanzler  477, 

Kanzleibeatnte  '.«"4. 
Kanzone  693. 
Kapelle ,  königliche 
K  apelle,  Kaplan  47s. 

Kapitalsclirift  905. 
Kapitularen  474. 
Kapuziner  4ML 
Kardinalshut  268. 
Karl  d.  Gr.  38JL  46JL 
Karlspfund  67  s. 
Karlssage  4si . 
Karmeliter  ls-j. 
Karolingische  Schrift 
905. 

Kassenbüchsen  38. 
Kartaunen  äfi. 
Kartäuser  -Orden  4^:1. 

Kasperletheater  4M. 
KastenTOgt  4s4. 

Katalanisches  Weltge- 
mälde 273. 

Katechismusstücke  808. 

Kat  barer  4H4. 

Katharina  383. 

Katzen  f>9. 

Kauffahrt  358. 

Kaufhaus  4sti. 

Kauflierrn  357. 

Kaufmännische  Gilden 
1123. 

Kawertscheo  4s;. 
Kebse  LLL  1037. 
Kegel  4SI. 
Kegelspiel  Iss, 
Keil  533. 
Kelch  4SS,  258. 
Keller  ^SL 
Kelnhof,  Kelhof  41»  K 

Kemenate  491, 
Kerbholz  4i»l. 


d  by  Google 


Sachregister. 


1143 


Keiner  28JL 

Kerzen  und  Lichter 

Kesselfang  338. 
Kessler  402. 
Ketzer  492,  485. 
Keole  IMT 
Kiel  918,  919. 
Kilian  383. 
Kinderfahrten  1051. 
Kinderreitne  4Ä4, 
Kinderschrei  642 
Kinderspiele  4 93. 
Kindlein  wiegen  JJiL 
Kint  SM. 
Kapellen  885. 
Kirchenbau  848. 
Kirchenlied  495. 
Kirchhof  2üfi, 
Kirchturme  499. 
Kirchweih  195. 
Klabatermännchen  148. 
Klaffe  500,  9_5JL 
Klavichöra  699. 
Klavicymbalum  700. 
Klavicyterum  700. 
Klaviorganum  700. 
K 1  e  i  d  erord  n  un  ge  n 6  00. 
Kleiderstoffe  9_9_SL 
Kleidung  23Ü. 
Kleinhandel  356,  618. 
Klerus  503. 
Klopfan  504. 
Klosteranlaireii  504. 
Klostcrgeistlichkeit, 

Farben  derselben  175. 
Kiosterschulen  163. 
Knallbüchsen  3so. 
Knappe  864. 
Knecht  512» 
Knittelrerse  514. 
Kobold  1131,  14s, 
Köcher  514. 
Kocke  919. 
Kolben  514. 
Kollegiatstifter  5ikL 
Kölner  Gewicht  672. 
Kolonen  2JÄ. 
Komödie  128. 
Kompasskarten  273. 
Kono  214. 
Konfiskation  951. 


Kongregation    von  St. 

Maurus  62, 
König  der  Spiellcute 

514. 

König  Ortnit  39JL 
Köuigshof  240. 
Königsfriede  235., 
Köuigsgericht  412. 
Königtum  und  Kaiser- 
tum 51&. 
Konkordanzen  523. 
Konkordate  523. 
Konrad,  hl.  3s3. 
Koustatfeln  JLl^L 
Konzilien  i»  .">',+. 
Kopf  524. 

Kopfbedeckungen  524. 
Kopftuch  525. 
Koppelwirtschaft  4^ 
Kopulation  392. 
Korb  52fL 
Kosegarteu  25_L 
Kramnandel  356. 
Kranz,  Kranzsingen 

521. 
Krebs  57. 
Kredenzbecher  2JKL 
Kreuz  528.  822. 
Kreuzer  531L 
Kreuzes  Erfindung  197. 


Kreuzes  Erhöhung  197. 
Kreuzfahrer  53o. 
Kreuzgewölbe  30."). 
Kreuzurteil  337. 
Krie  533, 

Kriegswesen  533,  370. 
Kromleh  245." 
Krone  54  s. 
Kronleuchter  588. 
Krönung  517,  520. 
Krönungsinsignien 

549, 
Krummhorn  784. 
Kruzifix  553. 
Küchenmeister  414. 
Küchenmoder  945. 
Kuckuck  38JL 
Kugel  des  Glucks  300, 
Kugeln,  gegossene  60. 
Kümmernis  3H3. 
Kunigunde  888. 
Kunkelmagen  178. 


Kuustdichtung  -418. 
Kunstepos  4JJL 
Kunstepos,  höfisches 
15JL 

Kunstgewerbe  847. 
Kunstlied  6J}0. 
Kupfersteehkunst  554. 
Kttrass  560. 
Kurtisan  560. 
Kurzweilige  Räte  718. 
Kuss  561. 
Kutschwagen  1060. 
Kyrie  eleison  49JL 

L. 

