Reallexicon der deutschen
Altertümer, 2e, umgearb. Aufl
Ernst Götzinger
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I teallexicoi
Deutschen Altertumer.
Sn Hand- und Nachschlagebueh der Kulturgeschichte
des deutschen Volkes
henrbeitet von
Dr. E. Götzinger
Zweite vollständig umgearbeitete,
vermehrte und
illustrierte Auflage.
Leipzig, iH8r».
\ i . r | ;i. lt ron Woldemar Urban.
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Reallexicon
der
Deutschen Altertümer.
Hand- und Nachschlagcbuck der Kulturgeschichte
des deutschen Volkes
bearbeitet von
Dr. E. Götzinger.
Zweito vollständig umgearbeitete Auflage
mit 157 Illustrationen.
Leipzig,
Verlag von Waldemar Urban.
1885.
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Alle Reihte vorbehalten.
Druck toii Metrrcr & Willig In l.el|.zifr
Aus dem Vorwort
zur ersten Auflage.
„Das 'Reallexikon deutscher Altertümer macht keinen
Anspruch auf* selbständige fach wissenschaftliche Forschung;
die letztere läge sowohl ausserhalb des Umfanges des Werkes,
als noch viel mehr ausserhalb der Arbeit und Kraft seines
Verfassers. £s stützt sich deshalb das ganze Werk auf
die Arbeiten anerkannter Forscher, wobei von Kontroversen
mögliehst Umgang genommen wurde. Die angeführten Quellen
sind also nicht dazu bestimmt, den Umfang der vorhandenen
Litteratur irgendwie zu erschöpfen, ein solches wäre hier ein
eitles Unternehmen; sondern dieselben sollen teils mitteilen,
woher der Verfasser sich Rats erholt hat, teils denjenigen
I^sern, welche den Originaldarstellungen näher rücken wollen,
einen ersten sichern Weg besonders zu solchen Schriften wei-
sen,, wo die Quellen in weiterem Umfange angeführt sind.
Iii der Auswahl dieser Quellen sind dem Verfasser bewährte
Freunde bereitwillig zu Dienste gestanden; doch hat er sich
von Anfang an nicht verhehlt, dass ihm vorläufig manches,
älteres sowohl als neues, entgehen werde; von neueren Werken
aber musste manches deshalb bei Seite gelogt werden, weil sie
für ein Werk wie das vorliegende noch zu wenig abschliessende
Resultate der Forschung enthielten; denn wenn unserer Arbeit
auch das Bemühen zu Grunde liegt, sich auf der Höhe der
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IV Vorwort zur rrstni Auflage.
gegenwärtigen Forschung zu halten, so will sie doch auch kein
Fundort neuaufgebrachter Hypothesen sein, sondern im grossen
und ganzen solche Kenntnisse und Ansichten vermitteln, iür
welche bewährte Forschor und Schriftsteller als Zeugen ange-
zogen werden können. Es muss zugegeben werden, dass bei
der befolgten Methode manche Artikel verwandten Inhaltes in
ihrer Auffassung sich einigermaßen ausschliessen , es schien
dies aber thunlicher und bei der jedesmaligen Nennung der
Quelle gewissenhafter und ehrlicher, als wenn überall der Ver-
such gemacht worden wäre, verschiedene Anschauungen durch
allerlei Mittel und Mittelchen künstlich in eins zu verschmelzen.
In der Auswahl der aufzunehmenden Artikel war eine
gewisse Unsicherheit nicht zu vermeiden; sie haftet jedem ähn-
lichen Werke an. Wurden auch von vornherein historische
Persönlichkeiten, Örtlichkeiten, Landgebiete und Namen ethno-
graphischer Natur ausgeschlossen, so blieb doch noch oft zwei-
felhaft, ob ein Artikel in das Fach der Altertümer und nicht
vielmehr in dasjenige der Geschichte oder des Wörterbuches
gehöre und blieb in solchen Fällen die Aufnahme oder Ab-
weisung desselben vom Takte des Verfassers und vom Umfange
der vorhandenen Hilfsmittel abhängig. Wie zahlreiche Alter-
tümer Hessen sich nennen, die heute noch jeder kulturhistori-
schen Bearbeitung ermangeln, und wie viele mögen zwar
bearbeitet, aber in schwer zugänglichen Büchern, Zeitschriften
u. dergl. mehr oder weniger versteckt sein? Doch dürfte die
geschehene Auswahl dem Bedürfnisse wissensbegieriger Leser
im ganzen entsprechen. Dass auch der Umfang der einzelneu
Artikel oft von der Beschaffenheit der Quellen abhängig ist,
versteht sich von selbst.
Gegenüber einem Wörterbuch des klassischen Altertums
hat ein ähnliches für das Mittelalter bestimmtes Werk mehr
als eine Schwierigkeit zu überwinden. In ungleich höherem
Masse als in der antiken Welt liegt im Mittelalter fast alles
im Fluss der Kntwickelung, so dass Anschauungen, Sitten,
Gebräuche, Sachen, Zustände dor verschiedensten Natur oft
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Vorwort zur eraten Auflage.
V
von der urgermanischen Zeit durch zahlreiche Entwickelungs-
stufen bis dahin durchgeführt werden wollen, wo sie aufhören
Altertum zu sein. Noch charakteristischer aber ist für das
Mittelalter, dass die sachlichen Altertümer oft so augen-
fällig hinter der beweglichen Welt der Sitte, des Gemütes, des
Rechtes, der religiösen Auffassung zurücktreten, was alles
deutlich darzustellen ungleich schwieriger ist als die plastische
Welt des konkreten Lebens; und doch handelt es sich in
einem Werke wie das vorliegende nicht sowohl um Einführung
in den ,, Geist des Mittelalters", sondern die Formen dieses
Geistes sollen sich demjenigen öffnen, der Toilnahme und Ver-
ständnis dafür entgegenbringt. Auch die zahlreichen Berüh-
rungen des deutschen Mittelalters mit anderen Völkern, von
den Kelten herab zu den Iren, Angelsachsen, Skandinaviern,
Franzosen und Italienern erschworen eiuo einheitliche und
kompakte Darstellung, und nicht minder der durch die land-
schaftlichen Zustande bedingte Unterschiede, zumal von Obor-
und Niederdeutschland.
Wenn es nun auch nicht zu vermeiden war, dass an
verschiedenen Orten dieses Werkes gewisse Einseitigkeiten zu
Tage treten, so ist anderseits nicht zu vergessen, dass über
der schwer zu kontrollierenden Mannigfaltigkeit auch eine Ein-
heit der Anschauung ihre ebenso grosso Berechtigung hat; sie
soll die einzelnen divergierenden Strahlen in eino gemeinsame
Lichtquelle sammeln. In diesem Sinne und Geiste war der
Verfasser zu arbeiten bemüht."
Vorliegende Worte, ursprünglich als Prospekt nach der
Beendigung des ersten Vierteiles des Real Wörterbuches verfasst,
mögen hier wiederholt und durch einige weitere Anmerkungen
ergänzt werden. Manchem Leser dürfte eine gewisse Ungleich-
heit in der Darstellungsweise und Behandlung der einzelnen
Artikel aufgefallen sein, und zwar nicht bloss bei solchen
Artikeln, die ich mir von befreundeter Hand ausarbeiten liess,
sondern auch, was weitaus bei den meisten der Fall ist, in
den von mir bearbeiteten; manches ist kürzer und knapper
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Vi Vorwort zur ersten Auflage.
ausgefallen, als wohl erwartet werden durfte, anderes breiter
und ausgiebiger geworden; hier sind mehr bloss die Umrisse
gezeichnet, dort manches beigebracht, was zur besseron Unter-
scheidung von Schatten und Licht dient; diese Erscheinung
ist bloss bis zum Ausgange des Mittelalters, jene bis ins acht-
zehnte Jahrhundert durchgeführt; auch den besonderen Ton
eines Quellenschriftstellers durchschimmern zu lassen, wurde
nicht ängstlich vermieden. Was dem Ganzen dadurch au Ein-
heit der Behandlung abgeht, gewinnt vielleicht das Einzelne
an Frische und Mannigfaltigkeit, zumal für denjenigen Leser,
dem auch in solchen Dingen ein charakteristischer Gesichtszug
behagt. Und das letztere wird ja wohl, wie ich mir dachte,
bei der Mehrzahl meiner Leser der Fall sein; denn von vorn-
herein war es nicht auf Gelehrte von Beruf abgesehen, son-
dern auf Freundo und Liebhaber des deutschen Altertums,
welche, ohne besoudero Studien dieser Art zu pflegen, einen in
seiner Art ausgiebigen Ratgeber gerne zur Seite haben. Gab
ich mir Mühe, diesen im allgemeinen das anzubieten, was nach
meiner Erfahrung gewünscht und erwartet wird, und in einer
Form, welche den Leser anspricht, so sollte doch auch der
Ernst einer wissenschaftlich -historischen Methode nicht zu ver-
kennen sein.
Bei der durch die Lieferungsausgabe bedingten stück-
weisen Ausarbeitung des Real Wörterbuches war es unmöglich,
von Anfang an die Auswahl aller aufzunehmenden Artikel fest-
zustellen und es musste bei zahlreichen Stichwörtern vorläufig
bloss auf einen folgenden Artikel verwiesen werden; bei dessen
Stolle im Alphabet angekommen, stellte es sich dann manchmal
heraus, dass aus diesem und jenem Grunde ein besonderer Ar-
tikel unthunlich sei und der dahin gehörige Stoff besser unter
einem grösseren Ganzen untergebracht werde. Die Folge da-
von war, dass von jenen Verweisungen einige im Stich lassen;
als ohne Zweifel willkommener Ersatz fiir diesen Mangel wurde
die Ausarbeitung eines eingehenden Registers ins Auge ge-
nommen und durchgeführt, ein Verzeichnis, das nun jene im
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Vorwort zur zweiten Auflage.
Vi!
Buche selbst, besonders in der ersten Hälfte, sich vorfindenden
Verweisungen überhaupt unnötig macht und den Nutzen uud
Gebrauch des Buches wesentlich erhöhen dürfte.
Dass vieles noch der Verbesserung bedarf, dass noch
manche Artikel fehlen, manche Bücher und JSchriften neu her-
beigezogen werden müssen, dass manche ältere Quelle durch
eine neuere zu ersetzen ist u. dgl., ist mir längst klar gewor-
den. Einige Rezensenten hatten die Freundlichkeit, mich in
dieser Beziehung auf Einzelheiten aufmerksam zu machen und
auch an wohlwollenden brieflichen Berichtigungen freundlicher
Leser hat es jetzt schon nicht gefehlt. Gern richte ich hier
die fernere Bitte an die Leser, dass sie mir in dieser Hinsicht
xum Behuf einer neueu Auflage behilflich sein möchten.
Ich will endlich nicht sehliesscn ohne einen herzlichen
Dank, einesteils an die Mitarbeiter, welche, meist ehemalige
Schüler von mir, gern und hilfreich mir beisprangen, andern-
teils an die Vorsteher der beiden hiesigen Bibliotheken, der
Stadt- und Stiftabibliothek, deren Geduld und Aufmerksamkeit
ich in hohem Masse in Anspruch nehmen durfte.
St. Gallen, Oktober 1882.
Dr. Ernst Götzinger.
Vorwort
zur zweiten Auflage.
Was diese zweite Auflage vor der ersten auszeichnet, ist
vornehmlich eine grössere Stoflffiülle, sowohl durch Erweiterung
einzelner schon vorhandener Artikel, besonders aber durch viele
neue Artikel vermittelt. Die Erweiterung betrifft sehr ver-
miedene Gebiete, ich nenne namentlich Stadtrechts- Altertümer,
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vjji Vorwort zur zweiten Auflage.
wofür das schöne Buch von Gen gl er reiche Ausbeute bot; gern
hätte ich, dem Wunsche eines Rezenseuten Folge gebend, die
kirchlichen Altertümer ausgiebiger behandelt und z. B. Artikel
über die verschiedenen Sakramente und Sakramentalien dem
Buche einverleibt; ich sah mich schliesslich trotz vieles Nach-
suchens ausser stände dies so zu thun, wie es für ein Real-
lexicon sich gebührte; denn protestantischerseits scheint es bis
jetzt an ausgiebiger Behandlung solcher Objekte zu mangeln,
und katholische Schriftsteller betrachten die genannten Gegen-
staude eben kaum als „Altertümer". Zum Auseinandernehmen ein-
zelner grösserer Artikel, wie sie ebenfalls vorgeschlagen wurde,
konnte ich mich nicht entschliessen, obgleich ich wiederholt die
ungleichartige Behandlung eingestehe, welche auf einzelnen Ge-
bieten sich vorfindet; aber das Buch hat nun einmal ein Ge-
sicht mit kleinen und mit grossen Runzeln, und soll diese
Physiognomie nicht aufgeben. Dagegen habe ich, um Platz
zu gewinnen und mehrfach ausgesprochenen Bedenken Raum
gebend, die Übersetzung der Germania gestrichen; nicht alle
Leser werden damit einverstanden sein. An abschliessende
Arbeit auf dem Gebiete der deutschen Altertumskunde ist eigent-
lich überhaupt kaum zu denken; und es bleibt der Ausspruch
Herders vom Jahre 1777, der sich in dem Aufsatz über die
„Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dicht-
kunst" vorfindet, namentlich in seinen Schlussworten immer noch
zu Recht bestehen: „Unsere ganze mittlere Geschichte ist Patho-
logie, und meistens nur Pathologie des Kopfes, d. i. des Kaisers
und einiger Reichsstande. Physiologie des ganzen National-
körpers — was für ein ander Ding! und wie sich hierzu
Denkart, Bildung, Sitte, Vortrag, Sprache verhielt,
welch ein Meer ist da noch zu beschiHen und wie schöne
Inseln und unbekannte Flecke hie und da zu linden!"
St. Gallen, im November 1884.
Der Verfasser.
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Alphabetisch nirht verzeichnete Artikel sirvl im Sehlussregistcr
aufzusuchen.
A.
Abenteuer, aus franz. die aren-
füre, welches seinerseits von inittel-
laL adrentura kommt. Dieses fran-
zösische Wort, welches eine erfun-
dene, wunderbare, den Geist der
Romantik atmende Geschichte be-
zeichnete, verdrängte die früheren
deutschen Namen sage, spei, maere,
tief, und bedeutete nun auch im
Deutschen als die Aren /iure die
höfische, ritterrnässige, romantische,
wunderbare Erzählung, im Gegen-
sätze zu den Erzählungen der ein-
heimischen Sage, die immer noch
einigen Anspruch an die Wahrheit
ihrer Begebenheit machten: sodann
eine solche Begebenheit selber, die der
Ritter durch mimten soll aufzusuchen
verpflichtet ist, mhd. Aren Hure suo-
chen, befugen, nach Äventiure riten,
gen, die äventiure ertcerl>en. er-
striten, holn, nemen, brechen u. dgl.
Personifiziert erseheint die urenfiure
oft in Ausdrücken wie: wie uns
die Äventiure sagt, erzählt, meldet,
und als ein selbständiges weibliches
Wesen von göttlicher Schönheit, fro
Äventiure; sie kann sich durch einen
Ring, den sie anzieht, unsichtbar
machen, und so zieht sie durch alle
Lande, beobachtet den Lauf der
Welt und erscheint bisweilen dem
erzählenden Dichter, ihm Aufschlus«
über das zu geben, was er zu wissen
verlangt. Recht im Gegensatze zu
dieser dem französischen Gedanken-
kreis entstammenden Bedeutung des
Wortes brauchen die Schreiber des
Nibelungenliedes das Wort in der
Reallextcon der deutschen Altertümer.
Bedeutung von Kapitel, aber nur
die Schreiber; im Text erscheint das
Wort nicht. Spätere Zeiten machten
das Wort zu einem Neutrum, das
A benteuer, Ebentheuer, sogar Abend-
tlieuer, mit Anlehnung an Abend
und theuer, und benannten damit
jedes seltsame, auffallende Ereignis.
— Im 15. Jahrhundert ist abenlure
der Name des Schützenpreises bei
Gcsellenschiessen. Aventuriers oder
Aventurieren ist der Name zahl-
reicher Romane aus dein 17. und
der ersten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts, die zu den sog. Robinsonaden
zählen ; dahin gehört schon der aben-
teuerliche Simplicissimus des Chri-
stoffel von Grimmelshausen 163i);
später gab es einen deutschen, einen
lustigen, einen reisenden, einen
schweizerischen, bremischen, euriö-
sen, dänischen, Dresdener, Leipziger
Avcnrurier. Vgl. Goedeke, £ 511.
Aberglaube , mhd. abergloube
aus obergloube, wie aber Aide (Aber-
acht) ans olterAhtc; erscheint erst
gegen Ende des Mittelalters, in der
lutherischen Bibelübersetzung bloss
einmal, Apostelgesch. 25, 19, aber-
gläubig ebenfalls einmal, Apostel-
gesch.' 17,22. Das Wort ist durch das
lateinische Wort superstitio, super-
sfifiosus hervorgerufen und ihm nach-
\ gebildet. Aberglaube ist sowohl
Gegensatz dessen, was der rechte,
wahre Glaube oder was man dafür
hält, glaubt, als dessen, was die ver-
nünftige Naturerkenntnis als wahr
erkannt zu haben überzeugt ist.
I
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Abt.
Das Mittelalter mit seiner unwider-
sprochenen Gläubigkeit kannte den |
Aberglauben meist nur im ersteren
Sinne und nannte ihn Zauberei oder
Hexenglaube, je nachdem er mehr
handelnd oder bloss meinend auf-
trat; erst die Reformationszeit, die
ja zugleich einen kräftigen Auf-
schwung der natürlichen AVeltauf-
fassung bezeichnet, machte den Be-
triff de.« Aberglaubens allgemeiner;
Luther zählt in der Auslegung der
10 Gebote einen ganzen Katalog
abergläubiger Handlungen und Vor-
stellungen auf. Vadian, von dem
Mönchsstand ( Werke, I, 57, 5 ff.)
schreibt: Item was allen Pfarrern
eingebonden, das* si iren hefolhnen
UHaertonen den heidesehen altfränki-
schen aberglauben zuo iceren sieh
undementen sollend, und nämlich die
schämen opfer für die toten, item
das Jossen oder Walsen das ellieh
Franken oder AI menneranfanas einer
jeden handlang im brauch haftend,
das man hei unsern Zeilen noch das
lossbuochen oder buochlossen heisst,
von welchem missbrauch manch An-
nonius (Aimoinus, monachus Floria-
cencis, f 1008, der eine hisforia Fran-
coru m schrieb, ist gemeint I hin und
har ouch schreibt, item das warsagen,
das voqclgsang und den vogelßug,
das selzam segnen, zuo welchem si
der heiigen martrer namen bruchtend,
sam es christenlich geacht werden
solte, und dass man keine zwangfür
anrüsten und damit die miss tater
an das Hecht ze bringen understan
söltc, wie bei unsrer väfer Zeiten noch
vorhanden getreten, da abergloübig
leut und onholden vermeinen' wellen,
man könne über ein hell feuer weiss
was henken und darzuo etliche wort
sprechen und streich tuon, dadurch
ein mensch etwas zuo tuon oder zuo
lasten gezwungen werde. Die der Re-
formation folgenden Zustände waren
nicht geeignet, dem Aberglauben
psychologisch und historisch gerecht
zu werden; die Hexenprozesse sind
in katholischen wie in protestanti-
schen Landen gleich verbreitet. Erst
die Aufklärung nahm sich, indem sie
gegen den Glauben eiferte, auf ihre
Weise des Aberglaubens an; eine
historische und psychologische Wür-
digung dieser Erscheinung war der
neuen Zeit aufbehalten. Das beste
Werk darüber ist: Wuttke, der deut-
sche Volksaberglaube der Gegen-
wart, Berlin, 1869. Vgl. Grimm,
Myth., Kap. 35. Schindler, der Aber-
glaube des Mittelalters. Breslau 1858.
Abt, vom syrischen Worte abba,
Vater, in die kirchlieh-latein. Sprache
aufgenommen und von da in alle
europäischen Sprachen übergegan-
gen, ahd. abbat, mhd. abltct, ahtmt,
apt, abt, ist ein Name eines Kloster-
vorstehers, neben manchen andern,
wie preshyter, prior, guardian, prae-
positus (Propst), major-, vgl. schon
Vadian von dem Mönchsstand, deut-
sche hist. Schriften, I, 70, 18 ff. Da
in derfränkischen und karolingischen
Zeit alle Klöster des Abendlandes
dem Benediktinerorden angehörten,
gab es während dieser Zeit bloss
Benediktineräbte; vom Amte des
Abtes handelt Caput II der Bene-
diktinerregel: f/na/is delyeat esse ab-
bas, in dessen St Gallischer Inter-
linearversion (Hattemer, St. Gallische
Denkmale, I, 36) der Name al>bas
unübersetzt geblieben oder durch
fatar wiedergegeben worden ist. Die
Benediktinerinnen hatten ihre Äb-
tissinnen. Das Recht der Abtwahl
stand zwar gesetzlich den Mönchen
des Klosters zu, kam aber selten
wirklich zur Ausübung; in den könig-
lichen Klöstern ernannte regelmässig
der König den Abt. Häufig gelangte
sogar Name, Würde und Einkommen
eines Abtes durch königliche Beleh-
nung in die Hand eines Laien, an
dessen Statt dann regulierte Unter-
äbte, Dekane oder Prioren das K loster
leiteten. Als sich infolge der Klo-
sterreform der Benediktincrorden
in reformierte und nichtreformierte
Klöster spaltete, behielten die refor-
mierten den Namen Abt bloss fiir
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Acht — Ackerbau.
3
den Vorsteher des Stammklosters bei,
die übrigen Klöster erhielten einen
Prior , j/roaftba* oder eoabba*. Die
Äbte der nicht reformierten Klöster
wurden kleine Monarchen, hielten
eigenen Hofstaat und gelangten zum
Teil in den ReiehsfÜrstenstand, wie
die Äbte von Fulda, Kempten, St.
Emmeran in Regensburg, St. Gallen,
Einskdeln, die Äbtissinnen zu Gan-
dersheim, Quedlinburg, Herford. Von
spatern Orden nannten nur wenige
ihre Vorsteher Abt, darunter die
Cisterzicnser, Bernhardiner, Trap-
pisten, Grandmontaner, Prämonstra-
tenser. Ein Kloster, dessen Vorsteher
Abt oder Äbtissin heisst, ist eine
Abtei, mittellat. abbalia, ahd. abba-
teia, mhd. abbeteie, aptei, ab fei. Das
Amtszeichen des Abtes war ein dem
Bischofsstab ähnlicher Stab, der je-
doch nicht nach aussen, sondern ein-
wärts gebogen war, um anzudeuten,
dass sich die Macht des Abtes
ausschliesslich auf das. Kloster be-
schränke. Einzelnen Äbten wurde
von den Päpsten das Recht zuge-
standen, sich des bischöflichen Or-
nates zu bedienen.
Acht, ahd. die ähta, mhd. die ahte
oder aehte, heisst die im altdeutschen
Rechte vorhandene Gesetz- oder
Rechtloserklärung. Schon in der
fränkischen Zeit konnte, ein Ver-
brecher zur Strafe aus dem gemei-
nen Frieden oder aus des Königs
Schutz gesetzt werden; die Strafe
hiess ton ; den sie traf, tearau*, Wolf,
weil der Wolf das friedlose Tier
ist; der so gestrafte verlor sein Ver-
mögen, keiner durfte ihm Brot und
Obdach reichen und jeder ihn un-
gestraft töten. Die Strafe konnte
vom Gericht oder vom König aus-
gesprochen werden. Nur den vom
Köni^ ausgesprochenen ban nennt
der Sachsenspiegel ahte-, den vom
Gericht ausgesprochenen nennt er
verfe*tung , während der Schwabcn-
spiegel beides ähte heisst; den Ge-
ächteten , mhd. aehter, durfte nie-
mand länger als eine Nacht behal-
ten, ihm weder Obdach, Schutz noch
sonst etwas verabreichen; er konnte
auch an gebundenen oder gefriede
ten Tagen vom Kläger verhaftet,
und wenn er sich zur Wehr setzte,
erschlagen werden. Bloss der vom
König verhängten Acht folgte nach
Jahr und Tag die oberukte, nhd.
Aberacht, welche alles Recht und
allen Frieden entzog.
Ackerbau. Man nimmt allgemein
an, dass schon die alten Germanen
sowohl die Wohnart in Einzelhöfen
( Einöden) kannten, die noch in West-
falen und im deutschen Süden vor-
kommt, als diejenige in eigentlichen
Dörfern. Gut. das thaurp — Bauland,
Feld, stimmt mit griecn. ivgHrj =
Gedränge, Lärm, lat. turba = Menge,
Haufen, ahd. u. mhd. dorf, nieder-
deutsch rfo/yj; andere Namen sind
got reih*, ahd. irieh ; got. haim*, ahd.
neima; got. baurgx, abd. bürg. In
den Dörfern im engem Sinne nah-
men kleinere, durch Geschlecht- oder
Stammesfreundschaft verbundene
Genossenschaften einen grössern oder
kleinem Landstrich in Besitz. Im
Ganzen haben sich die Verhältnisse
auf diesem Lebensgebiete wenig ver-
ändert, und was während des Mittel-
alters Sitte und Recht ist, wird meist
sehr alten Ursprunges sein.
In jeder Gemeinde ist Privat-
eigentum und Gemeindeeigentum zu
unterscheiden. Alles, was der Ein-
zelne im Dorfe besass, Haus und
Hofstätte, Ackerland und Recht in
der gemeinen Mark hiess ahd. die
huoba, kuopa, mhd. die huobe, huofe,
nhd. Hube und Hufe, davon mhd.
der huober, als Familienname Hul>er
erhalten. Andere Bezeichnungen sind
Lo*, Pflug, Hof, man*u*. Auf der
Hufe ruhte das Recht der Einzelnen
in der Gemeinschaft, sie war die
Grundlage der Freiheit. Zum Unter-
schied seines Gutes und Hauses von
anderen bediente sich der Freie nach
alter Sitte eines Zeichens, hantmdl,
hantgemäl, welches auch ab Name
für aen Grundbesitz selber erscheint,
1*
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4
Ackerbau.
siehe den Art. Hau*- und Hofmarke. | die zugehörigen Grundstück«», Acker,
Ein anderer sehr alter Name ist odal, Wiesen , W einberge , Waldstücke.
uodal — ererbter Grundbesitz. Die ! Diese hatten ursprünglich ein be-
Hufe konnte später dcrTcilung unter- 1 stimmtes gleiches Mass, das aber
liegen, doch war Teilung jedenfalls zwischen 20, 30 und 40 Morgen ( =
nicht beliebt; man suchte vielmehr soviel als man mit einem Gespann
dem Bedürfnis durch Anlage neuer an einem Morgen, später Tage pflü-
Hufen und Dörfer zu genügen. Die \ gen kann) Tageirerken oder Jucft-
Gemeinschaft des Landes begründete arten wechselte; Königshufen fin-
manche Gemeinschaft des Lebens, den sich zu 60 und 120 Morgen.
Bei den salischen Franken war die Das für den Ackerbau bestimmte
Niederlassung im Dorfe an die Zu- Feld wurde ursprünglich gemeinsam
Stimmung aller Gemeindegenossen j angelegt und sodann, nicht selten
gebunden. Die Mitglieder des Dorfes
waren zu gegenseitiger Hilfe und
Unterstützung verpflichtet, z. B. durch
Zeugnis vor Gericht. Von jeher hat-
ten die Dörfer ohne Zweifel einen
Vorsteher, von den Mitgliedern er-
wählt. Der zur Beratung gemein-
schaftlicher Angelegenheiten be-
stimmte Platz war durch eine Linde
nach dem Loose, jedem einzelnen
Genossen sein Anteil zugemessen.
Wenn das anfangs bebaute Land
nicht ausreichte, wurde ein neues
Feld gebrochen und gleichmässig
verteilt, so dass jeder den gleichen
Anteil an gutem und geringerem,
an fettem und magerem, nahem und
entfernterem Boden hatte. Für die
ausgezeichnet. Eine gerichtliche Be- Abmessung der einzelnen Acker-
deutung dieser Versammlungen war flächen war Messung mit dem Seil,
nicht vorhanden ; das war Sache der im skandinavischen Norden Sonnen-
Centenen, die meist umfangreicher ge- teilung genannt, üblich, im Gegen-
wesen sein werden als die Dorfschaft.
Der erste Teil der Hube ist die
Harn- und Hofstatt. Das Haus,got. nur
einmal in gud-hüs, Gotteshaus, vor-
kommend, dagegen in allen andern
germanischen Dialekten hus lautend,
ist verwandt mit ahd. hut, Haut, von
einer Wurzel die hedecken , bergen
bedeutet; der gleichen Wrurzel ent-
stammt Hütte. Es war aus Holz
und bildete anfänglich nur einen ein-
satz gegen die Hammerteilung , die
auf dem Wurf eines Hammers be-
ruhte.
Ks war aber das Ackerfeld jeder
Gemeinde in drei Fluren eingeteilt,
deren jede einen eigenen Acker-
complex bildete, so zwar dass dieser
je nach der Lage und Beschaffenheit
des Bodens wieder in besondere Ge-
winne, Breiten und Kampe zerfallen
mochte. Die Einteilung des Acker-
zigen Raum. Das deckend«' Material landes in die drei Fluren begründete
war Stroh oder Schilf. Edlere Aus
drücke für Häuser wohlhabender
Leute sind sal, türm, bürg. Hof,
formelhaft alliterierend mit Haus
das Dreifeldersystem, welches überall
zur Anwendung kam, wo Germanen
sich sesshaft machten. Die einzelne
Flur nannten die Sachsen eine Kop-
verbunden , verwandt mit grieeh. I pel (daher Koppelwirtschaft) aus
xijnoc Garten, lat. eampus, heisst
der eingefriedigte Wirtschaftsplatz
am Hause. Der Platz, auf dem Haus
und Hof stehen, heisst hovasfaf, hora-
reiti. Umzäunt wie sie war, galt
sie als ein für die Gemeinweide ge-
schlossenes Gut, das in höherm
Frieden lag (siehe den Art. Friede, c).
Der zweite Teil der Hube sind
franz. eonple, die Thüringer einen
Schlag, die Alemannen und Baiern
eine Zeige, die Franzosen une sole.
Die Dreifelderwirtschaft bestand nun
darin, dass alle Äcker, welche zu
einer Flur gehörten, in einem Zeit-
räume von drei Jahren, der sich
periodisch wiederholte , derselben
Kulturfolge unterliegen mussten.
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Ackerbau.
5
Zwei Jahre hintereinander wurde
die Zeige bepflanzt, und zwar das
erste Jahr mit Winterfrucht , das
zweite Jahr mit Sommerfrucht , das
dritte Jahr blieb sie unbesäct u. s. f.
Der ungenützte Zustand der dritten
Feldperiode hiess Brache, nieder-
sächsisch Driesch; dieselbe wurde bei
sorgfältiger Kultur dreimal gepflügt;
waren zuerst die Stoppeln des zwei-
ten Jahres durch eine erste Pflügung
umgebrochen, so kam dann das zweite
Pflügen, das Falgen oder Felgen,
und nachdem der Brachacker gedüngt
war. das Saatpflügen. Ruhte der
Brachacker in Alemannien und Bai-
ern mehrere Jahre hindurch, so dass
ihn Unkraut, Dorn und Gesträuch
erfüllten, so sagte man, er liege in
Egerten, und er unterlag in solchem
Zustande dem gemeiuen Weiderecht,
zuletzt konnte er in das Gemein-
eigentum zurückfallen. Das mit
W iuter- oder Sommerfrucht bewach-
sene Land hiess in. den genannten
Gebieten Euch oder Osch, and. ezzi.sk,
Saarfeld. Der Fortbestand des Masses
einer Hube hing meist vom Willen od.
von der ökonomischen Stellung des
Eigentümers ab. In Klosterurbarien
dauern die alten Güter bis ins 17.
Jahrh.; kleinere Eigentümer sahen
»ich früh genötigt, ihre Huben durch
Verkauf, Erbsehaftsteilung zu schmä-
lern, oder sie vergrösserten sie urn-
gekehrt durch Erwerb neuer Grund-
stücke. — Ebenfalls zur Hube und
zum Sondereigentum wurden Wie-
sen gerechnet, deren Ertrag man
nach Fudern, Lasten oder Mannmad
(was ein Mann an einem Tage
mähen mag) berechnete; sie lagen
zerstreut bald beim Dorfe, bald zwi-
schen Äckern, bald im Walde, bald
an Abhängen, wo immer die erfor-
derliche Wässerung möglich war.
Früh findet man auch Waldung im
Privatbesitz und zur Hube gehörig,
ebenso Wein-, Obst- und Kraut-
gärten.
Der dritte Teil der Hube be-
schlägt den Anteil an def gemeinen
Mark. Jeder vollberechtigte Dorf-
markgenosse war befugt, das für
ihn notwendige Holz zum Kochen,
Heizen, Bauen und für seine Gerät-
schaften, Werkzeuge und Zäune aus
dem gemeinen Walde zu beziehen,
wofür mit der Zeit besondere Verein-
barungen notwendig wurden, siehe
den Art. Markgenossenschaft. Zum
Rechte der Markgenossen gehörte
auch Jagd, Fischerei und Bienen-
fang. Sodann erstreckte sieh das
gemeine Nutzungsrecht auf jede Art
von Gewässern, auf Quellen, Brun-
nen, Bäche und Flüsse, auf Kies-
und Saudgruben, Torf- und Thon-
gruben, Kalk- und Steinbrüche. Wer
dessen bedurfte, konnte Gemeinde-
land durch Ausreuten in sein Privat-
eigentum verwandeln, was dann
^Seugcreut, niutc qeriute, nocale hiess.
Endlieh hatte jeder Markgenosse das
Weiderecht auf der gemeinen Mark,
wozu die Waldfrüchte, Eicheln, Bu-
cheln, Hagenbutten, Schlehen, Hasel-
nüsse, Holzäpfel gehörten, die zur
Schweinemast benutzt wurden. Der
Weide standen aber auch die Privat-
grundstüekc offen, sobald Früchte
und Heu davon genommen waren,
also in der Braehzelge den ganzen
Sommer über, in den beiden andern
Zeigen nach der Ernte. Die beiden
letztern Zeigen wurden mit Zäunen
geschlossen, sobald sie besäet wa-
ren, die Winterzeig gewöhnlieh um
Galli (16. Okt.), die Sommerzeig um
Walpurgä (1. Mai). Ging durch eine
Zeige eine Strasse, welche der Zaun
überschritt, so musstc dort ein Fall-
tor unterhalten werden, ein von
Stangen gemachter Gatter, der, ge-
öffnet, von selbst wieder zufiel; das
Fallthor diente dem öffentlichen Ver-
kehr, während andere Dnrchgangs-
gatter, Bürden genannt, solchen
Besitzern dienten, deren Grundstücke
von der Strasse entfernt lagen. Nach
der Ernte waren die Felder dem Vieh
zur Weide geöffnet. Alte Namen
für die gemeinen Nutzungen sind
Wun und Weid, Trieb und Trat,
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Adel.
Weg und Steg, Stock und Stein, doch heute meist als historisch an-
Wasser und Wasserleitungen. genommen, schon von Tacitus in der
In späterer Zeit kamen halbe, Germania 25 erwähnt (super ingenuoa
Drittels- und Zweidrittelshuben vor, et nobile«). Eine mythische Abstam-
verkleinerte Huben, für die wie es mung und Erklärung des Adels, wie
scheint die Namen Sehupissen, mhd. sie das Rigsmal der alten Edda ent-
sehuopözen und T^u nagten in Ver- hält, lässt sieh auf deutschem Boden
Wendung kamen. nicht nachweisen; seine Bedeutung
Was die von den Deutschen an- ist eine historische ; er wurzelt in der
gebauten Getreidearten betrifft, so Vergangenheit, vielleicht in einer fer-
scheint die älteste Art der ] laber neren Vergangenheit des Volkes. Er
zu sein, Habermus wird schon von , besteht aus einzelnen Geschlechtern,
Pf intus, bist. nat. 18, 44, als die die das Volk höher ehrt als die übri-
Hauptspeise der Deutschen genannt. gen Genossen, deren Ursprung aber
Den nördlichen Germanen war Gerste im Dunkeln liegt, wie der Ursprung
das Hauptgetreide, sie dient zur des Volks und seiner Gliederung, des
Bierbereitung, zu Futter für Vieh Staats und seiner Ordnung selbst,
und Geflügel, zu Graupen und Grütze Die Adligen oder Edelfreien unter-
und zu Brod. Beide Getreidearten, hielten grosse Gefolgschaften; ihre
Haber und Gerste, sind Sommer- Stimme natte besonderes Gewicht in
früchte. Auf sie kamen als Winter- der Gauversammlung. Sie besassen
fruchte Wintergerste und Roggen, das Führeramt, vorzugsweise auch
Von den Römern lernten deutsche das Priestertum ; in ihren stattlicher
Stämme den Dinkel oder Spelz und gebauten Hallen sammelten sieh die
den Weizen kennen. Mischelkorn ' Freien zu glänzenden Gastmahlen
bestand wohl meistens aus Roggen und Festlichkeiten. Das Wehrgeld
und Weizen oder aus Spelz und des Adligen, schon ahd. adating, ede-
Weizen. Unter den Hülsenfrüchten fing, ist höher als das der Freien,
waren Bohnen, Linsen, Erbsen und Aus dem Adel werden die Könige
Wecken die Beliebtesten. gewählt. Regelmässig waren die Ad-
Nach den Getreidearten sagte figen besser bewaffnet und von Die-
man statt Winter- und Sommerzeig nern umgeben; bei den Stammen, die
Boggen- und Haberzeig und unter- zu Fuss kämpften, erschienen sie bis-
schied sodann Früchte m Grosssaat, weilen zu Pferd. Ausgezeichneter
worunter man die Winterfrüchte Adel gereichte schon den Jünglingen
Roggen, Spelz, Weizen und Mischel- zum 'S orteil, junge Adlige liebten den
frucht verstand, und Sehmalsaat, I Krieg, sie suchten ihn auf in der
worunter man Sommerfrüchte,Gerste. Ferne, wenn daheim Friede herrschte.
Haber und Hülsenfrüchte begriff*. Adlige, besonders Jungfrauen, wur-
Nach Waitz, Verf. Gesch. I, Cap. 4 1 den gem zu Geiseln genommen, die
und namentlich Job. Meyer, Ge- Vermählung mit dem Adligen wurde
schichte des schweizerischen Bundes- besonders gesucht, und er nahm wohl
rechtes. Bd. 1, S. 210—229. Win- 1 eben deshalb mehr als eine Frau,
terthur 1878. Vgl. desselben Pro- Übrigens war die Stellung und Zahl
gramm „Die drei Zeigen". Frauen- des Adels bei den verschiedenen
feld 1880. Stämmen sehr verschieden. Die sa-
Adel, altd. das adal, mhd. das, lischen Franken hatten keinen Adel
selten der adel , verwandt mit ahd. ausser der königlichen Familie, bei
nodal = Vaterland, Erbgut. Es sind den Baiern waren nur fünf adlige Ge-
zu unterscheiden: sehlechter, die Sachsen und Goten
1) der urgermanisehe Adel, zwar hatten einen sehr zahlreichen Adel,
von manchen Forschern bestritten, 2) Übergang ins Mittelalter, An-
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Adel. 7
fanae des Dienstadels. Mit der Neu- sehn des Geschlechts abhängig, ohne
oildting der fränkischen Monarchie dass damit ein bestimmter rechtlicher
verliert der alte Geburtsadel seine Vorzug verbunden wäre. Besonderen
Bedeutung: wo er sich, wie bei den Einfluss indessen auf die allmähli-
Baiern und Sachsen, in einigen Ge- che Neubildung des mittelalterlichen
schlechtem erhalt und von den frän- Adels gewinnen die Institute des
loschen Königen anerkannt wird, Benefizial Wesens, der Vasallität und
vermischt er sich mit dem sich jetzt der Immunität.
neu bildenden Stande, der kein Ge- a) Beneßziaheejten. Beneßeium,
burtsstand ist, sondern ein Dienst- eigentlich Wohlthat, ist der Empfang
adel. ein Stand der Bevorzugten und von Land zu Niessbrauch. Es wird
Vornehmen. Er bildet eine von den verliehen entweder von einer geitt-
Freien aufwärts bis zum Throne des liehen Stiftung, ursprünglich einem
Königs aufsteigende Aristokratie, gewöhnlichen Landbauern, später
durch Amt, persönlichen Dienst oder und immer häufiger einem angesehe-
Empfang königlicher Güter auage- neu Manne, der es entweder mit
zeichnet. Diese Neubildungen be- den Knechten, welche bisher darauf
ginnen auf fremdem, erobertem Bo- wohnten, empfing oder selbst solche
den , in Gallien , und sind von dort hinsetzte und nun seinerseits die Lei-
MM auf alten deutschen Boden ver- stungenentgegennahm,zudcueudiese
pflanzt worden. Die Treue und An- gehalten waren. Der regelmässige
nängiichkeit an den König ist eine Zins ist seit Karl d. Gr. ein doppelter
besondere Pflicht dieser Bevorzugten. Zehnte, neben welchem noch andere
Im einzelnen lassen sich unterschei- Leistungen vorkommen, Unterhal-
den: Übertragung von kirchlichem tung kirchlicher Gebäude, Dienste,
Grundbesitz als Schenkung, als Geschenke, Kriegspflicht; die Per-
Wohlthat, beneßeium, auf Bitten, zum son des Empfängers kann hohem
Nießbrauch , Schenkungen des Kö- oder niederein, geistlichem oder welt-
nigs als Wohlthat, in der Voraus- lichem Stande angehören. Oder von
setzung, da&s der Beschenkte dem : trettlielien Grundbesitzern ; in diesem
Könige treu und ergeben sei, Er- Falle fehlten gesetzliche Vorsehrif-
in den besondern Schutz des ten, und alles war gegenseitiger Ver
rvomes.
önigs, Aufnahme ins Gefolge des einbarung oder der sich bildenden
Königs, Übernahme eines Amtes, . Gewohnheit überlassen. Oder vom
z. B. des Majordomus, des Herzogs ' König, in welchem Falle auf dem
und des Grafen. Der Name Adel er-
scheint in dieser Periode sehr selten;
man findet entweder Namen beson-
derer Dienstklass» n . wie rassi, an-
trustiones, von trustis verbundene j benszeit, oder gegen die Bedingung
Schar, leudes. ßdeles, homines, oder ausdauernder Treue und Ergcben-
Nainen allgemeinerer Natur, wie viri heit Kein B. durfte verkauft, ver-
maanißei. venerabiles, illustres riri, schenkt oder sonst veräussert, ila-
königlichen beneßeium kein Zins zu
lasten pflegte. Häufig kommt Ver-
wandlung des B. in Eigentum vor,
manchmal ausdrücklich nur auf Le-
majores, majores natu, honorati, pri-
ores, primäres, prima rii, primi, pri-
t, potentes, mag ni, principe*, pro
gegen konnte es an andere in glei-
cherweise übertragen werden. Auch
andere Gegenstände konnten als B.
eeres, optimales. geliehen werden, namentlich Kirchen
3 1 Die Zeit der Karolinger. Noch und Klöster, au Geistliche wie an
immer ist in dieser Periode die Ari- Weltliche, bei welch letztern es allein
stokratie kein abgeschlossener Stand, I auf den Genuas der Einkünfte an-
wechselt in ihren Mitgliedern, ist im i kam, sodann Forstrechte, Fische-
einzelnen von Abstammung und An- reien, Zölle, während Verleihung von
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8
Adel.
Gerichtsbarkeit als B. in dieser Pe-
riode meist nicht vorkommt. Auch
Ämter, namentlich Grafschaften wur-
den als Benejieia behandelt. Das B.
hat für deu Verleiher wie für den
Belieheneu einen persönlichen Cha-
rakter und gilt deshalb nur für die
Lebenszeit beider; doch war Neu-
verleihung Kegel, besonders dann,
wo der Beliehene sich mit dem von
ihm geschenkten Eigentum belehnen
liess (vreearie).
b) Vasallität. Die 7i omtnendation
oder der Eintritt in die Vasallität,
d. i. in den Schutz, mundium. eines
andern, erfolgte durch einen symbo-
lischen Akt in der Weise, dass einer
seile • Hände zusammengefaltet in die
des Schutzherrn legte, welcher Hand-
lung das Treuversprechen folgte. Der
Kommendierte heisst rassus oder ra-
satlus, wahrscheinlich aus dem Kel-
tischen, auch gasindus, hämo. Mit
seltenen Ausnahmen sind es regel-
mässig Freie, die in die Vasallität
treten; die Verhältnisse sind nach
dem Stande des Herrn sehr ver-
schieden. Vasallen können wieder
Vasallen haben ; es giebt königliche,
herzogliche, gräfliche, bisehöfliche,
äbtische. Wer ein Beneßeium em-
pfangen hat, muss sich in die Va-
sallität begeben, abgesehen von nie-
dern bäuerlichen Verhältnissen und
Preearien. fcin und derselbe Mann
kann mehrern Herren als Vasall ver-
pflichtet sein. Der Tod löst die Va-
sallität unter allen Umständen, so-
wohl beim Herrn als bei dem Vasall;
Nachfolger und Söhne müssen sie
von neuem geben und eingehen. Der
Herr hat dem Vasallen Schutz zu
leisten, vertritt ihn vor Gericht, hat
eine gewisse Gerichtsbarkeit über
ihn; die Vasallität ist ein serrifium,
ein Dienst. Di*' eigentliche Ver-
pflichtung war treue, der Dienst ein
verschiedener, entweder um die Per-
son des Herrn, oder nur für gewisse
Geschäfte, wobei der Vasall auf sei-
nem Hofe wohnen konnte. Als Mit-
tel, die mächtigen territorialen Ge-
walten in eine sichere Abhängigkeit
vom fränkischen Königtum zu setzen,
sehlug man auch den Weg ein, die
Inhaber derselben, die Herzöge, zur
vasallitischen Huldigung anzuhalten,
ebenso die höhern Beamten, Äbte,
üischöfe.
c) Immunität. Sie ist ursprüng-
lich eine Freiheit von Abgaben und
Leistungen, wurde aber mit der Zeit
zu einem Inbegriff von Hoheitsrech-
ten für die Besitzer, geistliche Stifter
oder hohe Weltliche. Sie steht zuerst
nach altem Herkommen den könig-
lichen Gütern zu, deshalb auch den-
jenigen Klöstern, die vollständig in
den Besitz des Königs übergingen,
und einzelnen Personen. Die t rei-
heit von den Leistungen an den Staat
führte zu einem Ausschluss der öffent-
lichen Beamten, zu einer Übertra-
gung ihrer Rechte an die Inhaber
uer Immunität. Sie bezieht sich auf
Land und Leute, auf die Besitzungen
und auf die ansässigen Menschen,
also auch auf die Benefizien; später
wird sie auch auf Zölle und innen
verwandte Abgaben ausgedehnt. Da-
gegen ist der Heerdienst und Wach-
dienst ausgenommen. Dadurch dass
die mit der I. behafteten königlichen
Güter und kirchliehen Stiftungen
auch eigene Gerichtsbarkeit ernal-
ten, bekommen sie den Charakter
besonderer, von dem übrigen Körper
des Reichs abgetrennter Gebiete oder
Herrschaften.
4) Vom Aussterben der Karo-
linger but zur Ausbildung der Lehens-
Verfassung. Einen abgeschlosseneu
Stand des Adels hatte die Karo-
lingerzeit noch nicht gekannt; auch
die im engereu Sinu Mittelalter ge-
nannte Periode kennt einen solchen
Stand im rechtlichen Sinne nicht.
Dagegen bildet es den Kitterstand
aus und in und mit ihm denjenigen
Stand, der durch seine gesellschaft-
lichen Verhältnisse, seine Bildung
und Kunst der Träger eines ge-
schlossenen Kulturlebens wird. Die-
ses wird besonders durch die Aus-
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Adel.
9
bÜdung der Ministerialen bedingt.
Ursprünglich ist Ministeriell, Dienst-
mann, mnd. dienestman, plur. dienest-
man und dienest) 'iu te , ein einfacher
Diener im eigentlichen Sinne des
Wortes, ohne Rücksicht auf die Art
des Dienstes, im Hause um den Herrn
oder auf dem Einzelhofe, ob niedrig
oder höher und deshalb ehrenvoll.
Besonderes Ansehen genoss der Hof-
dienst, bei grössern Landbesitzern
der Rossdienst, die Teilnahme am
Kriegsdienst, die jeden, der ihn
leistete, über die alten Genossen zu
höherer Ehre und zu besserem Rechte
erhob. Solche Leute heissen servi,
Knechte, servitores, famuli, minist ri,
ministeriales, die Kriegsdienst Lei-
stenden milites. Mit der Zeit kam
die Bildung dieser Leute zu einer
bestimmten Anerkennung, zu einem
Abschluss. Es gab ein Recht, einen
Stand der Ministerialen. Das frühere
Dersönliche Verhältnis wurde ein
dauerndes, erbliches: neben dem
Prinzip der Dienstbarkeit wirkte das
Prinzip persönlicher Freiheit. Zwar
sind nie M. zu Dienst verpflichtet,
haben einen Herrn, heissen seine
Diener, aber der Dienst selbst heisst
ein freier; die Bedeutung der Unter-
ordnung und Abhängigkeit tritt zu-
rück, wenn der Herr nicht als Per-
son, König, Bischof, Graf, gedacht
wird, sondern als eine Macht, eine
Kirche, Bistum, Abtei, das Reich,
eine Grafschaft. In vielen Fällen
sind die M. an bestimmte Güter ver-
knüpft, stehen deshalb im Gegen-
satz zu den Freien, den Vasallen,
die im engeren Sinne nobiles heissen.
In Bezug auf ihren Anteil am Kriegs-
dienst dagegen werden sie jenen
gleichgestellt und heissen dann auch
nobile*. Von den Landbauern, auch
wenn diese frei waren, unterschied
sie die ritterliche Rüstung und Tracht.
Hinwiederum hat der Herr über sie
ein Verfügungsrecht, verschenkt und
vertauscht sie, d. h. er überträgt
die Rechte, die er über sie hat. Es
hat sich für sie eine besondere Ge-
richtsbarkeit ausgebildet. Eine be-
sondere Art des Dienstes ist der Hof-
dienst, beim König und bei den
Grossen, die Hauptdienste sind Käm-
merer, Truchsess, Schenk und Mar-
schall, daneben Jägermeister, Küchen-
meister und Bannerträger. Die Ent-
schädigung für den Dienst ist anfang-
lich Unterhalt; besonders wichtig aber
wird, dass allmählich an seine Stelle
Land als Benejicium tritt. Mit be-
stehenden Amtern und Diensten
wurden bestimmte Benetizien ver-
bunden. Von den Besitzungen, zu
denen die Ministerialen gehören,
oder von den Gütern, die sie haben,
empfangen sie später den Samen,
der mit der Zeit ¥ amilienuame wird.
Da zu Anfang die Beziehung auf
den Herrenhof überwog, waren
| solche Namen auch verschiedenen
Familien gemeinschaftlich. Auch
Eigengut kaun der Ministcrial haben,
ebenso Knechte und abhängige Leute,
die ihn als Knappen in den Krieg
begleiten. Durch Kriegsdienst über-
haupt sind sie zu Ansehen, Reich-
tum und Macht gekommen, sie bil-
deten einen Teil des Ritterstandes,
der in dieser Zeit emporkam. Die
durch gleiches Recht und gleichen
Dienst verbundenen M. bilden eine
Genossenschaft, sie bilden die Be-
satzung von Burgen, oft mit dazu
verwendeten Benefizien versehen;
eine .Anzahl M. pflegten Bischöfe
und Äbte am Sitze des Stiftes zur
Abwehr und zu sonstigen Hilfsleistun-
gen bereit zu halten.
In den Ritterstand treten nun
auch ein freie Leute, namentlich
freie Grundbesitzer, die sich zahl-
reich erhalten haben: besonders sie
heissen nohiles; man spricht von
freiem Adel und vom Adel der Frei-
heit. Sie stehen im allgemeinen im
Gegensatz zu dem gemeinen Volk
der Bauern. Es giebt aber hier sehr
verschiedene Stufen. Voran steht
die freie Geburt von freien Eltern,
von einem freien, alten, vornehmen
Geschlecht: Familiennamen solcher
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Adel.
i
Geschlechter sind im 11. Jahrh. auf-
ekommen, zunächst in den höhern
^ebenskreisen, wo sie sich auf Güter
und Schlösser bezogen, die der Fa-
milie angehörten; doch wechselten
sie noch in den folgenden Genera-
tionen oder bei Brüdern.
Wichtig für den Stand der Freien
war die Art des Kriegsdienstes und
die damit verbundene und zusam-
menhängende Lebensart. Leistung
des schwergerüsteten Rossdienstes
erschien als ausgezeichnet und war
besonderer Ehre teilhaftig, so sehr,
dass allmählich die Verschiedenheit
des Geburtsrechtes in den Hinter-
grund gedrängt wurde. Der Begriff
des Ritters macht sich ohne Rück-
sicht auf andere Verhältnisse gel-
tend, zuerst in Lothringen. Cha-
rakteristisch für alle, die zu diesem
Stande gerechnet wurden, ist die
Schwertleite (siehe diese), die Um-
ctirtung mit dem Schwert. Anfäng-
lich Recht der Freien überhaupt, ist
die Bekleidung mit den Waffen
oder die Wehrhaftmachung jetzt in
dieser Form für diejenigen üblich
f reworden, welche den Rossdienst
eisteten und zwar für Alle vom
König bis zum Ministerialen herab.
Soweit kam die Bedeutung des
Ritterstandes, das« Adel zuletzt Rit-
terstand war, auch der Ministerial
war als Ritter adlig; der freie Grund-
besitzer, der den Rossdienst nicht
übte, war ebendeshalb nicht adlig.
Den höchsten Grad der Auszeich-
nung gab Freiheit mit ritterlichem
Leben verbunden. Der freie Ritter
heisst freier Herr, auch wohl bloss
Herr, haro, fri. Durch Amt und
Würde steht über dem Freien der
prineeps, der Fürst, seit Heinrich IV '.
die vorherrschende Bezeichnung,ohne
dass damit vorläufig eine bestimmt
umgrenzte Stellung ausgedrückt
wäre. Zu den geistlichen Fürsten
gehören Erzbischöfe, Bischöfe, Abte
der unmittelbar unter dem König
stehenden Klöster: weltliche Fürsten
sind Herzöge, Grafen, Pfalz- und
Markgrafen. Sie bilden
eine Art Amtsadel gegenüber dem
Ritteradel.
5) Übergang in die neue Zeit.
Die doppelte Klassifikation der Per-
sonen nach dem Prinzip der Freiheit
und demjenigen des Kriegsdienstes
erhielt sich bis in das 15. Jahrhun-
dert. Daneben erhob sich unver-
merkt eine neue Unterscheidung
nach den thatsächliehen Verhältnis-
sen und Beschäftigungen, aus wel-
cher die Unterscheidung in den
hohen Reichsadel und den niederen
Adel hervorging. Jener bestand aus
Fürsten, Grafen, freien Herren oder
Baronen, von welch letztern die
meisten seit dem 15. Jahrhundert den
Grafentitel annahmen. Eine wich-
tige Veränderung entstand aber da-
durch, dass die Kaber anfingen,
die gräfliche und freiherrliche Würde,
künstlich an bloss ritterbürtige Fa-
milien zu verleihen. Der niedere
Adel bestand aus solchen, die freie
Grundeigentümer, Vasallen oder
Ministerialen gewesen waren und
ritterliche Lebensart führten. Durch
die Veränderung des Kriegswesens
fiel die ritterliche Lebensart weg,
und der Adel blieb nun bloss als
ein ausgezeichneter Geburtsstand
bestehen. Auch der niedere Adel
wurde zahlreich durch kaiserliche
Gnadenbriefe, besonders an reiche
Kaufleute, sog. Pfeffersäcke, Be-
sitzer von Schlössern, verliehen.
Auch die juristische Doktorwürde
erteilte dem Träger den niederen
Adel. Eine besondere Klasse des
niederen Adels bildete die Reich*-
ritter schaft. Aus den Freien, die
sich in den Städten erhalten hatten,
?ing das städtische Patriziat hervor,
ie Geschlechter; sie hatten zum
Teil eigenen Grundbesitz, wurden
Ritter und nahmen Lehen.
«) Eine eigentümliche Erschei-
nung zeigt sich t-eit dem 14. Jahrh. im
hohen Adel, insofern hier im Gegen-
satz zu der diesem Stande besonders
gefährlichen Auflösung und Zersplit-
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Adel.
11
terung der Familien die Ausbildung
einer entern Familiengenossenschait
angestrebt und mit der Zeit durch-
geführt wird. Die Verfassung dieser
Adelsfamilien entwickelte sich als
eine Mischung der Haus- und Ge-
schlechtaverfassung. Im Weitosten
Sinn wurden auch Frauen und Kog-
naten zur Familie gerechnet, aber
nur ab Schutz- oder Vassivgenossen.
Eigentliche Trägerin des genossen-
schaftlichen Verbandes und Hechtes
war die Gesamtheit der aus den Ag-
naten — den Verwandten gleichen
Stammes und Namens — gebildeten
Vollgenossen. Die wesentlichsten Be-
fugnisse aber, welche aus der ge-
nossenschaftlichen Einheit flössen,
standen bei einem unwiderruflich
und nach festen Rechtssätzen be-
stimmten Oberhaupt, dessen Bestel-
lung vom Gesamt willen der Genossen
vollkommen unabhängig war. Dieses
Haupt deg Hauses war der realere »de
Herr. Seine Stellung verdankte er
seiner Geburt, er war also Organ der
Familieneinheit aus eigenem Recht.
Als die Quelle der Verfassung in
ihrer Verbindlichkeit für den Ein-
zelnen galt endlich die Jahrhunderte
überdauernde Einheit der Familie,
die unter dem Namen Jfaus in den
Familien vertragen und Verordnun-
gen seit dem 14. Jahrh. bezeic hnet
wird. Das Hausrecht bildete sich
teils aus den Hausverordnungen des
Familienoberhauptes, anderseits aus
den Haus- oder Stammverträgen,
Einigungen , Erb Verträgen u. s. w.,
die von der Gesamtheit des Ge-
schlechts oder einer Linie desselben
errichtet wurden, und bezog sich auf
die Succession in das Hausvermögen,
•las Erbrecht überhaupt, auf Witwen-
versorgung, auf Bestimmungen über
Namen, Stand, Rang, Titel, Religion,
Mittel zur Erhaltung der Einigkeit
und verwandtschaftlichen Liebe, so-
wie des äussern Glanzes der Familie
und Ähnliches.
Nur in sehr vereinzelten Fällen
gelang dem niedern Adel eine Ab-
schliessung seiner Familien zu Ge-
nossenschaften nach dem Vorbilde
der hochadligen Häuser; doch fan-
den sich hier andere Formen ge-
nossenschaftlicher Verbindungen, die
Ritterbünde und Adelsgesellschaf-
ten, dann die sogenannten Ganerb-
sehaften, aus mhd. tj an erbe, d. i. Ge +•
an -f Erbe = Mitanerbe, bei denen
eine Gesamtheit von Teilnehmern
zur gemeinsamen Innehabung und
Verteidigung einer Burg oder einer
ähnliehen Besitzung verbunden war.
Die unter den Gemeinern (Teilha-
bern) geschlossenen Verträge pfleg-
ten unter dem Namen der Burgfrie-
den nicht nur die Vermögens Verhält-
nisse, sondern auch die persönlichen
Beziehungen der häufig zu derselben
Familie gehörigen und meist auf der
gemeinsamen Burg in enger Lebens-
gemeinschaft wohnenden Gemeiner
zu ordnen, regelten die Lasten der
Bewachung, des Baues, der Verwal-
tung und Verteidigung der Burg, so-
wie anderseits die Einziehung und
Verteilung der Nutzungen.
Besser erreichte schliesslich der
niedere Adel das angestrebte Ziel
der Familienerhaltung durch das In-
stitut der Judeikom misse. Dieselben
konnten erst unter dem Einflüsse des
römischen Rechtes entstehen, das die
Begründung derartiger Verhältnisse
am Familieugut unter dem Gedanken
und den Formen einer l'eifiignng von
Todes treffen mit ausnahmsweise weit-
tragender Wirkung gestattete.
Abschnitt 6 nach Gierke, Rechts-
geschichte der deutschen Genossen-
schaft; § 39.
Das Hauptwerk über den Adel des
Mittelalters ist ll'aitz, Deutsche Ver-
fassungsgeschichte, in 8 Bänden, wo
sowohl die reiche Litteratur über
diesen Gegenstand als die zahlrei-
chen Kontroversen behandelt sind.
Sonst seien noch Grimm, Deutsche
Rechtsaltertümer, S. 265 ff., dieWerke
von Dahn, Arnold, Kaufmann, Gierke
und die deutschen Rechtsgescbiehten
von Walter und Zöjai erwähnt.
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12 Adler. — Agnus.
Adler war schon bei den orien- Rolle; namentlich erscheint er hier
talischen Völkern wie bei Griechen als aufwiegender einköpfiger Adler,
und Römern Symbol des Sieges und mit offenem Schnabel, ausgesehlage-
der Herrschaft, Begleiter des Zeus, ner Zunge, mit ausgereckten Fäugeii,
Ähnlich erscheint er in der deut- erhobenen Flügeln und ornamental
sehen Mythologie als Bote und Bc- behandeltem Schwanz, den Kopf
gleiter Wodans. In Odins Saal hing meist nach rechts gewendet. Schna-
an der westlichen Thür ein Wolf bei und Kralleu sind oft rot; oft hat
und darüber »-in Adler. Karl d. Gr. | er Kleesteugel in den Füssen,
soll zu Aachen im Gipfel des Pala- Häufig wurden die Evangelien-
stes einen ehernen Adler aufgestellt pulte auf dem Lettner und die
haben, der einen Bezug zum Winde selbständigen tragbaren Lesepulte
hatte; denn der Sturmwind wurde so gestaltet, dass die Pultfläche von
fem in Gestalt des Adlers gedacht, den Flügeln eines Adlers gebildet,
er seine Klauen in die Wolken j oder das Pultbrett von einem Adler
schlagt. Nordische Götter und Rie- getragen wurde. Müller und Mo-
sen le^en ein Adlerkleid an. ///r.v, Arch. Wörterbuch. Anzeiger
Reiche Verwendung fand der Ad- f. Kunde d. d. V. 1864. Xr. 1—4.
ler in der christlichen Kunst. Im Agrnus Bei. Die eigentlichen
Alten Testamente erscheint er als Gotteslammchen oder symbolischen
Symbol Gottes, der sein Volk auf Abbildungen Christi (Joh. 1. 29),
Adlers Flügeln trägt; als Symbol welche der Papst im ersten Jahre
des zwiefältigen Geistes Gottes (nach seiner Regierung und hernach in, ie-
2. Könige 2, 9) wird der zwrikdjifii/c dem siebenten Jahre weiht, werden
Adler dem Propheten Elisa beige- von dem Wachse, welches von den
geben. Augustin deutet den Adler als geweihten Osterkerzen übrig bleibt,
Raubvogel auf die flüstern Mächte, bereitet. Am Osterdienstag weihet
welche die Seele rauben, Dante mit der Papst nach verrichtetem Hoch-
dem Löwen zusammen auf die bei- amte in weissem Ornat, die von
den Naturen Christi. Als Attribut Silber und Perlen strahlende Bi-
Johannis des Evang. ist er der zum schofsmütze auf dem Haupte, ein
Himmel anstrebende, sich selbst ver- grosses silbernes Becken voll Was-
jüngende Vogel der Sonne, dann, ser, indem er unter andern Gebeten
weil Johannes der Evang. der theo- auch eiues spricht, welches sonst
logus hiess, Emblem der Theologie niemand sprechen darf. Nachdem
überhaupt und als solches dem hl. er nun über dieses Weihwasser
Augustin, dem Schutzpatron der kreuzweise unter besonders dazu vor-
Theologie, beigegeben. geschriebenen Gebeten etwas heili-
Ala Feldzeichen erscheint der Ad- ges Ol gegossen hat, reicht man ihm
ler zuerst bei den Persern, dann als 12 mit ( Jotteslämmehen angefüllte
Feldzeichen der römischen Legionen, goldene Becken, welche er ebenfalls
Den zweiköpfigen Adler nahmen zu- unter verschiedenen Gebeten ein-
erst die orieutalisch-römischen Kai- segnet. Hierauf setzt er sich auf
ser als Reichsinsignien an, um da- einen Armstuhl nieder und taucht
durch ihre Ansprüche auf beide rö- die ihm von seinen Dienern gereich-
mische Reiche anzudeuten; von da ten Gotteslämmchen in das geweihte
ging er mit dem Titel eines römi- Wasser, welche die assistierenden
sehen Kaisers auf den deutscheu Kardinäle, mit feinen Chorhemden
Kaiser über. Seitdem der Adler als angethan, mit ihren vorgebundeuen
Amtszeichen in die Wappen vieler Tüchern trocknen und von aufwar-
deutscher Reichsfürsten überging, tenden Prälaten nacheinander auf
spielt er in der Heraldik eine grosse grosse mit feinen Tüchern bedeckte
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Akademie. — Akrostichon.
13
Tafeln legen lassen. Dann stellt
der Papst wieder auf und entfernt
web nach gesprochenem Gebete ; die
Ciotte»\ammehen aber werden in die
Becken eelegt und wohl verwahrt.
Gelegentlich beschenkt hernach der j
Papst damit vornehme Standesper- 1
sonen, Gesandte, Pilger u. deL wel- '
che sie nicht verkaufen oder mit
Falben bemalen dürfen, ohne in die '
Strafe des Bannes zu verfallen. Fran-
zösische Goldmünzen im Mittelalter
trugen ein Annu* Dei, sie hiessen
auch mutone*\ in der Griechischen
Kirche heisst das Kelchtuch Agnus ,
Dei. Im Volksglauben spielt es eine 1
grosse Rolle, Einsiedler- Mirakel-
oücber, Kriegsgeschichten, Hcxcn-
bücher erwähnen es. Siehe Jiir-
1 Ufrer in der Alem. X, 154—163.
Akademie als gelehrte Gesell-
schaft ist ein Kind der italienischen I
Renaissance. Der Humanist Pom-
ponius Lfitus, gest. 1487, stiftete 1408
die Römische Akademie ursprüng-
lich als einen freien und an kein
festes Institut geknüpften Verein ;
man führte darin antike, besonders
Plautinische Stücke auf, feierte jähr-
lich den Gründungstag der Stadt
Rom, auch das Gedächtnis eines ver-
storbenen Mitgliedes, durch einen
Gottesdienst und eine lateinische
Rede; ein obligater Schmaus mit
Disputationen und Recitationen be-
schfoss regelmässig das Fest. Der
Römischen nach wurden in zahl-
reichen andern Städten Italiens solche
Akademien gestiftet, z. B. in Neapel
und Florenz. Gegen die Mitte des
16. Jahrhundert.« tritt an die Stelle
der lateinischen Poesie die italieni-
sche, deren Verse jetzt vorgelesen
werden, und deren Pflege überhaupt
das Ziel der Vereinigung bildet; das
periodische Gastmahl und die Auf-
führung von Dramen bleiben be-
stehen. Vgl. Burkhardt, Renaissance,
220. Die berühmteste dieser Aka-
demien ist die 1582 zu Florenz ge-
stiftete Acadrmia della cru*ea, d. i.
die Grüsen- oder Kleien-Akademie,
weil sie die Kleie der Sprache von
dem gesunden Mehl zu scheiden
trachtet; ihr Hauptverdienst ist die
Herstellung eines jetzt noch gelten-
den Wörterbuches, zuerst 1612 er-
schienen. Ausser diesen litterari-
schen Akademien im engeren Sinne
gab es noch manche andere, wie die
1457 zu Florenz gestiftete platonische
Akademie. Diese italienischen Aka-
demien sind das Muster der fast in
allen europäischen Staaten gegrün-
deten Akademien geworden; Sprach -
akademien sind die fruchtbringende
Gesellschaft oder der Palmenorden,
1617 zu Weimar gestiftet; die auf-
richtige Tannengesellschaft, 1633 zu
Strassburg gestiftet; die deutschge-
sinnte Genossenschaft, 1643 zu Ham-
burg, die Gesellschaft der Pegnitz-
schläfer oder der gekrönte Blumen-
orden zu Nürnberg, 1644: der Elb-
schwanenorden zu Wedel im Hol-
steinischen, 1656; sodann zahlreiche
Collegia Musira , in der Schweiz
(auch in Deutschland?!, Zürich 1613,
St. Gallen 1621, Winterthur 1629,
ferner gelehrte Gesellschaften im
weiteren Sinne, z. B. die Leopol -
dinische Akademie der Naturfor-
scher, 1652 von Ban8chius zu Wien
unter dem Namen Aeademia na/u-
rae rurioxomm gegründet, Akademie
von Paris, 1666.
Akrost ichon, eine poetische Spie-
lerei, wonach die Anfangs- oder End-
buchstaben eines Gedichtes zusam-
men ein oder mehrere Wörter bil-
den, kommt schon bei den Griechen
vor, und Epicharmus, ein sizilischer
Komödiendichter im 5. Jahrh. v.Chr.,
wird als Erfinder angegeben. Das
Akrostichon war in der lateinischen
Mönchspoesie .besonders bei Wid-
mungsgedichten sehr beliebt und
kam daher auch in deutsche Ge-
dichte; Otfrieds erstes Wnlmungs-
gedicht ergiebt sowohl mit den An-
fangs- als mit den Endbuchstaben
die Worte: Ludottuieo orten falimm
rerjnorum w/i sif §alui aeterno, das
zweite ebenso Salomoni epitcopo
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14
Alamode. — Aicheime.
Otfridus, das dritte Otfridus Wizan- Hilfe themischer Prozesse unedle
bürgen* is monachus Hartmuate et Metalle in edle, Gold oder Silber, zu
Werinberto sancti Gal/i monasterii verwandeln. Wahrscheinlich haben
monachis-, unter den höfischeu Dich- diese Bestrebungen in Ägypten be-
tern wenden u. a. Gottfried v. Strass- gönnen ; und man nannte später
bürg und Rudolf v. Ems das Spiel einen Ägypter Herme* Trismegistos
an; in ähnlicher Art hat Philipp oder Mercurius den Begründer der
Nicolai seinem Liede: Wie schön Alchemie. Schriften aber, welche
leuchtet der Morgenstern, Anfangs- die Metallveredluug zu ihrem haupt-
buchstaben der Strophen gegeben, sachlichen Gegenstand haben, findet
die zugleich die Anfangsbuchstaben man zuerst in griechischer Sprache
des Namens sind, dem das Lied ge- im 5. Jahrh. vom 8. Jahrh. au be-
widmet ist; bekannt ist das schönere schäftigt diese Kunst die Araber.
Wortspiel in Paul Gerhards: Befiehl und erst von ihnen kam sie zu den
du deine Wege. | Europäern. Zweck ist stets, die Mit-
Alamode war das Schlagwort tel zu finden, wodurch unedle Me-
des StutzertumB seit Mitte der 20er talle in edle verwandelt werden,
Jahre des 17. Jahrh.; es bezeichnet auf chemischem Wege ein Präparat,
die volle Parteinahme für den fran- den Stein der Weisen, darzustellen,
zösischen Geschmack in der Klei- welches in seiner höchsten Vollkom-
dung gegenüber der altern, „alt- menheit Quecksilber und jedes ge-
väterischen" Sitte. Gegen diese Ala- sehmolzene unedle Metall in Gold
modetracht und die damit verbun- verwandelt, in einem niederen Zu-
deue geistige Richtung erhob sich ein stände der Vollkommenheit diesel-
umfangreiener litterarischer Kampf: ben nur in Silber umändert, und
1629 erschien ein Altmodischer Ä"£y. > endlich, noch als Arzneimittel ge-
der-Teuffel, Frankfurt a. M , von braucht, alle Krankheiten heilt, den
Kaplan F.llinqer, dem andere ähn- Körper verjüngt und das Leben ver-
liehe Bücher folgten, bis 16b0. Durch längert. Nach der ersten alchemi-
Figuren auf „Fliegenden Blättern" 1 stischen Theorie der Araber sind
suchte man die neue Tracht dem ' alle Metalle zusammengesetzt und
Spott der Menge anheimzugeben; zwar finden sich in allen zwei Be-
die Tracht wurde darin u. a. als standteile, von deren Mengeverhält-
Monsieur Allamode personifiziert, nis und verschiedenem Grade der
In dieser Art wirkten auch Mosche- Reinheit die Natur des Metalls ab-
roschs Wunderliche und wahrhaftige hängt; sie heissen Schtcefel und
Gesichte, worin der Alamode-Kelir- Quecksill>er, womit aber nicht der
aus lebendig geschildert wird, Lau- gewöhnliche Schwefel und das ge-
renbergs Satiren, Logaus Epigramme wohnliche Quecksilber gemeint sind,
( Alamode-Kleider, Alamode-Sinnen, obgleich sie darin in grosser Menge
wie sichs wandelt aussen, wandelt enthalten sein sollen. Unter ihrem
sichs auch innen), Abraham a Santa Mercurius scheinen die Alchemisten
Clara. Weiss, Kostümk. III, 1044 ff. den Begriff des Unzersetzbaren und
Alchemie, mhd. alchemie, afcha- zugleich die Eigenschaft des Metall-
mie, aus mitteilst, alchimia, alche- glänze* und der Dehnbarkeit, der
mia, welches aus griech. die chemeia Metallizität , unter Sulfur den Be-
= Saft, Flüssigkeit, von che'ein gies- griff der Zersetzbarkeit, der |Ver-
sen, durch Vermittlung der Araber j änderlichkeit verstanden zu haben,
und daher mit dem arabischen Ar- 1 Über die Natur eines Stoffes giebt
tikel al. Man versteht darunter die j das Feuer am besten Auskunft. Je
vom 4. bis in den Beginn des 16. nach dem Grade der Fixierung des
Jahrh. gehenden Bestrebungen, mit Schwefels und des Quecksilbers ist
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Alexandersage. — Alexandriner.
15
die Schmelzbarkeit der Metalle ver-
schieden, die Farbe hängt vom
Schwefel ab. Der bedeutendste Che-
miker der Araber ist Geber im 8.
Jahrh.; andere sind Rhazes, Avi-
cenHa. Avenzcoar, Afbukases; christ-
liche Alchemisten AUtertu* Magnus,
Roger Baco, Arnoldus Villanova nun,
Raymundu* Lullus, alle im 13. Jahrh.
Es sind meist Mönche, die ihre Ex-
perimente in den Klöstern machten,
denen zwar im Anfang des 14. Jahrh.
die Betreibung der Alchemie durch
eine päpstliche Bulle verboten wurde.
Im 15. Jahrh. tritt als dritter Be-
ßtandteil zu Quecksilber und Schwe-
fel das &tlz, welches wieder nicht
mit dem gemeinen Salz identisch
ist Die Goldinacherei hat zwar noch
mehrere Jahrhunderte lang Anhänger
gefunden; in der wissenschaftlichen
Naturlehre wurde sie aber schon
seit Paracehu* (1493—1541) abge-
löst durch die Chemie in der Rich-
tung als Jatroehemie, zufolge wel-
cher sie sich in den Dienst der Heil-
kunde stellt. Aus ihr ist dann mit
der Zeit die moderne Wissenschaft
der Chemie erwachsen. Kopp, Ge-
schichte der Chemie, Bd. 1 und
ebders., die Entwicklung der Chemie
der neueren Zeit, 5—32, und ebders.,
Beiträge zur Geschichte der Chemie.
Braunschweig 1869.
Alexandersage, gehört zu den-
jenigen Stoffen des höfischen Künste
epos, die man Schulepen nennt, d. h.
Epen, die ihren Stoff den schul-
mäßsigen Studien des Altertums ver-
danken. Vergleiche Aneide. Die
Hauptquelle der lateinisch sowohl
als nordfranzösisch bearbeiteten
Alexandergedichte war der falsche
Kallisthenes, ursprünglich griechisch
geschrieben und später ins Latei-
nische übertragen. Vom französi-
schen Alexanderlied von Alberich
von Bisinzo, Mönch zu Clugny um
1138, Aubri de Besancon hat man
nur den Anfang; erhalten sind
aus dem 12. Jahrh. die Alexandcr-
Ueder des Alexandre de Bernay und
LamJjerl litors. Nach Albrccht
verfasste der Pfaffe Lamprecht, ein
Weltgeistlicher, um die Mitte des
12. Jahrh., ein deutsches Alexander-
lied, das durch seine kräftige, treu-
herzige und naive Darstellung über-
rascht. Es erzählt Alexanders Her-
kunft und Jugend, den Zug nach
Asien, die Siege über Darius und
Porus, deu Zug ins Land der Zau-
ber und Wunder, wo die Mädchen
aus den Blumen wachsen und ein
Blumeuleben führen; in das Para-
dies einzutreten, wehrt ihn ein jü-
discher Greis; Alexander kehrt zu-
rück, regiert noch 12 Jahre weise
und massig und stirbt. Eine andere
Bearbeitung derselben Sage ist von
Rudolf von JCms zwischen 1230 und
und 1241 abgefasst, einem Nach-
ahmer Gottfrieds von Strassburg.
Alexandriner ist der eine von
den beiden Versen des altfranzösi-
schen höfischen Epos; während der
beliebtere Vers ein aehtsilbiger, ist
der Alexandriner ein sechssilbiger
Vers; man vermutet, dass er das
Muster des Nibelungenverses ge-
wesen sei; den Namen hat er von
einem Alexanderliede oder von dem
Dichter Alexander von Bernay. Die
Franzosen hielten an ihm fest und
machten ihn zum sogenannten he-
roischen Versmas in Epos und Drama.
Opitz führte den Alexandriner als
heroischen Vers in die deutsche
Poesie ein. Er sagt von ihm in der
deutschen Poeterei, Kap. 7: „Unter
den jambischen Versen sind die zu-
vörderst zu setzen, welche man
Alexandrinische von ihrem ersten
Erfinder, der ein Italiener soll ge-
wesen seyn, zu nennen pfleget, und
I werden anstatt der Griechen und
j Römer heroische Verse gebraucht:
| Ob gleych Ronsard Vers communs
die gemeinen Verse hierzu tüchtiger
zu sein vermeinet; weil die Alexan-
drinischen wegen ihrer Weitläufig-
keit der ungebundenen und freyen
Rede zu sehr ähnlich sind, wann
sie nicht ihren Mann finden, der sie
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16
St. Alexius. — Allegorie.
mit lebendigen Farben herauszu- liehen Haus zu Rom nach Asien,
streichen weiss. Weil aber dieses ! verteilte sein Gut unter die Armen
einem Poeten zustehet und die, über und lebte 17 Jahre in Edessa als
welcher Vermögen es ist, nicht ge- Bettler. Nach Rom zurückgekehrt,
zwungen sind, sich damit zu ärgern, bettelte er in seines Vaters Haus
unsere Sprache auch ohne dies in und wurde von den Knechten unter
solche Enge der Wörter wie die ] die Treppe verwiesen und mit Uli-
Französische nicht kann gebracht rat beworfen. Erst im Augenblick
werden, müssen und können wir sie des Todes wurde er erkannt. Vgl.
anstatt der heroischen Verse gar St. Alexius Leben in acht gereimten
wohl behalten, inmassen dann auch mittelhochdeutschen Behandlungen,
die Niederländer zu thun pflegen, herausgeg. von Massman in Bd. IX
Der Weibliche Vers hat dreyzehn, der Bibliothek der Deutschen Nat.
der Männliche hat zwölf Silben; wie Lit. Quedlinburg 1843.
der jamhus (rimet.fr. Es muss aber Nach ihrem Schutzheiligen Alexius
allezeit die sechste Sylbe eine eae- 1 nannten sich die Begharden (siehe
mr oder Abschnitt haben und man- j den bes. Artikel) auch Alexianer.
culinae terminationis , das ist ent- Allegorie, d. i. diejenige Dar-
weder ein einsylbig Wort sein oder stellungsweise, die ein Objekt Ver-
den Accent in den letzten Sylben mittelst eines ihm ähnlichen darstellt,
haben. Zum Exempel: hatte im Mittelalter eine sehr grosse
Dich hatte Jupiter, | nicht Paris ihm , Ausdehnung und Anwendung, sowohl
erkohren, in den bildenden Künsten als in der
Und würdauch jetzt ein Schwan wann Poesie. Schon das Ceremoniell des
dich kein Schwan gebohrcn. christlichen Gottesdienstes, verschie-
Du heissest Helena | und oist auch dene Dogmen und besonders die
so geziert, Auslegungsweise der Bibel waren
Und wärest Du nicht keusch . | Du gesättigt von allegorischer Darstel-
würdest auch entführt." hing und Auffassung; wie man sie
Von Opitz an diente der Alexan- denn in Otfrieds Evangelienharmonie
driner in strophischen Gedichten so- und in den Predigten und Traktaten
wohl (Sonett) als in unstrophischeu der Mystiker überall zerstreut findet.
Versenais typischer Vers der mannig- Schon im 2. Jahrh. war die sinn-
faltigsten 1)iehtungsarten: Drama, bildliche Schrifterklärung Gegen-
Epos, Didaktik. Gelegenheitsgedicht, stand eines ausführlichen systema-
Epistel, Epigramm, Elegie bedienten tischen Werkes, des ursprünglich
sich seiner. Erst um die Mitte des griechisch geschriebenen, jetzt nur
18. Jahrhunderts begann man seiner in lateinischer Version vorhandenen
müde zu werden: die Leipziger Dich- 1 Clavis des hl. Meli(o, Bischof von
ter mischten ihn nur noch willkür- Saides unter Mark Aurel; es ist die
lieh in jambische Verse verschiede- Grundlage der mystischen Natur-
ner Länge, Klopstock ersetzte ihn geschiente des Mittelalters. — Die
in der Messiade durch den Hexa höfische Poesie ist der Allegorie nicht
meter, Lessing im Nathan durch den besonders günstig; doch gehört Wolt-
Fünffüs8ler. Goethe schrieb als rams Parzifa 1 in diese Richtung, da
Student in Leipzig die Laune der die ganze Erzählung ein Bild davon
Verliebten noch in Alexandrinern, geben soll, wie der Mensch von der
im Jahre 1767. tumphrif durch den ztrifel zur gaelde^
St. Alexius , Held einer ver- aus der Unerfahrenheit durch den
breiteten Legende, lebte unter den Zweifel zur Versöhnung gelange.
Kaisern Arcadius und Honorius, floh | Ganz allegorisch ist auch der frau-
in der Hochzeitnacht aus dem väter- I zösische Itoman de Ja Hose von
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Alliterierender. 1 7
Guiflaume de Ix>rris, fortgesetzt von der Allegorie von neuem günstiger,
Jean de Metina, Mitte des 13. Jahrh., wovon der zweite Teil des Faust das
lange ein Lieblingsbuch der Fran- beste Exempel sein dürfte,
zosen. In den folgenden Zeiten Im engeren Sinne ist Allegorie
wächst mit der Abnahme rein dar- der Name eines Tropus, wodurch
stellender Kunst die Freude an der ein Gegenstand nebst den Eigen-
Allegorie, man erfindet die Blumen- schaften, die ihm anhangen, und den
spräche; die Liebeslust wird in un- Wirkungen, die er ausübt, in einein
zahligen Formen verallegorisiert; das einheitlichen, zusammenhängenden
Schachzabelbuch des Konrad von Hilde ausgemalt wird. Auch das
Ammenhausen (1337) ist eine durch Gedicht, dem ein solcher Tropus zu
das Schachspiel versinnbildlichte Grunde liegt, z. H. Schillers Mäd-
Darstellung des Lebens; ebenso die chen aus der Fremde, Pegasus im
Jagd des Hademar von Laber. — Joche, trügt den Namen der Allegorie.
Noch stärker zeigt sich der Gebrauch Über Allegorie in der bildenden
der Allegorie in der italienischen Kunst vgl. Otte, Handbuch der kirehl.
Renaissance und in denjenigen natio- Kunst-Archäologie. 882. 890.
nalen Künsten, die von ihr aus ge- Allltterierender oder stabrei-
ptlanzt worden sind. Besonders die mender Vers ist der Vers des nlt-
Beliebtheit der antiken Mythologie germanischen Epos, sowohl der
bei den italienischen Künstlern und Skandinavier als der Deutschen und
Dichten» brachte eine Unzahl alter Angelsachsen. Er besteht aus zwei
und neuerfundener allegorischer Dar Hälften, deren jede zwei gramma-
stellungen und Personen auf; Dantes tisch und bcgritVIieh bedeutende,
göttliche Komödie war selber eine stark aeeentuierte Silben enthält, an
grosse Allegorie und enthielt zahl- die eich eine beliebige Anzahl
reiche allegorische Einzeldarstcllun- schwachaeccntuierter Silben äu-
gen; die Malerei und die plastische schmiegt; die beiden Halhverse wer-
Darstellung durch lebende Personen den durch den Stabreim, d. i. durch
bei Festaufzügen u. dergl. brachte den Gleichlaut der Anfangsbuch -
mit Vorlieb*; Allegorisches. Vergl. staben der gehobenen Silben oder
Burckhardt, Kultur der Renaissance, Stäbe so verbunden, dass meist auf
322 ff. Der Einfluss der italienischen I den ersten Halbvers ein, auf den
Allegorie zeigt sieh nun doppelt stark | zweiten zwei Stäbe fallen; doch
in der deutschen Kunst; Maximilians
Theuerdank ist rein allegorisch, Hans
kommen auch die Stabverhältnisse
1, 1; 2, 1; 2, 2 vor; die Vokale Wer-
tteils hat fast alle Tugenden und den alle als gleichlautig behandelt.
Laster, Zustände und Begebenheiten Die ganze altskandinavische Littc-
•les menschlichen Lebens allegorisch ratur baut sich aus stabreimenden
behandelt; ebenso die Malerei, die Versen auf, die allmählich freilich
Glasmalerei u. a.; vieles darunter verkünstelten und das formal-rhvth-
mit Geist. Die Opitzische Zeit macht mische Leben dieser Dichtung er-
«•8 nicht anders, nur dass es ihr meist starren machten. Auch die ganze
au erfinderischem Geist gebricht, angelsächsische Poesie, Reowulf,
Erst das frischere Leben der Auf- Kynewulf,Kädmon, ist allitterierend.
klärunpspcriodc und besonders die Von Überresten deutscher stabrei-
ßiüte des Dramas drängen allmählich inender Verve sind zu nennen einige
die Allegorie zurück, wobei zumal Runensprüehe, die Merseburger Zau-
Lessiugs darauf bezügliche Unter- berlieder, das Hildcbrandslied, der
Richlingen im Laokoon wirksam sind. Anfang des Wessobrunner Gebetes,
Die antikisierende Richtung Goethes Muspilli, der Heliand. Verdrängt
und der Geist der Romantik werden wurde die Allitteration besonders
ttcalleiicon der deutschet) Alterlumer. •_'
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18
Aliud. - Altar.
durch otfried dadurch, doss der
Endreim au seine Stelle trat, ein
Umstand, der ohne Zweifel für sich
allein schon viel zum Untergange
der alten epischen Dichtungen bei-
trug. Die AUitteration hat sieh von
der epischeu Zeit her in mannig-
fachen Redensarten besonders der
Rechtsspruche erhalten: Mann und
Maus, Kind und Kegel, ab und auf,
niet- uud nagelfest, Haus uud Hof,
Wind und Wetter, gerammelt in
Grimms Reehtsaltertiimern, 6 ff.; so- 1
dann findet sie sich als malerisches
Element in Dichtungen mit End- ,
reim ziemlich zahlreich z. 13. im Ni-
belungenlied; auch die mittellatei-
nische Poesie hat manches stabrei-
mende Gedicht hervorgebracht. Erst
die neuere Romantik machte wieder
Versuche, den alliterierenden Vers
neuerdings einzuführen, dahin ge-
hört Fouques Heldcnspiel : Sigurd
der Schlangentöter, besonders aber
in neuerer Zeit das Nibelungenlied
und Ilildebrands Heimkehr von Wil-
helm Jordan. Vgl. Ferdinand Vet-
ter, Über die germanische Allitte-
rationspoesie, Wien 1N72, und Wil-
helm Jordan , der epische Vers der
Germanen und sein Stabreim, Frank-
furt a. M. 1K<»8.
\l lud. mittellat. aflo(liumy alt-
fränkisch alodis, aus al — ganz und
das 6t, Eigentum, Besitz. Das Wort
findet sich zuerst in der späteren
Merowingerzeit und bezeichnetEigen-
gut oder Erbgut im Gegensatz zu
Benefieium.
Almanuch, durchs Romanische
aus den« Arabischen entlehnt, wo
(tf ( Artikel l und nuimuh, eutweder
als Geschenk, Neujahrsgesehenk
oder als Berechnung erklärt wird.
Im 15. Jahrb. hiess man so astro-
nomische Kalendertafeln, die früh
gedruckt erschienen. Die Franzosen
fugten zuerst diesen Kalendarieu
allerlei Beigaben anderer Natur an,
und der seit 1765 erscheinende Al-
nniiHtr tff .t Mutes wurde das Vorbild
des von Christian Boie 1770 zuerst
herausgegebeneu Göttinger Musen-
almanaches und des ebenfalls 1770
erschienenen Leipziger Musenalma-
nachs von Chr. H. Schmid. Es folg-
ten noch zahlreiche lokale Alma-
naehe, von Frankfurt, Berlin, Wien,
Pfalzbaicrn, Leinberg, zum Teil un-
ter dem Namen Blumen lese. Unter
den spätem ist der Schillersche, 1790
—1800, der berühmteste geworden.
Altar, vom lat altare, Opfer-
tisch. Der Gote verdeutschte Altar
mit hunsl-aatath* = Opferstätte, der
Angelsachse mit viaoed — Tempel-
bett; althd. dl/an, mittelhd. der
alier. Der Ursprung des Altars
hängt mit dem Reliquien- und Hei-
ligenkultus zusammen, der schon in
den Katakomben gefeiert wurde.
Auch die ältesten Kirchen waren
eigentlich Grabheiligtümer, die sich
über den Ruhestätten der Märtyrer
erhoben. An die Stelle des Sarko-
phags, der in den Katakomben schon
als Tisch für die Totenspenden und
die Gedächtnisfeier gedient hat, tritt
jetzt der Altar, auf welchem das
Opfer des neuen Testamentes und
die Gebete dargebracht werden. Der
Altar ist entweder ein Sarkophag,
der den heiligen Leichnam um-
schliesst, oder er ist ein Opfertisch
über dem Gruftraum, in welchen man
öfters durch eine Öffnung hinab-
schauen konnte. Über dem Altar er-
hebt sich das CYWmm, ein von
Säulen getragener Baldachin mit
Vorhängen, die nach der heiligen
Handlung gesehlossen wurden. Von
dem Stcindache des C Hborium hän^t
über dem Tische ein Gefäss, die
l'yjrhy herunter, zur Aufbewahrung
des heiligen Brotes. Auelf in der
Kirche des Mittelalters ist der
Altar entweder ein Sarg oder ein
Tisch, in beiden Fällen bedeckt
mit d«*r aus einem Stück gehaue-
nen Platte, in oder unter welcher
das Scjntichrum, eine quadratische
Vertietung, die Reliquien n*-bst
der Wreihung8urkunde enthält. Dazu
Fig. 1, Altar aus der Allerhciligen-
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Altar.
10
kapellc zu Regensburg. Selten tabulum diente dann bloss noch
entbehrte die Mensa eines weite- als Staffel oder Predella, als Basis
reu Schmuckes. Man behing sie des Schreines. Das ist die Form
mit Tüchern und Stickereien, umgab j des gotischen Altarbaues bis ins
sie wohl auch mit Reliefs von Holz j 16. Jahrh.; auf der Mensa ruht die
und Stein oder maskierte, bei reichern Predella, ein langes und niedriges
Mitteln, d;is ganze mit kostbaren trogähnliches Gehäuse, das in der
Metallen, wobei die vornehmste Regel mit gesehweiften Fronten seit-
Zierde die Bekleidung der Schau- wärts über die Mensa ausladet und,
seite mit dem Atttipendium bildete, nach vorn geöffnet, eine Reihe von
Die zunehmende Vorliebe für die Bildwerken oder, verschliessbar, die
Aufstellung von Reliquien erklärt Relirjuiare enthält. Darauf erhebt
es, dass schon in romanischer Zeit sich der Schrein, ein solcher vier-
eine neue Form des Altars in Auf- eckiger Kasten, mit Statuen ausge-
Fig. 1. Altar aus der AllerheiligeuKapelle zu Regensburg.
gelangte; sie bestand darin,
«las*» mau über der Mensa als Rück-
wand eine hochaufragende Mauer,
refahulum, errichtete, die von vorn
wieder mit kostbaren Zeugen, Skulp-
turen oder getriebenen Metallen ge-
schmückt, einen geeigneten Staud-
ort für die Reliquien bot. Eine
weitere Neuerung brachte die goti-
sche Periode, indem man über dem
r*tabidnm einen zweiten Aufsatz
in Form eines Tabernakels er-
stellte oder einen versehliessbaren
Sehrein von Holz, der nunmehr
die Reliquien einschloss ; das rc-
setzt und mit Flügeln versehen, die
man aussen mit Bildern und inwen-
dig mit Reliefs zu verzieren pHegto.
Otters ist der Verschluss ein doppel-
ter. Solche Altäre heisaen Wandel-
altdre. Das Ganze bekrönt ein luf-
tiger Aufbau von Streben, Filialen
und Baldachinen mit einem oft
verschwenderischen Reichtum von
Statuetten und Ornamenten ge-
schmückt. Siehe Fig. 2. Altar aus
der Augustinerkirche zu Nürnberg.
Schon in den altchristlichen Jahr-
hunderten war es Sitte geworden,
in einer Kirche mehrere Altäre auf-
2*
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Fig. 2. Altar au» der Augustinerkirclie zu Nürnberg.
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Alter «les Lebens und alte Leute.
21
zustellen, bis auf 50. Ausser den tudtotiicher, manutergia, dienten dem
vielen Nebenaltüren, welche als Stif- Priester beim Messopfer zur Hand-
tungen von Privaten und Korpora- wasehung; ebenso grössere Hand-
tionen in den Abseiten und den sie tüchcr, welche in der Sakristei an be-
begleitenden Kapellen ihre Aufstel- weglichen Köllen aufgehängt waren,
lung erhielten, waren es jeweilig Die Kommunion tüeher wurden von
zwei Altäre, die in bedeutenden den zu beiden Seiten des Altars
Kirchen eine besondere Ausstattung knicenden Ministranten der Länge
erhielten, der Fron- oder Hochaltar nach vor den Kommunikanten aus-
in der Tiefe des Chores und der vor gespannt, seit dem 1«. Jahrb. zur
der Westseite der Chorschranke oder Bedeckung der Kommunikantenbank
des Lettners befindliche Kreuz- oder verwendet. In früherer Zeit diente
f.aienaUar. Der letztere, für den ein Kissen dem Missale zur Un-
Gottesdienst der Laien bestimmt, terlage und schützte die kostbaren
war gewöhnlich von einem Kreuze Einbände des Messbuches. Die Stu-
überragt, das man jetzt noch zu- fen des Altares und den Fussboden
weilen bald frei sehwebend von dem des Chores ptlcgt'e mau endlich mit
Gewölbe herunterhängen oder auf Teppichen zu bedecken. Hahn, bil-
der anderen Kante des Lettners dende Künste in der Schweiz, S. 723.
zwischen Standbildern Mariä und des Otte, Handbuch der kirchl. Archäo-
Evaugelisten Johanneserrichtetsieht. logie. Absehn. 31. — Lübke, Vor-
Xeben dem Kreuz, das später seinen schule zum Studium der kirchlichen
Platz auf der Mensa selbst fand, ! Kunst, Teil III.
wurden seit dem 12. Jahrh. zwei Alter des Lehen* u. alte Leute.
Altarleuehter aufgestellt. Die Gliederung des Lebens ist nach
Mannigfaltig sind die aus Textil- der Anschauung des Mittelalters,
Stoffen hergestellten Bekleidungen welches hierin wesentlich mit anti-
des Altars. Nach kirchlicher Vor- ken Anschauungen übereinkommt.
Schrift muss zunächst die obere Platte entweder eine dreifache : kintheit, ju-
des Altartisches mit einfachen Lein- gent, alter, oder eine vierfache: ktnt-
tüehern bedeckt werden, und zwar heil, juqent, manheit, alter, in ein-
dreifach; zuerst kommen zwei untere zelnen Italien eine noch mehrfache.
Tücher von derberem Stoff, welche Besonders beliebt ist eine solche, Wei-
denau die Grösse der obern Platte che einen Fortschritt von zehn zu
nahen, und dann das feinere darüber zehn Jahren annimmt ; der bekannte
gebreitete Leintuch, mappa, das an Spruch von den zehn Lebensaltern
den Seiten mit den geschmückten lässt sich seit dem 15. Jahrh. naeh-
Kändern herabhängen muss. Nach weisen.
Beendigung des Messopfers wurde Fester begrenzt sind diejenigen
im Mittelalter die oberste Altardecke Lebensabschnitte, welche durch Sitte
herabgenommen und für die übrige und Recht gezogen werden, wobei
Tageszeit durch das Vesperaltuch übrigens die Altersunterschiede bloss
ersetzt, das in Deutschland rot- oder für den freien Mann gelten, nicht
dankelbraune Farbe zu tragen pflegte, für den Unfreien und das Weib.
Antipendien heissen die Hekleidun- Das Alter, mit dem nach germani-
gen der Seitenwände des Altars, siehe scher Sitte die Kindheit schliesst und
den bes. Artikel. In den altern Zei- die luacheidcnen, die kenntlichen, die
ten, bis gegen das 12. Jahrh., schlos- j verxunnenlichen Jahre beginnen, ist
sen Vorhänge den Ciboricnaltar zwi- das zwölfte Jahr; wo das siebente
sehen den Säulen ab, wie jene frühern genannt wird, ist römisches Recht
Bekleidungen zum Teil aus kostbaren im Spiel. Nach germanischen Quellen
Stoffen hergestellt. Hand- und La- währt Unzurechnungsfähigkeit bis
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22
Amadis von Frankreich. — Ambo.
zum zwölften Jahr. Vollständig frei-
lich wurde die Zurechnung für den
Knaben erat mit dem 15. Jahre, wäh-
rend für Mädchen die Frist um drei
.Jahre früher angesetzt war. In die-
sem Alter endigte der Unterricht
des Knaben und er wurde mündig',
einen Vormund setzt er nur noch,
wenn er es selbst wünscht und wen
er wünscht; als Sohn und Erbe eines
Königs kann er jetzt ohne Reichs-
verwescr herrschen. Nur in einzelnen
besondern Rechten, wie dem lango-
bardischen und sächsischen, war die
Mündigkeit auf das 12. oder 18. Jahr
gestellt. Wer das Alter der Mündig-
keit erreicht hatte, hiess zu geinen
Jahren gekommen, gejährt oder jäh-
rig; die Zahl von 12 oder 15 Jahren
heisst Jahrzahl, anni legitimi, acta«.
Doch blieb der Sohn auch jetzt noch,
solange der Vater lebte und er un-
abgesondert in dessen Hause wohnte,
in väterlicher Dienstbarkeit, zusam-
men mit dem Gesinde. Zum vollen
Mannosrceht gclaiigte der Sohn erst
mit dem 20., die Tochter zu ihrem
vollen Hechte mit dem 15. Jahr.
Heide hiessen jetzt zu ihren Tagen
gekommen. In diesem Alter erhielt
der freie Sohn die feierliche Ertei-
lung und Anerkennung des Waffen -
rechtes, die Wehrhaftigkeit. Doch
wurde im Verlaufe des Mittelalters
diese Frist der 20 Jahre mehr und
mehr verwischt und ihre Wirkungen
auf das 15. oder 13. Jahr zurück-
verlegt, sodass z. B. der Sachse schon
im 10. Jahrb. vom 12. Jahr an dem
Heerbann folgen musste.
Das Alter des Mannes im vollen
Sinne des Wortes reichte bis zum
60. Jahre, von da an hiess er nach
meinen Tagen, über srinen Tagen, das
Alter beginnt. Der 00jährige Edle
ist weder zum Kampfe vor Gericht,
noch zum ritterlichen Lehndienst
mehr verbunden. Das Wergeid nimmt
von da an wieder ab. eine neue Un-
mündigkeit tritt ein , «1er 60 jährige
hat das Recht sich einen Vormund
zu netzen und mtiss für irgend wel-
che Rechtshandlung, wenn es be-
gehrt wird/ sieh ausweisen, dass er
an Leib und (^eist noch ein gewisses
Mass von Manneskraft besitze. Ja
die eigentlichen Greise verfielen wie-
derum in Dienstbarkeit. Man bat
Nachricht, dass auch bei den Ger-
manen, z. B. den Herulern, Greise
aus Erbarmen getötet wurden, na-
mentlich wo Hungersnot mitwirkte.
Nach H'aekernaqef, die Lebensalter.
Vgl. GWm», Rechtsaltcrtüm., S.486ff.
Amadis von Frankreich ist der
Held des xnani/trhen Romanes, »lei-
den Umschwung der Ritterepopöe
zum Ritterroman bezeichnet, ur-
sprünglich wahrscheinlich in portu-
giesischer Sprache durch den Ritter
Vasco de Lobeira von Oporto, gest.
1403, verfasst, wurde er durch Gar-
cia Ordonnez de Montalvo um 1460
ins Spanische überarbeitet und um
d. J. 1500 im Drucke herausgegeben.
Der Held des Buches ist Amadis,
Sohn des Königs Perion von Frank-
reich und der Eliscna, einer Tochter
des Königs Ga Vinter von Bretagne,
Hauptgegenstand die Liebesge-
schichte zwischen Amadis und Oriana,
einer Tochter des Königs Lisuart
von Frankreich. Schon von dem
j genannten spanischen Bearbeiter
| fortgesetzt, erweiterten französische
i Übersetzer das Buch auf die Roman-
I reihe von 24 Büchern. Auch in der
I deutschen Übersetzung, welche von
156'.» bis 15!»4 in 24 Bänden erschien,
1 wurde der galante Ritterroman mit
j seiner unglaublichen Weitschweifig-
keit das Lieblingsbuch des deut-
schen Adels. Ausgabe des 1. Buches
in der Bibliothek des litt. Vereins,
Bd. 10.
Ambo, ein griechisches Wort,
eigentlich Rand, Erhöhung, bedeutet
in erster Linie den Plate, der sich
vom Altarraum aus in daa Schiff
der Kirche erstreckt; er ist von
Schranken umgeben und durch Stufen
erhöht, und dient für die niedere
Geistlichkeit, die Sänger und Vor-
leser. In zweiter Linie heisst Ambo
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Ambrosianischer Lobgesang. — Angang.
23
der kathederartige Aufbau, der, in
einigen Kirchen doppelt, über den
Schranken dea erstgenannten ältern
und einfachem Ambo sich erhob.
Derselbe war mit einem doppelten
Stufengang und einem Lesepulte ver-
sehen. Wo zwei Ambonen vorhan-
den waren, war der rechts vorn Altar
gelegene höhere und reicher ge-
schmückte zur Vorlesung des Evan-
geliums, der kleinere zur Vorlesung
der Epistel bestimmt; war nur einer
da, so enthielt er ein höheres Pult
für das Evangelium, ein niedrigeres
für die Epistel. Aus dem Ambo
gingen später der Lettner und die
Kanzel hervor.
Ambrosia nl seh er Lob^esang
heisst der fälschlich dem Ambrosius
und Augustinus zugesehriebene Hym-
nus Je Ueum lamlamu*. Wahr-
scheinlich ist es eine von Ambrosius
für seinen Kirchenchor gefertigte
lateinische Übersetzung eines alten
morgen ländischen Abendgesanges.
Er verbreitete sich bald im ganzen
Abendland als der Hauptspalm des
abendländischen Christentums; Be-
nedikt von Nursia nahm ihn in das
Brevier seines Ordens auf.
A neiden sind höfische Kitterepen,
welclie den Virgil ischen Aneas und
seine Abenteuer im Geiste des Rit-
tertums zum Gegenstände haben.
Die französische Aneide des 1 xerre
<? Aurerffnr igt verloren. Erhalten
ist die nach französischen Quel-
len verfaaste deutsche Aneide oder
Eneit des Heinrich von Veldeke, der
als der Begründer der höfischen
Ritterepik gilt und besonders das
Motiv der Minne in daa Epos ein-
führte. Das deutsche Gedicht lässt
den Aneas aus Troja fliehen und
zur Dido gelangen, die ihn durch
Liebe zu fesseln sucht. Durch die
Götter an seine höhere Bestimmung
erinnert, entflieht Aneas in das Land
des Königs Latinus in Italien; um
dessen Tochter Lavinia kämpft
Aneas einen Zweikampf mit Tur-
nus, dem Lavinia schon versprochen
ist. Den Gipfelpunkt des Gedichtes
bildet die Minne zwischen Äneus
und Lavinia, die schliesslich die
Stammeltcrn des Komultis und Itc-
mus werden. Neueste Ausgabe von
Behaghcl, Heilbronn 1882.
Angang, mhd. ttncqanc, auch
iriderqanc, mderlouf heisst eine im
Mittelalter weit verbreitete Art von
Aberglauben, wornach der Gegen-
stand, auf deu man frühmorgens,
beim ersten Ausgang oder beim
Unternehmen einer Keise unerwar-
tet stie8s, sei es Tier, Mensch oder
Sache, Heil oder Unheil bezeichnete
und das Beginnen fortzusetzen oder
aufzugeben mahnte. So weit der
Angang Menschen betrifft, so galt
als unheilbringend der Angang eines
alten Weibes, einer Frau mit flie-
S Mideu Haaren oder aufgelöster
opf binde, eines geweihten Prie-
sters, eines Blinden, Hinkenden und
eines Bettlers; für gut galt dagegen
der Angang eines Hockeriehten und
Aussatzigen , und die Begepiung
eines Gehenden günstiger als die
eines Reitenden, ungünstig aber die
eines Wassertragenden. Von Tier-
angängen gilt als günstiges Zeichen
der heulende und tortgehende UV/',
dessen Begegnen Mut und Hoffnung
einflösst, während der feige furcht-
same Maxe als entmutigendes Zei-
chen betrachtet wird. Dem Wolf
zur Seite stehen Jfirxch, Eher u. Bar.
Des Funktest Angang wird verschie-
den gedeutet. Wer bei frühem Aus-
gang Sc/itreiuen begegnet, wird un-
willkommen sein, wer Schafen, will
kommen; oder es heisst: als will-
kommener Gast wird der Wanderer
empfangen werden, wenn ihm die
Schafe rechter Hand, als unwill-
kommener, wenn sie ihm linker Hand
aufstossen. Noch feiner ausgebildet
war der Angang der 1'oacf. Nament-
lich waren unter den Wegvogeln
( so heissen diejenigen, deren Begeg-
nen vorbedeutungsvoll ist) die krim-
memlen Iiaubröqel von Bedeutung,
die über andere Vögel Sieg errangen,
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24
Annalen. — Annolied.
folglich auch den Helden Sieges-
crfolg weissagen konnten, daher spie-
len auch in Träumen Raubvögel die
erste Rolle. Fliegen zur rechten
Jla/nl galt wie bei den Alten so
auch im Mittelalter für glücklieh,
zur Unken unglücklich. Besonders
häufig wird die Krake genannt, dann
Eh/er, Schwalbe. Eine be-
Sjtecht,
sondere
Art des Vogelangangs ist
der Uherfluff einiger \ (»gel: gefeier-
ten Helden gaben Adler Schatten
vor der Sonne durch Überbreiten
ihrer Flügel. Oft ist es nicht der
Fing und Augaug der Wegvögel,
was dem Menschen Heil oder Ün-
heil bringt, sondern ihr Aufenthalt
an der Wohnstätte der Menschen.
Schwalbe und Storch sind Glücks-
vögel; ein Leichroffel oder Trauer-
roffel ist die Knie, die deshalb auch
Klagemuhme, Klagemutter, Klage-
weil» heisst. Von leblosen (»egen-
ständen dieser Art werden in erster
Linie Flammen für weissagend ge-
halten; wenn sie sich den Kriegern
an Helm oder Speer setzten, galten
sie als Vorzeichen d»*s Sieges. Sonst
galten besonders gefundene, gebet-
telte (»der gestohlene Sachen als
heilsam oder schädlich. Grimm,
Mythologie, Kap. 35. U'uttke, Volks-
aberglaiibe 262 ff.
Annalen heisst eine wichtige
Gattung mittelalterlicher, lateinisch
geschriebener Geschichtsquellen; es
sind ursprünglich chronologische
kurze Notizen, welche die Missio-
näre auf die überall verbreiteten
Ostertafeln sehrieben, deren Rand
von selbst dazu aufforderte, neben
der Jahreszahl kurze Nachrichten
einzutragen. Man findet sie zuerst
in Italien, Irland und England, seit
Karl d. Gr. in Deutschland. Mit
den Ostertafeln wurden die Rand-
bemerkungen abgeschrieben und
gingen so von einem Kloster an das
andere über; man verband sie, setzte
sie fort und ergänzte sie aus andern
Schriftstellern. Man unterscheidet
Reichs- oder Königliche Annalen,
die am Königlichen Hofe entstan-
den sind, und lokale Klosterannalen.
Zu den ersteren gehören die Anna-
len von S. Amand, Annale* Mosel -
tani. die Lorscher Annalen, die An-
nalen Einhards, deren Urheberschaft
durch den Geschichtschreiber Karls
d. Gr. zwar nicht allgemein aner-
kannt wird. Klosterannalen lokaler
Natur sind sehr zahlreich. Aus die-
sen Annalen sind mit der Zeit die
ausführlichen Chroniken, Caxu*.
Getto, Chronica des Mittelalters ent-
standen. Die Annalen sind heraus-
gegeben von Pertz im ersten Bande
der Monument <i ( iermauiae hixtorica,
1 82t> ; siehe Wattenbach, deutsche
Gcschichtsquellen im Mittelalter.
Anna ten heissen im Mittelalter
1. eine Abgabe des Ordinierten an
den Ordinierenden, die bis zur Höhe
des ersten Jahreseinkommens ge-
steigert werden durfte, von Prie-
stern, Abten und Bischöfen geleistet
werden mnsste und allmählich an
den Papst kam; man hiess sie
meist xerritia. 2. die Abgabe der
Hälfte der ersten Jahreseinnahme,
welche die Bischöfe von den von
ihnen verliehenen Pfründen erhielten
und ebenfalls mit der Zeit an den
Papst abtraten. Diese zweite Art
hiess im engeren Sinne annata.
Über beide Abgaben, die mit der
Zeit denselben rsamen annata er-
hielten, führte die vorreformatorische
Zeit heftige Klagen; die Annaten
im engern Sinne sollten nach einem
Beschlüsse des Konstanzer Konzils
aufhören, wenn sie weniger als 24
Goldgülden betrügen, was in Deutseh-
land uci allen päpstlichen Pfründen
eintraf ; die Serritien bestanden fort,
und sie sind es, denen die vielen
Klagen späterer Zeit galten.
Anniversarien sind kirchliche
Stiftungen für jährliche Fürbitte zu
Gunsten von Abgestorbenen; sie
kamen im 11. Jahrh. auf.
Annolied betitelt sich ein mittel-
alterliches, in niederdeutscher Mund-
art verfasstes Gedicht eines unbe-
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Antichrist. — Antonierherrn.
25
kannten Verfassers, das sich zur Auf-
gabe stellt, den 1075 gestorbenen
heil. Anno, Erzbisehof von Köln,
d« n Zeitgenossen als einen grossen
und wahren Heiligen vorzuführen;
der Dichter seheint ein Geistlicher
»ler Diöeese Köln cewesen zu sein
und noch irn 11. Jahrh. gelebt zu
haben. Das Gedicht hat durch die
rasch und kräftig fortschreitende Be-
wegung einen poetischen Wert. Nach
vorausgenommener Einleitung, die
von Erschaffung der Welt und dem
Süudenfall anhebt, dann die Thaten
Casars und Augustus und der Vor-
gänger Annos besingt, kommt das
Geflieht auf die Regierung des heil.
Bischofs selber zu sprechen und
schilt die undankbaren Zeitgenossen,
welche die Grösse und Heiligkeit
seines Helden nicht erkannt haben.
Der erste Herausgeber der Dichtung
war Opitz, 1639, Ausgabe von Bez-
zenberger 1848.
Antichrist, mhd. auch mit Anleh-
nung an rüde: endechrist. Die Lehre
vorn Antichrist, schon bei den Juden
als Pseudomessias vorgebildet, kam
früh mit dem Christentum in die
deutsche Bildung; besonders in der
Auffassung, wonach er am Ende der
Welt den grossen Kampf mit Christus
bestehen wird, an welchem auf bei-
den Seiten übermeusehliche Helden
teilnehmen, namentlich der Erzengel
Michael und Elias, wahrscheinlich
nach dem Brief Judae, v. 9, wo der
Erzengel Michael mit dem Teufel um
den Leichnam Mosis zankt. Die be-
kannteste deutsche Darstellung der
Antichrist-Sage ist das Gedicht vom
lünqnfen Tage oder MuttpiUi. u. a. ab-
gedruckt in Mulle nhoff und Scheret;
Denkmäler deutscher Poesie und
Prosa, wo in der Erläuterung zahl-
reiche andere deutsche Dichtungen
v«>rn Antichrist nachgewiesen sind.
Schritten über fliesen Gegenstand
riebt es in Poesie und Prosa das ganze
Mittelalter hindurch, so von der Frau
Ava, gestorben 1 127. Siehe Wacker-
nagels Literaturgeschichte, § 55.
Auch Frida ni es Bescheidenheit hat
einen Abschnitt (49 1 Von dem ende-
chrisfe, dazu die Anmerkungen in
der Ausgabe von Bczzenberger,
Halle 1872, p. 401 ff. Das älteste in
Deutschland aufgefundene Myste-
rium ist der ludus paschati* de ad-
rett tu et i uteri tu Antichrist i '. Seit
dem 14. Jahrhundert fanden die
Gegner des Papsttums, Wik leff,Huss,
und ganz allgemein die Reformato-
ren den Antichrist im Papste. Auch
<«in Brants Narrenschiff, 103, ist vom
Kndrhrisf die Rede.
Antipendiuni heisst der gestickte,
gewirkte oder gewobene Vorhang
oder Zierbehang für die Vorderseite
de-s Altars, Altarbehang. Früher
gefaltet, wurden sie später, um die
gestickten Darstellungen deutlicher
ins Auge fallen zu lassen, ohne Fal-
ten autgehängt, etwa auch auf Rah-
men gespannt und vor der Vorder-
seite des Altars {frontale) bloss auf-
gestellt.
Antiphon, Wechselgesang, war
ursprünglich eine Gesangsweise der
Israeliten und ging früh in den
christlichen Gcsangskult über. Nach
der späteren Kirchenpraxis verstand
man unter Antiphon nur die Auf-
forderung zum \Vechselgesang. also
denjenigen Vers oder Spruch, wel-
chen der Vorsänger anzustimmen
hatte und der am Scliluss des (tan-
zen vom Gesammtchor wiederholt
wurde. Schon Ambrosius stellte ein
Antijdtonariitm mit den dazu gehöri-
gen Gesangstexten auf, eine spätere
vollständigere und noch heute ge-
brauchte Sammlung verdankt man
Gregor d. Gr. Die Antiphone sind
Bibelverse oder klassische Stellen
aus Bibelversen , welche den Inhalt
des Psalms kurz bezeichnen oder
ihm die bestimmte Beziehung auf
den festlichen Tag oder die Kirchen-
jahreszeit verleihen.
Aiitoiiierherrcii oder Hospita-
titer den heiligen Antonius. Gegen
Ende des 11. Jahrhunderts wütete
in Frankreich eine Krankheit, die
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Antrustio. — Apostel.
man (las Feuer des heiligen Antonius
nannte, weil man von diesem Hei-
ligen Kettung hoffte. Als der ein-
zige Sohn eines Edelmanns in der
Dauphiuc, Gaston, von dieser Krank-
heit befallen wurde, that der Vater
über deu Reliquien des Heiligen ein
Gelübde, dass er, wenn der Sohn
genese, sein ganzes Vermögen zum
Hosten der an dieser Krankheit Lei-
denden verwenden würde. Beides
geschah, und der Vater Gastons
wurde mit acht Gefährten selbst
Krankenwärter. Anfangs waren es
bloss Laien; Innocens Iii. gab ihnen
1208 die Erlaubnis, eine Kirche zu
bauen, und Honorius III. gestattete
1228 den Mitgliedern die Ablegung
des Mönchsgelübdes. Bonifaz III.
machte sie zu regulierten Kanoni-
kern und gab ihnen die Regel des
heiligen Augustin. Gewöhnlich
nannte man sie Antoniusherren; als
Ordenstracht trugen sie ein schwar-
zes Gewand mit einem daraufgehef-
teten himmelblauen emaillirten T,
nach Ezech. 9, 4. Beim Almosen-
sammeln trugen sie ein Glöckchen
an ihrem Halse. Das Volk pflegte
ihnen jährlich ein Schwein zu ver-
ehren, welches Tier dem heil. An-
tonius geweiht ist. Der Orden brei-
tete sich schnell aus; die Prioren
nannten sie Komture und der Abt
von St. Anton zu Vienna war Gross-
meister. Hagenhach in Herzogs Real-
Encvkl.
Antrustio, abgeleitet von frusfis,
die verbundene Schar und besonders
die der Gcfolgsgenossen , ist in der
Merowinger Zeit der Name desjeni-
gen, der zur Gefolgschaft des Königs
gehört; er heisst auch Y/W/genosse,
eonrira. Die Aufnahme in dieTrustis
erfolgte durch die Formel: „Es ist
recht, (hv*s wer uns unverletzte Treue
felobt, unseres Schutzes geniesse.
Jnd weil jener Getreue nach Got-
tes Willen kommend dort in unse-
rem Palast mit seinen Waffen in
unsere Hand tiefolge und Treue be-
schworen hat; deshalb durch die
gegenwärtige Urkunde befehlen und
bcschliessen wir, dass jener oben-
erwähnte hinfüro unter die Zahl der
Antrustionen gerechnet werde. Und
wenn jemand sich erfrechen sollte,
ihn zu töten, so wisse er, dass er
sein Wehrgeld mit 600 solidi zu
zahlen schuldig befunden werde."
Dieses Wehrgeld ist dreimal so gross
wie das der gewöhnlichen Freien.
Sonst hatten die Antrustionen das
gleiche Recht und Gericht mit den
übrigen Freieu, sie sind auch nicht
erblich und bilden keinen Staud des
Adels. Es sind Freigeborene , die
in dieses Verhältnis eintraten. Nur
der König hat Antrustionen. Mit
der Ausbildung des Lehenswesens
verschwindet dieses nur den Franken
bekannte Institut. Siehe Waitz.
Apollonius von Tyrus heisst ein
im Mittelalter weit verbreiteter Sa-
genstotf, der die Erlebnisse einer
nach allen Richtungen hin ausein-
ander gerissenen Fürstenfamilie be-
handelt, welcher doch schliesslich
Wiedervereinigung und dauerndes
Glück bescheert wird. Ursprünglich
ein griechischer Roman, wurde der
Stoff in verschiedenen Sprachen in
Prosa und Versen bearbeitet, deutsch
um 1300 von dem Wiener Arzte
Heinrich von Neuenstadt, unter dem
Titel: Apollonius von Tvrland. Aus
der lateinischen Bearbeitung des
Gottfried von Viterbo ging das V olks-
buch: „Die Historie des Königs Apol-
lonia, Augsburg 1471 hervor. Vgl.
Hagen, der Roman vom König Apol-
lonius. 1878.
Apostel wurden in der ältesten
Zeit der christlichen Kunst als zwölf
Schafe dargestellt, in deren Mitte
Christus als das Lamm Gottes auf
einer Anhöhe steht. Seit dem (5. Jahrb.
erscheinen sie als männliche Gestal-
ten, alle einander gleich, in Tunika
und Gürtel, häufig mit Mantel, Schu-
hen und Sandalen, jeder mit einem
Schaf, Christus in der Mitte, oder
als zwölf ehrwürdige Männer ohne
unterscheidende Attribute. Die Rei-
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Apostel.
27
heufolge ist verschieden, auch findeu
sich statt Judas Isehariotli Paulus,
.statt Simon Zelothes und Matthias
Markus und Lukas. In solcher Zahl
findet man sie auf grossem Kir-
chengerätschaften, Altären, Kan-
zeln, Reliquienschreinen, Grabdenk-
mälern, an den Pfeilern des Mittel-
schiffes der Kirchen. Einer alten
Sage gemäss versammelten sich die
Apostel vor ihrer Zerstreuung und
um das apostolische Glaubensbe-
kenntnis festzustellen, was in der Art
dargestellt wurde, dass man jedem
von ihnen auf einem Spruchband
einen bestimmten Teil des Bekennt-
nisses beilegte. Die Charakteristik
der einzelnen Apostel ist folgende:
Pelms und l'aulus, sehr Ott mit-
einander neben Christus oder Maria
oder den Evangelisten, Pelms ein
kräftiger Greis von mittlerer Statur,
breiter Stirn, derben Gesichtszügen,
kurzem grauem Haar, dickem ge-
kräuseltem Hart, oft auch bei kahlem
Scheitel mit dicht im Kreise herum-
wachsendem Haar. Sein Attribut
ist zuerst, wie bei allen Aposteln,
ein Spruchband oder Buch, später
«in Kreuz in der einen, das Evan-
gelium in der andern Hand, seit dem
s. Jahrb. die Schlüssel, selten einen
«»der drei, gewöhnlieh zwei. Paulus
von kleiner magerer Statur, mit
Adlernase, hoher Stirn, funkelnden
Augen, langem ovalem Gesieht, brau-
nem Haar, spitz herabhängendem
Hart. Die Attribute sind 12 Köllen,
nach der Zahl seiner Episteln, ein
«►der zwei Schwerter, als Hindeutung
auf seinen Märtyrertod und als
Soh wert des Geistes.
Andrea*, ein bejahrter Mann,
Petrus ähnlich, dessen Bruder er ist,
mit herabwallendem weissem Haar
und gespaltenem Bart, mit dem Evan-
gelium und etwa seit dem 14. Jahrb.
mit dem schrägen Balkenkreuz in
der Hand, au dem er den Mftrtvrer-
tod fand,
Jakof/us der Allere, Bruder des
Apostels und Evangelisten Johannes,
hat manchmal Familienähnlichkeit
mit Christus, kurzes braunes Haar
und Bart, wird seit dem VA. Jahrb.
gewöhnlich als Pilger von Konipo-
stella dargestellt, mit Pilgerstab,
woran die Pilgertasche hängt, die
Pilgermuschcl am Hut oder auf der
Brust.
Johanne.*. Sohn des Zebedäus und
jüngerer Bruder des älteru Jacobus,
des Heilandes Lieblingsjüngcr. An-
fangs bildete man ihn bejahrt mit
langem weissem Bart, später jugend-
lich und unbärtig, von zarter Kör-
perbildung und mildem Ausdruck.
Als Apostel trägt er in der Hand
einen Kelch, aus dem sich eine
Schlange herauswindet , weil er der
Tradition nach einen Giftbeeheroblie
Nachteil trank.
Philippus erscheint gewöhnlieh
jugendlieh, unbärtig oder mit kur-
zein Bart und freundlichem Antlitz;
als Attribut hat er ein Antoniuskreuz
oder einen langen, oben mit einem
Kreuz endigenden Stab.
Bartholomäus , der Apostel von
Indien, wird bejahrt dargestellt. Aber
mit schwarzem Lockenhaar und star-
kem schwärzlichem Bart, das Evan-
gelium des Matthäus in der linken,
ein grosses Messer in der rechten
Hand, bisweilen über dem Arm seine
eigene Haut tragend, selten mit
Lanze oder Beil.
Thomas , genannt der Zwilling
oder der ungläubige, erseheint bald
jugendlich und unbärtig, bald als
gereifter Mann mit kurzem Bart;
seit dem 13. Jahrb. trägt er als Attri-
but ein Winkelmass, weil er für
einen indischen König einen Palast
gebaut haben soll, oder eine Lanze,
durch die er den Märtyrertod erlitt.
Matthäus bejahrt, mit weissem
Bart, einen Beutel in der Hand, weil
er Zöllner gewesen wrar. Als Zei-
chen seines Märtyrertodes hat er ein
Schwert oder ein Beil, oder er trägt
den einem Winkelmass ähnlichen
Visitierstab des Zöllners.
.laknhns der Jüngere, Sohn des
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Apostel.
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29
Fig. 9. Bartholomaus. Fig. 10. Thomas.
Fig. 11. Matthäus.
Fig. 13. Simon Zelote». Fig. 14. Judas Thaddäus.
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30
Apostelbrüder. — Apsis.
Alphäus, dessen Gattin Maria's
Schwester war. Kr wird daher in
den Gesichtszügen dein Heiland ähn-
lich dargestellt. Seine Attribute sind
Tuchwalkerstange oder Keule, ver-
mittelst welcher ihn der wütende
Pöbel zu Jerusalem erschlagen ha-
ben soll.
Simon Zelotcs, nach der Tradition
ein Bruder des Judas Thaddäus;
beide sollen unter den Hirten ge-
wesen sein, denen der Engel die Ge-
burt des Heilandes verkündigt, wes-
halb sie gewöhnlich bejahrt darge-
stellt wurden. Ihre gewöhnlichen
Attribute sind Säge und Hellebarde
(oder Keule), die Werkzeuge ihres
Todes.
Matthias, der an der Stelle des
Judas Ischarioth nachgewählte Apo-
stel, wird in der Reihe der Apostel
meist durch Paulus ersetzt. Lanze
oder Axt, die Werkzeuge seines To-
des, sind seine Attribut«'.
Judas I.scharioth erscheint nur
da, wo die Evangelien es ausdrück-
lich angeben, mit rotem Bart und
Haar, zuweilen mit einem Teufel
auf der Schulter, der ihm ins Ohr
flüstert; seine Kleidung ist meist ein
schmutzig gelbes Gc wand. Nach Mül-
ler und Mothrs, Arch. Wörterbuch.
Vgl. Organ f. christl. Kunst 1871.
Apostelbrtider, Apostelorden,
Apostoliker heisst eine in der zwei-
ten Hälfte des 13. Jahrh. in Ober-
italien entstandene ketzerische Sekte,
gestiftet durch Gerhard Segarelli,
einen Handwerker in Parma. Von
dem Franziskaner Orden, in den er
einzutreten wünschte , abgewiesen,
beschloss er, das arme Leben der
Jünger Jesu nachzuahmen, und grün-
dete zu dem Ende eine apostolische
Gemeinschaft. Vom Papst und den
Bischöfen verfolgt, predigten die
Apostelbrüder gegen die Hierarchie
und die Gebrechen der Kirche; Sega-
relli selbst wurde im J. 1300 ver-
brannt, doch dauerte namentlich
unter dem Nachfolger Scgarclli's, Dol-
cino, die Sekte noch ziemlich lange.
Oft verbanden sie sich mit Frati-
cellen und Bcgharden.
Apostellöflfel hiessen LötFel, die
am Stiel mit der Figur eines Apostels
oder der heil. Jungfrau endeten. Sie
gehörten zu den heil. Geräten, um
bei der Messe dem Wein einige
Tropfen Wasser beizumischen. Ein
volles Besteck bestand aus 13 Löffeln,
einer mit der Maria, die 12 andern
mit den Aposteln. Sic dienten auch
als Patengeschenke.
Apotheke bedeutete zuerst jeden
Kram-, also auch Tuch-, Schuh-
macherladen u. dgl.; im 14. Jahrh.
verengt sich der Begriff zu einem
Spezereiladen , in welchem Hülsen-
früchte, Gewürze, Arzneistoffe, Kon-
fekt, Wachs u. dgl. verkauft wur-
den; aus dem Inhaber solcher Läden
wird dann ein gelernter Bereiter
von Arzneien, ein Meister; es hängt
das damit zusammen, dass man
ursprünglich fast nur vegetabilische
Arzneistoffe gebrauchte und erst
später mit dem Fortschreiten der
Chemie und der häufiger werdenden
Anwendung von mineralischen Stof-
fen eine wissenschaftliche Thätigkeit
aufkommt. Im 15. Jahrh... beginnt
man die Apotheken durch Arzte be-
aufsichtigen zu lassen und polizei-
liche Vorschriften über Taxen u. dgl.
aufzustellen; die älteste bekannte
Apotheker- Ordnung ist die Frank-
furter v. J. 1461, welche zum Muster
zahlreicher anderer wurde. Die
Arzneistoffe wurden ausser den ein-
heimischen vorzugsweise von Vene-
dig bezogen; sie zerfielen in einfache
und gemengte. Siehe h'rirak, deut-
sches Bürgertum im Mittelalter, I,
60 ff., wo auch die älteste Apotheker-
Ordnung abgedruckt ist. Kohl, Altes
und Neues, Bremen 1871, Abschn. y.
Federking, Geschichte der Phar-
mazie. Göttingen, 1874.
Apsis, aus gricch. apsis oder h<tj>-
sis = Verbindung, Rundung, Gewölbe,
daraus mittellat absida, ahd. absida,
apsita. mhd. mit Anlehnung au ab und
sitc; die absite oder apsitc, ursprüng-
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A(juamanilla. Arkebusierer.
^1
Jicfa die Altar-Nische der Basilika.
Sie heisst auch cvncka, tribunal, sanc-
fuarium oder saneta sanc forum, weil
der Hochaltar darin steht. Im goti-
schen Baustil hört die Apsis auf,
ein organisch gesondertes Glied, eine
nelbatandige Vorlage des Altarhauses
zu sein, und der Altarraum ist bloss
ein Bestandteil des hohen Chores,
das Allerheiligstc desselben.
Aquamanilia, Wasserge fasse zum
Häudewaschen, die in Form der ver-
schiedenartigsten Tiere gebildet sind,
gelten gewöhnlich ausnahmslos als
zum kirchlichen Gebrauche bestimmt.
Altere Formen, wie ein Gefäss im
Dome zu Aachen in Gestalt eines
männlichen, mit Epheu bekränzten
Kopfes, erinnern noch an die Antike,
später wurden vorzugsweise Tiergc-
stalten beliebt, Löwen, Greif«*, Hunde,
Pferde, phantastische Tiere, auch fin-
den sich Kitter zu Pferde mit voller
Rüstung.
Areoipoeta, Erzpoet, nennt sich
der Hauptvertreter der mittelalter-
lichen Vaganteiipoesie. Er besass
dVn Vornamen W alther, stammte aus
ritterlichem Geschlecht und gcno.^s
die besondere Gunst Rainalds von
L)as.*el, des Erzbischofs von Köln
und Kanzlers Kaiser Friedrich I.
IHe Vermutung Gieseb recht's, dass
der Archipoeta identisch sei mit
Walther von Lille oder von Chätil-
lon, welcher durch seine Alexandreis
•lie Klassiker aus den Schulen ver-
drängte, ist von Ifubattch, die latei-
nischen Vagantenlieder des Mittel-
alters, Görlitz 1870, widerlegt wor-
den. Der Archipoeta feiert in glän-
zenden Versen den Kaiser Friedrich
Barbarossa als den Herrn der Welt,
den Fürsten aller Fürsten, Hort der
Sicherheit und Ordnung; zugleich
aber jammert der sehr sinnenlustige
Poet über seine Armut und wird
nicht müde, seine Gönner anzubet-
teln. Von ihm stammt das Lied
Mihi est propositum in taberna mori.
Heine Gedichte sind zuerst herausge-
geben worden durch J. Grimm, Ge-
dichte des Mittelalters auf K. Fried-
rich I., Berlin 1844, wiederholt in
J. Grimms kl. Schriften, Bd. III.
1—102.
Archivwesen. Die kirchlichen
Archive reichen viel höher hinauf,
als die weltliehen. Sie enthalten
zwei Bestandteile, einesteils die Privi-
legien, Schenkungen, Vertrags-Ur-
kunden, richterliche Entscheide, au-
dernteils die aus der eigenen Thätig-
keit hervorgehenden Konzepte, Re-
gister, Akten aller Art; jenes sind
die Urkunden, dieses «lie Hajistratur.
Die ersten Spuren des päpstlichen
Archivs gehören dein 4. Jahrb. an.
Infolge des päpstlichen Exils nach
Aviguon ging tast das ganze Archiv
zu Grunde. Erst von Innoeenz III.
an sind die Originalregister in 2010
Bänden vorhanden. Die zahllosen
Kirchen- und Klosterarchive wurden
meist sehr sorgfältig verwahrt; oft
wurden die Hauptprivilegien mit dem
Schatze vereinigt, daher sie am zahl-
reichsten auf uns gekommen sind.
Die Siegel schützte man durch Um-
hüllung von Werg, Beutel von Leder
oder anderem Stoff. Um die zu
häufige Einsicht in die Originale zu
umgehen, legte man Kopialbüehcr
an. Bei weltliehen Fürsten war es
Sitte, die wichtigsten Dokumente in
einem Stifte zu verwahren, die deut-
schen Karolinger benutzten dafür
die Kapell«' zu Regensburg. Bei dem
Wandern desHofes lagen die Archiv-
stücke oft sehr zerstreut, «Ii«' laufen-
den Akten und wichtigen Urkunden
führte der Hof mit sieh. In den
Städten legte man von Anfang an
grossen Wert auf ein geordnetes
I Archivweseu; zur Aufbewahrung be-
' nutzte man das Rathaus oder die
I Pfarrkirche. Wattenbach, Schrift-
1 wesen, VII.
Arkebusierer, von französ. archc
bitte, dieses aus dem altitalienischen
arcabouza, lat. archibuxo, zusammin-
I gesetzt aus ital. archi — lat. arci - des
Bogens, u. ital. der bnffio, Loch, also
| eigentlich Feuerrohr mit Loch,
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32
Armbrust. — Armenpflege.
deutsch Hakenbüchse. Im ( legen- i 1 3. Jahrh. in Aufnahme, in den Kriegen
satz zur Muskete oder dem Hand- der Städte gegen den Adel. Philipp
röhr, das der Schütze allein mit den August ( llöO— 1233) schuf in Frank-
Händen handhaben konnte, ist es reich die ersten Armbrustschützen-
das Handgeschütz, welches zum Auf- Kompagnien. Besonders in den Nie-
legen einen Stand- oder G abelstock er- j derlanden war die Wafle beliebt, man
forderte. Arkebusirer sollen in Frank- belebte die Übungen durch Feste;
reich durch Franz 1. um 1544, im spa- 13t»4 wurde zu Tournay ein grosses
nisch-niederländischen Heere durch Wettschiessen abgehalten; ähnlich in
Alha um 1567 eingeführt worden .«ein. Deutschland, wo mancherorts die
Sie wurden ihrer Unbequemlichkeit Bürger einen Teil des Zwingers zwi-
halber in Holland um 1600, bei den I scheu Stadtmauer und Stadtgraben
Schweden durch Gustav Adolf und ' zu ihren Übungen inne hatten. Das
seit den 40er Jahren des 17. Jahr- Ziel pflegte ein aus Holz geschnitzter
hunderts überhaupt mehrenteils ab- Vogel zu sein, auf einer langen Stange
geschafft. Die Ausrüstung des Arke- befestigt. In der Schweiz haben sich
busierers bestand aus dem eisernen in einigen Städten Armbrust- oder Bo-
Brust- und Kückenstück, nebst genschützengescllsehaften bis heute
Sturmhaube, die letztere später erhalten. Während die Armbrust
durch einen breitkrempigen Hut er- für die Verteidigung fester Plätze
setzt, der Arkebuse an einem (^uer- gute Dienste that, kam sie für die
baudelier, dem Schwert, Pistolen Verwendung im offenen Felde nie-
und Zubehör. mala recht auf; schoss auch der
Armbrust . mhd. das ((rtnhrtt.il, j Bogen weniger stark, so schoss er
armhro*/, durch Anlehnung au Ar/u doch viel schneller als die Annbrust;
gebildet aus mittellat. arhatUla, voll- auch konnte der Armbrustschütze
ständiger arcuhalixta — Bogen- Wurf- in seinein Köcher nur 1* Bolzen fort-
masehme, aus lat. <trcu# der Bogen schaffen, während der Bogenschütze
und eriech. ballet n — werfen. I 24 Pfeile trug, <i eigentlich werfen
Die Armbrust ist eine Weiter- die Armbrustschützen im Kampfe die
entw ickclung des Bogens, indem der- Warte weg oder bedienen sich ihrer
selbe an einen Schaft befestigt w ard, als Keule. Noch schwerfälliger wurde
welcher im oberen Drittteil seiner der Gebrauch der Waffe, wenn ihr
Länge in einem vierseitigen Aus- Inhaber mit einem oder zwei Kuech-
schnitte (Nussbrunnen) eine um eint; ; ten als Spanner in den Kampf zog.
Welle drehbare Nuss hatte, hinter j Müller und Mothes, Wörterbuch,
welcher die Sehne zurückgezogen und J,ifni*, Geschichte des Kriegs-
und eingelegt, die Nuss dagegen wesens.
durch die in ihr unten «»inliegende Armenpflege. Die Armenpflege
Abzug.sstauge festgehalten wurde, ist ein wesentlich christliches Institut.
Die wesentlichsten Teile der Ann- sie beruht auf dem Gebot der Näch-
brust sind also der Bolzen, anfangs stenlicbc, hat mit dem Staat nichts
von Holz dann von Horn, endlich zu thun und wendet sich bloss au
von Stahl hergestellt, ferner der die Individuen; sie besteht in Privat-
eichene Schaft mit der Nuss, dem almosen und deren Sicherung, also
Kern und dem Schlüssel od. Drücker, im Stiftungswesen. Die Armeu-
sowie endlich die Sehne. Die Arm- Stiftungen wurden der leichten, wohl*
brüst war schon den Goten bekannt, feilen und sicheren Verwaltung wegen
Für den Adel und die Fürsten war au bleibende Korporationen ange-
sie zunächst Jagd waffe, für den schlössen, kleinere mehr au Kirchen,
Bürger Turm- und Mauerw ehr. Als grössere, wie Spitäler, an Gemeinden.
Kriegswafle kam sie namentlich im i Durch die Anknüpfung an die Kirche
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Artillerie.
33
e rhielt die Armenpflege den religiösen
Charakter und war eine wirksame
Aufmunterung zu neuen Armen-
stiftungen.
1) Kirchliche Armenpflege. Arm
ist erstens der Gegensatz von rieh
in dessen zwei Bedeutungen, vor-
nehm, mächtig — und reich an Gut;
daher arm mhd. sowohl den Mann
von geringem Stande, den hörigen
Bauer, arme Hute, als denjenigen,
der nichts besitzt, bedeutet, den
armen Dürftigen, den Bettler, lat.
juiuperes, egeni, pauperes mendicantes
kvttialim. die an den Thüren betteln.
Die Armenpflege erstreckte sich
meist auf diese zweite Klasse, und
zwar sowohl auf die ansässigen oder
Ortsarmen als auf die wandernden
Armen oder Pilger. Aus der ersten
Klasse, den armen Unten, gingen die
armen Schüler hervor, pauperes Scho-
laren, die auch in ständige und wan-
dernde eingeteilt wurden. Die stän-
digen besuchten die Kirchenschule
und waren zum Chorgesang verbun-
den. Man unterschied solche, die
nur Brot bekamen, und solche, wel-
chen man Kost gab. Aus den armen
Schülern wurde die niedrige Geist-
lichkeit gross gezogen, die von der
Pfründe des Altars lebte, dem sie
diente.
Die Armenpflege zieht Satural-
rtrPflegung der Geldausteilung vor,
und zwar werden rohe Nahrungs-
mittel seltener erwähnt als fertige.
Die Natural Verpflegung hiess spende
aus mittellat. spenda, welches mit
Speise aus lat. expendere kommt,
während Geldalmosen gewöhnlich
(dnujsen, eleemosunae heissen. Die
Spende geschah häufiger in Weiss-
hrot als in Schwarzbrot, weil man
dadurch der Absicht des Spenders
besser nachkam. Es gab einmalige
SjK'nden und solche, die sich über
das ganze .Jahr erstreckten. Grund-
satz* war, die Spenden öffentlich zu
verteilen, auf dem Kirchhof, am
Grabmal des Stifters, in der Kirche.
Die Armen mussten daher bei der
RMlIexivon der deutschen Altertümer.
Seelenmesse anwesendsein, schwache
und kranke Hausarme ausgenommen.
Die Stiftungsbriefe hiessen litterae
penales von poena, d. i. Strafe für
den Nichtvollzug der Stiftung.
2) In der Gemeinde- Armenpflege
herrscht ebenfalls der Unterschied
zwischen Spenden und Almosen. Die
besonderen Anstalten zur Bekösti-
gung der Armen sind die Spitäler,
deren man reiche Spitäler, d. i. Pf rund -
häti8er, und arme Spitäler. Armen-
häuser unterschied. (Iber die Annen
ausser den Spitälern war ein Aus-
schluss angeordnet. Wo die Refor-
mation eingeführt wurde, pflegte die
Obrigkeit sofort durch ein besonderes
Mandat eine Armenordnung aufzu-
stellen, besonders damit die Ver-
mächtnisse frommerund mildthätiger
Vorfahren nicht mehr zu einem
prunkenden Gottesdienste und für
unwürdige Geistliche verwendet wür-
den. Vgl. Kesslers Sabbata, I, 02.
Man stiftete einen öffentlichen Al-
mosenkasten , stellte eine Armenbe-
hörde auf, richtete in den Kirchen
einen Almosenstock' ein (daher Stock-
amt) und verordnete für die Haupt-
gottesdienste ein Einsammeln von
Almosen durch das },&ickliu, den
Klingelbeutel. JJone, (Iber die Ar-
menpflege vom 13. bis 16. Jahrh. in
der Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrheins,
Bd. 1. — Krirqk, Deutsches Bür-
gert. I, 161.
Artillerie kommt als Kollektiv-
name für Geschütz im Anfang des
16. Jahrb. auf, bei Vadian artellari
(etwa 1530), bei andern Artelerei
und Artillerie } aus franz. die arfil-
ferie, provenz. artilharia, span. artil-
leria, ital. artiglieria — Geschütz, von
franz. der arfitlcr, span. der artilleru,
iteil. der artigliere ~ Stückgiesser,
Gesehützsoldat, welches auf provenz.
artilha, Festungswerk und zuletzt
auf Ableitung von lat. ars, Kunst,
im Mittellateinischen auch soviel als
Geschütz zurückzuführen ist. S. Wei-
gand. Eine Umdeutschung des nicht
verstandenen Artillerie scheint ar-
3
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34
Artillerie.
iv/W, ai hUri, ark olfei zu sein. Der seiner Bewaffnung, und Dichter und
Ausdruck Artillerie kommt ungefähr Denker, die in ihnen eine freche An-
zur selben Zeit wie die Feuerwaffen massuug göttlicher Attribute sahen,
in allgemeinere Aufnahme, doch ist betrachteten die neue Waffe mit un-
Pig, 17. Orgclgeseliütz. Fig. 18. Orgelgesehüt/.
er älter als die Feuerwaffe und bei günstigen Blicken. Eine rationelle
den Franzosen schon unter Louis IX. Trennung von Handwaffen und Ge-
iim 1228 bekannt, als Gesamtname schützen ist bei den geringen Kali-
der Wurfgeschosse. Der Adel, der in bern der frühesten Feuerwaffen kaum
den Feuerrohren eine Beschränkung durchzuführen. Als Mittelding zwi-
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Artillerie.
35
sehen Handwaffe und Geschütz ging
wohl zunächst die Holzkanone hervor ;
Fig. 19. Orgelgescliülz.
erscheint sodann der Wurfkessel
oder Mörser, dadurch verlängert,
Fig. 20. Steinbüdise.
Fig. II. Steinbüchse. Fig. 22. SteinbUchac.
»■in gestielter llandmörser wurde ] dass man entweder dem Geschütz
Huer arabischen Waffe, der Madfaa, | vorn ein Mundstück ansetzte, oder,
whgeliilder. Als schweres Geschütz i indem man den Wtirfkessel in einen
3*
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36
Artussage.
Cylinder hineinschob; in jenem Fall
hatte mau einen Vortier-, in diesem
Fall einen Hinterlader. Allmählich
ging man zu sehlankern Formen
über. Gegossen wurden die Ge-
schütze zuerst über einen Kern, schon
im 15. Jahrh. bohrte man aber in
I Vutsehland Geschütze. Das Material
ist anfangs Stabeisen, später Bronze.
Vorherrschende Typen giebt es bis
gegen 1450 kaum, man schwankt
von einem Extreme zum anderen, von
sehr kurzen, kesselartigen zu langen,
schlangengleichen Kohren. Erst ge-
gen Ende des 15. Jahrh. lassen sich
bestimmt benannte Arten von Ge-
schützen deutlicher unterscheiden.
1. Büeh*e, Bhd.puhsa, mhd. f>uh*e,
lat.-griech. ju/.ri.s, ursprünglich eine
Ulis hartem /y*/c//*bauinholz gedrehte
Kapsel, welche sieh sehraubt. Man
unterscheidet Steinbüchel! für Stein-
kugeln und K/olzhüehsen für Kugeln
aus Eisen, Bronze und Blei, Loth-
büchsen schiessen bloss Blei.
2. Metze n, ahd. mhd. tnez = Mass,
Gefüss, Trinkgefäss, also gleichbe-
deutend mit Kanone aus lat. ran tut =
Röhre, Triukgesehirr.
3. Ellbogen* beschütze t in Form
von Winkelhaken mit horizontalem
Rohr als Kammer und senkrecht
emporstehendem Rohr als Flug.
4. Mörser, Tümmler oder Böller,
anfangs selten, da die alten Wurf-
maschinen denselben Zweck wohl-
feiler erfüllten; seit dem 16. Jahrh.
werden sie behufs Werfen von Feuer-
kugeln häufiger. Tümmler und Böl-
ler sind Mörser kleineren Kalibers.
5. Hauptbückscn , Scharf metzen
oder Mauerbrecher , zum Brech-
sei] usse bestimmt, seit dem Ende des
14. Jahrh. eine besondere Zierde der
Fürsten und Städte.
6. Kammerfmchsen mit beweg-
licher Ladebüchse, die durch vor-
gesteekten Keil odcrSchraubgewinde
im Rohre befestigt wurde, auch Vog-
ler, Vögler genannt, in der ersten
Hälfte des 15. Jahrh. häufig.
7. Jfaufnitz, Hawnitz, Hauft'nitt,
Haubitz, von den Hussiten in Nach-
ahmung und Verkürzung der gegen
sie zahlreich angewandten Kammer-
büchsen erfunden und mit Verstüm-
melung des deutschen Wortes llaupt-
hürhse benannt. Es ist ein Vorder-
lader, teils mit, teils ohne abgesetzte
Pulverkammer.
8. Karlaunen oder Quartanen,
Viertel xhüehxen, durch Verlängerung
der Hauptbüchse bei Verminderung
des Kalibers entstanden.
9. Sehlangen, franz. Serpentine*,
mit sehr langem Rohr.
10. Fallen, Falkaunen, Valkc-
netlin, Falkonett, leichtere Feld-
schlangen.
11. Hagelhüchten oder Orqelge-
tchiitze. Vereinigung mehrerer Rohre
auf einer Achse.
12. R epetiergexch ii fz.
In Bezug auf die Fortsehaftung
des Geschützes unterschied man Tar-
raxbüchsen, d. i. solche, deren Fahr-
zeuge nicht bloss zum Transport,
sondern auch als Schiessgerüste,
Tarras, dienten und Karrenoiirhsen.
von nur einem Pferde gezogen.
Die Figuren 15—32 entstammen
einer Münchner Bilderhandschrift
vom Jahr c. 1350, die statt des Textes
bloss Unterschriften enthält. Erklärt
und abgebildet im Anzeiger f. Kunde
d. d. Vorzeit. 1860. Nr. 11.
Das älteste deutsche Buch über
Artillerie ist das Feuerwerkslnu'h des
Abraham von Memmingen, 1414;
auf ihn folgt der Pfälzer Martin Merz,
dessen Kriegsbuch aus dem Jahre
1472 stammt. Nach Jahns, Handbuch
einer Geschichte des Kriegswesens.
Artussage, der beliebteste und
alisgebildetste Sagenkreis der höfi-
schen Weltlitteratur. Französisch
sprechende anglo-normannische Dich-
ter brachten den Stoff in England
auf, wo sie ihn, von Quellen zweiten
Ranges abgesehen, in einer lateinisch
geschriebenen Clironik fanden, die
( iottfried, Erzdiakon von Monmouth,
um das Jahr 1140 niedergeschrieben
hatte, und die den Titel trägt: dt
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Artussage.
37
angine et ye*tis rerutn Britanniae-,
deutsch übersetzt von Sau Marte,
Halle. 1854. Darin wird die Ge-
schichte von 99 Herrschern des alten
Britanniens erzählt, von dein Stamm-
vater der Briten, Brutus, einem Enkel
des Aneas, au, bis zu Codwallader am
Ende di* 7. Jahrh. Es ist ein sagenhaf-
te*, märchen volles Buch, dem das Be-
streben zu G runde liegt seinen Gegen-
stand und durch ihn sein Heimatland
mit Glanz zu umgeben; indem der
Geschichtschreiber seinen Stoff mit
dem klassischen und biblischen Al-
tertum verknüpft, bemüht er sich
durch Zusammenstellung wunder-
barer, rührender, tragischer Momente
den Eindruck lückenloser Vollstän-
digkeit und Zuverlässigkeit hervor-
zubringen. Bis auf Milton ist das
Buch die Quelle der englischen Ge-
schichtschreiber gewesen; sein elfter
König ist Lear, dessen Töchter
Gonerilla, Regan und Cordailla
sind; der 69ste ist Cymbeline, der
91stc Artus oder Arthur, der den
erobernden Sachsen im 6. Jahrhun-
dert glücklichen Widerstand leistete.
Uber ihn als geschichtliche Persön-
lichkeit handelt Lappenberg, Ge-
schichte Englands, I, 103 ff. Von
den historisch-nationalen Zügen des
Königs Artus ist jedoch in der höfi-
schen Sa^e keine Spur zurückgeblie-
ben , vielmehr wurde er zum Ideal
des ritterlichsten , freigebigsten,
frömmsten Königs ausgebildet; er
ist der alle überstrahlende Artus,
die Blume der Könige, der Stolz
und Ruhm und einstige Heiland
seines Landes, der mit dem Beistand
des gewaltigen Zauberers Merlin
über alle Feinde siegreich war, über
Sachsen, Deutsche und selbst über
den Kaiser der Römer, Lucius Tibe-
rius ; sein Ruhm verbreitet sich über
die Erde: an Macht, Glanz und Frei-
gebigkeit ist ihm kein König ver-
gleichbar; er baut Kirchen, Paläste
und Städte. Gastmahle, Spiele und
Furniere drangen sich an seinem
Hofe, der das Vorbild aller Ritter
wird. Bei einem gläuzenden Pfingst-
feste, das er in seiner Hauptstadt
Carleon feiert, huldigen ihm die 40
Könige der Erde. Sein Glanz wird
nur getrübt durch die Untreue seiner
Gemahlin Ginevra und den Verrat
seines Neffen Modred. Der Ausbau
der Artussage schliesst sich an die
ihr vorausgehende Karlssage an.
Während Karl mehr der fränkische
Held war, wurde Artus der anglo-
normannische; vorzüglich das Motiv
der Minne konnte hier viel freieren
Spielraum gewinnen als in den im-
mer noch einigermassen historischeu
Karlsdichtungen, zumal die verbo-
tene Minne. Von der Karlssage ent-
lehnte die Artussage die Tafelrunde
mit ihren 12 Paladinen; aus andern
bretonischen Sagen Hossen der Artus-
sage neue Gestalten, Stoffe und Mo-
tive zu, Parzival, Tristan, so dass
zuletzt ein weiter umfangreicher
Sagenkomplex daraus sich gestaltete.
Während die Gedichte der Karls-
sage bei den französischen Dichtern
chanxon* de qexte heissen, erhalten
die Artusgeoichte den Namen Ro-
man* d. h. ein Gedicht in der roma-
nischen Vulgärsprache gegenüber
lateinischen Dichtungen. Die ersten
Artusromane sind in Prosa geschrie-
ben, die gereimten folgen auf sie.
Der berühmteste und fruchtbarste
französische Schriftsteller auf diesem
Gebiete ist Ch reden de Trut/e*; seine
Romane Krek, Chevalier au Hon,
Tristan, Laneefot de fac, l'erehrvat.
Erst in Frankreich verband sich die
Graalsage (s. diese) mit der Artus-
sage. Das älteste deutsche Gedicht
der Artussage ist der nur unvoll-
ständige Tristan des Eilhard von
Oberrje, Dienstmann Heinrich des
Löwen; dann folgt der La nzetot des
Ulrich von Zazikoven aus dem Thur-
E1U, der durch einen 1 194 für Richard
öwenherz gestellten Geisel mit der
Quelle bekannt geworden war; der
nächste ist Hartmaun von Aue mit
dem Krer und Ttvein nach Chrefim
de Troyes-, Nachahmung des licet n
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38
Ärzte. — Äsen.
und ebenfalls der Artussage ange-
hörig ist der WigaloU des Wirnt
von Oravenben/ . Mit der Graalsage
verbunden, erscheint die Artussage
in Wolframs von Eschenbach Parzi-
val und 'fiturcl; das beliebteste Ar-
tusgedicht aber wurde Gottfrieds
von Strassburg Tristan und holde,
fortgesetzt von Ulrich von Türheini
und Heinrich von Freiberg. Mit
dem ausgehenden Rittertum verlor
sich auch die Freude an der Artus-
sage; in einem umfangreichen und
genaltlosen Gedicht des Malers Ul-
rich Füterer von 1287 ist die Sage
zum,, letztenmal behandelt worden.
Arzte. Ahd. der arzdt, mhd.
arzdt und arzet, vom lat. der archi-
dler, dieses aus griech. archiatros
Erzarzt, erster Leibarzt; die ältere
deutsche Benennung war got. lekeis,
leikeit, ahd. lähhi, woraus mhd. ld-
chenaere, der Besprechcr, Zauberer,
als Geschlechtsnaine Lachner erhal-
ten. Die frühesten Arzte in Deutsch-
land waren Geistliche, besonders in
den Klöstern ; auch Frauen verstan-
den sich wohl auf gewisse Teile der
ärztlichen Kunst, darunter besonders
Hebammen; auch Scharfrichter wer-
den genannt. Das« man den Ärzten
schon früh wenig traute, zeigt Frei-
dank; Bescheidenheit, Abschnitt 23
von arz/tten und siechen. In den
Städten waren anfänglich ebenfalls
Geistliche Ärzte und neben ihnen
besonders Juden. Sie hiessen an-
fänglich Magister, Meister, seit dem
Eime des 15. Jahrh. Doktor, lat.
medicus oder physicus, deutsch auch
bttocharzdf. wuntarzdf, Leibarzt. In
den Städten hatte man seit dem 14.
Jahrh. einen bestellten Stadtarzt.
Früh kommen Ärzte für besondere
Krankheiten vor, Augenarzte, Stein-,
Bruch- oder ] lodenseh neider, Zahn-
ärzte oder Zähnebrecher. Auch Tier-
ärzte kennt man seit dem 14, Jahrh.,
meist in Verbindung mit dem Hand-
werke des Hufschmiedes. — Die me-
dizinischen Kenntnisse gab im Be-
ginne des Mittelalters neben der Er-
fahrung und dem Aberglauben das
Studium medizinischer Werke des
Altertums; das berühmteste dersel-
ben war das lifjer de naturali facttl-
tafe oder das arzinbuoch Ypocratis,
eine Sammlung ärztlicher Vorschrif-
ten mit angehängtem botanischen
Glossar. Diesem und ähnlichen un-
ter dem Namen des Hippocratcs oder
Aristoteles oft abgeschriebenen Arz-
neibüchern folgt im 15. Jahrh. das
Arzneibuch Ortolfs von Baierland,
die Meinauer ^aturlehre und das
Buch der Sa für des Reqensburger
Domherrn Konrad von "Megenberg,
ebenso verschiedene Kräuterbüeher.
Die erste wissenschaftliche Schule
der Medizin wurde im Jahre 1150
zu Salcrno gegründet; die zweite
wurde die zu Montpellier, mhd. Mum-
pclier, beide schon in Hartmanus
Armem Heinrich genannt. Eine
freiere medizinische Wissenschaft
wurde durch Theophrastus Parazel-
sus im Beginn des 16. Jahrh. ein-
geleitet. Krieqk, deutsches Bürger-
tum, I, 1 ff., U'ackernagel, Littera-
tur § 90.
Aschermittwoch, dies cineris et
cilicii, der erste Tag der 40tägigen
Fasten vor Ostern. Nachdem die
am Palmsonntage vorigen Jahres
geweihten Palmen oder andere
Zweige zu Asche verbrannt worden,
wird diese vor Beginn der Messe in
einem Gefäss auf den Altar gestellt
und den am Altar knieenden Laien
vom Priester mit den Worten auf
das Haupt gestreut: Memento humo,
f/uia pufris es et in pul verein rever-
teris. Anfangs war die Ceremonie
nur den zur Kirchenbusse Verurteil-
ten vorgeschrieben; &eit wann die
Sitte sich auf allle Gläubigen aus-
dehnte, lässt sich nicht genau an-
geben, im 11. Jahrh, bestand sie
allgemein zu recht.
Äsen, der altnordische Name der
einen Götterklasse, der die Wanen
gegenüberstehen; got. und ahd. der
ans. Zu den Asen zählten ausser
Wodan sämtliche oberen Götter und
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Astrologie.
89
Göttinnen mit Ausnahmt der Wanen
genannten Freyr und Freya. Asen
und Wanen führten miteinander
einen Krieg, der durch einen Frie-
denssehluss beigelegt wurde, demzu-
folge Njördr und seine Kinder Freyr
und Freya den Asen zu Geiseln ge-
geben wurden, während der Äse
flönir, 0dhiii8 Bruder, in gleicher
Eigenschaft zu den Wanen kam.
Müllenhoff deutet die beiden Götter-
klassen auf zwei verschiedene Götter-
knlte und deren Vereinigung zu Einem
System. Die Wanen gehören den
gotischen Völkern, die Asen den
Westgermanen; Mannhardt sieht in
den Wanen und Asen zwei verschie-
dene Stufen der germanischen My-
thenbildung. Siehe Mannhardt, die
Götter der deutschen und nordischen
Völker, S. 69 und 73.
Astrologie wurde im Altertum
derjenige Wissenszweig genannt,
welcher sich zum Ziele setzte,
die Beziehungen der Bewegungen
der Himmelskörper zu den Vor-
gängen auf der Erdoberfläche zu
ergründen. In diesem Sinne war
der Ausdruck Astrologie mit Astro-
nomie früher synonym, so noch bei
Aristoteles. Im Orient, wo der Ur-
sprung der Astrologie freilich in
einer Zeit, aus der uns Urkunden
fehlen, zu sucheu ist, ist der Verlauf
der Witter ungaerscheinuugen in den
verschiedenen Jahreszeiten ein so
regelmässiger , dass sich sehr leicht
und ungezwungen Beziehungen zu
den Konstellationen am Himmels-
gewölbe ergaben. Über die Natur
dieser Beziehungen konnte die da-
malige Zeit freilich noch nicht die
richtigen Ideen haben. Es ist z. B.
vollkommen richtig, dass damals die
Sonne im Sternbild des Löwen ihre
prösste Kraft erreichte, das» bei
ihrem Eiutritt in dasjenige des Was-
sermanns die Regenzeit begann
u. s. w., aber die Annahme ist eben
durchaus falsch, dass es die in jenen
Himmelszeichen stehenden Sterne
waren, welche der Sonne die er-
höhte Kraft verleihen oder die Nie-
derschläge veranlassen etc. Es war
also in diesem System der sogenann-
ten natürlichen Astrouomie Wahres
und Falsches mit einander verkettet ,
und die Wissenschaft hat eine schwere
und grosse Aufgabe, das Unrichtige
wieder auszuscheiden und auf die
wahren Ursachen der Vorgänge auf
der Erde hinzuweisen. Neben dieser
natürlichen Astrologie gelangte aber
auch die sogenannte judizieritche A.
zur Ausbildung, deren Ursprung in
der Religion liegt. Nach acr alten
chaldäischcu Auffassung waren die
Sterne himmlische Geister, und man
verehrte sie als solche. Die Priester
brachten den Gestirndienst in ein
förmliches System. Der griechische
Gesehichtsehreiber Diodor von Sici-
lien sagt ( II, 31), dass nach der An-
sieht der Chaldäer die Planeten auf
die Geburt des Menschen den gröss-
ten Einrluss ausüben, im Guten wie
im Schlimmen und durch die Be-
obachtung und Erkenntnis ihres We-
sens seien sie (die Priester) vorzüg-
lich imstande zu wissen, was den
Menschen zustossen werde. Die äus-
sern Erscheinungen der Planeten
boten allerdings der Phantasie Stoff
zur Ausbildung eines astrologischen
Systems, und dieses wurde eben bei-
behalten, als später die Planeten
nicht mehr als die Götter selbst,
sondern nur noch als ihre Symbole,
betrachtet wurden, ja sogar als je-
der Zusammenhang mit Mvthologie
und Religion verschwunden war.
In Griechenland fand die Astro-
logie erst Eingang, als unter
dem Einfluss der Philosophie der
Glaube an die einheimischen alten
Götter ins Schwanken geriet. Die
schwärmerischen Lehren der Neu-
platoniker riefen eine ganze Reihe
von sogenannten geheimen Wissen-
schaften (Dämonologie, Nekroman-
tic, Cheiromantie u. s. w.) hervor,
welche alle zur Astrologie in ein
gewisses Verhältnis traten. Als Auto-
rität sollte der gefeierte alexandri-
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40
nischc Gelehrte Claudius Ptolemäus
selten. Es ist indessen fast unzwei-
felhaft, dass unter den ihm zuge-
schriebenen astrologischen Schriften
nur die eine wirklich von ihm
stammt, die „apparen/iac stellarum
inerrantium** eine Art meterolog.
Kalenders, welche die Lehren der
natürlichen Astrologie enthält; und
dass namentlich der sogen. Tctra-
biblos ihm untergeschoben wurde.
Hei den Römern war die iudizierische
Astrologie mehr gefürchtet als ge-
achtet. Durch die ganze Kaiserzeit
hindurch spielen die astrologischen
Prophezeiungen, obwohl gesetzlich
verboten, eine grosse Rolle. Cicero
war einer der wenigen, welcher
sie mit trefflicher Waffe, derjenigen
der Vernunft, bekämpfte. Später
finden wir die Astrologie in ihrer
höchsten Blüte bei den Arabern.
Der sogen. Fatalismus, die Lehre
von der Vorausbestimmung aller
Schicksale des einzelnen, musste der
Astrologie die weiteste Ausbildung
und Verbreitung sichern. Auf den
islamitischen Schulen wurde daher
die Astrologie und das Nativität-
<>der Horoskopstellen, d. h. die Be-
stimmung des Lebenslaufes des Neu-
geborenen aus der Konstellation der
Geburtsstunde, öffentlich als Kunst
gelehrt. Die arabische Astrologie
faud im 12. und 13. Jahrhundert
auch im christlichen Europa Ein-
gang, trotzdem die Kirche von An-
fang an eine oppositionelle Stellung
gegen sie eingenommen hatte, da
sie mit dem Prinzip der Willensfrei-
heit im Widerspruch stand. Al-
phous X. von Castilien und Lud-
wig XI. von Frankreich waren eif-
rige Astrologen. Ersterer leistete
damit auch der Astronomie grosse
Dienste. Wenn auch ausschliesslich
im Dienste der Sterndeuterei ver-
anlasst, so war doch die Berechnung
neuer astronomischer Tafeln, welche
bis auf Kepler die besten waren,
von grosser Wichtigkeit für die
theoretischen Untersuchungen über
den Lauf der Planeten. Wie früher
in Bagdad, so wurde später auch
auf den hohen Schulen zu Padua
und Bologna die Astrologie in streng
wissenschaftlicher Form gelehrt. Es
sei hier ferner nur au die Namen
Guido Bonatus, Nostradamus, Car-
danus, Pietro di Abano, Agripna
von Nettesheim erinnert, die alle
unzertrennlich mit der Astrologie
verknüpft sind. Am meisten be-
günstigten die Höfe die Astrologie,
wo es geradezu als unerlässlich galt,
hochgestellten Personen das Horo-
skop zu stellen. Schiller führt uns
in seinem Wallenstein ein Beispiel
dieses ganz allgemeinen Gebrauchs
vor. In sehr enge Beziehungen zur
Astrologie trat die Alchemie; es ist
kein Zufall, dass in den unterirdi-
schen Gewölben der Uranienburg,
wo Tycho seine denkwürdigen Pla-
netenbeobachtungen anstellte, gleich-
zeitig grosse Laboratorien der Al-
chemie dienten. Zu betonen ist, dass
nicht etwa das copernikanische Welt-
system als solches der Astrologe
den Todesstoss gab, sondern erst
die Kcplerschen Gesetze. Copemi-
eui - gab auch berichtigenden Auf-
schluss über di«' Stellung, die Distan-
zen und die Bewegungen der Pla-
neten. Die Ursachen der letztem
aber hat er nicht, ja nicht einmal
die Form derselben ermittelt. Erst
Kepler leitete die Bewegungen der
Himmelskörper aus den physischen
Bedingungen der wirkenden Kräfte
ab, und damit erst war der Astro-
logie der Boden entzogen. Die Zeit
und Not hat freilich auch Kepler
zuweilen veranlasst, astrologische
Spekulationen zu machen, aber oft
genug hat er sich darüber ausgespro-
chen, was er eigentlich von der Kunst
halte, um deren Ausübung man ihn
so oft gebeten. Nachdem durch die
Werke Keplers und des späteren
Newton der Astronomie der Weg
deutlich vorce/.cichnet war, der sie
von ihrer Mutter, der Astrologie
trennte, musste natürlich das stolze
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Asyl. Aussatz.
41
Lehrgebäude der letzteren zerfallen.
Einzelne Trümmer derselbeu haben
sich indessen, wenn auch nach man-
cherlei Metamorphosen, bis auf un-
ser»* Zeit erhalten und bilden noch
heutzutage einen wesentlichen Teil
des Volksaberglaubens. R. B.
Asyl, aus griech.-lat. asylttm,
Freistitte für Verbrecher; als solche
palt bei den Hebräern sowohl als
bei den Griechen und Römern der
Tempel, besonders der Altar; das
Christentum behielt diese Einrich-
tung bei, ahd. heisst die Freistätte
hMaf, uihd. rridehüs, vridestat.
rlüktestat. rriheit. Dieses Recht ist
auch in die deutschen Volksrechte
und Kapitularien aufgenommen wor-
den, doch wurden Bestimmungen
gegen den Missbrauch dieser Ein-
richtungen getroffen. Siehe Vadian,
vom Mönchsstand, deutsche histo-
rische Schriften, I, 81, 20 ff. In
manchen Städten heissen ganze
Platze U, dgl., die zu einer Kirche
gehören, Freiheit. Die Reformation
Hess das Asvlrecht eingehen, und
es wurde allmählich auch in den
katholischen Staaten aufgehoben.
Athis u. Prophilias heisst ein
im Mittelalter vielfach behandelter
Novellenstoff: eiu Freund liebt des
Freundes Gattin, der Freund opfert
»ich, geht nach Rom und vergilt
dort dem Freunde seine Liebe durch
Freundestreue. Die Fragmente eines
deutschen (iedichtes von unbekann-
tem Verfasser sind von W. Grimm
herausgegeben.
Augustiner, der vierte Bettel-
orden, aus meist in Italien zerstreut
lebenden Augustiner-Eremiten oder
Einsiedlern des heil. Augustin in
der Mitte des 13. Jahrh. zu einem
Uesamtorden vereinigt und 1256 be-
stätigt; mau unterschied männliche
und weibliche, beschuhte und un-
beschuhte; die Ordenskleidung ist
schwarz. Obgleich sie wie die Do-
minikaner, Franziskaner und Kar-
meliter zu den Bettelorden gezählt
wurden, durften sie doch liegende
Güter besitzen. Luther und Abra-
ham a Santa Clara gehörten dem
Orden an.
Aussatz, die bekannte, aus dem
Orient stammende Krankheit heisst:
ahd. hruf, ruf, hrudmuchf, mi*aUuht%
mhd. meist misekuht, aus franz. mi-
sellus, von mi*er, elend; daneben
kommen masehuht und muxrltuhf
vor. Der Aussatz wurde als Strafe
Gottes angesehen, der damit Be-
haftete wurde aus der Gesellschaft
ausgestossen, durfte den öffentlichen
Gottesdienst nicht besuchen, verlor
die Freiheit und die Verfügung über
Hab und Gut, daher der Name mhd.
uzsetze, d. i. der Ausgesetzte, lat.
projieiendu-x oder projectus, auch
| \ austvärtiff , (jckersierh , xititdcntiech,
feldxierh, siech allein. Die Aus-
sätzigen durften auf Almosen aus-
gehen, doch mit eigentümlicher Klei-
dung, Hut und Klapper; zum Al-
inosenempfangcn und Trinken hat-
ten sie einen hölzernen Napf. Eigene
Anstalten wurden für sie von ein-
zelnen, von Klöstern, von Städten
errichtet, siechhus, mhelhu*, vor
der bewohnten Ortschaft liegend,
mit eigener Kapelle, manchmal unter
einem aussätzigen Meister, wodurch
diese Häuser einen klösterlichen
Charakter bekamen; sie waren dem
heil. Jacob oder heil. Lazarus ge-
weiht; ein eigener Ritterorden des
heil. Lazarus wurde für ihre Ptlege
gegründet. Später wurden diese An-
stalten, als die Krankheit ausging,
zu Krankenhäusern überhaupt. Galt
zwar der Aussatz als durch natür-
liche Mittel unheilbar und begnügte
| man sich eben darum mit der Ab-
sonderung der Kranken, so war das
• Mittelalter von der Heilkraft über-
■ natürlicher Mittel überzeugt; dazu
gehörten in erster Linie das unmit-
telbare Eingreifen Gottes, in zahl-
reichen Legenden erzählt, dann
Schlangen und besonders das Blut
unschuldiger Kinder; höchste Rein-
heit sollte höchste Unreinheit hei-
len; auch Tau vom Himmel kommt
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Ave Marie. — Badewesen.
42
vor. Die bekannteste mittelalter-
liche A ussatz-Legende ist Hartmanns
von Aue armer Heinrich.
Ave Maria oder der englische |
Gruss besteht aus dem Grusse Ga-
briela au Maria, den Worten Elisa-
beths au Maria, Luc. 1, 42; aus
Jesus Christus, Amen, von UrbauIV.
hinzugesetzt, aus dem im Jahre 150«
zugesetzten Gebete: Sancta Maria,
ora pro nobi* peevatoribm , mater
J)ci und aus dem Zusatz der Fran-
ziskaner: nunc et in hora mortis, \
amen. Er war anfanglich ein Teil
der Messe am vierten Adventssonn-
tage; als allgemeines Gebet kannte
das frühere Mittelalter den eng-
lischen Gruss noch nicht, weshalb
er auch nicht in den zahlreichen
altdeutschen liturgischen Schrift-
werken sich findet Johann XXII.
befahl 1326 das regelmässige Beten
des Grusses, doch machten ihn erst
die Bettelorden allgemein, und in
der Reformation wurde er ein sicht-
bares Unterscheidungszeichen der
beiden Rcligionsparteicn.
Axt, mlid. axi aus dem gleich-
bedeutenden lat. a*cia-, der ahd.
Name ist partd, mhd. harte, vou
hart, weil das Eisen vom Stiel iu
Bartgcstalt herabhängt; ein anderer
Name ist Beil, ahd. pihit, mhd. hihel,
bil. Die Axt war eine allgemeine
Waffe der germanischen Völker,
welche dieselbe nicht bloss zum
Kampf in der Nähe gebrauchten,
; sondern auch mit grosser Sicherheit
in weite Ferne zu schleudern wuss-
ten. Bei den Franken heisst das
Wurfbeil Francisca. Beim ersten
Anlaufe schleuderten die Franken
das Beil auf den Gegner, zertrüm-
merten dadurch seineu Schild und
stürzten sich nun mit dem Schwert
auf ihn. Sie war natürlich auch
Hiebwaffe und stellte sich in dieser
Bedeutung neben den Streithammer,
der bei den Skandinaviern sehr be-
liebt war.
B.
Bade wesen. Schon die alten Ger- um die Hüften; tteaken mute stri-
maneu liebten das freie offene Bad chen sind die Hauptsachen beim
in Flüssen und Seen, Tacit. Genn. Bade. Auch gemeinsames Bad von
22, und es blieb durch das ganze Männern und Frauen war in der
Mittelalter bis gegen das 18. Jahrb. höfischen Zeit schon bekannt, wobei
im Gebrauch; Karl d. Gr., Otto II. die Frauen den schönsten Konf-
und Friedrich Barbarossa waren als schmuck anhatten. Eigene Bade-
gute Schwimmer gerühmt. Daneben zimmer gab es in den Burgen selten,
war das künstliche Bad beliebter In den Städten wurden die Bade-
ais jetzt, was wohl damit zusammen stuben öftentliehe Anstalten zur Un-
hängt, dass man bei meist wollenen terhaltung und zum Vergnügen. Der
oder noch schwerern Kleidern die Handwerksmann pflegte am Samstag
Leibwäsche seltener zu wechseln ver- Abend ein Bad zunehmen. Privat-
inochte. Dem Ritter pflegte nach badestuben gab es sogar in Baueru-
der Einkehr in eine Burg ein Bad häusern. Im 15. Jahrb. gehörte es
bereitet zu werden. Mädchen be- zur Etikette, am Schlüsse eines Fe-
dienten nach der Sitte der Zeit den stes die Eingeladenen in eine öffent-
Badenden. Siehe Figur 23. Ehe liehe Badestube zu führen; das ge-
man ins Bad stieg, band man schah auch bei Hochzeiten, was mau
eiuen Questeu, ein Reisigbüsehcl, zu Nürnberg die Batita Je oder das
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Badeweseu.
43
Verbaden der Leufe nannte. Uutcr
♦'inem i$eelf>ad verstand man ein»?
Stiftung, aus deren Zinsen Armen
«las Badogeld bezahlt wurde. Die
künstlichen Bäder waren teils Wo*
lerbdder, teils Schwei**- oder Daniftf-
Iföder. Die letztem, nimmt man an,
seien durch die Kreuzfahrer, die
Dampfbäder von Russland her in
Aufnahme gekommen. Die Dämpfe
wurden durch das Begiessen heisser
sei. Beim Eintritt in die Schwitz-
stube erhielt der Badende einen Rei-
sigbüschel oder Wedel, um sich wäh-
rend des Schwitzens zu peitschen.
Er legte oder setzte sich auf eine
der terrassenförmigen Bänke; hier
wurde er mit Tüchern gerieben, mit
den Fingernägeln gekratzt, mit dem
Büschel gestrichen und mit lauem
Wasser oder mit Lauge übergössen,
mit Seife gewaschen, wobei man auf
Fig. 23. Ritter im Und, aus einer Handschrift des 14. Jahrb.
Steine mit warmem Wasser erzeugt.
Die Badestuben standen bloss an
den durch die Obrigkeit festgesetzten
Tagen offen, meist am Montag oder
Dienstag, Donnerstag und Samstag.
An der Mischung der Geschlechter
fand man nichts Anstössigcs, so-
wenig als an weiblicher Bedienung.
An den Badetagen gingen in man-
chen Städten Ausrufer morgens in
den Strassen umher und machten,
manchmal durch Homstössc, bekannt,
dass eine gewisse Badeatube geöffnet
das Waschen und Kämmen des
Kopfes Wert legte. Nach dem Ende
des Bades pHegtc mau Mich durch
den Bader den Bart scheren und
das Haar schneiden zu hissen. Ein
Schlaf und ein Mahl folgte zuletzt.
Mit dem 15. Jahrh. kommt das Bade«
wesen in Abnahme; die Gründe sind
der steigende Preis des Holzes, das
Eindringen der Lustseuche, der häu-
figer werdende Gebram h der Mine-
ralbiider. Die Mineralbäder heissen
im Mittelalter natürliche Bader, Bad-
44 Balder. — Ball.
brunueu, Heilbäder, Wildhtider. Sie Als die Götter nun mit Balder, der
kamen besonders im 15. Jahrh. auf. mitten im Kreise vor ihnen stand.
Z(tj>/>erf, über das mittelalterliche Kurzweil trieben und naclTihm schoa-
Badewesen, Archiv f. Kunde österr. Ben, hieben und Steine warfen, ohne
Geschieh usuellen. Bd. 2t. Krieyk, dass es ihm schadete, verdross es
deutsches Bürgertum, II, 1. — Schulz, Loki. Er erfuhr von jener Staude,
hölisehes Leben, I, 168. Gemjler, riss sie aus und gab sie Hother, dem
Seelbäder, in d. Zcitschr. f. deutsehe blinden Bruder Balders. Hotfaer
Kulturgeschichte. Neue Folge. 1873. nahm den Mistelzweig und schoss
S. 570 ff. Wciithofd, deutsche Frauen, damit nach Balder aut Lokis listigen
2. Aufl., II, 112—118. Rat, Balder, davon getroffen, sank
Balder, eine germanische mann- , tot zur Erde. Als das die Götter
liehe Gottheit, auch PAol, Vol ^e- j sahen , standen sie alle sprachlos,
nannt, ein Gott der Jahresfülle im und aus Schmerz vergasen sie ihn
Sommer, altnordisch Baidur. Er ist aufzuheben. Dann begannen sie sc»
der Sohn Odhiu* und der Friqy, \ heftig zu weinen, dass keiner dem
der Gott der Frömmigkeit und Un- anderen seinen Schmerz klagen
schuld. Kr ist so licht und lieblich konnte. Als sie sich erholt, brachten
von Antlitz, dass weithin heller Glanz [ sie Balders Leiche auf Hringhomy
von ihm ausstrahlt, Leib und Haare das grösste aller Schiffe; es al>er vom
von reinster Schönheit. Niemand Strande zu stossen, um die Leiche
vermochte ihn je zu tadeln, so weise zu verbrennen, gelang ihnen nicht,
und milde ist er und zugleich der bis ein Kiesenweib, aus Jötuulieiin
beredteste der Asen. Aber die he- herbeigerufen, das Schiff im ersten
sondere Eigenschaft wohnt ihm bei, Anfassen weit vorwärts stiess, dass
dass seine Urteilssprüche niemals Feuer aus den Walzen fuhr und die
gehalten werden können. In seinein Länder zitterten. Bei diesem An-
himmlischen Wohnsitz UreSdhabUk blick brach Xanna vor Jammer das
wird nichts Unreines geduldet. Sein Herz, dass sie starb. Da ward auch
Weib ist die treue Xanna, d. h. die sie auf den Scheiterhaufen gelegt
Kühne. B. wurde überall im Norden und Feuer darunter angezündet, auch
verehrt. In Xorwegen hatte er einen Balders Hengst, vollkommen ge-
weitberühmten Tempel, liatdrshatfi, schirrt, zum Scheiterhaufen geführt.
Baldersgehege, eine eingehegte Fried- Balder wird als das Licht in seiner
stätte, die niemand schädigen durfte. Herrschaft gedeutet, sein Tod als
Die Sage von seinem Tode ist eng Xeigedes Lichts. Sein Bruder Hother,
mit der germanischen Mythe vom als das Dunkel des Winters, ist licht-
Weltuntergang verbunden; B. War .los; seine einzige Waffe, die an ihm
erschreckt über seine Träume, dass haftet, ist ein Symbol des düsteren
seinem Leben und damit allen Göt- Winters. Die Mistel, die im Winter
tern Gefahr drohe; da hielten diese wächst und reift, die darum auch
Rat und beschlossen, ihm Sicherheit das Lieht nicht zu fördern scheint,
gegen alle Gefahr zu erwirken. So ist allein für Balder nicht in Pflicht
nahm Frigg Eide von Feuer und genommen. Vgl. Grimm und Sim-
Wasser, von Eisen und Erzen, Stei- rock, Manhardt, Götterlehre, 253.
neu und Erden, von Baumen, Krank- Ball = Tanzfest, aus ital. der
heiten und Giften, dazu von allen balto, franz. der bat = Tanz, vom
vierfussigen Tieren. Vögeln u. Wür- ital. ballarc, tanzen, aus mittellaf.
mern. das« sie Balders schonen woll- baf/arc, welches nach dem in Gross-
ten, — nur von einer Staude, östlich griechenland und Sizilien üblichen
von Walhalla, Mistiltein genannt, griech. ballhein = tanzen, hüpfen,
als zu jung, nahm er keinen Eid. vom griech. bat lein = werfen gebil-
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Hallade. — Ballwerfen.
45
<lef ist. Im Deutschen kommt das Schiller versuchte sich, und im Wett-
Wort Hall für Tanzfest nicht vor eifer mit ihm wieder Goethe, eben-
»lem 17. Jahrh. vor und ist, anfangs falls an solchen lyrisch -epischen
» in französisches Vergnügen der Hüte, Dichtungen, die besonders den Mu-
vun da allmählich in die nichthöfi- senahnanacli von 1797 füllen und
sehen Kreise gedrungen. durch Schillers Rezension der Bür-
Ballade; oallada von hallare, gerschen Gedichte veranlasst wor-
tnnzen im Provenzalisehen und im den sind. Der letzte klassische Bal-
altital. des 12. Jahrh. halte (a ist ein ladendichter ist dann Unland ge-
Ivrisches Gedicht von geringem Um- worden. Echtermeyer hat in der
fange, dem Sonett und Madrigal ver- Einleitung zu seiner Auswahl deut-
wandt; ähnlich sind die ha f fades der scher Gedichte einen theoretischen
Franzosen, die seit Moliere ausser Unterschied zwischen Ballade und
Gebrauch kamen. Denselben Namen, Romanze aufzustellen gesucht, ohne
gaben die Engländer ihren Rücksicht auf den historischen Ur-
lyrisch-epischen Volksliedern, die im Sprung beider Benennungen und
allgemeinen den altern deutsehen ohne Rücksicht darauf, wie die Dich-
Irriseb-epischen Volksliedern des 16. | ter selbst diese Namen angewandt
Jahrh.glichen und ebenso den schwe- haben. Siehe Wackernagel, Poetik,
dischen und dänischen; sie wurden Rhetorik und Stilistik, Halle 1873,
pjsuugen, entnahmen den epischen pag. 98.
Stoß' meist ohne bewährte Unter- Ballet, aus ital. halletto, dem
Scheidung dem noch nicht ausgestor- Dim. von der /><7//o = Tanz, Tanzfest,
Unen mythischen Volksglauben oder findet seinen Ursprung in den Pan-
der öffentlichen Geschichte odereiner tomimen der alten Römer. Künst-
engeren Begebenheit des Einzel- leriseh ausgebildet wurde das Ballet
leoens, dem Abschiede, dem Wieder- zuerst in Italien im 16. .lahrh. au
sehen, dem Tod u. dgl., mit lyrischer den Höfen, wobei Fürsten, Prin-
Betonung des Empfindungs- und Ge- zen und Prinzessinnen tanzten, dekla-
fuhblebens. Während die deutschen
mierten und sangen. Seit der Zeit
Lieder dieser -Art zum Teil ausge- gehört es zu den glänzendsten Fest-
storben, zum Teil unter der einseiti- lichkeiten der modernen europäischen
gen Pflege des niederen Volkes ver- Höfe.
dornen waren, besonders durch den Ballwerfcu oder Ballen war
Einrluss der Bänkelsänger, hatten die im Mittelalter besonders bei der
schottisch-englischen Balladen ihre Jugend und dem weibliehen Ge-
Keinheit besser gewahrt. Daher kam schlecht im Ansehen ; ob es auch
es, dass Bürger, besonders durch am Hofe betrieben wurde, Lst zweifei-
ftreys Refique* of ancient poetnf haft. Sobald im Frühling die Wittc-
veranlasst, teils englische Balladen rung erlaubte, ins Freie zu gehen,
verdeutschte ( Bruder Graurock und begann das Ballspiel : nach Walther
die Pilgerin, der Kaiser und der Abt), v. d. V.: suche ich die megde ander
teils selbständige Dichtungen der Art slraze den bal \ werfen, ' so kaeme
verfasste. Herder nahm ausser zahl- uns der vögele schal. Vornehmlieh
reichen Percyschen und andern Bai- Nithart von Rüwental hat in seinen
laden, besonders die Volkslieder, die Dorfliedern Szenen aus dem länd-
»ich in den Shakespeareschen Dra- liehen Ballwerfen dargestellt. Der
men finden, in seine Sammlung auf; Ball war aus buntem Leder zusam-
durch sie und dänische Balladen der uvengefliekt und doch so hart, dass
Herderschen Sammlung ist Goethe ein gut treffender Wurf schmerzen
zu seinen frühem Balladen, König in konnte. Er wird zugeworfen und
Thüle, Erlkönig, angeregt worden; | aufgefangen. Uebrigens übten auch
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46
Bann. — Barden.
ritterliche Jünglinge das Ballspiel Kirche zu. Es ist bekannt, wie die
als Leibesübung. In den südlichen Päpste des Mittelalters in ihrem
Städten wurden im IG. Jahrh. saal- Kampfe mit dem Kaiserthum den
artige Häuser gebaut, in denen die Bann missbrauchten und dafür harte
Männer das Ballspiel bei jedem Vorwürfe zu hören bekamen, z. B.
Wetter üben konnten: dieselben von Walther von der Vogelweide,
gingen im 17. Jahrhundert wieder Der über eine ganze Gemeinde ver-
ein. Weinhold. deutsehe Frauen, hängte Kirchenbann heisst Interdikt.
II. AuH. II, 173- 176. Rar, das, bezeichnete bei den
Bann, von ahd. pannan, das Ge- Meistersängern eine bestimmte Art
rieht bezeichnen, durc h Ladung ver- 1 des Gesanges . über dessen Beschaf-
bindlich machen, davon ahd. der fenheit und Ursprung wir keine be-
jutn, hau, mhd. der bau. bedeutet im stimmte Auskunft haben. Grimm,
altdeutschen Rechte die Befugnis, Wörterbuch, I, 1121.
zur Erhaltung der Ordnung und zur j Barbara, Heilige, nach der Le-
Ausführung der Gesetze Machtbc- ! gende aus Nikomedia in Kleinasien
fehle und \ erordnungen zu erlassen, gebürtig, wurde als Christin vom
deren Nichtbefolgung eine Busse Landpfieger scheusslieh misliandelt,
nach sich zog; diese Busse, regel- Hüchtete in einen Stollen, belehrt*'
mässig 60 solid i, später 60 Schillinge, hier die Bergknappen und wurde
heisst ebenfalls hau ; geht diese Bc endlich von uirem eigenen heidni-
fugnis vom König aus, so heisst sie sehen Vater enthauptet. Sie wird
hönif/xbaiin. Diejenige Befugnis des bei Gewittern angerufen, gilt als
Königs die über Leben und Tod Patronin der dem Blitz verwandten
richtete, hiess Bluthann und konnte Artillerie, sowie der Bergleute. Ihr
wie der Königsbann auf den Grafen
und das Grafengericht übertragen
werden oder auf den, dem Grafen-
Tag ist der 4. Dezember.
Barden waren ein abgeschlosse-
ner und geheiligter Sängerstaud bei
gcwalt übertragen war, wie Klöster, den Kelten, der in Irland und Wales
Stifte, freie Herren und Städte. Eine sich bis in die neuere Zeit erhielt,
andere Bedeutung von Bann war Ganz unstatthaft wurden diese schon
im altdeutschen Rechte die Fried- von antikcnSchriftstcllcrn, Strabo 4.
losigkeit, die über den ausgesprochen 4, Ammian. Ma reell. 15, !* genannten
wurde, dessen man zur Bestrafung Barden den alten Deutschen zug<>-
und Genugtuung nicht habhaft wer- schrieben, indem man sich auf nie
den konnte; daraus hat sich später Stelle in Tacitus Germania, Kap. 3,
die Acht (siehe diese) entwickelt, berief: Sunf Ulis quoqne rarmimt.
Hann als Ausschliessung aus der quorum re/afu, (/nun bardifits rocanf,
kirchlichen Gemeinschaft war schon aeeendunt animos futuraeque jwfjnar
im jüdischen Gesetze vorgebildet | fortnnam ipso ran/u aufjnranfnr ;
und kam von daher in die christ- dieses Wort bardifus, das den Vor-
liebe Kirche, mit zwei Graden, ex- trag bezeichnet, wird als Schildge-
eommuniealio minor oder kleiner sang, altn. hardhi— Schild oder als
Bann und exeommttni ratio major. Tiarttreise erklärt. Klopstock und
anafltema oder grosser Bann; jener Gerstenberg sind die Gründer der
sehliesst bloss von der Teilnahme patriotischen, aus der lebendigen
an den Sakramenten, dieser aus Gegenwart in die Urzeit flüchtenden
der Gemeinschaft der Gläubigen Bardenpoesie; Klopstock machte
ganz aus. Die Befugnis des Bannes aus Barde ein Wort hardiet (zwei-
Hteht dem Bisehof für die Diözese, silbig), das Bardengesang bedeuten
dem Kardinal für die Kirchen seines sollte. Herder hat am kräftigsten
Titels und dem Papst für die ganze gegen das Bardenunwesen geeifert.
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Barfüsscr. — Barlaam.
47
Barfllsser, mhd. harnwz, auch
ttarfof, ist kein Ordensname, viel-
mehr heissen Mönche verschiedener
Orden so, welche zum unbeschuhten
(»eben verpflichtet sind, besonders
die Franziskaner, doch gingen zu
Zeiten auch die Karmeliter, Augusti-
ner, Kapuziner barfass. In der
Schweiz hiessen die Franziskaner
allgemein Barfüsser, ihre Klöster
BarfüsserklÖster.
Barlaam und Josaphat heisst
eine im Mittelalter weit verbreitete
Legende, die bei uns namentlich
durch ein ausgedehntes um 1220
verfasstes Gedicht des Rudolf von
Em* bekannt geworden ist. fn In-
dien, erzahlt die Legende, herrscht
der grausame ehristcnverfolgende
König Aveuier; nach langer kinder-
loser Ehe wird ihm ein Sohn, Joga-
phaf, geboren, den er, siebenjährig, in
einen herrlichen Palast einschliesst ;
denn ein Steraseher hatte phrophe-
zeit, der Sohn werde sich einst tau-
fen, um ewigen Besitz das König-
reich hinter sich lassen und ein herr-
liches Reich erwerben. In dem Pa-
läste nun ist der Knabe umgeben
von allem was Lust und Freude be-
reiten kann, und man trägt Sorge,
dass jegliche Kenntnis von Alter,
Krankheit und Tod ihm fern bleibt
Nach eiuigcr Zeit gestattet ihm sein
Vater auszufahren, und da sieht er
zwei Manner. einen Lahmen und
«inen Blinden. Er fragt, was das
für Menschen seien, und erfährt, dass
sie an Krankheit litten. Alsdann
fragt er weiter, ob alle Menschen
den Krankheiten ausgesetzt seien,
und ob man voraus wisse, wer von
Krankheiten leiden und wer davon
frei bleiben werde, und da er die
Wahrheit hört, wird er traurig und
kehrt nach Hause. Bei einer zweiten
Ausfahrt begegnet er einem Greise
mit runzliehem Angesicht und schlot-
ternden Beinen, gebückten Ganges,
zahnlos und stotternd. Wiederum
fragt er, was das alles bedeute? und
vernimmt, dass dies das Loos aller
Menschen sei, dass niemand dem
Alter entgehen könne und am Ende
alle Menschen sterben müssen. Er
kehrt alsdann nach Hause zurück,
um über den Tod nachzudenken,
bis zuletzt, als Kaufmann verkleidet,
der alte fromme Einsiedler fiar/aam
erscheint und ihn in der I^ehre Christi
unterrichtet. Josaphat lässt sich von
Barlaam taufen. Nachdem der Vater
vergebens versucht hat, durch eine
Disputation mit Gelehrten und durch
sinnüche Wollust den Sohn vom
Christentum abzubringen , ent-
schlicsst er sich, ihm die Hälfte des
Reiches zu übergeben ; ja es gelingt
dem Sohn zuletzt, den Vater ganz
zu belehren. Nach dessen Tode ver-
zichtet er selbst auf das Reich,
scheidet in die Wüste, wo er teuf-
lischen Anfechtungen mannhaft
widersteht, auch seinen Lehrer Bar-
laam wiederfindet. Nachdem er mit
diesem fastend und betend eine Zeit
lang in der Wüste gelebt, stirbt zuerst
Barlaam , später nach .'t.Yjährigem
Wüstenaufenthalt auch Josaphat.
Die Erzählung von Barlaam und
Josaphat war von Johann** Dorna»'
renn* um 700 griechisch bearbeitet
worden und ging durch zahlreiche
Uebersetzungen ms Syrische, Ara-
bische, Äthiopische, Armenische,
Hebräische, Lateinische, Französi-
sche, Italienische, Altnordische, Eng-
lische, Böhmische und Polnische
über. Als Quelle der Legende hat
man aber die sagenhafte Lebens-
beschreibung des Buddha, die sog.
Laiita- Vistara nachgewiesen: ohne
Zweifel eine der merkwürdigsten
Uebergänge auf dem Gebiete des
Religionswesens, dass das Leben
des Begründers des Buddhismus,
sowie das durch ihn vervollkomm-
nete Asketeiileben und Mönchstnm
mit den sieh daran knüpfenden Leh-
ren der Armut, Bezwingung der
Sinne und Keuschheit zu einer der
verbreitetsten Heiligen-Geschichten
der ganzen morgeu- und abendländ-
ländischen Christenheit werden
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Barmherzige Brüder. — Baron.
konnte. Felix TAebrccht in Eberts
Jahrb. f. roman. und engl. Litera-
tur IL — P. Cassel, Literatur und
Symbolik, S. 152— 228. Leipzig 1884.
Das Gedicht Rudolfs herausgegeben
von Pfeiffer, Leipzig 1843, die fran-
zösische Bearbeitung des Gui de
Cambrai in Bd. 75 der Bibliothek
d. lit. Vereins zu Stuttgart.
Barmherzige Bruder, ein katho-
lischer Mönchsorden, gestiftet durch
den Portugiesen Johann Ciudad, geb.
149f>, gest. 1550, der 1450 in Gra-
nada in einem gemieteten Hause
Arme verpflegte und allmählich einen
Verein ähnlich wirkender Genossen
zur Armen- und Krankenpflege grün-
dete; 1572 anerkennt Pius V. die
Religiösen -Gesellschaft nach der
Regel Augustinus, in brauner, dann
schwarzer Tracht. Von Spanien
kommt der Orden nach Italien, von
da nach Deutsehland, Polen und
Frankreich, frfres de la charite-, er
besitzt in Äladrid, Rom, Neapel,
Mailand, Paris, Wien, Prag grosse
Hospitäler.
Barmherzige Schwestern,
de la eharite oder de la miscricorde,
früher auch xoeurs yrises genannt,
heisst ein von Vineenz von Paul um
1630 gestifteter Frauenverein für
Krankenpflege der Armen, 1633
durch den Erzbischof von Paris zu
einer selbständigen Genossensehaft
erhoben und vom Papst 1668 be-
stätigt. Das Gelübde soll kein i
lebenslängliches acin , sondern jähr-
lich erneuert werden. Nach Deutsch-
land kamen sie erst 1811.
Barockstil; das deutsche Wort
barock ist erst im 18. Jahrhundert
aus franz. barnque — schief rund (von
Perlen ), sonderbar, dieses vom portug.
der ha roeeo = rohe , ungleiche Perle,
eigentlich unebener Fels, entlehnt.
Unter Barockstil versteht man die- 1
jenige Form des Renaissance-Stiles,
die der Blüte der Renaissance oder
der Hoch-Renaissance folgt. Sie
wird dadurch charakterisiert, dass !
die Baukunst von den strengen
schematischen Regeln der älteren
Kunst absah und nach individueller
Willkür aus den römischen Bau-
gliedern ein neues, brillantes und
geistreiches, aber der strengen Form
entbehrendes Ganze zusammensetzte.
Als Anfänger des Barockstiles gelten
Michel Angelo, besonders aber Lo-
renzo Beruiui und Franc. Barromiui.
Die Zeit dieses Stiles ist etwa von
1620 au bis 1730. Zu ihr gehört in
der kirchlichen Baukunst der sogen.
.Jesttitenstil. Die Fassaden dieser
Kirchen zeigen meist zwei Säulen-
stellungen übereinander, die obere
bedeutend kleiner als die untere und
die Strebebogen durch willkürliche
Schnörkel verdeckt. Andere Eigen-
heiten sind gewundene Säulen, ge-
brochene, zerstückte Giebel, ge-
schweifte Fenster und Giebel mit
einer schneckenartigen Einfassung,
abenteuerliche, gesen weifte Aufsätze,
die Gliederungen reich überladen,
die Ornamente oft willkürlich und
verwildert, das Gradlinige überhaupt
verbannt und sogar im Grundriss
durch krumme, geschwungene Linien
ersetzt. Die letzte Ausartung des
Barockstiles heisst Rokoko- oder
Zopfstil. In der deutschen Dich-
tung sind die beiden Spät-Renais-
sancestile durch die erste und
zweite schlesische Dichterschule
repräsentiert. Siehe Fig. 24 : Kathe-
drale in St. Gallen und Fig. 25.
westlicher Pavillon des Dresdner
Zwinger.
Baron, mhd. der bam », aus franz.
der baron, welches mit ital. der ba-
rone aus mittellat, der baro, haroni*
kommt, woneben auch der barm;
dieses aber kommt nach Müllenkoff
aus keltisch bar = Mann. Das Wort
baro, das sonst allgemein den Mann
bezeichnete, erscheint zuerst bei den
Alemannen und bezeichnet einen
I lörigen, wie die Zusammensetzungen
barman, baririj), barxehalk, barliulr.
Später benennt es neben zahl-
reichen andern Namen einen Freien
höheren Standes, der weder Graf
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Baron.
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noch Fürst war, sei es, dass er Lehna- zösischen und Italienischen. SpÄter
mann eines höheren Mannes, Vasall scheint sich das auch in der höti-
Fig. 26. Westlicher Pavillon dea Dresdener Zwingers. (Kuu»thist. Bilderbogen.^
u. dgl. war oder nicht; es kommt sehen Zeit seltener ajebranchte Wort
mit dieser Bedeutung aus dem Fran- 1 wieder verloren underst im 17. Jahrh.
Googl
Bart. — Basilika.
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neuerdings für Freiherr eingebür-
gert zu haben.
Bart. Bei den alten Germanen
galt nach Taeit. Genn. 31. gekürztes
Haar und geschorener Bart als
Zeichen der Unfreiheit oder des
Verlustes der Ehre; die Langobar-
den trugen den Namen vom langen
Barte: die Sachsen dagegen trugen
6. Jahrh. keinen Bart. Die
im
trugen
Karolingischen Herrscher
verschnitteues Haar und Schnurr-
barte, und noch von Otto I. wird
berichtet, dass er gegen den alten
Braach den Bart nicht schor, son-
dern völlig trug. Andere Beispiele
findet man ebenfalls nur unter den
höchsten Standen weltlicher uud
geistlicher Art; die mittlem Klassen
gingen bartlos, wahrend die unter-
sten und mit ihnen die Juden wie-
der bebartet waren. In der Ritter-
schaft der Hohenstaufeuzeit und dem
hohem Bürgertum herrschte gänz-
liche Bartlosigkeit , bis tief ins
14. Jahrh , wo die Mode sich wieder
den Barten günstig erwies, so dass
Bartlosigkeit Ausnahme wurde. Im
16. Jahrh. trug man in Deutsch-
land entweder Vollbarte oder nach
spanisch -französischer Mode den
blossen Lippen- oder zugespitzten
Kinnbart, welch letzterer schliesslich
in zahlreichen Formen ein wesent-
liches Merkmal des französischen j
Stutzertunis wurde. Falk, Haar und
Bart der Deutschen, Anzeiger des
germ. Mus. 1858.
Basilianer sind Mönche nach
der Hegel Basilius' d. Gr. 829—37«.
Die von ihm griechisch verfassten
Regeln versuchten zum ersten Mal,
das Mönchswesen in bestimmte ge-
setzliche Formen zu bringen; sie
fanden im Morgenlande grosse Ver-
breitung, während sie im Abend-
lande vom Benediktinerorden bei
Seite gestellt und nur in wenigen
Klöstern als besondere Ordensregel
zum Ausdrucke gelangten.
Basilika. Diese alte Form des
Gotteshauses wurde frü-
her allgemein aus der Form der alt-
römischen forensischen Basiliken ab-
geleitet, Sitzuugslokalen für die rich-
terlichen Behörden. Diese Annahme
ist in neuerer Zeit widerlegt worden,
und man leitet jetzt die cliristliche
Basilika von Räumen des römischen
Privathauses ab. Diese sind eines-
teils die Oed, Exedren oder Tri Cli-
men, grosse Säle, die zur Repräsen-
tation, zur geselligen Vereinigung
und mitunter zur Tafel dienten. Ihre
Lage, hinter einem Hofe, gewöhn-
lich dem Peristole, sicherte die dort
Versammelten vor der Gefahr der
Überraschung. Andernteils gab es
in den Palästen vornehmer Kömer
wirkliche Haus- oder Privatbasiliken,
die der Christengemeinde übergeben
und zur Grundlage von Kirchen wur-
den. Die christliche Basilika besteht
aus dem Atrium, dem SchiJJe uud
dem Chore. Das Atrium, durch wel-
ches der Zugang nach der Kirche
führt, der Autenthalt der Büssenden,
ist ein auf drei Seiten von Säulen-
hallen umgebener Vorhof, dem sich
als vierte Seite die Vorhalle der Ba-
silika anschliesst. In seiner Mitte
steht ein Brunneu, Kantharus, behufs
Reinigung der Kirchenbesucher. Das
Innere der Basilika besteht in der
Regel aus mehreren, gewöhnlich drei,
langgestreckten und parallel neben-
einander laufenden Räumen, dem
Hauptschiffe uud den beiden meist
halb so breiten und medrigeren Ab-
seiten, Neben- oder Sciteuscbiffen.
Die Stützen, welche dieselben tren-
nen, sind meistens Säulen, in ältester
Zeit durch horizontale Stemmbalken
oder Architrave, seit dem 4. Jahrh.
vermittelst Rundbögen verbunden.
Das Mittelschiff steigt meist in Form
eines von Fenstern durchbrocheucn
Hochbaues über die Seitenschiffe
empor und schliesst in den ältesten
Kirchen mit einer flachen kassettier-
ten Holzdecke ab; snätere Bauten
zeigen das Dachgebälkc, geschnitzt
und gemalt, unverschalt. Die Schiffe
sind der Aufenthaltsort der Laien.
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Batzen. - Bauhütten.
Den Abschluss erhält das Langhaus geprägte Münze mit dem Bätz. dem
durch den Triumphbogen, einen Bären, d. i. dem Wappentiere Berns
grossen Rundbogen, der das Mittel- versehen, von 4 Kreuzer Wert; sie
schiff in seiner ganzen Breite über- verbreitete sich schnell allgemein im
spannt. Der Chor besteht aus einem südlichen Deutschland und behielt
hälbrunden Ausbau, an Höhe und den Namen, ohne dass der Bär dar-
Breite der Grösse des Triumph- auf abgebildet war. Soweit als mit
1 Kreuzern gerechnet
auch der Batzen
bogens entsprechend; er heisst tri- Gulden
huna oder concha, häufiger absis oder wurde,
apti*. Auch die Seitenschiffe haben breitet,
oft solche Ausbaue. Der Chor des Hau Mitten. Die frühern mittel-
Langschiffes ist das Sanctuarium, er alterlichen Bauten auf kirchlichem
liegt mehrere Stufen höher als das Gebiete gehen von Geistlichen aus.
Schiff und dient für die Priester- die erst mit der Zeit Laienhilfe, an-
schaft. Je reicher sieh diese ent-
wickelte, desto wünschbarer wurde
die Vergrösserung dieses Raumes.
Man fügte deshalb die Apsi* nicht
mehr unmittelbar an das Hauptschiff,
sondern stellte zwischen Schiff und
Apsi* einen zu beiden Seiten über
das Langschiff vortretenden Quer-
bau, das Quer- oder Kreuzschiff'. Der
mittlere Raum desselben, die Vie-
rung, diente der niedern Geistlich
fangs zu niedrigen Diensten , bei-
zogen. Im 13. Jahrb., frühestens im
12., vereinigten Bich, wie die andern
Berufsleute, so auch die Maurer und
Steinmetzen zu Bruderschaften, In-
nungen und Zünften. Die erste wird
im J. 1258 in Paris erwähnt. Die
häufigen Wanderungen, welche die
damaligen Architekten unternahmen,
vermittelten einen Rapport zwischen
den einzelneu Korporationen und
keit, die Flügel den vornehmen Man- riefen einen einheitlichen Verband
nern und Frauen. War ein Kreuz- in grösserem Umfange ins Leben.
Zum ersten Male geschah dieses
1459 zu Regensburg. Das Gebiet,
über das sich dieser Verband er-
streckte, bestand aus vier Distrikten
oder Provinzen, für welche Strass-
burg, Köln, Wien und Bern (später
Zürich) als Hauptorte bezeichnet
wurden. Diese Verbrüderungen, nach
schiff nicht anzubringen, so erhöhte
man den vordem Raum der Schiffe
und schloss sie mit Gittern ab, als
Aufenthalt der psallierenden Brüder.
Rechts und links erhob sich eine Kan-
zel, die eine zum Verlesen der Evan-
elien, die andere zum Vortrage aus
en Episteln. Der abgegrenzte Kaum
dt
der Nebenschiffe diente dann den dem auf der Baustelle befindlichen
weltlichen Vornehmen. Der Altar
lag in der Mitte des Chores (d. h.
Apsis und abgeschlossener Raum des
Schiffes); vor dem Halbrunde der
Apsis hinter dem Altar (siehe dieses
Wort), in der Rundung der Apsis,
sind stufenförmig die Sitze für die
Werkhause „Bauhütten" genannt,
beziehen sieh in erster Linie auf die
Regulierung der Berufsverhältnisse.
Der Vorsteher der Hütte ist der
Meister, unter Umständen durch den
Parlierer vertreten. Der M< ister
verteilt die Arbeiten, bestimmt Be-
Geistlichen angebracht, und in der ginn und Beendigung derselben und
steht erhöht die Ka- vertritt zugleich das Amt eines Rich-
Mitte desselben
thedra, ein marmorner Thronsessel,
von welchem der Bischof seine Pre
digten zu halten pflegte. Nach Hahn,
bildende Künste. 73 ff.
Batzen, ursprünglich der Batze,
mittellat. bacio, tmeius, bacSnus, eine
ters und Hüters der Ordnung. Im
Ferneren enthalt die Ordnung die
Gesetze und Bedingungen für die
Gesellen, Lehrlinge und Handlanger
und wer sonst bei dem Bau beschäf-
tiget ist. Hat der angehende Maurer
kleine, zuerst gegen 1492 zu Bern seine Lehrzeit beendigt, so empfän
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Befestigung der alten Germanen.
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er nebet den Erkennungszeichen,
durch die er sich als Angehöriger
des Bundes legitimiert, ein {bestimm-
tes Monogramm, das Werkzeichen,
welches neben seinem Namen in das
Gesellenbuch eingetragen wird. Die-
ses Montxjramm od. Steinmetzzeichen
war gleichsam sein Wappen, mit
dem er seine Arbeiten bezeichnete,
und das er, Anstellung suchend, als
Probe der Geschicklichkeit in den
Stein zu meisseln hatte. Solche
Chiffern, meist aus einfachen Linien,
kreuzförmig und diagonal in den ver-
schiedensten Kombinationen zusam-
mengesetzt, kommen beinahe an je-
dem spatmittelalterlichen Bauwerke
vor und sind auch mitunter zu Wap-
penzeichen geworden. Neben diesen
Vorschriften, die sich auf das Berufs-
wesen beziehen, fehlt es auch nicht
an solchen, welche auf Erhaltung
und Förderung christlichen Wandels,
des Anstanden und der Sitte zielen.
Das Institut der Bauhütten erhielt
sich lange über das Mittelalter hinaus.
Die günstigen Wirkungen der
Bauhütten liefen darin, dass sie dem
Berufsleben eine höhere Weihe ga-
ben, die Erfahrungen der Kunst von
Generation zu Generation überliefer-
ten. Die tüchtige Behandlung des
Details in den Monumenten aus spät-
gotischer Zeit ist zunächt als Ergeb-
nis dieser handwerklichen Überlie-
ferungen zu betrachten, Genauigkeit
und Sauberkeit der Ausfuhrung wur-
den bis spät als Haupterfordernisse
betrachtet. Hinwieaer zeigt sich
darin ein Sinken der Kunst, dass
das persönliche, individuelle freie
Schalten der Phantasie, wie es die
früheren Baumeister besessen hat-
ten, hier zurücktritt. Alles geschieht
während der Zeit der Bauhütten mit
handwerksmassiger Tüchtigkeit. Des-
halb überall dieselben Gurtungen,
Gewölbeformen, Pfeilergliederungen
und Masswerkkombinationen. Die
geheimen Ceremonien, die sich an
die Bauhütten knüpfen und denen
zufolge die Freimaurer ihren Orden
aus den Bauhütten abzuleiten pfleg-
ten, sind durchaus untergeordneter
Natur. Nach Hahn, bild. K. in d.
Schweiz, 40 ff. Das Hauptwerk
Schnaase, Gesch. d. bild. Künste,
IV, 222 ff. Vgl. Gierke, Genossen-
schaftsrecht, 1, 408.
Befestigungen der alten Ger-
manen. Die alten Germanen be-
sassen keine befestigten Wohnulätze,
Burgen u. dgl.; doch bauten sie zum
Zwecke der Beherrschung wichtiger
Zugänge oder ganzer Terrain-
abschnitte Befestigungen, die mau
in 3 Gruppen teilen kann. 1) Ge-
schlossene Einzelwerke. Diese benu-
tzen möglichst den Vorteil der Natur,
Gewässer und Sümpfe, Felsabstürze,
Waldungen, besonders steil abfal-
lende Höhen, sei es mit oder ohne
Wall. Man unterscheidet Rinqicälle
auf den Gipfeln isolierter flöhen,
Steinringe, auch Wallburgen genannt,
aus gesammelten, meist zerbrochenen
Steinen zusammengehäuft, Erdschan-
zen mit oder ohne Graben, teils in
ovaler, häufiger in kreisrunder Form.
2) Befestigungen Grösserer und klei-
nerer Abschnitte des Terrains, meist
in der Form des Halbmondes und
gewöhnlich auf Vorsprungskuppen
zwischen der Einmündung eines
Seitenthaies in ein Hauptthal; in
ebenen Gegenden sind sie gewöhn-
lich auf zwei oder drei Seiten von
Wasser und Sümpfen umgeben,
Wasserfmrgen und Sumpfburgen,
Cäsar, B. G. 6, 5. Ausschliesslich
zu Warten und Signalposten sind
die sog. Spitzwälle bestimmt. Ein
mehrfach vorkommender Name für
die Rundwälle ist Hagas, in einigen
alten Städten Brandenburgs und
Sachsens als Name der Umgebungen
noch erhalten. Es sind das Beweh-
rungen der Rundwälle mit einem
Hage oder einer Hecke, auch Ricke,
Schlag, Gebück und Hackelwerk ge-
nannt. Nach Tacitus Germ. 16. pfleg-
ten die Germanen ihre Gehöfte mit
undurchdringlichen Dornwällen ab-
zuschliessen. Vgl. die Namen Hagc-
)
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Begharden. — Beichte.
buche, Hagedom, Hagebuttdoni,
Hagerosc. 3) Land- und Grenz-
wehren. Deren älteste Form ist
ebenfalls der Hagen und das Gebiiek.
Das letztere ist ein bis 50 Schritt
breiter Waldstreifen, in welchem
man die Baume in verschiedenen
Höhen gekappt und dann den neuen
Ausschlag zur Erde niedergebogen
und dicht verflochten hatte. Indem
diese Bäume so verwuchsen, ent-
stand ein undurchdringliches Hackel-
werk. Andere Landwehren ziehen
sich als heckebestandener Erdwall,
als Wall in Erde oder in Stein zu-
weilen mehrere Meilen lang in ebenen
Gegenden hin, bald mit, bald ohne
vorgelegte Graben, je nach der Be-
sehaffenneit des Bodens. Sie bilden
heute zum Teil noch die Grenzen
von Gemeinden, Bezirken und grös-
seren Landgebieten. Nach Jahns,
Geschichte des Kriegswesens, 456 ff.
Begharden, Begrlnen; mhd. be-
qehart, beqhart, beqine, auch bequine,
beqwine, beqein. Seit dem 12. Jahrh.
bildeten sich in den Niederlanden
Frauengesellschaften, um in gemein-
samer Wohnung, naen einfacher Re-
gel, aber ohne Gelübde, ein frommes
Leben zu führen. Die männerver-
zehrenden Kreuzztige und die begin-
nende Vorliebe für beschauliches
Leben wirkten dazu. Der Ursprung
des Namens, lat. beqhinae, bequftae,
ist ungewiss; vgl. die Wörterbücher
von Grimm und Schmel/er. Die Be-
ginenhöfe, auch Klöster genannt,
waren anfangs ausserhalb der Städte
angelegt, erst später findet man sie.
auch innerhalb der Mauern; sie heis-
sen auch sam/ungen, samnungen und
einigungen; die dazu gehörigen
Frauen behielten einzeln die Ver-
fügung über ihr Vermögen, standen
unter einer Vorstehcnn (Mutter),
lebten einfach, die Unbemittelten
von ihrer Hände Arbeit; später er-
hielten sie eigene Kapellen und Kir-
chen. Seit dem 13. Jahrh. findet
man, obgleich in geringerer Anzahl,
auch Männervercine derselben Art,
begharden. Um mehr Schutz zu fin-
den, traten diese freien Gesellschaf-
ten später meist dem dritten Orden
der Franziskaner oder der Domini-
kaner bei, daher der Name Feld-
nonnen, und ergaben sich nun auch
dem Bettel, verbanden sich etwa
auch mit Sektierern, so dass der
Name begharde zum Ketzernamen
wurde. Für beghard kam seit dem
14. Jahrh. auch der Name Lolhard
auf. Schmidt in Herzogs Realency-
klopädie. Kriegk, Deutsches Bürger-
tum, I, 97 ff,
Belm i misch, Behmisch, B£-
haitnsch, heisst im 15. und 16. Jahrh.
in ganz Süddeutschland eine Art
Groschen.
Bcichtbttcher, libri poenitentia-
les, sind in der merowingischen und
karolingischen Zeit zuerst in Eng-
land aufgekommen; aus der kirch-
lichen Praxis hervorgegangen, stel-
len sie in ähnlicher Form wie die
Volksrechte (lege* barbarorum) das
weltliche Strafrecht, das herrschende
System der Kirchenstrafen und Bus-
sen dar, welches sich hinsichtlich
der eigentlichen Verbrechen durch-
gängig an die germanische Auffas-
sungsweise anscnliesst. Die bedeu-
tenasten sind die angelsächsischen
Beichtbücher, darunter eines dem
Beda renerabilis, ein anderes dem
Columban, doch mit Unrecht, zuge-
schrieben wird; deutsche von Ka-
banus Maurus.
Beichte, von ahd, bijehan, be-
kennen, mhd. die biht und bihf*>,
Bekenntnis; davon das Verb bthten
und bihtiqaere. Schon in den ersten
Jahrhunderten der christlichen
Kirche wurde es Gebrauch, dass
ausgesehlosseneGemcindeglieder. um
wieder aufgenommen zu werden, als
Anfang ihrer Busse das Vergehen,
um dessenwilien sie exkommuniziert
waren, vor der versammelten Menge
bekannten. Aber auch die Mitglie-
der der Kirche selbst pflegten bald
vor dem Genuss des Abendmahles
sich durch Sündenbekenntnisse zu
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Beichtstühle. — Beinkleider.
55
erleichtern. Im frühem Mittelalter weise. Die Hosen hatten die Gestalt
wurde am Aschermittwoch zur Er- von Kreuzbinden, welche je nach
Öffnung der Quadra^esimalfasten ein dem höhern Range an Höhe und
öffentlicher Gottesdienst abgehalten, künstlicher Windung zunehmeu.
bei welchem nach den Einzelbeich- Karl d. Gr. trug linnene Unterhosen,
ten mit teils vorgängiger, teils nach- darüber Beinkleider mit Binde; das
folgender Ansprache zuletzt von Volk überhaupt kleidete sich ent-
Alien oder gewöhnlicher vom Prie- weder ebenso, oder es trug nach
ster für Alle ein Beichtformular ge- byzantinischer Art lange Strümpfe
meiusam gesprochen wurde ; die vielen in der Weise der Tricots ois zur Mitte
althochdeutschen Beichtformeln (u. a. der Oberschenkel, wo sie mit Schnür-
abgedruckt hei Müllenhoff'u. Scherer, rieinen au den Bruch angeheftet
Denkmäler deutscher Poesie und wurden, oder ähnliche weite Bein-
Prosa) zeigen , dass dieser Gottes- kleider, wie die heutigen sind, welche
dienst zu den wenigen in der Volks- auch den Unterleib umschlossen,
spräche verhandelten gehörte. Als Immer erstreckte sich das Beinkleid
Forderung tritt die bei diesem Got- unterwärts entweder über den gan-
tesdienste vorausgesetzte Privat- oder zen Fuss, oder die Zehen blieoen
Spezialbeichte schon im 8. oder 9. unbekleidet. Die weite pumphosen-
Jahrh. auf. Zu allgemeiner Sanktion artige Beinbekleidung war Tracht
gelangte die Privatbeichte aber erst der Armem. Die Tricots oder Lang-
durch das Laterankonzil von 1215. | Strümpfe waren von Wolle oderSeide,
Speziell hatten die Dominikaner und stets nur gewoben und buntfarbig,
Franziskaner Vollmacht, überall entweder eintönig, meist rot. oder
Beichte zu hören, was mannigfachen 1 durch einzelne Streifen und Linien
Widerspruch der Weltgeistlichkeit verziert, oder beide Beinlängen ver-
hervorrief. | schieden gefärbt. In den hohen
Beichtstühle sind zuerst im 15. 1 Ständen verschwand allmählich der
Jahr h. in Frankreich aufgekommen, Bruch ganz, man trug hier bloss
in Deutschland nicht vor der zwei- noch eng anliegende Tricots, die oben
ten Hälfte des 16. Jahrh. an dem Hüftgürtel befestigt wurden.
Beinkleider. Die alten Germa- Mit dem Auftreten des französischen
nen entbehrten noch, abgesehen von Kleidergeschmackes vom Beginn des
der ohne Zweifel auch bei ihnen , 1 4. Jahrhunderts an, der sich durch
vorhandenen Hüftbedeckung, dem das Prinzip eng anliegender Kleider
bruoch, der eigentlichen Beinbeklei- kennzeichnet, wurde die enge Lang-
dung; vom König der Langobarden, hose womöglich noch enger, so dass
Adeloald, wird erzahlt, dass er zu- Schamkapseln, franz. hraquettes,
erst Hosen getragen habe und dass deutsch Latz, nötig wurden; auch
die Langobarden fortan gerade diese I das war französisch, dass man die
Bekleidung, hoxis genannt, vor allem 1 Beinlinge entweder über dem Knie
schätzten. Dieses Wort bezeichnet trennte und beide Teile durch Nesteln
die enganliegende Bedeckung des und Bänder verband, oder über die
Unterschenkels, gegenüber der Hüft- ganzen Hosen noch eigene Ober-
bedeckung, aha. pruoch, und ist scheukelhosen in verschiedener Fär-
durch die germanischen, romani- bung und Veizierungsweise zog. Im
sehen und keltischen Sprachen ver- 16. Jahrhundert machte sich in
breitet; seine ursprüngliche Bedeu- Deutschland wie in den übrigen
tuug und die eigentliche Heimat ist Ländern Europas ein Wandel zu
dunkel. Die Annahme der Hosen bequemerer Tracht hin geltend,
durch die Langobarden ist aber Oberkleider und Beinkleider wurden
Nachahmung römischer Bekleidungs- weit. Diese Bekleidungsart ging von
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Beinkleider.
der jugendlichen freien Bürgerschaft
und den Söldnern aus. Das lange
Beinkleid wurde zuerst vor den
Knieen ausgeschnitten oder ge-
schlitzt, dann unter den Hüften und
längs den Schenkeln zerschnitten.
Der Schutz vor der Witterung wie
der öffentliche Anstand verlangte
aber, dass man die Schlitze mit Zeug
unterlegte. Weiter ging es an die
enge Oberschenkelhose, die eben-
falls zerschnitten und bis zu den
Knieen verlängert wurde, bloss die
Unterschenkelhose blieb eng, die
Oberechenkelhose zerschlitzte man
teils zu verschiedenen Figuren, teils
zu verschieden breiten, senkrechten
oder wagerechten Streifen; die Fi-
guren waren Dreiecke, Vierecke,
Sechsecke, Kreuze, Sterne, Blumen,
Blätter, überall in den buntesten
Farben verziert und die beiden Bcin-
längen wie früher oft ganz verschie-
den geschnitten und gefärbt. Gegen
diese zerschnittenen flogen vornehm-
lich wendete sich überall die Sitten-
polizei, einzelne Rcfonnationsman-
date verboten sie, ebenso die Reichs-
tage von Augsburg in den J. 1530
u. 1548. In einer vom Hat zu St.
Gallen im Jahre 1527 erlassenen
Ordnung heisst es: JEi ist uf gesetzt
und verordnet, dass alle bürg er und
imconer, so zerhoteen oder abqehowen
hosen oder wamesser habend, diesel-
ben zerhownen hosen und wamesser
widerumh zuosamen negen sollen las-
sen und hinfur kain zerhoteen hosen
noch wamesser tragen sollend an
3 pfd. denar zuo buoss ron jedem
mal, so dick (oft) das beschickt Man
sol och weder hie noch anderswa kain
zerhowne klaider machen lassen und
mag man die schnider darumb aiden.
Dessglichen sol och kain schnider
kainem burger ain so groben und
wuosten lalz an die hosen, sunder
hinfur zimlich machen, an dieselben
buoss. Dr. Andreas Musculus, Pro-
fessor zu Frankfurt, gab im J. 1556
eine von ihm gehaltene Predigt im
Druck heraus: Vom zerlöcherten,
Zucht- und Ehrvergessenen pludrig-
ten Hosenteufel, Vermahnung und
Warnung. Die Sache wurde aber
eher arger; während man den un-
tern Stoff durch die Men^e der
Schlitze bis jetzt nur leichthin her-
vorgezogen hatte, vereinfachte man
jetzt die Schlitze nach Zahl und Ge-
staltungsweise, erweiterte sie ansehn-
lich und bauschte die untern Stoffe
aus ihnen in möglichster Breite her-
aus, so dass sie überall sackartig,
flatternd herabhingen. Das war die
eigentliche Pluderhose; sie soll 1553
im Lager des Kurfürsten Moritz von
Braunschweig vor Magdeburg ent-
standen sein. Die Landsknechte
trugen sie so, dass die Schlappen
bis zu den Knöcheln herabhingen
und für den Unterstoft bis 40 EUen
Tuch verwendet wurde. Mit dem
Erlöschen des freien Söldnertunis
erlosch endlich diese Tracht, am
längsten wahrte sie in der Schweiz.
Selbst verstand lieh nahmen nicht alle
Stände an dieser Verzerrung Anteil,
doch kam die Pluderhose auch bei
Studenten, Bürgern, Adligen, Hand-
werksgesellen vor, während andere
Kreise die älteren Formen des Bein-
kleides beibehalten hatten. Seidene
gestrickte Hosen oder eigentliche
Tricots, die aus England oder Frank-
reich kamen, gab es in Deutchland
seit dem Ende des 16. Jahrhunderts.
In derselben Periode fing man in
Deutschland an, dem versteiften
spanischen oder spanisch-französi-
schen Hosengeschmack zu huldigen.
Selten trug man jedoch die glatten
oder mit Bandstreifen dicht über-
zogenen, völlig straff ausgepolsterten
Kundwülste: zumeist fanden die aus
breiten Bändern mit lockerer Unter-
fütterung bestehenden kurzen Hosen
Eingang, nächstdem aber die von
den Hüften bis zu den Knieen sich
verjüngende ausgepolsterte Pump-
hose als auch die völlig faltenloee,
unten durchaus offene Kniehose. Im
17, Jahrhundert kam mitdemStutzer-
tura die französische Unterrock- Hose
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Belagerung.
57
auf, als Umschluss der Oberschenkel-
hose, nahezu weibischer Natur, durch-
gängig der Länge nach mehrfach
gefältelt Bloss die Landbevölke-
rung und die für sich abgesehloss-
neren alten Reichs- und Handels-
städte behielten Reste des alther-
kömmlich Bestehenden, während an
den Höfen und in den höhern Stän-
den, besonders dem Beamtenstand,
der französische Geschmack regierte,
bis mehr und mehr eine allgemeine
Ausgleichung der europäischen Mo-
den eintrat. Weiss, Kostümkunde.
Müller und Mothts, Wörterbuch,
Artikel Beinkleider.
Belagerung. Nicht minder als
in der Kunst der Befestigung ist das
Mittelalter in der Belagerungkunst
von den Überlieferungen der Römer
abhängig. Alle während des mero-
vingiacben und karolingischen Zeit-
alters niiteruommeneneu Belagerun-
gen arbeiten mit den Mitteln der
antiken Kriegskunst, und zwar, wie es
scheint, mit abnehmenden Verständnis
derselben. Neuer Aufschwung kommt
in die Belagerung erst während der
Kreuzzüge and zwar vorzugsweise
durch dieTeilnahme italienischer Mei-
ster. Bis dahin hatte die fehdeartige
Kriegsführung, sowie der Mangel
technischer Kenntnisseden Angreifer
entweder lediglich auf den geicalt-
sam-e-n Sturm oder auf die blosse
Blvckade hingewiesen ; das Verständ-
nis für Belagerungsmaschinen war
in dem Masse verloren gegangen,
das» man lieber zur Verstärkung der
Blockade Gegenburgen , sogar aus
Stein, errichtete, ilrst bei der Be-
lagerung von Nicäa im J. 1097 hört
man wieder von Maschinen. Der
Gang einer regelrechten vollstän-
digen Belagerung, (mhd. geluje, be-
sezze\ ist jetzt und im weitern Ver-
laufe des Mittelalters folgender : Zu
erst versucht man womöglich den
Platz durch Überrumpelung zu ge-
winnen, sei es durch Einschlagen
der Thore, durch Herabreissen der
Zugbrücken mit schweren Lang-
hacken oder durch Leiferersteigung,
welch letztere das ganze Mittelalter
hindurch eine ausserordentlich hohe
Bedeutung hatte. Siehe Figur 26 aus
Stumpfs Eidgenössischer Chronik.
Gelang weder das eine noch das
andere, so ging man daran, die
Gräben auszufüllen mit Erde, Stroh,
Gebäuderesten und dergleichen, zu
welchem Ende man, um von den
Verteidigern ungestört zu sein, die
Katze konstruierte, ein auf Rädern
zu bewegendes hölzernes Blockhaus.
War der Graben ausgefüllt, so wie-
derholte man den Versuch der Über-
rumpelung oder man rückte mit den
Maschinen vor, wobei es auszuwählen
galt zwischen direktem Zerstören des
Zingels mittelst Mauerbrecheni, oder
Unterminieren, und regelmässigem
"Angriff mit hölzernen Türmen und
Wurfmaschinen.
Die technischen Hilfsmittel, deren
man sich bei Belagerungen bediente,
hiessen anheere, machinae, ingenia.
Die Baukunst der Kriegsmaschi-
nen entwickelte sich besonders in Ita-
lien und kam von da namentlich durch
die Kreuzzüge ins übrige Europa.
Sämtliches Antwerk zerfällt in 3 Ar-
ten: Machinae oppugnatoriae, machi~
nae jaculaforiae und machinae tec-
toriae.
Tax den machinae oppugnatoriae
oder Stosszeug zum Mauerbrechen
gehören der seit Urzeiten stets im
Gebrauch gebliebene Widder oder
Sturmbock, der Tarant. d. h. der
Mauerbohrer, der Fuchs und der
Krebs.
Die machinae jaculaforiae oder das
Schuss- und Wurf-Zeug zerfällt in
a) Geschütze für rasanten Schuss:
Die Stand -Armbrust , auch Bück-,
Turm-, Wagarmbrust oderder Spann-
wagen genannt, um Bolzen oder
Steiukugeln zu schiessen, und die
Hutten, ahd. ruoda, Stange, säulen-
artige Gestelle mit kolossaler stähler-
ner Schnepperfeder, welche den auf
der Säule liegenden Pfeil hinweg-
schnellte; sie heissen auch Katapulte
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Belagerung.
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Belagerang,
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und dienen besonders für Abschiessen
von Brandpfeilen.
b) Geschütze zum Bogenwürfe.-
Die Bleide% mhd. bltde, der Iribock,
mhd. driboc, der Schleuderkasten, die
Mange und die Marga, Maschinen,
deren besondere Eigentümlichkeiten
zum Teil schwer oder kaum zu be-
stimmen sind.
Die vorzüglichste Munition der
Gewerfe waren Steine, wo möglich
in runder Gestalt, oft von kolossaler
Grosse; statt der Steine nahm man
auch Stangen, mit Nägeln beschla-
gene Balken, mit Brennstoffen an-
gefüllte Fässer, Leichname von Vieh,
um Seuchen zu erzeugen, ferner mit
Brandzünder versehene Wurfsteine
oder glühende Eisenstücke.
Das Wurfzeug hatte nicht die
Bestimmung, Bresche zu schiessen,
sondern Dächer und Gewölbe zu
zertrümmern, Brand zu stiften u. dgl.
Seine Anwendung reicht bis ins
15. Jahrhundert.
Weit enger und unmittelbarer
als das mittelalterliche Wurfzeug,
sch Hessen sich die Machinae tectoriae
an die antike Tradition an. Es zer-
fallen aber diese Annäherungs- und
Deckungsmittel in drei Arten, fahr-
bahre Holzbrustwehren , bedeckte
Stände oder Hallen und Kolltürme.
Die bedeckten St&nde, welche bei den
Römern musculi, Mäuschen hi essen,
nannte das Mittelalter Katzen, die
Belagerungstürme heissen auch Berq-
friede, mhd. bercvrit, oder Ebenhöhe,
da sie mindestens gleiche Höhe mit
der zu erstürmenden Mauer haben
mussten. Am häufigsten kommen
Türme von drei Geschossen vor,
deren oberstes eine Fallbrücke hatte,
während das unterste gelegentlich
einen Widder aufnahm. Unter Um-
ständen machte man den Versuch,
einen T^irm auf Kähnen zu erbauen.
Häufig war der Angriff durch die
Talparii, Minierer, sei es um die
Mauer durch Untergrabung zum Ein-
sturz zu bringen, sei es um unter-
irdisch in den festen Platz zu kommen.
Oft waren die genannten Angriffs-
mittel ungenügend zur Eroberung
von festen Plätzen, und ihre Über-
! gäbe nur durch Aushungern unter
i Anwendung der Blokade zu erlangen.
! In diesem Falle pflegte sich der An-
greifer stets durcn Laufgräben gegen
Überfalle zu sichern. Mehrere Lager,
deren jedes mit einer Enceinte um-
geben war, hiessen Bastide oder
Bastille.
Was nun die Massregeln der
Verteidigung betrifft, so waren die
Besatzungen in erster Linie besorgt,
sich gegen Überrumpelung sicher zu
stellen. Zu dem Ende schloss man
gern einen möglichst ausgedehnten
Umkreis durch eine leicht- Ver-
5>fäblung oder eine Hecke ab, die
jßtze. Unter Umständen legte man
beim Anrücken des Feindes im Sinne
offensiver Defensive noch im letzten
Augenblicke ein Aussenwerk, mhd.
hämit, an, das in einer Vcrpfählung
bestand. Die Absicht Widerstand
leisten zu wollen, kündete der Be-
lagerte durch Aufziehung von Fahnen
über Thoren und Türmen und durch
Aufstellung von Wappenschildern
zwischen den Zinnen an. Auf die
Mauer wurden Schilde, Schirme,
Mäntel oder hölzerne Brust wehre,
Blöcke, Balken, Steine, Öl, Wasser,
ungelöschter Kalk u. dgl., überhaupt
diejenigen Materialien gebracht,deren
man zunächst gegen den gewaltsamen
Angriff bedurfte. Bei förmlichem
Angriffe bediente sich die Vertei-
digung derselben Wurfmaschinen wie
die Angreifer, besonders aber der
Ausfälle-, gegen den Minenan^riff
war die Anwendung von Contreminen
allgemein. Der letzte Rückzug einer
Besatzung konnte aus der Stadt in
die Burg, aus einer Burg in den
grossen Turm geschehen. Unter-
irdische Gän^e führten von da manch-
mal ins Freie.
Langsam gewann die Anwendung
der Feuerwaffen im Belagerungs-
kriege Raum. Zunächst verwendete
mau die Büchsen an Stelle des Wurf-
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60
Ben ediktiner-Örden .
zeugcs, um Steine oder Feuerwerks-
körper zu schleudern; Breche zu
vermittelst der neuen Büchsen
erst später. Man warf daher
iweren Projectile unter einem
grossen Winkel über die Mauer, den
Kernschuss verwendete man nur ge-
gen die Thore. Die Aufstellung der
Belagerer ging noch in sehr geringer
Entfernung von den Mauern vor sich,
wobei die Sicherung der Geschütze
durch die alten Schutzdächer geschah.
Die Angrifföbatterien wuraen aus
Stücken groben und kleinen Kalibers
gebildet, wobei die letzteren dazu
dienten, den Feind während der Zeit
zu beschäftigen, während welcher
man die erstem zum Laden zurück-
brachte. Im allgemeinen war bis
in den Anfang des 15. Jahrh. die
Verteidigung dem Angriffe noch über-
legen, zumal da die Städte bereits
mit einer namhaften Zahl von Feuer-
eesch ützen versehen waren, während
die Belagerer gewöhnlich nur über
die alten Maschinen geboten.
Von bedeutender Wirkung auf
die Fortschritte im Belagerungswesen
war die in Frankreich seit der Mitte
des 15. Jahrh. aufkommende An-
wendung der gegossenen Kugeln an-
statt der steinernen, wodurch das
Brechclegen sehr abgekürzt wurde,
und die rationelle Anwendung von
Laufgraben als Annäherungsmittel.
Seitdem treten die Holzdeckungen
zurück und die Holzblendungen der
Geschütze werden durch Tonnen er-
setzt, die mit Erde gefüllt sind, bald
darauf findet man auch die Sehanz-
körbe in allgemeinem Gebrauch.
Die während des 16. Jahrh. statt-
findende Reform des Fortifikations-
wesens hatte auch ein modernes
System des Angriffes und der Ver-
teidigung im Gefolge. Nach Jahns,
Gesch. a. Kriegswesens.
Benediktiner-Orden. Sein Stif-
ter ist Benedikt von Nursia im Nea-
Solitanischen, 480—543, der Gründer
es Klosters Monteeassino bei Neapel ;
die Regel, die er den Mönchen dieses
Klosters gab, bezweckte nicht die
Gründung eiues Ordens, denn der
Mönchsstand galt noch als eigener,
ungeteilter Stand, es handelte sich
bloss um die besonderen Vorschriften,
durch die das Leben der Mönche
dieses oder jenes Landes oder Klo-
sters geregelt werden sollte. Auch
andere Klosterregeln, wie die des
hl. Basilius, des hl. Columbanf des
Casarius von Arles, bewirkten kei-
nen besonderen Orden. Die durch
die irischen Mönche in Deutschland
gestifteten Klöster hatten anfänglich
ie Regel des hl. Columban, deren
harte Ascese und die häufige An-
wendung der Prügelstrafe es all-
mählich dahin brachten, dass man
im 7. und 8. Jahrh. mehr und mehr
, auf die Regel des hl. Benedikt griff;
I sie war milder, klarer gefasst und
brauchbarer als jene. In St Gallen
nahm Othmar die Benediktinerregel
auf Wunsch Pipins an, in Fulda
führte sie Bonifaz ein; Karls d. Gr.
Synoden verpflichteten die Mönche
darauf. Eine deutsche Interlinear-
version der aus 73 Kapiteln be-
stehenden Regel, die aus dem 8. Jahrh.
stammt und einem nicht nachweis-
baren Mönche Kero zugeschrieben
wurde, ist bei Hattemer, St. Gallische
Sprachdenkmäler, I, 15 ff., abge-
druckt, eine mitteldeutsche Ueber-
setzung des 13. Jahrh. in der Zschr. f.
deutsches Altert., Bd. XVI, S. 224
bis 279. Nach der Regel des hl.
Benedikt steht an der Spitze der
Anstalt der Abt mit monarchischer
Gewalt, dem gegenüber die Kongre-
Eation und die ältern Brüder bloss
eratende Stimme haben. Die Abts-
wahl gehört in der Regel den Mön-
chen und ist ihnen durch besondere
Privilegien gesichert. Die nächsten
Beamten nach dem Abt sind Propst
und Dechant, beide durch den Abt
absetzbar: der Propst, Vertreter des
Abt es, hatdie Ökonomie, der Dechant
die Disziplin unter sich. Ihre Wahl
geht von den Mönchen aus. Unter
dem Propst steht der cellariu*,
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Benediktiner-Orden.
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Kellermeister. Die Wache am Thor |
hat der Pförtner. Die Zahl der i
Mönche ist unbestimmt Dienende
Brüder giebt es nicht, die Mouche
sind zu allen Dienstleistungen ver-
pflichtet; das Kloster soll deshalb
möglichst alle Lebensbedürfnisse
umschüessen. Vgl. den Bauriss des
Klosters St Gallen vom Jahre 820,
herausgegeben von F. Keller, Zürich
1844. Die Besorgung der Küche
wechselt wöchentlich unter den
Mönchen. Handwerk und Ackerbau
liegt den Mönchen ob. Privatbesitz
ist verboten, alles ist allen gemein,
und der Abt teilt iedem nach Be-
dürfnis zu. Als Kleidung ist vor-
geschrieben Kutte cuculla, Hemd
tunica, Überwurf »capulare. Als
Speise gestattet die Regel zwei
Schüsseln Gemüse, Obst, junge Ge-
wächse, Brot ; Fleisch nur für Kranke
und Schwache ; Wein gehört eigent-
lich für Mönche nicht, doch werden
die Mönche, sagt die Regel, sich
denselben nicht wohl nehmen lassen,
deshalb ist taglich eine Mass {hemina)
erlaubt. Allmählich gestattete man
sich mehr Bedürfnisse, zumal an be-
sonderen Tagen, bei Besuch. Der
Aufnahme ins Kloster geht eine
jährliche Prüfungszeit voran. Ohlati
sind Kinder, die von den Eltern früh
dem Klosterleben übergeben werden,
ihre Zahl war gross, und ihr Unter-
richt gab die erste Veranlassung zu
den 'Klosterschulen. MecluJti heissen
solche, die sich besonderer Ascese
wegen in ein Gemach einschliessen
Hessen. Die Regel Benedikts nimmt
auf Frauenklöster keine Rücksicht,
doch wurden auch die ebenfalls schon
lang«1 bestehenden Nonnenklöster
derselben Regel unterstellt; immerhin
sind die Frauenklöster minder selb-
ständig und mehr vom Bischof ab-
hängig. Die Benediktinerklöster
des 8., 9. und 10. Jahrhunderts sind
die Hauptträger der Bildung im
fränkischen Reiche; was die Zeit
an Erziehung, Wissenschaft, Dich-
tung, bildender Kunst, Musik und
Geschichtschreibung hervorbrachte,
ist meist ihr Werk. Fulda, St. Gallen,
Corwey, Reichenau und zahlreiche
andere Klöster sind Zentralpunkte
des geistigen Lebens. Man findet
sie u. a. zusammengestellt und be-
schrieben in den Kirchengeschichteu
von Rettberq und Friedrich und in
Deutschlands Geschichtsquellen von
Watlenbach. Im 10. Jahrh. fingen
sie an zu verweltlichen; der durch
Karl d. Gr. hervorgerufene Bildungs-
eifer ermattete; die Ausbildung des
Lchnstaates, der Reichtum an Land
und Leuten, der sich in ihnen an-
gehäuft hatte , schob die Interessen
der Bildung und Erziehung, der
Religion und Wissenschaft in den
Hintergrund, und Interessen welt-
licher Art traten vor. Die Klöster
standen meist auf des Kaisers Seite ;
der Zusammenhang mit Rom hatte
sich gelockert. Dagegen trat nun
eine Reaktion ein; der päpstliche
Stuhl suchte in seinem Sinne zu re-
formieren, die Klöster zu Kongre-
gationen unter einer Zentralregie-
rung zu sammeln, das speeifisch
religiöse Leben zu heben, die Kloster-
regeln zu schärfen. Der Hauptsitz
dieser Bestrebungen wurde das Klo-
ster Clugny, Clunvacum, in Burgund,
von Herzog Wilhelm von Aquita-
nien 910 gestiftet und zuerst von
Berno, dann von Odo 927—941 ge-
leitet Diese reformierten Benedik-
tiner- oder CY«ntare/w<?r-Klöster wa-
ren von aller bischöflichen Gewalt
befreit, einzig dem Stuhl zu Rom
untergeben; der gesammte Orden
stand unter dem Abt von Clugny,
dem Archiabbcus des Archimonasterti,
strenge klösterliche Ascese trat an
die Stelle freier humaner Bildung
im Sinne der Karolingischen Zeit
Die deutschen Könige selber waren
übrigens der Reform nicht durchaus
abgeneigt; unter den Klöstern aber
trat jetzt eine Spaltung in reformierte
und nichtreformierte ein. Die der Re-
formation widerstanden, verweltlich-
ten in der höfischen Periode in hohem
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Benediktionen.
Masse, kirchliches Leben, Schule und
Wissenschaft hörte auf, und die
Äbte beteiligten sich als Reichs-
fursten hauptsächlich an den Reichs-
händeln. Ein besonders belehren-
des Beispiel für das Verhältnis der
Cluniacenser und der alten Benedik-
tiner bieten die St. Gallischen Kasus
Ekkeharts I V. ; Konrad II. hatte dem
Kloster 1034 einen Cluniacenser Abt
aus Lothringen aufgedrungen, gegen
dessen Reform bestreb ungen die altera
Mönche eiferten und murrten; zum
Beweise aber, wie tüchtige, vortreff-
liche Blüten das Kloster unter der
freiem Regel hervorgebracht hatte,
schrieb Ekkehart IvT seine Kasus,
in denen er das Klosterleben St.
Gallens so plastisch dargestellt hat.
Siehe die Einleitungen zu der latei-
nischen und deutschen Ausgabe
Ekkeharts von G. Meyer von Kno-
nau. Die Cluniacenser Reform
fand ihre Hauptstütze, was Deutsch-
land anbelangt, in den Klöstern
des Schwarzwaldes, und hier be-
sonders in Hirschau, von wo aus
sich die strenge Regel nach allen
Seiten verbreitete ; alte Klöster wur-
den reformiert, neue gegründet.
Hirschauer Mönche kamen nach
Reichenbach und St Georgen im
Schwarzwald , nach Schaffnausen,
Petershausen, Pfafers, Fischingen,
Weilheim, Zwifalten, Blaubeuren,
Isny. Wiblingen, Ochsenhausen,
Komourg in Franken, Fischbachau
und Scheiern, Prüfening und Ens-
dorf in Bayern, nach dem Petcrs-
berg bei Erfurt, Reinhardsbrunn,
Goseck, Hasungen und Magdeburg,
nach Admont in Steiermark, St. Paul
in Kärnthen. Otto von Bamberg
führte in allen seinen Klöstern die
Hirschauer Regel ein. Derselben
Richtung gehörte St. Blasien im
Schwarzwald an. Hier wurde Hart-
mann, früher Probst von St. Nicola
bei Passau, des Gegeukönigs Rudolf
Kaplan, Mönch und Prior; dann aber
101)4 Abt von Götweih, wohin er
eine Kolonie aus St. Blasien führte,
und bald wurden ihm auch St. Lam-
bert in Steiermark, Kempten, St. Ul-
rich und Afra in Augsburg anver-
traut. Nach Krein8münster kamen
Mönche aus Gottesau, einer Hirsch-
auer Kolonie im Sprengel von Speier.
Bischof Burchara von Basel aber
unterwarf 1105, eingedenk der alten
Freundschaft und innigen Verbin-
dung, das von ihm gestiftete Kloster
St Alban bei Basel unmittelbar dem
Abte von Clugny. S. Wattenbach,
Geschichtsquellen II, § 6. In die
gleiche Periode mit der Cluniacenser
Reform fallt die Gründung selbstän-
diger Orden, welche die neue römi-
sche Ascese in noch engere Formen
bannten, z. B. die Orden von Vallom-
brosa, Chartreux, der Wilhelmiten,
Cistercienser. Siehe die besonderen
Artikel. Noch geringer wurde die
Bedeutung des Beneuiktinerordens,
als im 13. Jahrh. die Bettelorden
aufkamen. Seit dem 14. Jahrh. be-
mühten sich verschiedene Synoden
um die Reform des Ordens, nament-
lich hob das Konstanzer Konzil die
alte Sitte auf, nur adelige Novizen
aufzunehmen. Eine bleibende Re-
form brachte in Deutschland erst
die Richtung der Bursfelder Kon-
gregation oder Union zu stände. Es
war dies ein Verein von 75 Bene-
diktinerklöstera in Norddeutschland,
der aber auch in Süddeutschland
weitreichenden Einfluss besass; seine
Stifter waren Johann von Hagen,
1439—1469 Abt des Klosters Burs-
felde bei Göttingen, und Joh. Bu*ch.
Das Basler Konzil bestätigte 1440
diese Organisation, die für das sitt-
liche und wissenschaftliche Leben
des Ordens sehr segensreich war.
Später erwarb sich die Konqegmtion
von St. Maurus, 1618 durch Lorenz
Bernhard, Mönch zu St Vannes, ge-
stiftet, unsterbliche Verdienste durch
reiche wissenschaftliche Forschung;
ihr Hauptkloster war St. Germain
des Pres bei Paris.
Benediktionen, Segnungen, sind
sakramentsähnliche heilige Hand-
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Beowulf.
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lungen, durch welche die Gnade
Gottes für Personen und der heil-
same Gebrauch für Sachen erfleht
wird. Die Benediktion erfolgt vor-
züglich durch das Bezeichnen mit
dem Kreuze, Anrufung des heiligen
Geistes, Auflegung der Hände, Be-
sprengung mit Weihwasser, Beräu-
cbern und Aussprechen der in ein-
zelnen Ritualbücbern , libri benedic-
tionales. gesammelten Formeln. Sol-
cher Bücner giebt es eine grosse
Menge, Ekkehard von St. Gallen hat
z. B. eigene Benedictionet ad memas
geschrieben, die in Band 3 der Mit-
teil- d. Züricher antiqu. Gesellsch.
abgedruckt sind.
Beowulf, ein angelsächsisches
Heldengedicht aus dem Ende des
7. oder dem Anfang des 8. Jahrh.
Der Inhalt des Gedichtes ist fol-
gender: Über die Dänen herrscht
Skylo, aus dem Geschlechte der
S k'e finge. Von den Meereswogen ist
er als Kind hergeworfen worden an
Dänemarks Küsten, als König sollte
er sterben und mit Kleinodien über-
häuft wird er nach seinem Tode in
reichgeschmücktera Schiffe wieder
dem Elemente überlassen, das ihn
hergebracht. Dessen vierter Nach-
folger ist H rodgar. Er lifsst eine
ger&umige Halle errichten, Heorot
genannt, deren Wände täglich von
dem Jubel der zechenden Kitter uud
von den süssen Tönen der Harfe
widerhallen. Doch nur zu bald soll
da.«» fröhliche Leben der Vasallen
des Königs verstummen. Von Neid
gepeinigt, dass des Herrschers Man-
nen in solcher Freude leben können,
während er selbst einsam in düste-
rem Moorgrund seine Tage hinbrin-
gen miiss, macht sich em Unhold,
Grendel mit Namen, auf, dringt des
Nachts, wenn nach dem Methgelage
in tiefem Schlaf die Kämpeu ruhen,
ein in die Halle und schleppt 30
der Schläfer mit sich in seine Be-
hausung. Entsetzen fasst am andern
Morgen die Dänen, und als in der
folgenden Nacht wieder eine Anzahl
ihrer Freunde der Wut des Raub-
tiers zum Opfer fallen, da fliehen
sie schreckensbleich die unheimliche
Stätte. Wohl berät sich oft der greise
Herrscher gramschwer mit seinen
Vertrauten, nichts wird gefunden zur
Abwehr des Übels, bis endlich von
Norden her ein Retter dem bedräng-
ten Volk erscheint. Beowulf ist sein
Name, das Geatenland, welches Hy-
gclak beherrscht, seine Heimat. Ihm
ist zu Ohren gekommen der Nach-
barn Not, mit 14 Genossen besteigt
er das Meerschiff den Dänen zu hel-
fen und bald landen sie an der dä-
nischen Küste, wo sie mit edlem
Anstand empfangen und vor den
König geführt werden. Beowulf ent-
hüllt dem König, dass er vertrauend
auf seine Stärke gekommen sei, He-
orot von der Anwesenheit des blut-
dürstigen Scheusals zu befreien. Mit
Freuden nimmt der König die Dien-
ste des Geatenritters an und die
Halle Heorot wird den Fremdlingen
eingerichtet. Die Schatten der Nacht
senken sich über die Erde, Hrodgar
mit seinen Mannen zieht sich in seine
Gemächer zurück und allein warten
in der Halle die Geaten mit ihrem
Führer der Dinge, die da kommen
sollen. Kaum hat der süsse Schlaf
der Müden Augen geschlossen, als
vom Sumpfe hergeschlichen kommt
der grause Grendel; lechzend nach
Menschenfleisch packt er sofort den
: zunächstliegenden der Recken, reisst
ihn in Stücke und verschlingt ihn.
Jetzt gerät der Mordgesinnte an
Beowulf, aber mit Riesenkraft greift
der Geate des Unholds Arm und
nach langem furchtbarem Ringen
renkt er ihm den Arm samt der
Achsel aus, dass totwund Grendel
fliehen muss und in seiner Sumpf-
wohnung durch den Tod von den
Qualen der Wunde befreit wird.
Jubel erfüllt arn andern Morgen die
Gegend. Auf Beowulfs That an-
spielend trägt ein Sänger den glück-
lichen Kampf des Wälsungen Sig-
mund mit dem Drachen vor und den
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Beowulf
innigsten Dank bringen dem jungen
Sieger der grambefreite Köni^ und
seiue holde Oremahlin dar. Mit rei-
chen Geschenken belohnt die Köni-
gin den tapfern Beowulf und ver-
traut ihm ihre beiden Knaben an.
Wieder sinken die Helden in fried-
lichen Schlaf. Wie schrecklich sollte
das Erwachen sein! Den Tod ihres
Sohnes zu rächen macht sich Gren-
dels Mutter unter dem Schutze der
Nacht auf, dringt in den Schlafsaal
der Dänen ein und um das Leben
eines der Helden ist es geschehen.
Die einzige Zuflucht des von neuem
in Entsetzen geratenen Königs ist
Beowulf. Diesen bittet der Greis
die Unthat zu rächen. Der Geaten-
held ist dazu bereit. Der greise
König selbst besteigt sein Schlacht-
ross und reitet an der Spitze seiner
Mannen in Begleitung Beowulfs die
Wohnung der Unholuin zu suchen.
Bald ist sie gefunden auf dem Mee-
resgrund, bewacht von Nixen, Dra-
chen und ander m blutgierigen Ge-
würm. Beowulf nimmt von Hrodgar
Abschied, empfiehlt ihm, falls er
nicht mehr zurückkommen sollte, die
Obhut über seiue Leute und springt
dann wohlgepanzert und gut bewaff-
net mit seinem wuchtigen Schwert
Hrunting in die brausende Flut.
Bald Stent er im prächtigen Meer-
saal vor Grendels Mutter. Sogleich
beginnt der furchtbare Kampf. Hrun-
ting prallt ab von dem Körper der
Meerwölfin. Ein Riesenschwert, das
Beowulf im Saale findet, sollte ihm
erst Rettung verschaffen, indem es
dem grausen Weib die Todeswunde
schlägt, dann aber auch vor dem
heissen Blute bis zum Heft wie Eis
zerschmilzt Der Erschlagenen Blut
rötet die Brandung. Bald enttaucht
der brausenden Brandung des Sie-
gers Leib. Jubelnd wird er von
seinen Getreuen empfangen und dem
König Hrodgar zugeführt. Als Sie-
Sispfand legt der Tapfere Grendels
aupt den staunenden Höflingen
und entsetzten Frauen vor die Füsse.
Dann zieht Beowulf wieder nach der
Heimat.
Später besteigt Beowulf seihst
den Herrscherstuhl der Geaten und
regiert 50 Jahre lang zum Wohle
und Segen seines Volkes. Im Kampfe
gegen einen Drachen, gegen einen
Schädiger seiner Unterthanen sollte
er fallen. Schon drei Jahrhunderte
lang hatte das Untier in finsterer
Bergeshöhle reiche Schätze bewacht,
welche einst ein einsamer, freund-
loser Mann in dem Schooss der
Erde versteckte, der niemanden mehr
hatte, dem er den Gebrauch der
Kostbarkeiten gönnte. Zufallig
kommt ein Flüchtling in die Be-
hausung des Drachen und entwendet
dem Horthüter eines der Kleinode.
Wütend fliegt des Nachts der Drache
aus, den frechen Dieb zu suchen.
Burgen und Hütten äschert der
feunge Atem seines Rachens ein.
Da dringt das Gerücht vom Unglück
seines Landes an Beowulfs Ohr, der
sofort wohlgerüstet selb vierzehn t
den Bau des Drachen aufsucht
Wohl mag der Greis den nahen Tod
ahnen, denn er nimmt Abschied von
seinen Getreuen. Allein, wie es dem
König geziemt, will er den Kampf
gegen seinen Widersacher aufnen-
men. Mutig schreitet er an den Ein-
gang der Höhle und fordert den
Drachen zum Zweikampf auf. Nicht
lange lässt der Wurm auf sich war-
ten. Eine Flut sengenden Feuers
entströmt seinem Rachen dem Ta-
pfern entgegen, welchen kaum der
eherne Schild gegen den Gluthauch
schützt. Machtlos prallt das wuch-
tige Schwert von aem Hornpanzer
des Wurmes ab. Was ist zu thun V
Waffenlos steht der edle König da,
ferne in des Waldes schützendem
Dickicht sind vor der grausen Ge-
stalt des Drachen die feigen Gefolgs-
männer geflohen. Wiglaf unterstützt
mit seiner jungen Kraft den alten
Fürsten, und nach langem Ringen
sinkt der grimme Feind tot zu Bo-
den. Docn teuer ist der Sieg er-
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Beowulf.
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kauft, auch Boowulf ist verwundet
von des Wunnes giftigem Zahn.
Schnell schickt der Köchelnde den
Wiglaf noch in die Höhle, damit
sein letzter Blick auf die reichen
Schätze falle, die er mit seinem Le-
ben seinen Leuten zurückerobert.
Wiglaf gehorcht, kehrt schwerbela-
den zurück und breitet die Kost-
barkeiten vor dem brechenden Auge
des Königs aus. Dieser bestimmt
sie dazu, die Not der Armen zu heben,
und stirbt. Tiefes Trauern ergreift
das Herz des Volkes über den Unter-
gang ihres geliebten Königs. Sie
ziehen hinaus zu der Walstatt, er-
blicken mit thränendem Auge Beo-
wulf, mit Entsetzen seinen grimmen
Feind. Dann schreiten sie zur Be-
stattung der irdischen Überreste des
Edlen. Auf hohem Scheiterhaufen
wird die Leiche niedergelegt und
gierig verzehren die Flammen den
Körper des Beowulf.
Das Gedicht von Beowulf liegt
uns in einem Pergamentcodex vor,
der sich in der Cottonischen Biblio-
thek des British Museum zu London
befindet. Die Handschrift fällt
wahrscheinlich in das 10. Jahrhun-
dert, doch ist die Entstehung acs
Gedichtes in eine viel
Zeit zu setzen. Seine
-ind in der Mitte des
hunderts zu suchen und als Ganzes
tritt es uns auf der Scheide des 7.
und 8. entgegen. In seiuer beinahe
zweihundertjährigen Entwickelung
hat es wesentliche Umänderungen
erfahren. Der Kern des Epos ist
jedenfalls der Kampf Beowulfs mit
(.Trendel und dem Drachen, als blosse
Variation des ersteren ist derjenige
zwischen Beowulf und Grendels Mut-
ter anzusehen. Daran schlössen sich
dann Episoden aus dem Leben der
auftretenden Helden und ihrer Vor-
fahren, und Interpolationen eines
christlichen Schreibers, die einen
Theologisierenden Ton anschlagen
und mit dem germanisch heidnischen
Charakter des Gedichtes schlecht
ReaJlexicon der deutechen Altertümer.
frühere
Anfänge
6. Jahr-
zusammenpassen. Es ist halbfertig,
gleichsam mitten in der Entwicke-
lung erstarrt. Das Gedicht ist nicht
von einem einheitlichen Autor ver-
fasst, sondern aus verschiedenen Lie-
dern nach und nach zusammen-
gefügt.
Die Heimat des Gedichtes ist
England, eine historische Begeben-
heit gab Anlass zu seiner Entstehung.
In ten Brinks Geschichte der eng-
lichen Litteratur heisst es pag. 30:
„In den Jahren 512 — 520 unternahm
der Geatenkönig Hygelak (aus dem
jetzigen schwedischen Götaland)
einen Raubzug nach dem Nieder-
rhein. Da rückte des fränkischen
Königs Theuderich Sohn Theudebert
ihm mit einem Heere von Franken
und Friesen entgegen. Ein heisser
Kampf fand statt, der auf beiden
Seiten zahlreiche Opfer verschlang;
den Franken aber blieb der Sieg.
Hygelak fiel, sein Heer wurde zu
Lande wie zu Wasser aufgerieben,
die schon auf den Schiffen befind-
liche Beute von dem Feinde zurück-
gewonnen. In diesem Kampfe zeich-
nete sich ein Gefolgsmann und Ver-
wandter Ilvgelaks vor Allen aus,
zumal dureh die Kühnheit, mit der
er schliesslich seinen Rückzug be-
werkstelligte. Er scheint ein Mann
von riesiger Körperkraft, ein vor-
züglicher Schwimmer gewesen zu
sein. Die Kunde von diesem
Kampfe, der Ruhm dieses Degens
erscholl weit und breit zu beiden
Ufern des Meeres, das die kimbrische
Halbinsel von dem schwedischen
Festlande trennt, bei Geatcn, Insel-
dänen und Angeln. Die Thaten des
Neffen Hygelaks, des Sohnes Ekg-
theows, wurden in Liedern gefeiert;
er trat in das Erbe göttlicher Heroen
ein. Beowulf, der Sohn des Ekg-
theow, trat an die Stelle Beowas, des
Siegers über Grendel."
Dieser Beowa, oder also später
Beowulf, ist nach SlülhiihoJjFiJlaupfit
Zeitschrift VII, 419—441) identisch
mit Freyr, dem milden Gott des
5
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66
Herchta.
Friedens und di r Fruchtbarkeit, der
Regen und Sonnensehein und Ge-
deihen der Früchte giebt, den Schif-
fern aber und Fischern das Meer
im Frühling öffnet und es von Stür-
men befreit; der es stillt und ihnen
einen guten Fang und reichlichen
Gewinn verschafft, aber auch lie-
gende Gründe und fahrende Habe
denen verleiht, die zu ihm beten.
Dieselbe Wirksamkeit steckt nun
auch in den Thaten des Helden un-
seres Gedichtes. Seine erste That
ist, dass er wettsehwimmt mit Breka
und zwar wahrscheinlich dem von
Norden herabkommenden eisigen
J'olarstrome entgegen, um mit den
Waffen die Raunheit und Wildheit
des winterlichen Meeres bis an seine
äussersten Grenzen zu brechen und
es fahrbar zu machen. Auch der
Kampf Beowulfs mit Grendel lässt
sich als ein Ringen mit den ver-
wüstenden Wogen des Ozeans auf-
fassen. Grendels Wohnung ist eine
von düsterem WTalde umgebene
Meeresbucht voll trüben, sumnfigen
Gewässers. Aus dieser heraus Wicht
er mit wilder Wut und verschlingt
die sorglos schlafenden Menschen,
bis auch jetzt wieder ein Gott und
zwar Beowulf an Stelle des alten
Freyr, als Beschützer des Acker-
baues den grausen Zerstörer mensch-
lichen Wohlstandes und Glückes
zurücktreibt und ihn in feste Gren-
zen bannt. Eine blosse Wieder-
holung des Kampfes mit Grendel
ist der mit dessen Mutter, die auch
eine Personifikation des Meeres ist.
Iiis in Einzelheiten stimmt der
Kampf Beowulfs gegen diese beiden
Unholde überein mit Freyrs Hingen
mit dem Riesen Beli, den er auch, ohne
sein gutes Seh wert zu gebrauchen,
erlegt. Dass Beowulf endlich, schon
im Herbste seines Lebens, noch mit
dem schätzebergenden Drachen einen
Zweikampf eingeht, ist ebenfalls be-
gründet durch die Identität mit
Freyr. Der Drache ist einesteils
wieder wie Grendel und dessen Mut-
ter das Symbol des sein Bett über-
steigenden, alles mit sich fortreissen-
den Wasserschwalles, danu aber
auch eine konkrete Darstellung des
Winters, der im Herbst eben allet-
Leben in der Natur erstickt und
wie der Drache auf seinen Kleinodien
mit seinem Schneemantel, seiner Eis-
decke auf den Schätzen, welche die
Natur zur Sommerszeit dem Men-
schen baut, sitzt und ihre Wobl-
thaten niemandem zu gute kommen
lässt. Gegen diesen zieht noehmai>
der greise Gott, er besiegt zwar den
Feind, muss aber doch im Herbste
seines Lebens tot dahinsinken vor
dem giftschwangeren Blute des Dra-
chen, wie auch die Herrlichkeit de?
Sommers schwindet, wenn mit sei-
nem Sturingebraus der kalt' Winter
die Schneeflocken und Eisköraer über
die Lande peitscht. Ausgaben in
angelsächsischer Sprache von Grein
und Heyne. Deutsche Übersetzun-
gen von Ettmiiller, Simvock, C*-rei*.
r. Wulzoaen und Heyne.
Heren ta, ein Name und eine
Gestalt der germanischeu Götter-
mutter Freia, die aueh Frau Göde.
Frau Hera oder Harke, Holda heUst.
Als Herchta, d. i. die Glänzende,
ahd. Verahta, von perakt glänzend,
erscheint sie in Oesterreich, Baieru,
Schwaben, im Elsass, in der Schweiz,
Thüringen, Franken und Tirol. Ihre
Gestalt ging von der Wolkenfrau
aus, ineist glaubte man, sie trage
Kuhgestalt, daher sie in Baien i noch
immer in eine Kuhhaut gekleidet
erscheint. Sie zieht an der Spitze
des wilden Meeres, erscheint um
Weihnachten als eine Frau mit zot-
tigen Haaren, um die Spinnerinnen
zu beaufsichtigen, namentlich am
letzten Tage des Jahres, wo ihr zu
Ehren Fische und Klösse gegessen
werden und alles abgesponnen sein
muss. Findet sie die Arbeit der
Spinnerinnen nicht in gehöriger Ord
uung, so besudelt sie den Kocken.
Den Hauptbestandteil im Heere der
Berchta bilden die Seelen der Un-
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Bergreihen. — Bettelorden.
67
geborneu, d. i. der ungetauft ver-
storbenen Kinder. Mit diesen, in
Thüringen Heimchen genannt, sorgt
sie für die Fruchtbarkeit der Acker,
zieht mit ihnen von Land zu
Land und setzt mit ihnen über
Strome. Am heiligen Dreikönigstag
laast man ihr und ihren Kindern
etwas von der Nachtmahlzeit auf
dein Tische stehen. Ihr Tag ist
hald der 30. Dezember, bald der
2. oder 6. Januar. Er verlangt eine
stehende Festspeise. Berchta ist
auch die Todes-joftin Seit alter Zeit
waren irdische Nachbildungen ihrer
Cmzüge in (Gebrauch, wobei sie ent-
weder als eine grosse Frau mit lan-
gen Haare von Flachs und weit
h ^rabwallendem weissem Kleide vor-
stellt wurde, oder als eine furcht-
bare Göttin, als wilde Berchtel, mit
wild zerzausteu Haaren. In der
fränkischen Sage ist Berchta als
Ahnmutter der Menschheit oder des
königlichen Geschlechtes aufgefasst
gewesen. Das goldene Zeitalter
Ijeisst seit Alters bei den Franzosen
and Italienern: als Bertha spann.
Dieser Mythus hat sich später au
Karls des Grossen Mutter Bertrada
uiii an die nenburgundische Königin
Bertha geheftet. Auch die weisse
Frau oder die weisse Dame, die als
Ahnmutter fürstlicher Häuser in
ihren Schlössern Glück oder Unglück
vorherkündigend umgeht, ist eine
Erscheinungsform üieser Göttin.
Manahardt, Götter d. Deutschen und
noid. V., S. 288 ff.
Bergreihen, Bergliedlein, bere-
risrhe Lieder, heissen im 16. Jahrb.
Volkslieder überhaupt, insofern sie
in Sammlungen vereinigt vorkom-
men, die man in Bergstädten zu
Nutz und Frommen der Bergleute
zusammengestellt hatte. Ein solches
Volkaliederbuch hat Oskar Schade,
Weimar 1854, herausgegeben: Berg-
>'dhm. Eine Liedersammlung des
16. Jahrhunderts.
Bernhardiner, der spätere Name
•i r Oukreiemser ; siehe diesen Art.
Bernhardiner von der Obser-
vanz sind eine Abteilung des Fran-
ziskaner-Ordens, gestiftet von Bern-
hardin von Siena, 1380 bis 1440.
Bernstein, ein Handelsartikel
schon der Germanen; er war Ver-
anlassung, dass im 4. Jahrh. v. Chr.
Pytheas aus Massilia bei der TJm-
schiffung Europas auch die Ostsee
und ihre Anwohner aufsuchte. Als
ältester Name des Bernsteins nennt
Tac. Germ. 45. cjlesum, zu Glas ge-
hörig, d. i. das Glänzende. Die
Skythen nannten ihn nach Plinius.
h. n. 37, 11, 1. saerivm, von ahd.
saccari, Feuer, also dieselbe Bedeu-
tung wie Bernstein = Brennstein.
Mhd. heisst der Bernstein auch agt-
stein, arjstein, aidsfein, auch griech.
ackertet. Die Germanen benutzten
den Bernstein zu Hals- und Brust-
gehängen, auch zu Nachbildungen
von Waffen und Geräten, wie man
sie in Gräbern gefunden hat. Durch
den Handel kam er zu den Griechen.
Syrern, Ägyptern, Hebräern, na-
mentlich aber wurde er durch ganz
Italien massenhaft verwendet, als
Amulett, als Sehmuck für Vornehme
und Geringe und als Arzneimittel.
Der Bernstein war der wichtigste
Handelsartikel des germanischen
Zeitalters, und es hatten sich für
den Betrieb desselben drei eigene
Handelsstrassen gebildet: die eine
lief südüeh und überschritt bei Car-
nuntum unterhalb Wien die Donau,
um von da das Adriatische Meer
zu gewinnen; die zweite Strasse
ging über Schleswig zu Land oder
zu Schiff und von da quer durch
das germanische oder gallische Fest-
land nach Massilia; eine dritte
ging an die Mündung des Dniepr.
Wackerna ff el, kleine Schriften, 1, 72 ff.
Bettelorden ist ein Kollektiv-
name für diejenigen Mönchsorden,
deren Regel den Besitz des Eigen-
tums durchaus verbietet. Man zählte
,r» Bettelorden: Dominikaner, Fran-
ziskaner, Karmeliter, Augustiner-
eremiten und Serviten.
5*
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H8
Bettelwesen. — Bibelübersetzungen.
Bettelwesen. Dass das Betteln
eine in Deutschland sehr verbreitete
Saehe sei, geht schon aus den zahl-
reichen Namen für diesen Begriff
hervor; neben Betteln aus Bitten
kommen vor (nach Grimm, Wörter-
buch L 1729) bayr. ferkeln, nnL trog-
gelen, in Pommern una Mecklenburg
gungeln. anderwärts prachen, pra-
chern, heischen, heuscheu, fordern,
quenken, nönen, gilen, terminieren.
Ein anderes Zeugnis für iene That-
sachc liegt in der Errichtung der
Bettelorden, und auch mit den Lands-
knechten war das Betteln enge ver-
bunden, sie nannten 68 (/arten, und
nicht minder mit der Sitte des Wall-
fahrens, mit der Krankheit des Aus-
satzes und dem Institut der fahren-
den Schüler. Das Mittelalter, das
für die Armen nur notdürftige Sorge
trug, Hess betteln, wer wollte und
konnte. Blinde, Lahme, Stelzfüsse,
Krüppel u. dgl. waren auf den Bettel
angewiesen In der höfischen Zeit
waren sie eine stehende Plage der
Burgherren. Um sich in den Städten
einigermassen vor dem oft schreck-
lich überhandnehmenden Bettel zu
schützen, wurden sie etwa in eine
besondere Gasse (in Frankfurt a. M.
Gilergasse) getrieben oder ganz ver-
jagt «»der man erlaubte den Bettel
bloss für einige Tage und nur an
bestimmten Orten. Schon vor der
Reformation kamen städtische Bet-
telordnungen auf, denen zufolge die-
jenigen, denen das Betteln erlaubt
war, ein besonderes Abzeichen er-
hielten, z. B. ein Körbchen. Die
Reformationsmandate wirkten auch
in dieser Beziehung günstig. Vgl.
Braut* Narrenschiff, Kap. 63, und
dazu die Anmerkungen Zarnckcs,
S. 400 ff.
Beilüde, mhd. die biunte, binnde,
hiunt, 8piiter beunte, beunde, beune,
bainf, fahite, heisst das zur Hofstatt
(siehe den Art. Ackerbau) gehörige
Grundstück, das, ohne ein Garten
zu sein, dem Gemeindeviehtrieb ver-
schlossen werden kann, oder worauf
das Recht liegt, es eingefriedigt und
nichteingefriedigt, ohne die ausser-
halb zu befolgende Zelgenabwechs-
lung, zu jeder oeliebigen Art Acker-
früchten oder, was sehr oft geschieht,
bloss zu Gras zu benutzen. Hier
und da heisseu auch die im Brach-
feld zum Anbau von Flachs, ..Erd-
äpfeln, Rüben eingezäunten Acker
Peunten. In Nürnberg heisst der
Stadtbauhof noch heute die Beund.
Seh melier, bair. W.
Bibelübersetzungen. Au der
Spitze derdeutschen Bibelübersetzun-
gen steht die gotische des Bischofs
( IfilaSy gest. 888: zur osteuropäischen
Kirche gehörend, die ihren Völkern
den tiebrauch der eigenen Sprache
immer zuliess, konnte der gotisch''
Bischof sein Missionsgeschäft mit
einer Bibelübersetzung krönen; nach
einer alten Nachricht soll er die
ganze Bibel übersetzt haben, die
Bücher der Könige ausgenommen,
die er ihres kriegerischen Geistes
wegen für die Goten gefährlich er-
achtete. Erhalten sind aus dem alten
Testament wenige Bruchstücke aus
Esra und Nehemia, aus dem neuen
Testament grössere Teile der Evan-
gelien, der Briefe an die Römer,
Korinther, Galater, Epheser, Philip-
per, Kolosser, Thessalonicher, Timo-
theus, Titus und Philemon. Die Über-
setzung legt einen griechischen Text
zu Grunde mit Spuren des lateini-
sehen. Neueste Ausgabe von Bern-
hardt, Halle 1875. Eine altd. Über-
setzung der Bibel oder auch nur des
neuen Testaments giebt es nicht:
dagegen hat man seit dem 8. Jahrh.,
abgesehen von poetischen Bcartxi-
tungen biblischer Bücher, wie He-
Hand und Otfrieds Evangelienbuch,
Bruchstücke einer Übersetzimg des
Evangeliums Matthäi und eine vor-
treffliche Übersetzung von Tatiaus
( Ammoniim) Evangelienharmonie, die
au der Fuldaer Klosterschule ent-
standen ist. Die Psalmen des St.
Gallischen Mönches Sotker labm
um 1000 und sein verlorener Hiob
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Bibelübersetzungen.
69
airnl wie das Hohe Lied des Fuldaer
Mönches Williram nicht bloss Über-
setzung, sondern Kommentar zu-
gleich. Die höfische Zeit hat, abge-
sehen von gereimten Bearbeitungen,
fast nichts auf diesem Gebiete ge-
leistet, erst das 14. Jahrh. kennt
wieder eigentliche Bibelübersetzun-
gen, doch noch lange ohne eingrei-
fende Wirkung. Als erster Bibel-
übersetzer wird 1343 ein Matthias
von Beheim, Mönch zu Halle, ge-
nannt Der Buchdruck förderte
solche Werke, und bis zum Jahre
1518 kennt man 14 in hochdeutscher
Sprache erschienene Bibelübersetzun-
gen, sämtlich in Folio, die vier ersten
ohne Ort und Jahr, nämlich 1 ) Mainz,
J. Fast und P. Schöffer, 1462 (?),
Strassburg, H. Eggeste yn um 1466 (V).
2 Strassburg, J. Mentel um 1466.
3) Augsburg, Jod. Pflanzmann um
1475. 4i Nürnberg, Frisner u. Sen-
senschmid um 1470. 5) Augsburg,
o. J. am 1470, Günther Zainer.
6» Angab. 1477, Günther Zainer (Vi.
7) Augsburg, Anton Sorg 1477.
81 Augsburg, Anton Sorg 1480.
9i Nürnberg, Ant. Koburger 1483.
10) Strassburg 1485. 11) Augsb.
Hans Schönsperger 1487. 12) Augsb.
H. Schönsperger 1490. 13) Augsb.
Hans Otmar 1507. 14} Augsb. H.
Otmar 1518. Siehe Joh. Kehrein,
Zur Geschichte der deutschen Bibel-
übersetzung vor Luther, Stuttg. 1851.
Allen diesen Übersetzungen lag die
Vnlgata zu Grunde; die Üebertra-
tr ing ist überall ein und dieselbe
und hat in ihren verschiedenen Tei-
len sehr verschiedenen Wert. Erst
Luther baute auf den hebräischen
und grierhischen Urtext. Er beginnt
IM 7 mit den sieben Busspsalmen,
denen andere kleine Stücke, Vater
nnser, 10 Gebote und dgl. folgen.
Erst 1521 fasste Luther den Plan,
die ganze Bibel zu verdolmetschen;
1522 erschien zu Wittenberg das
beue Testament in Fol. mit Holz-
schnitten, ohne Angabe des Druckers
(Melch. Lotther), der Jahrzahl und
des Übersetzers, im gleichen Jahre
eine zweite Auflage mit Drucker und
Jahrzahl, 1523 erschien der erste Teil
des alten Testaments, 5 Bücher Mose,
1532 mit den Propheten der Schluss;
die jranze Bibel 1534 bei Hans Lufft
in Wittenberg in 6 Teilen. Für die
zahlreich folgenden Ausgaben ver-
besserte Luther stets wieder; be-
sonders mit Unterstützung seiner
Freunde Melanchthon, Bugenhagen,
Jonas, Cruziger, Aurogallus und
Rörer kam die zweite Hauptausgabe
1541 zu Stande. Die letzte Ausgabe
Luthers, welche die Grundlage der
spätem Luthersehen Bibelüber-
setzungen ist, stammt aus 1544 und
1545. Originalausgaben des neuen
Testaments, alle zu Wittenberg, bis
um 1527 bei Melch. Lotther, dann
bei Hans Lufft, gest. 1584, gedruckt,
erschienen von 1522 — 1523 16, Nach-
drücke 54, zu Augsburg 14, Strass-
burg 13, Basel 12, ähnlich die übri-
gen Teile und später die ganze Bibel.
Die Verzögerung der Lutherschen
Bibel veranlasste auch kombinierte
Bibeln, darunter die Wormser 1529
mit den Propheten von Ludwig Hetzer
und Hans Denck, und die Züricher
bei Christoffel Froschauer, mit luthe-
rischem Text, soweit er vorlag, und
fremdem für die noch fehlenden
Stücke. Siehe Mczyer, Geschichte
der deutschen Bibelübersetzungen
in der schweizerisch • reformierten
Kirche, Basel 1876. Die Grund-
sätze, nach denen Luther verdol-
metschte — übersetzen ist erst spä-
ter aufgekommen — findet man in
seinem Sendschreiben über das Dol-
metschen 1530 und in der Schrift
Von Ursachen des Dolmetschen '1531.
Parallel mit der Lutherschen Über-
setzung geht bloss die Zürcherische
von Leo Jud, als ganze Bibel zuerst
1530 bei Christoffel Froschauer. Die
ersten katholischen Übersetzungen
sind das neue Testament von Hier.
Emser, Dresden 1527, die Bibel von
Dr. Eck, Ingolstadt 1537, und die-
jenige des Dominikaners «/. Bieten-
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70
Biblia pauperum. Bibliotheken.
berget; Mainz 1534; überarbeitet er-
scheint sie später unter dem Namen
katholische Bibel. Von spätem
deutschen Bibelübersetzungen sind
besonders erwähnenswert : Die Berle-
burger Bibel, 1726 — 89 in Berleburg,
westfälischer Bezirk Arnsberg, von
J. F. Haug und a., erschienen, in
der Absiclit, den mystisch-schwär-
merischen Bestrebungen der Zeit
biblischen Grund und damit An-
sehen zu verschaffen, ohne zweite
Auflage, und die Wertheimer Bibel,
Wertheim 1735, von Joh. Lorenz
Schmidt, wovon nur die fünf Bücher
Mosis gedruckt worden sind, im
Dienste der nacktesten Freidenkerei
abgefasst ; siehe Ifettner, Lit. Gesch.
III. Erstes Buch, Abschnitt 2. Über
deutsche Bibelübersetzungen über-
haupt Fritzsche, in Herzogs Real-
encvkl.
iJiblia pauperum, heisst ein seit
dem 13. Jahrb. in Handzeichnungen,
Holzschnitten und bald nach der
Erfindung der Buchdmckerkunst
durch bewegliche Lettern hergestell-
tes und weitverbreitetes Werk zur
Unterweisuug des Volkes in den
christlichen Heilswahrheiten, wobei
unter den pauperes die Armen und
Unwissenden und nicht arme Mönche,
Bettelmönche zu verstehen sind.
Übrigens findet sich dieser jetzt all-
gemein angenommene Titel blos auf
einem handschriftlichen Exemplar
zu Wolfenbüttel, alle andern hand-
schriftlichen und gedruckten Aus-
gaben entbehren jeder derartigen
Bezeichnung. Vielmehr deuten die
ältern sorgfaltig gezeichneten l'erga-
menthandschriften darauf hin, dass
das Buch eher als Mal er- Buch zu
betrachten sei, zu einer Zeit veran-
staltet, als mit dem Übergang des
Romanischen ins Gotische auch die
Kunstübung aus den Händen der
Geistlichen, die sie bis dahin aus-
schliesslich gepflegt hatten, in die
der Laien überging. Das Werk be-
steht nämlich aus einer Reihe (34
bis 50 1 von typischen Bildern aus
der heiligen Schrift, so zwar, dass
stets eine neutestamentliche Dar-
stellung von zwei vorbildlichen Dar-
stellungen aus dem alten Testament
und von vier Brustbildern von Pa-
triarchen und Propheten begleitet
ist. Die Bedeutung der Bilder ist
überall durch gereimte Hexameter
hervorgehoben , welche manchmal
durch kurze Erklärungen iu deut-
scher Sprache unterstützt werden.
In ihrer Gruppirung scheinen sie
bestimmt, in Stein und namentlich
in Glasmalerei übertragen zu wer-
den. Überaus zahlreich sind die der
Biblia pauperum entlehnten Werke
der bildenden Kunst. Die beige-
gebene Fig. 27 stellt aus der Kon-
Stanzer Handschrift (herausg. von
Laib u. Schwarz, Zürich 1867) die
Auferstehung Christi dar: Qua»
saxus texit inge/is tumulum Jesu*
cj-it. Dazu Sim'son, wie er die Thorf
von Gaza davonträgt, und Jona, wie
er vom Fisch wieder ausgeworfen
wird. „Sarnpson bedutet Christum,
der do irstund zu mitternacht um!
die tor des grabes abe warf um!
vry doruz gine." „Jonas bedutet
Christum, der ubir dry tage un«l
dri nacht erstunt uz dem grabe.'*
Bibliotheken kennt das Mittel
alter in erster Linie in allen alten*
Klöstern , ihr Zustand teilt natür-
lich den Wechsel der allgemeinen
Teilnahme für die Studien. Im
9. Jahrh., der Blütezeit karolinpi
scher Bildung, sind deshalb Kloster-
bibliotheken besonders gegründet
worden; Kataloge sind z. B. erhalten
von Reichenau, dessen Bibliothekar
Reginbert für die Bücher sorgte wie
ein Vater für seine Kinder; aus der-
selben Zeit ist ein St. Galler Katalog
auf uns gekommen. Die Bücher
wurden durch Abschriften, Kauf
und Geschenke vermehrt, auch gab
es eigentliche Stiftungen von regel-
mässigen Einkünften für diesen
Zweck. Die Kirchenbibliotheken
standen zwar der öffentlichen Be-
nutzung offen, doch lieh man die
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72
Bier.
I
Bücher mir ungern aus. Die Brüder
des gemeinsamen Lebens machten
ihre Bücher vorzüglich den Schülern
zugänglich. Privatbibliotheken kennt
das Mittelalter zunächst im Besitze
von Königen und Fürsten: Karl
d. Gr. hatte eine ansehnliche Samm-
lung; sie sollte seinem Testamente
gemäss nach seinem Tode verkauft
und der Erlös dafür den Annen ge-
Bchenkt werden. Karl der Kahle,
ein grosser Bücherfreund, verteilte
seine Bibliothek zwischen St. Denis,
Coropiegnc und seinem Sohn. Auch
die Herzogin Hedwig von Schwa-
ben besass Bücher. In der Folge-
zeit wird erst wieder von Fried-
rich II. berichtet, dass er im Besitz
einer eigentlichen Büchersammlung
gewesen sei. Neuer Eifer im Bücher-
sammeln entwickelte sich bei den
Humanisten Italiens im 14. und
15. Jahrh.; schon Petrarca, wie spä-
ter Seb. Braut im Narrenschiff 1.,
eifert gegen die neue Modethorheit
des unnützen Anhäufens von Bü-
chern. In Deutschland besass schon
Hugo von TrimJterg , der Verfasser
des didaktischen Gedichtes der Ren-
ner, um 1300 Schulmeister bei Bam-
berg, 200 Bücher. Sonst thaten sich
die Fürsten damals in dieser Be-
ziehung wenig hervor. Erst im
15. Janrh. trinr man auf Bücher-
sammlungen in den Burgen reicher
Familien. Von öffentlichen Biblio-
theken des Altertums hat blos die
von Konstantinopel im Mittelalter
fortbestanden. Im Abendland trifft
man erst im 13. Jahrh. auf das Ver-
fahren, Büchersammlungen zwar wie
früher einer geistlichen Körperschaft
zu übergeben, aber, was neu war,
mit der ausdrücklichen Bestimmung
zu freier Benutzung. Das geschah
zuerst durch den Dompropst von
l'ercelliy Jakob Caniariu*, der in
seinem Testament von 1234 seiue
Sammlung in der genannten Weise
den Dominikanern von St. Paul ver-
machte. Petrarca vermachte seine
Bücher 1362 der Markuskirche von
Venedig als öffentliche Sammlung,
gänzlich vernachlässigt fand man
erst 1635 einen Teil davon wieder
auf. Die berühmte Markusbibliothek
entstand unabhängig davon 146?*
durch den Kardinal Bessanon. Bor
caeeio vermachte seine Bibliothek
den Augustiner Eremiten zu S. Spi-
rito in Florenz; die grosse öffent-
liche Bibliothek zu Florenz wurde
zu San Marco im Jahre 1414 ge-
gründet. In Deutschland schlieas»*n
sich die öffentlichen Bibliotheken an
die Universitäten; seit der zweiten
Hälfte des 15. Jahrh. werden dann
allgemein in den Städten Samm-
lungen angelegt, 1413 in Braun-
schweig und Danzig. 1469 in Ham
bürg.
Der gewöhnliche Name für eine
Büchersammlung war armarium, al-
mariuni, nochjetzt die Almer, deutsch
liherei, buoch (fadem , buoeh kamer.
büecherei. Kostbare Bücher wurden
oft an eine Eisenstange angekettet,
um unbekannten Personen die Be-
nutzung der Bücher ohne Aufsicht
gestatten zu können. Wattentoch.
Schriftwesen, VII.
Bier, ahd. das pier, peor, mhd.
bier, nach H'ackernagel aus der ro-
manischen Form des alt- und mittel-
lat. das biher, die biberi* = das Trin-
! ken , Getränke , ital. bere, lterere.
d. i. lat. bihere, trinken. Der ältere
deutsche Name ist wahrscheinlich
alu% in Ale erhalten. Met und Bier
idas letztere schon Tac. Genn. 23
erwähnt, und, wie es scheint, von
den Kelten zu den Germanen ge-
kommen) blieben bei den Völkern
des äussersten Nordens bis tief in
das Mittelalter hinab fast die einzig
üblichen Getränke, während die
Deutschen schon durch den Verkehr
mit den Römern die Bekanntschaft
des Weines machten. Germ. 23.
Mehr und mehr wurde der Wein
das edle Getränk, hinter dem der
Met und noch mehr das Bier als
niedrigstes Getränk zurücktraten.
In Norddeutschland blieb aber das
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Bifang. — Bilder.
73
Bier in allgemeinem Gebrauche, so-
gar der Münchener Bock stammt
aas Einbeck bei Göttingen. Eine
Bierpoesie hat es im Mittelalter
nicht gegeben. Nach Hartmann von
Aue stärkt ein Becher Wein mehr
ab 44 Becher Bier.
Die Bereitung des Bieres war
Jahrhunderte lang Kein selbständiges
Gewerbe, jede Haushaltung bereitete
"ich ihr Bier selbst, grössere Haus-
wesen, wie Klöster, natürlich in
grösseren Quantitäten. Bischof Salo-
mon von Konstanz prahlte, er habe
in St. Gallen eine Darre, auf wel-
cher man auf einmal 100 Malter
Malz dörren könne. Im 13. Jahrh.
kamen in den Städten Bierschenken
auf, 1288 wird der erste Frankfurter
Bierbrauer erwähnt, 1357 verzapfte
man in Frankfurt schon fremdes Bier.
IHe Verwendung des Hopfens lässt
sich seit dem 9. Jahrh. nachweisen.
Wacker Mgel, KI. Sehr. 1,86. Kriegk,
Deutsches Bürgert. I, Abschn. 16.
Bifansr und Blfangreeht. In
alter Zeit hatte jeder Markgenosse
das Recht, innerhalb der gemeinen
Mark unbebauten Boden in Besitz
zu nehmen und zu kultivieren; die
Besitznahme geschah in feierlicher
Weise vermittelst eines Umganges
mit Zeugen um das betreffende Land-
«tuck, durch thatsäehliches, ununter-
brochenes Bewohnen desselben wäh-
rend dreier Tage und dreier Nächte
Hinter einander und durch Einzäu-
nung oder Abgrenzung desselben.
Diese geschah meist durch Einhauen
von Einschnitten, der sogenannten
Lachen, in auffalle nde, auf der Grenze
*3es neuen Eigentums gewachsene
Bäume. Auf diese Art in Besitz
genommenes Ackerland hiess Ein-
fum oder Bifang, concaptio, com-
jrmmmo, im Gegensätze zu der „un-
eiogefangenen" Gemeinmark. An-
dere Namen sind novale, runcale,
r-dnny, niuwe-riute, Neugereut,
N'enbruch. Auf diese Weise ent-
stand namentlich auch privates
Waldeigentum/
Bilder, religiöse, des Mittel-
alters. Das Folgende giebt meist
im Anschluss an Otte, Handb. d.
kirchl. Archäologie, Abschn. 154 ff.
eine kurze Uebersicht über den Um-
fang des mittelalterlich -religiösen
Bilderkreises. Die religiösen Bilder
teilen sich in
I. mystische, mathematische Fi-
guren, die man, im ganzen selten,
an den Kirchengebäuden in Relief
ausgeführt findet. Sie beziehen sieh
auf dogmatische und magische Ma-
terien. Das gleichsei tiqe Dreieck —
Trinität. — Quadrat =Tfce\t, - Kreis
= Ewigkeit — Drudenfuss, siehe
diesen Art —
II. Sy minie, grösstenteils aus der
Bibel entnommen. Adler, Engel,
Stier und Löwe sind die Zeichen
der vier Evangelisten Johannes,
Matthäus, Lukas, Markus. — Anker:
Hoffnung. — Apfelbaum: Erbsünde.
— Bär: Teufet. — Basilisk: der
Schlangenkönig. — Bienenkorb: Be-
redsamkeit. — Buch: neues Testa-
ment. — Bundeslade : Mutterleib der
Maria. — Der feurige Busch: Jung-
fräulichkeit der Maria. — Centaur.
die wilden Triebe des Herzens; mit
Bogen und Pfeil: der Teufel. —
.jlsteine: die Tugenden oder die
Patriarchen und Apostel. — Ei-
dechse: ein Lichtsymbol. — Einhorn :
Christus. — Elephant: Keuschheit.
— Der Name Eva (Ave): Maria.
— Farben : Siehe d. Artikel Farben-
sprache. — Feh: Christus. — Fische
(Delphine): Christen, namentlich in
Beziehung auf die Taufe; der Fisch
ist auch das Symbol der Gott-
heit und des Bösen. — Eiu Fischer:
Christus. — Die vier Flüsse des Pa-
radieses: Die vier Evangelisten. —
Gefäss mit Manna : Die wunderbare
Fruchtbarkeit der Maria, das heilige
Abendmahl. — Eine Hand aus den
Wolken: Allmacht Gottes. — Ein-
zelne durchbohrte Hände und Füsse i
Der Gekreuzigte. — Der Hase.
griech. htyio::Loqos. — Hahn: Ver-
leugnung Petri, Ruf zur Busse, Wach -
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74
Bilder.
samkcit, Orthodoxie. — Harn, das
gebaut wird: christliche Kirche. —
Hirsch im Wasser: heilsbegierigc
Seele. — Kelch : Priesterstand, Sym-
bol des Templerordens. — Ein "ab-
gehauener Kopf, den ein Heiliger
trägt: das Gott zum Opfer darge-
brachte Leben. — Kreuz: Tod Jesu.
— Krone, Kranz: Siegeslohn der
Seligen. — Kugel: die Welt. —
Lamm, oft mit Kreuz oder Sieges-
fahne: der leidende und siegende
Christus. — Lammer: Christen. —
L.eier: heilige Musik, Hochzeit zu
Kana. — Teilte .• Keuschheit. — L.ei-
che, von Schlangen und Gewürm
bekrochen: der Tod des Sünders. —
Lowe: Träger und Wächter des Hei-
ligtums, häufig an Kirchthürcn und
Tnronsesseln ; Christus; Einsamkeit;
Teufel. Löwe unter den Füssen
Christi: der überwundene Fürst die-
ser Welt. Auf Leichensteinen: Hel-
denmut. Löwin mit Jungen: Maria.
Löwe, der die totgebornen Jungen
durch sein Gebrüll ins Leben ruft:
Auferstehung Jesu. — Marterwerk-
zeuge: Leiden Christi. — Eine kleine,
oft puppenhafte Menschengestalt,
nackt oder bekleidet: die dem Ster-
benden entschwebende Seele. — Ol-
ztreiff: Friede. — Palme: Sieg der
Gläubigen über den Tod. — Pelikan,
seine Jungen mit dem eigenen Blute
nährend: Opfertod Christi; Kirche;
Schwangerschaft Marias. — Pfau:
Unsterblichkeit; Juden; Teufel. —
Phönix: Auferstehung. — Vergitter-
ter Quell: Maria. — Regenbogen:
Gnade. — Bing: aus dem ein Engel
schaut: der geöffnete Himmel. —
Fünf blätterige Hose: Verschwiegen-
heit. — Schafe: Jünger Jesu. —
Schiff: Arche $oahs. Schiff lein Pctri:
christliche Kirche. — Schlange . Teu-
fel', giftige Schlange und Taube:
Klugheit und Unschuld; erhöhte
eherne Schlange: gekreuzigter Chri-
stus. — Schlüssel: Macht zu binden
und zu lösen. — Schrift rolle: Altes
Testament. — Schwan: Tod. — Stal>
Arons: Maria. — Sonne und Mond:
Ewigkeit und Gottheit: Papst und
Kaiser. Mit Sternen: Reinheit und
Schönheit der Maria. — Sirenen:
Verlockung; Wollust; Teufel. -
Taube: heil. Geist. — Verschlossenes
Thor: Maria. — Turm: Maria. —
J'fiess Gideons (Lammfell)'. Maria.
— Weinstock, Weintraube: Chrisrai.;
Abendmahl. — Widder: Versöhner.
— Zahlen, siehe diesen Artikel.
III. Allegorische Darstellungen.
Die biblischen siehe unter IV.; die
profanen kommen aus dem klassi-
schen Heidentum oder sind willkür-
lich ersonnen, die letztern zwar sei
tener, doch erscheinen sie schon im
frühen Mittelalter, namentlich zur
Darstellung der Tugenden und La-
ster. Dergleichen Darstellungen sind
die Klugheit mit aufgeschlagenem
Buche, die Gerechtigkeit mit der
Wage, Massigkeit in bescheidener
Gebärde, Tapferkeit mit Speer und
Schild. Übef Glücksrad und T*l
siehe die betreffenden Artikel.
IV. Biblische Bilder.
a) Ti/^ische. Die typische Auf-
fassung' ist in der mittelalterlichen
Auffassung des alten Testamentes
als typisches Vorbild des neuen Te-
stamentes begründet und in der bil-
denden Kuust, der Theologie, den
Predigten der Mystiker weit ver-
breitet. Schon Melito von Sardes zu
Ende des 2. Jahrh. war geneigt, all»"
Heilsthaten des N. T. im A. T. vor-
febildet zu sehen, ein Gedanke, der
ann im 8. Jahrh. für die orientali-
sche Kirche durch Barnabas, Justi-
nus Martyr und Origines, in der
occidentahschen durch Ambrosius.
Hilarius und Augustin zur vollen, ja
zur masslosen Entfaltung kam. Un-
terschiedslos wurde aus jedem alt-
te8tamentlichen Ausspruch oder Vor-
gang eine Weissagung auf Christum
herausgefunden und der Propkrtif
als einer Weissagung im Wort der
Typus als eine Weissagung in Sachen
an die Seite gestellt. Zu den frühe
steu Bildern dieser Art gehören die
Mosaiken von St. Vitale in K&veuua
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75
aas dem 6. Jahrh. Ermoldus Nteellus Himmelfahrt, Pfingstfest, Salvator-
in seiner Begehreibung des Palastes bilder.
Karl- d. Gr. zu Ingelheim hebt her- c) historische Bildet'; die am häu-
vor, dass die Kapelle an der einen figsten vorkommenden sind: Gott
Langwand mit 20 Geschienten des 1 ater, die Engel, der Teufel, Adam
A. T. und gegenüber mit ebenso j und Eva, Kaiii und Abel, *Xoah und
vit len des N. T. geschmückt war. i die Arche, Turm zu Babel, Abraham
Auf dem Antipcndium von Bronze, und Melehisedek, Isaaks Opferung,
das dem soijen. Verduner Altar in Patriarchen, Moses, Aaron, Josua,
Kloster XeuDurg bei Wien angehört, Gideon, David, die 4 Harfenspieler
sind 17 neutestamentliche Bilder aus (1. Chron. 15, 19; 16, 42), Salomo,
dem Leben Christi vorgestellt, deren Propheten; Christus, Maria, Apostel,
j»fiem zwei alttestamentliche beige- die vier Evangelisten. Die Heiligen
ordner sind, eines der Zeit nach ante werden stets mit bestimmten Attri-
t'vcn, das andere suh lege, d. h. buten abgebildet, welche biogra-
Handlungen vor und nach der Mo- phisch oder symbolisch zu deuten
saischen Gesetzgebung darstellend, sind.
Die weiteste Verbreitung gewann die V. Heiligenbilder machen die
typische Auffassung in der Bihlia I Mehrzahl der in der mittelalterlichen
^«i-entm, siehe den bes. Artikel. Kirche vorkommenden Bilder aus,
t>) allegorische, Darstellungen sol- , besonders kehren in jeder Kirche
eher Szenen, die in der Bibel nicht die Patrone der Kirche oder Diözese
ab Geschiente, sondern ab Visio- i häufig wieder, über dem westlichen
nen. Parabeln, Weissagungen ent- Hauptportal , auf den Rückseiten
halten sind; sie werden oft will- vieler Altnrflügel, auf den Turm-
kürlich gedeutet und weiter ausge- spitzen unter den Windfahnen. Die
bildet Beispiele : Himmelsleiter, die Heiligenbilder sind an dem Nimbus
Träume Josephs, der gute Hirte/ kenntlich, den sie um das Haupt
Weinberg des Herrn, kluge und thö- 1 tragen. Siehe den Art. Nimbus,
richte Jungfrauen, Christus eine Birarlttenorden. Orden von St.
Kelter tretend, aus welcher Hostien Salvator, Er/öseroraen heisstein von
•"allen, Antichrist, Auferstehung der der hl. Birgitta, einer schwedischen
Toten', Fegfeuer, jüngstes Gericht, j Edeln aus königlichem Geschlecht
Abrahams Sehoss, Höne, Dreieinig- 1 (gest. 1373) zu Wadstena in Ostgot-
keit, Stammbaum Christi, der engü- land am W etternsee gestifteter und
sehe Gross, Heimsuchung Mariä, von Papst Urban V. 1370 bestätigter
Zu? nach Bethlehem, Geburt Christi, Klosterorden. Weil am Fusse des
Anbetung der Weisen, Darstellung Kreuzes Maria und Johannes stan-
«n Tempel, Kindermord zu Bethle- den, sollten auch hier Männer und
hem. Flucht nach Ägypten, der zwölf- Frauen im Kloster gemeinschaftlich,
jihrige Jesus, der Knabe Jesus, der iedoch jedes Geschlecht in einem
icm Vater hilft, Taufe im Jordan, besondern Gebäude wohnen. Wad-
Versuchung, Christus als Lehrer und j stena sollte 60 Nonnen und 17 Mön-
Wunderthäter, Verklärung, Palmen- ehe aufnehmen , daneben 8 Laien-
?w«g, Fusswaschung, Abendmahl, brüder. Die Leitung des Klosters
°lberg, Gefangennehmung, vor Pila- ; hatte eine Äbtissin, als Vorbild der
hü, Gciaselung und Dorneukrönung, heiligen Jungfrau, doch verblieb die
Ecet hom o, Christus im Kerker, Sta- höchste Aufsieht dem Bisehofe. Die
fernen, Kreuzigung (siehe Kruzitix), Klausur war sehr streng, das Faaten-
Vesperbilder, hl. Grab, Christus in gesetz dagegen eiu mildes. Der Or-
Vorhölle, Auferstehung. Soli den verbreitete sieh durch alle euro-
ta/vj+re, Gang nach Emaus, päischen Länder und besass während
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70
Bischof.
seiner weitesten Ausdehnung 74 Klö-
ster. Wadstena war wie eine kleine
Hochschule und es bildete sich sogar
für den Austausch unter den Bir-
gittinern des Nordens eine gemein-
same nordische Schriftsprache aus,
die jedoch nicht allgemein durch-
drang. Aus den Klöstern des Or-
dens gingen eint* reiche erbauliche
Litteratur, geistliche Poesieen und
litterarische Erzeugnisse weltlicher
Art hervor. Schon im 15. Jahrh.
zeigten sich Zeichen des Verfalls,
die meisten Klöster unterlagen der
Reformation. Hammerich , St. Bir-
gitta, aus dem Dänischen von Mi-
chelscn übersetzt. Gotha 1876.
Bisehof, mhd. bi$ckoft nach ital.
rrscoro, aus griech.-latein. enUcopus.
Ihr Amt war kanonisch -Kirchlich
schon ausgebildet, als das Christen-
tum bei den Franken Aufnahme fand.
Die Wahl fand nach kanonischem
Hechte durch die Kleriker und die
Gemeinde statt. In der Zeit des
sinkenden Römerreiches stand ihnen
eine grosse Macht zu, meist waren
sie durch Reichtum und persönliches
Ansehen ausgezeichnet. Den frän-
kischen Königen schlössen sie sich
bereitwillig an und wurden durch
sie mit neuen Ehren und Würden
ausgestattet. Meist aus den alten
senatorischen Familien hervorgegan-
gen, wurden sie die natürlichen
Wortführer und Vertreter der alten
Bevölkerung gegen die neuen Her-
ren; sie standen an Ansehen neben
den Grafen, übten nach geistlichem
Rechte Jurisdiktion über den Klerus,
nahmen häufig an den Gerichten der
Grafen teil, hatten manchmal sogar
von den Königen die Befugnis, die
Grafen zu ernennen, und sollten
überhaupt die Interessen des Staates
zugleich mit denen der Kirche wah-
ren. In den Angelegenheiten des
Reichs wussten sie sien eine beson-
ders wichtige Stellung zu verschaffen
durch ihre regelmässigen und ausser-
ordentlichen Zusammenkünfte, in
denen neben den kirchlichen Fragen
auch politische Geschäfte verhandelt
werden konnten. Das Recht der
1 Bestätigung ihrer Wahl nahmen die
Könige trotz zahlreicher Synodal
beschlüsse in Anspruch, und es ge-
schah unter den Merowiugern soj.'ar
oft, dass die Könige vertraute Män-
ner durch Bischofssitze belohnteo.
Unter den Karoliugem tritt der welt-
liche Charakter des Bischofamte;
noch stärker hervor; sie werden
neben Abten und Grafen als Könüw-
boten verwendet, sind Ratgeber des
Königs am Hofe, ihr Amt wird ib
Benefizium behandelt, und die Bi-
schöfe werden deshalb angehalten,
den Vasalleneid zu leisten, was frei-
lich nicht ohne Widerspruch geschah.
Sie waren regelmässig im Heere de?
Königs anwesend und beteiligten
sich unter Umständen persönlich am
Kampfe; erhalten Bedeutung durch
die zahlreichen abhängigen Leute,
die in verschiedenen Verhältnis
auf ihren Gütern leben und als krk
gerischc Mannschaft für die Heer-
fahrten in Betracht kommen. Da-
alles steigert sich in der folgenden
Zeit: grosser Grundbesitz, Z<»li.
Münze, Marktrecht, Zehnten, zahl-
reiche Hofdienerschaft. Die Bischof'
widerstrebten im ganzen dem Em
porkommen der herzoglichen Gewal
ten, die ihre Herrschaft auch über
sie auszudehnen suchten; nicht min
der lagen sie im Gegensatz zu den
Äbten, wobei es sich um geistlich
sowohl als um weltliche Unterord
nung dieser unter jene haudelte; es
gab Abteien, z. B. Reichenau, die
ganz in die Hand eines Bischofs ge-
rieten, in diesem Falle des Konstan
zer Bischofs; auch geschah es. das-
ein Bischof Abt oder ein Abt Bi
schof wurde, ohne das ältere Amt
abzugeben; Erzbischof Hatto von
Mainz hatte vier Abteien unter sich
Seit Otto III. wurden den Bistümern
ganze Grafschaften verliehen. Dil
Recht der freien Bischofswahl durch
Geistliche und Laien des Stifts wurd-
zwar im ganzen beibehalten, doch
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Bispel. — Bittgänge.
77
behielt sich der König die Bestäti- wurde schliesslich durch das Worm-
gung regelmässig vor, das Wahlrecht • ser Konkordat, 1123, so gelöst, dass
selber galt als ein vom König er- der Kaiser die freie Wahl der Bi-
teiltes Privilegium, und ohne den schöfe bestätigte und auf die Investi-
Willen des Königs geschah in der tur verzichtete; dagegen blieb ihm
älteren Zeit kaum eine Bischofswahl, die Bestätigung der Kegalien, d. i.
ja oft wurden die Bischöfe einfach , der weltlichen Gewalt der Bischöfe,
vom König ernannt, meist freilich durch das Szepter, welches in
nach dem Rat der Grossen. Im Deutschland gleich nach der in Ge-
Laufe der Zeit stellten sich für die geuwart des Kaisers geschehenen
L'bung des königlichen Bestätigung»- Wahl, d. h. vor der kirchlichen Weihe,
rechtes bestimmte Formen fest. Das geschehen sollte. Nach Waitz, Ver-
Svmbol der kirchlichen Gewalt für fassungagescl lichte, besonders VII,
den Bischof waren Stab und Ring, Abschnitt 11, und VIII, Abschnitt
jeuer, der Hirtenstab, als Zeichen 16. Über die äussere Erscheinung
der bischöflichen Gewalt über die des Bischofs siehe unsern Artikel
Unterthanen, dieser, ein Verlobungs- 1 geistlicher Ornat.
ring, als Symbol der Vermählung Bispel, zusammengesetzt aus M
des Bischofs" mit der Kirche. Ältere bei und mhd. und ahd. das *pcl =
Sitt«* kennt bloss den Stab. Gewöhn- Rede, Erzählung, Sage, auch erhalten
lii-h wurden nach dem Tode eines in Kirchspiel, mhd. Kirspel, Bezirk,
Bischofs die Insignien an den Hof so weit die Verkündigung i Rede) der
zum König gebracht, wo zugleich Kirche reicht, nhd. mit Anlehnung
die vornehmsten Geistlichen und , an das Spiel: Beispiel. Bispel bedeu-
AVeltlichen des Stifts sich einfanden, tete im Mittelalter wie das einfache
In öffentlicher Versammlung ward Wort das spei eine Fabel, eine kleine
dann die stattgefundene Wahl be- Erzählung, die eine ihr selber vor-
^tätigt oder der vom König Desig- oder nachgestellte Lehre in sich
nierte genannt und durch die Zu- trägt. Derartige bispel hat man sehr
-timmung der Anwesenden erkoren, viele, bald kürzer, bald breiter an-
worauf er aus der Hand des Königs gelegt. Der Stoff wird der Tierwelt
die Insignien empfing. Erst hierauf entnommen, oder es treten bloss
folgte die kirchliche Weihe. Der Menschen darin auf, oder Pflanzen,
Akt hiess Inrestilur. Der Bischof Naturerscheinungen, leblose Geräte,
leistete darauf den Treueid. Sehr denen ein Leben beigemessen wird,
oft gehörten die Bischöfe den vor- Derartige Beispielsreden wurden
nehinsten Familien an, doch kennt teils in grössere didaktische Dich-
man auch Bischöfe dieser Zeit aus tunken eingeschaltet, wie in den
niederem oder doch von wenig vor- Freidank und Welschen Gast, teils
nehmem Stande. Die Pflanzschule selbständig bearbeitet; namentlich
des Kpiskopats war die Kapelle des haben das letztere der Stricker, Bein -
Königs; auch Kanzler erhielten wohl mar von Zweier, Konrad von Würz-
:\\» Belohnung ihrer Dienste ein Bis- hurg und der Manier gethan.
tum. Oft aber waren Bestechung Bitterlinge, Gebetsprozessionen,
und Kauf die Mittel zur Erhaltung um geistliche oder leibliche Güter von
dieses Kirchenamtes. Dagegen trat Gott zu erflehen, kommen schon iu
nun die besonders durch Clugny ins den ersten Jahrhunderten der christ-
Leben gerufene Opposition des Papst- liehen Kirche auf und wurden na-
tu ms und der Kirche auf ; Gregor VII. j meutlich vou Gregor d. Gr. gefordert,
verbot zuerst 1075 die Investitur des Mamercus, Bischof von Vienne,
Bischofs durch einen Laien; der führte feierliche Buss- und Bittan-
Streit, der sich infolge davon erhob, I dachten, mit Kasteiungen uudgottes-
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Blaphart. — Blumeusprache.
dienstlichen Umzügen verbunden, für edlereu Geschmacksrichtung hielten,
die drei Tage vor dem Hinnnelfahrts- j verfielen die Pegnitzschäter einer
tändelnden, überaus geschmacklosen
Richtung, die sich sowohl in den be-
handelten, meist dem Schäferleben
feste, die Bitt- Tage in der Jiithcoehe
ein. Seit Alters eröffnet der Kreuz-
trager (Diakon oder Subdiakon) den
Zug, ihm folgten Fahne und Evan j entnommenen Stoßen, als in den pe-
gefienbuch; daher der Name Kreuz- \ suchten Reimen imd in dem tanzen-
(lange, Kreuzfahrten, Kreuzwoche, j den daktylischen Versmasse kund-
Seit der Einsetzung des Fronleich- gab. Die Gesellschaft besteht als lit-
namsfestes war die Prozession dieses terarisch-geselliger Verein bis heute.
Tages die grossartigste. Andere
Prozessionen wurden, wie im grie-
chisch-römischen und im germani-
schen Heidentum, bei besonderen An-
lässen, Seuchen, bei bedrohlichem
Erntewetter, Krieg und Kriegsgefah-
ren abgehalten. Über die Frank-
furter Prozessionen siehe Kriegk,
Bürgertum I, 3G3 - 377.
lila p hart , Plaphart, Plappharter,
Blumeusprache des Mittelalter.-.
Die höfische Dichtung macht von
der Blume als Sinnbild geistiger Be-
züge nur mässige Anwendung. Ihr
sind besonders eigen: die /-»/*> al?
Sinnbild der Reinheit, der l'nschuirf
daher auch Maria Lilie genannt und
der Engel Gabriel mit einem Lilien
Stengel in der Hand dargestellt wird:
die Kose, die Blume der Freud* ; mit
Blafjert, Blaffet, blawfert, ursprüng- ihr schmückten sich Gäste und die
lieh ein ausländischer Dickpfennig Gesellen beim Trunk; bei festlichem
oder Grosehen; man unterschied alte, Anlass wird der Boden mit Rosen
gute, Kreuzbl.,Kreuzerbl., gestampft, bestreut. Die Rose ist deshalb auch
Dehai uliseh, Mailänder, Sclnangeiibl., die Blume der Liefte, wie sie dem
Grossenbl. Schmeller, bair.W.I, 460. Roman de la Rose zu Grunde liegt.
Blume der Tugend heisst ein Rose und Liebe kommen miteinander
didaktisch -allegorisches Gedicht von vereint vor, daher das beliebte höfi-
Hans Vindler, vom Jahr 1411, ver- sehe Epos Fl6re und Blantcheflür.
fasst nach einer italienischen Quelle, Blume und Weissblume, Rose und
Fior de Virtu, welche wieder auf Lilie; Lilie und Rose sind Symbole
eine lateinische zurückgeht. Es sind für Christus und Maria, die letztere
in dem Gedicht 17 'lugenden und eine Rose ohne Dorn. Als dritte
17 Laster eiuander gegenüberge- Blume legt man den beiden gern da*
stellt, so zwar, dass jeder Abschnitt 1'eileheu, den riof, bei, die Botin de?
üi drei Teile zerfällt: 11 Definition: Frühlings. Reicher wird die Blumen-
2) Gleichnis und moralische Seilten- Symbolik seitdem 15. Jahrb., wobei
zen und 3) Erzählungen, um das Vor- sie sich freilich auf den L.iebes
hergehende anschaulicher zu machen, verkehr beschrankt; jetzt nimmt
Ausgabe v. Zingerle, Iiisbruck 1874. die Dichtung mit Vorliebe Bedacht
Blumenerden. D.-r gekrönte auf die oft uralten Blutnennamen.
Blumenorden an der Pegnitz oder die zum Teil heidnisch -mythische
die Gesellschaft der Pegnitzschäfer oder christliche Beziehungen haben,
ist eine jener Sprachgesellschaften, Die Blumen werden personifiziert,
die in Nachahmung italienischer Frau Wachholder, Frau Haseliu.
Sprachakademien in der ersten Hälfte I Buchsbaum und Felbinger, Dorn-
des 17. Jahrh. auftraten. Sie ist 1644 roschen. Die Zahl der Blumen wird
zu Nürnberg durch Georg Philipp grösser, und neben sie stellt hieb
Harsdörfer und Job. Klai gestiftet überhaupt alles, was pflanzlicher Xa-
worden. Der altern fruchtbringen- tur ist, das Stroh, die Weide % di,
den Gesellschaft gegenüber, deren Maie, d i. grüne Zweige und Kränze
Bestrebuugen sieh innerhalb einer überhaupt. In erster Linie knüpft
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Blutrache. — Böhmische Brüder.
79
auch jetzt die Blumensvmbolik an
die Farbe. Das blaue Vergissmein-
nicht, das braune Habmichlieb, der
rosenrote Herzenstrost, das weisse
Schabab; später bleibt die Farbe
weg, und nur der beziehungsvolle
Name ist noch da : Wegwarte, Wohl-
gemut, Jelängerjelieber, Masslieb,
Liebstöckel, Ungnade, Leid und
Reue, Tag und Nacht, Holderstock.
Jrarkeraagel, KL Sehr. I, 143 ff.
Blutrache. Sie entwickelt sich
aus dein Begriffe der altgermaui-
schen Familie, aus dem Gefühl, dass
die Gemeinschaft des Blutes auch
zur innigsten Gemeinschaft des Bei-
standes, des Schutzes und der Fa-
milienehre verpflichte. Verpflichtet
zur Rache, besonders für ungerech-
ten Totschlag, war zunächst der
Hausvater, dann alle waffenfähigen
Blutsfreunde, also Weiber, Kinder
und Greise uicht. Die Blutrache
war rechtlich anerkannt, Tacitus
Germania, 21. Mit dem Frieden
suchte man die Blutrache in Ein-
klang zu bringen, einmal dadurch,
(Lisa man den Blutsfreunden des Er-
schlagenen das Recht gab, statt der
Befehdung eine bestimmte Busse,
das Wergeid, zu fordern und das-
selbe unter sich zu teilen, und zwei-
tens dadurch, dass man die Bluts-
freunde des Thäters nötigte, zu dem
geforderten Wergeid beizutragen,
oder wenn derselbe ohne Vermögen
war. es ganz zu zahlen. Mit der
Ausbildung geordneter Rechtszu-
stande nach der Völkerwanderung
trat das ordentliche Gerichtsverfah-
ren an die Stelle der Blutrache, ohne
dass diese ganz ausstarb. Sie bildet
da» Hauptmotiv der zweiten Hälfte
des Nibelungenliedes, kommt im 13.
und 14. Jahrli. als Faust- und Fehde-
recht neuerdings in allgemeinen Ge-
brauch und ist als eigentliche Blut-
rache in einzelnen Fällen bis über
die Reformation hinaus in Anwen-
dung gekommen. Frauenstädt, Blut-
rache und Totschlagsühne im deut-
schen Mittelalter. Leipzig 1881.
Bocke heissen im 15. Jahrh. vor-
übergehend zum Zwecke eines Krie-
ges zusammenhaltende Kriegsgesel-
len, auch bloss Fussknechte. Der
Name begegnet uns im Norden wie im
Süden und kommt noch im 17. Jahrh.
besonders in den Rheinlanden als
Bezeichnung militärischer Busch-
klepper vor. Bekannt sind aus dem
sog. alten Zürcherkriege die Böcke;
auch aus Memmiugen wird der Name
erwähnt.
Böhmische Bruder. Seit etwa
1450 sammelte sich in Prag ein Kreis
ernstlich frommer Miinner aus den
Überbleibseln der hussitischen Be-
wegung, denen der König Podiebrad
einen Distrikt im Riesengebirge
überliess, wo sie sich niederlassen
und nach ihrer WTeise die Religion
einrichten könnten. Durch eine
Verfolgung wurden sie zerstreut imd
stifteten nun in Böhmen, Mähren
und Polen vereinzelte Gemeinden.
Sie hies&en auch Brüder de* de-
setzes Christi. Brüder überhaupt,
verwarfen die katholische Abend-
mahlslehre und bauten ihr Glaubens-
bekenntnis durchweg auf die Schrift.
Ihre Verfassung war den ältesten
apostolischen Christengemeinden
nachgebildet. Die Reformation Lu-
thers begrüssten sie, ohne ihre Lehre
und Verfassung deshalb dem Pro-
testantismus zu opfern. Nachdem
sich manche Gemeinden mit den
evangelischen Konfessionen verbun-
den hatten, wurden die letzten in
Böhmen noch vorhandenen durch
den 30jährigen Krieg zerstört und
und ihre Anhänger vertrieben, wo-
rauf der selbständige Bestand der
Brüderkirche ganz aufhörte. Für
die evangelische Kirche sind die
Lieder der Böhmischen Brüder von
Bedeutung geworden- Schon Huss
hatte einen Kirchengesang in böh-
mischer Sprache gegründet. Seine
Nachfolger vermehrten die Lieder
und dichteten neue dazu auf alle
Artikel des christlichen Glaubens
und auf alle Feste durch das ganze
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80 Bogen.
Jahr, wobei sie die alten Kirchen- schaft zei/i; j>hil aus lat pilum bt
melodien beibehielten. Im Auftrage eigentlich die Pfeilspitze. Die Pfeile
der Gemeindeältesten übersetzte sind entweder mit einer Angel zum
Michael Weiste, Pfarrer der deut- Einstecken in den Schaft versehen
scheu Gemeinden Böhmischer Brü- oder haben eine Tülle, welche über
der zu Lantzkron und zur Füllnach. den Schaft geschobeu wird. Die
156 böhmische Lieder in deutsche letztern sind entweder bolzenförmig
Reime, die als Ein Setr Geseny- vierkantig oder rautenförmig oder
hnchlen 1531 zum Jungenbunzel ge- blattförmig oder mit Widerhaken
druckt wurden. Dieses wurde 1538 versehen. Im 4. Jahrh. wird des
— 1540 zu Ulm mehrfach nach- Bogens auch von Schriftstellern £e-
gedruckt. . Eine durch Joh. Horn dacht. Die lex salien entbält eine
verbesserte Ausgabe erschien 1544 besonder«? Busse für Beschädigung
zu Nürnberg, woraus Luther ver- des Zeigefingers, womit man den
schiedene Lieder in seinen Kirchen- Pfeil abschnelle. Auch in den Hei
Fig. 28. Fig. 29. Fig. 30.
Bogenschützen des 11. Jahrhunderts.
gesang; aufnahm. Die Lieder sind dengedichten, im Waltharilied, im
bei \\ ackernagel, evangel. Kirchen- Beowulf und im Nibelungenlied wipl
Üedj abgedruckt. der Bogen erwähnt. Vorzügliche
Bogen. Wenn auch weder Ta- Sc hützen waren zu aller Zeit be-
citus noch Cäsar des Bogens bei den rühmt , besonders that der Bogen
Germanen Erwähnung thun, so er- auf der Jagd gute Dienste. Im Mit-
giebt sich aus Gräberfunden mit telalter hatten bei den Deutschen
Sicherheit, dass schon die Urgerma- Bogen und Pfeil nur geringe Bin-
nen Bogen und Pfeil gekannt haben, deutung als eigentliche Kriegswaße,
Der Bogen war am liebsten aus dem während schon im 10. Jahrh. die
Holze der den Todesgöttern heiligen sauitfarii der Franzosen beim Bela-
Eibe geschnitzt; doch kommt auch geruugskriege eine bedeutende Rolle
Ulmen- und Eschenholz vor, auch Bo- spielen ; von den Herren wurde die
fen von Horn waren im Gebrauche. Warle nur zur Jagd und zu WafTen-
)er Pfeil bestand aus Stein, Kno- Übungen gebraucht. In den Nieder-
chen und Eisen. Der Bogen heisst landen errichteten die Städte im
gotisch und altsächsisch hoqo. ahd. 13. Jahrhundert B(xjen*chützenej' -
poko, der Pfeil ahd. trrd/a, der Pfeil- Seilschaften. Ganz besonders vor-
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Botendienst. — Branntwein. 81
breitet und beliebt war aber die waren durch besondere Wahrzeichen
Waffe in England, wo Sachsen und legitimiert, wahrscheinlich durch
Normannen in geschickter Hand- einen bunten, nach dem Wappen
habung des Bogens wetteiferten, der Herren gefärbten Stab. Der
Hier trat der Adel an die Spitze der Bote ist geheiligt, nur Barbaren ver-
Bogenschützen, die wesentlich zu den greifen sieh an ihm, auch wenn er
Erfolgen über die Franzosen bei- schlimme Botschaft bringt. Zu Lie-
trugen. Deshalb war auch der Wi- besbotsehaften benutzt man gern
derstand gegen die Einführung der Spielleute, weshalb sie oft verklei-
Haiidfeuerwaffen nirgends grösser nerte Namen führen: Werbelin,
ah* in England, so dass noch unter Stcemmeiin , ITeinzelin, Kitenzelin,
Elisabeths Regierung die Bogen- und die häufige Anrede: Bote ril
schützen in vollem Ansehen standen lieber Knabe: Die Belohnung der
und noch 1 627 als regelmässige Trup- Boten, auch des vornehmen, hiess
pen vorkamen. Auf dem Festland das hAenbrot, auch befenbrot, wor-
waren sie seit Anfang des 16. Jahrh. unter auch wertvolle Geschenke oder
verschwunden. Jahn«, Geschichte d. klingende Münze verstanden werden
Kriegswesens, und Lindenschmidt, konnte; ursprünglich und bei gewis-
dentsche Altertumsk. San Martc, sen Anlässen noch spät war es aber
Waffenkunde. Siehe Fig. 28 bis 30, wirkliches Brot. Aonfcer verdeutscht
nach dem Teppich von Baycux (vgl. praedicare evannelium, die frohe Bot-
den Art. Teppiche), aus Müller und schaft verkündigen, durch predigon
Mothes. Aren. Wörterb. pefinbrot. Obrigkeitliche Boten gab
Botendienst war im Mittelalter es später in den Städten, solange
bei Mangel eines öffentlichen Post- keine öffentliche Post existierte; der
wesens wichtiger als jetzt. Neben Name Botschafter erinnert an die
dem Worte Bote, von biudan, bieten, frühere Bedeutung fürstlicher Boten,
ahä. poto, mhd. h,te, kommt in den Schulz, höfisches Leben I, 135 ff.
germanischen Sprachen ein unerklär- Grimms Wörterbuch unter Bote,
tes Wort vor. got. airus, angels. und Botenbrot und DiensthAe.
altnord. drf and. blos dntnti. Bot- Brakteaten, vom lat. braefea,
schaft. Der Bote ist ein Diener, dünnes Metallblech, heissen die mit-
dalier Diensthofe; die Apostel als telalterlichen Münzen, insofern sie
LHener Christi heissen die Zwölf, bloss auf einer Seite geprägt sind.
ftoten, auch die Engel sind und heis- Da seit Otto d. Gr. dies die gewöhn-
ten Boten. Die and. Sprache zeigt liehe Präguugsweise des Mittelalters
viele zum Teil verdunkelte Manns- war, können Müuzen des verschie-
namen, die mit bofo zusammengesetzt densten Wertes und von Gold, Sil-
sind, Anfarpofo, Tlittipoto, Sigipoto, : ber oder Kupfer Brakteaten genannt
Mahalpoto, Tragapoto, Lönpoto, »off- ' werden. Deutsche Namen der Brak-
jiofo. Waltpoto. Boten höhern An- teaten sind Blech-, Hohl-, Schüssel-
sebeus sinn die Karolingischen missi münzen, Blätterliuge, Schüsselpfen-
dominici, auch legati, nuntii, renales, nige. Siehe Fig. 31 — 38 aus Müller
pafatim regit genannt, mhd. send* und Mothes, Arch. Wörterb.
Wet, saniboten, siehe Vadian, Branntwein wurde Anfangs nur
deutsche hist. Schriften I, 79, 2. und als Arznei angesehen und gebraucht,
den Art. missi dornt nid. Eine wich- daher er auch bei den Italienern
tige Rolle spielen die Boten im und Franzosen den Namen Lebens-
Kitterwesen. Meist werden eigene wasaer erhalten hat. In Nürnberger
Knappen dazu benutzt, welche die Quellen soll seiner schon im 13. Jahrh.
Briete in Büchsen oder Fässchen Erwähnung geschehen; sicher ist,
am Halse oder Gürtel trugen. Sie dass in Frankfurt a. M. der Rat 1361
Re»l!exicou der deutschen Altertümer. 6
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82
Bratsche. — Brettspiel.
bei schwerer Strafe verbot, den Wein die brutloufti, inhd. das und dir
mit „gebranntem Wasser41 oder an- bnUlouf, bn/f/ouff, ursprünglich so-
deren Stoßen zuzubm-iten. Um 14S0 viel als der geschmückte Zug iLaufi
Fig. 31. Fig. 32. Fig. 33. Fig. 34.
Fig. 35.
Fig. 36. Fig. 37.
In Überlingen 1869 gefundene Brakteateu.
Fig. 38.
verbot der Nürnberger Rat, an Sonn- mit der Braut oder jungen Frau und
tagen und anderen gebannten Feier- , ihren Sachen zum Hause des Man-
tagen in den Strassen und vor i nes. Luther braucht das Wort
den Häusern , zwar nicht in
Branntwein
auszuschen-
ken. Das älte-
ste gedruckte
Buch über den
Branntwein
stammt von
Michael
Schrick, Doc-
tor der creze-
nai, von den
gepranten
Wasser. Augs-
purg 1484
Bratsche,
Arm- , Alt-
geigr, aus ital.
riofa <hi hi'iiccio.
mm
r/\\ der Bibel, wo
er nur Hoch-
zeit setzt, aber
in seinen übri-
gen Schriften
oft. (iriaau
und WeiganJL
Brettspiel.
Die Brett-
spiele des Mit-
telalters sind.
das Schach
ausgenommen
isn'he diesen
Artikel», das
Triktrak- und
Fig. 39. Brettspiel.
Mühlenspiel. Das Zahehpiel mhd
Braut lauf, Hochzeit, ein in den zabel, franz. jeux de tahel. aus lat. io-
germanischen Sprachen weitverbrei- bula, ist unser Damenspiel; die Stein*1
tetes Wort, ahd. der hrntlouft und heissen Zahehteine. Das Wvrfzo-
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Breve. — Brevier. 83
bet, oder der buf, aofl frans, büße, i Statt des angehängten Siegels er-
ist unser Triktrak , es wird mit drei geht das Breve *uo annuiu yisca-
Würfeln gespielt. Nach der Sage iorio, heute ein blosser untergedruck-
hatte ein Kitter Alco bei der Belage- ter Stempel. Jeder Erla>s beginnt
rung von Troja das Spiel erfunden, in alter Weise mit dem Namen des
Vom Mühlenspiel hat man erst im Papstes und einem Grusse: beim
ausgehenden Mittelalter Nachricht Breve wird dem Namen die Zahl
es heisst ßqrjmüh. ßckmüle. Schultz, zugefügt, bei der Bulle statt der Zahl
Höfisches Leben I, 413. Dazu Fig. 3ii der Titel Epueopu* Sernu xervorum
aiiä Ingolds guldnem Spiel, Augs- Dei. Den Sehluss bildet beim Breve
borg 1472. die einfache Angabe von Ort und
Breve, Bulle, bu/larium, sind Zeit, bei der Bulle wird die letztere
schriftliche Erlasse des apostolischen in der Regel genauer nach Kalen-
Stuhles, die Bulle mehr in solenner, den, Nonen, Idusimd dem Regie rungs-
das Breve in einfacherer Form ab- jähre des Papstes angegeben, auch
gefasst. Früh bedienten sich die ein Gruss, \\ unsch, r luch und dgl.
römischen Bischöfe einer doppelten hinzugefügt. Die im Konsistorium
Art v<»n Siegeln, zuerst des Steffel- erlassenen Bullen, btttfae consittoria-
ringe* ( Signacut um) t später, seit tc#, werden von den Kardinälen
Ende des 6. Jahrhunderts , der unterschrieben und erhalten auch
iu Kapseln aufbewahrten Siegel- die Unterschrift des Papstes. Die
form, hulla, die man gewöhnlich gewöhnlichen Bullen werden bloss
in Blei der Urkunde anzuhängen von den verschiedenen , bei der
pflegte: die Bullen wurden zu allen Ausfertigung mitwirkenden päpst-
ofTeiitlicheu Schreiben gebraucht, liehen Beamten unterzeichnet, die
während für die übrigen der in Breven nur von dem Sekretär der
Wachs abgedrückte Siegelring diente. Breven. Ihren Namen erhält die
Ein bestimmtes Zeichen zeigte der- Bulle nach den Eingangsworten,
selbe erst seit dem 13. Jahrb., den z. B. In coena Domini, ( nigenittu,
Apostel Petrus aus einem Nachen Ecelesia Christi. — litt Harten, d. h.
das Netz werfend, daher der Name Sammlungen der wichtigeren Breven
Fiseherring, annulm piseatoriu*. und Bullen, sind seit dem 16. Jahrb.
Die ältesten Bullen trugen auf der veranstaltet und iu umfangreichen
i inen Seite den Namen des Papstes, Sammelwerken bis in die Gegenwart
auf der anderen das Wort Papa; fortgesetzt worden. Meyer in Her-
nie spätere und bis jetzt beibenal- zogs Real-Encykl.
tene Form zeigt auf «lern Avers Brevier, brevianum, d. h. wahr-
die Köpfe der Apostel Paulus und scheinlich eine kurz zusammenge-
Petrus mit der Unterschrift 6'. 1J. drängte und iu liturgischen Abkür-
A. — S. 1J. £. {Sanetus Petrus oder Hingen geordnete Sammlung von
J'aulu* Apotfolu*, Sanettu JPctrut Gebeten, heisst die Sammlung der
oder Paul tu Epucopiu), auf dem Gebete und Lesungen, die der Geist-
Revers den Namen des Papstes mit liehe oder der Klosterchor täglich
der Zahl. Die durch die Bulle ge- zu verrichten hat; andere Namen
zogene Schnur ist bald von Seide in sind officium ecctesia*ticumt cur»»»
roter und gelber Farbe, bald von dirinu*. horae eanonicae, st/naxi* und
Hanf. Die Sprache ist bei beiden psatmodia. Dem Brevier liegt die
Erlassformen die lateinische. Die Idee zu Grunde, das Gebot des
Bulle wird auf starkes Pergament Apostels „Betet ohne Unterlass!" in
mit altgailischer Schrift geschrieben, äusserer Weise zu verwirklichen,
das Breve auf dünnes Pergament Das ganze Leben des Christen sollte
oder Papier mit italienischer Schrift, dadurch als ein ununterbrochenes,
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84 Briefmaler. — Brot.
gewissermassen ewiges Gebet er- heil. Väter enthält. 3) J'rufrixm
scheinen. Hiefür knüpfte man an »anctorum, das für jeden Heiligen-
das Herkommen der jüdischen Sy- Festtag, soviele deren im Kalender
nagoge an , sowohl bezüglich der stehen, eigene Lektionen (meist au>
Morgen- und Abendstunden als auch dem Leben des Betreffenden). Anti-
sonstiger Gebetszeiten, wofür man »honen, Hymnen und Gebete bietet,
eine direkte Aufforderung in der Was aber da fehlt, wird aus dem
Psalmstelle 119, 164: „Ich lobe dieh 4. Teil, dem Commune $anctorvm
des Tagea siebenmal", und v. 62: entnommen, ohne besondere Gebet*
„Zu Mitternacht stehe ich auf, dir stunden. Anhänge sind officium
zu danken" zu erblicken glaubte. B. Marine, defitncfornm . psahv
Zunächst waren es die drei Stunden yraduales , p*a)mi poenitentialt*.
(dritte, sechste und neunte.) 9 Uhr, ordo cvmmendationu animut, beur-
12 Uhr Mittags und 3 Uhr Nach- dictio mensae et Uinerarium citri-
mittags; dazu Kam noch Mitternacht corum.
nach Act. 16, 25, sowie das Gebet Briefmaler heissen im 15. Jakrb
bei Anbruch des Tages und der solche, welche die Bemalung von
Nacht Während die Beobachtung Pergament und Papier (mhd.
der drei älteren Gebetszeiten schon als Beruf betreiben, besonders für
früh allgemeiner in der Kirche be- Andaehts- und Schulbücher, Spiel-
stand, nahm man die übrigen Stun- karten u. dgl. und ihre Ware auf
den ordentlich und pflichtgemäss Jahrmärkten verkaufen. Sie sind
zuerst in den Klöstern an; aus den durch ihre Versuche, ihre Bilder airi
Klöstern gingen s< »dann diese Gebets- Holz- od. Metallplatten abzudrucken,
stunden als ein Teil der vita cano- die Vorläufer der Buchdrucker ge-
nica, daher kanonische Hören ge- 1 worden.
nannt, auf die Dom- und Kollegial- Brot. Die früheste Form der
Stifter über. Benedikt fügte noch Getreidenahrung war der Brei, der
das compietorhtm hinzu. Vom 6. aus grobgemahlenen Körnern. tiriitze
Jahrh. an war demgemäss die Ord- und Griess (beide Wörter dersell>en
nung und Zahl der Stunden wie sie Wurzel angehörig i bereitet wird,
heute noch zu Recht besteht. Die Nach Plinius lebten die Germanen
sieben Gebetsstunden teilen sich in: vorzüglich von Haferbrei, der in ge-
horae dinrnae: prima ( 6 Uhr ), tertia wissen Teilen Oberdeutschlands nudi
(9 Uhr), sexta (12 Uhr), nona (3 Uhr), heute die gewöhnliche Nahrung der
ve*pera (6 Uhr) und in die horae Ärmeren ist; daneben kam Gersten-,
nocturnae . com pl( fori um vor dem Bohnen- und Hirsebrei vor. Brot
Schlafengehen, matutina ( Mette i od. war ursprünglich am Feuer geroste-
laudes (3 Uhr Morgens). Die für ter Mehlbrei; ungesäuert, in flacher
die einzelnen Hören zu gebrauchen- Kuchenform, hiess es Derbbrot und
den Gebete nahm man anfangs meist war meist aus Gersten- oder Hafer-
aus den Psalmen. nichl, spater auch aus Dinkel oder
Das Brevier besteht aus 4 Teilen Spelt bereitet. Das bessere, durch
für die vier Jahreszeiten, von denen Gührungsmittel aufgetriebene Brot,
jeder vier Abteilungen hat: 1) l'sal- dasaus Weizenmehl gebacken wurde.
ferium mit den Hymnen für die hiess schoen brdt oder tceixbrSt. Gau?
kanonischen Stunden der 7 Wochen- runde Brote hiessen Halbbrote oder
tage. 2) Proprium de /empöre, das Hastel. Brotring, Ringel, Stechling
sich genau an das Kirchenjahr an- hiessen feinere, runde und ringfor
schliesst und für jeden Tag des Jah- mige Brote, aus denen sich spater
res Lektionen aus den Büchern der mancherlei Kuchen entwickelthaben,
heil. Schrift und den Werken der Die Semmel aus feinem Weizenniehl
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ist seit dem 12. Jalirh. nachweisbar. 13. Jahrh. wurden die Brücken meist
Vochenzer, Fochenz ist eine in der im Halbkreisbogeu gewölbt und er-
Herdasche gebackene germanisch- hielten wegen der Ulierfahrenheit
romanische ßrotart. Brezeln erschei- im Gründen möglichst wenige Pfeiler
nen auf Bildern des 12. und 13. Jahrh. oder möglichst weite Öffnungen und
Sonst keimt man noch Krapfen oder kurze dicke Pfeiler, wie die 1135
Pfannkuchen und Kuchen im all- begonnene Brücke über die Donau
gemeinen. Zwiebäcke wurden in bei Rtfjensburg mit 15 Halbkreis-
Frankreich namentlich in den Klö- bogen von 10 — 16 m Spannweite:
»tern bereitet. die 1176— 1209 errichtete Brücke
Ins germanische Altertum reichen über die Themse in London mit 9
die von Frauen bereiteten Tempel- grossen Spitzbogen, die 1117—1187
oder Opferbrote. Götterbilder und erbaute Brücke über die Rhone bei
heilige Tiere wurden in Teig ge- Arignon, die 1179— 1260 hergestellte
knetet, mit Ol bestrichen und an Brücke über die Elbe bei Dresden
heiliger Stätte von den Weibern und die ums Jahr 1358 von Karl IV.
gebacken. Spuren dieser Brote fin- erbaute Brücke über die Moldau
den sich in zahlreichen heute noch in Prag,
beliebten Festgebäcken, wo nament- Holzbrückendes Mittelalters waren
lieh Männlein, Weiblein und unter nicht überdacht. Die Grabeubrücken
den Tieren besonders Hirsche und der Burgen bestanden meistens aus
Schweine in Semmelteig nachgebil- Steinbogen mit Ausnahme eines
det werden. Auch andere Back- Fachs, welches durch eine Zugbrücke
werke, die sich au bestimmte Zeiten überdeckt war, die sich beim Auf-
de- Jahres oder Ereignisse des Le- ziehen an den Brückenturm anlegte,
bens knüpfen, hängen mit alten reli- Auch die grösseren, besonders städti-
giö*en Bräuchen zusammen. Wein- sehen Brücken waren durch Brücken -
J,of't. Deutsche Frauen, II. Aufl. II, türme oder Brückenthore verteidigt.
59 — 61- Vgl. Staub, Das Brot im Auch erbaute man wohl Brücken-
Spiegel Schweizer-deutscher Volks- hausehen für Wächter, Hospize für
spräche und Sitte. Lpz. 1868 und Reisende und Brückenkapellen auf
K^rhholz, das Allerseelenbrot, in den Pfeilerausbauten; siehe den
deutscher Glaube und Brauch, I, folgenden Artikel. Auch Kaufläden
299 — 335. una sogar Wohnhäuser wurden im
Brücken. Die bei den Römern spätem Mittelalter auf Brücken
zu einer hohen Ausbildung gelangte gestellt.
Kunst des Brückenbaues geriet im Brücken mit flacheren Bogen ent-
Mittelalter, Spanien und Süditalien standen erst im 16. Jahrb.; dahin
ausgenommen (wo teils Christen und gehören die 1588 -1591 erbaute Ri-
Mauren, teils Goten, Normannen und altobrücke zu Venedig und die 1596
Sarazenen den Spitzbogen in kühn- bis 1598 erstellte tleisehbrücke in
ster Konstruktion zu Brücken und , Sürnberq. Zu derselben Zeit blie-
Aquaedukten anwendeten ), bald in ben die Holzkonstruktionen im Ver-
Verfall. Man bediente sich im All- gleich zu den Holzbrücken der Römer
gemeinen der Furten, daher die zahl- noch sehr unvollkommen. Erst als
reichen Ortsnamen Furt, Furth, man in Frankreich durch Gründung
Fürth, Erfurt ahd. Erpesfurt, des Ingenieurkorps im Jahre 1720
Frankfurt ahd. Francono furt, Och- Gelegenheit zur Bildung von Fach-
senfurt ahd Ohsono furt, Sch wein- männern für Strassen- und Brücken-
furt ahd. Stiino fürt, Breitenfurt ahd. bau gab, machte der Brückenbau
Frei tenfurte, Steinfurt, Dietfurt, oder bedeutende Fortschritte. Unter die
der Fahren. Während des 12. bis bedeutendsten Bauten dieser Zeit
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Brückenbrüder.
gehört die 1751 — 1 760 erbaute Brücke
über die Loire bei Orleans. Unter
den hölzernen Bauten zeichneten sich
ietzt die oft sehr kühnen, meist
bedachten Sprengwerkbrücken der
Schweiz aus, darunter die 1757 er-
baute Rh ei nh rücke bei Schaafhausen.
Mothe*, Bau -Lexikon, I, 492 ff. —
Müller und Mothes, Arch. Wörterb.
Art. Brücke. Vgl. Gengier, Deutsche
Stadtrechts -Altertümer. Kap. XI.
Erlangen 1882.
Brlickenbriider und BrUckeu-
kapellcn. Schon bei den Griechen
und noch im höhen» Masse bei den
Römern galt Anlage und Erbauung
von Biucken als ein religiös beson-
ders verdienstvolles Werk, das dem
frommen Beter erst den Gang zum
Tempel ermöglichte. Auf der Brücke,
welche in Rom die beiden Tiberufer
verband, wurden Opfer vollzogen,
der Weg zu den heiligen Orten jen-
seits des Tiber ging darüber; ob von
den heiligen Gebräuchen, welche sich
an ihre Erhaltung und Reparatur
knüpften, der Name des Kollegiums
der pontißces herrührt, ist freilich
nicht ausgemacht. Auch bei den
Germanen galt die Brückenbaukunst
als eine heilige und geistliche. Auf
nordischen Runensteinen wird mehr-
fach überliefert, dass der Verstorbene
bei seinen Lebzeiten für das Heil
seiner Seele eine Brücke bauen licss.
Früh vereinigten sich in Italien,
Spanien, Schweden, Dänemark und
Deutschland fromme Christen, Her-
bergen zu errichten, Flösse zu halten
und Brücken zu bauen. Papstliche
und bischöf liehe Ablässe wurden da-
zu bewilligt. Auch daraus erhellt
die Heiligkeit des Brückenbaues, dass
auf Brücken feierliche Friedens-
schlüsse gefestet, Gefangene ausge-
wechselt, Bündnisse geschlossen wur-
den. Lange blieb das Amt eines
Brückenbauers ein (frixflichcA Vor-
recht, und Päpste, Bischöfe, Priester
und Mönche sind daher seit den älte-
sten Zeiten der christlichen Kirch«'
entweder vorzugsweise die ersten
Gründer und Bauherrn von Brückcu
oder selbst sachverständige Künst-
ler und leitende Architekten beim
Brückenbaue gewesen. Karl d. Gr.
verlangte zur Ausführung der Wep
und Brücken von der Geistlichkeit,
welche sonst von allen Lasten !> -
freit war, Beisteuern. Der beriilimU
Erzbisehof W'illirfi* von Mainz Hess
im lo. Jahrhundert die Brücken von
Aschaffcnburg über den Main und
von Bingen über die Nahe hauen
In Frankreich, dessen Brucken sic\j
im Mittelalter durch ihre GrÖs*j
Kühnheit, Einrichtung; und Schönheit
vor denjenigen aller übrigen Völker
auszeichneten, bildete sich zur Be-
förderung des Brückenbaues ein«
eigene geistliche Genossenschaft, d* i
Orden der B rücke nb rüder , fratm
ponfüt, ponti/icales, faefurejt poufiu,*,
frire.i du yonf ; ihr Stifter soll Be
nezet (der kleine Benedikt), ein Hirtc
aus Hautvilar in Vivarais um d. J.
1177 gewesen sein; Clemens III. be-
| stattete 1189 ihre Organisation. AU
Symbol trugen sie einen Spitzhammer
auf der Brust. Von ihnen wurden
erbaut die Brücke über die Dtiranc
unter der Karthause von Bonpas.
sodann die Brücke über die Rhön-
bei Avignon. die beiden ersten grossen
Brücken in Frankreich nach dem
Untergange des weströmischen Rei-
ches, und letztere einst die «rrösste
Brücke in Europa, erbaut unt«*r der
Leitung des hl. Beneaet von Avila
1177 — 1188, endlich die hl. Geist
Brücke über die Rhone bei Lyon,
,1285-1305.
Der mittelalt. -christliche Brücken-
bau dokumentiert sich auch durch
den Bau besonderer Hospitäler, na-
mentlich Heiliggeist - Spitäler und
Herbergen, sowie durch kleinere oder
grössere zu den Brücken gehörig»-
Bethauxer.sog. Heiligenhäuschen.mi'i
Kapellen, beide wohl nur durch die
Grösseundden Besitzeines geweihten
Altars unterschieden. Unmittelbar
waren sie teils an, auf, üher. in oin-
zelnen Fällen unter der Brücke an-
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Bruder Rausch.. - Brüderschaften. 87
gebracht; gewöhnlich wx>hl der Stadt Auch aus dieser vertreibt ihn der
eegenöber, am End«* oder auf der herbeigeholte Abt und heisst den
Mitte, auf einem aufgemauertcn Teufel endlich in einen Berg nahe
Pfeiler, selten über einem Brücken- seinem Kloster fahren, wo er bis
bogen, im Anschluss an andere Ge- zum jüngsten Tage bleiben wird.
btüUchkeitcn, z.B. an einen Brücken- Siehe Bruder Rausch von Oskar
tonn. Nach ron Oven und Becker, Schade im Weimarer Jahrbuch, Bd.
die Kapelle der hl. Kathrina auf V, S. 357-412.
dt«r Mainbrücke zu Frankfurt mit Brlider des freieii Geistes heisst
gleichartigen Stiftungen des ehristl. eine im 13. und 14. Jahrb. sehr ver-
Mittelalters zusammengestellt. Neu- breitete Sekte, mit stark pantheisti-
jahrsblatt des Vereins für Geschichte sehen Tendenzen. Sie wurden von
and Altertumsk. zu Frankfurt a. M. der Kirche verfolgt, erhielten sich
In?0. aber bis ins 15. Jahrh.
Bruder Rausch heisst ein auf Brüderschaften, in Norddeutsch-
stem Sagengrmidemhendcs Gedicht, land Calanthf/i/den, in Österreich
das in seiner ältesten, einer nieder- Zechen, hiessen im Mittelalter städti-
deuuehen Fassung, dem 15. Jahr- sehe Vereine, die zugleich für da*
hundert angehört, und das ganze religiöse Bedürfnis, für gesellige
16. Jahrhundert hindurch in hoch- Autgaben und für gegenseitige Hilte-
dent-cl er Bearbeitung eines der ge- leistung dienten. Sie werden zuerst
lesensten Volksbücher war; der äl- im 14. Jal.rh. nachgewiesen. Ihre
test«- hochdeutsche Druck erschien Zwecke sind: Keligionsübungen, wel-
1515 zu Strassburg. Der Inhalt ist che zu bestimmten Zeiten in Ge-
in Kürze folgender: In einem Kloster meinsehaft begangen wurden, ge-
führen die jungen Mönche ein lieder- meinsame Teilnahme an öffentlichen
liebes Leben, sodass der Teufel sich Prozessionen, Sorge für ein anstän-
vornimrnt. sie ganz zu verderben, diges Begräbnis sowie für die Seelen-
in Gestalt eine» jungen Menschen, ( ruhe der verstorbenen Biüder, got-
Kauseh genannt, verdingt er sich \ tesdienstliche Feier der Anniversa-
bei ibi ich als Küchenknecht und rnuss rien derselben oder auch eine jahr-
dt-m Abt und den übrigen Mönchen liehe Messe für alle, gegenseitige
aus Gefälligkeit je am Abend ein ! Unterstützung in der Not, nameut-
jun^es Wein schaffen. Da er sieh lieh in Krankheiten, geselliges Zu-
dabei einmal versäumt und der Koch sammenleben in den mit Irinkge-
ihn darum züchtigen will, wirft er lagen verbundenen Geboten oder
diesen in den Kessel, erhält darauf Versammlungen der Brüder. Die
die erledigte Stelle des Meisterkochs Brüder leisteten pekuniäre Beiträge
and führt sie sieben Jahre zur Zu- sowie als Strafe für verabsäumte
triedenheit der Mönche, doch bemüht Pflichten Geld, Wein oder Wrachs.
«t sich dabei, durch tolle Streiche Jede Brüderschaft schloss sich an
die Mönche unter sich zu veruneini- ! eine bestimmte Kirche an, viele ver-
gen; ein Bauer entdeckt aber bei ehrten einen besondern Schutzpatron,
einer von ihm belauschten Teufels- manche hatten einen besondern Al-
zusHmmenkunft im Walde, an wel- tar oder auch eine besondere Ka-
eher Bruder Rausch teilnimmt, den pelle. Solche Brüderschaften kamen
Stand des Gesellen, und macht davon in verschiedenen Ständen vor, es eab
dem Abte Mitteilung. Dieser zwingt eine Brüderschaft des pfälzischen
ihu durch die heilige Messe, das Klo- Hofgesindes zu Heidelberg, der fah-
ster zu verlassen , worauf Bruder renden Schüler, der Pilger, der Aus-
Rausch sich nach England betriebt sätzigen. Die verbreitetsten und
»n<l in des Königs Tochter fahrt, wirksamsten Brüderschaften sind
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88
Brüder vom gemeinsamen Leben.
aber die der Handwerksknechle ; da-
durch, dass sich diese allmählich
durch das Mittel der kirchlichen Ge-
nossenschaft zu einem besondem
Stande heranbildeten, wurden sie
Gesellen, denen alles daran lag, ihre
Gesellenehre zu wahren. Der Ein-
tritt in diese Gesellschaften wurde
obligatorisch für alle, ihre Statuten
unterlagen der Bestätigung des Ra-
tes und der Zunft, sie bildeten einen
den Meisterverbänden entgegenste-
henden Gesellenvcrband , so zwar,
dass mit der Zeit, vorab infolge der
Reformation, das kirchliche Element
zurücktrat oder ganz verschwand
und bloss noch das weltliche Ele-
ment zurückblieb. Ihre Blüte hatten
sowohl die kirchlichen als die nicht-
kirchlichen Brüderschaften im 15.
Jahrh. Mit dem Verfall des Hand-
werks und des Zunftwesens verfielen
auch sie; ihre Rechte gingen all-
mählich an den Staat über. Der
Name der Vorsteher bei der Brüder-
schaft war meist Büchsenmeister
oder Kerzenmeister, bei den spätem
Gesellschaften Stubenmeister, Alt-
Seselle, AKknecht, Knappenmeister,
leistergcsellc , Meisterknappe, Mei-
sterknecht, Ürtenmeister. Ihre meist
zeremoniell abgehaltenen Versamm-
lungen hiessen Gebot, Ladentag,
Friedenstag, Umfrage, Eingang,
Vierwochengebot, Sclienke, Tisch-
gesass. Mittel, später meist Auflage.
Diejenigen Handwerker, in denen
am häufigsten solche Verbände auf-
traten, sind die Schneider, Schuh-
macher, Gerber, Schmiede, Weber,
Bäcker, Müller, Metzger, Kürschner,
Maurer und Zimmerleute, Die Ver-
bände der Buchdrucker haben sich
bis heute erhalten. Sehans, Zur Ge-
schichte der Deutschen Gesellenver-
bäude. 1877. Krieqk, Deutsches Bür-
gertum I, 178. äW, Alte und neue
Zeit, Abschn. 17. Vgl. den Artikel
Zunft- und Gildewesen.
Urinier vom gemeinsamen Le-
ben, eine Erscheinung der vorrefor-
matorischen Mystik. Ihr Gründer
ist Gerhard Groot, geb. 1340 zu De-
venter; er studierte zu Paris, wurde zu
Köln, wo er Lehrer war, ähnlich
wie Luther durch ältere Freund*'
zu einem tiefen religiösen Leben
erweckt und wirkte eine Zeitlang
mit Genehmigung des Bischofs von
Utrecht als wandernder Bussprediger
ohne priesterlichen Charakter. Durch
den Mystiker Joh. Huvsbroek, Pair
des Vereins der Kanoniker zu Grün-
thal bei Brüssel, Hess er sich zur
Bildung eines Vereins gleichgesinn-
ter Jünglinge in seiner Vaterstadt
anregen , die unter seiner Leitung
die iSchrift und andere nützliche
! Bücher abschrieben. Einer der-
i selben, Florentius, machte den Vor-
schlag, den Erwerb zusammen zu
le^en; dieser Verein, der bald zum
Mittelpunkt einer weitverzweigten
Genossenschaft wurde, nannte sich
Brüder des gemeinsamen lieben*,
f rat res hjnae voluntati* oder
Hierontfmianer und Grecforianer.
weil sie Hieronymus und Gregor
den Grossen als Patrone ven hrten.
Nach Groots Tod, 1384, folgte Flo-
rentius in der Leitung des Vereins,
geb. 13f>0 zu Leerdam, auch Fk>~
rentius Radeicins, d. h. Radewin*
Sohn, genannt. Unter ihm ver-
zweigte sich das Institut in zwei
Richtungen, in die regulierten Ka-
noniker mit klösterlichem Charakter
und in die gewöhnlichen Briider.
die, teils Laien, teils Kleriker, ent
weder zusammen wohnten oder zer-
streut in geistlichen Ämtern und für
Jungendbildung wirkten. Florentius
leitete selber das sog. reiche Frater-
haus zu Deventer und war Rektor
der ganzen Genossenschaft ; er starb
1400. Die Brüder des gemeinsamen
Lebens, auch von ihren religiösen
Versammlungen. Collatien, Colla-
tionen : Collatienbrüder genannt wa-
ren verbunden durch Gemeinsamkeit
des Besitzes, der Wohnung, der
Lebensweise und der Erbauuug.
Die Brüder- oder Fraterhäuser be-
herbergten etwa 20 Brüder, die Klei-
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Brünne. — Brunnen.
89
düng bestand aus einem grauen nicht widerstanden, begann man früh,
Obereewand, unverziertem Rock besonders wichtige Stellen des Ring-
und Beinkleidern und einer grauen panzers mit aufgenieteten Platten
Kopfbedeckung, daher auch cucul- zu versehen, daraus ist dann der
lati, Kappenherren, Gugel- oder Fla ftcnpanzer entstanden. Jahn*. 430.
Kogelherren. Neben Handarbeit San Jfarte, Watfenkunde 28. Siehe
und gemeinsamer Erbauung wurde den Art. Harnisch.
besonders das Abschreiben der heil. Brunnen kommen in Klöstern
Schrift betrieben. Au der Spitze und Städten seit dem 12. Jahrh. in
jedes Hauses stand ein Rektor, an reicher architektonischer Form vor:
der Spitze der Frauen vereine eine ihr Aufstellungsort sind Plätze. Höfe
Pflegerin, Martha genannt. Ihre be- und Kreuzgänge. Man unterscheidet
deutendste Wirkung liegt in der Wandbrunnen, Sisehenhrunnen und
Gründung von Unterrichtaanstalten. Freibrunnen, bei den letzteren wieder
namentlich für ärmere Schüler. Ihre Zieh- und Röhrbrunnen; der erstere
Verbreitung aus den Niederlanden j erhielt ein iu der Regel steinernes
reicht besonders rheiuaufwärts bis Gewicht zum Aufhängen der Rolle,
nach Sehwaben. Zu ihnen gehörten an der die Eimer liefen; der schönste
Thomas a Kempis, Hermann Busch, und prächtigste der Art ist der
Lange. Hegius, Agrikola , Joh. Judenbrunnen auf dem Domnlatz
Wessel; auch Frasmus war ihr zu Mainz. Weit häufiger siiul die
Schüler. Im Verlauf des 16. Jahr- Röhrbrunnen. bei welchen das
hunderts erlosch die Vereinigung Wasser sich in ein ctosscs Becken
infolge der Ausbreitung der Hefor- ergiesst, iu dessen Mitte eine Säule,
mation. Karl Hirsche in der II. Aufl. ein Pfeiler oder ein ganzes Etagen-
der Herzogschen Encykl. II , 678 werk sich erhebt. Die bildlichen
bis 760. Darstellungen, die als Gemälde,
Brünne, ahd. mrunjä, mhd. hrünne, ' Reliefs, Statuen oder ganze Grup-
etymologisch noch nicht sicher, bald nen den Brunnen zieren , siud
aus dem Keltischen, bald aus dem Bilder von Kirchenheiligen, nament-
Slavischeu gedeutet, eine uralte lieh Maria, sodann St. Michael
Schutzwaffe, Ringpanzer , auch ein- und St. Georg. Dazu kommen
fach die ringe genannt, ahd. auch ! Helden der historischen Zeit und
saro, saratei. Ursprünglich scheint Allegorien. Lehrreich ist nament-
die Brünne aus hörnernen Schup- lieh der 1355 — 1361 gebaute Schöne
pen hergestellt zu sein, was man Brunnen zu Sürnherg von ca. 6 m
aus dem häufig vorkommenden Bei-; Beckendurchmesser und 18 m Höhe,
namen des „Hörnernen" schliesst, ! mit vielen Standbildern an den Neben-
den die kindliche Phantasie sich aus pfeilern und einem Eisengitter v.
dem Baden in Drachenblut herge- J. 1586. Derselbe enthält in einer
stellt dachte. In altgermanischen obern Reihe Moses mit sieben
Gräbern hat man die Waffe bis Propheten, in einer untern die sieben
jetzt nicht aufgefunden. Sie war in Kurfürsten, dannChlodwig.Karld.Gr.
der Regel aus Ringen geschmiedet, und Gottfried von Bouillon; Josua,
diese wurden wie ein Hemd über- David und Judas Makkabäus;
geworfen oder wie ein Rock ange- Hektor, Alexander und Julius Cä-
zogen ; abgezogen fielen sie in einen ear. Der Fisch marktshrun nen zu
Haufen zusammen, so dass sie be- \ Basel siehe Fig. 40, zeigt Maria,
quem in den Waffensack (sarbalk) Johannes, Petrus, Erzvater und
oder iu einen Schild gethan werden Propheten , und die allegorischen
konnten. Weil die Ringe unter Um- Figuren der Beharrlichkeit, Ge-
ständen dem Schwert und der Lanze reehtigkeit, Gottes- und Menschen-
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90 Brunnen.
Fig. 40. Fwchmarktsbrunnen in Basel.
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Buchdruckerkunst.
91
liebe. Häufig«- Brunnengestalt ist Costcr, in Hamberp Alhrecht ffltter
Moses, und dessen neutestamentlichcs gleichzeitig den Buchdruck ent-
fJegeubild Christus mit der Saina- wickelten; die Verbreitung der
riterin. Unter den mt/thotog Liehen Kunst jedoch über Deutschland und
Figuren, die seit dein 16. Jahrh. die übrigen Länder Europas geht
beliebt werden, nimmt Scptun die I sicher von < Miltenberg aus. Johanne*
erste Stelle ein, im Gefolge von (iutenhern gilt als 1 397 zu Mainz
Xajaden, Nereiden, Tritonen und: geboren; schon 142* lebte er zu
Seepferden. Mehr lokaler Natur, Strassburg, wo er alten Angaben
aber oft durch besondere Frische zufolge, für welche aber ein sicherer
und Anmut ausgezeichnet, sind Beweis nicht beizubringen ist, seine
Wappentiere (Bär, Greif, Löwe), Kunst erfand und zuerst ausübte,
oder n appenhat ter \\\\t dem Wappen- Im Jahre 1444 oder 45 kehrte er
Schild oder Lanzknechte u. dgl. \och nach Mainz zurück. Hier fand er
charakteristischer sind Ehrensäulen nach vielen misslungenen Versuche!)
für die Städten runder , z. B. Kaiser j einen reichen aber eigennützigen Ge-
Au^ustus auf dem Augustusbrunnen i se\\sL\u\i\cr in Johann l?u*todev Ifaustj
in Augsburg, oder alte Helden, mit dem er 1450 in ein Vertragsver-
Der Brunnen ist im Mittelalter nächst hältnis trat. Gutenberg übte auch
<ler Kirche die Stelle für das „Denk- jetzt noch den Tafeldruck, arbeitete
mal *, aber auch für Volksscherz aber auch mit hölzernen Buchstaben,
und Volkswitz, wie der Kindlifresser Als erste Drucke Gutenbergs in
in Bern, das Gänsemannchen in Mainz werden genannt Abc-bücher,
Nürnberg. Auch durch Spruch rcr*e Gebetbücher, Beichtspiegel, Donate.
I Hegte mau die öffentlichen Brunnen Ein weiterer Fortschritt war die An-
auszuzeichnen. Vgl. Gengier, Deut- wendung von Metalltypen, die aus
sehe Stadtrechts- Altertümer. Kap. j freier Hand geschnitten waren, und
XII. Erlangen 18S2. der wichtigste Fortschritt der diu*
Buelidruckerkunst. Sie geht der Schrifttypen. 1452 wurde der
aus dem Gewerbe der Spielkarten- Druck der lateinischen Bibel be-
verfertiger und Briefmaler (d. h. | gönnen und 145 » in zwei Folianten
Bemaler von Pergament oder Papier von 600 Blattern vollendet. Weitere
mit Figuren, besonders Heiligen- Fortschritte stammen von freier
bildern, Buchstaben und Verzie- Schettler aus Gernsheim, der in Paris
Hingen) hervor, welche ihre Bilder als Illuminierer gearbeitet hatte und
vermittelst gestochener Holzplatten von Fust a's Famulus angestellt
vervielfältigten und schon im Beginn wurde. Er ersetzte die noch sehr
les 15. Jahrhunderia su Innungen ungleich und unscharf gegossenen
zusammentraten. Von einzelnen Buchstaben durch solche, die mit-
Heiligenbilderu ging man später zu telst eines Stahlstempels in dünne
ganzen Bilderreinen mit begleiten- Kupfer- und Messingplättcheu ein-
'lein Text über. Mit Jlolztafel druck geschlagen wurden. Nachdem Fust
sind besonders in Holland lateinische dem Schöffer seine Tochter zur Frau
Elementarbücher, zumal der Donat, gegeben hatte, betrieb er 145Ö einen
uedniekt worden. Die Erfindung rrozess gegen Gutenberg wegen Zu-
ocweglicher Lettern, zuerst in Holz, rückbezaliLung der geliehenen Kapi-
danu in Metall, und deren Anwen- talien, und Gutenberg wurde ver-
dang zum Buchdruck wurde schon urteilt, die ganze Fresse samt allem
im 15. Jahrh. allgemein dem Jo- Material dem Fust zu überlassen.
hau neu (intentterq aus Mainz zuge- Durch Unterstützung eines geachte*
»chrieben: doch ist sicher, dass auch ten Mainzers, Konrad Hummer, ge-
an anderen Orten, in Haarlem Lorenz langte Gutenberg in den Besitz einer
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92
Bücher.
neuen Druckerei, aus welcher 1460
das Katholikan, eine beliebte gram-
matisch-lexikalische Kompilation des
Joh. de Balbis hervorging. Nachdem
Gutenberg seine Druckerei nach Elt-
wyl im Rheingau versetzt hatte, starb
er um Neujahr 14GS. Aus der Fust-
Sehöffersehen Offizin ging 1457 das
iJsalterium hervor, das erste nach
Drucker u. Druckort datierte Druck-
werk, eins der schönsten Druckwerke
bis heute, mit verzierten Initialen
in blau und rot, 1460 erschien die
lateinische Bibel. Im Jahre 1462
wurde Mainz infolge eines Streites
zwischen dem Erzbisehof und seinem
Nachfolger nächtlich überfallen und
zum Teil verbrannt: dabei ging aueh
die Werkstätte von Fust und Schöffer
in Flammen auf, die Arbeiter, ob-
wohl durch einen Eid an die Be-
wahrung des Geheimnisses gebun-
den, verstreuten sich und verbreite-
ten die Kunst an viele Orte. In
Mainz erneuerte Schöffer sein Ge-
schäft und druckte fort, seit 1503
von seinen Söhnen abgelöst. Die
frühesten Buchdruckereien anderer
deutscher Städte findet man in Köln,
Augsburg, Nürnberg, Strassburg.
Speier, Esslingen, Merseburg, Bres-
lau, Lübeck, Filsen, Prag, Eichstiidt,
Urach, Tübingen, Leiozig, Memmin-
gen, Passau, Wien, München, Reut-
lingen. Erfurt, Magdeburg, Heidel-
berg. Regensburg, Hagenau, Ham-
burg, Freiburg, Frankfurt a. Main,
Wittenberg, in der Schweiz Basel,
Beromünster, Burgdorf, Zürich. Vgl.
Van der Linde, Gutenberg, 1879;
Franke, Handbuch d. Buchar. Wei-
mar 1S67; Lorcky Handbuch der Ge-
schichte d. Buchdruckerkunst. Leip-
zig 1SS2.
Die Zeitgenossen Gutenbergs und
ihre Söhne und Enkel haben die
Buchdruckerkunst stets als eine be-
sondere Gabe und Gnade Gottes
angeschaut. Sie hat die schnei-
dendste Waffe gegen das roman-
tische Empfindungsleben des mitt-
leren Alters unserer Litteratur ge-
sehaffen und war berufen, auf den
mannigfaltigsten Wegen von den
verschiedensten Seiten her neues
Bildungsmaterial zu beschaffen. Die
Buchdruckerkunst hat einen ahn-
lichen Umschwung im ideellen Ver-
kehr der Gedanken bewirkt, wie in
unserem Jahrhundert der Dampf
uud die Telegraphie im Verkehr« ■
des Handels und der Industrie. Zu-
mal bot diese Erfindung den aus-
einanderfallenden Stünden gegen-
über ein ganz unerwartetes Mittel
neuen Zusammenhangs, das denn
auch bald, mit der Reformation, in
grossartigstem Massstabe zur An-
wendung kam.
BUener. Die Form unserer
Bücher kommt zuerst bei den Waehs-
tafeln vor, tabula e; das Papier wurde
meist gerollt, Pergament gefaltet.
Solche Wachstafeln heissen nxles;
Uber bezeichnete ursprünglich wohl
nur Rollen. Mehrere Blätter zu
einer Lage gefaltet heissen quaternio.
ursprünglien eine Lage von 4 Blat-
tern, in den Büchern meist mit Zah-
len oder Buchstaben gezahlt. Seit
dem 14 Jahrb. finden sich die ein-
zelnen Blätter der Lagen und sämt-
liche Blätter des Buches gezählt
In Bezug auf das Format ist dem
hohen Altertum vorzüglich eine breite
Quartform eigen, die Seite zu 4 oder
3 Kolumnen. In späterer Zeit, uaeh
dem 6. Jahrh., kommt die Dreiteilung
nur noch selten vor. Schon im christ-
lichen Altertum führte die Verehrung
für den heiligen Inhalt der zum Got-
tesdienst bestimmten Bücher zu ein- r
schönen äussern Ausstattung durch
die Kunst und frühzeitig gehörte ein
kostbar eingebundener Lvangelien-
eodex zum ständigen Schmuck der
Altäre. Gleiche Ehre genoss das
Missale. Ihren Ursprung hatten
diese Einbände in den Elfenbein -
distychen, von Magistraten beim An-
tritte ihres Amtes verschenkt, xwi
scheu welche man beschriebene Per-
gamentblätter legte. Die Buchdeckel
selbst bestehen aus Holz, worauf
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Büchse. — Buhurt.
03
mau die Elfenbeintafeln festnietete.
Um die Tafel herum ziehen sieh als
Umrahmung mit Gold- und Silber-
bleeh umzogene Ränder, in welches
Edelsteine und Perlen gefasst sind.
Jeder Deckel hat stets seinen eige-
nen Schmuck. In der römischen
Zeit hatte man eigene Buchbinder,
später besorgte die Geistlichkeit
ausser der Schrift auch den Ein-
band. Förmlich gewerbsmässig be-
trieben zuerst die Brüder des ge-
meinsamen Lebens die Buchbinderei,
in den Städten wurde dieselbe ein
bürgerliches Gewerbe. Es giebt
auch hückernatnen , vorzüglich für
Archivstückc, für welche man keinen
Autornamen hatte. Gerichtsbücher
heissen rote Bücher; andere heissen
Ubri attreiy Uber blancus, Uber viri-
dis, yemma preciosa, Uber niger,
f i'Jjer crin itus, Bären haut, pa ti per Tlen -
ricvs, tiudus Laurentius , die beiden
letzten nach den Schreibern. Kost-
bar eingebundene Bücher hatten
zum Schutz ein Hemd, camisia.
Einen gewissen Bücherhandel gab
es schon im Mittelalter; doch be-
schränkte er sich auf einzelne gang-
bare Artikel und zufällig in den
Handel gekommene alte Manuskripte.
Man pflegte sich die gesuchten
Werke zum Abschreiben zu erbitten
oder schickte eigene Schreiber zu
diesem Zwecke. Durch Pfänder und
Bürgschaften sicherte man sich vor
Verlust. Leute, die aus dem Bücher-
abschreiben und Verkaufen ein Ge-
werbe machten , findet man zwar
schon im Beginn des Mittelalters;
nach langem Zwischenraum kommen
sie wieder an den Universitäten zum
Vorschein. Sie vermieteten Bücher
zum Abschreiben, nach obrigkeit-
licher Taxe, und vermittelten den
Bücherverkauf. Trotzdem ist der
eigentliche Buchhandel nicht in Uni-
versitäten, sondern in andern Städ-
ten, vorzüglich in Mailand, Venedig
und Florenz aufgekommen, dann in
Frankreich (Paris), England und
den Niederlanden. In Deutschland
pflegten die Studenten ihre Bücher
mehr als anderswo selbst abzuschrei-
ben, oder sie entlehnten sie aus den
Kloster- oder Universitätsbibliothe-
ken. Ausserhalb des geistlichen
Standes kam erst spät ein Lese-
bedürfnis auf. Frauen besassen
ihren in der Regel in einem Kloster
geschriebenen Psalter. Um Andachts-
Dücher und Schulbücher machten
sich vornehmlich die Brüder vom
gemeinsamen Leben verdient. An
den Höfen schrieb etwa der Hof-
kaplan, in den Städten der Schul-
meister und der Stadtschreiber Bü-
cher ab. auch Pirmenter (Pergament-
macher) verkauften und lkaufteu
Bücher auf der Messe. Buden, in
denen man Schreibmaterialien und
Bücher verkaufte, pflegten an die
Wand der Kirche gestellt zu wer-
den. Wattenbach, Schrift wesen des
Mittelalters.
Büchse, siehe Artillerie und
Ciborium.