Lagerstätten  5_£2. 
Lagerwesen  5JJI. 
Laienbuch  899. 
Lambertus  3s3. 
Lampe  564. 
Land-  und  Grenzwehren 
54, 

Land  bedecken ,  um- 
reiten 642, 

Land  umgehen  und  um- 
pflügen 642. 

Lim  der  und  Städte 
5114. 

Landesherr  247. 

Landesritterschaft  871. 

Landfahrer  356. 

Landfrieden  564 ,  184. 

Landgericht  277. 

Landgrafen  565. 

Landkarten  565. 

Landschaftsmalerei  üliL 
624. 

Landsgemeinden  56 7. 
Landsknechte  567, 375. 
Landstände  043. 
Landwehren  570. 
Lanze  570. 

Lanzelet ,  Lanzelot 

5JLL 

Lauben  32Jj  639. 
Lauf  642. 
Laufgräben  61L 
Laurentius  3h 3. 
Lau rin  39JL 
Laute  691,  70 1, 
Lebendig  b< 


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1144 


Sachregister. 


Lebensalter  2_L 
Leberreime  572. 
Lectionarium 
Legenda  aurea  512. 
Legende  ~>7  2. 
Leges  barbarorum  57:1. 
Lehnswesen  »76. 
Lehrlinge  112(i. 
Leibeigenschaft  512. 
Leibcastrafen  952. 
Leibzucht,  Leibgedinge 

146. 
Leich  513. 
Leichenbestattiing 

Leineweber  1028. 
Lels  58«,  264,  498. 
Lektoren  50JL 
Lendner  ♦'»sc,. 
Leodegar  888. 
Leonhard  383. 
Leopold  IV.  afiiL 
Lersen  5s  7. 
Lesedrama  130. 
Letze  587,  570. 
Leoninische  Verse  5so. 
Lettner  477. 
Leuchter  587. 
Liber  vagatorum  251, 
Liborius  38JL 
Libri  feudorum  5S9. 

Libro    del  Consulato 
917. 

Lichter  432, 
Lichtschere 
Liebe  218. 
Lied  5ML 
Linde  375. 
lit  1024. 
Liten  59Ü. 
liturgische  Farben 

114, 
Löffel  aÄL 
Lohengrin  591. 
Lohnschreiber  904. 
Loki  6flL 
Longinus  383, 
Los  571,  4,  143.  386. 
Luther  und  Maller 

Lotto  299. 
Lucia  3£3. 


Lucius  888. 
Luctdarlus 
Ludger  3*JL 
Lud us  Mg,  i2<;. 
Ludwigslied,  Ludwigs- 
ieich 5&L 
Lügenmärchen  5M. 
Luntensch  loss  598,361. 
lustige  Rate  7is. 
lütertrank  1075. 
Luxbrüder  18JL 
Lyra  UtfL 
Lyrik  äiKL 
Lyrik,  höfische  417. 


M. 

Maccaronische  Poesie 
51>L 

Mudrisral  594,  090. 
Magdalena  383. 
Magdalcnerinneu  5 94. 
Matrelone  594. 
Magister  594,  1033. 
MatrnllicarSTL 
Magnus 

Magschaft  158,  112. 
Mahlzeiten  5<)4. 
Malfeld  597,  99, 
M  ai  fest,  Mälfah  r  t,  M  n  i  - 

ritt  ML 
Mai-Lehen  üfifi. 
Majordomus  :*7tt. 
Mäkler  358. 
Mal  herrische  («losse 

Malerei  598. 
Malleus  maleficarum  409. 
Malvasier  1075. 
Mandorla  f2& 
Mange  5JL  • 
Manipel  26T>. 
Manneskraft  648. 
Mannschaft 
Mantel  62ttj  267,  82L 
Marcellus  384. 
Marga  5JL 
Margaretha  384. 
Maria  228. 
Marienbilder  628. 
Mariendichtung  630. 


Marienfeste  19ä, 
Marienkultus  !ÜL 
Mark,  gemeine  5. 
Ma  r  kgenossensc  ha  f  t 

0J14. 
Markgraf  030. 
Markt,  Marktplatz 

037,  356,  671. 
Marktbeamte  357. 
Marktfrieden  889. 
Marktrecht  938. 
Marschalk  (»40,  i_LL 
Martin  von  Tours  384. 
Märtyrinnen,    die  vier 

grossen  384. 
Märtyrer  19(L 
Marten  322. 

Martinsgans,  Martins- 
lied Ü41L 
Martyrologien  279,  572. 
Marxbrüder  185 
Märzfeld  Ü4_L 
Masse  041. 
Maternus  384. 
Mauerbrecher  88. 
Mauern  933. 
Mauritius  384. 
Medardus  384. 
Mehrstimmigkeit  679. 
Meier 

Meierhof  2_LL 
Meineid  146, 
Meise  389. 

Meister,  sieben  weisse 

04iL 
Meister  117. 
Meistergesang  »44. 

685. 

Meisterstück  1124. 
Melusine  040. 
Menschenopfer  743. 
Mensuralmusik  6ü2. 
Merseburger  Zauber- 
lieder Ulli. 
Messe  Gregors  382. 
Messgewand  266. 
Messen  047. 
Messer  047,  S22. 
Met  Ü4L 
Metzen  38. 
.Milte  838. 

I  MinderbrUder647,^K». 


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Sachregister. 


1145 


Miniaturmalerei  Kl  7. 
BUnlml  fratres  (ü<L 
Ministerialität  OÖO,  % 

Minne  M 
Minnedienst  ^  fifiiL 
Minnesänger  0~>s.  fisä. 
S70. 

Miuoriten  050,  210. 
Miss!  dominiei  üüL 

Misteria  126. 
Mitgift  i_2_l 
Mitrn  (top.  2«6,  -V26. 
Monatnnnien  BML 
Mönchssehrift  90fi 
Münchs»  esen  001 . 
Mond  ä^iL 

Monochord  ßjn_,  m± 
Monogramm  1Ü. 
Monogramm  Christi 

oo_L 
Monstranz  <>«u. 

Montes  piotatis  1072. 
Möraz  1075 

Morgen  (Ackermassi  4. 
Morgengabe  144, 
Mörser  3JL 
.Mörtel  Mä, 
Mtihlen  005. 
Müller  102s. 
Mummenschanz  007. 
Mund  820. 
Mündigkeit  22. 
Mundiuni  liü.  UiL 
Münz«' 

MUniwesei  or>7. 
Musik  071. 
Musikinst  mmenteoos. 

Muskete  707. 
Muspilli  707. 
Mütze  7077l2_L 
Mystik  TüL 


700, 


N. 

Nachtigall  3hh. 
Nachtwächter 

1029. 
Nähen  3JÜL 
Namen  710. 
Namen  der  Humanisten 

13A 


Namen  der  Ministerialen 

Namen    von  Sachen 
IliL 

Namengebung  lfil . 
Nationales  Volksepos 

im 

Narren  712. 
Narreuhüuschen  710, 

Xarrenschirt'  714. 
Naseiischirme  7_LiL 

Nebenstädte  »38. 


Nekrologien  7 1«). 
Nestel  7_2iL 
Netz  720. 
Netzhaube  ä2n, 
Neu^creut  ä* 
Neujahrskarten  430. 
Neujahrsnacht  109- 
Neulateiner  43S. 

Seumen  720.  <i77. 

Nibelungen-Klage  729. 

Nibelungenlied  720. 
Nicolaus,  hl.  3H4. 
Nimbus  lüiL 
Nixen  733.  OHL 
Norbert  SftL 
Nomen  7:u. 
Notburga  3H4. 
Noten  «35,  fiso 
Notfeuer  2JLL 
Notgestalden  2iüL 
Nothelfer  384. 
Novelle  735. 


O. 


Oberhof  24L 
Oblate  739 


Oblati  907. 
Obstwein  1<>74. 
Ochse ii zu u !rp  7  40. 
odal 

Odin  740. 
Ofen  741L 

öffentliche  Weiber  1037. 
Öffnungen  711,  loso. 
Ohr  820. 

Oh  raren iinge  741. 
Ohrstern  712.  I  Passauer  Kunst  1030. 


Oktaven  712.  105. 
Oktavianus  7 40. 
Öl  LLL 
Ol berge  712. 
Oper  lü  693. 
Opfer  7_LL 
Oratorium  <>'.»:{. 
Ordulien  71».  ::34. 
Orden  710. 

<  taten  von  St.  Jago 
Ordines  flo4. 

Orendel  Iül 

Organistrum  679,  703. 
Onrel  740.  691,  704. 

<  >rgelgesehütze  36_. 
Ornament  B3& 
Ornat,  geistlicher  2JÜL 
ort  älL 

Ortnit  751. 

Ortsnamen  710. 

Ostereier    751.  199. 

Osterfeier  ÜLL 

Ost  er  teuer  754.  2<  >  1 . 

Osterspiele  12ft 

( >stiarien  503. 

Oswald  Ii>_L 

Othmar 

Ottilia  3iLL 

Otto  hl.  üäi. 


P. 

Paalstab  UÜL 
Palas  lifL. 
Palhnpseste  7  55. 
Palissaden  755. 
Palme  755. 
Palmenorden  755,  245. 
Palmsonntag  755. 
Pallium  75."t<  i>r»7 
Pancratiu«  :ts;>. 
Panisbrlef  755. 
Pantaleon  888. 
Panther  077. 
Panzer  7 50. 
Pauzerbrecher  7  5K. 
Papier  750. 
Parentel  158. 
Parzival  750.  3JJ1 


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1146 


Sachregister. 