Buhllied ist im 16. Jahrh. ein
Name für Liebeslied: Hans Sachs
braucht z. B. diesen für seine Zeit
edeln Ausdruck.
Buhurt, der, wie das mhd. der
hurt, Stoss, stossendes Losrennen, aus
dem Französischen aufgenommen,
behourd, mittellat. baqorda, aus dem
Stammwort heurt. It. urto, Stoss,
mlat. hurdus, — Bock aus keltisch
hwridh, Stoss und Bock. Der Bu-
hurt steht als ritterliches Kampf-
spiel, wobei Haufe gegen Haufe
kämpft, dem Host gegenüber, wobei
Mann gegen Mann steht. Mit dem
Turnier Derührte sich der Buhurt
nur dann, wenn im Ernste buhur-
diert wurde, auf Streitrossen mit
eingelegtem Speer. Gewöhnlich war
jedoch der Buhurt bloss Spiel und
Kurzweil, das man bei hochgeziten
fürstlichen Personen zu Ehren
gab; statt der Schwerter wurden
Stäbe gebraucht. Vgl. Niedner,
das deutsche Turnier, Berlin 1881.
S. 35 ff.
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94 Bundschuh. - Burg.
Bundschuh. Im Mittelalter der turen römischer Bauwerke. Einzig
Name für den Bauernschuh, mhd. die Königin Brunhilde galt ab-
hunbehuoch ein Schuh, der gebunden eine Burgenbauerin und genott des-
wird. „Die Schuh bettend auf bei- halb den Ruf einer zweiten Semi-
den Seiten Riemen, dreyer Ellbogeu ramis. Im ganzen suchten die Fran-
lang, die Höcht mau und schnürt >ie ken ihren Aufenthalt nach alter
uuiü die Bein und leine Hosen creuz- Sitte auf dem Lande in den Villen,
weis herumb wie ein getter." Das Doch belassen die Könige auch Pa-
Wort steht im Gegensatz zu dem laste in den Städten; auch befestigte
feinen, zierliehen brisschuh, mhd. Klöster werden genannt, und Karl
hrU-scnuochy ein Schuh zum einbrei- Martell wird der Bau der Burg KnU-
sein, schnüren. Statt buntschuoch heim bei Colmar und der Siifzbttrp
sagte man auch, aber nur in der an der Saale zugeschrieben. Bei
eigentlichen Bedeutung, bottchuoch, diesen und andern Königsbauteil
bozsehuoch. Die Einführung des j diente das römische Kastell zun;
Bundschuhs wurde auf Karl den Vorbilde, während die Bauweise dt*
Grossen zurückgeführt. Seit der I einzelnen Jf'reien lediglich als Welter-
Mitte des lf». Janrh. und besonders entwicklung der altdeutschen Haus-
im Jahre 1513 verwendeten auf- einriihtung erscheint, wie sie sicli
rÜhrerische Bauern den Bundschuh noch heute in einzelnen Gegenden
als Bundes - Zeichen, worauf das j Westfalens erhalten hat. Unter Karl
Wort gänzlich in die Bedeutung d. Gr. bestanden noch die meisten
von Empörung, liundschüher in die f jrtifikatorisehen Anlagen aus H«»lz
von Empörer überging. Man den- und Erde. Abgesehen von deu Kesten
tete dann Bund nicht mehr auf der Pfalzen zu Aachen, Ingelheim
das Binden der Riemen, sondern und Frankfurt a. M. sind die Wacht-
auf Bund, Aufruhr. Grimm, Wörter- türme fast die einzigen Überbleibsel
buch. i massiver Bauart aus der karolingi-
Burg, ein uraltes Wort, wörtlich sehen Zeit; diese Türme sind vier-
die bergende, schützende Stätte; Ta- eckig oder rund, hissen den Kingaug
citus nennt in der Germania ;i einen nur durch eine Leiter erreichen, eine
Ort Asciburgium , d. i. eine feste in der Mauerdicke angebrachte
Schiffsstation, von MC, Esche, und Treppe führte zu einem Zwischen-
bu$*gt andere Ortsnamen auf burgion, Stockwerke oder unmittelbar auf die
bürgt um sind von griechischen Auto- bezinnte Plattform. Auch unter eleu
reu genannt. f fjilas verdeutscht spatern Karolingern wurden die we-
j>o/h durch baurg's, ebenso Tatiau, nigen Burgen fast bloss aus rein
Otfried, Heliand die Wörter urfut, ■ militari sehen Gesichtspunkten für
Hiitas; daher die alten Städtenamen gemeinsame Zwecke des Reiches er-
mit bürg: Regensburg , Strasburg, baut. Als befestigte Sitze mächtiger
Augsburg, Magdeburg , Bildungen. Herrengesehlechter erscheinen Bör-
nchen welchen' auch das stammver- gen in Deutschland seit dein 10
wandte berg zum Teil für den glei- Jahrb., die kleineren Lehensträger
chen Platz vorkommt: Bamberg, wohnten noch auf den Höfen. Als
Königsberg, yUrnbcrg. Die Anfänge die ältesten deutschen Jlerrenbur ttii
selbständiger Entwicklung des werden genannt Hohen t trief, Stamm-
Kriegsbauwesens im Mittelalter lie- heim, Ihepofdsbttrg und Onfrulinqa,
gen bei den Franken; Goten. Lau- alle wenige Stunden von einander
gebärden und Burgunder arbeiteten entfernt. Erst die Xormaunenem
noch mit römischen Werkleuten; falle und Ungarkriege verlangten
doch bestehen die Kriegsbauten des durchaus eine grössere Zahl fester
5. u. 6. Jahrh. fast nur in Repara- Plätze; doch scheint die bekannt'
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05
Maßregel Heinrich I. überschätzt geachtet, nameutlich wenn es sich
worden zu sein; die Hauptsache uui Widerstand gegen die Krone
war, das* grössere Wohnplätze mit handelt. Auch die Königsburgen
Mauern und Graben und mit regel- nahmen unter solchen Umständen
massiger Besatzung versehen wer- zu, z. B. unter Heinrich IV. Die
den sollten. Das geschah unter Gesamtmasse der selbständigen Bur-
Heinrich I. gewiss mit Hersfeld gen sind Hokenburgen oder Sieder-
uud Merseburg, wahrscheinlich mit bürgen. Einfache Burgnamen sind
Quedtitd/urg und Corre'r, auf er- selten .und off fremden Ursprungs:
obertem sfavischen Boden wurde , Clamm, Wald, Brunn, Erla, Dobra,
Meissen augelegt. Unter den O/tu- ; Khaja. Bei den zusammengesetzten
neu kamen hinzu Magdeburg, Hai- Namen erscheint am öftesten Stein ;
Itersladf , St. Galten, Garze; Bi ' Fels nicht oft, auch Burg seltener,
schöfe befestigten die Sitze Worms, dagegen sehr häutig Berg, in der
Lnttich , ^adertorn , Hildesheim, Ebene Dorf und heidi sonst auch
Bremen, Naumburg. Köln, Cum- noch W örth, Furt, Eck, Biiehel, Lei-
hroi und Verdun erhalten im 12. ten (Abhang), Hoch. Auch zur klein-
Jahrhundert eine bedeutende Ver- sten Burg sind fünf Stücke unent
Stärkung ihrer Werke. Alle diese behrlich: 1) der Zingel, die Umfas-
festen Sitze haben den gemeinsa- sungsmauer. 2> Der Halas, die Halle
men Namen Burg, latein. Castrum, des Burgherrn. 3) Die Kemenate,
casttHum, opuidum, mit dem beson- ein mit einer Feuerstätte (ca minus)
deren Begriff der Befestigung oder versehenes Gemach, welches dem
blas« als Bezeichnung grösserer eigentlichen Familienleben, insbeson-
Wohnplätze urhs, ciritas, munici- dere dem Aufenthalte der Frauen
pium Die neuen Burgenbauten ent- diente, auch gadem. 4) Küche uud
standen infolge innerer Kriege, zur 5j das Bergj'rid, der Turm, aus l>er-
Sicherung gegen geistliche und weit- qen und rrtde = Schutz. Da sich
liebe verfeindete Fürsten. Vasallen Palas, Kemenate und Küche in den
und Ministerialen fingen an, ihre Geschossen des Turmes anbringen
Wohnsitze zu befestigen. Das be- liessen, so war zu der kleinsten Burg
garui mit Ummaunrung der Höfe ; nichts nötig als Umfassungsmauer
uud führte allmählich zur Anlage und Turm. Den Gegensatz zu diesen
künstlich befestigter Plätze an den kleinen Burgsfullen bilden die JFof-
dazu besondere geeigneten Ortlich- bürgen, deren volle Ausbildung in
keiten. Man zog aus den Dörfern spatere Zeit fallt. Unter den frän-
auf die Höhen oder auf Inseln oder kischen Kaisern erfolgen bedeutende
in schwer zugiingliche Sümpfe. Seit Fortschritte im Burgenbau. Der ro-
dein Ende de* y. Jahrh. werden diese manische Stil tritt auf. man ging von
Burgen zahlreicher, namentlich in den Einzelburgeu über zu Jiuraen-
Lothringeu. Manche Burg wurde j grujmen; der Bergfrid oder Turm
gegründet, um friedliehen Beschäfti- wurde bloss für den Notfall auf be-
gungen Schutz zu gewähren, Strassen halten. Palas und die übrigen Burg-
oder Flüsse zu beherrschen, den Ver- teile werden in Stein aufgeführt und
kehr zu beschützen, geradezu Raub hin und wieder ornamentiert. Die
zu üben, ja gegen den König selber; Dichter sprechen jetzt von „tum und
auch folgte wohl einer ohne bestimm- palas". Die erste nachweisbare Burg
ten Grund bloss dem Beispiel eines dieser Zeit ist die Habsburg bei Brugg
andern. Zwar galt als Recht, dass im Aargau; andere sind Kiburg bei
zur Anlage befestigter Plätze die Er- Winterthur, Hohen- Egisheim in den
lauhnis des Königs nötig sei, doch Vogesen und ebendort Kastenburg
wurde im einzelnen darauf wenig und Trifels; als eine der ältesten
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Bürger. — Burggraf.
Hofburqen erscheint in dieser Zeit aber wie es scheint mehr traditioneil
die Wartburg. Eine neue Periode
desBurgenbaues setzt mit den Kreuz-
zügen ein, die Früchte ihrer Erfah-
rungen zeigen sich teils in zweck-
mässiger u. reicherer Ausgestaltung
der scholl vorhandenen Formen, teils
in der Ausführung neuer Errungen-
schaften. Betreffend die Ausstattung
als eigentlich praktisch. Seinen
Hauptdienst leistet er als Warte, zu
welchem Ende er oft durch einen
hölzernen Aufbau mit Helm erhöht
wird. Der Turm galt derart als ar-
chitektonisches Abzeichen des Adels,
dass selbst das städtische Patriziat
Türme neben ihre Bürgerhauser
den Mauergürtels werden die Mauern stellte. Auf dieser Stufe blieb der
"höher, für die grossen Antwerke wird , deutsche Burgenbau des Mittelalters;
der Wallgang verbreitert durch das ' die neue fortifikatorische Technik.
Ansetzen überwölbter Strebej>feiter die ihn ablöste, kam aus Italien.
nach innen -, die Zinnen entwickeln Nach Jahns, Geschichte des Kriegs-
sich in mannigfaltigsten Formen; in wesens. Vgl. auch Schultz^ höfisches
den Mauerwinkeln werden Schützen- Leben I, Abschnitt 1.
und Schaarwartttirmchen, ballUta- Bürger. Mhd. burgaere bedeute:
rien , für Bogen- und Armbrust- das Ingesinde des Herrn der Bnnr,
schützen angebracht. Der Erker dann die Bewohner einer befestigten
erscheint ab neue fortifikatorische Stadt. Siehe Städte.
Form, mhd. (irker, aus mittellatein. Burggraf, mhd. buregrdre, lat.
dreora von lat. arcus. Bogen. Zum burgravius, praefectus oder praetor
Herabgiessen siedenden Wassers, urbis, burgicomes, eomes ttrtn's, be-
brennenden Pechs und dgl. dienten zeichnet ein Amt, das in seinem Ur-
Gussloeher oder Pechnasen. Brachte Sprung nicht wesentlich verschieden
man den Erker auf dem ganzen Um- ist von dem der Grafen überhaup t,
fange des Mauergauges oder der Es ist an einen befestigten oder sonst
Turmplattform an, so entstanden die bedeutenden Ort geknüpft , wo der
Vmgonqe-, in Holz ausgeführt, was Inhaber die gräflichen Rechte, mili-
oft vorkam, heissen sie Hürden, auch tärische, gerichtliche und andere zu
dann noch, als man sie der Feuers- üben hatte; die Wirksamkeit des
gefahrlichkeit wegen aus Mauerwerk Grafen konnte auf die Stadt be-
baute. Den Grundriss betreffend schränkt oder damit ein umliegendes
ging mau im 13. Jahrh., zuerst in I Landgebiet verbunden sein. Das äl-
Frankreich, dazu über, den Türmen teste BurgcTafenamt ist das zu Re-
sowohl einen grösseren Durchmesser gensburg, das unmittelbar unter dem
zu geben als auch ihre Flanken zu Köllig stand und wie andere Graf-
verHingern, indem man sie mit einem schatten in den erblichen Besitz einer
schnabelartigen Vorsprung versah, angesehenen Familie kam. Sonst
Das zeigt sien zuerst an der Heraus- Stent fast überall der Burggraf unter
bildung des Propugnaculums, der einem geistlichen Fürsten, der die
Thorburg, einer Nachahmung der gräflichen Rechte in der Stadt er-
orientalischen Babacane -, mhd. die worben hat und sie nun ganz oder
barbigan. ist ein aus Holz oder Erde teilweise durch jenen ausüben lasst.
hergestelltes Aussenwerk, mit Zug- So findet es sich seit dem Ende des
brücke, breitem Graben und äussern 10. Jahrh. in Toul, Worms, Köln.
Patiiiaden versehen. Ein anderes
Aussenwerk ist der Ztcinger, eben-
falls dem Orient entlehnt', zwischen
einer äussern und einer innern Mauer.
Als Kern der Burgbefestigung er-
Magdeburg, Strassburg, Speier.
Mainz, Trier, Metz, Verdun, Cambrai.
Utrecht, Augsburg, Würzburo, Bam-
berg, Salzburg, Münster, Paaerborn.
Halberstadt Hersfeld, Oorvei, Molk.
hält sich der Hauptturm, berefrid, Um Übergriffe von Seiten machtiger
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Kur*, Burse. — Byzantinischer Baustil. 97
Burggrafen zu vermeiden, wurde das derm auch Getreide, Most und Öl
Amt seit dem 12. Jahrh. öfters an die Fülle verleiht. Joel 1, 14. 2, 15
Ministerialen vergeben. Es kommt —24. Anfänglieh waren es drei
auch vor, dass Vorsteher kleinerer Zeiten, am 4., 7. u. 10. Monat (vom
Orte iunerhalb fürstlicher Territorien Marz an gerechnet), die bis zur Mitte
als Burggrafen bezeichnet werden, des 5. Jahrh. durch einen vierten
Waitz, \ erfassungsgesch. VII, 41 ff. zu Anfang der Quadragesima ergänzt
Bars, Burse, die, heisst auf den wurden. Im frankischen Reich wur-
uiittelalterlichen Universitäten der den die Quatemberfasten durch das
Konvikt für die Studenten, benannt Konzil von Mainz 813 eingeführt,
von dem wöchentlichen Beitrag > Die Tage sind Mittwoch nach In-
(hurta - lederner Beutel, Börse), den voeavit (erster Sonntag der Fasten),
die einzelneu Mitglieder, combursales, nach Pfingsten, nach Kreuz Er-
Utrgafr*, leisteten. Siehe den Art. höhung (14. Sept.) und nach Lucia
Universitäten. Als Kollektivbegriff i 1 13. Dez.).
einer Rotte oder Schar von Gesellen, In der evangelischen Kirche wur-
uamentlich von Studenten od. Kriegs- ! der in erster Linie Mittwoch uud
leuten oder ihres Gelages wird das Freitag für Wochenpredigten bei-
Wort die Burse oder spater die j behalten, sodann jährliche Bet- und
Bursck im 16. u. 17. Janrh. fest- Busstage angesetzt an den Quatem-
gehalten; allmählich ging das Wort bern, in manchen Gegenden mouat-
wie camerata und Frauenzimmer liehe Busstage eingeführt. Xarneut-
yon dem singularen Kollektivbegriff lieh im 17. Jahrh. sind neue allge-
in den pluraleu Begriff über zur Be- i meine Bet- und Busstage in den
Zeichnung derer, che zur Burs ge- ' evangelischen Ländern, zum Teil in
boren, und zuletzt entwickelte sich i Anlehnung an geschichtliche Ereig-
üaraus ein männlicher Singular, der nisse, aufgekommen, infolge der
Barsch, Bursche. Grimm, Wörter- | Türkenuot , des 30jährigen Krieges,
huck. in der retormirten Schweiz infolge
Busstage gehen in ihrem Ur- 1 des Vilmerger Krieges.
Sprung auf die älteste christliche Byzantinischer Baustil in
Gottesdienstordnung zurück, und , Deutschland. Wie der romanische
wurden anfangs der Mittwoch und Baustil aus dem Basilikenhau , so
der Freitag als solche gefeiert, der geht der Byzantinische aus dem
erstcre mit Beziehung auf den Ver- \ Centralhau isiehe diesen Art.) her-
rat des Herrn, der andere mit Be- • vor. Seine besondere Ausbildung
ziehung auf seine Kreuzigung; die fand der Byzantinische Stil im Mor-
beideu Tage wurden mit Fasten bis geulande , doch finden sich unter
3 Uhr nachmittags begangen, zu- den Kirchen, welche zur Zeit der
gleich durch gemeinsames Gebet, Goteuherrschaft am Schlüsse des
Lesen der Schrift und Predigt. Buss- \ 5. Jahrh. durch römische und grie-
seiten waren die 40 tägigen Quadra- chisehe Baumeister ausgeführt wur-
gesimalfasten vor Ostern und zum den, auch einzelne Ceutralbauten.
Teil der Advent. Besondere Buss- uud gerade diese waren es, die Karl
tage, die sich an den Wechsel der d. Gr. für seinen bedeutendsten
Jahreszeiten anschliesseu, waren die Kirchenbau, den des Münsters zu
Uuatember, Dank- und Fastentage, Aachen . zum Vorbild wählte. Er
die seit dem 3. Jahrh. eingesetzt ist aber nicht weiter wiederholt wor-
wurden mit Berufung auf den Pro- den. Das Vorbild des Aachener
pheten, der durch Fasteu geheiliget Münsters ist $an Vitale zu Jiarenna.
***in läset die Bitte um das Heil Die Umfassungsmauern bilden ein
<le* Volks, worauf Gott unter an- Achteck (mit östlich vorgelegter
Realleiicoa der deaucheu Altertümer. 7
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98
Cäcilia.
Apsisl, aus dessen Mitte sich eine Kämnfergesimse stützen im iiinern
Sieichfalls achteckige Kuppel erhebt; den Mittelbau. Über den Bogen,
er niedrigere Umgang besteht aus welche diese Pfeiler verbinden, er-
zwei Stockwerken: das untere Stock- ' heben sich die bedeutend böbern
werk öffnet sich zwischen den acht Arkaden des /weiten Stockwerke
die Kuppel tragenden, durch Bogen- 1 von denen früher jede durch eine
Wölbungen verbundenen Hauptpfei- j doppelte Säulenstellung von zwei
lern ( zwischen denen, mit Ausschluss Säulen in drei Abteilungen geteilt
der Ostseite , je 2 , im ganzen also j war. Die untere dieser Säulenstel-
14 Säulen aufgestellt sind) innerlich lung trug innerhalb jeder Arkade
in den Ceiitraloau; das obere Stock- ! ein Mauersrück, mit einem Bogen
werk bildet eine von jenen Säulen in seiner Mitte, auf welchem dann
und Krenzwölbungen getragene, um- die beiden obern Säulen aufstanden
laufende, vor der Apsis unterbro- und mit einem einfachen, ziemlich
diene Empore. Ähnlich besteht das unschönen , architrav - ähnlichen
Aachener Münster aus einem innen Mauerstück an den Bogen der Ar-
achteckigen, mit einer hohen Kuppel kade anstiessen. Über diesen Arka-
überwölbten Räume, umgeben von den sah man die acht rundbogigen
einem sechzehneckigen Umgänge ge- Fenster der Kuppel und endlich die
ringerer Höhe, aber in zwei Stock- Wölbung selbst, in welcher in Mosaik
werken, mit einem Eingange durch auf .Goldgrund Christus unter den
einen Turmbau auf der westlichen 24 Altesten dargestellt war. OfU,
und einer Doppelkapelle als Altar- flandb. d. kirchl. Kunstarch. , Ab-
nieche auf der östlichen Seite. Acht sehn. 60. Schnaase, Kunstgeschichte
starke, zusammengesetzte Pfeiler, III, 486 ff.
ohne Kapitale, mit einem einfachen
c.
CUcilia, heilige, war der Legende fekten enthauptet, Cäcilia dagegen
zufolge eine römische Jungfrau von | zuerst in ein glühend heisses Ba«i
edler Herkunft, die, heimlich zum gebracht und, da dieses sie nicht
christlichen Glauben bekehrt, das verletzte, zur Enthauptung verurteilt.
Gelübde fortwährender Jungfräu- J Dreimal versuchte es der Henker,
lichkeit gethan hatte, da sie nur ohne dass es ihm gelang, und erst
Christi Braut sein wollte. Als ihre nach drei Tagen starb sie infolge
heidnischen Eltern, die von dem der ausgestandenen Märtyrerleiden
Gelübde nichts wussten, sie einem im J. 230. Einer spätem Lebende
vornehmen römischen Jüngling Va- des 14. Jahrh. zufolge soll sich Cä-
lerianus zur Frau bestimmten, rief eilia, bevor sie zum Tode geführt
sie, während die Hochzeitsmusik er- wurde, die Gnade erbeten haben,
klang, im Stillen Gott an und be- noch einmal die Orgel zu spielen
kam dadurch die Kraft, den Vale- und dazu das Lob Gottes zu singen,
rian und seineu Bruder Tiburtius am Schluss des Gesanges aber selbst
zum Christentum zu bekehren; die- das Orgelwerk zertrümmert haben,
selben wurden jedoch, da sie sich damit es nie zu unheili^en Zwecken
mit Eifer den Werken christlicher missbraucht werde; auf dem Wejre
Liebe widmeten, auf Befehl des Prä- zur Gerichtsstätte habe sie endlieh
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Calvarienberge. — Campus Martius. 99
durch ihren heiligen Gesaug den i Gr. die Versammlung häutig im
Henker selbst bekehrt. Früh wurde Juni, Juli oder erst im August ab-
die heil. Cäciüa in die Zahl der hielt. Campus Madius erinnert fort-
grossen Heiligen und Märtyrer auf- während an die alte Heeresversamm-
genommen. Ihr Attribut ist die lung. während die Namen Synodits,
Orgel, deren Schutzpatronin wie Synodalis conventus, die man der-
je der Musik überhaupt sie ist. selben Versammlung beilegte, auf
Tarienberge heissen plasti- die enge Verbindung mit den kirch-
diejenig
sehe Nachbildungen Golgathas, ein
Hügel mit dem zwischen den Schä
liehen Zusammenkünften der Bi-
sehöfe, der Name PlacUum auf die
ehern gekreuzigten Heiland. Im ; grossen Hofgerichtstage und endlich
späten i Mittelalter wurden solche j ciie Namen Generalis convenfus, (Jon-
oft in der Nähe von Städten so an- ' venhis allein, ConHHum auf die all-
gelegt, dass ein Gebäude, etwa das gemeine politische Bedeutung dieser
Haus des Stifters, als Haus des Pi- Institution hinweisen. Manchmal
latus angenommen und die notwen- wurde das Maifeld erst mitten wäh-
digen Stationen dazu in gehöriger rend des Zuges abgehalten, sonst
Entfernung bezeichnet wurden. aber unmittelbar vor Begiun eines
Campus Martins igt die Ver- Feldzuges, wobei dann die Berufung
Sammlung des frank. Heeres, die zu zur Versammlung zugleich als Aut-
Chlodwigs Zeiten regelmässig im forderung und Gebot erscheint, sich
März zum Zwecke einer Musterung wohlgerüstet zum Heere einzufinden,
stattfand. Auf ihr sollten dem Kö- Auch wenn kein Feldzug stattfand,
nige auch die jährlichen Geschenke wurde die Versammlung abgehalten,
dargebracht werden; eine Beratung In andern Fällen, wo kirchliehe Ver-
zw i sc hen Könij? und Heer fand da- 1 hältnisse sich geltend machen, trägt
bei im allgemeinen nicht statt. Mit die Versammlung den Charakter
dem Heranwachsen des fränkischen eines Konzils, besonders unter Lud-
Reiches wurde eine solche allgemeine wig dem Frommeu. Manchmal wurde
Heerversammlung unmöglich ; wegen im Herbste eine zweite kleinere
der Teilung der Reiche, wegen Reiehsversammlung abgehalten. In
der Beschränkung der auswärtigen Beziehung auf den Ort bestand
Kriege auf einzelne Gebiete, wegen ( keinerlei allgemeine Gewohnheit,
der immer wiederkehrenden innern Wog der militärische Charakter vor,
Streitigkeiten kam das ganze Volk so bestimmte die Gegend des Krie-
kaum jemals mehr zusammen. Nur ges den Ort der Versammlung ; sonst
in Austrasien erhielt sich die alte berief Karl d. Gr. das Maifeld gern
Sitte der alljährlichen Versammlun- an seine Pfalzen zu Worms und
gen : hier wurde ihnen sogar ein Aachen, wohin auch Ludwig d. Fr.
grösseres Recht, als sie früner be- die meisteu Reichstage anordnete,
eessen hatten, zuerkannt- nur war Ort und Zeit einer Versammlung wur-
es nicht mehr das ganze Heer, son- den entweder von einer Versammlung
dern bloss die Beamten und Grossen selber für die nächstfolgende be-
wies Reiches, die hier zusammen- stimmt, oder der Kaiser mit seinen
kamen und mit dem Könige die Räten gab die Entscheidung. Be-
Verhältnisse des Reiches berieten sondere Schreiber und Boten gingen
und Gesetze erliessen. Unter Pinin dann an die Grossen des Reiches,
wurde die Märzversammlung auf aen Die Beratungen und Beschlüsse
Mai verlegt, das Märzfelu in ein gingen stets bloss vom Kaiser und
Maifeld, Campus Madius, verwan- 1 aen Grossen des Reiches aus, die
d It, und zwar wurde der Name versammelte Menge beteiligte sich
auch dann beibehalten, als Karl d. nicht daran. Sowohl diejenigen Gros-
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100 Campus Martins.
sen, die Karl d. Gr. als erste Kat- hing war zugleich ein Ausdruck der
geber, senatores, bezeichnet hatte im deutschen Volk lebenden Auf-
und die eine Art Ausschuß bildeten, fassung vom Staat, nach welcher
als die übrigen Grossen, hatten ein jederzeit ein Zusammenwirken von
besonderes Lokal. Bei gutem Wet- Herrscher und Volk in deu wichti-
ter berieten sie nach der alten Sitte geren Angelegenheiten erforderlich
aller Volksversammlungen im Freien, ist, die zu verschiedenen Zeiten eiue
sonst in bedeckten Räumen. Eine verschiedene Bethätigung erhalten
feste Ordnung in betreff der Ge- hat, die sich aber auch hier, nur in
Schäftsführung bestand nicht, die bestimmt aristokratischen Formen.
Anträge gingen bald vom Kaiser, zeigt und nicht gering angeschlaLvu
bald vom Ausschuss aus. Von einer werden darf. Wohl sind es die Ik
scharfen Umgrenzung des Rechts amten des Staats und der Kireln
der Versammlung, namentlich eiuer und einige andere besonders ange
S mauern Unterscheidung zwischen sehene Männer, welche die eigent
at und Zustimmung kann keine liehen Beratungen halten, und auf
Rede sein. Ludwig d. Fr. hat es die es bei allen Entscheidungen an-
ausdrücklich ausgesprochen, dass er kommt: allein sie handeln iinNamen
ohne die Zustimmung der Grossen der Gesamtheit und können wie eine
nichts unternehmen wolle. Solange
Karl lebte, ging dagegen freilich
der Impuls zu allen wichtigen Be-
Art Vertretung des Landes, die
Grafen der Gaue, denen sie vor
stehen, die Bischöfe der Diözesen
schlu8snahmeu von ihm aus. Doch oder auch der auf ihren Besitzungen
auch er achtete der alten germa- Wohneuden, augesehen werden. Dem
nischen Sitte, dass nicht der Wille Volk, das ausserdem auf einer s»l-
und die Einsicht des einzelnen, wenn chen Versammlung sich eingefundt-n
auch hochbegabten und hochgestell- hatte und im Freien umherlagerte,
ten Mannes, entscheiden dürfe über ward zuletzt verkündet, was be-
Wohl und Wehe, Thun und Lassen schlössen war, wenigstens insofern
des Volks, sondern dass derselbe es die Gesamtheit anging. Da
des Beirats und der Mitwirkung sol- mochte dasselbe vielleicht in alter
eher bedürfe, welche durch ihre Stel- Weise seinen Beifall durch Zuruf
hing berufen seien, Auskunft über oder Waffengetös zu erkennen geben
die Bedürfnisse und Interessen der Mitunter war es der Herrscher selbst,
einzelnen Teile und Glieder des Rei- der zuletzt das Wort nahm, über
ches zu geben. Die Reichstage dien- die gefassten Beschlüsse Nachricht
ten, den Zusammenhang und die gab oder sonst uoch einmal zu der
Einheit in der Leitung der staatlichen Versammlung sprach. War diese
Angelegenheiten zu erhalten und geschlossen, so entliess er die An-
weiter auszubilden: hier fand der wesenden förmlich. Die Beschlüsse
Kaiser Gelegenheit, persönlich mit wurden aufgezeichnet, mitunter auch
den Vorstehern der Gaue und Bis- durch die Unterschrift der Anw-
tüiner zu verkehren, wie es bei dem senden bekräftigt. Regelmässig ist
weiten Umfang des Reiches sonst dann alles in einem Aktenstück Ver-
nich! möglich war: hier, die allge- buudeu, in anderen Fallen aber da»,
meinen Grundsätze festzustellen und was die Geistlichkeit betraf, von den
auszusprechen , nAch denen sie und Übrigen getrennt, oder es sind noch
die Königsboten handeln, überhaupt weitere Abteilungen gemacht. Die
die öffentlichen Angelegenheiten ge- Originale wurden im Archiv aufV
leitet werden sollten. Aber es ist wahrt, aber auch wohl gleich besou
das nicht das Einzige, was in Be- dere Ausfertigungen für die Beamtin
tracht kommt. Die Reichsversamm- gemacht, oder diesen spater Abschrift
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Capitularia. — Carmina bm an a.
101
gegeben. Der allgemeine Name, wel- det sich keine Spur einer offiziellen
eher von diesen Aufzeichnungen gilt, deutschen Ausfertigung, alle Kapi-
ist Capitularia. Siehe diesen Art. tularien sind in lateinischer Sprache
Nach Ludwig d. Fr. sind keine Mai- abgefasst. Das Bruchstück einer
fehler mehr abgehalten worden, deutschen Interlinearversion, das bei
Nach Waitz, Verfa.ss.-Gesch., beson- Mülhnhoff und Sickerer, Denkmäler,
ders III, Abschnitt 5. LXVI, abgedruckt ist, scheint Privat-
Capitularia. Da die Bestimmun- ! arbeit. Die Kapitularien nehmen,
gen der Volksreebte (vgl. den Art. soweit sie gesetzliche Vorschriften
Teaea Barbarorum) nicht rar alle Ver- enthalten, volle und unbeschränkte
hältnisse genügen konnten, suchten Geltung in Anspruch; nur waren sie
die Könige den Mangeln und Lücken nie reent allgemein verbreitet. Auf
durch neue Gesetze; abzuhelfen, wel- j das römische Recht ist keine Rück-
che sie teils abgesondert publizierten, I sieht genommen. Unter Ludwig d.
teil» als Ergänzungen zur lex Safica Frommen hat ein Geistlicher Anseqis
schreiben hessen. Sie galten als ge- eine Sammlung der Kapitularien der
meines Recht für den ganzen Um- letzten Zeit veranstaltet, die an sich
fang des Reiches und führten in der keine offizielle Bedeutung hatte, aber
merowingischen Zeit die Namen bald in allgemeinen Gebrauch kam
Edictum, Auetori tas, Decretum oder und von den Königen selbst wie
Decretio, Praeceptio oder Praecev- eine authentische Ausgabe der Reichs-
/wjw, Constitutio, Factum. Es giett gesetze angeführt wurde, obgleich
ihrer von Chlodwig an ; später wur- sie durchaus unvollständig ist. Ste-
den sie von den Hau>meiern erlassen, nedictus Levita lieferte eine unbe-
Seit Karl d. Gr., wo sie überhaupt deutende Fortsetzung des Amerns.
zahlreicher und eingreifender sind, Waitz, Verfass.- Gesch., III, Abschu.
heisseu sie Capitularia oder Capita, 5. — Stobbe, deutsche jRechtsqueflen,
weil sie in Kapitel zerfallen. Sie I, § 20 ff. Die vollständige Ausgabe
sind wesentlich Beschlüsse der Reichs- der Kapitularien von Pertz in den
Versammlungen, mitunter durch die Äfonumenta Gernut niae legum 1, 1835.
Unterschrift der Anwesenden bekräf- Carmina burana hat Schweiler
tigt. Regelmässig ist alles, was eine eine Sammlung lateinischer,deutscher
Versammlung beschloss, in Einem und gemischter lateinisch-deutscher
Aktenstück verbunden, in anderen Lieder genannt, die in einer Hand-
Fällen das, was die Geistlichkeit schrift Deisammen stehen, welche
betraf, von dem Übrigen getrennt, einst im Besitze der oberbairischen
Siehe d. Art. Campus Jfartius. In- Abtei Benediktbeuren (daher der
haltlich sind es Instruktionen, Be- Name) war, und die er in Bd. 16 der
richte, Gutachten, namentlich aber Bibliothek des litterarischen Vereines
Gesetze. Regelmässig spricht oder in Stuttgart veröffentlichte. Die la-
befiehlt darin der König. Handelt teinischen Lieder sind teils in antiken
es sich um ein Recht eines besondern Versmassen, teils in modern accen-
Volkes oder Stammes, so werden die tuierenden Rhythmen mit Endreimen
Bestimmungen den Gauversamm- gebaut. Dem Inhalt nach sind es
hingen zur Anerkennung vorgelegt geistlich-polemische Lieder, Natur-,
und hier durch Unterschrift der An- Trink- und Liebeslieder, Gnomen,
wesenden bekräftigt. Grosses Ge- geistliche Spiele, manches darunter
wicht wurde auf die Verkündigung sehr weltlich, ja frivol, anderes über-
dieser Gesetze gelegt. Die Königs- aus frisch und lebendig. Die frühere
boten, Grafen, Erzbischöfe, Bischöfe Ansicht von der Entstehung dieser
hatten die Pflicht, für die öffentliche Lieder war die, dass sie nach 1200
Verkündigung zu sorgen; doch fin« , von fahrenden Klerikern oder Vagan-
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102
Carolina. — Centraibauten.
ten der deutschen höfischen Lyrik
in Stropheubau, Rhythmus und Auf-
fassungnachgebildet seien; in neuerer
Zeit ist die Ansicht ausgesprochen
worden, dass wir hier Dichtungen
vor uns hätten, welch« neben der
südfranzösischen Lyrik und dem nie-
dern Volkslied eine wirkungsvolle
Quelle des höfischen lyrischen Ge-
sanges gewesen seien. »Siehe Martin
in der Zschr. f. d. Altert. Bd. 20 (8).
Eine Auswahl giebt: Gaudeamus!
Carmina wuwrumSeUcta. Lips. 1869.
Deutsche Übersetzungen: A. Fem-
werth v. Bernstein, Carmina burana
Selecta, Würzburg 18T9, u. L. La ist-
ner: Golias. Stuttg. 1879.
Carolina ist der Name der Reicbs-
Halsgerichtsordnung Karls V. vom
Jahre 15H2. Während das Strafrecht
im Mittelalter nur in unvollkomme-
nen Aufzeichnungen oft bloss lokaler
Natur, in den Keichsgesetzen , in
den Reehtsspiegeln, den Stadtrechten
oder bloss nach mündlicher Über-
lieferung vorhanden gewesen war,
fanden im 15. Jahr Ii die auf das
kanonische und römische Recht ge-
bauten Schriften der italienischen
Praktiker Eingang und veranlassten
eine Reihe nach den Grundsätzen
dieser neuen Jurisprudenz hergestell-
ter Halsgerichtsordnungeu. Bedeu-
tend wurde namentlich die durch
Johann Freiherrn zu Schwarzenberg
verfasste Bamberger Halsgerichts-
ordnung vom Jahre 1507, sie wurde
das Muster der Brandenburgischen
vom Jahre 1516 u. ebenfalls der pein-
lichen Gerichtsordnung zu Grunde
gelegt, die auf Anregung des Kam-
mergerichts nach vielen Verhand-
lungen seit 149s endlich auf dem
Augsburger Reichstage von 1532
publiziert wurde. Die Carolina, wie
sie später genannt wurde, oder CW
stitutio criminali* Carolina besteht
aus 219 Artikeln.
Cato, deutscher. Mit diesem
Namen bezeichnet man eine Samm-
lung lateinisch abgefasster Lebens-
regeln, die in der ersten Hälfte des
13. Jahrh. in deutsche Verse tiber-
I trafen wurden. Der Verfasser ist
nicht bekannt , der Name „Cato"
beruht auf einer absichtlichen oder
vermeinten Vermengung mit einem
der beiden römischen Catouen. Di*1
Entstehungszeit des lateinischen Ori-
ginals fällt wahrscheinlich ins 4. Jahrb.
Die Dixticha Catoni* waren während
des ganzen Mittelalters ein beliebte«
Unterrichtsbuch für Grammatik, Poe-
sie und Moral. Schon Notker Labet«
gedachte sie ins deutsche zu über-
tragen. Doch stammt die ältesU
erhaltene deutsche Übersetzung erst
aus der ersten Hälfte des 13. Jahrh.:
sie ist später mehrfach überarbeitet
worden. Die behaudelten Stoffe sind:
Vermögensverhältnisse; Recht und
Gericht; Wachen und Schlafen;
Warnung vor Mitmenschen; Freund-
schaft ; Glückswechsel und Notwen-
digkeit, deshalb etwas zu lernen:
Verhalten zu Freunden, Vorsicht:
Ehe; Gute Gesellschaft; Tod und
Erben; Nachsicht und Güte; Has>,
Neid und Laster; Reichtum und
Armut: Gesundheit und Ärzte; Auf-
forderung zu nützlicher Thätigkeit:
Kümmere dich nicht um die RedenAn-
derer. Das Lehrgedicht wurde auch
öfters gedruckt, bis schliesslich Se-
bastian Braut durch seineÜbersetzung
des lateinischen Cato denältern deut-
schen Cato verdrängte. Zarncke, Der
Der deutsche Cato. Leipzig 1852.
Central bauten heissen diejenigen
kirchlichen Monumente, die entweder
kreisrunde oder polygone Anläse
zeigen, oder deren Grundriss aie
Form eines gleichschenkligen, des
griechischen, Kreuzes hat. Sie ent-
stehen als älteste christliche Bauart
gleichzeitig mit der Basilika. Schon
die Römer pflegten gewissen Heilig-
tümern, vorzugsweise den Grab-
tempeln, die Form eines kreisrunden
Kuppelbaues zu geben; sie waren
meist zweigeschossig, unten der Gruft-
raum für die Leiche, oben der R?.usi
für den Grabkultus. Solche Bauten
sind das Grabmal der Helena, der
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Centraibauten.
103
Mutter Konstantins d. Gr., und das welchen die Kollektivtaufe der alten
Mausoleum Theodorichs zu Ravenna. Christen vorgenommen wurde. In
Verwaudt mit den Grabkirehen sind ihrer Mitte befand sich ein Bassin,
> :
die Memorien oder Gedächtniskir- in welches die Täuflinge hinunter
chen, Denkmäler zur Verherrlichung stiegen, um durch Untertauchen die
einer geweihten Stätte. Eine dritte Weihe zu empfangen. Die architek-
Klasse von Centraibauten sind die tonische Entwicklung dieser Central-
Baptisterien oder Taufkirchen, in bauten vollzog sich besonders da-
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104
4
Chiroma:: tic. - Chor.
durch , dass [man die Kuppel nicht Chiromantie ging eine auf sämtliche
mehr auf den Umfassungsmauern Teile des Körpers sich erstreckende
selbst ruhen, sondern sie von Säulen Physiognomie Hand in Hand. Die
tragen Hess, die kreisförmig inner- Chiromantie selber zerfiel in eine
halb der Rotunde aufgestellt waren. Chiromantia medica und eine Chiro-
Es entstand daneben ein ringsherum- ! mantia curiom. Die Hauptlinien
laufender Umgang, den Seitenschiffen • der Hand sind: die Herzens- oder
der Basilika entsprechend, dessen Lebenslinie, die Kopf-, Mittel- oder
Gewölbe dem hoch ansteigenden und Xaturlinie, die Tisch-, Gedärm-, Ge-
selbständig beleuchteten Kuppel- nitalien-, Nieren-, Gall- und bei
räume ein genügendes Widerlager dem Frauenvolk die Mutterlinie,
bot. Im Orient entwickelte sich aus endlich die Leber-, Lungen- und
dieser Form die Grundform der Magenlinie. Daneben gieot es 8
byzantinischen Baukunst, im Abend- Nebenlinien, 3 Triangel, den Tisch
lande blieb sie fast ausschliesslich auf oder Quadrangel und 7 B<*rge der
bestimmte Kultuszwecke beschränkt, Hand: Berg Veneria, Jo rw, Sa turni
wie Grabkapellen, Schlosskirchen, Sotit, Merenrii,Lunae,Cavea Marti*.
Baptisterien. Baku, über den Ur- Chokolade wurde in Europa zu-
Sprung und die Entwicklung des erst von den Spaniern getrunken
christlichen Central- und Kuppel- 1 und kam von Spanien nach Italien,
baues, 1866. Bildende Künste i. d. 1663 nach Paris. Weigernd weist
Schweiz, 80. Siehe Fig. 4 1 , aus den das Wort auf deutschem Sprach-
kunstlüst. Bilderbogen. gebiet zuerst im J. 1715 nach.
Chiromantie, Wahrsagung aus Chor, der gottesdienstliche Aufeut-
den Linien der Hand , gehört mit haltsort des Chore« der Geistlichen,
der Astrologie und Alchemie zu wovon er den Namen Choru* trägt,
jenen aus dem Altertum stammen- auch hoher Chor oder Presbyteri*m
den Lebenserscheinungen, welche (Priesterraum), Sanctuarium\ ist ur-
zwar aus der Beobachtung der Natur sprünglich das regelmässig quadra-
entstanden, die natürliche rlrkenntnis tische Altarhaus. Er liegt höher
jedoch nicht rationell auszubilden als das Schiff der Kirche, dehnt sich
vermochten, sondern in teils naiv aber zuweilen westlich bis in die
kindlicher und phantastischer Art, Vierung aus. Vom übrigen Raum
teils als Mittel des Betruges zu ist er durch Schranken {caneeih)
künstlichen Systemen ausgebildet oder eine niedrige Wand gerrennt,
und, vom Mittelalter lebhaft aufge- an der Westseite gegen das L»ang-
aufgegriffen , Versuchsfelder sowohl schiff häufig durch einen förmlichen
romantischer Träumerei als betrüge Querbau oder eine Emporkirche, der
rischer Handlungsweise als endlich Lettner, Lectorium, genanut wird,
redlicher, aber ungenügender Natur- Derselbe ist mehr oder weniger ge-
beobachtung gewesen sind. Schon räumig, durch eine enge Wendel-
Aristoteles erwähnt die Chiromantie, stiege zugänglich und von offenen
Artemidor erhob sie im 2. Jahrh. Bögen getragen oder mit Durch-
n. Chr. zur Theorie. Das 16. u. 17. gängen versehen. Er dient ausser
Jahrh. haben in allen europäischen zur Verlesung des Evangeliums (daher
Litteraturen zahllose gelehrte und der Name) auch zum Aufstellen der
volksmfissige, mit Bildern versehene Sängerchöre und hiess dahe.r auch
Darstellungen dieser vermeinten Boxal, von Doxohgic = Lobpreisung.
Wissenschaft hervorgebracht, und oder Singechor. &it dem 1 3. Jahrb.
noch im Beginn des 18. Jahrb. wur- erlaubte man sich Abweichungen
den auf den Universitäten eigene von der quadratischen Forinaes
Kollegien darüber gelesen. Mit der Altarhauses, sowohl durch Yer-
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Chorstühle. — Chrntophorus.
103
kürzung als namentlich durch Ver- Hochaltars, in einer langen Folge,
längerang des Quadrates; das letztere meist in doppelter Reihe, bis in die
wurde im gotischen Stil normal. Ein Vierung des Querhauses und noch
ganzliches Fehlen des Altarhauses über dieselbe hinaus bis ins Haupt-
ist seltene Ausnahme. Die Erhöhung schiff fortsetzen. Die einzelnen Reihen
des Chorraumes über den Fussbodeu sind stufenförmig hintereinander er-
der übrigen Kirche betrügt oft nur erhöht, die vorderen Sitze nach dem
eine oder zwei Stufen, steigt aber Chore durch eine Brustwehr mit
auch bis 22 Stufen; ein bedeutend den darauf befindlichen Betpulten
erhöhter Chor lässt stet» auf das abgegrenzt. Dieselbe Einrichtung
Vorhandensein einer Krypta unter zeigt die Rückwand für die dahinter
demselben schliessen. Der Schwib- befindliche Folge der Hochstühle,
l»ogen, der das Altarhaus von der die ihrerseits in der Regel eine
Vierung scheidet, wird Fronbogen reiche Bekrönung vermittelst weit
.»der Triumphbogen genannt, weil über die Rückwand vorragender
er mit einer Darstellung des trinm- Baldachine erhielten. Jeder Platz
phirenden Erlösers geschmückt zu ist von den folgenden durch Arm-
t-ein pflegte. Die Krypta mit einem lehnen getrennt und zwar gewöhn-
oder mehreren Altären, war aus- lieh durch doppelte, die niedrigen
schliesslich dem Dienste der Toten zum Gebrauche beim Sitzen, die
gewidmet. Die Cistercienser sollen höheren zur Bequemlichkeit beim
sie in ihren Kirchen zuerst aufge- Stehen bestimmt. Die Sitze selbst
geben haben. Die Beleuchtung richtet sind zum Aufklappen eingerichtet
sich nach ihrer mehr oder minder und auf der untern Seite mit den
tiefen Lage. Die Krypta ist stets sog. Miserikordien versehen, kleinen
gewölbt, und die \\*ölbung wird Konsolen, mit Figuren oder Masken
durchmehrere Pfeilerreihen getragen, geschmückt und dazu bestimmt, den
Auch Doppelchöre kommen vor, älteren oder gebrechlichen Kapitu-
vom 9. bis 12. Jahrh. in Deutsch- laren während der zum Stehen Vor-
land sogar gewöhnlich; solche Kir- geschriebeneu Zeit der Chorstunden
chen stellen sich gleichsam als zwei eine halb aufrechte Stellung zu er-
Kirchen mit einem gemeinschaft- j möglichen. Zu den architektonischen
liehen Langhause dar. wobei jeder s Zierden , die man den einzelnen
Chor seinen eigenen Heiligen hat. Gliedern zu teil werden Hess, kam
Die erste Kirche mit Doppelchören schon früh ein reicher Schmuck mit
ist die Klosterkirche zu Fulda. — Ornamenten und bald auch eine
Ott*. Handb., Absch. 19. Mannigfaltigkeit figürlicher Dar-
Chorstttble. In den altchrist- Stellungen. Bahn, Bildende Künste
liehen Basiliken pflegten die Geist- in der Schweiz, 748 ff. O/fe, Handb.
liehen ihre Sitze in der Apsis ein- d. Kunst- Arch. 197.
zunehmen, auf den steinernen, mit Christopherus, heiliger, soll nach
Polstern und Teppichen belegten den alten Martyrologien zu Samos
Bänken, die sich zu beiden Seiten in Lycien gelebt, viele Heiden zum
der bischöflichen Kathedra dem Chor- Christentume bekehrt und seine Hei-
rund anschlössen. Eigentliche Chor- denlaufbahn durch ein glorreiches
Stühle scheinen erst um die Mitte i Martyrium unter Kaiser Dagnus oder
des 13. Jahrh. aufgekommen zusein. ! Decius besiegelt haben. Nach der
Jetzt nämlich wurden die Sitze in späteren Legende gehörte Christo-
der Langenachse der Kirche aufge- pnorus zum Volke der Caninäi oder
stellt, an den Wänden des Altar- Chananäi, war hundsköpfig und 12
hauses oder längs der Chorschra nken, | Ellen hoch. Durch das Wunder
wo sie sieh zu beiden Seiten des einer in den Boden gestellten eiser-
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106
Christopherus.
neu Rute, die er Blätter und Blüten starke Winde die Pfeile rechts und
treiben lässt, bekehrt er 18000 Be- links an ihm vorbei, ja einer fliegt
wohner der Stadt Samos zum Chri- dem König Dagnus ins Gesicht und
stentum. Deshalb und weil er wahrend beraubt ihn eines Auges. Er stirbt.
Fig. 42. St. Christoph.
seiner Marterung auch viele weitere
Tausende vou Heiden belehrt hat,
lässt ihn König Dagnus auf einer
f lühenden eisernen Bank rösten und
ureh Pfeilschüsse töten ; doch wehen
nachdem er dem geblendeten König
Beschmierung des Auges mit einem
im Namen Christi angerührten Kote
angeraten, worauf der König, Hern
das Mittel zum Augenlichte verhilft.
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Christusbilder. — Ciborium.
107
sich selber zum Christentum bekehrt.
Die allgemein verbreitete Form der
Christophoras- Legende bietet jedoch
die Legenda aurea. Nach dieser
Auifiissungdient Chris tophoras zuerst
dem Teufel, dann, um mit Christo,
dem Stärkeren als der Teufel, be-
kannt zu werden, übernimmt er den
Dienst eines Fährmanns oder Trägers
armer Wanderer über einen Fluss
Dalasst sich nun auch das Christkind-
lein von ihm übersetzen, taucht ihn
mitten im Strome unter und legt
ihm so taufend den Namen Christo-
pherus, Christusträger bei. Es giebt
auch mittelalterliche deutsche Chri-
stophorusgedichte. Ohne Zweifel sind
bei dieser Form germanisch-heid-
nische Elemente thätiggewesen. Sehr
häufig wurde sein Bild in kolossaler
Grösse an den Mauern der Kirchen,
Rathäuser und Wohnhäuser ange-
bracht, auch, aber nicht kolossal, unter
Kanzel- und Sakramentshäuschen.
Der früheste aller datierten Holz-
schnitte ist der sog. Buxheimer
Christoph ans dem Jahre 1423.
Jfoch/er in der 2. Aufl. von Herzoga-
Real-Eneycl. Monographie von Hau-
tfnit: Der grosse Christoph. Ber-
lin 1843, siehe Fig. 42 aus Schotter,
Geschichte der Holzschneidekunst.
CJiristusbilder. Die altchrist-
iiche Kunst begnügte sich, Christus
durch Symbole (Monogramm, Fisch.
Kreuz, Lamm) oder durch Allegorien
i Orpheus, den guten Hirten) an-
deutend darzustellen. Im 3. Jahrh.
erscheint auf Sarkophagen der sog.
Katakombentypus: der Heiland in
holdseliger Jugend ohne Bart, in
»iner idealen Auffassung, die sich,
der Anschauungsweise der Heiden-
Christen entsprechend, an den bereits
fertigen Typus des guten Hirten
anschloss, wie dieser formell aus
dem antiken Bildnis des widder-
tragenden Hermes hervorgegangen
war. Seit dem 6. Jahrh. entwickelt
sich daneben aus dem Streben, der
trottlichen Gestalt eine höhere Würde
und gewichtigem Ausdruck zu ver-
leihen, der sog. Mosaikentypus, das
längliche Gesicht mit dem gespalte-
nen Bart und geteilten Haupthaar,
mit unbedecktem Haupt und unbe-
kleideten Füssen, langem Uuterge-
wand und kürzerem Obergewand
Salvatorbitder heissen Abbildungen
des verherrlichten Erlösers. Christus
steht oder sitzt, seltener auf einem
Throne, häufig auf einem Regen-
bogen (Apost. 4, 3.), die Rechte
segnend erhoben, in der linken das
Buch des Lebens oder eine Schrift-
rolle haltend; von seinem Haupte
geht rechts ein Lilienstengel , links
ein Schwert aus, seine Füsse ruhen
auf einer Weltkugel. Orte, Haudb.
Abschn. 158. — Müller und Mothes,
Arch. Wörterb. Art. Christus. Siehe
Fig. 43, das Weltgericht darstellend.
Chronostichon, eine im Mittel-
alter oft angewandte Verhüllung der
Jahreszahl in der Art, das die Janres-
zahl in sämtlichen oder einer Zahl
durch den Charakter der Schrift
kenntlich gemachter Zahlbuchstaben
verdeckt ist, deren Addition die Jah-
reszahl giebt. Die Inschrift auf
einem Kelche in der Marienkirche
zu Danzig lautet: Fulgidus Ute ca-
linr divine porcio Wense, Aurea quo
f actus anno per grammata cense, wel-
ches die Zahl 1426 giebt.
Ciborium heisst sowohl der Al-
tarbaldachin als das von ihm herab-
hängende Gefäss zur Aufbewahrung
der Eucharistie; je nach seiner Form
nannte man es Büchse (pyxis), Taube
(columba , peristerium) , Türmchen
(turris, turricula), Kapsel (capsa),
Speisegefäss (ciborium). Die allge-
meinste Form war eine runde, cy-
lindrbche Büchse, pyxis, in älterer
Zeit aus Holz, Bein, Stein oder edlem
Metall, später fast immer aus letz-
terem verfertigt. Die Gefsisse in
Taubenform, mit der symbolischen
Beziehung auf den hl. Geist, stan-
den auf einer Schüssel, die mit den
daran befindlichen Kettchen an einer
Schnur über dem Altartische schwe-
bend herabhing und während der
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108 Chriatusbilder.
Fig. 43. Salvatorbild nach Urs Graf.
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Cistercienscr-Orden.
109
Hess« heruntergelassen wurde. Seit | bei Oiteaux unfern Dijon 1098
der Einführung des Froulcichuains mit Unterstützung des Grafen Odo
festes im 13. Jahrh.
kommen zur Vor-
zeigung {motutrare)
der Eucharistie die
Monstranzen auf.
welebe sich zum
Teil an die früher
bestandenen Reli-
quien - Monstranzen
anschlieasen, Schau-
L>t;issen zur Auf-
bewahrung von Re-
liquien, die seit dem
14. Jahrh. aus einem
senkrecht gestellten
Kry fetall - Cy linder
bestehen, getragen
von einem dem goti-
tchen Kelchtusse
dachenden metal-
lenen Ständer und
"^n mit einem
Tabernakel in den
mannigfaltigen
Formen der goti-
schen Architektur
ttkrönt.Ote,Hand-
Buch Absehn. 45.
&ehe Fig. 44, aus
Sämann s bist. Bil-
derbogen.
tistereienser-
«*r4eB. Sein Stif-
ter ist Robert, aus
Champagne, ein
eifriger Cluniacen-
•w Mönch. Nach
mehreren vergeb-
lichen Bemühungen,
«nice ans der k.1ö-
s^rlichen Zucht ge-
fallene Benedikti-
nerklöster im Sinne
*iner strengen As-
kese zu reformieren,
Bß'l nachdem ihm
Fig. 44. Ciborium.
<h* Ordnung der
Einsiedler im Wald
Ton Molesmes ebenfalls misslungen terkloster wurde System.
Jas Kloster Citeaux
unter der strengsten
Beobachtung der
Kegel des heil. Be-
nedikt. Zwar wurde
er durch päpstlichen
Befehl gezwungen,
nach Molesmes zu-
rüc kzu k ehren , wo
er auch im J. 1108
starb; aber seinen
Nachfolgern in Ci-
teaux, Alberich und
dem Engländer Ste-
1)han Harding, £e-
ang es, die Zustim-
mung raschalis II.
zu einem neuen Or-
densstatut zu erhal-
ten. In rechte Auf-
nahme kam das
Kloster durch den
Eintritt des 15 jäh-
rigen Grafen Bern-
hard von Chätillon
mit 30 Gefährten.
Die Zahl der Mönche
wurde so gross, dass
man neue Kolonien
auszusenden sich ge-
nötigt sah; in wal-
digen Einöden
wurde La Ferte*
( Firm ifas) , Po n tig ny
(Pontis nidu*),Clair-
vcauj" (Clara rallis)
und Morimoml
(Mors mundt) ge-
stiftet. Clairveaux
kam unter Bern-
hards Leitung. Von
den genannten fünf
Klöstern sind alle
anderen abgeleitet;
die Kolonisation
und eine bedingte
Abhängigkeit der
Töchter vom Mut-
Sobald
**ar, lüftete er in einer Einöde die Zahl der Mönche es erforderte
110
Cistcrcienser-Orden.
oder gestattete, ernannte der Abt
womöglich dreizehn Brüder, unter
ihnen das erwählte Oberhaupt des
zukünftigen Klosters, welche dann
mit festgestellter Förmlichkeit ihre
bisherige Heimat verliessen, um
an neuer Stelle die Beschwerden
der Gründung zu übernehmen.
Alle diese Klöster wurden in Ein-
öden, gewöhnlich in Thälern ange-
legt. Sie fingen mit den rauhesten
Arbeiten an und mussten öfter ver-
legt werden. Der Name wurde frei
und bedeutungsvoll gewühlt, Clara
ratfis, Aqu-a bella, Portus S. Afariae.
Das Prinzip des Ordens, die Neu-
gründungen in Einöden anzulegen,
führte zu landwirtschaftlicher Thä-
tigkeit in umfassendem Sinne. So-
bald sich das Gebiet durch Rodungen
und Schenkungen ausgedehnt hatte,
legte man Maierhöfe, yrangiae, an,
auf welchen die Wirtschaft durch
Mönche untergeordneten Ranges be-
trieben wurde; das ist die Entstehung
der bei den alten Benediktinern noch
unbekannten Laienbrüder wie sie
schon die Cluniacenser eingeführt
hatten; sie heissen conversi, gegen-
über den prqfeui. Die conrersi auf
dem Hofe standen unter Leitung
eines professus. Die Lebensweise
war strenge: grobe Gemüse, hartes
Brot, ein Strohsaek; Fleisch, Eier,
Fisch, Milch und Wein waren ver-
pönt.
Die Leitung der Cistercienser
Klöster hält die Mitte zwischen dem
republikanischen Wesen der alten
Benediktiner und der strengen Kon-
zentration der Cluniacenser. Zwar
blieb Citeaux der Mittelpunkt, sein
Abt hielt die Generalkapitel des
Ordens ab. Aber jedes Kloster hatte
seinen eigenen Abt, und jedes Mutter-
kloster führte die Aufsicht über alle
von ihm ausgegangenen Klöster. In
der innern Verwaltung und der
Wahl des Abtes waren die einzel-
nen Klöster selbständig, unterlageu
aber jährlich einer Visitation. Wie
die Cluniacenser sind auch die
Cistercienser von der bischöflichen
Gewalt eximiert und stehen direkt
unter dem päpstlichen Stuhle. In
Frankreich nannte man den Orden
Bernhardiner-Orden. Im Jahre Hol
gab es 500, in der Mitte dea 13. Jahr-
hunderts 1 800 Cistercienser Klöster,
die meisten vor 1200 gestiftet. Ihre
Strenge hielt aber nicht lange au.
und gegen Ende des Jahrhunderts
wurde allgemein über die Verwelt-
lichung auch dieses Ordens Klagv
ceführt. Das Ordenskleid ist im
Gegensatz zu der schwarzen Tracht
der alten Benediktiner weiss nih
grauem Skapulier.
Die Gründung und Entwicklung
des Cistercienser-Ordens bildet ein
hervorragendes Glied in der Kette
der Erscheinungen, welche im 10.
und 11. Jahrh. das einseitig-kirch-
liche Leben des Mittelalters zur
Zeitigung bringen. Der ältere Bene-
diktiner-Orden hatte sich würdig uud
verständig an der Befestigung der
christlichen Lehre und Zucht be-
teiligt, war jedoch stets im engen
Zusammenhang mit den weltlichen
Gewalten und Bedürfnissen geblie-
ben. Staatlich war bei den könig
liehen Klöstern aus dem Vorsteher
des Klosters ein Fürst des Reiches
geworden, und jemehr die Zeitver-
nältnisse die weltliche Bestimmung
der Klosterstiftungen hervorhoben,
desto mehr erlahmte der kirchliche
Charakter, in Frankreich mehr ab
in Deutschland. Diesem Charakter
wieder zu seinem Rechte zu ver-
helfen und die Wurzel der Welt
lichkeit auszuziehen, entstanden im
10. und 11. Jahrhundert die refor-
mierten Orden der Cluniacenser.
Grammontaner , Kartäuser und
Cistercienser, deren einflussreichste
die Cluniacenser und Cistercienser
siud. Während jedoch die alteren
Cluniacenser neben ihrer strengen
Kirchlichkeit doch die Berührung
mit der weltlichen Gesellschaft nicht
flohen, ihre Stiftungen in oder bei
den Städten anlegten, den Betrieb
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Cistercienser-Orden .
111
der Wissenschaften und Künste er-
neuerten, ergaben sich die Cister-
cienser einem ausgesucht strengen
Ascetentum , stellten eine hochge-
fteig<*rte Idee von Mönchsheiligkeit
a>.f, wählten für ihre Stiftungen mit
Vorliebe öde Orter, stellten sich in
H-hroflea. feindlichen Gegensatz zur
.Vliolastik, zur Kunst, zur freiem
Forschung. An den Albigenser-
kriegen hat der Orden hervorragen-
Anteil genommen.
Auen das scheint für den Orden
der Cistercienser charakteristisch,
d&?s er sich so überaus schnell ent-
« ickelte. er repriUentiert mehr eine
schnell erscheinende Stimmung des
Gemütes als ein dauerndes erziehe-
risches Prinzip.
Der Orden der Cistercienser hat
auch auf die Eutwickelung der Archi-
tektur Einrluss gehabt; sein Geist
rührte auf das Prinzip möglichster
Einfachheit. Das Geläute durfte
nur von einer Glocke ausgehen,
gewöhnlich brachte man deshalb auf
ihren Kirchen bloss einen Dachreiter,
ein kleines Türmchen, auf der Vie-
rung des Kreuzes an. Gold, Silber
und Seide waren nur für gewisse
Gegenstände gestattet, Skulpturen
und Malerei zu üben den Brüdern
verboten; Niedrigkeit, Ärmlichkeit
der Klöster galt ihnen als ein Lob.
I>ennoch waren besonders infolge
der nun Prinzip erhobenen Gast-
freiheit des Ordens geräumige Kir-
chen und anderweitige grosseltäume
notwendig, und die Baumeister des
Ordens kamen deshalb dem neuauf-
kommenden gotischen Style umso-
Heber entgegen, als dieser gegen-
über dem romanischen Stil mit seiner
Anhäufung von müssigem, oft schwer
verständlichem Bild werk, Verschwen-
dung von edeln Metallen und kost-
baren Stoffen, ernster und keuscher
aufhat. Doch übten die Cistercien-
ser in Frankreich keinen erheblichen
Einfluss auf die Architektur aus, sie
gaben nur ihrer klösterlichen Strenge
gemäss die vereinfachten Formen.
! Dagegen brachten sie in Deutsch-
land neue und praktisch nützliche
Formen mit, welche sich zur An-
nahme empfahlen. Sie bauten über-
all gewölbte Kirchen, machten daher
die bisher nur selten angewandte
Wölbung populär und lehrten sie
mit Hilfe des Spitzbogens und an-
strebender Pfeiler zu sichern. Sie
waren gleichsam Missionäre der fran-
zösischen Architektur. Doch übten
sie den französischen Stil mit Ver-
einfachungen und Änderungen, wel-
che den einheimischen Sitten und
Ansichten zusagten. Statt der Säule
zogen sie den Pfeiler vor, sie ver-
warfen die Galerien über den Seiten-
schiffen, ihre Einfachheit der wesent-
lichen Formen erzeugte die Neigung
zu sorgfältiger und anmutiger Aus-
bildung der Details.
Deutschland stand vorzugsweise
in Verbindung mit Morimond, dessen
erster Abt Arnold ein Deutscher und
Bruder des Erzbischofs Friedrich I.
von Köln war; er gründete das erste
deutsche Cistercienser Kloster Cam-
pen (Alt-Camp) bei Köln. Auch
Otto von Freisingen, der Geschicht-
schreiber, Oheim Barbarossas, war
Mönch zu Morimond. Ausser Cam-
pen sind Altenbergc, St. Georgberg
(Georgenthal) in Thüringen, Lutzeil
im Elsass, Ebrach in Franken Mori-
mondische Kolonien; ihre Zahl wuchs
später auf 117; nur zwölf deutsche
Cistercienser Klöster stammen von
Clairveaux. Dem Cistercienser-Or-
den gehören u. a. an: Heilsbronn,
Eberbach, Loccum, Marienthal, Rid-
dagshausen, Salem, Heisterbach,
Pforta, Doberan, Maulbronn, Beben-
hausen.
Eine genügende Untersuchung
über den Orden mangelt; vgl. Fink
in Ersen u. Gruber, Art. Cistercien-
ser. — Schnaases Kunstgesch. V, 8,
Kap. 6. — Mahn, Bildende Künste,
346 ff. — Derselbe in den Mitteil,
der antiquarischen Gesellschaft zu
Zürich, Band XVIII. Heft 2. - E.
Böhme, die Kirchen d. Cistercienser-
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112 Cithara. — Cluniacenser Kongregation.
Ordens in Deutschland wahrend des der nationalen Bildung, der welt-
Mittelalters. Leipzig 1*69. — Win- liehen Bildung überhaupt feindliche
ter, die Cistercienser des nordöstl. Prinzip war zwar schon seit langem
Deutschlands. 1868 — 71. 3 Bde. — vorhanden: als geschlossene Macht
Janauschek* Origines Cisterciensium. trat es erst im lu. Jahrh. an ver-
1877. Band 1. sehiedenen Orten, z.B. in Lothringen.
meist durch religiös gesinnte Männer
auf, am kräftigsten aber in Clugny.
Clniiiaeum. Hier, in Burgund, einige
Meilen von Mdcon, stiftete im Jahre
«J1U Herzog Wilhelm von Aquitanien
ein Kloster, das ein Muster des re-
formierten Klosters werden sollte
Cithara ist bei den Lateinern
des Mittelalters der übliche Name
für Harfe.
Cluniacenser Kongregation
heisst diejeuige Abart des Benedik-
tiuerordens, die sieh im 10. Jahrh.
vom Kloster Clugny aus verbreitete.
Der ältere Benediktinerorden war An die Spitze berief er den Abt de*
mit der Zeit zu einer Vereinigung ; Klosters lieaume, Berno. Das neue
von Mönchen geworden, die in ge- i Kloster wurde voll Anfang au uu-
schlossenen Vereinigungen den Christ- mittelbar dem päpstlichen Stuhl im
liehen Unterricht, die christliche Wis- terstellt. Bernos Nachfolger wunle
senschaft und Kunst handhabten, Odo, Abt 927 — 941. Er ist der eigent
doch wurde die Pflege nationaler und liehe Reformator des Mönchwesens,
weltlicher Beziehungen der Religion Seine eunsuetudine* Cluniacense*.
zuliebe nicht hintangesetzt und als durch welche die Regeln Benedikt-
Muster allgemein die klassischen verschärft wurden, wurden bald in
Autoren des Altertums benützt; der anderen älteren Klöstern eingt^führt.
Orden war jedoch nach einem hohen und neue Klöster entstanden nacb
geistigen Aufschwung unter den Ka- 1 der erneuten Regel. Was diese rt
rolingern allmählich verweltlicht, formierte Benediktinerregel keuu
was um so leichter geschehen konnte, zeichnet, ist die Umgehung der bi
als diese monarchischen Institutionen schöflieheu und die einzige Betonung
bei ihrem stetig wachsenden Reich- der päpstlichen Gewalt und sodann
tum und Grundbesitz nachgerade zu die Konzentration sämtlicher diese*
einem wichtigen Glied der Reichs- Regel augehörigen Stiftungen unter
Organisation erwachsen waren. Als eine Centralleituug; die alten selb-
sien nun im 10. Jahrh. auf den Ge- ständigen Abteien wurden, wenn nt
bieten der Kirchen Verfassung , der der Reformation beitraten, als Pri
Poesie, der Kunst, der Religion, des orate behandelt, Clugny war daa
Staatslebens schnell derjenige Geist Archimonastcrium , sein Abt der
entwickelte, den man den Geist der Acchiahbas-, die Vorsteher sollten
Romantik nennt, und der sich im jährlich zu einer beratenden Ver-
Rittertum, im Minnedienst, in der Sammlung in Clugny zusammen
romanischen Baukunst, im Papsttum kommen. Gregor VII., Urban II
und in dem erbitterten Kampfe des- und Paschalis Fl. waren Cluniacen
selben mit dem Kaisertum , in ge- ser. Die Kirchen der Kongregation
steigerter Vorliebe für Ascese, für glänzten durch die Pracht ihrer Au*
religiöse Gemütsinnerlichkeit kund- stattung. Zahlreiche weltliche Für
Sab , da trat dieser Geist auch an sten, darunter auch französische und
ie Klöster heran, die damals alle deutsehe Könige, waren der Reform
der Benediktinerregel huldigten, und geneigt. Wie stark aber an manchen
suchte das bestehende, wie man Orten der Widerstand gegen di«?
meinte verweltlichte, Mönchsleben Neuerer, die Schismatiker, die Wel
geistlich zu reformieren. Das dem sehen war, und wie man ihre kirch
Studium des klassischen Altertums, liehe Strenge unter Umständen al?
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Cluniacenser Kongregation.
113
Heuchelei erklärte, geht aus den St.
Gallischen Kasus EkKeharts IV. her-
vor: «li^se an Beispielen aus der
ültern. frischen, natürlichen Kloster-
zeit so reiche Chronik ist eben zu
«lern Zwecke abgefasst worden, um
als Parteischrift pcgen die Neuerun-
gen eines dem Kloster aufgedrunge-
nen cluniac»nsisehen Abtes zu dienen
und den Beweis zu geben, wie viel
Schönes und Herrliches unter der
ältern freiem Richtung geleistet wor-
den sei. Siebe die Einleitungen zu
der lateinischen und deutschen Aus-
gabe durch Meyer von Knonau. Die
Cluniaccnser Reformation hat sich
in Deutschland zuerst in den Klö-
ßen» des Schwarzwaldes festgesetzt:
. Hier verkehrten die Legaten und
(^geakönige, hier feierten sie ihre
Feste, hier suchten sie und ihre An-
hänger Zuflucht in den Zeiten der
Not. Die Mönche von Ebersheim
im Da» haben Rudolf von Rhein-
felden sogar seine Krone geschmie-
det. Es war nicht wie bei den Sach-
sen eine zufallige Übereinstimmung
in der Opposition gegen das Reich, !
welche diese Mönche mit Gregor
zusammenführte, sondern der reine
dogmatische Eifer. Sie lebten in !
in Vorstellung von der päpstlichen I
Allgewalt und sonnten einen andern
Standpunkt gar nicht begreifen.''
„In Verbindung mit Clügny stan-
den diese Klöster wohl schon lauge.
Ein recht lebendiges und festes Band
aber knüpfte sich erst durch Wil- 1
kdm von Jfirsckau. Dieser führte
auf den Rat des bekannten papst-
lichen Legaten Bernhanl, Abts von
St. Victor, der sich 1077 ein ganzes
•Jahr lang bei ihm aufhielt, die Clu-
:iiaeenser Regel in seinem Kloster
•in, und von hier aus verbreitete
-ich nun der Hirschauer Orden nach
allen Seiten; neue Klöster wurden
^stiftet und alte nach der neuen
W eise reformiert. HirschauerMönche
kamen nach Reichenbach und St.
ßeorgen im Schwarzwald, nach
Schaffhausen, Petershausen und Pfä-
Re»Nexicon der deutschen Altertümer.
fers, nach Weilheim (später nach
St. Peter bei Freiburg verlegt) und
Zwifalten, Blaubeuren und Isny,
Wiblingen und Ochsenhausen, nach
Komburg in Franken, nach Fisch-
bachau und Scheiern, Prüfening und
Eudorf in Baiern, nach dem Peters-
berg bei Erfurt, Reinhardsbrunn,
Gosek, Gasungen und Magdeburg,
nach Admont in Steiermark , St.
Paul in Kärnthen. Otto von Bam-
berg führte in allen seinen Klöstern
die Hirschauer Regel ein. Derselben
Richtung gehörte St. Blasien im
Schwarzwalde an. Hier wurde Hart-
mann, früher Propst von St. Nicola
bei Passau, des Gegenkönigs Ru-
dolf Kaplan. Mönch und Prior; dann
aber 1094 Abt von Götweih, wohin
er eine Kolonie aus St. Blasien
führte, und bald wurden ihm auch
St. Lambert in Steiermark, Kemp-
ten, St. Ulrich und Afra in Augs-
burg anvertraut. Nach Krems-
münster kamen Mönche aus Gottes-
au, einer Hirschauer Kolonie im
Sprengel von Speier. Bischof Bur-
chard von Basel aber unterwarf 110f>,
eingedenk der alten Freundschaft
und innigen Verbindung, das von
ihm gestiftete Kloster St. Alban bei
Basel unmittelbar dem Abte von
Clucny." Wattenback, Geschichts-
quellen IV, § 6.
Die Cluniacenser Mönche trenn-
ten sich nie völlig von den alten
Benediktinern, behielten auch die
schwarze Tracht. Abgesehen von
den strengeren Regeln der Kongre-
gation unterschieden sich ihre Stif-
tungen dadurch von den alten nicht-
refonnierten, dass diese durch die
nächstfolgenden Jahrhunderte ihre
Selbständigkeit und ihre Bedeutung
als Reichsstände bewahrten, die
mächtigeren unter ihnen sogar zu
Reichstursten wurden, während die
reformierten Klöster dem Charakter
der kirchlichen Genossenschaft treuer
blieben. Mit den Cistereiensern, die
auch Benediktiner sein wollten, aber
das Prinzip des geistlichen Mönchs-
S
114
Cölestinerordcn. — Collegia Musica.
tums viel einseitiger darstellten, auch
zur weissen Tracht übergingen, führ-
ten die Cluniacenser heftige Fehden,
besonders Bernhard von Clairveaux
als Cistcrcienser gegen den Abt von
Clugny, Peter den Ehrwürdigen.
Siehe Fink in Ersch und Gruner,
Art. Cistercicnser.
Cölestiiierordcn ist gestiftet 1254
von Peter von Murrhoue, nachmali-
gein Papst Cölestin V., der vor seiner
Wahl Einsiedler auf dem Berg Mur-
rhone in Apulien war. Die Ordens-
angehörigen befolgten die Regel des
heil. Benedict, erhielten von ihrem
Stifter bedeutende Vorrechte und
verbreiteten sich schnell in Italien,
Frankreich, Deutschland und den
Niederlanden.
Cöl i bat. Das Judentum kannte
bloss das Gesetz, das» der Priester
keine Buhlerin, Entweihte oder Ge-
schiedene, der Hohepriester keine
Witwe heiraten dürfe, alle aber zur
Vorbereitung auf heilige Handlungen
sich ihrer Frauen enthalten sollten.
Früh bildete sich in der Kirche die
Ansicht, der ehelose Stand verdiene
den Vorzug, und nachdem seit dem
2. Jahrh. Beispiele freiwilliger Ge-
lübde zur Ehelosigkeit vorgekom-
men waren, wuchs auch die Meinung,
das« den Priestern als den Verwal-
tern der heiligen Mysterien die Ehe
nicht anstehe. Seit Anfang des 4.
Jahrh. ergehen an mehreren Orten
Gesetze in dieser Richtung, und na-
mentlich wirkte das Vorbild des
Möuch.sstands , hinter welchem der
weltliche Klerus nicht zu weit zu-
rückbleiben durfte, entscheidend zu
Gunsten des Cölibats. der in der
orientalischen Kirche Dahl zur vor-
waltenden Observanz wurde. Zahl-
reiche abendländische Synoden des
6. Jahrh. erliessen Verordnungen,
welche die unbedingte Enthaltsam-
keit vom ehelichen Leben Priestern.
Diakonen und Subdiakonen vor-
schrieben. Die weltliche Gesetz-
gebung bestätigte diese Bestimmun-
gen mit dem Zusatz, dass Ehen der
Kleriker der höhern Weihen nach
ihrer Ordination als nichtig und dk
aus solchen entsprossenen Kinder
als unehelich zu betrachten seien.
So oft jedoch die alten Verordnun
gen gegen die Priesterehen immer
aufs neue und besonders seit Leo IX.
(1048-1054) wiederholt wurden, so
gab es doch in allen Ländern und
sogar unter den Augen des Papstes
viele verheiratete Priester. Er>t
Gregor VII. setzte das Dekret der
römischen Synode von 1074 in Voll-
zug, wornach* jeder beweibte Priester,
der das Sakrament verwalte, ebenso
wie der Laie, welcher aus der Hand
eines solchen das Sakrament em-
pfange, mit dem Banne bestraft wer
den solle. Calixtus II. (1119 — 1123'
und Innocenz II. (1139) erklärten
sämtliche Priesterehen überhaupt
für ungültig. Der von einem Kar
dinal auf dem Konstanzer Konzil
gemachte Vorschlag, die Priestereln-
wiedereinzuführen, blieb ohne Erfolg.
Collegia Muslea heissen musi-
kalische Akademien, die gleichzeitig
mit den Spraehgenossenscnaften uu<l
den Dichtervereinen nach italieni-
schem Muster in der ersten Hälfte
des 17. Jahrh. auftraten, um gemein
sam Orchestermusik zu üben. Man
findet solche Gesellschaften u. a. in
Zürich 1613, in St. Gallen 1621.
Winterthur 1629 gestiftet. Die St.
Gallische Gesellschaft hat sich unter
dem Namen „Antlitzgesellschaft" bis
heute erhalten und steht noch im
Besitze sämtlicher Protokolle und
anderer Schriften. Siehe (»Otzingen
Litteraturbciträge aus St. GaUen.
St. Gallen 1870.
n
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Daktylisch. — Deutsche Gesellschaften.
115
D.
Daktylische deutsche Verse sind
zuerst im 12. Jahrh. neben ana-
päsuschen in Nachahmung lateini-
scher daktylischer Verse, leononi-
scher Hexameter oder Sequenzen
versucht worden, und zwar zuerst
in geistlichen Leichen: doch waren
sie bei den höfischen Lyrikern We-
iler besonders beliebt noch geschickt
theotiscus, ist abgeleitet von ahd. der
und das diot und die diota, got.
thiuda, altsächsisch thiod und thioda
= Volk, Volksstamm, und bedeutet:
dem Volke eigen, volksmässig. Nach-
dem infolge der Völkerwanderung
der alte Gesamtname der Ger-
manen verloren gegangen war,
kam allmählich, zuerst für die
pehandhabt. In die Opitzische Schule Sprache, im Gegensatze zum La-
wurden Daktylus und Anapäst durch . tein der Kirche, des Rechtes und
Buckner eingeführt, der dakty- 1 der höhern Bildung überhaupt, dann
lache Verse des Minnesängers Ul- auch im Gegensatze zum Romani-
rich von Liechtenstein nachahmte, sehen der Name deutseh auf; man
..Dieses Reimgeschlecht", sagt Schot- findet das Wort zuerst im Jahre
reiiaa vom Daktylus, „ist eines von 787, von da noch längere Zeit
den Lieblichsten in deutscher Spra- , selten gebraucht. Der gebräuch-
lichere Warne des Volkes sowohl als
seiner Sprache war Franken und
che. nicht ohne Ruhm und Nutz end-
lich hervorgesucht und richtig nach
eineepflanzeten natürlichen Gründen j fränkische Sprache. Recht in Auf-
unu Lieb-leichlichem Vermögen teut- nähme kam das Wort deutsch erst
Kher Hauptsprache, von vornehmen I im 12. Jahrh. , und zwar zuerst in
Poeten, doch anfänglich von Herrn j Niederdeutschland; denn im Altfran-
Auguste Buchnero aufgebracht und zösischen unterschied man Alemant
herauBffeachmücket." Besonders die 1 und Tunis als Ober- und Nieder-
Pegnitz-Schäfer hatten eine beson-
dere Vorliebe für die beiden Vers-
Damast, geblümtes Scidenzeug
von Damaskus, aus ital. damasco,
franz. damas. wird im 14. Jahrh.
zuerst erwähnt.
Dame, mittell. dvmna, ital. dama
deutsch, wie noch heute bei den Eng-
ländern Duteh ein Holländer ist;
das franz. Tunis scheint auch die im
Mhd. oft vorkommende Schreibung
des Wortes mit t: tiutsch veranlasst
zu haben. Die nhd. Schreibung mit
t hat keinen Sinn. Das Wort Deutsch-
land kommt zuerst im 12. und 13.
and äonna, franz. dame, ist nach j Jahrh. vor; im 16. zeigt es sich häu
Grimm wahrscheinlich erst in der j figer. Grimm , Grammatik , Bd. 1
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 1 der 3. Auflage, S. 10—20.
oei uns eingeführt; im Simplicissi- Deutsche Gesellschaften nann-
mus. 1669, ist das Wort schon ge- ; ten sich gelehrte Gesellschaften des
»*ufiz. | 18. Jahrh., die sich die Pflege der
Del gratla, von Gottes Gnaden, I deutschen Sprache und Dichtung zur
ist zuerst von Pipin in seinen Titel Aufgabe machten und, sich meist
aufgenommen worden. Die Nach- an die Universitäten anlehnend, eine
folger behielten es bei, später nah- freiere Organisation hatten als die
unmittelbar vorausgehenden Sprach-
gesellschaften. Die erste wurde zu
Leipzig 1697 durch eine Anzahl
junger Männer gestiftet, die ent-
8*
es andere Würdenträger, wie
Herzoge, Grafen an.
Deutsch, ahd. diufisk, mhd. diu-
diu/sch, fränkisch -lateinisch
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116 Deutschgesinnte Genossenschaft. — Dichter.
weder geborene Görlitzer oder doch Pferde ritten. Statt der vcrschliess-
Zöglinge des Görlitzer Gymnasiums baren Helme trugen sie offene Eisen
gewesen waren, daher sie ihren
Verein anfangs görlilzischc poetische.
hüte, statt des Panzers bequem»1
Brustharnische oder bloss Leder-
später, als auch andere Mitglieder koller mit Halsherge. Weil sie d,i>
aufgenommen wurden, deuf sch uhen de Eisenzeug schwarz anzustreichen
poetische und seit 1727 die deutsche pflegten, heissen sie auch ..die
Gesellschaft nannten. Die Absicht Schwarzen". Als Angriffcwaflen
der Stifter war, einander in regel- dienten Schwert und Faustrohr
massigen Zusammenkünften ihre Ihre Fechtweise, ganz nahe an den
dichterischen Versuche mitzuteilen Feind zu traben, das Rohr abzn-
und sich durch wechselseitige He- schiessen und die Pferde sofort hiii-
urteilung derselben in ihren Be- ter den Haufen zurückzuwerfen, wäh-
strebungen zu fördern. Der be- rend die nächsten Glieder immer
deutende Einfluss dieser Gesellschaft wieder folgten, hiess jSattenrd*-
auf die deutsche Litteratur datiert tummeln (Tummeln nach Natternart .
erst seit dem Zutritt Gottscheds, der Caracolieren oder Ha reelleren. In
1726 zu ihrem Senior ernannt wurde ihren Reihen entwickelt sich zum
und ihre Thätigkeit mehr auf Sprach- erstenmal ein kavalleristischer Geist
Verbesserung und Sprachforschung im modernen Sinne. Ihren Haupt-
lenkte. Nach dem Beispiel der Schauplatz fanden sie in Frankreich.
Leipziger Gesellschaft bildeten sich wo die „reif res1' in den Hugenotten-
allmählich ähnliche Gesellschaften Kriegen berühmt und gefürchtet
an anderen Universitätsorten, wie wurden. Durch die deutschen Reiter
in Jena, Göttingen, Greifswald, wurde die uralte Reiterlanze ausser
Königsberg, Helmstadt, die aber Kurs gesetzt. Jahns, 1215.
sämmtlich zu keiner besonderen Be- Dichter. Einen Stand der Dich-
deutung gelangten. Eine ähnliche ter oder Sänger hat es bei den
Organisation hatte die deutsrhühende Deutschen nie gegeben; den Mann.
Gesellschaft zu Hamburg, gestiftet der vorzüglich mit der Kunst begabt
1715. war und deshalb Dichten un.l
Deutschpesinnte Genossenschaft Singen wie einen Beruf ausübte,
nannte sich eine der nach italieni- hiess man scof, d. i. den Schaffen-
schem Muster gegründeten Sprach- den wie griech. notviijc von noi*ö.
gesellschaften des 17. Jahrb. Sic schaffen, oder in Bezug auf deu
wurde 1643 zu Hamburg durch Vortrag den Singer. Das ersten?
Philipp von Zesen und zwei seiner Wort teilt das Schicksal des alten
Freunde gestiftet und zerfiel in die alliterierenden Epos, erhält sich
Rosenzunft. Lilienzunft, Näglein- aber vereinzelt in (ilossen und Kom-
zunft und Rautcnmnft. Die Gesell- positionen noch bis ins 13. Jahr-
schaft bemühte sich, im Geiste ihres hundert: salmscoph — psalmista, levd
Stifters, besonders um Reinigung scaßb — carminum conditor, scoffeoJ
der Muttersprache und um die Ein- und irinileod, scopfsanq, das schf=
führung einer neuen Orthographie. Erdichtung; schophlieh, dichterisch.
Sie bestand bis zum Jahr 1705. erdichtet; schöpf •buoch = Gedicht -
Deutsche Reiter heisst eine Art buch; schophen = dichten. Der an-
der Reiterei, die ein Mittelding dere Name Singer erhält sieh bi>
zwischen Kürassieren und Arke- zu den Minnesingern und Meister-
busierern war und sich während der singern, die auch Dichter sind. Die
schmalkaldischen Kriege herausbil- höfische Dichtkunst ermangelt eine^
dete. Sie heissen auch Hingerpferde, gleichmässig verbreiteten Namen:*
weil sie geringere, d. h. leichtere tür den allgemeinen Begriff de?
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Dichter.
117
Dicht« T*;ihreThfitigkeitlieisstW/t//e'/i
oder mtgf-n und soffen, letztere zwei
ursprünglich der Name für das Dich-
ten überhaupt nach Form [sinnen)
und Inhalt (sagen), spater der Aus-
druck für die beiden auseinander
gegangenen Formen der Epik und
und tihtaere iu die edlere Bedeu-
tung des Ersinnens, Anordnens, Er-
deiikens, Nachdenkens, Sinnens und
künstlerischen Schaffens über; doch
wiegt das Verb noch vor, tihtaere
ist seltener, und noch bis ins 16. Jahrb.
behalt es zugleich die alte Bedeu-
Fig. 45. Dichter am Pult. Poeta laurcatu«.
Ljrik. Die Lyriker heissen dann
"wer oder stngaere^ die Epiker
uktaert. von tihten, aus lat. dteiare
=wm Nachschreiben vorsagen, nie-
derschreiben lass«-u, vorsagen«! an-
fertigen; denn der epische Dichter
'Ua Mittelalter.« konnte gemeiniglich
ukht schreiben, er diktierte; mit
d-T Zeit gingen beide Wörter, tihten
tung des Verfassers einer nicht-
poetischen Schrift bei. Neben die-
sem Wort erscheint oft meiste r, d. i.
derjenige der es versteht, seis als
Gegensatz zu dem, der es nicht ver-
stellt, seis als Ehrenname des Dich-
ters aus bürgerlichem Stande, z. 13.
meist* r Gottfried von Sfrasshun/,
gegenüber dem adligeu Dichter.
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118
Dienstmann. — Dienstmannen-Rechte.
dessen Titel Herr ist Erst die Re- \ schritt Comparatio Jfulae et Mutae.
naissance hat den Namen Dichter i Nürnberg 1506j Der Dichter ist als
als gleichbedeutend mit poeta all- [ junger Mann in der Pereon des
gemein gemacht; doch nennen Opitz, j Apollo dargestellt, mit lockige«)
Schottel u. a. den Dichter noch regel- 1 Haar, die Harfe im Arni, sitzend
massig Poil, seine Kunst DivhtkuMt j auf einer beblrimten Wiese unter
oder Foeterei. Das Hittelalter pflegte I den neun Musen. Fig. 46. Ober
den Dichter stets am Pulte sitzend
und schreibend abzumalen, siehe
Fig. 45, welches den Poeta Laurea-
tui aus der Horazausgabe des Ja-
cobiut Zocker Philomsus , Stras-
burg 1498 (Ex. im Besitz der St
Gaffer Stifcbibliothek) darstellt; die
erste freiere Darstellung des Dich-
ters, die man kennt, findet sich in
desselben Lochers berühmter Streit-
Poetenhrönung siehe den Art, H*mo-
ni*miL8.
Dienstmann, s. Ministerial.
Dienst manne ri- Hechte. Da das
Verhältnis des Dienstmannes, Mi-
nisterialen, zum Dienstherrn 0*
wesentlich persönliches war, fehlte
es an Rechtequellen, welche für <fc
Ministerialen des Gesamtreiche?
gleichmassige Prinzipien enthielten-
Dies irae dies illa. — Dietrich von Bern.
119
Die fiechtsbücher sprechen deshalb
fast nie von den Dienstleuten. Da-
her kam es, dass im 1 2. Jahrhundert
besonders in geistlichen Herrschaften
das Bedürfnis entstand, die gegen-
seitigen Rechte und Pflichten der
Ministerialen zu verbriefen; es ge-
schah unter Mitwirkung der Mi-
nisterialen selbst, ähnlich wie bei
«Jen Öffnungen. Diese Aufzeich-
nungen beziehen sich auf die Dienst-
pflicht, das Erbrecht, die Verpflich-
tungen des Herrn zu einzelnen
Leistungen, manchmal auch auf die
sonstigen Vermögensverhältnisse,
Familienrecht, Prozess und Straf-
recht. Sie haben meist nur genügen
Umfang. Die wichtigsten sind das
Bamljerger. Kölner, das Bisehofs-
und Dienstmannenreeht zu Basel
(herausgegeben von W. Wacker-
nagel), die Leyes feudales Teklen-
hurmeae, das formier Dienst recht.
Stobbe, Rechtsquellen, I, r>78.
Dies irae dies illa. die bekannte
Sequenz auf den Allerseelen tag,
wird jetzt meist dem Tliomas von
einem Franziskaner aus
Celano in den Abruzzen zugeschrie-
ben; dieser lebte um 1250 und hielt
'ich längere Zeit in Köln auf. Es
giebt drei Texte dieses Liedes und
unzählige Übersetzungen ins Deut-
sche.
Dietrich von Bern ist der be-
liebteste Held der deutschen Volks-
sage im Mittelalter. Sein Schicksal
liejit m folgenden Zügen: Auf An-
stiften des ungetreuen Rates Sibieh
vertreibt der König Ernten reieh von
Rom Beinen Neflen Dietrich aus
Hern; dieser flüchtet an Etzels, des
Hunnenkönigs, Hof, wo ihn u. a. das
Nibelungenlied vorfindet. Etzel giebt
ihm darauf ein Heer mit, sein Land
jneder zu erobern; mit dessen Hilfe
besiegt er das Heer Ermenreichs in
der Kahin*ehlaeht (Schlacht bei Ra-
venna) und gewinnt sein Reich wic-
2». Die erhaltenen Dichtungen.
Je sich an die Schicksale dieses
Helden anschliessen , sind das alt-
deutsche alliterierende Hildebrands-
lied, in mittelhochdeutscher Sprache
die unstrophischen Gedichte Bite-
rolf und Die (leib vom Verfasser der
Nibelungen Klage, erzählt einen
S rossen Turnierkampf Attilas und
er Seinen, Dietrich voran, um 1225
geschrieben; Dietrich und Wenezlan,
ein Bruchstück, das den Zweikampf
mit dem Polenkönig Wenezlan er-
zählt; Dietriehs Ahnen und Flucht
oder daz buoch von Berne von Hein-
rich dem Vogler, und Luarin oder
der kleine Rosengarten. Strophische
Dichtungen sind: Alpharls Tod, der
grosse Bosen aa rten , die Rabensehlaeh (,
Sigetiot, Eeke, Goldemar, Dietriehs
L>ra rhenkämpf et Etzels Hofhaltung.
Die Entstehung und Bedeutung
der Dietrichssage unterliegt den
mannigfaltigsten, zum Teil wider-
sprechendsten Ansichten. Der Name
Dietrich, der Ort, wo die Sage spielt,
Verona, Kavenna, Rom, Hessen es
früher als selbstverständlich erschei-
nen, dass der Held der Sage nichts
anderes als das epische Bild des Ost-
gotenkönigs Theoderich des Grossen
sei; vergleicht man jedoch den Le-
bensinhalt beider Dietriche, so stimmt
nichts miteinander überein, und man
kam deshalb zu der Ansicht, die
Sage sei älter als der historische
Gotenkönig, wobei dann eine zweite
Frage sich aufdrängte : ist in diesem
Falle die Sage dennoch historisch,
oder ist sie mythisch? Das letztere
fände darin einen Halt, dass mit der
Dietrichsage die mythische Wielands-
sage aurch dessen Sohn Witt ig, tiroler
Zwergsagen, der Mythus vom ge-
treuen Eckhardt und Züge des alten
Donnergottes verbunden sind. Stim-
men übrigens die Lebensschicksale
der beiden Dietriche nicht miteinander
überein, so scheint die allgemeine
Bedeutung, das Ansehen, das der
historische Dietrich genoss, um so
eher in der Sage sich wiederzuspie-
geln, wenn man annimmt, dieselbe
sei bei den Alemannen ausgebildet
worden; die Alemannen verdankten
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120 Diptychen. — Dominikaner-Orden.
Theoderich die Schonung, mit wel-
cher die Franken sie behandeln
mussten; Breisach, wo die Sage von
bis ins 15. Jahrh. benutzt. Man
schmückte sie in christlicher Zeit
mit Heiligenfiguren, biblischen odi*r
den Harluugeu spielt, liegt in Ale- legendarischen Darstellungen. Eins
mannien, und an vielen Orten Schwa- der berühmtesten Diptychen ist du*
bona wird Dietrich als Bekämpfer St. Gallische, das den Namen dt-«
schädlicher Ungeheuer genannt, wie Tutilo als Verfertiger trügt. Hahn,
denn auch eine Menge Ortsnamen Bildende Künste. 108 h\
seineu Namen tragen. Karl Met/er, Directorium humanae vitae,
die Dietrichsage in ihrer geschieht- alias Paraholac antiuuorum sapien-
liehen Entwiekeluug. Basel lhC8. tium ist eine lateinische Bearbeitung
Diptychen sind bei den Römern der aus dem JJidjnti stammenden
der ersten Jahrh. christlicher Zeit- Novellensammlungen, im 13. Jahrb.
rechnung Tafeln von Gold oder von dem getauften Juden Johann
Silber, bei einfacher Ausstattung von von Capua aus einer hebräiseln n
Holz oder Schiefer, am häufigsten Nachbildung übersetzt, gedruckt
von Elfenbein O'ler, in Ermangelung zwischen 1470 und 14S0 (wahr-
dessen, von Kamelbein. DieseTafelu scbeinJich auf Veranlassung Eber
waren mit Bändern oder Scharnieren hards im Bart), als Buch der B<i-
versehen, sodass sie wie Bücher auf- Spich' der alten Weisen, Buch drr
undzusammengeh'gt werden konnten. Weisheit, der alten Weisen Exeinpel-
Die Aussenseiten pflegte man mit spruch. zuerst wahrscheinlich Urach
Bildschnitzereien zu verzieren, wäh- 1480, dann Ulm 1483 und öfter,
rend die inneren Flächen, mit Wachs Diseiplina elericalis heisst ein«
oder Pap vrus überzogen, als Schreib- lateinische, im Mittelalter vieltaei
tafeln dienten. Sie wurden, be- gelesene Bearbeitung der aus Iudien
schrieben und versiegelt, nicht selten .stammenden Novellensammlungeu.
als Briefe versandt. Sie waren ein zu denen Panttcka-Tantra, Iiiiv
l»eliebter (Gegenstand von Gesehen- padesa, die sieben weisen Meister
ken, die sowohl von Privaten als u. a. gehören. Sie wurden verfasse
namentlich von höheren Beamten, im 12. Jahrh. von einem spauischeu
Konsuln, Prätoren, Quästoren bei Juden Moses, der sich in der christ-
Anlass ihres Amtsantrittes verab- liehen Taufe Petnts Alfunsu* nannte,
folgt wurden. Die Keliefs stellten Die Quelle war eine arabische. E*
deshalb in der Regel die bei jenem sind der Form nach Gespräch
Anlass stattgehabten Tierkämpfe zwischen Vater und Sohn, Lehr» r
dar: oben sitzt der Konsul, von Be- und Schüler, zusammen 39 Abschnitte,
gleitern umgeben, die Insignien des Herausgegeben von Schmidt, Ber-
Amtes in der Hand, das Zeichen lin 1 S27.
zum Beginn der Spiele gebend, unten Doktor siehe Universität,
im kleinem Massstabe finden sich Boich. Der Name ist im 1«. Jahrh.
die Spiele selber dargestellt. Solche aus dem Slawischen herübcrgekoni-
Diptychen wurden früh für kirch- men: böhm. poln. der tut ich, wie
liehe Zwecke benutzt. Man pflegte Hans Sachs noch doli ich schreib:
auf demselben die Namen der Mär- Das Wort hat mit ahd. der doflr.
tyrer, der Kirchenvorsteher, der iotk— Wunde, altnord. das d>J>t -
Wohlthäter und anderer hervor- Kampf, got. der dvtgs = Schuld,
ragender Gemeindegenossen zu ver- nichts zu thun.
zeichnen Diese Tafeln wurden dann Domherr, Domstift siehe Kane-
während der Fürbitte auf dem Altar niker.
aufgestellt und im Abendlande bis Dominikaner- oder Predker-
ins 12.. in der griechischen Kirche Orden. Sein Stifter ist Dominik*.
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Dominikaner-Orden. 121
geb. 11 TO zu Calarucga im alt- Anlehnung an die Regel dtT Prä
kastilis< hen Bistum Osma; er erhielt inonstratenser: Stillschweigen, fast
eine wissensehafttiche Bildung, wurde unaufhörliches Fasten, keine Fleisch-
Domherr zu Osma, als welcher er speise, Armut; als Tracht die der
znr Bekehrung von Mohammedanern Domherren, langer schwarzer Kock
and Ketzern ausgesandt wurde, und kurzer, weisser Uberwurf ohne
Als Begleiter seines Bischof* lernte Gürtel. Nach Innocenz III. Tode
er die verkommenen kirchliehen Zu- auerkannte Houorius III. im Jahre
stände Süd fraukreiehs kennen, deren 1216 den Orden der Prediner oder
Folge die Ausbreitung der Katharer Fratres vraedivatore* und bestätigte
iKetzer) oder Albigcnser und . der ihn durch eine Bulle. Das Wappen
Waldenser war. Cistereienser Abte des Ordens wurde ein Hund, der
reisten gerade jetzt im Lande her- wachsame Gefährte des Hirten mit
um, die Ketzer zu bekehren, fanden einer brennenden Fackel im Maule,
aber, da sie die Bedürfnisse des Das erste Kloster blieb daszuTou-
Volk»*s nicht verstanden und als louse: srhnell wurden andere ge-
vornehtne reiche Herren auftraten, gründet: von dem Pariser Kloster
kein Gehör. Nun traten der Bischof im Hause von St. Jacob erhielt der
Diego von Osma und Dominikus Orden den in Frankreich verbreiteten
mit ihnen in Verkehr, bereisten in Namen Jakobiner. In Rom refor-
•lers< hliohtesten Kleidung wie Bettler mierte Dominikus die Nonnenklöster
«ias Land, predigten dem Volk das nach seiner Kegel und wurde wegen
Evangelium und namentlich die seiner Verdienste um die Diener und
Briefe des Apostels Paulus. Nach- Hofleute des Papstes zum mayhter
dem die Cistereienser und der Bischof sacri palatü ernannt, ein Amt, das
in ihre Heimat zurückgekehrt waren, immer noch von einem Dominikaner
war Dominikus auf sich selbst ge- verwaltet wird, und in dessen Händen
-teilt. Zu Prouille im Bistum Toii- die oberste Büchercensur liegt. Im
l iuse gründete er zuerst ein Asyl Jahre 1219 wurde die Domherrcn-
für Mädchen, die erste seiner Sti'f- tracht mit derjenigen der Kartäuser
tungen: dann erhielt er für sich und vertauscht: weisser Rock,weissesSka-
^ine Gefährten ein Haus zu Tou- pulier mit spitziger weisser Kapuze,
loose geschenkt, wo die Missions- darüber beim Ausgehen schwarze
prediger einen Mittelpunkt fanden. Kutte und Kapuze. Erst 1220 wurde
Als dann freilich Innocenz III. Nord- auf dem ersten Generalkapitel in
trankreich zu einem Kreuzzu^e gegen Nachahmung der Franziskaner der
die Ketzer aufrief, hörte die wan- Grundsatz der völligen Besitzlosig-
dernde Missionspredigt auf, und keit und tägliche Lrbettelung der
Dominikus erhielt die Aufgabe, die nötigsten Nahrungsmittel festgesetzt.
Verdächtigen und Gefangenen des Die Organisation des Ordens stellt
falschen Glaubens zu überführen. Priorei), Provinziale und Definitoren
Als er nach dem Kriege iu Korn und einen General an. Dominikus
nin die Gewährung eines eigenen starb zu Bologna 1221 und wurde
Ordens einkam, war soeben der Be- 1233 heilig gesprochen. Gleich den
i-ehluss gefasst worden, keine neuen Franziskanern giebt es auch unter
Orden mehr zuzulassen; die zahl- den Dominikanern einen dritten
reichen neuen Ordensbildungen des Orden, Tertiarier, auch Orden de
II. und 12. Jahrhunderts hatten die poeuittnfia St. Dominiri.
Kurie ermüdet. So sah sich Domi- Der Grundsatz der evangelischen
»Wils genötigt, eine Gesellschaft von Armut, der bei dem Gründer des
Kanonikern nach der Regel des Franziskanerordens das treibende
Eiligen Augustin zu bilden, mit Prinzip war, war für Dominikus und
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122
Donar.
seinen Orden bloss Mittel zum Zweck
und wurde deshalb schnell aufge-
geben. Dagegen waren sie .sehr ein-
flttssreieh durch ihren Verkehr mit
den bürgerlichen Ständen, wie sie
denn auch ihre Klöster selbstver-
ständlich in den Städten gründeten.
Die Bettelorden sind recht eigentlich
die Mönchsorden des Bürgertums
gewesen. Hauptaufgabe jedoch der
Predigermönche blieb, die Wahrheit
des christliehen Glaubens innerhalb
u. ausserhalb der christlichen Kirche
durch Widerlegung und Bekämpfung
aller Andersdenkenden zu verteidigen
und über der Reinheit der christ-
lichen Lehre zu wachen Zu einem
tiefern sittlichen Einstehen für dieses
Prinzip nach dem Beispiel des von
den Dominikanern am meisten ver-
ehrten Apostels Paulus konnte es
natürlich nicht kommen, da sie sieh
sofort in den Dienst des Papstes
und der herrschenden Kirche Stellten.
Ihr Gebiet wurde die Inquisition
(Konrad von Marburg), die Censur
und die Scholastik; den ersten Lehr-
stuhl erhielten sie 1228 zu Paris, als
infolge von Streitigkeiten die Lehrer
der Universität sich auf einige Zeit
aus der Stadt entfernt hatten; bald
folgten ihnen die Franziskaner in
dieses Gebiet Die beiden Orden
wurden, stets miteinander in Streit
(vgl. den Art. Scholastik) , bis zur
Reformation die Träger der schola-
stischen Theologie; als Thomisten,
Skotisten, Nominalisten und Realisten
zankten sie sich herum; besonders
galt es für die Dominikaner, die von
den Franziskanern verteidigte Lehr«»
der unbefleckten Empfängnis Mariä
zu widerlegen. Wie tief schliesslich
das sittliche Bewusstsein des Ordens
gesunken war, zeigt der bekannte
Letzerhandel im Predigerkloster zu
Bern vom Jahr 1509; auch des Ab-
lasshandels nahmen sie sieh an;
Tetzel hat ihrem Orden augehört.
Andererseits sind auch bedeutende
Männer aus ihrer Mitte hervorge-
gangen: Albertus Magnus, Thomas
von Aquino, Meister Ekhard, Johann
Tau ler, Heinrich Suso, Savouarola
La« Casas, Vincens von Beauvat
waren Dominikaner.
Donar ist der zweitgrösste der
germanischen Gotter, in der Urzeit
wahrscheinlich mehr geehrt als Wo-
dan, daher der fünfte Wochentag.
Ji/'s Jons, zu Donnerstag wurde
der noch heute manche volksmaaä?
Anschauungen bewahrt liat. Währen i
Wodan im sausenden Sturm aü
weissem Wolkenrosse reitet, tahn
Donar auf einem Wagen durch dir
Wolken, den vermutlieh zwei Böci?
zogen. Des Gottes Kinn umwalle
die feuerroten Haare seines Barte*:,
in der Rechten trägt er einen steiner
nen Keil oder einen ^e wichtig
Hammer, der, so oft er ihn von rick
schleudert, von selbst in seine Hau
zurückkehrt. Ihm war die UM*
geheiligt, deren rote Farbe an seines
Feuerstrahl erinnerte, und die de:
Wetterstrahl gern zertrümmerte. An
ihr haust der Hirschkäfer, Donnw
puppe genannt, der glüheude Kohkfl
auf die Dächer tragen soll. Andere
Bäume und Tiere, die wegen ihre:
blitzähnlichen roten oder blau enfvfo
zu Donar in Beziehung gesetzt wer
den, sind der Hagebuttenstrauch in>3
der Vogelbeer- oder Quetschenbauir-
die Haselnussstaude, der Erdepbes
oder Gundermann, auch Donnernd
genannt ; das rote Eichhörnchen. di>
Kotkelchen oder Rotschwäuzcber-
der Hahn, die Heerschnepfe,
Donnerbock, Donnerziege oder G*
wittfrziege genannt, besonders ato
der Stören mit den roten Beinen. -
Donar melkt mitschimmerndein Hlif:
strahl die vollen Euter der Wolken-
kühe, so dass sie ihre Milch. <kL
Regen, befruchtend zur Erde nieder
fallen lassen. Vom göttlichen Feu-r
des Blitzes stammt die Herdrlamntf-
der Mittelpunkt des Hauses, der
Familie, des StAmmes. Daher i-1
Donar auch Schützer der Ehe, Spi-
der von Kindersegen, Vorsteher d«-r
Sippe, Verteidiger der Geinarkuiu:
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Dorfpoesie.
123
Hange Gebräuche, die sich anfäng-
lich an den Herd anlehnten, gingen
später auf den Ofen über. Donar
ist der kräftigste von allen Göttern,
er teilt den Menschenkindern Kraft
und Stärke mit, er heilt Erkrankte,
Menschen sowohl als Vieh, daher
gewisse Kuren am Donnerstag vor-
genommen werden müssen; durch
aas Notfeuer, welchesdurch bohrende
Drehung einer Walze in dem Loche
«•ines Pfahles hervorgebracht wird,
treibt man das verseuchte Vieh.
Da der Blitzstrahl das Erdreich
lockert und der iiachrauschende Re-
gen den Boden befruchtet, wird
Donar zum Frühlingsgotte, ihm dan-
ken vorzugsweise die Pflanzen ihr
Wachstum. Oster- und Judasfeuer
iam Charsamstag) werden ihm zu
Ehren im Frühling angezündet, be-
sonders aber um aie Zeit der Som-
mersonnenwende die Sonnwend- oder
Johannisfeuer. Auch an Weihnachts-
umzügen ist er beteiligt. Auf seinem
Wagen durch die Lüfte fahrend,
vollfuhrt der Donnerer in den Wöl-
ken selbst den gewaltigsten aller
Kämpfe, welche die Welt erschauen
kann. Er verfolgt die Dämonen,
welche das Licht des Himmels, den
Glanz der Sonne mit dem Schatten
<ler schwarzen Gewitterwolke, dem
Dunkel der Nacht, der Finsternis
und Kälte des Winters verdecken
und den Lauf des erquickenden Re-
gens zur Erde aufhalten. Aus diesen
Dämonen sind im Laufe der Ent-
wicklung die Riesen und Drachen
geworden. Von beiden Seiten wird
oer Streit mit Blitz und Donner ge-
führt, bis der milde Gott den Sieg
erringt, der Riese tot zu Boden sinkt,
sein Goldhort oder die Frau, die er
geraubt hat, befreit sind. Donars
Hammer selbst wird Jahr für Jahr
im Herbste von den Riesen gestoh-
len und die sieben Wintermonate
hindurch in ihrem Berge versteckt
gehalten, bis im Frühling der Gott
ihn wieder holt Die Skandinavier
nannten deu Gott Thor. Nach
Mannhardt , Götter, 187 ff. Vergl.
ausser Grimm und Simrock noch
Wutlke. Aberglauben, § 20 ff.
Dorfpoesie, höfische, hat zuerst
Lachmann diejenige Richtung der
höfischen Lyria genannt, deren Ver-
fasser zwar wie die Hörer dem hö-
fischen Stand angehörten, deren Ge-
halt aber und teilweise auch deren
Form aus dem Leben der Bauern
schöpfte. Sie ging hervor aus einer
begreiflichen Reaktion gegen die ge-
bundene, konventionelle, nach Form,
Inhalt, Gegenstand der Poesie über-
haupt una zumal der Minne rein
höfische Lyrik. Gegen sie taucht
plötzlich im zweiten Jahrzehnt des
13. Jahrh. eine Lyrik auf, die mit
vollem Bewusstsein und mit Ent-
schiedenheit sich von dem Zwange
der höfischen Formen lostrennt, nie
sich nicht mehr mit konventionellen,
zarten Empfindungen und weichen
Klagen begnügt, sondern mit Humor
und Lebenslust sich dem Leben und
der Liebe ergiebt. Ihren Ursprung
und Hauptsitz hatte diese Richtung
am Hofe zu Wien, wo der Erfinder
der Gattung, Sithart von Riuwental,
schon um 1217 thatür war. Am Hofe
zu Wien sangen die Fürsten den
Frauen den Reigen vor, und diesen
samt den begleitenden Liedern, mit
welchen das lebenslustige Volk den
Beginn des Sommers und der gesel-
ligen Freuden des Winters begingen,
ahmte Nithart nach, zum Verdruss
der an den Sitten des höfischen Le-
bens festhaltenden Dichter, zumal
Walters v. d. V. Es giebt zwei Arten
dieser Lyrik: die Frühlinfjrtieder,
gesungen zur Begleitung des Reigens
und im Freien, überwiegend episch
gehalten, und die Winterlieder, zum
Tanz in der Stube. Die meisten
Lieder beiderlei Art sind Minnelie-
der. Nitharts Name war so beliebt,
dass das 14. und 15. Jahrh. eine Un-
zahl von Liedern ihm untergescho-
ben und Abenteuer nach Art des
Eulenspiegels angedichtet hat. Aus-
ser Nithart haben folgende Dichter
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124 Doxologien. — Drache.
nu dieser Richtung der Lyrik teil- worden sind. Siehe Möllenhoff un«i
genommen: der Tannhäuser, der von Scherer, Denkmäler, LVI.
Stammham , Leopold von Scharfen- Drache. Während in der christ
berg, Geltar, Konrad von Kirchfterg, \ liehen Ansicht der Begriff böser uni
Steimmar hus dem Thurgau und der j teuflischer Schlangen vorwaltet vtr
Zürcher lladlauh. Litienlron in ehrte das Heidentum mehr piu>
Haunts Z. VI.; Schröder in Gosches wohlthätice Schlangen; die Schlang.
Jährt). I. ist ein heilbringendes, unverletzliche
Doxologien, Lobpreisungen, un- Tier, dem die Langobarden eÜK
terscheidet die katholische Liturgie eigene Ven-hrung widmeten. Nt
zwei: die kleine Doxologic oder das kriecht oder ringelt sich auf dei
kleine Gloria bestand nnfach aus Boden; stehen ihr Flügel zu Gebote
der Formel Gloria Patri et Filio so heisst sie Drache, aus lat. dra«,.
et Spiritui Sancto in saecula sae- aber schon früh eingeführt. Da
cu forum. Amen ; bei Veranlassung deutsche Name, welcher allgemeine:
«ler arianischen Streitigkeiten setzte auch die Schlange mit begreift, ist
die Kirche hinzu: xieut erat in prin- wurm oder lint, daher die Dopf*
eipio et nunc et Semper et in saecula namen Linddrache, L.indwvnn. An?
xaeculorum. Die proste Doxologic diesem lint, mit dem sich der An^
oder das qrosse Gloria, auch Gloria druck des Schönen. Schmeichelnd
in excelxls oder der englische Loh- verband, sind viele FrauennaineQ
qesang, humnus aagelicus genannt, gebildet: Sigilint, Reginlinf, Krm*i*
bestand ursprünglich nur aus den lint, Fburlint, Ger/int, Winilint I*
bei Luc. 2, 14 mitgeteilten Worten: herrschende Vorstellung von deu
Gloria in excelxix Deo et in terra Drachen war die, dass sie auf den
pa.r hominibus bonac rolunfatix, zu Gold liegen und davon leuchteu. ili*
denen aber ziemlich früh eine Fort- Schätze bewachen und nachts durch
Setzung kam, die schon im 5. Jahrb. die Lüfte tragen. Sie galten gleB
folgendermaasen lautete: Gloria in den Kiesen für alt und hochbegabt
excelsis Den et in terra pax ho- Amt der Helden war es, Riesen ui>i
minibus honae voluntatis. Lauda- Drachen aus der Welt auszuhigvn-
mux te : benedieimus le : adoramus Thor selbst bekämpft die Midirart--
te : glorificamux te : gratias agimus schlänge, und Siegemund. Sie^fnel
tibi propter magnam gloriam tuam. Beowulf und viele andere, z. B Strnt
Domine Dens, rex coelextis, JJeux hau Winkelried, sind tanferste Vn
Pater omnipotent: Domine, Fili chenüberwinder. Der Besieger er-
vnigenite , Jesu Chrisfe, Domine j hält ausser dem Uoldhort DO?i>
Dens, agnus Dei, Filius Patri*, oui andere Vorteile: der Genuss d*
toi Iis peccata mundi, miserere nobis-. \ Draehenherzens bringt Kunde der
Qui to/lix peccata mundi, xuxcipe Tiersprache zuwege, und das IV1-
deprecationem nostram : Qui xe- i streichen mit Draclienblut härtet
dex ad dexteram Fat rix, mixerere 1 Haut. Nach alter Sitte werden Rinc-
nobix Quoniam tu xolux xanetux, tu und andere Geschmeide gern w
xolux Dominus, tu xotus latixximux, Schlangenform gearbeitet, so vi*
Jexu Gh eiste, cum Sancto Sin ritu in i Helmen un<i besonders auf Fahner.
gforia Dei Fat rix. Amen. Bis in das j Der fliegende Adler über einen
12. Jahrh. durfte der Hymnus nur Drachen oder Löwen war das Fei«'1
von den Bischöfen, von den Pric- zeichen der Sachsen Auf der SäuK'
stern nur am Osterfeste gebraucht Traians erscheinen Drachengestaltcc
werden. Er gehört zu denjenigen als fahnenartige Feldzeichen, sowohl
Katechismusstücken, die in der Ka- 1 unter der Kriegsbeute als in den
rolingerzeit ins Deutsche übersetzt Darstellungen. Eine grosse Boll»
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125
spielt der Drache in der christlichen
Symbolik und Malerei. Seine Ge-
stalt ist nicht mein-, wie im heid-
nischen Altertum, diejenige einer
geflügelten Riesenschlange, sondern
eines zwitterhaften Ungetüms von
sehr zusammengesetzter Art. Er er-
innert an die vorsündfUitliche Tier-
welt eine Rieseneidechse oder einen
Saurier. Er ist gleichzeitig »Sauge-
tier, meistens Raubtier mit Kopf und
Vonierleib, Schwimm-, Nacht- und
Raubvogel mit seinen Flügeln oder
Fängen. Eidechse mit seineu Schup-
pen und Schilden, Schlange mit sei-
nem Schwanz. Nach einstimmiger
Ansicht der Theologen ist er Symbol
des Bösen. Nach den Tierbüchern
<ie< Mittelalters lebt er vorzüglich
in Indien und Äthiopien. Man giebt
ihm bald ein kleines Maul, aus dem
er .seine nadelspitze Zunge heraus-
sehnellt, bald einen Rachen von der
Grösse des Schlundes eines feuer-
speienden Berges. Seine Waffen
-ind der Schweif und namentlich der
verpestete Atem. Der Drache er-
seheint in der Legende des hl. Ju-
lian, St Romanus, Marcellus, St.
üeorg und als Attribut ausserdem
tHm Erzengel Michael und sehr
vielen andern Heiligen. Grimm,
Mythologie 652 ff. — Lindensehmiit,
Handb. f., 276 tf.
Drajroner gehören eigentlich zum
Fnssvolk und verdanken ihre Ent-
hebung dem alten Gebrauch, Infan-
terie hinter die leichten Reiter aufs
l'terd zu setzen, um sie auf diese
Weise rasch an einen entfernten Ort
tu bringen. Sie unterscheiden sich
e nach ihrer Bewaffnung in Pike-
üfrrt und Musicetiere, deren Waffen
ind sonstige Ausrüstung denen des
Fussvolkes vollständig entsprachen,
'ührten jedoch keine Pistolen. Ihre
^entliehe Bestimmung war, zu
fliese zu kämpfen, wovon man je-
I"»ch in späterer Zeit abging. Zeit
ind Umstände der Entstehung dieser
Truppengattung sind ebenso un-
•i -her wie die Bedeutung und der
Ursprung ihres Namens. Die Ent-
stehung setzt man in die zweite
Hälfte des 16. oder erst ins 17.
Jahrh.; der Name wird bald von
,, Drache" abgeleitet, den sie als
Feldzeichen getragen hatten; nach
anderen war dragon eine englische
Bezeichnung für eine Musketenart.
Jähns, 1216.
Drama. Das Drama entsteht
teils aus dem mimischen Spiel einer
oder mehrerer Personen, teils aus
dem Wechselgesprach , beides im
Anfang nicht notwendig vereinigt.
Mimische Spiele, Aufzüge, Mumme-
reien sind ohne Zweifel schon in
vorchristlicher Zeit vorhanden ge-
wesen und erhalten sich das ganze
Mittelalter hindurch, in einzelnen
Formen bis heute; sie heissen im
Mittelalter kupfspil, schowspit, die
Räumlichkeit, in der sie begangen
werden, spilhof spilhus, schimpf hüs,
(schimpfen = Spass treiben). Auch
Puppenspiele werden schon im 12.
Jahrh. erwähnt. Besonders beliebt
und verbreitet war das Frühlings-
spiel, das den Kampf des Winters
und des Sommers darstellte. „Am
Rosensonntag" , erzählt Sebastian
Franck, ,,hat man an etlichen Or-
ten in Franken im April den
Brauch, dass die Buben au langen
Ruten Bretzeln herumb tragen in
der Stadt, und zween angethane
Mann, einer in Singrün oder Epheu,
der heisst der Summer, der ander
mit Gmöss (Moos) angelegt, der
heisst der Winter, diese streiten mit-
einander, da liegt der Summer ob
und erschlecht den Winter, darnach
geht man darauf zum Wein." Wurde
dieser Streit zwischen Sommer und
Winter in Worte gekleidet und so-
dann auf andere Gegenstände über-
tragen, auf Herbst und Mai, Buehs-
baum und Felbinger, Ritter und
Pfaff, Barmherzigkeit und Wahrheit,
so erhielt man eine zweite Quelle
des Dramas, die sich zugleich an
lateinische Vorbilder anschliessen
konnte. Die Gespriichspiele gehen,
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126
Drama.
auch nachdem sich das eigentliche
Schauspiel schon lange auf eigene
Küsse gestellt hat, ihren selbständi-
gen Gang weiter; aus dem 15. Jabrh.
wurden vorläufig nur spärlich ein-
gefügt, so der Osterleis ,.Kri$t i*'
erstanden1*, oder einzelne Lieder, die
man besonders gern der Marin
kennt man die Streitgedichte Wolf Magdalena, einer Laeblingsfigur der
und Pfaffe, Priester und Weib, ' Osterspiele, in den Mund legte.
Christ und Jude, Ritter und Bauer, Im 14. Jahrh. kommen solch*
Frau und Jungfrau, Krieg zweier ' qe istliche Spiele, wie sie von da an
Frauen , ob Lieben oder Nicht-Lie- heissen , in deutscher Sprache vo:
ben besser sei, Herz und Mund, und gehen von den Klerikern auf
Minne und Welt, Schande und Ehre die Laien über. Weltliche Motiv v.
( Wackernagel, Lit. G. § 84.). Bei Auflehnung gegen die Geistlichkeit
Hans Sachs heissen sie Kampf (je- Hass gegen das Judentum, teil-
durch den gewinnsüchtigen Jq<1&
teils durch den Spezerei verkaufen-
den Kramer vertreten, traten in k
mische r Auffassung unmittelbar ne
ben das Tragische. Anfangs spielei
noch die Kleriker, dann diese mi'
spräche, z. B. zwischen Kühnheit und
Geduld, zwischen Zom und Sanft-
mut, Hoffahrt und Demut, Armut
und Reichtum, Jugend und Alter,
Tochter und Mutter, Krankheit und
Gesundheit. Ein .solches Streitge-
dicht, zugleich aber ein Rätselst reit ] den Schülern , dann die SchüW;
(s. Art. Jiätsel) ist der Sängerkrieg | allein, endlich nur Laien. Zwar
auf der lf 'artbu rg , entstanden ums band sich die Aufführung immer
Jahr 1300. Siehe diesen Artikel. noch an die Kirchenfeste, aber Je;
Das eigentliche Drama findet Ort der Aufführung wurde der Mark:
seinen Anfang erst in den kirch- oder sonst ein freier Platz, wo ei&
liehen Schauspielen; denn die noch künstliche Bühne errichtet war. D:
alteren lateinisch geschriebenen Dra-
men, darunter 6 Stücke der Nonne
Jlroswifh oder Roswitha, Hrofsritha
von Gandersheim, vor 984, welche
die unzüchtigen Stücke des Terenz
durch christliche Spiele zu ersetzen
trachtete, sind gänzlich ohne Nach-
wirkung geblieben. Die kirchlichen
Dramen, die vom 12. Jahrh. an be-
ginnen, heissen in Deutschland ludi,
in Frankreich misferia, altfranz. mm<
trre, von ministerium , kirchliche
Handlung, auch mysteria geschrie-
ben, doch ohne Zusammenhang mit
Frauenrollen wurden von Mannen!
gespielt. Der Umfang des in du
Spiel eingeschalteten Gesanges f-
wohl einzelner Personen als gan>'
Chöre ist verschieden; selbst Tat;
wurde zugelassen. Doch überwx*
das Gespräch, nach dem Geschma^-
der Zeit in Reimpaaren verfasst dtt
gelegentlich auf der Bühne nur g*
lesen wurde. Es war sehr breit au:
gesponnen, wie auch die Zahl
mithandelnden Personen bis 1
mehrere Hundert steigt. Manvh'
Stücke waren so breit, dass ik*
mysterium = Geheimnis. Sie waren , Aufführung sieben Tage in Anspruch
dazu bestimmt, die kirchlichen Feste,
vornehmlich die Passion und die
Ostern zu verherrlichen. Spieler
waren die Geistlichen, der Ort der
Aufführung die Kirche, die Spracht
nahm. Dem Inhalt nach sind W n
erster Linie J'assions- und Ostersp'
rückwärts und vorwärts verkflr-
oder verlängert, so dass unter Uu
ständen mit der Geburt Christi b->
lateinisch; sie entwickelten sieh aus ' gönnen und mit der Höllenfahrt ui I
den Festliturgien. Das bedeutendste der Himmelfahrt geschlossen viri
dieser Stücke ist der Ludus paschalis Da diese Spiele ähnlich dem Ep
de adventu et inten tu Antichrisfi;
andere heissen Ludus in resur-
reetionc Domini; deutsche Stellen
aus einem gemeinsamen Kern her
vorgehen, fehlen überall Verfahr
namen. Nächst der Passions- Wß
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Drama.
127
Ostereck wurden auch die Weihnacht,
Maria Verkündigung, Lichtmess,
Himmelfahrt, das Fronleichnamsfest
mit Spielen gefeiert. Schon bei den
zuletzt genannten musste eine pas-
sende Handlung erst gefunden wer-
den; ganz selbständige Spiele sind
sodann Totentänze (siehe diesen Art.),
«las Spiel ton den klugen und den
fhörichten Jungfrauen, das von der
keuschen Susanna, von der heiligen
Dorothea, von Theophilus-, im Spiel
von Frau Jutten hat der Geistliche
Theoderieh Schernlterg um 1480 die
Geschichte von der Papstin Johanna
behandelt. Willen, Geschichte der
peistlichenSpiele inDeutschland.ls7 1.
Noch mehr als die Osterspielo
schliessen sich die Fastnachtspiele
an vorchristliche Überlieferungen
und Gebräuche an. Aufanglich
blosse Gelegenheitsmummerei, Stras-
sen- und Kirchenlauf, oft, wie die
geistlichen Spiele, in Form eines ge-
richtlichen Prozesses, werden sie im
15. Jahrh. litterarisch ausgebildet,
und zwar zu Sürnfwrg durch Hans
Hosetddütt den Schnepperer, und
durch Han* Folz. Sie wurden nicht
öffentlich und im Freien, sondern
von umherziehenden munteren Ge-
stellen in den Räumen befreundeter
Häuser aufgeführt. Bald sind ihrer
bloss ein Paar, bald mehr, bis 12
oder 1 4, die in leichter Vermummung
fremdartige Gestalten darstellen,
wilde Männer, Bauern, Bettel volk,
allegorische Figuren. Den Stoff der
Handlung bieten Szenen des täg-
lichen Lebens, beim Kauf auf dem
Markte, vor Gericht, Ehezwiste,
Zank des Gesindes. „Mit einer Er-
findungskraft von staunenswerter
Ausgiebigkeit wurden die Verhält-
nisse des Geschlechtes zum Gegen-
stande des schamlosesten, im Schmu-
tze seligen Witzes gemacht und in
immer neuen Wendungen enthüllt
und verhöhnt. Die brutale Roheit
•ler Sitten hat in diesen Spielen den
höchsten Grad erreicht; jeder Spre-
chende ein Schwein, jeder Spruch
eine Roheit, jeder Witz eine Uu-
fläterei." Goedeke, I, § 93. Ausser
Nürnberg haben Bamberg und Augs-
burg an der Entstehung dieser Spiele
einigen Anteil.
Gegen das Ende des 15. Jahrh.
treten in der Geschichte des deut-
schen Schauspiels von mehreren Sei-
ten her neue Regungen und Be-
wegungen auf.
In den Kreisen der Humanisten
wrurden die Dramen des Flaut us
und Terenz, später auch griechische
des Aristophanes von den Schülern
aufgeführt und in Nachahmung an-
tiker Muster zahlreiche Neudientun-
gen versucht; dahin gehören latei-
nische Schauspiele von Wimpfeling,
Reuchlin, Jak. Locher, Conrad (Jet-
tes, Christoph Hegendorf, Thomas
Saogeorgus (Kirchmair) von Strau-
bing, Georq Macropedius, Nikode-
mus Frischt in u.a. Goedeke, § 113.
Schon vor der Reformation fing
man an, neben Plautus und Terenz
auch solche neuere Dramen zu über-
setzen, natürlich im Gewände und
Verse der Zeit. Alb recht von Fibe,
Domherr zu Bamberg, gest. 1485,
übersetzte die Menaechmi und Bac-
chides des Plautus, Hans Xyfhart
von Ulm 1486 den Eunuchen des
Terenz, 1499 ein Ungenannter den
ganzen Terenz, erschienen zu Strass-
burg. Von neulateinischen Stücken
wurde der Benno des Reuchlin, der
Acolastus ( verlorene Sohn) des Gna-
phaeus und manche Stücke des Sao-
georgus übersetzt und aufgeführt,
Hans Sachs bearbeitete den Flautus
des Aristophanes nach einer latei-
nischen Bearbeitung (der griechische
Text war zu Zürich im Jahr 1531
unter Zwingiis Leitung aufgeführt
worden), von Terenz den Eunuchen
und die Menächmen, von JJacro-
pedius den Hekastus.
Im Anschlüsse an solche fremde
Stücke und zugleich durch das wach-
sende städtische Volksleben, in
Deutschland durch Luthers Teil-
nahme gefördert, entstand im Beginn
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128
Drama.
des 16. Jahrhunderts ein ausgobil- der Nollhard von Gengenbach, di?
detes Schauspiel. Das schweize- fünf Betrachtungen zur Busse von
rische, das am Rhein herab wirk- Kolros, Wohl- und ( beistand der
sam blieb, ging mehr vom Volke, Eidgenossensehaft von Jakob Rum",
das mittel- und norddeutsche mehr der Welt Spiegel von Boltz, d;e
von der Geistlichkeit und der Schule Narrenschule von Herport,
aus. In der Schweiz ist Bern reprä- Am liebsten aber bewegte bei
sentiert durch yik/aus Manuel und Lehre und Satire auf dem Gebiet?
Hans von Rufe, Hoxel durch Genyen- der Reformationsstreitigkeiten. Da-
bach, Si.rt Birck, Joh. Kohlros, Va- hin zahlt das von W. farel in fraii-
f entin Boltz , Zürich durch Jakob zösischer Sprache erdichtete un>:
Huof. Biel durch Jak. Funekelin. — öfter deutsch übersetzte Spifl »■
In Sachsen und Hessen wirken Joa- königlichen S<iale zu J'aris. die FV
c Ii im diatf und Paul Reldtun. beide nachtspiele des Nikiaus Manuel: Von
von Zwickau; in Augsburg Sebastian Papst und seiner Priesterschaft. A'1
Wild, in Nürnberg ausser Jfans lasskrämer. Rarbali. Llsli Tragdei
Sachs Leonhard Culman; überhaupt knaben (altere Ausgabe von Grün
ist diese Dichtung dem lieben <ler eisen, neuere von Bftchtold. Nikla •
Zeit gemäss durchaus lokalisiert. Manuel, Fraurnfeld, 18T8»; and«
und es sind nur sehr wenige, dar- Stüeke der Art sind: Johannes H' s-.
unter in erster Linie Hans Sachs, 1 1537; der neue deutsche Hileam^l
welche über die Mauern ihrer Vater- von Cammerland^r, um 1542.
Stadt hinaus wirksam zu werden ver- Zu weltlichen Stoffen des Roman*
mochten. der Gesehichte und der Sage grin
Was die Stoffe anbelangt, so sind man im allgemeinen seltener. Har>
es mit Vorliebe biblische, mehr aus Sachs ausgenommen, der überhan-
dem alten als dem neuen Testament: I den Kreis des zeitgenössischen Stoff» -
Adam und Eva, Abraham und Opfe- weit überschreitet; er hat in seiner
rung Isaaks, Isaak und Rebekka, ' 208 dramatischen Stücken Stoffe au-
Jakob, Joseph, Hiob, das goldene Boccaccios Decameron und der
Kalb, Josua. David und Goliath. Rüchern der durchlauchtigen Fraut:
David und Salomo, Absalom, Judith, dramatiseh bearbeitet, aus Seba^n&n
Tobias, beide letztgenannten durch Francks Weltbuch, Albert Krant
Luther empfahlen, Belagerung Ba- Chronik von Dänemark, aus Home:,
bylons, am häufigsten Susanua im Herodot, Plutareh, Xenophon. Ovid.
Bade. Aus dein neuen Testament: Sueton, Livius: dem deutschen lte
Weihnachtsspiele, Johannes der Täu- denbuche entnahm er einen Hörnn
fer, Hochzeit zu Cana, das jüngste ; Seifried, wobei freilich zu bedenken
Gericht, am seltensten die Passious- dass dieser Dichter seine Stoffe. ■«
gesehichte; dramatisierte Parabeln immer er sie fand, sowohl für lyr.
vom Weingarten des Herrn, vom sehe als epische als dramatisch
verlorenen Sohn {Acolastus), vom Dichtungen verwendete. Von ai
reichen Mann und armen Lazarus, j deren Dichtern hat man aus dieser
Zwar diente, wie überhaupt die 1 Zeit die Hisforia Maqclonac, Od*
ganze Litteratur dieser Periode , so vianus und die sieben weisen Meister
auch das Spiel der Lehre, auch wo Wilhelm Teil, Frau Wendel^:,
biblische oder profane Geschichte Lucretia, Dämon und Pythias, ^er
dargestellt war; es giebt aber solche Störung von Troja.
Stüeke, die von vornherein lehrhaf- Von den antiken Stücken h*"1
ten Stoff im engern Sinne besonders man nunmehr auch die UnterscM
satirisch behandeln; dahin gehören dungsnamen Tragödie und Komi*kf
die Gauchmatt, die zehn Alter und kennen lernen, ohne dass man irgend
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Drama.
129
wie über das innere Wesen derselben
Aufschluss erhalten hatte; Hans
Sachs nennt diejenigen Stücke, in
denen ein Krieg vorkommt, Tragö-
die, die andern Komödie; gern be-
nutzte man deshalb zur Aushilfe
Tragikomödie, oder man behielt das
alte Wort Spie! bei. Das geistliche
Spiel im engern Sinne wurde in
protestantischen Gegenden natürlich
nicht weiter geübt, auch das ein-
fachere Fastnachtspiel ist , aber ver-
edelt, nur von Hans Sachs und Jakob
Avrer fortgeführt. Den antiken
Mustern entnahm man auch die Ein-
teilung in Akte und Szenen, eben-
falls ohne tiefere Einsicht.
Wie im älteren geistlichen Spiel
liebte man es jetzt noch Musikstücke
• inzuflechten , seis am Anfang oder
Ende, seis sonst an passenden Orten.
Einzelne gelehrte Dichter machten
den Versuch, antike Vers- und
Sfrophenmessung, andere welsche
Rhythmen nachzuahmen, besonders
Paul Rebhuhn. Zur Belebung des
immer noch sehr gebundenen Seelen-
lebens der handelnden Personen
wurde etwa die Mundart verwendet.
Die Aufführung der Stücke durch
die jüngere Bürgerschaft geschah
unter Aufsicht und Unterstützung
der Obrigkeit, bei einfachster Büh-
iienzuriistung und Maschinerie, da-
gegen mitunter kostbarer Kostümie-
ruup, die stets der gegenwärtigen
Tracht entnommen wurde. Mitten
in die ernste Handlung wurden ohne
Anstand komische Szenen einge-
schoben, besonders an Ärzte, Juden,
den Teufel und den Narren sich an-
schliessend. Mancherorts spielten
die Meistersinger, z. B. in Augsburg,
'»der Liebbabergesellschaften.
Der frische Aufschwung der
Volksspiele durch die Reformations-
bewegung erlahmte bald in der all-
gemeinen Erlahmung des geistigen
Löbens: einzig Hans Sachs hielt
solange er lebte und noch längere
Zeit nachher, durch den Einnuss
seiner Schriften die Erinnerung an
Beaüexieon der deutlichen Altertümer.
frühere Jahrzehnte aufrecht. Sonst
trat das Schauspiel mehr und mehr
in den Dienst der Schule, beson-
ders seitdem die Jesuiten diese
Gattung für ihre Anstalten nach
ihrem Greiste ausbildeten und prote-
stantische Anstalten mit ihnen in
Srotestantischem Geiste wetteiferten;
er Hauptsitz dieser letztern Thätig-
keit war Strassburg.
Nur Xüntberg hatte in Jakob
Ayrer, gest. 1605, eine Art Nach-
folger von Hans Sachs, der sogar
noch Fastnachtspiele sehrieb, doch
kommt er seinem Vorgänger weder
an Form noch Gehalt nahe. Da-
gegen ist seine Thiitigkeit dadurch
interessant, das« sich in einigen seiner
Stücke zuerst der Einrluss der eng.
tischen Komödianten zeigt. Schon
während der Jahre 1556—84 wur-
den englische Musiker, Fiedler, Trom-
peter und Pfeifer am markgräHiehen
Hofe in Prcussen gehalten. Später
findet man ähnliche Truppen an
anderen Höfen, die zugleich Musiker,
Schauspieler, Seiltänzer u. dgl. sind ;
vor 1586 spielte eine solche Truppe
am dänischen Hofe, später in Dres-
den, Wolfenbüttel, Kassel, von wel-
cher häufige Kunstreisen in zahl-
reiche Städte Mittel- undSüddeutsch-
lands unternommen wurden, so nach
Frankfurt, Ulm, Augsburg, Basel,
Nürnberg, Stuttgart, Darmstadt,
Regensburg. Diese englischen Ko-
mödianten , Zeitgenossen Shake-
speares, einige von ihnen ohne
Zweifel seine Gehilfen, spielten an-
fangs in englischer Spracne, später,
besonders als deutsche Schauspieler
ihnen beitraten, deutsch; als es schon
ganz deutsche Schauspielertruppen
nach Art der alteren englischen gab,
hiessen sie immer noch englische
Komödianten. Man kennt den Cha-
rakter der von ihnen gespielten
Stücke, die zum Teil auf englische
Quellen, namentlich Shakespeare,
zurückgingen, zum Teil auf älteren
deutschen ruhten, teils aus Jakob
Ayrers Spielen: denn dieser war
9
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130 Urania. — Dreikönigsfest.
ihr Zuschauer gewesen und hatte vorstellten, entwickelten sich die
ihre Art nachgeahmt; teils aus einer Haupt- und Staatsaktionen gegen
im Jahr 1620 ohne Angabe des Druck- das Endo des 17. und im Beginn
ortcs herausgekommenen Sammlung des 18. Jahrh.; die älteren komischen
von 20 Stücken: „Englische Come- Figuren wurden darin durch (In-
dien und Tragedien," teils aus den j neueren des Pickelhäring und Hans-
Stücken des Herzogs Heinrich Ju- wurst ersetzt. Der einzige namhafte
. lim von Braunseh uy iq. 1564—1613, dramatische Dichter der zweiteu
herausgegeben von Holland, Bibl Hälfte des 17. Jahrh. ist Andrtjt
des litt. Vereins zu Stuttg. 1855. Cryühius, in dessen Werken der
Die Bedeutung der englischen Einnuss der Antike, Shakespeare,
Komödianten liegt nicht in der Ein- der Volksschauspiele deutlich zu
führung des Claims, den man in erkennen sind. Darzustellen, wie
Deutschland nach dem niederläudi- dann der französische Geschmack
sehen Namen l'iekelharinrf und die J in Deutschland einheimisch wird un i
■ Zwischenspiele, die nur für ihn be- gegen ihn antiker und englische
stimmt waren, J'iekei }hnri nqsspiele Geschmack ankämpft, gehört nicht
nannte; noch weniger liegt sie in in den Rahmen dieser Skizze. Yjd-
der barbarischen Sittculosigkeit, Prutz, Geschichte des deutschen
welche ihren Stücken zum Teil eigen Theaters, Dctvirnt, Gesch. der deut
ist; sondern darin, dass sie zuerst sehen Schauspielkunst, und ausser
in Deutschland die persönliche, in- den Literaturgeschichten namentlich
dividuelle Kunst des Mimenspiels von Gervinus, Wackernagel, G<>e-
aufbrachten und zugleich diejenigen deke und Scherer, die Einleitungen
Bühuencinrichtuiigen einbürgerten, zu: Schauspiele aas dem 16. Jahrh..
die seitdem dem Theater eigen ge- heraus?, v. Tittmann, 2 Bde.; Hais?
blieben sind. Sie selber mussten Sachs, nie Schauspiele der englischen
noch in passenden Lokalen anderer Komödianten, die Schauspiele d«-
Art, Fechtschulen, Ballhä»isern, Rat- Herzogs H. J. von Braunschweig,
häuseru spielen; das erste Theater Andreas Grypluus, sämtlich in den
baute Landgraf Moritz von Hessen Sammlungen „Deutsche Dichter d»-s
in Kassel, zu Ehren seines Sohnes 16. resp. 17. Jahrh. von Goedeko
Ottonium genannt. Seit den eng- und Tittmann. LeiDZ. Brockhaib.
lischen Komödianten giebt es in Dreikönigsfest, Epiphanias: wie
Deutschland einen Schauspieler- ! üi den meisten kirchlichen Fe?un
stand. kreuzen und verbinden sich hier
Mit dem 'iojührigen Kriege hörte heidnische und christliche An-
das Schauspiel fast überall auf, eine Behauungen und Gebräuche. Der
Belustigung des Volkes zu sein; es Dreikönigstag, 6. Januar, ist der
wurde entweder bloss Lesedrama Schluss der Zwölf nüchte. W
oder ging an die Höfe über, und Nacht auf Epiphanias hiess im
zwar entweder als Oper (siehe diesen I Mittelalter giperaht naht, die h uch
Artikel) oder als Gelegenheitsdich- 1 tende Nacht, oder perhtennaht, peA-
tung ganz im Geiste der Opitz'schen j tentaa; der Tag galt als der Tai
Poetik. Fürstliche Hochzeiten, Kind- ' der Bertha. Im Gegensatz zu den
taufen und Geburtsfeste wurden mit Zwölfnächten, wo die Sonne im Still
hofmässigen Schauspielen gefeiert, stand ist, weshalb sich kern Kai
Aus den Geleeenheitsschauspielen, drehen darf, scheint man an diesem
die eine emstnafte Handlung in Tage das wieder beginnende Vor
hohem Stelzenschritt und daneben rücken der Sonne gefeiert zu haben,
oder darin eine lustige Handlung der Stern, ursprünglich das Sonnen
mit flachen Spässen und Prügeleien rad, muss sien drehen. Noch jetzt
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Drude. — Drudenfuss
131
knüpft sich an den Tag zahlreicher
Aberglaube, Wuttke, § 79. Die
christliche Legende setzt auf diesen
Tag die Anbetung des Christas-
kinies durch die Weisen vom Morgen-
lande; die Dreizahl ist dem drei- jungtrau, aunocnueutscn m
fachen Geschenk, Gold, Weihrauch, reichen Frauennameu erhalten: Alp-
und Myrten, nachgebildet, wenn driif, Hegindrül, Trmitidrut, Amal
in seinem Stücke die Bohne hat,
wird Bohnenkönig und gilt an die-
sem Ta£ als Herr und König.
Drude, die, ist altnordisch als
Thrudhr der Name einer Schlacht-
jungfrau, althochdeutsch in zahl-
nicht auch darin eine Erinnerung
liegt an die wohlthätige Wanderung
dn'it, Gerdrdf, SigidnU, TrttdhiK.
Mit Einführung des Christentums
hausende Weiber, hässlich anzu-
schauen. Sie treiben nächtliche
Künste, kommen nachts als Alp mit
leisen Schritten an das Bett des
Schlafenden, auch in Gestalt eines
weissen Bündels, legen sich auf den
d»r oft als Dreiheit gedachten ger- ging der Name der halbgöttlichen
manischen Gottheit in den Zwölf- , Jungfrau in den von Hexe, Unhol-
nächten: frühere Jahrhunderte nah- din über, besonders diejenige, welche
inen die Zahl 12 oder 15 au. Hin- als Alp die Schlafenden drückt. Ihre
sichtlich ihres Ranges und Standes ursprünglich gute Bedeutung ist in
dachte man sich die Magier als Tirol erhalten, wo man sie noch für
sternkundige Gelehrte, Astrologen ', eine schöne Frau hält; an anderen
•xler als Zauberer: erst später schloss Orten sind es alte, in Waldlöchern
man aus den königlichen beschenken,
dass es Könige gewesen seien.
Beda Venerabiii*, 672-735, er-
mähnt zuerst ihre Namen Kaspar,
Melchior, Balthasar; andere nennen
^ie anders: Appellus, Amerns und
Damaseu*, oder Magalach , Galga- j Schlafenden, drücken ihn, dass er
iath und Saracin, oder Ator, Eator \ sich nicht regen, nicht atmen, nicht
und Feraiora*. Ihre Leichname rufen kann. Ein anderer Name ist
sollen im Jahre 1162 aufgefunden Marc, Mahlt, Nachtmar. Grimm,
und nach Mailand in die Eustorgius- Wörterb. , Art. Drude. — Wuttke,
kirche gekommen sein ; bei der Er- Aberglaube, § 402 ff.
oberung Mailands schenkte sie Bar- Drudenfuss, Penfagramma, Pen-
barossa dem Erzbischof von Köln; (alpha, Alpkreuz, Drüdenkreuz, Sa-
sie liegen noch im Kölner Dom. Jus Pythagorac, ist ein aus zwei ver-
Bekannt ist die alte Sitte, dass am schränkten gleichseitigen Dreiecken
Dreiköuigtag drei Leute in aben- ; gebildeter fünfeckiger oder sechs-
teuerlichem Kostüm , deren Haupt- j eckiger Stern, galt im Mittelalter als
Sprecher einen blitzenden Stern voran- Schloss und Riegel gegen das Ein-
trägt, um eine milde Gabe, das sog. dringen oder Entweichen böser Gei-
S'erndreherlied singen, es fängt an: ster. Eigentlich sind es VogelfTisse
<K»tt, so wollen wir loben und ehren, ( Gänsefüsse) , die das geisterhafte
die heiligen drei Könige mit ihrem Wesen des zu Verscheuchenden be-
Stern, sie reiten daher in aller Eil, i zeichnen; gewöhnlich werden vier
in dreissig Stunden vierhundert Meil ;
oder: die vier heiligen drei Könige
mit ihren Stern u. s. w., öfter ab-
gedruckt.
In Frankreich findet an diesem
Tag das Bohnenkönigsfest statt. Ein
grosser Festkuchen enthält im In-
nern eine Bohne. Derselbe wird in
so viel Stücke zerschnitten, als Fa-
milienglieder vorhanden sind; wer
lange Zehen angegeben, drei nach
vorn, eine nach hinten. Weiber,
welche plattfüssig sind, kommen da-
her am meisten in den Verdacht,
dass sie Druden abgeben. Das Zei-
chen wird verschiedentlich ange-
bracht, am Fussgestelle der Bett-
statt, an der Schwelle, an Gefässen,
Büchern, Gerätschaften, au Dorf-
schenken als Aushängeschild.
9*
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132
Du, Duzen. Unter diesem Wort
mögen einige Andeutungen über die
Art der persönlichen Anrede in äl-
terer Zeit Platz rinden. Die gotische
Sprache kennt wie die griechische
und lateinische bloss die naturge-
mässe Anrede der Einzelperson in
der Einzahl: haifs thiudans! später
noch altdeutsch: heil herro, heil liebo!
Die erste eingreifende Verdickung
des Numerus beim Pronomen stammt
aus den königlichen Kanzleien; in
Nachahmung des römischen oder
byzantinischen Geschäftsstiles be
zeichneten die deutschen Könige
Theoderich, Pipin, Karl und die
folgenden ihre tmperatoria Majestät
dadurch, dass sie von sich im Plural
schrieben. Allmählich drang dieser
Plural vor in die Schreiben der
Bischöfe, Äbte, Grafen u. dgl. Das
geschah also in der ersten Person.
Im 8. und noch mehr im 9. Jahrh.
ging dieser Plural in die Anrede,
also in die zweite Person über, das
Ihrzcn der Könige wird geläufiger.
Im Waltharilied redet die Hunnen-
königin Ospirin ihren Gemahl mit
ras an, ebenso Waltharius den König,
während Hagen, Gunther und all«'
kämpfenden Helden sich duzen. In
deutscher Sprache redet zuerst Ot-
fried den Bischof Salomon in seiner
Widmung der Evangelienharmonie
mit ir an. Unter dem ganzen Volk
hatte sich aber das Hirzen der Kö-
nige und Fürsten schwerlich schon
verbreitet. In den höfischen Ge-
dichten des 12. und 13. Jahrh. ist i
das majestätische Wirzen überall
gemieden, der Fürst spricht mit ich \ i
dass die geistlichen Gedichte das du
Fürsten gegenüber anwenden, ist
Nachahmung der biblischen Anrede.
Den weltlichen Gedichten ist, wo!
sie ritterlichen Stoff behandeln, das
Hirzen gemein, der Kaiserchronik,
dem Alexander, der Eneit, dem
Rother, Tristan etc. Im Annolied
wird gesagt, dass man den Julius!
Cäsar, um ihn zu ehren, geihrzt habe.
Die Hauptregeln der Anrede in der
höfischen Zeit waren: unter Seiten-
verwandten, Könige und Königinnen
manchmal ausgenommen, güt du,
Eltern gaben den Kindern du, der
Vater empfing von Sohn uud Toch-
ter ir, die Mutter vom Sohn ir, von
der Tochter du. Eheleute ihrzen
sich. Liebende, minnewerbende
nennen sich fr, gehen aber leicht in
das vertrauliche du über; in Minne-
liedern wird meist du angestimmt.
Der Geringere giebt dem Höhern <>
und erhält du zurück. In der Kaiser-
chronik duzt der Papst den Kaiser
und wird von ihm geihrzt. Zwischen
Freunden und Gesellen gilt du , doch
galt das ir als besonders höfisch,
und wenn im Nibelungenliede die
Kitter sich mehr, als sonst geschieht
duzen, so scheint das Überrest des
volksmässigen Elementes. Frauen.
Geistliche und Fremde erhalten ir.
dafür sind aber Frauen und Geist-
liche gegen Geringere leicht höf-
licher als Männer und Weltliche.
Personifizierte Wesen werden vom
Dichter geihrzt, z. B. Frau Minne.
Frau Abenteuer. Das gemeine Volk
bleibt noch beim Duzen stehen.
Leidenschaftliche, bewegte Rede ach-
tet der Sitte nicht und zieht bald
trauliches du, bald höfliches ir vor.
Im Laufe des 14., 15. und 1»'».
Jahrh. blieben die Verhältnisse der
Anrede ungefähr wie sie das 13. ge-
regelt hatte, nur dass bei Königen.
Fürsten und anderen Trägern hoher
Würden im 15. und 16. Jahrh. die
7Y/<7 Majestät, Fürstliche Gnaden.
Strenge, Feste, Weisheit u.dgl. über-
hand nahmen und wenigstens beim
Beginn der Rede das unmittelbare
ir verhinderten. Zu jenen Titeln
wurde, je nachdem sie im Singular
oder' Plural angewendet waren, das
Verb, in der driften Person des Sin-
gular oder Plural konstruiert: En«
Kaiserliche Majestät hat befohlen.
Euer fürstlichen Gnaden sind der
Meinung: aber schon das beigefügt»'
Possessiv Euer zeigt, dass daneben
immer noch geihrzt wurde: aus der
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Du, Duzen
133
dritten Person konnte im Verfolg
der Rede in das direkte ir über-
gangen werden. Solche Titel gal-
ten auch für den Fall der wirklichen
dritten Person, beim Erzählen, und
dann wurde da« entsprechende Pos-
sessiv damit verbunden: Seine Maje-
stät Seine, des Fürsten, Gnaden, wo-
bei man aber irrig durch den Plural
des Verbums zu dem pluralen Pos-
sessiv irr, iro. Ihro verleitet wurde.
IFQ heisst: Ihro fürstliche Gnaden.
Ans s«»<r. ,,Rethoriken" jener Zeit
lasst sich umständlich ersehen, wTie
es mit dem ihrzen und duzen ge-
halten wurde. Die Strassburger,
1511 gedruckte, erteilt folgende An-
weisungen: der Kaiser duzt alle
Geistlichen bis an den Papst, die
Geistlichkeit ihrzt sich in ihren
Jvhriften, ebenso ihrzen sich gleiche
weltliche Fürsten und Grafen. Ritter
werden von Fürsten geihrzt. Alle
Edelleute duzen einander; wen sie
nicht für edel halten, den ihrzen sie
„zu merken dass er ein Burger oder
nit tuzens von inen gnoss sei." Kei-
nem unedlen Mann, wie hoch ver-
dient oder verfreit er sei, geziemt
es einen Edelmann zu duzen, er sei
ihm denn nahe verwandt. Kinder
i'trzfn ihre Eltern, doch die Kinder
der Edelleute duzen. Eltern duzen
ihre Kinder, solange sie nicht in
einen höhern Stand treten. So stand
e* bis etwa in den Beginn des 17.
Jahrh-, um welche Zeit, wahrschein-
lich nach französischem Beispiel, die
Benennung Herr und Frau nicht
mehr wie früher eine wirkliche Su-
perioritat des Angeredeten über den
Anredenden zu erkennen gab, son-
dern zu oinem blossen Hönichkeits-
z^ichen herabsank. In unmittelbarer
Anrede Hess sich nun freilich mit
^■^sen Titeln das Pronomen ihr ver-
binden; allein man fing an, sie gleich
den übrigen höhern Titeln direkt in
der dritten Person zu verwenden,
und als sie immer weiter um sich
prüfen, bald mit ausgelassenem Sub-
stantiv das bare Pronomen er und
stt
zu dem Verbum dritter Person
konstruiert, statt der direkten An-
rede zu setzen. Dieses er oder sie
überbot die Höflichkeit des ihr, wel-
ches fortan eine blosse Mittelstufe
der Vertraulichkeit oder Gering-
schätzung abgab, während du die
unterste Stufe ausdrückte.
Eine neue Verschraubung der na-
türlichen Anredeverhältnisse wurde
gegen den Schluss des 17. Jahrh.
ersonnen, die mit der bisherigen eine
Zeitlang zu kämpfen hatte, aber
ungefähr zwischen 1730—1740 den
Sieg davon trug und durch den jetzt
mächtig eintretenden Aufschwung
der Prosa befestigt wurde. Als die
feinste Höflichkeit kam nämlich auf,
dass man er und sie der dritten
Person aus dem Singular in den
Plural rückte, wonach sich denn
auch das Verbum zu richten hatte.
Man War also von dem du auf das
ihr, von dem ihr zurück auf den
Singular er und sie, von ihnen
wiederum auf den Plural sie gelangt
und hatte die zuleite Person statt
du bist anzureden: sie sindl Die
ersten Spuren dieses pluralen sie
erscheinen zwischen 1680 und 1690,
es ist ein Ausfluss des damals be-
6'nnenden ä la il/brfe-Stutzertums.
aneben Hess man übrigens die
älteren Stufen der Höflichkeit, ihr
und er oder sie auch nicht fahren,
nur dass sie mit der Zeit ihre Be-
deutung etwas änderten. Um 1780
stand es folgendemiaseen : der Edel-
mann erzte seinen Gerichtshalter
und Pfarrer, Friedrich d. Gr. seine
höheren Civil- und Militärbeamten,
der Amtmaun den Büttel, der Pfarrer
den Küster, der Schulmeister den
Schüler, der Schwiegervater den
Eidam (Herr Sohn), der Ehemann
siezte (Singular) seine Frau in Ver-
trauliener Laune (höre se, bestelle
sie mir); in der Schweiz redeten ge-
bildete Mädchen den Fremden mit
er an (stanzt wohl gern?), ehrendes
er wurde dem Handwerksmeister
zu teil, Plural sie etwa nur Gold-
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134
Dukaten — Edda.
schmieden, Uhrmachern Barbieren, behauptet, König Hoger II. von
Wirten. Ihr bekamen Handwerks- Sizilien, als Herzog von Apulien.
gesell, Fuhrmann, Gärtner, Soldat, zuerst diese Goldmünze 1140 prägen
lauer, Knecht und Magd; du war Hess mit der Inschrift: sittibi. Chnstt,
für alle Dienstboten ein Zeichen datus. quem tu regis, Ute durah*.
längerer Vertraulichkeit. Sie er- Der Name kommt in Urkunden von
hielten alle, die vom Anredenden 1181 und 1185 vor, geprägt wurde:)
weder abhängig noch ihm näher 1 sie in Venedig zuerst 1280. Im
vertraut waren. Einzelne ländliche 16. Jahrh. erscheinen auch dieFormen
Bevölkerungen hielten wie heute truektaten und duetateu. Grimm,
noch am alten du fest. In die edle Wörterbuch.
Poesie fand sie keinen Eingang, wohl Dusek, Duseke. Disak. Di-
aber ihr und er, Goethes Hermann secken, aus böhmisch teedk, heü*:
ihrzt seine Eltern, in Voss' Luise ein im 15. und 16. Jahrh. oft ge-
erzt der Pfarrer den Schwiegersohn, nanntes, breites, gewöhnlich hölzernes
Nach Grimms Grammatik, IV. 288 ff. Schwert ohne Heft, statt dessen ein
Dukaten, Goldmünze, drei Thaler Griff oder eine Öffnung in die Klinge
an Wert, aus ital. ducato, mittellat. gemacht war, wie ein Nadelöhr , -o
ducatu*, franz. dueett, mhd. dueate. gross, dass man mit der Hand hin-
von duj'~ Herzog, weil, wie man durchgreifen konnte.
E.
Ecbasis, siehe Tiersage.
Eckkart« der getreue, ist eine
Gestalt aus dem Kreise der deutschen
Heldensage, der Sohn der Hache,
der Pfleger der Söhne Hurlungs, die
Ermenrieh töten Hess, ein Held
Dietrichs von Bern, mit dem er im
Mythus die Teilnahme an der wilden
Jagd teilt. Eckhart zieht vor dem
wütenden Heere her mit Holda und
ist verwünscht, bis zum jüngsten
Tage im Venusberg zu weilen.
Wenn Holda nach der Sage mit
dem wütenden Heere aus ihrem
Berge zieht, schreitet der treue
Eckhart als ein alter Mann mit
langem Barte und weissem Stabe
vorauf. Dieser warnt jedermann,
aus dem Wege zu gehen. Einmal
begegneten ihm zwei Kinder, die so-
eben einen Krug Bier für ihre Eltern
aus dem Wirtshause geholt hatten.
Das wütende Heer hielt sie an,
riesige Männer nahmen ihnen den
Krug ab und leerten ihn. Die
Kleinen weinten bitterlich. Aber
1 der treue Eckhart beruhigte sie und
sagte, sie sollten nicht bange sein,
der Krug werde sich wieder füllen
und niemals leer werden, solange
sie versehwiegen hielten, woher m*-
Wundergabe Komme. Als die Klei-
nen auf die Anfragen der Eltern und
Nachbarn schliesslich doch aus-
schwatzten, versiegte das Bier.
Edda ist der Name zweier aus
dem altnordischen Altertum erhalte-
nen Lieder- und SageusammluDgen.
gewöhnlich ältere und jünqere Edda
Seheissen. I. Die ältere £dda. Den
amen Edda = Ältermutter, fem. von
Aetfi — Vater, erhielt die ältere
Sammlung erst durch den Bischof
Brynjulf Swendsen zu Skaltbolt.
welcher im Jahre 1643 die Älteste
Handschrift, den eodex regiu*, auf-
fand und einer Kopie derselben
den Titel Edda Saemundar hin**
froda, Edda Sämund des Gelehrten,
vorsetzte ; dieser Sämund ist Sämund
Sigufson , von seiner Gelehrsamkeit
zubenannt, 1055-1133, der Stifter
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Edda.
135
einer der ältesten isländischen Schu-
len. Beweise dafür, dass Sämund
der Sammler der Edda gewesen sei,
hat man keine. Jedenfalls sind die
Lieder auf dem Festlande gedichtet
und von den Isländern mit nach
der Insel gebracht und so gerettet
worden. Die ältesten Lieder werden
dem 6. Jahrh. zugeschrieben. Alle
haben den Stabreim. Man unter-
scheidet, obgleich nicht glcichmässig,
mythologiscne Lieder und Helden-
lieder. Lm den mythologischen gehört :
1. Völuspä oder die Weissagung,
das Gesicht der Wala, die Senenn
Wala enthüllt die ganze Geschichte
des Weltalls in mytnischer Fassung.
2. (irimmUmul, d. i. Gesang
Grimmirs, eines Namens, unter dem
sich Odhin verbirgt; dieser, von
seinem Pflegesohn als Zauberer ge-
quält, beklagt seine Lage und schil-
dert im Gegensatze die zwölf Woh-
nungen der Götter und die Herrlich-
keit Walhallas.
3. Vafthrudnisrndl, d. i. Gesang
Wafthrudnirs. Odhin lasst sich mit
dem Riesen Wafthrudnir in einen
Wettkampf der Weisheit ein über
Fragen kosmogonischen und mytho-
logischen Inhaltes; der Riese verliert
Wette und Haupt.
4. JIrafnagaldr Odhins, Odhins
Rabenzauber, das dunkelste aller
Eddalieder. Nach Simrock lässtsieh
der allgemeinste Sinn des Liedes
dahin angeben, dass die Götter in
dem Eintritt der Winterzeit ein
Sinnbild des nahenden Weltunter-
ganges erblicken, da sie beim Ab-
fall de* Laubes von trüben Ahnungen
ergriffen werden.
5. J'egtamsquidha, das Lied vom
Wanderer: Ouhin, der Wanderer,
reitet nach Niflhel und befragt hier
eine Wala um das Schicksal Balders,
über dessen Tod kündende Träume
alle Götter in Angst sind.
6. Thrymsquidna oder ITamars
keimt, Hammers Heimholung. Thor,
in Freya verkleidet, seht unter
Lokis Begleitung als Braut nach
Jötunheim; mit dem ihm als Braut-
fabe übergebenen Hammer tötet er
as Riesengeschlecht; u. a. von
Chamisso übersetzt.
7. Hurbardhsliodh, das Lied vom
Haarbärtigen. Odhin als Fährmann
Harbardh soll dem jenseits des
Flusses stehenden Thor die Über-
fahrt gewähren; Thor zieht im Ge-
spräche überall den Kürzern und
wird nicht übergefahren, sondern
heim zu seiner Mutter gewiesen.
8. Ahismal, des All weisen Lied,
eine schwache Nachahmung von
Nr. 3. Ein Fragespiel Thors mit
dem Zwerg Alvis, oei dem es um
eine Braut gilt, giebt Veranlassung,
eine Reihe poetischer Synonyme
vorzuführen.
9. Hymisquida , die Sage von
Hymir, Thors Fischfang mit dem
Riesen Hymir.
10. Oegisdreclca ', Ogirs TYinkge-
lag. Die Götter sind Dei Ögir ver-
sammelt, Loki aber wird einer Ge-
walttat halber weggejagt. Er kommt
jedoch zurück und wirft nim allen
Göttern und Göttinnen Schandthaten
und Verbrechen vor, bis endlich
Thor durch sein Erscheinen Loki
bewegt, das Feld zu räumen.
11. Sktrnis för, Skirnes Fahrt.
Skirnir, Freys Diener, wirbt für
seinen Herrn um die schöne Gerdur,
die Tochter des Riesen Hymir.
12. HyndluUodh, das Hyndlalied.
Freya begiebt sieh mit ihrem Schütz-
ling Ottar zur Riesin Hyndla und
lässt diese seine Abstammung kund
thun, bei welchem Anlasse auch die
Stammbäume anderer Heldenge-
schlcchter angegeben werden.
13. Häva mtil, die Rede des
Hohen, d. i. Odhin, enthält Lebeus-
regeln und Vorschriften für den
Gast und Reisenden, für Haushal-
tung und häusliches Leben, für die
Landwirthschaft, sodann eingescho-
ben die Erwerbung des Dichter-Mets
durch Odhin, (Tann Lehren des
Vaters an seinen Sohn und die
Lehre von den Runen.
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136 Edda.
14. So/arliödh, Sonnenlied, ein 5. Gripis spä. Gripirs Weiss»
christliches, aber mit altheidnischcn, gung, oder Sigurdharquidha Fafm
mythologischen Bildern und Vor- Lana hin fyrsta, das erste Lied' v<m
Stellungen ausgeschmücktes Lied. Sigurd dem Fafnirstöter. Sigura
15. Grougafdr, Groas Erweckung, I (Siegfried) reitet vor Beginn seintT
eine Nachahmung von Odhius Ru- Heluenlauf bahn zu Gripir, dem Bru-
nenlied im Havamal. der seiner Mutter Hiördie. damit
16. Rigsmal , mythische Erzäh- dieser ihm alle seine Geschicke bis
lung vom Ursprung der drei Stünde : zu seinem Tode voraussage. Er er-
des Adligen, des Freien und des hält die gewünschte Auskunft und
Knechtes. reitet hinweg.
IT. Fiölsrtiuism/il, des Vielwissers 6. Sigurdharquidha Fufnuhaw
Lied, ein durchaus dunkles Rätsel- hin Önnur, das andere Lied vonSi
lied. gurd dem Fafnirstöter und
Der Heldensage gehören folgende i 7. FafnismM, das Lied vonFfc
Lieder an : I nir. Regin begiebt sich an den
1. Hefgaquidha JTjörrardhssonary Hialprets, wo der junge Sigurd lebt,
das Lied von Helgi, dem Sohne erzählt ihm von dem Horte, welchen
Hiörwards. Helgi rächt mit Hilfe einst die drei Götter Odhin, Hrmir
der Walküre Swawa den Vater sei- und Loki seinem Vater Hreiduür
ner Mutter an deren erstem abge- als Busse für die Tötung Oturs, sei
wiesenen Freier, fallt aber im nes Sohnes, durch Loki gaben, und
Kampfe. auf welchem nun der dritte Bruder
2. Helgaquidha Hundingshana Fafnir, um des Hortes alleiniger
furri. Nachdem Helga, Sigmunds Herr zu bleiben, in Drachengestaii
*fc*ohn und der Borghild, den Hunding als Hüter liegt. Er reizt ihn zur
gerötet, geht er daran, die Walküre Bekämpfung fafnirs und schmiegt
Sigrün ihrem ersten Versprochenen ihm zu diesem Zwecke das Schwert
abzugewinnen, was Helgi gelingt. Gram. Sigurd zieht nun mit Schirl
3. Helgaquidha Hundingshana volk aus zur Rache an Hunding?
hin önnur, aas andere Lied von Söhnen, die seineu Vater Sigmund
Helgi, dem Hundiugstöter. Nachdem erschlugen, besiegt sie und reitet
Helgi seinem Vater Sigmund im dann auf die Giukaheide, wo er
Kampf gegen Hunding ffeholfen und Fafnir tötet. Da offenbart ihm Ke
Sigrun von ihrem Verlobten Höd- gin, wen er erschlagen habe, er
brodd befreit, vermählt er sich mit trinkt von Fafnirs Blut und befiehlt
Sigrun; ihr Bruder aber, dessen Sigurd, das Herz am Feuer zu brat«'ii
Vater und Bruder von Helgi getötet Dadurch dass der Saft des Herzen?
worden, durchsticht diesen. Als diesem die Zunge netzt, erlangter
Geist kehrt der Getötete zu seiner Fähigkeit, die Sprache der Vögel P
Gattin zurück und unterredet sich verstehen, worauf er durch die Co
mit ihr; da er aber die zweite Nacht terredung eines Adlerpaars sofort
vergebens erwartet wird, stirbt jene erfährt, dass Regin ihn zu verderben
vor Harm und Leid. siune. Er isst Fafnirs Herz, tötet
4. Sinfwtlalok, Sinfiötlis Ende, den schlafenden Regin, belastet sein
ein prosaischer Zwischenbericht, der Ross mit dein Golde und reitet zu
das, was in den Helgiliedern von Giukis Burg.
Sinfiötli. dem ältesten Sonn Sigmunds, 8. Brynhildarquidha Budla W
erzählt war, durch die Erzählung von für hin fyrsta oder SigrdrtfunuV, d.i.*
seinem Tode ergänzt und das Ver- erste Lied von Brynhild, Budlu
wandtschaftsvernältnis von Sinfiötli Tochter, oder Si^rdrifas Rede. A»
und Helgi zu Sigurd erläutert. dem Wege zu Giukis Burg erbüekt
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Sigunl einen Berg, dessen Gipfel Lo-
hen umgeben. Er reitet hinauf, dringt
<lurch die Glut, tritt in einen Saal
und findet da einen in voller Rüstung
schlafenden Mann. Als er mit «lein
Shwerte die Brünne zerschnitten
und abgezogen, ist es eine Jungfrau,
'he nun erwacht und erzählt, dass
Odhin sie in diesen Schlaf gebracht
habe. Sie reicht ihm den Minne-
frank and nennt sich Sigrdrifa. Nach-
dem sie ihm die näheren Vorgänge
erziihlt und ihn durch Runen- und
.Sitt-nspriiche belelirt, bricht das
Lied plötzlich ab.
9. Brot af Brynhitdhan/uidha,
Bru'hstück eines ftrynhildenliedes.
I*er verlorene Anfang hatte ohne
Zweifel die Gewinnung der Bryn-
hil i durch Sigurd für Gunnar und
ihre unglückliche Ehe mit Gunnar
Gegenstande. Das Bruchstück
beginnt nun mit der von Brynhild
aa Gunnar gerichteten Aufforderung,
d»*n treulosen Sigurd zu töten , er-
ahlt die Ausführung des Mordes,
Brrnhilds Freude und Hohnlachen,
aj* sie die That erfahrt, Gudruns
Verwünschung de* Mörders, Bryn-
bilds Geständnis, dass Sigurd un-
schuldig gewesen, und ihre Verkün-
digung Oes bevorstehenden Unter-
ganges der Nibelunge.
10. Signrdharouulha Fäfnisbana
h ' flridja, das dritte Lie(! von Si-
gurd. Sigurd ist mit Giukis Söhnen
ju Verbindung getreten, und hat
ihr^ Schwester Gudrun geehelicht;
darauf ziehen sie aus, die Brynhild
™r Gunnar zu werben. Sigurd er-
erbt sie und überantwortet »lern
Ganaar die unberührte Braut. Aber
dies*» föhlt sieh unglücklich ver-
mählt, beklagt ihr Geschick und
r^izt Gunnarn zu Sigurds Morde auf.
Ganaar schwankt und fragt Högnin
jHapen», der den Verrat missbilligt,
pa wird dem jüngsten Bruder, den
«in- Eide binden, dem Gudwurm,
™* Ausführung übertragen. Dieser
*'**t dem an Gudruns Seite schla-
fen Helden den Stahl ins Herz,
wird aber selbst von dem Schwerte,
das der Todwuntie ihm nachwirft,
mitten entzwei gespalten. Der Ster-
bende nennt der erwachenden Gattin
Brynhild al* Anstifterin des Mordes.
Gunnar schilt sie darum, aber ihn
demütigend sagte sie, dass sie wisse,
wie sie oei der Vermählung betrogen
worden sei, sie gesteht ihre Liebe
zu Sigurd und will mit ihm den Tod
teilen. Sie sticht sich das Schwert
ins Herz, weissagt Gunnar Versöh-
nung mit Gudrun, welche die Swan-
hild gebiert und dann mit Atli sich
vermählt. Zuletzt bestellt Brynhild
noch ihr und Sigurds Begräbnis.
11. Helreidh Brynhilaar, Bryn-
hilds Totenfahrt zu Hei, der sie ihr
Schicksal erzählt.
12. GMhnmarquidha hin fyrsta,
das erste Gudrunlied. Schilderung
des Schmerzes der Gudrun beim An-
blick ihres toten Gernahls.
13. Drap Niflunga, Mord der Ni-
belunge, kurzer t prosaischer Zwi-
schenbericht zur Überleitung auf die
folgenden Lieder.
14. Güdhrünarquidhd hin önnur.
das andere Gudrunlied. Gudrun, mit
Atl vermählt, klagt dem Thiodrek
(Dietrich von Bern) ihr Schicksal,
dass sie wider ihre Neigung Atli,
dem Bruder der Brynhild, ihre Hand
habe reichen müssen. Sie schliesst
mit Angabe der Unheil verkünden-
den Träume Atlis und mit der Ver-
sicherung, dass sie suchen werde,
dieselben in Erfüllung gehen zu
lassen.
15. Güdhrünarquidhd hin fhridja,
das dritte Gudrunlied. Eine Magd,
Herjak (Helene), hat Gudrun Atli
gegenüber der Untreue mit Thiodrek
geziehen, durch ein ihr günstiges
Gottesurteil befreit sie sich von der
Anklage.
16. Oddrünar gräfr, Klage der
Oddrun, ein späteres, unechtes Lied.
Oddrun, Atlis Schwester, erzililt
einer Freundin, wie sie gegen den
Willen ihres Bruders ein Liebes-
verhältnis mit Gunnar gehabt habe,
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138
Edda.
um dessen willen Atli Gunnar und
Högni getötet habe.
17. Gunnar* dag*', Gunnars Har-
fenschlag, das Lied, mit welchem
der von Atli in die Schlangenhöhle
geworfene Gunnar die Schlangen bis
auf eine, die ihn tötete und Atlis
Mutter war, eingeschläfert haben
soll. Vielleicht eine Fälschung.
18. Atlaquidha und
19. Atlamäly Sage und Gesang
von Atli. Beide Lieder schildern
den heimtückischen Verrat Atlis an
seinen Schwägern, den Giukungen
Gunnar und Högni, und die deshalb
von Gudrun, ihrer Schwester, an
ihm ausgeübte Rache. Atli zürnt
den beiden Fürsten, weil er sie für
schuldig halt am Tode der ßrynhild,
und weil er als Gemahl der Gudrun
auf den Hort Ansprüche macht, der
ihr nach Sigurds Tode von den Brü-
dern gewaltsam entrissen wurde. Er
ladet sie durch einen Boten zum
Gastmahle ein, und sie, vergebens
gewarnt, folgen der Einladung.
Gleich bei ihrer Ankunft in Atlis
Burg werden sie hinterlistig ange-
griffen, erliegen jedoch erst nach
der tapfersten Gegenwehr. Atli
fordert von den Gebundenen den
Hort, Gunnar aber weigert sich, den
Ort seiner Bewahrung zu entdecken,
solange Högni lebe. Da lässt Atli
einem Knechte das Herz aus dem
Leibe schneiden und es blutig als
Högnis Herz vor Gunnar tragen;
der aber erkennt au dem Beben des
Herzens, dass es nicht Högnis Herz
sein könne, das nie gebebt habe.
Nun wird Högni selbst getötet und
seines Herzens beraubt, und Gunnar
erkennt es als solches an, doch solle
Atli den Ort des Schatzes niemals
erfahren. Da wird Gunnar in die
Schlangengrube geworfen, um seinen
Trotz zu büssen. Nun wird Gudrun
von der heissesten Hache aufgesta-
chelt, sie tötet ihre mit Atli erzeugten
Söhne, giebt dem Vater deren Herz
zu essen und deren Blut mit Wein
vermischt zu trinken, durchbohrt ihn
dann selbst mit Hilfe von Högnis
Sohne Niblung, als er trunken im
Bette schläft, und steckt die Buir
in Brand. Sie selbst will ihren Tu<l
im Meere suchen, aber ihr Geschick
ist noch nicht erfüllt.
20. Hamdismul, das Lied von
Hamdir, erzählt, wie Gudrun ihre
nach Atlis Tode mit Jonakur er-
zeugten Söhne Hamdir und Sörli m
Rache an König Jörmunrek (Ennan
rieh) aufreizt, der ihre und Sigurd«
Tochter, die ihm verlobte Swanhiid.
auf des treulosen Bikkis (Sihich)Bit
wegen fälschlich angeschuldigter In-
treue von Rossen hatte zu Tode
treten lassen. Jene reiten nach kürzt
Weigerung ab und finden ihren Fein
beim Zechgelage. Sie richten eii*
f rosse Niederlage unter Jörmunrek
_ lannen au, berauben ihn selbst der
Hände und Füsse und werden **
lauge vergebens bekämpft, bis Olbin
selbst erscheint und den Rat erteilt.
Steine auf sie zu werfen, denen flt
endlich erliegen.
21. Gudhrünarhvöf, Gudruns Auf-
reizung oder Racheruf, an ihre Sfifa
wegen der Ermordung ihrer Schwe-
ster gerichtet, Wehklagen über ihr
eigenes jammervolles Geschick BP
Aufforderung an ihren ersten G*
mahl Sigurd, wie er versprochen
habe, auf schwarzem Rosse herw
reiten und sie aus dem Leben ab-
zuholen. Sie befiehlt, den Brand H
rüsten, dass ihre Brust voll Lei<K*
nun brennen möge.
22. Völundarqiridha, das Lie-I
von Völund, dem Schmied Wielan«!
Dieser, ein finnischer Königssohu
hat mit seinen Brüdern Egill ud*1
Slagfidhr die Heimat verlassen nw
in Wolfthalen im Reiche des Niareo
königs Nidhudhr Wohnsitz gen<'iu;
meu. Einst überraschten die uYi
Brüder drei Schwanjungfrauen i\W
küren) am Seestrande, fingen ■*
und vermählten sich mit ihneu. n i
jedoch die drei Brüder einmal _au*
der Jagd sind, bemächtigen jö*
sich ihrer Schwanhemden und fliege
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Edda. 139
(ort, Kampf aufzusuchen. Die heitn- bis 1241, dem Verfasser der Heims-
^ekonmienen Brüder finden ihr Haus kringla, eines grossen nordischen
[♦•er, Egill und Slagfidhr machen Geschichtswerkes , zugeschrieben
?ich auf, ihre Frauen zu suchen, wird. Die jüngere Edda ist ein
Wielaud aber bleibt «laheim, Schmie- Handbuch für junge Skalden, die
<let Goldringe und reiht sie an den sich mit der Götterlenre, der Helden-
Lindenbast. Da vernimmt Nidhudhr, sage, den Gesetzen der Dichtkunst
«lass Wieland in Wolfthaleu sitze j und Beredsamkeit bekannt machen
um! zieht mit seinen Mannen bei wollen, und zerfallt in folgende Teile :
Nacht ans, sich seiner zu bemach- 1. Gylfaginning, Gylfis Verblen-
rigen. Er ist aber nicht zu Hause; dune, schliesst sich in seiner Lin-
da verbergen sie sich, nachdem sie kleidung au das dritte mythologische
einen der Ringe weggenommen. Er- Lied der alteren Edda an, an Waf-
uiüdet von der Jagd kommt Wielaud thrudnismal. Wie dort Odhin unter
heim, zählt die Ringe und vermutet, dem Namen Gangradr einen mfich-
<la einer fehlt, seine Frau Alwitr sei tigen und weisen Kiesen besucht,
zurückgekehrt Eingeschlafen, wird um sein Wissen auf die Probe zu
er von Nidhudhr an Händen und stellen, und so ein Wettstreit be
Ftoen schwer gefesselt und hinweg- ginnt, bei dem das Haupt des Unter-
geführt. Daheim giebt der König liegenden zu Pfände steht, so wird
den Ring seiner Tochter Bödhwild, umgekehrt hier die Weisheit der
Wiolands Schwert aber behält er für Götter auf die Probe gestellt. Gylfi,
sich. Auf den Rat seiner Gemahlin, ein mythischer König von Schweden,
die Wielands Rache fürchtet, lässt begiebt sich nach Asgard, um zu
er ihm die Sehnen an den Füssen j er Iah ren, woher dem Asenvolkc seine
'iurchschneiden und setzt den Ge- Macht komme; sein Name ist Gang-
lähinten nach Sävarstadh, wo dieser leri, der Wanderer. Die Götter
ilim allerhand Kleinode sehmieden machen ihm aber ein Blendwerk
murs. Aber zur Rache tötet Wie- j oder Gaukelspiel vor, und zeigen
land Nidhudhr» junge Söhne, wirft I sieh ihm nicht in ihrer wahren Ge-
»<Üe Gebeine unter den Löschtrog, stalt, sondern beantworten seine
schweift ihre Hirnschalen in Silber Fragen von einem dreifachen Hoch-
nud giebt sie dem König, ihrem sitze aus unter den Namen Hars,
Vater. Aus ihren Augen macht er Jafahars und Tridis, d. i. der Hohe,
Jarknasteine, Augensteine, und sen- ! Gleichhohe und der Dritte. Die
det feie Nidhudhrs Weibe, aus ihren vorgelegten Fragen geben Veran-
Zähnen Brustringlein, die er der lassung, die Hauptlehren des nor-
Uödhwild schickt. Einst spielt diese i dischen Götterglaubens darzulegen,
mit Wielands Ring, und er zerbricht. 2. Braga rödur. Br&g\s Gespräche,
Der Schmied, zu dem sie geht, ver- der Ögisdrccka, dem zehnten mytho-
spricht ihr, ihn ganz zu machen, logischen Liede. der älteren Edda,
.-chlafert sie aber ein und bewältigt nachgebildet. Ögir, ein zauberkun-
sie. Darauf nimmt er sein von ihm { diger, auf Hlefey wohnender Mann
gefertigtes Federgewand hervor und | besucht die Asen und wird von
nebt sich lachend in die Lüfte. Aus ihnen mit Gaukelspiel empfangen,
«lern Wolken giebt er dem ihn be- j Bei Tische sitzt Ögir nebcu Bragi,
tragenden König Kunde über das welcher ihm die vorgelegten Fragen
>>chicksal seiner Söhne und seiner durch mythische Erzählungen he-
Tochter und entfliegt. antwortet. Deren letzte bezieht sich
II. Die jüngere Edda oder auf den Ursprung der Dichtkunst,
S*<jrra-Ma, weif sie, aber mit Un- worüber Bragi. der Skalde der Götter,
recht, dem Snorri Sturlaton, 117ö I schicklich Auskunft giebt.
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140
Edelknabe. — Ehe.
3. Skaldskaparmal, hat die Skal-
dcukuust zum Gegenstand und zer-
fällt in a) Kenninga r , Umschrei-
bungen, h) Okend heifi, einfache Be-
nennungen , wie diejenigen, die in
Alwismäl, dem achten mythologischen
Lied der alten Edda, aufgezeichnet
sind, cj Forndfn , in der Skalden-
kunst gebräuchlich«' Namen der
Männer, Frauen, Schwerter, Schinv
u. dgl , die aufgezählt und nach ihren
mythologischen Beziehungen ge-
deutet werden. Einigemal findet
sich Veranlassung, grössere Stücke
aus der Götter- und Heldensage ein-
zuhVchten. Die Einkleidung ist die-
selbe wie in Bra^urödur. Koppen,
litterarische Einleitung in die nor-
dische Mythologie. Simroek, die
Edda, übersetzt und mit Erläute-
rungen begleitet. Ettmüller, Lite-
raturgeschichte.
i Edelknabe erscheint im mittel-
hochdeutschen Sprachschatze nicht;
neuere Bücher verstehen darunter
junge Knaben edler Herkunft, die
bei einem befreundeten Herrn sich
in ritterlicher Lebensart ausbilden
sollen, mhd. meist leint genannt.
Edietum Rotharis und Theo-
dorici, siehe leges Barbarorum.
ehalt in nöt, auch bloss die ehafte,
heisst naeh dem Gesetze zulässiger
Entschuldigungsgrund dessen , der
der Ladung vor Gerieht nicht Folge
leistet; fränkisch sunnis. In den
ältesten Rechtsaufzeichnungen wer-
den als ehhafte Nöte aufgeführt
Krankheit* Herrendienst und Tod
eines nahen Verwandten ; in Hart-
manns Iwein heissen sie siechtuom,
vanenüsse ode der tot; im Sachsen-
spiegel: Vier sake sint, die ehte not
hetet: rengnisse unde siike, godes
dienst butenlande (Betefahrt) unde
des rikes dienst; andere Rechte nen-
nen andere Nöte.
Ehe. ahd. die etca, ea = Ewigkeit,
endlos lange Zeit, (seit langen, un-
denklichen Zeiten geltendes Recht
oder Gesetz), vom got. der divs =
Zeit Ewigkeit, welches dem lat.
aetum, ^riech. «<<j»=Zeit, Lebens-
zeit, Ewigkeit, 8anskr. etra - Gang.
Wandel, entspricht Das ahd.
findet sich zuerst bei Notker (f 1025
in der Bedeutung eines auf die Läng'
des Lebern geschlossenen Rechts-
verhältnisses oder Bündnisses zwi
sehen Mann und Weib, mhd. für. I
Wein and.
Der alte Germane hatte der Sirt**
seines Volkes gemäss nur eine Frau,
obgleich rechtlich die Vielweiberei
nicht untersagt war. Fürsten nah-
men etwa politischer Gründe wep»
mehrere Weiber. Vgl. den Art f»
zucht. Die Verheiratung geschah erst
in reiferem Alter iGerm. 20). und
bis zum 13. Jahrh. nahm man unter
Regel für Mann und Weib das dre*-
sigste Lebensjahr als zum Eintriü
in die Ehe an; seit dem 14. Jahri
wurden im Adel sowohl als in den
stadtischen Geschlechtern frühzei-
tige' Ehen immer häufiger. Ur-
sprünglich wurde die Braut von
Vater gekauft; doch kennt sehoa
Tarif us (Germ. 18) den eigentlich«»
Kauf der Braut selber nicht niefar.
sondern bloss den Rauf der Ge-
walt über sie, den Kauf des
diums , des gesetzlichen
über sie, womit der Waffensc
die Vertretung vor Gericht,
legung des Geldes verbundeu
Das Muudium musste gekauft m
den, in erster Linie aus der "
des Vaters, in zweiter Linie je
den besonderen Volksrecbten
der der Mutter ode
r der Verwandtes,
«* Hand des Herrn
bei Unfreien aus de
dessen Einwilligung ausserdem ge-
wöhnlich an die Errichtung ein*
Zinses geknüpft war. Das jus prit**
noetis. das der Herr für sich in An*
spruch genommen haben sollte, l«
durch Karl Schmidt, J. p. n. Khv
geschichtl. LTntersuehung , Freibun
T B. 1881, als ein seit dem 16. Jahrä
verbreiteter gelehrter Abergl*11^
nachgewiesen. Das Verfügungsp^'
über die Hand des Weibes von seitefi
des Vormundes ist altgermauii* t
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Ehe. Hl
der Vormund durfte es vermählen, Brautkauf, nachdem dieser mehr ein
wem er wollte, ohne auf ihre Xei- Geschenk an die Familie der Braut
gung und Einwilligung Rücksicht »der an diese selbst geworden war,
zu nehmen. Doch minderte sich kam die Mitgift auf, mhd. heitmtiur,
diese Härte früh durch Einwirkung hUtiur. Es war das eine Gabe der
des Christentums, welches das Recht rechtmässigen Verlober, des Vaters
der freien Einwilligung verlangte, oder der Brüder, an die Braut 6elb>t,
<>n kam, trotz harter Strafen, die ein Geschenk, das ihr eigen blieb,
darauf gesetzt waren, gewaltsame und über das der Mann kein Ver-
Korfahrung, Frauenraub vor; in der fugungsrecht hatte. Auch «lie Mit-
vorhöfiaeben . wie in der höfischen gift konnte ursprünglich, als das
Zeit ist dieses Abenteuer viel be- Weib noch nicht liegendes Eigen
*ungen worden, z. B. in der Gudrun, besitzen durfte , nur in fahrender
Ebenfalls alt und viel verbreitet, bei Habe gegeben werden, was sich
Fürsten stehender Gebrauch, ist die später änderte.
Werbung durch einen Fürsprecher, Zur Gegengabe gegen die Mitgift,
reicher vornehmlich die Höhe des von der doch der Mann ebenfalls
Brautkanfes zu verhandeln hatte, mehr oder weniger Genuas zog, kam
Der Brautkauf, auch mahaheaz, die Sitte auf, dass der Frau von dem
itxn'scaz, hrut miete, langobardisch Manne ein Teil seines Gutes aus-
*eta, burgundisch teittemo, mittellat. gesetzt wurde, die Widerluge, mhd.
nufiditim, gyjMtalitium , arrha, pre- die tri derh <u . Durch sie wurde die
- m emlionu, nuptiale pretium, dos Mitgift aufgewogen, so dass die Frau
:> uannt ist die Ablösung der Braut fortan keine Ansprüche mehr an sie
n der angeborenen Mundschaft hatte. Indem die Widerlage beson-
md die Bedingung des rechtmässi- ders für den Lebensunterhalt der
en Eintritte« in das Geschlecht und Witwe ausgesetzt war, hiess sie Leite-
rn Schutz des Bräutigams. Ohne zucht oder Leibgedinge.
lahlschatz gab es keine eheliche Nachdem die Beredung über das
rau. bloss eine Beischläferin. Ur- Vermögen beider Teile beendet,
[ hinglich wurde er nur in beweg- Brautkauf und Mitgift und, wo das
eher Habe gegeben, in Knechten, Brauch war, die Widerlage, etwa
Jagden, Pferden, Kindern, Kostbar- auch eine Gabe an die Verwandten
♦dten, Waffen, später auch in Land, des Mannes oder der Braut, von der
>ie Höhe desselben wurde urspriing- Gegenseite Geschenke des Bräuti-
cb dem Übereinkommen von beiden gams an die Braut gegeben waren,
eiteu überlassen, und zudem rieh- schritt man zur Vollziehung der Ver-
■te er sich nach dem Stande des Uibunq. Hauptbedingung war, dass
launes. Schon früh neigte sich dieselbe von den rechtmässigen Ver-
er germanische Geist dahin, den lobern erfolgte und öffentlich war.
rautkauf nur als einen Scheinkauf Die Zeugen schlössen einen Kreis
stzuhalteu, der zur blossen Rechts- (Ring) und das Brautpaar wurde in
rmalität wurde. Doch blieb die die Mitte desselben geführt. Darauf
edensart ^ein Weib kaufen" noch richtete der Verlober an den Mann
jtge bestehen. Die Zahlung an den zuerst , dann an das Mtfdchen die
rmund wurde in Gegenwart von Frage, ob sie sich zur Ehe wollten,
eugen dem rechtmässigen Verlober siehe das schwäbische Verlöbnis aus
i seinem Eigentum übergeben, dem 12. Jahrh., u. a. abgedruckt bei
llmählich kam es vor, dass man Müllenhoff und Scherer, Denkmäler,
ie Braut selber in den Genuss des Nr. 99. Bei dem Verlöbnis wurde
rautsehatzes treten Hess. vom Verlober dem Bräutigam am
Als Gegenleistung gegen den Schwerte ein Ring überreicht, den
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142
Ehe.
der letztere der Braut selbst ansteckte.
Er ist das rechte Zeichen des ge-
schlossenen Bundes, die Urkunde der
Treue und Minne; in älterer Zeit
scheint statt des Ringes ein Faden
oder Band Zeichen der Verlobung
gewesen zu sein. An die Beringung
schliefst sieh Umarmung und Kuss;
in manchen Gegenden überreichte
der Bräutigam der Braut noch einen
Schuh oder er trat ihr auf den Vuss.
War dies geschehen, so war die
Verlobung geschlossen und durfte
nicht mehr gebrochen werden; eine
bestimmte trist war bis zur Hehn-
führung der Braut gesetzlich gestattet,
auf die Versäumnis derselben eine
'Strafe gesetzt; ebenso wie auf ein
absichtliches Zurückhalten der Braut
durch den Verlober. Untreue der
Braut wurde hart gebüsst, Untreue
des Bräutigams leicht.
Zu einer rechten Ehe gehörte
Ebenbürtigkeit, es sollten bloss Freie
mit Freien, Unfreie mit Unfreien sich
verbinden. Ehen zwischen Freien
und Unfreien wurden nach einigen
Volksgesetzen mit dem Tode bestraft,
in anderen mit Geldbussen; dagegen
galt im Mittelalter die Ehe zwischen
einem Edeln und einer gewöhnlichen
Freien als durchaus gestattet, noch
im 13. Jahrh. kamen in Osterreich
und Bayern Ehen zwischen Rittern
und freien Bauerstöchtern oder zwi-
schen Ritterstöchtern und Bauern
vielfach vor. Dagegen wurde doch
schon früh darauf gesehen, dass der
besondere Stand in der Ein* gewahrt
wurde, Könige mit Königstöchtern,
Fürsten mit Fürstinnen Verbindungen
eingingen. Die eigentlichen Partei-
fänger für diese neue Lehre von der
Ebenbürtigkeit waren die Frauen.
Für die Ehe zwischen Freien und
Unfreien, auf die ursprünglich der
Tod gesetzt war, bildete sich für
die folgende Zeit der Rechtsgrund-
satz, dass in solchen Ehen der freie
Gatte samt den erzeugten Kindern
unfrei werde, der ärgeren Hand folge.
In Beziehung auf die Verwandt-
schaftsgrade der Ehegatten waren
die heidnischen Germanen sehr fn-i-
denkend, und ausser Heiraten ro
sehen Eltern und Kindern schein*'!;
alle Ehen erlaubt gewesen zu Min;
man hat Beispiele von Geschwister-
ehen, Ehen mit der Stiefmuttor. mit
der Bruders witwe, dem Geschwister-
kind. Die Kirche stellte dagegen
ein System von verbotenen Verwandt-
schaftsgraden auf, das nicht W<*
bis in den siebenten Grad der Ver-
wandtschaft ging, sondern sogar «Ii-
Ehen zwischen Tauf- und FirmelpaMi
verbot.
Spätestens ein Jahr nach voll-
zogener Verlobung erfolgte seit d^n
13. Jahrh. dem Gesetze nach fit
Ehelich unq oder Hochzeit, ahd hiMck
kihileich, hiruf, brutlouft. brytirik:
heiraten: hiwjany hien, qehijan.
iciben, briufen. Die gewöhnliche Z»if
zum Heiraten war der Herbst und
Wintersanfang. Verbotene Htirats-
Zeiten hat erst die Kirche aufgebracht.
Von den Wochentagen sind IMenstf
und Donnerstag die beliebtesten. Zur
Hochzeit selber lud man seihst <*lor
durch den Brautführer, Brautmami
oder Hochzeitbitter ein. Das eigent
liehe Fest wurde im Hause des Bräu-
tigams gefeiert, es war eine Keim-
holung, ein Brautzug oder Brantku'
Die wesentlichsten Gebräuche «ia«^
sind: der Bräutigam sendet eineScliax
aus, die Braut in sein Haus zu hol«:
der Brautführer i.«t selbst für deu
Fall, dass der Bräutigam am Zcr'
teilnimmt, der Sprecher und UntW"
händler; er bringt die Werbun^nc-cb
einmal vor, ihm wird die nra*
übergeben, und er führt sie ileis
Bräutigam zu.
Allgemein verbreitet war dieSitt'
dass die Braut bei der Heimholuui
ihr Haupt verhüllte, Hauptschmuci
der Braut das lange lose Haar. al=
Zeichen bewahrter Reinheit; dageg«
ist der Brautkranz nicht altgeroa
nisch und erst durch die Vermittelnd
der Kirche aufgekommen, die jj»
aus dem klassischen Altertum ein-
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Ehe.
143
führte. Im 13. Jahrb. war der Braut-
kranz aber bereit!- im Brauch
Die Braut war das ganze Fest
fiber fast allenthalben in die Obhut
der Brautfrau gegeben, einer nahen
Verwandten oder einer Pate, welche
für diesen Tag die Stelle der Mutter
vertritt; ihr Vorkommen in altger-
raani^her Zeit ist wahrscheinlich,
ab» r nicht bewiesen.
Was die religiöse Seite der Heirat
Uiungt. so scheint im Heidentum
Sitte gewesen zu sein , hier wie in
jedem wichtigen Beginnen die Stimme
der Götter durch das Los zu erfor-
schen, wie dieses auch heute noch
vielfach geübt wird. Unter den ger-
manischen Gottheiten sind als Vor-
über der Ehe zu bezeichnen : Loki,
Dunar, Freyr, Fro. Lieder, ahd.
' n 'lsich, hrutinanc, hileich, leichod,
«onlen beim Brautlauf gesungen.
Die christliche Ordnung ver-
engte später, dass man den Pres-
byter und Bischof über die Ein-
stellung der Ehe um Rat fragte und
ii; Ehe nach dem Genüsse des heil.
Abendmahles unter priesterlichem
v*£eu schloss. Näheres in Reit-
*>y* Kirchengeschichte, II, § 117;
i-x-h gewöhnten sich die Deutschen
^ -amer an die neue Auschau-
ui* und Sitte als die romanischen
-Inder, England und Skandinavien.
>:'!»peiehen waren bei den mero-
niiinschen Königen hergebracht.
'w*r wurde die kirchliche Einseg-
RUi£ von den Karolingern ange-
'inmen. aber noch lange nicht all-
gemein durchgeführt. Bis ins 15.
ahm. haben Konzilien- und Syno-
^Neschlüsse mit dieser Sache zu
tan. Am leichtesten fügten sich
ie höheren Stande. Aber auch
kirchlicher Beistand nachgesucht
Hr, geschah die Einsegnung oft
ieht in der Kirche, sondern im
j'* hzeitshause, mitten im lauten
Vt Dagegen fand die kirchliche
-in^egnong des jungen Paares nach
b Hoehzeitsnacht früher und leichter
^üsrang. In den unteren Ständen
begnügte man sich immer noch gern
mit der bürgerlichen Verlobung und
mit der Öffentlichkeit der Hochzeit.
Volksmässige Gebräuche, die zum
Teil sehr alt sind, sind bei Wuttke,
Volksaberglaube, § 558 ff. zusammen-
gestellt.
DieHauptunterhaltung der Hoch-
zeitsgäste war der Tanz: die Fest-
lichkeit begann mit einem Reigen,
dann folgte das bürgerliche oder
kirchliehe Zusammengeben desBraut -
paars; ward dabei ein Zug in die
Kirche veranstaltet, so wurde er
unter Tanz, Gesang und Ballspiel
abgehalten; meist fehlten auch die
Spielleute nicht. Einen Teil des
Festes bildete die Übergabe der
Hochzeitsgeschenk«' an das Braut-
paar.
In der Hochzeitsnacht wurde die
Braut von den Eltern oder Vor-
mündern, oft von der ganzen Ge-
sellschaft in die Brautkammer ge-
leitet und dem Bräutigam übergeben.
Sobald ei ite Decke das Paar beschlug,
galt die Ehe als rechtsgültig ange-
treten, die Braut war Ehefrau; des-
halb wurde die Beschreitung des
Ehebettes in Gegenwart von Zeugen
zur gesetzlichen Bedingung erhoben,
in späterer Zeit nur dadurch ge-
mildert, dass beide sich völlig an-
gekleidet niederlegten; doch erhielt
sich der ältere germanische Brauch,
der sieh auf den Sinn des Volkes
für die Öffentlichkeit der Rechts-
verhältnisse baute, mancherorten
bis ins 17. Jahrhundert.
Nach einiger Zeit kehrten die Ver-
wandten oder die ganze Gesellschaft
in die Kammer zurück und brach-
ten den jungen Eheleuten einen
Trunk. Am Morgen wurde ihnen
als Frühstück gewöhnlich ein Huhn,
das briutelhuon , vor das Bett ge-
bracht, beides uralte Gebräuche.
Sitte war es ferner, dem Braut-
paare neue Kleider vor das Bett
zu legen. Die Frau änderte ihre
Haartracht, schürzte das jungfräu-
liche lose Haar zusammen, legte
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144
Ehe.
die Frauenbinde uin die Stirn, sie
baut ir huubet.
Nun folgte die gesetzliche Schen-
kung der jlorqengabe, d. h. die am
Morgen nach der Brautnacht über-
gebene Gabe des Bräutigams an die
Braut, als Zeichen der Liebe [in
nignum amoris) für die Übergabe
der vollen Schönheit {in honore pul-
chritudini-s) und der Jungfräulichkeit
i pretium virqinitatis). Witwen er-
hielten sie erst in späterer Zeit.
Auch die Morgengabe bestand an-
fänglich nur in fahrender Habe,
Kleidern, Hausrat, Schmuck, später
konnte liegendes Gut gegeben wer-
den; die Höhe der Gabe wurde ge-
setzlich geregelt und richtete sich
nach dem Stande.
Die Sitte der Vorfeier am Vor-
abende einer Hochzeit, der sog.
Polterabend, scheint nicht alt zu
sein.
Das eheliche Regiment war bei
den Deutschen ein strenges, ohne
dass die Frau dadurch sittlich herab-
gewürdigt worden wäre, sie ward
als Genossin des Mannes an Lust
und Leid, an Recht und Stand be-
trachtet. In ältester Zeit folgte dem
Tod des Mannes der gewaltsame
Tod der Frau; doch weiss Tacitus
schon nichts mehr hiervon; die Sage,
z. B. von der Brunhild, hat den Ge-
brauch überliefert: bei den Skandi-
naviern erhielt er sich länger. Der
Germane konnte sein Weib auch
letztwillig vermachen, verschenken,
mit Haus und Hof verkaufen, wo-
von zahlreiche Beispiele vorhanden
sind.
Vielweiberei, nach Tacit. Germ. 1 8
von den Germanen verpönt, kommt
im Norden, später besonders bei den
Fflraten regelmässig vor, ebenso bei
den Merowingern und überhaupt
nicht selten bei den Franken.
War die Frau weder gekauft
noch vermählt, lebte aber dennoch
in ehelichem Bunde mit dem Mann,
so hiess sie Jictjse, ahd. chepisa,
kebisa, c/iepis, kebis, mhd. kebesc.
bebte, kebes, ursprünglich soviel als
Sklavin; andere althochdeutsche
Namen sind friudila, friudiU***.
ella, fjelfa. Sie waren ursprünglich
und gewöhnlich unfreie Weiber, die
freien verstanden sich nicht dazu.
Das Leben mit einer Kebse, da*
Konkubinat, wurde das ganze Mittel-
alter hindurch von den reichen^
fcpHegt, ohne dass die öffentlich«
_ leinung ein Ärgernis daran nahm.
Karl der Gr. sollte dafür im Feg»
feuer besondere Strafe empfangen
haben, Ludwig der Fromme leW
mit Beischläferinneu. Die Kirch*
schritt bloss gegen dasjenige Kon-
kubinat eiiL das neben einer recht-
mässigen Ehe bestand, die Geistlich-
keit selber sah sich durch die Kir-
chengesetze allgemein veranlaß,
statt mit Ehefrauen, mit Kebsen zu
leben. Die Kinder der Kebse hies^c
unechte, mhd. unecht, aus unehaß
zusammengezogen, natürliche, Ba-
stard, Bankart = auf der Bank er-
zeugt, Kebskind, Keqel (in der For-
mel Kind und Kegel = eheliche oad
uneheliche Kinder), beikind, ledtp-
kind, und genossen nicht die Recht«*
ehelicher, natten vor allem keim'u
Anspruch auf das väterliche Erbe«,
sondern konnten nur von der Maner
erben; ebenso verhielt es sich mit
der Teilnahme an Wergeid un«i
Bussen.
Wrährend nach älterer Recht-
ansieht die Frau keinen Anspruch
auf die Treue des Manne« natfc,
wurde diejenige Frau, welche d$
Treue verletzt hatte, nach Tac
Germ. 19 vor den Augen des Ge-
schlechts schimpflich aus dem HaiH
gestossen, der freien, langen Haart
beraubt, nackt, unter Schlageu v<»:ri
Manne durch das Dorf gejagt. No i
strengeres Recht gestattete den Grefj
manen, das auf dem Ehebruch er
tappte Weib samt dem Ehe!
auf frischer That zu e
Doch musste der Mann die
vor Gericht zur Anzeige briupn
Erst später kam auch aie Frau
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Ehrschatz. — Eid.
145
ihrem Rechte und wurde das Ver-
brechen des Ehebruchs an dem
Manne ebenso gestraft wie an der
Frau.
Eine notwendige Folge der Mund-
*haft des Maunes über die Frau ist
Gütergemeinschaft beider in der
Hand des Mannes, der das Verwal-
tung»- and Xufcsiingsrecht daran
Karte. Durch Tod der Frau oder
vheidung wurde dfe vereinte Habe
wieder getrennt. Anfänglich stand
'kr Familie der Frau noch ein ae-
wi**** Aufsichtsrecht über das Ver-
av«en derselben zu, später nicht
in'fjr. Die Frau selber hatte kein
Verftigungsrecbt über das Ihrige,
•andern zum Verschenken, Ver-
bnfea und Verleihen bedurfte sie
der Einwilligung ihres Mannes, der
Vogt war.
Srkeiduit/f der Ehegatten war
bühr, die bei VerÄusserung eines
Gutes oder Grundstückes oder bei
sonstiger Veränderung, sei es durch
Kauf oder Todesfall des Besitzers,
an den Zins- oder Lehnsherrn von
dem Käufer oder Erben zu entrich-
ten ist. Es ist nicht ausgemacht,
ob das Wort zu mhd. ere oder zu
her gehört.
Eid, Eideshelfer, Treueid.
/. Eid, got der diths, ahd. «W,
mhd. eif (gen. eides), ist seinem
Wortursprung nach dunkel. Eid
und Gottefturteil sind diejenigen Be-
weismittel des altgermanisehen Rech-
tes, welche nicht sowohl auf die von
natürlichen Vcrstandesregeln gelei-
tete eigene Thätigkeit des Urteils ab-
sehen, sondern durch Herkommen
und durch Gesetze bestimmte Vor-
aussetzungen sind, unter welchen
etwas von den Urteilern als wahr
t*i den Crcrinanen wegen Ehe- oder nicht wahr angenommen wer-
bruch, beschimpfender Verbrechen, den musste. Der Eid selber ist die
i*ib>'n Alters des einen Teiles feierliche Beteuerung der Wahrheit
a. dgl. gestattet; grossdenkende einer vergangenen, der Echtheit
Frauen schieden sich wohl, wenn einer gegenwartigen, der Sicherheit
d- r Mann ein unwürdiges tatenloses j einer zukünftigen Handlung. Das
L*-ben führte, sich rerlac. Die Ehe, Feierliche beruht wesentlich darin,
di* offen und vor Zeugen geschlossen dass ein dem Schwörenden heiliger
war, konnte auch nur vor Zeugen Gegenstand angerufen und zum
au- beiden Familien gelöst werden. Zeugen genommen wird. .Jeder Eid
Fnjli strebte die Kirche darnach, muss in lauter Formel gesprochen
-Scheidung möglichst zu erschwe- werden ; den Eid ablegen heisst in
ja, und in den Kapitularien der : der alten Sprache svaran, schwören,
äh'Ten Karolinger ist nur noch Ehe- ' oder saljan, selian; den Eid leisten
bm h und Mordversuch als Schei- , wird dagegen von dem Halten und
tan^grund zugelassen. Dadurch [ Erfüllen des geschworenen Sicher-
Papst Nicolaus L gegenüber ■ heitseides gebraucht.
K ';Qig Lothar II. die Unauflöslich- Den Eid ablegen können alle
leir der Ehe hartnäckig und sieg- Mündigen. Die Heiden schwuren
tkh verfocht, befestigte sich diese bei einem oder mehreren Göttern
Lehn1 that^ächlich für das fränkische zugleich , die Germanen besonders
ieieh. Natürlich kämpfte die Kirche bei Freyr, Siördhr, H'uotan und
m< h gegen die bei den Germanen Donar, die Christen bei Gott, ge-
ir^.rünfflich nicht verbotene Wie- wohnlich aber auch bei ihren liei-
lem-rehelichung geschiedener Per- ligen. Der Schwörende musste, in
men. Nach Weinhold ', deutsche dem er die Eidesformel hersagte,
rrawn, VI. und VII. II. Aufl. Wien einen Gegenstand berühren, der sich
1882. Vgl. den Art. Heiraten und auf die angerufenen Götter und Hei-
HAzrifen. ligen oder auf die dem Meineid fol-
Ehrseaatz, mhd. trschatz, Ge- gende Strafe bezog. In Skandi-
Altertümer. 10
146
Eid.
navien fasste er einen im Tempel
bewahrton, vom Priester dargebote-
nen, mit Opferblut geröteten Ring,
der dem Gott üllr geweiht war.
Christen schwuren auf das Kreuz
oder gewöhnlicher auf das Heilig-
tum. Im höchsten Altertum schwu-
ren die Männer auf ihr Schwert;
andere Gegenstände, bei denen man
schwur, sind Erde und Gras, Baume,
heilige Wasser, Brunnen, heilige
Berge, Felsen, Steine. Schwörende
Frauen legten die Hand auf die
Brust, nach einzelnen Gesetzen
musste der über die Schulter herab-
hängende Haarzupf mit angerührt
werden; auch Männer, namentlich
vornehmere und fürstliche, scheinen
in einigen Gegenden leichtere Eide
oder blosse Gelübde mit auf die
Brust gelegter Hand gethan zu haben.
Der friesische Männereid geschah auf
die Locken. Schwören bei dem Bart
und mit Anfassung des Bartes kommt
nicht in den Gesetzen vor. aber oft
in den Liedern, wie z. B. die Sage
von Otto mit dem Barte erzählt.
Bei dem Gewand und Rocksehoss
legten die Friesen geringere Eide
ab. Verbreitet ist der Eid mit an-
an^erührtem Stab des Richters. Zu-
weilen berührte der Schwörende
nicht Glieder seines eigenen Leibes,
sondern die des Gegenteils. Eide
bei Gastmählern geschahen mit Be-
rührung des Opfertiers oder des vor-
nehmsten Gerichtes, im Norden des
Ebers, in der Ritterzeit in Frank-
reich des Pfaues, in England kom-
men Gelübde bei Schwänen vor.
Zum Eidablegen gehören zwei
Teile, einer, der ihn abnimmt, und
der andere, der ihn schwört Der
den Eid abnimmt, ist entweder der
Beteiligte selbst oder der Richter,
er sagt dem Schwörenden die Formel
vor, er lehrt, giebt die Worte, er
stobt den Eid. Der Schwur geschah
mit Mund und Hand, d. h. der
rechten, die den heiligen Gegenstand
anrührte. Gewöhnlich legen Männer
nicht die ganze Hand, sondern nur
die zwei Vorderfinger der rechten
Hand auf. Der Schwörende pflegte
die Waffen vorher niederzulegen und
zu knieen. Ort der Eidesablaar war
die Stelle, wo das anzuriuuvDde
Heiltum sich befand, wenn es un
beweglich war; war es beweglich
so geschah der Eid in dem King.
vor Gerieht, zu christlicher Zeit
meist vor dem Altar in Kirche:
und Kapellen. Im Norden wurd-
der Eid vor der Kirchthüre auf dt?
Schwelle und, wenn kein Messbueb
da war, mit Berührung des Thor
pfostens geschworen.
Der falsche Eid heisst Mci*etf<
ahd. und mhd. meineid, dessen erster
Teil mein in seinem Ursprung noch
unaufjjehellt ist. Treubruch unl
Meineid war den Germanen so ui
leidlich, dass auf dem Ort, wo er
vorgefallen war, der Name Meim-s
haftete. Misstraute der Teil, gee«
welchen geschworen werden sollt*
der Rechtschaffenheit des Eidbietn
den, so konnte er die Eidesablag*
hindern und es auf den Zweikan)
ankommen lassen. Ebenso durte
ein schwören Wollender durch <kc
abgehalten werden, der selber e'inec
stärkeren Eid ablegen konnte. Au«
stand es dem Richter zu, bei bV
fürchtung von Meineid den Eid s
hintertreiben. Strafe des Eidbruch«
war Abhauen der meineidigen Ha*1
Nach Grimm, RechtsaUerthim^r
882 ff. Eine neuere historische Unter-
suchung scheint zu mangeln.
II. Eideshelfer. Um sich d»J
Rechtschaffenheit des Eidleisten«! *
zu versichern, verlangte schon d*
älteste germanische Recht Eide,
helfer: aidi, juratores, conjvratorf
consacr amentales. Diese beschwüre.
nicht die Sache selbst, sondern nur
ihre Überzeugung, dass derjeuip
dem sie beigestanden, eines fa
Eides nicht fähig sei. Die Zahl d»f
Eideshelfer gegen Standesgleicbe w*-'
regelmässig sechs, mit dem K*^
schwörenden also siefon-, die BV
weisführuug durch diese sieben Ei i
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Eid.
147
nannte man spater besibenen. Das
Gewicht dieses Eides suchte man
to verstarken: durch Bestrafung
dar Eideshelfer, im Falle der Be-
leihte im Gottesurteil unterlag, nicht
als Meineidige, sondern als Leicht-
daubige; durch eine grössere Zahl
der Mitschwörenden, daher der
spatere Ausdruck übersibnen; da-
durch, dass der Stand der Eides-
lieifer io Anschlag gezogen wurde
und der Eid eines Adligen mehr galt
als der eines Freien, dieser mehr
als der eines Unfreien; schliesslich
durch die Art der Wahl der Eides-
helfer. In ältester Zeit stand es
d»-n Blutsfreunden zu, die Eideshilfe
zu leisten, sie war eine Verwandt-
bi haftspflicht. Die eine Hälfte wählte
»pater der Kläger aus des Beklagten
Blutsfreunden , die andere Hälfte
der Beklagte, woher er wollte.
III. Treueid findet sich nach
der Völkerwanderung in den ver-
H-lüedenen germanischen Reichen-
und bt vielleicht ein ursprüngliches
Kecht des deutschen Königtums
cvwesen. Es war deutsche Gewohn- j
heit, dass ein neuer König sein Reich |
durchzog, um sich als Herrscher zu
zeigen und von allem Volk die Hul-
digung entgegenzunehmen; war das
nicht möglich, so wurden ausser-
ordentliche Abgesandte in die Teile
des Landes geschickt, um die Eide
zu empfangen. Die Form dieses
El les kennt mau nicht Nur einmal
wird aus merowingi scher Zeit berich-
tet, dass auch der König seinem Volk
• inen Eid leistete. Unter den späteren
Mcrowingern kam der Gebrauch des
Treueides in Vergessenheit, und erst
Karld. Gr. veranstaltete 1^6 nach Ent-
d eckung eiuer Verschwörung einen
allgemeinen Eid aller, die das 12. Jahr
zurückgelegt hatten. Die Formel
lautete: „So verspreche ich meinem
H<-rrn dem Könige Karl und seinen
Söhnen, dass ich treu bin und sein
«erde die Tage meines Lebens, ohne
Trug und Gefährde." In der folgen-
den Zeit erfolgte in den neu erwor-
beneu Gebieten immer sofort die
Eidesleistung. Nach seiner Kaiser-
krönung gab Karl d. Gr. dem Treu-
eid sofort eine viel umfassendere
Bedeutung; er verfugte, dass alle.
Geistliche und Weltliche, die ihm
früher als König geschworen, nuu
einen neuen Eid als Mannen (Va-
sallen) des Kaisers leisten sollten.
Derselbe solle nicht bloss enthalten,
dass mau dem Kaiser, solange er
lebe, die Treue bewahre, keine Feinde
in das Land führe und nicht jeman-
des Untreue unterstütze oder ver-
schweige, sondern es wird eine ganze
Reihe teils moralischer oder kirch-
licher, teils bestimmter staatlicher
Leistungen aus demselben abgeleitet
Dadurch, dass nach diesem Eide die
Treue gegen den Kaiser dieselbe sein
soll wie uie, welche der Vasall sei-
nem Herrn gelobt, wird das allee-
meine Unterthanenverhälrnis der be-
sondern und engen Verbindung,
welche die Kommendatiou begründet
{siehe Adel) gleichgestellt Nicht dass
durch diesen Eid alle wirklich Mannen
oder Vasallen des Kaisers werden
sollten: nur ihre Treue und Ergeben-
heit soll keine geringere sein. In
Zukunft wurden adle, welche das
12. Jahr zurückgelegt hatten, immer
sofort durch die kömgsboten beeidigt.
Als Karl d. Gr. die Bestimmung über
die Nachfolge seiner Söhne getrotfen
hatte, Hess er nochmals eine allge-
meine Beeidigung vornehmen, die
einige Jahre später wiederholt wurde.
Unter den Nachfolgern Karls
steigerte sich die Forderung solcher
Eide zum wahren Missbrauch; je
weniger die Treue gehalten wurde,
desto öfter musste sie versprochen
werden. Der Treueid wurde wie der
Geriehtseid auf Reliquien beschworen.
Einem andern als dem Kaiser oder
dem besondern Herrn, befahl Karl,
dürfe kein Eid geleistet werden.
Der Bruch der Treue
massig mit
mögens oder doch der königlichen
Benennen bestraft. Lebensstrafe,
10*
wurde regel-
Koufiskation des Ver-
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148
Elben, Elfen.
die in früheren Zeiten darauf stand,
kam ietzt nur in schwereren Fällen
zur Anwendung, wenn das Leben
oder die Herrschaft des Königs be-
droht gewesen war.
Von eidlichen Versicherungen des
Königs an «las Volk oder dem Papst
gegenüber ist unter den ersten Karo-
lingern nicht die Rede. Erst in der
zweiten Generation nach Karl d. Gr.
Hessen sich die Sohne und Enkel
Ludwigs bewegen, um die Unter-
stützung der Grossen zu erhalten,
diesen gegenüber auch eidliche Ver-
pflichtungen einzugehen. Auch die
Fäpstc benutzten jetzt die Umstände,
um die Kaiser zu förmlichen eidlichen
Zulagen zu verpflichten. Sonst wurde
noch später darauf gehalten, dass der
deutsche König nicht, auch bei der
Salbung wie bei der Königs- und
Kaiserkrönung nicht, einen förm-
lichen Eid ablegte. Er gelobte bloss
in anderer feierlicher Weise, durch
besondere Beteuerung oder Hand-
schlag, oder Hess andere in seinem
Auftrag und Namen schwören. Nur
Könige untereinander mochten sich
gegenseitig den Frieden auch eidlich
geloben.
Die Verpflichtungen des Volkes
in eidlicher Form kamen dagegen
das ganze Mittelalter durch in weiter
Ausdehnung zur Anwendung, zu der
Bekräftigung einzelner Verpflichtun-
gen, der Bewahrung des Friedens,
der Leistungen des Ileerdienstes, als
Vasalleneid, als allgemeiner Treueid.
Der Eid ward zunächst dem neuen
König bei der Thronbesteigung ge-
leistet, doch nicht mehr vom ganzen
Volk, sondern bloss von den Fürsten,
den Grossen, von dem, der ein Amt
empfing. Dagegen Hessen die Fürsten
und andere, welche abhängige Leute
hatten, sich von (Uesen dem Treu-
eid an den König nachgebildete
Eide leisten. Nur einzeln wurde bei
solchen Lehnseiden die Treue gegen
den König vorbehalten, Hilfe oder
Dienst gegen diesen ausgeschlossen.
Oft, besonders wenn die Treue ein-
mal verletzt war, wurde der Ei<i
durch Geiselstellung bekräftigt Vom
Bruch des Eides hat man zahlreich
Beispiele) und zu Gregors VII. Zrit
erklärte man, der Eid binde nur.
solange der König recht handle mi l
die von ihm gegebenen Versprechen
gen halte. Gregor nahm das Rech:
in Anspruch, auch die Eide
einen König zu lösen, was zahlreich u
Widerspruch fand.
Elben, El Ten, ahd. und mhd de:
afp, neben mhd. die efbe, angelsacU
elfen, englisch, schwedisch und di
nisch tlf\ nhd. dauert Alp mit d^-r
Bedeutung eines Nachtgeistes fori,
daneben haben Schriftsteller de? Ii
Jahrh. die unserer Mundart trog*
rechte Form Elf. Elfen eingeführt
Nach der Edda unterscheidet di?
nordische Mythologie zwei Gattnup i
von Elben, Lichtelben und Srhwz-
oder Dunkelelben. Es sind Minvi
wesen zwischen Göttern und Men-
sehen, eine gesonderte Gesellserw-
für sich, sie haben Kraft, dem Men-
schen zu schaden, und scheuen '
doch vor ihm, da sie ihm leinixb
nicht gewachsen sind. Unter den fr-
gritV Elften oder Wich fr hat Grimx
in der Mythologie alle Wesen di-
scr Art zusammengefasst, Kap. IT..
Zwerge, Wassergeister, Hausgeister
u. dgl. Die deutsche Aiiftassun
sieht in den Elben eine besondere
Art der mehr ein t heidnisch dich
terischen Naturbetrachtung als d-t
eigentlichen Religion angehörend!)
Wesen, die ebendeshalb sich im
Volksglauben länger als die « igen*,
liehen Götter erhalten haben: esur-
hören dazu die Zicerye , A'rjbo'J ■
Klabafrrman riehen, Berq- und H tt1*-
gei-ster, Nixen und nicht minder d*
Elben. Die letzteren sind freie, im
Walde und auf Wiesen sich be«<
sende Naturgeister, bald milder
bald schädlicher Art, Menschen hff1
beiziehend und sie zerrcisseod. Io
den bairischen Alpen leben die p'f
mütigen, weiblich gedachten Elfe«
in B-Tgschluchten, sind sehr sehe i.
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Elbseli wanenorden. — Elend.
149
Ht.lrteiniachen gestiftete deutsche
tyradiprerllschaft. Sie sollte ein
Mwz»*rti-n" für die fruchtbrin-
gende Gesellschaft sein. Die Mit-
$"kr führten wie in den anderen
daher schwer zu sehen, nähren sieh i doch so, dass der Himmel als ein
v"D der Milch der Kühe und Ziegen | fünftes dazutrat. Insofern man sich
uijd ^rebf n den Menschen dafür sodann den Leib des Mensehen aus
n ichlicheti Segen. Wuttke, Volks- den vier Elementen zusammengesetzt
ab-rdaubt, § 50. dachte, erhielt derselbe auch einen
EHm hwanenorden heisstdie von Bezug zur Auferstehung, insofern als
J<>h. Ritt um 1656 zu Wedel im in ihm der Keim zum Äuferstehungs-
leib bewahrt und er aus ihm der-
einst zum ewigen Leben erwachen
werde.
In der Kunst des klassischen
Altertums wurden die vier Elemente,
H'rach^s/ltsehaften Schäfernamen, obwohl selten, durch ihre mytho-
Mii dem 1667 erfolgten Tode des logischen Repräsentanten, Vulkan,
^öftere fring die Gesellschaft wie- Ocean, Windgott und Gäa oder
'i* r «ia. | durch die Klassen der Tiere, die in
Elemente, vier. Die Schrift be- ihnen leben, dargestellt. Im Mittel-
er das Universum unter der Ein- alter lässt sich die Darstellung der
t-iiuns von Himmel und Erde, Elemente seit dem lü. Jahrhundert
»■••nacb auch von späteren Kirchen- nachweisen, zuerst beider Schöpfung,
Mm rn Himmel und Erde die beiden wobei die Elemente in mythologischer
b'Mnte. oiQivtia, der Welt se- Personifikation erscheinen. Auch
i^uiit werden. Doch fügt schon aas die Renaissance hat in ihrer freieren
ahe Testament ein drittes Element Art die Elemente mit Vorliebe dar-
bnuu, indem cs die Erde als Wasser gestellt. Piper, Mythologie. II. Abt.
jwi fote? Land unterscheidet, da- §. 45.
W Au Universum in diesem Sinne Elend und Elenden-Herberge.
ein dreifaches erseheint, Himmel, Das Mlend,mhd. das eilende, elelende,
Er«'!** und Meer. Einen Uebergang ahd. das elilenli, aus alilanfi, ist
■ '*'*r Lehre von den vier Ele- zusammengesetzt aus dem mit lat.
Jemen macht die Erwähnung des alias , griech. rillo; = ein anderer,
ejvrs vom Himmel, oder des Feuers, iu Urverwandtschaft übereiustim-
»•'Irlies v«m Jehova ausging; doch inenden, nur in Zusammensetzungen
■ die Zusammenstellung in der vorkommenden ahd. Adjektiv alt,
Schrift nicht ausdrücklich gemacht eli = ein anderer, und aus dem mit-
Sfld die Lehre von den vier Ele- telst i von laut gebildeten lenti.
Das Wort bedeutet also ursprüng-
lich soviel als anderes , fremdes
Empedoeles stellte sie ! Land, woraus sich dann im Mhd.
indem er sie für die die Bedeutung grösster Bedrängnis
Otiten vielmehr aus dem heidni
*■"*"*** Altertum auf die Kirche über
sirangeu.
»er>i auf.
Kürzeln aller Ding»« und für gört
j^' <L h. unvergänglich erklärte.
*K die Stoiker, Aristoteles be-
fch-n sie bei, nur dass der letz-
* f- als fünften Körper den Aether
**A%t. der unter dem Materiellen
^ aJlvin Göttliche sei. Die Christ-
»tU. u Lehrer anerkannten den heid-
[H±en Vorgang, ordneten ihn aber
Lehre von der Schöpfung unter,
J^m man annahm, Gott fiat
und Beschweniis ergiebt. Wie man
das Land baute, so baute man das
Elend, wie z. B. das Wallfahrtslied
nach St. Jacob von Comp, beginnt:
wer das elent bawen wel,
der heb sich auf und sei mein gsel
tcol auf sanet Jacobs Strassen.
Daher auch die zahlreichen Aus-
drücke: ins Elend gehen, fahren
wandern, fliehen:
e ich mein bulen voll faren lau
»oe im i
- i:iü£ die vier Elemente geschaffen; , e tcolt ich mit ir ins elend gan\
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150
Elfenbehiarbeiten.
im Elend sein, bleiben, lassen, zu-
bringen, streifen, sehwärmen:
Insbruck, ich muss dich lotsen,
ich far dahin mein Strassen,
in fremde fand dahin:
mein freud ist mir genommen,
die ich nit weiss bekommen,
tco ich im eilend bin.
Ferner: ins Elend schicken, versen-
den, jagen, dringen, treiben, stossen,
verweisen, aus dem Elend heim-
kehren, führen, holen.
Gleicher Bildung und ebenfalls
schon althochdeutsch ist das Adjektiv
elend, ahd. alilanti, mhd. eilende,
das ebenfalls mit der Zeit aus der
Bedeutung des in der Fremde Leben-
den in die des Beraubten und Blossen,
Armen, Armseligen, Geringen und
Schlechten tiberging.
Elenden- Herberaen sind im 15.
Jahrh. hauptsächlich für Pilyer ein-
gerichtet worden. Vereine, die sich
die Sorge für arme und kranke
Fremde zur Aufgabe gemacht hatten,
hiessen Elenden- Brüderschaften. Die
Elenden-Herberge hatte einen Ver-
walter. Manchmal gehörte zur Her-
berge eine Kapelle mit dem Aimo-
senstocke; war der letztere in einer
öffentlichen Kirche aufgestellt, so
brannte an ihm wohl die durch inild-
thätige Menschen gestiftete Elenden-
Kerzc; andere Kerzen wurden in
die Herberge selbst zur abendlichen
Beleuchtung gestiftet. Die Beher-
bergung wurde in der Regel nur
für eine Nacht gewährt, und es
waren besondere Bestimmungen zur
Aufrechterhaltung einer guten Ord-
nung getroffen. Z. B. war bestimmt,
dass jeder Aufgenommene Kleider
und (rerätschaften mit Ausnahme
des Unterhemdes vor der Schlaf-
kammer ablege und daselbst liegen
lasse; nach achtstündigem Schlafen
wurden die Kammern wieder ge-
öffnet, jeder stand auf, machte sein
Bett, kleidete sich vor der Kammer
an und wurde nicht eher aus dem
Hause gelassen, als bis er erklärt
hatte, aass ihm nichts von seiner
Habe abhanden gekommen W
Grimm, Wörterbuch, und Sriegk
Bürgertum, I, VIII.
Elfen beinarheiten. Das W«
Elfenbeiu ist mhd. helfantbei», di
mhd. der Elefant Helfant hei*:
Schon seit dem frühesten Mittete
wurde geschnitztes Elfenbein xud
Sehmucke von Altären, von kirrt
liehen Geräten, für kostbare Boche:
einbände um so lieber angewendf
als der Elefant nach Notker Labe
als ein chiiische fieo, ein keu* h-
Vieh galt. Die Elfenbeinarbeit«
Reliefs von sehr ungleicher Gn^f
bald zum Schmucke von Geias*
und selbst von grösseren Gerätt
nicht selten fabrikmiissig zum \<a
aus gefertigt, bald auch als **ö
ständige Kunstwerke bearbeite
schliessen sich in den ersten Jafr
huuderten nach Stil und Inhalt W
herrschend antiken Vorbildern ai
Später tritt das christliehe Eleo**
in den Vordergrund. »Sehr beli<4
waren unter den aus antik Mj
nischem in christlichen Gebraw
hinübergewanderten Geraten A
Diptychen (siehe diesen Art). Au<
zu den Pyxiden, kreisrunden Büch**1:
welche von dem Ciborium, dti
Schirmdache des Altares hcrunte
hängend , zur Aufbewaliruug &
heiligen Brotes dienten, wurden oft«
heidnische Werke, Schmuck-
Toilettenkastehen , benutzt. Im t
geutlichen Mittelalter bediente m*
sich des Elfenbeins nicht bloss 1
kirchlichen Zwecken, zu Reliquiarie!
Bücherdeckeln, für kleinere Tri
altäre, sondern auch für Geräte
weltlichen Luxus, Jagd- und TrtaJ
hörner, Becher, Geissem, Lame
schufte, Schmuckkästen, Sniegelb
sein, ja ganze Sättel. Die Got
war der Elfenbeinskulptur nk'
günstig, erst in den letzten Jah
minderten wird die Kunst, namefl
lieh an Schmuckgcfassen und ft
räten profanen Zweckes, wieder e
neuert, besonders in Nürnberg Bj
Augsburg , wo der Elefanten»!
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Email. - Encyklopädie.
151
in seiner ganzen Rundung zu Hum-
pen und Krügen, ganz mit Reliefs
umgeben, bearbeitet wurde.
Email, mittelat. smaltum, esmalc-
tum, ital. muilto, franz. 4mailt dtsch.
Smalte, Schmälte, Schmelz, alles die-
ses vom deutsehen Verb, schmelzen,
bedeutet ursprünglich Geschmelze
von Gold und Silber durcheinander.
Spuren der Email-Technik finden
s-ich schon in ägyptischen, etruski-
*ben und altgriechischen Kunst-
werken, kaum bei den Römern. Die
Byzantiner verliehen derselben einen
neuen Aufschwung, vielleicht in An-
lehnung an hindostanische, persische
und chinesische Technik. Ihre höchste
Kunst erreichte diese Technik seit
dem 10. Jahrh., indem sie jetzt nicht
bloss zum Schmucke kleiner Werke,
sondern selbständig in grossartigen
Dimensionen betrieben wurde. Im
Abendlande, in Gallien und England,
wurde diese Kunst ebenfalb schon
früh geübt, doch meist in kleinerem
Massstabe und in dekorativem Sinne.
Einen höhern Aufschwung erhielt
sie seit dem 10. Jahrh., als durch
die Vermahlung Otto III. mit einer
griechischen Prinzessin byzantinische
Kunstwerke und vielleicht auch by-
zantinische Künstler nach Norden
kamen. Ihre Hauptsitze lagen am
Niederrhein und in Lothringen, etwa
*it dem 12. Jahrh. in der west-
rranzösischen Provinz von Limoges,
woher die Emailkunst den Namen
f>pu* de JAmonia oder Lemovicinum
erhielt Die Technik der meisten
abendländischen Emails ist von der
der byzantinischen verschieden. Diese
sind vorwiegend Zellenemails,
rmaux cU>i*wmt*\ der gefärbte Glas-
fluss wird in Zellen ausgegossen,
die von dünnen aufrecht stehenden
♦ioldphittchen erstellt worden sind;
die abendländische Technik ist meist
(rrubenemail, email champleve", bei
welcher der Glasfluss in die aus-
getieften Teile einer stärkern Metall-
platte eingelassen wird; die abend-
ländischen Emails sind auch viel
einfacher als die byzantinischen.
Die Farbenskala ist sehr beschränkt
und vorwiegend dumpf : dunkles Blau
für den Grund, Rot, Grün oder
Blau, Gelb oder Weiss in weicher
Abstufung. Figürliche Darstellungen
sind selten, meist ist die Kunst hier
für Verzierungen angewandt Bahn,
Bild. Künste. 280 ff. Schnaase,
IV, 2. Bucher, Gesch. der techn.
Künste, L
Enoy klopHdie. Das Wort t'yxv-
xXonaiÖein verdankt seinen Ur-
sprung bloss einer falschen Lesart
für tyxvxiio: naidtia, d. h. kreis-
förmig umschriebener, sich wieder-
holender Unterricht, wie seit Aristo-
teles häufig der Kreis von Kenn-
nissen, Wissenschaften und Künsten
genannt wurde, den der freie Grieche
als Knabe und Jüngling durchlaufen
musste, ehe er zur Vorbereitung
auf einen besondern Lebenszweck
oder ins thätige Leben selbst übor-
^ f)ie absterbende antike Welt
fühlte das Bedürfnis, die Resultate
ihrer wissenschaftlich pädagogischen
Arbeit zum Zwecke des Unterrichtes
zusammenzustellen. Der erste, der
das mit Erfolg unternahm, war der
Neuplatoniker Martianiis Cauella
mit seinem zwischen 410 und 427
fesch riebe nen Werke De nuptiii
'hiloloyiae et Mercurii et de Septem
artibus liberalibus, ein Werk in wel-
chem sich die ausschweifendste Phan-
tasie mit dem trockensten Verstände
vermählte, welches jedoch im älteren
Mittelalter lange Zeit eine Haupt-
grundlage des gesamten Schulunter-
richtes war. Von Notker Labco hat
man eine altdeutsche Übersetzung
mit Kommentar. Von Boetiiis sind
einige Werke, namentlich Über-
setzungen aristotelischer Schriften,
die Übersetzung der Isayoge des
Porphyrius, eines der Hauptschul -
bücner des Mittelalters, die Bücher
De institutione arithmetica und die
Ars geometrica für die encyklopä-
dische Behandlung der Wissenschaf-
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152
Encyklopädie.
ton in der Folgezeit vielfach wichtig
gewesen, ein zusammenfassendes
Werk dieser Art hat er aber nicht
geschrieben. Dieses auf dem Boden
es Christentums zuerst gethan zu
haben, ist das Verdienst Lassiodors :
Institutionen dirinarum et saecula-
riitm lectionum oder litterarum. ver-
fasst um 544, das den Mangel einer
theologischen Hochschule im Abend-
lande einigermassen, und zunächst
den Mönchen des Klosters Vi-
varium ersetzen sollte. Wäh-
rend da< erste Buch eine Ein-
leitung in das theologische Studium
enthält, bietet das ander»' einen Ab-
riss der sieben freien Künste. Von
umfassendster cncyklopädischerWir-
kung war sodann das Wrerk des
Isidora* Hispatcnsi*, 20 Bücher
Efymologiarum, worin eine, meist
sehr unvollständige Ucbersieht der
wissenschaftlichen Materion mit einer
Definition der wissenschaftliehen Be-
griffe und Objekte durch eine Ety-
mologie der sie bezeichnenden Worte
enthalten ist. Buch 1—3 enthalten
die sieben freien Künste, 4. die
Medizin, 5. „Gesetze" (Rechtsbegriffe,
Verbrechen und Strafen) und „Zei-
ten", d. h. Tag und Nacht, Monate,
Jahreszeiten, Jahrhuudert, Alter,
Weltalter und daran anschliessend
eine kurze Weltchronik; 6. Bibel und
ihre Bücher, Bibliotheken, Arten
der „Werke", Schreibmaterial, Oster-
cyklus und Fest verzeichnis. 7. Himm-
lische Hierarchie, Gottheit, Engel,
Patriarchen, Propheten, Apostel,
Klerus. 8. Kirche und ihre Sekten.
9. Sprachen und Völker, Namen der
höchsten Staatsgewalten, Einteilung
des Heeres, Magistraturen. Klassen
der Bevölkerung und Verwandt-
schaftsgrade. 10. Etymologie einer
Anzahl nach dem Alphabet geord-
neter Wörter. 11. Der Mensen nach
den Teilen des Körpers, den Sinnen
und Gliedern, Altersstufen. 12. Tier-
nameu. 13. Die Welt mit ihren
Teilen, Himmel, Luft, Winde, Ge-
wässer. 14. Die Erde, Erdteile,
Inseln, Berge. 15. Wohnstätteu
der Menschen, Verzeichnis der wich-
tigsten Städte, öffentliche Gebäude.
Arten der Häuser, Zimmer, Tempel.
Felder, ihre Grenzen und Ma«*?,
Strafen. 16. Steine und Metalk
Gewichte, Masse und Zeichen dafür.
17. Feld- und Gartenbau. 18. Kries
und Spiele. 19. Schiff, Hausbau.
Kleidung und Schmuck. 20. Speisen
und Getränke, Haus- und Ackerge-
rät. Ein ähnliches Werk Isidor
ist De natura rerum, im Mittelalter
ebenfalls viel gelesen und benutzt
Im karolingischen Zeitalter hat na
mentlieh Hahanu* sich bemüht, »ii*
wissenschaftliche Lehre des Zeit-
alters in Handbücher zusammenzu-
fassen; dahin gehören De ckricomn*
in*tifufwne in drei Büchern und di»
22 Bücher De universo-, das letzten
ist freilich zum groasonteil wörtlich
aus Isidors Etymologien abgeschrie-
ben, nur class für den christlich» d
Theologen die mystische Erklärung
des Einzelnen beigefügt ist, welch«
aber ihrerseits meist ebeufalls einen
Werke Isidors entnommen ist, dm
Allegoriae quaedam sacrae Script?-
rae. Die Summe der wissenschaft-
lichen Kenntnisse, welche das chri-t
liehe Mittelalter aus dem Altertum
gerettet und in den besprochene
Formen aufgestapelt hatte . blieb
nunmehr für drei Jahrhundorte aus-
reichend; erst die Kreuzzuge uu l
besonders der von den Arabern
gepflegte, der Natur und ihren Er
scheinungen in höherem Masse zu-
gewandte Geist, sowie das erneut-
und vertiefte Studium des Aristote-
les brachte es mit sich, dass im
13. Jahrhundert die oncyklopadisch-
Arbeit neu und mit Erfolg auf--
nommen wurde. Es ist dies u*
mentlieh das Verdienst der Domi^t
kaner, aus deren Orden die drs
bedeutendsten Encyklopadien dd
späteren Mittelalters hervoraregatigei
sind, Albert der Grosse, Thitma* m
Canfimprt) dessen Uber de natura
rerum vom Regensbiurgor Dom
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Engel.
153
ln-rrn Konrad von Megenherq im 14. j
Jahrhundert deutsch als „lluch der
Natur* bearbeitet worden ist, und Vin- j
r^nz von Beauvais, der Verfasser des \
Sf+cuimm </uadrvplejr, das wiederum j
in Speaihm naturale, doclrinale,
murale und historiale zerfallt. Es
wurde im 15. Jahrhundert öfters ge- 1
druckt und genoss noch in der Kc-
fjnnananszeit ein hohes Ausehen.
Enjrel sind nach der Ansieht der
Hebräer höhere, von Gott geschaffene
Wesen, die seinen Thron als Rat
umgeben und ihm als Boten dienen.
His zum Exil dachte man sie sich
m menschlicher Gestalt , im Exil
v> rschmolz ihr Begriff unter persi-
Vin Einfluss mit dem Begriff
Däiuon. Das uikaische Konzil (787 ) j
-<-tzte fest, sie hätten einen äthe-
rischen Körper, das lateranische von
1215 gab ihnen Unkörpcrlichkeit.
Si»- wurden im früheren Mittelalter
p riügelt, in reifer Jüngliugsgestalt,
in Diakonen tracht und unocschuht
d -irecsteUt, seit dem 13. Jahrhundert
socl als schwebende Kinder, die
letzteren tragen häufig musikalische
Instrumente. Mit Vorliebe erzählte
«las Mittelalter vom Abfall der Engel
v u Gott, eine Lehre, die beson-
•1'ts von Gregor d. Gr. ausgebildet
wurde. Nach Jes. 14, 12 ff und 2
iMri 2, 4 nahm man an, dass ein
T. ü d» r Engel von Gott abgefallen
und da.s* Gott ebendeshalb, um
aV dadurch entstandenen Lücken
we-der auszufüllen, den Menschen
••rsfchaffen habe. Dartiber zürnt« m
nun die in der Hölle zu Teufeln
d»*^nidierten ehemaligen Engel und
beschlossen, den Menschen von Gott
ai'wvndig zu machen, was denn auch,
iber ohne vollständigen Erfolg, durch
d>n in eine Sehlange verwandelten
Uicifer in's Werk gesetzt wurde.
l)u kirchliehe Kunst sowohl als die
P»»»-sie haben den Sturz der Eugel
vielfach dargestellt, die letztererz. B.
m der dem angelsächsischen Dicliter
Kaedmon zugeschriebenen Genesis,
u:id noch Miltou im verlorenen Para-
diese. Die christliche Lehre teilte
die Engelwclt in 9 Engelchöre ein,
welche drei Ordnungen bilden, von
denen die erste ihre Glorie unmittel-
bar von Gott empfangt und sie auf
die zweite überträgt, welche ihrer-
seits wiederum die dritte, mit der
geschaffenen Welt in Verbindung
tretende, erleuchtet. Die /. Ordnung
bilden: /. Chor, die Seraphim, be-
deuten die Liebe zu Gott, hab'tm
6 Flügel, 2 am Kopf, 2 an den
Füssen, 2 über die Hüfte vorge-
schlagen und tragen in jeder Hand
eine Rolle mit den Worten: Heilig,
heilig etc. Ihr Oberhaupt ist der
Erzengel Uriel. — i>. Chor: die
Cherubim, bedeuten die Erkenntnis
Gottes, daher oft vieläugig darge-
stellt, mit 4 oder 2 Flügeln oder
mit geflügeltem Haupt oder auf
feurigen Kadern stehend, oft nur
als geflügelte Köpfe. Ihr Oberhaupt
ist Jophiel. — 3. Chor: die Throne,
bedeuten die Gerechtigkeit Gottes,
stützen seinen Thron, oder erschei-
nen als feurige Räder mit vielen
Augen oder tragen eine Pahne oder
Krone oder einen Thron in den
Händen. Ihr Oberhaupt ist Zaphkiel,
— II. Ordnung. 4. Cltor: die Herr-
schaften, domina/iones, welche Gott
über die Welt ausübt. Sie tragen
Zepter, Schwert oder Kreuz, ihr
Oberhaupt ist Zadkiel. — 5. Chor:
die Kräfte oder Tugenden, virtutes,
tragen in der rechten eine Dornen-
krone und in der Linken den Kelch
des Heils. Ihr Oberhaupt ist Hornel
— 6. Chor: die Machte oder Ge-
walten, potestates, bewahrende und
schützende Engel, tragen Donner-
keil und flammendes Schwert. Ihr
Oberhaupt der Erzengel Raphael.
Alle Engel der II. Ordnung tragen
lange Alben, goldene Gürtel, grüne
Stolen, auch wohl Goldstäbchen, in
der linken das Gottessiegel; sie
sind barfuss. — III Ordnung. 7. Chor:
die Fürstentümer, pnneipatus, die
Hüter der Fürsten, tragen Zepter
und Gürtel oder Schwertgehänge
i
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154 Epistelseite. — Epistolae obscurorum virorum.
mit einem Kreuz vor der Brust, in 1
der Hand einen Lilienstengel und
Schuhe an den Füssen. Ihr Ober-
haupt ist Chamael. — 8. Chor: die
Erzengel. Nach jüdischer Tradition
sind es ihrer 4, die katholische
Kirche anerkennt als heilige bloss 3,
nämlich: 8t. „Michael erscheint in
seinen drei Ämtern , als Anführer
der himmlischen Heerscharen beim
Besiegen der Höllenmächte , als
Herr und Führer der abgeschiedeneu
Seelen | Scelcnwäger) und als Schutz- J
patron der streitenden Kirche, als
kräftiger Jüngling von ernster Schön-
heit im steten Kampf mit den Mäch-
ten der Finsternis, dem Drachen
mit dem Menschenkopf am Schwanz.
Als Seelenwäger hält er die Wage, .
in deren Schalen je eine oder mehrere
nackte Seelen sitzen. Gabriel, der
Eiigel der Geburt und des Werdens,
trägt einen Lilienzweig mit um-
gewickeltem Spruchband (ave Maria
gratiajplena) und einreichgeschmück-
tes Priestergewand, oder er erscheint
als Jäger mit Hifthorn und Hunden,
welcher das vor ihm in den Schoss
der Maria geflüchtete Einhorn erjagt.
Raphael, der begleitende Schutzengel
der Wanderer und Pilger, daher mit
Wanderstab und Piltferflasche, selten
mit dem Schwert dargestellt. Am |
meisten erscheint er in der Ge- i
schichte des Tobias, er erscheint
auch den Hirten bei der Geburt
Christi. Der von der römischen
Kirche nicht anerkannt' Uriel wird
dennoch viel dargestellt mit Schrift-
rolle oder Buch, erscheint dem Moses
im feurigen Busch, sitzt auf dem
Grabe Jesu und gehtmit den Jüngern
nacliEmmaus. — 9. Chor . die Enqel.
Siehe Müller und Mothes, Areh.'W. j
Art. Engel, Engelchöre, Erzengel
und Sturz der Engel. Otfe, Hanab.
Abschn. 158.
Epistelseite heisst diejenige Seite
des Altars, welche links von dem
auf dem Altare stehenden Kruzifixe ;
ist, also gewöhnlich die südliche;
von der auf dieser Seite befind-
lichen Kanzel wird die Epistel ver-
lesen.
Epistolae obseuroram virorum.
Sie sind hervorgegangen aus dem
langjährigen Streite Keuchlins mit
den Kolner Theologen. Oer ge-
taufte Jude Pfefferkorn, ein wider-
wärtiger, unsauberer Mensch, dem
die Bekehrung seiner ehemaligen
Glaubensgenossen durch Ermahnung
inisslun^en war, hatte im Jahre loOt*
Obrigkeiten und Volk zu gewalt-
samer Bekehrung oder Vertreibung
der Juden und zur Verbrennung
ihrer Bücher aufgefordert. Die An-
gelegenheit kam an den Kaiser, der
vorerst vom Dominikanerprior und
Ketzermeister Jacob Hochstraten zu
Köln, 'vom ehemaligen Rabbiner
Victor von Carben, von Renchlro
und von den Universitäten zu Köln.
Mainz, Erfurt und Heidelberg Gutach-
ten abforderte. Als Reuchlin sich im
Gegensatz zu den übrigen judeu-
feindlichen Gutachten dahin aus-
sprach, „dass man der Juden Bucht r
nicht solle verbrennen, sondern sie
durch vernünftige Disputationen
sanftmütig und gütlich zu unserem
Glauben mit der Hilfe Gottes über-
reden", begann Pfefferkoni öffentlich
gegen Reuchlin aufzutreten ; Reuchlin
antwortete : Briefe, Gutachten, Schrif-
ten der verschiedensten Art in Prosa
und Verseu, in lateinischer und
deutscher Sprache wurden ge-
wechselt, und besonders der Kreis
der deutschen Humanisten betrach-
tete die Angelegenheit als eine
öffentliche Sache der Bildung und
Wahrheit gegen Dummheit und
Pfaffenstolz. Papst Leo X. schlnr
endlich den Prozess, nachdem ein
besonderes Gericht sich für Heuchln
entschieden hatte, nieder. Im Gegen-
satze nun zu einer Sammlung vr.n
Briefen berühmter Humanisten an
Reuchlin, die der Empfänger im Jahr
1514 unter dem Titel Clarvrum r»nv
rum Epistolae hebraicaey rtmeme ei
lafinae ad J >. Reuchlinum herausge-
geben hatte, damit man sehe, wie all»»
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Epos.
155
hell and gut Denkenden in Deutsch-
land und Italien sich um ihn scharten,
erschien im Herbst 1515 ein Buch:
f.tuf j./f ohscurorum rirorum, 41
Briefe enthaltend; zweimal wieder-
holt 1516, das zweitemal mit einem
Anhang von 7 Briefen; ein zweiter
Teil mit 62 Briefen kam 1517 he raus,
wozu in der zweiten Ausgabe noch-
mals ein Anhang von 8 Briefen
trat. Die Briefe sind an Ortuinus
Gratias, (Ortwin de Graes), Lehrer
und Poet an der Kölner Schule, den
lateinischen Handlanger und poe-
ti* heu Schildhalter der Kölner Tnoo-
l'jgen, gerichtet, die Briefsehreiber
sind die Magister und Baccalaurei
(*r*seliiiMS,Caprimu!gius,Scher8chlei-
fenus, Dollenkopfius, Mistlad*rius
u. dgl., einigemal auch die Kölner
Theologen selber. Die Polemik
fc?t vornehmlich in dem scheuss-
Iit&en Möncbslateiu und in der
naiv-dummen Denkart der Schreiber,
t'ber die Verfasser der Briefe ist
Sicheres nicht auszumitteln. Nach
>*rau4t -tarn in r der erste Teil wesent-
lich aus der Feder des Johann Orth
hu RvJnanu*, eigentlich Johann
J%er. um 1480 in dem thüringischen
FVtken Dornheim bei Arnstadt ge-
boren. Er studierte in Erfurt und
K(»ln und war ein Mensch von grosser
fr-gabung und namentlich inüohem
Masse witzig. Nachdem er eine
Zeit lang Lehrer an der Kloster-
ahole zu Fulda gewesen war, kehrte
' T aach Erfurt zurück. Er war ein
treuer Freund Huttens und trat auch
offen auf Luthers Seite über, frei-
lich ohne dabeizubleiben ; die letzten
Jahre seines wechselvollen Lebens
-nid gänzlich in Dunkel gehüllt. An
'ler Abfassung des Anhangs zum
wten Teile und der Briefe des
zweiten Teiles hat ohne Zweifel
Hutten hervorragenden Anteil, ohne
;kas sieh das Mass des Anteils naher
Stimmen liesse. Andere Verfasser
meint man in Hermann von dem
JWhe. Hermann von Nuenar, Eoban
Hesse und Petrcjns Eberbach finden
zu können. Die ausserordentlich
schnelle Verbreitung der Briefe dau-
erte bloss bis zu dem Augenblicke,
wo seit 1518 dns Interesse der Zeit
gänzlich in der Reformationssache
aufging. Siehe Strauss, Hutten;
der Text der Briefe in Huttens
Werken von Bdcking.
Epos ist wie für die übrigen
indogermanischen Litteraturen , so
auch für die deutsehe die natürliche
Dichtungsart der ältesten Periode;
der besonderen Entwickelung der
deutschen Litteratur und Bildung ge-
mäss hat hier das Epos nach Form
und Inhalt eine ganze Reihe von
Ent wie kel u ngsst uf en durchgem ach t,
bis es nach zähem Leben aufhörte
oder einem neuen Kunstepos Platz
machte.
1. Vom JL 'po* der ältesten Zeit sind
nur wenige Nachrichten und Über-
reste erhalten. Tac. Germ. 3 be-
richtet von Liedern, welche die alten
Deutschen auf Herkules (Donar),
Thuisko, Mannus und dessen Söhne
gesungen hätten; sie besassen alte
mythische Lieder und genealogische
Lieder, die von den Annherren der
Menschen und der besonderen Stäm-
me erzählten. Über die Form dieser
ältesten Lieder ist nichts erhalten;
dass sie gesungen wurden, liegt im
Wesen der ältesten Poesie, begleitet
wurde das gesungene Wort mit der
Harfe. Ohne Zweifel war die metri-
sche Form hier schon die allitte-
rierende; man erschliesst das be-
sonders daraus, dass die Namen der
Söhne des Mannus: Ingo, Isco und
Jrmino, und ebenso andere Namen
der nordischen und angelsächsichen
Sage, JTettgest und Horm, Skytd und
Skeaf allitterieren. Die Sänger ge-
hörten keinem besonderen Stande
an ; es sang, wer die Gabe dazu
besass (siehe den Artikel Dichter).
Auch aus der Zeit unmittelbar nach
der Volkerwanderung sind die Nach-
richten über das germanische Lied
spärlich; der Grote Jomandes be-
richtet 551 , dass Lieder über die
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156
Epos.
Wanderzüge der Goten noch ge-
sungen wurden, über den gefallenen
Hunnenkönig Attila und ähnliches.
Die ältesten erhaltenen Lieder sind
die sog. Mergerbuffer Zauberlieder
auf den verrenkten Fusseines Pferdes
und auf die Fesseln eines Kriegsge-
fangenen, das Hildebrandslied und
der Anfang des Wessobrunn er de-
befes. Noch Karl der Gr. liess eine
schriftliehe Sammlung der deutschen
Heldenlieder, worin die Thaten und
Lieder vorzeitlicher Könige gesungen
wurden, aufzeichnen.
2. Das Epos im 9. — 10. Jahrh.
Hätte sich das deutsche Epos von
fremden Einflüssen der Religion und
Bildung ungestört entwickeln dürfen,
so wäre ihm wohl mit der Ent Wicke-
lung der Schreibekunst ein natür-
licher For.gang zur Epopöe auf den
Grundlagen seiner alten Natur so
gut als dein indischen und griechi-
schen Epos vergönnt gewesen. Aber
die Art und Weise, wie das Christen-
tum in Deutschland auftrat, seine
priesterliche Abneigung nicht bloss
gegen die heidnische Religion, son-
dern gegen alles, was volksmässig
und deutsch war, liess die Samm-
lung Karls d. Gr., die leider auch
nicht erhalten ist, das letzte sein,
was uns von den alten Liedern in
echter alter Form überliefert ist.
Hatte es doch der persönlichen Liebe
Karls zu seiner angestammten Volks-
art bedurft, dass er überhaupt Jene
Lieder noch aufschreiben liess;
schon lange vor ihm brachte die
allein schreibkundige Geistlichkeit
dem Volksgesang nicht bloss, wie
es Bpätcr in Skandinavien geschah,
ihre Teilnahme nicht entgegen, son-
dern sie hasste und verfolgte die
heimische Dichtung.
1 ' . sich zwar die allitteriereude
Form noch einige Zeit erhielt, be-
weist das dem 9. Jahrh. an^ehörige
Gedicht MuspilH, der Hehand aus
demselben Jahrhundert und die erst
im 10. Jahrh. aufgeschriebenen Zau-
berlieder. Sonst trat jetzt an die
I Stelle der Allitteration der Endreim
: (siehe Heim), ein Wechsel im Ge-
I schmacke, der für sich allein der
Fortdauer der alten Lieder iu hohem
I Masse im Wege stand. Zwar ver-
mittelte ietzt die kirchliche Bildung
die Erscheinungen zweier E/>oj*oex.
I des Otfriedischen Evangelienbuches
und des Jieliand, das erstere dem
Einzcllied insofern sich annähernd,
als es sich aus einzelnen, zum Singen
bestimmten Abschnitten zusammen-
setzt. Es sind Epopöen, insofern ge-
schriebene Dichtuugeu grösseren
Umfange8 sind, dem Umfang der
Evangelien entsprechend, aber aus
dem lebendigen Volksgesang sind
sie nicht hervorgegangen, und splttere
Wirkung ist von ihnen abgesehen
von der Reimform Otfrieds, nicht
ausgegangen.
Der von der neuen Bildung zwar
nicht unterstützte, aber keineswegs
ausgelöschte epische Volksgesang
erhielt sich in den Händen fahren-
der Leute, Spielleute aus den unte-
ren Ständen ; diese bewahrten teils
die alteu Sagen von Dietrieh von
Bern, Siegfried, Attila, den Bur-
gundern, nach ihrem roheren, den
äusseren Thatsachen mehr als dem
inneren Leben zugewandteu Gehalte,
dem durch das Christentum zumal
die höhere religiöse Weihe entzogen
worden war, teils sangen sie neue
Lieder auf Ereignisse der Gegen-
wart, auf Erzbischof Hattos Verrat
an Adelbert von Barnberg, 9(>4, auf
die Niederlage der Franken bei
Heresburg, 915. auf die Wunder-
thaten des heiligeu Ulrich, bis 973.
Dass sogar in Klosterräumen, aber
freilich nur in solchen, in welchen
der Geist Karl d. Gr. noch fortlebte,
wie in St. Gallen, die alte Volks-
! sage noch überaus lebendig war.
zeigt das Lied von Walther und
liUiijunt und der Kuodlieb, beide
in lateinischer Sprache gedichtet,
aber darum nicht minder deuts?h
empfunden und dargestellt.
3. Das Epos der höfischen Zeit.
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Epos.
157
Ei? war nicht das Christentum allein, nähme dafür wieder erwachte. In
das der alten Epik entgegenstand; Ostorreich, wo am Wiener Hofe
was ihr den Lebensnerv nicht min- französisches Wesen nicht ebenso
der angriff, war der Übergang aus ausschliesslich herrschte wie im We-
deln freien Volk?staat in den Lelms- sten Deutschlands, sind dann von
staat: die alten freien Sänger ver- unbekannten Dichtern das Sibe-
echwanden mit dem freien Gesamt- lungenlied, Gudrun und die übrigen
Volke, der Unterschied der unteren i Lieder des Heldenbuches entstanden
und oberen Stände drängte die volks- (siehe diese Artikel), alle in der
massige Bildung in den untern Stand Form der Silwlungenstrophe oder
zurück , und es ging Jahrhunderte Abarten derselben,
lang, bis der obere Stand der Ritter- 1 Daa höfische Kunsfepos empfangt
hurtigen zu einer selbständigen Bil- dagegen von Frankreich Anstoss,
dang emporwuchs. Als dies mit dem Stoff, Form, Auffassung, Umfang.
Beginndes 12.Jahrh. endlich geschah,
rrat auch eine neue Periode der
epischen Dichtung ein. Voraus geht
t-ine durch die Erneuerung des kirch-
lich-religiösen Lebens im ll.Jahrh.
hervorgerufene Reihe geistlicher
Dichtungen verschiedensten Stiles
und Umfanges, eine wirkungslose
Reaktion gegen die aufkommende
weldiche Dichtung des höfischen
Standes. Ihr folgen gleichzeitig die
beiden Gattungen des volksmässigen
Epos und des höfischen Kunstepos,
beide in der Form geschriebener,
künstlerisch wirksam ausgearbeiteter
Epopöen, beide noch insofern an das
alte Epos erinnernd, als die Dichter
immer noch, wenigstens in der Regel,
des Schreibens unkundig sind, also
diktieren müssen, während von Seiten
der geniessenden Partei nicht ge-
Dcr Vers ist das Reimpaar, die
Hauptstoffe Alexander, Äneas, Karl
und seine Tafelrunde, Artus und
seine Tafeirunde , Graal ; daran
schliessen sich byzantinische Stoffe,
z. B. von Herzog Ernst, einheimische
Rittersagen, z. B. Otto mit dem
Barte, und durch die ganze Zeit
hindurch natürlich Geistliches , mit
Vorliebe die Legende.
Eine weitere Entwickelung hat
das alte Epos kaum mehr gehabt.
Mit dem Verfall der höfischen Bil-
dung verfällt auch ihre Dichtung,
für das nationale Leben ein schmerz-
licher Verlust; wäre die angestammte
Sage in ihrer mittelalterlichen Ge-
stalt Eigentum des gauzen Volkes
gewesen, es hätte sich wenigstens
bis ins 16. Jahrh. retten mögen,
vielleicht den Wechsel der Zeiten
lesen, sondern einem Vorlesenden I ganz überdauert; so aber war es
zugehört wird. Woher das volks- Eigentum der Höfe und des Ritter-
massige Epos seinen Stoff schöpfte, j tums und ist mit diesen Elementen
ist mit Sicherheit nicht auszumitteln; I in dasselbe Schicksal mit hinein-
er muss von fahrenden Sängern der gerissen worden. Dantes göttliche
unteren Stande erhalten worden sein, [ Komödie ist nur wenig mehr als
zumeist ohne Zweifel in dem vom | 100 Jahre jünger, als das Nibelungen-
höfischen Leben unberührten, noch i lied; während aber diesesschon im 15.
ra» hr in alter Volkskraft und Volks- Jahrh. vergessen war, lebt Dantes
crinnerung lebenden NordenDeutsch- Dichtung noch heute. Bloss einzelne
lands; denn von hier wurden die- untergeordnete volksmässige Epen
hatten sich bis in die Zeit des Buch-
drucks gerettet und wurden von
Bänkelsängern noch teilweise ge-
sungen und geleiert. Manches, Deut-
sches sowohl als Französisches, kam
deutschland, als auch hier die Teil- als Prosarornan wieder auf den
>elhen Stoffe im 13. oder 14. Jahrh.
muh Skandinavien getragen und
hier als Wilkina-Saya aulgeschrie-
ben. Aus Norddeutschland brachten
Fahrende diesen Stoff nach
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158
Erbrecht.
Markt, wie der hürnene Siegfried,
die vier Haimonskinder (siehe den
Artikel Volksbücher). Wie seit der
zweiten Hälfte des 18. .Jahrb. die
ältereLit teratur wieder erweckt wurde
und allmählich neue Keime trieb,
gehört nicht hierher. Vgl. den Art.
Heldensage.
Erbrecht. Das Erbe ist ahd.
das arpi, erbi, erbe, got das arbi,
dasselbe Wort in den nordisch germ.
Sprachen; in welcher Wurzel, von
der auch Ar1>eit abgeleitet ist, die
Vorstellungen der Angehörigkeit
und Hörigkeit (milderer, Leibeigen-
schaft), der Kindschaft und der
Knechtschaft ineinander fliessen. Der
Erbe ist got. der arbia ahd. der
drpeo, äripeo, ^rpeo, e'rito, crbo, mhd.
der erbe. Weigand.
Die regelmässige Erbfolge der
Germanen beruhte auf der Bluts-
freundschaft und stand mit den
übrigen Rechten und Pflichten der
Familie in der engsten Beziehung.
Die Verwandtschaft, die zur Erb-
folge berechtigte, musste aber eines-
teils eine durch eine giltige Ehe
(siehe diesen Art) begründete Ver-
wandtschaft und andernteils musste
der Verwandte dem Erblasser e?>en-
bürtig sein. Die Nähe der Verwandt-
schaft wurde nach der grössern oder
geringem Gemeinschaft des Blutes
gemessen, die Nächsten waren eich
also diejenigen, welche den nächsten
Stammhalter gemeinsam hatten, was
man eine Parentel oder Sippe nannte,
dann kam die Parentel unter dem
zweitnächsten Stammhalter u. s. w.
Die nähere Parentel schloss die ent-
ferntere schlechthin aus. Als Hilfs-
mittel, die Verwandtschaftsgrade zu
versinnlichen, brauchte man das Bild
des menschliehen Körpers, indem
man an das Haupt den Stammhalter
stellte. Die Blutsfreunde, insbeson-
dere die Seiten verwandten, hiessen
Magen, und es wurde dabei die
paterna und matema generativ, oder
lancea und fusus, die Schwert- und
SpilUette unterschieden. Die älteste
Erbfolgeordnung war, soweit sich er-
kennen lässt (Tacitus Germ. 20.32i.
auf die Bedeutung der Sippe oder
der Genossenschaft der Blutsfreunde
gegründet, durch deren Macht je-
der des Friedens, des gewarTneten
Schutzes und der Vertretung mch
aussen und vor Gericht, und nach
dem Tode der Ehre der Blutracb»
versichert ward. Diesem Gedanken
gemäss musste das Vermoqen als die
Grundbedingung der Macht bloss an
Männer und zwar, weil Weiber durch
ihre Verheiratung aus ihrer Sippe
herausgingen, an bloss durch Männer
verwandte männliche Blutsfreunde
vererbt werden. Die Töchter waren
auf die Gerade, mhd. gerade, ange-
wiesen, d. i. im wesenthehen üer
vorhandene Schmuck: Halsketten-
Hafte, Armbauge, Ohrringe, Frauen-
kleider, im weitern Sinue eine ganze
Aussteuer: Betten, Pfühle, Kissen.
Bett- und Tischwäsche, Teppiche.
Umhänge, Kästen, Laden, be*«^
Spiegel, Bürsten, Scheren, Leuchter,
alles Garn, die Kleider, die gotttv
dienstlichen Bücher, die Gänse and
Schafe, alles dies zum Gegensatz
zum Heergeräte , dem Schwert, da*
dem Sohn als Erbe zufiel; beide*
Gerade uud Heergeräte, wurde der
Erbteilung voraus weggenommen
Allmählich drängte schon in den
alten Volksrechten die Sitte zir
Besserstellung der Töchter; sie tra-
ten ebenfalls ins Erbe des Grund-
eigentums ein, anfangs mit eiu«n
Drittel, später mit gleichem Teil
mit den Söhnen. Bei dem Adel oikJ
den Bauern erhielten sich aber nicht
nur die alten Elemente, sondern
wurden in besonderer Art weite:
ausgebildet. Als schwere Ver-
letzung der Verwandtsehaftepfliti»
galt es, den Blutsfreunden das ihnen
zukommende Erbe zu entziehen
Im Fortschritte der Zeit kämpf:«
jedoch das Gefühl der Freiheit gep*
diese Beschränkung an, und man
suchte eine Ausgleichung. Tests
mente zwar als einen Akt, den man
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Erek. — Ernst, Herzog.
159
im Geheimen verrichtet, Hess der
Grundsatz der Öffentlichkeit im
Kechtaleben nicht zu. Hingegen war
die Übertragung von Haua und Hof
unter Lebenden zugelassen, und die-
ses geschah in mancherlei Wen-
dungen so, dass der Vergeber sich
selbst dadurch möglichst wenig ent
zog, and die Wirkung sieh haupt-
sächlich erst nach dem Tode äusserte.
Aus den Vergabungen unter Leben-
den wurden Rrbver träge. Von diesen
Vergabungen bei lebendigem Leibe
gab es dreierlei Abstufungen: ent-
weder ging das Vermögen sofort
nicht bloss in das Eigentum, sondern
auch in den Besitz des andern,
uuter Vorbehalt der lebenslänglichen
V erpuegung oderVerpfründung, oder
man vergab sein Gut, behielt sich
aber bis zu seinem Lebensende den
Kesitr vor, wobei häufig dem ße
schenkten ein Zins vom Gute be-
dungen wurde; oder endlich, man
verschenkte sein Vermögen dem an-
dern fest, so jedoch, dass das Eigen-
tum erst nach des Schenkers Tode
auf den Beschenkten übergehen sollte.
In den beiden ersten Fällen war
gerichtliche Auffassung notwendig,
der dritte Fall wurde als Gelöbnis
angesehen, wofür auch eine Urkunde
hinreichte. Das römische Recht des
Testaments besassen in Deutschland
anfanglich bloss die Geistlichen, die
überhaupt nach dem römischen Recht
lebten; von ihnen aus, namentlich
durch die geistlichen Gerichte, fan-
den die Testamente seit dem 13.
Jahrh. in den Stadt- und Landrechten
Eingang.
Erek ist der Name eines Ritters
aus Artus' Tafelrunde und der Held
eines französischen Epos des Crestien
de* Troyes und eines danach bear-
beiteten deutschen von Hartmann
von Aue. Erec hat die schöne Enite
zur Frau genommen und verliegt
sieh, d. h. er versäumt ritterliche
Abenteuer. Darüber trauert Enite;
r-rec, wie er den Grund erfährt,
zieht mit ihr auf Hutten aus, ver-
bietet ihr jedoch, ihn vor Gefahren
zu warnen. Da sie das dennoch
jedesmal thut, behandelt er sie hart
dafür. Nach vielen Abenteuern tritt
er seines Vaters Reich an und ver-
liegt sich nicht wieder. Die Grund-
motive sind Ritterehre und Frauen-
treue.
Ermenrloh ist der Hauntfeind
Dietrichs von Bern in der Helden-
sage. Was er mit dem gotischen
Könige Airmanareiks gemeinsam
hat, ist nicht nachzuweisen; in der
Sa^e erscheint er als römischer
Kaiser, Oheim Dietrichs; er entehrt
die Frau seines Marschalls Sibich,
worauf er, durch dessen treulose
Räte veranlasst, sein eigenes Ge-
schlecht zu Grunde richtet. Die
Söhne seines Bruders Harlung lässt
er hängen, und seinen Neffen Diet-
rich von Bern zwingt er zur Flucht
ins Hunnenland; Etzel giebt jedoch
dem Berner ein Heer mit, durch
dessen Hilfe dieser in der Raben-
schlacht den Ermenrich besiegt und
sein Land wiedergewinnt. Die ein-
zelnen Momente des Lebens Ermen-
richs laufen in den Dichtungen, die
davon erzählen, sehr auseinander.
Ernst, Herzog, ist in der Sage
der Sohn einer bairischen Herzogin
Adelheit, welche mit Einwilligung
eben dieses Sohnes Kaiser Otto den
Roten heiratet. Durch den Pfalz-
grafen Heinrich wird Ernst bei sei-
nem Stiefvater verleumdet und da-
raufhin seiner Güter entsetzt; eine
Fehde entbrennt, und Ernst erschlägt
seinen Verleumder im Pal aste des
Kaisers; darauf flieht er in Beglei-
tung seines treuen Dienstmannen,
des Grafen Wetzel, als Kreuzfahrer
nach Jerusalem. Auf der Fahrt ge-
langt er zu einer einsamen, präch-
tigen, menschenleeren Burg voller
Lebensmittel. Während die Kreuz-
fahrer sieh hier gütlich thun, reitet
ein seltsames Volk heran, in weissen
Kleidern, langen Hälsen und schma-
len Schnäbeln wie Kraniche, in ihrer
Mitte eine aus Indien geraubte
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160
Erzbischof. — Erzguss.
Jungfrau führend, die wie eine be-
taute Rose unter Thrillen einher-
geht. Herzog Ernst und seine
Mannen fallen über das Schnabcl-
vieh her, ohne die Jungfrau erretten
zu können. Sie ziehen weiter, kom-
men in» Lebermeer an den Magnet-
berg; nachdem sein Schiff hier ge-
strandet, lässt er sich von Greifen
auf einen fernen Felsen tragen.
Dann kommt er zu den Arimaspen,
die nur ein Auge haben, streitet
für deren König gegen die Platt- 1
fÜ8se, die zum Schutze vor Unwetter
ihre Füsse wie Schirme über sieh
ausbreiten, und gegen die Langohren,
die ihre Ohren als Kleidung brauchen.
Nach anderen wunderbaren Aben-
teuern kommt er endlich nach Jeru-
salem, wo er grosse Hutten zum
Heile der Christenheit vollführt; der
Ruhm seiner Thaten zum Heile der
Christenheit besänftigt den zürnen-
den Kaiser und Stiefvater, er kehrt
zurück und erhält Frieden und Ver-
zeihung.
Der Stoff dieser Sage zerfallt in
zwei Teile: deren erster enthält volks-
mässig epische Erinnerungen an
Herzog Emst II. von Schwaben,
der sich gegen seinen Stiefvater
Konrad II auflehnte und trotz der
Verwendung seiner Mutter Gisela
samt seinem treuen Freunde, dem
Grafen Werner von Kiburg, den
Untergang fand; vermischt und
durchsetzt mit älteren Erinnerungen I
an die Geschichte Ludolfs von
Schwaben , Stiefsohn der Königin
Adelheid, Aufrührers gegen seinen
Vater Otto I. und Feindes seines
Oheims, Heinrich von Baiern. Der
andere Teil, die Heerfahrten, ent-
halt morgenläudische Sagen und
Fabeln der antiken Weltbeschrei-
bung, die durch die Kreuzzüge ent- 1
weder erst bekannt oder zu neuer
Teilnahme geweckt worden waren.
Die Sage von Herzog Ernst er- I
scheint in den verschiedensten For- |
men; im U>. Jahrhundert bearbeitete
sie ein Fahrender, dem im 13. und
15. Jahrh. Überarbeiter folgten, da-
zwischen lateinische Bearbeitungru
in Prosa und Vers. Der Bänkel-
sänger, der den Stoff im 15. Jahrh.
in der sog. Bernerweisc bearbeitet; ,
gab Veranlassung, diese Melodie
Herzog Emsts Ton zu nennen. End-
lich wurde gegen Ende des 15. Jahrh.
aus der lateinischen Prosa ein deut-
scher Roman gemacht, der nun
unter die Volksbücher geriet
Erzbischof. Bis in die er>tc
Zeit Karl d. Gr. war die Würde ein«
Erzbischofs oder Metropoliten nicht
mit einem bestimmten Bistum fest
verbunden, sondern persönlich bald
dem einem Bischof, bald dem andern
übertragen worden; jetzt wurde dies«
Würde allmählich mit Rücksieht auf
das seit Alters begründete Ansehe»
einzelner Kirchen geregelt. In Mai tz
erhielt Lull, des Bonifaz Nachfolger,
780 das Pallium (siehe den Ar-
tikel geistliches Ornat), und um
die Mitte des 9. Jahrh. heia*
Mainz Metropolis von Germa-
nien; in Köln erhielt Hildebold.
Karls d. Gr. Kaplan, die erzbiseh«^
liehe Würde. Ludwig der Fromme
errichtete das Erzbistum Hamhwt,
dessen Metropolit in Bremen resi-
dierte, mit der Aufgabe, die obere
Leitung der skandinavischen Kirch«
zu übernehmen; in Baiern empfing
der Bischof von Salzburg das Pal
lium; im Mosellande befanden sieb
anfangs die Bischöfe von Metz im
Besitze der erzbischnrlichen Würde:
seit Karl d. Gr. war Trier Metro-
politan für Metz, Toul und Verdau.
Die Erteilung des Palliums erfolgte
durch den Papst, aber mit Zustim-
mung des frankischen Königs. Ott"I.
gründete 970 das Erzbistum MagJ*-
bürg.
Erzguss. Sein künstlerisch*
Betrieb geht in Deutschland mV
hinter die Karolinger zurück. K
der Grosse Hess Kundige Manu
aus Italien und anderen Prov
kommen, um das Aachener M
mit Gold und Silber, ehernen Gittrr
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Erziehung.
16t
und Thüren zu schmücken. Unter auf die Erde gelegt, bis sich der
•Jen Erzgiesseni am königlichen Hofe Vater erklärte, ob er es leben lassen
betend sich ein Mönch aus St. Gallen, wolle oder nicht. Entschied er sich
Namens Tauko, mit dem ein frem- j für jenes, so wurde das Kind auf-
der Meister, der in aller Metall- und gehoben , daher wahrscheinlich der
Glasarbeit vortrefflich war, wett- Name Hebamme. Entschied er sich
eiferte. Diese Arbeiten sind zum für das letztere, so wurde das Kind
Teil in vier Metallthüren , Brust- ausgesetzt; doch beschränkte sieh
Rändern der Emporen, einer wasser- [ die Aussetzung auf gewisse Stämme
Ru nden Wölfin und einem Pinien- und auf bestimmte Verhältnisse, wie
saptVü noch erhalten. Im 10. Jahrh. grosse Armut der Eltern, Teuerung,
^rundete Bischof Bernward von oder sie betraf schwächliche und
Hüdesheim eine klösterliche Giess- . krüppelhafte Kinder und zwar Mäd-
i^iire, deren ansehnliche Werke in chen häufiger als Knaben. Sobald
-ach*. n teil weise erhalten sind, Thür- dem Kinde nur die geringste Nah-
lügel, eine nach dem Muster der rung zu teil geworden war, ein
rraiaasaaule entworfene Säule zu Tropfen Milch oder Honig, so war
iilaesheim, Kronleuchter und die die Aussetzung nicht mehr gestattet.
.rRibtaiel des Gegenkönigs Rudolf Dagegen konnte das Kind noch
oü Schwaben (f 1080) im Dom zu später im Falle äusserster Not iu
! r-eburg. Während in dieser die Sklaverei verkauft werden,
rikereu Periode des Mittelalters War das Kind aufgehoben , so
Ii Steinwerke an Anzahl von den wurde es gebadet, mit Wasser be-
'O^Werken noch überragt werden, gössen und ihm dabei der Same
liniffif mit der Gotik die Bildnerei gegeben, eine altgermanische heid-
* ^tein überhand und tritt der Erz- nische Sitte, die ganz zu der Taufe
US* zurück, der von da an lange stimmte. Gewöhnlich war es der
rit mehr handwerksmäßigem Be- vornehmste der anwesenden Männer,
vbe überlassen bleibt. In Sachsen der das Wasser über das Kind goss
adfn sich die meisten gegossenen und ihm den Namen beilegte; man
anfkessel, und die Städte Braun- wählte dazu mit Vorliebe den Namen
fcwfcisr. Dortmund, Erfurt, Leipzig, des mütterlichen Oheims oder des
apHurg, Zwickau werden als Grossvaters. Viele Zeugen zu der
ie^stätten genannt. Aus Nürn- Handlung zu versammeln, war alter
krg gingen später die grössten Erz- Brauch. Wer den Namen gab, fügte
&i'-r hervor, darunterJMp&v VUcher, ein Geschenk an liegender oder fah-
^ — 1529: er betheiligte sich render Habe hinzu. Ebenso pflegte
i dem bedeutendsten Werke des man den ersten Zahn mit einer
tpusea aus der Frührenaissance- Gabe zu begrüssen.
it. lern Grabmal des Kaisers Max Da nach germanischem Recht der
Innsbruck. Unmündige den Stand des Unfreien
Erziehung. Nach altgerm. Rechts- teilt, daher Knecht und Knabe, Magd
^Laming stand es in der Willkür und Jungfrau in der alten Sprache
* Vaters, ob er das neugeborene zusammenfallen, so wuchs das Kind
nd überhaupt aufziehen lassen des Freien zusammen mit den Kiu-
Ute: es stand ihm frei, es zu töten, dem der Knechte auf; Tacitus
*M*etzen oder zu verkaufen. Doch Germ. 20 berichtet : „In jedem Hause
Ml dies im westlichen Deutschland wachsen die Kinder nackt und
It'ür vor als im Norden, und schmutzig zu jenen Gliedern und
b'»n Tacitus (Genn. V*) erwähnt Leibern heran , die wir anstaunen.
Rechtes nicht mehr. Bald Die Mutter nährt ein jedes an ihrer
*k der Geburt wurde das Kind eigenen Brust, und sie werden nicht
^teiieon der deutschen Altertümer. 11
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162
Erziehung.
Mägden oder Ammen überwiesen.
Herrn und Knecht kann man an
keinerlei Bevorzugung in der Er-
ziehung unterscheiden. Unter dem-
selben Vieh, auf demselben Boden
leben sie miteinander, bis das heran-
reifende Alter die Freigeborenen
aussondert. Tapferkeit sie kenntlich
macht." Oft wurden gleichalterige
unfreie Kinder den freien Kindern
bei der Namengebung zum Eigen-
tum geschenkt und blieben das
ganze Leben in ihrer nächsten Um-
gebung. Überhaupt trug das Zu-
sammenleben der freien und un-
freien Kinder zu einer Ausgleichung
der Standesverschiedenheit bei.
In den ersten Jahren lebten
die Kinder beiderlei Geschlechtes
unter der Obhut der Mutter; ob,
was in Skandinavien häufig geschah,
die Knaben früh schon in das Haus
eines Freundes oder eines Ver-
wandten und zwar besonders zum
Bruder der Mutter gegeben wurden,
ist durch keine Zeugnisse belegt,
aber nicht unwahrscheinlich. Die
Töchter wurden ausser in den Ar-
beiten ihres Geschlechtes auch in
der .Kenntuis der Runen unterrichtet ;
im Übrigen blieben sie in der Mund-
schaft des Vaters oder des gebore-
neu Vormundes, bis sie mit der
Verheiratung in die Mundschaft des
Ehemannes traten; was sie ftusser-
lich vor der Verheiratung einzig
kennzeichnete, war der freie Haar-
wuchs, sonst bloss der Schmuck des
Freien; als Braut musste sie die
Locken verschneiden, und die Zöpfe
wurden ihr aufgebunden. Die Kna-
ben dagegen wurden, solange sie
in der Gewalt des Vaters waren,
stets von frischem geschoren.
Mit der Stellung der Kinder zu
den Eltern hängt ein eigentümlicher
Gebrauch früherer Jahrhunderte
zusammen, dass nämlich, wenn die
ganze Familie über die Strasse
schritt, zuerst die Töchter, dann die
Mutter, sodann der Vater und dann
erst die Söhne kamen. Die Weiber
gehen den Männern voran, wie
( sonst das Gesinde voranzugehen
pflegt, um der Herrschaft den Weg
: zu räumen, und unter den Weiben
kommen die Töchter vor der Mutter,
weil sie in ihrer Dienstbarkeit z -
nächst dieser untergeben sind. Di-
Söhne aber folgen dem Vater, weil
sie, gleichsam das stehende hVr
des Hauses, ihn als ihren Waftu-
meister und Feldhcrra an der Spitz
haben müssen.
Hatte der Sohn, nachdem B
frühzeitig zu körperlichen Übung«
angehalten worden war, zum Führen
der Waffen, Reiten, Schwimme
Jagen, hinreichende Proben sein?*
Mutes abgelegt, so erfolgte, die feier-
liche Welirhaftmachuiig. Öffentlich
vor dem Volke, vor Freunden n&i
Verwandten wurde er vom Vate;
oder einem befreundeten Edeln mii
Schild und Framea ausgerüstet und
mit dem ersten ihm seiest gehören-
den Schwerte wurde er als fahifi
bezeichnet, sich und andere zu b<-
schützen. Die Wehrhaftmachinej
eschah etwa im 15. Jahre; voü-|
ommen frei wurde der Sohn aböj
erst mit Antritt des 21. Jahres; d&as
musste er, wenn dieses nicht seh*i
vorher geschehen war, aus der Mumi<
schaft des Vaters austreten, j*ü
eigener Herr werden, mochte d
sich nun verheiraten und einen eigei
nen Hausstand gründen oder ooj
verheiratet bei seinem Vater
anderswo um Lohn arbeiten oder flj
die Schar eines Gefolgsherru ein
treten.
Die Völkerwanderung brachte ü
diese einfachen Zustände mancÜ
Verwirrung und anfänglich
falls nichts Schöneres. Schon d
6. Jahrh. liebten es reiche Ang^
sachsinnen, ihre Kinder Ammen i
übergeben, eine Unsitte, die in ■
höfischen Zeit allgemein wurde. Fi
die Knaben und Mädchen kam!
Zuchtmeister auf, ahd. magacz*r\
magazogo, mhd. magezoqe und
zogine, zuhtmeister una4 zukhn^ffl
IT
k
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Erziehung.
163
n'nue, zuerst ohne Zweifel für die {
Kinder des Königs und der Fürsten, I
ilann weitergreifend für die der
Vornehmen und des Adels über- \
haupt Kenntnis der Gesetze und
de* .Schriftrum» im Allgemeinen ver-
tagte eüien besonderen Unterricht,
•ier naturgemäss von Geistlichen ge-
I itet and gegeben wurde.
Dies wurde besonders durch
Karl d. Gr. weiter ausgebildet. Der-
se/be richtete sogar für seine Töch-
ter nebeu dem Unterricht im Weben
und Spinnen eine Art wissenschaft-
lichen Unterrichts ein. Besonders
tollten die Klosterschulen für den
L'nterrieht der Söhne des Adels
dienen; nach denn Vorbilde englischer
Fraueuklö^ter wurden durch eng-
lische Nonnen deutsche Frauen-
kloter gestiftet, besonders Bisehofs-
h^im an der Tauber, Stätten, die in
der Folgezeit die gewönlichen Er-
zi^hungsstatten für reichere Mäd-
chen worden, und iu denen nebst
feineren weiblichen Arbeiten auch
ritt gewisse wissenschaftliche Bil-
dung g. geben wurde; der Besitz
eine^ geschriebenen Psalters ist im
Mittelalter für die Frau Regel und
ßthlt zur Gerade (siehe den bes.
Art).
Weniger Erfolg hatten auf die
I-tüge Karls d. Gr. Bemühungen
um wissenschaftlichen Unterricht der
Knaben. Zwar waren in den Klöstern
neben den für den Nachwuchs der
Manche bestimmten inneren Schulen
besondere äussere Schulen für Welt-
?»-i>tliche und Laien eingerichtet;
die Folgezeit weist aber einen Stand
der Vornehmen auf, der von ge-
lehrter Bildung sehr wenig ange-
nommen hat. Dagegen hat die Aus-
bildung de» ritterlichen Stande* auch
eanz besondere konventionelle
Stanaeserziehung geschaffen. Ziel
derselben war vor allem höfische
Lebensart, zuht , hovescheit, im
'Gegensatz zur unzuht, dorperheit,
viiövetcheit sie beruhte auf einem
ständigen Benehmen, auf Kennt-
nis der gewöhnlichen Spiele, der
Musik und der Sprachen. Ausser
Weltgeistlichen , rlofkaplauen be-
sonders, bediente mau sich dabei
der Spielleute, die zugleich Sprach-
meister waren; französische kamen
nach Spanien, Italien und Deutsch-
land; deutsche Spielleute waren iu
Italien, deutsche Geiger in Frank-
reich im 13. -Jahrb. sehr beliebt. Für
die Knaben war frühe Übung im
Waffenspiel unerlässlich, ähnlich den
Knaben der Taciteisehen Zeit; sie
lernten Strapazen ertragen, reiten,
laufen, klettern, springen, mit dem
Bogen schiessen, den Speer werfen,
mit Schild, Lanze und Schwert
kämpfen. Ein eigentlicher Fecht-
meister hiess schirmmeister. Wenn
in den Dichtungen dieser Zeit häufig
das 7. Jahr als der Beginn solcher
Erziehung angegeben wird, so
scheint das nient germanisch, son-
dern von den Römern hergebrachte
Sitte gewesen zu sein. Dagegen ist
es germanisches Recht, wenn der
Knabe mit dem 12. Jahr an einen
fremden Hof geschickt wird, um
dort unter der Obhut eines befreun-
deten Mannes zum Ritter heranzu-
wachsen, er gehört dann unter die
leint; er war zu seinen Jahren ge-
kommen, er rersan sich, d. h. er
war zur Besinnung, zum eigenen
Denken und Handeln gelangt. Die
letzte Staffel vor der Ritterwürde
nahm der Knappe ein, der seinem
Herrn schon in dem Ernst des Le-
bens ein Begleiter war, und die alt-
germanische Wehrhaftmachunq er-
hielt sich endlich im sog. Ritter-
schlag, in der swertleite. Näheres
beim Artikel Rittertum.
In der Folgezeit kommen für die
neuen Verhältnisse auch neue Bil-
dungsmittelauf; für Kunst und Hand-
werk Lehre und Wanderschaft, für
die gelehrten Stände die niedere und
die hohe Schule, für den Adel das
Reisen. Weinhold, Deutsche Frauen,
Abschn. IV; Schulze, Höfisches
Leben.
11*
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164
Eselsfest. — Eulenspiegcl.
Eselsfest heisst eine im Mittel-
alter in mehreren Städten Frank-
reichs gefeierte Volksbelustigung.
Zu Rouen war das um die Weih-
nachtszeit begangene fesfutn asino-
rum ein auf die Vorhersagung der
Geburt Christi sich beziehendes
Schauspiel: Moses und die Propheten,
dann ^ irgil und die Sibylle als Re-
präsentanten des Heidentums prophe-
zeiten die Ankunft Christi, ebenso
— als Hauptszeno — Bileams Esel,
durch den Mund eines zwischen
seinen Beinen versteckten Priesters.
Die Szene der Männer im feurigen
Ofen und ein von sämtlichen Mit-
spielern gesungener Chorgesanj*
schloss das Spiel. — Zu Beauvais
und Sens beging man am 14. Jan.
ein Eselsfest zur Erinnerung an die
Flucht nach Aegypten. Schmidt in
Herzogs Real-Encykl.
Etzel, eiue bekannte Person der
deutschen Heldensage. Die Gruud-
züge seiner Sage sind folgende:
Etzel, Botelungs Sohn, erobert sieh
Hünenland und überlässt seinem
ältern Bruder das väterliche Reich.
Dann wirbt er um Herche, Oserichs
Tochter. Sie wird ihm versag,
aber Markgraf Rüdiger kommt in
einer Verkleidung an ihres Vaters
Hof und entführt sie zu Etzel, der (
nun in fortwährender Feindschaft mit
Oserich lebt. — Etzels Zug (jenen
Waldemar. Oserichs Bruder. Diet- 1
rieh, Waldemars Sohn, wird vom
Berner gefangen, Herche heilt seine
Wunden. Er entflieht, aber der
Berner holt ihn ein und haut ihn
nieder. Grosse Sehlacht zwischen
den Hünen und Russen, völliger!
Untergang Waldemars und Erobe- j
rung von Russlaud. — Etzel hat
nach dem Tode der Herche um
Kriemhild geworben, und diese hat
in der Hoffnung, dadurch an den
Feinden Siegfrieds Rache nehmen
zu können, eingewilligt. Siehe
von jeher
einp'wi
Sibelungenlied, Es la
auf der Hand, den Held der Sage
mit dem historischen Hunnenkönig
Attila zu identifizieren, und es i>t
kein Zweifel, dass der historisch»
Attila zur Ausbildung der Sagen
gestalt Etzels beigetragen hat; ob
aber der sagenhafte Etzel aus der
historischen Person Attilas hervor-
gegangen, ist sehr zweifelhaft. D»t
dem deutschen Etzel entsprechen»]»
nordische Held Atli stimmt in vielen
Beziehungen gar nicht zum histori
sehen Hunnenkönig.
Eulenspieg-el , der Name ehre
Schalksnarren, auf den zahlreich«
Schwänke der wandernden H;<wi-
werksburschen und sonstiger fahr» •«•
der Leute, ältere und neuere. fremd*
und einheimische, oberdeutsche un I
niederdeutsche übertragen wurden.
Die auf einen Grabstein sich stützen!
Nachricht, dass er 1350 zu Mölln,
einem Städtchen bei Lübeck gertor-
ben sei, ist urkundlich nicht belegt
Sicher ist aber, dass der Nam«1
Eulenspiegel als der eines Schalk?
narren und Schwänke von ihm lan^e
vor dem ersten bekannten Volk-
buche vorhanden waren; ßpitgd
scheint hfer eine ähnliche Bedeutung
wie im Schwabenspiegel, sjieevh'*
hutoriale u. dgl. gehabt zu haben
Die erste bekannte Ausgabe ist vom
Jahre 1519, oberdeutsch geschrieben,
und wird in einer Spottschrift an:
Murner diesem zugeschrieben, wa?
ebenfalls nicht näher nachzuweisen
ist; jedenfalls war das Buch nr
sprünglich niederdeutsch verfaßt,
da der Held in Niedersachsen n\
Hause ist: „Bei dem wähl Mt!m*
genannt, in dem land zuo Sachsen,
in dem dotf Knetlingen, da *rari
llnspieqel gebor n, und sein raff
hiess Claus llnspiegel und tev*
muoter Ann Wifcken." Der Älteste
nachgewiesene Druck ist zu Stra*
bürg 1519 erschienen, und das Buch
wurde von da an das am meisten
verbreitete Volksbuch und ins Ni,>-
derländisehc. Französische, Eng-
lische, Polnische und Lateinisch^
übersetzt. Fischart brachte es in
Reime. Die älteste Ausgabe samt
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Evangeliariam. — Evangelisten. 165
Abhandlungen bei Lappenberg, Dr. Bearbeitung des von der Lrau Ära
Thomas Mürners l'lenspiegel. Leip- um 1100 gedichteten Lebens Jesu,
zig 1854. welche jüngere Bearbeitung man die
ETan?eliariam 9 sc. volumen, (rtiWrVrerEvaugelieuharmonie nennt,
heisst das Buch, welches die zum Evangrelienseite he isst diejenige
öffentlichen Vorlesen bestimmten Seite des Altars, welche rechts von
Abschnitte der Evangelien enthielt, dem auf dem Altare stehenden Kru-
wie Epitfolare, EpisMari um. die Ab- zifixe ist, also gewöhnlich die nörd-
schnitte aus den apostolischen Brie- liehe ; von der auf dieser Seite be-
feo. wozu auch die Apostelgeschichte fiudlichen Kanzel werden die Evan-
und Apokalypse gerechnet wurden, gelien verlesen.
Beide zusammen neissen auch Lee- Evangelisten werden in der äl-
tijnarium oder Lectionarium pfenum. testen Zeit symbolisch durch vier
Schon Chrysostomus tadelt es, dass Schriftrollen in den vier Ecken eines
man prächtige Pergamentexemplare griechischen Kreuzes oder als vier
solcher Bücher mit kostbaren Ein- Bücher , oder als vier Flüsse dar- •
banden und goldenen Buchstaben gestellt, die aus einem Felsen messen,
mehr liebe, als fleissiges und an- auf welchem Christus alsdann mit
dachtiges Bibellesen. Auch fiir die der Kreuzfahne steht. Schon im
Synoden, die Gerichtssäle, besonders 2. Jahrh. werden die spätem vier
zu in behufe der Eidesleistungen, bei Evanqelistenzeichen erwännt, die um
Bisehofsweihen , Krönungen wurde j 600 folgendermassen von Hierony-
<hs Evangelieubuch notwendig. j mus erklärt werden: Matthäus bc-
ETangeüenharraonien heissen kommt den geflügelten Menschen,
Zusammenstellungen der vier Einzel- j nicht Cherub oder Engel, weil sein
Evangelien in einem Gesaintcvange- Evangelium mit der menschlichen
lium. Der erste, der dieses that, ist Abstammung Christi begiunt; Mar-
der Assvrer Tatian, der, von sek- kus den Löwen, weil er sein Evan-
tiererischem Interesse geleitet, die gelium mit der Stimme Johannes
evangelischen Berichte mit willkür- des Täufers in der Wüste beginnt
liehen Auslassungen, z.B. der Genea- und weil bei ihm die königliche
Jopen zusammenstellte; dieses Werk, , Würde Christi, des Löwen vom
einst beliebt, ist verloren gegangen. Stamm Juda, des Auferstandenen,
Ebensowenig erhalten ist die Har- überwiegt; Lukas erhält den Stier,
monie des Alexandriners Amnwnius, | d. h. das Opferrind, weil sein Evan-
Lehrers des Origenes, um 224 , der gelium mit dem Opfer des Zacharias
*ich die Aufgabe stellte, den voll- beginnt, das Tier deutet auch auf
staudigen Text der vier Evangelien deu Opfertod Christi; Johanns er-
zusammenzustellen. Erhalten ist bloss halt den Adler, weil er sich gleich
die vom Bischof Viktor von Capua am Anfang seines Evangeliums zum
000 redigierte lateinische Evangelien- Mittelpunkte des göttlichen Glanzes
harmonie aus dem 6. Jahrb., deren erhebt
Öriginalhandschrift durch Bonifatius Die bvzautinische Kunst stellt
nach Fulda gebracht und hier ins die vier Gestalten häufig in einer
Deutsche übersetzt wurde, heraus- Viergestalt oder einem Tetramorph
gegeben von Schindler 1841, und dar, und zwar entweder in einer
Vierers. 1872. Mit dem Namen Eugelsgestalt , welche sechs mit
Erangelienharnvmie benennt mau Augen besäete Flügel hat, in der
auch die beiden christlich-deutschen Mitte der Mensch, oder in monströser
Epopöen des 9. Jahrb., diejenige des Tiergestalt, animal ecclesiae, Reittier
Otfried und den angelsächsischen der Kirche, z. B. im Hortus delicia-
I&Hand, und endlich eine jüngere rum der Herrad von Landsberg mit
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166
Ewiger Jude.
vier Köpfen der Evangelistenzeichen
und vier Beinen, die von vier Tieren
entnommen sind. Im Abendland
erschienen die vier Gestalten meist
einzeln und zwar in der ältem Zeit
geflügelt als ganze Figur, später tritt
aie Menschengestalt mit dem Kopf
des betreffenden Zeichens ein.
Die Evangelisten werden auch
mit den vier grossen Propheten zu-
sammen, auf ihren Schultern sitzend,
dargestellt, oder mit den vier grossen
Kirchenlehrern. Persönlich darge-
stellt tragt Matthäus ein Buch und
sehreibt sein Evangelium, Markus,
' als kräftiger Mann mittleren Alters,
mit langer Nase, tiefgezogenen Au-
genbrauen, schönen Augen, kahlem
Kopf, herabfliessendem Bart, mit
untermischten grauen Haaren; der
Sage nach ist er von St. Petrus be-
kehrt und dessen Lieblingsschüler;
über seinen Gebeinen ist die Markus-
kirehe von Venedig erbaut. Lukas,
Lieblingsschüler des Paulus, soll in
Griechenland und Ägypten das Evan-
gelium gepredigt haben. Dass er
Maler gewesen sei, lässt sich seit
dem 10. Jahrh. nachweisen. Mit
dem Buch und geflügeltem oder un-
geflügeltem Rind wird er gewöhn-
lich oartig dargestellt. Johannes
hat als Evangelist und Verfasser der
Offenbarung den Adler und ist in
der älteren Kunst ein Mann mit
weissem Haar, langem Bart, später
oft jugendlich, bartlos. Nach Müller
und Mothes, Arch. Wörterb.
£wiger Jnde. Die Hauptveran-
lassung zur Annahme eines ewigen
Wanderers waren ohne Zweifel die
Bibelstellen Matth. 16, 28 u. Joh. 21,
20 ff., welche man darauf deutete,
dass Johannes dieWiederkunftChristi
erleben werde. Man meinte, entwe-
der sei er lebendig in das urab ge-
stiegen, wo er nur schlummere, oder
er sei nur scheinbar gestorben und
habe später die Gruft wieder ver-
lassen; auch war die Ansicht ver-
breitet, Johannes werde erst zugleich
mit Elias durch den Antichrist sei-
nen Tod finden. Man hat auch Kunde
von verschiedenen Betrügern , die
sich für den Apostel Johannes aus-
gaben. Eine andere biblische Per-
sönlichkeit kann naeh der mittel-
alterlichen Sage den Tod nicht nnd-n.
nämlich jener Diener des Hohen-
priesters Kaiphas, der Christo einen
Backenstreicn versetzte; die Sa^e
identifiziert ihn mit Malehus, dem
Petrus das Ohr abhieb, welches Chri-
stus wieder heilte. Er ist verurteilt,
unter der Erde um die Säule n
laufen, an welche Christu« vor sei-
ner Kreuzigung gebunden wurde. In
seiner Verzweiflung sucht er sich
immer von neuem den Tod zu ge-
ben, indem er mit dem Kopf an die
Säule stösst. Er kommt auch unter
dem Namen Joseph vor. Mitbestim-
mend zur Entwickelung der Sace
vom ewigen Juden war wahrschein-
lich die apologetische Tendenz, Ein
würfen der Juden und anderer Zweit-
ier gegenüber, die Lehre von Christum
durch Aussagen eines noch lebenden
Zeitgenossen Christi zu unterstützen.
Der älteste bis jetzt nachweisbare
Beweis über jenen Joseph findet siefc
in den Mores historiarum des Roger
von Wendoicer, £est. 1237, eines Mou-
ches der Abtei St. Alban in En Ir-
land; derselbe erzählt, ein arme-
nischer Erzbischof sei einmal nach
St. Alban gekommen und habe fol-
5 ende Nachricht über den ewigeu
uden mitgeteilt: Der Jude Gtrto
philus war Pfortner des Palastes iui
Dienste des Pilatus. Als nun th>
| Juden Christus aus dem Palast
! schleppten, versetzte ihm der Pfbrr
ner unter dem Thor einen Schlag
mit der Faust und sprach: „Gehe
hin, Jesus, immer gehe schneller,
was zögerst du?" Jesus sah sich un
mit strengem Blicke und erwidert«- :
„Ich gehe, Du aber sollst warten,
bis ich wiederkomme." Der Pfört
ner war damals 30 Jahre alt. aber
allemal, wenn er wieder 100 Jahr-
zurückgelegt hat, wird er von einer
Schwäche ergriffen, fällt in Ohn-
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Exhortatio ad plebem christianain.
167
macht. dann wird er wieder gesund
und lebt wieder auf. Er hat sich
von Anan Li? taufen lassen und den
Xameu Joseph erhalten, führt als
i Tirist ein frommes, strenges Büsser-
leben, in der Hoffnung, dereinst be-
gnadigt zu werden. Der Name Car-
taphilus ist ohne Zweifel aus xuqut
ftio:,.MhT geliebt'4 entstanden und
erinnert an Johannes. Die Erzählung
Rogers findet sieh mit nur geringen
Ergänzungen bei versehiedenen spä-
tem Schriftstellern. In ein neues
Ge wand gekleidet erscheint sie dann
im Anfang des 17. Jahrh. zu einer
Z*-it, wo das christliche Europa in
hohem Grade durch die doppelte
Nachricht in Schrecken gesetzt war,
da-s der Antichrist erschienen sei
und von Babylon, wo er geboren,
^inensiegreienen Feldzug angetreten
habe, und dass der jüngste Tag
nahe sei. Im Jahre 1602 erschien
unn anonym die „Kurtze Betchrei-
1 1 nutiund Erzählung von einem Juden
%iit Samen Ahasreruf^ gedruckt zu
Xeyden bei Christoph Creutzer".
Hierin erzahlt der Verfasser, dass
er und andere Studenten wiederholt
vv-d dem nachmaligen Bischof von
Nrhleswig. Paul von Eitzen, ver-
dünnen, dass er im Jahr 1542 auf
tiner von Wittenberg < wo er stu-
«ürrtej nach Hamburg unternomme-
nen hVise am letzten Orte in der
Kirche einen Mann im Alter von
oagefabr 50 Jahren getroffen, der
ifiLi durch sein sonderbares Beueh-
meu aufgefallen sei Es war eine
zr'jdse Gestalt mit langen, über die
Achseln herabhängenden Ilaaren,
^•kleidet mit zerfetzter Hose und
einem Rock, über dem er einen bis
auf die Füsse reichenden Mantel
tni£. Trotz des harten Winters er-
^beu er in der Kirche barfuss.
Auf Befragen hätte er sich für einen
>chuhmacHer aus Jerusalem, mit
Namen Ahanreru* auagegeben, wei-
ther Ton Christus, dem er auf dem
Wonach Golgatha eine kurze Rast
Einern Hause verweigert, zu ewi-
ger Wanderschaft verurteilt worden
wiire. Die Druekbezeichnungen
„Levden" und „Christoph Creutzer"
sind jedenfalls fingiert, ebenso auf
schnell folgenden Ausgaben der
Druckort ,. 11 nutzen bey Wolfgang
Suchnaeh", wie nicht minder der
Name des Herausgebers folgender
Drucke: „Chrysostornus Duduliius
aus Westfalen", ein bis jetzt noch
nicht enträtseltes Pseudonym ist.
Bald verbreitete sieh das Büchlein
in die Litteraturen fast aller europä-
ischen Sprachen.
Einige Züge der Ahasverussage
werden auf den Gott Wodan ge-
deutet: der ewige Jager ist zum ewig
Wandernden geworden; er trügt wie
Wodan einen breiten Hut, einen
grauen zerfetzten Mantel und Nagel-
schuhe, und zahlreiche Volkssagen
haben die uralte Bedeutung dieses
ewigen Juden erhalten. In der
Schweiz heisst er auch Pilatus oder
Pilger von Rom. Als er das erste
Mal in den Winkel des Rheines kam,
wo jetzt Basel steht, fand er einen
schwarzen Tannenwald, das zweite
Mal ein breites Dornengestrüppe,
das dritte Mal eine vom Erdbeben
zerrissene grosse Stadt. Auch über
die Grimscl und das Matterjoch ist
er mehreremal gekommen und hat
bei seinem ersten Hinübersteigen
nichts als Weinberge gesehen, wo
jetzt Gletscher und Sehneefelder
sind. Des Juden Stecken und Schuhe
wurden als Rarität in der öffentlichen
Bibliothek zu Bern aufbewahrt.
Grässe, die Sage vom ewigen Juden,
Dresden, 1844. — Wolf\ Beiträge
zur Mythol. I. — Neubau r} Die
Sage vom ewigen Juden. Leipzig 1884.
Exhortatio ad plebem ehr Ist la-
nam heisst eine lateinisch und deutsch
abgefasste Anrede des Priesters an
die erwachseneu Glieder seiner Ge-
meinde , worin diese aufgefordert
werden, das apostolische Glaubens-
bekenntnis und das Vaterunser selbst
zu lernen und ihre Taufpaten zu
lehren. Nach Müllenhoff u. Seherer
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168 Facetiae. — Fahne.
Denkmäler deutscher Poesie und und wurde die deutsche Übersetzung
Prosa, verdankt der lateinische Text zu Anfang des Jahres 802 wohl auf
der von Karl d. Gr. berufenen Synode Veranlassung des Bischofs Otto von
vom November sOl seine Entstehung, Freising (782— $10) angefertigt.
p.
Facetiae. Sammlungen kurzer,
witziger Einfälle, Stichelreden in
lateinischer Sprache, sind nach anti-
ken Vorbildern unter diesem Namen
zuerst von dem italienischen Huma-
nisten Vogtjim liracciolanu.s, gest.
14.r>9, gesammelt worden und zuerst
1470 im Druck erschienen; sie ent-
halten 273 Facetien und wurden in
ganz Europa gelesen. Von späteren
Sammlungen haben sich einen Namen
Semacht die facetiae des Heinrich
lebet, eines wirksamen Humanisten,
der als Professor in Tübingen Lehrer
M«'lanchthons war, gest. 1514; seine
Facetiae. zuerst 1508 erschienen,
waren sehr beliebt und wurden mehr-
fach ins Deutsche übersetzt. Sie
bilden die Grundlage von Kirchhofs
Wendunmut ; sodann sind erwähnens-
wert die Joel et Safes mire festivi
des Othomar Luscinius die Facetiae
des NicodemusFrischlin, 1547-1590;
die Jocomm et seriorum UM duo
des Otto Melander, zuerst 1600 er-
schienen.
Fahne. In älterer Zeit führten
die deutschen Völker gewisse Bilder
als Feldzeichen, auf Stangen be-
festigte Tierbilder, des Ebers, des
Stieres, der Schlange. Daneben er-
scheint schon in heidnischer Zeit als
Zeichen für die Bewegung der Heer-
scharen die Fahne; es giebt dafür
zwei Worter, einmal das bandum,
vandum, bandora, vom Verb binden,
spät»-)- ii litt« Hat. banderia, baneria,
banerium, woraus ital. bandie'ra, franz.
bannilre, daraus mhd. die und das
baniere, banier, im 14. Jahrh. das
paner ; das andere Wort ist got. der
fana = Zeugsrück, wurzelverwandt
mit lat. pannus - StückTuch, Lappe.
Binde; ahd. der fano, mhd. das rat*,
van und die rane, nhd. Fahne, h
ist das an den Speerschaft gebundene
Feldzeichen, mit dessen Erhebung
das Zeichen zum Beginne des Kampfe?
gegeben wird, wie mit dem Senken
derselben die Waffenruhe eintritt
Der fliegende Adler über einem Dra-
chen und Löwen, der im 6. Jahrh
als heiliges Feldzeichen der Sachsec
erwähnt wird, das Rabenbild der
heidnischen Normannen waren Fab
neu. Zuerst wurde die Fahne, tri*
tum, von bewährten Helden edelu
Geschlechtes getragen, die nach alter
Sitte zu Fusse Kämpften. Altdeutsch
heisst die Kriegsfanne gundfano. von
(jundja, woraus alt franz. 'qonfamn.
ital gonfalone = Kriegsfahne, nea-
franz. dagegen ist gonfalon eint?
Kirchenfanne; ital. qonfafoniere,pon-
fatoniero ist Bannerherr, gonfalonä*
eine Mannschaft, die einef Fahne
folgt; mittellat. ist yuntfanonari**
der Bannerträger. Mittelhochdeutsch
heisst die Hau utf ahne sfurmrane. her-
ranc\ sie wurüe dem Heere zuRos*
vorangetragen. Daneben hatten die
einzelnen Haufen ihre besonder«
Fahnen von geringerer Bedeutung
Wurde die Fahne auf einer belager-
ten Burg aufgesteckt, so war «ie ge-
fallen; wurde sie in der Schlacht
von einer Seite freiwillig gesenkt,
so gab sich diese fiir besiegt h»
Italien kam der Fahnenwagen anf
das Carroccioy zuerst von den Msn
hindern 1038 erwähnt. Zu Anfang
des 12. Jahrh. kam diese Einrich
tung nach Deutschland, mhd. die
karrusche. kamtfsche, harrtUche. dtf
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Fahrende Schüler. ^ 1 09
und die kanossch, karrutsch, kar- j scholares rasantes, aus ra^anto durch
misch, karrdsch, englisch und deutsch Volkswitz korrumpiert auch Bachan-
auch Standart genannt , mhd. der ten mit Anlehnung an Bacchus. Die
t'andhart, mit Anlehnung an Stand erste Form dieser im Mittelalter sehr
und hart aus franz. csiendarty itat. zahlreichen Men^chenklasse sind die
tfcndarto. von lat. extendsre = aus- clcrici rasantes, die im II. und 12.
bn iten, auch lief r tragen kommt vor. Jahrhundert ohne bestimmtes Amt
Ein boh^r Mastbaum, der das Fahnen- ein freies Wanderleben führten und
Meli tragt, ist auf einem vierräde- als Kaplane, Gesellschafter u. dgl.
ripo Wägen befestigt. Der Wagen au den Höfen Dienste fanden. Aus
wird immer von Ocnsen gezogen; ihnen entwickelt sich im 13. Jahrli.
zuweilen war noch eine Glocke auf der geschlossene Stand der Gutta rden,
dem Wagen augebracht. Auf einem franz. gouliards, wandernde Gesellen
gnwKn Fahnenwageu hatte sogar mit viel Vorliebe für Dichtkunst,
eine eigene Besatzung Platz. Das die zwar im Gebrauch der lateinischen
Fahnentuch ist meist seiden; die Sprache ihrem klerikalen Charakter
Farbe der Sturmfahne Ist rot oder treu blieben, dagegen in der freien,
weiss. Die Fahnentücher werden fröhliehon, dem Leben entnommenen
er>t kurz vor der Schlacht an die Darstellung wenig kirchlichen Cha-
Stangengebunden. Fliegende Fahnen rakter aufwiesen. Von ihnen stam-
sind daher das Zeichen der Kampf- men u. a. die Carmina burana (siehe
bereitschaft. Die alten Kriegsord- diesen Artikel I. Es sind nicht mehr
niingen leeten dem Fähnrich auf, durchgängig wirkliche Kleriker,
in anbefohlen Fähnlein zu ver- j sondern zum Teil Studenten, die erst
wahren und in Ehren zu halten, Kleriker werden wollen. Im 14. Jahrh.
gleich »einem eheliehen Weib, werden sie ganz aus dem geistliehen
Würde er vom Feinde so gedrängt, Stande ausgestossen und treiben sich
da.-* ihm die rechte Hand abge- bei den Bauern als Zauberer und
fclioasen wäre, soll er das Fähnlein Hexeubanner, Wunderdoktoren und
Kuppler umher; ihnen verdankt man
wahrscheinlich die aus dieser Zeit
erhaltenen Mischlieder in Latein und
Deutseh. Erst gegen Ende des 14.
Jahrhunderts kommen die eigent
liehen Bachanten auf, alte Schul-
iu die linke nehmen, und wird ihm
di" auch abgeschlagen, es mit den
Stumpfen an tdch ziehen, sich da-
eiu wickeln, Leib und Leben da-
;>ei lassen.
Die Fahne ist nebst der Lanze
in Symbol der Belehnung. Schon buben und wandernde Provisoren,
Papst Stephan schickt Karl Martell die den Stadtschulen nachgehen und
jif Schlüssel zum Grabe des hei- sich als Unterlehrer vermieten. Auf
igen Petrus und die Fahne der j den Wanderungen führten sie kleine
;tadt Rom, der Patriarch von Jeru- Knaben, A-B-C-Schützen genannt,
■km ähnlich Karl dem Grossen mit sich, angeblich um sie in eine
lie Schlüssel zum heiligen Grabe gute Schule zu bringen und selbst
amt einer Fahne. Bei feierlichen zu unterrichten, in Wahrheit um sie
{ •lehnungen wurde regelmässig für sich betteln und stehlen —
uje Fahne übergeben. Die rote schiessen — zu lassen. So ein A-B-
»latfahne ist das Symbol des Blut- C-Schütz war Thomas Pia f er, 1499
»annes. Bei Märkten steckte man bis 1582, später Rektor zu Basel,
um Zeichen der Marktfreiheit Fah- dessen Selbstbiographie allgemein
ien auf. findenschmii. I, 275. — bekannt ist und das anschaulichste
y-hultx. Höfisches Leben. San Marie, Bild dieses Treibens abgiebt. Ähn-
fi*affenkunde T. IL A. 3. lieh die Biographie des Burkhardt
Fahrende Schiller, scholastici, Zingg in den scriptores rerum Bot-
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170
Fahrendes Volk.
earum, l. Zahlreiche kirchliche Stif-
tungen sorgten für den Unterhalt
dieser Leute, fralm in Schmids
Encykl. — Giesebrecht in Allgem.
Monatsschrift f. Wissenschaft und
Litteratur. 1851.
Fahrendes Volk. Der im Mittel-
alter vielgenannte Stand 6er Fahren-
den, die um Lohn ihre Künste auf-
führten, ist den Deutschen ursprung-
lich fremd; denn die alten deutschen
Sänger, ob sie schon auch ein Wan-
derleben nicht verschmähten, und
sich wohl auch als Boten gebrauchen
Hessen, sangen nicht um Gut und
und Geld; auch die Dichter und
Meister der hofischen Zeit, wenn sie
schon oft gezwungen waren, mit
ihrer Kunst ihr Brod zu suchen,
sind keine Fahrenden: ihre Kunst
adelte sie. Vielmehr liegt der Ur-
sprung der Fahrenden in den römi-
schen Gauklern und Mimen, jocu-
latorrs, hist Hönes, thume/ici, die sich
in die germanische Welt hinein er-
hielten. Im südlichen Frankreich
gediehen diese Banden am zahl-
reichsten, von da aus fanden sie
den Weg nach Deutschland, wo
man besonders in den Glossen ihre
Namen findet: sinltiman, seurra,
mimus, histrio, tnymelieus scenicus,
tiimAri, sprangt ri , d. h. Spielleute,
Posscnreisscr, Tänzer, Springer u.
dgl., nie Sänger oder Harfenspieler;
auch Weiber, tpilwip, fand man
unter ihnen, die sich schlechten
Rufes erfreuten. War diesem Volke
jedoch die Poesie noch längere Zeit
verschlossen, so nahmen sie sich
doch bald der Instrumentalmusik an,
sie wurden spilman oder spilliute
im engern Sinne. Zu den Flöten,
Lauten und Pauken, die sie zu ihren
Tänzen brauchten, traten mit der
Zeit Harfen, Fidein und Geigen,
später Rotte, Laute, Querpfeife,
Dudelsack. Drehorgel, Horn, Trom-
pete, Posaune und Trommel. Noch
weitern Boden gewann dieser Stand
dadurch, dass sich leichtsinnige
Geistliche und Mönche unter sie
mischten; als Vaganten (siehe diesen
Artikel) lebend, dichteten sie volks-
mässig empfundene und gedachte
Lieder iu lateinischer Sprache, wo-
zu ihnen einige Kenntnis der an-
tiken Dichterwelt und der kirch-
lichen Poesie und Musik zu statten
kam. Von ihnen lernten die nie-
deren Spielleute Gesang und Dich-
tung in den Kreis ihrer bisherigen
Kunstübungen einzuziehen. Dadurch
entsand eine Spaltung in ihren
Stande. Die besseren unter ihnen
traten zu den adligen Minnesängern
als Begleiter ihrer Gedichte mit Fiedel
oder Rotte in ein näheres Verhidtni?
Auch eigene Dichtungen, wie die
Legende vom heiligen Oswald, ili-
erzählenden Gedichte von Kother,
Salomon und Morolf schreibt maD
ihnen zu, in roher aber lebendig*
Form, zum Teil in roher und gemeiner
Auffassung geschrieben; mehr aber
gaben sie sieh ab mit der Pflege
schon vorhandener Geschichten un-1
Schwänke, aus römischen, byzan-
tinischen und morgen ländlchen
Quellen.
Die Masse der Fahrenden *d
Gehrenden jedoch blieb bei ihren
niedrigen Künsten stehen. Von ihnen
spricht der Kanzler, ein Minuesinger
der späteren Zeit:
Mannte herre mieh des r raget,
dar traz der aernden si so tS;
ob in des niht betraget (verdrießt .
dem teil ich Itetiuten, ob ickz
wie ez um die gernden si:
Ein gernder man der triugtf.
der ander kan tcol zabelspit,
der dritte hoveliuget,
der vierte ist gar ein gumpelmdi.
der vünfte ist sinnen rri,
so ist der sechste Spottes tW,
der sibende Kleider koufet,
der ahte leder/iset tcol (schmtf
ehelt),
der niunde umbe gäbe laufet,
der zehende h/tt ein dime,
ein wip, ein tohfer, unbehttof;
den gebeut niutee unde virne (d. h
neue und alte Kleider '
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Falkenbeize.
171
f/iV kerren durh ir toerschen muot:
m fftbent durh leimst niht guot.
Diese fahrenden Leute der nie-
dern Art, vamdtz ro/-c, varndiu diet,
<-\trmle Hute, fanden sich überall ein,
wo ea etwas zu verdienen gab, be-
sondere bei Festen. Sie verstanden
:-ich auf Seiltänzerstücke, Spiele mit
Marionetten, Messerwerfen, Beeken
mit .Stecken auffangen, Steine zer-
kau»^, Feaer fressen und aus dem
Munde blasen. Sie ahmten die Stim-
me der Nachtigall , des Rehs, des
H*ue$ nach, wirkten als Kunst-
reiter. Manchmal gab es für sie
fpUhvs, tkeatra. Rechtlich standen
«e tief ; sie hatten kein Recht und
kvine Forderung an Busse. Der
5 hwabenspiegel enterbt den Sohn,
der gegen seines Vaters Willen
Jeimann wird, und erklärt die
v Ikute für rechtlos; die St.ult-
«fhte verweigerten ihnen den Zu-
tritt oder zwangen sie zu öffentli-
chen Arbeiten. Man nahm an, sie
«oen dem Teufel verschrieben.
Haar und Bart Schoren sie nach
»Iter Art unfreier Leute. Zu den
Fahrenden im weitern Sinne gehören
6 Bettler, fahrende Schüler, Kessler,
Zigeuner, Bettelmönche oder Statio-
närer. Landsknechte und Wallfahrer.
deutsche Fr. VIII. —
S-kuUz. Höf. Leben, I. vi.
Filkenbeize. Aus der Etymo-
log* der Falkennamen vermutet man,
lln die Falkenjagd zuerst bei den
•j< rmanen in Aufnahme gekommen
and von da zu den Romern und
Kdi-rn europäischen Völkern über-
taten worden sei. Die besonderen
mittelhochdeutschen Namen der ver-
miedenen Falkenarten sind ger-
"dtr qirvalee, sariers, aus altfr.
■ißrt, lat. falco sacer, pifgrimratee,
«*'wfoe. habeeh,sparwaer ( Sperber ),
f»«W * Zwergfalke, terce. Der Falke
W erst brauchbar, wenn er sich
ü*ch dem ersten Jahre zum ersten-
Jjl f?» mausert hat, ein müzervalce,
■»saerf. Der abgerichtete Vogel
te-mx auch vederspil. Die jungen
Vögel werden entweder dem Neste
entnommen oder eingefunden, selte-
nere Arten auch von Kaufleuten
! erhandelt. Zur Zähmung blendet
! man sie einstweilen, indem man
durch die unteren Augenlieder
einen Faden zieht und denselben
! aufbindet; auch werden ihnen die
Fänge abgestumpft. Darauf wird
dem Tiere an jedem Fuss ein würfet,
d. i. ein Riemen aus weichem Leder,
angelegt, von dem ein kleiner Ring
herabhängt; durch die Ringe ist
| ein längerer Riemen, lancvezzel ge-
! zogen, womit der Falke an seiner
Stange angebunden und beim Traden
auf der Faust festgehalten wird.
An einem oder an beiden Füssen
ist eine Schelle angebunden. Die
Hand, auf die der Falk sich setzt,
ist durch eineu starken Lederhand-
schuh geschützt; der lancvezzel wird
um den kleinen Finger gewiekelt.
Nun wird das Tier Tag und Nacht
auf der Hand getragen, geätzt, an
die Hand des Führers und au
den Klang seiner Stimme gewöhnt.
Ist das einigermassen gelungen, so
werden ihm die Augen zuerst halb,
dann ganz geöffnet und er nun auch
so gezähmt. Bei den Orientalen war
statt der Blendung die lederne Kappe
oder Häufte gebrauchlich, mit einem
Loche für Schnabel und Nasenlöcher;
Friedrich II. führte sie zuerst im
Abendlande ein. Sie wurde dem
Tiere erst abgenommen, wenn das
Wihl in Sieht war.
Die Abrichtung des Falken ge-
schah entweder von Liebhabern und
Freunden dieser Kunst, wie z. B.
Kriemhilds Traum zeigt, oder von
einem dazu bestellten Diener, dem
valkenaere, \&L falconarius, von dem
man ganz besondere Eigenschaften
des Körpers wie des Gemütes ver-
langte. Die Vögel, auf die man
I mit dem Falken beizte, waren Kra-
I nich, Reiher, Schwan, Trappe, Fasan,
I Feldhuhn, wilde Gans, Ente, Taube,
Brachvogel, Kiebitz, Staar und Ler-
' che. Besonders abgerichtete Vogel-
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172
Fall. - Familie.
hundc «eheuchten das Wild auf,
ebenso Trommellärm. — Über die
Falkenbeize haben u. a. Kaiser Fried-
rich II. ein Buch De arte venandi
cum atnbus, und Albertus Magnus
De Falconibus. Asturibits et L-iccipi-
tribus geschrieben, beide zusammen
Augsburg 1596 gedruckt. — Nach
Schultz, Höfisches Leben L, 368 rV.
Fall, Tot lall heisst dasjenige
Stück der Hinterlassenschaft eines
unfreien oder hörigen Hintersassen,
da« an Stelle des ganzen Erbes,
welches in früherer Zeit dem Hof-
herrn anheimgefallen war, schliess-
lich noch als Symbol und Zeichen
von der Erbfähigkeit des Hofherren
übrig blieb. Es besteht aus dem
besten Pferd, der besten Kuh, Esel,
Schwein, Schaf, bis zur besten Gans
oder zum besten Huhn; oft aber aus
dem besten Kleide, zumal «lern besten
selbstverfertigten Kleide. Die zahl-
reichen Namen für den Fall sind
Besthaupt, optimum caput, jus capi-
tale , Teuersthau.pt , Hauptrccnt,
Hauptvall, Vallrecht, Sterbfall, Tot-
fall, Totenzoll, tote Hand, Liiss oder
Geläss, Erbding, Sterbhaber, Erb-
recht, Leibfall, Leibpfennig, Haupt-
zins, Gewandfall, Watmal, Bestc-
watmal, kurmiete, bittet i f, bü teeteil,
meist ein Teil des Hausrates oder
der gesamten fahrenden Habe an
Frucht und an Futter. Schon Ur-
kunden des 8. und 9. Jahrh. er-
wähnen des Besthauptes, sehr häufig
ist es seit dem 11. Jahrh.
Fallgatter, mhd. schoztore, tlage-
tore, ralporten, franz. herses, sarra-
sitis, mittellat. chlatrae, cataractae,
hatte das Thor der mittelalterlichen
Burg zuweilen zwei. Das eine lag
dann unmittelbar hinter der eigent- j
liehen Pforte, das andere am Innern
Ausgange des Thordurchgangs. Da
die Maschinerie des zusammenhän-
genden Fallgatters durch einen unter-
geschobenen grossen Stein u. dgl.
leicht ins Stocken gebracht werden
konnte, erfand man das Orgelwerk,
orgatium; hier hingen die einzelnen
vertikal geordneten Balken an eine:
Winde und fielen ohne mechanisch*
Verbindung nieder, so dass bei Stö-
rung eines oder mehrerer Balket
die übrigen ihren Dienst denuoeb
thaten. Das Fallgatter ist auf vielen
mittelalterlichen Städtesiegeln B
sehen. J<ihns, 664.
Familie. Zu unterscheiden and
die Familie im engeren Sinne, <k*
Haus, und die Familie im weiterer.
Sinne, das Geschlecht, die Sippe oder
Magschaft. Im Hause eilt bei den
Germanen wie bei allen Völkern de:
Hausherr als die Quelle des Frieden?
und Rechtes; vermöge seines
dium (siehe dieses) vertritt uuö
schützt er die Hausangehörigen naci.
aussen, in Volk, Heer und Gerieb::
nach innen beherrscht er sie krai
seiner hausherrlichen Gewalt. Ei
ist Herr, in älterer Zeit fro. (&
anderen dienen ihm. Bei ihm sial
die häusliche Gerichtsbarkeit, di?
häusliche Priestertum; er darf (Ü
Kinder aussetzen, die Frau züchti^u-
im Fall der Not beide verkaufen.
In seiner Hand steht das gesamt
häusliche Vermögen, dessen Besm.
Genuss, Verwaltungs- und Vertu
gungsrechte nur ihm zustehen. Zu-
nächst ist diese häusliche Gemein
schaft auf Weib und Kinder be-
rechnet, sie erfahrt aber eine Erwei-
terung durch die zum Hause geb>
rigeu Unfreien und Hörigen.
weitere Ausdehnung der r anülie *M
eine Gesamtheit von Einzelfamilieo
untereinemGeschlechtsältestenkeact
das deutsche Recht nicht, da ihm da-
Frstgeburts recht fremd war. Eh':
rechtliche Zusammenhang der Fa-
milie im weiteren Sinne oder dfc
Geschlechtes erlöscht frühe. Zu Taci
tus Zeit ordnete sich noch das Volk-
heer nach Geschlechtern und wunk
das Land nach Geschlechtern rer-
teilt; aber zur Zeit der Volksrecbfe
war dieses schon nicht mehr d«
Fall: dagegen dauerte die uralt'
Idee, dass die Sippe eine Schuß
und Trutzverbindung zu gemein
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Familiennamen. — Farbensprache.
173
sanier Wahrung eines alle Genossen
umfassenden Friedens sei, der, wenn
gebrochen, von der Sippe gerächt
und hergestellt werden müsse, in
Sitten und Gewohnheit bis ins späte
Mittelalter fort und fanden förm-
liche Kriege und Friedensschlüsse
zwischen den Sippen statt; doch be-
schrankte man einesteils die zu zah-
lende Busse bald auf den nächsten
Grad unter den Magen und zuletzt
au:* den nächsten Erben, andernteils
die Rache auf eine bestimmte An-
zanl von Verwandten des Todt-
^hlagers. In ältester Zeit hatte das
Geschlecht die Einzelnen durch das
engste persönliche Band und die ge-
heiligte Pflicht unbegrenzter gegen-
seitiger Treue und Unterstützung
verknöpft und als Gesamtheit be-
ientende Befugnisse und Pflichten
tien Gliedern gegenüber geübt. Eine
Versammlung aller Hausväter hatte
aber Friede, Recht und Sitte des
Geschlechtes gewacht, ohne Zweifel
an Familiengericht gebildet; noch
yffer konnten Verwandte gegen
rerwandte nicht vor Gericht auf-
reten. mussteiw vielmehr bei den
Genossen Sühne und Herstellung
Ü Friedens suchen. Im fernem
vir die Sippe ursprünglich eine
ittiiehe. religiöse und gesellige Ge-
leinschaft, die für Verlobung, Ehe-
Äbes*ung und Ehescheidung, Auf-
ahroe des Kindes und Bestattung
»Toten einzutreten hatte. End-
en scheint das Geschlecht auch als
liebes vermögensfahig gewesen zu
iin uii i heilige Gerü tschaften, Vieh,
Vaffru im Cresamtbesitz gehabt zu
tben; ja das spätere Gemeindever-
tigenwax ursprünglich Geschlechts-
Sehr früh löste sich die genossen-
shaftlich*- Verfassung der Familie
af und wirkte bloss un Privatrecht
ei Mittelalters nach. Die gesamte
«nrandtschaft heisst mhd. sippc,
jryvchaft. Im besondern heisst
» Kachkommen schaft in gerade ab-
Linie huosem, ßusen, nach
dem Bilde des menschlichen Leibes,
unter welchem man die Verwandt-
schaftsgrade darzustellen pflegte; alle
übrigen (Seiten-) Verwandten von den
Geschwisterkindern an heissen mu-
(jen. Dieselben sind im Mannesstamm
swertmäejen. im Weibestamm kunkeU
oder spilmutjen, spindclmiujen, Ver-
wandte der Kunkel oder' Spindel.
Das ältere Wort mundium heisst
selten mehr der oder die munt,, häu-
figer vormuniseaft, rorffi, phleye, und
es giebt einen ehemännliehen, väter-
lichen und verwandtschaftlichen
munt. Seit dem 15. Jahrb. erhält
das römische Recht Einlluss auf die
deutsche Rechtsanschauung von der
Familie. Gierice, Genossensehaft
I, § 3.
Familiennamen, siehe Personen-
namen.
Farbensprache. Das Mittelalter
schwankte zwischen sechs und sieben
Farben, die sieben sind Weiss,
Schwarz, Rot, Blau, Gelb, Grün und
Braun; sechs wurden gezahlt, in-
dem man das Schwarz oder das
Braun bei Seite liess. Am Regen-
bogen aber unterschied das gewöhn-
liche Auge nur die drei Farben:
Grün, Gelb und Rot, oder bloss Gelb
und Rot. Die sinnbildliche Anwen-
dung der Farben fusst auf den zahl-
reichen Farbenerscheinungen der Na-
tur, namentlich auf dem menschlichen
Antlitze. Weiss und Schwarz sind
die Farben des Tages uud der Nacht,
Rot die Farbe der Liebe und Freude,
aber auch der Scham, wozu bleich
als Farbe der Verzagtheit, der Furcht
oder des Leides den natürlichen Ge-
gensatz bildet; doch können Zorn und
Hass das Antlitz auch grün und gelb
färben. Das Rot und Weiss des
Antlitzes ist ein Merkmal der Leibes-
schönheit; es erscheint dann wie
Milch und Blut, oder wie Schnee,
der mit Blut geträuft ist, „kadd ih
doch en Kind, so rood as Blood nun
so teit as Snee" seufzt die Mutter
im Märchen vom Machandelbaum.
Das Weib, dem von Natur Weiss
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174
Farbensprache
und Rot nicht gegönnt war, schminkte
sich künstlich damit, sowohl Frauen
von Stand als Bäuerinnen und Buhl-
dirnen; ein ungeschminktes Weib
heisst mhd. selpvar. Wie man sich
aber in romantischen Landen manch-
mal bloss der roten Farbe zur
Schminke bediente, so in Deutsch-
land bloss der weissen; denn Weiss
falt auch für sich allein als die
arbe der Schönheit, wie Schwarz
als diejenige der Hässlichkeit, wah-
rend dasselbe Schwarz hinwiederum,
z. B. im Schneewittchen, selbst wieder
zur dritten Farbe der Schönheit ge-
worden ist; sie ist ein Kind so weiss
wie Schnee, so rot wie Blut und so
schwarz wie Ebenholz. Die schwarze
Farbe gilt hier dem Haare, als dessen
vornehmste Farbe sonst im deutschen
Mittelalter das Blond galt, mhd. val
(falb ) oder gel; das Wort blond, mhd.
Munt, stammt aus dem sonst dun-
keln französischen blond und wurde
zuerst von Gottfried von Strassburg
febraucht; verglichen wird diese
'arbe mit dem Gold, dem Wachs
oder der frischen Seide.
In sinnbildlicher Deutung wer-
den Gelb und Grün die Farben des
Neides; Weiss die Farbe der sitt-
lichen Reinheit, der Keuschheit;
Schwarz die Farbe der Unreinheit,
der Trauer, der Sünde; der Engel
wird weiss, der Teufel schwarz
gedacht; Nigromantie ist die
schwarze Kunst, Zauberbücher
heissen schwarze Bücher, weisse
Bücher heissen die heilige Schrift
und deren Gebote. Der heilige Geist
wird durch die weisse Taulje, der
Teufel durch den schwarzen Raben
symbolisiert Auch bedeuten Weiss
und Schwarz die gute und die böse
Zeit, Glück und Unglück. Rot ist
nicht bloss Farbe oer Schönheit,
der Freude, des Zornes, der Scham
und der Liebe, es wird auch Farbe
der Sünde: roter Bart und Haupt-
haar ist Zeichen der Falschheit:
die bleichen gltchent den toten,
ungetriuwe stnt die roten,
die sicarzen glichent moren,
die wizen zagen oder foren.
Roter Bart, untreuwe arf, Rot Bo>
und erlin Bogen ( Bogen vom Erl«
holz) qeraten selten, ist nit erlöge*
Rot har ist entweder qar fr<>m>
oder qar ftoess. Diese Äuschauuu
soll ihre Quelle in der roten Farl
des Fuchses der Tiersage habti
sonst galt bei den Deutschen r..?<
Haar und Bart nicht als chrenrührii
rot ist Beiname verschiedener Füj
sten gewesen.
Noch weiter von der Natur en
fernt sich diejenige Farbensymbolil
die zum Teil an die Natur sich ai
lehnt, zum Teil ganz willkürlich durc
die Farbe des Gewände* zu spreche
sucht.
Die liturgischen Farben de
abendlandischen Kirche sind Weis
Schwarz, Rot, Grün, Violett um
unter gewissen Vorkommnissen Gdl
und Blau. Und zwar wird getragen
Weiss als ein Bild der Reim**
und Freude an iegliehen Gedavi*
rü8feiern der Bekenner und
frauen, die nicht den Märtyrerta
erlitten, zu Weihnachten, Epipb*0*
Ostern, Himmelfahrts - und Fra
leichnamsfest, Allerheiligen und
den Festen der Päpste, Dokt
und Konfessoren.
Rot, ein Bild der brennende
Liebe, bei allen Festen zum 4*
denken der Apostel und Martvitf
( Pfingsten).
Grün, Farbe der Hoflnung
die ewige Seligkeit, an den
und Festtagen.
Schwarz, ein Bild der Tnr
keit, bei den Fasten und TW
feiern, Charfreitag und bei S«**
Blau, ein Bild der Trübselig
und der gänzlichen Abtötuiir.
zur Zeit lunocenz III. als an
blau oder riolaceus aussehlic
nur zweimal im Jahr, an dem
der unschuldigen Kindlcin uud^
Sonntag Laetare, später hi
häufiger und mit der sehwarte«
Farbe nsprachc.
175
wechselnd, von Septuagesima bis
Ostern und während der Quatem-
beraeiten, an den Vigilien und Bet-
tagen.
Gefhate eine nicht eigentlich fest-
gestellte liturgische Farbe nur aus-
nahmsweise bei einzelnen Riten, bei
dem Feste des heil. Joseph und der
rweiteu Messe zu Weihnacht.
Scktrarz und Weiss sind beides
auch allgemein Trauerfarben, Weiss
jedoch in diesemFalle nur mitSchwarz
verbunden, z. B. schwarzer Rock und
weisse Kopfbedeckung. Weiss ist
das ftewand der Neugetauften und
der Firmlinge, daher der Sonntag
Qiutsimodvgeniti , an welchem ge-
firmt wird, dominica in attns, der
weisse Sonntag, heisst.
Während die Farbe der Welt-
geistliehkeit wecliselte, blieb die
kh*tergeistliehkeit bei der einmal
angenommenen Ordensfarbe stehen.
Im allgemeinen sind Schwarz und
Grau die verbreitetsten Farben für
Büsser und Pilger, grau heisst der
ungenäbtc Rock Christi (obgleich
derjenige zu Trier in Wirklichkeit
purpurfarben ist). Insbesondere be-
dienen sich die älteren Mönchorden
folgender Farben:
Benediktiner: schwarz, vermut-
lich nach Vorgang der morgeulän-
discheu Basilianer; Benedikt selber
hat keine Regel über die Farbe auf-
gestellt.
Cluniazenser: schwarz.
Orden von Yallombroso: grau,
daher graue Mönche genannt, später
gegen braunrote una zuletzt gegen
schwarze Farbe vertauscht
Ka nutld ulenser .- weiss.
Grammontaner: schwarz.
Kartäuser: weiss mit schwarzer
Kappe.
Hospitalbrüder des heil. Antonius :
schwarze Kutten mit einem himmel-
blauen T, Poteniia genannt, d. i.
die Handkrücke des hl. Antonius.
Cisterzienser oder Bernhardiner:
zuerst schwarz, dann bald weiss mit
Skapulier.
Br&monstratenser: weiss initweis-
sera Skapulier.
Kanneliter: zuerst weiss, spater
braun und weiss gestreift.
Trapjnsten: wie Cisterzienser.
Humiliaten: aschgrau.
Coelestiner: weiss mit schwarzem
Skapulier.
Kanoniker, Regulierte Chor'
herren : je nach Massgabe der Spren-
gel wechselnd tragen sie ein schwar-
zes, weisses, violettes oder braunes
Unterkleid, darüber das Chorhemd
nebst einem schwarzen Mantel.
Franziskaner-, braun, daher „die
Braunen" genannt.
Dominikaner oder Prediger: weis-
ses Untergewand, mit weissem
Skapulier und schwarzem Mantel,
die Nonnen mit braunem Mantel
und schwarzem Hauptschleier.
Augustinereremiten: grau, später
schwarz.
Beginen: braun, grün oder blau,
später schwarz.
Begharden, Lollbrüder: grau.
Bitterorden :
Ritter des heil. Grabes: weiss
mit rotem Kreuz in silbernem Felde.
Johanniter: schwarz mit weissem
Kreuz.
Templer: die Ritter weiss mit
rotem Kreuz, die Geistlichen weiss,
die dienenden Brüder grau oder
schwarz.
Deutschherren: schwarzes Unter-
gewand, weisser Schultermantel mit
schwarzem Kreuz.
Auch die Volker unterscheiden
sich durch die Farbe ihrer Kleidung.
Die Juden trugen im Mittelalter ei-
nen Hut von weisser oder gelber
Farbe, auch ganz gelbes Kleicf, oder
einen Ring von gelbem Zeuge auf
der Brust des Rockes aufgenäht;
gelb ist aber auch das Gewand der
feilen Dirnen. Die Bauern des Mit-
telalters trugen sich schwarz oder
grau; grisette ist eigentlich ein Mäd-
chen von geringer Herkunft; da-
neben erscheint für denselben Stand
dunkelblau. Der höhere Stand zog
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176 Fasten.
in bunten Farben auf, oft seit dem
12. Jahrh. so, das man dasselbe
Gewand zweifarbig machte, halb in
halb gegeneinander oder in Streifen
oder Würfeln durcheinander, jenes
heisst mhd. Unten, zesamene sniden,
dieses umh rsniden , zersniden , zer-
houwen, mengen, parrieren. Die be-
zeichnendsten K fei de rfarben des hö-
W einhold, die Frauen. IL. 26S
2. Aufl.
Fasten, got. faeta* = halten,
beobachten, ahd. fasten, mierkanu-
ten Ursprungs, ist nach dem kirch-
lichen Sprachgebrauche entweder
jejunium, d. h. gänzliche Enthai
tung von Nahrungsmitteln während
eines Tages, oder abstinentia, die
fischen Standes sind aber weiss und Enthaltung von Fleischspeisen. In
rot. In weisser Farbe erschien die Anschlüsse an die jüdische Fasteir
fürstliche Gewalt: weisses Pferd, diszinliu leitete die alte christliche
weisser Hund, weisser Stab, weisse Eirene zunächst aus Matth. 9, 5
Tücher auf Tisch und Bett, weisses
Ess- und Trinkgeschirr; der Stab
des Richters, des Gerichtsboten und
die Pflicht ab, die 60 Stund- e
der Grabesruhe Jesu durch Fasfcü
auszuzeichnen, woraus sich im Au-
Heroldes ist weiss. Rot war nach schluss an Matth. 4, 2 die 40ti»gii:'
alter deutscher Sitte nur die Ge- Fastenzeit vor Ostern, jejunium yci-
wandfarbe für den Krieg, die Schilde dragesimale, Quadragesimalfasfau
sind ursprünglich rot oder weiss be- entwickelte; dieselben begimiT,
malt; so war die gewöhnliche Farbe weil die Sonntage nicht alsFatfc!
der Fahne rot. Rott? Siegelfarbe galt gelten, am Aschermittwoch. Wäb-
als besondere Auszeichnung. rend die Pharisäer zweimal wöchen'
Seit dem 14. Jahrh. übertrug lieh, am Dienstag, an dem M-*e*
man die Farbensymbolik der Liebe den Sinai bestiegen, und am M"ii-
gcradezu auf die wirklichen Kleider; tag, an welchem er denselben ver-
liebende Jünglinge und Jungfrauen lassen haben sollte, fasteten, be
erschienen in roten Röcken; wer stimmte die alte Kirelie den Mtft
die Beständigkeit seiner Liebe öffent- woch (Tag des Verrats) und Freitir
lieh beweisen mochte, in Manen, blau (Todestag) als Fasttage, an demi
tragen heisst soviel als beständig Stelle später als wöchentliche „Wach
sein. Weisses Kleid deutete auf tage'4 oder „Stationen*4, Freitag un-i
Hoffnung, schwarzes auf Trauer, Sonnabend traten, an denen wenii-
gelbes auf höchste Beglückung, brau- stens bis drei Uhr Mittags gefast*
nes auf Verschwiegenheit und Be- wurde. Seit dem Exil war ferner
hutsamkeit, graues ironisch auf den bei den Juden eiu Fasten im vierten,
hohen Stand der Geliebten, grünes fünften, siebenteu und zehnten Mi-
Ruf den fröhlichen Anfang des Lie- nate üblich, zum Gedächtnis der Er-
bens ; mit mehreren Farben an einem oberung Jerusalems, der Verbreu-
und demselben Gewände Hessen sich nung des Tempels, der Ermordung
natürlich mehrere Liebesbezüge be- Gedaliä und des Anfanges der Bt
zeichnen. Das Volkslied vom 15. Lagerung von Jerusalem. Die?«
Jahrh. an vertauscht dann die Far- ahmte die Kirche in ihren Qtiatemf^r
bensprache mit der lilnmenspraehe fasten nach, wonach je am Mittwoch?
(siehe diesen Art.). Nach IVaeker- des Vierteljahres {qitafuor temy"''"
naget, Kl. Schriften, I., 143 ff, und Fasten verordnet waren; weil man zu
für die kirehl. Farben nach Weiss, derselben Zeit die öffentlichen Ab^
Kostümkunde. Vgl. Rot und Blau, gaben entrichtete, hiessen sie ind
diedeutschenLeibfarbenanRochholz, Fron fasten. Fastenzeiten sindendlirh
deutscher Glaube und Brauch. Berl. die Vorabende zu den namhaftesten
1867, II., 189—278. — Müller und Apostel- und Heiüsrenzeiten, die H-
Motlies, Arch. W. Art. Farbe. — gif ienf asten, und in der älteren abeud
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Fastentuch. — Fastnachtv Fasnacht.
177
huidischen Kircbe die Adventszeit, pflegt. Weigernd, — In den Fast-
Schon im spateren Mittelalter wurde nachtsgebräuehen mischen sich alt-
<iie ältere Fastenpraxis sehr gelockert, i germanische Frühlingssitten, christ-
liche Anschauungen , Volksaber-
glaube und zum Teil von den Rö-
mern herstammende italienische Kar-
nevalsfeierliehkeiteu. Die Fastnaeht-
freudeu bestanden in Tanz, Schmau-
sereien, Trinkgelagen, Muininereien,
Aufzügen, mancherorts im Abhalten
eines Narrengerichtes. Die Sucht,
sich zu verkleiden, war im Mittel-
alter sehr gross und machte sich
auch zu anderen Zeiten als bloss
indem die eigentlichen Fastentage
zu blossen Abstinenztagen herao-
^Jrückt, die Abstinenz auf die Ab-
w ^ubeit des Fleisches beschrankt,
^irotlieb»* Fische, mit Einschluss der
Fischotter, als Nichtrleisch behan-
delt, uu<i der Schluss des Fastens
\'Ai sechs Uhr auf drei Uhr, seit
dem U. Jahrh. auf zwölf Uhr ge-
setzt wurde, Kessler beschreibt das
in seiner Zeit vor der Reformation
teQbte Fasten folgeudermassen (Sab- zur Fastnacht geltend. Eigentliche
bau I, 90): Wann man hat wellen Aufzüge scheinen aus Italien her-
•■>4(&k, hat man an demselhigen tag übergekommen zu sein, wo im 14.
^'hU weder geessen noch getrunken, und 15. Jahrhundert der Karneval
\4* uf die II stund im lag; dann zu hoher Ausbildung gelangte. In
"vv ein köstlich mal mit manigerlai i Deutschland war die Hauptsache
tr.jt-hteu zübereit, so man umb be- Schmausen, Trinken und Tanzen.
müder tvolfebens wegen den fastenden Ratsherren, Beamte, Handwerker
ilmbiss) nennet. Xach demsel- \ wurden in den Städten zu Fast-
uhis dorft man aber nichtt mer nachtmahlern versammelt; die Zünfte
biss uf den abend macht man hatten an diesem Tage ihren Zunft-
mt tiner ctjliutioii (wie man es nennet) schmaus, besonders die patrizischeu
r-jit ihanigerlei cunfeclen, gewürz und Gesellschaften. In Frankfurt wahrte
ar tigen fatwergen die schwachen und bei einer solchen Gesellschaft die
abqejasteten kreft und blöde hupt er- | Festfeier neun Tage, mit dem zur
i -wken und sterken.
Erholung nötigen Ausfalle von drei
Tagen. Auffallend ist, das» man
schon im Mittelalter die Fastnachts-
feier bis in die Fastenzeit fortsetzte.
Alle Klassen feierten den Ascher-
mittwoch mit Essen und Trinken;
in Konstanz wurde diese Ausdeh-
Fftstentuch oder Hungertuch
grosse, aus weisser, grauer
-icr violetter Leinwand gefertigte
Kppiche, die wahrend der Fasten-
zeit zur Verhüllung des Kreuzes vor
drm Altar aufgehängt und nur wäh-
rvud dfs Evangeliums, der Wand- 1 nung der Feier im Jahr 1450 ver-
^ng und des letzten Segens zurück- boten.
- ii wurden. Si*,> waren mit bibli- Es giebt eine umfangreiche Fast-
rcb. n Bildern bemalt oder bezeichnet, naehtlitteratur. In erster Reihe ge-
Fastnacht,Faänaclit,inhd.rtM£- ) hören dazu die Fastnachtspiele. die
mki, rasnaht, vase/maht, scheint im 15. Jahrh. besonders in Nürn-
ietueswegs zu fasten, sondern zu berg blähten; Hans Rosenblüt und
fitse», faseln, davon Faselhans, mhd. Hans Folz haben ihrer eine Menge
• wat* ahd. fa*on zu gehören, mit hinterlassen. Auch nach der Re-
d~r ursprünglichen Bedeutung von formation blieb Nürnberg der Haupt-
S^tcarmfest. Die Form vastnaht sitz des veredelten Fastnachtspieles,
mit Anlehnung an fasten ist zuerst vertreten durch Hans Sachs und
NVddeutschlanu aufgekommen, Jakob Ayrer (siehe den Artikel
liehen rastelnaht; in Bayern und Drama). Fastnachtlicder hat man
'»•terreich heisst es Fasching, was mehrere aus dem 15. Jahrh., z. Ii.
ebenfalls vmi weicht abzuleiten Unland, Nr. 242.
der deutacheu Altertümer. 12
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178
Fastnacht, Fasnacht.
Auch Fastnacht jm-digten kom-
men im 15. Jahrh. vor, im 16. Jahrb.
meist auf die alte Kirehe gemünzt,
so die ,,Kurzweilige Fassnaeht-Pre-
digt von Dr. Sehwarmen zu Hummels-
hagen, auf Grillenberg und Tappen -
eek,u und „Ein kurtzwcylig Predige,
die uns beschrcipbt Dr. Schmoss-
maun, am vier und zweinzigstcn
Kappcnzipffell."
Sebastian Frank besehreibt im
Weltbuch die Fastnaeht folgender«
massen: „Nachmal-* tnaehLicntmess)
kumpt die Fassnaeht, der Kömischen
Christen Baehanalia. Au disem
Fest pflegt man vil kurtzweil, spee-
takel, spil zue halten, mit stechen,
turnicren, tanzen, roekenfart, fast-
naehtspil. Da verkleiden sieh die
leut. laufe« wie narren und unsinnige
in der statt, mit maneherlei abeu-
teur und fantasei, was sie er-
denken mögen: wer etwas närriseh
erdenkt, der ist meister. Da sihet
man in seltzamer rüstung, seltzamer
mummerei, die frawen in manns
kleidern und die mann in weiblicher
waat, und ist fürwar schaam, zucht,
erbarkeit, frumbkeit an disem christ-
liehen fest teur, und geschieht vil
buobcrei, doch verriehts gelt alles
in der beieht, all bossheit und Un-
zucht ist zimlieh an disem fest, ja
ein wolstand. Die Herreu haben
ir Fassnaeht an einem sontag, dar-
naeh auf den aftermontag iTag naeh
dem Montag) die Leigen. In summa,
man faehet daran allen muotwill
und kurzweil an. Etlieh laufend on
alle seham aller ding naekend umb,
Etlieh krieehcn<l auf allen vieren wie
die tier, Etlieh brüllen narren auss,
Etlieh seind müneh, künig etc. auf
diss Fest, das wol laehens wert ist.
Etlieh gehen auf hohen stelzen und
flügcln und langen Schnäbeln, seind
storkeu, etlieh baren, etlieh wild
holzleut, etlieh teufe], etlieh tragend
ein frischen meusehcnkot aut ein
küssin herumb und wören im der
fliegen, wolte Gott, sie müessten im
aueh sehneizen und credenzeu. Et-
lieh seind äffen, etlieh iu narren-
kleidern verbutzt, und zwar dise
gehn in ir reehten mummerei und
sind in der warheit das, das sie an-
zeigen. Wann sie ein andrer ein
narren schilt und eseloren zeigt, so
wollen sie zürnen, hawen und stechen,
und hie beichten sie willig und öffent-
lich vor jederrnan selbs, wer si sind.
1 Die Itali oder Walsen in Italia stellen
sieh auch, als wollen sie die Teut-
; sehen in diesem Fall überwinden,
da seind auch narren wolfeil, doch
etwas subtiler denn che Teutschen.
Um Ulm hat es einen braue h an
der Fastnacht: wer diss tags iu
ein hauss geht und nit sagt, er gehe
mit urlaub auss und ein, den fassen
si und binden dem (es sei frawen
oder manns bildi die händ als ein
Übeltäter auf den rücken, klopfen
mit einem bocken voran und füerens
in der statt heruiub. Auf diese kumbt
die Fast. Den nächsten tag dar-
nach zur eingang derselben lauft
das volk zu kirchen , da strewet der
pfaff einem jeden umb einen pfennig
ein wenig aschen auf den Kopr.
Etlieh haben ir eigen gebet und an
dacht auf die fassnaeht, für den
frörer oder feler. Auf diesen tag
der äscherigen mitwoch leuten sie
das Fasten ein mit grosser mum-
merei, halten panket, und verkleiden
sich in sunder munier. Etlieh klagen
und suochen die fastnaeht mit fack-
len und laternen bei hellem tag,
schreien kläglich, wohiu die Fass-
nacht kumen sei. Etlieh tragen ein
haring an einer Stangen und sagen:
Nimmer würst! haring! mit viel
seltzamer abenteur, tastnachtspil.
gsang und reimen, laufend aber et-
lieh gar nackend durch die statt.
Etlieh henkend einen häufen buoben
an sich und singen inen vor, etlieh
werfen nuss auss, etlieh fassen ein-
ander, tragen einander auf Stangen
in bach und treiben der fantasei un-
zälich vil. Den nächsten Sontag
darnach gibt man der Fassnaeht
Urlaub, verbutzt und verhüllt sich
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Faust
179
aber, trinken eich voll, spüen und verfertiget. Gedruckt zu Frank-
rasslen zulebt. Als dann folget die fort am Mayn, durch Johann Spies."
traurig fast.'4 Und bei Gelegenheit 1588 erschien zu Lübeck eine nieder-
der Beschreibung des Landes der deutsche Ausgabe, in demselben
Franken: ..An dem Rhein, Franken- Jahre ein gereimtes Faustbuch, bald
land und etlich andern orten samlen 1 darauf Übersetzungen ins Danische,
die jungen gesellen alle danzjung- Holländische, Französische und Eng-
fra".\en, setzen si in ein pHuog und lische, 1599 zu Hamburg eine mit
ziehen iren Spilman, der auf dem ] moralischen Betrachtungen, ver-
pfluog sitzt und pfeift, in das wasser. sehene, durch Georg Rudolf Wid-
An andern orten ziehen sie ein mann veranstaltete " Ausgabe ver-
feurigen pfluog, mit einem meister- mehrt durch J. S. Ffitzer zu Nürn-
lichen darauf gemachten fear an- berg 1674; 172M eine verkürzte Aus-
gezündt, biss es zu trummern feit, gäbe zu Frankfurt und Leipzig,
Halten auch ir vier ein leylach welche die Grundlage des spatern
(Leintuch) bei den vier zipfelu und Jahrmarkt Volksbuches geworden ist.
ein strömen angemachten butzen in II. Verfasser. Der unbekannte
hosen und wanime^, mit einer larven Verfasser des ältesteu Volksbuches
wie ein todten mann, schwingen sie rau-*s ein protestantischer Theologe
in auf die höhe und entpfahen in ! gewesen sein, einer der zahlreichen
wider in das leylach, das treiben sie nachreformatorischen Eiferer, die es
durch die ganz statt, und mit vil sieh zur Aufgabe machten, den nie
andern figuren gehen die Römischen ' ruhenden Unglauben zu bekämpfen.
Heidnischen Christen in der Fass- Er war zum mindesten ein sehr aber-
nacht umb, als unsinnig, mit grosser ! glaubiseher Mensch; denn er teilt
leichtfertigkeit," Über Fasnacht- Briefe und Urkunden als echte mit,
narren handelt Kap. 11 0h des Narren- ( z. B. Fausts Vertrag mit dem
Schiffes, siehe dazu Zarnckes An- Teufel, beruft sich auch auf die
merkungen. | von Dr. Faust selbst aufgezeichnete
Faust, Dr. und seinem Famulus Wagner testa-
I. Litteratur des Faustbuches, mentsweise vermachte Historie seines
In ähnlichem Sinne wie das 16.Jahrh. Lebens wahrend der Zeit, da er mit
einzelne Landfahrergeschichten auf dem Teufel Verkehr prlog.
den Enlenspiegel, Narrengeschichten I III. Inhalt des Fausthuches. Das
auf den Ort Schiida vereinigte, wurden Faustbuch zerfällt in drei Teile,
damals auch seit alter Zeit um- Deren erster handelt von Dr. Fausts
gehende Zaubererzählungeu auf den Versuchung und höllischem Bündnis.
Samen eines Dr. Johannes Faust Dr. Faust ist eines Bauern Sohn ge-
kouzentriert. Dieses sog. Faustbuch wesen, zu Rod bei Weimar gebürtig,
erschien zuerst 1587 zu Frank- Seine Eltern waren gottselige Leute,
furt a. M., unter dem Titel: Historia und sein Ohm, der zu Wittenberg
Von Dr. Johann Fausten, dem weit- sesshaft und ein vermögender Bür-
be^chreyten Zauberer und Schwarz- ger war, hat Faustum auferzogen
kunstler, wie er sich gegen dem und wie ein Kind gehalten. Er liess
teuffei auff eine benandte zeit ver- ihn in die Schule gehen, Theologie
schrieben, Was er hierzwischen für zu studieren. Er ist aber von die-
seltzame Abenthewr gesehen, selbs sem gottseligen Vornehmen abge-
angerichtet und getrieben, biss er gangen und hat Gottes Wort miss-
endlich seinen wohlverdienten Lohn braucht Da Faustus als ein ge-
»tnpfangen. Mehrerteils auss seinen lehriger und geschwindiger Kopf
• ygerren hinterlassen« n Schrifften zum Studieren geeignet und geneigt
zusammen gezogen und im Druck war, ist es bald so weit gekommen,
12*
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180 Faust.
dass man ihn zum Magister exaini- wolle er zu mehrer Bekräftigung mit
nierto. Weil er aber einen unsinnigen seinem Blute bezeugen: 3) dass er
und hotfartigen Kopf gehabt, wie allen clmstglaubigen Mensehen feinl
man ihn denn allezeit den Spekulierer sein wolle; 4) dass er den chrbt
genannt hat, ist er in böse Gesell- liehen Glauben verleugne, und 5) da*
schaft geraten, hat die heilige Schrift er sich nicht verfahren lasse, so nian
eine Weile hinter die Thür und unter ihn bekehren wolle. Faust geht den
die Bank gelegt und ein rauh und Pakt ein. Eben in dieser Stuni-
gottloses W esen geführt; wie es denn fiel der gottlose Mann von seiuei:
ein wahr Sprichwort ist: Was zum Gott und Schöpfer ab, der ihn er-
Teufel will, das lässt sich nicht auf- schaffen hat, und ward ein Gbe:
halten. Da ginger denn nach Krakau, des leidigen Teufels, und war dieser
da ward er ein Weit mensch , ein Abfall nichts anderes deun stolzer.
Astrol of/us und Jfathematikus, nannte verzweifelter Hochmut, verwegen*
sich einen Doktor der Medizin, half Vermessenheit, wie den Riepen zu
auch erstlieh vielen Leuten mit Kräu- Mute war, von welchen die Pu-ien
rem, Wurzeln und Pflastern und dichten, dass sie die Berge
war dabei redselig und in der gött- trugen und wider Gott Kriegen well-
liehen Schrift wohlerfahren. >Vie ten; ja wie dem bösen Engel, der
nun Dr. Fausts Sinn dahin gestellt sich wider .Gott setzte , weshalb < t
war, das zu lieben, was nicht zu für seinen Übermut und Hoffart wt
lieben war, nahm er Adlersflügel Gott Verstössen ward. Denn wct
an sich und wollte alle Gründe von hoch steigen will, der fällt auch hoefc
Himmel und Erde erforschen; denn herab. — Nun lebt Faust in Sau-
sein leichtfertiger Vorwitz stachelte und Braus; seine Nahrung hat er
und reizte ihn also, dass er sich auf überflüssig, der Geist bringt ibo
eine Zeit vornahm, etliche zauberische Wein aus den Kellern, wo er will
Vokabeln, Figuren und Besch wörun- Nur die Eingehung einer Ehe v^j
gen zu versuchen und ins Werk zu bietet er ihm, als dem Pakte zuwidtf:
setzen, damit er den Teufel vor sich { denn die Ehe ist göttlicher Ems**tzau£!
fordern möchte. Mitten im Walde Dr. Faust versucht nun vom
bei Wittenberg beschwor er, auf allerlei Weisheit zu erforschen, die
einem Kreuzwege, durch etliche Zir- 1 er auf göttlichem Wege nicht erfahr«
kel mit seinem Stabe den bösen Geist, hatte: was für ein Geist er sei? *k
Unter schrecklichen Erscheinungen sein Herrim Himmel geziert gewo***
kommt dieser in Gestalt eines grauen wie der Teufel seine Versuchung«
Mönchs. Faust eitiert ihn des näch- von Anfang an getrieben habe? *it
steu Morgens in seine Kammer und die Hölle beschaffen sei? was Mopt
schlägt ihm ein Bündnis vor: erstlich stopheles, angenommen, er war»-*«
verlangt Faust vom Teufel, dass er, ein Mensch von Gott erschaffen, ttm
Faust, auch Geschick, Form und wollte, um Gott und den Menseln.
Gestalt eines Geistes möge annehmen zugefallen. DieBeantwortung(ii"*r;
können; zweitens sollte der Geist Fragen geschieht mit den notdürftig
alles thun, was er begehrte; drittens theologischen Mitteln der Zeit,
in seinem Haus unsichtbar regieren, ! Der andere Teit handelt von Dr.
und viertens, so oft er ihn forderte, Fausti Geschichten und AbentettM
sollte er in der Gestalt erscheinen, Am Ende des ersten Teile- hatöl
wie er ihm auferlegen würde. Der der Geist Fausten erklart, er wit^
Geist willigt ein, falls Faust seiner- ihm auf seine gottseligen F
seits folgende Bedingungen eingeht: keine Antwort mehr geben
1) dass Faust verspreche, des Teu- musste es Faust für gut sein '
fels eigen sein zu wollen; 2) solches und fing an, Kalender zu
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Faust.
181
Dagegen trug er den Geist über
Sommer und Winter, woher sie ihren
Ursprung nähmen, von des Himmels
Bewegung, Lauf and Zierde, worauf
ihn der Geist gar wohl beschied.
Darauf fährt Faust mit des Geists
Hilfe zur Holle, fährt in das Gestirn
auf, wo er Gelegenheit findet, das
Himmelsgewölbe, Sonne, Mond und
Sterne in ihrer Wirklichkeit zu be-
obachten, und schliesslich macht er
eine Reise in die vornehmsten Städte
und Länder, nach Paris, Neapel,
nach Rom zum Papst, Florenz, Köln,
Genf, Strassburg, Wien, Prag, Kra-
kau und durch Ungarn nach Kon-
>tantinopel. Nach anderthalb Jahren
kehrt er zurück, der Teufel hatte
ihm das möglichst grosse Mass von
weltlicher Erkenntniss verschafft.
Der dritte Teil erzählt in erster
Linie etwa 40 Zaubergeschichten des
Dr. Faust: wie er vor Karl V. Alexan-
der den Grossen und seine Gemahlin
vorzaubert, einem Ritter ein Hirsch-
geweih an den Kopf zaubert, einem
Bauern ein Fuder Heu samt Wagen
und Pferden frisst, drei Grafen auf
ihr Begehren durch die Luft nach
Münchenfuhrt auf des jungen Baiern-
fürsten Hochzeit, von einem Juden
Geld entlieh und ihm seinen Schen-
kel zu Pfand gab, den er sich selber
in des Juden Beisein absägte. Ein
andermal verzaubert er Bauern ihr
offenes Maul, dass sie es, offen, nicht
.-«•hliesscn können ; er zaubert Speise
and Trank nach Willkür, wohin er
will; er zaubert ein ansehnliches
Schloss auf eine Höhe; er zaubert
vor den Augen eingeladener Studen-
ten die schöne Helena ins Gemach;
er zaubert sich bei einer Belageruug
fWndliche Kugeln in die Hand u. a.
Ein Anhang erzählt endlich, was
>ieh mit Dr. Faustus in seinem letzten
•lahr begeben hat. Er macht, wie
er merkt , dass die 24 Jahre seines
Vertrages bald vorbeisind, sein Testa-
ment zu Gunsten seines Famulus
Wagner, jammert und seufzt über
sein ruchlos Leben und darüber, dass
er seine Seele dem Teufel verschrie-
ben, und wird zuletzt vom Teufel
zerrissen.
IV. Kiemente des Fausfhuches.
Es lassen sich im Faustbuche folgende
Elemente unterscheiden :
a. Die Zaubenjcsehichten : im Zu-
sammenhang des Faustbuchos sind
sie freilich als Ausflüsse göttlichen
Thuns betrachtet; sie gehören jedoch
ursprünglich in den Bereich der über-
natürlichen Erscheinungen, die das
christliche Mittelalter aus der heid-
nischen Vorzeit überkommen und
dem Geiste der Zeit gemäss mit Vor-
liebe überliefert und ausgebildet hatte.
Sie unterliegen deshalb eigentlich
nicht dem Masastabe des Guten und
Bosen, sondern allein des Könnens
und Nichtkönnens; die Sage und das
Kindermärchen haben den Zauber
unwidersprochen bis heute bewahrt,
die Rübezahl-Märchen sind seiner
voll. Manches von dem Zauber des
Dr. Faust mag orientalischer Her-
kunft sein, in der schönen Helena
spielt leise das Prinzip der Renais-
sance in diese sonst sehr mittelalter-
liche Welt.
b. Die Person des Zauberkünst-
lers. Achter Zauber ist ursprünglich
Sache eines Geistes; der Mensch
kann bloss zu zaubern vorgeben,
welches immerhin so lan^e eine ge-
wisse Entschuldigung bei sich hat,
als die Menschen von ihresgleichen
Zauber annehmen und glauben mö-
gen. Solcher Zauberer kannte das
glaubensvolle Mittelalter viele, Leute,
welche die Freude der Mitmenschen
an Zauberei benützten, um sich gute
Tage zu machen, Menschen von aus-
gesprochen schlechtem Lebenswan-
del, Betrüger, Lügner, Wollüstlinge,
Schlemmer u. dgl. Ein solcher Mensch,
Namens Faust, scheint in der zwei-
ten Hälfte des 15. Jahrhunderts in
Deutschland gelebt zu haben. Ge-
wiss ist, dass etwas später ein ähn-
licher Berufsmann als Zeitgenosse
Luthers in Deutschland sein Wes-en
trieb. Er nannte sich selbst und
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Faust.
schrieb es auf seine Karte: Magister durch welchen alle gescheht erhalten
Georgius Sabellicus, Faustus junior, teirt und von icelicher vegen aw«
fons necronumlicorum, magus* secun- der mrkung der qeschepften de»
dus, chiromantictut, aeromanticiut, pu- namen der natur geben hat." Auch
romanticus, in hydra arte secunaus. Dr. Faust studiert neben derThe«.»-
Als sein Geburtsort wird das St&dt- logie Medizin, er wird eiu Welt-
ehen Knittlingen in Württemberg mensch, ein Astrologus und Mathe
oder Rod bei Weimar angegeben, matikus, nannte sich einen Doktor
Er soll in Wittenberg und Krakau der Medizin, half auch erstlich vielem
Theologie und Medizin studiert ha- Leuten mit Kräutern, Wurzeln und
ben, als fahrender Schüler umher- Wassern, Rezepten und Klystiereii
fezogen und durch seine Zauber- ; Er machte auch Kalender und man
ünste in Deutschland mehr berüch- lobte seine Kalender und Almanacta
tigt als berühmt gewesen sein. Er- vor allen anderen; denn er setzte
furt und Wittenberg sind die Haupt- nichts in den Kalender, es war deun
sitze seiner Thatigkeit, in Wittenberg also. Es waren seine Kalender nicht
stellte er sich unter anderm Melanch- wie die etlicher unerfahrener Astro*
thon vor. Aber auch aus Wurzburg, logen, die im Winter kalt oder Ei*
Kreuznach, Maulbronn, Magdeburg, und Schnee, oder im Sommer in <kn
Gotha, Nürnberg, Goslar, Prag, Hundstagen warm, Donner und Un-
Meissen laufen Nachrichten über ihn gewitter setzen. Er nannte alU-wal
ein. Sein Tod scheint um das Jahr Zeit und Stunde, wann etwas ge-
1540 erfolgt zu sein. schehen sollte, und warnte je^l»-?
c. Als drittes Element findet sich Land insbesondere, das eine vor
im Faustbuch die natuncissenschaft- Krieg, das andere vor Teurung, d^
liehe, auf eigenen Füssen stehende dritte vor Sterben u. 8. w.
Forschung niedergelegt. Nur müh- ; d. Das vierte Element des Fau-t-
sam ringt sich während des Mittel- 1 buches ist die kirchliche, offenbar****-
alters eine auf Thatsachen gebaute, gläubige Weltanschauung. Diese
naturwissenschaftliche Erkenntnis den Menschen bloss durch die Gut-
durch; stillgestanden aber hat auch denmittel des Christentums *?l£ !
in jener Periode diese Geistesarbeit werden; wer nicht glaubt, sich vom
nicht. Am ehesten gelingt es ihr Glauben loslöst, ist verdammt,
auf dem Fehle der Astronomie zu des Teufels, ihn holt der Teufel, »t
sicheren Resultaten zu gelangen, be- gehört der Hölle an. Schon die
sonders wo dieselben durch Rechnen ersten christlichen Jahrhunderte hat-
zu gewinnen waren; auf dem Ge- ' ten diese Anschauung ausgebildet
biete der Physik, und namentlich der wie man denn auch schon so fnili
Chemie, sah es dunkler aus, uud es I die Verschreibung des Grottlosen mit
ist bekannt, wie damals chemische eigenem Blut an den Teufel uml
Forschungen mit allerlei duukelu das Holen eines Gottlosen durch dea
Problemen unverstandener Magie Teufel selber kennt. Eine filtert
zusammentrafen. Dass es aber auch katholische Sage (Theophilus) l**j*
bereits eine sehr bewusste Natur- den Abgefallenen durch die Fürbitt**
erkenntnis gab, beweisen u. a. die ' der Maria gerettet werden. Un*f
Anschauungen des in Genf ver- Faustbuch ist protestantisch. Ent-
brannten Serret; in J'adians Frag- tung durch die Gnadennlittel der
ment einer Geschichte der römischen Kirche gilt nicht, jeder hat Wohl
Kaiser ( Deutsche bist. Schriften III, oder Wehe selber zu trageu, Faust
20. 40) steht der Satz: „Dan die hat sich von Gott losgelöst, also»-*
Salur mint anders ist. dan die kraft ihu der Teufel.
Gotes, der gaist Gates, ja Gut selbs, Es richtet sich aber die Str*/«*
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Faustrecht.
183
für den Abfall gleichmässig gegen
sämtliche drei Elemente des Faust-
baches. Faust wird also ersten* vom
Teufel geholt, weil er ein Zauberer
ist: der Teufel hat ihm die Kraft
de? Zauberns mitgeteilt, mit seiner
Hilfe hat er auch diejenigen Zau-
bereien unschuldiger Natur begangen,
die an anderen Orten ohne Zuhilfe-
nahme des Teufels berichtet werden.
Zweitens wird Faust vom Teufel ge-
holt, weil er ein Schwindler ist, ein
Schlemmer, ein Prasser, ein Wollüst-
ling. Schon vor dem Faustbuche
hatte man sich an verschiedenen Or-
ten erzählt, in der und der Gasse,
in dem und dem Hause, sei der wirk-
liche Dr. Faust nachts vom Teufel
geholt und in Stücke zerrissen wor-
den. Dritten* holt der Teufel den
Faust, weil er es unternommen hat,
die Wahrheit in der Natur auf eigene
Faust zu gewinnen, weil er in seiuer
Wissenschaft vom Wege der Theo-
logie abgewichen ist.