Passional  759. 
Passionsspiele  759 

126. 

Paternoster  887. 
Pastourelle,  Pastorell 

Patriziat  UL 
Patrizier  &1L 
Patroclus,  hl.  385. 
Patronat  Uber  Kirchen 

im. 

Pavese  898. 
pax  Dei  333. 
Petrinal  359. 
Pegnltzschafer  lüü. 
Pelz  7m 
Pelagius  385. 
Pentagramm  7 Gl,  IflL 
Pergament  761. 
Perlen  Ifil* 
Perlmutter  7(>1. 
Perrllcken  Ui2* 
Personen-  und  Fami- 
liennamen 763. 
Peterspfennig  7(>s. 
Pfaff  7(>ft. 
Prahlbauten  769. 
Pfahlbürger  717. 
Pfalz  240. 
Pfalzgraf  717. 
Pfarrer  772. 
Pfeifergericht  773. 
Pfeil  82L 
Pfeiler  308^  8m 
Pfellel  992. 
Pfennig  773,  £12, 
Pferd  775305, 
Pferdenamen  711. 
Pferdeopfer  744. 
längsten  195,  199, 
Pflug  823. 

Pflugschar,  glühende 

BSJL 
Phönix  I&L 
Physiologns  782,  Slfi, 
Pickelhering  1ÄÜ. 
pigment  1075. 
Pflaster  834. 
Pistolen  IM* 
Planeten 

Planetenfolgen  782, 
Plaphart  782. 


Plastik  7 83. 

Platte,  Platten  rllstnng 

804,  387. 
Plüvlale  267. 
Poetenkrönung  43X 
Polizeidiener  102t». 
Polterabend  soi, 
Ptfnitentialbtichersü^ 
Portal  882,  884. 
Portalbau  836. 
Porte-chaises  1061. 
Portativ  705. 
Portluncula-Ablass 

805. 

Positiv  705, 
Postwesen  805. 
PrUmonstratenser  M)7. 
Pranger  808,  638, 955. 

iiredella  19. 
»rediger-Orden  120, 
Predigt  8ÜS. 
Predigtstuhl  477. 
Priamel  811, 
Priester  811. 
Priester  Johannes  812. 
princctos  246. 
Pritscnenmeister  812. 
Probenachte  &12* 
Prozession,  symbolische 

Prozessionen  77. 
Propheten  S12. 
Pseudoisidorische  De- 
kretalien 813. 
Pumphose  993. 
Puppen  814. 
Puppenspiele  814. 
Purpur  815. 
pyxis  107. 


Quartanen  3JL 
Quintern  702. 
Quirinus  385. 


Rabe  383. 

Rabenschlacht  815, 

ii9,  aas* 


Racketten  7  05. 
Rad,  rädern  815,  952. 
Radkarten  272. 
Radegundis  385. 
Radschloss  361. 
Rakete  203 
Ramme  M5. 
Rapier  8i:>. 
Rasselkarren  816. 
Rathans  816,  321,845. 
Rationale  26JL 
Rätsel    und  Bitsei- 

lieder  817,  908. 
Rauchge fasse  s\m. 
Rauschpfeife  705. 
Rebec,  Kibible  703. 
Rechtssymbole  819. 
Reclusi  6_L 
Regal  705. 
Regalien  824. 
Regenbogenschüssel- 

chen  821. 
Regenschirm  824. 
l  Regina,  hl.  385. 
regulierte  Chorherrn 

114. 
Reichsadel  10. 
Reichsapfel  S24.  551. 
Reichsdörfer  824. 
Reichskammergericht 


Reichskleinodien  S25, 

52L 

Reichsrichterschaft  10, 

Reichsstädte  836,  940. 
Reichsversammlunir. 

Reichstag  S25. 
Reifröeke 

Reigen  965. 
Reim  824L 
Reimehronlken  82s. 
Reinardus  981. 
Reinaert  982, 
Reinhold  385. 
Reinke  de  vos  983. 
Reiterei  37_r,  585. 
Reitzeug  779. 
Remigius  385. 
Reliquien  H2s. 
Renaissance-Stil  SSO. 
Renner  85">. 


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Sachregister. 


1147 


Repetiergeschütz  3iL 
Residenz  518. 
retabulum  19. 
Richtachwert  1031. 
Richtstätte  63s, 
Richtsteig  hhh, 
Rind  387. 

Ring        266, 822,  900. 
RinggeToT269,  668. 
Ringpanzer  3*i3. 
Ringwall  .riM. 
Riesen  112& 
Ritomell  693. 
Kittergesellschaften 
SÖ8. 