Nach dem Faustbuch scheint am
Ende des 17. Jahrh. eine dramatische
Bearbeitung derSage in Alexandrinern
vorhanden gewesen zu sein. Stücke
daraus finden sich im Puppenspiel
Faust, dessen Hauptquelle man ge-
wöhnlich in der von Marioire, gest.
1593, verfassten englischen Tragödie
Faust sucht, die von sog. englischen
Komödianten nach Deutschland ge-
bracht worden wäre. Wie das Pup-
penspiel im Aufklärungszeitalter den
Anstoss zu neuen Faustdichtungen
im Geiste einer freien Bildung gab
und zumal Lessing und Goethe be-
schäftigte, gehört nicht hierher.
Faustrecht und Fehderecht.
Ein Fehdererht kennt schon das alt-
germanische Recht: es geht aus dem
Begriff des Friedens hervor, den die
einzelnen Kreise selber zu schützen
hatten; wer jemanden böswillig ver-
letzte, der brach mit dem Verletzten
und dessen Familie und Genossen
den Frieden, setzte sich von selbst
mit ihm in Kriegsstand, und der
Verletzte hatte das Recht, mit semer
Familie und seineu Genossen wider
den Friedensbrecher Fehde zu er-
heben, ihr alle ihm nur mögliehe
Ausdehnung zu geben und im Blute
des Friedbrechers Genugthuung für
den erlittenen Hohn zu suchen. Das
Wort Fehde ist mhd. die rehede,
ahd. fehida, angels. faedhu, faedhe\
mit dem ahd. Verb fehan = feind-
selig, gram sein, hassen, angreifen
und verfolgen, und dem ahd. ßh.
mhd. rech — feindselig, und dem
langobardischen Substantiv die faidti,
stammt es wahrscheinlich von dem
got. faijan = anfeinden, das wieder
mit got.Jigan — hassen, dem Wurzel-
verb von Feind, verwandt ist. Da-
mit sieh aber der Starke gegen den
Schwachen nicht alles erlaube, be-
stand zugleich das Recht auf ein
Sühngeld, composifw. Der Verletzte
konnte sieh an das Volksgericht wen-
den und das Volk sorgte für die
Stellung des Friedbrechers vor Ge-
richt und zwang ihn zur Genug-
thuung und dadurch zur Wiederher-
stellung des Friedens. Zur Fehde be-
rechtigte aber bloss diejenige Rechts-
verletzung, durch welche der Friede
wirklich gebrochen war, bei Civil-
ansprüchen und bei nicht vorsätz-
lich zugefügten Verletzungen war die
Fehde unzulässig; im ersten Falle
musste der Richter angegangen wer-
den, im zweiten Falle trat bloss Kom-
position ein. Auch war die Ausübung
des Fehderechtes dadurch beschränkt,
dass gegen den Verbrecher in seinem
Hause und in seiner Wehre, in der
Kirche oder an der Gerichtsstelle,
oder auf dein Wege dahin und zu-
rück, oder beim Könige und auf dem
Wege zu und von ihm nichts unter-
nommen werden durfte. Seit der
Karolingerzeit wurde aber das Fehde-
recht als einem geordneten Rechts-
zustand zuwider sehr eingeschränkt.
Der König konnte einem einzelnen
Befehdeten den Königsfrieden er-
teilen, wodurch jede Fehde gegen
ihn gehemmt wurde; bei schwereren
Verbrechen, namentlich bei Mord.
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184
Faustreeht.
Brand. Raub, Notzucht, Diebstahl
trat der Staat durch eine öffent-
liche Strafe für den Verletzten
ein, da dadurch doch mittelbar der
nemeine Friede des Staates ge-
stört war.
Im spateren Mittelalter, seitdem
vom elften Jahrhundert an die Wirk-
samkeit der Gerichte so oft gelähmt
wurde, änderte sich die Bedeutung
des Fehderechtes dahin, dass dieses
zwar gestattet wurde und zwar so-
wohl gegen schwere Verbrecher als
gegen geringe Verletzungen, ja auch
wegen des unbedeutendsten Civil-
anspruches, aber nur gegen den,
gegen welchen die Gerichte Macht
zu verschaffen nicht imstande waren ;
die Fehde war bloss noch eine er-
laubte Selbsthilfe in allen Fallen, in
welchen dem aus irgend einem
Grunde Berechtigten der Staat zu
seinem Rechte nicht verhelfen konnte.
Die Ausübung dieses in den Land-
frieden (siehe diesen Art.) gestatteten
Fehderech tes war aber an gewisse
Formen gebunden. Wer sich in die
Lage versetzt sah, Fehde zu er-
heben, musste seinem Gegner die
Fehde vorher offen und förmlich
drei Tage vor ihrem Beginnen an-
sagen. Die Fehde musste angekün-
digt werden durch einen Brief, den
ein Bote in die Wohnung des zu
Befehdenden bei Tage zu bringen
hafte. Gewisse Personen und Sachen
mussten gesetzlich bei Ausübung der
Fehde geschont werden: Geistliche,
Kindbetterinnen, schwer Kranke,
Pilger, Kaufleute, Fuhrleute mit
ihrer Habe und Kaufmannschaft,
Ackermann und Weingärtner wäh-
rend der Feldgeschäfte, Kirchen und
Kirchhöfe. Durch den Klerus wurde
zur Beschränkung des Fehderechtes
der Gut festfriede eingeführt Pas oder
Trenqa Dei. An gewissen Tagen
des Jahres und ausserdem in ieder
Woche von Mittwoch Abend bis
Montag früh sollte jede Fehde ruhen.
Der Gottesfriede wurde jedesmal
eingeläutet. Wer ihn verletzte, kam
in den Kirchenbann, wer sich daraus
nicht löste, in die Reichsacht. Da-
gegen schützte, wie es im alten
Hechte gewesen war. Hausrecht und
Hausfriede nicht mehr in der mittel-
alterlichen Fehde. Wer Fehde erhob,
ohne richterliche Hilfe versucht zu
haben, wer sie nicht ankündigte und
sonst sich gegen das Fehderecht
Verfehlte, w ar Landfriedenverhrechrr
und büsste gewöhnlich mit dem
Strang.
Das missbräuchlich ausgeübte
Fehderecht heisst nun Faustrecht,
ein Wtfft, das zuerst im 16. Jahrh
erscheint Die Missbräuche lagen
bei dem ganzen Institute nahe, und
die Verhältnisse der Zeit begünstigten
sie. Besonders den Adel trifft der
Vorwurf solcher Missbräuche; die
Städte waren in der Regel froh,
wenn sie nicht befehdet wurden und
nicht zur Fehde zu greifen sich ge-
zwungen sahen. Dem Adel dagegen
war die Fehde Lust und Erwerb:
denn der Raub war, am Gegner und
seinen Angehörigen begangen, ge-
stattet. Sieh auf Häuherei leqe*,
vom Sattel oder vom Sieareif leben,
war der Ausdruck für dieses Hand-
werk. Noch gegen Ende des 1 5. Jahrh.
sagte ein römischer Kardinal von
Deutschland: Germania tot-a umm
latrocinium est, et ilfe inier nolnlet
(fforiofior, qui rapaeior: GanzDeutsch-
land ist ein einziges Räubernest und
unter den Edelleuten der am- ruhnv
würdigsten, der am meisten raubt.
Wegen der kleinsten Bagatellsachen
wurde oft Fehde angekündigt: ein
Herr von Praunheim schickte z. B.
der Stadt Frankfurt einen Fehde-
brief, weil eine Frankfurterin auf
einem Balle seinem Vetter einen
Tanz versagt und mit einem anderen
fetanzt hatte und die Stadt ihm nicht
afür Genugthuung geben wollte.
Oft, wenn ein Ritter jemandem Fehde
erklärte, schickte aller Tross, der
zu ihm gehörte, auch Fehdebriefe.
Nach II achter, Beiträge zur deut-
schen Geschichte.
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Pechtkumi 1 8ö
Feehtkunst. Das im Mittelhoeh- hervorgegangen waren, daher die
deutschen sehr oft gebrauchte Verb Worte Federfuchser, Federheld, oder
fechten, wahrscheinlich mit faust ob gar Feder der Name eines Stoss-
wurzelverwandt, hat die allgemeine degens war; ihren Hauptsitz hatten
Bedeutung des sich Abmühens, eifrig sie zu Prag. Auch eine Gesellschaft
Strebens, des Anstrengens der Hftnde, I der Luxhrüder kommt vor, deren
im besonderen wird es vom Kämpfen, i Bedeutung noch weniger klar ist,
Streiten im Gefechte angewandt, wie überhaupt eine urkundlich« Dar-
Die Übung im Gebrauche desSchwer- Stellung diesesGegenstandes mangelt,
tes hiess in der höfischen Sprache Man hat von Statu Sachs (Werke
schirmen; schirmknahen sind Knaben, in Fol. /, 307) ein Gedicht: Der
die den Fechtunterricht erhalten; Fechtsj>ruch , Ankunft und Freiheit
der Fechtmeister heisst mhd. schirm- der Kunst. Darin wird die Fecht-
meister. Erst in den Städten nannte kunst von Herkules hergeleitet, der
man die von zünftigen Handwerkern die Olympisehen Spiele stiftete; von
ausgeübten Wuffenspiele, die ohne : den Griechen kam die Fechtkunst
Zweifel eine Nachahmung der ritter- zu den Rumern; das Christentum
liehen Waffenübungen waren, Feeht- \ stellte zwar das blutige Kampfspielab,
kunst; als volksmässigcs Element Dennoch ein stück vom kämpf noch
mischte sich damit die Knust der ! blieb,
von Alters her umziehenden Spiel- VU Held kämpften in freiem Feld
leute und Schwerttänzcr. Als die und ritten zsam in finster Wäld,
älteste Fechtergesellschaft'm Deutsch- Als Eck und der alt Hillebrant,
land gelten die Ma rrhrüder in Frank- Laurein, Hürnen Sewfrid genannt,
fnrt a. M. , oder die Brüderschaft König Fasolt und Dietrich von Bern,
von St. Markus von Lötcenberg, die I Thaten einander Kampf gewern.
aus einem Hauptmann und vier | Auch die Fechtkunst des Adels,
Meistern zusammengetreten war. Wer die zu Verwundungen und Tod
mit ihnen zu fechten wagte, der führte, wurde abgestellt und die
gab sich ihnen entweder in die Kunst der St. Marx-Brüderschaft
Schule oder stand ganz vom Fech- übergeben. Die Kunst selber be-
ten ab. In der Frankfurter Herbst- schreibtHans Sachs folgendermaßen:
messe fochten die Marxbrüder auf Ich sprach: Wie sind die stück genand,
oftentlichen Platze mitfremden Feeht- Die man muss lehren im anfang?
meistern; wer die Probe bestand, j Er sprach: Der Kunst zu eimeingang
dem wurde von ihnen die „Heim- lehrt man ober- und unterhaw,
lichkeit" anvertraut, d. h. allerlei Mittel- und Flügel- haw genaw,
Kunstgriffe in der Führung des Auch gschlossen und einfachen stürz,
Schwertes. Jetzt durfte er das Wap- Den tritt darzu, auch lehrt man kurz
pen der Marxbrüder, einen Löwen, Den Possen und ein aufheben,
führen und in ganz Deutsehland das Aussgftng und niderlegen eben.
Fechten lehren. Das Privilegium der Ich bat: Lieber Meister, zeigt an,
Marxbrüder wurde vom Kaiser NSO,
1 51 2, 1 566 und 1679 erneuert. Unter
Wie nennt man die stück vor dem
Mann?
den nicht privilegirten Fechtschulen Er sprach: Ob ich dirs gleich thu
uar die der Federfechter die ver- nennen,
hreitetste; sie hiess auch Freifechter Kanst du die stück ons Werk uit
ron der Feder, wobei es ungewiss kennen,
ist, ob sie den Namen von einer am Weil du uit hast gelehrt die Kunst,
Hut oderSpiess aufgesteckten Feder Doch ich dir auss besondrer Gunst
trugen oder davon, dass sieursprüng- Etlich häw und stück nennen will,
lieh aus dem Stand der Schreiber Die meisterlich sind und subtil:
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isi;
Fechtkunst. — F«*en.
Derzornhaw und kruuiphaw, schaw, Universitäten, deren Studenten
Zwerchhaw, schillerhaw, scheitler- Hang eines (gelehrten Adels b<
haw, spruehten. Als Begründer der aka-
Wunder versatzung und nachreisen, demischen Fechtkunst wird W
Ueberlauf , Durch Wechsel etlich | heim Kreuts! er genannt. Sohu < :
heissen, Nassauischen Schulmeister». i< r
Schneiden, hawen, stich im winden, Frankfurt Marxbruder und in
Abschneiden, hengen und anbinden; privilegierter Fechtmeister w
Die Kunst halt in vier läger klug, er starb 1673. Von seinen
Alber, Tag, Ochs und den Pflug. I Kindern wurden vier
Dieselben
seltsamen
Namen fin-
det man
auch in den
im 16. Jhrh.
zu Frank-
furt er-
schienenen,
mit Holz-
schnitten
versehenen
Fechtbü-
cheru; hier
wird unter-
schieden
dasFechten
mit dem
langen
Schwert,
das Messer-
fechten,
dessen vier
häw ge-
nannt wer-
den Zorn-
haie, Ent-
rüsthaw,
Geferkaw, Entweeker, Zwinger und
Winker^ das Fechten mit Teichen
oder Kampftagen und «las Fechten
in der Stangen. Dazu Figur 47
bis 49 aus: Fechthuch. Die* Ritter-
liche und Männliche Kunst und
Handarbeit Fechtens. Fraukf a. M.
1558. Mit der Verbreitung der
Schützengesellschaften kamen die
bürgerliehen Fechtergesellschaften
in Verfall.
Dagegen erhielt sich die Fecht-
kunst als notwendige Beigabe einer
adeligen Erziehung und auf den
Fig. 47. Aus dorn Frankfurter Fechtbuch v
Feen, bei den romaui
kern aus dem lateinischen Wod
tum entstanden, welches an die
von jjarca, Parze getreten
ital. ßtta, span. hada, prov.
franz. fe'e. Keltischer uud
nischer Volksglaube, die deu
Nornen, mögen sich mit
Schiksalsgöttiuen vermischt
Schon Ausonius, 4. Jahrhtt
erwähnt neben /res Chart fr t\
fata, wie denn überhaupt die
zahl, daneben einigemal die
sieben uud dreizehn für sie cha
Feen.
187
Aus dem Frankfurter Fechtbuch v. 1558.
ristisch siud.
Sie haben auch
besondere Na-
men, beson-
ders berühmt
ist die fata
Moryama.
Monjhe lafte.
Sie erseheiuen
bei ländlichen
Festen uud
belohnen
tfeissige Spin-
nerinnen.
Ähnlich den
deutschen
Riesenjung-
trauen tragen
*ie ungeheure
Fclsblöekeauf
dem Haupte
nnd in der
Schürze, wäh- Fig. 48.
reud sie mit
freier Hand
ihre Spindel
drehen; als
« ine Fee, wel-
che den 15au
vollführte, zu
Ende war, rief
sie ihreu
Schwestern
zu, mit dem
Herantragen
aufzuhören ;
diese, obgleich
zwei Meilen
weh entfernt,
hortenden Ruf
und Hessen
die Steine fal-
len, dir sich
tief in die Erde
senkten; span-
nen aber die
Feen nicht, bo
trugeu sie vier
Steine auf ein-
mal. Sie wa-
ren gutmütig
und nahmen * 4;'' A,IS dtMU Fr*Ilkfurter Fechtbuch v. 1558.
Sich besonders
der Kinder ;u»,
deren Schick-
sal sie verkün-
digten. Iu die
Häuser der
Nachbarnstie-
gen sie durch
den Rauch-
fang ein und
aus; daherkam
es, dass sich
einst die un-
vorsichtigste
unter ihnen
verbrannte
und ein lautes
Klaggesi lu ei
ausstiess. auf
welches alle
Feen der Ge-
gend zusam-
menliefen.
Täuschen
Hessen sie sich
nicht ; denn als
ein Mann sei-
ner Frauen
Kleider anzog
und des Amtes
pflegte, strafte
Sic ihn da-
durch, dasssie
die auf dem
Herd „kochen*
den Apfel in
Birnen ver-
wandelte.
Grimm, Mv-
thol. 882. Die
alt französi-
schen Epiker
verflochten die
Feen in die
romantischen
Abenteuer
ihrer Helden,
von wo sie
auch als mhd.
feie, fein e, m er-
feie, teazzer-
feie, aber nur
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188
spärlich, in das deutsche höfische
Kunstepos eingeführt worden ; Gott-
fried von Strassburg sagt vom Blicker
von Steinach (Tristan 46081:
ich waene, daz in feinen
ze wunder haben pesounnen
und haben in in tr brunnen
getiutert und gereinet,
er ist benamen gefeinet.
Aus Volksüberlieferungen und nicht,
wie man früher meist annahm,
aus arabischen Quellen, sind seit
der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
hunderts die französischen Conte*
de ß'es entstanden, deren erste und
beste die des Carl l'errault 11833
bis 1703) ist, erschienen 1697 ; gleich-
zeitig sammelte solche Märchen die
Gräfin Aulnoy, 1650— 17<>5, sie er-
schienen 169»; von beiden Samm-
lungen giebt es zahlreiche Nach-
ahmer. Schreiber, die Feen in Europa,
Freiburg 1842, und Kuightler, Mytho-
logie der Feen und Elfen, deutsch
von 0. L. B. Wolff, Weimar 1828.
2 Bde.
Fegfeuer, mhd. regeriur, Pur-
gatorium, Tgnis purqatoriu* ist ur-
sprünglich * eine altpersische Vor-
stellung und wurde zuerst von Ori-
genes (185 — 254 1 in den Kreis der
christlichen Anschauungen von den
letzten Dingen hineingezogen. Doch
hat erst Augustin Hie Lehre von
einem sinnlich peinigenden Fegfeuer
vorgetragen und mit 1 Kor. 3, 15
zu begründen gesucht. Die Beziehung
fies Fegfeuers auf das Messopfer
stammt von Gregor d. Gr.; nach
seiner Lehre, die im Ganzen bis
heute zu Recht besteht, geht, der
mit Todsünden belastet stirbt, in die
Hölle; lässliche Sünden, wie Schwatz-
haft igkeit, Rachsucht, sei i lechte Haus-
haltung, werden im Fegfeuer abge-
büsst. Hauptsache ist aber schon
bei ihm, dass die Kirche durch Für-
bitte, gute Werke und namentlich
durch das Messopfer den im Feg-
feuer Leidenden zu helfen vermag:
die meinunq hat globen und statt
finden, die lebenden mögen durch ire
werk, im namen der toten geschechen,
den armen fegenden seelenzu hilf und
trost umb erledigung erschienen, ah
so finte gesellen einem helfend das
fagwerk, damit er desfer ee /trabend
haben mög, ussrichfen. Kessler. Sab-
bata, I, * 93. Auf dem Konzil zu
Florenz 1239 wurde die Lehre vom
Fegfeuer zu einem förmlichen Glau-
bensartikel erhoben.
Femgericht, Vehmgericht, mhd.
die veme = Strafe, Strafgericht, remsn
—das Urteil über jemand sprechen,
verurteilen , davon verremen, uhd.
verfehmen, aus dem Mittel-, ur-
smünglieh Niederdeutsehen, dunkeln
L rsprunges. Die Femgerichte waren
kaiserliche Landgerichte, die ihren
Sirz in Westfalen, in einem Teile
von Engem in dem Winkel zwischen
dem Rheine und der Weser hatten.
Sic selbst schreiben ihren Ursprung
Karl d« in Grossen zu, der sie auf
den Rat des Papstes Leo eingesetzt
habe, und berufen sich darauf regel-
mässig; richtig ist dies nur, insotern
eben Karl der Grosse das Institut
der Schotten in die Volks- oder
Gaugerichte einführte (siehe den
Art. Gerichtswesen i. Als nun nach der
Karolingischen Zeit die alte Gau-
verfassung sieh allmählich auflöste
und die Grafengewalt in ein erb-
liches Recht und in Landeshoheit
überzugehen anfing, verloren die
Freien fast überall einen Teil ihres
angestammten Rechtes, sie wurdeu
vogteipflichtig, und wenn sie auch
an den Landgerichten noch teil-
nahmen, so bildeten sie doch keine
kaiserliehen Gerichte mehr über
Freie. In wenigen Gegenden er-
hielten sieh alte Gerichte, z. B. iu
Oberschwaben das kaiserliche Land-
gericht bei Wangen, hauptsachlich
aber in Westfalen und einem Teile
von Engern. Hier bildete sich die
Landeshoheit sehr langsam aus, die
Herren waren meist Geistliche, das
alte Sachsenland hing überhaupt
strenger an der hergebrachten Sitte,
viele freie Grundbesitzer erhielteu
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Femgericht. 189
sich. Der Richter, der dem Gerichte den, wenn nämlich der ordentliche
vorsass. war immer noch der alte Richter nicht imstande war, des
karolingische Gaugraf, ein kaiser- Schuldigen mächtig zu werden, oder
lieber Beamter, der vom Ende des 12. den guten Willen hierzu nicht hatte;
Jahrhunderts an zur Auszeichnung von wann diese Erweiterung geschah,
auderen Grafen Freigraf ^ Lomes ist ungewiss. Um aber gegen die
Uberorum hiess, wie die Schöffen zahlreichen Fälle gerüstet zu sein,
Freischötfen, Scabini liberorttm oder
wo der Beklagte dem Gerichte ein-
liberscabini. Alle eingesessenen fach nichts nachfragte, richtete man
Freien waren und blieben Schöffen- neben den Sitzungen, wozu wie ge-
bar und zahlten an den Vomex die wohnlich jeder Zutritt hatte, andere
alten Reichsabgaben für den kaiser- ein, woran nur Schöffen teilnahmen;
liehen Fiskus. Der zwar nicht das offenbare Ding verw&udelte sich
zusammenhängende Gerichtsbezirk in ein heimliches oder Stiftgericht,
hiess Freigrafschaft, comitia libera. eine heimliche oder beschlossene Acht,
Die Freigrafeu wurden unmittelbar das nicht etwa bei Nacht oder au
vom Kaiser oder namens des Kaisers besonderen Orten abgehalten wurde,
vom Herzog mit dem Gerichte be sondern am gewohnten Mahlplatz
lehnt Zwar gelang es auch hier im Freien, nur unter Ausschluss aller
den Territorialnerren, die Freigraf- yichticissenden. Am offenen Ge-
schäften in ein Abhäugmkeitsver- rieht wurden jetzt bloss noch Civil-
hältnis zu bringen und sich mit der und geringere Rügesachen verhan-
Grafschaft selbst sdsBOg. Sttdilherren, delt: vor das offene Gericht musste
d. Ii. Gerichtsherren, erblich vom auch der Umcissende gefaden w er-
Kaiser belehnen zu lassen, auch die den, und es wurde hier über ihn ge-
Reichsabgaben an sich zu ziehen; richtet, wenn er erschien; erschien
dennoch blieb das alte Gericht, mit er nicht, so verwandelte sich das
ihm die alten Mahlplätze, Freistühle; Gericht in die heimliche oder be-
der Stuhlherr musste den Freigrafen schlossene Acht dadurch, dass allen
als den Vorsitzenden des Gerichtes Anwesenden, die nicht Freischöffen
dem Kaiser oder dem Herzoge prä- waren, bei Todesstrafe geboten
sentieren, damit er von diesem den wurde, sich zu entfernen. Zur sichern
kaiserlichen Bann unmittelbar er- Vollziehung des Urteils wurde be-
halte. So erhielten sich diese Frei- stimmt, dass die vom Femgerichte
gerichte fort als kaiserliche Gerichte ausgesprochene Oberacht zugleich
und übten nicht bloss Kriminal-, das Todesurteil des Gerichteten sein
sondern auch Civilgeriehtsbarkeit, sollte, dass es nur eine Todesstrafe
zunächst jedoch nur über die zur creben soll, den Strang oder die Tf'iW,
Freigrafschaft gehörigen Freistuhl Weidenstrick, und dass der nächste
enter und deren Angehörige. Über beste Baum der Galgen sein sollte,
diese Kompetenz hinaus ging das Den Schöffen war dem bestehenden
Gericht dadurch, dass sich die Rechte gemäss als allgemeine Pflicht
Schöffen, ebenfalls nach einer von aufgelegt, das Todesurteil zu voll-
Karl dem Grossen hergeleiteten , ziehen. Sodann nahm man auch
Pflicht , für berechtigt hielten , vor ausserhalb Deutschlands Sehöffen
dem Gericht als Jiüger, d. h. als an, nach dem Grundsatz, dass jeder
Ankläger im eigenen Namen ver- Deutsche von gutem Rufe, wenn
möge ihre» eidlich übernommenen auch der Landeshoheit unterworfen,
Rügepflicht aufzutreten, und zwar falls er nur nicht hörig oder von
auch gegen Verbrechen, die ausser- hörigen Eltern geboren war, zum
halb ihres Gerichtssprengeis und Schöffen aufgenommen werden
von fremden Personen verübt wur- könne, wenn er in Westfalen sich
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1 90 Femgericht.
dazu meldete, denn nur auf wcst- das beklagte Verbrechen vemtcro<ie.
laiischer Erde konnte man zum d. h. ein vor die Feme gehöriges
Schorlen gemacht werden. Je höher Verbrechen sei. War dieses bejaht
das Ansehen und die Macht der so wurde der Angeklagte, weun er
Femgerichte stieg, desto mehr Freischoffe war, vor die heimliche
driingte sich alles zum Schöffenamte, Acht geladen, durch schriftlich aua-
in dem ein besonderer Schutz lag gefertigte und vom Freigrafen be-
Die freien Stadtr sorgten nieist dafür, siegelte Ladung. Die Ladmigsfrist
unter den Mitgliedern ihres Rates betrug nach altem Recht "sechs
einige Freischöffen zu haben ; die Wochen und drei Tage. Oer Frei-
Fürsten sahen es gern, wenn ihre tckÖffib wurde dreimal geladen und
Räte Freischöffen wurden; Reichs- crluelt drei Fristen, die erste La-
fürsten, ja Kaiser reisten nach West- dung geschah durch zwei Frei-
falen, sich wissend machen zu lassen; gehörten, die zweite durch vier, die
im 15. Jahrhundert sollen sich tau- dritte durch sechs Freischöffen und
sende von Freischöffen in Deutsch- einen Freigrafen; wenn er das dritte
land befunden haben. Mal nicht erscheine, sollte die höchste
Im Übrigen ratete das Verfahren Wette, die letzte schwere Sentenz
auf allgemeinen germanischen Rechts- ausgesprochen werden. Der Frei-
gewohnheiten. Das Gericht wurde grat sollte zum erstenmal durch
bei Tage zwischen morgens 7 Uhr sieben Freischöffen und zwei Frei-
bis Nachmittags unter freiem Hirn- grafen, dann durch vierzehn Frei-
mel, an den bekannten Mahlplätzen schürfen und vier Freigrafen, zuletzt
der einzelnen Freistühle, deren es durch einundzwanzig Freischüflteu
über 100 gab, gehalten. Vorsitzer und sieben Freigrafen geladen wer-
war der I* reigraf, der ein Westfale den. Die Ladung eines SicktwisseA-
s?in musste, so zwar, dass jeder den geschah vor das offene Ding
freie Westfale, Edelmann oder Bauer, blieb er aus, so verwandelte sieh da*
Freigraf sein konnte und wirklich offene Ding sofort in heimliche Acht,
war. Vor dem Grafen stand ein Er erhielt in der Regel bloss einen
Tisch, auf demselben lag ein blankes Termin von sechs Wochen und dit-i
Schwert und ein Weidenstrick. Er- Tagen. Die schriftliche Ladung an
scheinen und am Urteile teilnehmen ihn wurde durch den Fronboten de*
konnte jeder Freigraf und Freischöffe, Freistuhls oder durch zwei Frei-
sodass hei wichtigen Verhandlungen sehöffen besorgt. War der Wohn-
ihrerhundert anwesend sein mochten, ort des zu Ladenden unbekannt, so
zum wenigsten aber mussten sieben wurden an vier Orten des Landen
zugegen sein. Zum Urteilsfinder in dem der zu Ladende sich ver-
rief der Vorsitzende einen ebenbür- 1 mutlich aufhielt, auf Kreuzstrassen
ti.jen Schöffen auf, dieser beriet sich gegen Osten, Westen, Süden und
mit den Umstehenden; sein Aus- Norden je eine schriftliche Ladung
spruch, wenn er von der Versamm- aufgesteckt und zu jedem Briete
lung mit Billigung aufgenommen 1 eine Künigsmünze gelegt. Unter
wurde, bildete das Urteil, das der ; Umstanden, wo Vorsicht nötig war.
Freigraf verkündete. Es konnte konnte die Ladung auch bei Nacht
nur auf Anklage verfahren werden, geschehen und au die Thore des
und Ankhiper Konnte nur ein Frei- 1 Schlosses oder der Stadt, wo der
schöffe sein; er klagte bald auf Angeklagte hauste, gesteckt werdeu
eigenen Namen, bala im Namen Erschien der Angeklagte nicht, so
eines verletzten Wissenden oder hatte am letzten Termine, auf vel-
Niehtwisscnden. Auf erhobene An- eben der Angeklagte geladen war.
klage wurde zuerst entschieden, ob der Ankläger seine Klage zu wieder
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Femgericht.
191
holen. Denn w urde auf den Ge-
ladenen gewartet, „bis die Sonne
am Höchsten gewesen44, „bis Mittags
in die dritte Uhr4. Erschien der
Angeklagte auch jetzt nicht, so
musste der Kläger nachweisen, dass
di«j Ladungen gehörig geschehen
seien: dann rief der Freigraf den
Angeklagten im Gericht noch vier-
mal beim Namen und Zunamen auf
und frtgte, ob niemand von seinet-
wegen da sei, der ihn verantworten
wolle? War es vergebens geschehen,
so forderte der Kläger iol Ige rieht,
d. h. die letzte Sentenz, wenn er
nicht selbst noch eine letzte Frist
von dreimal vierzehn Nächten, einen
sogen. Kauer Karls Tag gestattete.
Er wurde nun aufgefordert, seine
Klage zu beweisen. Dies geschah
nach deutschem Rechte durch Eides-
helfer (siehe diesen Art. ), welche die
Ehrenhaftigkeit uud volle Glaub-
würdigkeit des Schwörenden eidlich
zu kräftigen hatten. Wenn also der
Ankläger knieend mit zwei Fingern
der rechten Hand auf dem blanken
Schwerte schwur, dass der Ange-
klagte schuldig sei, und wenn dann
sechs Freischöffen eidlich bekräftig-
ten, sie seien überzeugt, der An-
kläger schwöre rein, nicht mein, so
wurde die Anklage als voll erwiesen
angenommen. Nun wurde die letzte
schwere Sentenz in feierlichster Form
über den Schuldigen ausgesprochen;
sie lautete im Munde des Freigrafen:
„Den beklagten Mann mit Namen
X. den nehme ich aus dem Frieden,
aus dem Rechte und aus den Frei-
heiten, die Kaiser Karl gesetzt und
Papst Leo bestätigt hat und ferner
alle Fürsten, Herren, Ritter und
Knechte, Freie und Freischöffen ge-
lobt und beschworen haben im Laude
zu Rechten, und werfe ihn nieder
vom höchsten Grad zum niedrigsten
Grad und setze ihn aus allen Frei-
heiten, Frieden und Rechten in
Köuigsbann und Wette und in den
höchsten Unfrieden und Ungnade,
und mache ihn unmündig, echtlos,
'rechtlos, siegellos, ehrlos, friedelos
und unteilhaftig alles Rechts, und
verführe ihn und verfeme ihn und
setze ihn hin nach Satzung der heim-
lichen Acht und weihe seinen Hals
dem Stricke, seinen Leichnam den
Tieren und den Vögeln in der Luft,
ihn zu verzehren, und befehle seine
Seele Gott im Himmel in seine Ge-
walt, wenn er sie zu sich nehmen
will, und setze sein Lehen und Gut
ledig, sein Weib soll Wittwe, seine
Kinder Waisen sein.44
Hierauf, heisst es in den alten
Feinrechtsbüchern, soll der Graf neh-
men den Strick von Weiden ge-
flochten und ihn werfen aus dein
Gerichte, und so sollen dann alle
Freischöffen, die um das Gericht
stehen, aus dem Munde speien, gleich
als ob man den Verfemten fort in
der Stunde hänge. Nach diesem
soll der Freigraf sofort gebieten
allen Freigrafen und Freischöffen
und crmahnen bei ihren Eiden und
Treuen, die sie der heimlichen Acht
gethan, sobald sie den verfemten
Mann bekommen, dass sie ihn hängen
sollen an den nächsten Baum, den
sie haben mögen, nach aller ihrer
Macht und Kraft.
Dieses Urteil wurde vor dem
Verfemten in der Regel geheim ge-
halten; ein Schöffe, der es verriet,
war selbst dem Strange verfallen.
Dem Ankluger wurde das Urteil
schriftlich mit dem Siegel des Frei-
grafen ausgefertigt, zur Legitimation
fegen andere Freischöffen, die ihm
ei der Exekution behülflich sein
sollten: doch durften nur drei bei
derselben sein. Wo sie ihn trafen,
richteten die Schöffen den Verfemten,
hängten ihn an den nächsten besten
Baum und steckten zum Zeichen, dass
er von der heiligen Feme gerichtet
sei, ein Messer in den Baum.
Die Freischöffen erkannten sich
gegenseitig an der geheimen Losung.
Diese bestand aus den Wörtern Strick,
Stein, Gras, Grein, aus dem sog.
Notwort Beinir dar Feweri und aus
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192
Femgericht.
dein heimlichen Schöffe ngruss: der
ankommende Schöffe legt seinerechte
Hand auf seine linke Schulter uud
spricht :
Eck griit ju, leite man ;
Wat fange ji hi an !
Darauf legt er seine rechte Hand
auf des andern Schöffen linke Schul-
ter, und der andere thut desgleichen
und spricht:
Allet (Hucke kehre in,
Wo de Frienscheppvn sin!
Die Schöffen mussten schwören,
die geheime Losung und die Heim-
lichkeiten des Gerichtes überhaupt
vor Weih und Kind, Sand und Wind
zu bewahren.
Erschien der Angeklagte auf die
geschehene Ladung vor Gericht und
gestand er die That, so wurde ihm
sofort das Todesurteil gesprochen
und an ihm vollführt.
Leugnete der Angeklagte die That
und war er selber Freischöjfe , so
brauchte er anfänglich nichts als
einen Reiuigungseid zu thun, und
man musstc ihn seines Weges gehen
lassen; spater, als dieses Vorrecht
der Freischöff'eu dem Missbrauch
ausgesetzt schien, wurde bestimmt,
dass der Ankläger durch seinen Eid
und zwei Fideshelfer unter den an-
wesenden Freischoffen den Klager
überbieten könne. Dem gegenüber
konnte der Beklagte mit sechs Eides-
helfern sich losschwören, der Kläger
mit dreizehn Eideshelfern ihn wieder
überbieten und der Angeklagte im
Fall^ mit zwanzig Eideshelfern sich
endgültig losschwören; diese Zahl
konnte nicht mehr überboten werden.
War der Angeklagte ein Sicht-
wissender, so war seine Stellung von
vornherein schwierig. Zwar konnte
er in manchen Fällen des Kaisers
Hilfe aurufen, auch konnte sein
ordentliches Gericht die Sache ab-
fordern und sich zu Recht erbieten;
aber er musstc die Abforderung
sofort mitbringen und zwei Frei-
schöffen als Bürgen stellen, dass er
dort dem Klager zu Ehre und Recht
stehen wolle. Oft jedoch beachtete
das Freigericht beides nicht, uixl
dann kam es zum gleichen Verfahren
wie in dem Falle, wenn der Beklagte
selber Freischöffe war; aber wie
sollte er dem Kläger gegenüber unter
den Freischöffen die nötigen Eides-
hclfer finden? Deshalb erschien ein
solcher Angeklagter häufig lieber gar
nicht, obgleich ihn dann uunacL
sichtlich die Verfemung traf.
Wenn jedoch der Verbrecher, wo
es immer sein mochte, auf hai»~
hafter That oder mit den Werkzeugm
mit denen er sie vollbrachte, od«
mit dem, was er durch die Tlu:
sich angeeignet, auf eine Weise be-
troffen ward, die ihn ganzuuverkeüii-
bar als Thäter bezeichnete, oder er
die That gestand, „mit habe^l»
Hand, mit blickendem Schein. *tl
girhtigem Mutid", so konnten »iiti
Freisehöffeu ihn sofort richteu ülä
henken.
Allmählich artete «las Waltend«
Femgerichts in grosse Willkür
iranze Städte, der Rat oder sämtlirfcj
Einwohner von 14 bis Tu Jahwq
wurden vorgeladen; Kaiser /Wr^
rieh IJLy sein Kanzler und
Kammergericht wurden zweimal ver-
geuden , „dass er daselbst sei»*
Leib und die höchste Ehre venuÄj
worte, bei Strafe für einen uugebur<
sainen Kaiser gehalten zu wenleal
Schon um 140U beschäftigte inM
sich mit den laut gewordenen Mi*
bräuchen; im 15. Jahrh. erwirktes
die Reichsstande für sich un«l
Unterthanen Privilegien gegen
Vorladung, die Zahl der \Vissew
ausserhalb Westfalen nahm ab.
verbesserte Reichsjustiz machte
Berufung an sie überflüssig, iu Wc
falen selber wurden die Freist
in landesherrliche Gerichte
wandelt. Die Verhanguiig von Uj
bensstrafen kam ausser Übuni: ^
wurde den Freigerichten ausuruA
lieh untersagt und sie dadurch m
die geringeren Frevel eingeschricK
In dieser Form aber bestauuYu *
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Fenster.
193
noch lange fort, in Westfalen wur-
den sie 1811 durch die französische
Gesetzgebung aufgehoben. Meist
nach Wächter, Beiträge zur deutschen
Geschichte. Tübingen, 1845.
Fenster
sind im roma-
nischen Bau-
stil klein und
schmal. Die
Kirchen mit
niedrigen
Seiteuschiffen
haben im
Lan^ 'hause
zwei Fenster-
reihen, eine
für die Ab-
seiten im Un-
tergeschoss ,
die andere für
das Haupt-
schiffimOber-
geschoss . die
fetztere Reihe
setzt sieh in
den Kreuz-
Schiffen und
im Chor fort.
Die Zahl der Fenster des Lang-
hauses korrespondiert nicht immer
mit der Zahl der Bogenstellungen.
Die Fenster sind wie
alle Wölbungen im
Rundbogen geschlos-
sen. Die Fensterwan-
dung, die Leibung, be-
steht aus zwei sog.
Schmiegen oder Schrä-
gen, welche in der
Mitte auf einem plat-
ten Bande zusammen-
treffen, sodass sich die
Fensteröffnung nach
innen und aussen er-
weitert, — dadurch
wird die Beleuchtung
des Innern verstärkt und dem Re-
gen nach aussen leichterer Abfluss
gestattet. In den romanischen
Türmen nimmt die Zahl der Fen-
ster mit der Höhe des Stockwerks
Realteiicon der deutschen Altertümer.
zu; in den oberen Stockwerken
gruppieren sie sich nebeneinander,
sodass die Öffnungen bloss durch
die dieselben stützenden Teilsäulchen
getrennt sind; man heisst sie gekup-
pelte Fenster,
Fig. 50 (a bis c). Gekuppelte Fenster.
welche für die
romanische
Architektur
eine sehr cha-
rakteristische
Bildung sind.
Siehe Fig. 50,
aus Müllerund
Mothes, arch.
Wörterbuch.
Imgotisehen
Baustil sind
die Fenster
zahlreicher
und erhalten
grössere Di-
mensionen.
Ihre erste Aus-
bildung erhal-
ten sie in Pro-
fanbauten und
Kreuzgängeu.
Hier wurden
mittlere Säule ge-
von einem ge-
um-
Fig. 51. Dreipau.
zwei durch eine
trennte Öffnungen
meiuschaftlichen Blendbogen
schlössen , und die zwi-
schen dem letztern und
den Fensteröffnungen
befindliche Mauer-
fläche, das Bogeufeld,
mit einem Kreisrund,
einer drei oder vier-
blättrigeu Rosette
durchbrochen. Später
wurden die Rundbö-
gen zu Spitzbögen,
während man sowohl
das Boge nfeld als die
kräftige Zwischent-äule
noch beibehielt. Dann,
als mit der Gotik immer mehr das
Streben erwachte, die Flachen zu
durchbrechen und die stützenden
Teile zu erleichtern, reduziert!? sieh
die Zwischenstütze zw ischen den Fen-
13
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194
Feste, christliche.
Stern auf einen schlanken, stabartigen einen Drei; Vier- oder Fünfpatt.
Pfeiler oder Pfosten, der in den Siehe Fig. 51 bis 53 aus derselbtn
älteren Bauten in Erinnerung an Quelle.
seine Herkunft aus der Säule noch Seit dem 14. Jahrh. betrachtete
mit einer Basis und einem Kapitale mau das Masswerk nur noch als
versehen i-t; an die Stelle der Steiner- blosses Füllwerk und suchte die bin-
nen Fläche tritt ein grosser offener her offenen Teile? so reich wie mög-
Kreis, von einem dünnen Ringe um- lieh zu dekorieren. Au die Stelle
schlössen: an Stelle der Mauermasse der Kreise traten sphärische Drei-
ist ein leichtes Stab- oder Gitterwerk und Vierecke, die nun ihrerseits
von senkrechten
Pfosten, von
Spitzbögen und
dem darüber be-
findlichen Kreise
getreten, das
G in/.e von den
offenen Haupt -
bogen umschlos-
sen. Wie früher
trestaltete man
Fig. 52. Yierpass.
wieder mit be-
sonderem Mass-
werke gefüllt
wurden. Seitdem
15. .Jahrb. wird
da* FUehblattn-
muster die tou-
angebende Mass-
werk form. Nach
Hahn.
Feste, christ-
die Fensterbank und die Leibung liehe, oder Feiertage. Die iiitesten
d»'ä Hauptbogens einwärts und aih- kirchliehen Fest- und Feiertage
wärts sclnäg . jetzt belebt durch wurden vor dem Mittelalter eestit-
einen Wechsel von vorspringenden tet; der Sonntag als der Aufer-
und eingekehlten Gliederungen, eine stchungstag ist schon im 2. Jahrh.
Gliederung, die auch dein
Stabwerk der Pfosten,
Ii« »gen und Kreise zuteil
wurde. Noch mehr neue
Elemente treten hinzu
dadurch, dass die unte-
ren Spitzbögen verdrei-
facht und vervierfacht
wurden, dass man .-ie
paarweise durch grössere
umschloss, indem man
grossere und kleinere,
alte und jumic Pfosten
miteinander wechseln
Iii ss. Dadurch endlich,
dass man die vermehrte
allgemein gefeiert wor-
den; doch ordnete ei>t
Kaiser Konstantin iw
Jahre 321 eine strenger«1
Ssumtagsfeier an, indem
er verordnete, dass an
diesem Tage die gericht-
liehen Sachen und die
öffentlichen und gewöhn-
lichen Tagesarbeiten
Fischblase.
ruhen sollten; nur d>
Landleute sollten die
günstige Witterung fui
ihre Feldarbeiten be-
nutzen dürfen. Alter
noch als die Sonn tag? -
Zahl der Högeu und Kreise durch feier ist die Oster feie? oder ai«
Anbringung kleiner Dreiecke, söge- Feier des jüdischen J\tj*sah. bei
nannte A<mv //, mit kleeblattförmigi'ii welcher an Stelle des jüdischen
Mustern füllte, entstand das Mosa- Osterlammee das Opfer des Hern
verk\ ein Wechsel mannigfaltigster gefriert wurde. In dieses Fest zog
Kombinationen, die sieh alle auf das man die Feier des Todestages Jesu.
Kreisrund zurückführen lassen. Je des CharfrtUagt^ und den dar
nach der Zahl, in der die Nasen auf folgenden, grotter SatbatA g»1
angewendet w urden, erhielt mau eine nannten Sonnabend und setzte der
drei-, vier- oder fünf blättrige Rosette, würdigen Vorbereitung wegen da?
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Feste, christliche.
195
vorausgehende 40tägige Fasten an.
Wie die Juden, so begannen die
Christen ihr Kirchenjahr anfänglich
mit Ostern. So entnahmen die Chri-
sten den Juden auch das fünfzig Tage
nach Ostern stattfindende 1/ oehen-
fest oder das Fest der Frühernte,
Jjingsten. Als allgemein gültiges
Fest erscheint Pfingsten aber erst
im 4. Jahrh. In dasselbe Jahrhun-
dert fällt die allgemeine Einführung
des Himmelf ah rtfestes und der Weih-
nachtsfeier, alle drei Feste bedingt
durch Anlehnung des christlichen
Kultus an die Religion der Germanen,
am meisten das Weihnachtsfest, wel-
ches geradezu das Fest der Winter-
Sonnenwende zu decken bestimmt war.
Die älteste Nachricht vom 25. Dezem-
ber als dem Geburtstage Christi
findet sich im römischen Staatskalcn-
der des 4. Jahrh.; doch wurde zu
gleicher Zeit, in der zweiten Hälfte
des 4. Jahrh., auch der 5. oder 6.
Januar angenommen. Der 25. De- ■
zember hängt aber nach Viper, evan- 1
gel. Kalender für 1856, S. 41 ff. erst
in zweiter Linie mit der heidnischen
Feier des kürzesten Tages zusammen,
in erster Linie hängt derselbe viel-
mehr vom Tag der Empfängnis ab,
als welcher mehrentcils der Tag der
Verkundigu ng , der 25. März galt, auf
welchen nach dem Juliauischcn Ka-
lenderdie Frühh ngsnachtgleiche fällt.
Auf diese hat man die Menschwerdung
Christi gelegt, aber nicht sowohl
wegen dieses Jahrpunkts, sondern
um der WelUch'öpfung willen, die
an diesem Tage, welcher der erste
Tag der Welt heisst, ihren Anfang
genommen haben sollte. Vgl. Feste,
trel fliehe, und Weihnacht. Das Kfi-
phanienfest am 6. Januar scheint
ält'r als das Weihnachtsfest zu
sein; als erstes Kirchweihfesf, das
bald Nachahmung fand, wird die
Einweihung der von Konstantin dem
Grossen erbaute Märtyrerkirche zu
Jerusalem genannt. Erst dem 6. oder
7. Jahrh. gehört der Advent , dem
5. Jahrh. der Tag des ersten Mär-
tyrers Stephanus, der dritte dem
Evangelisten Johannes geweihte
Weihnachtstag, dieser erst im 13.
Jahrh. allgemein geworden ; der un-
schuldige Kindertag, Fes tum Inno-
centium, wurde anfänglich mit Epi-
phanien zusammen gefeiert. im
5. Jahrh. war damit der grosse
christliche Festcyklus abgeschlossen.
Jedes bedeutende Fest erhielt schon
seit dem 4. Jahrh. seine Nach- oder
Schlussfeier am achten Tage nach
dem Feste, die Oktave.
Eine Erweiterung der Feiertage
geschah durch die Verehrung der
Märtyrer, ihrer Reliquien und der
Orte und Kirchen, in denen jene
aufbewahrt wurden. Ganz beson-
ders aber trug- die im 5. Jahrh. über-
handnehmende Marien verehrung zur
Gründung und Ausbildung der
Marienfeste bei. Dieselben sind fol-
gende: 1) Maria Verkündigung,
*25. März, Fest um Annunciatwnis
Domini oder Annunciationis Angelt
ad Ii. Mariam, später Annunciatio
Mariae oder Fes tum Conceptionis
Christi genannt, wahrscheinlich das
älteste, sehonausdem 3. oder 4. Jahrh.
stammen« le Marienfest. 2) Mariä
Reinigung, m2. Februar, auch Fesfum
Praesenttonis Domini, Fesfum Occur-
sus, Fesfum Simeonis et Hannae,
Fesfum Ca ndelar um oder Luminum;
Lichtmess , Licht - Weihe , Kerzen-
Weihe, Kerz-Mes.se genannt, aus dem
6. Jahrh. 3) Marin Himmelfahrt,
75. August, vielleicht schon im 6.
Jahrhundert gefeiert, heisst auch
Fest um Herharum oder Würz- Weih' ,
Würz- Messe. 4) Maria Geburt,
8. September, Festum Sativitatis
Mariae, im 7. Jahrhundert entstan-
den. 5) Marin Opferung, 91. A*o
vember, Festum l'raesentationis Ma-
riae, Feier von Marias Einweihung
zum Tempeldienst und zur bestän-
digen Jungfrauschaft. Das Fest
kommt aus dem Orient und wurde
erst im 10. Jahrh. im Abendlande,
und nie allgemein, angenommen.
6) Mariä Empf'änqnis, H. Dezember.
13*
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196
Feste, christliche.
Festum Coneeptionis Mariae, d. h. die
unbefleckte Empfängnis der Maria
von ihrer Mutter Anna, nicht die
Empfängnis Jesu von der Maria.
Es soll zuerst in England im 1 1 . Jahrh.
aufgekommen sein; der heil. Bern-
hard sprach sich noch gegen dieses
Fest aus; dagegen warfen sich die
Franziskaner zu Verteidigern dieses
Festes in der Lehre auf, dass Maria
ohne Sünde von ihrer Mutter em-
pfangen worden und folglich ohne
Erbsünde sei. Trotzdem die Domini-
kaner das Dogma bestritten, erklärte
das Konzil zu Basel 1439 die An-
nahme der Franziskaner für ortho-
dox und schrieb das Fest allgemein
vor als eine ronsuetudo antiqua et
laudabilis. 7) Maria Heimsuchung,
2. Juli, Festum Visitafionis Mariae,
kam im 14. Jahrh. als Kirchenfest
auf und wurde im 15. Jahrh. erst
allgemein. Papst Urban VI. ordnete
1389 das Fest an, damit bei dem
unheilvollen Zerwürfnis der Kirche
Maria seiner Bitte desto geneigter
sei und das Schisma beseitig«'.
Kleinere Marienfeste, die zum
teil erst in die nachreformatorische
Zeit fallen, sind das Rosenkranz fest,
1. Oktober, seit 1573; Marias Ver-
lobungungsfest mit Joseph, 23. Ja-
nuar, it* 1546; Maria Ohnmacht*-
feier oder Fest der sieben Schmerzen,
Freitag oder Sonnabend vor Palm-
sonntag, seit dem 15. Jahrb.; Marui
Freudenfeier, 24. September, seit
1745, und Maria Schneefeier, 5. Au-
gust, zur Erinnerung an die Hinrich-
tung einer Marienkirche zum Schnee.
Die vornehmsten und am meisten
Verbreiteten Feste der Märtyrer,
Heil inen und Apostel sind:
Das Fest Johannes des Täufers,
24. Juni, aus dem 5. Jahrh.
Tag Fetri und J'auti, 29. Juni,
4. Jahrh.
Fetri Stüh/frier, Festum Cathe-
drae Fetri, 22. Februar oder 8. Ja-
nuar, 5. Jahrb.
Fetri Ketten feier, Festum Fetri
ad Yincuta, 1. August, 4. Jahrh.
Pauli Bekehrung, Festum Con-
rersionis Pauli, 25. Januar, 1200
von Innoeens III. begründet.
Apostel tag des Philippus und
Jacobus, 1. Mai, von Bonifaz IV.
im 7. Jahrb. gestiftet.
Apostel tag des Simon und Judas ,
28. Oktober.
Apostel tag des Andreas, 30. No-
vember, 'seit dem 4. Jahrh. An-
dreas, Bruder des Petrus, Apostel
der Skvthen, erlitt den Märtyrer-
tod aut einem sog. Andreaskreuz,
d. i. einem Kreuz in der Form
Pinea X. Seine Reliquien sind
sehr verbreitet, ebenso seine Pa-
tronatschaften ganzer Länder,
Städte, Innungen und Brüderschaf-
ten. Wegen seiner Verbindung mit
der heil. Virgo ist er Patron der
Ehe und wird von ledigen Jung-
frauen angerufen. Auf Andreas
ging ein Teil der Bedeutung des
Gottes Frei/r über, des Gottes der
Fruchtbarkeit und der Ehen.
Aposteltag des Thomas, 21. De-
zember.
Apostel tag desJaeobus, des Altern,
25. Juli.
Hartholomöustag, 24. August.
Matthäustag, 21. September.
Apostel tag des Matthias, 24. Fe-
bruar.
Tag des Apostels und Evange-
tisten Johannes, 27. Dezember.
Taff des Franqelisten Markus,
25. April.
Taq des Evangelisten Lukas,
18. Oktober.
Das Fest aller Heiligen wurde
von der morgenländischen Kirche
schon im 4. Jahrh. am Sonntage
nach Pfingsten, im Morgenlande seit
dem 8. oder 9. Jahrh. am 1. No-
vember gefeiert.
Den vier Hauptlehrern und Säulen
der abendländischen Kirche: (ire-
gorius, Augustinus, Ambrosius und
11 ieronxfm us, verordnete Bonifaz VIII.
im Jahre 1295 je ein eigenes F<st.
Das Fest des heil. Gregor, das auf
den Ii. März fiel, war Kinder- und
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Feste, christliche.
197
Schulfest. Auch die vier Haupt-
lehrer der morgenläudischen Kirche,
Athanasius, Basilius der Grosse,
Gregoriui von Sazianz und Chry-
s'jstvmus wurden im Abendlande wie
im Morgenlande durch Feste aus-
gezeichnet.
Unter den Engeln erhielt bloss
der Erzengel Michael sein Fest am
29. September, es wurde im 9. Jahrh.
allgemein. Manche Gebräuche des
Micbaeiistages inDeutschland hängen
mit der Herbstfeier des Wodan zusam-
men, wie überhaupt manche Elemente
der Wodansinythe auf den Erzengel
Michael übergegangen sind.
Zu erwähnen sind endlich ein-
zelne besondere Feste, die sich auf
Christus, auf Glaubensartikel und
auf besondere Vorfälle oder Lebens-
lagen der Gläubigen beziehen.
1. Das Fest der VerkUirung
Christi , Festum Iransfiifuratioms
Cliristi oder Fatefactionis Christi
in monte Thabor, am 6. August,
ursprünglich im Morgenlande zu
Hause, seit dem 9. Jahrh. im Abend-
lande, allgemein aber erst seit dem
15. Jahrh.
2. Kreuzes- Erfindunq, Festum In-
rentionis S. Crucis, 3. Mai, seit dem
13. Jahrh. im Abendlande recht ver-
breitet, zu Ehren der Auffindung
des Kreuzes Christi durch Helena,
die Mutter Konstantin des Gr.
3. Kreuzeserhöhung, Festum Ex-
altationis S. Crucis, 14. September,
vom Kaiser Hera kl ms 631 gestiftet,
als die besiegten Perser das aus
Jerusalem fortgenommene Kreuz, das
»ie 14 Jahre besessen hatten, wieder
herausgeben mussten.
4. Fest der Lanzv und der JSägel
Christi, Festum Lanceae et Clavorum,
16. April, auf Bitte Kaiser Karls IV,
der diese Reliquien erworben hatte,
im Jahre 1354 von Innocenz IV. für
Böhmen und Deutschland bestätigt.
5. Fronleichnamsfest, Festum Cor-
poris Christi, am Donnerstag nach
Trinitatis, als allgemeines Kirchen-
fest zuerst von LTrban IV. im Jahre
1264 bestätigt (siehe den besonderen
Artikel».
6. Das Trinita tisj est, am Sonntag
nach Pfingsten, ist erst im 1 4. Jahrh.
allgemeines Kirchenfest geworden.
7. Fest aller Seelen, Festum Om-
nium Animarum, 2. November. Als
Urheber dieses Festes gilt Odilo,
Abt zu Clugny; es wurde besonders
von den Cluuiazensern verbreitet,
erhielt aber nie die päpstliche Be-
stätigung.
Die Art und Weise, wie die Feste
gefeiert wurden, war natürlich nach
der Bedeutung des Festes selbst, naeli
der Volksart der Festfeicrnden und
nach der Denk- und Emntindungs-
weise der Zeit verschieden; zahl-
reiche Überbleibsel altgermanischer
Gebräuche, die sich namentlich auf
die Feier der Jahreszeiteu und ihrer
Götter bezogen, waren in die christ-
liche Festfeier einbezogen worden
und fanden ihren Platz teils im
Gottesdienste selbst, teils und stärker
im weltlichen Teile des Festes, in
Prozessionen, Schmausereien, Ge-
sängen, Tänzen, in der Festkleidung,
in Aufführungen, Spielen u. 8. w.
Die Blütezeit für die farbig-weltliche
Feier der Feste war jedenfalls der
Ausgang des Mittelalters, das 14.
und 15. Jahrh. Die ernste Würde
der höfischen Zucht, die ohne Zweifel
auch in die Kirchen hinein gewirkt
hatte, war gebrochen, und die sinn-
lichen Genüssen sehr ergebene Ge-
sinnung des Landvolkes wie der
Städtenewohner gab den Festen ein
buntes, lautes unu charakteristisches
Gepräge, dessen weltlicher Geist dazu
beitrug, eine Reformation auch dieser
Zustände wünschbar zu machen.
Lebendige Schilderungen dieser welt-
lichen restfreuden geben Sebastian
Frank im Weltbuch', Blatt 130 ff.:
Von der Kömischen Christen Fest-
feyr, Tempel, Altar, Begräbnis, Be-
singnis und Breuchen durch das
ganz jar, und Johannes Kessler im
ersten Buch der Sabbaia: Epitome
oder ain kurze Beschribung des
■
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198 Feste, weltliche.
I'apstuinbs. Ausgabt? von Götzinger. 1 lodern heilige Feuer. Uralte Kultuü-
St. Gallen, 18M, Bd. I, S. 51 ff. gebrauche stellten deu Umzug Wo-
Das Hauptwerk über die christlichen dans dramatisch dar. Man opferte
Feste ist immer noch Autjustiy die dem Gotte Festgebäcke, auf dem
Feste der alten Christen. 3 Bde. Herde brannte der Weihnachtsklotz.
Leipzig, 1817 — 20. Meist danach Siehe den Art. Weihnacht. Ahn-
haudelt ausführlich über die Feste lieher Natur waren das Frühlinn«-
Fink in Ersch und Gruber, Art. fest, das Summer- und Jlerhstfest;
Feiertage. Über die germanisch- Umzüge, Opfer, Festlichkeiten aller
volkstümlichen Beziehungen zu den Art trugen zur Weihe dieser heiligen
Festen vgl. Wuttke, Volksaberglan- Zeiten bei. Hie Erinnerung daran
ben § 7:t ff. ( hat sieh unter anderem darin er-
Feste, weltliehe. halten, dass in den höfischen Dich-
1. In germanischer Zeit. Wie die tungen. zumal im Nibelungenliede,
Götterverehrung überhaupt, so stan- die h>jrhr/ezi/e an den suneicenden.
den auch die besonderen Feste der stattfinden.
Germauen in engem Zusammenhang 2. Übergang ins Christentum. Die
mit dein Wechsel der Jahreszeiten. I Feste der alten Deutschen waren
Die Hauptfeste, dntl, später höehzit, ' zu tief in ihren Gebräuchen und An-
hoehgezit, fallen darum auf die beiden ' schauungen begründet, als dass es
Sonnenwenden und die beiden Sackt- \ dem Christentum gelungen wäre.
(fliehen; doch tritt, da die Germanen dieselben gänzlich auszurotten und
bloss die drei Jahreszeiten Frühling, statt ihrer tlie christlich-kirchlichen
Sommer und Winter kannten, die Feste einzuführen. Indem man zwar
Herbst-Nachtgleiche hinter den drei die letzteren kirchlich ordnete, fügten
anderen Zeiten zurück. Das be- ; sich ihnen die althergebrachten reste
deutendste Fest ist aber tlas Jul- j und Feierlichkeiten von selber an
oder Jubelfest: es beginnt mit der i und schmiegte sich nicht minder
Nacht zum 25. Dezember, dvr heiligen umgekehrt der christliche Fe^tkultus
Weih- oder Muftcruacht, und dauert an die Sitten der hergebrachten
zwölf Nächte hindurch — denn die Feste, so dass Umzüge, Oofer, Feuer,
Germanen zahlten nach Nächten Grösse, Redensarten, länze, Ver-
um! nach Wintern, nicht nach Tagen | kleidungcn u. dgl. sich als Schmuck
und Jahren — bis zum sechsten der kirchlichen Feste sehr zahlreich
Januar, dem hei/igen Lickt/aa oder erhielten. Dabei ist aber zu be-
Obersttag. Diese Zeit war der denken, einmal, dass die Germanen
Wiederkehr des Frühlings und Som- der Jahresrechnung voraus eine
mers geweiht. Die zwölf Tage Mondrechnung hatten, deren Er-
heissen tlie Zwölften, die zwölf Sachte, innerung im Worte Monat sieh er-
Mit ihnen beginnt das Jahr. In halten hat, und welche ohne Zweifel
ihnen wird der Kalender für die in manchen festlichen Gebräuchen
folgenden zwölf Monate gemacht: noch mitspielt: sodann, dass die
Wiedas Wetter in den zwölf Tagen sei, Kirchenfeste, welche wie Ostern und
st> wird es auch in den zwölf Monaten Pfingsten gebundene Zeiten hatten,
eintreffen. In dieser Zeit ertönt die alten Sonnwendseiten und Tag-
das Lied des wütenden Heeres; die und Nacktgleichen nicht deckten
Götter, namentlich Wodan steigen und es deshalb geschehen konnte.
Wieder zur Menschenwelt herab und dass alte Gebräuche später auf
halten, ins Land einziehend, einen verschiedene kirchliche Zeiten und
segnenden Umzug in Dörfern und Feste sich verteilten, und dies um
Fluren. Darum ist jetzt heilige Zeit, so mehr, als der besondere Ein-
die Arbeit ruht, auf den Bergen flu?« der Gegend und des Stammes
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Feste, weltliche. 199
rewisg schon sehr frühe viel Mannig- an Ostern abgegeben, Zu den alten
faltigkeit aufwies. Erinnerungen gehören die Ostcrfeuer
N> sehr wusste sich der christ- (siehe Feuer), die Ostereier, Sinn-
liche Kult den heidnischen Anschau- bilder des neubeginnenden Natur-
ungenanzusehliesaen, dassdas Weih- lebens, wobei der Hase ebenfalls
nachäffst auf das Juffest verlebt der Frühliugsgöttin angehört oder
wurde. Immer noch gen t der wilde der Hulda;erwardenaltcnDeutschcn
Jiger am. die Hexen walten in den heilig, sie assen ihn nicht; das
«cwölf Nächten frei, die weisse Frau F.ierlesen. Der Gründonnerstag hat
zeigt sich. Der aus Wod<tn entstan- Beziehung zu Donar.
•iene Knecht Ruprecht und die ihn Eine andere Form nimmt das
begleitende, ans aer Göttin ^V/^ent- Frühlings- und Sommerfest am 1.
^tandene weibliche Person, weiss Mai, am IVatjuirffutfaye an. Aueh
gekleidet und verschleiert, tritt auf dieser Tag ist Donar geweiht und
als das „Christkind4*, als Maria oder war einer der heiligsten Tage des
Mutter Gottes, Frau Bertha oder deutschen Heidenrums , Opfer- und
Frau Hulda; .sie beschenken die Gerichtstag der Maiversammlung
Kinder mit Äpfeln , vergoldeten des Volkes. Weniger Kestc alter
Xiissen. strafen sie mit der Kute. J Festzeit haben sich auf Pfingsten
Der Weihnachtsbaum erinnert an übertragen lassen ; doch sind Züge
Wodans heiligen Baum und die desSommersoun wendfestes auf dieses
Lichter an den alten Klotz, der in Kirchenfest übertragen worden, u. a.
dieaer Zeit auf dem Herde verbrannt der Pfingstbaum , der sonst dem
wurde. Die Schmausereien und Maitag angehört, und das Aus-
Speisen der Weihnacht sind nicht ! schmücken der Hauser mit Birken«
nriad^r altgermanisch. laub. Der blumenbekrünzte Pfingst-
Gipfel- und Mittelpunkt der an ochse, der einem Osterochsen parallel
•lie Zwölften sich anknüpfenden geht, deutet auf alte Opfer. Der
Zeiten in ihren volkstümlichen Be- Himmelfahrtstag ist wieder ein Do-
-rinhungen ist die Sylvester- oder Neu- nars Tag.
ilrtiuu^hf. Jiechielitarj , d. h. Tag Die eigentliche Sommersonnen-
<kr Berchta, derHimmelsgöttin,heisst wende ist auf den Johannistag ver-
entweder der 2. oder 6. Januar; im legt, es war das wahrscheinlich dem
letzteren Falle fällt er mit dem Drei- Fro gewidmete Opferfest: an diesem
k'rxi/jitatt zusammen und schliesst Tag lodern die Johannes- od. Sonn-
die alten Zwölfnächte sowohl als wendfeuer, Birken werden aufge-
die christliche Weihnachtsfeier. richtet , Blumen- und Laubgewinde
Ein«* heidnische Vorfeier des an die Häuser gehängt oder quer
Frühlings, die auf Donar und Frigg durch die Strasse gezogen, Tannen-
l'-zug hatte, scheint sich in den Fast- bäume mit bunten Eiern und Blu-
oaehtsfreuden erhalten zu haben; men geschmückt und von den Mäd-
riie besonderen Tage sind der Dun- eben singend umtanzt. Siehe Witftke,
*<r*tivj njr Fastnacht, schmutziger I Volksaberglauben , § 74 ff., und
prapiger, unsinniger oder feister Reinsberg - Düringsf'e/d. Das fest-
bonneratag, auch Weiberfastnacht liehe Jahr in Sitten,' Gebräuchen und
genannt, der Fastnachtsonntag, Mon- Festen der germanischen Völker.
und Dienstag u. a. , wie Weih- Leipzig, 1863. llassmann, Art Götter-
t^- br und Ostern durch besondere tempel und Götterbilder bei Ersch
Mpfergeb tcke, Hrezeln, Krapfen, u. Gruber.
Küchle, Wecken u. d^l. gefeiert. 3. Feste der höfischen Zeit. Ohne
Die Feier der Frtihtiugxnacht- 1 Zweifel nahmen auch höfische Kreise
liat ihre alten Beziehungen einigen Anteil an den volkstümlichen
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200
Feste, weltliche.
Festen; die höfische Gesellschaft
als solche aber verlegte ihre grossen
Feste auf die drei kirchlichen htich-
qeziten, Weihnacht, Ostern und
Pfingsten, denen Maria Geburt an
die Seite gestellt wird. An diesen
Tagen fanden sich die geistlichen
und weltlichen Würdenträger ain
Hoflager ein, begingen die kirch-
liche Feier mit dem Herrscher, der
dabei im Krönungsomat erscnien,
und waren dann auch in gericht-
lichen und anderen Angelegenheiten
mit ihm thütig. Besonders beliebt
war das Pfingstfest, wo man sich
zugleich im Freien ergötzen konnte.
Im Reinecke Fuchs lässt König
Nobel seine Vasallen auf Pfingsten
nach Hofe berufen. Besonders be-
rühmt war und blieb lange in Er-
innerung der grosse Hof tag, den
Friedrich Barbarossa zu Pfingsten
des Jahres 1184 zu Mainz hielt. Man
schätzte die Zahl der Ritter und
Krieger, der Geistlichen und der
Fahrenden auf 70,000; der Herzog
Friedrich von Böhmen kam mit 2000,
der Erzbischof von Köln mit 1700,
andere mit 500 bis 1000 Reisigen und
Rittern. Am ersten Pfingstfeiertage
(20. Mai) schritt Kaiser Friedrich
mit seiner Gemahlin Beatrix im
Schmucke des kaiserlichen Stirn-
reifes in feierlicher Prozession, von
einem glänzenden Gefolge begleitet,
zu der in der Mitte des Lagers an
dem kaiserlichen Palaste errichteten
Kirche; mit der königlichen Krone
auf seinem judendlichen Haupte folgte
ihnen König Heinrich. Dem Zuge
voran schritt Graf Balduin von
Hennegau, des Reiches Schwert
tragend. Prachtvolle Gastmähler und
glänzende Gelage schlössen den ersten
Festtag, dabei versahen den Dienst
des Mundschenken und Truchsess,
des Marschalls und Kämmerers bei
dem Kaiser die Herzöge und Reichs-
fürsten in eigener Person. Am
zweiten Tage fanden nach der Früh-
messe glänzende Rittorspiele und
Wafienübnngen statt, bei welchen
des Kaisers Söhne, König Heinrich
und Herzog Friedrich von Schwaben,
ehe sie die Schwertleite empfingen,
ihre Gewandtheit in der Führung
der Waffen zu zeigen hatten. Bei
20 000 Ritter sollen sich damals in
den Schranken getummelt haben.
Kaiser Friedrich selbst erschien in
ihrer Mitte. Nach dem Kampfspiel
wurden des Kaisers Söhne feierlich
mit dem Schwerte umgürtet, und so-
dann zur Feier des frohen Ereig-
nisses an die Scharen zusammen-
geströmter Dienstmannen, Sänger,
ilger, armer Leute, Gaukler und
Gauklerinnen Gold und Silber, Pferde
und Gewänder in verschwenderischer
Freigebigkeit verteilt, ein Beispiel,
das von den Fürsten und Grossen
wetteifernd nachgeahmt wurde. Un-
ter ähnlichen Festlichkeiten verlief
der dritte Tag. Doch wurde an
diesem die allgemeine Festfreude
dadurch gestört, dass gegen Abend
ein heftiger Sturmwind die inmitten
des Lagers errichtete hölzerne Kirche,
eine Anzahl anderer Gebäude und
eine Menge Zelte niederriss und
fünfzehn Menschen das Leben raubte.
Seit Menschengedenken war kein so
prächtiger Hortag gehalten worden:
für Heinrich von V eldeke wurde das
Mainzer Fest Vorbild für die von
ihm geschilderte Hochzeit seines
Helden Äneas. Prutz, Gesch. Fried-
richs I. Ausser diesen regelmässigen
kirchlichen Hoftagen gab es natür-
lich noch andere höfische Feste, die
besonderen Anlässen ihr Dasein ver-
dankten, Krönungs-und Huldigung* -
feste, Hochzeiten, Schwertleiten, Be-
gräbnisse. Über die Turniere siehe
den besonderen Artikel.
4. Bürgerliche Feste. Audi in
den letzten Jahrhunderten des Mittel-
alters dauerten die alten festlichen
Volkssitten fort; ein neuer Fest-
charakter bildete sich in den Städten,
wo einesteils eine grosse Gesamt-
bevölkerung die weltlichen und kirch-
lichen Volksfeste hob, anderseits der
Korporationscharakter der Zeit sich
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Feuer, Oster-, Johannes- und Notfeuer.
201
auch der Feste bemächtigte und eine
grosse Mannigfaltigkeit geschlossener
Festgesellsehaften erzeugte und aus-
bildete. Solche an gewisse Innungen
und Handwerke sich anschliessende
Feste sind die Schützenfeste oder
Gesellenschiessen, das Schönhart-
laufen der Flei8cherzuuft und der
noch bestehende Metzgersprung in
Nürnberg, der Schaff lertanz der Bött-
cher in München, der Tanz der
Böttcher in Frankfurt a. M., der
auf dem zugefrorenen Main am Fast-
nachtmontag stattfindet und mit dem
Binden eines Fasses verbunden ist,
das Fischerstechen in Ulm. Kricgk}
Bürgertum L Abschn. 17.
Feuer, Oster-, Johannis- und
Jiotfener. Offene Feuer haben sich
noch heute als Überbleibsel des
Donar-Kultus überall in Deutschland
erhalten. Die Frühlingsfeuer heissen
Petersfeuer , Judasfeuer oder Oster-
feuer, sie sind besonders in Nord-
deutschland bekannt. Sie werden
entweder am Vorabende des Oster-
festes, bisweilen an den folgenden
Tagen oder am Sonntag naen Fast-
nacht oder acht Tage nach dem
Fastnachtsonntag angezündet, meist
auf Bergen und Hügeln, aus Stroh,
Holz, besonders vom Bocksdorn
(Kreuzdorn ), Besen. Knaben laufen
mit brennenden Strohbüscheln um
die Felder, sie fruchtbar zu machen.
Im Harz werden vor dem Entzün-
den des Feuers Eichhörnchen, die
Tiere des Donar, im Walde gehetzt
und gefangen. In Westfalen schliesst
das Volk einen Kreis um den Holz-
stoss, einer schlagt mit einem in
einen Knoten geknüpften Tuch
(Klumpsack, Plumpsack) jeden ein-
zelnen und spricht: Kik di nit um,
dm Foesken dat kämt, schau dich
nicht um, das Füchschen kommt!
Dies ist der Ursprung des weitver-
breiteten PlumpsacKspieles , des
Restes eines altneidnischen Festes.
Es giebt auch ein kirchlich an-
geordnetes Osterfeuer, das in der
katholischen Kirche am Karsams-
tag morgen mit Stahl und Stein an-
fezündet wird, nachdem vorher alle
irchlichen Lichter ausgelöscht sind.
An diesem Feuer werdeu Kohlen,
die vorher gesegnet wurden, glühend
femacht und mit diesen die Oster-
erze angezündet, durch welche nun
weiter die vorher ausgelöschten ent-
zündet werden. Au vielen Orten
wird mittels dieses Feuers auf einem
freien Platze in der Nähe der Kirche
ein Holzfeuer angezündet und darin
alles im letzten,. Jahre übrig ge-
bliebene heilige Ol, bisweilen auch
die Figur des Judas, vielleicht ur-
sprünglich den Winter darstellend,
verbraunt. Die Kohlen von ange-
brannten Pfählen gelten als Gewitter-
schutz oder, in die Felder zerstreut,
als Mittel gejjcn Misswachs und Un-
geziefer. Dieses kirchliche Oster-
feuer erscheint in Deutschland zuerst
im 9. Jahrh.
Ein anderes uraltes Feuer, das
Donar heilig war, war das um die
Zeit der Sommersonnenwende ange-
zündete, jetzt meist auf den Johannis-
tag (24. Juni) verlegte Feuer; es ist
besonders in Süadeutschland zu
Hause und heisst Sonueuwendfeuer,
Johaunisfeuer, Himmelsfeuer, Zün-
delfeuer. Diese Feuer werden ausser
auf Bergen auch auf Märkten und
in Strassen angezündet. Man springt
durch das Feuer, schleudert breu-
nende Holzscheite, in der Mitte mit
einem Loch, hoch in die Luft; aus
Stroh geflochtene brennende Räder
werden den Berg hinabgerollt. Die
Jugend bekränzt sich mit Blumen,
namentlich mit Beifuss und Eisen-
kraut, und diese Kränze werden
in den Häusern zum Schutz ge^en
den Blitz aufgehängt. Sebastian
Franck erzählt im W 'eltbuch von den
Franken : „An St. Johans tag machen
bj ein Sinetfeuer, tragen auch disen
tag sundere kräntz auf, weiss nit
auss was aberglauben, von beifuess
und eisenkraut gemacht, und hat
schier ein jeder ein blaw kraut,
Rittersporn genannt, in der band;
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202
Feuerwaffen.
welcher dadurch in das fewr sihct, das mlde Feuer. Grimm, MythoLXX:
dem thuet das ganz jar kein aug Mannhardt, Götter, VI; W'uttke,
weh, wie si aberglauben. Wer vom Abergl.
fewr heiin zuhau.ss hinweg gehn Feuerwaffen. Ihre Anwendung
will, der würft diss sein Kraut in entwickelt sich ans den im Orient
das feur, sprechende: Es gehe hin- seit uralter Zeit bekannten Kriegt-
weg und werd verbrent mit disem feuern. Explodierende Gemeuge.
kraut all mein unglück. Das bi- ! aus Salpeter, Schwefel und einem
schötiieh hofgesind würft auf disen dritten Stoffe, Pech, Harz, Ol oder
tag bei ihrem freudenfeur auf dem Holzkohle, sind in den Ländern.
Herg hinterm sehloss feurine kuglen in welchen der Salpeter häufiger
in den tluss Morjanum iMain), so vorkommt, in Indien. Ägypten und
meisterlich zuegerieht , als ob es China, zuerst zu Hause gewesen,
fliegende Trachen weren.44 In frühe- Mit solehen explosiven Mischuug'-n
reu Zeiten nahm auch die feine spielte man zuerst, dann rertrerte'e
Welt an diesen Freudenfeuern teil man sie im Kriege, zuletzt führte
Zu Augsburg zündete 14D7 in Kaiser die Erkennung der ballistischen
Max' Gegenwart die schöne Susanna Kräfte, welche die bei der Explosion
Neithart das Johannesfeuer mit einer entwickelten Gase besitzen, zur
Fackel an und machte dann zuerst Feuerwaffe. Die Kenntnis der ex-
den Heigen um die Flamme an plosiven Stoffe und Mischungen wurde
Philipps Hand. Im Jahre 1578 Hess im Orient namentlich in den Priester
der Herzog von Liegnitz Johannis- Schäften geheim gehalten und be-
abends ein Freudenteuer auf dem nutzt, um der Menge handgreiflich
Kynast halten, wobei er selbst mit zu imponieren. In theokratischen
seinem Hof zugegen war. Frau- j Despotien, unter Leitungder Priester,
zösische Schriftsteller des 12. und wurde auch die Pyrotechnik zuerbt
13. Jahrh. bezeugen die Sitte für in den Dienst des Krieges gezogen.
Frankreich. Aus dem Orient kam die Anwen-
Verwandt mit dem Oster- und dung des Kriegsfeuers in die west
Johannisfcuer sind die schon im liehen L inder, und die Römer ver-
8. Jahrh. kirchlich verbotenen JY©/- standen sieh schon zur Zeit der
Jener, die heute noch nicht ganz , Republik auf das Schleudern bren-
ausgestorbeu sind; auch sie wurden nender Substanzen zu Anzünduiig
dem Gewittergott Donar zu Ehren ! belagerter Städte. Ein weiterer
entflammt, als einer Gottheit, die j Fortschritt lag in der Herstellung
das Leben und die Gesundheit der von Mischungen, die sich von selbst,
Menschen und Tiere beschützt. Das d. h. bei der Berührung mit der
Notfeuer wird angezündet, sobald Luft oder dem Wasser entzündeten,
eine Seuche unter dem Vieh auftritt Solche hiessen in der Folge qriechi-
und zwar durch Reibung mit einer .«che.* Feuer, das im 4. Jahrb. nach
Walze oder einem Rade. Stahl und Christus bereits bekannt gewesen
Stein darf nicht angewendet werden, sein soll; der Name stammt erst
und im ganzen Orte muss jedes aus der Zeit der Kreuzzüge. Im
sonst gerät es nicht; jeder Einwoh- Feuer mit Erfolg gegen die arabi-
ner muss etwas Reisig und Stroh sehe Flotte angewandt, welche Kon-
zil dem Feuer liefern. Das Vieh, stantinopel belagerte, es brannte
besonders Schweine, Kühe und auch im Wasser und flammte nicht
Gänse, wird dann dreimal durch bloss, wie das gewöhnliche Feuer,
das Feuer hindurchgetrieben oder aufwärt1*, sondern auch horizontal
-gezogen. Das Notfeuer heisst auch und abwärts. In Konstantinopel
Feuer
Jahrh. wurde das griechische
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Fpuervaffen. 203
wurden auch schon im 10. Jahrh. von den italienischen Republiken
Feuerrohre angewendet, welche mit ausgenutzt wurde, teils durch Ent-
langsam brennendem Ausstossatze wickelung der naturwissenschaft-
gefüllt waren und einen Feuerstrom ] liehen Forschung, besonders auf dem
sprühten ; sie waren von weicheren Boden Deutschtands und Englands,
Stoffen, von Bambus oder Lcder, | die Feuerwaffe. Albertitz Maqnus,
von Metali, Kupfer oder Eisen.
Auch Feuerlanzen mit solchem
Feuer werden erwähnt. Dadurch
Predigermönch (starb 12SÜ zu Köln),
kannte das Schiesspulver; ebenso
sein Zeitgenosse, der englische Mi-
ferner, dass man den in den Kohren j norit Roqer Bacon. In Norddeutsch-
festgestampfteu Satz nicht mehr an land und Flandern war der Iiaupt-
der glatten Oberfläche entzündete, sitz des Feuerwerkwesens; dort ent-
sondern die explosible Masse durch ' wickelte sich auch allein ein beson-
bohrte und einen Zündfadeu ein- ' derer Ausdruck für Pulver, Kraul.
führte, bekam das Feuerrohr eine Auch die Metallindustrie war dort
„Seele" und erhielt man die erste i rege, und es ist möglich, dass die
Rakete, unsern „Schwärmer-, den Beherrschung des Vzantinischen
man wiederum in den Händen ägvp- Reiches durch den Graten von Flan-
tiseher, indischer und griechischer dem von 1204 bis 1261 Einfluss auf
Magier und Flierophanten findet, diese Kunst ausübte. Anfänglich
Auch dieses Kriegsfeuer wurde im , wurden auch auf diesem Boden heuer-
4. Jahrh. dem Kriege di nstbar ge- tanzen, Raketen, Feuerrohre ange-
macht; das Rezept, das für dieses wendet; vermittelst des letztgenannt
aus Schwefel , Kohle und Salpeter ten warf man schwere Pfeile, Zünd-
zusammengesetzte Kriegsfeuer er- sätze, Feuertöpfe und Kugeln zuerst
halten ist < ein Teil Schwefel, zwei aus Blei, spater aus Stein oder Guss-
Teile Weidenkohle und sechs Teile eisen. Dass die Rakete lange Zeit
Salpeter) ergiebt unser Schie&pufaer. im Vorsprunge war, ersieht man
Was diesem Pulver aber noch daraus, dass das Wort Seele, welches
mangelte, war vorzüglich die Kör- ursprünglich nur die Durchbohrung
nunc, der Raketenachse bedeuten konnte,
Parallel mit der Entwickelung lediglich analog auf das feststehende
der Feuerwerkerei bei den Griechen Feuerrohr Anwendung fand. Ur-
und Römern geht diejenige bei den sprünglich hiess die Rakete sowohl
Arabern; doch scheint bei ihnen . Kanone, von eanna = Röhre, mittel-
der Salpeter erst im 13. Jahrh. in latcannonius = grosses Rohr, als Bom-
Gebrauch gekommen zu sein, worauf barde, vom lat. botnbu* = das Sum-
bald verschiedene Kriegswaffen, mit inen, daher bomba — summendes Ge-
explosiblen Stoffen versehen, erfun- schoss; bombus ardeiu = Geschütz,
den oder schon vorhandene nach- als Seopetto, vom mittellat. selojpui
geahmt wurden: (llatballe, Feuer- = Schlag und Schuss, daraus ital.
tanzen, Armhrustpfeile, Wurfnj>iesse. schioppo, ttcoppio = Knall, sehiopetto,
Sirritkolben, Martfetwterne ;ü\se'if!cnt- seopxetto Feuerwaffe; franz. esco-
liche Feuerwaffe wird die Madfaa, pette = Stutzbüchse. Welchen Ein-
em gestielter hölzerner Ifandmorser fluss Berthold Sehicarz auf die Her-
erwähnt; aus ihm schoss man zuerst Stellung oder Anwendung der Feuer-
B'.lzen oder Kvqeln. Ausserdem be- röhre ausübte, ist unbekannt; dass
richten arabische Schriftsteller von i er aber allgemein als Erfinder des
ausgehöhlten Feuerrohren. Schiesspulvers gepriesen wird, deutet
In West-Uropa entwickelte sieh darauf hin, das» man die Anwendung
teils aus der schon vorhandenen Er- eigentlichen Geschützes Deutschiana
fahrung des Orients, die namentlich zuschrieb. Das älteste urkundliche
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204
Fibfln. — Flohgedichte.
Datum aber, welches bezüglich des
Gebrauches von Feuerrohren über-
haupt erhalten ist, findet sich in
den Genter Annahn zum Jahr 1313:
„Jtem, in dit jarc was aldereerst
weisen Gewand nadeln auf, deren
Bügel breit gehalten ist und oben
einen viereckigen Ansatz bat, wobei
der sich nach unten ßchhessendt
Teil häufig in einen Drachenkopf
qtievonaen in ueutscniana nei ge- ausläuft. Siehe Fig. 54 bis 56. Au>
oruuk der bussen (büchsen) van einem Müller und Mothes, arch. Worterb.
mwninck." Bestimmte Erwähnungen Nach Weinhold, Deutsche Frauen,
für den Gebrauch der Feuerwaffen 2. Aufl. II, 307—311.
finden sich: für Metz 1394, Florenz Finkenritter heisst ein zuerst int
1326, Cividale 1331, Alicante 1331; Jahre 1560 zu Strassburg gedruckter.
Este 1334, Jiouen 133H, Cambray später als Volksbuch oft wiederholter
1339, Tarifa 1344, Mainz 1345. Roman, in welchem im Sinne der
Toulouse 1345, der Engländer bei
Crecy 1346 etc. Zu derselben Zeit,
wie die Feuerwaffen, kommt der
Ausdruck Artillerie
auf, siehe diesen Ar-
tik e 1 und Ha n dfeuer-
icaffen. Nach Jahns.
Fibeln, mhd. mi-
sche, wüschet, brat
sehe und brel*e, aus
franz. brache, für-
spane sind Gewand-
nadeln aus Erz, Fig. 54.
sog. Lügenmärchen (siebe diesen
Art.) höchst unsinnige, verrückt' ,
zum Lachen reizende eeographt
sehe und historisch»
Umnögl ichkeiten
aneinandergereiht
werden, als: ein-.
Welt, wo die stei-
nernen Hirnbaum'
stehen , der Bach
brennt und di
Bauern uiit Struh
Fibel. . löschen.
Fig. 55. Fibel.
Gold, Eisen und Silber von sehr
verschiedener Form. Die ein-
fachste ist die dem Dorn nach-
gebildete, der selbst nach Tacitus
im Notfall die Fibel vertrat. Daraus
ergiebt sich sodann die Sicherheits-
nadel, wobei der Bügel etwa als
rohes, phantastisches Tier behandelt
wurde, seltener in Schild- oder ovaler
Schalen-Form. Auch mit Sniral-
scheiben geschmückte Nadeln kom-
men vor. Scheibenfibeln bestehen
aus einer runden, metallenen Platte
mit hinten befestigtem Dorn, wobei
Figuren, Ornamente, Filigran, Glas-
fluss oder Edelsteine zur Aus-
schmückung dienen. Wahre Pracht-
stücke barbarischer Metalltechuik
Fig. 56. Fibel.
Fliegende BIHtter heiss^n «ür
zahlreichen Flugblätter, die seit dem
Ende des 15. Jahrh. mit einem ode?
mehreren Liedern, mehrfach ab
offene Foliobogen, seltener in Quart,
am häufigsten aber in klein Oktav,
uamen tlich aus den Druekstürtea
zu Strassburg und Basel, Augsbart
und Nürnberg sich verbreiteter!
Sie wurden ohne Zweifel meist erä
dann gedruckt, wenn die mündlicht
Fortpflanzung zu stockeu begaua
Frühzeitig wurden sie von Freunden
des Liedes oder der Geschiebte ru-
sammengeheftet.
Flohgedichte. Die sinnlich-mai
willige Lebenslust der Poesie Jt-
16. Jahrhunderts hat sieh auch dt:
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Flore.
205
Flöhe als Motiv bemächtigt. Das
ältere der beiden Flohgedichte ist
Fisckarts: Flöh-Haz W eiber Traz,
der wunder unrichtige und spot-
wichtige Kechtshandel der Flöh mit
den Weibern. Ein New geläs auf
das überkurtzweiligest zu belachen,
wa anders die Flöh mit -stechen einem
die kurtzweil nit lang machen. Strass-
burg, 1573. Der Floh wendet sich
an Jupiter, ihn um Schutz gegen
die Verfolgungen der Weiber zu
bitten. Die Mücke hört das Jam-
mern des Tieres, sie sucht ihn zu
trösten, und es entspinnt sich zwi-
schen beiden ein Gespräch, in wel-
chem eine Reihe von Flohaben-
teuern erzählt werden. Unter den
Flohnamen finden sich u. a. Senfim-
herad,Nimmerru, Phezsielind, Hinten-
pick, Schleichinstal, Zwicksi, Leis-
tapp, Bortif, Pulsfüler, Springins-
röekel, Zopfsikeck, Mausambauch.
Im zweiten Teil trägt der Dichter
als vom Jupiter bestellter Flohkanz-
ler die Verantwortung der Wei-
ber, die er dtireh die Post bekom-
men, und fallt schliesslich das Urteil,
dass es den Weibern erlaubt sein
solle, den Flöhen nachzustellen;
doch solle es den Flöhen gestattet
sein, die Weiber auf der „gangen
Zange" zu stechen und sich in aen
grossen Halskrausen und Man-
schetten der Weiber aufzuhalten
und diese beim Tanze zu kitzeln.
Das andere Flohgedient gehört
zur maccaronischen Poesie is. diesen
Art.), d. h. zu einer Art Gedichten,
die in willkürlich gemischter deut-
scher und lateinischer Sprache ver-
sifiziert sind. Es heisst: Flow, cor-
tum rersicale, de ßois, sekicartibus
Ulis deirinilis, qwie omnesfere Min-
tchos, Mannas, Xt'eihras, Jungf'ras etc.
fvhnppere et spitzibus suis schnaßis
'feiere et bitere solent, autore (Sri-
pholdo Kniekknackio ex Floilandia,
zuerst 1593, mit vielen Neudrucken.
Das Deutsche darin ist niederdeutsch,
das Gedicht ist etwa 200 Hexameter
stark, der Anfang lautet:
[ Angla ßöosque eanam, qui teaffitnt
pulvere swarto,
Ex Wateroque simul ßeitenti et bla-
side dicko,
Mullipedes deiri, qui possunt huppere
long*
| Non aliter, quam' si ßoglos natura
dedissel.
Iltis sunt equidem, sunt, inquam, Cor-
pora kteina.
Sed mitte erregunt menschis martras-
que plnqasque,
Cum steckunt snaßum in Ii cum, blau-
tu mqu e ruhen fem
Exsugunt: Homines sie, sie vexeirere
possunt,
Et quae tandem Ulis pro tanta lonia
restant,
1'exeritate, et quem nemant per rul-
nera, dodum
Sunt variae plague, quibus ob sua
Sünda suamque
Ob mutmllitiam sfrajit Menrosqne
Frauasque
Ipse Dens, caelum et sfernas qui
fecit et Erdam.
Neu herausgegeben von Schade im
Weimarischen Jahrb. II.
Flore und Blanscheflur, d. h.
Blume und Weissblume, Rose und
Lilie, ist der Titel einer in der höfi-
schen Gesellschaft des Mittelalters
weitverbreiteten Liebesgeschichte,
die sich an den Sagenkreis Karls
des Grossen anlehnt, ohne Zweifel
aber keine historische Beziehung zu
Karl hat. Das Liebespaar gehört
neben Äneas und Dido und Tristan
und Isolde zu den berühmtesten
Liebespaaren der ritterlichen Zeit.
Eine christliche Gräfin aus Frank-
reich wird auf einer Pilgerfahrt von
den Leuten des heidnischen Königs
Veniz in Spanien gefangen und an
dessen Hof gebracht; die Gräfin war
schwanger und gebar eine Tochter,
Blanscheflur, in derselben Stunde
die Königin einen Sohn, Flore. Beide
Kinder wachsen zusammen auf, von
einer Amme genährt. Aus Büchern
lernen sie, noch Kinder, die Minne
kennen,die,stet8unschuldigbleibend,
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206
Flüsse.
immer inniger wird. Der Vater, er-
grimmt über diese Liebe, will die
Jungfrau umbringen, giebt jedoch
dem milderen Rate meiner Gemahlin,
beide zu trennen, Gehör. Flore wird
zu seiner Tante, der Herzogin zu
Mantua, geschickt. Blanschofluraber
an Kaufleute verhandelt, welche sie
wieder an den Admiral, den Emir
von Babylon, verhandeln. In die
Heimat zurückgekehrt, will Flore
verzweifeln, da ihm ein falschlich
aufgestelltes Grabmal den Tod sei-
ner Geliebten verkündigt. Doch ge-
steht ihm die Mutter die Wahrheit
und giebt ihm, da er sich entsehliesst,
Blanscheflur aufzusuchen, einen Hing
mit, der die Kraft besitzt, jeden,
der ihn trügt, vor Verletzung ZU be-
wahren. Blanschellur ist indessen
zu Babylon in einem festen Turm
bewahrt worden, und der Emir wird
sie in einem Jahre selber zur Frau
nehmen. Flore gewinnt durch kost-
bare Geschenke den Wächter dieses
Turmes, dasser ihn in einem Blumen-
körbe einläset. Der süssen Minne
pflegend, werden die Liebenden je-
doch v<>m Emir überrascht und zum
Feuertode verurteilt. Durch den
Wettstreit der Liebe, indem jedes
der beiden Liebenden den rettenden
King dem anderen überlassen will,
gerührt, schenkt der Fürst beiden
das Leben und lasst sie nach der
Heimat liehen. Flore erhält das
Reich seines Vaters, wird Christ
und heiratet Blanscheflur. Hundert
Jahre alt, sterben beide an dem-
selben Tage und ruhen in einem
Grabe. Die einzige Frucht ihrer
Liebe war Bertha, die Mutter Karls
des Grossen.
Die französische Quelle ist ein
nicht erhaltener Roman des Ruprecht
von ()i hont; eine franz. Überarbei-
tung desselben hat Imanuel Becker
herausgegeben. Nach Ruprecht von
Orb« >nt bearbeitete Konrad Fleek,
einschwäbischer oder schweizerischer
höfischer Dichter aus der Schule
Gottfrieds von Strassburg um 1230,
das noch erhaltene Gedicht. Boccac-
cio legte die Sage seinem Romau
11 FtJocolo o Filocopo zu Grunde.
Flüsse in der mittelalterlichen
Kunst. Das Altertum stellte seine
Wassergottheiten dar in einer mit
Stierhöinern oder Krebsscheren ver-
sehenen Kopfbildung, sitzend oder
liegend, eine Urne neben sich, der
Wasser entströmt, in den Händen
ein Ruder oder Schilf; auch kommt
ihnen ein Füllhorn zu als Zeichen
der Fruchtbarkeit. Den Meergöttem
pflegt ein Seeticr beigegeben zu wer-
den, Quellnymphen lassen etwa Waa-
ser aus der Brust strömen. Grosse
und Bedeutung dieser Bildungen
steht zu der Grosse und Bedeutung
der dargestellten Naturobjekte im
Verhältnis, der Ozean wird als bär-
tiger Greis gedacht, die grossen
Flüsse als Greise oder bärtige Männer,
die kleinem als Jünglinge, Quellen
als Genien oder Nymphen: Ruder
und Füllhorn kommen nur den
grössern Flüssen zu, die kleinern
erhalten bloss Urne und Schilf. Di«'
genannten Vorstellungen sind auch
auf die christliche Kunst über
gen, welche z. B. die vier Flu»**
des Paradieses, die Qucllnymphe vor
der Stadt Nahor in der Geschichte
des Abraham und Isaak, dann den
Gott des roten Meeres beim Durch-
gang der Israeliten, und namentlich
der Jordan in der Geschichte des
Josua und bei der Taufe Christi in
Miniaturen und Elfenbeindekeln, Sttf
kirchlichem Gerät von Stein, Erz
und Gold und an Kirehengeb:iuden
angebracht hat. Arn häufigsten kom-
men die rier Fara(lie*f!iisxe und der
Jordan bei der Taufe Christi vor.
Jene erscheinen teils eigentlich in
Beziehung auf das Schöpfungswerk
oder als Sinnbild der vier Evan-
gelien oder in Beziehung auf die
letzten Dinge. Während solche Bil-
der vom 9. bis 13. Jahrb. recht häuBg
sind, verschwinden sie im 14. und
15., um seit dem 16. Jahrh. neu auf-
zutauchen, teils in biblischen, teils
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Folter. — Formelsammlungen.
'207
und häufiger in mythologischen und
allegorischen Samen, das letztere
besonders in Gärten und auf öffent-
lichen Plätzen, bei Brunnen und
Wasserleitungen, auch auf Münzen
u. Medaillen bei Anlass von Brückeit-
bauten, tiper, Mythologie der christl.
Kunst II, 489-564.
Folter, siehe? Tortur.
Formelsammlungen und For-
mel blicher.
A. Formelsammlungen. Bald nach
den ersten Rechtsaufzeichnungen
entstanden in Deutschland Formel-
bücher, die Muster für Urkunden
der königliehen Kanzlei, für Urkun-
den über Rechtsgeschäfte zwischen
Privatleuten, für Schreiben von Be-
amten. Gerichtsverhandlungen u. s. w.
enthielten. Die Herstellung von Ur-
kunden war eine Kunst (arsdictandi),
welche gelernt sein musste, um so
mehr, als der eigentliche Rcchtsinhalt
in Reichtum und Schmuck der Rede,
Sentenzen, künstliche Eingänge, mo-
ralische Betrachtungen und Citate
aus der Bibel und anderen Schriften
eingehüllt wurde. Diese Formeln
lehnen sich meist an bereits vor-
handene Urkunden an, aus denen
mau die konkreten Beziehungen des
speziellen Falles entfernte. Die
Sprache ist die lateinische, die Ver-
fasser ireistlichen Standes. Römische
Vorbilder wirkten bei der Abfassung
mit. Zwischen den Formeln oder
innerhalb derselben stehen etwa kurze
Vorschriften über die Abfassung der
Urkunden; auch verband mau mit
den Urkundenformeln BrieJ'musler,
wofür die Korrespondenz eines Bi-
schofs oder Abts als Muster diente.
Abgesehen von einigen west- und
osmotischen Formelsammlungen des
7. Jalirh. sind die für Deutsehland
wichtigsten Sammlungen: Marculfi
monachi formularum libri duo, um
die Mitte des 7. Jahrh. von einem
Mönche Marculf im Auftrage des
Erzbischofs Landerich von Paris
verfasst, „um junge Leute damit zu
unterrichten". Das Werk zei fällt
in praccejjfiones regale*', Vorschriften
für den Verkehr der königlichen
Kanzlei, und in ehartae pagenxes,
Urkunden, die für das Gaugericht
bestimmt sind. Späterer Zeit und
dem alamannischen Rechte gehören
einige in Reichenau und St. Galleu
verfasste Sammlungen an, darunter
diejenige des V*o, eines St. Galler
Monehes, gest. 871, und das Formel-
buch des JJischofes Üalomo III. von
Konstanz, aus Vier zweiten Hälfte
des 9. Jahrb., das auch eine Brief-
sammlung umfasst. Eine bayrische
Formelsammlung ist wahrselieinlich
in Salzburg entstanden.
B. Formelbiichcr ähnlicher Natur
erscheinen nach längerer Pause wie-
der im 12. Jahrh., zuerst in lateini-
scher, dann in deutscher Sprache,
die ältesten im Norden Deutschlands,
die späteren in den südlichen Gegen-
den. Sie heisseu dictamen, summa
dictaminis, summa, usussive practica
dictaminis, rhetorica. Verfasser sind
anfangs die Geistlichen, dann Notare
geistlichen Standes, zuletzt eigent-
liche Reehtsgelehrte. In vielen Samm-
lungen verband man mit den Rcehte-
formcln auch andere Belehrungen.
Diese sind: Formulare für Briefe
des gewöhnlichen Lebens, später als
eigentliche Briefsteller gesondert,
dann eine Art Rhetorik mit den
Hauptgrundsätzen stilistischer Dar-
stellung, endlich theoretische Er-
örterungen über die verschiedenen
Rechtsinstitute. Auf die Art der
Behandlung gewannen die Werke
der Italiener über die Notariatskun.^t
Einfluss, auch nahm man italienische
Formulare nach Deutschland herüber.
Die Zahl solcher Bücher ist eine
grosse, ihr innerer Wert klein.
Seit Erfindung der Buchdrueker-
kunst nimmt diese Litteratur noch
mehr zu, und man druckt Bücher
wie: De arte notarii, Formulare
Instrumenten um, Formularium diver-
sorum conlracluum , lihetorica pro
conßciendis epistotis aecommodata.
Spf culum notariorum, tahelliarum et
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208
Fortunat.
scribarum etc., manches darunter
auch ins Deutsche übersetzt, bis zu-
letzt, schon im 15. Jahrh., selbstän-
dige deutsche Werke erscheinen.
Deren ältestes ist: In dem Namen
der heiligen unterteilten drivaltigkeit
Amen: 11 ye hebt an der Formulari
darinn begriffen sind allerhand brieff
auch Rhetortek mit frag und anticurt
zegeben, tittel aller ständt, Senndl-
brieJJ, St/nonima u. Cotores, das alles
zum brieJJTmachen dyenent ist, 1483,
in späteren Auflagen als Formulare
und Tütsch rhetorica oft wiederholt.
Oft gedruckt wurde unter dem zu-
letzt genannten Titel ein Werk des
Heinr. Gessler aus Freiburg, zuerst
1493; in demselben Jahre erschien
Biedrer, Spierjel der wahren Rhcto-
ric, 1528 die Rhetorik von Alexander
Hug. Nach Slobbe, Geschichte der
deutschen Rechtsquellen.
Fortunat ist der Held eines deut-
schen Volksbuches ans dem IG. Jahrh.
Derselbe ist der Sohn eines edeln
Bürgers zu Famagusta auf der Insel
Cypern. Da er den Kummer des
durch ritterlichen Aufwand arm ge-
wordenen Vaters bemerkt, verlässt
er heimlich das Vaterhaus und ver-
dingt sich bei dem auf der Rückkehr
von Jerusalem zu Famagusta eben
gelandeten Grafen von Flandern.
Dieser wendet ihm seine ganze Gunst
zu; ein auf Fortunat neidischer Die-
ner aber, Rupert, überredet diesen,
der Graf wolle ihn zu grösserer
Sicherheit verschneiden lassen, wor-
auf der Jüngling nach London ent-
flieht. Iiier wird er bei einem rei-
chen Florentiner Kaufmann Aufseher
über die ankommenden und abgehen-
den Güter, muss aber wegen eines
im Hause seines Herrn vorgefallenen
Mordes auch diesen Dienst und das
Land selber räumen. In der Bretagne
hat er nun auf freiem Felde ein
Abenteuer mit einem Bären, den er
erlegt, wobei ihm eine schöne Frau,
Fortuna, erscheint. Sie bietet ihm
die Wahl zwischen Weisheit, Reich-
tum, Starke, Gesundheit, Schönheit
und langem Leben; da Fortunat ohne
langes Bedenken Reichtum wählt,
giebt sie ihm einen Seckel, aus wel-
chem er auf jedeu Griff zehn Gold-
stücke ziehen werde, so lange er
und seine ehelichen Kinder lebten;
doch sind folgende drei Bedingungen
daran geknüpft: 1. dass er auf die-
sen Tag feiere, 2. dass er an diesem
Tag kein ehelich Werk vollbringe,
und 3. dass er auf diesen Tag, wo
er immer sei, die mannbare Tochter
eines armen Mannes ehrlich kleiden
und die Eltern und sie mit 400 Gold-
stücken begaben solle. In Begleitung
eines vielgewanderten alten Edel-
mannes durchzieht er nun alle mög-
lichen Länder und Städte in Deutsch-
land, den Niederlanden, England,
Schottland, Frankreich, Navarra,
Aragonien, Spanien, Portugal, Ita-
lien, Türkei, Ungarn, Polen, Schwe-
den, Böhmen, bis er endlich nach
15 jähriger Abwesenheit nach Fama-
gusta zurückkehrt. Die Eltern sind
tot An der Stelle des väterlichen
Hauses baut er sich einen Palast
und heiratet eine Grafentochter.
Nach zwölf ruhigen Jahren, während
welcher seine Gemahlin ihm zwei
Söhne geschenkt hatte, zieht er aufe
neue auf die Wanderung, uin nun auch
den andern Teil der Erde, die Heiden-
schaft zu erkunden. Auf der Heim-
kehr von dieser Reise zeigt ihm der
Sultan von Alexandria seine Schätze
und darunter ein unscheinbares 111:-
hüt/ein, welches den, der es auf dem
Kopfe trägt, augenblicklich an jedeu
gewünschten Ort bringt Fortunat
setzt es sich auf, wünscht sich in
seine im Hafen wartende Galeere
und segelt heim nach Famagusta.
Nach einigen Jahren, wie er seinen
Tod herannahen fühlt übergiebt er
den Söhnen Andolosia und Am|>edo
die beiden Kleinode, offenbart ihnen
die Heimlichkeiten und befiehlt ihnen,
die Kleinode nimmer zu trennen.
Das letztere geschieht dennoch, in-
dem der ältere Bruder Andolosia
mit dem Seckel auf Reisen zieht
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Framea. — Frauziskanerorden.
209
uud iu den Dienst verschiedener
Könige tritt. Von der Tochter des
Königs von England, Agrippiua,
wird er jedoch bethört und des
Seckeis beraubt; zwar gelingt es
ihm, mit Hilfe des dem Hruder ent-
lockteu Hutes, die Prinzessin zu ent
fuhren; aber durch seine Uuklugheit
verliert er au sie auch den Hut;
durch List gelingt es ihm, auchdessen
sich wieder zu bemächtigen, doch
ist das Gluck dahin, der Bruder
Ampedo stirbt aus Gram, nachdem
er den Wuuschhut verbranut, und
Audulosia wird des Seckeis beraubt
und im Kerker erwürgt
Aus den zahlreichen historischen
Andeutungen des Märchens erhellt,
das* es um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts entstanden sein muss. Ohne
Zweifel ist es deutschen Ursprunges;
das Wunschhütlein ist ursprünglich
der breitkrämpige Hut Wuotans,
an den sich eine Fülle mytholo-
gischer Vorstellungen knüpfte. Der
Secktl scheint dagegen bretonischeu
Ursprunges, wie die Fortuna eher
einer keltischen Fee als einer deut-
schen Waldfrau gleicht. Der zweite
Teil des Märchens, die Geschichte
von Fortunata Söhnen, findet im
120. Kapitel der Genta Romanorum
ein Gegenstück. Die Zusammen-
fassung der verschiedenen Teile des
Marchens ist jedenfalls das Verdienst
eines deutscheu Schreibers. Die
erste bekannte Ausgabe ist zu Augs-
burg 1509 erschienen; später wurde
es oft aufgelegt. Hans Sachs hat
den Stoff zu einer Tragödie ver-
wertet. Der deutsche Text ist ius
Französische , Italienische, Nieder-
ländische, Englische und Schwe-
dische übersetzt worden. Drama-
tische Bearbeitungen hat das Mär-
chen noch erfahren durch Thomas
Decker, einen Zeitgenossen Shake-
speares, durch die englischen Komö-
dianten (siehe Drama), durch Tieck.
Nach Zacher in Ersch u. Gruber.
Framea, der Spiess der alten
Gennaneu, ihre einzige Waffe, die
Reahwkuu der deuueheu Altertümer.
Tacitus naher schildert: sie sei >.ü-
gleich mörderisch uud siegreich. Die
Wehrhaftmachung geschieht dur. h
Überreichung von Schild und Fra-
mea, die Framea begleitet den Maiiu
in die Volksversammlung, Jünglinge
führen zwischen Schwertern und ge-
fällten Frameati den Kriegstanz aus,
und Verlobte schenken sich gegen-
seitig die Framea. Geschildert wird
die Waffe, Germania 6", als ein
Spiess von schmalem und kurzem
Eisen, aber so scharf und brauchbar,
dass sie mit derselben Waffe, wie
es die Umstände erfordern, in der
Nähe sowohl als aus der Ferne
streiten können; ihre Klinge steht
also im Gegensätze zu der der rö-
mischen Lanze, welche die Gestalt
eines Weiden blattes hatte. Die ver-
breitete Auuahme, dass die Framea
eine zur Lauzenspitze umgearbeitete
Axt, vom mit breiter Schneide sei,
wird von Linde nschmit durchaus zu-
rückgewiesen. Von framea, dessen
etymol. Urspruug mit Sicherheit
nicht erkannt worden ist, siud ab-
geleitet das angelsächsische franca
und weiter//'«/»rf*crt, wahrscheinlich
auch Franco, der Frauke. Linden-
tchmit, Handb. I, 163; Jahn«, 406.
Franzlskanerorden. Sein Stifter,
Johannes Bernardone, ist 1 182 in
Assisi als der Sohu eines reichen
Tuchhändlers geboren. Den Namen
Francesco erhielt er vom Vater erst
zur Erinnerung an das ihm lieb ge-
wordene Frankreich. Sorgfältig er-
zogen, aber ohne tiefere Kenntnisse,
trat er in das Geschäft seines Va-
ters, gab sich aber zahlreichen Zer-
streuungen hin. Erst als er aus
einem kriegszuge seiner Landsleute
Segeu die Perugiauer und aus einer
aoei erfolgten Gefangenschaft zu
Hause iu eine schwere Krankheit
verfiel, begann er sein Leben zu
ändern. Er begab sich in die Ein-
samkeit und wandte sieh der Priese
besonders ekelhafter und anstecken-
der Krankheiten zu. Auf einer Wad-
fahrt nach Rom, als er au den Kirch-
14
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210
FranzL*<kanerorden.
thüren für die Armen bettelte, hörte
er den Ruf an sich ergehen, die zer-
fallene Kirche Gottes wiederherzu-
stellen. Eine Predigt über Matth.
10, 9—10 veranlasste ihn. ein grobes
Kleid anzuziehen, Tasche, Schuhe
und Stab abzulegen und einen Strick
statt des Gürtels anzunehmen. Sein
Lieblingsaufenthalt in Assisi war
das von ihm hergestellte Kirchlein
der Maria der Engel, Portiuncula.
Einige Jünger und Anhänger, die
sich ihm anschlössen, veranlasste er,
paarweise durchs Land zu ziehen
und zu predigen. Die erste Regel
der gemeinsamen Lebensordnung
war fast ganz aus Sprüchen der
Bergpredigt zusammengesetzt, ihre
Gelüfcde die hergebrachten: Armut,
Keuschheit und Gehorsam, die Ar-
mut in strengster Auffassung. Sie
nannten sich anfangs die armen
U issenden von Assisi; erst als im
Jahre 1209 Innocenz III. eine vor-
läufige Bewilligung erteilte, nahmen
sie den Namen Fratres minores, Mi-
noraten, Mindern Brüder, Minder-
briider an. Der Name Franziskaner
ist späterer Entstehung; in Ober-
deutschland hiessen sie meist Bar-
lusser. Ein oberster Diener, minister
generalis, sollte der gesamten Brü-
derschaft vorstehen, bei ihm sollten
alle in Italien lebenden Brüder sich
alljährlich, die auswärtigen alle drei
Ja! ire versammeln. Nachdem der
Orden rasch zu einer europäischen
Verbindung herangewachsen war,
wurden für die einzelnen Konvente
Guardiane, eustodes, eingesetzt, für
ganze Kreise und Länder Vorsteher;
alle sollten minisiri heissen; doch
kürzte man den Namen ministri
provineiales bald in Provinziale, den
des Minister generalis in Ordens
general. Schon früh traten im Orden
zwei sich befeindende Richtungen
hervor: die eine, mildere, forderte
das Recht gemeinsamen Besitztums
und Teilnahme an kirchlicher, künst-
lerischer und wissenschaftlicher Bil-
dung; sie ist besondere durch He-
lios von Kortona vertreten, seit 1221
General vikar des Stifters; die an-
dere, streng asketische und an der
Armut unbedingt festhaltende, siebt
ihren Hauptvertreter in Antonia
von Padua, gest. 1231. Obgleich
Innocenz III. noch 1215 die Grün-
dung neuer Orden hatte verbieten
lassen, wurde dennoch von Ho-
norius III. die Regel Francescos
feierlich bestätigt. Darin ver-
| spricht Franciscus dem Papste Ho-
i norius und seinen Nachfolgern Ge-
horsam und Ehrfurcht, die anderen
Brüder sind gehalten, dem Bruder
Franciscus und seinen Nachfolgern
zu gehorchen. Wer in den Orden
eintreten will und fest im katho-
lischen Glauben erfunden ist, soll
hingehen, alles das Seine verkaufen
und es den Armen geben. Nach
! einem Probejahre wird er zum Ge-
lübde zugelassen. Die Brüder er-
halten eine Kutte mit einer Kapuze;
diejenigen, die es bedürfeu, können
Schuhwerk tragen. Alle sollen sich
in geringe Gewände kleiden und
mögen sie ausflicken mit Säcken
oder anderen Fetzen, unter Gottes
Segen. „Aber ich vermahne sie.
dass sie die Menschen nicht ver-
achten noch richten, welche sie
sehen mit weichen, bunten Kleidern
angethan, oder feine Speisen und
Getränke geniessend, sondern ein
jeder richte und verachte nur sich
selbst." Sie sollen durch die Welt
wandernd nicht hadern und mit
Worten streiten, sondern friedlich,
bescheiden, demütig jedermann ehr-
bar Rede stehen und in ein Hau*
tintretend, zuerst sagen: Friede sei
mit diesem Hause! Die Priester
werden zur Feier der heiligen Stun-
den des Tages und der Nacht nach
der römischen Kirchenordnung, die
Laien unter den Brüdern zu einer
bestimmten Anzahl Paternoster an
diesen Stunden verpflichtet, dazn
Fasten fast die Hälfte des Jahres.
Die Brüder, deuen der Herr dk
Gnade einer Handarbeit
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Franziskanerordeu.
211
hat, mögen getreu arbeiten. Als
Lohn ihrer Arbeit mögen sie, mit
Ausnahme des Geldes, Tür sich und
ihre Brüder nehmen, was der Leib
bedarf, bescheiden, wie es Lieb-
habern der Armut ziemt. Die Brüder
sollen sich nichts aneignen, nicht
ein Haus, noch eine btätte, noch
irgend eine Sache, sondern als
Fremdlinge in dieser Welt dem
Herrn in Armut und Demut die-
nend, sollen sie nach Almosen gehen
und dessen sich nicht schämen, denn
der Herr hat sich arm für uns in
dieser Welt gemacht. — Die Wahl
eines Nachfolgers des Generals ge-
schieht durch die Provinziale und
Guardiane auf der regelmässigen
Pfingstversammlung. Predigen soll
nur der Bruder, der vom General
geprüft und vom Bischof des Spren-
geis Erlaubnis erhalten hat.
Durch die Tochter eines ange-
sehenen Ritters in Assisi, Clara
Sciß, eine eifrige Anhängerin des
Franciscus, wird 1212 der Orden
der armen Frauen, nachmals meist
Ciaritten genannt, nach der Regel
der Minderbrüder gestiftet, nur dass
sie nicht wanderten, sondern in das
Kloster eingeschlossen blieben.
Ein dritter Orden, Tertiarier,
ursprünglich Brüder und Schwestern
der Busse, nahm solche zu Mitglie-
dern auf, die in ihrem Besitztum
und bürgerlichen Leben, auch in der
Ehe blieben und bei der der Auf-
nahme nur versprachen, alle Ge-
bote Gottes zu nalten; ausserdem
wird die Zurückstellung alles un-
gerecht Erworbenen, die Aussöh-
nung mit dem Nächsten, für Ehe-
frauen die Zustimmung ihrer Män-
ner verlangt. Die Mitglieder sollen
geringe, dunkelfarbige Kleidung
tragen, Schauspiele, Tänze und
andere Weltlust meiden, in from-
men Werken sich üben und alle
kirchlichen Pflichten nach be-
stimmter Vorschrift eifrig erfüllen,
insbesondere nebst durchgängiger
Massigkeit langausgedehnte Fasten
halten. Zu schwören in gemeiner
Rede und feierliche Eide sollen sie
möglichst meiden, Streitigkeiten
nach dem Rate der Oberen ver-
gleichen. AngrifFswaffen dürfen sie
nur führen zur Verteidigung der
römischen Kirche, des christlichen
Glaubens und ihres Landes. Die
Eingetretenen haben nach drei
Monaten über ihre Güter, soweit sie
dazu berechtigt, letztwillig zu ver-
fügen. Alles dies unter Aufsicht
aus ihrer Mitte auf Zeit erwählter
Visitatoren und in unbestimmt ge-
haltener Verbindung mit dem eigent-
lichen Mönchstum. Spätere Über-
lieferung verlegte den Anfang des
Tertiarier-Ordens in das Jahr 1221.
Seine Verbreitung war eine uner-
messliche, vom Könige und der
Königin herab bis zum Bettler, und
der Orden durchbrach dadurch in
wirksamer Weise mitten in der
Blüte des höfischen Standes die
Bande der Ständetrennung.
Franciscus starb 1224 zu Assisi
und wurde schon 1228 heilig ge-
sprochen. ZweiundvierzigJahrenacK
seinem Tod zählte der Orden 5000
Klöster mit 200,000 Mönchen in 23
Provinzen. Diese grosse Verbreitung
dankt der Orden verschiedenen Um-
ständen ; In erster Linie der Persön-
lichkeit des Stifters, dessen eemüts-
innige Vertiefung in das Vorbild
Christi und dessen unbedingte ent-
sagungsvolle Liebe zu allen Armen
und Wenden in dieser Zeit kirch-
licher Verweltlichung einen tiefen
Eindruck hervorbrachte. Die Be-
hauptung, dass in seinem Leibe
die Wundmale Christi eingeprägt
gewesen seien, erhöhte nach seinem
Todo die unbedingte Verehrung des
Mannes; im 14. Jahrh. wurden
durch Pisis Albizzi (gest. 1401) in
dem Uber conformitatum nicht we-
niger als vierzig Ähnlichkeiten zwi-
schen Christus und Franciscus nach-
gewiesen. Sodann gab der Grund-
satz urchristlicher Armut, derherum-
wandemden Predigt, des Lebens in
14*
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212
Franziskanerorden,
und mit dein Volke diesem Orden
noeh mehr als seinem Rivalen, dem
Dominikanerorden, einen ungemein
populären Zug; das waren weder
reiehe, vornehme Mönche, wie noch
die Cluuiazenser und Cisterzienser,
noch überhaupt geistliche Ordens-
leute, die, von der Welt abgesondert,
bloss auf ihrer eigenen Seele Heil
besorgt waren, sondern fromme
Männer, die mit dem Niedersten
wie mit dem Höchsten in der Tracht
des ersten verkehrten, ihm halfen,
ihm zusprachen , Vorbild waren in
der Entsagung. Dass das erste
Ideal des heiligen Franciseus viel-
fach verletzt zu Tage trat, verstand
sieh von selbst: die katholische
Kirche mit ihrem Reichtum und
ilirem Streben nach Macht spottete
der freiwilligen Armut; innerhalb
des Ordens selbst hörte die Spaltung
in eine freiere und eine gebundenere
Richtung nie auf. Die Kongrega-
tionen der armen Cole*tiner Ere-
miten, der Spiritunlen und der Brü-
nier der *fren<jen Observanz sind aus
diesem Zwiespalt hervorgegangen.
Auch der Frauzikanerorden wurde
zuletzt reich, und seine Kirchen ent-
behrten des Goldes und Silbers keines-
wegs; auch er hatte den Ehrgeiz,
die Lehrstühle der Universitäten zu
besetzen und dadurch Einfluss auf
die Kirche zu gewinnen. So kam
es. dass die Minoriten samt den Do- 1
minikauern zuletzt den Verfall der
katholischen Kirche am deutlichsten
repräsentierten und schon vor der
Reformation der öffentlichen Ver
achtung anheimfielen. Jia.se, Franz
von Assisi. Ein Heiligenbild. Leipzig
l.söG. Sebastian Franck schreibt in
seiner Chronik , Zeitbuch und Ge- 1
sc.hichtbibel folgendes über den j
Orden :
„Barfüßer- Orden. Anno 12^2
bestätiget bapst Honorius III., der
müncltsvater, auch disen Orden, von
Francisco einem Walchen eingestift,
der ein Kaufmann und fast welt-
licher mensch bis? in 25 jar was.
Darnach gedachte er Christo nach-
zufolgen, verschmacht alle irdische
ding. Und als er geschuocht mit
zweien rinken gegürt gieng. da
ward er eingedenk des Herreu wort:
Ir solt weder seckel noch tauchen,
silber oder golt tragen, auch nit tp-
schuocht sein, und wer sich nit aller
ding verzeihet, der mag nit meiu
jünger sein. Deshalb warf er alle
ding von im, auch die gürtel,
gürtet ein strick umb und fieug aJ-
bald disen onlen an. In dem was
er im selbs also streng, das er in
winter zeit, in anfechtung destieiscb,
sich mit schnee oder eiss zuo decket.
Er hiess die armuot allweg seilt
herriu, so hört er lieber sehmach
dann lob von im sagen, behielt nicht
auf morgen, sein Herz schwebet iu
begird der inarter. Gieng in Svriata
für den Soldau, der emptieng in
eerlich. Darbei wol abzuonemen i*t.
das er im freilich die warheit nit
gesagt hat, dan die warheit wenig
fottwillkummen ist au den Fürsteu-
öfen und in aller weit. Ich uuder-
lass hie die fabel zuo setzen, wie
in Christus mit seinen heiligen ftiut
wunden bezeichnet hab. Als er
nun 18 jar seinem Fleisch kein ruow
Hess, da starb er zur Assis, veii
papst Gregor IX. in der heilige
zal geschriben. Also hastu diese
allen des Euaugeliuinbs beschriben.
und der Harfuesser grundfest und
seul. Nuu ich lass ins gleich recht
und guot uemeint haben, wa seind
seine naehfolger? Die Kutt und
kleid sil.e ich villeicht, aber Fran-
ciseus leben uiendert. Es steLet
nit, das weder er noch die seinen
mit der buchs umbher sei gelaufen
und in allen spilen gewesen. Item
nit. das er auf Holzschuohen »ei
gangen etc.
Orden der mindern Brüdrr $■
FraneUci. Anuo 1224 oder bald
darnach seiud von den vorigen Bar-
füesser die Minores abgestiegen
(Franck meint die Tertiarier» und
geheckt worden, auch unter S. Fran-
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Fratuellen. — Frauen.
213
cisci klcid und n'gel, on das sie nif mann, es gehe dann etwa in der
so streng seind. schuoh an tragen, stilhness zuo.4' Siehe auch den Ar-
gelt nemen und anregen und etwas tikel JPtedigt,
mit der regel S. Franeisci dispensirt Fratlcellen. Um der Spaltung
haben, im Franziskanerorden ein Ende zu
Sie seind in vil Regel, Secten maehen, war, mit Bewilligung des
und Orden zerteilt: Holzschuoer, Papstes Colestin V. die Gesellschaft
Barfuesser geregelt , Franeiscaner der Faupere* eremifi Ifamini Coele-
ndr Observanzer und Minores ge- stini, Colestiner Eremiten gegründet
mint. Item Minimi Etlich heissen worden; dieselbe wurde jedoch von
de Frangelio, etlieh de Caputio, und den übrigen Franziskanern verfolgt,
haben in vil dingen underscheid, on ' und 130i von Bonifaz VIII. wieder
allein in der supccstition seind sie aufgehoben. Die Eremiten, dadurch
alle eins. erbittert, schenkten der Aufhebung
Ich kan die unterscheid nicht keine Folge, sondern Hessen sich,
alle anzeigen, ich find, dass die Mi- unter dem Namen FraficelH* zu im-
von S. Francisco gepflanzt mer schwärmerischerem Treiben an
seind, von Honorio III. schwerlich 1 regen, trieben das Gebot der Armut
bcsteticet. Gemelter Francissus hat auf die höchste Spitze, lehrten, sie
i:i ein Kegel zuo leben geben, nem- seien selber von Sünden frei, be-
lieb, da«« heilig Evangelium Christi süssen den hl. Geist und bedürften
zuo halten, in armuot, keuschheit | weder der Busse noch der Sacra-
und gehorsam, gleich als ob sie nun ! mente. Schon hatten sie sich in
allein Christen seien, und welcher 1 Italien, Sizilien, Südfrankreich und
ein Christ wöll werden, muoss ein Deutschland verbreitet, als sie von
Barfuesser werden, oder als seien der Kirche aufs härteste verfolgt,
mancherlei Christen und Christus wieder seit der Mitte des 14 Jahrh.
in im selbs zerteilt. Dieser Orden verschwanden,
hat gehabt Berhardinum von Senis. i Frauen.
Bonaventuram ein Cardinal. Item 1 1. Aanwn. Frau, ahd. frotttcä,
3 Bäpst,Nicolaum IV., Alexandrum V., mhd. frouire, im Ulfilas nicht er-
Sixtum IV. Item Alexander de scheinend, ist die weibliche Form
Ales, welche alle in des Banst re- von got. frauja, ahd. frd, statt
gißter canonisiert seind, erhebt und froutro, welches früh dem kSriro,
in der heiligen anzal zuogeselt. I herre, herr gewichen ist, während
Sanef Clara Orden. Im jar 1225 sich die weibliche Form erhielt,
leuchtet S. Clara, ein jüngerin S. I Der weiblichen Form der Wurzel
Franeisci, von der statt Assis , die 1 entspricht der Name der Göttin
hat bei S. Damians kirchen eine Freya, der männlichen derjenige des
heilige Versammlung und Orden der Gottes Freyr. Als ursprüngliche
armen frawen angefangen, fast auf Bedeutung 'gilt: der Erfreuende,
S. Franeisci weiss. Darin 17 jar ir 1 Froh »wehende, 6'fV/fY/e,3//7rfa,Eigen-
fleisch casteiet. Bapst Inno IV. hat schatten, die sowohl demGotteals dem
si in iren sterben heimgesuocht, Gebieter unter den Mensehen zu-
Honorius und Gregorius haben si kommen. Als Apcllativ kommt dem
mit gnad und gab geerwürdiget, und Wort Frau in erster Linie die Be-
Alexander IV. si unter die neiligen ' deutung Herrin, (iehieferin zu. All-
r:'»lt. Sie tragen graw. leben nach mählich wird der Name mehr und
Franeisci regel (wa si weich und mehr auch dem Geringeren gegeben,
lind ist i, dooh in vil stücken etwas am längsten erhält sich die alte Be-
verenderet. und derorden schleusst ' deutung in der Anrede und als Titel:
nichts dann weibesbild ein und kein 1 Unsere Frau, Unsere liebe Frau ist
214
Frauen.
8
Maria (franz. nötre dam*), Frau
Königin, Herzogin, und in allen
Stünden diejenige, die befiehlt, der
Dienerschaft gegenüber, in der Fa-
milie Frau Mutter.
Kone, Kon, mhd. kone, Skone=
Gattin, Ehefrau, vereinzelt in Bayern
und Osterreich lebendig geblieben,
sind Überbleibsel des einst viel ge-
brauchten ahd. chuend, quenä, got.
oyin6, altnord. kona, neben welchen
Formen eine zweite Form herläuft:
ot. yr&w, ags. crSn, altn. kvän, im
lochdeutschen fehlend, entartet engl.
quean = Weibsbild, Hure, und queen
=-■ Königin. Das Wort entspricht
etymologisch dem griech. yu*^. Die
Wurzel ist ganzen = gebären, zeugen ;
verwandt sind 'A'iW, Knahe, Knecht,
König und können.
Ahd. UU, alts. idi*, altnord. dis,
war ursprünglich der Name eines
göttlichen Wasens, namentlich der
Göttinnen des Geschickes und wird
im Althochdeutschen, Sächsischen
und namentlich im Angelsächsischen
allgemein für jede Frau jedes Alters,
verheiratet oder nicht, angewandt.
Weib, ahd. und mbd. das wip,
geht besonders auf das Geschlecht,
wie man denn auch dem Tiere sein
Weihchen zulegt. Nach Grimm geht
das Wort auf weben und weifen zu-
rück. Höfische Dichter streiten sich
gern darüber, welches Wort, Frau
oder Weib, vorzüglicher sei. Walther
von der Vogelwcide entscheidet sich
für Weib, weil in ihm der Inbegriff
aller dem Geschlechte eignenden
Tugenden liege; Heinrich von Meissen
erklärte sich dagegen für das Wort
Frau und erhielt dafür den Namen
Frauenlob.
Braut. Got. ist die bruths =
Schwiegertochter; ahd. die prüt, brut
= Verlobte wie Neuvermählte, auch
Kebsweib ; angelsächs. bryd, altnord.
hrudhr — Verlobte. Der Grundbegriff
ist die Heimgeführte; denn das Wort
ist aus got /m = vor, und einem mit
lat. vehere = fahren verwandten Verb
zusammengesetzt.
2. Die Stellung der Frau in alt-
germanischer Pertode. Ursprünglich
war die Stellung des Weibes bei den
Germanen keine andere als bei allen
anderen Völkern, es wurde als eine
blosse Sache und als Werkzeug
sinnlicher Befriedigung aufgefasst
Das Weib musste sich mit dem toten
Manne verbrennen lassen, der Mann
hatte das Recht, es zu verkaufen,
zu vermachen, zu verschenken, sei-
nem Gaste anzubieten. Durch die
Gnade des Vaters wurde ihm zu
leben erlaubt; durch Geld wurde es
von einem Fremden dem Vater ab-
Sekauft; auf dem Weibe lag die
Bestellung von Haus und Teld.
Diese ältesten, harten Verhältnisse
des Weibes wurden aber schon früh
teils durch das Aufkommen eines
milderen Rechtes oder wenigstens
einer milderen Gewohnheit , teils
durch die Wirkung religiöser An-
schauungen veredelt, so dass schon
bei Tacitus der ursprüngliche Zu-
stand nicht mehr deutlich hervor-
tritt. Als die wichtigste Bestim-
mung für die Stellung des Weibes
gilt der Grundsatz, dass nach ger-
manischem Rechte die Kinder und
die Frau kein eigenes Recht besitzen,
sie stehen unter der Mundschafr des
Familienvaters oder seines Stell-
vertreters, welche in ältester Zeit
sehr streng war, so dass die Tochter
ohne seine Zustimmung weder über
ihre Person noch über Dir Vermögen
irgend welche Verfügung treffen
konnte. Mann und Weib schritten
bei den alten Germanen erst spät
zur Ehe. Die Rechtsform derselben
war ein Kauf, den der Vormund,
in erster Linie der Vater, mit dem
Bewerber abschloss. Unfreie Leute
bedurften der Genehmigung ihres
Herrn, dem sie dafür eine Steuer
bezahlen mussten. Nur allmählich
und durch Unterstützung der kirch-
lichen Anschauungen erwuchs das
Selbstbestimmungsrecht der Jung
frau. Die Verabredimg über die zu
zahlende Summe, mahaheaz, munt-
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Frauen.
215
jtcasy bruimiete, oder das öffent-
lich , vi-r geladenen Zeugen ausge-
sprochene Gelöbnis des Bräutigams,
den Mundschatz zu erlegen, und das
Gegengelöbnis des Vormundes, dafür
die Braut zu überantworten, war die
vornehmste und bindendste Hand-
lung bei der Eheschliessung. Von
ma Maljan = sprechen, besonders in der
gerichtlichen Verhandlung, nannte
man die Handlung des Verlobens
muhalön; der gemahel und diu ge-
mahele sind die Verlobten; das ge-
mahel für die Verlobte wird erst
im 15. Jahrhundert gebräuchlich.
Uber die weiteren Ehehandlungen
siebe den Artikel Ehe.
War die Jungfrau dem Manne
angetraut, so war sie rechtlich Eigen-
tum des Manne* geworden. Er durfte
sie töten, vererben, strafen, körper-
lich züchtigen. Noch im Nibelungen-
liede erzählt Kriemhild, Siegfried
habe ihr für das unnütze Geschwätz
der Brunhild gegenüber den Up zer-
Llouwen. Eheliche Untreue des
Weibes wurde auf das härteste be-
straft, der Mann durfte sie, wenn
er sie auf frischer That ertappte,
erschlagen; wurde ihr Leben ge-
schont, so verlor sie ihr Vermögen
an ihn, wurde in Gegenwart der
Verwandten schimpflich aus dem
Hause gestossen, des langen Haar-
schmuckes beraubt und unter
Schlägen durch das Dorf gejagt.
Untreue des Mannes in der Ehe
blieb ungestraft Vielweiberei war
zwar den Germanen nicht ganz fremd,
Ariovist z, B. hatte zwei Frauen;
doch war diese Sitte meist durch
nolitische Rücksichten vornehmer
Manner veranlasst. Tacitus rechnet
es den Germanen zur Ehre an, dass
sie sich mit einem Weibe begnügten.
Kebsen dagegen, d. h. nicht aurch
öffentlichen Mundkauf verbundene
Frauen galten durchs ganze Mittel-
alter hindurch nicht für unziemlich.
Gegenüber der rechtlich niedrigen
StenungdergermanischenFrau mach-
ten sich im praktischen sowohl als
im sittlich-religiösen Leben Anschau-
ungen geltend, welche der Stellung
der Frau sehr zugute kamen. Die
Frau war des Mannes Genossin in
Freud und Leid, sie war, was ihr
Name besagt, Herrin des Hauses.
Frauen und Jungfrauen reichten
beim Mahle den Becher oder das
Trinkhorn umher, sie folgten dem
Manne in die Schlacht, feuerten seine
Tapferkeit an uud verbanden seine
Wunden.
Am hellsten spiegelte sich die
sittliche Bedeutung der germanischen
Frau im religiösen Leben des Volkes
und hier zuerst in den Göttinnen
des Volkes und zumal in der ger-
manischen Göttermutter, Freia (siehe
den besonderen Artikel). Aber auch
in den sterblichen Frauen sahen die
Germanen etwas Heiliges und Weis
sagendes, sie suchten in den höch-
sten Dingen ihren Rat und merkten
auf ihre Antworten.
Weiber die sich der Weissagung
widmeten, hiessen wüiu unp, weise
oder kluge Frauen. Sie haben
ihren göttlichen Hintergrund an den
Xornen und Walküren; nordisch
heissen sie völur; völuspA, der Wala
Weissagung, ist eins der ältesten
Eddalieder, worin der Seherin Jfeidr
die Verkündigung des Weltgeschickes
in den Mund gelegt wird. Solche
Weiber ziehen weissagend im Lande
umher, mit Zaubersprüchen vertraut
und auf Zauberwerk geübt; man
ladet sie gern zu Festschmäusen,
bei welchen sie dann in der Nacht
den Zauber sieden und vom vier-
beinigen Schemel herab ihre Weis-
sagungen verkünden. Der Zauber-
trank gab Macht über Menschen,
Tiere und Wetter; seine Wirkung
war nach den Gegenständen, die in
den Kessel kamen, verschieden.
Die Sinnesart der Menschen konnte
verändert, Hass oder Liebe ihm eiu-
geflösst werden; langsames Hin-
siechen, Versetzen aus der Ferne in
die Nähe, Erzeugung von Sturm,
Unwetter und Misswachs schrieb man
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216
Frauen
dem Zaubergobräu sn, auch Heilung Bild eines verfeinerten, ausgebilde-
der Krankheitm. Die Frauenkrank- ten, durch Poesie und Kunst ge-
heiten, besonders die Geburten, schmückten Standeslebens auf, worin
standen unter Freias Macht Mit das Weib eine wesentliche Rolle
dem Untergang des germanischen spielte; die Ausbildung des Marien-
Göttcrglaubens sind diese weisen kultus stellte auch für den gläubigen
Frauen Hexen geworden (siehe diesen Christen ein jungfräuliches Weib in
Art.). die nächste Nähe Gottes und gab
Was endlich für die al'germa- den Jungfrauen und Frauen der
nische Periode die Liehe des Wei- I Gegenwart ein erwünschtes durch
bes zum Manne, der Jungfrau zum die Kirche geheiligtes Ideal; die süd-
JüngHtig betrifft, so wirkte der franz< isischen Ritter, die in einem
keusche Sinn des Volkes, die Ach- i reichen, blühenden Lande längst an
tung vor Zucht und Ehre heili- ' feinere Genüsse gewohnt waren als
cend auf den rechtlich niedrigen der deutsche Rittersmann sie kannte,
Stand des Weibes ein. Eigentliche und denen die Würde und Ehre der
Liebesverhältnisse konnten der Ehe ehelichen Keuschheit und Treue im
nicht vorausgehen, weil das Gesetz Sinne der guten deutschen Sitte
den Werber zum Vater und nicht fremd war, bildeten zuerst den kon-
zur Tochter hinwies. Die Liebe» ent ventionellen ritterlichen Minnedienst
sprang in dem Unsen des Weibes, aus. Nach ihrer Minnekunst gi^bt
und der Mann nahm sie hin als An- 1 es vier Stufen des Minnedienstes,
erkennung seiner Tüchtigkeit, die Auf der ersten Stufe steht der
er fordern konnte und die er mit schmachtende Ritter, der seine heim-
ehelicher Zuneigung belohnte. Dieser liehe Liebe nicht zu gestehen wagt,
Geist spricht sieh in der frühmittel- I sondern verbirgt und sich verstellt,
alterlicnen Dichtung aus, nament- 1 der feignaire ; hat er, durch die Frau
lieh in den Eddaliedern, im Liede 1 ermutigt, das Geständnis gewagt,
von Walther und Hiltgunt. Das so wird er ein Hittender, pregaire-.
Wort, das in dieser älteren Zeit nimmt sie ihn zum förmlichen Liebes-
dte Zuneigung des Weibes zum dienst an, so wird er ein Erhörter,
Manne bezeichnete, ist minne, minna, enfendeire . und ist ihm endlich die
ursprünglich das Denken, das An- höchste Gunst gewährt, so heisst er
denken, die Erinnerung. der Liebhaber, druiz. Der Erhörune
3. Stellung der Frau in höfischer ging eine Pi üfungszeit voran, deren
Zeit. Erst die höfische Zeit hat Dauer dem Gutdünken der Dame
durch fremde Einflüsse das Verhält überlassen war; dieselbe dehnte sich
nis des Weibes zum Mann«', aber nicht selten auf fünf Jahre aus.
bloss innerhalb des Rittertums, gänz- War die Prüfung glücklich vorbei-
lieh verändert und den Mann zum j gegangen, dann wurde der Ritter
bewundernden und werbenden Teil, der Vasall seiner Herzenskönigin
die weibliche Schönheit an Stelle der und förmlich von ihr belehnt. In
männlichen Tüchtigkeit zur Quelle | Südfrankreich wenigstens geschah
der Liebe gemacht. Dieser Um- ' dies mit den gleichen symbolischen
schwung hat sehr verschiedene Ur- j Zeichen, wie sie bei der wirklichen
Sachen. Die soziale Ausbildung des ' Belehnung eines Vasallen stattfan-
Ritterstandes als eines von der nicht- 1 den: Knieen, Händefalten, Kuss und
ritterlichen Welt getrennten zog na- Ring, auch das Scheren der Haar*»
türlich auch die weibliche Gesell- kam vor und priesterliche Einsejr-
schaft in die Sphäre des abgeson- nung. Der Ritter trug nun an Schild
derten Standeslebens; im Orient oder Lanze die Farben der Frau
that sich für die Kreuzfahrer das 1 und ein von ihr erteiltes Wappen-
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Frauen.
217
riehen: Ring, . Gürtel. Haarband, sagen. Die oben genannten vier
Schleier oder Ärmel. Die Frauen Stuten des Minnedienstes sind bei
verlangten ausser allgemeinen ße- deutschen Dichtern nicht nachzu-
weisen der Liebe diese oder jene weisen, und überhaupt ist es mehr
Tliat des Gehorsams und oft auf der gesellschaftliche und poetische
»ihr launenhafte Art; manche Ritter Reflex, der aus der Provence nach
sind von ihrer Dame gezwungen Deutschland hinüberseheint, als die
worden, an einem Kreuzzug teilzu- Sache selber. Die Vorliebe der
nehmen Jeder Ritter musste sich ritterlichen Sänger für den Fraucn-
nach dem Geiste der Zeit eine Herrin dienst, das Gejammer über die
annehmen, die jedoch nie seine eigene merkaere, die T agelieder, da** Ge-
Frau sein konnte. Der phantastische setz der Verschwiegenheit, alles macht
Geist derZeitcrmöglichte es zwar, d&ss den Eindruck des aus der Fremde
der Minnedienst zuweilen gänzlich Angelernten, und es sind auch bloss
ideal, bloss in der Empfindung lebend einige wenige allgemeine Züge, aus
sich gestaltete; es gab Ehemänner, deren leichtherzustellender Mischung
welche die Erlaubnis erteilten, dass der etwas wässerige Reichtum der
andere ihren Frauen dienten. Ander- Frauendichtungen hervorgeht. Der
seifs war der Geist der Zeit bei bei- proven^alisclie Minnedienst hob das
den Geschlechtem sinnlichem Ge- von der Volkssitte geforderte Ehe
misse nicht minder zugethan, und leben eigentlich auf, und französische
der Minnedienst war die gegebene Schriftstellererklären, dassnursolehe
Leiter dazu. Wie nach der Sitte Personen unter den Gesetzen der
die anwesenden Vasallen den Lehns- Liebe stehen , welche nicht mitein-
herrn zu Bette begleiteten und sich ander verheiratet sind; zwischen
er*t entfernten, wenn er sich nieder- Eheleuten finde keine Liebe mehr
gelegt hatte, so begleitete der be- statt, und wenn zwei Liebende ein-
gtinstigte Liebhaber die Frau ins ander heiraten, erlösche augenbliek-
Schlafgemach. Ja, die Frau ge- lieh das Verhältnis. Dass ein Mann
wihrte dem Liebhaber zuweilen eine oder eine Dame verheiratet sei,
Nacht in ihren Armen, wenn er sich hinderte keinen Teil, ein Liebcsver-
eidlich verpfliehtete sich nichts wei- haltnis mit einer driften Person ein-
ter als einen Kuss zu erlauben. Aus zugehen. Der Mönch Nostradamus,
dieser verbreiteten Sitte sind die der Biograph der Troubadours, er-
Tonelieder entstanden (siehe den be- klärt: Causa conjugii ah amore non
sonderen Artikel). Der Zwiespalt eti excusatio ee'rfa. Der deutsche
zwischen der bloss empfundenen Miunedienst schwebte gleichsam in
Liebessehnsucht und der sinnlichen der Luft, Uber den wirklichen Ver-
Wirklichkeit Hess Verscheide nheit hältnissen, bloss in d-»r Phantasie
al« eine besondere Sorge der Lieben- 1 des Zeitalters. Seine Hauptquelle
d» n erscheinen; es war deshalb eine 1 sind die, französischen Quellen ent-
Ehrenpflicht des Minnesängers, den nommenen Ritterepen, besonders die
Namen der Frau gar nicht oder Artusenen, deren Helden Iwein, Ga-
nur verhüllt zu nennen. Auch die wein. Erek, Parzival, Titurel, Tristan
Aufpasser oder merkaere. welche als Muster galanter Ritter darge-
di" Freude der Liebenden Tag und stellt sind. So ist auch der Wort-
Naeh* verbittern, gehören zum stehen- schätz des deutschen Minnedienstes
den Beiwerk des Minnelebens. ! nicht gerade reich. Das Wort froince
Welche besondere Gestalf der gehört in erster Linie dazu', weil
konventionelle Frauendienst des Rif- der Ritter so seine Erkorene, seine
tertums in Deutschland angenommen Herrin ansprach; gendde heisst der
hab»y Ut mit Sicherheit nicht zu Minnelohn; seine Art hängt sehr von
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Frauen.
Absicht, Gesinnung und Gesittung
der Liebenden ab; sie kann reine
zärtliche Zuneigung, ein Blick, ein
Wort, ein Erröten sein, oder ein
äusseres Zeichen der Zuneigung:
Brief, Ring, Armband, Spange,
Gürtel, Schleier, Ausstattung an
Ross, Kleidungen, Waffen oder end-
lich Gewährung der minne.
Ein wesentlich verschiedenes Ele-
ment ist das Motiv echter, wahrer
Liebe in den äusseren Formen ritter-
licher Galanterie. Mit der konven-
tionellen Frauenminne war im auf
geschlossenen Gemüte dieser Zeit
natürlich auch die wahre Liebe er-
wacht, die den Jüngling zur Jung-
frau hinzieht; ihr gehört das schöne
Liedchen an:
Du bist min, ih bin diu,
des soft du getcis sin.
du hist beslozzen
in minem herzen,
verlorn ist daz sfuzzelin :
dti muosf immer da rinne sin.
Diese Minneträger sind nicht
mehr frouwe und herr, sondern man
und tri», und der beliebte Streit,
was edler und besser sei, frouwe oder
iny>,beruht wesentlich auf der Frage
nach höfiscb-konvcntioncller Minne
oder nach der tieferen Liebe: Walther
hat sich für die letztere ausgesprochen.
Die wenigen tiefempfundenen Lieder
unter der grossen Zahl der Minne-
lieder sind Lieder der Liebe; die
Liebe ist es auch, die, immerhin an
den ritterlichcnFrauenkult erinnernd,
das Nibelungenlied und die Gudrun
in sich aufgenommen haben:
soltu immer herzenliehe
zer werlte werden fro,
daz kümt von manne» minne,
du wirst etn »choene wip,
obe dir got gefiieget
eins rehte guoten ritters Up.
Darin klingt noch tief una voll
die ältere Auffassung vom Verhält-
nis des Mannes zum Weibe, und
ebenso in dem zweiten Grund der
Abweisung Kriemhildens (der erste
ist, dass sie ihre jungfräuliche Schön-
heit nicht aufopfern will), dass Ziehe
mit leide ze jungest Ionen kan. Dieser
Gegensatz von Helte und leid ist
auch sonst in der höfischen Dichtung
weit verbreitet; während der Name
minne in seinem ursprünglichen
Werte längst verdunkelt, zum kon-
ventionellen Liebesausdruck gewor-
den war, gab das Wort liebe eben
durch seinen Gegenpart, das leit%
dem Begriffe neues, unmittelbares
Leben, das ausserhalb der höfischen
Gesellschaft seinen Grund hatte.
Wie über teip und froutre, so wird
auch über den höheren Wert der
minne oder liebe gestritten; Rein-
mar von Zweter spricht sich für
minne aus, Ulrich von Liechtenstein
identifiziert beide Wörter:
Staetiu liel>e heizet minne.
liebe, minne, ist al ein:
die kan ich in minem sinne
niht gemachen wol zuo zwei»,
liebe muoz mir minne sin
immer in dem herzen min.
Freidanks Bescheidenheit handelt in
Abschnitt 37 von minne unde teilten,
und denkt dabei kaum je an den
ritterlichen Dienst, sondern an das
natürliche Verhältnis von Mann und
Weib:
Swer minnet, daz er minnen »ol,
dem ist mit eime wibe wol;
ist si guot, erst wol geteert,
swes man von allen 'tdben gert.
Ein man sol sin getriuwez wip
minnen für »in selbes Up;
swer ein petriuwez wip hat,
diu tuot im maneger sorgen r/it. —
Ist schoene wtp gefriuwe,
der fop sol icesen niuwe.
Die Art des Liebeslebens ist
nicht das einzige, was die Frau der
höfischen Zeit bestimmt, aber das
am meisten charakteristische; sie
hat den höfischen Dichtern den Na-
men Minnesänger verschafft.
In engem Zusammenhang mit der
Liebe steht die Schönheit, mhd. diu
schoene. Alle Heldinnen derRitteire-
dichtesind, als ob sich das von selber
verstände, schön, doch gelingt es der
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Frauen
219
Zeit nur in bescheidenem Masse, die
einzelnen Zü^e der Schönheit dar-
zustellen; wie denn an Kriemhild
nicht gerade anschaulich diu ir un-
m/izen sehoene gerühmt wird. Zur
Schönheit gehört das lange, blonde
Haar, eine aus rot und weiss ge-
mischte Gesichtsfarbe, der Mund rot
und durchscheinend wie eine Blüte,
klein, festgeschlossen und ver-
heissend; die Zähne weiss und eben,
die Augenbrauen gebogen, scharf
und schmal wie ein Pinselstrich, der
Zwischenraum zwischen den Augen
breit, die Nase gerade und lang,
weder zu stumpf noch zu spitz, das
Kinn gerundet mit einem weissen
Grübcnen, der Hals weiss, voll und
fest; die Brust rund, klein und weiss;
die Gestalt massig gross, schlank
und doch voll, in der Mitte des
Leibes schmal undgelenk, die Hüften
voll und zart, die Beine gerade und
rund wie eine Kerze, die Füsse
schmal, klein, gewölbt; Arme und
Hände weiss, gerundet und fein, die
Finger gerade und glatt. Einige
Stellen mögen dies näher veran-
schaulichen :
Ir «vi geroeter munt , ir tiehten
ouyen,
irkel, irkin ne, ir roeselihtiu wangen,
die hant daz sende herze min bei-
tcungen,
do ri darin geblickten lieplich taugen,
dar näch zehant da wart ich ir
qeranpen.
Gottfried von Nifen.
W enget roten rar,
wol fjettellet kinne,
ougen luler, Mär,
mineclichiu tinne (Stirne)
hAtsi, diu mir krenket leben unde Up:
hei, taelik wip,
dur din betten fugende mir min teil
rertrip!
Hesse von Kinach.
Die J?rzteÄw«#deradlißenTöchter
bezog sich mehr, als l>ei den Knaben
der Fall war, auf die Kunst des
Schreibens und Lesens und ausser-
dem auf die Arbeiten der Hausfrau.
Nähen und Spinnen wurde früh ge-
lernt. Die Kleider für die Männer,
besonders die Ehrenkleider, wurden
in der kemenäte von den Frauen
verfertigt. Webeu aber galt als
einer Freien unwürdig; so überliess
man das Wollespinnen gern den
Dienatieuten, während edle Frauen
Gespinst von Flachs und Seide ver-
fertigten. Am beliebtesten aber war
das Sticken, icirken in oder an der
ram, für Wandteppiche, Tischtücher,
Mess^ewänder, Altar- Antependien.
An diesen Arbeiten hatten die jungen
Mädchen teilzunehmen, die sich zu
ihrer Ausbildung an einem befreun-
deten Hof aufhielten; sie waren stets
in der Nähe ihrer fterrin und muss-
ten sie, zumal wenn sie ausging,
begleiten; denn eine edle Dame ging
nie allein aus. Auf das äussere Be-
nehmen wurden natürlich hohe Stücke
gehalten, es giebt darüber besondere
Aufzeichnungen, unter anderen die
Lehren der n'insbeckin an ihre Toch-
ter. Es galt als für eine Dame un-
schicklich, mit grossen Schritten ein-
herzugehen, die Arme lebhaft zu
bewegen ; die Augen soll sie gesenkt
haben, ohne sich umzuschauen. Einen
fremden Mann zuerst anreden, war
verpönt, sie sollte ihn nicht einmal
anblicken, bis sie angeredet wurde.
Lautes Sprechen und lautes Lachen
war gegen die Sitte, die Frau und
Jungfrau sollte bloss lächeln, »mieten
oder smieren. Einige Kenntnis der
Heilkunst hatten die höfischen Frauen
aus früherer Zeit her geerbt.
Auf die Leibespßege, Kleidung u.
dgl. verwendete die höfische Frauen-
welt natürlich viel Zeit, Mühe und
Kunst. In erster Linie auf das Haar.
Jungfrauen trugen lange, mit Bän-
dern durehflochtene, eigene oder
fremde Zöpfe, die man auch zu fär-
ben wusste. Nach der Vermählung
wurden alter Sitte gemäss die Haare
aufgebunden. Jungfrauen gingen
gewöhnlich ohne Kopfbedeckung;
im Sommer flochten sie sich einen
Blumenkranz, schapet. der auch aus
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220
Frauen
künstlichen Blumen bestehen konnte; am Oberkörper fest geschnürt an
bestand der Kopfschmuck aus mehr und wallte unten in Falten herab,
als einem schapel. so heisst er das Am Halsausschnitt wird er durch
gehende, das nach Wahl, Geschmack eine Spange zusammengehalten: an
und Mode sehr verschieden sein den Ärmeln, am Hals und bisweilen
konnte; e-» wurde als der vorzüg- am unteren Saume ist er mit Pelz-
liehste Teil des Putzes einer Frau werk besetzt, um die Hüfte durch
angesehen. Nach der Mode einer einen Gürtel zusammengefasst. Er
gewissen Zeit wurde durch das ge- ist ein- oder mehrfarbig. Das sur-
fende das Haar am Hinterkopfe'«/ kot ist ein über dem Rock getragenes,
gebunden; ein Teil des gebendes lief meist mit Pelz gefüttertes Gewand,
unter dem Kinn hin und bedeckte ebenso die den Slawen entlehnten
die Wangen; wenn daher ein Kuss
empfangen werden sollte, musste das
gebende aufgerückt werden. Die
Kopftracht verheirateter Frauen ist
der Schleier, diu rise, er hing frei
zu beiden Seiten des Hauptes nieder
suekenie, godehse, die gornasch ein
Pelzüberwurf nach italienischer Mode
(ital. garnaccia); auch die kürte n ist
ein Pelzkleid, davon der Kürschner.
Über die Kleider wurde der *fjw
oder das stcenzelin angelegt, ein lang
und reichte mit seinen Zipfeln bis nachschleppendes Gewand , das be-
auf die Brust. Verbreitet war das sonders zum Tanze getragen wurde.
Schminken mit roter und weisser
Farbe. An den Füssen trugen die
Frauen Socken, die Schuhe waren
mit Stickereien verziert und aus-
geschnitten. Das Hemd von weisser
sauber gefältelt, gestickt und gegür-
tet. Das oberste Stück endlich ist
der mantel. ärmellos und bis auf die
Füsse herabreichend, unter Umstän-
den so lang, dass er von Dienern
Farbe, leinen, hänfen oder wollen, l nachgetragen werden musste. Er war
wurde, wie alle anderen Kleidungs- j das am prächtigsten ausgestattete
sfücke, bloss bei Tage angelegt. ! Kleidungsstück, aussen und innen
Es wurde dicht an den Körper ge-
schnürt und fiel in reichen Falten
bis auf die Füsse; der obere
Halsteil des Hemdes war mit feinen
Nähten, mit Gold- und Perlen-
stickereien geziert, oder fein gefältelt und oft überaus kostbar ausgestattet,
und mit Krausen besetzt. Eine der riuke oder Schnalle aus Gla*
reich verziert, meist mit Hermelin
gefüttert.
Zu den Schmucksachen der Frauen
gehört der Gürtel, er besteht ans
der borte, meist aus Seide gewirkt
oder Edelsteinen, und dem senket,
d. i. dem Metallbeschlag an dem
andern Ende der Borte, der durch
die rinke durchgezogen wurde und
vorn lang herabhing. Namen für
Spangen sind die nusehe, der für-
di n viel getadelt. Ärmel wurden spange, fazßirgespenge, die bratsche.
Agraffe, spange, vürspange , sehloss
die Halsöffnung. Sowohl die in der
zweiten Hälfte des 13. Jahrh. auf-
gekommene Sitte der Brustentblöss-
ung als die engen, die Körperformen
s< harf hervorhebenden Kleider wur-
geta
erforderlichen Falles ans Hemd an-
geschnürt oder angeheftet Es waren
zum Teil lange Prunkarme! von kost-
baren Stoffen Der rechte Kleider- Ältere verheiratete Frauen bedeckten
luxus beginnt erst mit dem Hocke, i den Kopf mit einem Hute aus Samt,
dessen Schnitt durch die französische ' Pelzwerk oder Pfauenfedern.
Mode bestimmt war, nach der Fran- Um dasJJild des mittelalterlichen
zot/ser sifen, in dtm snite von Franze, Frauenlebens in weiterem Umfange
Dazu kommen Ohrrinqe, Halsketten,
Fingerringe, ArmhiinAer. Die Hand-
schuhe sind von Leder oder Seide.
als man zc Frankriche pjliget. Er
reichte bis zu den Füssen herab, lag
vor sich zu haben, müsste man die
Frauenklöster in ihren verschiedenen,
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Frauen.
221
adligen und bürgerlichen Gestaltun-
gen, das Frauenleben der niederen
arbeitenden Staude und nicht minder
das Leben der fahrenden Weiber
sich veranschaulichen; der letzteren
gab es überaus viele. Noch mannig-
faltiger aber gestaltete sich das
Frauenlebeu in der letzten Zeit des
Mittelalters. Zwar blieben einzelue
Züge des höfischen Lebens auch an
den späteren Höfen zu Recht be-
stehen, ja habeu sich als Antiquitäten
bis heute erhalten; aber der Minne-
kult starb gründlich ab, wie über-
haupt die im 12. und 13. Jahrhundert
bestandene Einheit der höfischen
Bilduug in die Krüch** ging. In den
Städten zog sich die Bürgerfrau auf
den Kreis ihrer Häuslichkeit zurück,
denn das Gewerbe und der Handel
war einzig Sache der Männer. An
Stelle des Gegensatzes zwischen
schönen und hasslichen Frauen, zwi-
schen solchen, die mimte t und sol-
chen, die unminne geben, zwischen
hoher und niederer Minne tritt der
Gegensatz zwischen tagend- und
lasterhaften Fraueu, zwischen keu-
schen und unkeuschen, zwischen
Weltdamen und frommen Gemütern.
Je u.ehr sich aber ein Staud niedriger
Fraueu von dem ehrbarer Frauen
absonderte, desto eher mochten die
letzteren in der Stille des Bürger-
hauses gedeihen. Sogar in den Klö-
stern tritt der moralische Zwiespalt
zwischen frommen und liederlichen
Genossenschaften auf; in manchen
Xonnenhausern findet die Mystik
ihre sehöue Pflege, man hat Lieder
und beschauliche Betrachtungen, die
in Frauenklosteru entstanden sind;
auch Emsiedlerinneu vermehren sich
wieder; w ie umgekehrt die Chroniken
viel von höelist sittenlosem Thun in
den Frauenklöstern berichten. An
Stelle des Minueliedes tritt das Liebes-
lied, das zwar zum Teil auch frivolere
Töne anschlägt, aber im ganzen
mehr den Emst der Liebe, das
Schicksal der sich treu Liebenden,
Trennung und Wiedersehen besingt
und vielfach ältere, epische und
mythische Züge iu sich aufnimmt.
Nach Fadian herrscht in St. Gallen
auch ein schoen und ti'ofqezo>ienefrou-
teenzueftt, mit xchoenem und soubenn
tcandel und erbarlich bekleit und
guoter sitten, zuo allerlei arbeit ge-
schickt und geneigt. Das reichste
Bild des deutschen Frauenlebens im
16 Jahrhundert gewinnt man wohl
aus Haus Sachs' Gedichten, wo iu
kräftigen Farben das Leben und
Treiben des deutschen Weibes, des
tilgend- und des lasterhaften, des
milden und bösen, des armen und
reichen, des hohen und niedrigen
in Ernst und Scherz geschildert ist;
folgende Verse aus einem seiner
Gespräche, „Da* Brauten L<J> eine*
Bidertceibs ", mögen diesen Artikel
beschliessen.
Ein alter Mann spricht zu einem
jungen, der kürzlich ein Weib ge-
nommen, mit welchem er nicht aus-
kommt, und der deshalb auf die
Frauen schmäht:
Sie (mein weib) kocht, spült, kert,
weacht, nect und spinnt
Und zeucht mit fleiss die ihren Kind,
Ist arbeitsam, häuaslich und echtig,
Embsig, endlich, weiss und fur-
trech tig.
Mit allen Dingen in dem Hauss,
Ich sei darin oder daraus«,
Auch sie ist messig, nimbt für gut,
Nachdem die Zeit es bringen Uralt,
All ding ist wol mit ir versehen,
Ir ding muss alls mit rat ge-
schehen,
Auch geht sie eylend hin ir strass,
Steht uit zu blabbern diss und das,
Zu unnütz sie mir nichts vergeit,
Und ist mir trew zu aller zeit
Ist mir auch willig Untertan,
Zu allem dem was ich will hau,
Zu Bett und Tisch freundlicher
weiss,
Meins willens hat sie allzeit rleiss,
Und ob sie etwas unrecht tut:
Straff ichs, so nimbt sie es für gut ;
Ob gleich ein zoren ich an fach.
So gütet sie und gibt mir nac! .
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222
Frauenhaus.
Sie ist verstanden und verschwiegen,
Mit keinem Nachbawrn tut sie
kriegen.
Wann ich trawrig, unmutig bin,
Redt sie mir das auss meinem Sinn
Und tröstet mich mit guten Worten,
Ist mir freundlich an allen orten
Ünd alle ding zum besten wend.
Dergleich weiber unzalbar send,
Die ir Mann halten lieb und wert
Und tun, was nur ir hertz be-
gehrt . . .
Ehweiber halten stete Lieb
Und sind ein ehrentreiche Krön
Ihren Mannen, spricht Salomon.
Als ich selb han ein ehrlich Frawen,
Der ich von hertzen tu vertrawen,
Die sich auch also züchtig helt,
Bey jedermann so ehrbar stelt,
In worten, werken und geper,
Dass ich sie von anfang bissher
Nit hab gespürt mit einem wort
Leichtfertig, frech an keinem ort,
Geht nit vil aus dem Haus ma-
yiren,
Tut sich nit übermessig zieren,
Sondern fein ehrbarlichund schlecht;
Mit Mannsbilden sie nit viel sprecht,
Sie ist nit gögel noch furwitz,
Noch mit spricnworten jens nocn ditz,
Man hörts nit bubenliedlein singen,
Sie ist schamhaft in allen dingen,
Die winkeltänz sie all mal fleucht,
Unehrlich Gspielschaft sie auch
scheucht.
Bey mir allein da ist ir wol,
Sie ist ja aller Tugend vol.
Ohn zal findt man der Weiber mehr,
Den ir sinn steht auf Zucht und Ehr,
Embsig, freundlich, in Lieb un-
tadelich,
Löblich, und wirdig und ganz Adelich,
Ein auffenthalt irs Mannes leben.
Wem Gott ein sotich Weib ist geben,
Den spricht auch selig Salomon.
Das Hauptwerk über diesen Ge-
genstand und unsere Hauptquelle ist
Weinhold , Die deutschen Frauen
in dem Mittelalter. 2. Aufl. Wien
1882; andere Quellen sind Schultz,
Höfisches Leben; San Marie, Par-
zival-Studien III.
Frau en Ii aus, mhd. froutrenJkue,
auch Frauenzimmer, Töchterhaus,
Semeines Haus, freies Haus, offene«
laus genannt, ist eine für die Un-
zucht bestehende öffentliche An-
stalt. Frauenhäuser kommen in
Deutschland schon im 13. Jahrb.
vor und bestanden in allen grösse-
ren Städten. Sie sind meist Eigen-
tum der Obrigkeit und werden durch
Beamte oder Pächter verwaltet.
Auch die Kirche stellte solche Hauser
unter ihren Schutz, wie z. B. in
Rom selber geschah. Man erkannte
zwar die ünehrbarkeit solcher In-
stitute, hielt sie aber aufrecht, um
grösseres Übel zu vermeiden. EHe
Einnahme die der päpstlichen Kam-
mer jährlieh aus diesen Anstalten
zukam, soll im 16. Jahrh. manch-
mal 20,000 Dukaten betragen haben.
Manche Frauenhäuser sind fürst-
liche, bischöfliche Reichslehen. Ne-
ben den öffentlichen Frauenhäusern
bestanden fast überall noch heim-
liehe Frauenhäuser, von Männern
oder von Frauen unterhalten; Frauen-
mrt, Frauenmeister, Huremcirt, F'rrt-
wirf lieisst der Vorsteher einer obrig-
keitlichen, Ruffian, mhd. ruf/tarn,
rifßen, rifßn, Vufßgan u. dgl., vom
ital. ruffb, ruffiano, der Mann, der
auf eigene Faust dieses Gewerbe
treibt. Auch Gastwirte trieben das
Gewerbe und unterhielten fahrende
Frauen wochenlang. Die Häuser
standen entweder direkt unter der
Aufsicht des Rates oder des Bürger-
meisters, oder unter einem der
niedrigsten Beamten, Scharfrichter,
Stocker u.dgl. Die Lage der Frauen-
häuser war überall eine abgeschie-
dene, weder in der Nähe von Kirchen
noch stark bewohnten Strassen, oft
an der Stadtmauer; man erkennt
solche Gegenden zum Teil heute
noch an ihren Namen: Frauen-
gässchen in Nürnberg und Sehaff-
hausen, Frauenfleck in Wien, Bider-
gasse in Strassburg, Frauenborn,
Frauenturm, Frauenpforte in Frank-
furt a. M. Die ältesten Fraueu-
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Frauenzimmer.
223
häuser sind die beiden Esslinger
vom Jahr 1300; in Zürich wurde
1314 ein solches aufgehoben. Die
Blüte des Instituts im 15. Jahrh.
hängt mit dem Reichtum und Luxus
der Städte in diesem Jahrhundert
zusammen. In den zahlreich erhal-
tenen Frauenordnungen wird unter
anderem bestimmt, dass eine Dirne
unter keiner Bedingung am Aus-
treten verhindert werden könne,
auch war ihnen die Teilnahme am
Gottesdienst gesichert; besondere
von den Hausbewohnern unterhal-
tene Kerzen brannten während der
Sonntagsnacht in der Hauptkirche; |
am Samstagabend und an dengrossen
Feiertagen blieb das Haus ge-
schlossen; aucli für Krankenpflege
und Altersversorgung der Insassin-
nen waren au manchen Orten Be-
stimmungen getroffen. In betreff
der Männer war an manchen Orten
verboten, Priester und andere ge-
weihte Personen einzulassen, an an-
deren Orten sollte ein Priester nur
nicht über Nacht im Hause gelassen
werden; Ehemänner waren zum
Teil ebenfalls ausgeschlossen, oder
sie wurden irn Falle des Besuches
mit Gefängnis oder Geldbusso ge-
straft; den Juden waren diese Häuser
überall verboten. Frauenwirte und
Dirnen waren überall fremde Leute,
nicht Bürger und Bürgerinnen. Die
Dirnen waren von Obrigkeitswegen
zu einer bestimmten, auffälligen
Tracht angehalten; diese bestand
in einer bestimmten Art von Mänteln
oder Halskragen oder in roterSchleife
auf der linken Schulter oder in
einem um den Ann gewundenen
Bande von bestimmter Farbe. Be-
sonders die gelbe Farbe war hier
bezeichnend; in Bern und Zürich
trugen sie rote K ippchen. An vielen
Orten war es Sitte, dass man die Dir-
nen bei festlichen Gelegenheiten, Tän-
zen, Hochzeitsfesten ins Kathaus oder
in Patrizierwohnungen einlud. Sie
überreichten die Blumensträusse und
wurden dafür bewirtet. Einziehen-
den Fürsten wurden auf Befehl des
Rates durch diese Personen Blumen-
sträusse überreicht; in Wien tanzten
sie öffentlich mit den Handwerks-
gesellen im Beisein von Bürger-
meister und Rat um das Johannis-
feuer. Infolge der Reformation wur-
deu in protestantischen und in ka-
tholischen Städten die Frauenhäuser
aufgehoben. Nach K riegle, Deut-
sches Bürgertum, II, Abschn. 15.
Frauenzimmer, aus ahd. empor,
mhd. zimtjer, zimmer = Bauholz und
damit errichtetes Gebäude, ist ur-
sprünglich Frauengemach, Frauen-
kammer und seit dem 15. Jahr-
hundert vorkommend: das Wort
Salt gegenüber Frauen haua (siehe
ieses) als der Aufenthalt sittsamer
oder doch vornehmer Frauen, Hof-
frauen, z. B.
ihr zarten jungfraun gross und klein,
kommt mit ins fr aucn zimmer rein.
Ayrer.
Aus dieser ersten Bedeutung ent-
wickelt sich um 1500 die kollektive
Bedeutung der im Zimmer wohnen-
den Frauen, der weiblichen Diener-
schaft, des Gefolges der Fürstin,
z. B. die Herzogin und das Frauen-
zimmer; die Musik war lieblich, der
Wein gut, das Frauenzimmer schön.
Die weitere Bedeutung Hess den
räunilieh einheitlichen Begriff von
Zimmer fahren und nannte Fraueu-
zimmer Frauen inscemein, in der
Regel vornehme, wohlgesittete. Zu-
letzt trat aus dem Kollektiv wieder
die Vorstellung des Individuums
hervor, wie bei Barsch und Kamerad,
und Frauenzimmer wurde der Name
für eine einzelne und zwar eine feine,
gebildete Frauensperson; dieser Ge-
brauch des Wortes findet sich zu-
erst bei Opitz in der 1 622 geschrie-
benen Schäferei: „Wie nun ein
Mensch in einem Bilde die Kunst
und nicht das Bild, in einer Pflanze
die Frucht und nicht die Pflanze
liebet, also müssen wir in einem
schönen Frauenzimmer nicht die
Gestalt, sondern die Schönheit des
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224
Frcia, Fria, Fripg.
Gemütes erheben uud hochhalten."
Häufig wird diese Bedeutung jedoch
erat zwischen 173«» und 1750. Grimm*
Wörterbuch.
Freia, Fria, Frigg, Die ger-
manische Gottermutter entsteht aus
der Naturbedeutung der nährenden
Wolke, der strahlenden Sonne und
der fruchttragenden Erde, nament- i
lieh aus der ersten dieser drei Be-
deutungen; die Wolkenfrau ist des ;
Sturmgottes Gemahlin; mit ihr sind
dann Vorstellungen von den leuch-
tenden Frauen der Morgenrote und
Sonnt« zusammengeflossen, und die
Vorstellung der Wolkengöttin im
Getreidefeld bringt sie der Erdgöttin
nahe. Dass aber ihre Naturbedeu-
tung früh durch ethische Gedanken
vergeistigt worden ist, bezeugt ihr
ältester Name, Friia, Fria, Fred,
d. h. die Liebende, Freundliche.
Neben diesen Namen erscheint aber
auch die niederdeutsche, verdichtete
Form desselben Wortes, Frikka.
Sie entnimmt ihre ethischen Züge
dem Walten der deutscheu Frau \
und Mutter, der Herrseherin auf
dem Hofe; wie diese spinnt und
wirkt und webt sie uud hält Auf-
sicht über die Knechte, Mägde und
Kinder. Auf der Hausfrau ruht die
Behaglichkeit und das Glück des
Hauses. Im Meetsaale sitzt sie, gold-
geschmückt, mit leuchtender Augen-
braue, des Mannes Bankgenossin,
obenan. Vom Rat und Ausspruch 1
der Frauen machte der Germane
oft den Beginn des Kampfes ab-
hängig; einzelne Frauen standen als
Beraterinnen ganzer Völker in fast
göttlichem Ansehen. Schon im 4
Jahrhundert erhielt der sechste
Wochentag, dies Veneria, nach Fria,
den Namen Friatac, Frigetac, Frei-
iaa, Als Guttin der sturmgejagten
Wolke erseheint Fria als iritde
Jägerin, die gleich Wodan zur Zeit
der Wintersonnenwende nachts durch
die Luft tobt; dann hält sie, wie I
souter im Frühling, einen segnenden
Umzug durchs Land. Sie geht von
Haus zu Haus und schaut in die
Stuben, ob die Madchen den Flach*
vom Spinnrocken gesponnen habet.;
ist das nicht geschehen, so verun-
reinigt sie das Gespinst, Qtni
halt sich die Göttin in Waldern ui.d
unter Weidenbäuinen auf; da aittf
sie am stillen See und spinnt ui i
haspelt mit ihrem grossen Daumt i..
und all ihr Gespinst wird klares
Gold. Wie Wodan seiner Gemahlin
im Sturme nachjagt, so streift um-
gekehrt Frau Frien, mit weisser
Haube und weissem, laugberabw&i-
lendem Gewände angetban, weineii<i
und klagend über Berg und Thai,
ihren Gemahl oder Freier zu suclwa
Ihr eigentlicher Wohnsitz aber ut
im Himmel Als Himmel>göm:i
trägt fcie ein leuchtendes Halsp-
schmeide, Brosingamenc. Sie !>ttht
dem Ackerbau vor, wird als Fuhrr-
rin der wilden Ja^d, die aus Seelen
besteht, Todesnot tin, und w ird ausser-
dem als Gottiii der Ehe und da
Geburt verehrt.
Ausser dem ältesten Namen FrU,
der in Ortsnamen überall in Deutsch-
land und in der Volksaage der Ukef-
mark und der Altmark heute noch
fortlebt, führt die Gottin noch Ite-
nameu, unter welchen sie in andere»
Landschaften zum Teil mit be*.'Q-
derer Betonung einzelner Züge ver-
ehrt wird: In der Frießnitz und i»
Mecklenburg heisst sie Frau fl«k
oder Mauden, in anderen Teileu der
Mark Frau Hera oder Harke, n
Thüringen, Hessen und Tirol ZfW*»
im übrigen Oberdeutschland Berti*
auf altfränkischem Boden HrodsOü
Frau Hode, Hauden oder Hat»
ist aus H'oda, der weiblichen F<»nt
von Wödau entstanden. Ihre Ge-
stalt ist weuiger entwickelt ab drt
der Hulda, Hulda, Holte. Die* ,
ist eine Frau von wunderbarst
Schönheit mit langem, goldgvl
Haar, langem, weissem Gewand
Schleier. Sie sendet als Wolke»*
göttin Schnee und Regen. Weua
die weissen Schneeflocken tüe**iw
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Freia, Fria, Frigg.
225
sagt man, Frau Holle schütte die
Federn ihres Bettes oder sie schlage
ihren weissen Mantel auseinander.
Auf einem prächtigen Schimmel
reitet sie über Land und Wasser,
Satteldecke und Gezäume mit silber-
nen Rollchen und Glöckchen besetzt.
Ein Gefolge göttlicher Frauen und
Jungfrauen, auf Katzen reitend, be-
gleitet sie, oder das wütende Heer.
Mit ihrem Gefolge schlägt sie ihren
Wohnsitz in Bergen auf, aus denen
sie nachts hervorstürmt, um am
Morgen zu ihnen zurückzukehren.
Das Innere des Berges, eigentlich
der als Berg gedachten Wolke, die
das glanzvolle Himmelsgewölbe be-
deckt, sieht aus wie ein grosses,
lichterhelltes Gewölbe. Im 15. Jahr-
hundert wurde dem gelehrten Zuge
der Zeit gemäss dieser Berg zum
Venunberq umgewandelt; hier halt
sie durch ihren Zauber den Tann-
häuser gefangen. Dem Wodan als
Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser
steht Holda als Schafiherin zur Seite.
Wenn die Göttin mit dem wüten-
den Heere aus ihrem Berge heraus-
zieht, schreitet ein alter Mann mit
langem Barte und weissem Stabe
vorauf, der freue Eckhart geheissen
(siehe diesen Artikel).
Ein anderer Wohnsitz der Göttin,
der ebenfalls von der Wolke seinen
Ursprung hat, ist ein See oder Brun-
nen. Unter dem Wasser eines Brun-
nens besitzt Holda einen wunder-
lieblichen Garten, hier nimmt sie
die Seelen der Verstorbenen in Em-
pfang und sendet Bie wiedergeboren
als Kinderseelen auf die Erde zu-
rück. Das ist der Ursprung der
Sage vom Jungbrunnen oder Quick-
born und des' Glaubens, dass die
neugeborenen Kinder aus dem Brun-
nen kommen. Hier holt sie der
S/isrch, Adebar oder Odebar, welcher
der Vogel der Freia ist. Vom Him-
mel herunter, aus den Wolken, bringt
der Marienkäfer, das Herrgotts-
pferd, die Seelen der Kinder, er
neisst deshalb auch Sonnenkalb,
Real lex (cera der deutschen Altertümer.
Mondkalb, Sonnenhühnchen, Frauen-
kühlein.
Iii Oberdeutschland hat die ger-
manische Göttermutter den Namen
Bertha, Perahta, die Glänzende, an-
genommen. In ihrem Heere finden
sich die Seelen der ungeborenen
oder der ungetauft verstorbenen
Kinder, in Thüringen Heimchen
genannt Mit diesen sorgt sie für
die Fruchtbarkeit der Äcker. Ihr
Tag, Perchtentag, fallt auf den 30.
Dezember, den 2. oder 6. Januar,
also jedenfalls in die Zwölfnächte.
Stehende Festspeise in Thüringen
ist dann ein Gericht von Fischen
und Klössen oder Brei mit Heringen,
was als eine uralte germanische
Götterspeise galt; an andern Orten
sind andere Festspeisen oder -gebäcke
als Erinnerung an die alten Opfer
gebräuchlich. Insofern die Göttin
Bertha den Geist des Sterbenden
empfängt, wird sie zur Todes-
göttin. Umzüge der Frau Pereh sind
immer noch in Gebrauch. In der
fränkischen Sage wurde Berchta als
Ahn muff er der Menschheit oder des
königlichen Geschlechtes aufgefasst.
Bei den Franzosen und Italienern
bezeichnet man seit alters das gol-
dene Zeitalter mit dem Ausdrucke:
ah Bertha spann. Später hat sich
diese Sage mit der Mutter Karls
des Grossen, Bertrada, und der
Neuburgundischen Königin Bertha
vermisent. Als Ahnmutter fürst-
licher Häuser geht sie als weisse
Frau, weisse Dame um und ver-
kündet ihren Nachkommen Glück
oder Unglück; so in den Schlössern
zu Berlin, Ansbach, Baireuth, Neu-
haus und Rosenberg in Böhmen.
In überaus zahlreichen Sagen wäscht
die weisse Frau weisse Wäsche im
See oder an Quellen oder in Brunnen
und hängt sie bei Sonnen-oder Mond-
schein auf oder bleicht sie auf der
Wiese.
In einigen sächsischen Gegenden
hiess die Göttin Hera, in der Mark
Kerke oder Harke, in Thüringen
15
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226
Freia, Fria, Frigg.
Frau Nolle, im Harz die Haulemutter
oder die Klagefrau, in Tirol Frau
Stempe oder Stampa; Mutter Rosa
hellst sie in einem Kinderspiel. In
Süd- und Mitteldeutschland erscheint
die weisse Frau als Urschel, Ursel,
Ol sehet, lforset, Ursula, von us,
brennen, leuchten, weiss oder schwarz
gekleidet, immer mit einem grossen
chlüsselbund am Gürtel; sie be-
waeht Sehätze und will erlöst sein;
auch den schwarzen Hund hat sie
bei sich ; bisweilen erscheint sie ohne
Kopf. Diese Form der Göttin geht
dann auf diejenige der verwünschten
Burgj'nuitein über; diese erscheinen
einzeln oder zwei, am häufigsten
drei, in letzterem Falle oft die eine
weiss, die audere halb schwarz, die
dritte ganz schwarz; sie berühren
sich ausser mit der Himmelsmutter
mit der Todesgöttin Hei.
Viele Beziehungen und Züge der
Freia als Himmelskönigin sind später
auf Maria übergegangen; auch diese
waltet in Donner und Blitz und wirft
mit goldenen Kugeln. Die Marien-
feste stehen in besonderer Bezie-
hung zum Wetter und zu Heilkräu-
tern, besonders Mariä Kräuterweihe.
Schon im Mittelalter wurde Maria
um Regen angefleht; der Regenbogen
ist der Saum ihres Gewandes, der
Schnee das „Ingefieder" ihres Bettes;
daher Marienschnee oder Maria im
Schnee, Maria in nive oder ad nives
der Name verschiedener, auf Bergen
gelegener Wallfahrtskirchen. In vie-
len Sagen erscheint Maria als Spin-
nerin. Sie kommt wie Holle um die
Weihnachtszeit des Nachts in die
Häuser und sieht zu, ob in der Küche
alles ordentlich ist. Die volkstüm-
lichen Marienbilder haben wie Hulda
fast alle blondes Haar; ein der Freia
gehörendes Farrenkraut heisst Ma-
rien^ras; Marienflachs deutet auf
die Spiunerin. Beiden Frauen, Holda
und Maria, ist die Rose geweiht,
Maria trocknet ihren Schleier gern
auf Rosensträuchern. Der der Hulda
gehörende Sommerkäfer, Sonuen-
käfer, Sonnen kälbchen heisst auch
Marienkäfer, Marienkühlein.
Als „Christkind" erscheint di?
Göttin am Weihnachtsabend zur
Seite des Knechtes Ruprecht od«
des Niklas oder Josephs, als weiß-
gekleidete, verschleierte weibliche
Gestalt; sie heisst auch Engel, Mahn.
Mutter Gottes, Frau Bertha, Fm
Hulda, beschenkt die Kinder mit
Äpfeln, vergoldeten Nüssen, «Je:
straft sie mit der Rute. An manch* u
Orten kommt sie allein.
Auch als krieg erisehe Göttin tri«
die Himmel8inutter unter dem Na-
men Hilde auf; in Bayern hins
Berchta auch Hildabertka.
In der skandinavischen Mytho-
logie tritt die Göttermutter unter
dem Namen Frigg, Freyja und Ii-
hunn auf.
Frigq, entsprechend dem deut-
schen brücke, ist die vornehmste
der Asinnen, Herrscheriu des Him-
mels und Odhins Hausfrau. W
ihr und dem Götterkönig ist dir
Göttergeschlecht entsprungen. Ä
wefcs alles, was sich begiebt,
wohl sie nicht davon redet S»!
spinnt auf goldenem Rocken. Kin-
derlose Leute flehen sie um N»^
kommenschaft an. Ihre königliches
Dienerinnen sind Füll oder
welche Friggs SchmuekkastebcM
trägt, ihres Schuhwerks wartet m
teilnimmt an ihrem heimlichen Rat«;
Hl in oder Hlyn hat das Amt. tfc
Menschen zu beschirmen, welefc
Frigg vor Gefahr behüten will;
Gna ist die Botin Friggs.
Freyja, got. Frauio, ahd.
mhd. vrouwe, nhd. Frau,
Erfreuende, Frohe, die Herrin,
ebenfalls nur eine Nebengestalt litt
selben Göttin. Sie gehört dem Wauer
geschlechte an. Sie ist FreysSehirc^
und Njördhs Tochter. Sie seh««
in Falkengestalt durch die Lüfte
wird von ihrem Eber mit den lol
den Borsten im Wagen gei
Gewöhnlich aber bilden zwei Kata
ihr Gespann. Auch ihre Brust b*
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Freidank.
227
deckt der leuchtende Halsschmuck
Brosinqame. Sie ist Gebieterin der
Valkyrien. Während die Himmels-
königin mehr das heilige Leben der
Ehe beschirmt, nimmt Freyia sich
vorzugsweise der zarten erblühen-
den Liebe an. Die dritte Gestalt,
unter der die Himmelsmutter bei den
Skandinaviern erscheint, htldktmn;
in ihr sind die Himmels wasser oder
die Wasser überhaupt iu ihrer heil-
kräftigen Bedeutung personifiziert.
Sie wohnt in Brunnalcr, Brunnen-
feld, und verwahrt Goldäpfel, deren
Genuas den Göttern ewige Jugend
und Unsterblichkeit verleiht. Nach
Jfan»Atfrc*/,Götter,VIII,und Wuttke,
Aberglaube, § 23 ff.
Freidank heisst oder nennt sich
der Verfasser der Bescheidenheit,
eines mittelhochdeutschen Spruch-
gedichtes aus der Blütezeit der höfi-
schen Litteratur. Über die Person
des Verfassers herrscht Dunkel;
Wilhelm Grimm machte den Versuch,
die Identität Freidanks mit Walther
von der Vogelweide zu beweisen;
doch ist seine Ansicht nicht durch-
gedrungen. Dagegen ist bis letzt
nicht sicher, ob der Name Freidank
der überlieferte Familienname des
Dichters oder ein angenommener
Name ist Für das erstere spricht
eine Notiz in dem Buche des Nürn-
berger Arztes Hartmann Schedel,
Opus de antiauifatibus, worin der
Verfasser erzählt, er sei auf einer
Kunstreise um 1466 iu Treviso ge-
wesen und habe daselbst das wohl-
erhaltene Grabmal Freidanks ge-
sehen, mit der Inschrift:
Ilye leit Fregdanck,
gar on all sein danck,
der alteeg sprach und nie sanck.
Doch ist die Identität auch dieses
Freydanck mit dem Dichter der Be-
scheidenheit nicht nachgewiesen.
Sicher ist, dass Freidauk ein fah-
render Dichter aus Schwaben war,
der zwischen 1216 und 1240 dichtete
und unter anderem Kaiser Fried-
rich It. auf seinem Kreuzzug be-
gleitete. Das Snruchgcdicht trägt
den Namen Bescheidenheit, d. h. Le-
bensweisheit:
Ich bin genant Bescheidenheit,
diu aller tagende kröne treit.
mich hdt berihtet Frida nc,
ein teil von sinnen die sint kranc.
Zwar im ganzen auf dem Boden
mittelalterlicher und ritterlieherWelt-
ansehauuug stehend, ist er doch,
' soweit reiche Lebenserfahrung, Men-
schenkenntnis, ein scharfes Auge für
das Ganze es gestatten, ein freier
Denker, der überall von der zufalligen,
konventionellen Form des Denkens,
Glaubens, Handelns, des gesellschaft-
lichen Lebens und Treibens der Zeit
den tieferen Grund bleibender Wahr-
heit zu erkennen trachtet und sieh
vornehmlich deshalb als geistiger
Genosse Walthers von der Vogel-
weide kundgiebt. In wenig zusam-
menhängenden Einzelsprüchen und
Reimpaaren, die sich nur zuweilen
häufen, bespricht er alle möglichen
Verhältnisse von den Dingen dieser
und jener Welt; von Gott und Natur,
Himmel und Erde, Staat und Kirche.
Spätere Handschriften haben die
Sammlung in kleinere Abschnitte
geteilt, welche folgende Überschriften
tragen : von gote. von der messe, der
sUe, den menschen, den jaden, den
ketzern, wuocher, hochvart, werlde,
sünden, riehen und armen, triuwe
and untriuwe, dieben, spile, dieneste,
rechte und unrechte, edeh und fügende,
alter, blinden, konege, gewinne und
guote, sorgen, arzdten und siechen,
nide, lobe, schelte nne, gesellen, zorne,
himelriche und helle, pf offen, küneqen
und Jursfen, wtsen und t6ren, mitten
und kargen, Sre, trunkenheit, friun-
den, minne und teilten, erkantnisse,
hunger, wäne, guot und Übele, un-
künde, tieren, schätz und pfenning,
Röme, AJcers, zungen, liegen und
triegen, endekrist, Gotes geböte, tode,
junqestertac,gel>el. Es ist ein seltener,
wahrhaft erquickender Reichtum au
Sprüchen der Weisheit, den besten
Spruchgedichten alter und neuer
15*
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228
Freie Künste. — Freier Stand.
Litteraturen würdig an die Seite zu 1 den Kindern des Freien notwendig
stellen. Über die Quollen der Dich- ist Erst in der letzten Zeit der
tun- und über die Art ihrer Be- römischen Bildung, besonders durch
nutzung gehen die Erklärer auch Marcianus Capelfa in seinem Buche
auseinander; während die einen die De nuptiis philologiae et Mercurii,
Bescheidenheit als ein planvoll ge- und durch Boethius, beide im 5. Jahr-
arbeitetes Gedicht rühmen, sehen hundert lebend, wurden die Objekte
andere in ihm bloss eine Kompilation der elementaren und höheren Bildung
von Bibelsprüchen, Distichen Catos, in derjenigen schulgerechten Ord-
Fabeln des Äsop, Stellen aus den Etv- Illing zusammengestellt, welche durch
mologien des Isidor, antiken Schrift- das ganze Mittelalter hindurch die
stellern, Scneea, Ovid, Horaz, Virgil, , herrschende blieb. Die »entern artet
Cicero, Plautus; auch zeitgenössische lif>erales zerfielen darnach in das
Dichter, wie Heinrich von Mölk, den ' trivium, welches den unteren Kurs
Welsehen Gast, Winsbeke und Wal- 1 umschloss und aus Grammatik, Rhe-
ther soll er reichlich ausgeschrieben torik und Dialektik bestand, und in
haben; Freidank habe nur eine den oberen Kurs des quadririum
Blütenlese des Besten geben wollen, mit Arithmetik, Musik, Geometrie
was ihm von Maximen und Reflexionen und Astronomie. Der rersu* me-
aus alter und neuer Z»it bekannt moriaiis heisst:
war und in das er den eigenen Vor- j Lingua, tropus, ratio, numerus, fenor,
rat einwob. In jedem Fall aber angelus, astra.
bliebe dem Dichter die Form, durch Ein Magister artium liberalium war
die er diesen Vorrat erst dem Volke eben ein Lehrer oder Meister der
und seiner Zeit nahe brachte, und sieben freien Künste, und die Fa-
der freie Gedanke, die freie Lebens- kultät, welche dieselben lehrte, hiese
auffassung, die den geistigen Kern Artistenfakultät. Im früheren Mittei-
des Ganzen bildet; er entkleidet alter hiessen sie die siben liste frie.
gleichsam die einseitige Denkweise Die sieben freien Künste wurden
der geistlichen und der höfischen oft abgebildet, z. B. im Hortus de-
Dichter ihres besonderen Gewandes iieiarum der Herrad von Landabere;
und bildet aus ihr eine Lebensweis- Fig. 57 stammt aus der Margaritka
heit des Volkes; daher denn auch , phtlosophica des Karthäusers Greqor
das Buch den Untergang der höfi- Heisch, Ende des 15. Jahrb., worüber
sehen Bildung um Jahrhunderte über- man den Artikel Schulwesen ver-
dauert hat. Das Gedicht hat sehr gleiche, gegen Ende,
zahlreiche Handschriften veranlasst, Freier Stand. Zu Tacitua Zeit
ist ins Niederdeutsche, ins Nieder- teilt sich das Volk der Deutschen
ländische, ins Lateinische übertragen in drei Stand»' : Adlige, Freie und
worden. Sebastian Brant hat es ■ Höriqe. Der Hauptteil und die Kraft
1508 in erneuerter Form zum Drucke des Volkes, die wahren Volksgcuos-
gebracht; der Name Freidank wurde | sen, sind die Freien; der Name/r«
als besonders ehrenvoll auf ähnliche geht durch alle deutschen Zungen.
Dichter nach ihm übertragen. Noch daneben friman, frihals und bei den
Rollcnhagen hat im Frosehmäuseler Sachsen friling. Die Geburt von
den Freidank benutzt. Erst im 17. freien Eltern gab die Freiheit; doch
Jahrhundert verseil windet seine Spur. I mochte der Herr seine mit einer
Auagaben von Wilhelm Grimm und Sklavin erzeugten Kinder wie acine
von Bezzenberger. echten Kinder halten. Der umge-
Freie KUnste, die Übersetzung kehrte Fall dagegen kam in germa-
von artes liberales, sind ursprünglich ' nischer Zeit nicht vor: eine freie
diejenigen Künste , deren Studium ' Mutter, die von einem Knechte Kin-
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Freier Stand.
229
der gewann, verfiel der schmählich- lange, lockige Haar, Knechte und
aten Todesstrafe oder Knechtschaft. | Unmündige hatten ihr Haar zu
Fig. 57. Aus der Margarita philosophicn.
Zur Freiheit gehört notwendig eige- scheren. Jeder Freie hat das Recht,
ner (i ntTidbesitz. Der Frcigclas- unbehindert zu gehen, wohin er icill,
■BM blieb ein Höriger. Äusseres es folgt ihm kein Herr nach, der
Kennzeichen des Freien ist das ihn zurückverlangen darf, er ist
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Freier Stand.
nicht an die Scholle gebunden. Das
Wergeid wird nach demjenigen des
Freien gemessen: der Lite oder Frei-
gelassene hatte das halbe, der Adlige
das doppelte Wergeid des Freien.
Zum Rechte der Freien gehört das
Waffenrecht '; seine Waffen legt der
Freie von der Wehrhaftmachung an
bis zum Tode nicht wieder ab, sie
folgen ihm sogar ins Grab. Schwert
und Lanze gelten als Zeichen der
Freiheit. Die Waffen strecken heisst
sieh der Freiheit begeben. Ein wei-
teres Recht und zugleich Pflicht des
Freien ist Teilnahme an Volksver-
sammlung und Gericht. Der Freie
kann seine Freiheit preisgeben, z. B.
durchs Spiel.
Infolge der Völkerwanderung und
namentlich infolge der staatlichen
Neubildungen durch die Gründung
des Frankenreiches verwischte sich
die frühere strenge Scheidung zwi-
schen Freien und Unfreien und es
bildeten sich eigentümliche Über-
gange und Zwischenstufen. Knechte
wurden waffenfähig und stiegen da-
durch bei dem Könige oder vor-
nehmen Herrn zu Ansehen und Ein-
fluss, die Zahl der Freigelassenen
vermehrte sich, römische Stände
mittlerer Freiheit fanden bei den
Deutschen Eingang und Verbrei-
tung; Freigeborene traten in Ab-
hängigkeit und Dienst zu auderen,
lebten in ihrem Haus und empfingen
von ihnen Land zu Lehen. Aus
der Zahl der Freien steigt eine An-
zahl durch Macht und Reichtum
über die früheren Standesgenossen
empor. Hauptsache für den Freien
bleibt aber immer der freie Grund-
besitz. An letzteren knüpft sieh auch
jetzt noch die Teilnahme an den ge-
richtlichen Geschäften, nur dass jetzt
das alte Recht in einen Zwang ver-
wandelt ist. So war auch der freie
Grundbesitzer allein zur Heercsfolgc
verpflichtet.
In der Karolinger-Zeit geht der
Umwandlungsprozess der Stände
noch rascher von statten; Freiheit
mit freiem Grundbesitz verbinden,
ist so selten geworden, dass man
einen Besitzer desselben mMla
nennt; der gewöhnliche Name für
diesen Stand ist aber boni homiw,
sie allein konnten zu Schöffen herai -
gezogen werden; aber auch <n>
Gau- und Schöffengerichte vur
den von den zahlreichen amlor is
Gerichten mehr und mehr venlrintf.
Ebenso ist unter den Karolinen:
der Heerdienst zwar uoch eine all-
gemeine Pflicht des grundbeste
den Freien, aber schon jetzt wir«
zahlreiche Männer vorhanden. &
ohne Freiheit und Grundbesitz Arr
persönlichen Stellung zufolge zua
Waffendienst verpflichtet waren. ntf
die Reiterei machte schon uutff
Karl dem Grossen cineo anwhi-
lichen Teil des Heeres aus: «lie**
aber bestand nicht aus den ^ewoinr
liehen Freien, die den Heerbann R
leisten hatten.
Immer mehr traten an Stelle '1*
durch Geburt und Grundbesitz be-
dingten Freiheit andere Verhältnis1,
welche die Bedeutung und den VTcrt
eines Mannes bedingen: die Stelltraf
im Reich und zu den verschied
Gewalten desselben, der Besitz
Ämtern, Rechten uud Gütern.
Dienst, den man leistet, der BV
den der einzelne betreibt, das L»tw
in einer Stadt oder auf dem Lan«.
Zwar wird der Unterschied
Freien und Knechten noch imnw
gemacht, besonders in RechtsgeseHtf
ten ; aber andere Unterschiede,
der zwischen Adligen um! Cr»»
ligen, Bürgern und Bauern, Rin>ri
und Kauf leuten, sind gebräuchlich
und dem Geist der Zeit an^nr/*
sener.- Doch war die Zahl der Freie«
noch im 11. Jahrhundert sowohl a
den Städten als auf dem La^
keine geringe; es überwog aber&
Zahl der Halbfreien und der C»
freien dergestalt, dass vielfach iä
bewahrte Freiheit den Inhaber «
den Stand des Adels erhob: tl**"»
ist der Ursprung desjenigen Adti»
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Freiherr. — Freimaurerei.
231
der .«ich uihd. rri nannte, später
Freiherr. Die nicht adlig gewor-
denen echten Freien hcissen im
Sachsenspiegel die Sehoffenbarj Veten,
scepenbure vrie, im Schwabenspiegel
die Mittel freien, mittel rrie , doch
Ut diese Klasse in beiden Spiegeln
schon im engem Zusammenhang mit
dem Lehnswesen gedacht. Nur in
einzelnen Gegenden, wie in West-
fal en, bei den Ditmarschen, in der
Schweiz, erhielten sich echte freie
Kauern bis über die Lehnsverfassung
hinaus und vermochten ihren alt-
hergebrachten Stand bis in die staat-
lichen Neubildungen des ausgehen-
den Mittelalters zu retten. Die Lit-
teratur des höfischen Mittelalters
braucht das Wort rri fast bloss mit
abstrakten Objekten : alles üJ>els,
der sünden, armüete, der eren, vreu-
den, rjuoter sinne, des lebens, ror
missetrende, ror rätselte rri u. dgl.
So ist auch das Wort Freiheit,
rriheit im Mhd. selten; wo es vor-
kommt, wird es meist nicht in ge-
sellschaftlicher oder rechtlicher Be-
ziehung gebraucht, sondern ent-
weder als Stand des F"reien, häufiger
aber als Privilegium oder Immunität,
ab gefreiter, aus einer grösseren
Herrschaft abgetrennter Herrschafts-
bezirk oder als Asyl. Freiheit im
Gegensatz zu Knechtschaft und Un-
terwürfigkeit seheint als Übersetzung
von libertas erst durch Luthers
Bibelübersetzung aufgekommen zu
sein-, daher die Bauern eine so
erosse Freude an dem neuen Worte
bezeugten.
Freiherr. Das Wort kommt erst
im 15. Jahrhundert vor. Sachlich
ist der Freiherr der adlig gewordene
alte Freie, welcher, ohne durch das
Reiehsamt eines Herzogs oder Grafen
ausgezeichnet zu sein, in den Stand
des Adels eingetreten war; Freie,
die nicht adlig geworden, also freie
Bauern geblieben waren, wurden,
weil sie des Titels Herr entbehrten,
auch keine freien Herren. Sie be-
nennen sich durch Nachsetzung des
Adjektivs rri hinter ihren Ge-
schlechtsnamen, z. B. Walther von
Klingen rri. Sie sind also die unterste
Stufe der echten, alten, in den Kitter-
stand gehobenen Freien und wohl
zu unterscheiden vomDienstmauncn-
adel oder den Ministerialen, die des
Namens rri entbehren und unter
Dicnstmannenrecht stehen, während
jene ihren Gerichtsstand unmittel-
bar vor dem Kaiser im Reichsge-
richt hatten. Durch Erwerbung einer
gräflichen Gerichtsbarkeit oder auch
nur eines Teiles derselben setzten
sich viele, die nie wirkliche Grafen
gewesen waren, in den Stand, sich
Grafen zu nenuen, was besonders
im 15. und 16. Jahrb. geschah.
Siehe übrigens den Artikel Adel.
Freimaurerei. Der Name Frei-
maurer stammt aus dem Englischen,
in welcher Sprache freemason der-
jenige heisst, der den free stone, den
freistehenden oder den Quaderstein
bearbeitete, also der Steinmetz, gegen-
über dem rouyh mason, der den rough
stone, den rohen oder den Bruchstein
bearbeitete, oder dem Maurer. Die
freemasons bildeten aber in England
nicht wie in Deutsehland geschlossene
Brüderschaften, sondern sie standen
nur als das hervorragendste Glied
in der grösseren Genossenschaft der
Masonen oder Bauhandwerker. Das
hauptsächlichste Ziel der gemein-
samen Bestrebungen und Versamm-
lungen der Masonen war die Ver-
besserung ihrer materiellen Lage.
Die Hand Werksgebräuche, Zeichen
und Griffe standen unter dem Sie-
gel des Geheimnisses. Ihre einzige
Wissenschaft war die Baukunst, von
ihnen Geometrie genannt. Die älteste
bekannt gewordene Konstitution ist
zwischen 1429 und 1445 geschrieben.
Wie die deutschen Bauhütten, er-
lagen im 16. Jahrhundert die eng-
lischen Masonen einem allmählichen
Siechtum. Als dann im Beginn des
17. Jahrhunderts der italienische
Baustil in England unter den höhe-
reu Ständen Aufnahme und Pflege
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232
Freimaurerei.
fand und es notwendig war, die
Baugewerke in die Erfordernisse des
neuen Stiles erst einzuführen, so
Hessen sich vornehme und reiche
Bauliehhaber formlich in die Zunft
der Masonen aufnehmen. Dennoch
fielen die Bauhütten oder Logen,
nach ital. logqia, franz. logis, engl.
lodqe, bald wieder in tiefen Verfall,
und erst im Jahr 1716 entwickelte
sich aus dem Institute ein neues
Leben, das Freimaurertuin.
In diesem Jahre vereinigten sich
nämlich die vier noch allein in Süd-
englaud bestehenden Londoner Lo-
gen zu einer gemeinsamen Ver-
einigung, Grossloge genannt, die
unter einem Grossmeister stand. Die
Grundlagen der Verfassung, der
Handwerksgebrauch und das Siegel
der Verschwiegenheit wurden bei-
behalten, im Übrigen aber der
Vereinigung ein wesentlich hu-
manes Ziel gegeben. Die Maurer
verpflichteten sich zu derjenigen
Religion, in welcher alle Menschen
übereinstimmen, und belassen ihnen
selbst ihre besonderen Meinungen.
Geboten wird der Gehorsam unter
die bürgerliche Gewalt, und die
Revolution verabscheut, doch dass
um der letzteren willen kein Bruder
aus der Loge verbannt sein soll.
Alle Dispute über Religion oder
Politik werden aus derLo^e verwiesen
und die brüderliche Liebe als die
Grundlage und der Grundstein, der
Kitt und der Ruhm dieser alten
Brüderschaft bezeichnet und treuer,
brüderlicher Beistand empfohlen.
Die hervorragendsten Stifter des
Bundes waren Johann Theophilus
Dexaguiliers, aus einer geflüchteten
französischen Hugenottenfamilie ab-
stammend, Doktor der Rechte und
als berühmter Physiker Mitglied der
königlichen Sozietat, und Jakolt An-
der söhn, ein anglikanischer Prediger.
Es ist kein Zweifel, dass die Ge-
sellschaft der Freimaurer ihre Ent-
stehung und sehr schnelle Verbrei-
tung dem durch den Deismus in
England verbreiteten Streben nach
einerÜberbrückung des konfessionell-
religiösen Zwiespaltes verdankt, dem
Suchen nach einer natürlichen, auf
Tugend und Menschlichkeit gebauten
Religion. Die Stifter waren aber
selbst keine Deisten, und die An-
lehnung der Gesellschaft an den
hohen und höchsten Adel und das
Verbot, über Religion und Politik
zu disputieren, lassen vermuten, dasfi
der Geist der Gesellschaft nichts-
destoweniger ein mehr konservativer
war. Die hervorragendsten Träger
und Verteidiger der freien Bildung
und Forschung gehörten nur aus-
nahmsweise dem Orden an, der da-
durch, dass er die freie Bildung in
bestimmte Formen band, von vorn-
herein in einen gewissen Wider-
spruch mit ihr trat Daher das auch
von Lessing wiederholte Wort, man
könne Freimauer sein, ohne Frei-
maurer zu heissen.
Die weitere Geschichte des Frei-
maurerordens hat es darum auch
viel weniger mit Errungenschaften
geistiger Xatur zu thun, als mit
innern Streitigkeiten und Kleinlich-
keiten, die an das erinnern, was
innerhalb kirchlicher Gesellschaften
vorzugehen pflegt; es handelt sich
um die Wahl von adligen Gross-
meisteru, um geschäftliche Verhand-
lungen, um Schra ausereien oder
Tafellogen, um Verwaltung des Ar-
menfonds, dessen Ergebnisse meist
bloss den Brüdern zu gute kamen.
Schon früh erregte der Bund die
Besorgnisse von Staat und Kirche,
jder protestantischen wie der katho-
lischen. Clemens XII. that 1738
' die Brüderschaft in den Bann; in
Spanien und Portugal wütete gegen
sie die Inquisition.
Der Name, den die Gesellschaft
in England anfangs annahm, war
I Brüderschaft , Company \ fraiernity;
sie beschränkte sich auf die drei
Stufeu oder Grade des Lehrlings,
Gesellen und Meisters. Erst in Frank-
reich wurde die Brüderschaft zum
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Friede.
233
Orden und bekam über den genann-
ten niederen, so^ Johannisorden, —
von den beiden Patronen des Bun-
de«, dem Täufer und dem Evan-
gelisten so genannt — noch höhere
Ördensgrade. Bis zur Revolution
hatte die französische Maurerei zwei
mystisch -phantastische Richtungen
zu überwinden, deren eine sich als
Wiederaufleben des Templerordeus
geberdete, deren andere sich an die
Alchjmie, Magie, Geisterbeschwö-
rung anschloss und den berüchtigten
Cagliostro zu ihren Adepten zählte.
Auch die deutsche Maurerei blieb
von solchen Ausschreitungen nicht
verschont; der französische Templer-
orden nahm hier die Bedeutung und
den Namen der st Akten Observanz
an ; auch an Betrügern, Goldmachern
u. dgl. fehlte es nicht. Ein solcher
gründete 1773 den Orden der Rosen-
kreuzer, dessen Ableger wiederum
der Orden der asiatischen Brüder
und der der Kreuzbrüder oder Kreuz-
frommen waren; ähnliche Bedeutung
hat der von Adam Weisshaupt,
Professor des kanonischen Rechtes
zu Ingolstadt, 1776 gegründete Illu-
minatenorden, welcher in seiner Or-
ganisation dem Jesuitenorden nach-
gemacht ist und gegen unten auf die
Studierenden, gegen oben auf die
Obrigkeiten wirken sollte. Nach
Steifz in Herzogs Realencvklopädie.
VgL auch Heftner, Engl. Litteratur,
Buch II, Abschnitt I.
Friede, ahd. fridu, mhd. vride,
zu got. frijon = lieben, wozu auch
Freund gehört. Friede ist nach
ältester Auffassung sowohl die un-
gestörte Ruhe, der Gegensatz von
Feindschaften, welche Hass und
blutige Verfolgungen, Fehde ent-
zünden, daher Freyr der Gott des
Friedens heisst; als dasjenige, was
diesen Frieden erhalten und wenn er
gebrochen ist, ihn wiederherstellen
soll, also der geordnete und gesicherte
Zustand unter der Herrschaft des
Rechtes. Friede ist daher mit Recht
gleichbedeutend, nur dass bei Recht
mehr die Beziehung auf den Ein-
zelnen hervortritt. Wer im Frieden
des Volkes war, dem war dadurch
sein Recht gesetzt und gewahrt, er
konnte, wenn er sich für oeeinträch-
tigt hielt, die Hilfe des Gerichtes
in Anspruch nehmen; durch die
Verletzung des Rechtes des Einzel-
nen war zugleich an ihm der Friede
Aller gebrochen. Gemeindeverbin-
dun^ und Opfergenossenschaft stand
in einem Frieden und einer Freund-
schaft.
Eine Erweiterung des Friedens
fand statt, wenn Handlungen, die
bisher nicht als Friedensbrüche gal-
ten, durch Ausdehnung der Unver-
lctzlichkeit oder Setzung eines be-
sonderen Friedens diese Eigenschaft
erhielten. Dieses geschah in Be-
ziehung auf Personen z. B. fremden
Stammesgenossen, in Beziehung auf
Sachen den Pflügen und Mühlen
gegenüber. Eine Erweiterung des
Wiedens war es auch, wenn dieser
als wirksam auch da anerkannt
wurde, wo er durch eine Handlung
verwirkt worden war. Dies war der
Fall, wenn die Befugnis und das
Recht, Rache an einem Missethäter
zu üben, ausserordentlicherweise be-
schränkt wurde; es geschah dies
entweder durch ein Gelöbnis der
Partei oder durch einen Befehl des
Richters, oder wenn der Vcrletzer
sich zu Recht zu stehen erbot.
Dieser Friede war nur ein zeitweilig
wirkender, eine Art Waffenstillstand;
ein beständiger Friede aber wurde
gelobt, wenn eine Streitigkeit von
grösserer Bedeutung, besonders
durch den Totschlag eines Ver-
wandten verursacht, durch Erlegung
einer Busse oder eines Wergeides
ausgeglichen war; ein solcher Friede
geschah durch eidliche Zusicherung
beider Parteien, im fränkischen
Reiche durch Ausstellung besonderer
Urkunden.
Höhere Frieden sind solche, die
eine verstärkte Unverletzlichkeit
nicht bloss für Einzelne, sondern
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234
Friede.
für Alle wirkten. Ein solcher Friede
war durch Ort, Zeit oder andere
Umstünde bedingt. Die besonderen
Arten des höheren Frieden! sind:
a) Der Din'friede. Es ist der
jenige Friede, der ursprünglich in
den hohen Festzeiten herrschte, wenn
die grossen Volks- oder Landesver-
sarnmlungen gehalten wurden, die
zum Opfer, zum Gelage und zur Be-
ratung wichtiger Angelegenheiten
und Entscheidung von Streitigkeiten
dienten. Dann weilte, obschon un-
sichtbar, die Gottheit selbst unter
den Menschen, ein heiliger Gottes-
friede herrsehte im ganzen Lande.
Tacit Germ. 40. Dieser Gottesfriede
wurde auch nach Einführung des
Christentums auf die gebotenen
Dinge, die Volksgerichte, übertragen,
er wurde zum Vinqfrieden. Es war
dies ein bei jedem Grerichte herrschen-
der, vom Gerichtsvorstand in einer
üblichen Form besonders verkündeter
Gerichtsfriede. Er umfasste nicht
bloss die Gerichtsstätte, sondern
auch diejenigen, die zum Dinge
S'ngen oder von dort nach ihrer
eiraat zurückkehrten. Schon früh
war der höhere Friede der Ding-
versammlungen auf andere Zusam-
menkünfte, Hochzeiten, Leichen-
feiern,Versammlungcn von Genossen-
schaften, ausgedehnt worden; für
Markte entstand der Marktfriede ;
ahnlicher Natur war der Friede für
die christlichen Festzeiten.
b) Der Heerfriede war ursprüng-
lich derselbe wie der Gerichts- oder
Dingfriede, da das versammelte Volk
zugleich Gerichtsversammlung und
Heerversammlung war. In seiner
Mitte waltete Gottesfriede, es zog
aus unter dem Schutze des schlach-
tenlenkenden Gottes, heilige, den
Hainen der Götter entnommene Zei-
chen vor sich her tragend. Wer
den Frieden brach, wurde von der
Hand des Priesters ergriffen und
fiel ihr zum Opfer. Auch unter dem
Christentum blieb der für die Heer-
führuug durchaus notwendige Heer-
friedc zu Recht bestehen. Die Volks-
rechte bestimmen für jede Tötung
oder gewaltsame Missethat auf der
Heerfahrt drei- bis neunfache Busse,
od. Lebensstrafe, Verbannuug u.s.w.
c) Der 1 leimfriede. Es war ohne
Zweifel urgermanischer Rechts-
grundsatz, dass jedermann in seiner
Heimat friedheilig sein sollte. Grid,
Friede, bezeichnet altnordisch auch
das Haus. Auch der Hausfriede
hangt vielleicht ursprünglich mit der
Religion zusammen, da neben dem
Hochsitz die Bilder der Götter stan-
den. Der Hausfriedc sollte gegen
fewaltsames Eindringen in die Be-
ausung und gegen verübung von
Gewalttätigkeiten an Personen und
Sachen sicher stellen. Auch dem
Verbrecher gewährte sein eigenes
oder ein fremdes Haus, wenn der
Hausherr es gestattete, eine gewisse
Sicherheit, die zwar ohne Zweifel
an das Mass einer bestimmten Zeit
oder an andere Bedingungen ge-
knüpft war. Die im engeren Sinne
befriedete Heimat war das Haus mit
dem eigentlichen Hofe. Auch einer
Vereinigung von Häusern und Höfen,
wenn diese durch Umzäunung oder
Umwallung ein Ganzes bildete, kam
der Hausfriede zu.
d) Acker- oder Frühjahrs- und
Herbstfriede. In den Zeiten, welche
besonders zur Bestellung des Feldes
dienten, genoss der Germane eines
höheren Friedens; nicht bloss wur-
den daher Handlungen, wodurch
dieser Friede gebrochen wurde, be-
sonders creahnaet, sondern man sollte
während der Dauer desselben nicht
einmal im Wege Rechtens Ansprüche
verfolgen können, damit der Land-
mann nicht in seiner Arbeit gestört
würde. Ein derartiger, ebenfalls
während einer geicissen Zeit dauern-
der Friede waltete, wenn der Heer-
bann ausgerückt war, für die Hinter-
bliebenen.
e) Der Kirchenfriede. Die Heilig-
keit der altgermanisch -heidnischen
Haine, Tempel, Feste ging auch auf
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Friede.
235
die christlichen Gotteshäuser über.
Dieser Friede war ein Frieds des
Ortes, der deshalb nicht bloss dureh
Verletzung der Kirche ifnd der zu
derselben gehörigen Gegenstände
selbst, sondern auch durch einen
Frevel an Personen verletzt wurde,
welche sich an der heiligen, Schutz
verleihenden Stätte befanden. Als
räumliche Grenze der befriedeten
Sfätte galt die Kirche, der Kirch-
hof und dazu noch ein gefriedeter
Umkreis von einer gewissen Anzahl,
TL B. 30 oder 40 Schritt; je nach
der Grösse und Bedeutung der Kirche
wurde ihr ein mehr oder wenig hoher
Friede beigelegt, der in der Höhe der
Friedensstrafe Ausdruck fand.
f) Der König «friede. Von jeher
hatte der König Anteil an der Er-
haltang des Friedens, da er der
VorstAnd und Leiter der Volksver-
sammlung war, in welcher über die
Erhaltung des Friedens beraten und
überFriedensbrechcrgerichtetwnrde.
Mit der Ausbildung der persönlichen
Königsgewalt verwandelte sich der
l'olksfriede in einen Köniqttfrieden.
Vom Könige wurden die Vorsteher
der Gerichte ernannt, von ihm ging
der Blutbann aus; Friedensgelder
und verfallene Güter des Friedens-
brechers fielen vorzugsweise dem
Könige zu. Und zwar war dieses
sowohl beim Gemeinfrieden als bei
dem hohem Frieden der Fall; doch
fand ein unmittelbares Eingreifen
und Einwirken des Königs besonders
bei dem letzteren statt; bei der Ver-
letzung eines höheren Friedens so-
wie bei jeder grobem Rechtsver-
letzung erschien der König unmittel-
bar beteiligt, das Ansehen seiner
Gebote verletzt. Bruch eines höheren
Friedens war daher Könif/sfriedens-
bruek, und der Begriff der verschie-
denen höheren Frieden ging fast
ganz in den eines Königsfriedens
auf, sowohl der Kirchenfriede, da
der König der Beschützer der Kirche
war, als der Dingfriede, da die Dinge
unter des Königs besonderer Obhut
standen, als der Heerfriede; Märkte
und später Städte konnten nur mit
Bewilligung des Königs gegründet
werden, da dazu sein Friede gehörte.
Die Kirche beförderte und befestigte
diese Ansicht und machte die Be-
wahrung des GottesfriedenB zur ersten
Pflicht des Königs. Ein besonderer
Ausdruck derselben war der Friede
der Witwen, Waisen und Wehrlosen,
den die Lehrer der Kirche dem
Könige besonders und die Könige
hinwiederum ihren Beamten ernstlich
anempfahlen.
Der König konnte aber seinen
Frieden zeitweilig oder dauernd auch
einzelnen Personen geben, ursprüng-
lich in Beziehung auf eine bestimmte
schwebende oder beendigte Rechts-
sache, später einzelnen wie ganzen
Klassen von Personen ein für alle-
mal; ein Königsfriede im engeren
Sinne aber war derjenige Friede,
der an jedem Orte waltete, in wel-
chem der König bleibend oder vor-
übergehend weilte; auch die Königs-
höfe halten daher das Asylrecht, ja
selbst der Stadt und der Provinz,
in der der König sich aufhielt, teilte
sich sein höherer Friede mit. Unter
dem Königsfrieden stehen auch die-
jenigen, die, um ein öffentliches
Geschäft zu vollführen, vom Könige
abgesendet werden.
Jedes wahre Unrecht war dem
echten Wesen des Friedens zufolge
ein Friedensbruch, ein J 'erbrechen,
das letztere Wort zwar erst seit
dem 17. Jahrh. bekannt. Man un-
terschied aber die wahren, Fried-
losigkeit nach sich ziehenden Frie-
densbrüche, und die, welche für den
Misset häter nur die Notwendigkeit er-
zeugten, sich eine neue Anerkennung
seines Friedens zu erwerben, ohne
dass er, bis dies geschehen war, als
ein gleichsam durch die That Fried-
loser behandelt werden konnte; die
letzteren könnte man im Gegensatze
zu den Friedensbrüehen Rechts-
briiehe nennen; sie ziehen bloss
Bussen nach sich. Der Umfang der
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Friedhöfe.
eigentlichen Friedensbrüche war im
altgermanischen Reeht bedeutend
grösser, der der Rechtsbrüche kleiner,
als in späterer Zeit.
Friedlosigkeit ist dem Grund-
gedanken nach eine durch Verschul-
dung, gleichsam durch einen Treu-
bruch begründete Ausschliessung
aus der Friedens- und Rechtsgemein-
schaft, welche dem davon Betroffe-
nen nicht nur den Rechtsschutz ent-
zog und ihn in die Lage eines völlig
Fremden versetzte, sondern ihn ab
Feind seines Volkes und des Kö-
nigs bezeichnete. Der Friedlos«'
konnte busslos von allen und jedem
erschlagen werden; die Friedlosig-
keit näherte sich also der Todes-
strafe; allmählich ging sie aber mehr
in Landesverweisung über. Nur
eine Wirkung der Friedlosigkeit,
war es, dass niemand mit dem Fried-
losenVerkehr haben, ihn beherbergen, f
speisen durfte, bei Strafe eigener
Friedlosigkeit. Mit der Friedlosig- 1
keit war in der früheren Zeit die
Einziehung des qanzen Vermögens
verbanden , ja selbst die Spur und
und das Andenken des Friedlosen
aus der Gemeinde wurde durch die
Zerstörung, durch das Niederbrennen
seiner Wohnung getilgt. Mit der
Zeit wurde die Friedlosigkeit in ihrer
Anwendung mehr und mehr be-
schränkt, die Flucht aus dem Lande
z. B. erleichtert, die Einziehung des
Vermögens nur auf das unbeweg-
liche Gut bezogen , und die Strafe
der Friedlosigkeit löste sich in ihre
Bestandteile auf, so dass als selb-
ständige Strafen Todesstrafe, Ver-
bannung und Einziehung des Ver-
mögens daraus hervorgingen. Nach
Wtlda, Strafrecht, IV.
Friedhöfe, ahd. frithof, mhd.
vrithof — der zur Schonung und
Sicherheit vor einem und um ein
Gebäude eingefangene Raum, der
Vorhof; dann erst Vorhof der
Kirche als öffentlicher Schutzort ge-
flüchteter Verbrecher, endlich schon
im Althochdeutschen Kirchhof, Got-
tesacker. Das Wort frit kommt
von ahd. frtten = begünstigen, wel-
ches hinwiederum mit Friede und
Freund wurzelvcrwaudt ist Alt-
hochdeutsch sagte man auch frit-
gadem. — Friedhöfe hat man aas
inerowingischer Zeit noch zahlreiche
erhalten: sie bezeichnen neben den
eigentlichen Grabhügeln die älteste
Bestattungsstätte der Germanen nach
der Völkerwanderung. Sie bestehen
aus einfachen Erdgräbern, welche
in mehr oder minder regelmässige
Reihen geordnet sind. Die Gräber,
meist in einer Tiefe von 3 bis 8
Fuss, haben ihre Richtung von
Abend gegen Morgen mit 4 bis 5
Fuss breiten Zwischenräumen. Am
Mittelrhein haben nahezu alle Dörfer,
die überhaupt als sehr alte Nieder-
lassungen anzusehen sind, auch ihre
fränkischen Gräber, und ein Umkreis
mit dem Durchmesser von 2 bis 3
Wegstunden umfasst oft 8 bis 10 zum
Teil ansehnliche Friedhöfe. Die
grössten Totenfelder in Deutschland
sind auf bayerischem und alemanni-
schem Gebiete entdeckt worden,
das bayerische bei Friodolfing an der
Salzbach wird auf 3000 -4000 Tote
berechnet, das alemannische bei
Nordendorf, 7 Stunden von Augs-
burg, ergab bis jetzt 362 Gräber.
Zur Zeit der ersten Entdeckungen
dieser Friedhöfe glaubte mau der
zahlreichen Waffenfuude wegen die-
selben für Schlachtfelder und für
die Bestattungsorte der Gefallenen
erklären zu müssen ; aber die gleich-
massige Beisetzung von Männern,
Frauen und Kindern, die Ausstattung
der Toten mit ihrem vollen Schmucke
und mit allen Arten Gefässen be-
wies, dass man bloss eigentliche
Friedhöfe vor sich habe.
Im Mittelalter kamen die Namen
Kirchhof, Leichenhof, Liehhof im
1 4. J ahrh. C Gottesacker auf. Ursprüng-
lich hatte jede Stadt und jedes Dorf
nur eine einzige Begräbnisstätte,
den Friedhof der Haupt- oder Pfarr-
kirche; allmählich erlangten Klöster
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Frö, Frcyr.
237
und Spitäler das Recht, auf ihrem
Grand und Boden besondere Be-
gräbnisstätten haben zu dürfen. Die
Friedhöfe waren heilige, kirchlich
eingeweihte Stätten; die im Bann
oder während des Interdiktes Ge-
storbenen, die das Sterbesakrament
nicht empfangen hatten, die tot Auf-
gefundenen, die Selbstmörder wurden
nicht auf dem Kirchhofe bestattet
Ausser den Friedhöfen wurde auch
der Boden der Kirchen als Grab-
stätte benutzt, anfänglich jedoch
bloss für die Geistlichen; später
namentlich für solche Laien, die
sich durch Schenkungen um die
Kirche verdient gemacht hatten.
Solche Kirchengrufteu wurden nach-
her Erbbegräbnisse. Bei Seuchen
u. dgl. wurde zuweilen das Be-
graben in den Kirchen auf eine
gewisse Zeit verboten.
Die Friedhöfe der Dorfkirchen
hatten im Mittelalter oft deshalb
eine strategische Wichtigkeit, weil
die Dorfkirchen meist auf dem höch-
sten Punkte des Terrains lagen und
ihr Friedhof der einzige mit einer
Mauer umgebene Raum des Dorfes
war. Der Friedhof war deshalb die
Zufluchtsstätte für die Dorfbewohner
und oft die Stätte blutigen Kampfes,
z. B. bei Döffingen. Zwar die Kirche
that auch gegen diese Benutzung
des Friecmofes Einsprache, aber ver-
Die Friedhöfe dienten auch für
gerichtliche Handlungen, die mit-
unter auch in Kreuzgängen und in
den Kirchen selbst vorgenommen
wurden; diese Einrichtung hat sich
mancherorts darin erhalten, dass
nach dem Gottesdienste von der
Empore herab obrigkeitliche Erlasse
bekannt gemacht und vor der Kirche
auf dem Kirchhof Gemeindever-
saramlungen abgehalten werden. So-
gar zum Feilhalten von Waren
dienten mitunter Kirchhöfe und
Kreuzgänge.
Zur Aufbewahrung der ausge-
schalten Totengebeine war das
Beinhaus bestimmt, mhd. beinhvsy
oder der Kerner, Kernder, Kartier,
Genier, altfranz. carner, franz. char-
nier, lat camarium, manchmal auch
Totenhaus genannt; es bestand zu-
weilen aus einer unterirdischen Gruft
und der darüber erbauten Kapelle.
Sowohl einzelne Familien als ein-
zelne Brüderschaften besassen be-
sondere Grabstätten auf dem Fried-
hof. Die Grabsteine lagen in der
Regel. Früh kommt die Inschrift
Requiescat in pace und auf den
Grabsteinen von Geistlichen der
Kelch vor. Ein hölzerner Schild
mit dem Wappen des Verstorbenen
hiess Leichcnschi/d oder Leichen'
scheibe. Auch Kruzifixe auf Gräbern
sind alt. Lindenschmit , Altertums-
kunde 90, und Kriegk, Bürgertum II,
Abschn. 5.
Frö, Freyr. Die nordische My-
thologie kennt einen leuchtenden
Gott, mit seligem Sitz, Namens
Freyr, aus Fraris, d. h. der Er-
freuende, Frohe, der Herr. Er ent-
spross dem Stamme der Wanen,
Er waltet über dem Regen und
Sonnenschein wie über dem Er-
grünen und Wachstum der Erde.
Er fahrt entweder auf seinem zu
Lande wie zu Wasser segelnden
Schiff Skidhbladhnir, in welchem er
stets mit gutem Winde steuert und
welches nach dem Gebrauche wie
ein Tuch zusammengelegt werden
kann, oder fahrt auf seinem Wagen,
den der goldborstige Eber Gullin-
bursti oder Slidhrufftunni, d. i. Spitz-
zahn, zieht, oder er reitet auf dem
Eber. Schiff und Eber sind Naturbil-
der der lichtdurchstrahlten Wolken,
auf denen die Sonnenstrahlen über
die Weiten des Himmels schweben.
Freyr ist der trefflichste aller Götter;
seine Hausfrau ist die liebliche
Gerdhr, des Riesen Gymir Tochter.
Man rief den Gott um Fruchtbar-
keit der Erde an, er spendete den
Erntesegen durch alle Lande. Da-
rum hiess er freundlich, wohlthätig,
fruchtbar, glücklich und gabmilde.
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238
Fron.
Im Frühling wurde in Schweden
eine Bildsäule des Gottes auf einem
Wagen durchs Land gefahren. Man
meinte, das sei der lebende Gott.
Freyr und eine Priesteriii, die mau
sein Weib nannte, sassen im Wagen,
ein Diener schritt voraus. Das von
überall zusammengeströmte Volk
empfing den Wagen mit Opfermahl-
zeiten, um ein fruchtbares Jahr zu
erbitten, mit Gaben von Gold, Silber,
futen Kleidern. Wo der Gott ein-
ehrte, klärte sich das Wetter auf
und mau erwartete reiche Ernte.
Freyr füllte auch das ilaus mit blü-
henden Kindern und spendete den
Sterblichen Liebeslust. Bei Hoch-
zeiteu opferte man ihm. Freyr ist
auch der Gott des Friedens. Man
trank seine Minne um Frieden und
Fruchtbarkeit. Um Mittwinterzeit
leitete ein dreiwöchentlicher Jul-
friede, während dessen alle Fehden
schweigen mussten, das grosse Fest
der Wintersonnenwende, das Jul-
fest, ein. Auf das feierliche Opfer
im Tempel vor Freyrs Bild folgten
Gastereien und Spiele; zum Nacht-
mahl trugen die Diener den dem
Freyr und der Freyja geweihten
Sühneber auf den Tisch, und man
legte darauf das Gelübde ab. im be-
ginnenden Jahre grosse una kühne
Thaten zu thun. In Ostergotland
wird noch jetzt am Julabend ein
mit Schweinshaut überzogener Block
auf den Tisch gesetzt, und der Haus-
vater, die Hausfrau und das Ge-
sinde schwören, ihre Pflicht treu
leisten zu wollen. Au anderen Orten
werden Kuchen in Ebergestalt ge-
backen. Auch Stiere fielen dem
Freyr alsOofer. Um manche Tempel
Freyrs weideten heilige Sonnen rosse.
Gegenüber dem in Norwegen ver-
ehrten Thorr galt Freyr als der
Schweden Gott; sein grosser Haupt-
tempel, in welchem doch auch Thorrs
und Odhins Bildnisse standen, lag
zu Upsala. Freyrs Sohn heisst
Fjölnir, mächtig, fruchtbar, glück-
lich und friedselig, wie sein Vater.
Bei deuDäneu hiess der Gott Fridh-
/ei fr = Friedenserbe , Frohdi = der
Weise, oder Fridhfrodhi.
Derselbe Gott nun, der bei den
Nordländern Freyr hiess, wurde von
den Deutschen verehrt; er ist ein
Sonnengott, sein deutscher Name
aber nicht mehr nachweisbar; man
nennt ihn mit dem dem nordischen
Freyr entsprechenden deutschen
Worte Fro, welches im Altdeutschen
als Gemeinname für den Begriff Herr,
weiblich F'rouwa = Frau, Herrin und
zugleich als Adjektiv, ahd. fro, auf-
tritt. Die Sonnenräder, welche beim
Johannis- und beim Osterfeuer an-
gezündet werden, gelten wahrschein-
lich diesem Sonnengott. Ihm war
besonders das Julfest eigen, das Fest
der Wintersonnenwende.
Fron-, in Zusammensetzungen
ist ursprünglich der bald vor, bald
nach Substantiven gesetzte Genitiv
Pluralis des ahd. fro = Herr, des-
sen Genitiv Plural fröna lautete =
der Herren, d. h. frier wohl nach
christlicher Ansieht „Gottes und der
Heiligen". Dieser Genitiv Pluralia
wurde aber bald missverstanden, iu
adverbialem Sinne gefasst und als
ein wirkliches Adverb frono in den
Bedeutungen: derHerren, herrschaft-
lich, öffentlich, heilig, genommen,
woraus endlich allmählich, zuerst
im 11. Jahrh., das biegsamere Ad-
jektiv frön hervorging, das im
12. Jahrh. häufiger vorkommt, aber
schon im 13. Jahrh. wieder seltener
zu werden beginnt; es hiess also:
das Kreuz fron, sein heiliger Leich-
nam fron, der edel Kitter fron, das
frone Kreuz, die frone zehen gebot,
der zarte fron Leichnam. Zweifel-
haft ist, ob die mit Fron zusammen-
gesetzten Wörter als von diesem
Adjektiv oder vielmehr als vom wirk-
lichen älteren Genitiv Pluralis ab-
geleitet anzusehen seien; es bezieht
sich in solchen Wörtern das Be-
stimmungswort Fron stets auf ein
dunkles herrschaftliche* oder heiliges
Verhältnis. Solche Kompositionen
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Fronhöfe.
239
sind Fronaltar, Fronarbeit, Fron-
bmi, ß ronba r , Fronha uer , Fronbote,
Fronhrot, Frondienst, Fronfasten,
Froufeld, Fro/t feste, Fronfuhr, Fron-
garte, Frongeftot, Frongei.it, Fron-
geld, Frongeicicht, Fronglaube, Fron-
gut, Fronhaus, Fronh/iusfer, fron-
heilig, Fronherr, Fronhof, Fronhube,
Frottierte, Fronknecht, Fronkorn,
Fronkreuz, Fronland, Fron leib, Fron-
leichnam, Fronleute, Fronmatte,Fron-
ffennig, Fronpferd, F'ronpßu ht , Fron-
recht, Fronscniff, Fronscnreil>er,Fron-
stock, Frontanz, F'ronfeil, F'ronvogt,
Fron traf d, Fronicalt, Fronwasser,
Fron Wechsel , Fronweise, Fron werk,
Fron wiese, Fronzins. Nach Weigand
und Grimm.
Fronhöfe. Der Fron- oder
Herrenhof entsteht in altgermani-
scher Zeit dadurch, das8 jeder freie
Grundbesitzer mit seinem L oosgute
in der Feldmark auch einen Herren-
hof in dem Dorfe besass. Zu be-
sonderer Haus- und Hofhaltung ge-
dieh ein .*olchtT Hof jedoch erat,
seitdem die Zahl der Gemeinfreien
«ich seit der Zeit der Merovinger
wesentlich gemindert hatte.
1. Die F"ronhofe des früheren
Mittelalters bis in die Zeit der Karo-
linger. Der Fron- oder Herrenhof
ist curtis oder curtis dominica, casa
dominicata, saht oder Salin > f. Jeder
frei»« Grundbesitzer bis zum König
besitzt einen Fronhof. Den Herren-
hof des Königs nannte man Königs-
hof, königlichen Salhof, königlichen
Fishu, Falast, den der Bischöfe
Domhof; den der Dorfgeistlichen
Pfarrhof. Zu jedem Fronhof ge-
hörten mehr oder weniger aus-
gedehnte Läudereien, welche die
Grundherrschaft des Hofherrn bil-
deten. Eine sehr ausgedehute oder
aus mehreren Grundherrschaftcn zu-
sammengebrachte Grundherrschaft
enthielt mehrere Fronhöfe, zumal
hei Königen, Bischöfen u. dgl. Die
nun Frouhofc gehörenden Lände-
reien werden teils von dem Hofe
au», teils durch Kolonen gebaut;
das Hofgesinde besteht aus unfreien
oder wenigstens nicht vollfreien
Leuten. Schon früh hatte der um-
zäunte Herrenhof mit den Wohnun-
gen des Herrn sowohl als der Diener
ein burgartiges Ansehen. Alle Woh-
nungen waren aus Holz gebaut, die
Dächer mit Schindeln, selten mit
•Ziegeln bedeckt. Die Herrruwoh-
nuiig des Vollfreien sah in altfrän-
kischer Zeit aus, wie heute noch
die grösseren Höfe Süddeutschlands
und der Schweiz; sie bestanden aus
blockhausartig zusammengefügten
Haiken mit einem hohen Dache,
dem First; das Dach sowohl als
das Innere waren durch Säuleu ge-
tragen, und Säulen cor dem Ge-
bäude trugen das vorstehende Dach
und bildeten dadurch einen bedeck-
ten Gang. Das Innere der Woh-
nung, die Diele, bestand aus einem
einzigen Räume, in welchem die
ganze Familie, um den Familien-
herd versammelt, wohnte. Alle
Haupt- und Nebengebäude samt dem
Arbeitshäusern und Wirtschafts-
gebäuden bestanden aus einzelnen,
nebeneinander stehenden, einstöcki-
gen und nur einen einzigen Raum
enthaltenden Gebäuden. Bewacht
wurde das Ganze, wie noch heute
die Bauernhöfe, vom Hofwart, d. i.
dem Hofhunde.
Dieser Bestand der ältesten Fron-
höfe erhielt durch Karls des Grossen
Bemühungen ein wesentlich ver-
ändertes Ansehen. Karl der Grosse
erliess genaue Bestimmungen für
den Königshof und dessen einzelne
Teile. Das Hauptgebäude sollte
•las geräumige und wohleingerichtete
Herrenhaus sein: insgemein aus
Stein oder wenigstens aussen aus
Stein oder auch ganz aus Holz her-
gestellt; die übrigen Wohn- und
Arbeitshäuser, die Häuser für die
Frauen samt den nötigen Stuben
und Vorratskammern sollten sich
daran anreihen. Das ganze Hof-
gebäude war mit Söllern, hin und
wieder auch noch mit bedeckten
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240
Fronhöfe.
Gängen umgeben, wozu dann die
Okonomiegebäude , Gärten , Hof-
räume und Fischteiche kamen, alle»
wiederum mit einer gemeinschaft-
lichen Mauer oder mit einem Zaune
umgeben. Karls des Grossen Bei-
spiel fand bei den weltlichen und
geistlichen Grundherreu bald Nach-
ahmung.
Auf solchen Fronhöfen ent-
wickelte sich nun, ebenfalls in An-
lehnung an die königlichen Höfe,
die Hofhaltung des Mittelalters,
welche aufs engste mit der Ver-
fassung, der Bildung, der Kunst die-
ser Periode zusammenhangt. Hier
soll bloss die Entwicklung und Ge-
staltung des Fronhofwesens im en-
geren Sinne kurz gezeichnet werden.
In Beziehung auf die königlichen
Höfe entwickelt sich ein Unterschied
«wischen Pfalzen, zu denen stet**
gewisse königliche Villen gehörten
und in welchen eine königliche Hof-
haltung bestand, und zwischen ge-
wöhnlichen Königshofen y die bloss
für eine Villenvevwaltung, keines-
wegs aber zum Empfange des Kö-
nigs und der königlichen Hofhal-
tung eingerichtet waren. Au der
Spitze eines Königshofes oder einer
Villa und der dazu gehörigen Herr-
schaft stand ein herrschaftlicher
Beamter, der sehr verschiedene Na-
men trägt, z. B. judex, villicus. ma-
jor, major rillae, cellarius, deeanus,
cenfennrius, decurio, Schultheis» u. a.
Dieser Beamte, der bald dem Stande
der hofhörigen Leute, bald dem der
höheren Hofbeamteu angehörte, hatte
die Verwaltung und Bewirtschaftung
der Ländercien des Hofes unter sich
und die Aufsicht über die arbeiten-
den und dienenden Frauen, Künst-
ler und Handwerker.
Der Verfassung der königlichen
Höfe und Villen wurde diejenige
der übrigen Grundherren nachge-
bildet, und zwar unterschied man
hier die innere Familie des Hof-
herrn, die zur Besorgung des eigent-
lichen Hofdienstes verwendet wurde,
und die äussere Familie, wozu die
zur Landwirtschaft verwendeten
Knechte, Mägde und andere un-
freie und hörige Leute zählten, die
um den Fronnof herum wohnten.
Salländereien, terrae salicae, agri
salici, Herren- oder Fronländereien
hiessen die vom Fronhofe aus be-
bauten Ländereien, zum Unter-
schiede von den an Koloneu hin-
gegebenen Zinsgütern und Bene-
fizien. Auch au der Spitze dieser
Höfe standen Meier, Zelienter oder
Centner, Orts Vorsteher {praepositi),
Kellner, Verwalter (actores) oder
Vögte, in geistlichen Grundherr-
schaften nicht selten Mönche und
andere Geistliche.
Zu den Fronhöfen gehörteu aber
auch die im Besitz der Kolonen
sich befindlichen Bauernhöfe. Sie
gehörten insofern zum Fronhofe, als
ihre Inhaber gewisse Dienste und
Leistungen, zu denen sie verpflichtet
waren, au den herrschaftlichen Be-
amten des Fronhofen zu entrichten
hatten. Eben aus dieser Zusammen-
gehörigkeit der Bauernhöfe zum
Herrenhof ist der Name Hörigkeit,
Hofhöriqkeit entsprungen. Doch
lagen diese Bauernhöfe nicht not-
wendig unmittelbar am Fronhofe,
sondern häufig durchaus zerstreut
Sonst war der Bauernhof, abgesehen
von seinem abhängigen Zustande,
im kleinen, was der Fronhof im
grossen war. Er bestand aus einer
Wohnung im Dorfe, meist mamtus
genannt', mit den dazu gehörigen
Stallungen, Scheunen u. dgl. und
aus einer Anzahl Feldern und Wie-
sen in der Feldmark. Die Kolonen
konnten wieder ihr unfreies Ge-
sinde, maneipia, haben, die, an dio
Seholle gebunden, mit dem Grund
und Boden veräussert wurden.
Die Bauerndienste, welche die
Kolonen und Hörigen an den Fron-
hof zu entrichten haben, sind Fron-
dienste; zu denselben waren nicht
bloss die Männer, sondern auch die
Frauen verpflichtet. Sie sind sehr
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Fronhöfe.
241
verschiedener Art, die häufigsten
aber sind die Ackerdienste; andere
sind die Botendienste, Fronfuhren
und Vorspanndienste; auch zu Kriegs-
diensten und gewissen Haus- und
Hofdiensten waren die Inhaber der
Bauerngüter verpflichtet.
Die Kolonen und Schutzhörigen
eines Fronhofes bildeteu zusammen
eine Hofgenossenschaft, deren Haupt
der jedesmalige Herr des Fronhofes
war. Er vermittelte den Rechts-
verkehr der Hofgenossen nach aussen ;
er vertrat sie. Die Hofgenossen
selbst hatten ihr eigenes Ho free/U,
eine eigene genossenschaftliche Ge-
richtsbarkeit. Wie bei den Volks-
eerichten fanden die Genossen selbst
das Recht, der Vorsitzende Richter
war nur Frager des Rechtes.
2. Die Fronhöfe des späteren
Mittelalters. Die Wohnung des
Grundherrn heisst auch im spätem
Mittelalter Fron- oder Herrenhof,
domus dominica, nutnsus dorn., curia,
curiis; andere Namen sind sal, sal-
hof, sei ho f, bannhof, ttcinghof Als
Silz der Herrschaft heisst er sedel-
hof sidelkof woraus später sadelhof
seidelhof und sattelhof wurde; auch
stadelhof kommt vor, Amtshof und
Dinghot. Insofern zu jedem Ding-
hof eine Anzahl Bauernhöfe oder
Huben gehörte, so hiess er huobhof,
Haupthof ; insofern er keiner Grunil-
und Schutzherrschaft unterworfen
war, Freihof, freier Fronhof; nach
anderer Beziehung endlich heisst er
einerseits Edelhof von dem Stande
seines Besitzers, Meierhof, Kelnhof,
villicatu*, rilficatio, insofern er an
Meier oder Kellner zur Bewirtschaf-
tung abgegeben war. Mit allen die-
sen Namen bezeichnet man nun aber
entweder nur die herrschaftliche
Wohnung im Gegensatze zu den dazu
gehörenden Ländern und Bauern-
gütern, oder ausser der Wohnung
noch alle dazu gehörenden Wirt-
schafts- und anderen Gebäude nebst
Hofräumeu nnd Gärten, oder end-
lich zu alledem noch die dazu ge-
Reallexieon der deutschen Altertümer.
hörigen Ländereieu, welche nicht
selten eine oder mehrere Dorfschaf-
ten umfassten. Je nach der Grösse
des von einem Grundherrn zusam-
mengebrachten Territoriums war die
Zahl der Fronhöfe verschieden; be-
stand die Herrschaft aus mehreren
Fronhöfen, so stand an der Spitze
derselben der Oberhof Haupthof,
Amtshof, Pfalz- oder Kammerhof.
In Beziehung auf den Herrn unter-
scheidet man 1. Palatien der Kö-
nige und die ihnen nachgebildeten
Pfalzen der Landesherren; 2. die
für die Verwaltung bestimmten Kö-
nigshöfe und die diesen nachgebil-
deten landesherrlichen Fronhöfe; und
3. die Fronhöfe der geistlichen und
weltlichen Grundherren, welche sehr
häufig zu gleicher Zeit der Sitz der
Herrschaft selbst und der herr-
schaftlichen Verwaltung waren.
Die königlichen und landesherr-
lichen Fronhöfe enthielten in erster
Linie ein zur Wohnung des lan-
desherrlichen Beamten dienendes
Wohngebäude, Königshof, Herrenhof
curia, curtis, Herrenhaus, später
meist Amtshof officium, Amtshans
genannt, wozu dann die nötigen
landwirtlichen Gebäude kamen,
I Scheunen, Speiche^, Kasten, Keller,
| Vorwerke u. dgl. Ahnlich, nur klei-
ner und bescheidener, waren die
Fronhöfe der geistlichen und welt-
lichen Grundherren beschaffen,
welche zugleich ständiger Wohnsitz
derselben, herrschaftliche Wohnung
und Verwaltung waren.
Aus den Wohnhäusern der Fron-
höfe, die mau nun meist aus Stein
baute, daher der Name steinhus,
und die schon früh mit Zäunen oder
Mauern umgeben waren, wurden die
Burgen des Mitte/alters; sie treten
erst seit dem 10. und 11. Jahrh.
als solche hervor. Andere Burgen,
die erst später zahlreich als feste
Aufenthalts- und Bewahrungsorte
angelegt wurden, unterschieden sieh
von den älteren aus Fronhöfen ent-
standenen Burgen dadurch, dass sie
16
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242 Fronhöfe.
ausser ihrem Bargbann oder Burg- land waren die meisten Sallände-
frieden keinen weiteren Bezirk be- reien früh zu Zhisgütern geworden,
sassen. Neben den zu Burgen ge- als Lehen verwendet, an Kolonen
wordenen Fronhofhäusern gab es abgetreten u. dgl. und hatten dann
aber immer noch zahlreiche' Fron- ihren freien Charakter meist mit
höfe, die nie zu Burgen umgebaut der Zeit eingebüsst. In Xorddeutsch-
wurden. land erhielten sie sich länger. Aus
Die zu einem Fronhofe gehören- ihren Kesten sind die Vumanen.
den Ländereien hiessen das Terri- Kammergüter, Kammerforsten, Rr-
torium oder da* Gut, praedium. Sie tergüter, herrachaftliche'nWaldunge:
waren, wenn nie um den Fronhof hervorgegangen,
herumlagen, öfters mit einem Gra- Da freier Grundbesitz im Mittel
ben, Zaun, Etter oder Gatter, meist alter allmählich meist die Ritter-
aber mit Marksteinen oder Grenz- bürtigkeit zur Folge hatte, wurden
pfählen, Grenzbäumen. Kreuzen und die Fronhöfe zu hdelhöfen, die Hof-
Grenzsäulen bezeichnet, die Um/äu- und Grundherrschaften zu Ritter-
nung aber mit Thoren, besonders herrschaften oder Rittergütern, und
mit IfaWhoren, versehen. Von dieser das Recht, sie zu besitzen, ein Rech:
Abmarkung erhielt das zu einem des Adels. Jeder Fronhofherr hattt
FronhotV gehörige Gebiet selbst den das freie Eigentum an dem zu sei-
Nameu Atark oder Hof mark, auch nem" Fronhofe gehörigen Grund ud-J
Etter, Zaun, Bannzaun. Schutzbann. Boden; doch waren auch gewis*
Die Ländereien der Hofmark be- Verpflichtungen damit verbunden,
linden sich entweder in unmittel- namentlich war der Inhaber de*
barem Besitze des Grundherrn selbst Fronhofes zur Haltung des n<-tweo-
und werden vom Fronhofe aus digen Faxet- oder Zillriehe* oder
durch Rohmen, jedoch nur fron- der Wuchertiere angehalten. Zu
weise, bebaut, oder sie sind gegen besonderen Rechten des Herrn je-
bestimmte Leistungen seit undenk- hörte das Eigentum an den Mid-
licher Zeit an Kolonen hingegeben, düngen, an W outer und Weide, •£
also Bauerngüter. Die ersteren Flüssen und Bachen, an dein Sa»i.
hiessen auch im späteren Mittelalter an den Bergen, Felsen. Th«!er%.
noch terrae salieae, Salhntdereien, Weyen und Steven, freien /7»fa*»
agri salici, u. dgl., auch Seellände- und an der Atmende, so jedoch»
reien, Seelgüter, Seelhuben, seilend, dass den Kolonen mehr oder we-
sale, auch ahtae, ahten, hatent ach- niger ausgedehnte Gebrauchs- qe>S
ten, Hofachten, zu mhd. der ahtv, Nutzungsrechte zugestanden w&rOfc
aehte. d. h. ein ausgesondertes und Zum Fronhofe gehören hwsrt
unter besonderen Rechtsschutz ge- den Saltändereien die in deu Hte-
nommenes Ackerland eine- Herrn; den des Kolonen liegenden BamWtH
auch Bunden, Gebunden , Pennten; höfe. Ihr Name ist Hoff, carte*.
Hof- oder Fronlande reien, Fron- euriae, ttuinsi, Hubkufe. ' SadelhaOk
guter, Fronäcker, herrschaftliche Sedelhöfe, Zinshöfe, Fallhofe.
Ländereien. Diese Güter hatten hare, llofqüter, Bauerngüter, FzW
mancherlei Freiheiten, waren wie aiUer, Erbgüter} zu Lehen gegehd
die Fronhöfe selbst steuerfrei, frei heissen sie' Bauernlehen, Mannfrlm*
von allen grundherrlichen und vog- Frblehen, freie Lehen, Zinsleh+m
teilichen Abgaben, vom herrschaft- Sie waren in verschiedeneu Fron
liehen Zehnten. Sie waren nicht höfen und Grundherrschaf ten rer1
überall arrondiert, sondern lagen oft schieden gross, meist etwa 30 Ma*j
zerstreut unter den hörigen und un gen oder Jucharte, allenthalben ÄM
freien Bauerngütern. In Süddeutsch- in einem und demselben Frontal
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243
ganz gleich, so gross zwar, dass das fronen ; die Fronhinze, ursprünglich
Gut zur Ernährung einer hörigen bestimmt, die Herrschaft zu unter-
Familie hinreichte. Alle Bauern- halten, hiessen auch Hingst- oder
guter waren deshalb ursprünglich Diensttänze. PH ich t der Herrschaft
vermessen. Wegen ihrer ursprüng- war es, die hörigen Leute wiihrend
liehen Gleichheit konnten diese Gü- des Frondienstes zu beköstigen und
ter auch noch später verlost wer- zu bekleiden. Andere Dienste sind
den. Daneben besitzen die hofhö- Saturallieferungeri und Dienste für
rip^n Leute auch noch ungeteilte die Landwirtschaft, Acker- und Feld-
J"ehi- und Waldmarken, Gemein- dienste: Lieferung von Dünger,
marken, Holzmarken. Die Gesamt- Pflügen, Säen, Krnten, Hauen, Roden,
heit der in einer solchen Feld- und Weinlesen, Zaunmachen. Den höri-
Waldmark angesessenen hörigen gen Frauen standen weibliche Ar-
Leute heisst Markgenossenschaft beiten im Hause und in der Küche
oder Hofmarkgemeinde, deren voll- zu, Besorgung der Näherei. Die
berechtigte Genossen nur diejenigen hörigen Dienstmägde wohnten mit
siud, welche Hofgüter innehaben; den Edelfrauen im Frauenzimmer.
das rechte Eigentum über die Ge- Die Auflösung der Fronhöfe be-
meinmarken stand aber dem Herrn ginnt schon im 12. Jahrh. und setzt
des Hofes zu. sich bis zum Abschlüsse des Mittel-
Die Dienste der bäuerlichen Ko- alters stütig fort. Es sind dabei
Ionen an den Herrn waren sehr wirksam: Veräusserung einzelner
mannigfach. Man unterscheidet Stücke oder sämtlicher Bauerngüter
yaturaUeistunffen, Früchte, Haus- von dem Fronhofe als Lehen oder
tiere, Geflügel, Erzeugnisse der Milch- als Pacht- oder Meiergüter, allmäh, -
wirtschaft, der Bienenzucht, des liehe, zum Teil unvermerkte Los-
Fischfangs, Flachs, Hanf, des Obst- lösung dieser Stücke vom Ganzen;
und Weinbaues, Lieferungen der in Verpachtungen der Frohnhöfc und
der Rüche nötigen Gerätschaften, der dazu gehörigen Läudereien, Ver-
des Hausgerätes überhaupt, Fischer- i äusserung an auswärtige Stifter und
netze, Tücher, Pelzwerke, fertige Klöster, Edellcute, Städte und Stadt-
Kleidungsstücke wie Schuhe, Hand- bürger, und was sonst den Bestand
schuhe, Handtücher; ferner den tag- der mittelalterlichen Grundrechte
liehen und den Wochendienst zur auflöste. Nach r. Maurer, Geschichte
Bedienung der Grundherrschaft ; der Fronhöfe, der Bauernhöfe und
ausserordentliche Dienste an den der Hofverfassung in Deutschland,
feierlichen Hof- und Gerichtstagen, 4 Bände. Erlangen, 1862, 1863.
Beherbergung und Verpflegung der Fronleichnamsfest, Festum sire
Grundherren und ihrer Beamten bei solennitas corporis Christi, die Feier
ihren Amtsreisen, welches man den der Transsubstantiation , entstand
Dienst, die Atzung oder Atze, das bald, nachdem die Lehre von der
Mahl, Sach tmahl, den Imhiss u. dgl. wirklichen Verwandlung des Brotes
nannte. Meist wurden mit der Zeit und Weines in den Leib und das
diese Naturalleistungen in Geld- Blut Christi auf der Lateransynodo
kfatengen verwandelt. Anderer Natur unter Innoceuz HL im Jahr 1215
sind die Frondienste, Frontage, auch als kirchliches Dogma sanktioniert
Schar, Schancerk, Scharwercn, Schar- worden war. Mehrere Frauen des
vagen, Anger, lagtnan, Achten ge- Nonnenklosters zu Lüttich, nament-
uannt. Es gehören dazu die Tafel- lieh Juliana, Isabella und Eva, er-
dienste, Botendienste, Fronpferde blickten während ihres Gebetes einen
und Fronfuhren, Schiffsdienst > . Bau- glänzenden, jedoch an der Seite ver-
fronen. Jagd-, Fischerei- und Tanz- dunkelten Mond und machten ihrem
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Fronleichnamsfest.
Bischof Anzeige davon. Als dieser
darauf für .^eiiie Diözese ein Fest der
Hostieirnnbetune angeordnet, wurde
Papst Urban IV. durch ein neues
Wunder bewogen, dasselbe im Jahr
1264 durch eine Halle als ein Fest
für die ganze Kirche zu verordnen.
Da jedoch dieser Papst kurz nach
der Erlassung der Bulle starb, kam
das Fest nicht eher zum Vollzug,
als bis Clemens V. es durch eine
neue Bulle 1811 bestätigt hatte. Vor
1316 lässt sich ein allgemeiner Ge-
brauch nicht aufweisen. Das Wesent-
liche der Einsetzungsbulle besteht
darin: Obgleich der grüne Donners-
tag das Fest der Einsetzung des
heiligen Abendmahls sei, so könne
doch die Kirche an diesem Tage
wegen der Aussöhnung der Büssen-
den, Verfertigung des geweihten
Öles des Fusswaschens und anderer
Beschäftigungen jenes Sakrament
nicht gebührend feiern, und es müsse
daher ein besonderer Tag dazu be-
stimmt werden. Dieses Fest, für
dessen bussfertige Feier ein Ablass
von 40 bis 100 Tagen verheissen
wird, soll dazu dienen, die Ketzer
zu beschämen und den wahren Glau-
ben zu befestigen. Die Wahl des
Donnerstags nach der Pfingst-Oktave
hatte offenbar Beziehung auf den
grünen Donnerstag und auf das
Dogma von der Dreieinigkeit. All-
gemein wird dem Scholastiker Tho-
mas Aquinas ein grosser Anteil au
der Idee und Ausführung dieses
Instituts zugeschrieben. Von ihm
rührt das jetzt noch gebräuchliche
Offizium her, das unter die vorzüg-
lichsten liturgischen Arbeiten gerech-
net wird; besonders schön ist der
Hymnus:
Hanguc lingua gloriosi
Corporis mysterium
Sanguinisque pretiosi,
Quem in mundi pretium
Fructus renfris generosi
Hex ejfudit gentium.
Die Fronleichnamsprozession will
durch das sichtbare Umhertragen
der Hostie und durch den übrigen
sinnlichen Aufwand nach dem Aus-
drucke des Tridentiner Konzils die
Herrlichkeit der katholischen Kirche
auch vor den Augen ihrer Gegner
offenbaren und deren Seelen er-
schüttern und gewinnen. Johannes
Kessler giebt in der Salthata, I, 103
folgende Beschreibung des Festes,
wie es bis ungefähr 1 525 in St. Gallen
abgehalten wurde: Demnach ist an-
gesehen in onvorlangen ziten anno
1 '254 ein fest und procession zuo Ion
und vererung des gegenwurtigen
wesenlichen libs Christi im Sakrament
des aJtendmals, sojarlich uf dondstag
4 tag brachmonats in solichem prackt
und apparat, baide rori gaistlichen
I und weltlichen baider geschlechten
personen und kostbarlichen ceremo
nien, dass ich die nit wiste ze be-
schriben , begangen wirf. Was sol
ich sagen von den unzaligen langen
und von gold und arbait gezierttn
kerzenstangen, mit gras und allerlei
bluomen umbteunden , glichermassen
wie die haiden ire thyrses genant in
den festen Bachi zuoberait haben!
Dise thyrses oder wandelkerzen gien-
gen der procession umb die ganzen
stat ussert den muren zuovor; dem-
nach die schuoler in iren wissen lin-
waten Überrocken, singende und schel-
lende mit cymbalen ganz lustbarlichen ;
demnach die priester und monachen,
alle in kostlichen, siden und samaten
klaider, darinnen och si zuo den
hoechsten festen die opfermess hal-
tend, jeder in siner hand oder armen
ain guldin oder silberin stuck und
gefess tragend, darinnen etlicher ab-
gestorbnen haiigen bain verschlösse»
ligend. If die gaistlich genanten
zuoletst gieng irer obersten desselhigen
orts, als pfarrer, bisehoffe, propst.
decan, bi uns hie der abt, fürtrejjfen-
lich kostlich tragende in einem guJ-
dinen oder silberin monstranzen da*
brot des al>endmals Christi als den
wesenlichen, personlichen, selbsten-
digen Hb Christi. Und zuo baideu
si'fen ward der gefuert von der stuf
i
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Froschmäuselcr. — Fruchtbringende Gesellschaft. 243
obersten hurgermaister oder schuld- immer Menschen abgemalt t uutl
haissen wider ainem himel, welcher gemeinet.
mit sechs stangen ron den sechs zunft- Frucht bringende («esellschaft
maister enthur tragen ward. Vf der oder Pul nie norden heisst die litte-
paistlichen procession rolgte dan der rarische Gesellschaft, die bei Aidass
laien huf in iren allerkostbarlichsten eines fürstlichen Leichen begäug-
k'laider, und jederman, ga istlich und \ nisses im Jahr 1H17 zu Weimar go-
iceltlich, Jungs und alts tragende it f stiftet wurde. Sie wurde nach dem
irem hopt von wol riechenden bluomen Rate des vielgereisten geheimen
ainen kränz. Mit sulichem hochzit- Rates nnd Hofmarsehalls Kaspar
apparat con claidung, zierden, singen, von Teutleben in Nachahmung ita-
cymlxilen, harpfen, gigen, luten, arg- j lienischer Akademien errichtet, des-
len etc. oifjceaiert man umb die stat.\ sen Vorschlag dahin gimr. „auch
L'eber aen Her toren warend von in Deutschland eine solche Ge-
d*n hurger zuoberaitc altar von tue- Seilschaft zu erwecken, darin mau
eher, huder \ kerzen; alda hielt man gut rein Teutsch zu reden, zu schrei-
under jedem stil, singende ain evan- Den sich befleissige und dasjenige
geliffn, und empßeng man ron dem thäte, was zur Erhebung der Mutter-
obersten den segen. In der sfat aber, spräche dienlich wäre." Die Ge-
an welchen orten die procession muost Seilschaft nannte sich die fruchf-
furgon, warend alle hüser nach ver- bringende, weil jedes Mitglied „über-
mvgen dem sacramenf zuo eren mit | all Frucht zu schaffen geflissen sein
hilaern, hrinnenden kerzen, tüecher sollte*'. Ihre Devise war: „Alles
zuoberait und behengt und die gasse.n zu Nutzen." Jedes Mitglied hatte
mit lobdsten waldwiss bestecht, och ausser seinem beziehungsreichen Na-
mit gross beströuwet und bedecht. men sich auch eine emblematische
Diss fest treret mit usstailung der Blume, eine Frucht, einen Baum
gnaden und päpstlichen aplas acht oder ein Kraut zu wählen, das an
tag; welcher den gegenwurtigen im den Wahlspruch „Alles zu Nutzen"
tempel durch ainen segen , so mit ! erinnerte. Die Mitglieder der Ge-
dem monstranzen des sacraments ) Seilschaft sollteu sich, „wes Standes
crufzwiss ron dem priester, hin und I oder welcher Religion sie auch wären,
her, uf und ab gewehet, überraicht ehrbar, verständig und weise, tugend-
ward; och die zit von besunderm h&h und höflich, nützlich und er-
ahlxis genant die apfaswuch . Eine ; götzlich, leutselig und massig über-
andere Beschreibung giebt »Sebastian j all erweisen, rühmlich und ehrlich
Frank, Weltbuch, S. 132 a. handeln, bei Zusammenkünften sich
Frosehmiiuselerbeisstein episch- gütig, fröhlich und vertraulich, in
satirisches Gedicht des Georg Rollen- 1 Worten, Gebärden und Werken
hageu, 1542 — 1609, Rektor in Halber- treulich erweisen, keiner dem andern
stadt und Magdeburg. Es ist eine ein widrig Wort übel aufnehmen,
Nachahmung der Homerischen Ba- auch sich aller unziemenden Reden
trachomyomachie, aber durchaus und groben Scherze enthalten." Dann
ins Lehrhafte und Polemische gear- aber sollte den Gesellschaftern vor
beitet. Erste Ausgabe Magdeourg allen Dingen obliegen, unsere hoch-
1595. Nach dem YY erke selbst hau- geehrte Muttersprache in ihrem
delt das erste Buch vom Privat- gründlichen Wesen und rechten Ver-
stände, das zweite vom geistlichen stände, ohne Einmischung fremder,
und weltlichen Regimente, das ausländischer Flickwörter, sowohl
dritte von Kriegssachen , und ob- im Reden, Schreiben, Gedichten aufs
gleich von Mäusen, Fröschen und allerzierlichste und deutlichste zu
Hasen die Rede sei, so seien doch erhalten und auszuüben, auch mög-
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240
Fuhrwerk. — Füret.
liehst zu verhüten, dass diesem in der Gesellschaft wurde; denn das
keinem Falle möge zuwider gehan- Oberhaupt musste nach den Ordens-
delt, vielmehr gehorsamlich nachge- gesetzen ein Füret sein. Er starb
lebt werden". Die Gründer der Ge- 1662; sein Nachfolger wurde erst
Seilschaft waren ausser Teutleben: 1667 Herzog August von Sachsen;
der Fürst Ludwig von Anhalt-Kothen nach dessen im Jahr 1680 erfolgten
und sein Sohn Ludwig der Jüngere; Tode wurde kein Oberhaupt mehr
die Herzöge .Johann Ernst, Fried- gewählt, ZtöWn? in ErschundGrubcr.
rieh und Wilhelm von Weimar und Barthold. Fruchtbringende Gesell-
zwei anhaltische Edelleute Christoph schaft.
und Bernhard von Krosigk. Die j Fuhrwerk, siehe Warfen.
Ziele der Gesellschaft waren offen- Fürst. Erst in der mittelalter-
bar durchaus würdige,- doch war sie liehen Periode hat man ein Recht,
vornehmlich eine Gesellschaft des von Fürsten zu sprechen; denn die
Adels und war, wie die Bildung der principe* des Tacitus scheinen keines-
Zeit überhaupt, mit Einseitigkeit wegs ein einziges bestimmte« Amt
schöner und löblicher Form zuge- bedeuten zu dürfen, vielmehr an
than; auch war wirklich die häss- verschiedenen Stellen bald den Ge-
licheSprachmengerei, welcher die Ge- folgsherrn, bald den Gaukönig und
Seilschaft entgegentrat, am meisten bald den Gaugrafen bezeichnet zu
in den vornehmen Kreisen zuhause, haben. Dahn, Könige derGermanen,
Daher stiftete auch eine Anna, I, »>7 ff. Das Gotische kennt das
Gräfin von Bentheim, noch in dem- Wort noch nicht; erst das Althoch-
selbcu Jahre 1617 zu Amberg in deutsche bildet aus dem Adverb
der Oberpfalz eine Arndt mie des furi = nhd. für einen Superlativ
Loyales oder VOrdre de la Palme furisto, fursto, mhd. (absterbeudi
d'or. bestimmt, die französiche Bil- vürste — derVorderete, Erste,Höehste
dung unter den Frauen ihres Hauses in Kang und Würde, schon früh
zu verbreiten. Die Mitglieder der Übersetzung von prineeps, procere*.
Fruchtbringenden Gesellschaft be- Mit prineeps wurde seit der Aus-
mühten sicTi besonders, französische bildung des fränkischen Reiches
und italienische Gedichte insDeutsche überhaupt derjenige bezeichnet, der
zu übersetzen und Ringelrennen und an Rang und Würde zu den Höch-
dergleichen Hoffeste mit ihren deut- sten zahlte: der König, der Major-
sehen Produktionen zu zieren. Ein domus, die hohen Beamten. Noch
besonders fleissiger Dichter war in die sächsischen und fränkischen
dieser Beziehung der im Jahr 1620 Kaiser und Könige und die Schrift-
dem Orden beigetretene Dietrich von steiler ihrer Zeit sprechen allgemein
dem Werder, der Ariosts Rasenden von den G rossen, den Fürsten des
Roland übersetzte. Als das zwei- ! Reichs; seit Heinrich IV. erscheint
hunderste Mitglied wurde Opitz unter der Name principe* regni in deu
dem Namen des ..Gekrönten" und königlichen Urkunden, als Bezeich-
net dem Emblem eines brcitblätte- nung derjenigen, welche im staat-
rigen Lorbee. baumes aufgenommen, liehen Leben die bedeutendste Rolle
Nachdem im Jahr 1650 erfolgten spielen. Irgend eine bestimmte Um-
Tode des Herzogs Ludwig von An- grenzung des Begriffes findet jedoch
halt-Köthcu. de? 80 Jahre lang die noch nicht statt. Zu den geistlichen
Seele der Gesellschaft gewesen war Fürsten des Reiches gehören in dieser
und es mit ihren Absichten wirklich Zeit die Erzbischöfe, Bischöfe und
ernst meinte, kam die Leitung der Abte der unmittelbar unter dem
Gesellschaft nach Weimar, wo Her- Königstehenden Klöster,doch werden
zog Willielm (las neue Oberhaupt auch Kanoniker, Priester und selbst
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Fürst.
247
Mouche dazu gerechnet. Weltliche
Fürsten heissen die Herzöge und
Grafen, doch werden auch ange-
sehene Freie mitunter dazu gezahlt.
Als ehrende Anrede empfangen be-
sonders jene höchsten Beamten des
Reiches den Namen prineepa. All-
mählich werden die Fürsten be-
stimmter von den Adligen und Freien
getrennt, und die principe* stehen
nun als Amtsadel dem Ritteradel
fegenüber. In FieidanksBeschuiden-
eit handelt die 31. Überschrift von
künegen und fursten. Die Ausbil-
dung des mittelalterlichen Beamten-
tums in Staat und Kirche ent-
wickelte zuletzt unter dem Einflüsse
des Lehnwesens besondere Gewalten,
die in ihrer Selbständigkeit zwar
mannigfach abgestuft, doch eine ge-
meinsame Grundlage haben. Die
Trager dieser Gewalten heissen
Fünfen, der Inbegriff ihrer Rechte
und Üi^itzunpunJ^ürsfent inner, mhd.
fürsttwim und furstentuom, daneben
herschaft und hertuom, ursprünglich
der blosse Name der Würde eines
Fürsten, später mit näherer Be-
ziehung auf dessen Land und Gebiet.
Synonymen sind Regimen, Vote-
sfas, Territorium, da«* letztere Wort
führt dann zum Begriff Landesherr,
Im miesfürst. Solche Bezeichnungen
werden zuerst im Anfange des 12.
Jahrhunderts und besonders in Loth-
ringen üblich. Ein Ausdruck der
Stellung, die der Fürst einnimmt,
int der Treueid, den er sich von den
Untergebenen leisten lässt. zunächst
von den Vasallen und Ministerialen,
in manchen Fällen von weiteren
Krei-en der Untergebenen, z. B.
den Bewohnern einer geistlichen
Stadt. Die Rechte des Fürsten
waren Gerichtsgewalt, Heergewalt
und Erhebung von Einkünften. Für
die Übung derselben und für die
obere Leitung bedurfte der Fürst
nicht minder als <!er König Ver-
treter und Gehilfen. Seine Um-
g heisst Hof, curia, sowohl als
i .Hofgericht) wie als Rat
(Hofrat) thätig. Zum Hof werden
die Vasallen und Ministerialen be-
rufen. Da«* letztere ist besonders
bei den geistlichen Fürsten der Fall;
hier erfolgten Be«itzveränderungen
nur unter ihrer Zustimmung, die sie
verweigern konnten; sie hatten Ein-
fluse auf die Emeuuung der Be-
amten des Stifts und Anteil an der
Wahl des Bischofs oder Abtes.
Der deutsche Name für diese welt-
lichen Beiriite ist das gedujene, d. h.
die Degenschaft. Aus den Ministe-
rialen gingen bei weltlichen und
geistlichen Fürsten die Hotbeamten
hervor.
Besonders die Kämpfe zwischen
Staat und Kirche waren dem Auf-
kommen der Fürstentümer günstig.
Der Kaiser hatte sich dem Papst
gegenüber auf die Fürsten stützen
müssen; die Folge war, dass diese
sich mehr und mehr selbständig
ausbildeten. In immer weiterem Um-
fange wurde damals in den welt-
lichen Fürstentümern, die ursprüng-
lich ja bloss Teile des Reiches und
von diesem und dessen Oberhaupte
abhängig waren, erbliche Nachfolge
verlangt, bestimmte Geschlechter
befestigten sich im Besitze der grossen
Fürstentümer. Den Bischöfen stehen
jetzt die Bewohner der Städte zur
Seite. Je verzettelter die könig-
lichen Besitzungen wurden, desto
kompakter schlössen sich die fürst-
lichen Territorien, zahlreiche Mini-
sterialen standen den letzteren zu
Gebote, wie ihuen auch das Auf-
blühen der Städte, des Handels und
Gewerbes, des Wohlstandes in erster
Linie zugute kam.
Seit dem 12. Jahrhundert, nach-
dem die Stellung des Grafen als
einstiger hoher Keichsbeamter sich
schon wesentlich abgeschwächt hatte
und viele Edelleute infolge Erwerbung
eines Stückes alter Grafschaft sicli
den Grafentitel beigelegt hatten,
trat eine Spaltung zwischen eigent-
lichen Fürsten und Grafen ein; von
den letzteren gehören nur die wc-
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248
Füstenschule. — Fussbekleidung.
nigen zum Fürstenstande, die vom geschrieben, ein bis an die Knöchel
Kaiser in den Reichsfürstenstand reichendes, aus Leder oder Häuten
erhoben worden waren, woher sie bestehendes Schuhwerk, mit Sehnär-
ä&m\ ycfürstefe G rafcnhictsen. Siehe riemen gebunden, welche letztere so
Waffe. Verf. und Ficker , Vom lang waren, dass man sie über die
Reichsfürstenstande. I. Innsbruck, Waden kreuzweise bis zum Knie
1861. winden konnte. Fremde Fusabe-
FflrstenschulenheissenimGegen- kleidungen, aber ebenfalls alt, sind
satz gegen die städtischen Schulen mhd. der und die soc, socke, aus
die drei sächsischen, auf einer Stif- lat. soccus, und mhd. der uud die
tung des Landesfürsten beruhenden stiraf, stiviU, aus ital. stimfe, franz.
und unter seiner unmittelbaren Auf- estival, vom lat. aestirak, also eine
sichtgcleitetenGymnasienzuJ/eiW'//, Sommerbeklcidung des Fusses, bi'ide
Pforta und Grimma. Sie wurden aus leichteren Stoffen, feinem Leder
aus den durch die Reformation frei oder Filz gemacht und von vor-
gewordenen geistlichen Gütern, na- nehmen Personen getragen; sie
mentlich der Klöster errichtet und reichen etwas höher an der Wade
zwar die Schulen zu Meissen und aufwärts als der Schuh, der bei
Pforta im Jahr 1553, diejenige zu vornehmen Leuten ebenfalls aus
Grimma 1549 durch Herzog Moritz feinerem Stoffe, Filz oder weichem
von Sachsen, namentlich unter Mit- Leder gearbeitet und oberhalb des
Wirkung der Räte Dr. Kommerstadt Spanns ausgeschnitten und etwa
und Ernst von Miltitz. zugeschnürt war.
Fussbekleidung. Dass den Deut- Die höfische Mode adoptierte die
sehen schon früh eine Fussbekleidung um 1089 vom Grafen rulco vou
eigen war, zeigt das frühe Vor- Anjou zum Verbergen seiner Schwie-
kommen des Wortes got. skohs, ahd. len oder Beulen autgebrachten Schna-
seuoh, mhd. schuveh, nhd. Srhuh und beischuhe, die vorn spitz zuliefen und
die symbolische Verwendung des darum über die Zenen hinaus ver-
Schuhes in den Rechtsaltertümern, längert werden mussten; die vor-
lm nordischen Recht kommt der ragenden Spitzen waren mit WTerg
Schuh bei der Adoption und Leyiti- ausgestopft und bei Stutzern manch-
mation vor: der Vater soll ein Mahl mar von so bedeutender Länge, dass
anstellen, einen dreijährigen Ochsen sie mit einer Kette oder Agraffe,
schlachten, dessen rechtem Fusse etwa auch mit einer Schelle ver-
die Haut ablösen und daraus einen sehen, ans Kuieband oder au den
Schuh machen, den er zuerst selbst vorderen Lappen des Schuhes selber
anzieht, nach ihm der adoptierte festgebunden wurden. Wer Trikots
oder legitimierte Sohn, zuletzt die trug, bediente sich, besonders Vor-
Erben und Freunde. Nach altdcut- nehme, statt der Schuhe einer Ver-
scher Sitte bringt der Bräutigam der Stärkung von Leder unmittelbar un-
Braut den Schuh beim Verlöbnis; ter der Sohle. Im 15. Jalirh. kamen
sobald sie ihn an den Fuss gelegt für schlechtes Wetter l'uterschuhe
hat, wird sie als seiner Gewalt unter- oder Trippen auf, genau nach der
worfen betrachtet; vielleicht war es Form der Sohle gearbeitet und lan^r-
des Bräutigams eigenerSchuh. Mach- spitzig, wie die Schnabelschuhe; sie
tige Könige sandten geringeren ihre hatten unter der Ferse und dem
Schuhe zu, welche diese zum Zeichen Ballen eine Erhöhung und bestan-
der Unterwerfung trafen sollten. den aus Holz, das mit Leder über-
Der älteste Schuh ist der Bund- zogen war. Eigentliche Stiefel
schuh, mhd. bunt. ich w><h. nach alter wurden in dieser Periode bloss
Meinung von Karl dem Grossen vor- von Reitern bei der Jagd und im
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Fussboden. — Fusswaschung.
249
Krieire getragen. Die Schnabel- Hand mit verschiedenen Zeiihnun-
^huhe wiclieu nach vierhundert- cen gTaviert und farbig glasiert.
j ihriger Wirksamkeit, und nachdem In ärmeren Kirchen, sowie in Pri-
•itanül Verbote gegen sie ergangen vatbauten herrschte im frühen Mit-
viren, erstiegen da« Jahr 1500 dem telalter der Estrich, d. h. der aus
i'mgvkehrten Extrem breiJer Schuhe, Mörtel hergestellte Fussboden vor,
die zuerst EUemdkmabet, dann bei er- der dann durch den glutten Ziegel-
hohter Breite Bärenklauen, Ochsen- \ Fussboden, durch Fliesenboden und
urid Kuimäuler genannt wurden.
Was aber diesem Fusswerk an
i-neite zuging, ging ihm an Höhe
die Breite und machte einer ver-
ständigen spitzeren Form Platz; da-
2*geu bemächtigte sich die aufkom-
mende geschlitzte Mode auch der
Schuhe, und ähnlich den alteren
selbst durch Marmorpflaster und
Mosaikboden ersetzt wurde. Die
Dielung oder der Brettfussboden
^; es war" meist" sehr tief aus- 1 scheint erst im 11. Jahrh. für Par-
g'-schnitten. Gegen 1550 verschwand i terreräume aufgekommen zu sein,
nachdem er vorher lediglich auf
Balken, also in Obergeschossen, ver-
wendet worden war; in der Kenais-
saneezeit entwickelte er sich als
Friesfussboden und als Parquett.
Trippen legte man jetzt ebenfalls Müller und Mothes, arch. Wörterb.
jresehlitzte Unterschuhe oder Fan-
Wein unter den Schuhen an ; Stutzer
Fristen durch ihr Pantoffelklopfen
die Aufmerksamkeit der Leute an-
auitben Die französische Mode
wbniüekfe den sonst der Fussform
Fusskuss als Zeichen der Ver-
ehrung kommt sowohl als geistliche
Zeremonie vor, in Anlehnung an
Luk. 7, 38. 45: Brachte sie ein Glas
mit Salben und küsset seine Füsse
und salbet sie mit Salben (daher
^'^j'as^ei, schuh mit Rosetten und mit der Zeremonie der Fusswaschung
Schleifen und verschaffte im 1 8. Jahr- der Fusskuss verbunden ist), als in
banden für das männliche Ge-
fchJeehtdem mehr militärischen Stie-
fel die Herrschaft über den Schuh.
Fifebodeu. In den Basiliken
bestand der Fussboden meist aus
anflehen, viereckigen Platten, oder
™ *us Mosaik und bunten Stei-
len, (iegen die dabei vorkommende
Utrstellung von Heiligen, Kreuzen
n eiferte der heilige Bernhard,
»olle das Heilige nicht mit
ru>cii treten. Im 11. Jahrh. kamen
■ ¥lk*wfwuböden auf, in deren
w* Thon 'gebrannte Platten oder
durch Aufdrucken eines ge-
schnitzten Brettes Ornamente ein-
.^■injckt waren; auch wurden die
[fiesen nach gewissen Figuren ge-
?not, besonders bei den Cister-
*n*rn In der gotischen Zeit wür-
fen die Muster reicher und zarter,
weltlichen Kreisen, wo der Fusskuss
wahrscheinlich auf die Huldigung
zurückgeht, die man den Göttern bot:
GtiwAn bot ir sinen gruoz,
si kujtt im steqreif unde vuoz,
£arz. 621, 16.
Er gilt als Zeichen höchster Ver-
ehrung, auch höchster freudiger
Rührung, unterwürfiger Dankbar-
keit. Daher da* Küssen des päpst-
lichen Pantoffels. Siehe Küssen.
Fusswaschung als kirchliche
Ceremonie knüpft sich an Joh. 13, 4,
wo Jesus bei der letzten Mahlzeit
seinen Jüngern selbst die Füsse
wäscht. Die Nachahmung dieser
Sitte kam schon früh auf und wurde
im 7. Jahrh. auf den grünen Don-
nerstag verlegt. In der griechischen
Kirche galt das Fusswaschen als
. ein Sakrament. In der römi-chen
Verzierungen waren entweder j Kirche empfahl es Bernhard von
ftfieft und ausgegossen, oder ver- Clairvaux dringend, und es findet
^ und leer, oder erhöht, mit sich im Mittelalter häufig an den
fcUbloiien erzeuet oder aus freier Sitzen der Bischöfe und Fürsten.
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Gabel. — Garten.
G.
Gabel ist bei uns als Tischgerät Liebhabern der heutigen Politesse
erst nach dem Mittelalter, im 16. Jahr- zu sonderbarem Nutzen und Ver-
hundert, in Gebrauch gekommen und gnügen ans Licht gestellet". Grimm.
von der Fleischgabel in der Küche Wörterbuch.
ausgegangen. Vorher führte man die Galgen, got. §aigat vom Kreuz
Bissen mit der blossen Hand zum | Christi, ahd. ffalao, mhd. der qalqc
Munde; der Gebrauch von Gabeln Sowohl das Wort als die Strafe des
galt nach der Ansicht der Geist- Hängens gehen in die älteste Vor-
lieben als sündhafte Üppigkeit. zeit zurück. Der älteste Galgen ist
Galanterie heisst das Wesen der dürr* Baum; nach Tac. Germ. 12
des Galant, welch letzteres Wort hängen die Germanen Landesverräter
seit etwa 1670 das Wort alamodiseh und Überläufer an Bäumen auf;
(siehe Alamode) ablöst. Pas fran- wahrscheinlich benutzte man dazu
zösische Wort galant ist eine par- bestimmte laublose Bäume an be-
tizipi8chc Adjektivbildung entweder stimmter Stelle oder, wenn diese
von altfranz. yakr = lustig sein, ausstarben, eingerammelte Stämme
Feste feiern, oder von gala = fest- und Pfähle. Das Herbeifahren, Ein-
liche Kleiderpracht oder Fe.stpracht graben und Errichten des Galgens
überhaupt, besonders bei Hofe, wel- wird in den Rechtsquellen austuhr-
ches Wort aus dem Italienischen lieh geschildert. DerOrt des Galgens
oder Spanischen, wahrscheinlich von war an offener Heerstrasse, an Weg
einem bestimmten Hofe, wie es scheiden. Statt der hänfenen Seile
scheint dem Wiener, eingeführt benutzte man anfänglich Zweige von
wurde. Ein qafanthomme, (falan- frischem, zähem Eichen- oder YVeiden-
tuomo ist ein Mensch, der sich nach holz. Uralte Sitte ist die Verhüllung
der Mode trägt und sich überhaupt, des Antlitzes; Steigerung der Strafe
besonders gegenüber dem „Frauen- war das Höherhangen, oder dass
zimmer", modisch betrügt. — Ga- man Wölfe oder Hunde dem armen
lant sollte aber nicht Moss das Sünder zur Seite hing, welch letzteres
Kleid, die Frisur, das bitief doux besonders bei Juden geschah. Frauen
sein, sondern überhaupt alles Mensch- aufzuhängen war gegen die Sitte
liehe. Galante Prediger wurden be- des Altertums; wo für Männer dir
gehrt, die Dichtkunst sollte galant Strafe des Galgens ausgesprochen
sein; Christian Weise bezeichnete war, wurden Frauen zum Verbrennen,
die Poesie als „den galantesten Teil Ertränken oder Steinigen bestimmt,
der Beredsamkeit", und Menantes Das Hängen war die eigentliche
schrieb ein Lehrbuch : Die aller- Diebstahlsstrafe und kommt als sol-
neueste Art zur reinen und galanten che fast bei allen germanischen
Poesie zu gelangen, Haniburg 1707, Nationen vor. Grimm, Keehtsalt. 6*2.
auch theatralische, galante und geist- Garten, got. der garda — Stall,
liehe Gedichte, Hamburg 1706. Joh. ahd. garto, mhd. parte, neben got.
Christ. Barth schrieb 1720 „Die ga- der gart« — Haus, dann in Zusam-
lante Ethika, oder nach der neuesten mensetzungeu s. v. a. Garten, Kreis.
Art eingerichtete Sitten- Lehre, in ursprünglich Einzäunung, Einfrie-
welcher gezeigt wird, wie sich ein digung eines Grundstücks, ahd. der
junger Mensch bei der galanten gart, mhd. nur selten der gart. Vom
Welt rekommandieren soll, allen deutschen Wort Garten und nicht
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Garten.
251
vom lateinischen hurtus sind entlehnt !
franz. jardin^ mit alter Nebenform
gardin, span. jardin, ital. qiardinu
und qiaraina, mittellat. gara*inus und
qardinum. Urverwandt mit Garten
ist griech.y dp roc = Viehfutter, eigent-
lich Weideplatz, lat. hurtus und
cohors icohort -\ eigentlich Gehege,
Hürde, Viehhof; auch im Litaui-
schen und Slawischen ist das Wort
weit verbreitet; in der Bedeutung
Stadt, Burg lebt es in Ortsnamen
auf altslawischem Boden, z. B. Bei-
qard in Pommern, Stargard = Alten-
burg, Sowgurod = Neustadt. Die
erreichbar älteste Bedeutung scheint
Zaun. Daraus entwickelt sich das
Eingezäunte. Eingehegte, daher Ge-
s tutgarten, Stuttgart, Tiergarten,
Schaf-, Hasengarten. Die fernere
Bedeutung ist Wohnstätte oder das
zur Wohnstätte Gehörige, welche
Bedeutung in den nordischen Spra-
chen weit verbreitet ist. Sodann
ist Gart auch ein Landmass gewesen,
ähuiich dem Wrort Hufe. Der letzten
Bedeutung gemäss, wonach der Gar-
ten ein zum Hause gehöriges, im
unmittelbaren Dienste der Haus-
bewohner stehendes, dem Nutzen
und der Lust dienendes, mit dem
Spaten bearbeitetes Grundstück ist,
zerfallt der Garten in Kraut-, Baum-
und Weingarten. Es hat in früherer
Zeit einen öffentlichen, umhegten
Platz in oder bei den Orten gegeben,
wo man zusammenkam, Heimgarten,
Koseqarten genannt, der aber auch
als Gerichtsstätte diente; er war
mit Linden bepflanzt und wurde
später als Spielplatz gebraucht.
Der Gärten im engern Sinne wird
auf deutschem Boden wohl zuerst
in Karls des Grossen Capitutare de
villi* et curtis imperialem* vom Jahr
812 Erwähnung gethan, worin u. a.
die Blumen- und Küchengewächse
des Gartens und die Obstsorten, die
gezogen werden sollen, Lilien, Rosen,
Salbei, Raute, Gurken, Bohnen,
Kümmel u. s. w. und nicht minder
die Obst- und Zierbäume des ge-
nauesten aufgezählt sind. Ganz
nach dieser Vorschrift sind auf dem
bekannten, unter Abt Gozbert (816
bis 837) hergestellten St. Gallischen
Klosterplan die Klostergärten dar-
gestellt, nämlich der Obstgarten, der
zugleich der Friedhof ist, mit Apfel-,
Birn - , Pflaumenbaum . Eberesche,
Mispelbaum, Lorbeer, Kastanien-,
Feigen-, Quitten-, Pfirsichbaum,
Haselnussstraüeh , Mandel- , Maul-
beer- und Walnussbaum; sodann
der Gemüsegarten, in dessen Plan
folgende Gewächse eingezeichnet
sind: Zwiebeln, Lauch-Zwiebel, Sel-
lerie, Coriander, Dill, Mohn, Rettige,
Mangolo, Schnitt- oder Knoblauch,
Schalotten, Petersilien, Gartenkerbel,
Kopfsalat, Saturei, Pastinak, Kohl
und Schwarzkümmel; neben diesem
Garten steht das Gärtner-und Vorrats-
haus; kleiner endlich ist der ^rzn«-
krüufergarten neben der Wohnung
des Arztes und dem Spital, worin
u. a. folgendes zu finden: Salbei,
Raute, Sehwertel, Poleiminze, Lieb-
stöckel, Fenchel, weisse Lilie, Rosen,
Bohnen, Saturei, Bockshornklee,
Rosmarin und Pfefferminze. Ahn-
liche Bedeutung hat das Gedicht
des Reichenauer Mönches Walafrid
Stra/to, Hur tul us genannt, welches
eine Besehreibung des von dem Ver-
fasser als Abt von Reichenau her-
gestellten Klostergärtehens enthält
iVr/, Lit. des Mittelalters, II, 158.
Ausser den Klöstern hatten wohl
auch die Burgen des Mittelalters
ihren Kraut- und Würzgarten, in
denen die Rosen und Lilien nicht
fehlten; von eigentlicher Gartenzucht
ist aber kaum die Rede. Erst die
Italiener der Renaissance - Periode
errichteten Gärten in grösserem Mass-
stabe, wie auch die ersten botanischen
Gärten in Italien entstanden sein
sollen. Der mehr und mehr auf die
Natur gerichtete Sinn liess Fürsten
und andere reiche Leute bei der
Anlage ihrer Lustgarten auf das
Sammeln vieler verschiedener Pflan-
zen und Varietäten derselben geraten,
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252
sodass im 15. Jahrhundert einzelne
Gärten durch ihre Blumenzucht weit
berühmt waren.
In Holland und Deutschland sind
seit dem 16. Jahrh. grössere Gärten
angelegt worden und begann die
Tulpen- und Hyazinthenzucht der
Niederländer. Von den deutschen
Gärten des 16. Jahrh. waren berühmt
einzelne Patriziergärten von Augs-
burg, namentlich derjenige der Fug-
ger, dann der Schlossgarten von
Heidelberg, von welchem Merian ein
aus der Vogelschau genommenes Bild
riebt, die Garten zu Stuttgart,
Weimar, Kothen und Kassel. Als Be-
gründer einer eigentlichen Garten-
banhunst gilt abererst And rt Lenötre,
1613—1700, welcher die Gärten von
Versailles, Chantilly , St.-Cloud, in
den Tuilerien, zu Fontainebleau und
8t. Germain anlegte und .dadurch
das Prinzip der bis aufs Ausserste
getriebenen Symmetrie mit zierlich
gezirkelten Blumenbeeten/Terrassen,
Fontänen, grossen Wasserkünsten,
hohen Heeken, Gitterwerken, Laby-
rinthen, Grotten, Statuen einführte.
Noch weiter als die Franzosen gingen
dann die Hollsinder, mit verschnitte-
nen Bäumen, bemalten hölzernen
Figuren, farbigen Steinen und
Muscheln. Englische Aufklärer, na-
mentlich Addison im Spertafor, Pone
in den kritischen Briefen und Ha-
rare Wal pole in der Geschichte der
neuen Gartenkunst," übersetzt von
A. W. Schlegel, sodann Milton durch
die Beschreibung des Gartens Eden
und als Praktiker Will. Kent, wurden
die Begründer der freien, an die
Natur sich anschmiegenden engli-
schen Gartenanlagen. Vgl. Teichert
Gesch. der Ziergärten in Deutsch-
land. Berlin 1865.
Gassenhauer, ursprünglich ein
Tanz auf der Gasse im dreiteiligen
Takte; aufhauen ist in Wien ein
Kraftwort* für tanzen. Vom Tanz
und der Tanzweise geht dann die
Bedeutung auf das auf der Gasse
gesungene Lied, das Volkslied, wie
man seit dem 18. Jahrundert sagte,
und zwar muss es ursprünglich eine
bestimmte Art Lied gewesen sein,
wie denn Hans Sachs geistliche
Lieder, Gassenhauer, Kriegslieder
und Buhllieder unterscheidet; in
alten Liedersammlungen werden
,.Gassenhawer und Reuterliedlein*\
„Gassenhawer, Reuter- und Berg-
liedlein" unterschieden. Es werden
Lieder gewesen sein, wie sie nächt-
liche Gassengänger sangen; denn
Gassenhauer bezeichnet auch den
Gassengänger, Gassentreter. Bevor
im 18. Jahrhundert der Name Volks-
lied aufkam, nannte man die ganze
Gattung in ehrendem Sinne Gassen-
hauer.
Gast, Gastfreundschaft. Das
Wort Gast ist got. der gasts, ahd.
aast, mhd. qast, verwandt mit
lat. hostis. Die älteste erkennbare
Bedeutung ist die des Fremden,
Gäste sind Elende in der alten
Bedeutung des Wortes. Ausländer
in der Stadt, in der Gemeinde, im
Lande hiessen in der Sprache des
Rechtslebens bis ins 17. Jahrh.Gäste:
Burger oder Gast, Gastgericht ist
ein für einen fremden Mann aufge-
stelltes Gericht. In gesteigertem
Ausdruck heisst der Fremde ein
wilder Gast, der nirgends heimisch
ist, ein elender oder fremder Gast.
Im besonderen heissen fremde
Kaufleute Gäste, aber auch land-
fahrende Krieger, Abenteurer, Hel-
den, ähnlich wie Heeke ursprünglich
den Verbannten, also ebenfalls den
in der Fremde sich aufhaltenden
Mann bezeichnete; die letztere Be-
deutung des Helden findet man in
Eigennamen: Liudegasf, HUtipast.
Jladuaasf, und noch mhd. war nast
als Held ein geläufiger Ausdruck.
Schon enger wird die Bedeutung
des Wortes, wenn Gast den Kunden.
den Fremden im Geschäftsverkehr
bedeutet, welches der Fall ist in
Kaufgast = Geschäftskunde, Markt-
gast, Mühlgast, Fahrgast, Badegast.
Die neuere Entwicklung des Wortes
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Gast, Gastfreundschaft.
253
Gast geht an dein Gegensatze von
Gast und Wirt vor sich, wobei das
lettzere Wort ursprünglich den
Mann mit eigenem Hause, Haus
und Hofe oder auch Lande (des
Landes Wirt» Fürst), Gast also das
gerade Gegenteil bezeichnete. Wurde
nun ein Gast, d. i. Fremder, von
einem Wirte, Hausherrn, als sein
Gast aufgenommen, in sein Haus
uud in seinen Schutz, seine Pflege
und Gastfreundschaft, so ergab sich
die eine, weitere, der beiden jetzt
gangbaren Bedeutungen; die andere
kam dann zum Vorschein, wenn der
Wtrt Gastwirt (gastgeher) und der
Gast Wirtsgast wurde. Auch im
letztgenannten Verhaltnisse waren
ursprünglich nur Fremde gemeint,
die beim Wirt Aufnahme suchten
und fanden, und erst spät mochten
sich einheimische nächtliche Zecher
Gäste nennen, um beim Weine
sitzen bleiben zu können. Nach
Grimm, Wörterb.
Die Gastfreundschaft der Ger-
manen, d. h. also die Freundschaft
gegenüber dem Fremdling (das Wort
astfreund ist jüngern Datums und
erst seit Voss in Gang gekommen)
war weit berühmt. Cäsar erzählt,
wie den Fremden alle Häuser offen
ständen und ihnen geboten würde,
was an Speist ■ und Trank vorhanden
sei Tacitus Germ. 21 erklärt, kein
anderes Volk könne sich in
der Tugend der Gastfreundschaft
mit den Germanen messen; kein
Fremder, wer er auch sei, werde
von einem Dache abgewiesen, es
werde dem Gaste vorgesetzt, was
das Haus biete, und sei alles auf-
gezehrt, so gehe der Wirt mit dem
Gaste zu dem nächsten Hofe. Beim
Abschiede würden erbetene Ge-
schenke gern gewährt. Karl der
Grosse schärfte in seinen Kapitu-
larien die Übung der Gastfreund-
schaft wiederholt ein. Dagegen ver-
langte man vom Gaste, dass er
nicht zu lange bleibe: in Skandi-
navien waren drei Nächte oder Tage
die längste Frist; blieb der Gast
länger, so trat er in ein näheres
Verhältnis zu seinem Wirte. In
vielen isländischen Häusern, die an
der Landstrasse lagen , stand stets
ein Tisch für Gäste bereit, und die
Hausfrau sass vor der Thür, um
jeden Wanderer einzuladen , unter
ihr Dach zu treten. Der Wirt ging
dem Gaste entgegen, bewillkomm-
nete ihn und bat ihn einzutreten;
die Wirtin aber begrüsste den Gast
mit einem Kuss.
Ähnlich blieb es durchs gauze
Mittelalter, während welcher Zeit
es an Pilgern, fahrenden Leuten
jeden Standes, fahrenden Spielleuten
und Sängern nicht fehlte. In der
Benediktiner- Regel handelt Kap. 52
von der zu übenden Gastfreund-
schaft, die in den Klöstern in reich-
stem Masse geübt wurde. Am Hofe
hatte sich edlen Gästen gegenüber
ein eigenes Zeremoniell ausgebildet,
das sich an die ältere Sitte ansehloss.
Frau oder Tochter des Hauses
nahmen dem ritterlichen Gaste
seine Hüstung ab, reichten ihm
frische Kleider und, nachdem er
einen Trunk genossen, ein Bad.
Dann legte sich der Gast entweder
für kurze Zeit zu Bett, oder er be-
gab sich, mit den Kleidern des
Wirtes angetan, zur Mahlzeit, wo
er den Ehrenplatz dem Wirte gegen-
über, das qegensidele, einnahm.
Wirtin oder Tochter kredenzten den
Becher und schnitten die Speisen
vor. Zur Nachtruhe in die Kammer
begleitete den Gast wiederum die
Hausfrau, um nachzusehen, ob nichts
fehle, und nach einer Weile kam
sie wieder, um nachzufragen, ob er
gut gebettet sei, zugleich brachte
sie ihm den Nachttruuk. Am Morgen
fand der Gast vor seinem Bette
frische Wäsche, die Hausfrau er-
kundigte sich, wie er geschlafen
habe, vor der Abreise legten Wrirt
und Wirtin dem Gaste die Waffen
an und entliessen ihn, nachdem
sie ihm Imbiss und Trunk gereicht
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254
Gau.
hatten. Nach alter Sitte überreichte
der Wirt dem Gaste ein Gastge-
schenk, das dieser auch fordern
mochte.
sich die staatlichen Unterabteilungen
im allgemeinen an die bestehenden
älteren Zustände an; nur dass mit
der Zeit ein Unterschied in der Be-
Auch für Fremdlinge niedern deutung der Unterabteilungen ein-
Standes sorgte daw alte Recht und tritt, je nachdem sie im engern
die alte Sitte. Wenn der Fremd- Sinne als Verwaltungsbezirke des
ling abends keine Wohnung mehr fränkischen Reiches unter einem
erreichte, so war ihm gestattet, un- Reichsbeaintcn oder als für sich be-
gestraft Speise für sich und Futter stehende, ihre eigenen Interessen
für sein ermattetes Pferd aus der verfolgenden Gemeinschaften aut-
Mark zu nehmen. Der Reisende gefasst werden. Die ersteren vor-
darf sich drei Apfel vom Baume nehuüich heissen Gaue, die letzteren
brechen, drei oder vier Trauben in Hunderte. Für die Einteilung der
die Hand schneiden, den Handschuh Gaue behielt mau bestehende Ver-
voll Xiisse pflücken, soviel Heu, als hältnisse bei, alle römischen Städte
ein Pferd zum Futter braucht, neh- mit ihrem Gebiete, auch neue Städte,
men, auch Holz hauen, um sein Ge
schirr oder Gefährt damit auszu-
bessern und Speise zu kochen. Doch
durfte er kein Futter mitnehmen
und musste sich auf gebahntein Wege Thurgau schliessen sich an Flüsse,
welche Sitze der Beamten wurden,
z. B. Worms-, Speier-, Zürich-,
Salzburggau. Andere Gaue, wie
der Rhein-, Donau-, Main-, Neckar-,
halten oder im Walde ein Horn
blasen, wenn er nicht als Dieb gelten
wollte. M'einhold, Deutsche Frauen,
2. Aufl. IL, 393 ff. Grimm, Rechts-
alt. 399 ff.
Gau, got. das gavi, Gen. gaujijt,
ahd. das gatei. goici, qoutri. mnd.
das ffr/uwe, gou, neben alul. die gaira,
wieder andere an Völkerschaften
an: Thüriugau, Hessengau. Neben
Cus und Gau kommen die Worte
t vor: Braibant , OgtroJ>ant;
eiba in Wettereiba, Wineqartriba ;
feld in Wormazfeld, Meine feld.
Grapfeld, Merfeld; lutra * auf
alemannischem ßoden: Foleholte*
gou tra, männlichen Geschlechtes erst para, Tiertoltis para, heute in der
seit dem 17. Jahrh. ist etymologisch
dunkeln Ursprungs. Man bezeichnet
damit die uralte, auf das Staats-,
Gerichts- und Heerwesen bezügliche
Unterabteilung der deutschen Völker-
stämme oder Staaten, im Gegensätze
zu den Marken- und Dorfgenosseu-
schafteu, welche nicht politischer
Natur sind, sondern bloss auf das
Zusainmenwolmen und die Bebau-
schwäbischen Landschaft Haar er-
halten.
Die alten Gerichtsversammlungen
blieben zwar den Hunderten ; deren
Vorstehe r cen tenarius. ceu tu rio ,A u/tno,
huune, wurde wie früher vom Volke
selbst gewählt, aber er gab allmäh-
lich die eigentliche Leitung und
zwingende Gewalt, womit die Voll-
streckung des Urteils und die Exe-
ung des Feldes Bezug haben. Ob kution der Strafen zusammenhing,
jedoch dem Worte Gau schon in an den königlichen Beamten, den
ältester Zeit jene Bedeutung zukam, Grafen, ab, dessen Gau mehrere
ist ungewiss, da auch selbständige Hunderte, also auch mehrere Cente-
Völkerschaften, eivitates, Gaue ge- narien zu umfassen pflegte. Seit
nannt werden. Der verbreitetere Karl dem Grossen trat die Bedeu-
Name für die staatlichen Unterab- tung des Grafen immer mehr her-
teilungen in den ältesten Quellen vor, die des Centenars zurück; der
ist vielmehr die Hunderte, eentena, letztere war bloss noch Unterbeamter
siehe den besonderen Artikel. und Stellvertreter des Grafen in
Im fränkischen Reiche schliessen Gcrichtssachen und zwar bloss in
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Gaunertum.
255
seiner Hunderte; mit dem Heer-
wesen hatte er nichts mehr zu thun;
der Name Gau wurde in den Ur-
kunden wohl noch zur Bezeichnung
der Lage von Orten gebraucht, der
häufigere Xamc des Amtsgebietes
selber war Grafschaft, comüatus;
insofern ein alter Gau mehrere gräf-
liche Amtsgebiete umfassen konnte,
konnte es geschehen, dass sich meh-
rere Grafen oder Grafschaften in
einem Gau vorfanden. Die Namen
der alten Gaue und die Bezeichnung
der Orte nach der Lage in den-
selben erhalten sich bis in die Mitte
des 12. Jahrh.; als einheitliche Amts-
bezirke des Reiches sind die Gaue
aber schon weit früher allmählich
vielfach zerstört und auseinander*
gerissen worden; von den alten
Hunderten sind nur in Alemannien
und Lothringen gewisse Gerichts-
barkeiten der Centeuarien erhalten.
Die Hauptursacheu von der Auf-
lösung der alten Gau Verfassung waren
die Teilung der Gaue unter mehrere
Grafen, die Vereinigung von mehre-
ren Gauen zu einem Grafschafts ver-
band, die zahlreichen Exemtionen
von der alten Grafschaft durch Über-
tragung der in ihr liegenden Rechte an
ander«', besonders an die geistlichen
Stifter, die teils gräfliche Befugnisse
auf ihren Besitzungen, teils ganze
Grafschaften empfingen, aber auch an
weltliche Grosse; sodann die selb-
ständige En t wickelung der Städte,
die sich aus dem Grafschaftsver-
bande lösten. Dadurch verlor der
alte Gau als Gerichts- und über-
haupt politischer Bezirk seine Be-
deutung und meist auch seiuen
Namen. Nur als allgemeiner Land-
schaftsnaine haben sich einige alte
Gaunamen erhalten. H'aitz, Verf.
Gesch. Sohm, fränkische Reichs- und
( nrichtsverfassimg.
Gaunertum. Das Wort Gau-
ner taucht erst im 18. Jahrh. in
der Form Jauner in Oberschwaben
auf und wird bei norddeutschen
Schriftstellern zu Gauner. Es stammt
vom rotwelschen; im 15. und 16. Jahr-
hundert bedeutet der je««** den Spie-
ler, aus hebräisch Jana = Gewalt-
tätigkeit üben, übervorteilen, be-
trügen, überlisten. Das Gaunertum
ist aus dem Bettlertum entstanden,
uud dieses letztere, bei dem Rechts-
zustand der alten Germanen noch
nicht möglich, geht vornehmlich her-
vor aus dein Missbranch des christ-
lichen Gebotes der Mildthätigkeit
gegen die Armen. Schon die Kapi-
tularien Karls des Grossen warnen
vor Bettlern und vor Hausierern,
die unter dem Deckmantel kirch-
licher Pönitenz im Lande umher-
schweifen und die Leute betrügen;
auch von jüdischen und anderen
Handelsleuten, welche Kirchen-
schät/.e von gewissenlosen und nach-
lässigen Wächtern aufzukaufen wis-
sen, ist in denselben Rechtsi prellen
schon die Rede. Die Aufnahme der
Städte, die zum Teil durch flüchtige
Knechte veranlasst war, bewog viele
Hörige zur Flucht, ohne dass sie
deshalb in der Stadt wirklieh Un-
terkunft fanden, wodurch sie be-
wogen wurden, das Landstreicher-
tum entweder auf eigene Faust oder
im Dienste eines räuberischen Adligen
zu führen. Zu solchen gesellten sich
fahrende Priester und Weiber, fah-
rende Kirchen- und Schullehrer, wan-
dernde Handwerksgesellen, Markt-
schreier und Taschenspieler. Weitere
Kontingente lieferten gerichtlich ehr-
los Erklärte, Landesverwiesene, ent-
lassene Reisige, Landsknechte, Zi-
geunerbanden und Juden. Sie nann-
ten sieh Kochemer oder Jenische,
beide Bezeichnungen aus dem He-
bräischen hergeleitet und so viel
als Wissende, Männer des Wassens,
Zünftige bedeutend. Ihre Wissen-
schaft war die Gaunerei, d. h. der
Betrieb des Betteins mit allerlei
Künsten, die Verübung von Ver-
brechen, Diebstählen und nament-
lich Betrug und Prellerei durch
Wahrsagen und Zauberei, Vor-
schützen von allerhand geistigen und
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256
Gaunertum.
leiblichen Gebrechen. Ihr Treiben
war in ein abergläubisches Dunkel
gehüllt, mit dem sie sich umgaben.
Ihre Sprache hatte sieh im Verlaufe
der Zeit sehr ausgebildet: jüdisch-
deutsch, zigeunerisch, Wörter aus
den Dialekten fast aller europäischen
Sprachen, selbsterfundene Witz- und
Schlagwörter, deutsche Ausdrücke
aus dem Volksleben sind der Inhalt
dieser Sprache, welche von ihnen
die Kuchemer , die Jenische, die
Lussenkaudische genannt wurde. Das
Volk nannte die Gauner die Gilen,
die Lahmen, die Bettler, ihre Sprache
das Mengische, in der Schweiz auch
das Pomperlusische.
Die erste genauere Nachricht
über das Gaunertum kommt aus
Basel. Hier befand sich nämlich
„am Kohlenberg" eine Freistätte der
Gilen und Lahmen, ein Vorrecht,
das die „freie" Stadt Basel mit Augs-
burg, Hamburg und einer dritten
(unbekannten) Stadt genoss. Die
Bettler genossen hier besondere Pri-
vilegien, bildeten eine Korporation
unter einem Hauptmann, standen
unmittelbar unter dem Reichsvo^t
und hatten ihr eigenes Gericht. Es
ist nun ein Aktenstück erhalten,
entweder ein förmliches Mandat des
Rates oder eine private oder amt-
liche, auf Untersuchungsakten ge-
gründete Schrift, welche die Sitten
und Gebräuche der Gilen und Lahmen
des näheren auseinandersetzt; sie
stammt etwa aus der Mitte des 15.
Jahrh. Hier werden unterschieden:
die Grautener, welche das fallende
Weh erheucheln; die Valkentreiger,
welche den blutig angestrichenen
Arm in einer Schlinge tragen, als
ob sie gefangen in Ringen gelegen
wären; Brassein, welche sich an
den Beinen so verunstalten, als ob
sie in den Stöcken gelegen wären;
A7ö«/,tragenWnchsstöcke und sagen,
St. Nikiaus habe, ihnen aus dem Ge-
fängnis geholfen, betteln für ein
Opfer; Sumeicerger, gehen mit langen
Messern um, sägen, sie hätten in
der Notwehr einen niedergeschlagen
und sollten nun eine Summe Geldes
zahlen, oder sie würden hingerichtet;
Sttmeieergerin sind eheliche « »der an-
dere Weiber, die sagen, sie hätten
der Sünde gefrönt und wollten sich
bekehren, bitten um St. Maria Mag-
dalena willen um ein Almosen:
Bitte, Weibsbilder, die sich mit alten
„Wammetsch und Bletz under de
Kleider" seh wanger stellen, das heisst
„mit der Hillen gegangen"; Jung-
frowe, Weiber, die Klappern tragen
wie die Aussätzigen, das heisst „mit
der Jungfrowen gangen": Manische.
Weiber, die sich als Begharden ver-
stellen; Kusche Narunge, Weiber,
die vorgeben, sie seien edler Her-
kunft, aber durch Krieg, Brand
uud Gefängnis ihrer Habe beraubt:
Badune, aie behaupten, sie seien
Kauäeute, denen man ihr Kaut-
mauusgut geraubt; Vermerin, be-
sonders Frauen, die sich als getaufte
Juden ausgeben und den Leuten
sagen, ob ihr Vater oder Mutter in
der Hölle sei oder nicht; Theicescr,
als Priester verkappte Gauner mit
SeschorencrPlatte und Monstranz, die
en dritten Teil ihres Einkommeus
demjenigen geben, der ihnen dazu
verholfen hat; Kammerierer, die an
ihren Hüten besondere Zeichen von
Ländern und Städten tragen, als ob
sie dort gewesen wären; Gutzfteteri*.
die sich als Kindbetterinuen aus-
geben; Sefer, die sich siech von langer
Zeit her stellen ; Blochard, die sich
blind stellen und sagen, sie hätten
! ihren Kugelhut verloren; die Hüte,
die man ihnen dann schenkt, ver-
kaufen sie; Handhlinden, sich bliud
stellende Gauner, Gott habe sie um
einer Sünde willeu geblendet, und
sie kämen von fernen Wallfahrts-
orten her; die mit dem Bruch tca*~
defent, Gauner, die blutige Baum-
wolle übers Auge binden und be-
haupten, sie seien als K auftaute oder
Krämer in einem Walde überfallen
und geblendet worden; Spanfelder,
die sich halbnackt, zitternd vor
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Gaunertum.
257
Kälte, vor die Kirchen legen ; Vopper,
Frauen oder Männer, die sich an
eisernen Ketten fuhren lassen, als
ob sie unsinnig wären ; die Glatten ,
halb Gelehrte, die sich als beraubte
und heimreisende Priester ausgeben
und beten; Krachere, Leute , die
Henker waren und behaupten, sie
wollen sich bekehren, und doch
wiederum Henker werden. „Und
diese, so schliesst das Aktenstück
mit einer Probe des Rotwelsch, die
die da andeigent, das ist gegangen
— nf dem Terich, das ist uf dem
Lande — mit dem Klant und mit
dem Lunte, das ist mit Eisenhai-
fungen, als ob sie gefangen weren
gewessen; — und wenn die zusam-
men kommen in die Pose, d. i. in
die Jlerberg, — so wollent sie haben
ein Breitfuss, das ist ein Gans, —
und Flughart, das sind Hüener —
und Johann» gnug, d. i. der Wein;
wenn sie denn verschechent wer-
dend das ist so si truneken w erden t,
so bebet sich ein Innen , dass ist
ein Spilen — mit den Küblingen,
dass sint Würffei — wenn denn
etliche rerinnet, das ist verspilet,
dass er nit me hat, so wil er Na-
runge anfachen, damitte so wird er
wercken , dass ist verescht, dass er
die schuder sichent gewar werdent,
das sind die Amtblüte daselbs; —
so wird er gebrukt in der Gabel,
dass ist gefangen in der Statt, ist
dass es um/ ich narung ist, dass ist
bös, — so wirt er geßosselt oder
gemögen, dass ist ertrenckl\ — ist
es aber klein g^efüege narung, die
nit vast bösse ist, so schnidet man
ime die Lüselinge ab, dass sint die
Oren."
Dieses BaslerischeGauner- Akten-
stück wird nun die Quelle anderer
Litteratnr über das Gaunertum. In
erster Linie gehört dazu der 73. Narr
aus Sebastian Branfs JSarrenschiff,
besonders aber das vielgedruckte
und vielgelesene Buch Liber raga-
torum, welches zwischen 1494 und
1499 wahrscheinlich zuerst in Basel
Etaülexieon in deatechen Altertümer.
erschien, die Basler Bekanntmachung
! systematisch redigierte und mit Zu-
I Sätzen, Exempeln und einem alpha-
betisch geordneten Wörterbuche ver-
sah. Man hat als Verfasser auf
Sebastian Brant geraten. Es er-
schienen zwischen den Jahren 1510
und 1529 acht hochdeutsche und
eine niederdeutsche Ausgabe, von
jenen acht eine in Knittelverse auf-
?elöst, eine vom Jahr 1524 von
Miher besorgt und mit einer Vor-
rede ausgestattet. Andere Ausgaben,
welche aas Vokabular voranstellen,
nennen sich Rotwelsche Grammatik',
hier ist in späteren Ausgaben das
Wörterverzeichnis bedeutend ver-
mehrt worden. Die niederdeutsche
Ausgabe des Liber ragatorum nennt
sich Der bedeler orden und or wcu-
balar in rotwelsch. Eine Versi-
fikation des Liber vaaatorum hat
mchPamphiius Gengenbach in Basel
veranstaltet.
Erst im 16. Jahrhundert organi-
sierten sich die Gauner, deren Ge-
schäft durch die Reformation und
ohne Zweifel durch die Verbreitung
des Liber ragatorum Einbusse er-
litten hatte, zu geschlossenen, durch
Eid verbundenen Banden, die es
besonders auf Mordbrennerei abge-
sehen hatten, später zu eigentlichen
Räuberbanden, an deren Spitze her-
vorragende Spitzbuben standen;
besonders der dreißigjährige Krieg
hat dieser Erscheinung Vorschub ge-
leistet, vorher schon die Bauern-
kriege; sie haben Deutschland bis
in dieses Jahrhundert hinein viel-
fach unsicher gemacht
Zur Organisation des Gauner-
tums gehören seit alter Zeit geheime
Verständigungszeichen, Zinken ge-
nannt; sie wurden und werden noch
in die Rinde der Bäume, an Mauern,
Wände, Brücken, sogar in den Schnee
eingezeichnet oder eingeschnitten.
^r<f-Zff/fc#wn^DasdeutscheGauner-
tum. 4. Bde. Leipzig 1858 bis 1862.
Vgl. die Artikel Juden, Kessler und
Zigeuner.
17
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25S
Gefässe, häusliche.
(»efässe, häusliche, waren für
den gemeinen Mann und den ge-
wöhnlichen Hausgebrauch bis ins
Mittelalter von sehr einfachen, meist
rohen Formen und entweder aus ge-
branntem Inon, Jfolz oder zu höhc-
rem Bedarf aus Metoll verfertigt
Metallene Ge fasse aus Eisen, Kupfer
und Zinn wurden seit der Mitte des
10. Jahrhunderts in den Niederlan-
den als Handelsartikel verfertigt und
versendet Daneben findet man
schon früh im Haushalt der herr-
schenden Stände und noch mehr
in den Kirchen Prunkgefässe aus
edlem Metall und Elfenbein, auch
diese jedoch anfänglich in oft plum-
pen Gestalten. Die Trinkgeschirre
waren der Kelch , halbkugelförmig
und auf einem kurzen Fusse stehend,
der Name, schon früh aus dem lat.
calix entlehnt, ahd. chelih, mhd.
kelch, und der ebenfalls dem Latei-
nischen (volksmässig = lat. hacar,
mittellat. baccharium) entlehnte
Becher, ahd. pechar, mhd. hecher;
«•r hatte im Mittelalter entweder die
jetzige Form oder die Gestalt klei-
ner, mit Dauben verbundener Holz •
fässchen ; sein deutscher Name ist
Stauf, ahd. und mhd. der stouf-, da-
neben bedient man sich immer noch
der alten Trinkhörncr, entweder
aas wirklichen Stierhörnern oder
aus Elfenbein geschnitzt; Trinkge-
schirre aus Strausseneiern, Kokos-
nüssen und dgl. stammen aus dem
Orient. Auch die Schüssel, die mit
und ohne Fussgestell vorkommt, hat
fremden Namen; ahd. skuzila, mhd.
schiizzel kommt vom lat. scutula,
dem Diminutivwort von scufa = Mache
Schüssel. Besondere Teller waren
nicht üblich; das mhd. teler, aus
ital. tagt vre, tagliero ist das Küchen-
hackbrett, zu ital. tagliare, franz.
tailler = sehneiden. Die Kanne wird
von einigen ebenfalls aus dem La-
teinischen erklärt, lat. canna=* Röhre,
Krug, Trinkgeschirr; nach Grimms
Wörtern, soll das Wort mit Kahn
riner Wurzel sein, beides aus Baum-
stöcken ausgehöhlte Dinge. Kandel
und Kante sind Weiterbildungen
von Kanne.
Die Gotik und der Aufschwung
des damit verbundenen Kunsthand-
werkes kam natürlich auch den Ge-
fassen in hohem Masse zu gute.
Während bis zum Schluss des 13. Jahr-
hunderts bloss die herrsehenden
Stände Gesehirre von Edelmetall
besessen hatten, begann nun die
Vorliebe für Schmuekgefasse auch
den Bürgerstand zu ergreifen. Unter
Verwendung zahlreicher Verzierungs-
mittel entfaltete man, am meisten
in Franken, einen früher nie ge-
kannten Formenreichtum, besondere
in Schaustücken. Dazu gehörten
verschliessbare Tafelbestecke in der
Form von Schiffen, welche Gewürze,
Wein, Trinkgefasse, Löffel enthiel-
ten und in oft seltener Pracht her-
gestellt waren; Bronnen, Weinbe-
nälter in Form reichgegjiederter
Bauwerke, Salzfässer, Dretfüsse zur
Unterstützung grösserer Geschirre
oder als selbständige Schaustücke.
Besonderen Wert legte man auf
kunstreiche Trinkgefasse, zumal auf
Becher, die bald mehr in der Weise
einer Schale, bald in der eines
Kelches, eines Tönnchens oder einer
Tasse gebildet wurden, mit oder
ohne Fuss, mit oder ohne Deckel.
Daneben kamen für den häuslichen
Gebrauch immer noch thoneme,
zinnerne und hölzerne Gefasse zur
Anwendung. Im 15. Jahrb. steigerte
sich der Aufwand sowohl als der
Erfindungsgeist, der sich in allen
möglichen, zum Teil höchst phan-
tastischen Formen erwies. So neh-
men nun auch die Samen der Trink-
gefasse zu; nach der Gesammt-
fassung oder dem Massinhalte un-
terscheidet man jetzt Schrein, Hum-
pen, Kelch, Becher, Krug, Kanne,
Kopf, Schoppen: nach Form und
StoÄ* Muskat, Eichel, Kokosmus,
Traube, Strauss, Pelikan, Schican,
Schiff, Mönch, ^onne, Sarr, Bei/er,
Greifenklaue, Horn; bei den Kre~
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Gefasse, häusliche.
159
denz oder Doppc 'hechern bildete ein
Becher den Deckel des andern.
Der im 16. Jahrh. in Deutsch-
land auftretende Renaissancestil
äusserte sich an den Geschirren,
abgesehen von den Formen der
Verzierungen, darin, dass der künst-
lerische Gedanke so sehr hervor-
trat, dass der natürliche Zweck der
Gegenstände dadurch beeinträchtigt
wurde und die verzierende Aus-
stattung inhaltlich allmählich ausser
Bezug zu den Gegenstanden als
solchen trat; und in der überhand-
nehmenden Verwendung des Glases,
der Majolika und der Fayence, wo-
durch die Gefässe in Gold und
Silber zurücktraten. Die früheren
Urortnen und Dreifüße kamen in
Abnahme, während die SchiJ/e im-
mer noch vorkamen; besonders wur-
den aber als Tafelbestecke teils
kelchähuliche Ständer oder von zu-
meisthohen Füssen gestützte schalen-
förmige Platten beliebt, reich mit
Ornamenten bedeckt, worauf sich
ein kunstvoller Zierrat erhob, teils
in Rund durchgeführte Darstellungen
aus dem Menschen- und Tierleben
und der Pflanzenwelt, Szenen ge-
schichtlichen und allegorischen In-
halte, mythologische Phantasie, Jagd-
stücke, Tierkümpfe u. dgl.; ähn-
lichen Zwecken dienen reichverzierte
Muachelaufsätze. Bei den Giessge-
sch irren wurde die Kannenform über-
wiegend herrschend, wobei Fuss,
Deckel, Henkel und Ausguss mannig-
faltige reiche Durchbildung erfuhren.
Für den eigentlichen Behälter oder
den Bauch kam die Eiform auf
und für das Geschirre überhaupt die
altrömische Vasenform zur Geltung;
aneb wenn das *Gefäss selber aus
gebrannter Erde hergestellt war,
ftlegte man den Schmuck an
lenkel, Füssen u. dgl. aus getrie-
bener Metallarbeit herzustellen.
Sehr in Aufnahme kamen die Glas-
gefasse, welche bis etwa 1550 aus-
schliesslich im Venetianischen ange-
fertigt wurden. Die absonderlichen
Gestalten, welche die vorhergehende
Periode so sehr bevorzugt hatte,
beschränkten sich von jetzt an mehr
auf die Arbeiten aus Steingut und wur-
den Sache der eigentlichen Töpfer,
die nun recht im Gegensatz zur
Vasenform Formen aus ritt [förmigen
Bohren 'und die Tonnenform oder
aufrecht kauernde Figuren und dgl.
ausbildeten. Zwischen den eigent-
lichen (Hess- und den eigentlichen
7V/V, gefässen kam für den gewöhn-
lichen Verkehr eine zugleich zum
Glessen und Trinken benutzte Ge-
fässform auf, der JTcnkelkrug, auch
Krug überhaupt Aus Metall oder
Steingut hergestellt, gestaltete man
den Krug als Vereinigung der Kan-
nen- und Becherform, später häufig
mit Hinneigung zur Eigestalt der
Vase; dazu kamen bildnerische Ver-
zierungen, Arabesken, Wappen und
ein verzierter Deckel aus Metall.
Die Becher wurden jetzt häufig aus
Elfenbein, Glas und Fayence her-
gestellt, und zwar meist" ohne me-
tallenen Schmuck; die Gestalt war
wie früher eine überaus mannig-
faltige und abenteuerliche, so dass
ein Schriftsteller klagen konnte:
„Heutiges Tages trinken die Welt-
brüder und Trinkhelden aus Schiffen,
Windmühlen, Laternen, Sackpfeifen,
Schrribzeugen, Krummhörnern, Kne-
belspiessen, Weinwagen, Weintrau-
ben, Äpfeln, Birnen, Kockelhähnen,
Affen, Pfauen, Pfaffen, Mönchen,
Nonnen, Bauern, Bären, Löwen,
Hirschen, Rossen, Straussen, Katzen,
Schwanen, Schweinen, Elendsfüssen
und anderen ungewöhnlichen Trink-
geschirren, die der Teufel erdacht
hat, mit grossem Missfallen Gottes
im Himmel." Später schritt man
gar zu Nachahmungen von Stiefeln
Schuhen , Schubkarren, Kriegsge-
schützen fort. Zu vorwiegender Gel-
tung kamen als Metallarbeit Trink-
gefasse von Tannen- und Pinien-
zapfen, der Weintraube, von Köpfen,
namentlich von Hörnern, mit reichen
Beschlägen; sodann Becher in der
17*
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260
Gefaase, kirchliche.
Form von Mönchen, Sonnen und j diese Geschmacksrichtung auch am
reichgekleideten weitlichen Damen i geeignetsten war, war das Forzellan.
in steifem Reifrock, oder der spitzigen | Nach Weiss, Kontümkunde.
Hälfte des Eies. Die Kredenzbecher \ Gefässe, kirchliche. Heilige
bildeten meist eine weibliche Figur Gefässe, rasa sacra, heissen die bei
mit seitwärts ausgebreiteten Armen, der Liturgie gebrauchten Gefässe,
ein Gelassenen i nämlich Kelche, Fatenen, Hostien-
um seine Quer-
er diente als Doppel-
über dem Haupt
tragend, das sich
achse bewegte;
becher für Herr und Dame. t)er
Willkommbecher war meist ein sehr
umfangreicher Pokal oder Humpen.
Als das vornehmste Trinkgescliirr
galt immer noch der Kelch, den
man jetzt zu äusserster Schlankheit
gestaltete und dessen Fuss man
willkürlich verzierte. Auch die Trink-
geschirre aus Glas wurden in ver-
schiedenster Form, als Pokale, Kelch-
gläser, Schalen uud in Nachahmung
jedweder Gegenstände gearbeitet
Dazu Fig. 58 aus Müller und Mo-
thes. aren. Wörterb., ein Büffet aus
Schloss Rosenberg mit alten Ge-
issen darstellend.
Im 17. Jahrh., als die Kunst zu
sinken begann, kamen Brunnen,
Dreifusse und Schiffe gänzlich ab,
ebenso die Mehrzahl sonderbar ge-
stalteter GefUsse; dagegen wurden
als Tafelaufsätze Geräte in Vasen-
form mit Blumenstrauss darin be-
liebt Kunstgläser nahmen noch
mehr überhand, die Gefttese fielen
der Ver8chuörkelung anheim, wur-
den immer flacher behandelt und
die früheren Bildnereien durch bloss
eingeritzte Zierrate von oft roher
Fassung ersetzt Eine neue Art
büchsen, Cihorien und Monstranzen,
Messkännchen und Giessgefässe,
Weihrauchbecken und §cfiiffchen,
Geßisse für die heiligen Öle, Mesr
glöckchen und 11 eih Wasserkessel
Über die im engern Sinne rasa sacra
genannten Gefässe, welche durch ih-
ren Gebrauch in unmittelbare Berüh-
rung mit dem konsekrierten Brot und
Wein des Altarsakramentes kommen,
siehe die besonderen Artikel Kelch
und Ciborium. Die übrigen kirch-
lichen Gefässe sind von minderer
Wichtigkeit. Die Kannen, amulae,
ampullae haben erst in spätgotischer
Zeit einen bestimmten Typus ange-
nommen. Sie kommen immer paar-
weise, auf einer Schüssel stenend.
vor, das eine Kännchen ftir den
Wein, das andere für daa zur Aus-
des Kelches erforderliche
Der bauchige Körper be-
steht gewöhnlich aus Glas; Fuss,
Henkel, Klappdeckel aus Metall:
auch kommt das ganze Gef&ss metal-
len vor. Der G tessgefässe, manilia,
aquaemmanilia , bediente sich der
Priester zum Waschen der Hände,
sie hatten die Form irgend eines
der Natur nachgebildeten oder phau
tastischen Tieres, eines Löwen, Pfer-
des, einer Taube, einer Henne, eines
von Gfiess- und Tinkgeschirren Basilisk, aus Metall gegossen. Zu
brachte die Einführung des Kaffees den Räucherungen gehört das Weih
und Thees mit sich, die Tassen, die
man zuerst aus Metall verfertigte.
Der Rokoko-Stil des 18. Jahrh. end-
lich brachte den Gcfässen das lang-
und quergefurchte, vielzackige Mu-
schelwerk, scharfkantige und eckige
rauehgefass, acerra, tncensartum,
jwxis' thuris, und das Rauchbecken,
thuribulum; jenes hatte, wie da«
Gicssgefäss, oft die Form einer Bestie
oder diejenige eines Schiffchens, das
durch einen in der Mitte geteilten
Schnörkel ohne feste Grundgestalt, j Klappdeckel verschliessbar
aufgemalte , eingelegte oder leicht Das Rauchbecken hat zum Hin-
erhabene Darstellungen , Genien, | stellen einen einfachen runden Fuss,
Blumen, Landschaften, Füllhörner während das sich ausbauchende
u. dgl. Das Hauptmaterial, das für Kohlenbecken zum Zwecke des
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Gefolgewescn.
261
Schwingens au Ketten hängt Sic sind, Gefolgcwesenj eine den Urzeiten
in älterer Zeit meist aus Erz erst später der Germanen eigentümliche Ein-
von Silber. Die Gefässe für die hei- richtung, von der Tacitus in der
Fig. f>8. Büfl'et aus Schloss Rosenberg.
Ugen Öle, Heilöl, Krankenöl und
Salböl sind verschliessbare Büchsen
und Flaschen, auch in Hörnerform.
Germania 13 — 15 handelt. Es war
ein Recht der Fürsten (nicht des
Adels und ebensowenig jedes ein-
Otte, Handbuch der Archäologie. zelnen im Volke), ein Gefolge, comi
262
Geisel. — Geissier.
faftut. zu halten. Junge Männer aus
dem Volk sehliessen sich dein Fürsten
an, freiwillig, sodass der Jüngling
selbst oder der Vater für ihn den
Fürsten wählt; auch Sohne des Adels
treten in das Gefolge. Die Ver-
bindung ist dauernd, nicht für einen
besonderen Zweck, doch auch nicht
unauflöslich. Durch einen Kid wird
das Verhältnis bekräftigt, der zur
Treue und Hingebung verpflichtet.
Die Gefolgsgenossen bilden die He-
gleitung des Fürsten, wohnen mit
mm, schmausen in seiner Halle,
daher sie später Herdgt seilen, Bank-
genossen, lisehqenossen des Fürsten
'oder Königs fieissen, auch Sofge-
sfalden, ahd. nolstallo, Gesinde. Der
Dienst als Ehrendienst minderte die
Freiheit nicht. Ein zahlreiches Ge-
folge gab dem Fürsten Ruhm und
Macht, im Frieden Ehre, im Kriege
Schutz. Als Lohn erhielten sie
Waffen und Rosse, auch Schätze
aus der Beute oder andere Gaben.
Die Ableitungen des Adels, der Vol-
kerwanderung, der Heerverfassung,
der Vasallität, des Benefiziatwesens
aus der Taciteischen Gefolgschaft
sind alle widerlegt worden. Nach
Waitz, Verf.-Gesch. I., Absehn. 10,
macht die Gefolgschaft, eine Zeit-
lang in den Königreichen zu be-
sonderer Bedeutung gelangt, später
anderen Bildungen Kaum, die vor-
nehmlich auf der Entwickelung der
fränkischen Monarchie und des
Grundbesitzes beruhen. Id den nor-
dischen Reichen erhäle sich die
Gefolgschaft am reinsten und läng-
sten. Die Erinnerung an sie lebt
in manchen Gedichten des Mittel-
alters fort, in den Nibelungen,
Gudrun, im Heliand, am lebendig-
sten im augelsäclisischen Bcowulf'.
Vgl. Dahn, Deutsche Gesch. I, I,
S. 222.
Geisel, ahd. gisaf, gisil, mhd. der
und das gisel, Die iiitesten Zeug-
nisse für die Geiselstellum* bei den
Germanen sind die mit gisil, gisal.
verkürzt gis susammengesetzten zahl-
reichen Eigennamen: Willigis, Jla-
dalgis, Fridugis; Gisulf, Gisal-
bald, Gisalbrand, Gitalm'und, auch
bloss Giso, weiblich Gisa. neben
Gisi/o, Gisila, (jixefa, (>isel, Gisol-
hart, Gisalmuot, JJefidgis. \l~olfqis,
Berengis, FbergU, Adalgis, Gödi-
aisil, Jnjtigisil (zu ans = Ase). Man
leitet das Wort von qer — Speer-
eisen, Speer ab, wonach Geisel der
Spcergefangene wäre, wenn nicht
eine Zwischenbedeutung = Held an-
zunehmen ist. Es ist möglich, dass
in frühesten Zeiten bloss hohe Ge-
fangene, Fürsten als Geiseln an-
genommen wurden, während man
die übrigen tötete; die hohen Gei-
seln dienten , wie Hageu und Wal-
thari am Hofe Etzels, geradezu als
Zierden der Höfe. Düren das ganze
Mittelalter blieb die Geiselstellung
eine Bekräftigung des Eides, nament-
lich wenn die Treue einmal verletzt,
oder Verdacht des Abfalles vor-
handen war. Sogar der König sah
sieh unter Umständen veranlasst,
für sein gegebenes Wort Geiseln
zu stellen; doch erklärte Heinrich IV.
den Sachsen gegenüber, die von
ihm Geiseln begehrten: Geiseln zu
stellen liege weit ab von der könig-
lichen Majestät.
(ieissler, Geisseibrüder, Kreuz-
brüder, Büsser, Flagellanten, Flagel-
larii u.a. sind Benennungen einer im
13., 14. und 15. Jahrh. auf dem Ge-
biete des kirchlichen Busswesens
auftretenden Erscheinung. Die alt-
britische und angelsächsische Kirche
kannte als einzige Art des Buss-
werkes das Fasten: da dieses uicht
in allen Fällen ausreichte, kamen
als Ersatzmittel desselben Beten,
Singen, Hersagen von Psalmen,
Kniebeugen, Geldspenden zu kirch-
lichen oder wohlthätigen Zwecken
und die G eissei ung auf. Die letztere
erscheint zuerst in einem Bussbuche
des Jahrh., in Nachahmung der
Geisselungen Christi und der Anstel.
Sie blieb lange nur auf Klöster be-
schränkt und erlangte hier eiue
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Geissler.
26;*
systematische Ausbildung, sodass
die Zahl di r Schlage nach einer
festen Taxe berechuet wurde. Be-
sonders der Kardinal Damiani, £est.
1072, wurde nicht müde, die Geisse-
lung anzuempfehlen und brachte es
so weit, dass dieselbe nicht bloss
in den Klöstern eine sehr ausge-
dehnte Anwendung fand, sondern
auch in die Privathäuser drang.
Die Veräusserliehung des Bussbe-
griffes, die Vermehrung des Ketzer-
rums und der Kampf der Kirche
eegen dasselbe, die zunehmende
Verehriing'* der Wanderprediger,
das Aufkommen der geistlichen
Spiele, der Gesang freier religiöser
Lieder u. a., drängte zu besonde-
ren Ausbrächen des gesteigerten
religiösen Volksgefühls. Von der
Wirkimg des Antonius von Padua,
Ke»t 1231, heiset es in der Lebens-
beschreibung: „Damals fingen die
Menschen zuerst au, scharenweise
sich geisselnd und geistliche Lie-
der sinkend in Prozession zu gehen.
Beglaubigt ist, dass im Jahr 1260
zu Perugia , infolge langer und
furchtbarer Kämpfe , sich eine
Menge Volke* zu reuiger Geissei-
busse verband. „Mit entblösstera
Oberkörper wallten Edle und Un-
edle. Greise, Männer und Jünglinge,
ia selbst Kiuder paarweise in feier-
lichem Autzuge (furch die Stadt und
schlugen sich mit ledernen Geissei-
riemen über die Schulter, dass das
Blut herabfloss. Dann ergossen sie
sich hinaus über das Weichbild der
Stadt, und immer neue Scharen
schlössen sich an, wie von An-
steckung ergriffen, und so zogen die
Büsser weiter zu Hunderten , zu
lausenden, ja zu Zehntausenden
von Dorf zu Dorf, von Stadt zu
Stadt, angeführt von Priestern mit
Kreuzen und Fahnen, und warfen
sich vor den Altären der Kirchen
nieder. Alle Musik, aller Gesang
verstummte vor ihren Bussliedern.
Reue und Bedürfnis der Versöhnung
erwachte in allen Gemütern; jeder
beeilte sich zu beichten und ge-
thanes Unrecht wieder gutzumachen.
Wucherer und Räuber stellten das
unrechtmässig gewonnene Gut zu-
rück, Feinde söhnten sieh aus, Ge-
fangene wurden entlassen, Vertrie-
bene wieder aufgenommen, reiche
Almosen gespendet. Bis nach Korn
hin wanderte das Geisslerheer und
aufwärts durch die Lombardei und
Pieinont bis nach der Provence;
selbst der Winter vermochte ihren
Eifer nicht zu dämpfen."
Das Jahr darauf, 1261, sah den
ersten Geisslerzug in Deutschland
und zwar in den österreichischen
Ländern, Bayern, Polen, Böhmen,
Mähren und Ungarn. In Italien
wiederholte sich die Erscheinung im
Jahr 1334. Die grösste Bewegung
dieser Art geschah jedoch unter
dem Eindrucke des tchwarzen 7bde*f
der, von Ostasien herkommend, un-
glaubliche Verwüstungen anrichtete,
(siehe den Artikel Volkskrankheiten)/
Nach Deutschland kam diese Pest
im Jahr 1 348 ; ihr Eindruck wurde ver-
mehrt durch das auf dem verstor-
benen Ludwig dem Bayer und seinen
Freunden und Anhängern lastende
Interdikt. Da sammelten sich im
Jahr 1349 an verschiedenen Orten
neue Geisslerscharen , die von sehr
verschiedenen Orten sich mehrend
und sich wieder zerteilend, das
Land von den Alpen bis nach
Dänemark und hinüber nach Eng-
land durchzogen; auch Frauen und
Kinder waren dabei. Die aus-
führlichste Nachricht darüber fin-
det man in Closeiwrs Strassburger
Ch ronik, die im Jahr 1362 vollen-
det wurde.
Wer in die Brüderschaft ein-
treten wollte, musste zuerst erklären,
dass er gebeichtet, aufrichtig bereut,
seinen Feinden vergeben und dio
Einwilligung seiner Ehefrau zur
Geisseifahrt erhalten habe; dann
musste er 1 1 Schillinge und 4 Pfen-
nige aufweissen, um durch 30 bis
34 Tage (zum Andenken an Christi
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264
Geissler.
Lebensjahre) sich mit täglich 4 Pfen- Dies geschah dreimal. Dann traten
nigen erhalten zu können; sodann Bürger der Stadt hinzu uud laden
sollte er die Weise der Geissler
halten und den Meistern der Brüder-
schaft Gehorsam angeloben. Mit
Frauen zu verkehren war nicht ge-
stattet. Inder Nähe einer bewohnten
Ortschaft ordnete sich der Zug, voran
die gewundenen Kerzen, Kreuze,
Fahnen, dann die Büsser paar-
weise, in Mäntel und Hüte gekleidet
mit darauf gehefteten roten Kreuzen.
Mehrere Vorsänger
die Brüder zum Imbiss zu sich ein.
Zum Geissein aber oder zum Bussen,
welches vor- und nachmittags ge-
schah, begaben sie sich wieder in
Prozession auf einen freien Platt,
etwa den Kirchhof, schlössen einen
Kreis, legten in die Mitte sämtliche
Kleidungsstücke bis auf die Hosen,
knüpften einen Schurz umuudlegteu
sich in einem weiten Kreise so nieder,
dass die Lage oder Gebärde die
stimmten dann
einen Leis an (siehe diesen Artikel), Hauptsünde des einzelnen anzeigte.
den die ganze Schar nachsang, der Ehebrecher auf den Bauch.
während alle Glockeu des Ortes der Mörder auf den Rücken. Der
zum Empfange geläutet Wurden. Meister schritt dann über jeden
Der gebräuchlichste Leis lautete: weg, rührte ihn mit der Gei?*!
. una sprach:
i\« ist die betevart s6 he*r:
Oritt reit selber qen Jerusalem, Stauf uf durch der reinen markig
erfüerte eine knuze in siner haut; und den sünden mtt'
Jeder Berührte schritt dem Meist*
nach und that wie er. Nachdem
alle aufgestanden waren, stellten sie
sich wieder zu einem Kreis zusam-
men, gingen paarweise um den Kreis,
den Kücken mit Geissein blutig
schlagend, von denen drei Riemen
in Knoten mit vier eisernen Stacheln
ausliefen, und sangen während der
Geisselung einen neuen Leis.
Die Geisselung wiederholte sieb
dreimal. Nachdem die Eingang
Ceremonien wiederholt wareu. legten
die Geissler ihre Kleider an, acht-
bare Leute unter den Zuschauen
sammelten eine Beisteuer zu Kerfc-a
nu helfe um der Heilant!
2Vm igt die betevart s6 guot:
hilf um, herre, durch dtn heiiges bluot,
daz du an dem kriuze vergossen haut,
und uns in dem eilende gelosssen hast!
Nu ist die strdsse alsö breit,
die uns zuo uMerre frouwen treit,
in unserre lieben frouwen laut;
7i u helfe uns der heilant!
lt ir sullen die buosse an um nemen,
daz wir gote deste bas qezemen
aldort in stnes rater rieh;
des biten wir dich alle gelich;
so biten icir den heiligen Crisl,
der alle der weite gewaltig ist.
und Fahnen für die Brüderschart-
In der Kirche, wohin sie zogen, | und wenn dies gethan, trat einer
knieten nie nieder und sangen:
JhStHs der wart gelabet mit galten,
des stillen wir an ein kriuze vallen.
Mit diesen Worten warfen sie sich
mit kreuzweis ausgebreiteten Armen
zur Erde, und verharrten so, bis
der Vorsänger anhob:
Xu heben t uf die iuwern hende,
daz Got dis grosse sterben wende,
worauf sie sich wieder erhoben, die Stadt zurück, verrichtetet! w
der ein Laie war und lesen könnt«-
auf eine Erhöhung und verlas einer,
langen Brief, der augeblich v «n
Christus selbst auf eine MarmortatY!
geschrieben, durch einen EiiäH
herabgebracht und auf den Alu:
St. Peters zu Jerusalem niedergeht
worden sein sollte. Er enthielt <1*
Aufforderung zur Geisseifahrt, h-
feierlichem Zuge, uuter Glocke:^-
läute, kehrten danu die Geissler in
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Geistllicher Ornat.
265
der Kirche ihre Andacht und gingen
auseinander. Sie durften nicht über
einen Tag und eine Nacht an einem
Orte verweilen; beim Fortziehen
aus einem Orte sangen sie:
0 herre tater, Jhttu Crisf,
iran du allein ein herre bist,
der uns die sünde mac vergelten,
nu gevriste uns unser leben,
da: wir beteeinen dinen tot.
vir klagen dir, herre, al unser n6t.
Alle Lieder waren erst fftr diese
Geisseifahrt von einem unbekannten
Verfasser gedichtet worden.
80 ausserordentlich die Teilnahme
an dieser seltsamen Erscheinung war,
so schnell ging sie vorbei; nach einem
halben Jahre verbot man in St ras s-
burg und anderwärts, zum Teil durch
die Geistlichkeit angeregt, die öffent-
liche Geisselung. Dazu kam, dass
die französischen Geisseifahrten, wo-
für die deutschen Leise übersetzt
worden waren, von seiten des Königs
und der Universität verboten wur-
den und der Papst noch im Herbst
des Jahres 1349 eine Bulle gegen
die Geissler eriiess, worin er ihnen
zur Last legte, dass sie eigenmächtig
handelnd, die Schlüsselgewalt und
die disziplinarische Ordnung der
Kirche missachten, und den Bischö-
fen befahl, sie zu unterdrücken.
In Italien, Frankreich und Spa-
nien trat die Erscheinung der Geissler
vom Jahre 1 398 an in anderer Form
anf; gehüllt in lange, weisse, leinene
Gewänder (daher Bianchi, Albi. Al-
bati genannt), welche auch Kopf
und Gesieht verdeckten und nur
zwei Öffnungen für die Augen frei-
liessen, wallten sie in neuntägiger
Bussfahrt in grossen Haufen unter
Absingung des St<ibat mater durch
die Länder und Städte; auch diese
Erscheinung wurde bald unterdrückt,
und die Geisseibusse nur noch im
Geheimen von den nie ganz zer-
störten Brüderschaften fortgesetzt. I
Im 15. Jahrhundert wurden viele [
geheime Anhänger derselben in |
Deutschland von der Inquisition auf
den Scheiterhaufen gebracht. Nach
Zacher in Erech. u. Gruber.
Geistlicher Ornat. Die Her-
stellung einer liturgischen Tracht
für die christliche Geistlichkeit er-
folgte nicht vor dem 6. Jahrh. Die
Ausbildung des priesterlichen Amts-
ornates ging vorzugsweise von der
römischen Bekleidung aus und voll-
zog sich als allgemein massgebend
zuerst in Byzanz, erhielt dann aber
im Abendlande allmählich eine da-
von abweichende selbständige Rich-
tung. Die Feststellung der Grund-
formen des occidentalischen Ornates
verlegt man in den Beginn des
9. Janrh. von welcher Zeit an bis
ins 14. Jahrb., die geistliche Tracht
im Allgemeinen dieselbe blieb.
Zum Ornat des Bischofs, Erz-
bischofs und Papstes gehörten fol-
gende Stücke:
1. Strümpfe oder Socken, Caligae,
Tibalia, es sind dies bis zu den
Knieen reichende Langstrümpfe,
oberhalb mit Kniebändern versehen,
aus Leinwand, später aus Seide oder
Sammet, dunkelvioletter Farbe.
2. Schuhe, Sandalia, Calceamenta,
Socculi, ursprünglich das römische
Bindeschuhwerk, später ein voll-
ständiger geschlossener Schuh mit
breiten Taschen von der Sohle bis
zum Spanne, Farbe meist karmin-
purpur, ausserdem oft Schmuck von
Goldstickwerk , Perlen und Edel-
steinen.
3. Hals- oder Schul (ertlich, Amte
tus, Superhumerale, ein grosses, ob-
longes Tuch, teils um den Hals zu
schützen, teils um die anderen Ge-
wänder vor einer unmittelbaren Be-
rührung mit dem Hals sicher zu
stellen.
4. Albe, Alba, Camisia, Poderis,
Tunica talaris, das älteste Stück des
ganzen Amtsoraates, ein mässig wei-
tes Hemd, das bis zu den Kissen
reicht, mit langen gegen die..Hand-
knöchel zu sich verengenden Ärmeln
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Geistlicher Ornat.
mit weitem Knopfloch, von weisser
Leinwand, ohne Schmuck.
5. Der zur Albe gehörende Gür-
tel, Baltheus. Zona , Cinffulum, ur-
sprünglich schmucklos, später reich
ausgestattet mit Troddel werk und
Goldschellen.
6. Stolc, Stola, Orarium, ein
langes um den Hals gelegtes Band,
dessen beide Enden je zur Seite
herabhingen. Als dieses Band sich
soweit verlängerte, dass es am Gehen
hinderte, kreuzte man es auf der
Brust, gürtete es mit dem Cingu-
lum und zog es hinter diesem her-
auf. Die Stole war mit religiösen
Sinnbildern und anderen Verzie-
rungen ausgestattet, der Stoff Wolle
oder Seide.
7. Das Manipel, Phanon, Mani-
pula-% Mapjmla, ursprünglich ein
Tuch von Linnen, dessen sich der
Priester zum Abtrocknen des
Schweisses und zur Säuberung der
heiligen Gefässe bediente, später
ein schmales, dem linken Arm über-
gehängtes Band.
8. Zwei hemdformiqe Überzieher,
Dalmatiea und Tunicella, ein länge-
res und ein kürzeres Gewand, von
denen entweder überhaupt bloss
eines oder das kürzere über dem
längeren getragen wurde, der Form
nach geschlossene Überkleider, zu
den Seiten je der Länge nach mit
einem schmalen violett roten Band-
streifen bedeckt, das längere Kleid
meist rot, das kürzen; weiss.
9. Das Messyewand , Paenula.
Planeta, Casula, Casubula , ein
ringsum geschlossener, glockenför-
miger Überhang, durch reichen
Goldbesatz ausgezeichnet, der sich
um den unteren Saum, um den
Rand des Kopfausschnittes und auf
der Vorder- und Rückenseite längs
der Mitte hin befand, seit dem 15.
Jahrh. brachte man auf dem Rücken-
stück oft einen sehr breiten Besatz
in Gestalt des lateinischen Kreuzes
mit der Figur des Gekreuzigten
darunter an, vorn einen Längstreifen
mit kleineren Kreuzen aus Stoff,
Seide oder Sammet.
10. Handschuhe, Manicae, Chiro-
thecae, die nicht genäht, sondern
gewirkt sein müssen, aus Seiden-
I stoff, purpurfarben und reich geziert,
I später mit Stulpen versehen.
11. Der Bing, Ännulus, ursprüng-
lich am Zeigefinger, später am vier-
ten Finger der rechten Hand ge-
tragen; er sollte von Gold, mit
einem Edelsteine geschmückt sein.
Er wurde über den Handschuh ge-
tragen.
12. Eine Kopfbedeckung , Mitra,
Tiara, Tnfula, Phrygium, Corona
sacerdotolis, Cidarisuml Cuphia.
a) Die bischöfliche Kopfbedeckung
oder Mitra war eine Nachbildung
der auch im gewöhnlichen Leben
allgemein üblichen Rundkappen;
dieselben wurden inmitten des Schä-
dels mä&sig eingesenkt, durch die
Senkung, vielleicnt um dieselbe über-
haupt zu erzielen , ein vertikal lau«
fendes breites Schmuckband gezogen,
| welches sich von der Mitte des auch
sonst üblichen Stirnreifes erstreckte.
Allmählich löste man den Stirnreif,
der bei allen derartigen Kappen seit
jeher den Hauptpunkt bildete, von
seinem Grunde ab und behandelte
ihn in Gestalt einer langen Binde
als selbständigen Schmuck , dessen
Enden gleichmäßig auf die Schul-
tern fielen. Um den Schluss des
11, Jahrh. erweiterte man jene erste
Einscnkung dergestalt, dass <he
Kappe in zwei gleiche Hälften ge-
schieden und zur wirklichen Dopprl-
mutze wurde, wobei die Bindeoan-
der nur noch gelegentlich die Be-
deutung einer besonderen Auszeich-
nung beibehielten. Später schwankte
diese Bedeckung bloss noch in ihren
Höheverhältnissen und in der be-
ständig sich vermehrenden Ausstat-
tung.
b) Die Kopfbedeckung des Pap-
stes oder Tiara ist ein hoher, zucker-
hutformiger Spitzhut, mit einem senk-
rechten goldenen Streifen ausge-
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Geistlicher Ornat.
2(37
stattet; dieser sowohl als der gol-
dene Stirnreit' reich mit Edelsteinen
besetzt. Er*t Bonifacius VIII. (gest.
1303) trab dem Stirnreif die Gestalt
einer Krone und brachte darüber
in einiger Entfernung noch einen
derartigen Reifen an, wodurch die
Tiara zur Doppelkrone wurde. Bene-
dikt XII. (1334—1342) oder Urban V.
(1362-1370) soll einen dritten Reif
hinzugefügt und Urban VI. um 1378
diese dreifache Krone dauernd ein-
geführt haben.
13. Der Hirtenstab, Baculus epis-
copatit, pastoral is, Ferula, Vir (ja,
Fedum, Sambuca, ursprünglich eine
mit einer Krücke versehene Stütze.
Man vermutet, dass der Stab im
8. Jahrh. zum Abzeichen der kirch-
lichen Macht wurde. Erst um den
Schluss des 10. Jahrh. verlängerte
man ihn, brachte an Stelle der Kur-
sen Doppelkrücke eine den Schäfer-
stäben ähnliche, nach innen gewen-
dete hackenformige Krümmung an
und vermittelte dieselbe mit dem
Schaft durch einen Knopf. Schon
die älteren Krückeustäbe waren mit
plastischen Zierden versehen; die
Knimmsfcibe hatten eine Windung
aus Elfenbein und einen Knopf aus
Metall; die Windungen erhielten die
Gestalt einer Schiauge oder irgend
ein symbolisches Blatter-, Blumen-
oder Rankenwerk, auch ganze Sze-
nen aus der heiligen Geschichte.
Der ursprünglich hölzerne Stab
wurde später wohl ganz aus Elfen-
bein oder Metall hergestellt — Der
Papst braucht, da er bei Prozessio-
nen sitzend getragen oder unter-
stützt wird, keinen Hirtenstab; doch
trägt er gelegentlich auf Bildwerken
einen langen Stab mit einem Kreuze
darauf. — Die Windung der Abt-
Stalte ist nach Innen gebogen.
Die folgenden Oruatstücke wer-
den entweder bloss vom Papst ge-
tragen oder sind nur solchen Erz-
bisehöfen und Bischöfen zugestan-
den, welche der Papst ebendadurch
auszeichnen will:
14. Ein Bd/id, Pallium, Fall 'i um
archiepiscopale. Es ist ein ziemlich
schmaler, etwa drei Finger breiter
Streifen, aus Lammwolle gewoben,
mit mehreren schwarzen, später
purpurroten Kreuzen verziert, der
so um die Schulter getragen wird,
dass eines der beiden Enden vorn,
das andere hinterwärts herabfällt.
Das Pallium ist das Ehrenzeichen
des Erzbischofs.
15. Ein Schulterkleid, Amiculum,
Superhumerale , Nationale episco-
porum, vom 12. — 15. Jahrh ge-
Dräuchlich , ein dem Schulterkleid
des jüdischen Hohenpriesters nach-
gestaltetes Gewand, das aus zwei
einander völlig gleichen viereckigen
Hälften, einem vorder- und einem
Rückenteil bestand, beide an den
untern Kanten zu kurzen oblongen
Streifen verengert, beide Teile mit
Sinnbildern, Figuren u. dgl. reich
geschmückt
16. Kationale, Perlorale oder For-
male, Nachahmung des hohenpriester-
lichen Brustschilaes. ein längliches
Viereck mit darauf senkrecht in
vier Reihen gefassten zwölf Edel-
steinen; es wurde später durch ein
Brustkreuz oder durch eine reiche
Brustspanae ersetzt, und das Brust-
kreuz auch auf die Bischöfe über-
tragen.
Von geringerer Bedeutung sind
folgende Omatstücke :
17. Der Mantel, Pluviale, Kappa,
ein mit einer Kapuze versehener
Schulterumhang, anfanglich bloss ein
Schutzkleid ( Regenmantel) , gegen
Kälte und Regen, und daher schmuck-
los aus einem derben Stoff her-
gestellt. Frühestens zu Eude des
12. Jahrh. verwaudelte man dieses
Schutzkleid in ein Festkleid, stellte
dasselbe aus kostbaren Stoffen her
und schmückte vorzugsweise die
Säume längs der Öffnung und «las
Oberteil zwischen den Schultern mit
reich gesticktem Besatz, den unteren
Saum auch wohl mit Glöckchen.
Jeder Geistliche konnte sich dieses
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Geistlicher Ornat.
Kleides ohne Rangunterschied be-
dienen; das Rückenschild verklei-
nerte sich im 15. Jahrh. zu einer
Art Genickkragen.
18. Chorrock, Rocchetum, Roc-
chet, SuperpelUceum, eine Alba, die
nicht beim Altardienste, sondern als
bequeme Dienstkleidung getragen
wurde; dieses Kleid wurde mit der
Zeit mehr und mehr verkürzt.
19. Das Barrett, Biretum, ist
im 10. Jahrh. aus der damals all-
gemein üblichen Rundkappe dadurch
hervorgegangen, dass man sie zum
bequemeren Anfassen etwas erhöhte
und faltete.' Später wurde sie völlig
quadratisch gefaltet und ausgesteift
und oben in der Mitte eine Quaste
angebracht.
20. Der Kardinalshut, Fileus
und Galerus rui>er , kam erst im
13. Jahrh. als Rangbezeichnung auf,
vermutlich in der ihm jetzt noch
eigentümlichen Form einer mit brei-
ter gesteifter Krempe ausgestatteten
Ruudkappe; Schnüre und Quasten
scheinen jüngeren Datums. Später
kamen zum roten Hut der rote
Leihrock und das rote Barett.
Über die liturgischen Farben
siehe den Artikel Farbensprache.
Was das kirchliche Ornat der
niederen Geistlichkeit anbelangt, so
war mit der Einweihung in den
Priesterstand oder das Prcbsyteriat
die Bekleidung mit der Stola und
der Casula verbunden. Daneben
bestand die übrige amtlich kirch-
liche Ausstattung aus dem Amictus,
der Alba, dem Cinqulum und dem
Maniiicf. Die niederen Grade der
Geist lii'hkeit trugen durchgängig
das weisse Feierkleid, die Tumea
alba oder talaris, wozu später für
Einzelne, namentlich die Ministran-
ten, das Chorhemd und für die Sän-
ger ausserdem das Pluviule kam.
Die ausserkirchliche Tracht der
Geistlichkeit bewegte sich im Mittel-
alter fast unausgesetzt je nach Mass-
gabe der Individualität des Einzel-
nen vorwiegend in den Extremen
einer auisersten Dürftigkeit, ähnlich
den Asketen und Klostergeistlichen,
oder eines höchst gesteiqerten Auf-
wandes und Prunkes nach rein welt-
lichem Geschmack. Deshalb nahm
man auch keinen Anstand daran,
dass die höhere Geisthchkeit es
den Rittern gleichthat und in voller
kriegerischer oder jagdlicher Aus-
j rüstung erschien, obgleich die welt-
liche Obrigkeit vielfach dagegen
eiferte und der Geistlichkeit „die
Anwendung von bunten, vielfar-
' bigen, roten, grünen, zu kurzen
und aufgeschlitzten Kleidern, von
! goldenen und silbernen Armspaneen,
| kostbarem Pelzwerk , geschuäbelteu
Schuhen u. dgl. mehr" strenge ver-
j bot. In den Bilderhandschrifteu des
12. und 13. Jahrh. erkennt man die
Geistlichen bloss an den hellblauen
Tuniken und am geschorenen Haupt
Kirchlicher Ordnung gemäss sollten
sich aber die Geistlichen der den
ganzen Körper verhüllenden ein-
fachen Kappevmd des langen Rüeken-
i mantels bedienen , beide von dunk-
ler Farbe.
Das liturgisch einmal festgestellte
Amtsornat änderte sich seit dem 14.
Jahrh. in wesentlichen Stücken kaum
mehr; die Wandlungen, die etwa
noch vorkommen, betrafen meist
die verzierende Ausstattung, die im
15. Jahrh. die höchste Vollkommen-
heit erreicht; was die Industrie der
maurischen Seidenstoffe, die Webe-
rei, die Wirkerei, Nadelstickeni
Buntstickerei in Goldfaden, GoW-
fädenspinnerei, Rcliefstickcrei erfand
und vervollkommnete, wnrdein erster
Linie in den Dienst der kirchliehen
Gewänder gestellt. Als ausseramt-
liehe geistliche Tracht bildeten sieh
nebst dem faltenreichen, mit Kapuze
versehenen Mantel zwei Hauptfor-
men der Kappe, die eine ein falten-
reicher Talar mit langen und wei-
ten Ärmeln; die andere, engan-
liegende mit engen Ärmeln, der
ganzen Länge nach dicht mit Knö-
pfen zum Schliessen bedeckt, hiess
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Geld. — Gelegenheitsdichterei.
209
Sutane; der Stoff beider Gewänder
war Wolle oder Halbseide ; die Fiirbe
bei den Kardinälen hochrot, bei
Bischöfen violett, beim Papst weiss
und zwar nur in Wolle, bei der
der übrigen Geistlichkeit schwarz;
über der Kappe lag in gleicher Farbe
der breite Hüftgürtel. Dazu kam
bei der hohem Geistlichkeit ein
kurzer Krempenhut von schwarzer
Farbe in Gebrauch.
Die Renaissance übte mehr Ein-
flu&s auf die künstlerische Ausbil-
dung der schmückenden Zierden,
als auf die Gewänder selbst. Luther
bediente sich für die ausserkirch-
iiche Amtstracht der herrschenden
Gelehrtentracht; für die kirchliche
Tracht behielt die lutherische Geist-
lichkeit zum Teil den Chorrock und
das Messqewand bei. Nach Weiss,
Kostümkunde. Vgl. Fr. Bock, Ge-
schichte der liturgischen Gewänder
des Mittelalters. 3 Bde. Bonn 1859 ff.
Geld, ahd. und mhd. gelt, vom
Verb gelten ist eigentlich die Zah-
lung, die geleistet wird; eot. gilt ist
Steuer, Zins, altsächsisch geld ist
Vergeltung:, Zahlung, Opfer, angel-
sächs. gield, qild, gyld, und nordisch
qiald das gleiche. Im Sinne von
Metall als allgemeinem Zahlungs-
mittel kannten die Germanen das
Geld noch nicht; die runden Gold- ]
bleche mit eingeprägten Bildern und
Nummern , die man öfters in nor-
dischen Gräbern findet . sind keine j
Münzen, sondern Amulete und Brust-
zierden. Der Germane tauschte
Gut gegen Gut; am meisten Rinder,
Pferde, alles Vieh und Waffen.
Worte, die ursprünglich den Begriff
des Viehes bezeichneten, wurden da-
her später auf den Begriff des Gel-
des übertragen, wie schon bei den
Römern pecus und pecunia; got.
raihu ist schon ein Name für Geld.
In Vieh und Waffen wurden die
gerichtlichen Bussen und der Kauf-
preis ftr ein Weib bezahlt. Den
Ubergang vom Kaufe durch Tausch
zum Kaufe durch Geld bildeten die
ehernen und goldenen Ringe, die
um Hals und Arm getragen noch
im Mittelalter ein beliebter Schmuck
der Deutschen waren. Goldene
Rin^e galten als Buss- und Kauf-
geld, seis ganz, seis in einzelnen
Ringstücken. Erst unter den Mero-
wintern kam infolge Nachahmung
römisch - gallischer Mtinzeinrich-
tungen ein Geld im entern Sinne
auf (siehe den Artikel Münzicesen).
Wackernagel, Kl. Schriften, I, 55 ff.
Gelegrenheitsdichterei, d. i. die-
1'enige Richtung und Art der Dicht-
kunst, die sk-h an äusserliche Vor-
fälle des Lebens des einzelnen Men-
schen oder der einzelnen Körper-
schaft, Gemeinde u. dgl. anhängt-
ist zuerst bei den Humanisten Ita,
liens in Aufnahme gekommen. Zwar
gab es schon früher an einzelne
Personen gerichtete Gedichte , deren
z. B. Walther von der Vogelweide
mehrere verfasste, aber sie knüpften
sich an eine einzelne, freie Lebens-
erfahrung; Hans Sachs kennt Dich-
tungen an Personen gar nicht. Erst
das den feinen Lebensformen nach-
gehende Treiben der Humanisten
unter sich selber und gegenüber
ihren hohen Mäcenaten, ihre Ruhm-
sucht, die andere rühmen Hess, um
sich damit selber Ruhm zu erholen,
gewöhnte sich an regelmässige poe-
tische Beweihräucherung der Er-
hebung zu akademischen Ämtern
und Würden, von Geburtstagen,
Hochzeiten. Sterbefallen. Li deut-
schen Gelen rtenk reisen druckt man
seit der Mitte des 16. Jahrh. regel-
mässig solche Carmina gratula-
rät etc. Sie sind anfänglich lateinisch,
wenns höher reicht, griechisch, und
wenns noch höher kommt, hebrä-
isch oder arabisch geschrieben;
mit dem Beginn des 17. Jahrh.
treten französische und italienische
Sprache auf, mit Opitz die deutsche;
von da an dichten nicht bloss die
eigentlichen Dichter, wie Opitz,
Flemming, Gryphius solche Gelegen-
heitsgedichte, sondern überall finden
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270
Genovefa.
sich studierte Leute, wohl nieist
Pfarrer, die sieh gegen einen Lohn
dazu hergeben, auf Bestellung der-
gleichen Gerlichte zu liefern. In
den zahlreich erhaltenen Einzel-
drucken unterscheidet man recht
deutlich den bessern Geschmack der
ersten und den rohem und un-
keuschen Geschmack der zweiten
schlesischen Schule. Was die Form
dieser Gelegenheitsdichtungen be-
trifft, so ist zwar die am meisten
gebräuchliche die Ode oder die Ele-
gie, ein reflektierendes Gedieht in
Alexandrinern; es kommen aber auch
strophische Dichtungen vor, die
Satire, das Hirtengedicht, Cantaten,
Serenaden, Pastorellen, Maskeraden
und Balladen. Erst das 18. Jahrh.
hat diese Richtung der Dichtkunst
dahin zurückgedrängt, wo sie hin
{rehört, in die Kreise des Privat-
ebens.
Genovefa heisst die Heldin eines
weit verbreiteten Volksbuches. Die
Sage ist zuerst 1472 in lateinischer
Sprache durch einen aus Andernach
gebürtigen Karmelitermünch, Mat-
thias Emich, niedergeschrieben wor-
den und erscheint hier als eine
Marienlegende, au die Waldkapelle
Frauenkirchen geknüpft, welche
einige Meilen von Kohl enz entfernt
liegt. Ihr Inhalt ist folgender: Zur
Zeit des Trier'schen Erzbischofs
Hildolf lebte ein frommer Pfalzgraf
Siegfried, dessen schöne Gemahlin
Genovefa, eine Tochter des Herzogs
von Brabant, der Jungfrau Maria
mit Gebet und Almosen eifrig diente.
Nun begab es sich, dass der Pfalz- \
Saf an einem Heerzug gegen die J
eiden teilnehmen sollte, und, noch
kinderlos, verordnete er, dass seine j
Gemahlin während seiner Abwesen- 1
heit auf seiner im Maifelde belege-
nen Burg Simmera wohnen sollte;
zu seinem Verweser aber be-
stimmte er nach dem Rate seiner
Vasallen den tapferen Heermeister
Golo. In der Nacht vor dem Auf-
bruche geschah es durch göttliche
Schickung, dass die Grafin vom
Pfalzgrafen empfing. Mit Empfeh-
lung seiner Gemahlin in den Schutz
der Jungfrau Maria eilte der Graf
traurig von dannen. Bald darnach
entbrannte der treulose Golo in
sündlicher Liebe zu der schönen
Frau: doch alle Antrage fruchteten
nichts, sowenig als die falsche Nach-
richt, dass der Herr im Meere Hin-
gekommen sei. Nun entzog ihr
Golo alle Diener und Dienerinnen
und Hess ihr für die Stunde der
Geburt nur ein altes, böses Weib
zum Beistande. Als aber die Nach-
richt kam, der Pfalzgraf sei auf der
Heimkehr begriffen und in Strasa-
burg eingetroffen, ging Golo ihm
entgegen und verleumdete den Koch
als Buhlen seiner Herrin, wusste
ihn auch zu verleiten, dass er dem
Vorsclilage zustimmte, Mutter \iu<l
Kind im (Laacher) See zu ertrankeu.
Die mit der Ausführung des Be-
fehles vertrauten Diener schonten
jedoch Frau und Kind, Hessen jene
im Walde zurück und brachten die
ausgeschnittene Zunge eines mitge-
laufenen Hundes als Wahrzeichen
des Gehorsams mit. Maria aber
elobte der verlassenen Mutter ihre
ilfe und sandte dem verschmach-
tenden Kinde eine Hirschkuh, die
es säugte. Sechs Jahre und drei
Monate darauf gedachte der Pfalz-
graf seinen Vasallen ein grosses
Fest zu geben; weil aber viele
Gäste früher eintrafen, zog er am
Tage vor Epiphanias mit ihnen
hinaus znr Jagd. Da sticss er aut
die Hirschkuh, fand bei ihrer Ver
folgung Mutter und rund und er-
kannte sie als die seinigen an. Erz-
bischof Hildolf weihte auf Geno-
vefas Bitte und Verlangen am Drei-
königstage die schützende Stätte
der heiligen Dreifaltigkeit und der
Jungfrau Maria. Bei dem grossen
Feste aber, das der Graf jetzt gab,
wurde Golo durch vier Ochsen zer-
rissen, die noch nicht im Pfluge ge-
gangen waren. Schon am 2. April
g
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Geographie.
271
starb Genovefa und wurde in der neu-
gestifteten Marienkapelle begraben.
Die bestimmte Gestalt einer loka-
lisierten Marienlegende scheint die
Geschichte Genovefas gegen die
Mitte des 15. Jahrhunderts erhalten
zu bal>en, wahrscheinlich unter dem
Einflüsse der Karmeliter, welche
der Marienverehrung besonders er-
geben waren. Vielleicht haftete be-
reits eine der Fortbildung fähige
Sage an der Kapelle Frauenkirchen.
Der Trierer Bischof Hildolf ist eine
aix)kryphische Person, und von einem
rheinischen Pfalzgrafen, der ums
Jahr 1100 in dieser Gegend gelebt
haben soll, weiss man sehr wenig
Gewisses.
Erst um die Mitte des 17. Jahr-
hunderts, nachdem die Legende bis
dahin wenig bekannt gewesen war,
erweiterte der französische Jesuit
■Hene de Ceresiers, geb. 1606, die
Legende zu» einer erbaulichen No-
velle und entkleidete sie des lokalen
und individuellen Charakters einer
Marienlegende. Seitdem wurde dieser
Stoflf vielfach episch und dramatisch
zuerst in französischer Sprache be-
bandelt; in den Niederlanden schüft
sich Cerisiers Novelle zu einem
Yoll-fhuehe ab, aus welchem wahr-
scheinlich das deutsche Volksbuch
hervorgegangen ist
In der Nachbarschaft der Ka-
5 eile Frauenkirchen wurde Genovefa
ahrhuuderte lang als Heilige ver-
ehrt, obwohl sie nie heiliggesprochen
worden ist. Alljährlich am Oster-
montage, den» Sterbetag der Pfalz-
gräfin zogen die Bürger der benach-
barten Stadt Mayen in voller Kriegs-
rüstung nach Frauenkirchen, führten
ein Scheingefecht zwischen Franken
und Sarazenen auf und kehrten nach
▼errichtetem Gebete in Prozession
zurück. Erst im Jahre 1785 hörte
die Prozession auf.
Zacher unterscheidet an der Ge-
novefa-Legende zwei Bestandteile,
einen ursprünglichen , sagenhaften
und einen jüngern, novellistischen.
Das novellistische Element war seit
dem 13. Jahrhundert in einer grossen
Anzahl von Geschichten zur Darstel-
lung gelangt, welche den Sieg der
ehelichen Liebe und Treue verherr-
lichten, die aus Drangsalen und Ver-
folgungen geprüft und geläutert her-
vorgeht. Der Stoff dieser bis ins
16. Jahrhundert reichenden Novellen
war aber meist von früher Zeit her
überliefert und geht hier und in
andern Erzählungen auf die Götter-
sage selbst zurück. Es ist nämlich
diese Legende ein Bruchstück jener
weitverbreiteten Sage, welche bei
zahlreichen deutschen Volksstämmcn
wiederkehrend, an die Namen der
Stammheroen, Schwanritter, Sieg-
fried, Weif u. a. sich anknüpft und
über diese auf Wuotan hinaufreicht,
aus dessen Verbindung mit einer
Walkyre jene Stammesheroen ent-
sprossen gedacht wurden. Geno-
vefa ist niemand anders als die
deutsche Göttermutter Freya. Da-
hin weist ihre Auffindung, festliche
Heimfiihrung und die Einweihung
des Heiligtums am letzten Tage der
Zwölften, am Epiphaniasfest, viel-
leicht auch die Hirschkuh und die
Nachbarschaft der Niederlande, wo
die Schwanensage am meisten hei-
misch war. Nach Zacher in Ersch.
u. Gruber. Vgl. Seuflbrt. die Legende
von der Pfalzgräfin G. Würzburg
1877. Aus gleichen Quellen wie die
Genovefa-Legende scheint die Le-
gende von der Ida von Toggenburq
geflossen zu sein, vgl. darüber
Gotzinqer in der .^Illustrierten
Schweiz", Bern 1874, S. 47—57.
Geographie. Wenige Wissens-
gebiete waren dem Geiste des Mittel-
alters so fremd und wurden bei der
beschränkten Naturanschauung und
dem phantastischen Wundersinnjener
Zeit so karrikaturmässig verzerrt,
wie das der Geographie. Von den
geographischen Anschauungen und
Lenntnissen der Alten rettete sich
bloss ein ganz unbedeutender Teil,
was etwa Plinius, Mela und Solinus
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272
Geographie.
geschrieben hatten, die selber dem
Wunder so nahe standen, in die
Bildungstätten und in die Köpfe des
Mittelalters. Die Anschauung von
der Kugelgestalt der Erde war wieder
verloren gegangen oder war wenig-
stens nur noch Wenigen, wie dem
Beda Venerabiiis, bekannt, der astro-
nomische Kenntnisse zur Berechnung
der Ostertafeln anwandte. Die Ge-
stalt der Welt dachte man sich
scheibenförmig oder viereckig; im
ersteren Falle zeichnete man eine
s. g. Radeharte f nämlich einen Kreis,
die Erde, und um sie herum in einem
weiteren konzentrischen Kreis den
Oceanus, ahd. icentilseo, wentil meri.