Ritterorden,  geistliche 

&&& 

Ritterorden,  weltliche 

Ritterorden  857. 
Ritterstand  8_. 
Rittertum  SflSi 
Rochus 

Rock  SG9,  993. 
Rockschoss  821. 
Roland  Ü1L 
Roman  871. 
Roman  de  Renart  981. 
Romanische  Baukunst 

Rosen- Fenster  3 1 2. 
Rosengarten  sst. 
Rosengärten  398. 
Rosenkranz  887. 
Rosenkranzbilder  62iL 
Rosenkreuzer  888,232. 
Rossdienst  10, 
Rot  173,  flüi 
Rota  fiUL 
Rötha  702. 
Rother  888, 
Kot  welsch  ss9.  »jyr. 
Rudolf,  GräTssiL 
Ruffian  222. 
Rulandsbilder  889. 
Runen  8JHL 
Ruodlieb  891. 
Rupertus  38JL 
Rüstung  89^  ML 
Rutemrag  9J0. 
Kütten  5JL 
Rybeben  IDA 


S. 

Säbel  vrL 
Sachsenspiegel  SftL 
Sackpfeife  705. 
Sage 

Salbung  517,  520. 
Salhof  m 

Salisches  Gesetz  SM. 
Salländereien  242. 
Salomon  und  Markolf 

Salvatorbilder  101 
Salzfass  894,  258. 
Samlung,  samnung  5_4_. 
Sammt  99.2. 
Sancti  3IL 
sarge  MLL 
Sarkophag  S91. 
Sarwürkcr  36Ü. 
Sattel  8m 
Sattelhof  UL 
Saufänger  S9ö. 
Säule  8I&. 
Säulenbau  &S2. 
Sax 

Schachspiel  Bftfii 
Schäfer  1028. 
Schall  £12. 
Schalmei  IDJL 
Schamkapsel  S9<>. 
Schandbilder  S9JL 
Schandbrief  896. 
Schandkorb  Ms. 
Schandpfahl  63S. 
Schapel  896j  219,  52:». 
Scharfmetzen  36. 
Scharfrichter  1029. 
Schärpe  SM. 
Scharwacht  SM. 
Schaube  896,  looo. 
Schecke  9_9.fi. 
Schein  612. 
Schere  89^ 
Scheitholz~ID3. 
Schenk  MH^  414. 
Schiesspulver  203. 
Schiff  als  Gefass  2afi. 
Schiffahrt  SM. 
Schiffnamen  711. 
Schild  SM. 


Schildburg  53JL 
SchildbUrger  S9S, 


Schilling  fiitf. 
SchimpflicheTracht955. 
Schinden  953. 
Schirmvogt  s9iL 
Schläfer,  sieben  385. 
Schlangen  36,  3S9. 
Schlaraffenland  s99. 
Schleier  899,  525. 
Schleuder  899. 
Schleuderkasten  5JL 
Schlossarchitektur  885. 
Schlossbau  842. 
Schlüssel  822. 
Schmiedearbeiten  850. 
Schmucksachen  899- 
220. 

Schnabelschuhe  900, 

218. 

Schnapphahnschloss 

ML 

Schnecke  918,  91AL 
Schneider  99A 
Schnelle  Handluug  613. 
Schöne  216. 
scholares  vagantes  910. 
Scholastik  90JL 
Scholastica  385. 
Schönheit  218,  ÖfiS. 
Schb'pfung  der  Welt 

901. 
Schreiber  903, 
Schreibknnst  9Ü2. 
Schreibschulen  909. 
Schrift  SlfijL 
Schwabenspiegel  9JJL 
Schwanjungfrauen  1M2. 

Schwänke  737. 
Schwarz  IIS. 
Schwegel  706. 
Schweisstuch  Christi 
911* 

Schweizerisches  Kriegs- 
wesen 540. 
Schwert  915,  82L 
Schwertmag  9H>. 
Schwerttanz  926. 
Schulen  137, 
Schüler,  arme  SIL 
Schiller,  fahrende  ülWL 


1148 


Sachregist»  r. 


Schultcrflügel  36L 
Schultheiss  906j  277, 

Schulwesen  900. 

Schupiss  iL 
Schürze  911. 
Schüsseln  »11,  258. 

Schuh  90g"TOi  820  • 
Schute  ftlfi. 
Schätzen  feste  im. 
scramasax  915. 
Sebald  385. 
Sebastian  385. 
Scbastians-Brüdersehaft 

912, 
Seelbad  43, 

Seelgerlit ,   Seelh  aus, 

Seelbad  916. 
Seeversicherung  917. 
Seewesen  916. 
SegenssprUche  920. 
Seide  922. 
Seidh  4QL 
Seil  823, 
Sekretäre  431. 
Selige  SIL 
Semperfrei  92 1 . 
Sendboten  659. 
Senescbalk  413. 
Sequenz  921 . 
Servatius  385. 
Servietten  921,  596. 
Sessel  1104. 
Severinus  385. 
Sibyllen  921. 
Sieben   freie  Künste 

 MMl 

Sieben  weiseMeister  643. 
Siebenzahl  109JL 
Siegel  922. 
Sigenot  397. 
Sigismund,  heil  385. 
Singen  und  sagen  117. 
Sippe  158,  112. 
Sitzraum  642, 
Sixtus  II.  385. 
Skapulier  924. 
Sklaverei  953. 
Skulptur  Z88. 
Söldner  374 
Solidus  fifiL 
Solmisation  fi8_L 


Sommer  und  Winter 
924. 