Der Erdkreis wird dann durch einen
horizontalen Balken in zwei Hälften
zerlegt, in eine östliche asiatische
und in eine westliche, die un-
parteiisch zwischen Europa und
Afrika geteilt wurde ; zwischenEuropa
und Afrika liegt, durch einen Quer-
balken angedeutet, das Mare Mag-
num. Zuäusserst im Asiatischen
Halbkreis steht Paradisus, zuoberst
Gog et Magog. das sind die apo-
kalyptischen Völker, die nach aer
Bibel beim Nahen des Gerichtes
die Welt mit Verheerungen über-
ziehen sollen. Im Mittelpunkt oder
im Nabel der Welt steht Jerusalem
verzeichnet Vgl. Marinelli, die
Erdkunde bei den Kirchenvätern,
Deutsch von Neumann. Lpz. 1884.
Die Be wahrer des geographischen
Wris8en8 der Alten und zugleich die
fleissigsten und unternehmendsten
Länderentdecker waren im frühen
Mittelalter die Araber; der Kalif
Mamun, Zeitgenosse Karls d. Gr.,
liess die grosse Syntaxis des Ptole-
tnäus unter dem Namen Almagest
(»J fAeyiairj mit dem arabischen Ar-
tikel at) und vielleicht auch seine
geographischen Tafeln übersetzen.
Nicht oloss kannten die Araber die
Kugelgestalt der Erde, sie massen
sogar zwei Erdbogenstücke, wobei
sie nur um Vio zuviel von der Wirk-
lichkeit fehlten. Die Berührung
nun des christlichen Mittelalters mit
der arabischen Gesittung im heilten
Lande und in Spanien, der Ein-
bruch der Mongolen in Vorderasien,
die Eröffnung eines atlantischen
Seeweges von den italienischen
Handelsstädten nach Flandern und
die erneuerte Bekanntschaft mit
den Urtexten der griechischen Schrift-
steller vermittelten endlich in der
zweiten Hälfte des Mittelalters auch
dem christlichen Abendlande die
Anfange echter geographischer Er-
kenntnis. Mit den mongolischen
Herrschern, die gegen Glaubens-
formen gleichgültig waren, ent-
wickelte sich seit der Mitte des 13.
Jahrh. von den französischen Höfen
aus ein lebhafter Botschafterver-
kehr, da man ihrer Hilfe gegen
die ägyptischen Mameluken zu De-
dürfen meinte. Zumal Dominikaner
und Minoriten waren bei diesen Ge-
sandtschaften, die zugleich Missions-
reisen waren, thätig; darunter zeich-
net sich der Bericnt des von Lud-
wig dem Heiligen entsandten Mino-
riten Muysf>roek oder Rubrumtü,
durch seine von störenden Faoeln
fast unbefleckte Naturwahrheit sehr
vorteilhaft aus. Noch höheres jedoch
leisteten die Gebrüder Poli aus Ve-
nedig, Nicolo und Mafßo Polo und
des Nicolo Sohn, Marco Polo, die
24 Jahre im Morgenlande wanderten
und bis nach Peking kamen, von
wo sie über Kochincnina, Sumatra.
Ceylon, Malabar, Täbris und Tra-
pezunt die Heimreise antraten.
Theoretische Kenntnisse des Alter-
tums entnahm sodann das Abend-
land aus arabischen Schriftstellern;
besonders ist hier zu nennen des Al-
bertus Magnus Liber kosmographiaa
(um 1250) und Roger Bacos Ojmt
manu, 1270, worin schon der fcat*
autgestellt wird, es müsse nach der
Büdlichen Hemisphäre zu noch ein
grosser, trockener und unbekannter
rdteil vorhanden sein, ein Satz,
über dem später Kolumbus grübelte.
Eine Weltbeschreibung dagegen de*
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Georg.
273
Gervasius von TUbury, Kanzlers des
Kaisers Otto IV., die Oda tmpert-
alia, seu Uber de mirabilibus mundi,
seil Sotelium imperaioris seu Des-
criptift totius orfjis per 3 dicisiones
distineta überschrieben ist, strotzt
von Fabeln. Auch einige Geschicht-
scbreiber schickten ihren Werken
geographische Einleitungen voraus,
z. B. Otto von Freising seinen gesta
Friederici I. eine Beschreibung von
Frankreich, Italien und Ungarn.
Durch solche und ähnliehe Schriften
wurde die Kugelgestalt der Erde im
Abendlande wieder allgemein be-
kannt und angenommen und konnte
man sich selbständig an astrono-
mische Ortsbestimmungen wagen.
Ein wesentlicher Fortschritt geschah
durch die Verbreitung der Magnet-
nadel im 12. Jahrh., seit welcher Zeit
auch s. g. Kompasskarten in Aufnahme
kamen, d. h. mit Wind- und Kotn-
passrosen bedeckte Karten, aus denen
strahlenförmig bunte Striche nach
den Haupthimmelsrichtungen aus-
laufen, um sich auf andern Punkten
der Karte zu andern Windrosen zu
vereinigen. Die merkwürdigsten
Kompasskar teu sind das katalanische
Weltgemälde vom Jahre 1375, von
einem unbekannten Steuermann ver-
fertigt, und die Karten des Vcne-
tianers Fra JJauro. Denn über-
haupt sind es die Italiener, denen
Europa vornehmlich auf dem Ge-
biete der Geographie und Welt-
entdeckung den Übergang aus dem
Mittelalter in die moderne Zeit ver-
dankt. Ihre Handelsstaateu, Venedig
und Genua, beherrschten nicht bloss
mit ihren Schiffen die Meere, son-
dern mit dem in ihnen gepflauzten
Geiste die Erkenntnis selber. Sie
haben zuerst die Länder und Völker
objektiv zu beobachten und zu be-
schreiben verstanden; Columbus ist
ein Italiener von Geburt und Bil-
dung. Sie haben auch zuerst die
geographische Wissenschaft der
Alten, namentlich Strabo und Ftole-
mäus mit den Karten des Agatho-
Altertüraer.
dümon wieder für die europäische
Bildung nutzbar gemacht. Unter
den deutschen Jfumanisten, welche
der geographischen Wissenschaft
ihre Pflege zuwandten, wird beson-
ders Vaaian genannt, der Heraus-
geber des Pomponius Mela, der zu-
erst die amerikanischen Entdeck-
E;n verwertete; Peter Apianus
1524 die erste deutsche Karte
us; Sebastian Frank und Seba-
stian Münster schrieben zuerst in
deutscher Sprache umfassende Welt-
beschreibungen.
Georg, neiliger, soll nach der
Legende von vornehmer Familie aus
Kappadozien gebürtig gewesen sein.
Ins römische Kriegsheer getreten,
stieg er unter Diokletian zu hohen
Ehrenstellen; ab er sich energisch
gegen die durch den Kaiser ver-
fügten Christen Verfolgungen aus-
sprach, wurde er am 23. April um
303 bei Nikoinedien enthauptet. Ge-
wiss ist, dass ihm sehr früh Ver-
ehrung bezeugt und Kapellen ge-
weiht wurden. Die Kreuzfahrer
waren des Glaubens, St. Georg
streite persönlich für sie. Die Akten
seines Martyriums sind falsch und
es scheint, dass St. Georg aus dem
persischen Mithras, dem ersten Licht-
geist des Ormuzd entstanden ist, der
den Drachen der Finsternis tötet und
an einer Höhle stehend abgebildet
wird. Krummacher in Pipers evangel.
Kai. 1860, S. 107-112. In deut-
scher Sprache hat man aus dem
10. Jahrh. einen Leich vom heil.
Georg, der wenig wert ist, u. a. ab-
gedruckt bei Mülleuhoff undScherrer,
Denkm. XVII, sodann aus dem 13.
Jahrh. von Reinbot von Durne, der
zur Schule Wolframs von Eschen-
bach gehörte, ein im Auftrag Otto II.
von Bayern (1231 —53) verfasstes
längeres Epos, worin der Drachen-
kampf noch kaum angedeutet ist.
Ein späteres Georg- Gedicht im
Wunderhorn I, 157, neue Ausgabe
von Birlinger und Crecelius I, 132.
Als Patron vieler Länder, z. B. Eng-
18
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274
Gerade. — Gerichtsw
esen.
lande. Bayerns, Russlands, sodann Hunderte, Gaue. Jede dieser Ver-
vieler Städte, darunter Genua, Leip- Sammlungen, die der Dörfer ausge-
zig, Ulm, sowie zahlreicher Innungen nommen, war zugleich Gericht, d. h.
und Korporationen, z. B. des Hosen
bandordens, des schwäbischen Ritter-
bundes vom St. Georgen Schild, ist
Versammlungen, in welchen alle
öffentlichen Angelegenheiten der
Mark, des Gaues und der Land
der heil. Georg im Mittelalter oft schaft zur Sprache kamen, alle Feier-
abgebildet worden, und zwar jugend- üchkeiten des unstreitigen Rechte
lieh, bartlos, in voller Rüstung, bis- vorgenommen, endlich auch Zwietig-
keiten beurteilt und Bussen erkannt
wurden. Bei den meisten Stämmen
Cleodolinde, Tochter des Königs
Sevius von Libyen, als Beute aus-
gesetzt war. Müller und Mothes,
Arch. Wörterb.
Gerade, mhd. das gerade , sind
<lie wesentlich weiblichen Dinge der
weilen als römischer Krieger, auch
mit rotem Mantel, als Zeichen sei-
nes für Christum vergossenen Blutes, ' Messen diese Versammlungen thina.
zu seinen Füssen der überwundene ' Ding, den Angelsachsen gemol, engl
Drache. Seit dem 12. Jahrhundert meet, meeting, bei den Friesen varj\
erseheint er häufig als Ritter zu alle diese Namen von der Bedeutung
Fuss oder auf weissem Pferd, wie der Verhandlung, Besprechung.
er den Lindwurm als Sinnbild des Tacitus, Germ. 11 und 19, laset
Teufels tötet, dem die Prinzessin nur die 'grosse Volksversammlung,
eoncilium, gelten, die der Hunderte
erscheinen ihm als Gericht. Sie
fanden, kleinere wie grössere, bei
Neu- und Vollmond statt. Als spä-
tere Sitte erscheint, dass die Hun-
derte allwöchentlich, alle vierzehn
Hinterlassensehaft, im Gegensatze Tage oder alle Monate zusammeu-
zum Jleergeracfe, mhd. hergeteaete, kamen. Versäumnis der Gerichts-
den wesentlich männlichen Dingen Versammlung wurde bei einzelnen
derselben. Nach dem Sachsenspiegel Stämmen mit Busse bedroht,
gehören zur Gerade Schafe, Gänse, ordentliche Versammlungen wi
Kasten mit beweglichem Deckel, verkündet durch Anzünden von
alles Garn, Betten, Pfühle, Kisten, Feuem, durch Herumschickeu eines
Leilaehc, Tisehlacben, Handtücher, Stockes oder Pfeiles. Man ver-
Badelachen, Becken, Leuchter, sammelte sich unter freiem Himmel
Flachs, alle Weiberkleider, Ringe, auf Anhöhen oder in Haineu, wohl
Armspangen. Schapel, Psalter und vorzugsweise in der Nähe von
alle gottesdienstliehen Bücher, Sessel, Stätten, wo die Götter verehrt war-
Laden oder Schreine, Teppiche, den. Jede Hunderte, wie schon je-
Wandbehänge, Rücklachen und aller des Dorf, hatte ohne Zweifel ihre
Kopfputz, ausserdem Bürsten. Sehe- regelmässige Versammlungsstätte,
ren und Spiegel. Die Gerade erbte Wer teilnahm, erschien bewaffnet,
nach sächsischem Rechte auf die Recht und Zeichen der Freiheit,
nächste weibliche Verwandte, also Nur die Hufenbesitzer sind, wenig
auf die Tochter oder auf die nächste stens später, die vollberechtigter!
Weinhold, Frauen, 2. Aufl.,
Nichte
I, 211.
Gerichtswesen. A. In fiemta-
iiiseher Zeil. Der Mittelpunkt des
staatliehen Lebens bei den Deut-
schen war die Versammlung des
Mitglieder der Gemeinde, die zur
Teilnahme am Urteil berufenen.
Nach Tacitus sasseu die Volksge-
nossen bei der Versammlung, spater
stand die Menge um den für mV
sitzenden Vorsteher abgegrenzten
wie
Volkes, sowohl der Gesamtheit als 1 Raum, sie schlug den King,
der einzelneu Abteilungen, in die man zu sagen pflegte. Die Ver
eine Völkerschaft zerfiel : Dörfer, Sammlung wurde nicht zu besnmov
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Gerichtswesen.
275
tcr Zeit, aber feierlich eröffnet. Die
Priester geboten Schweigen und den
Thingfrieden, über den sie zu wachen
haben. Der König oder Fürst trägt
die Sache vor, um die es sieh han-
delt. Eine weitläufige Verhandluug
findet nicht statt, auch zu einer
förmlichen Abstimmung schreitet
man nicht. Die Menge gab ihren
Beifall durch Zuruf oder Zusammen-
schlagen der Waffen kund; was miss-
fiel, verwarf sie mit unwilligem
Murren Die besonderen Geschäfte
waren Wald der Fürsten, Erhebung
eines Herzogs , Wehrhaftmachung
der Jüngliuge, Freilassung, Los-
sagung von der Familie, in einzel-
nen Fällen Verlobung und Vermäh-
lung, Übertragung von Land. All-
gemeine Beschlüsse über Krieg und
Frieden, Bündnisse und Verträge
können nur auf den allgemeinen
Versammlungen cefasst sein. In
die gerichtlichen Verhältnisse teilten
sich Landschaft und Hunderte.
Schwerere, öffentliche Verbrechen,
die mit Lebensstrafe bedroht waren,
kamen au die Landesversammlung.
Sonst war die Hunderte als Gericht
thätig; die Schlichtung von Streitig-
keiten, das Urteil über Verletzung
des einzelnen erfolgte regelmässig
hier. Überall gilt bei den Germa-
nen, daas die versammelte Gemeinde
urteilt, das Recht weist, die Ent-
scheidung trifft, während der Rich-
ter die Leitung des Gerichts, die
Ausführung des Urteils und was
weiter zur Sicherung des Rechts ge-
hört, in Händen hat. Vielleicht gab
es Männer, welche als besonders
d?s Rechtes kundig über dasselbe
Belehrung zu geben hatten, die al-
ten Formeln und Bussesätze der-
selben bewahrten. Vielleicht war
eine solche Stellung manchmal mit
der des Vorstehers der Hunderte,
in älterer Zeit mit der des Priesters
verbunden gewesen.
Das Landesthing war auch das
Ijindesheer, dem Namen sowohl als
dem Wesen nach. Die Versamm-
lung, die den Krieg beschloss, führte
ihn auch, brach unmittelbar zum
Fehlzug auf.
Mit der Ausbildung grösserer
Reiche ändern sich die ursprüng-
lichen Zustande vielfach. Das Lan-
deathing wird unmöglich; an seine
Stelle tritt zum teil das Märzfeld,
siehe den Art. Campus Martins.
Dagegen bleiben die Gerichtsver-
sammlungen der Hunderte in Be-
stand.
B. In der meroicintjischen Zeit.
Die Versammlungen der Hunderte
gingen wesentlich unverändert aus
der ältesten Zeit in die merowinger
hinüber. Der regelmässige Termin
war ein vierzehntägiger, der gewöhn-
liche Gerichtstag von alters her,
wahrscheinlich seit heiduischer Zeit,
der Dienstag. Bei den Alemannen
fand das Gericht statt vor dem
Grafen und dem Centenar, welcher
in diesem Falle auch judex heisst,
bei den Bayern vor dem Grafen und,
da die Bayern den Centenar nicht
kannten, vor einem wie es scheint
durch Mitwirkung des Volkes be-
stellten judex; in beiden Stämmen
hatte der Centenar oder judex die
Sache um die es sich handelte zu
untersuchen , er entschied, ob sie
zum Urteil reif und fertig war, gab
an, was das Gesetz über den vor-
liegenden Fall bestimmte, und £ing
mit seinem Ausspruch der Gemeinde
voran. Er erscheint so als Vertreter
und Or^an des Volks, das zum Teil
durch ihn seinen Einfiuss auf die
Rechtsweisung übt. Der Graf ist
anwesend, weil er der Triiger des
königlichen Blutbannes ist. Bei den
Franken giebt es ausser ihm keinen
andern Richter. Daneben war aber,
wie früher immer, die Versammlung
der freien Grundbesitzer gegenwar-
tig, um das Recht zu sprechen. Der
Graf sass auf einem erhöhten Platze,
ein neben ihm aufgehängter Schild
bezeichnete die Hegung des Gerichts.
Regelmässig ist auch ein Schreiber
gegenwärtig. Die Versammlung fand
18*
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276
Gerichtswesen.
i
unter freiem Himmel an der bestimm-
ten Gerichtsstätte statt. Sie dauert
bis Sonnenuntergang. Die Ladung
ergeht vom Kläger selbst. Das
Prinzip der Vertretung ist schon
weit gediehen, zunächst natürlich in
Civilsachen. Eideshelfer, Gottesurteil
und Zweikampf (siene die besonde-
ren Artikel) behaupten ihren Platz.
Grössere Versammlungen als die-
jenigen der Hundertschaften, eigent-
ich Gauversammlungen, gab es in
merowingischer Zeit nicht mehr. Da-
gegen findet man in dieser Periode
Landesversammlungen der aleman-
nischen und bayerischen Gesamtheit,
wobei die weltlichen und geistlichen
Grossen sich um den Herzog zu-
sammenscharten und freie Volks-
genossen sieh sonst einfinden moch-
ten; diese Landtage wurden wie die
grossen Märzfelder im März abge-
halten und waren, was in dem Wesen
aller deutschen Versammlungen liegt,
immer zugleich Gerichte.
C. Karof indische Zeit. Die Teil-
nahme am Gericht, früher ein Recht
und eine Ehre des Freien, wird all-
mählich als I>ast empfunden, der
man sich zu entziehen sucht; die
Zalü der vollberechtigten Freien hat
abgenommen, ein Teil derselben
und namentlich die Grafen, die durch
ihre militärische Gewalt der gericht-
lichen oft entzogen werden, liegen |
draussen im Felde. Daraus ergeben
sich folgende Veränderungen im Ge-
richtswesen : Gerichtsversammlungen
des ganzen Gaues sollten jährlich
bloss zwei bis drei stattfinden, von
jetzt au unter einer dazu hergesteil- I
ten Bedachung, einem förmlichen
Gerichthaus, nie in der Kirche. Eine
grössere Zahl von Teilnehmern wurde
schon dadurch ausgeschlossen. Nie-
mand soll hier bewaffnet mit Lanze
und Schild — das Schwert blieb ge-
stattet — eich einfinden. Gerichts-
und Heerversammlung fallen also
nicht mehr zusammen. Die in kür-
zeren vierzehntägigen Fristen abzu-
haltenden Gerichte werden von einem
Abgeordneten [miitm) oder vom
Centenar abgehalten; solche Ge-
richte urteilen nur über geringere
Sachen; über Leben, Freiheit und
Eigentum entscheidet das Grafen
gericht, jedoch ohne gesetzlich
bestimmte Kompetenzausscheidung;
denn immer noch erscheint der Grat
als der ordentliche Richter; der IV-
cariut oder Centenarius fungiert nur
in Vertretung des Grafen. Die Zahl
der Gerichtstage möglichst zu be-
schränken, ist Streben der kar<>-
lingischen Gesetzgebung; ebenso soll
zu anderen Gerichten als zu den
drei allgemeinen niemand geladen
werden, als wer etwas dabei zu ver-
richten hat. Zur Herstellung eine*
einfachem und kürzern, an der
Stelle des alten und förmlichem
Verfahrens wurde auch bestimmt:
wer nach der zweiten Aufforderung
ausblieb, dessen Vermögen sollte
mit dem Bann belegt werden. Die
Busse für Versäumnis fiel nicht mehr
wie früher an die Gegenpartei, son-
dern an den Beamten.
Mit dem allen steht im Zusam
menhang, dass bestimmte Personen
für die Urteilsfiudung bezeichnet
und zur regelmässigen Anwesenheit
im Gericht verpflichtet wurden, sie
hiessen Skabinen oder Schöffen, von
ahd. seafan, nhd. schaffen in der Be-
deutung: Recht sprechen; der Name
erscheint bald nach dem Beginn
der Herrschaft Karl d. Gr. Es sind
angesehene Männer mit freiem
Grundbesitz, deren Auawahl unter
Mitwirkung des Grafen und des
Volkes erfolgte. Sie wurden ver-
eidigt und konnten nur wegen Un-
würdigkeit entfernt werden. In
Italien waren es oft Geistliche. Die
Skabinen gehören dem Gau, nicht
der Hundertschaft an. Wie vi*l
Skabinen jeder Graf hatte, ist nicht
aii8g»'inittelt; im Gericht sollten
regelmässig sieben anwesend sein
In der karolingischen Periode
hat aber auch schon die Zersplitte-
rung de* Gerichts wesens begonnen.
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Gerichtswesen.
277
dadurch, dass neben den gewöhn-
lichen Grafengerichten die qeistlichen
Gerichte sich ausdehnten, Wsondere
weltliche Gerichte auf den Gütern
der Grafen entstanden und ein be-
sonderes königliche» Gericht vor-
handen war.
D. Die Zeit des Lehmicesens.
Die im Laufe dieser Periode vor
sich gehende Auflösung des Reiches
in eine Reihe verscniedenartiger
Gewalten und Herrschaften zer-
splittert auch das Gerichtswesen,
und es bilden sich jetzt die beson-
deren Gerichte: das königliche, Hof-
oder Pfalzfjericht , die herzoglichen
Gerichte, die gräflichen Gerichte, die
Vogt*igerichte, Mofqerichte, Gerichte
ron Unterbeamten, Stadtgerichte. Die
ordentliche Gerichtsbarkeit ist aber
fortwährend die gräfliche, selbst der
Herzog wird als Richter zu den
Grafen gerechnet.
Das echte Ding, d. i. das alte
Grafengericht, wird in hergebrach-
ter Weise dreimal im Jahr abge-
halten, es heisst das jährliche, das
grosse oder rolle Gericht, später
La ndgericht, Landding , das Unqe-
botending oder auch das Botdinq.
Ausser dem Grafen konnten ein
solches Ding der Herzog, der Stell-
vertreter des Grafen , Vögte mit
gräflichem Rechte, Dingvogte, unter
Umständen Geistliche oiler'wer sonst
in den Besitz dieses Rechtes ge-
kommen war, abhalten. Die Zeit
war häufig ein für allemal bestimmt,
an den hohen kirchlichen Festen,
Weihnacht, Ostern und Pfingsten
oder Dreikönige, Montag nach dem
weissen Sonntag uud Mai, oder zwei-
mal zur Zeit des Grases, einmal
di s Heues. Innerhalb der Graf-
schaft fanden sich regelmässig ver-
schiedene Gerichtsstatten, meist zwei
oder drei, manchmal nur eine. Noch
immer wurde nicht selten in alter
Weise unter freiem Himmel getagt,
in einem Walde, auf einem Hügel,
eiuem Kirchhof, an einer Brücke,
einem Fluss, doch auch in grossen
Orten und Städteu. Alle Freie der
Grafschaft waren dingpflichtig, später
haben auch Ministerialen teilge-
nommen. Urteiler sind die Schöffen,
vollfrcic Männer, aus angesehenen
Geschlechtern , lebenslänglich , viel-
leicht selbst erblich. Wer sie er-
nannte, ist nicht deutlich. Die Kom-
petenz der Grafengerichte bleibt im
allgemeinen die alt*1: schwere Ver-
brechen, Streit über Freiheit und
Eigentum.
Als unechtes oder gefyotenes Ding
galt das Gericht des alten Cente-
nars oder Schultheissen, der zwar
auch mit Schöffen richtete: dieses
Gericht wird besonders in den
Städten von Bedeutung. Es war
nur kompetent in Klagen um Schuld
und Mobilien und in unerheblichen
Strafsachen und konnte an ieder
beliebigen hierzu geeigneten Stelle
abgehalten werden.
Die Entwickelung der öffentlichen
Gerichtsbarkeit war nun im allge-
meinen die, dass die Gerichtsbar-
keit, ihrer Natur nach dazu da, das
Recht und den Frieden zu sichern,
demjenigen, der sie besass, dem sie
mittelbar oder unmittelbar übertra-
gen wurde,« die Grundlage für eine
Stellung von nicht bloss amtlicher,
sondern selbständig politischer Stel-
lung gab. Der Zerfall der gericht-
lichen Institutionen in die Kreise
der Ritter, der Bürger, der ab-
hängigen Bauern erschwerte die
Durchführunggleichmässiger Rechts-
grundsätze. Rache und Fehde be-
nachteiligten das Recht; die Ausbeu-
tung des Rechtes auf Busse für
finanzielle Zwecke erzeugte Übel-
stände der schlimmsten Art, so dass
die Gerichtsbarkeit gerat lezu ein
Mittel zur Unterdrückung der unte-
ren Klassen wurde. Zugleich wurde
sie der Weg zur Bildung selbstän-
diger grösserer oder kleinerer Herr-
schaften. Der Besitz der Gerichts-
gewalt galt so sehr als Mittelpunkt
aller staatlichen Gewalt, dass sie
die Grundlage nicht bloss für eine
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278
Germanen. — Geschichtschreibung.
obrigkeitliche, sondern herrschaft-
liche Gewalt wurde. — Nach Waitz.
Vgl. Rud. Sohm, die fränkische
Reichs- und Gerichtsverfassung,
Weimar 1871.
Germanen, Name. Der Name
Germanen war dem Volke, dem der-
selbe galt, fremd; den Kömern wurde
er als Gesamtuame sämtlicher
deutschen Stämme jedenfalls erst
seit Cäsars Aufenthalt in Gallien
geläufig; zu den Römern aber kam
er aller Wahrscheinlichkeit von den
Galliern her. Jakob Grimm leitet
den Namen Germaui vom keltischen
gairm, 0a/*w* = Ruf, Ausruf her, und
erklärt ihn als Schreier, Rufer, ähn-
lich dem Homerischen Rufer im
Streite. Zeuss will das Wort auf
keltisches ger, gair = Nachbar, Nach-
barschaft zurückführen, sodass der
Name nichts anderes bedeute als
Nachbar; PoU endlich erklärt das
Wort als Ostleute. Tacitus berichtet
Kap. 2 in einer sehr verschieden
erklärten, dunkeln Stelle über eine
Nachricht, die er von dem Ursprünge
dieses Namens vernommen hatte.
Bei den Deutschen wurde der Name
ein heimisch.
Geschichtschreibung. Die Ge-
schichtschreibung wurzelt naturge-
mäss in dem historischen Inhalte der
Volkssage und deren sprachlichem
Ausdrucke, dem epischen Volksliede,
das zugleich Geschichte und Dichtung
ist. Das Christentum ist Ursache, dass
dieser natürliche Übergang aus dem
Epos in die Geschichte bei den Deut-
schen nicht stattfand oder sich wesent-
lich anders gestaltete, da die neue
Lehre die Anfänge ihrer Geschichte
nicht auf heidnisch - germanischem,
sondern auf christlich-römischen Bo-
den suchte und fand,womit zusammen-
hängt, dass die Anfänge deutscher Ge-
schichtschreibuug nicht in deutscher,
sondern in lateinischer Sprache auf-
treten. Sie sind aber dennoch eine
Erscheinung deutschenLebens, haben
deutsche Verfasser, zeigen deutsche
Denk- und Empfindungsweise und
kämpfen sich mit der Zeit zu einer
auch sprachlich nationalen Erschei-
nung durch.
I. Die Übergangszeit bis zu
Karl dem Grossen.
Zwar ist der innere Zusammen-
hang, der zwischen Sage und Ge-
schichte sowohl als zwischen Dich-
tung und Geschichte besteht, noch
Jahrhunderte hindurch sichtbar; die
ersten deutschen Historiker berichten
Sagen, als ob dieselben Geschichte
wären; die Geschichte der christ-
lichen Stiftungen beginnt mit Le-
genden oder Vitae% gleichsam den
Heldenbüchern ihres Daseins, iu
denen so gut wie an den Heldeu
der ältesten Volksgeschichte da*
Wunder eine in der kindlichen Auf-
fassung der Zeit beruhende wesent-
liche Rolle spielt; noch lange, bis
gegen das Ende des Mittelalters,
herrscht der Trieb, die Geschichte
als Dichtung zu behandeln, poetische
Geschichte zu schreiben.
Bis die deutsche Gesehichtschm-
bung auf dem Punkte angelangt
war, dass sie aus dem Lande selbst
herauswachsen und von Kindern
des Landesausgehen konnte, brauchte
es einer längeren Übergangszeit, in
welcher sich die christlich gernw
nische Bildung allmählich an d&>
Bedürfnis und die Auffassaug einer
in den Anfängen christlicher Bil-
dung- wurzelnden Geschichte ge-
wöhnte und hineinlebte.
Zweierlei Werke sind es vor-
nehmlich, welche den christlich-
römischen Geschichtsstoffdem Mittel-
alter vermittelten und zugleich Muster
und Vorbilder für die mittelalterliche
Geschiehtsehreibuug wurden: Di<*
Werke des Eusebius und der römische
Staatskaleuder. Von Eusebius (264
bis 340) hat man zwei Bücher All-
gemeiner Geschichte, von Hierony-
mus fortgesetzt und bearbeitet, un<l
eine von Kufiuus fortgesetzte Kirche»-
geschickte. Das erstere Werk ent-
halt neben einer Chronographie in dar
uigiiizeo
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Geschichtschreibung. 279
stellender Form den tabellarisch auf-
gestellten synchronistischen Kanon
und steht vollständig oder im Aus-
zug an der Spitze aller umfassenden
Chroniken des Mittelalters. Der
römische Staatskalender enthielt
folgende Stücke: 1) den eigentlichen
Kalender mit Bildern; 2) Konsular-
f asten bis zum Jahre 354 ; 3 ) Oster-
t afein auf 100 Jahre, von 312 au;
4) ein Verzeichnis der Stadtpräfekten;
5) die Todestage der römischen Bi-
schöfe und der Märtyrer-, 6) einen
Papstkataloq und 7) eine dürftige
II eltehronih bis 334, verbunden mit
einer Sladtehronik von Rom und
der Regionenbeschreibung. Die Kon-
sul arj asten und Ostertafeln gaben
Veranlassung, kurze annalistische
Aufzeichnungen ähnlicher Art auf-
zuschreiben; das Verzeichnis der
Todestage der Märtyrer und Päpste
wurde das Muster für die Marty-
rolxtgien, welche bald zu den blossen
Namen Nachrichten über Leiden
und Leben der Märtyrer hinzufügen
und allmählich zu einer wichtigen
Ge-schichtsquelle heranwachsen; auch
die Sekrttlogien haben sich an dieses
Verzeichnis der Todestage ange-
schlossen.
Die ersten, deutschen Stämmen
angehörigen Geschichtschreiber vor
Karl dem Grossen stehen nochdurch-
aus auf dem Boden der antiken Welt,
deren Untergang sie beklagen, deren
hergebrachten, der Schule der letzten
Rhetoren entnommenen Stil sie nach-
ahmen; gemeinsam ist ihnen neben
der Vorliebe für die antike abster-
bende Welt das christliche Interesse,
das sich in kirchengeschichtlichen
Arbeiten oder in der Beschreibung
von Heiligenleben kundgiebt, gemein-
sam auch die Vorliebe für die ein-
heimische Sagenwelt, ein Zug, der
freilich mit ihrem antiken Wesen
in naivem Widerspruch zu stehen
scheint.
Es gehören dazu bei den Ost-
noten : Magnus Aurelius Cassiodorius
( Ca^siodorus) Senator, gest. um 570;
sein Hauptwerk, zwölf Bücher goti-
scher Geschichten, ist bloss im Aus-
zug des zweiten ostgotischen Ge-
st- hichtselireibers Jordanis oder Jor-
nandes erhalten; dessen aus .drei
älteren Schriftstellern kompilierte
Kirchengeschichte oder historia tri-
nartita wurde neben Eusebius das
Kirchengeschichtliche Handbuch des
Mittelalters; Kassiodor ist es auch
gewesen, der die wissenschaftliche
Arbeit zuerst grundsätzlich in die
Klöster einführte.
Unter den Westgoten wirkte vor-
j nehm lieh Isidor von Sevilla , gest.
636, dessen 20 Bücher Originum sive
Etymologiarum die Summe aller vor-
handenen aus der antiken Welt hin-
übergeretteten Kenntnisse in sieh
i aufzunehmen trachtete und im Mittel-
alter eine ausserordentliche Verbrei-
tung erlangte. Darin findet sich
auch eine Chronik, welche, den
sechs Schöpfungstagen entsprechend,
in sechs Weltalter eingeteilt ist,
eine Erfindung, die im Mittelalter
allgemein nachgeahmt wurde. Auch
Isidor war durch sein Buch De
scriptoribus ecclesiasticis auf kirchen-
geschichtlichem Gebiete thätig. —
Dem fränkischen Stamme gehört vor
allen Gregor von Tours an, gest. 594,
aus einer alten gallisch-römischen
Familie stammend; erstehtschon der
antikenBildungferner und wirkt mehr
in einseitig römisch-katholischem
Sinne; sein Hauptwerk ist die Histo-
ria ecclesiastica Francorttm, besser
zehn Bücher fränkischer Geschichte
genannt, worin ältere heilige und
profane Geschichte, fränkischeSagen-
geschiehte und memoirenartige Er-^
Zählungen von ihm erlebter Jahre
in wuuderlichemGemisch beisammen-
stehen. Durch seine Hbri septem
miraculorum schliesst er sich zu-
gleich an die ausserordentlich grosse
Zahl der Heiligenleben an, welche in
in der Zeit der Merowinger auf
fränkischem Boden entstanden sind.
Auf anf/elsächsischem Boden ge-
sellt sich den genannten Männern
uigiiizeo
by Google
280
Gesehichtachreibuug.
endlich Beda Veneralnlu zu (672
bis 735), auch er auf der Seite
mehr des Altertums und des Christen-
tums als der Nationalität seines
Volkes stehend; seine Werke sind
das Buch von den sechs Weit-
et} fem, die Grundlage der meisten
Universalchroniken des Mittelalters,
die angebliche Kirchengeschichte, ein
Martt/rofoqium und Osterhof ein ; er
ist der tfauptvertreter der angel-
sächsischen Bildung, welche bestimmt
war, die ältere aus Irland stammende
Bildung abzulösen und zu vertiefen.
II. Von Karl dem Grossen bis
in die Mitte des 13. Jahrhun-
derts.
Mit dem Auftreten Karls des
Grossen und seiner Bemühungen um
eine höhere, dem Geiste und der
Form des Altertums würdig zur
Seite stehende Bildung setzt eine
im engern Sinn deutsche Geschieht-
schreibung ein, die nun auch sach-
lich von dem Glänze der Thaten
Karls und seines Hauses getragen
wird. Unter den Männern, die
Karl an seinen Hof berief, sind der
Angelsachse Alkuin und der Lango-
barde Paulus Diakonus, Warnefnds
Sohn, selber auf dem Felde der Ge-
schichtschreibung thätig gewesen,
Alkuin mit Biographien solcher
Männer, die sich in dem Dienst der
Kirche ausgezeichnet hatten, Paulus
mit der Geschichte der Bischöfe
von Metz und der Geschichte der
Langobarden, welche zwar noch sehr
an die vorkarolingi sehen Volksge-
sehichten erinnert. Die Bedeutung der
nun hervortretenden zahlreichen Ge-
schichtechreiber liegt in erster Linie
in der Beherrschung der Form, der
Sprache und Darstellung, die unter
den Merowingern der schrecklichsten
Roheit anheimgefallen waren. Diese
Männer schreiben mit bewusstcr
Nachahmung der ihnen bekannten
lateinischen Vorbilder, des Sueton,
Taeitus u. A. Man unterscheidet
aber zwei Gruppen. Zur älteren ge-
hören die am Hofe Karls selber
lebenden Lehrer und deren unmitttel-
bare, ebenfalls dem Hofe ange-
hörende Schüler, namentlich Anqel-
bert, der Homer der karolingiscnen
Akademie, der ein Epos auf Karl yer-
fasst hat; dann Kinhard^yon demAn-
nalen,das Leben Karls und der Beriebt
von der Übertragung der heiligen
Märtyrer Petrus und Marcellinus er-
erhalten sind, und Xithard, ein eifriger
Anhänger Karls des Kahlen. Eine
jüngere Gruppe bilden Männer, die
von den Zeitgenossen Karls ange-
regt wurden und durch welche erst
die neue Bildung in weitere Kreis*-
getragen wurde. Der Mittelpunkt
dieser unter Ludwig dem Deutschen
zur Höhe gekommenen wissenschaft-
Üchcn Bildung, wozu eben auch &
Geschichtsschreibung jetzt zählt ist
Fulda unter Rhabanus Maurus, dessen
Schüler u. A. die Historiker Rudolf
v. Fulda und Walafrid Strahn
Abt von Reichenau, sind. Unter
diesen Gelehrten bilden sich nun
die Formen der Historiographie aus.
welche im Mittelalter die herrschen-
den geblieben sind. Dazu gehören
in erster Linie
die Annalen. Sie entstehen ans
kurzen historischen Notizen, die an-
fänglich auf den Rand der Oster
tafeln geschrieben und allmählich
durch gegenseitigen Austausch ver-
mehrt, zusammengeordnet, nach Um-
fang und Inhalt erweitert wurden
Sie gehen vou verscliiedenen Punk-
ten aus, besonders unterscheidet man
aber die Reichs- und Konigsannalen.
an denen Einhard beteiligt gewesen
sein soll, und zahlreiche Kloster-
anna len. Zuletzt konnte es ge-
schehen, dass ein geschickter Mann
den gegebenen ronen Stoff über-
arbeitete und ein wirkliches zusam-
menhängendes Geschichtswerk dar
aus herstellte; gegenüber den älte-
ren oder kleineren Annalen, die sieb
übrigens fortwährend wiederholten
und neu entstanden, nennt man dif
daraus hergestellten grösseren Ge-
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281
Schichtswerke grossere Annalen; 9ie
sind im 9. una 11. Jahrhundert zur
höchsten Ausbildung gelangt.
Neben den Annalen hat die Zeit
selbständige Geschichtswerke Itiogra-
phischer yatur und eigentliche Zeit-
geschichten hervorgebracht, die sich
an die Gegenwart anschliessen und
den mehr sachlich gehaltenen An-
nalen gegenüber eine freiere, für
ihren Gegenstand eingenommene Be-
handlung aufweisen. Solche Werke,
zu denen Einhards Leben Karls,
dos Trierer Chor-Bischofs Deqan,
Theqan oder Theganus Leben Lud-
wig des Frommen zählen, sind stark
politischer Natur.
Von einer dritten Gattung der
Geschichtschreibung , welche sich
neben der Gegenwart zugleich der
Yerqangenheit zuwendet, giebt es
wi«*ier zwei verschiedene Arten.
Die allgemeine Geschichte der älteren
Zeit, die Univerealhistorie, bildet sich
in der Chronik aus. Ohne viel Kritik
und Urteil werden für diese Gattung
heidnische und christliche, histori-
sche und andere Werke, was dem
Verfasser zu Gebote steht, benützt
und zusammengetragen. Als äusseren
Rahmens bedienen sie sich der sechs
aetates des Isidor und Beda, geben
römische und deutsehe Geschichte
unvermittelt nebeneinander und wer-
den erst dann ausführlicher, wenn
rie mit ihrem Stoff in die Gegen-
wart gerückt sind ; aus karolingischer
Zeit sind solche Chroniken vom Erz-
bbchof Ado von 1 lenne, vom Bischof
Frechulf ton Lissieux, einem Schüler
Rhabans, und vom Abt Regino von
Früm erhalten.
Die andere Art rückwärts schau-
ender Geschichtsbücher beschränkt
sich auf ein Land, ein Volk oder
noch mehr auf eine bestimmte Lo-
kalität. Zwar Volksgeschichten wie
ai' Kassiodorius, Gregor von Tours
und Paulus Diakonus verfasst hatten,
kommen in grösserem Umfange
nicht mehr vor, nur kompendien-
artig« Aufzeichnungen giebt es auf
diesem Gebiet; dagegen sind die
Geschichten der einzelnen Bistümer
und Klöster jetzt häufiger und be-
deutender. Sie schliessen sich an
die Orte an, wo die bedeutendsten
Lehrer der Zeit wirkten, und er-
blühen bald hier bald da zu reifer
Entfaltung. Hattenbach hat seine
Betrachtung der mittelalterlichen
Historiographie nach diesen lokalen
Mittelpunkten geordnet und für die
karolingiseheZeit zumal den Klöstern
und Bischofssitzen Fulda, Hersfeld,
Münster, Bremen, llamburq, Corvey,
Gandersheim, Trier, I*rüm,St.Gallen,
Reichenau besondere Darstellungen
gewidmet.
Der Charakter dor H istoriographie,
den die karolingiseheZeit ausgebildet
hatte, erhielt sich im ganzen bis in
die Mitte des 13. Jahrh.
Zwar trat gegen das Ende des
9. Jahrh. in der Bildung Deutsch-
lands überhaupt eine etwa fünfzig-
jährige Pause ein, durch innere und
äussereWirren hervorgebracht; nach-
dem jedoch Otto I. die Macht des
Reiches neu begründet hatte, traten
auch die alten geistigen Kräfte
wieder auf den Schauplatz. Doch
bilden die Geschichtschreiber dieser
Zeit keine bestimmte Schule mehr,
treten vielmehr an verschiedenen
Orten unter ganz verschiedenen Ver-
hältnissen auf. Die grössten unter
ihnen sind Widukind, Thictmar und
Liudprand. Widukindfllönch vonCor-
vey, schrieb drei Bücher sachsischer
Geschichten, die mitder Urgeschichte
des Sachsenvolkes beginnen. Sein
Muster ist Sallust, und er verweilt
in epischer Weise vorzüglich bei
der Schilderung der Schlachten und
anderer Begebenheiten ; er ist einer
der vorzüglichsten Schriftsteller des
Mittelalters. Thictmar von Merse-
bürg, Bischof, 976—1018, verwandt
mit den Ottonen, gedachte in seiner
Chronik vor allem die Schicksale
des Bistums Merseburg darzustellen,
wozu freilich mit Notwendigkeit die
Geschichte des Ottonischen Hauses
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282
Geachiehtschreibung.
gehörte, und da er überhaupt ein
Buch schrieb, so legte er nebenbei
darin auch Alles sonst nieder, was
ihm denkwürdig schien, alle kleinen
und grossen Erlebnisse und was er
in andern Büchern fand. Liudprand
von Cremend, gest. 972, ist zwar
ein Italiener, doch lebte er am Hofe
Otto de« Grossen, schrieb einen Teil
seiner Bücher in Deutschland und be-
schäftigte sich grösstenteils mit deut-
schen Begebenheiten. Sein Haupt-
werk heisst Antapodosis, d i. Wieder-
vergeltung, weil er sich mit dem-
selben an König Berengar von Italien
zu rächen gedenkt. Es ist also eine
Parteischrift , leidenschaftlich, auf-
fallend, buntscheckig, die erzählende
Prosa viel durch Verse unterbrochen.
Das Buch ist Zeitgeschichte in um-
fassendstem Sinn, da der Verfasser
mit grosser historischer Kunst Alles,
was in ganz Europa geschieht, in
den Kreis seiner Erzählung hinein-
zieht.
Überhaupt schien unter den Otto-
nen die Blüte der Studien derjenigen
aus Karls des Grossen Zeit nichts
nachgeben zu wollen; wieder trat
eine einflussreiche Hofschule ins
Leben, und zumal Otto des Grossen
jüngster Bruder, Bruno, Erzbischof
von Köln und Herzog von Lothringen,
war der eifrigste Beförderer der
Künste und Wissenschaften. Von |
neuem wurde mit Glück an der
Geschichte der einzelnen Bistümer
und Klöster gearbeitet, (dazu ge-
hören z. B. die Ccunu saneti Galli
von Ekkehard TV.)y womit sich eine
besondere Vorliebe für biographische I
Arbeiten verband, die besonders im
ll.Jahrh. reichen Erfolg hatte. Es
galt als Ehrensache, dass ein be-
deutender Mann, besonders wenn er j
dem geistlichen Stande angehörte,
seinen Biographen finde. Dazu ge-
hört das Leben Brunos von seinem
Schüler ltuotgcr, des Kaisers Hein-
rich IL von Bischof Adalboldus von
Utrecht, das Leben Bernvards,
Bischofs von Hildesheim von dessen
altem Lehrer Thanqmar und manche
andore Arbeiten, Hie sich durch die
bessere Auffassung und die fast
durchgängigeRücksicht auf politische
Verhältnisse vorteilhaft auszeichnen.
Die drei bedeutendsten Werke des
11. Jahrh. aber sind folgende: Das
Leben Konrad IL von seinein Kaplan
Wipo, einfach und getreu, anschau-
lich und lebendig geschrieben; so-
dann Adams von Bremen (als Dom-
herr in Bremen um 1076 gestorben)
Gesta Hammenburgensis ecclesiae
ponfifictanf das Leben und dieThaten
der Erzbischöfe von Hamburg und
Bremen, das trefflichste Geschieht»«
werk des nördlichen Deutschlands,
und die Annalen Lamperts von
Hersfeld, eines Mönches, der die
Geschichte seiner Zeit, des beginnen-
den Kampfes zwischen Königtum
und Fürstenmacht, zwischen Kaiser-
tum und Hierarchie in würdiger
Ruhe und einfach schönem Stile
aufgezeichnet hat Lamberts Ziel
war, die Geschichte seiner Zeit zu
schreiben; er fangt aber nach dem
herrschenden Gebrauche mit
Schöpfung an und stellt dann
ganz kurzen chronologischen
der Weltgeschichte seinem eigent-
lichen Werke voraus ; die Geschichte
seiner eigenen Zeit, die nach und
nach immer umfassender wird, ordnet
er ebenfalls nach Jahren, ohne sich
strenge daran zu binden und ohne
dass sich diese engere Form bei der
Fülle der Ereignisse und der Aus-
führlichkeit der Darstellung störend
bemerkbar macht. Ganz in ähn-
licher Art wie Lamberts Annalen
sind nach der Mitte des 11. Jahrh.
eine Anzahl Clironiken, die
der
ausführlichen, nach Jahren geord-
neten Zeitgeschichte endigen, von
bedeutenden Historikern verfasst
vv orden. Dazu zählen Hermann r<>*
Reichenau oder Hermann us A ugiensis,
vulgo Contractus, d. i. der Gicht-
brüchige, mit seinem Fortsetzer Bert-
hold von Konstanz, dann Bernhold
von Schaßhausen, Sigebert Tun Gern-
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Gcschiehtschreibung.
283
hfonr$ und Ekkehard von Aurach,
darunter Berthold und Bernhold
eifrige Anhänger des Papstes. Sind
nnn schon aiese Chroniken voll
lebendigeu Interesses an den Be-
gebenheiten der Zeit, so giebt es
daneben eigentlich historische Partei-
*~krifle*, urkundlich belegte Ar-
beiten, die bloss zum Zwecke der
V'Tteidigung oder Anklage verfasst
wurden. Dazu gehört des Derühmten
Herbert: Geschichte des Rheimser
KoazUs, dem der Verfasser seine
Erbebung zum Erzbischof verdankte,
(hi? Geschichte des sächsischen
Krieges unter Heinrich IV. von dem
Hildehrandi seu Gregorii VII papae,
» ioes wütenden Gegners des Papstes,
da* Leben Heinrichs IV., ein kleines
Kunstwerk, das man mit dem Agri-
cAa «leg Tacitus verglichen hat.
(ltvhichtschreit)er der Kreuzzüge
giebt es mehr französische als deut-
stbe; unter die letztern gehört der
?cbou genannte Ekkehard von Au~
wh durch seinen libellus de expu-
nwtione Hierosolymitana.
Vom 12. Jahrb. an treten die
AnnaJen oder gewöhnlichen Chro-
niken sowohl als die einzelnen Bis-
tums- und Klostergeschichten zu-
rück; wo die letztem sich noch vor-
finden, rühren sie meist von unbe-
deutenden, namenlosen, oft verschie-
denen sich nachfolgenden Verfassern
kr; den neuentstehenden Amialen
dae^-u liegen nun durchgehend
frühere Werke zu Grunde und zwar
k gewissen Gegenden immer die-
*Jben, in Lothringen und Nord-
frankreich, Sigbert, in Süddeutsch-
Schwaben und Österreich Her-
Mxncon Reichenau, und im mittleren
3od nordlichen Deutschland Ekke-
Uti tvn Aurach. Die bedeutenden
^riftsteller ziehen mehr freie all-
pwine I>arstellungen vor, zum
Teil unterstützt durch die namcnt-
ha Paris aufkommenden wissen-
schaftlichen Studien. Derbedeutend-
ste Historiker der Hohenstaufischen
Zeit ist Otto von Freising, Stief-
bruder König Konrad III., in Paris
gebildet, dann in den Cistercieuser-
Orden eingetreten, später Bischof
von Freising, der mit Barbarossa
in vertraulichen Verhältnissen stand.
Seine Chronik, das erste Werk, das
er schrieb, unterscheidet sich von
allen frühern Geschichtswerken
Deutschlands durch die vollständige
Beherrschung des Stoffes und die
Verarbeitung desselben nach ge-
wissen Gesichtspunkten ; seine Rich-
tung ist mehr philosophisch als histo-
risch, besonders schhesst er sich an
Augustiu an. Seine Absicht ist, das
Elend dieser Welt und die Herrlich-
keit des Reiches Gottes zu schildern,
die er in ihrer irdischen Vermischung
darstellen will. Bedeutender als
eigentliches Geschichtswerk sind die
GeMa Friderici I., die Geschichte
der Anfänge des Hohenstaufischen
Geschlechtes und der ersten Jahre
Friedrichs. Voraus geht ein Bericht,
den der König selber seinem Oheim
auf seinen Wunsch über die An-
fänge seiner Regierung zugesandt
hat. Mit offenem, wahrheitslieben-
dem Blicke stellt der Geschicht-
schreiber jedes Einzelne dar, ohne
den Blick auf das Ganze jemals zu
verlieren. Immer ist ihm dabei die
Form, der Schmuck der Darstellung
fast ebenso wichtig als der Inhalt,
und nimmt im höchsten Grade seine
Aufmerksamkeit in Anspruch. Ottos
vortrefflicher Fortsetzer der Gesta
Friderici I. ist Radewin oder Raze-
win; nicht minder würdig erscheint
der Fortsetzer von Ottos Chronik,
Otto von St. Blasien.
Den Geschichtschreibern der
Hohenstaufen stellten sich nicht un-
würdig die Geschichtschreiber der
Weifen, namentlich Heinrichs des
Löwen, zur Seite: der Propst Ger-
hard van Stederburg, Helmold von
Bosau uud dessen Fortsetzer Arnold
von Lüheck.
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284
Geschichtschreibung.
III. Von der Mitte des 13. Jahr-
hunderts bis ins 15. Jahrhundert.
Von den Karolingern an bis in
die Mitte des 13. Jahrhunderts war
die deutsche Geschichtschreibun
mehr und mehr vom Geiste un
der Bedeutung dos deutschen Reiches
und seiner obersten Fürsten ge-
tragen; obwohl sie sich von zahl-
reichen Mittelpunkten geistlicher
Bildung aus immer von neuem lokal
bilden musste, gingen von dieseu
einzelnen Punkten die leuchtendsten
Strahlen stets dem Mittelpunkte zu;
man darf von diesem Gesichtspunkte
aus die Geschichtschreibung des 9.
bis 13. Jahrhunderts eine Heichs-
historiugraphie nennen; es leuchtet
ein, dass sich dieselbe eben infolge
der starken Ausprägung ihres innern
Charakters desto reiner von andern
der Gesehichtschreibung anhängen-
den Zügen zu halten vermochte.
Mit dem Zerfall der kaiserlichen
Macht in der Mitte des 13. Jahr-
hunderts hörte diese grosse am Reiche
haftende Arbeit schnell auf, und das
historische Interesse wandte sich den
neu ins Leben tretenden gesellschaft-
lichen, religiösen und politischen Ge-
staltungen und Erscheinungen zu.
Das verleiht von jetzt an der Historio-
graphie eiuen überaus mannigfal-
tigen, ja buntscheckigen Charakter,
der noch dadurch vermehrt wird,
dass daneben auch die alten Formen
immer noch beibehalten werden und
selbst in der spätesten Zeit Werke
entstehen, die denen des frühern
Mittelalters nachgeahmt sind. Die
Zahl der historischen Erscheinungen
wird überaus gross und für e%nen
Mann kaum mehr übersehbar, und
an vielen Punkten durchmisst die
Gesehichtschreibung von neuem den
Prozess, den sie für die Gesamtheit
in den vergangenen Jahrhunderten
durchgemacht hatte: aus analisti-
schen, einzelnen Aufzeichnungen er-
wächst allmählich eine zusammen-
hängende Darstellung, die erst, wenn
das Glück ihr günstig ist. nach
längerer Zeit zu eigentümlichen,
selbständigen Werken höherer Ge-
schichtsdarstellung sich aufschwingt.
So ist nun auch für die Zeit dw
12. und 13. Jahrhunderts eigentüm-
lich, dass die Geschichte von neuem
Züge der Saqe iu sich aufnimmt,
von der sie sich in langem Kannte
losgerissen hatte, freilich zum Teil
dadurch bestimmt und bewogen, ua$*
sie in gelehrter, vornehmer
sitiou gegen die im Volke lel
sagenhaften Erzählungen kalt
blieben war. Am frühesten
sich die Geschichte in Form
deutschen erzählenden Gedichten
die Sage angeschlossen; diese |
aber von einem Kreise der F
aus, welche dem höfischen
nach seiner dichterischen Seite
zugewandt war. Die Kai*er-(
gehört dahin, welche iu höchst
tastischer Weise und mit Lej
untermischt die Geschichte
mischen Könige und Kaiser r<*
Julius Caesar au bis auf Konrad M
erzählt, eine Kompilation verseht
dener Stücke; von mehreren IT(M
chroniken* /.. \\. von Rudolf tm
I''m .v, ist bloss ein biblischer Anfnfl
fertig gediehen; Jans der E*€*kA
sehrich eine solche als YorflH
seines österreichischen/* Nr.*^-«/»«*^
AImt in die historischen Werkei^H
3ewinnt seit der Mitte des 12. J*N
iiindeits die sagenhafte ÜberiM
rung immer melir Aufnahme, ■
dingt und hervorgerufen durch m
immer breiter werdende . inJH^H
kirchlich - phantastische , den Wut
dem zugeneigte Auttassimg 41
Klerus. Line wuchernde Fülle ti*fi
tioneller Überlieferungen setxt m
au die Geschichte an und vefjH
und verdeckt die Wahrheit. |H
sieht das besonders an den Arhdfl
de-* ( t'ttffrt'ed von Yitf t-h, , waoltj
scheiulich eines Sachsen, der dH
Linne in Italien lebte. Kr verfilM
für den jungen König Heinrich <X
ein phantastisches Lehrbuch Sp«**
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285
tum JSequm, sodann eine poetische
Behandlung der Thaten Friedrich I. ;
diese Poesie nahm er in sein, wieder-
um Heinrich VI. gewidmetes Werk
Memoria »aeeulorum auf, das aus
Prosa und Versen gemischt die ganze
Weltgeschichte umfasst; als ihm
Ottos von Freising Chronik bekannt
wurde, überarbeitete er darnach seine
Weltgeschichte nochmals unter dem
Namen Pantheon. Hier zuerst strömt
die ganze Fülle der Fabeln auch in
die gelehrte Geschichtschreibung,
über den Kreuzzug Karls des Grossen,
über die Ottonen, über Heinrich III.
Abkunft und Geburt. Das Pantheon
hat den grössten Einfluss auf die
spätern Autoren Deutschlands und
Italiens ausgeübt.
Besonders gross war der Einfluss,
den in dieser Hinsicht die Bettel-
orden auf die Art der Geschicht-
schreibung übten. Für Lokalge-
schichte hatten diese anfänglich we-
nigstens kein Interesse, da sie fah-
rende Mönche ohne Grundbesitz
waren. Sie scli rieben Geschichte,
um Handbücher für ihre Disputa-
tionen und Predigten zu haben, wo-
bei es ihnen nicht auf den politischen
Inhalt der Geschichte ankam, sondern
auf Geschichten, die sieh gut an-
wenden Hessen, entweder in der
Form von Kompendien zum Hand-
gebrauch, oder von J?ncyklopädieny
in denen sie alles nachschlagen
konnten, was sie bedurften. An-
fänglich war es bloss Weltgeschichte,
wottir sie Teilnahme hatten; später,
als sie in grösserer Abhängigkeit
zu ihren Wohnorten standeu , be-
schäftigten sie sich auch mit der
Abfassung von Städte- oder Landes-
ß-eachichten. Die berühmteste Ency-
klopädie, die aus dem Dominikaner-
orden hervorging, ist das Sveculum
quadruple* des 1 ineenzron ßeauvais,
1244 geschrieben, das in Speculum
naturale, doetrinale, morale und
hi&torude zerfällt; ein von Vinccnz
selbst bearbeiteter Auszug des Spe-
eulum historiale heisst Memonale
Temporum. Noch grösseren Einfluss
hatte das Werk des Dominikaners
Martin von Troppau, auch Martinus
Polanm genannt, der bald fast der
ausschliessliche Geschichtslehrer für
die katholische Welt wurde. Er
war aus Troppau im Königreich
Böhmen gebürtig und lebte lange
in Rom als päpstlicher Kaplan und
Pönitentiar. Seine Weltgeschichte
wurde als ein Kompendium für
Theologen und Kanonisten geschrie-
ben. Ls ist eine ganz oberflächliche,
hierarchische Zwecke verfolgende
Kompilation, durch welche die zahl-
reichen Geschichtsfabeln erst recht
festen Fuss gefasst und Herrschaft
gewonnen haben. Der äusserlichen
Einrichtung nach standen sich auf
je zwei Seiten die Päpste und Kaiser
gegenüber, jede Seite hatte 50 Zeilen,
jede Zeile war für ein Jahr bestimmt;
vom Jahre 1276 an, wo drei Päpste
zusammen hätten verzeichnet werden
müssen, hört diese Einrichtung auf
und beginnt eine mehr zusammen-
hängende Übersicht der Ereignisse.
Durch Bruder Martin kam die Fabel
von der Papstin Johanna^ von der
Einsetzung der sieben Kurfürsten
und überhaupt die ganze grund-
falsche Auffassung der Geschichte
in Aufnahme, denn die Chronik ver-
breitete sich in alle Länder und
Sprachen. Die sorgfältige, gründ-
liche und kritische Erforschung der
Geschichte des frühern Mittelalters
wurde durch dieses Machwerk fast
vollständig erstickt
Eine ähnliche Stellung wie die
Chronik des Martin von Troppau
nimmtdas umfangreiche Werk Stores
temporum ein, das einen Minoriten
zum Verfasser hat; alte Nachrichten
nennen ihn den Minoriten Martin,
oder Hermann oder Hermann Gyqas;
es scheint eiue Konkurrenzarbeit
gegenüber dem Werke des Domini-
kaners Martin zu sein.
Charakteristisch für die Ge-
schichtslitteratur des spätern Mittel-
alters ist im ferneren der zunehmende
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286
Geschiehtschreibung.
Gebrauch der deutsehen Sprache.
Von den mehr sagenhaften deutschen
Reimgedichten war schon die Rede;
an sie knüpfen sich jetzt eigentliche
Keimeh ron iken , verschieden nach dem
Inhalt und der Individualität des
Verfassers, mitunter Bearbeitung
lateinischer Quellen, oder eigene
treuere oder freiere Darstellung der
Thatsachen. Sie sind am wichtigsten,
wenn gleichzeitige Begebenheiten den
Gegenstand der Darstellung aus-
machen. Dem Norden Deutschlands
gehört Gotfried Hägens Reimchronik
von Köln, vom Jahre 1270, die Lief-
kindische Chronik eines Ungenann-
ten; dem Süden die Österreichische
Chronik des Ottokar von Horneck
aus Steiermark, aus dem Ende des
14. Jahrhunderts, ein Werk von sehr
lebendiger Auffassung und poeti-
scher Behandlung. Von Sicolaus
Jeroschin hat man eine reimende
Übersetzung der lateinischen Chronik
des deutschen Ordens in Preusscn,
welche Peter von Duisburg verfasst
hatte.
Von gereimten Chroniken schrei-
tet man schliesslich zu deutschen
Frosachroniken vor, deren erste die
Sächsische Weltchronik ist, die man
dem Eike von Repgaw zuzuschreiben
5>flegt, aus der ersten Hälfte des 13.
fahrh. Diese deutschen Chronikeu
sind nun selten mehr von Geistlichen,
sondern von Dichtern, Rechtsgelehr-
ten, Staatsmännern, besonders Stadt-
schreibern, von Mitgliedern des Bür-
gerstandes verfasst; daneben erschei-
nen immer noch lateinisch verfasste
Geschichtswerke, wie dasjenige des
Minoriten Johannes von Wintertur;
des Matthias von Xeuburg, der ohne
Zweifel Prokurator des geistlichen
Gerichtes in Strassburg war, und
des Johann von Viktring, Abt des
K losters Viktring in Kärnthen. Deut-
sche Chroniken sind z. B. noch die
Magdeburger aus dem 13. Jahrb.,
die Xüicc Casus Monasterii Sancti
Galli des Christian Kuchimeister,
die Strassburger Chroniken des Chor-
herrn Friedrich Closener und des
jüngeren Jacob Ticinger von Königs-
hofen, die Limburger Chronik des
Stadtschreibers Johanne*, Chroniken
von Bremen, Lübeck, Köln, Sam-
berg, Augsburg, Magdeburg, Braun-
schweig, Hamburg und vielen anderen
grösseren und kleineren Städten.
Reich mit solchen Werken sind
namentlich auch die Städte und Län-
der der schweizerischen Eidgenossen-
schaft ausgestattet, wo bürgerliche
Selbständigkeit besonders früh stark
sich entfaltete: es giebt Chroniken
von Zürich, Basel, Bern, Luzern und
den Urkantonen. Alle diese Werke
| pflegen mit sagenhafter, zum Teil
lächerlicher , geradezu fabrizierter
I Urgeschichte anzuheben , während
ihre Darstellung späterer Verhältnisse
I durch gesunde Auffassung der Ver-
hältnisse, durch die frische, naive,
j lebenswahre Erzählung sich auszeich-
net Erst später geschrieben, aber
in ihrer Entstehung schon der vor-
reformatori8chen Zeit angehörig ist
die an sagenhaftem Stoff selten reiche
Ch ron ik des sch wäbischen Geschi+chtes
derer von Zimmern.
Neben solchen Richtungen giebt
es auch immer noch Bischofs- und
Klosterchroniken, z. B. die Reiche-
nauer Chronik des Gallus Oekem.
Lebensbeschreibungen angesehener
Geistlicher, Weltchroniken, die letz-
teren bald rein annalistisch, bald
nach Kaisern und Königen geordnet,
und mit weitschichtiger Gelehrsam-
keit aufgepauscht ; die Nameu der-
selben sind Speculum historiae, Klares
historiarum, hnago mundi, Cosmo-
dromium, Fasciculus temporum und
ähnliche.
IV. Humanismus und Refor-
mation.
Mit der Wirkung des Huma-
nismus auf die Geschichtschreibung
machen nach langer Zersplitterung
wiederum centripetale Tendenzen
den bisher herrschenden ccutrifugalen
Richtungen Platz. Die Bewegung
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Geschichtschreibung.
287
kommt natürlich aus Italien, wo die | Schedel, 1440 — 1515, mit einer Welt
Historiographie sowohl in der Natio- j chronik, Jacob Wimpfeling, 1450 bis
Turmair
DiispracTie nach dem Muster der
grossen Alten, als in noch engerer
Anlehnung an die Alten in lateini-
scher Sprache gepflegt wurde; die
Haaptn&men jener ersten Richtung
sind Macckiarelli (146i) 1527) und
(luimardini (1482 — 1540). Haupt-
vertrcter der lateinisch schreibenden
Historiker sind FlaHus Blondus,
?est 1461, Aeneas Sylvins IHccolo-
niHÜPitu II), 1405—1464, Bartho-
hmaens Hatina* Bibliothekar am
1528, Johann Turmair oder Aven-
tinus mit seiner bäuerischen Chronik,
die er selber auch deutsch übersetzte,
Alhert Krantz, gest. 1527, mit der
Saxonia, Spiesshammer oder Johannes
Citspinian, gest. 1529, ein Arzt aus
Wien: de Laesaribus atque impera-
toribus Romanis ; Beatus Rhenanus,
gest. 1547, mit Herum Germanica-
rum Ubri III. Mehrere dieser Männer
reichen schon in die Reformations-
zeit hinein und haben wesentlich
\atikan. gest 1461, dessen Uber de zum Aufschwünge des geistigen Le-
nin Christi ac de vitis summorum
}<mtific«m Romanorum fast in alle
sprachen, auch iu die deutsche, über-
setzt wurde; Julius Fomponius Lae-
bens in weiteren als blossen Gelehr-
tenkreisen beigetragen, zumal da-
durch, dass ihre Bücher früh in deut-
schen Übersetzungen erschienen.
tu, gest. 1497: de Caesaribus und Ganz deutsch, nach Auffassung und
Romano? urbis vetustate; Raphael Sprache, und in hohem Masse volks-
rolaterranus,ge&t 1521: Commentari- tümlich, zugleich getragen von der
Ubri 38. Wandten
die genanuten Italiener ihr Interesse
und politischen Idee der
deutsehen Reformation, geübt an den
mehr dem römischen Altertum zu besten Mustern des Altertums, die,
• doch hat Aeneas Sylvius den Otto wie Caesar, Sallust, Tacitus, Sueton,
ro* Freisinq und den Jordanis be- Herodot, Thukydides, Xenophon und
aatzfi, so richteten die deutschen,
von den Italienern angeregten, Huma-
tin* Augenmerk auf die Quellen
Plutarch dem Volke jetzt selber durch
Übersetzungen nahe gebracht wur-
den, treten jetzt eine Anzahl deut-
öaheimischer Geschichte, und beson- j scher Geschichtschreiber auf, deren
&rs in Wien beförderte Kaiser Max Werke zum Schönsten gehören, was
siterländische Geschichtsbestrebun- die Reformation hervorgebracht hat.
|B. er liess nach alten Urkunden j Wieder ist die Schweiz besonders
ad Chroniken suchen und belohnte | reich in dieser Beziehung; ihre Ver-
Fand: rüstige Buchhändler I treter sind Joachim von Watt, Oe-
«v*4Cif;d?6teii Ausgaben (Iva- mittel- schichte der Abte des Klosters St. Gat-
Utertichen Quellenschriftsteller, des len ; Johannes Stumpf, Beschreibung
wuanis. Paulus Diaconus, Gregor der Eidgenossenschaft Bullinger, Re-
•on TVmr3, Sigbert, Luidprand, Otto forma tionsgesch ich te und Aegidius
Kreiling, Ekkard u a. Zwar Tschudi, Schweizer Chronik, der
fttkte die Vorliebe für Erdichtungen, letztgenannte seiner religiösen und
%ren and Märchen noch lange nach, politischen Stellung gemäss mehr
g. B. Johann von Trittenheim, ein Vertreter der älteren Richtung
r-« '//■•„. 1462—1516 namentlich und daher besonders für die sagen-
Q seinem Chronicon Hirsaugicnse hafte Üfjerliejeru ngbcmtiht.l)e\\t8vh-
"öÜ von solchem Stoffe ist. Was Und gehören an die Kosmographie
Bespräche der deutschen demHuma- Sefjastian Münsters und der vortreft-
«»»»06 ruireziihlten Geschichtscbrei- liehe Sebastian Frank, Verfasser
betrifft, so ist dieselbe vorläufig eines Zeilbuches (Weltgeschichte),
»ach di<- lateinische. Die hervor- eines Weltbuches (Beschreibung der
"■g^diteu Namen sind Hartmann Welt) und der Germania. Zwar
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288
Geschlechterstaat. — Gesellschaftslieder.
reichen ähnliche Arbeiten bis über
den Schluss des 16. Jahrhunderts
hinaus, sie sind jedoch meist lokaler
Natur, darunter Matthias Quad,
teutscher Nation -Herligkeit, 1609,
die Pommerische Chronik von Thomas
Kantzow, die Speirische von Christoph
Lehmann, die Baslerische von Chri-
stian WurstiseyiAiQ Schaffhauserische
von Johannes Rüger. Die eigentlich
gelehrte Geschientschreibung geht
schon mit der Mitte des 16. Jahr-
hunderts in das Geleise der latei-
nischen Sprache zurück ; ihr hervor-
ragendstes Werk ist des Johann
Sieida nus (1506—1566) Buch de
Statu religionis et reivublicae Ca-
rolo V. imperatore. Von da an
bleibt lange Zeit die wissenschaft-
liche Betreibung der Geschichte,
welche jetzt Geschichtswissenschaft
wird, in den Händen der zunft-
mässigen, meist lateinisch schreiben-
den Gelehrten, während die Chro-
nistik im engeren Sinne deutsch
bleibt, immerhin so, dass gelegent-
lich die eine .Richtung in die andere
hinübergreift.
Neben den Biographien, die immer
noch bearbeitet wurden, obgleich
wenig vortreffliche Werke dieser
Art zu nennen wären (Matthesius,
hebenljuthers ; Ada mBeissner,Leben
des Georg und Caspar von Frunds-
berg), hat diese Zeit, welche so sehr
das subjektive Gefühlsleben des
Einzelneu steigerte, die Autobio-
graphie als neue Gattung der Ge-
seluehtschreibung eingeführt Da-
hin gehören die Aufzeichnungen des
Götz von Berlichingen, des Man*
von Schweinichcn, des Thomas und
Felix Fiater und die lieblichste unter
ihnen, die ganz unter dem Eindrucke
des „aufblühenden Evangeliums",
im Angesichte gleichsam Luthers,
Melanchthons, Zwingiis, Erasmus
geschrieben ist, die Sabbata des 8t.
allers Johannes Kessler, desselben
Mannes, der als Jüngling dem Dr.
Luther im schwarzen Bären zu
Jena begegnete, als der noch als
Reitersmann gekleidete Reformator
von der Wartburg nach Wittenberg
zurückeilte. Wattenbachy Deutsch-
lands Geschichtsquellen im Mittel-
alter. 2 Bde. 3. Aufl. Berlin 1873.-
Lorenz, Deutschlands Geschicht»-
ciuelleu im Mittelalter seit der Mitte
des 13. Jahrh. 2. Aufl. Berlin 18T6.
H'aifz in Schmidts Zeitschrift f. Ge-
schichtswissenschaft Bd. II. u. IV.
Wackernagels Lit. Geschichte.
Geschlechterstaat, d.i. derjenige
Staat, in welchem die staatlichen
Aufgaben noch nicht vom Staate,
sondern von der Familie oder dem
Geschlecht erledigt werden, ist für
die Germanen die Form des vorge-
schichtlichen Staates. Schon zu
Casars und Tacitus Zeit hatten die
Germanen ihn bereits hinter sich;
doch zeigt sich der ältere Zustand
später noch darin, dass die Unmün-
digen, Frauen, Kinder und Knechte
unter der Gewalt, der Munt, des
Mannes standen und dass der Mann
sein Rechtsleben, sein wirtschaftliches
und Kriegerleben in der Gemein-
schaft mit den engern und weitern
Familiengenossen verlebt; das Ge-
schlecht bildete die Unterabteilungen
im Heer und bei der Ansiedlung im
Dorf. Vgl. den Art. Familie.
Geselle usehi es f,c n . s. Schütxen-
feste.
Gesellschaftslieder nennt man
diejenige Gruppe von Volksliedern
des 16. und des 17. „Jahrh., welche
für die Lust und Übung heiterer
Gesellschaft aus den ältern einstim-
migen Weisen zwei- und mehrstimmig
umgesetzt wurden; in eigenen Samm-
lungen oder Liederbüchern vereinigt
sind sie die Nachfolger der Jfiegm-
den Blätter geworden. Die Gesell-
schaftslieder sind hin und wieder
noch ächte Volkslieder, entfernen
sich aber immer mehr von ihnen
und werden Kunst- oder Gelehrten-
lieder, indem die Musiker die älteren
Texte verändern oder mit neuen
von ihnen selbst oder von gelehrten
Leuten verfassten Texten ver-
uigiiizeo
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289
tauschen. Die ersten Sammlungen ein weibliches singulare^ Substantiv,
dieser Art sind die wertvollsten, als weiches es in die romanischen
später finden sieh in ihnen viele fade Sprachen übertritt : itaL, provenz..
Reimereien und namentlich Nach- span. gesta, altfranz. (feste, bald
ahmungen welscher Texte mit wel- singularisch, bald pluralisch ge-
sehen Melodien. Mit italienischen braucht, mit den Bedeutungen 1 1
und französischen Formen, Madri- der Thaten eines vornehmen Ge
galten, Kanzonetteu, Motetten, Tri- schlechtes, 2) einer Chronik. 3| der
cinien, Intraden, Villauellen, Galli- Geschlechtsfolge des Stammes. In
arden, Couranten, Paduaneu, Nea- der altfranzösischen Poesie ist Chan-
po/ifanen, Saltarellen, Volten, Bai- *on de geste der stehende Ausdruck
IeteiJ, Parodien, Passamezzen , und für die in einreimigen Tiraden ab-
züglich mit Allegorien, mytholo- gefassteu, sowohl zum Absingen als
gischen Namen und Bezeichnungeu, zum Hersagen oder Vorlesen be-
rrem len Worten und Redensarten stimmten Epen, zunächst aus den
füllen sich jetzt die deutschen Lieder- einheimischen Sagenkreisen, dann
bücher. Anfangs wurden die letzte- ; für Heldengedichte dieser Form
reu in kleinem, länglichem Quart- überhaupt, im Gegensatze zu den
format gedruckt, mit gutem Papier ritterlichhöfischeuAöHiö/mmd( 'untes,
und zum Teil vortrefflichem Noten- deren Stoff anderen Quellen ange-
satz. später seit 1600 in gewöhn-! hört und deren Form, stronhenlose
liehem Quart auf schlechtem Panier Reimpaare, nur für das Hersagen
und mit immer eleu« ler werdendem oder Vorlesen bestimmt ist. Die
Schrift-Nutendruck. Die wichtigsten Chansons Je geste stammen aus den,
Druckorte sind Nürnberg, Frank- im einzelnen nicht mehr erkenn«
furt und München. Die Greuel des baren Helden- uud Geschlechtssagen
dreißigjährigen Krieges und die mit der germanischen Eroberer uud
Opitz auftretenden Gedichtsamm- ihrer Nachkommen. Die ältesten
hingen einzelner Dichter lassen um vorhandenen Denkmäler zeigen einen
1620 die Gesellschaftslieder aus- zehnsilbigen, durch eine Cäsur unter-
sterbeu. Siehe die deutschen Ge- brochenen Vers, mit männlichem
sei V 'schaffst 'Uder des 16. und 17. Jahr- Reime oder Assonanz und strengem
hundert«, aus gleichzeitigen Quellen Abschlüsse des Sinnes am Ende des
gesammelt von Hojfmann von Fallers- Verses; erst aus späterer Zeit,
leben. 2 Teile. "Leipzig, 1860. 12. Jahrb., stammt der zwölfsilbige
Gest«, Geste, Chanson de Geste. Vers uder Alexandriner, siehe diesen
Schon die lateinische Sprache ent- Artikel. Beide Verse, den zehu-
wickelte aus dem konkreten Aus- wie den zwölfsilbigen verknüpft ein
drucke res gestae eine in der alt- und dieselbe Assonanz oder ein und
christlichen Litteratur häufig ge- derselbe Reim eine unbestimmte
brauchte neutrale Pluralform gesta, Reihe von Zeilen hindurch ohne
da* nicht mehr bloss Thaten, Hand- Unterbrechung, bis der Dichter zu
lungen, Verhandlungen, sondern auch einer andern Assonanz oder einem
Aurzeichnungen bedeutet, parallel andern Reim übergeht; man nennt
dem Worte aeta. dem nun vorwiegend die Absätze tirades monorimes. In
die geistliche Sphäre in Acta aj?o- ihrem Entwicklungsgange lassen sich
ttoforum, Martyrum,Sanctorum,Con~ drei Hauptstufen der Chanson* de
ciliorum u. cfgl. überlassen wird, geste unterscheiden. Die erste Peri-
während gesta überwiegend die weit- ode charakterisiert sich durch eiu
liehe und im engern Sinne die heroi- trotziges Vasallentum, die Roheit
sehe Sphäre behauptet. Zuletzt und Selbstsucht des fränkischen
wandelt es sich mittellateinisch in Heldentums, den Hader der Stämme
Resllwloon der deutschen Altertümer. 19
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290
Gesta Romanorum. — Glasmalerei.
und der Familien. Mit Philipp August
und den Kreuzzügen wannein sieh
die Chanson* de (jeste zu christlich-
ritterlichenEpen um,ein opferwilliges,
ideales Rittertum kämpft für den
Glauben. Karl und seine Paladine,
darunter besonders Roland, sind
frommt- Glaubenshelden, alle Feinde
Heiden, d. h. Muhamedaner. Seit
der Mitte des 13. Jahrh. beginnt
die dritte Periode. Aus den Artus-
roinanen dringen Riesen, Zwerge,
Feen, Minne und Galanteric, eine
subjektive und willkürliche Behand-
lung in diese bis dahin streng episch
gehaltenen Heldengedichte. Was
von diesen Dichtungen am Ende des
Mittelalters nicht gänzlich in Ver-
gessenheit gerät, löst sich in pro-
saische Form auf und geht in Volks-
bücher über. Nach Zacher in Ersch
und Gruber, Art. Gesta.
Gesta Romanorum heisst eine
im späteren Mittelalter weit ver-
breitete Sammlung von moralisierten
Parabeln, Fabeln und Erzählungen,
die um das Jahr 1472 zuerst in
lateinischer Sprache, 1489 in deut-
scher und oft in englischer Sprache
gedruckt erschien. Nach den Unter-
suchungen Oesterley's liegt die Ent-
stehung der Gesta Komanorum darin,
dass zu einer Zeit, zu der das Fremd-
artigste und Widerwilligste morali-
siert, d. h. in einem geistlichen oder
christlichen Sinn gedeutet zu werden
pflegte, wirklieh Erzählungen aus
der römischen Geschichte, oder viel-
mehr Stücke aus römischen Schrift-
stellern, wie sie schon seit langer
Zeit zu Predigtzwecken gesammelt
waren, auch lediglich zum Zwecke
der Moralisierung zusammengestellt
und früher oder später mit uer Be-
zeichnung Historia oder Gesta Ro-
manoruin morat'tzafa oder ähnlichem
versehen wurden. In ein solches
Grund werk wurden zuerst Parabeln
eingefügt oder angehängt, welche
einer geistlichen Auslegung sich
leicht anschmiegten; dann nahm
man nach Neigung oder Gelegenheit
Stücke auf, welche zum Besten der
Moralisation umgestaltet wurden,
und endlich erfand man, oft unge-
schickt genug, Erzählungen lediglich
zum Zwecke ihrer geistlichen I)eu-
1 tung. Schliesslich fanden auch blosse
Mönchs- und Heiligengeschichten
ohne Moralisatiou einen Platz, und
! endlich kehrte sich das ganze Ver-
hältnis um, so dass die Erzählungen
in den Vordergrund traten und die
Moralisationen Nebensache wurden.
Es ist wahrscheinlich, aber nicht
unwiderleglich beweisbar, dass die
Gesta RanHtnorum in England ent-
standen sind; doch könnte das Werk
auch bloss in England, und zwar
aus Deutschland, eingeführt und er-
weitert worden sein. Der Name
des ersten Verfassers oder Sammlers
ist nicht mehr nachzuweisen, die
Zeit der Abfassung ist gegen Ende
des 13. Jahrh.; ohne Zweifel haben
Predigermönche, wenn nicht an der
Abfassung, so doch an der Fort-
bildung und Verbreitung des Buches
Anteil. Inhaltlich sind die einzelnen
Erzählungen kitzliche Rechtfälle,
gewandte Antworten, listige und
schalkhafte Streiche, Ehegeschichten
und andere Vorfälle des täglichen
Lebens, auch legendarische Stoff»1,
und bald treu erhaltene, bald wun-
derlich entstellte Anekdoten und Er
Zählungen aus der alten Geschichte
und Mythologie, sowie aus der klassi-
schen Geschichte, herrührend au*
klassischen, orientalischen und abend-
ländischen Quellen. Daa Buch Ut
vor der Reformation ausser in den ge-
nannten in französischer und nieder-
ländischer Sprache gedruckt worden:
infolge der Reformation und der
Verbreitung klassischer Studien ge-
riet es allmählich in Vergessenheit-
Kritische Ausgabe von Herma**
Oesterley, Berlin, 1872; deutsche
Übersetzung von Grässe, 1847.
Gilde, siehe Zunftwesen.
Glasmalerei. — Die Kunst der
Glasbereitung wurde im Altertum
schon in umfassender Weise betrie-
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Gl asraalerei.
291
ben, zunächst zur Verfertigung von den sei, sodass jetzt die Sonne durch
kleinen Gegenständen, Gelassen, das bunte Glas von Gemälden scheine,
Schmucksachen u. dgl. Doch ver- 1 pflegte man früher den Ruhm dieser
standen sich schon die Römer auch 1 Erfindung Deutschland zuzuschrei-
auf die Fertigung von Tafelglas, das ben, um so mehr, als bald nachher
sie neben dekorativen Zwecken auch in Tegernsee einer Glashütte gedacht
zum Verschlusse der Fenster brauch- wird , die für auswärtige Besteller
ten. In den wärmeren südlichen Arbeiten lieferte. Ob das nun aber
Gebenden war aber das Bedürfnis wirkliche Glasgemälde waren oder
nach einer möglichst lichtreichen Be- bloss nach Art der Mosaiken aus
fensterung geringer als in den nörd- einfarbigen Stücken zusamrnenge-
licheu Ländern. Hier kam daher setzte Muster, lässt sich nach dem
die Sitte, die Fenster mit Glas zu allgemeinen Ausdrucke des Brief-
verschliessen, ohne Zweifel zeitiger steilere, per dUcolaria pirturaruM
auf. Im 5. Jahrhundert erhält eine vitra, nicht mehr bestimmen. Da-
zu Lyon erbaute Kirche Glasfenster; gegeu spricht eine andere Nachricht
in St. Gallen waren im 9. Jahrhuu- aus derselben Zeit unzweideutig von
dertdie Klosterkirche und die Schreib- Glasgemälden, dass nämlich der neu-
stubemitdurchsichtigen Glasfenstern gewählte Erzbischof Adalbert von
versehen und wird ein Glasmacher Rheims (gest. 989) seine Kathedrale
Strachoifus erwähnt. Da man in mit Fenstern habe schmücken lassen,
dieser Zeit das Glas nur in kleinen auf denen verschiedene Geschichten
Stücken zu bereiten verstand, so gemalt waren. Da nun ausserdem
konnte der Verschluss einer grösseren etwas später als geschirkter Glas-
Üfrhung nur aus einzelnen Partikeln maier Rogerus von Rheims erwähnt
zusammengesetzt werden; farbloses wird, in Frankreich die ältesten
Glas war seltener und schwerer zu Werke dieser Technik erhalten sind
beschaffen als das farbige, und man und der Presbyter Theophilus aus
muss sich darum den gläsernen Fen- dem 12. Jahrhundert, ein Deutscher,
sterverschluss der ältesten Kirchen in seinem Werke ScheduJa diver-
von vornherein buntfarbig vorstellen, sarum arHum, worin der Glasmalerei
Diese Umstände führten von selbst ein besonderes Buch gewidmet ist,
darauf, dass man die ungleichen die besondere Fertigkeit der Fran-
bunten Glasteile nicht regellos neben- zosen in der Glasmalerei hervorhebt,
einander fügte, sondern dieselben so ist sehr wahrscheinlich, dass die
nach ihren verschiedenen Farben und Glasmalerei in Frankreich und nicht
Formen zum harmonischen Spiele in Deutschland erfunden und zuerst
zu vereinigen trachtete, zu Mustern ausgebildet worden ist. Ihr Haupt-
ähnlich denen, welche die Mosaiken sitz war die Normandie und die Um-
an Wänden und Fussböden zeigten, gegend von Paris. Die ältesten be.
Zur eigentlichen Glasmalerei be- kannten Fenster des 12. Jahrhunderts
durfte esaber der Vereinigung zweier waren die, welche Graf Foulaues V.
Farben auf einem und demsWben von Anjou und seine Gemahlin für
Stücke!, der Erfindung einer Schmelz- die von ihnen 1121 erbaute Abtei
färbe, die sdch im Feuer durch einen Loroux bei Vcrnantes malen Hess;
chemischen Prosess mit dem Lokal- sie enthielten die Bildnisse der Stifter
ton verband. Gestützt auf ein Schrei- zu den Füssen der heiligen Jungfrau
ben des Abtes Gozbert von Tegcrn- und sind erst in diesem Jahrhundert
see ( 982—1001), in welchem dieser zu Grunde gegangen. Die Zahl der
dem Grafen Arnold für die Fenster in Frankreich aus dem 18. Jahr-
flankt, mit denen durch sein Zuthuu hundert erhaltenen Glasgemälde ist
die Klosterkirche geschmückt wor- sehr gross. Die Kathedrale von
19'
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292 Glasmalerei.
Bourges hat allein 183 gemalte Fen- vorwiegend. Auch das farblose Glas
ster. Von Frankreich drang die wurde jetzt häufiger und billiger ab
Kunst zuerst nach England, dann das gefärbte, und man verband min
nach Deutschland, wo zwar nur die nicht allein grosse rote und weisse
Glasgemälde im Dom zu Augsburg Flächen, sondern man erfand die
noch aus dem 12. Jahrhundert zu G risaif/e, d.h. die grauweisse Malerei
stammen scheinen; dem 18. Jahr- mit einer grauen oder schwarzen
hundert gehören die Chorfeuster der Farbe auf wasserhellem Glase; chV-
im Jahre 1208 eingeweihten Kuni- selbe wurde meist zu arabesken-
bertskirche in Köln an. Von Deutsch- artigen Mustern verwendet und be-
land aus seheint gegen die Mitte des deckte oft ganze Fenster; auch be-
13. Jahrhundert* die Glasmalerei diente man sieh ihrer etwa zum Hin-
nach Italien verpflanzt worden zu tergrunde für farbige Bilder und
sein; die ältesten in Italien gemalten Figuren. Besonders die Cisterzienser.
Fenster sind diejenigen der Kirche deren Regel gemalte Fenster verbot.
S. Franzesko zu Assisi, von einem bedienten sich der Grisaille. In der
deutschen Meister Jacob verfertigt. Anordnung der Glasgemälde nnter-
Die Technik der Glasmalerei war scheidet man den romanischen und
bis zum 11. Jahrhundert noch sehr den gotischen Stil,
einfach. Das Fenster wurde aus Die Fenster romanischen Stile»
kleinen, farbigen Glasstücken zu- enthielten Muster, die sich in der
sammengesetzt, die man nach der Regel in den durch die eiserneu
Vorzeichnuug zuschnitt, so dass die Querriegel des Feusters gebildeten
Umrisse durch Bleistreifen gebildet Abteilungen wiederholten. Oft hatte
waren; die Malerei beschränkte sich ein Feld in der Mitte entweder eiu«
auf Umrisse und Schattierungen mit Rosette, häufig mit fratzenharten
einer schwarzen Farbe, die man aus Tiergestalten, oder ein Schild mit
Kupferasche mit einem Zusätze von einer historischen oder symbolischen
grünem und blauem Glase bereitete. Darstellung. Diese Schilder waren
Das Einbrennen dieser Schmelzfarbe meist rund, auch viereckig mit kreis-
erfolgte in einem sehr unvollkomm- förmigen" Ausbauchungen, seltener
nen Ofen; Zeichnen, Glasschneiden, von der ovalen oder oben zugespitzten
Malen, Brennen und Zusammensetzen Mandel- oder Fischblasenform. Da-
der Fenster war gewöhnlieh in der ganze umgab eine Kante mit Ara-
Hand eines Künstlers vereinigt. beskenvonBlumen,Verschlingiingen,
Der Stil der Glasgemälde ent- Wappen u. dgl. gebildet. Ein sol-
wickelte sich in dieser Periode teils ches Fenster erinnerte an die Tep-
dureh die Vervollkommnung der piche, mit deÄen früher die Fenster
Glastechnik, teils durchdie Beziehung verhängt wurden. Der Inhalt der
zum Baustil e. Die Verbesserung in Schilder war eine Erläuterung der
der Technik bestand darin, dass die Predigt oder bestimmt, der religiösen
einzelnen Glasstücke allmählich Betrachtung zu Hilfe zu kommen;
grössere, gleichfarbige Flächen wur- eine bedeutende künstlerische "YVir-
den und eine Unterbrechung durch kung ging von diesen Fenstern noch
Bieistreifen seltener eintrat und dass nicht aus. In manchen Kloster-
die Kombination der Farben sich aus- kircheu war das ganze Gebiet dir
bildete. In der ältesten Zeit herrschte scholastischen Lehre: Geschichte,
ein dunkles, blaues Glas vor, Saphir Theologie, Astronomie, Physik. Mo-
genannt, mit dem man, gewöhnlich sik und Philosophie in don Schilden«
sehr unharmonisch, grün und gelb versinnlicht. Auch in spätem goti-
zusammen.stellte; seit dein 13. Jahr- sehen Bauwerken finden sich solche
hundert wird ein schönes rotes Glas altertümliche Gla^fenster, teils neben
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Glasmalerei.
293
Fenstern gotischen Stiles, teils ab- gründe, der oft einfarbig ist, oder
sichtlich als Umgebung derselben, den Sternenhimmel darstellt oder das
um das Mittelfenster um so glänzen- Muster eines Teppichs enthält, der
der hervortreten zu lassen. die Rückwand zu behängen scheint.
Die fiotik forderte in noch weit Allmählich gehen die Baldachine in
höherm Masse zur Anwendung der die Form der gotischen Tabernakel-
Glasmalerei auf. In den ältern ro- krönungen mit einem snitzen Giebel
manischm Kirchen hatte man Wände und zwei schlanken Filialen über,
und Decken bemalt mit grossen, zu- sodass der Stil der Glasfenster sich
sammen hängenden Bilderserien, die jetzt in der vollkommensten Harmonie
oft den ganzen Inhalt der biblischen mit dem des gotischen Kirchbaues
Geschichten erschöpften. Als der befindet. Unter den turmartigen
gotische Stil die Wände so viel wie Baldachinen prangten die kolossalen
möglich durchbrach, den ganzen Bau Gestalten der Propheten, Apostel,
in Hn Gerüste von schlanken Stützen Evangelisten, Heiligen und Dona-
mit weiten Bögen und kühn gespann- toren, besonders der Fürsten und Bi-
ten Wölbungen auflöste, ging der schöfe; zuweilen baute man in einem
malerische Schmuck von deu Wän- Fenster mehrere Stockwerke von
den und Decken auf die zahlreichen Tabernakeln übereinander auf oder
und grossen Fenster über, welches vereinigte in anderer Weise Systeme
um so erwünschter war, als die Fülle von Baldachinen. Türmen und Filia-
des von überall herzuströmenden len,diesich nach oben in das steinerne
Lichtes notwendigerweise einer sauf- Masswerk verliefen. Die figuren-
ten Milderung bedurfte. Auch die reichen biblischen Geschichten und
Art der gotischen FenBtergliederung Heiligen legenden verwies man in
war für die Anbringung und stih- den untersten Teil der Fenster. Die
stische Ausbildung der Glasgemälde Zusammenstellung der Farben wurde
eine besonders günstige. Der Raum immer glänzender und im besondern
zwischen den senkrechten Stäben, die früher unbekannte rosenrote
den Pfosten oder Sprossen gab die Fleischfarbe gewöhnlich durch farb-
Flächen für die grossem figürlichen loses Glas ersetzt. ,,Die Malerei
Darstellungen, während die Mass- war in den gotischen Kirchen von
werke ebensosehr zur ornamentalen den immer mehr eingeschränkten
Ausstattung oder zur Anbringung Mauerwänden und von den mit so-
erläuternden Beiwerkes geeignet genannten alten und jungen Dien-
waren, sten umgebenen Pfeilern gewichen
Der Übergang zum gotischen Stile und fast auf die Fenster einge-
wird durch das Verdrängen der schränkt, hier aber erschien sie in
blauen Gründe durch Rot und durch einem neuen Und wundervollen,
di«« reichere Entwicklung der ein- fast überirdischen Zauber und ent-
zelnen Schilder vorbereitet. Das sprach allen ästhetischen Anfor-
Teppicbinuster wurde bloss noch als derungen auf eine unübertreffliche
Hintergrund, daun als Bordüre bei- Weise. In dem neuen Stile der
behalten. An Stelle der Schilder gemalten Fenster war ganz und
treten einzelne grössere, sogar kolos- gar der geistige Gedanke, die Idee
sale Figuren. Diese erscheinen zu- ausgesprochen, auf welcher die Ent-
erst in einzelnen grossem Feldern Wickelung des Kircheubaucs zur
der Teppiche, dann selbständiger, gotischen Form beruht«'. Wie der
zuweilen nur in dem untem Teile ganze gotische Bau mit seinen
der Fenster, bald stehend, bald auf hiinmelanstrebenden Wölbungen, so
Thronen Bitzend, unter Baldachinen erhoben diese Fenster den Blick
oder in Stühlen, vor einem Hinter- und die Gedanken über das Irdische,
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294
Glasmalerei.
indem sie das Himmlische in seinem
vollsten Glänze hereinströmen Hessen,
ohne dass sie das Auge verlockten,
von dem, was da drinnen vorging,
sich anzuwenden, um der Aussen-
welt zu gedenken. Der Künstler
dachte nicht mehr daran, durch
den Inhalt seiner Darstellungen
das Volk zu belehren, er wollte
den Andachtigen die Anschauung
des Himmelreichs und der Hei-
ligen entgegenbringen, und sie in
die Stimmung versetzen, dass sie
den Schöpfer m seinen Werken prei-
sen mussten. Aber noch in einer
andern Hinsicht waren die Glas-
gemälde eine notwendige Ergänzung
des gotischen Baustils. Die reichen
Formen des letztern mit ihren zahl-
losen Einbuchten und Auskehlungen
vertragen keine Beleuchtung durch
ungedämpftes Sonnenlicht, und erst
die farbigen Glas tafeln gewährten
dem Innern dieser Kirchen jene ge-
mässigte, gleichförmige Erleuchtung,
die allein diesem vielgliederigen Stile
angemessen ist. Dazu kam noch,
dass selbst die Unvollkommenheit
der Teehnik eine der Grossartigkeit
des Baustiles entsprechende Behand-
lung der Glasfarben mit sich brachte.
Es war ebenso unmöglich, die Blei-
linien mit der Feinheit und Weich-
heit zarter und gefalliger Umrisse
zu führen, als den Farben eine voll-
endete malerische Ausfuhrung zu
geben. Dadurch aber war man zu
einer Behandlungsweise genötigt,
welche bei der Grösse und Höne
der Fenster und dem ernsten In-
halte des kirchlichen Bildwerkes die-
sem einen würdigen monumentalen
und wahrhaft religiösen Charakter
sicherte.*4 Unger.
Seit dem 14. Jahrh. fand ein be-
deutender Umschwung in der Glas-
malerei statt. Und zwar sind es in
erster Linie die technischen Fort-
schritte, die eine Änderung des bis-
herigen Systems bedingten. Noeh
in der ersten Hälfte des 14. Jahrh.
begnügte sich der Glasmaler mit
einem mosaikartigen Gefüge
seiner Stücke, deren jedes in der
Regel nicht mehr als zwei Farben,
den Lokalton und das aufgebrannte
Sehwarzlot vereinigte: nur selten
kam dazu eine zweite Auffragfarbe,
das sogenannte Kunstgelb. Die
letztere Farbe pflegte man erst nach
der Mitte des 14. Jahrh. in umfang-
reicherem Masse zu verwenden. Dazu
kommt die Erfindung des Uberfarnff-
fflases, das, erst nur rot, in der Weise
bereitet wurde, dass man diese Farbe
auf die weisse Glasplatte aufschmolz.
Sie bildete so eine zweite Lag»', die
beliebig durch Ausschleifen entf»*rnt
werden konnte. Kam dann wieder
der farblose Grund zum Vorschein,
so konnte man mit Hilfe von
Schwarzlot und Kunstgelb, vier Kar-
ben auf einer und derselben Platte
vereinigen. Vermittelst des Kunst-
gelbes erzielte man auf blauem Gla-s
Grün, das früher in besondere Par-
tikel gefasst werden musste. So wurde
dem Künstler ermöglicht, -.mr
Partien ohne die Anwendung der
bleiernen Mittelstücke zu kolorieren
und die Schattierung mit aller Aus-
führlichkeit zu behandeln.
In zweiter Linie war es di«- im
14. Jahrh. auf allen Gebieten der
Kunst zur Herrschaft gelangte Hin-
neigung zum Realismus der Natur,
was den Gang der Glasmalerei be-
einflusste. Wahrem! aber bei der
ältern Auflassung der Künstler, durch
die Schranken der Technik seiner
Kunst dazu bewogen, seine Gestalten
und Szenerien in dekorativer Unter-
ordnung mit teppich artiger Umge-
bung dargestellt hatte, trieben die
beiden genannten Fortschritte der
Technik und der künstlerischen Auf-
fassung den Glasmaler in Gebiete,
die ausser der Natur seines Stoffe«
und seiner Farben lagen. Infolge
dessen verwilderte einmal die Kom-
position, indem sich der Künstler
gezwungen sah, ausführlichere Sze-
nen entweder in einem unverhält-
nismüssig kleinen Massstabe herzu-
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Glasmalerei.
295
stellen oder dieselben in der Weise
auszudehnen, dass sie ohne Rück-
sieht auf Inhalt und Formen dureh
die steinernen Pfosten geteilt und
zerrissen wurden. Sodann litt unter
diesem einseitigen Realismus die
früher bestandene hohe Farbenhar-
mouie, da die Farben jetzt nicht
mehr wie früher, mit vorherrschen-
der Rücksicht auf das Ganze ge-
wählt werdeu konnten, sondern ein-
seitig von der Natur des gewählten
Gegenstandes abhingen.
in Zusammenhang damit steht
die veränderte Stellung der Künst-
ler und der gesellschaftliehen Zu-
stände überhaupt. Noch im 13. Jahrb.
hatte es Meister gegeben, welche
die universellsten Kenntnisse be-
gasten und in allen Richtungen der
Kunst bewandert waren; das spätere
Mittelalter spaltete infolge der er-
höhten Anforderungen der vielseiti-
fen Technik die Einheit des Kunst-
etriebes und wies dem einzelnen
bloss noch einen beschränkten Wir-
kungskreis an; der einzelne aber
wandte sich nunmehr kleinereu
selbständigen Arbeiten zu, die sich
gleich den Tafelg«'inälden rasch und
ohne den Aufwand allgemeiner Stu-
dien vollenden Hessen. Auch die
Nachfrage kam solchen kleinereu
Arbeiten entgegen, und während die
Glasmalerei bis zum 14. Jahrb. fast
ausschliesslich im kirchlichen Dienste
gestanden hatte, liisst sie sich jetzt
ebensogern zu weltlichen Zwecken
brauchen, zum Sehmucke der Wohn-
häuser und Profanbauten überhaupt.
Daher erklärt sich auch, dass man
seit dem 15. Jahrb. viel häufiger
als früher den Namen von Glas-
malern begegnet. Besonders die
Vorliebe für heraldische Zierden
gab zu profanen Sehildereien An-
stoss. Hatten schon früher einzelne
Donatoren ihre Wappen in die Glas-
fenster anbringen lassen, so wollten
jetzt immer häufiger einzelne Kor«
Ctionen. Zünfte, Bnidersehaften,
orragende Familien ihre Teil-
nahme an den grossen kirehliehen
Bauten dureh die Stiftung eigener
Kapeljen bezeugen, an denen mau,
zum Arger der Geistlichkeit, heral-
dische Zierden anbrachte. Endlich
verlangte seit dem 15. Jahrh. auch
das bürgerliche Wohnliaus sein ge-
maltes Fenster, sodass dieses bald
in Rathäusern, Zunftsälen. Schützeu-
häuseru, Schlössern und bürgerlichen
Wohnungen ein allgemein üblicher
Schmuck wurde. Nur ausnahmsweise
wurden mehrere solcher Glasfenster
zu Cyklen ausgearbeitet; doch war
von einem einheitlichen Charakter
derselben kaum zu sprechen. Der
gewöhnliche Inhalt der gemalten
Wappenseheiben besteht aus einer
einfachen Zusammenstellung von
Wappeu und Einzelfiguren, welch'
letztere entweder mit persönlicher
Beziehung auf die Person des Stifters
dessen Schutzheiligen, oder, neben
deu Wappen von Städten und Stän-
den, deren Herolde und Fahnen-
träger darstellen. Auch Wappen-
tiere, wilde Männer und Walafrau-
lein vertraten zuweilen die Stelle
der Schildhalter, oder eine Dam«*,
die in graziöser Stellung und pomp-
haft gekleidet das Kleinod oder die
Helmzierde umfasst. Alle diese
Darstellungen heben sieh von einem
bunten, grau oder schwarz geflamm-
ten Damaste ab. Das Ganze um-
rahmt, bald weiss, bald violett oder
gelb, eine stichbogige Architektur,
von Pfeilern, Säulen oder knorrigen
Stämmen getragen, umrankt von
Blattornamenten, welche die oberen
Zwickel füllen, oder es tritt au die
Stelle dieser Ornamente eine Jagd-
oder Kampfszene, die grau in grau
mit gelber Auftragfarbe gemalt ist.
In dieser Zeit kam es nur noch
ausnahmsweise vor, dass der Glas-
maler seine Entwürfe selber zeichnete
oder »visierte"; die Regel wurde,
dass der eiue die Visierung machte,
der andere sie in Glas ausführte.
Auch Ölgemälde und Holzschnitte
wurden auf Glas kopiert, wobei es
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296 Glaubensbekenntnis. — Glocke.
als Glücksfall zu betrachten ist, Sym?»rfu»tQuicuttyue%enthä\t\n&toxi
wenn die Wahl auf Bilder fiel, die und bestimmt ausgesprochenen The-
sieh vermöge ihrer Zusammensetzung sen und Antithesen die orthodoxe
aus wenigen Figuren für solche Lehre von der Dreieinigkeit und dtT
Übertragung eigneten, wie z. H. die Menschwerdung Gottes, wie dieselbe
Holzschnitte der Bihlia Paupern m. auf Grund des Konzils zu Chalkedoo
Das Überhandnehmen der Re- (481) im Abendland ausgebildet
naissance und des Protestantisinus wurde. Es rührt also nicht von
förderten den Verfall der Glasraale- Athanasius (gest. 373» her, gieht
rei, nachdem dieselbe schon durch auch dessen Lehre keineswegs ^enau
Ausserachtlassen ihrer natürlichen wieder und ist überdies in lateinischer
Bedingungen und Grenzen von ihrer Sprache abgefasst. E* wird mit
einstigen Höhe herabgesunken war. Sicherheit zum ersten Mal bei C;isa-
In den Niederlanden, wo die Glas- rius von Arles im 6. Jahrh. genannt,
maierei unter dem Einflüsse der Ru- . Wich Hol fztmtnn und Zövffel\ /Lexika
hens'schen Malerschule noch einmal für Theologie und Kirchenweseii
zu einer Art Blüte kam, galt diese Leipzig, 1882. Beide Bekenntnis
Kunst in der Mitte des 17. Jahrh. gehörten zu den KateclusmusstückeiL
als erloschen. In Böhmen war welche seit 750 in altdeutscher
schon 1617 kein Glasmaler mehr. Sprache vielfach teils einzeln, teils
Beschädigte Fenster flickte man mit in längeren katechetischen Haud-
weissem Glase oder reduzierte die büchern aufgezeichnet wurden. Sie
Gemälde. Dagegen kam im 17. Jahrh. finden sich sämtlich in MüUtnhJi
eine Malerei hinter Glas auf, die und Scherers Denkmälern,
als Möbel- oder Wanddekoration Glocke, mhd. (jlocke. fffogat, ahi
verwandt wurde. Baiin, Bildende kloccajfflofffta, aus mitteilst. (S.Jahrb ^
Künste in der Schweiz. — ('»(fr die elocca , clora «s Kirchenelock',
in Ersch und Gruber, Artikel Glas-
malerei. — Pucher, Geschichte der
welches zu ahd. cluccho» - klopfen,
anschlagen zu gehören scheint. H«-
technischen Künste. — Wacker- qan d. Die Überlieferung macht Jen
nagel, Die deutsche Glasmalerei. Bischof Paulinus in Nola ilat. » ^
Glaubensbekenntnis, apt>*toli- — Schelle i in Campanien tcot»}***
scheu uml athana&ianUekes. Das = Glocke » um 40O zum Erfinder der
apostolische Glaubensbekenntnis, Glocken, was eine etymolocisol*
auch Credo oder der Glaube genannt, Spielerei ist. Erwähnt wird <**
hat seinen Namen von der zuerst Instrument zuerst unter der Bezeitb-
bei Ambrosius und in erweiterter nung signum im 6. Jahrhundert »
Gestalt bei Rufinus (4. Jahrh.) siel» den Schriften des Gregor von Tonr*.
findenden Sage, wonach die Apostel und man nimmt an, dass es zwei*
zu Jerusalem kurz vor ihrer Trennung durch irische und britische Missionen
dasselbe als gemeinsame Lehmorm in Deutschland bekannt worden
und TaurYormel verfasst haben sollen, wahrscheinlich hatte sich der G*
Entstanden ist es aus der allmählichen brauch von Klingeln, welcher«*
Erweiterung der TaurTormcl, war die alten Reimer als häusliche Weckv
schon in der zweiten Hälfte des 2. wohl auch als öffentliche Versa»»-
Jahrh. seinem wesentlichen Gehalt lungszeiclien bedienten, ohne Unter*
nach das Bekenntnis der römischen brechung ins Mittelalter fortgeprta*
Gemeinde und hat im ö. Jahrh. in und war zuerst von einzelnen Klostert
Gallien seine gegenwärtige Gestalt er- aufgenommen und allmählich Sit»
halten. Das atkanasianUche Glau- geworden. Als Zeit der allgemein^
bensbekeuntnis, Symlndum Athana- Verbreitung der Kirchenglocken »
tianum oder nach den Anfangs Worten Deutschland wird die Mitte de* *.
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Glocke.
21)7
Jahrhunderts bezeichnet. DieGloeken
der Iren waren aus geschmiede-
ten Blechen zusammengesetzt; in
Deutschland unterschied man irn 9.
Jahrhundert vasa fa&ilia, gegossene,
und rata productilia , geschmiedete
Glocken. Eine genietete Glocke der
letztern Art, Saufang genannt, aus
der Cäcilienkirche zu Köln herstam-
mend, und der Überlieferung zufolge
dem 7. Jahrhundert angehörend,
wird im städtischen Museum zu
Köln aufbewahrt: sie ist von der
Form der sog. Kuhschellen und be-
steht aus drei mit kupfernen Nägeln
zusammeugenieteten Eisen platten-,
ihre Weite beträgt am ovalen Rande
13»/4 und 83 4 Zoll, ihre Höhe 157,
Zoll. Als Verfertiger der vorzüg-
lichsten Glocke für den Aachener
Dom wird der St. Gallische Mönch
Tancho gerühmt. Später wurden
die Glocken umfangreicher und fast
nur noch von Bronce gegossen.
Eine Glocke zu Hildesheim, um
die Mitte des 11. Jahrhunderts von
Bischof Azelin beschafft, soll schon
100 Zentner gewogen haben. Als
die grösste Glocke in Deutschland
gilt diejenige auf dem mittleren
Domturme inOlmütz, Maria gloriota,
von 1497; sie wiegt 275 Ztr. Nach-
richten von Glockennamen hat man
»eit dem 10. Jahrhundert; sie lehnen
sich an Stifter, Patronen, an Eigen-
schaften oder Bestimmungen der
Glocke. Schon früh kam die Sitte
auf, den Glocken vor dem Auf-
hängen eine kirchliche Weihe zu
geben. Zu Gregors des Grossen
Zeit war dafür schon ein Ceremoniell
ausgebildet, und die Glockenweihe
wurde bald auf ähnliche Weise voll-
zogen, wie die Kindstaufe. Karl
der Grosse verbot wegen der daran
geknüpften abergläubischen Vor-
stellungen 789 die Glockentaut'e,
ohne damit durchzudringen. Später
wurden gegen mancherlei Miss-
bräuche, wie Pateugeschenke, obrig-
keitliche Beiträge. Gastmäleru. dgl.
Nerordnungen erlassen: auch ent-
stand nach der Reformation unter
< len katholischen und protestantischen
Theologen Streit über die Zulässig-
keit der Glockentaufe, der bis ins
18. Jahrhundert fortdauerte und
erst mit der allgemeinen Ein-
führung der Glockenpredigt bei den
Protestanten ein Ende erreichte.
Bei den Katholiken dauert die Ein-
segnung noch fort.
Die älteste bekannte datierte
Glocke ist vom Jahr 1249 und hängt
in der Burchardikirche in Würzburg.
Was den Gebrauch oder die Be-
stimmungen der Glocken betrifft, so
dienten dieselben ursprünglich offen-
bar zum Zeichen des beginnenden
Gottesdienstes. Später kamen für
besondere Bestimmungen auf: 1)
Betglocken, schon, wie behauptet
wird, im 7. Jahrhundert zur Bezeich-
nung der sieben kanonischen Stunden
eingeführt; noch heute bezeichnet
Betglocke das Morgen-, Mittag- und
Abendläuten; am frühesten wurde
von den letztgenannten drei Zeichen
das Abendläuten eingeführt, indem
Papst Johann XXII. zur Zeit der
Abendglocke allen Christen drei
Ave Maria zu beten befahl , das
Morgen läuten wurde in Städten erst
im 15. Jahrhundert allgemein üblich.
2) Die Totenglocke, welch«; zur Für-
bitte der Gläubigen für einen from-
men Sterbenden aufruft, wird schon
im 8. Jahrhundert erwähnt. 3) Die
Predigtglocke wird meist dreimal
geläutet, ad mvocandum, congregan-
dum et inchoandum, zum Einberufen,
Versammeln und Beginnen. 4) Die
Wetterglocke ist schon sehr früh in
Gebraiich gewesen, sowohl gegen
wirklichen Wasserschaden, Blitz,
Hagel, Wolkenbruch, als gegen
andere Übel und die Pest. Als
kräftig gegen die Dämonen galten
in der katholischen Zeit die Bibel-
sprüche Joh. 1, 1 und 14: „Im An-
fang war das Wort," und „Das
Wort wurde Fleisch und wohnte
unter uns", dann die Namen des
Gekreuzigten, der Evangelisten, der
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298 Glockenrad.
heil, drei Könige, der heil. St. Johann celsis Deo etc., Luc. l, U. Ar*
und Paulus als sogen. Wetterherrn. Maria, gracia nlena, dominus tecnm.
5) Stunden oder Zeitglocke. Luc. 1, 4H. W eitaus die beliebtest*'
Über den ursprüglichen Zusam- Gebetsformel ist: O rar qlvrie ehrist*.
menhang der Türme mit den Glocken \ veni cum pace, eine Inschrift, die
ist man nicht genau unterrichtet; seit dem 13. Jahrhundert erscheint
doch ist selbstverständlich, dass und im 15. Jahrhundert ganz allge-
man die Glocken, wo sie eingeführt mein wurde; man legte offenbar
waren , gern in vorhandene Türme dieser Formel eine magische Wirk-
hängte. Im St. Gallischen Kloster- samkeit gegen Einflüsse der Dämonen
plane sind westlich von der Kirche, zu. Deutsche Gebetsformelu au«
in einiger Entfernung von dem halb- I älterer Zeit sind selten: O Mario.
kreisförmigen Säulenvorhofe des- htm zuo tröste nnde zuo gnaden
selben, zu beiden Seiten des von allen den die da hau Christi natu.
aussen in das Kloster führenden Einzelne zauberkräftige Formeln and
Weges zwei symmetrisch gestellte, ! Namen sind Jesus, Maria, Johanne*.
mit \Veudeltreppen gefüllte Rund- ' gloria patri; Osanna in excefsi*:
türme augegeben, deren einer die In- Benediclus, gui renit in nomine Do-
Schrift trägt : ascensuspercochleam ad mini, Jesus Sazarenus; (iloria sjnri-
uni versa su neriuspicienda, der andere tui saneto; (iloria patri, ßho et
alter similis. ' spiritui saneto; Maria. Gotte* Zell:
Die Gtorkeni tisch riffen sind ent- 1 Maria, reim* muoter; Ave Maria:
weder Sprüche, die sich auf die Be- , Maria, Jesus; Sonuit sonus apost>»
Stimmung der Glocken beziehen, 1 forum; Lucas, Marcus Matheus. i>f.
meist in Versen oder Bibelstellen, Johannes defendite nos; ich lüt in
Gebetsfonnen, oder Notizen über Ent- sant Franctscus ere; ich lüt in sauf
stehungszeit, Giesser, Donatoren etc. Jetyen ere. — Historische Notizen
Sprüche, die sich auf die Bestim- über Verfertiger, Donator und Eot-
mung der Glocken Iteziehen, sind 1 stehungszeit der Glocken sind vor
z. B. Viros voco, mortuos plango, dem 11. Jahrhundert selten. Die
{ülgura frango ( Münster zu Schaff- Formel fecit in lateinischen Glocken
ausen).' — Defunctos plango . viros inschriften kann den Giesser oder
voco, fulgura frango. — Sablutta den Donator bezeichnen ; diedeutsohe
pantjo, funera plango, noxia franqo. Formel für Giesser ist: -V. A. fsM
— JCxctto fentos, paco cruentos, dissipo mich oder hat mich gössen. Siehe Ott*,
rentos. — Laudo deum verum, plebem kirchliche Kunst- Archäologie und
voco, congrego clerum. — Sit tempe- desselben Verfassers Oiockenhmie,
statum per me genus omne fugatum. Leipz. 1858. Vgl. Bockeler, Beitrag?
— Otnsona campana depa/lal singnla zur Glockenkunde, Aachen 1882.
vana. — Vost mea , rar vitae, voco << locken rad und Glockenspiel
vos ad sacra, renite. — Gloriosa Das Glockenrad ist eiu um eine
heiz ich, die hochzeitlichen fest die Achse sich drehendes, durch eine
beleut ich, die schedlichen teetter ver- Schnur in Bewegung gesetztes Ra<i
treib ich und die toten bewein ich. j das an seinem Kranze mit kleinen
Bibelstellen sind : Proeul est domi- Glocken versehen ist. Es diente aum
uns impiis efpreces pastorum exaudit, Signalisieren der Wandlung bei oVr
Prorerb. 15, 29. — Clama, ne cesses, Conventmesse und war entweder MB
exalfa vocem tuam sicut tuha , Jes. einer Stange oder in geschnitztem
5S, /. — Laudate dominum in cum- Gehäuse ii^der Nähe des Altars au
balis liene sonantibus.ps. 150, 5. — der Chormauer angebracht. Ein
Inprincipioeraf rerbumet rerbumerat Glockenspiel, d. h. eine Gruppe von
apudDenm, Joh. /, l. — Gloria in ex- abgestimmten Glocken, erwähn?
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Glorie. — Glückshafen. 299
schon Hieronymus unter dem Namen Textes das entsprechende deutsche
Bomhulum, das aus einem metallenen beigeschrieben, so hat man eine
Schaft mit wagrechtem Kreuzbalken Interlinearversion. Die Vokabularien
bestand, an welchem 24 Glöckcben sind entweder alphaljetisch oder sach-
und 12 Klöppel hingen. Zu Karls lieh geordnet, z. B. Ausdrücke auf
d. Gr. Zeit waren schon mehrere Gott und göttliche Dinge bezüglich,
Arten dieses Instrumentes in Ge- auf Kirchen wesen, auf den Mensehen,
brauch und wurden bis zum 12. Jahr- Gebäude, Geräte, Tiere, Pflanzen,
hundert verwendet. Seitdem gegos- Steine u. s. w. Manche Glossen*
sene Glocken allgemeiner wurden, Sammlungen bestehen aus weuigen
wurdeu solche reihenweise der Grösse Worten oder Zeilen, andere sind
nach aufgehenkt und durch Hfimmer umfangreiche Arbeiten; ältere Vor-
rat Tönen gebracht. Midier und lagen werden von späteren Schreibern
Mothes, arch, Wörterb. immer wieder benutzt und umge-
Glorle, siehe Nimbus. modelt. Am fruchtbarsten an Glossen
Glosse 9 althochdeutsche, aus war die St. Galler Klosterschule,
griechisch yiüaatt — Zunge, Sprache, Unter den glossierten Werken steht
darnach lateinisch alossa, innd. seit die Bibel obenan, von der man 100
dem 12. Jahrhundert fflose- Aus- glossierte Handschriften kennt, na-
legung.V-7o*</r = Sammlung von qlosen, mentlich für die Genesis, die Evan-
dazu flöten und ql6sieren = auslegen, gehen und die Perikopen: auch alte
deuten, bilden einen wertvollen Be- Bibelkommentare von Ambrosius,
standteil der altdeutschen Litteratur. Hieronymus, Beda, Rhabanus finden
Sie beginnen mit den frühesten alt- sich glossiert; sodann die Gedichte
hochdeutschen Aufzeichnungen im des Prudentius, eines christlichen
7. oder 8. Jahrhundert und erstrecken Dichters des 4. Jahrhunderts mit 21,
sieh bis rief ins Mittelalter, an dessen die Canone* apostolorum et eoneil i-
Ende sie in umfassendere, alpha- orum mit 16 und das Liber pastoral is
befisch geordnete Glossare über- mit 17 deutseh-glossierten Hand-
gehen, ans denen sich zuletzt die Schriften. Von Interlinearversioncu
Wörterbücher entwickeln. Die alt- sind zwei Denkmäler erhalten, die
deutschen Glossen sind von Mönchen Benediktiuer-Reff&l aus St. Gallen,
und Geistlichen niedergeschrieben die einem apokrvphischen Mönche
worden, zum Zwecke kirchlicher Kero zugeschrieben wird, und eine
und wissenschaftlicher Ausbildung. Anzahl Hymnen des Ambrosius. Von
Bei den meisten ist daher das Latein alphabetisch geordneten Glossaren
die Hauptsache, und die neben die sind besonders wertvoll die sog.
fremden Wörter gesetzten Ver- Keronischen und die Salomonischen
deutschungen sollen nur die Er- Glossen, beide aus St. Gallen
lernuug des Latein und das Ver- stammend. Das jüngste Glossar
ständms der glossierten lateinischen dieser Gattung ist der J'ocabnlarius
Schriften erleichtern. Ihrer Erschei- optimus. Die althochdeutschen Glos-
nung nach sind die Glossen ent- sen, herausgegeben von Stein meyer
weder Interlinearglossen oder Voka- und Sierers. 2 Bde. Berlin 1870 — 81.
bularien. Interhnear- oder Mar- Zacher in Ersch und Gruber. Ar-
ginal-Q lossen sind Verdeutschungen tikel Glossen, althochdeutsche,
einzelner Wörter, die sich zwischen Glilckshafen, auch Glüekstopf,
den Zeilen oder an den Blatträndern ist der deutsche Name für ital. Lotto,
lateinischer Schriften vorfinden, so- d. i. Loos, seit 1522 J/>teria genannt,
wohl profaner als theologischer Art. Das Spiel war in Italien daraus ent-
Erscheint bei der Glossieruu^ jedem standen, dass Kaufleute, um schnell
einzelnen Worte des lateinischen und mit Vorteil zu verkaufen, jeder-
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300
Glücksrad.
mann gegen ein kleines Stück Geld 1. 2*6. Auch im dramatischen Spie!
eine der Nummern ziehen Hessen, und ganz besonders in der bildenden
auf denen ihre Waren verzeichnet Kunst findet sich das Glücksrad
waren. Um 1658 wurde der Name öfters, in Bilderhandschriften und
in Frankreich gebräuchlich. Anfangs Holzschnitten, wo die herumgewalz-
waren die Glückshäfen nur Aus-
spielungen von Waren, womit jedoch
häufig auch eiuige Geldpreise ver-
bunden waren. In Deutschland kamen
sie zuerst bei den Schützenfesten
vor, oder dann zu irgend einem from-
men Zwecke. In Augsburg werden
sie zuerst 1470, in Nürnberg 1487
erwähnt. Schon im 16. Jahrh. gaben
des wohlthätigen Zweckes dieses
Spieles halber auch Geistliche ihre
Ordenshäuser zum Halten einer Lot-
terie her. Krieqk, I, 409.
Glücksrad und Kugel des
GlUeks. Aus der antiken Poesie
und Kunst, welche den Gottheiten
des Geschickes, der TVche, der Kor-
ten Sterblichen bald Könige, bald
die sechs Lebensalter, balu Narren
mit Eselsköpfen sind. Vgl. Fig. 59
aus Huttens Srhrift Ad. Cäs. Maxi-
mil. Epigr. Uber I. Strauss I, 95
bis 100. Die vier Figuren bedeuten
den Papst, den Gallischen Hahn,
den Venetianischen Löwen und
den Reichsadler. In Kircheubau-
ten wurde das Glücksrad oft als
Einfassung der runden Giebelfenster
über den Portalen angewandt, z. B.
am Münster zu Basel. Aus der bil-
denden Kunst haben sich dann wie-
derum die Dichter ähnlich ausge-
führte Glücksräder geholt, wie es z. B.
im Ren nfr des Hugo von Bam1>er<f
heisst :
runa, der Nemesis, als Symbol ein
Rad oder eine Kugel beigeben, Ge'Ueke daz ist sinetrel
pflanzte sieh die Vorstellung von und blihet niht an einer stat :
einem Rade oder einer Kugel des des trinket manchen man sin rat.
Glückes in die mittelalterliche Welt Einsstiqt: den tritt es machen riehen;
fort. Die deutschen Dichter brauchen der nider sifft, dem tcilz entwichen:
deshalb für diese entlehnte Bildung jener sitzet:' wer kond im geliehen r
selten den heimischen Namen des diss muoz in d'asehcn jaemerlirhen.
Glückes, sae/de, sondern gewöhn- Dilz rat betrinket uns ahn*:
lieher das abstrakte Wort gluck oder
das lateinische Fortuna ; auch ist
nicht immer klar, ob sie sich das
Rad von der Göttin rollend umge-
trieben oder das Glück selber sich
in Radform denken sollen. Sinn-
licher noch w
trau ez ist tri f der dann einfus\ Fuchs).
Wart ich sin hie, s6 ist (Z dort;
hittr rinde ir-h niht, da rert htc hört*
(heuer finde ich den Hort nicht
mehr, der im vorigen Jahr
da lag.»
wenn man si
rurde diese Vorstellung, Er gaukelt mit uns alten;
sich das Glücksrad mit die nu eil ho hie schallen.
Menschen besetzt dachte, die mit ihm streun ez beginnet raltcn,
auf und ab geführt werden. Das
Bild wurde so beliebt, dass es in
die lebendige Sage überging, z. B.
in die Erzählung von den zwölf
Landsknechten, welche der Teufel
unter der Vorspiegelung, sie würden
dann weissagen und Schätze graben
lernen, auf aas Glücksrad lockt und
sie damit zwölf Stunden lang zwi-
die
auf
der honic wirf ze galten.
Weiter brachte man das Rad
Glückes, da ja dieses letztere
Welt regierte, noch in bezug
den Kreislauf und die Wechsel in
dem grossen überirdischen Weltall,
und wie man sonst schon gewohnt
war, die Wandelbarkeit des Glücks
mit den Mondphasen zu vergleichen.
sehen Wasser und Feuer umdreht, ja als abhängig davon zu betrachten,
bisereinen der Zahl durch die Flam- so verglich man nun das Glücksrad
men mit sich führt; Grimms Sagen, dem Rade des Mondes:
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Goldene Bulle.
301
So sprühet ein meuter flenne,
den ich icol erkenne:
,,e*t ruta fortunae
rariabilis ut rota hume:
crescit, decrescit,
in eodem sistere nescit."
Diz strichet: „gucke ist sinewel.
ez ist ze trenkenne snel ;
ist ez ieze in der hont,
ez ist Balde in ein ander lant.
Der Minne Lehre. 1989 ff.
Daher kommt es, da«s das Wort
langsam Boden fasst: der bildenden
Kunst war diese Vergleichung ganz
fremd. Di«' Dichter nennen die
Kugel des Glückes entweder einen
Ball:
gelüche int rehte als ein bal:
steer stiftet, der sol rürhten val.
Freidank.
oder eine Scheibe:
Fortuna die ist so getan:
ir schibe lazet si innlte gan.
Lampr. Alex.
Fig. 59. Glücksrad aus einer Schrift Huttens.
lune, da» zuerst den Mond, dann die
Mondphasen, dann jegliche Kon-
stellation bedeutete, nun geradezu
den Sinn von Glück erhielt. Den
vier Phasen des Mondes war auch
die gewöhnlich vorkommende Vier-
zahl der Personen entnommen, welche
einen und denselben Menschen im
fortschreitenden Wechsel verschie-
dener Zustände bezeichnen sollten.
Weniger verbreitet war die Vor-
stellung des Glückes unter dem Bilde
einer Kugel, schon deshalb, weil die
Kenntnis von der Kugelgestalt der
Erde erst im spätem Mittelalter
Hierbei bezeichnet Scheibe meist
soviel als Kugel. Nach Wacker-
nagel. Das Glücksrad und die
Kugel des Glücks, kl. Schriften,
L 241.
Goldene Bulle heisst das von
Kaiser Karl IV. im Jahr 1356 er-
lassene Verfassungsgesetz. Zur Be-
ratung desselben waren die Stünde
1355 auf einen Reichstag nach Nürn-
berg entboten worden; am 10. Januar
1356 publizierte der Kaiser in öffent-
licher Reichsversammlung die in 23
Kapiteln zusammengefassten Be-
schlüsse über die Kaiserwahl, die
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302
Goldenes Vlies. — Gotischer Baustil.
Vorrechte der Kurfürsten im Reiche
und einige Verhältnisse des Land-
friedens. Da sich bald nach der
Publikation Widerspruch und Unzu-
friedenheit gegen einige Bestimmun-
gen erhob, wurde in demselben Jahre
auf einem Reichstag zu Metz ein
Nachtrag in 7 Kapiteln festgestellt.
Das Gesetz wurde in mehreren Exem-
plaren für die Kurfürsten und die
Stände ausgefertigt und mit dem
goldenen Siege! versehen, daher der
Name goldene Bulle -, es heisst auch
Carolina.
Goldenes Vliess, Orden des g. V.,
Ordre de la toison d'or, el ToVton
de oro, el Tusan, in frühesten Zeiten
auch der Ritterorden des güldenen
Lämbleins von Burgund oder des
belgischen Schäpers, wurde von
Philipp III. (dem Guten), Herzog
von Burgund, bei Gelegenheit seiner
mit der Prinzessin Isabella von Por-
tugal, seiner dritten Gemahlin, ge-
feierten Vermählung am 10. Jan. 1430
zu Brügge gestiftet. Grossmeister
des Ordens sollte der Herzog von
Burgund sein ; nach Karls des Kühnen
Tode kam diese Würde auf Maximi-
lian von Österreich. Der Hauptzweck
des Ordens war Beschützung der
Kirche durch Erhaltung des katho-
lischen Glaubens und Wahrung un-
befleckter Ehre des Rittertums. Er
war der Jungfrau Maria gewidmet
und hatte den Apostel und Märtyrer
Andreas zum Schutzpatron. Die Zahl
der Ritter war ursprünglich auf 81
festgesetzt, wurde aber später er-
weitert. Stat utengemäße durfte neben
dem goldenen Vliesse kein anderer
Orden getragen werden, später wurde
von dieser Klausel fast immer dis-
pensiert. Die Ritter durften keinen
andern Gerichtsstand anerkennen,
als eine Versammlung der Ordens-
ritter unter Vorsitz des Grossmeisters
oder eines von diesem bevollmäch-
tigten Ritters. Die Ritter sind frei
von allen Abgaben, welchen Namen
diese auch haben mögen, und haben
überall, namentlich bei Hoffeierlich-
keiten, Vorrang und Vortritt vor
allen, ausser gekrönten Häuptern.
Den spanisc hen Ordensrittern erteilte
Philipp das Recht, gleich den Granden
des Reiches in Gegenwart des Königs
das Haupt bedecken und in die könig-
lichen Gemächer unangemeldet ein-
treten zu dürfen. Das Ordenszeichtn
ist das Bild eines Widders, darüber
ein blauemaillierter Feuerstein nn»i
die einem Hemistichou des Clandian
entlehnten Worte: Prelium hvh rik
lahorum. Diese Dekoration sollte
ursprünglich an einer Halskette ge-
tragen werden , aus FeuerstahTen
und Feuersteinen zusammengesetzt,
woraus Flammen springen, «lern alten
Sinnbilde des Hauses Burgund. Y«
der sonstigen ursprünglichen Orden*-
kleidung bildete nach der Absiebt
des Stifters Wolle den Hauptbestand-
teil. Der Orden teilte sich nach den
Tode Karls V. in eine spanische
und eine österreichische Fraktion
die einander gegenseitig uicht ab-
erkennen.
Gotischer Baustil. Wohlinb^ar
auf keinen Stil hat die Frage Dil
seiner Entstehung so viele Stnirig*:
keiten herbeigeführt, wie beiti
gotischen. Das hauptsächlichst«- V«m
diepst, die Gotik aus jahrhunderfe-j
langer Vergessenheit wieder zur afib
gemeinen Wertschätzung gebracht
zu haben, kommt allerdings W
Deutschen zu und es ist nicht m
verwundern, dass sich, nameotisH
irregeleitet durch die Bezeichnna£
„gotisch" die Meinung vorbreiteayi
die Gotik sei speziell eine Schöprnag
des deutschen Geistes. Aber wed^
die Goten noch die Deutschen sind
„Erfinder" vielmehr war
nische Kunsthistoriker rasarid
welcher, um seinen Abscheu
dieser „barbarischen" Bauweise ****
zudrücken , den Sch ini pfnaia*
„gotisch" in Umlauf brachte.
Die Gotik ist aber auch uk*
von den Deutschen zuerst als Han-
stil gebraucht worden, sondtm es
rrgab sich, dass sie in
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Gotischer Baustil.
303
längst schon ausgebildet war, bevor Spitze trat nun der Handwerker oder
man in ihren Formen in Deutsch- die Korporation, welche sieh im
land zu bauen anfing. Handwerk bildete : die Zunft.
In Frankreich hatten eine Reihe i Wir haben es hauptsächlich mit der
von günstigen Umständen zusammen» Zunft der Maurer und Steinmetzen,
gewirkt, um dem Lande seit dem mit den sog. „Bauhütten" zu thun.
Beginn des 13. Jahrhunderts eine Diese Wandlung erklärt manche
hervorragende Stellung zu sichern. Eigentümlichkeit des gotischen
Die Centraigewalt hatte sich aus- Stiles, denn an Stelle des freien,
gebildet, das Nationalgefühl war
erwacht, die Kreuzzüge hatten der
Ritterschaft eine höhere Bedeutung
verliehen und die ritterliche Poesie,
fand weit heraus Anklang. Dieses be-
wegte Leben suchte auch einen Aus
beweglichen , oft phantastischen
Sinnes der romanischen Bauten, setzt
die Gotik einen eintönigen, wenn
auch prunkenden Schematismus; es
bildete sich ein völliges System aus,
das wesentlich auf technischer Er-
drück in der Kunst; es bildete sich fahrung und den Vorzügen eines
nach und nach aus der ernsten hochgebildeten Handwerks beruht,
strengen romanischen Kunst der
zierlichere, lebendigere und leichtere
Spitzbogenstil.
Von grossem EinHuss auf diese
Neugestaltung in der Hau weise war
namentlich, dass die Baukunst aus
(vgl. Kahn, bild. Künste der Schweiz).
A. Kirchliche Architektur.
1) GrumlrUs. Als Grundlage für
alle mittelalterlichen Kirchenbauten
den Händen der gelehrten, mit der diente die Basiiica. Die romanische
Formenwelt des Altertums nicht un- Baukunst hatte aus der altchrist-
bekannten Mönche in diejenigen der liehen Basiiica nach mancherlei Um-
Bürger übergegangen war. Die um die i gestalrungen (siehe den Art.: roma-
Klöster sich ansiedelnden Städte wa- 1 nische Baukunst) bereits in den
ren zur Selbständigkeit erwacht und | Grundzügen die Form des christ-
gezwungen, für ihre eigenen Bedürf- j liehen mittelalterlichen Tempels aus-
nisse, uir städtische Hauptkirchen | gebildet. Darnach besteht dieselbe
und bischöfliche Kathedralen selbst I rast ausnahmslos aus einem langge-
zu sorgen. Mit grosser Begeisterung j streckten hohem Mittelschiff, an
machte sich das Bürgertum hinter welches sich auf jeder Seite ein,
die (Lösung dieser Aufgabe. Die- • zwei, ja oft sogar drei niedrigere und
jenigen, welche nicht mit in die schmälere Seitenschiffe anschlichen.
Kreuzzüge ziehen konnten, wollten Getrennt sind die einzelnen Schitie
doch wenigstens durch Teilnahme dureh Pfeiler, die unter sich wieder
an einem Bau zur Ehre Gottes ihren | durch Brxjen verbunden werden. (Je-
guten Willen beweisen . Durch zahl- | wohnlich im Osten verbindet sich
reiche geistliche Verfügungen , na- j mit dem Langhaus der Chor, der
mentlicn durch Ablässe, welche das nun nicht mehr.wie in der romanischen
Volk nicht nur zu Geldspenden, Zeit, um viele Stufen erhöht wird
sondern auch zu persönlichen Fron- und unter sich die Krypta birgt,
dienstleistungen anspornten, wurde sondern in beinahe gleicher Höne
der Eifer bestärkt. Die Arbeit liegend nur durch den Lettner oder
wurde zum Grottesdienste. niedrige Schranken vom Schiffe ge-
Dieses Schaffen bedurfte aber j trennt wird. Unter Lettner versteht
auch einer tüchtigen fachmännischen I man eine tribünenartige Erhöhung,
Ix-itung. Die technischen Kennt- welche, gewönlieh auf drei Bogenste f-
nism- eines Abtes oder Mönches ; hingen ruhend, von einem Pfeiler
reichten nicht mehr aus; an die quer durch die Kirche zum gegenüber-
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304 Gotischer Baustil.
stehenden sich hinzieht und zur Ver- die Seitenschiffe in Umgangen herum,
lesung des Evangeliums diente. Sind 4 oder mehr Seitenschiff! vor-
Um den Chor herum, der im handln, so gestalten sich die äußern
halben 8, 10 und 12 Eck geschlossen am Chorhaupt zu einem Kränzt
Fig. G0. Grundriss des Kölner Doms.
wurde, so dass auf die Liingenaehse ; von Kapellen, von denen die in der
eine Seite zu stehen kam lohne dass Längsachse liegende, der Mutter
es indessen an gegenteiligen Bei- Uottes geweihte, gewöhnlich grösser
spielen fehlen würurt, und den man in und weiter ausgebildet ist (Fig.
gleicher Höhe und Breite, wie das Gntmlriss de* Kölner Domes fkv**l-
Langhaus aufführte, ziehen sieh oft 1 hut BileUrbopewJ. Freilich kam
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Gotischer Baustil.
305
dieses reiche System nur bei grossen keinen Druck ausübt, sondern deu-
Kathedralen zur vollen Ausbildung; .selben nur in den Ecken des Vier-
kleinere Bauten Hessen Umgane und eekes geltend macht (Fig. 62).
Kapellenkranz weg und schlössen So lange man aber dieses Kreuz-
Mittel- und Seitenschiff
durch einfache Absi-
den, die in mannigfal-
tiger Gestaltung auf-
treten, besonders, da
die durch das Strebe-
pfeilersystem bedingte
Form der Polygone
gegenüber den frühem,
romanischen halbrun-
den Nischen ein un-
vergleichlich beweg-
licheres Element war
(Fig. 61». Opmdriis
der Wienenkirche zu
Soe*t (Kunathist. Bil-
derbogen).
Auch die einfachste
Art des Chorschlusses
fehlte nicht, die ge-
rade Linie, wobei die
sieh ergebende breite
Hinterwand zur glanz-
vollen Entwickelung
von Fensterarchitekturen willkomme-
nen Anlass bot (vgl. KloBteraulageni.
Auf die Entwickelung des Grund-
risses aber war
von grösster Be-
deutung d<*r de-
tcöffjebau. Schon
in der romanischen
Zeit hatte man die
weitgehendsten
Versuche ge-
macht, die Kirchen
statt mit hölzernen,
durch Brände oft
zerstörten Decken
mit steinernen Ge-
wölben zu ver-
sehen und hatte
als zweckmftssig-
gewölbe aus dem Rund
bogen konstruierte, war
man gezwungen, stets
über quadratischen
Grundflächen zu kon-
struiren und man be-
half sich denn auch in
der romanischen Zeit
derart, dass man stets
zwei Gewölbefelder
deshalb so breiten Sei-
tenschiffes auf eines
desllauptschiffes fallen
Hess (siehe romanische
Baukunst). Durch die
Einführung des Spitz-
bogens fiel diese Be-
schränkung weg, da
durch behebige Ver-
rückung der Mittel-
punkte bei gegebener
Sprengweite eine be-
liebige Erhöhung des
Scheitelpunktes er-
langt werden konnte (Fig. 63, 64 1.
Vorerst wurden nun die Gcwölbe-
felder der Seitenschiffe und des
Mittelschiffes nach
der Längsachse
des Gebäudes
gleich breit ge-
macht, wodurch
der Unterschied
zwischen Ge-
wölbepfeilern und
Arkadenpfeilern
verschwand und
ein weit einheit-
licherer Eindruck
erzielt wurde.
(Fig. 60, 61 u. 65.1
Die romanische
Baukuust hatte
61. Wiesenkirch«
zu Soest.
Fig. 62. Rundbogigcs Kreuzgewölbe
ste Form das Krcuzgetcötbe gefunden, ferner zwischen Schiff und Chor das
Dasselbe besteht aus zwei halben sog. QuerschiJJT eingelegt, welches in
sich senkrecht durchschneidenden gleicher Höhe und Breite wie das
Hohlcylindern und bietet dengrossen Hauptschiff die Seitenschiffe durch*
Vorteil, dass es auf die Seiten wände schnitt und oft noch über dieselben
R^rexleon der deutlichen Altertümer. 4J0
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306
Gotischer Baustil.
vorsprang. Die gotische Baukunst
vernachlässigte es; oft wurde es ganz
weggelassen i Fig. 65), wenn es auch
bei reichen Anlagen dem Rhythmus
des Ganzen folgt und in der Regel
eine dreischifrige Anlage erhält
(Fig. 60).
Bevor wir die
Betrachtung über
den Grundriss
schliossen. dürfen
wir der Anlage
der Turme nicht
vergessen, jenes
Stolzes und Wahr-
zeichens der mit-
telalterlichen
Städte. Die ro-
manische Zeit war
in der Anlage der
Türme geradezu
übermütig gewe-
sen. Bis zu neun
Türmen erhoben
. , c , i rar. 63. spitzbog
sich auf demsel- v 6
ben Denkmal, aber keiner von allen
vermochte sieh mit jener Kühnheit zu
d«*n Wolken emporzuroeken, wie
das in der Gotik der Fall ist. In
Iiau8e8 aber schrumpft zusammen
in einen kleinen, niedlichen, hoch-
aufschiessenden Dachreiter. Das
Westende erhält dadurch seinen
bestimmten kräftigen Abschluss
während der Bau am Ostende
allmählich
iges Kreuzgewölbe.
klingt.
Die antike Welt
hatte ihre Tempel
so gestellt, das?
die aufflammend»
Morgensonne zu
den Portalen ein-
strömen und das
geliebte Götter-
bild mit ihren
Strahlen vergol-
den konnte; die
mittelalterlich-'
Anschauung
wandte die An-
lage um. Der Chor
als der Hanptteil
wurde nachOsten.
dem Lichte entgegen, vorgeschoben:
die Portale öffneten sieh westwärts.
2) Innerer Aufbau. Auf dieser
Grundrissbildung ' baut sich dir
&p>cngvftrtta:fc:6 .
Fig. 64.
der Regel erheben sieh hier nur Tempel in die Höhe, schlank uu«l
zwei gewaltige Steiuriesen an der hoch, mit möglichster Untcnirückung
westlichen Front und sehliessen zwi- der Horizontalen,
sehen sich die reichen Portale ein. Betrachten wir vorerst das Tw-
in andern Fallen legt sieh nur ein nere. Es mutet uns durch seine
Turm vor die ganze Anlage. Der Leichtigkeit und Einfachheit an;
gewaltige Vierungstuin über der alles Beengende ist vermieden, die
Kreuzung des Lang- und Quer- Konstruktionsinassen sind nach
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Gotischer Baustil.
307
aussen verlept, die Mauermassen der spannenden Thftti^keit der
der romanischen Basilika mit ihren Strebebogen, nichts von all jenen
kleinen Fenstern haben weiten Oft- notwendigen Konstruktionsmitteln,
Fig. 65. St. Stephan in Wien.
nungen und sehmalen Pfeilern Raum welche der Attraktionskraft der Erde
gemacht Wir bemerken im Innern entgegenzuwirken haben. Wir sind
nicht« von den massiven Strebe- 1 von der Aussenwelt abgeschieden
pteilern, die im Äussern den Ge- durch sattgemalte Fenster, die ein
wölbedruek auffangen, nichts von gedämpftes gebrochenes Licht in
20*
Digitized by Google
308 Gotischer Baustil.
(He Hallt' senden und durch die vor- nisclicn viereckigen Pfeiler sind
herrschenden Hohlkehlen und Rund- kräftigen Säulen gewichen, breit
Stäbe unterstützt, tiefe, Weichaus- 1 und wuchtig genug, um die über
Fig. 66. Strassburger Münster, Inneres.
laufende Schatten erzeugen. Fig 60 ihnen lagernd«1 Last zu tragen. Sit-
Innere* des Münsters zu Sfrasslturg erinnern noch leise an ihre Tyrannen
[Kunsthist. Bilderbogen). in den griechischen Tempeln, sind
Pfeilerentwickelung. Die roma- aber umgewandelt und umgestaltet.
Digitized by Google
Gotischer Baustil.
301)
nach der veränderten Funktion, die
sie zu verrichten haben. Die atti-
sche Ba*is, die in der Regel vor-
kommt, ist weit ausgekehlt, der
untere Wulst herausgedrückt, so
dass er oft weit über die Plinte
vorragt und durch Konsolen ge-
stützt werden muss. Der Schaft ist
massig, ohne Anzug, eylindrisch und
sitzt ohne irgend welche Vermitt-
lung auf der Basis auf, die im
Übergang vom Runden ins Achteck
und in mannigfaltiger Auflösung zu
einer einfachen Grundform sich dem
Boden anschlichst
Die Kapitale laden weit aus und
nehmen auf ihrer Oberfläche teÜ3
die Gewölberippen, teils die Säul-
chen auf, welche höher liegende
Gewölbe stützen.
Wuchtige starke
Blätter mit Knol-
len stützen die vier
Punkte der tra-
genden Platte, des
Kämpfers, welchen
die romanische Ar-
chitektur aus dem
antiken Gebälkge-
bildet hatte. Die
Fusspunkte der Bogen halten sich
nicht mehr an die Fortsetzungs-
linien des untern Säulenschaftes.
Sie setzen so weit aussen als mög-
lich an, so dass das Blätterwerk
des Kapitals zugleich als tragen-
des Element, als Konsole zu die-
nen hat Die Entwicklung des
gotischen Stiles änderte diese ur-
sprüngliche Säule zum Rundpfeiler
um, indem sie die Fortsetzung der
Gewölberippen durch kleine Säul-
chen, die sogenannten Dienste ver-
mittelte, welche sich anfangs frei
um den runden Kern lagerten und
nur leicht mit der ursprünglichen
Säule an Kapitäl und Basis verbun
den wurden. Natürlich fiel dadurch
die Notwendigkeit der weiten Ka-
pitalausladung weg und an deren
Stelle trat ein leichter Blattkranz
von einheimischen Eichen- und Wein-
stockblättern, bis schliesslich die
Spätzeit, wo diese letzte Reminiszenz
an den Horizontalismus dem wilden
Vertikalismus hindernd im Wege
stand, auch noch die Kapitäle be-
\ seitigte und die Gewölberippen in
einem Schwung vom Boden bis zum
Scheitel, aufjagte. In vielfachen
I Variationen wiederholt sich dasselbe
I Schema und sucht die Formen im-
mer flüssiger, immer schlanker zu
machen. Der mittelalterliche Bündel-
pfeiler war so für die Gotik das ge-
worden, was die Säule dem antiken
Tempel war.
(Jeicölberippen. Auf die so ge-
bildeten Stützpunkte baute sich nun
die Decke mit ihren Gewölben auf.
Ein wichtiger Fortschritt in der
Konstruktion der
stets angewandten
Kreuzgewölbe
wurde gleich im
Anfang der goti-
schen Zeit im nörd-
lichen Frankreich
gemacht, indem die
Diagonalgräte für
sich aus einzelnen
Steinen gewölbt
wurden und zwar so, dass sie auf
der vom Innern des Gebäudes
aus sichtbaren Seite mit Profilie-
I rungen versehen wurden , nach
[ oben hin jedoch einen Falz zeig-
I ten , in den die Dreiecksfelder
; des Kreuzgewölbes, die Kappen,
aus leichterem Material eingespannt
wurden. Dort aber, wo sich die
Rippen durchschneiden, setzte man
einen grösseren künstlerisch aus-
geführten Schlussstein (Fig. 67).
Die Profilierung der Rippen lehnte
sich anfangs dem Romanismus au,
konnte aber bei den eckigen For-
men mit den vorgelegten Rund-
stäben nicht stehen bleiben. Der
Ausdruck ihrer ästhetischen Funk-
tion, des Spannens, des sich selber
Tragens, musste klargelegt werden.
So Tiess die Gotik die Grundform
des Vierecks fallen und setzte an
Fig. 67 a und b. Rippenprofile
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310
Gotischer Baustil.
dessen Stelle ein Dreieck mit nach tiefen weichen Schatten gewann die
unten gerichteter Spitze. Tiefe Hohl- Oberhand und überstimmte alles
kehlen in Abwechselung mit kraftig andere. Ein Hasten und Jogen nach
Fig. 68. St. Stephan in Wien, Inneres.
sich losenden Rundstühen und na- Eftekten trat ein, dadurch aber ge-
mentlich den wirkungsvollen Hirn- rade jene nüchterne Eintönigkeit in
Stäben steigerten den Eindruck, i den l'rotilierungen spaterer Bauten.
Die Spiitzeit ging auch hierin immer welche in der ununterbrochenen
weiter. Die Hohlkehle mit ihrem Anwendung des gesteigertsten Aus-
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Gotischer Baustil.
311
Ffchcrgewölbcs. Fig. 65 und 68
' ru» St. Stephan in Wien
ist. Bilderbogen >.
Anblick einer solchen Netz-
ist ein uuendlich reicher und
«Inicksmittels ihre letzte Kraft ver- grosse Glaswand, die Fenster, von
eeudet. Auch die einfache klare der stark abgeschrägten Fensterbank
form des Kreuzgewölbes genügte i aufsteigend und in dem, dem Ge-
richt mehr. Die dreieckigen Kap- wölbe sieh anschmiegenden Spitz-
en erlegte man nochmals in drei bogen endigend. Ihrer Grösse wegen
Teile, setzte in den Schwerpunkt war es notwendig, sie durch mehrere
den Sehlusstcin und Hess zu ihm Steinpfosten zu teilen, die sich üben
vua allen drei Ecken sieh Rippen in dem das ganze Fenster überspan-
^iwufW.'lb< n. Ging mau in der nenden Spitzbogen in den geometri-
ji'ÜBnjr n,H.n weiter, so erhielt sehen Formen des sogenannten Mass-
ipta die reichen Formen des Netz- Werks verschlangen und auflösten.
Noch deutlicher tritt uns die fertige
Form der Fenster entgegen, wenn
wir sie in ihrer Entwiekelung be-
trachten. Das erste Motiv war in
dem gruppentnässigen Zusammen-
t, kann aber den Ausdruck ' stellen einzelner kleiner Fenster ge-
Gesuchtem, nach kon- geben. Durch Zusammenrücken der-
Spitzfindigkeiten Gehen- selben entstanden leichte, durch Säul-
chen getrennte Arkaden, und den
alle umfassenden Spitzbogen füllte
eine einfache Rosette aus. Wie aber
nach und nach der Inneubau flüs-
sigeres Leben und Form annahm,
tauchte auch in der Fensterarchitek-
tur flüssigeres Leben auf. Die
sehnigen Gelaufe wurden belebt
durch Säulehen und Hohlkehlen, und
Mittlen Fenstern durchbrach, nach das Rosetten motiv faud hundertfai-
• i nach verschwanden und sich tige Variation mit sich schneidenden
<km keinesfalls verleugnen . wenig-
stens in seiner letzten Ausbildung
Hieran r ist das innere Gerippe
mx gotischen Kirche gegeben. Das
übrige ist alles Füllwerk. Wir ha-
ben schon betont , dass die Mauer-
ria^en des romanischen Stiles, der
■ ■ *< Iben nur mit kleinen unbedeu-
wf die Pfeiler konzentrierten, so
' i-5 die letzteren zwischen sich ein
reies, durch keinen Gewölbedruck
Vber den Bogen der Seitenschiffe
kneten sich in den ersten Zeiten
äe zierlichen Arkaden der über den
Kreislinien in den sogenannten Drei-
Vier- und Fünfpässen ; in der Blütezeit
noch in massvollen Schranken, später
i i-tetes Feld einschlössen, in dem in oft übersprudelndem Formenreich-
K die D -koration nun in ihren tum, oft aber auch in unermüdlicher
i' hKchBten Formen tummeln konnte. Anwendung der sogenannten Fisch-
blase, eines flammenartigen, rundlich
Geschwungenen Passes, der bereits
ie Gesetze geometrischer Bildung
eitenschiffen angebrachten Empo- aufgelöst zeigt (vgl. den Artikel
*». Die folgenden Zeiten drückten Fenster). In späterer Zeit, als man
fcse Emporen immer mehr zusam- darauf bedacht war, die Mauermas-
Mö» bis schliesslich nur noch ein sen möglichst zu reduzieren und alles
tbmalcr Umgang blieb, der zuletzt J in Licht aufzulösen, zog man sogar
o»-h wegfiel. Als dekoratives £le- ! die Trifolien in das darüber liegend«'
s^ot aber wurden dies»« Arkaden, ! Fenster hinein. Das Lieht wurde da-
sogenannten Triforien oder Drei- , durch erhalten, dass mau die Seiten-
fniihqen beibehalten. Sie mussten schiffdäeher nach einwärtsabwalmte,
ir Maskierung des an die Mauer allerdingsein gefährliches Auskunfts-
eh anlehnenden Pultdaches der mittel, denn man bildete dadurch Zu-
itenschifle dienen (Fig. 66). fluchtswinkel für Regen un l Schnee.
I>arül>er entwickelte sich eine Eine wundervolle Gestaltung er-
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312
Gotischer Baustil.
langte die Masswerksarchitektur in ' aller Art. Namentlich die franzosi-
dcn sogenannten Jiogm, wie sie an sehe Gotik brachte die Rosen zur
den \\ Inden des Querschiffes und vollsten Blüte, wahrend Deutschland
Fig. 69. Barbarakirche in Kuttenberg.
der Hauptfront, auftreten; grosse dieselben, als dem vertikalen Prinzip
weitgespannte Räder, anfangs mit widersprechend, fallen Hess und durch
radialen Speichen versehen, später grosse Spitzbogenfenster ersetzte. —
überflutet von geometrischen Formen Dieser steinerne Gitterbau bot nun
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Gotischer Baustil.
313
der Verglasung ihren Halt, die dann
auch in den lebhaftesten buntesten
Mustern zusammengesetzt wurde und
dem kalten, nordischen, scharfen
Tageslichte den Eintritt ins Innere
verwehrte.
.. 3) Ganz anders tritt uns das
Äussere entgegen. Da begegnen wir
den gewaltigen Stützen, da finden
wir die mannigfaltigsten Konstruk-
tionsmittel offen und ehrlich. Zu-
nächst fallen die Stretjejrfeiler, wuch-
tige von breiter Basis aufsteigende
Steinkolosse, in die Augen. Wir
haben oben gezeigt, wie sich der
Druck der Gewölbe auf einzelne
Punkte konzentrierte. Diese Punkte
galt es vor allem zu sichern. Dem
Schub der Sei tenschiffge wölbe konnte
durch die Strebepfeiler direkt begeg-
net werden, während der Schub des
Mittelschitfgewölbes über das Seiten-
schiff hinweg auf den Strebepfeiler
geleitet werden musste. Dies geschah
mittelst frei gespannter Bögen, den
sogenannten Strebebogen, die einer-
seits gegen das Mittelschiff, anderer-
seits gegen den Strebepfeiler drück-
ten una so den Gewölbeschub auf
die Steinmasse des letztern über-
trugen. Waren mehr als zwei Seiten-
schiffe vorhanden, so sprengte man
die Strebebogen entweder in kühner
Spannung über beide Schifte hinweg,
o«ler aber man führte auf den die
Seitenschiffe trennenden Pfeilern
Törmchen auf, welche, den weitge-
spannten Strebebogen durchschnitten
und denselben so in zwei selbstfindige
Teile zerlegten. So sind die Strebe-
S^eiler die wahren Atlanten des
aues und tragen auf ihren Schul-
tern die Last der gesamten Kon-
struktion, dienen aber zugleich als
festes senkrechtes Rahmwerk für
die mit luftigen Fenstern durch-
brochenen Wände. Anfangs sind sie
kahl nach oben durch einfache
schräg abfallende Abstufungen sich
verjüngend. Die schaffende Phan-
tasie vertiefte »ich vorerst auf das
Innere, and erst als dasselbe mit sei-
nem Zauber die höchste künstlerische
Gestaltung erreicht, beschäftigte sie
sich mit der Ausbildung der äusseren
Formen. Der schwerfällige Strebe-
pfeiler erwuchs bald unter der
schaffenden Gestaltungskraft zu
einem eigenen kleinen Bauwerke.
Naturgemäss wurde der Pfeiler be-
trächtlich über den Angriffspunkt
der Gewölbe erhöht. Das gab den
ersten Anlass zur Dekoration. Die
werkthätige Hand säumte nicht, die-
sen Aufsatz zu einem eigenen kleinen
Türmchen mit steiler hoher Spitze
auszubilden. Diese Pfeilertürmchen,
oder wie sie die damalige Handwerk s-
sprachc nannte, die Fialen, bestan-
den aus «lern sogenannten Leib und
dem schlanken Spitzdache, dem Rie-
sen, aus dessen Spitze eine kreuz-
förmig ausladende Blume hervor-
: blühte und an dessen Kanten kleine
Steinblumen, die Krabben oder
| Knollen, emporkroehen, auch ihrer-
seits die aufwärtstreibende Be-
wegung höchst lebendig ausspre-
chend. Fig. 70. Barbarakirche in
Rudenberg (Kunsthist. BilderftogenJ.
Die schon erwähnten Absätze
aber boten willkommenen Anlass zur
Aufstellung von kleinen Tabernakeln,
Statuen mit Baldachinen etc., so dass
sich der ehemals so plumpe Stein-
pfeiler schliesslich in einen Wald
von auseinander heraaswachsenden
Türmchen und Nischen auflöste und
unter dieser zum Himmel empor-
strebenden spielenden Bewegung die
enteegenstemmende Wucht kaum
mehr ahnen Hess. Der Strebebogen,
oberhalb mit einer Schräge zum Ab-
lauf des Wassers versehen, aus der
die schon erwähnten Krabben empor-
wuchsen, erfuhr ebenfalls den Ein-
fluss der Phantasie, die keine schwere
Fläche mehr dulden wollte.
Die Strebebogen dienten neben-
bei aber zugleich als kleine Aquä-
dukte, welche das Abwasser des
Hochwerks über die Seitenschiffe,
wegführten. Ungeheuerliche Ge-
stalten, meistens Tierformen oder
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314
Gotischer Baustil.
Menschenköpfe, die sogenannten
Wasserspeier, spieen das sich sam-
melnde nasser aus und schleuderten
es weit vom Bau weg.
In Wechsel voller Weise spannte
sich zwischen dieses vortretende kon-
struktive Ge- '
rüst hinein der
prächtigeTep-
pich der Fen-
ster , deren
umfassender
Spitzbogen
überdacht
wurde von den
sogenannten
giebelähn-
heben Auf-
sätzen, in de-
ren Dnicck
die Lieblings-
dekorationdes
Mittelalters,
das Mass werk,
ein unbe-
schränktes
Feld fand.
Fig. 70. Wim-
jjer<fe vom
Kölner Dom
I Kunsthist.
Bihlerhixjen ).
— Leichte
durch ihre tie-
fen Schatten
aber ungemein
wirkende Ho*
rizonfa/fje-
simse verbin-
den «Ii«' einzel-
nen Strebe-
pfeiler and
umziehen, da sich in den Hohl-
kehlen gewöhnlich ein reiches
Blätterwerk entfaltet, den ganzen
Bau mit einem steinernen Kranze.
Den grössten Triumph aber feierte
die Gotik in der Entwickelung der
Westfacadc, im Turmbau. Wie wir
schon bei der Betrachtung des Grund-
risses belehrt wurden, erheben sich
keineswegs
zeugt«
in der Regel zwei massige Türme.
Wenn auch die Auwendung der
Strebepfeiler beim Turmbau durch
seine inneren S truktur Verhältnisse
geboten war, so über-
man sich doch bald, dass die
Symmetrie
der ganzen
Anlage vor-
springende
Mauenna>sen
erfordere und
dass auf diese
Weise mit
leichterer
Kühnheit dein
Ganzen der
Charakter des
Empörst re-
benden gege-
ben werden
könne. So
setzen denn
vier gewaltige
Pfeiler am
Fussboden an.
steigen auf,
schlanke hohe
Fenster ein-
schliesseud.
bis eine Gale-
rie, das Unter
geschoss tren-
^ nend , deu
Ubergang vom
Vier-ins Acht-
eck markiert
in welchem
der Kern sei-
nem Gipfel-
S winkte zuiagt.
We vier fcek-
pfeiler , zer-
uud sieh ab-
n von Fialen,
sich auf-
Übergaug
indem .sie
vom Kölner
klüftet von Nischen
stufend in Dutzende
als .selbständige Türm»'
bauend, vermitteln den
auf die bewegteste Art.
den mittleren Kern zu seiner luftigen
Höhe begleiten, der sich dort mit
einem gewaltigen Steinhelm über-
dacht. Die strenge Konsequenz. *li
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Gotischer Haustil. 315
im gotischen System liegt, wollte mit künstlerischer Gleichgültigkeit
aber auch hier oben ausklingen. Auf die praktischen Bedürfnisse hintan-
dem lebendigen, mit Leichtigkeit auf- setzend, erstand ein luftiges durch-
Fig. 71. Brautthor zu St. Sebald. Nürnberg.
«(Hellenden System des Unterbaues brochenes Gerüst, dessen kräftige
konnte keine volle Steinmassc als Rippen, untereinander verspannt,
Ab-M-lilusshelrn lasten. Unbekümmert durch Masswerk aller Art, an ihrem
gegen die Unbilden der Witterung, Vereinigungspunkt als letzte Blüte
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316
Gotischer Baustil.
eine gewaltige Kreuzrose aufknos-
pen Hessen. Unten am Fussc aber
öffneten sich drei weite Portale.
Dort herrsehte der bildnerische
Sehmuck mit gewinnender An-
mut. In tiefliegenden Hohlkehlen,
keck unterbrochen von schlanken
Säulchen, empfangen uns die Scharen
der Heiligen, deren Statuen unter
Baldachinen, auf Konsolen ruhend,
herniedergrüs8en, während das von
dem Bogen eingespannte Feld, das
sogenannte Tympanon , Szenen aus
der Bibel erzätilt und der das breite
Portal trennende Pfeiler die Statue
eines bevorzugten Heiligen, in der
Regel diejenige der Maria präsen-
tiert. Fig. 71. Brautthor zu St. Se-
bald. (KuMthut. Bilderlxxjen).
Über der reiehgeschmückten
Archivolte erhob sich in der Regel
ein grosser steiler Giebel, dem
wir schon bei den Fenstern
unter dem Namen Wimperg be-
gegnet sind, nur dass hier die
weit grössere Fläche oft auch noch
in den Rahmen des bildnerischen
Schmuckes hineir (gezogen wurde,
statt mit Masswerk ausgefüllt zu
werden. Unbekümmert ragten diese
Giebel in das darüberliegendc Fen-
ster oder die Rose lünein und kenn-
zeichnen so recht die Rücksichts-
losigkeit der mittelalterlichen Bau-
meister, wenn es galt ein bestimmtes
Architekturstück konsequent auszu-
bilden.
Hiermit steht der gotische Kir-
chenbau vollendet vor uns, gross in
seinen Grundgedanken, gross in
der konstruktiven und dekorativen
Behandlung desselben, aber trotz
dem seine bedenklichen Kehrseiten
nicht verleugend. Die tausend
und aber tausend feinen Spitzen,
welche der Vernichtung ihren
Arm entgegenstrecken und im wil-
den Chaos, besonders am Chor-
haupte, weder ein klares Bild, noch
eine formeuschöne Silhouette, zu-
stande bringen (Fig. 69), das Über-
schneiden der zahlreichen Bögen im
Innern in oft nichts weniger als
schönen Formen, der unvermittelt*?
Aufsatz der Gewölberippen auf den
Diensten, die bildnerische Überladung
der Portale mit der widersinnigen
Stellung der Statuen gegen den
Scheitelpunkt des Bogens liin, die
zwecklosen, rein dekorativen Wim-
perge, die Tunnhelme, deren durch-
brochene Masswerksformen nicht nur
dem praktischen Bedürfnisse nicht
im geringsten entsprechen, sondern
fast für jeden Standpunkt des Be-
schauers sich überschneiden und sich
in unrhvthmi8cher Weise decken, vor
allem aber die durch gänzliche Unter-
drückung der Horizontale hervor-
gerufene Unruhe, erinnern nur zu
sehr daran, dass Wahrheit, Natur
und Zweckmässigkeit nicht die stärk-
sten Seiten der gotischen Architektur
waren und dass dieselbe m«'hrbestrvbt
war, das Ideale zu realisieren, als das
Reale zu idealisieren.
4) Schliesslich hätten wir noch der
abweichenden Formen zu gedenken.
Bei der umfassenden Verbreitung
des gotischen Stiles war es selbst-
verständlich, dass mannigfache Ab-
änderungen so wohl in der Grundriss-
form als im Aufbau zur Geltung
kamen, teils bedingt durch nationale
Eigentümlichkeiten, teils durch den
veränderten Zeitgeist, teils aber na-
mentlich durch das Baumaterial.
Vorerst hatte jenes exzentrische
Streben nach Vertikalismus nicht
überall die Oberhand gewonnen.
Man hielt zum Teil noch fest an
einer ruhigen, dem Romanischen
sich mehr anlehnenden Entwickelung.
Statt das Mittelschiff zu jener eng-
brüstigen Höhe emporzuuihren, zog
man es vor, die SeitenschifFe zu er-
weitern. Man machte dieselben
breiter, zuletzt so^ar gleich breit,
wie das Mittelschiff. Eine natür-
liche Folge davon war die Erhöhung
desselben, und das Resultat dieser
Umwandlung eine Halle mit drei
gleichbedeutenden Schiffen (Fi£. 68).
Dieses System der Hallenkirchen
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Gotischer Baustil.
317
beeiuflusste die Form der äusse-
ren Anlage beträchtlich. Das Quer-
schiff fiel weg, und der Wechsel
des höher emporragenden Mittel-
baues zu den niedrigen Seitenschiffen
erstarb zu einer glatten Mauer, die
trotz der langen grossen Fenster
und allen möglichen konventionellen
Zieraten sich nie zu jenem leben-
digen Rhythmus der Basilikenanlage
emporzuschwingen vermochte. Die
durch drei gleich hohe
Schiffe entstandene Flache des zu
überdachenden Baumes bedingte aber
zugleich jene gewaltigen Dächer,
die trotz allen augewandten Deko-
rationsmitteln, trotz des Auflösens
in farbigem Schmuck dem Bau ein
für allemal ein schwerfälliges Ge-
präge aufdrückten.
Ak3/a/erär/wurdebei den meisten
Bauten ein fügsamer Baustein ver-
wendet. In den nördlichen Gegenden
indessen, wo derselbe schwer zu er-
halten war, sah man sich auf ein
Surrogat verwiesen, auf die Ziegel.
(Baeksteinlmu). Dadurch entstand
dort eine eigentümliche Richtung.
Alle stärker ausladenden Details
fielen weg und machten einem deko-
rativen farbigen FlachornamentPlatz.
Indes« vermochte diese Richtung in
der Kirchenarchitektur sich nicht
zu einer wirklich künstlerischen Ent-
wickelung emporzuschwingen. Sie
blieb eine lokale.
Die Zeit war nicht mehr dazu
angethan, neues zu schaffen, es folgte
eine allgemeine Entnüchtcrung. Man
li<*ss den Gesamtgedanken aus dem
Auge und wandte, Zeit und Ge-
schmack einer dekorativen Aus-
bildung der Details zu, die nur zu
bald in eine bald anmutige, bald
nüchterne Spielerei ausartete.
Das Kennzeichen jedes Zopfes,
das Haschen nach geschwungenen
Linien brach auch da ein. Die
Wimperge wurden gekrümmt und
nahmen die Gestalt des sogenannten
E*eUrückens an, das Fenstermass-
tverk verwilderte in den Fischblasen-
formen, die Fialen wurden spiral-
förmig gedreht und die Spitze oft
hakenförmig umgebogen, die Pro-
file bestanden schliesslich aus nichts
mehr als aus tiefeingeschnittenen
Hohlkehlen. So wurde die gotische
Architektur reif, der einbrechenden
Renaissance zu weichen, und .wich
auch fast ohne Kampf. Die Über-
gänge sind gering. Die Renaissance
tritt unvermittelt ein und verkündet
den Anfang einer neuen Zeit, eines
anderen Gedankenganges.
5) Historischer Ahriss. Frankreich.
Schon in der Mitte des 12. Jahr-
hunderts, während Deutschland noch
streng romanisch dachte und baute,
erstand unter Abt Suger an der
Abteikirche zu St. Denis ein neuer
Chorbau, an welchem zum ersten-
mal der vollendete Strebepfeiler
aufkam, verbunden mit der reich
ausgebildeten Choranlage ; hier nahm
auch die konstruktive Verwendung
des Spitzbogens ihren Anfang, nach-
dem schon lange vorher ein Grübeln
und Suchen nach diesem System in
der romanischen Architektur vor-
bereitend den Grund zu diesem,
wenn man so sagen will, neuen Ge-
Gedanken gelegt hatte. Derselbe
fand rasch Anklang, und in kurzer
Zeit folgten diesem Erstlingswerk
die Kathedrale von St. Remy zu
Rheims, sowie die Kathedralen von
Laon und Paris. Am glanzvollsten
entwickelte sich die französische
Gotik im 13. Jahrhundert an den
Kathedralen von Chart res (1195 bis
1260) und Rheims (1212) und er-
reichte den Glanzpunkt ihrer Blüte
in der Kathedrale von Amiem
1220—88), während das 14. Jahr-
hundert sich grösteuteils mit Voll-
endung der begonnenen Bauten be-
schäftigte. Im 15. Jahrhundert zer-
fiel die französische Gotik bereits,
indem der sogenannte Flamboyant-
stil oder wie man auf Deutsch sagen
würde, der Fischblasenstil einbrach.
Deutschland sträubte sich bis
tief ins 13. Jahrhundert hinein, den
uigiiizea
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318 Gotischer Baustil.
sich buhnbrechenden neuen Formen bis 1315), wo die Masswerbent-
sein Gebiet zu ötrnen. Es hielt fest Wickelung in den Fenstern in spru-
an der Ausbildung des romanischen ! delndem Leben zur Geltung kommt
Stils, der allerdings trotzdem in Das im gleichen Jahrhundert er-
seiner Blütezeit in dem rheinischen ! richtete Münster zu Freiburg impf-
Übergangsstil den Einfluss der her- niert namentlich durch Mint edle
anrückenden Gotik, namentlich in Turmbaute mit durchbrochenen]
der Grundrissbildung, keineswegs zu Helm. Das Strassburger MiMfa
verleugnen vermag. Das erste be- (1275—1489) zeigt fast alle Phasa
deutende Beispiel der Aufnahme der mittelalterlichen Baukunst
gotischer Formen zeigt der Chor Das Langhaus (Fig. 66) ist streof
des Doms zu Magdeburg, der das frühgotisen, die Seitenfacaden dä
französische Vorbild des Kapellen- Querschiffes und der Chor mahnt*
kranzes aeeeptiert. Ein liebliches an romanische Formen, während <te
Beispiel der Übertragung dieses vordere westliche Faeade mit ihnn
französischen Gedankens auf den gewaltigen Radfenster deutliche Ap-
Zentralbau ist die Liebfrauenkirche klänge an die französische Gotik
in Trier (1227-44), während die in ihrer Blüte zeigt, und der
Elisabethenkirche in JA* / &m;v/ als das Turmbau endlich (1439 vollende*]
erste frühe Beispiel (1235 — 83) einer jenes Auflösen der Architekt*
Hallenkirche erscheint. Das Quer- formen, jenes Jagen nach konstruk*
schiff ist uueh Vorluge des rheinischen tiven hundwerksmässigen jxtrfort*
Übergangsstiles im Polygon abge- Leistungen offenbart, die man hoch-
schlössen , die ganze Anlage noch stens wegen ihrer Kühnheit brvw-
äusserst ruhig, einfach und sehlicht, dem, nie aber schön fiiidcu kam*,
aber von grossem Adel der Auf- Im südlichen Deutschland stellt <kf
fassung zeugend. 1275 erstandene Regensburntr D<fa
In dem schon 1248 begonnenen das Vorbild für die deutsche Chof^
Kölner Dom (Fig. 60) entfaltet sieh bildung auf, welche der reichen fr**:
das gotische System zu edelster zösischen Anlage entsagt und Jft
Harmonie und grossartigster Durch- selbe durch einfache Polygone
führung, die indes nicht frei ist von setzt, während im Präger
schulmässiger Regelrichtigkeit. Der (1343—85) eine nochmalige .wi
Einfluss der französischen Gotik ist ) nähme des Kapellenkranze? ffl»
unverkennbar und der Kölner Dom Durchbruch gelangt. Im 14. Jskr*
sozusagen eine getreue Kopie der j hundert ist die Gotik in Deutsch»
Kathedrale4 von Amiens, allerdings in Fleisch und Blut übergepMi?*
eine Kopie, welche das Original durch | und feiert nochmals ihre Blütea^
Lauterkeit, Folgerichtigkeit und so im Dom zu Halberstadt, nawifc
Klarheit der Disposition überholt, lieh aber in der weitern AusbilHBj
ein Bauwerk, dessen gewaltige Di- des Halletikirrhensi/st&ms. ZagWflj
mensionen an das menschliche Köu- bricht aber mit def Überha
nen und die menschliche Kraft der- der gegenüber der Basilika
artige Anforderungen stellte, dass nüchternen Form der Hallen
es unserem Jahrhundert vorbehalten eine gewisse handwerkstni*
war, mit der Kreuzblume die Stein- Fertigkeitan Stelle der künstlerUdi
riesen zu krönen, das gewaltige Gestaltungskraft; ein ÜberhM
Werk zu seiner Vollendung also nehmen von konstruktiven Sp»
nicht weniger als sechsnndcinhalbefl findigkeiten, wie Netz- und Swflf
Jahrhundert bedurfte. Ungleich ori- gewölbe; eiu Einhüllen der F«mn«J
gineller in der Auflassung ist die in ein wahres Netz von frei dargw
KatharinenkirchezuO;//yrw//</wMl262 gestelltem Stabwerk, die unuiff
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Gotischer Baustil.
319
•»chrankte Herrschaft der Fischblase
und des Eselsrückens. Die Bei-
H»i«Ae dieser Epoche entbehren zwar
keineswegs einer gewissen Anmut
und Leichtigkeit, besonders in der
Ausbildung von Einzelarchitekturen;
w\t erinnern nur an die Wiesen-
kirche in Soest- mit dem wunder-
hübschen Chorschluss, an dieMarien-
kirx he zu Muh/hausen, an die Dome zu
JfinJtH und Meisten, in Süddeutseh-
land namentlich an die Liebfraueu-
kirche in Esilinyen mit dem höchst
■ it ijLri-ii Turra, an die Nürnberger
Kirchen $/. Sebald und Sf. Lorenz
Da** gewaltigste Denkmal des
14. Jahrunderts aber repräsentiert
•ÄL an in Wien (Fig. 68), eine
weite Hallenkirche mit wenig er-
böhfem Mittelschiff« Im Äussern
namentlich die mit grosstem
rhen Fleisse erstellten Wim-
perge ins Auge, wodurch die
öchw- n des gewaltigen Daches
etw«< L'-'mildert wird. Besonders
feiiex hat sich die Gotik in dem ge-
jpalüVen Riesenwerke des Turm-
(1433 vollendet) ein letztes,
'durch alleJahrhunderteAchtung
^«bietendes Denkmal gesetzt.
Von da an zerfällt sie rasch.
15. Jahrhundert vermag sie
tt mehr zu halten. Die Einzel-
ren werden nüchtern oder
sie fangen an, sich zu
und zu .biegen und zu
ihnörkeJn. Die geometrischen
nen werden zur Zerrform der
lr und arfen zuletzt in unver-
je plumpe Gestaltungen aus.
>lche Blüte gotischen Zopfes
das Portal des Merseburg er
und der Klosterkirche zu
\f- etc Ver Backsteinbau
^ine Haupt Vertreter in den
r^ben Gigenden, namentlich
l*er Marienkirche zu Ziffer*
& - onenl. wo die ganze weit-
|W.. Anlage de» französischen
ST I Lkttein zur Ausführung
In England schlug der gotische
Stil seinen eigenen Lntwickelungs-
gang ein. Das Langhaus wurde
stets nur dreischiffig angelegt und
ungewöhnlich in die Länge gezogen.
Der Chor erhielt den nüchternen
geradlinigen Abschluss. Neben den
zwei Westtünnen hielt sich der
Querschiffturm. Der deutsche Helm
machte beinahe immer einem ein-
fachen Zinnenkränze Platz.
Die hauptsächlichsten Beispiele
sind die Kathedrale von Canterburv,
die Westminstcrkirehe in London
(1245—69 ). die Kathedrale von Salis-
bury (1220-1259), von Woreester
und andere mehr.
In Italien kam der gotische Bau-
stil nie zu seiner Geltung, oder er
erhielt, wo er zur Ausführung kam,
ein den nationalen Anschauungen
und dem Bedürfnis entsprechendes,
dem gotischen Principe aber fremdes
Gepräge. Italien lebte zu sehr in
den antiken Formen und folgte nur
widerstrebend dem Zuge der Zeit,
während das vom benachbarten
Frankreich beeinflusste Spanien den
gotischen Stil freudig auffasste und
denselben mit maurischen Formen
zu einem eigentümlichen Bilde ver-
quickte.
Nach diesem Rundgange durch
die verschiedenen Länder und Jahr-
hunderte können wir ungefähr fol-
gende Epochen des gotischen Bau-
stils aufstellen:
Erste Epoche: Übergangsstil vom
Ende des 12. bis zur Mitte
des 13. Jahrhunderts.
Zweite Epoche: Frühgotik, Ende,
des 13. und Anfang des 14.
Jahrhunderts, zugleich die
Blütezeit.
Dritte Epoche: Verfall und Aus-
artung, Ende des 14. und
15. Jahrhundert.
B. Die Profanbauten.
Der Wohlstand der mittelalter-
lichen Städtebewohner, genährt
durch den emporblühenden Kandel
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320 Gotischer Baustil.
Fig. 72. Rathaus zu Krüssel.
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Gotischer Baustil.
321
mal gestärkt durch jene Hamlwerks-
verbmdungen, die Zünfte, mit ihren
streng organisierenden Gesetzen und
Vorschriften, rief von selbst eine
ersteigerte Baulust auch im Profau-
bau hervor; sei derselbe nun für
die Öffentlichkeit berechnet gewesen,
oder diene derselbe als Wohnhaus
oder Kaufhaus. S«> entstanden Rat-
häuser, ßildcnhalleu , Zunfthäuser
und Privatgebäude aller Art. Fig. 72,
Rathaus zu Brüssel [Müller und
Mottet, .irr/,. Wörlerb*)» Selbst die
das Weichbild der Stadt begren-
zenden Umfassungsmauern geben
durch ihre prächtigen Türme und
Thorr Zeugnis der lebensfroh
rrwachten Baulu>t. Die Faca-
dea der Wohnhäuser bauen sich
meist mit den durch die Kirchen-
architektur gegebenen Elementen
auf. nur dass hier die Massen der
Strebepfeiler leichten Lisenen wei-
chen und das spitzbo^ige Fenster
einer gekupp< dteii Fensteranlage
Platz macht, die überdeckt und ge-
teiit ist durch zwei horizontale Stein-
balkeu. Gegen die Strasse zu baut
sich rnei^t ein steiler Giebel auf,
der Anla» zu mannigfaltigen Deko-
rationen bietet. Der Symmetrie wird
gewöhnlich keine Rechnung getra-
gen und gerade in einer gewissen
Begello>igkeit liegt ein hoher male-
z dieser Gebäude, erhöht
durch keck vorspringende, mit rei-
S k i dptura rbeit ü benleckte Erker,
rufen an der Stra.-se aber öffnet
sich eine schattige Arkade von
kräftigen Bögen und Pfeilern. Diese
-et zt sich gewöhnlich unter den
Nachbarhäusern fort und bildet so
iige, die unter dem
Namen Launen bekannt sind und
den mittelalterlic hen Städteanlagen
das Gepräge eines heüneligen Bei-
sammensein.- aufdrücken. Im Innern
waren die Häuser meist eng und
entbehrten des Lichtes und der
Von der erwähnten Laube
\x\s\ man vorerst in einen grossen
Fh.r. Hier pulsierte das geschäft-
Kealtadcon der deutschen Altertümer.
liclie lieben des Hauses uud wurde
überwacht von der im Hintergrunde
angebrachten Schreibstube des Kauf-
herrn. Eine meist enge, steile Treppe
führte von der Hall«' zum Söller,
der die Verbindung mit deu Wohn-
und Schlafräumen des obern Ge-
schosses vermittelte und von dessen
Brüstung man den unten vorsieh geh-
enden Verkehr beobachten konnte.
In den weiten hohen Dächern aber
bargen grosse Speicher die Schätze
des Kaufherrn und die Vorräte der
Hausfrau. Die Strassen waren meist
eng, mitten durchzogen von dem so-
genannten Stadtbach, und erweiter-
ten sich selten zu freien offenen
Plätzen, welche dann gewöhnlich
mit vielröhrigen Brunnen geschmückt
wurden. Deu Glanzpunkt aber feierte
die Profanarchitektur, namentlich
in den Niederlanden, in den impo-
santen Rathäusern, welche gewönu-
lich durch einen gewaltigen Turm
mit schlank emporstcheuder Spitze
die Bedeutung des Gebäudes als
koordiniertes Ulied der Kirche kräf-
tig aussprachen. Mit gleicher Lebeus-
frohlichkeit entstanden aber auch
jene weithalligen Klosteranlagen mit
ihren romantischen Kreuzgängen,
die trotzigen Jiu rqen mit ihrem die
ganze Gegend benerrschenden Ver-
teidueungsturm, dem Bergfrit.
Die liöchste Ausbildung erfuhr
der Profanbau in den flandrischen
Landen, allein auch in Deutschland
fehlt es nicht an einer mannigfal-
tigen, oft edlen Gestaltung. Zu-
nächst sei der Kathäuser in Braun-
schweig und Münster gedacht, die
zwar des Turmes entbehren, aber
durch eigentümliche Anlage der
übereinanderliegenden Geschosse
und anmutigen Bogenhallen an-
sprechen. Privathäuser findet man
zu Münster und Kuttenberg, nament-
lich aber zu Nürnberg i Haus Nassau).
Unter den Schlössern sind die von
Karl IV. gebaute Burg Karlsstein
und die grossartig angelegte Al-
brechtsburg zu Meisseu hervorzu-
21
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322
Gott Vater. — Götter der Germanen.
hoben. Höchst bedeutend ist die
Entfaltung, die der Profanbau
in Ländern des Baeksteinbaues
fefunden hat, so im Rathaus zu
angermünde, dem Stadtthor zu
Stendal etc. Den Stolz des goti-
schen Profanbaues in Deutschland
aber bildet das Hauptschloss des
deutschen Ordens, die sogenannte
Marienburg mit ihrem wundervollen
Kempter.
In Italien fand der gotische
Profanbau eine weit prunkvollere
Gestaltung und Ausdehnung , wie
auch in Frankreich und England,
wo der Fachwerksbau seine Aufer-
stehung in den zierlichsten und
mannigfaltigsten Formen offenbarte.
Nach den kunstgesch. Werken von
Lühke, Kugle r u. Sehnaase.
A. H.
Gott Vater, als Bildwerk, wurde
in der ältesten christlichen Kunst
entweder bloss symbolisch durch
die segnende Hand und durch den
aus den Wolken reichenden Arm
dargestellt, oder durch Christus, den
Sohn Gottes. Seit dem 12. Jahrh.
übertrugen indes die Künstler die
Gestalt des Sohnes auch auf den
Vater, so dass die Entscheidung,
wer von beiden gemeint sei, oft
schwer fällt. Ein eigener Typus
fiir Gott den Vater bildete sieh" erst
seit dem 14. Jahrh. aus, und zwar
als Greis von 60— 80 Jahren, mit
langem, weissem, ungeteiltem Bart,
eine abgelebte Gestalt mit den Iu-
signien der Majestät bekleidet, im
Kostüme des Papstes, Kaisers, Kö-
nigs, den Reichsapfel zum Zeichen
der Weltregierung haltend. Otte,
Handh. d. Archäol. Abschu. 158.
Gotter der Germanen. Die
germanische Religion entwickelt sich
aus der Xaturreligion der arischen
oder indogermanischen Völker; sie
stimmt daher in ihren Grundzügen
mit den Religionen derlndier, Perser,
Griechen, Italiker, Slaven und Kelten
überein, und es ist Aufgabe der ver-
gleichenden Mythologie geworden.
nachzuweisen, auf welche Weise sie
sich allmählich zu ihren besonderen
Formen herangebildet hat Mit der
älteren indogermanischen Mythologie
teilt die germanische noch deutlich
den Charakter eines von einem Hit-
tenrolke geübten JAehtktdtus. An
der Spitze der germanischen Götter
standen in den letzten Jahrhunder-
ten vor Christi Geburt die lichten
Mächte des Himmels, die tiras, alt-
nordisch tivar, d. n. die Himm-
lischen, und die raneis, nordisch
ranir, die Glänzenden. „Der Gott
des leuchtenden Himmelsgewölbes
Tius wird vorzügliche Verehrung
genossen haben." An seiner Seite
scheint eine Erdgöttin FuJda ge-
standen zu haben. Neben ihntu
wurde ein leuchtender Sonnengott
und ein strahlender Blitzgott, Thunar,
verehrt. Diese kämpften mit den
finstern Dämonen des Wolken-
dunkels, der Nacht und des Win-
ters, welche die Frauen, das Gold
und die Kühe rauben ; die Dämonen
werden bald als Riesen, bald als
Zwerge, bald als Drachen aufgc-
fasst. Aus der Schar der himm-
lischen Wasserfrauen und der Jung-
frauen der Morgenröte, welche die
arische Mythologie kannte, trat als
Gesamtverkörperung eine hohe Göt-
tin hervor, welche in der Wolke
thronend mit dem Sturme daher-
fährt, aber auch das Licht der Sonne
und Morgenröte spendet. Sie spal-
tete sich später in die verschiede-
nen Göttergestalteu der Fria, Friqi,
Hulda u. a. Die im Blitze, den
Sonnenstrahlen, wie in allen Leben
der Natur waltenden Seelen dea
arischen Urvolkes waren bei den
Germanen zu Alben, Elben, £2fr*
geworden; aus den Geistern der
Winde, den Mamfs der Arier, die
zum Teil aus den Seelen dahinge-
schiedener Menschen bestanden, wor-
den bei den Germanen die Marten
unter der Benennung des wüten-
den Heeres. Die Mythologie dieser
Periode stand jedoch noch ganz auf
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Götter der Germanen.
323
dem Boden der Naturanschauung,
und die Naturkräfte und Erschei-
nungen hatten sich noch keines-
wegs zu abgeschlossenen, individu-
ellen, dem Menschendasein angelehn-
ten Göttergestalten herausgebildet;
daher berichtet noch Casar: „Die
Germanen rechnen zur Zahl der
Götter nur die, welche sie sehen und
durch deren Segnungen sie offenbar
gefordert werden, Sonne, Mond und
den Feuergoti ( Vtdcanus, Thunar);
von den übrigen haben sie nicht
einmal durch Hörensagen vernom-
men.44
Im Kampfe mit den Römern wur-
den die germanischen Stämmcschnell
aus dem Hirtenleben zu einem be-
wegten Jäger-, Krieger- und Acker-
bauleben ninübergeführt; auch die
mythologischen Anschauungen wur-
den dadurch wesentlich verändert.
Ein rascheres Denken, erregteres
Fühlen, frischeres Handeln führte
dahin, in die alten Götter immer
mehr geistige und sittliche Gedanken
hin einzutragen und dadurch ihr We-
sen immer menschlicher, persönlicher,
individueller und mannigfaltiger zu
gestalten. Der ursprüngliche Sinn
vieler mythologischer Bilder ging
verloren, und dies gab zur Über-
tragung himmlischer Vorgänge auf
irdische, zu Lokalisierungen aller
Art Veranlassung. Aus den Wolken-
kühen und Wolkenbergen wurden
teilweise irdische Kühe, irdische
Berge; der Wohnsitz der Elbe wurde
zum teil auf die Erde verlegt, und
so rückte die Mythologie im ganzen
und grossen dem Menschen in ver-
trauliche Nähe herab. Tacitus nennt
uns bereits eine ganze Anzahl in-
dividueller Götter und daneben
heilige Haine, welche den religiö-
sen Mittelpunkt einzelner grösserer
Stämme bildeten. Gleichwohl war
anthropomorphische Götterbe-
nocb keineswegs so stark, dass
man plastische Gestalten zu denken
und darzustellen gewusst hätte. So
ist der Ausspruch des Tacitus zu
verstehen: „Die Götter in Tempel-
wände einzuschliessen oder der Men-
schengestalt irgend ähnlich zu bil-
den, aas meinen sie, sei unverträg-
lich mit der Grösse der Himmlischen.
Walder und Haine weihen sie ihnen,
und mit dem Namen der Gottheit
bezeichnen sie jenes Geheimnis, das
sie nur im Glauben schauen.'4 Da
die stürmischen Zeiten des Kampfes
so ziemlich jedes andere Interesse
verschlangen, traten jetzt diejenigen
Gottheiten in den Vordergrund,
welche einen Bezug auf die neue
kriegerische Richtung des germani-
schen Geistes hatten oder zuliessen.
Aus der Schar der im Sturm um-
fahrenden Seelen hob sich der Sturm-
gott Wodan hervor als ein vorzugs-
weise kriegerischer Gott. Ihm wur-
den vor den andern Göttern Opfer
und Gebete dargebracht. Tacitus
kennt ihn unter dem Namen Merkur.
Von den Sachsen und Pranken ver-
breitete sich der Kult des Wodan
als Obergott zu den übrigen ger-
manischen Stämmen, keltische und
römische Anschauungen wurden auf
ihn übertragen und gaben Veran-
lassung zur Entstehung germanischer
Mythensysteme. Es bildete sich den
irdischen Verhältnissen analog ein
Götterstaat, an dessen Stutze Wodan
als kriegerischer Obernerr stand.
Auch die übrigen Götter traten in
Beziehung zu Kampf und Krieg,
und was sich von älteren Anschau-
ungen in diese neuen Verhältnisse
nicht fügen konnte, wurde zurück-
gedrängt oder vergessen. An die
Stelle der älteren Lichtgötter, der
Vanen, traten die Asen. Als sich
dann, ebenfalls im Gefolge der Kriege
mit den Römern, allmählich ein
Stand beute- und eroberungssüch-
tiger Edler von den auf der
Scholle sitzenden Hörigen oder Bau-
ern im engeren Sinne abtrennte,
spaltete sich analog auch die Mytho-
logie in eine höhere und eine niedere
Mythologie; jene baute sich auf zu
einem geistiger und plastischer ge-
21*
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324
Götter der Germanen.
dachten Götterstaat mit einem in Zeiten aus Baumzweigen sich
grossen und universellen Hinter- lagern, in gewohnter Weise Tier«'
grund , diese blieb im Gebiete des schlachten und verzehren, aber unter
rohen Naturlebens stehen und be- Anrufung Gottes, nur nicht mehr
wahrte als Szenerie durchgehend der Teufel. So kam es, dasa viel«*
bäuerliche Verhältnisse. Schon fing heidnische Vorstellungen sich nur
die germanische Mythologie der unter den schützenden Namen Gottes,
höheren Kreise an, im Anschlug.« der Heiligen oder teuflischer Mächte
an die Göttervorstellungen der an- zu flüchten brauchten, um unange-
tiken Völker, auch ihre Götter bild- fochten fortbestehen zu dürfen, und
lieh darzustellen und ihnen Tempel dass neben der christlichen Religion
und Statuen zu errichten, nament- die mit den Göttergestalten de«
lieh da, wo, besonders in Italien, Heidentums und mit mannigfachen
Germanen in römischen Wohnsitzen Gebräuchen des täglichen Lebens
sich angesiedelt hatten, als das eng verbundene bildliche Saturan-
Christentum der Fortbildung der schauung des Landmannes als ein
germanischen Religion als einer indifferentes, abgesondertes Gebiet
heidnischen Halt gebot und sie im fortleben konnte,
ganzen und grossen unterdrückte; Während auf dem germanischen
daher sind von den aus den edleren Festlande die selbständige Mythen-
Kreisen des Volkes hervorgegange- logie früh dem Christentume wich,
nen mythischen Liedern so wenig vermochte sie sich in Skandinavien
Bruchstücke erhalten, sie wurden noch fünf weitere .Jahrhunderte zn
einfach durch die Denkmäler des erhalten und weiter zu entwickeln,
christlichen Glaubens ersetzt. Im zehnten Jahrhundert wurden die
Anders stand es mit dem niede- Dänen Christen , im Anfang des
ren Volke. Von ihm verlangten die elften die Norweger und Isländer,
christlichen Missionare vorläufig | in der zweiten Hälfte des elften
wenig mehr, als äusserliche Beobaeh- : Jahrhunderts erst gänzlich die
tungder kirchlichen Ceremonien. Man ! Schweden. Der kriegerische Auf-
leugnete die Existenz der heidnischen schwung der Skandinavier unter
Götter nicht, man erklärte sie für schwedischen , norwegischen und
Teufel oder für Menschen, welche dänischen Heerkönigeu, die Wi-
Vergötterung erlangt hätten. Auch kinger und Normauuenfahrten im
verfuhr die Kirche mit manchen achten und neunten Jahrhundert
heidnischen Sitten sehr schonend, riefen auch in der geistigen Bildung
Gregor der Grosse empfiehlt dem dieser Völker nachhaltige Beweg*
angelsächsischen Abt Mellitus, die ungen hervor. Als im Ausgang de»
Tempel der Heiden nicht zu zer- neunten Jahrhunderte Harald Har
stören, sondern mit Weihwasser zu fagr | Haarschön I die vielen kleinen
besprengen und in christliche Kirchen Reiche Norwegens unter seine Allein-
zu verwandeln, damit das Volk an herrschaft vereinigte, flohen viel*
den durch lange Gewohnheit ge- 1 Edle und Bauern, den Verlust der
beiligten Orten desto lieber und eher Freiheit nicht ertragend, nach Island,
an den Dienst des wahren Gottes den Faröer- und den Orkneys-Insela
sich gewöhne. Die Opfermahlzeiten Durch die Armut der Heimat ge-
von Stieren im Dienste der Götter zwungeu, durchstreiften die thafen
sollten in Mahlzeiten zu Ehren der durstigen Männer auf Kriegs- und
heiligen Märtyrer verwandelt wer- Handelsflotten den Ozean. Ihre
den. An den Festtagen der Heiligen Wikingerzüge weckten in ihnen to
möge das Volk rund um die Kirchen, ■ viele neue Anschauungen, dass ihn1
die einst heidnische Tempel waren, Mythologie, einst ihr und der Süd-
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325
gt-rmanen gemeinsames Eigentum, [ sehe Edda nennt, siehe diesen Ar-
sich jetzt vollends zur letzten kriege- 1 tikcl.
risch-menschlichen Gestaltung aus- Über die besonderen Götter der
bildete und zugleich einen ausge- Germanen handeln die Artikel
bildeten Tempeldienat hervorbrachte. Wodan, Donar, Ziu, Balder, Freiet,
Träger und Bildner dieser Mytho- 1 Fro u. a. Hier mögen im Anschluss
logie sind vornehmlich die Hofdich- an Mannhardt, die Götter der deut-
ter der Skalden. Von ihnen ange- sehen und nordischen Völker, dem
regt, wurde an den vielen kleinen wir überhaupt in diesem Artikel
Fürstenhöfen des Nordens und über- j gefolgt sind, einige Anmerkungen
haupt im Kreise der höheren Stände I über die ersten ^aturelemente der
eine edle Dichtkunst gepflegt, deren j germanischen Mythen angefügt wer-
Cbung in älteren Zeiten allgemein ; den , sofern diese nicht antropo-
war und den Charakter der Volks- morphisch den einzelnen Götterge-
poesie trug. In ihrem Kreise erst stalten zugeschrieben worden sind,
wurden die Thaten der Götter, die Wolken und Sehr/. Die Atmo-
(iedanken über Ursprung, Dauer Sphäre erschien dem unbefangenen
und Endschicksale der Welt in ein Auge des Altertums als ein grosses,
einheitliches System gebracht, wie zusammenhangendes Wasser, ein
es die südgermanische Mythologie Meer oder ein Brunnen. Aus dem
noch nicht ausgebildet hatte. Zwar Luftmeer heben sich Nebel und
zog sich im neunten und zehnten Wolken ab, deren mannigfaltig
Jahrhundert die Kenntnis jenes älte- wechselnde Gestalt zu den verschie-
ren in edeln Kreisen gedichteten densten Auffassungen Anlass gab.
Volksliedes fast ganz auf die Insel Die geballten Haufwolken, aus denen
Island zurück, und die zahlreichen der liegen niederrinnt, verglichen
an den nordischen Königshöfen von sich dem segnenden Euter der Kühe,
Island berufenen Skalden sangen den Mutterbrüsten der Frauen, und
dem Geiste der Zeit folgend nicht hieraus erzeugte sich die Vorstellung
mehr die alten mythologischen, son- von den Wolken als Frauen oder
dern neue der Gegenwart und der Kühen des Himmels, deren Milch
Geschichte angehörige Lieder. Da der Regen ist. Im Donner vermeinte
jedoch auch diese neuen mit gelehrter mau aas Gebrüll der Wolkenkuh
Kunst gedichteten Lieder ihre Bilder zu hören. Auf der nämlichen An-
und ausschmückenden Umschrei- schauung beruhte die Vorstellung
bungeu immer noch der Mythologie von den W^olken als Borken oder
entnahmen, war man trotz der um das Ziegen, deren Euter beim Regen
Jahr 1000 in Island durch Beschluss gemolken werden, daher jetzt noch
»ler Volksversammlung eingeführten die lichtweissen oder rötlichgelben
Annahme des Christentums ge- Federhaufwolkeu Schäfchen genannt
zwungen, die alten Volkslieder und werden. Auch als Katzen oder Luchse
Sagen zu pflegen. Dieses thaten wurden die Wolken gedacht, selte-
sp&ter besonders die einheimischen ner als Ross, Wagen, Schiff oder
G-eistliehen, welche statt des Lateins Floss des Windes, Gewand, Gebirge,
die Muttersprache und die einhei- Turm, Baum. Im Nebel dagegen
mische Poesie pflegten und bewahr- 1 sieht die Phantasie des Volkes bald
ten. So entstand am Ende des 13. geisterhafte Frauen, bald ein Ge-
Jahrhunderts die Sammlung der spinst, das um die Ginfei der Berge
alten, im 7., 8. und 9. Janrhun- angesponnen wird. Nach anderer
dert gedichteten Volkslieder von Anschauung ist der Nebel das
den Thaten der Götter und Hei- Brauen oder Kochen des himm-
den, die man die ältere oder poeti- tischen Regenwassers, daher er alt-
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326 Götterdämmerung.
nordisch Hexenbräu genannt wird. [ die Vorstellung von Schlangen oder
Auch als Mantel, Hut oder Kappe • Drachen , die über einem reichen
wird der Nebel angeschaut. Per- ; Goldhort lagern und ihn bewachen,
sonifiziert wird der Nebel zum Nobel' Gestirne. Die Sonne wurde al>
mannlein , oder, wenn er, in den leuchtendes Gold oder als himm-
Mantel gehüllt, auf weissem Rosse lischer EdeUtein aufgefasst; als Rad.
auf- und abjagend , die ihm Be- j Schild oder Auge. Geistiger wird
gebenden verwirrt und in die Irre die Auffassung von der Sonne, wenn
treibt, zum Bach reifer oder Schim- \ sie eine göttliche Frau, der Mond
melreiter. — Schneeflocken heissen dagegen ein Mann heisst. Beide
herabfallende Federn eines Vogels, | waren Gatten , der Mond aber ein
oder feingemahlenes Mehl. kühler Liebhaber, so dass er die
Der n'ind wurde mit dorn heu- Sonne verliess. Sie schlug dem
lenden Hund oder Wolf verglichen, Gatten eine Wette vor: wer zuerst
welcher hungrig den Staub aufwühlt aufwachen würde , solle das Recht
und alles auf seinem Wege zerreisst haben, bei Tage zu scheinen, dem
und verzehrt. Auch dem Eber ver- Trägen gehöre die Nacht. Frühe
gleicht er sich, zumal als Wirbel- am Morgen zündete die Sonne der
wind. Bisweilen wurde der im Welt «las Licht an und weckte den
Winde thatige Geist als ein weib- frostigen Gatten. Seitdem leuchteu
liebes Wesen, eine Windin, gedacht; 1 beide getrennt. Beide reut jedoch
der dem grösseren Sturm vorauf- die Trennung und deshalb sueheu
fahrende Wirbelwind heisst schon sie sich einander zu nähern. Das
im 9. Jahrhundert inndUprut, Winds- ist die Zeit der Sonnenfinsterniss»-.
braut, d. h. die Gemahlin des Win- Dann machen sie sich gegenseitig
des. Vom Winde, der als Schwein Vorwürfe, aber keiner behalt recht,
oder Hund, Fruchtbarkeit wirkend, und so trennen sie sieh wieder,
durch das Getreide geht, glaubte Voll Sehmerz nimmt der Mond dann
man, dass er leibhaftig im Innern ab und sehwindet, bis die Hoffnung
der Saatfelder bleibe und in der ihn wieder belebt und vollmacht,
letzten Garbe, die auf dem Acker Die Mondjt ecken verursachten die
geschnitten werde, gegenwärtig sei. Sage vom Mann im Monde,
[icr erfaaste man ihn und führte OtttterdKinmerung. InderKov
ihn jubelnd ins Dorf. mogonie des Nordens haben die
Für das Gewitter und seine wech- Götter kein vorweltliches Dasein,
selnden Erscheinungen erschuf die sondern sie sind erst mit der Welt
kindliehe Phantasie verschiedene entstanden und zwar erst nach der
Naturbilder. Der Blitz wird als Entstehung des Urriesen Ymir oder
Stab oder Speer, als Keil. Keule Aurgelmir, des Vaters der Reifrieseo
oder Hammer, als feuerroter Bart (Hrimthursen), der aus den Tropfen
gedacht. Die Zacken des himm- des giftigen Reifes geboreu wuni«\
tischen Strahles sind Hauer eines welcher aus der uördlichen Nebel-
Tieres oder Zahne einer Gottheit, weit kommend durch Berührung mit
Auch als Schlange oder Drache wird den von der südlichen Flanimenwelt
der Blitz gedacht. Dass die Blitze, Muspelhcim ausströmenden warmen
indem sie die Gewitterwolke spal- Lüften und Funken schmolz. Die
ten , die von ihr umhüllte goldene Götter aber stammen aas dem durch
Sonne wieder aufleuchten lassen, die Kuh Audhumla aus dem Ureise
gab zu der Sage Veranlassung, dass hervorgeloekten Urmenschen Bari
die himmlischen Schlangen einen Kaum ist aber das Göttergeschlecht
wunderbaren Kdehtein verfertigen, neben das Geschlecht der Keifriesen
Derselben Anschauung entspringt getreten, so kommt es zwischen bei-
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Götterdämmerung. 327
den zum Kampfe, ßuris Enkel, Odin, dem sie die Zwerge und Menschen
Vi Ii und We, erschlagen Yinir mit schaffen, doch beschwören sie sich
seinem ganzen Geschleehte, mit Au»- jetzt selbst ihr eigenes Verderben und
nähme de.*« Bergalmir. der auf einem dasjenige der durch sie geschaffenen
Boote entkommt und von dem die Welt herauf. Auf selbstsüchtige
Geschlechter der neuen Reifriesen Thatenlosigkeit und Genusssucht, in
stammen. Zwischen Göttern und welche sie vorher versunken waren,
RiesenherrschtunversöhnlichcFeind- folgt jetzt unersättliche Goldgier,
schaft, die sich durch die ganze ger- welche nun auch die Menschen er-
roanische Mythologie hinzieht und greift. Während die Götter aber
in der furchtbaren Katastrophe noch beraten, ob sie das in der Meil-
en digt. durch welche Riesen, Götter , sehenweit ausgebrochene Böse be-
und VVelt ihren Untergang finden, strafen oder Sühnopfer dafür nehmen
Dieser Götteruntergang heisst in der sollen, werden sie von den Wancn-
nordischen Sprache ragnarokr, Göt- göttern mit Krieg überzogen. Zwar
terdunkelheit, GötterverHnsterung; kommt zwischen Äsen und Waneu
die Hauptquelle für diesen Mythus ein Friede zustande, dem zufolge der
ist das erste und älteste Lied der Wanengott Niörder nebst seinen
Edda, die Vdliupa. beiden Kindern Freyr und Freya
Die Ursache zu dem allgemeinen zu den Asen kommen und so au
Untergange ist das in die Götter- der Herrschaft der Welt teilnehmen;
und Menschenwelt eindringende und aber dadurch, das» Odin in diesem
um sich greifende Böse; dadurch Kriege seinen Todesspiess unter das
dass das sittliche Wesen und Walten Volk geschleudert hat, hat sich das
der Gotter sich verfinstert, werden Böse schon zum Menschenmord ge-
die von ihnen gebändigten, schon steigert, und es ist dem Verderben
vor ihnen existierenden Naturmächte, nicht mehr zu wehreu, obgleich die
die Riesen, wieder frei, und es ge- Waneu vorzugsweise bemüht sind,
Im- 1 ihnen mit Hilfe der von ihnen ein Leben in Fülle und Frieden,
erzeugten Ungetüme ihr Vernich- Milde und Freundlichkeit zu stiften
tungswerk auszuführen. und somit unter den Menschen Glück
Nach Yinirs Ermordung gestalten und Frieden wieder herzustellen und
die Götter aus seinem Leichnam dauernd zu begründen. Vergeblich
sofort unsere Welt und beschränken gehen die Wanengötter teils gezwun-
das entflohene Riesengeschlecht gene, teils freiwillige eheliche Ver-
durch Anweisung ihrer Wohnsitze bindungen mit den Kiesen ein; auch
längs der Seeküste, sie selbst aber dass Odin beständig auf der Fahrt
nehmen ihre Wohnsitze im Mittel- ist, Riesen zu vertilgen, bringt keinen
punkte der Welt, richten sich da- Nutzen; denn der Feuerriese Loki,
selbst ein, lassen von ihrer weit- den die Götter in ihre Reiche auf-
schöpferischen Thätigkeit ab und genommen haben, arbeitet im ge-
geniessen in harmloser Unschuld das Reimen an ihrem Untergange, stürzt
Joldene Zeitalter. Da nahen drei sie durch seinen satanischen Einfluss
ungfrauen aus dem Riesenlande, die vollends in Sünde und Unglück
übermächtigen Nornen, die als Göt- und erzeugt mit dem Riesen weibe
tinnen des unabwendbaren Schick- Angrboda die verderblichen Unge-
aals ihnen zeigen, dass sie nicht die
absoluten Beherrscher der Welt sind ;
mit ihrem Erscheinen findet das gol-
dene Zeitalter der Götter ein Ende.
heuer: den Fenrirwolf, die Midgard?
Schlange und die Hei, die in Riesen-
heim erzogen werden. Unaufhaltsam
schreitet das Verderben vor, und das
Sie beginnen jedoch aufs neue Böse greift unter der Götter weit so
ihre weltscnöpferische Thätigkeit, in- 1 weit um sich, dass die Götter ihrer
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32S
Götterdämmerung.
Schwürt» und Eide nicht mehr achten,
und der Brudermord auch unter
ihnen zum Ausbruch kommt, indem
sie auf Lokis Anstiften den gütigen
Baldur löten.
Nun erkennen die Götter ihren
Verderber und treffen sofort du«
ernstesten Vorkehrungen, ihn für
immer unschädlich zu machen. Als
aber Loki sah, dass die Asen gegen
ihn aufgebracht waren, weil er zu-
erst Baldurs Tod verursacht, und
daran Schuld war, dass er aus Hels
Gewalt nicht erlöst ward, entfloh
er und hielt sich verborgen. Odin
Hess nun dessen Kinder ergreifen,
von denen Weissagungen verkündet
hatten, dass den Göttern von ihnen
noch grösseres Unheil bevorstehe,
und wirft die Schlange ins Meer,
die aber zu dem weltumgürteuden
Midgardswurme heranwachst, und
so oft auch Thor den Kampf mit
ihr aufnimmt und so hart er sie
auch bedrängt, so kann er sie
doch nicht erlegen; die Hei wirft
er in die Unterwelt hinab und giebt
ihr die Gewalt über die neunte
Welt (das Totenreich l; den Fenrir-
wolf aber ziehen die Götter anfangs
bei sich selbst auf; als jedoch auch
er zum furchtbaren Ungeheuer heran-
wachst, und die Weisagungen ver-
künden, dass er zu ihrem Verderben
bestimmt sei, und sie nicht wagen
ihn zu töten, um den heiligen Frieden
ihrer Wohnungen nicht zu verletzen,
schlagen sie ihn in Fesseln. Ein
Gleiches geschieht endlich auch Loki
selbst, nachdem er voll giftigen
Hohnes und satanischer Bosheit die
Götter und Göttinnen mit den bitter-
sten Vorwürfen und Schmähungen
überhäuft hat.
Allein trotz aller dieser Vor-
kehrungen ist der geahnte Unter-
gang dennoch unvermeidlich. Der
von Loki ausgestreute Same des
Verderbens wuchert fort, obgleich
er selbst in Fesseln liegt, und diese
seine Fesseln, sowie die des Fenrir-
wolfes. droht die Zeit endlich zu lösen,
und Hei verstärkt von Tag zu Tag
ihr trauriges Reich. Zwar ist die
Zeit der furchtbaren Götterd&mm^
rang noch in ungeheure Feme ge-
rückt, was dadurch angedeutet wird,
dass die feindlichen Riesen zum Ge-
lingen ihres Racheplanes eine*
Schiffes bedürfen, das aus den Nageln
toter Männer gefertigt sein mm
und den Namen Naglfahr führt
Bis aber ein solches Schiff au-
schmalen Nägelschlitzen der Leichen
zusammengesetzt wird, verstreicht
lange Zeit, und sie leitet noch durch
die warnende Vorschrift Aufschub,
allen Toten die Nägel vor der Be-
stattung oder Verbrennung w
schneiden. Die Rieseu aber bringen
jenes Schiff dennoch zustande, und
grauenvolle Wahrzeichen deuten
auf den Beginn der Katastrophe.
Laut kräht der lichtrote Hahn bei
den Riesen, der schwarzrote unfcr
der Erde bei den Sälen der HeL
und der goldkammige bei den Aseu.
und „weckt die Männer beim Heer-
vater (Odin)". Die Götter, als die
„Haften und Banden ' der sittlicheu
und physischen Weltordnung, habeu
aber alle Macht verloren, so <U*
zunächst alle sittlichen Banden sieb
lösen und das Böse auf Erden in
völlige, alles zerstörende Verwilde-
rung ausbricht: „Brüder werden
kämpfen und zu Totschlägern wer-
den, Schwestersöhne werdeu die
Sippe verletzen: die Gründe gellen,
die Streitaxt fliegt, kein Mann wird
des andern schonen. Hart geht es
in der Welt, grosse Hurerei, Beil-
alter, Schwertalter: Sehilde werden
gespalten; Windalter, Wolfsalter,
ehe die Welt stürzt. Dieser sitt-
lichen Verwilderung entspricht die
Entfesselung aller verderblichem
Naturmächte, als deren Personi-
fikationen die Riesen galten. Ein
entsetzlicher „Winter tritt ein; da
fällt Schnee von allen Seiten, d*
ist der Frost gross und sind die
Winde scharf; die Sonne ist ohne
Kraft; drei solche Winter folgen
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Götterdämmerung.
329
auf einander, ohne dass ein Sommer
dazwischen wäre." Alle Wetter ge-
raten in Aufruhr; Loki wälzt sieh
herum, dass die Erde bebt und alle
Gebirge, die Wälder entwurzelt
werden und die Berge zusammen-
stürzen, selbst die Weltesche „Ygg-
drasil zittert, es rauscht der alte
Baum, da der Riese (Loki) los
kommt": alle Fesseln und Banden
brechen und reissen. Da wird der
Fenrirwolf Ick*; das Meer stürmt auf
das Land ein, weil die Midgard-
sehlange im Riesenmute sich wälzt
und ans Land will. Da geschieht
es. dass Naglfar flott wird, Hrymr
hevsst der Riese, der Naglfar steuert;
auf ihm sind alle Reifriesen, aber
mit Loki ist Hels ganzes Gefolge.
„Oer Fenrirwolf fährt mit klaffen-
dem Rachen umher, das« sein Ober-
kiefer den Himmel, der Unterkiefer
die Erde berührt, und wäre Raum
dazu, er würde ihn noch weiter auf-
sperren: Feuer glüht ihm aus Augen
und Nase. Die Midgardschlange
speit so Gift aus, dass sie alle Himmel
and Meere benetzt, und sie ist gar
schrecklich und geht dem Wolfe
zur Seite. Da kommen Muspels
Söhne herangeritten. Surtur fährt
an ihrer Spitze, und vor ihm und
hinter ihm brennendes Feuer; sein
Schwert ist überaus trefflich und
strahlt hellem Glanz aus als die
Sonne; aber in dem sie über die
Himmelsbrücke Bifröst reiten, zer-
bricht sie. Steinberge 8 Lossen zu-
sammen, Riesinneu stürzen; die
Toten betreten den Holweg und der
Himmel spaltet sich." Da erhebt
sich Heimdallr, der Wächter der
Götter, und stösst mit aller Kraft
ins Giallarhorn und weckt alle
Götter, die dann Rat halten. „Mimirs
Söhne (die Flammen) spielen und
Yggdrasil entzündet sich bei dem
Rufe des alten Giallarhorns." Da
reitet Odin zu Mimirs Brunnen und
holt Rat von Mimir für sieh und
sein Gefolge. „Was ist mit den
Asen? Was ist mit den Alfen?
Ächzend zittert die ganze Riesen-
welt; die Asen sind am Dinge. Die
Zwerge stöhnen vor den Steinthüren,
der Bergfeste Herren: Wisst ihr es
nun? oder was? Muspels Sohne
ziehen nach der Ebene, die Wiprid
heisst und hundert Rasten breit ist
nach allen Seiten, dahin kommt auch
der Fenrirwolf und die Midgards-
schlange, und auch Loki ist da mit
Hels ganzem Gefolge und Hrymr
mit allen Reifriesen; aber Muspels
Söhne haben ihre eigene Schlacht-
ordnung, die sehr glänzend ist."
Jetzt wappnen sieh die Asen und
Einherier: „Fünfhundert Thore und
vierzig meine ich, dass in Walhalla
sind, achthundert Einherier gehen
zugleich aus einem Thore, mit dem
Wolfe zu kämpfen. Zuvörderst reitet
Odin mit dem Goldhelm, dem schönen
Harnische und seinem Spiesse, der
Gungnir heisst; er geht dem Fenrir-
wolfe entgegen und Thor schreitet
an seiner Seite, aber er kann ihm
nichts helfen, denn er hat vollauf
zu tln in. mit der Midgardsschlange
zu kämpfen. Freyr kämpft gegen
Surtur, und es wird* ein harter Kampf,
ehe Freyr fällt, und wird dos sein
Tod, dass er sein gutes Schwert
misset, das er Skirnir gab. Da ist
auch Garmr, der Hund, los geworden,
der vor der Gnipahöhle gebunden
lag: das giebt das grösste Unheil,
da er mit Tyr kämpft und einer
dem andern zum Mörder wird. Thor
trägt den Sieg über die Midgards-
schlange davon; aber wie er neun
Schritte davon gegangen ist, da
fallt er tot zur Erde von dem Gift,
das der Wurm auf ihn speit. Der
Wolf verschlingt Odin und wird das
sein Tod: aber alsbald wendet sich
Widar, Odins Sohn von der Riesin
Gridhr, gegen den Wolf und setzt
ihm den Fuss in den Unterkiefer,
mit der Hand ergreift er dessen
Oberkiefer und reisst ihm den
Rachen auseinander, und das wird
des Wolfes Tod. Loki kämpft mit
Heimdallr und wird einer des andern
uigiiizea
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330
Göttertempel und Götterbilder.
Mörder. Jetzt ist der Untergang
dieser Welt entschieden: ,,Alle
Männer werden die Heimstadt ver-
lassen. Die Sonne beginnt zu dunkeln,
die Erde sinkt ins Meer, vom Himmel
schwinden die heitern Sterne, das
Feuer wütet gegen das Feuer, es
spielt die hohe Hitze gegen den
Himmel selber."
Unmittelbar auf die Götterdäm-
merung folgt in der Edda die Er-
neuerung der Welt und die Wieder-
erstehung der Götter. Und zwar
hebt sieh nach der Völuspä die
während der Götterdämmerung ins
Meer gesunkene Erde herrlieh grü-
nend wieder empor, das Wasser
strömt ab, und der im Gebirge nach
Fischen jagende Adler fliegt über
dasselbe hin. Wo vordem Asgard
mit seinen Götterburgen sich erhob,
breitet sich jetzt das Idafeld der
Urzeit wieder aus, die Asen kehren
wieder, auch Baidur und Hödur
kommen zurück aus der Hei, sowie
der den Wanen vergeiselte Hönir;
sie finden sich auf dem Idafelde
zusammen, sprechen von der mäch-
tigen Midgards8chlangc und er-
innern sich an die gewaltigen Vor-
gänge und an Odins alte Runen.
Dort liegen auch die wunderbaren
Würfel im Grase, welche in der
Urzeit Odin und sein Geschlecht ge-
habt hatten. Unbesäet tragen die
Äcker, und alles Böse wird wieder
gut gemacht. Auch die Menschen
leben wieder auf und empfangen in
der neuen Wrelt je nach Verdienst
Lohn und Strafe, den Guten
wird ein Saal auf Gimli (d. i. der
Glänzende ) zurWohnung angewiesen,
wo sie ewig Wonne gemessen, den
Schlechten dagegen ein andrer Saal
in Naströnd id. i. dem Totenstrande),
wo die furchtbarsten Qualen zur
Strafe ihrer Sünden ihrer harren,
während früher Walhalla nur die
in der Schlacht Gefallenen aufnahm,
die übrigen, Götter wie Menschen,
zur Hcl fahren, ohne dass deren
Wohnung immer als ein Strafort
gegolten hätte. Wie die Menschen,
so leben auch die Zwerge und Riesen
wieder auf ; jene bewohnen im Norden
auf den Nidabergen einen Saal aus
Gold, diese auf dem Okolnir (d. h.
Unkalten) den ttiersal Brimir.
„Doch obgleich die Aseii wieder-
geboren und entsöhnt sind und
wieder in harmloser Unschuld leben,
wie in den Tagen ihres goldenen
Zeitalters, so sind doch weder si-1
noch die weisen Wanen jetzt die
Beherrscher der neuen Welt, sondern
ein mächtigerer Gott Da kommt
der Mächtige zum Gericht der Götter,
der Gewaltige von Oben, der über
alles waltet; er fällt Urteile und
entscheidet die Sachen, setzt heilig»"
Ordnungen, die gelten sollen! Al«>
ein höherer, mächtigerer Gott ak
die Asen übernimmt nun in d«-r
neuen, zum paradiesischen Urzu-
stände zurückgekehrten Welt die
Regierung, begründet neue heilig»*
Ordnungen, halt Gericht und teilt
je nach Verdienst den Menschen
Lohn in Gimli oder Strafe an dem
Naströnd zu. Und so kehrt mit
der erneuten Welt, worin nur eine
Macht, das reinste und heiligste
Gute, ewig herrsehen soll, wenn
auch das Böse wenigstens unter den
Menschen wieder ausbrechen kann,
folgerichtig vom Polytheismus zum
Monotheismus zurück; die alten
Götter bestehen zwar neben ibra
fort, aber sie leben in stiller Un-
schuld und Seligkeit in ihrem Elv-
sium dahin, ohne an der Welt-
regierung Anteil zu haben."
Es ist die Vermutung aufgestellt
worden, dass unter diesem einen
mächtigeren Gott der von Tacitus
Germania Kap. 2 genannte Tu-
isko gemeint sei: sie feiern in alten
Liedern den der Erde entsprossenen
Tuisko und seinen Sohn Mannas,
als Ursprung und Gründer ihres
Stammes. Nach A. Raxsmann in
Ersch und Gruber, Art. Götter
dämmerung.
Gtfttertempel u. Götterbilder.
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Göttertempel und Götterbilder.
331
Taeitus sagt in der Germania, Kap. 9:
Die Götter in Mauern einzuschließen
und ihnen ein Menschenantlitz zu
geben, halten die Germanen für un-
vereinbar mit der Erhabenheit der
Himmlischen; sie weihen ihnen Haine
und Waldtriften, und benennen mit
dem Namen der Gottheit jenes ge-
heimnisvolle Etwas, das sich nur
der ehrfurchtsvollen Andacht offen-
bart." Im Widerspruche mit dieser
Stelle scheint es zu stehen, wenn
derselbe Geachichtschreiber in Kap.40
bei der Beschreibung des heiligen
Haines und des feierlichen Umzuges
der Nerthus erzählt: der Priester
merke es, wenn die Göttiu in ihrem
Heiligtume gegenwärtig sei, und
gebe dieselbe, statt des Umgangs
mit den Sterblichen, dem Tempel
zurück: darnach werde der Wagen,
auf dem die Göttin , vom Priester
¥ leitet, ihren Umzug hielt, die
ücher, mit denen er überdeckt war.
und — wer es glauben will — die
Gottheit selber in einem geheimen
See abgewaschen. Setzt scnon hier
der Umzug auf dem Wagen und
das Baden der Gottheit unzweifel-
haft ein Bild voraus, so spricht eine
andere Stelle des Tacitus, Annalen
1, 15, noch deutlicher; hier wird bei
Gelegenheit einer Nachricht über
den Zug des Germanicus gegen die
Marsen im Jahre 14 u. Chr. be-
rirbtet, es seien die geweihten so-
wohl als die ungeweinten Gebäude
und namentlich der jenen Stämmen
überaus berühmte Tempel, den sie
den Tempel der Tanfana nannten,
dem Enlboden gleichgemacht worden.
Offenbar waren Göttertempel und
Götterbilder der Germanen zu Ta-
citus' Zeit noch höchst selten und
blieben es auch bis in das 4. und
5. Jahrhundert, da bis dahin alle
übrigen Schriftsteller davon schwei-
gen. Erst allmählich entstand der
Gedanke, auch den Göttern bleibende
Wohnstätten zu errichten. Seit dem
5 Jahrhundert mehren sich die
Zeugnisse über deutsche Götter-
tempel, in königlichen und päpst-
lichen Edikten, in Wcltchronikeu
und namentlich in den Lebensbe-
schreibungen der Heidenapostel, und
zwar bei den Franken, Alamanen,
Westgoten, Langobarden, Angel-
sachsen und Friesen. Die deutsehen
Benennungen des Tempels sind :
got er///.«, ahd. alah; ahd. wtk. ags.
vth, veoh = Waldtempel; ahd. harue,
ags.. heaty, ebenfalls Waldtempel.
Das entsprechende altn. Wort körgr
bedeutet ursprünglich den Steinaltar
im Walde; — ahd. paro, ags. f>earo,
ebenfalls Waldtempel; altn. harr
ist Baum und harrt ist Hain; ahd.,
ags., alts. hof heisst bloss der ije-
haute Tempel; ahd. halla, ags. heal,
Halle; — ags. reced, altsächs. rakttd;
— ahd. pfuostarhih, Opferhaus; —
ahd. petttpur, auch petahtU, ahd.
hefe/tujf; auch ahd. chirihhd kommt
als Bezeichnung heidnischer Tempel
Tempel vor, und altn. (johahüs,
Götterhaus.
Da die Tempel aus Holz errichtet
waren, sind sie gänzlich verschwun-
den; entweder wurden sie dem Bo-
den gleichgemacht, um auf dem-
selben die christliche Kirche zu er-
bauen, oder ihre Hallen wurden zum
christlichen Gottesdienste verwendet.
Denn da diese Kultusstätten seit
grauester Vorzeit her für teure
Heiligtümer der Stämme oder ihrer
Geschlechter betrachtet und verehrt
wurden, schien es durchaus nötija:,
ihre Heiligkeit und Unverletzlichkeit
auf den christlichen Nachfolger des
Gottes, in den meisten Fällen einen
christlichen Heiligen zu übertragen.
Die Tempel erhoben sich nicht
nur auf den Höhen der Berge, son-
dern auch in Hainen und auf Wiesen
und Auen und standen namentlich
in enger Verbindung mit den
Malstättcn. Ohne Zweifel bestanden
neben den Tempeln die eingefrie-
digten freien heiligen Kimme in
grosser Zahl fort.
Die Zeugnisse für die (lütter-
hilder beginnen mit Sicherheit im
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332
Göttertempel und Götterbilder.
4. Jahrb., sie finden sich meist in den
Lebensbeschreibungen der Heiden-
apostel, u. a. in derjenigen des heil.
Gallus, welcher bei Tuggen am
Zürehersee sowohl als in Bregenz
heidnische Götterbilder antraf. Die
deutschen Ausdrücke für Götter-
bilder beissen got. mault ika, ahd.
manalihho, altn. Hkneski = das naeh
menschlicher Gestalt geformte Bild
und ahd. antra. Einzelne derartige
Bilder aus Eisen, Stein, Leder, Erz,
Holz sind erhalten, sie stellen Wo-
dan mit seinem Rosse und seinen
beiden Hunden oder Wolfen, Fro,
Fria u. a. dar.
Ungleich besser als über die süd-
gennanischen Götterteninel und
Götterbilder sind wir über diejenigen
der Skandinavier unterrichtet. Hier
bestand das Tempelgebäudc aus zwei
verschiedenen Abteilungen, aus ei-
nem Langhause und einem runden,
auch wohl gewölbten Nebenhause,
das dem Chore an den christliehen
Kirchen ahnlich war. Das letztere
bildete das eigentliche Heiligtum;
in ihm standen in einem Halbkreise
auf Gestellen die Götterbilder; vor
demselben, also in der Mitte des
Halbkreises, erhob sich der kunst-
reich gefertigte und mit Eisen ge-
täfelte Altar, auf demselben brannte
das geweihte Feuer, das nie erlöschen
durfte, daneben stand der kupferne
Blutkessel, in welchem man das
Blut der geschlachteten Opfertiere
oder Menschen sammelte, und in
dem der Blutzweig lag, mit welchem
man die Gestelle der Götterbilder
und den Altar, die Wände des Tem-
pels aussen und innen, sowie die
Leute und das Gut besprengte; fer-
ner befand sich daselbst der heilige
King, auf dem alle Eide abgelegt
wurden und den der Häuptling bei
allen Volksversammlungen tragen
s<»llte. In dem Langhause, welches
oft von sehr beträchtlicher Länge
w ar, stand in der Mitte jeder Lang-
wand ein Hochsitz, dessen zwei spitz-
zulaufende Säulen über das Dach
emporragten und gewöhnlich mit
einem Tborkopfe geziert waren; in
diese Säulen waren Götternägel ein-
geschlagen, deren Bedeutung unbe-
kannt ist. Auf den Hoclisitzen nah-
men der Tempelhäuptling und, wie
in dem Privathause, ie die vornehm-
sten, beim Opfermahle anwesenden
Männer Platz. Zu beiden Seiten der
Hochsitze, also den Seitenwänden
entlang, waren gewöhnliche Bänke
angebracht. Zwischen den beiden
Sitzreihen brannten auf dem Boden
während des Opferfestes Feuer, über
denen die Kessel hingen, in welchen
das Opferrleisch gesotten wurde;
über diese Feuer pflegte man sich
gegenseitig den Vollbecher zu brin-
gen, der, wie alle Opferspeise, von
dem Häuptlinge geweiht war. Der
ganze Tempel war durch Glasfenster
erhellt, mit Tapeten behängt, zu-
weilen auch mit Schnitzwerk, Gold
und Silber und sonstigem Schmucke
geziert. In den Seitenwänden, quer
aem Nebenhausc gegenüber, betan-
de.n sieb die Thüren, die verschliess-
bar waren und an denen zuweilen
ein metallener Ring hing, dessen
Bestimmung unbekannt ist. Vorder
Thür befand sich der Opfersteiu und
der Opfersumpf; in welch letzteren
die zum Opfertode verurteilten Men-
schen, nachdem ihnen am Opfersteine
der Rücken zerbrochen w ar, versenkt
wurden. Heilige Bäume, au denen
gewisse Teile aer geopferten Tiere,
auch wohl die geopferten Menschen
aufgehängt wurden, umgaben den
Tempel. Die ganze heilige Stätte
scbloss eine Einfassung von Hob-
pfählen ein, die ihrerseits ebenfalls
verschlossen werden konnte und
innerhalb deren die heiligen Tiere
weideten. Die Tempel erhoben sieh
in der Regel in der Nähe der Diuc-
stätten, zuweilen auch in heiligen
Hainen.
Auch die nordischen Tempel
waren ohne Zweifel aus Holz auf-
geführt. Nach den Sagen finden
sich in ihnen meist mehrere Gotter-
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Gottesfreunde. — Gottesfriede.
333
bilder zusammen aufgestellt, deren
eines, Thor oder Freyr oder Halder
oderOdhin, die Hauptstelle einnahm.
Meist waren die Bilder aus Holz
geschnitzt. Sie stellten die Gottheit
m Lebensgrösse oder darüber vor,
geschmückt mit wirklichen Gewän-
dern, Gold, Silber, Kleinodien und
ihren Attributen, die nackten Teile
bemalt Ausser den Tempelgötter-
bildern gab es auch Hausgötzen, die
meist sehr klein gewesen zu sein
scheinen; man trug sie auch im
Beutel. Auch Götterbilder aus Teig
und Ton werden erwähnt; Thors
Bild findet sich an der Hochsitzsäule
und an dem Vordersteven eines Heer-
schifies aus Holz geschnitzt.
Die Wohnungen der Götter, so-
wie sie selbst und ihre Besitztümer
und Feste standen unter einer hohen
Heiligkeit und einem tiefen Frieden,
deren Verletzung und Störung dem
Heidentum für das schwerste Ver-
brechen £alt, welches, wie man
glaubte, die Götter selbst ahndeten.
Tac. Germania. 39. Die Heiligkeit
der Götterwohnungen ging später
auf die christlichen Kircneu und
Klöster über.
Bei seiner Gründung wurde der
gemeinsame öffentliche Tempel mit
einem gewissen Grundeigentum do-
tiert, auf welches sich die Heiligkeit
des Tempels miterstreckte. Auf
Hörige, welche Tempeln angehörten,
deuten die Eigennamen Alahdeo =
Diener des Tempels, Co/adeo, (iota-
d*o, Coftucalh, (Jotascalc, Gotman,
Wihman, Wihdiu. Nach A. Rass-
mann in Ersch. und Gruber, Art.
Göttertempel und Götterbilder (vgl.
Grimms Mythologie).
ßottes freunde sollen die Mit-
glieder eines religiösen Bundes ge-
wesen sein, der sich seit der Mitte
de« 12. Jahrh. besonders am Rhein,
in der Schweiz und Schwaben aus-
dehnte. Als ihr geistiges Haupt galt
der , .grosse Gottesfreund aus dem
Oberland"', den man zuerst in Niko-
aus von Basel, dann in einem ge-
wissen Johann von Chur oder Rüt-
berg wiederzuerkennen meinte, dessen
Existenz jedoch neuerdings von De-
nifle in der Zeitschr. f. deutsches
Altertum 1880 als bloss auf einem
Roman beruhend nachgewiesen wor-
den ist.
Gottesfriede, treuga Dei, /tax
Dei, ist ein mittelalterlieh kirchliches
Institut, bestimmt, dem ungeregelten
Fehdewesen zu steuern. Anfangs
waren es die Bischöfe von Aquitanien,
welche seit dem 10. Jahrhundert ihre
Güter gegen Angriffe durch An-
drohung des Anathems zu sichern
suchten und zu dem Ende mit welt-
lichen Grossen in freiwillige Ver-
einigung traten. Erst als durch
diese Versuche eine beabsichtigte
und durchgreifende Herstellung und
Sicherung des allgemeinen Friedens
nicht erreicht wurde, beschloss mau,
sich zunächst mit beschränkenden
Massregeln gegen Ausübung des
Fehderechtes zu begnügen, wodurch
die Gemüter allmählich vom Wege
der Gewalt auf den des Rechtes ge-
leitet werden sollten. Diese letztern
Massregeln heissen erst Gottesfrieden,
im engeru Sinne treuga Dei; denn
pax Dei, unter welchem man
den immerwährenden, grundsätz-
lichen Frieden verstand, welchen die
Kirchen, die Geistlichkeit, die Be-
gräbnisplätze, die Klöster, die Kin-
der, die Pilger, die Frauen, die
Ackerbauer nebst ihren Geräten ge-
nossen, war viel älter; erst die tretuja
Dei beschränkte das gesetzlich De-
stehende Fehderecht für bestimmte
Zeiten und band es an kirchlich be-
stimmte Regeln. Das geschah zu-
erst auf einer Synode der Diöeese
von Eine im Jahre 1027; hier wurde
für die Grafschaft Roussillon fest-
gesetzt, dass der Sonntag dadurch
geheiligt werden müsse, dass von
der None des Sonnabends bis zur
Prime des Montags jeder Angriff
: auf einen Mönch oder anderen Geist-
lichen, auf einen Kirchgänger oder
| eiuen Begleiter von Frauen unter-
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334
Gottesurteil.
bleiben solle, sowie das« auch Kir-
chen nebst einem Umkreise von 50
Schritten nach allen Seiten gegen
jeden Anpfiff sicher sein sollten.
Der Friedensbrecher verfiel der Ex-
kommunikation. Bald kamen ähn-
liche Beschlüsse in andern Teilen
Frankreichs zustande und nicht bloss
wurden die befriedeten Zeiträume
vervielfältigt, sondern auch rein welt-
lichen Angelegenheiten der gleiche
Schutz zugewendet, z. B. dem Markte.
Die Grossen, die Bürger und die
niedere Volksklasse erklärten mit
Eifer, den Vorschriften der Kirche
Folge leisten zu wollen, sodass bald
in ganz Frankreich dieselben Grund-
sätze zur Annahme kamen. Die
Dauer der befriedeten Zeit hatte
sich auf die Zeit von Sonnenunter-
gang des Donnerstags bis Sonnen-
aufgang des Montags verlängert und
als weitere Friedenszeiten waren da-
zu gekommen die Zeit vom ersten
Tage des Advent bis zum 18. Januar,
vom Montage vor der Fastenzeit bis
zum Montag nach der Osterwoche
und an einzelnen bestimmten Fest-
tagen. Die vollendete Einführung
des Gottesfriedens in Frankreich
wird in das Jahr 1041 gesetzt.
In Deutschland gelang es zuerst
dem Erzbischof von Köln im Jahr
1083, einen Gottesfrieden für seine
Diöcese zu stände zu bringen. Hein-
rich IV. nahm die bis dahin partielle
Massregel auf einem Konzil zu Mainz
108*» in die Reichsgesetzgebung auf;
beide Urkunden hiessen noch j»ax
Dei. Für befriedete Tage wurden
erklärt die Zeiten vom ersten Ad-
vent bis Epiphania und vom Sonn-
tag Septuagesima bis Pfingsten,
sowie an jeder Woche die Tage
vom Donnerstag bis zum Sonntag,
mit Eiuschluss der darauf folgen-
den Nacht bis Sonnenaufgang, fer-
ner die vier Quatembertage und
die Vigilien der Namenstage der
Apostel nebst den darauf folgenden
Tagen, endlich alle kirchliehen Fast-
und Feiertage. Den Schutz des
Gottesfriedens genossen die Reisen-
den und Heimbleibenden, selbst
wenn sie Gewaltbaten begangen
i hatten, ausgenommen die geineinen
I Diebe und Räuber. Als besondere
geschützt werden genannt die Kauf-
jleute auf ihren Handelsreisen, die
Ackerbauer bei ihren Arbeiten, die
Frauen, die Mitglieder geistlicher
I Orden.
Papst Urban machte endlich auf
i der Kirchenversammlung zu Cler-
mont den Grottesfrieden zur Angc-
' legenheit der gesamten Christenheit;
seine definitive Ausbildung erhielt
das Institut aber im Jähr 1131
auf einer Kirchen Versammlung zu
Rheims, welche aus deu verschie-
densten Ländern Europas besucht
I war; die Beschlüsse von Rheims
wurden später öfters durch die Päpste
i bestätigt und endlich in das Kirchen-
recht aufgenommen. Mit der Zeit
machte der Gottesfrieden mit seinem
kirchlichen Charakter den I^and
friedensgeboten von weltlicher Seite
Platz, und je mehr das Königtum
erstarkte, desto seltener fand sich
noch in Gesetzen, Urkunden und
geschichtlichen Berichten eine ver-
einzelte Erwähnung des veralteten
Gottesfriedens. Brandes in Erscli
und Gruber, Art. Gottesfriedea
Klueksohn, Geschichte des Gottes-
friedens, Leipzig 1857. Herzbtry
Frankel. Die ältesten Land- und
Gottesfrieden in Deutschland,Forsch.
z. d. G. XXIII, S. 1 17 ff.
Gottesurteile, Ordalien. ordalia.
das lateinische Wort zufallig nach
der angelsächsischen Form onlsd«'
des deutschen Wortes urteil gebildet.
Man versteht darunter Proben, an
deren Ausgang man einen Ausspruch
der Gottheit über Schuld oder Un-
schuld, Recht oder Unrecht zu er-
kennen glaubte. Sie kamen auch
bei anderen Völkern vor, bei den
Griechen, namentlich aber den In*
diern.
Die Arten der Gottesurteile bei
den Germanen sind folgende:
uigiiizeo
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Gottesurteil.
335
1) Das Kampfurteil oder der
Zweikampf, Judicium pugnae sive
campt, puff na duorum, duellum,
tn onomach in , singulare certamen,
ahd. ein wie, chamficie , wehadinc,
altn. holmgangr, war das vornehmste
Gottesurteil , und ursprünglich kei-
nem germanischen Volke fremd. In
der Kegel konnte nur der freie Mann
einen anderen zum Zweikampfe
fordern, der schlechtere Mann aoer
konnte, wenn er angesprochen wurde,
den Kampf nicht weigern. Personen,
die nicht selbst zu kämpfen im stände
waren, konnten oder mussten, je
nachdem sie Kläger oder Beklagte
waren, einen anderen für sich stel-
len, and zwar konnte dies entweder
der Vogt als Vormund der Person
sein, die ihr Recht durch Kampf
geltend machen wollte, oder sonst
jemand, der sich freiwillig oder für
Geld dazu hergab. Das Kecht aber,
einen anderen als Kämpfer für sich
za stellen, stand allgemein zu:
1 1 denjenigen, die durch körperliche
Mai:-'.'!, durch Altersschwäche oder
Jugend verhindert waren, selbst zu
kämpfen; 2) den Weibern. Den
letzteren war, wenn sich niemand
fand, der für sie einstehen mochte,
in späterer Zeit gestattet, sich selbst
zu verteidigen, wofür, um die Kräfte
auszugleichen , eigentümliche Arten
des Weiberkampfes ersonnen wur-
den, wonach der Mann bis an den
Gürtel in einer runden, etwas weiten
Grub«- zu stehen und von da aus
vermittelst des Kolbens mit der
ausserhalb der Grube steheuden
Frau kämpfen musste; 3) den Geist-
lichen ; 4) Personen vornehmen Stan-
des. Bei den Langobarden war es
Sitte, die Kampfordale durch ge-
meine, bezahlte Kämpfer ausfechten
zu lassen. Da der gerichtliche Zwei-
kampf im späteren Mittelalter eher
zunahm, so bildete sich in verschie-
denen Ländern ein eigener Kampf-
prozess, Durch Privilegium waren
gewisse Orte zu Kampfgerichten er-
hoben, oder gewissen mit Gerichts-
barkeit bekleideten Personen das
Kecht erteilt, dass alle Zweikämpfe
innerhalb eines gewissen Distriktes
unter ihrer Aufsicht und Leitung
ausgefochten werden mussten. Be-
sonders bekannt waren im 14. und
15. Jahrhundert die Kampfgerichte
der Städte Hall in Schwaben, Ans-
bach, Würzburg, des Burggrafen-
tums Nürnberg, des Landgerichtes
zu Franken. Der Kampfplatz wurde
von dem Richter angewiesen, doch
hatte man auch bestimmte umzäunte
Plätze dafür; von der Insel, auf
welcher im Norden meist der Kampf
vor sich ging, hiess hier der Zwei-
kampf Holmgang. Zum Holmgang
wurde eine fünf Ellen lange Haut
oder ein Teppich hingelegt und an
vier Pfählen befestigt, deren einer
der Hauptpfahl, Tiosnur, hiess. Der,
welcher den Fechtplatz zurichtete,
musste zu diesen Pfählen rückwärts
gehen, gebückt und seine Ohrläpp-
chen haltend, so dass er den Himmel
zwischen seinen Beinen durchsehen
konnte, und eine Beschwörungs-
formel hersagen. Um den Teppich
herum sollten drei Räume, jeglicher
einen Fuss breit, und diese durch
vier Stangen begrenzt sein. Der so
eingerichtete Fechtplatz hiess eine
befriedete Mark. Jeder sollte drei
Schilde haben; wenn diese zer-
schlagen sind, muss man wieder,
wenn man auch früher zurückge-
wichen war, auf den Teppich treten
und die Hiebe mit den Waffen auf-
fangen. War einer so verwundet,
dass Blut auf die Erde fiel, so
konnte man den Kampf als beendet
ansehen. Wer so weit gewichen
war, dass er mit beiden Füssen
ausserhalb der Grenzstangen stand,
war in die Flucht gesehlagen. Jeder
Streiter sollte einen Mann als SchiM-
halter bei sich haben. Der, welcher
überwunden war, musste drei Mark
als Lösegeld für sein Leben erlegen.
Auch in Deutschland war eine
Art Sekundanten üblich, die iiriz-
oder Grieswar/el. Sie waren mit
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336
Gottesurteil.
langen Stangen oder Bäumen bc- mahlin Karls des Dicken, ihre Un-
wattnet, welche nie mit Erlaubnis schuld bewährt haben, c) Üblicher
des Richters dem Sinkenden, Ver- und verbreiteter als die beiden ge-
wundeten oder Ermatteten zur Stütze nannten Feuerproben war die Probe
darreichten. Auch hatten sie über- des keinen Eisens. Auch liier «ind
haupt dafür zu sorgen, dass bei dem zu unterscheiden: aal die Frohe des
Kampfe alles ohne Trug, List und Eisenträgern* wonach ein Eisen von
Gefsinrde zuging, sie mussten Sonne bestimmter Schwere eine Strecke
und Wind, Licht und Schatten beiden (gewöhnlich 9 Schritte) weit mit
Kämpfern gleich teilen. blossen Händen getragen werden
Die Waffen waren ursprünglich musste, und bb) die Probe der
die bei jedem Stamm gebräuchlichen: qlühenden Pflugscharen, deren in der
bei den Franken und Langobarden Kegel 9, oft aber auch 6 oder \i
die Keule, bei den Alamannen, in einer bestimmten En tfernung von
Sachsen, Friesen und Normannen da* einander gelegt wurden, über die
Schwert. Ritter erschienen snäter in der Angeklagte barfuss gehen musste.
voller Rüstung auf dem Kampf- Auch diese Probe soll nach alten
platze, den übrigen Freien war eine Chronisten die Gemahlin Karla des
eigene Rüstung vorgeschrieben. In Dicken, ausserdem Kunigunde, Hein-
manchen Gegenden blieb die Keule rieh II. Gemahlin, und Emma, die
als Waffe des geringen Volkes und Mutter Eduard des Bekenners, rühm-
der Lohnkämpfer üblich. Zum Siege lieh bestanden haben,
genügte es, dass das Blut des Be- 4) Wasserprobe, a) Probe mit
siegten den Erdboden färbte, oder heissetn Wasser, Judicium aauae fer-
der Besiegte durch Entkräftung oder i cutis, bei den Friesen Jictelfa*i,
Verlust «er Waffen nicht mehr zu Kessel fang, geheissen, gehört neb?t
kämpfen im stände war; wer aber dem fragen des glühenden Eisens
bis zum Sonnenuntergang sich ver- und dem Kampf zu den am weitesten
teidigte, wurde von der gegen ihn verbreiteten und am häufigsten er-
erhobenen Klage freigesprochen. j wähnten Ordalien. Diese Probe ging
2) Das 7,o*; seiner bedienten dahin, dass der Beklagte aus einem
sich nach Tacitus Germania, Kap. 10 Kessel, in welchem W asser siedend
schon die Germanen, um den Willen gemacht worden, einen Ring oder
der Götter zu erforschen. Es wird Stein, der hineingeworfen war, mit
in den Verordnungen fränkischer blossem Arm unverletzt hervorholen
Konige und in den Volksgesetzen musste.
erwähnt und wurde besonders bei b) Probe mit kaltem Wasser. Der
Diebstahlbeschuldigungen angewen- Beschuldigte wurde entkleidet, mit
det. Später verschwindet es. einem Strick um den Ixjib (um ihn
3) Feuerprobe , Judicium ignis, j wieder herausziehen zu können) ein
yrobatio per ignem. Zu uuterschei- | «»der auch mehrere Male in «1«*
den sind drei Arten: a) der Be- Wasser geworfen: das Untersinken
schuldigte musste seine Hand eine, wurde für ein Zeichen der Unschuld,
wahrscheinlich genau bestimmte Zeit das Schwimmen für einen Beweis
in das Feuer halten und galt als der Schuld gehalten. Zuweilen wart
unschuldig, wenn er sie unverletzt man den Beschuldigten in ein grosse?,
zurückzog, b) Der Beklagte musste dreifudriges Gefäss statt in ein
seine Unschuld damit beweisen, dass eigentliches Gewässer. Das älteste
er im blossen Hemde, oder in einem historische Zeugnis für den Gebrauch
Wachshemde unversehrt durch einen dieser Probe ist ein Verbot desselben
brennenden Holzstoss ging; mit durch Ludwig den Frommen vom
dieser Probe soll Richardis, die Ge- Jahr 829: man findet sie wenigstens
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Gottesurteil.
337
vom 12. Jahrhundert an über
Deutschland, Frankreich, Spanien,
Italien, England und Schottland ver-
breitet. Sie erhielt sich besonders
in den Hexenprozessen.
5> Kreuzurteil. Beide streiten-
den Teile inussten mit aufgehobenen
Händen an einem Kreuze stehen;
wer von ihnen zuerst die Hände
sinken Hess oder bewegte, galt für
besiegt. Zuweilen wurde gefordert,
dass beide Teile so lange vor dem
Kreuze stehen mussten. bis einer
von ihnen vor Ermattung hinfiel.
Diese Probe wird zuerst in einem
Kapitulare Pipins vom Jahre 782
erwähnt; in mehreren Fallen hat
sie Karl der Grosse vorgeschrieben,
der auch verordnete, dass die Kreuzes-
probe und nicht der Kampf, ent-
scheiden sollte, wenn unter seinen
Söhnen Streit über Grenzen und
Umfang ihres Gebietes entstehen
würde. Ludwig der Fromme ver-
bot dieses Gottesurteil im Jahr 826.
6) /W>f des geweihten Bissens.
Dem Beschuldigten wurde ein vor-
her benedizierter Bissen Brot und
Käse gegeben, und er galt für über-
wiesen, wenn er denselben nicht
leicht hinunterbringen konnte, er
ihm im Halse stecken blieb oder
wieder herausgenommen werden
musste. Die Redensart „dass mir
das Brot im Halse stecken bleibe"
soll von diesem Gottesurteile her-
rühren.
71 AbendmahUprobe. Der Be-
schuldigte musste mit den Worten:
corpus Domini sit mihi ad proba-
tionem hodie, das Abeudmahl nenmen.
Diese Probe war vorzüglich bei der
Geistlichkeit in Gebrauch, doch
wurden auch Laien oft zur Reini-
grung durch dieselbe zugelassen.
Mi Das Bahr recht , jus feretri,
wurde angewendet, um den Thäter
bei einer verübten Mordthat zu er-
mitteln. Der Ermordete wurde auf
eine Bahre gelegt und diejenigen
Personen, auf welchen der Verdacht
ruhte, mussten hinzutreten und unter
Reallexicoti Jer deutschen Altertümer.
Aussprechen gewisser Formeln mit
der Hand den Leichnam des Er-
mordeten, gewöhnlich die Wunden
und den Nabel berühren. Man
glaubte, dass, wenn der Schuldige
sich auf diese Welse dem Ermorde-
ten nähere, ein Zeichen geschehen
und die Wunden zu bluten oder zu
zittern anfangen, der Tote seine
Gesichtsfarbe ändern würde. Ge-
schah von dem allen nichts und be-
kannte der Verdächtige nicht frei-
willig, so musste seine Unschuld als
erwiesen angenommen werden. Siehe
Nibelungenlied , 984 — 98G , Hart-
nianns [wein, 1855—1364.
Abgesehen vom Zweikampfe,
standen die Ordalien unter der Lei-
tung der Geistlichkeit und wurden
bis auf das kalte Wasserordal in
der Kirche vollzogen, mit Einwil-
ligung der Priester. Es konnte ge-
schehen, dass Reinigungen durch
Gottesprobe nicht vor sich gingen,
weil die Priester ihren Dienst ver-
weigerten. Namentlich durch Fasten
bereitete man sich zum Gottesurteil
vor. Zur Probe selbst war die
Kirche für das Volk verschlossen
und nur gewissen Zeugen geöffnet.
Das zum urteil Erforderliche wurde
vorbereitet, der Kessel aufgesetzt,
das Eisen in das Feuer gelegt.
Der Angeklagte kniete nieder, der
Priester errichte im Gebete Gottes
Beistand. Nach der Messe beschwor
der Priester den Beklagten noch
einmal, Gott nicht zu versuchen;
schwieg derselbe, so reichte ihm der
Priester das Abendmahl mit den
Worten: Corpus hoc et sanffuis Do-
mini n os tri Jesu Christi sit tibi ad
probationem hodie. Alle Gegenwär-
tigen wurden mit Weihwasser be-
sprengt und mussten vor dem An-
geklagten beten. Evangelium und
Kreuz wurden ihm zum Küssen
gereicht und ihm andere Kleider
angelegt. Während dem sang der
! Priester eine kurze Litanei und
sprach dann über das Wasser,
Feuer etc. einen Exorcismus und
22
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838
Grabinäler.
eine Benediktion. Dann sprengte
er das Eisen, das auf dem Feuer
lag, mit Weihwasser und reichte es
dem Angeklagten, oder der Kessel
wurde vom reuer genommen, der
Stein oder Ring hinabgelassen. Bei
einigen ürdalien wurde sogleich
über den glücklichen oder unglück-
lichen Ausgang entschieden, beim
Zweikampf wurde das Urteil von
den Kampfrichtern ausgesprochen.
Bei der Probe des heissen Eisens
und Wassers wurde nach der Probe
die Hand sofort eingewickelt, ver-
siegelt und erst am dritten Tage
geöffnet Die Geistlichen Hessen
sich für ihre Mühewaltungen bei
den Ürdalien bezahlen.
Man betrachtet»; die Gottesur-
teile als ein erschwertes und äusser-
stes Beweismittel, als die letzte Zu-
flucht zur Ermittelung der Wahrheit.
Erst wenn der Eid und die Stellung
von Eideshelfern nicht mehr genügte,
griff man zum Zweikampf und erst
nach diesem zu den übrigen ürda-
lien. Die Rechtssammlungen ent-
halten deshalb überall das Streben,
das Gottesurteil auf besonders quali-
fizierte Streitigkeiten zu beschränken,
üft hing es von der Willkür des
Klägers ab, die gewohnliche gesetz-
liche Beweisführung zu verwerfen,
iudem er bei Erhebung der Klage
erklärte, die Sache auf die Entschei-
dung Gottes ankommen lassen zu
wollen. Unter Umständen stand
auch dem Kläger eine Wahl zwi-
schen verschiedenen Proben offen.
Im 13. und 14. Jahrhundert noch
waren Kampf uud andere Proben
in den meisten europäischen Län-
dern ein sehr übliches Beweismittel.
In Frankreich hob Ludwig IX. den
gerichtlichen Zweikampf im Jahre
1200 auf. In England waren seit
dem 1 2. Jahrhundert die Krone und
einsichtsvolle Männer bemüht, die
Ürdalien ausser Gebrauch zn brin-
gen. In den skandinavischen Län-
dern wurde die Abschaffung der
ürdalien besonders durch die Be-
mühungen der römischen Kurie und
der höheren Geistlichkeit bewirkt.
In Deutschland, wo das Kampf-
recht als gerichtliches Beweismittel
nie die Ausdehnung erhalten zu
haben scheint, wie in Frankreich
und England, verschwand in den
Städten das Kampfrecht mit derEnt-
w ickelung eines eigenen Stadtrechtes-
bereits seit dem 13. Jahrhundert,
doch kommen einzelue Fälle noch
im 15. Jahrhundert vor. In den mei-
sten europäischen Ländern trat au
die Stelle der Gottesgerichte die
Tortur, nur in England nicht. Zu
neuem Leben wurden die aus den
Gerichten fast ganz verschwunde-
nen Gottesurteile durch die Hexen-
prozesse erweckt, besonders die kalk
Wasserprobe und das Wägen der
Hexen. Man glaubte nämlich, da*s
die von dem Teufel besessenen
Hexen ihre natürliche Schwere ver-
lieren, wodurch sie teils im Wasser
oben aufschwämmen, teils bei dein
Wägen ungewöhnlich leicht befun-
den würden. Auch das Bahrrecht
hat sich als letzter Rest der Gottes-
urteile in einzelnen Fällen bis ins
18. Jahrhundert erhalten. Wiida
in Ersch und Gruber, Artikel Or-
Julien.
GrabmKIer. Da es die ursprüin;
liehe Bestimmung der Kirchen war.
Grabstätten der Heiligen zu sein,
konnte die Beerdigung anderer Per-
sonen im geweihten Räume folge-
richtig nicht zugelassen werden.
Dieser Grundsatz wurde aber früh
durchbrochen, so dass schon im An-
fang der romanischen Periode die
Beisetzung ausgezeichneter, um die
Kirche verdienter Personen iu der
Kirche allgemein Sitte wurde. Bi-
schöfe, Ante, Fürsten, namentlich
die Gründer der frommen Stiftungen
erhielten ihr Grab in der Kirche,
ja eine grosse Zahl der Gotteshäuser
wurde zu dem Zwecke gestiftet, da.v
die Stifter in ihnen ihre Grabstätte
fänden. Karl d. Gr. erhielt eine
Gruft im Münster zu Aachen, Kon-
uigiiizeo
by Googh
Graf.
339
rad II. gründete den Speirer Dom,
Heinrich der Löwe denjenigen zu
Braunschweig. In erster Linie dien-
ten die Krypten dazu, dann aber
auch andere Teile der Kirche, das
Chor, ferner die Kapitelsäle und die
Kreuzgänge. Als die Bürger von
Pisa ihren Campo Santo errichteten,
sollen sie der Sage zufolge die Erde
aus dem gelobten Lande geholt
haben.
Das äussere Zeichen des Grabes
war anfangs eine steinerne Matte,
zuerst nur mit flachen Ornamenten
verziert, manchmal ein Kreuz oder
ein Bischofsstab dabei, zuweilen
auch eine Inschrift mit Namen und
Todestag. Mit der Zeit -suchte man
das Bila des Verstorbenen auf dem
Steine einzuhauen, was aber erst
im Verlaufe des 14. Jahrhunderts
mit porträtwahrer Darstellung ge-
lang. Die Darstellungen wurden
eingegraben und mit einem dunkeln
Kitt ausgefüllt Den Rahmen bildet
dann die Zuschrift, meist mit dem
Wuuach requiescat in pace. Mit
der Zeit wurden die Grabsteine
grösser und reicher ausgeführt und
das Bild des Verstorbeneu durch
kräftiges Relief hervorgehoben. Oft
findet man die Ehegatten beieinan-
der, der Mann mit seinen Füssen
auf einem Löwen ruhend, dem Sinn-
bilde der Treue. Die gotische Zeit
fügt gern einen Baldachin dazu.
Oft finden sich solche Grabplat-
ten aufrecht gestellt zu Epitaphien
an den Pfeilern und Wänden der
Kireben, namentlich seit Reliefplat-
ten allgemeiner in Aufnahme kamen.
Eine Tumbu ist dasjenige Grab-
mahl. wobei der Sarkophag nicht
unter, sondern über der Erde, mitten
im Chor oder im Schiff der Kirche
oder an eine Wand angelehnt sich
erhebt. Solche Wandgräber kernen
namentlich in Italien in Aufnahme;
der Deckel enthält dann da4* Relief-
bild des Verstorbenen, die Seiten-
flächen meist nur architektonische
Ornamente, anfänglich Säulenarka
den, in späterer Zeit Masswerk.
Neben den Steinplatten kommen seit
der frühromanischen Periode Platten
in Bronze oder Messing vor, ent-
weder mit eingravierten oder mit
Reliefdarstellungen; sie gehören im
14. Jahrhundert zum Schönsten, was
das deutsche Mittelalter an Grab-
monumenten hervorgebracht hat.
Das herrlichste deutsche Bronze-
grab ist Peter Vischers Denkmal
des Erzbischofs Ernst im Dom zu
Magdeburg vom Jahre 1495. Lübke,
Vorschule zum Studium d. kirchl.
Kunst I, V. Otte. Arch. Handb.
Abscbn. 52.
Graf. ahd. krärio, grdveo, gruro,
mhd. grave, etymologisch noch nicht
genügend erklärt s. Waitz, Verf.
Gesch. I3, 265, ist der regelmässige
Vertreter des Königs bei den Fran-
ken; er nimmt hier die Stelle der
alten Volksfürsten ein und steht
über den Vorstehern der Hunderten,
an deren Ernennung fortwährend
das Volk einen Anteil hat. Siehe
Gau und Hunderte. Seine Ge-
walt bezieht sich überall auf den
Gau, ohne Rücksicht auf städtische
und ländliche Bevölkerung; er heisst
in der altfränkischen Periode auch
judex, praeses und praefeefu-s. Die
Pflichten des Grafen sind: Sorge für
Recht und Gerechtigkeit, für Frie-
den und Ruhe, Schutz der Schwachen
und Hilfsbedürftigen, Unterdrückung
derMissethäter, Erhebung der könig-
lichen Einkünfte, die militärische Ge-
walt, die Poüzei, der Vorsitz am
Gericht, die Ladung und Exekution,
überhaupt der Bann. Der Graf
empfängt seine Befugnisse unmittel-
bar vom König, für den er auch
den Eid der Treue uud die Hul-
digung entgegennimmt; er zieht an
der Spitze seines Gaues zu Felde.
A ls Belohnung für den Dienst empfing
er königliches Gut. Die wichtigste
Auszeichnung für ihn ist das drei-
fache Wergeid. Sonst ist sein Recht
den Untergebenen gegenüber durch
kein Gesetz bestimmt, Recht und
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340
Willkür tiicssen ineinander. Seine
Wahl stand in der Willkür des
Königs und war anfangs durchaus
an kein Geschlecht gebunden. Die
Grafschaft, ct/tnifatu*, comitia. be-
hielt einen überwiegend öffentlichen
Charakter. Innerhalb des Gaues
konnte der Graf einzelne Geschäfte
durch Stellvertreter vornehmen las-
sen, eigentliche Unterbeamten heis-
sen vicarii.
Karl der Grosse änderte an die-
sem alten System niehts, abgesehen
davon, dass er in ilie neueroberten
Länder hauptsächlich Franken als
Grafen einsetzte. Die Regel war
B« 'Stallung auf Lebenszeit. Unter
den Karolingern mehrte sich der
Umstand, dass sich angesehene und
mäehtige Familien in der Verwal-
tung bestimmter Grafschaften er-
hielten, in der sie angesessen und
begütert waren.
War die Grafschaft früher ein
Amt, so änderte sich allmählich ihr
Charakter dahin, dass dieses ein
Benefieium wurde und die damit
verbundenen Vorteile in den Vor-
dergrund traten. Der Graf war
Vasall des Königs. Die Grafen
fehörten stets zu den vornehmsten
. lännern, und Einzelerhebungen von
Männern niedriger Herkunft zu
Grafenämtern erregt Aufsehen. Wa-
ren schon früher die Grafschaften
oft in der Hand angesehener Fa-
milien gewesen, so wurde jetzt die
Grafschaft erblieh.
Dadurch wurde nun auch der
frühere eiurere Zusammenhang zwi-
schen Gratschaft und Gau gelockert,
die Grafschaft drangt den Gau zu-
rück, und das Reich zerfällt in Graf-
schaften wie einst in Gaue; ein Gau
kann mehrere Grafen haben, und
verschiedene Gaue können unter
einen Grafen gestellt sein, oder ein
Graf hat in einer Mehrzahl von
Gauen, meist nur in einzelnen Teilen
eines Gaues oder an einzelnen < >rten
die Grafschaft, Jeder unter einem
Grafen stehen« le Bezirk oder Land-
komplex kann Grafschaft heimsen.
Hervorgerufen wurde diese Auf-
losung der alten Gau Verfassung am
meisten durch die Exemptiouen der
geistlichen Stifter von den Graf-
schaften und dureh die selbständige
Entwicklung der Städte. Der alte
(lau verlor überhaupt als Gericht«
und politischer Bezirk seine Be-
deutung. Auch die alten Gaunameu
verlieren ihre Bedeutung und wie
früher vom Gau, so werden die
Grafen jetzt nach dem Ort bezeich-
net, wo sie regelmässig ihren Sitz
hatten, und gewinnen dadurch Fa-
miliennamen; auch nach der Pro-
vinz findet man sie benannt, der sie
angehörten, Grafen von Sachsen.
Westfalen, Thüringen, Bayern,
Kärnthen, Alamannien, Schwaben.
Elsass.
Mit dem Aufhören der Lehn*.
Verfassung gehen die Grafschaften
in Territorialherrschaften über, und
die Grafen zählen sich ^jetzt zum
hohen Adel; eine grosse ^ahl noch
übrig gebliebener freier Herren
nimmt im 15. Jahrh. ebenfalls deu
Grafentitel an, und zuletzt wird die
gräfliche Würde vom Kaiser, be-
sonders seit Karl V. käuflich durch
Diplom an ritterbürtige Fami-
lien verliehen. Siehe auch Dury-
grafy Landgraf, Markgraf und l*fafz-
graf. Hauptouelle: Waitz, Ver-
fassungs-Geschichte und zum teil
in Opposition dazu Söhm, FVänk.
Reichs- und Gerichtsverfassung s 5
und 7.
Oral oder Oraal. Der heilige
Gral war der Mittelpunkt eines
ausgedehnten Dichtungskreises der
mittelalterlichen Romantik, woran
die Ritterwelt sich erbaute und
durch dessen Bearbeitung die Dich-
ter sich die Seligkeit zu verdienen
glaubten. In der (iralsage meinte
man die unerforschlichen Geheim-
nisse des Glaubens, die Wunder des
Christentums und die segen>reichen
Lehren des neuen Bundes zu er-
gründen, in Symbolen anschaulich
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Gral oder Graal.
341
2U machen und an die poetischen
und historischen Traditionen im
«reiste des christlichen Rittertums
anzuknüpfen. Der Bestand der ur-
sprünglichen . wahrscheinlich aus
Spanien durch maurische Vermitte-
lung nach Frankreich gekommenen
Sage ist bis jetzt nicht klar gelegt
worden ; wir kennen sie bloss in der-
jenigen Gestalt, in welcher sie in
Verbindung mit der Geschichte Par-
zivals und der gesamten Artussage
als Lieblingsstott der französischen,
später der deutschen Epiker auftritt.
Man besitzt zwar ein altfranzösisches
Gedicht des Chrestien de Troges,
Contes del Gral ; dieses ist jedoch
nicht die Quelle der beiden Graal-
dichtungen Wolframs von Eschen-
bach, des I'arzival und des Titurel;
vielmehr nennt Wolfram selber als
seine Quelle einen französischen
Dichter Kvot von Provence, welcher
sich, nach Wolframs Angabe, seiner-
seits wieder auf eine Schrift des
FI ege tan Ls in heidnischer Sprache
beruft, der ein Heide von Vater -
selten, von Mutterseiten Jude aus
Salomons Geschlecht, in der Stern-
kunde erfahren, ein Kalb anbetete
und in den Sternen vom Gral las;
diese Schrift will Kyot zu Toledo
gefunden haben; da sie indessen
nur allgemeine Angaben über den
Gral enthielt, forschte er weiter
nach in den Chroniken von Bri-
tannien, Frankreich und Irland und
fand endlich zu Anjou die rechte
Märe. Von diesen Quellen, die et-
was zweifelhafter Natur sind, ist
nichts weiteres bekannt.
Das Wort Gral wird bei den
alten Schriftstellern in der Bedeu-
tung Gejats nachgewiesen; zahl-
reiche andere Ableitungen, wie Sang
real oder roual. oder vom hebräi-
schen namlak = Vorhaut, sind falsch.
Seinem Wesen nach ist der Gral
das höchste, was auf Erden nur
gewünscht werden kann, ja das über
allen truntrh noch weit hinausreicht,
dem Himmelreiche selbst gleich-
kommt, ein Gefass so schwer, dass
die ganze sündige Menschheit es
nicht von der Stelle zu bewegen
vermöchte, und gleichwohl doch auch
so leicht, dass es mühelos von der
zarten Hand Urrepansens sieh tragen
lässt, deren hohe Reinheit sie zu
ihrem Amte als Gralträgerin heiligt.
Mit dem Stein, aus welchem der
Gral geschaffen ist, verbrennt sich
der \ogel Phönix, um schöner zu
einem neuen Leben wiedergeboren
zu werden; der Stein bewirkt also
Zerstörung, Wiedergeburt und Auf-
erstehung. Am Karfreitage schwingt
sich eine weisse Tauhe vom Himmel
herab, legt eine kleine weisse Oblate
auf das Gefäss und fliegt dann wie-
der empor zum Himmel. Durch
dieses Mysterium erhalt der Gral
alle die göttlichen Wundergabeu,
die weit über alle menschliche Kraft
und irdische Herrlichkeit hinaus-
gehen und unendliche Wonne und
unaussprechliches Heil wirken. Ur-
sprünglich war der Gral im Himmel
bei Gott und von Engeln bedient;
nach dem Sündenfalle der Engel
und Luzifers Empörung wurden die
teilnahmlos gebliebenen Engel aus
dem Himmel Verstössen und ver-
j urteilt, dem Gral auf Erden zu
'dienen, bis Gott sie in die ewige
Verdammnis verstiess, und nun das
Heiligtum den durch kiusrhe und
triutre, diese Kardinaltugenden, aus-
gezeichneten Auserwählten der Men-
schen anvertraute. Diese mussten
aber Getaufte sein; Gott ernannte
sie selbst und berief sie durch seinen
Engel zu dem erhabenen Dienste,
und Titurel war der erste, dem das
hohe Schirmeramt als Gralskönig
anvertraut wurde. Der Gral ist
auch nur den Getauften sichtbar.
Die vom Gral berufenen Diener sind
von allen Todsünden befreit, der
Weg zum Himmel ist ihnen eröffnet
und die höchste Seligkeit ist ihr
Lohn im jenseitigen Leben. Der
Gral erwählte die Seinigcn ohne
I Ansehen des Standes oderGeschlcch-
uigiiizea
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342
Gral oder Graal.
tes; die zum Gral Berufenen müssen
aber durch ihr Leben sich der ihnen
sonder Verdienst zugeteilten Gnade
würdig machen, daher der höchvarf,
ungenuht, de.* vafoches sich entschla-
gen, diemüet üben, in kitische leben
und damit ihre triuwe bewahren.
Insbesondere müssen die Gralritter
weltlicher Minne entsagen; nur der
König darf vermählt sein; wer aber
vom Gral in ein fremdes Land als
dessen Herrscher gesandt wird, darf
dort sich vermählen, damit sein Ge- 1
schlecht wieder dem Gral diene.
Besonders aber muss der Ritter zur
Ehre und Verteidigung des Grals
das Schwert fuhren und stets zum
Kampfe dafür gerüstet sein. Er darf
weder Pardon geben noch nehmen,
und so dem Gral in Leben und Tod
geweiht, büsst er die eigene Sünden-
schuld zu seiner Heiligung, sühnt
damit aber auch zugleich die Sün-
denschuld d»T Menschheit und be-
reitet sich seine Seligkeit. Der Gral
steht aber auch seinen Dienern in
Todesgefahr bei. Sämtliche Gral-
diener werden eine Brüderschaft
genannt; der Gral spendet ihnen alle
Bedürfnisse, Kleidung und Watfeu,
Speise und Trank, und zwar der
köstlichsten Art. Der Gral gewährt
seineu getreuen Dienern aber noch
höhere Gaben: wer ihn erblickt,
kann in einer Woche darnach nicht
sterben, er erhält ihn in voller
Jugendblüte, und würde er auch
zweihundert Jahre alt. Der König
ist Schiriner über des Grals Ge-
heimnis, sein Reich entreckt sich
über^Ue ganze Erde und weiter bis
in die Sterngefilde; denn es ist die
ganze Schöpfung, in welcher der
Gral waltet ; aber er ist nicht Herr
über den Gral selbst, sondern nur
das Haupt der Gralgemeiude, der
Wächter über die Erfüllung seiner
Gesetze. Der König des Grals führt
im Wappen die Turteltaube, das
Sinnbild der Reinheit und treuen
Liebe. Unter diesem Zeichen hat
die Ritterschaft zur Verherrlichung |
des Grals zu kämpfen und der König
vom heiligen Geist erfüllt zu regieren.
Das Heiligtum des Grals wird
in einem Tempel aufbewahrt, der
sich zu Munsalvrische befindet, im
mons sahationix, der Gralburg und
Residenz des Königs. Von hier aus
wird der heilige Samen in die Welt
ausgestreut. Das dazu gehörige
Land, 30 Meilen ringsum, heisst Terre
de Sa/ ratsche; darin entspringt die
Fontane la sahätschet an welcher
die Klause Trevrizents (treve recent,
der neue Friede l liegt, wo Parzival
seine Heilsbelehrung empfängt. Das
Gralgebiet ist ein Bannforst, den
niemand ungestraft betreten darf,
und mit Wachen und Warten um-
stellt. Die Burg liegt unüberwind-
lich auf steilem Berge, aber grosses
Geheimnis umgiebt sie. Wer sie
sucht, wird sie nicht finden; denn
nur, wen der Gral selbst zu sich
beruft, kann zu ihm gelangeu, er
ist mit Waffen nicht zu erstreiteu.
Zweimal im Jahr, bei hohen Festen,
wird mit ungemeinem Aufwände
von Pomp und Personen das heilige
Gefäss mit der blutenden Lanze im
grossem Saale vor den König imd
seine Ritterschaft getragen. Ein
ritterliches Fest wird auf der Burg
nicht begangen, alles ist in tiefer
Trauer; denn die Gralgemeinde be-
findet sich in der Busse, und zwar
wegen der Schuld des Amförtas;
dieser König Grals hatte sicn näm-
lich cegen das Gebot durch un-
keuscne Minne zur Heidenkönigin
Secundilla und demnächst zur ver-
führerischen Orgeluse vergaugeu.
und im Dienste der letzteren erhielt
er beim Kampfe mit einem Heiden,
der den Gral erstreiten wollte,
durch dessen vergifteten Speer eiue
unheilbare , unsägliche Schmerzen
bereitende Wunde. Die treuen
Gralritter wandten vergebens alle
natürlichen und übernatürlichen Heil-
mittel an, bis sie bnssfallig zum
Gral beteten; dieses Gebet wurde
zwar dem Krauken nicht zur Ge-
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Gral oder Graal.
343
nesung, doch seinen Rettern zur
Hoffnung; es erschien nämlich eine
Schrift am Gral, dass Amfortas ge-
nesen werde, wenn ein Ritter kommen
würde, der unaufgefordert fragte.
Als dieser Ritter, Parzival nämlich,
beim Grale erschien, that er die
verhängnisvolle Frage nicht; Am-
fortas aber nimmt dieses für eine
göttliche Prüfung an, und als Par-
zival. der schon ernannte Gralköuig,
zum zweiteu Male erscheint, widmet
er sich demütig dem heiligenden
Graldienst, indem die Krone des
Grals auf Parzival übergeht.
Während Amfoitas sieh durch
offen bewusste Verletzung des Gral-
oder Gottesgebotes versündigt, ladet
JJarzirai die Schuld auf sich durch
»eine (ierechfigkeit. Parzivals ein- 1
aame Erziehung im Walde öffuete
nicht sein Herz dem Lichtblicke d«>s
Glaubens; mit edlen hohen Anlagen,
von angebornem Thatendrange ge-
trieben, mit trotzigem Selbstgefühle
sich von der .Mutter losreissend
stürmt er in die Welt, erzwingt sich
die Ritterschaft, gewinnt ein herr-
liches Weib, vollbringt die grössten
Heldenthaten, erringt überall Sieg
und Ruhm und die höchste Ehre
am Plimizol, wo Artus ihn in die
Zahl der Tafelrundritter aufnimmt.
Dennoch hat er mit fast jeder seiner
wohlgemeinten, das ihm gegebene
Gesetz nur befolgenden Handlungen
Unheil hinter sich gelassen, ohne
dass er es weiss oder begreift, wes-
halb es so kommen musste. Da
reisst Kundrins Donnerwort ihn aus
dem Taumel des Glücks, und statt
Ehre giebt sie ihm den Fluch aller
Guten. In dem Bewusstsein ge-
wissenhaftester Erfüllung aller ihm
kundgegebenen Pflichten, unfähig,
die Schande, die ihn getroffen, zu
tragen, wendet sich empört sein
Gemüt gegen Gott, und er fällt dem
Zweifel und der J'erztrei/tunfj an-
heim. Da belehrt ihn Trevfecent
zum erstenmal über die unendliche
Liebe Gottes und bezeichnet ihm
Reue, Busse und Demut als den
Weg zum Heile. Als ein neuer
Mensch setzt er sein Forschen nach
dem Gral fort, den er um seines
eigenen Heiles willen und im Glauben
an die Kraft des Grals aufsucht und
findet.
Nach dieser, dem verdienten
Parzival-Forscher San Martc ent-
lehnten Erläuterung des Grals stellt
sich nun als Idee des Grals im
Geiste Wolframs eine christliche
Genossenschaft entgegen, ein Reich
der Gläubigen und Auserwahlten
des Herrn, eine christliche Gemein-
schaft ohne römische Hierarchie,
ohne Bann, Interdikt und Ketzer-
gerichte, worin Gott selbst durch
den Gral im Geiste des reinen
Evangeliums Herrscher und Richter
seiner Gemeinde ist; vom Tempel-
herrenorden aber entlieh der Dichter
die Hülle zu seiner idealen Gestal-
tung dieser Genossensehaft. Seiner
Idee gemäss steht das Gralrcieh im
Gegensatz sowohl zum orthodoxen
Christentum als zum Heidentum,
obgleich er sich der Polemik ent-
hält. Nach San Marte ist der Gral
und da* Tempelrittertum, wie es
von Wolfram geschildert wird, ein
der freien Dichtung augehöriges
Phantasiegesehöpf, dem der Boden
wirkliehen Volksglaubens fehlt, zu
dem jedoch die Färbung von sehr
mannigfaltigen Seiten entlehnt ist.
In indischen Mythen wurzelt die
Sage von einer Stätte auf Erden,
die ihrem Bewohner mühelosen Ge-
11US8 und ungetrübte Freude ge-
währt, ein irdisches Paradies; ähn-
licher Auffassung entstammt die
Zeit des Saturn, das goldene Zeit-
alter der Griechen; der Islam be-
sitzt sein mit denglühendsten Farben
ausgestattetes Paradies, und nicht
minder die Religion der Kelten in
der Insel Avalon, dem glüekseligen
Lande, wohin Artus nach der Schlacht
von Cambula entrückt ward. Den
Stein, aus dem der Gral besteht,
hat man geglaubt in Beziehung
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844 Grandmontaner Mönchsorden. — Gregor vom Steine.
bringen zu dürfen mit dem schwarzen ihnen bloss Korrektor nennen; er
Steine derKaaba; er soll einer von starb hochbetagt 1 1 14. Nach seinem
den Edelsteinen des Paradieses und ; Tode sprachen die Augustiner von
mit Adam lierab auf die Erde ge- ] Ambazoc Müret als ibr Eigentum
fallen sein. Der Tempel zu Mekka an und nannten sieh yon da an Gramd*
heilst auch der unverletzliche, un- mon fenser. Bald verbreitete sich
nahbare, wie Muntsat ratsche im der Orden in Aquitanien, Anjou
Titurel der behalten lere heisst. So und in der Nonnandie. Das erste
denktmanauchan dcnaltägvptischen eigentliche Kloster desOrdens stiftete
Herinesbecher, den Becher des König Ludwig VIT. 1164 zu Vin-
Dschemschid, des Herkules und cennes bei Paris. Die Klöster biessen
Bacchus, der zugleich Weltspiegel, Zellen, und die Aufnahme erfolgte
Zauberspiegel und Gefnss des Heiles bloss durch das zu Grandinont
ist. Erst spätere französische Prosa- wohnende Ordenshaupt. Von An-
rornane, deren noch mehrere bis fang an hatte der Orden mehr Laien-
ins 16. Jahrhundert verfasst wurden, brüder als Geistliche. Der Ordt*n
setzten den Gral mit Joseph von blieb stets auf Frankreich beschrankt
AriinathiainVerbindungund nannten und zahlte kein einziges Mitglied
ihn die Schüssel, aus der der Herr von grösserer Bedeutung,
mit den Jüneern gespeist und in j Grejror vom Steine heisst eine
der Joseph das Blut aufgefangen I von Ilartm<tnn von der Ait4? in
habe, das den Wunden des Herrn höfischem Geschmack behandelte
bei seiner Beerdigung entströmte. Legende; ihre Quelle ist wahrschein-
Auch die Ableitung der blutenden lieh ein altfranzösisches Gedicht dea
Lanze von derjenigen, womit Lon- j 12. Jahrhunderts, Vie du Pape Clr*-
ginus dem Heiland am Kreuze in goire le Grand, dem sich Hartmann
die Seite stach, weshalb sie stets genau anschliesst. Der Inhalt ist
und bis zum Tage des Weltgerichts folgender: Ein Fürst von Aquitanien
bluten wird, ist spätem Datums, hintorlässt zwei Kinder, einen Sohn
Nach&ni Marte in Erschund Gruber, und eine Tochter, die sich auf
Artikel Graal, vgl. auch desselben das zärtlichste lieben. Durch die
Forschers Parzival-Studien. Birch- Lockungen des Bösen wird aber
Hirschfeld, die Sage vom Gral, Lpz. der allzuvcrtraute Bruder verleitet,
1H77. Bartsch in der Einleitung seiner Schwester in unerlaubter
seiner Parzifal- Ausgabe. Weise zu nahen. Der unglückliche
I • nun l in on tau er Mönchsorden, Bruder wandert darauf ausser Landes
Ordo G randitnontensis , ein refor- und stirbt, die Schwester aber wird
mierter Benediktiner-Orden des 11. heimlich eines Knaben entbunden.
Jahrhunderts. Stifter desselben ist i Dieses Kind wird in eine Kiste pe-
Stcphanus von Tigerno, geb. 1046 than und ihm eine Tafel beigegeben,
auf dem Schlosse Thiers in Au vergne. J auf welcher vermerkt ist, das« es
Gregor VII. gestattete ihm die Er- von hoher Geburt, sowie dass sein
richtuug eines geistlichen Ordens, Vater sein Oheim, seine Mutter seine
der nach den Gebräuchen der cala- Base sei; so wird das Kind in eine
brischen Mönche eingerichtet wäre, Barke gesetzt und dem Meere preis-
worauf Stephanus unweit Limoges gegeben, die Mutter aber lebt gott-
in einer Einöde der Auvergne, ergeben und zurückgezogen wie eine
Müret genannt , eine Hütte erbaute Büsscnde und versagt allen Werbern
und hier als Einsiedler lebte, die Hand; von einem derselben.
Als sich, durch den Ruf seines einem mächtigen Herzog in der
heiligen Lebens angezogen, andere Nachbarschaft, wird sie deshalb so-
ihm Deigesellteu , Hess er sich von gar in ihrer Hauptstadt belagert.
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Gregoriusfest.
345
Unterdessen wird die Barke mit
dem Kind an einem fremden Gestade
unweit eines Kloster» von Fischern
entdeckt, und der davon benach-
richtigte Abt vertraut das nach des
Abte» Namen Gregorius getaufte
Kind einem der tischer zur Er-
ziehung an. Spater wird es in die
Klosterschule selbst aufgenommen,
wo es grosse Fortschritte macht;
da jedocn seine Pflegemutter ihn
im Zorne dafür, dass er ihrem
Sohne beim Spiel unversehens wehe
gethan. einen Findling gescholten
hat. erbittet und erhält er vom Abt
Auskunft über seine Geburt und
zieht in die weite Welt, um, mit
jener Tafel versehen, das Land
seiner Geburt zu suchen. Er kommt
zufallig in das Land seiner Mutter,
die eben von jenem Herzog belagert
wird, findet Einlass, besiegt den
Herzog und vermählt sich mit der
Herrin des Landes. Bald erregt
bei dieser das Lesen der Tafel, dein
der Gemahl sich tätlich unterzieht,
Argwohn, sie bemäentigt sich heim-
lich derselben und findet, dass ihr
Gemahl ihr Sohn sei. Beider be-
mächtigt sich namenloses Weh.
Gregor ermahnt die Mutter zur
Busse und zu guten Werken und
zieht im Büsserce wände fort. Ein
Schiffer bringt ihn seinem Wunsche
gemäss auf einen einsamen Felsen
im Meer, schliesst ihn in eine eiserne
Fessel und wirft den Schlüssel da-
zu ins Meer, indem er sich höhnend
äussert: wenn der Schlüssel wieder-
gefunden werde . wolle er ihn für
einen heiligen Mann halten. Auf
diesem Stein verlebt Gregor unter
freiem Himmel, fast ohne Nahrung,
beinahe siebzehn Jahre. Nach dieser
Zeit soll in Rom ein neuer Papst
gewählt werden ; durch Gottes Stim-
me werden die streitenden Römer
auf Gregor nach Aquitanien gelenkt.
Zw ei Abgeordnete, die ihn aufsuchen,
kommen in die Hütte jenes Fisc hers,
der soeben zu seinem Schrecken
den Schlüssel in eines Fisches Bauch
wieder gefunden hatte. Darauf hin
lassen die Boten sieh hinüber auf
den Strom fahren und Gregor, der
in dem Wiederfinden des Sehlüssels
ebenfalls Gottes Fügung erkennt,
giebt endlich dem Wunsche der
Boten nach, bricht mit ihnen nach
Rom auf und wird Papst. Auch
seine noeh lebende Mutter pilgert
mit anderen zu dem wunderaus-
übenden Sohne und erwirkt Frei-
sprechung von ihren Sünden. Neueste
Ausgabe in Hartmanns von der
Aue Werken von Fedor Bech.
Gregoriusfest heisst ein im Mit-
telalter verbreitetes, am 12. März ge-
feiertes Sehulfest, dessen Entstehung
wohl mit der Frühlingsfeier der Ger-
manen zusammenhängt. Die Schüler
wählten für dieses Fest einen der
ihrigen zum Bischof und zwei andere
wurden ihm als Kleriker zugesellt.
Alle drei wurden in geistlicher Tracht
von dem gesamten Schüler- und
Lehreipersonal unter dem Geläute
aller Glocken zur Kirche geführt,
wo sich der Knabenbischof und seine
i zwei Assistenten in possenhafter
j Feierlichkeit an den Stutendes Altars
auf Sessel niederliessen. Ein wirk-
licher Geistlicher hielt eine Rede,
worauf man einen Gregoriusgesang
anstimmte,daher der Name ( irerioriu*-
sinqen. Nach einer Schlussrede,
welche der Knabenbischof hielt, trat
man den Rückweg an, auf welchem
die Knaben mit Brezeln beschenkt
wurden, wofür einesteils Privatleute,
andernteils öffentliche Stiftungen das
Geld hergaben; zum Teil waren
Jahrmärkte mit dieser Feier ver-
bunden. Der zweite Akt bestand
darin, dass die in die Schule neu
eintretenden Knaben in ihren Häusern
der Reihe nach aufgesucht, als Gre-
gorianer in eine Art Chornemd ge-
kleidet und in Prozession zur Schule
geführt wurden. An anderen Orten
bestand das Fest bloss aus einer
öffentlichen Speisung der Knaben-
schaft; so wird aus St. Gallen ge-
meldet: anno lbüii am zin*ta<j nach
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340
Grenadiere.
der alten fastnacht hand meine herren Soldaten", Leipzig 1726. den Grena-
ain hirs im snital lassen machen und dier folgendermassen : „Ein Grena-
mU hreteren tischet vom rathus bis dier ist gleichfalls! wieder Musketier^
zuo den brotloben, und alle Knaben ein gemeiner Soldat, doch hat er
in der stat dazuo gefueri und trait. vor einem Mousquetirer darinnen den
icas ander 14 ja reu Ut g * sin, und Vorzug, dass man ihn bei Sturm-
hiess man essen die schwangeren laufen und bei denen gefährlichsten
f rotten, so ge/ust hand, und sind an Actionen gebraucht . um Granaten
der zal gesin Unw junger Knaben, zu werfen und muss dabei Ober-
die man verschrieben' hat. Den und Untergewehr tragen. Man er-
Namen soll das Fest nach Papst wehlt hierzu die ansehnlichsten.
Gregor I. erhalten haben, ohne dass stärksten, dauerhaftesten uod ramas-
68 bis jetzt gelungen wäre, den sirten Leute und sucht gemeiniglich
Grund dieser Namengebung zu ent- aus jeder Compagnie ein 8 — 10 Manu
Ziffern (vgl. Kriegk, Bürgerth. II, 93). aus, nachdem die Compagnie stark
Grenadiere sind zuerst im dreissig- ist. Anstatt des Huts tragen sie
jährigen Kriege aufgekommen; sie eine grosse Grenadier-yiiitze. in der
sollten die sonst aus dem Geschütz grossen Patrontasche führen sie drei
geschleuderten Granaten oder Gre- eiserne, gefüllte, fertige, mit Blasen
naten mit der Hand werfen und da- . verbundene Granaten. Bei dem
durch da* Feuer der Infanterie zu- Exercieren werden nur hölzerne oder
mal gegen Kavallerie bei dem Kampfe gepappte Granaten gebraucht, die
um Örtlichkeiten und vorzüglich im eisernen aber in der scharfen Action
Festlingskriege unterstützen. Das vor dem Feinde und inzwischen bei
Werfen der eisernen Granaten er- dem iStabe verwahrt und aufgehoben,
forderte bedeutende Körperkräfte Forne auf dem Riemen an der Brust
und die dazu bestimmten Leute wur- ist ein blecherner Luntenverberjrer
den deshalb aus den grössten und befestigt, um die glimmende Lunte
kräftigsten Mannschaftenausgewählt, vor Regen, Nebel und Feuchtigkeit
Da ihre Bewaffnung es ausserdem wohl zu verwahren,
mit sich brachte, dass sie den Feind „Wird ein Regiment zur Muste-
nahe heran kommen lassen, sich rung, Camj>irung, zum Jtjrercircn und
exponieren, in nächster Nähe der dergleichen zusammengestellt , so
Gefahr ins Auge sehen mussten, so werden die Grenadiere von allen
wurden die Grenadiere von selbst Compagnien auf den rechten Flügel
eine Elite-Infanterie. Später, als die sich zu stellen commandiret und nach
Grenadiere als solche verschwanden, der Endigung gehet ein jeder zu
behielt man den Namen für eine seiner Compagnie. Dieses geschieht
auserlesene Infanterie bei, welcher bei einem regnlairen Feldregirnente.
man als besonderes Abzeichen eine Man hat auch ganze Regimenter
springende Granate, an der Kopf- und Bataillons formirter Corps von
bedeckung oder dem Lederzeuge Granadirern. als gleichsam Garden
getragen, verlieh. Anfangs befanden von hohen Potentaten, die von son-
sich die Grenadiere von der übrigen derbarer Grösse und Ansehen sind.
Mannschaft in Bewaffnung, Aus- zusammeugeschafit. Doch solche
rtistung und Bekleidung nicht unter- sind grösstenteils bloss zur Parade
schieden, untermischt unter den und werden in die Residentzen ver-
Pikenieren und Musketieren; als be- legt. Die Fcldregimenter aber sind
sondere Waffengattung wurden sie verbunden Dienste zu thun.
von Ludwig XIV. zuerst im .Jahre „Ein Granadier muss nicht wei-
1667 eingeführt. Flernming schildert bisch aussehen, sondern furchtbar,
in dem „Vollkommenen deutschen von schwarzbraunem Angesicht,
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Grwelda, Griseldis. 347
schwartzen Haaren mit einem star- mir dünkt viel Gutes von ihr. und
ken Knebelbarth, nicht leicht lachen ist sie so verständig, als sie schön
«»der freundlich thun. Vor alten ist, und das glaube ich, so zweifle
Zeiten hat man von denen Grena- ich nicht, dass ihr alsder zufriedenste
diers nicht viel gewusst In Deutsch- Herr mit ihr leben werdet. Doch,
land und sonderlich in Sachsen sind soviel ich kann, beschwöre ich Euch,
sie erst anno 1683 aufgekommen, erspart ihrem Herzen die Stiche,
bei dem glücklichen Entsatz der welche die andere, die einst Eure Ge-
Kayserlichen Residentz-Stadt Wien, muhlin war, von Euch erhielt; denn
aJs Ihro Churfürstliche Durchlauch- ! ich glaube kaum, dass sie dieselben
tigkeit von Sachsen Johann Georg III. zu ertragen vermöchte, teils, weil sie
Höchstseligen Angedenkens sich jünger ist, teils, weil .sie in Weich-
ihrer zum ersten Male mit grossem liclikeit erzogeu ward, während jene
Nutzen und mit Verlust der Türken von klein auf in beständigen Mühen
bediente." Breyding, Artikel Gre- gelebt hat." Da entdeckte ihr Gual-
nadier in Ersen u. Gruber. tieri, dass die angebliche junge Braut
Griselda, Griseldis, heisst die und ihr mit anwesender Bruder seine
Heldin der letzten Novelle in Boccac- und ihre Kinder seien; und der
eios Decameron, deren Inhalt folgen- Markgraf lebte noch lange mit Gri-
der ist: Markgraf Gualtieri von selda glücklich und hielt sie in hohen
Saluzzo, von seinen Vasallen ge- Ehren.
drängt sich zu verheiraten , nimmt Diese Novelle Boccaccios hat
Griselda, die Tochter eines armen Petrarca frei in lateinischer Sprache
Land mann s. zur Gemahlin. Als sie nacherzählt, und diese Bearbeitung
ihm eine Tochter geboren, lässt er ist sowohl Volksbuch als die Quelle
ibr, um ihre Geduld und ihren Ge- zahlreicher epischer und dramatischer
horsam zu prüfen, das Kind weg- Dichtungen in verschiedenen europäi-
uehmen und macht sie glauben, er sehen Literaturen geworden,
habe es töten lassen, wänrend er es In Deutschland blieb die Über-
insgeheim zu seiner Schwester nach setzung der (iriseldi* des Petrarca
Bologna geschickt hat. Ebenso ver- durch Heinrich Steinhötrct für die
fahrt er mit dem zweiten Kind, einem letzten Jahrzehnte des 15. Jahrb. bis
£k>hne, und beidemal fügt sich Gri- in die erste Hälfte des 17. Jahrh.
selda ohne Widerstreben und Murren. Volksbuch, zuerst gedruckt zu Augs-
Nach dreizehnjähriger Ehe giebt der bürg 1471 in Fol. durch Günther
Markgraf vor, er nabe vom Paust Zainer und später öfters. Neuere,
IHspens erhalten, sich von Griselda ebenfalls zu Volksbüchern gewordene
zu scheiden und eine andere eben- Obersetzungen sind: Markgraf Wal-
bürtige Gemahlin zu nehmen, und ther, von Johann Fiedlern, Dresden
schickt Griselda im blossen Hemde 1653, und die Übersetzung des Kapu-
zu ihrem Vater zurück. Bald aber ziners Martinus von Cochem in „Aus-
lädst ihr der Markgraf wissen, sie erlesenes Historybuch" Dillingen,
möge an den Hof kommen, um für 1687, auch einzeln unter dem Titel:
die bevorstehende Hochzeit alles Wunderbarer Demut- und Geduld-
herzurichten und die eingeladenen j spiegel, vorgestellt in der Gräfin
Damen zu empfangen. Griselda thut's Griseldis. Andere Übersetzungen
und empfangt am Hochzeitstage die hat man in niederdeutscher, franzö-
junge Braut. Nachdem man sich sischer, niederländischer, englischer,
zu Tisch gesetzt , lässt Gualtieri dänischer, schwedischer, böhmischer
Griselda zu sich rufen und fragt Sprache. Poetische Bearbeitungen
sie: „Nun was dünkt dir von Unserer dieses Novellenstofles kennt man
neuen Gemahlin?" „Mein Gebieter, ebenfallsauszahlreicheneuropäischen
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348
Grobianus. — Gudrun.
Litteraturen , z. B. aus Chaucers
Canterbury Tales; in Deutschland
ist es im 16. Jahrhundert dreimal
als Komödie behandelt worden, dar-
unter von Hans Sachs. Boccaccios
Quelle ist bishcrunbekanntgcblieben.
A*. Köhler in Ersch u. Gruber, Artikel
Griselda.
Grobianus. Am Schlüsse des
15. Jahrhunderts kehrte ein Nürn-
berger Dichter die seit dem 13. Jahr- [
hundert vorhandenen Anxtandsretjeln
in poetischer Form um und gab
Regeln für Vernachlässigung des
Anstandes. Sebastian Braut erfand
als Schlagwort für diese Gattung
den heiligen Grobiauus, ein Name,
der sich rasch ausbreitete und haften
blieb. Fr. Dedekind aus Neustadt
au der Leine sehrieb ein lateinisches
Gedicht über die Grobianer, das
Kaspar Scheidt in Worms übersetzte
und erweiterte. Daneben lief eine
Prosabearbeitung. Diese ganze Rich-
tung der Poesie war durchaus volks-
tümlich.
Groschen, früher auch der Groti,
von mittellateiuisch denarius grossus,
grosspfennig, dickpfenning. Die
ersten Groschen sollen entweder im
Jahre 1104 zu Trier oder um 1300
unter König Wenzel von Böhmen
geschlagen worden sein. Sie be-
standen aus 15 lötigem Silber und
wogen 10 Cent. Auf eine Mark
fingen 60. Zuerst in Meissen, dann
m vielen anderen deutschen Städten i
und Ländern nachgeschlagen, gab
es bald eine Menge Groschen unter
verschiedenen Namen. Seit dem
17. Jahrhundert war der Groschen
der 24. Theil des Reiehsthalers und
wurde in 12 Pfennige geteilt.
Gudrun, streng oberdeutsch
Kudrun, ein mittelhochdeutsches
Epos mir volkstümlichem Stoffe,
wurde sehr wahrscheinlich in der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
gedichtet und hat in seinen Haupt-
zügen folgenden Inhalt:
1. Hagen, der Sohn des Königs
von Irland (nicht zu verwechseln
mit dem Hagen des Nibelungen-
liedes), wird seinen Eltern als sieben-
jähriges Kind durch einen Greifen
entführt. Durch einen Zufall aua
der Gewalt der jungen Greifen ge-
rettet, findet er drei ebenfalls ge-
raubte Königstöchter, welche ihn
aufziehen. Ein gestrandetes Fahr-
zeug verschafft ihm Waffen, und
jetzt erschlägt er die Greifen. Die
Bemannung eines ankernden SchifTV-s
wird von ihm bezwungen und führt
ihn mit den drei Jungfrauen in seine
Heimat, wo eine derselben, die schöne
Hilde von Indien, seine Gattin wird
und eine Tochter gebiert, welche
ebenfalls den Namen Hilde erhalt
2. Hagen lässt alle Boten der
Freier töten, da nur ein gleich mäch-
tiger König seine Tochter heimfüh-
ren soll. Der König Hetel von
Hegelingen sendet drei seiner tüch-
tigsten Recken als Werber, den
freigebigen Fruote, den liederreichen
Horand und den kampfberühmten
Wate. An Hagens Hof geben sie
sich für Kaufleute aus; Wate setzt
durch seine Fechtkunst alle in
Staunen, Fruote durch seine Pracht,
Horand durch seinen süssen Gesang,
der die Tiere von ihrer Weide lockt,
die Fische und Wrürmer ihrer Fahrte
vergessen macht und die Menschen
entzückt. Hilde lässt den Sanier
heimlich zu sich kommen, und so
kann Hetels Werbung augebracht
werden, welche bei der jungen
Königiu günstige Aufnahme findet.
Eine List wird verabredet; die drei
Recken bitten Hagen und die Seinen,
ihre Schiffe zu besuchen und ihre
Reichtümer zu bewundern. Kaum
hat aber die Jungfrau ihren Fuss
auf das Hauptschiff gesetzt, so fahrt
es vor den Augen ihrer Eltern ab
und landet glücklich im Hcgelingen-
lande. Hagen folgt ihnen, und es
kommt zu einem hitzigen Kampfe,
den Hilde scheidet, zu deren Ver-
mählung Hagen endlich seine Ein-
willigung giebt.
3. Hilde gebiert den Ortwin und
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Gudrun
349
eine
wunderschöne Tochter, die
Gudrun. Siegfried vonMorland wirbt
vergeblich um sie. ebenso wird Hart-
muot vonOrmanie abgewiesen. Auch
dem Herwig von Seeland wird ihre
Hand versagt; er aber dringt mit
bewaffneter Macht in Hetels Land
ein, und Gudrun macht dem Kampfe
ein Ende, indem sie sieh den Helden
zum Bräutigam wählt.
Siegfried von Morland macht
unterdessen einen verheerenden Ein-
fall in die Lande Herwigs, welchem
fletel zu Hülfe eilt. Hartmuot be-
nutzt diesen Augenblick, um im
Hegelingenlande einzudringen. Er
meldet Gudrun seine Ankunft, sie
antwortet mit der Nachricht ihrer
Verlobung mit Herwig, Hartmuot
entführt sie aber mit Gewalt nebst
ihrer Freundin Hildeburg. Siegfried,
mit dem unterdessen ein ehrenvoller
Friede geschlossen worden ist, er-
klärt sieh bereit, Hetel und Herwig
in der Wiedererlangung der geraub-
ten Jungfrau zu unterstützen. Sie
treffen nie Räuber auf einer Insel,
dem Wülpensande; vom Morgen bis
zum Abend dauert der heisse Kampf,
worin Hetel fällt. Hartmuot mit
»einen Normannen benutzt die Nacht
zur Flucht. Herwigs Leute sind
zum grössten Teil gefallen; er muss
von der Verfolgung abstehen, bin
die junge Mannschaft zu einem
kriegstüchtigen Heere heranwächst.
In seinem Reiche anlangend, sucht
Ludwig die Jungfrau zur Verbindung
mit seinem Sohne Hartmuot will-
fährig zu machen; sie weigert sieh
aber entschieden. Wütend erfasst
er sie bei den Haaren und schleudert
sie ins Wasser, aus dem sie indessen
von Hartmuot gerettet wird. Um
sie zu zwingen, der Werbung des-
selben Gehör zu schenken, werden
ihr von seiner Mutter, der Gerlinde,
diu niedrigsten Arbeiten auferlegt,
obwohl Hartmuot dies missbilligt;
allein nichts kann sie bestimmen,
von ihrer Treue zu weichen, weder
Härte, noch gütiges Zureden. Täg-
lieh muss sie am Strande mit ihre
Freundiu Hildeburg Kleiderwaschen
und so vergehen 13 Jahre in Not
und Elend.
Unterdessen ist im Hegelingen-
lande gerüstet worden, und ein Engel
verkündet Gudrun die nahende Hülfe.
Herwig und Ortwin gehen gegen
Abend als Kundschafter dem an-
rückenden Heere voran und treffen
die beiden Jungfrauen, die trotz des
tiefen Schnees auf Refehl der Ger-
linde in blossen Füssen ihre Arbeit
thun. Rald erkennen sie sich. Ortwin
widersetzt sich aber einer ihrer un-
würdigen Entführung; mit den Waffen
in der Hand will er seine Schwester
zurückholen. In ihrer Freude und
im neu erwachten Stolze ihres könig-
lichen Blutes wirft sie die Kleider,
die sie waschen sollte, ins Meer.
Wütend darüber lässt Gerlinde die
Heimgekehrte an eine Bettstelle
binden, um ihr die Haut vom Leibe
zu schlagen, und Gudrun rettet sich
von dieser schmachvollen Züchtigung
nur durch das listige Versprechen,
Hartmuot minnen zu wollen. Sie
lässt ihn alles zur Hochzeit bereit
machen und, um dadurch die Be-
satzung der Burg zu schwächen,
veranlasst sie ihn. Boten nach seinen
Dienstmannen zu senden.
Im Heere hat man wehklagend
den Bericht der beiden Kundschafter
vernommen; zornig ruft der alte
Wate aus: „Alteu Weibern ziemt
das Jammern; wir wollen mit Blut
die Kleider färben, die ihre weisseu
Hände gewaschen haben." Die
Morgenröte zeigt den Burgbewoh-
nern die Heerhaufen Vörden Thoren,
und die Wappen verraten bald die
nahenden Rächer. Ein Ausfall wird
gewagt, Hartmuot verwundet Ort-
win und Morand, Herwig erschlägt
aber Ludwig, und Wate veitritt
dem weichenden Hartmuot den Rück-
zug. Jetzt giebt Gerlinde alles ver-
loren und will Gudrun in ihrer Wut
töten lassen; allein Hartmuot sieht
es und verhindert den Mörder durch
uigiiizea
by Google
350
Gudrun.
sehn' Drohungen. Uartinuot muss
sich dem alten \Vate gefangen geben,
der nun in der Burg herumtobt und
selbst die Kinder in den Wiegen
nicht verschont Gerlinde findet bei
Gudrun Schutz, allein sie wird Wate
verraten und samt ihren Dienerinnen
niedergehauen. Froh kehren die
Sieger heim, und vier Vermählungen
schTiessen die Erzählung: Ortwiu
erwählt sich auf den Rat Gudruns
die Ortrun, Schwester Hartmuots,
welcher die Hand der Hildeburg
gewinnt; Siegfried erhält die
Schwester Herwigs, und Gudruns
ausharrende Treue wird durch ihre
Verbindung mit dem geliebten Her-
wig gekrönt.
Der Stoff de§ Epos läset deutlich
drei Teile unterscheiden : 1. den
Kaub Hagens durch einen Greifen;
2. die Entführung seiner Tochter
Hilde mit ihrer Zustimmung; 3. die
Entführung der Tochter derselben
wider ihren Willen und die endliche
Belohnung ihres treuen Ausharrens.
Im eisten Teile haben wir keine
besondere Sage zu suchen; es ist
eine Hiuzufügung des Dichters und
verrät ganz den Geschmack seiner
Zeit.
Der zweite Teil beruht auf der
uralteu Hildentafir , deren Heimat
vielleicht die nordischen Inseln, die
Schetlauds- und Orknevsinseln sind,
von wo sie dann nach Norwegen
und an die Nordseeküste gelangte.
Wir haben sie im Nordischen über-
liefert in der jüngeren Edda (Skald-
skitfuirmal . c. ;>0 1 und von So.ro
Urammaticu* (ed. Müller I, 1, 288),
wobei die ersten* Fassung zweifel-
los die ältere ist: Während Konig
Högni zur Königsversammlung ge-
zogen ist, wird ihm von Hedin,
Hjarrands Sohn, seine Tochter Hilde
entführt. Er verfolgt die Fliehen-
den bis zu den Orkneys, wo es zum
Kampfe kommt, da Högni keine
Busse annehmen will. Den ganzen
Tag kämpfen sie, aber Abends er-
weckt Hilde mit Zauberliedern die
Gefallenen wieder, am Morgen be-
ginnt die Schlacht von neuem, und
so wird es fortgehen bis zur Götter-
dämmerung.
Zeugnisse für das Bekanntsein
dieser Sage haben wir in einem
angelsächsischen Gedichte des achten
Jahrhunderts. Bemerkenswert ist
ferner eine umgestaltete Fassung der
Sage in einer auf der Schetlands-
insel Fula gesungenen Ballade ivgrl.
C. IJofmann, Berichte der Münchner
Akademie 18B7, II, 205). Ob und
wie auch andere Sagen, in denen
Entführungen von Jungfrauen vor-
kommen, mit der Hildensage zu-
sammenhängen, lässt sich nicht mit
genügender Sicherheit bestimmeu.
Der Ursprung der Hildensage
ist wahrscheinlich in der Mythologie
zu suchen. Die sich stets erneuernde
Sehlacht erinnert an die sich immer
wiederholenden Kämpfe der Einher-
jar. der Heldenschar Odins, welche
sich alle Tage in heissem Kampfe
gegeneinander üben und jeden Abend,
von allen Wunden geheilt, zu neuer
Waffenübung ausruhen. Wenn die
Götterdämmerung anbricht, dann
werden sie unter Odins Führung den
Kampf gegen die bösen Mächte der
Finsternis aufnehmen. Ihre sich stete
wiederholenden Waffe uübungen be-
ruhen auf dem Wechsel von Tag
und Nacht. Der Raub der schönen
Jungfrau aus der Gewalt des harten
Vaters deutet auf die Erlös
frühlingsfrischeii Natur aus den
den der Winterriesen.
Die Gudrmutaije, welche dem drit-
ten Teile zu Grunde Hegt, stammt
aus der Gegend der Rhein- und
Scheidemündung. Man hat sie ge-
wöhnlich für eine verändernde W ei-
terbildung der Hildensage ange-
sehen, indessen sind die inneren
Verschiedenheiten «loch zu gross
und die Konsequenzen dieser An-
nahme zu bedenklich. Man thut
am besten die Gudrunsage
selbständig zu betrachten ,
immerhin Einzelheiten von
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351
Sage in die andere gedrungen sein damaligen Zeit hinzufügte. Er nahm
können. sieh offenbar das Nibelungenlied zum
Die Zeugnisse ihres Bekanntseins Vorbild. Die Frage, ob wir es, wie
sind sehr aürftig. Gudrun kommt es Laehmanns Ansieht in betroff
als Taufname in Oberdeutschland des Nibelungenlieds war, bloss mit
seit dem Ende des 1 1. Jahrhunderts einem Konglomerat von einzelnen
einigemal vor; ferner beziehen sieh Liedern oder mit einer einheitliehen
auf diesen Sagenstoff drei Baliaden, Dichtung zu thun haben, ist ent-
weiche in Gottschee an der Savc schieden dahin beantwortet worden,
gesungen werden, und welche von dass ein einziger das ganze Werk
den deutschen Einwanderern im dichtete, welches später namentlich
12. Jahrhundert aus ihrer Heimat zum Zweck der Erzeugung von
am Nuderrhein mitgebracht wur- Binnenreimen roh überarbeitet und
den. Das Alexanderlied des Pfaffen interpoliert wurde. FttmiiUer, dar-
Lamprecht. Vers IH30— 1838 spielt auf mit sorgfältiger Kritik Müllen-
auf ein schwungvolles Gudrunge- hoff, versuchten die zu Grunde liegen-
dicht an, welches sich offenbar den Lieder aus der überlieferten
einigermasscn an die Hildensage Gestalt herauszuschälen; die Zu-
angelehnt hatte. Verläßlichkeit des Resultates wurde
Den Ursprung der Sage in der aber von Bartsch (Germania IX,
Mythologie zu suchen, berechtigt 41 und 148) und Willmanns (Die
uns nicht«; Möllenhoff (Haupts Entwickelung der Gudrundichtung,
Zeitsc.hr. VI, 67) zeigt, dass der Halle 1873) bestritten,
riesische Wate der Sage ursprüng- Die Form der Strophe ist der
fremd ist. Es ist also eine histori- Xibelungenstrophe nachgebildet, und
sehe Grundlage anzunehmen. Wid- die Veränderungen bestehen darin,
mann macht auf die Schicksale der dass die dritte Langzeile einen
zweiten Gemahlin Ottos L, Adel- klingenden Schluss erhalten hat,
heid, aufmerksam. I während die vierte durch eine He-
IHe Entstehung des Gedichtes bung vermehrt wurde und ebenfalls
hat man sich also etwa so zu denken, klingend schliesst. Diese Gudrun-
Aof den nordischen Inseln ihren Ur- Strophe wurde von Wolfram von
sprung nehmend, wanderte die Hil- Eschenbach im Tittirel etwas um-
denaage nach Norwegen (nicht vor geändert verwendet. Zuweilen er-
dem 10. Jahrhundert) und viel früher scheinen in der Gudrun auch solche
schon an die niederdeutsche Küste, Strophen, deren letzt«; Zeile zu kurz
von wo sie sich in balladenartigen I ist, ausserdem aber auch 98 Nibe-
Liedern den Khein hinauf bis nach lungenstrophen. Die ersteren er-
Oberdeutschland verbreitete; freilich klären sich durch die Uligenauigkeit
ist sie daselbst erst um 1100 be- j der Schreiber; die letzteren will
zeugt. Die Gudrunsage, an den | Martin cutfernen, während Bartsch
Mündungen von Rhein und Scheide sie dem seiner neuen Form noch
entstanden, drang von da nach ungewohnten Dichter zuschreibt.
Oberdeutschland, wo sie gegen das Nur eine einzige Handschrift
Ende des 1 1. Jahrunderts Volkstum- hat uns das Gedicht erhalten, fcs
lieb gewesen sein muss. Etwa in ist eine Handschrift aus dem Schlosse
der ersten Hälfte des 13. Jahr- ( Ambras und enthält das sogenannte
hunderts dichtete dann ein nicht Heldenbuch an der Etsch , welches
nachgewiesener Dichter vermutlich Hans Ried, Zolleinnehmer am Eisack
in Steiermark die Gudrun, indem in Botzen.auf Befehl des Kaisers Maxi-
er beide Sagen verband und eine milian I. von 1502 bis 1515 schrieb.
V orgesehichte im Geschmack der Die Überlieferung ist sehr fehlerhaft.
Digiti
352
Haar.
Der Umstand, dass da> Gedicht
nur in einer Handschrift erhalten
ist, während »«ine so vielfältige Uber-
lieferung das Nibelungenlied be-
wahrt hat, zeigt, dass die Gndrun
nicht viel gelesen und abgeschrie-
ben wurde. Und .doch ist es einer
der kostbarsten Uberreste unseres
poetischen Altertums, ein ebenbür-
tiges Seitenstück zum Nibelungen-
liede. Man hat diese beiden Epen
in vielen Beziehungen sehr treffend
mit IHas und Odyssee verglichen;
wie die letztere ist auch die Gudrun
ein häusliches Epos, und wie der
Grundton des Nibelungenliedes ein
tief tragischer ist (als ie diu He)*
leide an dem ende qeme 71V i. so haut
sich die Gudrun auf den Gedanken
auf. dass die leide zuletzt mit liebe
lohnt, dass treues Ausharren in
Elend und Erniedrigung am Ende
gekrönt wird, auf denselben Ge-
danken, der auch der Odyssee zu
Grunde li<'gt.
Die Litteratur der Gudruufor-
schung findet sich am vollständig-
sten verzeichnet in Er$ch u. drü-
ber. Hand 96, 142. Ausgaben von
Bartsch, Gudrun, Leipzig, 3. Auflage
1874, und von Martin, Gudrun.
Halle *872.
H.
Haar. Seit den ältesten Zeiten Hävern trugen das Haar im Nacken
war langes, lockiges Haar bei den kurz, vorn hing es gescheitelt und
Germanen Zeichen der Freiheit und lang herab. Die Sachsen bewahr-
Mündigkeit, das Abschneiden des teu ihr langes Haar wie ihre langen
Haares Symbol der Unfreiheit; es Rocke.
wird deshalb dem Knaben und dem Schon die alten Germanen be-
Knechte verschnitten, eine Aus- strichen ihr Haar mit beizenden
nähme macht die freie Jungfrau: Salben aus Ziegentalg und Buchen-
ebenso ist Abscheren des Haupt- asche, eine Sitte, welche «He Römer
haaret entehrende Strafe, auch bei von ihnen annahmen, wie diese auch
gefallenen Weibern. Soldaten im auf falsche Flechten von deutschen
Kriege schnitten mitgelaufenen Dir- Haaren begierig waren,
nen, deren sie müde waren, das Die höfische Sitte brachte das
Haar ab und jagten sie fort; auch lange und lockige Haar wieder zu
der Narr ist geschoren. Mönche Ehren, der Edeling trug es bis zu den
und Nonnen geben sich mit dem Schultern, doch so, dass es diese
Verluste ihres langen Haares Gott kaum berührte; über der Stirn und
zu eigen. Die meistern germani- unterhalb ringsherum war es glatt
sehen Volker trugen das Haar frei abgeschnitten; es wurde ausserdem
auf Schultern und Rücken, nur gelockt, gekräuselt, gescheitelt und
die Sueven kämmten es seitwärts sogar gebrannt; auch die Geist-
zurück und banden es in einen liehen wollten sich trotz häufiger
Knoten. Noch durch längeres und kirchlicher Verbote ihr zierliches
mehr gepflegtes Haar zeichneten Haar nicht nehmen lassen. Die
sich die Edlen und Könige, nament- Frauen der höfischen Gesellschaft
lieh die Merowinger aus. Seitdem trugen ihr Haar in der Mitte ge-
einzelne Karolinger von der Sitte scheitelt und hielten es durch ein Band
ihres Volkes abwichen und sich das oder einen Reifen in Ordnung; die
Haupthaar kurz schnitten, legten längs der Wangen herabhängenden
die Franken überhaupt die langen Haare wurden kürzer gehalten und
Locken ab. Die Langobarden und zu Locken gedreht, die sich zierlich
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353
um das Ohr herum ringclteu. Die
übrigen Haare fielen entweder frei
über den Rücken herab oder wur-
den in Zöpfe geflochten, welch
letztere meist über die Schulter nach
vorn gelegt und mit Goldfäden,
Perlenschnüren und Borten durcb-
flochten wurden. Später baute man
aus den Zöpfen allerlei Verzierungen
auf. In der letzten Zeit des Mittel-
alters war die Haartracht beider
Geschlechter grossem Wechsel un-
terworfen, bald lang herabfallend,
zu Locken gelegt, r>ald kurz ge-
schnitten. Seit dem Ende des
15. Jahrhunderts war totale Kür-
zung des Haares Mode geworden,
auch die Landsknechte sclioren das
Haar kurz.
Hagestolz, ahd. hagustalt und
hagastalt, seit dem 13. Jahrhundert
kommt Hagestolz auf mit Anlehnung
an stolz. Ahd. hagastalt war zu-
nächst Adjektiv und bedeutete den
eines Hages waltenden, ihm vor-
stehenden oder ihn besitzenden;
Hag aber ist hier ein kleineres
Grundstück, ein Nebengrundstück.
Je nachdem die Hagestolzen das letz-
tere von einem Hof herrn erhalten hat-
ten oder nicht, waren sie hörige Kolo-
nen oder freie Leute, und konnten
auch, da sie jedenfalls kriegsdienst-
pflichtig waren, Rittersein. Nach und
nach wurde die ursprüngliche Be-
deutung auf besitzlose, unverheiratete
und daher dienende Leute beschränkt.
Erst seit dem 16. und 17. Jahrhun-
dert hiess Hagestolz jede ledige
Person, welche weder Geschwister,
noch andere Erben in aufsteigender
Linie hinterlicss. Als Anfang des
besonderen Rechtes, uuter dem die
Hagestolze standen, wurde ein be-
stimmtes Alter festgesetzt, meist
50 Jahre oder 50 Janre 3 Monate
und 2 Tage.
Hahn auf dem Glockenturme
kommt schon im 10. Jahrh. zu St.
Gaden vor, er erinnert an die Wach-
samkeit in Beobachtung der kano-
Stunden. Vor Erfindung
Altertümer.
der Uhren richtete man sich mit
dem Anfange des Frühgottesdienstes
nach dem Hahnenschrei Statt des
Hahnes erschienen auf den Turm-
spitzen nicht selten die Abbildungen
der Kirchenpatrone.
Haimo iis k imier. Die französische
Sage von den vier Söhnen Herzogs
Haimon oder Aymon, Namens Adel-
hart, Ritsart, Writhart und Reinald
von Montalban gehört dem Karo-
lingischen Sagenkreise an und hat
die Kämpfe dieser Helden mit ihrem
Lehnsherrn Karl dem Grossen zum
Inhalte. Von der französischen Prosa-
auflösung eines ältern Epos erschien
1535 zuerst eine deutsche Über-
setzung: Ein schön lustig Geschieht,
wie Kaiser Carle der Gross, vier
Gebrüder, Herzog Aymont von Dor-
dons Söne, sechzechen jarlangh
bekrieget, kürtzlich auss Frantz.
sprach in teutsch transferiert. Doch
ist diese Übersetzung nicht das gang-
bare deutsche Volksbuch; dieses
letztere ist vielmehr aus dem Nieder-
ländischen bearbeitet und hat weit
geringem Wert als jenes.
HäkenbUchsen, arquefmse (siehe
Arkebusierer), harkebuse, auch kurz-
weg nur Haken genannt, kommt in
der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts vor und ist die erste Feuer-
waffe, die ein ordentliches Zielen
ermöglichte. Ihren Namen erhält
sie von dem Haken, der auf der
Unterseite des Laufes nahe der
Mündung angebracht ist, um den
Stoss auf eine feste Unterlage zu
übertragen. Die Büchse war 1 l/i m
lang, die Kugeln 60 — 70 g schwer.
Die DoppelTiakenbüchse mit einem
1 vor- und einem rückwärtsgerichteten
I Haken , die von starken Federn
j niedergehalten wurden, war oft 2 m
lang und entsendete Geschosse von
150 Gramm. Sie diente gewöhnlich
zur Verteidigung der Wälle und
heisst darum WaUbüehte.
Halm ist ein altes bei Franken,
Bayern und Alemannen im Schwange
gewesenes Rechtssymbol; er wird
23
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354
Halsberge. — Hand.
zum Zeichen feierlicher Auflassung,
Entsagung oder Kündigung mit der
Hand geworfen, gereicht, gegriffen,
bald von den Beteiligten, bald
von dem Richter , seine Haupt-
amvendung findet jedoch der Halm
bei Auflassung von Grundstücken
durch Gesehenk, Verkauf und Ver-
pfandung, wobei die deutsehen For-
meln lauten: mit halm und munde,
d. h. mit dein Symbol und der da-
zu gehörigen Rede, mit hand und
halm, mit Halmen. Grimm, Rechts-
altertümer, 121 — 130.
Der Halm wird in verschiedener
Weise auch zur Bestimmung durch
das Los verwendet, indem man
seine Knoten oder Glieder zählt und
den letzten Knoten eine bejahende
oder verneinende Entscheidung fallen
lässt; so bei Walther von der Vogel-
weide:
mich hat ein halm ge machet fr6:
er giht, ich sül genade rinden,
ich maz daz selbe kleine stro,
als ich hie ror gesach von Huden,
nü hoeret unde merket, ob siz denne
tuo:
„si iuot, sie entuot, si tuot , sie en-
tuot, si tuo f.'1
sicie dicke ichz tele, so was ie daz
ende guot.
daz troestet mich, dä hoeret ouch
gelouhe zuo.
Oder es werden unter mehreren
Halme von ungleicher Länge ge-
zogen; wer den längeren zieht , hat
gewonnen, mhd. qräselin ziehen.
Grimm, Wörterbuch.
If aisberge, ha Isberc, fiugcls. heals-
beorg, altfranz. hauber, hauberc,
habergon, heisst ein Teil der Aus-
rüstung eines Kriegers und zwar in
erster Linie derjenige, der Hals und
Nacken zu decken hatte, höchstens
noch den Oberteil der Brust. Im
weiteren Sinne versteht man dar-
unter auch das „alles bergende"
albere, also das Panzerhemd, das
vom Helmrand bis zu den Knieen
hinabreichte. Siehe Harnisch.
Hammer, ist urspnlnglich 8<>-
) wohl Handwerkszeug als Waffe,
und zwar aus Flins- oder Feuerstein
[ verfertigt. Er ist das Attribut d.*
Gewittergottes Donar und heis>t
als solcher Donnerhammer, Blitz-
hammer und Donneraxt. Noch wird
in Flüchen für „Der Donner schlagt'
Dich" der Ausdruck gebraucht:
Der Hammer schlage Dich! oder
beim Hammer! potz Donnerhammer!
Noch Karl M arteil hatte seinen
Namen vom Streithammer, Karl
der Grosse kannte ihn nicht mehr.
Da Donar zugleich der das Land
segnende und Dewahrende Gott und
der Schützer der Rechtsgeschäfte
war, so diente in solchen Fällen
der Hammer als Symbol. Mit dem
Hammer wurden bei den Skan-
dinaviern Becher geweiht, durch
ihn geschah die Brautweihe. Kr
war ein heiliges Gerät, durch dessen
j Wurf das Recht auf Grund and
Boden, auf Wasser und Flüsse oder
andere Befugnisse bestimmt werden
: konnten; wo der geworfene Hammer
' einfiel, war der Grenzpunkt. Im
Norden berief neben dem Stock oder
Pfeil der Hamm er die Volksgemeinde
In Obersachseu wurde durch einen
herumgetragenen Hammer Gericht
angesagt. So ist der Hammer für
den Teilhaber an einem Gemeinde-
walde Zeichen des Mitbesitzes uni
mit den Anfangsbuchstaben de?
Namens seines Eigentümers ver-
sehen. Das Recht, einen solchen
Hammer zu verleihen, gebührt nnr
dem obersten Vorsteher der Mark,
öffentliches Aufgebot von Gegen-
ständen geschieht unter dem ZeicVn
des Hammers, der durch Aufschlagen
den Meistbietenden in den Beaȧ
der Sache symbolisch einweist.
Hand als Rechtssymbol ist da-
einfachste und natürlichste Zeichen
der Gewalt. Der Handschlag war
seit alters die allgemeine Bekräfti-
gung aller Gelübde und Verträp'
denen die Sitte kein feierlichere?
Symbol vorschrieb; durch denHaud
uigiiizeo
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355
schlag verbanden beide Teile ihre
Gewalt gegenseitig; daher die mittel-
hochdeutschen Ausdrücke hantslac,
hant in hant geloben. Auch die
Auflassung eines Grundstückes ge-
schah zuweilen mit blosser Hand,
ohne Darreichung des Astes oder
Werfen des Halmes. Bei Huldi-
gungen nach Lehnrecht legte der
Mann beide Hände zusammen; der
Herr nahm sie zwischen die seinigen;
zuweilen kniete jener, seine Hände
dem sitzenden Herrn auf die Füsse
bietend; mhd. die hant strecken,
einem die hände valten, welches
Symbol die Minnesänger auf den
fVauendienst anwenden: min hende
ich ralde uf ir vüeze; min hende
ralde tu, vrowe min, ich armer pil-
gert n; ein ictplich vnp im billicn ir
hende valdet. Die Hand schwärt den
Eid, sie vollbringt und hält ihn.
Die Sitte war, dass der Schwörende
mit der rechten Hand etwas hielt
oder berührte, Männer im Heiden-
tum den Schwertgriff, im Christen-
tum die Reliquien; Frauen die linke
Brust und den Haarzopf; Geistliche
und späterhin Fürsten Brust und
Herz. Siehe den Artikel Eid. Traf
jemand sein Vieh in fremdem Besitz
und wollte es wieder erlangen, so
war Handauflage nötig; er berührte
vor Gericht mit der Rechten die
Reliquien , mit der linken fasste er
das linke Ohr des Viehs. Im Fem-
gericht wurde der heimliche Schöffen-
gruss dadurch ausgesprochen, dass
der eintretende Schöne die rechte
Hand erst auf seine linke Schulter, i
dann auf die des andern Schöffen j
legte. In vielen Fällen wird die i
der Hand beigelegte symbolische
Verrichtung genauer durch Finger
bezeichnet. Eide wurden mit Auf-
legung beider Vorderfinger der rech-
ten Hand geleistet, einfacheres Ge- 1
löbnis erging mit Aufstreckung eines
Fingers. Abhauen der Hand war
eine Leibesstrafe. Grimm, Rechts-
altertümer, 137 ff.
Handarbeiten der Frauen sind
seit ältester Zeit Spinnen, Weben,
Sticken und Nahen. Das Sinnbild
der Frau ist die Kunkel; Spindel-
magen heisscn die Verwandten der
Mutter, wie Schwertmagen diejenigen
des Vaters. Flachsbau und Spinnen
stehen unter der Obhut der germa-
nischen Göttermutter, und Nornen
wie Schwanjungfrauen und Riesinnen
drehen feine Fäden aus Flachs.
Leineue Kleider hielten in ältester
Zeit die deutschen Frauen für die
schönsten. Die Zubereitung des
Flachses, das blauen, mhd. bliuwen,
I schwingen, mhd. dehsen, hecheln,
! bürsten besorgten bei den Reichen
nur die Mägde ; gesponnen wurde
auch von der Fürstin und zwar am
Rocken mittelst der Spindel; das
j Spinnrad ist erst im 15. Jahrhundert
j erfunden worden. Auf alten Bildern
i sieht man stets den Rocken zwischen
den Knieen gehalten oder in einem
Fussgestelle stecken , die Spindel
wird in der Hand gehalten. So ar-
beiten die Frauen auch am Web-
stuhle, doch mehr für feinere Ar-
beiten, wie Borten, Gürtel, Hauben,
Taschen u. dgl. , und für gewöhn-
liche Leinwand. Das Weben der
Wolle war bloss Arbeit unfreier
Mädchen; das Haus, in welchem
sie gemeinsam der Arbeit oblagen,
hiess daher auch webehus. Schon
früh suchten sich arme Frauen durch
Weben und Spinnen auch zu er-
nähren, meist gegen kärglichen
Lohn, während die grossen Weber
in Flandern und am Niederrhein
wie in Süddeutschland zu grossem
Reichtum gelangten. Auch in den
Frauenklöstern wurde das Weben
bald zum Vergnügen, bald zum
Erwerbe betrieben; Spinnen und
Weben wurde den Nonnen auf
dem Aachener Konzil von 816 em-
pfohlen. Bis zum 14. Jahrhundert
waren es die Frauen, denen regel-
mässig das Geschäft des Zuschnei-
dens und Nähens der Männer- wie
der Frauenkleider zukam. Auch
daran beteiligten sich Fürstinnen.
23*
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356
Handel.
namentlich mit dem Zusehneiden.
Der Ausbildung des höfischen Le-
bens verdankte man aber auch be-
sondere Schneidermeister, snidaere,
die sich auf die fremde Mode ver-
standen. Besondere Sorgfalt wurde
auf die Naht verwendet, die geradezu
Beweis höfischen Anstandes ist.
Die Lieblingsbeschäftigung vorneh-
mer Frauen war Wirken und Sticken,
icirken an der ram. Die Gegen-
stände waren seidene Bänder, Bor-
ten, welche mit Gold und Edel-
steinen besetzt auf die Kleider, die
Decken und den Kopfschmuck ge-
näht wurden, oder es wurden auf
die Stoffe Buchstaben und Bilder
mannigfaltiger Art gestickt, aus der
heiligen wie der profanen Geschichte;
namentlich waren die Ecken und
Enden der Kleider und Rossdecken
derart geziert. Auf der Haube des
Meiersohnes Helmbrecht war auf
der rechten Seite die Belagerung
und Zerstörung Trojas samt Aeneas
Flucht zu sehen, auf der linken die
Thaten König; Karls und seiner Ge-
sellen Kolana, Turpin und Olivier;
zwischeu den Ohren stand die Ra-
benschlacht, wie Witege Helenes
beide Söhne erschlägt; dazu war
von einem Ohr zum andern mit
glänzender Seide ein Tanz genäht,
zwischen je zwei Frauen ein Kitter,
und die Fiedler dabei. Genäht
hatte das Prachtstück eine ent-
ringene Nonne. Weinhold, Die
tsehen Frauen, IV, und Schultz,
Höfisches Leben, Abschn. II.
Handel erscheint schon im Mittel-
alter in den beiden Gestalten des
Klein- und Grosshandels. Den nie-
dersten Grad des Kleinhandels re-
präsentiert der Ixindfahrer oder
Hausierer, der in älterer Zeit für
das gesellschaftliche und häuslich-
wirtschaftlich«1 Leben von grosser
Bedeutung war, er gab sich nament-
lich mit Glaserwaren uud Wollen-
tüchern ab und war nicht zunfhnässig.
Die ausgebreitetste Form des Klein-
handels, die namentlich mit den
Jahr- und Wochenmärkten (siehe
den Artikel Markt) aufs engste ver-
knüpft ist, war der Kramte*^
Krämer, kremer, kromer, grmf*r,
grembler heissen alle, die bloss ■
kram stan, also ihr Geschäft Wo*
in der Markt- oder Gassenbude t*-
treiben. Ihr Handel, Crmew
Kremerwerk, Kramerei, KramchJ*
bezog sich zunächst auf alle*. «
Hauswesen für Nahrung
im
Kleidung nötig war, konnte
durch Ortsstatute eingeschränkt
den. Man teilt'sie zunächst in r<v
und arme Krämer ein ; hervorgebobe
werden insbesondere die ty*f*f
Mercerii sive Merccnnam,
ttirc
ren specia, species, merces, tf
hauptsächlich die edeln Ge
Muskat, Muskatblüte, Calden*
Saffran, Pfeffer, Kandel, Ine*
Nelken, Zucker, dann Alaun, Wo
rauch, Südfrüchte u. dgl. betraf,^
aber auch Seefische, süsse Wd
und Delikatessen herbeizog;
hielten ihre Ware von den in
Städten vorübergehend weilei
und nur zum En -gros -Verkaufe
fugten fremden Grosshändlern,
dann werden genannt die ap<f*
aputekaer, apteker, die seil
13. Jahrh. von den Spezerei-
Gewürzkrämern sich ausschieden!
sich vornehm lieh auf die BereS
und den Verkauf vou Arzneien
Heilsalben verlegten. Da die
ein Interesse hatten, eine de
Heilbude zu besitzen, so untei
man die Unternehmer gern mit St
und Wachtfreiheit, regelte ihr
hältnis zu den Ärzten und ven
nete insbesondere, dass sie ai
I Sonn- und Feiertagen Arznei
abreichen schuldig seieo.
gehören endlich die nenettiri
■ häker, höker, die sien bloss mit
I Verkaufe von Getränken und Sp<
abgaben; in Süd- und Südost Deut
I land heisst eine Unterart dersd
fragner, die mit Obst, Gemfi*' • '
*Mifeh,Kräutern,Hühnem,Sab
handelten und einer
Digitized by Google
II an del.
357
aufsichtigung unterlagen; es waren Samtkäufen, deren Gegenstand
meist Frauenspersonen, die diesen grössere Quantitäten bildeten, und
Handelszweig betrieben, bei allen Gäste-Käufen. Die offen t-
Die genannten Kleinhandelsleute liehe oder (femeine Waffe, auch Fron-
waren in den Städten selber wohn- wage, war im Rat- oaer Kaufhaus,
haft. Ausserdem durften auf Jahr- oder in einem eigenen Waghaus
und Wochenmärkten auch fremde untergebracht und der Obhut und
Händler, Gaste, unter gewissen Ein- Behandlung eines Wagmeisters an-
schränkungen Handel treiben. Da- vertraut. Die künstliche Preisstei-
hin gehört, dass der Gast gewisse gerung oder der Vorkauf, mit dem
Artikel nur in grössern Quantitäten sich die Marktpolizei vielfach be-
bis zu einer festgesetzten Minimal- schäftigte, kommt in viererlei For-
grenze verkaufen und keine Kauf- men vor: als Auskauf, d. h. Verkauf
ge* chatte mit anderen Gästen ab- der Waren, um die in demselben
schlie&sen durfte; ferner musste er Moment ein anderer verhandelt; als
seine eingebrachten Waren tarif- Innungs-Anskauf wenn Zunftmeister
massig verzollen, ausser dem her- die zu Markt gebrachten Rohstoffe
kömmlichen Stätte- oder Budengelde für sich allein und ohne andere Mit-
weitere, oft ziemlich beschwerliche Wunsch daran teilnehmen zu lassen,
Markt-Gebühren entrichten. käuflich erstehen; als einfaeh er Aus-
Ab Träger der Marktverwaltung kauf ohne Tendenz des gewinn-
ernannte der Rat die erforderlichen bringenden Wiederverkaufes, wenn
Marktbeamten und übte unter Bei- die Leute, um gewisse Waren für
die Marktpolizei aus. Der örtlich billig zu erhalten, „vor die Thore
verbreitetste und bedeutendste städti- laufen oder in Gassen kaufen und
sehe Marktbeamte ist der Markt- auf die Wagen steigen", und endlich
meister; zu seiner Unterstützung als geivinnsüehtiger Auskauf oder
dienten einerseits die Schauer oder I Vorkauf im engern Sinne, wenn
hatte vorzüglich die dreifache Auf- um des ihn bereichernden Weiter-
gabe, der Waren -Fälschung, der Umsatzes willen in grössern Mengen
Mass- und Gewichts- Verletzung und wagen- oder karrenweise von den
der künstlichen Preissteigerung vor- den Markt besuchenden Producenten
zubeugen. Die Verhütungder Waren- erwirbt und aufspeichert. Solche
Fälschung bezog sich auf die ,, Wein- Vor- oder Fürkeufer erstreckten
schmiere", Fälschung von Ol, Talg, ihre Thätigkeit auf alle Zweige des
Gewürze, Bijouterie und Tücher; die städtischen Handels, Getreide, Holz,
als gefälscht erkannten Waren wur- Fleisch, Eisen, Kohlen, Waffen,
den entweder vernichtet, oder wie Kleider, Schuh- und Sattelwerk,
unreine Wolltücher oder nicht ge- namentlich aber auf Holz, Tiere und
sundes Fleisch, an besonderen Ver- Getreide.
kaufssteilen verkauft. Um Mass und Den Kleinhändlern stehen die
Gewicht rein zu erhalten, hatten die Grossh/indler gegenüber, die geteelb-
Städte in der Regel ihre festen Nor- Herren, kaufherren. Ihrem dreifachen
malmasse, eine Muster-Elle, einen militärischen, bürqerschaftlichen und
Rats-Scheffel u. dgl. Besondere Be- internationalen Charakter entspre-
achtung wurde der Wage zugewendet, chendiedrei Erscheinungen der Kauf
Der Stadt- oder Rats- Wage hatte fahrten, der Kauffahrer - Brüder-
tnan sich zu bedienen bei allen schaffen und des itansgrafen- Amtes.
nach deren Bedarf und
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358
Handel.
Um die für den einheimischen
Markt nötigen ausländischen Indu-
strie-Produkte in den erforderlichen
Quantitäten an ihren Schaffungs-
stätten zu erwerben, unternahmen
die Kaufleute eines oder mehrerer
kommerziell verbündeter Länder oder
wohl auch eines oder mehrerer ge-
werblich konföderierter Einzelorte
alljährlich , beziehungsweise nach
kürzeren Zwischenzeiträumen eine
gemeinsame Kauf- oder Handels-
fahrt, deren frühestes geschichtlich
bezeugtes Beispiel sich an die halb-
mythische Persönlichkeit des Pranken
Hämo im Jahr 623 anknüpft. Ging
die Reise auf überseeische Plätze
mit Benützung der Wasserstrasse,
so konnte dies entweder mit Flotte
oder in Convoi geschehen. Mit der
Flotte fuhr man, nachdem man das
Ende der Frühlingsstürme abgewartet
hatte, vom bestimmten Hafen in zahl-
reichen gut bemannten und verpro-
viantierten, zu einer kriegstüchtigen
Flotille vereinigten Ruderschiffen und
Roggen, d. i. vorn und hinten ab-
ferundeten Fahrzeugen, aus, und
ehrte nach beendigten Geschäften
gewöhnlich bald nach dem Sonnen-
wendtage in die Heimat zurück.
Die Convoi- Fahrten hingegen, deren
Anwendung auch auf die Binnen-
ströme eich erstreckte, verlangten
bloss kleine Schiffeverbände, hatten
aber in diesem engem Kreise eine
gemeinsame Gefahrtragung, eine Art
von Versicherung, im Gefol, ere.
Reiste man nach den fremden
Märkten zu Land, so glich die Kauf-
fahrt noch in höherem Masse einem
Kriegszuge. An der Spitze des
Zuges der Frachtwagen und gc-
waffneten Fuhrleute zogen die Kauf-
herrn, gepanzert, das Schwert, wie
der Landfrieden vorschreibt, am
Sattelknopf befestigt; doch benahm
später die allmähliche Ausbildung
des Geleitwesens den Land-Kaut-
fahrten das vorwiegend militärische
Gepräge, indem jetzt an die Stelle
des eigenen Wehrgesindes die Ge-
leitsmannschaft zu Ross und zu
Fuss trat: die Gebühr für das Ge-
leite, die oft sehr beträchtlich war,
hiess Geleitschatz,, doch kamen auch
Geleits- Verträge vor zwischen der
Stadt, der die Kauffahrer angehör-
ten, und den einzelnen Landesfürst enf
durch deren Territorien der Weg
zu gehen pflegte. Mit der Berech-
tigung zur Geleitsgabe war übrigens
der Fflichtsate verbunden, den die
Geleits- und Gelobbriefe in der Regel
ausdrücklich bestätigten.
Als eine Kauffahrt in verkleiner-
tem Massstabe stellt sich die Messr-
fahrt dar, mit der wieder das Messe-
Geleite zusammenliing. Siehe den
Art. Messe.
Auch nach überstandener Reise
blieb der Kauffahrer am auswärtigen
Bestimmungsorte stets in engster
genossenschaftlicher Verbindung mit
seinen Landsleuten. An manchen
Orten treten die Auslandsfahrer des-
selben Landes oder derselben Stadt
geradezu zu förmlichen Brüderschaf-
ten zusammen, eine Erscheinung,
die man auch bei den blossen Messe-
fahrern findet. Vgl. Gierke, Deutsche
Genossenschaft, 1, § 37.
Der Grosshändler
der industrielle Repräsentant seines
LandeB oder Volkes, daher sie auch
im Auslande einfach Teutonici
heissen. Der Inhaber des Regens-
burger Hansgrafenamtes, ursprüng-
lich ohne Zweifel bloss aus der
Mitte der Bürgerschaft für die kom-
merziellen Sonderinteressen auf den
auswärtigen Märkten angestellt, er-
langte allmählich die ausgedehnte
Autorität eines Generalaufsehers
über den gesamten südöstlichdeut-
schen Donauhandel.
In naher und vielseitiger Be-
ziehung zu dem Hansqrafen (mhd.
hanse = Kaufmannsgilde), deren
es auch in anderen Städten gab,
standen die Vnterkäufer oder Mak-
ler (zu niederd. nuikeln, von marken
abgeleitet), eine Art von Stadt- oder
Ratsbeamteu geringeren Ranges, die
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Händewaschen. — Handfeuerwaffen.
359
während der Marktstuuden stets am
Marktplatze anwesend sein mussten
und darauf zu achten hatten, „daz
den bürgern uude den gelten rehte
tje»ehaehe" ; man zog sie bei der Ab-
scblicssung bedeutender Handels-
geschäfte gern als Zeugen zu und
übertrug ihnen schliesslich geradezu
die Vermitteluug solcher Verträge,
hauptsächlich zwischen Bürgern und
Gästen. Nach Gengier, deutsche
Stadtrechtsaltertümer, Kap. 9 und
Exkurs 8. Erlangen 1882. Vgl. Dr.
Joh. Falke, die Geschichte des deut-
schen Handels. 2 Teile. Leizig 1859
u. 60, wo in einer ersten Abteilung
„des 'Handels Gebiete, Wege una
Waaren", in einer zweiten Abtei-
lung „des Handels Formen und Ein-
richtungen" besprochen sind. Das
bedeutendste Werk über die Handels-
wege im Mittelalter ist: W. Heyd,
Geschichte des Levantehandels im
Mittelalter, 2 Bde. Stuttgart 1879.
Siehe auch //. Heller, die Handels-
wege Inner-Deutschlands im 16., 17.
und 18. Jahrhundert und ihre Be-
ziehungen zu Leipzig, in Ermuch
Neues Archiv für Sächsische Ge-
schichte und Altertumskunde. Bd.V,
S. 1—72. Dresden 1884.
Händewaschen bei Tische ist
eine allgemein verbreitete Sitte ge-
wesen. Nachdem der Truchsess oder
Seneschal knieend dem Herrn des
Hauses gemeldet, dass die Mahlzeit
bereit sei, befiehlt dieser dem Truch-
sess. das Signal zum Händewaschen
zu geben. Durch Horn oder Trom-
pete oder Zuruf werden die Gäste
aufgefordert, sich auf ihren Platz
zu verfügen. Unter der Leitung
des Kämmerers boten Edelknaben
eine Schüssel knieend dar und gössen
aus einem Giessfasse Wasser über
die Hände. Um den Hals hatten
sie eine Serviette, mhd. (ice/irfe,
direhtle, zwehele, hängen, an welcher
sieh die Herrschaften die Hände
alitrockneten. Damen wurde das
Wasser zuerst präsentiert, und Ulrich
von Liechtenstein trank zum Zeichen
seiner Dienstbeflissenheit das Wasser
aus, in dem seine Geliebte sich die
Hände gewaschen hatte. Schultz,
Höfisches Leben, Abschu. IV.
Handfeuerwaffen. Als älteste
europäische Handfeuerwaffe kann
man die Rakctenbolzcn betrachten,
welche mit der Armbrust geschossen
wurden und z. B. in der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts zu den
Zeughausbeständen Bolognas gehör-
ten. Wahrscheinlich auf Armbrüste,
welche mit derartigen Raketenbüch-
sen versehen waren, bezieht sich
ursprünglich der Ausdruck Arke-
buse, ital. archibmo, franz. art/uebujte,
vom lat. arrujt = Bogen, und dem
niederdeutschen bune = Büchse
(siehe eine andere Etymologie, nach
Weigand, unter dem Artikel Arke-
busierer).
Die erste wirkliche Feuerwaffe
kam besonders in Flandern auf; es
sind die in Lüttich hergestellten
KnaJlhi'whsen, canons a rnain, d. h.
tragbare, gestielte Handkanonen. Sie
bestanden aus einem kurzen, engen
eisernen Cy linder, welcher hinten
in einen schwachen, bis auf gewisse
Länge ebenfalls hohlen, eisernen
Stab endigte, dessen Bohrung als
Kammer zur Aufnahme des Pulvers
diente. Das Zündloch befand sich
am Ende dieser Bohrung auf der
oberen Fläche des Stabes und war
mit einer kleinen pfannenartigen
Vertiefung versehen, in welche das
Kraut aufgeschüttet und mittels der
Lunte entzündet wurde. Der Reiter
befestigte die Büchse mittels eines
am hinteren Ende des Stabes be-
findlichen Ringes an seinem Brust-
harni.sche und legte sie beim Ge-
brauche auf eine vorn am Sattel
befindliche, bewegliche Gabel auf.
Der Name dieser Reiterwaffe ist
meist IVt rinal, d. i. Brustbüchse.
Von Flandern kommt diese Waffe
nach Italien, wo sie 1364 zu Perugia,
1386 zu Padua, 1399 zu Bologna zu
Hause ist. Die Büchsen waren in
plumpem Eisengusse hergestellt und
uigiiizea
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360
Handfeuerwaffen.
wurden gelegentlich zugleich als
Morgenstern verwendet; solche Dop-
pelwaffen pflegt man tkhiessprüge!
zu nennen. Eine andere Art Hand-
feuerwaffen sind solche, welche eine
oder mehrere beiceglichc Ladekam-
mern tieften dem Rohre hatten, die
Kammerbüehsen. Die Ladekammer,
die eigentliche „Bflchse", war meist
aus Eisen geschmiedet, das Rohr
bestand aus Kupfer oder es war
aus schmiedeeisernen Stäben zusain-
mengesch weiss t und von aussen mit
eisernen Reifen umwunden. Man
lud die Kammer mit Pulver, schlug
einen Stöpsel oder „Vorschlag*" dar-
auf, die sei geladene Kammer wurde
in das Rohr eingeführt und durch
einen eingeschobenen Keil oder
Riegel festgehalten, dann that man
den Holzen oder die Kugel in den
Lauf, schüttete Kraut auf das Waid-
loch (Zündloch), welches oben lag,
und entzündete das Kraut mit einer
glühenden Kohle oder Lunte. Ge-
wöhnlich gehörten zu einem Feuer-
rohre drei bis vier Kammern. Die
ersten in Augsburg und Regensburg
1376 verfertigten Büchsen waren
vermutlich Kammerbüchsen.
Mit den Knall- und den Kammer-
büchsen war ein Zielschuss unver-
einbar; man icarf bloss die Kugeln
oder Bolzen in hohem Bogen gegen
den Feind. Um die Mitte des 15.
Jahrhunderts kommen die ersten
roh gearbeiteten Holzfastungen auf;
anfangs nichts anderes als der Er-
satz des Eisenstieles durch einen
die Büchse mehr oder minder um-
schliessenden Holzstab, gestaltet sich
gegen Ende des 15. Jahrhunderts
daraus ein zwar plumper, aber voll-
ständiger Schaff, dessen hinterer
Teil sich senkte und den man unter
den rechten Arm schob, während
man das Vorderteil der Waffe auf
eine Gabel stützte. Um das Auf-
lager auf der Gabel zu sichern und
den Rückst i s aufzufangen, erhiel-
ten die Gewehre frühzeitig nahe der
Mündung einen Hak en, naen welchem
man die Waffe, sie mochte im übrigen
so oder so konstruiert sein. Haken-
büchse oder kurzweg Haken nannte.
Die Ähnlichkeit der Wörter Haken-
büchse, niederländisch haakbiue, mit
franz. arouebuse. führte dazu, daas
schliesslich Arkebuse und Haken-
büchse vollständig indentifiziert wur-
den. Endlich konstruierte man den
Schaft derart, dass man die Büchse
an die Schulter anlegen konnte.
Seit Anfang des 15. Jahrhunderte
waren nur noch Handfeuerwaffen ge-
bräuchlich, bei denen Kammer und
Rohr aus einem Stücke gegossen
waren; man lernte es, auch längere
Waffen von der Mündung aus zu
laden, und Vorderlader machten den
älteren Hinterladern Platz.
Die nächste Verbesserung, welche
kurz nach der Einführung des Schaf-
tes eintrat, bestand in der Verleaunq
des Zündloches auf die rechte &eite
des Laufes, sowie im Anbringen
einer Art von Pfanne hart unter
dem Zündloche, und in einem
Deckel der Pfanne, welcher das
Pulver vor Nässe bewahrte und
dessen unvorhergesehenes Herab-
fallen verhinderte. Das Entzünden
des auf der Pfanne befindlichen
Pulvers geschah immer noch mit
der Lunte aus freier Hand. — Nach-
dem infolge der genannten Ver-
besserungen die Handfeuerwaffen
wesentlich verbreitet worden waren,
dachte man darauf, die Entzündung
des Pulvers vermittels der losen Lunte
durch eine mechanische Vorrichtuni:
zu ersetzen. Man brachte zu dem
Ende am Schafte vor oder hinter
der Pfanne ein gekrümmtes, beweg-
liches Eisenstäbcheu an, dessen
oberes Ende zur Aufnahme der
Lunte gespalten war. Damit hatte
man den Hahn (Drache, Schlangen-
hahn — Lunten träger, Serpentine^
erfunden; derselbe wurde anfangs
zur Entzündung des Pulvers mit der
Hand auf die Pfanne gedrückt
später mit Hilfe einer Feder.
Da die unmittelbar am Schafte
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Handfeuerwaffen.
361
befestigten Teile des Schwammen-
gelüsses, d. h. des Hahnes und seines
Zubehörs, keine genügend sichere
Befestigung am Holze fanden und
dem Einflüsse der Witterung zu
sehr ausgesetzt waren, so brachte
man unterhalb der Pfanne eine
eiserne Platte an, auf der aussen
der Hahn solide Befestigung fand,
während die anderen Teile des nach
und nach verbesserten Mechanismus
unter die Platte verlegt wurden. So
entstand das zuerst 1378 aufkom-
mende Luntenschloss. Auch das
Luntenschlossgewehr hiess Hak-
büchse, Hakenbüchse, Haken, Harke-
buse-, sein Rohr war etwa 1 m lang;
das Gewicht betrug 5 kg und die
Kugeln waren vierlötige Bleikugeln.
Daneben gab es halbe Haken,
auch Handrohre genannt, welche
2 — 2 Vi lötige Bleikugeln schössen
und vorzugsweise im freien Felde
geführt wurden, wobei mau sich der
Gabeln bediente; die letzteren wur-
den während des Auflegens mit der
linken Hand gehalten und während
des Marsches auf der linken Schul-
ter geführt, wobei sie dann zugleich
zur Unterstützung der auf der rech-
ten Schulter getragenen Feuerwaffe
dienten.
Der Doppelhaken oder „Scharfe-
dündel" bediente man sich aus-
schliesslich bei Verteidigung und
Belagerung fester Plätze gegen kleine
Patrouillen und gegen die in den
Trancheen und Batterieen arbei-
tende Mannschaft. Die Doppelhaken
waren mit Schellzapfen (Schild-
zapfen) versehen und lagen auf
einem dreirussigen Bocke, der es
festattete, das Kohr nach jeder bc-
ebigen Richtung zu drehen. Sie
hatten 4 bis 6' lange eiserne Rohre,
aus denen 6- bis 1 2 lötige Bleikugeln
geschossen wurden. Es gab auch
doppelte Doppel haken.
Die Einführung der ordentlichen
Schaft ung und die Einrichtung des
Liuntenschlosses wurden Veranlas-
sung zur Erfindung der Visierung;
diese wurde anfangs durch einen
auf der hinteren oberen Fläche des
Rohres angebrachten, hohlen und
ziemlich weiten Cyliuder bewerk-
stelligt, der später bis zu einer
schmalen offenen Spalte verschlos-
sen wurde; später ersetzte man
diese Visierart durch kürzere und
offene Sfandrisiere, welche auf ihrer
Oberfläche mit einem Einschnitte
versehen waren, und noch später
kam das Korn in Anwendung.
Der Schaft wurde dadurch ver-
vollkommnet, dass man ihm einen
durch eine Dünnung abgetrennten
Kolben gab. Für den Ladstock,
welcher zuerst von der Waffe ge-
trennt geführt wurde, brachte man
eine Rinne, Nute, an der linken
Seite des Schaftes an, die man
später au die untere Fläche verlegte.
Er bestand aus Holz und war an
der Stossfläche meist mit einem
Horn- oder Messingknopfc versehen.
Im Jahre 1515 wurde zu Nürn-
berg das Radjichloss erfunden. Sein
Mechanismus bestand darin, dass
ein stählernes drehbares Rad mit
gezahnter Peripherie in die Pfanne
griff und im Innern des Schlosses
durch eine Kette mit einer Schlag-
feder in Verbindung stand, welche
durch Aufziehen des Rades mittels
eines Schlüssels gespannt wurde.
Vorwärts der Pfanne war ein Halm
mit einem Schwefelkiese angebracht,
der sich auf starker Feder De wegte.
Das durch die ausschellende Feder
kräftig um die Achse gedrehte Rad
rieb sich am Schwefelkiese und er-
zeugte dadurch Funken, die das
Pulver auf der Pfanne entzündeten.
Das Radschloss fungierte auch bei
Regenwetter und gewährte eine
ruhigere Entzündung als das Lun-
tenschloss; da sich aas Rad jedoch
infolge seiner Berührung mit dem
Pulver nach einigen Schüssen bald
verschmutzte und dann den Druck
versagte, versah man das Gewehr
oft mit einem Rad- und einem
Luntenschloss. Allgemeine Anwcn-
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362
Handschuhe. — Hanswurst.
dung fand das Radschloss nie; es
wurde fast bloss in Deutschland
und hier vorzugsweise zu den Feuer-
waffen der Reiterei, Arkcbusen-
Pistolen, wie für Scheiben-, Jagd-
und Luxuswaffen benutzt.
Eine weitere Verbesserung be-
stand in der Erfindung des Schnapp-
hahnschiossesy welches durch Be-
rührung von Schwefelkies oder
Feuerstein (daher Flinte) mit einer
sogenannten Batterie den zünden-
den Funken hervorbrachte. Auch
dieses, namentlich in Spanien und
den Niederlanden gebrauchte Schloss
ist nie für eine allgemeine Ordonanz-
waffe verwendet worden.
Gezogene Läufe sind gegen Ende
des 16. Jahrhunderts zuerst bestimmt
nachweislich; man nannte solche ge-
zogene Gewehre später vorzugsweise
Büchse oder franz. carabine. Eine
Folge der gezogenen Gewehre war
die Erfindung des Stecherschlosses.
Doch blieb für die Feuertaktik des
Fussvolkes das Luntengewehr mass-
gebend; indem man sich nun an-
strengte, dieses teils leichter, teils
wirksamer zu machen, kam man
auf die Doppelwaffe zurück; den
Hauptteil der Infanterie rüstete man
mit dem ohne Gabel verwendbaren
Handrohr, Muskete, Rohr aus, eine
Elite aber mit der schweren und
unbeholfenen Hakenbüchse , welche
zum Auflegen den Stand- oder Gabel-
stock forderte. Diese schwere Hand-
feuerwaffe wich sodann der leichte-
ren im Zeitalter des dreissigjährigeu
Krieges für immer. Jahns, Geschichte
des Kriegswesens.
Handschuhe, ahd. hantscuoh,
mhd. hantschuoch, hentechuoch, ist
ein seit den ältesten Zeiten als
Schmuck und Auszeichnung, wie
zum Schutz getragenes Kleidungs-
stück; namentlich gehören sie zur
Bekleidung und zum Ornat welt-
licher und geistlicher Grossen. Die
Pelzhandscnuhe wie überhaupt die
fröberen waren Klotzhandschuhe,
. h. bloss mit einem Däumling ver-
mor-
schen. Die höfische Sitte erweit
den Gebrauch dieses Kleidungs-
stückes, und schon im 11. Jahrb.
wurden buntgestiekte Frauenhand-
schuhe getragen. Mitten auf dem
Handrücken war ein grösserer Edel-
stein angebracht, kleinere Steine
uud Perlen sonst dazu verwendet.
Die anständigste Farbe war damals
schon die weisse, der Stoff* bald
Seide, bald feines Leder. Sie reich-
ten bald bloss bis zum Handgelenk,
bald bis zum Ellenbogen. Die Ringe
wurden über dem Handschuh ge-
tragen.
Handschuh als RcchtssymboL
Mit dargereichtem oder hingew«
feuern Handschuh wurden bei Frs
ken, Alamannen, Langobarden und
Sachsen Güter übergeben, gleich-
sam ausgezogen und abgelegt. Zum
Zeichen ausgebrocheneuBannes warf
der König oder Richter den Hand-
schuh hin und erklärte damit den
Verbrecher alles seines Gutes für
verlustig. Verbreiteter als die bei-
den genannten Anwendungen des
Handschuhes ist der im ganzes
Mittelalter gebräuchliche Wurf des
Handschuhes als Aufforderung ziem
Kampf. Endlich bezeichnet der
Handschuh Verleihung einer Gewalt
von seiten der Höheren auf einen
Geringeren; Boten wurden durch
Überreichung des Handschuhes und
Stabes von Königen entsendet.
Städten, welchen der Kaiser Markt-
recht giebt, sendet er seinen Hand-
schuh.
Handwerk, siehe Städtewesen
und Zunftwesen.
Hauswurst; das Wort erscheint
zuerst in der 1519 erschienenen
niederdeutschen Bearbeitung des
Narrenschiffes, wo es einen groben
Menschen von unbeholfener Figur
malen soll, dessen Leibesgestalt an
eine Wurst erinnert. Als Bauers-
mann erscheint Hanswurst zuerst in
einem Fastnachtspiel 1553 und die
Bedeutung des Narren in der Ko-
mödie geht endlich auf ein Schau-
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Harfe. — Harnisch.
363
spiel des Jahres 1573 zurück, wird
aber erst gegen Ende des 17. Jahr-
hunderts recht gemein. Seine Tracht
ist eine bunte, geckenhafte Kleidung.
Grimm, Wörterb.
Harfe, siehe musik. Instrumente.
Harnisch. Das Wort Harnisch,
rnhd. der und das hamas, harnasch ,
hämisch, kernisch, stammt vom kym-
riscben „Äa*ar/t", welches soviel
wie Eisen bedeutete; hemez, hamez
= Eisenzeug. Im weitesten Sinne
wird darunter die gesamte Aus-
rastung eines Kriegers verstanden,
im engeren Sinne die Bekleidung
des Rumpfes und der Glieder, also
mit Ausschluss de« Schwertes, Schil-
des und Helms; im engsten Sinne
bedeutet Harnisch das aus Ringen
bestehende Panzerhemd, also das
Brustkleid, das durch die Jahr-
hunderte eine merkwürdige Wand-
lung zu besteheu hatte und end-
lich durch die Handfeuerwaffe und
durch die neuere Taktik verdrängt
wurde.
Die ersten sogenannten Schutz-
raffen waren Schilde aus ßaumrinde,
Flechtwerk und Holz, daneben Ticr-
felle, Füzdecken und Filztücher, und
endlich werden, allerdings nicht mehr
in der Urzeit , Steppwämser von
Leinen erwähnt. Und während ver-
schiedene keltische Stämme in bar-
barischem Mut und Selbstgefühl
ihren Feinden die nackten Leiber
entgegenstellten, trugen nach Taci-
tus andere schon goldgeschmückte
Panzerhemden, ja hüllten sich ganz
in Erz. Es wird das aber unzwei-
felhaft nicht auf ganze Stämme Be-
zug haben , sondern nur auf deren
Häuptlinge, denn nach zuverlässigen
Berichten und nach den aufgefun-
den Moorleichen zu schliessen, ]
Längen die alten Germanen bis zur
erfolgten Mannbarkeit völlig nackt
und trugen als Männer ein mantel-
artiges Gewand (sagum) ohne Naht
«nd ohne Knöpfe von gewalktem
stoffe mit Hals- und Ärmellöchern.
Auf bestmöglichen Schutz gegen
feindliche Pfeile, Speere und Schwer-
ter mu88te aber selbstverständlich
gehalten werden, und so kam denn
neben Schild und Helm bald auch
die Handberge (handberc) auf, als
vollgegossener Handring zum Schutze
des Handgelenkes, oder als Küst-
ärmel, der entweder aus einer ge-
bogenen Erzschiene oder aus einer
federnden Spirale bestand. Vom
Erfolge dieser ersten Schutzmittel
zu weiteren Versuchen angespornt,
suchte man nun namentlich die
Brust besser zu decken und erreichte
dies dadurch, dass mau statt des
gewöhnlichen Gewandes oder unter
dasselbe eine lederne „lorica" anzog.
Die Vornehmsten begannen dieselbe
hin und wieder mit Schuppen von
Erz oder mit Ringen zu besetzen,
und endlich verband man die Ringe
zu selbständigem Geflechte und schuf
so die Brünne (got. brunjo, ahd.
pruniä, angels. bryne, altnora.brunja,
altslav. brvnija). Für dieselbe Schutz-
waffe wird auch der Ausdruck Binqe
(bring) gebraucht, westgot. zaba
oder' zava, und endlich ist der Be-
zeichnung sart sancerc, ahd. saro, sa-
raici, gasartd, gasarica zu gedenken,
was eigentlich Rüstung heisst, aber
der Brünne gleichkommen mag,
Hildebrandslied: „tro saro rihtun"
= sie warfen ihre Panzerhemden
über; „sarkes bar*1 = ohne Panzer.
Ursprünglich scheint die Brünne
aus hörnernen Schuppen hergestellt
worden zu sein. Die Erinnerung
daran hat sich bei den älteren Dich-
tern insofern erhalten, als die ab-
sonderlichen Rüstungen ihrer Riesen
und Helden sehr oft als hurnin ge-
schildert werden. Des Heiden Ilmars
Leute z. B. waren mit „hörne bes-
lozzen", die Völker des Königs von
Tarmache fuorten hurnine aar, gleich
wie die Christen Uen und getränt.
Schon im Beowulfliede kommt je-
doch Brünne durchgängig als Ring-
panzer und Kettengeflecht vor und
dies bezeugt sehr deutlich, dass auch
bei den nordischen Stämmen, welche
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364
Hämisch.
in keiner unmittelbaren Beziehung
zu den Asiaten standen, der Ge-
brauch dieser Waffentracht uralt
ist. Auch Hildebrands- und Walthari-
lied kennen die Brünne. Dass diese
in der Kegel aus Ringen geschmie-
det war, so dass Blut und Sch weiss
durch sie zu dringen vermochten,
zeigen viele Stellen bei den Dichtem.
Lanz. 1996, daz bluot im durch die
ringe ran Hz der tiefen wunden.
Auch Hagen sind die Ringe von
hhiote naz. Die Ringpanzer waren
verhältnismässig leicht, Hessen die
Luft durch und schlössen sich füg-
sam dem Körper an, gestatteten
daher ungehemmte Bewegung und
konnten zudem mit geringer Mühe
an und wieder abgelegt werden. Im
Gegensatz zu dem Plattenpanzer,
der angeschnallt werden musste und
zwar mit Hilfe anderer*, zog man
die Ringpanzer an wie ein Kleidungs-
stück, daher der Ausdruck: si schufen
sich uz dem gewaffen näch grözer
müede, oder si sfujfen in idges ge-
rn ute und abe schüfe er sin isenge-
want. Die Ringe Hessen sich zudem
ineinanderschieben, sodass die ab-
gelegte Brünne bequem in einem
Wanensack (sdrbalc) oder ia einem
Schilde nachgetragen werden konnte.
Brünnen, die wie ein Hemd über-
feworfen werden konnten und dann
is an die Schenkel herabreichten,
bezeichnet bereits das Ruolandes lief
(um 1 lhO) als Röcke: di von Clamerse
mit ir guoten isern rottchen. Kün.
Ruoth. do schlugen die recken in
statine röche. Diesem entspricht
der lateinische Ausdruck für Stahl-
rock: tunica ahena. Walther trug
eine dreidrfihtige tunica-, übrigens
zog ein Recke je nach Bedürfnis
auch mehrere Brünnen — wenigstens
zwei — übereinander an.
Wie fest aber diese Ringe auch
sein mochten, die Sänger wissen viel
zu berichten von vortrefflich geziel-
ten Speerwürfen und ritterlichen
Schwertschlägen und Stichen: do
sniet im durch die ringe der küene
Wolfhart (G. Rosengarten». W
weiter:
Die ringe betfunden risen i* ier
rösen senin,
Sie Idgent do geströteet, ah $it
teerin t geset dar in.
Man hat deshalb bereits sehr früh
begonnen, Stellen, die dem feh*i-
liehen Angriff besonders ausgeset«
sind, noch mit einem weitere
Schutze, nämlich mit aufgenietete
Platten zu versehen, mit sog. Bwcfck
die oft in schonen Ornamenten die
Panzer schmücken, wie die in Ree«!
fräbern und Torfmooren aufeefb-
enen, meist gut erhaltenen Riem
plare es heute noch weisen, h
sogar eigentliche PlattenharniKbi
treten — wenn auch in rohen Forwi
— bereits im 4. Jahrhundert a
und zwar als ein deutsches Produki
Begreiflich ist, dass vom Schicks
besonders begünstigte Bitter hu
in den Ruf kamen, als trügen a
gefeite Brünnen, auf denen
Eisen zu haften im stände sei- &
nordische Sagen schreiben die
Eigenschaft schon blossen
hemden zu, die in besonderer,
berhafter Weise gewebt woi
Nicht nur ist der Träger einef »
chen für jede Klinge unverwundbf
auch Feuer beschädigt ihn nkij
von Kälte leidet er weder zu Um
noch zur See; kein Schwimmen«
mattet, kein Hunger quält ihn. j
sind dies die ^othemden" 4
deutschen Mittelalters.
Die alte Ringbrünne war n«x&
der Frankenzeit offenbar nur im fl
sitze hervorragender und wohltat*
der Krieger. Die geringeren Le^
auch solche der Reiterei, befniutf
sich mit minder kostbaren Surn^l
und zwar noch auf lange Zeit
aus hauptsächlich mit dem
penwams von Leder mit
übereinander fallenden ,
Schuppen. Auch treten schon
schienen (beinhergae) verein»11
vornehmlich bei Rittern; docl 1
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Harnisch.
365
schützten sie mehr nur das rechte
Bein, weil dieses beim Ausfall nicht
so unmittelbar vom Schilde gedeckt
war. Kaiser Karl hielt bekanntlich
sehr auf derbe, schützende Kleidung
bei seinen Kriegsleuten; feiner, teu-
rer Flitter war ihm zuwider. Ge-
panzerte Pferde werden ebenfalls
schon im 9. Jahrhundert genannt,
und es steht ausser Zweifel, dass
auch hier die Schuppenpanzer ge-
meint sind.
Die Normannen Wilhelm des Er-
oberers waren, nach der berühmten
Tapete von Bayeux zu schliessen,
in einen bis über die Kniee reichen-
den, bequemen Waffenrock von
Leder oder Steppleinwand gekleidet,
der durchweg mit eisernen Ringen
besetzt war. Die alte Brünne De-
deckte nur den Rumpf und Ober-
arm, Hess aber namentlich den Hals
und Nacken frei, weswegen die
nächste Folgezeit bestrebt war, sie
in dieser Richtung zu verbessern.
So entstand die Kutte oder HaU-
berqe (haUberc), agls. heaUberg,
altirz. hauber. habere, nauberc, welche
namentlich bei den französischen
Rittern des 10. und 11. Jahrhunderts
allgemein in Gebrauch kam. An-
fanglich nur bis an die Hüfte reichend,
verlängerte sie sich zusehends, bis
sie zu den Mittelgelenken der Arme
und Beine reichte. Am Vorderarm
kommt das gesteppte Armelwams
rum Vorschein, an dem Unter-
schenkel das Kreuzgeflecht der
Ledernem en des Bundschuhes, deren
Verschlingung Schienbein und Wade
schützen. Nur die Führer, z. B.
Wilhelm selbst, haben auch die
Beine mit Panzerhosen bekleidet.
Die Öffnung zum Anziehen des
„beringten" Kampfgewandes be-
findet sich auf der Brust und ist
hier mit einem ebenfalls beringten,
viereckigen, beweglichen Brustlatze
zugedeckt. Die Nonnannenreiter
trugen die Halsberge nur über dem
Wamse; in der Folgezeit aber, als
die Bewaffnung immer schwerer
wurde, kam es auch vor, dass die
Halsberge über der Brünne getragen
wurde. Andere Forscher nehmen
das Umgekehrte an und verstehen
dann unter der Halsberge nur eine
metallene Wehr für Hals, Nacken
und Brust. Über Brünne und Hals-
berge trug der Ritter wohl auch den
Waffenrock aus Seide oder anderen
köstlichen Stoffen.
Sie begunden sniden
Den wdpenroc von siden
Und den halsberc da ru nde.
Sollte der Mann in der Hals-
berge sich bequem bewegen können,
so mu&ste sie sich in der Nähe der
I Hüften erweitern, um den Schenkeln
| den beim Reiten nötigen Raum zu
j gewähren. Dies wurde dadurch er-
zielt, dass sich entweder im unteren
j Teile stitze befanden, sodass die
Kutte in mehrere Schösse verlief,
oder dass sie unten mit keilförmigen
Zwickeln, d. h. mit aSren versehen
war, wie deren auch an Wappen-
röcken und der Civilkleidung vor-
kommen. Ulrich von Liechtenstein
451, 2: in seinem Wappenrock
waren zirelf gereit gesniten durch
sine wite.
Ein weiterer Schritt war dann
die Ausdehnung der gegitterten oder
Ma8chenrüstunff auch über die Arme
und 1 leine, und zwar scheint diese
i Tracht zuerst in Deutschland ge-
bräuchlich geworden zu sein. Eine
' der frühesten Darstellungen dieser
Bewaffnung findet sich in Kaiser
Heinrich IL Eva ngeliarium, wo der
also gewappnete Ritter über der
Schulter einen normannischen Schild
und auf dem Kopfe einen niedrigen
Glockenhelm mit Nasendeekel trägt.
Die Rechte führt einen Knebelspiess,
die Linke ist beschäftigt, eine Kurz-
wafte ( vielleicht ein xkramasax) aus
der Scheide zu ziehen; darunter
hängt das eigentliche Schwert.
Ähnliche Rüstungen begegnen uns
auf nicht wenigen, namentlich deut-
schen Denkmälern des 12. Jahr-
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360
Harnisch.
hunderte. Dazu Fig. 73 aus dem schlössen, so dass der Fuss von oben
Hortulus Deliciarum der Herrad hineinfuhr, d. h. sie wurden „ange-
von Landsberg. Zugleich zeigt sich schuht44 oder „angeschüttet", oder
eine Weiterentwickeluiig, indem die sie waren offen und wurden dann
Schösse des Waffenrockes meist zu an der hinteren Seite des Heines
enganliegenden Schenkclhosen aus- mit Riemen zusammengebunden.
gebildet werden, welche bis zum Wigal. 6116:
Inie reichen. Am vollkommensten Die frouwen im dö f/und^n
gestaltet sich diese Rüstungsweise Die isenhosen an diu bein.
\
Fig. 73. Aua dem Hortulus Deliciarum.
am Rheine. Hier erschienen zu
Ende des 12. Jahrhunderts die Ritter
fest eingekleidet in die Ringe, die
also nicht nur zu einem blossen
Uberwurfe, sondern zu enganliegen-
den Wämsern mit Oberschenkel-
hosen ausgestaltet sind. Daran
schliesst sich knieabwärta ein eben-
falls aus Ringen gebildeter Schien en-
beinschutz. Die Hosen waren gleich
unseren modernen entweder ge-
Oder P. 157, 7:
Zwuo lieht e hosen iserin
Schuohferm über diu ribhalin.
Anders in Frankreich und in Spanien.
Hier ist die Bepanzerung der Beine
offenbar später üblich geworden, al«
auf deutschem Boden. Zwar einige
Siegelabdrücke vornehmer Krieger
zeigen den Beinpanzer, wenn gleich
nur als Schuppen-, nicht als Ketten-
gewand ; aber auf den meisten Dar-
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Harnisch.
367
Stellungen fehlt er; ja sogar die in
Deutschland übliche Bepanzerung
von Unterarm und Faust mangelt
noch. Unter dem Ellenbogen tritt
das vom 12. bis 14. Jahrhundert
uligemein getragene Ärmelwams i
i franz. tcamfnson, gambUon) deutlich
hervor. Dieses Wams bestand aus
Leder oder Tuch, war mit Watte
(«ler Werg gefuttert und meist mit
Seide gesteppt.
Gegen Pfeile, Bolzen, Schwert-
hiebe, meist auch gegen Lanzen- 1
Btösse gewährten die Maschenpanzer j
hinlänglich Schutz, nicht aber gegen
die Schlagwaffen, Keule, Axt, Schlag-
geissel , Morgenstern , Streitaxt; da-
her kamen letztere stark in Auf-
nahme und der Schwerpunkt der
kriegerischen Aktion wurde mehr
in aas Fussvolk verlegt, während
er bis anhiu in der Reiterei zu
suchen war. Was war natürlicher,
als dass man bestrebt war, auch
die Schutzwaffen in entsprechender
Weise zu vervollkommnen? Die nach
dem helmbedeckten Kopf geführten
Streiche fielen nämlich meist ab-
prallend auf die Schulter und ver-
ursachten durch deren Bruch Kainpf-
unfahigkeit. Deswegen brachte man
au besagter Stelle die sogenannten
Schüller/füget au, eiserne Platten,
welche das Eisen des Helms ge-
wissermassen verlängerten und zelt-
artig nach aussen abschrägten. Diese
Ailettes sind in der Geschichte der
Bewaffnung von grosser Wichtigkeit,
weil sie die ersten Eisenplatten sind,
welche auf dem Kettenpanzer er-
scheinen.
Wie die Schultern, so suchte man
auch Hals, Arme, Schenkel und
namentlich die Kniee besser zu
decken, indem man Platten und
Schienen auf die betreffenden Stellen
des Ringpanzers befestigte und zwar
durch Aufnieten oder Nageln. An-
fänglich verwendete man hierfür
Leder, das durch Sieden eigens zu-
bereitet und durch metallene Buckel
und Bänder verstärkt wurde. Diese
Veränderungen beginnen bereits
gegen Ende des 12. Jahrhunderts
und nehmen in der Folgezeit immer
zu. Wo die Ringe genagelt er-
scheinen, da gehören sie mindestens
schon dem Ende des 12. Jahrhun-
derts an.
Die Verstärkung der Rüstung
durch Matten kommt zunächst auf
deutschem Boden zur Geltung. Das
deutsche Manuskript von Tristan
und Isolde, welches zu Berlin auf-
bewahrt wird und der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts angehört, zeigt
bereitsRitterin vollständigen Platten-
rüstungen mit geschientem Arm-
und Beinzeug, nebst geschienten
Eisenschuhen. In Frankreich war
der Fortschritt der Bewaffnung laug-
samer. Die Ringbrünne kommt erst
jetzt zu ihrer höchsten Vollendung,
immerhin mit Anfängen der Schienen-
rüstung. Bemerkenswert ist, dass
da,' wo die Verstärkung der Rüstung
durch Schienen eintritt, im übrigen
oft von einer Ausstattung mit dem
eigentlichen Maschenpanzer abge-
sehen, vielmehr zu dem älteren,
billigeren Schutzgewande des be-
ketteten oder beschildeten Kampf-
gewandes zurückgegriffen wird.
Der Handschuh war ursprüng-
lich mit dem Panzer verbunden;
wer ihn ausziehen wollte, der musste
zugleich den ganzen Panzer ablegen.
Das war um so unbequemer, als
mit Ausnahme des Daumens die
Finger gar nicht gesondert waren;
daher machte man später einen Ein-
schnitt in das Maschengewebe, um
mit der Hand durchlangen zu können,
und Hess den vorderen Teil der
Maschen bis zum Augenblicke des
Gebrauchs hinter der Hand herab-
hängen. Immerhin aber blieb, auch
wenn das Kettenhemd über die
Faust gezogen worden, der Hand-
schutz ungenügend, und daher ver-
fertigte man seit der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts Handschuhe
von starkem Hirschleder mit ge-
hämmerten Eisenplatten auf dem
uigiiizeo
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368
Harnisch.
Handrücken und auf dem unteren auch Schulterkragen oder Maschei
Fingcrgelenke des Daumens. In kapuze genannt, welche meist in
gleicher Weise gehörte zur Rüstung der kleinen Beckenhaube verbünd«
der Sporn, der unmittelbar mit der , war. Das Wams [Qambuou) w.
Maschenbepanzerung des Fussen eine enganliegende Armeljacke n
zusammenhing. (Siehe Sporen.) daran befestigten Hoseu und Strüi
Fi^. 74, Grabsteine aus dem
Anfangs des 14. Jahrhunderts
bestand die ritterliche Rüstung aus
Wams, Ringbrünne und Eiseuhosen,
welch letztere in oben angeführter
Weise durch Platten verstärkt waren,
dem WafTenhemdc oder Waffen-
rock von Tuch und der Halsberge,
Ende des 14. Jahrhundert.'«.
pfen. E> bestand aus L«
oder Leder. Vor der Iii»-»
demGemächteund den Knie*:***
war es beringt. Siehe FW
Grabstein vom Ende de« M M
hunderts aus Weijts, Ko.«rütnK^
Die inzwischen erfundene M
Google
Hatsehier. — Hausmarke.
369
<les Drahtziehens ermöglichte es
je<iem Krieger, sich eine Ringbrünne
i Panzerhemd) zu verschaffen. Schul-
terpIatten(t/)o/^r^)undArmschienen
\>trminen, brdzel oder, wenn sie nur
<iie Außenseite des Armes decken,
ifcmibratsard* genannt), sowie Ellen-
bogenkacheln und Kniebuckel fehlen
nirgends mehr, werden gegenteils
immer grösser und nähern sich
<lureh weitere Mittelglieder mehr
uml mehr, bis die fortschreitende
Kunst der Schmiede einen Platten-
tnztr daraus entstehen lässt, der
Säcken- und Brustplatte (Kürass),
Banchplatte ( Bauchpanzer l, Hals-
berge und Hängeplatten für die
Oberschenkel in sich fasst. Auch
der Unterschenkel erhält seine
Wadenplatte und zugleich verlängert
man die vorderen Unterschenkel-
schienen durch mehrere aneinander-
gefügte Plättchen und entwickelt
so zusammenhängende Schienen-
schuhe iüerkotzen, külze,ischuok\ die
bis zu Ende des 15. Jahrh. die Form
langer und spitzer Schnabelschuhe
haben. Der Kitter sass ohne Eisen-
sehnabel aufs Pferd: der Knappe
.hackte ihm dann den Stachel an",
der gewöhnlich V* i bei Grafen oft
1 bei Fürsten sogar 2' lang war.
Denkt man sich noch die mit be-
weglichem Gesichtaschutze versehene
Keaselhauhe, einen Stechhelm oder
Eisenhut hinzu ( siehe Helm ), so war
da? liebe Leben eines solchen Ritters
unbestritten trefflich geschützt. Und
wenn der vollständige Platten- oder
Schienenharnisch auch keineswegs
♦-ine bequeme Kleidung gewesen
*ein mag, so hemmte er doch den
Gebrauch der Glieder weniger, seit
kunstfertige Meister bemüht waren,
den treibenden Hammer so geschickt
zu fuhren, dass die Formen der
einzelnen Panzerteile dem anato-
mwehen Bau der Gliedmassen mög-
lichst entsprachen.
I>iebeiilhmte«ten Waffenschmiede
Italiens bestanden zu Mailand. War
doch diese eine Stadt nach der
Schlacht bei Macalon (14271 im
Stande, binnen wenigenTagen Waffen
und Rüstungen für 4000 Reiter und
2000 Fussknechte zu liefern. Die
sanriirker oder sancettcr ( Wirker
und Weber von Kettenpanzern)
sowie die platenaere, thorifex, Helm-
schmiede, Harnischmacher, Sporer
und Schlosser genossen grosse Pri-
vilegien; so waren sie in Spandau
von allen Abgaben frei. Die deutschen
Waffenschmiede (Augsburg, Nürn-
berg) genossen einen Weltruf. San
Martey Warenkunde und Jähnx,
Geschichte des Kriegswesens.
Hatsehier, Hatschlerer. Hart-
sehler, seit dem 15. Jahrhundert
aus dem zuerst seit dem 12. Jahr-
hundert bezeugten französischen
j ar efter, ital. areiero— Bogenschütze
entlehnt, hiess ein Trabant, Leib-
trabant, der in kleineren Gemeinden
auch Bütteldienste verrichtete.
Haubitze, ein grobes Geschütz
zum Schiessen von Granaten und
Kartätschen, seit denHussitenkriegen
dem böhmischen haufniee = Stein-
j Schleuder entnommen , daher das
Wort deutsch auch zuerst haufnitz
lautet.
Hausmarke heisst das besondere
Zeichen, mit welchem nach altem
Gebrauche die Wohnhäuser und die
Stammsitze bezeichnet wurden. Da
sich der Hausbesitzer dieses Zeichens
auch bei Unterschriften als Hand-
zeichen bediente, erhielt es denNamen
hantgemdl, welches Wort nun auf
das Grundstück, den Stammsitz selber
übertragen wurde. Durch das Hant-
gemal wurde der Ort für den ge-
richtlichen Zweikampf des Schöffen -
barfreien bestimmt und wo es auf
Ebenbürtigkeit ankam, der Beweis
des schöffenbaren Standes geführt.
Später wich die Hausmarke über
dem Thor dem Wappen, und der
Gerichtsstand richtete sich nicht
mehr nach dem Stammsitz, der die
Hausmarke trug, sondern nach dem
Domizil. Homeyer, Abhandlungen
über das Hantgemal. Ders. Haus-
24
uigiiizea
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370 Hauaineier. — Heerwesen.
und Hofmarken, Berlin 1870. Mi- j vertritt den König gegen seine Inter
cheteen, Die deutsehe Hausmarke, thauen. Er halt an des Koiiif=
Jena 1853. I Platz das Gericht iu der Pfalz. *ui
Hausnieler, Majordomus, war 1 Name wird auf Münzen gesetxt. ti
der Name eines Beamten, der in erseheint als der eigentliche Rega
der Merowingerzeit früh, namentlich des Reiches, er heisst Fürst Q-
bei Geistlichen und an den Höfen Franken oder Unterkönig. #»'«y ■
der Könige verschiedener germani- tut. Nachdem Pipin die königlich
scher Stämme vorkommt. Bei den Gewalt lange Zeit unter dje*2
Franken ist der Majordomus wahr- Titel geführt und das Königin
scheinlich ursprünglich nichts au- selbst an sein Haus gebracht «■
deres als der alte Senesehall; ihm wurde kein Majordomus mehr t
stand die Oberaufsicht über das nannt. Waitz, Yerf.-GtodL Bd.
Hauswesen im ganzen zu. Es gab und 3.
ihrer mehrere, da jede Hofhaltung, Heerwesen. In öl fester Zeit ist >u
auch diejenige der Königin, der Heer der Germanen nichts aodtri
Prinzen, ihres eigenen Hausmeiers als das Volk in Waffen. GUe*H
bedurfte. Zuletzt, als die Macht Staates war nach Tacitus, 13. *
des Majordomus eine solche Be- die Waffen kannte. Zu kriegerU' -U
deutung erlangt hatte, dass eine Unternehmungen vereinigte »ich ü
Teilung derselben unter mehrere un- weder ein ganzes Volk oder I
statthaft geworden war, gab es bloss Stamm , mit \Veib und Kind. B
noch einen Beamten dieses Namens, und Gut, weuu es galt, neu* >il
der auch major domus regiae, major einzunehmen, oder für bes'ii^
domus palatii, prineeps palatii, pa- Unternehmungen junge Lem>
latii praeoositus, praefectus pafatii, Gefolge eines Fürsten: wenn da
rector pafatii hiess, 'Als Vorsteher besonderen Züge grösseren L'mf'
des Palastes und Hofes erhielt er hatten, mussteu sie, was auch!
einen Einfluss auf alle Verhältnisse Raub- und Beutezügen geschah . 1
desselben; die Erziehung der jungen der Volksversammlung p*hill
an den Hof gebrachten Leute stand werden. Die Abteilungen des^ ot
zum Teil unter seiner Leitung: er Gaue, Hundertschaften und
hatte für die Wahrung von Zucht meinden, bildeten auch die
und Recht unter den Grossen, für teilungen des Heeres, wob*:i
den Frieden im Lande zu sorgen; Verwandtschaft und Geschieh
in der Ratsversammlung sass er dem Verbindung die möglichste RücH
Könige zunächst, oder Führte, wenn genommen wurde. Mau dn^-1
dieser abwesend war, den Vorsitz Ross und zu Fuss, ohne da*-
selbst; uuter minderjährigen Königen Rossdieust einen besonder*'« «
stand ihm die Erziehung und Reichs- veranlasst hatte; den Reitern*!
Verwesung zu. Wahrscheinlich ver- besonders gewandte und leieb*
band sich damit ein Anteil an der wegliche Fussgftnger zur 0
Verwaltung des königlichen Hauses. Stützung beigegeben. Die Sch'J
der Erhebung und Verwendung der Ordnung war diejenige desKetta
königlichen Einkünfte. Ursprüng- ursprünglich allen arischen V -U
lieh wurde der Hausmeier wie jeder eigen war, und zwar bildete
andere Beamte von dem Könige er- germanische Heer regelmäßig
nannt, später unter Mitwirkung der Keile nebeneinander , deren w
Grossen gewählt. Zuletzt gehen alle hinten zusammensti essen. w'
wichtigen Geschäfte durch seine erst die eigentliche Masse de> Mi
Hand, von ihm hängen die Beamten 1 folgte; mit dieser einen Schli
ab, er erteilt Gnaden und Ehren, er orouung giug man zum
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Heerwesen. 371
sauien Angriff. Führer de* Heeres Kriegsdienste Leistenden war nicht
waren die Fürsten, für die Leitung die Rede; nach alter Gewohnheit
des Ganzen wurde ein Herzog ge- sollten Watten und Kleider auf ein
wählt. Nach Tacitus übten die halbes Jahr. Lebensmittel für einen
Priester im Heer die oberste Straf- Marsch von drei Monaten jenseits
gewalt und verhängten wie auf Ge- der Grenze oder von der Heerver-
bot der Gotter Tod, Fesseln und Sammlung aus mitgeführt werden;
Schläge, wie denn die beiden letzteren doch dauerten manche Züge natür-
Strafen überhaupt aus der strenge- lieh weit langer. Zur Rüstung ver«
reu Ordnung des Heerwesens zu langt ein Gesetz Karls des Grossen
stammen scheinen. Der Heerdieust allgemein Lanze und Schild oder
verlieh dem Kämpfer einen beson- einen Bogen mit zwei Sehnen und
deren Schutz oder besondere Aus- zwölf Pfeilen. Als Watten, die der
Zeichnung: unter dem Schutz der Reiter führte, werden Lanze. Schild,
Götter und unter göttlichen Feld- Sehwert und Halbschwert oder Dolch,
zeichen zog mau aus; den Ausgang Bogen und Pfeile angegeben; Helme
einer Schlacht suchte man im voraus und Panzer wurden nur von den
zuerkennen, durch Zweikampf zweier Augeseheneren, ein Brustharnis:h
vorrageuder Heergenossen oder durch von dem Besitzer von 12 Hufen ver-
weissagende Frauen. Mit Gesang langt. Im Heere Karls des Grossen
und Ge-chrei ging man zum Kampf, bildete die Reiterei jedenfalls schon
Der Germane pflegte nicht zu fliehen, einen sehr wesentlichen Bestandteil,
auch den Schild nicht wegzuwerfen : ja die Regel, wie es bei den Lango-
er siegte oder starb. Feste Plätze bardeu schon um die Mitte des 8.
hatten die Germanen wenige; als Jahrhunderts der Fall war. Aus
Zuttuehtstätteu dienten Ringwälle dem Ende des y. Jahrhunderts wird
auf Anhöheu; Striche Landes, die berichtet, dass es den Franken uu-
mau wüste liegen Hess, kamen häufig gewöhnlich gewesen sei, zu Fuss zu
vor. Schon von Anfang an waren kämpfen; einzelne Stämme, wie die
die germanischen Küstenbewohner Sachsen, kämpften noch weit später
auch zur See streitbar. Der be- zu Fuss, und jedenfalls war ein
si«-gte und gefangene Feind diente zahlreicher Tross zur Begleitung
fortan, wenn er nicht den Göttern des Gepäcks und der Lebensmittel
als Opfer fiel, als Knecht; unter- vorhanden.
worfene Völker verfielen in Hörig- Durch den Befehl oder Bann
keit oder raussten Tribut zahlen des Königs wurde zum Heerdienst
Zur Zeit der Merotringer und einberufen, bei der Strafe, welche
Karolinger war der Heerdieust auf überhaupt auf Verletzung des könig-
diejenigen/>e#V/i eingeschränkt, wel- liehen Bannes stand und welche
Grundbesitz besagen: das war daher Heerbann heisst; sie betrug
schon deshalb nötig, weil der Freie nicht weuiger als 60 solidi. Das
mit eigner Rüstung und Verpflichtung Heer selbst hiess ein gebanntes und
xum eigenen Unterhalt seinen Dienst keineswegs Heerbann. Das Auf-
zu leisten hatte; doch brauchte der gebot erfolgte zur allgemeinen Ver-
G rund besitz nicht Eigengut zu sein; Sammlung des Jahres, der Heerver-
auch der Besitz von abhängigem Sammlung; der Graf verkündigte
Laad verpflichtete den persönlich den Baun in seinem Gau und hatte
Freien zum Heerbaun; Knechte aber die Aufsicht über die Rüstung der
waren nicht dienstpflichtig und wur- Einzelnen; der Baun dauerte aber
den nur ausnahmsweise bei feind- noch 40 Tage nach der Rückkehr,
Uchem Einfall aufgerufen. Von einer j worauf erst die Waffenlegung o ler
lintachädigung, einem Sold des | scaßleqi erfolgte. Besondere Vor-
24*
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372
rechte, wie höheres Wehrgeld, ge-
noss in dieser Periode der Krieger
nicht mehr, doch sollte während des
Kriegszuges ein höherer Frieden
herrschen.
Im ganzen war der Kriegsdienst
infolge der lange andauernden, weit
entfernten Kriege und der Unsicher-
heit des heimatlichen Gutes wäh-
rend der Abwesenheit des Besitzers
immer mehr eine Last geworden,
die schwer empfunden wurde und
zu einer näheren Regelung des
Heerwesens nötigte, die jedoch zu
keinem genügenden Abschlüsse kam ;
es trat in Beziehung auf die ur-
sprünglich allen gleiche Strafe eine
mildernde Abstufung ein; man re-
gelte die Dienstpflicht nach der
Grösse des Besitzes und nach der
Gegend, wo der Krieg geführt wurde;
man setzte fest, dass ein Teil der
Ausziehenden von deu zuhause Blei-
benden eine Beihilfe empfing, welche
die Stelle des Soldes vertrat. Das
Verlassen des Heeres, der heriMiz,
galt als Majestätev«-rbrechen und
wurde mit dem Tode bedroht, ein
Zuspätkommen bei den Grossen des
Reichs nur mit Fasten belegt, soviel
Tage Verzögerung, soviel Fasten an
Fleisch und Wem. Den Hochbe-
tagten vertrat der Sohn, den Un-
mündigen der Vormund. Öffent-
liche Wolfiäger waren schon von
Karl dem Grossen vom Kriegsdienst
dispensiert.
Die Last des Heerdienstes hatte
schon vor Karl viele Freie veran-
lasst, ihr freies Eigen an Kirchen
und weltliche Grossen zu tibertragen
und Vasallen Verhältnisse einzugehen,
um sich der Pflicht des Heerdienstes
zu entziehen. Karl trat einem sol-
chem Verfahren mit Entschiedenheit
entgegen und stellte mit Rücksicht
auf die Dienstpflicht das Lehengut
dem Eigengut gleich; nur zur Be-
friedigung berechtigter Interessen
stellte er zugleich fest, dass die
Grafen von ihren abhängigen Leu-
ten zwei zum Schutz der Familie
und zwei zur Wahrnehmung amt-
licher Geschäfte, Bischöfe und Abte
überhaupt nur zwei dispensieren
dürften; den Geistliehen war es
nach kirchlichen Gesetzen verboten,
Waffen zu tragen, weshalb sie auch
nicht in den Krieg ziehen sollten;
doch hat dieser Grundsatz nur
Mönchen und Priestern unbedingte
Anwendung gefunden; auch machten
die Abte davon wieder eine Aus-
nahme; sie sowohl als die Bischöfe-
zogen persönlich in deu Kampf und
waren mit ihren abhängigen Leuten
regelmässig im Heere anwesend.
Doch strebten die geistlichen Stif-
ter danach, sich wie von anderen
öffentlichen Leistungen, so auch von
der Heerespflicht durch Ausdehnung
der Immunität zu lösen. Wo dieses
nicht geschah, trat an Stelle des
Grafen, der die Dienstpflichtigen
seines Gaues dem Herrn zuzuführen
hatte, der Herr.
Das Heer gliederte sich nach den
verschiedenen Stämmen und Gauen.
Die Mannschaft seines Gaues führte
der Graf; den Oberbefehl hatte der
König oder einer seiner Söhne, das
königliche Banner war vou einein
angesehenen Mann, etwa einem
Grafen, getragen. Dem Kriegsheer
folgte ein bedeutendes Rüstwerk:
Wurfmaschinen, Gerät, Zelte, Pfahle,
Lagerwerkzeug, Lebensmittel und
was zu deren Herrichtuug erforder-
lich war, Mühlen, Kochgeschirr.
Dazu wurden Saumtiere und Wagen
in bedeutender Anzahl erfordert,
die letzteren von Ochsen gezogen.
Jeder Proviant wagen hatte 12 Schef-
fel Mehl oder 12 Mass Wein zu
enthalten und bei jedem sollten sich
die nötigen Wagen, Schild, Lanze,
Bogen und Köcner befinden. Zur
Lieferung solchen Kriegsbedarfs wa-
ren die abhängigen Landbesitzer,
die nicht selbst Heerfolge leisteten,
ausdrücklich verpflichtet, sei !es in
Naturalleistung, sei es in Geldzah-
lung. Für Brückengerät, Schifte
und Kähne, deren man bedurfte,
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Heerwesen.
373
hatte der Grat für seinen Amtsbe-
zirk zu sorgen. Nur ausnahmsweise
überwinterte das Heer. Feste Plätze
wurden von Karl in den neuuuter-
worfenen Provinzen, später haupt-
sächlich nur an den Grenzen an-
gelegt. Karls Nachfolger nahmen
as Recht in Anspruch, dass neue
Befestigungen ohne ihre Zustim-
mung nicht angelegt werden sollten.
Bei der Belagerung fester Plätze
benutzte man die schon im Alter-
tum gewöhnlichen Mittel der Zer-
störung oder Ersteigungder Mauern,
Schilduäeher, Widder, Wurfmaschi-
uen, Leitern, für deren Transport
der Marschalk zu sorgen hatte. Im
Seekrieg, sowohl gegen Griechen
und Araber im Mittelalter als gegen
die Dänen, waren die fränkischen
Flotten nicht glücklich.
Noch im 10.— 12. Jahrhundert
beriet der König in allgemeiner
Versammlung einen Kriegszug und
Hess Beschluss darüber fassen; die
feierliche Zusicherung wurde später
durch einen Eid gekräftigt, dass
der Dienstpflichtige wirklich die
Kriegshilfe leisten wolle, zu der er
verpflichtet war. Daneben aber be-
stand wie früher das königliche Auf-
gebot oder der Heerbann. Die regel-
mässige Jahresheerfahrt der frühe-
ren Periode, die sich an die Heer-
versammlung im März oder Mai
(März- und Maifeld) angeschlossen
hatte, kommt nicht mehr vor; ent-
weder ist ein Unternehmen, wie
namentlich die Züge nach Italien,
längere Zeit vorher ms Auge gefasst,
so zwar, dass noch in demselben
Jahre Beschluss und Ausführung
stattfanden, oder es wird plötzlich
ius Werk gerichtet. Das Aufgebot
eing nicht an die einzelnen, welche
Heerfolge leisteten, sondern an die
höheren Gewalten, welche Mann-
schaften führten und stellten, allge-
meine Landes not ausgenommen,
welche alles zu deu \\ äffen rief.
Der Dienst ist jetzt gänzlich ein
Reiterdienst geworden: man unter-
scheidet dabei leichtbewaffnete und
solche schwerer Rüstung; die letz-
teren hiessen die Gepanzerten, fori
cati, oder die Besch ildeten, clipeati,
daher heisst die kriegerische und
besonders die schwergerüstete Mann-
schaft eines Landes, Fürsten oder
Stiftes sein Heerschild, Jeder schwer-
gerüstete Ritter pflegte seit dem
11. Jahrhundert einen oder mehrere
berittene Begleiter zu haben, die
mit Schild und Schwert bewaffnet
waren und ausserdem ein kleines
Beil am Sattel trugen; der Schwer-
gerüstete aber zog mit Helm, Panzer
und Beinschienen, mit Speer oder
Lanze neben dem Schwert und mit
grossem Schilde in den Kampf; zu
dem Streitrosse, dessen er sich im
Kampfe bediente, kam ein beson-
deres für den Marsch; doch hinderte
die schwere Rüstung nicht, das Ross
zu verlassen, um Mauern zu stürmen
oder sonst den Kampf zu Fuss auf-
zunehmen.
Die Leistung des schwergerüste-
teu Rossedienstes setzte grösseren
Besitz und kriegerische Lebensweise
voraus. In dieser Lage befanden
sich Vasallen oder Ministerialen,
deren Verwendung im Kriegsdienst
den hauptsächlichen Grund zu ihrer
späteren rechtlichen und politischen
Stellung legte ; ihre Zahl war zwar
bedeutend geringer als das alte Auf-
gebot ; dafür gaben aber die bessere
Rüstung und Übung einen Ersatz.
Auf den grossen Gewalten, welche
die erforderliche Mannschaft zu
; stellen hatten, ruhte die Heeresord-
nung des Reichs, auf den Herzögen,
Grafen, Bischöfen, Äbten; auch die
letzteren zogen in eigener Person
zu Felde, sei es in priesterlichem
Gewände und Kreuz oder die heilige
Lanze vortragend, sei es kriegerisch
gerüstet, wenngleich die Kircne das
letztere verbot und dagegen eiferte.
Bei einem Aufgebote wurde nicht,
wie früher, unbestimmt die vor-
handene kriegerische Mannschaft in
Anspruch genommen, sondern es
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374
Heerwesen.
war ein Kontingent festgesetzt, die sieb nach der Grösse des Grand*
welches bei Abwesenheit des Fürsten besitzes abzustufen pflegte und von
grösser wurde, als wenn er selber der jeder Harnisch eine gewisse
mitzog; die Kontingente der gei*t- Summe Oeldes, ein oder mehrere
liehen Fürsten übertrafen diejenigen Pferde IL dgl. erhielt. Daraus ent-
der weltlichen um ein Bedeutendes; stand der Dienst aenen Sold, der
es hatten z. B. für einen Zug Ottos II. zuerst in Italien aufgekommen ist
nach Italien zu stellen: Mainz, Köln, und zu einer formliehen Erwerbs-
Strassburg, Augsburg je 100 Panzer- quelle für die Ritter wurde. Inner-
reiter; Trier, Salzburg, Regensburg halb der deutschen Grenze hat der
je 70; Verdun, Lüttich, Würzburg Solddienst zuerst in Lothringen
und die Abteien Fulda und Reichenau weitere Verbreitung erhalten, wo
je 60; Eichstädt, Lorsch und Weis- die Grossen des Landes in ihren
senburg 50; Konstanz, Chur, Worms. Kämpfen mit geworbenen, für Geld
Freising. Prüm, Hersfeld. Ellwangen gedungeneu Truppen, Söldnern,
40: Kempten 30; Speier, Toul. Sebeu, soNdarii, einander entgegentreten.
St. Gallen und Murbach 20; Cam- Diese Sitte griff bald um sich, und
brai 12; von Augsburg, Trier. Ver- Heinrich IV. verschmähte es nicht,
dun. Eichstädt. Chur, Worms, in Italien und Deutschland mit ge-
Reiclienau, Lorsch, Prüm. Ell wangen, worbenen Söldnerscharen gegen
Kempten und Murbaeh wurde die seine Feinde aufzutreten.
Anwesenheit der Kirchenhäupter Eine bestimmte Zeit für den
verlangt. Das Herzogtum Elsass Dienst war nur ausnahmsweise fest-
dagegen schickte 70, Niederloth- gesetzt. Regelmässig ist auch jetzt
ringen 20; je 40 stellen ein Herzog noch der König Führer des Heeres.
Otto und Cono, während andere Die einzelnen Abteilungen des Heeres
Grafen 30, 20, 12 und 10 zu stellen entsprachen den grossen Stamra-
haben: 10 ist die geringste Leistung, verbänden und standen unter den
die überhaupt verlangt wird. Als Herzögen: unter ihnen bilden die
Durchschnitt eines königlichen Scharen der Bischöfe, Abte und
Heeres werden ftir den Anfang des Grafen besondere Abteilungen von
12. Jahrhunderts 30 000 Ritter an- grösserem oder geringerem Umfang.
fegeben , mit Schildknappen und Feldzeichen waren die heilige Lanze,
Voss ungefähr 100 000 Mann, ein das Bild eines Engels, später der
Heer, das nur in seltenen Fällen Adler. Die Gegner Heinrich IV.
sich vollständig versammelte. Den führten ein grosses Kreuz auf einem
Fürsten stand es zu, diejenigen unter Wagen mit roter Fahne. Maneb-
ihren Vasallen auszuwählen, welche mal führte der König selbst das
den einzelnen Heerzug mitmachen Zeichen, sonst ein angesehener Mann,
sollten; ftir Befreiung vom Dienst, Jeder Heerhaufen hatte ein besou-
sei es ganz, sei es von einem Zuge, deres Banner.
wurde unter Umständen Geld be- Auswärtigen Feinden wurde der
zahlt. Wer der Aufforderung des Krieg förmlich angekündigt, plötz-
Lehnherrn, Dienst zu leisten, nicht lieber Überfall galt als unehrenhaft,
nachkam, hatte das Leben verwirkt; Wenn das Heer versammelt war.
die alte gesetzliche Busse, der Heer- bei den Römerzügen auf den Rou-
bann, war ausser Übung gekommen, kaiischen Feldern, fand vor der
Zur Entschädigung an die Heer- Schlacht eine Heerschau statt,
folge Leistenden erhob nunmehr Manchmal wurden Ort und Zeit zum
der Herr, und nicht wie früher der offenen Kampf im voraus gegen-
König, eine Abgabe oder Heer- seitie festgesetzt: denn die Schlacht
$ fetter von seinen Untergebenen, wurde wie ein Göttergericht ange-
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Heilige Bäume.
375
sehen, das über Recht und Unrecht
zu entscheiden hatte, und nicht als
Sache des Zufalls. Vor dem An-
griff sprach der König ermutigende
Worte zum Heer; die Krieger aber
verpflichteten sich eidlich zur Treue. |
An der gemeinsamen Losung er- 1
kannte man sich. Mit lautem
Schlachtruf, das Kyrie eleison
singend, nickten die Scharon ins
Gerecht. Mit jubelndem Zuruf und
ehrendem Namen wurde nach glück-
lichem Erfolge der Führer begrüsst.
Feinde heidnischen Glaubens wur- .
den meist mit schimpflichem Tode
belegt, ebenso die Bewohner er-
oberter Städte.
Der allmähliche Übergang der
kaiserlichen Staatsgewalt, das Auf-
kommen der Städte, der Zerfall des
Reiches in einzelne Reichsstände,
die Anwendung der Feuerwaffen
löste im 13. und 14. Jahrhundert
die alte Heerverfassung auf. Der
Kaiser als solcher unterhielt keine
Truppen; das Heer bestand aus den
Kontingenten der Reichsstände.
Immer mehr kam die Sitte auf, für
den Kriegsfall Söldnertruppen an-
zuwerben ; angeworbene Fusstruppen
nannte man Landsknechte, siehe die-
sen Artikel; die Reiterei warb man
aus Rittersleuten. Zu einem Reichs-
krieg gehörte ein Beschlusa des
Reichstages , die Kriegserklärung
geschah bloss vom Kaiser in seinem
Namen. Im 15. Jahrhundert kamen
die stehenden Heere auf, seitdem
Karl VII. von Frankreich fünf
Ordonanzkompagnien errichtete, die
auch im Frieden besoldet wurden.
Von Frankreich aus verbreitete sich
dieses Heersystem in die übrigen
europäischen Staaten, wobei die
Truppen anfangs durch freie Wer-
bung, spiiter durch Konskription
vollständig erhalten wurden. Siehe
Waitz, Verfassungsgesch.; für die
älteste Periode Arnold, deutsche
Urzeit Vergleiche den Artikel
Kriegswesen.
Heilige KU u nie, sogar heilige
Wälder waren mit dem Kultus der
alten Deutschen enge verknüpft.
Erstere waren die Tempel, der Ort
der regelmässigen Opfer, Volks- und
Gerichtsversammlungen, wie noch
heute mancherorts unter ihnen Messe
gelesen wird und altbemoosten Stim-
men heilige Bilder in Hut gegeben
werden. Wie das Leben der grie-
chischen Dryaden und Hainadryaden
aufs engste mit dein Leben des
Baumes, den sie bewohnten, ver-
knüpft ist, wie sie mit demselben
leben und sterben', ja jede Ver-
letzung mitempfinden und darum
mit wehvollem Ruf das frevelnde
Beil von ihm abhalten, so verkör-
perten sich bei den Deutschen be-
sonders einzelnstehende mächtige
Bäume in Menschen und Götter.
Solche Biiume durften weder ihrer
Zweige noch des Laubes beraubt,
noch viel weniger umgehauen wer-
den, und kein Profaner wagte es,
den heiligen Hain zu betreten, in
welchem begraben zu werden jedes
Sterbenden letzter Wunsch war.
Noch im 8. Jahrhundert Hess sich
ein schwerverwnndeter Sachse in
einen heiligen Wald tragen, um da
zu sterben.
Bei den Langobarden kommt die
Verehrung des sogenannten Blut-
bau ms vor.
Unter den heiligen Baumen (im
späteren Mittelalter sind sie gewöhn-
lich mit ,,Frau" angeredet) steht
obenan die Eiche. Sie als der mäch-
tigste Spros8 des deutschen Waldes
und bekannt durch die Anziehung,
die sie auf den Blitz ausübt, ist
in erster Linie dem rohen, derben,
titanenhaften Donar, auch Thu-
nar, nordisch Thor genannt, ge-
weiht. Sie hat auch heute auf
dem Gebiete des Aberglaubens ihre
Rolle noch nicht auegespielt Nächst
der Eiche war die Esche heilig, wie
schon der Mythus von der Erschaf-
fung des Menschen lehrt, dann die
Linde, noch jetzt in vielen Dörfern
am Eingange des Kirchhofs in ge-
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37(3
Heiligenverehrung.
mütvoller Sinnigkeit der einigende
Mittelpunkt, ferner „Frau Hasel",
die vielbesungene, die einst die alten
Gerichte wie noch heute die Saat-
fehler zu hegen hat. Nach Ost-
götalag soll in gemeinem Wald je-
der hauen dürfen, ohne Busse, ausser
Eichen und Haseln, die haben Friede,
d. h. sie können nicht gefällt wer-
den. Auch der Holunderbaum. der
„Holleru — vielleicht der Holle,
der Göttin des Hauses gewidmet —
genoss ausgezeichneter Verehrung,
wie er noch jetzt allgemein der Baum
des Hauses ist. Iii Niedersachsen
heisst er Ellorn oder Ellhorn, und
ein Chronist erzählt unverdächtig:
Also haben unsere Vorfahren den
Ellhorn auch heilig gehalten; wo sie
aber denselben unterhauen i die Aste
stutzen) mussten, haben sie vorher
pflegen dies Gebet zu thun: „Frau
Ellhorn, gieb mir was von deinem
Holz, dann will ich dir von meinem
auch was geben, wann es wächst
im Walde", welches teils mit ge-
beugten Kuieen, entblösstem Haupte
und gefaltenen Händen zu thun ge-
wohnt, so ich in meinen jungen
Jahren zum öftern beides gehört und
gesehen. — Der lf'ac/iolJer(M&c\mn-
delboom), in dem Elben und andere
Geister hausten, durfte ebensowenig
abgehauen werden. Haut man die
Erle, so blutet und weint sie und
hebt zu reden an. Ein österreichi-
sches Märchen (Ziska 37—42) er-
zählt von der stolzen Föhre, worin
eine Fee sitzt, welcher Zwerge die-
nen, die Unschuldige beschenkt,
Schuldige neckt, und ein serbisches
Lied vom Mädchen in der Fichte,
deren Rinde der Knabe mit golde-
nem und silbernem Horn spaltet.
Zaubersprüche bannen in Frau Fichte
das kalte Fieber. Grimm, Mytho-
logie. Simrock, Mythologie. Wuflkc,
Volksaberglaube.
Heiliireuverehrung. Schon in
den apostolischen Christengemeinden
pflegte man die Genieinaegenossen
als Glieder an dem Leibe des Herrn
nach alttestamentlichem Vorgange
Jlcili'/c zu nennen, Köm. 1, 7;
Eph. 1 , 1 : später wurde derselbe
Ausdruck Ehrenname für diejenigen
Christen, welche durch lebendigen
Glauben, musterhaften Wandel und
standhaftes Bekenntnis im Leben
und Sterben sich als Geheiligte des
Herrn hervorgethan hatten, und
schon in der zweiten Hälfte des
2. Jahrhunderts feierten ganze Ge-
meinden das Andenken ihrer Blut-
zeugen an deren Todcstagem welche
man in höherem Sinn ihre Geburts-
tage nannte. Der Ort, wo die Märtyrer
bestattet waren, galt demnach als
geweihte Stätte, wo man an den
dies natalis die Geschichten ihres
Bekenntnisses und Leidens vortrug
und gemeinsam die Kommunion be-
ging. Schon im 4. Jahrhundert ent-
stand neben den Gedächtuistagen
einzelner Märtyrer in ihren Gemein-
den und Sprengein ein allgemeines
Fest aller Heiligen und Märtyrer
in der Pfingstoktave; das Abend-
land, welches dieses Fest erst im
7. Jahrhundert einführte, verlegte
es auf den 1. November. Die Ver-
ehrung der Heiligen gewann Nah-
rung durch die grössere Betonung
des Wertes der Askese, und seit
dem 3. Jahrhundert durch das Ein-
siedlerleben und Mönclistum, wo-
durch einzelne in den Geruch höhe-
rer Begnadigung und vollendeter
Glaubenskrart kamen. Man erzählte
von den Wundern, welche derglei-
chen heilige Menschen während ih-
res Lebens und nach ihrem Tode
an ihren Gräbern und durch ihre
Reliquien gewirkt hätten; nach der
Versicherung der grössten Kirchen-
lehrer, Gregor, Augustiu, Ambro-
sius, Cliryso8tomu8, war man über-
zeugt, dass jene Männer und Frauen
der nöchsten Seligkeit im Anschauen
Gottes gemessen und am Gerichte
Christi teilnehmen, auch durch ihre
Mit- und Fürbitte mächtige Be-
schützer und trostreiche Vermittler
der Gläubigen, und deshalb anzu-
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Hciligenverehrung.
377
rufen und zu ehren seien. Nament- Sitte und Glaube geworden war,
lieh lehrte man, dass die Heiligen das suchten nun im 12. und den fol-
drängnissen mit Erfolg Fürbitte festzustellen,
thtw. Man erbaute daher Kapellen Man unterscheidet nunmehr Hei-
und Kirchen über ihren Gräbeni, lige oder Sanc/i, d. h. solche, die,
legte die Kranken darin nieder, wie ohne der Läuterung durch das Feg-
früher im Heiligtum des Äskulap, feuer zu bedürfen, unmittelbar mit
hing, wie früher, in den Götter- dem Tode in den Himmel kommen;
tempeln, goldene, silberne und andere Selige oder Beati, d. h. solche, die
Abbildungen der genesenen Glieder erst, nachdem sie einige Zeit im
als Weiligeschenke auf, feierte zu Purgatorium zugebracht haben, zur
Ehren der als Gäste geladenen ewigen Herrlichkeit eingehen. M»r-
Heiligen christliche Gastmähler, trug fyrer sind solche, welche um der
Reliquien als Amulette und andere göttlichen Wahrheit willen gewalt-
Erinnerungszeichen, flehte um ihren samen Tod leiden: Bekenner oder
Beistand zu einer beabsichtigten Confexsores, Beichtiqer, welche ein
Reise, stellte das Schiff unter ihre Bekenntnis der Wahrheit ablegteu,
Obhut. So entstanden die beson- ohne deshalb den Tod zu leiden,
deren Schutzheiligen für einzelne Eine besondere Heiligsprechung
Stände, Länder, Kirchen, Glocken, kennt die ältere Zeit nicht: hatte
Naturerscheinungen: Peter und Paul das Volk oder der Klerus einen
die Patrone Roms, Jakobus Spaniens, Märtyrer oder Mönch, wegen des
Andreas Griechenlands, Phokas für heiligen Lebens, das er geführt,
die Seefahrer, Lukas für die Maler, wegen der Wunder, die er oder
Johannes Evangelista und Augusti- seine Reliquien gethan haben soll-
uus für die Theologen , Ivo für die ten, für würdig erkannt, um ihn als
Fürsten, Gregorius für die Schüler einen Fürbitter bei Gott, ab einen
und Juristen, Frumentius für die Heiligen anzurufen, sich seinem
Kaufleute. Schutze anzuvertrauen und ihm zu
Zwar wirkten schon früh Au- Ehren einen Festtag zu feiern, so
gustin, Chrvsostomus u. a. der über- wurde von dem Bischöfe ein Fest-
triebenen Verehrung der Heiligen tag wirklich festgesetzt, dazu eine
entgegen, doch ohne nachhaltenden neue Liturgie verordnet oder der
Erfolg. Vielmehr vergrösserte sich Name des Heiligen in die frühere
die Zahl der Heiligen zusehends: Liturgie und zugleich in das Kalen-
ausser der heiligen Jungfrau traten darium oder MartyroloLium einge-
seit dem 4. Jahrhundert alle in den tragen. Die Liturgien oder Lila-
heiligen Schriften erwähnten Per- neien der Heiligen waren deshalb
souen, welche irgendwie für die in den verschiedenen Diözesen sehr
Wahrheit gelitten hatten, in die verschieden. Um dem Unfuge der
heilige Schar ein: die Apostel, die Erhebung unwürdiger Männer zu
Evangelisten, Stephanus, Johannes Heiligen zu steuern, verordnete Karl
der Täufer, die drei Magier, die , der Grosse, dass ohne Genehmigung
Makkabäer; dann Männer des geist- des Bischofs keine neuen Heiligen
lieben Standes der folgenden Jahr- verehrt werden sollten. Mehrere
hunderte, welche für Erhaltung der Jahrhunderte stand deshalb das
Rechtgläubigkeit gekämpft und ge- Recht der Heiligenernennung aus-
stritten hatten, Athanasius, Ambro- schliesslich den Bischöfen zu, die
sius , Augustin , Martin von Tours, entweder selbst Zeuge des Wunders
Was so nach und nach allgemein und des Lebens des Heiligen ge-
Jahrhunderteu die scho-
l Theologen systematisch
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378
Heiligenverehrung.
wcsen waren oder von anderen
glaubwürdigen Leuten sich Bericht
geben Hessen, manchmal unter Be-
ratung von Partikularsynoden oder
benachbarter Bischöfe und Erzbi- j
schöfe. Erst mit der Zeit wurde
die Genehmigung des Papstes in
dieser Angelegenheit eingeholt, be-
sonders von Luitolf von Augsburg,
der im Jahre 903 dem Papste Jo-
hann XV. und der bei ihm ver-
sammelten Synode die Heilig-
sprechung des ehemaligen Bischofs
Ulrich von Augsburg schriftlich be-
fürwortete. Nach und nach wurde
die Heiligsprechung ein ausschliess-
liches Vorrecht der Päpste; gewöhn-
lich wird Alexander III.. 115H bis
1191, für den ersten gehalten, der
diese Gewohnheit gesetzlich fixierte;
er ist es auch, der Bernhard von
Clairvaux heilig sprach. Auch fürst-
liche Personen wurden nun heilig-
cesnrochen. König Eduard von Eng-
land und Knut der Jüngere von
Dänemark durch denselben Alexan-
der III., Karl der Grosse von Ale-
xanders Gegenpapste Paschalis III.
auf Ansuchen des Kaisers Fried-
rieh L: Kaiser Heinrich II. von
Eugen III.; dessen Gemahlin Kuni-
gunde von Innocenz III.; die Land-
gräfin Elisabeth von Thüringen von
Gregor IX., König Ludwig IX. von
Frankreich von Bouifaz VIII. auf
Ansuchen Königs Philipp III. Be-
sonders sind es auch die Stifter von
Mönchsorden, welche jetzt in die
Zahl der Heiligen aufgenommen
werden. Dominikus, rranz von
Assisi, Antonius von Padua, Clara,
Katharina von Siena; dann ange-
sehene Kirchenlehrer, wie Thomas
von Aquino, Bonaventura, Ivo von
Chartres. Übrigens unterschied man
zwei Grade von Heiligsprechung,
die beatißcatio und die eanonisatio;
die erstere, Seligsprechung, begrün-
det nur eine Verenrung, die an ge-
wissen Orten, in einzelnen Provinzen
oder Diözesen oder unter einzelnen
Mönchsorden stattfindet, die cano-
nitath gilt der ganzen römischeu
Christenheit; beatm heisst, wer bea-
tifiziert , sanetu*, wer kanonisiert
worden ist.
Die christliche Kunst des Mittel-
alters hat den Heiligen ihre bescn-
dern Attribute zugeteilt, welche bio-
graphisch oder symbolisch zu deuten
sincl. Das folgende Verzeichnis der
beliebtesten kirchenheiligen stützt
sich auf Otte, kirchliche Arch., S.
923—950 und auf Mütter u. Math**,
arch. Wörterb. Das beigefügte Da-
tum giebt das Fest der Heiligen, als
welches in der Regel der Todes-
tag gilt.
Adalbert, Bischof vonPrag : Lanze
und Keule. 997. 24. April.
Adelaundh, Schutzheilige gegen
den Krebs. 662. 30. Jan.
Adelheid, zweite Gemahlin Otto I.,
als Kaiserin. 999. 16 17. Dez.
Adrian, vornehmer Römer des 3.
Jahrb., Schutzpatron der Krieger
des nördlichen Europa, auch der
Schmied«1 und Brauer und gegen
die Pest: Ritter mit Palmen lind
Schwert. 26. Aug.
Aegidius, ein Athener aus könig-
lichem Geschlecht, 6. oder 8. Jahrh.
vorzüglich in England und Sehott-
land verehrt: Einsiedler oder Abt,
eine angeschossene Hirschkuh neben
ihm. 1. Sept.
Afra, Märtyrerin, Fürsprecherin
reuiger Dirnen : an einen Baum ge-
bunaen und von Flammen umgeben.
304 oder 307. 25. (7.) August.
Agatha, Märtyrerin. Schutzheilige
gegen Krankheiten der Brüste und
gegen Feuersgefahr: mit der Zange
(womit ihr che Brüste abgerissen
wurden) in dem Kohlenbecken. 251.
5. Febr.
Aqnes, Märtyrerin, das Sinnbild
der deckenlosen Unschuld : mit dem
Lamme, als dessen Braut sie sich
betrachtete, um 300. 21. Jan.
Albanus , 425 von den Hunnen
auf dem Martinsberg bei Mainz ent-
hauptet: als Priester mit dem Schwert,
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Heiligenverehrung.
879
trögt seinen
Kopf in der Hand.
iT) und der Bettlerglocke, vom
21. Juni. Teufel versucht, ein Schwein neben
Albertus Magnus, Bischof von sich. 361. 17. Jan.
Regensburg, Dominikaner, mit Buch Antonius von Padua, Franzis-
una Feder in der Hand. 1280. kaner, Patron der Fische, Pferde
seit seiner Beatification 1 622 : 1 5. Xo v. und Esel : Lilienstengel, das Christus»
Atexnnder. Unter den mehr als kind haltend, den Fischen predigend,
30 Heiligen dieses Namens wird einem knieenden Esel oder Pferde
der Patron von Freiburg i. B.. ein die Hostie vorhaltend. 1232. 13. Juni.
Kriegsmann der thebaischen Legion, Apollinaris, Schüler des Apostels
mit dem Opferaltar zur Seite dar- Paulus. Bischof von Ravenna, Patron
gestellt, den er in Gegenwart des der Geburt und ge^en den Stein:
Kaisers umgestossen. 26. Aug. , eine Keule. 23. Juli.
Alexius, siehe den besonderen Apollonia, Märtyrerin: Palme und
Artikel: Bettler mit Pilgerstab neben glühende Zange, womit man ihr die
einer Kirche. 417. 17. Juli. Ziihne ausriss, Patronin gegen den
Afoisius, als Jesuit, mit Lilie, Zahnschmerz. 9. Febr.
Kruzifix und Rosenkranz in den Arbogast, Bischof von Strassburg,
Händen. 1591. 21. Juni. rief den auf der Jagd zertretenen
Amalberga, Prinzessin, Mutter fränkischen Königssohn ins Leben
der hl. Gudula, 7. Jahrh.: ein zurück: Einsiedler mit segnender
Kirehenmodell und zwei Fische im
Arm. 10. Juli.
Ambrosius, Erzbischof von Mai-
land, Kirchenlehrer, Patron der
Gänse: mit einem Bienenkorb zur
Seite und einer Geisel in der rechten
Rechte, die Linke hebt den am
Jagdhorn kenntlichen Königssohn
empor. 678. 21. Juli.
Athanasius, Kirchenlehrer, Patron
der Theologen: hält ein Buch oder
ein von einem oder zwei Pfeilen
Rom:
Hand. 397. 4. April; sein Andenken, durchbohrtes Herz. 430. 2H. Aug.
Barbara. Märtyrerin um 240 oder
303: mit dem Schwert, den Hostien -
kelch in der Hand, weil ihr ein
Engel das Sakrament in den Kerker
brachte, einen Gefängnisturm neben
sich. Patronin gegen Blitz, weil
der sie verdammende Richter vom
Blitz erschlagen wurde, daher auch
der Artillerie; ihr Bild steht an
Ordinatio, 7. Dez.
Andreas, siehe Apostel.
Anastasius, Bischof von
eine Axt. 401. 27. April.
Anna, Mutter der Maria und
Tochter des Priesters Matthan, ver-
heiratete sich mit dem frommen
Joachim aus dem Stamm Juda.
Siehe den Art. Marienkultus. Sie
ist Schutzpatronin der Tischler und Zeughäusern und Pulverkammern.
Stallknechte, auch gegen Armut, 4. Dez.
zum Wiederfinden verlorener Sachen. Beatus, durch Petrus zum Priester
Dargestellt wird sie matronenhaft, gemacht, Einsiedler am Thuner See:
in rotem Unterkleid und grünem in einer Höhle als Einsiedler, neben
Mantel, die Maria auf dem Arme ihm ein Drache,
tragend, häufig selbdritt {metter ria), Benedikt von Nursia, Stifter des
indem Maria selber das Christus- nach ihm genannten Ordens, Patron
kind trügt. 26. Juli. gegen Entzündung, die Rose und
Ansgarius, Erzbischof von Harn- das Gift. Abgebildet als Ordens-
burg, Apostel der Dänen: Bischof mann, langbärtig, oft als Abt; ausser-
mit verbrämtem Kleid. 864. 3. Febr. dem mit Buch, Weihwedel, Dorn-
Antonim der Einsiedler, Patron busch,oder, als Andeutung der gegen
der Schweine, gegen Pest, Rose u. ihn gerichteten Vergiftungsversuche,
dgl: mit dem ägyptischen Kreuz mit einem Krug oder Becher mit
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380 Hciligeuverehruug.
Wein oder einem Raben mit einem Burkhard, Bisehof von Würz-
Brot im Sehnabel. 543. 21. Marz, bin;*: Hostie in der Hand. 753.
Bernhard, von Clairveaux, Cister- SS, Febr.
zienser-Abt und Kirchenlehrer, ab- Cacilia, siehe den bes. Artikel,
gebildet als Abt, den Bienkorb zur 220. 22. Xov.
Seite \Doctor mcllißuns). ein Buch Cassia/tus, Märtyrer, der vou
mit drei Bischofsmützen in der Hand seinen eigenen Schulkindern mit
(weil er drei Bistümer ausschlug), Schulwerkzeugen gemartet worden
einen Hund neben sich (weil seine sein soll. 13. Aug.
sehwangere Mutter träumte, sie trage Cassius, Ritter der Thebaisehen
einen Hund mit rotem Rücken i. 1153. Legion: tritt auf einen Drachen.
20. Aug. 10. Okt.
Bemhardinus von Siena. Stifter Castor, Sehüler des heil. Maxi-
des Ordens der Observantiner. einer mus von Trier, 4. Jahrh. rettet ein
Kongegration der Franziskaner: sinkendes Schiff. 13. Febr.
barfüs8igerFranziskanermönch,bart- Christophorus. siehe den bes.
los, hager, in der Hand eine Tafel Artikel. 25. Juli,
mit den von goldenen Strahlen um- Clara, Stifterin des Clarissen-
gebenen Buchstaben I H S. oder Ordens, Patronin der Augen.- mit
einem in drei Spitzen auslaufenden einer Monstranz. 1253. 12. Aug.
Berg isog. Dreiberg, monte di pietaj Stifter von Bobbio: eine
mit Kreuz oder eine Fahne, auf hellstrahlende Sonne über seinem
der der tote Heiland abgebildet. Haupte i einem Traume seiner Mutter
1444. 20. Mai. zufolge). 615. 21. Xov.
Benitcard, Bischof und Patron Consta ntin d. Gr.: Labarorum und
von Hildesheim, halt das sog. Bern- Reichsapfel. 337. 21. Mai.
wardskreuz. 1022. 20. Nov. Corhinianus, Bischof von Freisiug:
Birgitta oder Brigitta, siehe den ein Bär, den er gezwungen, sein
Art. ßirgittenorden. trägt in der Reisebündel nach Rom zu tragen.
Hand ein mit einem Kreuze be- 730. 8. Sept.
zeiehnetes Herz. 1373. 8. Okt. Cosmas und Damianus Brüder,
Blasius, Märtyrer, Bischof von Patrone der Ärzte. Märtyrer, 3. oder
Sebasta, Patron der Wollenweber 4. Jahrb.: Arzneigläser und chirur-
und gegen Halsübel: mit einer gische Instrumente tragend. 27. Sept.
Hechel oder einer Kerze (die ihm Crispinus und Crispinianus. Mär-
eine, für die Wiedererlangung eines tvrer, mussten als Missionare in
Schweines dankbare Frau in den (Pallien ihren Unterhalt mit Schuh-
Kerker brachte). 283. 3. Febr. machen erwerben, Patrone der
Bonifarius, Apostel des Deut- Schuster und Weber: Sehuhmacher-
schen: ein mit einem Schwerte durch- gerät. 303. 25. Okt.
stochenes Buch. 750. 5. Juni. Cnnibert. erster Erzbischof von
Briccius, um 400 Bischof von Köln: als Bischof mit einer Taube
Tours, trägt zum Beweise seiner über ihm. 663. 12. Nov.
Unschuld an der Niederkunft seiner Dionysius der Areopaeit, Schüler
Wäscherin glühende Kohlen im Ge- des Apostels Paulus, Bischof zu
wände. 13, Nov. Athen: trägt als Märtyrer sein ab-
Bruno, Mitglieder des Kartäuser- geschlagenes Haupt in der Hand,
ordens : mit über die Brust gekreuz- 3. Okt. Er wird oft mit Dionysius,
ten Arm, das Haupt gesenkt, auch dem Bischof von Paris, dem Schutz-
mit Kruzifix, Stern auf der Brust, patron von Frankreich verwechselt,
Erdkugel unter dem Fuss. 1101. dessen Tag der 9. Oktober ist.
6. Okt. Distnas, der bußfertige Schächer
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381
am Kreuze zur Rechten Jesu, Patron
der zum Tode verurteilten Ver-
brecher; sein Tag fällt mit dem
Feste des Leidens Christi, 25. März,
zusammen.
Dominieus, Stifter des nach ihm
benannten Ordens: zufolge eines
Traumes seiner Mutter mit einem
neben ihn befindlichen weiss und
schwarz gedeckten Hunde darge-
stellt, der eine Fackel im Maule
trägt. 1221. 6. Aug.
Donatus, Bischof von Arezzo,
Märtyrer: mit dem Schwert, zu-
weilen ein mit Lichtern bestecktes
Rad in der Hand haltend. 350.
7. Aug.
Dorothea, Märtyrerin unter Dio-
kletian: trägt Blumen, Rosen und
Früchte. 6. Febr.
Elisabeth i Gemahlin des Land-
grafen Ludwig des Frommen von
Thüringen: Franziskanernonne mit
drei Kronen ( als Jungfrau, Gemahlin
und Wittwe); trägt Brote in einem
Korbe und einen Krug mit Wein
für die Armen. 1231. 19. Nov.
Emmeran, Bischof von Poitiers,
Missionar in Bayern, Bischof von
Freising: Bischof mit Leiter und
Lanze. 654. 22. Sept.
Erasmus, Bischof unter Diokle-
tian, Patron des Unterleibes und
der Fuhrleute: eine Winde in der
Hand, womit ihm die Gedärme aus
dem Leibe gewunden wurden. 3. Juni.
Eustachius, römischer Feldherr,
vor seiner Bekehrung Placidus ge-
nannt, Märtvrer, Patron der Jäger:
als Ritter, hält ein Hirschgeweih,
oder es steht ein Hirsch neben ihm
(weil er durch den Anblick eines
weissen Hirsches, der ein Kruzifix
zwischen den Hörnern trug, auf der
Jagd bekehrt wurde). Starb um 119.
21. Mai.
Etcald, die beiden Brüder, Mis-
sionare und Märtyrer in Westfalen,
als der schwarze und der weisse
unterschieden, dargestellt als Priester
mit Schwertern. 695. 30. (3.) Okt.
Exuperantius, Diakonus zu Assisi,
Märtyrer, Gefährte der heiligen Ge-
schwister Felis und Regula, trägt
sein Haupt in der HandT 30. Dez.
Fabian, Papst und Märtvrer:
mit dem Schwerte. 253. 20. Jan.
Felicitas, Märtyrin zusamt ihren
Söhnen, die sieben Brüder genannt :
Matrone mit Palme und Kreuz-
seepter. 160. 23. Nov. Der Tag der
sieben Brüder ist der 10. Juli.
Felix und Regula, Geschwister,
der Bruder Ritter der thebaischen
Legion, beide tragen ihr abgeschlage-
nes Haupt, Patrone von Zürich.
11. SeDt
J'iaes, eine Jungfrau, welche
zu Athen den Märtyrertod litt. 6. Okt.
Florentius, kam aus Schottland
nach dem Elsass, starb 675 als
Bischof von Strassburg: von Wild
umgeben, wobei ein Bär die Schafe
hütet, oder eine Königstochter hei-
lend. 7. Nov.
Florian, Ritter um 300, schüttet
aus einem Gefässe Wasser ins Feuer
(weil ersieh erboten, freiwillig durchs
Feuer zu gehen), wurde zu Lorch
in der Enns ertränkt, Patron von
Österreich und Polen, auch gegen
Feuersbrüuste und Unfruchtbarkeit.
4. Mai.
Franciseus von Assisi: Francis-
kauermönch, einen Lilienstengel in
der Hand und mit den fünf Wund-
malen Christi bezeichnet. 1226.
4. Okt.
Fridolin, Patron von Säckingen,
Strassburg und Glarus: erweckt
einen Toten. 540. 6. März.
Gallus: Eremit, den Bären zur
Seite. 640. 16. Okt.
Ganaolf, ein burguudischer Rit-
ter, besonders in den Niederlanden
beliebt: steht au einer Quelle, bei
der ihn ein mit seiner Frau im Ehe-
bruche betroffener Priester mit einem
Wurfspiess hinterrücks tötet, um
760. 6. Okt.
Gebhard von Bregenz, Bischof
von Constanz, trägt ein Kirchen-
modell. 983. 27. Aug.
Die vier Gekrönten, Steinmetzen
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382
Heiligenverehruug.
in Paimonien, über dereu Flutengrabe
Kronen erschienen, Patrone der
Bauhütten. Sie heissen Severus,
Scverianus, Ca rjtophorus und Victo-
rin us. 8. Nov.
Genovefa, Nonne zu Paris um
500, Patronin gegen Dürre: hält ein
Licht in der Hand (weil sie die
vom Teufel ausgelöschten Kerzen
in der Vigilie ohne Feuer wieder
anzündete). 3. Jan.
Genovefa von Brabant, siehe den
bes. Artikel; dargestellt mit der
Hirschkuh. 28. Okt.
Georg, Patron der Kitter, der
Reisenden, von Deutschland: Ritter
zu Pferde oder zu Fuss, den Lind-
wurm tötend, siehe den bes. Artikel.
23. April.
Gereon, Ritter der thebaischen
Legion, entrann dem Untergange
der Legion und fand später bei
Köln mit seiner hl. Schaar von 318
Gefährten den Märtyrertod. Patron
von Köln. 10. Okt.
Gertrud, Tochter Pipin's von
Landen, Äbtissin des Klosters Ni-
vellas, Beschützerin der Reisenden,
der Armen, der Gräber, gegen Rat-
ten und Mäuse: hält eine Lilie in
der Hand, steht von Ratten und
Mäusen umgeben am Wasser. 659.
17. März.
Gervasius und Protasius, Brüder
und Märtyrer, Patrone von Mailand :
Gervasius mit Keule oder Hammer.
19. Juni.
Goar, Priester und Eremit zu
Trier um 580, Patron der Töpfer:
drei Hindinnen geben ihm Milch,
womit er die ihn Gefangennehmen-
den tränkte; ein Teufel sitzt auf
seiner Schulter, hält einen Topf in
seiner Hand, sein Hut hängt an
einem Sonnenstrahl. 6. Juli.
Godehard, Bischof von Hildes-
heim: Kirchenmodell. 1038. 5. Mai.
Gottfried von Kappenberg, Rit-
ter, dann Prämonstratenser Mönch,
Gefahrte des heil. Norbert: trägt
eine Schüssel mit Broten oder ein
Kirchenmodell. 1127. 13. Jan.
Gregor der Grosse, Papst und
Kirchenlehrer: eine Taube auf der
Schulter. Im Spätmittelalter wurde
namentlich in Miniaturen und Holz-
schnitten die Messe Gregors darge-
stellt, eine Vision, wie Gregor als
Bischof der Kirche Porta Crucis in
Rom, umgeben von Geistlichen, die
Messe liest; da einer der Zuhörer
an der Gegenwart Christi zweifelt,
senkt sich der Gekreuzigte, umgeben
von den Passionswerkzeugen, auf
den Altar herab. Mit der Verehrung
dieser Bilder war ein Ablass ver-
knüpft. 604. 12. März.
Gudula, Jungfrau aus Brabant.
Tochter der heil. Amalberga, Patro-
nin von Brüssel: eine Lanze in der
Hand. 8. Jan.
Beding, Gemahlin Herzogs Hein-
rich des Bärtigen von Schlesien:
Nonne, barfuss, ihre Schuhe in der
Hand tragend. 1243. 15. Okt.
Heinrich IL römischer Kaiser:
ein Kirchenmodell haltend. 1024.
13. Juli.
Helena, Königin, Mutter Kon-
stantin des Grossen: trägt das Kreuz
Christi und die Nägel. 18. Aug.
Hieronymus, Kirchenlehrer: als
Kirchenvater in Kardinalstracht,
oder als Übersetzer und Kommen-
tator der heil. Schrift, bisweilen ein
Engel neben ihm. der ilun diktiert,
und sein treuer Gefährte, der Löwe;
oder als büssender Einsiedler. 420.
30. Sept.
Hitdeqard von Frankreich, Ge-
mahlin Kurl- des Grossen, Patronin
der Kranken: als Königin. 783.
22. Juli.
Hubertus, Bischof von Lüttich,
Patron der Jager und gegen Hunds-
wut: hält als Jäger zwei Pfeile,
neben ihm ein Hirsch, der zwischen
dem Geweih ein Kruzifix trägt, durch
dessen Anblick er auf der Jagd be-
kehrt wurde. 727. 3. Nov.
Huacinthus, Dominikaner und
Bischof, Apostel der Polen und
Litthauer: trägt heilige Geräte und
geht auf dem Wasser. 1257. 15. Aug.
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Heiligenverehruiig.
383
Ignatius, Bischof von Antiochia,
unter Trajan in Fesseln nach Rom
geführt und den Löwen vorgewor-
fen. 107. 1. Febr.
JtHtchim. Vater der Maria: trägt
in einem Korb ein Paar Tauben
oder ein Lamm. Sein Fest ist das
der heil. Anna.
Johannes Chrt/sostomus, Kirchen-
lehrer, Patron gegen fallende Sucht:
ein Bienenkorb. 407. 27. Jan.
Johannes der laufet', Patron der
Lämmer uud Schneider, gegen Hagel
und Epilepsie: im Gewände aus
Tierfellen, trägt das Lamm Gottes
und ein Kreuzpanier. Empfängnis
24. St-pt.; Geburt 24. Juni, Mit-
ßommer, Sommersonnenwende; Ent-
hauptung 29. Aug.
Josejth, der Nährvater Jesu, trägt
einen Lilienstab, arbeitet als Zim-
mermann. 19. März.
11000 Jungfrauen, siehe Ursula.
Karl der Grotte: als Kaiser, eine
Kirche im Arm. 814. 28. Jan.
Katharina von Alexandrien, Prin-
zessin, disputiert mit 50 Philosophen,
verlobt sich mit dem Christkind,
enthauptet: mit einem zerbrochenen,
mit Messern besetzten Kade oder
mit dem Schwert; Patronin der
Philosphie und der Schulen. 25. Nov.
Kilian, Bischof von Würzburg,
Apostel der Franken: mit Schwert
und Dolch. 689. 8. Juli.
Konrad, Bischof von Konstanz,
Patron von Schwaben: Kelch uud
Buch. 976. 26. Nov.
Kümmerniss , oder Wilgefortis
wird das Bild einer bärtigen, ge-
kreuzigten Jungfrau genannt, welche
mit einer heilv Era identisch zu
sein scheint. Öfter sind Kruzifixe
des älteren, später befremdlich ge-
wordenen Typus (mit bekleidetem
Körper des jugendlichen Christus
ohne Seitenwunde und Dornen-
krone) als Bilder dieser mythischen
Heiligen angesehen worden. Siehe
den Artikel oei Müller und Molhes.
Kunigunde, Gemahlin Kaiser
Heinrichs II. hält eine Pflugschar,
weil sie zum Beweise ihrer Keusch-
heit unverletzt über glühende Pflug-
schare ging. 1033. 3. März.
Lamfjertus, Bischof von Maest-
richt: Wurfspiesse. 708. 17. Sept.
Laurentius, Märtyrer. Patron
gegen Feuersbrünste:' der Kost, auf
dem er gebraten worden. 258. 10. Aug.
Leodegar, Bischof von Antun:
den Bohrer in der Hand (womit
ihm die Augen ausgestochen wur-
den). 678. 2. Okt.
Leonhard . Eremit bei Limoges,
Patron der Kreissenden: mit einer
Kette um den Leib (weil er die
schuldlos Gefangenen befreite I.
6. Nov.
Leopold IV.. Markgraf von Öster-
reich: mit Kirchenmodell. 1136.
15. Nov.
Liborius, Bischof von Maus um
340: hält ein Buch, worauf einige
Steinchen liegen; daneben ein
Pfau. Patron gegen Steinschmerzeu.
13. Juli.
Longin us, der Hauptmann unter
dem Kreuze Jesu: in Kitterrüstung,
einen Drachen tötend. 15. März.
Lucia, Märtyrerin von Svracus,
Patronin der Augen und der Bauern :
trägt in eiuer Schale oder auf einem
Buche ihre ausgestocheneu Augen,
am Halse eine mit eineui Schwerte
beigebrachte Schnittwunde. 13. Dez.
Lucius, König von Britannien,
der dem Thron entsagte und in
Oberdeutschlaud i Chur) als Missionar
auftrat: Kitter mit königlichen In-
signien, ein Schwert haltend. 3. Dez.
Ludger, Bischof von Münster,
Apostel der Sachseu: liest im Brevier.
809. 26. März.
Magdalena, mit einer Salbbüchse,
zuweilen in ihr langes Haupthaar
fehüllt, kniet unter dem Kreuze
esu, häufig kenntlich an ihrem
weit ausgeschnittenen Kleid, Patro-
nin der Büsseriunen. 29. Juli; Be-
kehrung 1. April.
Magnus, Schüler des heil. Gal-
lus, Stifter des Klosters Füssen,
eifriger Vertilger des Heidentums
■
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384
Heiligenverchrung.
und der reisseudeu Tiere, Patron
gegen Raunen und Engerlinge.
Tötet mit dein Kreuze einen Dra-
chen. 655. 6. S»pt.
Marcellus, Papst, ursprünglich
Stallknecht: ein Esel an einer Krippe
neben ihm. 310. 16. Jan.
Margaretha , Tochter de«* Sara-
ceuen Theodosius, Patronin der Ge-
bärenden, Musterbild weiblicher Un-
schuld und Anmut, denn Lebende
im 11. Jahrh. durch Kreuzfahrer
nach Europa gekommen; sie führt
einen gefesselten Drachen und hält
oft Stab, Kreuz und Schwert in der
Hand. 12. Juli.
Margaretha von Ungarn, Domini-
kanerin, hält in der Rechten einen
Marienstengel mit drei Blüten. 1271.
Js. Jan.
Marti, t, Bischof von Tours, häufig
als Ritter zu Pferde, teilt seinen
Mantel mit dem Sehweite einem
vor ihm liegenden Annen, segnet
drei in Leichentüchern auf Gräbern
Sitzende. Er ist Patron der Trinker
und Prasser und gegen die Pocken.
Um 400. 11. Nov.
Jtfärtyrinnen , die vier grossen,
sind Lucia, Agnes, Agatha und
Cäcilia.
Maternus, Bischof von Trier,
einer der 72 Jünger oder der von
Christo auferweckte Jüngling zu
Nain, Missionär am Rhein. Patron
des Weinbaus. Weil am Rhein
drei Erzstifte entstanden (Köln,
Trier und Utrecht), hält er eine
Kirche mit drei Türmen oder trägt
drei Bischofsmützen. 14. Sept.
Mauritius, ein Mohr, Ritter, eine
Fahne in der Hand, Anführer der
thebaischen Legion, welche, aus
6666 Christen bestehend, weil sie
den römischen Göttern nicht opfern
wollte, bei Agaunum am Genfer
See den Märtyrertod litt, wobei sich
nur wenige retteten. Er ist Patron
gegen das Podagra. 22. Sept.
Medard us, Bischof von Noyon,
teilt Almosen aus, drückt seine
Fussstapfen in einen Stein, ein Adler
schützt ihn vor dem Regen. Um
545. 8. Juni.
yieofans, Bischof von Myra,
Patron der Schiffer und Kanfleute,
hält ein Buch mit 6 Broten (weil
er Myra vor Hungersnot bewahrte),
stillt zu Schiffe Wind und Meer.
6. Dez.
Sortiert, Stifter des Prämon-
stratenser Ordens, Erzbisehof von
Magdeburg, hält einen Kelch, an
dem oft eine Spinne kriecht, die er
im Abendmahlswein verschluckt und
ohne Schaden wieder ausgeniest
hatte. 1134. 6. Mai.
Sothuraa, eine nicht genau fest-
gestellte Persönlichkeit, vielleicht
Verschmelzung mehrerer Personen;
eine schottische Königstochter des
9. Jahrh., die an den Rhein ver-
trieben wurde, ist Patronin der Ge-
bärenden. 26 Jan.
SotheljW, die vierzehn, haben
vor ihrem Märtyrertod Gott gebeten,
allen Frommen, die in ihrem Na-
men etwas bitten, das Gebet zu er-
hören. Sic heissen Georg, Eras-
mus, Pantaleon, Dionysius. Acha-
tius , Katharina , Blasius , Vitus,
Christoph, Cyriaeus, Eustachius,
Margaretha und Barbara. 28. Juli.
Oswald, König von England,
trägt einen Raben, der einen Ring
im Schnabel hält 642. 5. Aug.
Ottmar, Abt von St. Gallen:
trägt ein Fässlein mit Wein, das
den seinen Leichnam begleitenden
Schiffsleutcn nie leer wurde. 750.
16. Nov.
Ottitia, Tochter des Alainannen-
herzogs Ethico, Äbtissin von Hohen-
burg, blind geboren, bei der Taufe
durch das Gebet ihres bischöflichen
Taufpaten sehend geworden: trägt
ein aufgeschlagenes Buch, auf des-
sen Blättern zwei Augen zu sehen
sind. Patronin gegen Augenkrank-
heiten. 720. 13. Dez.
Otto, Bischof von Bamberg,
Apostel der Pommern: trägt Pfeile,
die er zu Nägeln umschmiedet und
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Heiligenverehrung.
385
1139.
zum Kirchenbau verwendet.
2. Juli.
PancraHus, als Knabe von 13
Jahren Märtyrer geworden: Schwert.
12. Mai.
Pantaleon, Arzt und Märtyrer:
an einen Baum gebunden, an den
die Hände über dem Kopfe des
Heiligen mit einem Nagel geheftet
sind. 28. Juli.
Patroklus, Märtyrer: Ritter, auf
einen Fisch deutend, der eine Perle
im Munde trägt. 9. Dez.
Pelagius, starb 13 Jahre alt den
Märtyrertod: die Zange. 27. Aug.
Quirinus, Bischof von Siscia in
Illvrien und Märtyrer, Patron gegen
Gicht: ein Mühlstein ist ihm an aen
Hals gebunden und er ins Wasser ■
gestürzt, wobei er nicht untersinkt.
4. Juni.
Radegundis, Königin von Frank-
reich, später Äbtissin von St. Croix
bei Poitiers: als Nonne, die Königs« j
kröne zu Füssen. 587. 13. Aug.
Regina, Märtyrerin : sie wird ge-
tröstet durch ein am Himmel er-
scheinendes goldenes Kreuz, auf
welchem eine Taube sitzt.
Reinhold, Mönch zu Köln, Patron
der Steinmetzen: mit einem Ham-
mer in der Hand (womit ihm die
neidischen Bauleute den Kopf ein-
sehlugen), oder als Ritter mit Hacke
und Schwert. 12. Jan.
Remigius, Bischof von Rheims:
eine Taube mit dem Salbölfläsch-
chen über ihm. Um 533. 1. Okt.
Rochus, als Pilger, am linken
Schenkel eine Pestbeule, einen Hund
neben sich , Pestkranke heilend.
1327. 16. Aug.
Ru verfug, Bischof von Salzburg:
einen Salzkübel in der Hand. 718.
27. März.
Die sieben Schläfer: Maximi-
anus (mit Knotenstock) Malchus
und Martinianus (mit Beilen), Dio-
nysius (mit einem Nagel), Johannes
(mit Keule), Serapion (mit Fackel)
und Konstantinus (mit Keule) wur-
den auf Befehl des Decius in einer
Reallexieon der deutschen Altertümer.
Höhle bei Ephesus lebendig ein-
gemauert und schliefen daselbst
196 Jahre. Sie schliefen ein am
27. Juni oder Juli und erwachten
am 11. Aug.
Scholastica, Schwester des heil.
Benedikt : ihre Seele fliegt als Taube
gen Himmel. 10. Febr.
Sebald, ein 'seit 1072 auftauchen-
der Nürnberger Lokalheiliger, soll
ein dänischer Königssohn gewesen
sein, welcher als Einsiedler in einem
Walde bei Nürnberg lebte und in
Franken das Christentum verkün-
digte. Abgebildet als Eremit, die
Och sen als weisende Tiere neben
sich. 19. Aug.
Sebastian, Patron der Schützen
und gegen die Pest, leidet nackt,
an einen Baum oder Pfahl gebun-
den, von vielen Pfeilen durchbohrt
den Märtyrertod. 20. Jan.
Servatius, Bischof von Maestrich t,
4. Jahrh., Patron für gutes Gelingen:
ein Adler weht ihm Luft zu, wäh-
rend er in der Sonnenhitze schläft;
hält einen Schlüssel in der Hand.
13. Mai.
Severin us, Eremit in Österreich,
Patron der Leineweber: als Abt
oder Bischof, dem Volke predigend.
Um 482. 5. oder 8. Jan.
Sigismund, christlicher König des
noch neidnischen Landes Burgund:
Schwert in der Hand. Patron der
Fieberkranken. I. Mai.
Sixtus II., Papst und Märtyrer:
Almosenbeutel oder Schwert. 6. Aug.
Stanislaus, Bischof von Krakau:
mit dem Schwert, öfter von einem
durch ihn erweckten Toten begleitet.
1079. 8. Mai.
Stevhanus, Protomartyr, Patron
der Pferde: Martyrpalme, Steine
vor sich tragend. 26. Dez.
Sylvester, Papst: einen Ochsen
neben sich (den er, nachdem ihn
ein Jude durch Zauberei getötet,
wieder ledendig gemacht hatte). 985.
31. Dez.
Thebaische Legion, siehe Mau-
ritius.
25
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380
Heilige Tiere.
Therla, Märtyrerin, von wilden
Tieren umgeben. 23. Sept.
Theohaid, wurde aus Demut
Schuhflicker und Lastträger: trägt
Schuhmachergerät. 1150. 29. Jan.
Theodor: Heilige dieses Namens
giebt es über 20.
Thomas Aquinas, Kirchenlehrer:
trägt einen Kelch, der heil. Geist
als Taube schwebt an seinem Ohre
oder sitzt auf einem von dem Hei-
ligen gehaltenen Lilienstengel. 1274.
7. März.
Thomas \Becket) Cantuariensis,
Erzbischof von Canterbury: in sei-
nem Haupte steckt ein Schwert.
1170. 29. Dez.
Timotheus, Schüler des Apostel
Paulus, Bischof von Ephesus: Keule
und Steine. 24. Jan.
11 rieh, Bischof von Augsburg:
hält einen Fisch in der Hand (weil
er in deu Fasten Fleisch in Fisch
verwandeltet. 973. 4. Juli.
Urban /., Papst: mit dem Schwert.
230. 25. Mai.
Ursula, eine britische Königs-
tochter: mit dem Pfeile. Von ihrem
himmlischen Bräutigam Aetherius
geleitet, ist .sie die Führerin der
11000 Jungfrauen, mit denen sie zu
Schiffe nach Gallien, sodann den
Rhein hinauf über Köln nach Basel
und nun zu Fusse nach Italien zog,
wo sie vom Papst Cyriacus mit
ihren Gefährten nach Deutschland
zurückbegleitet wurde ; in Köln ge-
riet das Schiff in die Gewalt aer
Hunnen, und alle fielen als Mär-
tyrer. 21. Okt.
Yalentinus, römischer Priester,
Patron gegen Pest und Epilepsie:
mit dem Schwert. 14. Febr.
Veroniea, hält das Schweisstuch-,
siehe den bes. Artikel. 4. Febr.
Victor, Heilige dieses Namens
zäldt man etwa 25 auf, am bekann-
testen ist ein Ritter der thebaischen
Legion. 10. Okt.
Virgilius, Bischof von Salzburg,
Patron* und Apostel von Kärnthen
und Steiermark, hält das Modell
einer Kirche. 780. 27. Nov.
Vitus, ein Kind, mit einem Hahne
oder einem Wolfe; Patron
den Veitstanz. .15. Juni.
Walmirgis, Äbtissin von Heiden-
heim: drei Kornähren oder ein Öl-
tläschchen in der Hand. Um 760.
25. Febr.
Wenzel, Herzog von Böhmen:
Ritter mit königlichen Abzeichen
und dem Schwert. 929. 28. Sept.
Willehad, Bischof und Patron
von Bremen: Götterbilder umstür-
zend. 789. 8. Nov.
Willibald, Bischof von Eichstädt :
auf der Brust das Rationale mit den
Worten Spes. Fides. Charitas. Um
786. 7. Juli.
Willibrod, Bischof von Utrecht,
Apostel der Friesen : trägt ein Kind.
Um 740. 7. Nov.
Wolfgang, Bischof von Regena-
burg: eine Kirche zur Seite, auch
mit kurzem Beil. 994. 31. Okt.
Heilige Tiere. Noch häufiger
als von heiligen Bäumen ist von
heiligen Tieren die Rede; schliesseu
sie sich doch enger an die mensch-
lichen Verhältnisse an als die stumme
Natur. Das Tier stand entweder
in Bezug zu einzelnen Göttern, ge-
wis8erma8sen in deren Dienst <so
gehörte der Eber zu Fro, der Wolf
und Rabe zu Wuotan) ; oder es liegen
Vcrwamllungen göttlicher Wesen in
Tiergestalt dem Kultus zu Grunde,
derentwegen nun die ganze Gattung
in höherer Ehre bleibt; oder es wird
ein Mensch zur Strafe für irgend
, ein Vergehen in Tiergestalt ver-
wandelt und so der inorgenländische
Glaube au eine
wenigstens gestreift. Die
vom Kuckuck, Specht und der Nach
tigall z. B. gewähren eine Fülle von
schönen Sagen, die oft in den Hel-
denkultus eingreift.
Obenan steht das Pferd, Wie
noch heute bei den Söhnen der
Steppen uud Wüsten, so gehörte es
bei den alten Deutschen recht eigent-
Seelenwanderung
Mythe
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Heilige Tiere.
387
lieh zur Familie, war Wodans hei- geöffnetem Raeheu uach der Seite
liges Tier, ja Opfertier, bei welcher hinschauend, von der die Gefahr zu
Gelegenheit sein Fleisch auch ge- erwarten stand. Bekannt ist das
nossen wurde. Daneben war es dem redende Haupt der treuen Falanda
Frcyr geheiligt und wurde in dem im Märchen. Der Pferdekultus war
geweihten Umkreis seiner Tempel den Gelten, Deutschen und Slaveu
unterhalten. Wie Helden nach ihrem in gleicher Weise ei^eu und hat
Pferde Hengest, Hors. heissen, so
erhält es einen Eigennamen gleich
dem Menschen. In der nordischen
Mythologie ist beinahe jedem Gott
sein besonderes, mit Wunderkräften
ausgestattetes Pferd zugewiesen.
Odins Ross hiess Sleipnir; es war
gleich Riesen und Helden achtfüssig.
Die Zucht reiner und geweihter
Rosse diente zu heiligen Gebräuchen,
namentlich zu Opfern, Weissagungen
und für den Umzug der Götter-
wagen. Ihre Mähnen wurden sorg-
sam genährt, gepflegt und ge-
schmückt, wie die Benennung Faxi
(jubatus, comatus, ahd. vahsoj an-
zeigt: vermutlich wand oder flocht
man Gold, Silber und Bänder in
sich als Hokuspokus in mancherlei
Gestalt bis auf den heutigen Tag
erhalten.
Auch Rinder wurden nicht selten
geopfert, galten also unzweifelhaft
als heilige Tiere. Sie zogen noch
im späteren Mittelalter die Kriegs-
wagen. Der fränkische Kriegswagen
wurde mit Stieren bespannt. Die
Kuh scheint zwar fast allerorten
dem Stiere vorgezogen worden zu
sein. Opferrinder wurden ebenfalls
mit Gold geschmückt und zwar an
dem Gehörn.
Eber und Bock waren ebenfalls
heilige Opfertiere, der Eber dem
Freyr, Böcke und Ziegen dem Thorr
gewidmet, wie sie noch jetzt für
die Locken (Chdlfaxi, Skinßixi). j Tcufelsgetier gelten. Dem göttlichen
Unter allen Farben galt die weisse Eber aber erilt wohl Notkers Lied :
für die edelste; auch Könige zogen
auf weissen Rossen ein und belehn-
ten auf weissen Rossen sitzend. Des
weissen Rosses gedenken die Weis-
tümer auch: Wenn eine Erbschaft
ledig liegt, so soll der Vogt auf
einem weissen Fohlen sitzend, einen
Mann vor, den anderen hinter sich
setzen und einen davon auf das
Erbe herablassen. Da« Fohlen galt
für noch edler und reiner als ein
Ross. Kriegern galt das Wiehern
(ahd. hueion, mhd. iceien, mnl. neien,
altn. hneggja, schw. gnagga) als ein
Vorzeichen des Sieges; enthielten
sich aber die Pferde des lustigen
Wieherns, so deutete das eine sichere
Niederlage an. Und wie in Mimirs
abgehauenem Haupte seine Klugheit
fortdauerte, scheint das Heidentum
mit abgeschnittenen, aufgerichteten
Pferdehäuptern vielfachen Zauber
getrieben zu haben. Sie wurden
zur Abwehr alles Bösen auf die
Hausgiebel befestigt , oft mit weit- Herausforderung.
Eber aber gilt wohl Notkers
imo sint fuoze J'uodermäze,
imo sint bürste ebenhö forste,
unde zene sine zuelifelnige.
(Seine Borsten ragen hoch wie der
Wald, seine Hauer sind zwölf Ellen
lang.) Einen Gruud der Heilig-
haltung des Ebers will man darin
linden, dass er die Erde aufwühlt
und die Menschen von ihm das
Pflügen gelerut haben. — Opferbar
waren nur die Haustiere, doch auch
unter diesen z. B. der Hund nicht.
Er ist wohl ein treues und kluges
Tier, er ist auch geistersichtig, d. h.
er erkennt die Götter und Geister,
bevor sie dem menschlichen Auge
sichtbar werden, und kündet diese
durch seine Stimme an, aber er ist
doch ein unedles, unreines Tier,
weswegen die Benennung ,,Hund*'
für den Menschen ein arger Schimpf
ist und die Überschickung des räu-
digen Hundes eine unzweideutige
25'
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388
Heüige Tiere.
Eigentlich heilige Tiere waren
die Waldtiere nicht, doch wurden
viele unter ihnen mit Scheu verehrt,
vor allen Bär, Wolf und Fuchs.
Der erstgenannte galt als der König
der Tiere. Biörn war ein Beiname
des Thorr, und nach der welschen
Sage wurde König Artur ab Bär
und Gott dargestellt. Der Bär am
Himmel wird häufig genannt. Es
ist nicht zu übersehen, dass einzelne
Tierfabeln in menschliche Mvthen
verwandelt wurden oder umgekehrt,
z. B. die Rolle des Bären oder
Fuchses auf einen Riesen oder Teufel
übergeht. So findet sich die esth-
nische Erzählung von dem Mann,
der mit dem Bären Rüben und Haber
auf dem Acker baut, anderwärts von
dem Teufel. Zwei Wölfe, Geri und
Freki, waren dem Odin heilig, ihnen
gab er zu fressen, was ihm an Speise
vorgesetzt wurde, sie waren gleich-
sam des Gottes Hunde. Ein Sohn
des Loki, der Fenrisülfr, tritt in
Wolfgestalt unter den Göttern auf;
überhaupt kennt unser Altertum
keine häufigere Verwandlung, als
die der Menschen in Wölfe (Wer-
wölfe). Bär und Wolf sind häufig
in Wappen aufgenommen, leben
aber noch weit häufiger fort in
unseren Geschlechtsnamen, während
der Fuchs fast ausschliesslich auf
die Rollen des Schlaukopfes in Fabel
und Märchen angewiesen ist.
Der Wagen der Freyja war nach
der Sage mit zwei Katzen bespannt;
da aber altn. fres nicht bloss Kater,
sondern auch Bär bedeutet, hat man
neulich gar nicht uneben behauptet,
kottum Könne aus fressum ent-
sprungen sein und der Göttin statt
des Katzengespanns ein Bärgespann
zugehören, wie Cybeles W agen
Löwen zogen. Katzen und Wiesel
gelten übrigens für kluge, zauber-
kundige Tiere, die man schützen
Noch vertrauter lebte das Alter-
tum mit den llx/eln, die vermöge
ihrer grossen Beweglichkeit leicht
geisterhafter erscheinen konnten als
die Säugetiere. Mit Konispenden
wurden die kleineren unter ihnen
geneigt gemacht, dass sie den Fluren
nicht schaden sollten. Götter und
Göttinnen pflegten sich nach Belieben
in Vögel zu verwandeln, aber auch
den Riesen war diese Gabe eigen.
Tarapita, der esthnische Gott, fliegt
von einer Stätte zur anderen. Die
griechischen Götter sind geflügelt,
wie die jüdischen Engel und die
altdeutschen Jungfrauen (Schwan-
flügel). Nordische Götter und Riesen
tragen ein Adlerkleid (arnarham),
Göttinnen ein Falkenkleid (calsham).
Der Wind wird als Riese und Adler
dargestellt.
Dass Haus vögel als Opfer ge-
dient hätten, ist wenig bekannt.
Dagegen wurden mit Vorfiebe Hähne
auf heilige Bäume gesetzt, und mög-
lich ist, dass die christlichen Glau-
bensboten aus Schonung für diesen
heidnischen Brauch auch dem ver-
goldeten Hahne, dem Sinnbild der
Wachsamkeit, ein Plätzchen auf
unseren Kirchtürmen eingeräumt
Ekkehard erzählt, wie die Hunnen
den Hahn auf dem Kloster St. Gallen
gefurchtet als die Gottheit des Ortes.
Der Adler ist der König der
Vögel, Bote des Zeus; der Rabe ist
Wolf und Fuchs unter den gefieder-
ten Geschöpfen, er besitzt die Fress-
g'er des einen und zugleich die
lugheit des anderen. Zwei Raben
(wie zwei Wölfe) sind Odins Beglei-
ter; sie bringen ihm Kundschaft von
allen Ereignissen. Raben sind auch die
Begleiter des heiligen Gregor, wie
des heiligen Meinrad, dessen Mörder
sie als Anklager verfolgen. Sie sind
hauptsächlich redende Vögel, wie
denn die Vögel überhaupt ihre eigene
Sprache haben, die der Mensch da-
durch verstehen lernt, dass er eine
weisse Schlange isst. Schwalben zu
töten bringt Unheil; ihre Nester
darf man nicht berühren. Die my-
thische Eigenheit des Schwans be-
kundet die Sage von den Schwanjung-
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Heilige Tiere.
389
frauen und des sterbenden Tieres
Gesang. Der Storch wurde eben-
falls verehrt, wie er noch heute,
trotz des abschätzenden Urteils der
Naturforscher, dem Volke mehr gilt,
als er verdienen mag. Nach frie-
sischem Volksglauben treten Wand-
lungen des Storchs in Mensch und
des Menschen in Storch ein. Der
Specht wurde besonders von den
Kömern geehrt, doch auch die
Deutschen kannten den Beovulf
(Bienenwolf, d. i. Specht) wohl und
in Norwegen heisst der rothaubige
Schwarzspecht Gertrudsvogel , da er
die verwünschte Bäckerin Gertrud
ist , die den hungrigen Herrn trotz
des Segens, der in ihrem Kuchen-
berg sich zeigte, mit leerer Hand
von der Thüre wies. Eine Spur
des EhterkuLtvß dauert noch in
Poitou fort, wo man ihr zu Ehren
auf den Gipfel eines hohen Baumes
einen Strauss von Heide und Lor-
beer bindet, weil sie durch ihr Ge-
schrei den Leuten das Nahen des
Wolfes verkündet. In altböhmischen
Liedern ist der Sperber ein heiliger
Vogel und wird im Götterhain ge-
hegt. Auf den Ästen der Eiche,
die aus dem Grabe des Erschlage-
nen spricsst, sitzen heilige Sperber!
und verkünden geschehenen Mord.
Als sonderbarster unter den
Vögeln gilt der Kuckuck. Er ist ein
Prophet, der nicht nur heiratslustigen
Leuten angiebt, wie lange sie noch
ledig bleiben müssen, er weiss auch,
wie lange ein jedes noch leben darf
und zeigt durch seinen Ruf die
puten und bösen Zeitläufe an. Bald
ist er ein verwünschter Bäckerknecht,
der zur Strafe für seinen Geiz die
Welt durchirrt und weissagt, dabei
aber die Leute oft narrt: bald ist
er ein Ehebrecher, der Unfrieden
zu säen bemüht ist; bald ist er gar
der Teufel selbst; in Polen aber ist
er ein verwandelter Gott, wie er in
Sachsen „Kuckuck vam Häven' 1
(vom Himmel?) heisst. Gauch ist
auch gleichbedeutend mit Narr, da-
her die Redensarten: Ich tumber
Gauch: tumber denn ein Gauch; der
freite Gauches Houbet. Dass aber
dem Kuckuck allerlei Spuk zuge-
traut wird, beweist das vielfache
Vorkommen seines Namens als:
Gauchsberg, Guggisberg, Göcker-
liberg, Kuckucksspeichel, Kuckucks-
brot, Gauchlauch, Kuckucksblume,
Gauchheil etc.
Von den kleinen Singvögeln ist
die Xaehtigall noch besonders zu
nennen, die im Minnesang grosse
Verherrlichung findet. Der Mythus,
dass sie ihre totgeborenen Kinder
lebendig siuge,scheintnicht deutschen
Ursprunges zu sein. Der Zaun-
könig lebt ebenfalls im Märchen
fort, doch in grösserem Ansehen der
Heiligkeit scheinen besonders noch
Rotkehlchen und Meise gestanden
zu haben. Ersteres gewiihrt dem
Hause jeglichen Schutz und steht
im Rufe, dass es Blumen und Blätter
auf das Gesicht der Erschlagenen
trage, die auf freiem Felde oder im
Walde liegen. Die Meise aber, ahd.
me'vsu, ags. mfae, nnl. mfze, genoss
in den Weistümern eines Schutzes,
der offenbar von einer hohen Heilig-
haltung des Vogels zeugt: Wer oa
fehet em Bermeisen, der sal geben
ein koppechte Hennen und zwelf
Hunkeln und sechzig Schillig Pfennig
und einen Helbehng. Wer eine
Kohlmeise fienge mit Limen oder
mit Slagegarn, der sal unserme Herrn
geben eine falbe Heune mit sieben
Hunkeln. Wer ein Sterzmeise fahet,
der ist um Leib und Guet und in
unsers Herrn Ungnad.
Die Schlange erscheint als ein
heilbringendes, unverletzliches Tier
und vollkommen für den heidnischen
Kultus geeignet. An den Heilbrunnen
lagen Schlangen, und den Stab des
Asklcpios umwand eine solche. Für
Potriinpos unterhielten die alten
Preussen eine grosse Schlange, und
die Priester hüteten sie sorgsam,
betteten sie in Kornähren und nähr-
ten sie mit Milch. Bei den Letten
390
Heilige Tiere.
heissen die Schlangen Milchmütter
(veene mähten), stehen unter dorn
Schutz einer höheren Göttin, der
Brehkia, welche den Eintretenden
zuschrie, man soll ihre peene mahtes
ungestört im Hause lassen. Auch
die Litthauer verehrten Schlangen,
hegten sie im Haus und brachten
ihnen Opfer. Der ägyptische Schlan-
^endienst ist aus der Geschichte des
israelitischen Volkes bekannt. Fast
die ganze Heidenwelt scheint den
Schlangenkultus zu kennen, während
in der Christenheit der Begriff böser,
teuflischer Schlangen vorwaltet ;
während dort die Schlange ein ver-
wandelter Mensch ist, spricht hier
aus ihr der tückische Verführer.
Die langobardische Sage erzählt
vom Kampf eines feuerspeienden
Tierleins mit einem Löwen und
Wolfdietrich :
Nun höret durch ein Wunder, wie
das Tierlein ist genannt,
Es heisst zu welsch ein Zunder,
zu tcutsch ein sarihant,
In Sittenland nach Ehren ist es
ein vipper genannt.
(Unter Sittenland wird wahrschein-
lich derKanton Wallis gemeint sein.)
Im weiteren Verlauf des Liedes er-
fährt man, dass immer nur zwei
solcher Vipern lebten, indem die
jungen bala nach der Geburt ihre
Eltern auffrassen. Im Jura heisst
eine geflügelte unsterbliche Schlange
mit diamantenem Auge vouiver (rt-
pera). Von Hausscnlan^en und
Unken gehen noch jetzt viele Über-
lieferungen. Aufwiesen und Weiden,
sogar in die Häuser kommen Schlan-
Sen zu einsamen Kindern, trinken
lilch aus der Schüssel, wobei sie,
wie beim Baden, die Goldkronen
auf die Erde niederlegen. Die Kronen
dürfen aber niemals entwendet wer-
den, denn das brächte dem Hause
grosses Unglück; auch darf man
die Schlangen nicht töten, sonst
stirbt ihr Schützling, das Kind, und
schwindet unwiederbringlich der
Reichtum in Haus und Stall, Hof
und Feld. Wer aber ein Ottern-
krönlein findet und bei sich trägt,
der wird dadurch unsichtbar und in
der Folge steinreich.
Der Drache, lat. draco, ahd.
traccho, ags. draca, altn. dreli, in
der Edda ormr, angelsächs. tyrm,
ahd. wurm, got. yaürms, ißt eine
geflügelte Schlange. Der Drache,
welcher Krimhild gefangen hält auf
dem Drachenstein, Kommt durch die
Luft gefahren, der andere, den Sieg-
fried, vom Schmied ausgesanut,
früher tötete, liegt unfliegend an
einer Linde. Dies war der eddische
Fäfnir, ein Mensch, der Wurrage-
stalt angenommen hatte, im Sieg-
friedslied linfwurm, sonst auch lint-
drache und heidewurm genannt Mit
lint sind viele Frauennamen gebildet,
z. B. Sigilint, und es könnte wahr-
scheinlich diese Benennung auch für
den Drachen den Begriff von Glanz
und Schönheit enthalten. Das Alter-
tum hatte allgemein die Vor-
stellung, dass Drachen auf weichem
Golde liegen und davon leuchten.
Diese Schätze bewachen sie und
tragen sie nachts durch die Lüfte.
Das Gold heisst wurmbett. Drachen
sind geizig, neidisch, giftig und
flammenspeiend, sie haben ihre heim-
wist in einem Thale, werfen Rauch,
Flammen und Wind und speien
Feuer und Eiter, Amt der Helden
war es nun, wie die Riesen, so die
fewissermassen damit identischen
>racheu auf der Welt auszutilgen.
Thorr selbst bekämpfte den unge-
heuren midgardsorm und Siegmund,
Siegfried, Beovulf stehen als tapferste
Drachenüberwinder da. Ihnen ge-
sellt sich eine Menge anderer, wie
sie nach Zeit und Ort allenthalben
aus dem Schosse lebensvoller Sagen
erstehen. Der schönen Thora Bor-
garhiörtr wurde ein kleiner lyngormr
geschenkt, den sie in ein Kästchen
auf Gold bettete. Wie er wuchs,
wuchs auch das Gold, sodass die
Kiste zu eng wurde und der Wurui
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I
Heinrich, armer. — Heiraten und Hochzeiten. 391
sich im Kreis um die Kiste legte;
bald war kein Raum mehr in dem
Zimmer, er legte sich um das Zim-
mer und nahm den Schwanz in den
Mund. Niemand liess er in das
Gemach als den Wärter, der ihm
zu jeder Mahlzeit einen Ochsen
brachte. Nun wurde bekannt ge-
macht, wer ihn erlege, solle die
Jungfrau zur Braut una soviel Gold,
als unter dem Praehen lag, zur Aus-
steuer empfangen. Diesen Drachen
überwand Ragnar Lodbrok.
Ausser dem Goldeshort aber, den
die Helden als Beute davontragen,
entspringen noch andere Vorteile
aus dem Sieg; der Genuss des
Drachenherzens bringt Kunde der
Tiersprache und das Bestreichen
mit dem Blut härtet die Haut gegen
alle Verletzung.
Sogar einige Spuren von Käfer-
kultu* sind vorhanden. Wir nennen
den Donnermgi in unverkennbarem
Bezug auf Donar, dann den Gold-
und Kosskäfer, die wie die Drachen
als heilige und selbst goldene Tiere
Schätze bewachen, vor allen aber
das Marienkäferchen, auch Gottes-
kühlein, Gotteskalb, Herrgottskalb,
Marienkälblein genannt. Alt muss
das Kinderliedchen sein:
Marienkäferchen, flieg' aus:
Dein Häuschen brennt,
Dein Mütterchen flennt,
Dein Väterchen sitzt auf d<*r Schwelle.
Flieg im Himmel aus der Hölle.
Aus der Klasse der wirbellosen
Tiere sind ferner einzig noch die
Bienen zu nennen, die noch aus dem
goldenen Zeitalter, aus dem ver-
loren gegangenen Paradies übrig
geblieben sind. Der lautere, süsse
Honig, den die Bienen aus allen
Blüten saugen, ist Hauptbestandteil
des Göttertranke, heiliger Honig die
erste Speise, die des eingeborenen
Kindes Lippe berührt. Grimm, My-
thologie.
Heinrich, armer, heisst der
Held einer von Hartmann von Aue
poetisch bearbeiteten Legende, deren
lateinische Quelle noch nicht ge-
funden worden ist. Heinrich von
Aue, ein Ritter desjenigen Ge-
schlechtes, dem der Dichter selber
als Dienstmann angehörte, lebt im
Vollg enusse höchsten Erdeneliiekes,
als er von einem Aussatz befallen
wird. Alle Rettung scheint ver-
geblich; auch das Mittel, mit dem
ihn ein Arzt zu Salerno bekannt
macht, nämlich das freiwillig für
ihn vergossene Herzblut einer reinen
Jungfrau, scheint ihm unerreichbar,
und er verschenkt deshalb seine
Güter an Verwandte, Arme und
Gotteshäuser und behält für sich
nur einen Meierhof, wo er vom
Meier und dessen Frau und einer
achtjährigen Tochter christlich ver-
pflegt wird. Nach vier Jahren erst
teilt der arme Heinrich seinem
Meier mit, was der Salemitanische
Arzt ihm gesagt, und diese Nach-
richt macht auf die Jungfrau einen
solchen Eindruck, dass sie sich ent-
schließt, sich für ihren Herrn zu
opfern. Mit Mühe bringt sie die
Eltern zur Einwilligung in ihr Vor-
haben und zieht darauf mit dem
Kranken nach Salerno. Schon ist
der Arzt bereit, dem Mädchen das
Herz auszuschneiden, als Reue und
Mitleid den Herrn ergreift, dass er
sich unter dem schweren Joche der
Krankheit zu bleiben entschliesst.
Gott aber belohnt die Opferfreudig-
keit des Mädchens und die christ-
liche Untergebung ihres Herrn in
sein Verhängnis dadurch, dass er
Heinrich auf dem Rückwege heilt.
Die Legende schliesst damit, dass
Heinrich wieder zu Gut und Ehren
gelangt und die Jungfrau zu seiner
Gemahlin annimmt.
Heiraten und Hochzeiten. Es
ist zwar schon im Artikel Ehe von
Hochzeiten die Rede gewesen; hier
mögen nach Kriegks Bürgertum II,
Abschnitt XI einige besondere hier-
hergehörende Züge aus dein städti-
schen Leben des späteren Mittel«
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302
Heiraten und Hochzeiten.
alters zusammengestellt werden, mine sind; sie fand inmitten der
Offenbar galt die Feier der Hoch- beiderseitigen Verwandten statt und
zeit für den städtischen Bürger als bestand in der Bejahung der an
ein eingreifenderes und wesent- Braut und Bräutigam gerichteten
lieberes Lebensmoment , als es für Frage , ob sie einander heiraten
die höfische Gesellschaft gewesen wollen, aus Umfahung und Braut-
war; nicht bloss bewegte sich der kuss; von jetzt an hiessen die Ver-
ritterliche Frauendienst abseits von lobten Oemahle, später bis zur Hoch-
der Ehe, sondern der Geist des zeit immer noch Braut und Bräu-
Rittertums bevorzugte überhaupt tigam. Die beiden ersten Akte
mehr solche Feste, welche mit der waren häufig mit der Abfassung
Stellung des Ritters als solchem zu- , einer schriftlichen Urkunde über die
sammeuhingen , ganz besonders die Ausstattung und den Brautschatz,
Schwertleite, den Hoftag, das Tur- mit der Ausstellung eines Ehebriefes
nier u. dgl., Feste, welche eben die und mit der Ceremonie verbunden,
höfische Zeit unter dem Gesamt- dass ein Verwandter oder Freund
namen hochzit, höchgezit zusammen- die Brautleute förmlich zusammen-
fasste. Erst in den Städten hing gab. Das letztere geschah bald
dies Fest der Eheeingehung enge durch einen Laien, bald durch einen
mit dem Lebensberufe des Bürgers Geistlichen. Gesellige Festlichkeiten
zusammen und blieb für die i\e- fanden nach der Verlobung im Hause
Zeichnung Hochzeit an dieser Feier . der Braut, im Rathaus oder in einem
haften. Heiraten waren in den Kloster statt und bestanden in
Stsidten häufiger als jetzt, wie denn Tänzen, Schmausereien und Trink-
ofteubar hier das Wort Hagestolz, gelageu; Namen für dieses Fest
da» ursprünglich den Besitzer eines \ sind Lauimerung, d. h. öffentliche
Nebengutes bedeutete, die Bezeich- Bekanntmachung, weil auch Unein-
nung für einen Junggesellen ge- geladene beiwohnten, Uffenbarung
worden ist. Es gab Städte, wo und Vorgiß, Vorgabe.
Hagestolze weder Katsherr werden, I Die Kopulationt Einsegnung, Be-
noen in der Zunft als Meister auf- i nediktion tn der Kirche, Kirchgang,
genommen werden durften. Witwer Solemnisierung der Ehe oder Inthro-
und Witwen verheirateten sich nisation fand[ stets in der Kirche
schnell wieder, oft bevor das „Jahr statt; das vorausgehende dreimalige
der Klage und des Leides" abge- 1 kirchliche Aufgebot, schon zur römi-
laufen war; ja zweite und dritte | scheu Kaiserzeit vorhanden, war seit
Verheiratungen scheinen in Deutsch- j dem 13. Jahrhundert ein Kircheu-
land sogar die Regel gewesen zu gesetz. Die Kopulation wurde an
sein. Bis ins snäte Mittelalter wurde einem beliebigen Tage in der Woche
nicht die kirchliche Trauung, son- j gehalten und zwar Vormittags nach
dern die Verlobung als Hauptakt der der Messe. Mehrere Tage früher
Eheschliessung angesehen. Immer fand das Baden in einer Badstube
noch bestand die Verlobung oder | statt, worauf eingeladene Verwandte
Vertrauung aus den drei Akten, und Freunde, auch Dienstboten des
1. aus der Verabredung über Braut- , Hauses im Hause der Braut oder
schätz und Mitgift, 2. aus der Kon- des Bräutigams bewirtet wurden.
Benserklärung des Vaters und dem Der Brautkranz war nicht allgemein
Eheversprechen von Seite des gebräuchlich ; dagegen das Verteilen
Freien, und 3. auader Handreichung, von Kränzen seitens der Braut an
dem Handschlag, Handstreich oder { den Bräutigam, die Brautführer, die
dem Weinkauf, welches alles Namen ; Tanzlader und die Spielleute, nicht
für die eigentliche Verlobungs-Ter- aber an die wirklichen Gäste.
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Heiraten und Hochzeiten.
393
Braut und Bräutigam gingen bei
der Trauung nicht zusammen zur
Kirche, sondern jedes von ihnen
wurde durch zwei Brautführer dahin
begleitet, wobei auch die Braut
manchmal mannliche Führer hatte.
Beim Zuge in die Kirche wurde
mit Glocken geläutet oder vom
Turme herabgeülasen, was man das
Anblasen der Braut nannte. Geiger,
Lauteiiisten, Pfeifer, Trompeter oder
Trommler gingen dem Zuge voran,
an welchem nicht bloss die Ver-
wandten und Freunde, sondern auch
die männlichen und weiblichen
Dienstboten teilnahmen. In Nürn-
berg gaben die Verlobten einander
vor dem Eintritt in die Kirche den
Mahelring, welcher an anderen
Orten schon bei der Verlobung über-
geben wurde.
Das erste Beilager fand stets im
Hause der Braut statt, meist in der
auf die Trauung folgenden Nacht,
manchmal aber erst mehrere Tage
später. In Frankfurt führte dabei
einer der Brautführer die junge
Frau, auf deren Samraetschuhen
Wappen, Namen u. dgl. mit Gold
und Perleu eingestickt waren, in
das Brautgemach und zog ihr da-
selbst den linken Schuh aus, wel-
chen er einem oder mehreren der
zur Hochzeit geladenen Junggesellen
schenkte. Am Morgen nach dem
Beilager überreichte der Eheherr
seiner Gattin die Morgengabe, be-
stehend aus einem oder zwei silbernen
Bechern oder einem anderen Klei-
nod; als Gegengeschenk kommt an
manchen Orten ein Manns- oder
Badehemd vor. Gewöhnlich an dem-
selben Morgen wurde die junge
Frau durch die Hochzeitsgäste
feierlich zur Messe und in das Haus
ihres Gatten geleitet, wenn nicht,
was oft geschah, das junge Paar
noch eine kürzere oder längere Zeit
hindurch im Hause der Gattin
wohnen blieb, wo ihm mit der Woh-
nung auch die Kost frei war.
Die Hochzeitsgeschenke der Ver-
wandten und Freunde an das Braut-
paar begannen schon bei der Ver-
lobung, und zwar war dieses meist
ein Schmuck, ßringal genannt, vom
feierlichen Uberbringen. Auf der
Hochzeit pflegte jeder Eingeladene
dem neuen Ehepaar sowohl als
beiden Eltern, in deren Hause die
Hochzeit gefeiert wurde, ein Ge-
schenk zu machen, als Beitrag zu
den Kosten des Festes, an manchen
Orten war dagegen ein offenes Mahl
und ein Freitanz gebräuchlich. Jene
Art von Hochzeiten hiessen Schenk-
hochzeiten; bei Freihochzeiten, die
erst später aufkommen, gaben die
Gäste oloss einen mündlichen Dank.
Gegen die kostbaren Geschenke oder
Schenkinen wurden zahlreiche Ver-
ordnungen erlassen; die Geschenke
selber bestanden in Schmuck, Haus-
geräte, silbergestickten Kleidern, sil-
bernen TruiKgeräten und barem
Gelde. Das Brautpaar hatte für die
ihm gereichten Brautgeschenke
Trinkgelder zu geben, wozu an
manchen Orten noch andere Ge-
schenke kamen, besonders Speise
und Trank für die Angehörigen der
beim Feste beteiligten Leute. Über-
haupt war der Aufwand, den man
beim Hochzeitsfest entfaltete, meist
sehr üppig; es gab bürgerliche Hoch-
zeiten, die neun Tage dauerten, von
adeligen und fürstlichen zu gesenwei-
gen, und überall sahen sich die
'brigkeiten genötigt, wiederholt ein-
schränkende Verordnungen zu er-
lassen. Die Hochzeitsfeier wurde im
Hause der Braut oder in der Trink-
stube, die der Bräutigam zu besuchen
pflegte, im Rathause oder in einem
andern städtischen Gebäude, von
Handwerkern auf ihrer Zunft gehal-
ten. Gegen die Benützung des Rat-
hauses sind aber ebenfalls Verbote er-
lassen worden. Die Einladung der
Gäste geschah durch Hochzeimader
oder Tanzlader und war oft beritten
und von einem kleinen Gefolge beglei-
tet. Ein von Stadt wegen angestellter
Sprecher, der Hängelein oder liege-
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394
Hei. — Heldenbuch.
lein oder Vorhänaelein, vom vorge-
hängten Amtssehild, auch Ehen-
Sprecher, Schlenkerfein, trug seine
Anrede reimweis vor. Annlicher
Natur waren die Lotter oder flotterer.
d. h. Lustigmacher. Für die Zahl
der Gäste war meist ein obrigkeit-
liches Maximum aufgestellt. Ein
Hauptteil der hochzeitlichen Ver-
gnügungen war der Tanz; Hofe
heissen Festmahle, die in den näch-
sten Monaten nach der Hochzeit
zu Ehren der Neuvermählten abge-
halten werden. Die erste Feier
einer goldenen Hochzeit wird im
Jahre 1661 erwähnt. Vgl. Kohl, Alte
und neue Zeit, Abschn. 14. Bremen
1871.
Hei, vomaltd.Äefa«, nhd. hehlen,
verhehlen, ist die germanische Göttin
des Todes und der Unterwelt; erst
später, aber noch in heidnischer
Zeit, als man eine Unterscheidung
zwischen den Toten machte und be
sondere Wohnsitze für die Guten
und die Bösen annahm, wurde die
Göttin Hei zur Vorsteherin der-
jenigen Geister gemacht, die nach
thätigem, ruhmlosem Leben dahin-
gegangen sind, und ihr Name er-
weiterte sich zu Hellia, Hella, nhd.
Helle, Hölle, woher der christliche
Aufenthaltsort der Verdammten spä-
ter den Namen Helle, Hölle empfing.
Man dachte sich die Göttin Hei in
Sümpfen oder Brunnen lebend, oder
im Berge, Uelleberg, die Seelen
hütend. Zu ihrem unterirdischen
Sitze sollte die Milchstrasse führen,
die daher in Norddeutschland der
Heltceff genannt wird. Die nordische
Hei ist halb schwarz, halb menschen-
farbig und hat ein grimmiges, furcht-
bares Aussehen. Ihr gehört die
Herrschaft in yifelheimr, wo sie
unter einer Wurzel der Esche Yg-
drasil in ihrer Borg Helheimr wohnt.
Den langen und traurigen Weg da-
hin, den Hei weg, reitet man neun
Tage und Nächte nach Norden zu
durch dunkle tiefe Thäler den Ab-
grund hinab. Über Dornenheiden
und Sümpfe kommt der Wanderor
zu einem reissenden Strome, den
die Gjallarbrücke überwölbt, die mit
glänzendem Golde belegt ist. Sie
hängt hoch im Winde unter dem
dem Gewölk, die Milchstrasse. In
einem hohlen und von mächtigen Git-
tern verwahrten Gehege bewacht ein
Hund mit blutgefleckter Brust und
klaffendem Rachen den Eingang zu
Hels Wohnungen. Ihr Saal heisst
Elend, ihre Schüssel Hunger, ihr
Messer Gier, ihr Knecht Träg, ihre
Magd Langsam, ihre Schwelle Ein-
sturz, ihr Lager Krankenbett, ihr
Vorhang dauerndes Übel. Damit
die Seelen jene Dornenheide nicht
barfuss überschreiten müsse, gab
man den Toten ins Grab , ein Paar
Schuhe mit. Wer den Armen auf
Erden eine Kuh geschenkt hat, wird
nicht straucheln und schwindeln,
wenn er die Gjallarbrücke tiber-
schreiten muss; denn dort findet er
eine Kuh, welche seine Seele über
die Totenbrücke geleitet; daher man
in vielen germanischen Ländern eine
Kuh hinter dem Sarge her bis auf
den Kirchhof mitgehen Hess. Mann-
hardt, Götterwelt.
Helbllng, älteres Münzstück im
Werte des jeweiligen Pfennigs;
Eössere Summen wurden zu Senil-
igen und Pfunden Helblinge be-
rechnet.
Hei den buch, der helden bnoch
nennt sich eine im 15. Jahrhundert
mehrfach gedruckte Sammln ne der
unter dem Namen Wolfdietrich zu-
sammengefassten Gedichte von Ort-
nit, Hugdietrich und Wolfdietrich;
den gleichen Namen pflegt man auch
seit Von der Hagens Grundriss zur
Geschichte der deutschen Poesie. 1812,
Sammlungen von Gedichten aus der
deutschen Heldensage, mit Ein- oder
Ausschluss des Nibelungenliedes zu
geben. Den gleichen Namen tragen
zwei neuere Sammlungen, nämlich
die neueste Ausgabe der dem
Amelungenkreis angehörigen mittel-
hochdeutschen Dichtungen, heraus-
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Heldensage.
395
gegeben von Amelung, Jänicke,
Martin und Zupitza, 5 Bände, Berlin,
1866—73, und die erneuerte Samm-
lung von Simrock in sechs Bänden,
welche in die Gudrun, das Nibe-
lungenlied, das kleine Heldenbuch
(Walther und Hildegunde, Alphart,
hörnerner Siegfried, Rosengarten,
Hildebrandlied) und das Amelungen-
lied zerfällt, wovon das letztere
wieder folgende Stücke in sich be-
greift: Wieland der Schmied, Wittich
vN'ielands Sohn, Ecken Ausfahrt,
Dietleib, Sibichs Verrat, die beiden
Dietriche, die Rabenschlacht, die
Heimkehr.
Heldensage. Die germanische
Heldensage teilt mit aen Helden-
sagen aller übrigen arischen Völker
den doppelten Ursprung aus dem
Mythus uud der Volksgeschichte. Das
mythische Element der Heldensage
erweist sich zuerst darin, dass einzelne
Götter mit der Zeit als Sterbliehe
aufgefasst werden. Dadurch ent-
stehen zuerst die Heroen-, man ver-
gass von einzelnen Göttergestalten,
zum Teil dadurch, dass durch histo-
rische Ereignisse ihr Klüt ausser
Übung kam, dass sie Gottheiten
seien und fasste sie nur noch als
gewaltige und vorzugsweise mächtige
Sterbliche auf, als Helden von gött-
licher Abstammung, deren Leben
man in die Anfänge der Volksge-
schichte versetzte, ihre Thaten wur-
den jetzt grösstenteils nicht mehr
ihrer inneren göttlichen Natur, son-
dern äusserer Hilfe und äusseren
Mitteln zugeschrieben, welche ihnen
die Götter an die Hand gegeben
hätten; solche Heroen sind in der
deutschen Heldensage Siegfried,
Gunther, Hagen, Hertel, Horant,
Wrate, Wieland, Orendel, Krimhild,
Hilde. Diese Heroen pflegen nun
mit der- Zeit eine Verbindung mit
geschichtlichen Erinnerungen einzu-
gehen, der Mvthus wird lokalisiert,
und Göttliches und Menschliches
fliesst in ein Bild zusammen. Wach-
sen so grössere und lebendige Mythen
mit Erinnerungen aus dem glänzen-
den Heldenalter, welches gewöhnlich
dem Eintritt hoch organisierter Völ-
ker in das helle Lieht der Geschichte
vorauszugehen pflegt, zusammen, so
entsteht die Heldensage. Das My-
thische an ihnen ist der feste Kern,
um den sich das Historische herum-
legt Mannhardt, Götter, Abschn.II.
Die mythischen Elemente der Hel-
densage sind ihrer Natur nach wech-
selnd; manche Züge mö^en in die
gemeinsame Urzeit der arischen Völ-
ker hinaufreichen, andere sind Re-
sultate der verschiedenen Bildungs-
perioden der Mythenbildung; oft sind
es bloss einzelne Züge, welche an
diesem und jenem Helden oder an
dieser und iener Sage mythologischer
Natur sind, während anderes histo-
risch ist.
Ebensowenig als das mythische
Element der Heldensage lässt sich
das historische Element auf eine
| Einheit zurückführen. Ohne Zweifel
I sind schon lange vor der Völker-
| Wanderung historische Thatsachen
I von der Sage aufgefasst und gestaltet
I worden; dieselben fielen aber meisten-
teils der Vergessenheit anheim, als
die grossen tiefeinschneidenden Ge-
schicke der Völkerwanderung kamen,
an welche sich die Errichtung des
! fränkischen Reiches und damit der
I Eintritt der Germanen in die curo-
1 päisehe Staatenentwickelung knüpfte.
Diese Ereignisse gaben fortan die
historische Unterlage, die Namen
der Völker und Fürsten, der Städte,
Länder, Flüsse, Berge und Wälder,
welche den Rahmen der Helden-
sage bilden, ohne dass man den
Grad der Ürsprünglichkeit dieses
historischeu Elementes im einzelnen
jedesmal anzugeben vermöchte. Wil-
helm Grimm sagt in der Schlussbe-
trachtung zur Deutschen Helden-
sage: „Ruhend und in eine feste
Form gebunden, dürfen wir uns das
Epos zu keiner Zeit denken. Viel-
mehr herrscht in ihm der Trieb zur
Bewegung und Umgestaltung, ja,
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306
Heldensage
ohne ihn würde es absterben, wenig- »Ich darf als ausgemacht be-
stens die Kraft lebendiger Einwir- trachten, dass die geschichtlichen
kung verlieren. Hier erprobt sich die Beziehungen , welche die Sage jetzt
Fähigkeit zur Poesie, und ein un- zeigt, erst später eingetreten siud.
freies, verarmtes Gefühl wird jedes- mitbin die Behauptung, dass jene
mal eine Verschlechterung des Epos Ereignisse die Grundlage geliefert
bewirken. Echte Fortbildung geht aller Stützen beraubt ist. Noch eine
niemals aus Laune und Willkür, andere, nicht geringere Schwierig-
immer aus innerer Notwendigkeit keit, macht die damit verknüpfte
hervor. Eines der bedeutendsten Vorstellung von absichtlicher, poeti-
Mittel ist dabei ohne Zweifel die in scher Ausbildung des historischeu
verschiedenen Erscheinungen beob- Faktums. Der Dichter der Nibelunge
achtete Verknüpf u mj einzelner Sagen. Not musste danach vorsätzlich chro-
Der Norden hat die Helge- und Kra- unlogische Verstösse begehen und
kasage der Sigurdssage beigemischt, sehr genau wissen, dass die Gestalten
Deutschland die Dietrichssage mit die er auftreten liess, bis auf einigt-
noch grösserem Erfolg. Aber das Namen, Geschöpfe seiner eigenen
{glänzendste Beispiel ist unser Nibe- Einbildungskraft waren; gleicher
ungenlied. Gerade der ausgezeich- Weise konnte er sich über die Un-
nctste Teil, der zweite nämlich, ist Wahrheit der Thaten, die er sie voll-
lediglich aus einer solchen Ver- bringen Hess, unmöglich täuschen,
knüpfung hervorgegangen. Nähme Wie steht das in W iderspruch mit
man Rüd iger und Dietrich heraus, der nicht bloss in der frühesten Zeil,
die bedeutendsten Verwickelungen sondern noch bei den gebildetsten
und ergreifendsten Stellen würden Dichtern des Mittelalters herrschen-
fehlen und der ganze grosse Kampf den Überzeugung von der vollkom-
in die Erzählung von Gunthers und menen Wahrheit der Überlieferung?
Hagens tapferer Gegenwehr vor Kann man glauben, dass gerade die,
ihrer Überwältigung^ sich zusammen- welche man sich als Verfasser jener
ziehen. So aber treibt die Dichtung, Wrerke denkt, eine andere, der Klug-
frisch getränkt , neue Sprossen und heit unserer Zeit entsprechende All-
überall verkündigt sich ein höherer sieht nicht allein hegten, sondern
Schwung und eine reichere, gleich- auch mit ungewöhnlicher Schlauheit
f< innigere Fülle des Ausdruckes, verbargen? Uberall bricht eiu ehr-
Wahr ist es auf der anderen Seite, licher Glaube au die Wahrheit durch,
das Neue wird niemals ohne Ein- jede Zuthat und weitere Ausbildung
busse an dem Alten gewonnen, und galt für eine blosse Ergänzung der-
Einfachheit und Verstand der Grund- selben. Dieser Glaube ist freilich
sage leiden bei solchen Umbildungen naiv, aber nicht unverständig, denn
fast immer; aber wir haben an dem ; er will in dem Gemüte von Menschen,
ersten Teile des Nibelungenliedes die Historie und Poesie zu trennen
ein Beispiel, wie ohne eine solche noch nicht gelernt haben, nicht mehr
Erfrischung die Sage lückenhaft sagen, als dass hier nichts aus der
wird, in sich zerfällt und allmählich Luft Gegriffenes , sondern seiner
erlischt. Siegfrieds Jugendleben, nur letzten Quelle nach im wirklichen
unvollständig angedeutet , zum Teil \ Leben Begründetes aufgenommen
vergessen, Brunhildens damit ver- sei. Setzt man noch hinzu, dass auf
knüpftes Geschick, es würde sich eine Wahrheit dieser Art das Ganze,
besser, freilich auch in anderer Ge- wie jeder einzelne Teil, vollkommen
stalt bewahrt haben, wenn ein neuer denselben Anspruch machen könne
Strom der Sage wäre hiuzugeleitet und nach einer historischen Tbat-
worden" .... sache zu fragen vergeblich, ja sinn-
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Heldensage.
397
los sein würde, da in dieser poeti- 1 oder man stellt eine Anzahl Sagen-
scheu Läuterung und Herübernahme kreise auf, meist vier: 1. den nieder-
in das Gebiet des freien Gedankeus rheinischen oder fränkischen, dessen
jedes äussere Merkmal des Geschieht- Held Siegfried heisst; 2. den Br-
üchen leicht verschwinden müsste, gundischen, mit Gunther, Gernot
so hat man, wie es mir scheint, das und Giselher, Ute, Krimhild und
Richtige."' Brunhild, Hagen und Volker; 3. den
„ . . . . Das Epos, welches das ostgotischen Sagenkreis, dessen Hel-
Sanze Leben zu erfassen strebt^kann den ausser Dietrich von Bern, Hilde-
en Glauben an überirdische Dinge brand, Wolfhart, Wolfbrant, Wolf-
nieht hintansetzen, noch die Weise, win, Sigestab und Helfrieh heissen;
wie er sich äussert , ihr unbekannt 4. von Attila, wozu die Helden Rü-
bleiben. Es wird dort immer ein diger, Hawart, Iring und Irnfrit
wesentliches Element seines Inhaltes kommen. Es fällt in die Augen,
finden, ja, es scheint mir ohne eine dass diese Gliederung, weil rein ört-
solche Mischung des Leiblichen und lieh, nicht im ursprünglichen Wesen
Geistigen gar nicht bestehen zu der Sage begründet sein kann,
können, etwa wie Gesang beides, Uhland unterscheidet die Sagen von
Worte und Töne, verlangt. Keinem den Amelungen (Dietrich von Bern),
Gedichte, wenn es wahrhaft beseelt den Nibelungen und den Hegelingen
ist, fehlt innere Bedeutung oder eine (Gudrun).
sittliche Erkenntnis; aber nichts be- Die aus dem Kreis der deutschen
rechtigt uns bis jetzt zu der Ver- Heldensage erhaltenen Gedichte sind
mutung, dass die deutsche Helden- folgende:
sage aus Erforschung göttlicher
Dinge oder aus einer philosophischen Amelungeukreis.
Betrachtung über die Geheimnisse 1. Hildebrandslied, siehe diesen
der Natur nervorgegangen sei und Artikel.
in einem sinnbildlichen Ausdrucke 2. Sigenot; Dietrich von Bern
derselben ihren ersten Anlass ge- wird vom Riesen Sigenot überwun-
funden habe. Sie selbst hat, so weit den , in eine Höhle geworfen und
wir zurückblicken können, sich alle- zuletzt von seinem Meister Hilde-
zeit neben der Geschichte ihren Platz brand , gegen dessen Rat er ausge-
angewiesen. Die Lieder, welche die ritten und der den Riesen erschlägt,
Sage von dem aus der Erde ge- aus der Haft erlöst,
borenen Gott Thuisto und seinem . 3. Ecken Ausfahrt. Die Königin
Geschlecht enthielten, die Tacitus, I Seburg von Jochgrim in Tirol wünscht
Germ. 2, alte nennt, sind unterge- Dietrich lebend gefangen zu sehen,
gangen; meiner Ansicht nach be- Ecke zieht von Gripiar (Köln?) aus,
standen sie neben den Heldenliedern, um den Berner zu Dringen, verliert
dergleichen jene waren, welche die aber im Kampf das Leben. Dietrich
Thaten des Arminius feierten." I beklagt seinen Tod.
Man pflegt die Denkmäler der 4. Laurin. Die Helden zu Bern
Heldensage auf verschiedene Weise unterreden sich über Dietrich und
zu gliedern; entweder nach den preisen seine tapferen Thaten. Nur
Haupthelden Siegfried, Dietrich von Hildebrand will nicht canz zustim-
Bern und Gudrun, oder nach den men, da der Held noch nicht mit
beiden grossen Epopöen Nibelungen- 1 Zwergen gekämpft habe. Darauf
lied und Gudrun, denen man die zahl- : Auszug nach dem Rosengarten des
reichen kleineren Heldengedichte Zwergkönigs Laurin, dem Dietrich
nach älterem Vorgange unter dem den Zaubergürtel nimmt. Laurin
Namen Ueldenbuch gegenüberstellt; gewinnt seinen Schwager Dietrich,
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Heldensage.
dessen Schwester Similte er geraubt,
für sich und rettet dadurch sein
Leben.
5. Der Rosengarten. Krimhild
hält Hof zu Worms und hat daselbst
einen schönen Rosengarten, als dessen
Hüter Siegfried und eine Anzahl
seiner Helaen bestimmt sind; wer
diese Hüter besiegt, von dem ent-
bietet sich Krimhilds Vater sein Land
zu Lehen zu nehmen; ausserdem
sollen die Sieger einen Rosenkranz
und einen Russ von Krimhild zum
Lohn erhalten. Auf Hildebrands
Antrieb macht sich Dietrich von
Bern auf, um den Kampf zu be-
stehen, wirklich werden Siegfried
und die Burgundenhelden überwun-
den. Als eigentümlichste Figur tritt
in dem Gedichte der Mönch Ilsan
auf, Hildebrands Bruder, der Jahr-
hunderte lang eine Lieblingsfigur des
deutschen Volkes blieb.
6. Dietrichs Flucht. Dietrich von
Bern weicht, um seine sieben ge-
fangenen Recken, welche Ermennch
aufzuhängen droht, vom Tode zu
retten, von seinem Erbe zu den
Hunnen.
7. Rabenschlacht. Dietrich klagt
an Etzels Hofe um den Verlust seiner
Lande durch den alles verwüsten-
den Ermenrich und erhält von Etzel
ein Heer, seine Lande wieder zu
erobern : auch giebt Etzel dem Diet-
rich seine beiden Söhne mit, für
deren Leben sich Dietrich bei der
Mutter verbürgt hat. Vor Ravenna
lässt Dietrich sie nebst seinem eige-
nen Bruder Diethar unter Ilsans
Obhut zurück; aber voll Kamnfes-
sehnsucht bitten sie, man möge ihnen
gestatten, vor die Stadt zu reiten
und sich umzusehen. Da geraten
sie in das feindliche Heer und stossen
auf den furchtbaren Helden Wittich,
der mit seinem Schwerte Mimung
auf sie losstürzt und beide nach langem
rühmlichen Kampfe erschlägt. Diet-
rich , sobald er von der Sönne Tod
hört, verfolgt zwar Wittich zornig;
doch springt dieser ins Meer und
wird von einer Meerfrau aufgenom-
men. Darauf fol^t eine schmerzlich
rührende Klage der Helene um ihn-
Söhne, sie flucht Dietrichen, ver-
hiebt ihm aber, da sie seinen tiefen
Schmerz sieht und seine laute Klag-'
um die gefallenen jungen Helden
vernimmt.
8. Alpha rt-s oder Alhharts Tod.
Dietrich wird von sciuem Oheim
Ermenrich auf Sibichs verdächtigende
Anstiftung bekriegt. Dem heran-
ziehenden Heere reitet der junge
Alphart entgegen auf die Warte.
Dort wird er von den zu Ermenrich
übergegangenen beiden treulosen
Helden Heime und Wittich. zwei
gegen einen, bestanden und von
Wittich getötet. Den Gefalleneu
zu rächen dringen die Berner heran
und treiben Ermenrich in die Flucht
Die Dichtung zählt zu den schönsten
Denkmälern der Heldensage.
9. Biterolf und Bietleib. Biterolf.
König zu Tolet, verlässt heimlich
Weib und Kind, um die gepriesene
Macht des Hunnenkönigs Etzel selbst
kennen zu lernen, und begiebt sich
unerkannt in dessen Dienst. Als
sein Sohn Dietleib kaum herange-
wachsen, bcschliesst er, seinen Vater
zu suchen, zieht auch zu Etzel und
findet den Vater mitten in der
Schlacht. Eine Beleidigung, welche
der junge Dietleib auf seiuer Fahrt
von den rheinischen Königen bei
Worms erfahren, veranlasst einen
grossen Heerzug dahin, wozu Etzel
seine Hilfe giebt, auch Dietrich mit
seinen Recken, sowie Ermenrichs
Helden mit ausreiten. Nach sieg-
reichem Kampfe kehren Biterolf und
Dietleib zu Ltzeln zurück und wer-
den von ihm mit der Steiermark
begabt, wo sie sich mit den Ihrigen
niederlassen.
10. Dietrichs Drachenkämpfe.
Dietrich und seine Gesellen kämpfen
mit Riesen und Drachen: echter
Sageninhalt wird hier gänzlich ver-
misst.
11. Etzels Hofhaltung, eine all«'-
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Ht liand.
399
gorische Dichtung des 13. Jahrhun-
derts: Frau Saewie wird von dem
Wunderer gejagt und von Dietrich,
der den Jagenden tötet, errettet.
12. König Ortnit von Lamparteu
entfuhrt mit Hilfe seines Vaters, des
Zwerges Alberich, die Tochter des
Königs Marchorcl von Montebur,
die in der Taufe den Namen Sydrat
empfangt Über den Verlust zürnend,
sendet der König unter dem Schein
von Geschenken durch den Jäger
Velle dem Könige Oruit Drachen
ins Land, die herangewachsen alles
verwüsten. Ortnit selbst findet im
Kampfe gegen dieselben den Tod.
13. Huqaiefrich von Konstanti-
nopel gewinnt, als Mädchen i Hilde-
gund) verkleidet, des Königs Wal-
S" int von Salnecke schöne Tochter
ildburg. mit der er einen Sohn er-
zeugt Dieser wird heimlich ausge-
setzt und von Wölfen verschleppt;
von einem Jäger gefunden, gelangt
er an die Mutter und wird Wolf-
dietrich genannt. Walgunt willigt
zuletzt in die Ehe seiner Tochter
mit Hugdietrich, der Weib und Kind
heimholt
14. Wolfdietrich, dem seine Brü-
der, als einem unechten Sohne,
sein Erbreich streitig machen, sucht
dasselbe mit Hilfe seines getreuen
Meisters Brechtung und der Söhne
des letzteren zu erkämpfen. Er
wird durch Zauber entrückt und
seine getreuen Dienstmannen müssen,
zu Konstantinonel auf der Mauer
augeschmiedet, Wache halten. Vom
Zauber befreit, sucht er auf langen
Irrfahrten Beistand zu ihrer Erlö-
sung und zur Erlangung seines Er-
bes, was ihm erst gelingt, nachdem
er als Rächer des von den Lind-
würmern getöteten Ortnit die Haud
seiner Witwe uml mit ihr das Reich
zu Lamparten gewonnen hat.
B. Nibeiungenkreis.
Dahin gehören der hörnerne
Siegfried, das Waltharilied, das
Nibelungenlied und die Klage, wo-
rüber man die einzelnen Artikel
sehe.
C. Hegelingenkreis.
Dieser ist einzig durch das Ge-
dicht Gudrun vertreten.
Wilhelm Grimm, Deutsche Hel-
densage; Uhlands Schriften, Bd. 1;
Grässe, die grossen Sagenkreise des
Mittelalters; Ratsmann, Die deut-
sche Heldensage und ihre Heimat
Heiland (altsächsische Form von
Heiland) wird nach J. A. Sehmelier
eine altsächsische Evangelienhar-
monie aus den Jahren $'>S — 835
genannt. Als Evangelienharmonie
hat das Werk den Zweck die Be-
richte der vier Evangelien in ein zu-
sammenhängendes Ganze zu bringen.
Der Verfasser des vorliegenden
Werkes ist unbekannt. Notizen
über ihu finden sich in einer „Free-
fatio in liberum antiquum linqua
saxonica eonscriptum", welche aller-
dings nicht dem altsächsischen Ge-
diente voransteht, sondern in dem
Werke des Flacius Illyricus „Cafa-
logiu testium veritatw", das 1562
erschien, enthalten ist, aber doch
sicher zum Heliand in Beziehung
gesetzt werden muss. Diese Präfatio
zerfällt in zwei Teile: einen pro-
saischen und einen poetischen. Im
prosaischen Teile wird gesagt, wie
Ludwig der Fromme einen berühm-
ten Dichter, aufgefordert habe, den
Inhalt des alten und neuen Testa-
ments in deutscher Sprache zusam-
menzufassen. Der Dichter, welcher
dem Volke der Sachsen entstammte,
kam dem Auftrage seines Herren
nach und kleidete die ganze bibli-
sche Geschichte von dem Anfang
der Welt an bis Christi Tod in ein
poetisches Gewand. In den der
Prosavorrede folgenden Hexametern
wird als Dichter ein Bauer bezeich-
net, den eine himmlische Stimme
im Traume zum Dichter geistlicher
Gesänge entflammt habe. Diese
Anekdote ist offenbar im Anschluss
au die Erzählung von Kädmon
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400
Helfend.
(Beda, Kistoi-ia Eccle»iastka Lib. IV zu haben. Unterstützt wird diese An-
Cap. XXIV) entstanden, der auch sieht dadurch, dass genannte Verse
über Nacht ein gottbegnadigter im englischen Werke ohne Zweifel
Dichter wurde. Dass der Heliand Interpolationen sind, und dass sie
auf Veranlassung des kirchlich ge- eine grosse Ähnlichkeit im Wort-
sinnten Ludwig des Frommen ent- \ vorrat und der Ausdrucksweise mit
standen ist, erregt keinerlei Be- dem Heliand zeigen. Sicher be-
denken, dass hingegen der Dichter wiesen ist die Meinung Sievers noch
ein schlichter Bauer gewesen , ist nicht und man nimmt daher am
nicht wahrscheinlich, da das Gedicht besten an , dass die Mitteilung in
für die Leier eines ungebildeten der Präfatio auf einem Missverstand-
Volkssängers doch zu gelehrt ist. nis beruhe.
Die Bildung des Verfassers muss Der Heliand ist in altsächsischer
nicht unbedeutend gewesen sein, Sprache geschrieben und wird wahr-
da, wie Windisch in seiner Schrift: scheinlich in Westfalen entstanden
„Der Heliand und seine Quellen" sein. Das Versmass ist die alli-
Leipzig 1868, nachweist, ihm neben terierende Langzeile, welche aller-
der Bioel und der Evangelieuhar- dings zum christlichen Inhalt nicht
monie des Tatian noch Kommentare i gerade passt, so wenig als der heid-
zu den vier Evangelien vorgelegen nische Charakter des Walthariliedes
haben und zwar zum Matthäus aer zu den lateinischen Hexametern, in
Kommentar des Rhabanus Maurus, welchen das genannte Epos ge-
zu Markus und Lukas Kommentare schrieben ist. Unser Gedicht zeigt
des berühmten englischen Kirchen- die Alliteration schon in ihrem Ver-
historikers Beda und zum Johannes fall ; doch ist der Verfasser äugen-
ein Kommentar des Alkuin. Da scheinlich bemüht, den Inhalt in
der Kommentar des Rhabanus 822 Einklang zu bringen mit dem
geschrieben wurde, so kann diese Metrum, und zwar dadurch, dass
Jahreszahl als terminus a quo unseres er die Darstellung derjenigen der
^ Werkes genommen werden. alten Heldengedichte nähert. So
Wenn die Aussage der Vorrede, wird das Verhältnis des Heliands
dass der Dichter sein Werk vom zu seinen Jüngern wie das des
Anfang der Welt bis zum Tode Fürsten zu seinen Gefolgsleuten
Christi geführt habe, wahr ist, so geschildert, die Jünger sind des
hätten wir allerdings nur einen Teil Heilands „snelle degene". Auch
der ganzen Dichtung vor uns, da
uns nur die Bearbeitung des neuen
Testamentes erhalten ist. Es sind
nun verschiedene Untersuchungen
angestellt worden, um den Anfang
des Werkes aufzufinden. Wacker-
nagel sah in dem Wessobrunner
sonst macht sich der Dichter keine
Skrupel daraus, einzelne Motive und
Gegenstände, welche den Sachsen
im oiblischen Ausdruck unverständ-
lich gewesen wären, in das Licht
der gegenwärtigen Zustände und
Verhältnisse zu versetzen. Andcr-
Geoet den Eingang des ersten Teiles. I seits vermeidet er auch wieder, was
Bekannter ist die Ansicht von Sie- , seine Sachsen unangenehm berühren
vers geworden, welche auch manches 1 oder ihnen lächerlich erscheinen
für sich hat , und die er in seiner musste. So schweigt er von der
Abhandlung: „Der Heliand und die Beschneidung Christi und übergeht,
angelsächsische Genesis, Halle 1875", dass Christus auf einem Esel in
niederlegt. Er glaubt nämlich in Jerusalem eingeritten sei. Vermöge
der angelsächsischen Genesis Vers des volkstümlichen frischen Zuges,
235 — 851 ein Bruchstück des ge- der den Heliand durchweht, und
suchten alten Testamentes gefunden der poetischen und echt epischen
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HeUebarte. — Helm.
401
Sprache Ut das vorliegende Werk
ein schönes Denkmal unserer ältesten
Dichtkunst und hebt sich vorteilhaft
ab von der trockenen, mönchisch-
pedantischen Ausdrucksweise der
Evangelienharmonie des Weissen-
burger Mönches Otfried.
Der Heliaud ist uns in drei
Handschriften erhalten: 1. Eine
Münchner Handschrift. 2. Eine
Cotton-Handschriflt auf dem brit-
tischen Museum zu London, und
3. Eine Prager Handschrift, welche
aber nur wenige Verse enthidt und
welche der Cottonhandschrift sehr
nahe stellt. Mit einer Herausgabe
des Heliand beschäftigte sich schon
Klopstock, da es diesem sehr inter-
essant sein musste, einen so alten
Messiasdichter kennen zu lernen.
Zu einer Ausführung des Planes
kam es jedoch nicht. Die beiden
bekanntesten Ausgaben sind:
J. A. Schweiler: Hiliand, yoema
Ütrjro/iicum seculi noni. München
1830. 2. Band Glossarium 1840.
Moritz He)Tne, Paderborn 1866,
neueste Ausgabe 1883.
Hei lebarte. Nach Wackernagel
ist die helmbarte, heinharte, heiharte
„die Helme zerhauende Barte".
Richtiger bemerkt wohl Grimm, dass
Helm oder Halm soviel wie Stiel
und helmharte soviel wie Stielaxt
bedeute. Die HeUebarte ist eine
Streitaxt, c'.io von Reitern und Fuss-
v« >lk gebraucht wurde. Sie ist zwar
eine nicht ritterliche Waffe, diente
aber vortrefflich zu Hieb und Stoss.
Entwickelt hat sie sich unstreitig
aus der alten Streitaxt und zwar
dadurch, dass der Stiel bedeutend
verlängert, die Axt (die Barte) ver-
breitert und statt des abgestumpften
Haues eine Lanzenspitze angefügt
wurde. Der Barte gegenüber steht
ein Haken, der zum Reissen dient.
Die HeUebarte dieser Form
tritt nachweisbar erst um das Jahr
1300 auf und zwar in dem Ge-
dichte von Ludwigs Kreuzfahrt,
worin man aus der ausführlichen
Reailexicon der deutschen Altertümer.
; Beschreibung der WatFe auf die
' Neuheit des Gebrauches derselben
schlicssen will. Die HeUebarte
scheint rasche und allseitige Ver-
breitung gefunden zu habeu, nach-
, dem die Schweizer mit derselben
ihre Freiheit gegen Osterreich und
| Burgund so tapfer zu verteidigen
gewusst. Wie gefürchtet sie einst
jwar, sagt heute noch ein französi-
sches Sprichwort: Cela rime eomme
hallebarde et mis^ricurde.
Heller, mhd. der hallaere, haller,
\ kälter, heller, ist, mit Auslassung
| des Wortes Pfennig statt Haller
pfening, mittellat. denarius llallen-
sis, ein zu Schwiibisch-Hall gepräg-
ter Pfennig. Die Münze erscheint
zuerst 1228. Im 14. und 15. Jahr-
hundert findet man häufig die gröss-
ten Summen in Hallern, Schillingen
I (kurzen zu 12 , oder langen zu
' 30 Stücken) und Pfunden zu 240
Stücken Haller angesetzt. Der Wert
dieser Münze war nach Verschieden-
heit der Zeiten und der Münzstätten
verschieden, doch gingen meist auf
J den Pfennig jedes Ortes zwei Haller,
i daher denn auch Haller oft mit dem
Helbling verwechselt wurde.
Helm. Zu Tacitus' Zeit kannten
die Germanen noch keine Kopfbe-
i deckung. Barhaupt stürzten sie sich
in den Kampf, sträubten dabei die
Haare emoor, um dem Feinde recht
fürchterlich zu erscheinen. Den
Gebrauch des Helmes lernten sie
also wohl von den Römern. Schon
Diodor sagt von den Galliern, dass
sie eherne Helme trügen, mit Hörnern
und Schadelknochen geschmückt.
Eine beliebte Helmzierde der alten
Deutschen waren die Eberbilder, der
Talisman der Kämpfenden; auch
die Kopfhaut der Auerochsen, des
Hirsches und Elchs wurden in glei-
chem Sinne benutzt. Der Helm
hatte oft selbst die Gestalt eines
Eberkopfes und war aus Erz ge-
fertigt : daneben war auch die Fell-
kapne noch vielfach in Gebrauch.
Jene heidnischen Eberhelme wur-
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402
Helm.
den auch von den zum Christentum terer Bestandteil des Helmes hinzu,
bekehrten Sachsen in England fort- Die berühmte Tapete von Bayern
f reführt , allerdings nur von den (1066) stellt die meisten Krieger in
töheren Führern und vornehmen dem konischen Helm mit Naseublatt.
Kriegern. Zwei Exemplare sind aber ohne Nackenschirm dar und
unserer Zeit erhalten geblieben, zeigt deutlich, dass diese unbequeme
Das eine besteht aus Eisenrippen, Kopfbedeckung erst im Augeuoiicke
welche strahlenförmig zum Kopf- des Kampfbeginnens aufgesetzt
wirbel emporsteigen und deren Zwi- wurde. Die Rasenplatte des Glockeu-
schenräume mit schmalen Platten helmes erweitert sich in der Folgezeit
von Horn ausgefüllt waren. Der in den Werkstatten der rheinischen
andere besteht aus kreuzweis über- Waffenschmiede zu vollständigen
einander gebogenen Stangen, welche Gesichtsschirmen, die nur für die At-
durch einen um den KopT laufenden , mungs- u. Gesichtsorgane die nötigen
Reif zusammengehalten wurden. Auf ventaille (vinfafha, renfei fen) onen
beiden Seiten finden sich Fortsätze Hessen, während andere das Ketteu-
zum Anheften der Wangenbäuder. geflecht unter dem Kinn derart ver-
Dieser zweite Helm ist aus Erz magerten, dass es über die Stirne am
gemacht. Nach dem Waltharilied Helm festgeknöpft werden konnte,
war ein solcher Helm auch mit Eine solche Vorrichtung hiess fxir-
Helmbüschen oder Rossschweifen hier, barbel. Noch andere verläuger-
geziert. ten den Stirnteil der Kapuze, so-
Die erste historisch sicher nach- dass dieser beliebig hinaufgeschlagen
weisbare Form erhält der Helm (ahd. und herabgelassen werden konute.
ags. heim, altn. heim, hialm, got. So entstand das härsenier. iJ/tM
hilms) erst in der zweiten Hälfte stroufte im ab sin härsenier." „Sin
des 11. Jahrhunderts. Das spröde härsenier von im er zoch, des t traue
Erz hat dem schmiegsameren Eisen- in starJdu hifze") Unmittelbar auf
blech Platz gemacht, das anfänglich dem Kopfe liegt die lederne, aussen-
in niedriger Glockenform Schädel, beringte Hirnhaube \gupfe. Mibe,
Stirn und Schläfen deckt, während hüetelin, patical) als* schützende
unter demselben die aus Maschen Unterlage, sodass der Kopf drei-
gestrickte Kapuze und Halsberge die fach geschützt war, durch diese.
Verbindung mit der Brünuc her- durch die Kapuze des hauberts und
stellen. Das Gesicht ist einzig noch endlich durch den Helm. Zur Zeit
frei, wenn auch eng begrenzt; ein der Kreuzzüge tritt noch ein-1
starkes Stirnband giebt dem Hute \ schleierartige Helmdeckc hinzu, wel-
che nötige Festigkeit, und ein vorn che die syrischen Sonnenstrahlen
in der Mitte festgemeteter Metall- abzuhalten bestimmt war. Denkt
streifen (Nasenschirm , Nasenband, man sich noch die schwere Arbeit
nasale, nasile) gewährt der Nase eines solchen Krieges hinzu, so ist
et welchen Schutz. Dieser isenhuot wohl die Hitze des Kampfes, von der
erscheint bald auch mehr kegel- die Sänger soviel zu melden wissen,
förmig, um die Wucht der Streiche genügsam illustriert, und begreift
zu mildern , die auf dem näher an- man wohl, dass der Helm nur wäh-
liegendeu topfartigen Vorgänger rend des Kampfes getragen wurde,
immer noch empfindliche Erschüt- sonst aber am Sattel hing, ja, dass
terungen des Gehirns hervorrufen t er auch in den Pausen des Gefechtes
konnten. Nicht selten ist die Spitze abgelegt wurde, damit der Träger
des Kegels leicht nach vorn geneigt der Gefahr des Erstickens entgene.
und es tritt neben dem Nasenband Die Querschranze, der wagerechte
auch der NackenschUui als ein wei- Durchschnitt für die Augen, wird
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Holm.
403
oft durch eine senkrechte, nasen-
artige Verstärkung gekreuzt.
Neben dem Topf- und Glocken-
heim kommt die leichtere und be-
quemere sogenannte kleine Kessel-
haulte in Gebrauch, welche man als
eine Erweiterung der Hirnhanbe
oder wenn man will als eine Ver-
kleinerung: des alten Glockenhelms
betrachten kann. Sie wurde über
der Kettenkapuze getragen und war
mit derselben sogar zuweilen un-
mittelbar verbunden, denn sie bil-
dete im Grunde nur einen Ersatz
der Hirnhaube und wurde auch nicht
abgenommen, wenn man den Topf-
helm aufsetzte, vielmehr stülpte man
diesen über die Kesselhaube. Es
dürfte um die Mitte des 13. Jahr-
hunderts gewesen sein, dass man
darauf kam, an dieser Kesselhaube
ein Visier zu befestigen, welches
bei plötzlichen Fällen der Notwehr
heraogeschlagen werden konnte, falls
der grosse Topfhelm nicht zur Hand
war. Die kleine Kesselhaube dieser
Form fand sehr viel Beifall, denn
sie erlaubte es, sich in jedem Augen-
blicke durch Aufschlagen des Visiers
Luft und freie Umsicht zu gestatten
und sicherte den Krieger gleichwohl
ausweichend gögen Schläge, die nach
Hals und Gesiclit umfuhrt wurden.
Ihr grösster Nachteil war der, dass
das nerniederffelassene Visier als ein
rüsselartiger Vorsprung den feind-
lichen Schlag leichter auffing als
die Ovale und Flächen, und somit,
wenn auch keine Verwundungen, so
doch heftige Himersehütterungen
zuliess. Darum kommt mit und
neben ihr auch der einfache Eisenhut
auf, gerundet und spitz, ohne Visier,
aber mit breitem Rand. Der Eisen-
hut schützt nur Kopf und Stime,
während die Eisenkappe auch mit
Wangenkappen oder doch öfter
mitOnrsternen, Gehörrosen versehen
Im spateren Mittelalter tritt mit
dem Plattenpanzer die grosse oder
hochgekegelte Kesselhaube, beggel-
hüben (Beckenhaube) auf, die mit
ihrem Visier das Antlitz völlig deckt,
aber die Nachteile der kleinen teilte.
Daneben ist es der oben genannte
einfache Eisenhut und wieder der
Topfhelm in verschiedener Gestalt
und unter den Namen Stulphelm,
Helmfass, Kübelhelm, der vorzüg-
lich im ritterlichen Lanzenkampte
diente und noch immer über der
einfachen Kesselhaube getragen
wurde. Er besteht meist aus drei
bis fünf zusammengenieteten Leder-
flächen oder Eisennlatten, deren eine
die Scheitelschale bildet, die sich im
14. Jahrhundert mehr nach der
Höhe wölbte, weil sie in dieser
Form den wuchtigen Schlag der
Streitkolben weniger empfinden lässt.
als mit der ebenen Platte. Der
„r/rand heaume'\ welcher anfangs
des 14. Jahrhunderts in Frankreich
und England üblich war, ist sogar
nahezu eiförmig und überragt den
Schädel fast um Konfhöhe. Er
w urde meist in Verbindung mit den
Achselschilden (aileftes) getragen.
In Deutschland reichen während der
ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts
die Helmfässer noch nicht auf die
Schultern herab; bald aber ver-
längern sich die Seiten wände und
zwar meist derart, dass der Helm
auf den Achseln aufsitzt. Die Öff-
nung für die Augen besteht ent-
weder aus zwei Schlitzen, die bis-
weilen mit Messing eingefasst sind,
oder aus einem offenen Spalt |Seh-
schnitt l zwischen Kappe und Kübel
(Ober- und Unterteil ... An der Seite
befinden sich einige kleine Luft-
löcher und ein kreuzförmiger Ein-
schnitt zur Befestigung an aie Hals-
feste. Die Topfhelme wurden bald
blank, bald vergoldet, bald heral-
disch bemalt getragen.
Gegen Ende des 14. Jahrhun-
derts wird der Topfhelm wieder
niedriger, erhält aber ein Visier,
ähnlieh der Kesselhaube, welches
entweder Mund und Kinn allein
oder auch die Augen mit bedeckte.
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404
Helmbrünne. — Herold.
Er bürgerte sich jedoch nie völlig
ein, da er nicht mit der Maschen-
kapuze in Zusammenhang gebracht
war, und so wurde er denn bald
wieder verdrängt durch den ge-
schlossenen Kübel, der nun endlich
durch Abplattung des Hirnstückes,
sowie durch Ausschweifung des Ge-
sichtsschutzes diejenige Gestalt er-
hält, welche er als Stechhelm bis
ins 16. Jahrhundert hinein bewahrt.
Diese Krötenkopfhelme entsprachen
ihrem Zwecke vortrefflich. Der
obere Teil folgt der natürlichen
Rundung des Kopfes, der untere
schliesst sich bequem dem Halse
an und steigt über Kehlkopf, Kinn
und Nase, mit einem stark vor-
springenden Grate empor, so dass
er über der Nase weit ausladet.
Die Scbspalte, welche horizontal
über diesem Vorsprunge liegt, bietet
der Spitze de« feindlichen Schwertes
oder der Lanze keinen Anhalt; die
zurückweichenden Aussenseiten las-
sen den Hieb abgleiten; solide
Platten reichen auf Brust und
Kücken zum Kürass herab und
gestatten es, den Helm hier festzu-
schnallen. Aber diese Schutz waffe
war sehr schwer (18—20 Pfund)
und kostbar, und so kommt es, dass
sie als „grand heaume de joute" oder
„tilting pot-helm" mehr und mehr
dem Turnier anheimfällt, während
sie im Felde von der grossen Kessel-
haube und dem Eisenhute verdrängt
wird.
Bei der Reiterei kommt an der
Stelle der ersteren die sogenannte
Schale (Schaller) auf, oben nach
dem Schädel geformt, herabreichend
über Nase und Mund, hinten mit
einem grossen Nackenschirm oder
Schweif. Die unteren Partien des
Kopfes wurden durch die Kinnkappe
oder Barthaube geschützt, die zu-
gleich als Halsberge diente und
am Harnisch festgeschraubt werden
konnte.
Der Burgunderhelm brachte in
seinen Variationen das Visier zu
besonderer Entwickelung und zierte
sich mit allem möglichen Zierat Er
ist jedoch nicht deutschen Ursprungs,
weswegen wir hier nicht näher auf
denselben eintreten. Hauptsächlich
nach Jahns, Geschichte des Kriegs-
wesens.
Helmbrunne oder Helmhaube,
auch Ringhaube hiess man die
Maschenkapuze, welche teils zu bes-
serem Schutz, teils zur Verminde-
rung des Druckes unter dem Helm
getragen wurde. Sie war meist mit
Leinwand oder Leder gefüttert
Helmzierde, zifnier, zimierde,
nannte man den Helmschmuck, der
besonders dem Turnierhelm nicht
fehlen durfte. Er bestand entweder
in beliebig gewählten Figuren uud
Emblemen, oder er entsprach dem
Wappenbilde, das in gleicher Weise
auch auf dem Schilde, dem Waffen-
rock, den Pferdedecken und dtm
Banner angebracht war. Solcher
Schmuck macht den Trager des-
selben schon von ferne kenntlich.
Tristans Zimierde ist ein Pfeil, Wi-
galois' ein Rad, Gahmurets ein
Anker etc. Daneben kommen Helm-
busch, Federbusch und Helmdecke
vor, welch letztere aus Tuch be-
stand und wie ein Mäntelchen herab-
hinc, bald einfach, bald gefalt« t,
bald in wunderlichen Formen aus-
feschnitten. Neben den Wappen
ommen auch belaubte Zweige, Vogel-
flügel, Hörner, Tier- und Älenschen-
köpfe vor.
Herold ist seit dem 12. Jahrhun-
dert aus dem ebenfalls erst in dieser
Zeit erscheinenden französischen
Wort herauf, herauli, in der deut-
schen Form heralt oder umgedeutet
als erhalt übersetzt worden; das
französische Wort geht aber auf ein
althochdeutsches, als Appellati v nicht
mehr nachzuweisendes ahd. hario-
wall, Heerwalt, Heerbeamter zurück,
das noch im Eigennamen Chario-
waldu» erscheint; die späteren Ge-
stalten des deutscheu Wortes sind
i .folge weitererUmdeutungsversuehe
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Herr. — Herzog.
405
Ehrenholt, Ehrenhalt. H«-rolt. Hecr-
h<»lt, alle zu Gunsten vom Herold
eingegangen; doch klingt herald
noch nach in Heraldik, Wappen-
kunde, und in heraldisch. Welches
höhere Amt in Beziehung auf das
Heerwesen das deutsche Grundwort
ursprünglich bezeichnet, ist nicht
bekannt; das Amt selber aber und
sein Name musste in den romanischen
Ländern noch unvergessen sein, als
man seit der Ausbildung der Ritter-
spiele den Namen auf einen Beamten
anwandte, der über den regelrechten
Hergang b<ni Turnieren und die
Rittermässigkeit der daran Teil-
nehmenden die Aufsicht führte, und
zwar nicht früher, als bis bei den
Turnieren die Ahnenprobe der Ritter
und die Wappenprobe ihres Helmes
und Schildes zur Hauptsache des
Spieles geworden war. Nach dem
14. Jahrhundert erscheint das Amt
eines Heroldes als herrschaftliches
und kaiserliches nach Funktion,
Kleidung, Attributen, Lehrzeit aus-
gebildet, und der Herold wird nach
und nach Kenner und Richter des
Rittermässigen auch ausserhalb des
Turniers: zugleich ist er als fürst-
licher Bote, Verkündiger und Aus-
rufer, namentlich bei Aufzügen und
im Kriege gegen den Feind ver-
wendet Der Stand der Herolde ist
der b irgerliche; doch gereicht ihm
die Berührung mit dem fahrenden
Sängertum, aas zum Heroldsamte
beigelassen wird, nicht zu höherem
Ansehen. Die Verwendung des
Heroldes als Ausschreier, Eröffner
und Beschlicsser des alten Dramas
rührt von Rosenblüt her, der in des
Türken Fastnachtsniel des Türken
Wappenträger und Herold dazu ver-
wendete.
Von den Herolden oder Wappen-
kundigen geht eine besondere Art
poetischer Zeitgeschichte aus, die
Wackernagel Heroldsdiehtunq ge-
nannt hat; sie entsteht dadurch,
dass die von Fürsten, Herren una
Städten angestellten Herolde die
Kunst des Turnierens und du» Bilder
und Farben der Wappenkunst poe-
tisch betrieben; manche dieser Dich-
tungen haben die Form d«*r Feier
oder Klage gleichzeitiger Personen
erlauchten Standes. Grimm, Wör-
terbuch.
Herr ist die im 9. Jahrhundert
in substantivische Verwendung ge-
kommene, kontrahierte Komparativ-
form des Adjektivs kir, nhd. hehr,
und lautet ahd. herero, heriro, hSrro,
hero, ahd. herre, herre, besonders
in der Anrede her und her gekürzt.
Dieses Wort trat an die Stelle einer-
seits des älteren vr6,fr6, ursprüng-
lich von Gott und weltlichen Herren
febraucht und in der weiblichen
'orm Frau, ahd. froutea erhalten,
andererseits des ahd. fruchtin, welches
ursprünglich den Höchstgestellt<in,
den eigentlichen Herrscher be-
zeichnete. Anfänglich bedeutet das
alte heriro, herro zunächst nur den
höher Gestellten, den Befehlenden
gegenüber dem Knechte. In der
höfischen Periode wird herr der
Standesname für den Adeligen, herr
Walther von der Vogehreuie , herr
Wolfram von Eschenhaeh, herr keiner,
herr k'ünec, her Iicein, her Wirnf von
Grfivernberc; der unerwachsene Sohn
heisst junchSrre, Junker. Der per-
sönlichen Unterordnung der Vasallen
und Ministerialen gemäss unter einen
Lehnsherrn wird die Formel herre
min oder min herre, franz. monsieur.
sehr häufig, ohne sich, wie es in den
romanischen Ländern und im Nieder-
ländischen p-sehah, bis in die Gegen-
wart zu behaupten. In den Städten
Seht der Name tlerr auf die städtische
►brigkeit über, die regelmässig mine
herre n, meine herren heisst. Mit der
Zeit verwischt sich diese Standes-
bezeichnung und der Name Herr
sinkt etwa seit dem Beginn des
17. Jahrhunderts zu einem blossen
Höflichkeitszeichen herab.
Herzog: , ahd. herziogo, herzoao,
mhd. herzöge, aus ahd. heri, Heer
und einem vom Verb ziehen abge-
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»
400 Herzog.
lt-iteten, nur in Zusammensetzungen herzoglichen Würde verliehene Ge-
vorkommendeu, ahd. der zo/to, zo(j<> , walt war sehr umfassend. Der
also ursprünglich ..der mit dem Heer Herzog -fand dem Kriegswesen in
auszieht". Der Ursprung der her- seiner Provinz vor, erliess das Auf-
zoglichen Würde hängt mit der alten gebot und rückte au der Spitze
Sitte der Deutschen zusammen, für seines Heeres ins Feld; zu seinem
die Zeit des Krieges eiuen gemein- Amt gehörten die Stärkung des
schaftlichen Heerführer für mehrere Recht»'* und des Landfriedens, die
Landschaften zu wählen. Im friin- Sorgfalt für die gemeine Sicherheit
kischen Reich ist der Herzog ein und die Förderung der Landeswohl-
königlicher Beamter über mehrere fahrt. Er übte die Hoheit über die
unter ihm vereinigte Gaue, bald ihm untergebenen Bischöfe, Mark-
bloss für eine gewisse Zeit, bald grafen, Grafen und Herren, entbot
regelmässig vorhanden, dem ausser sie zu seinen Hoftagen, hielt mit
seiner militärischen Stellung auch ihnen Gerichte. Zum Herzogtum
andere Funktionen der staatlichen gehörten zahlreiche Vasallen, aus
Gewalt zukommen. Unter dem Her- des Herzogs Hand mit Reichsgütern
zöge blieb die gräfliche Gewalt zu belehnt und ihm durch die Baude
Recht bestehend, die sich namentlich der Lehenstreue verbunden. So
in der Leitung der Gerichte zeigte, traten die Herzöge fast mit einem
Der Umfang der Herzogtümer um- königlichen Ansehen auf und nanu-
fasste einen Kreis von drei bis zwölf ten sich früh Herzöge von Gottes
Gauen. Früh wurde die Bedeutung Gnaden. Auch das Amt dieser
der Herzöge im fränkischen Reiche naehkarolingischeu Herzöge , ur-
eine selbständige, sie wurden die sprünglich vom Kaiser eingesetzt,
Häupter der Stämme. Ursprünglich wurde mit der Zeit ein erbliches,
von den Königen eingesetzt, wurde Bei den Sachsen war die Vererbung
ihre Gewalt früh eine in bestimmten von Anfang an Gewohnheit; un-
Geschlechtern erbliche, welche die ruhige Zeiten brachten jedoch noch
Könige anerkennen mussten. Das mancherlei Wechsel, und es gelang
Gesetz ge währte dem Herzog höhere den Kaisern noch spät, wegen der
Richte namentlich ein mehrfach Verletzung der Pflichten gegen das
gesteigertes Wehrgeld. Er ruft das Reich ein Herzogtum zu entziehen.
Volk der Provinz zu allgemeinen Die fernere Entwickelung der her-
Versammlungen zusammen. Unter zogliehen Gewalt wird dadurch be-
Mitwirkuug des Volkes bestellt er stimmt, dass von unten herauf, von
die Richter, vielleicht hat er selbst den Bischöfen, Pfalzgrafeu. Mark-
die Grafen ernannt. Besonders in , grafen , Grafen und Herren , eine
Alamannien, Thüringen und Bayern Reaktion gegen die herzogliche Ge-
wurde die Gewalt des Herzogs inner- walt aufkommt, indem diese kleinen
halb seines Territoriums eine fast Gewalten die herzoglichen Rechte
selbständige. Karl der Grosse brach selber zu erwerben sich bemühen,
die Gewalt dieser dem Gesamtreiche Dieses gelang in mannigfacher
verderblichen Gewalten , und liess Weise , und seit dem Ende des
keine neuen Herzöge aufkommen. 12. Jahrhunderts teilten sich infolge
Beim Zerfall der karolingischen davon die weltlichen und geistlichen
Monarchie kamen aber infolge der \ Grossen in zwei Hauptmassen , in
wieder zunehmenden Bedeutimg der diejenigen , welche die Rechte des
einzelnen Stämme von neuem Her- Herzogtums, mit oder ohne diesen
zöge auf, zuerst bei den Sachsen, Namen, besassen und dadurch dem
dann in Bayern, Alemannien, Fran- Reiche unmittelbar verbunden wa-
ken und Lothringen. Die mit der ren, und in diejenigen, wobei jenes
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Hexen und Hexenprozesse.
407
nicht der Fall war. Im 13. Jahr- Aus dein Wallen des Wassers, dein
hundert hiessen jene Fürsten, diese Kräuseln der Zuthaten in der Hitze,
Herren. vielleicht aus dem Bodensatze las
Hexen und Hexen prozesse. Das die Frau die Zukunft Der Seidh,
Wort Hexe i^t ahd. hagazussa, ver- den auch Männer trieben, gab Macht
kürzt h«zu#} hazii, kazes, hazhm, über Menschen, Tiere und Wetter,
mhd. hecse, hexse, hesse; es ist jeden- Seine Wirkung war nach der Masse,
falls ein Kompositum, dessen erster die in den Kessel kam, verschieden.
Teil hag ist in der Bedeutung Land- Die Sinnesart der Menschen konnte
gut, Feld und Flur; der zweite Teil, verändert, Hass oder Liebe ihnen ein-
noch nicht genau nachgewiesen, geflösst werden; langsames Hin-
wird im Grimmschen Wörterbuche siechen, Versetzung aus der Ferne
mit die Schädigende erklärt, Hexe in die Nähe, zum Teil urplötzlich,
also als die den Hag schädigende, zum Teil unendliche Sehnsucht,
Der Ursprung der Hexen liegt welche den Fernen trieb; Verzau-
in den iceisen Weihern der alten berung auf hohe, unzugängliche
Germanen, Frauen, die, obgleich Orte, Erzeugung von Sturm, Un-
keine Priesterinnen, sich Vorzugs- wetter und Misswachs schrieb man
weise der Weissagung widmeten, dem Seidh zu. Auch Heilung der
und im Norden als volur, npAhmur, Krankheiten lag in der Hand der
n&dmr bekannt sind. Sie haben weisen Frauen; denn die Hei-
inren göttlichen Hintergrund an den lung war ein Opferdienst, der je
Sornen, welche durch die Vermeh- nach dem Leiden dieser oder
mng ihrer Zahl allgemach ihre Be- jener Gottheit gewidmet war; die
deutung einbüssten und sich der Frauenkrankheiten, namentlich die
Stellung weissagender Menschen- Geburten, standen unter Freyas
frauen näherten; nicht minder be- Macht, Wunden wurden den Schlaeh-
rühren sie sich mit den Walküren, tengöttern anempfohlen. Die be-
Das erste und älteste Eddalied, liebtesten Heilmittel sind Sprüche,
Völusmi, d. h. der Wala Weissagung, Segen, Stäbe mit Runen Deritzt,
legt einer Seherin die Verkündigung Tränke aus Kräutern, Salben una
des Weltgeschickes in den Mund; Pflaster.
sie zieht im Lande herum, weis- Dem Christentum erwuchs indem
sagend, mit Zaubersprüchen vertraut Stande der weisen Frauen eine uner-
und auf Zauberwerk geübt. In bittliche Gegnerschaft, zumal da der
anderen Quellen werden die Walen neue Glaube und Kult besonders aus
von den Gläubigen eingeladen, ihnen dem Orient Bestimmungen enthielt,
über das Leben, über das Gedeihen welche die Heiligkeit der Frau ver-
der Feldfrüchte im nächsten Jahre letzten; namentlich war festgesetzt,
und über anderes zu weissagen, dass sich keine Frau dem Altare
Meist von einem Gefolge umgeben, nähern und keinen noch so äusseren
im Lande herum wandernd , ist die Dienst an ihm und für ihn besorgen
weise Frau bei den Herbstgastereien durfte; beim Abendmahle durften
ein willkommener Gast, der in der die Weiber als unreine Wesen die
Nacht den Zauber siedet und vom Hostie nur mit dem Schleier an-
vierbeinigen Schemel herab seine fassen , um sie in den Mund zu
Weissagungen verkündet. Der»SW<M, stecken. So lässt sich begreifen,
der zur Ausübung der Seherkunst dass die deutschen Frauen sich jetzt
unerläßlich scheint, muss ein Sud gern den ketzerischen Sekten an-
aus allerlei zauberkräftigen Dingen schlössen und hier für ihre Neigung
gewesen sein, der unter Hersagen zur Innerlichkeit, zum Geheimnis-
von Spruch und Lied bereitet wurde. ! vollen und Gottesdienstlichen mehr
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408
Hexen und Hexenprozesse.
Befriedigung fau len als iu der herr- tage aufgerichteten Maibäume waren
sehenden Kirche, welche nun gegen ursprünglich grüne, nach oben £e-
das Hejcentcesen einen vielhnndcrt- richtete Besen und es ist wahrschem-
jährigen Kampf führen zu müssen lieh, dass die im Dienste Donars
meinte. I stehenden Priesterinnen meist Besen
Der Beweis dafiir , dass die getragen haben. Die Verwandlung
Grundlagen des Hexenwesens wirk- \ der Hexen in Schmetterlinge una
lieh aus uem germanischen Altertum Fliegen erinnert an ihre Elben -Natur,
stammen, liegt in folgenden Zügen, das Verbergen in Strohhalme und
Was bei den Hexen die Zauberei Federn an den Schwan und an eine
ist, ist nichts anderes als das einst Feldgottheit; die schlimme Ein-
edlere und reinere Amt der Weis- , Wirkung der Hexen auf die Kühe
sagung; namentlich ist das Besch wo- steht im Zusammenhange mit der
ren. Besingen, Besprechen, Berufen, ' Kuh als dem Symbol der Frucht-
und Segnen der Hexen schon den barkeit und ihrem Bezüge mit den
weisen Frauen eigen gewesen. So elbischen Geistern. Auch im Ge-
erscheint in den Werk/ eugen der folge des wilden Jagers findet man
Hexen das alte Opfergerät : der sie. Als Zeiten sind den Hexen die
Kessel, in dem sie den Zauber sieden, heiligen und Gerichtszeiten einge-
ist der Opfer- und Seidhkessel; der räumt, Ostern oder Mai, Mitsommer
Tanz der Hexen bei ihren vermeint- und Herbst. Der Vorwurf, dass sie
liehen Versammlungen mahnt sowohl Pferdefleisch geniessen, erinnert an
an die Tänze der Elbinnen auf die alten Opferschmause.
Hügeln und Wiesen, wie an den Schon früh wurden bei den chri-
Tanz der Priesterinnen ; die Ver- stianisierten deutschen Stämmen He-
bindung der Götter mit ihren Die- Stimmungen gegen Beeinträchtigung
uerinnen wurde zum Bunde der des Lebens durch Gift oder geheime
Hexen mit den Teufeln. Der Wetter- Künste getroffen; auch wird schon
und Liebeszauber der Hexen er- einer Hexenverfolgung im grossen
innert an Freya; ebenso die Ver- j unter den Merowingeru erwähnt.
Wandlung der Hexen in Katzen, Der lan^obardische König Rothar
welche derselben Göttin geheiligt ^ und Karl der Grosse eiferten gegen
waren; die Verwandlung in Gänse , den Hexenaberglauben und bedroh-
bringt die Hexen den Schwankung- ten diejenigen mit schweren Strafen,
frauen nahe, den Walküren, denen welche sich gegen einen solchen ver-
auch das Fliegen durch die Luft meintlichen Verbrecher vergehen;
angehört ; die später erwähnten doch Hessen namentlich die Geist-
Mittel, das Fliegen zu ermöglichen, ' liehen von ihrer Hexeu Verfolgung« •
Salben und anderes, sind jüngeren 1 sucht nicht ab. Zum Teil unechte
Datums, alt dagegen die Nachricht, j Konzilienbeschlüsse des 4. Jahrhun-
dass die Hexeu auf Rossen durch derta sowie die dem Atigustin zu-
die Luft reiten und dass sie der i geschriebene Schrift de spiritu et
Teufel, Wuotan ist gemeint, in anima gaben die Grundlage für neue
seinem Mantel durch die Luft führe, kirchliche Bestimmungen, welche.
Der Besen steht zu Donar und von der weltlichen Macht bestätigt
Wuotan in Beziehung; er ist zu- und angenommen, zur Verfolgung
n*?clist ein Bild des auseinander- aller Arten sogenannten Zaubers
fahrenden , die Luft oder den dienten. Noch ist aber der Teufel
Himmel vereinigenden Blitzes, in nicht herbeigerufen; erst die Inqui-
Verbindung mit den oft besenartig sitoren des 13. Jahrhunderts wussten
erscheinenden Sturmwolken, die den ihn den armen Hexen zu vermählen
Himmel fegen. 'Die am Walpurgis- und erbauten aus den ketzerisch* u
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Hexen und Hexenprozese>\
409
Meinungen früherer und der eigenen
Zeit eine völlige Teufelslehre. Da-
bei war der volkstümliche Glaube,
der sieh andie klugen Frauen knüpfte,
eigentlich Nebensache. Die Bulle
Summt* desideranfes des Papstes
Innocenz VIII. vom 5. Dezember
14S4 gab schliesslich die Losung,
die seit etwa 1450 in Frankreich
begonnenen Hexenprozesse allgemein
zu verbreiten. In dieser Bulle wur-
den die für Deutschland bestellten
Ketzerrichter, die Dominikaner Hein-
rich Imtitor (Kramer) und Jakob
Sprenger, Professoren der Theologie,
beauftragt, mit allem Eifer auch
j -ne Zauberer zu verfolgen. Beide
unterzogen sich ihres Auftrages aufs
eifrigste, schrieben auch mir Appro I
bation der theologischen Fakiutät
zu Köln den berüchtigten Ma Ileus
maleß carum oder Hexetutammer, 1489
erschienen, in welchem die Lehre
vom Zauberbunde mit dem Teufel
weitläufig auseinandergesetzt, ihre
Realität bewiesen . mit einer Masse
Beispiele belegt und umständlich
gezeigt wird, wie weitliche und geist-
liche Richter gegen die Hexen ver-
fahren müssen.
Man vermutet, dass es nicht bloss
der Verfolgungswahn und die Teufels- 1
dogmatik der Kirche , verbunden |
mit der meist schlechten sittlichen
Lebensführung der als Hexen an-
feklagten Weiber, und der Methode
es Frozessuiereus gewesen seien,
was die zahllosen Hexengeständnisse
ermöglicht, sondern zugleich der Ein- I
fluss eines narkotischen Mittels. Bei j
allen Hexengeschiehten ging der
Hexenfahrt eine Einreibung mit '
einer Hexensalbc voraus und oft ist
von einem Hexentrank dir* Rede.
Die Zusammensetzung der Salbe ist
nicht genau bekannt; Bilsenkraut
wird dabei genannt. Dass der Stech-
apfel dabei eine Rolle gespielt habe,
ist durch neuere Untersuchungen
widerlegt; er wurde erst später in
Europa eingeführt.
Fast überall lautete das Geständ-
nis der als Hexen angeklagten Weiber
gleich; der Teufel, biess es, sei unter
der Gestalt eines anständigen Mannes,
eines Junkers, Reiters, Jägers, Bür-
gers, und unter verschiedcnenXameu :
Volland, Federlin, Federhanns, Claus,
Hölderlein, Peterlein, Panperlen,
Zucker, Kasperle, Grässle, Hämmer-
lein, Kreutle u. s. w. zu ihnen ge-
kommen ; am Ende hätten sie ihn
aber immer an seinen Bocksfüssen
erkannt. Er habe versprochen, ihnen
in ihren Bedrängnissen beizustehen,
ihnen auch Geld gegeben (das sich
aber meistens in Scherben oder
Dung verwandelt » und sie mit glatten
Worten zu einem Bündnisse mit ihm
verfuhrt. Sie hätten sich ihm ganz
hingegeben, Gott gelästert und ihm
abgesagt, dem Teufel gedient und
ihm versprochen, Menschen und
Tieren möglichst Schaden zuzufügen.
Sie haben Zusammenkünfte mit uem
Teufel und anderen Hexen und
Zauberern bei Nacht auf benaeh-
barten Bergen odir in Sehlösseru,
auf Heiden, im Rathaus und im
Ratskeller gefeiert, dort geschmaust
(in der Regel ohne Salz und Brot),
getanzt und allerlei Unfug getrieben;
zu diesen Festen seien sie auf Ofen-
gabeln oder Besenstielen oder auf
einem schwarzen Bocke oder auf
Pferden durch die Luft geritten mit
Hilfe einer Hexensalbe, mit der sie
sich oder die Gabel bestrichen Der
Teufel habe ihnen auch gelehrt,
Menschen und Vieh durch Berührung
Krankheiten anzuhängen, Gewitter
und Wind zu machen und ihnen ein
Pulver gegeben, mit dem sie fremde
Felder verderben könnten.
Den Umstand, dass erst gegen
Ende des 15. Jahrhunderts die Hexen-
prozesse in Gang kamen, während
doch der dem Hexenweseu zu Grunde
liegende Aberglaube uralt ist und
nie aufgehört hatte, erklärt Wächter
vornehmlich daraus, dass in dieser
Zeit eine wesentliche Änderung im
prozessualischen Verfahren und Be-
weissystem eintrat. Damals fingen
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410
Hieronyniiden.
die Gerichte an, zum Teil auf kaiser- unter die Arme oder unter die Fuss-
liche Privilegien gestützt und nach sohlen. Als häufiger Verdachtsgrund
dem Vorgange der geistlichen Ge- galt: im Gerüche der Hexerei stehen,
richte, das alte, rein formelle, auf wozu es oft bloss äusserlicher Leibes-
dem Eid und den Eideshelfern be- gebrechen bedurfte; weitere Indi-
ruhende Beweissystem zu verlassen, zien waren Flucht, anderen beige-
alles vom Geständnisse der An- brachter Schaden, auch wenn bloss
geschuldigten abhängig zu machen . ein Anwünschen des Bösen , oder
und dieses auf alle Weise her- eine Berührung vorherging, wenn
beizuführen. Als Mittel hierzu die Person anderen nicht offen in
wurde, wieder nach dem Vorgange die Alicen sehen kann, wenn sie
der geistlichen Gerichte und der lange m den Tag hinein schläft,
italienischen Praxis und Doktrin, mitternachts vom Hause abwesend
von der deutschen Wissenschaft und ist, Wunden oder Striemen am Leibe
Praxis zur Folter gegriffen. Pas Be- hat, wovon man die Ursache nicht
weisverfahren im Kriminalprozesse kennt, wenn jemand aus freien
war nun lediglich auf Zeugen und Stücken Hexen verteidigt und be-
auf Geständnis des Angesehuldigten hauptet, was man von ihnen sage,
gebaut und das Mittel, das letztere sei Thorheit. Das gefährlichste ln-
erbeizuführen, war die Folter. Die dicium war aber die Angabe von
Wirkung der Folter wurde dadurch Genossinen von seiten gefolterter
verstärkt, dass man bei den Hexen- Hexen.
Prozessen von den bestehenden Unter diejenigen, welche gegen
Grunds itzen ausdrücklich abstra- ■ den Hexeuglauben und die Prozesse
hierte, nach welchen der Angeschul- auftraten, zählen namentlich der
digte freigesprochen werden sollte, Jesuit und Dichter Friedrich von
wenn er die einmal angewandte 8peey dessen Cautio criminalii im
Folter überstand und nicht nachher ! Jahre 1631 erschien, dann der re-
neue selbständige schwere Verdachts- formierte Prediger zu Amsterdam
gründe an den Tag kamen; dem ent- I Balth. Belker und Christian Tho-
gegen erfand man die Gattung der I masius durch seine „Lehrsätze von
aetieta excepta, bei welchen der , dem Laster der Zauberei'4. Die
Richter die beschränkenden Vor- Gesetzgebung hat den Hexenprozess
schrifteil der Gesetze übertreten zuerst in Preussen, dann in Öster-
dürfe und unter welchen nament- reich unter Maria Theresia unter-
lich die der Hexerei Angeschuldigten drückt; zu Glarus wurde noch 1782
kamen. Die Schmerzen, welche die | eine Hexe verbrannt.
Folter hervorrief, waren aber so i Weinhold , Deutsche Frauen ;
entsetzlich, dass der Gefolterte alles Wutfke, Aberglauben ;Soldau,Hvxon-
aussagte und auf sich nahm, was prozesse, neu bearbeitet von Heppe,
der Richter nur wünschte. Man 2 Bde. 1880; GWwiw.Mvtliol.Kap.34,
begann die Folter oder die peinliche und Wächter in den Beiträgen zur
Frage meist mit dem Daumenstock'; Geschichte des deutschen Strafrechts,
half dieser nicht, so nahm man die Hieron ymiden. Hieronymitaner,
Beinschrauben oder den spanischen Einsiedler, Eremiten des" heiligen
Stiefel) der nächste Grad war der Hieronymus, heissen verschiedene
Zug, auch Expansion oder Elevation Zweige eines Ordens, der als Schutz-
genannt; endlich nahm man brennen- patrou den heiligen Hieronymus Ver-
den Schwefel oder brennendes Pech ehrte und nach der Regel des heiligen
zu Hilfe, das man auf den nackten Augustin lebte. Der Orden entstand
Körper träufelte, oder man hielt den zuerst um 1370 im Kirchspiele von
Angeschuldigten brennende Lichter ! Toledo und breitete sich bald aus;
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Hildebrandslied.
411
St. Just und der Eskurial gehörten
ihm an Ordeuskleidung war ein
weisser Rock von grobem Stoffe,
eine kleine schwarze Kapuze und
ein schwarzes Skapulier.
Hildebrandslied.
1. Das ältere liildebrandslied
ist das einzige und zwar bloss frag-
mentarisch erhaltene altgermanische
Heldenlied; es ist in einer Hand-
schrift des 8. oder 9. Jahrhunderts
auf uns gekommen und in hessischer,
stark niederdeutsch gefärbter Mund-
art wahrscheinlich zu Fulda nieder-
geschrieben. Die Form ist der alli-
terierende Vers. Hildebrand, der
Waffenmeister Dietrichs von Bern,
i>t mit seinem Herrn, vor Odoaker
fliehend, zu den Hunnen ins Exil
gezogen. Nach Jahren an der Spitze
eines hunnischen Heeres zurück-
kehrend, tritt ihm sein Sohn Hadu-
brand mit einem Heere entgegen.
Hildebrand und Hadubrand rüsten
sich zum Zweikampf; man darf ver-
muten, dass der Ausgang desselben
beiden Parteien als Gottesurteil gel-
ten soll. Bereit zum Kampfe, fragt
Hildebrand den jüngeren Gegner
um seinen Namen: Du brauchst mir
nicht Dein ganzes Geschlecht zu
nennen, nenne mir nur einen, ich
kenne sie alle. Hadubrand antwor-
tete: Das sagten mir unsere Leute,
alte und weise, dass Hildebrand
mein Vater heisse: ich heisse Hadu-
brand. Er zog ostwärts, floh Odo-
akers Hass, hin mit seiner Degen
viel; er Hess im Lande zurück elend
sitzen seine Gattin im Hause, den
unerwachsenen Sohn. Immer stand
er an der Spitze des Volkes, stets
war der Kampf ihm allzulieb; nicht
meine ich, dass noch im Leben er
sei. Auf diese Worte giebt sich
der Alte zu erkennen, und zur Be-
stätigung der Wahrheit bietet er
dem Sonne an der Spitze des
Speeres goldene Armringe. Hadu-
brand verschmäht jedoch diese, hält
den Greis für einen arglistigen Be-
trüger, der, wenn er sich nähere, die
Ringe abzuholen, den Speer nach
ihm schleudern würde: „Mit dem
Speer soll der Mann Gabe empfangen,
Spitze wider Spitze; du bist dir,
alter Hunne, unmässig klug, ver-
lockst mich mit deinen Worten,
willst mich mit deinem Speere werfen;
bist ein so alter Mann und führst
doch stets noeh Ränke bei dir! Das
sagten mir Seefahrende, westwärts
über das Wendelmcer (Ozean), dass
Kampf ihn davonnahm : tot ist Hilde-
brand, Ileribrands Sohn!" Überaus
schön und wahr klingt nun aus dem
Munde des Vaters die Klage über
das schmerzliche Geschick, das ihn
betroffen, „Weh nun, waltender Gott!
Wehschicksal geschieht! Ich wan-
derte der Sommer und Winter sechzig,
da man mich stets scharte ins Volk
der Schützen, da man mir vor keiner
Burg den Tod brachte: nun soll
mich mein eigenes Kind mit dem
Schwerte hauen, erschlagen mit sei-
nem Beile, oder ich ihm zum Mör-
der werden! Doch, es sei! Der
wäre ein übler Feigling, der den
Kampf jetzt weigerte, nach dem den
Gegner so sehr gelüstet! Das Ende
erweise, auf welcher Seite das Recht
sei!" Hierauf beginnt der Kampf,
sie eilen mit den Speeren auf ein-
ander los, diese prallen von den
Schilden ab, sie verlassen die Pferde
und zerhauen die Schilde mit den
Schwertern. Hier bricht leider die
Handschrift ab. Obgleich sich die
Handlung durch die Erwähnung
Dietrichs und Odoakers als ein Teil
der an Theodorich den Grossen sich
anlehnenden Dietrichsage giebt, ist
es gerade hier sehr wahrscheinlich,
dass erst spätere Zeit diesen Kampf
zwischen Vater und Sohn in den
Kreis historischer Begebenheit ein-
gereiht hat, die Handlung selbst aber
einer weit älteren Sagenstufe ange-
hört; ganz ähnliche Sagen findet
man bei den Persern in der Episode
von Rostem und Suhrab des Firdu-
sischen Königsbuches und in der
serbischen Erzählung von Predrag
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412
Himmel, Erde und Elemente.
und Xemad; der Ausgang dieser j
beiden genannten Sagen, wonach
der Vater den Sohn erschlägt, liisst 1
einen ähnlichen Ausgang des deut-
schon Gedichtes vermuten.
2. Das jüngere Hildebrandslied.
Ein seltsames Geschick hat densel-
ben Stoff, der uns in dem ältesten
erhaltenen deutschen Heldenliede
entgegentritt, im 15. Jahrhundert
nochmals als letzten Zeugen der ab-
sterbenden Heldensage erhalten: bis
ins 17. Jahrhundert war das Lied
vom Vater mit dem Sohne in der
Nibelungenstrophe, die von diesem
beliebten Gesang lange den Namen
Hildebrandston trug, weit verbreitet.
Die Manier ist, der Zeit angemessen,
holzsehnittartig, markiert, mit viel
kräftigem Humor und zuletzt in ein
Liebesmotiv ausklingend. Herzog
Amelung (es ist Dietrich gemeint)
wird von Meister Hildebrand be-
richtet, er sei gesonnen, einen Be-
such in seiner Heimat Bern bei sei-
ner Frau Uten zu machen, wo er
32 Jahr nimmer gewesen sei. Wenn
das sei, sprach Herzog Amelung, so
möge er den jungen Herzog Ale-
brant der die Grenze bewache, und
alle Fremden anrenne, von ihm
grüssen und ihm sagen, er, Ale-
brant, möge ihn, Hildeorand, freund-
lichst reiten lassen. Hildebrand
freut sich aber schon auf den ihm
erwünschten Strauss und da auf
der Marke Alebrant ihm entgegen-
tritt, giebt es sofort beiderseits
schnöde und landsknechtmässige
Spässe und Sticheleien. Wie nun
gar der Junge dem Alten einen
kräftigen Hieb versetzt, da brennt
Hildebrand auf, entreisst durch eine
List dem Gegner das Schwert, er-
wischt ihn bei der Mitte und schwingt
ihn hinterrücks ins grüne Gras.
Wie jedoch nun der besiegte Ale-
brant meldet, wer er sei, aa giebt
sich Hildebrand ebenso freun dlieh,
als er vorher kampflustig gewesen,
zu erkennen, küsst den Sohn an den
Mund, und beide ziehen versöhnt in
Alebrants Burg ein. Hier setzt Ale-
brant den Alten oben an den Tisch,
und da die Mutter, die ihren Gatten
auch nicht erkennt, darüber zürnt,
dass der Sohn einem gefangenen
Mann soviel Ehre erweise, da nennt
jener des Vaters Namen:
Ach Mutter, liebste Mutter,
Nun beut ihm Zucht und Ehr !
Da hub sie auf und schenket
Und trugs im selber her.
Was het er in seinem Munde?
Von Gold ein Fingerlein:
Das licss er in Becher sinken
Der liebsten Frauen sein.
Himmel, Erde und Elemente
»Vi der mittelalterlichen Kunst. So
wenig als in der Mythologie ist in
der Kunst des heidnischen Alter-
tums der weltbildende HimmeUgott
zur ausgebildeten Darstellung ge-
langt, und auch die Personifikation
des Himmels nach seiner räumlichen
Bedeutung, das Himmelsgewölbe als
Sonnenbahn und Wohnsitz der Göt-
ter, erscheint nur selten bildlich dar-
gestellt. Bestimmter ist bei den
Alten die Persönlichkeit der Erde
ausgeprägt, namentlich wird Gaa
oder Teltus in spätrömischer Zeit als
ein liegendes Weib gebildet, mit
nacktem Oberleib und als Attribute
1 ein Füllhorn oder Blumen im Schooss
oder einige Kinder bei sich habend
Ähnlich erscheint sie in der alt-
; christlichen Kunst als die „heilige
Erde", welche den Leib des Men-
1 sehen in sich birgt, oder dann als
Schemel der Majestät Gottes. Die
I persönliche Darstellung vom Himmel,
Mrde und Meer war namentlich in
der romanischen Periode herrschend.
Als Schauplatz und Zeugen der
Thaten Gottes erscheinen eie bei
der Schöpftmg und dem jüngsten
Gericht, und begleiten zugleich nach
seinen Hauptepochen das Leben
Jesu, Geburt und Taufe, Kreuzigung,
und Verherrlichung, um damit aus-
I zudrücken, dass diese Ereignisse für
I die ganze Welt Bedeutung haben.
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HLtoricnbibeln.
Hofamter.
413
Und zwar siebt man entweder drei
Personen als Himmel, Erde und Meer,
oder bloss zwei, Himmel und Erde
oder Eide und Meer, die Erde weib-
lich, Himmel und Meer bald weib-
lich, bald männlich vorgestellt: als
Attribute kommen dem Meer Urne,
Seedrache oder Dreizack zu, der
Erde Länder, oder Tiere, besonders
Schlangen, die an ihrer Brust saugen.
Piper, Mythol. d. christl. Kunst, II.
S. 45.
Historieubibt In nennt man im
Mittelalter beliebte Zusammenstel-
lungen der historischen Erzählungen
des Alten Testamentes. Man kann
zwei Gattungen derselben unter-
scheiden: 1) eine vollständige, pro-
saische Bearbeitung der historischen
Bücher des A. T. nach dem Text
der Vulgata, enthaltend den Pen-
tateueh, Josua, Richter, Bücher
Samuel s und der Könige, wobei in
die Geschichte Davids einige Psal-
men, in diejenige Salomos das ge-
reimte hohe Lied eingeschlossen
sind: ferner Daniel, Judith, Tobias,
Hiob, Esther, Maccabäus und einige
apokryphisehe Stücke. Die Hand-
schriften gehören dem 14. und
1 5. Jahrhundert an. Der unbekannte
Verfasser scheint ein Alemanne vom
oberen Rheni gewesen zu sein.
Manche Handschriften sind illu-
striert. 2) eine Prosaauflösung der
Weltchroiuk des Rudolf von l£ms.
Beide Werke herausgeg. v. Merzdorf,
die deutschen Histonenbibeln des
Mittelalters, in Bd. 100 und 101 der
Bibliothek des literarischen Vereins.
1870.
Hochzeiten, geistliche, Weissen
die Feste, welcne am Tage der Auf-
nahme in ein Kloster, sowie an dem
Tage gefeiert werden, an welchem
ein junger Priester zum ersten Male
eine Messe und Vigilie halt; das
letztere Fest heisst auch erste Messe.
Früh arteten beide Feste in Prun-
ken und Schwelgen aus und wur-
den deshalb ein Gegenstand polizei-
licher Verordnungen; auch Bischöfe,
wie der von Bamberg 1490, erlies-
sen Statute dagegen. Zu Nürnberg
war im 14. Jahrhundert nur ein
Mahl für die Eltern und Geschwister
erlaubt; an anderen Orten war die
Zahl der Eingeladenen auf zehn be-
schränkt; wieder an anderen Orten
wandte man auf die geistlichen
Hochzeiten einfach dieselben eiu-
schränkenden Bestimmungen an,
welche für die weltlichen Hoch-
zeiten galten. Wie bei diesen letz-
teren, so wurden auch bei den geist-
lichen Hochzeiten Geschenke erteilt.
Eine Hausfrau vertrat bei diesem
Teste die Stelle der leiblichen Mutter,
sie übernahm die Mutterschaft, wo-
bei an manchen Orten die Teil-
nahme der wirklichen Mutter gänz-
lich verboten war ; jene geistliche
Mutter sass dann mit anderen zur
Teilnahme erbetenen Frauen wäh-
rend der kirchlichen Handlung am
Altare, eine Sitte, gegen die eben-
falls zu Zeiten obrigkeitlich einge-
schritten worden ist. Siehe Kriegk,
Bürgertum, II, Abschn. 10.
fiofamter erscheinen zuerst ain
fränkischen Hofe, wo sich seit Grün-
dung des fränkischen Reiches das
öffentliche Leben konzentrierte und
dem Könige Männer zur Seite stan-
den, welche den Hofdienst um die
Person des Königs und den eigent-
lichen Staatsdienst zu besorgen
hatten. Dieselben scheinen ur-
sprünglich aus der Zahl der Un-
freien genommen worden zu sein,
gingen aber früh auf höher gestellte
und freigeborene Leute über, welche
zunächst den Dienst bei der Per-
son des Herrn selbst zu besorgen
hatten, damit aber zugleich die Auf-
sicht über die untergebenen unfreien
Knechte verbanden. Die ältesten
Namen sind seniscalcus, mariscalcus,
cociis und uistor, oder major, in/es-
tor für (infertor), scantio und mares-
calcus. Der Senischulk, d. h. der
älteste Knecht, hat als solcher die
Aufsicht über das Gesinde; der
Name major domus scheint ursprüng-
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414
Hofämter.
besonderen Referendar für
lieh eine andere Bezeichnung für einen
denselben Beamten gewesen zu sein. sich.
Er löste sich aber vom Amte des ! In der Karolingischen Zeit tritt
Seneschalk und wurde ein so ein- ! nach dem Aufhören des Majordomus
flussreiches Amt, dass seine Inhaber der Seneschalk wieder besonders
zuletzt den alten Königsstamm ganz hervor; er hat die Sorge über das
verdrängten, siehe den besonderen Hauswesen, besonders über den
Artikel. Marschalk oder Rossknechf, Unterhalt nes Hofes und namentlich
lat. comes stabuli, Stallgraf, wird über das Mahl-, er heisst daher auch
ausser seiner gewöhn liclien* Thätig- Vorsteher des königlichen Tisches,
keit auch als Gesandter und An- Meister der Köche, Träger der Spei-
führer im Heer gebraucht. Die sen, infestor, dapifer. Ihm zur Seite
Aufsicht über das bewegliche Gut
führte in der merowingischen Periode
steht cler Oberschenk oder Meister
der Schenke, magüter pincemarum
der themurarius ; ihm war der könig- der jetzt zu höherem Ansehen ge-
liehe Schatz vertraut, womit sich die langt ist; als Schenken fungierten
Aufsieht über das verband, was an ausserdem jüngere Männer, die am
Gerät und Gewand am Hofe vor- Hofe lebten. Der Sfallgrafh&t sein
handen war; er war zunächst an altes Amt beibehalten;* was früher
die Königin gewiesen, die als ord- thesaurarius hiess, heisst jetzt Kam-
nende Hausfrau die Aufsicht über tnerer-, unter Oberaufsicht der Königin
diese Geschäfte führt. Niedriger hat er dieKostbarkciten,denSchmuck.
war das Amt des camerarius oder was zu Geschenken dient, zu be-
Kt'inmerer, und noch tiefer stand wahren und zu verwenden. Meist
dasjenige des pincerna oder Schenken,
das zwar vornehmen, aber meist
jüngeren Leuten übertragen wurde;
es galt als der Anfang auf der Lauf-
bahn des Hofdienstes. Mehr unter
wurden diese Stellen mehr als ein-
mal besetzt; die Mitglieder des könig-
lichen Hauses haben zum Teil ihren
eigenen Hofhalt. Andere als die
genannten vier Hofämter sind der
Bäckermeister. Wie früher steht
der Ffulzgraf dem Hofgerichte vor;
dagegen heisst jetzt der ehemalige
referendarius Kanzler, cancelarius,
oder nofarius; es sind ihrer stets
geordnete Diener der Art waren der , Meister, der Thürhüter oder Ohrr-
coquits oder Küehenmeister; der thürteart, magister ostiariorum . der
tnapparitu, der dem König das Quartiermeister, maimonarius,Jäg^T-
Handtuch reichte; der spafarius, der und Falkenmeister, Schwertträger,
ihm das Schwert reichte; dazu kom-
men Arzte, Sänger, Thürsteher,
Läufer und dgl. Mit der Stellung
des Königs als Herrscher und da-
durch mit den staatlichen Geschäf-
ten verbunden wareu Pfalzgraf und mehrere, unter denen sich jedoch
der Referendar. Der Pfategraf, seit Ludwig dem Frommen ein be-
comes palatii, ist dem Könige bei sonderer Vorsteher heraushebt , der
der Ausübung seiner höheren Ge- protonotarius, archinotarius des kai-
richtsbarkeit zugeordnet, siehe den serlichen Palastes. Er war fast immer
besonderen Artikel; der referen- ' ein Geistlicher. Erst später fiel
darius ist nach Amt und tarnen dieses Amt mit dem Vorsteher der
aus römischen Verhältnissen ent- königlichen Kapelle, dem archicapel-
lehnt. Er fertigt die Urkunden des lanus, dem Erzkapellan. zusammen,
Königs aus, unterschreibt und siegelt wahrscheinlich infolge des Umstan-
sie, zu welchem Behufe er den könig- 1 des, dass das Arclüv in der könig-
lichen Siegelring zu bewahren hat. [ liehen Kapelle aufbewahrt wurde.
Es ist ein Weltlicher, der mit diesem ' Die Bedeutung der Hofamter am
Amte vertraut ist; die Königin hat königlichen Hofe nimmt später eher
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Höfische Dichtung.
415
ab: von einem erblichen Übergang berg, Seinsheim, Hoheuzollern: Erb-
in einzelnen Familien weist erst die schenken dir von Limburg in Frauken
Hoheustaufenzeit Beispiele auf. Der und die Grafen von Althann; Erb-
dapifer oder Truchsess trug die truchsessen die von Nortenberg, die
Speisen auf, diente am Tische und von Seideneck und zuletzt die Grafen
hatte wahrscheinlich auch für die | von Waldburc.
Beschaffung des Unterhaltes an den Schon früh sind die Hofämter
verschiedenen Orten zu sorgen, wo auch auf die Höfe der kleineren
der König sich aufhielt. Truchsess Fürsten übertragen worden, unter
sowohl als Schenk , Marschalk und denselben Namen als Kammerer,
Kämmerer wurden seit den Königen Truchsess, Schenk und Marschall,
des fränkischen Hauses regelmässig Ursprünglich nach dem Belieben des
nur Ministerialen, während bei be- Herrn vergeben, auf Zeit oder ohne
sonders feierlichen Gelegenheiten bestimmte Dauer, oft unter reget-
die Herzöge fungierten und so im massigem Wechsel, sind diese Ämter
Laufe der Zeit als die obersten In- später doch auch in Ministerial-
haber dieser Amter erschienen. Es fainilien erblich geworden; auch
war zuerst Otto der Grosse, der sich höher gestellte Freie verschmähten
bei dem Krönungsmahl in Aachen es nicht, in den Dienst reicher
von den vier Herzögen des Reiches Stifter zu treten und als Vorsteher
die Dienste leisten Hess: der Herzog der oberen Hofämter zu fungieren,
von Lothringen, in dessen Herzog- Vergleiche lf'aifz, Verfass.- Gesch.,
tum Aachen lag, war als Kämmerer ] und Maurer, Fronhöfe,
thätig; der von Franken als Truch- 1 Höfische Dichtung ist das blei-
sess, der von Schwaben als Schenk bendste und schönste Denkmal der
und der von Bayern als Marschalk;
es sollte dieses* ein Zeichen davon
sein, das« der König gewillt sei,
künftig das Herzogtum in strenger
Abhängigkeit vom König zu halten.
Die hier begründete Übung erhielt
sich von da an, ohne dass die Funk-
tionen fest mit einzelnen Herzog-
tümern verbunden gewesen wären.
Erst seit Otto III. hat Sachsen stets
das Marschalkamt, Bayern das
mittelalterlich - ritterlichen Bildung
und zugleich eine wesentliche Kette
in der Entwicklung der deutschen
Litteratur überhaupt. Zwar geht der
Dichtung des höfischen Standes eine
Dichtung der unteren nichthöfischen
Stände parallel; diese ist aber aus
erhalteneu Denkmälern kaum, also
fast bloss aus Zeugnissen abgeleiteter
Art bekannt, und ihr Charakter be-
stand überhaupt mehr in der Erhal-
Schenkenamt für sich in Anspruch ! tung der vorhergehenden Bildungs
genommen, welch1 letzteres zwar j penode , als in einem Fortschritte-
später an Böhmen kam; das Amt der nationalen Bildung; der eigent-
liche Träger des mittelalterlichen
des Truchsessen kam zuletzt an den
Pfalzgrafen vom Rhein, das des
Kämmerers an Brandenburg.
Geistes ist die höfische Poesie. Sie
ist der litterarische Ausdruck jener
Die genannten Ämter heissen Bildung, die sich seit der Aufnahme
zämter: der Suboffizial aber, der des Christentums und seit der Grün-
dern Inhaber des Erzamtes gegen j düng des fränkischen Weltreiches
gewisse Ehrengeschenke in seiner | sehr langsam und durch mannig-
V errichtung beisteht, besitzt ein Erh-
amf, das wiederum bei gewissen
Häusern erblich geworden ist; Erb-
marschalle waren die Grafen von
Pappenheim , Erbkämmerer nach-
einander die von Falkenstein, Weins-
fache Übergänge hindurch erst im
11. und 12. Jahrhundert zu einer
nach Form und Inhalt eigenartigen,
in sich selber abgerundeten Bildung
vollendete. Was ihr vorausgeht,
sind in erster Linie die Bemühungen
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41<j Höfische Dichtung.
der christlichen Apostel, Missionäre, Anteil an ihr nehmen nur diejenigen
Kleriker und Mönche um eine bloss Völker und Sprachen, welche aus
auf den Umfang der christlichen dem Schosse des fränkischen Reiches
Religion stehende Litteratur, deren , hervorwachsen; die skandinavischen
bedeutendste Denkmäler die Christ- j Völker besitzen daher keine höfische
liehen Epen Heliand und des Otfried ( Litteratur. Die höfischen Weltlittera-
siud; souann die Bemühungen Karls turen sind die surf französische oder
des Grossen und seiner Frcundeum so- provenzalische, deren Bereich sich
forte Wiedererweckung des Geistes nach Xordapanien und über ganz
und Inhaltes des klassischen Alter- Italien erstreckt, die nordfranzosische,
tums, eine grosse, aber voreilige ' I esonders von den Normannen ge-
Renaissance, an welcher die deutsche ; tragen und durch sie auch in Eng-
Litteratur, wenige Spuren hinter- land zur Herrschaft erhoben, und
lassend, voinibergegangen ist, wäh- die deutsche, deren Sprache mau
rend die GeschichtscTireibung ihr die mittelhochdeutsche nennt. In Süd-
Denkmäler von hoher Bedeutung frankreich erwächst die höfische
verdankt; endlich das zähe Leben , Bildung und Dichtung; etwa ein
der nationalen Heldensage, die, nur ; Menschenalter später tritt sie in
vereinzelt, wie im Walt! liariliede, in 1 Nordfrankreich und wieder nach
die Litteratur eintritt, dagegen im einem Menschenalter in Deutsch-
Volke sich dauernd erhält und auf land auf. Kenntnis der französischen
die Zeit wartet, wo günstigere Ver- Sprache gehörte bei dem soustigeu
hältnisse sie von neuem in den Mangel an jeglicher wissensehaft-
Kr -is nationaler Bildung einführen liehen Bildung zur guten Erziehung
werden. des deutschen Ritters. Die Kreuz-
Diese Verhältnisse erscheinen in zü^e sind Unternehmungen des euro-
der geistigen Ausbildung des höfi- püischen Gesamtrittertums, und im
sehen Rittertums, welcher natürlich allgemeinen weisen sämtliche dre#
die staatliche Bildung des Lehna- Litteraturen nach Inhalt ni d Form»
Staates vorausgegangen sein musste, dieselben Erscheinungen auf.
bevor eine Blüte des geistigen und Daneben aber wirkt jede dieser
litterarischen Lebens daraus hervor- Litteraturen auch national , zumal
gehen konnte. Und wirklich knüpft ' die deutsche, deren Gebiet zugleic h
sich die höfische Dichtung nur mit staatlich geeint war. Harten einst
schwachen Fäden an die vorher- alle Freien zusammen die R**ichs-
gehenden Bildungen an; 8ie erscheint pflichten, die Reichsrechte und die
schnell und als etwas Neues, als Reichsinteresseu vertreten, ao war
eine Ausstrahlung des höfisch-kou- jetzt der weitaus grössere Teil der
ventionellen Lebens, durchaus ein Nation, alle diejenigen, die im
Produkt der Zeitbildung, mit ihr . Schweisse ihres Angesichtes auf
kommend und verschwindend. Ihr Acker und Weide ihr und ihrer
unmittelbar voraus und das 11. Jahr- Herren Brot verdienten, von den
hundert füllend, gehen Versuche Reichsinteressen abgelöst. Der thü-
geistlicher Dichter, den nahenden ringische , fränkische, schwäbische
weltlichen Geist des Rittertums Bauer fühlte sich in erster Linie
neuerdings in das jetzt sich eben- nicht mehr als Deutscher, sondern
falls erneuernde geistlich- kirchliche als Thüringer, Franke, Schwabe.
Leben zu bannen. Seinen Auteil weckte wohl, waa in
Die hofische Dichtung ist wie seinem engeren Umkreise geschah;
der Stand und die Gesellschaft von an der Centraigewalt des Reiches
welcher sie getragen wird, eine all- und an dem, was davon ausging,
gemein eumpäische Erscheinung; hing er bloss durch Vermittelung
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Höfische Dichtimg.
417
des Herrn. Die Gesamtheit der
Herren, der Ritterstand, vertrat von
Rechts wegen die Nation: seine
Dichtung ist die nationale, seine
Sprache die nationale. Bei ihm geht
das landschaftliche Leben im grossen
Gesamtleben auf, seine Dichtungen
gehören der ganzen Nation an, wer-
den in diesem Sinne geschaffen und
aufgenommen. Auch die Person des
Dichters ist national, und die Be-
züge zu derjenigen Landschaft,
die ihn geboren und erzogen hat,
sind stets sehr untergeordneter
Natur. Sie selber und ihre Zeit-
genossen haben es nicht für nötig
erachtet, ihre engere Heimat auf-
zuzeichnen.
Auch darin sind die höfischen
Dichter national, dass sie mit ver-
schwindenden Ausnahmen kaiser-
lich und nicht päpstlich gesinnt
sind; ihr Auge schaut nach dem
Königshofe, in dem auch ihr gesell-
schaftliches Leben seine höchste
Ausbildung erhalten hat. Ja, man
findet bei ihnen schon die Keime
einer patriotischen Poesie im enge-
ren Sinne, wie sie der altepischen
Poesie durchaus unbekannt war
und deren weitere Ausbildung
noch Jahrhunderte auf sich warten
lsisst. Dahin gehört das Walther-
sche Lied:
Ich hdn lande vil gesehen
unde nam der besten gerne war}
td)el müeze mir geschehen,
künde ich ie min herze bringen dar,
daz im vol gefallen
wolde fremder site.
nu xcaz hülfe mich, ob ich unrehte
st rite t
Husche zuht gdt vor in allen!
Husche man sint wol gezogen,
rehte als enqel sint diu icip getan,
Sicer si schildct, derst betrogen ,
ich entkan sin anders niht verstau.
Tugent und reine minnc,
sicer die suochen teil,
der sol komen in unser laut: da
ist iciinne vif:
lange müeze ich leben dar inne!
Mit der Eigenschaft der höfischen
Dichtung als Xationallittcratur hängt
die bedeutende Zahl wahrhaft grosser
Dichter aus dieser Zeit zusammen;
ie Vereinzelung der Litteratur nach
landschaftlichen Stämmen, welche in
folgenden Jahrhunderten eintritt,lässt
grosse, Herrschaft besitzende Talente
kaum aufkommen. Die Epik nennt
die drei Namen Hartmann von Aue,
Wolfram von Eschenbach und Gott-
\fried von Strassburp, die Lyrik
W'alther von der J ogel weide und
Sithart von Rüwental.
Die höfische Periode bereichert
zum ersten Male die deutsche Dich-
tung mit der Lyrik. Überall auf
indogermanischem Boden tritt die
Lyrik, die Dichtung des subjektiven
Gefühles, erst auf, wenn das Epos
sich vollendet hat. Lyrik wäre der
deutschen Dichtung auch ohne das
Christentum zugekommen; doch hat
dieses der Zeitigung der Lyrik ohne
Zweifel Vorschub geleistet Zur
Zeit der Christianisierung Deutsch-
lands gab es schon eine reiche
griechische und lateinische christ-
liche Lyrik; die Kirche brachte
dieselbe, mit, wo sie hinkam ; zu den
ersten altdeutschen Denkmälern
zählt eine Interlinearversion der
Ambrosianischen Hymnen. Otfried
soll seine vierzeilige Reimstrophe
der lateinischen Hymnenpoesie ent-
nommen haben, und die Geschichte
der Hymnologie zählt aus dem karo-
lingischen Zeitalter eine ganze An-
zahl deutscher Dichter auf: Notker
Balbulus, Tutilo und Ratpert aus
St. Gallen, Walafrid Strabo und
Hermann Contractus aus der Rei-
chenau, Rabanus Maurus; sogar
Karl der Grosse wird als Verfasser
des Veni creator spiritus genannt.
Auch religiöser Volksgesang in deut-
scher Sprache muss schon früh in
Deutsehland aufgekommen sein, hat
sieh aber der lateinischen Kirchen-
poesie gegenüber immer nur müh-
sam behauptet. Über die Ent-
stehung weltlicher Lyrik sind wir
27
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418
Höfische Dichtung.
nur wenig unterrichtet; gewiss war
eine solche vorhanden, bevor «Ii»»
Lyrik der Höfe ins Leben trat; das
Ludwigslied und anderes gewahrt
spärlichen Einblick. Neben einer
alteren volksmässigen Lyrik war es
dann die provenzalische Hoflyrik
der Troubadours, welche den nach-
haltigen Anstoss zur Entstehung
und Ausbildung der höfisch-deut-
schen Lyrik gab; die provenzali-
sche Lyrik ist die Mutter der deut-
schen.
Die höfische Lyrik steht in eng-
ster Beziehung zur Minne und zum
Frauendienst, ihre Ausühung war
ein Teil, eine Seite des Frauen-
dienstes; zwar kennt aueh die Epik
Minne und Frauendienst, aber als
dichterisches fremdes Objekt; mit
seinem Liede steht der Minnesänger
thatsächlieh im Dienste seiner Dame.
Dabei lässt sieh erwarten, dass die
konventionelle Haltung des hofi-
schen Wesens überhaupt und des
Frauendienstes insbesondere aueh
in der Lyrik mitspielt und diese
eintönig, " nach einer gewissen
Sehablone heraus gearbeitet macht;
das Standesbewusstsein war eine
Schranke des Gemütslebens gewor-
den, daher auch wohl der Umstand,
dass es so wenig wahrhaft grosse
Namen unter den Lyrikern dieser
Zeit giebt, ausser dem unbestritte-
nen Walther nur Nithart.
Die höfische Dichtung ist ferner
wesentlich Kunstdirhtnng. Das zeigt
sich darin, dass sie, wenige Dich-
tungen ausgenommen, au bestimm-
ten einzelnen Dichtern hängt, wel-
che ihre bewusste Kunst zwar nicht
in eigcntliehen Sängerschulen lern-
ten, aber doch, wenn nicht in per-
sönlichem Umgange mit Meistern,
an den lebenden Vorbildern älterer
und erfahrener Dichter: in Öster-
reich hat Walther singen und sagen
gelernt; darin ferner, dass neben
diejenige Art. der Dichtung, welche
nach alter Übung gesungen wird,
jetzt eine bloss gesagte tritt; dass
das Epos meist in der Form der
Epopöe erscheint, in ausgeführten,
umfangreichen epischen Gebilden,
die von vornherein ihrer ganzen An-
lage nach nicht mehr von Mund zu
Mund gehen können und deren
Schöpfung ohne ein bedeutende»
Mass architektonischer Durcharbei-
tung nicht möglich ist; dass in der
Epik wie noch mehr in der Lyrik
eine sehr komplizierte, ja schon
früh ans Gekünstelte grenzende
technische Kunstthatigkeit und
Kunstfertigkeit zu Tage tritt; da*>s
jetzt die Einfügung einer leitenden
sittlichen Idee in der Dichtung, wie*
bei den Nibelungen und im Parzifal,
möglich und thatsächlieh wird; dass
überhaupt jetzt die altepische ob-
jektive Poesie einer durch und durch
vom Subjekt getragenen Dichtung
Platz macht. Es wird kaum je aus-
zumachen sein, wie diese Kunst
thatigkeit eigentlich zustande kam;
jedenfalls hangt sie zusammen mit
dem im ganzen Leben und Weben des
höfisehen Standes sich offenbaren-
den Triebe zu höher gesteigerter
Lebensthätigkeit. Der Kitter war
und fühlte sich als der Herr der
Zeit, der Welt; seine Lebensstellung,
sein Reichtum, seine feinere Sitte,
seine Weltbildung, sein weiter Blick,
seine Abwendung von allem Erwerb
durch der Hände Arbeit riefen eine
gesteigerte Kraftäusserung hervor,
die in allen Beziehungen sich nicht
zufrieden gab, bis sie das Höchste
geleistet hatte. Damit hängt zu-
sammen, dass diese Dichtung sich
nicht über ein halbes Jahrhundert
auf ihrer Höhe erhält, ihre Blüte
dauert für Deutschland etwa von
1190 bis 1240. Alle grossen höfi-
schen Dichter sind Zeitgenossen ge-
wesen.
Was die besonderen Dichtungs-
arten der höfisehen Periode betrifft,
I so begegnet man zuerst dem natin-
mitenV'olk'srpn*. So zerstörend hatte
der Eifer der Geistlichkeit doch nicht
! gewirkt, dass jetzt schon alle epischeu
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Höfische Dichtung.
419
Volkserinnerungen vernichtet ge-
wesen wären. Noch in der ersten
Hälfte des 10. Jahrhunderts hatte
der St. Galler Mönch Fkkehart das
Laed von Walther und lliltgunt ge-
dichtet, lateinisch und nachVergils
Vorbilde, aber nicht allein aus einem
der Heldensage entnommenen Stoß',
sondern zugleich in der Frische der
Auffassung, der männlichen Stärke
und der zarten Innigkeit durchaus
deutsch. Wo freilich der St. Galler
Mönch die Sage her hatte, wissen
wir so wenig, als wir die Quellen
des Nibelungenliedes mit irgend wel-
cher Sicherheit nachweisen können ;
man vermutet, dass ein verlorenes
lateinisches Gedicht eines gewissen
Konrad, Schreibers des Bischofs
Pilgerim von Passau, und lebende
deutsche Heldenlieder dem höfischen
Epos von den Nibelungen zu Grunde
gelegen haben. Denn dem höfischen
Stande hat der Dichter des Nibe-
lungenliedes angehört; er ist mit der
Bildung des höfischen Standes wie
mit der poetischen Technik desselben
enge vertraut, wenngleich seine Liebe
und Teilnahme mehr dem kräftigeren
Heldentume der Vorfahren gilt. Das
Nibelungenlied sowohl als die übrigen
Dichtungen der nationalen I d l Jen-
sage, Gudrun, Rosengärten, Hug-
dietrich, Wolfdietrich und andere,
sind bloss Eigentum der deutschen
Bildung; die Franzosen, Normannen
nicht ausgenommen, hatten mit dem
Verluste ihrer germanischen Volks-
sprachen längst auch ihr germani-
sches Epos eingebüsst.
Tiefer aber als die genannten
Dichtungen wurzelte in der Liebe
und Gunst der deutschen Höfe und
ihrer Gesellschaft das neue höfische
Kurutepos. In ihm sind die reienaten j
Schätze des geistigen Lebens jener |
Zeit niedergelegt, in ihm gipfelt die
romantisch - höfische Poesie. Es ist J
das Epos des Rittertums überhaupt; j
in ihm sind die Ideale, die Ehre,
Zucht, der Frauendienst, aber auch
die Verirrungen des Rittertums wie
nirgends anders zu finden. Sein Ur-
sprung ist französisch.
Die Bewohner Frankreichs be-
sassen seit Jahrhunderten kein
eigenes Natioualepos mehr. Von
der römischen Kultur war das gal-
lische Nationalepos, das so gut als
das germanische einst existiert haben
muss, verdrängt worden, und auch
den germanischen Einwanderern,
den Franken, Goten, Burgundern
war es nicht gelungen, ihre Stamm-
sagen auf diesem Boden festzuhalten.
So war also den Franzosen kein
anderes Epos mehr vorhanden als
das, welches ihnen die gelehrte Li-
teratur der Alten bot: die tro-
janische Sage, besonders was die
Aneide l'erqth darausgemacht, und
ein geschichtlicher Held, dessen Ge-
stalt schon fast zu seinen Lebzeiten
die Sage zu umspinnen begonnen
hatte, Alexander. Das konnte eine
Quelle werden für das romantische
Epos der Franzosen, aber eine schnell
auszubeutende. Und die Freude au
abenteuerlichen erzählenden Ge-
dichten, an Arentüren, war mächtig
erstarkt, seitdem sich die Normannen
auf französischem Gebiete nieder-
gelassen, daselbst ihre Sprache und
damit ihre heimatlich germanische
Sage, aber keineswegs ihre Lust
am epischen Gesänge verloren hatten.
Nun hatte es sich getroffen, dass ge-
rade zu der Zeit, wo die Normannen
sich dem französischen Boden ein-
verleibten, in Frankreich die Person
des grossen Frankenkönigs Karl
mehr und mehr sagenhafte Züge
erhielt und dadurch den sanges-
lustigen normannischen Franzosen
als vortrefflicher Held ihrer Dichtung
sich anbot. Bald sammelte sich um
ihn ein reicher Kranz von Aven-
türen; er erhielt eine Tafelrunde mit
Paladinen, Roland vor allem, dann
Milon, Haimon, Olivier, auch den
Normannenherzog Richard findet
man zuletzt in aiescr Gesellschaft.
Im Jahre 1066 erobern die Nor-
mannen England, richten sich dort
27*
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420
ein, und französisch«' Epik ist von
da an in England )i< imisch. Aber
noch ist der Hanger dieser Sänger
nach neuen Stoßen nicht gestillt;
ein Mönch weist den Sängern durch
eine von ihm zusammengestöppelte
Chronik «1er altbritischen König«'
d«'n \V«'g zu einem längst verschol-
lenen König Artus } sie greifen ihn
auf, und bald windet sieh um ihn
ein ganzer Knäuel romantischen
Aventürenstoffcs. Während Artus
selber mehr zurücktritt, treten seine
Paladine ins hellere Licht: Parzifal,
Iwcin, Gawein, Erek, Tristan, Lan-
zelot; mit der Artussa^e verknüpft
ein erfindungsreicher Kopf endlich
die aus dem Orient stammende
Gralsage.
Alle genannten franz«>sisch -nor-
mannischen Sagenstofle, die antiken,
karolingischen und artusischen, in
vielen französischen Aventüren dar-
gestellt und zu den idealen Trägern
der hofischen Romantik geworden,
werden nun von der deutschen höfi-
schen Kunstdichtung aufgenommen,
so zwar, «lass der deutsche Dichter
meist seine mündliche oder schrift-
liche Quelle nennt, dabei jedoch den
Stoff frei nach Neigung und persön-
licher Stimmung durch- und aus-
arbeitet. Die drei Klassiker des
Kunstepos, Hartmann, Wolfram und
Gottfried, haben alle H«'lden aus
der Artussage zum Mittelpunkte
ihrer Hauptdichtungen gemacht.
Jeder der dm hat seine s«'lbständige,
charakteristische Stelle in der Li-
teraturgeschichte ihrer Zeit, und die
späteren gehen meist eins<-itig auf
den von den drei Meistern gebannten
Wegen Im Sinne der Z»*it, aber
in unserer Sprache, hätte man jene
französischen Stoffe die modernen
nennen dürfen, im Gegensatze zu
den einheimischen, als veraltet an-
gesehenen Sagenstoffen.
Gehörte die grosse Mehrzahl der
klassischen Dichtungen dieser Zeit,
soweit si<> Kunstepen sind, den ge-
nannten drei Stoßen an, so hat doch
die fruchtbare, unerschöpfliche Phan-
tasie noch sehr viel geliefert, was
anderen Kreisen entnommen ist:
Orientalische Geschichten von der
reichsten Phantasie , hervorgerufen
durch den infolge der Kreuzzüe^e
vornehmlich erwachsenen Verkehr
des Orients mit dem Occident; so-
dann religiöse Stoffe, besonders
Legenden in grosser Zahl, unter
denen sich oft uralte Überbleibsel
germanischen Volksglaubens ver-
stecken; endlich vereinzelte echte
Sagenbildungcn späteren Datums,
«lie sich an Otto den Grossen, Hein-
rich den Löwen, Herzog Ernst von
Schwaben anschliessen. Nur ver-
einzelt ist in der höfischen Epik da»
humoristische Element vertreten.
Die Lyrik ist gegenüber der an-
tiken wie der modernen deutschen
Lyrik noch sehr einfach. Weitaus
die meisten Dichtungen dieser Gat-
tung gehören dem Frauendienst an,
sind Minnelieder, wobei die Em-
pfindung sich sehr oft an Frühling
und Winter knüpft, derMinne Leiden
an den Winter, der Minne Lust an
den Lenz. Neben dem Frauendienst
ist aber die Lyrik auch in den Dienst
der Religion getreten, mit Gesängen
auf Maria, welche zugleich derMinne
höchste Verklärung darstellt, auf
das gelobte Land, auf die Dreieinig-
keit. Und der bedeutendste Dichter
unter diesen Nachtigallen, Walther,
hat die reichste Fülle seines Gemütes
in denjenigen Dichtungen ausge-
gossen, die dem Herrendienste, der
Ehre und Zucht der Fürsten und
«les Vaterlandes dienten. Schon die
Lyrik «1er Troubadours hat die drei-
fache Art des Frauen-, Gottes- und
Herrendienstes gekannt, aber die
deutsche Dichtung ist tiefer, ernster,
gehaltvoller. Zumal aber besitzt sie
eine Art der Minnelyrik, von der
di«' Franzosen nichts wussten. Wie
oben schon bemerkt, war das kon-
ventionelle Gebahren des höfischen
Standes dem Dienste echter Lyrik
nicht gerade günstig; schickte "sich
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Hofnarren.
421
auch viel in den Augen dos Ritters,
darunter manches, was sich besser
nicht geschickt hätte, so schickte
sich doch nicht alles , was gerade
das Liebesleben der Dichtung bieten
kann. Nicht vergebens ist uns aus
dorn höfischen Minnedienst der Aus-
druck überkommen: den Hof machen,
die Cour machen . wozu eben keine
Leidenschaft gehört. Daher ist es
nicht zu verwundern, wie sich zur
Ztut der höchsten Blüte des Minne-
gesanges eine mehr das natürliche
Leben anpackende Richtung kund-
thut, die sich mit Entschiedenheit
von dem Zwange der höfischen
Formen loslöst, „die nicht mehr kon-
ventionelle, weiche, zarte Empfin-
dungen und weiche Klagen aus-
spricht, sondern mit frischem Humor
und naiver Sinnlichkeit sicli dem
Leben und der Liebe ergiebt und
in ihrer kecken und toleranten
Lebensanschauung die natürlichsten
Dinge als etwas durchaus nicht An-
stössiges behandelt." Man hat diese
Richtung der Minnelyrik als höfische
Dorfpoesie bezeichnet, im Gegen-
satz zu der strengeren höfischen Jfof-
poesie.. Ihr genialer Hauptvertreter
ist Xiihart von Ruicental, ein Bayer,
bei dem auch sofort ein landschaft-
liches Element starker hervortritt.
Seine Lieder haben am längsten von
allen Liedern der Minnesanger aus-
gedauert.
Zum Teil im Zusammenhange
mit den Stötten der Lyrik steht ihre
Form. Auch sie ist dreierlei Art:
Leich, Lied oder Spruch. Der /.eich
wird gesungen, ist uustrophisch ge-
baut und bedarf daher einer durch-
gehenden musikalischen Kompo-
sition; er wurde am liebsten zum
Ausdruck«? religiöser Empfindung
angewendet, erscheint übrigens ziem-
lich selten. Das Lied ist eine oder
mehrere gleichgebaute dreiteilige
Strophen; die Strophe ist nach einem
auch aus Frankreich herübergenom-
menen architektonischen Gesetze
stets dreiteilig, d. h sie besteht aus
zwei rhythmisch kongruenten Teilen,
den beiden Stollen, und dem dazu
auf irgend eine Art in rhythmischem
Gegensatze stehenden Abgesange.
Die Strophe wird gesungen uud
dient vornehmlich zum Ausdrucke
der Minne. Der Spruch endlich,
dreiteilig wie die Strophen, wird
bloss gesprochen und ist stets eiu-
strophisch. Er hat Btimeistpolitischen
oder sonst didaktischen Inhalt. Je
weiter die Dichtung sich von ihrem
Höhepunkte entfernt, desto mehr
nimmt der Spruch an Ausdehnung
seines Gebrauches zu.
Dass eine poetisch so bewegte
Zeit, wie die der höfischen Dichtung
es war, auch der didaktischen Dich-
tung gepflegt hat, wer sollte das
nicht erwarten? Jede Blütezeit der
Dichtung wird eine solche Fülle von
Ideen, Empfindungen, Anschauungen,
Erfahrungen neben dem in der eigent-
lichen Dichtung niedergelegten Stoffe
vorrätig besitzen, da*s sie, einmal
eingewöhnt in die Kunst der Rede
und des Beifalls der Menge ver-
sichert, gern ihren Eiutiuss benutzt,
um das sittliche Resultat ihrer Ar-
beit in schönem Gewände vorzu-
führen. Unter den Produkten dieser
Art steht Freidanks Bescheidenheit
obenan.
Schnell, wie sie gekommen war,
hört auch die höfische Litteratur mit
der höfischen Ehre, Zucht und Tugend
auf; wohl versuchen sich bis ins
14. Jahrhundert noch manche Lieb-
haber der Dichtkunst, der Bahn
höfischer Poesie getreu zu bleiben;
aber der lebendige Geist ist erloschen
und macht schnell anderenRichtungen
der Bildung Platz, die man unter
dem Namen volkstümlich-bürgerliche
Litteratur zusammen zu fassen pflegt.
Göttrinflcr, Deutsche Dichter, Ein-
leitung zur fünften Auflage; Wackcr-
na(jcl, Litteraturgesch.
Hofnarren sind seit dem 15. Jahr-
hundert mit den Hofpoeten und Hof-
zire/u/en an Stelle der früheren stän-
dischen Sänger, Poeten und Spiel-
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422
Holzarchitektur.
leute getreten. Die Hof- oder Schal ks-
narrcn waren in Frankreich und
Deutachland an den Höfen der
Reichsfü raten und der grösseren
Grundhcrren eigentliche Beamte;
Fürstinnen hielten ihre Hofnärrinnen ;
sie erhielten ausser Kost und Woh-
nung noch Hofkleider. Ihre Tracht
ist die Schellentracht, die ursprüng-
lich von christlichen Priestern so-
wohl als von weltlichen Grossen,
fürstlichen Gesandten u. dgl. bis
ins 15. Jahrhundert zur Auszeich-
nung getragen worden war. Dazu
kam der beschorene Kopf, die Nar-
renkappe mit Eselsohren oder dem
Hahnenkamm, der breite Halskragen
und der Narrenkolben. Dem Zuge
der Zeit gemäss traten diese Leute
zu Heckengesellschaften zusammen,
die als Heckengerichte, z. B. zu
Donaueschingen, bis in die neuere
Zeit fortdauerten. Die berühmtesten
Hofnarren sind: Kunz von drr Rosen.
lustiger Rat Maximiiiansi, und Klau*
Narr oder Klau» ron Ran&tatt, Hof-
narr Kurfürst Friedrichs des Weisen,
dessen lustige Einfälle und Schwanke
siebenmal (1551 — 1600! aufgelegt
wurden. Flt>gcl , Geschichte der
Hofnarren, 1784. Vgl. Kbelinq, Zur
Geschichte der Hofnarren. Fried-
rich Taubmann. Leipzig 1883.
Holzarchitektur. Die alten
Deutschen wohnten nicht in Städten
oder auch nur in Ortschaften bei
einander. Das Zusammenleben war
der persönlichen Unabhängigkeit der
f germanischen Völkerschaften in
lohem Grade zuwider; ein jeder
baute sein Haus, wo er wollte. An
eine eigentliche Baukunst unter den
Germanen ist deshalb auch kaum
zu denken. Sie kannten weder Hau-
stein noch Ziegel ; das Material, wo-
mit sie ihre Wohnungen errichteten,
bestand aus Holz, und wie sehr ge-
rade der Holzbau von Hause äus
deutsch, der Steinbau aber römisch
ist, bezeugt schon die Sprache, welche
für ,,Bauen" ursprünglich nur „Zim-
mern" kennt und die einfachsten
Benennungen für den Steinbau ( wie
Maurer von mwwf, Kalk von ro/x.
Ziegel von tegula) aus dem Lateini-
schen herübe rgenommen hat, wäh-
rend alle den Holzbau betreffenden
Ausdrücke urdeutsch sind. Die
älteste Nachricht Über die Bauweise
der Germanen liefert uns Tacitus,
Germ. 16. Nach demselben genüg-
ten ihnen Wohnungen aus rohen,
kaum hehauenen Baumstämmen.
Die Fugen wurden mit schimmern-
dem Letten ausgefüllt und das so
entstehende bunte Spiel der Linien
diente ihren mit hohen Rohrdächern
versehenen Hütten als einziger bar-
barischer Schmuck. Die Technik
dieser Holzbauten kann zweierlei
gewesen sein; entweder mit hori-
zontaler Lagerung der Balken im
Blockverbande oder noch roher, aus
senkrecht nebeneinander aufgerich-
teten Stämmen.
Derart ist eine aus angelsächsi-
scher Zeit in England (Greenstead)
bis heute erhaltene Kirche herge-
stellt Sonst ist aus jener frühen
Zeit nichts mehr auf uns gekommen
und ist und bleibt die Frage nach
der inneren räumlichen Disposition
der ältesten deutschen Häuser eben
ungelöst. Otte glaubt zwar, in An-
betracht der anerkannten Zähigkeit
der bäuerlichen Sitten und bei der
im Allgemeinen stereotypen Form
der deutschen Bauernhöfe zu einem
Kückschluss von der Gegenwart auf
die ferne Vergangenheit berechtigt
zu sein und erblickt in den west-
fälischen und fränkischen Bauern-
höfen die Nachbilder dieser alt-
germanischen Wohnungen. Vgl.
*nning. Das deutsche Haus. Strass-
burg 1882. Lehfcldt, Holzbaukunst.
Berlin 18S0.
Mit der Zeit wird auch auf diese
primitiven Einrichtungen römischer
fcinfluss sich geltend gemacht haben
und vielleicht schon unter Kaiser
Julian der römische Fachwerksbau
statt des Blockbaues eingeführt wor-
den sein, wenigstens nach dem Bc-
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Holzarchitektur.
423
richte eines fast gleichzeitigen Ge-
schichtsehrcibers zu schliessen. Die
Wohnungen werden sich aber nicht
nur in der den rohen Block verband
übertreffenden Konstruktion aus
Bindwerk mit der Zeit verbessert
haben, sondern selbst in geschnitzten
Verzierungen der Bauhölzer wird
sich ein Fortschritt bekundet haben,
denn für die Geschicklichkeit der
alamannischen Völkerschaften in
den verschiedensten Holzarbeiten
sprechen die Gräberfunde im Würt-
tembergischen. Im Verlaufe des
7. und 8. Jahrhunderts streuten
irische Mönche den Samen des
Christentums ans. In kleineren
und grösseren Scharen pflegten sie
zu wandern, lichteten mit ihrer
Axt die Walder und bauten
Hütten und Kirchen nach heimi-
scher Art
Regel war auch hier natürlich
der Holzbau und wahrscheinlich in
einer den irischen Mönchen eigen-
tümlichen Weise (nach der Bezeich-
nung des gleichzeitigen Beda reue-
rahM*: more Srotorum oder opus
Scolicttm) ganz aus Eichenbalken
[de rofwre *ccto\.
Bis in späte Zeiten hinein wurden
die ersten eiligen Bauten bei der
Gründung von Klöstern und Kirchen
immer aus Holz errichtet und selbst
unter Karl dem Grossen, der wenig-
stens für die Kirchen den römischen
Steinbau einzuführen trachtete, wer-
den Im inahe alle im Sachsenlande
errichteten Kirchen kaum über den
bescheidensten Bedürfnisbau hinaus-
gereicht haben und eben auch aus
Holz errichtet gewesen sein. Mit
dem 10. Jahrhundert brach über
Deutschland eine unsäglich traurige
Zeit herein. Das Reich Karls lag
zertrümmert. Im Innern des Reiches
herrschteBürgerkriegund von Aussen
war es bedroht von den Normannen
und Ungarn. Man trachtete daher
auf Widerstandsfähigkeit und Wahr-
haftigkeit und zog wenigstens auf
einzelstehenden Gebäuden den Stein-
bau dem Holzbau vor. Letzterer
aber flüchtete sich von da ab haupt-
sächlich in die Städte, welche sich
gemeinsam durch starke Ringmauern
zu schützen suchten.
Die grosse Mehrzahl der Wohn-
häuser wird man sich kaum dürftig
genug vorstellen können und die
vielen verheerenden Brände bewei-
sen zur Genüge , dass jene regel-
mässig aus Holz, wohl in Fachwerk
erbaut und wenn nicht mit Rohr
oder Stroh , so doch höchstens mit
Holzschindeln gedeckt waren. Da-
für spricht auch die fabelhafte
Schnelligkeit der Bauten. So wird
von der Stadt Lebusa erzählt, sie
sei in 14 Tagen vollendet worden.
Ganz ähnlich lautet der Bericht des
Bischofs Tietmar von Merseburg
über die Wiederherstellung der ab-
gebrannten Stadt Meissen. Wo das
sich darbietende Material es er-
laubte, begegnen wir seit Anfang
des 12. Jahrhunderts dem sich immer
mehr ausbreitenden Quader- oder
Ziegelbau, allein in vielen Gegen-
den, wie in Mähren, Oberschlesien,
Pommern und I'reussen, blieb mau
bei dem urtümlichen Holzbau stehen.
So befinden sich unter den ober-
schlesischen Kirchen einige, wie die
zu Syrin und Lubom bei Ratibor,
an denen spätromanische Details
vorkommen. Für die Erbauung der
beiden genannten Kirchen werden
die Jahreszahlen 1304 und 1305 an-
gegeben. Alle diese Kirchen von
einfach rechteckigem Grundriss mit
schmälerem Altarraum und mit Vor-
bauten an denThüren, sind im Block-
verbandc aus aufeinandergesehich-
teten, grobbehauenen Balken er-
richtet. Vgl. Fig. 75. Kirche von lfitfer-
dal ( Kunsth. Bilderbogen). Als be-
sondere, auch bei den gleichzeitigen
norwegischen Holzkirchen (wie die
zu Hitterdal, Borgund) sich vorfin-
dende Eigentümlichkeit derselben
erscheint ein das ganze Gebinde
umgebendes weit vorspringendes
Regendach, wohlgeeignet, um die
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424
Holzarchitektur.
Dachtraufe von den Grundschwellen
abzuleiten. Der Turm, nicht selten
getrennt von der Kirche stehend,
pflegt in schrägen Wänden aufzu-
steigen und ist an der Bretterver-
schalung des oberen Teiles zuweilen
mit Schnitzereien verziert. In Böh-
U.-U
Fig. 75. Kirche zu Hitterdal.
mensind Holztürme besonders häufig. '
aueh neben steinernen Kirchen, ja
selbst in Dörfern, die gar keine f
Kirchen haben. So findet sieh neben
dem im 14. Jahrhundert errichteten I
Steinbau der Georgskirche in Przas-
lawie bei Turnau ein Holzturm über j
einem steinernen Grundbau; noch |
stattlicher erscheint der grosse
Glockenturm zu Pardubitz.
Ein Städtebild dieser Epoche
bietet uns enge Gassen und Räume.
Eine eigentümliche Ausnutzungs-
sucht des Raumes riss in der Bürger-
schaft ein. Die Städte, die an
Einwohnern zuuahmeu,
mussteu in die alten King-
mauern eingepfercht wer-
den. Mau begnügte sich
deshalb nicht mehr mit
mehrstöckigen Häusern,
sondern man suchte das
Haus noch nach oben,
allem statischen Gefühle
zuwider, zu verbreitem.
Diese „fürgezimpere44 oder
„Ausfänge", bei denen
jedes Stockwerk über
das andere vorragte, er-
weiterte allerdings die
obern Räume und bot
zugleich, weil Unter-
stützungs- und Bela-
stungspunkt auf ver-
schiedene Stellen fielen,
ein Gegengewicht gegen
das Einschlagen der Bal-
ken. Andrerseits aber
wurde den ohnehin engen
Gassen durch diese Bau-
art Luft und Licht noch
mehr entzogen. Selbst-
verständlich konnte diese
Bauart hauptsächlich nur
bei Fachwerksbauten vor-
kommen. Der Steinbau
beschränkte sich bei
Profanbauten in der Re-
gel auf Keller und Erd-
geschoss. Überhaupt wa-
ren steinerne Häuser noch
eine grosse Seltenheit.
In den alten Grundregistern, den
sogenannten Schreinsbüchern , sin«!
z. B. von der Stadt Köln, die schon
im 13. Jahrhundert an die 6000 Häu-
ser besass, nur ungefähr zehn als
di/niuK hipideae bezeichnet Die
Sitte, die Stockwerke übertragen zu
lassen, führte indes bald und bc-
UHU.
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Holzarehitektur.
425
sonders in der gotischen Zeit zu
mancherlei Dekorationsformen. Die
vorstehenden Haikenkopfe werden
mit Schnitzwerk in vegetabilischer
Form, Tier- und Mensehenbildungen
geschmückt, auch oft Erker und
Ausbauten angebracht, so dass ein
Ganzes von ungemein malerischer
Wirkung sieh ergiebt.
Noch in der späteren Zeit des
15., ja selbst im 16. Jahrhundert
findet man au den Fachwerksbauten
lebhafte Anklänge an gotische For-
men. Sehr schöne Beispiele in dieser
Hinsicht bietet namentlich Braun-
schweig, wo durch den Holzbau
die mittelalterliehe Tradition noch
lange in Kraft blieb. Diese frühen
Bauten zeigen ein strenges An-
sehliessen der Dekoration an die
Konstruktion.
Die Schwellbalken der Füllhölzer
erhalten kräftige Auskehlung und
Abfasung, wodurch die horizontale
Linie der übereinander vorkragen-
den Stockwerke wirksam betont
wird, ( heraus beliebt ist die De-
koration mit rechtwinklig gebroche-
nen Linien, die man als mfiander-
artig bezeichnen kann. Damit wech-
selt ein anderes Ornament, das seine
Motive dem Pflanzengebiete entlehnt
und aus einer Laubranke besteht,
weicht? sich um einen horizontalen
Stab windet und die charakteristi-
sche Form des spätgotischen Blatt-
werks zeigt. Nicht minder reich
werden die Balkenköpfe behandelt.
Sie erhalten nicht bloss kräftig aus-
gekehlte Profile, sondern bisweilen
in Hochrelief durchgeführte figür-
liche Darstellungen, Apostel und
andere Heilige, aber auch Genre-
haftes und Burleskes. Die Anzahl
derartiger Bauten der letzten De-
zennien des 15. und der ersten des
16. Jahrhunderts ist überaus gross.
Noch ganz in mittelalterlichen For-
men erbaut ist namentlich der grosse
Bau der „Alten Waage" (1534) in
Braunschweig.
Die Renaissance bringt in diese
Behandlung der Faeaden zunächst
nur einige Bereicherung des Orna-
ments.
Eines «1er frühesten Beispiele
des Auftretens der neuen Formen
sind die trefflichen Reste von einem
abgebrochenen Ratsküchengebäude
von 1530. Da sind die Elemente
der Renaissance, wie Delphine, Kan-
delaber, Gottheiten und Helden des
Altertums noch ganz unbefangen
mit allerlei mittelalterlichen Genre-
szenen und Possenhaftem gemischt,
ein wahrer Fasching der Phantasie,
meint Lübke. Zu gleicher Zeit in-
dessen taucht ein neues Motiv für
die Dekoration der Schwellhölzer
auf und eine Verschlingung von
Zweigen, die fast wie Bänder aus-
sehen und sich friesartig ausbreiten.
Beinahe kein Haus entbehrt der
Sprüche, welche dasselbe in Gottes
Hand legen, oder sonst heitern oder
ernsten Inhaltes Bind.
Um den Schluss des 16. Jahr-
hunderts erfahrt der Holzbau seine
letzte Umwandlung. Der Stein-
bau wirkt auf ihn merklich ein.
Bisher waren die Balken durch
Abfasen und Einkerben recht im
Sinne der Holzkonstruktion aus-
gebildet worden. Jetzt werden
die Balkenköpfe mit Vorliebe als
Konsolen behandelt, die Schwel-
lenbalken erhalten Zahnschnitte,
Eierstäbe und Perlschnüre nach an-
tiker Art. Dazu Fig. 76. Nieder-
sächsische Holzarchitektur um 1550
bis 1570 (Kunsthist. Bilderbogen).
Die letzten Blüten dieser Ent-
wickelung treffen wir namentlich
in Hillesheim. Hier ist es der alte
sächsische Holzbau, der fast aus-
schliesslich den Privatbau beherrscht.
Die Beispiele aus dem frühen Mittel-
alter sind indessen hier selten. Da-
gegen treten die Renaissaneeformen
schon sehr frühe auf, so schon 15!M>
an einem der grossartigsten Holz
httuser Deutschlands, an dem so-
genannten Knochenhaueramtshaus.
Unerschöpflich reich ist der
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n
i
i
26
Holzarchitektur.
plastische Schmuck au dieser Facade.
Die Konsolen sind zwar noch mittel-
alterlich geformt, in derber humo-
ristischer Auffassung. In den Prie-
sen dagegen sind die Motive der
ein. Die ganzen Facaden weidm
mit Holzbrettern verkleidet, so da»
alle Teile der Konstruktion bis auf
die als kräftig vortretende Kons"!«)
entwickelten Balkenköpfe mit ihr«
Fig. 76. Niedersächsische Holzarchitektur um 1550—1570.
Frührenaissance in Blumen, Frucht-
schnüren, Kandelabern etc. über-
wiegend. Gegen Ende des 16. Jahr-
hunderts tritt der ausgebildet«* Stil
der Spätrenaissance auf. Auf die
Gliederung und Ausschmückung der
Facaden wirkt der Steinbau gewaltig
Stützen verhüllt werden. Die&hv
balken aber bilden einen dar
laufenden Fries, mit Onuwwu
reich bedeckt. Eine konsequi
vertikale Teilung wird durch 6s
geschnitzte Säulen. Fi lasier *
[ermen bewirkt Auf den Ffn-f
Holzarchitektur,
427
brüstungen aber entfaltet sich in Schwellhölzer, der Kopfbänder und
figürlichen Reliefs ein unerschöpf- Konsolen, sowie der Fensterbrüstun-
licher Reichtum , und um die zier- gen mit vielfach variierten Muschel-
liche Anmut des Ganzen zu voll-
enden, sind alle Hauptlinien durch
feine Gliederungen antiker Kunst
belebt. Das Musterbeispiel dieses
Stils ist das Wrdekinthche Harn
vom Jahr 1598. Fig. 77.
Der alte Bischofssitz Halberstadt
bietet eben-
falls eine rei-
che Ausbeute
an Holzbau-
ten, zu de-
ren bedeu-
tendsten der
im Jahre 1461
erbaute Rats-
keller gehört.
Den Über-
gang in die
Renaissance
bezeichnet
namentlich
der Holzbau
des Schuh
hofes, an wel-
chem das Mo-
tiv der Blend-
arkaden au
den Fenster-
brüstungen
prächtige An-
wendung er-
lebt. Reiche
und hübsche
Beispiele, na-
mentlich der
Verbindung
des Holzbaues mit dem Steinbau bie-
tet Hannover, wo sich zugleich
auch ein reicher Erkerbau ent-
Fig. 77. Das Wedekind.sche Haus.
und Fächerformen gehören diese
Bauten zu den schönsten Schö-
pfungen dieses Stils. Musterhaft ist
derselbe namentlich in der Decha-
nei in Höxter (1561) entwickelt,
welche sich durch einen statt-
lichen polygonen Erker auszeich-
net. Auch in
Niederhossen
hat der Holz-
bau in Hers-
feld, Allen-
dorf, Fritzlar
zahlreiche
Vertreter, wie
auch in Hers-
ford, Bielefeld
etc. In Schwa-
ben war, ge-
fördert durch
den prächti-
gen Sand-
stein, der
Steinbau vor-
herrschend,
indessen hiel-
ten die bür-
gerlichen
Kreise noch
lange an dem
Holzbau mit
Riegel wänden
fest. Als Bei-
spiele mögen
Schwäbisch
Hall und das
Rathaus in
Tübingen (1508) angeführt sein.
Franken bewahrt in dem Salzhause
zu Frankfurt ein Prachtstück. Die
wickelt, im Gegensatz zu dem be- ! schmale Giebelseite ist reich in
nachbarten Braunschwoig. In den Holz geschnitzt und zwar in völliger
mittleren Wesergegenden herrschte ! Nachahmung der Steinarchitektur,
der Holzbau in besonders eleganter gleichsam eine Inkrustation von Holz-
Weise, wie in Höxter und Münden, platten bildend, unter welcher sich
Dazu Fig. 78. Geschnitztes Orna- das konstruktive Gerüste verbirgt,
ment von einem Hause in Höxter Namentlich entwickelt sich der Holz-
1642 K i t historische Bilderbogen), bau in den grossen Hofanlagen der
In kraftvoller Durchbildung der mittelalterlichen und späteren Wohn-
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42S
Holzarchitektur.
häuser, wo oft mehrere Galerien
von Höfa übereinander gelagert sind,
so im Scbachschen Hause in Würz-
burg, im Hatl'n ersehen in Rothen-
burg, im Funksehen und Pellersehen
in Nürnberg etc.
Sehr anziehend und bedeutend
ist der Holzbau in den Klieinlnnden.
mehr malerische Oroamentierung-
der Fliehen zu ersetzen, ohne in-
dessen die konstruktiven Element«»
zu verhüllen und zu verleugnen.
Im Gegenteil werden dieselben zum
Ausgangspunkt der Dekoration go-
maeht. Daher werden die Pfosten
besonders kräftig betont undnamont-
r r_r! r
r M V W pi y V V t r. * ' * * y V r M r V ViV r fc» ±
Flg. 78. Ooschnitstol Ornament. Von einem Hause in Höxter 1G42.
Während in den sächsischen Lau- lieh die Eckpfosten in Säulcbenfonn
den die einzelneu Stockwerke so ausgebildet. Die Horizontalen aber
weit als möglich vorgekragt wurden werden durch massiges Vortreten
und dadurch jenes reiche malerische der Schwellbalken nur bescheiden
Leben, jene energische Gliederung angedeutet, so dass «'inige ausge-
erhieltcn, sind die rheinischen Hau- kehlte und abgefasste Glieder, bis
ten bei möglichst geringem Vor- weilen wohl als ein gewundenes
spruug der Stockwerke minder kräf- Tau charakterisiert genügen. Na-
tig entwickelt und suchen, was ihnen mentlich aber fallen die vortre
an Lebendigki if abgeht, durch eine tendeu Halkeiiköpfe «les nieder*
Google
Holzschneidekunst.
420
sächsischen Holzbaues fort. Die
Dekoration aber weist stets eine
feine Anmut aus. Mit Vorliebe fügt
man den Facaden kräftig vor-
springende Erker zu. Als Beispiele
mögen hier die Holzbauten zu
Rheuse , Oberlahnstein , Boppard,
Baeherach und Bremen angeführt
sein.
Während beinahe überall in
deutscheu Landen der Riegelbau,
wenigstens wo es sich um künst-
lerische Ausbildung der Facaden
handelte, den reinen Holzbau ver-
drängt hatte, hatte sich derselbe in
den Gebirgsgegenden, namentlich
in der Schweiz, noch gesund und
kräftig forterhalten. In den flachen
Kantonen war zwar der Blockbau
auch verlassen worden und die dort
gebräuchliche Art des abgespreizten
und verstrebten Ständerwerkes mit
eingeschobeneuBohlen wänden lehnte
sich dem deutschen Riegelworksbau
an. Gleichzeitig finden wir aber
auch in der Schweiz das mit Stein
ausgemauerte Fachwerk zahlreich
vertreten. Im Äusseren sind die
schweizerischen Städtehäuser meist
sehr einfach. Die einzige Zierde
sind zahlreiche Holzerker, de-
ren Schnitzerei aber schon den
schwülstigen üppigen Barocco des
17. Jahrhunderts zeigen, so die-
jenigen in Schaffhausen und St.
Gallen.
Wo aber die Schweizerbauten
als Blockhäuser auftreten, tragen
sie überall den streng ausgeprägten
Typus des Block Verbandes an sich.
Die möglichst durchlaufenden liegen-
den ~\Vandbalken überschneiden sich
an allen Kreuzungspunkten mit der
Abgabe ihrer halben Ilolzstärke und
treten aussen als sogenannte Ver-
stösse an den Wänden um eine Holz-
stärke vor. Dabei haben die Dächer
eine flache, dem benachbarten Süden
entsprechende Neigung, um die Schin-
deldeckung, mit schweren Steinen be-
lastet, tragen zu können. Aus der
ganzen Anlage dieser Holzbauten,
wie sie namentlich in den Urkan-
tonen, dem Berner Oberland, und
dem Appenzeller Land auftreten,
spricht das naive Schönheitsgefühl
eines sinnigen Landvolkes. Nicht
nur haben diese Bauten durch kräf-
tige Malerei, prächtige Schnitzerei
und keruhafte Sprüche einen unaus-
sprechlichen Reiz, soudem die Ge-
sam Umlage mit den offenen Lauben,
weit vorspringenden Dächern und
zahlreichen gekuppelten Fenstern
gewähren eine runige architektoni-
sche Wirkung, welche iu Harmonie
mit der nächsten Umgebung und
in einem gewissen Gegensatze zu
der ferneren grossartigen Land-
schaft steht. Nach O/fe, Geschichte
der deutschen Baukunst. Lübke,
Geschichte der deutschen Renais-
sance. Gladhach, Der Schweizer
Holzstil.
Holzsehneidekunst. Die Holz-
schneidekunst und der mit ihr ver-
wandte Kupferstich versucht, im
Gegensatz zur Malerei, nicht nur
die umrisse, sondern auch die Kör-
perlichkeit mittelst blosser einfer-
tiger Linien darzustellen.
Die Technik der Holzschneidekunst
ist ihrem Prinzip nach äusserst ein-
fach, wenn sie auch grosse Sorgfalt und
viel Geschick erfordert. Als Objekt,
auf welches die Zeichnung aufgetra-
gen, resn. aus welchem die Zeichnung
ausgeschnitten wird, dienen Tafeln
von trockenem Buchs- oder Birn-
baumholz, auf welche, nachdem sie
gehörig geglättet und mit einem
dünnen Überzüge von Kremnitzcr
Weiss versehen sind, die Zeichnung
scharf und rein, natürlich verkehrt,
aufgetragen wird. Ist dies voll-
endet, so ist es die Arbeit des i^orm-
schneiders, sämtliche Stellen, welche
auf dem Abdruck weiss erscheinen
sollen, herauszuschneiden. Dies ge-
schieht mittelst äusserst feinen
Messerchen. Befinden sich Gegen-
stände auf dem Bilde, welche hinter
andere zurücktreten sollen, so wird
die ganze Fläche, um die es sich
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430
handelt, etwas vertieft, wodurch die
Striche beim Abdruck in verminder-
ter Starke erscheinen. Den Ab-
druck der Holzplatten nahm
in den frühesten Zeit*
des Reibers vor. Das
Papier wurde auf die
bestrichene Holzplatte
nun die Rückseite des
man
n mit Hilfe
gefeuchtete
mit Farben
gelegt und
Papiers so
lange gerieben, bis die Linien des
Schnittes sich allmählich in das
Papier eingepresst hatten. Als
die Presse erfunden war, vollzog
man den Abdruck natürlich durch
gleichmässig wirkenden vertikalen
Druck.
Wann, wie und von wem die
Holzschneidekunst erfunden worden,
weiss man nicht. Wahrscheinlich
waren die ersten Vorbilder in den
Stempeln gegeben, womit Urkunden |
und dergl. statt der Unterschrift
bedruckt wurden. Andere wollen
in den Spielkarten, deren Herkunft
und Geburt ebenso dunkel ist, die
Vorläufer der Holz-Hchneidekunst er-
blicken , indessen stosst man schon
in sehr alten Handschriften auf
Initialen, welche sich mit über-
raschender Übereinstimmung wieder-
holen und deshalb auf Abdruck
8chliessen lassen, während gedruckte
Spielkarten erst seit dem 15. Jahr-
hundert nachweisbar sind. Diejenigen
aus früherer Zeit verraten ihre Ver-
vielfältigung durch Schablonen. Der
erste datierte Holzschnitt, den man
kennt, stammt vom Jahre 1423. Auf
demselben ist der heilige Christo-
phorus abgebildet, wie er dasChristus-
kind über den Flnss trägt. Eine
Wiedergabe derselben siehe beim
Artikel ChrUtophoru*. Der Holz-
schnitt ist in Schwarz mit breiten I
Linien gedruckt und koloriert. Da-
neben existiert eiue hinlängliche
Zahl von Blättern ohne Datum, j
welche dem Charakter der Zeich-
nung nach in die Zeit vor der Herr- ;
schaft des Van üjyfachen Stiles ge-
wieten werden müssen. Kennzeichen
sind, abgesehen von Stileigeutümlich- ,
keiten der Zeit den geschwungenen
(nicht gebrochenen) Falten der
Gewänder: dicke Umrisse, sowie
Mangel an Schraffierung, dafür aber
in der Regel eine nachträgliche
Kolorierung.
Das Zweitälteste datierte Denk-
mal besitzt die Hofbibliothek in Wrien
in dem Martyrium des heiligen Se-
bastian mit der Jahrzahl 1437. Aus
derselben Zeit stammen noch eine
Grosszahl von Schnitten, unter wel-
chen namentlich illustrierte Ablass-
zettel und Neujahrskarten eine grosse
Rolle spielen. Bei letzteren erscheint
in der Regel das Christuskind mit
einem Band in den Händen, worauf
zu lesen ist: Ein gut ttälig u>r oder
fil god jar und dage leben etc. Die
Namen der Künstler fehlen im
14. Jahrhundert ganz und kommen
auch in der ersten Hälfte des
1 5. Jahrhunderts äusserst selten vor.
Dagegen berichten die Zunftbücher
von Nürnberg und Augsburg von
Briefmalern. Illuministen und Form-
schneidern und führen die Namen
auf. Die Bilder, welche die Zunft-
genos8en hinterlassen, sind meist
roh und ungefüge und lassen nur
zu deutlich durchblicken, dass der
Handwerker vorderhand eben auch
den zeichnenden Künstler ersetzen
musste. Die rohe und grelle Be-
inalung bestätigt diese Ansicht
vollauf.
Die zahlreichste Verwendung fand
der Holzschnitt iu dieser Zeit zur
Herstellung einzelner Bilder, wie sie
an Wallfahrtsorten den Gläubigen
zum Kauf angeboten wurden. Allein
diese einzelnen Blätter reihten sich
oft zusammen zu ganzen Büchern,
wo für jede einzelne Seite eine
Tafel geschnitten wurde. Das sind
die sogenannten Blockbücher, die
Vorläufer der Buchdruckerkunst.
Das älteste derselben datiert aus
der ersten Hälfte des 15. Jahrhun-
derts, es ist: Das Bueh der haym-
lichen Offenbarungen Johanis'1 f welcnes
sogar mehrere Auflagen erlebte.
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Holzschneidekunst
431
Daneben spielt die „Ars memorandi",
worin das Evangelium durch das
Symbol der Evangelisten bezeichnet
ist und Ziffern die Stellen der Schrift
andeuten, eine bedeutende Rolle.
Sehr schöne Initialen weist das
Mainzer Psalterium von Fust und
Schofler 1457 gedruckt auf. Neben
solch' kirchlichen Büchern, die wir
uns zum kleinsten Teil aus Text,
zum weitaus grossen aus Mil-
dern bestehend vorzustellen haben,
erging sich die Holzschneidekunst
in Darstellung von naturgeschieht-
lichen und anderen Werken aller
Art
In der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts werden die Namen der
Formschneider schon häufiger. Wir
begegnen einem Meister Ludwig
zu Ulm, einem Albert Pfister zu
Nürnberg, der uns eine Armen-
bibel hinterlassen hat, einem Ul-
rich Han, Friedrich Walther, Hans
Scherer etc. In den sogenannten
Armenbibeln bestand jedes Blatt
aus mehreren Feldern. Im Mittel-
feld erscheint die fortlaufende < Je-
schichte des Heilandes, wahrend die
Nebenfelder dasjenige aus dem alten
Testamente veranschaulichen, was
man als Symbol und Verkündigung
des neuen anzusehen pflegte. Ja
sogar Landkarten sind aus der Zeit
des 15. Jahrhunderts auf uns ge-
kommen. Sie tragen den Namen
eines Johann Schnitzer von Arnsz-
heim. In den : „heyliflrn reyssen <fe»
Jherusalcm", illustriert von Erhard
Rewich, liegt schon der Vorbote
des kommenden Jahrhunderts, indem
dort die Schatten nicht bloss durch
parallele Striche hervorgebracht
sind, sondern bereits Kreuzlagen in
geschickter Behandlung auftreten.
Überhaupt war mit der Scheide
des 15. und 16. Jahrhunderts der
entscheidende Moment gekommen,
wo die Holzschneidekunst in der
Entwicklung der Malerei ein ent-
scheidendes Wort mitzusprechen
hatte und wo sie als eine wahre
Kunst die grössten Künstler be-
schäftigen sollte. Schon gegen Ende
des 15. Jahrhunderts vollzog sich
eine folgenreiche Trennung von
Kunst und Kunsthandwerk. Wesent-
lich günstig wirkt aber die Schwester-
kunst, die Buchdruckerei, und be-
sonders der durch dieselbe im Auf-
blühen begriffene Buchhandel ein.
Als kunstsinnige Männer legten die
grossen Buchhändler in Augsburg,
Nürnberg, Basel etc. Wert auf ge-
diegene Ausstattung ihrer Verlags-
artikel, welche in der Regel eines
künstlerischen Schmuckes nicht ent-
behren durften. Und zwar be-
schränkt sich dieser nicht auf die
bildlichen Illustrationen, sondern er-
streckt sich auch auf Titelumrah-
mungen, Raudverzierungen , Initia-
len etc. Künstler ersten Ranges
wendeten sich solchen Aufgaben zu
und es ist wohl anzunehmen, dass
die Künstler ihre Zeichnungen zu-
weilen auch selbst in Holz schnitten ;
allein zu vielen Sachen werden sie
eben nur die Zeichnung geliefert
haben.
Namentlich war es Nürnberg,
wo der Holzschnitt von den ersten
Künstlern gepflegt wurde. An der
Spitze derselben steht vorerst Michael
Wohlgemuth und sein Stiefsohn
PleydenwurfV, welche in der Nürn-
berger grossen Chronik von Hart-
mann Schedel dem Holzschnitte ihre
Aufmerksamkeit zuwandten. Zur
höchsten Blüte gelangt« der Holz-
schuitt unter Albrecht Dürer. Dürer
hat wie wenig andere Meister die
Wirklichkeit m allen ihren Äusse-
rungen aufs Tiefste ergründet Seine
Heiligengestalten holt er sich aus
seinen Nürnberger Mitbürgern her-
aus und bemüht sich nicht im ge-
ringsten, das Zufällige des gewöhn-
lichen alltäglichen Lebens abzu-
streifen. Seine Figuren wollen nir-
gends mehr scheinen, als was sie
sind. Allerdings vermochte Dürer
die Einflüsse der phantastischen
Richtung seiner Zeit nicht von sich
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432
Holzschneidekunst.
fem zu halten. Sowohl in der Zeich-
nung der Köpfe und Hände, als
auch anderer TVile zeigt sich oft
eine knorrige willkürliche Manier
und in jenem knitterigen unruhigen
Faltenwurf erlag er dem Eintiuss
der Holzschnitzerei seiner Zeit. Allein
so herb und abstossend auf den
ersten Blick manches erscheint, so
bewunderungswürdig ist gerade die
Kraft, die schlichte Einfachheit der
Linien, welche besonders seinen
Holzschnitten innewohnt. Schon
1498 gab er die ApocalyjKtu cum
Jiyuri* heraus, 1511 <Jie grosse
Passion und das Leben der Jung-
frau. Dazwischen und nachher eine
Menge einzelner Blatter. 1502 voll-
endete er die aus 92 Platten zu-
sammengesetzte Ehrenpforte Maxi-
milians, als deren Hauptmitarbeiter
ein Jeronymus Andre erscheint. Von
den Schülern Dürers ist vor allem
Hans Schäufflein hervorzuheben,
von dem eine Menge Milder mit dem
Monogramm 7/ 6' vorhanden sind.
Weiter sind zu nennen: Hans
Springinklee, Goldenmund, Lauten-
sack u. s. w.
Neben Nürnberg war es das
reiche Augsburg, wo die Kunst
kräftig emporwuchs. Hatten schon
die beiden alteren Holbein der
realistischen Kunst den Boden ge-
ebnet, so bewegte sich namentlich
Hans Burgkmair in dieser Richtung
als ein tüchtiger handfertiger Meister,
von dein eine überaus grosse Zahl
von Holzschnittwerken herrührt,
unter welchen besonders diejenigen
zum „Triumphzug Maximilians4' und
zum Weisskunig hervorgehoben
sein mögen. Allein auch Augsburg
erhielt einen Genius auf dem Gebiete
der Malerei in dem jüngeren Hans
Holbein, als dessen rechte Hand im
Gebiete der Holzschneidekunst Hans
Lützelberger erscheint. Besonders
zeichnet sieh der Totentanz aus, als
in allem vorzüglich, was in Holz-
schnitt zu leisten ist.
In Kegensburg begegnet uns der
Maler Albrecht Altorfcr (1480 bis
1538) und dessen Schüler Osten-
dorfer. Als Ausgänger der schwäbi-
schen Schule sind zu nennen: Hans
Baldurg Grien, welcher vor allen
anderen ein meisterhaftes Spiel des
Lichtes, in der Ausbildung des so-
genannten Helldunkels, zustande
brachte. Dieses Helldunkel oder
Chiaroscura, welches von deutschen
Künstlern schon sehr früh ausge-
führt worden war, giebt dem Holz-
schnitt eine Farbe in verschiedenen
Abtönungen, deren jede durch den
Druck von einer anderen Platte be-
werkstelligt wird. Nur die höchsten
Lichter werden weiss ausgesperrt.
Ein ungemein fruchtbarer Künstler
des 16. Jahrhunderts war Jost Am-
mann, der 1539 in Zürich geboren
wurde und 1591 in Nürnberg starb.
Endlich stellt sich als Ausläufer
der fränkischen Schule ein Meister
dar, der die Einflüsse derselben nach
Sachsen überträgt und dort an der
Spitze einer überaus handfertigen
Schule thätig war: Lucas Cranach.
Aus seiner Schule gingen zahlreiche
Meister der Holzschneidekunst her-
vor, wie Schwarzenberg, Lucius,
Leigel, Gottland, Brosamer und
andere. Cranach war eifriger An-
hänger der Reformation. Die er-
habenen Anschauungen Dürers
gingen ihm zwar ab, dafür ist ihm
ein besonders gemütlicher, barm-
loser Zug eigen, der seinen Bildern
eine volkstümliche Beliebtheit ver-
schafft hat.
So war der Holzschnitt im 16. Jahr-
hundert zu höchster Blüte gelangt
Allein mancherlei Umstände ver-
einigten sich, um den Sturz der
Holzschneidekunst zu bereiten und
zu beschleunigen. Die grossen
Meister starben und hinterliesseu
keine Erben . die Kunstfertigkeit
sank wieder zum Handwerk herunter
und das Publikum gewöhnte sich
nach und nach an die Vorstellung,
dass der Holzschnitt ein rohes, ver-
schmiertes Bild sein müsse. Der
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Holzschneidekunst.
433
30jährige Krieg war der Holz- Ein Schüler Kembrandts Jan Livcns
r?chneidekun*t auch nicht gerade (1607—1668) behandelte den Holz-
förderlich. Der Hauptfeind aber schnitt in einer Weise, dass derselbe
entstand derselben in dem empor- Ätzbliitteru ähnlich und zu ganz
blühenden Kupferstiche. Das Bessere koloristischer Wirkung gebracht
war des Guten Feind. Die höhere wurde. Im Iis. Jahrhundert hört aueh
Vollenduug, welche mau durch Grab- in den Niederlanden derküustlerische
srichel und Radiernadel damals den Holzschnitt fast ganz auf.
Kunferblättern zu verleihen glaubte Nach Italien wurde die Holz-
uno der Umstand, dass die Maler schneidekunst ebenfalls durch deut-
ihre Empfindungen schneller durch sehe Buchdrucker gebracht. Wir
• inige Züge der Nadel selbst schaffen begegnen dort anfangs lauter deut-
und der Welt mitteilen kouuteu. sehen Namen, wie: Baldoll, Johan-
veranlasste zunächst die Vernach- nes de Fraucfordia, Jakob von Strass-
lässigung des Holzschnittes. Er bürg etc. Unmittelbar vor Ende
fristete zwar sein Leben noch bis des 15. Jahrhunderts erschien in
ins 17. Jahrhundert hinein, wo uns Venedig das berühmte Buch: Hyp-
namentlich in Paul Kreuzberger von nerotumachia Poliphili, ein tooo-
Nürnberg ein achtbarer Künstler graphisches Meisterwerk des Aldo
entgegentritt, allein im allgemeinen l*io Manutio. Ausserordentliche
wurden die Holzschnitte nur mehr Thätigkeit entwickelte sich zu An-
znm Bedrucken untergeordneter fang des ! 6. Jahrhunderts. In Ugo
Stoffe benutzt. Die Auferweckung da Carpi erblicken die Italiener den
der Holzschneidekunst war unserem Erfinder des Chiaroscuros. Seine
Jahrhundert vorbehalten. Hauptarbeiten sind Vervieltalti-
In den Niederlanden drang der gungen Kafaelscher Entwürfe. In
Holzschnitt zuerst von Deutschland der zweiten Hälfte des IG. Jahr-
atb vor. Die Niederländer wollen hunderts kommen in Venedig wieder
zwar allerdings die Erfinder des deutsche Formschneider vor.
Holzschnittes sein. So sollen schou Auch in Frankreich waren es
im 13. Jahrhundert in Harlem Beel- Deutsche, welche 1470 die erste
desniders existiert haben, und der Druckerei in Paris anlegten. Zu
Streit bezüglich Erfindung der Buch- den ältesten Schnitten gehören die
druckerkunst durch Lorenz Coster, Totentänze von Verara und Vernier.
1370 geboren, ist bekannt. Namentlich aber versuchen sieh die
Für die EntWickelung dergraphi- fiauzösischen Holzschneider inTitel-
schen Künste in den Niederlanden Umrahmungen, Initialen und der-
hat Lucas von Legden (1494 bis gleichen, besonders im 16. Jahrhun-
1533) eine ähnliche Bedeutung, wie dert, so: eine Isabelle Quatrepomme
Dürer für Deutschland. Gegen Ende in Roueu, Bernard Salonion, nainent-
des 16. Jahrhunderts wenden sich ; lieh aber Jacques Perissin und Jean
die niederländischen Künstler mit Tortorel. Im 17. Jahrhundert waren
Vorliebe dem Helldunkel zu uud es vornehmlich die Familien Papillou
zwar verbinden sie häufig dabei und Sueur, welche den Formschnitt
Kupferstich und Holzschnitt. pflegten uud die Blüte desselben,
Mit grossem Erfolg arbeitete in namentlich des Chiaroscuros, bis ins
dieser Weise Hendrik (iultzius in 18. Jahrhundert verlängerten.
Harlem Im 17. Jahrhundert ging In England erschien das erste
über die Niederlande in Hubens ein mit Holzschnitten verzierte Buch
gewaltiger Stern auf. Für denselben 1493 unter dem Namen: Aurea le-
arbeitete namentlich ein deutscher qenda. Zu Anfang des 16. Jahr-
Holzschneider: Christoph Jegher. Iiunderts hatte der Formschnitt in
lUallexleon der deutschen Altertümer. 28
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434
Hörigkeit. — Hörnerner Siegfried.
den alten
schon in
und Jagd-
England seine Blüte erreicht. Dann
aber geriet »t gänzlich in Verfall,
bis zxun Beginn des 18. Jahrhunderts,
WO eich die englischen Holzschnitzer
dn::iit abmühten, es dein Stahlstich-
gleiclizuthuu und es auch zu einer
DewundtniswertenTechnik brachten.
Nach Bucher, Gesch. der techn.
Künste: Thausing, Dürer; Löbke,
Kunstgeschichte. A. H.
Hörigkeit. Das Wort hörig, '
mhd. koerec — unterthänig, eigen, j
kann nicht über das 14. Jahrhun-
dert nachgewiesen werden, ist aber
von Neueren allgemein für das Ver-
hältnis der loseren, sich dein Stande |
der Freiheit nähernden Knechtschaft
im alten Deutschland verwendet,
siehe Liten und Knecht.
Horn . diente bei
Deutschen , vermutlich
frühester Zeit, ab Feld
zeichen und als Trinkgeschirr; Musi-
kalisch ergiebiger als die heulenden
Tierhörne r sind erst die Horner von
Metall, Gold, Bronce, Messing; sie
sind teils gekrümmt, teils gerade.
Das gerade Instrument, ahd. wahr-
scheinlich trumba genannt, ent-
wickelte sich als Jagd- und Wald-
horn zur langen Metallröhre mit
Schallbecher, che Röhre entweder in
altertümlicher Art gerade, oder nach
einer Neuerung des 14. Jahrhunderts
gebogen; den alten Namen bewahrt
as rumanisierte Wort trompette.
M Heyne im Anzeiger f. Kunde d.
d. Vorzeit 1881. Sp. 263—266. Das
Heerhorn findet man häufig in den
älteren Dichtungen und denen der
deutschen Heldensage genaimt und
sowohl den christlichen als den heid-
nischen Heeren beigelegt. Kaiser
Karl iässt 60000 Hörner blasen, um
seine Ankunft anzuzeigen. Rolands
Horn Olifaut ist berühmt in der
Sage; der Name bedeutet Elfenbein.
Das Horn, mit dem die Signale im
Kriege gegeben werden, heisst her-
hör», irichorn. Durch das Horn ver-
kündet der Wächter den heran-
nahenden Tag und den Feierabend;
auch zum Beginn des Gerichtes wird
es geblasen, wie auch sein Ton die
Einleitung zum jüngsten Gericht ist.
Hörnerner Siegfried heisst der
Held einer nur in Drucken des
16. Jahrhunderts erhalteneu und im
Hildebraudston, d. h. in der späteren
Xibelungenstrophe verfassten Dich-
tung lief cum h um inen Sifrit, welches
die Abenteuer des Helden, seine
Drachen- und Riesenkämnfe bis zu
seiner Vermählung mit Krieinhild
und zu dem moralichen Anschlag
seiner Schwäger führt; dieses und
ein verlorenes Lied von Siegfrieds
Hochzeit sind die Quellen des pro-
saischen Volksbuches vom tiehörnten
Siegfried, welches den Titel fuhrt:
„Eine wunderschöne Historie von
dem gehörnten Siegfried, was wunder-
liche Ebentheuer dieser theure Ritter
ausgestanden, sehr denkwürdig und
mit Lust zu lesen", Köln und Dürn-
berg, gedruckt in diesem Jahr. Der
unbekannte Verfasser des bis jetzt
nicht datierten Buches giebt zwar
als Quelle eine französische Urschrift
an, aber ohne Zweifel bloss um sein
Buch dadurch zu empfehlen. Der
Inhalt der Sage ist folgender: Chriem-
hild, die Tochter des Königs Gibich,
ist von einem Drachen geraubt und
wird auf einem Felsen gefangen ge-
halten; in fünf Jahren wird jeuer
wieder Mensch werden, seine schöne
Gefangene heiraten und sie dann
zur Holle fahren lassen. Siegfried,
der Held aus den Niederlanden, der
durch das Fett eines getöteten
Drachen unverwundbar geworden
ist, einen Fleck zwischen den Achseln
ausgenommen, hat sich nun auf der
Jagd verirrt und trifft auf den Zwerg
Eugleiu, Nibelungs Sohn, der ihm
Chnemhildens Schicksal erzählt.
Siegfried hisst sich von ihm nach
dem Drachenstein führen, besiegt
den Riesen Kuperan und zwingt
ihn zum Dienste, wird aber beim
Besteigen des Felsens von dem
Riesen meuchlings zu Boden ge-
schlagen und nur durch Engleins
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Hortulus deliciarum. — Humanismus.
435
Tarnkappe gerettet. Von neuem
besiegt, muss Kuperan dem Sieg-
fried die Burg aufsehliesen und
ihm das Sehwert gehen, womit der
Drache allein getötet werden kann; |
mit dessen Hilfe erlegt Siegfried
den Drachen und befreit die Jung-
frau. Dann holt er den Nibelungen-
hort, versenkt ihn in den Rhein,
feiert zu Worms mit Chriemhilden
Hochzeit und wird endlich an der
Quelle vom grimmen Hageuwald
erschlagen.
II ort iil iis deliciarum, ist der
Name eines Werkes, dessen Ver-
fasserin die aus dem Odilienkloster
Hohenburg im Elsass entsprungene
Äbtissin Herrad von Landsoerrf ist,
gestorben 1105. Es ist eine' Art
Eneyklopädie, bestehend aus bibli-
schem theologischen und rein wissen-
schaftlichen Auszügen, lateinischen
Gedichten und dazu gehörigerMusik-
begleitung und Malerei, wobei auch
Nachrichten über Trachten, Waffen,
Gerätschaften, Architektur und haus-
liche Lebensweise vermerkt sind.
Herausgegeben von Engelhardt,
Stuttgart 1818, mit 12 Kupfern.
Hospitaliter oder Hospitalbrll-
der heissen alle diejenigen kirchlich
geordneten Vereinigungen, welche
sich, meist nach der Augustinischen
Regel, der Pflege der in die Hospi-
täler aufgenommenen Kranken und
Armen widmeten. Meist mit eigent-
lichen Klosterordeu verbunden,
stehen sie unter der Aufsicht des
Bischofs, speciell bei grösseren
Verbrüderungen unter einem Gene-
ral ; jede einzelne Verbrüderung hat
eineu Vorsteher, Superior oder Major.
Feierliche Klostergelübde haben nur
sehr wenige Orden der Hospitaliter,
dagegen verpflichten sich viele ausser
zur Armen- und Krankenpflege noch
zur Armut und Gastfreiheit. Zu-
nächst entstanden die Hospitaliter
in Italien seit dem 9. Jahrhundert
in dem Orden Unser Lieben Frau
della Scala oder von der Stufe der
Siena. Mit deu Kreuzzügen wuchs
ihre Zahl ausserordentlich und sie
verbreiteten sich durch ganz Europa.
Ausser den Hospitalitern des heiligen
Anton gab es Hospitalbrüder zum
heiligen Johannes, den Orden der
deutschen Ritter, die Hospitalbrüder
vom Orden des heiligen Geistes und
viele andere.
Humanismus heisst die litterari-
sche Bewegung, welche, aus der
Beschäftigung mit der antiken Kunst
und Litteratur hervorgehend, zuerst
in Italien und später auch iu den
übrigen Ländern des romanisch-
germanischen Europas, das Mittel-
alter verdrängt und die Basis der
modernen Bildung, Lebensanschau-
ung, Kunst und Wissenschaft wird ;
unter den mannigfaltigsten Erschei-
nungsformen der Renaissance, an
welchen das Staatsleben, das Leben
des Individuums, das Leben der
Gesellschaft , die verschiedenen
Künste teilnehmen, fällt also dem
Humanismus die Ausbildung des
Utterarüchen Lebens zu, und in
diesem namentlich dem darin wal-
tenden Lebensprinzipe des Humanis-
mus, der schauen, dem klassischen
Altertum entnommenen Menschlich-
keit, welche der Humanismus in be-
wusster Selbsterkenntnis dein christ-
lich-kirchlichen Lebensprinzipe d< s
Mittelalters gegenüberstellt. Der
Humanismus bildet deshalb eine
Mittelstufe zwischen dem antiken
Lebensprinzipe der humanitas und
dem Humanitätsideale des 18. Jahr-
hunderts. Der Entstehung des Hu-
manismus voraus geht die Bildung
des modernen Staates auf italieni-
schem Boden, namentlich des städti-
schen Lebens, die Bildung einer
allgemeinen Gesellschaft , welche
sich bildungsbedürftig fühlte, und
das Erwachen der Persönlichkeit
aus dem gebundenen Wesen der
mittelalterlichen Welt; erst im
14. Jahrhundert tritt als neue Er-
scheinung die Parteinahme der Ita-
liener für das Altertum hinzu, wel-
ches sich nun der neu sich ent-
28 *
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436 Humanismus.
wickelnden realen Bildung in allen gangbarsten lateinischen Dichter,
Gebiet eu des Geisten als sicherer Historiker, Redner uud Epistolo-
Führer anbietet. Unterstützt wurde graphen liebst einer Anzahl lateini-
diese Strömung dadurch, dass das scher Übersetzungen nach einigen
mittelalterliche Kaisertum seit dem Schriften des Aristoteles uud fta-
Untergang der Hohenstaufen im tarch; erst mit dem 15. Jahrhundert
ganzen auf Italien verzichtet hatte beginnen die grossen und zahlreichen
und das Papsttum nach Avignon Entdeckungen verlorener Autoreu,
übergesiedelt war. die systematische Anlage von Biblio-
Als ein erster bedeutender Zug theken durch Kopieren und d>?r
in dieser neuen Geistesrichtung eifrige Betrieb des Übersetzens aus
wird die Teilnahme erwähnt, die dem Griechischen. Mit wahrer Ba-
sich für die Ruinenstadt Rom kund- Begeisterung und mit grossem Auf-
giebt; Itypio ist hier der erste, der wand ökonomischer Mittel wurden
in seiner Ruinarum urbis Romae seltene Bücher gekauft und abge-
(fesrrij)fio um 14*10 das Studium der f schrieben; Nikolaus V. hinterliess
Reste selbst mit dem der alten Au- diejenige Bibliothek, die der Grund-
f« >ren und mit den Inschriften inniger stock der Vatikana geworden ist:
vrband; au seine kurzen Aufzeich- in Florenz vermachte Niccolo Niccoli
innigen schliefst fieb das Werk des seine wertvolle Büchersammlung dein
Wondtts von Forli, gestorben 1447, Kloster St. Marco mit der Bedingung
Romainttaurafa, dessen Zweck schon der Öffentlichkeit. Als die beiden
über die Schilderung des Vorhände- grössten Bücherfinder werden Gua
neu hinaus auf die Ausmittelung rino und Poggio genannt; aus au-
des Untergegangenen sich erstreckt, tikem Patriotismus sammelte der
Pius II. ist ganz von antiquarischem Grieche, Kardinal Bessarion, 600
Interesse erfüllt und hat die Alter- Handschriften, für die er einen
tümer der Umgebung Roms zuerst sicheren Ort suchte, wohin er sie
genau gekannt und beschrieben. ' stiften könnte, damit seine unglüok-
Es entstanden jetzt die ersten Sauim- liehe Heimat, wenn sie je wieder
hingen von Altertümern jeder Gat- frei würde, ihre verlorene Litteratur
tung; man begann Ausgrabungen wiederfinden möchte; er fand deu
nach Altertümern , fand den Apoll Ort in Venedig. Besonders in Flo-
von Belvedere, den Laokoon, die renz blühte das Studium der grie-
va'ikanische Venus, die Kleopatra; einsehen Sprache und Litteratur,
und setzte schon früh die Grund- getragen von einer Kolonie griechi-
sä tze fest, nach welchen Aufnahmen scher Flüchtlinge, deren ersterManuel
antiker Altertümer geschehen sollten, Chrysolaras war; der Umgang der
nämlich für jeden Überrest Plan, italienischen Gelehrten mit gebure-
Aufriss und Durchschnitt gesondert, neu Griechen brachte es auch mit
Mit dem archäologischen Interesse sich, dass griechischReden eine Zierde
Hand in Hand geht ein patriotisches, der humanistischen Gelehrten wurde,
und bald verknüpft sich auch damit Als die griechische Kolonie ausstarb,
eine gewisse Ruineusenthnentalität, liess die Teilnahme für das Griechi-
der man die ersten idealen Ruinen- sehe in Italien schnell nach. Auch
ansichten verdankt. das Studium der hebräischen und
Wichtiger als die baulichen und arabischen Sprache gewann in Ita-
künstle; isehen Reste des Altertums Heu einen ziemlich bedeutenden
wurden die alten Autoren, aus de Umfang.
neu man vornehmlich den Geist der Der JJumanUmu* steht in Italien
schönen Bildung schöpfte; von ihnen in enger Verbindung mit dem Er-
kennt das 14. Jahrhundert erst die wachen einer itafienutrhen Xational-
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Humanismus. 437
poetie und der italienischen Sprache griechischen Sprache. Doch gab es
überhaupt; die klassischen Dichter daneben noch zahlreiche andere ge-
sind in diesem Lande zugleich Hu- lehrte Institute längerer oder kür-
manisten. So schon Dante, der zerer Dauer, namentlich auch freie
Vergil, den grössten antiken Dichter Akademien, an welchen hnm&nisti-
in den Augen seiner Zeit, zum sehe Lehrer beteiligt waren; im
Führer in der Hölle und im Purga- ganzen liebte man die Abwechse-
torium gewählt und zuerst eine Fülle hing, und es war überhaupt wenig, r
antiker Lebensbeispiele in seiner auf eine gründliche philosophische
Dichtung gehäuft hat. Petrarca und reale Bildung aligesehen, als
ist für seine Zeit weit mehr der be- auf eine Lebensführung im Sinne
geisterte Prophet der antiken Bil- des Humanismus, dessen wesent-
dung, als angesehener Dichter ge- liehe Kiemente persönlicher Umgang,
wesen; er ahmte alle Gattungen Disputationen, Deständiger Gebrauch
der lateinischen Poesie nach und des Lateinischen und zum Teil des
war der eigentliche Repräsentant Griechischen waren,
der antiken Bildung. So war auch Unter dem Einflüsse des Humanis-
Boeeaccio als Humanist und Ver- mus sind in Italien auch die ersten
fasser mythographischer, geographi- von der Kirche unabhängigen Scfut-
scher und biographischer Sammel- leti entstanden, die teils städtischer,
werke in lateinischer Sprache inner- teils privater Natur waren. Erst
halb und ausserhalb Italiens weit hier wurde das Schulwesen unter
berühmter denn als Verfasser des dem Gesichtspunkte höherer Er-
Dekamerone. * ziehung betriebeu; am wirksamsten
Als symbolische Ceremonie ist waren in dieser Beziehung Vittorinn
den Humanisten die Vöetenhrbnung \ da Feftre zu Mantua, der zuerst
mit dem -Lorbeerkranz eigen, eine das Turnen und jede edlere Leibes-
ött'entliehe Demonstration, ein sieht- Übung mit dem wissenschaftlichen
barer Ausdruck des litterarischen Unterricht verband, und Quarino
Ruhmes; ihre Anfänge im Mittel- von Verona ; besonders unternahmen
alter sind dunkel; doch steht sie jetzt Humanisten die früher von
ohne Zweifel im Zusammenhang mit Theologen geleitete Erziehung von
dein griechischen Vorbild der von Do- Fürstenkindern.
mitian gestifteten kapitolinischen Ganz besonders dienten in Italien
Wettkämpfe. Anfanglich nahmen die Humanisten den Republiken wie
Bischöfe, Rektoren der Universität, den Fürsten und Päpsten zur Ab-
die Stadtbehörde von Rom die Cere- fassung der Briefe und zur öftent-
monie vor; seit Karl IV. in Italien liehen, feierlichen Rede. Fast alle
einen Poeten gekrönt, thaten rei- grossen Männer der Wissenschaft
sende Kaiser bald da, bald dort 111 Italien dienten im 15. Jahrhun-
ebendasselbe; im 15. Jahrhundert dert eiuen Teil ihres Lebens als
ging die Ceremonie vom Papste und Sekretäre und Geheimschreiben Die
anderen Fürsten aus. Briefsammlungen des Cicero und
Der Humanismus hatte eine be- Plinius wurden zu dem Ende aufs
deutende Wirkung auf die l'nirer- genaueste studiert und mit posser
titatent von den Professuren des Virtuosität nachgeahmt. Nocli wich-
geistlichen und weltlichen Rechtes, t tiger aber wird die Eloquenz, die
der Medizin, der Rhetorik, der sich jetzt völlig von der Kirche
Philosophie und der Astronomie emanzipierte und ein notwendiges
war diejenige der Rhetorik beson- Element der höheren Gesellschaft
ders das Ziel der Humanisten , ab- jeder Art wurde. Der Name der
gesehen von besoldeten Lehrern der Gesandten von Staat an Staat ist
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488
Humanismus.
Oraioren ; Fürsten wurden bei jedem
feierlichen Empfang oft stundenlang
angeredet; beiBeamtenerneuerungen,
Einführung neuernaimter Bisehöfe,
bei Überreichung des Feldherrn-
stabes fehlt nie die solenne Rede;
die Todestage der Fürsten werden
durch Gedächtnisreden gefeiert, und
namentlich fallt die Leichenrede dem
Humanisten anheim; neben den aka-
demischen Reden steht die antiqua-
risch-philologisch ausgestattete Rede
des Advokaten und des Heerführers
vor und nach dem Kampf. Ernste-
rer Natur sind die Bemühungen der
Humanisten um die Ahhanmung in
unmittelbareroderdialogischerForm,
um die lat einholte Gesehiehtschrei-
bnng, um die Monographie und Bio-
nraphie, um die Erforschung des
Mittelalters, dessen Erkennung als
eine überwundene Bildung zuerst
in diesen Kreisen auftritt, überhaupt
um die Neubildung und Bearbeitung
sämtlicher Fachwissenschaften.
Charakteristisch für den Huma-
nismus ist die Antikuierunq der
Namen i dieselben werden teils ein-
fach aus den Vornamen des Alter-
tums genommen, Agamemnon, Ari-
stides, Apelles; oder sie ersetzen
Vor- und Gcschlechtsnamen zu-
gleich, wie sich z. B. Sanscverino,
der Geschichtschreiber, Julius Pom-
ponius Laetus umtaufte; oder es
sind griechische oder lateinische
Übersetzungen der vorhandenen, so-
wohl Tauf- als Zunamen, wonach
z. B. aus Giovanni Jovianus oder
Janus, aus Sannazaro Svncerus
wurde; die letztere Art ist bei den
deutschen Humanisten fast aus-
schliesslich Brauch geworden.
Der Humanismus ist es gewesen,
der zuerst wieder von der lateini-
schen Vulgärsp räche des Mittelalters
auf da« klassische Latein zurück-
gegriffen hat, wobei seit dem
14. Jahrhundert Cicero unbestritten
als das reinste Muster der Prosa
galt: der Ciceronianismus jedoch,
der !<ich jeden Ausdruck versagte,
wenn derselbe nicht aus Cicero zu
belegen war, begann erst am Ende
des 15. Jahrhunderts und hatte im-
mer Gegner, welche einer eigenen,
individuellen Latinität das Wort
redeteu; für die Konversation ging
man auf Plautus und Terenz zurück,
deren Komödien häufig aufgeführt
wurden.
Der höchste Stolz der Huma
nisten ist aber die ncuhifrinische
Dichtung. Auf diesem Gebiete hat
die Bewunderung für das Altertum
ein teilweises Wiedererwachen des
antiken italienischen Geistes in den
Dichtern selbst möglich gemacht.
Unter den Epen steht Petrarcas
Afrika, deren Held der ältere Scipio
Afrikanus ist, obenan; zahlreich
sind die Dichtungen mythologischer
und bukolischer Art, worin eine
ganz neue, selbständige Götter- und
Hirtenwelt zu Tage tritt; von christ-
lichen Epen hat der italienische Hu-
manismus namentlich die Christias
des l'ida und de partu Virginia des
Sannazaro hervorgebracht, welch
letzterer unbedenklich alte Mytho-
logie mit dem christlichen Stoffe
mischt; auch die Zeitgeschichte
wurde in Hexametern oder Distichen
behandelt, meist zu Ehren eines
Fürsten oder Fürstenhauses, wovon
die Sphorcias, Borsei«,, Bora Im
Zeugen sind. Die didaktische Dich-
tung hat besonders im lß. Jahr-
hundert einen Crossen Aufschwung
genommen und z. B. das Gold-
machen, das Schachspiel, die Seiden-
zucht, die Astronomie behandelt.
Auf dem Gebiete der lyrischen Poesie
wurde besonders Catull nachgeahmt;
weniger antik erscheinen die Oden
in den alten Odejuversmassen, täu-
schend antik dagegen eine Anzahl
Gedichte im elegischen Versmars
oder bloss in Hexametern, deren
Inhalt von der eigentlichen Elegie
bis zum leichteren Epigramm herab-
reicht; auch hier ist Sannazaro der
erste Meister.
Man kann im italienischen Hu-
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Humanismus.
439
manismns einen bleibenden Kern wäre, gab es nicht; die deutschen
und eine vorübergehende Form unter- Fürstengesehleehter zehrten noch
scheiden; diese letztere ist die be- an der roheren Bildung der vorher-
sondere Gestalt, welche die Gesell- gegangenen Jahrhunderte, und nur
schaft oder der Stand der Huma- wenige, wie Maximilian, mochten
nisten hier angenommen harte; be- sieh für eine schönere Bildung be-
rufsmässige Vertreter der antiken geistern lassen; die italieniseheStädte-
Bildung. die nieht bloss in der Lehre Tvrannis war Deutschland ganz
und Schriftstellerei . sondern noch fremd, und in den Reichsstädten
mehr im Umfang und Stand ein dominierte eine den Gewerbs- und
in sich abgeschlossenes Element der Handelsintercssen ergebene Bürger-
italienischen Gesellschaft bildeten ; schaft. Stand der Klerus zwar auch
der bleibende Kern liegt in der hier tief genug, so arbeitete sich
Lösung von der Scholastik und in doch seit dem Beginne des 15. Jahr-
der Wiedergeburt der antiken Welt- hundert« selbständig ein ernsterer
anschauung; er wirkt unveräusser- Bildungstrieb durch, welcher sieh
lieh bis heute, während jene huma- mit Hingabe dem Jugendunterriehte
nistische Gesellschaft Italiens schon widmete. Die Brüder d<s nenn in-
in den ersten Dezennien des 16. tarnen Lehern (vergl. diesen Artikel)
Jahrhunderts schnell abstarb; als wurden die Begründer eines khvh-
Ursachen des Niedergangs werden liehen und doch der freieren Bildung
angegeben die Erfindung des Buch- offenen Unterrichtes, und aus ihren
drucks, welche den persönlichen Schulen gingen bald Gelehrte her-
Umgang mit den Gelehrten teilweise vor, die zwar meist ihre Bildung in
entbehrlich machte, das geringe Italien holten, sich auch in diesem
Mass ihrer sittlichen Tüchtigkeit, Lande die konventionelle Lebens-
ihre Ruhmsucht, Eitelkeit, Schmäh- führung der Humanisten aneigneten,
sucht, Oberflächlichkeit, und schon in ihrer eigenen Heimat dagegen
in Italien eine Reaktion des gläu- ernster und würdiger als ihre Vor-
bigen Kirchentums gegen den wenig bilder zu wirken pflegten, besonders
kirchlichen Geist der Humanisten, in Bezug auf ihre theologischen Bibel-
Dagegen erneuerte und vertiefte sich Studien und auf die Jugendbildung;
der Humanismus in den Ländern der Sitz dieser Humanistenschiue
diesseits der Alpen, in welchen er ist am Rhein, von den Niederlanden
in der zweiten Hälfte des 15. Jahr- aufwärts in Wesel. Heidelberg,
hunderts langsam Eingang fand. Schlettstadt, Basel, wozu besonders
In Deutschland findet man zu- noch Tübingen und Erfurt kommen,
erst an den Konzilien von Konstanz Die einflussreichsten Namen sind
und Basel italienische Humanisten ( Johann Wesel, Rudolf Atjrikola,
teils für sieh auf Handschriften aus- Alexander Heai us, Rudolf von Laune,
gehend, namentlich Poggius, teils Hermann von dem Busch, Jakob
schon unter Deutschen Propagauda Wimphelinq, Beatus Rhenanns. Sie
machend für ihre Bestrebungen; das werden alle übertroffen von den
letztere ist besonders bei Äneas Fürsten des deutschen Humanismus,
Sylvins der Fall. Doch lagen von Reuchlin und Erasmus, jener be-
vornherein die Verhältnisse wesent- sonders für das Hebräische thätig,
lieh anders als in Italien; die latei- j dieser überhaupt der grösste Ge-
nisehe Sprache war sehr viel fremder lehrte seiner Zeit,
für die deutsche Nation ; eine Na- 1 Ein anderer, dem deutschen Hu-
tionalsprache und eine National- manismus eigener Zug ist der natio-
diehtung, die mit der Dichtung der nale\ er zeigt sich teils als Polemik
Gelehrten Hand in Hand gegangen gegen den Komanismus, namentlich
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440 Humiliatenorden. — Hundertschaft.
gegen die elende scholastische Hil- Mas>e. die Teilnahme für du- Quellen
3ung der Mönche, und feiert seinen des Christentums, für den Jugend-
Höhepunkt in Hutten und in lieuch- Unterricht, für die Quellen vater-
//'//. in bezug auf letzteren nament- lfindischer Geschichte. Die latei-
Iii- h in der Art, wie der Humanis- niteke Dichtung, welche ebenfalls
mus solidarisch für ihn im Kampf von den deutschen Humanisten, na-
gegen die Kölner einsteht, siehe den mentlich von Eiß>aa Hesse, geprleirt
Artikel ephtolaeohscurunim vi rorum ; worden war, stirbt zwar auch niclit
teils erweist er sieh in der liebe- aus, verliert jedoch ihr eigeutün»-
vollen und ausgiebigen Beschäftigung lieh freies humanistisches Gepräge
mit den Quellen (1er deutschen Ge- und fällt den sogenannten -\>w-
sehichte uud Bildung: Mittelpunkt latentem anheim, während die Kritik
dieses Treibens ist Wien, wo Kaiser und Bearbeitung der klassischen
Maximilian die Erforschung der Autoren den zünftigen Piniol« igen
deutschen Geschichte auf alle Weise überlasssen wird. Burkhardt, Ke
beförderte; die hervorragendsten naissance; Voigt, die ersten Huma-
Namen dieses Kreises sind Cttspinian nisten. deiner, Renaissance und
iSpiesshammer), Konrad Cd (es, Kon- Humanismus in Italien und Deu^ch-
rad Petttinper, Fadian, land.
Auch die deutschen Humanisten Huniiliatenordeu oder Orden
repräsentierten, wenngleich nicht in der Demut, entstand im 12. Jahr-
dem Grade wie die italienischen, hundert und soll durch Adelige, die
eine in sich abgeschlossene schöne meist aus der Lombardei gebürtig
Bildung, die zwar dem Christentum und als Gefangene nach Deutsch-
nicht fein stand, doch betrachteten land gebracht worden waren, nach
sie als den schönsten Erfolg ihrer ihrer Rückkehr dadurch gegründet
Arbeit die Freiheit der Bildung, worden sein, dass sie sich als
welche am wenigsten unter dem Büssende, Gedemütigte, humiliati
Druck eines dogmatisch gebundenen zu einer Klostergesellschaft ver-
Kircheuglaubens gedeiht, und waren bunden hätten. Die Regel war die-
iederzeit bereit, ihr Prinzip gegen ienige des heiligen Benedikt; Pius V.
kirchliche Ignoranz und Intoleranz löste den Orden 1571 auf.
zu verteidigen, indem sie zugleich Hundertschaft, ahd. huntari.
einen lebhaften, eleganten, litterari- fntnteri, lat. centena, ist eine Unter-
seiten und brieflichen Verkehr unter abteilung des Gaues im früheren
sich unterhielten. Mit der siegen- Mittelalter. Es ist ursprunglich kein
den Reformation hört der Humanis- gemein-germanisches Institut und
mus auf ; die Träger desselben gehen begegnet vor und während der
entweder in die Reihen des Prote- Völkerwanderung nur bei Ost- und
stantismus hinüber, wieMelanchthon, Westgoten und Vandalen, wo je hun-
Vadian und viele andere, oder, wo- dert Krieger, von Zehntschaften ge-
von es noch mehr Beispiele giebt, bildet, zu je zwei Fünfhundertschaf-
sie bleiben der alten Kirche getreu, teil und einer Tausendschaft auf-
ziehen sich aber in diesem Falle steigend, darunter verstanden sind,
meist vom litterarischen Felde zu- Von den westgermanischen Völkern
rück, das nun vorläufig den alten kennen bloss die Franken, aber erst
und neuen Theologen für ihre Ten- in späterer Zeit, die.-e Einteilung,
denzeu überlassen bleibt. Schon in die von ihnen zu einigen der von
der Mitte der dreissiger .Jahre ver- ihnen unterworfenen Stämme ge-
stummt fast plötzlich die im engeren bracht wurde. Hier ist es nicht
Sinne humanistische Bildung. Was mehr ein militärischer, sondern ein
bleibt, ist. und zwar in erhöhtem räumlicher Verband: man vermutet,
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Hönengrab, Hünenbett. — Hut.
441
das« die Cen tenen oder Centen ur- lieh Söhnt, Fränkische Reichs- und
sprünglich mit den Urmarken zu- Gerichtsverfassung, §. 8 und
eainmengefallen seien; in der fränki- Hünengrab. HUnenbett. iSeit
sehen Verfassung war die Hundert- dem 13. Jahrhundert war das mhd.
schaft der regelmässige Gerichts- Wime von dem Begriff des Hunnen
bezirk, die Gerichts Versammlung auch auf den eines Riesen über-
derselben ahd. das mahaU mittellat. tragen worden und hielt sich in
malltu. Der Vorsitzende Richter dieser Bedeutung bis ins 16. Jahr-
hiess fränkisch thunnin, die sieben hundert, ober- und Schriftdeutsch
Männer, welche das Urteil vor- als Ifeunr, mittel- und niederdeutsch
schlugen, rachincbunfii j »aceharones Hinte. Während nun um diese Zeit
hiessen die Beamten des Königs im die oberdeutschen Gegenden das
Huuder: ihnen stand der Einzug der Wort aussterben lassen, bewahren
von den Gerichten gefällten Frie- dagegen die niederdeutschen Gegen-
densgelder zu. Seitdem der alte den mit der Form Hüne einen reichen,
thunpin Unterbeamter des Grafen um diesen Begriff angeschlossenen
für den einzelnen Hunder geworden Sagensehatz, und norddeutsche Ge-
war, hiess er ht(nno = ht>n(to, schult- lehrte haben das Wort später für
heiss, centenarius, ricariu* oder tri- archäologische Funde verwendet.
buuus. Er wurde vom Grafen, aus- Hünengräber oder Hünenbetten
nahmsweise vom Könige selbst ge- heissen nun die aus heidnischer Vor-
wählt. Als Diener des Grafen war zeit stammenden Grabmäler, die sich
er mit der Vollstreckung des nein- teils einzeln auf Anhöhen oder in
liehen Strafurteils, mit Überwachung Wäldern, teils in Reihen geordnet
der Gefängnisse und mit der Exe- vorfinden. Hünenbett im engeren
kution des Civilurteils betraut; so- Sinne heisst ein solches Grab, das
dann hatte er die Steuern und Ge- ein aus grossen Felsstücken erbautes
fälle für den König zu erheben und längliches Viereck als Kern birgt,
das Aufgebot zum Heerbann zu mit mächtigen platten Felsstücken
verkündigen. Seitdem die Gerichte bedeckt, iiber welchen meist ein
in die echten und die unechten Dinrje Grabhügel aufgeschüttet ist. Manch-
(siehc den Art. Gerichtswesen) zer- mal führt ein Steingang zur Grab-
fielen, wurde der Hunn oder Schult- kammer; ausserdem umgi-bt das
heiss Leiter und Vorstand des letz- Grab oft ein Steiukreis. Das Innere
teren; im echten Dinge hatte er birgt Skelette, Gefässe, Waffen,
neben dem Grafen seinen Sitz. Schon Husar, Benennung einer nach
in der karolingischen Zeit geriet ungarischer Art bekleideten, be-
die Gerichtsbarkeit mancher Hun- rittenen und bewaffneten Gattung
dertschafteu in grundherrliehe Ge- leichter Reiterei, entstanden ans dem
walt, wodurch auch die Wahl des berittenen Aufgebote der ungarischen
Gerichtsvorstehers Befugnis und Edelleute im Jahre 142s, abgeleitet
Recht des Grundherrn wurde; seit von htt.tz = zwanzig, weil von zwanzig
dem 11. und 12. Jahrhundert hörte Ausgehobenen einer ein Reiter wer-
infolge der Zerbröckelung der Graf- den musste.
schatten die Einrichtung der Hundert- Hut als Rechtssymbol ist Symbol
Schäften ganz auf; das Amt des der Übertragung von Gut undLehen;
Sehultheissen wurde in den geist- der Übertragende oder an seiner
liehen Herrschaften mit dem der Statt der Richter pflegte den Hut zu
Vögte vermischt, in den Städten halten, der Erwerbende hinein zu
wurde der Schultheiss zum Vor- greifen oder einen Halm darein zu
Steher des nach ihm benannten werfen. Der Hut war, gleich der
Schultheissengerichts. Vgl. nament- Fahne. Feldzeichen; wer ihn auf-
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442
Hymnen.
steckte, forderte das Volk zur Heer-
und Gerichtsfolge auf und hatte die
Gewalt dazu. G csslers aufgesteckter
Hut ist Symbol der Obergewalt zu
Gericht und Feld. Der Hut war
auch ein Zeichen der Freiheit und
des Adels; bei den Goten trugen die
Edeln als Priester Hüte. Hut als
Kopfbedeckung siehe den letzteren
Artikel.
H Vinnen. Schon das apostolische
Zeitalter besass neben den Psalmen
höchst wahrscheinlich eigene christ-
liche Gesänge, die aber bloss rhyth-
misch oder bloss in feierlicher Prosa
abgefasst und meistenteils biblischen
Inhalts waren, wie der Gesang
Gloria in excelsut Deo. Erst vom
vierten Jahrhundert an erhielten
sowohl die morgenländische Kirche
in griechischer und die abendländi-
sche Kirche in lateinischer Sprache
eigentliche Hymnen in metrisch-
strophischer Konstruktion, welche
in engster Beziehung zur Musik
dieser Periode standen. Zwar hat
die kirchliche Tradition schon früh
für die ältesten derselben bestimmte
Verfasser genannt; doch ist ein
sicherer Beweis der Autorschaft
meist nicht beizubringen. Nach der
gewöhnlichen Annahme war Hila-
rius, Bischof zu Poitiers, gestorben
368, der erste, der die Reihe dieser
lateinischen Hymnologcn eröffnete;
ihm wird vor allem der Hymnus
Lueis largitor splendide zugeschrie-
ben; als den gefeiertsten Hymnen-
dichter nennt jedoch die Tradition
den heiligen Andsrosius, 374 bis 397
Bischof von Mailand, von dem der
Name ambrosianische Hymnen sogar
als Gattungsname dieser Art geist-
licher Poesie verwendet wurde.
Diesem Kirchenlehrer wurde auch
der sogenannte ambrosianische Lob-
gexang Te Deum laudamus zuge-
schrieben, ihm allein oder ihm und
dem heiligen Augustin gemeinsam;
sowohl seine freie rhythmische Form
als sein Inhalt deuten aber auf höheres
Alter: im kirchlichen Gebrauche des
Abendlandes stand der Lobgesang
schon im Beginn des 6. Jahrhunderts,
anfangs wahrscheinlich als Morgen-
gesang bestimmt; im 8. und 9. Jahr-
hundert findet man ihn in Deutsch-
land schon bei Krönungsfeierlich-
keiten und Kirchenversammlungen
gesungen; mau vermutet als Quelle
ein alt griechisches Muster. N«ben
Ambrosius werden als Dichter des
4. bis 6. Jahrhunderts besonders noch
Ann astin, Prudentius und .Fot 'tu na-
tu» genannt ; in das 7. Jahrhundert
fallt Gregor der Grosse, dessen Be-
mühungen um die Kirchenmusik
jedoch weit bedeutender als seine
dichterischen Arbeiten gewertet wer-
den. Eine neue Periode des Hymnus
schliesst sich an die durch die Karo-
linger neu beginnende Pflege der
Wissenschaften; dahin gehört als
Vorläufer Beda der Ehrwürdige, dann
Paulus Diakonus und Alk uin, Raba-
Maurus, die St. Galler Sofker
nus
der Stammler. Tutilo und Ratzert,
Walafrid Strabo aus der Reichenau,
der Bischof Theodulf von Orleans;
doch steht auch hier die Autorschaft
selten fest; wird doch sogar Karl
dem Gro»»en der Hymnus J etii crea-
tor snirifu» zugeschrieben, als dessen
Verfasser auch Rabanus Maurus ge-
nannt wird. Das Interesse dieser
Zeit an hymnologischen Dichtungen
1 erhellt auch aus der althochdeutschen,
dem 9. Jahrhundert angehörigenüber-
) setzung ambrosianischer Hymnen.
Die Hymnologie nimmt dann An-
teil an der Desonders durch die
Cisterzienser und Cluniazenscr be-
werkstelligten Reform des kirch-
lichen und religiösen Lebens im
Sinne einer subjektiveren, weltfei nd-
I liehen , in sich abgeschlossenen, re-
ligiösen Weltanschauung, aus wel-
i eher später die Scholastik heraus-
wächst; die hierher gehörigen Namen
sind Odo von Clügny, Petrus Damm ni,
Fulbert von Chartre», Bernhard wn
Clairveaux, Adam von St. Viktor,
Thomas von Aquino, Bonn Ventura,
Thomas von Celano; von dem Fran-
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Jagd. 443
ziskaner Jacohu* de Benediktu* soll G. A. Äönir/sfeld hat man zwei
rlas Stahat maier herrühren. Vom kleinere Sammlungen lateinischer
1 4. Jahrhundert an sind nur noch Hymnen mit beigesetzter deutscher
wenige bedeutende Hymnen ge- Üoersetzung, Bonn 1847 und 1805.
dichtet worden. Die besten Samm- Vgl. Eberf, Geschichte der christlieh-
lungen der Hymnen sind von Mone, lateinischen Litteratur des Mittel-
Daniel und } h. Wackernarjel ; von alters.
i (j).
Jagd. Ursprünglich seheint die
Jagd bei den Deutschen überall
frei gewesen zu sein; es bestand
freies Jagdrecht oder die freie Pirsch.
Nach der Völkerwanderung wurde
die Jagd und die meist gleichge-
stellte und zusammen genannte
Fischerei ein Zubehör des Grund
und Bodens; ein Ausfluss des Eigen-
tums, das der einzelne hatte. Seit
Karl dem Grossen wurden viele
königliche Bannforsten, silvae de-
fentafoe, errichtet, Waldungen und
'Waldbezirke, in welchen die Jagd
dem Könige und seinen Stellver-
tretern vorbehalten und anderen
gegenüber bei Strafe des Königs-
annes verboten war; doch bestan-
den daneben die Jagden der freien
Grundeigentümer ungestört fort, und
die Jagdverbote dieser Zeit bezogen
sieh bloss auf die Geistlichen, auf
den Sonntag und auf die Grafen au
Gerichtstagen. Daneben bewirkte
freilich die zunehmende Verminde-
rung der Zahl der Freien auch eine
Verminderung der Jagdbesitzer und
eine Konzentrierung aer Jagdbefug-
nisse in die Hände der angesehen-
sten und mächtigsten Grundeigen-
tümer. Anfangs hatten bloss die
Könige ihre Waldungen und Jagden
geschlossen, und nur einzelne Königs-
forsten ihren Beamten und anderen
Grossen bald schenk weise überlassen,
bald denselben ausnahmsweise ge-
stattet, eigene oder von anderen auf
sie übertragene Waldungen zu Bann-
forsten zu erklären. Mit der Zeit
kamen so die meisten Jagdgebiete
in die Hand geistlicher und welt-
licher Dynastien, und im 13. Jahr-
hundert sind diese nicht bloss im
Besitze sämtlicher ehemaligen Banu-
forsten, sondern im Besitze des
Königsbannes selbst. Aber erst seit
der Ausbildung der eigentlichen
Landeshoheit im 15. Jahrhundert
erweiterte sich die Befugnis dieser
Territorialherren zum Jaydreqal; die
Jagdbefugnis erschien nunmehr bloss
ein Ausfluss der obrigkeitlichen
Polizeigewalt, welche dem gemeinen
Mann, namentlich den Bauern, die
Jagd schlechthin untersagte. Seit-
dem gehörte die Jagd wie die
Fischerei und der Vogelfang nicht
allein in den Waldbannen, sondern
auch in den übrigen Waldungen,
und grossenteils auch die Feldjag-
den aem Grundherrn. Ohne seine
Erlaubnis durfte bei hoher Strafe
niemand jagen. Nur auf Raubtiere
war zu allen Zeiten die Jagd frei,
und es wurden zu diesen seit alten
Zeiten ausser den Baren, Wölfen
und Füchsen häufig auch die wil-
den Schweine gerechnet. Übrigens
gab es auch Gegenden, wo sich seit
uralter Zeit Spuren der freien Pirsch
erhielten manchmal so, dass sich
der Hofherr die hohe Jagd vorbe-
hielt, während die Eigenleute die
niedere Jagd besassen; besonders
in den reichsunmittclbaren Herr-
schaften, in der Landvogtei Schwa-
ben, im Schwarzwald und am Neckar
war diese Jagd frei geblieben.
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444
Jagd.
Was die materiellen Jagdzustand«'
belangt, so war die älteste Jagdart
die der Einzeljagd: Rotwild suchte
man mit zahmen abgerichteten Lock-
tieren in eingezäunte Räume zu
locken oder dasselbe durch Kir-
rungen hineinzuziehen; oder man
fing es in (Jruben, Schlingen oder
Netzen, welche man über den Wech-
sel spannte. Sauen wurden auf
gleiche Art erlegt oder mit Hunden
gehetzt und mit dem Jagdspiess ab-
gefangen, eine Jagd, welche auch
häufig auf Hären angewandt wurde.
Eleuwild, welches sich vorzüglich
in den Bruchgegenden aufhielt,
wurde im Winter auf dem Eise; ge-
hetzt, wo man es leicht erlegen
konnte. Hasen wurden wenig ge-
achtet und den Unfreien zur Jagd
überlassen; auch war dieses Wild
den Christen anfangs als Speise ver-
boten, da es früher als Opfermahl-
zeit genossen worden war. Zur
Jagd der geringen Tiere, Biber,
Otter, Marder, wurden verschieden-
artige Hunde abgerichtet, die sehr
hohen Wert hatten. GeHügel fing
man grösstenteils in Netzen und
Sc hlingen, doch war die Vogelbeize
ebenfalls früh bekannt. Karl d.
Grosse wendete der Jagd grosse
Aufmerksamkeit zu, so dass die
Jagd von jetzt an mehr kunstgemäss
betrieben wurde; es wurden Jagd-
gehege angelegt, vorzüglich in den
Rümpfen und Niederungen und mit
Bohlen eingezäunt; eine Schonzeit
wurde festgesetzt und die Jagd auf
die Monate Juli, August und Sep-
tember, in den Wintermonaten auf
Bären. Sauen und Wölfe beschränkt;
besondere Jagdwagen waren vor-
handen, eine zahlreiche Meute, Fang-
appaiate; zu seinem Hofstante ge-
hörten Pirschmeister, Aufseher über
die Wind- und andere Jagdhunde,
Biber-, Fuelia- und Dachsiäger.
Seitdem teilte sich die Jagd in die
französische oder eigentliche Par-
forcejagd und in die deutsche Jagd,
wclcne vorzüglich auf Abrichtung
des Leithund«'* und das Stellen mit
Netzen und Tüchern gerichtet war,
was die Franzosi'ii und Engländer
als eine nicht ritterliche Jagd ver-
achteten. Genauere Naehrichten
hat man erst aus den Schrittst« 1-
lem und Dichtern der höfischen Z«*it
erhalten. Noch immer ist in der
höfischen Gesellschaft die Jagd
nicht bloss eine Kurzweil, sondern ein
notwendiger Krü^g gegen reissende
Tiere, wie Wölfe, Bären, Luchse,
und eine notwendige Anstalt, Fleiseh
in die Küche zu liefern; «lenn im
Mittelalter war das Fleisch der
Haustiere noch wenig beliebt. Als
Jagdhunde werden genannt der
Bracke als Leithund, und der Wint
als Hetzhund. Das gesamte zur
Jagd erforderliche Personal, sowie
die Meute steht unter dem Jäger-
meister. Der Anzug der Jäger ist
grün; um den kurzen Rock wird
ein tüchtiger, fester Ledergürtel ge-
schnallt, in dem Messer, Stahl,
Schwamm und Feuerstein steckt.
Die Hosen sind aus festen St«»tien
gefertigt und durch Gamaschen ge-
schützt. Ausserdem trägt der Jäger
das Jagdhorn; ein grüner, mit Grau-
werk gefütterter Mantel vollendet
den Anzug. Die gewöhnlichen Jagd-
waffen sind Spiesse, Wurfspeer,
mhd. gahelof, Armbrust und Bogen:
j doch wurde das grosse Wild bis
ins 16. Jahrhundert in erster Linie
I nicht geschossen, sondern von den
Hunden niedergelegt. Die gewöhn-
lichen Jagdtiere sind Bären, Wölfe,
Luchse, Auerochsen, Wisente,Riesen-
hirsche (sche/ch), Elentiere, Wild-
schweine, Hirsche, Rehe, Hasen und
Füchse. Man unterscheidet «He
Pirschjagd, die Hetzjagd und die
Falkenjagd; bei der Pirschjagd ging
der Jäger entweder auf den An-
stand und lockte den Rehbock, in-
dem er, auf einem Blatte pfeifend,
die Stimme der Ricke nachahmte
und ihn dann ze dem hhite erlegte,
oder er zog mit ansehnlichem Tross
von Hunden und Jägern aus. Das
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Jahresanfang.
445
Wild wurde von dem Leithund"»
aufgespürt, die gefundene Fährte
init einem frischen Heise gezeiehuet
und die Beute dem versteckten
Schützen zugetri -ben; sobal 1 der
Hirsch verwundet war, wurde er
von der losgekoppelten Meute ge-
hetzt, bis er zusammenbrach. Mit
einer lauten Hornfaufare wurde die
Erlegung gefeiert. Wer den Hirsch
erlegte, hatte das Recht, von einer
der anwesenden Damen einen Kuss
zu verlangen. Es gehörte zur Kunst
eines im Jagen bewährten Mannes,
die carte zu machen, d. h. das Tier
jagdgerecht zu erlegen, wie in Gott-
frieds Tristan anschaulieh geschildert
wird. S. 71, 28 — S. 83, 12. Das
Jagdzeremoniell war, wie die zahl
reichen französischen Ausdrücke
zeigen , französischen Ursprungs.
Siehe Schultz, Höfisches Leben,
Absehn. V. Von Wajfner, das Jagd-
wesen in Württemberg unter den
Herzogen; ebenderselbe Über die
Jagd des grossen Wildes im Mittel-
alter, Bartsch Germania 1884, S. 110
bis 133. — Roth, Geschichte des
Forst- und Jagdwesens.
Mehrfach wurde die Jagd zu
allegorischen Darstellungen benutzt,
so durch den bayrischen Dichter
Hadamar von Laber, der in der
„Jagd" das ritterliehe Liebeleben
unter der Allegorie einer Jagd dar-
gestellt hat; andere Gedichte der
Art heisaen: „Der Minne .Falkner4'
und „Jagd der Minne". Ahnliches
ist der Fall bei Kaiser Maximilians
Teuerdank, wo Hirsch-, Gemsen-
uud Bärenjagden eine grosse Rolle
spielen.
Enger mit der Jagd selbst ver-
knüpft sind die alten Weid-
sjjrüehe und Jäqet'sehreie, deren viele
aus Handschriften des 16. und 17.
Jahrh. erhalten sind, die aber offen-
bar auf ein weiteres Alter hinauf-
reichen.
Es sind Rätselfragen, welche die
Weidleute vor und nach der Jagd
zu gegenseitiger Erheiterung und
Prüfung einander aufzugeben pfleg-
ten und worin ein reicher Schatz
von Kenntnissen, Künsten, Sitten,
Wörtern, die auf die Jagd Bezug
haben, aufgespeichert ist. Si • fangen
, meist an mit: Lieber Weidmann,
sag mir an? oder: Sag' an, mein
lieoer Weidmann, u. dgl. Folgendes
mag als Beispiel dienen:
Ho ho, mein lieber Weidmann,
hastu nicht vernommen,
wo meine hochlautende Jagdhunde
sind hinkommen V
Ho ho ho, mein lieber Weidmann,
ich höre jetzt zu dieser Stund
weder Jager noch hochlauten den
Jagdhund.
Ho ho, mein lieber Weidmann,
kannst du mir nicht sageu,
ob du meine hochlautende Jagd-
hunde hast sehn oder hörenjagen?
Jo ho ho, mein lieber Weidmann,
weit (?) gut in jenem Thal,
sie haben den rechten Anfall;
Das sag ich dir frei,
es waren der Hunde drei;
der eine der war weiss, weiss, weiss,
Der jagte den edlen Hirsch mit
allem Fleiss;
der andre der war fahl, fahl, fahl,
der jagte den edeln Hirsch über
Berj* und Thal;
der dritte der war rot, rot, rot,
der jagte den edlen Hirsch bis
auf den Tod.
Diese Weidsprüche sind gesam-
melt in Grimms Altdeutscheu Wäl-
dern, Bd. 3.
Jahresanfang. Es finden sich
im Mittelalter sechs verschiedene
Jahresanfänge:
1. Am /. Janiutr, der Jahresan-
fang des römisch-julianischen Ka-
lenders. Schon früh im Mittelalter
eiferte man gegen diesen Anfang
und die mit ilim verbundenen Aus-
schweifungen, die Überreste der
römischen Saturnalien, als ge^en
eine heidnische Institution. Da aber
der Gebrauch, das Jahr mit den
Kaienden des Januar zu beginnen,
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446
Jahresbezeichnung.
im bürgerlichen Leben andauerte,
legte man, um einen Verwand für
die kirchliche Feier dieser Jahres- \
epoche zu haben, die eireumeitio
IJonüni, die Bcschneidung Christi,
darauf. Es ist nicht ausgemacht,
ob nun das bürgerliche Leben das
ganze Mittelalter hindurch an diesem
Gebrauche festgehalten hat: auf
kirchlichem Gebiete und in den
öffentlichen Urkunden aber wurde
der 1. Januar schon früh durch den
25. März und Weihnachten verdrängt,
und erst in der ersten Hälfte des
16. Jahrhunderts gelang es ihm
wieder zu allgemeiner Geltung zu
kommen.
2. Der I. März, der vor-cäsa-
rische Jahresanfang, wurde von den
Christen schon im 5. Jahrhundert
angenommen, vermutlich weil der
jüdische Monat Nisan, in welchen
das Passabfest fiel, der erste im
Jahre war. In Frankreich hielt er
sich bis ins 8. Jahrhundert; die Re-
publik Venedig rechnete so bis zu
ihrem Untergänge.
3. Am 25. Marz, dem Tage der
annuncia/io Maria*, Mariä Verkün-
digung. Man liess mit der Verkün-
digung gleichsam das irdische Da-
seiu Christi beginnen, eine Anschau-
ung, welcher der schon früh er-
wachende Marienkultus grossen Vor-
schub leistete. In Italien besassen
namentlich Florenz und Pisa, zum
Teil auch die päpstliche Kanzlei,
diesen Jahresanfang, womit das so-
genannte Marienjahr begann; in
Deutschland kommt er nur ver-
einzelt vor, in den Diöcesen Trier,
Köln und Lausanne.
4. Ostern, und zwar entweder
vom Karfreitag au gerechnet, oder
vom Ostersonntage an, der jedoch
nach der mittelalterlichen Tagesein-
teilung mit der Vesper des Kar-
sonnabeud, in welcher die Ostcr-
kerze geweiht wird, beginnt. Dieser
Jahresanfang war in Frankreich
»eil dem 13. Jahrhundert beliebt
und verbreitete sich von da nach
Deutschland.
5. Am 1. 8eptember. AusByzauz,
wo dieser Jahresanfang lange Zeit
herrschend war, wanderte er nach
Italien.
6. Am -25. Dezember, mit welchem
Datum, derWintersonnenweudnacht,
auch die alten Germanen ihr Jahr
begannen. In Frankreich war dieser
Jahresanfang unter den Karolingern
der herrschende: der eigentliche
Sitz dieses Jahresanfangs ist Deutsch-
land, wo er herrschend blieb, bis
im 15. Jahrhundert der l. Januar
sich mehr und mehr Geltung ver-
schaffte. Grotefend, Handb. d.
Chronol. §.12.
Jahrcsbezeichniuig nach Ki->-
chen und Ären im Mittelalter. Die
ursprüngliche römische Jahresbe-
zeichnuug nach den beiden Konsuln
ragt noch in die erste Zeit des deut-
schen Mittelalters hinein. Denn als
das Konsulat im Jahre 511 mit dem
Konsul Flavius Basilius junior auf-
hörte, bezeichnete man, von den
Jahren seines Konsulats weiter zäh-
lend, eine Reihe von Jahren mit
post coiusulatum Baiilii. Von den
oströmischen Kaisern, die sich seit
567 ebenfalls das Konsulat beige-
legt hatten, ging der Gebrauch auf
die deutschen Könige über, besonders
auf die Karolinger; doch ist das hier
bloss überflüssiger Schmuck, da die
Konsulatsjahre stets mit den Kaiser-
jahren übereinstimmen.
Von den frühesten Chronisten
des Mittelalters wurde auch naeh
Jahren der Stadt, ab Vrbe condita,
datiert, was spätere Schriftsteller
von klassischer Bildung nachahmten.
Vorzüglich beliebt war im Mittel-
alter, namentlich in Urkunden, die
Datierung nach den Regieruitgsjahren
der Kaiser, Könige," Päpste, Erz-
bischöfe, Bischöfe etc. DieRegierungs-
jahre werden ursprünglich vom Tage
der Krönung, später auch vom Tage
der Wahl an gerechnet.
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Jahren inteiluiig.
447
Sonst rechnet das Mittelalter nach
der christlichen Zeitrechnung, ab i>t-
carnatione Domini. Der Urheber
dieser Zeitrechnung war der Abt
Dionysius exiguus, gestorben zu Rom
um 556, der sie in seiner mit dem
Jahre 532 beginnenden Ostertafel
zuerst zur Anwendung brachte. Be-
das Ostertafeln, die l ortsetzung der
dionysischen, erhöhten die Verbrei-
tung der neuen Rechnung im Abend-
lande sehr, so da-^s sie im 8. Jahr-
hundert in kirchlichen Urkunden
Frankreichs schon zahlreich ver-
treten war, während die Karolinger
sich ihrer erst seit 840 in Urkunden
bedienten. In päpstlichen Urkundeu
kommt die christliche Zeitrechnung
erst unter Johannes XIII., 965 bis
972, vor. Die bei den Datierungen
angewandten Formeln heissen: anno
ab incarnatione Domini. anno ab
nativifate Domini, anno Christi gra-
He, anno salulis, anno verbi incar-
nati, anno orbis redemyfi, oder in
deutschen Urkunden: nach Christi
Geburt, nach der Geburt Christi
unseres Heilandes und Seliqmachers,
,tach Gottes Geburt. Grotefend,
Handb. d. Chronologie, § 10.
Jahreseinteilung und Jahres-
zeiten. Neben der Einteilung des
Jahres in 12 Monate (siehe den Ar-
tikel Monatsnamen \ läuft eine andere,
wohl ursprünglichere Jahreseintei-
lung in 2, 3 oder 4 grössere Kom-
plexe. Die Zweiteilung teilt das
Jahr in Sommer und Winter, wobei
a 1 s Fi xpunk t e W i 1 1 1 e ran t a i i g ( M i c hae-
li- = 29. September, dann auch auf
Martini = 1 1. November verschoben)
und Sommeranfang i Ostern, wegen
der Beweglichkeit dieses Festes gern
auf Georg = 23. 21. April, Walpur-
gi* = 1. Mai, dann auch auf den
halben Mai verschoben. Auch finden
sich die Termine Mitwinter (Weih-
nachten = 25. Dezember) und Mit-
sommer (Johauuis = 24. Juni) als
Repräsentanten dieser Zweiteilung.
Winter und Sommer oder Um-
schreibungen dafür wie im rise und
im tobe, bi stro und bi (/rast rinden
sich oft in deutschen Rechtsquell, n
einander gegenübergestellt und spie-
len im Sprichwort, in Redensarten,
im Volkslied und in dem weitver-
breitetem Spiele von Sommer und
Winter eine grosse Rolle.
Schon Tacitus erwähnt, Germ. 2*\
eine Dreiteilung des Jahres in Win-
ter, Lenz und Sommer. Die Termine
sind verschieden, doch herrschten
Mit winter oder Winteranfang, Ostern
und Mitsommer vor.
Die Vierteilung des Jahres ist
eine zweifache, je nachdem man den
Eintritt der die Jahreszeiten charak-
terisierenden Witterung oder die
diese Witterung begründende Him-
melserscheinuug , aequiuoctium oder
solstitium, als Beginn der Jahreszeit
betrachtete. Der ersten Auffassung
entsprechen die Termine Lichtmess
(2. Febr.) oder Kathedra (Stuhl-
feier) Petri (22. Febr.), die Lateiner
(Mamertus, Pankratius und Servatius
am 11., 12., 13. Mai) oder Urban am
25. Mai; Mariä Himmelfahrt, 15. Aug.
oder Bartholomäus, 25. Aiwxust;
Martini, 11. Nov., Elisabeth, 19. Nov.,
| oder Clemens, 22. Nov. Die letztere
Auffassung machte die Termine
Ostern, Johannis, Michaelis und Weih-
nachten zu Vertretern der astrono-
mischen Jahrpunkte, indem der Ge-
brauch des bürgerlichen Lebens
Frühlings- und Herbstanfang von
den astronomischen Fixpunkten,
25. Miirz und 24. September, aut
die naheliegenden grösseren Feste
verschob.
Eine andere Jahreseinteilung
gaben die vierteljährigen gebotenen
rast tage, die angaria oder quatuor-
tempora, Quatemher, die wegen ihrer
strengen Fastenordnung tief in das
bürgerliche Leben eingriffen. Die
Termine für das Eintreten dieser
Fasten sind die Mittwoche vor Re-
miniscere und vor Trinitatis, nach
Kreuzerhöhung (14. September) und
nach Lucia (13. Dezember). Ihre
Dauer ist einschliesslich des Frei
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448
Jahrzeitbuch. — Jambisches Versmars.
tags, der ja stets ein Fasttag ist,
von Mittwoch bis zum Sonnabend
inklusiv. Ihre Bezeichnung ist quo-
tuor tempore/ , quatertember, qua fern-
her, qttartal, vierzeiten, ungaria,
fronfasten, qofdfasten, weichfasten.
(Irutefeuth Handb. der Chronologie,
§ 13.' Über bildlich«' Darstellungen
der .Jahreszeiten vgl. Piper, Mvtliol.
u. Symbolik, II. 31M-34U.
Jahrzeltbueh , anturersariunt,
heisst das Verzeichnis der Seelen-
messen, welche in einer Kirche
jährlich an bestimmten Tagen ver-
möge vorhandener Stiftungen ge-
lesen werden müssen. Sowohl die
Seelenmessen selbst als die dafür
gemacht» n Stiftungen an Getreide,
Hein, Geld heissen Jahrzeiten. Bei
jedem Monatstage ist in den Jahr-
zeitbüchern der Name desjenigen
eingeschrieben, der entweder selbst
noen bei Lebzeiten, oder dessen
Freunde und Verwandte nachher
durch eine Schenkung an die Kirche
die Haltung einer jahrlichen Seelen-
messe erkauft haben; dieselbe fallt
immer auf den Todestag dessen, für
den sie gestiftet worden ist. In den
alteren Jahrzeitbüchern fehlt leider
meist die Jahrzahl der Stiftung oder
dieselbe ist erst später beigefügt
worden.
JakobsbrUder Messen die Wall-
fahrer nach St. Jacob di Compestella,
dem Hauptziel der Wallfahrer, seit- I
dem der Zugang zum heiligen Grab
immer mehr erschwert worden war.
Unter den erhaltenen und weit ver-
breiteten Wallfahrtsliedern der Ja-
kobsbrüder beginnt das bekannteste:
Wer das elent bauwen wel,
der heb sich auf und sei mein gesel
wol auf sant jacobs Strassen!
zwai par schuoch der darf er wol,
ein Schlüssel bei der Haschen.
Eiu braiten huot den sol er hau
und an mantel sol er nit gan,
mit leder wolbesetzet,
es schnei oder regn oder wähe
der wint,
dass in die luft nicht netzet.
Sack und stab ist auch darbei,
er luog, dass er gebeichtet sei,
gebeichtet und gebüesset!
kumpt er in die welschen lant,
er findet kein teutschen priester.
So ziehen wir durch Schweizer-
lant ein.
sie heissen uns got welkum sein
und geben uns ire speise,
sie legen uns wol und decken uns
warm,
die Strassen tuont sie uns weisen.
Das Lied weist dann den Weg
weiter durch die welschen lant. durch
der armen Fecken lArmagnaken)
lant, durch Sofieien, Langedecken,
Hispanierlant, den Berg Ruuzevalle
(Pyrenäen), erzählt dann von dem
abscheulichen Spitalmeister zu Bor-
get, der HöO deutsche Pilger ver-
giftete und dafür zu Burgos ans Kreuz
geheftet wurde; die letzte Strophe
lautet:
Bei sant Jacob vergibt mau peiu
und schult,
der liebe got sei uns allen holt
in seinem höchsten trone!
der sant Jacob dienen tuot,
der lieb got sol im Ionen!
Es war für die Pilger im 11. Jahr-
hundert ein bequemer Weg nach
St. Jago angelegt wordeu, und auf
beiden Seiten der Pyrenäen und tief
nach Frankreich und nach Deutsch-
land hinein waren Hospitieu für die
Pilger errichtet: auch bildete sich
in Spanien ein eigener Ritterorden
zum Schutze der Jakobspilger.
J a mbisches Yersmass, bestehe nd
aus regelmässig abwechseMden
Senkungen und Hebungen, erscheint
zuerst bei den höfischen Lyrikern
des 12. und 13. Jahrhunderts, doch
so, dass dieses wie das entspreche nde
trochäischc Versrnass noch in die
Willkür des einzelnen Dichters ge-
stellt war. Erst Opitz hat das Vers-
rnass und den Namen des Jambus
als allgemeingültig in die deutsche
Dichtung eingeführt, nachdem in
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Idhunn. — Jesuitenorden.
449
<en vorausgehenden Jahrhunderten
eine auf Verszählung beruhende
Technik die Bedeutung des bestimm-
ten Rhythmus fast ganz unterdrückt
hatte. Andere Namen des jambischen
und trochilischen Versmasses, wclehe
das 17. Jahrhundert aufbrachte, sind
kurzlange und langkurze Verse oder
Nachtritt- und Vortrittzeilen. Den
Unterschied der beiden zweisilbigen
Versmasse erkannte Opitz im Vor-
handensein oder im Fehlen einer
Auftaktsilbe, eine Ansicht, die noch
Goethe und Schiller mit Opitz ge-
teilt haben. Der jambische Fünf-
füuler, welchen die Engländer den
Italienern entlehnten, findet sich in
deutscher Dichtung zuerst in der
ältesten Übersetzung von Miltons
verlorenem Paradies, welche von
Theodor Haarkc in Königsberg und
dessen Fortsetzer E. G. vom Berge
stammt und 1082 zu Zerbst erschien.
Später bemühten sich namentlich
Bodmer in Übersetzungen Thom-
sonscher Erzählungen, Johann Elias
Schlegel, Cronegk, Wieland in seiner
Shakespeareübersetzuug und Herder
um die Aufnahme dieses Verses in
das deutsche Theater, bis zuletzt
Lessing im Nathan denselben end-
gültig einbürgerte.
Idhunn ist in der nordischen
Mythologie die Personifikation des
Himmelswassers oder des Wassers
überhaupt in seiner heilkräftigen Be-
deutung; sie ist die Gemahlin Bragis
und wohnt in Bntn»akr1 Brunnen-
feld. Sie verwahrt Goldäpfel, deren
Genuss den Göttern ewige Jugend
und Unsterblichkeit verleiht.
Jesuitenorden. Der Stifter des
Ordens, Don Inniffo Lopez de Rr-
rnlde, war als der jüngste Sohn des
Ritters Beitran von Loyola aus alt-
adelig-spanischem Geschlechte 1491
in der Provinz Guiptuscoa auf dem
väterlichen Schlosse geboren. Seine
Jugend verbrachte er am Hofe Fer-
dinands des Katholischen; ritter-
licher Sinn und Thatoudrang, eine
devote Ehrfurcht vor den Heiligen
Reailexicon der deutsohen Altertümer. ,
waren frühe hervorstehende Züge
seines Charakters. Bei einer Ver-
teidigung Pamplonas gegen die Fran-
zosen zerschmetterte ihm eine Kugel
den einen Fuss, wovon er sein Leben
lang hinkend blieb. Auf dem schwe-
ren Krankenlager las er in Ermange-
lung von Ritterromanen, seiner Lieb-
lingslektüre, das Leben Jesu und
der Heiligen, des Dominikus und
Franziskus, wodurch sein Gemüt
lebhaft aufgeregt wurde. Wieder-
hergestellt, ging er nach dem Kloster
Montserrat, legte ein Bettelgewand
an, hing seine Rüstung vor dem
Marienbilde auf und hielt mit dem
Pilgerstabe in der Hand vor seiner
neuen Herrin nach alter Rittersitte
Waffenwacht. Bald nachher liegt
er in Manresa, in einer einsamen
Höhle oder im Dominikanerkloster,
strengen Büssungen , Geisselungen
und Fasten ob. Hier werden ihm
wunderbare Verzückungen und Visio-
nen zu teil, der Dreieinigkeit, des
Gottmenschen, der Maria, des Teu-
fels. Da er in Jerusalem und in
der Bekehrung der Ungläubigen die
Stätte und den Wirkungskreis seiner
Zukunft sah, begab er sich nach
Palästina, wo der Franziskanerpro-
vinzial ihm zwar einen längeren
Aufenthalt nicht gestattete. Heim-
gekehrt, erkannte er, dass zur geist-
lichen Wirksamkeit eine gelehrte
Bildung unerlässlich sei, und er
studierte nun in Barcelona, Alcala
und Salamanca Grammatik und
und Philosophie, lebte von Almosen
und widmete sich der Kranken-
pflege, machte sich aber zugleich
der Inquisition verdächtig und sah
sich genötigt, da er dem Befehle,
seine Unterredungen über geistliche
Dinge vier Jahre lang einzustellen,
nicht nachkommen zu können meinte,
nach Paris überzusiedeln. Hier, wie
vorher auf den spanischen Schulen,
gelang es ihm, junge Leute, die sich
seiner Führung anvertrauten, inseiue
Exercitien einzuweihen und so all-
mählich einen Kreis von Genossen
29
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450
Jesuitcnorden.
um sich zu sammeln; die ersten
waren seine Stubenburschen in Paris,
der Savoyardc Peter Faber (Leve vre),
der Spanier Franz Xavier; dann
Alfons Salmeron, Jakob Laiuez.
Nikolaus Bobadilla, sämtlich Spanier,
und der Portugiese Simon Rodriguez.
Am 15. August 1534 legten sie in
der Kirche von Montmartre das Ge-
lübde der Keuschheit und Armut
ab und gelobten, nach Vollendung
ihrer Studien entweder in Jerusalem
der Krankenpflege und der äusseren
Mission sieh zu widmen, oder, falls
dieser Plan auf Hindernisse stosse,
sich jeder Mission des Papstes zu
unterziehen.
Nachdem Ignatius in Spanien
die Angelegenheiten seiner Freunde
geordnet, trafen sämtliche Genossen,
durch drei neue verstärkt, 1587 in
Venedig zusammen, um von hier
aus nach Jerusalem zu reiseu. Ein
Krieg zwischen Venedig und den
Türken verhinderte die Abreise und
gab den Jüngern Veranlassung, in
den Hospitalern Beschäftigung zu
suchen. Hier lernte Ignatius von
Caraffa, dem geistlichen Leiter die-
ser Anstalten, den von diesem kurz
vorher gestifteten Theatinerordcn
kennen, ein Institut, welches die
klerikalen mit den klösterlichen
Pflichten innig vereinte und das
auf Regeneration des kirchlichen
Lebens und auf Heranbildung eines
tüchtigen Priesterstandes augelegt
war. Nachdem sämtliche Genossen
in Venedig die Priesterweihe em-
pfangen hatten, wirkten sie als Volks-
prediger in den Städten Venetiens,
straften die Laster, empfahlen die
lugend und predigten Weltverach-
tung. So traten sie auf verschie-
deneu Wegen die Wanderung nach
Horn an. Infolge einer visionären
Erscheinung Christi, die dem Igna-
tius in einer alten verlassenen Kirche
vor Rom begegnet sein sollte, nannte
er später die Gesellschaft sociefas
Jesu. Durch ihren seltenen Eifer
in der Ausübung priesterlicher Pflich-
ten erwarben sich die Genossen in
Rom bald die Gunst des Papstes
und weltlicher Grossen; der König
Johann III. von Portugal Hess Franz
Xavier und Simon Rodriguez in sein
Land kommen, um sie uort für die
indische Mission zu verwenden;
doch blieb nur der letztere im Lande,
Xavier eilte unter die Heiden. Am
27. Sept. 1540 bestätigte Paul III.
durch die Bulle Regimtni militaiUis
die Gesellschaft Jesu, anfangs mit
der Beschränkung auf 60 Af i/gliedrr.
Die Wahl des Generals fiel ein-
stimmig auf Ignatius. Als dieser
am 31. Juli 1556 starb, zählte der
Orden schon 13 Provinzen, von de-
nen sieben auf die pyrenäische Halb-
insel und ihre Kolonien kamen, drei
auf Italien, eine auf Frankreich;
die beiden deutschen Provinzen wa-
ren im Entstehen begriffen. Im
Jahre 1623 wurden Ignatius und
Xavier selig gesprochen.
Die innere Einrichtung des Je-
suitenordens ist teils in aen Exer-
citien des Ignatius, teils in der Ge-
setzgebung ausgesprochen. Die von
Ignatius selber herrührenden Exer-
citien enthalten eine methodische
Anweisung zur eigenen Meditation
und bezweckten den Meditierenden
durch Betrachtung und Gebete in
eine solche Stimmung zu versetzen,
dass er kraftvollen, unwiderruflichen
Entschluss fasse und durch densel-
ben seinem ganzen Leben eine ent-
schiedene Richtung gebe. Dr.S Ganze
ist in vier Wochen geteilt und darin
jedem Tage sein Pensum ziigem es-
sen. Die erste Woche ist dem
Nachdenken über die Sünden ge-
widmet, die zweite über die Geburt
und das Leben Christi, die dritte
| über sein Leiden und Sterben , die
| vierte über seine Verherrlichung.
Diese Betrachtungen werden zu fünf
j verschiedenen Tageszeiten meist
i eine Stunde lang augestellt, wobei
| es darauf abgesehen ist, den Inhalt
der biblischen und ausserbiblischen
Bilder möglichst sinnlich mit Auge,
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Jesuitenorden.
451
Ohr, Geschmack, Genien, Gefühl
in sich lebendig zu machen und
sieh innerlich dazu zu disponieren,
dass ihm das künftige Lenen und
Wirken in der Gesellschaft als eine
freie That unter der Einwirkung
der Gnade erseheint, und sein Urteil
völlig unter die Entscheidung der
Kirche gefangen gegeben ist. Durch
die Exercitien hat Ignatius die as-
eetische Richtung seines Ordens be-
stimmt
Nach den Konstitutionen und
Grundgesetzen besteht der Orden
aus vier Klassen, den Novizen, den
Scholastikern, den Koadjutoren und
den Professen. Der Zulassung zum
Noviziat geht eine genaue Prüfung
der Verhältnisse und Intentionen
der Aufnahmesuchenden, sowie die
Exercitien voraus. Das Noviziat
dauert zwei Jahre und die Tages-
ordnung schreibt für jede Stunde
die Beschäftigung strenge vor:
Kirchenbesuch , fromme Lektüre,
Betrachtung, Gebet, Gewissensprü-
fung und Erholung. Das Noviziat
wird im Novizenhause zugebracht.
Nachher tritt der Novize als Scho-
lastiker in ein Kollegium der Gesell-
schaft und hat hier zwei Jahre dem
Studium der Rhetorik und Littera-
tur, drei Jahre demjenigen der
Philosophie, Physik und Mathematik
obzuliegen. Erst nachdem er hier-
auf fünf bis sechs Jahre lang von
der Grammatik an durch alle Klassen
die Fächer dieses Lehrgangs als
Lehrer vorgetragen und praktisch
eingeübt hat, tritt er das Studium
der Theologie an, das wiederum
vier bis sechs Jahre umfasst; der
älteste Studiengang, ratio studiorum,
stammt aus dem Jahre 1586. Erst
nach einem weiteren Probejahre
empfängt der Scholastiker die Prie-
sterweihe und legt das Gelübde ent-
weder als Coadjutor spiritualis oder
als Professe ab. Ausser den drei
Mönchsgelübden, welche der Scho-
lastiker abzulegen hat, verspricht
der Coad'/u/or spirifualis rücksicht-
lich des Gehorsams noch spezielle
eifrige Hingebung an den Jugend-
unterricht und der Prof esse be-
schwört ausserdem in feierlicher
Weise, sich jeder Mission des Pap-
stes unbedingt zu unterziehen (pro-
J'essi tjtuifiior rotorumj. Die soeietas
nrofessa, der Zahl nach der kleinste
Teil der Gesellschaft, sind die be-
rechtigten Glieder der Generalkou-
gregatinn. Au der Spitze des Gan-
zen steht ein General, Praeposifus
generalis. Das Amt des Generals
ist ein lebenslängliches. Alle Glie-
der sind ihm zum Gehorsam ver-
pflichtet, er ernennt die Provinziale
und die übrigen Beamten meist auf
drei Jahre, er entscheidet über alle
Aufnahmen und kann aus dem Or-
den entlassen und Verstössen, er hat
das Hecht von den Institutionen und
Regeln zu dispensieren -, in seiner
Hand liegt die ganze Verwaltung,
Regierung und Jurisdiktion. Die
Grneralkongregation tritt zusammen
1. zur Wahl des Generals, 2. wenn
es sich um die Absetzung desselben
handelt, 3. wenn die Assistenten,
Provinzialen und Lokaloberen durch
Srimmenmelirheit die Notwendigkeit
ihrer Berufung erkennen, 4. wenn
die alle drei Jahre unter dem Vor-
sitze des Generals zu Rom tagende
Abgeordnetenversammlung aus den
Provinzen sich dafür ausspricht.
Meist suchte man der Berufung
I der Generalkougregation auszuwei-
| chen. Nach Steitz in Herzogs Real-
Encykl. Die vortrefflichste Dar-
stellung gab Ranke in der Ge-
schichte der Päpste.
In der Geschichte der deutschen
Litteratur und Bildung ist der Jesui-
tenorden mehrfach wirksam gewesen.
Er hat wesentlich Anteil an der seit
dem Konzil zu Trient eröffneten
rücksichtslosen polemischen Litte-
ratur, an welchen beide Konfessionen
teilnahmen , auf protestantischer
Seite namentlich Fischart mit dem
Jesuiterhütlein und mehreren ande-
ren Schriften. Der Jesuitenorden
29*
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452
Immunität. — Index librorum prohibitorum.
hat durch seine streng formale Me-
thode des höheren Unterrichts zur
Ausbildung der Gymnasien über-
haupt beigetragen, in seinen Er-
ziehungsanstalten sind namentlich
auch die Schulkomödien, anfangs
lateinisch, später zugleich deutsch,
gepflegt und der Geschmack daran
in weiteren Kreisen verbreitet wor-
den. An der neulateinischen Poesie
haben sie u. A. durch Jakob Bahle
rühmlichen Anteil genommen und
nicht minder rühmlich ist der Name
Friedrich* von Sj>rr, eines nicht un-
begabten Dichters der ersten sehle-
sischen Dichterschule, der sich zu-
gleich um die Bekämpfung der
Hexenprozesse grosses Verdienst er-
worben hat.
Immunität heisst das von den
Merowingem und namentlich von
den Karolingern den Stiftern und
Klöstern erteilte Recht der Befrei-
ung von öffentlichen Lasten, der
Erhebung der königlichen Einkünfte
für eigeue Rechnung und der Auf-
nahme ihrer Hörigen in den be-
sonderen königlichen Schutz mit
den sich daran knüpfenden Wir-
kungen. Weitere Folge der Immu-
nität war es, dass die Könige jenen
Anstalten durch besondere Privi-
legien für ihre Besitzungen auch
die Befreiung vom Zutritt der öffent-
lichen Beamten verliehen, von wel-
cher Zeit an Gerichte und Straf-
gewalt von Beamten des Stiftes ge-
handhabt und zugleich die ent-
sprechenden Bussen und Strafgelder
bezogen wurden. Zur Handhabung
des Königlichen Schutzes wies der
König gewöhnlich einen mächtigen
Herrn au; später wurde durch Privi-
legien dem Bischöfe oder Abte die
Wahl de» Schirm vogtes überlassen
und diesem sodann für sein Amt
gewisse jährliche Ehrengeschenke
überwiesen. Der Defensor der Advo-
katur, der schon nach den alten
Kirchengesetzen zum Schutze und
zur Vertretung der Kirche nach
aussen bestimmt war, wurde jetzt
infolge der Immunität der eigent-
liche Gerichts- oder Dingvogt. Ahu-
lich den Centenarien sollte er unter
der Mitwirkung des Grafen und des
Volkes ausgewählt werden und zwar
aus den in der Grafschaft Begüterten,
nur nicht der Centenarius des Grafen
oder der Graf selbst. Sie hatten zu
ihrem Amte den Genuss bestimmter
Höfe und nach Art der Grafen ein
Dritteil der Strafgefälle. Den Blut-
bann musste der Vogt, da die Kirche
nach den kanonischen Satzungen
keine Blutgewalt haben durfte, vom
Könige selbst empfangen. Ausser
den Stiftern und Klöstern waren
auch die Krongüter und Reichshöfe,
die grossen Besitzungen der welt-
lichen Magnaten und mit der Zeit
Städte, Flecken und Dörfer durch
Iminunität8-Privilegien von der ge-
meinen Gerichtsbarkeit befreit und
handhabten ihr Recht durch beson-
dere Gerichte. Die Immunität gab
den mit ihr ausgestatteten Besitz-
ungen den Charakter besonderer,
von dem übrigen Körper des Reichs
abgesonderter Gebiete oder Herr-
schaften.
Iinpostoribus, de tribus, ist
der Titel eines aus dem 16. Jahrb.
stammenden Buches, das falschlich
Kaiser Friedrich II. zugeschrieben
wird und in der Behauptung gipfelt,
dass .Jesus, Moses und Mohammed
Betrüger gewesen seien; dass Fried-
rich IL diese Behauptung aufgestellt,
kann nicht bewiesen werden, der
Papst Gregor IX. hat es ihm aber
12H9 vorgeworfen. Die Schrift be-
streitet die Möglichkeit jeder gött-
lichen Offenbarung und setzt die
heidnischen Göttcrmytheu in Paral-
lele zu den Forderungen des alt-
testamentlicheu Gottes. Die ältesten
vorhandenen Drucke gehören dem
Jahr 1507 an. Der Verfasser ist
unbekannt.
Index librorum prohibitorum,
Verzeichnis der verbotenen Bücher.
Das Verbot der Kirche, ketzerische
oder der Ketzerei verdächtige Bücher
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Indiktion.
453
zu lesen, stammt schon ans dem
5. Jahrhundert, und die Übertretung
desselben wurde mit dem Ranne
bestraft; namentlich war es dabei
auf unechte, untergeschobene Schrif-
ten abgesehen, die man aus dem
öffentlichen kirchlichen Gebrauche
bringen wollte. Die Synode zu El-
vira 813 bedrohte diejenigen mit
dein Anathem, welche liheHus famo-
jtox in die Kirche bringen. ltfit der
Verbreitung der Inquisition ging die
Überwachung der verbotenen Bücher
in die Hände der Inquisitoren über.
Die Erfindung der Buehdruckerkunst
und der beginnende Reformationa-
geistleisteten ketzerischen Ansichten
und Büchern grossen Vorschub, und
Papst Alexander VI. bestellte des-
wegen cine^eigenc Behörde, die so-
wohl die bereits gedruckten Werke
als die Handschriften vor dem Drucke
untersuchen und sofort entscheiden
sollte, ob der Druck und Verkauf
des Buches zu gestatten sei; Papst
Leo X. erliess u. A. im Jahre 152f>
die Verordnung, dass ohne Appro-
bation des Bischofs oder des Le-
gaten oder der Inquisition kein Buch
gedruckt werden dürfe bei Strafe
der Exkommunikation; das Buch
selber sollte konfisziert und ver-
brannt werden. Das erste Verzeich-
nis, index, von verbotenen Büchern
aber war dasjenige, das die Univer-
sität von Löwen auf Befehl Karls V.
1546 bekannt machen Hess; im Jahre
1550 gab der päpstliche Legat in
Venedig, Johann Deila Casa ein
Ahnliches Verzeichnis heraus, und
Papst Paul IV. Hess endlich im
Jahre 1557 während der Suspension
des Tridentinischen Konzils durch
eine besondere Kongregation den
offiziellen Im/ex librortm prohibi-
torum veröffentlichen; er zerlegte
die Verfasser verbotener Schritten
in drei Klassen: 1. solche, deren
Schriften schlechthin verboten wur-
den, 2. solche, von denen nur ein-
zelne Schriften dem Verbote unter-
lagen, und 3. die Verfasser anonymer,
namentlich aller seit 1519 erschie-
nener Schriften. Den Schluss bildete
ein Verzeichnis von 62 Druckern
ketzerischer Bücher. Als Strafen
auf das Lesen der hier verbotenen
Bücher wurde die Krcommunieafio
/aftte jenfenfiae, Entsetzung von
allen Amtern, immerwährende In-
famie festgesetzt.' Unter den ver-
boteneu Büchern sind die meisten
solche, die das Ausehen der welt-
lichen Obrigkeit gegen die Eingriffe
der Klerisei retten, die Rechte der
Konzilien und Bischöfe gegen die
Beeinträchtigung des römischen
Stuhles behaupten und die Heuchelei,
Tyrannei und Religionsbetrügerei
der Pfaffen und Mönche an das Licht
bringen. Wegen der in diesem Index
vorherrschenden grossen Härte wurde
das Verzeichnis jedoch nochmals in
Verbindung mit der tridentinischen
Kirchenveraammlung umgearbeitet
j und endlich im Jahre 1564 von
Pius IV. endgültig gebilligt. Es ist
die Grundlage aller andern römischen
Verzeichnisse dieser Art geworden.
Vgl. Üetuirh, der Index der ver-
boteneu Bücher, Bd I. Bonn 1883.
Indiktion, indic/io, Indictie rö-
mischen Gebotes, Kaiserliche Zahl,
Römerzinszahl, ist ein«* der häufig-
sten Jahresbezeichnungen des Mittel-
alters und schon früh in die Oster-
tafclu und in die Datierung der
Urkunden aufgenommen worden.
Sie ist diejenige Zahl, welche an-
giebt, die wievielte Stelle ein Jahr
in einem Cyklus von 15 Jahren ein-
nimmt. Die 15jährigen Cyklen
laufen durch, unsere gesamte Zeit-
rechnung. Über die Entstehung
dieser Indiktionsrechnung sind die
Ansichten geteilt: die einen knüpfen
sie an eine, jedoch bloss vorausge-
setzte Grundsteuerperiode des rö-
mischen Reiches; andere machen
den ägyptischen Ursprung der In-
diktionen wahrscheinlich. Man unter-
scheidet ihrem jährlichen Anfange
nach drei Arten der Indiktions-
rechnung:
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454
Inkunabeln.
1. Indietio (fraeca oder coiuttanti-
nopolitana beginnt mit dem 1. »Sep-
tember; sie war im Morgenlande
ausschliesslich im Abendlande vor-
nehmlieh in der päpstlichen Kanzlei
in Gebrauch.
2. Indietio Hedamt. mit dem 24.
September beginnend, verdankt ihre
Entstehung dem Ausehen des Heda
Venerahiiis ; sie war in Frankreich
unter den Karolingern nach Ludwig
dem Frommen vorzugsweise ge-
bräuchlich, in der kaiserlichen Kanz-
lei Deutschlands seit der Mitte des
9. Jahrh. und in der päpstlichen
Kanzlei seit 1088.
3. Indietio romana oder jionti-
Jicalis, beginnt am 25. Dezember
oder 1. Januar; anfangs neben den
beiden anderen Indiktionengebräuch-
lich, ist sie im späteren Mittelalter
die gebräuchlichste Art.
Das erste Jahr eines Indiktions-
cyklus fallt auf das Jahr 3 vor
Christus, drotefend Handbuch der
Chronologie. §.' H.
Inkunabeln, Wiegendrucke, vom
lat, inrumtbiUassYtwgc, nennt man
die Erzeugnisse der Buehdrucker-
kunst in der ersten Zeit ihrer Er-
findung; die Grenze der Inkunabeln
setzt man meist ins Jahr 1500; doch
sind auch andere Grenzen, wie 1520
und 1536 in Anwendung gekommen.
Die Zahl der Drucke des 15. Jahrh.
wird auf etwa 1500 berechnet; ihre
Seltenheit wird, abgesehen vom Al-
ter, durch die kleineren Autlagen
der ersten Buchdrucker bedüigt.
Anfangs druckte man meist auf
Pergament, simterfastaussehliessend
auf Papier. Beim Pergament unter-
scheidet man Kälberpergament, in
Deutschland, Frankreich und den
Niederlanden gewöhnlich, nament-
lich für Foliobände gebraucht:
Pergament von totgeborenen Läm-
mern, von Lämmern, welche gelebt
haben, und Schafpergament. Das
Format war anfangs t olio; um das
Jahr 1470 gab es aber schon Bände
in Oktav und Duodez. Die Lettern
sind in den ältesten Drucken die
gotischen; später werden diese, zu-
erst in Italien, durch die runde an-
tike Schrift ersetzt. Griechische
Lettern finden sieh zuerst in ein-
zelnen Wörtern und zwar in Holz
geschnitten; das erste mit gegosse-
nen Lettern gedruckte griechische
Buch ist Lasearis (irammatica
praeca, Medial. 1476. 4. Die grosse
Schrift, die man bei Messbüchem
uud Psaltern anwandte, heisst Mis-
saltypen. Die Initialen wurden ge-
wöhnlich nicht eingedruckt, sondern
in anderen Farben, meist rot, ein-
geschrieben; da diese Arbeit der
Kubrikatoren oft lungere Zeit nach
dem Drucke geschah, findet man
häufig Inkunabeln ohne Initialen.
Oft sind die letzteren in Gold und
kostbar verziert. Auch im Kontexte
finden sich viele mit roter und blauer
Farbe eingetragene Anfangsbuch-
staben, die gedruckten sind zuweilen
mit roter und blauer Farbe bloss
durchstrichen. Sitfnatur heisst das
Zeichen, welches die Buchdrucker
unten auf die Vorderseite des Blattes
setzen, um bei deui Einbinden Ver-
wirrung zu vermeiden; in den alten
Drucken brauchte man dazu ge-
wöhnlich die Buchstaben des Alpha-
betes, unter Umständen so lange
vervielfacht, als es nötig ist. Kut-
toden nennt man das unter der letzten
Linie jeder Seite stehende Wort,
welches auf die nächstfolgende Seite
hinweist und auf dieser das erste
Wort ist. Laufen die Zeilen un-
unterbrochen durch die Breite der
Seite durch, so heisst das ein Druck
mit auslaufenden Zeilen; sind die
Seiten in der Mitte geteilt, so hat
man Kolumnendruck, in Foliobandcu
der vorherrschende. In den frühesten
Drucken findet man keine fortlau-
fende Zählung der Blätter, und als
diese eingeführt wurde, zahlte man
stets bloss die Blätter. Die Blatt-
zahlen sind anfangs mit römischen
Zahlen ausgedrückt, erst später mit
arabischen Ziffern. Titelblätter be-
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Innung. — Inquisition.
455
Hitzen die äl testen Inkunabeln nicht,
sondern am Ende eine Schlussschrift,
datey Cotojthon. in welcher gcwöhn-
lich der Name des Dnickers. sowie
Ort und Jahr des Druckes ange-
geben sind; oft fehlt aber eine dic.-er
Bezeichnungen oder alle. Titelblatter
mit genauer Antrabe beginnen 148").
Das erste Buch, worin sich Kupfer-
stiche finden, ist in Florenz 1477 er-
schienen: Antonius da Siena. Monte
Santo di Dio; Holzschnitte kommen
früher vor. Kiilb in Ersch und
Gruber.
Innung*, siehe Zunft.
Inquisition. Schon bei den
Römern bezeichnete inquisitio die-
jenige Untersuchung und richterliche
Wirksamkeit, welche mittels Zeugen
und anderer Hülfsmittel über den
Lebenswandel der Beklagten ver-
hängt wurde, und wer dieses Ge-
schäft leitete, hiess inquitUor. Im
Mittelalter nannte man in</nijtitores
u. a. gewisse Sendbotschaften, welche
die Könige in ihre Provinzen schick-
ten, um das Verfahren und Betragen
der Beamten oder auch gewisse Vor-
fälle zu untersuchen und nötigen-
falls zu bestrafen; in Frankreich
wählte man hierzu nicht bloss welt-
liche Personen, sondern auch Geist-
liche. Mithin war der Ausdruck
längst bekannt und üblich, als die
Kirche ihn auf diejenigen Sendbot-
schaften der Päpste übertrug, die
zum Richten und Bestrafen der
Glaubensverbrecher bevollmächtigt
wurden.
Sachlich ist die Inquisition eine
unter Mitwirkung der Zeitverhält-
nisse herbeigeführte Entwickelung
und Ausartung der alten Kirchen-
zucht, der zufolge die Landbisehöfe
schon früh die Pflicht hatten, Irr-
lehren zu steuern und die Visita-
tionen der Kirchen ihrer Sprengel
auch zur Ausspähung etwa auf-
tauchender Ketzereien zu benutzen.
Die höchste kirchliche Strafe gegen
entdeckte Ketzer war die Exkom-
munikation, mit der als bürgerlich«'
Strafe die Verbannung uud der Tod
verbunden sein konnten. Doch er-
klärten sich angesehene Kirchen-
lehrer, wie Chrvsostomus und Au-
gustiu , gegen die Todesstrafe der
Ketzt-r, während sie Hieronymus
und Leo der Grosse befürworteten,
doch so, dass die Kirche die Todes-
urteile von der weltlichen Macht
vollziehen Hess. Da die Bischöfe
für die Aufrechthaltungder Glaubens-
reinheit nicht zu genügen schienen,
wurden im H. Jahrh. Sendgerickft
angeordnet, die sich seit dem 9. Jahr-
hundert mehr und mehr ausbildeten
und sich in bisehöfliche, Archidia-
konats- und erzpriesterliche Sende
teilten. Als die Kirche durch die
Katharer (Albigenser) und Waiden -
ser beunruhigt wurde, war es das
Institut der Legaten, durch welche
der römische Stuhl gegen die Ketzer
einschritt. Erst Papst Innocenz III.
traf die Anordnung, die bisherige
Wirksamkeit für die Ausspürung
und Bestrafung der Ketzer zu einer
bleibenden Einrichtung zu gestalten;
er Hess durch das vierte Lateran-
konzil das Verfahren gegen die
Ketzer zum Hauptgeschäft der
bischöflichen Sende machen, in dem
Sinne, dass der Krzbischof oder
Bischof diejenige Parochie, in der
sich dem Gerücht nach Ketzer be-
finden sollten, selbst oder durch
Stellvertreter besuchen und durch
geeignete Personen eidlich sich des
Namens der Ketzer versichern lassen
sollte. Die Aufsicht über die Bisehöfe
führten aber bei diesem Geschäfte
die Legaten. Genauere Bestim-
mungen über die Art der Ketzer-
aufspürung Hess derselbe Papst 1229
durch das Konzil von Toulouse er-
gehen und dadurch die Inquisition
zunächst in Toulouse und im übrigen
südlichen Frankreich konstituie-
ren. Als aber die Bischöfe immer
noch nicht genügten, ernannte Gre-
gor IX. 1232 in Deutschland, Ara-
gonien und Osterreich, 1233 in der
Lombardei und in Frankreich die
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456
Inquisition
Dominikaner zu beständigen päpst-
lichen Inquisitoren, die nun eine
reiche ketzerverfolgende Thütigkeit
entfalteten, welche durch immer
neue Erfindungen der kirchlichen
Ketzerprozessordnung unterstützt
wurde. 80 durfte keinem Ange-
klagten ein Belastungszeuge nam-
haft gemacht werden; Mitschuldige
und Verbrecher wurden als Zeugen
zugelassen; die weltliehen Obrig-
keiten wurden angewiesen, bei Ver-
hafteten nicht bloss zum Geständ-
nisse, sondern auch zur Anklage
anderer ihnen bekannter Ketzer die
Tortur anzuwenden; später nahmen,
um die Aussagen des Gefolterten
geheim zu halten, die geistlichen
Inquisitoren die Anwendung der
Tortur selbst in die Hand. Dem
Begriffe der Ketzerei wurde eine
masslos weite Bedeutung beigelegt,
so dass ausser sektiererischer Mei-
nung Zinswucher, Wahrsagerei, Be-
schimpfung des Kreuzes, Verachtung
des Klerus, Verbindung mit Aus-
sätzigen, Juden, Dämonen, dem
Teufel, den Hexen zum Prozesse
führen konnten. Die Strafen lauteten
auf Verlust der Ehre, der bürger-
lichen und kirchlichen Hechte, harte
Gefangenschaft im Kerker oder auf
der Galeere, Tod durch Hinrichtung,
durch Einmauern, durch Feuer. Bald
galt der Tag einer Kctzerhiurichtuug
als Feiertag. Appellation gab es
nicht. Papst Innocenz IV. wies 1252
ein Drittel des eingezogenen Ver-
mögens der Inquisition zu und be-
fahl ein zweites Drittel für künftige
InquisitioiiBzweeke zu deponieren.
Später erhielt die Inquisition das
ganze Vermögen der Angeklagten.
Heftige Volksbewegungen und blutige
Aufstände gegen die verhassten Tri-
bunale fruchteten auf die Dauer
nichts. Dagegen lähmten endlich
das päpstliche Schisma und die
Konzilien des 15. Jahrhunderts mit
der Kraft der Hierarchie auch die-
jenige der Inquisition, 'so dass die
französische Inquisition meist nur
noch mit Anklage der Zauberei und
Teufelsverbindung gegen heimliche
oder verdächtige Ketzer einschritt.
In der Mitte des 16. Jahrhunderts
erlosch sie in Frankreich gänzlich.
In Deutschland verbreitete sich
die Inquisition bald nach dem Kon-
zil von Toulouse durch die Domini-
kaner Konrad Droso oder Torso
und namentlich Romrod von Mar-
hnnj, 12:il -123:{; doch fielen nicht
bloss diese beiden Ketzerrichter als
Opfer der Volks wut, sondern der
Unwille und Widerstand des Volke*
und der Grossen war überhaupt hier
so allgemein gegen die Inquisition
gerichtet, dass Deutschland über
hundert Jahre lang nur vereinzelte
Ketzerprozesse erlebte. Im H.Jahr-
hundert gab das Auftreten der Beg-
harden nochmals Veranlassung, der
Inquisition wieder ein grösseres
Feld zu eröffnen; doch blieb wie in
Frankreich die Ketzerverfolgung
meist auf sog. Hexen beschränkt;
siehe den Art. Hexen.
In den Nordstaaten Europas, in
England, Dänemark und Skandi-
navien, zeigt sich die Inquisition
nur als eine vorübergehende Er-
scheinung. Desto wirksamer trat
sie in Spanien auf, wohin sie im
IM. Jahrhundert aus Frankreich den
Weg fand. Hier war sie besonder*
gegen die Mauren und Juden ein-
geführt und dadurch gekräftigt wor-
den, dass Sixtus IV. 147b dem
Konigspaare das Recht gab, Inqui-
sitoren ein- und abzusetzen und die
Güter der Verurteilten einzuziehen,
wodurch die Inquisition ein köuig-
lichesGericht wurde. Sie entwickele
alsbald eine furchtbare Thätigkeit,
namentlich seit der Prior der Do-
minikaner zu Segovia, Thomas de
Torquemada, zum ( ieneralinquisitor
von Spanien ernannt worden war.
Die Angeberei gewährte bürgerliche
Vorteile und Ablass und säete Angst
und Schrecken unter die Familien.
Auf Torquemadas Rat mussten 1492
alle Juden, die nicht Christen wer-
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Interdikt. — Johannesminne.
457
den wollteu, auswandern; 1501 traf
die Mauren dasselbe Schicksal. Tor-
quemado hatte von 1483 bis 1498,
wo er sein Amt niederlegte, 8800
Menschen lebendig, 6500 in effigie
verbrennen, 90,000 mit verschiede-
nen Strafen belegen lassen. Sein
Nachfolger Doza sandte 1664 Men-
schen auf den Seheiterhaufen, und
der dritte Generalinquisitor, Franz
limeues de Cisneros, 1. '«07 — 1517,
Huer 2536; 1868 wurden unter ihm
in tffujii verbrannt, 47,2611 in an-
derer Weise gestraft.
Jeden In<|ui.Hitioiistribuu.-il zahlte
drei Inquisitoren, ausserdem Asses-
soren, Sekretare, Einnehmer, Fami-
liären. Kerkermeister und andere
Beamte. Für jedes Mitglied war
Verschwiegenheit die strengste
Pflicht. Das Haus der Inquisition
biess L'njtit .«tu/n. Der Prosess be-
gann mit einer dreimaligen Edikts!*
ladtiug des Angeklagten: erschien
er, so wurde er nach einer sorg-
faltigen l >nteiMK-liung in ein dunk
les Gefängnis gesperrt, das Haar
vom Haupte geschoren, seine Bücher
und Schriften sorgfältig verzeichnet,
sein Vermögen gewöhnlich sofort
konfisziert; er selbst galt als ein
Geächteter. Schnelles Eingeständ-
nis errettete zwar vom Tode, sog
aber meist den Verlust bürgerlicher
Rechte und des Vermögens wie die
Übernahme strenger Btlssungcn nach
Mch. Leugnen hatte meist eine
strengere Halt zur Folge. Gestand
der Angeklagte nicht, so wurde er
gefoltert, mit den Graden der Strick-,
Wasser- und Feuertortur. Halfen
diese Mittel nicht, so erfolgte die
Verurteilung und langsame i Hin-
siechen im Kerker. Das Todes-
urteil bestand im Verbrennen. In
der Reformation wandte sich die
spanische Inquisition mit erneutem
Kifer gegen die Anhänger des Pro-
testantismus.