Sommersonnen  wende 

Sonne  und  Mond  925. 

Sounenteiliing  4* 

Sonnenwenden  198. 

Sonett  924. 

Sonntag  Hü 

Span  822, 

Specht  38JL 

Speer  925,  570,  821. 

Sperber  389. 

Spezerei  B5JL 

Spiegel 

Spiele  924. 

Spielkarten  92s. 

Spielleute   928,  170, 
514,  1028. 

Spiess  571. 

Spilmägen  173. 

Spindel  822. 

Spindelmägen  173. 

Spinett  IÜ3. 

Spinnen  355. 

Spinnräder  92S,  3j>5_. 

Spiritualen  212, 

Spitäler  33. 

Spitzen  921L 

Spitzwälle  53, 

Sporen  929. 

Sprichwörter  929, 

Spruch  930. 

Staatskalender,  römi- 
scher 213. 

Stab  930,  820,  994. 

Stadtbefestigung  93Ü. 

Stadtbuch  943. 

Stlidte  93:i. 

Städtischer  Holzbau 
424. 

Stadtrechte  942. 
Stadtschreiber  913. 
Stahl  943. 

Stand-Armbrust  5JL 
Standart  169. 
Stünde,  Landst&ude 

943.  / 
Stände  228. 
Stände  und  Bänke. 
Stanislaus  385. 
Stanzen 


Stärke  der  Hühner  643. 
Stauchen  944. 
Stauf  258. 
Stäup  944. 
St  au  ps Hule  944. 
Stäupung  953. 
Stecher  944. 
Stecherschloss  3Ü2. 
stehende  Heere  375. 
Stein  der  Weisen  LL 
Stein-,  Erz-  und  Eisen- 

alter  911. 
Steingräber  5ÜQ, 
Steinigen  952. 
Steinmetzen  1121« 
Steinmetzzeicheu  53. 
Steinringe  53. 
Steinskulptur  786^  79y. 
Stelzschuhe  947. 
Stephanus  385. 
Sternbilder  947. 
Sterndreherlied  131. 
Steuerwesen  94K. 
Sticken  355, 
Stiefel  248. 
Stiftaherrn  414. 
Still-Leben  S24, 
Stock  618. 
Stola  266. 
Storch  389. 
Strafen  950. 
Strafverfahren  956. 
Strassen  321,  939. 
Strassennamen  939. 
Strebebogen  313. 
Strebepfeiler  813. 
Streitgedichte  126., 
Strickerei  95s. 
strikte  Observanz  233. 
Strohwische  824, 
Strlünpfe  95S. 
Stubengesellschaften 

1122, 
Stuhl  959,  £23. 


Stundeneinteiluug  963. 
Sühngeld  183, 
Sukkcnie  993. 
Sumpfburgen  5JL 
Surkot  9M. 
Sutane  959. 
Swanz  934. 
Swertleite  864. 


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Sachregister. 


1149 


swertmägen  173. 
Sylvester  199j  335« 
Symphonie  693. 
Syndikus  94JL 
Synoden  HäiL 


T. 

Tabernakel  WL 

Tabulatur  645. 
Tafelmalerei  600. 
Tasrelieder  iüiiL 
Tagesbezeiehnuiig'lMH . 
Tageseinteilung  W>2. 
Tagewerk  4. 
Talparii  5_iL 
Tannengcsellselinft 
!>03. 

Tannhiiuser  tMÜ 
Tanz  ÜMfL 
Tanzwut  1052. 
Tappcrt  Siüü. 
Tarant  VL 
Tarrasbüchsen  36, 
Tartsche  fciÜL 
Taschentücher  ÜiÜL 
Tassen  OttT).  2JÜL 
Tauche  r-Sch  w  i  in  m  - 

apparatc 
Taufgelöbnisse  iüüL 
Taut'kap«llen  47m. 
Tau Tst eine  '.Mm. 
Teilung     der  Kleider 

Teller  JIGTj  25A 

Tempel  330. 
Tempelherrn  s.")S. 
Teppiche  WJ7_j  1107. 
Tertiarier  211. 
Terzine 
Testament  159. 
Teuc  nlauk  1MSS. 
Teufel  äfÜL 
Textilkunst  Sä2. 
Tcyuhof  4jifL 
Thaler  <>74. 