In Italien wurde die Inquisition
123:t gegen die Waldenser einge-
führt; doch war ihre Macht hier
nicht so gross, bis sie in der Mitte
des 16. Jahrhundert t ebenfalls gegen
den Protestantismus neu eingeführt
wurde. Neudecker in Herzogs Real-
Encykl.
Interdikt, siehe Hann.
Interlinearversion, siehe Glos-
sen.
Investitur heisst die symbolische
Handlung, durch welche der Vor-
steher einer Kirche, ein Bischof,
die Seelsorge über eine christliche
Gemeinde erhielt und dadurch zu-
gleich von allen übrigen Gliedern
derselben unterschieden wurde.
Seiinn in der ältesten fränkischen
Kirche erfolgte die Bestätigung des
Bischofs für das ihm übertragene
Amt und die Verleihung mit den
zu demselben gehörigen Pfründen
durch den König, und zwar in feier-
licher Weise durch Überreichung
eines Ringes oder eines Stabes, des
Ringes als Symbol der engen Ver-
bindung des Bischofs mit der Ge-
meinde, «les Stabes als Symbol sei-
ner Würde und Sorgfalt in der Lei-
tung der ( Gemeinde. Während früher
bald der Ring, bald der Stab allein
überreicht worden war, wurde es
nach Konrad II. gebräuchlich, die
Investitur mit beulen Symbolen zu
vollziehen. In Verbindung mit der
Investitur stand der Lehnseid. Nach-
dem Gregor VII. die Investitur durch
den Kaiser verboten hatte, wurde
der lange sog. Investiturstreit durch
das Konkordat von Worms im Jahr
1122 dadurch ausgeglichen, dass
künftig der Bischof innerhalb sechs
Monat nach seiner Wahl die Reichs-
lehen vom Kaiser durch das Szep-
ter erhalten sollte, während die In-
vestitur mit Ring und Stab dem
Papste überlassen blieb.
Johaiinesniiniie oder Johaiines-
sejren heisst ein vom Priester im
katholischen Deutschland geweihter
Wein, den jener am Tage St. Jo-
hannis Evangelistae, 27. Dezember,
am Altare der Gemeinde mit den
Worten reicht: hihe amorem Sanofi
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458
Johanniterorden. — Jubeljahr.
Julia nni* in nomine patris etc.; oft
wird der vom Hausvater in die
Kirche gebrachte, stets rote Wein
bloss vom Priester geweiht und erst
zu Hause feierlich getrunken, von
der ganzen Familie der Reihe nach
aus demselben Becher, selbst von
dem Kinde in der Wiege, zum Teil
aber aufbewahrt oder in die Wein-
fässer gegossen. Missverständlich
wird vom Volke die Johannesminne
bisweilen als eine Art Abendmahl
betrachtet. Dieser Wein bewahrt
den übrigen Wein vor Verderbnis
und hält von ihm bösen Zauber ab;
als Heilmittel wird der Rest von
Erkrankten getrunken, vor einer
Reise als Schutz und Stärkung; das
Brautpaar trinkt ihn bei der Trau-
ung, wo er ihm vom Priester nach
vorangegangener Segnung gereicht
wird Ähnlich, aber ohne die kirch-
liche Feier, ist ein zum Teil auch
im evangelischen Süddeutschland
am Johannistage, 24. Juni, getrun-
kener Joha nni.w(ff>H. Man deutet
denselben auf den von dem Apostel
getrunkenen Giftbceher, manchmal
auf die Hochzeit zu Kana: er ist
aber unzweifelhaft eine von deut-
schen heidnischen Trankopfern ab-
stammende uralte Sitte, die nur
christlich umgestaltet wurde. Jo-
hannes, der jugendlich vorgestellte
Apostel des rriedens und der Liebe,
scheint an die Stelle Freyrs, des
freundlichen Gottes des Friedens
und der Fruchtbarkeit getreten zu
sein, dessen Feste sowohl in die
Winter- als in die Sommersonnen-
wende fielen. Bei Hochzeiten opferte
man dem Freyr, trinkt mau den
Johannissegen. If'uttke, Volksaber-
glaube, § 194. Zin(ftrf('} Johannes-
segen. 1^52.
Johanniterorden, siehe Ritter-
orden.
Irinin war ein germanischer,
kriegerisch dargestellter Gott, hoch
von Wuchs und auf jeden Fall ein
lichtes Himmelswesen, der sich wahr-
scheinlich mit Donar und Ziu
berührte. Darstellungen von ihm
waren die dem Gotte Ilirmin ge-
weihten Säulen zu Scheidungen in
Thüringen, zu Eresburg in Sachsen
und die Irmirmtt, Jlirmin*ui oder
Ermcnmf im Waldgebirge Osning
bei Detmold. Ein heiliger Hain und
ein heiliges Gehege umgab dieses
„berühmte Idol ', und reiche Gold-
und Silberschätze waren dabei nie-
dergelegt. Es war ein hoher Baum-
stumpf, unter freiem Himmel er-
richtet. Karl der Grosse In/gab sich
nach der Eroberung von Eresburg
zu diesem Heiligtum und zerstörte
es. Der Name Irm, Irmin wird
durch got. airman, ahd. irmin, ags.
eormen, irmen erklärt, welches als
verstärkender Vorsatz in der Be-
deutung allgemein verwandt wird;
Jrmitiffod ist der allgemeine Gott,
des ganzen Volkes. Mannhardt,
Götter.
Jubeljahr. Dieses, dem Jubel-
jahr der Hebräer nachgeahmte In-
stitut der katholischen Kirche nimmt
seinen Anfang im Jahre 1300. Es
wird erzahlt, am Abend des eben
bevorstehenden Jahres 1300 habe
sich in Rom das Gerücht verbreitet,
dass denen, die in die Kirche des«
heiligen Petrus kommen würden,
ein voller Ablass zuteil werden sollte.
Eine Menge Menschen versammelte
und vermehrte sich in der Kirche
durch herbeiströmende Pilger; auch
ein Greis von 107 Jahren fand sich
ein und versicherte dem Papste,
dass er sich erinnere, wie man schon
vor 100 Jahren einen hundertjähri-
gen Ablass habe gewinnen können.
Infolge dieser Aussage erliess der
Papst Bonifaz Vitt die Bulle Anti-
qtiorum haltet ', berief sich auf jene
Angabe als auf eine glaubhafte
Nachricht und erklärte, dass zur
Ehre der Apostel Petrus und Pau-
lus nicht nur bei dem bevorstehen-
den Jahre 1300, sondern auch iu
jedem folgenden hundertsten Jahre
ein reicher und vollkommener Ab-
lass, ja der vollkommenste Ablass
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aller Sünden denen zu teil werden
solle, welche unter wahrer Reue
und bussfertigem Bekenntnisse ihrer
Sünden die Kirche der Apostel be- j
suchen würden: doch müssten die,
welche Römer seien, den Besuch ',
wenigstens auf 30, Fremde auf 15
Tage ausdehnen. Eine ungeheure
Menschenmenge fand sich bei der
Feier ein, und der grosse Gewinn
veranlasste die Päpste, die Zeit der
Feier eines Jubeljahres zu verkürzen.
Clemens VI. setzte daher im Jahre
1349 die Bulle Uniffenittix fkijifiujt
die Zeit auf das 50. Jahr herab;
Urban VI. verlegte die Feier im
Jahr 1389 auf jedes 33. Jahr, mit
Beziehung auf den Aufenthalt Jesu
auf der Erde; jetzt wurden auch
Nachjubeljahre veranstaltet, und
Bonifaz IX. sandte Ablass Verkäufer
umher, die für die Summe, welche
die Reise zur Feier des Jubeljahres
nach Rom gekostet hätte, vollkom-
menen Ablass erteilen konnten.
Paul II. reduzierte endlich die Feier
auf jedes 25. Jahr, welche Bestim-
mung bis jetzt in der katholischen
Kirche herrschend geblieben ist.
Neudecker in Herzogs Real-Encykl.,
und TJanz in Ersch und Gruber.
Nöthen, Geschichte aller Jubeljahre
der katholischen Kirche. 1H75.
Juden. Der Rechtszustand der
Juden im römischen Reich, nachdem
dieses das Christentum als Staats-
religion erklärt hatte, war so be-
schaffen, dass sie zwar in der Aus-
übung ihrer Religion geschützt, je-
doch beschränkt in der Ausbreitung
derselben, dazu ausgeschlossen von
allen Ämtern, verhindert christliche
Arbeiter und Sklaven zu besitzen,
und des Connubiums mit den Chri-
sten beraubt waren. So blieb es
vorläufig auch in den germanischen
Staaten; denn wenn auch schon unter
den Merovingern einzelner Juden-
verfolgungen Erwähnung geschieht,
so scheinen im ganzen die Fürsten
sowohl als das Volk die Juden un-
behelligt gelassen zu haben. Unter
den Karolingern namentlich ge-
nossen sie einer grossen Freiheit in
der Art ihres Erwerbes, und die-
jenigen Juden, welche für die Be-
dürfnisse des königlichen Hofhaltes
sorgten, waren in den besonderen
Schutz des Königs aufgenommen
und mit besonderen Privilegien aus-
gestattet. Sie waren von allen Ab-
gaben. Zöllen und Staatslasten be-
freit, besassen Grundstücke und
durften auch Christen in ihren Dienst
und Lohn nehmen; der Sklaven-
handel ist ihnen gestattet und der
König behalt sich in allen wichtigen
Angelegenheiten die Gerichtsbar-
keit über seine Schutzjuden vor.
Zu dieser Zeit befand sich der Han-
del zur See hauptsächlich in jüdi-
schen Händen; Juden vermittel-
ten den Waarenverkehr mit dem
Orient. Karl der Grosse und Lud-
wig der Fromme erliessen eigene
Gesetze für die Juden; auch eine
Eidesformel wurde für sie ausge-
arbeitet. Im Jahre M7 wurde be-
stimmt, dass sie den zehnten Teil
ihres Handelsgewinnes an den König
abgeben sollten , während christ-
lichen Kaufleuteu die Abgabe des
elften Teiles aufgebürdet war.
Mit der Aufnahme der Städte
rindet man Juden in grösserer An-
zahl nur in der südlichen Hälfte von
Deutschland und im Westen; in den
Städten an der Ost- und Nordsee
und in den nördlichen Marken kom-
men sie erst gegen Ende des 13.
Jahrhunderts oder noch später vor;
am zahlreichsten waren sie am Rhein,
an der Donau, vom Elsass bis nach
Böhmen, Mähren, Osterreich und
Schlesien; weniger zahlreich im mitt-
leren Deutschland; man nimmt da-
her an, dass sie grösstenteils von
Italien und Frankreich in Deutsch-
land eingewandert seien. Ausdrück-
lich erwähnt werden Juden in Metz,
Köln, Mainz, Worms, Speier, Regens-
burg, Bamberg, Merseburg, Magde-
burg und Prag.
Jahrhunderte lang scheinen die
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Juden.
Juden friedlich und ohne sonder-
liche Anfechtung unter den Deut-
schen gelebt zu haben. Als aber
durch die Kreuzpredigt am Aus-
gang des 1 1 . Jahrhunderts auch die
niederen Volksklassen in Bewegung
gesetzt wurden und ungeordnete
Scharen durch die Gegenden des
Rheins, des Mains und der Donau
zogen, verhängten die.se in religiösem
Fanatismus, wohl auch durch die
Reichtümer der Juden gereizt, eine
blutige Verfolgung über sie: wer
das Leben wahren wollte, musste
sich taufen lassen; doch kehrten sie
bald wieder zum alten Glauben
zurück , ohne, dass der Kaiser und
die deutsche Geistlichkeit ein Hin-
dernis in den Weg legten; nur der
Papst sprach sich entschieden da-
gegen aus.
Seit dem 13. Jahrhundert besitzt
man Zeugnisse dafür, dass die Juden
des Kaisers Kammerknechte genannt
wurden; man bezeichnete damit die
besondere Schutzgewalt des Königs,
unter der sie standen und wofür sie
dem König ein Schutzgeld zahlten,
dessen Erhebung aber auch auf
andere, namentlich die Bischöfe als
Herren der Städte, in welchen siel
wohnten, übertragen ist. Die Sage
führte diesen Schutz auf die Zer-
störung Jerusalems zurück, wo Jo-
sephus die übergebliebenen jüdischen
Gefangenen ihrer dreissig um einen
schlechten Pfennig verkaufte, Kaiser
Titus dieselben aber zu eigen in des
Reiches Kammer geführt haben
sollte. Waitz führt dieses besondere
Schutzverhältnis auf die karoliu-
gische Zeit zurück, während Slobbe
dasselbe erst in der Zeit Friedrich II.
entstehen lässt.
Die Kammerknechtschaft der
.Juden war jedoch von geringem Er-
folg; seit den Kreuzzügen wuchs
die Unsicherheit ihrer Stellung, und
die Kaiser selbst beuteten ihr Recht
habsüchtig aus; man entwickelte
jetzt die riieorie, dass den Juden
ihr Vermögen nur prerario gehöre
und vom Kaiser jeder Zeit wieder
genommen werden könne. Man
zwang sie zuzeiten, ihre Privilegien
freiwillig herauszugeben, oder man
raubte sie ihnen mit Gewalt, um
ihnen für neue Privilegien grosse
Summen zu erpressen oder sie fort-
zujagen; namentlich waren die Juden
verpflichtet, jeweils bei einem nen-
gcwählten Kaiser um Bestätigung
ihrer Privilegien einzukommen, und
der Kaiser hatte es in seiner Hand,
ob er sie überhaupt leben lassen
wolle; that er dieses, was natürlich
immer geschah, so hatte die Juden-
schaft, dafür, abgesehen von den
regelmässigen Steuern, eine beson-
dere ausserordentliche Abgabe zu
entrichten, welche den dritten Teil
ihres Vermögens ausmachte; Sigis-
mund war der erste, der diese
„Ehrung" innerhalb ganz Deutsch-
lands verlangte und bezog.
Der Judenschutz konnte als
königliches Regal an andere Herr-
schaften übertragen werden. In
den Reichsstädten blieben die Ju-
den am längsten unter dem direk-
ten Schutze des Kaisers; in den
bischöflichen und landesherrlichen
Städten war es anfangs meist der
Bischof oder Landesherr, auf den
das Regal übertragen war, und der
es später an die städtische Obrig-
keit abzugeben pflegte; oft wechselte
auch der Inhaber des Judenschutzes.
Kaiserliche Privilegien zur Gestat-
tung einer neuen Judengemeiude
werden seit Friedrich II. besonders
an kleinere Herren oder an kleinere,
neu aufkommende Städte erteilt, wo-
bei die Zahl der aufzunehmenden
Juden und die Dauer des Privilegs
oft näher bezeichnet ist. Das Motiv
der Judenaufnahme, oft sind es
bloss ihrer zwei, ist entweder die
Herbeischaff ung von Personen mit
grossen Geldsuminen, oder die Er-
werbung steuerkräftiger Bürger.
Mit der Zeit hatten fast alle Landes-
herren und Städte das Recht er-
halten, Juden bei sich aufzunehmen;
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Juden.
461
die Juden waren landesherrliche
oder städ tische Kammerknechte ge-
worden. Ihr Domizil ohne Geneh-
migung ihres Herrn zu verlassen,
war den Juden nicht gestattet.
Waren die Juden in den ersten
Zeiten des Mittelalteis die eigent-
lichen Vertreter des Handels, so
änderte sich dies seit den Kreuz-
zügen und dem Aufkommen der
Städte ebenfalls. Sie durften von
t'etzt an nicht mehr den Grosshandel
K'treiben und auf Messen und
Märkten erscheinen, sondern blieben
auf den Schacher und Wucher be-
schränkt, auf kleine und grosse
Darlehen gegen Zinsen mit und
ohne Pfänder, auf den Ein- und
Verkauf von gebrauchten Sachen.
Es hängt dies damit zusammen, dass
die christliche Kirche den Christen
verbot, Geld gegen Zinsen auf
Wucher auszuleihen; dem Juden
war der Wucher gestattet und er
war es, der ihm trotz der religiösen
Unduldsamkeit überall die Thore
der Städte und Burgen öffnete.
Doch wurden oft Bestimmungen
erlassen, wodurch namentlich uer
Ziusfuss für kleinere Darlehen ge-
regelt werden sollte; der Zinsfuss
schwankte aber im 14. und 15. Jahrb.
zwischen 81% und 86a/s Prozent und
war dem Fremden gegenüber ganz
unbeschränkt. Auen Ziuseszinsen
waren in manchen Fallen gesetzlieh
gestattet. An einzelnen Orten hielt
man die Juden für verpflichtet, Dar-
lehen m gewähren, wenn sie ge-
nügende Sicherheit empfingen. Die
Pfander, gegen welche Darlehen ge-
geben wurden, waren Einkünfte,
namentlich Zölle, Gerichtseinkünfte,
Zehnten, sogar Städte, d. h. die
städtischen Abgaben, Grundstücke
und bewegliche Sachen, wie Mobilien
und Kostbarkeiten. Für den Er-
werb beweglicher Sachen bestand
ein besonderes Judenrecht in weit
verbreiteter Geltung.
Zur Aufhebung oder Reduktion
der Forderungen jüdischer Gläubiger
bediente sich das Mittelalter ver-
schiedener Mittel. Das einfachste
war, die Juden totzuschlagen, was
durch die Praxis sowohl als durch
die Theorie geschützt wurde, dass
Kaiser und Landesherren nach Ge-
fallen über ihr Gut und Blut ver-
fügen durften. Ein anderes Mittel
war, die Forderungen der Juden
für null und nichtig zu erklären, sie
auf eine bestimmte Quote zu redu-
zieren, die Zurückbezahlung auf das
Kapital mit Abzug der Zinsen zu
beschränken. Päpste, Kaiser und
Landesherren wendeten dieses Mit-
tel an. So erlicss während des
zweiten Kreuzzuges Papst Eugen
eine Bulle, wonach alle Kreuzfahrer
an die Juden keine Zinsen zu be-
zahlen brauchten; das gleich«* that
[nnocenz III. im Jahr 1213, wobei
den Obrigkeiten befolden wurde,
dass sie den Juden jede Gemein-
schaft mit den Christen in Verkehr
und Handel so lange versagen sollten,
bis jene von ihren Zinsforderungen
abstehen würden. Von weltlichen
deutschen Fürsten werden solche
Zins- Niederschlagungen seit dem
Beginn des 14. Jahrh. erwähnt, und
Ludwig der Bayer und Karl IV.
8'ngen in dieser Art gegen einzelne
laubiger vor. König Wenzel führte
dann diese Judenberaubung in syste-
matischer und grossartiger Weise
aus und verschaffte nicht bloss den
Schuldnern Erleichterung dadurch,
sondern er bereicherte einzelne
Städte damit und nameutlich sich
selbst. So liess er sich 1385 von
einer grossen Anzahl schwäbischer
Städte 40000 Gulden für ein Privi-
leg zahlen, wonach für länger als
ein Jahr ausstehende Schulden der
vierte Teil der aus Kapital samt
Zinsen zusammen gerechneten
Summe erlassen wurden, die ande-
ren drei Viertel aber auf die Städte
als die neuen Gläubiger übergingen
oder es wenigstens vollständig im
Belieben der Städte stand, wieviel
sie von den Forderungen sich au-
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462
Juden.
zueignen für put fanden. Dieser
Schulden-Nachlass bezog eich auf
die in den betreffenden Städten an-
gesessenen Juden; ein paar Jahre
später (1890) wurden ebenfalls durch
Wenzel die Schuldner in einer An-
zahl von Territorien und Städten
ihren jüdischen Gläubigern gegen-
über befreit, gleichviel ob dieselben
an diesen Orten oder sonstwo im
Reieh ansässig waren; doch fehlte
es gegen solche Ungerechtigkeiten
nicht an Widerspruch mancher
Städteobrigkeiten, und es kam vor,
dass gewisse Judenschaftcn selbst
ein Privileg erhielten, dass ihre
Forderungen auf eine gewisse Reihe
von Jahren hin nicht durch Erlass
getilgt werden sollten.
Die J tulen einer Stadt bildeten
in religiöser, meist auch in kommu-
naler und rechtlicher Beziehung eine
eigene Gemeinde und bewohnten
ein besonderes Stadtviertel. Die-
selbe stand unter eigener Obrigkeit,
dereu Rechte und Befugnisse jedoch
sehr verschieden waren. Soweit die
Kompetenz des jüdischen Richters
reichte, soweit reichte auch die Herr-
schaft des jüdischen Rechtes, und
zwar erstreckte sich die jüdische
Gerichtsbarkeit nicht bloss auf Civil-
streitigkeiten , sondern auch auf
Kriminalsachen in weiterem oder
geringerem Umfange. Für Streitig-
keiten zwischen Juden undChüsten
gab es au manchen Orten auch ge-
mischte Gerichte. In manchen
Städten waren die Juden unter die
Herrschaft des Rats gekommen, in
andern einem besonderen kaiser-
lichen oder landesherrlichen Be-
amten, meist dem Kämmerer, der
der Kammer, d. h. den Finanzen
vorstand, unterworfen. Vgl. (lengler.
Deutsche Stadtrechts - Altertümer
1H.V2. Cap. 7. Die Juden— Wohn-
pläfze.
Eine Gesamtverfassung der deut-
schen Juden gab es nient; rabbi-
nische Synoden, die in Frankreich
seit dem 12., in Deutschland seit
dem 13. Jahrhundert vorkommen,
waren Privatunternehmungen.
Im Gerichtsverfahren war der
Jude, soweit es den Zeugenbeweis
anbelangt, iedem andern Fremden
gleichgestellt ; dagegen wandte man
gegen ihn andere Beweismittel an,
denen sonst nur Leibeigene unter-
lagen: man unterwarf ihn den
Gottesurteilen und der Tortur, frei-
lich erst im späteren Mittelalter;
noch Heinrich I V. hatte es verboten,
Juden zum Gottesurteil , heissem
oder kaltem Wasser zu zwingen, sie
zu geissein oder einzusperren. Auch
wurde der Jude später, obgleich
das Tragen der Waffen ihm ver-
boten war, zum Zweikampfe genötigt.
Der Judeneid wurde mit hässlichem
Raffinement ausgebildet, sowohl was
die Worte betrifft, die der Jude zu
sprechen hatte, als in Rücksicht auf
seine Kleidung und sein sonstiges
Verhalten während des Schwüre*.
Schon in karolingischen Judenge-
setzen hiesses: „Streue Sauerampfer
zweimal vom Kopf aus im Umkreis
seiner Füsse; wenn er schwört, soll
er da stehen und in seiner Hand
die fünf Bücher Mosis halten, ge-
mäss seinem Gesetz, und wenn man
sie nicht in hebräischer Sprache
haben kann, so soll er sie lateinisch
haben." Der Schwabenspiegel aber
bestimmt: Er sol uf einer suire hüte
stan unde su In diu Jiunf buehern
Moust/ vor im ligen, unde sol im diu
rehfe haut in dem buoelie ligen unz
an daz risfe, d. h. bis ans Gelenk;
nach anderen Vorschriften sollte der
Jude auf nacktem Körper einen
grauen Rock und Hosen ohne Vor-
füsse anhaben, einen spitzen Hut
auf dem Rock tragen und auf einer
in Lammblut getauchten Haut stehen.
Die älteste Formel des von den
fränkischen Königen aufgestellten
Judeneides lautete: „So wahr mir
Gott helfe, der Gott, welcher Moses
»las Gesetz auf dem Berge Sinai
gab; möge mich der Aussatz ver-
schonen, der über Naeman und Siri
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Juden.
463
kam; möge mich die Erde verSehlin-
gen, wie sie Dathan und Abiron
verschlang; ich habe in dieser Sache
nichts Böses gegen dich verschuldet."
In deutscher Sprache ist eine er-
weiterte Formel erhalten, die vom
Erzbischof Konrad von Mainz, 1160
bis 1200, ausgearbeitet wurde; sie
heisst Erfurter Judeneid , u. a. ab-
gedruckt bei Müllcnhojf und Scherer,
Denkmale deutscher Prosa.
Obgleich im ganzen als Prinzip
galt, dass ein Jude nicht anders als
ein christlicher Verbrecher büssen
sollte, wurden doch an vielen Orten
die Strafgelder für Juden höher an-
gesetzt und Leibes- und Lebens-
strafen an ihnen schimpflicher voll-
zogen. So setzte man dem Juden,
der zur Strafe des Galgens verur-
teilt war, an manchen Orten einen
Judeuhut mit brennendem Pech aufs
Haupt, hing ihn ausserhalb des
Galgens an einem Balken, oder
zwischen zwei wütenden Hunden,
oft mit dem Kopf nach unten, auf.
Zu den weltlichen Strafen konnten
besondere jüdische Strafen hinzu-
treten, namentlich der Bann, den
der Judenbischof oder Rabbiner aus-
sprach; auch der kaiserliche und
der kirchliche Bann wurde zuweilen
über Juden verhängt.
Die soziale Lage der Juden war
im Mittelalter überhaupt eine sehr
niedrige. Kirche und Staat erklärten
den tTbertritt vom Christentum ins
Judentum für ein weltliches Ver-
brechen, während man durch Dro-
hungen und Gewalt den Übertritt
der Juden zum Christentum erzwang,
das letztere zwar stets gegen das
öffentliche Kecht; die juden sol nie-
man tirinrjen zer crittenheit unde ze
cristenem (jelouben, heisst es im
Schwabenspiegel. Besonders hatte
es die Geistlichkeit darauf abge-
sehen, Judenkinder ohne Wissen
und Willen ihrer Eltern zu taufen.
Missiouspredigten für Juden, zu denen
man diese zwang, kamen nament-
lich seit dem Baseler Konzil auf.
Regelmässig besassen die Judeu-
gemeinden ihre Synagoge, deren
Unverletzlichkeit oft durch geist-
liche und weltliche Privilegien ge-
schützt war. Manche Synagogen
sind nach den Verfolgungen in
christliche Kirchen verwandelt, ver-
kauft oder geschlossen worden. Einen
Kirchhof besass nicht jede Jnden-
gemeinde; manche Gemeinden sahen
sich genötigt, ihre Leichen auswärts
auf einem fremden Judenkirchhofe
zu bestatten. Schon im frühen
Mittelalter war dem Juden verboten,
sich vom grünen Donnerstage bis
zu Ostern auf den Strassen und
Märkten sehen zu lassen. Ihren
eigenen Gottesdienst sollten sie an
ihren Festtagen nicht öffentlich be-
gehen, am h reitage den ganzen Tag
über Thüren und Fenster geschlossen
halten. So hatte seit ältester Zeit
die Kirche ihren Angehörigen ver-
boten, mit den Juden zusammen zu
speisen. An vielen Orten erhielten
sie besondere Fleischbänke und
war es den Christen verboten, von
den Juden geschlachtetes Fleisch
zu kaufen. So mussten die Juden
eigene Brothäuser unterhalten.
Christliche Sklaven und Dienstboten
zu halten, verbot zwar die Kirche
den Juden, doch kam es häufig vor.
Die drückendste Vorschrift für die
Juden war eine besondere Juden-
tracht, deren eine schon die Araber
für ihre Juden eingeführt hatten.
Innocenz III. gebot 1215, dass alle
Juden und Jüdinnen in der ganzen
Christenheit sich durch ihre Klei-
dung von andern Nationen unter-
scheiden sollten ; doch verging längere
Zeit, bis in Deutschiana das Gebot
durchgeführt war. Im 14. und 15.
Jahrhundert trugen die deutschen
Juden einen gehörnten, spitzen Hut
von gelber, blauer oder roter Farbe.
Die gelben und roten Ringe, «lie
radförmigen Abzeichen auf ihren
Kleidern, Brust oder Rücken, bei
Frauen auf ihren Schleiern, wie sie
anderorts seit dem 13. Jahrhundert
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464
Juden.
getragen wurden, kamen in Deutseh-
land erst seit dem 15. Jahrhundert
in Gebrauch.
Die Judenviertel der Städte
waren manchmal, z. B. in Köln,
Regensburg und Frankfurt a. M.,
von der übrigen Stadt durch Mauern
und Thore getrennt. Die Häuser
selbst standen im Eigentum der
Juden und auch Landgüter haben
sie im Mittelalter in vielen Gegen-
den besessen; erst seit dem 14. Jahr-
hundert wurde ihnen der Ankauf
weiteren Grundbesitzes meist unter-
sagt.
War es /.war von Kirche und
Staat häufig untersagt worden, dass
man Juden öffentliche Ämter über
Christen einräume, so wurden sie
nichtsdestoweniger oft als Finanz-
verwaltcr berufen; so s» lbst von
Papst Alexander III.; Herzog Hein-
rich IV. von Schlesien (1296-1335)
hatte einen Juden Salomon seinem
Hofhalt und seiner Küche vorgesetzt.
Noch häufiger werden Juden als
Arzte, namentlich auch als Leib-
ärzte geistlicher und weltlicher
Fürsten verwendet; schon inero-
wingischc Schriftsteller erwähnen
ihrer; Kaiser Konrad EL hatte einen
jüdischen Leibarzt, und ein Würz-
burger Bischof erteilte 1419 der
Jüdin Sara die Erlaubnis, in seinem
Bistum überall die Arzneikunde aus-
zuüben.
Die erste, aber nur lokale Juden-
verfolgung in Deutschland fand 1012,
also noch vor den Kreuzzügen statt,
sie hängt ohne Zweifel mit der
durch die Cluniacenser und Cister-
zienser verbnuteten Reform des
kirchlich-religiösen Lebens zusam-
men; Kimig Heinrich II. vertrieb
damals aus religiösen Motiven die
Juden aus Mainz. Eine allgemeine
blutige Verfolgung der Juden brachte
erst der erste Kreuzzug mit sich,
und zwar in den Städten längs der
Donau und des Rheins, zu Trier,
Speier, Worms, Mainz, Köln, Regens-
burg, Prag. Eine Wiederholung
brachte der zweite Kreuzzug, als
der Papst die Kreuzfahrer von allen
Judenschulden befreit erklärte und
Peter von Clugnv in Frankreich,
um mehr Mittel für den Kreuzzug
zu gewinnen, die Juden wenn auch
nicht zu t'iten, so doch ihres in
schmählicher Weise erworbenen Ver-
mögens zu berauben riet. Hatten
sich bei der Verfolgung währeud
des ersten Kreuzzuges Bürger und
Fürsten noch meist dem Pöbel
gegenüber auf Seite der Juden ge-
stellt, so machten die Bürger jetzt
mit den Verfolgern gemeinsame
Sache, nur einzelne Fürsten waren
bereit, die Juden in ihren Burgen
zu schützen.
Im 12. und 13. Jahrhundert
kamen zahlreiche lokale Verfolgungen
vor, bei denen es mehr auf die Be-
raubung als Bekehrung der Juden
abgesehen war. Man gab den .luden
schuld , sie töteten Christenkinder
und verwendeten ihr Blut beim
Passahfest, eiu Vorwurf, der in
Frankreich schon 1171 eine grau-
same Verfolgung hervorrief. Kai-
ser Friedrich II. berief viele ge-
lehrte Männer und legte ihnen die
Frage vor, ob. wie das Gerücht
ginge, die Juden wirklich bei ihren
religiösen Gebräuchen Christenblut
nötig hätten; wäre das der Fall, so
wolle er alle Juden in seinem Reiche
verderben; die Antwort lautete, man
könne nichts darüber erfahren. Seit-
dem wucherte jener Aberglaube
weiter, und es nützte nichts, dass
Innocenz IV. in einer Bulle von
1247 die Juden in Schutz nahm und
alle ferneren Verfolgungen verbot.
Nachdem vereinzelte Verfolgungen
fast jedes Jahr aufgetreten waren,
wälzte sich 1298 ein neuer Sturm
unter Anführuu^ des fränkischen
Edelmannes Rindfleisch von Ort zu
Ort; die Veranlassung war eine
angebliche Hostienschändung. An-
dere schwere und blutige Verfol-
fungen wüteten im Elsass., Franken,
chwaben, Bayern und Österreich
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Julfest. — hvein.
465
von 1336 bis 1338; noch allgemeiner
waren die Verfolgungen von 1348
und 134'J bei Anlass aes schwarzen
Todes, als es allgemein hiess, die
Juden hätten die Brunnen vergiftet,
und auch jetzt fruchteten die Worte
des Papstes und des Kaisers zu
Gunsten der Juden nichts; Obrig-
keiten, die sich ihrer annahmen,
Warden abgesetzt, die Schulden ver-
nichtet, die Pfänder und Schuld-
briefe abgenommen, ihr bares (»cid
unter die Handwerker verteilt, viele
Juden getötet. Wenige Jahre nach-
her bemühten sich die Kurfürsten
doch wieder um das Recht der
Judeuaufnahme und erhielten es in
d< r goldenen Hülle; die Juden er
holten sieh und sammelten neue
Sehätze, bis in den achtziger Jahren
neue Juden-Krawalle begannen.
Seit dein Beginn des lö. Jahr-
hunderts begannen dann die Ver-
treibungen der Juden auf den Be-
Bchltiss der Obrigkeiten; so wurden
si" 14*20 aus Mainz und Österreich.
1424 aus Freiburg im Breisgau und
Zürich. 142« aus Köln, 1432 aus
Sachsen, 1435 aus Speier und wie-
der aus Zürich, 143.S wieder aus
Mainz. 1 4 3i> aus Augsburg, Ii 50 aus
Bayern vertrieben. Seitdem hatten
sie in einem grossen Teile Deutsch-
lands gar keine feste Niederlassung
mehr und durften nur gegen ein
bestimmtes Geleitgeld hindurch-
ziehen oder ihres Handels wegen
ein paar Stunden oder Tilge sich
aufhalten; so blieb es bis in die
Zeit der Aufklärung und der fran-
zösischen Revolution. Nach Stobbe.
Die Juden in Deutsehland wählend
des Mittelalters. Braunschweig 1^6G.
Das Hauptwerk über die Geschichte
der Juden ist (trotz, Geschichte der
Juden.
Julfest, siehe Feste, weltliche.
Junker« mhd. juac-herre, jttne
Jterre, dann junkher, im 16. Jahr-
hundert gewöhnlich Junker, bezeich-
net als Gegensatz zu altherre zu-
nächst den Sohn aus adligem Ge-
Reallexicou der deu:*cben A.ttr.umcr.
schlecht, gegenüber dem als Senior
fungierenden Vater, und wechselt
mit Knabe und Knecht. Später
geht die Bezeichnung als Titel auch
auf unadelige Kreise über, zunächst
auf hervorragende städtische, als
Sohn des ge werbtreibenden Bürgers
und Kaufmanns; in Hamburg heisst
so der jüngste Bäckerknecht. Da
der Teufel gern in edehnüunischer
Kleidung beschrieben wird, heisst er
oft ebeufalls Junker.
Iwein ist der Name eines Hel-
den aus dem Sagenkreise des Artus
und zugleich des vollendetsten epi-
scheu Gedichtes von Hartman von
Aue, das nach einem altfranzüsisehen
Gedichte des L'hretien de Trupes ge-
dichtet wurde. Unter den kittein
am Hofe des Königs Artus erwähnt
einer des Zauberbrunuens. wo der
König des Waldes herrsche. Iwein
fühlt sieh aufgelegt, mit diesem
ein Abenteuer zu bestehen, und es
gelingt ihm, ihn zu be-i-gen und
bis in seine Burg zu verfolgen.
Hier jedoch hatten ihn des Königs
Diener umg' bracht, wenn nicht Lu-
nete. eine Jungfrau der Königiu
Laudine, ihn durch einen Zauber
ring unsichtbar gemacht hatte. Ent-
zückt von Laudiucns Schönheit, de-
ren Gemahl unterdessen gestorben
war, wirbt Iwein um ihre Liebe
und wird erhört. Als der König
Artus mit andern Kittern gleich-
falls zum Zauberbrunnen kommt,
verlässt Iwein seine Laudine mit
dem Versprechen, in Jahresfrist
wieder zurückzukehren. Da dieses
nicht geschieht, verwandelt sich
Laudiucns Liebe in Zorn, und Iwein
wird bei seiner späteren Ankunft
hart von ihr abgewiesen. Von
dem Wahnsinn, in den er darüber
verfällt, wird er durch drei Frauen,
die ihn im Walde liegend rinden,
durch eine Zaubersalbe geheilt. Von
neuem zum Leben gerufen, voll-
führt er herrliche Ritterthateu, über-
windet einen Drachen, der mit einem
Löwen kämpft, und vollfuhrt mit
30
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4G6
Ka-dmon.
des letzteren Hilfe neue Helden-
thaten. In die Gegend des Zauber-
brunnens durch seine Abenteuer
zurückgeführt, befallt ihn die Er-
innerung an sein verlorenes Glück
mit solcher Macht, das er besinnungs-
los vom Pferde stürzt. In der nahen
Kapelle hört eine gefangene Jung-
frau «Ion klagenden Kitter: es ist
Lunete, die dafür, dass sie ihren
Herrn zu nehmen geraten, aber sie
böslieh verlassen hatte, am nächsten
Morgen verbrannt werden soll . es
wäre denn, dass sich ein Kitter
fände, der für sie kämpfen wollte.
Iweiu thut dieses, wobei ihm der
Löwe hilfreich beisteht. Aber noch
wagt er nicht, um die Liebe seiner
Gemahlin zu werben, und erst nach-
dem er im ritterlichen Kampf tur
die bedrängte Unschuld über zwei
Kiesen, die zweihundert Jungfrauen
gefangen hielten, über Gawein, der
einer ungerechten Sache sein Schw ert
geliehen, goiegt hat, kehrte er zum
Zauberbrunnen zurück, wo ihm Lu-
nete seiner Gattin Huld wiederzu-
gewinnen hilft.
Ka'dmoii wird von Beda in der
Hittoria ecdeiiasfica genfU Angl*
rinn lih. IJ~ <•/■/>. 'Ji ein Mann ge-
nannt, der in der zweiten Hälfte
des siebenten Jahrhunderts in der
Nähe des Klosters Streomeshalh
oder, mit dänischem Namen Whitby
in Northumbrien lebte und als der
erste angelsächsische Dichter, dessen
Namen wir kennen, betrachtet wer-
den kann. Beda erzählt von ihm,
dass, als er im Viehstall, den er
bewachen mus-te, übernachtete, im
Traume eine himmlische Stimme ihn
aufgefordert habe die Schöpfung
der Welt zu besingen. Durch dieses
Gesicht wurde der einfache Mann,
dem früher «lie Gabe des Gesanges
vollständig versagt war. so begeistert,
dass er in die "Worte ausbrach:
..Nun sollen wir preisen des
Himmels Wächter,
Des Schöpfers Macht und seine
Herzensgedanken.
Die Herrlichkeit Gottes, wie zu
jedem der Wunder
Der ewige Herr den Anfang legte.
Er schuf zuerst den Kindern der
Erde
Den Himmel zum Dache, der hei-
lige Schöpfer,
Dann denMittelkreisdes Menschen-
geschlechtes Hüter.
Der ewige Herr schuf nachher
Für die Renschen, die Erde, der
allmächtige Gebieter.'*
So war Ka dmou über Nacht ein
Dichter geworden und die Xbtissiu
Hilda des Klosters Streomeshalh
nahm ihn in das Kloster auf und
Hess ihn unterrichten in der bibli-
schen Geschichte. Alles, was er da
hörte und lernte, verarbeitete er nun
im Gedichte. ..So dass er sang,"
wie Beda sagt, „von der Schöpfung
der Welt und dem Ursprung des
Menschengeschlechtes und die ganze
Geschichte der Genesis: von dem
Auszuge Israels aus Ägypten und
dem Einzüge in das gelobte Land;
von vielen anderen Geschichten der
heiligen Schrift; von der Fleisch-
werdung des Herrn, dem Leiden,
der Auferstehung und der Himmel-
fahrt: von der Ankunft des heiligen
Geistes und der Predigt der Apostel:
auch von dem Schrecken des künf-
tigen Gerichtes, von dem Graus der
Höllenstrafe und der Süssigkeit des
himmlischen Reichs machte er viele
Lieder, aber auch gar manche über
die Gnade und Gerichte Gottes; in
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Kaffee. — Kaisersage. 467
allen aber trachtete er die Men- in Hamburg 1687, in Nürnberg 1696,
sehen von der Liebe zur Sünde ab- in Augsburg 1713 Kaffeehäuser er-
zuziehen und für die Tugend zu ent- richtet.
flammen." Kaiser, siehe König und Kaiser.
Obwohl dieser Darstellung nach Kaiserchronik heisst eine in der
K:v*dmon ein ausserordentlich tVucht- Mitte des 12. Jahrhunderts verfasste
barer Dichter hätte sein müssen, Geschichte der römischen Kaiser
so können wir d<»ch ausser dem von Julius Cäsar bis Konrad III.
kurzen mitgeteilten Hymnus twel- Der unbekannte Verfasser, seines
eher sich in lateinischer Übersetzung Standes ein adeliger Kleriker, hat
an der oben angeführten Stelle von es dabei weniger auf Geschichte als
Bedas Kirchengesihiehte. dann iru auf die Erzählung der Thaten rühm-
Original in northumbrischer Sprache lieber Helden in Kirche und Staat
am Ende einer alten Handschrift abgesehen und in unglaublieh ver-
der llistoria eeelesiaxfica und end- wirrter Weise historische Naehrieh-
licb in den westsächsischen Dialekt ten mit Legenden und Fabeln bunt
übertragen in .Klfreds Übersetzung zusammengemischt, zum Teil ver-
der Kireheugeschichte sich findet i anlasst durch die einzelnen Quellen,
aus der ziemlich reichhaltigen geist- aus denen er schöpfte; der Abschnitt
liehen Litteratur der Angelsachsen von Julius Cäsar und den Deut-
kein Werk mit Sicherheit un- sehen ist fast wörtlich aus dein
serem Dichter zuweisen. Ein ein- Annoliede genommen: einzelne Le-
ziges will ten Brink in seiner eng- genden, wie die von der heiligen
lischen Litteraturgeschichtc Bd. I Orescentia, lassen sich ohne weite-
pag. öl mit dem Namen Kadmon res von dem übrigen Texte lösen,
in Verbindung gebracht wissen und Das Werk wurde bis ins späte
zwar die angelsächsische Genesis. Mittelalter einer Menge von Profau-
von welcher ten Brink es durchaus Chroniken zu Grunde gelegt und
denkbar hält, dass uns in ihr ein erhielt Fortsetzungen bis zu Rudolf
fragmentarisch und lückenhaft über- von Habsburg. Ausgaben von Die-
liefertes, im einzelnen vielfach ver- met' und von Ma#.tnntn>i.
derbtes, sprachlich erneuertes und Kaisersage. Die in Deutsch-
modifiziertes Werk Kadmons vor- land weit verbreitete Sage von
liege. Das in Sprache und Dar- Kaisern, die in Bergen schlafen, ist
Stellung uns entgegentretende hohe mythischen Ursprungs. EsistWodan.
Alter der Dichtung, welche ein«' der milde, segnende Gott, der die
poetische Paraphrase der Genesis Frucht des Ackers spendete und
bis zum Opfer Abrahams ist, ebenso nun im Winter, wenn sein wohl-
entsprechende Ausdrucksweisen und thuendes Walten sich nicht bewähren
Wendungen wie im Hymnus lassen kann, tot oder verzaubert einschläft,
sich als Beweise für ten Brinks Im Wolkenberge, in der Wolken-
Annahme aufstellen. bürg, welche dann geschlossen ist
Kaffee, der Name aus arab. I ah- und nicht befrachtenden Regen, son-
vah, kam in der ersten Hälfte des dern nur eisigen Schnee zur Erde
17. Jahrhunderts nach Italien, ein sendet, träumt er mit seinem ganzen
halbes Jahrhundert später nach Totenheere dem Frühlinge entgegen.
Frankreich. Das erste europäische Dieser Mythus lokalisierte sich und
Kaffeehaus wurde 1652 in London ging in die Gestalten der Lieblings-
errichtet, wo es als Virginia CoJJ'ee- neiden des Volkes über. An vielen
ht/uxe noch heute besteht. Das erste Orten Deutschlands erzählt man sich,
Pariser Kaffeehaus stammt aus dem im Berge sitze ein verzaubertes
Jahre U»G9, in Wien wurden 16*3, Kriegsheer und schlafe, an seiner
30*
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4G8 KalanJe.
Spitze ein Fürst oder Kaiser. So stand dieser Baum in Tauris. vor
schläft Kaiser Karl der Grosso im Alters in Susa, anderen Orientalen
Desenberge bei Marburg, in der Burg im Hain Mainre. In älterer Zeit
Herstalla an der Weser, in der I hicss es, bei der AVeit Ende werde
Karleburg bei Lohr am Spessart, Kaiser Friedrich, von dein man
im Trautberge und Donnersberge nieht wisse, ob er noch lebe oder
in der Pfalz. Im Sudeinerberge bei gestorben sei, wieder auferstehen.
Goslar ruht Kaiser Heinrich der Er hängt seinen Schild an einen
Vogler verwünscht. Otto der Grosse dürren Baum, der grünt aufs neue
sitzt verzaubert im Kyffhäuser bei und der Kaiser gewinnt das heilige
Tille la. der alten Pfalz des sächsi- Grab wieder aus den Händen der
scheu Kaiserhauses; spater hat die Türken. Am Unterberge erzählte
Volkssage Otto den Grossen mit man: Hat Kaiser Friedrichs Bart
Friedrich Barbarossa vertauscht, der die dritte Tischecke erreicht, so
aber fälschlich für Friedrich II. ge- tritt das Weltend«' ein, der Anfi-
setzt war; denn von letzterem glaubte christ erscheint, die Engelsposauuen
das Volk, er sei nicht tot, er werde ertönen und auf dem M'ufxt rfetde
wiederkommen, um den unfertigen wird «'ine blutige Schlacht geschlagen.
Kampf mit den Pfaften auszukämpfen. l>a steht ein dürrer Birnbaum, der
Uber dieses historische Moment der schon dre mal umgehauen wurde,
Kaisersage siehe \ o'ujf in Sybels .-eine Wurzel schlug: immer wieder
historischer Zeitschr., Bd. 26, und aus. Hi< r hangt Kotbart seineu
Ritzte,- in Bd. 22. J. Jla«**aery \ Schild auf, alles wird hinzulaufen
Uusere Kaisersage. Beil. Im und ein solches Blutbad sein, das»
Kyffhäuser, erzahlt nun die Sage, den Kriegern das Blut in die
sitzt der Kaiser in einer uut«rirdi- Schuhe rinnt. Da werden die bösen
sehen Höhle mit allen seinen Kittern von den guten Menschen erschlagen
und Knappen um einen grossen werden. Uber alle deutsehen Gaue
Tisch, durch den sein Bart ge- hat sieh diese Sage verbreitet. Nach
w achsen ist. Kund umher stehen ' Jfannkard', Göttermythen. S. 135 ff.
zahllose Pferde und rasseln mit den Ralumlc, Kalandsbrüdcr, hiesa
Ketten, sodass es einen gewaltigen eine im 13. Jahrhundert entstandene,
Lärm giebt; in den Krippen aber über Nord und Süddeutschland ver-
liegt kein Heu. sondern grosse Dorn- breitete Brüderschaft, auch Kittender-
Wasen. An den Wänden is' der fterreu, J'ru/reg (.'tilendarii genannt,
kostbarste Wein in grossen uralten w eil sie unter priesterlicher Leitung
Fässern aufgespeichert, und obgleich sich regelmässig am ersten Tag
es eine unterirdische Grotte im eines Monats, C'otendh, versammelte.
Berge ist, kann man daselbst doch Ihr Zweck war Veranstaltung ge-
die grösste Herrlichkeit schauen, meinschaftlicher Andaehtsübungen
Ebenso berühmt ist der Internlery und Feste, gegenseitige Unter-
bei Salzburg als Sitz des schlafen- Stützung und Verrichtung guter
den Karls des Grossen oder Fried- Werke, namentlich Fasten und Ai-
rich Barbarossas, j niosenspendung, feierliche Beerdi-
Mit den Sagen vom schlafenden gung ihrer Mitglieder und Abhalten
Kaiser- und Geisterheer hat sich der für die letzteren bestimmten
eine seit de u 14. .Jahrhundert be- Seelenmessen. Die Gesellschaft
hauptete orientalische Tradition ver- konnte aus geistlichen und Welt-
bünden, wonach ein Hcerfurst Herr liehen Personen, aus Männern und
der Welt werde, dem es gelinge, an Frauen bestehen; der Vorstand hiess
einen gew issen dürren JJamn seinen Dechant, unter welchem der Käui-
Scküd aufzuhängen. Den Tataren merer oder Kassenverwalter stand.
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Kalender. 469
Die Oberaufsicht führte der Bischof Monatstagc eintreffen, welchem diese
des Sprenkels, der sie auch bestätigte. Zahl beigesetzt ist. Ein Monats-
Mit der Zeit wurde die Abhaltung kalender mit einem solchen Buch-
monatlicher Festessen die Hauptan- staben- und Zahlen Verzeichnis heisst
Gelegenheit dieser Gesellschaften, ein immerwährender ijulianischer)
Vgl. die Art. Brüderschaft und Zunft- Kalender: vermittelstdesselben findet
und Gildenwesen. man für jedes beliebige Jahr, sobald
Kalender, mhd. holender* ko- man dessen Sonntagsbuchstaben
fender, aus dem mittellateinischen nebst der Ziffer des H*jahrigenCyklns
der ra/r)nl(rrtn.sod(>ri\{\sriiJf>)ir?(iriitm, kennt, den Wochentag jedes Datums
Ableitung von dem lateinischen und alle Neumonde «tas Jahr hin-
Plural calendae = erster Monatstag, durch. Aus den letzteren folgt zu-
vom lat. rnUire — ausrufen, weil bei gleich das Datum des Frühlings-
den Römern der erste Tag des Vollmondes und daraus, nach Be-
Monats ausgerufen wurde. Die Stimmung seines Wochentags mittels
Form des christlich-mittelalterlichen des Sonntagsbuchstabens, das Da-
Kalenders stammt aus dem klassi- tum des Osterfestes. Anleitung zu
sehen Altertum, nament ich von den dieser Berechnung giebt das chrono-
Römern. Er wurde ursprünglich logische Hauptwerk des früheren
nicht für jedes Jahr besonders. Mittelalters von Beda, de ratio,ie
sondern in seiner allgemeinen Fas- femnonnn.
sung, für alle Jahre gültig, aufge- Erst gegen Ausgang des Mitt« l-
stellt. Schon die römischen Ka- alters wurden die lateinisch abge-
lender enthalten ausser einigen aarro- fassten Kalender in die Lande?-
n< mischen Angaben den Ansatz sprachen übertragen; doch giebt es
religiöser Feste und bürgerlicher einige Ausnahmen davon, nament-
Fe-tliehkeiten. Der christliche Ka- lieh das Bruchstück eines gotischen
lender ersetzte die altrömischen Kalenders aus dem 4. Jahrhundert,
Feste durch christliche Feste und ein angelsächsisches Kalendarium
Feiertage; da aber ursprünglich das aus dem 10. Jahrhundert, ein fran-
Gedäelitnis der Märtyrer vornehm- zösischea aus dem 13. Jahrhundert,
lieh nur an dem Orte, wo sie ge- Deutsehe Kalender kommen nicht
litten hatten, gefeiert wurde, so vor dem 14. Jahrhundert vor. Die
hatte jede Gemeinde ihr besonderes ersten gedruckten Kalender haben
Festverzeichnis und ihren eigenen ganz die Einrichtung der hand-
Kalender; es sind ihrer sehr viele schriftlichen und sind allgemein, für
erhalten, da sehr häufig den Hand- jedes Jahr passend, ausgestattet. Die
Schriften liturgischer Bücher, auch frühesten sind in Holz geschnitten
der Bibel und des Psalters, ein Ka- und in Kupfer gestochen. Der
lender vorgesetzt wurde: sie pfleg- erste Druck eines Kalenders für
ten aber mit den Hilfsmitteln ver- bestimmte Jahre stammt, nach der
sehen zu sein, um für jedes Jahr Bearbeitung des Johannes Regio-
die beweglichen Feste, zunächst das montanus, aus Nürnberg im Jahre
Osterdatum abzuleiten. Und zwar 1475; derselbe ist für die Jahre
enthalten sie nicht allein die Buch- 1475, 1493 und 1513, als die ersten
staben A — Ct stets wiederkehrend Jahre einer dreimaligen 10jährigen
mit dem Anfang vom 1. Januar für Periode, gestellt, doch so, aass da-
die Berechnung der Wochentage, raus die Data für die übrigen Jahre
sondern auch die Zahlen I — XIV derselben abgeleitet werden können,
zur Bezeichnung aller Neumonde, Doch bezieht sich diese Spezia-
die jedesmal in dem soviclten Jahre lisierung nur auf den astronomischen
des 1 i'jährigen Cyklus an demjenigen Bestandteil ; der Kirchenkalender ist
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470 Kalender.
noch in seiner Allgemeinheit ver- eintrifft, und dass als Datum dieser
blieben ; er enthalt nur die Heiligen- Naehtgleiche der 21. März festzu-
nameu und zwar naeh älterer Weise halten, der Vollmond aber nach
au einer beschränkten Anzahl von einem 19jährigen Cyklus zu berech-
Tagen, nicht aber die Einteilung in neu sei. Diese alexandrinische Me-
Wochen und die beweglichen Feste, thode litt an zwei Fehlern. Ersten.*,
Die ersten eigentlichen Volkskalender indem sie die Frühlingsuaehtgleiche
sind dann last an allen Tagen mit am 21. März annnahm, schloss sie
Heiligen besetzt, wie die Kalender sich an die jitfianiitche Jahrform
von Augsburg 14*1 u. s. w., Erfurt und Schaltordnung an, wonach die
- 1505, Zürich 1508. Zu allgemeine- Länge des Jahres zu 3«5\'4 Tagen
rem Gebrauch kommen Kalender angenommen. demnach all«' 4
für ein bestimmtes Jahr, mit der Jahre ein Tag eingeschaltet wurde,
demselben angepassten Wochen-. und Das Jahr ist aber in der Wirklich-
Fcstordnung, erst nach der Mitte keit um mehr als 1 1 Minuten kleiner,
des 16. Jahrhunderts. Gegen Ende was alle 12 s Jahre einen Tag aus-
des lf). Jahrhunderts führten die macht, der also zuviel eingeschaltet
A*froltM/en die sogenannten Prak- wurde. Zweiten-, indem sie den
tiken in die Kalender ein. An- Frühlingsvollmond nach dem lttjühri*
weisungen, an welchen Tagen ge- gen Cyklus von 235 Monaten be-
wisse Arznei- und Heilmittel heil- rechnete, nahm sie diesezu 19 x 365' 4
bringend seien oder nicht, besonders = 693NS i Tagen. Aber dieserCyklus
aber Anweisungen zum Aderlass. von Monaten ist in Wirklichkeit
Ein zu Oppenheim 1522 erschienener um mehr als eine Stunde kürzer,
Kalender führte zuerst das Ader- was etwa alle 310 Jahre einen Tag
lassmänuchen ein. Es folgten An- ausmacht, um den also der Voll-
weisungen zum Schröpfen. Purgieren, mond zu spät angesetzt wurde.
Baden, Haarabselmeiden, Pflanzen, Es dauerte lange, ehe man auf
Holzfällen, Ernten. Säen u. dgl., diese Fehler aufmerksam wurde,
ferner was gewisse Vorgänge am Zwar machten schon im 12. Jahr-
Himmel andeuten. z.H. der Sonnen- hundertciuzelnegelchrte Astronomen
schein an jedem der s<»g. Zwölf- auf das Fortrücken der Xacht-
nächte vom 25. Dezember bis 6. gleichen und im 13. Jahrhundert
Januar, welche Einflüsse der Monat, auch auf das Fortrücken der Mund-
il! dem die Geburt eines Kindes er- plinsen aufmerksam; da jedoch ein
folgt, auf dessen Leben habe. Auch Konsilsbeschluss jede Veränderung
diese Kalender- l'racticae waren ur- des Kalenderweseus verbot, zog man
sprünglich von den Astrologen auf erst im 15. Jahrhundert, nachdem
mehrere Jahre voraus als Prophe- man durch genauere astronomische
zeiungen bekannt gemacht und sind Studien sich von der Richtigkeit
erst später mit den gemeinen Ka- der Thatsacheu genügend überzeugt
lendern verbunden worden. hatte, die Verbesserung der durch
(irtiforia tusche A'a/emftrreform, sie entstandenen Übelstände ernst-
Für die Beobachtung des Osterfestes lieh in Erwägung. Schon die Kar-
war in der alexandrinischen Kirche dinälc Petrus de Alliaeo und Niko-
seit der zweiten Hälfte des 3. Jahr- laus de Cusa hatten auf dem Kon-
hunderts die Regel angenommen, Stanzer und Baseler Konzil die Ka-
dass dasselbe anzusetzen sei am lenderreform herbeizuführen und
Sonntag nach dem Frühlingsvoll- durch eigene Schriften zu begründen
mond, das hd.sst demjenigen, der versucht. Doch gelang es erst
am Tage der Frühlingsnachtgleiche Gregor XIII. (1572 15851, unter
selbst oder zunächst nach derselben Mithilfe der gelehrtesten Astronomen
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Kamaldulenser.
471
seiner Zeit, die wichtige Reform zu- Zucht uud Heiligung nahm. Mit
stände zu bringen. Uni die um 10 ihm zog er 976 in Begleitung des
Tage verschobenen Nachtgleichen Dogen und dem auf der Wallfahrt
wieder auf ihre eigentlichen Sitze begriffenen Abt Marin in die Nähe
zurückzuführen, bestimmte Gregor, von dessen Kloster St. Michel de
dass im Oktober 1582 zehn Tage Cusan bei Perpignan in Südfrauk-
aus dem Kalender wegfallen sollten, reich, lebte hier als Anachoret, kehrte
sodass nach dem 4. sogleich der aber wieder nach Italien zurück und
15. gezählt werden sollte. Um aber begann sein unstetes Anachoreten-
die Frühliugsnachtgleiehe auf dem leben von neuem, gewann die Teil-
21. März für alle Zeit zu erhalten, nähme uud Bewunderung vieler,
sollten in einem Zeitraum von 400 namentlich hoher Personen, wie
Jahren 3 Schalttage ausfallen, und Ott«» III., Heinrich II. Im Jahre
zwar aus den Säkularjahren , deren 1013 stiftete er auf einem hohen,
Jahrhunderte nicht durch 4 teilbar schwer zugänglichen Orte, dem
sind, wie 1700, 1800, 1900. Campus M<iht»/<li in den Appenuiuen
Die sofortige Einführung des bei Arezzo. eine Niederlassung von
Gregorianischen Kalenders geschah fünf Einsiedlern, wo er ein sehr
bloss im grösöten Teile Italiens, in strenges, namentlich an Geisselungen
Spanien und Portugal; die übrigen reiches Eremiteuleben einführte; er
Länder Europas entschlossen sich starb im Jahre 1027, nachdem er
erst später dazu, namentlich die mehrere ähnliche Institute gestiftet,
protestantischen; so nahm das pro- Aber keines bewahrte den eremiti-
testantische Deutschland den neuen sehen Geist Romualds besser als die
Kalender unter dem Namen des Einsiedelei von Camaldolt. In be-
vorbesserten mit Dänemark, den sondere Aufnahme kam dieser Ort
Niederlanden und der evangelischen dadurch, dass Petrus Damiani, der
Schweiz erst 1700, Pisa und Florenz Prophet des asketisch-mittelalter-
1750, Grossbritannien 1752 uud liehen Kirchengristes, Mönch von
Schweden 1753 an; Kussland hat Fönte Avellana. einem Kloster, das
den juliauisehen Kalender beibe- Ludolf, ein Schüler Romualds, im
halten. Piper, Art. Kalender in Jahre 1000 gestiftet hatte, bald nach
Herzogs Real-EncykL und Grote* 1040 das Leben Romualds beschrieb.
feml, Handbuch der Chronologie. Damiani prägte dicBusstheoriein der
Kamaldulenser, ein reformierter Form des verdienstlichen Geisseins
Mönchsorden des 10. Jahrhunderts, noch schärfer aus und übte das-
wurde von Romuald, geb. um 950 selbe nach Niederlegung seines Kar-
sli Ravenna, gestiftet. Dieser ge- dinalats in seinem Kloster Fnute
hörte einer vornehmen und reichen Avellana selbst an sich aus bis zu
Familie an, war ein leicht erreg- seinem im Jahre 1073 erfolgten Tode,
barer, stürmischer Mensch, von einer Erst in diesem Jahre wurde durch
ohne Geistesbildung und in wildem päpstliche Bestätigung der eigent-
Lebcnsgenusse verlebten Jugend; liehe Orden der KameUduleiuer auf-
zur Sühnung eines von seinem Va- gestellt, als eine Abzweigung der
ter verübten Totschlages, ging er Benediktiner, die es zu höherer Voll-
für einige Zeit nach Ravenna in kommenheit gebracht haben sollten,
ein Benediktinerkloster, wo er sich An der Spitze stand der Prior von
entschloss, der Welt zu entsagen Camaldoli als Major. Sie wohnten
und Mönch zu werden. In der Nähe und assen abgesondert voneinander,
Venedigs fand er in Mauritius einen Fleich war verboten! Fasten sehr
zwar bildungslosen, einfältig from- häufig, das wichtigste Gebot war
meu Anachoreten, der ihn in seine das des Schweigens. Sie trugen
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472
Kamm. — Kammergericht.
weisse Gewänder. Die erste ge-
schriebene Regel stammt aus «lern
Jahre 1102, von demselben Major
Rudolf, der auch die Kamaldvlen-
gerinnen einführte. Aueh Camaldoli
hatte das gleiche Schicksal, wie die
meisten Klöster dieser Jahrhunderte,
es wurde reich und besass ganze
Grafschaften, die alte Strenge wurde
mehr und mehr gemässigt, und ne-
ben den Einsiedlern entstand ein
regelrechtes Klosterlehen, nament-
lich im Gebiete der Stadt Venedig,
auf einer Insel zwischen Venedig
und Murano und in Murano selbst.
Zur Zeit der Reformation unter-
schied man daher Eremiten, Obser-
vanten und Konvcntualen.
Kamm, lat petien, franz. peiqne,
engl. comb. Schon in vorgeschicht-
licher Zeit benutzte man zur Pflege
des Haupt- und Barthaares eine Art
Kamm von Holz, Horn, Knochen
oder Elfenbein; auch kommt er als
I Ia arschmuck bei Frauen fast über-
all vor, in den mannigfaltigsten
Formen und ans den verschiedensten
Stoffen gearbeitet. Im klassischen
Altertum, wie aueh im Mittelalter
findet man ihn häufig knustreich
aus Elfenbein oder Buchsbaum ge-
schnitzt, mehr hoch als breit, ein-
oder zweireihig gezahnt. Bei den
einfachen ist der obere, bei den
Donpelkämmen der mittlere flache
Teil mit Reliefs oder Ornamenten ge-
schmückt. Der Kamm Karls d. Gr.
wird angeblich imDome zu Osnabrück,
der Bartkamm Heinrich I. im Zither
i Schatzkammer) der Schlosskirche
zu Quedlinburg aufbewahrt, der des
heil. Ulrich in Augsburg etc. Man
sieht daraus, dass dieses jetzt gering-
geschätzte Gerät früher wohl in
höheren Ehren stand. Dasselbe gilt
namentlich auch vom Konsekrations-
kamm der Bischöfe und Priester,
der bis ins 13. Jahrhundert eine
kirchliche Bedeutung hatte. Der
Mrtskamm wurde vor der Messe
zum Ordnen der Haare gebraucht,
der Konsekrationskamm nach der
Salbung der Bischöfe. Er wurde
sorgsam aufbewahrt und dem Träger
ins Grab mitgegeben.
Kau im er boten, siehe Miss! do-
rn in iri.
Kämmerer, siehe Hofomier.
Kammersrericbt . kaiserliches.
Ein oberstes Gericht, das Hqfgeric&f,
bestand unter der Leitung der Pfalz-
grafen (siehe diesen Art.) schon am
merowingischen Hofe; später ver-
schwind« t der Pfalzgraf, und das
Königsgericki blieb unter des Königs
eigener Leitung. Als die Rechts-
verhältnisse sien allmählich locker-
ten, gelangten neben dem Hofge-
richt in den Reichsvogteien einzelne
Schöffengerichte angesehener Städte
zu besonderem Ansehen, indem sie
zu Obergerichten für bestimmte an-
dere Städte und Ortschaften erhoben
wurden: das war der Fall bei den
Schöft'enstüblen zu Frankfurt. Aachen
und seit dem 14. Jahrhundert na-
mentlich zu Rofftrrif, dessen Ge-
richt den Namen kaiserliches Hof-
gericht annahm. Es bestand bis in
die letzten Zeiten des Reiches und
erstreckte seine Gerichtsbarkeit über
einen grossen Teil von Süddeutsch-
land, doch so, dass fast alle vor-
nehmeren Reichsstädte davon exi-
miert worden waren. Das Amt des
Hofrichters war bei den Grafen zu
Sulz, später bei den Fürsten von
Schwarzenberg erblich geworden.
Dieser oder sein Stellvertreter hatte
elf Beisitzer, teils von Adel, teils
Rottweilische Ratsverwandte.
Für das eigentliche Königs- oder
Hofgericht setzte Friedrich II. 1235
einen Hofrichter ein, jus/iciarirs
curiae, welcher den Hof begleiten,
täglich anstatt des Königs Gericht
hegen und mindestens ein Jahr lang
im Amt bleiben sollte. Wichtigere
Sachen aber, namentlich wo es
Fürsten oder anderen hohen Herren
an ihren Leib. Recht, Ehre oder
Vermögen ging, blieben dem Konif e
persönlich, mit Zuziehung von Für-
sten als Urteilern, vorbehalten, oder
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Kannen. 473
sie wurden, nach seinem Auftrag«*, fanden jedoch nur noch einigemal
vom Pfalzgrafen vom Rheine ge- ausserordentliche Visitationen statt,
leitet. Nun konnte man sich aber Vgl. Frank/in, Das Reichshofgerieht
unter Umstanden statt an den Hof- im Mittelalter. 2 Bde. Weimar
richter und das Hofgericht an den 1869. Barcketcitz, Das Königsge-
KaiBer selbst und seine Kammer rieht zur Zeit der Merowingcr und
v enden, und nachdem während der Karolinger. Leipzig 1881.
Verwirrungen des 15. Jahrhunderts ! Kannen. Die grosse Mrs.*kanne,
von den Fürsten wiederholt Klagen lat. ama, urcevs, war ein Sammei-
gegen das Hofgericht laut gewor- fcrup , aus dem der Subdiakonus den
den waren, setzte endlich Fried« Wein in die kleinen Mcsskännchen
rieh III. 1471 ein bleibendes Kam- schüttete, aus welchen ihn der Dia-
mergerivht ein. bestehend aus einem kon in die Kelche goss. Daneben
„Kammerrichter mit einer zimlichen kennt man auch die Gie*xkanneu%
Zahl erbaren, redeliehen, beisitzen- welche dem Priester das Wasch-
den Urteilen»", und zwar ohne wasser auf die Hände träufelten,
festen Sitz, an welches unter dem Die Form der Kannen war weniger
Namen des kaiserlichen Hof- und genau bestimmt als die der Kelche,
Kammergerichtes appelliert werden und während die erstgenannten wo
konnte. Dieses Gericht wurde 1495 möglich ebenfalls aes Silber oder
zumkniserlirhen oder lieichskammer- Gold gemacht wurden, bestanden
gerieht erweitert. Dasselbe wurde die letzteren hauptsächlich aus
zu Frankfurt eröffnet, dann bald da, Bronze, Zinn oder Glas und erhiel-
bald dort gehalten, einigemal aus ten mit Vorliebe Tiergestalt I Löwen,
Mangel an Unterhalt in Stillstand Drachen, Greifen, Vögel); oft stell-
gesetzt, 1517 in Sneier versammelt, ten sie auch Reiter dar. Der Rücken
durch Reichsbeschluss 1530 dort für trägt gewöhnlich einen Henkel, in
immer fixiert, aber nach der Ver- Mund oder Stirn steckt das Aus-
brennung der Stadt durch die Fran- gussrohr. So dürfte der „silberne
zosen 1689 in Wetzlar 1693 wieder Reiter", den nebst vielen goldenen
eröffnet. Die 16 Urteiler, zur Hälfte Gefassen und Geräten der Erzbischof
Rechtsgelehrte, zur Hälfte vom Adel. Bruno von Köln hinterlies, nur eine
wurden zuerst vom Kaiser mit dem solche Giesskanne gewesen sein.
Reichstag gewählt, dann mit der Bronzene Kannen trifft man aber
Zeit auf 41 vermehrt und ihre Prä- schon unter den altheidnischen Grab-
sentation seit 1507 unter die Kur- funden, was auf deren Gebrauch
fürsten, den Kaiser für seine Erb- beim Götterkultus schliessen lässt,
lande und sechs Kreise verteilt, und es dürfte ihre Einführung in
Aus Mangel an Besoldung stieg die der christliehen Kirche, wie so manch
wirkliche Zahl nicht über 17. Der andere Handlung und Sitte der-
Kammerriehter, der ein Fürst, Graf selben, auf ureinheimischer Uber-
oder Freiherr sein musste, wurde lieferung beruhen. Daneben war
vom Kaiser gewählt. Die erste auch die Kannenform gebräuchlich,
Kammergerichtaordnung stammt aus so namentlich auch für die Tauf-
dem Jahre 1495, die vollständig er- und Messkannchen, die oft mit bibli-
neuerte, von Karl V. vorgelegte, sehen Bildern und Insignien (Kreuz,
aus dem Jahre 1548, publiziert 1555. Lamm, Taube) verziert und mit
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung Vorliebe aus Glas gefertigt wurden,
war eine jährliche Visitation durch damit man von aussen ihren Inhalt
eine aus kaiserlichen und reichs- unterscheiden könne. Waren die
ständigen Kommissarien gemischte Kännchen metallen, so bezeichnete
Deputation vorgeschrieben; seit 1588 mau sie mit einem V ivinum) oder
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474
Kanone. — Kanoniker.
mit einem A (aqua). Beide Kannen Schweigens auf, das nur im Falle der
hatten schon früh eine gemeinschaft- Notwendigkeit zu unterbrechen ge-
liehe Schüssel als Untersatzteller, stattet war, und üherlicss dem Bischof
Natürlich blieben auch die Formen oder Ordensoberu die Bestimmung
der Kanm-n. wie die der Kelche, für den Unterhalt der Ordensbrüder
nicht immer dieselben. Namentlich aus einem Teile der Stiftsgüter und
waren es die Füsse, Knäufe, Henkel, Zehnten, gestattete jedoch dem ein-
Deckel und Ausgüsse, die oft phan- zelnen Eigentum zu besitzen,
tastieh herausgebildet wurden. Nach Karl der Gr. bestätigte die Regel
Weiss, Kostümkunde. Chrodegangs auf dem Kouzil zu
Kanone, siehe Artillerie. Aachen 78y, und Ludwig der Fromme
Kanoniker hiess ursprünglich vermehrte und erweiterte sie auf
jeder Geistliche, der in den Kanon dein Konzil zu Aachen 816. Die
oder die Matrikel einer Kirche ein- Kanoniker bildeten nun eine geist-
getragen und zu Einkünften daraus liehe Korporation, und namentlich
berechtigt war, zum Unterschiede entstanden an den Dom- und Kolle-
von solchen Geistlichen, die nur an giat- d. h. den nicht bischöflichen
Kapellen fungierten. Schon zu Augu- Kirchen Monasieria Canonieorum\
stins Zeiten lebten viele Geistliche, jene hiessen Canonici cathedrahsy
ohne gerade in eine klosterliche Ver- Domherren, mhd. tuomherren. diese
einigung zu treten, nach einer all- Canonici collegiale*. Die Domherrn,
gemeinen, vor den Weltgeistliehen auch Stiftsherren oder Kapitularen
sie auszeichnenden Nonn. Canon; genannt, bildeten als geistliches
ihr Name war Canonici, ihre Lebens- Kollegium das Domkapitel .
weise Vita canonica. Sie lebten j Seit dem 10. Jahrhundert fing
nach geistlichen Kegeln, legten kein wie in den grossen Klostern aueh
Mönehsgelübde ab, kamen täglich in den Domkapiteln, welche nun
in ihrem Münster zusammen , hielten regelmässig dem höfischen oder
Kapitel. Capifnfa, unter dem Vor- adeligen Stand angehörten, das ge-
sitze ihres Bischofs, beschäftigten meinsame Leben an aufzuhören;
sich mit wissenschaftlichem Unter- die für das Munster bestimmten
richte, assen und sehliefen Elisa in- Einkünfte der Kirche, Zehnten,
inen. Dieses Institut der Vita ca- Pfarreien und ein Teil der Ein-
nonica neu eingeführt und damit nahmen des Bischofs wurden, zu-
der zerfallenen geistlichen Zucht , erst in Köln 853, den Kanonikern
aufgeholfen zu haben, ist das Ver- ; ab Stiftsgut überwiesen und dienten
dienst Chrorfeqa <hjs . Bischofs von nur zum Teil noch für Zwecke der
Metz, gest. Tü.*i oder 76»i. In seiner Gemeinschaft, sonst aber wurden
aus 32 Kapiteln bestehenden Regel sie auf die einzelnen Kapitelstellen
gebot er das gemeinsame Leben als selbständige Pfründen repartiert,
unter der unmittelbaren Aufsieht Seit dem 12. Jahrhundert fügten
des Bisehofs, verordnete die drei I sich hier und da nach dem Befehle
gewöhnlichen Klostergelübde der der Kirche einzelne Domkapitel der
Armut, Keuschheit und des Gehör- Wiedereinführung des gemeinsamen
sams. befahl fromme Übungen selbst Lebens und kehrten zu des heil.
in der Nacht nach der Folge der i Augustinus Stiftung (Augustiner-
kanonischen Stunden, wies jeden regelt zurück, nahmen auch etwa
Geistlichen an. täglich zum Kapitel Mönchsregeln, namentlich die V-Vv-
zu kommen, in welchem ein Ab- monsfrafenser - Hegel an. welche
schnitt der Ordensregel, Caja'in/mn selber aus einer Verschärfung der
rrqufae, vorgelegen werden sollte, Augustinerregel hervorgegaugenwar,
legte die Beobachtung des Still- und hiessen dann reagierte Chor-
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Kanonisches Recht. 475
Herren oder Canonici reguläre*, im den eigentliche n Xonuen, zur freieren
Gegensatz zu den der Kegel der Verbindung der vita canonici! zu-
Weltgeistlichen angehörenden Ca- sammentraten. Auch diese Institute
nonici seculares. Die letztem» waren sind mit der Zeit adelige Stiftungen
nicht eiumal stets Kleriker. Immer geworden.
mehr gelang es ihnen, den Bischöfen Kanonisches Kechtsbueh. In
gegenüber «'ine unabhängig«'StelIung den ersten drei Jahrhunderten be-
zu erringen, sie lebten von ihren zeichnete Kanon die teils auf christ-
reichen Pfründen als Herreu und lieber, teils auf mündlicher t'ber-
überliessen die geistlichen Funktio- liefermur beruhende Richtschnur für
neu gemieteten Vikaren. Es nützte das Leben der gesamten Kirche,
wenig, dass die Kirche gegen diesen Als die Synoden «lie Hauptträger
Missbrauch auftrat , und z. H. das für die Entwickeluug des kirchlichen
Basler Konzil verlangte, dass die Lebens geworden waren, und nament-
HälitederDotnherrcnstelleuMännern lieh die allgemeinenSynoden. wurden
von wissenschaftlichen und kirch- die Bestimmungen di»'s«raueh<'<f//a/<?.f
liehen Verdiensten zugewiesen würde, genannt. Mit der Ausbildung und
In vielen Domkapiteln wurde es ge- Entwickelung des Primates der rö-
setzliche Bestimmung, dass nur mischen Bischöfe wurde der Begriff
solche Adelige als Domherren auf- Kanon auf die Sendschreiben dieser
genommen werden sollten, die acht oder «lie Dekretalen übertragen, un«l
bis sechzehn Ahnen nachzuweisen endlich nach dem Sprachgebrauch
hätten; auch wurde allmählich seit des Mittelalters jede Kirchliche Be-
dem 16. Jahrhundert die Zahl der Stimmung mit dem Ausdruck Kanon
Domherren fest bestimmt, die Ka- bezeichnet, im Gegensatz zur bürger-
pitel wurden Cajafula dan*a. Im liehen /r.r, Gesetz.
Gegensatz zu deu eigentlichen Dorn- Die ältesten Sammlungen kirch-
herren oder den Canonici majore* lieber Verordnungen, namentlich
nannte man jetzt die Exspektanten von Konzilienbeschlüssen, sind in
Canonici minores oder Lh>miecllare*\ griechischer Sprache abgefasst; von
man forderte von ihnen ausser dem ihnen besass die abendländisch«'
Adelsnachweise ein Alter von min- Kirche schon im 5. Jahrhundert
destens 14 Jahren, die Fertigk«it lateinische rbersetzungen, von denen
lateinisch zu lesen un«l zu singen drei besonder«' Geltung erlangten:
und die Abhaltung eines Prob« Jahres 1. die sogenannt«' spanische oder
im Kirchendienst. An der Spitze isidorische, die lange Zeit fälschlich
der Kongregation stan«l, der Kloster- «lern Isidor von Sevilla zug«'schri«'ben
Verfassung entlehnt, ein ]Jracj>ositns, wurde: 2. die wahrscheinlich in
dem ein besonderer Aufseher der Italien verfasste rersio oder frans-
Schule, Scholii stier* , ein Dirigent \ IcUio urisca, und 3. di«- Sammlung
des Chortfesanges, IVitnicerius o«l«*r des Mönches Dionysius exiontts; die-
Cantor, der Custos, der Thtsaurar selbe kam in der römischen Kirche
oder Sacrisfa. der Ceflarius und der allgemein in Gebrauch und erhielt
Por/ariu* untergeben waren; später unter Karl dem Grossen die Auto-
trat noch ein Decamts dazu. „Schwartz rität eines offiziellen Codex canomun.
dick und ein scheplcr tragen sy Mit Zugrundelegung dieser Ältesten
umb den arm gemeiuklich geschlagen Sammlungen entstanden bis ins 12.
und seind halb Münch halb Pfaffen." Jahrhundertiuden einzelnen Ländern
sagt Sebastian Frank. mit der Zeit zahlreiche neue Koinpi-
In das 8. oder 9. Jahrhundert lationen, welche «len Zweck hatten,
verlegt man den Ursprung der Ca- das in den früheren Werken zer-
noni**ae, welche, im Gegensatz zu stn'ute Material iu Verbindung mit
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476
Kanonisches Recht
neueren kirchlichen Satzungen zu gesetzgeberische Thätigkeit der auf
einem übersichtlichen und dem prak- der Hohe ihrer Macht stehenden
tischen Bedürfnisse entsprechenden Päpste ein neues ausserordentlich
Ganzen zu vereinigen. Gegenüber roiehrs kirchenrcehtliches Materini
den alteren kompeudiösen und meist hervorbrachte, welches die bi-hcrige
nur lokalen Interessen dienenden Disziplin vielfac h modifizierte und
Sammlungen sind die späteren weiter entwickelte, Hess das Werk
grossenteils von bedeutenderem Um- Gratians bald als antiquiert und
Fange und von der Art, dass sie unvollständig erscheinen und rief
über die Diöcese hinaus, in der sie ilas Bedürfnis neuer Sammlung« n
entstanden, benutzt werden konnten: hervor, welche, da sie fast ausdrück-
dahin gehören u. a. die Sammlungen lieh päpstliche Sendschreiben und
des Abtes Rtniuo vom Prüm. gest. unter päpstlicher Autorität abtre-
915, des Bischofs Ihirrfund von fasste Konzilienbeschlüsse enthiel-
Wurms um 1220, des Bischofs Im ten. meist Colin tionrs ilrcretalh-m
von Chartreil gest. 1117. Immer genannt wurden. Die fünf wichtig-
blicb jedoch das Bedürfnis einer sten dieser Sammlungen liess Gregor
Sammlung, welche mit Beseitigung IX. im Jahre 123<j durch seinen
des unbrauchbar gewordenen das- Kapellan und Pönitentiar Raumuml
jenige zusammenstellte, was bleiben- ron t'ennafurte in Verbindung mit
den praktischen Wert besass und den Gregorianischen Dekretalen nach
namentlich die vielfachen Wider- einem verbesserten System in eine
Sprüche vereinigte. Eine solche Sammlung verarbeiten, welche d< n
Sammlung bewerkstelligte (l ratio n. Xamen DecrefoNutH Qretforii J.X.
wahrst heinlichKamaldulenser-Mönch comtrifatio trägt und sowohl auf den
im Kloster St. Felix zu Bologna. Universitäten wie in der Praxis ein-
um die Mitte des 12. Jahrhunderts: geführt wurde. Nachdem die folgen-
sie trägt meist den Xamen Deere- den Päpste neu<lings kirchliche Ge-
tum (iratiani. Dieses Werk, durch setze als Xachträge und Anhänge
welches die älteren Sammlungen zur vorigen Sammlung publiziert
verdrängt wurden, erschien zu der hatten, liess Papst Bonifazius VII.
Zeit, wo Bologna der Mittelpunkt dieselben in Verbindung mit seinen
der berühmten Rechtssehule war; eigenen zahlreichen Briefen neu« r-
die Methode der Lehrer und Gkssa- dings zu einem Ganzen ausarbeiten
toren des römischen Rechtes wurde und veröffentlichte diese Sammlung
Vorbild und Muster für die wissen- 1298 unter dein Titel TJber /tejrtvs.
schaftliche Behandlung des Gratia- weil durch sie die fünf Bücher d« r
nischen Dekretes, und Gratian selbst Dekretalen Gregors IX. ergänzt
hielt zuerst Vorträge über sein Werk werden sollten. Die letzte offizielle
und wurde dadurch der Begründer Sammlung kanonischerRechtsquellen
einer neuen Schule der Kanonisten stammt von Clemens J'. aus dein
oder Dekretisten. Dadurch wurde Jahre 1313 und trägt den Kamen
die Sammlung in den weitesten Constitutione Clementtnae. Mit ihnen
Kreisen bekannt, und die Päpste schliessen die offiziellen Dekretalen-
selber benutzten und citierten sie Sammlungen ab. Das erschüttert»'
in ihren Dekretalen, ohne dass sie Ansehen der Päpste, die seit dem
zwar von irgend einem Papste aes- 14. Jahrhundert sich steigernden
drücklich bestätigt oder nls authen- Kämpfe derselben mit der welt-
tischer Kodex der Kirche angenom- liehen Gewalt und einzelnen Natio-
men worden wäre. Der Umstand, nalkirchen Hessen den Erfolg der-
dass das Deeretvm (Iratiani in artiger Unternehmungen als proble-
eine Zeit fiel, wo die fruchtbare inatisch erscheinen und nahmen die
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Kanzel. — Kauzler.
477
Thätigkeit der Päpste für andere aua den Episteln bestimmt war.
Zwecke in Anspruch. Bedeutende
Dekretaleu wurden vorläufig nur
noch einzeln verbreitet und von den
Lehrern des kanonischen Rechtes
kommentiert; erst durch Johannes
Chappuis wurden sie ebenfalls ge-
s
Aus den Ambonen entwickelte sich
mit den ersten Anfängen der Gotik
der Lettner, lectorium, eine Quer-
bühue zwischen Chor und Schiff,
die gewöhnlich aus drei nebenein-
ander befindlichen Gewölbejochen
ammelt, iu zwei Teile geteilt und [ Instand und vorwärts und rüek-
als Extravaganten, d. h. Einzel- i wärts von reichgeschmückten Bogen-
geheude, im Jahre 1500 zuerst den , Stellungen getragen wurde. Auf
Clementinen beigefügt. dem Lettner selbst befand sich eine
Schon im 12. Jahrhundert wurde schmale Empore, auf w elcher ge-
Gratians Dekret Corpus juris cano- . wohnlich ein Lesepult errichtet war,
niei genannt, nicht minder hicss die die Kanzel, deren Name aus lat.
Gregorianische Sammlung früh Cor- \cancelli stammt, d. i. das Gitter-
pus juris; so ist iu den Akten der | werk, umgitterter Kaum. Während
Konzilien des 15. Jahrhunderts öfters dieses Lesepult in Deutschland noch
vorn Cor/ms juris, Jus scriptum. Jus im 14. Jahrhundert zum Abhalten
commune die Rede. Anfangs sind der Predigt benutzt wurde, trennte
die Sammlungen, aus denen das- man iu Italien zu Gunsten der
selbe besteht, nur einzeln ge- predigenden Bettelmöuehe die Kanzel
druckt worden, das Gratianisehe oder den h'itJi<itsluhl schon im 13.
Dekret in Strassburg 147 1 , die Gre- Jahrhundert von dein Lettner und
gorianisehen Dekretaleu zuerst in \ errichtete ihn zuerst in der Nähe
Mainz ohne Angabe des Jahres, eine des letzteren, dann an einem Pfeiler
folgende 1473 ebendaselbst bei Peter au der Nord- «.der Sudseite des
Scliöffer, der Liber sextus in Mainz Mittelschiffes al> selbständige, auf
1445 bei Job. Fust und P. Schöffer, Säulen ruhende Empore. Die Gotik
die C'lemeutinae bei denselben 1460. gab der aus Stein- oder Sehuitzwerk
Im 16. Jahrhundert wurden diese gebildeten Kanzel eine vieleckice
einzelnen Teile, seit Chapnuis mit Form, die unten von einer Säule,
den Extravaganten vermehrt, ge- von einem Kragsteine, später auch
wohnlich von derselben Offizin in von einer Mensehen- oder TiergesUdt
drei Bänden herausgegeben, deren getragen wird, und über der ein
erster das Dekret, d«~r zweite die
Dekretaleu Gregors IX. und der
dritte das übrige umfasste. Erst
seitdem mau in der zweiten Hälfte
des 16. Jahrhunderts alles in einem
pyramidalisch gekrönter Baldachin,
Sehalldeckel, Kanzelhuuhe genannt,
angebracht ist. <Hte, Archäologie,
§ 46.
Kanzler. Unter den merowin-
Bande zusammeufasste, findet sich gischen Königen war es der aus
aueh der Gesainttitel Corpus juris römischen Verhältnissen stammende
canonici. Wasserschieben in Herzogs referentlarius, der die Urkunden
Real-Encykl. des Königs ausfertigte und unter-
kanzel. In der altchristlichen schrieb, zu welchem Behuf ihm der
Basilika erhob sich rechts und königliche Siegelring übergeben war.
links vom Säugerchore, das vom Es ist unter den weltlichen Hof-
Chor her in das Langhaus hinein- ämtern eines der einflussreichsteu,
reichte, rittlings auf der Balustrade da es dem Inhaber Sitz und Stimme
eine Kanzel, Ambo genannt, deren im königlichen Hat und Gericht
eine auf der Nordseite befindliche erteilte. Es gab ihrer wie der
zum Verlesen der Evangelien , die übrigen Hofämter mehrere zugleich,
ander- gegenüber zum Vortrage die Konigin hatte einen besonderen
uigmzeo
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478 Kapelle.
für sieh. Seit Pipin und Karl dem um derenwiüen er das Siegel be-
G rossen heisst der Beamte, dem die wahrte.
Ausfertigung and Besiegelung von Übrigensbestand neben demeigent-
Urkunden zukommt, regelmässig liehen Kanzleramt das dcsErzkanzlers
Kauzler oder Satarx es giebt ihrer und Erzkapellans fort und zwar meist
auch jetzt noch mehrere, die zum in den Iiiinden der Erzbisehöfe von
Teil zu Botschaften verwendet wer- Mainz, Trier und Köln: für Italien
den. Erst unter Ludwig dem From- und Burgund gab es eigene Kanzler:
men tritt unter ihnen als erster ein später blieb die Erzkanzlerwürde
oberster Notar (»der Erznotar, ]>,■»■ in Germanien an den erzbischöflichen
tonolariut, $utnmus notariit* des Stuhl in Mainz geknüpft, der dann
kaiserlichen Palastes auf. der unter den eigentlichen Kanzler als seinen
LudwigsSöhiien.«u»//>/H*r<fKce/&w*Mi#, Vizekanzler ernannte, jedoch die
oberster Kanzler heisst. Fast immer Vorbereitung und LeitungderReichs-
war es jetzt ein Geistlicher, ein geschürte und Keichsverhandlungeu
Abt eines Klosters oder sonst ein in eigener Ilaud behielt. U'aifz,
Mitglied der königlichen Kapelle Verf.-Geseh.
isiehe diesen Artikel i, die jetzt über- Kapelle, Königliche Kapelle,
haupt in nahe Beziehuni; zur Kanzlei Kaplan. Kapellen oder Oratorien
gebracht wurde. Doch erhalt die sind gottesdienstliche Gebäude, wel-
letztere erst allmählich eine be- che bloss zum Gebete oder zum
stimmten' Ordnung, und die Aus- Privatgebrauche bestimmt sind. In
drücke Notar, Erzkaolan und Erz- altchristlicher Zeit war das haupt-
kanzler wechseln noc h längere Zeit, sächlichste unter den kirchlichen
Erst seit Lothar gab es regelmässig Nebengebäuden die Taufkapell*)
mir einen Kanzler, der meist nur Tiaptixteriutn. welche aus einem Vor-
die Urkunden unterschrieb; verfasst gemache und «lern Hauptraume mit
und gesehrieben wurden sie von dem Wasserbecken, pisrina, bestand
untergeordneten Kanzleibeamten, und in der Nähe der Hauptkirchen
Mit der Kanzlei waren oft andere errichtet war. Der Hauptraum war
geistliche Stellen verbunden, nament- gewöhnlich von runder oder acht-
lich die Propstei des Marienstiftes eckiger Grundform, und die innere
zu Aachen. Oft verwaltete ein Einrichtung des regelmässig dein
Bischof das Kanzleramt, das über- Täufer Johannes gewidmeten Ge-
haupt eine Staffel zu den höchsten bäudes erinnerte ebenso an die gleich-
Ehren des Reiches war; denn es namigeu Schwimmteiche in den an-
hatte durch die Männer, die ihm tiken Bädern, wie die Grundform
vorstanden, und den Einrluss, den an die antiken Grabmäler. Solche
diese übten, eine viel wichtigere Taufhäuser befanden sich nur an
Bedeutung erlangt, als die formelle den bischöflichen Kathedralen, mit
Leitung der Kanzlei mit sich ge- denen sie durch einen Säulengang
bracht hätte. Die Kanzler waren verbunden waren; denn das Tauf-
die regelmässigen Begleiter des recht stand in älterer Zeit bloss den
Königs auf seinen Zügen und WUT- Bischöfen zu. Erhalten ist auf
den durch das Vertrauen desselben deutschem Boden keines; doch er-
zu allen bedeutenden Angelegen- innern verschiedene in der Näbe
heiten beigezogen, von Kathedralen erbaute, zum Teil
Jede Lrkunde des Königs war erat in neuerer Zeit abgebrochene
an bestimmte Formen gebunden und Nebenkirehen, welche dem Johannes
bedurfte der Beglaubigung durch Baptista geweiht sind, an das ehe-
den Kanzler, wie der Besiege- malige Vorhandensein von Bapti-
lung, die von ihm abhing und sterien, so in Mainz, Worms, Speier,
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Kapelle.
479
Strassburg, Augsburg, Regeusburg.
Als besondere Bauwerke sind ausser-
dem Baptisterieu bei der Abtei-
kirehe zu Fulda, und in späteren Um-
bauten vorhanden bei den Münstern
zu Aachen und Essen.
Verwandt mit den Baptisterien
sind die häutig dem Erzengel Michael
gewidmeten runden oder vieleckigen
(irabkapellen auf Kirehöfen. als
Nachbildungen der Rotunde über
dem heiligen Grabe zu Jerusalem:
das älteste Beispiel davon ist dir
Michaeliskirehe zu Fulda, welche
820 nach dem Plane des in Jeru-
salem gewesenen Rabamis Maurus
einrichtet wurde; auch die vom heil.
Konrad (035 bis 971) zur Erinnerung
an seine Pilgereise nach Jerusalem
am Dom zu Konstanz errichtete
Grabkapelle ist erhalten, wie manche
andere ähnliche Bauten, namentlich
in Österreich.
Eine besondere Gattung der Ora-
torien bilden die Burffkappeflen;
sie sind, mit den Btets im zweiten
Stockwerk gelegenen herrschaft-
lichen Wohnräumen in Verbindung
stehend, gewöhnlich ebenfalls im
Obcrgeschoss angelegt. Manche
Burglapellen sind jedoch als Lhppef-
kapellen gebaut und bestehen aus
zwei überwölbten Stockwerken; das
Obergeschoss ist dann stets der
höhere und reicher verzierte, oft
mit Säulen aus edlem Gestein aus-
gestattete Hauptraum, während das
zur Grabstätte und zum Toten-
dienste bestimmte Erdgesehoss nied-
riger und einfacher gehalten ist:
eine vergitterte oder mit einer
Brüstungsmauer versehene, im Fuß-
boden der Oberkapelle befindliche
Öffnung gestattet den Einblick auf
die Gruft.
Der Name Kartelle wird von dem
Mantel des heil. Martin von Tours,
der cappa Sanofi Martini abgeleitet,
einem angesehenen Heiligtum der
merowingiseh-fränkisehen Könige ;
sie heisst ihrer Kleinheit wegen
capella, mit welchem Wort man
ebenso den Ort benannte, worin die
eappa Saudi Martini aufbewahrt
war. Besondere Geistliche, Kapel-
laney mussten sie hüten und im
Krieg und Frieden überallhin dem
Könige nacht rasen. Karl der Gr.
erbaute ihr au der Pfalz zu Aachen,
seine Nachfolger auch an anderen
Orten eine eigene Kirche zu diesem
Zwecke. Der erste der an dieser
Kapelle angestellten Kapellane er-
hielt unter Pipiu und seinen Nach-
folgern eine besonders angesehene
und einflussreiche Stellung; er wurde
als der Nachfolger des einstigen Vor-
stehers (»der Abtes des königlichen
Oratoriums betrachtet. Er hiess
Erzpriester, arekipresbjfter, auch cos-
Im rape/lae oder pa/afii, archirapt!-
lanti.t. Unter seiner Obhut standen
alle kirchlichen Handlungen, die am
Hofe vorkamen, er segnet*1 Mittags
die Mahlzeit, er hatte die für den
Gottesdienst erforderlichen Geräte,
Schmuck und die andern hier leben-
den Geistlichen zu beaufsichtigen.
Ausserdem war ihm dieSorge für aTies,
was mit den geistlichen Angelegen-
heiten zusammenhing, übertragen;
Wünsche uud Anliegen der Geist-
liehen.Streitigkeiten derselben kamen
zuerst an ihn und durch ihn an den
Kaiser. Es war deshalb ein hohes
Amt. dessen Einrluss später noch
dadurch erhöht wurde, dass der Erz«
kaplan die kaiserliche Kanzlei zu
leiten hatte, wahrscheinlich aus dem
Grunde, weil in der Kapelle wich-
tige Urkunden aufbewahrt zuwerdeu
pflegten, vielleicht überhaupt das
Archiv hier seinen Platz hatte und
weil überhaupt immer Geistliche zu
Kanzlern genommen wurden. Die
Königin hatte ihren eigenen Kaplan,
und überhaupt waren stets mehrere
Geistliche an der Kapelle bethätigt ;
es galt dieser Dienst als ein Weg,
um zu höheren Stellen in der Kirche
zu gelangen. Ihr Einfluss wuchs
mehr und mehr; durch Hat am
Hofe, durch Teilnahme an den all-
gemeinen Versammlungen, durch
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4 SO
Kapuziner.
Reichtum uud Macht in den einzel-
nen Provinzen, denen sie ange-
hörten, standen sie voran unter den
Grossen de.** Reiche*. An der könig-
lichen Kapelle suchten ältere wie
jüngere Männer Aufnahme. Zeit-
weise gab es hier für die Unter-
weisung derer, die in der Jugend
an den Hof kamen, eigene Lehr er.
Auch zu weltlichen Geschäften wur-
den die Kapellane gebraucht, zu
Gesandtschaften und in kriegerischen
Angelegenheiten, und es wurde ge-
klagt, dass ein weltliches und seiost
leichtfertiges "Wesen unter ihnen
Platz greife. Die strengere aske-
tische Richtung der Kirche klagte
namentlich die Kapelle als eine
Pflanzschule der Simonie an. In
jedem Falle war die Kapelle die
Prlanzschule des Episkopates, und
wenig«- Bischöfe sind nicht eine Zeit-
lang Mitglieder der königlichen Ka-
pelle gewesen.
Wie bei den übrigen Hofämtern,
su ging auch das Amt des Hof-
l-apcUan» mit der Zeit an die klei-
nereu Höfe derHerz« ige. Herzoginneu,
Markgrafen und Grafen über; es
fehlte überhaupt an keinem fürst-
lichen Hofe und war oft in grösserer
Anzahl vorhandeu. Sie gehörten
hi«*r zum „Hofgesinde" und waren
meist die vertrauten Ratgeber ihres
Herrn. Sie besassen eigene Frei-
heiten, z. B. in Bayern das Recht,
mit einem Gefolg«' von vier bis
sechs Personen bei Hof zu erschei-
nen; der oberste Hofkaplan hatte
hier bei Tafel den nächsten Sitz
am Herzog. Oft war der Burg-
kaplan das einzige Mitglied des
Hofgesindes, das schreiben und lesen
konnte, er lass dann die eingehen-
den Briefe, schrieb die Antworten,
fertigte Urkunden, unterwies die
Kinder, repräsentierte überhaupt die
Belehrte Bildung auf der Burg. Über
ie Architektur der Kapellen Otie,
Archäologie und Schultz, Höfisches
Leben, Absehu. I; über die könig-
liche Kapelle Wailz, Verf.-Gesch.
Kapuziner sind aus einer Ver-
zweigung dea Franziskanerordens
hervorgegangen. Ihr Urheber ist
Matthäus von Bassi im Herzogtum
Urbino, der sich von einem Kloster-
bruder sagen liess, der heil. Franzis-
kus habe eine andere Kapuze ge-
tragen, als bis dahin geglaubt und
von den Franziskanern angeuom-
rnen war. Er entfernte sich infolge
dieser wichtigen Entdeckung aus
seinein Observantenkloster Monte-
I falconi und erschien 1526 in Rom
vor Clemens VII., der ihm gestattete,
mit seiner pyramidalen Kapuze und
seinem langen Barte als Einsiedler
zu leben und überall zu predigen,
wenn er sich nur alljährlich in dem
Provinzialkapitel der Observanten
vorstellte. Nach vielen Streitigkeiten
j mit den Franziskanern gab ihneu
Clemens VII. am Ii*. Juli 152^ eine
Bulle, welche sie als besondere Kon-
gregation bestätigte, von den Ob-
; servanten befreite und den Konven-
tualen unterordnete, das letztere üi-
sofeme, als sie nur einen General-
vikar haben durften, sich Visitationen
von den Konveutualeugefalleu lassen
mussten und bei Prozessionen nur
unter dem Kreuz»- der Kouventualen
oder der Pfarrgeistlichkeit gehen
durften. Seitdem sie nun frei mit
ihren lang zugespitzt«'!! Kapuzen
prangen durften, wurden sie von
den Leuten Capuzini, Kapuziner-
männchen, gescholten, ein Titel, der
1536 ausdrücklich anerkannt wurde:
sie hiessen jetzt CapucuU ordinis
fratrum minor um oder Fratres mi-
nores Capucini. Ihr erstes Kloster
war das von Colmenzono. In ihren
Statuten wurde verordnet, sie sollten
den Gottesdienst iu alter strenger
Weise halten, für keine Messe eine
Vergeltung nehmen, zwei Stunden
täglich stilles Gebet pflegen, während
des ganzen Tages mit Ausnahme
weniger Stunden Stillschweigen be-
obachten, das Geissein nicht ver-
gessen, weder Fleisch, Eier noch
Käse betteln, wohl aber das alles,
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481
wenn man es ungebeten giebt, an- rung in Amerika, Afrika und Asien
nehmen, nicht mehr erbetteln, als verdient. Seit dem Ende des 16.
für den Tajj nötig ist, nur auf drei, Jahrhunderts gab et» auch Kapu-
höchstens sieben Tage Vorrat sam- zinerinnen. Vogel in Herzogs Real-
meln und kein Geld anrühren. Die Encvkl.
Kleidung soll ünnlieh, grob und Karlssage. Schou sehr früh be-
eng sein. In der Regel sollten sie mäehtigte sich die Sage der Gestalt
barfuss gehen, sich nur ausuahms- Karls des Grossen, dessen ausser-
weise der Sandalen bedienen und ordentliche Kraft, Macht und Thätig-
weder zu Pferde noch zu Wagen keit schon den Zeitgenossen als von
reisen. Ihre Klöster sollen in der übermenschlichem Ursprung erschie-
erbärmlichstcn Weise aufgeführt nen. Man erkennt das unter andern
werden und in der Regel nur sechs aus den Aufzeichnungen, die der
biß sieben, höchstens zehn oder zwölf namenlose Mönch von St. Gallen,
Brüder beherbergen. Ausser dem Wonach us Sanqallenti*, auf Befehl
Generalvikar haben sie Provinzialen, Karls des Dicken verfasst hat; be-
Kustoden und Guardiane, die man sonders das Verhältnis Karls zum
alle Jahre neu wählt, nur der Ge- Orient und sein Zug nach Spanien
neralvikar steht drei Jahre im Amte, gaben der Einbildung Raum zu
Der Stifter und erste Generalvikar wunderbarer Ausschmückung. Die
Matthäus von Bassi blieb nur zwei Ausbildung eines zusammenhängen-
Monate im Amt. Grosses Ansehen den Saßencyklus geschah aber auf
besass anfangs der Generalvikar französuhem Boden , wo Karl dem
Bernhardin Occhim; als dieser jedoch sichallmählichentwickelndenroman-
in Genf zum Protestantismus über- tischen Rittertum neben Artus das
ging , wollte der Papst den Orden Ideal des ritterlich-christlichen Hel-
aufneben und verbot aen Kapuzinern denkönigs wurde; seine eigene Person
die Predigt. Nur die demütigst«* zwar trat in ähnlicher Weise wie
Bitte und Unterwerfung bewirkte bei Artus zurück und seine Pala-
1540 die erneuerte Erlaubnis der- dine traten in den Vordergrund,
selben. Seitdem erst kam der Typus namentlich Roland, von dem ge-
der Kapuziner zur scharfen Aus- schichtüch gar nichts anderes be-
prägung und blieben die grösste kannt ist, als sein Name und Ein-
Beschränkung von Genuss und Bil- hards Nachricht im Leben Karl,
dung und die absichtliche Verwahr- Kap. 9: es sei im Engnass der Py-
losung von Geist und Körper die renäen nebst vielen anderen gefallen
Grunazüge der Heiligkeit der Ka- Hruolandu* britannici Umitu prae-
puziner, welche nun seit der Refor- fectu», Roland, der Befehlshaber im
mation unter den niederen Volks- britischen Grenzbezirk. Als Haupt-
« klassen eine ähnliche Wirkung übten quelle der französisch-karolingischen
wie die Jesuiten unter den höheren Dichtungen gilt die Vifa Carofi
und höchsten Ständen. Ursprüng- magni et Kolandi des Turpin, wel-
lich auf Italien beschränkt, kam der che dem 11. Jahrhundert angehört;
Orden 1574 nach Frankreich, 1581 als bedeutendste Dichtung das Chan-
in die Schweiz, 1592 nach Deutsch- J son de Roland oder de Honceveaujr
land und zwar zuerst nach Inns- aus dem 12. Jahrhundert. Seitdem
brück. Seit 1619 erhielten sie end- in Deutschland Friedrich I. im Jahre
lieh eigene Generale und das Recht, 1165 die Gebeine Karls hatte er-
in Prozessionen unter ihrem eigenen heben und Papst Paschalis III. un-
Kreuze zu gehen; auch machten sie mittelbar darauf Karl heilig gc-
sich im Gefolge der Spanier und sprocheu hatte, wurde auch hier
Portugiesen um die Heideubekeh- Karls Name wieder volkstümlich,
Reallexlcün der deutschen Altertümer. 31
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482 Karmeliter.
und so i-t es erklärlich, dass bald eine Niederlassung und Genossen-
daranf zwischen 1173 und 1 IT" der schaff von Einsiedlern, wahrschein-
J'fajfe Kuitntd, ein Weltgeistlicher, lieh eine Nachbildung der in Kaia-
das genannte französische Gedieht hrien heimisch gewordenen Kar-
zuerst in lateinische, diinn in deutsche tauser. Um tlas Jahr 1 1 S5 hat
Verse brachte. Das Gedicht, ffuo« mau den Berthold noch dort gesehen,
lande* litt, wurde schnell beliebt; und seine Gesellschaft ergänzte und
man zierte die Handschriften mit vermehrte sich fortwährend aus
Bildern aus und überarbeitete es abendländischen Pilgern und ge-
später. So entnahm mau französi- staltete sieh ordensmässig. Broeard,
sehen Quellen auch eine Bearbeitung der zweite Vorsteher, suchte um
der Jugendgeschichte Karls, den die kirchliche Bestätigung nach
Karlmtinet, d.h. denkleinen Charte- und erhielt vom Patriarchen von
maiitf oder Caro/ns maffnu,*. Andere Jerusalem 1209 eine Kegel. Sie
Gedichte lehnen sich mehr ausser- besteht aus 16 Artikeln und schreibt
lieh an den Karolingischen Sagen- Gehorsam gegen die Oberen, Woh-
kreis an, wie König Ruther, welcher nung in abgesonderten Zellen, Er-
der Vater Pipins und Grossvater j richtung eines gemeins unen Bet-
Karls ist; Flure und Blansehtjtur, hauses, Abhaltung bestimmter Ge-
dic Eltern der Bertha, der Mutter bete, Armut, Handarbeit und für
Karls : die Gute Frau, deren Ge- 1 bestimmte Zeiten Fasten und Schwei-
mahl Karlmann, deren Söhne Karl gen vor. Im Jahre 123h verliess
und Pipin der Kleine sind. Zu den die Gesellschaft den Berg Karmel,
Helden Karls zählt der heilige 117/- wanderte zuerst nach Cypern aus,
heim ro,i Orange, den Wolfram von dann nach Sieilien, 1240 erschienen
Eschenbach bearbeitete, aber un- sie in England, 1244 in Südfrank-
vollendet hinterliess; Fortsetzungen reich; ihr erstes Geueralkapitel
hat man von Ulrich von Türheim hielten sie 1265 in England. Ein
und Ulrich dem Türliu. Zur karo- von König Ludwig dem Heiligen
lingischen Sage gehörten sodann 1251) in Paris errichtetes Karmeliter-
das niederdeutsche Gedicht Valentin kloster trug namentlich zur Ver-
»nd Xamefos, aus dem 14. Jahr- breituug des Ordens in Frankreich
hundert, und die aus dem Nieder- und Deutschland bei. Unterdessen
deutsehen in schlechtes Hochdeutsch hatte Inuocenz IV. im Jahre 1247
übertragenen Geschichten von Ma- auf die Bitte des Ordens Ände-
lagin, Reinhold von Montalhan und rungen in der Organisation vorge-
Off i er von Dänemark aus dem 15. nomnien, wodurch sich die Karme-
Jahrhundert; sodann die aus dem liter den Bettehnönehen nahem
Französischen übersetzten Romane sollten. Die Tracht hatte anfang-
von Lother und Maller, die vier lieh aus weiss und schwarz (oder
Jiaimonskinder. Kaiser Oktavianus. braun) gestreiften Mänteln nach
WadeernageL Litteratur, S. 57. Die dem vorgeblichen Beispiele des Elias,
französische Sage ist kritisch unter- bestanden; jetzt nahmen sie die
sucht bei Oastoii Paris, Histoire Dominikanertraeht an, nur dass sie
pottifjue du Charlemagne. Paris 1*65. Schwarz für den Rock, Weiss für
Karmeliter. Ein gewisser Bert- den Mantel bestimmten. Dazu kam
hold, der im 12. Jahrhundert aus das aus zwei Streifen von grauem
Kalabrien auf einer Wallfahrt oder Tuch bestehende Skapulier, das
einem Kreuzzuge nach Palästina Maria selbst vom Himmel herabge-
gekominen war, gründete auf dem bracht haben und welches alle, die
Berge Karmel da, wohin die Sage es hier im Leben tragen oder doch
den Wohnplatz des Elias verlegt, wenigstens darin sterben, selig
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Kartfiliser-Orden.
483
machen sollte, indem Maria alle
Sonnabende in das Fegfeuer käme,
um die Betreffenden daraus abzu-
holen. Infolge dieser 1287 aufge-
kommenen Erfindung machten die
Karmeliter ihr Glück, und es ent-
Btand eine Skapulierbrüderschaft,
welche ohne ein Ordensgelübde eine
grosse Menge von Laien dem Kar-
inelitcrorden affilierte. Den Do-
minikanern machten die Karmeliter
die Erfindung des Rosenkranzes
streitig, sie setzten der Portiunkula-
kirche der Franziskaner das Haus
der Maria zu Loretto entgegen und
behaupteten, sie hatten in der Liebe
zu Maria allen Mönchen den Vor-
rang abgelaufen. Die Verwilderung
der Ordenszucht hatte im 15. Jahr-
hundert mannigfache Rcforinver-
suche zur Folge, dazu gehörte die
1452 erfolgte Stiftung von Frauen-
klöstern des Ordens und die 147G
durch Sixtus IV. geschehene Ein-
richtung von Tertiariern. Im 16.
und 17. Jahrhundert hat der Orden
namentlich in Spanien eine neue,
von schwerster Askese und eigen t-
tümlicher Mystik getragene Blüte
erlebt und eine Art Mittelglied
zwischen Jesuiten und Kapuzinern
gebildet; ihr Ubermut war so gross,
dass sie sich des höchsten Alters
unter allen Mönchsorden rühmten
und eine ununterbrochene Erbfolge
der Ordensgenerale wenigstens vom
Propheten Elias an zu beweisen
vermeinten. Vogel in Herzogs Real-
Encykl.
KartUuser-Orden, zählt unter
die aus dem Benediktiner-Orden im
10. und 11. Jahrhundert hervorge-
gangenen, strengerem kirchlichem
Leben gewidmeten Ordensgesell-
schaften. Sein Stifter heisst Bruno.
Er war vor der Mitte des 11. Jahr-
hunderts in Köln von adeligen Eltern
geboren, hatte auf mehreren hohen
Schulen Frankreichs den Studien
obgelegen, war dann Kanoniker von
St. Kunibert in Köln und später
Domherr und Kanzler des Dom-
kapitels in Rheims geworden. Als
Lenrer der Theologie wirkte er zur
Verbreitung der Grundsätze Gre-
gors Vll. und stand u. a. an der
Spitze der Gegner und Ankläger
des eigenen, eines schändlichen
Lebenswandels bezichtigten Erz-
bischofes Mauasses I., der schliess-
lich von Gregor exkommuniziert
wurde. Da sich Hruno jedoch von
seinen theologischen Studien religiös
nicht befriedigt fand, beschloss er
die Welt zu verlassen und ein aske-
tisches Leben zu führen. Er begab
sich nach Südfrankreich, wo von
Italien her ein neues Einsiedler-
leben soeben Eingang fand, und
Bischof Hugo von Grcnoble wies
Bruno mit seinen sechs Gefährten
den wilden Ort fa Chart 'reitst' in
der Gegend von G renoble au. Erst
spätere Jahrhunderte wussteu von
einer Wiederbekehrung Brunos zu
berichten, die hier nach Sebastian
Franks Chronika mitgeteilt werden
mag: „Der orden hat auss solchem
erschrecklichem fall seinen anfang
entpfangen: dieweil die hoch sehuol
zuo Pareiss in hoher blücung stuoud,
da was under in einer an klarheit
der kunst, frumbkeit des lebens und
hohem geruch die andern alle über-
treffende, der starb. Dieweil nun
die Vigili in beiweisen grosser an-
zal der hochgelerten Doktom, Mei-
stern, gesungen ward, da richtet
sich der todt leichnam in der par
auf, mit grosser stimm schreiende:
Ich bin auss gerechtem gericht
Gottes verklagt, jusfo Dei judieio
accusatus sum! Des entsetzten sich
alle in gegenwertigkeit, entschlossen
sich den leichnam nit zuo ergraben.
Des Morgens schrei der todt leich-
nam wie vor. Au dem dritten tag kam
schier die ganz statt, das wunder
zuo hören. Da stuond der gestorben
abermals auf und schrie: Ich bin
auss gerechtem gericht Gottes ver-
dampt, jusfo Dei judieio eondem-
natus sttml Dise stimm durchdrang
viler herz, allermeist Brunonem,
31*
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484
Karton. — Katharer.
von Cölen biirtig, ein Regent und
schuolmeister daselbs; der sprach
zuo seinen jüngern: sehen, wie jämer-
lich und erbermblich ist der ver-
gangen, der von aller menigklich
in seinem leben als heilig geaeht
ward! Demnach verliess er die
weit und ir gebreng, gieng mit
siben mennern in ein wüestine und
einöde etc." In der Chartreuse
bauten sie sich einige Zellen, in
denen sie anfangs paarweise wohn-
ten, und ein Bethaus. Sie kleideten
sich weiss, verpflichteten sich zu
stetigem Stillschweigen, zu dem Ab-
halten der mönchischen Betstunden,
zu den strengsten Entsagungen und
Abtötungen und zum Abschreiben
andächtiger Bücher. Zwar Bruno
selber wurde später von Urban IL,
dessen Lehrer er gewesen war, nach
Rom berufen und starb in der wüsten
Gegend La Torre in Calabrien, wo-
hin er sich zuletzt als Einsiedler
zurückgezogen hatte, im Jahre 1101.
Doch blieb die Chartreuse bestehen,
und der Orden wurde, nachdem
schon manche neue Niederlassungen
gegründet waren, 1170 vom Papst
Alexander III. als selbständiger
Mönchsorden bestätigt. Im Janre
1258 zählte man 56 Kartäuser-
Klöster. Die ersten schriftlichen
Statuten des Ordens, die Con*ue-
tudines Cartusiae, stammen aus dem
Jahn* 1130. Das Hauptziel der
Ordensgesetzc ist Abschliessung,
nicht bloss von der Welt, von der
Nachbarschaft, sondern sogar vom
Verkehr mit den Ordens- und Haus-
genossen, ja von allen übrigen Or-
den und von allem Einflüsse auf
Kirche und Welt. Wirklich hat
auch kein anderer Orden so wenig
schlimme innere Bewegungen und
Spaltungen erfahren, wie der der
Kartäuser. Jeder Mönch bewohnt
sein eigenes kleines Gebäude, dem
ein kleines abgeschlossenes Gärt-
chen beigegeben ist; in diesen Zellen,
die in der Regel den grösseren der
beiden Kreuzgänge, welche sich an
die Kirche anschließen, umgeben,
verbringen sie den grössten Teil
ihrer Zeit einsam, in Gebet, Be-
schaulichkeit und Arbeit; doch sehen
sie sich mehrmals täglich beim ge-
meinschaftlichen Gottesdienst in der
Kirche, im Kapitelsaal und an Sonn-
und Festtagen bei gemeinsamen
Mahlzeiten im Refektorium, bei de-
nen aber nicht gesprochen werden
darf. Der Fleischspeisen enthalten
sie sich völlig, sonst ist ihre Nah-
rung mässig, auch Weingenuss ge-
stattet. Vorsteher des Ordens ist
der Prior des Mutterklosters, der
grossen Kartuse bei Grenoble; hier
versammelt sich alljährlich das Ge-
neralkapitel, bei welchem die Prioren
sämtlicher Klöster erscheinen oder
sich durch Boten und Briefe ver-
treten lassen.
Karten, siehe Landkarten un l
Spielkarten.
Kasperletheater. Kaspar hiess
von ieher im Mittelalter einer von
den neiligen drei Königen, die in
den Mysterien, den Dreikönigsspielen
und sonst dem Volk jährlich vor
Augen traten. Seit dem 15. Jahr-
hundert bemächtigte sich auch dieses
Spieles der Humor, und Kaspar, der
nun als Mohr mit geschwärztem Ge-
sicht auftrat, erhielt den Schein einer
lustigen Person und war der Wort-
führer. Von daher erhielt der Name
Kaspar überhaupt die Bedeutung
der drolligen Person im Spiel; da-
her der Name Kasperletheater
statt Puppentheater, siehe den letz-
teren Art.
Kastenvogt, Kastvogt, ist der
weltliche Schutzherr eines Stiftes,
monastei'ii adroeatus, tutor, dtfensor,
so benannt, weil er hauptsächlich
dessen Zehenden und Einkünfte,
den Getreide-Kasten zur Aufbewah-
rung des Zehend -Getreides, ver-
waltete und schützte. Siehe Vogt.
Katharer heisst eine im Mittel-
alter weit verbreitete Sekte. Ver-
gebung der Sünden und Erlösung
vom Übel, lehrten sie, werde er-
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Katharer.
485
langt durch Entsagung der Welt,
der Materie, und durch Eintritt in
die Gemeinschaft der Beinen, ausser
welcher kein Heil sei. Die Auf-
nahme geschah durch eine feierliche
Handlung vermittelst des einfachen
Auflegen* der Hände, was Conso-
hmmtum hiess, welches die Geistes-
tou/e erteilen sollte; die Wasser-
twfe verwarfen sie. Erst nach
eiBpfiingenem Consolamentum war
man ein vollkommener, perfectus,
deoeu allein der Name Cathari ge-
bohrte; in Frankreich nannten sie
sich hon* hommes; die Katholiken
biessen sie schlechthin die Haeretici,
diber auch das Wort Ketzer bald
<fer Xarae für Häretiker überhaupt
«Tirde. Die Vollkommenen waren
<he Lehrer, die Verwalter der Ge-
bräuehe; sie mussten sich alles des-
enthalten, was als Todsünde an-
gesehen wurde, lebten ohne Besitz
und ehelos, genossen nur vegetabili-
sch* Nahrung oder Fische und faste-
ten streng zu gewissen Zeiten des
Jahres. Sie hatten die Regel, immer
ni zweien zu sein, doch konnte der
Sörius auch ein blosser Gläubiger
Sie erkannten sich an be-
*mmten Zeichen, durch welche so-
£*r die Häuser, worin sie wohnten,
«Jeu Brüdern erkennbar waren. Auch
unter den Frauen gab es Vollkom-
mene, welche jedoch weder lehrten
**h herumreisten, sondern in Hül-
fen einsam lebten oder sich mit der
Erziehung junger Mädchen abgaben.
Die Zahl der Vollkommenen war
Strenge ihres Lebens zufolge
*w» gering; uin 1240 sollen ihrer
*t)ö in £anz Europa gewesen sein.
Doch gab es unendlich viele Gläu-
bige, rralentes, denen Güterbesitz,
Eh*. Genuas aller Art Speisen ge-
stattet war, doch unter der Bedingung,
Sünden den Geistlichen der
kitte zu beichten und jedenfalls
dem Tode das Consolamentum,
■fc unerläßliches Heilmittel, zu er-
h»j»n. Die Vollkommenen bildeten
Hammen die katharische Kirche,
die sie die allein wahre und reine
nannten. Ihre religiösen Gebräuche
waren sehr einfach ; wo sie mächtig
genug waren, um öffentlich aufzu-
treten, wie in Südfraukreich und in
Bosnien, hatten sie eigene Bet-
häuser, aber ohne Bilder, Kreuze
und Glocken; man sah nichts darin
als einen mit einem weissen Tuch
bedeckten Tisch, auf welchem das
beim Evangelium Johannis aufge-
schlagene Neue Testament lag. Vor-
j lesung einer Stelle und Erklärung
| derselben bildete den Hauptteil des
Gottesdienstes; hierauf folgte der
von den Gläubigen knieend be-
gehrte und empfangene Segen; den
Schluss bildete das gemeinsam ge-
sprochene Vater Unser, mit den
i Worten: Gieb uns heute unser über-
sinnliches Brot (supersubstantialem
panemj und mit der Doxologie; und
zuletzt noch einmal der Segen. Das
Abendmahl wurde ersetzt durch
Brechen und Segnen des Brotes
durch die Vollkommenen, und zwar
bei jeder Mahlzeit, welcher solche
beiwohnten; dieses geweihte Brot
wurde durch die Gläubigen sorg-
fältig aufbewahrt, es sollte täglich
ein Stück davon genossen werden;
doch verwarf man dabei jede Be-
ziehung auf den Leib Christi. Als
Beichte hatten die Katharer ein
öffentliches, von den Gläubigen, wie
von den Vollkommenen abgelegtes
Süudeubekenntnis. Abgesehen von
Weihnachten, Ostern und Pfingsten
machten sie keinen Unterschied der
Tage. Ihre kirchliche Organisation
führten sie zum teil auf die ursprüng-
liche christliche Kirche zurück. Sie
hatten nur Bisehöfe und Diakonen;
dem Bischöfe waren zwei Gehilfen
oder Stellvertreter beigegeben, Fi-
lius major und Filius minor ; es gab
grössere und kleinere Synoden.
Der Ursprung der Katharer ist
I wahrscheinlich unter den Slaren zu
suchen, und zwar in Bulgarien. In
Thrazien verbreitete sich der Katha-
rismus unter dem Namen Bogotnili*-
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486
Kaufhaus.
mu*, der hauptsäc hlich in Philippopel
und Konstantinopel vertreten war.
Handeltreibende Slaven brachten
die Sekte nach Italien, wo um 1035
ein Katharer verbrannt wurde. Sie
war später namentlich in der Lom-
bardei verbreitet; doch rindet man
ausser in Mailand auch in Florenz,
dem Kirchenstaate, in Kalabrien und
Sizilien lange Zeit katharischo Kir-
chen, die zuletzt mehrere Diöeesen
bildeten. Tin 14. Jahrhundert ver-
schwindet hier ihre Spur.
Am mächtigsten waren die Katha-
rer in Südfrankreich, wohin sie in
den ersten Jahren des 11. Jahr-
hunderts kamen. Vergebens durch-
reiste 1147 der heilige Bernhard das
Land, um sie zu bekehren; Fürsten
und Adel beschützten sie, 60 dass
sie sich frei entwickeln konnten.
Sie waren hier in mehrere Bistümer
geteilt, deren bedeutendste die von
Toulouse und Alhy waren \ vom letz-
teren wurden sie meist Alhiflcnser
genannt. Im Jahre 1165 hielten die
katholischen Bischöfe im Schlosse
Lombers bei Alby ein öffentliches
Religiousgespräch mit den kathari-
schen Geistlichen des Landes; die
letzteren gingen frei aus, und man
musste sich begnügen ihre Lehre
zu verdammen. Nachdem der von
Prälaten und Mönchen begleitete
Kardinal-Legat Peter 1178 gegen
sie ebenfalls nichts ausgerichtet hatte,
sandte Alexander III. 1180 den Kar-
dinal Heinrich, früher Abt von Clair-
vaux, ins Land, um den ersten
Kreuzzug gegen die Albigenser zu
predigen, ebenfalls ohne wesentliche
Erfolge. Zu Anfang des 13. Jahr-
hunderts gehörten fast sämtliche
Fürsten und Barone Südfrankreichs
zu deu Gläubigen; in Schlössern
und Städten hielten die allgemein
verehrten Bons hommes öffentlich
ihre Versammlungen; in vielen hat-
ten sie Bethäuser und Schulen für
Knaben und Mädchen: die katho-
lische Kirche war zum Gespötte ge-
worden. Erst Innocenz III gelang
es, mit Hilfe der Dominikaner und
der Inquisition die Ketzerei zu unter-
drücken.
Nach Deutschland kam der Ka-
tharismus teils von dem slavischen
Osten her, teils aus Flandern und
der Champagne. Schon 1052 wur-
den zu Goslar Katharer zum Tode
verurteilt. Besonders zu Köln und
Bonn bestand die Sekte fort. In
der ersten Hälfte des 13. Jahrhun-
derts rinden sich katharische Ge-
meinden in Bayern und am Rhein
hinab. In den letzteren Gegenden
wirkte seit 1131 der Dominikaner
Konrad von Marburg. Seitdem
verschwinden sie in Deutschland.
Schmidt in Herzogs Beal-Encvkl.
Kaufhaus. Es giebt im Mittel-
alter zwei Formen dieser Einrich-
tung, Kaufhof und Kaufhaus im
engeren Sinne.
Der Kauf- oder Kauffahrerhuf
ist ein gemeinsames Herbergshaus.
das die durch gemeinsame Heimat
verknüpften Grosskaufleute an den
Auslandsplätzen besassen und wo
sie zugleich Wohnung, Stallung,
Geschäftsbetriebsräume und Vor-
ratskammern fanden. Dazu gehören
u. a. die uralten Teijnhöfe der slavi-
schen Grossstädte, namentlich Prags,
der Fondaco dei Tedeachi zu Vene-
dig und der hansische Stahlhof zu
London.
Das deutsche Kaufhaus im enge-
ren Sinne, das auch in kleineren
Städten vorkommt, hat zum Zweck,
einerseits dem lokalen Handelsver-
kehre einen konzentrierenden Mittel-
punkt zu schaffen, und andererseits
aen Geschäftsbetrieb der Fremden,
indem es ihn in einen bestimmten,
öffentlich überwachten Raum bannt,
auf ein erträgliches Mass zu redu-
zieren. Alte Benennungen des Kauf-
hauses sind koufhus, halle, se/fehits.
In der Recel inuss ihre Entstehung
auf einen Bewilligungsakt des Stadt-
herrn zurückgefünrt werden. Nach
seiner baulichen Gestaltung bestand
das Kaufhaus gewöhnlich aus zwei
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Kawertscben. — Kegel.
487
Stockwerken, deren jedes zunächst
eine Anzahl von Koußameren enthielt,
abgeschlossene Gemächer von an-
sehnlicher Breite, mit Auslegetischen
für die Waaren versehen; sie konn-
ten entweder im Ganzen an einen,
oder in Teilen an mehrere Händler
vermietet werden: im oberen Stock-
werke wurden kostbarere, im unte-
ren geringere Artikel feilgeboten.
Die übrigen Räumlichkeiten bestan-
den aus Versammlungsstuben, Spei-
chern, Gewölben und Kellern. Line
Kaufkammer oder eine Stelle darin
zu mieten, stand jedem wirklichen
Kaufmann frei; doch gab es ge-
wisse Gewerbserzeugnisse, mit de-
nen nur im Kaufhaus gehandelt
werden durfte, namentlich der Tuch-
verkauf, nicht der ballenweise, son-
dern der sog. Gewandschnitt, das
ist der Verkauf in Viertels- oder
Sechstelstücken oder nach der Elle;
auch scheint diese Beengung des
Tuchhandels allmählich nur noch
die fremden Händler oder die Gäste
betroffen zu haben. Die im Ober-
raum des Kaufhauses befindliche
Saalhalle war das korporative Ge-
schäftslokal des städtischen und aus-
wärtigen Handelsstandes, zuweilen
auch das städtische Gerichtslokal.
Die Beamten, welche die Beauf-
sichtigung und Leitung des Kauf-
hauses unter sich hatten, waren die
Kaufhaus- Meister oder Kaufhaus-
Herrn, ein Ratsausschuss , dem zu-
gleich die kaufhäusliche Gerichts-
barkeit über die während der Ge-
schäftsstunden geschehenen über-
farungen und über Handelsschuld-
sachen der im Kaufhause Verkehren-
den oblag; der Kaufhaus- Vorstand
oder Amtmann ist ein angestellter
städtischer Beamter höheren Ranges ;
dann giebt es noch einen Kaufhaus-
Seh reiler, Ka u fh a us- ( m g ei 7 er ', Ka uf-
haus- Zöllner , Wärter, Wagmeister
und Pförtner. In das Kaufhaus-
Buch wurden die in das Kaufhaus
gebrachten Handels-Güter und ge-
wisse Zahlungsgelöbnisse verzeich-
net. In vielen grösseren Städten
gab es ausser dem allgemeinen
Kaufhause noch ein Gewana'- oder
Tuchhaus, das oft geradezu das
Kaufhaus vertrat, und andere ge-
sonderte Gebäude für den Umsatz
von Leinenwaaren, Kleidungsstoffen
von Halbseide und leichter Wolle,
Garngespinsten und Geweben, Le-
der u. s. w. Artushöfe oder Junker-
höfe sind seit dem 14. Jahrhundert
in Danzig, Elbing, Königsberg und
anderen altpreussischen Städten be-
stehende, umfang- und schmuck-
reiche Steingebäude, worin der ge-
samte Kauneutestand seine täg-
lichen wie ausserordentlichen, dein
Ernste und der geselligen Erheite-
rung gewidmeten Zusammenkünfte
hielt und wo auch bei den Vor-
stehern eingeschriebene Fremde, na-
mentlich aus den befreundeten
Hansastädten, Zutritt bekamen.
Nach Gengier, deutsche Stadtrechts-
Altertümer. Kap. 16.
Kawertschen, Gawerschen, Kau-
mersin, heisst eine im Mittelalter
neben Lombarden und Juden oft
genannte Klasse von Geld Wucherern;
sie stammten aus der Stadt Gabors
in der Landschaft Guyennc und
trieben ihren Gehlerwerb durch ganz
Frankreich, England und Deutsch-
land. Im Jahre 1150 bewilligte
Kaiser Friedrich I. dem Herzog von
Österreich nicht nur Juden, sondern
auch „Gewertschin" in seinem Land
aufzunehmen. Sie verschwinden im
14 Jahrhundert aus der Geschichte,
während von den Lombarden noch
mehrere Jahrzehnte des 15. Jahrhun-
derts hindurch die Rede ist. Amiet,
die französischen und lombardischen
Geld Wucherer des Mittelalters, na-
I mentlich in der Schweiz, im Jahr-
buch für schweizerische Geschichte,
Bd. 1 u. 2, 1877 11. 1878.
Kejrel in der Redensart Kind
und Kegel ist soviel wie unehelicher
Sohn. Es ist ein im Hause ent-
standener Ausdruck, der seinen rech-
ten Sinn im Munde des Hausvaters
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488
Kegelspiel. — Kelch.
hatte zu einer Zeit die sehr weit
zurückliegt, als Kebsweiber neben
dem Eheweib von Herkommen und
Sitte erlaubt waren. Siehe Grimms
Wörterb.
Kejrelspiel , mhd. kegelen, war
iin Mittelalter in Stadt und Land
beliebt, namentlich an der Kirch-
weihe und auf den Schiessplätzen.
Eine Augsburger Chronik vom Jahr
1470 erzählt: Ks waren auch auf-
geworfen fünf klainater (Gewinne),
darumb (jemain gesellen kegelelen;
welcher in drei würfen am meisten
kegel trarf, der getrau das best, und
ain baur von Menchingen trarf siben
kegel in drei Würfen. Früh kom-
men auch schon Verbote des Spie-
les vor, in Frankfurt a. M. z. B. 1443.
Hildebrand spricht, darauf fussend,
dass das Wort Kegel ursprünglich
soviel als Schienbein oder Waden-
bein bedeutete, und dass man ur-
sprünglich aus dem Kegel im Kno-
cnengebäude einen Kegel zum Spiel
machte, folgende Vermutungen aus,
Grimms Wörterbuch V, 385: „Es
lässt sich denken, dass das Kegel-
spiel sehr alt sei, es ist auf dem
Lande noch ein oder das Haupt-
vergnügen an Sonntagen und den
hohen Festen; war es vielleicht von
jeher ein Anhang der hohen Feste
aus der heidnischen Zeit her? und
ist der Kegel vom Pferde, der zum
Spiele dient, ursprünglich von dem
Pferde, das dem Wuotan geopfert
ward? oder von den den Göttern
geopferten Kriegsgefangenen ? Denn
gerade Wuotan liebte Pferde- und
Menschenopfer, und nichts liegt
näher, als dass man von dem Opfer
wie das Fleisch zum Opferschmause,
so die Knochen zu den Spielen
nahm und beide dadurch gleichsam
heiligte. Der wilde Jäger, d. i.
Wuotan, führt noch Rossknochen
bei sich, und an heiligen Orten, wo
sonst die Fa»tnachtfeier ihre Stelle
hatte nebst allerlei Spielen und
Leibesübungen, weiss das Volk von
gespenstigen Kegelbahnen: ja in dem
Kindermärchen erscheint ein ge-
spenstiges Kegelspiel mit Totenbei-
nen als Kegeln und Totenköpfe u
als Kugeln. Das Kegeln im Him-
mel, was das Volk im Donnern fin-
det, gehört ja wohl auch ursprüng-
lich Wuotan an, in der Oberpfalz
u. a. schreibt man es dem heiligen
Petrus zu. Die Zahlen, in deneu
die Kegel auftreten, neun und drei,
sind beide heilige Zahlen. Übrigens
scheint das Kegeln ursprünglich nur
eine Ausbildung oder besondere An-
wendung des alten Steinstossens,
Steinwerfens, das ja wohl mit an-
deren Kraftübungen als Wettspiel
die Götterfesttage verherrlicnen
half." Kriech, Bürgertum. I, 423.
Zettler in Ersch und Gruber.
Kelch. Der Kelch, lat. calir,
engl, chalice, franz. calice, ist ein
profanes Trink-, hauptsächlich aber
ein kirchliches Altargefass, das schon
in der ersten Zeit der Christenheit
gebraucht wurde, zur Austeilung des
in Wein verwandelten Blutes Christi.
Man unterscheidet den Abendmahls-,
Speise-, Kommunions- oder Laien-
kelch, der bis zur Kelchentziehung
nun 1220) der Gemeinde den
Wein spendete, den Sammelkelch,
in welchem der von den Gemeinde-
gliederu dargebrachte Wein (später
das Opfergeld) gesammelt wurde,
den Konsekrationskelch, in welchem
der Priester die Verwandlung des
Weines in Blut vornahm, den kleis
nen Messkelch, den der Priester bei
der Messe für sich gebrauchte, den
noch kleineren Brise- oder Kranken-
kelch, der den Sterbenden gereicht
wurde, den Grahkelch und endlich
den Taufkelch.
Der älteste auf uns gekommeue
Kelch dieser Art stammt aus der
Zeit Justinians und zeigt bereits die
abgeschwächten Formen der späte-
ren Kaiserzeit, ist zweihenkelig und
am oberen Rande mit kleinen, von
Filigran eingefassteu herzförmig ge-
schliffenen Edelsteinen (abwechselnd
Rubinen und Smaragden) versehen.
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Kelch.
489
Den Reichtum der fränkischen Kir-
chen deutet eine Nachricht über die
Beute Childeberte an, der in Ama-
larichs Palast 60 Kelche, 15 kost-
bare Platten (Patenaej zum Ge-
brauche beim Abendmahl und 20
kostbar verzierte Behälter zur Auf-
bewahrung der Abschriften des hei-
ligen Evangeliunis vorgefunden und
an die Kirchen und Gotteshäuser
seines Reiches verteilt haben soll.
Bei dem Aufschwung des reli-
giösen und kirchlichen Lebens zur
Zeit der Kreuzzüge und der fort-
schreitenden Kunst der Verarbei-
tung edler Metalle wird der Ge-
brauch der heiligen Gefässc immer
allgemeiner und deutlicher nach-
weisbar. Genannt werden der Kelch
mit der Patena (Hostienteller) und
der Saugröhre zum Saugen des
Weines, die dbofien in welchen die
Hostien aufbewahrt werden, ferner
die Schüsseln , (riessfjefässe , Tauf-
Itecken , Weih- und Sprenqkessel,
Rnuch*rfässer, Büchsen, Salb- und
Ölßäschchen und die ReH<jitienbehal-
ter. Die grossen Speise- und die
zur Schmückung des Altars ver-
wendeten Prachfkelche wurden von
Päpsten, Königen und Kaisern oft
geschenkt und waren köstlich ge-
arbeitet. Bestimmtere Vorschriften
existierten für die Beschaffung der
kleineren Kelche, die in der ältesten
christlichen Zeit aus Glas, Holz,
Horn, Elfenbein, selten aber aus
Metall bereitet waren. Im Jahr 787
wurden die hörnernen, 811 die höl-
zernen, 813 die kupfernen, später
auch die gläsernen verboten. Zu-
lässig waren nur noch goldene und
silberne, die kimfernen allerhöchstens
mit eiuer starken Verjgoldung. Är-
mere Kirchen halfen sich jedoch mit
zinnernen Gefässen. Vorgeschrieben
waren ausser dem Stoff auch Form
und Verzierung. Der Kelch sollte
aus Fuss, Schaft, Knauf und Sehale
bestehen und auf der Fläche des
Fusses (Pes) keine andere Verzierung
als die Darstellung des Leidens
Christi enthalten. Der Schaft r%-
lus) sollte der Breite der Hand ent-
sprechen, der Knauf je nach Ver-
mögen mit Edelsteinen besetzt wer-
den, die Schale (Cuppa) nach dem
Schaft hin etwas enge, nach oben
sich erweiternd und der Rand selber
so beschaffen sein, da<s er weder
ein- noch auswärts, noch irgendwie
gebogen erscheine. An der Kuppe
durften keine Kreise gezogen wer-
den, und allfallige Zieraten waren
mindestens zwei bis drei Finger
breit vom Rande fern zu halten, der
nieht breit, sondern mehr scharf
auslaufend gebildet werden musste.
Selbstverständlich ist, dass diesen
Vorschriften nicht immer nachgelebt
wurde und zwar von Seiten der-
jenigen, die sie aufgestellt oder
wenigstens in erster Linie zu über-
wachen hatten. Der Kelch des
heiligen Gozlin, Bischof von Toul
(922—9621, ist zweifach gehenkelt,
hat eine halbkugelform ige Schale,
einen umgebogenen Rand und ist
an allen 1 eilen mit Gravierung ver-
sehen und reichlich mit Edelsteinen
geschmückt. Dieselbe Willkürlich-
keit in Form und Ausstattung zeigen
auch die übrigen Kelche desselben,
sowie besonders die des 11. und 12.
Jahrhunderts, so der Kelch des
heiligen Remigius in der Bibliothek
zu Paris und der Speisekelch im
Stift«' Wilten (Tirol), welch letzte-
rer besonders mit bildlichen Dar-
stellungen aus der heiligen Schrift
geschmückt ist. Im 12. Jahrhundert
erscheint der Kelch fast ohne Aus-
nahme halbkugelförmig auf kurzem
Fuss, der Becher aber in der noch
heute üblichen Becherform oder in
der Gestalt eines kleinen aus Dau-
ben zusammengefügten Fässchens.
Auch das 13. Jahrhundert bringt
keine neuen Formen, sondern be-
gnügt sich hauptsächlich damit, teils
den Fuss rosettenartig, teils Schaft
und Knauf statt rund nun mehr-
flächig und die Koppe um weniges
höher und schlanker, eiförmiger zu
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490
Kelch.
Daneben verdient er-
werden, «las.- gegen Ende
gestalten,
wähnt zu
desselben Jahrhunderts ein neues
Kirchengefäss eingeführt wird, die
Monstranz , dessen wirklicher Ge-
oder zu einem Rosettengetlecht. Die
Kuppe bedeckt man häutig bis über
die Mitte mit Masswerk oder mit
pflanzlichem Zierat, gemischt mit
eingravierten Darstellungen von
Szenen aus der Leidensgeschichte.
brauch jedoch durch äussere Um-
stände verzögert erst zwischen 1317 Siehe Fig. 79. Gotischer Kelch aus
bis IH30 beginnt. Hohenstein, nach Müller und Mothes,
?gmut
Die Folgezeit war bestrebt, den
Kelch schlanker zu machen; die
halbeiförmig gebildete Kuppe wurde
nach unten noch suitzer zusammen-
gezogen. Der Schmuck blieb im
wesentlichen im-
mer noch auf den
Fuss beschrankt,
der statt kreisrund
wie bisher, sich nun
mehrflächi^ und ro-
settenförmig auf-
steigend verjüngte.
Die Flächen wur-
den nach innen ge-
sehweift und bis
zum Mittelknauf hin
durch Stabverzie-
rungen oft in Ver-
bindung mit geo-
metrischen Figuren
in baulicher Weise
ausgestattet Auch
der Knauf, der obere
Teil des Fusses,
wurde demgemäss
verziert, der rund,
kugel- und eifor-
Gotbcher Kelch
Hohenstein.
mig, mit kantigen Fig. 79.
Ausladungen, mehr
und mehr mit dem
Schafte zu einem Ganzen sich ge-
staltete. Daneben fuhr man fort,
die zu Prachtstücken bestimmten
Kelche gelegentlich sehr reich zu
emaillieren und stellenweise mit
Filigranarbeit und farbigen Steinen
zu besetzen.
Das 15. Jahrhundert ging hierin
noch weiter. Der Fuss des Kel-
ches gestaltete sich zu einem form- Becher selbst reich geschmückt war
liehen Bündel von reichgeglie- mit getriebener, gravierter und ein-
dertem und durchbrochenem, spitz- gelassener, eingeschmolzener, mel-
bogigem Nischen- und Pfeilerwerk Vierter oder farbiger EmaiUrbeit.
arch. Wörterb. Noch freiere For-
men brachte die Renaissance, die
äussere Unterschiede zwischen dem
kirchlichen und weltlichen Kelche
nicht mehr kennt und zu deren Ver-
zierung alles auf-
bietet. Der Kelch
wird möglichst
schlank gebaut. Der
Fuss erhält jede be-
liebige Ge.-talt. Der
Schaft verliert den
Mittelknauf und
setzt sich zusam-
men aus runden,
linsen- und eiförmi-
gen Körpern, gera-
den, aus- und ein-
wärts geschwunge-
neu Platten, Lei-
sten und dergleichen
nebst dazwischen
und darüber ange-
ordnetem Kleinzie-
rat. Die Kuppe
nahm an Höhe zu,
sodass sie oft zwei
Drittel der Gesamt-
länge betrug. Sie
wechselte in allen
Formen, welche ihr
Zweck irgend zulicss, zwischen denen
des einfachen Bechers und eines man-
nigfachst geschwungenen, vielfläehi-
gen teilweise gebuckelten oder auch
einwärts getriebenen Gefässes, ja zu-
weilen selbst in den Gestalten von
geriefeltem Muschelwerk und wani
gewöhnlich mit einem entsprechen-
den Deckel versehen, der wie der
Keller. — Kerbholz.
4t) 1
Im IT. Jahrhundert artete die Ver-
zierung oft in geschmacklose Schnur-
kelei aus, was besonders von man-
chen „Willkommbechern'' der Zünfte
und Innungen gesagt werden mnss.
die neben oder zwischen dem Zierat
oft eingefügte Schau- und Gedenk-
münzen zeigen. Nach HV/.w, Kostüm-
kunde. Vgl. Otir, Handb. § 40.
Keller, aus lat. eellaruMj der-
selbe Stamm und Begriff wie Kellner,
heisst der über die ertfa, den Keller,
gesetzte Schaffner, Kellermeister.
In den Klostern war der pater cel~
larius Klosterbeamter. Karls des
Grossen capitularium tle villi* er-
wähnt der eeUarü\ es sind diejeni-
gen weltlichen Beamten, welche die
Weinberge, Weingärten samt ande-
ren Einkünften, die in den Keller
einzuliefern waren, wie Honig, Käse,
Fische, Gartenfrüchte, Wolle zu
verwalten halten. Der Keller
steht unter dem Maier \ während
dieser die Oberverwaltung und na-
mentlich das untere Gerichtswesen
unter sich hat, steht dem Keller
die Besorgung der Landökonomie
zu. Das Wort hat sich als weit-
verbreiteter Geschlechtsname er-
halten.
Kelnhof, Kelhof heisst der unter
einem Keller stehende Hof ; die Be-
nennung kommt in Schwaben und
der Schweiz vor und scheint sich I
auf Klostergüter zu beschränken;
der Name blieb später oft auf den
Gütern haften, auch nachdem die
ursprüngliche Bedeutung faktisch
erloschen war. Was zum Kelnhof
gehörte, hiess Kelnhufcfut, die Leute
Kelnfeufe, die Mühle Kclnmülife;
auch der Name Kein maier kommt
vor, der das Ketgericht abhält.
Grimm, Wörterbuch'.
Kemenate, mhd. Kemenate, ahd.
chemituita, mittellat. caminata (näm-
lich camera), eigenes Zimmer mit
einem caminus, ist das heizbare
Wohnzimmer auf Burgen, dann auch
das gewöhnliche Wonnhaus gegen-
über dem alten Hauptteil der Burg,
f
dem (meist wohl unheizbaren) tal,
pala*, endlich auch grösseren Burgen
gegenüber ein kleinerer Burgstall,
efestigtes Haus. Der Begriff' Wohn-
zimmer gliedert sich in denjenigen
des Fraueugemachs, des Schlafzim-
mers und des Krankenzimmers, des
Wohn- und Geschäftszimmers des
Herrn, sogar der Schatz-, Kleider-
und Waffenkammer u. a. Am be-
kanntesten ist seiner inneren Ein-
richtung nach das Schlafzimmer.
Dasselbe ist wie der Saal mit Ge-
mälden geschmückt, wird bei fest-
lichen Gelegenheiten dekoriert, der
Fussboden mit Blumen bestreut.
In der Kemenate steht das grosse
gemeinsame Ehebett hinter Vor-
hängen; davor ein Teppich und
eine Bank samt Fussscnemel ; rie
heisst das Gestell, über welches man
die ausgezogenen Kleider hängt.
Ausser Stühlen und Tischen stehen
hier auch die Laden, mhd. kitte,
ralde, ttcJirin. Ein Kruzifix dient
der frommen Andacht. Das Schlaf-
zimmer der Herrin diente zugleich
als Arbeitszimmer für sie und ihre
Mägde. Die Thüre war versehliess-
bar und zum verriegeln eingerichtet.
Wer Eintritt verlaugte, hatte mittelst
des Klopfringes zu pochen. Für die
Katzen war unten eine Öffnung aus-
geschnitten, (trimm, Wörterbuch;
Schultz, Höfisches Leben, Absch. I.
Kerbholz oder Kerbe, auch die
Beile genannt, ist das alte Mittel
zum Zählen und Rechnen, die alte
Rechentafel, ein später Nachkomme
des uralten Runenstabes. Es diente
namentlich zur gegenseitigen Sicher-
st ellung und zum Schutzgegen Betrug
im Geschäfts- und Rechnungswesen,
was dadurch erreicht wurde, dass
beide im gegenseitigen Geschäfts-
verkehr stehenden leile zwei ganz
gleiche etwa fusslange Stäbchen be-
sassen, die man bei der Notierung
der Schuld neben einander legte
und Über die man in einem Zuge
so viele Kerben einschnitt oder ein-
feilte, als die Rechnung Posten
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492
Kerzen. - Ketzer.
betrug. Bei der Abreehnuug wurden
die beiden Teile miteinander ver-
f liehen und die Kerbe, die, sofern
eine Fälschung stattgefunden hatte,
genau auf einander passen mussten,
zusammengezählt. Der Kerbhölzer
bedienten sich namentlich Bäcker,
Metzger, Milchbauern, Drescher,
Müller, Bergleute u. dcl. Auch
amtliche Rechnungen wurden so ge-
führt, und im Steuerwesen diente
die Einrichtung zur Berechnung und
Kontrole zwischen dem Einnehmer
und dem Gegenbeamten. Hilde-
bratid in (»rimms Wörterbuch; Staub,
das Brot im Spiegel sehweizerdeut-
scherVolkssprache und Sitte, Leipzig,
1868, S. 48.
Kerzen und Lichter beim Gottes-
dienst, sind seit dem 14. Jahrhundert
nachgewiesen, in Nachahmung des
siebenarmigen Leuchters im israeli-
tischen Tempel und im Anschluss
an die sinnbildliche Bedeutimg des
Lichtes in der heiligen Schrift. Zur
Zeit des Chrysostomus wurden
Kerzen vornehmlich zur Beleuch-
tung des Altars angewendet, wäh-
rend man Lampen lieber in Kapellen
und vor Heiligenbildern brauchte.
Sie wurden nur aus Wachs bereitet;
denn das Erzeugnis der Biene, die
nach Vollendung ihres Werkes
sterben muss, hat eine mystische
Bedeutung. Besondere Altardieuer.
Ceroferani, trugen die Kerzen und
setzten sie auf einem eigenen Tische
neben dem Altare nieder. Die Leuch-
ter hiessen Cereofala. Je nach der
kirchlichen Zeit oder Handlung hat
das Kerzenlicht verschiedene Be-
deutung: es giebt daher Taufkerzeu,
Brautkerzeu, Grabkerzen, Oster-
kerzen, deren Weihe am Karsams-
tag stattfindet; in Süddeutschland
aber an Maria Lichtmess, 2. Februar,
an welehem Tage auch die Wetter-
kerzen geweiht werden, welche man
im Sommer bei den „Schauermessen"
auzündet, um Hagel und Wolkeu-
bruch abzuhalten.
Kessler. Wie die Pfeifer und
Spielleute (siehe den Artikel Koniq
der Spielleute) so hatte auch das
freie Handwerk der Kessler in ver-
schiedenen Gegenden Deutschlands
eine eigene nrivilegierte Gerichts-
barkeit und Organisation, und ein
adeliges Geschlecht besaas über sie
als Reichslehen den öffentlichen
Schirm. So waren die Herren von
Königseggschon im 13. Jahrhundert
mit dem Keichslehen des Schutzes
über die Kessler in Oberschwabeu
belehnt; im rheinischen Kreise die
Pfalzgrafen bei Rhein: die Mainzer
Kessler hatten einen besonderen
Obermeister in dem Markgrafen
von Brandenburg. Auch zu Basel
gab es ein eigenes Kesslergericht.
An den Kesslertagen spielte nament-
lieh der Kesslertanz eine grosse
Rolle. Da die Kessler sogar das
Malefiz^ericht besassen, entlehnten
sie für jeden Kesslertag Eisenbande,
Stock und Galgen bei irgend einer
Malefizherrschaft. Auch ein gemein-
samer Gottesdienst mit Amt war
vorgesehen, wobei man die Abge-
storbenen verkündete und für sie
betete. Das Kesslerprivileg verbot
allen Kesslern, Kessel und ähn-
liches auf Jahr- und Wochenmärkten
feil zu haben, es wäre denn, das«
er in denselben Zirkel gehöre und
das Kessler recht habe. Bück, Das
freie Handwerk der Kessler in Ober-
schwaben. Ilm 1872.
Ketzer, mhd. K etzer, ist ursprüng-
lich die Verdeutschung des Namens
Katharer, d. i. der Reinen, einer
seit dem 11. Jahrhundert im Abend-
laude weitverbreiteten Sekte (siehe
den besonderen Artikel). Der Ur-
sprung des Wortes wurde aber früh
vergessen und man brachte das
Wort in eine ungewisse Beziehung
zur Katze, dem Teufelstier. Seit-
dem lüess man nicht allein die Irr-
gläubigen oder Häretiker Ketzer,
sondern namentlich solche, denen
mau allerlei Schandthaten wider
Gott und die Natur zutraute, be-
sonders unnatürliche Wollust, daher
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Keule. — Kinderspiele.
403
Ausdrücke wie tteisehketzer , ketzer Grosser Wucht geschwungen wurde.
am libe, f 'rotcentcetzer , buobenketzer. Der Unkundige verwundete sich
Grimm, Wörterbuch. beim Rückprall der Kugel selber.
Keule. Unstreitig die älteste Kinderspiele. Von Gegenstän-
aller Trutzwaffen ist die Keule oder den, mit denen sich die Kinder schon
der Kolben iStreitkolben). Aus einem im Mittelalter belustigen, ist zwar
jungen Baumstamm oder einem die Klapper in alten Dichtungen
starken Ast war sie mit leichter nicht nachgewiesen, dagegen nat
Mühe herzustellen. Tacitus Ger- man sie in Heidengräbern gefunden,
mania redet von brandharten Keulen, Beliebt waren Hund und Katze als
welche die spätere Heldensage mit Spielzeug von Alten und Jungen,
den Eisenstangen [isen »tarnen) den sodann löget, die man früh in Käfigen
Riesen, die romantische Dichtung j hielt: wip unaerederspiel, fite tcer&nU
vorzugsweise den Heiden beilegt, lihte zam, singt der Kü renberge r;
Der Kolben besteht aus einem hol- namentlich werden zahme Stare und
zernen oder eisernen Stiel, der in Sittiche (Papageien) erwähnt. Neben
einen kugel-, ei- oder birnförmigen lebenden Tieren gab es dergleichen
Knopf ausläuft. Ist er mit Stacheln in Thon , Holz und Metall nachge-
besetzt, so wird die Waffe zum ahmte Geschöpfe; Vögel von Thon,
Morgenstern (Imtrlote , bourlefte), inwendig hohl und mit Klapper-
weicher besonders im 14. und 15. steinen gefüllt, sind oft in Gräbern
Jahrhundert in Deutschland und aufgefunden worden. Die Puppe
der Schweiz (Schweizerprügel) sehr heisst mhd. wie jetzt noch tocke und
verbreitet war und besonders in den ist z. B. Wolfram von Eschenbach
Volksaufständen und Bauernkriegen ganz geläufig. Auch Puppenhänser
eine traurige Berühmtheit erlangt kommen vor, siehe den Anzeiger
hat. Er verdankt seinen Namen z. Kunde d. d. Vorzeit, 1870, 229 bis
den strahlenförmig angebrachten 238; 312—320. Ebendaselbst 1881,
Stachelspitzen und ist in der That 349—351 ein Inventar der Spiel-
oft in der Morgenfrühe fürchterlich sachen für die Kinder des Kurfürsten
über den Köpfen der Feinde auf- August von Sachsen, 1572. Knaben
gegangen. Der Morgenstern war ritten auf der Gerte oder dem
eine Schlagwaffe, mit der man be- Steckenpferd, ufern »tobe, die qertett
sonders den Kopfschutz des Feindes riten. So unterhielt sich die Jugend
zu zertrümmern suchte. Das Fuss- gern mit Reiftreiben und Keif-
volk führte den grossen, zweihän- schlagen', auch hölzerne Waffen er-
digen, mit 2 m langem Schaft, die wähnt schon Notker, wenn er die
Reiterei den kleinen. Mit lanzen- Stelle des 63. Psalms: Sagittac
artiger Spitze diente er auch als infantium factae sunt plagae eorum,
Stosswaffe, später mit einem Feuer- übersetzt: iro »trala wurden chindo
rohr als Schiessprügel. strala, diu uzer sfengelon iro scoz
Mit einer beweglichen stachligen i maekont, ihre Pfeile wurden Pfeile
Kugel versehen, wird die Keule zur 1 der Kinder, die ihre Geschosse aus
Schlachtgeissel (Kriegsflegel). Die- Stäben verfertigen,
selbe wurde dem deutschen Krieger Natürlich nahmen die Kinder
bekannt durch den Einfall der Hun- doppelten Anteil an der Frühlings-
nen. Das Jtagellum, hz.Jfael,Jfeau, Inst des Volkes, und zwar sind die
engl, military-flails oder holy water- ersten Knabenspiele im Lenz das
springler» bestand aus dem Schafte Kreiselschlaffen, mhd. den köpf umbe
und dem „Bengel" ( Schlägen, mit trihen und das Spicken oder Schusser-
oder ohne Eisenspitzen,welch letzterer spiel, das Spiel mit tribkugeln,
meist an einer Kette hing und mit \ gelben kugelin, Schnellkügelchcn,
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404
Kindleinwiegen.
Glückern. Freudig wird das erste
Veilflien begrüsst und umtanzt, auch
der Storch, die Schwalbe, der erste
Maikäfer besungen, wobei aller
Wahrscheinlichkeit nach die heute
gebräuchlichen Kindcrlieder schon
ihren Dienst thaten. Auch dass sich
Knaben aus saftigen Birkenzweigen
Schalmeien drehten, wird belegt.
Die Jugend nahm sodann Anteil
am llallspiel und am Reihensprinqen
des Volkes. Als besondere Kinder-
stiele werden in den Quellen er-
wähnt: Die goldene und die faule
Brücke , Das Totentanzspiel, Der
Plumpsack, das Schaf- und Wolf-
spiel, Das Geierspiel, Das Schelm-
spiel. Helfen und Geben. Schau-
keln heisst mhd. schoc, schocke, üf
dem Schink en farn, nf dem seile ri-
te». Andere alte Sniele sind: Gerad
und Ungerad. Stozlen oder Blättleu,
Verkaufen, Kochen, Verstecken,
zirfiu mir/in passen firlin, Stein-
bergen, Lachen verhalten oder Gra-
lnüeseli inachen, Blindekuh oder
Blindcmaus, ,,Herr König, ich diente
gern'', welches jetzt „Schenken und
Logieren ' heisst, Knöcheln oder Aus-
dappeln, d. h. aus der inneren Haud-
Häclie Steinchen empor werfen und
dieselben mit der äusseren auffangen;
auch das Würfelsniel war bei der
Jugend beliebt. Verbreitetes Spiel
waren das linncrlin sne/len, Platz-
wechseln, „Schneider leih mir die
Scher '. Auch verschiedene Tum-
spielt werden genannt, das Stelzen,
Kegelspiel.
Beispiele von Kinder- Sprech-
übungen giebt es zahlreiche aus dem
Mittelalter, z. B. ein Jlig die prewt
ein praw von pir; wenn wir xcern,
wo wir troffen, wer wais, wo wir
wem; wenn mancher mann wiixstc,
was mancher mann w>ire etc., ist
aus dem 15. Jahrhundert belegt;
Fischart hat u. a. Kuhraufumrih,
J'islamenfen kuk/eas, Zunglinspitzlin.
Fritzenschmifzliu , Meiner Mutter
Magil macht mir mein Muss mit
meiner Mutter Mehl.
Belegt sind ferner Kindersprüche
und Keime, welche den Ruf der
Vögel nachahmen, sodann Sprüche
an die Schnecke, Grille, den Mai-
käfer und den Kuckuck. Hin Ketten-
reim aus dem 14. Jahrhundert be-
ginnt:
J'.s reit ein herre:
ein schilt war sin gerc;
ein gere war sin schilt,
undc ein hagel sin wint;
sin wint war sin hagel,
ich wif iueh fürhas sagen,
ich wil iueh fürhas sinken:
bongen daz siut ringe;
rinne daz sinf Innigen,
nnde ein sldf ein oirt/e etc.
Das Kindergebet , das Johannes
Agrikola (geb.* 1492» in seiner Ju-
gend betete, lautet:
Ich wif heint schlafen gehen,
zwölf enge! sollen mit mir gehen,
zwen zur haupten,
zwen zur seifen,
zwen zun fassen,
zwen die mich decken,
zwen die mich wecken,
zwen die mich weisen
zito dem himlischen paradeise.
Amen.
Kinderratscl sind in lateinischer
Sprache aus dem 10. Jahrhundert
bekannt; ebenso ist das Märchen-
erzählen durch frühe Zeugnisse be-
legt. Nach Zinqerle, Das deutsche
Kinderspiel im Mittelalter 1868. Vgl.
Rochholz, Alemannisches Kinder-
lied und Kinderspiel aus der Schweiz,
1857.
Kindleinwieg-eii. Bildliche Dar-
stellungen der Geburt Christi waren
früh in den Kirchen Frankreichs
üblich. Zu Rouen wurde nach dem
Tedeum am heiligen Weihnachts-
tage die Anbetung der Hirten fol-
gendermassen gefeiert: Hinter dem
Altar Ist eine Krippe erbaut, dar-
auf das Bildnis der heil. Jungfrau.
Vor dem Chor auf einer Erhöhung
steht ein Knabe, welcher den Engel
darstellt, und verkündet die Geburt
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Kirchenlied.
495
Christi. Durch die grosse Thür des
Chores treten die Hirten ein und
gehen auf die Krippe zu, unter dem
Gesänge J\u in ferris; sie bogrüssen
die Jungfrau und beten das Kind
an. Vor dem Altar wird eine Messe
gelesen; nachdem sie der Priester
geendet, wendet er sich zu den
Hirten und fragt: Quem vidistis
pastoresl Die Hirten antworten:
Saturn ridimus.
Ähnliche kirchliche Weihnachts-
gebräuche sind seit dem 14. Jahr-
hundert in Deutschland nachgewie-
sen. In der Kirche war eine Wiege
aufgestellt, an der Maria sass. Sie
fordert Joseph auf, das Kind zu
wiegen. Dieser erklärt sich dazu
bereit, worauf der Chor ein frommes
Weihnachtslied anstimmt. Der Text
lautet in einer kürzeren Aufzeich-
nung:
Joseph, NeLer nere min,
hilf mir wiegen das kindelin,
dass gof miiesse diu loner sin
in himelrich,
der meide kint Maria.
Gerne, liehe muome min,
ieh hilfe dir wiegen diu kindelin.
da** gut miiesse min loner sin
in himelrich,
der meide kint Man t.
Am freu dich, christliche schar!
der himelische kunig klar
nam die menschheit offenbar,
den uns gebar
die reine meit Maria.
Ahnliehe Lieder entstanden viele
im 15. Jahrhundert, die in den
Mund des Volkes übergingen und
sich lange erhielten. In evange-
lischen Gegenden starb die Sitte
allmählich, doch sehr langsam aus.
in der katholischeu Kirche erhielt
sie sich uud trieb stets neue Wiegen-
lieder, die dann in die Gesangbücher
übergingen, llojfmann v. 1'., Deut-
sches Kirchenlied, §. 11. Mann-
hardt, Weihnachtsblüten. Berlin
1864. S. 164 ff.
Kirchenlied. Von einem eigent-
lichen Kirchengesange des Volkes
kann im Mittelalter die Rede nicht
sein, da die Kirche ausdrücklich den
Gebrauch der einheimischen Sprache
für die liturgische Handlung unter-
sagt hatte; das Volk sollte schwei-
gend beten und nur im Herzen
singen; den Geistlichen allein kam
es zu, heilige Gesänge anzustimmen
und so die Herzen des umherstehen-
den Volkes zu erheben. Das einzige
was man Jahrhunderte lang dem
Volke beim Gottesdienst zu singen
gestattete, war der Ruf Kyrie elei-
son. Herr, erbarme Dich unser!
Dieser wurde, und zwar oft wieder-
holt bei Leichenbegängnissen, nach
der Predigt, bei der Vesper, ja, wie
es in den Kapitularien heisst, auch
bei den Geschäften des Lebens,
beim Aus- und Eintreiben des Viehes
gesungen oder gerufen. Ludwig
der Fromme pflegte am Karfreitage
in seinem Palaste zu Aachen seine
ganze Hofhaltung mit neuen Klei-
dern zu beschenken, vom Vornehm -
I sten an bis auf den Geringsten,
und weun nun jeder hatte, was er
bedurfte und auch die Armen ge-
kleidet waren, dann riefen sie ihm
durch die weiten Hallen zu: Kurie
eleison! Derselbe Ruf ertönte auch
in der Schlacht, wie es z. B. im
Ludwigslied heisst:
Ther kuning reit kuono,
Sang lioth frono,
Joh' alle saman sungun
Kyrie leison.
Anfänglich tönte der Ruf un-
geschlacht aus dem Munde des Vol-
kes, sodass ein Beschluss erging,
das Volk solle Kyrie eleison rufen
lernen und nicht mehr so ruslice,
dörperlich, schreien wie bisher. Ein
einziges, dem {>. Jahrhundert auge-
höriges deutsches Lied ist erhalten,
das nicht bloss den Refrain enthält,
sondern zugleich einen strophischen
Text, das Lied vom heilinen Petrus.
Die mit dem 11. Jahrhundert
zuerst in Frankreich beginnende
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490
Kirchenlied.
religiös-kirchliche Erregung wäre
an sich einer Ausbildung des geist-
lichen Gesanges nicht ungünstig
gewesen, wenn die Kirche nicht
nach wie vor jeglicher Einmischung
nationaler Gesänge in den lateinisch
gehaltenen Gottesdienst sich wider-
setzt hätte. So bewegte sich auch
die im 12. und 1 3. Jahrhundert zur
Blüte gelangte weltlich-höfischeL yrik
auf anderen Bahnen als auf solchen
eines geistlichen Volksgesanges, und
wenn zwar religiöser Stoff, nament-
lich der Mariendienst, der Lyrik
der Minnesänger nicht fremd blieb,
so war es doch mehr die subjektive
individuelle Stimmung des frommen
Dichters, die sich aussprach, als das
gemeinsam dichtende und religiös
empfindende Volksgemüt. So be-
gegnet man denn im 12. und 13.
Jahrhundert nur sehr wenigen an
die höfische Lyrik sich anlehnenden
geistl ich volkstümlichen Liedern ;
was die Zeit an solcher Lyrik wirk-
lich besass und benutzte, waren
vielmehr Liederstrophen, die, viel-
leicht noch aus früherer Zeit her-
rührend, echtes Eigentum der sonst
in dieser Periode so wenig vertrete-
nen Volksdichtung sind. Dass aber
das Volk wirklich geistliche Lieder
besass und im Gegensatz zu den
Franzosen, von denen ausdrücklich
bezeugt wird, dass sie keine solche
gehabt hätten, sang, davon sind
mehrfache Zeugnisse erhalten; so
z. B. als der heilige Bernhard von
Clairveaux 1146 an den Ufern des
Rheins das Kreuz predigte, sang
das Volk wiederholt:
Christ uns gen Ade,
Kyrie eleison,
l)ie heiligen alle helfen uns!
Mau sang bei den Wallfahrten,
während des Kampfes, besonders
auf den Kreuzzügen, auf der See,
während und nach der Fahrt.
In der Schlacht auf dein Mars-
felde zwischen Ottokarund Rudolf von
Habsburg sang das deutsche Heer:
Sant Mari, muoter unde meif,
al unsriu not si dir gekleit( geklagt i.
Dasselbe Lied sangen deutsche
Kreuzfahrer vor der Schlacht bei
Acca 1291 und bei der Schlacht am
Hasenbühel 1298.
Man nannte diese Lieder, ob
nun der Kehrvers Kyrie eleison
noch dabei war, oder nicht, Leisen,
eine Benennung, die bis ins 15.
Jahrhundert dauerte.
Die verbreitetsteii Leise waren
aber:
Der Osterleis:
Christ ist erstanden
von der marter allen,
des sollen wir alle fro sein,
Christ will unser trost sein,
kyrieleison.
Waer er nicht erstanden,
so teaer die weit zergangen,
seit dass er erstanden ist,
so frewef sieh alles das da ist,
kgrieleison.
Der Himmelfahrlsleis:
. Christ für gen himel,
was sant er uns wider?
er sendet uns den hei Igen geist
zu trost der armen Christenheit,
kurieleison.
Christ für mit schalle
von seinen Jüngern alle,
macht ein kreuz mit seiner hant.
und tet den segn übr all lant,
h/rieleison.
Alleluia, alleluia,
alleluia!
des soln wir alle fro sein,
Christ sol unser trost sein,
kyrieleison !
Der Pfingstleis:
Xu bitten wir den heiligen geist
um den rehten glauben allermeist,
dass er uns behüete an unserm emie,
so wir heim suln varn tiss disem
eilende,
kgriefeis.
Wahrscheinlich schon in dieser
Periode wurde zu Schiffe da* Lied
gesungen, das später bei Pilger-
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Kirchenlied.
497
fahrten und Bittgängen häufig an
gewendet wurde:
In gotes mtmen raren wir,
siner gnaden geren wir,
nu helfe uns diu gutes kraft,
und daz heilige grap,
da got selber inne fac,
kyrieleis etc.
Wurden die genannten Lieder
und nicht wenige andere erst im 14.
und 15. Jahrhundert entstandene
geistliche Volkslieder in den folgen-
den Jahrhunderten bei ähnlichen
Gelegenheiten fortgesungen und
kamen sie teilweise sogar im Gottes-
dienst zur Anwendung, so brachte
nunmehr das 14. und 15. Jahrhundert
noch infolge anderer Vorgänge einen
deutschen Kirchengesang mehr und
mehr in Fluss. Schon früher ver-
nimmt man, dass Ketzer öffentlich
geistliche Lieder sangen; von solchen
sind zwar keine Beispiele erhalten,
jedoch aus anderen Kreisen, die im
Gegensatz zur nüchternen Scholastik
und Dogmatik der Kirche ein leben-
diges religiöses Empfindungsleben
hervorriefen. Dahin gehören die
Mystiker, in deren Kreisen, nament-
lich in Frauenklöstern das mystische
Lebensprinzip, die Liebe zu Gott
und in Gott, das sehnsüchtige Ver-
langen nach Christo, dem Bräuti-
gam, in zahlreichen Liedern sich
aussprach.
Ebenfalls an die Lieder der
Häretiker erinnern die von den
GetJtslern gesungenen Gesänge,
welehe wahrscheinlich schon aus
früheren Geisseifahrten des 13. Jahr-
hunderts stammen (siehe den bes.
Artikel).
Nicht minder zeigt sich die neu-
erwachte Lust am geistlich-deutschen
Liede in zahlreichen Übersetzungen
lateinischer Kirchenhymnen. Sie be-
ginnen schon im 13. Jahrhundert
mit Knm, schepfaer. heiliger geist,
Veni creator spiritus; AiV wart qc-
sungen süezer qesanc, Jesus du Iris
memoria und (rote sage wir gnade
Reftllexteon der deutlichen Altertümer.
nnde eren danc, Hymnum dicamus
Domino. Gegen Ende des 14. und
zu Anfang des 15. Jahrhunderts
mehren sich diese Arbeiten, nament-
lich hat der Benediktiner Hermann
von Salzburg zahlreiche lateinische
Hymnen deutsch bearbeitet und zwar
auf Begehren seines Erzbischofs
Pilgrim, gest. 1396; ebenfalls als
(^ersetzet* und zugleich als frucht-
barer, frommer und begabter selb-
ständiger Dichter hat sich Heinrich
ron I.aufenbery , Priester zu Frei-
burg im Breisgau. ausgezeichnet;
er trat 1445 zu Strasburg in ein
Kloster. Schon sang an einigen
Orten das Volk abwechselnd mit
der Geistlichkeit solche Hymnen,
je die lateinische und die derselben
entsprechende deutsche Strophe.
Auen an gedruckten deutschen
Hymnensammlnngen fehlte es vor
der Reformation Keineswegs.
Eine weitere Quelle geistlicher
Lieder gewann man durch l'mdich-
tungen weltlicher Gesänge. Schon
die fahrenden Kleriker oder Goli-
arden hatten im 13. Jahrhundert
kirchliche II vmnen weltlich parodiert,
z. B. aus üem Verbum bonum et
suare ein Lied gemacht Vinum bonum
et suare und sich nicht gescheut,
solche Verse in den Kirchen beim
Gottesdienste abzusingen. Jetzt ge-
schah das Umgekehrte, man paro-
dierte weltliche Lieder in geistlichen
Text. Weltgeistliche, Mönche, Non-
nen, nahmen an dieser Arbeit teil,
wodurch man sich in den Besitz
geistlicher Texte zu schönen längst-
bekannten Singweisen setzte. So
wurde das bekannte Lied:
Ich stifond an einem morgen
heimlich an einem ort,
da het ich mich rerborgen,
ich hört klcglichc Wort
ron einem frcwl ein hübsch und fein,
das stuond bei seinem buolen,
es muost gescheuten sein.
in dieser ersten Strophe folgender-
maßen umgewandelt:
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Kirchenlied.
Ich stuont an einem morgen
heimlieh auf einem ort,
da het ieh mich verborgen,
ich hört kleqUehe wort,
van sei und leip in grozer pein;
die sei spraeh ztto dem leibe:
es muoz gescheid en sein.
So wurde aus:
der liebste buolen den ieh han,
der leit beim irirt in heller,
er hat ein hölzin rock/ in an
und hei.ssl der muskatel/er,
der Anfang des geistlichen Liedes:
den liebsten herren den ich han,
der ist mit lieb gebunden,
er lüehtet in dem herzen min
und freut mich zallen stunden.
Nur gering ist der Anteil, den
liehen Genieindegesanges ein und
untorstützte das Prinzip desselben
durch eigene Dichtungen, die er
teils aus der Bibel, teils aus den
alten lateinischen Hymnen schöpfte,
teils sind es alte Liederatroplien,
die er fortdichtend benutzte, einige,
besonders die polemischen, siud frei
gedichtet. Das erste von Luther
herausgegebene Gesaugbuch er-
schien zu Wittenberg 1524 unter
dein Titel: „Etlich Christlich Lider,
Lobgesang und Psalm, dem reinen
Wort Gottes gemess, aus der Hev-
ligen schrifft, durch mancherlei hoch-
gelehrter gemacht, iu der Kirchen
zuo singen, wie es dann zum tayl
berayt zuo Wittenberg in tiebung
ist." Es enthält acht Lieder, näm-
lich von Luther selbst vier (Nu
die Meistersinger am kirchlich sang- freut euch lieben Christen gemein,
baren Liederschätze hatten. Die Ach Gott vom himel sieh darein,
besondern Gelegenheiten, bei wel- Es spricht der unweisen mund wol,
ehen schon vor der Reformation und Aus tiefer not schrei ich zu
deutsche Lieder in der Kirche ge-
sungen wurden, sind nach Meister
und Baum ker das katholische deutsche
dir.), sodann drei Lieder von Pau-
lus Speralus: Es ist das heil uns
kumen her. In Gott gelaub ich das
Kirchenlied in seinen Singweisen er hat, Hilf Gott wie ist der men-
von den frühesten Zeiten bis Ende
des 17. Jahrh. 2 Bde. Freiburg.
1862 und 1883, folgende: 1) an hohen
Festen bei dramatischen Auffüh-
rungen in der Kirche; 2) in Ver-
bindung mit den Sequenzen, welche
an gewissen Festen, Weihnachten,
Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt, Drei-
faltigkeitsfest, Fronleichnam, im
Hochamt zwischen Epistel und Evan-
gelium zum Halleluja gesungen wer-
den, so zwar, dass das Kirchenlied
scheu not, und «las Lied eines un-
bekannten Verfassers: In Jesus Na-
men heben wir an. In demselben
Jahre 1524 erschien zu Erfurt schon
eine auf 25 Lieder vermehrte Samm-
lung, das Enchiridion oder Hand-
büchlein, mit 18 Lutherischen
Stücken, und so hatte es nun län-
ferc Zeit mit zahlreichen neuen
iiedern und Sammlungen seinen
Fortgang, wobei die letzteren bald
mehr dem gemeinsamen Gebrauch
der Gemeinde bald nach der Sequenz, ' der evangelischen Kirche, bald mehr
bald antiphonisch innerhalb derselben einer besonderen städtischen oder
Sesungcn wurde; 3) vor und nach Landes-Kirche dienten. Die Häupt-
er Predigt, ein Gebrauch, der im namen der Liederdichter (ausfünr-
15. Jahrh. wenigstens einzeln nach- liches Verzeichnis bei Goedeke,
weisbar und im 16. Jahrh. ziemlich Grundriss, I. § 127 ff.) sind Paul
verbreitet gewesen ist; 4j beim Lelir- Spcratus, Nicolaus Deeius, Erasmus
amt, d h. unter der stillen Messe; Alberus, Burkhard Waldis, Justus
5) bei Prozessionen. Jonas, Nikolaus Hermann, Wolf-
Dagegen trat nun Luther gleich gang Musculus, Johann Mathesius,
im Beginn der Deformation ganz Paul Eber, Nicolaus Selnccker, Jo-
nnd voll für das tfecht des kirch- hann Fischart, Bartholomäus Ring-
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Kirchtürme.
499
waldt, Philipp Nicolai, Johann Valen-
tin Andrea und Hans Sachs. Die
Lieder dieser Dichter lassen es sich
I gelegen sein, den objektiven In-
t der evangelischen Lehre, na-
mentlich an die Bibel angelehnt, in
echter volkstümlicher bündiger, all-
gemein wirksamer Sprache wieder-
zugeben ; sie wollen aber nicht
eigentlich lehren, sondern sie sind
der Reflex des evangelischen Glau-
bens auf das Gemüt der evangeli-
schen Gemeinde und meist mehr
kindlich naiv als verständig nüch-
tern gehalten. Sind die meisten
dieser Lieder noch in der roheren
Verstechnik des 16. Jahrhunderts
verfasst, so werden sie gegen Ende
des Jahrhunderts in der Form ele-
ganter, glatter, zum Teil künstlich
spielend, und der Auflassung nach sub-
jektiver; diese letztere Gattung, de-
ren Hauptrepräsentant Philipp Nico-
lai ist, führt dann hinüber zu den Lie-
derdichtern des 1 7. Jahrhunderts, wel-
che unter dem Einflüsse der Opitzi-
scheu Verskunst und unter dem
Drang des 30jährigen Krieges eine
edle Subjektivität des religiösen
Gefühles zur Darstellung bringen.
Anders und minder günstig für
das Kirchenlied entwickelte sich der
Gottesdienst der Reformierten.
Zwingli wollte für Zürich, nament-
lich abgeschreckt durch bisher wal-
tenden Missbrauch des kirchlichen
Gesanges, keinen deutschen Ge-
meindegesaiitf dulden; was von re-
formierten Dichtern dennoch an
Kirchenliedern gedichtet wurde, war
wenig erheblich und schloss sich an
die Dichtung der Lutheraner an,
deren Lieder anfangs auch in die
reformierten Gesangbücher Auf-
nahme fanden. Doch verschwanden
diese Sammlungen allmählich aus
dem kirchlichen Gebrauche und
machten, bedingt durch die Forde-
rung eines einzig auf die Schrift ge-
gründeten Kirchengesanges, blossen
Psalmenübcrsctzunqen Platz. Es ge-
schah das namentlich unter dem
Einflüsse der von Goudimel nach
französischen Volksweisen in Musik
gesetzten Psalmen Marots uud Bezas ;
diese französische Psalmeusaminlung
wurde nun, um die Melodien zu er-
halten, von Ambrosius Lohtrasse r,
Professor zu Königsberg, 1515 bis
1585, Silbe für Silbe ins Deutsche
übersetzt und blieb bis gegen Ende
des 18. Jahrhunderts das in un-
zähligen Ausgaben gedruckte Psalm-
und Kirchenliederbuch der refor-
mierten Gemeinden.
Auch die katholische Kirche
Deutschlands blieb zuletzt nicht
ganz ohne Anteil an der auf dem
Gebiete des Kirchenliedes entstan-
denen Bewegung. AVenn zwar das
Prinzip der Nichtteilnahme des Vol-
kes am kirchlichen Gesang nie von
der Kirche selber zurückgenommen
wurde, so wurde doch hier und da
kirchlich deutscher Gesang geduldet
und gepflegt, man sammelte alte
Lieder aus. der Volksüberlieferung,
auch alte Übersetzungen der H Vin-
nen, vermehrte sie mit neuen Uber-
setzungen und Liedern und erhielt
dadurch einen nicht unbeträchtlichen
Liederschatz. Der erste, der das that.
war Michael lese, Predigermönch
und Propst zu Halle an der Saale,
mit: „Ein New Gcsangbüchlein
Geystlieher Lieder, vor alle gutthe
Christen nach Ordnung Christlicher
Kirchen. Leipzig, 1537." Es ent-
hält 45 Lieder und wurde benutzt
von deorff Wittel, Domdechant von
Olmütz, der 1567 ein grosses Ge-
sangbuch mit 109 deutschen und
22 lateinischen Liedern herausgab.
Noch umfangreicher ist das durch
David Gregorius Corner, Abt zu
Götweig, im Jahre 1625 veranstaltete
„Gross Catholisvh Gesangbuch" mit
422 Liedern. Ifoßnann rou Fallers-
leben. Gesch. d. deutschen Kirchen-
liedes bis auf Luthers Zeit.
Kirchturme sind, wie es scheint,
ursprünglich nicht der Glocken we-
gen errichtet worden, sondern ent-
weder als Treppenrfehäuse . in der
32*
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500
Klage. — Kleiderordnungen.
Regel paarweise auf den Flanken
der Westfront, oder als Wachtünne
entstanden. Türme der ersten Art
sind in deutlichen Spuren nachge-
wiesen am Dom 7.11 Trier, und an
den Munstern zu Aachen und Essen;
die paarweise Anordnung erklart
sich aus Rücksichten auf die Sym-
metrie. Wachtürme waren die neben
den Klosterkirchen erbauten Rund-
türmc, wie sich namentlich aus den
Inschriften des St, Gallcr Kloster-
planes ergiebt; sie lauten: ascensu*
per eocleam ad unirersa superin-
spieienda, und alter similh. Iso-
f'wrte Stellung der Glockentürme,
die in Italien stehende Sitte ge-
worden ist, war in Deutschland nur
provinziell verbreitet, namentlich in
Schwaben , Böhmen , Oberschlesien
und Ostfriesland. Über die Türme
im romanischen und gotischen Bau-
stil siehe diese Artikel.
Klage in der Bedeutung von
Totenklage ist der alte, mancherorts
noch bestehende Name der bei den
alten Völkern allgemein verbreiteten
Totenklagen, eigentlich Wehgeschrei
über den Toten, dann Wehklage
mit woblgesetztcr Rede und ge-
wissen Gebärden, wozu die Ver-
wandten helfen mussten. Als Attri-
bute solcher Totenklage erscheint
oft sich selbst Raufen und Schlagen
der Brust, auch Abreissen der Klei-
der. Spater pflegte mau diesen
lästigen zeremoniellen Vorgang be-
stellten und bezahlten Klagewei-
bern zu überlassen. Jlildebrand in
Grimms Wörterb.
Klelderordiiungen. Schon Karl
d. Gr. sah sich veranlasst, durch
besondere Erlasse dem Luxus in
der Bekleidung entgegenzutreten,
der ohne Zweifel durch fremde Hof-
leute an seinem Hofe Platz gegriffen
hatte. Namentlich waren es die
köstlichen Pelze, denen der Kaiser
den Krieg erklärt hat. Ein mit
Marder- oder Fischotterfellen ge-
fütterter Rock der besten Art durfte
nicht über dreissig xolidu*, ein sol-
cher mit Zieselmausfell nicht über
zehn solidits kosten. Doch erschien
nach dem „Mönch von St. Gallen"
Karl selbst — wie einfach sein ge-
wöhnliches Kleid war — an hohen
Festen vornehm geschmückt , und
[ nicht minder traf das bei seiner
Gemahlin und den Töchtern zu
Es ist daher wohl begreiflich , dass
nach seinem Tode, unter der Herr-
schaft seiner schwachen Söhne und
Enkel, die Prachtliebe ungehemmt
sich entwickeln konnte. Es wich
dann die sogenannte fränkische
Tracht, namentlich vom 10. Jahr-
hundert an, allmählich der byzan-
tinischen, die aus Italien herüber-
kam. Der aufstrebende Adel und
die Städte wetteiferten in deren
Anwendung, und aller Halt ging
verloren, als dann gegen Ende des
13. Jahrhunderts Frankreich in jeder
Beziehung tonangebend wurde, wo
man — wie Schriftsteller damaliger
Zeit versichern — am Hof Lud-
wigs IX. „sich bei weitem mehr
nach einem kostbaren Marderpelz,
\ als nach der ewigen Seligkeit sehnte."
Dort erhoben sich, besonders nach
dem unglücklichen Ausgange der
Schlacht bei Crecy, ernste Männer
1 und schrieben das Unglück beson-
ders der Hoffart und der sie
begleitenden Sittenverderbnis zu.
Die Posaunen fanden allerorts ihren
Widerhall und wie französische
Tracht, so fanden auch die Klagen
] und Verordnungen bald ringsum
Eingang. Wir fassen jedoch nn
, dieser Stelle nur die amtlichen Er-
lasse ins Auge und wenden unseru
Blick in Kürze nach
Frankreich, dem Vorbild. Seit
der Zeit Eduards III. (1337—1377)
waren namentlich die Beamteten
von Staatswegen gehalten, sich nach
bestimmten Vorschriften zu kleiden.
Den Gcrichtsbeamten lieferte der
König die Stoffe und zwar je nach
dem Range Tuch und Seide, Lamm-
fell und ,, Kleinspelt" zum Besätze.
So liefert.« Richard II. (1377-139«.M
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Kleiderordnungen. 501
den Richtern zur Sommerkleidung auch schon von Anfang an mit
je 10 Ellen grünes Tuch, den Ober- wenig Erfolg. Namentlich waren
richtern 24 Ellen grünen Taffet, es die städtischen Behörden, die
während letztere unter Heinrich IV. dem „Teufelswerk" zu Leibe rück-
zu Weihnachten für eine Winter- ten, so diejenigen von Samberg
k leidung 10 Ellen „riolet in qrainu schon 1443, hauptsächlich gegen die
und 152 kleine Hermelinfeüe er- Frauen gerichtet. Bald folgte die
hielten, worunter 32 feinere zur Frankfurter Kleiderordnung und
Kopfbedeckung bestimmt waren. 1356 diejenige von Speier, welche
Zu Pfingsten erhielten sie 10 Ellen alle durch ihre spiessbürgerliche
grünes Tuch und ein halbes Stück Kleinigkeitskrämerei sich auszeich-
grüuen „tttrtarin". Die Tracht der nen.
übrigen Beamten wurde ebenfalls Im 15. Jahrhundert folgten sich
genau bestimmt und ebenso die der in allen Städten die verschärften
anderen Stände, so der Gelehrten, Ordnungen in immer kürzer werden-
der Professoren und Studierenden, den Zwischenräumen. Sie vermoch-
Die Arzte z. B. trugen eine graue ten jedoch dem einmal entfesselten
Robe, gegürtet mit schwarzem Hüft- Hange nicht Einhalt zu thun. Das
gürtel, auf dem Haupte eine schwarze „Lappen- und Zaddelwerk, die ge-
Kappe, die mit breiten Lappen unter teilten Kleider und Schnabelschuhe''
dem Kinn zusammengebunden wurde, blieben bestehen und veränderten
Auffällige Auszeichnungen mussten sich oft in phantastische Masken-
sich auch hier, wie in Italien und kleider, die, ihrem Zwecke so sehr
später in Deutschland, die öfteut- entfremdet, den Umwillen der Be-
liehen Mädchen und die Juden ge- sonnenen immer mehr reizten. Na-
fallen lassen. Erstere trugen Kappen mentlich war es der reiche Bürger-
mit weissen Merkzeichen, letztere stand, der es dem Adel zuvorthun
nach den Verordnungen der Kirchen- wollte und konnte, sodass der letz-
versammlungen von 1233 und 1267 tere, um sich vor gänzlicher Ver-
ein langes Gewand, dem 1314 ein armung zu schützen, nun unter sich
hornartig gebogener Hut von gelber freiwillige Vereinbarungen traf, z. B.
oder gelbroter Färbung beigegeben 1479, vor dem grossen Turnier zu
wurde. Auch musstc ihr Unter- Würzburg: „Nachdem einem jeg-
kleid auf der Brust oder ihr Mantel liehen Ritter guter Sammct und Per-
auf der Schulter mit einem roten len zu tragen vorbehalten ist, so
orangefarbenen Rad versehen sein, haben wir doch hierin beschlossen.
Solche Abzeichen waren auch be- dass ihrer keiner einen golddurch-
liebte Strafuiittel im „peinlichen" wirkten Stoff' noch gestickten Sam-
Rechtsverfahren. Fälscher und met tragen soll, darin er sich zu
Falschmünzer stellte man einen schmücken auf solchem oder ande-
ganzen Tag in einem weissen Ge- rem Turnier vornehmen wolle; wel-
wand aus, welches mit umtiauimten eher das überführe, der soll, von
Köpfen bemalt war. Verräter wur- allen Rittern und Edeleu verachtet
den mit pergamentenen Kronen ge- sein, auch in dem Turnier zu keinem
schmückt in den Strassen umher- Vortanz oder Dank zugelassen wer-
geführt, und Falliten wurde die den. Es sollen auch die gemeinen
grüne Kappe aufgesetzt. Edelen, so nicht Ritter und doch
Zwischen 1330—1350 fand die Turniers- und Ritte rgenosseu sind,
französische Tracht in Deutschland keinen Schmuck von Perlen, gestickt
Eingang. Diesem plötzlichen Um- oder anders tragen, denn eine Schnur
schwung in Sitte und Tracht trat um eine Kappe oder Hut. Es soll
man sofort energisch entgegen, aber auch keiner Gold, von Ketten,
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Kleiderordnungen.
Schnüren oder gestickt tragen, er
trage es denn verdeckt und unsicht-
lich als die Alten gethan und
hergebracht haben. Und soll der-
selbe auch keinen Sammet, darin
er sich auf solchem Turnier schmü-
cken wolle, anderes denn zum Wams
nach seinem Gefallen tragen, und
welcher das überführe, der soll von
anderen Rittern und Edelen ver-
schmäht, der Vortünze und der
Dünke beraubt sein. Es sollen auch
da alle Ritter und Edelen, und be-
sonders ein jeglicher Ritter, keine
goldene Decke (oder Schabracke)
und in der Gemeine von Adel von
Sammet, von Damast, Alles keine
Decke oder Wappenrock führen;
weleher das nicht hielte, der soll
dann von den anderen verschmäht,
auch von den Franken im Turniere
abgeschieden und der Vortänze,
sammt des Turniers Dänken be-
raubt sein. — Nachdem als wir die
Ordnung unter uns, als den Manns-
personen gesetzt und die Nothdurft
mit unsern Weibern, Töchtern und
Schwestern auch Ordnung zu ver-
sehen erfordert, so ist gemacht, dass
eine jegliche Frau oder Jungfrau
nicht über vier Röcke, darin sie
sich schmücken will, als Sammet
oder gestickte Röcke haben soll.
Darunter sollen nicht mehr denn
zwei dem Sammet gemäss sein; ob
sie anders diese hätte und die anderen
nach ziemlichen Dingen die dem
Adel, als die Alten hergebracht
haben, wohl anständig; und welche
Frau das nicht halten, sich mit Klei-
dern zu schmücken über diese Zahl
anschicken und zu solchem Turnier
gebrauchen thue, die soll von der
fesammten Ritterschaft, Frauen und
ungfrauen, verachtet sein und der
Vortänze und Dänke des Turniers
beraubt bleiben. Und ob aus den
gemeldeten Frauen und Jungfrauen
etlic he mit solcher Kleidung zu dem
Geschmuck nicht als köstlich an
Sammet versorgt wären, die sollen
dennoch nach ihrem Stand zu Ehren
rezogen werden.44 Eine ähnliche
Verordnung erliess um 14S5 die
Ritterschaft der Vierlande (Rhein-
land, Bayern, Franken und Sehwa-
ben) auf dem Turniere zu Heilbronn.
Der Bürgerstand, der sich an
die Gesetze der Räte wenig
kehrte, lud sich nun die Ungnade
der Fürsten auf den Nacken. So
erliessen um 1482 der Kurfürst Emst
und der Herzog Albert von Sachsen
ihre Verordnungen, die allerdings
— wenigstens gegen den Ritterstand
— etwas milder waren als manche
der übrigen „gnädigen Herren*'. So
erlaubten sie den ritterlichen Frauen
und Jungfrauen ein Kleid zu tragen
mit zwei Ellen langen Schleppen,
dazu den Besitz einer seidenen
Schaube, eines seidenen Rocks und
zwei gestickter Röcke, jedes einzeln
im Werte von höchstens 150 Gulden.
Da aber auch diese fürstlichen Er-
lasse unbeachtet blieben, kam die
Angelegenheit vor den Reic/i#t<i(f,
der 1497 auf dem Abschied zu Lindau
besondere Verfügungen traf.
Von grossem Erfolg waren diese
Reiehstagsverordnungen schwerlich
begleitet, denn auf dem Tage zu
Augsburg (1500) kam die Ange-
legenheit wieder zur Sprache und
wurde beschlossen: „dass die Kur-
fürsten, Fürsten oder andere Obrig-
keit bei Vermeidung kaiserlicher
Ungnade die Reichstagsbeschlüsse
in betreff der Überflüssigkeit der
Kleider in ihren Ländern in Aus-
führung zu bringen hätten und zwar
bis zum Sonntag Lätare d. J. 160t,
und dass alle, welche bis dahin dem
nicht völlig genügt haben würden,
durch den Reichsnskal mit Gewalt
dazu genötigt werden sollten."
Diese Gesetze sollten hinsichtlich
der Handwerker auch für „deren
Frauen, Kinder und Mägde zu ver-
stehen sein" und den Töchtern der
Bürger in den Städten sollten Haupt-
bändlein und Perlen — natürlich
in ziemlichem Masse — nicht un-
verbofen sein. Hinsichtlich der
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Kleidung. — Klerus.
503
Juden und öffentlichen Dirnen
(Freudenmädchen", „der Weiber,
die an der Unehre sitzen") galten
im allgemeinen die gleichen Bestim-
mungen, die Frankreich aufstellte.
In Berlin mussten letztere (148G) die
Mäntel auf den Köpfen tragen, oder
aber sie trugen ganz kurze Mäntel;
die Lustiqmacher und Narren trugen
seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
mögliehst buntacheekige Tracht mit
einem weiten, sackförmigen , mit
Glöckcheu verzierten Hängeärmel,
Schellenkappe mit Hahnenkamm,
Eselsohren und Narrenkolben.
Auch daa 16. Jahrhundert kämpfte
nicht minder erfolglos. Die „neue
kaiserliche Ordnung und Refor-
mation guter Polizei im heiligen römi-
schen Reich" erliess auf einem
spätem Reichstage (1530) wieder
zu Augsburg eine ganze Reihe der-
artiger Bestimmungen, die den Land-
leuten, den Städtern und zwar Bür-
gern wie Handwerkern, Handwerks-
knechten und Gesellen, den Kanf-
und Gewerbsleuten, den Räten und
Geschlechtern, dem Adel, den Grafen,
Herren, Rittern und Doktoren, den
Geistlichen, den Reisigen und Kriegs-
leuten, den Bergknappen etc. die
kleinlichsten Vorschriften in bezug
auf die Kleidung machten, „damit
in jeglichem Stand unterschiedlich
Erkenntnis sein möge", und 1548
wurde beschlossen, me Obrigkeiten,
die mit der Durchführung derselben
nach Jahresfrist noch im Rückstände
sein sollten, mit 2 Mark lötigem
Golde zu bestrafen; der Erfolg blieb
auch jetzt noch aus, der betroffene
Bürger bezahlte nötigenfalls seine
Strafe, übertrat aber das Gesetz bei
der nächsten Gelegenheit wieder.
Auch die Geistlichkeit benutzte
Kanzel und Beichtstuhl, namentlich
die nun auftauchenden „Pluder-
hosen", die „unzüchtigen Teufels-
hosen" abzuthun; Kirchenstrafen
und Bann waren nicht vermögend,
der unglaublich raschen Verbrei-
tung der „unflethig, schändlich, zer-
ludert , sucht- und ehren wegen, plu-
drigten" Kleidung Einhalt zu thuu.
Die Räte mussten auch hierin nach-
geben. So erlaubte endlich der-
jenige von Braunschweig (1579) den
Bürgern zu einem Paar Hosen 12
Ellen Seide, der von Magdeburg
(1583) „den Schöffen, denen von den
Geschlechtern, den Vornehmsten aus
den Innungen und den Wohlhaben-
den von der Gemeinde" bis zu IS
Ellen Karteck, der von Rostock
(1585) — doch einzig den Adeligen
— 12—14 Ellen. Die Kleiderord-
nungen verschwinden aus den obrig-
keitlichen Erlassen erst zu Ende des
vorigen Jahrhunderts. Nach Weit»,
Kostümkunde.
Kleidung:, siehe Tracht.
Klerus. Die iiiteste Kirche unter-
schied bloss Bischöfe und Priester,
beide insofern gleichgestellt, als sie
gleichmiissig zur Administrierung
der Messe zugelassen waren. Zur
Hilfeleistung bei dem heiligen Dienste
wurden die Diakonen verwendet;
später entstanden zu diesem Zwecke
noch andere Amter, die Subdiakonen,
die dem Diakon beim Gottesdienste
ministrierten; die Akoluthen zur Zu-
reichung der Altar- und der heiligen
Gerätschaften; die Estorcisten für
die Gebete und Handauflegung über
die Energumenen, die Lektoren zum
Vorlesen aus den heiligen Schriften,
die Ostia rien zur Obnut der Ver-
sammlungsorte; die letzteren Amter
vom Diakon abwiirts hiessen Mini-
stranten. Später bildeten die Priester
und Diakonen zusammen das Pres-
byterium , mit dem der Bischof die
wichtigeren Sachen beratend ver-
handelte. Die geringeren Stufen
verloren sich mit der Zeit als eigent-
liche Ämter und erhielten sich nur
insofern, als in den bisehöflichen
Schulen die jungen Kleriker je nach
dem Alter und den erworbenen
Fähigkeiten zu den niederen Weihen
zugelassen wurden. Allen Klerikern
gemeinsam war die Tonsur, das Ab-
scheren der Ilaare als Symbol der
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504
Klopfau. — Klosteranlagen.
Ablesung alles weltlichen Sinnet;
dieselbe ging seit dem 6. Jahrhundert
der Ordination vorau. Auf sie folgten
die ( )rdinatiouen zum Ostiarius, Lek-
tor, Exorcisten,Akoluthen,Subdiakon,
Diakon und Priester, deren vier
erste Grade bloss bildlich zur Er-
innerung an die alt«' Disziplin durch-
gegangen werden inussteu. Seit dem
13. Jahrhundert unterschied man
daher vier niedere Weihen, online*
minore«, oft einfach Kleriker genannt,
und drei höhere Grade, ordines majo-
res *. sacri. Zu ieder dieser Stufen
erteilt die Ordination die ent-
sprechende Befähigung und Voll-
macht, welche sieh auf der letzten,
dem priesterlichen Ordo, bis zur Be-
fähigung und Ermächtigung zur
Darbringung des Opfers erweitert.
Des vollständigen Sacerdotiums wird
jedoch »1er Geweihte erst teilhaft,
wenn er, durch Wahl oder auf an-
dere gesetzliche Weise zum Hirten
einer bestimmten Diözese berufen,
für diese die Konsekration erhält,
und bloss die höheren Orden sind
dem Colibat und der Verpflichtung
zum speziellen Gebetsdienste unter-
worfen. Zur Ordination werden nur
solche getaufte Männer zugelassen,
denen die Attribute der Unsträflich-
keit des Wandels, hinreichendes
Alter, eheliche Geburt, genügendes
Wissen, Integrität des Körners,
des Geistes, Willens und Glaubens
zukommen. Bischöfe und Priester
sollten nach den ältesten Kanones
dreissig, die Diakonen fünfund-
zwanzig Jahre alt sein: die niederen
Ordines können schon einige Zeit
nach dem siebenten Jahre, als dem
möglichsten Zeitpunkte der Tonsur,
erworben werden.
Klopfan, hiessen kleine Neujahrs-
gedichte des 15. Jahrhunderts, die
mit dem Worte Klopf an beginnen
und vielgestaltigen und bunten In-
haltes, bald ernst und zart alles
Schöne und Gute wünschen, bald
voller Unsauberkeiten stecken.' Klopf
an von Oskar Schade, Hannover 1S">5.
Klöster, siehe Mönrhstum.
Klosteranlagen. Die Anfänge
der christlichen Klosterbauten im
Frankenreiche knüpfen sich an die
irischen Glaubensboten; wo sie sich
nicderliessen, da entstanden nicht
nur Kirchen, in denen sie ihren
Gott verehrten, sondern auch nach
heimischer Art gezimmerte Hütten
und Wohnhäuser. Freilich werden
wir uns jene frühesten Anlagen
kaum dürftig genug vorstellen kön-
nen; es waren schlichte Holzliütteu,
welche um* den allernotwendigsten
Bedürfnissen genügen konnten.
Als dann im 8. Jahrhun-
dert die kräftige Herrschaft der
Pipinideu sich entwickelte, er-
wuchsen an hervorragenden Stellen,
geschützt durch die Gewalt der
Könige und gefördert durch reiche
Schenkungen der Edlen, bereits jene
ersten weitläufigen Klosteranlagen,
wie wir dieselben durch das ganze
Mittelalter verfolgen können. Eine
solche hervorragende Stellung unter
den zahlreichen von irischen Mönchen
gestifteten Klöstern nahm St. (lallen
ein, das unter seinem trefflichen
Abte Othmar rasch aufblühte und
eine Erweiterung der alten Abtei-
gebäude bedurfte. Ausser den eigent-
lichen Klosterräumen wurden auch
Häuser für Arbeits- und Hand-
werksleute angelegt, ferner ein
Krankenhaus mit einer besonderen
Abteilung für Aussätzige und ausser-
halb einer Verzäunung eine soge-
nannte äussere Schule, in welcher
Jünglinge gebildet wurden, die nicht
zum Möncnsleben bestimmt waren.
In der flachgedeckten, 100 Fuss
laugeu Kirche wird besonders der
vielen Fenster, der gläsernen Kron-
leuchter rühmend Erwähnung ge-
than. Eine Krypte unter dem Chore
enthielt die Gebeine des hl. Gallus.
Die ganze Kirche war aus Stein ,
ausgeführt, und das Mauerwerk
wird als so fest geschildert, das-
beim Abbruch uer Kirche im
Jahre 820 unter grosser Mühe
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Klosteraulagen.
505
Mauerbrecher angewendet werden Katger begonnenen grossartigen
nmssten. Bauten fortgeführt und so weit aus-
Zu gleicher Zeit entstanden, von gedehnt wurden, dass die Mönche
irischen Mönchen gegründet, am den Abt verklagten, weil sie nur
Oberrhein zahlreiche Klosteraulagen. immerfort bauen müssten und nichts
Das Innere Deutschlands dem Chri- anderes thun könnten. Im Kirchen-
steiituni erschlossen zu haben, bleibt bau tritt uns in Fulda unter dem
aber das Verdienst des angelsäch- vierten Abte Eigil eine Neuerung
sisehen Mönches Winfried oder Boni- entgegen, welche für die Folgezeit
facius, des Apostels der Deutschen, geradezu massgebend wurde, näm-
Seine Lieblingsstiftung war das lieh die Anlage eines zweiten west-
Kloster Fulda, dessen Grundlegung liehen Chores, der errichtet wurde,
ins Jahr 742 verlegt wird und zu tun die Gebeine des grossen Heiden-
dessen Erbauung er den ersten Abt \ apostelsBonifacius aufzunehmen und
Sturm nach dem Mutterkloster Mon- \ dessen Grab zu verherrlichen. Da-
tecassino in Italien sandte, um die dureh war in die Grundanlage der
dortige Anlage zu studieren. Wie Basilika ein neues Motiv eingeführt
Abt Sturm seine Studien am Kloster und die Salvatorkirche in Fulda
Fulda verwertete, wissen wir aller- wurde in ihrer doppelt-hörigen Au-
dings nicht, allein es ist sicher an- läge das Vorbild für die meisten
zunehmen, dass der Typus der Dome und Klosterkirchen der drei
klösterlichen Anlagen dieser frühen folgenden Jahrhunderte. In die Zeit
Zeit nicht verschieden war von dem Ludwig des Frommen fallt zugleich
der späteren Jahrhunderte. Um ein anderer bedeutender Neubau,
einen, in der Regel quadratischen, der vorzüglich deshalb Interesse
mit Arkaden umgebenen Hof, den erweckt, weil sich über die Grund-
sogenannten Kreuzgang, gruppierte disposition ein alter Originalriss aus
sich die Kirche, gewöhnlich im 1 dem Jahre 820 bis auf unsere Tage
Norden, und die zur Wohnung der j erhalten hat, aus dem die ganze
Kouventualen bestimmten Räum- i Einrichtung und ausgedehnte An-
liehkeiten, die sogenannte Klausur. | läge einesdamaligen grossen Benedik-
Im Grunde genommen Ist das, die tinerklosters zu ersehen ist. Dazu
Kirche ausgenommen, ganz die An- Fig. 80, nach der Rekonstruktion
lagederantiKen/'/V/rtMr&rt/ia, während von Professor Lasius in Zürich. Es
die neben der Klausur belegenen ist die Abtei zu St. Gallen, für deren
Wirtschaftsgebäude der mit den Neuerstellung sieh Abt Gotzbcrt
herrschaftlichen Höfen verbundenen von auswärts, wahrscheinlich von
vi/la nuttica entsprechen , so dass Fulda, Rats erholte und diesen in
anzunehmen ist, dass den Benedik- j Gestalt des aus vier zusammenge-
tinern bei Anlage ihrer Klöster das nähten Pergamentblättern bestehen-
antike Wohnhaus als Vorbild vor- 1 den Baurisses erhielt. Die ganze
geschwebt habe. Nachdem Karl Anlage umfasst einen Flächenraum
der Grosse ins Grab gestiegen, brach von ungefähr 300 x 430 Fuss. Den
allerdings unter den nachfolgenden Mittelpunkt bildet die Kirche , an
schwachen Herrschern über Deutsch- deren Südseite der Kreuzgang mit
land eine traurige Zeit an, allein den zur Klausur gehörigen Gebäuden
es äusserten sieh doch noch die stösst und zwar östlich an den Kreuz-
Nachwirkungen der vergangenen cang angrenzend das Wohnhaus der
grossen Epoche. Ganz besonders Mönche mit dem gemeinschaftlichen
war es das Kloster Fulda, wo die Schlafsaal. dem Bade- und Wasch-
unter dem zweiten Abte, Baugolf, haus, südlich das Refektorium, der
durch den baukundigen Mönch Speisesaal mit der Küche, westlich
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Klosteranlagen.
die Kellerei. Statt des Kapitelsaals, ausgedehnten Kern schliessen sich
der erst im 10. Jahrhundert vor- an der westliehen und südlichen
kommt, dient der an der Kirche Seite das Gesindehaus und die
sich hinziehende Flügel des Kreuz- Ställe für Schafe, Schweine, Ziegeu,
ganges. Neben dem östlichen Chor Kühe, Ochsen, Pferde, ferner da*»
der Kirche befindet sich an der Werkhaus, die Malzdarre, die mit
Nordseite die Schreibstube, darüber der Klosterküche verbundene Braue-
die Bibliothek, an der Südseite die rei und Bäckerei, die Stampf- und
Sakristei in Verbindung mit der Mahlmühle, das Haus der verschie-
Hnstieiihäckerei. Vor ilie U.-tseitr denen Handwerker und die grosse
der Kirche legten sich, durch zwei Scheuue. Die südöstliche Ecke
aneinandergebaute Kapellen ge- endlich nehmen die runden Hühner-
trennt, das Kraukenhaus und die uud Gänseställe, der Begräbnisplatz
Fig. 80. Abtei in St. Gallen.
Novizenschule, jedes mit einem
quadratischen Kreuzgang in der
Mitte. Nördlich vom Krankenhaus
liegt die Wohnung der Arzte und
ein besonderes Haus zum Aderlassen
und Purgieren. An der Nordseite
der Kirche begegnen wir dem einer
Basilika mit offenen Seitenschiffen
gleichenden Abthaus, dem Schul-
haus für die Externen und der
Herberge für die Fremden samt
«■inem dazu gehörigen Wirtschafts-
gebäude: letzterem entsprechend an
der südwestlichen Seite die Herberge
für Pilger und Arme. An diesen
und der Gemüsegarten ein, in
welchem, wie der Plan besagt,
Zwiebeln, Sellerie, Coriander, Ret-
tiche, Knoblauch, Salat, Pfeffer-
kraut etc. wachsen.
Die Ausführung des Baues,
welche sich schwerlich an diesen
mehr systematischen Plan gehalten
haben wird , fallt in die Janre 822
bis 830. Sämtliche Mönche mussten
mitbauen. Die Pracht muss ^ross
gewesen sein, denn die Nach-
richten aus jener Zeit sprechen von
Marmorsäulen au der Amtswohnung.
Von der Umfänglichkeit und der
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Klosteranlagcn.
507
Grossartigkeit der Anlage aber er-
hält man einen Begriff, wenn mau
erfährt, dass in einem Backofen
allein auf einmal 1000 Brote ge-
backen werden konnten und die
Mühle alle .Jahre 10 neuer Mühl-
steine bedurfte.
Schwerlich werden die Klosteran-
lagen des ersten Jahrtausends alle so
umfassend angelegt worden sein, wie
dies in St. Gallen der Fall war. An
den meisten Orten begnügte man sich
mit dürftigen Holzhütten und ging
kaum über den Bedürfnisbau hinaus,
so in der von Fulda aus gegründe-
ten, später so einflussreich gewor-
denen Abtei Hirschau, namentlich
aber bei der zahlreichen Neugrün-
dung von Klöstern im Suchten! and.
Schon Karl der Grosse hatte säch-
sische Jünglinge in fränkische Klöster
gesteckt, wie nach Corbie bei Amiens,
damit sie dort im christliehen Glau-
ben unterrichtet werden möchten.
Diese zogen nun in ihre Heimat
zurück, um den Anbau des Landes
und christliche Bildung zu fordern.
Das bedeutendste Kloster, das so
erstand, ist die nach dem Stamm-
kloster benannte Abtei Corvey, wel-
che für die kommenden Zeiten ein
Hauptsitz der christlichen Wissen-
schaften wurde und aus welcher
Ansgar, der Apostel des Nordens,
hervorging. Grössen; Lust, als die
kriegerischen sächsichen Edeln zeig-
ten ihre Frauen und Töchter am
Klosterleben, was die Gründung
einer Reihe von Sonnenklostern
herbeirief, wie zu Herford, Lamm-
springe, Gandersheim etc. Im Ver-
laufe des 10. Jahrhunderts blühten
die Klöster durch reiche Schenkungen
ungemein auf und es erwachte unter
der Geistlichkeit eine grosse Baulust,
welche sich namentlich im 11. Jahr-
hundert geltend machte. Grosse
Verdienste um das Bauwesen er-
warb sich zu dieser Zeit der
Orden der Cluniaccnser , deren von
den Kaisem gefördertes Streben
auf die Reformation der erschlafften
Beuediktinerklöster gerichtet war.
Gleichzeitig entfernt sich die Bauart
immer mehr von sklavischer, aber
missverstandener Nachahmung der
Antike, esbildetsich jene Stilrichtung,
welche man als „romanisch" bezeich-
net. Aus dem Jahr 1009 besitzt man
noch eine Bauvorschrift des Abtes
Hugo von Vluny. Darin sind sogar
sämtliche Längen- und Höhenmasse
samt der Fensterzahl für Kirche,
Sakristei, Dormitorium oder gemein-
schaftlichen Saal, Sprechzimmer,
Kalefaktorium, Refektorium, Küche,
Speisekammer, Almosenspende an-
gegeben. Ferner schreibt Hugo sechs
Krankensüle mit Portikus und einen
Saal zum Fusswaschen vor; an-
stossend an die Kirche ein Gebäude
zur Aufnahme der Gäste mit 40
Betten für Männer und ebenso viel
für anständige Frauen. Dazwischen
aber soll der Speisesaal liegen. Ein
eigenes an die Sakristei angebautes
Haus soll die Handwerker auf-
nehmen, auf der andern Seite der-
selben der Begräbnissplatz liegen.
Auf die Südseite werden die Ställe
angeordnet und neben das Refek-
torium die Bäder. Das in der
Nähe liegende Noviziat enthalte vier
Räume: zum Nachdenken, zum Zeich-
nen, zum Schlafen und zur Unter-
haltung, ein anderes Gebäude diene
den Goldschmieden, Miniatoren,
Marmorarbeitern und anderen Künst-
lern.
Ein Brunnenhaus, in den Fried-
hof hinausgebaut, steht häufig mit
' dem Kreuzgang in Verbindung. In
demselben pflegte man den Mönchen
Bart- und Haupthaar zu schneiden,
was nach den eonsuetndines der
Cluniacenser alle drei Wochen und
unter Psalmcdieren zu geschehen
hatte. Man nannte dieses Brunnen-
haus deshalb auch die Tonsur.
Ganz gleiche Anlagen wie die
Ordensklöster hatten auch die mit
den Bischofssitzen verbundenen Dom-
kapitel (mona&teria cfe> icorumj und
die im 10. Jahrhundert entstandenen
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508
KlosteranlagL'ii.
h'ulhijiaf stifter, deren Kapitulare tausends hatte sich die Baukunst
die Regel des hl. Augustin befolgten, gänzlich in Händen der Mönche be-
Wie an den Klöstern für den Abt Funden. Allein als im 11. Jahr-
eine besondere Wohnung ausser- hundert die masslosc Baulust sich
halb der Klausur, oft auf Oer gegen- entwickelte, reichten die Hände der-
Uber liegenden Seite der Kirche er- selben nicht mehr aus und man sah
richtet war, so auch bei den Käthe- sieh deshalb gezwungen, Laien zu-
dralen die bischöfliche Pfalz Cpala- zuziehen, welche vorerst als Hörige
HumJ, die oft befestigt war. Im Frondienste zu leisten gezwungen
Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts wurden, oder aber als sogenannte
gaben die Kapi-
llären das ge-
meinsame Leben
auf und wohnten
auf besonderen
Höfen fcuriae ca-
»onicate*j. die in-
nerhalb des bi-
schöflichen Juris-
diktionsbezirkes
(auf Domfreiheit)
lagen. EineDom-
hemi-Kurie aus
dem 13. Jahrhun-
dert ist die Curia
St. Aegidii zu
Naumburg, fer-
ner die Stiftsbau-
ten in Trier und
Bamberg. Dem
entarteten Leben
der Chorherren
trat der Prämon-
stra fender - Orden
entgegen. von
dessen Baulich-
keiten das Lieb-
fraueukbster zu
Magdeburg ein
Beispiel zeigt.
Im allgemeinen
Fig
Grundriss des Kloster»
Riddaghausen.
Konversen dem
Klosterverband
beitraten. Dieae
bärtigen Brüder,
die eonveni fra-
trett barbafi, ge-
schickte Hand-
werker, welche in
den Kriegszeiteu
im Kloster Schutz
gefunden, bilde-
ten ein Institut
von Halbmön-
cheu , die zwar
Gehorsam und
Ehelosigkeit ge-
lobten, aber nur
in loser Verbin-
dung mit dem
Kloster standen.
Das Institut der
Konversen bilde-
ten namentlich
die Prämonstra-
tenser, noch mehr
aber die CUfer-
rienser aus. wel-
che seit dem drit-
ten Jahrzehnt des
12. Jahrhunderts
von Frankreich
Deutschland aus-
aber leimen sich die Bauten der aus sich über
Prämonstratenser denen der frühe- breiteten und deren Kirchen, im
reu Klöster an und nehmen auch Gegensatz gegen den von den
die besonderen Räumlichkeiten, wel- Cluniacensern mit der Kunst ge-
clie die Kollegiatstifter geschaffen triebenen Luxus anfangs von der
hatten, auf. wie die Kanelle zum grossten Einfachheit waren. Sehr
Privatgebrauch der Stiftsherren in eigentümlich hat sich die Chorpartie
der Nahe des Kapitelsaals und den der Cistercieuserkirchen gestaltet,
grossen Saal zum Abhalten der wobei einerseits der schlichte Sinn
Stiftsgerichte. des Ordens durch Hinweglassung
Bis zu Anfang des nein n Jahr- der Absidenvorlage zu einer Verein-
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Klosteranlagcn.
50<*
fachung, andererseits das Bedürfnis
kleiner abgesonderter Kapellen für
die Privatexerzitien der Mönche zu
reicherer Entfaltung des Grund -
planes geführt hat. Als Vorbilder
dienten zwei Klöster, einesteils das
nicht mehr existierende Mutterkloster
Citeaux, andernteils das Kloster
Fontenay. Beide schliessen den
figer wird die Anlag»* von Fontenay
nachgeahmt, wie zu Bellnhausen
und Maulbronn. Turmbauten führten
die Cistercienser keine aus. Da
ihnen nicht gestattet war, grössere
und mehrere Glocken zu besitzen,
begnügten sie sich in der Regel mit
einem kleinen, auf der Vierung auf-
sitzenden hölzernen Dachreiter. Eine
Fig. 82. Grundriss des Klosters Maulbronn.
Chor auf eine Gerade, bei ersterem
ist indes das französische System
des Chorumgangs und Kapellen
kranzes auf den rechtwinkligen Ab-
schluss übertragen, bei letzterem
laufen die Seitenschiffe im Querhaus
aus, an dessen Ostseitc sich dann
seitenschiffartiff je zwei Kapellen
öffnen. Nachbilder von Citeaux sind :
Ridd Unhausen, dazu Fig. 81 (Kunst,
bist. Bilderbogen) Ebrach etc. Hftu-
Eigentümlichkeit der Cistercienser-
kirchen liegt in dem ungemein ge-
streckten Langhause, wofür um so
weniger Gründe vorliegen, als von
dem Besuche der Klosterkirchen die
Laien und besonders die Frauen
ausgeschlossen waren. — In einem
gewissen Widerspruch mit der Ein-
fachheit der Kirche steht die Gross-
artigkeit und Mächtigkeit der Kloster-
anlagen, wovon uns in dem Cister-
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51()
Klosteranlagen.
eienserkloster zu Maidbronn (12. bis
14. Jahrhundert l ein grossartiges
Beispiel erhalten geblieben ist. Da-
zu Fig. 28 (Kunsthist. Bilderbogen).
Die ganze Anlage gruppiert sich
uin (Yen gebräucnlicTicn, hier mit
viel Kunst ausgestatteten Kreuz-
gang. Abweichend von der Regel
befindet sieh die langgestreckte,
mit geradlinigem nach dem Muster
von Fontenay gebildeten Chorschluss
versehene Kirche im Süden, an deren
Westseite sieh eine zierliche Vor-
halle, das sogenannte Paradies, an-
lehnt. Ein prachtiges Brunnenhaus,
nach Art einer noUgouen Kapelle,
ist nach dein Hof hinausgebaut.
Ihr gegenüber öffnet sich der Ein-
gang in den zweischiffigen Pracht-
saal des Refektoriums, dessen reich-
gegliederte Decke mit der des öst-
lichbclcgencn ebenfalls zweischiffigen
Kapitelsaales an Schönheit wetteifert.
Vod hier führt eine Verbindungs-
galerie, das sogenannte Parleato- [
rium, nach dem Amtshause. An
der Westseite des Kreuzganges
endlich befindet sich ein gewölb-
ter Keller und ein zweites Re-
fektorium. Im oberen Stockwerk
war das Dormitorium unterge-
bracht. Ausserdem gehörte zum
Kloster noch ein Krankenhaus,
das ausserhalb der Klausur auf
dem Klosterterritorium stand, welch
letzteres mit einer durch Türme be-
festigten Ringmauer umgeben und
durch ein Doppelthor nebst Brücke
zugänglich war. An den nordwest-
lichen Eckturm der Ringmauer
schloss sich zudem die Kloster-
mühle an und ausserhalb lagen noch
verschiedene Gebäude, darunter die
Herberge für die Gäste. Beschei-
dener in der Anlage ist Bt hen ha tuten,
dagegen zeigen die Klöster Jleiliqen-
kreuz bei Wien und Lilienfeltl in
Niederösterreich einen bedeutenden
künstlerischen Aufwand.
Eine ganz andere Richtung als die
Benediktiner, welche sich in freier
Lage auf den Rücken von Bergzügen
anzusiedeln pflegten, oder die Cister-
cienser, welche in der Weltabge-
schiedenheit stiller Waldthäler ihr
Heil suchten, schlugen die im 13.
Jahrhundert auftretenden Bettel-
oder Predige forden ein, denn ihre
Aufgabe war es nicht, sich gelehr-
ten Studien hinzugeben, sondern
durch Predigt das \ olk zu belehren,
die Dominik aner die höheren Stände,
die Franziskaner die niederen. Sie
siedelten sich deshalb in den Städten,
hauptsächlich an den Stadtmauern
au. Einesteils der beschränkte Raum,
andernteils das Gebot absoluter Ar-
mut veranlassten, dass ihre Kloster-
anlagen so einfach wie möglich, ja
ärmlich aussehen mussten. In ihren
Kirchen, welche hauptsächlich für
Predigt berechnet waren, wurde
das nicht absolut notwendige Quer-
haus weggelassen, ja man ging oft
sogar soweit, dass man, aller Sym-
metrie zuwider, nur ein Seitenschiff
anbrachte. Türme fehlen in den
meisten Fällen, wie bei den Cister-
cieuseru. Umfassende Klosteran-
lagen dieser Art sind bei der Mino
ritenkirche zu Danzig und bei St.
Katharina zu Lübeck erhalten.
Gleiche Einfachheit, aber wesent-
liche Verschiedenheit in der Anlage
zeigen die Klöster der Kartäuser.
welche erst seit dem H.Jahrhundert
in Deutschland vorkommen. Der
Zweck des Ordens, das einsiedleri-
sche mit dem Mönchsleben zu ver-
binden, erfordert grösseres Terri-
torium, weil neben der eigentlichen
Klausur, welche dasKonveutsgebäude
nebst dem Kreuzgang in sich be-
griff, noch «'in weiterer rechteckiger
Raum mit dem Gottesacker in der
Mitte und den einzelnen durch kleine
Gärten von einander getrennte Zel-
len der Mönche auf den Seiten,
nebst einem sie verbindenden Kreuz-
gang, nötig wurde. Auf diese Weise
erhielt man zwei Kreuzgangsanlagen.
In Deutschland ist die Kartause von
Sürnberq (germanisches Museum»
die vollständigste Anlage dieser
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Klosteranlagen.
511
Art. Ein»' andere findet sieh zu
Paradeis bei Danzig. zu Köln und
Basel. Bei den zwei letzten heisst
der eine Kreuzhang: Oalilaea minor,
der andere Gafilaea major. An
den letzteren lehnten sicli die ein-
zelnen Zellen an, welche der Reihe
nach mit Bibelsprüchen bezeichnet
waren, deren Anfangsbuchstaben
in alphabetischer Reihe aufeinander-
folgen. Die Gafilaea minor durften
die Mönche nur aui Sonnabend be-
treten, um im Kapitelsaal vor dein
Prior zu beichten und ihre Ange-
legenheiten zu beraten , oder an
Festtagen, wenn sie im gemein-
samen Refektorium assen oder sich
in dem kleinen Kreuzgange im Ge-
spräche ergingen.
Eineeigentümliehe Verschmelzung
des Klosterlebens mit dem Kriegs-
dienste brachten die Ritterorden
zustande, unter denen die Deutsch-
ritter in Preussen eine hervorragende
Bedeutung haben. Der Typus der
preußischen Ordensschlösser, wie
er sich im 14. Jahrhundert festge-
stellt hatte, erscheint als ein von
Graben umzogener quadratischer
Bau mit Ecktürmen und Kingmauern.
Im so gebildeten Hof erhoben sich
ein oder zwei Schlosser, welche sich
wieder nach einwärts gegen einen
Kreuzgang öffneten, der aber, da
die Haupträume des Schlosses nie
zu ebener Erde lagen, notwendig
zwei Geschosse übereinander erhal-
ten mii8ste. Zu den Haupträumen
gehörte zunächst die mit dem öst-
lichen Chorende stets nach aussen
liegende Schlosskapelle, der Kon-
vents-Remter genannte Kapitelsaal
und das Refektorium, welches Speise-
Remter hiess. Das Erdgeschoss,
unter dem sich in mehreren Etagen
übereinander mächtige Keller er-
streckten, enthielt lediglich die zur
Ökonomie erforderlichen Räumlich-
keiten. Völlig übereinstimmend wa-
ren auch die Schlösser der Landes-
bischöfe und Domkapitel eingerichtet.
Unter den Ordensschlösseru, welche
das ganze Land betleckten, zeichnet
sieh vorzüglich das ehemalige Haupt-
schloss zu Marienburg aus, das sich
als Sitz des Hochmeisters durch
grössere Ausdehnung und Pracht
von den übrigen unterscheidet.
Schliesslich wäre noch derjenigen
Bauten zu gedenken, welche aus
den Klöstern hervorgegangen sind,
nämlich der Jfosmtafcr. Ur-
sprünglich besass jedes Kloster ein
eigenes Krankenhaus. Seit der
Mitte des 12. Jahrhunderts verlang-
ten aber die zunehmenden Bedürf-
nisse selbständige Pflegeanstalteu,
wie sie namentlich die im 13. Jahr-
hundert von Papst Innoccnz be-
stätigten Brüder vom heil. Geiste
erbauten. Diese Hospitäler befinden
sich meist an den Eingängen der
Städte und wo immer möglich an
fliessendem Wasser. Stets sind sie
mit einer Kapelle verbunden zur
besseren geistlichen Pflege der Kran-
ken. Dergleichen Hospitäler wur-
den erbaut zu Hildesheim (1155), zu
Mainz, Ulm, Berlin, Nürnberg etc.
Besonders gut erhalten ist das Spital
in Lübeck; ein 2H(> Fuss langer von
allen Seiten reichlich beleuchteter
Saal mit beidseitiger Bettemeihe,
gegen die Strasse zu durch eine
Hallenkapelle abgeschlossen und
nördlich verbunden mit einem klei-
nen Hof mit Kreuzgang und an-
grenzenden Wohn- und Kranken -
räumen , südlich mit dem Archiv
und der Herrenstube und einem
Hofe mit kleineren Wohnräumen.
Eine mehr klosterartige Anlage hat
dagegen das Nikolaushospital zu
Cues an der Mosel, bei welchem
sich die Krankensäle und die Zellen
der Hospitaliten an die drei Seiten
eines Kreuzganges anlehnen, wäh-
rend die vierte von der Kirche ein-
genommen wird. Nach Otfe, Hand-
buch der kirchlichen Kunstarchäo-
logie; Otfe, Geschichte der deut-
schen Baukunst; LiiUe, Vorschule
zum Studium der kirchl. Baukunst ;
Mnthes Baulexicon. A. H.
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512
Knecht.
Knecht als Name für den l'n- Vertreter des alten volksmässigen,
freien. Knechtschaft im Sinne völli- an den Boden gebundenen Kultur-
ger Rechtlosigkeit ist ursprünglich lebens, das erst nach dem Zerfall
ohne Zweifel durch Kriegsgefangen- der höheren mittelalterlichen Bildung
schaft entstanden und erneuerte sich zu einer intensiveren Mitw irkung an
auf diesem Wege auch spater noch der Fortbildung der Gesellschaft
lange Zeit. Doch giebt es da- berufen wurde,
neben andere Quellen der Knecht- ' Die verbreiterten Namen für die
schaft: des Unfreien Kind bleibt Unfreien waren serrus, maneipium,
unfrei, der Freie konnte durch Heirat aneiüa: dann die wahrscheinlich der
mitUnfreien, als Strafe, durchstand- keltischen Sprache entlehnten ras*u*
recht, durch das Spiel, durch die i und ra&allus; lat. deutsch gaxindu*;
Unfähigkeit, andere Schulden, das hnechf, tnanahoubit, schalle, theo und
Wergeid, verwirkte Bussen zu tilgen, theu, thiama, diorna; im späteren
seiner Freiheit verlustig werden; er Mittelalter maneipia, hominc* de cor-
wurde dann (»egenstand des Han- pore, homines propra, sonderliuf,
dels; man kaufte und verkaufte ihn, eigenliut, arme Huf, leibeigene, eigen-
einzeln oder mit dem Lande, das hierige, herrschaftliche Unterthanen.
ihm übertragen war. Doch war die Die Eigenleute machten mit dem
soziale Stellung des Unfreien darum Haupthofe, wozu sie gehörten, eine
nicht durchaus ungünstig; er lebte Familie aus; dem Herrn lag ihre
in ähnlicher Weise wie der Frei- Ernährung und Versorgung oo, wo-
gelassene. ja wie der Freie, nament- gegen jener über ihre Arbeitskräfte
Reh in der Knabenzeit. Nur Waf- zu verfügen, bei ihrer Verheiratung
fentragen war ihm nicht zuge- entscheidend mitzusprechen, über
lassen, auch nicht als Begleiter die Bestimmung der Kinder mit zu
seines Herrn. Es ist nicht wahr- beschlicssen , sie nach aussen zu
scheinlich, dass die Zahl der Knechte : schützen und zu vertreten, im Straf-
bei den Germanen eine besonders , falle an Leib und Leben zu züehti-
grosse war. gen und zu strafen hatte; ihr gesell-
Erst durch die Eroberungen in- schaftlicher Zustand hing daher sehr
folge der Völkerwanderung wurde von der Person des Herrn ab, zu-
mit der reicheren Kultur und dem gleich von den allgemeinen, ohne
verfeinerten Luxus eine grössere Zweifel dem Wechsel unterworfenen
Anzahl unfreier Knechte zum Be- Sitten, Gebräuchen und Anschauun-
dürfnis, namentlich bei den jetzt gen. Rechtlich besass der Unfreie
entstehenden grösseren Grundbc- kein Volksrecht, sondern bloss Hof-
sitzern. Hat nun zwar auch der recht; das ganze Mittelalter hindurch
Stand der Unfreien seine Entwicke- hatte der Herr das Recht, ihn zu
lung gehabt, so trat diese doch we- [ verkaufen, zu verschenken, zu züch-
niger stark hervor als bei den oberen i tigen , ungestraft zu töten ; doch
Ständen, die als Träger der staat- suchte namentlich die Kirche mil-
lichen Ordnung und der höheren dernd einzugreifen, und Verkäufe
gesellschaftlichen und geistigen Kul- von Unfreien über che Grenzen des
tur tiefgreifenden Verämierungen Reiches hinaus waren z. B. verboten,
unterworfen waren. Als Bauern Später wurde den Gotteshäusern
blieben die Unfreien immerhin als der Verkauf eigener Leute untersagt.
Volksgenossen höheren Rechtes, wie Auch gegen die unumschränkte
den Liten und Zinsleuten, während Strafgewait des Herrn über die
des Mittelalters und namentlich wäh- Knechte trat die Kirche frühe auf;
rend der Ausbildung des Lehnsstaa- auch ihm stand das Asyl offen, und
tes und des höfischen Lebens, die die Tötung eines Knechtes ohne Zu-
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Knecht.
513
ziehung des Richters wurde mit Ex-
kommunikation bedroht.
Ursprünglich konnte jeder eigene
Leute nalten, auch Liten und un-
freie konnten andere Knechte unter
sich haben. Später war festgesetzt,
dass nur derjenige Unfreie haben
durfte, der ihnen kräftigen Schutz
gewähren konnte, Gotteshäuser und
von Weltlichen wenigstens Mittel-
freie. Die Unfreien in den Städten
wurden durch Freibriefe ihrer Herr-
schaft, und die von aussen dahin-
zogen, durch Aufenthalt von Jahr
und Tag frei. Es gab deshalb bloss
noch auf dem Lande Uufreie, die
erblich zu einem landesherrlichen
(»ute, einem Gotteshause oder einem
Schloss- oder Rittergute gehörten.
Oft wurde ihnen auch durch Privi-
legium das Recht des freien Zuges
gewährt.
Der Unfreie hatte dem Herrn
einen gewissen Zins und Dienst zu
entrichten; das alemannische Gesetz
nennt als üblichen Zins für den mit
einer Hufe versehenen Unfreien 15
Eimer Bier, 1 Schwein, 2 Malter
ßrot, 5 Hühner, 20 Eier, zudem für
Knechte wie Mägde drei Tage der
Woche Arbeit für den Herrn. Mit
der Zeit wurden Frondienste sowohl
als Zinse mässiger, bis zuletzt meist
bloss das Faxt nach (xh ahn übrigblieb.
(Vgl. den Art. Fronhöfe.)
Die Beschäftigung der Unfreien
war eine sehr verschiedene. Einige,
die serri rustici, riuticani, wunten
auf dem Hofe für die gewöhnlichen
Knechtsdieuste in Haus und Feld
gehalten; andere waren über ein-
zelne Wirtschaftszweige gesetzt, wie
in ältester Zeit der seneschalk und
marschalk, der Koch, Bäcker, Keller-
meister, Schwein-, Ochsen-, Schaf-
und Ziegenhirt, die dann wieder
Lehrlinge unter sich hatten; wieder
andere waren für Dienste verwendet,
wozu mehr Übung und Geschicklich-
keit gehörte, wie die vaxxi ad mini-
sterium, minixtcriales, servi ministe-
riales; aus den eigenen Leuten nahm
man ursprünglich die Handwerker,
wie Zimmerleute, Schlosser, Maler,
Schneider, Schuster, die dann ihren
Zins in Fabrikaten zu entrichten
hatten. Auch zur Begleitung im
Kriege wurden mit der Zeit Unfreie
gebraucht. Anderer Art waren die-
jenigen Unfreien, welche gegen be-
stimmte Dienste und Abgaben auf
Grundstücke zum eigenen Anbau
gesetzt waren: sie hiessen ser vi rasa ti,
coloni , mansoarii , hobarii, curtarii,
je nachdem sie bloss auf ein klei-
neres Stück Land (casa) oder auf
einen ordentlichen Hof (mansus,
curtis) gesetzt waren. Eigene Leute,
die zum Kriegsdienste herangezogen
wurden, konnten unter Umständen
sogar Ritter werden. Die meisten
aber standen in Beziehung zu einem
bäuerlichen Grundstück, und die
Kinder erhielten zu ihrer Versorgung
entweder das Besitztum des Vaters
oder wurden, wenn sie einen anderen
ausreichenden Nahrungsstand er-
griffen, gewöhnlich freigelassen.
Die Ehe der Unfreieu bestand
nur durch den Willen des Herrn
und war ohne dessen Zustimmung
ungültig. Mit der Zeit jedoch mil-
derte sich auch diese Härte, und es
blieb als Erinnerung daran bloss eine
Abgabe zu Recht bestehen, welche
der und die Uufreie bei ihrer Ver-
heiratung an den Herrn entrichten
mu8sten ; sie hiess Bedemund, Hemd-
laken, Hemdschilling, Vogthemd,
Nagelgeld , Buinede , Bunzengro-
schen, Schürzeuzins, Frauengcld.
Unfreien Leuten waren nur Ehen
untereinander gestattet ; die Verbin-
dung einer Freien mit einem Knechte
wurae in älterer Zeit mit Tod oder
öffentlicher Knechtschaft, Friedlosig»-
keit iL dgl. bestraft.
So war der Unfreie auch keines
echten Eigentums fähig; was er hatte,
besa8S er vom Herrn und war Eigen-
tum des Herrn. Doch wurde dies
im Leben nicht streng durchgeführt
und namentlich dem Knechte der
Erwerb eines eigenen Vermögens,
33
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514
Knittelverse. — König der Spielleute.
des Peculiums, gestattet. Sogar
eigene Grundstücke konnte er be-
sitzen, vom Herrn geschenkt erhalten
oder sonst beerben. Aber der Nach-
lass des Unfreien, auch das Pecu-
lium, gehörte dem Herrn. Mit der
Zeit wurde jedoch den Blutsfreunden
des Unfreien ein Erbrecht am Hofe
gestattet, entweder ohne allen Abzug
oder gegen eine Abgabe, die mar-
tuarium, manu* mortua, tote Hand,
Besthaupt, Fall (siehe diesen Art.)
hiess.
Vor Gericht musste sich der
Unfreie sowohl als Kläger als auch
als Beklagter durch den Herrn ver-
treten lassen; auch zum Zeugnis
war er unfähig; zum Eid und Gottes-
urteil aber durfte er nur mit Zu-
stimmung seines Herrn gefordert
werden. Auch diese Zustände ver-
lieren sich aber mit der Zeit. Nach
li'aitz, Verf.-Geseh., Walter, Rechts-
gi'sch. Vgl. Grimm, Rechtsalter-
tümer. Über Knecht als Knappe
siehe Rittertcesen.
Knittelverse oder Knüttelverse,
wörtlich soviel wie ungehobelte,
knüppelige, knotterige Verse, war
ursprünglich der Name der versus
leonini des Mittelalters, in sich ge-
reimter lateinischer Hexameter;
später und jetzt stets bezeichnet man
damit die Keimpaare, die eich seit
dem 14. und 15. Jahrhundert aus
den streng rhythmisch gebauten
Reimpaaren der höfischen epischen
und Spruchpoesie fortbildeten, in-
dem man, besonders in der ersten
Hälfte des Verses, sich mit der rich-
tigen Silbenzahl begnügte, während
der Schluss doch meist jambischen
Rhythmus bekundete. Der Knittel-
vers ist der typische Vera der volks-
mässig-bürgerlichen epischen und
Spruchdichtung des 14. — 16. Jahr-
hunderts bis auf Opitz und trägt
durchaus das Gepräge jener wild-
laufenden Zeit an sich. Nachdem
der Geschmack der schlesischen
Dichterschule ihn als ungehobelt und
hässlich beiseite geworfen hatte,
ging Goethe in den Dichtungen der
Sturm- und Drangperiode, nament-
lich in Faust, dem ewigen Juden, den
Puppenspielen und in Hans Sachsens
poetischer Sendung wieder mit Vor-
liebe auf ihn zurück. Siehe Grimms
Wörtcrb. unter Knüttelvers.
Köcher. Wie die Bogen, so
wurden besonders auch die Pfeile
zum Schutze in ein Futteral gesteckt.
Der Köcher für die Pfeile, mhd.
tarkis genannt, lat. tarkasius , frz.
can/nois, couirc, curie, engl, quirer,
bestand im 14. Jahrhundert gewöhn-
lich aus einem ledernen Sacke, der
über die Schultern gehängt wurde
oder auch anöden Gürtel. Vor Be-
ginn des Kampfes entnahm der
Schütze demselben eine Anzahl Pfeile,
die er in den Gürtel, wohl auch
neben sich in den Boden steckte
oder auf den Boden geworfen mit
dem Fusse deckte. In Ermangelung
eines Köchers trug der Schütze
wohl auch den ganzen Vorrat an
Pfeilen einfach im Gürtel mit sich.
Kolben heisst der untere, ver-
dickte, als Schlagwafie dienende
Teil eines Handfeuergewehrs. Über
Streitkolben siehe den Artikel Keule.
Kb'nig der Spielleute n. dgl.
Der Vorstand der an einem Hofe
angestellten Spielleute und Sänger
hiess zuerst in Frankreich und Eng-
land Köniy, Roy des Menestrels,
König der Geiger, Rot deSfriolons;
danach nannte man ihn in Deutsch-
land den Spielerkönig, Spielgraf,
Musikgraf, Pfeiferkönig, König der
fahrenden Leute. In Österreich gab
es einen Erbspielgrafen und einen
Reichsspielleutekönig für das ganze
heilige römische Reich. Diese Am-
ter wurden endweder adeligen Ge-
schlechtern zu Lehen gegeben, wie
z. B. die Herren von Rappoltstein
im Elsas», nach deren Aussterben
die Pfalzgrafen von Birkenfeld das
Königreich fahrender Leute als
Reich8erblchcn hatten, oder sie wa-
ren Hofämter. Die Herren von
Rappoltstein verwalteten ihr Amt
uigitizeo
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515
nicht selbst, sie setzten vielmehr dein griech. geiios und dem lat. gr-
einen Pfeifer, Trompeter oder einen nu$ aus einer Wurzel stammt, deren
anderen fahrenden Mann zu ihrem Bedeutung „geboren werden" ist.
Stellvertreter ein, der nun Pfeifer- König ist der, dessen Stellung und
AvW^hiess. Ihm waren alle im Ronig- Würde auf dem Geschlecht beruht,
reich angestellten fahrenden Spiel- Daneben erscheint gotisch tkiudam
leute untergeben und ihm jährlich ein = Volksbeherrscher. Das königliehe
Huhn und einen Sester Haber zu ent- Geschlecht ist das edelste unter den
richten schuldig. Sein Amt war, für- , edeln Geschlechtern und sein Ur-
zusorgen, dass kein Spielmann zu Sprung in der Auffassung der ältesten
irgend einer Kurzweil zugelassen Zeiten ein mythologischer; von den
werde, der nicht zuvor in <fie Brü- Göttern leitete mau die ersten Könige
dertekaft aufgenommen wäre. Das ab. In eigentümlicher Art verbindet
Königreich fahrender Leute im Elsass sich aber mit dem Erbrecht des
war nämlich in drei Brüderschaften Geschlechtes ein Wahlrecht des
eingeteilt, die obere, mittlere und Volkes, das manchmal den König
untere, deren jede sich jährlich ein- bestätigt, anerkennt und wählt. Bei
mal zu einem l^feifertag versammeln den meisten Stämmen wurde der
rnu8ste, um afle gemeinsamen An- zum Köllig proklamierte auf den
gelegenheiten zu verhandeln und die Schild gehoben und dreimal im
unter den Genossen entstandenen Kreise herumgetragen, bei anderen
Streitigkeiten zu schlichten. Das trat er auf einen bestimmten Stein
genossenschaftliche Gericht bestand in der Mitte der Dingstatt. Gefiel
aus einem Schultheiss, vier Meistern er den Männern, so spraugen sie
und zwölf Beisitzern, den sogenann- jauchzend in die Höhe, schlugen
ten Zwölfern, und aus einem Weibel. ihre Waffen zusammen und riefen
Die Appellation ging an die Herren ihm Heil zu; dann folgte die Uber-
von Rappoltstein. Ähnliche Ver- tragung der Gewalt durch die Über-
hältnisse finden sich in der Schweiz, reienung einer Lanze. Die beson
wo Waldmann Pfeiferkönig war. deren Rechte des Königs aber waren
So hatten die Seiler einen König, j gewisse priesterliche Funktionen,
die Leinzieher auf der oberen Elbe. Berufung und Leitung der Volks-
Maurer, Fronhöfe, II, 406, und Versammlung, Vollzug der Gerichts-
Grimm, Wörterb. V, 1697. beschlüsse, Bezug des verwirkten
Königtum und Kaisertum. 1. In Friedensgeldes, Anführung des
altrjermanUcher Zeit. Spuren vom Volksheeres, Ernennung von Feld
Königtum finden sich vom ersten herren , Bezug freiwilliger Ehren-
Auftreten germanischer Stämme an, geschenke, lang herab wallendes Haar
neben der immerhin zahlreicheren und andere ehrenvolle Abzeichen in
republikanischen Verfassung. Beide Tracht und Waffen. War in den
Formen, Königtum und Republik, ersten Jahrhunderten der ehrist-
sind ursprünglich germanisen und liehen Zeitrechnung das Königstum
hissen sich in ihren Anfängen kaum noch die Ausnahme, so wurde es
mehr erkennen. Was das König- seit der Völkerwanderung die Regel,
tum wesentlich von der Republik so zwar, dass die Könige in erster
unterscheidet, ist die Erblichkeit, Linie als Könige über das Volk,
die sich auch beim Adel findet, nicht über ein bestimmt abgegrenz-
und dem König den Namen gegeben tes Land angesehen wurden, also
hat; denn ahd. chunine ist mittelst Könige der Dst- und Westgoten,
der Ableitungssilbe ing vom got. Vandalen, Burgunder, Thüringer,
kuniy ahd. ehunni, mhd. kün ae = Ge- Langobarden, Franken,
sehlecht abgeleitet, welches gleich 2. Bei den Merotcingem, Die
33*
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516 Königtum und Kaisertum.
fränkischen Könige leiteten ihren i nur Königstöchter würdig; daneben
Ursprung von einem sagenhaften aber lebten die Könige ungestraft
Chlodio oder Chlogio ab; von ihm mit niedrig geborenen Weibern auch
soll Merovech abstammen, von dem in doppelten Ehen oder im Konku-
das fränkische Köuigageschlecht den binat. Die Titel der merowingischen
Namen der Merowinger empfing, i Könige waren rir inluster, princejys
Auch ihr Recht beruht auf dem und dominus. Gemildert und in der
Erbrecht des königlichen Geschlech- 1 Wage gehalten wird die Macht de*
tes; ihr Ehrenzeichen bleibt das lang I Königs durch die Kraft des Volkes,
herabwallende Haar. Ein Wahlrecht i Dem ganzen Volke gegenüber Ver-
des Volkes in bezug auf das König- mochte der König nicht viel. Der
tum ist den Franken früh fremd ge- König legt«? sich eine starke Straf-
worden. Einen minderjährigen König I gewalt bei; oft Hess er ihm ver-
nimmt der nächste Verwandte in uasste oder verdächtige Männer ge-
seinen Schutz oder die Königin- fangen setzen, foltern, in die Ver-
Mutter wird als Regentiu anerkannt, bannunc; schicken, erschlagen, oft
Ob das zwölfte oder fünfzehnte Jahr ohne urteil und Recht. Untreue
im merowingischen Hause die gegen den König sollte nach deu
Mündigkeit gab, ist nicht ausce- Gesetzen mit dem Leben bestraft
macht Notwendige Eigenschaft des . werden. Besonders gross ist der
Königs ist körnerliche Rüstigkeit; Einfluss des Königs auf die Geist-
Zeichen der königlichen Gewalt lichkeit; vom Könige mit Rechten
ist die Lanze. Feierliche Krönung und Ehren ausgestattet, ist sie auch
oder priesterliche Salbung war uu- in hohem Masse von ihm abhängig;
bekannt, auch das Zepter uud den Bischöfe werden für jede Verletzung
Thron erwähnen wenigstens mero- ihrer Pflicht zur Verantwortung ge-
wingische Schriftsteller nicht. Das zogen und hart gestraft. Vom Volk
Purpurgewand und der Mantel, mit sagte mau, es diene dem König; die
dem sich Chlodwig bekleidete, sind Unterthanen nannten sich iu Eiu-
römischen Ursprungs. In den letzten gaben und Briefen Knechte und
Zeiten ihrer Herrschaft wenigstens Diener. Dagegen hat der König
fuhren diese Könige auf nnder- für das Volk zu 6orgen, das Recht
bespannten Wagen zur jährlichen zuhandhaben, den Frieden zu wahren,
Versammlung; sonst bestiegen sie sei's selbst, sei's durch gewissen-
das Ross. Die Köiiige hatten be- hafte , von ihm eingesetzte Richter,
stimmte Residenzen, wo sie einen Er gewährt allen Hilfe und Schutz,
Teil des Jahres sieh aufzuhalten besonders auf den Kirchen- und
pflegten; häufig erscheinen sie aber geistlichen Stiftungen. Dafür über-
auch auf ihren überall zerstreuten trägt jetzt die Kirche die Vor-
Höfen und Villen, wo ihre Paläste Stellung der heiligen Schriften von
oder Pfalzen lagen. Eine grosse der Obrigkeit auf den deutschen
Rolle spielt stets der Sehatz, der König und dieser bezeichnet seine
an den Sitzen des Königs bewahrt Herrschaft selbst als eine von Gott
wird; er gilt fast nicht weniger als gegebene. Jeder neue König durch-
das Reich, und das eine wird mit zog sein Reich, um sich als Herrscher
dem andern erworben, vererbt, er- zu zeigen und die Huldigung des
obert, geteilt: er enthielt geprägtes Volkes entgegenzunehmen; es ge-
Gold, Geschmeide und Scnmuck, schah dies durch den Treueid;
Ringe und Ketten, Gefässe, reiche der Schu/z des Königs hatte die
Gewänder und Stoffe. Königinnen Bedeutung des Friedens; er uin-
und Kinder hatten ihren eigenen fasste das ganze Volk und hielt es
Schatz. Ebenbürtiger Ehen waren in rechtlicher Ordnung zusammen;
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Königtum und Kaisertum.
517
einzelnen Personen , namentlich
Frauen und Geistlichen, verlieh er
auch besondere Rechte. Überhaupt
war es die Person des Königs, welche
die verschiedenen Teile des Reiches
und des Volkes zusammenhielt. Auf
ihr beruht die staatliche Verbindung;
was er beherrscht, bildet sein Reich.
Alles unterliegt seiner Aufsicht und
Gewalt. Das ganze Volk war ihm
persönlich verpflichtet, nur durch
ihn zu staatlicher Einheit verbunden.
Die höhere Gerichtsbarkeit ist eben-
so wie die allgemeine obere Regie-
rungsgewalt an seinen Hof gebunden.
Am königlichen Hofe laufen die Fäden
der Regierung zusammen, werden
die wichtigsten gerichtlichen Ent-
scheidungen getroffen.
3. Karolinger. Mehrere Genera-
tionen hindurch waren die mero-
wingischen Könige bloss noch ausser-
liehe Vertreter des Königtums,
wahrend die Familie der Hausmeier
ihrerseits auch schon durch mehrere
Generationen als Fürsten und Her-
zoge die faktische Gewalt des König-
tums und alle diejenigen Eigen
schaften
Annäherung des fränkischen König-
tums zur Kirche ihren Ausdruck in
dem Titel, den sich Pipin zuerst
beilegte, Dei gratia.
Die Verbindung
welche für das-
selbe nötig waren. Nach dem Rat
und Willen der Grossen wurde nun
von Pipin eine Gesandtschaft nach
Rom zu Papst Zacharias geschickt,
weiche anfragen sollte, ob die Über-
tragung der königlichen Gewalt auf
Pipin, den Inhaber der Macht, ge-
rechtfertigt sei. Der Panst bejahte
die Anfrage und befanl gemäss
apostolischer Autorität, dass Pipin
Köllig werde. Darauf fand die
feierliche Erhebung Pipins zum
Könige und die Salhung desselben
durch die Bischöfe statt, eine sym-
bolische Handlung, welche im An-
schlüsse an die Salbung Sauls und
Davids durch Samuel schon bei den
Westgoten und Angelsachsen Regel
geworden war. Ob mit der Salbung
schon eine Krönung verbunden war,
ist nicht sicher; von einer Eides-
leistung des neuen Königs ist nicht
die Rede. Dagegen findet die grössere
ung mit der Kirche
sollte aber noch enger werden.
Einzig die Kirche und an ihrer
Spitze der Bischof von Rom war
es, welche in dieser Zeit einen ge-
wissen Zusammenhang unter den
Bekennern des Christentums zu er-
halten suchte. Anfangs lehnte sich
der römische Bischof noch an das
oströmisehe Kaisertum; seitdem er
über kirchlichen und weltlichen
Fragen mit diesem zerfiel, suchte
und fand der römische Stuhl Hilfe
und Rettung beim fränkischen König-
tum, das seinerseits durch die Ver-
bindung mit Rom an Ansehen,
Macht und Verbreitung nur gewinnen
konnte. Papst Gregor III. wandte
sich zuerst an Karl Martell um
Hilfe gegen die Langobarden und
übersandte ihm die Schlüssel zum
Grabe des heil. Petrus. Noch mehr
that Stephan, des Zacharias Nach-
folger: er kam selber über die
Alpen und erteilte nicht bloss dem
Pipin und seinen Söhnen nochmals
die Weihe der Salbung, sondern er
ernannte sie zugleich zu Patriziern,
einer Würde, die öfter germanischen
Königen verliehen war, um dieselben
in einen gewissen Zusammenhang
mit dem Römerreich zu setzen,,
ihnen eine Art statthalterischer Be-
fugnis in den einst römischen Pro-
vinzen zu geben, diesmal in Rom
und dem Gebiet der Stadt. Indem
der Papst diesen Titel auf Pipin
übertrug, handelte er als Vertreter
des in der Idee fortlebenden römischen
Reiches; er bestellte dadurch den
fränkischen König als Beschützer
und Verteidiger der Kirche und
ihres Bischofs. Seinerseits machte
sich Pipin anheischig, dem römischen
Stuhl eine Reihe von Besitzungen,
die demselben durch die Langobarden
entrissen waren, wieder zu ver-
schaffen , was auch geschah. Noch
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518
nähere Beziehungen hatte Karl der wird von Schriftstellern «1er Zeit,
G roste zum römischen Stuhl; auch aber nicht in öffentlichen Akten
ihm übersandte der Papst, Leo, die gesagt; dagegen blieb der Ausdruck.
Schlüssel zum Grabe des heil. Petrus regnum, regia majestas in Gebrauch,
und die Fahne der Stadt Rom, und Ausser dem Titel magnus et pmei-
verband damit die Bitte, der König ßeut, den Karl sich selber giebt,
möge einen seiner Grossen schicken kamen vor exceüenHu%m**t glorio-
und das römische Volk eidlich zur sissimus, praeeellen(issimus,serenis*i-
Treue und Unterwerfung gegen ihn mus, püssiinns ; und die Attribute
verpflichten; denn man betrachtete dementia, dignitas, eehitudo, exeel-
Karl nicht bloss in seinem eigenen lenfia, sere'nitas. Der römischen
Reiche, sondern überall, wohin der Tracht bedienten sich Karl und seine
fränkische Verkehr reichte, als den Nachfolger selten; sonst trugen sie
obersten Herrn der Christenheit; bei feierlichen Gelegenheiten ein
sein Reich war ein Weltreich gc- golddurchwirktes Kleid, Schuhe mit
worden. So lag es nahe, zumal da Edelsteinen besetzt und anderen
in den Kreisen, in welchen Karl Schmuck. Im festlichen Ornat setzte
sich bewegte, die Vorliebe für das sich der König oder Kaiser eine
klassische Altertum und namentlich Krone aufs Haupt und trug Stab
für das römische Weltreich wirk- oder Zepter als Zeichen der richter-
sam war, Karl den Titel jenes Reiches liehen Gewalt in der Hand; ein be-
neuerdings beizulegen. Von Geist- stimmterUnterschiedzwisehen könig-
lichen in Karls Umgebung scheint lieber und kaiserlicher Krone wird
der Gedanke zuerst ausgegangen zu nicht gemacht; von der Krone wie
sein; Papst Leo verwirklichte ihn, vom Zepter gab es verschiedene
indem er dem König der Franken | Exemplare. Auch das Sehirert ist
am Weihnachtstage 800, d. h. nach Insignie der Herrschaft, im besou-
damaliger Rechnung am Anfang deren der Heergewalt. Zeichen der
eines neuen Jahres und Jahrhunderts, Herrscherwürde ist ferner der er-
in der Kirche des heil. Petrus die höhte Sitz oder Thron.
Krone aufs Haupt setzte und ihn Eine feste Residenz gab es in
als Kaiser begrüsste. Er erhielt den ersten Jahren Karls nicht;
dadurch die Bedeutung eines Herrn später bevorzugte er die Pfalzen an
der abendländischen Christenheit, der Maas und am Rhein, Heristal,
eines Schützers der römischen Kirche Worms, Ingelheim und namentlich
und eines Fürsten, der dem ost- Aaehen. Hier empfing er auch ;u-
römischen Kaiser ebenbürtig war; erst die Kaiserkrone; später noch-
überhaupt aber wurden durch diesen mals zu Rheims vom Papste selber.
Akt das privatrechtliche und persön- Bei der königlichen Salbung und
liehe Element des Königtums mehr Krönung erfolgt nach Segenswüu-
in den Hintergrund gestellt und sehen über den zu Krönenden die
es traten in der Auffassung der Salbung mit dem heiligen Öl, dabei
obersten Gewalt mehr allgemeine und j ein Gebet, und dann die Aufsetzung
öffentliche Gesichtspunkte hervor. der Krone durch den Bischof mit
Karls vollständiger Titel war den Worten: ..Es kröne dich der
jetzt Serenissimus augustus, a Deo Herr mit der Krone des Ruhmes
ewonatus, magnus et paeif eus impe- und der Ehre, der Gerechtigkeit und
rafor. Unmanwnguhernansimverivm, dem Werk der Tapferkeit, damit
qiti et per miserieordiom l)ei rtx du durch das Amt unserer Segnung
Franeorvm et I.angobardorium ; mit rechtem Glauben und vielfacher
spater sagte man kürzer intverator Frucht guter Werke zur Krone des
augvstus. Semper augusfvsmm eaesar ewigen Lebens gelangest durch Ver-
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Königtum und Kaisertum.
519
leihung dessen, dessen Herrschaft
und Reich dauert von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen". Weiter überreicht
der Bischof dem König das Zepter
und sagt: „Empfange das Zepter,
das Zeichen der königlichen Gewalt,
den geraden Stab der Herrschaft,
den Stab der Kraft, mit dem du
«lieh selber wohl beherrschen, die
heilige Kirche, das christliehe dir
von Gott an vertraute Volk mit könig-
licher Kraft gegen die Gottlosen
verteidigen, die Bösen strafen, die
Rechtschaffenen, dass sie den rechten
Weg halten unterstützen und führen
mögest; auf dass du vom irdischen
zum himmlischen Reiche gelangest
mit Hilfe dessen, dessen Herrschaft
und Reich dauert von Ewigkeit zu
Ewigkeit Amen." Zum Sehluss folgt
der Segen und ein Gebet für den
gekrönten König.
Unter den ersten Karolingern war
die Weihe des Papstes zur Führung
des kaiserlichen Namens nicht erfor-
derlich; mehrere Kaiser setzten ihren
Söhnen die kaiserliche Krone selber
aufs Haupt. Auch Könige sind mehr-
fach vom Papste gesalbt worden;
andere Könige sind hinwiederum
überhaupt niemals gekrönt und ge-
salbt worden, z. B. Ludwig uer
Deutsche ; und das Recht zur Herr-
schaft ist überhaupt weder von der
Salbung noch von der Krönung ab-
hängig. Auf öffentliche Fürbitten
der Geistlichkeit legten die Karo-
linger grosses Gewicht; Fürbitten
sowohl als Krönung bezogen sich
teilweise auch auf die Frauen und
auf die Kinder des Königs oder
des Kaisers.
Auch die Pippiniden beanspruch-
ten und besassen das Recht der
Vererbung des Königtums in ihrem
Geschlecht, später in analoger Weise
des Kaisertums. Bestätigung und
Befestigung erhält das königliche
Erbrecht durch den göttlichen \\ illcn,
die Weihe der Kirche, die Zustim-
mung und Anerkennung des Volkes.
Ebenfalls nach altem Herkommen
war eine Teilung unter mehrere
Söhne gestattet, wobei die Mitwir-
kung des Volkes und der Grossen
meist mit in Betracht kommt. Alles
Volk vom zwölften Lebensjahre an
hatte tlem König und Kaiser den
Eid der Treue zu leisten i siehe Eid);
der Begriff des Gehorsams gegen den
Herrscher ist namentlich von der
Kirche betont worden und wird
mehr in Beziehung auf besondere
Verhältnisse, einzelne Anordnungen
und Befehle angewendet. Ist auf
die Übertretung des Befehles eine
besondere Strafe gesetzt, so heisst
derselbe Kbnigsbann. Er fand seine
besondere Anwendung im Heer und
im Gericht und war überhaupt zur
Sicherung des Friedens bestimmt.
4. Bis zu den Hohenstaufen. Mit
dem Aussterben des deutschen Karo-
lingischen Hauses verschaffte sich
das Prinzip der Wahl wieder Geltung
und war von da an von einer Tei-
lung um erblichen Anspruchs willen
nie wieder die Rede; doch machte
sich sofort auch die Rücksicht auf
das Geschlecht wieder geltend, beide
Prinzipien bald mit-, bald gegen-
einander wirkend; erst im Kampfe
der Kirche gegen Heinrich IV. wurde
von Seite der Kirche der erbliche
Anspruch ganz beseitigt und das
Prinzip einer völlig freien Wahl auf-
gestellt. Der Form nach bedurfte
aber stets das erbliche Recht der
Anerkennung durch die Wahl, wobei
dem Wunsch oder Willen des re-
gierenden Herrschers nur ein ge-
wisser Einfluss auf die Nachfolge
zukam. Oft kam es zur Sicherung
des erblichen Rechtes vor, dass
Könige bei Lebzeiten ihrem Sohn
die förmliche Anerkennung uud Hul-
digung als Nachfolger verschafften;
eine gewisse Bedeutung für die Nach-
folge natte auch der Besitz der könig-
lichen Insiguien; überhaupt aber hat
es in dieser Periode noch Kaum fest-
stehende Einrichtungen in Beziehung
auf die königliche Nachfolge ge-
geben. Dies gilt auch vom Ort der
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520
Wahl, welche zu Frankfurt, Aachen, des Rechtes der Königskrönuug ent-
Forchhcim. Mainz, ia auf italieni- j gegen, bis schliesslich Köhl, in dessen
schem Boden stattfinden konnte. So Diözese Aachen lag, endgültig den
bestand auch noch kein bestimmtes Sieg davontrug. Der Hergang der
Recht für die Teilnahme an der Krönung wird folgendermassen be-
Wahl. Die Entscheidung liegt stets j schrieben ( Waitz, Verf.-Gesch. Bd. 6.
bei den geistlichen und weltlichen | S. 165): „Wenn der König sein
Grossen, neben welchen das Volk Gemach verlässt, wird er von der
nur als mitwirkend und zustimmend : Geistlichkeit empfangen , und der
genannt wird ; den grössten Einfluss Erzbischof spricht ein Gebet. Zwi-
aber hatten dabei die hohen Geist- sehen zwei Bischöfen schreitend
liehen, vor allem der Erzbischof von wird jener in feierlicher Prozession
Mainz, dem auch die formelle Lei- '. und unter Gesang in die Kirche
tung aer Wahl zustand und der bei | geführt. Hier nach einem neuen
einer förmlichen Abstimmung zuerst Gebet des Erzbischofs le^t er den
seine Meinung kundgab. Der eigent- Mantel ab, kniet an den Stufen des
liehen Wahl ging oft eine Vorbe- Altares nieder und mit ihm alle
sprechung. eine Art Vorwahl voraus. Bischöfe und Priester, während die
Die Formel der Wahl oder Kur war: niedere Geistlichkeit singt und betet.
Ich kiese ( lobe) zu einem Herrn und ' Nachdem dann alle sich erhoben,
König, zum Richter (Regierer) und lässt der Erzbischof sich von dem
Verteidiger (Vogt) des Reichs (oder König das Versprechen geben, den
Landes). Ein förmliches Zählen der rechten Glauben zu bewahren und
Stimmen, eine Entscheidung durch zu bethätigen, den heiligen Kirchen
Majorität fand nicht statt. Auf die und ihren Dienern ein Schützer und
einstimmige Wahl wurde grosses Verteidiger zu sein, das ihm von
Gewicht gelegt: wer nicht zustimmte, Gott übertragene Reich nach dem
fand sich überhaupt nicht ein oder Recht seiner Väter zu regieren und
nahm an dem förmlichen Wahlakt zu verteidigen. Und dann wendet
keinen Teil. Unmittelbar nach der er sich an das Volk und fragt, ob
Wahl oder bald darauf fand die es diesem Fürsten und Richter sich
Leistung des Treueides und die Hui- unterwerfen, seine Herrschaft in
digung statt; die letztere entgegen- sicherer Treue befestigen, seinen
zunehmen, durchzog der König wohl Befehlen nach dem Gebot des Apostels
das Reich. In Aachen pflegte ein nachgehen wolle. Und das Volk
besonders feierlicher Huldigungsakt antwortet: „Soseies. Amen." Nach
stattzufinden, sei es, dass die Herr- neuen Gebeten wird der König zu-
schaft in Lothringen besonders be- erst am Haupt, an der Brust, an
tont wurde, sei es in Fürinnerung an den Schultern und Oberarmen, dann
den Sitz Kaiser Karl's. In der Kirche an den Händen gesalbt, empfängt
wurde der neue König auf Karl's darauf das Schwert als Zeichen der
Stuhl gesetzt. Herrschaft, weiter die Armspangen
Seit Otto I. war die Salbung und und den Mantel und den Siegelring,
Krön ung des Königs zur festen Regel dann Zepter und Stab, zuletzt die
geworden, auch bei den jungen Krone, alles unter Anreden und
Söhnen, die bei Lebzeiten der Väter Gebeten, die auf die Bedeutung der
als Könige anerkannt wurden. Als einzelnen Zeichen hinweisen, und
Ort dieser Zeremonie wurde meist wo es von der Krone heisst, dass
Aachen gewählt; doch kommt auch sie ihn zum Genossen des geistlichen
Mainz zuweilen vor. Lange standen Amtes mache. Nachdem zuletzt noch
sich die Erzbischöfe von Alaiuz und der Segen über den König gesprochen,
Köln eifersüchtig in der Behauptung wie es auch bei kirchlichen Ver-
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Königtum und Kaisertum
521
Sammlungen üblich war, wird der-
selbe zu dem Königsstuhl geführt,
wo der Erzbischof in der Rede, die
er hält, das erbliche Recht, daneben
aber auch die Übertragung der Ge-
walt durch kirchliche Hand beson-
ders hervorhebt, dann, nachdem der
König sich gesetzt, noch einmal für
ihn betet, hierauf samt den übrigen
Geistlichen den Kuss des Friedens
empfängt. Ein feierliches Tedeum
und die Messe beschliessen den Akt."
Nach der Krönung ging es zum
festlichen Mahl, wobei unter Otto I.
die Herzoge zum erstenmal die
Dienste der Hofbeamten leisteten.
Der deutsche König nahm die
kaiserliche Krönung als sein Recht
in Anspruch; sie galt als Vollendung
der Herrschaft überhaupt. Von einer
Wahl war daher hierbei nicht die
Rede; eine Kaiserkrönung eines
Sohnes zu Lebzeiten des Vaters ge-
schah bloss bei Otto II. Auf einem
weissen Ross des Papstes pflegte
der König in Rom einzuziehen; an
zwei Stellen wurde angehalten, um
den Römern den Eid zu leisten, dass
bei ihren alten Gewohnheiten
sie
verbleiben sollten. Am Thore der
Stadt, wo die Geistlichkeit ihn er-
wartete, stieg der König vom Pferde;
dem Zuge voran wurden ein Kreuz
und eine Lanze getragen. In der
Halle vor der Kirche des heil. Petrus
eass der Papst auf goldenem Sessel.
Der König stieg die Stufen hinan,
neigte sich vor dem Papst zum Kuss
der Füsse, worauf ihn der Papst
aufhob und dreimal küsste. Darauf
den Papst zur Linken lassend, ging
der König durch die Halle bis zur
silbernen Pforte der Kirche, wo der
Kaiser geloben musste, der Schützer
und Verteidiger der römischen Kirche
zu sein. Danach erklärte ihn der
Papst der Kaiserkrone würdig; am
Grabe des heil. Petrus kniete end-
lich der König zum Gebet nieder.
Hier wurde meist die Feier ab-
gebrochen und die Krönung selbst
auf einen Sonntag oder hohen Feier-
tag verschoben. Sie erfolgte vor
dem Altar des heil. Petrus. Indem
der Papst dem Könige das Diadem
auf das Haupt setzte, sprach er:
,,Emnfange das Zeichen des Ruhms,
im Namen des Vaters, des Sohnes
und des heil. Geistes, damit du ab-
weisend den Feind und die Be-
fleckung aller Laster, so Recht und
Gerechtigkeit liebest und so voller
Gnade lebest, dass du von unserem
Herrn Jesus Christus in der Ver-
sammlung der Heiligen die Krone
des ewigen Lebens empfangest'4.
Andere Insignien als die Krone
kamen nicht in Anwendung. Beim
Wegzug aus der Kirche, wenn der
Papst sein Pferd bestieg und wenn
er es verliess, hielt ihm der neu-
ernannte Kaiser den Steigbügel.
Die Ehre der Königs- und Kaiser-
krönung teilte regelmässig die Ge-
mahlin des Königs, bald mit dem
König zugleich, bald nach den be-
sonderen Umständen in besonderer
Feier.
Während die späteren Karolinger
sich noch mit Töchtern einheimischer
Geschlechter vermählten, suchten
sich die späteren Könige für sich
und ihre Söhne die Frauen meist
in auswärtigen Fürstenhäusern.
Grosse Sorgfalt wurde auf die
Erziehung der jungen Prinzen oder
Könige, wie das Mittelalter sie
nannte, verwendet. Unmündigkeit
galt formell nicht als Hindernis, die
negierung zu führen; der Tennin
der Mündigkeit war das 15. Lebens-
jahr, bis wohin es einer Vormund-
schaft, einer Sorge für die Person
und die Regierung bedurfte.
Als Zeichen der Herrschaft dien-
ten die Reichskleinodien, die bei der
Krönung übergeben wurden. In
alter Zeit führte sie der König regel-
mässig bei sich; erst später, seit Hein-
rich IV., ist von der Bewahrung auf
einer der Burgen der Fränkischen
Hauses, Hammerstein und Trifels, die
Rede. Insignien des König- und Kai-
sertums werden nicht unterschieden.
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522
Am Anfang des 10. Jahrhunderts wcsens in die Reichsordnung und
werden als Insignien Krone, Zepter der Kaiser galt nur noch als das
und Stab, Schwert, Mantel und Arm- oberste Haupt der das ganze Reich
spangen genannt; dazu kam unter umfassenden feudalen Gliederung.
Heinrich L die heilige Lanze, manch- Die Herzogtümer, Grafschaften,
mal w ird der Ring, später wird auch Markgrafsehaften, Pfalzgrafschaf -
ein Kreuz erwähnt, Der Reichsapfel, ten u. s. w. erhielten den Charakter
eine Kugel mit dem Kreuz, erscheint von Benefizieu, ihre Träger den
/.war schon auf Siegeln in der Hand von Vasallen; ja einzelne Reichen-
des Kaisers zur Ottonenzeit, hat guter, Jurisdiktionen, Blutbann und
aber erst später Aufnahme unter andere Regalien wurden vom Reiche
die Reiehsinsignien gefunden. An in mannigfachen Anwendungen an
den hohen Festen, namentlich Ostern Fürsten, Grafen, Herren und Städte
und Pfingsten, war es Sitte, dass zu Lehen gegeben. Dadurch wurde
der König öffentlich mit der Krone das Lehnswesen das Band, welches
erschien. Ein königlicher Thron hauptsächlich die Ordnung des Rei-
war der in der Kirche zu Aachen, ches zusammenhielt und worin bo-
von Marmor und zwischen zwei wohl das Streben der Reichsstände
Säulen so erhaben, dass einige Stu- nach Selbständigkeit, als das lie-
fen zu ihm hinaufführten. Aber dürfuis einer auf Treue und Ehr-
auch sonst sass der König auf er- furcht gegründeten Verbindung mit
höhtem Sessel, und wurde der Thron dem Reichsoberhaupt ihren Aus-
zu den Insignien der Herrschaft ge- druck fanden. Die Belehnung
rechnet. musste bei jeder in der Person des
Immer noch galt Aachen vor- Kaisers oder des Vasallen eintreten-
zugsweise als königlicher Sitz; an- den Veränderung binnen Jahr und
dere beliebte Pfalzen waren Frank- Tag nachgesucht werden; sie wurde
furt, Forchheim, Quedlinburg, Mar- dem Fürsten, der dabei zu Roas im
bürg, Mainz, Ingelheim, Tribur, Fürstenmantel zu erscheinen hatte,
Goslar, Speier. Kam der König in vom Kaiser in Person, nachdem
eine Stadt, so wurde er mit Glocken- der Vasall knieeud mid mit zusam-
geläute und festlicher Begrüssung mengelegten Händen die Huldigung
empfangen. Seiu Aufenthalt galt geleistet hatte, durch Überreichung
als eine Ehre, war aber auch eine einer Fahne als Abzeichen" hoher
Last, da die festliche Bewirtung Gewalt erteilt ; daher der Name
wenigstens mehrere Tage lang von Fahnlehen. Die geistlichen Fürsten
dem Stifte getragen werden musste. wurden mit den Regalien durch das
J>. Das spätere Mittelalter. Mit Zepter investiert; wenn sie aber
den Hohenstaufen beginnt der Zer- dazu ein besonderes Fürstentum be-
fall der einheitlichen Reichsregierung, kamen, so wurden auch sie damit
Zwar erlüelt in dieser Zeit die Idee mit der Fahne belehnt und nahmen
des Kaisertums als der obersten all- dann auch die Fahnen in ihre Mün-
umfassenden weltlichen Macht eine zen auf. Nach der Belehnung wurde
neue Belebung durch das in dieser , der Lehnbrief ausgefertigt; bevor
Zeit aufblühende Studium des rö- das vor sich gegangen war, konnte
mischen Rechtes und durch die man von den Untergebenen r keine
nähere Bekanntschaft mit der Ge- Huldigung verlangen noch Ver-
setzgebung der späteren Kaiser und leihungen vornehmen,
den damit verbundenen Begriffen Eine wesentliche Veränderung
kaiserlicher Grösse und Machtvoll- ging auch in der Art der WaM
kommenheit. Zugleich aber drangen aes Kaisers vor sich. Während sich
jetzt die Grundsätze des Lehens- früher alle Fürsten und Grossen des
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Konkordanzen. — Konkordate.
523
Reiches daran beteiligt hatten, tra-
ten allmählich sieben Fürsten in
den Vordergrund, denen schliesslich
die Wahl allein zukam; sie erschei-
nen zuerst als geschlossenes Kolle-
gium bei der Wahl Otto's IV. im
Jahre 1209, doch wird noch längere
Zeit erwähnt, dass diese Fürsten
nicht nach ihrem Belieben, sondern
mit Berücksichtigung des Willens
sämtlicher Fürsten die Wahl vor-
nehmen sollten; der Name Kurfürst
aber ist erst seit dem Beginne
des 14. Jahrhunderts nachgewiesen.
Diese Fürsten sind die drei Erz-
bißehöfe von Mainz, Trier und Köln
und die vier weltlichen Fürsten,
denen zugleich die Erzürnter des
Reiches beigelegt waren: der Pfalz-
graf bei Rhein (Franken) als Truch-
aeas und eben darum auch der
oberste unter den weltlichen Fürsten,
der Herzog von Sachsen als Mar-
schall, der Markgraf von Branden-
burg als Kümmerer, und als Schenk
der König von Böhmen; da aber
die Könige von Böhmen mehrere-
mal undeutsch waren, legte man
ihre Kurstimme dem Herzoge von
Bayern bei; die goldene Bulle be-
stätigte Jedoch den böhmischen
König. Das Prinzip der Stimmen-
mehrheit bei der Königswahl wurde
zum ersten Mal im ersten Kurverein
ausgesprochen, einem im Jahre 1338
von den Kurfürsten zu Rense am
Rhein geschlossenen Vertrage.
Als Wahlort entschied sieh seit
der Wahl Friedrieh I. das Her-
kommen allmählich für Frankfurt.
Der Unterschied zw fachen König-
und Kaiserwürde und Amt verlor
sieh mit der Zeit ganz, das deut-
sche Königstum ging in das Kaiser- j
tum auf; Maximilian nahm schliess-
lich den kaiserlichen Titel ohne
Krönung durch den Papst oder einen |
Stellvertreter an. Mehr und mehr
beruht das kaiserliche Ansehen auf
der Hausmacht seines Geschlechtes.
Dagegen wurde das Zeremoniell des
Kaisers mit Ängstlichkeit bewahrt;
besonders wurden in der qoldeuen
Bulle Karl's IV. vom Janr 1356
und in folgenden Reichstagsab-
schieden die genauesten Bestim-
mungen darüber gesetzlich festsetzt.
Die erste Wahlkapitulation, welche
das Verhältnis des Kaisers zu den
Reichsständen festsetzte, wurde von
den Kurfürsten bei der Wahl Karl's V.
1519entworfen und vorgelegt. Waifz,
Verf.-Gesch. — Für die ernten Perio-
den, Dahn, Die Könige der Ger-
manen; Sybel, Entstehung des deut-
schen Königtums. Vgl. auch den
Artikel Krün u ngsinsitfn im .
Konkordanzen, biblische, d. h.
alphabetisch geordnete Sammlungen
aller in der Bibel vorhandenen Worte,
Redensarten und Ausdrücke mit An-
gabe der Stellen, wo sie vorkommeu,
sind zuerst von den Pariser Domini-
kanern veranstaltet worden ; nament-
lich schrieb eine solche der Kardinal
Hugo de Sancto Caro, gest. 1262, zur
Vulgata. Griechische Konkordanzen
über die Septuaginta und das N. T.
erschienen seit dem 16. Jahrh., die
erste hebräische Konkordanz schrieb
um 1438 Rabbi Isaak Nathan.
Konkordate, «1. h. Vereinba-
rungen zwischen der staatlichen und
der katholisch -kirchlichen Gewalt,
die von beiden Seiten als bindende
Gesetze betrachtet werden, sind durch
den Streit zwischen Papsttum und
Kaisertum hervorgerufen worden,
wobei es sich namentlich um die
Investitur (siehe diesen Art.) han-
delte; das Wormser Konkordat vom
Jahre 1122 brachte die erste Lösung
dieses Streites. Spätere Konkordate
stammen aus dem 15. Jahrh., in
welchem Martin V. auf dem Con-
stanzer Konzil 1418 drei Konkordate
abschloss, die sich auf die Ein-
schrünkung der Annaten (siehe diesen
Art. I, der Kommenden, d. h. der
ohne Verpflichtung zu wirklichen
Amtsführungen übergebenen Bene-
fizien, und der päpstlichen Dispen-
sationen bezogen, und zwar mit der
deutschen Nation, den romanischen
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524
Kopf. — Kopfbedeckungen.
Staaten und den Engländern. Diesen
Vereinbarungen folgten ähnliche in
schneller Reihenfolge.
Kopf, gewöhnlieh aus lat. cupa
oder cuppa, Fass, Tonne abgeleitet,
von Hildcbrand in Grimms Wörterb.
mit Schoppen u. mhd. schaf zusammen-
gestellt, ist ein kugel- oder halbku^el-
förmiges Trinkgefäss mit Fuss, also
vom Becher unterschieden ; es kommt
auch mit Henkeln und Griffen vor.
GoldeneKöpfe gehören zu denKleino-
dien des Hauses, als Ehrengaben, es
gab aber auch Köpfe von Holz, Glas,
irdene Köpfe; auch gilt das Wort
als Mass.
Kopfbedeckungen. Die Germa-
nen, ja die Goten und alten Deut-
schen kannten eine Bedeckung des
Hauptes kaum. Nach alter Sitte
gingen sie barhaupt. Die aufgelegten
Kopfhäute erlegter Tiere dienten
menr nur als Kopfsehmuck des Krie-
gers. Allgemein gebräuchlich wurde
das Tragen von Hüten und Mützen,
überhaupt von Kopfbedeckungen,
erst in der Zeit der Renaissance,
wenu schon Priester und Vornehme
sich ihrer namentlich vom 13. Jahr-
hundert an häufig, Bürgersleute ver-
einzelt bedienten. Ja schon vom
10. Jahrhundert an wird bei den
Sachsen eines einfachen Strohhutes
erwähnt, der als ein flaches Geflecht
von Männern und Frauen auf dem
Kopfe festgebunden zuweilen getra-
gen worden sein soll. Daneben
kannte man die einfache Zeugkapne,
die Lederkappe für solche, die des
Kopfschutzes bedürftig waren, und
die mehr oder minder reich ge-
schmückte Rundkappe für die V or-
nehmen. Hauptsächlich sind nach-
stehende Bekleidungsgegenstände
genannt.
1. Die Bundhaube, eine engan-
liegende Kappe, die von beiden Ge-
schlechtern getragen, den Ober- und
Hinterkopf dicht umschloss und unter
dem Kinn gebunden wurde. Die
Bänder waren oft mit breiten Laschen
vorsehen, die bisweilen beide Wangen
vollständig deckten. Die Hauben
waren gewöhnlich weiss, zuweilen
auch rot, grün oder buntstreifig
längs des Randes nach Vermöjrei
geziert. Schon mannigfaltiger l
staltet sind
2. die Mützen des 18. Jahrhur
derts, welche als aufgesteifte Rar*
kappen zwar noch vornehmlich nt
zur Reise und Jagd benutzt ward«
und daher mit langen Bindefelei
versehen waren, dass sie belieb
nach hinten gestreift und so auf de
Rücken hängend getragen veii
konnten. Die Mütze trägt schon ei
eigentliche Oberkappe, die sich tu
halbrund, bald gesenwungen «yto
erhebt, bald in der Mitte senkt a
daun einen mehr oder minder ka
baren Knopf „ein kndpfelii. i
durchliuehtig ruhinkt trägt. Ati
der Rand war nicht durchweg ^
oft zackig ausgeschnitten, oft res
oder achteckig umgebogen. Dane!
kam die Mütze auch als faltiger B<
vor, der eich aus einem starke
Stirnband erhob und den 0Wrk<
mit einem breiten Behang auch l
terhaupt und Schultern bedec
Daneben nahm die Mütze oft
seltsamsten Formen an, biß §*
16. Jahrhundert vom Barett a
und mehr verdrängt wurde.
8. Des Hufes und zwar de? k*
förmigen Snitzhutes findet man *
zur Zeit Karls d. Gr. erwähnt.
10. Jahrhundert kam der Str 1
auf, im 11. der Filzhut dessen fl
ringsum herabhing. Nachdem
selbe im 12. Jahrhundert steil
worden, giebt er dem Hute hai«i
mannigfaltigsten Formen, rinfi
stark oder schwach aufgekrr
nur vorn oder hinten, oder auoh
einer Seite. Fürstenhüte werden
dem Kronreif geschmückt oder
einem Schapel : wo diese fehlen
det sich eine mehr oder mi
geschmackvolle Verbrannin*
Pelzwerk. Frauen- und Mänorr
werden auch mit Pfauenfedern
ständig bedeckt, „p favrn hitort
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Kopfbedeckungen.
525
m werden in weiten Maschen netz-
artig öberstrickt. Der Hut war gleich
der Mütze oft mit Bindebändern ver-
*heo. Einfache Rundhüte wurden
mehr nur von Leuten unterer Stände
r?en; der Vornehme trug unter
eigentlichen Hute auch etwa
ein*] sogenannten Unterzug, der das
Hinterhtupt zu decken hatte. Die
rasche Verbreitung derGugel brachte
den Hat im 14. Jahrhundert für einige
Zeit in Verruf, konnte ihn jedoch
üthi bleibend verdrängen, sondern
diese trat vielmehr bald in dessen
Dienst, indem sie an die Stelle des
Unterzuges trat und gleich der Hals-
tern der Waffenrüstung Hinterkopf
■w Nacken, ja Wangen und Kinn
füllte, während der leichte Gugel-
«t Kaelhut, als einfacher, schmal-
krempiger, gleichmässig gestülpter
Bondhut den Scheitel deckte. Durch
VII. kommt in Frankreich (um
MSO) der oben abgeflachte Kundhut
der bald bedeutend an Höhe zu-
nimmt und den Unterhut erst recht
Ausbildung bringt. Dieser ist
Ane Rand, im übrigen von der Form
w Oberhutes und bleibt auf dem
■•pfe sitzen, wenn beim Gruss oder
* Gegenwart von Damen jener ab-
kommen und an der langen Sendel-
^e über die linke Schulter herab-
steigt wird. Die Krempe wurde
auch in mehrere Lappen ge-
and diese ungleich stark auf-
m, der CyTinder zudem oft
absonderliche Weise geziert,
sehr auch die obrigkeitlichen
Hasse und die Mandate der Sitten-
Jtbter dagegen eifern mochten. Die
jratenhüte wichen nach Form und
fcaerung von den Männerhüten
taab; die Hüte der Handwerker
■d niederen Stände aber behielten
leh.im 16. Jahrhundert ihre ein-
tche Form bei, als die vornehmen
den Hut überhaupt gegen
Barett vertauschten. Dieses ge-
^ah zu Anfang des genannten Jan r-
toderts, doch in der zweiten Hälfte
«selben kam er wieder zu Ehren
und zwar zunächst der hohe, gesteifte
spanische als vollständiger oder oben
ebener Rundhut, dann der franzö-
sische, unsern Cy linderhüten ähn-
liche, der niederländische Rubenshut
und im 17. Jahrhundert der breit-
krempige Schlapphut.
4. Der Schapel, schapel, schappil,
schapelin, ist entweder ein natür-
licher oder künstlicher Blumenkranz,
auch ein Kopfreif von Zeuc oder
Metall, mit Silber, Gold, Perlen,
Schnüren und Troddeln etc. ge-
schmückt. Er kommt im 11. Jahr-
hundert auf und findet bis ins 16.
hinein viele Liebhaber bei beiden
Geschlechtern und in allen Alters-
stufen. Frauen befestigen ihn bis-
weilen mit einem Kinnband oder
verbinden ihn gerne mit dem Ge-
bende, das als ein farbiges Band
den Kopf, auch Kinn und Wangen
umschloss. Der Schapel ist als
Gunstbezeigung namentlich aus dem
Minnedienst bekannt.
5. An die Stelle des Gebendes
trat oft das Kopftuch, das schleier-
artig den Kopf einhüllte und dabei
auf den Nacken herabfiel. Doch
kommt auch der Schleier selbst
schon früh vor und neben ihm die
Mute, welche länger und schmäler
als erstere zwar Gesicht und Hals
der Frauen, besonders der Witwen
in künstlichen Windungen verhüllte
und nur Augen und Nase frei Hess,
während die Enden in regelmässigen
Falten über den Rücken herabhingen.
6. Die Setzhaulw bestand aus
wollenem, seidenem, auch goldenem
oder silbernem Flechtwerk und war
meist in Stirnband oder Schapel be-
festigt. Sie bedeckt bald nur den
Oberkopf, bald auch Wangen und
Nacken.
7. Das Barett, eigentlich eine
aus der Rundkappe durch Erhöhung
und Fältelung hervorgegangene
Mütze, tritt vereinzelt schon im
10. Jahrhundert auf, kommt aber erst
im 15. zu seiner vollen Entfaltung,
wo es — wie oben bemerkt — selbst
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526
Korb.
die Hüte und damit alle anderen
Kopfbedeckungen für eine Zeitlang
verdrängte, wenigstens in den höheren
Ständen ( den unteren war es maneher-
orts durch obrigkeitliche Erlasse ver-
boten». Es ist fast durchweg teller-
förmig u. zeigt ringsum eine hutartige,
gesteifte Krempe, den Rand, der
vielen Wandlungen unterworfen ist.
Bald ist er ganz und ringsum gleich-
mäßig gebogen, bald geschlitzt, er-
höht, verlappt und mit farbigen
Stoffen durchzogen. Auch wechselt
die anfänglich blaue Farbe des Ba
rettes beliebig. Einfach trugen es
die Gelehrten. Der Adel und der
vermögliche Bürgerstand hingegen
verwendeten alles auf dessen Aus-
stattung, sodass die Regierungen
bestimmte Vorschriften darüber er-
lassen mussten. So durfte in Nieder-
österreich um 151» dieser Schmuck
nicht über zehn Gulden kosten.
Unter dem Barett trug man nicht
selten eine ebenso kostbare Unter-
kappe.
8. Die Guael (Gogel) ist eine
Kapuze mit Schulterkragen, war an-
fänglich an Mantel und Kutte be-
festigt und diente namentlich in den
niederen Ständen auf Reisen. Vom
14. Jahrhundert an kommt sie als
selbständiges Kleidungsstück vor
und zwar bei vornehm und gering,
bei Mann und Weib. Sie deckt Kopf,
Hals und Schultern und ist oft ge-
zackt und geschwänzt. Sie ver-
schwindet im 15. Jahrhundert.
9. Die Mitra, eine Bischofsmütze,
die sich ebenfalls aus der Rundkappe
entwickelt hat und schon im 4. Jahr-
hundert von Vornehmen viel getra-
gen wurde. Zur Bischofsmütze wird
sie aber erst im 10., allen gestattet
zwar erst im 11. Jahrhundert. Da-
mit begann dann auch die Abän-
derung der Form, und zwar erhielt
sie zuerst von vorn nach hinten über
die Mitte eine Einsenkung, dann an
eben der Stelle einen Reif, titulus,
Schmuckband. Durch eine tiefere
seitliche Einsenkung, die bald gerad-,
bald bogenlinig geschnitten war, ent
stand die Doppelmütze, deren Form
mehr oder weniger ständig geblieben
ist, während die Verzierungen in der
mannigfaltigsten Art wechselten.
Die Mitra wurde gemeiniglich aus
den köstlichstenSeiden- oderSammet-
stoffen gefertigt und mit Gold- und
Perlenstickerei reich geziert. An ihr
unterschied man den Stirnreifen
feirculus), den Mittelstreifen (titulus)
und die Rückenstreifen Ctnfulae),
welch letzterer Name auch der ganzen
Mütze beigelegt wurde. Nach den
Kirchenordnungen des 13. Jahrhun-
derts durften die geschmückten
Mitren nur an grösseren Kirchfesten
getragen werden (in tifulo et in cir-
culo), während einfach goldgestickte
Mitren ohne Stirnreif (tn tihtlo sine
circulo) für gewöhnliche Tage be-
stimmt waren.
Verschieden von dieser bischöf-
lichen Mitra ist die Wara des Papstes,
ein zuckerhutfdrmiger Spitzhut, der
sich aus bildlichen Darstellungen
bis in das 12. Jahrhundert zurück
nachweisen lässt. Sie erscheint ur-
sprünglich als ein Flechtwerk aus
weissem Stoffe gebildet, mit golde-
nem Stirnreif geziert, im 13. Jahr-
hundert mit senkrechten goldenen
Streifen ausgestattet und mit Edel-
steinen besezt. Durch Bonifacius
VIII. wird sie zur Doppel kröne
umgestaltet (um 1300), da der Stirn-
reit, kronenartig gearbeitet, einen
zweiten Reif über sich hat. Urban
VI. bildete sie (um 1378) zur drei-
fachen Krone um.
Über die Kopfb Deckung des
Kriegers siehe den Artikel Helm.
Nach Weiss, Kosrümknnde; MiUler
und Mothes, Archäologisches Wör-
terbuch.
Korb, als Wort nach der Ansicht
Hildebrands in Grimms Wörter-
buch nicht, wie mau gewöhnlich an-
nimmt, von lat. corbis abgeleitet
sondern uralt und schon vor der
Trennung der germanischen Stämme
vorhanden und mit dem lateinischen
uigiiizeo
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Kranz, Kranzsingen.
527
Wort bloss urverwandt; dass die liehen Beamten diente er als Zeichen
Kunst des Korbflechtens bei den der Amtswürde. Nach Hildebrand
Germanen längst in der Blüte stand, in Grimms Worterbuch. V, 2053
zeigt die Fülle deutscher Korb- scheint demnach die Königskrone
namen: Kiepe, Kober,Krebe, Kratte, auf diesen altgermanischen Kranz
Krätze, Kieze, Kötze, Kütze,Klauder, zurückzugehen und die Bltftterform
Sumber, Benne, Brente, Hütte, ihrer Zacken au diesen Ursprung
Zecker, Zeine , Mahne, Flechte, zu erinnern: man stellte für Fürsten
Schwinge u. a. Beachtenswert und den Kranz in Gold dar. Ebenso
auf germanische Vorzeit zurück- alt ist auch die Sitte, dem Sieger
weisend sind die Bedeutungen den Kranz aufzusetzen; Heinrich
des Wortes Korb als Hans und der Löwe soll sich nach einer ge-
Sckffi in Bayern sind Kirle kleinere wonnenen Schlacht auf der W al-
Nebengebäude für Beherbergung statt selbst einen Kranz aufgesetzt
der Tagwerker; dass einst Schifte haben; so war der Kranz auch ein
aus KorDgeflecht vorhanden waren, beliebter Preis bei den Turnieren,
bezeugt Isidor in seinem Wörter- in der Fechtschule, bei Schützen-
buch und Cäsar für die Britannen; festen, bei den Meistersfingern. Der
auch zur Herstellung von Wänden Kranz ist ferner ein Freudenzeichen,
dienten geflochtene Ruten. Die Feier- und Festechmuck, der so-
Redensärt einem einen Korb geben, wohl als Zier der Wohnung, der
einen Liebes- oder Heiratsantrag Kirchen u. s. w. als des Hauptes
zurückweisen, stammt aus der alten dient. Ausser Frauen trugen im
Sitte, dass ein Liebender des Nachts Mittelalter auch Männer z. B. an
in einem Korb zum Fenster aufge- einem höfischen Maifeste den Kranz;
zogen wurde; im Fall der Abweisung der Brautführer trägt ihn, ja sogar
wurde der Korb, in dem der Lieb- der Ritter im Kampfe; anaere bei
haber sass, von der Höhe fallen ge- einer Schlittenfahrt, besonders aber
lassen oder er war zum Durch- bei Tanz und Festen, wobei die
brechen des Bodens eingerichtet, Beschenkung und Zierung von Jung-
BO dass der Liebende durchfallen gesellen als Zeichen der Gunst und
musste. Später schickte das Mad- Ehre galt Besondere Bedeutung
chen ihrem abgewiesenen Bewerber hatten der Rosenkranz und der
bloss noch einen Korb ohne Boden. Nesselkranz als Zeichen für den
Korb ist auch eine Ehrenstrafe für begünstigten und den verschmähten
leichtere Vergehen, eine Vorrichtung Liebhaber; Zeichen der mangelnden
zum Prellen, wodurch der Bestrafte Liebe ist auch der Strohkranz,
mehr Spott als Schaden hatte; er Schon früh wurden Kränze aus kost-
beisst auch Scham 1 oder Laster- baren Stoffen nachgebildet, aus
korb. Hildebrand in Grimms Wör- Perlen, Edelsteinen u. dergl. Der
terbuch. höfische Frauenkranz heisst mit
Kranz, Kranzsingen. Im Mittel- französischem Namen schapel, er ist
alter trugen Fürsten einen Kranz auch von künstlichen Blumen, in
als Abzeichen: er wurde um den Gold und Edelstein gefertigt und
Fürstenhut gelegt, der bei der Be- war bei vollständigem Kopfschmuck
lehnung als Symbol diente, statt der Hauptteil des gebendes. Die
der Krone. In den Bildern des Sitte des Schenkens von Seite de
Sachsenspiegels haben alle Fürsten Mannes war ebenfalls Zeichen de£
und Edelherren einen Kranz um das Gunst und Treue:
Haar, er war gleich der Binde Aus- demselben tracker meidelein
Zeichnung des Adels, wenigstens schikt ich neulich ein krenzelein
des Standes der Freiheit; auch König- mit rotem gold befunden,
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528
Kreuz.
dabei sie mein gedenken soll
zu hundert tausent stunden.
Nameuliich der Jungfrau kam
durch Sitte und Natur der Kraus
zu; wie er denn in katholischen
Ländern sogar beim Gottesdienst,
bei Prozessionen häufig vorkommt
Besonders aber ist er unentbehr-
lich bei der Hochzeit und im Tode.
Das Kranzaingen , d. h. singen
um den Preis eines Kranzes, war
eine alte Volkssitte; junge Leute,
heisst es, seien an etlichen Orten
in Schwaben des Nachts ausgegangen
und hätten Lieder gesungen und
schöne Gedichte gesprochen, damit
ihnen ihre Liebsten Kränzleiu (scha-
pelin) geben. Sebastian Frank er-
zählt im Welt buch unter den Bräu-
chen in Franken am Johannistage:
„Die Maid machen auf diesen Tag
Rosenhäfen, also: si lassen inen
machen Häfen voller Locher, die
Löcher kleiben si mitKosenblettern zu
und stecken ein Liecht darein, wie in
ein Latern. senken nachmals diesen
in die Höne zum Laden herrauss,
da singt man alsdann umb ein
Kranz Meisterlieder; sunst auch
oftmals im Jahr zuo Summerszeit,
so die Meid am Abent in ein Ring
herumb singen, kummen die Ge-
sellen in Ring und singen umb ein
Kranz, gemeintlich von Nagelin ge- j
macht, reiulweiss voi ; welcher das
best tuot, der hat den Kranz.'' Die
Kranzlieder gehören zu den Rätsel-
liederu; es sind ihrer nur zwei er-
halten (in Uhlands Volksliedern,
Nr. 2 und 3), deren zweites folgen-
dennassen beginnt:
Ich kumm aus frembden landen her
und bring euch vil der ueuwen mär,
der neu wen mär bring ich so vil,
mer dann ich euch hie sagen wil;
die frembden land die sind so weit,
darin wechst uus guot summerzeit,
darin wachsen blüemlein rot undweiss,
die brechen jungfrauwen mit ganzem
neiss
und machen darauss einen kränz
und tragen in an den abendtanz
uud lönd die gesellen darumb singen,,
bis einer das krenzlein tuot gewiunen.
Mit lust tritt ich an disen ring,
gott grüess mir alle burgerskind,
gott grüess mirs alle gleiche,
die armen als die reichen,
r grüess mirs allgemeine,
grossen als die kleinen!
solt ich ein grüessen, die andern nit,
so sprächens, ich wär kein singer nit.
ist kein singer umb disen kreiss,
der mich wol hört und ich nit weiss?
derselbe tuo sich nit lang besinnen
und tuo bald zuo mir einher springen.
Singer, so merk mich eben!
ich will dir ein frag aufgeben:
was ist höher weder gott,
und was ist grösser dann der spott,
und was ist weisser dann der sehne,
und was ist grüener dann der kle V
kaust mir das singen oder sagen,
das krenzlin soltu gewunnen haben,
darumb will ich jetz stille ston
und den singer zuo mir einher Ion.
Singer, du hast mir ein frag auf-
geben,
die gfallt mir wol und ist mir eben :
die krön ist höher weder gott,
die schand ist höher dann der spott,
der tag ist weisser dann der sehne,
das merzenlaub ist grüener dann
der kle.
singer, die frag hab ich dir tuon
sagen,
das krenzlin soltu verloren haben,
u. s. w
Hildebrand in Grimm's Wörterb.
und l'hland's Schriften, III. 204 ff.
Kreuz als Merk- und Schrift-
zeichen, wie als Verzierungsmittel
kommt bei vielen heidnischen Völ-
kern in allen möglichen Formen
vor; das Henkelkreuz oder das blosse
T ist z. B. bei den Ägyptern ein
Sinnbild der strahlenden Sonne, den
Buddhisten bedeutet das Kreuz die
von der Sonnenbahn umkreuzten
vier Himmelsgegenden.
Das sich Bezeichnen mit dem
Kreuz, das Kreuzschlagen durch
blosse Hand- und Fingerbewegung
war schon früh allgemein Be-
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Kreuz.
329
wahrung«- und Segensmittel und
wurde auf apostolische Überlieferung
zurückgeführt. In den abendländi-
schen katholischen Kirchen unter-
scheidet man das lateinische und
das deutsche Kreuz -, beim lateinischen
Kreuz wird die Formel In nomine
patris et filii et sinritus saneti, innen
oder eine ähnliche gesprochen und
dazu mit der flachen rechten Hand
Stirn und Brust, dann die linke und
endlich die rechte Seite berührt.
Die Formel des deutschen Kreuzes
heisst: Im Namen Gottes etc.; wobei
mit dem vorgestreckten Daumen
der rechten Hand, auf dem der
Zeigefinger mit den übrigen quer
aufliegt, Stirn, Mund und Brust be-
rührt wird, während die linke Hand
auf der Brust ruht.
Das materiell ausgeführte Kreuz,
einfach hölzern oder gemalt, war
früh allgemein verbreitet und dient«1
schon im 5. Jahrhundert als Amulet.
Auf christlichen Denkmälern er-
scheint das Kreuz jedoch nicht vor
Konstantin, welcher das Kreuzes-
zeichen, das er vor der Schlacht
fegen Maxentius (312) in den Wol-
en gesehen, in seine Kriegsfahne
aufnahm und sich selbst als Sieger
mit der Kreuzesfahne, später mit
dem Kreuz auf der Stirne darstellen,
endlich auf die Helme und Schilde
der Soldaten das Zeichen des Kreuzes
anbringen Hess. Auch auf Münzen
erscheint es bald nachher. Seit
Ende des 4. Jahrhunderts wurde
das Kreuz immer mehr der gewöhn-
liche Schmuck der Kirehcn und
namentlich der Altäre. Es erhielt
seine Stelle im Sanktuarium, über
dem Eingange der Kirche, auf dem
Ambo vor dem Lesepulte, über oder
unter dem Triumphbogen.
Als eigentlich k irchliches Zeichen
diente das Kreuz zur ersten Weihe
bei Gründung einer Kirche, und
ebenso wurde die Einweihung der
fertigen Kirchen durch das Kreuzes-
zeichen vollzogen. Das Recht, die
in den Kirchen aufgestellten Kreuze
ReallexJcon der deutschen Altertümer.
| zu erheben , bei Prozessionen zu
tragen und irgendwo aufzupflanzen,
lag ursprünglich in den Händen des
Bisehofs, der es wie andere Sakra-
mentalien den Presbytern über-
tragen konnte. Da das Kreuz bei
Bittgängen die Hauptrolle spielte,
luessen diese geradezu cruces. Unter
einem Kreuze mit ausgebreiteten
I Armen stehen oder sich niederwerfen,
war das Zeichen der Busse. Tag der
allgemeinen Adoration des Kreuzes
war der Karfreitag. Überall, wo
ein Kreuz stand, auch an der Strasse,
gib es für den Verbrecher ein Asyl,
as Kreuz ist das kirchliche Zeichen
der bischöflichen und apostolischen
Würde. Der Papst hat das Recht,
' es überall vor sich hertragen zu
lassen. Wie das Kreuz das öffent-
liche Zeichen oder Wappen der
Kirchen war, so wurde es das äussere
Zeichen der Kirchhöfe und ihrer
Gräber.
Schon im 5. Jahrhundert wurde
das Kreuz häufig im Eingang von
Diplomen und anderen Handschrif-
ten statt der Anrufung des Namens
Gottes gesetzt; ebenso ein oder drei
Kreuze über den Rezepten der
christlichen Arzte. Seit dem 6. Jahr-
hundert findet man das Kreuz statt
Xamensunierschriftuuivr Briefen und
Urkunden, als Zeichen und Erinne-
rung der Wahrhaftigkeit. Geistliche
setzten es regelmässig neben ihren
Namen, Bischöfe vor denselben. Die
griechischen Kaiser unterschrieben
oft mit roten, die byzantinischen
Prinzen mit grünen, die altenglischen
Könige mit goldenen Kreuzen.
Durch die Kreuzzüge wurde das
Kreuz Kriegszeichen gegen den
Halbmond. Die Kreuzfahrer hefte-
ten das aus Seide oder Goldfäden
oder sonst gewobene, kokkusfarbene
Kreuz an die Kleider. Von nun
an wurde es immer mehr weltliches
Zeichen, und Fahnen, Helme, Waffen,
Kronen, Zepter, Reichsapfel, Denk-
mäler, Siegel, Münzen, Wappen in
den mannigfaltigsten Formen damit
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530
Kreuzer. — Kreuzfahrer.
geschmückt. Die Eroberung einer Hildesheimer Domschatze noch vor-
heidnischen oder mohammedanischen handen ist.
Stadt wurde durch Aufpflanzen eines 7) Das Schär her kreuz Y gehört
Kreuzes bezeichnet. Unglückliche, der Wappenkunde an.
die eine Klaee vorzubringen hatten, | 8) Das Doppelkreuz 4-, vielfach
trugen ein Kreuz in den Händen I auf katholischen Kirchen, soll mit
oder auf den Schultern. Vor dem I der oberen Querleiste auf die Pila-
heiligen Kreuz oder so, dass es aufs ' tusinsehrift am Kreuze Jesu hin-
Hauptgelegt wurde, geschahen Eide, deuten.
Mit Kreuzen wurden Feld- und Gau- j 9) Das dreifache Kreuz ^ wird
grenzen bestimmt. Unter die Gottes- j dem Papste und seinen Legaten,
urteile zählt auch das Kreuzurteil, wie das doppelte den Patriarchen,
siehe den Art. Gottesurteile, 5. das einfache dem Bischöfe vorge-
Erst seit den Kreuzzügen setzte tragen,
sich auch da* Kreuz vollends archi- \ \ach O. Merz in Herzog's Real-
tek tonisch durch die Kirche durch. Encvkl. 2. Aufl. Art. Kreuzes-
Kein Kirchenbuch, Kircheugefäss und zeichen. Vgl. Stockhauer t die Kunst-
Kirchcngewand durfte des Zeichens geschichte aes Kreuzes, Schaffhausen
entbehren. Auch der Aberglaube 1 870 und Zöckler, das Kreuz Christi,
bediente sich des Kreuzes im weite- Gütersloh 1875.
sten Umfange. Kreuzer, lat. denarius critciatus
Die Hauptgestalten des Kreuzes- oder crueiaerits, im 12. Jahrhundert
Zeichens sind: kriuzer, Silberpfennig mit au%e-
1) Crujr decussata, das gescho- ' prägtem Zeichen des Kreuzes. Er
bene oder schräge Kreuz, x , später stammt ursprünglich aus den Müoz-
Burgunder-, oder, weil der Apostel statten von Verona und Meran,
Aiui [reas daran gekreuzigt sein sollte, weshalb er zuerst meist Meraner
das Andreaskreuz genannt. oder Etschkreuzer heisst. Siehe
2) Crux commissa. in Form des Schneller, bayerisches Wörterbuch.
T, an welchem der Anostel Philip- Kreuzfahrer. Seit dem 5. Jahr-
pus gestorben sein soll, hiess auch hundert war Rom das Ziel zahl-
das ägyptische,., und weil der heil. J reicher Wallfahrer geworden, die
Antonius in Ägypten damit die au den Gräbern des Petrus und
Götzen gestürzt und die Pest Paulus ihre Andacht verrichten
vertilgt haben soll, das Antonius- ; wollten; schon damals zeigte man
kreuz. auch die cathedra und die Ketten
3) Crtur immissa, in Form von -\-, I des heiligen Petrus, deren Späne
das hohe lateinische oder Passions- abgefeilt Wunder wirkten , sodann
kreuz, weil nach allgemeinster Au- Bildnisse Christi und der Mutter
nähme Christus an einem solchen Gottes, die Geisselungssäule Christi
gestorben ist. und Tausende von Splittern des
4) Das griechische Kreuz, wel- heiligen Kreuzes. Die beliebteste
ches aus gleichlangen Balken in Zeit war das Fest Petri ; zur Unter-
Form von + besteht. | Stützung der Wallfahrer war 727
5) Das Petruskreuz, an welchem von einem angelsächsischen König
der heil. Petrus gekreuzigt sein wollte, [ eine schota sajronica gestiftet worden,
ist das umgekehrte lateinische. welche das Muster für besondere
6) Das Bernteardskreuz heisst | Herbergen der Franken, Sachsen,
das kurze, unten zugespitzte latei- . Langobarden und Friesen wurde,
nische Handkreuz, das, einem Dolche Das beliebteste Ziel der skandi-
ähnlich, vom Bischöfe Bernward in navischen Pilger war dagegen Kon-
Hildesheim selbst verfertigt und im staut inopel, wo die Fäden uralter
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Kreuzfahrer.
531
Erinnerungen aus ihrer Geschichte
und Sage zusammenliefen. Über
beiden Wallfahrten stand aber früh
diejenige nach Jerusalem, für welche
besonders Hieronymus und Augu-
stinus Propaganda machten, während
sie freilich zugleich nicht versäumten,
auf die Gefahr dieser äusserliehen
Leistung für die wahre Frömmig-
keit aufmerksam zu machen. Gregor
von Nyssa schrieb sogar ein Buch
gegen die Jerusalem- Wallfahrten,
worin er erklärte, die meisten Pilger
hatten bei ihrer Fahrt oft nur den
Himmel, nicht aber ihre Gesinnung
geändert, die weiblichen Wallfahrer
ingegen meist ihre Tugend ver-
loren; auch habe er nirgends in
der Welt ein sittlich verwahrlosteres
Volk und mehr Gesindel angetroffen
als in Jerusalem. Dennoch hob sich
das Pilgerweseu von Jahrhundert
zu Jahrhundert, besonders da die
Päpste allmählich ein Bussinstitut
daraus machten und für das Fort-
kommen und die Sicherheit der
Pilger sorgten, und namentlich seit
der glänzenden Restaurierung der
heiligen, durch Hadrian schändlich
profanierten Stätten durch die byzan-
tinischen Kaiser. Diese letztere
steht mit der Pilgerreise der Kaiserin
Helena, der Mutter Konstantin des
Grossen, in Zusammenhang; sie
war 326 nach Jerusalem gepilgert
und hatte drei Kreuze una drei
Nägel aus dem Schutte gezogen.
Seitdem wurde das Andenken an
dieKreuzesfindung durch ein eigenes
Fest am 15. September gefeiert, zu
dem aus allen Himmelsgegenden
Wallfahrer und Karawanen anlang-
ten, sodass bald ein grosser Jahr-
markt sich daran knüpfte. Kon-
stantin Hess nun die 335 im Beisein
von 300 Bischöfen eingeweihteheilige
Grabeskirche bauen, der schnell
zahlreiche andere christliche Heilig-
tümer, Kapellen, Kirchen und Klöster
folgten. Ahnliches that später Justi-
nian. Unter den Pilgern zählte
man jetzt auch solche, die kirch-
lichen und politischen Unruhen aus
dem Wege gingen, und vornehme
Frauen , Kaiserinnen und Patrizie-
rinnen aus Rom und Konstantinopel,
die ein bewegtes Leben in der Stille
des heiligen Landes beschliessen
wollten. Diese friedlichen Zustände
nahmen im 7. Jahrhundert ein Ende,
als der Perserkönig Chosroes II. im
Jahre 614, und nach kurzer Wieder-
einnahme durch die Christen die
mohammedanischen Araber 638 Jeru-
salem nach zweijähriger Belagerung
in ihre Hände brachten; das heilige
Kreuz war vorher nach Konstanti-
nopel gerettet worden. Doch hatten
unter der milden Praxis der Mosli-
inen die Pilgerfahrten ihren Fort-
gang; auch an Reliquien fehlte es
nicht; man zeigte u. a. den Abend-
mahlsbecher Christi, die heilige
Lanze, das Sehweisstuch, das Tuch
Mariä, auf das die Bilder Christi
und der zwölf Apostel gemalt waren.
Durch Karl d. Gr. trat eine neue
Epoche des Pilgerwesens ein, als
der Patriarch von Konstantinopel
ihm im Jahre 800 Reliciuien vom
heiligen Grabe, die Schlüssel und
das Banner desselben, überreichen
und seinen Schutz für die Christen
des heil. Landes anflehen liess. Wirk-
lich trat Karl in Verbindung mit
dem Kalifen Harun-al-Raschiu, der
den Christen Schutz versprach, und
wies zugleich grosse Summen an
zur Erbauung von Klöstern. Her-
berten und Krankenhäusern im
heiligen Lande. Doch blieben die
Nachfolger Harun-al-Raschid'is den
Christen nicht ebenso geneigt, und
schon gegen Ende des neunten Jahr-
hunderts bat der Patriarch um Hilfe
und namentlich um Geld, um die
an die Heiden verpfändeten Domänen
und heiligen Gefasse auszulösen
Noch schlimmer wurde die Lage
der Christen, seitdem die Kalifen
von Ägypten in den Besitz Jerusa-
lems gekommen waren und neben
anderen Heiligtümern namentlich
die Auferstehungskirche zerstörteu.
34*
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532
Kreuzfahrer.
Dieses vermehrte einerseits die Teil-
nahme des Abendlandes an den
Schicksalen der heiligen Stiitte, an-
dererseits bewirkte es, dass sich von
nun an die Pilger zu grösseren
Scharen vereinigten; im 11. Jahr-
hundert thaten dies zuerst 700 Pilger
unter dem Grafen der Norinandie
und dem Abte Richard; 1054 sam-
melte sich schon eine Schar von
3000 Pilgern; aus Furcht vor dem
jüngsten Tage zogen 1065 unter dem
Erzlnschof von Mainz, den Bischöfen
von Utrecht, Bamberg u. a. 7000,
nach anderen sogar 13000 Köpfe
nach Jerusalem , die an der Spitze
stehenden Prälaten in ritterlicher
JRüstung; englische Pilger folgten
auf dem Fusse nach; 2000 sollen
wieder heimgekehrt sein. Durch den
jetzt ausbrechenden Kampf zwischen
Kaiser und Papst geriet die Pilger-
fahrt nach dem heiligen Grabe zwar
etwas ins Stocken, doch nahm Gre-
gor VII. den Plan eines grossen
Kreuzzuges auf; aber ohne Erfolg.
Erst das Ende des 11, Jahrhunderts
sah endlich die eigentlichen Kreuz-
fahret' ins gelobte Land aufbrechen.
Zahlreich sind die Gründe, welche
die Christen zu einer Pilgerfahrt
nach dem gelobten Lande veranlass-
ten ; ausser der religiösen Teilnahme
für das heilige Grab und die anderen
heiligen Stätten war es besonders
bei den Skandinaviern die ungestillte
Sehnsucht nach dem Lande, wo die
Sonne aufgeht, wilde Unterneh-
mungslust, Rettung aus schwerer
Gefahr oder Krankheit, Trauer übor
die Verderbtheit der Kirche, Furcht
vor dem Weltuntergang, Visionen,
besondere aber die kirchliche Busse,
welche der Papst, ein Prälat oder
Landesfüret auferlegte, und zwar
anfangs nur für Mord, Sodomiterei
und Simonie, später auch für den
Bruch des Gottesfriedens. Die Busse
bezog sieh entweder auf die kleine
oder die grosse Fahrt, nicht selten
auf Lebenszeit. Ursprünglich legten
die Pilger keine äusseren Abzeichen
ihres Gelübdes an; erst später bil-
dete sich, wohl zuerst bei den Reichen
die Gewohnheit, durch einen eigenen
Habit sich auszurüsten und mit den
Zeichen vollbrachter Wallfahrt, Ja-
kobsmuschel und Palmzwei^, in die
Heimat zurückzukehren. Die Kreuz-
fahrer trugen nur Kreuze, entweder
auf der Brust oder auf der rechten
Schulter, wie Christus sein Kreuz
getragen. Die Norweger trugen
rote Kreuze in weissem Felde, die
Dänen weisse in rotem, die Schweden
rote in grünem Felde. Zur grossen
Kreuzfahrt von 1189 wählten die
Engländer weisse, die Franzosen
rote, die Flandrer grüne Kreuze.
Die Minderzahl der Pilger bettelten
sich ins gelobte Land durch; die
meisten pflegten sich durch Ver-
pfändung ihrer unbeweglichen Habe
bei reichen Bürgern, Klöstern oder
Juden mit Geld zu versehen. Ge-
wöhnlich reiste man zu Fuss, auch
barfuss , französische Verwandteu-
mörder mit Ketten beladen, die aus
ihrem Schwerte geschmiedet waren,
die Skandinavier aber, wenn sie den
Landweg einschlugen, pflegten zu
reiten.
Das alte Wallfahrtslied der deut-
schen Pilger lautet:
Iu gottes namen faren wir,
seiner genaden begeren wir,
des helf uns die gottes kraft
und das heilige grab,
da gott selber inne lag!
kvrieleison !
Kyrieleis! Christeleis!
des helf uns der heilig geiat
und die wäre gottes stimm,
dass wir frölich farn von hinn!
kvrieleison !
Nu helf uns das heilige grab
und der sich durch uns darin gab
mit seinen heren wunden:
dass wir zu Jerusalem funden
werden froliche,
und in dem himelriche
got gebe uns den werden Ion
und singen: kvrieleison!
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Kreuzgang. — Kriegswesen.
533
Die Dauer einer gewöhnlichen in Räumers CRiehVsj hist. Taaehenb
Pilgerfahrt war in der Regel ein 1875.
Jahr, bei den Skandinaviern meist Kreuzgang, 8. Klosteranlaqen.
zwei bis drei Jahre; die Termine Krie, Feldgeschrei. Wildes
für den Aufbruch meist Ostern und Schlachtgeschrei wird bei vielen
Johannis. alten Völkern erwähnt, Tacitus Ger-
Die Routen der Pilger waren mauia 3 nennt das Sehlachtgesehrei
sehr verschieden. Die Deutschen, der Germanen barditus, welches
Franzosen und Engländer gingen Wort man mit ,, Bartweise" erklärt
oft durch Italien und fauden schon hat. Das Mittelalter unterschied die
in Norditalien oder dann in Brindisi, vom Kriegsherrn ausgehende Ge-
Bari oder Messina Schiffe zur Über- samtlosung und die Losung der
fahrt: vor den Kreuzzügen wählten einzelnen Truppenführer. Die ge-
aber die deutschen Pilger nieist den bräuchlichste Losung in den Kreuz-
Landweg durch Ungarn, Konstan- zügen war adjuva Deut! oder Dens
tinopel und Kleinasien, „Weg Karls ruft: die der normannischen Herzoge
des Grossen'* genannt. Die Skan- Diex nie: Dame (Dominus) Diex
dinavier zogen entweder durch Kuss- nie. Gern rief man die Heiligeu
land nach Konstantinopel, oder durch an, deutsche Ritter namentlich den
Deutschland und die Alpen nach Ita- heiligen Georg; oft nannte man den
lien oder über St. Jago di Compostella Namen der Stadt, der man ange-
und durch die Strasse von Gibraltar hörte, z. B. Köln! Der Name tür
längs der afrikanischen Küste. Über- die Losung ist mhd. krie, nach alt-
all von den Ausgangspunkten der franz. ta erie, später deutsch Krei
Pilger an, auf den Alpenpässen, in oder Kreide, daneben herzeichen. Die
den Hafenorten, zu Rom, Konstan- Feldlosung der französischen Könige,
tinopel, in Jerusalem und anderen im Gegensatz zu den Heiden, die
Orten im gelobten Lande waren auch in deutschen Gedichten er-
Herbergen und Hospitäler gestiftet wähnt wird, ist Mon joye oder Jlon
worden. Als Patron der Pilger joye St. Denis: Auct bei den Tur-
wurde der heilige Georg ange- 1 nieren wurde die krie angewandt,
rufen. \ Die Feldlosung ertönen lassen heisst
Unter die Wunder des heiligen mhd. kriiren, kriegirn, die Personen,
Grabes gehörte namentlich auch aas die sie ausstiessen, kriffierre.
heilige Teuer, welches am Oster- j Kriegswesen.
Sonnabend von der oben offenen 1. Kampfweise der alten der-
Kuppel der Grabeskirche erschien Juanen. Die Hauptmasse der altger-
unu die zahlreichen im Raum der manischen Heere bildete das Fuss-
Kirche aufgestellten nichtbrennen- volk, das der Mehrzahl nach aus
den Lampen mit rötlichem Licht Schwerbewafliieten bestand. Ihre
entzündete, unter dem tausendstim- altnationale Schlachtordnung war
inigen Bittrufe Kyrie eleison: Es der Keil ibei den Helenen die Pha-
war und ist noch eine Wirkung des I lanx, bei den Römern die Legion.)
griechischen Feuers. Ausser Jeru- Sie eignete sich mehr für den Angriff
salem besuchte jeder Pilger Xazareth als für die Verteidigung und wendete
und Bethlehem , Hebron und den alle Kraft auf den einen ersten Stoss,
Jordan. Die Heimkehrenden wurden der oft schnell und glücklich ent-
rneist von der ganzen Bevölkerung ! schied, oft aber verhängnisvoll wurde,
ihres Heimatortes festlich eingeholt wenn der Feind ihm widerstand,
und begrüsst. Nach Reinhold Ruh- Die keilförmige Schlachtordnung soll
rieht , die Pilgerfahrten nach dem nach einer alten Sage von Odin selbst
heiligen Lande vor den Kreuzzügen, eingegeben worden sein; in Wahr-
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534
Kriegswesen
heil ist B ie eine uralte Mitgabe aus man oft mit kaltem Mute dem Schick-
der arischen Heimat aller Indoger- sal zum Opfer werden; das Gefühl
manen. Das Gesetzbuch Manns, das, der Zusammengehörigkeit der Nation
wie man annimmt, im 8. Jahrhun- war noch wenig entwickelt; das
dert v. Chr. abgeschlossen worden, Schwert diente der Person , der
befiehlt durch göttliche Fügung den Familie, dem Stamm. Ein ausgie-
Königen Indiens, die Krieger in einem biger Oberbefehl über samtliche
Keile mit der Spitze voraus „in Ge- Truppen war darum schwer zu er-
sf alt eines Eberkopfes" vorrücken reichen ; wenn der wuchtige Anprall
zu lassen. Mit der Sache selbst be- und die Kainpfwut des einzelnen
hielten die Bewohner der deutschen nicht bald den Sieg errang, entstand
Lande auch deren Bezeichnung bei. leicht grosse Verwirrung im Heere.
SvinfylkitKj heisst der Eberkopf und eine schreckliche Niederlage
in den altnordischen Gedichten, war die Folge. Von den Römern
Schweinskopf nennen ihn noch die lernten sie sodann, ihr Heer in
deutschen Landsknechte und die mehrere Haufen einzuteilen, d. h.
Schweizer bei Sempach tl386i. In Reserven zu bilden, die erst im Xot-
Keilform, den Bannerträger Ingo au fall die Erstangreifenden unterstütz-
der Spitze, kämpfte König Odos ten oder auch nach anderen Seiten
Frankenscharbei Möns Panchei (892). selbständig vorgingen,
und noch bei Hastings, also gegen j Begonnen wurde das Gefecht
Ende des 11. Jahrhunderts, griffen von den Bognern nnd Schleuderen! ;
die Angelsachsen im Keile an. Inner- dann traten die Gerschützen auf,
halb (U's Keils waren die Krieger und zuletzt kam der Keil, der zuerst
nach Familien und Geschlechts- mit langen Spiessen oder auch mit
genossenschaften geordnet, nach geworfenen Kurzwaffen den Ehi-
„Schlachten", welche Sitte sich bei bruch versuchte, worauf dann das
einzelnen Stämmen bis ins 16. Jahr- Handgemenge mit Streitaxt, Hammer
hundert hinein forterhalten hat; ur- , und Frame folgte. Beim Angriffe
sprünglich war sie allen Stämmen mit den langen Spiessen starrten
gemein. Die Geschlechter wurden durchschnittlich 5—7 Pikenspitzen
von ihren Familienhäuptern geführt auf jeden Mann der Front in den
und bildeten im Vereine die Hundert- Feind hinein, und für die Spitze des
Schäften, die wieder nach Gauen ge- Keils stellte sich das Verhältnis noch
ordnet waren. Anfanglich bildete die weit günstiger. Beim Gefechte mit
gesamte Mannschaft nur einen Keil, j den für den Nahwurf bestimmten
vorn 2 Mann, in der »veiten Reihe 4, Waffen sprang der Kämpfer dem
in der dritten 8 und so fort, bis sich Ango , der trame, dem Hammer
zuletzt die Bogenschützen und Schleu- nach, sodass er fast gleichzeitig mit
derer anschlössen. Die Angriffe, ge- J der geschleuderten Waffe bei dem
schahen unter Absingung von Lie- Getroffenen ankam. War dessen
dem, die summend begonnen, von Schild nicht zertrümmert, so suchte
Strophe zu Strophe verstärkt, den man ihn mittelst der stecken geblie-
Feind in Mark und Bein erschüttert benen Waffe zu fassen und uieder-
haben sollen, umsomehr da die vor- zureissen.
gehaltenen Sehilde dem Tone eine Wie der Keil schwerbeweglich
noch dumpfere Färbung gaben. Der und etwas ungelenk in jeder Be-
erste Stoss (Schock) wurde nötigen- ziehung war. so erschwerte er auch
falls wiederholt, auch unter den un- nach der erlittenen Niederlage die
günstigsten Aussichten; Schonung schnelle geordnete Flucht sehr oder
der eigenen Kraft war den Germanen machte sie geradezu zur Unmöglich-
unbekannt. Verwandte Stämme sah keit: daher die grossen Verluste an
♦
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Kriegswesen.
535
Mannschaft. Flucht galt als Schande.
Die Keile lösten sich zur passiven
Verteidigimg in Schildkttrqen auf
(Sl*ialdsö<jrgJ, in phalangitische Vier-
ecke von einigen hundert Mann
Starke. Diese standen so dicht, dass
S tötete Krieger in ihrer Mitte nicht
llen konnten. Die Masse zog sich
langsam nach der Wagenburg zu-
rück, die möglichst naH hinter der
Schlachtordnung aufgefahren wurde,
sowohl zur .Rückendeckung, als zur
Verlünderung der Flucht. Sie waren
aus den Wagen des Trosses herge-
stellt und bildeten — Rad dicht an
Rad — meist mehrere konzentrische
Kreise, welche als Wälle dienten
und namentlich gegen die feindliche
Reiterei treffliche Dienste leisteten.
Auf den Wagen standen die Frauen
und Kinder der Krieger und er-
mangelten nicht, durch lauten Zuruf
ihre Gatten und Väter zum Kampfe
anzuspornen. Sie nahmen öfter An-
teil am Gefechte selbst und übten
nebenbei das Amt des Wundarztes.
Nach Casars Berichten sollen die
Wagen oft während des Kampfes
nach Bedürfnis anders aufgestellt
worden sein.
Verhängnisvoller als die geschlos-
senen Massen waren für den Feind
oft die zerstreuten Gefechte, aus der
Elite des Fussvolkes, den behen-
desten und beherztesten Jünglingen
f gebildet. Sie unterstüzten nament-
ich die Reiterei, hatten auch etwa
das Gefecht einzuleiten. Auf durch-
schnittenem Gelände, wo grössere
Massen nicht operieren konnten,
waren die zerstreuten Gefechte in
ihrem rechten Elemeute und daher
mit Recht von den Römern ge-
fürchtet und gemieden. Armins
Schar im Teutoburger Walde be-
stand hauptsächlich aus diesem
leichten Fussvolk; ihm ist also der
tlänzendste Sieg zu verdanken, den
ie Annalen unserer Altviiter zu ver-
zeichnen haben. In der Folgezeit
wurden, zunächst bei den Franken,
die Liten und Hörigen, welche ihre
Herren begleiteten, mit Bogen und
Pfeil oder mit Wurfspiessen bewaff-
net und so als leichtes Fussvolk ver-
wendet.
Die Verwendung der Reiterei in
den Schlachten der alten Deutschen
war bei den einzelnen Stämmen selir
verschieden; am häufigsten trat sie
bei den Grenzstäiumeu auf. Nicht
minder hing der Gebrauch des Pferdes
auch von der Beschaffenheit des
Bodens ab, den die betreffenden
Stämme bewohnten. Während z. B.
die in Hennegau und Namur wohnen-
den Nervier fast ganz ohne Reiterei
waren, konnten die in den Niede-
rungen und am Rhein angesessenen
Bataver, Usipeter und Tenchterer,
sowie die Sigamber und Friesen
grosse Scharen davon aufstellen.
Die Reiter fochten in geschlossenen
Massen zu Pferd oder auch zu Fuss,
und die Pferde waren in letzterem
Falle gewöhnt, auf dem Flecke
stehen zu bleiben, bis ihre Herren
zurückkehrten. Sie schwammen auch
samt der Last vortrefflich über breite
und tiefe Flüsse, was der germa-
nischen Reiterei einen Weltruf gab,
sodass Cäsar sich eine Schar der-
selben als Leibwache zulegte.
Für den Kamuf ausserhalb der
geschlosseneu Schlachtreihe war je-
dem Reiter ein behender und kräf-
tiger Fussknecht beigegebeu, der
frei ausgewählt mit demselben eine
taktische Einheit bildete und nament-
lich das Pferd des Gegners ins Auge
fasste. Reiterei und Fussvolk kämpf-
ten überhaupt im engsten Vereine.
Bei schneller Bewegung griffen die
Jünglinge in die Mähnen der Rosse
ihrer Mitkämpfer und sprangen ihnen
zur Seite mit Diese Art des Reiter-
kampfes erregte die gross te Bewun-
derung der Römer. Nach Art der
Reiterei noch lebender wilder Natur-
völker griffen auch die germanischen
Reiter mit grosser Schnelligkeit an
und wichen in ihren Hinterhalt zu-
rück, um bald aufs neue hervorzu-
brechen, oder sie umkreisten auch
53G
Kriegswesen.
den Feind in rasendem Ritt und erst das fränkische Volk, dessen
schleuderten dabei ihre Wurfwaffen Heere namentlich den Reiterdienst
nach demselben. Bemerkenswert üppig pflegten. Oft scheinen über-
aber ist. dass nicht die reitenden haupt nur Reiter aufgeboten wor-
Stämme oder Völker dauernde Ger- den zusein; Nachrichten über König
manenreiehe schufen, sondern viel- Arnulfs Kriege z. B. lehren, dass
mehr die zu Fusse kämpfenden, zu Ende des 9. Jahrhunderts bei
namentlich die Langobarden, die den Ostfranken der Kampf zu Fuss
Franken und die Sacnscn. sogar ganz ungewöhnlich geworden
Artillerie und technische Trtn>- war. Der Bruderkrieg zwischen den
pen hatten die Germanen nicht, da Enkeln Karl's scheint fast ans-
jeder freie Mann das Handwerk schliesslich mit Reitern geführt wor-
versehmähte. Dagegen scheint der den zu sein, und Karl der Kahle
Sicherheitsdienst derDeutschenbeszer prahlte, gegen Ludwig den Deut-
gewesen zu sein als der der Römer, sehen ein 1 leer zusammenzubringen,
Ihre Späher — schon der genauen dass seine Pferde (bei Kölni den
Ortskenntnis wegen im Vorteil — Rhein aussaufen sollen. Die Sachsen
wurden oft den römischen Heeren und yormanne» blieben ihrer deut-
verhängnisvoll. Über die Verpjte- sehen Abstammung treu; sie kämpf-
yttnfjsrerhaftnisse der Truppen weiss ten noch immer mit Vorliebe zu
man wenig Zuverlässiges. Wahr- Fuss und behielten Waffen und
scheinlich dienten die Wagen der Kampfweise (Eberkopf) der Ger-
Wagenburg teilweise zur Nachfuhr manen bei, ohne jedoch die je-
von Lebensmitteln und zwar je für weiligen Vorteile der Waffentechnik
die einzelnen Familien oder Ge- unbeachtet zu lassen,
schlechter, in die sich nach der Am deutlichsten sprechen sich
Schlacht die Masse ohne Zweifel die Quellen über die Art der Ver-
wieder auflöste. Der römische Ein- »/fegung von Mann und Ross aus.
fluss machte sich aber auch in Die Franken zur Karolingerzeit,
dieser Hinsicht immer mehr geltend, die Sachsen bis ins 11. Jahrhundert,
namentlich vom 4. Jahrhundert an. verpflegten sich im Felde selbst.
2. Das Mittelalter. Wie reich Der einzelne Mann nahm mit auf
auch schon das frühere Mittelalter den Zug, was er zu seinem Unter-
an Fehden und grossartigen kriege- halte brauchte. Dem Transport im
rischen Unternehmungen war, für eigenen Lande dienten Wagen; galt
die eigentliche Kriegswissen9ehaft es einen Alpeuübergang, so ver-
bietet es verhältnismässig nur eint; wendete mau hierfür Saumtiere,
kleine Ausbeute. Feldherren, die Natürlich reichten die Vorräte oft
grossartige Neuerungen im Heer- nur für kurze Zeit, und der Mann
wesen durchzuführen oder einen war genötigt zu stehlen, wo er fand
eigentlichen Kriegsplan zu entwerfen und stand. Heu für die Pferde wurde
und zu verwirkliehen wussten, kennt durchweg auf der Reise selbst be-
es kaum. Selbst Karl ist mehr Stra- schafft, weswegen man bei der Be-
tege, als hervorragender Taktiker. Stimmung der Marschroute haupt-
und bekannt ist, wie nach seinem sächlich auf den Futterreichtum oaer
Tode das Reich nach jeder Hinsicht die Futterarmut einer Landschaft
wieder mehr und mehr zerfiel; wie Rücksicht zu nehmen hatte. Heer-
dem Reiche überhaupt, so fehlte ^ Strassen waren daher mehr Lasten,
namentlich dem Heer die nötige als Vergünstigungen für die An-
Einheit, die sich nur für die Zeiten wohner. und oft waren bei der An-
der höchsten Not herstellen Hess. näheruug der Heere die Dorfschaften
In den Vordergrund tritt zu aller- und Thäler verlassen, sodass die
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Kriegswesen.
537
Krieger statt der gewünschten Er-
ciuickung die bitterste Not vorfan-
den. \\ ie begreiflich waren solche
Zustände der Mannszucht und guten
Sitte äusserst hinderlich. Zur Zeit
der Kreuzziige kommt daher der
Gedanke auf, sieh für die Truppen
einen eigenen Lebensmittelmarkt zu
sichern m allen grösseren Ortschaf-
ten, die durchzogen werden mussten.
Der Soldat erhielt seinen Sold, um
die dadurch erwachsenden Auslagen
bestreiten zu können. Der Train
der deutschen Heere tritt daher vom
11. Jahrhundert an wieder mehr
surtick und zwar in dem Masse, wie
die Ausrüstung des Mannes kost-
spieliger und schwerer und nament-
lich das ritterliehe Gepäck zahl-
reicher wird. Das sächsische Heer-
Seräte z. B. enthielt neben Pferd,
In misch und Schwert auch den
Heerpfühl, d. h. Bett, Kissen und
Laken, ferner ein Tischtuch, zwei
Becken und zwei Handtücher. End-
lich gehörten dazu die Zelte. Zum
Begleit des Heertrosses zählten schon
Schmiede, Handwerker und Marke-
tender. Jede Meise setzte sich zu-
sammen aus ire und ho&pitari, aus
Marsch und Rast. Truppen rasten
fast ausnahmslos im Lager. (Als
Ausnahme kommt die Einquartie-
rung in Ortschaften — die Grastung
— vor.) Das Lagericeseii war ein
wichtiger Zweig der damaligen
Kriegskunst. Als Lagerort verwen-
dete man womöglich einen ebenen
Platz in der Nähe von Wasser und
Futterquellen. Dieser wurde mit
kreisrundem oder viereckigem Peri-
meter abgesteckt, und durch Sonde-
ruug von Quartieren stellte man
gleichsam Strassen und Thore her,
die gut bewacht wurden. War das
Lager nicht schon von Natur be-
festigt, so wurden auch in Aus-
nahmsmilen Wälle und Gräben
aufgeworfen. Bei besonderen An-
lässen kampierte man wohl unter
freiem Himmel, gewöhnlich aber
hatte man Zelte und Hütten. Letz-
tere, zu denen das Holz gewöhnlich
requiriert wurde, dürften besonders
für die Knappen bestimmt gewesen
sein. Man lagerte abteilungsweise
zusammen nach Kontubemien, die
Knappen in der Nähe ihrer Her-
ren. Hier wurden auch die Ge-
päckstücke der einzelnen zusammen-
gelegt und die Pferde an Pfahle
angebunden. Jedes Kontubernium
hat auch schon sein bestimmtes
Losungswort, sein signum castrorum.
Bei plötzlichem Überfall durch den
Feind und nötig gewordener rascher
Flucht wird das Lager in Brand
gesteckt Hierüber, sowie über
den Bezug eines neuen Lagers
und die Lagerordnung überhaupt
entscheidet der Marschall, der übri-
gens auch in der Schlacht einen
Teil des Heeres befehligt. Vom
Feind überrascht, verliess man das
Lager in aller Unordnung, Mann
für Mann auf eigene Faust kämpfend.
Auch gegen einen schwachen Feind
zog man, vielleicht um ihn zu höh-
nen, ungeordnet aus. In der Regel
aber wurde das Heer gegliedert in
mehrere Treffen, und oft stritt man
sich um die Ehre, die prima acte»
oder legio, das primum bellum , den
„Vorstreit" zu oilden. Die Stärke
der einzelnen Treffen, die übrigens
bedeutend geschwankt haben mag,
ist nicht zu messen. Die Einheiten
hiesseu Banner, Turm, Legion. Über
die Tiefe der Aufstellung eines
Treffens ist man ebensowenig unter-
richtet. Eine zufällige Notiz läset
darauf schliessen, dass eine irgend
beträchtliche Truppe mindestens
100 Mann Frontbreite hatte.
Mit der Gründung der Städte
und Zunahme der befestigten Bur-
gen (siehe Burg) tritt an den Krie-
ger eine neue Aufgabe heran, der
Belagern ngsdienst, mhd. gefiger, be-
sezze. Zuerst versuchte* man den
Platz durch Überrumpelung zu ge-
winnen, sei es duren Einschlagen
der Thore, durch Herabreissen der
Zugbrücken mit schweren Lang-
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538
Kriegswesen.
haken oder durch Leiterersteigung, iu das erste Glied der Ritter iGle-
Gelang dieses, so waren begreif- vener), iu das zweite der mittel-
licherweise viele Unannehmlichkeiten seh wer gerüstete Knecht, in das
mit einem Schlade abgethan, denn dritte ein Schütze. Nach anderen
eine regelrechte Belagerung war oft Angaben sind es auch drei Ge-
sehr zeitraubend una verdriesslich, wappnete und drei Pferde. Die
ja verhängnisvoll. Gelang die Über- Gleven bildeten zusammen den „rei-
rumpelung nicht, so versuchte man, tenden Zug", zu dem die Speer-
die Gräben auszufüllen. Dazu ver- knappen und Schützen als „ein-
wendete man Erde, Stroh, Holz- spännige4', d. h. ohne Gefolge rei-
bündel, Reisig, Gebüsche u. s. w., tende „reisige Knechte*' gehörten,
ja selbst Sehlachtvieh, Leichen und Zehn Gleven und eine entsprechende
sogar Kriegsgefangene. Zum Schutz Anzahl Einspänniger standen unter
gegen die Geschosse der Belagerten einem Hauptmanne; die gesamte
arbeitete man unter einer „Katze", [ Reiterei befehligte der Marschall,
dem Sehirmdach oder dem hölzernen ' doch ist von einer umsichtigen Ober-
Blockhaus , das auf Rädern oder leitung durch denselben noch immer
Rollen an die Mauer geschoben keine Rede, weswegen die Heer-
wurde, um diese zu untergraben, fahrt der gewünschten Beweglich-
Missglüekte auch ein zweiter Sturm- keit meist entbehrte und selten ein
versuch, so griff man unverzüglich offensiver, stürmischer ReiterangrifT
zu den Maschinen, dem antteerk. gewagt wurde. Auch die Städte
(Siehe den Art Belagerung). stellten oft eine nach der Zahl sehr
Die Heere des späteren Mittel- beträchtliche Reiterei. Die Patrizier
alters bestanden aus: und reichen Kaufherrn zogen als
1. den Lehensleuten mit ihrer „Konstabier'' oder „Kunstofler4' nur
Pflichtigen Mannschaft, zu Pferde aus, und selbst wohl-
2. den Hofdienern der Fürsten habende Zünftler gesellten als
mit ihren untergebenen ( Edelleuten, „Wolerzugte" sich ihnen bei. Zur
Rittern, samt Dienerschaft, Boten, Schlacht trennten sich die schweren
u. s. W.)i von den leichten Reitern. Letztere
3. dem Land volke der dem Kriegs- harzelirten, leiteten «las Gefecht ein,
Schauplatz zunächst liegenden Ge- zogen sich dann zurück und über-
genden, nahmen die Deckung des Rückzuges
4. den Stadtbewohnern , welche oder im Fall des Gelingens die
den besseren Teil des Fussvolkes, 1 Verfolgung des Feindes. Auch Söld-
besonders der Schützen lieferten, uer, welche nur für den einzelnen
5. den Bundesgenossen, die unter Zug gemietet waren (die Solularii,
eigenen Hauptleuten fochten, Soldaten, auch Sarjanten genannt)
6. den Stadttruppen. waren anfänglich oft beritten, bis
Unter den Honenstaufen und namentlich durch die Schweizer und
namentlich in der darauffolgenden Ditmarschen in den Sehlachten bei
kaiserlosen Zeit gelangte zu allererst Morgarten und Oldeuwörden der
die Ritterschaft zu ihrer Blüte. Kriegskunst eine andere Basis oder
Fürsten, Grafen und Herren waren vielmehr die alte natürliche wieder
bemüht, ihre berittene Dienstmann- gegeben wurde, der Kampf zu Fu*s.
schaft möglichst zu vermehren, was Städtische Intelligenz und bauer-
oft dadurch geschah, dass Unfreie liehe Xaturkraft im Vereine be-
den Rittergürtel erhielten. Der zwangen das Vorurteil, dass nur der
„Helm*4 bildete im 14., die „Gleve44 Reitersmann ein Krieger sei, und
im 15. Jahrhundert die kleine tak- bald wurden die Ditmarschen und
tische Einheit. Zu letzterer gehörte Schweizer die Lehrmeister ihrer
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Kriegswesen.
539
deutschen Nachbarn. Das Söldner-
wesen nahm mehr und mehr über-
hand; die Söldner bildeten selb-
ständige Banden, die zur Landplage
werden konnten, indem sie unter
«lern Namen „Böcke" oder „Tra-
banten" ein Handwerk trieben, das
dem italienischen Brigantentum oft
ziemlich ähnlich sah. In Süddeutseh-
land hiessen die einheimischen Söld-
ner Landsknechte, die fremden Bocke.
Das Fussvolk blieb eingeteilt in
Zehnt- und Hundertschaften, die
ie nach Bedarf zu grösseren oder
Kleineren taktischen Körpern zu-
sammengefügt wurden. Die Leute
mit blanken Waffen bildeten die vier-
eckigen Gewalthaufen, die Schützen
deckten als kleinere Haufen die
Flanken, griffen an und sekundier-
ten beim Kampfe so gut es ging.
In der vordersten Reihe standen
die bestgerüsteten Lanzenträger ;
hinter ihnen waren die Fahnen auf-
gepflanzt, die den Gegenstand des
heissesten Kampfes bildeten. Der
Schar voraus gingen die Ver-
wegensten, die „Katzen balger", als
„verlorene Knechte", die entweder
für grösseren Sold oder um ein
Verbrechen zu sühnen, ihr Leben
mutwillig aufs Spiel setzten. Die
gesamte streitbare Mannschaft wurde
gern in drei Haufen geteilt, Vorhut,
Gewalthaufen und Nachhut.
Durch die Hussitenkriege ge-
langte auch die Wagenburg noch-
mals zu grosser Aufmerksamkeit.
Der einzelne Wagen ist mit fünf
Pferden bespannt und mit 21 Köpfen
bemannt. Fünf Wagen bilden ein
Glied und haben einen besonderen
Hauptmann. Fünf Glieder bilden
einen Bund und fahren hinterein-
ander in einer Zeile. Vier solche
Zeilen nebeneinander bilden die
Schickung. „Die ganze Schickung
(100 Wagen, 2500 Mann ) soll haben
einen Richter mit vier Schoppen
und einen verständigen Prediger;
jeglicher Bund soll haben einen
richtigen Kaplan, und jedes Glied
soll habeu ein Gezelt oder Gesperre
(Lagerhütte)." Zu den Streitwagen
gehörten ebenso viele Speisewagen,
in gleicherweise geordnet und ver-
sehen mit: „Bierbräuer, Mulzer,
Müller, Bäcker, Mäher, Drescher,
Schnitter, all weg genug, um, wenn
man auf Schlösser, Städte und Märkte
kommt, die Bräupfannen und das
Mühl werk besorgen zu können. Auch
soll ieglich Glied besonders haben
ein Stein- oder Tarraabüchsen auf
einem halben Wagen mit zwei
Pferden und die ganze Schickung
von 100 Wagen eine grosse Stciu-
büchsen mit 16, 18 oder 20 Pferden,
um willen rechter ernstlicher Haupt-
stürme auf Schlösser und Städte."
Die Wagenburgen, von denen auf
deutschem Boden im 15. und mehr
noch im 16. und 17. Jahrhundert
die Rede ist, sind freilich mehr
Zeugwagen, anfänglich Sichelwagen,
dann Artillerie- und Pionierfahr-
zeuge oder Waffen wagen mit Haken-
büchsen, Handrohren, auch Hand-
werks- und Vorratswagen; die
Wagenburgen verloren ihren Wert
mit der Einführung der Feuerwaffen
völlig, namentlich gegen die schweren
Geschütze schützten nur starke
Wälle, überhaupt eigentliche Be-
festigungswerke.
Im Dieriste der Artillerie (siehe
dort) und unter dem Befehle des
Zeugmeisters standen auch die tech-
nischen Truppen, die Schanzenbauer,
welche die Wege zu erstellen und
die Lager zu „umschütten und ver-
graben" hatten, die Zimmerleufc,
und Kriegsbrücker, die Bergknappen
und Steinmetzen.
Als Abzeichen für die Truppen
dienten allererst die Kopfbe-
deckungen oder irgend ein bestimmter
Schmuck derselben, Federn, Reiser,
Blätter etc. Ausserdem erkennen
sich Freunde und Gegner an farbigen
Abzeichen auf den Kleidern; sogar
gleichförmige und gleichfarbige Uni-
formen erscheinen vereinzelt schon
im 14. Jahrhundert, und oft tragen
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540
Kriegswesen.
namentlich die Söldnerheere die
Farben ihrer Stadt.
Die Kriegsfall mng dieser Zeit
überhaupt wurde durcli zwei Um-
stünde wesentlich bedingt, durch
die Unmöglichkeit, die Streitkräfte
für eine grössere Unternehmung für
längere Zeit beisammen und mobil
zu halten, und durch die Massen-
haftigkeit und Wichtigkeit der Be-
festigungen. Man hielt Städte, Land-
wehren und Burgen bestmöglichst
besetzt: der Feind belagerte die-
selben und zwar oft erfolglos; Aus-
fälle und Stürme wechselten mit-
einander ab, aber zu grossen, kunst-
gerechten Sehlachten Kam es selten.
Einen höheren, militärisch-politischen
Charakter haben im Grunde ge-
nommen nur die Burgunderkriege,
die dann auch in der Geschichte
der Kriegskunst eine Epoche ein-
leiten, der sieh kaum eine andere
vergleichen liisst; denn mit dem 16.
Jahrhunderte bildete sich zum ersten-
mal ein europäisches Fussrolk:
Es ist daher wohl billig, dass
wir an dieser Stelle des schweize-
rischeu Kriegswesen* noch ganz be-
sonders gedenken, da es für diese
Periode massgebend ist. Von einer
gemeineidgenössischen Kriegsord- j
nung kann zwar während der ftlauz- j
zeit des kleinen Staatswesens kaum ;
gesprochen werden. Die Mittel zu den
Kämpfen aufzubringen, das Material
an Menschen, Pferden, Waffen,'
Kriegsgerät und Ausrüstungsgegen-
ständen zu beschaffen, Befestigungen
anzulegen , die ausgehobene Mann- 1
sehaft angemessen zu organisieren
und zu unterhalten, das alles war
Sache der einzelnen Orte (jetzt Kan-
tone». War ein Stand 'bedrängt,
so mahnte er seine Mitstände und
erhielt meist brüderliche Hilfe. In
den Einzelheiten herrscht unter den
Milizen der einzelnen Stände manche
Verschiedenheit, namentlich trat
diese zu Tage zwischen den Städten
und Lindern; im allgemeinen aber
beruhten die Einrichtungen doch
auf denselben Grundlagen. Überall
fand die innigste Verschmelzung
zwischen den bürgerlichen und mili-
tärischen Behörden statt, sodass die
bürgerlichen Einrichtungen mit den
kriegerischen aufs engste verknüpft
sind. Jedes Land und jede Stadt,
jede Herrschaft und jedes Amt, ja
jede Zunft stellte ihre Mannschaft
unter eigenem Zeichen (Bauner,
Fähnlein i, jeder freie Mann ist
Soldat; der Dienst im Felde ist ein
Ehrendienst, der Entzug der Waffen
eine entehrende Schmach für Ver-
brecher und Meineidige. Die Waffe
des Auszügers ist unveräusserliches
Eigentum; sie vererbt sich auf die
Familie und kann ihr unter keinen
Umständen genommen werden. Jede
Ortschaft stellt ihr bestimmtes Kon-
tingent au Mannschaft und zwar
nach der Zahl ihrer Feuerstätten,
je einen oder mehrere, nach der
Grösse der Gefahr beimessen. Fami-
lien, die keine eigene waffenfähige
Leute hatten, warben sich solche in
der Nachbarschaft oder Hessen sich
sonst irgendwie vertreten. Eine
Altersgrenze war nicht oder jedenfalls
sehr weit gezogen, denn oft Kämpften
nebeneinander Vater und §ohn.
Die Truppen erhielten von den Ge-
meinden ihr Reisegeld, woraus sie
sich selbst zu erhalten hatten. Da
dieses aber bei den knappen Geld-
mitteln sehr klein war, reichte es
selten aus, und es verfiel die Mann-
schaft bald aufs Stehlen und Plün-
dern, was notwendigerweise jede
Disziplin erschwerte, wenn nicht
ganz verunmöglichte. Daher suchte
man den Truppen die Nahrung
wenigstens teilweise nachzuführen
und teilte in bestimmten Zeitab-
schnitten jedem das Nötige zu , so-
dass er es in einem leinenen Sacke
selbst nachzutragen hatte. Da nun
die Nahrung zum grossen Teil aus
Hafergrütze bestand, hiess man den
Sack ,. Habersack'', welche Bezeich-
nimg in der Schweiz heute noch
für den Tornister angewendet wird.
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Kriegswesen.
541
Die Rosse, welche dem Lebens- für einen Musketier 7 Kronen, für
mitteltransport dienten, hiessen einen andern Schützen 6 Kronen,
„Hodelrosse", und ihre Führer für einen Spiess 5 Kronen. Die
nannte man „Hodler" oder Tross- | Waffen konnten zum kleinen Teil
knechte. Bei dem Freiheitssinn der ! im eigenen Lande gefertigt werden,
Eidgenossen ist es leieht erklärlich, denn die inländischen Wattenschmic-
dass in Zeiten ernster Gefahr sich den waren noch in einem sehr
beträchtliche „Freiharste" bildeten, primitiven Zustande,
die nicht in dem Pflichtigen Kon- ! Über das Verhältnis der Waffen
tingente inbegriffen, mit in den Kampf innerhalb des Fussvolkes nach der
zienen wollten. Die Regierungen Zahl macht ein Reisrodel von Zürich
unterstützten auch den militärischen (1444) folgende Angaben: die Stadt
Sinn ihrer Untergebenen mit allen stellte zum Auszuge 630, die Land-
Mitteln; sie setzten namentlich für sehaft 2131 Mann. Die ersteren
die Schiessübungen in Friedens- setzten sich zusammen aus 127 Ann-
zeiten Prämien aus, die vornehm- brustschützen, 95 Büchsenschützen,
lieh in Waffen und anderen Aus- 103 Spiessen und 364 Hellebarten,
rüstungsgegenständen , oft auch in während die letzteren 331 Armbrüste,
Zeug zu Hosen bestanden. Um die 16 Büchsen, 546 Spiesse und 123^
Einführung zweckmässiger Waffen, Hellebarten zählten. Ihre grössten
namentlich Feuerwaffen, zu be- j Schlachten schlugen die Schweizer
günstigen, erhöhten sie auch das I also mit ihren alten "Schlag- und
Reisegeld für die Büchsenschützen. Stichwaffen. Selbst die mit Schwe-
lm Dornacherzuge z. B. erhielt j reu Geschützen und einer vortreff-
jeder derselben eine Zulage von 1 liehen Reiterei trefflich ausgestatte-
Schilling, doch nur diejenigen, die ten Heere Karls des Kühnen be-
„eigen Gezeug" besasseu, während zwangen sie noch mit denselben
die andern, die ihre Büchsen von Waffen; so sollen nach Comines'
der Regierung sich geborgt hatten, ] Angaben in der Schlacht bei Murten
nur gewöhnliches Taggeld erhielten, unter 30000 Mann eidgenössiseher-
Eine Muskete kostete in Bern um seits 11000 Spiessc, 16000 Kreuz-
1589 11 Pfund, ein Handrohr 8 wehren und 3000 Schützen (Arm-
Pfund, was nach jetzigem Geld- brüst- und Büchsenschützen I zu ver-
werte 88, bez. 60 Franken gleich- stehen sein. Anders wurde das
kommen mag, womit die abscheu- Verhältnis erst im 16. Jahrhundert
liehe Waffe teuer genug bezahlt zur Zeit der Söldnerkriege in mai-
war. Um deren Einführung noch ländischem und französischem Dienst,
besser begünstigen zu können , zog die neben den vielen Nachteilen für
der Staat ( der Ort) die Verwaltung das Land auch einen Vorteil brachten,
an sich, Hess sich von den Gemein- den nämlich, dass für sämtliche 13
den in Friedenszeiten pro Mann Orte eine einheitliche Kriegsordnung
ihres Auszuges für drei Monate ! geschaffen wurde, die im Jahre 1629
Dienst 12 Kronen a 25 Batzen die Pflichtige Armee sämtlicher
(etwra 42 Francs) einzahlen und Bundesglieder mit Einschluss der
übernahm dafür die Ausrichtung zugewandten Orte und Unterthanen-
der Reisegelder in Kriegszeiten. Auf lande auf 13400 Mann ansetzt, wo-
diese Weise ist der Sold entstanden, zu auf je 100 Mann 3 Reiter, im
daher heisst dieser noch jetzt im ganzen also 402 Pferde und 16 Ge-
Munde des Schweizers „das Prä" schütze zu nehmen sind. Die Mann-
(prefj, weil er gewissermassen ein schaft zerfällt in Kompagnien von
Anleihen bei den Gemeinden war. je 200 Mann, von denen 120 mit
Der Sold betrug 1586 bei den Bernern Musketen, 30 mit Spiess und Harnisch,
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Kriegswesen.
30 mit blossen Spiessen und 20 mit Ehrenplatz auf dem rechten Flügel
Hellebarten bewaffnet sind. nahmen die Rotten der herrschenden
Die Reiterei war , wie oben an- Stadt oder des herrschenden Stande«*
gedeutet, nicht zahlreich, was unter ein ; auf dem linken Flügel standen
Erwägung der Verhältnisse leicht die zugewandten Orte, in der Mitte
begreiflich wird. Auch diese weui- die Amter und Herrschaften, die
gen waren meist freiwillige Patrizier Unterthailen. Dem Zuge voran sc hrit-
aus den Städten oder (bedungene ten die Spielleute, welche von der
aus den umliegenden Landschaften Obrigkeit r>esoldet wurden. Es waren
(z. B. Genf)- Doch lieferten einzelne das die „Trummeisehlaher" und
Orte jeweilen bedeutend mehr, als „Sehwägler" , welch letztere die
ihnen geboten war, so vorab die Querpfeife bliesen. Die Musik als
Stadt Bern mit ihrem zahlreichen Begleit der Heere soll zuerst in der
Adel und ihren grossen Besitzungen Schweiz aufgekommen, ja die Trom-
im ganzen westlichen Teile der | mel mit den gespannten Fellen eine
Schweiz, Auf diese Weise kämpfte schweizerische Erfindung sein. Durch
auch die Reiterei nicht ohne Erfolg, ihren Gebrauch wird wahrscheinlich
Aus den oben gemachten Angaben unvermerkt das Marschieren im
von 1629 geht hervor, dass auch die Schritt aufgekommen sein, das zwar
Artillerie schwach vertreten war. in dieser Periode noch nicht allge-
Zwar wurden Feldstücke kleinen mein geübt wird. Es wird ausdrück-
Kalibers schon früh verwendet, und lieh bemerkt, dass die Musik mehr
es setzt im 15. Jahrhundert jede zur Kurzweil da war, daneben dem
Stadt eine eigene Ehre darein, be- Kommando diente, zur Sammlung
sonders schwere Kauonen als Be- rief, zu Vorrücken, Rückzug und
lagerungsgeschütz zu besitzen; doch Schwenkungen u. 8. w. Denn was
bei der Kleinlichkeit der Verhält- dem Heere der Eidgenossen in bezug
nisse und Armut des Landes blieb auf die Entwickelung der Kriegs-
der Schwerpuukt des Heeres durch- kunst so hervorragende Bedeutung
aus im Fussvolk , und wenn auch triebt , das ist die liier zuerst statt-
die Wälle der belagerten Städte findende rationelle Durchführung
mit grobem Geschütz notdürftig ver- der Iufanterietaktik; der Schweizer
sehen waren, so fehlte es doch an lernte nicht nur den Gebrauch der
Feldstücken, oder es waren die vor- Waffe, er lernte auch sich als ein
handenen nicht wirksam genug. Glied einreihen in ein grösseres
Eine grosse Steinbüchse hiess man Ganzes, das nach bestimmten Regeln
„Metze**, die langrohrigen Geschütze i sich leicht und sicher bewegte. Der
Wr eiserne Kugeln hiess man j schlichte Schweizer war zwar Hirt
„Schlangen", sofern sie leichter be- vom Scheitel bis zur Sohle , aber
weglich und somit auch im Felde seine glühende Liebe zu dem klei-
zu gebrauchen waren — „Feld- nen, armen Vaterlande, dem er den
schlangen44. einzigen Vorzug, die alte, ange-
Jede Stadt, Gesellschaft, Zunft, stammte Freiheit retten wollte, stein-
Herrschaft, jedes Amt bildete eine pelte ihn in kurzer Zeit zum gebore-
taktische Einheit, eine Rotte, die in neu Soldaten. Auch darf man nicht
„Zilcten44 (Zeilen) von 6—10 Mann glauben, dass einzig diese Bauern
zerfiel. Die Bewaffnung der Rotten die trefflich gerüsteten, an Zahl
war eine einheitliche, höchstens ver- ihnen weit überlegenen Heere der
einigen sich in kleinen Gemeinwesen Könige und Kaiser schlugen , sie
Spiesser und Schützen. Grössere waren meist angeführt von gut ge-
Zünfte stellen gewöhnlich je eine schulten Hauptleuten, die ausser
Rotte von jeder Waffengattung. Den Landes gedient und jeweilen in der
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Kriegswesen.
543
Zeit der Not in ihr Vaterland zu-
rückkehrten.
Als Feldzeichen der Eidgenossen
tritt schon früh das weisse Kreuz
auf, das als Feldzeichen der Berner
bei Laupen geweiht, bald von allen
Bundesgenossen geführt wird. Jede
Rotte führte ihre Fahne, die Urner
und Unterwaldner besassen grosse
Harsthörner, von denen der ,,Uri-
stier" besondere Berühmtheit erlangt
hat. Die Fahnen waren länglich
und gespitzt, die Banner waren qua-
dratisch. Das Hauptbanner wurde
in der Mitte getragen und von den
besten Truppen begleitet. Schlacht-
ordnung und Marschordnung fielen
bei den Schweizern grundsätzlich
zusammen, was für sorglose feind-
liche Heere oft verhängnisvoll war.
Ungefähr die Hälfte der Krieger,
und zw ar vornehmlich Hellebarden-
träger, bildeten den Gewalthaufen,
der das Hauptbanner trug und daher
oft selbst „das Banner" genannt
wurde. Unmittelbar um das Banner
her stellten sich die Zileteu der vor-
nehmeren Zünfte auf, die Konstabier
und Junker, soweit sie nicht zu
Pferde fochten. Und bei der ganzen
Aufstellung wurde sorgsam darauf
geachtet, (lass die minder zuverlässi-
gen Rotten der Landgemeinden mit
den Rotten der altbewährten Bürger-
zünfte versetzt wurden. Die gewöhn-
liche Tiefe der Aufstellung ist 20
Mann. Ein Teil der Spiesse wird
verwendet, die Flanken aes Gewalt-
haufeus einzurahmen, und eine Pha-
lanx von 1200 Hellebardieren und
200 Pikenieren kann man sich also
derart geordnet denken, dass im
Centrum 60 Rotten Hellebardierc
und auf jedem der beiden Flügel
5 Rotten Pikeniere stehen. Die
Mannschaft „vor dem Banner" , die
Vorhut, besteht aus den Schützen,
einer grösseren Beigabe von Spiessen
und einer kleineren von Hellebarden.
Sie eröffnet das Gefecht, worauf der
Gewalthaufen zu geeigneter Zeit und
am pausenden Orte angreift. Die
Sachhut ist die schwächste Heeres-
abteilung, die zum Schutze des
Trosses „hinter dem Banner" auf-
gestellt ist, wohl auch im Notfall
thätlich in den Gang des (Rechtes
eingreift. Die Marsch- und Angriffs-
ordnung der drei Haufen war aber
immer derart, dass sie nicht direkt
hintereinander, sondern dass die
Vorhut seitwärts vor dem Ge-
walthaufen aufgestellt war, um
jedesmal den Angriff in der Front
mit einem auf die Flanke verbinden
zu können. Ebenso stand die Nach-
hut seitwärts hinter dem Gewalt-
haufeu. Diese Aufstellungsweise bot
den grossen Vorteil der leichteren
Beweglichkeit sämtlicher Truppen.
Waren die Mannschaften mehrerer
Ortschaften versammelt, so bildete
man wohl auch drei Haupthaufen,
deren jeder eine Vorhut und Rotten
sämtlicher Waffengattungen hatte,
sodass er zu selbständiger Aktion
befähigt war. Auf engbegrenztem
Operationsfelde gab man den Haufen
eine sehr beträchtliche Rotteutiefe,
ja man übertrieb das Verfahren zu
Anfang des 16. Jahrhunderts sogar
dahin, dass der gevierte Haufe, der
ebensoviel Front wie Tiefe hatte,
als normale Stellung galt. Auf der
Ebene bildete man dashohle Viereck,
das mitunter vorn offen gelassen die
Bagage zwischen die Hörner (aus
Vor- und Nachhut gebildet) nahm,
oder mau bildete in defensiver Stel-
lung auch das Kreuz, indem Vor-
uiuf Naclihut dicht an die Seiten
des Gewalthaufens heranrückten.
Es erübrigt uns noch, der Fort-
schritte im Belaqentnffskrieff zu ge-
denken. Dieselben sind unbedeu-
tend bis um die Mitte des 15. Jahr-
hunderts. Besass man auch grosse
Geschosse, Steinbüchsen, die im
Belagerungsdieiist vor Städten und
Burgen verwendet wurden, so war
man doch nicht imstande, die Kugel
so schnell zu bewegen, dass damit
Breschen in die Mauern hätten ge-
schossen werden können; manmusste
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544
Kriegswesen.
sieh damit begütigen, schwächere für die neue Belagerungstaktik durch
Häuser und Thore zu besehiessen, den Gebrauch der Belagerungs- und
allfällig auch die Zinnen der King- Ausfallsartillerie, die Konstruktion
mauern abzudecken. Glücklicher der Red outen, Laufgräben und An-
arbeitete man immer noch vor der prochen, den Gebrauch der Palissa-
Hand unter der Katze. Wie auf die den und Fussangeln , sowie durch
Befestigung eines Ortes erstaunlich , das Erbauen neuer Werke, wenn
viel Mühe und Sorgfalt verwendet j die ursprünglichen durch Feuer oder
wurde, so wurde der Belagerungs- 1 im Sturm zerstört worden waren,
krieg mit ausserordentlichem Auf- Es werden auch schon Minen gelegt,
wand geführt, doch oft mit wenig I Ob aber darunter wirkliche Pulver-
Glück. Eine tapfere Besatzung trotzte minen zu verstehen sind, ist unge-
Woehen, ja Alonate lang einer zahl- 1 wiss. Glücklicher waren O 453 1 die
reichen Gegnerschaft, falls dieser Osmanen vor Konstantinopel, indem
die Aushungerung nicht gelang, ihnen Flotte und Geschütz gute
Selbst wenn es gelang, Breschen zu Dienste leisteten. Ein solches soll
le^en, so war der Sturm nicht leicht. | 800 Center Gewicht gehabt und zu
Die Mauern brachen entweder auf seiner Fortbewegung 700 Mann und
dem Niveau des Bodens oder höher, 100 Ochsen erfordert haben. Das
füllten aber die Gräben keineswegs Gewicht der Steinkugel wird auf
aus, sodass es immer noch eine 12 Centner angegeben.
Leiterbcstei^unt? galt, und wenn die Einen wichtigen Fortschritt
Belagerten im Innern eine mit Holz machte der Belagerungskrieg in
oder erdgefüllten Tonnen bekleidete Frankreich, indem um die Mitte des
Erd verschanzung errichteten, so bot 15. Jahrhunderts die Steinkugeln
dieser Wall dem Geschütz mehr durch gegossene Metallkugeln ersetzt
Widerstand als die Mauer selbst, wurden, welche die Wirkung der Ge-
Es fehlt darum gerade beim Be- schösse beträchtlich vermehrten,
lagerungszustand des späteren Mit- Auch die rationelle Anwendung der
telalters in Deutschland nicht an den Laufgräben als Annäherungsmittel,
allerseltsamsten Streitmitteln. Sogar sowie der SchanzJcorbe fallen in diese
die Laterna maqiea wird angewen- 1 Zeit. Zu sichern suchte man sich
det, um durch Geistererscheinungen gegen diesen verstärkten Feind durch
die abergläubischen Verteidiger von 1 verstärkte Mauerwerke und Wälle,
den Mauern zu vertreiben , und oft Die Mauern wurden niedriger, doch
sucht man die belagerte Stadt au- ; stärker gemacht. Einzig die Burgen
zuzünden, indem man Katzen und blieben Dei ihrer alten Bauart, ois
Vögel fängt und diese mit brennen- sie dann im 16. Jahrhundert zum
den Lunten nach der Stadt zurück- offenen Landsitz werden,
sendet. Die bedeutendste Belagerung i An den Wehrbauten der Städte
dieser Zeit ist diejenige des Karl- j aber ist der Übergang von der
steins in Böhmen (1422), die merk- alten zur neuen Befestignngs-
würdigste diejenige von Orleans weise, die Renaissance der Forti-
(1428). Die erstcre dauerte 5 Monate fikation deutlich erkennbar. Die
und wurde aufgegeben, nachdem aus Hürden und Holzbauten der Bre-
den Schleuderma*chinen 1822 Ton- tlehes verschwinden und machen
nen voll faulender Stoffe u. 13 Brand- gemauerten Wehrgängen Platz. Die
fasser geworfen , mit den schweren alten Spitztürme verlieren das Dach
und kleinen Kanonen 10931 Schüsse und erhalten eine Plattform, die mit
abgegeben worden. Die letztere, 1—2 Büchsen versehen wird, deren
die nach 7 Monaten ebenfalls auf- bohrender SchuBS zwar von geringer
gehoben werden musste, brach Bahn Wirkung ist, der aber durch seinen
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Kriegswesen.
545
Rückstoss das schwache Mauerwerk haupt ein besonderer Zweck damit
höchstens 2 Fuss Breite hatten, war
für das Geschütz kein Platz. Man
machte daher innen eineErdanscbüt-
tung bis zur Höhe des Rondenganges
und versah diese mit Batterien. Aber
auch so war der Schuss zu bohrend.
Daher verfiel man auf den Gedanken,
den alten Zwinger derart auszuge-
stalten, dass man vor der Aussen-
inaucr einen tiefen Graben anlegte,
als dessen Escarpe nunmehr die
Zwingermauer erschien. Den Zwin-
ger selbst aber bildete man durch
Ausfüllung mit Erde zum Nieder-
walle um. Von diesem ging nun
die Gesehützesverteidigung^ aus, und
hinter ihm erhob sich die Haupt-
mauer, welche mit ihren Türmen
und ihren alten Einrichtungen für
perpendikulare Defensive, nach wie
vor für die Verteidigung mit den
bedenklich erschüttert. Auf den erreicht werden soll. Übrigens ver
Rondengängen der Kurtinen, welche sagt das Geschütz selten; wenn die
leichten Büchsen nicht genügen, so
führt man schwere Bombarden auf.
Die Stücke hatten nicht bloss ge-
gossene Kugeln, sondern waren nun
selbst gegossen aus Bronze, ver-
sehen mit Schildzapfen und Wand-
lafetten. Der Schuss konnte dadurch
sicherer gezielt werden und that um
so unfehlbarer seine Wirkung, so-
dass auf ungedeckten Plätzen das
Bombardement rasch begonnen und
zu Ende geführt werden konnte.
Während 1504 Kaiser Maximilian
die 14^ dicken Mauern von Kufstein
mit 7 Kanonen nicht bezwingen kann,
erreicht er seinen Zweck später mit
2 Monster- Geschützen.
Je mehr nun die Unzulänglich-
keit der dicksten Mauerwerke gegen
die verbesserten Geschosse der Be-
lagerer sich als Thatsaehe erwies,
Handwaffen bestimmt
gung i
blieb.
hin blieben die hohen Mauern und
Türme unverändert bestehen und
boten auch dem fernstehenden Feinde
einen Zielpunkt, der selten verfehlt
wurde. Urn diesem zu begegnen,
führte man jenseits des Hauptgra-
bens an der Stelle der alten Let2i
Immer- umsomehr musste man bestrebt sein,
die Niederwälle und die Gräben
widerstandsfähiger zu machen. Na-
mentlich die letzteren erfuhren die
grösste Aufmerksamkeit, sie ver-
breiterten und vertieften sich und
wurden mit Schutzwerken umgeben,
die weniger beschossen, als erstiegen
(lirej einen VorivaU auf mit Vor- werden wollten, und damit beginnt
graben. Vor den Thoren errichtete die Einführung eines ganz neuen
man Bollwerke (bcuUverts, bastillcs, Momentes in «Ter Poliorketik, näm-
basfidetj aus Holz und Erde, welche lieh der artilleristische Sahkampf
die alten Barbigäne ersetzten. Diese gegen die Flankierungswerke, wel-
Anlagen knüpfen sich an die glor-
reiche Verteidigung der Stadt Neuss
gegen Karl den Kühnen (1474). Sie
tragen übrigens nur den Charakter
eines Provisoriums.
Zur Breschelegnng konkurrierten
um die Wende des 15. und 16. Jahr-
hunderts Mine und Schuss. Die
erste Pulvermine wird 1487 erwähnt
in einer Belagerung von Screzanella.
Einige glückliche Erfolge verschaff-
ten ihr oald grossen Ruf, während
sie im Laufe des 16. Jahrhunderts
mehr nur versucht wird, wenn eine
eher sich wesentlich untei
von dem Geschützfernkampfe gegen
die Hochbauten des angegriffenen
Platzes. Indessen würde man sehr
irren, wenn man glauben wollte, dass
bei Erstellung neuer Befestigungs-
werke nicht auch jetzt noch auf ein
gutes Mauerwerk grosses Gewicht
gelegt worden wäre. Man baute
fester als je und suchte namentlich
durch gute Gewölbe in den unteren
Geschossen den dort aufgestellten
Geschützen einen unbedingt rasanten
Schuss zu sichern. Man baute diese
Breschelegung missglückt oder über- Türme niedriger, aber weiter und
Reallextcon der deutschen Altertümer. 35
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546
versah sie mit einer möglichst grossen der Türme wurden bis auf 10 m
Zahl von Schiessscharten; die Ziunen Dicke erstellt, die Graben in einer
aber fielen weg, da sie doch keine Breite, dass grosse Truppe nmassen
Sicherheit boten. sich in denselben bewegen konnten.
Anlage und Einrichtung der Die Bastionen, bald spitz, bald
B<i*teien waren ein Gegenstand un- ! rund, die Kasematten und Wälle
ablässiger Versuche für alle europä- treten mehrfach und in beträcht-
ischen Völker. Man sah ein, dass liehen Abstanden voneinander auf.
das schwache Feuer der Rondeln Sie sind zudem von einer Mäch-
nicht wirksam genug war, um deu tigkeit. dass schwere Geschosse sie
Annäherungsarbeiten des Feindes nicht so leicht beseitigen. Deut-
kräftig entgegenzutreten, da dieser sehe Festungswerke dieser Periode
jeden Schuss zehnfach zu beantwor- sind z. B. Küstrin, Spandau, Düssel-
ten imstande war. Um diesem L bei- dorf und ein Bollwerk eigeutüm-
stand zu begegnen, Hess man die lieber Art, der Munot in Schaffhauen.
Rondeln auf der äusseren Seite in 1 Von dem Augenblick an, da die
eine gerade Linie ausgehen, damit Befestigungskunst bestimmte Grund-
möglichst viele Geschütze zu fron- sätze und feste Formen angcnoin-
taler Wirkung gelangen sollten, men hatte, mussten auch Verteidi-
Andere schoben die Basteien inöj£- gung und Angriff systematischer
liehst weit vor und verbanden sie geordnet werden. Gegen Befesti-
nur durch eine schmale Wallzuuge gungen der früheren Periode, wo in
mit dem Hauptwall. So hofften sie uer Hauptsache nur Mauern und
wirksamer gegen die Flanken der Xiederwälle zu zwingen waren, war
Feinde zu zielen, boten aber in beiden der Angreifer in der Lage, beide
Fällen den feindlichen Geschossen Artillenestockwerke zugleich auzu-
grössere Zielpunkte, d. h. verloren greifen, und war das erste genom-
au eigener Sicherheit leicht mehr, men, so war das zweite, die Mauer,
als sie gewannen. Je mehr indessen mehr nur noch zu passivem Wider-
über diese Probleme nachgedacht stände fähig. Ganz anders aber war
wurde, umsomehr sah man ein. dass der Widerstand der nach den Grund-
die ganze Anlage der Festungswerke Sätzen rationeller Flankierung uud
nach einem bestimmten System vor- Profilierung erbauten , ausgedehn-
j genommen werden müsse, während ten bastiomerten Front. Da waren
man bisher mehr jeden einzelnen schon die Annäherungsarbeiten
Teil ftir sich studierte und nach schwierig. Die Schläge der Lauf-
Gutdünken veränderte. Diese Be- gräben mussten schon in bedeuten-
strebungen hatten zudem nur loka- der Entfernung vom belagerten
len Charakter. Erst die grossen Platze begonnen werden, und diese
Umwälzungen des 16. Jahrhunderts ersten Arbeiten waren schon mit
brachten Fluss in die Ideen; das Wan- ' ausreichenden Batterien zu decken,
derschaftswesen entwickelte sich, sodass die feindlichen Bastionen an
und nun erwuchs der künstlerischen der Belästigung der Sappeure mög-
Produktion der kosmopolitische Cha- liehst verhindert werdeu sollten,
rakter, welcher der Renaissance eigen War es gelungen, den Vormarsch
ist. Es entsteht eine europäische Be- bis an den Grabenrand zu erzwingen,
fetUgungikuMt, welche von Italien so mussten dort Waffenplätze er-
ausgeht. Sie zeichnet sich weniger richtet und diese stark besetzt wer-
durch neue Erfindungen, als durch den, um den wiederholten Ausfällen
plamnässige und grossartige Au- der Belagerten zu begegnen, die
läge der einzelnen bekannten Be- namentlich die näher heranrücken-
festigungswerke aus. Die Mauem den Batterien und die Arbeiten der
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Kriegswesen.
547
Sehanzleute zu zerstören trachteten.
Endlich wurden die grossen Ge-
schütze aufgestellt, die zum eigent
liehen Bombardement verwendet
werden sollten. Diese Demontier-
hatte rie wurde meist erhöht gebaut,
da das Ziel meist noch höher lag.
Die Deutschen nennen sie ,,über-
zwerehe Sc hanze" oder auch nur die
„Schanz". Die Zusammensetzung
einer solchen giebt Herzog Philipp
von Cleve folgendermassen an : 6 Ka-
nonen (schwere Breschgeschütze),
2 schwere und 4 mittlere Schlangen
und 12 Falkauneu. Die ersten sollen
im Tag (Sommerszeit) je 40 Schüsse
abgeben können, die letzteren se-
kundieren51oss. Sie schweigen be-
scheiden, bis ihre grossen Schwestern
kampfgerüstet dastehen, reden aber
rlelssig, während jene wieder ge-
laden werden, und wenn die Nacht
anbricht, sind alle Geschütze auf
den kommenden Tag in Stand zu
stellen, sodass man mit dem neuen
Morgen nur die Lunte aufzulegen
braucht. Die grossen geben auch
— wie im Traum — während der
Nacht hie und da einen Schuss ab,
die Falkaunen aber dürfen gar nicht
ruhen, damit der Feind nicht neue
Abschnitte anlege. Für Mörser und
Böller legte man näher gegen den
Platz hin „sonder geordnete Schan-
zen'' an, weil man aus denselben
nur selten „in der Schanz bei den
Geschützen" schiessen könne. Neben
diesen artilleristischen Vorkehrungen
kam auch die Minenlegung wieder
zur Geltung, welcher der Feind mit
Gegenminen begegnete.
Waren die Breschen weit und
namentlich tief genug, so sehritt
man zum Sturm. Trockene Gräben
überstieg man leichter, nasse da-
gegen mussten erst ihres Wassers
entleert oder überbrückt werden.
Aus Fässern, Hölzern und Brettern
wurden die Brücken gefügt und auf
zwei Kädern an den (Traben ge-
schoben, oder mit Reisholz, Bündel-
Stroh, Wagen samt Heu u.a. w. wurde
der Graben ausgefüllt und so der
Übergang bewerkstelligt. Natürlich
boten die Belagerten in solchen
Momenten alles auf, den Feind zu-
rückzuschlagen, und Grabenüber-
gänge gestalteten sich zu blutigen
Szenen. Zum Einsteig durch die
Breschen kommt noch die Leiter-
ersteigung, die meist au 2—3 Stellen
zugleich versucht wurde. Auch die
Palissaden, Thore und Fallgatter
wurden im entscheidenden Augen-
blicke kräftig berannt mit der Pe-
tarde oder Bresehsehraube. Die
Belagerten pflegten sich in diesem
äussersteu Stadium des Kampfes
massenhaft und mit Glück der „Flad-
derminen" und der Feuerwerks-
körper zu bedienen, welche die Sol-
daten sehr fürchteten und welche
eine glücklich durchgeführte Belage-
rung im letzten Momente noch schei-
tern liessen. So lange der Angreifer
es nicht verstand, durch Anlage
von Kontrebatterien die Flanken -
geschütze direkt zu bekämpfen, be-
sass die Nah Verteidigung das un-
zweifelhafte Übergewicht über den
Angriff. Diesen Fehler herauszu-
fühlen und zu verbessern, blieb der
zweiten Hälfte des lt>. Jahrhunderts
vorbehalten, die dann auch nament-
lich durch die Erfindung neuer
Zündungsvorrichtungen für die Hand-
feuerwaffen dem ganzen Kriegswesen
einen ungeahnten Aufschwung gab.
Das Radschloss wurde 1515 erfun-
den zu Nürnberg, das Schnappsehloss
um 1540 ebenfalls in Deutschland
und das Stccherschloss gegen Ende
des Jahrhuuderts in München. So
folgte, wie unvollkommen diese Ver-
suche auch heute erscheinen mögen,
eine kleinere Verbesserung nach der
anderen , und bald herrschen unter
dem Fussvolk die Schützen vor.
Auch die Reiterei wird mit Feuer-
waffen versehen, nämlich mit Reiter-
arkebuse und dem Faustrohr, der
Pistole, und ebensowenig bleibt die
Artillerie zurück mit Verbesserungen
des Materials und Bereicherungen
35*
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Krone.
der Munition. Nach Jahn*, Ge-
schichte <les Kriegswesens. Vergl.
Heerwesen.
Krone. Die Krone, lat. Corona,
franz. couronne, engl. croicn. ist das
Zeichen der Souveränität. Fürsten,
überhaupt der hohe Adel, tragen
sie statt des Helmes im Wappen-
schild.
Aus der Merowingerzeit sind acht
Votiv-Kronen bekannt, die bei wech-
selnder Grösse ganz von Gold ge-
fertigt und reich mit Edelsteinen
geschmückt sind. Jede ist mit vier
Ketten verseilen, die oben in einen
geschmückten Knopf oder in einen
einfachen Ring zusammenlaufen, da
mit sie aufgehängt werden kann.
Vier derselben bestehen je aus einem
breiten, vollkommenen Reife; die
übrigen vier sind symmetrisch durch-
brochen, eine in Gestalt einer rund-
bogigen Säulengalcrie, welche der
in der spätrömischen und griechi-
schen Ran weise üblichen Säulen -
Stellung vollkommen entspricht. Die
Steine bilden bei allen am unteren
Rande des Reifes ein Gehänge; die
fünf grösseren tragen aus ihrer Mitte
herabhängend ein mit Steinen be-
setzte* Kreuz, die grösste trägt zudem
zwischen den Gehängen die Gold-
buchstaben r ecces rrxrn / 's
REX QFFEHET, welche darauf
schliessen lassen, dass diese Krone
und so auch wahrscheinlich die
übrigen — von dem Könige Rcc-
cesvinthus (zwischen 649—672) als
„Ex vofo" dargebracht ward. Die
Stirnreife sind zudem mit anein-
andergereihten Kreisen und halb-
kreisförmigen Vertiefungen geziert,
sowie mit verschiedengestaltctem
Blätterwerk und ein- und auswärts-
gebogenen Ranken nach Art der
sogenannten Palmetten. Der die
Kette verbindende Knopf der gröss-
ten Krone hat die destalt eines
sich nach unten zu verjüngenden
Würfelkapitüls mit roh gezeichneten
I 'almblättern und ist aus ttmarz ge-
schnitten. Alle Verzierungen der
Krone sind geprägt oder leicht ein-
gegraben; nirgends findet sich Fili-
grau oder gar wirkliche Email.
Die eigentliche deutsche Kaiser-
krone, gemeiniglich die Krone Karls
des Grossen genannt als die histo-
risch wichtigste und älteste, wird
in der kaiserlichen Burg zu Wien
aufbewahrt. Sie ist durchgängig
von Gold und 1 4 Mark 1 1 Lot 3Quent-
chen schwer, achteckig, mit acht
oben zugerundeten Feldern, die in
einen Bügel auslaufen. Je zwei sich
gegenüberstehende Bügel sind mit-
einander verbunden. Sie gehen von
Kreuzen aus, die auf dem Stirnfeld
sich befinden. Oberhalb, längs des
Bügels selbst erheben sich wiederum
dicht aneinander acht oben abge-
rundete Felder mit sehr reichen
Perlenzieraten, von denen da« letz-
tere die ebenfalls aus kleinen Perlen
gebildete Inschrift CHVOSRADVS
BEI GRATIA ROMASOR VM
IM FE RA TOR A VG trägt. Ausser-
dem wechseln die unteren Felder in
der Grösse gleichmässig derart, dass
fortlaufend ein grösseres von zwei
kleineren eingefasst wird, indem das
Stirnfeld zur ersteren gehört. Dieses
trägt zudem oben das mit Edel-
steinen verschiedener Form, Grösse
und Farbe reichgeschmückte Kreuz,
das wie die unteren Fehler zwiseben-
lünein dicht mit künstlerischer Fili-
f ranarbeit ausgestattet ist. Jedes
leinere Feld trägt eine buntcmail-
lierte Darstellung biblischer Per-
sonen (Salomen, David, Hiskias,
Christus) nebst der lateinischen Bei-
schrift. Ein weiterer Schmuck dieser
Krone, das Sudarium, welches als
Inful oder Fanones zu den Seiten
herabhing, ist im Laufe der Zeit
verloren gegangen. Die Krone ist
übrigens nicht das Werk einesKüriht-
lers, sondern scheint anfänglich nur
aus den unteren acht Feldern be-
standen zu haben, und zwar ist auch
dieser Teil eine byzantinische Ar-
beit aus dem 1 1 . Jahrhundert. Kiew
und Bügel sollen eine spätere Hin-
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Krönungsinsignien,
549
zufüguug sein, frühestens aus der
Zeit Ivonrads IV.
In Frankreich wurde zuerst die
Lilie in das Gepräge der Krone
verflochten, während in Deutsch-
land und England durch das 14. und
1*>. JalirhuiKlert vornehmlich Blätter
und Ranken verwendet werden. Die
englische Königskrone ( Heiuriehs IV.
bestand aus einem mit einem Rubin,
drei grossen Saphiren, zehn grossen
Perlen, nebst vielem Goldschmiede-
werk verzierten Reife, über den sieh
breit ausladende, getriebene Blätter
erhoben, je zwei aufeinanderfolgende
durch eine Lilie und drei Teilen
unterbrochen. Auch diese Krone
war also noch eine offene , während
Heinrich VI. (1429-1461), aus dem
Gepräge seiner Münzen zu schliessen,
an seine Krone oben einen gebogenen
Bügel anbringen Hess, der späterhin
einen zweiten reektwinkelig kreuzte.
Schon Heinrich IV. trug unter seiner
Krone eine reichverzierte l'nterkappe,
während sie bis auf seine Zeit auf
dem blossen Kopfe getragen wurde.
Die österreichische llauskrone,
fälschlich oft für eine deutsche
Kaiserkrone gehalten, wurde 1570
für Rudolf II. gefertigt und von da
an von den Haosburgem als Krone
von Ungarn, Böhmen und Österreich
bei dem Einzug zur Krönung in
Frankfurt getragen. In ihrer be-
kannten Darstellung auf dem öster-
reichischen Wappen ist sie mit einem
Reichsapfel gekrönt, der ihr in Wirk-
lichkeit abgeht. Auf ihrem mit
Edelsteinen belegten und mit vier
grösseren und vier kleineren Blättern
besetzten Reif erheben sich aufjeder
Seite zwei oben spitz zulaufende,
konvexe und sich zu je einer Viertels-
kugel vereinigende mit figürlicher
Darstellung besetzte Schilder, die
in der Mitte von vorn nach hiuten
einen breiten, keilförmigen Aussehnitt
hissen, durch welchen die rote Kron-
kappe sichtbar wird. Der Rand
desselben ist mit einer perlenbesetz-
teu Einfassung emailliert. Über
dem Aussc hnitt erhebt sich der Bügel,
der ein Kreuz mit ungeschliffenem
Saphir trägt.
Erwähnenswert ist ferner die
deutsche Königskrone , die im Dom-
schatz zu Aachen aufbewahrt wird.
Sie wurde von Richard von Corn-
wallis behufs seiner Krönung aus
England mitgebracht. Der Reif ist
von Silber, stark vergoldet, geht
oben in eine Lilie aus und ist mit
vorspringenden Kameen und anderen
Edelsteinen geschmückt.
Die Krone des heiligen Stephan
ron Ungarn stammt aus dem 1 1. Jahr-
hundort. Sie ist eine geschlossene
Königskrone mit zwei Bügeln. Das
Kreuz steht schief. Es steht auf
der Mitte der Krone, da wo die
Bügel sich treffen. Zu beiden Seiten
hängen kleine, mit Edelsteinen ge-
schmückte Kettchen herunter, wie
solche die byzantinische Kaiserkrone
schmücken, die durch das Ebenmass
ihrer Formen und schönste Aus-
stattung vor allen genannten sich
auszeichnet. Ihre acht Platten wur-
den erst 1860 und 61 bei Xyitra-
Ywanka (Ungarn) aufgefunden.
Markgrafen führten im Wappen
eine Krone mit 4 Lilien und 12 Pal-
men, die Grafenkrone hatte 16 Per-
len, die Freiherrnkroue hat deren 12:
in deu Stadttrappen trifft man die
Mauerkrone, die einen Mauerkrauz
mit Zinnen darstellt.
Auch in der Ikonographie drückt
die Krone Königswürde aus, ist ein
Zeichen von Macht und Herrlichkeit.
Sie ist ein Attribut von Gott Vater,
Christus und der heiligen Jungfrau,
sowie von der Gestalt der christ-
lichen Kirche. Wo sie auf der Erde
liegt, ist sie das Zeichen der Ver-
achtung irdischer Hoheit, auch der
Unschuld und Tugend. Nach Weiss,
Kostüm künde; Mittler und Mothes,
Archäologisches Wörterbuch.
Krönungsinsignien. Bei den
Franken war zur Zeit der Mero-
wiuger die Lanze das Zeichen könig-
licher Würde. Das eigentliche
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550 Krönungsinsignien.
Könige- und Kaiserornat ist eine caligae, Hbialia. Sie wurden im
Aneignung weströmischer Tracht, 12. Jahrhundert in Sizilien angefer-
später auch die Nachahmung des tigt aus karmoisinroter Seide mit
griechischen Kaiserornates. Ein sol- Gold durchstrickt, in Form von
ches gewinnt aber auf deutschem Laubwerk. Sie reichen bis über
Boden eine wirklich gemeingültige, die Kniee und tragen am oberen
feststehende Form erst mit dem 12. Rand arabische Lettern,
und 13. Jahrhundert, und zwar kann 2. Die Schuhe, Sandalen, lat.
hiermit weniger der Schmuck des caleeamenta, mndalia, socculi, glei-
Königs, als dereigentlicheKrönungs- chen Ursprungs wie die Strümpfe
ornat gemeint sein; die Krönungs- und ähnlich den römischen Sandalen
insignien, wie sie Jahrhunderte lang von rotem Atlas, vorn abgerundet,
in Anwendung kamen und heute in mit Perlenstickerei in Greifen und
der Schatzkammer der Hofburg zu Sirenen verziert, vermittelst schmaler
Wien gezeigt werden, können in Bandstreifen über dem Fussgelenke
ihrer Vollständigkeit wohl kaum zu befestigen. Es waren davon m eh -
vor der Krönung Ludwig IV. mm rere Paare vorhanden und zwar in
1328i, vielleicht zum erstenmal bei verschiedener Grösse; gegenwartig
Sigismund ( 1414 » gebraucht worden ist nur noch ein Paar zu sehen, ein
sein. So fand man noch bei der auffallend kleines. •
Eröffnung des Grabes Friedrich's II. 3. Das ühteraetoand. Dahnatidi,
in Palermo den Kaiser im vollen lat. tuuica. talarh, von dunkel violet-
Oruate, sogar mit Krone und Reichs- tem Seidenzeug. Es erstreckt sich
apfel eingesargt, während nach einer bis unter die Knie, ist vom ge-
Verordnung aie Gegenstände nach schlössen, langärmelig. Am Hals
vollzogener Weihe abgelegt und der ist es weit ausgeschnitten, mit gol-
Sakristei der Marienkirche in Aachen denem Saum und einer Zugschnur
als Geschenk verbleiben sollten, versehen. Der Ärmelrand sowie der
Dieser Verordnung scheint über- untere Saum des Rockes ist mit
haupt bis auf genannte Zeit nicht Gold- und Perlenstickerei nebst da-
nachgelebt worden zu sein, denn zwischengeordneten kunstvoll email-
noch 1273 ergreift Rudolf statt des Herten Goldblättchen versehen,
vorgeschriebenen Zepters (da ein ' 4. Das Oberkleid, die AHw oder
solches fehlt) ein Kruzifix. camisia, ein weites, herabfallendes
Die einzelnen Krönungsinsignien, Gewand von weissem Seidentaffet,
wie sie später bei der Einsetzung an den Rändern ebenfalls reich ver-
jedes neuen Herrschers gebraucht ziert. Auch die Ärmel sind nach
wurden, stammen zum grösseren ihrer Lange mit reicher Goldborte
Teile aus dem 12. Jahrhundert und versehen und die Brust bedeckt dem-
sind fast durchweg fremden Ur- entsprechend ein mit allem Zierat
Sprungs. In ihrer bestimmten und ausgestattetes viereckiges Feld. Die
für die Folgezeit massgebenden Zu- Einfassung an dem unteren Rand
sammensetzung werden sie zum , ist von beträchtlicher Breite, mit
erstenmal 1519 genannt, bei der i Seide, Gold und Perlen gestickt.
Krönune Karl'sV. Sie mögen jedoch In diesen Rändern findet sich eine
in gleicher Weise schon seit Sigis- Inschrift eingestickt, welche besagt,
mund gebraucht worden sein. Zu dass dieses Gewand durch maurische
diesen Insignien zählen mit Aus- Künstler in Palermo unter der Herr-
schluss etlicher nicht mehr benutzten schaft Wilhelm I. (1181) angefertigt
Einzelheiten und ausgeschiedenen worden.
Reliquien wesentlich noch folgende : 5. Der Gürtel (zomt, cinguhnn),
1. Die Strumpfe, Tibialien, lat. eine breite Goldborte, mit Tierge-
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Krönungsinsignien
551
stalten verziert und silbervergoldeten
Schliessen versi-hen, dienend zur
Gürtuug der Alba. Es ist noch ein
zweiter Gürtel vorhanden aus dich-
tem , starkem Seidengewebe , ge-
schmückt mit Filigranarbeit, und
ferner wurde eines dritten, nun ab-
handengekommeuen erwähnt, dessen
,,Zedder* von kirschroter Seide, der
„^Einschlag" von goldübersponnenen
Seidenfäden gebildet war. Welcher
von allen dreien zum eigentlichen
Krönungsornate zählte, Tässt sich
nicht mehr ermitteln.
6. Ein über sechs Zoll breites
Band in Gestalt der geistlichen
Stola, von gelb geblümtem StofV,
mit dem heraldischen Bild des Reichs-
adlers geziert. Es wurde dem Kaiser
über den Hals und kreuzweis über
die Brust gelegt, auch etwa mit
einem zweiten Gürtel überbunden.
7. Die Handschuhe, lat. chirofhe-
cae, aus rot- und purpurfarbenem
Seidenstoff zusammengenäht, aussen
mit Laubwerk in Gold- und Perlen-
stickerei, sowie mit emaillierten Gold-
blechen, innen mit Goldzieraten ro-
manischen Stils bedeckt.
8. Krönungsmanfe) ', lat. pluviale,
pallium imperiale, paludamentum,
fegumen, ist ein Meisterwerk des
12. Jahrhunderts, halbkreisförmig
geschnitten, bildet einen auf der
Brust zu befestigenden Rücken-
mantel von 5 Fuss Länge und 16
Fuss Breite, ist ein festes, dunkel-
rotes, durchweg gemustertes Seiden-
gewebe mit goldgefasstem Halsaus-
schnitt , edelsteingezierter Brust-
spange und daran8chliessenden Brust-
schilaen von prachtvoll emailliertem
Goldblech. Über die Rückenmitte
geht eine Stabverzierung von Gold-
stickerei und Perleubcsatz, die sich
oben jederseits in drei mehr hori-
zontal geschwungene blätterartige
Stäbchen verzweigt. Jede der beiden
Mantelhälften ist mit einer durchaus
von Gold gewirkten und mit Perlen
bestickten Darstellung eines Löwen
nebst einem unter mm liegenden
Kamele fast ausgefüllt. Ringsherum
ist er reich bordiert, längs seines
vorderen Randes mit zwei dich-
ten Perlenreihen und dazwischen-
laufendemBesatzvonGoldstickereien
mit fortlaufendem vierkleeblattför-
migem Perlzierat, längs des unteren
Randes mit perlengefasster arabi-
scher Schrift in goldenen „kufisoheu"
Buchstaben geschmückt. Ihr zufolge
war der Mantel für den sizilischen
Normannenkönig Robert Guiscard
angefertigt im Jahre der Flucht des
Propheten um 528 (1133 n. Chr. G.)
in der ,, glücklichen Stadt Palenno",
woraus man zugleich geschlossen
hat, dass er höchst wahrscheinlich
erst unter den letzten Hohenstaufen
zu den Reichskleinodieu gekom-
men ist.
9. Die sogenannte Krone Karl's
des Grossen, i S. den Artikel Krone.)
10. Das Zepter, lat. scepfrum,
vinja. Das ursprüngliche Reichs-
zepter ging schon frühzeitig ver-
loren. Von den noch vorhandenen
bildet das ältere, wahrscheinlich aus
dem 14. oder Ende des 13. Jahr-
hunderts stammend, einen hohlen
Stab von zwei Fuss Länge, aus ver-
goldetem Silberblech bestehend, an
drei Stellen durch vergoldete Ringe
und Knäufe unterbrochen, an seiner
Spitze eine Eichel mit vier Eichen-
blättem tragend. Ein zweites Zepter
ist einfach von Silber, glatt, hohl
und rund, ein drittes, aas spätere
eigentliche Reiehszepter, ist wahr-
scheinlich eine uürnoergische Gold-
schmiedearbeit aus dem 16. Jahr-
hundert.
11. Der Reichsapfel, lat. vom um,
njobus, datiert voraussichtlich eben-
falls aus dem 12. Jahrhundert. Er
ist eine aus Goldblech künstlich ge-
triebene Kugel von 33/4 Zoll Durch-
messer, mit harziger Masse angefüllt,
von zwei sich Kreuzenden Reifen
umspannt, auf deren oberem Kreu-
zungspunkt sich ein goldenes Kreuz
erhebt, das, wie auch der obere Teil
der Reife, mit farbigen Edelsteinen
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552
Krönungsinsignien
geschmückt ist. Ein an gelbem schneidig un<l längs ihrer Mitte
Saphir befindliches Monogramm ist etwas rundlich ausgeschliffen. Der
nicht zu deuten. Die einen halten vergoldete Silbergriff trä^t einen
es für ein himmlisches Zeichen — scheibenförmigen, senkrecntgestell-
Sonne. Mond. Stier, Widder, Fische, ten goldenen Knopf, der in zwei
— die anderen wollen einen Namen dreieckigen Schilden als schmelz-
herauslesen und zwar Cuonrad oder farbene Wappenbilder den einköpfi-
XPICTOC. Zwei andere vornan- gen schwarzen Adler und den böhmi-
dene Reichsäpfel , rings mit Edel- sehen Löwen zeigt. Die Scheide
steinen bedeckt, zählten wohl nie ist von Goldblech, mit Filigranarbeit,
mit zum Krönungsornat. Perlenreifen und Schmelzzierat reich
12. Drei Schwerter von reicher geschmückt.
Ausstattung, cl Das Schwert des j 13. Zu erwähnen sind ferner ein
keiligen Mauritim* stammt eben- Reliquienkästchen , mit allegorischen
falls aus dem 12. Jahrhundert. Es Zeuen der Jagd und des Fisch-
ist ein Zeremonienschwert, welches fanges, übrigens mehrfach restauriert,
dem Kaiser bei der Krönung voran- \n seiner ursprünglichen Gestalt wohl
getragen wurde. Die über drei auö dem 7. Jahrhundert stammend.
Fuss lange, oben abgerundete Klinge ( Und endlich
steckt in einer Scheide von dünnem
Goldblech, die jederzeit durch Edel-
steineinsatz in sieben Lagerfelder
abgegrenzt die Bildnisse ebensovieler
Könige im Krönungsornate tragen.
Der Griff ist kreuzförmig, oben mit
einem linsenförmigenKnopfe bedeckt.
Derselbe trägt auf der einen Seite
einen Adler mit der Umschrift:
„BESEDICTVS . DOS . DES",
auf der andern Seite einen geteilten
Schild, dessen eine Hälfte mit einem folgenden Massnahmen:
14. das Evangclienbueh, Evange-
listarium, das im Grabe Karls des
Grossen gefunden worden sein soll.
Das Buch mag der augegebeneu
Zeit entstammen, sein gegenwärtiger
Einband jedoch gehört dem 15.
Jahrhundert an.
Die Krönungsfeier selbst geschah
nach J. Römer-Büchner (Wahl und
Krönung der deutschen Kaiser) unter
halben Adler, die andere mit drei
Löwen geziert ist, nebst den noch
lesbaren Überresten der Worte
„EIS GYl DOC ET MASVS.U
Auch die Parierstange trägt eine
längere Inschrift, h) Das zweite
Schwert ist ein altorientalischer Säbel
von mässiger Krümmung mit grün-
licher Scheide und Goldblech- und
Edelsteinverzierungen. Es soll nach
der Tradition sien auf Karl den
Grossen zurückführen lassen, der
„Nachdem «He Salbung vollzogen
war, wurde der Kaiser von den
Kurfürsten oder deren Stell Vertretern
in das Wahlkonklave geführt. Der
Kurfürst von Mainz blieb beim Altar
zurück. Hierbei trugen die Reichs-
erzämter die Insignien vor dem
Kaiser her. In der Kapelle ange-
langt, überreichten die Abgeord-
neten von Nürnberg die Strümpfe
und Schuhe. Der kurbrandenburgi-
sche Gesandte legte ihm das lange
es von dem arabischen Fürsten Unterkleid, das öberkleid und die
Harun-al- Raschid geschenkt erhalten Stola an, letztere so um den Hals
habe, c) Das dritte Schwert, das ordnend, dass deren beide Hälften
„Schwert Karls des Grossen" ist vom, über der Brust, einander
wohl das jüngste von allen, und kreuzten, worauf ihm die nümbergi-
erst durch Karl IV. den Insignien sehen Gesandten die Strümpfe und
beigerechuet, also um die Mitte des Schuhe anzogen. So bekleidet schritt
14. Jahrhunderts. Die zwei Fuss der Kaiser, begleitet von dem Wahl-
elf Zoll lange Klinge ist zwei- gefolge, wiederum in die Kirche
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Kruzifix. — Kudrun. 553
zurück, sich abermals vor deu Altar vor, weicht* mau namentlich in
begebend. Inzwischen der hier ab- Syrien über die beiden Naturen des
gehaltenen Feier, und zwar zunächst Herrn führte; syrische Mönche haben
nach mehrfachem Gebet, nahmen im G. Jahrh. zuerst den gekreuzigten
die Kurfürsten von Trier und Köln Christus abgebildet, Seit dem 8.
vom Altar das „Schwert Karls des ; und 9. Jahrh. wird die Darstellung
Grossen", entblössten es von seiner zunächst in Miniaturen und auf
Scheide imd übergaben es dem Kaiser. Elfenbeindeckeln gewöhnlich und
Sodann, als der Konsekrator die nach und nach das verbreitetste
darauf bezüglichen Worte ge- Hauutbild der ganzen Christenheit,
sprochen, behändigte der Kaiser aas Zwei Hauptauifassungen müssen
Schwert dem kursächsichen Ge- unterschieden werden: Uder ältere,
sandten , welcher es in die Scheide ideale Typus, nach welchem Christus
steckte und nun im Verein mit dem lebend, zuweilen auch schon sterbend
kurböhmischen Gesandten den Kaiser mit geneigtem Haupte, gewöhnlich
damit umgürtete. Darnach nahm der mit wagerecht ausgebreiteten Armen,
Zeremoniariu8 von dem Altar einen mit oder ohne Nimbus, niemals aber
kostbaren King, übergab diesen dem mit der Dornenkrone, frei am Kreuze
Konsekrator, der ihn, gleichfalls auf einem Fussbrette steht, wobei
unter einer darauf bezüglichen An- Hände und Fiisse entweder gar
spräche, «lern Kaiser an den Finger nicht oder mit vier Nägeln auge-
steckte. Von derartigen Ansprachen heftet sind. Der Leidende ist mehr
begleitet emufing der Kaiser hierauf, oder weniger bekleidet Dieser Auf-
zuvörderst durch Vermittelung von fassungsweise, die mit dem 13. Jahrh.
zwei Assistenten und des Zeremoni- erlischt,* liegt die Idee von der Un-
arius, abermals durch den Konse- Sterblichkeit Gottes und der Frei-
krator, das Zepter und den Reichs- Willigkeit des Leidens Jesu zu
apfel. Und nachdem er bald da- Grunde. 2) Der seit dem 13. Jahrh.
nach das Zepter dem kurbranden- herrsehend werdende reale Typus,
burgischen, den Reichsapfel den bei welchem sich die Kunst enger
kurpfälzischen Gesandten feierlichst au die geschichtliche und psycho-
eingehändigt hatte, ward ihm von logische Wahrheit anschloss, ohne
dem kurbrandenburgischen . Ge- jedoch den Sieg des Lebeus über
sandten und den Abgeordneten von den Tod aus dem Auge zu verlieren.
Nürnberg der kostbare Mantel um- Der leidende, sterbend oder bereits
gehängt, sodann von dem Kur- verschieden, das doniengekrönte
fürsten von Trier, unter Beistand Haupt nach der rechten Seite neigend,
des Konsekrators , die königliche erscheint gewaltsam an den Armen
Krone aufgesetzt, schliesslich ihm aufgehängt und ist mit drei Nägeln
auf das Evangelieiibuch der kaiser- an das hone, immer mit INRT be-
liebe Eid abgenommen." Nach zeichnete Kreuz geschlagen, zu
Weist, Kostümkunde. welchem Ende die Füsse überein-
ki'ii/itix. Die altchristliche ander gelegt sind, und zwar so,
Kunst begnügte sieh mit typischen dass der rechte stets oben liegt,
und symbolischen Andeutungen der Das Kreuz, nach der Legende aus
Kreuzigung: das Opfer Abels, /Melchi- j einem Baum gezimmert, den Seth
sedeks, Abrahams, das Kreuz mit ' vom Baum des Lebens auf das
dem Gotteslamm am Fuss oder dem i Grab Adams gepflanzt hatte, ist
Brustbild des Erlösers an der Spitze, grün mit roten Asten, seit dem 14.
Die Aufnahme der KreuzigungCnristi Jahrh. jedoch blutrot. Oitef Kirch-
in den mittelalterlichen Bilaerkreis liehe Archäologie,
bereitete sich in den Streitigkeiten Kudrun, siehe Gudrun.
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554
Kupferstechkunst. auf den Gedanken, vor Einlassen
Beinahe zur gleichen Zeit, als des Nigellum von der gravierten
der Holzschnitt in deutschen Landen Platte Abdrücke auf Papier zu
aufkam und anfing, die grössten nehmen. Damit war der Kupfer-
Künstler zu beschäftigen, erstand stich in seinen Grundzügen erfunden,
auch sein zarterer Zwillingsbruder, Der Unterschied, welcher zwischen
der Kupferstich, welcher gleich je- Holzschnitt und Kupferstich liegt,
nem berufen war, der zeichnenden erhellt daraus klar. Während dort
Kunst zu jener Verbreitimg und die abzudruckende Zeichnung er-
Popularität zu verhelfen, deren die- haben stehen bleibt, zeigt die
selbe sich seit Beginn des 15. Jahr- Kupfcrplatte^die Zeichnung vertieft,
hunderts zu erfreuen anfing. Den Die Farbe muss hier in die Ver-
Holzschnitt sehen wir aus rohen, tiefungen eingreifen und von diesen
unbeholfenen Anfangen entstehen aus auf das Papier übertragen
und können ihn als ein wahres Kind werden, nachdem von der, ohnehin
des Volkes betrachten, welches seinen, blank polierten und somit für die
anfangs bloss durch Umrisslinien Annahme der fettigen Farbe unge-
hergestellten kindlichnaiven Zeich- eigneten, nicht vertieften Oberfläche
nungen durch buntfarbige Über- jede Spur von Schwärze entfernt
malung zu Hilfe zu kommen sucht, worden ist.
Nicht so der Kupferstich. Aus Zum Eingraben der Zeichnung
einer bereits entwickelten Kunst bediente sich der Kupferstecher ent-
ging er als ein Nebenprodukt, als weder allein seinerWerkzeuge i Nadel,
ein ursprünglich gar nicht beab- Stichel u. s.w.)— eigentlicher Kupfer-
sichtigtes Resultat nervor. Es war stich — oder ausser denselben auch
die Goldschmiedekunst, welche eines chemischen Mittels, des Ätz-
uns mit der höchsten unter den wassers — Radierung. Der eigent-
reproduzierenden zeichnenden Kün- liehe Kupferstich ist die ältere
sten beschenkte. Schon durch ver- Methode; dieselbe wird entweder
schiedenc ihren Zwecken dienende als Kartonstich so ausgeführt, dass
Arten der Technik, wie Email und der Unterschied zwischen starken
Niello war dieselbe in nahe Be- und schwachen Schatten durch die
ziehung zur Malerei getreten, und grössere oder geringere Breite der
zahlreiche Bildhauer und Maler, da- Linien erreicht wird , oder als far-
runter solche mit stolzen Namen, biger Stich, so dass die Schattierung
wa.en aus der Goldschmiedewerk- durch Kreuzlagen der Striche er-
statte hervorgegangen. Seit den reicht wird, wobei man sich nicht
ältesten Zeiten hatte die Gold- auf zwei Strichlagen - beschränkt,
schmiedekunst Zeichnungen inMetall- auch wohl die Zwischenräume mit
platten graviert und die eingegrabe- Punkten ausfüllt oder stellenweise
neu Linien zu deutlicherer Be- ganz mit Punkten arbeitet, Mittel,
tonung mit einem schwarzen durch deren grössere Mannigfaltig-
Schmelzfuss, dem sog. yirfeUum keit eine farbige Wirkung hervor-
ausgefüllt. Nach langer Vergessen- gebracht werden kann,
heit war diese Techuik im 15. Jahr- Viel häufiger als den Stich haben
hundert wieder sehr in Aufschwung die Maler von jeher die Radierunq
ekommen. Es lag aber nun nahe, geübt. Hierbei überzieht man die
ass die Goldschmiede, welche der- ganze, zu ..bearbeitende Platte mit
gleichen Niellen anfertigten, sich vor dem sog. Atzgrunde, welcher, da er
Aufschmelzen des Niello eine Vor- vom Ätzwasser nicht angegriffen
Stellung der fertigen Zeichnung wird, die Oberfläche der Platte
zu machen wünschten. Das führte schützt, und nimmt diesen Grund
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Kupferstechkunst.
555
darauf mittelst der Radiernadel] des
Schabeisens u. s. w. da wieder fort,
wo die Zeichnung erscheinen und
das Atzwasser einwirken soll. —
Eine Abart des Kupferstiches ist
die „schwarze Kunst" oder die
Schabmanier, bei welcher aus dem
mit dem sogenannten Granierstahl
aufgerauhten Grunde der Platte die
mehr oder weniger lichten Partien
herausgeschabt werden; eine Abart
des Ätzverfahrens sind die verschie-
denen Aquatintamanicren, bei wel-
chen die Grundlage Schatten ist.
aus dem das Licht herausgear-
beitet werden muss, und der Kreide-
stich, welcher eine Zeichnung her-
vorbringt, die der Kreidezeichnung
ähnlich ist. —
Über die Priorität der Erfindung
des Kupferstiches ist viel gestritten
worden; nachdem dieselbe zuerst
den Italienern zugesprochen worden
war, wo der Goldschmied Maso
Finiguerra nach Vasaris Bericht um
1460 zuerst Abdrücke solcher Art
gemacht haben soll, hat sich durch
weitere Forschungen herausgestellt,
dass die grössere Wahrscheinlichkeit
für Deutschland spricht. Abgesehen
von deutschen Nielleni Metallplatten >,
die in der Zeichnung ganz deutlich den
Charakter der ersten Hälfte des 15.
Jahrhunderts zeigen, besitzt man
einen Abdruck eines oberdeutschen
Meisters mit der Jahrzahl mcccclvl
(1446), die Geisselung Christi dar-
stellend. Diesem Kupferstecher ist
ein anderer Meister mit dem Mono-
gramm P, dessen von vier Engel-
chören umgebene Virgo immaculata
vom Jahre 1451 datiert ist, schon
bedeutend in Technik und Zeichnung
überlegen. Aus dem Jahre 1457 be-
sitzen wir eine aus 27 Blättern be-
stehende Passion. Auf der Dar-
stellung des Abendmahls findet sich
die Jahresangabe im „/, VII Jor."
Im 7. Jahrzehnt sehen wir bereits
zwei Schulen sich bilden, eine nieder-
ländische und eine oberdeutsche.
Die erstere gruppiert sich um den
(in Ermangelung seines Namens mit
der Jahrzahl benannten » Meister von
1464, den man auch nach den bei
ihm häufig vorkommenden Spruch-
bändern fe maitre au.r hantle roll es
genannt hat. Seine Kompositio-
nen sind voll Phantasie, deren Ent-
faltung nur durch die mangelhafte
Technik gehemmt ist, und zeigen
starke Umrisse und bereits feine
Schraffierung inKreuzlage. Die andere
Schule hat in demMeistcr ES von 1 466.
von dem mau nebst vielen anderen
Stichen eine Darstellung der „en;iel-
iriehe zu unserer Helten fron wen zu
den einsiedlen" besitzt, ihr Haupt.
Der Meister K $> seheint eine grosse
Zahl von Schülern gehabt zu haben,
deren bedeutendste der Meister von
der tiburtinischen Sibylle und der
Meister vom Kartenspiel sind. —
Dem Charakter der Zeichnung nach
zu schliessen, standen die bisherigen
Kupferstecher kaum in unmittelbarer
Beziehung zur Malerei, die Mehr-
zahl waren Goldschmiede. Nunmehr
tritt aber ein Künstler der Kupfer-
stechkunst auf, der zugleich ein be-
deutender Maler war: Marlin Sehon-
tjauer. Er führt den Stichel schon
mit vollendeter freier Meisterschaft.
Von Arbeiten seiner Hand oder aus
seiner Werkstatt kennt man 139,
darunter verschiedene Wiederho-
lungen in Silber graviert. Dazu
Fig. 83 Christus am K reuz, von Martin
Scuongauer i Kunsthist. Bilderbogen).
ZuSchongauers Schule gehören: Der
Meister B S (Bart hei Schön), Al-
brecht Glockendon, Wolf Hammer,
Wenzel von Olmütz und Uras Gem-
berlein. Neben Schongauer waren
gegen Ende des 15. Jahrhunderts
noch in Oberdentschland thätig der
berühmte Bildhauer Veit Stoss und
der geschickte Kupferstecher Nico-
laus Alexander Man* von Landshut,
welcher besonders dadurch merk-
würdig ist, dass er mitunter Ab-
drücke von seinen Platten auf bräun-
lichem und Grünlichgrauem Papier
nahm und die Lichter mit Weiss
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Fig. 83. Christus am Kreuze Von Martin Schongauer.
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557
oder mit Gelb höhte. Wahrschein- lagen, durch eine künstlerisch«* Voll-
lich gab Mair durch diese Behand- endung der Linienmanier und eine
lung des Kupferstiches den ersten An- meisterhafte Behandlung des Über-
stoss zu dem in der Holzschneidekunst, gangs von Hell ins Dunkle seinen
nachweisbar seit 1506 so oft zur An- Werken eine echt malerische Wir-
wendung gekommenen Chiaroseuro. , kung zu verleihen. Aus der reichen
Um dieselbe Zeit rinden wir in West- ! Zahl seiner Arbeiten mögen hervor-
falen den geschickten Kupferstecher gehoben werden: die vier Hexen,
Franz von Bocholt und „Israhel von Adam und Eva, der heilige Hierony-
Meckenen, Goldsmit", wie er sich mus. der heilige Eustachius, die
selbst bezeichnet und dessen zahl- Eifersucht, die Nemesis, die Porträts
reiche Arbeiten meist Nachstiche von Albrecht von Brandenburg und
nach anderen Meistern, namentlich Erasmus.
nach Schongauer sind. Auch sein Lehrer, Michael Wohl-
So wird im 16. Jahrhundert der qemuth, hat zahlreiche Stiche hinter-
Kupferstich eine selbstfindige Kunst lassen, welche zwar von anderen,
und erreicht unter der Führung der | da das Monogramm W beide Deu-
grössten Maler der Zeit eine hohe tnngen zulässt, dem Wenzel von 01-
Stufe der Vollendung, um noch im mütz zugeteilt werden,
selben Jahrhundert einerseits einem ; Unter den Zeitgenossen Dürers
gewissen Virtuosentum und der j finden wir den Goldschmied Kunz
Manieriertheit anheimzufallen, ande- j und den Jacob Walch, von dem
rerseits durch Kleinmeister und Or- Dürer die Anregung zum Studium
namentisten wieder in nahe Be- i der Proportionsichre empfing, den
ziehung zur Goldschmiedekunst und Sebald Lautensack und den un-
anderer Kunsthandwerke zu treten, gewöhnlich vielseitigen Augustin
Vor allen anderen Städten war es Hirschvogel, der Ansichten von
jetzt Nürnberg, welches für die Ent- Österreich, Ungarn und Siebenbürgen
Wickelung der Kupferstechkunst der radierte.
kommenden Jahrzehnte das ent- In Augsburg zeichnen sich Hans
scheidende Wort zu sprechen be- Burgkmatr, Heinrich Togtkeer,
gann. Es war die geniale Künstler- Alexander Mair u. s. w. aus, in
natur des Albrecht Durer, welche Regensburg namentlich der unge-
die aufgekeimte Blüte zur Frucht mein fruchtbare Albrecht Altdorf er,
entfalten sollte. Nirgends erscheint welchen die Franzosen den kleinen
Dürer gerade in seinen malerischen Albrecht Dürer, deu „jpetit Alberl"
Eigenschaften so vollkommen, wie | nannten. Seine Stiche sind beson-
in den Kupferstichblättern, iu wel- ' ders beachtenswert wegen der künst-
ohen er das von früheren Meistern, lerischen Behandlung des Land-
namentlich von Schongauer Bcgon- schaftlichen und der Architektur,
neue zur höchsten Vollendung bringt. Unter den Künstlern Oberdeutseh-
Wenn auch nach Seite der formalen lauds scheint das Atzen nicht weniger
Schönheit Schongauer von ihm kei- Anklang gefunden zu haben. Wir
neswegs überragt wird, so bestehen begegnen dort Hans Baidung Grien,
doch die Werke keines früheren Christoph Stimmer, Abel Stymer,
Meisters neben den seinigen in der l 'rs Graf u. s. w. Namentlich
Kraft der Charakteristik, der Wahr- nützte Jost Ammann, geb. 1539 in
heit des Ausdrucks und der strengen Zürich, sein ungewöhnlich reiches
Zeichnung. Mit Freiheit und Sicher- und bewegliches Talent durch über*
heit führt er den Grabstichel wie massige und rasche Produktion für
die Radiernadel, und verstellt es, den Tagesbedarf aus. Es sind von
durch die Zartheit feiner Strich- ihm noch 340 Radierungen erhalten.
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558 Kupferstechkun>t.
Der Hauptmeister der fränkisch- platz für ganz Europa geworden
sächsischen Schule, Lucas Cranach. verwüstet und verarmt war. keinen
brachte es in der Kupferstechkunst Boden für ihre Thätigkeit : sie zogen
nicht so weit, wie iin Holzschnitt, ausser Landes nach Italien, Frank-
Seine Stiche, meist Porträts, sind reich und England,
flüchtig und unrein. Die Zahl der in dieser Zeit pro-
Stichel un<l Radiernadel mussten duzierten Kupt rstiche ist zwar iin-
aber namentlich den sogenannten merhin noch bedeutend, allein die
Kleinmeistern, welche sich den Radierung wurde meist von unter-
grossen Aufgaben der Kunst nicht geordneten Stechern oder Ornamen-
gewaehsen fühlten, während ihr tisten gepflegt.
Reichtum an Phantasie sie fort- Von den Künstlern des 1 8. Jahr-
während ziyn Produzieren antrieb, hunderts finden wir die zwei berühm-
willkommene Werkzeug«' sein. testen in Paris, den Friedrich Schmidt
Fig. 84. Tanzende Bauern von Sebald Behain.
Unter dieselben gehören eine und den Jok. Wille, welche aller-
lei,Schüler Dürers, wie Barth,! dings ihre Virtuosität auf Kosten
und Sebald Bekam, von ihm Fig. 84 der Wahrheit leuchten Hessen. —
Ttt/izrnde Hauern (Kunsthist. Bil- Eine der interessantesten Erschei-
derbogen), AUUgrtxer, Peucz, fer- nungen dieser Zeit ist Daniel Xik.
ner eine Gruppe von Nürnberger Chodoicieki , geb. 1726 zu Danzig,
Künstlern, welchen wir eine Fülle weleher sich vorzugsweise dem Ra-
von interessanten figuralen Darstel- dieren kleiner Kompositionen, wie
lungen und namentlich auch von Vignetten, Illustrationen u. s. w.,
Entwürfen für alle Zweige der or- widmete, deren er über 3000 ge-
namentalen Kunst verdanken: eine liefert hat.
unerschöpfliche Fundgrube für die Der Idyllendichter Gessner aus
Iudustrie unserer Zeit. Zürich (1730—82) hat sich als Ra-
in den zwei folgenden Jahrhun- dierer von romantischen Landschaf-
derten, im 17. und 18., fauden die ten und Vignetten zu seinen Dich
talentvollen Kupferstecher in der hingen einen dauernderen Namen
Heimat, welche, der Kriegssehau- erworben als durch letztere selbst.
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Kupferstechkunst.
559
Mehrere Kupferstecher lieferte die
seit Mitte des 17. Jahrhunderts in
Nürnberg angesiedelte Künstler-
familie Preissler.
In den Siederlanden steht an der
Spitze der Kupferstecher des 16. Jahr-
hunderts Lucas van Leyden, welcher
sich, anfangs beeinflusst von der
vau Eyk'sehen Schule, während der
zweiten Periode seines kurzen Lebens
in der Komposition dem nationalen
Hang: zur realistischen Auffassung
und Darstellung völlig hingiebt und
gleichzeitig die Steeherkuust durch
EinführungderLuftperspektive» kräf-
tigere Behandlung der\ ordergründe,
leichtere der entfernten Gegenstände j
einen bedeutenden Sehritt vorwärts
bringt. Schüler im eigentlichsten
Sinne scheint Lucas van Leyden
keine gehabt zu haben, doch ist* sein
Einfluss auf eine grosse Zahl von
niederländischen Kupferstechern des
1 6. Jahrhunderts nient zu verkennen.
Die von vielen niederländischen
Künstlern angestrebte Vennittelung
zwischen italienischem und nieder-
ländischem Kunstcharakter glücklich
in der Technik des Stiches zustande
gebracht zu haben, ist das Verdienst
des Cornelius Cort, geb. 1533. Er
that den ersten Schritt zur verschie-
denartigen Charakteristik der Stoffe
und der Farben. In seiner Schule
wurzeltdieEntwickelung des Kupfer-
stichs des folgenden Jahrhunderts.
Am energischsten ging auf dem von ,
Cort gewiesenen Wege Hendrick
Goltzius aus Mülbrack vorwärts,
z. B. in den sogenannten sechs
Meisterwerken ,k , Nachbildungen
nach Rafael, Dürer, Lucas van Ley-
den u. s. w. Zugleich bereitete er
aber mit dem Verzichten auf schöpfe-
rische Thätigkeit und Sichanschmie-
gen an Maler die letzte Phase des
Kupferstichs, nämlich die der ledig-
lich reproduzierenden Kunst , vor. ,
Au Goltzius reihen sich eine grosse
Menge Kupferstecher, hauptsächlich
Ornameutisten an. Die N'aehblüte
der Renaissance in den Niederlanden
brachte auch die Kunst des Kupfer-
stichs wieder zu neuem Glänze. In
Flandern und Hrabant um Hubens,
iu Holland um Hemhrandt gruppieren
sich zahlreiche Künstler, welcne mit
Stichel und Nadel völlige Farben-
wirkung erzielen. Vor allem gelangte
die Radierung zu einer bis danin
uicht geahnten Bedeutung. Unter
den Landschaftern und Tiermalern
sind besonders Paulus Putter, Phi-
lip Wouwermann , Jacob Puysdal,
namentlich aber Antoni Waterloo
hervorzuheben. Einer der frucht-
barsten Stecher des 17. Jahrhunderts
war Poman Hooyhe aus dem Haag,
der als entschiedener Anhänger der
orauischen Partei dieser in den bür-
gerlichen Wirren mit seiner Radier-
nadel diente. Zu gleicher Zeit ent-
spann sich ein reger künstlerischer
\ erkehr mit Frankreich. Verschie-
dene Stecher siedelten nach Paris
über. In den Niederlanden aber
entartete der Kupferstich im 18. Jahr
hundert rasch zur geschickten Fabrik-
arbeit.
In Italien wurde der Kupferstich
durch deutsche Arbeiter, oder, wie
Vasari will, durch den Niellisten
Ma-so Finiguerra angeregt. Die ersten
nachweisbaren Stiche verfertigte
Baccio Baldini. Im letzten Viertel
des 1 5. Jahrhunderts beschäftigt der
Kupferstich schon viele Hände in
Florenz, wie Antonio del Pallajuolo,
Andrea de Verachio, Filippo Lippi,
Gherardo u. s. w. In ODeritalien
bürgerte der grosse Meister der
Schule von Padua : Andrea Montegna
den Kupferstich ein. Seine Stech-
weise ist hart, die Umrisse treten
stark hervor, die Schattenstriche
sind kurz. Äusserst fein ausgeführt,
Silberstiftzeichnungeugleicheud,sind
die Stiche, welche uns Martinio
da Udiue, genannt Pellegrino, hinter-
lassen hat. In Cremona, in Modena,
in Bologna, in Padua, in Mailand,
überall blühte die Kupferstechkumt
auf, am letzten Ort als ersten Jünger
den berühmten Brainante beschätti
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560
Kürass. — Kurtisan.
gend. Von Bologna nahm der Be- anderen freien Künsten den CuaraJi-
^ründer der römischen htechersehnle, ter des äusserlich Pomphaften und
Marc Antonio, seineu Ausgang, der Pathetischen an; besonders aber
nach Michelangelo, Dürer, besonders nahm das Porträt die Thätigkeit der
aber nach Raphael gestochen hat. Stecher immer mehr in Anspruch.
Seine Meisterschaft in der Führung Ein Meister von erstaunlicher Viel-
des Stichels versammelte um ihn seitigkeit aus dieser Zeit ist Jean
zahlreiche Schüler, sogar aus Deutsch- le Poutre. Unter Ludwig XV. end-
land und Frankreich. Derjenige lieh eignete sich der Kupferstich den
Schüler, der neben dem Meister am tändelnden , bald ausgelassenen,
meisten zur Ausbreitung der römi- leichtfertigen, bald lüsternen Ton
sehen Schule beigetragen, ist Giulio der Malerei au. Die Historie wurde
Romano, um welchen sich in Mantua zum Genre, au die Stelle des Pathos
zahlreiche Stecher gruppieren. Auf trat eine mehr oder weniger ge-
die weitere Entwicklung der Kupfer- machte Naivität, der strengen folgte
stechkunst hatte die Schule von eine koquette, zierliche und weich-
Bologna einen um so unmittelbareren liehe Manier, und der Vignetten-
Einfluss, als eines der Häupter der- stich, welcher in der vorigen Periode
selben, Agostino Caracci (1558 bis begonnen hatte, bildete sich zu einem
1601», selbst in dieser Kunst sein eigenen einflussreichen Kunstzweig
Bestes leistete. Einer seiner Haupt- aus.
schüler ist Guido Reni. Glänzende In Spanien kommt der Kupfer-
Vertreter der Ätzkunst hat Neapel stich fast gar nicht vor, ebensowenig
iu Ribera und Rosa. Das 18. Jahr- in Portugal. Gleich dem Form-
hundert zeigt uns in Venedig einige schnitt hat sich auch der Kupfer-
in ihrem Genre hervorragende Künst- stich in England erst spät so weit
ler und in Rom einen grossen Kreis entwickelt, um Kunst genannt wer-
strebsamer und für ihre Zeit Beden- den zu können, und es ist bezeieh-
tendes leistender Stecher. nend, dass die neueren Methoden,
In Frankreich hat die Kupfer- die Schabmanier und der Stahlstich,
stechkunst erst suät Wurzel gcschla- nirgends so beliebt gewesen sind
fen und ist von den Nachbarländern als dort. Im eigentlichen Stich haben
ineingetragen worden. Französische die Engländer wie in der Malerei
Stecher finden wir erst seit dem ihr Bestes im Porträt geleistet,
dritten Decennium des 16. Jahrhun- während seit Hollar und später
derts und als ersten einen Noel Gar- ; Ho^arth die Radierung vielfach und
nier , der Kopien nach deutscheu oft in origineller Weise geübt wurde,
und italienischen Meistern anfertigte. Nach Bruno Bucher, Geschichte der
Dadurch, dass Franz I. sein Schloss technischen Künste; Lül>ke, Grund-
Fontainebleau durch die italienischen riss zur Kunstgeschichte. A. H.
Meister Rosso de Rossi und Prima- 1 KUrassheissen Brust- undRücken-
licaro dekorieren liess, bildete sich hämisch zusammen. (Siehe Harnisch.)
dort eine italienische Schule, welche Das Wort kommt erst in Urkunden
lange Zeit im Lande fortwirkte, j von 1355, 1424 und 1488 vor als
Dem Zeitalter Ludwig's geben Vouet curassa, curassia, curacia, thorax.
und Callot im Kupferstich die Sig- lorica. Diefz leitet es von corium,
natur. Die Radierung brachte der coriacea, Lederwerk ab. Bei den
geist- und phantasievolle Jacques älteren Dichtern kommt das Wort
Callot in Frankreich auf. Ludwig XV. nicht vor, dagegen bei Georg von
befreite die Kupfer^techkunst aus Ehingen: kurisz, kürisch.
den Banden des Zunftzwanges. Da- kurtisan, vom ital. corfigiano,
durch nahm dieselbe aber gleich den franz. rourtisan, Holling, waren
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KUSS.
501
Kleriker des 15. und 16. Jahrhun-
derts, welche am römischen Hofe
sieh einzuschmeicheln wussten und
liier Anweisungen auf fremde Pfrün-
den und l'farrstellen bekamen, ohne
tlass die rechtmässigen Kirchen-
patrone darum angefragt worden
■wären. Sie heissen in der Sa))hata
pfrüenden kofer und f uscher, die
<htrc/t schenk, miet und galten an
ttes papsts hof hantieren und schag-
tfieren. Hans Sachs lässt einen sol-
chen sprechen :
Ich hin ein römisch curtisan;
zu Rom ich erstlich esel trieb,
nachdem ich römisch bannhrief
schrieb,
die pfaffen ich gen Korn auch lad,
icli bring in Teutschland römisch
gnad,
gib eim an teufel ein bassparten,
auf das bapstmonat tu ich warten,
darin zeuch ich die pfründ gen
Korn,
vil pfarr und bropstig ich etnnom,
die pallium und annaten
inust ich gen Rom dem bapst
verraten,
damit wir haben zu bursieren.
Kuss, ahd. ehu*, mhd. kus, ist
ein uraltes Zeichen der Versöhnung,
des Friedens und der Freundschaft ;
er macht in einigen Kindermärchen
alles vergessen, giebt aber auch die
Erinnerung zurück. An einem Kuss
hängt die Lösung des Hannes; die
Jungfrau in grausenhafter Gestalt,
als Schlange, Drache, Kröte, Frosch,
inuss dreimal geküsst werden, um
ihrer Verzauberung entledigt zu sein.
Eine besondere Ausbildung hat der
Kuss im höfischen Mittelalter er-
fahren, das auf die Formen des
feineren gesellschaftlichen Lebens
zwischen Mann und Weib ein
grosses Gewicht legte. Schon Ulrich
von Lichtenstein unterscheidet
den Kuss der Minne, der Freund-
schaft und der Sühn«?. Kine be-
sondere Aufmerksamkeit hat San
Marie, Parzival-Studien, 1H,S. 172 ff.
Reallexicon der deuütchcu Altertümer.
demKusse gewidmet und denHerzens-
kuss, den Sühnekuss, den Judas-
kuss und den Kuss der Etikette
unterschieden. Der J/erzenskuss
ist entweder der Kuss der Minne:
ein kus in liebes wunde,
der von des herzen gründe
her üf geslichen kaeme,
nihil teaz der benaeme
seneder sorge und herzenot. Tristan.
Am heissesten wird in den Tage-
liedern geküsst, wenn der Wächter
den Morgen verkündet und es nun
an ein Scheiden der Geliebten geht:
urloup nah und naher baz mit kussc
und anders gab in minne Ion; oder
Kuss der Freude; derselbe geschieht
bei Männern nur ausnahmsweise,
bei überwallender Freude und froher
Überraschung; sonst küssen sich
Männer bei Begrüssungen oder beim
Abschiede nicht. Zahlreich sind die
Heispiele des Kusses der (Satten und
der Eltern- und Verwand 'ten/iebe.
Der Sühnekuss hat als Symbol,
1 'fand und Siegel aufgeh* »bener Feind-
schaft und wiedergewahrter Zu-
neigung eine ernstere Bedeutung.
Küssen hat so groze k raft, daz man
da mit süent rientsehaf'f, sajjt Ulrich
von Lichtenstein; und Wolfram von
Eschenbach: küsse mich, rerkius
nein mir. swaz ich ie schult qefrnoe
gern dir.
Der Judaskuss ist der Kuss des
Verrates: daz was du kus, den Judas
truoc, da ron man strichet noch \ genaue.
Der Kuss der Etikette ist als
gesellschaftliehe Form der Gegen-
satz des Her/.enskusses. Hei der
Rcgrüssung küsste der Ankommende
die Herrin, doch nur, wenn er an
Rang gleich oder höher stand. In
der Regel ersucht die Frau den vor-
gestellten Herrn um den Kuss; der
Geringere aber bittet den Vor-
nehmeren, seiner Frau oder Tochter
den ItegrüSSUUgskuss zu geben.
Es liegt eine verbindliche Auszeich-
nung darin, wenn der Vorneinnere
dem Geringeren, der Ältere dem
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5i;2 Kyrie eleison. Lagerstätten.
Jüngeren «Ich Vortritt beim Kusse werden. Der Kuss spielt uueh im
gestattet. Auch beim Abschied ver- Zeremoniell des deutschen Königs-
band sich mit der Segens- und hofes eine Kolle. Der König pflegte
Wunsehformel in der Kegel der beim offiziellen Empfang fremden
Kuss. Man kü^ste auf Mund, Wangen Herrschern, aber auch Untergebenen,
oder Augen, doch scheint der Kuss (leistlichen und Weltlichen, einen
an den mnul nur Auszeichnung der Kuss zu gewahren, Bei der Ein-
mthfc zu sein. Die Franzosen küssten fiihrung in ein Amt oder der Bc-
nocll Nase, Kinn und Hals. Auch leimung ist der Kuss das Symbol;
Turnierpreis konnte der Kuss sein, ausserdem ist er Zeichen der Ver-
wie denn im Titurel ausser dem söhnung, der Gnade, des Friedens.
Kranze «lein Sieger die Küsse vom Kyrie eleison, siehe Leu und
achtzig Mädchen in Aussicht gestellt Kirchenlied.
L.
Lajrerstaitten. Dieselben sind
nach Art der römischen Betten bei
den Völkern des westlichen und
mittleren Europas schon im frühe-
sten Mittelalter bekannt. Erwähnt
wird das Bett zuerst bei Gregor
von Tours in der Bemerkung, dass
sein Lager von dem der anderen
Geistlichen umgeben war, wie ja
das Kirehengesetz bestimmte, dass
ein Bischof nicht allein schlafen
dürfe. Nähere Angaben über die
Teile des Bettes und deren Be-
schaffenheit sind nicht gemacht. Die
ältesten Abbildungen zeigen teils
vierbeinige Bettstellen, teils fusslose
Truhen, in welche Bettstücke ge-
legt wurden. In den Stückverzeich-
nissen der Wirtschaftshofe Karls
des Grossen werden bereits mit
„Linnen bezogene Federbetten" er-
wiihnt. Die Bettstätten des 11. Jahr-
hunderts bestehen zum Teil aus
einem verschieden gefügten und
mannigfaltig geäderten Gestell aus
Stabwerk. Sie stehen auf vier oder
mehr Füssen, haben ein hohes Kopf-
brett, ein niedriges Fussemle und
oft auch eine Seitenlehne, während
die zweite Seite frei ist. Neben
den hölzernen erscheinen auch schon
metallene Bettladen. Als Bettstücke
sind erwähnt die Matratzen, das
walzen- oder eirunde Kopfkissen
und eine Überdecke. Die Betten
des 1:'. und 13. Jahrhunderts er-
scheinen als schwere Gestelle von
der Form einer Bahn; mit ge-
schnitzten, auch schon gedrechselten
Füssen, hohem Kopf-, niedrigem
Fassende und ebensolchen Längs-
seiten, die in der Mitte eine Öffnung
zum Einsteigen hatten. Sie waren
oft mit Elfenbeinschnitzereien und
Metallarbeiten geziert, auch die
Pfühle, Decken, Kissen und Vor-
hänge wurden aus den köstlichsten
Stollen bereitet, wovon die Dichter
viel zu singen wissen. So heisst es
im Parzival, 552, *J ff.:
Kinez was ein ji/fumif,
des zieehe ein tfrüener samit;
des nicht von der hohen art:
ez was ein samit pastarl.
ein k ulter wart des Im fies dach,
niht wan durch Hawaiis tfemaeft,
mit einem pfeltel, sunder yolt,
rerre in heidenschaj'f ijehottj
(fcsfcjipet uf pal mal.
darüber zoeh man linde icdf,
zwei Ii lachen snerar.
man feit ein wanknssen dar,
unt der meide mantel einen,
harmin, niwe, reinen.
Ebenso wird von dem B*tt, welches
König Behl von Ungarn um IIb«
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Lagerstätten.
563
Friedrich I. schenkte, ansilrüeklich
bemerkt, dass es mit prächtig ver-
ziertem Kopfkissen und kostbarer
I >ecke verschen war.
Die Ketten des 14. Jahrhunderts
hatten bereits zwei Matratzen und
zwei Kopfkissen, oft sogar auch eine
zweite Decke. Die Überdecke ver-
hüllte das £»nze Bett mit Aus-
nahme des Kopfbrcttes. Auch der
livtthtmnui vergrösserto sich und
wurde, statt dass er bisher von der
Decke herunterhing, nun auf die
nfeilerartig nach oben verlängerten
Vüsse der Bettstelle selber befestigt
und mit leichten beweglichen Vor-
hängen versehen. Die Überdecken
und Seitenvorhäuge der Reichen
waren meist aus Seide, Sammet
oder gar ans Goldstoff, die Über-
züge der Matratzen, Kissen und
1 Jettdecken aus buntgemusterter
Seide gefertigt und oft mit einem
.seltenen Pelzwerk gefüttert oder
wenigstens verbrämt, mit Stickereien,
Besitzen, Troddeln und Fransen ge-
ziert. Daneben hatte man in fürst-
lichen Häusern auch sogenannte
Paradebetien , die nur bei besonde-
ren festlichen Vorkommnissen be-
nutzt wurden. Zwei besonders reiche
1 Jetten des 15. Jahrhuuderts schmück-
ten das Gemach der Isabella von
Jiourbon, der Gemahlin Karlsd. Küh-
nen. Sie waren durch einen vier
bis fünf Fuss breiten Zwischengang
und einen verschiebbaren Teppich-
vorhang getrennt und mit jeglichen
Bequemlichkcitsmitteln versehen.
Die Betten dieser Zeit waren bis
sieben Fuss lang und sechs Fuss
breit.
Das 16. Jahrhundert sodann war
auch hierin bestrebt, seine Vor-
gänger noch zu übertreffen. Bett-
stellen, Matratzen, Kissen und Decken
wurden ans den köstlichsten Stoffen
gemacht und mit allem erdenklichen
Zierat versehen. Das Bett stand
selten mehr in einer Ecke des Zim-
mers, sondern mit dem Kopfende
nach der Mitte einer Wand gekehrt.
Das Holzwerk war von Nussbaum-,
ja sogar von Zedern-, Kosen- und
Ebenholz, vergoldet, bemalt, mit
Elfenbein- und Metalleinlagen be-
setzt. Die vier Eckstützen gestal-
teten sich zu wirklichen Säulen von
mannigfaltigster Form. Sie stiegen
mitunter nicht eigentlich vom Bett-
kasten selbst, sondern von vier-
seitigen zierlichen Postamenten
ausserhalb desselben auf und trugen
das köstlich gearbeitete Bettdach.
In Italien, das hierin den nördlicher
belegenen Staaten voranging, rech-
nete man um die Mitte dieses Jahr-
hunderts zu einem vollständigen
Bett „vier Matratzen von Baumwolle,
bedeckt mit zarten, in Seide und
Gold gestickten Linnentüchern, eine
Decke von Karmesinatlas, mit Gold-
faden bestickt und von Fransen um-
geben, aus Karmesinseide und Gold-
fäden gemischt; vier prächtig be-
handelte Kissen, und ringsum Vor-
hänge von Flor in Gold und Kar-
mesin gestreift". Zu bemerken ist,
dass die Baumwolle, die heute als
der billigste Kleidungsstoff allge-
mein verbreitet ist, damals ein kost-
barer und schwererhältlicher Ar-
tikel war.
Das 17. Jahrhundert aber ging
noch weiter. Namentlich initdenTOer
Jahren desselben trat eine eigent-
liche Polstersucht ein , welche die
Ausstattung des anfänglich so schlich-
ten Gerätes bis zur Ausschliesslich-
keit steigerte. Das ganze Holzwerk
wurde in Stoff verkleidet. Die Bett-
statt wurde zum Ichneulosen, vier-
eckigen Holzgestell, das höchstens
am Kopfende etwas erhöht war;
der Betthimmel entbehrt also jedes
sichtbaren Gerüstes und erscheint
in den wunderlichsten Gestalten
lediglich aus Zeugen gefaltet. Zu-
gleich baut man für die Betten eigens
entsprechende Wandnischen und
verkleidet diese sowohl in ihrem
Innern, als besonders nach aussen
mit breiten Vorhängen oder „Gar-
dinen", die vermittelst eines starken
36*
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504
Laimbuch. — Landfrieden.
Schnur- und Puschelwerkes vorge-
schoben und zurückgezogen werden.
Ks fehlte natürlich auch diesen Bet-
ten nicht an allen möglichen Ver-
zierungen und Zuthaten, die aus
früheren Perioden bekannt waren
oder vom grübelnden Menschen-
geist ersonnen werden konnten.
Als einen beständigen Begleiter des
Bettes nennen wir hier noch den
BeUtekemeL Nach Weist, Kostüm-
kunde.
Laien buch , siehe Schildbürger.
Lampe, lat. lampa*. lampada;
franz. famyr. Kleine Ollampen in
Gestalt runder oder länglicher Scha-
len waren für kirchliche und private
Zwecke schon frühe in Gebrauch.
In den Kirchen wurden sie bald
durch die Kerzen verdrängt. (Siehe
den Art Leuchter.)
Länder und Städte in jicrmni-
fizieri-bildlicker DartteUunq. Der
antiken Kunstdarstelluug der Län-
der und Städte liegt teils religiöser
(ilaube, teils ein bloss künstlerisches
Motiv zu G runde. Beide wurden
unter den Schutz von Göttern und
Heroen gestellt, wobei bei den
Griechen namentlich die Ti/ehr, lat.
Jiona den, bei den Römern die
Roma eine grosse Rolle spielen.
Sonst gilt in der italienischen Reli-
gion in der Regel ein männlicher
Genius für den Beschützer der
Städte. Mit Bildwerken der ge-
nannten Vorstellungen wurden Tem-
pel und Altäre geschmückt, wobei
Tyehe ein Füllhorn und eine Turm-
krone erhält, ItonM dagegen ent-
weder I 'alias ähnlich dargestellt
wird oder im Amazonenkostüm.
Eigentlich allegorische Bilder der
einzelnen Städte und Länder, die
sieh teils in mythischen, teils in
historischen Kompositionen, sowie
in einzelnen Bildern zahlreich vor-
finden, pflegen ebenfalls die Mauer-
krone zu fragen. Die christliche
Kunst verwart natürlich die religiös«'
Bedeutung dieser Vorstellungen und
inachte sich bloss das künstlerische
Motiv zu eigen. Das christliche
Altertum ist reich an Städtefiguren
in den verschiedenen Gebieten der
Kunst, sowohl in Miniaturen als
Skulpturen; häufiger sind Relief-
bilder , zumal auf Münzen und
Diptychen; besonders häufig er-
scheinen Rom und Konstantinopel;
die Attribute der Mauerkrone und
das Füllhorn sind beibehalten. Vom
i). bis 12. Jahrhundert findet man
Personifikationen von Städten und
Ländern bloss auf Miniaturen, teils
in biblischen Szenen, teils in welt-
lichen Darstellungen. Die Figuren
sind meistenteils in weiblicher Ge-
stalt gebildet und haben ein Füll-
horn in der Hand und auf dem
Haupte eine Krone, die aber
nur teilweise die Gestalt von Tür-
men hat. Weltliche Veranlassungen
zu diesen Personifikationen gab die
Vorstellung eines Herrschers, dem
die Länder huldigend nahen oder
Abgaben und Geschenke bieten.
Aus der heiligen Schrift hat mau
Personifikationen der arabischen
Wüste, wohin sich die Israeliten
vor Pharao retteten, und von Babel.
Seit dem 13. und namentlich seit
«h in 15. Jahrhundert hat man wie-
der ähnliche Figuren auf Malereien
und Münzen und seit dem IG. Jahr-
hundert in grossen Werken der
Skulptur und der Malerei zur Aus-
schmückung von Plätzen und Pa-
lästen, mit Beziehung auf unmittel-
bar gegenwärtige, namentlich vater-
ländische Interessen. ]>ij>er, My-
thologie der christl. Kunst. II, S. 564
bis 077.
Landfrieden heissen im Mittel-
alter die von dem Könige ausgehen-
den Gesetze, welche die Erhaltung
des öffentlichen Rechtszustandes,
insbesondere der öffentlichen Sicher-
heit und die Bestrafung der hier-
gegen begangenen Verbrechen zum
Gegenstande hatten. Sie beschränk-
ten aich regelmässig auf eine kurze
Bezeichnung der als Land friedet is-
bruch zu betrachtenden Handlungen
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Landgrafen. — Landkarten.
565
und auf die Einschärfung der Ver-
folgung und Bestrafung der Land-
friedensbrecher. Die ältesten Ver-
ordnungen dieser Art scheinen nicht
auf uns gekommen zu sein; als die
erste bestimmte Nachricht über einen
Landfrieden gilt die, dass Heinrich 11.
auf einer Versammlung zu Zürich
Iii die und Niedrige habe schwören
lassen, den Frieden zu bewahren
und sich aller Raubereien zu ent-
halten. Von da an ist stehend von
Landfriedensverordnungen die Rede.
Als die wichtigsten Landfrieden aus
dem 12. und 18. Jahrhundert wer-
den genannt die Landfrieden Fried-
richs I. vom Jahre 1156 und 1 IST,
und der Landfrieden Friedrichs II.
von 1235, welche den Landfrieden
der folgenden Kaiser hauptsächlich
zum Vorbilde dienten. Die ältesten
Landfrieden anerkennen unbedingt
das Recht der Privatraehc oder
Fehde (siehe Faust- und Fehderecht)
und machen es sogar dem Volke
in der Nachbarschaft und wo dieses
nieht ausreicht , dem Herzog oder
Grafen zur Pflicht, dem Vergewal-
tigten hierzu ihre kräftigste Unter*
Stützung zu leisten. Daher kam es.
dam die Landfrieden gleichsam als
vertragsmäßige Friedensvcreinigun -
gen errichtet wurden, die nur für
eine Reihe von Jahren und regel-
mässig nur in einzelnen Landern,
selten im gesamten Reiche beschwo-
ren wurden; denn es handelte sieh
dabei nicht allein um die Verpflich-
tung zum Unterhalte landfriedens-
vcrbrcchcrisehcr Handlungen, son-
dern auch um das Eingehen einer
positiven Verbindlichkeit zu gemein-
samem Handeln gegen die Friede-
brecher, sowie um ein wenigstens
teilweises Aufgeben des bisher ge-
setzlichen Rechtes der Fehde. Erst
Maximilian I. gelang es auf dem
Reichstage zu Worms 1405, die
Reichest in I«' zum Verzicht auf den
ferneren Gebrauch der Warten zur
Entscheidung ihrer Streitigkeiten zu
bewegen und einen allgemeinen
ringen Landfrieden zu errichten,
in welchem alle Unterscheidung
zwischen erlaubter und unerlaubter
Fehde und aller fernerer Gebrauch
des Faustrechtes als Landfriedens-
brach erklärt wurde ; derselbe wurde
zu Worms 1521 und später noch
mehrmals verbessert, ergänzt und
bestätigt. Vgl. Jlerzberg- Frankel,
die ältesten Land- und Go'ttesfricden
in Deutschland. Forschungen z. d.
Geschichte. XXI II, S. 117—164.
Landgrafen werden seit dem
Anfang des 12. Jahrhunderts er-
wähnt. Der Name schliesst sich an
Land, Landxehaft als alte Bczeich-
nung eines gräflichen Gebietes oder
Gaues; es ist der Graf mit einem
alten Gau- oder Landgericht, und
der Name erscheint dann gewählt
statt des blossen Grafen, wenn da-
mit gegenüber solchen Grafen, de-
nen das gräfliche Recht nur an
einzelneu Orten übertragen war,
ausdrücklich und namentlich betont
werden sollte, dass sie die alte gräf-
liche Gerichtsbarkeit behauptet hät-
ten. Doch war der Name Land-
graf in diesen Fällen durchaus nicht
allgemein üblich.
Landkarten. Aus dem Alter-
tum sind keine anderen Kar-
ten ausser denen zum Ptolemäus
auf uns gekommen; diejenigen
des Marina* von Turn*, 2. Jahr-
hundert n. Chr., des ersten Geo-
graphen , welcher bei der ( Orts-
bestimmung Längen und Breiten
berücksichtigte, sind verloren ge-
gangen; aucn PtolemäuM aus Pelu-
sium, ein Schüler des Marinus, hat
keine Karten hinterlassen; dagegen
hat er in seiner Erdbeschreibung
(nicht zu verwechseln mit seinein
astronomischen Hauptwerke, der
Syntaxis, dem Abnagest, wie die
Araber das Ruch nannten) Vor-
schlüge zur graphischen Zeichnung
und Entwerfung des Landkarten-
netzes gegeben und die Mittel be-
zeichnet, um aus der Lage der be-
kannten Orte die unbekannten zu
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56ß
Landkarten.
finden. Von den acht Huchem sei-
nes Wcrke< enthalten da« zweite
l»is siebente Namensiegister naeh
Ländern, Längen und Breitegraden
und da.s letzte einen kurzen l'ber-
blick über das Ganse. Die 27 Land-
karten aber, die man den meisten
alten Handschriften des Ptolemäus
beigegeben findet, stammen von
einem Aaafhnd.nnnn aus Alexandria,
einem Mathematiker, den man ge-
wohnlieh ins fünfte Jahrhundert
setzt; es sind zehn Blatter über
Kurooa, fünf über Afrika und
zwölf über Asien. Sie sind die
Grundlage aller neuereu [>nndkarteii
geworden. Daneben besas>en die
Börner \Ye<iknrte„ , die namentlich
militärischen /.weck hatten, und von
welchen sich die sog. J'cu/iiUf wische
Tafel erhalten hat; sie bildet eine
Rolle aus elf Blattern, Wu Fuss
lang und II1. Zoll breit; die Haupt-
sach<- ist hier die Angabe der
I >i>tan/en.
Das Mittelalter ging vorläufig
der kartographischen Hilfsmittel de«
Altertums wieder verlustig; die
Radkarten (siehe den Art. (leo-
(jr«i>liit \, sind bloss graphische Auf-
zeichnungen der dieser Periode be-
kannten Knifeste.
Auch die arabinrhen (innf rauhen,
unfähig, die Arbeiten ihrer Astro-
nomen zu benutzen, blieben weit hin-
ter den Leistungen des Ptolemäus
zurück. Das zeigen z. B. die bei-
den erhaltenen Karten des J'.drisi,
12. Jahrhundert, ein kreisförmiges
Erdbild und eine viereckige Welt-
karte in 70 Blättern, worin zwar
Ptolemäus benutzt erscheint, das
Gradnetz denselben aber wie in
allen sonst bekannten arabischen
Karten fallen gelassen worden ist.
1 )esto grösser ist der kartographi-
sche Fortschritt, der sich in den
Kompasskarfm des spateren Mittel-
alters zeigt.
Sie sind ursprünglich mir von
Italienern oder von Katalanen von
den IMearen verfasst worden und
mit Wind oder Kompassrosen be
deckt, aus denen strahlenförmig
bunte Striche nach den Himmels-
richtungen auslaufen, um sich auf
anderen Punkten der Karte zu an-
deren Windrosen zu vereinigen.
Der Gesichtskreis wurde in vier
rulh Winde eingeteilt, Nord, Ost,
Süd, West, zwischen denen die
hall*» Winde Nordost, Südost. Süd-
west, Nordwest lagen. Zwischen
den halben und den ganzen unter-
schied man die l'iertehrindr, Nord-
nordost, Ostnordost it. s. w., du»
wiederum in Oktaven oder Achtel
zerfielen. Später wurde es Sitte,
die Wtndstnche auf den Karten
durch bunte Linien auszudrücken,
wobei man die ganzen und halben
Winde durch schwarze, die Viertel -
windc durch grüne, die Achtcl-
winde durch rote Farbe unterschied.
Auf einen dieser Koinpasssterne
setzt*» der Steuermann seine Bussole,
um zu ermitteln , welche Richtung
er innehalten müsse, um von einem
Hafen nachdem andern zu gelangen;
lief er dann auf das hohe Meer, so
schätzte erden zurückgelegten Weg
aus der Segelkraft des Windes mit
einer Schärfe und Sicherheit, die
wie ein halbes Wunder erscheint.
Zum erstenmal sieht mau hier Kuropa
wie die asiatischen und afrikanischen
Vorlande wie von einem Spiegel
wiedergegeben. Die ältesten er-
haltenen Kompasskarten verfertigte
der Venetianer Mari im Sannfo der
Altere zwischen 13015 und 1321; doch
gehen die Anfänge dieser Karteu-
methode bis ins 13. Jahrhundert
zurück; das merkwürdigste Denk-
mal aber aller mittelalterlichen Kom-
passkarten ist das &){*v\\.ka(alani*rh<
Welttjemalde vom Jahre 1375, von
einem unbekannten majorkanischen
Steuermann verfertigt, der u. a. die
Reisen des Marko Polo benützte.
Neue Fortschritte zeigen die Karten
des Vcnetianers J')ui Mauru.
Im Anfang des 15. Jahrhunderts
entdeckte der Humanismus endlich
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Landsgcmcinden. — Landsknechte.
567
"S
auch die Ptolemäischen Karten
wieder, deren zuerst der Kardinal
»V Ai1hf% A/iacnx. erwähnte. Schon
im 15. Jahrhundert erschienen fünf
Aufnahm derselben, alle in Italien;
im 16. Jahrhundert 21, davon IG
deutsehe (9 in Basel, 4 in Köln, 8
in Strassburg). Seit 1513 fügten
Jakob Ässler und Georg Übelin
einen Atlas neuer Karten hinzu.
Die Ptolemäischen Karten, welche
durch ihr Gradnets die Kompass-
karten übertrafen, standen anfan
infolge mancher Fehler der Ptoli
nniisehen Zeichnung in mancher Be-
siehnng auch hinter ihnen zurück;
am ineisten gelang es dann deut-
schen Geographen clie Fehler zu ver-
bessern; genannt werden Sebastian
Münster, namentlich aber Veter
Bienewitz. Bald erhielten alle einzel-
nen Reichsgebiete ihre besonderen
Karten, die zum Teil vortrefflich
waren; g«lg«*n Ende des 16. Jahr-
hunderts ging die Kartenkunst durch
Mereatnr und Keinen Freund Ahra-
in! vi Ortet zu den Niederländern
über, bei denen sie während des 17.
Jahrhunderts eine neue Blütezeit er-
reichte. /V sehet, Geschichte «1er
Erdkunde. AV/r, Geschichte des
Zeitalters der Entdeckungen. Ber-
lin IHHI.
Landsgemeinden , freie % ent-
wickelten sieh ähnlich wie die Städte
dadurch, dass ältere ländliche Ge-
nossenschaft 'u vorübergehend oder
dauernd sich zu territorialen Ge-
meinwesen erhoben und poli-
tische Unabhängigkeit behaupteten
oder er k äm pf ten . Sie kommen haupt-
sächlich in den Alpen und bei
Friesen und Dittnarsen zur Ent-
wicklung. Das Resultat dieses Pro-
zesses ist ein dreifaches: entweder
erringen sich diese Gemeinschaften
volle Reiehsfreiheit, oder es blieb
eine Reichsvogtei bestehen, ohne
die Genieindeverfassung zu hindern,
oder es entstanden landesherrliche
Landsgemeinden, welche in grösserer
oder geringerer Abhängigkeit von
landesherrlichen Vögten standen.
Die früheste Entwicklung dieser Art
fand in den schweizerischen Wald-
stetten Uri, Sehwys und Unter-
waiden statt, denen später Glartis,
das Amt Zug und Appen/eil folgten.
A n der Spitze der /.aiater und ihrer
Landsgemeinden, bis zum 15, Jahrb.
fand tag genannt, standen freige-
wählte Ammänncr, welche aus rein
I richterlichen Beamten entstanden
(waren; erst später tritt neben sie
i ein Rat. Die Entwicklung der freien
Landesverfassungen im Norden
j Deutschlands geht langsamer und
unvollkomnincr vor sicfi; iu noch
| engeren Grenzen halten sich die
gemeine Landschaft des Rheingaus,
die Hauensteiner Einung im Schwarz-
wald, die Landgemeinde der Abtei
Kempten, die gemeine Landschaft
der zu Corvey gehörigen alten Mark
Huxari, das Land Delbrück u. a.
Cierke, Genossenschaftsrecht I. §.49.
Landsknechte heissen seit dem
letzten Viertel des 15. Jahrhunderts bis
zum 17. Jahrhundert Söldner zu Ftsx;
der Name ist einerseits dadurch ent
standen, dass eine königliche Satzung
I Worms 1495) ausdrücklich verord-
nete, dass die Söldner aus den Land-
schaffen im Reich angeworben wen len
sollten, andererseits im Gegensatz
zu den Schweizern , deren Feind
sehaft mit den Landsknechten sprich-
wörtlich war. Früh kam die Uni-
dentung von Landsknecht in Lanz-
knecht auf. In rechte Aufnahme
kam das Institut der Landsknechte
erst unter Maximilian I., der „das
Fussvolk nach Art der römischen
Legionen in Haufen, Regimenter,
teilte, dieselben mit langen Stangs-
spiessen oder l'iouen versehen lassen
und sie in diesem Gewehr dermasscn
abgerichtet, dass sie es allen ;m-
dern Nationen zuvorthaten, dannen-
hero von dieser Zeit an kein Krieg
in Europa ohne die Teutschcn Lanz-
knechte geführet worden und kein
kriegführender Potentat derselben
I entbiiren wollen." Der „Orden44 der
568
Landsknechte.
Landsknechte setzte sich aus Edel-
leuten, Bürgern und Bauern zu-
sammen; bald aber herrschte das
bürgerliche Kletnent vor, und der
Orden wurde zur Zunft, die ihre
eigene Verfassung hatte. Die Vor-
nehmen bildeten uas erste, die Bürger
und Bauem das zweite „Blatt*4.
Jeder Hauptmann warb sich ein
„Fähnlein** von 4—600 Mann, «las
vermöge der gemischten Bewaffnung
für sich nicht nur eine Verwaltungs-
einheit, sondern auch eine taktische
der Ausartung der Sitten höch$t
prunkvoll, sodass die Geistlichkeit
von der Kanzel gegen den ..hWn
teufel" auftrat.
Zur taktischen Kinheit wird
später der „Haufen*4, der sicli nieist
ziemlich regellos «lern Feind ent
gegenwalzte. In Feindesnähe £thn
einige Schützen als „Läufer44 cxlei
als „verlorener Haufe" voraus; ihm--
folgt das Gros, der „helle Haute**
nachdem nach guter Vater Situ
das Gebet verrichtet, wohl aael
Einheit bildet«'. Jeder Hauptmann eine Erdscholle als Hostie in &ti
hatte um sich einen „Staat4* {e*/a/,
Stab) von einigen Trabanten und
Buben. Er war beritten, focht aber
an der Spitze seines Fahnleins zu
Fuss und war selbst bewaffnet mit
einer Streitaxt, Helmbarte oder einem
Schwerte. Ihm zur Seite standen
der Fähnrich, Lorofenente (Stellver-
treter des Hauptmanns) und der
Fcldwaibel. Ferner zählten zum Zuge i Weise, nur dass hier die Fuss
die „zwei Spiel*4, eiu Trommelschläger I Pferde ihr Ziel waren. Siebe J
Mund genommen worden. Das Vi
feschrei war: „Her! Her!-*
landgem^nge war furchtbar,
schwangen sie knieend oder kr*
chend ihre Kurzwaffen gegen <fi
unteren Gliedmassen der F**ii*l
„sie schnitten blutige Hosenbändei'
Auch gegen die Keiterci
die Koudartschiere in ;»lml
und ein Pfeifer, und endlich der
Schreiber, Kaplan und der Feld-
scherer. Eine Anzahl Fähnlein bilde-
ten zusammen ein Regiment, dem
ein Oberst vorstand. Die bekann-
testen und berühmtesten Lands-
knechtsobersten waren Georg von
Frundsberg, der „Vater der Lands-
knecht«'*, tlie beiden Brüder von Embs
und Schärtlin von Burtcnbach. Zum
Stabe des Obersten, den sogenann-
ten hohen Ämtern, gehörten der
Schultheis , Oberstwachtmeister,
Quartiermeister und Strafer oder
l'rofos. Unter letzterem standen
der Stockmeister mit den Stecken-
knechten und der Freimann (Scharf-
richter), sowie der Huren waibel
Geschichte des Kriegswesens.
Unter den Gestalten der
laufenden Kulturzustände des H
gehenden Mittelalters spielen i
Landsknechte eine hervorra^r»**
Holle. Gewiss in den meisten Fl!
aus Leuten zusammengesetzt, dt«
von Natur und 1 rznhung «■
bundenes Soldatenleben Bedarf
war, leistete ihre Schar dem tä
nach individueller Willkür und fi
heit in jeder Beziehung Votrscta
sie schweifen aus in Sjx-ise 1
Trank, Vergnügung uud KJ-i'
sie bilden bei sich ein eigew*
der Standes -Ehre aus. das
Frömmigkeit (Tapferkeit» nicht]
der als auf die nacktote G«*j
sucht und auf Vc räch tun*:
samt dem Rennfähnrich und dem
Knmovmeister zur Beaufsichtigung bürgerlich ehrbaren IxbeiiaVuSlt
des überaus zahlreichen Trosses von gerichtet ist; sie haben
Weibern und Buben. den Studenten, anderes
Bewaffnet waren die Landsknechte Pfaffen und Schreibe.ru,
mit Spi essen oder Schlagwatfen, be- Schelmen und Landfahrern. Ml
kleidet anfänglich dem Zweck ent- mit dem Adel gemeinsam,
sprechend zwar farbenfreudig, doch Zweifel darum, weil sie süh
beweglich und knapp, später mit allen genannteu Stauden
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Landsknechte.
560
rekrutieren. Viel wirkt dazu ihr feind-
seliger Vorkehr mit den Sehweizern,
deren trotzige Kricgslust damals aufs
höchste gestiegen und die abzu-
trumpfen ihnen besondere Herzens*
angelegcnheit war; auch ihr häufiger
Dienst auf italienischem Hoden mag
bei ihnen bleibende Charakterzüge
hinterlassen haben.
SefntjffUtn Frank spricht sich in
seiner „Chronika" mit heiligem Eifer
gegen die Landsknecht»1 aus: „Es
ist durch die bank hindurc h in alweg
und alzeit ein böss unnütz volk, nit
weniger dann münch und pfatfen.
Ist es im krieg, so ist under tausent
kaum einer an seinem sold benüegig,
Bänder stechen, hawen, gotslestem,
huoren, spilen, morden, brennen,
rauben, witwen und weisen machen,
ist ir gemein hantwerk und höchste
kurzweil. Wer hierin küen und
keck ist, der ist der best und ein
freier lamUknecht; der muoss vornen
daran und ist würdig, dass er ein
tloppeUoldua' sei , also ist der böst
under inen der best. Wer nit zuogrei fen
und martern kann, der taugt nicht.
Kummen sie dann nach dein krieg
mit dem bluotgelt und schweiss der
armen heim, so machen sie ander
leut mit inen werklos, spaeieren
müessig in der statt ereuzweiss umb
mit jeuermans ärgernus, und sind
niemaut nicht nutz dann den würten
(seind sie anders auch disen nutz),
und stellen sich, als sei inen geboten,
sie sollen eilents wider verderben.
Die andern, denen die beut nicht
geraten ist, laufen dausseu auf der
qart umb, das zuo Teutsch bettlen
heisst, des sich ein frummer heid,
will gesch weigen ein ehrist, in sein
herz hinein schämet. Es hat sich
aber diss volk vermocht in der
Linein, dass es sich keiner bossheit
Bchämbt, sunder fjeruemht will sein,
und bei dem man dorchauss das
gegenteil eines Christen findt, wie- ,
wol mau jetzt guote Christen auss
inen machen will und sie inen selbs
den 'namen geben haben, dass man |
sie frummelaml*knechf\\Qmwr\ muoss.
Die anderen, den die beut geraten
ist, sitzen in wirtzhäusern, Schlem-
men und deinmen, biss sie kein
pfenning mer haben, laden gest,
sagen von grossen streichen, was
sie sich under den pauren er-
litten haben, und bringen also die
andern auch von irer arbeit auf
zuo dem müessiggang, bringens ein-
ander (trinken einander zu) auf
einen zuokünftigen krieg, und ver-
füert einer den ander, dass die weit
voll krieger und mücssiggenger wirt
Und wie vor zeiten ein jedes gc-
schlecht (jede Familieleinen ffaflen
haben wolt, jetzt muoss jedes nit
einen landsknechf, sunder r/7 haben.
Darnach so die beut hindurch ist,
do hüeten sich die armen pauern,
die müessen sieh leiden und her-
haben. Do fahen sie an zu garten,
terminiren und zuo teutsch betlen
und sich auf die armen leut strecken,
biss wider ein guot geschrei kumpt,
darab jedermann ersehriekt, dann
sie allein nit. Darumb ist anderer
leut unglück ir höchstes glück, wie
sie achten und doch nit ist. Ich
geschweig die Verkürzung des lebens,
dann man selten ein alten Lands-
knecht findt."
Doch haben weder die Lands-
knechte selber noch ihre übrigen
Zeitgenossen einzig dieses düstere
Bild von ihnen gewonnen. Denn
was sie selber betrifft, so lieben sie
es, sich im Spiegel der Dichtung zu
beschauen, deren Grundton bald
mutwillige Lebenslust, bald rührende
Klage über ihr elendes Schicksal ist.
Bei Ukland, Volkslieder, nehmen
dieLaudsknechtslieder die Nummern
188— 199 ein; die historischen Lieder
stehen bei Lifienkron.
Der Landsknecht wurde aber
auch von anderen Dichtern zum
Inhalt ihrer Dichtungen gemacht:
namentlich hat Harn Sachs einen
Landsknechtspiegel in Spruehforin
gedichtet und zwei Sehwänke in
Gesprächsform, St. Peter mit den
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:>70
Landwehren. -- Lanze
lantsknechten und Der tenfel lexst
kein lant/.knecht mer in di<* helle
fahren. In «lern ersten dieser <»«•-
spräche kommen neun qttrfeafo,
d. h. bettelnde und gelegentlich steh-
lend herumziehende Landsknecht«'
zufällig uns Himiin'lsthor, wo sie an-
klopfen. Da der Herr nicht gewillt
ist, sie sofort einzulassen, trotz
St. Peters Fürsprache, fanden sie
draussen an, „martcr, leiden und
saerament" zu flachen. St. Peter,
der Meinung, das seien geistliche
Heden, legt wiederholte Fürbitte für
die Rotte ein und erhält schliesslich
die Erlaubnis, sie einzulassen; doch
möge er selber zusehen, wie er sie
wieder herausbringe. Kaum sind sie
im Himmel, so setzen sie sich nieder,
nehmen die Würfel hervor, und es
dauert keine Viertelstunde, dass sie
von Leder zücken und aufeinander
einbauen, auch St. I'eter selbst, der
ihnen wehren will, durchprügeln,
.letzt erbarmt sich aber der Herr
des Hiininelspförtners und giebt ihm
den Rat, er möge einen Kugel einen
Ijüfman , d. h. Appell (von franz.
altirnw, ital. all arme, Alarm) mit
der Trommel sehlagen lassen.
Itald der cngel den lerrnan schlug.
Innen die landsknccht on Verzug
eilent us durch das himeltor,
meinten, ein Icrman wer darvor.
Vgl. W'rsscltj, die Landsknechte,
(töilitz 1K77, und Ulan, die deut-
schen Landsknechte, Görlitz 1SS2.
Landwehren, auch Zargen von
ahd. ztirf/ti — Hand, oder fjfz*n ge-
nannt, heissen einfache Grcnzbefcsti-
gungen des Mittelalters. Sie bestan-
den entweder in Wall und (iraben
oder nach alter Weine in einem
lebendigen Zaune oder in beiden
zugleich. In der Kegel zog mau sie
über Alinendcu(Oemeindegüter) und
unbebautes Land. Di«' Durchlässe
sicherten starke hölzerne tiitterthore
(< Trendel, Serren) mit vorgeschobe-
nen Balken oder Schlagbäumen, und
oftmals lagen hinter den Thoren
noch Wighauser (tnh l. wirhns «
Kampfhausl oder Blockhäuser. Line
hervorr.'igeiule Rolle spielten die
Letzen (schweizerisch plur. Letzt n* n)
in den liebirgsk Hegen der Schweiz.
John*, Kriegswesen. S. 1109 ff.
Lanze. Wie die Keule als älteste
Schlagwaffe, so ist die Lanze als
Stich- und Wurfwaffe bei allen alten
Völkern liekannt. Aufgefundene
Lanzenspitzen zeugen davon, dass
schon die l'fahlbautcnbcwohncr sich
ihrer bedienten, und na- h römischen
Berichten war die germanische Lanze
nicht ohne (Irund gefürchtet. Der
Schaft derselben bestand aus einer
schweren Stange, an der vorn eine
1 1 V-, Fuss lange, handbreite, zwei-
schneidige Spitze von Lisen befestigt
war. Neben diesem schweren Lang-
speer führten die (iermanen mit
ausserordentlicher Kraft und Sicher-
heit auch den Wurfspiess, der ent-
weder von blosser Hand oder an
Riemen geschleudert wurde.
Besondere Beachtung verdient
der in den merowingischen < Jraheni
gefundene 4 Fuss lange Speer mit
Widerhaken, der Aiigou, ahd. attfo
! (Angel). Agathias beschreibt ihn
1 folgendermassen : Die Angonen sind
nicht ganz kurze, aber auch nicht
sehr lange Speere, zum Wurf taug-
lich wie zum Kampf in der Nähe.
Sie sind zum grössten Teil mit Kisen
I bedeckt, sodass vom Holze nur wenig
und kaum so viel, als für das untere
Beschläge hinreicht, zu sehen ist.
1 An dem oberen Teile des Speeres
ragen jedoch auf beiden Seiten ge-
krümmte Spitzen vor, welche haken-
förmig zurück- und abwärtsgebogen
sind. Im Kampf wirft der fränkische
Krieger den Angon, der, sobald er
den Körper trifft, üb raus tief ein-
dringt und vom Verwundeten nicht
herausgezogen werden kann, der
Widerhak en wegen, welch«» furcht-
bar«' und tödli«-he Schmerz«'n v«*r-
ursach«'!». Sieht »li«*ses der Franke,
so springt er hinzu, «lrückt durch
einen Tritt auf den Speer mit der
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Lanzelet oder Lanzelot.
571
Last seines Körpers den Schild des schock (Angriff) sieh schnell zurück-
Gegners lienib und tötet den nun zog auf den freien Platz, wo er den
unbedeckten mit der Axt oder einem allfällig zersplitterten Schaft gegen
alldem Speer. — Dieser Speer wird einen neuen vertauschte und dann
Bryntkavar i Panserbrecner ) ge* den Anlauf erneute. Dieses Manöver
nannt. Mit dem Schaft schiessen war um so eher möglich, weil die
gehört zu den Fcehtübungcn der Ritterschaft nur in einem Glied«'
Jugend, Sperr- und Steinwerfen zu attakierte; es Ines „die AvVe", und
den heldenhaften Kraftübungen. daher findet man bei den alten
Die deutsche Bezeichnung der Dichtern so oft statt des Hufes
Waffe ist der und Speer, ahn. //eV, „Vorwärts!'* den Kampfruf: „XvVfJ
agls. gd, nord. <pir; ahd. sper, spe- ker!"
Nicht immer führte übrigens der
Ritter im Gefechte den schweren so-
ri/iii, agls. xiu r, engl, tpear. Weniger
gebräuchlich ist Sjiiexx, ahd. speuz,
9/tioz, nord. sjtiot, agls. spietu. Gleich- 1 genannten Kürassspicss, die Gläfe;
bedeutend ist Lanze, it. hinein, sp.
lanza. Speer und Lanze verdrängen
bei den Kunstdichtern «las Wort oer,
das mehr in den Heldensagen bei-
behalten wird. Die beiden Teile
des Speeres heissen überall Schaft
und Spitze. Der Schaft ist aus
Eschen-, Hartriegel- oder Eibenholl
gemacht, nach verschiedenen Dich-
tern auch aus Horn, Kühr, oder
Elfenbein. Oft war der Schaft
bemalt, oft rauh, unentrindet (unbe-
xniten und unl*'*chtthcn). Der mit
einer Spitze versehene Schaft war
ffexc/tifte/. Die Spitze war entweder
dolchartig spitz oder blattförmig,
doch stets zweischneidig. Beim
Kampfe zu Ross wurde der Speer
nur als Stosswaffe gebraucht, doch
licss sich der Kitter deren mehrere
nachtragen. Für das Turnier be-
nutzte man die Turnierlanze, welche
oft wählte er auch den leichten
raixxpiz (Ueisespiess, Spiess der
Reisigen, Reiterspicss), der minder
lang und stark war und keine Brech-
Bcheibe (Einbuchtung, Griff) hatte.
Auch der Speer hatte seine sym-
bolische Bedeutung. Ermangelt er
der Spitze, so ist er ein Zeichen des
Friedens. Speer und Sehwert be-
deuten in der älteren Zeit den Manns-
Btamm im Gegensatz zu Spindeln
und Kunkel; daher den Ausdruck
xnermthfc, (fernuhfe, sicer/maffe als
Verwandtschaft v. Seite des Mannes.
.tpi/tnuiffe, kunkelnuhje von Seite des
Weibes. Speer wie Stab und Fahne
W&rcn für Könige ein Symbol der
Übergabe von Reich und Land: der
Speer war das Symbol der Herrschaft,
wie später das Schwert. Er diente
auch, wie Hut und Pfeil) zur Ansage
des Kriege« bei den Römern, Schotten
Spitze das gezackte und Skandinaviern. Nach San -Mnrtf ,
oder auch ganz
statt d«
Krönlein trug
stumpf war.
Im Lanzeiikampfe genoss
französische Gendarmerie: des besten
Rufes; grosse Erfolge hat indessen
auch sie nicht aufzuweisen. Die im
14. und 15. Jahrhundert bis 4m langen
Lanzen wurden vielmehr oft ver-
hängnisvoll, falls der erste Angriff
den Feind nicht in die Flucht schlug,
denn im Gedränge fehlt«' es an dem
nötigen Raum, sie zu handhaben
Waffenkund»
Lanzelet oder Lanzelet ist der
die Name des Helden eines höfischen
Artusgedichtes, das der Thurgauer
Ulrich von Zatzikhoven um 12(K)nach
einer französischen Quelle dichtete.
Der Mittelpunkt der Lanz.-Sage ist
ein ehebrecherisches Liebesverhält-
nis zwischen Lanzelot und Ginevra.
Die Sage war weit verbreitet, nament-
lich auch in französischen und deut-
schen I'rosarnmaneudcs Uui.lfi.Jahr-
Es kam daher sehr viel darauf an, | hunderts. Vergleiche Ilnehfoltl. der
dass der Ritter nach dem ersten | Lanzelet des U. v.Z. Frauenfeld, 1870.
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572 Interne. — Leinde.
Laterne. Siehe den Artikel I denen die Martyrologen mir sehr
Lf-neUter. wenig zu sagen wussten. Die ülte-
Laurin, siehe Heldensage. •'«ton in der abendländischen Kirche
Leberrcinie sind eine Art Sinn- entstandenen derartigen liegenden
gediente, welche von einem gew issen sind die drei vom heil. Hieronymus
S» hävius erfunden »ein Hollen und verfassten Vitae des Paulu* »v>«
den n erste /eile allemal mit den T liehen , des Mönches Muteltu* und
Worten anfangt: die Leber ist von des heil. HUarion. In ihnen trieb
einem Hecht und nicht von einem die Phantasie der Geistlichkeit, der
Ihre Blütezeit ist im 17. Jahr- Heldensage angewandt, ihre selt-
hundert. samsten Blüten und wunderbarsten
Lebende, mhd. leitende, aus lat. Gebilde, welche wiederum auf die
fetfenJ<i , d. h. was beim täglichen «ranze Denkweise des Mittelalters
Gottesdienst vorzulesen ist. Dieser den grössten EinHuss hatten. Doch
lätteraturzweig findet seinen Anfang lassen sich zwei Elemente der Le-
in den Mttrti/ro/oifien, d. h. Märtyrer- gende unterscheiden, die eich auch
Verzeichnissen, welche einen Ted des in den Namen Vita und I*egenda
ältesten christlichen Kalenders bil- kenntlich inachen, ein historiseh-
deteil und in welche zu den blossen biographisches und ein poetisch-
Namcn bald auch Nachrichten über erbauliches. Das erstere, selten rein
Leiden und Lehen der Märtyrer und vorhanden, wirkt doch mehr in den
Bekenner hinzugefügt wurden. Die älteren Perioden vor, das andere,
ältesten Martvrologien tragen den dem namentlich das Wunder dient,
Namen des Hieronymus, doch mit nimmt seit der asketisch-kirchlichen
Unreeht, sie stimmen selten überein. Richtung des 1 1. Jahrhunderts be-
widerspreehen sich oft und sind nichts sonders überhand; viel Legenden-
als Heiligenkalendarien , wie sie in stolf tliesst aus mythischen Er/äh-
don verschiedenen Klöstern geführt Inngen des Heidentums, die, sich
wurden. Die grösste Verbreitung au einen christlichen Helden an-
fand »las Martyrologium des Beda lehnend, dadurch ein längeres Leben
Venerahilis. gestorben 735, des angel- fristeten. Viele Legenden wurden
sächsischen Gesehichtschreibers und älteren nachgemacht, besonders in
Verfassers der Ostcrtafeln; nament- den Klöstern, welche für ihre Rcli-
lich in Gallien, dann auch in Deutsch« quien auch der Legende bedurften,
land wurden die Martvrologien im Bald hatte man Legenden für jeden
1». Jahrhundert mit grosser Vorliebe Tag im Jahre, die seit dem 10. Jahr-
behandelt; eine metrische Bearbei- hundert in kleinere Sammlungen
tung verfasste Wandelhert , Mönch vereinigt wurden. Die verbreitetste
zu Prüm, eine andere in Prosa Legendensammlung aber des Mm. 1-
Hhahanu* Maurus um H4">, wieder alters war die J.egenda aurca des
rine solche auf Befehl Karl's des Jaeohus a Voraffine, Erzbisehof von
Kahlen Huward und zuletzt der Genua, gestorben 1298; durch zahl-
st. Galler Ao/for der Stamm/er, lose Abschriften verbreitet und in
gestorben 91 2, nnd in Versen Krehem- fast alle lebenden Sprachen über-
jiert , «1er Möneh von Montecassino. setzt, entsprach das Buch für den
Damit hörte aber die Bearbeitung praktischen Gebrauch auf der Kanzel
der kurzen und dürftigen martyro- und besehränkte den ganzen Kreis
logischen Aufzeichnungen auf,* da der Heiligengeschichte auf den Um-
man bereits eine sehr grosse Zahl fang eines Bandes,
ausführlicher Legenden besass, teils Ausser der Heiligenlegende hat
aus der Zeit der Merowinger, teils das Mittelalter auch einen reiehen
auch über jene alten Märtyrer, von Legendeneyklus entwickelt, der sieh
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Lcgcs barbarorum.
573
an Christof, an Maria und zum Teil J bürg 1471 ; sie pflegen in Summerteil
an die Apostel, namentlich an Petrus i und Winterfell getrennt zu sein,
ansehliesst; die Quellen derselben | Wattenhaeh, Gesehichtsqucllcn und
waren besonders die apokryphischen ; Waeleruaqel , Litteraturgescbiclite.
Evangelien, wie < las des Nikodemus Legcs barbarorum, Volksreehte,
und der Kindheit Jesu und apokry heissen die ältesten Rcehtsaufzeich-
phischc Darstellungen des Lebens nungen der germanischen Stämme
der Maria. Diese Legenden sowohl nach der Völkerwanderung. Vor
als die eigentlichen Heiligcnlegcnden der Völkerwanderung hatten die
sind seit dein 12. Jahrhundert von I Germanen keiner geschriebenen Ge-
deutschen Dichtern geistlichen oder . setze bedurft; «'ist als sie sich nach
höfischen Standes vielfach bearbeitet den Kämpfen mit den Kömern teil-
worden, so der heilige Anno, Erz- weise auf römischem Hoden nieder*
bisehof von Köln, gestorben 1075, gelassen und neue Stallten gebildet
Aegidius. Creseentia, Johanne« der hatten, in welchen Deutsche und
laufer. Margareta^ Servatius, JJau- Körner nebeneinander lebten und
tu*. Yeroniea, Pilatus, die heilige die Verhältnisse verwickelter gewor-
litisalrfh, Uregorins auf dem Steine den waren, trat das Bedürfnis ein,
von Hartmann von Aue, der arme neben der Feststellung des von
Heinrieh von ebendemselben, liar- früher her bestehenden Rcehtes zu-
Ittam und Josaphat, ursprünglich das «deich die neuen Verhältnisse reckt«
Leben Buddhas, aber schon im lieh zu fixieren. Die Volksrechte
christlichen Orient zur Legende um- sind darum nicht bloss Aufzeich-
gebildet, Silrester und viele andere. I nungen des Gewohnheitsrechtes, son-
Schliesslieh bearbeitete ein mibe- 1 dem zum Teil Ergebnisse der Ver-
kannter Dichter des 13. Jahrhunderts [ einbarung des gesamten Volkes über
in seinem J'assional den Gesamtstofi'l dasjenige, was es als Recht befolgen
in drei Büchern, deren erstes dem | wollte, oder der Gesetzgebung des
lieben Jesu und Märiens, das zweite Königs. Die besondere Entstehung
den Aposteln und Evangelisten, das dieser Keehtsaufzeichnungen und der
dritte nach der Ordnung des Kirchen- späteren ist meist in tiefes Dunkel
jahresden anderen Heiligen gewidmet i gehüllt; doch enthalten manchmal
ist. Das Gedicht umfasst mehr als I die Prologe oder Epiloge mehr oder
1 00 ü(K) Zeilen. Derselbe ungenannte minder beglaubigte Nachrichten über
1 'rediger beschrieb auch in einem den Ursprung des Gesetzes. Das
andern Werke, der reter huoeh. das wichtigste Motiv für dio Aufzeichnung
Leben der sogenannten Altväter des Rechtes scheint die Berührung
oder ersteu Mönche. Die letzten mit den Römern abgegeben zu haben,
Jahrhunderte des Mittelalters bear- deren Recht mit demjenigen der
beiten Legenden mit Vorliebe in ' eingewanderten Deutschen gegen-
deutscher Prosa, sowohl einzeln als seitig zu vereinbaren war; man er-
in ganzen Sammlungen. Das letztere kennt das daraus, dass die ersten
that u. a. Hermann von Fritzlar im leges solchen Stämmen angehören,
14. Jahrhundert und zwar wieder welche am frühesten auf römischem
durch alle Monate hin nach der Boden einwanderten. Eine fernere
Folg«' der Namenstage in : daz huoeh Veranlassung zu Reehtsaufzoieh-
ron der heiligen fehine; andere spä- nungen trat dann ein, wenn mehrere
tere Sammlungen, die den Namen bisher voneinander unabhängige
l'assionale aller Heiligen oder der Gemeinden oder Staaten durch Er-
J fei/igen hhen tragen, sind im 1f». oberung miteinander vereinigt wur-
Jahrhundert durch frühen Druck den, wobei dann eine Vereinbarung
vervielfältigt worden, zuerst Augs- über gewisse Rechtsverhältnisse,
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:>74
Lcgcs barbarorum.
namentlich über das Wcrgcld und I Familienrccht überhaupt, dieLeistuiig
die Hussen, zum Bedürfnis wurde, des Sehadenersatzes und die Ver-
diejenigen Volksstämme, welche folgung des Eigentums an beweg; -
ilnv einmal eingenommenen Wohn- I lieben Sachen. Rechtssätzc, welche
sitze nicht mehr verliesscn, trat erst in der Überzeugung und der Kunde
mit der Unterwerfung unter das
fränkische Reich ein Bedürfnis der
Kechtsaufzeiehnnng ein; derart sind
im 6. und 7. .Jahrhundert die lege*
der Hävern und Alemannen ent-
standen. Karl der Grosse endlich
Hess die Hechte aller derjenigen
Vnlksstämmc verzeichnen, welche
bisher nur nach ihren Gewohnheiten
und den ungeschriebenen Verein-
barungen über das Hecht gelebt
hatten: die Hechte der Friesen,
Sachsen und Thüringer. Auch der
ubertritt zum Christentum war ein
Anlass, die Rechte der Kirche und
der Geistlichkeit festzusetzen und
die mit der heidnischen Religion zu-
sammenhängenden Gebräuche christ-
lich umzuändern. Nur das salische
Hecht ist noch vor der Einführung setz, Recht, oder »actus, pactum =
des Christentums abgefasst worden. ; Vertrag. Eiltet us heissen die lange«
aller lebten und täglich geübt wurden,
überging man bei der Aufzeichnung;.
Vielfach sind einzelne Bestimmungen
und ganze Abschnitte aus vi arm
Recht in das andere hinübergenom-
men worden. Die Darstellung ist
bald breiter, bald knapper; manche
Volksrechte haben mehrere Über-
arbeitungen erfahren.
Mit Ausnahme der angelsächsi-
schen Gesetze sind alle Volksrechte
in lateinischer Sprache geschrieben;
doch findet man zerstreut viele
deutsche Worte, zum Teil deutsche
Redensarten. Erst im '.). Jahrhundert
sind einzelne Hechtsquellen deutsch
übersetzt worden.
Der Name der Volksrechte lautet
in den Quellen selbst ahd. i'wa = Ge-
Überall scheinen es einige ausge-
wählte, mit der Anwendung des
Hechtes vertraute Männergewesen zu
sein, denen man «las Geschäft der Auf-
bardischen Königsgesetze, auch der
Name leffeg kommt vor.
Die einzelnen Volksrechtc sind:
1. Lex Salica, im nördlichen
Zeichnung übertrug; wo aber durch Frankreich heimisch, wurde noch in
die Aufzeichnung ein neuer Grund-
satz aufgestellt werden sollte, war
es der Konig, der auf der Reichs-
versanunlung mit den weltlichen
und geistlichen Grossen und unter
Zuziehung des Volks das neue Hecht
verkündete.
Der Inhalt der Volksrechtc ist
mannigfaltig und ihr Umfang un-
gleich. Immer nehmen die Husssätze
für die verschiedenen Rechtsver-
heidnischer Zeit nach einem Be-
schlüsse der Häupter des Volkes
von vier dazu erwählten Männern,
welche au drei Malbergen zusammen-
kamen, niedergeschrieben, später
aber von Chlodewich und einigen
Nachfolgern überarbeitet. Das Ge-
setz war noch zu Karls des Grossen
Zeit in Gebrauch. Einige Hand-
schriften enthalten häufig mitten im
Text unter der Hezeiclmung Mal-
letzungen und die Wergeldbestim- 1 berg oder Malb. altdeutsche Glossen,
mungen für die Stände die wichtigst«
Stelle ein. 1 »aneben erscheinen Be-
stimmungen über Verfassung und
Kirche, Uber die Stellung der Römer
zu den Deutscheu, dann findet man
Verbältnisse des Grundbesitzes und
die Formen seiner Übertragung
berücksichtigt, das Erbrecht, das
gewöhnlich Malherifischc (ilossen
genannt, die, von den Abschreibern
trübe nicht mehr verstanden, bis zur
Unkenntlichkeit entstellt und all-
mählich ganz weggelassen wurden.
Ihr Name Malberg stammt von
mal — Gerichtsvcrsammlung , und
berg, d. i. der Platz, an welchem
Güterrecht der Ehegatten und das dieselbe abgehalten wird; sie wurden
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Legcs barbarorum.
575
r aus dem Keltischen erklärt, ; Burgunder beatimmten lex ein be-
aber von Jacob Grimm als der < sou< Irres Gesetzbuch, die lex ltomuna
früher
sind
deutschen Sprache ungehörig erkannt
worden. Vgl. darüber Solan, Bei-
lage II zur Fränkischen Reichs-
und Gerichtsverfassung.
2. Lex Ii ipuariorutR, das Kocht
des zweitt-n fränkischen Huuptstam-
BurguttdioMum vertagst worden.
6. Julictu rrtfum Lantfobardo-
nim. Dieses Gesetzbuch ' besteht
ursprünglich aus den von König
Roihit ti, 030 bis 052, gesammelten
und bloss für die deutsehen Unter-
mes, der ribuarischen Franken, aus t hauen gültigen Bestimmungen des
dein 0. Jahrhundert, galt in den ost- langobardischen Gewohnheitsrechtes
und rhcitifiäukischcn Gegenden und mit den als notwendig erkannten
war zugleich das Recht des friinki- Ergänzungen. Seinein inneren Ge-
sehen Königshauses. halt nach ist es die vollkommenste
3. Lex Wmgoforum, besteht Schöpfung deutsehcr Gesetzgebung
weniger ans dem bisherigen Ge- in dieser Periode und zeichnet sich
wohnheitsrecht der Westgoten, son- nicht bloss durch den Umfang, durch
dem aus Konstitutionen, welche die Klarheit und Bestimmtheit in der
westgotischen Könige mit ihren Fassung, sondern ebensosehr durch
geistlichen und weltlichen Grossen
auf den Reichstagen berieten, wobei
überall auf das römische Recht Rück-
sicht genommen ist. Durch die un-
erträgliche rhetorische Breite und
den gezierten Wortreich tum wird
dieses Rechtsbuch bisweilen dunkel.
den humanen und aufgeklärten Geist
aus.
der
es durchzieht In der
folgenden Zeit kamen zu diesem
Julie/ um Rutha ri* die Gesetze der
späteren Könige hinzu. Auch nach
Beseitigung der langobardischen
Könige erhielt dieses Recht seine
Ks hat sich aber sehr lange erhalten, Gültigkeit und wurde nicht bloss
und ist noch im 13. Jahrhundert in von der späteren Doktrin wissen-
das Castiliauischc übersetzt worden, schaftlich bearbeitet, sondern auch
4. Julie/ um Theoilurici, ein kur- durch besondere Kapitularien der
zes und dürftiges, von Theodorich, fränkischen Köuige ergänzt und fort-
dem König der Ostgoten, um 500
ganz und gar dem römischen liecht
entnommenes Gesetzbuch, welches
wahrscheinlich von einem Römer
im Auftrage des Königs entworfen
wurde und welchem Barbaren und
Römer gleich mässig unterworfen
sein sollten. Es hatte nur kurze
Dauer.
Lex Bttrqundionum . um 500
5.
gebildet
7. LcxAlamaiinoi-ttm. Der älteste
Bestandteil dieses Volksrechtes wurde
unter dem Namen l'aelu* um 550
aufgeschrieben; dieser wurde wieder-
holt und mit bisher ungeschriebenem
Gewohnheitsrecht sowohl als mit
neuer Legislation erweitert durch
Chlotar II. um 020, der besonders
die staatlichen und kirchlichen Ver-
durch König Gundobald gegeben, hältnisse Alemanniens im Auge hatte,
ist weniger aus einer Aufzeichnung Eine Revision dieses Gesetzes nahm
des Gewohnheitsrechtes hervorge- im 8. Jahrhundort Herzog Lantfrid
gangen, als aus der Abfassung ein- mitGenehmigung der Grossen seines
zelner Gesetze, welche der König Herzogtums und des gesamten Volkes
unter Genehmigung und Beirat der vor. Endlich brachte Karl der
Grossen des Reiches und mit Be- Grosse oder Ludwig der Fromme
rücksichtigung des römischen Rechtes dieses Volksrecht in verbesserte Ab-
erliess. Dieses Recht war in Bur- Schriften.
gund noch im 0. Jahrhundert gültig. 8. Lex liajueariomm. Es ist dies
Für die burgundischen Börner war eine Kompilation aus teils bayeri-
als Ergänzung der für Römer und schein, teils fremdem, nämlich ale
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57G
Lehnswesen.
inanfiischem und weatgotischem
Hecht und enthält Bestandteile aus
verschiedenen Zeiten, welche nie
zu einem wirklieh einheitlichen Ge-
setzbuch verarbeitet worden sind.
Die Redaktion der verschiedenen
zum Teil viel alteren Bestandteile
zu einem Ganzen scheint um die
Mitte des 8. .Jahrhunderts stattge-
funden zu haben.
9. T*fx An Horum cf Werinorum,
hör <■*/ Thuringorum. Dieses kleinste
Volksrecht, für dessen Zeit der Ent-
stehung alle sicheren Anhaltspunkte
fehlen, scheint in der Zeit Karls des
Grossen entstanden zu sein. Als
Heimat des Gesetzbuchs nimmt man
Thüringen an, wo einst auch Angeln
und Weriner, die man später in
Holstein und Schleswig findet, sich
niedergelassen hatten. Andere wei-
sen das Gesetz den am Niederrhein
wohnenden Tltürintjem zu.
10. Lex Fruioiutw. Ks enthält
ausschliesslich Bussbestimmungen
für die einzelnen strafbaren Hand-
lungen, wobei es in detailliertester
Weise zu Werke geht, über Tötung,
Diebstahl, Beschädigung, Missheirat,
Brandstiftung, Kaub, Unzucht,
Meineid, Bann, Körperverletzungen
und Beleidigungen. Auch dieses
Gesetz ist wahrscheinlich unter Karl
dem (»rossen entstanden, als 802
auf «lein Reichstage zu Aachen die
Volksrechte aufgezeichnet und revi-
diert wurden. Auffallend sind die
deutlichen Spuren htidnischerRechtB-
gebräuche.
11. I.t.v Safonum, besteht aus
drei gegen Ende des 8. Jahrhunderts
aufgeschriebenen Bestandteilen,
welche von Karl dem Grossen auf
dein Reichstage zu Aachen 802 mit-
einander vereinigt wurden.
Die :ingcls;icli8i8chen Gesetze
übergehen wir als nicht zum frän-
kischen Reiche gehörig. i>fal>he. Ge-
schichte derdeutschen Jiechtsijucllen,
und \\ alfrr, Reehtsgesehiehte.
Lelms« ese ii. Bciiell/Jalwesen.
Die Entstehung der Benelizieu wird
von der reehtsgeschichtlichen For-
schung verschieden erklärt; dieeinen
lassen die Benefizien in Anlehnung
an das römische Recht dadurch ent-
stehen, dass namentlich die Kirche
freiwillig einen Teil ihres Grundbe-
sitzes gegen einen bestimmten Zins
oder Dienst oder bloss gegen einen
kleinen Scheinzins aus WohUkäi,
daher der Name beneßeium , zum
Niessbrauch an andere hergab, eine
Sitte, der dann der König ebenfalls
folgte; andere lassen das Benefizium
erst während der Kriege gegen die
Araber im achten Jahrhundert der-
gestalt entstehen, dass sich in dieser
Zeit für den fränkischen König die
Notwendigkeit zeigte, die übermäch-
tigen Grossen zu gewinnen, um
durch deren Beispiel, besonders im
1 leerdienst auf die anderen zu wir-
ken; da nun das Krongut durch
Schenkungen erschöpft war, so sah
man sich genötigt, das Eigentum
der Kirche in der Form einer
Anleihe anzugreifen, zu welcbem
Zwecke unter Karl Martells Söhnen
die Kirchengüter verzeichnet und ein
grosser Teil davon verteilt worden
seien. Sicher ist, dass zu Karls des
Grossen Zeit das Institut der Bene-
fizien schon mannigfaltig ausgebildet
war. Bei den kirchlichen Land-
Verleihungen zwar trennen sich die
eigentlichen Zinsbauern mit der Zeit
von den Inhabern von Benefizien.
welche zum Teil angesehene Männer
sind; immer noch werden einzelne
Kirchengüter durch Verfügung des
Königs so verliehen, als ob sie könig-
liche Benelizieu wären, neben welchen
Benefizien aber auch freiwillige Ver-
leihungen seitens der Kirche vor-
kommen; so vergeben auch welt-
liche Grundbesitzer und namentlich
der König selber ihre Güter zu Bene-
fizien , teils mit, teils ohne Zins.
Zum eigentlichen Lehnswesen aber
wird das Bencfizialweseii erst da-
durch, dass es mit der Vamllibd
(siehe diesen Art.) in Verbindung
tritt, was vollständig und nachhaltig
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Lelmswcsen.
577
erst im 10. und 11. Jahrhundert ge-
schehen ist. Die folgende Skizze
lehnt sich au II 'aitz, Deutsche Verf.-
Gesch. Bd. VI, Abschnitt 5.
Das 1> cuefizium ist eine solche
Land Verleihung, die eine nähere
Verbindung zwischen dem Verleiher
und Empfänger begründet, dem
letzteren besondere Verpflichtungen
auferlegt, und in dem Verhältnis
der Vasallität einen bestimmteren
Charakter annimmt. Das deutsche
Wort für Bencfizium ist Lehen, ahd.
lehan, mhd. lehen; seit dem elften
Jahrhundert sa^t man auch feodum
oder feudum ; dieses Wort ging aus
einem älteren mittellat. feum, eigent-
lich feu-um hervor, dessen Stamm,
das provenzalische feu, ital. ßo, alt-
franz, feit, latinisiert ßum= Lehen-
gut, Lehenzins, aus got. faihu = Ver-
mögen, Habe, ahd. fihn, feho, feo,
nhd. Vieh entstanden ist, s. Weiland.
An und für sieh erscheint jeder
fähig, Lehen zu empfangen; erst
später sind Bauern, Kaufleute, Geist-
liche und Frauen davon ausge-
schlossen worden; eine vasallitisclie
Huldigung fand dann aber nicht
statt. Oft sind solche niedere Bene-
fizien mit einem Dienst oder Ge-
schäft verbunden, die Belohnung
oder Besoldung für dasselbe, bei
Fischern, Weingärtnern, Hand-
werkern, Jägern, Förstern, Meiern
oder Schultheissen ; auch der Dienst
der Ministerialen (siehe diese) war
mit einem Bencfizium verbunden;
bei Geistlichen ist mit den einzelnen
geistlichen Stellen ein Gut ver-
bunden, das dem Inhaber Unterhalt
gewährt undsein Bencfizium heisst;
auch einzelne Kirchen und Kapellen
werden als Bencfizium übertragen,
wogegen der Empfänger die geist-
lichen Funktionen zu üben und die
Einkünfte zu ziehen hat. Verschie-
dene Kirchen verleihen einander
gegenseitig Benefizicn, wie ander-
seits Personen geistlichen Standes
vom Erzbischof bis zum Mönch Lehn
von Weltlichen empfangen. Um-
Ucallesicun der deutschen Altertümer.
gekehrt nehmen Weltliche vom
Kaiser an abwärts Kirchengut zu
Lehen. Das Recht der Verleihung
stand jedem offen, und dos empfangene
Lehn konnte an einen dritten weiter
gegeben werden. Gegenstand des
Lehens war alles Mögliche, was
Nutzen und Einkommen gewährte,
mit Ausnahme der fahrenden Habe ;
am meisten aber wurde Grundbesitz
Begeben, einzelne Güter und grössere
öfe, Häuser, Brauereien, Mühlen,
Weinberge, Widder, Fischereien,
Burgen und Schlösser, Städte, Pro-
vinzen, ja Reiche; sodann Kirchen,
Kapellen, Klöster, Hospitäler, Altäre,
der Zehnten; sodann wurde statt
der Gegenstande selber der Ertrag,
den sie boten, die Vorteile, die sie
gewährten, zu Lehen gegeben, z. B.
bei Münzen und Zöllen, Brücken-
und Fahrgeldern, Zinsen und Lei-
stungen, wobei oft abhängige Leute,
die an und für sich nicht unfrei
waren, Gegenstand der Verleihung
wurden. Auch eine bestimmte Geld-
summe, die der Belehnte dann jähr-
lich empfangen soll, kann Gegen-
stand der Belehnung werden. Ganz
besonders aber wurde das Amt mehr
und mehr als Lehn angesehen und
behandelt, sowohl in den niederen
Kreisen bei Gutsverwaltern und
Meiern, als namentlich bei den höhe-
reu Beamtungen der Vögte, Grafen,
Markgrafen und Herzoge ; eine Haupt-
sache war dabei stets die Gerichts-
barkeit. Auch die Verpflichtungen,
welche mit dem Lehen übernommen
werden, sind verschiedener Art ; ein
blosser Zins kommt mehr in den
niederen Kreisen vor; was für das
Bencfizium charakteristisch ist, ist
vielmehr der Dienst, der mehr und
mehr einen kriegerischen Charakter
angenommen hat und auf dem die
Bedeutung des Lehnwesens nament-
lich beruht. Ein Lehn, auf dem
eine solche Verpflichtung ruht, heisst
Kriajslchn gegenüber dem Zinslehn.
Man unterscheidet dabei den Heer-
dienst für das Reich, und die Kricgs-
37
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578
Lehnswesen.
hilfe, die dem llerra hei anderer
Gelegenheit geleistet wird. Den
Heerdienst für d;is Keieh leistete
der Fürst eben mit den Inhabern
seiner Benefi*ien, für den besonderen
Kriegsdienst pflegte eine besondere
Vereinbarung getroffen zu werden. ;
in der Stautisehen Zeit hatte bei
dein Römerzug, wenn das Heer auf
den Honealisehen Feldern lagerte,
jeder, tler Lehn besass, die erste
Nacht bei dein Heere eine Wache
zu leisten. Kin Lehn, das zur Ver-
teidigung von 1 Jürgen verpflichtete,
hiess fimalehen. Auch zum Hof-
tlit tixtv verpflichtet das Lehen; der
Ivchnträger hat die Pflicht, am Hofe
des Herrn zu erscheinen, bei Hof-
gerichten zu fungieren, an Verhand-
lungen teilzunehmen, den Herrn
au den Hof des Königs zu begleiten, |
dem Herrn bei feierlichen Gelegen-
heiten Schwert oder Schild zu tragen.
Mit dem Empfang des Lehens, wenn
dasselbe nicht Verwalter niederer
Ämter, Ministerialen und Stifts-
geistliche betraf, war regelmässig
die raxallititehe Itttlditjuna ver-
bunden, deren Anfange in ältere
Zeit zurückreichen; sie trat fiberall
da ein, wo der selbständige Freie
das (iut eines andern empfing und
damit die Verpflichtung zur kriege-
rischen Hilfe übernahm. Derjenige,
der die Huldigung leistet, heisst rastus,
später va*affux, deutsch man, lat.
homo oder r/Y, vorzugsweise aber
mi/fs. Das Hecht, welches dafür
galt, hiess jux militare, Krieger- oder
Kitterreeht, der Akt der Verbindung
hominiuni , homaaimn . manxchaf't,
hulde. Sie geschah in alter Weise
durch Handreichung , worauf der
JCid folgte, der zunächst auf feste
Treue ging; der Belehnte versprach
nach der üblichen Formel, so treu
und ergeben zu sein, wie es ein
Mann gegen seinen Herrn schuldig
ist; den Freunden des Herrn freund,
den Feinden feind; dem Herrn
und den Seinen ein frommer und
treuer Helfer zu sein. Der Eid
sollte gelten, solange der Vasall
dns Gut innehat; er soll dieses ver-
lieren, wenn er seine Verpflichtungen
nicht erfüllt. Wenn es sich um
eine feste Uurg handelt, soll diese
dem Herrn allezeit offen stehen. Der
Eid wird mit aufgerichteten Händen
oder auf Heliquieji geleistet. Später
wurde der ganze Vorgang noch
feierlicher gemacht. Die Bei« hnunq
selber oder die Investitur geschalt
in symbolischer Handlung dureb
Überreichung eines Gegenstandes,
der nach Art des Lelms verschieden
war, durch den Handschuh oder den
Stab, den geistlichen Fürsten seit
dem Wormser Konkordat durch das
Zepter, einzeln durch den Rinn.
bei den Laienfürsten durch die
Lanze mit der Fahne oder durch
die Fahne allein, wobei bei der Ver-
einigung mehrerer Fürstenlehen in
einer Hand auch mehrere Fahnen
gegeben wurden; abhängige König-
reiche wurden später mit «lein Schtcrrt
übertragen, in Italien kommt der
Adler vor.
Bei dem Wechsel des Herrn und
des Mannes war eine Erneuerung
sowohl der Huldigung als der Ver-
leihung erforderlich.
Schon früh zeigte sich im Hene-
fizialwesen die Neigung zur Aus-
bildung erblicher Verhältnisse, Lis
diese, dem Widerstreben namentlich
der Kirche zum Trotz, in höheren
und niederen Kreisen zur Kegel
wurden; auch Töchter succedierteu
oft in das Lehen. Der Vasall hatte
ein gewisses Hecht der Verfügung
über das ihm anvertraute Gut; aLer
veräussern oder vertauschen durfte
er es bloss mit Zustimmung des
Herrn. Lehen konnte auch wieder
bloss mit Zustimmung des Herrn in
Eigentum verwandelt werden. Will-
kürlich entziehen durfte der Herr
das Gut nicht; wo es geschah, so
musste er besondere Gründe halten,
namentlich Verletzung der Treue
und der Pflichten, offene Feindselig-
keit in That und Hat gegen deji
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Leich. — Lcichcnhestattung.
579
Herrn oder Nichtleistung des schul-
digen Dienstes; dadurch wurde die
Gnade verwirkt, und der Schuldige
ging des Lehens verlustig. Doch
war dazu ein Ausspruch der Ge-
nossen erforderlich, wie sich über-
haupt eine eigene Lehnsgerichtsbar-
keit ausbildete. War ein Lehn
durch den Tod des Inhabers ohne
berechtigte Krben oder andere Um-
stände ledig oder frei, d. h. an den
Herrn zunickgefallen, so konnte es
wieder verliehen oder in eigenem
Besitz Inhalten werden. Am meisten
Bedeutung hatten die Lehen für
die geistlichen Stiftungen; denn
nicht allein ihres Kriegsdienstes
halber brauchten sie I^ehensleute,
sondern ihre Besitzungen wurden
wiederholt von den Königen als Be-
lohnungfür geleisteteoder zu leistende
Dienste in -Anspruch genommen;
auch andere weltliche Grosse be-
mächtigten sich mit Genehmigung
des Königs oder mit blosser Gewalt,
der Klostergüter; auch Bischöfe er-
warben sich durch Verleihung von
Klostergütern kriegerische Mann-
schaft für ihren eigenen Dienst.
Durch die Vereinigungsoleher grosser
Lehen in der Hand einzelner welt-
licher Fürsten wurde eine wesent-
liche Veränderung in den Besitz-
und Machtverhältnissen der Grossen
herbeigeführt; es gab Lehen von
1000 und mehr Hufen, welche von
den grossen Stiftern für Leistung
des Hof- und Kriegsdienstes ver-
liehen wurden. Zuletzt waren fast
alle weltlichen Grossen und ebenso
die Ritter und Ministerialen an dieser
Verwendung des Kirchengutes be-
teiligt.
Leich bedeutet ursprünglich über-
haupt rhythmische Bewegung, Tanz,
Spiel; dann das feierliche Schreiten
zum Opfer und das < )pfer selbst, ferner
Wettstreit und Kampf, erhalten im
mhd. wettert eich , Wetterschlag. Vgl.
Heyne im Grimmschen Wörterbuche.
Jm engeren Sinn wird Leich schon
im Altdeutschen der Name für eine
Tanz- oder Gcsangweise, in welcher
die Melodie von Glied zu Glied oder
doch in einzelnen Teilen wechselte:
der Leich wurde stets von einer
Menge gesungen, wenigstens mit-
gesungen; tanifleiek ist ein Chor-
gesang, leiehod und hifeich ein Ver-
mählungsgesang , alles dieses im
Gegensatze zum Lied % das nur der
einzelne sang und in welchem die
Melodie dem Worte untergeordnet
war; erhalten sind aus dein *«*. Jahr-
hundert das Gebet zum heiligen
Petrus, eine Bearbeitung des 188.
Psalmes, Christus und nie Samari-
terin, das sogenannte Ludwigslied
und der Leich auf den heiligen
Gallus. Die höfische Dichtung be-
hielt den Unterschied zwischen Leich
und Lied bei, wobei sie die entere
Form vornehmlich zur Begleitung
des Tanzes, seltener für religiöse
Stoffe anwandte.
Leiehenbestnttiing. Die Be-
stattungsweise der alten Germanen
schildert Tacitus Germania 27 fol-
gendermassen: „Die Bestattung der
Toten geschieht ohne Gepränge;
der einzig!« Luxus, den das Her-
kommen erheischt, besteht darin,
dass zur Verbrennung der Leichen
hervorragender Männer bestimmte
Holzarten verwendet werden. Den
Scheiterhaufen ziert man nicht mit
darauf gehäuften Teppichen und
wohlriechendem Räucherwerk , nur
seine Watten, manchmal auch sein
Boss, werden dem Toten ins Feuer
mitgegeben; ein Kasenhügcl erhebt
sich über seinem Grabe. Die durch
viel Mühe und Arbeit erkaufte Pracht
von Denkmälern weiss der Germane
nicht zu schätzen; sie erscheint ihm
nicht als eine Ehre für den Toten,
sondern als ein Druck, derauf ihm
lastet. Wehklagen und Thränen
giebt er nicht lange Kaum, Schmerz
und Wehmut aber verlassen ihn
nur langsam, denn dem Weibe ziemt
die laute Trauer, dem Manne stilles
Gedenken." Ausser dem Verbren-
nen ist für die älteste Periode schon
ZV
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580
Leiehenbestatt u ng.
das Begraben bezeugt; Secanwoh
nendc übergaben ihre Toten auch
dem wässrigen Elemente, legten den
Leichnam in ein Schiff, zündeten
es an und stiesscn es ins offene
Meer, gemäss drin Glauben, dass
die Dahingeschiedenen über ein
trennendes Wasser zu schiffen hät-
ten, wie es überhaupt die Sorge für
das jenseitige Leben der Toten war,
das die Art der Leichenbestattung
veranlasste und bestimmte. Immer
wurden mit dem Toten noch andere
Dinge bestattet, oft symbolisch in
Stein oder Hornstein nachgebildet.
Dem Manne gab man seine Schuhe
mit, auch Geld, dem Reichen sein
Pferd; auch Dienerund Dienerinnen
vergrub und verbrannte man mit.
In ältester Zeit wurde die Gattin
mit verbrannt oder sonst über dem
Grab getötet. Nordische Quellen
sprechen von umständlichen Leichen-
feierlichkeiten. Das Grab wurde
umsehritten oder umritten und ein
Leichengesang angestimmt; an dem
grossen Leichemnahl , das 7 oder
30 Tage nach dem Begräbnis statt-
fand, trat der Sohn feierlicli das
Erbe an. Über dem unverbrannten
Leichname oder über der Aschen-
urne erbaute man oft eine geräumige
Grabkammer aus grossen Steinplat-
ten und IchUttete darüber einen
Erdhügel auf, mit Vorliebe auf weit-
hin sichtbaren Höhen oder an der
Küste auf Landzungen, bald ein-
sam, bald neben anderen Gräbern.
Karl Weinhofd hat in der Schrift:
])ie heidnische Totenbcsfaftunq in
Deutschland , Sitzungsbericht der
Wiener Akademie, 1859, mit grossem
Erfolge zusammengestellt, was bis
jetzt in und über der Erde an heid-
nischen Grabaltertümcrn zum Vor-
schein gekommen ist; wir geben
hier in Kürze einen Auszug aus
dieser Schrift, bemerken aber zum
voraus, dass es sich dabei nicht
speziell um die Gräber der heid-
nischen Germanen, sondern über-
haupt um die auf deutschem Boden
gefundenen Gräber handelt, die ohne
Zweifel auch anderen Völkern, wie
Römern, Kelten, Slaven angehören,
und femer dass bei der bis wenig-
stens ins 8. Jahrhundert fortdauern-
den Art der heidnischen Totenbe-
stattung es oft nicht ausgemittelt
werden kann, ob wir wirklich Hei-
dengräber oder Gräber von Christen
vor uns haben, deren Bestattuugs-
weise nach alter Art vor sich ge-
gangen ist Im allgemeinen muss
zwischen Steinbauten , Erdhügeln
und flachen Grabstätten unterschie-
den werden:
I. Steintjräber. Dieselben finden
sich in ganz Norddeutschland, den
Niederlanden, Dänemark, auf den
britischen Inseln, in Nord- und West-
Frankreich und auf der Pvrenäen-
Halbinsel und tragen in Deutsch-
land meist den Namen Hünengräber,
Hünenkeller, Hüneutritte, Hünen-
berge, Riesenbetten, Teufelsbetten,
Teufelsaltäre, Teufelskanzeln, Teu-
felsküchen, Steinhäuser u. a. Wein-
hold unterscheidet Steinkitten ohne
iSt einkreise oder Hünengrälter im
engeren Sinne, Hünenhetten und
unterirdische Grabka mtnern. Das
eigentliche Hünengrab besteht aus
mehreren im Viereck oder rund ge-
stellten Tragsteinen, über denen ein
oder mehrere Deckstehie liegen; da*
Hünenbett ist ein Hünengrab auf
einer mit Steinen umstellten Er-
höhung, die entweder runde oder
längliche Form hat; Hünenbetten
kommen häufiger vor als die ein-
facheren Hünengräber; ihr Inhalt
aber ist völlig der gleiche: ver-
brannte und nichtverbrannte Toten-
reste, Waffen und Schinuckgcgen-
stände von Feuerstein, Granit, Ba-
salt, Sandstein, Knochen und Horn,
Bernstein, nie von Metall, sodann
irdene Gcfässe als Trank- und
Spcisegcschirre; derselbe Inhalt ist
in den unterirdischen Grabkammem,
Riesenstuben oder Totenkammern
gefunden worden. Man nimmt an,
dass diese Grabstätten einem Volke
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Leichenbestattung.
581
angehören, das vor den Germanen
Deutschland bewohnt hat.
II. Hiigclyrtihcr haben die Forin
von Erd- und Geröllaufschüttungcn
in Gestalt eines Kegels oder Kugel-
abschnittes von verschiedener Grösse ;
im Innern sind Uberreste verbrann-
ter und un verbrannter Leichen; die
Beigaben sind aus Stein oder Me-
tall verfertigt. Die Verbreitung die-
ser Gräber umfasst ganz Deutsch-
land, aber auch die meisten übrigen
Länder Europas und Asiens. Diese
Gräber führen den Namen hone,
II»i(</, in Österreich und Bayern
/.eher oder Lewer , ahd. hfetrari,
mhd. fetrer, von hfeo, /c=*Erdauf-
wurf oder natürlicher Hügel, dann
Bnck\ Bühel, Hühel, Kogel, Fraun-
oder Vronhnntel , Kopf und Kojtpe.
Knoppe. In den Grabhügeln mit
un verbrannten Leichen findet man
sehr verschiedene Lciehenlagen : ent-
weder liegt der Leichnam über der
Erde, oder es ist bei der Auffüllung
des Hügels ein Grab in die Erde
gegraben worden; die Leiche ist
ferner entweder in die blosse Erde
gelegt oder unregelmässig mit Stei-
nen umlegt, oder sie liegt in einem
Steinkegel, in einer unbedeckten
oder in einer geschlossenen Stein-
kiste, oder in einem gemauerten Be-
hältnisse oder endlich in einem Holz-
sarge; meist sind als Beigaben
Waffen, Sehmuckgegenstände und
Thongesellirre beigegeben. Die
Grabhügel mit verbrannten Leichen
zeigen entweder frei niedergelegte
Leicheureste, oder eine Aschenkiste
oder Aschen- und Beinurnen; im
letzteren Falle sind die Urnen ent-
weder einfach in der Hügelerde bei-
gesetzt oder wie die vergrabenen
Leichen mit Steinen umstellt, oder in
eine förmliche Steinkammer in einen
gewölbten Hügel gesetzt. Vereinzelt
findet man statt der Erdhügel auch von
Steinen aufgeschüttete Hügel. Die
thönernen Aschenurncn wie die zahl-
reichen anderen Speise- und Trink-
gefässe sind meist roh gearbeitet.
III. Ganz ähnliehe Verhältnisse
in bezug auf den bloss vergrabenen
oder verbrannten Leichnam, auf die
Beisetzung der Urnen und auf die
übrigen Beilagen findet man in den
fachen Gräbern, deren Insassen den-
selben Völkern anzugehören schei-
nen wie diejenigen der Hügelgräber.
Zahlreiche Abbildungen der Gräber
sowohl als der Grabgefässc in den
der Weinholdsehen Abhandlung bei-
gelegten Tafeln.
Genauere Nachricht als aus der
altgermanischen Periode hat man
über die G rabsfätfen aus der wem-
wingitchen Zeil, vom 5. bis S. Jahr-
hundert, worüber hier nach F.imlen-
nehmt fs Handbuch der deutschen
Altertumskunde, Teil I, einiges mit-
geteilt wird; gegenüber dem Ge-
wicht, das man früher (auch Wein-
hold gehört hierher) auf die Gleich -
mässigkeit oder Verschiedenheit des
Grabbaues legte, betont dieser For-
seher als das ungleich gewicht-
vollcrc Zeugnis besonders den In-
halt der Gräber. Im allgemeinen
war in der merowingischen Zeit das
Begraben der Leichen weit häufiger
als das Verbrennen derselben, offen-
bar nicht bloss infolge des Ein
Masses des Christentums, sondern
mit Rücksicht auf die Sicherung der
Körper, Waffen und Geräte. Die
alten Volksrechte, die wie das sali-
sche Recht aus heidnischer Zeit
stammen, begründen ihre Strafan-
sätzc über Gräberverletzung bloss
auf vergrabene Leichname, zahl-
reiche Nachrichten von der Beerdi-
gung germanischer Fürsten, wie des
Alarich im Busento, Theodorichs
auf dem katalaunischcn Schlacht-
felde, des Langobardenkönigs Al-
buin zu Verona, sprechen einzig
vom Begraben; nur vereinzelt kann
das Verbrennen noch vorgekommen
sein, wie denn Karl der Grosse d<-n
Sachsen das Lciehenvcrbrennen ver-
bot". Im allgemeinen ist zu unter-
scheiden zwischen Grabhügeln und
Beisetzung der Toten in otler unter
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^82
Leiehenbestattnng.
einen hügel form igen Aufbau aus
Erde und Steinen, und zwischen ///
den Boden vertief/tu Gralfern mit
ursprünglich so geringer Aufschüt-
tung, dass jede Spur derselben
längst verschwinden musste.
Die Grabhügel von 4 — 14 Fuss
Höhe und einem unteren Durch-
messer v<m \A :u> Fuss sind Über-
lieferung alth ei« Inischeu Brauches
und kommen besonders zahlreich
bei den Angelsachsen, auf dem Fest-
binde nur bei den Alemannen und
vereinzelt bei den Bayern vor; sie
Huden sich sowohl in vereinzelten
Gruppen als auch in der Nachbar-
schaft «»der in unmittelbarer Ver-
bindung mit eigentlichen Friedhofs-
anlagen. An Zahl weitaus über-
wiegend erscheinen die Friedhöfe,
einfache, in mehr oder minder regel-
mässigen Reihen geordnete Erdgrä-
ber, meist in einer Tiefe von 3—8
Fuss, in der Richtung von Abend
gegen Morgen und mit 4—5 Fuss
breiten Zwischenräumen ; sie finden
sich am Mittelrheiu nahezu in der
Nähe aller Dörfer, die grössten aber
in Bavern und Alemannien; bei
Friedolfing an der Salzach rechnet
man M000 — 40(>0 Tote auf einem
Totenfeld.
Die Gräber waren mit einem eng-
getlochtenen und geschlossenen Zaun
ans dem heiligen Wcissdornstrauch
umgeben, der auch regelmässig zur
Verbrennung der Leiche benutzt
wurde. Auf dem (Jrabhüijcl am
offenen Wege stand wahrscheinlich
eine Heersäule oder Irmensäule;
auch eines Holzbaues geschieht Er-
wähnung, der nach Art der Tempel
auf dein (trabe errichtet wurde.
Für den Totenbehälter verwandte
man sowohl Stein als Holz. Die
Steingräber sind entweder tu Feinen
g< hatten, was man bei den Burgun-
dern, Frauken und Alemannen beob-
achtet hat, oder es sind Sarkophage
aus einem einzigen Stein, wobei man
die ursprünglich römischen Sarko-
phage von merowingischen unter-
scheiden muss; der römische Stein-
sarg ist in seiner älteren Form ein
regelmässiges oblonges Viereck mit
dachförmigem Deckel, in seiner
jüngeren, bis tief ins Mittelalter
verwendeten Form, an der Kopfseite
breiter als an der Fussseite, mit
Hachein oder nur wenig gewölbtem
Deckel; von diesen römischen unter-
scheiden sich die Steinsärge ein-
heimischer Arbeit durch eine beson-
dere Skulptur, welche, der Holz-
schnitzerei ähnlich, aus Stabwerk,
< üttern und Krcisornam enten zusam-
mengesetzt ist; seltener sind Sarko-
phage von Stein, die aus mehreren
Stücken zusammengefügt sind; in
Frankreich hat man aus inerowingi-
scher Zeit reich verzierte Särge aus
Gips gefunden.
Häufiger als monolithische Stein-
särge findet man solche, die au*
Steintafeln zusammengesetzt sind,
wobei man Platteng räber und Grab-
kammern aus Steinen verschiedener
Grösse oder Steinkam mern unter-
scheiden kann. Die Steine der
Flattengräber sind entweder Find-
linge oder rohe, aus Felsen gespal-
tene Tafeln; Spuren von Bearbei-
tung sind selten. Zur Bedeckung
sind Steinplatten auch bei den Stcin-
kammern verwendet worden, sei's
mit, sei's ohne Unterbau; daneben
kommen auch Stcinsetzungen ohne
Deckplatten vor.
Unter den aus Holz hergesteilten
Toteukammem findet mau zwar
schon früh Holzsärge mit Eisen-
beschlag, viel älter aber ist die Bei-
setzung in ausgehöhlten Baumstäm-
men , Totenbaumen ; sie erhielt sich
teilweise bis ins spate Mittelalter.
Diese einfachste und älteste Form
des Holzsarges besteht aus einem
in zwei Teile gespaltenen, trogartig
ausgehöhlten Stücke eines Baum-
stammes, welcher mit seiner Rinde
noch in den Boden versenkt und
zum Teil mit Steinen festgestützt
und bedeckt wurde. Bei den Bayern
war die einfachere Bestattung durch
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Leichcnliestattung.
583
Bedeckung des Körpers mit einem
Brette üblich ; am zaidreichsten aber
und bei allen germanischen Stämmen
vorherrschend war die Beisetzung der
Toten in freiem Boden, wie es die
meisten Friwlhöfe des mittleren
Kheinlandes aufweisen. Ob und in
wiefern ein Unterschied in der
Begräbnisweise der verschiedenen
Stände obgewaltet habe, ist bis jetzt
nicht nachgewiesen.
Zeichen christlicher Bestattungs-
weise ist die Richtung der Leich-
name von West nach Ost, so dass
das Antlitz dem Morgen zugewendet
ist. Im übrigen blieb die altheid-
nische Bestattungsweise noch lange
im Brauch, dazu gehört die Bei-
setzung mehrerer Schichten von
Toten übereinander, besonders aber \
die Beisetzung von Speise und Trank'.
das Mitbegralwn ron Tieren, die in
den Gräbern vorgefundenen Tier-
knoehen^ Seherben und Kohlen, welche
auf wiederholte Bereitung von Mahl-
zeiten und Opferungen hinweisen.
Von Tieren finden sich in mero-
wingischen Grabstätten ganze Ske-
lette oder bloss Schädel von Rind,
Pferd, Hirsch, Schaf, Schwein und
Hund. Die Pferdeskelette sind teil-
weise mit Sattelzeug versehen und
bezeichnen die Gräber vollständig
bewaffneter und reich ausgestatteter
Männer; in der Zeit der Karolinger
wurde statt ganzer Pferde bloss noch
etwa das Prerdezoug mit ins Grab
gelegt. Auch an Münzen römischen
und inerowingischen Gepriiges zum
Teil im Munde des Toten fehlt es
nicht. Die wichtigste Ausstattung
der Toten waren aber Waffen und
Schmuck.
Das Christentum verlegte die
Begräbnisstätten in die. Kirchen oder j
in deren unmittelbare Umgebung i
als in einen geweihten Boden; doch j
waren ausserhalb von den Kirchen
gesonderte Begräbnisse auf Privat-
eigentum noen lange in Gebrauch
und erst im 12. Jahrhundert gänz-
lich verboten. Aber auch das Be-
graben von Toten in den Kirchen
war anfangs von der Kirche selbst
verboten, da die Gotteshäuser ausser
den Ileiligenleibern und den Reli-
quien in den Altären keine sterb-
lichen Überreste unischliesscn soll-
ten; dennoch wurde für verdiente
Kirchen- und Klostervorsteher, wie
für weltliche Grosse die Kirche als
Begräbnisstätte benutzt, zumal oft
gerade zu diesem Zwecke eigene
Lurchen gestiftet wurden: am läng-
sten erhielten die Cisterzienser das
Verbot der Beerdigung innerhalb
ihrer Kirchen aufrecht. Könige,
Königinnen und Bischöfe wurden
regelmässig in Kirchen bestattet,
den Stiftern derselben gestand man
selbst ein Grab in der Mitte des
Chores zu; Bischöfe wurden in ihren
Kathedralen beigesetzt; Stifter von
Messaltären wurden häufig vor diesen
begraben ; auch der Kapitels; i 1 1 wurde
manchmal als Grabstätte verwendet.
Als Bedeckung des Grabes diente
ein liegender Leichenstein oder eine
aus Bronze gegossene Grabplatte,
mit Bildwerk verziert, welches an-
fangs in die Platte vertieft war;
Relief bilder erscheinen erst seit dem
13. Jahrhundert. Neben den liegen-
den kommen aber auch aufgemauerte,
mit einer Stein- oder Metallplatte
bedeckte, über den Fussboden er-
hobene Grabmäler oder Tumbrn vor,
deren ältere nur niedrig sind und
zuweilen wirklich den Leichnam um-
schliessen, wie das beim Grabmal
Ottos des Grossen im Dom zu Magde-
burg und demjenigen Rudolf s von
Schwaben im Dome zu Merseburg
der Fall ist. Seit dem 13. Jahrhundert
giebt es dann Tumben in Form
eines Altares; zuweilen stehen sie
nicht frei, sondern sie sind mit einer
Seite an die Wand gerückt und
nischenförmig überbaut. Auf Füssen
ruhende, kastenartige Stein- oder
Metallgrabmäler kommen in Deutsch-
land erst gegen Ende des Mittel-
alters vor. Seit dem 13. Jahrhun-
dert tragen alle Hochgräber ein
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584
Leichenbestattung.
Bild des Verstorbenen. Ofte, Hand-
buch der Archäologie, § 51.
Die bei einem mittelalterlichen
Begräbnisse adeliger Personen vor-
kommenden Ceremonien und Ge-
brauche sind teils in den Vorschrif-
ten der Kirche, teils in den 'Erfor-
dernissen des höfischen Standes der
I 'erstorbenen begründet; dazu treten
ohne Zweifel gewisse seit alter Zeit
hergebrachte Volksgebräuehc, wozu
namentlich auch der laute Schmerz
gehörte; man zerriss sich die Kleider,
raufte das Haar aus, rang die Hände,
schlug sieh die Brust, zerkratzte
sich mit den Nägeln das Gesicht.
Das würdigste Bild eines mittelalter-
lichen Lelehenbegftaffnisscs eines
Fürsten wird dasjenige Siegfried's
im Nibelungenliede sein. Vergl.
dazu Schultz, Höfisches Leben, Ab-
schnitt VII.
Manche volkstümliche Sitten beim
Leichenbegängnisse treten später
wieder in den Städten hervor; wo-
von hier noch einiges nach Kriech',
Deutsch. Bürgertum, II, Abschnitt VI
und VII mitgeteilt werden soll.
Die Leiche wurde nicht durch be-
sondere Leichenträger, sondern durch
Familienangehörige oder durch Stan-
des- und Berufsgenossen zu Grabe
getragen. Bei vornehmen Leuten
thaten dieses wohl auch Mönche
eines befreundeten Klosters. Bei
Armen und Verlassenen waren Beg-
harden verpflichtet, die Leiche- un-
entgeltlich anzukleiden und tragen
zu helfen; auch gab es dafür eigene
Stiftungen; namentlich aber sicher-
ten zahlreiche Bruderschaften ihren
Mitgliedern ein anständiges kirch-
liches Begräbnis. Bei den Zunft-
fenossen trugen die Meister den
jeichitam des verstorbenen Meisters,
sowie dessen Weib und Kinder, Ge-
sellen denjenigen eines Mitgesellen
zu Grabe. — Gekleidet wurde der
Tote entweder in das besondere
Totenhemd oder in seine gewöhnliche
Kleidung; in manchen Gegenden
nähte mau ihn in weisse oder
schwarze Leinwand ein; oft begrab
man den Toten in der Mönchskutt« .
weil die Barfüsser, Dominikas r und
Karmeliter die Meinung verbreitet
hatten, wer in ihrem Ordcnsklettl
sterbe oder sich in demselben be-
graben lasse, werde ihrer gutes
Werke teilhaftig und schon nack
kurzer Zeit aus dem Fegfeuer odo-ti
Häufig wurden bis ins 17. Jahr-]
hundert Leichen ohne Smy *d
einer Totenbare zu Grabe geoap*
und ins Grab gelegt, Fürsten niebi
ausgenommen. Iu Frankfurt nad
wahrscheinlich überall sonst j>rt
man im 1ö. Jahrhundert die
storbenen schon am nächsten
nach dem Tode zu beerdigen. N
alte Sitte war «las Nachtwachen
der Leiche, welches oft doreb
Seeisch western verrichtet
Die Ansagu ug des Leides und
Einladen zur Beerdigung
durch besonders bestellte und
zahlte Weiber, die Bittrrinnr*.**.
in der Regel Beginen waren.
Zahl derer, welche die Toteuhak
trugen, war verschieden; ein
wage* erscheint in Frankfurt
im Jahre 1511. Das den San?
deckende Tuch beisst Toten-
lache oder Leiehrntueh ; CS
schwarz und mit einem aufpenl
weissen Kreuze versehen. \V#
erdiffunjf selbst, mhd. IxrMui**
rüde, lichtete, später auch Uft
oder M/fcl, war stets eine
oder weniger feierliche und d®
aus kirchliche Handlung; daher fl
auch im Kriege stets darauf beda^
war, die gebliebenen Mithin
Schlachtfelde in die Stadt n
und daselbst ordentlich
zu lassen. Die Begräbnisse
daher als etwas scitr K<>-ts]«iefi
und zwar waren die Hati|>taii
die für den Pfarrer, für aie Wi
kerzen und für das Leicl
Gegen die beiden letzten Al
gehen die zahlreichen l>csehriirf
den Verordnungen, welche i
gegen den Becrdigungslu\us<
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Leichenbestattung.
585
wurden. Immer musste die Leiche,
auch wenn sie auf einem andern
Friedhofe als demjenigen der Pfarr-
kirche beerdigt wurde, zuerst in
diese Kirche getragen und daselbst
der übliche Gottesdienst abgehalten
werden. Auf dem Zuge in die Kirche
wurde mit einer oder mehreren
Glocken geläutet ein Brauch, der
aus dem 6. Jahrhundert stammen
soll; Zeugnis von dieser allgemein
verbreiteten Sitte giebt die Glocken-
inschrift vivo* roeo, mortuos plango,
ftüqura fraugo. Zu den Feierlich-
keiten gehörte sodann der Getang,
welcher ausserhalb der Kirche von
mitziehenden Stiftsschülern gesungen
wurde. In der Kirche wurden Ojfer-
spenden sowohl an den fungierenden
Geistlichen als für die Armen dar-
gebracht; die ersteren bestanden
vorzugsweise in Kerzen, aber auch
in Wein und Brot, heiehen predigten
scheinen vor der Information nur
vereinzelt vorgekommen zu sein.
Mitunter wurden bei Beerdigung
vornehmer Leute besondere Klage-
weiber verwendet, welche singend
über das Grab gingen.
Das Leiclie/igr folge, auf welches
man nächst den kirchlichen Hand-
lungen den meisten Wert legte, trug,
vor und nach der Leiche ziehend,
teils Kreuze, teils brennende Kerzen.
Die letzteren wurden in der Regel
von «lern Sterbehaus angeschafft und
unter die Lcichenbegleiter verteilt,
von diesen aber zu Ehren tles Ver-
storbenen dem beim Seelenamt fun-
gierenden Geistlichen geopfert. Sie
wurden früh ein Gegenstand des
Prunkes und öffentlicher Verord-
nungen. Nach der Beerdigung kehr-
ten die Liehlüte in das Sterbehaus
zurück, wo man ihnen den Dank
der Familie aussprach und sie be-
wirtete und beschenkte. Das Leichen-
mahl ist ebenfalls uralte Sitte, deren
schon Augustin gedenkt; auch hier
sah sich die Obrigkeit veranlasst,
mässigend einzugreifen. Die Be-
wirtung faud im Sterbehause und
auf den Trinkstuben statt; auch
pflegte* man denen , welche nicht
i anwesend sein konnten, Essen und
Trinken zu schicken.
Zu den beim Adel von früherer
Zeit her üblichen Leichengebräuchcn
gehörte das Führen eines Pferdes
; im Leichenzug und das Berittensein
I eines Teiles der Leidtragenden. Bei
den Begräbnissen von Schultheissen
und Schoflen war das Vortragen
von Helm und Schild oder von
Schwert und Schild gebräuchlich.
Wenig weiss man von der konven-
i tionellen Art der Traner um einen
Verstorbenen. In Augsburg trugen
, im Beginne des 16. Jahrhunderts
Männer zum Zeichen der Trauer
; sog. Nebelkappen, auch Gugelkap-
pen oder Kap]>enzipfel genannt,
schwarze? Kapuzen , welche nach
hinten mantclartig verlängert waren
und vomen das Gesicht ganz und
gar oder doch gröstenteils bedeckten,
ursprünglich jedoch aus blossen
schwarzen Bändern , welche den
Hals und Mund verhüllten, bestan
den haben sollen.
Kinzeiehnungen der Verslorhenen
waren im Mittelalter nicht gebräuch-
lich, ausser wo Schenkungen und
L<gate an kirchlichen Stiftungen
gemacht wurden. Sonst behalf' mau
sich, wenn Geburtsjahr, Taufe, Ver-
ehelichung oder Tod einer Person
nachgewiesen war, mit der Abhörung
von Zeugen; eigentliche Kirchen-
bücher entstanden erst seit der Re-
formation, als der Nachweis der
Konfession nötig wurde; daher auf
lange Zeit nicht der Tag der Ge-
burt, sondern der Taufe, sowie nicht
der Todes-, sondern der Begräbnis-
tag eingetragen wurde..
Das Seeleuwohl und das ehrende
Andenken an den Verstorbenen Hess
aber die religiösen Pflichten gegen
den Verstorbenen mit deren Tod
nicht endigen ; reiche Leute waren
bemüht, beide Zwecke auf ewige
Zeit verfolgen zu lassen; ärmere
t baten es in den ersten Wochen
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5S6
Lei». — Leoninische Verse.
nach der Beerdigung, sowie später
jedes Jalir am Allerseelenfeste und
am Todestage des Verstorbenen.
Für ganz arme Leute sorgten auch
in dieser Hinsicht besondere kirch-
liche Stiftungen; der Name für die
kirchliche Totenfeier ist Begängnis,
Die Hauptfeier für Verstorbene
fand in den ersten dreissig Tagen
nach der Beerdigung statt und be-
stand in Seelenmessen, welche ent-
weder an jedem Tage dieser Zeit
oder ausser dem Begrübniatage
selbst am sog. Sirftenten und am
sog. Dreissigtien* d. i. am Schlüsse
der ersten Woche und des ersten
Monats im Sterbejahr abgehalten
wurden. Nachher trat an die Stelle
dieser Tage die Jahnjezeit, Jahrzeit
oder das Anniversarium , d. i. die
jährliche Feier des Todestages. Die
Bruderschaften hatten ein allge-
meines Jahrgezeit-Fest. 1 >ie Kirchen
selbst feierten von sich aus das
namentliche Gedächtnis nur in be-
treu" derer, die sich durch Schen-
kungen um sie verdient gemacht
hatten; die notwendigen Verzeich-
nisse hierzu sind die Anniversarien-
Bücher, nach den Tagen des Jahres
geordnet, und die Totenhut her, auch
Totcuzettel, Totenbriefe, Memorien
genannt, welche bloss die Namen
der Stifter enthielten, um an dem
in jeder Woche für die Verstorbenen
gehaltenen Gottesdienste gelesen zu
werden. An solche Stiftungen waren
teils die Abhaltung von Messen und
Vigilien, teils die Austeilung von
Brot oder Geld oder förmliche
Armenspeisungen geknüpft, auch
Austeilung von Tuch oder Kleidern.
Weitere Ehrenbezeugungen für die
Verstorbenen bestanden in der zeit-
weisen Ausbreitung von Leintüchern
über «las Grab, in der Beleuchtung
desselben an gewissen Tagen; das
Begiessen des Gralies mit Wein
seheint dagegen seit dem 14. Jahr-
hundert aufgehört zu haben. Die
Hauptfeier war das in der Kirche
gehaltene eigentliche Begängnis,
wozu die eingeladenen Teilnehmer
in Prozession zur Kirche zogen. In
der Kirche stand, mit brennenden
Kerzen umgeben, ein Katafalk, eine
Bahre mit einem „Bellekin", d. i.
Baldachin oder bedeckter Sarg.
Den Schluss der Feier bildete ein
Festmahl. Vgl. noch ftochhofz, in
deutscher Glaube und Brauch. Herl.
1867. Bd. I, 131—213. — Kohl%
Alte und neue Zeit. Bremen 1871.
Abschn. 16.
I/els, mhd. der leite, häufiger
Ausdruck für den geistlichen Volks-
gesang im Mittelalter, stammt aus
dem Worte kyrieleison , daher er
auch zuweilen Jtirleise, lirleit heisst;
der deutsche Name ist ruof. Die
verbreiterten Leise sind de'r Oster-
leis: Christ ist erstanden, derPfingst-
leis: Sn biten trir den heitiffen
ijeist, und der Himmelfahrtsleis:
h'rist fuor f/ein himile, sämtlich durch
Lutherinden evangelischen Kirchen-
gesang aufgenommen.
Lendner, lat. tuniea hardiata,
juheus, jupa, foppa, tuniea audmr;
franz. und engl, jupon, ein seit 1350
über der Rüstung getragener, eng-
anschliessender , nieist ärmelloser
Lederrock. Siehe den Artikel J'anzt r.
Leotiinische Verse heissen die seit
«lern H. Jahrhundert aufkommenden
lateinischen Hexameter und Penta-
meter, deren erste Hälfte bis zur
Gäsur mit dem Verschlusse reimt
Der Name soll von dem Pariser
Mönch Leo oder Leonius stammen.
So ein Vers ist derStossseufzer vieler
Abschreiber mittelalterlicher Hand-
schriften:
Exptieit hoe tot um, infunde, da
mihi potum !
oder aus den Casus Saneti Galli
EkkeharH
F.ssc retim (Iraeeus, eum sim eis,
domnay Latinus.
Als Beispiel leoninischer Distichen sei
die Grabschrift des St. Galler Abtes
llimmu angeführt t l'adian, 1, 1»9):
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Lersen. — Leuchter.
587
Hic bene maturu transit pater Ute
ȟb aero,
Ad patriae reauiem, hic obit
Jlitnmo (Hein.
Hunc merilo nostri vigilanier
hatten/ memorari,
rtura locu dalli slant moui-
menta tui.
Lersen, Ledersen, lederne Bein-
kleider, im 14. Jahrhundert kurz
und weit, dann lang und eng, mit
dichtstehenden Hefteln geschlossen.
lietze, Lctzi, lat. aluca , hie«»
man den Umgang der äusseren
Ringmauer eines Lagers, einer Burg
oder befestigten Stadt. Der Aus-
druck ging auch auf die Ringmauer
selbst über. „Lezinen" sind auch
eigentliche Schanzwerke (besonders
bei Tal-Engen) wie sie die Schwei-
zer bei Morgarten, Näfcls u. a. 0.
errichteten.
Leuchter, lat. candelariay tu-
eerna, frz. cnandelier. Die Leuch-
ter der fränkischen Zeit sind eine
Nachbildung der römischen und
griechischen Vorbilder, die sie
zwar nicht erreichen. Sie sind zu-
meist aus Holz gedreht, roh urofi-
lierte Ständer, oben mit einer Dulle
zur Aufnahme des Uls oder derKcrze,
unten mit einem einfachen, vier-
eckigen Fuss. Daneben kommen
auch hohlgegossene Geräte aus Kot-
kupfer vor, so der Tassiloleuchter,
zwar wahrscheinlich dein 11. Jahr-
hundert entstammend, obgleich ihn
die Überlieferung auf Tassilo zu-
rückführt, der zu Karl des Grossen
Zeit als Gefangener im Stifte zu
Kremsmünster starb.
Bestimmte Formcu von sym-
bolischer Bedeutung erhielten die
Leuchter wohl erst zur Zeit der
Kreuzzüge, wo für den kirchlichen
Gebrauch die Lampen und Fackeln
von den Wachskerzen verdrängt wer-
den; der Leuchter wird also zum
Kerzenhalter und unterscheidet sich
in Stand-, Hand-, Wand- und
Hangeleuchter, neben welchen man
für privaten Gebrauch und verein-
zelte Zwecke die kleinen Öllampen
beibehielt. Alle wurden nun zumeist
aus Bronze oder Messing gegossen
und etwa auch vergoldet oder email-
liert. Die grossen Standleuchter
(auch bloss Kandelaber genannt,
welche Bezeichnung ursprünglich
allein dem Fusse zukam) sind ohne
Zweifel hervorgegangen aus der
marmornen Säule der altchristlichen
Basilika, sie trugen die geweihte
Osterkerze und erhielten durch-
schnittlich eine Höhe von fünf bis
neun Fuss. Sie standen zur Seite
des Altars und hatten entweder
die Gestalt einfacher Ständer für
ein Licht oder die. eines Gestelles
zur Aufnahme einer grösseren Zahl
von Kerzen. In Nachahmung des
Leuchten im Tempel zu Jerusalem
wurden viele siebenamüg erstellt
und in dieser Form auch Arbore*
genannt. Im Dome zu Erfurt z. B.
findet sich eine fast fünf Fuss hohe
Erzstatue mit starrausgebreiteten
Armen, langem, gleichmässig ge-
fälteltem Kleide, welche noch gegen-
wärtig den Zweck eines Lichter-
trägers erfüllt. Sie entstammt dein
11. oder dem Anfang des 12. Jahr-
hunderts. Die Ständer dienten auch
zur Aufstellung von Heiligenbildern,
lieliquienschreinen u. s. w. Die sie-
benarrnigen Leuchter haben meist
ein dreieckiges Fussgestell, das in
den mannigfaltigsten Formen durch-
brochen mit allerlei Zierat ge-
schmückt ist, mit Bändern, Ranken,
Menschen- und Tierfiguren. Auf
diesem Fussgestell ruht ein senk-
rechter, vielfach verzierter Schaft,
der oben eine Kerze trägt. Die
übrigen sechs ruhen auf seitwärts
aufsteigenden Armen, die — je zwei
und zwei gegenständig — in ver-
schiedener Hohe entspringen und
zwar nicht im Wechsel, sondern in
gleicher Richtung übereinander. Sie
endigen oft pyramidal, oft in glei-
cher Höhe.
Die Hand- oder Trageleuchter
588
Leuchter.
waren meist nur sechs bis zehn Zoll
hoch und geformt, so dass sie bequem
gestellt, angcfasst und getragen wer-
den konnten. Sic waren besonders
für die dienende Hand des Mesners
und des Akoluthcn bestimmt. Der
Fuss war ebenfalls dreiteilig, der
Schaft kurz, gedrungen, in der
Mitte mit einem Knauf, oben er-
weitert oder oft mit einer teller-
förmigen Ausladung versehen. In
deren Mitte stand zur Befestigung
der Kerze ein hoher, spitziger Stift.
Alle Teile waren mehr oder weniger
reich verziert oder auch vergoldet.
Im Chor des Domes zu Hildesheim
steht ein solcher, der laut seiner
Inschrift aus einer ganz besonderen
Metallmischung gefertigt worden.
Sic lautet: „Bischof Bernward Hess
diesen Leuchter durch seinen Lehr-
ling im ersten Aufblühen dieser
Kunst iceder von (lold noch von
Si/fter beschaffen, über dennoch wie
du siehst schmelzen." Die Masse ist
Gold, Silber und Eisen.
Die Kronleuchter oder Hange-
feuchter fcorona, coronula) treten im
elften and zwölften Jahrhundert
schon in köstlichen Exemplaren auf.
Erhalten sind unter anderen zwei
solche in der Domkirche zu Hildes-
heim und eines in der Münsterkirche
zu Aachen. Die ersteren führen
sich durch ihre Inschriften auf die
Bischöfe Azelin (gest. um 1054) und
Mezilo (gest.-wm 1079), das letzte
auf Friedrich I. zurück. Alle drei
kommen darüber überein, da*s sie
aus einein ziemlieh breiten, kreis-
förmigen , durchbrochenen Reifen
bestellen, an dem in bestimmten
Zwischenräumen kleine turmartige
Ausladungen mit Nischen zur Auf
Stellung von Figürchen und zwischen
diesen, am oberen Rande, Kerzen-
stacheln angebracht sind, und dass
sie von mehreren, miteinander ver-
bundenen Ketten gehalten werden.
Der schönste ist der bronzene
Leuchter zu Aachen. Dieser —
wie noch andere seiner Art das
himmlische Jerusalem darstellend
— wird aus acht Kreisbogen gebil-
det und zwar, wie dessen Inschrift
besagt, auf Grund der achteckigen
Gestalt des Münsters, nächstdem
aber aus sechzehn Türmchen, welche
sich teils an dtfen Scheitelpunkten,
teils an den Endpunkten der bei-
den Bogen befinden. Die Tünn-
chen sind verschiedcngcstaltig, acht
grössere, die anderen kleiner, letz-
tere rund, erstere in ihrem Grund-
riss abwechselnd in Gestalt eines
Quadrats oder Vierblattes mit halb-
kreisförmigen, ausbiegenden Seiten.
Die sämtlichen Türmchen siud so
angeordnet, dass von ihnen jene
viereckigen die Ecken eines Quad-
rates bilden, dessen Ecken jedes-
mal ein Segment mit drei anderen
Türmehen absehneidet, und das?
jene anderen vermöge ihrer halb-
kreisförmigen Ausladungen den acht
runden Türmen auf den Scheitel-
punkten gleichstehen. Alle enthal-
ten Nischen, in denen anfänglich
ohne Zweifel Heiligenfiguren aufge-
stellt waren. Die Bodenstüeke der
Türmchen sind auswärts mit gra-
vierten Zeichnungen auf vergolde-
tem Grunde geschmückt, dergestalt,
dass die acht grösseren und tue acht
kleineren Darstellungen inhaltlich
zusammenhängen. Sic behandeln
die Geschichte Christi und zeigen:
Die Verkündigung, die Geburt, die
Anbetung der Könige, die Kreuzi-
gung, die Frauen am Grabe, Him-
melfahrt, Ausmessung des heiligen
Geistes und Christus als Wcltcn-
richtcr. Daneben finden sich die
acht Seligsprechungen auf Spruch-
zetteln ebensovieler EngcL Die
Tafeln erscheinen rostartig durch-
brochen und mit Ranken und an-
derem Zierat reich ausgeschmückt.
Die Wandleuchter und die Trapc-
leuchter zum Vorlcnchten bei Pro-
zessionen kamen erst später (frühe-
stens im 15. Jahrhundert» in Ge-
brauch, zum Teil als künstliche
Schmied- und Sehlosserarbcit
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Liber vagatorum. — Lied.
589
Die Abbildungen von Öl- und
HohUampen reichen bis ins 9. Jahr-
hundert hinauf; sie zeigen nament-
lich die Form von Hörnern und
Delphinen, dann auch von Schalen
und Ampeln, wie sie die orientali-
schen Völker gebrauchten. Sie sind '
ans Bronze gefertigt und nach rö-
mischen Mustern mit einer oder
mehreren Tüllen versehen. Die sog.
ewigen Lampen vor Heiligenbildern
unci Reli<]uienschreinen sollen im
13. Jahrhundert in Gebrauch ge-
kommen sein. Die Lampen dienten
vorzüglich dem privaten Gebrauche,
während die Leuchter und somit
die Kerzen auf den Gebrauch in
den Kirchen beschränkt blieben;
wenn solche im 10. Jahrhundert
schon für den täglichen Gebrauch
erwähnt werden, so mag das höch-
stens auf die Häuser der Vornehmen
und der Geistlichkeit Bezug haben.
In der Folgezeit waren das Hand-
werk und die Kunst bemüht, für
alle diese Belcuchtungsgegenstände
neue Formen und Verzierungen
zu ersinnen; die Arten derselben
erhielten sich jedoch und vermehr-
ten sich nur noch etwa durch die
Laterne, die wieder fast ausschliess-
lich zu kirchlichen Zwecken diente.
Vom Beginne des 16. Jahrhunderts,
besonders aber im 17. Jahrhundert
fand bei diesen Beleuchtungsgeräten
neben dem dem Zeitgeschmack ent-
sprechenden Wechsel in bezug auf
ionn und Verzierungsweise auch
eine solche hinsichtlich des Stoffes
statt. Wenn auch metallene Geräte
und steinerne Staudlcuchter immer
noch vorherrschend blieben, so
schnitzte man solche auch aus Holz
und verzierte sie mit Gold. Da-
neben kommen auch Elfenbein-
schnitzereien vor und in der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts auch
Arbeiten in Glas, aus welchem Stoff
das ganze Gerat oder auch bloss
die Verzierungen zu grösseren
Stücken bereitet wurden. Hölzern
waren besonders die grossen Stand- ,
leuchter, elfenbeinern die (mehr-
armigen) Tischleuchtcr und Hänge-
kronen, gläsern die Lichtständer und
liandleuchter. Die Wand- und Wind-
lichter (Laternen) dagegen blieben
auch jetzt noch fast ausschliesslich
Gegenstände der Metallarbeit. Nach
Weiss. Kostümkunde.
Lioer vagatorum, siehe Gauner.
Libri feudorum heisst ein iu
der Lombardei entstandenes Reehts-
buch, das eine wissenschaftliche
Behandlung des Lehnrechtes zum
Ziele hat. Dieses Lehnrechtsbuch,
eine l'rivatarbeit, ist allmählich aus
verschiedenen Bestandteilen, dog-
matischen Schriften und Kaiserge-
setzen, einzelnen Kcchtsfällen u. dgl.
hervorgegangen , welche von den
Richtern an den Lehnshöfen zu
Cremona, Piacenza und Mailand ge-
sammelt und ausgearbeitet wurden.
Die Sprache ist die lateinische.
Dadurch, dass man diese Rcchts-
quelle schon früh mit dem Justi-
nianischen Gesetzbuch verband,
kam sie seit dem 15. Jahrhundert
auch bei den deutschen Gerichten
in Gebrauch.
Lichtschere. Derselben wird
zunächst im 13. Jahrhundert er-
wähnt; in häufigeren Gebrauch kam
sie wonl erst im 16. Jahrhundert.
Sie entbehrte zuerst des Schnuppen-
k;i Stehens und hatte häufig die Ge-
stalt eines Vogels, dessen Schnabcl-
hälftcn den Docht abschnitten.
Lied heisst ursprünglich im
Gegensatz zu Leicn eine unter
Harfenbeglcitung von einem Ein-
zelnen gesungen«1 Dichtung; da in der
ältesten Zeit alle Dichtung, soweit
sie nicht Chorgesang war, also na-
mentlich auch die epische Dichtung
gesungen, d. h. rhythmisch vorge
tragen und mit der Harfe begleitet
wurde, hatte sie stets auch die Form
des Liedes, ihre metrische Gestalt
mochte noch so einfach sein; daher
der Name des Hildebrandslicdes, der
Merseburger Zauberlieder, Helden-
lied überhaupt. Erst als allmählich
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Litcn.
chts Singen der epischen Stoffe auf-
hörte und an seine Statt das Lesen
derselben trat, bildete .sich langsam
das Lied zu einer musikalisch-lyri-
schen Dichtlingsart im Gegensatz
zur rein epischen Dichtung aus.
Noch Ottfried's Messiasdichtung be-
wegt sich in Liedern, die aber schon
in vierzeiligc zweireimige Strophen
zerfallen. Zur volleren Ausbildung
gelangte dieses Lied im engeren
Sinne in der höfischen Dichtung;
doch erscheint es da anfangs noch
sehr einfach, in einer einzigen Strophe,
meist von vier Zeilen bestehend ;
erst von den rhanmm der Franzosen
entlehnt«' man den dreiteiligen Sfro-
]> lim hau, der nun zur festen, selten
mehr verletzten Regel wurde. Statt
des einstrophischen Liedes kam das
vielstrophische in Gebrauch, wobei
wieder nach französischem Vorbilde,
das Kbenmass der Dreiteiligkeit in
der Strophenzahl wiederholend, die
Strophenzahl drei, fünf oder sieben
beliebt war. Die Dreiteiligkeit der
Strophe hat musikalischen Grund:
die Strophe ist der Text zu zwei
sich wiederholenden und einem
dritten selbständigen musikalischen
Satze; jene nannten die späteren
Meistersänger Stollen, diese den Ah-
(jcMiny ; die Strophe selber heisst
mhd. das lief, dessen Plural diu lief
später infolge der mehrstrophischen
J Jeder gebräuchlich wird; später
heisst sie auch (iesütz. In der Blüte-
zeit der höfischen Lyrik machte es
sich jeder Dichter zur Ehre, sowohl
im rlext, dem frort, als der Melodie,
irinr oder don . selbständig zu sein,
mhd. ein lief rinden; dasselbe be-
zeichnet frourcr, trouhadour und
frourire; die Aneignung fremder
Strophenformen und Melodien galt
für ein Unrecht; wer es that, hiess
dorne dit ji. Auch sich selber gegen-
über hielten die Dichter auf immer
wechselnde Neuheit und erfanden
meist für jedes Lied wie für jeden
Leich eine andere Form ; schliesslich
sah man sich freilich gezwungen,
um dem Gesetze der Eigenheit und
Neuheit zu genügen, zu geschmack-
losen Formen zu greifen.
An das Lied der höfischen Kunst
schliesscn sich der Zeit nach eines-
teils die strophischen Dichtungen
der Meistersänger, andererseits das
Volkslied; dort herrscht meist Kün-
stelei, die allmählich in sich selber
zusammenfällt, hier entwickelt sieh,
vielfach an alteFormen anschliessend,
nach Form und G ehalt ein ül>eraus
reiches Kunst- and Gemütsleben,
siehe Volkslied; noch immer ist hier
Ton und Wort enge und unauflös-
lich zusammen verbunden, ebenso
noch in den dem 17. Jahrhundert
angehörenden ( irsrflschafts/iedent.
Dagegen kommt gegen Ende des
16. und noch mehr im 17. Jahrhun-
dert namentlich seit. Opitz dasjenige
neuere Lied auf, welches bloss noch
zum Lesen bestimmt ist, und erst
dem 18. Jahrhundert war es auf-
behalten, diese poetische Kunstgat-
tung neuerdings in enge Berührung
mit dem Leben der Töne zu bringen.
Vgl. besonders dieLitteraturgeschich-
teu von II aek ernatjel und Kitbersfein.
Uten heissen im früheren Mittel-
alter diejenigen, welche von Person
frei, «loch keinen freien, soudern
bloss abgeleitetenGrundbesitz haben ;
sie besitzen deshalb auch nicht volle
politische Hechte und ebensowenig
das Recht der Eheschliessung zu
vollem Hechte mit der Tochter eines
Freien. Sie bildeten schon zu Taci-
tus' Zeit einen besonderen Stand,
der wahrscheinlich aus der Frei-
J lassung von Knechten herrührte und
sich durch neue Freilassungen noch
lange erneuerte. Man nannte sie
auch aldiones, später Halhfreie oder
i Jlöriffe. Ihr Wergeid war meist die
Hälfte des Wergeides für einen
Freien. Sie standen wie die Freien
unter Volksrecht, konnten eigenes
Vermögen haben, waren aber meist
wie die Unfreien auf Nebenhöfe ge-
setzt, von denen sie Abgaben und
Dienste entrichteten. Haid bildete
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Löffel. — Los.
501
sich bei ihnen ein festes Hofrecht
und Erblichkeit den Besitzes aus;
doch konnten sie vom Hofe rechte-
gültig nicht* veräussern. Auch mit
den Unfreien war ihnen die Ehe
nicht gestattet. Doch zogen sie mit
in den Krieg. Mit der Zeit ver-
mischte sich der rechtliche Unter-
Hilfe gesandt wird, mit der er sieh
vermählt, indem er die Bedingung
macht, dass sie nie nach seinem
Namen und seiner Herkunft frage.
Mit Heinrich dem Vogler verrichtet
er darauf gegen die Ungarn Wunder
der Tapferkeit. Als er heimkehrend
von Elsa trotz des Verbotes nach
schied zwischen diesen Halbfreien, Namen und Herkunft gefragt wird,
den Unfreien und den blossen Zins- verkündet er, dass er Pareivals Sohn
leuten, und die allen diesen Klassen sei, und scheidet von Elsa, die vor
gemeinsame Bedeutung des bätier- I Gram stirbt. Ein historischer
liehen Berufes, des Lebens auf dem
Lande, der Niehfiideligkeit, trat als
neues Bindemittel in den Vorder-
grund.
Löffel. Wahrend die ( Jabel als
Tischgerät erst im 1«>. Jahrhundert
zugelassen war, kommt der Löffel
als solches schon bei den Kömern
An-
hang führt die Kaisergeschichte bis
auf Heinrich II.
Loki heisst eine germanische
Gottheit, d<*ren Namen und Mythen
ausschliesslich in skandinavischen
Quellen überliefert sind. Sein Name
geht auf eine Wur/el von der Be-
deutung leuchten, wozu u. a. lat.
und dann bei den Völkern Mittel- j /itr-ix und ahd. liithnn, leuchten, ge-
europas durch das ganze Mittelalter j hört, und der Gott vertritt demnach
vor. Die Schale ist anfänglich etwas | das Element des Feuers. Von seinem
länglich, sodann kreisrund und wird Kult ist nichts bekannt. Ursprüng-
daun wieder länglich; der Stiel ist [ lieh eine wohlthätige Macht, wurde
zuerst stark gekrümmt, im 14. und i 'er später in mehr feindseliger Weise,
15. Jahrhundert stangenförmig und als böses Prinzip, den guten Mächten
erhält dann zu der Biegung die etwas widerstrebend aufgefasst und ihm
platte Form. Dem Stoffe nach gab
es silberne, goldene, elfenbeinerne
und krystallene Löffel für die Vor-
nehmen. Auch als kirchliches Gerät
ist der Löffel früh bekannt. Die
griechische Kirche benutzt ihn, um
eine wesentliche Rolle in der Gatter-
(liimiumuHf , siehe diesen Artikel,
zugeteilt. W'einhuld , Haunt's Zeit-
schrift VII, und Meier % Loki und
sein Mythenkreis, Basel 1M80.
Los, mhd. 16z, ahd. 16z und hJöz,
den Gläubigen den Wein auszutei- | gut. //A/m/x, mit der Bedeutung Los-
len, während sich seiner die römische zeichen und Losstäbchen und davon
seit dem 12. Jahrhundert nur noch abgeleitet, das durch Schicksals-
zum Mischen des Weines mit Wasser befragung Angefallene, ein zugeteil-
und zum Aufschöpfen der Hostien res Recht, vom ahd. Verb. Miozän,
bedient. \ mhd. fuztn - durch Loswerfen be-
Loliengrili. Nachdem schon stimmen, durch Los erlangen. Ta-
Wolfram von Eschenbach die Sage citus erzählt Germania 10, dass bei
vom Schwanritter am Ende seines den Germanen Vorzeichen und Weis-
Pareivals auf ParcivalsSohn, Lohen-
grin, übertragen hatte, übernahm ein
unbekannter Dichter um 1300 die
Ausführung dieser Idee zu einem
eigenen Epos Lohengriii. An den
\Y artburgkrieg anknüpfend, lässt er
darin VVoifram von Esencnbaeh selbst
sagung durch Lose in höchstem
Ansehen stehen. „Die Art des
Losens ist einfach. Man haut einen
Zweig von einem Fluchtbaum, zer-
schneidet ihn in Stäbchen, die man
durch gewisse Zeichen unterscheidet,
und streut sie nach blindem Zufall
erzählen, wie Loben gr in vom Gral über ein weisses Tuch. Darauf betet
der Gräfin Elsa von Brabant zur der Priester des Staates, wenn die
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502
Lother und Muller. — Lueidarius.
Befragung der Lose von Staatswesen. | astrologische Elemente verknüpfen,
der Hausvater, wenn sie in einer I Eigentliche /xßsbüeher fanden
Familienangelegenheit geschieht, zu
den Göttern und hebt zum Himmel
aufblickend nacheinander drei Stäb-
chen auf, deren Bedeutung er nach
den vorher eingekerbten Zeichen er-
klart. Ist ihr Ausspruch verneinend.
ho findet in dieser Sache am gleichen
Tage keine Befragung der Götter
mehr statt ; ist er bejanend, so wer-
den zur Bestätigung noch die Vor-
zeichen zu Hilfe gerufen." Die
christlieheGesetzgebuug beschränkte
den Gebrauch des weitverbreiteten
Loses auf solche Fälle, wo eine
rechtliche Ungcwissheit sonst nicht
füglich zu heben war. Innerhalb
aber dieses Gebietes blieb dem Losen
noch lange das Ansehen einer über-
menschlichen Bestimmung, eines
Gottesurteils. Als allmählich das
Los diese Bedeutung einbüsste und
nur die Vorstellung einer bloss zu-
fälligen Entscheidung zurückblieb,
fiel die Anwendung des Loses aus
dem Strafprozesse weg und behaup-
tete sich bloss in Civilf ragen als letzte
Aushilfe, sei es kraft allgemeiner I das germanische Losen Monat*
Rechtsregel oder kraft des Willens berichte der Berliner Akademie 1853
des Beteiligten, und zwar in der und Berlin 1854. Vgl. den Art. Runen.
doppelten Anwendung des Auslosen* Lother und Maller ist der Name
der Person oder des Verlöten* der eines ursprünglich französischen
Saelte ; beides war in vielen Fällen Romans der Karlssage, welcher von
in Gebrauch, doch sind die Erwäh- i einer Gräfin von Nassau-Sarbrück
nungen davon in den Rechtsqucllen aus der von ihrer Mutter, einer
selten. Neben dem Würfeln, dem Herzogin von Lothringen, italienisch
Ziehen beschriebener Zettel oder verfassten Bearbeitung ins Deutsche
ungleicher Halme kommt in Skan- j übersetzt wurde. Er erschien zuerst
Italien im 15. Jahrhundert ihren
Weg nach Frankreich und Deutseh-
land; sie enthielten zugleich Anwei-
sungen zum Kartenspiel, Würfel-
spiel und zum Auslegen von Trau-
men. Losbuehen heisst mancherorts
überhaupt soviel wie abergläubische
Handlungen vornehmen, um aus
g< -wissen Erfolgen derselben auf die
Zukunft zu scbliessen. 1 ad tan sagt
von den Pfarrern dermerowingischen
Zeit, sie hätten den Auftrag gehabt,
dem heidnischen Aberglauben zu
wehren, und natu lieh die selzamev
opfer für die loten , item das lassen
oder icalsen, das etlieh Frank en utul
Almenner anfang einer jeden Hand-
lung im brauen haftend, das man
bei unser n Zeilen noeh das lossbuuehen
oder buorhlossen heisst (Schriften II,
57). Loiiage heissen die zwölf Nächte
vom 24. Dezember bis 6. Januar,
weil jeder dieser Tage in seiner
Witterung die Witterung der zwölf
Monate des beginnenden Jahres
voraussagt. Siehe llomeuer über
dinavien bis tief ins Mittelalter und
bei den Friesen bis in die neuere
Zeit das uralte Losen mit Stäben
vor, auf welchen die Marken oder
Hauszeichen der Losenden einge-
schnitten waren.
in Strassburg 1514 und wurde als
Volksbuch oft wiederholt.
Lueidarius, Elucidarius oder
Aurea Gemma ist der Titel eines
jetzt noch gelaufigen Volksbuches,
das aus dem Mittelalter stammt und
Der Vcrbrcitungund Ausdehnung i in seiner ältesten erhaltenen Fassung
des Loses im Mittelalter wie in der' dem 12. Jahrhundert angehört; es
Neuzeit leistete ohne Zweifel der enthält in dialogischer Form zuerst
Umstand Vorschub, dass das Los eine Wcltbeschreibung und ver-
sowohl in der heiligen Schrift als knüpft in einem zweiten Teil eine
bei den antiken Schriftstellern oft Glaubenslehre damit; namentlich
erwähnt wurde und diese damit ist die Lehre vom Ende der Welt,
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Ludus. — Lyrik.
593
vom Antichrist und vom jüngsten Ge-
richt damit verbunden. Das Büch-
lein stammt ans einer lateinischen
Quelle und ist in zahlreiche Sprachen
übersetzt worden.
Ludus, siehe Drama.
Ludwigslied oder Ludwigsieich
heisst ein altdeutsches Gedicht auf
den Sieg König Ludwigs III. in der
Nonnannenschlacht bei Saucourt im
Jahre 881; das Lied ist sofort nach
dem Siege gedichtet, kleidet aber
die Gescliiehtserzählung in ein wun-
derbares Eingreifen Gottes. Der
Dichter ist jedenfalls ein Geistlicher,
und seine Darstellung, zwar von
einseitig kirchlicher Tendenz nicht
frei, doch lebhaft, verständlich und
sachlich. Schon Herder verleibte
das Gedicht seiner Sammlung von
Volksliedern ein; von neuen Aus-
gaben siehe besonders Müllenhojf
und Schere r, Denkmäler deutscher
Poesie und Prosa.
Lügenmärchen hat es in ver-
schiedener Form vom 13. Jahr-
hundert an gegeben, meist hervor-
gegangen aus der mutwilligen Freude
am Abenteuerlichen und am Un-
sinn. Sie erscheinen in der Form
von Sprüchen, Volksliedern, von
Meistersingersprüchen , von Fast-
nachtspielen, namentlich gehört da-
zu auch der Finkenritter (siehe
diesen). Vgl. Müller- Frau reuth, die
deutschen Lügendichtungen bis auf
Münchhausen. Halle 1881.
Luntenschloss. Die Entzündung
geschah bei (lern ältesten Feuerrohr
durch die Lunte, die anfänglich von
der Hand auf das Pulver der Pfanne
gedrückt wurde. Diese Manier eig-
nete sich jedoch höchstens für die
feststehenden Büchsen, während sie
bei der Handfeuerwaffe das Zielen
sehr erschwerte und gefährlich
machte oder ^ar verunmöglichte. j
So wurde für diese schon im Jahre
1878 das Lunten8chloss konstruiert, I
dessen Beschaffenheit Jahns (Ge-
schichte des Kriegswesens) folgen-
dermassen angiebt: „Ein durch eine
Niete beweglich befestigter, ge-
brochener Balken, die Stange, lag
mit seinem vorderen, abwärts von
der Platte gebogenen Ende in einer
Öse, die mittels eines vernieteten,
starken Stiftes mit dem aussen be-
findlichen Hahne in Verbindung
stand, während sein hinteres, eben-
falls gebrochenes Ende auf dem
unter ihm befindlichen Abzüge ruhte.
Ausserdem wirkte eine Feder je
nach ihrer Lage entweder auf die
untere Seite des vorderen oder auf
die obere Seite des hinteren Stangen -
balkens, um kein unwillkürliches
Bewegen der Stange und dadurch
des- Hahnes zuzulassen, sondern
letzteren vielmehr zu zwingen, stets
abwärts von der Pfanne stehen zu
bleiben. Drückte man nun den Ab-
zug zurück, so wirkte derselbe gegen
den auf ihm ruhenden hinteren
Stangenbalken, indem er ihn auf-
wärts und dadurch das in der Öse
spielende Stangenende und zwar
mit dieser abwärts drückte, sodass
der mit der Öse in Verbindung
stehende Hahn auf die Pfanne ge-
führt wurde. Vor der beabsichtigten
Entzündung des Pulvers (Zünd-
krautes) musste jedesmal erst der
Pfannendeckel weggeschoben wer-
den." Dieses Luntenschloss erhielt
sich an den verschiedenen Büchsen
bis in die zweite Hälfte des 17.
Jahrhunderts hinein, obschon es be-
greiflicherweise nicht sicher wirkte,
namentlich bei regnerischem Wetter ;
auch verriet der helle Schein der
brennenden Lunten und deren übler
Geruch dem Feinde die Stellung
der Truppen bei Nacht. An seine
Stelle trat sodann der „Schnapp-
hahn" und das „Radschloss".
Lyrik, siehe Höfische. Dichtung,
Volks! ied, MeUtcrsänger.
Beallexleou der deutschen Altertümer.
38
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594
Macarouische Poesie. — Mahlzeiten.
M.
Maearonisehe Poesie helfet die-
jenige Dichtung, die in der willkür-
kürlichen Mischung lateinischer und
landubUcher (italienischer, franzö-
sischer, deutscher) Sprache besteht,
wobei letztere den Flexionen der
lateinischen Sprache unterworfen
wird. Sie ist eine Erfindung der
italienischen Humanisten des 15. Jahr-
hunderts, »leren macaronischesHaupt-
werk das Opus Macaronicorum des
MerlinusCocaius,d.h.Teofilo Folengo
ist. Auf deutschem Boden findet
mau einzelne macarouische Vene
bei Munier, Hans Sachs, Fischart
zerstreut, denen später ganze Ge-
dichte folgen , namentlich die Floia
i hu ho <i«-ii A rt. h'lohfft dicht» . dann
das Corhitin ('armen de Hothrockix
otipu IH nurnt hin, auetore Jlenniniu
Sehet t min lircxtrcnburqenxi , 1600 u.
a.. was meist für mutwillige Studenten-
kreise berechnet war. (ienthe, Ge-
s< liichte der macar« mischen Poesie,
und O. Sehade, zur macaronisehen
Poesie, irn Weimar. Jahrb. Bd. II
und IV.
Madrigal heisst ein von der pro-
venealischen in die italienische Dich-
tung verpflanztes lyrisches Gedicht,
das, meist jambisch, seehs bis drei-
zehn Zeilen lang ist. Kaspar Ziegler,
1021—1690, schrieb ein Büchlein
„Von den Madrigalen, einer schönen
und zur Musik bequemsten Art
Verse'1, Leipzig. 1653; den Kompo-
nisten der Gesellschaftslieder (siehe
diesen Art.i war das „welsche Ma-
drigal" eine sehr beliebte Form.
Mnirdalenerlnneii, auch Maqda-
h iit nnnnnen, Schwestern von der Üuxse
der St. Magdalena , treixse Frauen
genannt, heisst ein um 1200 in
Deutschland gestifteter Orden, wel-
cher sich der Besserung gefallener
Mädchen widmete, später jedoch
auch unbescholtene Jungfrauen auf-
nahm. Kr verbreitete sich nament-
lich in Deutschland und Italien.
Mag-elone oder die schöne Magc-
lone, ist ein aus dem Französischen
durch Veit Marbach ins Deutsche
übersetztes und seitdem viel ge-
lesenes Volksbuch; es erschien zu-
erst 1536 zu Augsburg.
Magister, siehe l nirerxitnten.
Mairnificat heisst in der Kirchen-
sprache der Lobgesang der Maria
im Hause des Zacharias (Luk. 1,
46—55), der mit den Worten be-
ginnt: Magni/icat aninut mea.
Mahlzeiten. An dem, was der
Mensch an Speise und Nahrung zu
sich nimmt und wie er dieses thut,
liegt besonders in einfacheren Bil-
dungsperioden ein wesentlicher Teil
seiner natürlichen und seiner geistig
sittlichen Existenz; und zwar spiegelt
sich die Art seiner Lebensführung
nicht bloss in den gewöhnlichen
Tagesmahlzeiten, sondern nament-
lich auch in den Festgelagen ab.
Für die älteste Periode sind von
diesem Lebensgebiete nur ver-
einzelte Nachrichten erhalten. Taci-
tus sagt Germania 22: „Die
Speisen sind einfach; wildes Or»st,
frisches Wildbret oder geronuene
Milch; um ihren Hunger zu stillen,
braucht es weder eine feine Zube-
reitung noch ausgesuchte Gewürze."
D«»ch lässt sich diese Notiz nicht
unwesentlich aus anderen Quellen
ergänzen. Man ass das Fleisch des
Rindes und des Pferdes, und be-
reitete aus der Milch Butter und
Käse, welche letztere Sj>eise PI in ins
ein Hauptnahrungsmittel der Ger-
manen nennt. Vom Getreide war
namentlich der Hafer beliebt; aus
ihm gekochter Brei war durchs
ganze Mittelalter so sehr die ge-
wöhnliche Sncise des niederen Volkes,
dass das Wort Brei soviel wie
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Mahlzeiten.
595
Speise bedeutete. Daneben kannten
sie Gerste und Weizen. Und wenn
auch die römischen Schriftsteller des
Brotes als einer deutschen Speise
nirgends erwähnen, so bezeugt doch
das Alter der Worte Brod und
Laib, dass die Verwandlung des
Getreides in Kuchenform den Ger-
manen nicht unbekannt gewesen
sein kann. Von Getränken erwähnt
Tacitus Germ. 23: Bier und Wein;
daneben war der Met beliebt.
Die häuslichen Mahlzeiten der
Germanen werden einzig vom physi-
schen Bedürfnisse bestimmt worden
sein; festliche Mahlzeiten kamen
namentlich bei Opfern vor; für die
gesellige Unterhaltung der freien
Männer sorgte das Gelage, wovon
Tacitus Germ. 22 und 23 handelt.
Aus dem Beowulf und aus skandi-
navischen Sagen erfahren wir, wie
es bei einem solchen Gelage zuging.
Zu den Met- und Bierfesten lud der
Wirt entweder bloss seine Bankge-
nossen oder auch Freunde und I
Nachbarn ein; die Hausfrau oder)
Tochter reichte das Trinkhorn selbst
herum, wie es in Wallhalla die
Wallküren thun; ja, von vielen Gast-
mählern wird berichtet , dass über-
haupt die Frauen daran teilgenom- j
men und tüchtig getrunken hätten.
Aus deutschen Quellen ist für
das frühere Mittelalter wenig be-
richtet, was auf solche Gelage Bc- 1
zug hätte; vielmehr hat offenbar |
auch auf diesem Lebensgebiete rö- 1
inischer EinHuss bei den Franken
früh sich geltend gemacht und das
alte Gelage wesen beseitigt; Einhard
erzählt in seinem Leben Karls des
Grossen: „In Speise und Trank war
er massig, massiger jedoch noch im
Trank, denn die Trunkenheit ver-
abscheute er an jedem Menschen
aufs äusserste, geschweige denn an
sich und den Seinigen. Im Essen j
jedoch konnte er nicht so enthaltsam
sein, vielmehr klagte er häufig, dass
das Fasten seinem Körper schade.
Höchst selten gab er Gsistereicn und '
nur bei besonderen festlichen Ge-
legenheiten, dann jedoch in zahl-
reicher Gesellschaft. Auf seine ge-
wöhnliche Tafel Hess er nur vier
Gerichte auftragen ausser dem Bra-
ten, den ihm die Jäger am Brat-
spiess zu bringen pflegten und der
ihm lieber war als jede andere
Speise. Während der Tafel hörte
er gerne Musik oder einen Vorleser.
Er Hess sich die Geschichten und
Thaten der Alten vorlesen ; auch au
den Büchern des heiligen Augusti-
nus hatte er Freude, besonders an
denen, ,die vom Staate Gottes' be-
titelt sind. Im Genuss des Weins
und jeglichen Getränks war er so
mässig, dass er über Tisch selten
mehr als dreimal trank. Im Som-
mer nahm er nach dem Mittagessen
etwas Obst zu sich und trank ein-
mal, dann legte er Kleider und
Schuhe ab, wie er bei Nacht that,
und ruhte zwei bis drei Stunden."
Römischer Einfluss wird es auch
gewesen sein, der zahlreiche neue
Speisen und Getränke aufbrachte
für deren sichere Herbeischaffung
Karl d. Gr. besonders in seinem
Capitularium de villi» Anweisung
gab. Was man jetzt zur königlichen
Tafel bedurfte, erkennt man aus
den Vorschriften für die Aufseher
der königlichen Villen, wenn ihnen
befohlen wird, Baumgärten anzu-
legen, für Obst, Gemüse und Kräuter
Sorge zu tragen, desgleichen für die
Unterhaltung einer grösstmöglichen
Anzahl von Hühnern, Gänsen, Fa-
sanen, Rebhühnern, Pfauen, Turtel-
tauben, und wenn im besonderen
folgende Lebensmittel genannt wer-
den: Rettiche, Hirse, gemästete
Hühner und Gänse, Eier, Butter,
Käs, Honig, frisches und getrockne-
tes Fleisch, Würste, Schmalz, neben
dem gewöhnlichen Wein auch ge-
kochter Wein, wahrscheinlich Ciaret,
Brombeer- und Maulbeerwein, mora-
tum, mhd. moraz, ein aus Fischen
bereitetes Getränk, Bier, Met, Essig,
Senf. Auch die frühe Bedeutung
38*
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Mahlzeiten.
der Hofämter de« Srhrnkm. Trurk
jtf-wn. urtd der daran sich schliessen-
den de» Kwhf-nmtistrr», f)t#rf»>rk f-rs.
K'lfnrra u. a. sprechen deutlich für
die Bedeutung, welch«- dem N'ahrunirs-
uiittelwesen jetzt zukam. Vom könig-
licheiiHof«* verbreitete «ich derSj>eL-e-
undGctränkeaufwand.mit dem selbst-
verständlich die Kochkunst Hand in
Hand ging, an die kleinen Höfe der
Fün>t<'!i und Kdelhige, sodass dem
ausgebildeten höfischen Leben schon
eine recht ansehnliche Tafel zur
Verfügung stand. Ks seien hier nach
St fiitltz, J/ofische$ LebtUf Absehn. IV
folgende Speisen genannt Gänse-
braten, Tauben, Hühner, kajmn,
Pfauenbrateu mit Pfeffersauce,
Hirsch, Reh, Wildschwein, Hasen,
Kaniuchen; von wilden Vögeln:
Kraniche und Reiher, Schwäne,
Trappen, Rohrdommeln, wilde Gans,
wilöfe Knte. Fasan, Regenpfeifer,
'laucher, Rebhuhn und Hauben-
lerche. Die Fische ass man frisch
oder cingcsalzen; genannt werden
Hering, ein verbreiteter Handels-
artikel, Lachs, Lachsforelle, Aal,
Stör u. v. a. Sehr beliebt waren
J\t*fetrn, mhd. die ]>a*/eJr, bast&U,
hattet , aus mittcllat. pattdia, von
lat. pattare — Teig bereiten, pasta
aa Teig; es werden erwähnt Hühner-,
Reh-, Kaninchen-, Fasanen- und
Regenpfeifer-Pasteten. Von deirür-
zen kennt man ausser Salz den
Pfeffer, der im Mittelalter weit ver-
breiteter war als jetzt, daher auch die
reichen Kaufherren im 15. Jahrhun-
dert den Spottnamen Pfeffersacke
trugen; dann Kümmel, Muskatnüsse
und Muskatblüten , Gewürznelken,
Kardamon, Zimmct. Namen von
Saucen sind Salse, altfr. Sauce,
Pfeffer, Agraz. Brot lag bei jedem
Gedeck auf der Tafel, mhd. simefe,
§etntsle. Semmeln; andere Namen
sind Wittel und Wecken; es war
aus Weizenmehl gebacken. Als
Nachtisch wurden verschiedene
Kuchen aufgetragen, Honigkuchen,
Gewürztorte, gefüllte Torte, Krapfen,
rfanl-worien ; auch Käse gehört zum
Nachtisch. Das Dessert besteht aus
Obst oder Südfrüchten: Äpfel und
Birneu. Weintrauben, Quitten, Süsse.
Himbeeren, Pfirsiche, geröstete Ka-
stanien, Mandeln, Feigen, grosse
Rosinen i Kubeben i, Datteln, Ingwer,
Granatäpfel. Cber die Getränke
siehe die Art. Birr, Met und Wein.
Das älteste Kochbuch, aus dem 14.
Jahrhundert, hat Birt inner ver-
öffentlicht unter dem Titel: Ein Puch
von guter Speise, Stuttg. 1844.
Noch menr aber als die Speisen
und Getränke selber, ist eine be-
sondere TUrkzuck t für das höfische
Leben charakteristisch; auch ihre
Formen sind ohne Zweifel in Frank-
reich zuerst ausgebildet worden und
sollten dazu dienen, die zu dieser
Zeit gewiss noch rohe Natursitte
beim Mahle in die Formen edeln
Anstände» und würdiger Geselligkeit
zu bannen, wobei sowohl die Zube-
reitung und Zurichtung der Speise
als das Auftragen derselben, die
gute Sitte der Aufwartenden sowohl
als der Speisenden gleichinässig in
Betracht kam. Je reicher das Gast-
mahl und je vornehmer die Teil-
nehmer, desto mehr kamen die Re-
geln der höfischen Zucht zur Berück -
' sichtiguug, am meisten ohne Zweifel
bei den grossen königlichen Hof-
tafeln.
Die Tafel war mit meist weissen
Tischtüchern, Tischlaken, bedeckt
die mit Borten verziert waren; jeder
Gast erhielt eine Serviette, mhd.
twckelc, und ein Brot; zum Geräte
gehörten die Salzfässer, Schüsseln,
Becher, Messer und Löffel (die Gabel
fehlte noch) und Trinkgeiasse ; aus
der kleinen Schüssel oder dem Teller
speiste bald ein Gast allein, bald
zusammen mit einem Tischgenossen.
War die Tafel und Speise zum
Mahle bereit, so trat der Truchse-«,
mit abgelegtem Mantel, den Stab
in der Hand, zum Herrn des Hauses,
kniete vor ihm nieder und meldete,
dass die Mahlzeit bereit sei und das
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Maifeld. — Maifest.
597
Waschwassergereicht werden könne.
Der Herr lässt darauf, wenn es ihm
beliebt, Ruhe gebieten und befiehlt
dem Truchsess, das Signal zum
Häudewaschen zu geben. Durch
Horn, Trompete oder Zuruf wurden
die Gäste aufgefordert , ihren Platz
einzunehmen. Unter Leitung des
Kämmerers boten darauf Edelknaben
der Reihe nach knieend eine Schüssel
dar und gössen aus einem Gicss-
fasse Wasser über die Hände; die
Hände wurden an der twchele ab-
getrocknet, welche die Diener um
den Hals hängen hatten. Dann setzte
man sich zu Tische. Der Fürst
speiste an einem besonderen, auf
einer Estrade erhöhten Tisch allein
oder mit seiner Gemahlin, den an-
deren wies der Trnchsess ihrem
Range gemäss den Platz an. Um
die Rangunterschiede verschwinden
zu lassen, hatte Artus seine Gäste
an einen runden Tisch gesetzt. Nach
der älteren Sitte speisten Herren
und Damen gesondert, nur dass etwa
die Hausfrau den Gästen zur Ehre
sich aus Mahl setzte. Kinder wurden
nicht zugelassen. Zulassung der
Damen zum Mahle kam erst in der
sinkenden Ritterzeit auf. Das Auf-
tragen der Speisen leitete unter
Trommel und Posaunenschall wie-
derum derTruchsess, der samt seinen
Gehilfen als Abzeichen einen Stab
in der Hand trug; Edelknaben,
schön gekleidet, brachten die Speisen
aus der Küche. Grössere gebratene
Vögel wurden am Spiesse aufgetra-
fen, andere Gerichte auf kostbaren
latten; das Geflügel kam unzer-
schnitten, die übrigen Braten aber
zerlegt auf den Tiseh. Das Zer-
schneiden der letzteren besorgten
Edelknaben oder junge am Hofe
zur Erziehung lebende Mädchen ; sie
hatten dem Gaste knieend vorzu-
schneiden, die Bissen zuzureichen,
den Becher zu präsentieren. Andere
Knaben reichten den Wein herum,
wobei gewöhnlich mehrere Gäste
aus einem Becher tranken. Spiel-
leutc und Sänger fehlten bei der
Hoftafel nicht. Nach aufgehobener
Mahlzeit wusch man sich wiederum
die Hände, die Tischtücher wurden
abgenommen, der Tisch selber
hinausgetragen.
War die höfische Zucht darauf
bedacht, namentlich auch das Mahl
unter ihr Gesetz zu bringen, so be-
mühten sich, als iener echte (»eist
der Zucht schwand, mehrere Schrift-
steller, die Regelu der Tischzucht
aufzuschreiben; man hat solche Auf-
zeichnungen vom Tannhäuser und
eine „Wiener Tischzucht4', später
noch von Sebastian Brant im Narren-
schiff' und von Hans Sachs nach-
geahmt; doch sind das höchst äusser-
fiche Regeln, die weniger sagen,
was Zucht bei Tische sei, als welche
Unzucht man lassen solle, z. B. mit
blosser Hand ins Salzfass greifen,
des Nachbarn Löffel brauchen, das
Brotstück, mit dem man die Schüssel
austunkt, abbeissen und wieder
brauchen, direkt aus der Schüssel
schlürfen, sie mit dem Pinger aus-
wischen , sich auf den Tisch auf-
stützen, beim Essen schnaufen und
schmatzen, mit dem Messer in den
Zähnen stochern, während des Mahles
den Gürtel weitern. Schultz, Höfi-
sches Leben, Abschn. IV.
Im allgemeinen blieb die Art,
wie man in der höfischen Zeit das
Gastmahl einahm, die Norm für die
folgenden Jahrhunderte; im Kreise
des Adels mag sieh das äussere
Zeremoniell wenig verändert haben;
auch in den Städten, wo bald Gast-
mähler eine grosse Rolle spielten,
blieb wenigstens eine bestimmte
Tischzucht zu Recht bestehen. V^l.
Krieqk, Deutsches Bürgertum im
Mittelalter. Absehn. XVIII., Mahl-
zeiten und Speisen.
Maifeld, siehe Campus Martins.
Maifest, Malfahrt, Mairitt ist
das uralte, am 1. Mai, am Walpurgis-
tage, gefeierte deutsche Frühlings-
uud Sommerfest. Der Tag war dem
Donar geweiht und einer der heilig-
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598
Major*Domus. — Malerei.
sten Tage de» deutschen Heiden-
tums, Opfer- und Gerichtstag der
Mai Versammlung des Volkes, wovon
besonders auch die in die voran-
Smende Nacht verlegten Hexentanze
eweisc ablegen ; da zieht der Böse
mit den Hexen nach dem Blocks-
berg, wo sie einen Tanz aufführen,
der sich wahrscheinlich auf die Feier
der Vermählung Wodans mit Frigg
bezieht. Namentlich in Skandinavien
und in Norddeutschland wurde der
Maitag lange noch festlich gefeiert.
Zwei Reiterscharen , die eine vom
Winter angeführt, der in Pelz
gehüllt und mit Handspiessen be-
waffnet, Schneeballen und Eis-
schollen auswarf, die andere vom
Blumengrafen, der mit grünen Zwei-
gen, Laubwerk und kaum erst ge-
fundenen Blumen bekleidet war,
rückten von verschiedenen Seiten
in die Stadt und hielten ein Speer-
stechen, worin der Sommer den
Winter überwand und durch Aus-
spruch des umstehenden Volkes für
den Sieger erklärt wurde. So im
16. Jahrhundert; spater wird bloss
noch vom Einführen oder Einreiten
des Sommers durch feierlichen Um-
zug des Maigrafeu gesprochen, der
den Maienkranz einbringt. Es war
eine Maienfahrt \ welche Kaiser
Albrecht am 1. Mai 1308 von Baden
nach Brugg unternahm, und die
Kränze, welche er den Begleitern,
auch seinem Neffen aufsetzte, waren
Maikränze, und wenn die Königin
spiiter bei Hinrichtung der unschul-
digen Rurgmanuer zu Fahrwangen
gesagt haben soll: nun bade sie im
Maientau, so gehört auch dieser
Ausdruck zum Maifest; in Schwaben
z. B. heisst der Mairitt mancherorts
Maitauritt. An vielen Orten wurden
am Maitage Mail>aume im Walde
geholt und feierlich bekränzt und
aufgestellt; der Baum ist eine Birke,
Tanne oder Kiefer, oft auch heisst
bloss der grüne Zweig Maie.
Grimm, Mythologie 735; l hl and,
Schriften, III , 31; r. Reinsberg-
Düringsfeld, Das festliche Jahr.
Monat Mai.
Major Domus, siehe JTausmeier.
Malbergische Glosse, siehe lege«
barbarorum, 1. I*x Salica.
Malerei, a) Romanische und
gotische Zeit. Den eigentlichen Ur-
sprung der Malerei in den nörd-
lichen Ländern nachzuweisen, ist
deshalb schwierig, weil einesteils
die Werke der Malerei den ver-
derbliehen Einflüssen der Zeit einen
weit geringeren Widerstand ent-
gegensetzen, als z. B. diejenigen
der Architektur oder Skulptur, an-
dernteils aber, weil die Jahrnunderte
nach der Reformation in ein feind-
liches Verhältnis zu dem traten, was
die Vorzeit besonders iu der Malerei
Grosses hinterlassen hatte. Was
wir deshalb aus der frühen Zeit der
romanischen und gotischen Epoche
noch besitzen, beschränkt sich auf
äusserst weniges. Das meiste be-
steht in Miniaturen, jener Aus-
schmückung geschriebener Bücher
durch Bilder, Kandzcicluiungen und
Zierbuchstaben (s. den Artikel Minia-
turen). Indessen liegen dennoch
genug Beispiele vor, aus denen sieh
schlieasen lässt, dass die Malerei
besonders in Wandgemälden der
Kirchen sich zu grosser räumlicher
Wirkung entfalte tnattc, und dass eine
völlige Bemalung des Inneren der
Kirchen an Wänden, Gewölben und
Holzdeeken allgemeine Sitte war.
Der Zusammenhang mit der
Architektur verlieh dem Stil der
Malerei eine strenge Erhabenheit und
Würde. Die Regung des indivi-
duellen Lebens war zwar einge-
schränkt, aber dafür gewährten die
Gestalten, die sich in kräftigen Far-
bentönen von dem in derRcgei blau ge-
haltenen Hintergrund in energischen
Umrissen abgehoben, verbunden mit
einer einfachen architektonischen
Gliederung, welche dem Ganzen
klare Übersichtlichkeit, rhythmi-
schen Wechsel und reiches Leben
verlieb, den Eindruck von hoher
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Malerei.
509
Würde und Macht. Derart enthält
der Wormser Dom viele verblichene
Wandmalereien. In der Liebfrauen-
kirche zu Halberstadt, in der Stifts-
kirche zu Quedlinburg schimmern
noch die alten Malereien hervor,
und in manch' anderen Kirchen
hat die Übertünchung den alten
Sehmuck heiliger Wandmalereien
nicht ganz vertilgen können. Unter
denWerken des entwickelten 1 2..Jahr-
hunderts stehen die der Kirche in
Schwarzrheindorf an Ausdehnung
und künstlerischem Gehalte obenan.
I n der Schlussepoche des romanischen
Stiles scheint die Wandmalerei be-
sonders am Niederrhein, in West-
falen und Sachsen sich zu umfas-
senden Leistungen ausgebildet zu
haben, so im Kapitelsaal in Brau-
weiler, in der Nikolaikapelle zu
So« »st und der Kirche zu Methler,
vor allem aber in den bedeutenden
Gewölbemalereien im Chor und
Querschiff des Domes zu Braun-
schweig. Eines der wichtigsten
Werke dieser Zeit ist die Holzdecke
der Michaelskirchc zu Hildesheim,
die in überaus schöner Einteilung
und reichem ornamentalen Rahmen
den Stammbaum Christi enthält.
Bereits in der frühen Zeit des
13. Jahrhunderts entwickelt sich
neben dem romanischen Stile ein
anderer, welcher mit der Zeit all-
gemein vorherrschend wird. Das
Starre, Strenge, Ernste, die traditio
nell überlieferte Bildungsform ver-
schwindet und macht einer weiche-
ren Führung und einem eigen-
tümlichen Schwünge der Linien
Platz. Die Gestalten verlassen ihre
ruhige Stellung oder eckige schroffe
Bewegung und nehmen etwas Gra-
ziöses in Haltung und Geberdc an;
die Falten der Gewänder fliessen
weich, in langen Linien und Massen
herab, die Gesichter erhalten die
Andeutung eines lieblichen, häufig
sentimentalen Ausdruckes, der zu-
weilen zwar nicht ohne Manier,
insgemein jedoch auf eine schlichte,
naive Weise hervortritt. Es ist das
Erwachen des subjektiven Gefühls
des Künstlers, welches die darge-
stellten Personen unbewusst durch-
dringt. Hand in Hand mit der
Architektur zeigt sich aber auch
hier ein typisch wiederkehrendes
Gesetz der 1* ormbildung. Das Ge-
setz einer architektonischen Sym-
metrie herrscht über Naturwahrneit
vor. Grössere Darstellungen, welche
die allgemeinen Typen des gotisrhen
Stiles mit grösserer oder geringerer
Vollendung tragen, sind mannigfach
als Tafelbilder, Wandgemälde, als
Glasmalereien und gewirkte Tep-
piche erhalten. Unter den bekann-
ten gotischen Wandmalereien sind
die der Frühzeit angehörenden Ge-
mälde in der Apsis zu Brauweilcr,
besonders aber die Malereien an
den Gewölben und Wandungen der
ehemaligen Kapelle zu Ramersdorf
bei Bonn Fig. 85 (Kunsthist. Bilder-
bogen), im Dom zu Köln, in der
Thomaskirche zu Soest, der Kloster-
kirche zu Wienhausen, der Marien-
kirche zu Kolberg, im Dome zu
Marien werder, der Vituskirche zu
Mühlhausen a. N. und viele andere
als Beispiele anzuführen.
Indessen verdrängte der sich
rasch ausbreitende gotische Stil die
Malerei doch immer mehr und mehr.
Die grossen Wandflächen, welche
die romanische Baukunst geschaffen,
schrumpften zusammen und mach-
ten einem steinernen Gerinpc mit
eingespannter Feusterwanrt Platz.
Die Architektur drückte ihre Schwe-
sterkunst zu blosser Ornamentik
herab, und die nordischen Nationen
erkauften die Befriedigung, sich im
gotischen Stil mit ihrer ganzen Kraft
auszusprechen, auf Jahrhunderte mit
der völligen Einbusse der Fähigkeit,
in gro8sräumigen Schöpfungen ihre
höchsten Ideen mit den Mitteln der
Kunst darzustellen, die recht eigent-
lich zum Ausdruck derselben be-
stimmt schien.
Die Malerei wurde gezwungen.
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600 Malerei.
sich auf Schöpfungen der Kleinkunst im Gebrauche waren. Entsprechend
zu werfen. Besonders blüht des- der Technik, Auftrag der mit Ei-
halb auch in dieser Epoche die weiss angemachten Farben auf einem
Miniaturmalerei auf, daneben aber feinen Kreideüherzug, sind dieselben
zu^h-ieh die sogenannte Tafelmale- meistens zart, licht und durch häutig
re», deren Werke jene schließenden angewandte Vergoldung abgetönt.
Deckel von Altarschreinen l>edeck- 1 Die allgemeine Richtung der Zeit
ten, wie sie zu dieser Zeit allgemein mit ihrem sanften Gefühlsausdruck
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Malerei.
601
uud ihrem Spiritualismus wiegt in
diesen Werken zwar vor, indessen
treten doch innerhalb dieser Grund-
züge seit 1350 besondere Richtungen,
selbständig ausgeprägte Schulen
vor. Der einzelne ordnet sich zwar
wohl noch ein Jahrhundert lang
völlig den gleichen Prinzipien unter,
welche seine Genossen befolgen;
sein Schaffen geht auf in dem seiner
Genossen und hebt Bich höchstens
durch den höheren oder geringeren
Grad technischer Ausführung, nicht
aber dem Charakter nach, von der
Menge ab. Vor allem waren es die
drei Städte Köln, Prag und Nürn-
berg, welche zu Zentralpunkten für
Malerschulen der gotischen Zeit
wurden.
Besonders in Köln fand die
ideale Erhebung der mittelalter-
lichen Kirche ihren vollkommenen
Ausdruck.
Schute von Köln. Die schrift-
lichen Nachrichten über die einzel-
nen Künstler, denen die Werke
dieser Schule angehören , sind
äusserst dürftig. Man knüpft an
die bedeutendsten Gemälde die Na-
men zweier Meister, entsprechend
den beiden Hauptepochen, wie sie
im Verlauf in der Kölnerschule beob-
achtet werden können. Der erste von
diesen ist der Meister Wilhelm von
Herle, von dem die gleichzeitige Lim-
burger Chronik (1360) berichtet,
das« er der beste Maler in allen
deutschen Landen gewesen sei und
dass er jeglichen Menschen von aller
Gestalt gemalt habe, als hätte er
gelebt. Bei ihm herrscht reine
Kinderunschuld, Zartheit der Em-
pfindung und Holdseligkeit des Aus-
drucks in anmutigen schlanken Ge-
stalten und einem duftigen Schmelz
des Kolorits vor. Von dem be-
deutenden Einrluss, welchen dieser
Meister auf die Kunst seiner Zeit
ausübte, giebt eine namhafte An-
zahl Bilder seiner Schüler Zeugnis.
Einem unter denselben war es bc-
sehieden, den vorzüglichen I-eistun-
f'en seines Meisters noch Vorzüg-
icheres an die Seite zu stellen.
Dies ist der Meister des berühmten
Kölner Domhilde*, Fig. 86 Kunsth.
Bilderbogen) : Stephan l^ochner. Sei-
nen Namen hat uns Dürer in seinem
Reisehandbuch aufbewahrt. Er tritt
vorerst in die Fussstapfen seines
Meisters, ist erfüllt von derselben
Tiefe der Andacht und Unschuld,
bringt sie in denselben edlen Ge-
stalten zur Erscheinung, verleiht
ihnen aber durch kräftigere Model-
lierung, intensivere Färbung und
Anwendung schmuck voller Zeit-
tracht einen höheren Grad von
Wirklichkeit. Seine Richtung führt
die streng kirchlich ideale Kunst
des Mittelalters bereits an den
äussersten Grenzpunkt, über den
hinaus sie keiner Entwicklung mehr
fähig ist, ohne ihren unbeugsamen
Prinzipien völlig untreu zu werden.
Ganz im Gegensatz zu der köl-
nischen Schule entfaltet die deutsche
Malerei eine andere Blüte in der
Schule zu l'rag unter der Regierung
Kaiser Karls IV. 1 1346—78.) Kaiser
Karl führte, seiner Weltstellung ge-
mäss, verschiedenartige Elemente
in die Malerei seines Hofes ein, wo-
von die Meisternamen Thomas von
Modena und Nikolaus Wurmser von
Strassburg Zeugnis geben; auch
scheint byzantinischer Einfluss mit-
fewirkt zu haben. Allein trotzdem
ewahrt die böhmische Schule den
einheitlichen lokalen Charakter, als
dessen Vertreter man Meister Kunze
nennt. Die bedeutendste Anzahl
Werke dieser Künstler sieht man
in dem von Karl erbauten Schloss
Karlstein und in der Kapelle des
heiligen Wenzcslaus im Dome zu
Prag. In ihren allgemeinen Ver-
hältnissen lassen sie das Schlichte
und die einfache Würde des
gotischen Stiles erkennen. Der vor-
wiegende Charakter ist der einer
überaus grossen Weichheit, der in
der Formgebung fast zum Ver-
schwommenen hinneigt. Die Farbe
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602
Malerei.
ist ausserordentlich feiu vertrieben, unbchilflich und besonders durch
die Formen aber sind zumeist breit die hohen Schultern und deu kurzen
und plump, die Nasen überaus dick , Hals ängstlich gedrückt. Allein trotz
Fig. 86. Hügel des Kölner Dombildcs.
und rundlich, die Lippen voll, die alledem lag hier mehr als in Köln
Augen gross und von weit mehr der Ansatz zu grosser monumentaler
offenem als heiterem Eindruck, da- Kunst, Geschaffen und gehoben
bei die Haltung der Gestalt meist durch die Gunst Karls IV. erhielt
Google
Malerei.
(503
diese Schule das Gepräge der andern
Vormacht des deutschen Mittelalters,
des alten Kaisertums.
Zwischen diesen beiden Polen
deutscher Kunstentwickelung im
Westen und Osten liegt die Reichs-
stadt JSürnhcrfl. Wie in Köln und
Prag sind auch hier die Elemente
der ersten Entwickclung dem heimat-
lichen Boden entwachsen. Doch
führte der lebhafte Verkehr der auf-
blühenden baulustigen Handelsstadt
notwendig zu mannigfachen Berüh-
rungspunkten mit der Fremde, und
soweit sich der Gesamtcharakter
der ersten dortigen Schule aufstellen
lässt, liegen deren Eigentümlich-
keiten zwischen dem Wesen der
Kölner und Prager Schule mitten-
inne. Die Malerei steht hier unter
entschiedenem Einfluss der mächtigen
Skulpturthätigkcit und sucht durch
strenge Zeichnung, entschiedene
Formgebung und Modellierung mit
der Schwesterkunst zu wetteifern,
während zugleich ein kräftiges Kolorit
die eigentliche malerische Wirkung
festhält. Die Gestalten zeigen weiche
aber gedrungene Formen, die Köpfe
kindlichen Ausdruck bei weit ge-
öffneten, meist braunen Augen. Eine
bedeutende Anzahl hierhergehöriger
Bilder sieht mau in den Haupt*
kirchen Nürnbergs St. Sebald und
St. Laurenz. Die spätem Werke
machen «ich durch ein etwas ge-
drungenes Verhältnis der Formen
bemerkbar, wie am Tuchersehen
Hochaltar in der Frauenkirche.
Weniger noeh als in Köln oder
Prag lassen sich hier einzelne Künst-
ler beim Namen nennen.
Der Entwicklungsgang, der sieh
an die Nürnberger Schule anschliesst,
entspricht ganz den Geschicken des
deutschen Volkes. Die Schulen von
Prag und Köln vertraten die höchste
Ausbildung, deren die mittelalter-
liche idealistische Richtung fähig
war. Jetzt veränderte sich der
Schwerpunkt im Leben der Nation.
Die Kaiscrmacht verflüchtete sich,
und die Herrschaft der Kirche wurde
unterwühlt. Dafür erhob sich das
Bürgertum mehr und mehr zu selb-
ständiger Bedeutung, und da das-
selbe sein Augenmerk irdischen
Dingen zuwandte, musste jede weitere
Vervollkommnung der Malerei not-
wendig zur genaueren Beobachtung
der Naturgegenstände und zum
Überwiegen der realistischen Be-
handlung führen. Die ersten Keime
davon fanden wir bereits in der
Kölner Schule in Lochner, allein
sie erlag dem mächtig einbrechenden
realistischen Zug der Zeit; die
Prager Schule aber ging in den
Stürmen der hussitisclicn Wirren
gänzlich unter.
Bevor wir jedoch die Entwickc-
lung der Malerei in Nürnberg und
auf deutschen Boden weiter verfol-
gen, haben wir unseren Blick für
einige Zeit nach dem Norden zu rich-
ten. Hier war es die grosse Handels-
! Verbindung der Hansa, welche von
i nun an die gebietende Weltstellung im
NordcnEuropas einzunehmen begann.
Ihre Hauptstadt lag in den Nieder-
landen, und wie von Brüjfgr aus
der Markt in Süd und Nord be-
herrscht wurde, so sollte auch von
Brügge aus der neue Geist in der
Malerei ausgehen.
b) Zeit der Kenaissance, 1. Alt-
flandrische Schule. Flandern sollte
! die Geburtsstätte der moderneu Male-
rei des Nordens werden. Das reiche,
glänzende, vielbewegte Leben, wie
es in den flandrischen Städten da-
mals seinen Gipfelpunkt erreicht
hatte, musste mächtig auf die Ent-
wicklung der Malerei einwirken,
nachdem das Auge des Künstlers
einmal für die ihn umgebende Wirk-
lichkeit geöffnet war. Die un-
endliche Mannigfaltigkeit der hier
zusammenströmenden Menschen, in
Physiognomie, Geberde, Tracht
unü1 Sitten, forderte die Beob-
achtung heraus und schärfte das
Auge. Das Abgeschlossene einzel-
ner idealer Gestalten oder sym-
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604
Malerei.
j in- tri s.-h geordneter Gruppen wird geboren, das Geburtsjahr »eines
verlassen, der starre Glanz des gol- Bruders fällt gegen 1 400. Über
denen Hintergrundes hinweggetnan die Lebensumstände der beiden
und dem Blick die Möglichkeit er- Meister ist wenig bekannt, dagegen
öffnet, in die Tiefe und Weite ein- glänzen ihre Verdienste als Be-
zudringen. Die ganze Welt der Kr- 1 gründer einer ganz neuen Weise
scheinungen, Himmel und Erde, Nähe I der Malerei um so unzweifelhafter.
Fig. 87. Oentner Altar. Flügelbilder.
und Ferne, anmutvolle Bergzüge Dem Inhalte nach schliessen sie
und grüne Matten, die Behaglich- sich aufs innigste der gedankenvoll
keit und der Schmuck menschlicher symbolischen Kunstweise des Mittel-
Wohnungen, alles das wird in den alters an, greifen aber zugleich mit
Werken der Folgezeit wiedergc- kühnem Mut ins Leben und prägen
spiegelt. Au der Spitze dieser neuen in allem scharf die Zustände ihrer
Richtung stehen ttie Gebrüder ran Zeit und ihres Vaterlandes aus.
Eyck: Jan und Hubert. Hubert Zugleich erfinden sie neue Vor-
w'urde vermutlich 13fiG in Maaseyk teile in Bereitung und Anwendung
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Malerei.
605
der Farben und erreichen durch
Verwendung des Öles als Binde-
mittel eine vorher nicht gekannt«!
Leuchtkraft und Tiefe derselben.
Das berühmteste Werk der beiden
Brüder ist das grosse Attanrerk,
welches von ihnen für die Kirche
des heiligen Johannes zu Gent ge-
malt und im Jahre 1432 vollendet
wurde. Fig. 87. (Kunsthistorische
Bilderbogen). Ein grosser Gedanke,
der Gedanke der Versöhnung, der
Grundgedanke des Christentums,
durchzog dasselbe. Heutzutage ist
das Werk zum Teil zerstört, zum
Teil verdorben. Von der künstleri-
schen Thätigkeit des Hubert ist
ausser diesem Riesenwerke wenig
auf uns gekommen, dagegen sind
von der Hand Jans mehrere Ar-
beiten erhalten geblieben. Auch die
Schwester der beiden van Eyck,
Margarete, war eine bedeutende
Malerin. Obschon historisch be-
glaubigte Arbeiten von ihr kaum
gekannt sind, so kann doch manches
von den Miniaturmalereien vanEyck'-
schen Stiles ihrer Hand zugeschrie-
ben werden. - - Die von den van
Eyck begründete Darstellungsweise
übte einen unwiderstehlichen Eiufluss
auf die Zeitgenossen aus, wie sich
aus den zahlreichen Bildern ihrer
Schüler und Nachfolger ergiebt.
Als die bedeutendsten werden ge-
nannt: Gerhard ran der Meere,
Justus von Gent, tler fojehgeschatzte
Hugo ran der Goes, Albert Outca-
ter u. 8. w.
Als einer der bedeutendsten Maler
wird Hans Memling gerühmt, der
die Weise der Eyckschen Schule in
einem eigentümlich strengen Sinn
auffasst. Die Züge der Gesichter
sind hei ihm weniger lieblich, son-
dern ernster, die Gestalten nicht so
zierlich schlank, die Bewegung we-
niger weich, die Behandlung schärfer
und mit genauerer Ausbildung des
einzelnen. In der Gruppenanord-
nung befolgt er strenge Symmetrie
und giebt gern im Hintergrunde die
Begebenheit vor und nach der
Haupthandlung in kleinerem Mass-
stabe. Seine Landschaften tragen
den Charakter des Sommers an sich.
Übe •raus glücklich ist er in Darstel-
lungen, welche den stärksten Glanz
des Lichtes voraussetzen. Die vor-
züglichste Auswahl von seinen Ge-
mälden findet man im Spital des
heiligen Johannes in Brügge, wo-
runter namentlich der berühmte
Ursulakasten, die Darstellung einer
der anmutigsten Heiligenlegenden,
hervorzuheben ist. Der eigentüm-
lichen Darstellungsweise Memlins
verwandt sind die Gemälde des
Dieriek Bouts von Harlem. Zu den
spätesten Nachfolgern der Eyck-
schen Schule gehören ferner liogier
ran der Weyden und Anton Ctaes-
sens. Rogier wurde in Tournay ge-
boren; seit 143H wird er als Maler
der Stadt Brüssel genannt, in deren
Auftrag er vier Bilder für den Rat-
haussal malt. In realistischer Treue
und Genauigkeit der Schilderung
Seht er noch über Jan van Eyck
inaus; seine Gestalten sind meist
hart und eckig und mager, die Köpfe
aber voll physiognomischer Kraft
und Tiefe. Eines seiner bedeutend-
sten Bilder ist der irrigerweise so-
genannte Reisealtar Karls V., ferner
sein jüngstes Gericht im Hospital
zu Beaume. Zum Schlüsse mag noch
eines eigentümlichen niederländi-
schen Künstlers gedacht sein, der
sich ganz unabhängig von seinen
Zeitgenossen gebildet hat, des Hiero-
nymus Bosch. Seine Darstellungen
sind aus einer höchst abenteuer-
lichen Phantasie hervorgegangen,
wahre Traumgebilde, die er jedoch
in einer merkwürdigen Farbenglut
zu gestalten wusste. Namentlich
war ihm die Hölle ein beliebter
Vorwurf, worin die armen Seelen
aufs unerhörteste gepeinigt werden,
wahre Küchenstücke der Hölle.
2. Deutsche Schuten. Bevor wir
der mit Ende des 15. Jahrhunderts
in den Niederlanden sich bahn-
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606
Malerei.
brechenden neuen Richtung unsere
Aufmerksamkeit zuwenden, sei vor-
erst der Entwicklung der Malerei
in deutschen Landen gedacht Selbst-
verständlich miu*ste die bedeutsame
Thätijjkeit der flandrischen Schule
mannigfach auch über die Grenzen
der Heimat hinauswirken und zur
Nachfolge reizen. Es wurde schon
betont . dass die ältere Kölner
Schule, trotzdem Meister Stephan
Lochner schon leise Anklänge für
die neue Richtung angeschlagen
hatte, vor dem glänzenden Realis-
mus spurlos zusammensank. I >as
zeigt sich namentlich in dem Meister
der Lyvensbergisehen Passion, wel-
ches Bild in der Ausführung ganz
an die Weise R< »giers van der Wey-
den sich anlehnt. Die Einwirkung des
Meisters der Lyvenbergischen Pas-
sion auf seine Umgebung war sehr
bedeutend. Unter seine Nachfolger
gehören Bartholomäus de Jirun und
Jan Joexf. Zu gleicher Zeit aber
erhält sich in Westfalen die erhabene
Hoheit der älteren Kolner Schule,
welche im Meister von Lishorn einen
letzten Vertreter findet, der im
Hochaltar des Klosters Lisborn ein
Beispiel einer seltenen Verschmel-
zung jenes feierlichen Stiles mit der
realen Charakteristik und lebensvol-
len Ausbildung hinterlassen hat.
Bedeutender und selbständiger
nehmen die Schulen von Ober- und
Mitteldeutschland die flandrischen
Einflüsse auf. Ohne den idealen
Sinn der früheren Zeit völlig preis-
zugeben, huldigen sie der neuen
Richtung in manchen Punkten und
erzielen bisweilen eine glückliche
Verschmelzung der beiden Grund-
elemente, so in dem Altarwerk der
Kirche zu Tiefenbronn von Lucas
^/oser, auf dessen Rahmen man den
Stossscufzer des Malers liest: „Schrey
Kunst, schrey und klag dich sehr,
dein begehrt jetzt Niemand mehr",
vielleicht ein Zeugnis dafür, dass I
die Welt anfing, sich von den Vcr- !
tretern der älteren Schule abzu-
wenden. Zu gleicher Zeit lebte in
Nördlingen ein Meister Friedrich
Herl in t von dem im Bürgerbuche
von 1467 ausdrücklich berichtet
wird, dass er mit niederländischer
Arbeit umzugehen wisse. Bilder
von ihm sieht mau in der Jakobs-
kirche zu Rothenburg, den städti-
schen Sammlungen zu Nördlingen
und dem National - Museum
München.
Viel bedeutender als diese beiden
Meister ist der Begründer der EUasscr
Schule: Martin Schongauer (auch
Schön, oder Bei Martino genannt!
vou Kolmar. Seine Ausbildung er-
hielt er von Rogier van der Wey-
den. Die Auffassung des Lebens
ist bei ihm dieselbe, wie bei den
Niederländern; in der Bchandluugs-
weise stimmt er jedoch nicht durch-
aus mit ihnen überein. Seine Farbe
ist im allgemeinen nicht von kräf-
tigem Tone, sein Faltenwurf würdig
gezeichnet, seine Karnation meist
sehr weich. Die Gestalten zeigen
eine ruhige Würde, in den Köpfen
derselben ist der Anklang einer
vollendeten, gereiften Schönheit zu
finden, wie er fast nirgends in der
ältercu Kunst wahrgenommen wird.
Die wichtigsten Gemälde Schon-
gauers haben sich in Kolmar selbst
erhalten, unter welchen die Madonna
am Rosenhag in der dortigen Mar-
tinskirche eines der bedeuten-
deren ist. Sehr Treffliches leistete
Schongauer im Kupferstich, wo er
teils noch in ziemlich nahem An-
8chluss an die flandrische Kunst,
teils schon zu einem eigenen Stil
fortgeschritten erscheint , dessen
äussere Merkmale neben der feinen
sinnigen Schönheit der Köpfe eine
f gewisse Unruhe der knitterig be-
landelten Gewandung, eine scharfe
eckige und magere Zeichnung und
eine Beimischung oberdeutscher
Trachten sind. In anderen Stichen
tritt das phantastische Element her-
vor, wie z. B. in einer Versuchung
des heiligen Antonius, wo der Hei-
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Malerei.
607
lige von wunderlichen Dämonen in
die Lüfte emporgeführt wird. Sein
Porträt hat uns sein Schüler Hans
Larqhmair hinterlassen.
in einer gewissen Verwandtschaft
zu Martin Schön steht sein etwas
jüngerer Zeitgenosse Hans Jlofbein
der Altere, der um 1460 in Augs-
burg geboren ward, sich bis 1499
dort aufhielt und dann vorüber-
gehend in Ulm und Frankreich lebte
und 1524 in Augsburg starb. Hol-
bein tritt in die Fussstapfen Schon-
gauers eiu. Seine Bilder verraten
zwar etwas Handwerksmäßiges und
zeigen scharfe, eckige Formen, doch
gewahrt man in ihnen das Hingen
eines lebendigen kräftigen Geistes,
in einzelnen vornehmlich weiblichen
Köpfen eine erfreuliche Anmut und
überraschende Zartheit. Das Böse
stellt er nicht in eigentlich häaslicher
Gestalt dar, sondern nur in dishar- 1
monischen, phantastischen Formen. (
Von ihm sind zahlreiche Werke in j
der Galerie zu Augsburg und der j
Pinakothek zu München vorhanden. |
Holbein war seiner Lebtag arm ge-
blieben und hatte gej^en sein Lebens-
ende oft mit der bittersten Not zu
kämpfen. Neben Hans Holbein dem
älteren war sein Bruder Sigmund
ebenfalls ein bedeutender Künstler.
In ähnlicher Richtung wie Hoibein
bewegt sich anfangs Jlans Burgk-
maier , 1472 zu Augsburg geboren.
In gewissen Schärfen der Zeichnung,
wie auch in einzelnen Phantastereien
folgt er dem Zuge der Zeit. Durch
seiueu Aufenthalt in Italien brachte
er die Auffassung der Renaissance
nach der Heimat. Unter den im
ganzen nicht sonderlichen, aber zahl-
reichen Bildern befinden sich einige,
die sich durch Kraft der Charak-
teristik, lebendige Schilderung und
warme harmonische Färbung aus-
zeichnen. In der Galerie in Augs-
burg ist der Künstler am reichsten
vertreten. Seine Hauptwerke sind:
Christus und die Madonna, von den
Heiligen vereint, die Geisselung
Christi, Johannes auf Patmos etc.
Besonders das erstere ist mit einer
gewissen Keckheit hingeworfen.
Abweichend von dieser Richtung
der deutschen Kunst hatte sich im
Beginn des 16. Jahrhunderts in Ulm
eine Malerschule gebildet, in welcher
das phantastische Elemeut, das sich
schon in den früheren Entwickelungs-
perioden der nordischen Kunst gel-
tend machte, vornehmlich aber l>ei
den Malern der späteren Zeit, wie
Martiu Schön und dem älteren Hol-
bein sich zeigt, minder charakte-
ristisch hervortritt. Eine eigentüm-
liche edle Milde bildet den Grundzug
ihrer Kunst. Einer der bedeutend-
sten Künstler der Ulmer oder schwä-
bischen Schule ist Bartholomäus Zeit-
blom von Ulm, der gegen 1450 ge-
boren ward. Fig. 88, Geburt Christi
von Zeilblom (Kunsthist. Bilder-
bogen). Seine Werke zeigen ein
bewusstes und im einzelnen durch
glücklichen Erfolg gekröntes Streben
nach einer würdigen und bedeut-
samen Erfassung des Gegenstandes,
verbunden mit einem aufrichtigen
Anschliessen an das Vorbild der
Natur. Seine wichtigsten Bilder
in der öffentlichen
Stuttgart. Von der
Wirksamkeit Zeit-
verschiedene Werke
als Arbeiten seiner
Schule betrachtet werden müssen,
so namentlich der Hochaltar in der
ehemaligen Klosterkirche zu Blau-
beuren. In dem grossartigen Hoch-
altar der Kirche zu Tiefenbronn
lernen wir einen anderen wackeren
Künstler der Ulmer Schule kennen,
den Hans Schühlein. Allen voran
aber geht Martin Schaffner, zu
dessen trefflichsten Werken vier
Tafeln mit der Verkündigung, Dar-
stellung im Tempel, Ausgiessung
des heiligen Geistes und dem Tode
Marias gehören. Andere Bilder des
Meisters bergen der Münster in Ulm
und die Galerien zu Stuttgart, Sig-
maringen und Berlin.
befinden sich
Sammlung zu
ausgedehnten
blom's geben
Zeugnis, die
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608
Malerei.
Fig. 88. (Jclmrt Oiriati von Barth. Zeitblom.
Malerei.
009
An die obengenannten Künstler
reiht sich wiederum einer der bedeu-
tendsten Meister deutscher Kunst an:
Hans Holbein der Jüngere, der Sohn
des obengenannten Künstlers glei-
ches Namens. Zu Augsburg 1497 ge-
boren, wandte er sich schon in frühen
Jahren nach der Schweiz, Frankreich
und England, wo er 1543 in London
starb. Schon mit 18 Jahren tritt er
als tüchtiger Maler auf und gehört
zu den wenigen Meistern des Nor-
dens, welche entschieden Einflüsse
italienischer Kunst in sich aufgenom-
men und zu vollkommener Selbstän-
digkeit verarbeitet haben. Holbeiu
ist vornehmlieh Portratmaler. Seine
zahlreichen Bildnisse zeigen ein
inniges, unbefangenes Anschliesseu
an die Natur und eine edle Kühe
und Gemessenheit. Obschon in sorg-
fältiger Behandlung aller Einzel-
heiten den Arbeiten der Zeitgenossen
sich anschliessend, stehen sie den-
selben doch in einer schöneren Fülle
der Formen und in einer kräftigeren
intensiveren Färbung weit voran.
Die historisch beglaubigten Arbeiten
Holbein's fangen erst in Basel an
und werden im dortigen Museum
aufbewahrt, worunter besonders ein
furchtbar naturalistischer Christus
hervorzuheben ist. In dieselbe Zeit
fallen zwei Gemälde im Münster in
Freiburg, die Geburt Christi und
die Anbetung der Könige, ferner
eine Reihe vorzüglicher Porträts,
wie das des Bürgermeisters Meier
und seiner Frau. Vor allem wich-
tig sind acht Bilder der Passion,
von 1520—1525 entstanden, höchst
dramatiseh, kühn und gewaltig in
der Komposition, aber geläutert
durch die Einflüsse Rattael s. Etwa
um 1524 ist die berühmte Madonna
des Bürger m ei $/ers Meier entstan-
den, keine hinreissende Schönheit,
sondern die tief empfundene Schil-
derung echt deutsehen Familien-
lebens. Fig. 89. Nieht minder stim-
mungsvoll ist die Madonna von
Solothurn.
K«*lle*lron der deutscheu Altertümer.
Wie Holbein monumentale Auf-
gaben behandelte, erkennen wir in
den grossen Wandgemälden im Saal
des Basler Rathauses. Seit seiner
Übersiedelung nach England wid-
mete er sich beinahe ganz der
Porträtmalerei. Auch als Miniatur-
maler leistete Holbein Ausgezeich-
netes. In genialster Weise bekundet
dies sein Totentanz, in welchem er
dem phantastischen Geiste der Zeit
den schuldigen Tribut zahlt. Wie
er aber hier im kleinen als wahrer
Künstler wirkt, so wirkt er nicht
weniger im grossen. Seine Entwürfe
zu den Fassademalereien bezeugen,
mit welch genialer Freiheit er die
Malerei in monumentaler Weise zu
verwenden wusste.
Als direkte Nachahmer Holbein's
gelten Christof Amlterger, von dem
ein paar gute Porträts erhalten sind,
Urs Graf und Nico/aus Manuel
von Bern, genannt Deutsch, der als
geistreicher Anhänger der Reforma-
tion die Missbräuche der katholischen
Kirche durch seine Kunst zu ver-
spotten wusste; von ihm stammen
auch die an die Kirchhofmauer des
Dominikanerklosters in Bern in
Farbe ausgeführten Totentänze.
Fränkische Schule. Unabhängi-
ger von den besonderen Eigentüm-
Rchkeiten der niederländischen Ma-
lerei und nur im allgemeinen auf
verwandter Entwickelungsstufe ste-
hend, erscheinen die Künstler von
Xümftera. Wir haben schon an-
fangs gesehen, wie dort, gestützt
auf ein kräftiges Bürgertum, die
neueiubrechenden Ideen freudig auf-
genommen wurden; ja Nürnberg
sollte für Deutschland sogar das wer-
den, was Brügge für die Niederlande
war. Eine ausserordentlich rege
Thätigkeit hatte sich in Nürnberg
im 15. Jahrhundert in der Plastik
entwickelt, und dieser plastische Geist
blieb nicht ohne Einfluss auf die
Malerei. Eine auffallend scharfe
Formbezeichnung und energische
Modellierung sind neben einem ins
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Malerei.
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Malerei.
611
Einseitige und Hässlichc gehenden [ Lebens , die Kunst konnte gross
Streben nach Charakteristik die werden an umfassenden monumeu-
Merkmale der Nürnberger Schule, talen Aufgaben. Nicht so im Nor-
In keinem Meister prägen sich «He- den. Der Reichtum der nordischen
selben so schroff und unerfreulich Handelsstädte hatte zu einem bar-
aus, wie in Michael Wohlqemuth barisehen Pomp geführt, der in der
(1434 — 1519). Seine meisten Werke bunten überladenen Modetracht mit
verraten einen ziemlich handwerks den bauschigen Stoffen, von Sammet,
massigen Meister, der vornehmlich Seide, Brokat und Atlas, einen un-
in Darstellung bewegter Handlungen erfreulichen Ausdruck fand; die
in Härte und Unnatur verfällt, in grossartige Auffassung der Kunst
dessen Bildern aber zugleich, wenn | abergingdendeutschenMachthabern
sie ruhigere Momente entwickeln, vollends ab. Aber auch die Natur
mannigfache Andeutungen jenes Ge- , bot nicht jene Vorzüge, nicht jenes
fühles für Anmut der Form und | Leben. Sie schlummerte die Hälfte
Zartheit des Ausdrucks enthalten des Jahres unter Schnee und Eis,
sind. Sein Hauptwerk ist der Altar all ihres Schmuckes beraubt. Das
in der Marienkirche zu Zwickau, I reizte das Gemüt zu eigener Thätig-
wo die realistische Richtung fast keit, es entstanden jene zahllosen
überwiegend im Niedrigen und H;iss- | Märchen des Nordens, jenes Höf-
lichen sich ergeht, das Ganze aber , sinnige Spiel der Phantasie, welche*
trotzdem von grossartiger Wirkung schliesslich ins Mass- und Ziellos«'
ist. In den besseren Werken indes hinausschweifte und das Reich der
erfreut der Meister oft durch eine Schönheit gefährdete. Dieser Hang
fast ideale Schönheit der Köpfe, zum Phantastischen war den nordi-
Bedeutendes hat Wohlgemuth, be- sehen Völkern zwar von jeher eigen,
sonders in Verbindung mit seinem allein es trat besonders jetzt zu Tage,
Stiefsohn Pleydenwurff, im Holz- als die grosse reformatorische Be-
schnitt geleistet, wegung Luthers dem Gedanken eine
Aus dieser Schule indessen sollte einseitige Berechtigung einräumte. —
ein Meister hervorgehen, der alle Aus all diesen Gründen kam es,
anderen in den Schatten stellte und dass die nordische Malerei sich nie
der, was angeborene künstlerische zu jener sonnigen Höh«' der italieni-
Begabung betrifft, den Vergleich sehen Kunst zu erheben vermochte
selbst mit Raffael und Michelangelo und vielfach in handwerksmässige
nicht zu scheuen braucht. Es ist Verknöcherung versank und in dieser
Alhrecht Dürer. Allerdings ist ein Gestalt selbst dem grossen Meister
grosser Unterschied zwischen den Albrecht Dürer beinahe unüber-
Gipfelpunkten deutscher und italic- steigliche Hindernisse in den Weg
nischer Kunst. In Italien entfaltete legte. Allein bei alledem hat die
sich eine reiche Blüte höchster, voll- nordische Malerei doch ihre Vor-
kommend-Kunstleistungen. Die alte zü^e. Das ist zunächst die Innig-
Zeit der Hellenen ward wiedergebo- keit und Wärme der Empfindung,
ren. Dazu trug die südliche Natur, die einfache Wahrhaftigkeit und
welche mit der Fülle der Vegetation Naivität, verbunden mit einer grund-
das Auge ergötzte und zur Nach- ehrlichen Treuherzigkeit und Gc-
ahmung reizte, nicht wenig bei. j diegenheit, Eigenschaften, die ins-
Aber auch das öffentliche Leben gesamt zwar den Mangel an Schön-
italiens war ein anderes als das des lieit nicht ersetzen können, aber
Nordens. In der Kunst erblickten vermöge ihrer starken sittlichen
die Magistrate und Fürsten dos Tüchtigkeit für manches entsehä-
Südens den höchsten Schmuck des digen.
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612
Malerei.
Albrecht Dürer wurde im Jahre Werkstätte ausgeartet war, möglichst -
1471 in Nürnberg geboren. Sein Herr zu werden. Bilder von ihm
Vater war Goldschmied. Das Hand- sind in grosser Menge vorhanden,
werk der Malerei lernte er bei so in der Pinakothek in München
Michael Wohlgemuth. 1490 begab der sog. Paumgärtner'sche Altar mit
er sich auf die Wanderschaft, von der Geburt Christi, im Museum zu
der er 1494 zurückkehrte und sich Darmstadt ein Herkules, in den
in seiner Vaterstadt Nürnberg als Ufficien in Florenz die Anbetung
Meister niederliess. 1505 machteer der Könige, im Kloster Strahof zu
eine Reise nach Italien, von der er Prag eine Darstellung des Rosen-
tiber schon im folgenden Jahre in kranzfestes, im Museum in Dresden
sein geliebtes Nürnberg zurück- das vielleicht vollendetste Gemälde
kehrte. 1520 besuchte er aie Nieder- [ Dürer's, ein kleines Kruzifix, in
lande und starb 1528 in seiner Vater- j der Galerie Pitti in Florenz Adam
stadt. Seine Arbeitskraft war un- und Eva, im Belvedere zu Wien
geheuer. Nicht nur brachte er den die mit entsetzensvoller Wahrheit
Holzschnitt und den Kupferstich zu gemalte Marterszene der 10 000
künstlerischer Vollendung, sondern er Heiligen, in Frankfurt wenigstens
führte daneben auch noch Schnitz- eine Kopie seiner verloren ee-
wcrke im Buchsbaumholz und Speck- gangenen Krönung Mariä , in der
stein aus. Aus seinen letzten Jahren Galerie in Wien ein Dreieinig-
sind ausserdem mehrere wissen- keitsgemälde etc. Indessen schien
Bchaftliche Arbeiten, Anweisung aber Dürer, wie er selbst sagt, „des
über Geometrie, Befestigungskunst I fleissi^en Kleibleus4' müde geworden
und die Verhältnisse des mensch- 1 zu sein. Man pflegte eben seine
liehen Körpers erhalten. — Und all ! Gemälde nach dem Massstab* der
diese erstaunliche Fruchtbarkeit ent- 1 handwerksmäßigen Schöpfungen
faltete sich unter dem Druck un- ' seiner Zeit zu bezahlen, und seine
günstiger Lebensverhältnisse. Von Klage ist gewiss gerecht, wenn er
seiner ihm so lieben Vaterstadt mnsste meint: „Ks verzehrte Einer schier
er sich als einzige Gnade erbitten, drob", und wir dürfen uns nicht
ihm ein kleines mit merklicher Mühe wundern, wenn er den Vorsatz fasst :
erworbenes Kapital zu geringem „wieder seines Stechens fleissiger
Zinsfuss zu verzinsen, und Kaiser zu warten". Denn mit seinen
Maximilian, der dem trefflichen Kupferstichen und Holzschnitten,
Meister geneigt , aber weder ein mit welchen seine Frau zur Messe
Julius II. noch ein Leo X. war, zog, vermochte er mehr zu verdienen,
wusste ihn zu nichts Größerem zu So veröffentlichte er 1511 — 15 in
verwenden, als zur Ausschmückung kurzer Aufeinanderfolge die umfang-
eines Degenknopfes, eines Gebet- reichen Werke der grossen Passion
buches und zum Entwerfen des und das Leben Mariä und das
„Triumphwagens" und der „Ehren- Kupferstichwerk : Die kleine Passion,
pforte", eiuer ziemlich nüchternen Gegen Ende seines Lebens legte
Verherrlichung des Monarchen, die Dürer in den sogenannten vier
Dürer freilich mit dem ganzen Reiz Kirchenstützen sein tiefstesGlaubens-
seiner Phantasie ausstattete. In bekenntnis ab. Dieses letzte Werk
seinen Gemälden strebt Dürer nach Dürers stellt die lebensgrossen Ge-
höchster Vollendung und sucht durch stalten des Johannes, Petrus, Mar-
Studium der flandrischen Meister kus und Paulus dar. Aus den tiefsten
über das Handwerksmässige, zu Gedanken , welche dazumal den
welchem die Malerei in Deutschland, Meister bewegten, hervorgegangen
besonders in der Wohlgemuth'schen und mit der überzeugendsten Kraft
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614
Malerei.
und Vollendung: der Darstellung
vorgeführt, hat hier Dürer Grösse
und Einfachheit des Stiles, Tiefe
und Harmonie der Farben, vollen-
dete Freiheit der Form erreicht und
selbst in den wunderbar grossartigen
Gewändern alle kleinliche Manier
überwunden. Damit hatte Dürer
«las Ziel der Kunst erreicht, nach
Vollendung dieses Werkes durfte
der Meister sein Auge schliessen.
Kr starb denn auch bald darauf im
Jahre 1528. Dazu Fig. »0, der
Dürerschc Holzschnitt §(. Michael
mit dem Drachen (Kunsthist Bilder-
bogen).
Ihm folgte eine zahlreiche
Schule, aber mit derjenigen Höhe,
wozu er in seinem letzten Meister-
bilde die deutsche Kunst empor-
geführt hatte, war es für lange
Zeit vorbei. Seine Schüler ver-
mochten wohl seine Manier und
seine Darstellungsweise nachzu-
ahmen, allein der tiefe Geist des
Meisters, der Genius der Kunst war
entflohen. Einer der anziehendsten
Schüler ist noch Hans von Kulm-
bach, von dem wir in der Sebaldus-
Kirche in Nürnberg ein grosses
Altarbild besitzen, wahrscheinlich
nach einer Zeichnung Dürers aus-
geführt
Heinrich Aldcfjrerer verdient be-
sonders als fleissiger Kupferstecher
Aufmerksamkeit, ebenso Albrecht
Alfdorfer. Ein tüchtiger, gewandter
Meister, der sich ganz leidlich in
die Manier Dürers hineingearbeitet
hat, ist Jlan« Seluiiiff'elin. Wenig
ansprechend ist Barth, lieham. Er
zeigt eine wilde manirierte phan-
tastische Nachahmung des Dürer-
schen Stiles. Sein Bruder, Hans
Sebald Iicltam, widmete sich fast
ausschliesslich dem Kupferstich.
Als vorzüglicher Nachahmer Dürers
gilt Mathias G Hinewald. Ihm wird
ein mächtiger Flügelaltar im Museum
zu Kolmar zugesehrieben. Ausser-
dem besitzt das Museum von Basel
von ihm eine Auferstehung. Von
I den unmittelbaren Schülern Dürers
| ist noch Georg Pencz zu nennen,
der von Dürer weg in die Schule
Raffaels ging. Einen ausgezeichne-
ten Rang nimmt Pencz namentlich
als Porträtmaler und tretflicher
Kupferstecher ein. — Zu den be-
deutendsten deutschen Künsthm
gehört sodann der aus der schwä-
bischen Schule hervorgegangene
Jlans Baldungy genannt Grien- In
ihm feiert der Hang zur Phantastik
eine künstlerische Verklärung, wfe
wir sie bei keinem anderen Meister
finden. — Besonders reich erblühte
während dieser Epoche die Malerei
in München, gefördert durch die
kunstliebenden Herzoge von Bayern.
Hierher gehört namentlich J/<im
Muelich von München, dessen eeist-
reiche, lebendige Art der DarsteUuiu:
und die ungewöhnliche Harmonie
und Pracht der Farben an Han?
Holbein erinnern.
Sächsische Schule. Der Richtung
des Albrecht Dürer und seiiv r
Schule zur Seite steht die siiehasch»
Schule mit ihrem HauptmeUter
Lucas Cranach. Von seinen Vor
gängern in Sachsen ist wem*: be-
kannt. Lucas Cranacb der Alten*
stammt aus dem sächsische^ Orte
Cronach. 1504 wurde er Hofina!-*
des Kurfürsten Friedrich von Sacfc-
sen und blieb in dieser Eigenschaft
auch unter dessen Naeh folgert
Cranach starb 1553 in Weimar.
Als eifriger Anhänger der Reforma-
tion versuchte er dem Verhältnis
der neuen Lehre zu der überlieferter
Anschauung in seinen Bildern Auf-
druck zu verleihen. Cranach hal
vieles mit Dürer gemein, doch rnü
bei ihm an Stelle jenes tiefsinniges
Ernstes und grossartigvr Kraft mekt
eine naive, kindliche Heiterkeit, nnri:
jenes Element des Phantastische!
hat bei ihm im einzelnen die beb^
lichsten märchenhaften Blüten pt\
trieben. — Von seinen Aharhüd«°rö
sind die wichtigsten «Üe in *H
Kirche zu Schneeberg, im Dv>m sa
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Malerei.
615
Meissen und in deu Stadtkirchen zu Der bedeutendste war sein Sohn
Wittenberg und Meissen. Naraent- Cranaek der Jüngere, der etwas von
lieh aber sind von Cranach eine dem Ruhme und etwas von der
grosse Anzahl Darstellungen erhal- Kunst seines Vaters erbte,
ten, in welchen er sein Studium des 3. Holländische Schule. Dieselbe
Fig. 91. Christus und der Versucher. Von Lucas van Leyden.
nackten Korpers, namentlich des hatte sich aus der flandrischen Schule
weiblichen zur Geltung zu bringen schon sehr früh gebildet, indem die
wusste. Nebenbei pflegte er den ersten Künstler als unmittelbare
Kupferstich und Holzschnitt und Schüler der Gebrüder van Eyck er-
brachte es besonders in letzterem | scheinen , so der schon genannte
zu bedeutender Meisterschaft. — 1 Alltert von Omni f er und dessen früh-
Von eigentlichen Schülern oder Nach- t verstorbener Schüler: Gerhard von
folgern Cranach's ist wenig bekannt. : Harlan, namentlich aber ein anderer
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616
Malerei.
Harlemer Künstler: LXerik Bouts.
An diese schlicsst sich Cornelius
Enyelbrech isen (1468—1533) von
Leyden an. In seinen Bildern er-
kennt man trotz einer gewissen
Härte noch einen Nachklang der
flandrischen Schule, zugleich aber
ein Streben nach vollerer Wirkung.
Sein Hauptwerk ist ein Altargemälde
im Stadthause zu Leyden, welches
die Kreuzigung darstellt. Mehr als
durch eigene Bedeutung tritt Engel-
brechtsen als Lehrer des Lucas van
Leyden (1494—1533) hervor, eines
der frühreifsten Talente der Kunst-
geschichte. In bezug auf äussere Be-
handlungswcise dürfte dieser Künst-
ler zunächst mit Dürer zu vergleichen
sein, allein es hat das phantastische
Wesen der Zeit bei ihm bereits
einen bizarren Charakter angenom-
men. In solcher Art wenigstens
erscheint Lucas in seinen zahlreichen
Kupferstichen. Dazu Fig. 91. Christus
u na der Versucher; Kupferstich von
Lucas ran Isyden (Kunsthist. Bilder-
bogen). Gemälde seiner Hand sind
höchst selten, und wirnennen hiernur
ein umfangreiches Hingstes Gericht
im Museum zu Leyden und eine Ma-
donna in der Pinakothek in München.
Schliesslich wäre noch einer ganz
neuen Richtung zu gedenken, welche
eine grosse Zukunft vor sich hatte.
Schon die Gebrüder van Eyck hatten
die Landschaft in ihre Bilder ein-
Seführt dadurch, dass sie den gol-
enen gemusterten Hintergrund der
mittelalterlichen Bilder zerrissen und
dem Blick erlaubten in die Ferne
zu schweifen. Jetzt versuchten es
die Künstler, den Hintergrund zur
Hauptsac he zu machen und die heili-
fen Geschichten zu blosser Staffage
erabzusetzen. Dadurch wurde <fie
moderne Landschaftsmalerei ge-
schaffen. Namentlich Joachim Pa-
tenier (1490— 1550) war es, welcher
diese Neuerung in die Malerei ein-
führte. Entschiedener für die wei-
tere Entwickelung derselben trat i
Jlerri de Blcs ein.
4. Weiterentwickelung der flan-
drischen Schule. Gegen Ende des
15. Jahrhunderts begannen die flan-
drischen Künstler eine neue Rich-
tung einzuschlagen. Es drängte sich
nämlich immer mehr das Begehren
hervor, den Menschen aus der ihn
umgebenden Natur zu lösen und
Individualität und Charakter des
einzelnen selbständig hervortreten
zu lassen. Der liebevolle kindliche
Sinn, mit dem die Gebrüder van Eyck
und ihre Nachfolger die gesamte
Welt der Erscheinungen in ihren
Bildern wiedergegeben, war dem
weiterstrebenden Geiste nicht mehr
genügend. Das Bekanntwerden mit
der klassischen Meisterschaft der
italienischen Malerei mochte wohl
den ersten Anstoss zu dieser neuen
Richtung gegeben haben. Man suchte
nun den menschlichen Körper gründ-
licher zu studieren, die Form grösser
und bedeutender zu fassen und in
ganzer Lebensfülle darzustellen. An
der Spitze dieser neuen Richtung
steht Quintin Messt/s von Antwerpen,
der, ursprünglich ein Goldschmied,
die Kunst der Malerei erlernte,
um der Hand seiner Geliebten
würdig zu werden. Wir besitzen
von ihm eine Kreuzabnahme, ein
Werk voll gewaltiger Kraft und
dramatischen Lebens. In anderen
Bildern, deren Gegenstand die pathe-
tische Auffassung des vorigen aus-
schloss, erscheint Quintiu reicher
und entwickelt ein eigentümlich
heiteres frisches Leben, so in meh-
reren Altartafeln, namentlich der-
jenigen mit der Sippschaft Christi
in St Peter in Löwen. Besonders
milde und anmutig ist eine Madonna
im Museum zu Berlin. Auch Genre-
darstellungen kennt man von seiner
Hand, wie der Geldwechsler im
Louvrc in Paris, Fig. 92, Geldtcecksler
und Frau von Quintin Messys (Kunst-
hist. Bilderbogen), und die beiden
Geizhälse in Windsor-Castle. —
Eine namhafte Schule scheint sich
an Messys nicht angeschlossen zu
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Malerei.
617
haben; dagegen begegnen wir zur
Reichen Zeit einer nicht unbedeu-
tenden Anzahl Künstler, welche die
Mängel der alten Schule in anderer
Weise auszugleichen suchen. Man
behielt das Gemütvolle der alten
Kornpositionsweise bei ohne ihre
Härten und Unregelmässigkeiten
und bildete die Gestalten richtiger
Die vorzüglichsten Künstler dieser
Zeit sind folgende: Johann von Ma-
hu4ey zu dessen besten Arbeiten das
grosse Altarwerk in der Galerie zu
Prag gehört. In seiner spateren
Zeit verfiel er dem Manierismus der
römischen Schule. Ganz ähnlich
ging es dem Bernhardin van Orlcy,
dem Jan van i<chirrcel, dem Michael
I
Fig. 92. Der Geldwechsler und seine Frau. Von Quintin Mesnys.
voller. Aber mit der Naivität
alten Darstellung verschwand
i zugleich ihr innerliches geheim-
)ll ergreifendes Wesen, ohne
man im stände war, den tiefen
J aus dem die vollendete
itnng der italienischen Kunst
>or<hW ergründen. So
tand eine Leere dos Gefühls,
ron der grasartigen Kr*ft des
,tio Mcssy* weit entfcut war.
Chjciruiul manchen andern Meistern.
Sie versuchten bei dem ausgebildeten
Idealstil der römischen Schule an-
zuknüpfen; allein was dort nach
Jahrhunderten langsam erblüht wsir,
liess sich nicht auf fremden Boden
verpflanzen, ohne den Charakter
eines Treibhausgewachscs anzu-
nehmen. Das sahen die nieder-
ländischen Meister ein und ergaben
sich deshalb ganz der Nachuhu. ung
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618
italienischer Malerei, doch blieb das
Ideal, zu dem sie eich emporzu-
Hchwingen versuchten, eben nur ein
formelles, inhaltloses. Ihre Bedeutung
für die Kunstgeschichte besteht im
wesentlichen darin, dass sie ein Ver-
bindungsglied zwischen den älteren
Meistern und den grossen Schulen
des folgenden Jahrhunderts erstellen.
Zu den Malern dieser Übergangs-
stufe gehören: Lambert J^ombard,
dessen berühmtestem Schüler Franz
Floris die Niederländer den Titel
des flandrischen RatTacl beilegten.
Ferner Otto Venius oder Oetavim
ran Veen, der Lehrmeister von Ru-
beus. Andere wie Antonio Moro
und Franz Pourbus bewahrten auch
jetzt noch eine einfache Tüchtigkeit
der Frische und Auffassung, indessen
zeigen die Produkte dieser Über-
gangsperiode wenig Erfreuliches.
c. Sachbliite der Renaissance.
Im Verlaufe des anbrechenden 17.
Jahrhunderts erstand die Malerei
nochmals in ungeahntem Auf-
schwung. Die Brücke, welche da*
1»>. Jahrhundert gebaut hatte, war
aus den mannigfachen Kämpfen um
innere und äussere Freiheit hervor-
gegangen und hatte das ihm ent-
sprechende Medium für den Aus-
druck seines mannigfaltigen Wesens
in der Malerei gefunden. Sie wurde
zur Lieblingkunst. Nieht nur Italien,
Brabaut und Holland eröffneten ihr
ihr (Gebiet, sondern auch Spanien,
Frankreich und England. Einzig
Deutschland, welches der 30jährige
Krieg zerfleischte, hatte die Lust an
künstlerischen Produktionen ver-
loren. Zugleich erweitert sich aber
auch der Ansehauungskreis.Während
in den katholischen Landen die
Kunst noch einmal aus der uner-
schöpflichen Quelle der kirchlichen
Stoffe neue Anregungen gewinnt,
hat das Walten des modernen prote-
stantischen Geistes den alten Bann
der Überlieferung gesprengt und
den Blick auf die unermessliche
Mannigfaltigkeit des wirklichen Le-
bens, auf die ewige Schönheit der
landschaftlichen Natur, auf die
charakteristische Bedeutung der
Tierwelt hingelenkt. Hier bewegt
sich die Malerei mit unendlicher
Vielseitigkeit, sie sondert sich in
Historienmalerei, in das (»eure, die
die Landschaft, das Tierstück und
Stillleben. Ein gemeinsamer Zug
aber geht durch alle Zweige, der
Naturalismus, der völlige Bruch mit
aller Tradition. Das Streben nach
dem Höchsten und Gemeingültigen,
nach vollkommen gereinigter Schön-
heit und Idealität ist zwar nicht
mehr vorhanden, aber in der Breite,
in frei unabhängiger Behandlung
und Würdigung des einzelnen wird
mannigfach Bedeutendes und Neues
gewonnen.
1. JfUtorienmaferei. Gleich von
vornherein sehen wir in den Nieder-
landen zwei Schulen sich noch schärfer
ausprägen, welche bereits bestanden,
einerseits in Brabant, wo die Malerei
grösstenteils im Dienste der Kirche
bleibt, anderseits in Holland, das
einen gänzlich unabhängigen Weg
der Entwickelung zeigt. Neben
diesen beiden grossen Schulen er-
scheinen noch vereinzelte Maler der
Niederlande und von Deutschland,
welche sich im allgemeinen an die
italienischen Naturalisten anlehnen,
aber wenig Erfreuliches zu Tage
fördern.
a) Die Schule ron Brabant. Der
Begründer dieser Schule, der erste,
welcher den Manieristen des letzten
Jahrhunderts den entscheidenden
Krieg erklärte, war Pete-r Paul Ru-
ftcns, wenn er auch seinen ersten
Unterricht im Malen bei OttoVenius
erhielt, bei welchem er höchstens
jene mauicristische Nachahmung der
Italiener lernen konnte. Allein schon
mit 23 Jahren ging er selbst nach
Italien und erwarb sich dort in
siebenjährigem Aufenthalte eine dem
Drang«? seiner Zeit entsprechende
Grundlage für seine Darstellung.
Die Formen seiner Gestalten sind
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Mulerei.
619
nicht mehr willkürlich nach einem
allgemeinen äußerlichen Schönheits-
gesetz gewählt, sondern es sind die
einerderben kräftigen Natur. Leiden-
schaftliche Bewegung, kühne That-
lust und tiefe mächtige Empfindung
sind die Elemente seiner Kunst.
Dem entspricht auch der hin-
reisseudc Zauber eines leuchtenden,
frischen, mit breiten kühnen Pinsel-
strichen behandelten Kolorits. —
Einer Menge von Arbeiten seiner
Hand, oft von kolossalemUmfauge.be-
gegnen wir in den Kirchen seines Va-
terlandes, namentlich in Antwerpen
den beiden berühmten Bildern der
Kreuzaufrichtung und Kreuzabnah-
me. Aber auch in ausländischen Mu-
seen sprechen zahlreiche Gemälde
für die ausserordentliche Thätigkeit
des Meisters, so imBelvedere in Wien
eine Himmelfahrt Maria, in Madrid
eine Anbetung der Könige, in Wien
das bekannte Ambrosuisgemälde,
wie er Theodorich den Eintritt zur
Kirche verwehrt, in München das
kolossale jüngste Gericht. An diese
Bilder reihen sich eine Menge mythi-
scher Darstellungen von heroischer
Gewalt. Gross ist Kubens aber
auch iu profangeschichtlichen Dar-
stellungen, namentlich wo es auf
dramatische Schilderung ankommt.
Sodann giebt es von ihm eine Menge
genialer Genrebilder, wild bewegte
Tieretücke,gros8artigeLandschafteii,
Porträts u. s. w. Fig. 93. Die ricr
Erdteile von Rubens. Kunst h Bilder-
bogen). Ja, selbst als Architekt
war Kubens thätig. Es würde zu
weit fuhren, alle seine Werke auf-
zuführen, in denen sich alle Fülle
und Pracht jeuer glänzenden Epoche
vereinigt. Der berühmteste seiner
Schüler ist Anton van Dyck (1599
his 1641'), der in seinen früheren
Bildern seinen Meister bis zur Über-
treibung nachzuahmen sucht, nach-
mals aber durch unmittelbare Studien
der Venezianer seinem Stile eine
massvollere edle Schönheit zu ver-
leihen weis«. An Stelle des Kuhens-
schen Thatendranges tritt bei seinen
Bildern der elegische, selbst bis ins
Thränenrciche nnd Sentimentale
gehende Ausdruck der Trauer. Na-
mentlich aber als Porträtmaler er-
warb sich van Dyk einen bedeuten-
den Ruf. Die übrigen zahlreichen
Schüler Kubens ahmten die energi-
schen Seiten seiner Darstellung oft
mit Glück, oft aber auch nicht ohne
Schwere und Roheit nach. Der
Talentvollste unter ihnen ist Jakob
Jordaens.
b) Die hulltindUchc Schule. Auch
in Holland hatte sich gegen Beginn
des 17. Jahrhunderts eine Opposition
gegen die Manieristen erhoben. Den
vollen Ausdruck gewinnt die neue
Richtung namentlich in den soge-
nannten Schützen und Regenten-
stücken, in jenen Kollektivaarstel-
lungen städtischer Genossenschaften.
Die kirchliche Tradition wurde von
dem strengen Protestantismus des
Landes zurückgewiesen, und die
Kunst sah sich zunächst auf treue
Abspiegelung der Wirklichkeit hin-
gewiesen. Zu den tüchtigsten Meistern
gehören Michael Mierewelt (1567 bis
1641), Jan van ßaveste-yn (1572 bis
1657), Franz Hals und Thomas de
Keyser (1595- 1679). Etwas jünger
als die genannten ist Bartholomaus
van der Heist. Er neigt in der Be-
handlung zur Manier des van Dyck
und ist ihm namentlich im Kolorit
nahe verwandt. Die bisherigen
Künstler gingen kaum über das
Porträt hinaus. Im zweiten Viertel
des 17. Jahrhunderts aber trat unter
den Holländern ein Künstler auf,
der eine eigentümliche historische
Malerei schuf, welche einen scharfen
Gegensatz zur bra bantischen Schule
bildete. E* war Hermann Rem-
brandt van Ryn (1607—1669). Zu-
nächst schlosss er sich dem künst-
lerischen Entwicklungsgange der
enannten Meister an. Aber was
>ei jenen in einem gewissen Grade
unbewusst und unbefangen geschehen
war, führt er mit bestimmter aus-
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620
Malerei.
schliesslicher Absicht durch. Er oft mit Vorliebe auf die Nachbildung
nahm sogar eine feindliche Stellung der genieinen Natur aus. Ihm war
ein gegen da» Studium ideal pe- es nicht um Darstellung erhabener
reiuigter Fraucnschouheit und ging Ruhe zu thun, welche das Aju-
Google
Malerei.
621
schauen vollendeter Schönheit ge-
währt, er wollte nur die innere
StimmungseinesGemütes,dasdunkle
Gefühl träumerischer Kraft und ver-
haltener Leidenschaft zur Erschei-
nung bringen. Während die Werke
von Kubens bei allem derbsinnlichen
Wesen immerhin einen gewissen
vornehmen Charakter haben, er-
scheint in den Werken Rembrandt*
jener düstere Trotz, jene im Ver-
borgenen gärende Leidenschaft. In
seinen früheren Werken treten diese
besonderen Eigentümlichkeiten nicht
so schroff hervor. Es mag dies im
Zusammenhang stehen mit seiner
Lebensgeschiente. Die ersten Künst-
lerjahre verlebte er an der Seite
seiner anmutigen Gattin Saskia von
Ulenburg. Mit dem frühen Tode
der geliebten Frau beginnt das
Leben des Künstlers sich zu trüben;
er gerät trotz allen rastlosen Fleisses
in stets wachsende Bedrängnis, die
1656 zum Bankerott führte. — Meh-
rere Porträts aus seiner Frühzeit
sind im Haager Museum und in der
Galerie zu Kassel aufbewahrt. Seine
späteren Werke beherrscht einewun
derbare Ausbildung des Helldunkels,
ein keckes verwegenes Spiel mit
phantastischen, selbst grellen Licht-
effekten. Noch vereinzelt tritt dieses
Streben beim „Paulus im Gefängnis"
aus. Bei der sogenannten „Nacht-
wache" im Museum zu Amsterdam
erblicken wir ein Meisterstück die-
ser Art. Eine genial übermütige
Ironie spricht aus seinem „Kaub
des Ganymed" in Dresden. Mit
Vorliebe behandelte Rembrandt alt-
testamentliche Gegenstände, so das
„Opfer Abrahams" (Petersburg), Mo-
ses (Berlin), Das Leben Simsons
(Kassel) u. s. w. Zahlreiche Dar-
stellungen des neuen Testamentes
hat er in Radierungen ausgeführt,
bei welchen namentlich wieder das
meisterhafte Spiel des Lichtes zur
Bewunderung hinreisst. Endlich
darf nicht vergessen werden, dass
Rembrandt mehrere Landschaften
von grandioser Kühnheit hinter-
lassen hat. Den Schülern und
Nachahmern Rembrandt's ging es
wie allen Nachahmern grosser Mei-
ster. Siefassten die Manier desselben
auf, ohne seinen Genius im ganzen
Umfange zu ererben. Gerbrand van
der Eetchout kommt ihm wohl am
nächsten. Gorart Flinck ist nüch-
terner, oft liebenswürdig und an-
ziehend Ferdinand Bot. Ein treff-
licher Porträtmaler ist J. TÄevenszy
technisch sehr bedeutend Satomon
König.
cj Nachahmer der Italiener. Ne-
ben den Meistern der beiden grossen
Schulen sind noch eine Anzahl deut-
scher und niederländischer Künst-
ler vorzuführen, welche an der ita-
lienischen Malerei festhielten. Am
leidlichsten spricht sich diese Rich-
tung in Johann Rottenhammer von
München (1564—1622) aus, geradezu
widerwärtig in anderen, die in kläg-
licher Mittelmässigkeit dem Michel-
angelo nachstümpern. Eine Aus-
nahme bildet allein der liebenswür-
dige Adam Elzheimer von Frank-
furt (1574—1620), einer der frühe-
sten Meister der Landschaftsmalerei.
Zu et was grösserer Frische hebt sich
die Kunst des 17. Jahrhunderts in
Joachim von Sandrart} Carl Screta
von Prag und Johann Kupetsky
aus Ungarn. Das 18. Jahrhuudert
weist in Christian Dietrich, 'JXsch-
hein und Bernhard Rode ebenfalls
einige beachtenswerte Kräfte auf.
Endlich wäre noch einiger Nieder-
länder Erwähnung zu thun, welche
sich der Weise des Franzosen Polis-
tin anschlössen. Der bedeutendste
scheint Adrian van der Werft' zu
sein , dessen Bilder den höchsten
Gipfelpunkt zeigen, bis zu welchem
I sauberste Ausfuhrung und elfen-
beinerne Gelecktheit Ikü allgemein
! richtiger Zeichnung, aber gänzlichem
I Mangel an allem geistigen Element
zu treiben ist.
2. Genre - Malerei. Schon die
Gebrüder van Eyck hatten die
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622
Malerei.
Fesseln der storengreligiösen Malerei I mälde dareli treffliches Helldunkel
gesprengt und die heiligen Gestal- fesseln
ten aus der Glorie dos Goldgrundes
in den Garten der wirklichen Welt
gestellt Der Protestantismus aber,
der die traditionell kirchlichen Stoffe
versehmähte, hatte den ersten An-
stoss gegeben, dass die Künstler
sich unter ihresgleichen die Ge-
stalten ihrer Bilder suchten und die
Motive zu ihren Gemälden dem sie
umgebenden Leben entnahmen.
Darstellungen des werktäglichen
Verkehrs bildeten den Vorwurf.
Hieraus bildete sich die sogenannte
Genre-Malerei.
Sie scheidet sich je nach Auf-
fassung in höheres und niederes
Genre; dieses bringt Sehilderungen
aus den natürlich und ungebunden
sich bewegenden Kreisen der mensch-
lichen Gesellschaft, ienes aus dem
durch Sitte und Bildung verfeiner-
ten Leben der höheren Stände. —
Näher an Tenier steht Adrutn
Bromrer, dem man nachsagt, dass
er bei seinen Studien im Wirtshaus
untergegangen sei. Auch von Jan
Steen weiss man allerlei Übles zu
erzählen. Seine Bilder aber zeigen
eine freie vergnügliche Auffassung
des gemeinen Lebens. Er ist unter
allen Darstellern des niederen Genres
wohl der geistreichste und kühnste.
Voll von Handlung sind seine Bilder,
und das gegenseitige Verhältnis und
Interesse der dargestellten Personen
und in diesen eine geistreiche man-
nigfach verschiedene Charakteristik
zeugen von starker Beobachtungs-
gabe. — Wesentlich versehieden?von
diesen Meistern bildete sich Feter
ran Laar, der in Italien studierte
und von dort den Namen „Bam-
boccio" mitbrachte, wovon die ganze
Gattung des niederen Genres die
Schon im Ausgange des 16. Jahr- I Bezeichnung Bambocciaden erhielt,
hunderts tritt Peter Brüghel der i Das wilde Soldatenleben weiss Jan
Ältere, der Bauernbrüghel genannt,
in soleher Weise selbständig auf
und führt mit Behagen und derber
Laune Schilderungen des bäurischen
Lebens in seiner Roheit vor. Sein
Sohn, der „Höllenbrüghel", huldigt,
wie Hieronymus Bosch, allen mög-
lichen Teufeleien unter Anwendung
einer höchst effektvollen nächtlichen
Keuerbeleuchtung. In verwandter
fc Dueij und der etwas spätere
Philipp Rugenda* zu schildern. Als
eigentliehe&chlachteninaler erwarben
sich Wouwemumn und ran der
Meuten einen Platz in der Geschichte
der Malerei.
Der edelste unter den Meistern
des höheren Genres ist Gerhard
Terburrf% welcher das Leben und
die Sitten der feineu Gesellschaft
Weise bewegt sich der ältere David \ schildert. Reiche Kleiderstoffe, zier-
Teniers, in dessen Sohn die eigent- liehe Bewegungen, prächtige Zimmer-
liche reife Entwickelung des iriede- Hinrichtungen und dergleichen ver-
ren Genres einen Vertreter findet
Namentlich sind es Bauernhoch-
zeiten, Zechgelage, Prügeleien und
ähnliche Kurzweil, welche er durch
meisterhafte Anwendung des Hell-
dunkels in unübertrefflich malerischer
Gesamtwirkung wiederzugeben ver
leihen seinen Bildern einen poetischen
Reiz. Insbesondere alier geht er
denselben Weg wie Jan Steen. Er
stellt nicht Zustände, sondern Hand-
lungen und Situationen dar und regt
dadurch den Beschauer zum Nach-
denken an. Nicht minder bedeu-
steht. Die „Versuchung des heiligen tend ist Gerhard Dow, der in Rem-
Antonius" giebt ihm reichen Anlass brandts Schule eine meisterliche
zur Entfaltung eines phantastischen Behandlung des Helldunkels erlernt
Spuks. Minder lebendig bewegt hat. Der Weise Terburgs und Dows
schildert Adrian ran (Made das folgten verschiedene andere Künst-
Bauernleben, wenn auch seine Ge- 1er, die, wenn sie auch im allgc-
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Malerei.
G23
meinen nicht die VortrefHichkeit
beiden erreichten, doch in
und Artiges hervorbrachten. Zu
den Liebenswürdigsten gehört Ga-
(iüzelnen Fällen sehr Anmutiges ; briel Melzu, ferner der äusserst
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624
Malerei.
fruchtbare Schüler Dows: Franz von
Mierig , Fig. 94 An der Staffelei ran
Franz vonJlfieris (Kunsthist. Bilder-
bogen) und dessen Sohn Wilhelm.
Sehr Treffliches hat Caspar Netscher
geliefert; in Darstellung zierlicher
Lichteffekte aber namentlich Gott-
fried Schalcken, wenn er auch oft
ins Manierierte verfallt. Unter den
späteren Genremalern ist endlich
noch Peter ran Houtfhe anzuführen,
der sich durch schlichte Auffassung
und gediegene kräftige Ausführung
sehr vorteilhaft auszeichnet.
3. Landschaftsmalerei, Tiersfiiek,
Blumenstück und Still-Lel>en. Schon
im 16. Jahrhundert hatte Joachim
Pafenier und J Jerry de Hl es den
Grund zur selbständigen Ausbildung
der Landschaft gelegt. Auch hier
ist es wiederum einer der Familie
Brüghel, welcher diese Richtung
aufnimmt, der Sohn des Bauern-
brüghels, der sogenannte Sammet-
oder Blumeidtrüf/hel. Ihm schliessen
sich Hol and Kaveri/, Darid Vincke-
Itoams und Jodocus de Moni per an,
allein es herrscht hier überall ein
phantastisches Einerlei vor. Erst
Hubens führt die Landschaft mit
grosser durchgreifender Künstler-
schaft zu jener hohen Bedeutung,
in der sie als eine freie Nachahmung
der Natur in dem Beschauer eine
ahnungsvolle Stimmung erweckt. —
Eine besondere Blüte erreichte die
holländische Malerei, welche sich
die heimische Natur und deren
Eigentümlichkeiten ohne weitere
idealistische Nebenabsichten zum
Vorbilde nahm. Die holländischen
Meister dieser Richtung detaillieren
bis ins Feinste und gehen das
Spiel der Luft und des Lichtes mit
grösster Wahrheit wieder. Der erste
Platz unter den älteren Meistern
gebührt Johann ran Gayen (1596
bis 1656) und dessen vorzüglichem
Schüler Adrian van der Kabel, Eine
bedeutende Einwirkung übte Hrm-
hrandt aus, besonders durch jenes
Spielen des Lichtes und des träume-
rischen Helldunkels. In seine Fuss-
stapfen tritt Artus van der Seer,
namentlich MondscJieinlandschaften
mit Meisterschaft darstellend. Fig. 95.
Jjandschaft van Artus van der Neer
(Kunsthist Bilderbogen.) Eine ge-
mütliche Auffassung der Natur zeigt
Anton Waterloo in seinen Wald-
bildern. Jacob Huisdael ist der-
jenige, dessen Bilder den eigent-
lichen Kern und Mittelpunkt dieser
Richtung der Landschaft ausmachen.
Seine Gemälde bewegen sich in den
Formen der nordischen Natur, und
spiegeln darin den altgermani-
schen Naturdienst wieder. Mit über-
mächtiger Gewalt steht die Natur
dem Menschen gegenüber; seine
Werke zeigen sich meist als Ruinen,
von den gewaltigen Einwirkungen
der Natur überwunden. Minder De-
deutend sind die Bilder seines älteren
Bruders Salomon; dagegen hatte
Jakob in seinem Schüler Minder-
hout llobbema einen tüchtigen Nach-
folger.
Eigentümlich steht den bisherigen
AI der! van Fverdingen gegenüber,
der in seine Gebirgsgegenden Nor-
wegens eine wilde grossartige Cha-
rakteristik legt. Neben der Land-
schaft wird in Holland auch die
Seemalerei mit Eifer gepflegt. Be-
deutende Meister dieses Faches sind :
Jan van de Capelle , Bonaventura
Peters, Jan Peters, Simon de Vlieqer.
der vorzüglichste von allem aber:
Willem van der Velde der Jüngere.
An diese schliessen sich die
niederländischen Architekturmaler
an, unter denen namentlich Peter
Neefs, ran der Heyden und van
Steentruck der Jüngere Tüchtiges in
Perspektive leisten.
Eine Verschmelzung des Genres
und der Landschaft erblicken wir
in den Bildern Philipp ffi/www*-
maus. Auf die Schilderung dea
Tierlebcns war schon Jiul/ens in ge-
waltigen Jagd- und Kampfscenen
eingegangen. Sein Freund Franz
Snyders brachte es im Tierstück
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Malerei.
625
zu grosser Meisterschaft, ebenso llcem , Johann Hnt/sum etc. End-
Johann Fi//, Karl Rvthart und an- lieh ist noch der sogenannten
derc mehr. Stillichen oder Friihstüeksbilder zu
Fig. 95. Landschaft von Artus van der Nccr.
In der Blumenmalerei hatte der gedenken, als deren vorzüglichste
,,Blumcnbrüghel" bereits einen zier- Meister Wilhelm ran Acht, Aariacns-
liehen Anfang gemacht. Ihm folg- I sen und Feier Sason gelten,
ten Daniel Serfhers, David de ' Damit sind wir hart an die Kunst
Uealleilcon der dcuUchen Altertümer. 40
U20 Mandorla. — Mantel.
der Neuzeit herangerückt. Noch- [ dein Seh werte in der Hand in die
mal» wurde dieselbe durch das be- Nachbarstaaten trug. Mit der Bie-
geisterte Wirken Winekelmanns an derkeit und Einfaehheit der Re-
den Quell der Kiinstscliöpfungen publik fiel aber auch die sehlichte
des klassischen Altertums zurück- Ttxja oder artete in absonderliche
geführt, aber aus dem antiken Ge- Formen aus, sodass sie ihrem Zwecke
dankenkreise und der klassischen oft entfremdet wurde.
Forrnauffassung war auf die Dauer Die Franken ahmten in ihrer
eine wahrhaft lebendige Fortbildung Tracht die römischen Formen nach,
der Malerei nicht zu gewinnen. Sie Sie schnitten ihre Mäntel aus einem
bedurfte eines neuen Inhalts, einer viereckigen Stück Tuch, und trugen
volkstümlichen Nahrung, einer natio- j sie „übereck", sodass die Spitzen
lüden Grundlage. Dies wurde ihr vorn und hinten bis auf den Boden
verschafft durch die tiefeingreifenden reichten, zu beiden Seiten aber der
Bestrebungen der Romantiker, als Unterschenkel frei blieb. Deni-
deren erste Vertreter l iier Vorne- 1 selben war wohl auch — nach Art
Uns, Friedrieh Orerheck, J hilipp ' der romischen paenufa — eine Ka-
Veit und Wilhelm Sehaäow erschei- j.uze angefügt, zur Deckung von
neu. Nach Lübbes Grundriss der Kopf und Hals. Nach der Farbe
Kunstgeschichte. Vergleiche im trug man sie mit Vorliebe grau
übrigen: Geschichte der Malerei von oder blau.
H'olfmann. Dahme, Kunst und Vom 11. Jahrhundert an. wird
Künstler des Mittelalters. U'oagen, er halbkreisförmig, bald auch kreis-
Handbuch der Geschichte der deut- förmig geschnitten, und erhält sieh
sehen und niederländischen Maler- in diesen beiden Formen durch das
schulen. A. H. ganze Mittelalter hindurch. Kr wird
Mandorla oder mystische Mandel auch kürzer, zierlicher, köstlicher,
heisst eine Glorie in Form eines dient aber immer weniger zum
früher stumpfen, später oben und ! Schutz, als zur Zierde. Getragen
unten zugespitzten Ovals, die na- ' wird er anfanglich auf der linken
mentlich den Salvatorbildem, der Schulter, auf der rechten befestigt,
verherrlichten Madonna und der dann als Rückcnmantel auf beiden,
Maria Magdalena zukommt. Name vom durch ein Band, eine Agraffe
und Bedeutung erklärt sich daraus, oder Kette (Mantelschlossi zusum-
dass die Maudelfrucht als süsse mengehalten. Der Mantel der letz-
Frucht im harten Kerne als Sinn- teren Art hiess auch „Glocke" und
bild der Menschwerdung galt. war oft der ganzen Länge nach
Mannschaft, siehe Lfhusmesen. zum Zuknöpfen eingerichtet. Beide
Mantel. Unter den eigentlichen wurden mit oder ohne Gugelhaube *
Kleidungsstücken ist der Mantel das getragen. Auch als mit dem Bc-
älteste Wie im Oriente, so kommt ginn des 14. Jahrhunderts die weit-
er auch bei den ältesten Kidtur- faltigen Gewänder den Mantel für
volkern des Abendlandes ursprüng- den gewöhnlichen Gebrauch leicht
lieh als das einzige vor, indem er, entbehrlich machten, wurdeergleich-
aus einfachen Stoffen gefertigt, als wohl beibehalten, wenn auch noch
faltiges Gewand den Körper deckt, mehr gekürzt und mit ausgezoddel-
von den Schultern bis zum Fuss, ten Rändern geziert. Zu einem
und zwar gehörte er beiden Ge- weitgeöffneteu, nutzlosen, oft nur
schlechtem gemeinsam an. In noch lappeuähnlichen Rückenbehang
zweiter Linie tritt dazu das ärmel- wurde der Mantel an «1er Wende
lose Untergewand. So in Rom, das des genannten Jahrhunderts, wäh-
seine Sitten und Gebräuche mit rend er in der Folgezeit als Zier-
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Marienkultus.
627
kleid falleu gelassen wird und mehr
noch als Bedürfniskleid, aber als
solches wieder längergefaltet auf-
tritt.
In bezug auf Stoff, Farbe und
Verzierungen unterschieden sich die
verschiedenen Stände auch in ihren
Mänteln genau, und namentlich
Amtspersonen und Würdenträger
entbehrten seiner als Symbol oder
Abzeichen nicht; bei der Amtsklei-
dung spielte neben dem Schwert
und Krummstab auch der Mantel
eine wichtige Rolle. (Siehe die
Artikel Krönungsinsignien und Or-
nat.) Der auf der Erde ausgebrei-
tete Mantel ist das Zeichen der Be
sitznahme eines Landes durch einen
Feldherm, die Bekleidung mit dem-
selben der Einsetzung in ein be-
stimmtes Amt. Der Amtsrock aber
wurde nur getragen während der
Ausübung amtlicher Funktionen.
Vorehelich geborene Kinder werden
legitimiert, indem die Mutter sie bei
der Trauung mit ihrem Mantel be-
deckt; daher ihr Name — Mantel-
kinder. Verurteilte aber werden in
den Verbrechermantel gehüllt und
öffentlich ausgestellt oder zur Richt-
stätte geführt.
Marienkultas. Ein solcher ist
zwar nicht vor dem 5. Jahrhundert
nachzuweisen; doch gehören die
Vorbereitungen dazu, welche in dem
Bestreben ihren Grund haben, die
Mutter Jesu über ihre neutestament-
liche Stellung zu erheben, immerhin
früheren Jahrhunderten an. Das
nächste Interesse zu dieser Erhe-
hebung liegt in der reichereu
Ausbildung der Lehre vom Gottes-
menschen und des Aktes seiner
Menschwerdung. Sodann griff die
typisch - allegorische Interpretation
des Alten und Neuen Testaments
schon im 2. Jahrhundert zu Verglei-
chungen der Eva und der Maria;
jene glaubte der Sehlange und wurde
dadurch Urheberin der Sünde, des
Todes; diese glaubte der Botschaft
des Engels und wurde dadurch
Werkzeug des Heiles, des Lebens;
anfänglich nur als unverfängliches
Spiel ausgesprochen, gewöhnte man
sich «loch mit der Zeit daran, Maria
im vollen Sinne zur Begründerin
einer neuen Menschheit, zur Mitt-
lerin und Fürbitterin bei Christus
zu machen. Eine weitere Entwick-
lung der Marienverehrung liegt in
der seit dem 4. Jahrhundert beson-
ders durch das Mönchtum verbrei-
teten und geforderten Wertschätzung
des asketischen Lebens und der
Virginität. Anfänglich nahm man
zwar an, Maria sei bloss vor der
Geburt Jesu Jungfrau gewesen,
habe aber später den Josepn geehe-
licht und ihm Kinder geboren; spä-
ter wurde das bestritten, und man
nahm entweder bloss eine Schein-
ehe an oder nannte die Brüder Jesu
Söhne Josephs aus einer früheren
Ehe, oder bloss Vettern desselben;
die Scheinehe aber hielt man darum
für notwendig, damit dem Fürsten
der Welt das Mysterium der jung-
fräulichen Geburt verborgen bliebe.
Die weitere Folge dieser Lehre war,
dass man Maria nicht bloss mora-
lisch, sondern auch physisch Jung-
frau bleiben Hess, und annahm, dass
sie mit geschlossenem Leibe, clawto
utero, geboren habe, namentlich in
Anlehnung an Ezechiel 44, 1 — 3, wo
von dem verschlossenen östlichen
Thore des Tempels die Rede ist,
durch welches Jehova hindurch-
gegangen sei, welches nun typisch
auf Maria bezogen wurde. Dazu
kam schliesslich die Vorstellung,
dass Maria auch ohne Schmerzen
! und Belästigung geboren habe.
Ihren Ausdruck erhielten diese
Ansichten im 3. und 4. Jahrhundort
in einer Reihe von apokryphischen
Erzählungen, durch welche die dürf-
tigen Nachrichten des neuen Testa-
mentes über die Jugendgeschichte
Jesu ergänzt werden sollten; die
älteste derselben ist das Protrran-
qelium Jakobi, von dem die Erzäh-
lungen vom Zimmermann Joseph,
40*
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628
Marienkultus.
von der Geburt der Maria und von
der Kindheit Jesu bloss verschie-
dene Redaktionen oder Fortbil-
dungen sind. Danach heissen Marias
Eltern Joachim und Anna, die, ein
kinderloses Ehepaar, im Falle der
Geburt eines Kindes dasselbe dem
Herrn zu weihen gelobten, dem es
alle Tage des Lebens in steter Vir-
ginität dienen solle. Obscbon die
Kirche diese Schriften als unecht
verwarf, blieben doch inaiiehe Züge
daraus in der kirchlichen Tradition
bestehen, ausser den Namen der
Eltern die Erziehung der Maria im
Tempel, die Seheinene mit dem bei
der Versprechung schon 90 Jahre
alten Joseph, die" Geburt der Maria
in einer Höhle.
Zur Aufnahme der Marienver-
chrung trug sodann, obgleich unbe-
wusst, der Umstand bei, dass die
bekehrten Heiden, die unwillkürlich
nach Analogieen ihrer herkömm-
lichen Götterverehrung mit dem
christlichen Glauben suchten, in
Maria Züge ihrer weiblichen Gott-
heiten wiederzufinden meinten oder
jene in ihre Auffassung der Gottes-
mutter hineinlegten; bei den Ger-
manen gingen viele Züge der Him-
melskönigin Freia auf Maria über
(siehe Freia).
Ein wichtiger Wendenunkt in
der Entwicklung der Marienver-
ehrung war der Ncstorianische Streit.
Nettorinu, seit 428 Erzbischof von
Konstantinopel, der für die Unter-
scheidung aer beiden Naturen in
Christo eintrat, bestritt die Zweck-
mässigkeit des verbreiteten Attri-
butes der Maria tttoioxoj, Gottes-
gebärerin, und wollte sie lieber
XQiarotöxo*, Christusgeb;irerin, ge-
nannt wissen. Gegen ihn trat
Cyrillus, Bischof von Alexandrien,
auf und setzte es auf der Synode
zu Ephesus 431 durch, dass die
Ansicht des Nestorius verdammt
und die Rechtgläubigkeit des Na-
mens Gottesgebärerin anerkannt
wurde. Ein ungeheurer Jubel be-
gleitete die Entscheidung; man
nannte jetzt Maria das Paradies
des zweiten Adam, die wahrhaftige
leichte Wolke, auf welcher der über
den Cherubim Thronende fährt, die
einzige Brücke Gottes zu den Men-
schen, den beseelten Strauch der
Natur, den das Feuer nicht ver-
brannt hat, den Webestuhl der
Menschwerdung. Und da um die-
selbe Zeit die Verehrung der Mär-
tyrer und Heiligen als Fürsprecher
für die Sünder in ihrer kräftigen
Blüte stand, trat nun Maria an ihre
Spitze. Die Gebete an sie wurden
jetzt erst allgemein. Kirchen wur-
den ihr geweiht, Altäre errichtet,
Bilder aufgestellt; im Jahre 606
wurde das längst verschlossene
Pantheon des Agrippa zu Rom zu
einem Tempel der Maria ad mar-
lyres geweint.
Bald erzählte man auch von
Wundern, welche Maria gewirkt
haben sollte, und stellte ihr Bild
mit denen der übrigen Heiligen
nicht bloss in Kirchen, sondern
auch in Häusern und auf Wegen
allgemein aus, zündete vor ihnen
Lichter an, beräucherte sie, betete
vor ihnen. Es bildete sich jetzt
auch eine Tradition über ihre Ge-
stalt und ihr Aussehen; im 11. Jahr-
hundert wurde sie mittlerer Ge-
stalt geschildert, bräunlicher Farbe,
gelblichen Haares, ovalen Ange-
sichts, schmaler und länglicher
Handbildung. Als das berühmteste
Bild galt das, welches angeblich
von Lukas stammt.
In ihren Bildern stellte man an-
fänglich Maria, in den Gesichts-
zügen ihrem Sohne ähnlich, als Ma-
trone von 40 — 50 Jahren .dar; im
13. Jahrhundert erscheint sie jünger
und ziemlich von gleichem Alter
mit Jesus, gegen Ende des Mittel-
alters oft als Mädchen von 16—20
Jahren. Ausser dem langen Unter-
gewandc trägt sie einen weiten, oft
zugleich als Schleier dienenden Man-
tel, den Mantel der Gnade; die typi-
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Marienkultus
629
echen Farben ihrer Kleidung sind
blau und rot. Nach Offenb. 12, 1
erseheint Maria in Statuen von einer
strahlenden Sonne umgeben, auf
dem Haupt eine Krone von 12
Sternen, in der einen Hand das
Zepter, auf dem anderen Arm das
Kind, zu ihren Füssen den Mond,
der auf der Erdkugel steht, um
welche sieh eine Schlange windet
mit dem Apfel im Maul.
Man unterscheidet Marienbilder
als Gegenstand religiöser Verehrung,
und historische Bilder. Die Marien-
bilder als (i egenstand religiöser Ver-
ehrung stellen entweder die Jungfrau
ohne das Kind dar als verschleierte
Matrone mit betend ausgebreiteten
Armen, zur rechten HantT ihres ver-
herrlichten Sohnes sitzend, Sponsa
Bei; in einem Buche lesend als
Yirgo Sapicntissima; von Gott Vater
und Christus gekrönt als Yirgo in-
coronata-, ihren Mantel ausbreitend
über die gläubige Gemeinde als
Mater misericordiae. „Maria Schutz" ;
unter dem Kreuze stehend; ein
Schwert, auch fünf oder sieben
Schwerter in der Brust, mit Be-
ziehung auf ihre sieben Schmerzen
" eschncidnng Christi, Flucht nach
evpten. Verlier ung Jesu im Tem-
pel, kreuztragnng Jesu, Kreuzigung,
Kreuzabnahme, (irablegung) ; im
Gegensatze zu den sieben Freuden
(Verkündigung, Heimsuchung, Ge-
burt Christi, Anbetung der Weisen,
Auferstehung Christi, Ausgiessung
des heiligen Geistes, Krönung durch
Gott Vater und Christus) als Maler
dolorosa; auf der Mondsichel als
Yirgo purissima, Gottes Magd; Ke-
rf i na sine labe original i coneepta,
Himmelskönigin. Seitdem 15. Jahr-
hundert kommen die sogenann-
ten Rosenkra uzbilder auf, in wel-
chen rote und weisse Rosen (Freu-
den und Leiden) die Jungfrau um-
geben, welcher alle Stande Rosen-
kranze überreichen; ähnlich sind
die Bilder der „Maria im Rosen-
hag". Oder die Jungfrau isf mit
dem Kinde dargestellt , auf dem
Throne sitzend, das Kind auf dem
Schoss, in feierlich ernstem Typus
als Mutter Gottes, Saucta Dei geni-
trix, oder das Kind auf den Armen
haltend, in reizend lieblichem Ty-
pus als Mater amabilisy alma Mater.
Die historischen liilder stellen das
Leben der heiligen Jungfrau nach
jenen apokryphischen Legenden und
nach der heiligen Schrift vor. (Siehe
über die Bilder: Otte. Handbuch
der kirchlichen Kunstarehäologie
S. 940 ff.)
Die im 11. Jahrhundert auf-
tretende asketische Richtung der
Theologie und der Kirche nimmt
im Mariendienste noch höheren
Schwung; Peter Damiani, der
Freund Gregors VII., nennt Maria
deißcata. vergottet, alle Gewalt ist
ihr im Himmel und auf Erden ge-
geben, kein Ding unmöglich, Ver-
zweifelnde richtet sie zur Hoffnung
auf. Sie tritt vor den goldenen
Altar der Versöhnung, nicht als
Magd, sondern als Herrin, befeh-
lend, nicht bittend. Sic ist das
goldene Bett, auf welchem Gott er-
müdet von der Mensehen und Engel
Treiben sich niederlegt und Ruhe
findet. In wahrhafter Verzückung
erzählt Damiani die Vorbereitungen
zur Verkündigung; die vernünftige
Kreatur fällt, der Allmächtige birgt
schweigend seine Verlegenheit, end-
lich wird Maria geboren und ent- '
faltet in ihrer Blüte einen solchen
Zauber der Schönheit, dass aie
selbst das Auge Gottes reizt; in
heftiger Liebe entbrannt, sin^t er
das ganze hohe Lied zu ihrer Ehre;
unfähig, seine Leidenschaft zurück-
zuhalten, sammelt er die Engel und
verkündet den Staunenden seinen
Ratschluss, dass wie durch ihn alles
geschaffen, so auch durch sie alles
erneuert werden soll. Dieser Be-
schluss wird in Schrift gefasst dem
Engel Gabriel übergeben. Ähnlich
sprechen sich Bernhard von Clair-
veaux, Bonaventura und andere aus.
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630
Marieiikultus.
Infolge dieser Vorgänge prägte
sich der Marienkultus seit dieser
Zeit immer mehr in den Formen
des kirchlichen Lebens ans, und
wenn es an mancherlei Warnungen
auch jetzt nicht fehlte, trat ihre
Verehrung thatsächlich ebenbürtig
neben diejenige Christi. Seit dem
11. Jahrhundert widmete man ihr
in den Kl« »stern ein Offizium und
heiligte ihr den Samstag, wie Christo
der Sonntag geheiligt war; auf dem
Konzil zu Clermont dehnte Urban II.
1Q95 die Rezitation des Offizium auf
den gesammtcn Klerus aus. Gegen
das Ende dieses Jahrhunderte kennt
man im Abendlande schon über 100
der Maria geweihte Kloster. Natür-
lich waren auch ihre Reliquien vor
allen anderen gesucht und wunder-
thätig. Die Kirche zu Chartres be-
sass ihr Hemd: die Klnsterkircho
zu Fleury von ihrer Milch: das
Kloster Trenorch in Frankreich die
Gewänder, die sie teils für sich,
teils für ihren Sohn gewoben; dem
Kloster Monte Cassino schenkte
Benedikt VIII. ein Stück von ihrem
Schleier. Kaiser Karl IV. besass
ausser den Doubletten aller ge-
nannten Stücke einen Rest der
Wachskerze, die bei ihrem Tode
1 »rannte, und einen Palmzweig, den
die Apostel vor ihrer Bahre her-
trugen. Die berühmteste Reliquie
ist aber ihr Wohnhaus, welches
1291, als Palästina den Abendhin-
dern völlig verloren ging, von Engeln
nach Tersale in Dabnatien , drei
Jahre später aber nach Recanati in
Picenum iLoretto) getragen worden
sein sollte.
Besondere Verehrung genoss
Maria in den Orden. Sie war Pa-
tronin des deutschen Ritterordens;
die Dominikaner widmeten ihr seit
1270 den Rosenkranz, die Franzis-
kaner eiferten fiir ihre unbefleckte
Empfangiiis, die Karmeliter er-
richteten auf der Maria Ermahnung
hin die Skapulierbrüderschaft. Seit
dem Ende ((es 1 4. Jahrhunderts ver-
einigten sich allenthalben gleichge
sinnte Marienverehrer zu Liebfrau«*n
gilden, die sich zur feierlichen Be-
gehung der Marienfeste t siehe den
Artikel Feste), zur Teilnahme am
Begräbnis ihrer Angehörigen und
dergleichen verpflichteten.
Mit der Zeit war der Marieu-
dienst ein beliebter Stoß' der latei-
nischen und der deutschen Dichtung
des Mittelalters geworden. Iber
das Alter der frühesten
hymnen ist nichts Näheres ausge
macht; es gehört dazu namentlich
der Hymnus Are maris stella. Diese
sind gesammelt in Mone.t lateinischen
Hymnen des Mittelalters, Bd. II..
Marienlieder 1854.
In der deutschen Dichtung be-
ginnt die Marienpoesie nicht vor
dem Anfang des 12. Jahrhundert«;
Ottfried und Heliand, die doch Ver-
anlassung genug gehabt härten,
zeigen noch keine Spur von ausge-
bildeter Marienverehrung. Diese be-
ginnt vielmehr mit lyrischen Dich-
tungen zum Lobe der Jungfrau,
worunter besonders das sugenaunte
Mölker Marien h'ed, dessen erste
Strophe lautet:
Ju in erde leite
Aaron eine fjerte:
diu ffrhar mandaton
nuzze aU6 edile.
die suozze hast dü füre hrdht,
mitofer une manne* rat,
saueta Maria.
Es ist aber alle Mariendichtung,
lateinische wie deutsche, getragen und
erfüllt von einer reichen Zanl alle-
gorisch-symbolischer Bilder, die sich
meist auf das Wunder der Geburt
Christi beziehen und Erscheinungen
aus der Bibel oder aus der Natur
betreffen, in denen eine wirkliche
oder scheinbare übernatürliche Wir-
kung zu Tag«' tritt. Wilhelm Grimm
hat in seiner Ausgabe von Konrad
von Würzhura goldener Schmiede.
Berlin 1840, diese Bilder nach ihren
Fundorten zusammengestellt, von
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Marionkultus. 631
denen hier die bezeichnendsten an- schliefst; sie ist das Wiesel, von
gemerkt werden mögen. Maria der das Hermelin geboren ward,
wurde von Gott durchdrungen wie Gold und Seide oder Seide und
die Sonne durch Glas scheint; wie Flachs ward zusammengebunden;
Krystall und Beryll kalt bleiben, sie ist der Zünder, an welchem
Während eine Kerze durch sie ent- Gottes Flamme sich entzündete, das
zündet wird, so ward durch den Feuer den Lehm«, in dem der alte
göttlichen Schein Christus, das wahre Phönix sich verjüngte, der rersiegelte
Licht, entzündet. Sie ist wie ein Brunnen nach Hohes Lied 4, l
Spiegel, der tausend Bilder aufnimmt, die Erde, mit der sich der Himmel
ohne verletzt zu werden; wie die vereinte, die gebenedeite Erde, der
Luft, die klar und hell ist, wenn beschlossene Garten, den Gott selbst
die Sonne durch sie scheint, sonst hütete, nach Hohes Lied 4, 12; die
aber dunkel; wie das Gestirn seinen Aue, die von Himmel st au begossen
Glanz hervorbringt, so gebar sie und beregnet, Blumen tragt; das
den Herrn ohne Schmerz. Gott, war
Lammfell Gideons, welches allein
bei ihr, w ie die Sonne hei den Blumen von dem Tau befeuchtet ward,
wenn sie den Tau verzehrt; sie ist wahrend alles andere trocken blieb;
der feurige Busch, der unversehrt sie ist das Sieget, auf welches die
blieb; der Berg, aus dem der Stein, Gottheit sich abdrückte, das Ob/al-
d. i. Christus kam, der das Bild eisen des lebendigen Himmelsbrotes,
zerstörte, welches Nebukadnezar im Gottes Tabernakel , der geweihte gol~
Traume sah, die ewige Horte des dene Schrein, der das Himmelsbrot
Himmelreichs, des Paradieses, der beschlossen hat, der Balsamschrein,
Saelde, denn sie empfing das Wort der qöldene Eimer , das Wachs, in
durch das Thor ihres Ohres, wo- welches der Honig der göttlichen
durch die Tauhe, der heilige Geist, Süssigkeit gelegt ward, das Himmels.
leise in ihr Herz geflogen kam; sie nestdas J'elikans, das oberste Himmel-
ist die Pforte des Tempels gen reich, darin Gott wohnt, Gottes
Morgen, die verschlossen war und Statt, Zelle, Pala>t, Zelt, Kapelle,
durch welche nur der Herr einging; Saal. Haus, Gadern, Arche, Tempel,
wie das Einhorn, das nicht erjagt Thron, Scdel, Sessel, Fürstenstiihl,
werden kann, aber freiwillig zu einer der Werder, in dessen herrlichem
reinen Jungfrau kommt und in ihrem Kräuterduft Gott sich erging, die
Schoss entschlaft, so ist Christus. Kammer der wahren Sonne, die
von dem Hiinmelsjäger getrieben, Krippe des Lammes, Salomons Thron
zu Maria gekommen. Sie gleicht und Tempel.
der (werte Aarons, welche, obgleich Als Mutter und Jungfrau zu-
dürr, dennoch grünte, blühte und gleich heisst sie muofermeit. meit-
Mandeln trug, daher sie auch Man- muoier, Gebärerin des Schöpfers,
delbaumes Blüte, blühendes Mandel- Gottesbraut, Himmelsbraut, Braut
reis, blühendes Himmelreis, genannt von Sazareth, Erwählte Gottes Dirne,
wird; sie ist die blühende Garbe von Gottes Mutter, Tochter, Gemahl,
Jesse nach Jesaias 11, 10 und Kömer Amme -, sie war bei Joseph wie das
15, 12; eine blühende Aloe, die Hute, blühend«' Rosenblatt bei dem scharfen
womit Moses das Meer teilte, das Dorne, daher sie Uose ohne Dornen
Körblein, in dem Moses auf da" heisst, nach Hohes Lied 2, 2, Rose
Wasser gesetzt wurde; wie das im I/immelstau, f.ilie i» Dornen,
Seidenwürmlein im Gespinnst wart! Zederbaum ohne Wurm, Turteltaube
Christus bei ihr gefunden; sie gleicht ohne Galle; ihre Keuschheit gleicht
der Fffume im Meer, in welche sich dem weissen Schnee, dem Elfenbein,
nachts ein Vogel senkt und ein- der Tauhe, dem arabischen Golde.
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032 Marienkultus.
Nach einer andern Richtung heisst ihrer Liebe und Reinheit, brennende
Maria Himmelskaiserin , Kaiserin, Minnenblüte. Wie die rote und
sie ist von David« < 1 ischlecht, Da- weisse, ist sie auch die kalte und
vids Tum, nach Hohes Lied 4, 4; warme, und weil sie, die weisse, von
Salomons Kind , Tochter von Sion, dem Feuer des Geistes berührt und
Jerusalems Zinne. Sie heisst Htm- gebräunt worden ist, ist sie auch
mel.skönigin, trägt eine Krone von die schwarze und liebliehe, nach
zwölf Sternen auf dem Haupt, hat Hohes Lied 1. 4, 5. Sie ist die
die Sonne zum Kleid, deu Mond Viole wegen ihrer Demut, Yiol-
zum Schemel nach Otfenb. Job. 12, 1; geruch im Marz, Violenfeld, 6ster-
sie ist selbst die Sonne, das Licht, gloie, zife/öse, grüenender klee, Ital-
die Morgenröte, der Mond, nach sam, balsamife, myrrhe nach Hohes
Hohes Lied 0, 5»; sie gleicht dem Lied 5, 6, bisam, teirouchbühse, la-
Adler, dessen Augen allein das rendel , Muskatblume, Muskat nuss,
Sonnenlicht ertragen, sie ist eine Seikenblüte, Apotheke nach Hohes
Fackel, die vor Erschaffung aller Lied 3. 6., ll'einga rten , Traube,
Dinge vor Gottes Antlitz brannte, (färbe. Weizengarbe,. Acker, auf dem
Ii rics und Staub. Gras und Laub, der Weizen reifte, Ölbaum, Granat-
Regcntropfen und Sterne, könnten bäum, Zeder auf Libanon, Cypressr
sie sprechen, würden ihr Lob nicht in Sion. J'alme von Cadcs nach Job.
zu Lüde bringen; wie das Meer 7, 7., l*lafane.
(marej alle Flüsse sammelt, so ver- ! Maria, die Mutter aller Christen-
einigt Maria alle Güte. Unerschöpf- heit, ist die zweite Kva ; daher
lieh sind die Gleichnisse, die ihre grüsste sie Gabriel mit ave, dem
Herrlichkeit ausdrücken: sie ist der u ngekehrten Eva; sie giebt das
Welt Heil, ein Himmelshort. Spiegel Leben, indem sie den Sünder zum
der Wonne, Spiege/glanz der Kugel- Heil führt, sie erleuchtet die fin-
schar. der Angel Augenweide , der stcre Nacht, als sei es Tag, sie ist
Kugel Königin und K aiserin, Frau daher der Meerstern , lettesterne,
und Vogt in, diu höchste in himel Morgenstern, tremunUtne, Stern von
über clliu laut, himelrrouwe, rrouwe Jakob, Stern der drei Könige, trost
aller rreude, der rreuden für, rröu- der wiseldsen , ihr banier und teit-
dental, wunaentanz, seitenklanc , hi- ran, sie tragt die höchste Sturm-
melsanc, des herzen schal; sie ist fahne wider die Hölle, sie ist der
der saelden fac, ursprinc, gater und vrideschitt der Christenheit, der
houbetschatz , der saelden kint, ein Gnadensee, wo man mit Freuden
Glücksrad, des Wunsches wünsch, ein landet, ankerhaft , Segelicind , Gna-
Diamanf. der wei.se, der Edelstein denjfuf, Himmelsstrasse. Himmels-
in der Reichskrone, der Karfunkel, pfad. Da ihr Gewand den Geruch
der vor Gottes Thron leuchtet, von Aromatkrautern hat, so ziehen
Smaragd. Sanhir, Perle, goldes ihr die kranken Seelen auf der
bouge, die triefende Honigwabe nach Himrnelsstrassc (der Milehstrasse)
Hohes Lied 4, 11., Himmehmanna, nach, wie dem Panther im Mai
Zuckerwabe, Zuekerstande, lebendiu seines süssen Atems wegen alles
himefspi.se, Milch. Sie ist der Saal, \\i\d nachläuft. Dem Schwerer-
der Berg und Thal eiuschliesst, das krankten ist sie ein salbe und lacf-
Raradies des herrlichen Obstes, ein j icarje, sie reinigt die Seele wie der
Garten edler Blumen und gewürz- Kampfer deu. der ihn an die Nase
reicher K r.'iuter, eine blühende Heide, halt , sie ist die liüchse, die Salbe
ein Rosengarten, eine Himmelsrose, trägt für alles Weh, die Arznei der
Rose von Jericho, Lilie, Lilienaue, Sünder, die wünsehefgerte der sael-
Rose und Lilie, zugleich wegen den, die Wüns'hclrüte der Gnade,
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Marienkultus.
633
womit in der Wüste Wasser aus
dem Stein gesehlagen wurde, ein
süsser Tau, ein lebender Brunnen,
ein Bach den Durstigen, das Wasser
des l'aradieses, das in vier Arme
sieh teilt, das sind Christen, Ketzer.
Juden und Heiden, über die sich
ihr Trost ergiesst; wie der Adler
seine Jungen aus dem Neste, so
führt sie uns der Sonne entgegen;
wie der Strauss seine Eier ausbrütet,
indem er sie anbliekt, so ist ihr
Auge über uns geöffnet und be-
wacht uns.
Da Maria den bösen Feind ver-
jagt und seine Macht zerstört, so
gleicht sie der Judith, die dem Ho-
lofernes das Haupt abschlug; sie
ist vor Christus unsere vögtinne, ad-
vocata, süenaerinne , sünden wende-
rinne, die müllerin, die das Korn
der Gottheit gedroschen, gemahlen
und zu Himmelsbrot gebacken hat.
Der Schmerz bei dem Tode ihres
Sohnes drang nach Luk. 2, 35 als
ein Schwert durch ihre Seele.
Die deutsche Mariendichtung der
höfischen Periode geht teils von
geistlichen, teils von weltlichen Dich-
tern aus und gehört entweder der
epischeu oder der lyrischen Gattung
au. Unter die epischen Dichtungen,
die sämtlich von Geistlichen her-
rühren, zahlen eine Anzahl breit
ausgeführter Marien/eben nach den
oben erwähnten apokryphischen
Quellen ; dazu gehört ein Gedicht
des Mönches Wernhcr von Tegern-
see, das in drei lief zerfällt, deren
erstes die Geschichte Annens, das
zweite die Jugend Marias und ihre
Vermählung mit Joseph, und das
dritte die Gebort des Heilands und
die Geschichte bis zur Rückkehr
nach Judäa enthält; im 14. Jahr-
hundert schrieb Waltherron Rheinau
ein Marienleben in 15000 Versen,
ein anderes Bruder Philipp, ein
norddeutscher Kartäuser - Mönch;
auch das Passional begreift in sei-
nem ersten Ruche denselben Inhalt.
Von höfischen Dichtern giebt es
Leiche, Lieder und Sprüche zum
Lobe Mariens, doch nicht in grosser
Anzahl; im ganzen war ihr Sinn
mehr weltlichen Stoffen und nament-
lich weltlicher Minne zugewandt,
wenn schon anderseits der höfische
Frauendienst im Mariendienste seine
religiöse Weihe erblickte, beide Er-
scheinungen jedenfalls ähnlichen
inneren Ursachen ihr Dasein ver-
danken; es fällt auf, dass in Wolf-
rams Werken keine Spur von einer
Verehrung der Jungfrau sich zeigt.
Ein weitausgesponnener Hymnus auf
Maria, den man früher Gottfried
von Strassburg zuzuschreiben pflegte,
ist nachgewiesenermasseu nicht von
ihm, und ausser Walther von der
Vogelweide, der in seinem Leich
das Lob der Dreifaltigkeit und der
Jungfrau würdig und innig singt,
hat man bloss von etwa einem
Dutzend Minnesänger lyrische Dich-
tungen auf Maria erhalten. Die
dreimal fünfzig Marieng rüsse eines
Unbekannten (herausgegeben von
Pfeiffer in Haupts Zeitschrift, VHI.),
je eine vierzeilige Strophe, deren
ein Drittel mit tri« qegrüezet , ein
anderes mit rreue clich, und ein
drittes mit hilf uns- beginnt, und
Konrad von Würzburgs goldene
Schmiede gehören schon nicht mehr
der obersten Blüte höfischer Poesie
an; doch erhielt sich die goldene
Schmiede bis ins 15. Jahrhundert in
Ansehen , was sie namentlich der
Gottfried von Strassburg nachge-
ahmten Feierlichkeit der Rede und
dem Prunk von Worten verdankt.
Das Gedicht, das 2000 Verse stark
ist. beginnt:
ICi kund ich wof en mitten
in mines herzen smitfen
getihte uz go/de smelzen,
und Hellten sin gerelzen,
von karfunkel schone drin
dir, hohiu himelkciserin,
so Wold ich diner wirde ganz
ein loj> durch! iuehtie unde glänz
dar uz vi/ harte gerne smiden.
nü bin ich an der künste liden
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034
Markgenossenschaft.
so meisterliche» niht bereit,
daz ich »Ach diner wirdekeif
der zunqen hamer künne flohen,
oder wüten munt also aetwaheu,
daz er ze dinem prise tüqe.
ob immer vf ze berge vlüqe
min rede af-sam ein ade/ar,
diu lop enkünd ich nimmer gar
mit Sprüchen üherhoehen
Er muoz der Künste meijen ru
tragen in der brüste sin',
strer diner teirde schapelin
sol hläcmcn unde richten,
daz er mit roeselehten
Sprüchen ez jtoriere
und allenthalben ziere
mit violinen trorten,
so daz er an den orten
cor allem rafsche es Unter,
und wilder rime kriuler
darunder um! dtrrztrisrhen
vil schone künne mischen
in der siiezen rede bluot.
Konrad von W'ürzburq nennt in
seinem Gedichte Dominikus und
Franziskus als diejenigen, welche
Mariens Lob geprediget hatten;
anch fernerhin sorgten die neuen
Münchsorden und die Scholastiker
dafür, dass die Mniianischen Ge-
heimnisse immer neu unters Volk
gebracht wurden; es giebt bis zur
Reformation zahlreiche Maricnge-
dichte, welche im ganzen demselben
Bilder- und Gleichnisse Kreis ent-
nommen sind, der id)erhanpt der
Marienverehrung zu Grund«1 lag,
nur dass bei der zunehmenden Be-
schäftigung damit die Sache mehr
und mehr ein handwerksmäßiges
Ansehen erhielt; Mariendichtungen
dieser Art sind z. B. auf uns ge-
kommen von l'eter von Si'chentcirt,
Muskatblüt , Heinrich von Laufen-
bet'ff, J/uffo ron Montforf, Oswald
von Wolkenstein. In den Meister-
sangcrschulen war dieser Stoff bis
zur Reformation sehr beliebt, auch
Hans Sachs sang anfänglich Ma-
rienlieder.
Neben diese dogmatisch-schola-
stische Auffassung der .Jungfrau
tritt seit dem 14. Jahrhuudert eine
Auffassung, welche das menschliche,
das mütterliche Element in engster
Verbindung mit dem leidenden
Christus betont, die Romantik des?
Marienkultus mit menschlicher Teil-
nahme an ihrem Schicksal ver-
tauscht. Diese Auffassung findet
sich einesteils in den Liedern der
Mystiker, die überhaupt das per-
sönlich-menschliche Element Christi
wieder hervorhoben, auch lateinische
Hymnen gehören dahin, namentlich
Stabat mater dolorosa von dem als
Franziskaner 130s gestorbenen Ja-
coponus oder Jacobus de lienedictis ;
derselbe soll das Lied im Gefang-
nisse gedichtet haben , in das ihn
Bonifacius VII. deshalb werfen Hess,
! weil der Mönch ihn seiner Sitten
halber streng gerügt hatte; anderer-
seits in den Ostcrs/dden. in denen
die Marienklane ein stehendes Motiv
war, welches auch als selbständige
epische oder lyrische Dichtung An-
I Wendung fand. Siehe namentlich
' Stri'z in Herzogs Real- Eneykl..
, Artikel Maria, Mutter des Herrn.
Markgenossenschaft. Marke.
marka, das alte deutsche Wort für
Grenze, Gebiet, welches erst seit
dem 14. Jahrhundert durch das sla-
| visehe Wort grenitz, grenitza ver
drängt wurde, ist im Altdeutschen
unter anderen Bedeutungen das Ge-
biet einer Bauerschaft; es besteht
aus dem in Privatbesitz stehenden
Ackerlande und dem Gemeinlande.
.Jenes. das Ackerland, umlagerte die
als Dorf zusammenliegenden oder
zerstreuten Höfe; das Gemeinland
bestand in Waldungen, Weiden.
Gewässern, Torfgründen und der-
gleichen, so zwar, dass das Recht
darauf an den einzelnen Höfen hing.
Die Bauern der Gemarkung bilde-
ten eine Gemeinde mit einem Vor-
steher, der decanus, tribunus. Schult-
heiss hiess. Auf einem Bauerntage
wurden die Angelegenheiten der
Gemeinde, namentlich die Aufnahme
junger Bauern in die Gemeinde er-
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Markgenossenschaft.
635
ledigt. Vollberechtigte Mitglieder I Ackerland, Gärten, Obstbäume. Die
konnten nur echte Freie sein; die ! allgemeinsten Ausdrücke für die
Niederlassung eines Fremden war \ Mark sind Wald und Weide oder
an die Zustimmung aller gebunden. Wald und Heide. Die edelsten
Dieser ältere Zustand der Karo- Bäume sind Eiche und Buche, weil
linger- Periode durchdauerte im gan- sie das beste Holz, dem Vieh die
zen unverändert das Mittelalter, nur reichste Mast geben; sie heissen
dass das Amt des Schultheissen oder Hartholz, alle übrigen Weichholz.
rillicus später von dem Inhaber der Holz, das der Wind gefällt und ge-
hohen Gerichtsbarkeit verliehen oder brochen hat, heisst Gefäll, Wind-
mit einem Hofe, an welchen das fall. Windwerf, Windbläsc. Wind-
Amt geknüpft war, erblich zu Lehen schlüge und dergleichen: oder auch
gegeben wurde. Zusammen mit bloss Wettersehlag, Sturm werter;
Schöffen aus den zur Bauernschaft sind es bloss abgeschlagene dürre
Schürenden Dorf marken handhabte ' Aste und Späne, so sagt man After-
er Schultheis die Dorfpolizei, rieh- schlage, Afterzagel. Zeil, Abholz.
Gipfel und Wipfel, Stecken. Jeder
volle Markgenosse hat freies Holz
für Brand und Hart. Bauholz für
Haus oder Scheuer sollte innerhalb
Jahr und Tag, nachdem man es
gefällt, wirklich verbaut sein ; wollte
tete über leichte Straffällc und
brachte wichtigere Sachen vor den
Bauerntag, der zu regelmässigen
Zeiten abgehalten wurde. Behufs
Benutzung des Gemeindelandes bil-
deten sich eigene Markgenossen-
schaften mit einem llulzqrafen oder man ein Jahr warten, so musste
(>herm«rker an der Spitze,* welcher man es umwenden und durfte es
oft eine vornehme Person war. und dann ohne Gefahr der Strafe wieder
mit eigenen Gerichten oder Miirker- ein Jahr liegen lassen; Brennholz
gedina&n, wo die Markstreitigkeitcu aber musste sofort aus dem Walde
entschieden und die Markfrevel ab- geschafft werden. Die Mark vor-
gestraft wurden. steher und Beamten haben gewisse
./. Grimm hat in den Recht*- Vorrechte; dem Förster z. B. ge-
aKcrtiitnern 194—532 zahlreiche hören von Amts wegen Gipfel,
Rechtsverhältnisse zusammenge-
stellt, die sich auf die Mark be-
ziehen und von denen hier einiges
Wesentliche auszugsweise folgt. Als
die natürliche, älteste Grenze sieht
Grimm den Wald an; in Eichen
wurde das Zeichen gehauen. Zwi-
schen den Wäldern auf dem Gefilde
Windfäll und was die Kinde lässt,
dürres und grünes, was dann nieder
gelegen ist. An manchen Orten
steht der Windfall dem Pfarrer zu,
der dafür dem Schulz und Schöffen
auf Martini den Tisch decken, ein
Weiss- und Roggenbrot auflegen und
den Pferden Rauhfutter geben muss.
siedelten sich Leute an, daher sich Weichliolz, dürren Abfall und After-
der Begriff der Marke geradezu mit schlag, manchmal sogar hartes Holz,
dem des Waldes berührt. Markulf durfte der Fremde an manchen Or-
oder Markulf, der Häher, ist eigent- teu, aber nur bei lichtem Tage, un-
lieb Markwolf — Waldvogel, Wald- gestraft im Walde holen, in anderen
Schreier, und Markwart ist Wald- Marken ist dieses alles verboten,
oder Grenzwart, Förster. Zur Mark Dagegen darf in jedem fremden
gehörten Wald , Flüsse und Bäche Wald Pflug und Wagenholz für
durch den Wald , Viehtriften und augenblickliche Notdurft straflos ge-
ungebaute Wiesen, in ihm und um fällt werden. Wer bei nächtlicher
ihn her gelegen, Wild, Gevögel Weile über dem Abhauen eines
(mhd. ffffuffefr) und Bienen; nicht Stammes betroffen wurde, dem sollte
aber, „wohin Pflug und Sense gehet'', nach einer alten Rechtsaufzeichnung
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Markgrat.
das Haupt oder die Hand auf dem von heisst ahd. riutan, mhd. riuten, reuten ;
ihm genommenen Stamme abge- neu ausgereutetes Land heisst^/™/*,
hauen werden; dieselbe Strafe ist niuriute, mutende, Neubruch, terra
auf das Waldbrennen und Baum- norat.it; später sagte man rotten,,
schälen p-setzt; eine andere Strafe roden und Rotttand; auch sicenian,
für Waldbrenner war. dass man sie schwenden und die Sehuendi haben
in die Nähe eines grossen Feuers dieselbe Bedeutung. Sobald ein
setzte, barfuss und gebunden, so Waldstück gerottet war, was oft
lange, ..bis ihm seine Sohlen ver- durch Niederbrennen der Stämme
brennen von seinen Füssen und geschah, wurde es der Kirche zchnt-
nicht von seinen Schuhen'". Brennt pflichtig und verlor dadurch seine alte
der Wald noch und mau hat den Freiheit. Wo immer es anging, strebte
Brenner in Gewalt, so soll man ihn der Markverband dem Ausroden
in eine rauhe Kuh- oder Ochsen- entgegen. Obstbäume werden in
haut thun und drei Sehritt vor das der gemeinen Mark nicht gelitten.
Feuer, da es am allerheftigsten Die älteste Art der Grenzbestiin-
brenut, legen, bis das Feuer über mung in der Mark war die Harn-
ihm brennt. Wer einen stehenden merteilunq (siehe den Artikel Matt);
Baum schalet , dem soll man seinen sie gründet sich auf den Axt- oder
Nabel aus dem Baueh sehneiden I Hammerwurf und dient zur Bestim-
und ihn mit demselben an den Baum mung des Masses, wie weit sich der
nageln und denselben Baumschäler Boden und das Gebiet der Mark in
um den Baum führen, so lange bis die übrige Feldflur hinein erstrecken
ihm seine Gedärme alle aus dem und behaupten lasse, oder wieviel
Baueh um den Baum gewunden von der Mark an den einzelnen
seien. Von dieser uralten Strafe Privatmann abgetreten werden solle;
ist übrigens, so verbreitet ihre Auf- später bediente man sieh der Baum-
zeichnung ist, kein geschichtliches einschnitte und Mahlsteine.
Beispiel nachzuweisen. — Geduldet Die Markerqeriehte wurden zur
wurde von den Märkern, dass aus Wahl oder Bestätigung der Vögte
Holz und Rinden Gefässe verfertigt, und Amtleute, Verleihung der Weis-
Lohe für das Leder bereitet und tümer (siehe diesen Artikel), An-
Brennholz zum Brennen irdener bringung und Krlcdigung der Rügen,
Töpfe genommen wurde. Weit ver- sowie zur Einnahme der Bussen
breitet ist für den Nutzen der ge- verwendet, gewöhnlich mit fröhlicher
meinen Mark der Ausdruck Wunn Zeche und Gelag beendigt. Gegen
und Weid, womit ursprünglich die einen ungehorsamen Märker war
doppelte Benutzung des Wiesen- die härteste Strafe, dass ihm sein
f rundes durch Heubereitung und Brunnen gefüllt und sein Backofen
urch Weide gemeint sein soll, eingeschlagen wurde. Der Märker
später gehörte es zum Begriff der durfte sein Eigentum, Haus, Hof
gemeinen Markweide, dass darauf und Acker in der Markgemeinde,
kein Heu geschnitten werden durfte, nur in der Mark verkaufen, und
Die Hauptsorgfalt der Märker war. allen Markgenossen stand Näher-
wann es Eckern gab, auf die Ord- recht zu. Vgl. O. L. r. Maurer:
nung der Schweinemast gerichtet. Einleitung zur Geschichte der Mark-,
Zur Mark wurden auch ausser den Hof-, Dorf- und Stadtverfassung
Eicheln und Buchnüssen die Holz- und der öffentlichen Gewalt, München
äofel, Sehlehen, Hagebutten und 1851, und ebenderselbe, Geschichte
Haselnüsse gerechnet. der Markenverfassung in Deutsch-
Die Mark lichten, Bäume ver- land, Erlangen lsö6.
tilgen und den Boden urbar machen Mark* raf. Karl der Grosse war
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637
ea, der denjenigen Grenzbezirken
des Reiches, welche ursprünglich
nicht zum Reiche gehörten, sondern
den Nachbarn abgenommen waren,
zur Wahrnehmung feindlicher oder
friedlicher Beziehungen zu jenen,
rine besondere Organisation gab;
der Vorsteher dieser bald grösseren,
bald kleineren Bezirke oder Marken
kk» Graf, oder zur Unterscheidung
wo den übrigen Gau Vorstehern,
w denen er durch Ansehen und
Bedeutung hervorragte, Markcraf,
MfdU^ comes marchae. Unter Karl
seinen nächsten Nachfolgern
werden erwähnt die Hispanische,
Britannische, Sächsische oder Däni-
sche, Sorbische, A varische oder Pan-
nonische und die Friaulische Mark,
fclles Gebiete, die sich an die grossen
Stammgebiete Bayern , Thüringen
"*d Sachsen angeschlossen. Seit
dem 11. Jahrhundert nahmen auch
wiche Fürstenhäuser den Mark-
pifentitel an, welche bloss in der
Verwandtschaft wirkücher Mark-
en standen. Wie die Grafen
ü?>rrhaupt, so benannten sich auch
dft Markgrafen später gern nach
ihren Besitzungen oder Schlössern,
«je zum Teil gar nicht in ihrer
™rk lagen. Mit der eigentlichen
*ark war regelmässig eine oder die
fc^en* Grafschaft in einem Grenz-
{T*a verbunden. Im ganzen besassen
'«ie Markgrafen dieselben Rechte und
'»ren denselben Verpflichtungen
*ie die Grafen unterworfen; doch
«Dtwickelten sie sich zum Teil für
^ territoriale Landeshoheit günsti-
Pf als jene. „Es waren", sagt
»«fe, Verf -Gesch., VII., S. 93,
♦^gedehntere Gebiete, an Um-
den gewöhnlichen Grafschaften
•Ö überlegen; als neu gewonnene
J-ande mit einer zum Teil von An-
'*ng an abhängigen Bevölkerung
der Gewalt der Markgrafen völliger
ttaterworfen ; die sich bildende Ritter-
schaft überwiegend aus Ministerialen
^vorgehend und so auch zu stärke-
retD Dienst verpflichtet; die geist-
lichen Stifter, selbst die hier be-
gründeten Bistümer, wie Meissen,
Brandenburg, Havelberg, nicht mit
so ausgedehnten Privilegien ausge-
stattet, wie andere im Reich, sie
und ihre Güter nicht ganz der Ein-
wirkung der Markgrafen entzogen;
die Städte meist von diesen be-
gründet und mit Freiheiten bedacht.
Daher kam es hier nicht zu einer
solchen Auflösung des Amtsgebiets,
wie sie sich in den alten Provinzen
des Reichs geltend gemacht hat.
Die Gewalt der Markgrafen, fester
begründet und zusammengehalten
als die der meisten andern Würden-
träger des Reichs, gab den im erb-
lichen Besitz bleibenden Häusern
eine Bedeutung, die nur wuchs, je
mehr auch die alten Herzogtümer
der Auflösung anheimfielen. Das
erklärt, warum die Marken, vor allem
Österreich, Meissen und, wie später
die Nordmark hiess, Brandenburg,
unter den deutschen Fürstentümern
eine so hervorragende Stellung ge-
wannen, unter den territorialen Bil-
dungen fast den ersten Platz ein-
nahmen.44
Markt und Marktplatz ist im
Mittelalter der Mittelpunkt des städti-
schen Lebens, er fehlt auch der
kleinsten Stadt nie, liegt gewöhnlich
im volksreichsten Teile, oft gerade-
zu in der Mitte der Stadt, mit man-
cherlei Kunstgebilden geschmückt
und häufig schon mit Steinen ge-
pflastert. Ihn ziert in norddeutschen
Städten oft das Rulandsbild , bald
in ritterlichemGewande mit Harnisch,
bald im Krönungsornat, bald jugend-
liche, bald greise Züge tragend, ein
Wahrzeichen der städtischen Ge-
rechtigkeiten und Freiheiten. Weni-
ger verbreitet ist das Friedkreuz
mit dem Königshandxchuhe, ein Stein-
oder Holzkreuz als Verkünder des
die Stadt behütenden sog. St. Peters-
oder Gottesfriedens , woran der
Handschuh aufgehangen wurde,
welchen der König zum Beweise
bewilligter Marktfreiung den da-
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G38
Markt und Marktplatz.
mit begnadigten Städten matten-
den, pflegte.
Die Bedeutung des Marktes ist
aber eine doppelte, eine spezifisch-
juristische und eine icirtschaftfich-
merkantile.
A. A1b Ort der städtischen Hechts-
handhabung ist der Markt
1. die sfadtgerich fliehe Dingstätte,
WO in älterer Zeit namentlich in
peinlichen Sachen Gericht gehegt zu
werden pflegte. Es war altherge-
brachte Sitte, dass an einem freien
und unbedeckten Orte Recht ge-
sprochen wurde; die nötigen Tische,
Bänke und Einfriedigungen wurden
für den einzelnen Fall besonders
aufgeschlagen. Erst allmählich zog
sich das ( iericht in ein eigen her-
gestellte Ding- oder Oerich fshaus,
das ebenfalls am Markte errichtet
wurde. Ursprünglich waren dies
bloss überdeckte , schuppenartige
Hallen von Holz, später kleine ein-
stöckige Fach werk- oder Steinbutten,
die an der, der Strasse zugekehrten
Vorderwand durch breite Fenster
dein Volke vollen Einblick gestatte-
ten. Schliesslich wurden stattliehe
Amtshäuscr eingerichtet.
2. Auch ordentliche Hichtslätfevf&r
der Markt nlatz in älterer Zeit; hier
wurden Hinrichtungen, öffentliche
Ausstellungen, Stäupungen u. dgl.
vollzogen; hier oder in nächster
Nähe des Marktplatzes stand der
Pranger, der entweder ein aus einem
behauend] Felsblocke bestehender
einfacher Schandstein war, oder ein
Schand pfähl, oberdeutsch meist
tchreiai, d. h. Verrufsstätte,
eine Stein- Holz- oder Ei>ensaule
von ansehnlicher Länge, an der
Spitze zuweilen mit Schnitzerei, z. B.
der Figur eines Henkers geziert,
auf einem gestuften viereckigen fest-
gemauerten Postamente angebracht,
oder drittens ein Schandkorb , statt
dessen auch die preche genannt wird,
ein Lattenverschlag oder Bretter-
kasten, oder das Surren- oder Drill-
hämcken. Für st rafrich terl i chcZ wecke
fand sich im Umfange des Markt-
platzes das Henkerhaus und der
Stock, der letztere ein Bewahrungs-
raum für Verbrecher. Aueh die
Richtstätte wurde im Verlaufe der
Zeit, und zwar meist schon früh,
vom Marktplatze getrennt und ent-
weder unmittelbar vor ein Thor oder
noch weiter hinaus verlegt.
Übrigens blieb die eigentliche
Richtstätte stets der Ort. wo da-s
Hochgericht oder der Oalgen er-
richtet stand; derselbe inusste aber
auf freier, weithin sichtbarer Stelle
stehen. Die bauliche Herstellung
des Hochgerichtes lag in den Städtcu
bald nur gewissen Zünften, wie den
Zimmerleuten, Schmieden, und
Schlossern ob, bald den gesamten
Handwerken.
B. Auf dem Markte findet in zwei-
ter Linie die Entfaltung des mit dem
(ieteerbe ena verbundenen Klein-
handels statt. Als Handels-Ort hatte
der Markt ursprünglich seine feste
räumliche Abgrenzung. Die J erkauf s-
sf äffen, mit dem der Markt versehen
war, waren entweder Stände, d. h.
offene Stehplätze samt dazu gehöri-
gen auf dem Marktboden angewiese-
nen Auffährt- und Auslagestellen,
oder Bänke, entweder hohe drei-
beinige Holzschemel und Tische,
oder kurzfüssige leicht ausgehöhlte
Rohklötze zur Schaulegung von
Fleischwaren, Fischen, Bäckereien,
Leder- und Schuhwerk; au Schrägen
oder Holzgestellen wurden fertige
Kleider und geschlachtete Tiere
aufgehängt. Eine dritte Art der
Ycrkaufsstätten sind Hütten, mit
Linnen oder Blähen oder mit Holz-
bedachuug versehene verschliessbare
Bretterverschläge. Die genannten
Verkaufs-Einrichtungen hatten ihre
fixierten Standorte und bildeten ent-
weder langgestreckte Kolonnen oder
engere Bänke- und Hütten -Kom-
plexe, gleichsam gemeinschaftliche
Sonder Markt -Orte der Einzelge-
werbe darstellend. Das Eigentum
an den Verkaufsstätteu stand der
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Markt und Marktplatz.
639
Stadtgemeinde zu und es musste
dafür ein „Standgeld" bezahlt werden,
das zuweilen in einem Quantum
Pfeffer oder in anderen Gewerbs-
produkten bestand. Eine vierte
Gattung der Verkaufsstätten hiess
buden, aueli banden, krame, gademen,
koufgaden, stadel ; es waren durch
Eiuuiauerung fest mit dem Erd-
boden verbundene Gehäuse, bald
völlig freistehend, bald rücklings an
tili anderes Gebäude angelehnt,
regelmässig ein einziges Gemach
bildend, mit einer seitwärts ange-
brachten Thüre und einem die
ganze Breite der Vorderwand füllen-
den Auslage- oder Verkaufsfenster
versehen, durch welches der auf
Stapfein davor stehende Käufer die
begehrten Waren empfing. Ähn-
licher Art waren Verkaufskammeru
im Unterteil eines Wohn- oder Ge-
schäftshauses, oder Vereinigungen
mehrerer Huden zu einem einzigen
eindachiffen Gebäude, oder Halb-
bildern «uilen gab es auch ausser
dem Marktplatze, namentlich an
den vorspringenden Aussenteilen
eines Gotteshauses angebaut. Auch
die Buden waren in der Regel
Eigentum der Stadtgemeinde, doch
kounten sie durch Verlosung, Ver-
mietung, Verstiftung auf Lebenszeit
und durch Erbverpachtung über-
tragen werden.
Für den höheren Detailhandel
dienten die Lauben -, es sind ausser-
halb des Marktplatzes in breiten
Strassen angelegte, ebenerdige,
nach drei Seiten offene, überdeckte
Bogen- und Säulengänge, die längs
den Häusern bald als vorgeschobene
Anbaue, bald als Träger der oberen
Stockwerke hinliefen. Sie wurden
zur Feilbiet ung von „brot und fleisch,
val und kram uml allerlei kotij-
manxchaft", in jüngerer Zeit vorzüg-
lich für feinere Handelswaaren ver-
wendet. Es gab auch Lauben, unter
denen Gericht gehalten wurde.
Die Markthaltung setzte im Mittel-
alter stets eine königliche, be-
ziehungsweise iu jüngerer Zeit eine
darauf zurückführende landes- oder
stadtherrliche Verleihung , sei es in
der allgemeinen Stadthandfeste, sei
es in einem besonderen Markt-] Privi-
leg voraus. Das letztere pflegte sich
über die Markt-Zeit und den Markt-
Frieden zu verbreiten.
Die Zeit betreffend, schieden sieh
die städtischen Märkte in Jahr- und
Wochen-Märkte.
Der Jahrmarkt hängt in seinen
Anfängen aufs engste mit dem christ-
lichen Kultus, nämlich dem Kirch-
weih-Feste zusammen, daher es stets
bestimmte örtlich hervortretende
Feiertage sind , nach welchen sieh
ein Jahrmarkt benennt Die Zahl
der Jahrmarkte an einem Orte
wächst bis zu sieben. Die Dauer
geht von einem Tage bis auf zwei
volle Wochen.
Der H'ochenmarkt begriff ur-
sprünglich wohl nur einen einzigen
Tag, welchem bei vorhandenem Be-
dürfnisse später ein zweiter hinzuge-
fügt wurde. BesondereUnterarten des
städtischen Wochen mark tes sind der
sog. Svnntags-Markt und der sog.
Tagemarkt,' d. h. der für gewisse
Gegenstände des Haus- und Unter-
haltungs-Bedarfs innerhalb gewisser
Schranken täglich gestattete Markt-
verkauf.
WTas den Marktfrieden betrifft,
so setzte die Abhaltung von Märk-
ten in den Städten vor allem für
diejenigen, welche davon Nutzen
ziehen wollten, die Befugnis freien
Zutritts und einen die Besucher
schützenden besonderen Frieden
voraus, ohne welchen gemäss den
Vorstellungen des Mittelalters ein
Markt gar nicht gedacht werden
konnte. Der Marktfrieden war ur-
sprünglich mit dein Kirchweih-Frie-
den identisch und bewirkte nament-
lich die schwerere Bestrafung aller
an den Marktgängern verübten Fried-
brüche , nämlich mindestens durch-
schnittlich zweifache Strafe; in das
privatreehtlichc Gebiet griff der
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640
Marschalk. — Martinsgans.
Marktfriedon dann hinüber, wenn
die Bestimmung aufgestellt \vurde,die
Marktbesucher gegen gerichtliche
Verfolgung wegen aller ausserhalb
des betreffenden Ortsmarktes ent-
standenen Schuldforderungen sicher
zu stellen. Ursprünglich erstreckte
sich der Marktfriede wohl nur über
den, oft bis auf die Stunde genau
begrenzten Zeitraum der Markt-
haltung selbst, zu welchem Betraft
Anfang und Ende der Marktzeit
mittelst öffentlicher Zeichen kund-
gegeben wurde, durch Aussteckung
und Wiederabnahme eines Stroh-
wisches oder Hutes, durch Auf- und
Einziehen einer Marktfahne, durch
Ein- und Auslauten mit der Kirchen-
glocke. Spater wurde der Markt-
frieden auf den, den Markttagen
voraus und nachfolgenden Tag aus-
gedehnt.
Mit der Zeit kamen neben dem
alten Hauptmarkte örtlich und zeit-
lich getrennte Spezial* oder Sonder-
Märkte auf. Dahin gehören der
Viehmarkt für Grossvieh (Schafe,
Schweine und Ziegen gehörten auf
den Haupt Marktplatz), der Pferde-
öder Rost- Markt, Korn- oder Prueht-
Markt, Hopfen- Markt, Hotz- Markt,
Kohlen- Markt, Fisch- Markt ', Salz-
Markt. Nach Genrjler, deutsche
Stadtrechts- Altertümer. Erlangen
1882. Kan. 8, 9 und 10. Vgl. die
Art. Handel und Menne.
Marsehai k, siehe Hofämter.
Martinsons, Martinslied. Auf
den heiligen Martin, der Legende
nach ein Kriegsmann, der dem in
Bettler^estalt umherwandelnden Hei-
land ein Stück seines Mantels mit
dem Schwerte abschnitt und schenkte,
sind früh Züge des Wodanskultus
übertragen worden; so der Schim-
mel, auf dem er reitet; ihm zu
Ehren wird ein Backwerk in Form
eines Hornes, sogenannte Martins-
hörner, gebacken, das sich auf die
dem Wodan geopferten Böcke zu
beziehen scheint. Ganz besonders
ist aber das dem Wodan zu Ehren
gefeierte Erntefest auf die Feier
des Martinstages, 11. November,
übertragen worden, an welchem der
Erntebraten , meist eine Gans, vor-
gesetzt wird Auch Martinsfeuer
giebt es, wozu Kinder sich Scheite an-
sammeln, indem sie zugleich Birnen.
Äpfel und Nüsse als Ernteopfer
unter Absingung von Liedern zu-
sammenbetteln. Sebastian Frank
schreibt von den Franken: „Sant
Martins und Sant Nielas Fest cele-
briert diss volk wunder ehrlich,
doch unterschidlich, Sant Martin
im hauss ob tisch, Sant Niclas in
der kirchen. Erslieh loben sie S.
Martin mit guotem wein, gänsen,
biss sie voll werden, unselig ist das
hauss, das nit auf dise nacht ein
gauss zuessen hat; da zäpfen sie
ire neuwe wein an, die sie bissher
behalten haben, da gibt man zuo
Würtzburg und andersswa auf disen
Tag den armen ein guote notturft.
Zwei eberschwein sehleusst man in
ein zirkel oder ring auf disen tag
zuosamen, die einander zerreissen,
das fleisch teilet man auss unters
volk, das best schickt man der
oberkeit". In Gegenden, wo die
Gänse seltener sind, werden sie
durch andere Gerichte vertreten,
am Niederrhein durch frische Wurst
mit Reisbrei, an der Aar durch
„kalte Milch und Wecksupp", in
Westflandern durch Waffeln, in
Norwegen tritt zur Gans oft ein
Ferkel. An vielen Orten war am
Martinstage Austeilung eines ge-
wissen Quantums Wein oder Möst
seitens der Obrigkeit an die Diener-
schaft, Beamten, Lehnsinhaber.
Bürger gebräuchlich. Das 15. und
16. Jahrhundert hat eine ganze An-
zahl Martinslieder hervorgebracht,
die sich bald mehr an tue Gans,
bald mehr an den Martinstrunk an-
lehnen; sie sind zum Teil studen-
tischen Charakters, da eines der-
selben sogar die Messforrael oder
andere geistliche Hymnen parodiert,
ein anderes gemischten lateinisch-
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Märzfeld. — Masse.
641
deutschen Text aufweist, während
andere wiederum mehr volksmässige
Trinklieder sind. Eines der kürzeren
Lieder lautet:
lJraesulem sanctUsimum reneremur,
Gaudeamus!
Wollen wir nach Gras gan, hollereio,
St» singen uns die Vögclein, hollereio,
In hoc solemni festo
Zir zir passer.
Des Gutzgauch frei Sein Melodei
Helt über Berg und tiefe Thal.
Der Müller aut der Obermühl,
Der hat ein feiste Gaus,
Die hat ein feisten dicken langen
waidelichen Kragen.
Die wöll wir mit uns tragen.
Drussla drussla drussla drussla,
Jrussla gickgack gickgack
Dulri resonemus melodia.
Andere Lieder u. a. in Hoff-
mannt von Fallersleben Deutschen
Gesellschattsliedern, Nr. 256-265.
Über Martinsgebräuche: Reinsherg-
Dürings/'cld, Das festliche Jahr.
MUrzfeld, siehe Campus Mar tius.
Masse. Unter diesem Artikel
mögen nach J. Grimms Rechlsalter-
tümern von den dort beschriebenen,
im deutscheu Rechtsleben des Mittel-
alters vorkommenden Massbcstim-
muugen volkstümlicher Art die ver-
breitetsten zusammengestellt werden.
„Ihr Grundcharakter", sagt Grimm,
„ist Auffassung des Rechtlichen
durch das Sinnliche; Weisung dessen,
was festgesetzt werden soll, durch
etwas Unfestes, dem Zufall nie ganz
zu Entzieheudes. Meistens tritt eine
Handlung und Gebärde des betei-
ligten, ort bedingt von der einfach-
sten Verwicklung, mit ins Spiel; zu-
weilen wird eine andere Einwirkung
der lebendigen oder unbelebten Natur
beachtet. Es sind lauter Masse für
die Grösse, Höhe, Weite, Ferne,
Dicke und eiuige andere solcher
Verhältnisse".
1. Wurf oder Schuss, geschieht
mit Hammer, Beil, Speer, Stab,
Pfeil, Sichel, PHugcisen, Löffel,
Kugel, Pfund, Stein, Erde, und zwar
Beallexicou dor deuUchea Altertümer.
mit Abmarken der äussersten Grenze.
Der Gebrauch des Wurfes war bei
allen Germanen verbreitet und deutet
in seiner Entstehung auf eine den
niedergeschriebenen Gesetzen vor-
hergehende Zeit. Ausser dem Wurf
überhaupt ist in den alten Kechts-
quellen zugleich Stellung und Ge-
bärde der Füsse und Hände des
Werfenden angegeben, welches, wie
es scheint, dieses Geschäft erschwe-
ren und den Erfolg nicht ganz von
seinem Willen abhängig machen
soll. So soll z. 1$. der Gegenstand
über Rücken und Achsel geworfen
werden, oder die rechte Hand hat
den Wurf unter dem linken Beine
zu thun. Dabei ist häufig eine un-
sichere, schwierige Stellung auf der
Höhe geboten, auf der Mauer, dem
Zaune, dem Thore des Zaunes, der
Thürschwelle und dergleichen. Bei
der rechtlichen Ermittelung der
Herrschaft über einen breiten Strom
reitet der Herr, vollständig und
schwer gewaffnet, auf einein starken
Hengst in die Flut, soweit er ge-
langen kann, worauf er erst von
dieser Stelle aus den Wurf vor-
nimmt. Überall handelt es sich hier
nicht um den ersten Erwerb an
Grund und Boden, sondern um die
Abgrenzung von bestehendem Eigen-
tum oder Besitztum und um die Be-
fugnis gegen die Nachbarschaft und
Mark. Der Bienenbauer wirft sein
Beil oder seinen Löffel zur Erneue-
rung seines Zaunes; Fischer und
Müller erwerfen die Grenzeu ihres
Fischfangs und Mühlenreches.
2. Tieriihrumj mit Hammer, Speer,
Lauze, Axt, Beil. Barte, Messer,
Rute, Stock und Pfahl kommt nicht
so häutig vor wie der Wurf, hatt
aber dieselben Zwecke wie dieser,
1 nämlich Abmarken der äussersten
Grenze, Behauen überhängiger Äste,
| sei es auf öffentlichem Wege oder
auf Privatgrundstück; der vornen
über den Sattel vorgelegte Spiess
ordnet z. B. die Breite des Weges;
die Landgrafschaft Sissgau geht
41
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642
Masse
rheinaufwärts soweit, als einer auf
einem Ross in den Rhein reiten und
mit einem Baaler Speer in den
Rhein reichen mag.
8. Mit dem Schein oder Schimmer
fernleuchtender Gegenstände wird
die Weite eines Raumes gemessen,
wenn es z. 13. heisst: es soll ein
Recht soweit ^ehen, als man einen
roten Schild, ein weisses Pferd, den
Gerichtsbalken, den Thürriegel bei
Tag -ehen kann.
4. Der Schall, vermittelst dessen
gemessen wird, ist entweder Kinder-
schrei, insofern die Lebens- und
Erbfähigkeit eines Kindes danach
gemessen wird, dass „es die vier
Wände des Hauses beschreiet?, oder
Sehall des Horns, (i lockenklang,
Tiergeschrei, z. B. des Hahnes, fiel-
desklang und Knochenklang , wobei
Geld und Knochen über den neun
oder zwölf Fuss weiten Raum, meist
die Strasse, im Schild, später im
Becken erschallen mussten.
Nach dem Sitzraum wird das
Mass eines Raumes bestimmt, je
nachdem eine Biene, eine Gans, ein
Tisch, eine Wiege mit einem Kinde,
ein dreibeiniger Stuhl, eine Bade-
wanne darauf Platz findet.
6. Hergang von Tieren ist eine
Massbestimmung für Bäume und
Äste, wobei es darauf ankommt, ob
ein Schwein, ein oder mehrere Och-
sen, ein Rabe und dergleichen
darunter sich bergen können.
7. Fedcrjlufj. Wer unschlüssig
war, wohinaus er gehen sollte, blies
eine Feder in die Luft und folgte
ihrer Richtung; man fragte deshalb
den Ausziehenden : wohinaus blast
du deine Feder? Die Stadt Lindau
hatte soweit Recht über den Boden-
see, aU der runs eine feiler in den
see treibe/.
8. Lauf. Zeit und Raum werden
nach der Bewegung in ihnen ge-
messen: so lauge Zeit, dass man
eine Meile Weges gegangen; so
weiter Weg, als man in einer Stunde
gelaufen wäre. Wo zwei Läufer,
von entgegengesetzten Punkten zu
derselben Zeit anhebend, zusammen-
s fassen, da wird die streitige Grenze
gesteckt; dies ist der Fall in der
Sage vom Glarner und Urner Laufer.
9. Land umgehen , umpßügen,
wodurch Land erworben wird; das
Alter dieser Erwerbsart erhellt dar-
aus, dass ihrer nicht mehr in Ge-
setzen, sondern bloss in Sagen Er-
wähnung geschieht; so erzählt die
elsässisclie Chronik Königshofens:
König Dagobert habe dem heiligen
Florentius so viel Land geschenkt,
als er mit seinem Eselein umfahren
könnte, bis der König gebadet und
sich die Kleider angezogen hatte.
Heinrich der Weif Hess sich von
Ludwig dem Frommen soviel Lan-
des verleihen, als er, solange der
König zu Mittag schliefe, mit einem
goldenen Pfluge umackern oder mit
einem goldenen Wagen umziehen
könnte.
10. JAind bedecken und umreiten
ist ebenfalls eine bloss in der Sage
erhaltene Massbestimmung, nach
welcher soviel Land erworben wer-
den soll, als ein gewisses Mass von
Erde oder Samen auf dem Felde
bedecken oder die Haut eines Tieres
belegen könne. So soll Ludwig der
Springer den Berg, wo jetzt die
Wartourg liegt, von den Herrn von
i Frankenstt in durch folgende List
i gewonnen haben: Aus seinem Grund
und Boden Hess er nachts Körbe
voll Erde auf jenen Berg tragen
und ihn ganz damit beschütten.
Hernach fing er an da zu bauen.
Die Herren von Frankenstein klag-
ten vor dem Reich; Ludwig be-
hauptete, dass er auf dem Seinen
baute; es ward zu Recht erkannt,
wenn er das mit zwölf ehrbaren
Leuten erweisen könnte, hätte er
es zu gemessen. Ludwig nahm zwölf
Ritter, trat mit ihnen auf den Berg,
sie zogen die Schwerter aus, steckten
sie in die Erde und schwuren, dass
der Graf auf das Seine gebaut habe.
— In der Sage von der Melusine
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643
erbittet sich Raimund von Bertram,
Grafen zu Poitiers, soviel Land,
Feld und Erdreich an Äckern und
Wiesen, als er in eine Hirschhaut
umschliessen oder urnfahen könne.
Sobald die Urkunde hierüber aus-
gefertigt ist, kauft Kaimund eine
schöngegerbte Hirschhaut und lässt
daraus einen sehr langen und dünnen
Riemen schneiden, womit er ein
grosses Thal umzieht
11. Ein Joch Ochsen sind das
Mass für die Höhe von Husch und
Gesträuch auf einem Acker; wenn
das letztere nämlich so hoch gewor-
den ist, dass sich zwei Ochsen darin
verbergen können, oder dass zwei
Ochsen es nicht niederdrücken kön-
nen, so fällt der Acker der gemei-
nen Mark anheim.
12. Durchschlüpfende Tiere. Es
wird ein mit Holz oeladener Wagen
daran gemessen, dass sieben Hunde
einen Hasen hindurch jagen mögen
oderdasseine Atzeil Elster) mitauurc-
reckten Ohren hindurchrliegen kann.
13. Mannes Kraft enthalt beson-
ders insofern eine Massbesrimmung,
als die Fähigkeit freien Handelns
danach gemessen wird, ob er ver-
möge zu gehen und zu reiten oder
frei zu stehen , un gehabt und unae-
staht, d. h. ohne dass man ihn halte,
unterstütze, und ohne dass er sich
eines Stabes bediene; oder bestimm-
ter, ob er in seinem Kürass von der
Erden auf ein hengstmässiges Pferd
sitzen kann.
14. Die Starke der Hühner wird
danach gemessen, ob sie auf einen
dreibeinigen Stuhl oder auf eine
Tonne Hiegeu können.
15. Schnelle Handlung wird nach
folgenden Bestimmungen gemessen:
es soll einer eine, unaufschiebliche
Handlung verrichten, bevor er sein
Messer unabgewischt in die Scheide
gesteckt hat; wenn er den einen
Schuh, die eine Hose ausgethan
hätte, soll er den andern Schuh u.s.w.
nieht austhun, sondern wieder an-
ziehen und die Sache verrichten.
16. Berechnung nach Gliedern
des Leibes, je nach Länge, Höhe,
Ausspannung kommt oft vor: soviel
man in der Hand mag halten, soviel
Finger man auf eine Wunde setzen
kann; Brot oder Käse, so gross,
dass man, den Daumen in der Mitte
haltend, mit gestreckten Fingern
einen Umkreis machen kann; eine
Garbe muss so gross sein, als ein
vollkommener Mann unter dem Arm
zwischen der Hüfte beklemmen
kann, den Pferden soll man Futter
geben bis über die Naslöcher und
Stroh bis an den Bauch.
Meier ■ ahd. meiory maior, mhd.
meier, tneiger, rillicus, major, heisst
der Vorgesetzte eines Landgutes
oder Hofes; ihm lag die Leitung
des Feldbaues und der Einzug der
Gefälle ob; da er zugleich bei den
Hofleuten die Obrigkeit vertrat,
suchte er sich oft der Landwirt-
schaft zu entziehen und sich allein
mit dem Gerichtswesen abzugeben.