Thebaisehe  Legion  384. 
Tnecla  3js(L 
Theobald  ML 
Theodor  'ML 
Thomas  Aquinas  Sflfi. 


Thomas  Cantuar.  386. 
Thor  7_UL 
Thorc  UM. 
Thorburg  £6, 
Thüre  ÜÄL 
Tiara  UT^  266,  52k 
Tierbifiler  i)7_L 
Tiere  23. 

Tiere,  hellte  3ML 
Tierfabel 
Tierkunde  «HL 

Tieropfer  744. 
Hersage  ÜÜL 
Tierstüek  «;-J4. 
Timotheus  3afL 
Tinte  iiOJL 
Tintinabulum  Hifi. 
Tjost  liSL 
Tip 

Tisch  !>S3,  LÜH  ff. 

Tischräte  IJA 
Tischzueht  äiüL 
Titurel  1>VL 
tivas  3_2jL 
Toccata  692. 
Tod,  schwarzer  1046. 
Todesstrafe  951. 
Töpferarbeiten  852. 
Tortur  9S4. 
Totenbäume  582. 
Totfall  lü 
Toteiifelder  23JL 

Totenklage  500. 
Totcnkleid  »sc>. 
Totenleuchter  *)8<>. 
Totentanz  i>8(t. 
Tracht  9h*. 
Tracht  der  Geistlichkeit 

26A 
Tragödie  128. 
Trag-Stuhl  lotil- 
Traktat  TOT. 
Trauerk  leider  101*. 
Treimunde  919. 
Treueid  1 45. 
treuga  Dei  333. 
TrÜorien  31 1. 
Trikots  Ü9JL 
Trinitatis  L9JL 
Trinken  1077. 
Triiikhönicr  1015. 
Trippen  248. 


Tristan  1015,  1045. 
Trobock  51l 
Trojanischer  Kriey 
HM7. 

Trommel  IÜL 
'Trompete  7or>. 
Troubadours  685. 
Truchsess  414. 
Truhe  1018. 
Truimnscheit  703. 
Tuchhaus  4fVL 
Tumba  3m 
Tümmler  3fL 
Tunicella  1018. 
Tunika  1018. 
Turm  95,  306^  31^  882, 

931,  9J4^ 
Turmuamen  TJJ^  M35, 
Turnier  1018. 
Turniergesellschaften 

855. 

Tympanon  316,  SS2, 
Tympanum  706. 
Typus  14. 


U. 

Übergangsstil  tüü 
{ ibcrsctzumrcn  1 024. 
Ihren     1020 ,  1104. 

1109  ff 
Ulrich,  hl.  aM. 
Umzüge  1027. 
Uneheliche  Kinder  144. 
Unehrliches  Begräbnis 

Unehrliche  Leute 

1027  ,  U2S. 
Unfreiheit  hl 

Ungelt  aia, 
Universitäten  1031, 

437. 

Unterrock-Hose  5JL 
Uozialschrift  20_5_ 
Unzucht  1036. 
Urban  L  386, 
Irbarhllchcr  1038. 
Urfehde  lOttfl. 
Ursula  386. 

Irsulinerinnen  1039. 

Ussiere 


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1150 


Sachregister. 


V. 

Vaganten  103»,  169. 
Valentinus  38JL 
Yallombrosa  1040. 
Vasall  1040. 

Vasallität  fi. 
Vehmgericht  18JL 
St.  Veitstanz  lflaS. 
Verbannung  '■'.">  l. 
Verbrechen  23ä. 
Verbrennen  952. 
Verklärung  Christi  L9JL 
Verlobung  141,  392. 
Verlobungsnng  14 1 . 
Vcronica  3_8JL 
veter  buoch  573. 
Verurteilung  957. 
Victor  &ÜL 
Videl  6ü8, 
Vierpass  l'J4. 
Vierteilen  9_5jL 
Viertelsbüchsen  3JL 
Vierung  h74. 
Vierzahi  IflflfL 
Vierzig  IO'.ks, 
Vigilia  9&L 
Viola  032. 

Virgatum-Gehen  910. 
Virginal  7Ü3, 
Vigilius,  hl.  3SJL 
Visierung  26_L 
Vita  572,  27S, 
Vita  cononica  474. 
Vitae  pat nun  1041. 
YitalienbrUder  1041. 
Vitus  386. 

Vliess,  goldenes  3D2. 
Vogt  1042. 
Vögel,  heilige  388. 
Vokabularien  299. 
Volksbücher  1044. 
Volksepos  418. 
Yolkskrankhelteu 

104«. 
Volkslied  1055,  C89. 
Volksrechte  573. 
Vorkauf  357. 
Vorstädte  im 


W. 

Waehholdcr  3Ifi. 
Waffcnnamen  710. 
Waffen  -  Untersagung 

Wage  S5L 
Wagen  1000,  S23. 
Wagenburg  1001,  535, 
533, 

Wägen  der  Hexen  3J1& 
Wahrzeichen  1001. 
Waisenhäuser  lölü 
Waldgeister  1131. 
WalkUren  10G2. 
Walpurgis  38JL 
Walpurgistag  19JL 
Walserfeld  468. 
Waltharilied  i0<i-2. 
Wams  996. 
Wandelaltar  liL 
Wanderschaft  der  Ge- 
sellen U2L 
Wandgräber 
Waneu  32jL 
Wappen  1006. 
Wartburgkrieg  100t». 
Wasser  S2JL 
Wasserburgen  5JL 
Wassergeister  LULL 
Wasserorgel  706. 
Wasserprobe  33JL 
Wasserreichen  597. 
Wasserspeier  311» 
Weben  dhh* 
Wechsler  1071. 
Weggeld  39JL 
Wenrhaftmachuug  1£1L 
Weib 

Weidsprüche  445. 
Weihnacht  1072,  195, 
199. 

Weihrauchgefä88  260. 
Wein  1074,  823. 
Weingefasse  107;*. 
Weinglocke  1077- 
Weinhandel  1076. 
Weinpoesie  1079. 
Weinschenken  1076. 
Weisende  Tiere  lQsQ. 
Weise  Weiber  402. 


Weiss  113. 

Weisse  Dame  67,  22h* 

Weisskuuig  loso. 

Wcistttmer  1080.  . 

Welscher  Gast  10M. 

Wenzel,  hl.  33A 

Wergeid  1QM. 

Werwolf  10S2. 

Wessobrunnergebet 
10*2. 

Wetterhahn  lQsJ. 

Wettrennen  779. 

Wichte 

Widder  57. 

Widderopfer  746. 

Widerlage  14 1. 

Widerruf  955. 

Wieland  HÜÜ. 

Wigalois  10s3.  um:. 

wilde  Jagd  1USSL 

Wiigefortis  383. 

Wilhelm    von  Öster- 
reich 104."' . 

Wilhelm  von  Orlenn* 
10S4. 

Wilhelmiter  10s4. 

Willehad 

Willehahn  10S4. 

Willibald  386_ 
Willibrod  3SÜ. 
Willkomm  10*5. 
Willkommbecher  260. 
Wimperge  314. 
Wind  326. 
Winde  äß6, 

Winde  und  Weltgegeii» 

den  lONfr. 
Winsbeeke  und  Wins- 

beekin  lOsrt. 
Wirken  356. 
Wirtshäuser  1077. 
Witwe  10M>. 
Wochenmarkt  639. 
Wochentage  10S7,  961. 
Wodan  1088,  323. 467. 
Wohnhaus  321^  844. 
Wolf  388^ 
Wolfdietrich  82S. 
Wolfgang  Sag. 
Wolken    und  Nebel 

Wurf  oder  SchoM  ML 


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1151 


WUrfelspiel  KM»'». 

Wurfzabel  S2. 
Weitendes  Heer  iOSö, 


Z. 

ZaboUpiel  32» 
Zaddelwerk 
Zahlen  I0i>r>. 
Zargen  5TU. 
Zattelwerk  10W». 
Zauber  1QW). 
Zechen  8JL 
Zehnte  llOiL 


Zehnzahl  ,1097. 
Zeige  4, 

Zeitrechnung  4  4 ♦  '> . 
Zeitungen  1101. 
Zepter  1101, 

zerschnittene  Hosen 
56. 

Zerstörung    der  Woh- 
nung 954. 

Zigeuner  1101. 

Zi  rinne  raus  statt  unir 
1102,  845,  849. 

Zimmerdecken,  ge- 
schnitzte 1112. 

Zimmergeräte  1  KM. 


Zingel  9JL 
Zinken  "06. 
Ziu  1118. 
Zoll  Iiis. 
Zucht  867. 
Zuchtmeister 
Zugabe-Zahlen  1098. 
Zunft-  und  (iildewesen 

Zweikampf  ä&L 
Zweiundsiebenzig  1098. 
Z»  erire  1128,  LÜL 
Zwillich  Ö9jL 
Zwinger  iAiL 
Zwölften  LäiL 


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*a]Ja:idju£  Puu^aifacj 

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jojafcj  aa^  uajjipjoa^  uaijaq  aa<j  aauta  sjp  ijiß  jupj^  Ja;]<»uataujoaiaq 
jpuijua^ppjdg  UM  <jun  uaQiipijioa  te)  110a  aqpfcsiift  aaq  111  sttu  1)1  fcuulj.H 
'jaqjn  J9j4j«P^  J}Q  'i»"PJjq  Ql!q»^n!5  saQiiajiiaqaqjaia  s\v  'aiAioc; 
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