Je nach dem Stande des Gutsherren
konnte auch derjenige des Meiers
ein verschiedener sein; Edle waren
Meier desKönigs, FreiediederEdeln,
Knechte die der Freien. Oft wussten
sie sich infolge der auf ihnen ruhen-
den Amtsgewalt entweder in einen
höheren Stand erblich zu erheben,
daher es im Mittelalter unter den
höfischen Ministerialen viele Meier
giebt, z. B. die Tschudi, welche
Meier der Abtei Säckingen über
ihre Unterthanen in Glarus waren,
oder sie wussten mit der Zeit das
ihnen anvertraute Gut erblich an
sich zu bringen; später betrachtete
man oft das Meieramt als Lehen.
Meister, sieben weise, heisst
einein den Rahmen einer Erzählung
gebrachte Sammlung von Geschich-
ten, die ursprünglich aus Indien
stammt und Gemeingut der arabi-
schen, persischen, türkischen, syri-
schen, hebräischen, neugriechischen,
französischen und deutschen Litte-
ratur geworden ist. Die älteste
indische Quelle trägt den Namen
41*
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644
Meistergesang.
Pantschatantra ; aus ihr fliessen
ausser den sieben weisen Meistern
die Fabeln des Bidpai, die unter
dem Namen Buch der Weisheit der
alten Weisen schon 1483 und später
sehr oft wiederholt deutsch gedruckt
wurden; sodann die Hitopaeuta und
die Disciplina elericalis. Vgl. Ben-
fey, Pantschatautra. 2 Bde. Leip-
zig 1859.
Der Rahmen der Erzählung ist
folgender: Ein Kaiser hat einen
Sohn, den er von sieben Meistern
in aller Weisheit unterrichten lässt.
Als der Jüngling wieder an den
Hof berufen wird, zeigen die Ge-
stirne Lebensgefahr für ihn, wenn
er ein Wort rede. Er erscheint
also und redet nicht. Seine Stief-
mutter, erst in Liebe zu ihm ent-
brannt, dann verschmäht und wü-
tend, dringt auf seine Hinrichtung
und bewegt den Kaiser jedesmal mit
einer bezugvollen Geschichte, dass
er den Tod seines Sohnes befiehlt;
einer der Meister aber bewirkt
• jedesmal mit einer Gegenerzählung
einen Tag Frist. So vergehen sie-
ben Tage, nach denen die Gefahr
verschwunden ist. und nun entdeckt
der Prinz die Schmach seiner Stief-
mutter, die samt ihrem Buhlen ver-
brannt wird. Erzählungen sowohl
als die Namen der Meister, des
Kaisers und des Prinzen wechseln:
in den deutschen Bearbeitungen
heisst der Sohn Diokletian, der Va-
ter Prinzipian oder Poetion oder
Domitian; der Haupterzieher heisst
bald Virgil, bald Syntigyas. In
deutscher Sprache hat man eine im
Jahre 1412 geschriebene poetische
Bearbeitung dieses Stoffes unter dem
Namen Diokletians lieben von Hans
dem Büheler, der zu Poppelsdorf
bei Bonn lebte, und das vielverbrei-
tete Volksbuch in Prosa, dessen
ältester datierter Druck aus dem
Jahre 1473 stammt.
Meistergesang:. Die Entstehung
der Singschulen Hegt bis jetzt noch
sehr im Dunkeln; denn wenn sich
auch die Meistersänger des 10. Jahrb.
als unmittelbare Nachfolger der
Minnesänger ausgaben, so lässt
sich bis in die Mitte des 15. Jahrh.
durchaus keine Singschule nach-
weisen; höchstens kann man vor
dein genannten Zeitraum von ein-
zelnen Meistersängern sprechen, d.h.
Leuten bürgerlicher Herkunft, welche
den Beruf des Sängers und Dich-
ters ergriffen hatten und den Ehren-
namen Meister trugen; schon in
der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts kommen die Namen meister-
singer, meistersanc und meistersanges
oraen vor, aber nur, um Gesang zu
bezeichnen, der allen als Muster
dienen könne. Die schulmässige
Erlernung des Dichtens knüpft sich
an den Namen Heinrichs von Meissen
oder Frauenlobs, der 1317 oder 1318
zu Mainz starb und von Frauen in
die Abside des Domes zu Grabe
getragen wurde; er mit Heinrich
von Müglin, Klingsor, dem starken
Popp, Walther von der Vogclweide,
Wolfgang Röhn, Ludwig Marner,
Bart hei Hogenbögen, Römer von
Zwickau, Konrad (Teiger, dem Kanz-
ler aus der Steiermark und dein
Alten Steffan soll nach einem Meister-
gesang des 16. Jahrhunderts der
Stifter der Singschule gewesen sein,
zur Zeit Otto I.! Aber weder
Frauenlob noch seine Nachfolger
kannten das Institut der Singscnu-
len; diese findet man viclmcnr als
geschlossene Gesellschaften nach
dem Vorbilde der Zünfte nicht vor
der Mitte des 15. Jahrhunderts und
zwar zuerst in Oberdeutschland, in
Mainz, Strassburg, Kolmar, Frei-
burg, dann in Augsburg, Nürnberg,
Ulm, Regensburg, Memmingen; fer-
ner in Österreich , östlich bis nach
Schlesien hin in Görlitz und Dan-
zig. Es scheint, dass neben dem
Zunftwesen, welches namentlich die
Teilung der Gesellschafter in Lehr-
linge, Gesellen und Meister vorbil-
dete, auch die Scholastik der Uni-
versitäten auf die Schulen wirksam
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Meistergcs ang.
645
war. Es war dabei aufs Singen
und aufs Dichten abgesehen. Die
ersten Aufzeichnungen der Gesell-
schaftsordnungen , Tabulatur ge-
nannt, stammen aus dem 16. Janr-
huudert. Jedes Gedicht ist nach
der Tabulatur der Nürnberger Sing-
schule ein Lied, d. h. strophisch ge-
baut und für den Gesang bestimmt,
in der Kunstsprache ein liar ge-
nannt. Dasselbe ist nach dem Ge-
setze der höfischen Kunst dreiteilig,
besteht aus Stollen, Gegenstollen
und Abgesang, die einer dreiteiligen
Gliederung der Melodie entsprechen;
die Strophe heisst (iesnlz, Strophe
und Melodie ein Ton-, die Ver-
schlingung der Verse und die An-
zahl der zu einem Gcsätz verwen-
deten Verse ist überaus künstlich,
die letztere geht manchmal über
1(K) Zeilen hinauf. Die einzelnen
Verse werden ausschliesslich nach
der Zahl der Silben, ohne Beach-
tung ihres Wertes, gemessen; ihre
Zahl soll nicht über dreizehn stei-
gen, ,.weil maus am Atem nicht
haben kann, mehr zu singen". Um
die künstlichen Gesätze und Töne
herauszubringen, gestattete man sich
anfangs die abscheulichste Willkür
in der Behandlung der Sprache,
gebrauchte verschiedene Mundarten
nebeneinander, feilte an den Wör-
tern, hieb Silben einfach weg oder
veränderte sie. Dagegen wurden
nun freilich in der Tabulatur Ver-
bote erlassen. Als Fehler werden
hier aufgeführt die Milbe, wenn der
letzte Buchstabe eines Wortes, das
Halbwort, wenn eine ganze Silbe
weggeworfen wird: wir singe, wir
sage; Anhang heisst eine willkür-
liehe Verlängerung des Wortes;
KUbtiihe das Zusammenziehen eines
zweisilbigen Wortes in eine Silbe:
gtan für getan; Differenz das will-
kürliehe Umstellen der Laute: Deib
für Dieb. Der Vortrag darf nur
gesangsweise geschehen, jedoch ohne
alle musikalische Begleitung. In
Bezug auf den In ha It waren falsche
Meinungen streng verpönt, d. h.
„alle falsche, abergläubische, schwär-
merische, uuchristliehe und unge-
gründete Lehren, Historien, Exem-
pel und schändliche und unzüchtige
Wörter, die der reinen, seligmachen-
den Lehre Jesu Christi, gutem
Leben, Sitten, Wandel und Ehrbar-
keit zuwiderlaufen". Vor der Refor-
mation waren es namentlich die
Fragen der scholastischen Theo-
logie, über die unbefleckte Empfäng-
nis u. dgl. gewesen, was in den
Schulen behandelt wurde, seit der
Reformation der Inhalt der Schrift.
Die Gesellschaftsmitgliedcr wur-
den eingeteilt in ifchüler .,die die
Tabulatur wissen", Dichter, die
nach fremden Tönen ein Lied zu
machen imstande sind, und Meister,
die einen neuen Ton erfunden ha-
ben. Der angehend«' Schüler wählt
sich einen Meister, der die Lehre
übernimmt; ist er weit genug vor-
geschritten, so stellt ihn dieser der
Gesellschaft vor, welche nach vor-
hergehender Prüfung und Verpflich-
tung auf die Zunftstatuten seine
Aufnahme verfügt. Hat er sich
„zu Ehr und Vorteil der Gesell-
schaft gehalten" und Proben seiner
Geschicklichkeit abgelegt, so kann
er auf Freisprechung antragen.
Diese wird in uen Singschulen voll-
zogen, welche öffentlich gehalten
werden und mit denen Preisvertei-
lungen verbunden sind. In Nürn-
berg wurde der dazu bestimmte Tag
durch Anschlagtafeln bekannt ge-
macht. In der Kirche zu St. Katha-
rinen stand dann neben der Kanzel
der „Schaustuhl" für die Siingcr,
vor dem Chor ein mit Vorhängen
verschlossenes Gerüste, das Gemerk.
Auf diesem nehmen die Merker
| Platz, die Vorsteher der Zunft, denen
die Aufrechterhaltung der Tabula-
tur, das Urteil und die Zuerkennung
der Preise obliegt. Dann beginnt
zuerst das „Freisingeu", bei wel-
chem kein Preis zu gewinnen ist,
darauf nach einem gemeiuschaft-
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G46
Melusine. — Merseburger Zauberlieder.
liehen erbaulichen Gesänge das
„Hauptsingen" um die Ehrenkette,
um einen Kranz von künstlichen
Blumen und selbst um Gold, wel-
ches ein Gönner der Gesellschaft
ausgesetzt hat oder das am Ein-
gänge der Kirche gesammelt wor-
den ist. Die Merker urteilen auch
über die Aufnahme eines neuen
Meisters, nachdem dieser einen Mei-
sterton erfunden hat; derselbe wird
unter Assistenz von zwei Gevattern
auf ,, einen ehrlichen Namen" ge-
tauft und zu ewigem Gedächtiii* in
das Meisterbuch eingeschrieben. Die
Feier sch Messt mit einem Gelage
auf der „Zeche", dem gewöhnliehen
Versammlungsorte der Zunft, wobei
der Gewinner des Kranzes die Auf-
wartung zu besorgen hat. Ein Mei-
ster durfte seine Kunst nur neltcn
dem Handwerk treiben und sollte
sie nicht durch gewinnsüchtigen
Betrieb entweihen. Der Schüler
hatte zu geloben, ,,dass er kein
Meisterlied oder Ton auf öffent-
licher Gasse, auch nicht bei Ge-
lagen und Gastereien hören lassen
wolle". Die Handwerke, welche
dem Meistergesang am meisten zu-
gethau waren, sind Schuhmacher,
Kürschner und Weber. Die Nürn-
berger Schule erhielt sich bis tief
ins 18. Jahrhundert; in Ulm löste
sich die noch aus vier Meistern be-
stehende Singsehule I8't9 auf und
setzt«' den Liederkranz zum Erben
ihres Eigentums ein.
Eine bleibende Wirkung auf die
Eutwickclung der deutschen Dicht-
kunst hat der Meistergesang kaum
gehabt, er war eine Art von Fort-
ildungsschule für Handwerker; nur
eine einzige Schule kam zu höherem
Ansehen, diejenige von Nürnberg,
aber auch nur durch Hans Sachs.
Doch beruhte auch dieses Mannes
Ruhm nicht auf seinen zahlreichen
Meisterliedern; er hat deren über
4000 verfasst, von denen zu seinen
Lebzeiten keine gedruckt worden;
was von ihm durch den Druck ver-
breitet wurde, sind nur ausser der
Schule entstandene Spruch- und
dramatische Dichtungen. Erst Qoe-
dekr hat im ersten Feile der von
ihm herausgegebenen ,. Dichtungen
von Hans Sachs, Leipzig 1870**,
159 Meisterlieder gesammelt und
herausgegeben. Siehe Goedrke und
Tittmann, Liederbuch aus dem 16.
Jahrhundert, Einleitung zu den
Meisterliedern, Wackcrnagel, Lite-
raturgeschichte, und ( ioedtk'esGmnd-
riss § 139.
Melusine ist die Heldin einer
ursprünglich keltischen Feensage.
Eine Tochter des Königs von Alba-
nien und einer Meeruymphe, an
Gestalt von ausserordentlicher Schön-
heit, musste sie an gewissen Tagen
Fisch- oder Nixengestalt annehmen.
Einst überraschte sie trotz ihrer
Warnung ihr Gemahl in dieser Ge-
stalt, worauf sie verschwand und
nun in dein Turm des von ihrem
Gemahl erbauten Schlosses die Kollc
der weissen Frau übernahm. Jean
d' Arras verfasste danach gegen Ende
des 14. Jahrhunderts ein lateinisches
Gedieht, das im 15. Jahrhundert
in französische Prosagebracht wurde ;
daraus übersetzte der Berner Thü-
ring von Kingoltingen 145G das
deutsche Volksbuch, das seit 1474
oft gedruckt worden ist.
Merseburger Zauberlieder
heissen zwei in einer Handschrift
der Bibliothek des Domkapitels zu
Merseburg (daher der Name) ge-
fundene Zaubersprüche aus altger-
manischer Zeit, die zwar erst im
10. Jahrhundert aufgesehrieben wur-
den. Der eine soll den verrenkten
Fuss eines Pferdes heilen, der an-
dere die Fesseln eines Kriesgefangc-
nen durch die im Spruche liegende
Zauberkraft lösen. Beide Sprüche
zählen zu den wichtigsten Denk-
mälern der ältesten Periode unserer
Litteratur. Vergleiche namentlich
den Exkurs in Müllenkoff" und
rer, Denkmäler deutscher
und Prosa.
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Messen. — Miniaturmalerei.
647
Messen in merkantiler Bedeutung
sind Jahrmärkte, die sich durch die
religiöse Anziehungskraft der sie
veranlassenden Kirchenfeste, durch
politische Bedeutsamkeit oder gün-
stige geographische Lage des Markt-
ortes, stets aber unter dein Einflüsse
königlicher Gnadenbriefe zu einer
höheren Gattung entwickelt haben.
Der Name messe, anfänglich regel-
mässig mit der alten Bezeichnung
/usammengebraucht: ja messe und
merkte, mesyund jarmerkte , ist seit
dem 14. Jahrhundert nachgewiesen.
Wo Messen überhaupt vorkommen,
gab es deren regelmässig mehrere
oes Jahres. Gegenüber den Jahr-
märkten zeigt die Messe ein Über-
wiegen des Fremden- Elementes. Der
Ausländerverkehr wurde durch die
von den Kaufleuten einer oder
mehrerer benachbarter, geschäftlich
verbundener Städte nach den Messe-
ortengesellschaftlich unternommenen
Messtahrtcn vermittelt und durch die
höchstmöglicheStcigcrungdesMarkt-
friedeni (siehe den Art. Markt) zur
Messefrei /teil gefördert; das letztere
war der Fall, wenn der betreffende
Stadtherr seinen Schutz für Leib
und Gut auch auf den Fall aus-
dehnte, das« er mit der Landes-
herrschaft, aus deren Gebiet die
fremden Kaufleute gekommen, in
offener Fehde begriffen sein sollte.
Die Messe war sodann vorherrschend
dem Samptkauf, d. i. dem Menge-
handel zugewandt, sodass darauf
hauptsächlich Kaufleute mit Kauf-
leuten verkehrten, in ganzen Wagen-
und Schiffsladungen, Säumen u. dgl.
Die hauptsächlichsten Grosshandeis-
waaren sind Salz, Getreide, Wein,
Seidenstoffe; und bessere wollen«
zeuge, Buntwerk i Felle), Gewürze,
namentlich Pfeffer und Saffi an. Die
Messe hatte eine längere Zeitdauer
als der gemeine Jahrmarkt; schon
das uralte Messe- Vorbild, der Dago-
bertsehe Markt von Saint -Denys
1 629 ), erstreckte sich über vier
Wochen; die deutschen Messen um-
spann t e 1 1 eine bis vier Wochen. Die
Messe beschränkte sich nicht auf
den Raum des Marktplatzes, sondern
breitete sich von diesem über die.
sämtlichen einmündenden Strassen,
ja häufig über weitere ganze Stadt-
teile aus. Nach (1 engl er, Deutsche
Stadtrechts-Altcrtümer. Kap. !».
Messer, auch Gnippe, kneif,
kneip. Die Sitte, neben dem Schwert
noch ein Messer als Stoss- oder
Stichwaffe zu tragen, geht in die
früheste Zeit zurück. Sehr häutig
finden sie sich z. B. schon in den
merowingischen Gräbern und zwar
in der Länge von 10—11 Zoll, £anz
oder bis zur Hälfte zweischneidig.
Die Messer wurden, besonders von
den südländischen Völkern, auch
gern geworfen.
Tischmesser zum Vorschneiden
der Speisen kommen in schriftlichen
Nachrichten auch schon früh vor,
ebenso auf Bildern. Schon die St.
Galler Mönche erwähnen kleiner
Tischincs8ercheu. Tiscbmesser und
Gabeln für den Gebrauch jedes.ein-
zeluen Tischgenossen kommen erst
im IG. Jahrhundert in Aufnahme.
Met, ahd. mefu, mhd. mete oder
met, ist ein uraltes Getränk der
Germanen und blieb mit dem Bier
bis tief ins Mittelalter das üblichste
Getränk; es wurde aus gegorenem
Honi^wasser erzeugt, wobei man im
13. Jahrhundert auf zwölf Teile
Wasser einen Teil llouig rechnete.
Minderbrlider, siehe Franzis-
kaner.
Miniaturmalerei. Unter Mi-
niatur versteht man die Aus-
schmückung geschriebener, nicht ge-
druckter Bücher, durch Bilder, Rand-
zeichnungen, Zierbuchstaben. Die
Miniatur steht deshalb im engsten
Zusammenhange mit derKalligraphie.
Der Ausdruck „miniatur" stammt von
minium (ahd. minig), einer roten
Farbe, welche die mittelalterlichen
Maler meist aus Bleiglätte herstellten
j und zur Verzierung der grossen
, Buchstaben oder zur Bezeichnung
048
Miniaturmalerei.
von Wangen und Lippen oder auch
der Gewänder der menschlichen Ge-
stalten anwandten. Die Technik der
Miniaturmalerei int je nach der Zeit
verschieden. Die iiitesten bekannten
Miniaturen seheinen in der Waehs-
inalerei ausgeführt zu sein, wobei
die Farben, mit einer zusammen-
Cichmolzcnen Mischung von Wachs,
Oge uud Leim versetzt, heiss auf-
getragen und nachträglich geglättet
wurden. Später wurden die Farben
in der Regel mit Ei weiss, Eigelb
oder Leim angemacht. Das Gold
wurde bald als Blattgold, bald mit
dem Pinsel aufgetragen. Im enteren
Falle bildet es in der Regel den
Grund der Malerei. — Man schrieb
und malte auf Pergament oder Baum-
wollenpapier. Erstcres bereiteten die
Mönche selbst aus Schafs- oder
Kalbshaut , letzteres fperyame/ia
qi at ca, carta bamhagnia) wurde aus
dem Orient bezogen. Die Vor-
bereitungen zum Malen waren man-
nigfach. Vorerst wurde das Per-
gament mit dem Staub von Tinten«
fiscfiknochen grundiert, dann mit
einem Zahnrade die Abstände der
Schriftlinien festgestellt. Zum Ent-
werfen der* Zeichnung bediente man
sich eines Silberstittes oder einer
Mischung aus zwei Teilen Blei und
einem Teil Zinn. Mit Kielfeder und
Tinte, einer Mischung von Lampen-
russ und Gummi, zog man die Um-
risse nach, mit dem Pinsel von Eich-
h öm c he n haaren und verdünnter
Tinte wurden die Schatten angelegt.
Den Grund, sofern er nicht weiss
gelassen wurde, färbte man oft pur-
purrot, seltener grün oder blau.
War die Schrift und Malerei fertig auf-
getragen, so glättete man die Fläche
mit den» Brunierstein oder Brunier-
zahn (Zahne von fleischfressenden
Tieren oder Edelsteine: ,je edler,
desto besser"). Den Schreibern
(»rriptorc» et pictoret) war im Kloster
ein eigener abgetrennter Raum, das
Scriptorium, vorbehalten; entweder
lag ihnen ein Original vor oder
der Armaiius diktierte. Was ge-
schrieben werden sollte, bestimmte
der Abt.
Das* schon bei den Alten das
Illustrieren von Handschriften durch
bildliche Darstellungen vorgekom-
men ist, wissen wir aus der Er-
zählung des Plinius von den grie-
chischen Ärzten Cratenas, Dionysius
und Metrodorus, welche ihren Ab-
handlungen über die Eigenschaften
der Pflanzen deren Abbildungen bei-
fügten. Ähnlich begann man früh
schon die heiligen Schriften der
Christen, vornehmlich die des alten
Testaments auszuschmücken; ähn-
liche Werke byzantinischen Stiles aus
dem ersten Jahrtausend unserer Zeit-
rechnung sind zahlreich vorhanden.
Während im byzantischen Reiche
die Miniatur ursprünglich Gemälde,
den Büchern eingefügt, war und erst
im Laufe der Zeit die Ornamentation
der Schriftziige selbst hinzukam,
nahm die Sache im Abendlande den
umgekehrten Verlauf. Den Mön-
chen kam es vor allem darauf an,
durch Abschreiben ihre Klöster in
den Besitz der heiligen Bücher zu
bringen. Nach und nach erst kamen
die Schreibkünstler dazu, durch
grossere, verzierte Anfangsbuch-
staben ihre Schrift auszuzeichnen.
Kunstwerke früherer Epochen stan-
den ihnen nicht zu Gebote, deshalb
mussteii die Tier- und Prlanzen-
formen ihrer unmittelbaren Um-
gebung ihnen die Vorbilder liefern.
Aus der Kalligraphie ging aber zu-
gleich eine streng ornamentale
Malerei hervor. Die Zeichner hatten
kaum die Absicht, die Vögel. Fische,
Sehlangen, Blätter und Blütenzweige
naturgetreu wiederzugeben, selbst
die menschliche Gestalt musste sich
die freieste Behandlung und $e Um-
Wandlung zum Ornament gefallen
lassen.
Irland ist die Heimat dieser
frühesten abendländischen Malerei,
und es ist wahrscheinlich, dass der
Stil und die Malertechnik von
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Miniaturmalerei.
640
Alexandria aus nach Irland durch
Einwandern ägyptischer Mönche ge-
kommen und von der keltischen Be-
völkerung später eigentümlich fort-
gebildet worden int. Von den irischen
Klöstern ist diese Ornamentation zu-
förderst auf englische übergegangen.
Ein charakteristischer Zug der iri-
schen Manuskripte besteht darin,
dass die Buchstanen der ersten Zeile
eines Abschnittes viel grösseres For-
mat haben als die übrigeu. Zudem
überragt der eigentliche Initiale
seine Nebenmänner um ein bedeu-
tendes. Auf die erste Zeih' pflegen
sich auch die Zierraten zu beschrän-
ken. Säume von
roten Tupfen um
die Initialen sind
manusenpts geliefert, auf welches
Werk verwiesen sei. Einen grossen
Schatz altirischer Manuskripte be-
sitzt die Bibliothek des ehemaligen
Klosters zu St. Gallen (siehe Bahn:
Das Pmlterium Aureum von St. Gal-
len 1878). In den noch zahlreich er-
haltenen Werken der späteren Zeit
zeigt sich oft eine sonderbare Ver-
schmelzung des irischen Stils mit
dem byzantinischen, so im Evan-
geliarium der Trierer Dombibliothek
und in demjenigen der Bibliothek zu
I Boulogne. Die Zeichnung der Fi-
guren ist durchgängig besser, das
Ornament dagegen weniger zierlich ;
die spezifischen Ele-
mente desselben,
die Kombination
die ersten schlich-
ten Versuche, ma-
lerischen Schmuck
anzubringen. Dann
wird der Körper
der mit schwarzer
Tusche ausgeführ-
ten Buchstaben mit
einem verschlunge-
neu Linicttorna-
lnent in weisser
Farbe ausgestattet,
die einzelnen Bal-
ken der Buchstaben erhalten Köpfe j worden zu sein
Fig.
von Vögeln oder Reptilien; in
den Winkeln und sonstigen Zwi-
schenräumen siedeln sich Vögel,
Schlangen, Drachen u. dgl. an, um-
von Linien, Win-
keln, Spiralen, Rie-
men u. s. w. ver-
schwinden nach
und nach gänzlich.
Fig. 96.
Von den Bewoh-
nern des Festlan-
des scheinen beson-
ders die aus Tieren
zusammengesetzten
Buchstaben mit
Begier aufgegriffen
Zeugnisse hierfür
besitzen die Bibliotheken zu Laon,
Stuttgart, München, St. Gallen und
Paris. In den Ländern Nordeuro-
pas datieren die ältesten Denk-
90. Initial aus einem Missale
de* 8. Jahrhunderts.
geben von oder verflochten mit dem mäler aus der Zeit Karls des
auf das sinnreichste geführten Band- Grossen. Altchristliche, noch von
oder Riemenwerk. Die Farben sind antiker Tradition lebende und by-
mit starken Bindemitteln angemacht zantinische Vorbilder und häufig
und dadurch vor dem Verblassen auch der Einfluss, der aus Irland
geschützt. Als Boten des Christen- gekommenen Mönche lassen sich in
tums bereisten diese Irliinder nach- den noch höchst unbeholfenen
mals das ganze Europa; mit ihuen
zog zugleich ihre Schreib- und
Illuminierkunst in die Welt hinaus.
Die umfassendste Arbeit über die
Miniaturen dieser Schule hat J. O.
Westwood in seinem Werke: /''(Be-
zeichnungen erkennen.
Die Farben selbst gewinnen
eine feste symbolische Bedeutung.
Bei ihrer Verteilung leitet mehr ein
allgemeines Gesetz der Harmonie
als die Rücksicht auf die Natur,
/timiles of the Miniaturen and orna- und es ist nicht selten, dass Haare
ment* of Amjlo Saxon and Irhh und Bart grün oder blau gefärbt
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650
sind, wenn es gerade; passt Als
das älteste Werk der karoliugischen
Epoche gilt das Evangelistarium
des Godeslae, welches auf Befehl
Karls des Grossen Angefertigt
wurde. Mit dem grössten Luxus
ausgestattet, erscheint die Schrift in
Gold und Silber auf purpurfarbigem
Pergament. Fig. 97. Zu grosser
Selbständigkeit erheben sich die
Miniaturen des 9. Jahrhunderts.
Bisher bewegten sich die Künstler
innerhalb eines sehr engen Kreises
der Darstellungen, nun aber unte r-
nehmen sie es,
die im Text er-
zählten Vorgänge
bildlich wieder-
zugeben, anfäng-
lich in kleinen
Zeichnungen,
welchen die Ini-
tialen als Rah-
mendienten, nach
her als freie
Kompositinn in
grossen Bildern.
Auch die Farben •
gebung wird we-
niger hart ; der
Maler bemüht
sich zu modellie-
ren , zum Teil
nach dem Vorbild
der Byzantiner
mit grünlichen Schatten, zum Teil
aber auch nach der Natur mit eigen-
tümlicher Anwendung goldener Lich-
ter in den Gewändern. Hierhergehört
nebst anderen die Wessobrunner
Handschrift ( Hofbibliothek Mün-
chen), das Evangeliarium Lothars
und die Bibel Karls des Kahlen,
das reichste aller dieser Werke.
Auch in der Folgezeit, der ro-
manischen, verleugnet die Miniatur-
malerei keineswegs die Anlehnung
an die Antike, wie sie durch die alt-
christliche Kunst überliefert war. In-
dessen geht die Pflege der Kunst
mit «lein Erlöschen der karolingi-
schen Herrschaft von Frankreich
07. Aus dem
ftodefdac. H
auf Deutschland über. Die Künst-
ler sind nach wie vor Klostergeist-
liche, aber Auge und H:md der
deutschen Maler erweist sich noch
als ungeübter und ungelenker, und
das Bestreben, mit der Tradition
die Anschauung der Natur zu ver-
binden, Bewegung und Ausdruck
in die Zeichnung zu legen, verleiten
dieselben zu Üoertreibungen und
Verzerrungen. Die Gesichter er-
halten eine fahle, selbst grünliche
Farbe, die im Verein mit dem Ila-
geren, Eingefallenen, den laugge-
© <0 ^<r^\ streckten Gestal-
«nt'^t^^^j) ten und den leb-
los schematichen
Gewändern die-
sen Arbeiten ei-
nen bei aller Far-
benpracht doch
tristen, abschrek-
kenden Aus-
druckgeben. Un-
ter den Werken
des 10. Jahrhun-
derts hat das
Evangeliarium
des Bischofs Eg-
bert von Trier
in der dortigen
städtischen I5i-
Kvangclistarium dos bliothek grosse
Jahrhundert. Bedeutung. Die
Evangelisten er-
scheinen auf violettem, gold ver-
ziertem Teppicherund, grossartig
feierlich in Haltung und Aus-
druck. Der byzantinisierende Stil
ist besonders ausgedrückt in den
Miniaturen, welche Heinrich II.
für das Domstift Bamberg an-
fertigen lies«. Die Zeichnung ist
konventionell, halbverstandencn Vor-
bildern ohne Rücksicht auf die
Natur nachgeahmt. Im weiteren
j Verlauf des 11. Jahrhunderts be-
mächtigt sich eine manieristische
Entartung des Stiles, die in seltsam
verschrobenen Körperformen, wirren
Gewandmotivenundoft in abstossen-
der Hasslichkeit sich geltend macht
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Miniaturmalerei.
651
und den tiefsten Verfall der Kunst ver- ben und mit zahlreichen Abbildun-
rät. Fig. 98 (Kunsthist. Bilderbogen), gen versehen hat, denen ein viel-
Von der Mitte des 12. Jahrhuii- taches Eingehen auf Natur und
derf.- au nimmt die Hildung eines Leben einen naiven Reiz verlieh,
selbständigen germanischen Stiles Von der freien, schwungvollen
ihren Ausgang. Eine Kunst, welche Phantastik, die in den Randver-
in so inniger Beziehung zur Litte- zierungen und Initialen ihr heiteres
ratur stand wie die Miniaturmalerei, Spiel treibt, geben drei Passionale
konnte ja von dem Aufschwünge, aus dem Kloster Zwiefalten ( Biblio-
welchen die Poesie in Deutschland
nahm, nicht unberührt bleiben. Die
heiligen Schriften gaben der Malerei
nicht mehr allein
Stoff und Anre-
gung; Legenden,
Heldengedichte,
I>oetische Erzieh-
ungen, Tiersagen
und Minneiie-
der eröffnen dem
Künstler ganz
neue Welten. Und
mit den Gegen-
ständen geht auch
die Ausübung der
Kunst aus dein
ausschliesslichen
Besitz der Geist-
Ucben in Laien-
hände über. Die
Tracht der Zeit
spiegelt sich deut-
lich in den Male-
reien wieder; in
Gesicht und Kör-
perbildung weicht
der byzantinische
Typus mehr und
mehr einem nationalen.
thek in Stuttgart) mehrfach glän-
zende Beispiele. Die Gestalten sind
in roten nud schwarzen Federzeich-
nungen, zum Teil
auf farbigem
Grund abgebil-
det, dabei sind
die nackten Teile
stets in roten Um-
rissen gehalten.
Für das Studium
des Zeitkostüms
namentlich wich-
tig sind die Mi-
niaturen zu Hein-
rich von Veldecks
„Eneit" in der
Bibliothek zu Ber-
lin, insgemein
ohne Ausmalung.
Dieselbe Biblio-
thek besitzt eine
aus dem 13, Jahr-
hundert datieren-
de, in neugoti-
schen Minuskeln
geschriebene
Kopie des Lebens
.der Maria von
Tegernsee. Umge-
98. David. Au» dem Psalter
des Notker Labeo.
Starke Werinher von
schwarze Umrisse werden auch jetzt kehrt erscheinen hier die Gewänder
noch beibehalten, wie auch die
phantastischen Verschlingungen an
irische; Initialen erinnern; die Mo-
tive aber werden der Pflanzen- und
Tierwelt entlehnt, und in den Zü-
in roten, die nackten Teile, in schwar-
zen Umrissen, nur die Unterlippen
sind durch einen roten Strich, die
Wangen durch rote Punkte be-
zeichnet.
gen der grosseu Buchstaben zeigt Die französische Miniaturmalerei
sich Sinn für Schwung der Linien, stand in der romanischen Epoche
Eines der vorzüglichsten Werke ' unter überwiegendem Einfluss des
dieser Epoche besass die Bibliothek irisch-angelsächsischen Stils. In-
zu Strassburg in dem , J/or(us deli- dessen wirkt der gotische Stil, der
darum", welchen die Äbtissin Her- in Frankreich seine Heimat hat,
rad von Landsberg 1175 geschrie- hier früher und entschiedener auf die
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652
Miniaturmalerei.
Miniaturmalerei ein als in anderen
Ländern. In der Kunst des „Illu-
minierens" waren die Pariser Künst-
ler weit berühmt.
Vorerst beschränkte man sich in
der gotischen- Zeit auf schlichte
Umrisszeichnungen ; indessen voll-
zieht sich der Übergang vom By-
zantinismus und Komanismus zu
natürlicheren Bewegungen und zur
Individualisierung uer Köpfe all-
mählich. Die Mittel zum Ausdruck
der Empfindungen sind noch äusserst
beschränkt: Herabziehen der Mund-
winkel für Schmerz etc. Die far-
bigen Bilder sind anfangs noch
wirkliche Federzeichnungen, mit un-
gebrochenen Farben illuminiert;
erst allmählich gelangen die Künst-
ler selbständig wieder auf die Stufe,
welche sie mit dem Aufgeben der
byzantinischen Technik verlassen
hatten; sie gebrauchten Mitteltöne
und Übergänge zwischen Licht und
Schatten. Das Streben nach Zier-
lichkeit und Anmut führt zu eigen-
tümlich gewundeneu Stellungen und
Verdrehungen des menschlichen
Körpers. Eines der liebenswürdig-
sten Beispiele dieser Art sind die
Handschriften des Parcival Wolf-
rams von Escheubach und des
Tristan Gottfrieds von Strassburg
in der Bibliothek zu München,
schwarze Federzeichnungen auf far-
bigem Grunde. Noch entschiedener
geht der Weingartner Minnesänger-
Kodex (Königliche Bibliothek in
Stuttgart) und der Manessische
( Bibliothek in Paris) auf den charakte-
ristischen Schwung das gotischen Sti-
lesein. Dazu Fig. 99. Alle diese Minia-
turen zu Profandichtungen werden
aber überragt von den auf Gold-
oder Tapetengrund ausgeführten
illuminierten Federzeichnungen zu
Wolframs von Esehenbach Ritter-
roman Wilhelm von Oranse, in der
Bibliothek zu Kassel. Oft ohne jede
nähere Beziehung zum Texte sind
die Randzeichnungen, wie wir sie
in Bibeln, Psaltern oder Evangelicn-
bücheru finden, abenteuerliche Un-
gestalten aus Menschen- und Tier-
leibern zusammengesetzt, voll origi-
nellen, mitunter derben Humors
mit sicherer Hand gezeichnet, sich
auf Ranken und dergleichen tum-
melnd. Reich in dieser Beziehung
ist eine Vulgata der öffentlichen
Bibliothek zu Stuttgart. Auch in
Böhmen entwickelt sich im
Lauf des 13. Jahrhunderts eine
verwandte Richtung, von der eine
Bilderbibel in der Bibliothek des
Fürsten Lobtowiz zu Prag zahl-
reiche Beispiele voll Leben und
Originalität bietet.
Für die zweite Periode des
gotischen Stiles ist charakteristisch,
dass mehr und mehr an Stelle der
kolorierten Federzeichnung die selb-
ständige Malerei mit «lern Pinsel
tritt. Das Auge hatte sich geschärft
in der Beobachtung der Natur; es
fasste die Formen richtiger auf, und
der Künstler fing an sich klar zu
werden über die Bedingungen der
körperlichen Erscheinung der Dinge.
In der Zeichnung menschlicher Fi-
guren verrät sich bereits ein genaues
Studium der Köpfe und Hände,
während es allerdings mit der Ana-
tomie des übrigen Körpers noch
übel bestellt ist. Der Faltenwurf
der Kleider wird leichtfliesseud, den
Hintergrund bilden Architekturen
oder sogar Landschaften, häufig
indes Schachbrett- oder Teppich-
muster.
Die französischen und burgun-
dischen Fürsten besonders Hessen
sich die Pflege der Kalligraphie und
Buchmalerei angelegen sein, und es
waren namentlich niederländische
Miniatoren die ausführenden Künst-
ler. Für Deutschland kommt in
dieser Periode ganz vorzüglich die
böhmische Schule in Betracht. Wie
Karl IV. war auch sein Sohn Wenzel
wenigstens anfangs beflissen, die
Kunst in Böhmen zu pflegen. Zahl-
reiche Handschriften, für die ge-
nannten Fürsten angefertigt, ver-
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653
Fig. 99. Aus der Marte*wiachen Bilder Handschrift.
654
Miniaturmalerei.
raten niederländischen oder franzö-
sischen Einfluss. Als Werk eines
böhmischen Künstlers und zwar des
Leutpriesters von Landskron: Jo-
hannes von Troppau stellt sich ein
Evangeliarium uer Wiener Hof-
bibliothek dar. Für den König
Wenzel angefertigt ist eine deutsche
Bibelübersetzung, die Wenzelbibel,
erhalten. Die fürstlich Lichten«
stcinische Bibliothek in Wien und
das Stift Lilienfeld besitzen Exem-
plare einer Concordan/ia caritatix.
welche erkennen lassen, dass au
jedem Blatt fünf Künstlerhände be-
schäftigt gewesen sind, was auf eine
Sewisse fabrikmassige, eine grosse
iachfrage voraussetzende Produk-
tion Beimessen lasst.
Die englischen Miniaturen dieser
Zeit pflegen sich von den französi-
schen durch geringere Routine in
der Zeichnung zu unterscheiden.
Die realistische, individualisie-
rende Richtung in der Malerei, von
den Brüdern van Eyck und der alt-
HandrLschen Schule weit über die
Nachbarländer hinaus zur Herrschaft
gebracht, fand auf dem Gebiete der
Miniaturmalerei einen vorzüglich
günstigen Boden. Die porträtmässige
Behandlung der Figuren, das Streben
nach Naturwahrheit sind von nun
an hervorstechende Züge in der
Miniaturmalerei. In einzelnen Wer-
ken dieser Zeit glaubt man die Hand
der berühmtesten Meister der flan-
drischen Schule zu erkennen, wie
die Brüder van Eyck selbst, nament-
lich aber deren Schwester Marga-
retha. Daneben werden die Malereien
der für Philipp den Guten geschrie-
benen Huünrc du rvyaumc de Jhe-
runalcm , die Miniaturen im Gebet-
buch Karl des Kühnen und Philipp
des Guten, die Bilder der Geschichte
des Hennegaus, diejenigen aus dem
Breviarum des Kardinals Grimani etc.
Rogier van der Weyden, Memling
und Direk Stuerbot zugeschrieben.
Zu den reichsten und schönsten
Büchern dieser Epoche gehört das
Gebetbuch der Maria von Burgund
in der Wiener Hofbibliothek. Eben-
daselbst befindet sich eine pracht-
voll ausgestattete deutsche Über-
setzung des Horfulut aninuic von
Seb. Ürant. Die Initialen in den
niederländischen Manuskripten wer-
den mit Vorliebe mit konventionell
behandeltem Blattwerk behandelt,
deren Zwischenräume mit prächtigen
Blumen oder Früchten ausgefüllt
oder mit farbenreichen Vögeln oder
Insekten bevölkert werden —
Deutsche Miniaturen um die Mitte
des 15. Jahrhunderts zeigen meist
noch die Nachwirkungen früherer
Kunstweisen. Die Weichheit der
Modellierung erinnert oft an den
letzten Vertreter der altkölnischen
Schule: Stephan Lochner, während
in der Schönheit der Farben sich
bereitsder Einfluss der van Eyckschen
Schule bemerkbar macht.
Wie in allen Zweigen der Malerei
erscheint auch in der Miniaturmalerei
Dürer als Grossmeister. Hierher
gehören die Randzeichnungen zum
Gebetbuch Maximilians I. in Blau
und Rot auf Pergament ausgeführt,
voll Phantasie in den zierlichen
Arabesken aus Pflanzen formen und
Linienverschlinguugen, oft gewürzt
mit köstlichem Humor. Fig. 100.
Von den zahlreichen Illuministen,
welche in der ersten Hälfte des 16.
Jahrhunderts in Nürnberg die Aus-
schmückung von Büchern gewerbs-
mässig betrieben, ist vornehmlich
Georg Glockenton zu nennen, dessen
Kinder und Enkel ihm auf der Bahn
folgten, cianeben Seb. Beham.
Bayern barg eine grosse Menge
Illuministen. Auch aus Böhmen
sind in neuerer Zeit eine grosse
Zahl Miniaturwerke bekannt ge-
worden, wenn auch manches iu den
hussi tischen Stürmen zu Grunde ge-
gangen sein mag.
Frankreich hatte in der ersten
Hälfte des 15, Jahrhunderts keine
Müsse für die Pflege der Künste:
Bürgerkriege und der Krieg mit
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Fig. 100. Handzeichnung zum Gebetbuch Maximilians von Dürer.
656
Minimi fratres. — Ministerialität.
England verwüsteten das Reich.
Den Stil der Renaissance in die
französische Miniaturmalerei einge-
führt zu haben, ist das Verdienst
Jehan Fouequeta. Als vorzüglichste
Arbeit seiner Schule erscheint das
Gebetbuch des Königs Rene. Don
dominierenden Einfluss der italieni-
schen Malerei unter Franz I. verrät
ein Exemplar der Chanls royaujr
( Hof bibliothek in Wien). Von Geo-
froy Torv, dem ausgezeichneten
Buchdrucker, Zeichner und Stecher,
existieren zwei Miniatur werke, welche
unter dem Einflüsse der Schule von
Foutainebleau entstanden zu sein
seheinen. Später kommen in Frank-
reich, wie anderswo, die Miniaturen
in den Büchern nur noch ver-
einzelt vor.
Vom Entwicklungsgange der
Miniaturmalerei im Norden wurde
die italienische weniger oder gar
nicht berührt. Die ältesten italieni-
schen Miniaturen besitzt das Kloster
Montecas8ino (6. Jahrh.) Im allge-
meinen datiert die Befreiung der
italienischen Miniatur aus byzantini-
schen Fesseln erst aus dem 13. Jahr-
hundert. Im U.Jahrhundert erlangt
die Schule von Siena hervorragende
Bedeutung. In Florenz waren im
14. Jahrhundert die Kamaldulenscr-
mönche rleissige Miniatoren. Die
Miniaturmalerei hielt sich in Italien
bis ins 17. Jahrhundert.
Verdrängt wurde die Buchmalerei
einesteils durch die Buchdrucker-
kunst, andernteils aber namentlich
durch den Holzschnitt; indessen
hiuterlässt die Miniaturmalerei der
Buehillustration ein reiches Erbe in
Initialen, Vignetten, Zierleisten, Ara-
besken etc.
Nach Lübk e, Grundriss der Kunst-
geschichte; Buche/% Geschichte der
technischen Künste. Vgl. Waagen,
Handbuch der Malerschulen. A. II.
Mi n i ml f rat res, m indeste briieder,
Fremitae Minurum Fralrum 8, Fran-
cisci de Paula, heisst ein von Franz
von Paula gestifteter Mönchsorden.
Der Stifter, im Jahre 1416 zu Paula
im Neapolitanischen geboren, war
bei seiner Geburt dem neiligen Franz
von Assisi geweiht und entwickelte
schon als Knabe in einem Franzis-
kanerkloster eine ausserordentliche
Neigung zu strenger Askese; als
14 jahriger Jüngling lebte er in der
Nahe der Heimat in einer abgelege-
nen Felsengrotte von Kräutern und
frommen Gaben, erhielt im zwanzig-
sten Jahre gleichstrebende Jünger,
später die Erlaubnis zur Erbauung
eines Klosters und einer Kapelle,
welche 1436 von den Eremiten des
heiligen Franz bezogen wurden. Den
drei gewöhnlichen Mönchsgelübden
wurde das beständige Fusteuleben
beigefügt, d. h. eine Enthaltsamkeit,
die sich nicht nur auf eigentliche
Fleischspeisen erstreckte, sondern
auf alle vom Fleisch herkommenden
Speisen überhaupt, also auch auf
Eier, Milch, Butter, Käse, und nur
Brot, Öl und Wasser erlaubte.
Sixtus IV. bestätigte die Ordtns-
statuten 1474. Der Orden verbrei-
tete sich schnell in Italien, Frank-
reich, Spanien und Deutschland.
Die Tracht ist ein bis an die Fersen
reichendes schwarzwollenes Gewand
mit gleichfarbiger Kappe, die vorn
und liinteu bis an die Hüften reicht
Ein besonderer Zweig der Miniinen
sind die Minimen • lertiaricr oder
Minimen Iteiderfei Geschlechts, auch
von Franz von Paula für weltliche
Personen gestiftet, die zu einem
gemeinschaftlichen Leben nicht ver-
pflichtet sind.
Ministerialitat. Ministerialen,
ahd. dienestmann, Dienstmann,
Diemtieute. Ursprünglich, in der
fränkischen Periode, verstand man
darunter überhaupt Leute in einer
dienstlichen Stellung, wie sie an
den Höfen des Königs, der geist-
lichen Stifter und aer weltlichen
Grossen freie oder unfreie, hohe
oder niedrige Leute einnahmen.
Spätere Zeit benannte mit diesem
Ausdrucke vorzüglich solche ab-
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Ministerialität.
657
hängige Leute, welche durch be-
waffneten Dienst und hier wieder
namentlich durch Leistung von Ross-
dienst, für den sie vom Herrn Land
zu Benefizium empfingen, sich in
eine von den übrigen abhängigen
Leuten unterschiedene Stellung em-
porarbeiteten, die zuletzt ihren Ab-
schluss in der näheren Beziehung
zum Hofdienst erhielt. Erst seit
dem 1 ! . Jahrhundert war diese ge-
sellschaftliche und rechtliche Bil-
dung zu einer bestimmten Aner-
kennung gelangt, und gab es seit-
dem ein Recht und einen Stand der
Ministerialen, obgleich auch immer
noch grosse Verschiedenheiten
herrschten. So hatten, wie vor alters
die Königsleute, so jetzt die Dienst-
mannen des Königs oder des Reichs
eine bevorzugte Stellung, dann die
der Erzbistümer und Bistümer, der
Klöster und unter diesen der Reichs-
abteien, deren Recht den Ministe-
rialen anderer Klöster verliehen
wird; es kommt daher seit dem 11.
und 12. Jahrhundert wiederholt zu
Aufzeichnungen einzelner Dienst-
mannenrechte (siehe diesen Artikel).
Was den Eintritt in die Klasse der
Ministerialen betrifft, so hing es zu-
nächst von dem Herrn ab, wen von
den abhängigen Leuten er zu dem
Hof- oder Heerdienst heranziehen
wollte, in manchen Fällen aber auch
von dem, der Eintritt begehrte;
später jedoch wurde das \ erhält-
nis ein dauerndes und erbliches,
das nicht einseitig aufgehoben oder
feändert werden konnte. Im Wesen
er Ministerialität liegt es, dass per-
sönliche Freiheit und Dienstbarkeit
nebeneinander liegen und miteinan-
der streiten; insofern die Dienst-
leute zu Dienst verpflichtet sind,
einen Herrn haben, dem sie Dienst
schuldig sind, dem sie angehören,
dessen Diener, Knechte sie neissen,
sind sie unfrei. Aber der Dienst
selbst heisst freier Dienst, und die
Bedeutung der Abhängigkeit tritt
besonders dann zurück, wenn als
Reallexicon der deutlichen Altertümer.
der Herr nicht eine Person, König,
Bischof oder dergleichen, sondern
die Gewalt selbst, das Reich, Bis-
tum, Fürstentum betrachtet wird.
Gehören sie weder zu den recht-
lich Freien noch zu den Vasallen,
so gehören sie doch zu der ange-
sehenen und ehrenvollen Stellung
der Reisigen oder Ritter, deren
Rüstung und Tracht sie auch trageu.
Dem Todfall (siehe Fall) sind die
Ministerialen meist nicht unterwor-
fen, ebensowenig einem Heiratsgeld ;
doch durften sie anfange mit einer
fremden Frau keine Vermählung
eingehen; Ehen mit freien Frauen,
die oft vorkamen, genossen beson-
dere Begünstigung. Zu Zeugnissen,
Besitzübertragungen und anderen
Rechtsgeschäften sind sie neben den
Freien befugt, sie nehmen teil am
Grafengericht, die Ministerialen des
Reichs am königlichen Hofgericht.
Hinwiederum hat der Herr ein Ver-
fügungsrecht über sie, er kann sie,
d. h. die Rechte, welche er über sie
hat, an andere übertragen. Sie sind
dem Herrn zur Treue verpflichtet,
die sie eidlich geloben.
Der Hofdienst, der um die Per-
son des Königs und der Grossen zu
leisten ist, spaltet sich nach den
Amtern des Kämmererg, Truch-
sessen, Schälks und Marschalls.
Auch diese Hofamter sind ursprüng-
lich nach dem Belieben des Herrn
vergeben, auf Zeit, ohne bestimmte
Dauer; er war auch kein perma-
nenter, sondern wechselte vielmehr;
von den vielen Ministerialien eines
geistlichen Stiftes sind .die einzel-
nen den verschiedenen Ämtern zu-
geteilt, haben aber zeitweise den
wirklichen Dienst zu leisten. Später
aber sind die einzelnen Amter auch
erblich verliehen und gewähren An-
sehen, Vorteile, Reichtum und Macht ;
sogar höher gestellte Freie ver-
schmähten nicht in den Dienst der
reichen Stifter zu treten und als
Vorsteher der oberen Hofamter zu
fungieren. Über den Kriegsdienst
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658
Minnesänger.
der Ministerialen, siehe den Artikel Teil der Ministerialen übertragen.
Heerwesen. die dazu eine eigene Vereinigung
Wer zum Dienst herangezogen bildeten, für welche der Name Hau*-
ward, empfing Unterhalt, Kleidung genvssen in Gebrauch kam.
und Beihilfe zur kriegerischen Rü- Ministerialen wurden besonders
stung; Wohnung und Kost die- zur Verteidigung befestigter Orte
jenigen, die im täglichen Dienst des verwandt, bildeten die Besatzung von
Herrn standen; besonders aber Land l Burgen, wie schon unter Heinrieh I.
als Leben, wobei später mit be- berichtet wird. Bischöfe und Äbte
stimmten Ämtern bestimmte Bene- hatten eine Anzahl ihrer Dienstleute
fizien verbunden waren, die eben- an dem Sitze des Stiftes zur Hand,
falls mit der Zeit erblich wurden. Daneben beteiligten sie sich in den
Ministerialen werden mit den Gütern Städten, wo sie sich uiederliessen,
veräussert und die Güter mit jenen, an friedlichen Geschäften, wareu als
Von diesen Gütern erhalten sie auch Müuzer zugleich Wechsler und trieben
später die unterscheidenden Namen, Warenhandel.
die dann Familiennamen wurden. Seit dem 13. Jahrhundert wurde
Da zu Anfang die Beziehung auf | der Grund der Ministerialrat nicht
den Herrenhof überwog, konnten mehr in den besonderen Pflichten
solche Namen verschiedenen Fami- dieses Standes, sondern wie bei den
lien gemeinschaftlich sein. Eiu Mi- Vasallen in den ihnen verliehenen
nisteriale konnte auch Eigenjrut ha- Lehen gefunden; das Dienst verhält-
ben,eben8oaufseinenGüternKnechte nis löste sich in das Lehnrecht auf ;
und andere abhängige Leute, die die persönlichen Bande, die den
ihn als Knappen in den Dienst Dienstmann an den Herrn geknüpft
begleiteten. Einzelne Ministerialen hatten, lockerten sich, und der or-
spielten als Begleiter ihrer Herren, deutliche Hofdienst wurde durch
als Inhaber der grossen Hofämter, besoldete Hof beamte ersetzt. Auch
als Räte eine bedeutende Rolle; ! der Sprachgebrauch änderte sich,
namentlich wird manches von Ver- und die Ministerialen wurden gerade-
gewaltigungen berichtet, die sie von zu als Freie bezeichnet ; Dienstmanu
festen Burgen aus an den geist- und Vasall wurde gleichbedeutend,
liehen Stiftern begangen haben; Meist nach U 'aitz, v crf.-Gescb. V.
auch auf Besetzung der geistlichen 289 ff. Vergl. yi/z*ch. Ministeria-
Stifter erlangten sie Einfluss. In lität und Bürgertum im 11. und 12.
allen wichtigen Angelegenheiten Jahrh. Leipzig 1SÖ9.
nahmen sie ein Recht des Beirat«,; Minnesänger. Der Name minue-
der Mitwirkung in Anspruch, treten [ ginger oder minnesenger wird zwar
als gedigene , Degenschaft, den vereinzelt von höfischen Dichtern
Bisenöfen und Äbten zur Seite; vor verwendet , aber keineswegs als
allem gaben sie ihre Zustimmung stehender technischer Ausdruck für
bei Aufnahme in ihre Gemeinschaft die lyrischen Dichter höfischen
oder bei Veränderungen, die den Standes; in allgemeine Aufnahme
Besitzstand betrafen. Überhaupt kam das Wort erst, seitdem Bödmet'
bildeten sie als durch gleiches Recnt und Breitinger ihre „Sammlung
und gleichen Dienst Verbundene von Minnesingern*1 1758 und 1759
eine Genossenschaft, zu der bald alle hatten erscheinen lassen. Häufiger
unter demselben Herrn stehenden, sagte man im Mittelhochdeutschen
bald bloss solche zählten, die zu einem singaere, singer, wenn man die Ly-
einzelnen Hof oder Dorf gehörten; riker getrennt von den Epikern be-
in den Bischofstädten war die Aus- nennen wollte; da aber die Lyrik
Übung des Münzrechtes oft einem auch die Form des ungesunge'nen
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Minoriten. — Missi dominici.
659
Spruches unter sich begreift und
überhaupt bei den Lyrikern dieser
Periode das Singen dem Dichten
untergeordnet ist, so konnte singcmur
in besonderen Fällen Anwendung fin-
den; Minnesinger hiess man wohl
einen Lyriker, insofern er dem
Frauendienst gewidmete Dichtungen
verfasste; aber einesteils kennt diese
Lyrik neben dem immerhin vor-
herrschenden Frauendienst doch
auch den Herren- und Gottesdienst,
und andererseits ist das Motiv der
Minne nicht minder im höfischen
Epos zu Hause als in der Lyrik, nur
dass man jenes freilich nicht mehr
sang, sondern las. Auffallend ist
immerhin, dass sich in Deutschland
nicht ein Name allgemeine Geltung
verschafft hat, mit dem man den
höfischen Dichter kurz und deutlich
benenneu konnte, ähnlich dem pro-
vencalischen Troubadour und dem
norafranzösischen Trouvere, das ist
Finder, Erfinder. Die Ursache dieses
Mangels liegt darin, dass in Deutsch-
land die Dichter keinen so geschlos-
senen Stand bildeten, wie dieses in
Frankreich der Fall war, sondern
nach Lebensführung, Art des Er-
werbes, Dienstverhältnissen, Kunst
und Verhältnis zu den Frauen sich
mehr alsjene den allgemeinen Lebens-
formen unterordneten, die damals
die herrschenden waren. Vgl. die
Artikel Frauen und Höfische Dich
fang und die schöne Abhandlung
Unlands, Der Minnegesang, im fünf-
ten Bande von Uhland's Schriften.
Miuoriten, siehe Franziskaner.
Miss! dominici. Sendboten, Königs-
hofen. Von jeher war es im fränki-
schen Reiche Sitto, da^s der König
ausserordentliche Abgesandte in die
Provinzen schickte, um einzelne
wichtige Geschäfte vorzunehmen,
namentlich solche, die von den
ordentlichen Beamten nicht erledigt
werden konnten oder sollten; aber
erst Karl d. Gr. gab dem Institute
eine bestimmte Form und gestaltete
es zu einem wesentlichen Teil der
Reichsregierung. Die lateinischen
Quellen nennen die Boten missus,
legatus, nuntius, mit der näheren
Bezeichnung dominicus, regaNs, pala-
tinus; der deutsche Ausdruck ist
nicht überliefert; Sendboten und
Königsboten sind neuer Entstehung.
Die Pflichten und Befugnisse der
Königsboten sind verschiedener Art.
sie vertreten in gerichtlichen Sachen
den König, halten selbst Gericht,
wachen über die Interessen und
Rechte der Kirchs, führen eine all-
gemeine Aufsicht über die welt-
lichen und geistlichen Beamten, be-
rufen im Auftrage des Königs grössere
Versammlungen, sind als Heerführer
thätigj, wirken als Gesandte an aus-
wärtige Fürsten. Die Personen der
Boten waren bald hohe Hof beamte,
bald sonst angesehene Manner, bald
Grafen, bald Getreue niederen Stan-
des oder Mitglieder der Geistlich-
keit. Nach der Kaiserkrönung waren
es namentlich die Königsboten, wel-
chen Karl die Durchführung der
höheren staatlichen und kirchlichen
Ordnung übertrug. Was in der Re-
gierung des Reichs eine besondere
Bedeutung hatte und Karl persön-
lich am Herzen lag. Staatliches und
Kirchliches, namentlich die Beob-
achtung von Ordnung und Zucht,
rechte Handhabung der Gerichts-
gewalt, Durchführung der Heerge-
walt, Sicherung und Bewahrung des
kaiserlichen Besitzes und Einkom-
mens fiel in den Bereich ihrer Thätig-
keit. Damit die Einrichtung in allen
Teilen des Reiches zur Ausführung
komme, wurde das Reich in Distrikte
geteilt, missaticu m oder fegafio, deren
jeder mehrere Königsboten erhielt,
oft zwei, nämlich aVn Erzbisehof
und einen Grafen, oder mehrere
Grafen oder mehrere Geistliche;
ein einzelner wurde nur ausnahms-
weise als Missus ausgesandt. Die
Boten erhielten stets ihre besondere
Instruktion, die bald in einem Aus-
zug aus den allgemeinen Gesetzen
des Jahres bestand, bald nähere
42*
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660
Mitra. — Monatnamen.
Anweisungen für einzelne Vorkomm- germanischen Monatnamen, das
nissc enthielt; nach Ablauf der ] Schwanken zwischen allgemeinen
Sendung hatten sie dem Kaiser Be- Zeitangaben und besonderen Mouat-
richt über ihre Arbeit zu erstatten. Worten , die Anwendung gewisser
Unter den letzten Karolingern ge- Namen auf mehrere Monate zugleich
riet die Einrichtung in Verfall, und und die leichte Verdrängung der
die sogenannten Kammerboten, nuntii deutschen durch die römischen Na-
eamerae, Erchangcr und Berthold, men, Im allgemeinen liebten die
welche in den St. Gallischen Kasus Deutschen mehr als Jahrteilung
des Ekkehart als Feinde des Bisehofs ' nach dem Monde eine Teilung nach
Salomon genannt sind, scheinen zu 1 Wetter und Wirtschaft, Tieren und
ihren Namen bloss aus der Ver- ; Gewächsen. Die ältesten germani-
bindung verschiedener Erinnerungen scheu Monatnamen stammen au.s
des Chronisten gekommen zu sein. Skandinavien und England. Von
Mitra, frz. mitre, engl, mitre, den Monatnamen der festländischen
lat. mitra — Band, Kofbinue, Mütze. Deutschen berichtet zuerst Einhart
Siehe den Artikel Kopfbedeckung. in Karls d. Gr. Leben, Kap. 29;
Monatnamen. Die indogerma- hier ist erzählt, dass Karl an Stelle
nischen Völker belegten erst nach der bisher durcheinander gebrauch-
ihrer Teilung in Einzelvölker die ten deutschen und lateinischen Na-
Mondabschnitte des Sonnenjahres
mit festen Eigennamen, die daher
nicht voneinander abgeleitet sind.
Nach römischer Überlieferung soll
Komulus das Jahr in 10 Monate
geteilt und den ersten nach seinem
göttlichen Vater Mars Martius be-
nannt haben, den zweiten April is
von dem Aufgehen (aperire) der
Pflanzenknospen, den dritten Majus
nach der Maja, der Mutter Merkurs,
den vierten Junius nach der Juno,
die übrigen nach der Zahl Quinc-
tilU, Sextiiis, September, Oetober,
November, December. Später erhielt
der Qu inet Ms von Julius Cäsar den
menreihe eine gültige deutsche Na-
menreihe gesetzt habe, die folgender-
lautet:
1. wintarmAnoth,
2. hornunc,
3. lenzinmunoth,
4. östarmanoth,
5. wunnimanoth,
6. brdchmdnoth,
7. hewimanoth,
8. aranmdnoth,
9. icitumdnoth,
1 0. teindu menui noth ,
11. herbistmdnoth,
12. 'heilagmdnotli.
Davon stammen 1, 3, 11 aus den
Namen Julius, der Sixtilis von Au- Jahreszeiten; 5, 6, 7, 8, 9. 10 ge-
fust den Namen Augustus. Numa hören dem Wirtschaftskalender an ; 4
ömpilius soll dann den Januarius und 12 bedeuten heilige Zeiten;
vom Gotte Janus und den Febru- Hornung wird, dem altnordischen
arius hinzugefügt haben, der von der horn ünger = „unehelicher Sohnu
dem allgemeinen, am Schlüsse eines gemäss und in Ansehung, dass der
jeden Jahres dargebrachten grossen Monat auch der kleine Born ge-
Sühnopfer, Februalia, den Namen | nannt wird, dem Januar gegenüber,
hatte. I welcher der grosse Horn heisst, als
Die Germanen wurden erst nach I „unechter Monat" gedeutet, Le,iz
der Bekanntschaft mit dem römischen i ist der alte, bis jetzt unerklärte
Kalender zur Bildung fester Monat- Name des Frühliugs, icunnimdnoth%
nameu veranlasst, und zwar erst < nach anderer Lesart winnimdnofJ»
nachdem ihre nähere Verbindung ist soviel wie Weidemonat, von trin -
schon aufgegeben war; daher die jan, Winnen *= weiden, erhalten in
Abweichung in den nord- und süd- ' der alten Reehtsfonnel Wunn und
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Mönchswesen.
661
Weid; arannuhiofh ist Erntemonat;
icitumanoth Ist Holzmonat, der Monat,
in dem man im Walde Holz holt;
windumemanoth ist der Monat der
Weinlese, mhd. wim met, schweizerisch
IViimmet.
Die Namensreihe Karls blieb
wirklieh fortan die Grundlage der
deutschen Monatsbezeichnungen, nur
dass etwa landschaftliche Benen-
nungen hervortreten ; daneben er-
halten sich die lateinischen Namen.
Die Kalender des 15. und 16. Jahr-
hunderts haben meist folgende Na-
menreihe, die im ganzen bis ins 18.
Jahrhundert herrschend blieb und
in schweizerischen Kalendern heute
noch zu Recht besteht.
1. Jenner,
2. Hönning,
3. März,
4. April,
5. Mai,
6. Brachmond,
7. Heumond,
8. Augstmond,
9. Herbstmond,
10. Weinmond,
11. Wintermond,
12. Christmond.
Die landschaftlichen Monatreihen
der Bayern, Alemannen u. s. w.
weisen davon manche Abweichungen
auf. Was die Bedeutung der
Monatnamen betrifft, so unterscheidet
Weinhohl, Die Deutschen Monat -
namen, Halle 1869, dem wir diese
Mitteilungen überhaupt entnehmen,
Monatnamen ' aus dem religiösen
Leben (Oster- und Christmonat),
nach Zeit und Wetter, von Pflanzen
und Tieren und nach Geschäften
in Feld und Haus.
Mönchswesen. Da einerseits
über die in Deutschland vertretenen
mittelalterliehen Mönchsorden in be-
sondere Artikeln dieses Werkes ge-
handelt ist, und es andererseits an
einer neueren Darstellung mangelt,
welche den inneren Zusammenhang
dieser Erscheinung mit der allge-
meinen Entwicklung des Mittelalters
überhaupt erschlösse, so können hier
bloss einige Anhaltspunkte zur Orien-
tierung in den mannigfaltigen Er-
scheinungsformen des Mönchswesens
gegeben werden.
Das Mönchswesen, soweit es eine
Erscheinung der christlichen Religion
ist, beginnt in den ersten Jahr-
hunderten unserer Zeitrechnung mit
den morgenläudischen Anachoreten,
deren Prinzip vereinzelte Weltflucht,
Entsagung, Askese ist. Erst das
4. Jahrhundert führte die Einsiedler
im Morgenlande in Klöster zusam-
men, griech. xoiPoßlOv, eoenobitum,
coenibita, lat. claustrum, von claudere
= schlie8sen, verschliessen; auch
Mönch und Sonne sind noch griechi-
schen Ursprungs; pöruxog zu jtioio,-,
ist der allein Lebende, vörvu ist
unerklärt. Im Abendlande, wo das
Möuchstum durch Athanasius be-
kannt und von Ambrosius, Augusti-
nus und Hieronymus empfohlen
wurde, war die Lebensweise der
Mönche weniger der persönlichen
Askese zugewandt als im Morgen-
land; neben der Betrachtung lagen
die Mönche der Handarbeit ob, seit
Cassiodorauch dem Bücherschreiben.
Noch waren die Mönche meist Laien
und nur der Abt Presbyter, die
Klöster vom Bischöfe abhängig;
doch galt das Mönchstum schon
seit dem Ende des 4. Jahrhunderte
als Pflanzschule des Klerus. Be-
sondere Orden gab es nicht, das
Mönchstura bildete zusammen einen
einheitlichen Stand; die einzelnen
Klöster folgten den Vorschriften
ihres Stifters. Erst die Regel des
Benedikt von Nursia und ihre all-
mähliche Einführung in den Klöstern
des Abendlandes gab dem ganzen
Institut Einheit und Zusammen-
hang. Das Benediktiner Mönchstum
begleitet die Neubildung der frän-
kisch-mittelalterlichen Bildung bis zu
dem Zeitpunkt, wo im 11. Jahrhun-
dert die höfisch - ritterliche Bildung
der Träger der mittelalterlichen
Kultur wird. Verschiedene Gründe
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662
Mönchs wesen.
äusserer und innerer Art mögen
dem Mönchs- und Klosterwesen in
dieser Periode zu seiner Bedeutung
verholfen haben; das Institut kam
in die germanisch-romanischen Län-
der als ein echon vorhandener Be-
standteil der Kirche, so zwar, dass
die Missionäre des Christentums
meist selber ihm angehörten. „Das
Tiefsinnige, Elegische im deutsehen
Charakter, sagt Rettberg, musste
sich in dem angeblich Verdienst-
lichen eines Zurückziehens von der
Welt gefallen, wobei man dem
Schauerlichen einer wilden Einsam-
keit nachhängen konnte. Darum
sind in Deutschland keine Gegenden
so dicht mit Klöstern besetzt als
die Thäler der Vogesen, Ardennen
und das bayerische Hochland mit
den lieblichen Seen." Die Urbari-
sierung der germanischen Heiden-
welt in Beziehung auf den Acker-
bau sowohl als auf die Erziehung
des Volkes zu christlicher höherer
Bildungsfähigkeit in Wissenschaften
und Künsten verlangte offenbar
mehr als einzelne Prediger, zu-
sammenhängende, starke, organi-
sierte Gemeinwesen, gleichsam Fe-
stungen des christlichen Glaubens,
der christlichen Zucht und Arbeit
wie denn wirklich die Klöster es
waren, welche in den verschieden-
sten Beziehungen die Träger neuer
Bildungen, Handwerke, Kulturen,
Künste u. dgl. geworden sind. Weit
entfernt, in ihren Zwecken und Zie-
len der Welt, dem Volke, der Ar-
beit nach aussen zu entfliehen,
finden sie ihre Aufgabe in der Hin-
gebung an das Wohl des Ganzen.
Sie unterstützen die staatliche Obrig-
keit in ihren ideellen Aufgaben, wie
umgekehrt der Staat und seine
Träger die Klöster als ein wesent-
liches Mittel ihrer höheren Zwecke
ansehen und ehren. Namentlich
stützt eich Karls d. Gr. Wirksam-
keit für die Bildung seines Volkes
auf die Mithilfe der Klöster; der
Zusammenhang der Klöster mit dem
römischen Stuhl bezog sich bloss»
auf die rein kirchlichen Angelegen-
heiten; ihre Obrigkeit erkannten sie
durchaus in den staatlichen Ge-
walten.
Die kulturgeschichtliche Auf-
gabe, welche das fränkische Welt-
reich sich selbst und dein Mönchstum
gestellt hatte, wurde von der fort-
schreitenden Entwicklung der inne-
ren Verhältnisse aufgehalten oder
in andere Bahnen gelenkt; Karls
und seiner Zeitgenossen Hoflhung,
auf fränkischem Boden eine rö-
mische oder der römischen gleich-
wertige Bildung herzustellen, war
ein Traum, und während im 9., 10.
und 11. Jahrhundert an der Ver-
wirklichung desselben gearbeitet
wurde, bereiteten sich diejenigen
Bildungen vor, welche im 12. und
13. Jahrhundert die herrschenden
waren, das Rittertum und dessen
höfische Bildung einerseits und die
katholische Kirche mit ihren spezi-
fischen und exklusiven Bildungen
andererseits. Beiden Bildungen
neigen sich nun auch die Klöster
zu: entweder gehen sie, indem sie
das kirchliche Gewand bis an die
äusserste Grenze abstreifen, in das
Lager weltlich -höfischer Staatsbil-
dungen hinüber, werden gefurstete
Abteien, die nur äusserlicn an der
Regel des heiligen Benedikt fest-
halten, oder sie ergreifen die Partei
der neuerwachten Kirehlicbkeit, wo-
bei man Klöster älteren Datums
unterscheiden kann, die sich einer
kirchlichen Reformation unterstellen,
oder, was viel häufiger vorkommt,
Klöster neuer Orden, die eben zu
dem Zwecke gestiftet werden; es
sind die Ctuniacenser, Kamaldulen-
ser, Grammontaner, Cisfereienser,
Kartäuser, Prämonstr atenser, Kar-
meliter und die geistlichen Bitter-
orden ; schon ihre Zahl zeugt dafür,
dass in dieser Periode sehr verschie-
dene Richtungen und Kräfte, und
namentlich der Geist einzelner Per-
sönlichkeiten eich geltend machten,
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Mönchswesen. • 663
welche die karolingisch- fränkische orden, und unter diesen namentlich
Zeit nicht gekannt hatte; auch ist die Dominikaner und Franziskaner,
es nicht bloss der Gegensatz zum woneben der Geist ausschliesslicher
älteren verweltlichten Mönchstum, Kirchlichkeit nicht minder manche
was hier wirkt, sondern nicht min- der älteren Orden und Klöster be-
<ler der Gegensatz zum Geiste der herrscht; die Dominikaner sind aber
klerikalen Kirche selber, manchmal, zugleich die Haupthelfer der kirch-
wie bei Cluniacensern und Cister- lienen Autorität gegen das überall
ciensern, der Gegensatz zwischen aufstrebende Ketzertum, und beide
Orden und Orden; manche dieser Bettelorden zusammen die Stützen
Orden hatten übrigens in der jetzt der Scholastik und dadurch der
schneller arbeitenden Zeit das Schick- theoretischen Ausbildung des mittel-
sal der älteren Benediktiner Stif- alterlichen Kirchentums; anderer-
tungen, reich und dadurch dem seits stehen sie aber auch dem
kirchlich asketischen Prinzip untreu verwilderten Weltklerus entgegen,
zu werden. Bedenkt man ferner, dessen Seelsorge sie grösstenteils
dass diese Mönchsorden zahlreichen auf ihre eigenen Schultern nehmen;
andern Neubildungen auf dem Ge- daher beider Bettelorden Bedeutung
biete des Staates, der Gesellschaft, für die deutsche Predigt und die
der Litteratur, der Kunst parallel Mystik; dieses Mönchstum steht
gehen, so ist deutlich, dass jetzt der ferner im engen Zusammenhang mit
Mönchsstand überhaupt an Einfluss dem aufblühenden Städtewesen, in
auf den Geist der Zeit verloren dem die Stiftungen des heiligen Do-
hat; während die karolingischc Pe- minikus und Franziskus nicht die
riode kaum ein Lebensgebiet kennt, letzte Stelle behaupten; endlich re-
an dessen Bebauung und Bildung präsentieren sie der humanistischen
die Klöster keinen Anteil gehabt vornehmeren Bildung gegenüber
hätten, so giebt es jetzt grosse Gc- den bettelnden, terminierenden, bil-
biete, wie dasjenige der höfischen dungslosen geistlichen Pöbel, zeigen
Litteratur , wo von irgend einem also im ganzen ein höchst vielsei-
Orden kaum die Rede ist ; dagegen tiges Leben, das zum Teil zwar aus
haben sie sich um einzelne Landes- den vielseitigen Bedürfnissen der
teile, Städte, Länder, gewiss grosse Zeit entspringt, zum Teil aber eine
und bleibende Verdienste erworben. Mannigfaltigkeit und Vielseitigkeit
Zeigt schon die Periode der re- der in diesen Orden thätigen in-
formierten Klosterstiftungen auf dem sonen wiederspiegelt, deren Selb-
Boden des Benediktinertums eine ständigkeit Zeugnis für die zuneh-
bunte Mannigfaltigkeit, deren inne- mende Bedeutung des Individuums
rer geschichtlicher Bedeutung schwer in dieser Periode ablegt,
nachzukommen ist, so gestaltet sich Neben den Bettelorden sind die
in der Periode des volkstümlichen älteren Orden mit wenig Ausnahmen
Monchstums das Bild zu einem noch auch in dieser Periode lebendig, und
viel bunteren, entsprechend dem zwar in den mannigfaltigsten Ge-
Geiste des ausgehenden Mittelalters, . stalten ; auch sind immer noch neue
das den Zwang höfischer Zucht und Orden im Entstehen begriffen , wie
Bildung hat fahren lassen und des- die Minimen; lebenskräftiger aber
sen zahlreiche Neubildungen noch und eine schönere Zukunft vorbe-
nirgends zu bleibender Gestalt ge- j reitend erscheinen die Brüder vom
diehen sind. Dem immer mehr ver- gemeinsamen Leben , aus denen wie
schärften Gegensatze zwischen den aus keinem andern Mönchsorden ein
Interessen der Hierarchie und des i Geist der neueren kirchlichen und
Staates dienen vor allem die Bettel- 1 humanen Bildung hervorgeht. Mit
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6G4
Monogramm. — Monstranz.
der Reformation wird das Mönchs-
tum eine ausschliessliche Erschei-
nung der katholischen Kirche, für
«leren Verteidigung besonders die
Orden der Jesuiten und der Kapu-
ziner gestiftet werden. Von älteren
Schriften über diesen Gegenstand
sind namentlich die beiden Trak-
tate \ 'ad i ans Von dem mbnehsstand
und Von stand und icesen der stiften
und elbstern zuor zeit der alten
teuf sehen Franken zu nennen, ab-
gedruckt in Vadians deutschen histo-
rischen Schriften, Bd. I, 3 103.
Monogramm Christi heisst die
als Inschrift überaus häufig an-
gewandte abgekürzte Bezeichnung
der Namen Christus, Jesus Christus
und Jesus.
I. Für den Namen Christus wird
das Monogramm aus und P (die
griechischen Majuskeln des lateini-
schen Ch und Ii) und zwar in dop-
pelter Weise zusammengesetzt, in-
dem das P mitten in das A'
hingesetzt, das letztere aber entwe-
der stehend X oder liegend + ge-
nommen wird. Mit der letzteren
Form nahe verwandt ist das ägyp-
tische Henkelkreuz V, das Zeichen
des Lebens, das von ägyptischen
Christen geradezu statt des Kreuzes
gebraucht wurde; die andere Form
^9 ist heidnischen Ursprungs und
findet sich lange vor Christus auf
Münzen des griechischen Altertums.
Als christliches Zeichen bedienen
sich zuerst Privatdenkmäler des
Monogramms, wie Grabdenkmäler,
Grabgeräte, z. B. Lampen und Glas-
gefasse, Sarkophage, dann auch ge-
schnittene Steine und Ringe; auf
öffentliche Denkmäler geht das
Monogramm durch Kaiser Konstan-
tin d. Gr. über, welcher dasselbe in
das Labarum, die kaiserliche Stan-
darte, auf seinen Helm und auf
die Schilde der Soldaten setzen Hess;
auch auf Münzen und öffentlichen
Bauwerken erscheint das Zeichen
von jetzt an häufig.
II. Für die Namen Jeftus Christus
heisst das Monogramm im Griechi-
schen IC XC, im Lateinischen IHS
XPS, wo also die ersten beiden
Buchstaben dem griechischen, der
dritte dem lateinischen Alphabet
entnommen ist. Es findet sich auf
Münzen, in Inschriften und Bild-
werken, Malereien, namentlich Mi-
niaturen, karolingischen Handschrif-
ten sowie in Tafelgemälden des
Mittelalters.
III. Für den Namen Jesus heisst
im Griechischen «las Monogramm
III, im Abendlande IHS; das letz-
tere gewann seit dem Ausgange des
Mittelalters grosses Ansenen uud
populäre Verbreitung durch Bera-
n ardin von Siena, der in Predigten,
die er im Anfang des 15. Jahrhun-
derts in verschiedenen Städten hielt,
zum Schluss eine Tafel mit diesem
Namenszuge in goldenen Buch-
staben, von Sonnenstrahlen rings
umgeben, zur Verehrung ausstellte.
Auch die Jesuiten haben sich dieses
Monogramm angeeiguet Fij>er in
Herzogs Real-Kncykl.
Monogramme der Künstler finden
sich seit dem 14. Jahrb., ähnlich den
Steinmetzzeichen , auf Erzgiissen.
Schnitzwerken, besonders auf Gemäl-
den, Kupferstichen undHolz8chnitten.
Sie bestehen entweder aus Anfangs-
buchstaben der Namen, aus Wappen-
bildern der Meister, aus Hausmarken
oder andern willkürlich gewählten
Zeichen.
Monstranz, lat. monstrantia, hiess
man bis zur Einführung des Fron-
leichnamsfestes l um 1264) den trag-
baren Relicpiicnbehälter, der auf
einem schlanken P"u88, in einem
zierlich geschnitzten Säuleuwerke
hinter Glas oder Krystall die Reli-
quien zur Schau brachte Mit jener
Zeit aber nimmt die Monstranz die
bis dahin im Ciborium verborgene
Eucharistie (die Hostie) auf, was
zwar erst um 1 330 allgemeiner Ge-
brauch wird.
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Mörtel. - Mühlen
665
Die Form des Gefasses bleibt In einzelnen Fällen mag auch aus
ziemlich die gleiche. Der Fuss ist Hochmut ein Fass Wein zu diesem
demjenigen des Kelches ähnlich. Zwecke geleert und das Blut eines
Das eigentliche Behältnis war ein Widerspenstigen in die Mörtelpfanne
walzen- oder linsenförmiges Gehäuse gefasst worden sein; in der Regel
von Glas oder Krystall, aer Schmuck aber versah das Wasser den Dienst,
ein schlank sich "erhebendes, durch wie heute noch.
Strebebogen verbundenes Pfeilwerk In altchristlicher Zeit verwendete
mit Blätter-, Hanken- und Stabver- man in Italien ausser dem Kalk-
zierungen, sowie mit Figuren von sandmörtel auch Puzzolanerde , im
Engeln und Heiligen. Die Spitze Mittelalter jedoch fast ausschüess-
krönte das Kreuz. Der Stoff war lieh den ersteren, im Inneren der
Gold oder mindestens stark vergol- Häuser auch den Lehm, aus wel-
det»'s Silber. Auch die Edelsteine ehern Stoffe (nebst dem Holz) die
fehlten nicht. Die deutschen Mei- j Hütten der Armen fast durchweg
ster sollen sich in der Ausarbeitung ' bestanden. Sehr haltbar sind fast
köstlicher Gerate dieser Art aus- sämtliche Bauten aus dem 11..
gezeichnet haben. 13. — 15. Jahrhundert. Am Rhein
Das 16. Jahrhundert brachte auch scheint auch der Trass zur Mörtel-
hierin neue Formen. Der einfache bereitung verwendet worden zu sein.
Schaft wurde mannigfach gegliedert Mühlen. Da eine historisch-
und verziert, ähnlich wie es oei den antiquarische Untersuchung über
Kelchen geschah. Der Behälter er- Mühlen im allgemeinen zu mangeln
hielt eine reich mit Steinen besetzte scheint , mag hier aus Genglers
Umfassung, meist in Gestalt einer deutschen Städte- Altertümern r Er-
strahlenden Sonne. Das Ranken- langen 1882, Kap. 13 einiges über
werk wurde reicher mit Sinnbild- städtische Mühleu zusammengestellt
liehen Figürchen geschmückt, so werden.
einerseits mit einer Ähre von Dia- Die mittelalterlichen städtischen
manten, anderseits mit einem Trau- Mühlen sind Wassermühlen, Wind'
beng**hänge von Rubinen, den hei- mahlen und liossmühlen, die Wind-
ligen LeiD (das Brod) und das mühlen besonders seit dem Aus-
heilige Blut (den Wein) versinnbild- gange des 13. Jahrhunderts auf
lichend. den grossen Stadtfehlern, manch-
Mürtel, lat. mortarium, mortie- mal auf den Stadtmauer-Bastionen
tum-, frz. mortier-, engl, mortar. angelegt; die Rossmühlen nicht
Bekannt ist die ungeheure Wider- minder uralt als die Haus-Mühlen
Stands fähigkeit der alten Ritterbur- und stets von hervorragender Bo-
gen, deren Steine durch ein weit deutung in Zeiten von Krieg und
besseres Bindemittel zusammenge- Belagerung. Unterarten der Wasser-
fügt sein müssen, als das bei neue- mühlc sindGetreide-Mahlmühlc, Ge-
ren Bauten der Fall ist. Der Hass treide - Stampfinühle , Grützmühle,
des Volkes weiss immer noch die Oel-, Malz-, Lohe-, Säge- oder
Schaudermären zu erzählen von Bretter-, Schleif-, Papier- und Walk-
Bauernblut, dann auch von Wein, mühle, die letztere im Tuchmacher-
Fett und Stecknadeln, die zur Be- gewerbc schon im 12. Jahrhundert
reitung des Mörtels verwendet wor- weit verbreitet. Was die Immobi-
den sein sollen und es lässt sich liarbestandteile der Mühle betrifft,
leicht denken, dass manche Thräue so nennen die Urkunden : die Müht-
geflossen, bis das nötige Material Baustitte, das Mühlen-Haus, das
auf den Platz geschafft und zum ge- Mühl -Wasser, den Mühlen -Teich
fürchteten Bau zusammengefügt war. und den Mühl-Graben, durch wel-
6C6
Mühlen.
chen das überflüssige Mühlwasser aus diesem Mahl-Vorrechte ein Mahl-
hin weggeleitet wurde. Für die innere Zwangsrecht hervor, vermöge dessen
gewerbliche Mobiliareinrichtung der die Bewohner des betreffenden
Mühle kommen in betracht: die Mühlenortes gehalten waren, ihre
Rader, deren Zahl in den Mühl- Mahlbedürfnisse ausschliesslich in
grüudungsbriefen regelmässig voraus der Bannmühle befriedigen zu lassen,
bestimmt war; zum wenigsten pflegte Einen wichtigen Akt bei der An-
eine Mühle zwei Räder oder Gerinne legung einer Mühle bildete stets die
zu haben; es wird aber auch von Abstech unq und Tagung des Fach-
zwölf uud mehr Rädern beriehtet: baumes; clie eigentliche Bauhand-
und die Mühlsteine, welche sich um lun£ dabei vollzog der Mühlen-
ein«' eiserne Spindel in einem hol- besJtzer selbst unter Mitwirkung
zernen, oben mit einem Einschütte- von mühlbaukundigen Baumlegern,
trichter versehenen vierwändigen worauf das vollendete Werk von
Kasten herumdrehen; sie machten der Obrigkeit feierlich, z. B. unter
gleich den Schleifsteinen einen be- Vortragung des Gerichtsschwertes
deutenden Handelsartikel aus, für bestätigt zu werden pflegte,
welchen besondere Niederlagen be- Die Mühlen-Auf aqen, d. h. die
standen. ständigen Sonderabgaben der Mühlen
In bezug auf die Eigentums- und an die Stadt- oder grandherrliche
Besitzverhiütuisse sind zu unter- Kasse, bestehen aus der Mühlen-
scheiden: kirchenherrliche, stadt- Accise, auch Mühlen-Zoll geheissen.
herrliche, in den Reichsstädten meist aus dem Mahl-Pfennie. d.h. einer
Reichsgut und als solches vom Natural« niote des Manlkorns, aus
Könige zu Verpfändungen benutzt, dem Mühlen-Handlohn, bei Besitz-
griotdherrliche, stadtgemeinliche und Veränderungen in festgesetzter
stadtzünftige Mühlen. Gewöhnlich Summe entrichtet, und aus dem
wurde die Mühle von ihrem Eigen- Vogts-Scheffel,
tümer Zeitpacht- oder Erbleiheweise Das gesamte städtische Mühlen-
an andere zum Nutzbetriebe über- j wesen unterlag einer sorgfältig ge-
lassen. Der Besitz einer zureichen- übten obrigkeitlichen Beautsich-
den Anzahl von Mühlen zählte zu tigung in technischer, finanzieller
den Lebensfragen einer Stadt, und , und gewerbspolizeilicher Beziehung,
häufig wurde schon in den Hand- Namentlich verlangte die Müller-
festen die Erbauung von Mühlen in Ordnung, dass der Müller richtigt*,
Aussicht genommen. Überhaupt mit dem eingebrannten Probezeichen
aber bedurfte jede Neuanlegung versehene „Gemässe" habe, dass er
«hier Mühle, auch wenn der Er- das ihm anvertraute Getreide vor
bauer dazu seineu eigenen Grund Schaden bewahre und nicht betrü-
und Boden verwendete, der Ge- gerisch mische, dass er die Mahl-
nehroigung des Stadtherrn. Ein be- gäste nach der Reihenfolge, wie sie
souderer Vorzug war es, wenn einer kommen, befriedige und seine Mahl-
neu entstandenen Mühle von dem künden nicht Übernehme. DieGegen-
Landes- oder Stadtherrn mit der An- leistungen der Mahlkunden bestan-
lagebewilligung zugleich ein Bau- den aber aus der Mahlmetze2 he-
recht verliehen wurde, wie dies im stehend in einem an den Müller
früheren Mittelalter in zahlreichen I fallenden Brachteile von jedem ihm
Fällen durch die Könige geschehen zum Mahlen übergebeuen Scheffel
ist ; zunächst durfte niemand anders I Getreides oder aus dem Mahl-
als der Bauberechtigte die frag- Schwing-, Roll- oder Beutel geld, das
liehe Wasserkraft für eine Mühle in der Kegel auf freier Verabredung
ausnutzen ; mit der Zeit ging dann beruhte.
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667
Nach der allgemeinen Volks-
anschauung des Mittelalters trübte
das Mühlgewerbe den Leumund;
es kommen daher Bestimmungen
vor wie die, dass Müller nicht be-
waffnet auf die Herberge kommen
sollten, an gewissen Orten war
ihnen sogar der Eintritt in die
Innungen verwehrt; bei Strang-Hin-
richtungen hatten mancherorts die
Müller die Galgenleiter zu liefern.
Umgekehrt erfreuten sich die Mühlen
eines höheren Friedens und ihre Hof-
räume wurden nicht selten zur Ab-
haltung grosser Jahres- Volksfeste
verwendet.
Mummenschanz. Die Maske-
raden sollen unter Karl VI. am
französischen Hofe aufgekommen
sein und zwar bei Gelegenheit einer
Hochzeit zwischen einer Hofdame
und dem Ritter de Vermandois um
1393. Da aber mehrere Masken
verbrannten, sah sich der König
veranlasst, solche Festlichkeiten für
die Zukunft zu verbieten. Sie wur-
den jedoch in kurzer Zeit wieder-
holt und zwar mit mehr Glück und
kamen so rasch in allgemeine Auf-
nahme.
MUnzwesen. I. Bei den Ger-
manen versah in ältester Zeit haupt-
sächlich das Vieh den Dienst des
Geldes; Ulfilas übersetzt Ausdrücke
von der Bedeutung des Geldes mit
faihu; althochdeutsche Glossen über-
tragen pecunia durch fihu; ebenso
bezeichnet altsächsisch fehu, angel-
sächsisch feoh, altnordisch fe, das,
was später allgemein Geld heisst.
Die herkömmlichen Busszahlungen,
die zur Aufrechthaltung des Reehts-
zustandes und öffentlichen Friedens
für den Fall einer Verletzung vor-
geschrieben waren, und das Wergeid
wurden regelmässig in einer be-
stimmten Anzahl Stücke Vieh be-
zahlt und berechnet, vergleiche
Tacitus Germ. 12 und 21; und zwar
galt als Werteinheit eine gewöhn-
liche, gesunde, milchgebende Kuh,
nach deren Wert sonstiges Vieh,
Pferde, Ochsen, Kälber, Schafe,
Ziegen und Schweine berechnet
wurden; nach Jakob Grimm hängt
damit das Wort Schilling zusammen,
mit dem regelmässig das römische
Wort solidus, die als allgemeine
Werteinheit geltende römische Gold-
münze, übersetzt wird; es soll nam-
I lieh Schilling mit skilan — töten,
und Schuld verwandt sein; wer ge-
tötet hatte, war schuldig Busse zu
zahlen, und der Wertbetrag, worin
diese Schuld zu entrichten war, hiess
Schilling; die Übersetzung der rö-
mischen Werteinheit mit der ältern
deutschen Werteinheit sei aber da-
durch befördert worden, dass beide
Münzwerte einander ungefährgleich-
kameu. Nach Anderen soll freilich
mhd. schillinc von schellan herstam-
men und soviel als klingende Münze
bedeuten. Dass aber der römische
Solidus wirklich dem alten Kuhwert
gleichkam, erhellt aus dem Volks-
recht der Ripuarischen Franken,
worin bei der Entrichtung des Wer-
geides ein gehörnter, sehender und
gesunder Ochse für 2 Solidi , eine
gehörnte, sehende und gesunde Kuh
für einen Solidus, ein sehendes und
gesundes Pferd für 6 Solidi, eine
sehende und gesunde Stute für 3 So-
lidi, ein Schwert mit Scheide für
7 Solidi gerechnet wird.
Neben dem Vieh erscheint aber
bei den Germanen die Kenntnis
und der Besitz von Metallen, Gold,
Silber, Erz, sehr alt. Tacitus er-
zählt im fünften Kapitel der Ger-
mania: „Ich weiss nicht, soll ich
es eine Gunst oder Ungunst der
Götter nennen, dass sie innen Gold
und Silber versagt haben. Zwar
möchte ich doch nicht behaupten,
dass Germanien keine Silber- oder
Goldader berge, denn wer hat je
danach geforscht? — aber Besitz
und Gebrauch dieser edeln Metalle
machen keinen sonderlichen Ein-
druck auf sie. Man kann sehen,
wie bei ihnen silberne Gefässe, die
ihren Gesandten und Fürsten zum
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668
Müuzwesen.
Geschenk gemacht wurden, gerade
so geringschätzig behandelt werden,
wie die Töpfe, die sie selbst aus
Thon formen. Nur die unserer
Grenze zunächst Wohnenden haben
den Gebrauch von Gold und Silber
beim Handel kennen gelernt und
wissen sie zu sehätzen, einzelne Ge-
präge haben sie sich gemerkt und
nehmen diese mit Vorliebe an, wäh-
rend bei den Stämmen, die tiefer
im Innern hausen, noch der ur-
sprüngliche, alte Tausehhandel im
Schwange geht. Am liebsten sind
ihnen, weil alt und längst bekannt,
die am Rande gezackten und die
mit dem Gepräge eines Zweige-
spanns versehenen Denare. Silber
ziehen sie dem Golde vor, nicht aus
einem Vorurteil, sondern weil die
grössere Zahl der Silberstücke für
Leute bequemer ist, welche aller-
lei wohlfeiles Zeug zu verhandeln
priesen."
Indessen bezeugen zahlreiche
Nachrichten von Tacitus selber wie
von anderen römischen Schrift-
stellern, dass es in den römisch-
ermanischen Grenzländern an edclm
letall nicht gemangelt haben kann,
und es ist wahrscheinlich, dass die
hauptsächlichste Quelle des Zu-
flusses edler Metalle, namentlich
von Si/ber. nach Deutschland in
den Soldzahlungen sowie in den
häufigen Geschenken und Subsidien
der römischen Kaiser an germani-
sche Truppen und Fürsten zu suchen
ist. Die zahlreichen Goldfunde in
norddeutschen Gräbern und in den
O.stseeländern weisen aber darauf
hin, dass die Germanen noch eine
andere Quelle des edeln Metalls
hatten; ohne Zweifel kam als
Tauschmittel für ihren Bernstein
von Westasien her im Verkehr mit
den griechischen Kolonien an der
Nordküste des schwarzen Meeres 1
viel Gold in ihre Hände, welches
sie als Rinygeld verwendeten. Ringe
oder bougen in der verschiedensten
Grösse, geschlossen oder spiralför-
f
mig gewunden {teuntdne bougä des
Hildebrandsliedes) als Arm- oder
Halssehmuck, einzeln oder mehr-
fach verkettet, sind oft in Gräbern
aufgefunden worden und werden in
noraischen und altdeutschen Dich-
tungen viel genannt. Freigebige
Fürsten heissen Baugenbrecher.
Baugenzerstückler, Ring- oder Gold-
Brecher. Namentlich war das Rimr-
geld in Anwendung beim Tausch-
handel und für die Belohnung ge-
leisteter freiwilliger Kriegsdienste.
Dass, wie beim Vieh, auc h bei den
Ringen ein gewisses Gewichts-
system , eine absichtliche regel-
mässige Gewichtsbemessung ge-
herrscht habe, wird von der neue-
sten Forschung abgewiesen. Da-
gegen liegt es auf der Hand, dass
zur Bestimmung und Wertung des
Ringgeldes Wage und bestimmtes
Gewicht notwendiges Erfordernis
war. Wahrscheinlich haben die
Germanen auch ihr Gewichtswesen
auf demselben Wege erhalten, auf
welchem sie zuerst gegen den Aus-
tausch ihrer Produkte Edelmetall
erhielten, im Verkehr mit den
griechischen Kolonieen am schwar-
zen Meere, und zwar war es nicht
der attische Münzfuss, den die Ger-
manen von daher erhielten, sondern
der besonders in der Stadt Cyzikus
am Bosporus herrschende hotpori-
sehe Münzfuss, nach welchem die
Drachme H,71 Gramm wog;, es ist
das nämliche Gewichtssystem, das
man in den ältesten syrischen und
sidonischen, hebräischen und ägyp-
tischen Münzen findet und das zu-
letzt auf das Fundament des ganzen
Gewichtswesens, das babylonische
Talent, zurückführt.
II. Das Jfünzwesen des mero'
iririffi sehen Reiehes gründet sich auf
das römische Münzwesen. Im römi-
schen Reich aber war seit der Mitte
des 3. Jahrhunderts das gesamte
Münzwesen in die ärgste Verwirrung
geraten, sodass der Denar, ursprüng-
zu 3,41 Gramm geprägt, zu einer
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Münzwesen.
immer wertloseren Billomnünze und der letzteren kamen also 50 Stück
schliesslich zu einem winzig kleinen einer Siliqua und 1200 Stück einem
Weisskupferstück hinabgesunken ; Solidus an Wert gleich. Eine Neue-
war. Auch die Goldmünzungen ruug trat durch das fränkische
waren so unregelmässig gewortteti, \ Münzsystem insofern ein. als an die
dass die Goldmünzen schwerlich Stelle sowohl des alten Silberdenars
anders als mit fast jedesmaliger Pest- 1 »Vi* Solidus, wie der Siliqua —lju
Stellung des Gewichtes der einzcl- Solidus ein neuer frankischer Denar
nen Stücke den Geldumlauf ver- 1 =I/40 Solidus trat; nach ihm sowohl
mittein konnten. Kaiser Konstantin I. als nach dem Goldsolidus werden
brachte endlich eine umfassende im Volksrechte der salischen Frau-
Reform des Münzwesens zu stände, ken die Bussansätze gewertet,
welche lange Zeit herrschend blieb. Die Münzen der Merowingischen
Als oberste Norm der Wertbestim- Periode sind entweder Gold- oder
mungen sollte von nun an das Pfund Silbermünzen. Von den Goldmünzen
gereinigten Goldes nur nach dem besteht der weitaus grösste Teil in
wirklichen Gewichte und ohne Rück- Dritfel-Sofidi, Trienten oder Tre-
sieht auf das Gepräge gelten; es missen; ganze Solidi sind wenige
wurde eingeteilt und ausgemünzt in vorhanden , halbe kommen nicht
72 Solidi, welche also V« Unzen oder vor. Die Goldmünzen tragen 1. ent-
4 Skrupel = 4,55 Gramm wiegen weder den Samen der ust römischen
sollten. Das römische Goldgeld Kaiser, wobei aber sonst durch aus-
wurde als allgemeine Weltmünze drückliche Bezeichnung der frän-
hetrachtet und Ausmünzung des- kische Ursprung dargethan wird,
selben galt als ein ausschliesslich oder 2. den Samen eines fränkischen
kaiserliches Recht, während die Aus- Königs und ausserdem entweder den
münzung von Silber und Kupfer gewöhnlichen Revers der damaligen
seitens fremder Regenten kein Be- oströmischen Goldmünzen Victoria
denken fand. Als Silbergeld be- Augustorum oder den Namen eines
standen während des 5. und 6. Jahr- Münzers, eines Ortes und verschie-
hunderts nur die siliquae, deren be- den«; Embleme, wie Kreuz, Chrisma
ständig 24 auf den solidus gerechnet (\Jonogram Christi), mit sehr starkem
wurden. Solidi und Siliquen nebst Relief der Bilder: oder 3. geben sie
entsprechender Menge von Halb- eine spezielle sachliche Bestimmung
Siliquen und wenigen Doppelstücken in der Aufschrift kund, wie moneta
der Siliqua waren daher die Mün- palatii, racio fisci, racio ecclesiae,
zen, welche die germanischen Stäm- , racio basilici Sei Marlini, und da-
me bei ihrer Niederlassung in den j neben den Namen des Münzers und
römischen Provinzen vorfanden und Ortes, oder 4. sie tragen nur den
welche später die Grundlage ihres Namen eines Münzers mit Angabe
eigenen Münzsystemes wurden; doch des Ortes und der Prägung. Eine
besagen die Frauken und Gallier Jahreszahl hatten diemerowingischen
neben den beiden genannten Münz- Münzen nicht. Die Nachbildung der
s-orten noch ältere römische Silber- oströmischen Goldmünzen gesehah
denare zum Werte von '/ii des meist in sehr roher Weise und mit
Goldsolidus, und eine ebenfalls Denar auffallender Korrumpierung der ko-
geuannte ausserordentlich kleine pierten Schrift und der Typen; die
Kupfermünze, deren 6000 oder eine Ausmünzungen wurden in grosser
dieser Summe nahekommende Zahl Ausdehnung und vielerortsbetrieben,
auf den Solidus ging und von wel- Sowohl hinsichtlieh des Gewichts
eher wieder 5 Stück die gewöhn- als des Feingehalts sind diese Mün-
liche Kupfermünze ausmachten; von zen sehr ungleich; es gab öffentliche
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670
Münzwesen.
und Privat-Münzanstalten. Die Aus-
münzung der einzelnen Stücke wurde
nicht mit Genauigkeit vorgenom-
men, vielmehr darauf gesehen, das»
eine bestimmte Anzahl zusammen
das normale Gewicht pro Pfund
oder Unze enthielt.
Von Silltermünzen ist aus der
merowingischen Periode bloss der
Silberdenar nachgewiesen, wahr-
scheinlich den Wert des alten römi-
schen Silberdenars = ljls Solidus hal-
tend; über Teilungen des Denars
ist man auf Vermutungen angewiesen.
Merowingisehe Kupfermünzen sind
sehr selten.
Bei den Alemannen und Bayern
erscheint in dieser Periode statt des
fränkischen Denars die saiga, d. h.
der alte römische Silberdenar = l/H
Solidus.
III. Unter den Karolingern. Die
wesentlichste Veränderung des Münz-
wesens unter den Karolingern be-
steht in dem im 8. Jahrhundert vor
sich gehenden ilwrrjanq von der
Goldwährung zur Silberwdhntng,
hervorgerufen durch die sich mehr
und mehr fühlbar machende Ab-
nahme des Goldvorrates, verglichen
mit der disponibeln Silbermenjaje,
und infolge der damit in Verbin-
dung stehenden Einschränkung und
Verschlechterung der Goldausmün*
zung; als die Hauptursachen der
Abnahme des Goldvorrates werden
Abnutzung und Umschmelzung der
Münzen, Verlorengehen und Ver-
graben derselben und Ausfuhr nach
dem Auslande genannt. An Stelle
des Goldsolidus trat nun ein Silber-
solidu» von 72 Denarien, der aber
nicht geprägt, sondern nur in der
Rechnung gebräuchlich wurde. Die
Goldprägung hörte seit Pipin so
gut wie ganz auf. Während aber
vorher wahrscheinlich 25 Solidi zu
12 Denarien auf ein Pfund Silber
gerechnet, also 300 Denarien daraus
geschlagen wurden, wurden unter
den Karolingern zuerst 22, dann
20 Solidi auf das Pfund gerechnet,
eine Veränderung, die mit der Ein-
führung eines grösseren Pfundes, des
' sog. KarUpfunde», durch Karl d.
Gr. zusammenzuhängen scheint. Eine
völlige Gleichheit des Münzwesens
bei allen Stämmen des fränkischen
Reiches einzuführen, gelang Karl
nicht; bei den Friesen, Sachsen und
Bayern erhielten sich eigentümliche
Münz Verhältnisse. Münzen mit den
Namen der einzelnen Münzer und
ohne den des Königs giebt es jetzt
nicht mehr; die Denarien tragen
ietzt den Namen der Könige oder
ihr Monogramm; daneben erscheint
als fast uuerlässlich das Kreuz; einen
Kopf tragen die fränkischen Münzen
Karls des Grossen nicht, wohl aber
die kaiserlichen, deren Köpfe baare
Nachahmungen antiker Gepräge
sind und die wahrscheinlich für
Italien geschlagen wurden; das
wichtigste auf den Münzen Karls
ist aber immer die Schrift, welche
den Namen CAROLVS, CARLVS.
KAROLVS, KARL YS, KARL,
dann den Titel R F. d. i. Rrx
Franrorum, und die Angabe der
Münzstätte enthält; die Münzeu
Ludwigs des Frommen tragen oft
ein Kirchengebäude und die In-
schrift christiana religio. Überhaupt
wechselten die Münztypen oft in-
folge der verschiedenen Münzstätten
Ige u
ld ai
und anderer Umstände. Die Zahl
der Münzstätten ist eine bedeutend
geringere als unter denMerowingern.
Wenn auch an verschiedenen Orten
zu münzen gestattet war, so sollte
es nicht ohne ausdrückliche Erlaub-
nis und unter Aufsicht des Grafen
geschehen. Wie unter den Mero-
wingeru ausnahmslos, so wurde
unter den Karolingern wenigstens
vorherrschend nur in den Provinzen
links vom Rhein gemünzt, wo unter
andern als Münzstätten hervortreten
Aachen, Andernach, Basel, Bingen,
Bonn, Cambrai, Chur, Köln, Löwen.
Lüttich, Mainz. Mastrieht, Metz,
Möns, Neuss, Speier, Strassburg,
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Münzwesen
671
Toul, Trier, Verdun, Wyk de Dner- Münzrecht zunächst zugunsten eines
stedc; von linksrheinischen Münz- Marktes und zwar fast regelmässig
statten werden Regensburg, Ess- zugleich mit dem Marktrecht; seit
Hilgen und Würzburg genannt. Meist dem Anfang des 10. Jahrhunderts
hatten die Münzen nur einen Um- finden sich Münzen, die neben dem
lauf in der Gegend, wo sie ge- königlichen Namen oder statt des-
schlagen wurden. Da Jeder für selben den eines Herzogs oder Bi-
seiue Rechnung prägen lassen konnte sehofs tragen; die ersteu darunter
und daher bei der Münze Gelegen- sind Herzog Arnulf von Bayern,
heit fand, Metali oder alte Münze Hermann L von Schwaben, Bisehof
in die eben kursierende zu verwan- Salomo von Konstanz, Strassburger
dein, so diente die Münze, die man Bischöfe aus der Zeit Konrad 1.
darum auch gern mit einem Markt Die Verleihung des Münzrechte*
verband, zugleich als Weehselbank. ging eine Stufe weiter, wenn darun-
Da es zum Prinzip der Regierung ter die Befugnis verstanden war,
Karls gehörte , das Münzwesen zu an jedem Ort des Bistums , des
konzentrieren, geschahen unter ihm Klostergebietes oder einer Grafschaft
keine Verleihungen des Münzrechtes ; eine Münze zu errichten, ohne weitere
dagegen beginnt die Erteilung von Einholung königlicher Erlaubnis:
Münzprivilegien unter Ludwig d. doch waren für die Übung des Münz-
Fr., das Bistum Lemans in Frank- rechtes bestimmte Bedingungen ge-
reich und das Kloster Corvey rühm- stellt : die Münzen sollten probehal-
ten sich, dieses Vorrecht zuerst em- tig sein, öffentlichen Gewichtes und
nfangen zuhaben; doch erfolgte die reinen Silbers, oder sie sollten nach
Prägung auch hier fortwährend unter dem Vorbild bekannter und ange-
dem Namen des Königs. Die Regel sehener Münzorte geschlagen wer-
war, dass an der Münze für andere ge- den, manc hmal mit dem Zusatz, dass
münzt wurde; schon Pipin erkannte es erlaubt sein solle, die Stücke um
dem Münzer einen Solidus vom ein Bedeutendes leichter auszuprä-
Pfund zu, als sog. Schlagschatz, gen, als es dort üblich war. Y)a-
d. h. eine Abgabe an den, der das neben Hessen fortwährend die Könige
Münzrecht hatte. Falschmünzerei, auf ihren Pfalzen oder an bedeu-
die unter den Merowingern sehr im teuderen Handelsorten, welche un-
Schwange gewesen war. gab auch den mittelbar unter ihrer Gewalt stan-
Karolingern viel zu schaffen, sei es den, prägen. Die königlichen Namen
dass einer ohne Münzrecht münzte, sei tragen jedoch auch viele Münzen
es dass Münzer oder Nichtmünzer sich geistlicher und weltlicher Grossen,
eigentliche Fälschungen zu schulden Die Zahl der Münzstätten ist überaus
kommen Hessen; die Strafen darauf gross; besonders bedeutend ausser
waren Schinden im Rücken, Haar- den Bisehofsstädten sind die könig-
abscheeren, Brandmarkung im Ge- liehen Orte Dortmund, Duisburg
sieht mit den Worten f. m.= fal- und Goslar.
sator monetär, Münzfälscher, Ver- Das Gepräge sehliesst sich an-
lust der Hand. fanjrs an das der karolingiseheu
IV. Zehntes bu dreizehnten Jahr- Periode an: die vorherrschenden
hundert. In dieser Zeit zerfällt das Typen sind Kreuz, Kirchengebäude,
durch die Karolinger einheitlich ge- ! Name, selten ein Monogramm, regel-
ordnete Münzwesen infolge von Pri- 1 mässig die Bezeichnung des Ortes,
vilegien zu gunsten geistlicher Stifter Das Brustbild der Könige erseheint
und der Münzprägung seitens weit- 1 einzeln unter Otto I. , häufiger seit
licher Grossen in eine neue grosse Otto III., die ganze Figur ist selten :
Zersplitterung. Verliehen wurde das | später Hessen auch geistliche und
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672
Münzwesen.
weltliche Fürsten ihr Bild aufneh-
men. Von Einfluß auf den Stempel
war im Norden angelsächsischer, im
Süden italienischer Einflut*. sodann
«las Vorbild einzelner einheimischer
Münzstätten und ganz besonders das
Belieben der Stempelschneider. Seit
dem 11. Jahrhundert fing man an,
den beiden Seiten der Münzen statt
wie früher mit einem Sehlag jeder
für sich den Stempel aufzudrücken
(llalhhrakteaten), einem Verfahren,
dem in der Staufischen Zeit die Prä-
gung mit bloss einem Stempel folgte
(Brakteaten). Immer noch hatten die
Münzen einen beschränkten Umlaufs-
kreis, daher bei Zahlungen bestimmte
Münzen ausbedungen wurden. Als
Münzstätten werden in dieser Periode
genannt, in Lothrinqen Gambrai,
Verdun, Metz, St. f>ic, Lüttich,
Brüssel, Löwen, Niveilcs, Dender-
monde, Valenciennes, Antwerpen;
in Friesland Utrecht, Tiele, De-
venter; am Unterrhein Köln, Re-
magen, Duisburg; in Itheinfranken
Speier und Worms; in Ostfranken
\Viirzburg; in Alemannien Strass-
burg, Basel, Zürich, Konstanz, Ulm,
vielleicht Hall; in Bayern Regens-
burg; in Kärnthen Friesaeh; im
östlichen Sachsen Goslar, Stade,
Bardewic , Magdeburg , vielleicht
Halle; in Westfalen Dortmund,
Soest, Iserlohn, Münster. Iiibezug
auf das Getcicht werden ein öffent-
liches oder königliches und das Kol-
ner Gewicht unterschieden. Nach
karolingischer Ordnung galt das
Pfund Silber gleich 20 Soluli oder
Schilf innen zu 12 Denarien, wovon
i'edoch Kleinere Abweichungen vor-
kommen. Seit dem Anfang des 11.
Jahrhunderts wird in Deutschland
auch die Rechnung nach der von
den Angelsachsen entlehnten Mark
gebraucht, und zwar ist die Mark
bald soviel als Pfund, bald die
Hälfte desselben, bald hat sie noch
anderen Wert; die Kolner Mark
betrug zwei Drittel Pfund = 8 Unzen
und wurde später statt zu 106 nur
zu 144 Denarien (12 Solidi ä 12 De-
narien) ausgeprägt.
Während Pfund, Mark und
Schilling nur Kechnungseinheiten
sind, heisseu die einzig ausgeprägten
Münzen Denar, lat. allgemein nnm-
mus, deutsch Pfennig, and. und mhd.
phennine, phennic, von ahd. das
phant, nhd. Pfand, also eigentlich
soviel als Pfandart; dann der halb*'
Denar, helhlinc, obulus, Heller, selten
ein Viertelsdenar. Immer noch kam
es bei grösseren Summen mehr auf
das Gesamtgewicht einer grösseren
Anzahl, als auf das dem Wechsel
unterworfene einzelne Stück an.
Gold wurde nur getrogen, nicht
geprägt; Goldmünzen, die etwa um-
liefen, waren byzantinischen Ur-
sprungs oder stammten aus fränki-
scher Zeit.
Was unter den Karolingern nur
selten geschah, die Umprägung und
wiederholte Änderung der Münze,
wurde jetzt Gewohnheit; galt es
zwar als alte Regel, dass die Mün-
zen der Bischöfe auf deren Lebens-
zeit geschlagen wurden, so wech-
selten doch manche Bischöfe mehr-
mals im Jahr, bald aus Gründen
der Habsucht, bald um eingerissenen
Missbräuchen zu steuern.
V. Ende des Mittelalters. Der
zunehmende Verfall der Reichsein-
heit hatte auch eine zunehmende
Zerspaltung und Vereinzelung des
Münzwesens im Gefolge, dergestalt,
dass im 14. und 15." Jahrhundert
eine zusammenfassende Übersicht der
Münzen kaum möglich, wenigstens
bis jetzt noch nicht versucht worden
ist. So zahlreich aber die vorhan-
denen Münzgebietc in dieser Zeit,
die landschaftlichen Münznamen und
namentlich die einzelnen Münzwerte
sind, so fusseu sie doch alle bis ins
13. Jahrhundert auf dem Pfund
Silber, welches 20 Schillinge oder
240 Silberdenare oder Pfennige ent-
hält; da sowohl Pfund als Schilling
blosse Rechnung9münzen waren, so
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Münzwesen
673
wurde ihr Wert allein durch den
Wert des Pfennigs als der Einheit
bestimmt. Dieser Wert aber war
ein sehr veränderlicher, da jede neue
Silbermünze, die sich Ansehen und
Kurs verschaffte, durch geringere
Ausprägung wieder verscnlcehtert
wurde; so kam der Pfennig der
schwäbischen Stadt Hall, der als
Heller die gangbarste Silbermünze
im südwestlichen Deutschland wurde
und selbst die allgemeine Bezeich-
nung der Pfennige durch die be-
sondere der Heller verdrängte, durch
ihre Entwertung im 14. Jahrhundert
auf einen halben Pfennig und weiter
herab. Aus dem Wort Pfennig
lösten sich mit der Zeit zum Ten
mit der Übertragung der ältern Be-
deutung auf das geprägte Münzstück
überhaupt verschiedene andere selb-
ständige Münzwerte ab, wie Gulden
= güldener Pfennig, Berner, Haller,
Münchener, geil. Pfennig, Groschen
= denarius arossus, Gross-Pfennig,
substantivisch der Gross, Grosch;
Weiss- 1 fennig, Kreuzer- Pfennig oder
Kreuzer, der gülden Florenzer, oder
Ducaten, der gülden rheinisch, der
gülden ungarisch — Pfennig; der
Dreier, Vierer, Sechser, der Joachims-
Gulden = Grosch — Pfennig, woraus
Thaler entsprungen ist. Vgl. Sch mel-
ier, Bayr. Wörterb., unter dem Wort
Pfennig.
Neben die Silberwährung stellt
sich seit dem 13. Jahrhundert eine
Goldwährung, deren Ausgangspunkt
der Florentiner Gulden, Flottn d'oro,
ist; derselbe wurde seit 1252 von
der Republik Florenz ausgeprägt
und zeigte auf der einen Seite das
Bild Johannes des Täufers, des
Schutzpatrons von Florenz, auf der
andern die Lilie als Wappen der
Stadt. Nach diesem Vorbilde wurde
zuerst der Venezianische Ducaten
oder Zechin im Jahre 1283, dann
der ungarische Gulden unter der
Regierung Karl Roberts, aus dem
1 1 ause A njou von Neapel ( 1 309 —1842)
geprägt Die neue Goldmünze fand
Reallexieuu der deutschen Altertümer.
bald auch in Deutschland Eingang,
in Böhmen wurde sie von König
Johann 1325 eingeführt. Seitdem
in der goldenen Bulle den geistlichen
und weltlichen Kurfürsten sowie der
Krone Böhmen das Recht zuge-
sprochen war, Gold- und Silber-
münzen zu schlagen, Hessen auch
die rheinischen Kurfürsten Gulden
mit dem Bilde Johannes des Täufers
prägen.
I)a die Goldmünze die verhält-
nismässig konstante Grösse war,
pflegte diese von jetzt an den
Wertmesser für die Silber Wäh-
rung abzugeben; das Gewicht,
nach dem in dieser Periode die
italienischen Gulden geprägt wur-
den, war die Kölnische Mark; die
deutschen Gulden wurden nach Ge-
präge, Schrot und Korn bloss jenen
nachgeprägt, wobei die Bestimmung
des Münzfusses den einzelnen Münz-
herren freigestellt war.
Um der auch hier überhand-
nehmenden Verwirrung abzuhelfen,
vereinigten sich im Jahr 1386 die
vier rheinischen Kurfürsten zu einem
Münzvertrag, worin sie den Müuz-
fuss der Gold- und Silbermünzc so-
wie deren gegenseitiges Wertver-
hältnis bestimmten. Sie beschlossen,
Gulden zu münzen mit dem St.
Johannisbilde, 23karätig, 66 Stück
auf die Mark im Gewicht; doch soll
der Münzmeister für die Mark fein
Gold nicht mehr als 67 Stück geben
und jeder Münzherr einen halben
Gulden als Schlagschatz bekommen.
Ein Gulden dieser Art soll 20 neue
Silberpfennige(wy8se penning) gelten
und ebensoviel wie die ungarischen
und böhmischen Gulden. Als trotz
dieser Vereinbarung auch die Gold-
währung sich wieder verschlechterte,
wurde endlich 1402 der Münzfuss
durch ein Reichsmünzgesetz fest-
gestellt, das später mehrmals er-
neuert werden musste. Seit dem
Jahre 1535 fing man an, offenbar
infolge grösseren .Silberzuflusses,
Silberstücke oder silberne Groschen
43
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674
Musik.
zu schlagen, die einen Goldgulden
im Werte gleich sein und 60 Kreuzer
geben sollten; man nannte diese
»Stücke mit einem nicht von ihrem
Stoffe, sondern von ihrem Werte ent- 1
lehnten Namen QtUdiner-Qroschen,
G uldiner , ( 1 uld n er, Meichsg ul dn er,
Jieiehsqulden, zu unterscheiden von
dem von nun an tautologisch so ge-
nannten Goldtjulde-n. Als diese
Münze im Werte stieg, wurde wieder-
holt verboten , die Güldener höher
als 60 Kreuzer zu nehmen, mit Aus-
nahme der in Joachimsthal in Böhmen
geschlagenen Joachims! hat er- Quid-
ner, die man später Thaler nannte.
Uber das älteste Münzwesen bis zu
den Karolingern handelt Soetbeer in
den Forschungen zur deutschen Ge-
schichte, Hand I, II, IV und VI;
über „Die deutscheu Münzen der
sächsischen und fränkischen Kaiser-
zeit", Dannenberg, 1876; über die
ältere Zeit Waitz in der Verfassungs-
geschich tc und Müller, Deutsche
Münzgeschichte bis zu der Ottonen-
zeit Leipzig 1860. Über das spä-
tere Mittelalter namentlich Hegel,
Deutsche Städtechroniken, Nürn-
berg, Band L S. 224-262, und II,
531 ff. und Schindlers Bayr. Wörter-
buch in den Artikeln Pfenning,
Schi Hing, Gulden, Tlialer. Eine zu-
sammenhängende vollständige Münz-
geschichte fehlt bis jetzt.
Musik. Die ältesten Nachrich-
ten, welche wir über die Deutschen
durch einige Schriftsteller des klassi-
schen Altertums erhalten, bestätigen,
dass unsere Vorfahren früh schon
Poesie und Gesang liebten und übten.
Tacitus erzählt uns von dem soge-
nannten Barditus, dem Schlaent-
gesang der Deutschen, der durch
Vorhalten der Schilde vor den Mund
noch wilder und furchtbarer tönend
gemacht wurde und nach dessen
Wirkung sieden Ausgang desTreffens
glaubten bestimmen zu können.
Auch die Instrumentalmusik hatte
bei den alten Germanen schon
frühe Eingang gefunden. Selbstver-
ständlich waren es anfangs nur
schallverstärkende Lärm- oderKling-
instrumente: Trommeln , Cymbeln
und höchstens noch das weithin-
schallende Horn des Stieres. Wie
unselbständig die Musik in den
alten deutschen Dichtungen auftritt,
beweist, dass „singen und sagen"
noch bis ins 13. Jahrhundert gleich-
bedeutend war. Der altdeutsche Ge-
sang erscheint vorwiegend als Voll-
ender der poetischen Form der
Sprache; er bildet die Hauptstützen
der Vcrsbildung, deren Hauptregel
das Gesetz der Betonung wurde.
Im Aoccnt treten einzelne Töne
unterscheidbar heraus und diese Be-
tonung der sogenannten Liedstäbe
musste zur Einführung gewisser
Intervalle in der Tonhöhe führen,
welche messbar waren. Höher darf
man sich den Anteil, den der Ge-
sang an der Poesie nahm, wohl kaum
denken, und es ist daher nicht zu
verwundem, wenn die Römer, wel-
che ihr«' Musik grösstenteils schon
ausgebildet von den Griechen er-
halten hatten, von der Gesangkunst
der Deutschen nicht sonderlich er-
baut waren. Zugleich lernen wir
aber auch die Mühe würdigen,
die es den christlichen Bekehreru
verursachte, unsere Vorfahren für
den Kirchengesang zu erziehen.
1. Musik der ersten christlichen
Zeil. Über die früheste Zeit, in
welcher das Christentum in Deutsch-
land Eingang fand, siud wir weuig
unterrichtet. Die Verheerungen der
Völkerwanderung Hessen den Samen
desselben zu keiner gedeihlichen
Fortentwicklung unterden Deutschen
kommen. Vollkommen zur Herr-
schaft gelaugte dasselbe erst unter
seinem ersten Kaiser, Karl dem
Grossen. Durch ihn erst gewann
das Christentum in deutschen Landen
festen Fuss, sodass eine vollständige
Umgestaltung deutscher Kultur,
Kunst und Sitte erfolgen kounte.
Ganz besondere Sorgfalt aber ver-
wandte Karl auf die Pflege des
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Musik.
675
Kircbengesanges. Derselbe war in
Italien inzwischen schon zu einer
bedeutenden Entwicklung gelangt.
Wie die bildenden KünBte hatte
auch dort die Musik das Erbe des
Altertums angetreten, aber statt
einer verständnisvollen Fort- und
Ausbildung des Überlieferten, trat
eine Vereinfachung, eine mehr kind-
lich naive Auffassung des Gegebe-
nen ein. Wie der erste christliche
Kirchengesang entstanden , wissen
wir nicht: alte; griechische und rö-
mische Melodien, jüdischer Tcmpel-
gesang und kunstloser Naturgesaug
werden vereint erklungen haben,
bis sich nach und nach eine feste
Norm ausbildete. Ohne Zweifel
saug vorerst die ganze Gemeinde,
denn noch der Bischof Ambrosius
berichtet: „Freilich befiehlt der
Apostel, dass die Weiber in der
Kirche schweigen sollen, aberPsalinen
singen sie sehr gut. Die süssen
Stimmen der Jünglinge und Mäd-
chen klingen lieblich zusammen, ohne
dass es Gefahr bringt." — Allein
bald sah sich die Kirche doch ver-
anlasst, der Gemeinde das Recht
des allgemeinen Gesanges zu ent-
ziehen; das Kirchenjahr, das sich
nach und nach gebildet hatte,
verlangte auch eine bestimmte ein-
heitliche Regelung des Gesanges,
und so befahl das Konzil von Lao-
dicea (367): es solle kein Anderer
in der Kirche singen, als die dazu
verordneten Sanger von ihre rTribüne.
Wir erfahren denn auch, dass be-
reits unter den Päpsten Sylvester
und Hilarius eigene Sängerschulcn
entstanden. Indessen vermochte dies
alles nicht, denEinfluss und die Nach-
wirkungen der antiken Musik zu ver-
wischen; im Gegenteil wurde der
letzte Vertreter derselben, Boethius,
das Dogma aller mittelalterlichen
Musikgciehrten. Derselbe hatte ein
schwerverständliches Buch:
goras, Aristoxeno*, PtolemäuS etc.
Die Musik ist ihm ein Theil Mathe-
matik. Die Grundlage seines Systems
bildet eine Reihe von vier Tönen
im Umfange einer reinen Quarte:
das Tetiaehord. Dasselbe enthält
stets zwei Ganztonintervalle und ein
Halbtonintervall. Je nach Stellung
dieses Halbtonintervalls in der Aut-
einanderfolge der vierTöne heisst das
Tetrachord dorisch (wenn der Halb-
tonschritt in der Tiefe liegt ),phrygisch
(wenn er in der Mitte liegt) oder
lydisch (wenn er in der Höhe liegt).
Setzt man nun zwei phrygische Te-
trachorde derart zusammen, dass
vom höchsten Ton des tiefen Te-
chraehords zum tiefsten Ton des
höhern Tetrachords ein ganzer Ton-
schritt ist, so erhält man eine Ok-
tavengattung, in welcher die Töne
in folgenden Intervallen aufeinander-
folgen:
Ton (I II III IV) (V VI VII Villi
Interv. 1 % 1 1 1 »/•
Diese Toureine nahm man nun als
Fundament alles Kirchengesanges
in die christliche Musik herüber. Da
indessen der Wunsch, bei gewissen
Gelegenheiten oder einzelnen Texten
durch höhere heller klingende Intona-
tion eine charakteristische Wirkung
hervorzubringen , fühlbar werden
mochte, und auch die nächsthöhern
Oktavenreihen den menschlichen
Singorganen nichts Ausscrgcwöhn-
liches zumuteten, 80 wurden auch
diese noch dazu genommen, so dass
man vier für sich nach oben und unten
abgegrenzte Tonreihen von folgen-
der Gestalt erhielt:
(Ton VIII ist gleich Ton I, nur
eine Oktave höher, also):
I II III IV V VI VII I
i «/• i i i 7i i
II III IV V VI VII I II
fe tnuttca hinterlassen. Darin er-
scheint er als gelehrter Redactor
der musikalischen Sätze des l'ytha-
ii
1 1 1
1 1
III IV V VI VII I II III
l l i Vi U_J»'*_
IV V VI VII I II III IV
.1 i V, i i V, i
43*
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676
Musik.
Ob bei Aufstellung der Vierzahl
irgend welche jener Zeit eigentüm-
liche Symbolik mitgespielt hat, bleibe
dahingestellt; dagegen darf nicht
unterlassen werden, zu betonen, dass
die sich durch Verschmelzung dieser
vier Oktavenreihen erzielende Ton-
reihe:
i ii iii iv v vi vii I ii in iv
l Vi i i i Vi 1 1 Vi i
als kirchliches Oesetz betrachtet und
jede Änderung oder Einschiebung
fremder Töne strenge untersagt
wurde.
Indessen ergab sich doch bald
das Bedürfnis, an dieser Strenge zu
rüttteln, besonders als man anfing
mehrstimmig zu singen und die Be-
gleitung der Melodie in Quarten-
läufen Deliebt wurde.
Betrachtet man nämlich fort-
schreitend die Tonreihe, so wird
man finden, dass I u. IV, II u. V,
IV u. VII, V. u. 1 u. s. w. immer
je2 V» Töne auseinanderliegen; einzig
der Tonschritt III und VI umfasst
ein Intervall von drei ganzen Tönen.
Das war eine übermässige Quarte und
klang unrein, und man wusste sich
nicht anders zu helfen, als dass
man den Ton VI um einen Halbton
erniedrigte und die Strenge der dia-
tonischen Skala zerbrach. Um das
zu vermeiden, zog man es vor, diesen
Tonschritt als ,iaiabolus in murica"
einfach zu verbieten.
Die vier Oktavenläufe oder Ton-
arten scheinen indessen nicht genügt
zu haben, und schon der 590 zum
Papst erwählte Gregor der Grosse
suchte dem Bedürfnis nach grösserer
Mannigfaltigkeit abzuhelfen, indem
er aus jedem der vier Kircncntöne,
die man nun „Authentische" nannte,
je einen sogen. „Magalen" bildete.
Dies geschah derart, dass er die
vier obern Töne eines jeden Au-
thentus dem gleichnamigen um eine
Oktave tiefer versetzte, also:
= llalbtouschritt) «
2
i
CD
3
im
a
M
OB
!
CD
3
SP
-
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i 5
I !
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5 >
Unter die erste plagale Tonreihe,
als die mit dem tiefsten Ton be-
ginnende, soll nun Gregor die Buch-
staben ABCDEFG gesetzt und
diese aufwärts in gleicher Reihen-
folge wiederholt haben, so dass die
acht Kirchentonarten nun
DEFGabcd
ABCDEFGa
EFGabcde
B CDEFGab
FGabcdef
CDEFGabc
Gabcdefg
DEFGabcd
Es wurde schon vorhin bemerkt,
dass der Tonschritt III bis VI
oder, wie wir ihn jetzt, nennen kön-
nen, F bis A, unrein klang und man
sich deshalb veranlasst sah, das b
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Musik.
677
um einen halben Ton zu erniedrigen.
Demgeinäss führte inau auch zwei
Zeichen hierfür ein, da« h nudle oder
rotundum: > und das h quadrum
oder durum: woraus nachmals
unser h entstanden ist
Damit war das Tonsystem für
das ganze Mittelalter geschaffen.
Die starre Diatonik herrschte bei-
nahe unbeschränkt, Halbtonsehritte
gab es keine anderen als die zwei
einmal angenommenen von E— F
und von B quadratum zu C. Die
enge Zusammengehörigkeit der
authentischen und plagaJen Tonar-
aufwärts und eine Quarte abwärts
steigen, um schliesslich wieder zu
dem mittleren Grundton zurückzu-
kehren.
Gregor hatte sich indessen noch
ein anderes Verdienst um die Musik
erworben. Mit Eifer sammelte er
die Gesangsweisen, welche sich nach
und nach gebildet hatten, dichtete
neue dazu und ordnete dieselben
nach den Zeiten des Kirchenjahres.
Was aber das Wichtigste war, er
sorgte dafür, dass sie niedergeschrie-
ben wurden. Dadurch entstand eine
feste Norm, welche heute noch in
|\* Utvs awtV
(Fig. 101. Gregorianische Buchatabennotierung.
I j
Kl fr »1 f J» J ^ 7 — Ts
Fig. 102. Neumenotierung.
ten, deren Verhältnis von den
Schriftstellern des Mittelalters durch
die Bezeichnung männlich und weib-
lich treffend charakterisiert ist, zeigt
sich am deutlichsten darin, dass
der musikalische Schwerpunkt, der
Grund- oder Finalton beiden gemein-
sam ist; die authentische Tonart
hat ihn in der Tiefe, die plagale
dagegen in der Mitte. Nach diesem
Prinzip teilte man auch die Melo-
dien in authentische und plagale
ein, nämlich in solche, die sich vom
Grundton bis zu seiner Oktave und
zurück bewegen, und in solche, die
von ihrem Grundton aus eine Quinte
der katholischen Kirche unter dem
Namen Grcgarianincher Choral als
Ritualgesang befolgt wird. Dieses
sogenannte Antiphonar Hess Gregor
sonderbarerweise nicht nach der von
ihm erfundenen Tonschrift notieren,
sondern bediente sich der mangelhaf-
ten Tonschrift der Neumen, Fig. 101
und 102, das sind gewisse über die
Textessilben geschriebene Strichel-
chen, Häkchen, Punkte, Halbbogen
und ähnliche Figuren. Vermutlich
aus den Accenten der griechischen
Schriftsprache entstanden , hatte
diese Tonschrift zwar vor der Buch-
stabenschrift die Fähigkeit voraus,
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G78
Musik.
Steigen und Fallen der Stimme an-
schaulich zu machen, worin der
Keim unserer jetzigen Notenschrift
liegt; allein die absolute Höhe des
Tones oder die Grösse der Intervalle
war nicht herauszufinden und die
Neumen dienten sicherlich nur als
Gedächtnisnachhilfe für den Sänger,
der die Melodie auswendig kannte.
Als die charakteristische Eigenheit
des Gregorianischen Gesanges wird
angenommen, dass er im Gegensatze
Segen den metrischen, die Quantität
er Silben nach antiker Art genau
beobachtenden ambrosianischen Ge-
sang, keine bestimmte Zeitdauer der
einzelnen Töne angenommen, son-
dern es dem Sänger überlassen habe,
nach Belieben zu dehnen und zu
verkürzen. Dadurch aber war das
Hand gerissen, welches bis dahin
die christliche Musik noch mit der
antiken verknüpft hatte. An Stelle
der früheren poetischen Metrik trat
nun eine musikalische. Wo früher
Länge und Kürze geherrscht, da
führte jetzt Arsis und Thesis das
entscheidende Wort. Dadurch aber
war es zugleich ermöglicht, auf eine
Silbe mehrere Töne fallen zu lassen ;
es entstand jener verzierte Gesang,
der unter dem Namen: Vitalianischer
bekannt ist, namentlich aber jene
Jubellaute, von denen der Bischof
Durandus erzählt, dass man das
Alleluja von Alters her mit dem pneu-
ma gesungen habe, welches pneuma
eine unaussprechliche Freude des Ge-
mütes über das Ewige ausdrücke.
Bis zu dieser Entwickeluugs-
stufe war der Gesang gediehen,
als Karl der Grosse erschien, die
der Kultur widerspenstigen Völker
bezwang und sie durch die Wohl-
that einer höheren Bildung mit seiner
Herrschaft dauernd auszusöhnen ver-
suchte. Karl gründete Schulen im
ganzen Umfange seines Reiches,
von denen die zu Metz, Soissons,
Fulda, Mainz, Trier, St. Gallen zu
hohem Ruhm gelangten. Gleich den
übrigen Lehrgegenständen wurde hier
auch die Musik gepflegt. Mit Miss-
vergnügen aber bemerkte Karl, dass
sich imKirchengesange Unterschiede
einschlichen. Mehrmals Hess er da-
her Sänger von Rom kommen, um
durch ihr Beispiel die ungeübten
Kehlen seiner fränkischen Sänger
zu veredeln. So entstand namentlich
in Metz eine berühmte Sängerschule,
aber auch in St. Gallen sollte die
Sangeskunst ungeahnt aufblühen.
Der Grund zu dieser Blüte wurde
gelegt durch Romanus, einen der
zwei römischen Sänger, welche Papst
Hadrian I. auf Wunsch Kaiser Karls
nach Metz sandte, mit zwei authen-
tischen Abschriften des gregoriani-
schen Antiphonars versehen. Auf
der Hinreise erkrankte Romanus
und erreichte mit Mühe St Gallen,
wo er denn auch auf besondere
Weisung Karls verblieb und mit
ihm ein Exemplar des Antiphonars.
welches noch heutzutage auf der
St. Gallischen Stiftsbibliothek liegt.
Von nun an begann ein reges künstle-
risches Streben unter den St. Galler
Mönchen, worüber uns Ekkehard IV.
in seinem Casu* <S7. Galli Ausführ-
liches zu erzählen weiss. Besondere
Verdienste um die Ausbildung der
Musik erwarben sich die beiden Not-
ker, Labeo und Balbulus, der letztere
Erfinder einer neuen Kunstgattung,
der sogenannten Sequenzen. Diesel-
ben entstanden, indem man den lang-
atmigen Vokalisen des A llehna Worte
unterschob und auf diese Weise in
die wortlos gewesenen Melismen
wieder Sinn und Verstand zu bringen
suchte.
Dadurch kamen Dichtung und
Musik in ein ganz neues Verhältnis.
Die Arbeit des Musikers und Dich
ters trennte sich. Der erstere erfand
Melodien für künftige mannigfach
darunter unterzulegende Worte, der
letztere dichtete zu bereits vorhan-
denen Melodien Texte. Notker Bal-
bulus unterzog aber zugleich die
bereits vorhandenen Jubilos einer
Art Redaktion, indem er 50 davon
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Musik.
679
mit eigenen Namen bezeichnete und
dazu neue dichtete.
Diese Melodien und Gesänge
galten anderwärts als mustergültig
und wurden mannigfach nachgeahmt,
namentlich entstanden ähnliche Ge-
sänge im Volke, welche« dieselben
teils beim Gottesdienste, teils bei
Bittgängen, beim Kampfe u. s. w. an-
stimmte. Hierher gehören die beiden
Dichtungen : Stabat mafer und Die«
trat.
So wirkte der gregorianische
Gesaug nach allen Seiten und strebte
nach unbedingter Herrschaft, und wie
die gelehrte Theorie in Boethius eine
gegebene Grundlage der theoreti-
schen Musik, so fand die Praxis im G re-
gorianisehen Gesauge einen gege-
benen Stoff zu musikalischer Übung,
er wurde der eantu« Jirmu«, der
Tenor, an dem nicht getastet wer-
den dürft*?. Das Mittelalter hatte
ein tiefes Bedürfnis nach einer Art
Autorität, nach dem Dogma. So
nahm es seinen Boethius und den
gregorianischen Gesang wie Dogmen
hin; der letztere durfte aber gerade
deshalb kein Produkt des mensch-
lichen Geistes sein, er war inspiriert
und damit von einer, keiner weitern
Kritik unterliegenden Beglaubigung.
Neben der Gesangskunst wurde
auch die Instrumentalmusik in St.
Gallen eifrig betrieben. Das rauhe
Klima begünstigte die Entwicklung
der Gcsangsorganc nicht in gleichem
Masse, wie das der südlichen Län-
der, so dass der Diakon Joannes in
seinem Leben des heiligen Gregor
meint, die Alemauen und Gallier
strengten sich vergebens an, den
römischen Kirchengesang auszufüh-
ren und Hessen von ihren ungefügen
Kehlen nur ein donnerndes Gebrüll
hören, welches dem Gepolter eines
bergabrollenden Lastwagens gleiche.
Allein , hatte die Natur den Deut-
schen den Wohlklang der südlichen
Stimmen versagt, so war es dennoch
der Norden, der gerade vermittelst
seiner Instrumentalmusik, auf die er
hingewiesen ward, dasjenige Element
in die Musik einführen sollte, wel-
ches recht eigentlich als Unterschei-
dungsmerkmal der modernen und
der antiken Musik gelten darf, die
Mehrstimmigkeit
2. Anfange der Mehrstimmigkeit.
Dieselbe existierte in der Instrumen-
talmusik schon lange, bevor man
anfing, mehrstimmig zu singen.
Das beweisen namentlich die alten
Geigeninstrumente, die sogenannte
Crota oder Ruta, ein meist mit drei
Saiten bespanntes Instrument mit
flachem Steg und ohne die Seiten-
einbuchtungen unseres Geigenkör-
pers. Durch das letztere war aber
der Bogen gezwungen, zu gleicher
Zeit über alle drei Saiten zu strei-
chen, und so tönte denn neben der
auf der ersten Saite gespielten Me-
lodie der (i rundton und die Quinte
nach Art eines Dudelsack ei* mit.
In ähnlicher Weise diente der Viel-
stimmigkeit das sogenannte Orqn-
j nistrum, von dem die Art, vielstim-
mig zu singen, ihren Namen erhalten
I sollte. Die Kunst des Organisierens,
' d. h. die Kunst, zu einer gegebenen
Melodie eine zweite oder dritte Stimme
zu singen , fand bald Eingang und
Verbreitung, und schon im ersten
I Jahrtausend unserer Zeitrechnung
I in dem flandrischen Mönche lluebala
einen wissenschaftlichen Vertreter.
I Hucbald nennt die Kunst des mehr-
stimmigen Tonsatzes (organum oder
' diaphonie) einen „einträchtig zwie-
I spältigen Gesang". Derselbe aber
wurde auf zweierlei Arten zustande
gebracht; einmal derart, dass eine
Stimme der ersten im Intervall einer
Oktave, Quinte oder Quarte parallel
folgte (Parallelorganuml, andern teils
derart, dass ein Sänger die rechte
Melodie hielt (Tenor), während der
1 andere mit fremden aber passenden
Tönen die Melodie umspielte, am
Schluss aber beide im Einklang oder
der Oktave zusammentrafen (Schwei-
fendes Organum). Beim letzteren
erscheinen im Gegensatz zum
Digitized by L>0091£
080
Musik.
Parallelorganum im Durchgänge
auch andere Intervalle als Quinten
und Quarten, nämlich Sekunden, Ter-
zen u. s. w., sodass also schon in
dieser frühen Zeit Dissonanzen we-
nigstens im stufenweisen Durch-
gangs als zulässig erkannt wurden.
An der herrlichen Wirkung seines
Organum zweifelt Vater Hucbald
keineswegs. „Singen ihrer/4 sagt er,
„zwei oder mehr mit bedächtiger
und einträchtiger Strenge zusammen,
jeder seine Stimme, so wirst Du
einen lieblichen Zusammenklang aus
findung führten die Romanusbuch-
staben den Reichenauer Mönch Her-
mann Contractus (t 1054) der auf
den Oedanken kam, über den Text
Buchstaben zu setzen, welche dem
Sänger die Fortschreitung zum
nächstfolgenden Intervall andeute-
ten, z, B. e (equatiter), t (tonus,
Ganzton) D (Diatesseron), A (Dia-
pente | etc.
Hucbald nun probirte es vorerst
mit einer, der alten griechischen
nachgebildeten Notation. Er legte
seinem System den Buchstaben F
JJNJ
DE 7 £ iL V e i
£ac«u.cntc&
TTXZ
Fig 103. HucbaldMche Ruchstabennotierung.
4
f
mihi/
Mn\
1
^MZ.
Hilft & \ *l\
Co*/ itune /
UnV 50/
Hex /6*U <L>
AI
i
Fig. 104. Hacbaldnche Liniennotierung.
dieser Vermischung der Töne ent-
stehen sehen".
Hucbald versuchte auch die Ton-
schrift zu verbessern. Schon vor ihm
waren mannigfache Versuche gemacht
worden, der Unsicherheit der Neumen
durch eine andere Notation abzu-
helfen. So hatte schon Romanus
neben den Neumen noch andere
Zeichen angebracht, die sog. Ro-
manusbuchstaben. Über dieselben
hat uns Notker Balbulus ein Ver-
zeichniss hinterlassen. Sie haben
dreifache Bedeutung: teils zeigen sie
die Tonhöhe an, teils das Mass der
Bewegung, teils sind es Vortrags-
zeichen. Auf eine eigentümliche Er-
zu Grunde und, weil es für die vier
Kirchentonarten vier Schlusstöne
(finales) gab, erfand
schiedene Varianten:
er vier ver-
h H h I
D E G F
Zeichen, durch deren Umkehrung
und Verdrehung er folgende Skala
erhielt. Fig. 103.
Diese Tonschrift hatte aber, wie die
Gregorianische, den Nachteil, dass
sie aas Steigen und Fallen der Stimme
nicht versinnlichte. Er versuchte
eB daher mit einem Liniensystem,
in dessen Zwischenräumen dieTextes-
silben derart aufgeschichtet wurden,
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Musik.
681
dass die Tonintervalle von einer
Silbe zur andern durch die Anzahl
der zwischenliegenden Linien -Zwi-
schenräume ersichtlich wurde. Zur
besseren Orientierung setzte er
ausserdem am Beginn jedes Spa-
tiuins die Buchstaben T {tonus =
Ganzton) oder S {»emitonu* — Halb-
ton). Allein diese Schreibweise hatte
etwas ungemein Schwerfalliges und
Unbehülfliches, seine Notenschrift
blieb unbenutzt. Fig. 104.
Erst das folgende Jahrhundert
sollte den Mann hervorbringen, der
eine wirklich brauchbare Tonschrift
aufstellte. Schon vor dessen Erschei-
nen hatte man in Italien querdurch die
Neumen eine rote Linie gezogen, wel-
che den Ton f bedeutete. Was darüber
stand war höher als f, was darunter,
tiefer. Später zog man noch eine
gelbe oder grüne, welche den Ton c
bedeutete. Statt die Linien zu färben,
begnügte man sich auch, vorn an
dieselbe den betreffenden Buchstaben
zu schreiben. Hieraus sind die
„Schlüssel" entstanden. Fig. 105
und 106. Dadurch hatte man viel
gewonnen und der Weg war ge-
bahnt, der auf unser heutiges Noten-
system führen musste. Diesen Weg
gefunden zu haben, ist das Ver-
dienst des Benediktinermönches
Guido von Arezzo aus dem Kloster
Pomposa bei Ravenna. Statt der
zwei Linien zog er deren vier und
benutzte nicht nur die Linien, son-
dern auch die Zwischenräume zur
Bezeichnung der absoluten Ton-
höhe. Zugleich vereinfachte er auch
die Zahl und Gestalt der Neumen-
zeichen, welche sich schliesslich,
nach allerlei Modifikationen, in die
modernen Notenzeichen umwandel-
ten. So entstand einerseits die von
Tinctoris erwähnte Fliegenfu*»-
schrifl, welche in der That an die
Füsse von Mücken erinnerte, an-
dernteils die eigentümlich stilisierte
Nagel- und Hufeisentchrift, die sich
namentlich im Buchdruck lange be-
hauptete. Fig. 107 und 108. Nach und
nach aber schrumpften die Neumen
auf den Puncto» zusammen, der sich
dann in die sog. Choralnote ver-
wandelte.
Guido war aber nicht nur
Theoretiker, sondern auch Prak-
tiker. Um seinen Schülern das Ton-
merken beizubringen, pflegteer ihnen
beimUuterrichte die Johauneshy ran« :
Fig. 109. einzuprägen. Das Lied-
chen schien dem lehrenden Guido
besonders deswegen zweckmässig,
weil seine sechs Verse nacheinander
mit den sechs Tönen der Skala von
c bis fl in regelmässiger Folge, an-
fingen: Ut fiel auf c, re auf </, mi
auf e etc. Aus diesen Anfangs-
buchstaben ut, re, mi, fa »ol, la ist
dann die sogenannte SolmüaHon
entstanden. Guido's Skala umfasste
21 Töne, nämlich:
jTABCDEFGaptjcdcfg
a \> Ij e d
a i { c d
Diese teilte er nun in sieben sechs-
stufige Tongruppen, Hexachorde ge-
nannt, deren einzelne Töne mit (Ten
Silben ut re mi etc. bezeichnet wur-
den, derart, daas zwischen die Silben
mi fa stets ein Halbtonschritt zu
stehen kam. Selbstverständlich
schliessen diese Hexachorde nicht,
wie die Oktaven der modernen
Musik aneinander — dies würde
eine Reihe von 42 Tönen ergeben
haben — , sondern sie greifen inein-
ander ein. Eine vollständige Ton-
leiter von acht Tönen Hess sich dem-
nach nicht unmittelbar mit den
Guidonischen Silben singen, sondern
es mussten die Hexachorde gewech-
selt werden, man hatte zu mutieren
z. B.:
c d e? g a
ut re mifasol la
ut re mi fa
Diese Mutation namentlich war
eine erfolgreiche Übung, welche die
Sängerknaben innerhalb des gesinn-
ten Tongebietes völlig heimisch
machte. Mit der wachsenden Fülle
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682
Musik.
des musikalischen Darstellungsma-
terials wurde die Solmisation indess
zum „cntjr tenellorum puerorttm".
lieh hatte einer seiner Schüler die
Entdeckung gemacht, dass die Hand
gerade soviel" Glieder zählt, als das
f Fig. 105. Neumen mit c- und f-Linien.
rj y y 5: 7C b: a: ^ #
c c MI? Hfl* Ifc II* Iß
Fig. 106. F-, C- und G-Schlüssel.
1
N*Jtl«l|Ttf}
V«|l
Fig. 107.
5 ?-, r^j^?^
/Ui^iifuifticlit'tfh
Fig. t08.
Als Gedächtnisnachhilfe beifn 1 guidouische Tonsystem Töne, iiäm-
Mutieren wurde vielfach die Gui- ,. i1ft d A . , fc>
donische Hand benutzt. Wahrschein- . llch 19 von 1 ~ d> da8 >. UI,d ?
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Musik.
683
nicht zugerechnet. Jedes Glied wurde
nun zum Sitz eines Tones gemacht,
das obere Glied des Daumens erhielt
den tiefsten Ton r. Von da fuhr
man herab, dann quer hinüber, am
kleinen Finger hinauf, an den oberen
Gliedern der folgenden drei entlang,
stimmigkeit war in diesem Zeitraum
noch nicht viel weiter gediehen als
vorher. Man hatte noch immer seine
Freude an Quinten- und Quarten-
parallelen; indessen bemerkt man
doch, dass man anfing die begleiten-
den Stimmen in abweichender Weiße
.4 +
t
1
j3olv€ joolUK Labil r«ah/m sjncfe Joann« .
Fig. 109. Johanneshymne.
am Zeigefinger herab u. s. w. im zu führen, dem Cantus (der ur-
Kreise bis zum Ton ' Fig. 110. »P™^™ Melodie) einen Di«-
d * cantus (eine abweichend begleitende
Trotz aller Theorie stand es aber Stimme) zuzugesellen. Die Kunst
mit der Musik in diesem Zeitraum des Diskantierens wurde namentlich
doch wohl reeht böse.
Sie wurde noch immer
als das Produkt des
rechnenden , kombi-
nierenden Verstandes,
nicht der Phantasie an-
gesehen; sie brauchte
nicht schön zu sein,
wenn sie nur den An-
forderungen einer ima-
ginären Kegelrichtig-
keit entsprach. Höchst
bemerkenswert in die-
ser Hinsicht ist das
rein mechanische Ver-
fahren, welches Guido
zur Erfindnng neuer
Melodien vorschreibt
und welches darin be-
stand, dass man jedem der fünf Vo- chen, dass
kalc einen Ton der Tonleiter sub- men sich
G^iomu^ Html
Fig. 110.
in Frankreich ausge-
bildet und es ergab
sich dort statt des an-
fänglichen parallelen
Gesanges der Stim-
men schliesslich eine
Gegenbewegung der-
selben, ja man scheute
sich nicht, ganz ver-
schiedene Melodien
unter sich zu mehr-
stimmigen Sätzen zu
verbinden. — Je mehr
man aber im Zusam-
mensingen mehrerer
Stimmen Fortschritte
machte, um so mehr
mii8ste sich auch das
Bedürfnis geltend ma-
die einzelnen Stim-
in gleich schnellen
stituierte und dann unter die ein- , Tempi bewegten. Hierfür fehlte
zelnen Silben eines beliebigen Textes jedoch vorderhand jedwede Noten-
den ihrem Vokal entsprechenden
Ton schrieb. Fig. III.
3. JlinfüfiruHff der Menmtral-
musik. Die Fntwickelung der Mehr-
schrift. Der gregorianische Kirchen-
gesang hatte es dem einzelnen über-
lassen, nach seinem Gutdünken den
Zeitwert der einzelnen Noten zu
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684
bestimmen. Dies musste aufhören, kam man mit diesen Notenwerten
sowie verschiedenartige Stimmen so nicht aus, und schon Franco führte
geführt werden sollteu, dass sie ver- die doppelte Länge (maxima) und
einigt dem Gehör angenehm er- die halbe Brevis (semibrevis) ein-
klangen. Damit beginnt etwa in Etwa in der zweiten Hälfte des
der zweiten Hälfte des zwölften I 14. Jahrhunderts begann mau in
Jahrhunderts die Entwicklung der ' Frankreich die Noten nicht mehr
sogenannten Mensuralmusik. Der schwarz auszufüllen, sondern weiss
erste Schriftsteller, welcher über die zu lassen, wodurch die weisse Choral-
beim „gemessenen Gesänge" zu beo- note entstand. Zugleich versuchte
bachtenden Regeln Auskunft giebt, j man auch , die sogenannten Me-
ist Franco von Köln. Aus dem Iismen, das sind aie auf einer
Punctus der Neumen hatte sich im Textsilbe gesungenen , aus zwei
Laufe der Zeit bereits der viereckige oder mehr Tönen bestehenden Fi-
Notenkopf gebildet. Diesen nahm guren in einem Zeichen darzustellen :
rr
i m r — vvm ru mma
8
-o—
J. fr* 0
c.te = ta> -*n<
Fig. III. Melodienfabrikation.
mm . Un$a mm -trem + 5ttttib#fWi ■■■ jbm\ nuxtnu 6tc
^ ligahira O hmpui ftrf. C (\imp (j) ^ cfimtnvaho
Fig. 112. Choralnotcn.
Franco als Grundlage für die Men- es entstanden die Ligaturen (liaafura
suralnoten. Vorerst glaubte man, ascendena und deacendens, ooltywn,
mit zwei Noten auszukommen, mit recta, etc.) Auch des Punktes be-
der sogenannten longa (Punkt mit dienten sich schon die Mcnsuralisten
Strich) und der sogenannten bferia und zwar des jyunetum augmenta-
I Punkt), entsprechend den kurzen , tionia oder additwnia, wenn rlereelbc
und langen Silben der antiken Pro- den Wert der Note, hinter welcher
sodic, und es wurde nach den meist er steht, um deren Hälfte verlängert,
vorkommenden Versmassen, Tro- und des punctum diviaioni*, um an-
chäus und Jambus der dreiteilige zuzeigen, dass eine Note von der
perfekte Rhythmua herrschend, indem halben Geltung zur vorhergehenden
man eine Länge gleich zwei Kürzen oder folgenden doppelwertigen ge-
annahm. Fig. 1 1 2. Erst im 14. Jahr- zogen werden solle. Ebenso wie
hundert erscheint der zweiteilige die Töne mussten nun auch die
Rhythmus, den man auch im Pausen bezeichnet werden. Dazu
Gegensatz zum dreiteiligen den un- bediente man sich senkrechter, durch
vollkommenen nannte. Indessen I die Linie gezogener Striche, welche
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Musik.
685
je nach ihrer Länge die Zeitdauer
ausdrückten. Endlich war es auch
noch nötig das Tempo durch ein
Zeichen zu bestimmen. Der voll-
ständige Kreis wurde das Zeichen
des lempus perfectum, der nach
rechts ofl'cne für das Tempus imper-
fectum. Bei verdoppelter Bewegung
wurde der Kreis durchstrichen etc.
Nächst Franco von Köln haben
das meiste Verdienst um die Aus-
bildung der Mensuralmusik Mor-
chettus von Padua und Johannes
de Müris. —
Hucbald, Guido und Franco hatten
im eifrigen Studium und unter un-
endlichen Denkerqualen den Grund
gelegt, auf welchem sich eine wahr-
afte Kunstmusik aufbauen konnte ;
allein die Musik hatte in der bedenk-
lichen Nähe der Arithmetik und
Geometrie beinahe vergessen, dass
sie von Haus aus eine schöne Kunst
und dass es ihre Aufgabe sei, das
Schöne in Tönen zu verwirklichen;
sie begnügte sich, das mathematisch
Richtige zu erreichen, bei dem nicht
der ästhetische Sinn, sondern der
Verstand das entscheidende Wort
hatte.
Indessen war dafür gesorgt, dass
die Musik nicht in spekulativer
Wissenschaft aufgehen sollte.
4) Weltliche Musik. Die Kreuzzüge
sollten auch auf dieMusik neubelebend
einwirken und ihr das verschaffen,
was sie wieder zur wahren Kunst
machte. Einesteils waren es die
neuen Instrumente, welche die Kreuz-
fahrer aus dem Orient mit nach
Hause brachten, audernteils aber
machte sich der durch die Kreuz-
züge geweckte Dichtersinn als lyri-
scher Gesang Luft, wo Wort und
Melodie vereint erklangen, wo nicht
die Schulregel eines Tonlehrers, nicht
die profunde Wissenschaft des Mön-
ches dareinzureden hatte, wo viel-
mehr nur der Drang des Gemütes das
Wort in Liebes- und Frühlingsliedern j
führte und zugleich den rechten dazu
gehörigen Ton fand. Unter dem I
lieblichen Himmel Südfrankreichs
fand diese „fröhliche Kunst" ihre
ersten glücklichen Vertreter. Die
Höfe der Grafen von Toulouse, von
Provence und von Barcelona waren
Pflegestätten der Dichtkunst. Nach
dem Erfinden nannte man im süd-
lichen Frankreich die Dichter Tro-
badours. Als erster von ihnen wird
Wilhelm von Poitiers genannt. Der
Troubadour sang selten selbst, viel-
mehr hatte er kunstfertige, im Ge-
sang und Spiel musikalischer Instru-
mente erfahrene Diener zur Seite, die
Minstreis oder Jongleurs (Spass-
macher), Leute von oft sehr unter-
geordnetem Range. Eine Ausnahme-
stellung unter den Troubadours
nimmt Adam de la Haie ein, nach
seinem Wuchs und seiner Vaterstadt:
Der Bucklige von Arras genannt,
indem er den Erfinder von Gesängen
und den ausübenden Meister in
seiner Person vereint. Er gehört
zugleich zu den ersten Tonsetzern,
welche vierstimmige Singstücke kom-
ponierten.
Derselbe Geist, der bei den ro-
manischen Völkern die Troubadours
hervorgerufen, fand bei den germa-
nischen Stämmen Deutschlands
seinen Ausdruck im sogenannten
Minnegesang. Der deutsche Dichter
aber hatte nicht den zweideutigen
Jongleur, den Gaukler zum Ge-
fährten ; ebensowenig gehörten
alle Minnesänger dem ritterlichen
Stande an. Die nichtritterlichen
Sänger hiessen Meister. Die Vor-
tragsweise der Gesänge glich ziemlich
dem gregorianischen Choral. Von
den Rittern und ritterlichen Sängern
ging indes die Kunst bald auf
die Bürger und ehrsamen Hand-
werker über: der ritterliche Minne-
esang wurde zum zunftmässigen,
leinbürgerlichen Meistergesänge ;
aus der blühenden Rose entwickelte
sich die magere Frucht der Hagebutte.
Der Hauptsitz des Meistergesanges
war anfangs Mainz, später Strass-
burg, Augsburg und Nürnberg, auch
I
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686
Musik.
Ulm und Regensburg. Die Kunst- 1
gesetze waren in der sogenannten
Tabulatur verzeichnet, wo auch für
jeden genau bezeichneten Felder
eine bestimmte Strafe festgesetzt
war. Zu überwachen, dass die Gc- |
setze von den Singenden gehörig
beobachtet wurden, war Sache der
sogenannten „Merker". Der Ober-
meister, Kronenmeister, Merkmeister
mit seinen Merkern, der Büchsen-
meister und der Schlüsselmeister
bildeten zusammen den Zunftvor-
stand. Jede Zusammenkunft hiess
eine Schule und die Mitglieder
nannten sich „Liebhaber des
deutschen Meistergesanges". Beim
Beginn der Schule nahm das Ge-
merk die Sitze an der Oberstelle
ein. Die Vorträge mussten frei ge-
halten werden. Die vier Merker
teilten sich in ihr Wächteramt; einer
achtete auf die Reime, der andere
auf das Versmass, der dritte auf die
Melodie und der vierte hatte die auf-
feschlagene Bibel vor sich, damit
ein Verstoss gegen das „Geschriflft"
vorkomme.
Die Meistersänger hatten ihren
Zunftschal bestimmter Melodien
oder Weisen, denen jeder nach
seinem Gutdünken sein Poem unter-
schieben konnte, obgleich dem
Meister die Erfindung eines neuen
Tones keineswegs verwehrt war. j
Wurde dieser neue Ton von den j
Merkern genehmigt, so gab man ihm
einen „ehrlichen nicht verächtlichen"
Namen , welcher insgemein höchst
verwunderlich lautete. Da gab es
einen blauen Ton, einen roten Ton,
eine geschwänzte Aftenweis, eine
gelbe Veiglinweis, eine „über kurz
Abendrotweis", einen „gläserneu
Halbkrügelton" und wie diese vom
baroksten Ungeschmack eingege-
benen Benennungen sonst lauteten.
Nach dem Beispiele der Meister-
sänger vereinten sich nun auch die
Instrumentalmusiker zu zunftmassig
geordneten Genossenschaften und
gaben das vagabundierende Leben,
welches sie bis dahin als „fahrende
Leute" geführt, auf. Namentlich
waren es in den Städten die Türmer,
um welche sich nach und nach
Horn- und Pfeifenblaseransammelten
und sich zu Bruderschaften ver-
banden.
In Frankreich war es besonders
die Confrerie de St. Julien de*
Mencstriers , in Deutschland die
1288 gestiftete Nicolai-Bruderschaft.
Einen besonderen Gönner fanden
die fahrenden Leute an Karl IV.,
der ihnen einen eigenen König gab,
den ,,/rV.r omnium nistrionum". Der
erste war Johannes, der „Fiedler*4
genannt. Diesem Beispiele folgend,
ernannte Adolf, Kurfürst von Mainz,
seinen Hofpfeifer Brachte zum
Pfeiferkönig. — Jährlich hatten so-
wohl die Pfeifer als die Geiger
ihren Pfeifer- und Geigertag. An
diesem Tag wurde der König neu
gewählt und fanden die Gerichts-
verhandlungen statt; mit Gottes-
dienst wurde er eröffnet, mit Spiel
und Tanz beendet.
Die erete selbständige Instru-
mentalform, die zugleich bedeut-
sam für die Entwicklung der ge-
samten Kunst wird, ist der Taivz.
Derselbe wurde in doppelter Weise
ausgeführt, als umgehender oder ah*
springender. Der erste erinnert an
unsere Polonaise, der letztere an
die Reihen, wie sie heute die Kinder
noch ausführeu. Zur Bezeichnung
des Taktes genügte zunächst die
Trommel; bald kam die Pfeife,
namentlich die sogenannte Sackpfeife
(der Dudelsack) hinzu, und der
Stimmung, welche der Tanz in den
Tanzenden erzeugte, wurde in man-
nigfaltigen Tanzliedern Ausdruck
verliehen, die sich im Metrum eng
an den Tanzschritt anschlössen und
deren Inhalt namentlich die Freuden
der Liebe ausdrückte. Diese Tanz-
melodien erlangten grossen und be-
deutenden Einfluss auf die Ent-
wicklung des Liedes. Das rhvth-
mische Element wurde dadurch iu
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Musik.
687
die Volksmusik eingeführt. Allein
nicht nur das; das Volk sang nur,
wenn sein Herz voll war, sei es vor
Freude oder Leid, vor Hoffen, Sehnen
oder Bangen und sang nichts an-
deres, als was sein Herz bewegte.
Dann aber musste es singen und
die Melodie wurde der getreue Aus-
druck der Empfindungen.
Dem Volke waren zugleich die
8|>ekulativen Theorien über die
Musik unbekannt Es vermochte
den Ausdruck seiner Gefühle nicht
in die 21 Töne der Guidonischen
Skala einzuzwingen, sondern benutzte
eben Zwischentone, wie sie ihm ge-
rade passten. Dadurch aber wurde
der Sturz der Kirchentonarten mit
ihrer strengen Diatonik vorbereitet.
Die beliebteste Tonart, in welcher
das Volk sang und dichtete, war die
mit 0 beginnende (unser Cdui).
Dieselbe wurde mit der Zeit neben
der m\tA beginnenden ( unser Amoll)
zur eigentlichen Normaltonleiter,
nach der alle andern gebildet wurden.
Die meisten Volkslieder wurden von
ganzen Gesellschaften verfasst, wenn
auch der weitaus grösstc Teil der-
selben dem rein persönlichen Em-
pfinden seine Entstehung verdankt,
wie die zahlreichen Liebes-, Reiter-,
Jäger-, Studenten-, Wein- und Ge-
selLchaftslieder. Die Limburger
Chronik enthält die frühesten Mit-
teilungen über die Beschaffenheit
der Volksgesänge; zahlreiche Bei-
spiele finden sich in einer im 15. Jahr-
hundert verfassten Handschrift, dem
Lochheimcr Liederbuch.
5. Die Schule der Siederländer.
Der entscheidende Kintluss der
Volkslieder auf die Kunstmusik
macht sich vorerst in der Kunst
des Diskantierens geltend ; ja die-
sell e fand, besonders in der gesang-
reiehen Provence, eine so eingehende
Pflege, dass Papst Johann XII. sich
veranlasst sah, eine Bulle gegen
den Gebrauch „melodienfremder In-
tervalle" beim gregorianischen Ge-
sang mit Ausnahme „einiger melo-
diöser Konsonanzen ', in Oktave,
Quinte und Quarte zu erlassen.
Allein erst Mitte des 14. Jahrhun-
derts konnte dem Unfuge des Im-
provisierens des Diskantes vorläufig
Schranken gesetzt werden, dank der
Wirksamkeit der für diese Kunst
besonders begabten Niederländer in
der päpstlichen Kapelle. Schon
früher war bei den päpstlichen
Sängern eine Form des drei-
stimmigen Gesanges unter dem
Namen Faux — bourdon* (falscher
Bus) in Aufnahme gekommen.
Derselbe ist nichts anderes als eine
Reihe von Sextakkorden und wenn
auch etwas wohlklingender, so doch
nicht weniger mechanisch als das
Organum des Hucbald. Über den
Namen „falscher Bass" sind die
mittelalterlichen Theoretiker selbst
nicht ganz einig. Von den einzel-
nen Stimmen eines solch mehrstim-
migen Gesanges hiess diejenige,
welche den gregorian. Cantus Jir-
mus hielt: Tenor; die Gegenstimme,
der I>iscantu*, welche in der Regel
ein dem Volksgesang entnommenes
Motiv verwendete: Motetu*\ die
eingeschobene Zwischenstimme aber
hiess Kontratenor. Wie sehr aber
auch die Kunst des mehrstimmigen
Tonsatzes durch alles dies gefördert
wurde, so blieb daneben doch der
improvisierte Dutcantus oder Contra-
punctum (Gegenbewegung von Note
zu Note) im Gebrauch. Der erste
bedeutende Kontrapunktist, welcher
diesem Contrapunto a mente ent-
gegenzutreten suchte und dessen
Arbeiten wirklichen Stil zeigen, ist
der Niederländer Wilhelm Dufav
aus der belgischen Provinz Henne-
gau. Namentlich ist es die soge-
nannte Sachahmungsform , welche
er mit bewundernswertem Eifer
und ausserordentlichem Erfolge an
Stelle des freien Discantu* einführte.
Diese Nachahmungsform (canon,
fugaj entstand derart, dass eine
zweite Stimme die Melodie der er-
sten zu anderer Zeit und oft auch
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688
Musik.
in einer andern Tonhöhe, ja selbst I
in verändertem Tempus begann, j
während die erste dieselbe zu Ende ;
führte. Sonderbar sind die Notie-
rungskünste, welche die niederlän-
dischen Meister hierbei anwandten.
Beim einfachen Kanon lag es nahe
genug, sich mit Notierung von nur
einer Stimme zu begnügen und den
Eintritt der übrigen Stimmen durch
ein Zeichen anzudeuten. Kompli-
zierter wurde die Sache allerdings bei
zusammengesetzten Musikstücken,
wobei dem Scharfsinn der Sänger
sehr viel zugemutet wurde, be-
sonders als man an Stelle der
Zeichen mysteriöse Sprüche zu
setzen begann. Auf die Textworte
nahmen die niederländischen Ton-
st" tzer vorderhand keine Rück-
sicht, ja man liess oft sogar zwei
ganz verschiedene Texte durehein-
andersingen, besonders als die Mu-
siker au Stelle des gregorianischen
Chorals Volksweisen als cantu* Jir-
mu* einführten. Als Vertreter des
eigentlichen Kontrapunkts wird
Ockenheim bezeichnet , der die
Theorie des Kanons bedeutend er-
weiterte. Die Freude der Vielstim-
migkeit erreicht bei ihm bereits eine
ins Grenzenlose gehende Form. Als
Beweis mag seine 36 stimmige Mo-
tette dienen. Noch weiter als
Ockenheim brachte es sein Schüler
Josquin dejt Prix. Mit den bestehen-
den Kegeln nahm er es allerdings j
nicht sehr genau , sodass zahlreiche |
Klagen über die neue Musik laut
wurden. Allein die Tonkunst sollte
eine neue Basis erhalten; das alte
System sollte zerfetzt und ein neues
emporgetrieben werden. Nament-
lich veranlasste die Einführung des
Volksliedes in die Kunstmusik, den
Hann der alten Kirchentonarten zu
sprengen, und wenn auch Josquin
noch manches von der Pedanterie
der niederländischen Schule an-
hängt, wie der Gebrauch verschie-
denartiger Texte oder ins Weite
getriebener Polyphonie, so ist doch
das Streben bemerkbar, den Ton-
satz der Dichtung anzuschmiegen.
Auch ist er der erste, der den
ästhetischen Wert der Dissonanz
erkannt hat und sie mit Bewußt-
sein und Absicht zum Ausdruck
leidenschaftlicher Empfindungen ver-
wendet.
6. Italienische Schulen. Mit noch
grösserem Erfolge als Josquin strebte
dessen Landsmann Adrian Willaert,
der Begründer der venezianischen
Schule, darnach, die Kunst des
Tonsatzes dem musikalischen Ge-
danken dienstbar zu machen, ins-
besondere die polyphonen Gebilde
durch dramatischen Ausdruck zu
beleben. Die Anlage der Markus
kirehe, an welcher Willaert Kapell-
meister war, mit ihren zwei Empo-
ren, führte ihn auf den Gedanken,
die Chöre örtlich zu trennen und so
das verwickelte Gewebe der Poly-
phonie mögliehst zu entwirren.
Damit hatte er die Ziceihöriglceii
geschaffen, bei welcher die einzelnen
Stimmen nicht mehr sich selbstän-
dig zu entwickeln strebten, sondern
vielmehr sich in Massen zu vereini-
gen bemüht waren. Das bedingt
aber zugleich, dass man von jetzt
ab nicht mehr mit dem einzelnen
Tone operierte, sondern mit Akkor-
den und dadurch die Bildung har-
monischer statt melodischer For-
meln notwendig machte. Durch
die Massenwirkung kam zu-
gleich auch das Wort wieder zu
grösserer Bedeutung, welches in
dem künstlichen Tongeflechte der
niederländischen Kontrapunktisten
ganz verloren gegangen war.
Dass an der strengen Diatonik
der Kirchentonarten bereits vielfach
gerüttelt worden war und zahlreiche
Zwischen- und Halbtöne eingeführt
werden mussten, wurde bereits be-
tont Den entscheidenden Schritt,
die Musik aus den Bauden der
Diatonik zu befreien, thaten die
Schüler Willaert's: Cyprian de Rore
und Zarlino. Ersterer dadurch, tlass
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Musik.
689
er den freien Gebrauch der Chro-
tmttik ( wonach die Oktave als eine
Aufeinanderfolge von zwölf Halb-
tonschritten erscheint) in bemer-
kenswerter Weine steigerte, der an-
dere, indem er die sogenannte tem-
perierte Musik einführte.
Die Höhe des Tones wird durch
die Anzahl der Schwingungen,
welche der tönende Körper in einer
gewissen Zeit macht, bestimmt, so-
dass z. B. die doppelte Zahl der
Schwingungen eines angenommenen
Tones in gleicher Zeit die Oktave
desselben giebt. Wie aber die An-
zahl der Schwingungen eines Kör-
pers durch seine Länge bedingt
wird, so auch der Ton. Eine um
die Hälfte verkürzte Saite giebt bei
gleicher Spannung die Oktave des
durch die ganze Saite erzeugten
Tones, um 73 verkürzt triebt sie die
Quinte, um 8/4 die Doppeloktave
etc. Untersucht man derart die
Schwingungszahlen sämtlicher Töne
der diatonischen Skala von r, welche
neben derjenigen von a noch fast
ausschliesslich im Gebrauche war,
so erhält man, wenn C in einer Zeit-
einheit eine Schwingung macht, für
C D E F G a tf c
1 Hl 04/ 3/ Sl 16/ 118/ 9
1 /» Ist U /3 in ins &
Schwingungen. Das Verhältnis von
C : K also vom Grundton zur Terz
ist ein sehr kompliziertes, und da
erfaliruugsgcmäss nur der Zusam-
menklang jener Töne dem Ohre an-
genehm ist, welche in einem ein-
fachen Zahlenverhältnis stehen, so
musstc C — J'J notwendig als Disso-
nanz erscheinen. Zarlino versuchte
nun, dem abzuhelfen, indem er die
Terz um das Intervall 9*/91 (das so-
genannte syntonische Coma) verklei-
nerte uud auch den diatonischen
Halbton : in ein einfacheres Ver-
hältnis zum Grundton brachte. Da-
durch erhielt er folgendes soge-
nannte reine diatonisene System
Ton CDEFGatje
Schwing. 1 «/* V/. V/u 2
Reallexicon der deutlichen Alfcrtümer.
Nun konnte die Terz ruhig unter
die Konsonanzen aufgenommen wer-
den und der Akkord: Grundton,
Terz und Quinte, der sogenannte
Dreiklang, wurde von nun an die
eigentliche Basis aller polyphonen
Musik. Damit hatte die venezia-
nische Schule, welche in Joh. Ga-
brieli ihre höchste Blüte gewonnen
hatte, den Grund zur Harmonie 1
gelegt.
Diese aber bildete ein richtiges
Gegengewicht gegen die Ausschrei-
tungen und Missbräuche der nieder-
ländischen Kontrapunktik i u . welche
die beim Konzil zu Trient versam-
melten Väter beinahe bestimmt
hätte, die mehrstimmige oder Figu-
ralmusik gänzlich aus der Kirche
zu verbannen. Glücklicherweise
war inzwischen in Pier Lnufi
Sanle, nach seiner Geburtsstaxlt
Palästrina genannt, der Meister er-
schienen, welcher Melodie und Har-
monie im richtigen Masse zu ver-
binden wusste. Er geht den um-
gekehrten Weg wie die Venezianer.
Während bei diesen die einzel-
nen Stimmen sich melodisch zu ent-
falten und zu Akkorden zu verbin-
den strebten, lösten ietzt die einzel-
nen Stimmen die Akkordmassen auf.
Früher war das mehr flüchtige,
melodische Element vorwiegend, jetzt
tritt das macht- und glanzvolle
Ilannonische in den Vordergrund:
die Akkorde sind gewissermassen
die Säulen, über die und zwischen
denen die Melodie ihre Bogen
schlägt.
7. Das geistliche Volkslied und
das Kunstlied. Während so jen-
seits der Alpen die kirchliche
Kunstmusik sich entwickelt und
eine hohe Stufe der Vollendung er-
langt hatte, war es dein Norden
beschieden, dem Volksliede seine
Pflege zuzuwenden, ohne dass die
nordischen Meister versäumt hätten,
auch der Entwicklung der kirch-
lichen Kunstmusik zu folgen, welche
in Heinrich Finck, Heinrich Isaak,
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690
Musik.
Stephan Mahu, Ludwig Seufl, na-
mentlich aber in Orlandos Lassos,
dem Müuchener Kapellmeister, be-
deutende Vertreter fand. Von
weittragender Bedeutung für die
Weiterentwicklung der nordischen
Musik war vorab die Erschei;
nung Luthers und sein Bestreben,
statt des rituellen lateinischen Ge-
sanges den deutschen Gemeindege-
sang beim Gottesdienste einzuführen.
Wir haben bereit« darauf hinge-
deutet, wie ausserhalb der Kirche
schon ein geistliches Volkslied
entstanden war. Das 12. Jahr-
hundert schon hatte das recht volks-
thümliche: „Crist ist erstanden",
„In Gottes Namen fahren wir" und
eine Anzahl Marienlieder erzeugt;
indess war die Teilnahme des Vol-
kes an der Liturgie als singendes
Glied doch immer unbedeutend.
Luther erst war es vorbehalten,
deutsche Sprache und deutschen
Gesang in der Kirche zur Herr-
schaft zu bringen. In richtiger Er-
kenntnis des Guten wühlte er zu-
nächst aus dem altlateinischen
Kirchengesang solche Melodien,
welche an die Liederform erinner-
ten, wie das: „Mitten im Leben
sind wir vom Tod umfangen" oder
das Vt/ii redemptor gentium-, den
gregorianischen Choral aber ver-
warf er gänzlich. Er meint, dass
sei „wüstes Eselsgeschrei" und
töne, „wie Gesaug der Hunde und
Säue".
Reichere Ausbeute als der
Kirchengesang lieferte dem pro-
testantischen Kirchengesang das
weltliche Volkslied, jene Tanzmelo-
dien, welche schon die Niederländer
als Cantus firmos statt der gregoria-
nischen Weisen in ihren kontrapunk-
tischen Werken benutzt hatten.
Es wurden zu diesen gegebenen
Melodien neue Texte gedichtet, wie
zu dem Lied: Innsbruck, ich muss
dich lassen: „O Welt ich muss
dich lassen". Die bedeutendste
Verbesserung war jedoch, dass die
Melodie in die Oberstimme ver-
legt wurde, während sie früher in
der Mittelstimme, im Tenor lag.
Einen treuen Mitarbeiter fand Luther
in dem Kapellmeister Friedrichs des
Weisen, Johaun Walther, welcher
die neue kirchliche Weise: den
Choral, zunächst noch im Sinne der
alten Musikpraxis mit dem Selunucke
der Kontrapunktik ausstattete. Un-
gleich bedeutender wirkten nach
dieser Richtung Ludwig Senfl und
Georg Rhaw.
In der zweiten Hälfte des 16, Jahr-
hunderts beginnt sich der Lintia«
der venezianischen und römischen
Schule geltend zu machen. Man
begann, die verflochtenen Stimmen,
welche durch Einführung des Kontra-
punktes entstanden waren, einheit-
lich in der Harmonie zusammenzu-
fassen. Mit genialem Verständnis
erfasste diese Weise; der als Tou-
setzer wie als Gelehrter hoch-
berühmte iSW/* Calrisius, den Höhtk-
) »unkt aber erreicht sie in Hans f^x>
Hassler, Prätorius, Eceard und
dessen Nachfolger Sfolxius.
Neben dem kirchlichen Chorale
pflegten diese Meister selbstverständ-
lich auch weltliche Musik : es erstand
das sogenannte Kunstlied, das ist
die mehrstimmige Bearbeitung von
Volksmelodien mit genauer Berück-
sichtigung des Textes. Die früheren
Komponisten hatten nicht an eine
im Sinne und Geiste der Melodie
erfolgende Ausgestaltung derselben
gedacht, dem alten Kontrapunkt
waren die Volksweisen nur Ton-
phrasen. Jetzt werden sie Keim
und Wurzel eines sich selbständig
aus denselben entwickelnden Kunst -
gesanges. Zugleich wurde auch
versucht, eigene Melodien zu er-
finden. In Italien war namentlich
das sogenannte Madrigal, ein kurzes,
gewöhnlich acht-, höchstens zwölf-
zeiliges Lied, das von Liebe oder
von der Herrlichkeit der Natur
handelte, aufgekommen. An diesen
Gedichten versuchten sich die Kontra-
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Musik.
691
nunktisten zuerst in der freien Er-
findung. Die natürliche Folge dieser
Musikübung war, dass nun auch der
Einzelne versuchte, die Oberstimme
oder selbst ein«' Mittelstimme, die
im Grunde nicht weniger Melodie
hatte als jene, allein zu singen und
die fehlenden Stimmen durch In-
strumente zu ersetzen. Um Aus-
breitung dieser Gcsaugsweiso erwarb
Bich namentlich der berühmt»' Säuger
(iitdiot 'accini Verdienste. In Deutsch-
land wurde sie von l'rntorinsy Hein-
rich Schutz und Hermann Schein
weitergebildet Dabei spielte selbst-
verständlich die Begleitung vorerst
eine untergeordnete Holle. Die
künstliche Stimmvertlchtung des
Kontrapunktes löste sich in einfache
Akkorde auf. Man brauchte des-
halb neben der Melodie nur den
Bass zu verzeichnen und die beglei-
tenden Akkorde durch Zahlen an-
zudeuten. Diesen numerierten Bass
nannte man (ieneralhass.
8. Die Ausbildung der Instru-
mentalmusik, Das beliebteste Instru-
ment, mit welchem die Gesänge im
Jahrhundert begleitet wurden,
war unstreitig einerseits die Laufe —
sie war zum Hausinstrument gewor-
den — anderseits die Oryel, welche
sich in der Kirche eingebürgert
hatte. Für beule war denn auch
eine eigentümliche Notierungsform
entstanden. Für die Orgel genügten
noch lange die Guid« mischen Buch-
staben, denn die Konstruktion der-
selben war unsäglich plump, und
man begnügte sich, auf derselben
den canfus firmus einstimmig, höch-
stens mit dem Organum verbunden,
zu begleiten. Dem entsprechend bil-
dete sich in Deutschland die; soge-
nannte Oraeltabutatur aus. Dieselbe
bestand vorerst aus den Tönen der
diatonischen alten Skala, welche nun
folgendermaßen bezeichnet wurden:
L -1i( LrLE_FJL; a h c d e f g
a h c d e f g a h c d e
Als dann auch die Zwischentöne
immer erweiterten Eingang fanden,
wurden sie durch ein angehängtes
Hnkchen oder eine Schleife ange-
zeigt, z. B. : /, oder f ; — //*. Nach-
dem die Verbesserung des Instru-
mentes dann auch «lie Ausführung
der Mensuralmusik möglich machte,
musste der Zeitwert derNotcn gleich-
falls bestimmt angegeben werden.
Man fügte deshalb der Buchstaben-
schrift besondere Zeichen bei: ein
l'unkt bedeutete z. B. eine Brevis,
ein Strich die Scmibrevis u. 8. w.
Im Übrigen wurden die Stimmen so
untereinander gesetzt wie in unserer
Partitur.
Diese Art der Aufzeichnung war
für Orgel, Geige, Laute unet die
entsprechenden Instrumente im Ge-
brauch, kam aber auch beim Gesang
zur Anwendung. Daneben hatten
die I i ! 'nisten noch eine eigene,
die Lautentabulaturcrfunden, welche
ganz speziell der Spielweise und der
Technik des Instrumentes angeeignet
war. Dabei ging man von der fünf-
saitigen Laute aus, deren einzelne
Saiten man mit den Zahlen 1,2,3,4,5,
die einzelnen Gritfe aber mit Buch-
staben bezeichnete. Die Meister des
Lautenspiels gaben dazu noch man-
cherlei ergänzende Bestimmungen,
wie HansGerle in Musica 7 tusch.
Eine Zwischenstellung zwischeuOrgel
und Laute nimmt ein anderes Saiten-
instrument ein, das schon früh mit
einer Klaviatur versehen worden
war. Dasselbe war entstanden aus
dem Monochord , einem einsaitigen
Instrument, auf welchem durch Ver-
schiebung eines Steges die verschie-
denen Töne erzeugt werden konn-
ten. Um sich das Verschieben des
Steges zu ersparen, brachte man mit
der Zeit eine Anzahl Tasten an,
welche beim Niederdrücken die Saite
in bestimmte Längen teilte und zu-
gleich erklingen machte. Später
nahm man statt der einen Saite
mehrere, wodurch das Instrument,
das sogenannte Clavichord, bundfrei
wurde, da die Tasten von nun an
44*
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692
Musik.
nur mehr die Funktion des Erklingen-
raaehens, nicht mehr aber des Ab-
teilen« zu versehen hatten. In dieser
Form nannte man das Clavichord
auch Clavicymbcl , Spinell oder
Virqinal.
Neben diesen Instrumenten besass
das Mittelalter noch eine Grosszahl
anderer, namentlich waren die
Streich- und Blasinstrumente viel
zahlreicher als heutzutage. Aus
der keltischen Crota war die Rota
oder Fidel, Viola (vergleiche den
Artikel Musikinstrumente) entstan-
den, sowohl die Viola di qamba als
die Viola di braeeio. Ünter den
Blasinstrumenten gelangten nament-
lich die Pommern und Schalmeien
zu umfassender Verwendung.
Bisher war die Instrumentalmusik
beinahe ausschliesslich mit der Volks-
musik verbunden gewesen. Je selb-
ständiger jedoch dieselbe wurde,
umsomehr musste sie sich von der
Volksmusik lostrennen und einen
eigenen Stil ausbilden, den In*tru-
mental&tU, der sich vom Vokalstil
der Hauptsache nach durch grössere
rhythmische Bestimmtheit — ange-
regt durch den Tanz, zu dessen
Begleitung die Instrumente geeigne-
ter schienen, als die menschliche
Stimme, — sowie durch grössere
Beweglichkeit, durch Zerlegen des
langgehaltencn Gesan^tones in klei-
nere Wertteile auszeichnete. Von
grösster Wichtigkeit nicht nur für
die Instrumentalmusik, sondern für
die gesamte Kunst aber war die
durch eratere geforderte Annahme
einer bestimmten einheitlichen Ton-
höhe und dieEinführung der sogenann-
ten yleichsch webenden Temperatur.
Schon Zarlino hatte die Tempe-
ratur in die Musik eingeführt und
war zu einer Scala gekommen, deren
einzelne Töne folgende Schwingungs-
zahlen aufweisen.-
cdefgaäc
1 8/ 4/ 3/ ff 3/ 8/ O
1 /• Ii 14 13 Ii [tl 6J
wobei c—d und/— a zu einander im
Verhältnis von b : 9; d—c und a—h
aber in dem von 9 : 10 stehen. Der
Tonschritt e — d und / — g ist also
kleiner als derjenige von d—e und
a—h. Dies musste aber ausserordent-
lich störend wirken, als die chroma-
tische Tonleiter und die feststehende
Stimmung eingeführt wurde und die
verschiedenen Instrumente ineinan-
der musizierten. Da konnte die
mathematische Reinheit nicht mehr
aufrecht erhalten werden, sondern
die Ungleichheiten mussten unter
die 12 Halbtonschritte der chroma-
tischen Skala gleichmässig verteilt
werden. Dieses nannte mau die
gleichsch wobende Temperatur.
Ein Orchester aus dieser Zeit
war noch etwas äusserst bunt Zu-
sammengewürfeltes. Es galt ja
vorderhand nur, die Singstimmen zu
ersetzen oder zu unterstützen, nicht
aber besondere Klangwirkungen zu
erzielen. Man stellte die Instru-
mente deshalb zusammen, wie sie
gerade zu haben waren, weshalb
die Komponisten auf ihre Tonsrücke
ziemlich regelmässig die Bemerkung
machten: „auff allcrley Instrument
zu gebrauchen." Indessen beginnt
doch schon in Prätorius das Gefühl
nach verschiedenen Klangwirkungen
sich zu zeigen, er spricht bereits
von verschiedenen Seiten des Stirn m-
werks. Einen besonderen Reiz sollte
die Instrumentation durch das so-
genannte Kolorieren und Diminuieren
erhalten, das aus dem Stegreif ge-
übt wurde und etwas mit der Kunst
des Diskantiercns gemein hatte.
Namentlich zeigte sich dieser Orna-
mentalstil in der sogenannten Toc-
cata, wo anstatt der Melodie laufende
und gebrochene Figuren eingeführt
sind. Ihre künstlerische Gestalt
verdankt sie dem venetiancr Orga-
nisten Claudio Aferula, die volle
Ausbildung aber wurde ihr durch
Frencobatdi zu Teil, dessen Toccaten
alle musikalischen Errungenschaften
seiner Zeit in sich vereinigen : die
Fuge, die freie Imitation, glanzvolles
Passageuwerk und mächtig
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Musik .
693
mendc Akkordfolgen. In einer
zweiten Kunstform, der sogenannten
Xanzone, kam das gesangreiche Spiel
mehr zur Anwendung, und in der
yiSymphonie" und dem „Ritornell"
begegnen wir bereits ganz selbstän-
digen Orchestersätzen, welche ent-
weder Vokalsätze einleiten oder Er-
holungspausen der Sänger ausfällen.
In Italien war zudem die Sonate
eine beliebte Instrumentalform
geworden. Ihr Name bedeutet
ursprünglich nichts als Instru-
mentalstück und scheint densel-
ben Zwecken gedient zu haben,
wie die Symphonie. Eingehende
Pflege fand auch im 17. Jahrhundert
die Tanzweise. Schon die Stadt-
t>feifer hatten die Gewohnheit ge-
iaht, eine Anzahl von Tanzweisen,
zu einem Cyklus vereint, ohne den
dazu gehörigen Tanz vorzutragen.
Diese so aneinandergereihten, im
übrigen nur durch Gemeinsam-
keit der Tonart zusammengehöri-
gen Tanzstücke, nannte man an-
fangs Partie (partita). Später wur-
den sie als Suite eine der belieb-
testen Instruraentalformcn.
Besonders einflussreich auf die
Weiterentwicklung der Instrumen-
talmusik sollte eine Kunstgattung
werden, welche im Lauf der Zeit
aus Verbindung von weltlicher und
kirchlicher Musik sich gebildet hatte:
9. Die Oper und das Oratorium.
Schon im 12. und 13. Jahrhundert
hatten die sogenannten geistlichen
Schauspiele immer mehr Ausbreitung
erlangt. Dieselben bestanden aus
Darstellungen biblischer Stoffe in
der Kirche und waren vorerst mit
der Liturgie aufs engste verbunden.
Der Gesang war teils wirklich ritu-
aler Kirchen^esang, teils wurden die
nach dem Bibelworte zusammenge-
stellten oder auch frei erfundenen
Gesänge nach eigenen Melodien vor-
getragen. Der freie derbe Humor
jener Zeiten verlangte aber zugleich
Einmischung komischer Episoden :
wie wenn der Salbenkrämer den
zum Grabe eilenden Frauen seine
Ware unter allerlei Scherzen anbietet.
Damit hatten jedoch die geistlichen
Schauspiele ihre höhere Weihe gänz-
lich verloren und wurden deshalb
mit Recht aus der Kirche verbannt.
Allein das Volk, das einmal grossen
Gefallen an diesen Spielen fand,
Hess sieh dieselben nicht nehmen,
sondern führte sie auf freien Plätzen
oder im besondern „Spilhus14 auf.
Vgl. den Art. Drama.
Einen wohlthätigen Einfluss
übte auf die Entwicklung des
Schauspiels der erwachende Geist
der Renaissance aus. Man ver-
suchte es, die altgricchischen Ko-
mödien nachzubilden und bracht e
dadurch wieder mehr Ernst in die
Sache. Auch dazu ging der An-
stoss von Italien aus. Das dram-
ma in musiea oder die Tragedia
per musiea fand dort namentlich in
Pen einen eifrigen Vertreter und
Beförderer. Wir haben schon ge-
sehen, wie der Sänger Caccini den
Einzelgesang oder die Monodie wieder
einzuführen bestrebt war. Den
weiteren entscheidenderen Schritt
that nun Peri in seiner ersten Oper:
„Dafne", indem er einen völlig neuen
Musikstil einführte, welcher die
Mitte hielt zwischen Gesang und
ausdrucksvoller Rede, den soge-
nannten Stile recitativo, der noch
heute in unsern Opera gebraucht
wird. Peri gewann sich dadurch
die ungeteilte Zustimmung der Hörer.
Man glaubte, die dramatische Musik
der alten Griechen wieder aufge-
funden zu haben. Allerdings war
jetzt das Material zur Rekonstruie-
rung des antiken Musikdramas wieder
beieinander: der Chor zum Aus-
druck der Stimmung der Gesamt-
heit, der melodische Gesang (die
Arie) zur Schilderung der Gefühle
des Darstellers und das Recitativ
für den Dialog und diejenigen Em-
pfindungen, welche nur vorüber-
gehend anzudeuten waren. Durch
seinen Erfolg ermutigt, schuf Petri
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694
Musik
bald darauf das Musikdrama „Euri-
dice", ein Werk, welches berufen
war, einen Markstein in der Ge-
schiente der Musik zu bilden; denn
mit demselben tritt diejenige Kunst-
gattung ins Leben, die von nun an
ununterbrochen die musikalische
Welt beschäftigen sollte: die moderne
Oper.
Die Instrumentalbegleitung war
hierbei noch äusserst dürftig und
beschränkte sich auf einfache Be-
gleitung des Gesanges. Den ersten
Schritt, auch die Instrumentalmusik
in der Oper zur Charakteristik der
verschiedenen Stimmungen verwandt
zu haben, that Monteverde, der die
Individualität der einzelnen Instru-
mente und ihre verschiedenen Klang-
farben erkannt hatte.
Bedeutenden EinHuss auf die
Weiterentwicklung der dramatischen
Musik übte Giaeomo Carissimi aus,
der zwar keine Opern schrieb, aber
den wichtigsten Anteil an der Aus-
bildung einer der Oper .ähnlichen
Kunstgattung, dem Oratorium hat.
Als Begründer desselben erscheint
der römische Priester Filippo Serif
der auf den Gedanken kam, seine
Erklärungen der heiligen Schrift
mit geistlichen Chorgesängen zu ver-
binden, welche dieselben gleichsam
illustrierten. Zu wirklich selbstän-
diger Bedeutung aber gelaugte das
Oratorium erst durch Ludarico Via-
dana, der mit seinen Coneerti da
ehiexa die von Caccini neuerfundene
Monodie zuerst wieder in der Kirchen-
musik heimisch machte und durch
Einführung eines selbständigen obli-
gaten Instrumentalbasses, des Hots»
continuo, eine durch das ganze. Stück
ohne Pause sich hindurchziehende
Grundstimmc schuf. Das wirklich
dramatische Element, die Umge-
staltung der einfach liedartigen Kan-
tate zu einer Art dramatischen Scenc
mitRecitativ, Ariosen undEnsemble-
einsätzen i freilieh ohne sichtbar dar-
gestellte Handlung) führte erst Ca-
in «las Oratorium ein und
schuf dadurch die sogenannte A am-
mrrkantate, bei welcher die Auf-
merksamkeit des Zuhörers weder
durch äussere Darstellung, wie in
der Oper, noch durch religiöse Cere-
monien, wie in der Kirchenmusik
mit in Anspruch genommen wird
und sich also durchaus auf das Ton-
werk konzentriert. In dieser stren-
gen Schule bildete sich Slarfatti.
der dadurch die Fähigkeit erlangte,
auf jedem Spezialgebiet mit Erfolg
zu wirken. Seine Fruchtbarkeit war
ein«! unglaubliche. Er dichtete 114
Opern und 200 Messen, daneben
eine Menge Kantaten. Skarlatti
führte die italienische Oper zu ihrem
Glanzpunkte, wenn er auch dem
sich steigernden Bedürfnis nach
sinnlichem Reize die antike Einfach-
heit derselben opfert.
Mit grossem Eifer wandten sich der
d rama t isch en For m n un auc h<lie deut-
schen Meister zu. Schon längst hatte in
Deutschland wie iu Italien das geist-
liche Schauspiel bestanden, aus dem
sich mit der Zeit das weltliche Spiel
entwickelt hatte. Die Thätigkeit
»ler schlesisehcn Dichterschule gab
der ganzen Sache einen anderen
Verlauf, indem jetzt ebenfalls
versucht wurde, nach klassi-
schen Mustern der ganzen Richtung
einen bestimmten Weg vorzuzeieb-
nen. Der alte deutsche Schwank
wurde zum Sinfj.tjae/e , in welchem
das deutsche Lied eine nicht un-
wichtige Rolle spielte. Die Ein-
führung der eigentlichen Oper aber
veranlasste Peri's Daphne, welche
Martin Opitz, der Begründer der
schlesisehcn Dichterschule, im Auf-
trag des Kurfürsten Johann Georg I.
von Sachsen in's Deutsche über-
setzte und wozu der Dresdener
Hofkajiellmeister Heinrich
die Musik dichtete, die
dem italienischen Stile auf das
Engste anschloss. Indessen ver-
mocht!» die Oper in Deutschland
vorderhand doch nicht recht auf-
zukommen , der 30jährige
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Musik.
695
lähmte alle Kunst in ihrem Fort-
schreiten. Einzig in Hamburg kam
sie zu einer gewissen Blüte, in
dem ihr besoiulers zwei Doktoren
der Medizin: Francke und Frötscb
ihr musikalisches Talent widme
ten. Zu grösserer Bedeutung, ge-
langten diese Versuche erst mit
Sigismund Kusser, der nicht nur
ein gründlicher Kenner italienischer,
sondern auch französischer Musik
war. Namentlich hatte Lully, der
Begründer der französischen Oper,
auf ihn eingewirkt. In Frankreich
hatte die Oper ganz denselben Weg
genommen,wiein Italien undDeutsch-
land. Von dem schon genannten
Adam delaHale kennt man die ältesten
Liederspiele, kleine artige Lieder-
stücke. Entschiedenen Einfluss hatte
aber auch in Frankreich die italie-
nische Oper, welche durch italienische
Sänger nach Paris gebracht und
dort mit grossem Beifall aufge-
nommen ward. Das regte die in-
ländischen Poeten und Tonsetzer zu
eigener Thätigkeit an; namentlich
waren es Perrin und Cambert,
welche mit ihrer Oper Pornone all-
gemeinen Beifall ernteten. Allein
eine wirkliche nationale Gestalt er-
hielt die französische Oper erst durch
Lully, dessen Oper zwar als musi-
kalisches Kunstwerk hinter denen
der Italiener zurücksteht (bei ihm
liegt der Schwerpunkt in der musi-
kalischen Deklamation und Rhetorik),
aber in der geschickten Anwendung
der äusseren theatralischen Mittel
eine genaue Kenntnis der Bühne ver-
rät. Durch Lullv fand auch die
Instrumentalmusik selbständige Ver-
wendung, indem er die Ouvertüre, die
Vor- und Nachspiele einführte. Nur
Ein Komponist vermochte es, sich
neben Lully Geltung zu verschaffen,
Jean l'hilijtp Rameau, der theore-
tische Begründer unseres modernen
Musiksystems. Schon Jahrhunderte
früher waren die sogenannte
ionische und acolische (die mit c
und a beginnende) Kirchentouart
im Volksgesange fast ausschliesslich
zur Anwendung gekommen. Sie
gelangten zur Un iversalherrschaft,
als man anfing, nach Einführung
der gleichschwebenden Temperatur,
alle 12 Halbtöne der Oktave als
Grundtöne ebensovieler Transposi-
tionen der Dur (ionischen) und der
Moll (äolischen) Skala zu gebrauchen
und damit die der modernen Kom-
position hinderlichen Schranken der
alten Tonarten durchbrach.
Mit grosser Sorgfalt und ein-
gehendem Fleisse war namentlich
in Deutschland die kirchliche Form
des Oratoriums gepflegt worden.
Bereits um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts scheint es Ehrensache für
jeden Kontrapunktisten gewesen zu
sein, die Passion in Musik zu setzen.
Schon Orlandus Lassus hatte in
seinen Busspsalmen den ersten An-
stoss zur Pflege dieser Kunstgattung
gegeben. Namentlich aber ist es
1 lein rieh Schütz, der als Schüler
Gabrielis die in Italien empfangene
Anregung benützte, um seine deutsche
Tiefe uud Kernhaftigkeit in vollem
Umfange zur Geltung zu bringen.
Zugleich aber schuf er eine neue
Form des Oratoriums. Bisher hatte
sich darin alles nur chorweise be-
wegt, jetzt versuchte er es, die han-
delnden Personen selbständig aus
dem Chor als Solopartien hervor-
treten zu lassen und komponierte ein ,
zwei- und mehrstimmige Sätze, je nach
Anzahl der sprechenden Personen.
An der Erweiterung des Oratoriums
wirkten neben Schütz: H. Schein,
Rosenmüller u. a. in.
So waren mit der Neige des 17.
Jahrhunderts die letzten Vorbedin-
gungen erfüllt, um alle Musikformen
in höchster Vollendung erstehen zu
sehen. Namentlich deutsche Meister
sind es, welche die Aufgabe des
18. Jahrhunderts zu lösen begannen:
die Kunst über die nationalen Be-
dürfnisse emporzuheben und Kunst-
werke im höchsten Sinne des Wortes
zu schaffen.
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Musik.
10. Das 18. Jahrhundert. Ham-
burg wurde bereits als der Ort ge-
nannt, wo die bedeutendem Opern
des In- und Auslandes zur Aufführung
gelangten, und zwar war es dort neben
Kusser namentlich Reinhard Keiner,
welcher auf Entwicklung der deut-
schen Oper wesentlichen Einfluss
ausübte. Indessen hinderte der
szenische Pomn, mit welchem man
die Gesangsaramen auszustatten
suchte, die reichere musikalische
Ausbildung. Ging man auch in
Hamburg nicht so weit, wie an
einzelnen Höfen Deutschlands
und Italiens oder in Paris, so
Hess man es doch in musikalischer
Hinsicht an der notwendigen Sorg-
falt fehlen und weder Matheton
noch Telemann, die Nachfolger
Heisere, vermochten diesem Fehler
gründlich abzuhelfen. Die deutsche
Oper musste neuerdings der ita-
lienischen weichen, welche im
übrigen Deutschland viel eifriger
gepflegt wurde, namentlich in der
veredelten Form, die ihr Aga-
sfino SleJJani, der Vorgänger Han-
dels an der Oper zu Hannover, da-
durch gegeben, dass er mit ihr den |
etwas verfeinert deklamierenden Stil
der französischen Oper zu ver-
schmelzen suchte. Grossen Erfolg
errang auch in Deutschland die
nur auf virtuose Gesangskunst
basierte Oner der Neapolitanischen
Schule, uie durch Allessandro
Scar/atti begründet und dann durch
Leonardo Leo. Leonardo Vinci.
Cimarosa, Jomelli etc. weitergebildet
worden war. Besondere durch die
letzterwähnten fand sie auch in
Deutschland Verbreitung. Unter
den deutschen Opern -Komponisten
aber, die sich der Pflege derselben
widmeten, sind besondere Hasse,
Graun und Naumann zu nennen.
So war in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts die italienische
Oper die völlig herrschende in
Deutschland. Auch in Frankreich
erstand der durch Lully gegrün-
deten grossen Oper 1752 durch
die Ankunft einer italienischen
Operntruppc eine bedeutende Kon-
kurrenz.
Das musikalische Paris teilte sich
alsbald in zwei Parteien, die unter
dem Namen Buffonisten oder Anti-
buffonisten entweder auf Seiten der
italienischen oder der nationalen
Oper standen. In dem hartnäckigen
Kampfe zogen schliesslich die Ita-
liener den kürzeren, wenn auch, an-
geregt durch die opera twjja, die
opera comique, welche namentlich
in Gr6try einen praktischen, in
Rousseau einen theoretischen Ver-
treter fand, enstauden war. Zum
Abschluss gelangen sollte der Kampf
erst durch das Erscheinen eines der
grösstenMännerderMusikgesehichte,
eines Deutschen, durch: Christof
Willibald von Gluck, der nicht nur
Frankreich, sondern auch Deutsch-
land zu einem mustergültigen
Opemstil verhalf. Dieser war
nur dadurch zu finden, dass der
weitschweifige Mechanismus der
durch Scarlatti gegründeten italie-
nischen Oper zusammengerückt, zu
einem lebendigen Organismus be-
seelt und zugleich mit der grossem
Schlagfertigkeit der Daretellungs-
mittel der französischen Oper aus-
gestattet wurde. Durch jahrelange
unausgesetzte Thätigkeit hatte sich
Gluck den italienischen Stil zu
höchster Kunstfertigkeit angeeignet
und sich mit demjenigen der französi-
schen Oper in gleicherweise vertraut
gemacht. Durchschlagenden Erfolg
sollte Gluck mit seiner Oper: Alccste
erringen, allein erst mit seiner
Iphigenie gewann er den neuen
Standpunkt vollständig. Hier hat
er den ganzen Apparat der italie-
nischen und französischen Oper
von allem Unwesentlichen entkleidet
und beide damit zu lebendigem Or-
ganismus erhoben. Die charakteri-
stischen Intervallenschritte, welche
die Recitation der französischen
Oper seit Lully auszeichnen, erhob
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Musik.
697
er zu bedeutsamen Wort- und Uo-
fühlsaccenten, und indem er dieselben
zugleich auch der melodienreichcn
italienischen Arie einverleibte, ge-
langte diese zu einer Innigkeit der
Empfindung, die ausschliesslich das
Interesse dein dramatischen Verlauf
zuwendet Dadurch wurde die
treffendste Charakteristik der han-
delnden Personen ermöglicht und
die Handlung entwickelte sich dra-
matisch belebter und wahrer. Zu-
gleich eignet der Meister auch dem
Chor, der durch die Italiener ver
nachlässigt worden war, diese neuen
Mittel an, wodurch auch dieser dra-
matisch bedeutsam wird.
Während so Gluck den ganzen
Apparat der Oper jener Zeit ver-
engte, um ihn recht dramatisch zu
festalten, erweitert ihn jener andere
feister — Händel — der gleichfalls
die eine Hälfte seines Leben der
italienischen Oper gewidmet hatte,
ins Gewaltige und Grossartigc, um
den Ausbau der Form des Oratoriums
auszufuhren. Handel giebt keins
der Mittel der italienischen Oper auf.
Die breiten Formen derselben er-
weitert er noch und trägt sie na-
mentlich auch auf den Chor über;
und indem er sie dann mit seinem
gewaltigen, mit den Wunderthaten
der heiligen Schrift erfüllten Geiste
belebt und durch die Meisterschaft
seines Kontrapunktes neu gestaltet,
gewinnt er die rechte Gestalt für
oratorische Darstellungsweise, die
ohne äusseren Theaterapparat die
ganze heilige Geschichte vor Augen
zu führen oestimmt ist.
Während Händel und Gluck den
Gestaltungsprozess der neuen Musik-
Kraxisdes 1 8. Jahrhunderts jeder nach
esonderer Richtung zu Ende führten,
erfasste ihn ein drittergrosser Meister
dieser Zeit, Sebastian liaeh, in seiner
Gesamtheit, um ihn zum Abschluss
zu bringen und zugleich die Keime
zu neuer grossartiger Entwickelung
zu legen. Bach machte den geist-
lichen Volksgesang, den Choral, zum
Mittelpunkt seiner künstlerischen
Wirksamkeit, und indem er den-
selben in den kunstvollen Formen
des doppelten und mehrfachen Kon-
trapunktes verwendet, führt er den
Gestaltungsprozess, der durch die
Niederländer angeregt worden war,
zu Ende.
Um sein ganzes reich erfülltes
Innere aber austönen zu lassen, be-
durfte Bach auch der Instrumcutal-
stimmen, welche nunmehr allmählich
ebenso wie die Singstimme zu aus-
drucksvollen Trägern seiner Ideen
wurden. Dadurch gelangte er zu
jenem Kantatenstil, bei welchem
Vokal- und Orchesterstimmen sich
gegenseitig ablösen und sich in
einem künstlich ineinander gefloch-
tenen Gewebe ergänzen. Zu wahr-
haft dramatischer Form gestalteten
sich namentlich seine Passionen,
in denen sich, besonders in der
Matthäus- Fassion, sein ganzes künst-
lerisches Vermögen zeigt: kunst-
gemässc Behandlung des protestan-
tischen Chorals, unumschränkte Herr-
schaft über den fugierten Stil und
endlich vollständige Kenntnis der
Orchesterinstrumente. — In Bach
vollendet sich die Kunst als christ-
liche und tritt zugleich als weltliche,
als selbständige Instrumentalmusik,
in bisher nicht gekannter Bedeutung
hervor. Namentlich gründete Bach
den sogenannten Klavierstiel aus,
insbesondere durch sein epoche-
machendes Werk: Das wohltem-
perierte Klavier, eine grosse Fugen-
sammlung. Noch wunderbarer er-
weist sich Bach 's geniale Kraft in
den Orgelstücken. Wie in den
Klavierstücken das weltliche Volks-
lied, so bildet in manchen Werken
für die Orgel das geistliche meist
die Grundlage. Mit Sebastian Bach
war jene Bewegung, welche seit der
Reformation die Entwickelung der
Tonkunst bestimmt hatte, die Ein-
führung des Volksliedes in die Kunst-
musik, bis in ihre äussersten Kon-
sequenzen erschöpft. Zugleich
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Musikinstrumente
hatte er den Keim zu neuer herr-
licher Entfaltung gelegt, indem er
die Tonkunst in eugere Beziehung
zum Individuum und zum Leben
überhaupt gesetzt hatte. Wie die
folgenden Meister diese Aufgabe
gelöst, fallt ausser den Rahmen
dieses Artikels. (Nach Rei**mann,
Gesch. der Musik. Ambro*, Gesch.
der Musik.) A. H.
'Musikinstrumente: Die Zahl
der Musikinstrumente, über welche
das Mittelalter verfugte, ist eine
überaus grosse. Es wimmelt in den
musikalischen Werken des Mittel-
alters von allen möglichen Namen.
Gar viele gehören wohl demselben
Instrument an, welches bei oft ge-
ringfügiger Formveriinderung auch
andere Benennung erhielt. Für
viele Instrumente fehlen uns be-
stimmte und zutreffende Nachrichten
und auch die vorhandenen sind oft
unvollständig und unklar. Die
Musiker waren in seltenen Fällen
auch Schriftsteller, und sofern sie
es doch waren, befassten sie sich
in der Hauptsache fast ausschliess-
lich mit dem Tonsatze und seiner
Technik und nur nebenher erlangen
wir Aufsehluss über das eine oder
andere namhaftgemachte Instrument.
Für die ersten Zeiten der christ-
lichen Musik geben die Miniaturen
noch den besten Aufsehluss über
Musikinstrumente. Ein umfassende-
res Werk über dieselben haben wir
erst in dem, Ende des 15. Jahrhun-
derts von dem Oberkapellmeister
König Ferdinands, Namens 7\nc-
tori*, bearbeiteten Lexikon. Mehr
Ausbeute gewährt uns die „Mu-
rica getuscht" von dem Basler
Organisten Seh. Virduna, der in der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
lebte und seiner Beschreibung der
Musikinstrumentederen Abbildungen
in Holzschnitt beifügte. Gegen
Ende des 15. Jahrhunderts erschien
von Martin Agricola, Kantor in
Magdeburg, ein ähnliches Werk mit
vielen Zeichnungen, ihm schliesst
sich Anfangs des 16. Jahrhunderts
Michael Prätori u* und gegen Ende
desselben Johann Mathrson In
liild und Wort an. Trotz dieser
Quellen bleibt die Bedeutung vieler
Namen dunkel und unklar, wes-
halb im folgenden nur die aller-
gebräuchlic listen Instrumente auf-
gezäldt werden sollen. Näheres ist
aus dem „Musikalischeu Konver-
sationslexikon" von Mendel u. Rri**-
mann zu erfahren.
Die Instrumente pflegt man ge-
wöhnlich in Saiten-, Blas- und Lärrn-
instrumente einzuteilen. Zu den
ersten gehören diejenigen, bei wel-
chen eine Darm- oder Metallsaite
durch Schlagen, Streichen oder
Bensen zum Tönen gebracht wird.
Zu den zweiten alle icne, bei wel-
chen die in einer Röhre enthaltene
Luftsäule, welche durch einen von
aussen eindringenden Luftstrahl in
Vibration, gesetzt wird, der eigent-
lich tönende Körper ist. Die dritte
Gattung wird gebildet durch jene
Instrumente, welche sich auf eine
I blosse Verstärkung und schärfere
Markirung der Rhythmen beschrän-
| ken, also nicht Töne, sondern nur
| ein „Geräusch" von sich geben.
A) Saiteninstrumente (in alphabe-
tischer Ordnung.)
1. Cythara teutonira Ist aus der
Harfe entstanden und besteht aus
fünf bis sieben Saiten, welche über
ein, unserem Geigenkörper in der
Form ahnliches, gewölbtes Brett ge-
spannt sind. Die einzelnen Saiten
werden durch einen Saitenhalter mit
dem Rahmbrett verbunden. Sie
kommt besonders seit den Kreuz-
züjxen vor und verdankt ihre Form
wahrscheinlich der arabischen drei-
saitigen Rebec, Ribible oder Re-
berbe.
2. Fidel oder Videl wurde im
Mittelalter die aus der Rotta ent-
standene Geige genannt. Das Wort
Fidel, mhd. rideh; ridel, soll von
lat. ritulare = springen wie ein
Kalb, herkommen und also ein
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Musikinstrumente.
699
Saiteninstrument zu Sprung und
Tanz l>edeuteu und hat sieh in un-
serer Violine erhalten. Die Fidel
war ein ungemein beliebtes In-
strument. Ursprünglich (zehntes
Jahrhundert) nur einsaitig, ent-
wickelt sie sich rasch zur drei-
saitigen kleinen Geige, auch pol-
nische Geige genannt, deren es vier
Arten gab: Diskant-, Alt-, Tenor-
und Hassgeig«'. Unterschieden war
die kleine Geige von der sogenann-
ten grossen, deren es ebenfalls vier
Arten gab, dadurch, dass letztere
mehr Saiten, bis zu neun, besass
und Bünde zeigte, wie die Laute.
Die Geigen des Mittelalters be-
sitzen keinen Steg und die Saiten
liegen sämtlich in einer Ebene.
Zugleich hat der Geigenkörper eine
mehr mandolinenmiissige Form. Man
war deshalb gezwungen, auf allen
drei Saiten zugleich zu spielen ; auf
der höchsten die Melodie, auf den
anderen die akkordische Ergänzung
(Grundton und Quinte). Erst der
Anfang des sechszehnten Jahrhun-
derts brachte den Geigen die ge-
wölbte Decke und den Steg, wo-
durch der selbständige Gebrauch
jeder einzelneu Saite ermöglicht I
wurde. Dies war das Verdienst 1
von Gaspard Duiffopruggar, der in j
Bologna geboren ward und der f
Geige die Gestalt gab, die sie im |
wesentlichen heute noch hat. In
Italien nannte man die Geigen Vio-
len und unterschied zwischen Viola
da (jamha (Kniegeigen, heute: Vio-
loncello) und Viola da hrarcio (Arm-
geigen). Jede dieser Gattungen
hatte wieder verschiedene Arten,
je nach der Grösse und dem Um-
fange. Zur Vollendung sollte die
Technik der Geige erst durch An-
tonio Amati (15<K)-1619), den be-
rühmten Cremonescrgeigenbauer,
gelangen.
3. Hachhrelt. Dasselbe wurde
schon im neunten Jahrhundert geübt.
Der Klangkörper ist ein, mehrere
Fuss breiter und langer Kasten, der
je nach der Saitcnläuge sich ver-
kürzt. Häufig findet man ihn
später in eleganterer Form mit
gewölbtem Resonanzboden. Auf
dem letzteren, welcher mit zwei
Schalllöchern versehen ist, sind die
Saiten gezogen und zwar Metall-
saiten, welche durch Wirbel ge-
stimmt und mit hölzernem Klöppel
angeschlagen werden. Der Ton ist
scharf und durchdringend, weshalb
das Instrument namentlich bei länd-
lichen Tänzen verwendet wurde.
Anfangs hatte es nur einen be-
schränkten Umfang von vier oder
fünf Tonen und war nur einehörig,
d. h. für jeden Ton war nur eine
Saite vorhanden; später erreichte
es einen Umfang von vier Oktaven
in dreichörigem Bezüge. Künst-
lerisch bedeutsam wurde es nur in-
sofern, als es einen Theil seiner
Mechanik dem Klavichord lieh.
4. Die Harfe, ahd. harafa, mhd.
harpfe, dunkler Herkunft, ist un-
streitig das älteste Instrument.
Über die Form, welche die Harfe
in der frühesten Zeit ihrer Ver-
wendung beim Gesaug hatte, sind
wir zwar nicht unterrichtet, doch
darf man annehmen, dass sie der
einfachen Spitzharfe glich, einem
dreieckigen hölzernen Kähmen mit
mier aufgespannten Saiten. Sie
durfte nur von massiger Grösse
und leicht tragbar sein , sodass
sie der Spieler ohne Anstren-
gung im Arm halten und auch an
einen andern weiter geben konnte,
denn bei den Gastmahlen wurden
Rundgesange ausgeführt. In der
Regel wurde die Harfe mit den
Fingern geschlagen oder gerissen,
seltener wohl mit einem Plcktrum.
Bei Begleitung von Massencesängen
scheint eine mehrchörige Harfe in
Anwendung gewesen zu sein. Die
Saiten sind unten mittelst Sai-
tenhaltern befestigt, nicht wie bei
der Spitzharfe im Kähmen.
5. Klavichord. Dasselbe entstand
aus Verbindung des Hackbrette und
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Musikinstrumente.
des Monochords. In einem Kasten,
der wie beim Hackbrett die Form
eines Rechtecks hatte, befindet sich
der Stiftstock und der Wirbelstock,
jener mit feststehenden Stiften, an
welche die Saiten aus Messingdraht
angehängt waren, dieser mit Wir-
beln, vermittelst welcher die Saiten
gestimmt wurden. An Stelle der
Klöppel, mit denen die Saiten beim
Hackbrett erklingen gemacht wur-
den, traten Metallzungen, die am
Ende eines Hebelanns, in wel-
chen jede niederzudrückende Taste
{Claves) ausgeht, aufrechtsteheud
angebracht waren, sodass sie die
betreffende Saite ansehlugen und
dadurch ertönen machten. Anfangs
waren nicht so viel Saiten vorhan-
den als Töne, und die Tasten hatten
zugleich den Zweck die Saiten ab-
zuteilen. Allein musstc das äusserst
störend sein und man kam denn
auch bald dazu, für jeden Ton eine
eigne Saite aufzuziehen.
Das Instrument beschränkte sich
noch zu Prätorius Zeit auf 20 Töne,
„alfene in genere diatonieo gemacht,
darunter nur zwecne schwartze Cla-
ves, das ? und t} gewesen." Später
nahm die Zahl der Claves immer
mehr zu, und schon Virdung kennt
„neuwer Clavieordia mit 4 Okta-
ven." Gewöhnlich war in späterer
Zeit die Besaitung dreichörig, d. h.
jede Saite war drei Mal vorhanden,
dabei waren auch etliche Chöre, die
„gar kein Schlüssel4« (Taste) an-
rührte, die nur da waren, die Re-
sonanz zu verstärken. Die untern
Chöre waren mit Messing-, die
oberen mit Stahlsaiten bezogen.
Zwischen den Saiten zog sieh
auch schon, wie Virdung berich-
tet , ein „ Zötlcin von Wellen-
tuch" hin, um das Nachtönen zu
verhindern. Schon im Anfange des
soehszehnten Jahrhunderts ver-
wandte man auf die Ausschmück-
ung dieses Instruments bedeutende
Sorgfalt.
6. Klarieymhalum unterscheidet
sich vom Klavichord dadurch, dass
bei ihm. statt der Metallzungen, auf
die Stäbchen stehende Rabenkiele
an dem Ende des Hebelarmes der
Taste angebracht waren, durch
welche die Saiten in ähnlicher
Weise erklingen gemacht wurden,
wie die Saiten der Streichinstru-
mente beim Pizzicato.
Auf gleiche Weise war das
Klaviryferum konstruiert, nur dass
statt der metallenen, Darmsaiten
angewendet wurden. Saiten und
Resonanzboden standen aufrecht
und das Instrument hatte nach
Prätorius „eine Resonanz fast der
Zithern oder Harffen gleich." Das
Bedürfnis, einen stärkeren Ton zu
gewinnen, führte dazu, das Klavi-
cymbalum , auch Gravecymbalum
genannt, sogar vierchörig zu be-
ziehen. Nach Prätorius war es ein
„länglicht Instrument und wurde
von etlichen ein Flügel, weil es fast
also formieret, ist, genannt: Von
etlichen sed male ein Schweinskopff,
weil es so spitzig, wie ein wilder
Schweiuskopt fornen an zugehet"
Er bezeichnet es ferner als ein In-
strument „von starkem, hellem fast
lieblichen Resonantz und Laut, mehr
als die andern, wegen der doppel-
ten, dreifachen, ja auch wohl vier-
fächtichen Saitten." Aus dem Kla-
vicymbalum, das anfänglich auch
nur aus 20 Tönen bestand, entstand
das Klavieymbalum universale seu
perfeefum. Immer aufs neue wareu
nämlich Versuche gemacht worden,
auch auf den Tasteninstumeuteii
die Enharmonik darzustellen, dt*
und et, cm und des u. s. w. zu un-
terscheiden. So erzählt Prätorius
von einem derartigen Instrument,
welches „hi vier Oktaven von C
bis r in alles 77 Claves gehabt
hat."
7. Klaviorganum. Dasselbe hatte
neben den Saiten noch einige Re-
gister Orgelpfeifen, welchen durch
die hinten angebrachten Blasebälge
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Musikinstrumente.
701
Luft zugeführt wurde. Im übrigen
entsprach es ganz dem Klavicymbel.
8 Geigenklavier. Bei demselben
sind die Stöckchen, durch deren
Anschlagen an die Saiten beim Kla-
vichord der Ton erzeugt wird, durch
kleine, mit Pergament überzogene
und mit Kolophonium überstricuene
Räderchen ersetzt, welche wiederum
durch ein grosses Rad und unter-
schiedene Rollen, unter dem Saug-
boden liegend, im vollen Schwünge
gehend, erhalten werden. „Wenn
nun," berichtet Prätorius, „ein Cla-
ves fornen niedergedrückt wird, so
rühret dieselbige Saite an der umb-
laufenden Räder eines und giebt
den Resouautz von sich gleich als
wenn mit einem Bogen drüber ge-
zogen würde." Prätorius erzählt
zugleich, dass das Instrument von
Hans Heyden in Nürnberg erfunden
worden sei, zur besseren Nach-
ahmung der Singstimmen, und um
den Ton zu halten. Die neuern
Versuche dieser Art sind unter den
Namen Klaviergamba, Bogenklavier
iL s. w. bekannt.
\). Ixtu/e, mhd. laufe und lüfe,
aber erst im fünfzehnten Jahrhun-
dert geläufig; das Wort kommt mit
dem Instrument aus Frankreich,
wo es französisch luth. altfranzösisch
leül, provenz. laut, ahnt, italienisch
fiüfo, leiifo, liüdo, lautet, Namen,
welche aus spanisch latid, portugie-
sisch alaude stammen, die ihrer-
seits wieder ihren Stamm in ara-
bisch (mit dem Artikel al) al'üd,
alaüd finden = Aloeholz, gekrümm-
tes Holz, Laute. Mit Laut und
Lied hat also das Wort nichts zu
thun. Sie machte im sechszchnten
Jahrhundert allen andern Saiten-
instrumenten den Rang streitig.
Schon im vierzehnten und fünf-
zehnten Jahrhundert war sie als
fünfsaitiges mandolinenartiges In-
strument beliebt Der sogenannte
l>autenkörper — „Bauch" — oder
auch Corpus genannt, Ist bei weitem
mehr gewölbt, als der der Streich-
instrumente oder unserer Guitarre,
mit dem das Instrument noch die
meiste Ähnlichkeit hat Der Lau-
tenkörper ist augenscheinlich der
Schildkrötenschale oder einem hal-
ben Kürbis nachgebildet, welche
ursprünglich zu diesem Instrument
verwendet wurden.
Virdung giebt in seiner Schrift
eine Abbildung der mittelalterlichen
Lauten. Die Saiten sind unten an
einem Saitenhalter befestigt, oben
in dem sogenannten Kragen, der
zurückgebogen ist Das Griffbrett
ist mit Querleistchen versehen, den
sogenannten „Bünden," vermittelst
welcher die Griffe für die verschie-
denen Töne abgegrenzt wurden,
ähnlich wie beim Monochord. In
der Regel war die Laute des vier-
zehnten Jahrhunderts schon mehr-
chöri«^ bezogen, so dass die Saiten
für den einen Ton in doppelter
Zahl vorhanden waren. Nach Prä-
torius hatte sie im fünfzehnten
Jahrhundert vier und dann fünf
Chöre. Virdung berichtet, dass
etliche Lautenisten auf neun Saiten
in fünf Chören spielen, andere wie-
der auf elf Saiten in sechs oder auf
dreizehn Saiten in sieben Chören, wo-
raus geschlossen werden kann, dass
nur ein Teil der Saiten doppelt
vorhanden war. Die drei tiefsten
Saiten hiessen: Grossbruinmer, Mit-
tclbruminer und Kleinbrummer. Man
gab ihnen gewöhnlich oben die Ok-
tave bei: „weil sye grob und gross
synd, So mag man sye doch nit
so laut oder so stark hören clyngen
als die claynen, oder die hohen,
darum gibt man ihnen Oktaven zu",
sagt Virdung. Der vierte Chor
wird mit zwei Messingsaiten, die
im Einklang gestimmt sind — die
Grosssangsaite — bezogen und
ebenso der fünfte, die Kleinsang-
saite, dann folgt die Quintsaite, die
nur einfach aufgezogen ist Eines
Normaltons bedurfte man in jener
Zeit noch nicht und Agricola lehrt
deshalb ;
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702
Musikinstrumente.
„Zeuch die Quintsait so hoch
du magst; dass sie nicht reisst,
wenn Du sie schlägst/' Die Laut«'
diente ursprünglich nur zur Beglei-
tung des Gesanges. In der Regel
wurden die Saiten mit dem Finger
gezwickt. Erst später wurde die
Laute zu einein selbständigen In-
strument und gelangte namentlich
im achtzehnten Jahrhundert neben
dem Klavier zur Herrschaft.
10. Die Lyra war ein drei- oder
mehrsaitiges Instrument , welches
mit dem I'lectrum geschlagen wurde.
Im übrigen gleicht es vollkommen
der Harte.
11. Das Monochord. Dasselbe
bestand aus einem Resonauzkörper,
über welchem eine Saite gespannt
war, deren klingender Teil ver
möge eines beweglichen Steges ver-
kürzt werden konnte, je nach dem
Verhältnis des zu erzeugenden In-
tervalls. Auf der Decke des Reso-
nanzkastens waren die Stelleu, nach
denen der bewegliche Steg gescho-
ben werden musste, um den be- :
treffenden Ton zu erhalten, genau
angegeben.
Das Monochord fand in den
Klöstern zunächst und zwar schon \
vor Guido von Arezzo, beim Ge- 1
Sangsunterricht Anwendung, um die I
Schüler anzuleiten, die Intervallen- |
Verhältnisse zu unterscheiden und rein
singen zu lernen. Da es sich dann
als notwendig erwies, dem Schüler
die acht Tonstufen jedes Kirchen-
tones deutlicher zu machen und
einzuprägen, kam kurz nach Guido
die sogenannte vierteilige Figur des
Monochords in Gebrauch, bei dem
auf dem obern Brett des Resonanz-
kastens eine vierfache Skala für
die Bewegung des Steges angebracht
war, so dass jede Saite, deren man
entsprechend nur vier aufzog, die
Verhältnisse des zugehörigen Kir-
chentons in authentischer und pla-
galer Führung angab. Auch führte
man schon frühe, ähnlich wie beim
Organistrum, eine Klaviatur ein,
wodurch das Aufstellen und Um-
legen der Stege erspart wurde. Das
Monochord wandelte sich später in
das Klavichord um.
12. Orqanistrum. Dasselbe ist
aus der Rotte entstanden, indem
man statt des Fidelbogens ein Räd-
lein anbrachte, welches die Saiten
strich. Auch hier mag die oberste
Saite melodieführend gewesen sein,
welche, wie aus Abbildungen zu
ersehen ist, durch Tasten (Cla-
ves» in längere und kürzere Teile
abgeteilt werden konnte. Das In-
strument heisst seit dem Ausgang
des zwölften Jahrhunderts auch
Symphonie oder Chifonie, wahr-
scheinlich weil es, in der Art des
Organums Hucbalds, der Mehr-
stimmigkeit diente. Anfangs schei-
nen zwei Personen, die das Instru-
ment auf dem Schosse liegen hatten,
zur Bedienung desselben nötig ge-
wesen zu sein. Die eine drehte
das Rad, wahrend die andere die
Stege aufhob und niederlegte. Im
sechszehnten Jahrhundert war da*
Instrument eines der beliebtesten,
nachher sank es zur sogenannten
Bettlerleyer herab und wurde ver-
achtet und vergessen.
\3.Qui ufern: eine Abart der Laute
14. Rotta . Dieselbe ist eines der
ältesten Instrumente. Die erste
Form desselben, Crotta genannt, war
eine Art Lyra, die mit dem rlec-
trum gerührt wurde. Aus dem Plec-
trum hatte sich nach und nach der
Geigenbogen entwickelt. Die Zahl
der Saiten soll ursprünglich 6, snäter
3 betragen haben Später glich die
Rotta mehr einer Mandoline. Die
Saiteneinbuchtungen unserer Violine
fehlten also und der Bogen musste
infolge dessen, da auch kein Steg
vorhanden war, über alle Saiten
zugleich gezogen werden; so tönte
dann wahrscheinlich neben der auf
der ersten Saiten gespielten Me-
lodie stets der Grundton und vielleicht
auch die Quinte nach Art eines
Dudclsackes mit Aus der Rotta
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Musikinstrumente.
703
entwickelte sich einerseits das Orga-
nistrum, anderseits die Fidel.
15. Bebec, ltilrible oder lieberbe
ist ein durch die Kreuzzüge ver-
mitteltes arabisches dreisaitiges In-
strument von der Form der Cy-
thara tetttunica.
16. H-yhebcn nannte man die
Grossgeigen (siehe Fidel).
1 7. Scheitholtz entsand direkt aus
dem auf 3 — 4 Saiten erweiterten
Monochord. Weder Virdung noch
Agricola erwähnen desselben, und
auch Prätorius zählt das Scheitholtz
„unter die Lumpeninstrumente",
giebt indessen darüber eine Be-
schreibung, wonach das Instrument
aus einem Holzkasten mit 4 einge-
spannten Saiten bestand, „darunter
3 in Unis8ono uftgezogen, die eine
aber unter denselben, in der mitten
mit einem Haeklin also niederge-
zwungen wird, dass sie umb eine
Quint höher resonniren muss." Auf
der 4. Saite wurde die Melodie
gespielt.
18. Spineft. Dasselbe ist eine
Abart des Klavichords. Es war im
16. Jahrhundert gebräuchlich, hatte
nur drei Oktaven Umfang und war
einchörig mit messingenen Saiten
bezogen. Nach Prätorius war es
„umb eine Oktave oder Quint höher
gestimmt, als der rechte Thon."
19. Das Trummseheil hatte eine
ähnliche Konstruktion, wie das
Scheitholtz, „Uff der gröbsten Saite
aber wird mit dem anrühren des
Daumens die rechte Melodey, gleich-
wie ein rechter Clarin uff einer
Trummet, zu wege bracht, also, dass
es nicht anders lautet als wenn
vier Trumtier miteinander bliesen."
20. Virginal nannte man in Eng-
land eine Abart des Klavichords oder
Klavicymbels.
B. Blasinstrumente.
1. Alphorn. Dasselbe war nament-
lich im Süden gebräuchlich. Schon
früh wurden die Alphörner dadurch
gewonnen, dass man junge Tannen-
bäumchen ausbohrte und an der
weiten Öffnung mit einem Schall-
bechcr versah. Das Instrument das
bei gehöriger Länge (5—6 Fuss)
einen starken Ton giebt, wurde zu-
gleich als Signalhorn benutzt und
auch aus andern Stoffen gearbeitet
Es erzeugte so die lange Trompete
in der Form, wie sie in den Psalmen-
büchern häufig als Gerichtsposaune
abgebildet ist. Das Instrument
kommt auch in etwas gebotener
Form vor und erzeugte so die Zinken
und Krummhörner.
2. Die Clareta besteht aus einer
gewundenen angelöteten Metallröhre.
Sie gehört zu der Gattung der Trom-
peten.
3. Dudelsack (siehe Saekpfeife).
4. Das Fagott kam im 16. Jahr-
hundert auf und hiess dazumal auch
Dolcian. Den ersten Austoss dazu
gab ein von dem Domherrn Afranio
konstruiertes Instrument: „J'ha-
ffotum". Dasselbe bestand aus zwei
'cylindrischen, mit Klappen und Ton-
löchern verseheneu grösseren und
zwei zwischen ihnen stehenden
kleinem Röhren, die unter sich sämt-
lich durch Windkanäle verbunden
waren. Ein Blasbalg führte ihnen,
wie bei der Orgel, die Luft zu.
Wann die Umwandlung des so kon-
struierten Instruments zum Fagott
erfolgte, ist nichtbekannt; doch wird
von einem derältcsten Pfeifenmacher,
Sigmund Schnitzer, gerühmt, dass er
auch vortreffliche Fagotte bis zu
ausserordenthcherGrössc verfertigte.
5. Feldtrompete, siehe Trompete.
6. Die Flöte, mhd. flotte, vloite,
aus altfranzösisch flahute, flaute, von
flaüter = die Flöte blasen, woraus
mhd. vloitieren entstanden ist; die
Wurzel ist lateinisch Jfdtus = das
Blasen.
aj Die Langflöte wurde so ge-
blasen wie unsere Klarinetten oder
Oboen und kam als Diskant-,
Alt-. Tenor- und Bassflöte vor.
Das Instrument ist augenscheinlich
aus der einfachen Pfeife hervorge-
gangen. Von den acht Tonlöchern
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704
Musikinstrument«.
ist das unterste doppelt vorhanden,
weil ein Bläser die rechte, ein an-
derer die linke Hand unten hielt,
und dem entsprechend wurde das
eine oder andere mit Wachs ver-
klebt. Für die Bassflöte war eine
Klappe angebracht, die vom kleinen
Finger sowohl der rechten wie der
linken Hand erreicht werden konnte.
b) Die Querflöte, die wie unsere
heut üblichen Flöten geblasen wurde,
auch Schweizerpfeife genannt, war
ebenfalls in den vier Arten der Dis-
kant-, Alt-, Tenor- und Bassflöte
vorhanden. Der Umfang jeder ein-
zelnen erstreckte sich auf zwei Ok-
taven, und auch die Art der Technik
war dieselbe, wie bei den Lang- oder
Schnabelflöten. Im 18. Jahrhundert
verdrängte die Querflöte die Lang-
flöte gänzlich. Des bequemeren
Transportes halber wurde sie in drei
Stücke zerlegt. Dabei entdeckte
man, dass darin zugleich ein Mittel
gewonnen war, die Stimmung des
Instrumentes zu reguliren.
7. Die Hoix/e, die ganz direkt
aus der Schalmei hervorging, gelangte
erst im 18. Jahrhundert zu um-
fassender Verwendung.
8. Das Krummhorn (Kromphom)
ist eine besondere Art Pfeife, welche
durch Umbiegung des einen Endes
aus dem Alphorn entstanden ist.
Es kommt gleichfalls in dem vier
Arten als Diskant-, Alt-, Tenor- und
Basskrummhorn vor. Der Umfang
reichte nicht über eine Oktave.
Trotzdem war das Krummhorn im
10. Jahrhundert sehr beliebt und
fehlte in keiner Kapelle.
9. Orgel, ahd. orgela neben Organa
(mit Übergang vom n in /), mhd.
orgel neben vereinzeltem orgen, aus
griechisch-lat. organum = jedes Werk-
zeug, dann insbesondere die Wasser-
orgel. Die Orgel ist in ihren Grund-
ziigen ein Vermächtnis des Alter-
tums, wo die Wasserorgeln bereits
eine bedeutende Entwicklung erlangt
hatten. In Deutschland indessen
fanden uicht die Wasserorgeln der
Römer, sondern die pneumatischen
der Byzantiner Eingang. Wieder-
holt wird erzählt, dass byzantinische
Kaiser nach Deutschland solche
Orgelwerke verschickten. So soll
bereite Kaiser ConstantinCopronimus
dem FrankenkönigPipin dem Kleinen
eine Orgel zum Geschenk gemacht
haben, welche dann, wie der St. Galler
Mönch berichtet, von den Werkleuten
nachgeahmt wurde. Im Laufe des
10. und 11. Jahrhunderts werden die
Orgeln allgemeiner. Sie fanden
in den Kirchen beim Gottesdienst
Eingang, wenn auch noch nicht als
unentbehrliches Instrument. Diese
Orgeln inuss mau sich freilich als
im Tonumfang beschränkte und
sehr plumpe schwerfällige In-
strumente denken. Die Tasten waren
noch mehrere hundert Jahre später
oft 4—5 Zoll breite schaufelfbrmige
Claves, plumper als unser Pedal.
Der Organist musste die Orgel des-
halb mit Fäusten schlagen oder mit
den Ellenbogen niederdrücken. Die
Pfeifen waren nach der diatonischen
natürlichen Skala gereihet. Der Um-
fang stieg von einer Oktave bis
21 Töne. Dass die Orgeln schall-
stark gewesen, ist wohl anzunehmen.
Über dem Klang der Orgel im
Münster zu Aachen sollen sogar
Weiber in Ohnmacht gefallen sein.
Eine Ricsenorgel Hess Bischof Elfegg
bauen. Sic hatte 400 Pfeifen und
26 Blasbälge, zu deren Regierung
70 starke Männer nötig waren, die,
wie der Berichterstatter schreibt, un-
gemein schwitzten. Das Orgelspiel
wurde von zwei Organisten besorgt,
deren jetler seine cigeue Oktave re-
gierte. Man begnügte sich also nicht
mit zweistimmigem Spiele, sondern
spielte auch drei- und vierstimmig.
Das ganze Werk hatte nur 10 Töne,
so dass 40 Pfeifen auf einen Ton
kamen und einen wahren, mit dem
Getöse des einströmenden Windes
vermischten Donnerspektakel ver-
führten. Insgemein indessen waren
die Orgeln weit entfernt, solch
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Musikinstrumente.
705
Werke zu sein. „Es waren," um
mit Priitoriii8 zu reden, „solcher In-
vention und Erbauungen keine
grossen, sondern gar kleine Werke,
so stracks an einen Pfeiler oder in
nicht selbständig dem Werk beige-
fügt, sondern nur dem Manual an-
gehängt. Das Portativ war ein
kleineres tragbares oder doch ver-
setzbares Positiv, in der Regel mit
die Höhe des Chores als Schwalben- nur einem Register und einer OkUve
nester gesetzt worden sind und schärft* Umfang. Das Regal war ein noch
und stark geschrien und geklungen kleineres Werk, in der Regel mit
haben." Da es für etwas Schönes nur einer Zungenstimme, daher heisst
galt, die Quinte oder Quarte stets auch ein Zungenregister unserer
mittönen zu lassen, so ist nicht un- Orgeln noch Regal
möglich, dass, um nicht immer zwei
oder drei Tasten niederdrücken zu
müssen, schon sehr früh die soge-
nannten Mixturen erfunden wurden,
bei welchen zum angeschlagenen
Ton dessen Oberquinte und hohe
Oktave mittönt.
Vom 14. Jahrhundert an ver-
besserte sich der Mechanismus der
Orgeln wesentlich. Die Tasten
10. Die Racket ten waren den
Fagotten ähnlich, nur viel kürzer.
Da die innere Röhre neunfach zu-
sammengelegt war, so gaben sie so
tiefe Töne, wie das grösste Doppel-
fagott. „Sie haben viele Löcher,
aber nicht mehr als Elfte zu ge-
brauchen", sagt Prätorius, „an Re-
sonantz seyena sie gar stille, fast
wie mau durch einen Kam bläset
wurden schmäler gemacht und da- und haben keine sonderliche^m/m w."
durch nicht nur die Spiclbarkeit er-
leichtert, sondern aucn die Möglich-
keit gegeben, den Umfang zu er-
weitern. Ein bedeutsamer Fortschritt
war ferner die Erfindung des Pedals,
die man dem, in Venedig von
144f>— 59 als Organist thatigen Bern-
hard dem Deutschen zuschreibt.
Während die Orgeln früherer
Zeit sich zumeist auf die Töne der
1 1 . Rausch pfeife. Sie unterscheidet
sich von der gewöhnlichen Pfeife da-
durch, dass das Mundstück nicht
direkt an das Rohr gesetzt ist, son-
dern in das sogenannte Kopfstück,
das als Mittelstück zwischen Mund-
stück und Rohr tritt. Die Rausch*
pfeife ist der Urahn der Oboen und
Klarinetten. DieRausehpfeifer zogen
meist in Gesellschaft der Dudelsacks-
diatonischen Tonleiter beschränkten, I pfeifer, um Tänze aufzuspielen.
begann man schon im 13. Jahrhun
dert die chromatischen einzuschieben.
Im 14. Jahrhundert wurde in Halber-
stadt eine Orgel erbaut, welche im
12. Renal (siehe Orgel).
13. Sackpfeif c oder Dudelsack
war schon frühe bekannt und diente
zum liegleiten des Tanzes. Sie be-
obersten Manual (damals Diskant steht aus einem Schlauch, einem An-
genannt) 14 diatonische und 8 chro- satzrohre und einer oder mehreren
matische, im Ganzen 22 Töne hatte, andern Röhren. Vermittelst des An-
Berühmte Orgelbauer des 15. Jahr-
hunderts waren Konrad Rothen-
burger,HeinriehKraiiz,Traxdorffetc.
Als besondere Arten von Orgel-
werken werden von Virdung das
I'ortafir, das Positiv und das Regal
8atzrohres bläst der Sackpfeifer Luft
in den Schlauch, den er mit dem
Arm so bearbeitet, dass die Luft in
die gegenüber am Schlauch angesetzte
Schalmei treibt; diese ist mit sechs
oder sieben Tonlöchern versehen,
genannt, die sich nur in ihrer Grösse die, um Tone von verschiedener
und dcrAnzahlderStimmen(Regist<.?r) Höhe und Tiefe zu erzeugen, ge-
von einander unterschieden. Dem schlössen oder geöffnet werden, wie
Positiv, einer kleinern Orgel mit bei der Flöte; auf dieser Schalmei
meist nur zwei Registern, rehlt in spielt der Sacknfeifer seine Melodie,
der Regel das Pedal oder es ist Ausserdem sind noch eme oder zwei
Keallexicon der
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706
Musikinstrumente.
Röhren angebracht, die nur je einen
Ton geben, den sie ununterbrochen
fortsummen; sie heissen deshalb:
Summer, Hummeln, Stimmer, Bour-
dons. Ihr Ton bildet in derselben
Weise eine Art Bass zur Melodie,
wie wahrscheinlich die verschiedeneu
Saiten beim Organistrum. Das In-
strument war seit denil-4 .Jahrhundert
unstreitig das beliebteste zur Rege-
lung des Tanzes. Noch im 17. Jahr-
hundert waren mehrere Arten Saek-
pfeifen im Gebrauch, die Prätori us
beschreibt, Sie führten verschiedene
Namen: Der Hock mit einem grossen
langen Horn als Summer, die Schaber-
pfeijf'init zwei Summern, das Jlümel-
ehen, ebenfalls mit zwei, der Jhtdey
aber mit drei Summern u. s. f.
14. Die Schalmei ist ursprüng-
lich eine einfache Rohre, der man
erst später ein Mundstück ansetzte,
welches dann durch 2 Rohrblätter
ersetzt wurde, die man in eine be-
sondere Kapsel steckte.
15. Schleen el ist die älteste Form
«ler Pfeife. Nach einem alten Glossar
einer Strossburgcr Handschrift be-
deutet Schwege! den Teil des Beines
eines Tieres vom Knie bis zum
Fuss und zugleich die daraus bereitet«'
Pfeife. Die ältesten Pfeifen bestan-
den also aus dem Schienbeinknochen
bestimmter Tiere, Andere Glossa-
rien übersetzen Streguld mit Stirn-
htteca I Hollunder) oder mit Intimus,
so dass man annehmen muss, diese
Pfeifen oder Flöten seien aus dem
Rohr verschiedener Pflanzen ge-
fertigt worden. Später nennt mau
die Schwegein Querflöten, Zweien*
pfeifen oder Schweizerpfeifen.
16. Tromnctc, mhd. trumpet und
(rumet, entlehnt aus franz. die trum-
pette, dem Diminutiv von ital. die
tromba; aus demselben Worte kommt
mhd. die trummc, trumbe, auch
trumj>a, ursprünglich soviel als Trom-
pete, Posaune, dann Trommel. Die-
selbe hatte schon im 15. Jahrhun-
dert im wesentlichen dieselbe Form
wie heute. Die Feldtrompete ist
eine gewundene und zusammen ge-
lötete Röhre mit Mundstück und
Schalllöchern. Anders gewunden
ist die Klareta und wieder anders
das Türmerhorn. Die l'osaune hat
ebenfalls bis in unsere Zeit die Form
behalten, welche sie damals schon
hatte.
17. Wasserorgel. Dieselbe ent-
stand dadurch, dass man den in
Stössen aus dem Blasebalg aus-
strömenden Wind durch einen
Wasserbehälter strömen Hess, damit
er sich dort reguliere, bevor er iu
die Pfeifen eintrete. Erfunden wurde
die Wasscrorgel schou von d cid
griechischen Architekten Ktesibius.
18. Die Zinken waren bereits im
15. Jahrhundert in deu Stadtpfeife-
reien meistenteils in mehrfacher An-
zahl vorhanden. Die Zinken sind
aus der Schalmei entstanden und
erseheinen entweder als gerade oder
krumme Zinken. Ihre Konstruktion
unterscheidet sich wenig von der
der Schalmei.
19. Ztcerch pfeifen siehe Flöte.
C. Lärm instru matte.
1. Trommeln kamen schon bei
den Germanen zur Auwendun
ur
Unterstützung des Tanzes. Im all-
gemeinen hatten sie dieselbe Ge-
stalt wie heute und wurden gleich-
falls mit 2 Schlägeln geschlagen.
Eine abweichende Behandlung zeigt
das Taborum, eine kleine Trommel,
welche an einem Bande um den
Hals getragen wurde.
2. Die Cifinheln. Metallplatten,
die aneinainlergeschlagcn worden,
hatten die gleiche Form wie heute.
3. Dos Tintinahitlum (Rota ctfm-
balum) war ein aus radförmig
zusammengestellten Glocken be-
stehendes Instrument, mit welchem
fleissig auch in der Kirche ge-
klingelt wurde.
4. Tympanum. Nach Abbildungen
des 9. und 10. Jahrhunderts zu schhes-
sen, bestand dasselbe aus einer
Metallplatte, welche meist an
Bautie. um den Hals getragen und
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Muskete. — Mystik.
707
mit einer Art Piektrum geschlagen
wurde.
Meist nach Reijotttuinn: Illustrierte
Geschichte der deutschen Musik.
A. H.
Muskete. »Siehe den Artikel
Handfeuerwaffen.
Muspüli hat Sehmelier ein von
ihm 1832 aus einer Münchenerlland-
schrift veröffentlichtes altdeutsches
Gedicht vom jüngsten Tage genannt;
dasselbe möchte nach Schmcllers
Vermutung von König Ludwig dem
Deutschen seihst aufgeschrieben
worden sein; die Versart ist noch
die alliterierende, der Stoff' ein
christlicher; an das germanische
Heidentum erinnert das Wort .\fu-
epiüi, der altgennanisehe Name des
Weltbrandes. Nach Art einer Pre-
digt wird der christliche Mythus vom
jüngsten Gerieht dargestellt, um die
Seele des Sterbenden kämpfen zwei
Scharen, Engel und Teufel; der
Antichrist kämpft mit Elias, jener
wird besiegt, dieser verwundet, und
sein tropfeudes Blut setzt die ganze
Schöpfung in Brand. Darum soll
sich jeder Christ rechtzeitig zum
jüngsten Gericht vorbereiten und
wenn er sich sündig weiss, Busse thun
im Sinne der Kirche. Der Schluss
des Gedichtes ist abgebrochen. Ver-
gleiche namentlich den Exkurs zum
Gedicht bei AfültenhojJ'wnA Scheret,
Denkmäler deutscher Poesie und
Prosa.
Mütze. Siehe den Artikel Kopf-
bedeckung.
.Mystik heisst die dem 14. und
15. Jahrhundert angehörende Rich-
tung der deutschen Theologie des
Mittelalters, welche der verstandes-
m aasigen Scholastik gegenüber das
religiöse Recht der gläubigen Seele,
ihr Eins werden mit Gott, die Sache
des christlichen Gemütes gegenüber
der vorgeschriebenen Glaubensregel
der Kirche betonte. Diese mystische
Richtung ist zwar an sich weit älter,
die griechische Kirche kannte sie
in hohem Grade, Scotus Erigena
hing ihr im 9. Jahrhundert an, sie
zeigt sich unter den Ketzern des
13. Jahrhunderts, namentlich den
Katharern, sie ist sogar bei den
Scholastikern selbst vertreten, durch
Bernhanl von Clairveaux, Hugo von
St. Viktor und Albertus Magnus,
aber in dem Gewände der lateinischen
Sprache; in deutscher Sprache er-
scheint sie zuerst bei den Domini-
kanern des 14. Jahrhunderts; die
ihnen im 13. Jahrhundert voraus-
gehenden deutschen Predigten der
Franziskaner, Bruder licrthold von
: lteqensburg an der Spitze, enthalten
I nients Mystisches, vielmehr volks-
[ tümliche, auf kirchlichem Grunde
ruhende Sittenlehre. Den Franzis-
kanern gegenüber, deren Wirksam-
keit wesentlich von der Kanzel aus-
ging und auf die Menge berechnet
war, ist die Mystik der Dominikaner
für eine kleinere Schar von Aus-
crwähltcn berechnet und benützt
gerne den Lehrstuhl des Lektors
oder Lesemeisters. Die Hauptstätten
dieser Bewegung sind die Lehr-
institute der Prediger zu Köln und
Strasburg; der Kreis, auf den sie
wirken, zunächst die Klöster, sei es
des Predigerordens selber oder an-
derer Orden, in besonderm Masse
Frauenkloster, in denen das bräut-
liche Verhältnis der Seele zu ihrem
| himmlischen Bräutigam nach dem
! Vorgange des hohen Liedes das be-
reiteste Verständnis fand. Die be-
liebteste Form des mystischen Vor-
trages war die collnzie, ein freier
Dialog, der aufgezeichnet und
der dialogischen Form entäussert
nachmals als Lesestück dienen
konnte; war sie der Erörterung theo-
logischer Fragen gewidmet, so ent-
stand daraus der Traktat. In
manchen Frauenklöstern beteiligten
sich die Schwestern selber au der
Aufzeichnung eigener und fremder
Erfahrungen auf dem Gebiete der
Mystik, von Visionen, Träumen und
i Oftenbarungen. Einen weiteren Kreis
| teilnehmender Genossen fand die
45*
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708
Mystik.
Mystik in den Beginen und Bet-
hanien, Frauen und Männern, die
ohne Gelübde und nur unter einer
freien Regel der Welt entsagt und
sich, allein oder mehrere zusammen,
einem geistliehen Leben gewidmet
hatten. Wieder ein anderer Kreis
waren die (iottesfreunde (ihr Name,
aus Joh. 15, 15 entnommen, war
bereits den ältcm Waldcnsern ge-
läufig), bei denen der Unterschied
zwischen Laien und Priestern grund-
sätzlieh ausgeglichen war; die Ex-
kommunikation, welche 1324 gegen
Ludwig den Baier und alle ihm an
hängenden Länder ausgesprochen
war und bis 1347 dauerte, zwang
manche Laien, sich in geistlichen
Dingen selber zu helfen, und gottes-
freundliehe Priester, ineist wieder
Dominikaner, standen ihueu bei.
Man besitzt von einem derselben,
der den Namen des Cottesfreundes
OH* dem Oberlande trägt, eine An-
zahl mystischer Traktate, die von
ihrem Herausgeber Schmidt einem
Nikolaus von Hasel zugeschrieben,
dann diesem abgesprochen und
neuerdings als Erfindung eines
dritten nachgewiesen wurden. Die
weitere Entwicklung der Mystik
knüpft sich an die Dominikaner
Nikolaus von Sfrassbura und Eckard;
jener streift nur in den dreizehn
von ihm erhaltenen Predigten die
mystische Denk- und Kmphndungs-
weise, da er im übrigen seinen Stoff
nach Art der Scholastik wissen-
schaftlich beherrscht; erst JCekard
i*t der philosophisch schöpferische
Genius der deutsehen Mvstik ge-
worden; er stammte aus Thüringen,
war bis 1298 Prior des Prediger-
klosters zu Erfurt, dann Lehrer zu
Paris, Provinzialprior der Ordens-
urg; wegen Verdachts der Ketzerei
rovinz Sachsen, Lektor zu Strass-
wurde vom Papste über ihn eincUnter-
suchung verhängt, deren Verlauf
unbekannt ist. Er starb 1327, und
zwei Jahre darauf wurden durch eine
päpstliche Bulle 2S Lehrpuukte des
Verstorbenen als ketzerisch oder
übelklingend und der Ketzerei ver-
dächtig bezeichnet : „Die altern My-
stiker und insbesondere diejenigen,
die bisher zu «lern Volk in seiner
Sprache geredet, hatten das Eins-
werden der Seele mit Gott, um das
sich alles mystische Denken dreht,
in den Willeu gesetzt, Eckard setzte
es in das Wesen. Wenn die Be-
trachtung der Früheren daher ein
rein asketisches Gepräge trug, m usste
die seiuige ein spekulatives an nehmen.
In der Behauptung einer Wesens-
einheit der Seele mit Gott war das
erste Glied zu einer Kette gegeben,
welche nur mit der letzten meta-
physischen Frage ihren Abschluß
erreichte. Da in dieser Wesens-
einheit vou Gott sowohl als von der
Seele die Vorstellung der Persön-
lichkeit notwendig ausgeschlossen
war, so musste hinter Deideu der
Gedanke eines unpersönlichen Ab-
soluten oder reinen Seins aufsteig\»n,
in welchem beide ihren Grund und
daher auch ihre Einheit fanden.
Das reine Sein aber konnte nur
durch ein ins Eudlose fortgesetztes
Abstreifen all und jeder Bestimmt-
heit gedacht werden und ward so
alsbald dem Nichts gleich. Im Nichts
daher sich selbst und Gott zu finden,
im Nichts ihm gleich zu werden, er-
schien als höchste Aufgabe der Seele
und als Inbegriff der Seligkeit, nach
welcher sie sich sehnte. Erst wenn
sie auf diese Welse in ihren Ursprung
zurückgekehrt uud wieder Gott tre
worden ist, kann der Vater in ihr
das Wort sprechen oder den Sohn
gebären, für den eine jede Seele
Maria zu werden bestimmt ist."
Ausser Eckard nennt die deutsche
Mystik des 14. Jahrhunderts noch
zwei grosse Prediger, Johanne*
Tauler, 1290— 1 36 1 , Predigennönch
zu Strassburg, Verfasser der Xach-
folge des armen Lefjens Christi, der
dem spekulativen Meister gegenüber
wieder mehr volksmässige Dar-
stellung sucht und findet, und Hein-
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709
rieh Siuse, lat. Suso, aus dem Hegau
gebürtig und Dominikaner zu Kon-
stanz und Ulm, eest. 1365, auch
Seelsorger in verschiedenen Fraucn-
klöstcrn, ein schwärmerischer Mann
voll Phantasie und dichterischer An-
lagen, ein Minnesänger auf geist-
lichem Gebiete, dessen Hauptwerk
das Buch von der ewigen n eisheit
heisst. Noch sind ausserdem von
andern Mystikern Denkmäler ihrer
Wirksamkeit erhalten, darunter von
einem ungenannten Priester im
Dcutschordenshause zu Frankfurt,
der sog. Frankfurter, ein Buch, das
Luther 1516 zuerst veröffentlichte
und Eyn deutsch Theolo«ria betitelte ;
auch Lieder mystischen Inhalts, zum
Teil von Nonnen gedichtet, giebt es
in ziemlicher Anzahl, siehe darüber
JloJJmann v. Fallersleben, Geschichte
des deutschen Kirchenliedes, 2. Aufl.
§. 6.
Im 15. Jahrhundert tritt die
Mystik zurück; lateinische Predigten
und mit ungeistlichen, würdelosen
Geschichten, Schwänken und Fabeln
vermischte deutsche Reden kommen
in Gebrauch. Andrerseits bewirkt
die Verbreitung der Bibel einen
reineren Bibelglauben, der sich unter
anderen in dem von Thomas von
Kempen zuerst lateinisch verfassten
Büchlein De imitatione Christi zeigt;
im Gefolge der humanistischen Be-
wegung endlich verdrängt eine all-
gemeine menschliche Moralphilo-
sophie die ältere auf dem Boden der
christlich - mittelalterlichen Weltan-
schauung stehende Andacht. Nur
einen Mann hat das 15. Jahrhundert
als Spätling der grösseren Mystiker
des vorhergehenden Jahrhunderts
noch hervorgebracht, Johannes ( reifer
von Kaisersberg, 1448 zu Schaff -
hausen geboren, aber in der elsäs-
sischen Reichsstadt Knisersberg er-
zogen, Priester und nicht mehr Möneh,
Lenrcr an den hohen Schulen zu
Basel und Freiburg im Breisgau,
zuletzt 32 Jahre lang bis zu seinem
1510 erfolgten Tode Gemeinde- und
Klosterprediger zu Strassburg. Seine
Kanzelreden gehörten meist reihen-
weise zusammen und stellten in
solcher Verbindung ein zusammen-
hängendes Lehrbuch dar; derart
sind seine Predigten über des Al-
bertus Magnus Buch De virtntihus,
welche unter dem Namen „Das
Seelen- Paradies" vereiuigt sind, und
die Predigten über Sebastian Brants
Narrenscniff. Geiler war schon vom
Geist desHumanismus durchdrungen,
was sich namentlich in der Abwei-
sung mancher abergläubischer Ele-
mente zeigt, die in den früheren
Mystikern noch wirksam waren.
Seine Predigten bekundeten weniger
den religiös erbaulichen als uen
sittlich zurechtweisenden Charakter,
; und durch die lebensvolle, realistische,
farbige Auffassung der Verhältnisse
erinnert er an Bruder Berthold von
Regensburg. Nach W. H'aeker-
nagel, altdeutsche Predigten und
Gebete, S. 376 ff. und desselben
! Littenitur- Geschichte, $.90. Vgl.
] Greith, deutsche Mystik im Prediger-
orden, 1861. Preger, Geschichte der
deutschen Mystik im Mittelalter, bis
|jetzt2Bände. Leipzig,1874 und 1881.
N.
Nachtwächter, ulM nahtwahlari, I noch bei Strafe des Heerbannes zum
ist schon durch das Horn, das er Wachcdienste (waeha aut icardaj
trägt, als eine sehr alte Erscheinung verbunden sein sollten, und zwar
bezeugt. Karl d. Gr. verordnete, zu Tag- und Nachtwachten, zur
dass die freien Leute ausser dem Aufrechthaltung der Ordnung im
Heerdienste im Felde ausdrücklich Innern des Landes sowohl als zur
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710
Namen. — Namen von Sachen.
Bewachung der Städte und Festun
gen und der Grenzen des Reiches;
im besonderen soll der Wachdienst
den Armeren obliegen, welehe die
Kosten des Feldzuges und Heer-
lagern nicht zu erschwingen ver-
mögen. In der Kitterzeit tritt der
Nachtwächter, namentlich in dem Amt
des Tu nn warft t 'ers, in den Dienst der
Höfe und Burgen, und hier mögen
sieh gewisse Funktionen für sein
Amt ausgebildet haben, die ausser-
halb des kriegerischen Zweckes lagen
und mehr einem allgemeinen mensch-
liehen Bedürfnisse, dem des geselli-
gen und friedlichen Zusammenlebens
der Burgbewohner, ihr Dasein ver-
dankten. Hier wohl entstand der bis
in neuere Zeit erhaltene Morgen-
und Abendruf, welcher der christ-
lichen Denkweise des Mittelalters
gemäss dahin lauten musste, dass
Gott den Mensehen eine gute Nacht
und einen guten Tag geben möchte.
Denselben Turmwächter mit seinem
taget iet hat Wolfram von Eschen-
bäch als Person in das s. g. Ttuje-
fird (siehe diesen Art.) eingeführt,
daher diese Lieder auch morqensanCj
(fr« trahters lief, imitier* (Jim. irarne-
»attc, tatfkoru hiessen. Fliegende
Blatter des 16. Jahrh , auf denen
Tagelieder gedruckt waren, zeigen
auf dem Titel in grobem Holzschnitte
den auf der Zinne wachenden Wäch-
ter mit dem Horn. Des höfischen
Wächters Nachfolger wird der städti-
sche Nachtwächter; in dem dieser das
Horn beibehält, vertauscht er Spiess
oder (»er mit der Hellebarte; den
Abend- und Morgenruf beibehaltend,
erwächst ihm mit Einführung der
Turmuhren die neue Funktion des
Stundenrufes; derselbe ist, wie der
Ausdruck //• Iterren bezeugt, in erster
Linie an die llatshcrrcn gerichtet;
die älteste uns bekannte Formel
stammt aus dem 15. Jahrh. und
lautet: Merkt ir herren und laut
rurft Mutfrn, dir qfork hat Seehxe qe-
.tchftKjt u. Hüetx f'etrr; wofhin queter
*(chttc. In italienischen Städten rief
der Nachtwächter neben der Stande
auch das Wetter aus. Mit der Zeit
wurde der Nachtwächter an gewissen
Orten unter die unehrlichen Leute
(s. d. besonderen Art.) gezählt; «lie
weit verbreiteten kürzern und langem
Nachtwächterlieder stammen höch-
stens aus dem 16. Jahrb. Vgl. den
Art. Nachtwächter in der kriintiz-
*ehen Encykl.
Namen, siehe auch Per tonen-
und Familiennamen, Ortsnamen.
Namen von Sachen. Ausser den
Personen erhalten namentlich in
ältester Zeit auch Gegenstände nicht
menschlicher Art Sondernamcn, es
sind Waftcn, Haustiere und der-
gleichen andere Dinge, die dem Be-
sitzer vertraulich nah stehen, gleich
einem Familienglied«', denen eine
gewisse dämonische Beseelung, eine
Persönlichkeit, sogar eine göttliche,
innc zu wohnen scheint, oder die als
besonders seltener und kostbarer
Besitz gelten. Zwar kennt man diese
Namen erst aus den mittelalterlichen
Schriftwerken, aber viele daruuter
gehören der weit älteren Heldensage
und damit dem Kulturleben der alten
Germanen an. Dergleichen Gegen-
stände sind:
Waffen, nämlich Schwert, Pan-
zer und Helm; Speer und Schild
gehören nicht dazu, wie denn Tacitus
in der (iermania 6 berichtet, dass
ieder Krieger mit Speer und Schild
bewaffnet, sei, wenige aber mit
Schwert, Panzer und Helm. I>a>
Sehtrert, gothisch hairttJt und m/lreis.
zeigt schon durch sein männliches
Geschlecht eine persönliche Auf-
fassung an; in Griff und Spitze aus-
gezeichneter Sehwerter wohnen nach
der nordischen Auffassung oft Wurm
und Natter. Besondere Schwerter
der deutschen Heldensage sind unter
anderen Adrtrinq, in dänischen Lie-
dern da* Schwert Siegfrieds, Hat-
munr, Siegfrieds Schwert in der
deutschen Dichtung; lirinniq, das
Seh wert Iii Idebrands; Kekesahs, auch
blos Sahs und dais alte Salis genannt.
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Namen von Sachen.
711
«las zuletzt Dietrich von Bern besitzt,
im heidnischen Mythus aber einst
ein Gott mag besessen haben; Gram,
der altnordische» Name von Sieg-
frieds Schwert, Miminc Mimung,
Wittigs Schwert; Xagelrinc, Schwert
Heimes; Wade» oder Wasche, d. h.
Baske, Schwert Walthers von Spa-
nien; Welsunc altnordisch l'ölsung,
zuerst Biterolfs, dann seines Sohnes
Dietleibs Schwert. Die gefeiertsten
darunter sind Eckesahs, Miminc und
Nagelrinc, deren jedes von dem
Schmied an, der es fertigt, seine
ganze Geschichte hat, wie es von
einem Helden an den andern ge-
kommen ist. Die berühmtesten
Schwcrterschmicde sind Mime, Hert-
rich und Wieland. Schwerter der
Karlssage sind Durentart das im
Besitze Oliviers, und Halteclair oder
Alteclere, d. h. Hochglanz, das im
Besitze Rolands steht
Helmnamen sind weniger zahl-
reich; nordische sind llildisvin und
J/i/digolf, das letztere von Gölt —
Eber," beide Wörter also dem auf
dem Helm angebrachten Eberkopf«'
entnommen; Jliffegrim oder Hilfe-
grin heisst Dietrichs Helm, wieder
ans hihi = Kampf und zudem aus
grima Maske «der Helm zusammen-
gesetzt. Rolands Helm heisst Vene-
ranf. Von Panzernamen ist nur ein
einziger in der Edda erhalten; er
lautet Finnslei f. Ein Horn mit
eigenem Namen ist Rolands Oliva nt,
d h. Elfenbein, von altfranzösisch
ofif'ant = Elefant Der Stier von
lfri ist ein Auerochsenhora. Re-
uannte Hinge sind Odins Dranpni;
Andraranauf ist dagegen kein Eigen-
name, er bedeutet Ring (naut) des
Zwerges Andvari.
Unter den benannten Rossen
nimmt die erst«1 Stelle ein Sleipni,
Odins Ross. d. h. das gleitende, zu
hochdeutsch s/ifen. Der Heldensage
gehören an Betehe. das Ross Diet-
richs; Falke, das Pferd Dietrichs
und Wolfdietrichs; Uranu Siegfrieds
Ross in der nordischen Ueber-
lieferung d. h. das graue oder grau-
gewordene; Rispa heisst Heimes,
Sehemine oder Schemmine Wittigs
Ross; das letztere ist der Bruder
Falkes, Granis und Rispas; der Name
gehört zu scheine = Schimmer.
Unter den zahlreichen Rossen der
Karlssage ist das berühmteste Bayart,
das die vier Haimonskinder trägt
Alte Hundenamen betreffen meist
Jagdhunde; doch heisst in der Edda
(lärm der Hofwart, hovateart, d. i.
Hofhüter der Hölle. Ein besonders
häufiger Haushundname ist Wacker
= der Wachsame. In der Thidrichs
Sage wird von den abenteuerlichen
I Jagdzügen des Grafeu Iron von
! Brandenburg erzählt, der 60 Hunde
'mit sich führt; deren beste sind
I Stapp, Stuft, Luscta, Rnsca, Baron,
Bonikt, Bracka und Bortai man
erklsirt sie als Stapf und Stuft, d. i.
Schritt und Trotz; der schleichende
(ahd. Inschen) und der rasche, muntere,
wie ein andermal auch ein Pferd
Rusche heisst; Baron wird zu ahd.
haro = Mann gestellt, J'orxazwbirxen.
birschen; Boni kl 'gehört vielleicht zu
ahd. punit = Diadem, und Bracka
ist Bracke, Spürhund. Vereinzelte
Namen blos giebt es von dem Rind,
der Ziege, dem Esel, der Katze, dem
Bären, dem Falkcu.
Zur Eigenbenamung der Schiffe
führte schon die uralte Verglcichung
dieses Gegenstandes mit dem schwim-
menden Vogel und dem rennenden
Pferd: Schnitzarbeit am Vorderteil
Hess das Ganze als einen Drachen
erscheinen; so hicss Baldurs Schiff
Hringhorni mit Bezug auf den Ring-
selunuck seines Stevens, ein nor-
disches Königsschiit' heisst Wunsch-
jungfrau, YValküre, ein anderes
'Mannshaupt. Zwei Schiffe des deut-
schen Ordens in Preussen hiessen
JHlgerin und Vriedeland d. i. Be-
schütze das Land ! Im späteren Mittel-
alter heissen Schifte auf den schweize-
rischen Landseen Gans, Fuchs, Ente,
Bär, Schnecke.
Geschütze wurden anfänglich, be-
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712
Narren.
vor das Pulver in Gebrauch kam,
nach dem Vorgange des Altertums,
mit Tiernamen benannt, aber in
appellativcr Weise nur je die Gattung,
z. B. Katze, Krebs, Tarant, Igel;
eigentliche Individuen-Namen kamen
erst mit den Feuergeschützen auf.
wobei sich die Phantasie den freiesten
Spielraum erlaubte: Äff, Drach, Falk,
Falkonet, Fledermaus, Fuchs, Hor-
nuss, Hurlebus oder Hurlebaus, d. h.
Brummkatze, Lewe, Luchs, Nach-
tigal, Püfel, d. h. Büffel, Purlebaus
oder Purlapaus s. v. a. Hurlebus.
zu harren = brummen, Schlange,
Schrötel, d. h. Schröter, Hirschkäfer,
Wolf; jungfraie Falkenet, Dromefte-
rin, Maurbreeherin, Singerin, Xar,
Roraff, dieses ein Strassburger Ge-
schütz, das seinen Namen von dem
Wahrzeichen der Stadt hat, einem
lächerlichen Baucmbild an der
Münsterorgel; Ketterl in von Eimen
(Ensesheim), Metz oder Mette, Met-
teke, Kosewort zu Meehtild, Week-
auf; auch Monatnamen, Namen der
Pfaneten und der Zeichen des Tier-
kreises, ja die Buchstaben des Al-
phabetes kommen als Geschütznamen
vor; als Moritz von Oranien 1591
Nimwegen aus solch einem ABC
beschoss, nannten ihn die Belagerten
A BCschütze.
Türme empfingen oft Eigen-
namen: Luginsland, Sehütt den heim,
Hans in allen (fasten.
(ifoeken sind sehr früh getauft
und damit zugleich benannt worden;
das älteste Beispiel ist die Glocke
im Lateran, die Papst Johann XIII.
nach sich und dem Heiligen der
Kirche Johannes nannte; auch später
sind es meist Heiligenuamcn, mit
denen man die Glocken versieht.
Nach W. Waekernagel , die deut-
schen Appellativuamen, Abschnitt I,
Pfeiffers Germania, IV und V, und
kleinere Schriften Iii.
Narren. Name und Begriff des
Narren, ahd. narro, mhd. narre,
d unk ler Herkunft, spielen in den
Zeiten des ausgehenden Mittelalters
eine grosse Rolle; seitdem sich der
Geist der Zeit von den religiösen, ge-
sellschaftlichen, staatlichen, künst-
lerischen Prinzipien der höfisch-
romantischen Welt losgelöst hatte
und nach neuen Grundlagen des
Lebens drängte, konnte es nicht aus-
bleiben, dass der Gegensatz zwischen
dem Weisen und dem Thoren, dem
Vernünftigen und Unvernünftigen
mit in den Vordergrund der Zeit-
begriffe rückte uud nach festen,
plastischen Formen in Sprache, Lit-
teratur, Kunst und in dem Leben
der Gesellschaft ausging. Damit
verbanden sich ältere, meist der
Volkskomik angehörende Elemente,
didaktischer Inhalt des alten Testa-
mentes, Einrluss antiker Schriftsteller
und welsche, besonders italienische
Einflüsse komischer und humori-
stischer Art, die ihrerseits zum Teil
wieder auf altrömischen Gebräuchen
beruhen. Eine zusammenhängende
Untersuchung über diese genannte
Erscheinung fehlt bis jetzt, am
meisten findet man in der Einleitung
zur Ausgabe von Sebastian Brants
Narrenschiff durch Zarneke und in
Weinholds Abhandlung über das
Komische im altdeutschen Schauspiel,
in Gosche 's Jahrbuch für Litteratur-
geschichte, Bd. 1.
Die ältere Zeit zieht den Namen
före dem narren vor. gebraucht aber
synoym damit vielfach die Namen
der drei Tiere äffe, esel und qoueh,
wie es z. B. in alten Sprüchen ficiast:
Ieh bin ir narr, ir goueh, ir äff, im
esels ireis ieh si angaff; äffen zegel
(Schwänze) und esels 6ren tragen/
veil der Werlte toren ; die Wichtig-
keit des Aflentums in dieser Zeit,
die übrigens mit dem lautlichen Zu-
sammenhang des Tiernamens mit
dem Worte Affentür, Affenteur statt
Arentnr, Abenteur zusammenzuhän-
gen scheint, ergiebt sich unter an-
dern aus den Kompositionen äffen-
hanc, affeidtere, affenhoehsit , äffen-
hü/, affenkleit , affenra/, affensalhe,
affenseif, affensmulz, affenspil, offen-
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713
s/nse, ajfental, ajfentanz, affenvuore,
aJJ'enwort, ajf'enzagel unu aff'enzit,
wo überall statt des Tieres Thor
oder Narr gesetzt werden kann.
Früh ist der Esel zur Ehre eines
unvernünftigen Tieres gekommen;
Notker sagt schon von einem Narren,
er lebe in esiles wise, und spater
heisst es: Esels stimme unt gouches
sane erkenne ich (in ir beider dune ;
ist er ein esel oder gouch, dasselb is t
er zuo J'aris oueh ; sied man den esel
kroenet, da ist daz lant gehoenet;
der esel gurret uf den icän, er waenet
teol gesungen htin; maneger trotte
gerne sin ein esel oder ein esel in,
daz man seife maere, wie wunderlich
er waere; In rede erkenne ich toren,
den esel In den 6ren. Zahlreiche
althergebraehte Redensarten drehen
sich um das langohrige Tier: einem
den esel bohren, den esel zeitjen, den
esel stechen, d. h. den Zeige- oder
kleinen Finger gegen ihn ausstrecken,
wahrend die übrigen drei eingebogen
werden, einem den esel strecken,
schnitzen, den esel kroenen, einen
auf den esel setzen oder brinqen, den
esel reiten, eine beschimpfende Strafe,
die aus Bürger's Ballade »Der Kaiser
und der Abt" bekannt ist; von Zu-
sammensetzungen mit dem Esel ge-
braucht allein l)r. Luther Eselbapst,
Eselbischof, Eseljurist, Eselreiter,
Eeelsforz, Esclskopf, Eselskunst,
Eselthcolo^.
Das dritte Tier, den Gauch oder
Kukuk, kennt ebenfalls schon Notker
als Sinnbild des Narren, wenn er
zusammenstellt der unteiso unde der
gouh; später heisst es: wisiu wort
unt tumhiu icerc, diu haftent diu van
Goucherslterc\ der ahlAz dunket toren
quot, den ein gouch dem andern tuot.
Zum ausgeführten Bilde der Narren-
welt wurde der Gauch in der Gauch-
matte oder G euch matte, ein Name,
der im lfi. Jahrhundert sprichwört-
lich wurde, dtirch zwei Dichtungen
( iengenbachs und Murners, die beide
in Basel spielen; es ist die Darstel-
lung einer Matte, auf der die Gauche,
die verliebten Narren, zu einem Feste
zusammenkommen, eine Vorstellung,
die sich an eine Seite des uralten
Maifestes anschlichst Zu den Mai-
tanzen nämlich vereinigten sich
einzelne Paare, die oft das Los oder
die Darreichung und Annahme eines
Laubreises und Strausses bestimmte,
und die dann den ganzen Sommer
oder das grosse Fest hindurch mit-
einander tanzten. An jenem Feste
hatte der Kukuk eine wichtige Rolle
als Bote des Frühlings und wurde
als solcher gefeiert; sein Rufen galt
den Liebenden als Wahrsagung,
man machte sein Rufen nach und
stieg zu diesem Zwecke sogar auf
Bäume.
Als Name für den unweisen
Menschen wird in älterer Zeit, wie
schon erwähnt, tdr angewendet
Frfdane hat einen längeren Ab-
schnitt, der überschrieben ist Von
den icisen und toren. Er beginnt
mit dem Spruch: Gof hat den icisen
sorqe gegeben, da In den toren senfle
I leben, und fasst in dem Sinne dieses
Eingangsspruches den Thoren all-
gemein als denjenigen, welcher un-
vernünftig handelt, und noch nicht
als besondern Stand: wir gorallen
alle uns selber wol, des ist daz lant
der toren vol. Swer waenet, daz er
wise si, dem wont ein ttire nahe In.
Dem toren dunket selten guot, swaz
ein wise man geluot. Swer toren
welle stillen, der rede nach ir willen.
Indessen brauchen doch schon
Zeitgenossen Freidanks auch das
Wort narr und die Zusammen-
setzungen narrenweg und narren-
sml; so erscheint der Kolben, den
der Narr trägt, wenigstens im 14.
Jahrhundert, ein Beweis, dass sich
in dieser Zeit, ohne Zweifel von
Frankreich und Italien her, der Be-
griff der Narren als einer sclbstän-
I digen Gestalt und Bildung, einer
l besondem Spezies der Menschen,
I auszubilden begonnen hatte; auch
das romanische Wort fou, von spät
I lat. foltere, sich hin und her bewegen,
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714
Narren.
follis, etwas Hieb hin herbewegendes,
auch Blasebalg, daher Jolle soviel
als possenhaft, grillenhaft, ist erst
im Mittelalter in Gebrauch gekom-
men. Das 15. Jahrhundert hat be-
reits ganze Fastnachtspicle, die von
Narren handeln, aber es sind fast
immer nur die verliebten Narren
gemeint; siehe übrigens über den
Narren im Spiele weiter unten. Seine
bleibende charakteristische Gestal-
tung in der Litteratur und dadurch
auch in der Anschauungs- und Aus-
druckswei.se der Zeit überhaupt er-
hielt jedoch der Narr bei uns erst
dureli Sebastian Uran/s, im Jahre
1494 zuerst erschienenes Narren-
schiff, wo auch zuerst die besonde-
ren Beziehungen des Narrendaseins
zum vollen sprachliehen Ausdruck
gelangten; von Brant stammen die
Redensarten: Kr ist in der narren
raff, im narrenorden, die pfifft» zun
dem narrenreien, narrentanz, narren-
feit, narrenbery, die ziehen doch den
narren pjhuHj ; und da nzt hernach am
narrenholz, und wird am narrenseil
ffefüert, man sieh/ sie im narren-
strick, er gehört uf den narren-
seh Iii, man setzt in uf den narren-
bank, ich dank in tief in narrenbri,
er stückt im narrenbri. Die Wir-
kung des NarrenschifTes war eine
ausserordentliche, es wurde das ge-
lesenste Buch seiner Zeit, durch
zahlreiche deutsche Ausgaben in
Deutschland, durch zwei lateinische
Bearbeitungen iu der europäischen
Gelehrten weit und durch mehrfache
Übersetzungen in die französische,
englische und niederliindischeSprache
auch in der ungelehrten Leserwelt
dieser Lander verbreitet; Deutseh-
land erstattete Frankreich damit
zurück, was dieses ihm an Narren-
erscheinungen zu- und vorbereitet
hatte. Der Verfasser des Narren -
seinfies wurde als der erste deutsche
Dichter gefeiert, als ein zweiter
Dante, eine Epoche der Litteratur
sollte mit ihm begonnen haben.
Wirklich ist auch durch das
ganze 16. Jahrhundert und bis in
das erste Viertel des 17. kaum ein
deutscher Dichter von BrantsNarren-
schitf unabhängig, die bedeutendsten
unter ihnen am meisten; doch be-
zieht sich diese Abhängigkeit in
erster Linie auf die Weltanschauung
Brants überhaupt , auf seinen sitt-
lichen und vernünftigen Massstab,
mit dem er die 1 >inge rnnst. auf den
reichen und vollen Gebrauch der
freien Rede, und erst in zweiter
Linie auf das Narrentum. Dennoch
ist auch sein Narrenturn als der
Revers der Weisheit, der Seharten
hinter dem Lichte der Vernunft, in
zahlreichen Büchern und Dichtungen
weiter gebildet worden. In der la-
teinischen Litteratur der Gelehrten
steht hier des Erasmus Knkomium
Moriae obenan, das selber wieder
ein eigentliches Weltbueh geworden
ist; vgl. die Übersetzung der Moria
durch Sebastian Frank, Ausgabe
von Krnst Götzinger, Leipzig 1SS4.
Von deutschschreibenden Schrift-
stellern hat sich zuerst Thomas Mur-
ner das Narrens« hift* zum Vorbilde
von vier Hauptwerken genommen,
der ( iduchmaft , der Sehet mt ozunft,
»ler Sarrenheschtcorunfi und vom
(j rohe n Inf herischen Narren. Während
aber der streitbare Mönch mit seinen
Narren allmählich in die hasserfüllte
religiöse Partei - Satire gedrängt
wurde, blieb Hans Sachs in seinen
zahlreichen Narrengedichten bei der
Verspottung des menschlich Unver-
nünftigen stehen und verstand es
mit seinem heitern Humor, fern von
aller Verletzung berechtigter Inter-
essen, der Thorheit ihr natürliches
Recht zu gönnen und zu lassen.
Sein berühmtestes Narrengedieht ist
das Fastnachtspiel, das XarrrnseJtn*4-
den, wo das Wort Narr die Personi-
fikation einer bestimmten Narrheit
bedeutet, HolVart, Geiz, Neid, Un-
keusehheit, Füllerei, Zorn und de rgl. ;
überhaupt aber
Allerlei Gattung, als falsch Jurist»in,
Sehw-ai zkünstler und die Alchamisten,
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Narren.
715
Finanzer, Alefanzer und Trügner,
Schmeichler, Spotfeier und Lügner,
Wunderer, Egelmeier und leunisch,
Grob, olperer, unzüchtig und heu-
niseh,
Undankbar, Stocknarren und gech,
Fürwitzig, leichtfertig und frech,
Gronct. und gremiseh, die allzeit
Borgen,
Boss Zalcr, die doch gern borgen,
Eiferer, so hüten ihrer Frauen,
Die on Not rechten und on Not
bauen,
Spieler, Bögschützen und Waidleut,
Die viel verton nach kleiner Beut,
Summa Summarum, wie sie nannt
Doktor Sebastian us Brant
In seinem Narrenschiß* zu farn.
Narrenschwänke von Hans Sachs
sind der Narrenbriifer , der Kram
der Narrenkappen, der Na rrenfresser,
das Aarrenbad ; von andern Dichtern
stammen Spiele, Sprüche und Lieder,
genannt aas Na rrenqi essen , die
Narrenschnle , die Narrenkappen,
die Narrenhatz, Spital unheilsaner
Narren. Mit der Einführung des
( ►pitzischen Geschmackes geht diese
Littcratur, die durchaus volkstüm-
lich war, aus ; einzig Abraham a St.
Clara hat noch einen nicht unglück-
lichen Nachtisch geliefert in seinem
L-entifolium stuf forum in Quarto
oder* hundert ausbüudige Narren
in Folio.
In allen genannten Narrenschrif-
ten bezeichnet der Narr denjenigen,
der in seiner Lebensführung, die-
selbe mag im übrigen sein welche
sie wolle, vom Wege der Vernunft
abweicht; diese Narrheit ist eine
Krankheit, eine Schwäche, die ab-
gelegt und geheilt werden soll und
kann, eine Verirrung, die auf den
rechten Weg zurückgeführt werden
muss. Parallel mit diesen Narren
geht nun in der Literatur eine an-
dere Narrenklasse von geborenen
Narren, von Naturnarren, denen die
Natur selber das Recht ihrer Existenz
Sjgeben hat, die nicht in ihrem
erufe närrisch handeln, deren Be-
ruf vielmehr ist, Narr zu sein. Die
höfische^ Gesellschaft kennt auch
diese Narren nicht; äusseres An-
sehen, hoher Stand decken die
Mängel des Verstandes; diese Nar-
ren gehören der niederen Volksklasse
an. Sie sind aber wieder unter sich
verschieden ; entweder sind sie ganze
Narren, oder sie sind Schalksnarren,
die ihrem niedern Stand getreu auch
ein geringes Mass von Weisheit an-
wenden und sich namentlich darin
gefallen, durch Ungezogenheit, un-
flätige Worte und Geberden, gute
und schlechte Witze die Weisheit
und die Lebensart der höhern Stände
parodierend zu verhöhnen. Einzelne
Streiche gehören der Weltliteratur
an und verbreiten sich über ganz
Europa, sind sogar in Asien nach-
gewiesen worden. Ein solcher
Schalksnarr ist Markolf oder 3/u-
rolf in dem sehr alten Uoinan oder
Volksbuch von Saloinon und Morolf,
ein einfältiger, tölpelhafter Bauer,
der aber mit seinem Mutterwitz den
weisesten König doch zu Schanden
macht, ein VorTäufer oder Vorbote
des Hofnarren. Mit Vorliebe er-
zählen andere Bücher von Pfaffen
niedrigen Standes, welche durch
tolle Streiche diesen ihren Stand
gleichsam rächen, so das Buch vom
Pfaffen Ami* von dem Stricker, der
Pf aß' vom Kutenbertj und Peter Leu,
der ursprünglich Blöckträger in Hall
war, dann unter die Armaniaken
geriet und zuletzt Pfatf wurde. Der
vollendetste Volksnarr des niedern
Volkes wird aber Eulenspiajcl. Die
Spezies der Ganznarren ist vertreten
durch die Schildbürqer\ dieses Volks-
i buch ist aus der Zusammenfassung
vereinzelter Stichelschwänke über
gewisse Städte und Städtchen ent-
standen, verrät aber in seinem un-
bekannten Verfasser einen recht
geistvollen Kenner des menschlichen
Herzens. Von einem der vielen
Weisen Griechenlands lässt er das
Völklein abstammen und ursprüng-
lich mit der höchsten Weisheit
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71G
Narren.
begabt seiu; sie werden daher von
allen Fürsten zu Rat berufen und
keiner von ihnen kann daheim blei-
ben, bis endlich ihre Weiber sie
zurückfordern, ihr verwildertes Haus-
wesen herzustellen; worauf sie denn,
um ferneren Drang nach ihrer an-
geborenen Weisheit zu vermeiden,
beschliessen , sieh närrisch zu stel-
len, und sich nun allmählich so in
die Narrheit verlieben und fest-
rennen, dass sie nicht mehr anders
können. Nachdem sie sich in allen
Arten der Narrheit meisterlich ver-
sucht und befestigt und vom Kaiser
ein Privilegium mit Brief und Sie-
gel dafür erhalten haben, geht ihre
Narrheit zuletzt ins Tragische über,
zerstört ihren eigenen W ohnsitz und
zwingt sie, nach allen Gebenden
hin auszuwandern: so sind sie nun
wieder, wie die Juden, durch die
ganze Welt zerstreut und überall
anzutreffen.
An den Narren der didaktischen
und erzählenden Litteratur schliessen
wir den Xarren des Schauspiels-, er
steht mitten inne zwischen einer
allegorischen Personifikation der
Thorheit und Unvernunft und zwi-
schen dem lebendigen Lustigmaeher
der Gesellschaft. An die Auffas-
sung des Lästere als Thorheit er-
innert im mittelalterlichen Schau-
spiel die Behandlung des Teufels als
komischer Person; als Vater der
Sünde ist der Teufel auch Vater
der Thorheit; andere mit der Narr-
heit verflochtene Personen sind die
Verliebten oder Liebesnarren, die
Hhenarren , Männer , welche ihren
Frauen die Hose mit dem längern
Messer lassen, der Faulenzer, der
Aufschneider, unter den einzelnen
Berufsklassen in erster Linie der
Bauer, dann der Hirte im An-
schlüsse an die Hirten im Weih-
nachtsspiel, die Uärtner, die Söld-
ner, welche im Passionssniel die
Wächter am Grabe vorstellen ; sel-
tener werden fahrend* Ix-ute, und
eigentliche Handwerker, etwa
Schneider, Schuster, Leineweber für
das dramatische Spiel verwendet:
dagegen sind beliebte komische
Personen die Krämer, Quaektaiher
und Arzte, durch den Salbenk ramer
im Passionsspiel veranlasst, welcher
die älteste lustige Person unseres
Schauspiels ist, dann die «/«<//*«.
Mönche, Pfajfen und alten 1 Velber \
doch sind diese Figuren nicht die
I eigentlichen Quellen und Vorbilder
! der Narren als eiuer bestimmten
einzelnen Person des Spiels; viel-
mehr entwickelte sich der Narr des
Dramas aus den Lustigmaehern,
welche neben dem Spiel herliefen
und deren Aufgabe es war, Raum
für die in Gesamtheit auftretenden
Spieler und die nötige Stille zu
schaffen; zugleich (Jienten sie ab
Eiu- und Ausschreier oder Vor-
läufer. Es scheint nun, dass zwei
Strömungen nebeneinanderliefen,
eine, welche diesen Gaukeltn&nn.
qouygler, wie bisher die genannten
Funktionen verrichten hess, und
eine ernstere, die ihn in einen ehr-
samen Spruchsprecher, oft auch in
einen stattliehen Herold umzuwan-
deln zwang, neben welchen dann
jene Narren blos noch uebenzu mit-
liefen; manchmal gebot der Narr
bloss Stillschweigen, mit der Auf-
forderung, dem Argument des He-
rolds zu lauschen. Zu einer cha-
rakteristischen Benutzung des Nar-
ren erhob sich die dramatische
Kunst des deutschen Dramas im
16. Jahrhundert nicht; nur Jacob
Ruef aus Zürich machte ihn in
seinem Neujahrsspiel bedeutender,
indem er ihm die Aufgabe politi-
scher Satirc gab, und Hans Sachs
gab ihm in der Esther die Stimme
des gesunden Verstandes, der
schimpfweis die Wahrheit sagt, und
legte ihm sogar in der „Comexlia"
von Vater Sun und Narr mephisto-
phelische Züge bei, was aber nur
vereinzelt blieb.
Durch das Vorbild der engli-
schen Komödianten kam der eng-
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Narren.
717
lische Clown ins deutsche Schau-
spiel; der Herzog Heinrich Julius
von Braunschweig nennt ihn stets
Jahn, und stellt ihn als scheinbar
dummen, abermutterwitzigcnKnecht
hin; in den Tragödien und Komö-
dien des Jakob Ayrer heisst er
seltener Narr, sonst auch Jahn, ein
unflätiger Knecht, in einzelneu
Spielen mit den besonderen Unter-
scheidungen Jahn der Bott, Jahn
Posset, Jahn Clam der Bott, Jahn
Panser der Leibknecht, Jahn der
Narr, Jahn der Kurzweiler, Jahn
Türk der närrische Knecht; auch in
Fastnachtsspielen hat Ayrer den
Jahn verwendet, aber ebenfalls ohne
Glück.
Wieder andere Namen für den
Narren begegnen in den zahlreichen
Spielen, die im 16. Jahrhundert von
Geistlichen und Schulmeistern ver-
fasst wurden: Narrolt oder Recken-
kolben, Hans, Heinz, Jäckel, Jogle,
Veit, Claus, Lorenz; Hanswurst und
Hans Han bezeichnen anfangs nur
den Bauernhaus, den groben Tölpel.
Nicht minder mannigfaltig als die
Erscheinung des Narren in dem al-
tern Schrifttum ist diejenige im
Leben des Volkes; auch dieses
Narreutum ist international imd hat
sich mehr in den Ländern roman-
tischer Zunge und in Deutschland
in den Grenzgebieten, besonders in
Köln und Wien festgesetzt. Dass
auch die Kirche daran teilnimmt,
braucht für das Mittelalter keiner
Entschuldigung, da sich in ihr oft
religiöse Weihe hart und unvermit-
telt mit höchst weltlichem Gcbahren
zusammen gekoppelt vorfindet. An
römische Gebräuche bei der Satur-
nalieu-Feier pflegt man das soge-
nannte Narrenfest anzuknüpfen,
fest um fatuorum, Istultorum, follu-
rum, von dem im 12. Jahrhundert
zuerst ein Theolog berichtet. Man
Hess dio Schüler Kinderäbte und
Kinderbischöfe wählen, welche in
den Kirchen den liturgischen Dienst
verschen, es wurden dabei eigens
gedichtete Lieder gesungen und
Prozessionen veranstaltet Nachher
wurde die Parodie zur burlesken
Mummerei. Die Zeit der Feier war
gewöhnlich zwischen Weihnachten
und Epiphauien. Au Stelle des
Kinderabtes und Kinderbischofes
trat dann ein Narrenbischof oder
Narrenerzbischof oder ein Narren-
papst: die als Weiber, Tiere oder
Possenreisser vermummton Geist-
lichen betraten das Chor mit Tan-
zen und Absingen schlechter Lie-
der; auf dem Altar, vor der Nase
des messelesenden Priesters, assen
die Diakonen und Subdiakonen
Würste, spielten Karten und Wür-
fel, thaten alte Schuhsohlen u. dgl.
ins Kauchfass. Auch in den Mönchs-
und Nonnenklöstern wurde das
Narrenfest gefeiert, das zu Antibes
bei den Franziskanern folgeuder-
masseu vor sich ging: Am Tage
der unschuldigen Kinder kamen
statt des Guardian - und der Priester
die Laienbrüder ins Chor, zogen zer-
rissene und umgewendete priesterli-
che Kleider an, hielten die Bücher ver-
kehrt, hatten Brillengestelle auf der
Nase, worin statt der Gläser Porac-
rauzenschalen befestigt waren, blie-
sen die Asche aus den Rauchfässern
einander ins Gesicht oder streuten
sie sich auf die Köpfe, murmelten
unverständliche Worte und blökten
wie das Vieh.
Immer ist es mehr der Name
Narrenfest als die Person des Narren,
die hier beteiligt ist. Der eigent-
liche Narr in der Gesellschaft des
Mittelalters ist eine Verbindung des
freiherumgehenden Blödsinnigen mit
dem Lustigmacher, wobei die Heran-
ziehung lies erstern in die Gesell-
schaft nicht blos ein rohes Ver-
gnügen, sondern zugleich eine Ver-
sorgung solcher für diesen Zweck
noch brauchbarer Menschen gewesen
sein mag. Die Entwickclung dieser
Figur rindet teils innerhalb der ge-
sellschaftlichen Formen des Mittel-
I alters, am Hofe, in den Städten
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718
Narren.
statt, teils im Anschlüsse an den
italienischen Karneval. Die Ent-
stehung des Hofnarrentunis liegt im
Dunkeln. Nur so viel ist sicher,
dass die Hofnarren, zuerst in Frank-
reich, an die Stelle der Hofspiel-
leute und Posscnreisscr traten; auf
deutschem Hoden erscheinteinsolcher
narre oder tore zuerst in einer «1er
Fortsetzungen von GottfriedsTristan,
die ums Jahr 1H0U verfasst ist; hier
lasst sich Tristan, um zu einer Dame
zu gelangen, ein torenkleit machen
von wunderlichen Sachen, einen rock
seltsacn getan, und eine gugel daran
vz snoedem tuoche, daz was grd,
daruf qesniten hie unt da narren
bilde uz roter trat, daz nieman ge-
seehen hat so toerisch einen rok ge-
statt, und nam einen Kothen grdz ;
aus seinem verruchten Gebahren,
das er nur der Königin gegenüber
zur Schau trägt, ersieht man deut-
lich, dass es sich hier um einen Blöd-
sinnigen handelt, welcher der Sitte
der Zeit gemäss seine eigene Kleidung
und Tracht anhatte. Die Narren
von Beruf und Anlage sind aber
nicht durchweg verdingt , sondern
treiben ihrHandwerk oft auf eigene
Faust, indem sie bald hier bald dort,
bald einzig, bald in TrupjM'n sich an-
stellen lassen und bleiben, bis ihr
Schatz geleert ist. Namentlich sind
sie bei festlichen Anhissen unent-
behrlich. Sie treten bald als eine
eigentliche Körperschaft auf, die
ihre eigenen Satzungen hat uud sich
namentlich durch ihre Kleidung
äusscrlich schon kennzeichnet. Auf
einer französischen Spielkarte aus
dem Schlüsse des 14. oder dem An-
fange des 15. Jahrhunderts findet
sich ein solcher Narr (Jbu) in ganzer
Figur dargestellt, umgeben von
Kindern, welche ihn hänseln. Hier
zeigt sich derselbe uuterhalb,bis zu den
Hüften hin, völlig nackt; nur um
die Hüften, die Scham verhüllend,
mit einer schmalen Sackbinde ge-
gürtet. Den Oberkörper bedeckt
eine Art Hemd mit massig weiten
unterwärts kurz aufgeschlitzten Halb-
ermein; darüber ein fast ebenso
langer, tief ausgezaddelter Schulter-
kragen, der gleichmässig rings-
herumfallcnddemHalse ziemlich enge
sich anschliesst. Die Kopf bedeckung
hat die Form eines runden Spitz-
hutes mit turbanähnlicher Umwin-
dung, aus der sich zur rechten und
zur linken ein eselohrförmiger Lappen
erhebt; die Spitze ist mit einer
Schelle versehen. Das Gesicht ist
bartlos, auch das Haupthaar völlig
verdeckt.
Dieses Kostüm blieb in der Haupt-
sache unverändert bestehen. Schellen-
kappen, Kselsohren, Hahueukamm.
lange, mit Schellen besetzte Ennel,
Kolben und Fuchsschwanz, nebst
den tollen Sprüngen — das alles
machte den Narren aus. Vgl. dazu
die oben augeführte Abhandlung von
Wein hold, S. 39 ff.
Reicher noch waren die Hof-
narren gekleidet, so namentlich am
französischen Hofe; doch geschah
das nicht immer mit würdigen Neben-
beziehuugen. So war es z. B. Sitte,
die (übrigens kostbare) Kleidung der
Narren aus demselben Stoffe herzu-
stellen, mit dem der geheime Stuhl
des Königs überzogen war.
Von <ien eigentlichen Hofnarren
zu unterscheiden sind die sogenannten
lustigen li/tte, kurzweilige Rate oder
Tischrnte, meist geistreiche Männer,
die sich des Vorrechts der freien
RVde bedienten, um die Thorheiten
und Gebrechen ihrer Zeit und Um-
gebung zugeisseln und zu verspotten.
So ein Mann war der lustige Rat
Kaiser Maximilians, Kunz von der
Kosen. Auf fahrende Schalksnarren,
die in keinem ordentlichen Dienste
stehen, sollte gefahndet werden.
Das Institut der Hofnarren dauerte
etwa bis 17(10.
Zuerst am Niederrhein, also wieder
an der Grenze Frankreichs , wird
von decken- und Sarrenqesell-
schaffen erzählt, wohl in Nach-
ahmung ritterlicher Orden errichtet ;
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Narrenhüuschcn. — Nekrologien.
719
»Ii»' erste derselben wird im Jahr
1381 von 2 Grafen und Hf> Herren
aus der Clevesehen Ritterschaft ge-
stiftet. Ihr Ordens/eichen, das sie
gestickt auf ihren Kleidern trugen,
stellte einen Narren vor, der eine
halb rote und halb von Silber ge-
stickte Kappe mit gelben Schellen,
gelbe Beinkleider und schwarze
Schuhe trug und eine vergoldete
Schaale mit Früchten in der Hand
hielt. Sie wählten alle Jahn; einen
König und sechs Ratsherrn ; Narren-
freiheit; Freiheit von dem Zwange
des lastigen Hofzeremoniells war der
Hauptzweck der Gesellschaft. In
Dijon bestand eine ähnliche, aber
grössere Narreng« -Seilschaft, genannt
die Narrenmutter, La Mf-re folie,
Mater s/v /forum. 7.' Infanterie I)i-
jonnoie. Ihr Obmann, der sich durch
gute Gestalt, gefällige Manieren
und Rechtsehaft'enheit auszeichnen
mitsste, hie88 im Besondern die
Narrenmutter und hatte cineneigent-
liehen Hofstaat; auf der Fahne der
Infanterie waren eine Menge Narren-
kopfe mit Narrenkappen gemalt, mit
der Überschrift: Stuf forum infinitus
est numerus. Die T>0 Schweizer,
welche die Narrenmutter zu ihrer
Wache hatte, waren die vornehmsten
Künstler der Stadt. Der Aufnahme
in die Brüderschaft ging ein Examen
in Versen voraus, das mit Versen
beantwortet w erden musste. Gecken-
oder Narrengerichte in kleinerm
Massstabc gehören noch heute unter
die Fastnachtlustbarkeiten mancher
Gegenden.
Die letzte Ausbildung des Narren
tums vollzieht sich im Geleite der
italienischen Renaissance im 14. und
15. Jahrhundert. Es ist der römische
und florentinische Karneval, der in
Anlehnung an die Volkssitte, viel-
leicht auch an altklassische Züge
und unterstützt von der damals herr-
schenden ausserordentlichen Freude
an plastischen Darstellungen nament-
lich grosse Aufzüge zu Wagen, zu
Pferd und zu Fusse veranstaltete,
mit allegorischen Darstellungen der
manigfaltigsten Art; beliebt war be-
sonders der aus dem Heidenturne
herübergenommene Schiffwagen, ei-
gentlich das IsisschitV, das am 5. Marz
als Sjnibol der wieder eröffneten
Meerfahrt ins Wasser gelassen wurde.
Es ist dieselbe Vorstellung, die wahr-
scheinlich nach einem Vorbilde der
Niederländer, zu denen der ita-
lienische Karneval Eingang gefunden
hatte, unserm Sebastian Braut als
Eiukleiduug seine** XarrrnsrliiJ/'es
diente; eines Schiffes also, das auf
einem Wagen gezogen, den Stand
der Narren zu tragen bestimmt ist.
Vgl. noch F/of/e/y Geschichte der
Hofnarren, und Geschichte des Gro-
tesk-Komischen.
Narrenhuuschen, frz. cackot,
nannte man ein auf der Vorderseite
offenes, vergittertes Vcrliess, in dem
namentlich Ehebrecher von der
kirchlichen Behörde an den Pranger
gestellt wurden. Es war in der
Kirche selber, meist zur rechten oder
linken des Chors angebracht, so in
der Stadtkirche zu Meissen und in
derjenigen zu Jena. An den Rat-
häusern waren solche Häuschen für
nächtliche Ruhestörer, für Betrun-
kene etc.
Nasenschirme, frz. und engl.
nasal \ lat. nasale. Der Nasenschirm
ist ein circa 4 cm breiter Metall-
streifeu, der zum Schutze der Nase
auf den ursprünglich glucken- oder
kegelförmig gestalteten Helm des
Kriegers aufgenietet wurde. Siehe
den Art. Helm. Auch die Ross-
stirn der Pferderüstung war damit
versehen.
Nekrologen heissen Verzeich-
nisse der Todestage aller derer,
deren Gedächtnis in der Kirche
oder dem Kloster, dem diese Auf-
zeichnungen angehörten, durch Er-
schliessung in die öffentliche Fürbitte
gefeiert werden sollte. Sie sind nach
dem Kalender geordnet und ent-
halten, da jeder angesehene Mann
sich um seiner Seligkeit willen ein
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720
Nestel. — Nibelungenlied.
solches Gedächtnis zu sichern pflegte,
die Namen der angesehensten Männer
geistliehen und weltlichen Standes,
namentlich aber der Stifter mit ihren
Familien und der Wohlthäter, welche
Schenkungen gemacht oder Seelen-
messen gestiftet hatten. Ihre Namen
pflegte man durch grössere Schrift,
farbige Dinte und sonstige Verzie-
rungen auszuzeichnen. Das Nekro-
logium von Fulda enthält Namen
von 7 HO bis 1065. Diejenigen No-
krologien, welche bloss die Namen
von Stiftern enthalten, heissen
Anniversarien.
Nestel, \at. nuittula, xthjula, nennt
man eine zum Zusammenschnüren
der Kleider dienende Schnur, die
meist — nach Art der heutigen
Schuhnesteln — an den Enden mit
Metallspitzcn versehen waren.
Netz. Das Fhtehernetz ist in vor-
geschichtlicher Zeit erfunden worden
und ist ohne Zweifel der Kunst,
Tuch zu weben, vorausgegangen.
Das Haarnetz, l&t.Jlecht, Jlexa, era-
tula, kam auf deutschem Boden im
14. Jahrhundert in Gebrauch. Frauen
schmückten und banden damit das
geflochtene und aufgebundene Haar.
Im 15. Jahrhundert trat infolge der
völligen Haarkürzung bei Männern
und Frauen an seine Stelle die
Jfaarhaitfe, welche teils allein, teils
unter dem Barett getragen wurde.
»innen, siehe Musik.
Nibelungenlied, ein strophisches
Epos der mittelhochdeutschen Zeit,
dessen StoftderVolkssage entnommen
ist, wurde wahrscheinlich zwischen
1 1 80 und 1 1 00 gedichtet Es ist nur
in zwei Umarbeitungen aus der
ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts
erhalten.
I. Sein Inhalt ist in den Haupt-
zügen folgender:
In Worms halten die drei Könige
der Burgunder, Gunther, Gernot und
Giselher Hof. Einmal träumt ihrer
Schwester Kriemhild, wie ihr zwei
Adler einen wohlgczähmtcn Falken
zerreisen, was ihre Mutter auf den
Tod ihres Geliebten deutet. Stolz
entgegnet das Mädchen: Was sagst
du mir von einem Geliebten? Ich
weiss wohl, wie die Liebe mit Leid
lohnt und will die Minne meiden.
Die Antwort der Mutter lautet, dass
die höchste Seligkeit des Weibe«
Maunes-Minne sei.
In Niederland ist der Sohn des
Königs, Siegfried, eben zum Ritter
geschlagen worden. Man hat ihm
viel von Kriemhilds Schönheit er-
zählt, und er beschlicsst, um sie zu
werben. Die Warnung vor der Macht
und besonders vor Hägens Stärke
schlagt er in den Wind; giebt man
ihm das Mädchen nicht gutwillig, so
will er es Bich mit Gewalt erzwingen.
Es ärgert ihn, dass man ihn vor der
Tapferkeit der Burgunden warnt, ihn,
der sich jeden zu bestehen getraut,
und in dieser Stimmung reitet er in
da« Burgundenland.
In Worms sieht man ihn an-
kommen, weiss aber nicht, wer er
ist. Nur Hagen vermutet, dass der
stattliche Held wohl Siegfried sein
möge. Er erzählt, wie derselbe in
den Besitz des Nibelungenhortes ge-
kommen sei, indem er die Kiesen
Schilbung und Nibelung erschlug
und 700 Recken ihres Landes be-
zwang, wie er dem Zwerg Albrieh
die Tarnkappe nahm und einen
Drachen tötete, dessen Blut seine
Haut undurchdringlich machte. Die
Könige werden dem kühnen Recken
gewogen und empfangen ihn freund-
lich, allein Siegfried, noch ganz unter
dem Eindrucke beleidigten Stolzes,
weil man ihn den Burgunden nicht
gewachsen gehalten hat, fordert den
König Gunther ungestüm zum Zwei-
kampfe heraus; auch Ortwin und
Hagen beleidigt er. Gernot und
Giselher aber vermitteln, und Sieg-
fried denkt dann doch auch au die
herrliche Jungfrau, die zu gewiunen
er gekommen ist. Es bildet si<*h
bald ein freundschaftliches Verluilt-
nis, so dass Siegfried ein ganzes Jahr
in Worms bleibt. Oft sieht ihn
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Nibelungenlied.
721
Kriemhild bewundernd bei den
Ritterspiclen von den Frauenge-
mächern aus und bald keimt in Dir
die Neigung zu dem stattlichen
Helden.
Die Könige der Dänen und Sach-
sen sagen den Burgunden den Krieg
an. Diese sind in grosser Besorgnis,
allein Siegfried erklärt sich bereit,
den Kampf mit Hilfe von 1000 Rittern
bestehen zu wollen. Er nimmt gleich
zu Anfang den rekognoszierenden
König der Dänen samt seinem Ge-
folge gefangen, und als ihn der
Saehsenkönig in der Feldschlacht er-
kennt, ergiebt er sich verzweifelnd
mit seinem Heere. Boten eilen mit
der Siegesnachricht heim. Kriem-
hild brennt vor Begierde, von den
Thaten des herrlichen Ritters zu
hören, den sie im Herzen trägt, aber
sie wagt kaum nach einem der Boten
zu senden, denn sie furchtet zu ver-
raten, dass ihre Teilnahme den
Thaten des Geliebten gelte. Der
Bote schildert den Kampf anschau-
lich; immer tritt Siegfrieds Helden-
gestalt in den Vordergrund. Die
Jungfrau lauscht seinen Worten mit
Begeisterung; sie freut sich wohl
auch über die Thaten ihrer Brüder,
aber ihr Herz ist erfüllt von Sieg-
frieds herrlichem Bilde. Nach der
Rückkehr der Kämpfer bereitet man
sich zum Siegesfest, und um dasselbe
noch glänzender zu machen, lassen
die Könige ihre Schwester Kriemhild
zum erstenmale mit ihrem Gefolge
vor den Rittern erscheinen. Da putzt
sich mancher junge Ritter und hofft,
dass ein schönes Auge wohlgefällig
auf ihm verweilen möchte. Siegfried,
der Hauptheld, wird bestimmt, die
königliche Jungfrau zu geleiten.
Schüchtern führt er sie an der Hand,
und der höfischen Sitte gemäss, darf
ihm seine holde Begleiterin auch
einen Kuss gewähren. Wie mancher
Recke sieht da sehnsüchtig nach den
Beiden! Sie dankt ihm für den Bei-
stand, den er ihren Brüdern geleistet
hat, und so sind sie die zwölf Tage
Keallexicon der deutschen Altertümer.
des Festes hindurch in traulichem
Beisammensein. Zum guten Schlüsse
werden die gefangenen Könige nach
dem edelsinnigen Vorschlage Sieg-
frieds ohne Lösegeld freigelassen.
Gunther hat sich Brünhilde, die
Königin von Island, zur Gemahlin
ausersehen und bittet Siegfried um
Hilfe bei der gefahrvollen Werbung.
Dieser sichert sie ihm gerne zu und
wagt nun endlich auch mit seiner
Werbung hervorzutreten: Kriemhild
soll sein Lohn sein. Wohlgerüstet
begeben sich die Helden, nachdem
alle Vorkehrungen getroffen sind,
zu den Schiffen: Kriemhild bittet
Siegfried, ihren Bruder zu schützen.
In Island angekommen, werden
sie von der Königin empfangen,
welche Siegfried für den werbenden
König hält, er weist sie aber auf
Gunther hin, für dessen Diem<tmann
er sich ausgiebt Dieses grosse Opfer
bringt er, um sich unbemerkt ent-
fernen und ihm heimlich beistehen
zu können, ohne dass sein Fehlen
unter den Gästen auffällt. Nun be-
ginnen die Kampfspiele, in denen
Brünhilde durch Gunther besiegt
werden muss, um ihm als Gattiu
nach Worms zu folgen. Siegfried
geht zu den Schiffen und holt die
Tarnkappe, welche ihn unsichtbar
macht So verhilft er Gunther zum
Siege und stellt sich nachher, als
hätte er den Spielen nicht beige
wohnt.
Brünhild nimmt von den Ihrigen
Abschied und mit günstigem Winde
segeln sie nach Worms. Siegfried
eilt als Bote voraus und wird von
Kriemhild freudig empfangen. Sie
entschuldigtsich, sie habe kein Boten-
brot für einen so reichen König; er
aber antwortet, wenn er dreissig
Lande hätte, so würde ihn eine Gabe
aus ihrer Hand glücklich machen.
Als Gunther angekommen ist, wird
die Vermählung gefeiert und bei der
darauf folgenden Tafel Kriemhild
mit Siegfried verlobt, indem sie die
Ringe wechseln. Das muss der Brün-
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Nibelungenlied.
hilde auffallen, weil sie ja Siegfried Die Gä*te werden wohl empfan-
für einen Eigenmann Gunthers hält, gen; Brünhild wirft verstohlen man-
Sie befriedigt sich nicht mit den ehen Blick auf ihre Schwägerin.
Ausflüchten Gunthers, droht, ihm deren Schönheit Alle überstrahlt,
ihre Minne nicht gewahren zu wollen Schon elf Tage dauert das Fest, da
und bindet ihm. da er sich ihr im sehen die Königinnen einmal zu-
Braut gern ach liebewerbend naht, sammeudem Wanenspielezu. Kriem-
Händc und Füsse zusammen, worauf 1 hild ist glücklich über die Tbaten
sie ihn an einen Nagel hän^t. Am ihres Gatten ; ihr liebendes Herz
Morgen da er Siegfried sein Leid fliesst über in bewundernden Worten,
klagt und ihm seine geschwollenen In ihrem Glücke überhört sie die
Hände zeigt, verspricht ihm dieser Rede der Brünhild, welche hervor-
scinen Beistand. Abend« schleicht hebt, dass er eben doch Gunther*
sich Siegfried von seiner Gemahlin Leibeigener sei. Brünhild wieder-
weg und geht, durch die Tarnkappe holt diese Worte, welche Kriemhild
unsichtbar geworden, in Guuthers einfach dadurch zurückweist, dass
Gemach. In gewaltigem Ringen be- Gunther sie, seine Schwester, doch
siegt er das starke \Veib, das ihn gewiss nicht seinem Leibeigenen
für Gunther hält, und dieser darf vermählt hätte. Brünhilde aber wird
sieh nun ihrer Minne erfreuen. Sieg- immer bitterer, und nun gerät auch
fried nimmt im Übermute einen Ring Kriemhild in Aufregung, sie stellt
von Brünhildens Hand und ihren Siegfried sogar höher als Gunther.
Gürtel mit und übergiebt diese Gegen- Zornig spricht die Burgundenkönigin :
stände seiner Gemahlin. „Ich will sehen, ob mau dich oder
Siegfried zieht nun mit seiner mich mehr ehrt.'' „Jawohl," ent-
Gemahlin in sein Königreich. Brün- gegnet Kriemhild, „mein Gatte ist
bilden lässt es aber keine Ruhe, dass der Trefflichste, der je eine Krone
er gar keine Zeichen von Unter- trug." Sie trennen sich, um sich
thänigkeit giebt, keinen Zins ent- ' zum Kirchgange zu kleiden. Brün-
richtet und sich nie bei Hofe sehen hild mit ihrem Gefolge ist die erste
lässt. Sie verlangt von Gunther, beim Münster und erwartet Kriem-
dass er ihm einmal herzukommen hild. um zu sehen, ob sie es wagen
befehle, worauf dieser endlich ein- werde, vor ihr die Kirche zu be-
willigt ihn einzuladen. Brünhild er- treten. Dieselbe naht mit ihrem Ge-
kündigt sich eifersüchtig bei den folge, das im Glänze seiner Kleidung
Boten, ob denn Kriemhild noch immer alles überstrahlt. Brünhild ruft ihr
so schön sei. Die reichen Geschenke, zu: „Nun warte-, vor der Köuigin
die ihnen Siegfried gespendet hat. soll keine leibeigene Magd gehen."
erwecken in Hagen den Gedanken „Schweige," entgegnet die aufs
an dessen grossen Schatz. Er war höchste gereizte Kriemhild, „du bist
von ieher von Neid gegen Siegfried ja ein Kebsweib; wisse, dass dir
erfüllt. Früher hatte er die erste mein Manu, nicht Gunther, das Magd-
Rolle am Hofe der Burgunden ge- tum genommen hat." Darauf schreitet
spielt, sein Rat war die letzte Zu- sie mit ihrem Gefolge ins Münster
flucht der Könige gewesen, seit aber und lässt die weinende Brünhild
Siegfried gekommen ist, sieht er sich draussen stehen. Diese wartet, bis
beiseite gestellt. Der Besitz eines Kriemhild zurückkommt und setzt
Schatzes verschafft Macht, mit Gold sie zur Rede. Kriemhild bekräftigt
kann man Heere werben, und es ihre Worte durch den Ring und deu
keimt in Hagens Sinn sofort der Gürtel, den sie von ihrem Gemahle
W unseh. Siegfried beiseite zu schaffen erhalten hat. Laut weinend lüssr
und den Hort zu gewinnen. Brünhild ihren Gatten und Siegfried
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Nibelungenlied.
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rufen, welcher seine Unschuld durch rät ihr, ein rotes Kreuzchen auf die
den Reinigungseid bezeugt. j Stelle zu nahen, die er schützen
Hagen kommt dazu und findet solle. Damit hat er seinen Zweck
die Zeit höchst günstig für seine Ab- erreicht und der angebliche Krieg
sichten. Unter dem Vorwaud, die wird nun wieder abgesagt.
Schmach seiner Königin zu rächen, Bald nachher rüstet man sich zu
kann er den verhassteu Nebenbuhler einer Jagd, die am Odenwalde statt-
beseitigen und zugleich den Schatz finden soll. Böse Träume haben
gewinnen. Er rat also den bur- ! Kriemhild geängstigt, sie beschwört
gundischen Königen Siegfrieds Tod; Siegfried, dieses Mal zurückzublci-
anders könne die erlittene Schmach ben, allein er lässt sich durch ihre
nicht gesühnt werden. Sie wollen Besorgnis nicht abhalten. Auf der
aber nicht darauf eingehen; Sieg- Jagd thut er Wunder der Kühnheit;
fried hat ia den Reinigungseid g^c- er fängt sogar einen Bären, bindet
leistet und seine vielfachen Beweise ihn lebendig und hängt ihn an den
uneigennütziger Freundschaft sind Sattel. Alles staunt den wunder-
noch in frischer Erinnerung. Jetzt liehen Fang an; im Lager lässt er
tritt Hagen mit seinem eigentlichen das Tier los, das sich eiligst flüeh-
Gedanken hervor: „Wenn uns Sieg- tet und dabei unter die Kessel und
frieds Tod seinen Schatz verschaffte, j Töpfe der entsetzten Köche gerät,
so würde sich unsere Macht über was drollige Szenen veranlasst,
alle Lande ausbreiten !" Gunther ist Hagen bemerkt plötzlich, dass
zu unselbständig, als dass er Hagens man ja den Wein vergessen habe,
Rat ohne weiteres verwerfen könnte, kennt aber eine nahe Quelle, die
Er weist nur darauf hin, dass bei den Labetrunk spenden soll. Gun-
der Stärke Siegfrieds doch kein Er- ther schlügt einen Wettlauf mit
folg zu hoften wäre, wenn man den Siegfried vor. Dieser nimmt seine
Plan auch ausführen wollte. „Das Warfen, Schild und Schwert zur
überlasst nur mir," spricht Hagen, Hand und legt sich sogar auf die
,, dafür werde ich schon sorgen". Erde, während Gunther und Hagen
Er weiss, dass Siegfried eine ver- blos mit den Hemden bekleidet zu
wundbare Stelle hat und es gilt nun laufen beginnen. Trotzdem erreicht
vor Allem, von Kriemhild zu erfahren, er die Quelle zuerst, wartet aber
wo sich dieselbe befindet. Zu diesem auf Gunther, um ihm die Ehre des
Zwecke ersinnt er eine List; er lässt ersten Trunkes zu lassen. Sorglich
durch eine falsche Botschaft den legt er ihm den Schild zu dem
Burgundenkönigen den Krieg an- Vi asser hin, damit er nicht auf die
sagen. Siegfried bietet, wie zu er- Erde knien müsse. Nachdem Gun-
warten war, sofort seine Hilfe an, ther getrunken hat, kniet Siegfried
Kriemhild aber ist in höchster Angst, nieder: „do engalt er siner zühte",
denn sie fühlt wolü, dass sie eine da lohnte man ihm seine Liebens-
feindliche Stimmung gegen Siegfried würdigt eit ! Hagen schafft alle
hervorgerufen hat. Daher sucht sie Waffen schnell bei Seite, ergreift
Hagen, der am meisten zu fürchten einen Speer und durchbohrt Sieg-
ist, zu gewinnen. Als er zu ihr fried an der Stelle, wo das rote
kommt, um Abschied zu nehmen, Kreuzchen aufgenäht ist. Totwund
gesteht sie, Unrecht gehabt zu haben, erhebt sich aer Held, mit dem
oittere Reue quäle sie. Sie vertraut Schild schlägt er den fliehenden
ihm auch ihre Besorgnis an, man Hagen nieder, der noch nie in
möchte ihre Schuld Siegfrieden ent- grösserer Lebensgefahr war. Aber
gelten lassen und fleht ihn, denselben Siegfried ist zu schwach, und fällt
zu schützen. Das verspricht er und in die Blumen Mehr als die Wunde
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Nibelungenlied.
schmerzt ihn die Treulosigkeit als neue Herrin in Etzeinburg ein.
seiner Verwandten, und es ist ruh- I Ein Söhnehen beglückt sie, aber
rend, wie er bittet, wenigstens seine j ihre Gedanken weilen doch noch
liebe Gemahlin wohl zu behandeln, oft am Rhein; sie wünscht ihn
Niemand wagt es, der Kriem- 1 gute Mutter her und träumt von
hild die Trauerbotschaft zu über- 1 Giselher, ihrem jüngsten und lieb-
bringeu; Hagen aber zeigt seine '■ sten Bruder.
ganze Roheit und legt ihr den i Zwölf Jahre sind vergangen :
Leichnam gerade vor die Schwelle, i noch immer betrauert sie Siegln ed
Als sie am Morgen die Leiche er- in ihrem Herzen. Sorglich hat sie
blickt, ist ihr Jammer furchtbar. Alles vorbereitet und nun soll die
Wie Hagen und Gunther zu dem i Rache über Hagen hereinbrechen.
Toten treten, beginnen die Wunden Sie läcst ihre Brüder durch König
wieder zu bluten, jetzt ist kein Etzel in das Hunnenland einladen
Zweifel mehr: Brünhild riet die und trägt den Boten noch besonders
That, und Hagen ist der Mörder. , auf, doch ja dafür zu sorgen, das>
Rache, blutige Rache ist der i Hagen mitkomme. Die Könige
einzige Gedanke, der im Herzen nehmen trotz der Warnung Hagem-
des unglücklichen Weibes noch die Einladung an und Hagen ent-
Raum hat. Mit den Brüdern ver- schliesst sich mitzugehen, obgleich
söhnt sie sich zwar wieder, nicht er den Plan der Kriemhild dureh-
aber mit Hagen. Sie lässt den schaut und weiss, dass es besonders
Nibelungenhort nach Worms kom- auf ihn abgesehen ist. Die Boten
men und wirbt fremdes Kriegsvolk bringen die Nachricht zu den Hun-
damit, was ihre Brüder beunruhigt: nen und Kriemhild frohlockt, da sie
sie nehmen ihr den Sehatz und vernimmt, dass Hagen nicht zurück
ü beigeben ihm Hagen , der ihn zu bleiben werde.
Loheim in den Rhein versenkt. Hagen ist zu stolz, als dass er
Etzel, (Attila), dem seine Gat- den Anschlügen Kriemhilds furcht-
tin gestorben ist, wirbt durch den ! sam ausweichen wollte, da doch die
Markgrafen Rüdeger um Kriemhild. Könige die Gefahr nicht fürchten.
Hagen rät den Brüdern ab, der Er muss am Zuge teilnehmen, wenn
Werbung Gehör zu schenken, denn er nicht für feige gehalten sein
alle Macht in den Händen dieses will. Er sieht ein, dass dem Ver-
aufa tiefste verletzten Weibes er- hängnis nicht zu entrinnen ist und
scheint ihm gefährlich. Allein die geht ihm trotzig, die Gefahr selbst
Brüder willigen ein. Kriemhild herausfordernd, entgegen. Ab Ute,
selbst will zuerst nicht darauf ein- die Mutter der Könige, ihre Söhne
gehen, bis ihr Rüdeger, der nichts beschwört, nicht fortzuzieheu, da
von den Verhältnissen weiss, schwört, ' ein böser Traum ihr Unheil ver-
ihr stets der nächste sein zu wollen, kündet habe , ist Hagen der erste,
der ein ihr zugefügtes Leid räche, der sie zurückweist und Weiber-
Mit ziemlich kaltem Abschied träume Thorheiten nennt Kine
scheidet sie von ihren Brüdern und komische Rolle spielt der Küchen-
reist mit dem Markgrafen dem rech- meister Rumold, der Gunther zu-
ten Donauufer entlang. Nach dem rückzuhalten sucht und verspricht,
freundlichen Empfang, den ihr Rü- ihm dann immer sein Lieblingsge-
degers Familie zu Bechelaren bc- rieht kochen zu wollen,
reitet hat, trifft sie Etzel an der Die Donaunixen weissagen Ha
Grcnze. Die achtzehntägige, reiche gen auf der Reise, dass niemand
Vermählungsfeier findet zu Wien ausser dem Kaplan wieder heim-
statt und darauf zieht Kriemhild kehren werde. Hagen wirft ihn auf
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Nibelungenlied.
725
der Überfahrt ins Wasser, um die
Prophezeihung zu prüfen. Der
Misshandelte schwimmt aber wieder
zurück ans Ufer, wo er seinem Ar-
ger durch weidliches Schimpfen
Luft macht. Jetzt erkennt Hagen,
dass er richtig vorausgesehen nat;
niemand wird seine Heimat wieder
sehen, und er zertrümmert das
Boot, das sie übergeführt hat. Die
Herren des Landes, die sich ihnen
in den Weg stellen, werden besiegt;
tlie Schaar zieht weiter und trifft
auf den Markgrafen, der die Grenze
behütet und sie warnt
Während so auf allen Seiten
trübe Wolken den nahenden Sturm
verkünden, bricht plötzlich ein
heller Sonnenstrahl hervor und zeigt
uns ein liebliches Bild, den reizend
dargestellten Aufenthalt bei Rüdeger
in Bechelaren. Es ist allerliebst ge-
schildert, wie die schöne Tochter
Rüdegers beim Empfang den grim-
migen Hagen lieber nicht geltüsst
hätte, was sie doch der Etiquette
gemäss thun muss. Dagegen ge-
fällt ihr der junge Burguuderkönig
Giselher sehr gut. und die gegen-
seitige Neigung führt zur Verlo-
bung. Jeder erhält beim Abschiede
ein Geschenk, Gunther eine Rü-
stung, Gernot ein Schwert, Hagen
einen vortrefflichen Schild. Nur
Giselher erhält nichts; Rüdeger hat
ihm ja das Beste, was er besitzt,
seine schöne Tochter zu eigen ge-
geben. Er giebt seinen Gästen das
releite, damit sie sicher bei Etzel
ankommen.
Der König Dietrich von Bern,
der an Etzels Hofe weilt, reitet
ihnen entgegen und warnt sie, in-
dem er verrät, dass Kriemhild den
ermordeten Siegfried noch immer
beweine, somit sei es geboten, auf
der Hut zu sein. Hagen spottet:
.,lhre Thränen werden ihn wohl
nicht so schnell wieder lobendig
machen. •• Kriemhild geht ihnen
zum Empfang entgegen, es ist ihr
aber nicht möglich, ihren Groll
ganz zu verbergen; mit Hagen
wechselt sie bittere Worte. Die
Burgunden geben die Waffen nicht
ab, und zornig sieht die Königin,
dass sie gewarnt worden sein
müssen.
Hagen und der Spielmann Vol-
ker, der das Schwert eben so gut
zu führen weiss, als den Fieael-
bogen, sitzen nachher zusammen
vor dem Saal und Kriemhild geht
an ihnen vorüber. Volker will sich
erheben, wie es sich geziemt, Hagen
aber sa^t: „Nein, sie könnte glau-
ben, wir fürchten sie." Er ent-
blösst vielmehr sein Schwert, das
Siegfried einst gehört hat, und ent-
gegnet der Königin, die ihm Vor-
würfe macht, kaltblütig: „Ja wohl,
ich habe dir Leides genug gethau:
ich habe dir den Siegfriea erschla-
gen." Die Ritter im Gefolge der
Königin wagen es aber nicht, den
Kampf mit den Beiden aufzuneh-
men, und so geht diese günstige
Gelegenheit vorüber. „Nehmt das
Eisengewand und ergreift die
Schwerter," ruft Hagen seinen Ge-
nossen am Morgen zu, als sie zur
Messe gehen, und da Etzel sich
darüber wundert, erwidert er, das
sei so der Burgunden Brauch.
Nachher wird turniert und Volker
tötet dabei einen der vornehmsten
Himuen; Etzel aber beschwichtigt
seine Leute, da es nur ein unglück-
licher Zufall gewesen sei.
Kriemhild, die vergeblich Diet-
rich von Bern und seinen Waffen-
meister Hildebrand gebeten hat, sie
zu rächen, wendet sich nun an Blö-
delin, der mit seinen Leuten alle
Knappen in der Herberge der Gäste
erschlägt. Dankwart tötet ihn
und bannt sich einen Weg durch
die Feinde, um zu seinen Gefährten
zu gelangen, die mit Etzel im Saale
zu Tafel sitzen.
Hier hat Hagen den Hunnen-
könig gröblich beleidigt und Alle
sind in aufgeregter Stimmung. Plötz-
lich erscheint Dankwart bluttriefend
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Nibelungenlied.
vor dem Saal. Da fährt Hagen auf: setzt den Schild vor den Fuss zum
„.Jetzt wollen wir dorn König seinen Zeichen der Fehde. Die Helden
Wein bezahlen;44 Der erste Schlag klagen: Willst du deine Tochter
trifft Etzels Söhnlein, dessen Haupt denn schon zur Wittwe machen?"
in den Schoss Kriemhilds rollt, ruft ihm Giselher zu. Hagen zeigt
Volker, der Spielmann, fiedelt mit den Schild, den er von ihm al*
seinem Schwerte ungefüge Töne auf Gastgeschenk empfangen hat und
den Leibern der Hunnen, die sämt- der ganz zerhauen ist. Rüdeger
lieh erschlagen werden. Nur Etzel giebt ihm den seinen und wünscht,
und Kriemhild werden von Dietrich dass er ihn noch in seinem Heimat-
gerettet und auch Rüdegcr mit seinen lande tragen möge. Thranen der
Mannen verlässt den Saal, der nun Rührung treten den Helden ins
von Etzels Mannen rings umzingelt Auge bei diesem letzten Zeichen von
wird. Hagen wird von mehreren | Rüdegere Treue und Freigebigkeit.
Hunnen bestanden und in grosse i Dann beginnt der Kampf. Die
Not gebracht, siegt aber schliesslich Mannen Rüdegers und die Über-
doch immer. Die Burgundenkönige bleibsel des burgundischen Gefolges
suchen ihre Schwester zu besänftigen, fallen: Rüdeger und Gernot er-
und sie ist auch zum Frieden bereit, schlagen sich gegenseitig und wer-
aber nur unter der Bedingung, dass den von den Burgunden tief beklagt.
Hagen ausgeliefert werde, worauf Dietrich hört von dem Tode
die Burgunden natürlich nicht ein- Rüdegers , seines treuen Freundes,
gehen können. Da lässt Kriemhild und verlangt zornig den Leichnam
das oberste Stockwerk des Saales heraus. „Hole ihn selber", ist die
anzünden; die Haupthelden der Be- trotzige Antwort. Volker fahrt fort,
lagerten bleiben aber immer noch zu höhnen und zu spotten, und so
am Leben. Das Blut steht so hoch kommt es zum Kampfe, in welchem
im Saal, dass die niedersinkenden Alle, ausser Dietrich und Hilde-
Verwundeten ertrinken, und auf brand, Guntherund Hagen fallen. Za-
Hagens Rat stillen die Helden ihren letzt überwältigt Dietrich die beiden
Durst damit. Burgunden und bringt sie gebunden
Jetzt ist noch Rüdeger übrig von vor Kriemhild, indem er ihr Gnade
den hunnischen Recken. Der König für die kühnen Recken empfiehlt,
bittet ihn, den Streit mit den Feinden Sie verlangt von Hagen die An-
zu bestehen, und so kommt der ! gäbe des Ortes, wo der Nibelungen-
Markgraf in eine verzweifelte Lage hört verborgen liegt. Hagen weiss
Er fleht: „Nimm mir mein Lehen, wohl, dass Nichts mehr sein Leben
alles, was ich besitze, lass mich retten kann, will der Königen aber
betteln gehen, nur fordere nicht, noch den letzten Schaden anthim:
dass ich meinen Gästen, meinen sie soll den Ort des Schatzes nie
Freunden, meinen Verwandten in erfahren. „So lange einer meiner
ihrer Not als Feind gegenübertrete!" Herren lebt," sagt er, werde ich
Da erinnert ihn Kriemhild an den den Ort nicht verraten." Da lasst
Eid, den er ihr geleistet hat, als er sie ihrem Bruder das Haupt ab-
um sie warb , dass er jederzeit der schlagen und zeigt es Hagen. „Jetzt
erste sein wollte, der ihr Leid räche, ueiss den Schatz niemand, als Gott
Nun kann er nicht mehr ausweichen, und ich; und du wirst seinen Ort
er muss sein Schwert gegen die nie erfahren!'4 ruft er frohlockei.d
ziehen, die mit ihm durch die eng- aus. Da zieht sie Siegfrieds Schwert
sten Bande verbunden sind. Als aus der Scheide und erschlagt ihn.
er den Burgunden naht, glauben sie, Ergrimmt darüber, dass die kühnen
dass ihnen Hilfe komme; allein er Helden durch die Hand des blut-
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Nibelungenlied.
727
durstigen Weibes gefallen sind, dem Resultate, dass das ganze Ge-
dessen wilde Rache so viel Unheil dicht aus 20 romanzenartigen Liedern
stiftete, haut Hildebrand auch sie zusammengefügt sei, deren Strophen-
nieder. So nimmt, was in Liebe zahl sich immer durch 7 teilen lasse,
und Glück begonnen hat, ein bluti- Diese Volkslieder wurden seiner
ges Ende, „als ie diu liehe leide an Zeitbestimmung zufolge etwa um
dem ende (ferne qit." 1190—1210 gedichtet, dann mit Zu-
II. Die Frage nach dem Hand- sätzen versehen und um 1210 zu
xchriften Verhältnis*, womit auch die einem Ganzen vereinigt, wie es A,
Frage nach der Entstehung des Ge- freilich schlecht, überliefert. Der
dichtes zusammenhängt, ist noch Verfasser des Textes B verbesserte
keine endgültig gelöste. Es sind die rohe Arbeit und sein Text wurde
sehr viele Handschriften vorhanden. ; dann in C um 1 220 noch einmal
Die meisten gehören zu der Gruppe, [ geglättet und verfeinert. Lachmann
welche man die Vul^ata zu nennen i suchte nun aus A die ältesten Lieder
f>flegt, an deren Spitze B, die St. wieder herauszuschälen, von denen
j»alfer Handschrift, als die beste er annahm, dass sie ganz unver-
stellt. Die Hohenems-Müuchener ändert in das Epos aufgenommen
Handschrift A nimmt in dieser seien. Nach allerdings nicht immer
Gruppe eine eigentümliche, sclbstän- konsequent durchgeführten Krite-
dige Stellung ein. Weniger zahl- rien erklärt er eine Menge Strophen
reich ist die Gruppe, deren Haupt- für unächt, vom Bearbeiter hinzu-
vertreter die Hdlhenems-Lassbergi- gedichtet, und kam so zu den 20
sehe Hdschr. C ist. Liedern.
Bodmer wurde zuerst auf die Zuerst trat Holtzmann (1854)
Hdschr. C aufmerksam gemacht und gegen diese Aufstellungen Laeh-
gab deren letzten Teil heraus, Malier manns auf, die lange Zeit unange-
liess dann auch noch den vordem fochten geblieben waren, und ihm
Teil abdrucken, aber nach der folgten sogleich mehr Gelehrte.welche
Hdschr. A. Bodmer hielt A für die der Kritik Lachmanns den Vorwurf
idteste Hdschr., und diese Meinung der Befangenheit in einer vorge-
wurde allgemein angenommen, ohne fassten Meinung machten. Wahrend
dass irgend Jemand einen Beweis sonst in der Kritik der Grundsatz
versucht hätte. Schon Dornt blieb gilt, dass man vom besten Texte
es nicht verborgen, dass C die älteste auszugehen und , sofern nichts da-
der uns erhaltenen Handschriften gegen spricht, die ältesten Hand-
ln. Lach mann, der anfänglich diese Schriften besonders zu berücksichti-
Meinung teilte , gelangte später zu gen hat, so war in diesem Fall von
der entschiedenen Ansicht, dass die Lachmann das umgekehrte Verfahren
spätere Hdschr. A eine ältere Ge- eingeschlagen. Nur die Liedertheorie
stalt des Textes enthalte. Den Unter- konnte ihn dazu berechtigen, nur
suchungen Wolfx zufolge sind die ho- 1 wenn diese feststand, ergab sich A
merisehen Gedichte als Verknüpfun- als der ursprüngliche Text, aber die
gen einzelner Lieder zu betrachten, Liedertheorie selbst war bloss zu
und die mehrfache Vergleichung des stützen, wenn A als ursprünglich-
Nibelungenliedes mit der Ilias, na- ster Text angenommen wurde. Die
mentlich aber die vielen inneren Kriterien für die Ausscheidung der
Widersprüche in der Hdschr. A, Lieder fand man zu willkürlich und
wiesen darauf hin , zu untersuchen, die Teilbarkeit durch 7 in der
ob «ich nicht auch für das deutsche Strophenzahl ungenügend begründet.
Epos das gleiche Verhältnis nach- Die Ansichten des damals bereits
weisen lasse. Lachmann kam zu verstorbenen Lachmann suchten be-
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728
Nibelungenlied
sonders Müllen hoff' und Lielienkron,
in neuerer Zeit auch von Muth gegen
diese Angriffe zu verteidigen, während
WV/wflw;j*,anLachmann anknüpfend,
mit einer neuen Ansicht von der
Entstehung des Gedichtes hervortrat.
Holtzmann gelangte zum Resul-
tate, dass C den Text am besten
erhalten habe, während B und A
stufenweise Verschlechterungen des-
selben seien. Durch Zamcke wurde
diese Ansicht besser begründet, da
Holtzmanns Ausführungen noch man-
ches Unüberlegte und Flüchtige
enthalten hatten. Seinen Untersu-
chungen zufolge ist die Handschrift
C im Beginn, B in der Mitte, A
gegen das Ende des 13. Jahrhun-
derts geschrieben worden. Das Ori-
ginal des Nibelungenliedes ist uns
zwar verloren, aber in C ziemlich
treu erhalten. B enthält den Text
einer grobkörnigeren Bearbeitung,
und A ist durch vielfache Aus-
lassungen und Verschlechterungen
aus B entstanden.
Ein anderer Gegner erwuchs der
Lachmann'schen Ansicht in Barigeh.
Auch er legt A keinen massgeben-
den Wert bei, stellt das Verhältnis
von C und B aber etwas anders
auf, als Zarncke. Nach ihm sind
C und B Umarbeitungen eines ver-
lorenen Originals; dafür spricht na-
mentlich der Umstand, dass die
Kombination mancher Lesarten, wo
die beiden Handschriften im Reime
von einander abweichen, Assonanzen
ergiebt, welche C und B offenbar
in reine Reime umzuwandeln streb-
ten. B soll dabei mehr Ursprüng-
liches in sich schliessen, als C, was
Bartsch durch die Untersuchung
der Metrik in den Strophen, welche
nur in einer der beiden Handschrif-
ten stehen, darzuthun bemüht ist
Die beiden Bearbeitungen gehen
so weit auseinander, dass an eine
Rekonstruktion des Originals nicht
zu denken ist; man hat sich also
an eine derselben zu halten. Ob C
oder B. mehr Ursprüngliches er-
halten haben, ist eine noch nicht
endgültig entschiedene Frage : für B
sprechen mehr äussere, für C mehr
innere Gründe. Allgemein wird
aber anerkannt, dass C die weitaas
schönere und feinere Textesrezension
in sich schliesse; jedem, der das
Nibelungenlied des ästhetischen Ge-
nusses we^en lesen will, ist C in
erster Linie zu empfehlen.
III. Für die Entstehung des C^ed icM-
tes sind, den Ansichten über das Hand-
schriftenverhältniss entsprechend,
ebenfalls abweichende Meinungen
vorhanden. Dass der Sagenstoff
ursprünglich in einzelnen Liedern
verbreitet war, ist durch die Lieder
der altern Edda, soweit sie die^n
Sagenkreis betreffen, bezeugt, dann
aber auch noch durch zwei wichtige
Stellen in der vita Canuti und bei
Saxo Crrammatieus. In den ersten
Tagen des Jahres 1131 sucht der
deutsche Sänger Siward den Herzog
Knud Laward von Schleswig vor
der hinterlistigen Einladung des
dänischen Königs zu warnen, indem
er ihm dreimal den vielbesungenen
Verrat der Kn einbilde an ihren
Brüdern vorsingt. Nach Lachman»
ist das Nibelungenlied einfach eine
Verknüpfung solcher Lieder. Za-r-ncke
und Bartsch sehen es dagegen als
das Werk eines einzigen Dichtere,
eines fahrenden Sängers an, der nur
den Stoff aus den alten Liedern
schöpfte. Wilmanns ist in neuerer
Zeit mit einer Ansicht aufgetreten,
die derjenigen Lachmann's ähnlich
ist, aber trotzdem ganz neue Gesichts-
punkte enthält. Er nimmt an, dass
sich Gedieh te, welche einzelne Haupt-
helden des Nibelungensa^eukreises
zum Mittelpunkt hatten, miteinander
verbanden, und dass diese grösseren
Dichtungen wieder ineinander gear-
beitet wurden. Es wäre dies also
eine Entstehung durch Kontamina-
tion. So geistvoll diese Anschauung
ist, so fehlt es ihr doch au über-
zeugender Kraft, und sie hat sich
wenig Geltung verschafft ( Vgl. Ger-
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Nibelungenlied.
729
mania XXIV, 201 ) und die anderen
dort aufgeführten Rezensionen.
IV. über die Person des Dichters
sind manche Ansichten aufgestellt
und als haltlos zurückgewiesen wor-
den. Am meisten hat die Vermutung
Pfeiffer 's für sich, welche dann von
Bartsch verteidigt wurde, dass das
Gedicht dem Kürnberger zuzuschrei-
ben sei, dessen Minnelieder, in der
Pariser Handschrift erhalten, die
Form der Nibelungenstrophe zeigen.
Diese Ansicht ist aber nicht durch-
gedrungen, da sie auf zu unsichern
Boden gebaut ist.
V. Die Zeit der Verbindung jener
20 Lieder, aus welchen er das Epos
zusammengefügt sein lässt, setzt
Lachmann um 1190—1210. Holtz-
mann stellte die Abfassung des Ni-
belungenliedes ins 10. Jahrhundert,
was entschieden unhaltbar ist; nach
Zarncke ist es nicht viel vor 1200
entstanden, wie sich aus Verskunst,
Keim und Sprache schliessen lässt.
Nach Barisch fällt die Entstehung
des Originals in die Zeit von 1140
bis 1150, da Kürnberger seine Lieder
um diese Zeit dichtete. Wer aber
die Verfasserschaft des Kürnbergers
für das Nibelungenlied nicht an-
nimmt, für den fällt auch diese
Datierung: denn das Gedicht selbst
giebt durchaus kein Recht zur An-
nahme eines so hohen Alters, spricht
vielmehr eher dagegen. (Vgl. Paul,
Beiträge III, 373.) Die beiden Be-
arbeitungen des Originals, welche
durch B und C vertreten sind, weist
Bartsch der Zeit von 1190—1200 zu.
VI. Als Ort der Entstehung des
Liedes hat man allgemein Österreich
angenommen; Zarncke suchte (1857)
darzuthun, dass mehr Wahrschein-
lichkeit für Tirol spreche.
VII. Die Strophe besteht aus vier
Langzeilen, deren jede in zwei Hälf-
ten zerfällt. Jede Hälfte wird durch
drei Hebungen gebildet und die
erste hat klingenden, die zweite
stumpfen Schluss. Nur die letzte
Hälfte des vierten Verses enthält
vier Hebungen mit stumpfem Aus-
gang. Solche Verlängerungen des
Strophenschlusses waren im 12. Jahr-
hundert sehr beliebt Dieselbe Stro-
S'ienform wurde schon von dem
innesinger Kürnberger verwendet.
( Minnesangs Frühling S. 7.)
VIII. Die yihelunqen- Klage ist eine
angehängte Schlussdichtung in Reim-
paaren und in den meisten Hand-
schriften des Nibelungenliedes ent-
halten, so dass dessen Handschriften-
verhältnis auch für die Klage gilt.
Der Inhalt besteht aus einer kurzen
Wiederholung der Handlung, welche
der zweite Teil des Nibelungenliedes
darstellt, worauf Klagereden Etzel's,
Dietrich's und Hildeorand's um die
gefallenen Helden folgen. Der Spiel-
mann Swemmel bringt die Trauer-
kunde nach Bechelaren und Worms.
Dietrich zieht mit seiner Gemahlin
und Hildebrand heim nach Bern.
In den kurzen Erzählungen der
Kämpfe hat die Klage einen ältern
Text des Nibelungenliedes benutzt,
als der uns vorliegende ist. Gestützt
auf die Verse 4675—4702 , auf die
Untersuchungen Zarncke 's (Beiträge
u. s. w. , 1857) und Dümmler's darf
man mit höchster Wahrscheinlich-
keit folgendes aufstellen: Um 980
Hess der Bischof Piligrim von Passau
durch seineu Schreiner Kuourad in
lateinischer Prosa eine Redaktion
vom zweiten Teile des Nibelungen-
liedes verfassen und die Klage eben-
falls in lateinischer Prosa anfügen.
Darauf fussend schuf ein Dichter
(vielleicht derjenige des Biterolf)
ein Gedicht in Keimnaaren, welches
der Dichter des Nibelungenliedes
an sein Werk anschloss. Ausgaben
von Lachmann, der Nibelungen Not
und Klage, 1326, 5. Ausgabe 1870,
Bartsch, Die Klage, 1875, Edzardi,
die Klage mit vollständigem kriti-
schen Apparat, Hannover 1875.
IX. Die Verbreitung der Sage war
gross. In Deutschland und zwar
wahrscheinlich bei den Franken, den
Nachbarn der Burgunden, entspruu-
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Nibelungenlied.
gen, wanderti' sie nach dem Norden Schwester gerettet und tötet da?
und erwarb sich auch dort viele Untier. Um einen Rächer für den
Freunde. Dass sie im Norden nicht Tod ihrer Brüder zu gewinnen, ver-
einheimisch war, zeigt sich deutlich wandelt Signy ihre Gestalt und
tiarin, dass sie auch in der nordischen zeugt mit ihrem Bruder Sigmund
(»estalt am Rhein spielt und mit den Sinfjötli. der also von väter-
den Namen der burgundischen Hei- licher und mütterlicher Seite Odin?
den verwachsen ist. Es sind zwei Nachkomme ist. Im Walde verbor-
Überführungen der Nibelungensage gen wächst er zum tüchtigen Recken
nach dem skandinavischen Norden auf und verbrennt mit Sigmund den
zu unterscheiden. Siggeir in dessen Burg. Signy. be-
In der ersten Hälfte des 9. Jahr- friedigt, die Pflicht der Vaterraehe
hunderts war die Sage im Norden erfüllt zu haben, sucht in den Flam-
schon bekannt geworden, und ihren men des Palastes den Tod. Sigmund
Inhalt besangen Lieder, von denen vermählt sich mit Borghild, welche
uns ein Teil in der «Item Edda den Sinfjötli umbringt. Dir zweite
aufbewahrt ist. Lücken , welche Ehe schliesst Sigmund mit Hjöördis,
diese Lieder im Zusammenhange der Tochter des Königs Eylimi von
der Sage lassen, werden durch die Frakkland (Franken), wird von
jüngere Edda und die Vöhuufiasaqe Hunding erschlagen und von einem
ausgefüllt, die in der zweiten Hälfte Sohne gerächt. Hialprek nimmt
des 13. Jahrhunderts verfasst wurde. Hjördis gefangen und in der Ge-
Um die Mitte des 13. Jahrhun- fangenschaft gebiert sie Sigurd, von
derts wurde die Sage zum zweiten dem ihre nachfolgende Heirat mit
Male nach dem Norden gebracht König Alf den Makel, in der Ge-
und nebst anderen um Dietrich von fangenschaft, also unfrei geboren
Bern gruppiert. So entstand die zu sein, nicht wegnehmen kann.
Thidreksaqa. Das Nibelungenlied b. Gewinnung des Schatzes,
lag dem Verfasser dieser Saga in Der Zwerg Audvari hütet in Gestalt
einer Handschrift der Gruppe B eines Hechtes einen Schatz. In der
vor; er versuchte aber eine Anglei- Nähe lebt ein Bauer, dessen drei
chung au die im Nordeu schon vor- Söhne Otr, Fafnir und Regin heissen.
handene Sageufassung herzustellen, Der erste hält sich als Otter im
wie sie sieh infolge der ersten Ent- Wasser auf, der zweite ist ein
lehnung der Sage verbreitet hatte. Drache, der dritte ein kunstgeübter
Eine Darstellung der nordischen Zwerg. Die Götter Odin, Hönir
$a<ien<jestalt wie sie aus diesen und Loki kommen dahin, und der
Denkmälern resultiert, ist ziemlich letztere schlägt die Otter tot. AU
schwer zu geben, da die einzelnen Sohnesbusse verlangt der Bauer so
Quellen sich in manchen Zügen viel Gold, dass die Otter ganz damit
widersprechen. Doch lässt sich im verdeckt werden kann. Loki fangt
allgemeinen folgendes feststellen: den Andvari, nimmt ihm seinen
a. Vorgeschichte. Von Odin's Schatz und zuletzt auch noch seinen
Nachkomme Völsung stammen Sig- Ring, an den der Zwerg wütend
mund , seine neun Brüder und ihre seinen Fluch heftet. Den ganzen
Schwester Signy. Deren Gemahl Schatz müssen sie als Busse hin-
Siggeir tötet den Völsung und lässt , geben , selbst den Ring noch , der
die zehn Söhne, die den Vater bald seine verderbliche Wirkuni:
rächen wollen , im Wralde festbin- , zeict. Es entsteht Streit um das
den, wo sie nacheinander durch ein Gold unter dem Bauer und seinen
Ungetüm getötet werden. Nur Sig- beiden Söhnen, sie erschlagen ihn.
mund wird durch die Hilfe seiner Der Drache Fafnir nimmt den
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Nibelungenlied. 731
Schatz, bei dem auch ein Helm, sieh und sie und tauscht dann seine
eine Brünne und ein treffliches Gestalt wieder. So wird Brvnhild
Schwert liegt, für sich allein und Gunnars Gattin ; sie fühlt sich aber
hütet ihn auf einer Haide. Regin immer mächtiger zu Sigurd hinge-
schmiedet ein vorzügliches Schwert zogen, traurig gehen ihr die Tage
und bringt es Sigurd ins Franken- dahin. Eines Tages, als sie mit
land mit der Aufforderung, den Gudrun ihn* langen Haare am
Drachen zu töten. Dies vollführt Strande wäscht, erhebt sich Streit
Sigurd und Regin ist nun im Besitze unter ihnen, welche die Vornehmere
des Schatzes. Er verlangt von Si- sei. Zuletzt hält ihr Gudrun vor,
gurd als Bruderbusse ein Zeichen dass sie den würdigern Gatten be-
der Dienstbarkeit, er soll ihm das sitze, denn Sigurd habe das Feuer
Herz Fafnir's braten. Dabei kommt durchritten. Die Wirkung aufBryn-
ihm etwas von dem Blute an seine hild ist furchtbar, nicht nur ihr Stolz
Lippen, und nun versteht er die 1 ist tief beleidigt, sie ist um ihr
Sprache der Vögel, die ihn vor Re- 1 Lebensglück betrogen. Es bleibt
gm's Tücke warnen. Er erschlägt j kein andrer Ausweg: Sigurd, der ihr
diesen und reitet mit Schatz und nicht angehören kann, muss sterben.
Ring davon. Guthorm ermordet Sigurd im Bette.
III. Sigurd und Brynhild. Sigurd Jetzt ist sein Betrug gesühnt, jetzt
kommt zur Sigrdrifa, einer Walküre, kann ihm Brynhild angehören; sie
welche Odin wegen ihres Ungehor- lässt einen Scheiterhaufen errichten
sams in Schlaf versenkt und mit und verbrennt sich neben ihm als
einem Feuerkreis, der Waberlohe, seine rechtmässige Gattin,
umgeben hat. Sigurd reitet durch IV. Gudrun und Atli. Der König
das Feuer, die Walküre lehrt ihn Atli trachtet darnach den Schatz
die Runen, und er zieht wieder weiter. Sigurds zu gewinnen, den jetzt
Seinen entflogenen Falken suchend, ■ Gunnar und seine zwei Brüder be-
kommt er zu einem Turm , wo er sitzen. Er befehdet sie, und zur
die Brynhild mit Sticken beschäftigt f Besänftigung erhält er die Hand der
findet. Von ihrer Schönheit hinge- Gudrun. Allein dies beschwichtigt
rissen, verlobt er sich mit ihr. seine Gier nicht. Trotz der War-
Weiter ziehend gelangt er an nung ihrer Schwester kommen die
den Rhein, wo drei Brüder herrschen, Könige auf Atlis Einladung in dessen
Gunnar, Högni, Guthorm. Ihre Land und werden da bis auf Gunnar
Mutter Grimhild wünscht ihn zum und Högni erschlagen. Gunnar er-
Eidam und giebt ihmeinen Vergessen- klärt, er werde das Versteck des
heitstrank, worauf ersieh mit ihrer Schatzes nicht nennen, so lange
Tochter Gudrun verlobt. Gunarwill Högni lebe. Atli lässt diesen töten,
um Brynhild freien und Sigurd ver- worauf Gunnar als einziger Besitzer
spricht ihm seine Hilfe, da ihm der des Geheimnisses schwört, dasselbe
Vergessenheitstrank alle Erinnerung nicht verraten zu wollen. Seinen
an seine frühere Verlobung mit ihr Tod rächt Gudrun , indem sie ihre
geraubt hat. Brynhild erkennt ihn und Atlis Kinder tötet und diesen
auch nicht wieder, fühlt aber grosse in seinem Paläste verbrennt.
Neigung zu ihm. Nur der soll sie Die Jörmunreksaga erzählt die
gewinnen, der durch loderndes Feuer weitern Schicksale der Gudrun, aus
reiten kann. Das vermag aber nur denen sich aber nichts Weiteres für
Sigurd, welcher deshalb die Gestalt die Nibelungensage ergiebt.
mit Gunnar tauscht und sich mit | Für die Entsfehiuuisqeschichte der
Brynhild verlobt. In der Brautnacht Sibelunffensage ist die nordische
legt er ein blosses Schwert zwischen Sagengestalt sehr wichtig. EineVer-
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732
Nibelungenlied.
gleichung derselben mit der deutschen
zeigt klar, dass in der nordischen
Gestalt mehr Ursprüngliches erhalten
ist, obwohl die Sage ihre eigentliche
Heimat in Deutschland hatte. Da
die Christianisierung im Süden viel
energischer betrieben wurde, ver-
blassten in Deutschland die alten
heidnischen Götter viel schneller,
als im Norden. So sind viele zur
Handlung notwendige Züge, wie
z B. die Walkürennatur der Brün-
hild, in der deutschen Sage verwischt.
Auch einzelne historische Züge hat
das nordische treuer bewahrt.
In der Entwicklung der Sagen
und Mythen beobachtet man zwei
Wege: 1. Ein vielbesungener Held
wird von derVolksphautasie schliess-
lich in den Götterhimmel versetzt
und seine Thaten werden zu gött-
lichen, das heisst, die Sage wird
zum Mythus oder 2. Göttergestalten
verblassen mehr und mehr, sie
werden zu Heroen und ihre Thaten
werden ins Menschliche übertragen:
der Mythus wird zur Sage. Für
den ersten Fall ist die Geschichte
des Herkules, für den zweiten die-
jenige Wodans bezeichnend, den
wir im wilden Jäger und zuletzt
gar in der Person eines Oberjäger-
meisters von Braunschweig wieder-
erkennen.
Für den Kern der Nibelungen-
sage ist offenbar die zweite Art der
Entwicklung anzunehmen. Was für
ein Mythus aber zu Grunde Hegt,
ist unsicher. Lachmann nahm an,
es sei der Baldr- Mythus, und der
Grundgedanke sei der, dass das Gold
alle, die nach ihm streben, der Ge-
walt finsterer Mächte weiht. Gegen
diese Annahme wenden sich Bugges
Untersuchungen über Baldr und die
Beobachtung, dass die Mythen sich
auf Vorgänge in der Natur, aber
wohl kaum je auf ethische Gedanken
gründen. W. Müller verglich daher
einen Naturmythus, denjenigen von
Freyr, dem Gott der Fruchtbarkeit
Der Grundgedanke wäre ihm zufolge
der Kampf zwischen Winter und
Sommer um die Erde.
Mit dem Mvthenstoffe vermischten
sich historische Sagenzüge aus der
Erinnerung der Franken, bei denen
die Sage wohl ihren Ursprung nahm.
Im Jahre 437 erlitten die Burgunden.
die südlichen Nachbarn der Franken,
eine gewaltige Niederlage durch die
Hunnen. Manche Einzelheiten dieses
gewaltigen Ereignisses, welche sich
geschichtlich nachweisen lassen, hat
die Nibelungensage treulich bewahrt.
20 Jahre nach der grossen Schlacht
flog die Kunde durch die deutschen
Gauen, dass Attila tot sei, und zwar
habe ihn sein eigenes Weib, die II-
dico, getötet. Ildico ist das Demi-
nutivum von Hilde und kann wohl
mit Kriemhilde identisch sein. Es
mag also wohl auf historischen Re-
miniszenzen beruhen, wenn Kriem-
hilde (deren Namen im Norden erst
später durch Gudrun verdrängt
wurde) ihren Gemahl Atli (Attila)
vernichtet. Später drangen auch
noch Züge aus der Dietrichsage ein.
So lebte die Nibelungensage fort
ein willkommener Gast bei Hoch
und Niedrig, bis im 12. Jahrhundert
die Sagen fremder Nationen den
Blick der vornehmen Gesellschaft
in den höfischen Kreisen auf sich
lenkten. Von da ab gehörte das
Singen und Sagen dieser volkstüm-
lichen Epen nicht mehr zum feinen
Ton und das Nibelungenlied zog sich
mit seinen stammverwandten Dich-
tungen in den Kreis des niedrige rn
Adels und des Volkes zurück, dessen
Schoss es entsprossen war. Die
zahlreichen Jahrmarktsdrucke des
Volksbuches vom hörnenen Seifrid
zeigen, wie lieb ihm der Stoff war.
und jetzt noch findet man dieses
Volksbuch auf den Jahrmärkten feil-
geboten, während die vornehmern
Kreise ihren Irrtum bereits erkannt
haben und stolz darauf sind, dem
vergötterten Homer ein ebenbürtiges
Kunstwerk an die Seite stellen zu
könuen, dem heimisches Blut in
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Nimbus. — Nixen
733
den Adern schwungvoller Verse
schäumt.
Ausgaben auf Grund von A durch
Lachmann, der Nibelungen Not und
die Klage, Berlin 1826, 5. Ausgabe
1878; nach B von Bartsch, das
Nibelungenlied 1866, 4. Auflage 1875.
Eine grosse kritische Ausgabe mit
sämtlichen Varianten und Wörter-
buch lieferte auch Bartsch, der
Nibelunge Not, 2 Teile 1870-1880.
C legt zu Grunde Zarncke, das
Nibelungenlied, Leipzig, 1 856. 5. Auf-
lage 1875. Ausser einer trefflichen
Einleitung findet sich hier auch ein
vollständiges Verzeichnis aller Schrif-
ten über Lied und Sage und sämt-
licher Ausgaben. R. Sp.
Nimbus, Glorie, Heiligenschein,
kommt schon bei den alten Hindus,
Ägyptern, Griechen und Römern an
Götter- und Heldenbildern in Ge-
stalt einer runden Seheibe um das
Haupt vor. In der christliehen Kunst
findet dieses symbolische Zeichen
des sinnlichen Glanzes zuerst im
Orient Aufnahme, seit dem C. Jahr-
hundert ist dasselbe als Attribut der
drei Personen der Gottheit, der
Engel und Heiligen allgemein üblich
und je nach dem Stande der Per-
sonen klassifiziert Bei den drei
Personen der Gottheit ist der Nim-
bus mit einem Kreuze bezeichnet,
dessen Mittelpunkt und unterer Arm
von Kopf und Hals bedeckt sind;
statt des kreisförmigen Nimbus oder
auf demselben tragen Gott Vater
und Sohn oft drei Lilien oder drei [
Strahlenbündel. Im allgemeinen ist
bis zum 12. Jahrhundert der Nimbus
eine feine Kreisfläche oder Scheibe ;
im 12. und 13. Jahrhundert wird er
dicker und grösser; im 14. und 15. <
Jahrhundert verschwindet allmählich !
die Kreisfläche und bleibt bloss eine
dünne Kreislinie übrig; am Ende I
des 15. und zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts gleicht der Nimbus einer
Kokarde oder runden Kappe; oft
wird er auch zu einem formlosen
Lichtschein vergeistigt, der als
Strahlenglanz namentlich die ganze
Figur der Salvator- und Marienbilder
umgiebt. Im frühern Mittelalter
wurden übrigens auch Kaiser und
Könige mit dem Nimbus verschen.
Auf Gemälden ist der Nimbus meist
golden oder gelb, manchmal be-
zeichnet die Farbe eine gewisse Rang-
ordnung der Heiligen. Nach Ofte,
Kunst -Archäologie, §. 160.
Nixen, von noch unerklärter
Ableitung (ahd. nihhus bedeutet
Krokodil l sind Wassergeister, mann-
liehe und weibliche, mit den beson-
dern Namen Nicker, Nickel, Nickel-
mann, Wassermann, Hakemann,
Seemensch, Wasserjungfern, Was-
serfräulein, Wassertrauen, See jung-
fern, Seeweibel, Wasserlissen. Sic
hängen mit Wodan zusammen, der
als Wolken^eist auch Meergeist ist.
Der männliche Nix, meist bärtig
und alt, mit grünem Hut und grü-
nen Zähnen, oft auch grünen Haa-
ren und grünem Bart, lebt meist
einzeln und ist sehr bösartig; seine
klagende Stimme lässt sich beson-
ders des Abends hören, oft wie der
Hilferuf eines Ertrinkenden, um
Menschen heranzulocken: sie ist oft
so verlockend, dass der Mensch un-
widerstehlich nach dem Wasser
hingezogen wird und sich hinein-
stürzt. Sein blosser Blick ist ge-
fahrlich und zieht Kinder ins Was-
ser. Er hat Liebschaften mit
menschlichen Mädchen und Weibern
und zieht sie ins Wasser, wo sie in
der Wassertiefe in einem Krystall-
palast leben und mit dem Nix Kin-
der zeugen. Die weiblichen Nixen
sind freundlicher; sie tauchen mit
dem halben Körper aus dem Was-
ser, die untere Hälfte hat die Ge-
stalt eines Fischschwanzes oder
einer Schlange. Sie erscheinen
meist des Nachts auf dem Wasser,
unter Brücken, sitzen aber auch
gern an der Sonne und kämmen ihr
langes Haar. Sie lieben Tanz, Ge-
sang und Musik, singen schön und
erscheinen, in ganz menschlicher
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734 Nomen.
Gestalt, bei ländlichen Tänzen auf der Menschen beraten und beherr-
Hochzeiten ; aber ein Zipfel ihres sehen. Zwei von ihnen sind gut
Kleides ist immer nass. Bisweilen und freundlich, die eine ist kreide-
leben sie auch längere Zeit unter weiss, die andere trä^t ein rot und
den Mensehen verheiratet und ge- weisses Kleid, die dritte Schwester
baren ihren Männern Kinder, von dagegen ist böse und furchtbar, am
denen das siebente dem Wasser Körper schwarz, mit feurigen Äußren,
gehört; manchmal ziehen sie ihre Die Nomen sind wie im Ganzen
Geliebten mit ins Wasser, wo sie die Göttinnen überhaupt, von der
mit ihnen Kinder erzeugen, die Grundgestalt der Wolkenfrau aus-
aber immer Sehwimmhäute zwischen gegangen, wobei sich an die schwarze
den Zehen haben. Sie lassen etwa Wolke die Idee des nächtigen To-
auch ihre so gewonnenen Männer des, an die weisse die Idee der Ge-
nach einiger Zeit wieder auf die burt und Heirat knüpfte. Aus der
Erde zurückkehren, bringen auch Schar der Wolkenfrauen traten nun
ihr neugeborenes Kind hinauf zu diei besondere Sehicksalsgöttinneu
den Menschen, um es von diesen hervor, von denen zwei, die Vertre-
aufziehen zu lassen ; ist es erwachsen, terinnen der lkhtweisseu Wolke,
so fordern sie es zurück oder ziehen vorzüglich bei Geburt und Hochzeit,
es gewaltsam ins Wasser. Gern die Jungfrau der schwarzen Wolke
saugen sie Kindern das Blut aus beim Tode die Schicksalsmacht aus-
und sperren ihre Seele unter um- iibte; eine Erinnerung an die drei
gekehrte Töofe, die ins Wasser ge- Schwestern ist in dem weirverbrei
worfen wurden, und zwingen sie, teten, mancherlei Variationen unter-
selbst Nixe zu werden. Oft for- liegenden Kinderliedchen enthalten,
dem sie alljährlich ein Mensehen- dessen eine Form z. B. lautet:
leben. Auch haben sie selbst Hän- , Sonne, Sonne schein!
del untereinander. Wasserfrauen pa}lr üDer jen Rhein
werden von Wassermännern in au- Fahr über dag goldne' Haug
dere Gewässer entfuhrt. Sie kön- Da schauen drei alte Jungfrauen
nen sieh in grosse Kröten verwan- heraus,
dein. Vielfach berühren sie sich mit Eine 8pinnt Seide,
den Zwergen. Nach Wuttke, deut- pio amlre wickelt Weide,
scher Volksaberglaube, § 54-56. l)ie dritte geht ans Brünnchen.
dornen heissen in altnordischer Tränkt ein goldenes Kindchen.
Sprache die Schicksnlsgöttincn ; der
Name ist noch nicht genügend er- . Eine oberdeutsche Form ist:
klart; beiden Angelsachsen heissensie Kite, rite, Kössli.
Met/ena, d. h. die abmessenden, ab- «' Bad« s*0"* e Schlössli,
wägenden, oder 1 V^/m, alts.Tf 'urthi. ^e stoht e goldis Hus,
Sie werden oft als Spinnerinnen ge- Lueget drei Mareie dms.
nannt; doch ist die griechische Vorstel- Di eint spmnt Side,
hing voneinemSpinnen und Abschnei- Die ander schnätzlet Chride,
den des Lebensfadens, wie dies den Die dritt spinnt Haberstrau,
Parzen zugeschrieben wird, auf deut- Ulmet mer Gott mis Chindli au.
schein Gebiete nicht nachweisbar. Ab- An die sächsische Schicksals-
bilder ihres Gespinstes erkannte man göttin Yyrdh oder Wurth , d. h.
im feinen Gespinste des Spätsom- das Gewordene, die Vergangenheit,
mers, der deshalb Mädchentom mer, scheint sich die Vorstellung ange-
Ai 'teireibersom mer heisst. In Ba Vera schlössen zu haben, dass sie, be-
heissen die SehicksalsgöttinnenZ/eiV- rufen in der Schlacht die zum
rätinnen, d. h. Wesen, die das Glück Tode bestimmten Männer auszu-
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Noten. — Novelle.
735
suchen, selbst ihrem Opfer einen Noten, siehe Musik.
Speer oder spitzen Nagel in den Novelle. Mit diesem in Deutsch-
Kopf treibe und es so in ewigen land erst seit dem 18. Jahrhundert
Schlaf versenke. Eine Erinnerung aufgekommenen Namen, der ur-
daran ist die alte spinnende Frau, sprünglich von den Italienern auf-
del sticht, und die Königin, welche Erzählung bedeutet, benennt man
Schneewittchen eine Blume oder in der Literaturgeschichte ver-
einen Kamm in das Haar steckt, schiedene Erscheinungen, die darin
worauf beidemal Schlaf oder Tod zusammentreffen, dass es schrift-
erfolgt. Nach einer andern, höhern stellerische Erzeugnisse erzählender
Auffassung wohnten die 7'urdhen Natur sind, welche, kürzeren Um-
als Beisitzerinnen dem Göttergericht fangs, von geringerer Verwicklung,
bei und sprachen als Schöninnen leichten Inhaltes, die Phantasie au-
das Urteil aus, welches als ewiges genehm reizen. Sie stehen im Ge-
Schicksal jedem Menschen zukommt. gensatz teils zur eigentlichen Historie,
Ahnlich, nur weiter ausgebildet, teils zur alten Sage — mhd. niutee
haben die nordischen Deutschen meiere im Gegensatze zu alten mae-
ihre Normen entwickelt; hier sind reu — , teils zur ausgeführten Epo-
es ihrer drei: Urdhr, d. i. Vergan- pöie; auch das Element des Spottes
genheit, dasselbe Wort wie Wurth, und Witzes ist ihnen, gegenüber
die älteste ; Verdhandi, d. i. Gegen- dem würdigern Ernste der altem
wart, die zweite, und Skuld, oder epischen Dichtungen, eigen, und der
Zukunft die jüngste. Sie sind aus Umstand, dass hier dem Verfasser
dem See unter der Esche Ygydrasil freie Erfindung des ganzen Inhaltes
hervorgestiegen, sitzen nun zwischen gestattet ist, was (He ältere Epik
den Zweigen des Weltbaums oder ebenfalls nicht kannte. Auf die
au ihrem Fusse, und hüten den ! äussere Form, ob Verse oder Prosa,
Lebensborn, der unter einer der kommt es ursprünglich nicht an:
drei Wurzeln des Baumes liegt je nachdem sich die Novelle aus
und Urdharbrunnen heisst. Mit verschiedenen ältern Erscheinungen
seinem heiligen Wasser begiessen entwickelt, bedient sie sich dieser
sie Tag für Tag den Weltbaum, oder jener Form,
der davon immer grün in ewiger I Lateinisch geschriebene Xorellen
Jugend prangt. Mit weissem Ne- i findet man als anmutige Geschich-
bel begossen sendet die Esche den ten, Anekdoten und Legenden schon
Tau in die Thaler der Erde; die ! früh zerstreut bei den ältern Ge-
Bienen nähren sich davon. Die J Schichtschreibern des Mittelalters;
Nornen legen hier die Gesetze, er- in reicherer Zahl beisammen zuerst
kiesen den Zeitenkiuderu das Le- ! in dem Policraticus des Johann*r>on
ben, urteilen beim Götterricht, das Salisburu, 1159 dem Kanzler Tho-
sich täglich unter der Esche ver- 1 mas Becket gewidmet. Johann war
sammelt. Ihr Spruch ist unabwend- in Frankreich ein Schüler Bern-
bar, sie steigen selbst zur Erde hards von Clairveaux gewesen und
nieder, um seine Ausführung zu sein Werk war dazu bestimmt, den
bemerken; sie fordern hilfreich das Kanzler au seine Pflichten gegen
Licht der Sonne , treten an die ' die Kirche zu mahnen, wozu denn
Wieg«' des Menschen und neben zahlreiche Erzählungen dienen soll-
die Bande , welche sein künftiges ten. Eine Nachahmung dieses Bu-
Gcschick umspannen sollen. Mann- ches ist das Werk des Wal f her Map
hardt, Götter der deutschen und De nugis Curiafium, welches, dem
nordischen Völker. S. 321—328. fanatischen und habsüchtigen Klerus,
welche Dornröschen mit ihrer Spi
bracht wurde und so viel als neue
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736
Novelle.
namentlich aber dem Cistercienser- Vertiefung, einen idealen Auf-
Orden Feind, mit Märchen und schwung des Geistes verlangt, so
Geschichten , Sittenschilderungen wollte man sich jetzt nur noch reizen-
und moralischen Betrachtungen ge- den, schnell wechselnden Unter-
pen sie ankämpft. An demselben eng- haltungsstoff gefallen lassen, span-
lisch-französischen Hofe lebte Ger- nende Neuigkeiten, Novellen. E>er
vasius von Tilbury, auch am Hofe des Gegensatz zur höfischen Dichtung
deutschen Königs Otto IV. eine Zeit liegt ferner darin, dass das Gesotz
lang im Amt, der für König Hein- der höfischen Zucht jetzt zum Ge-
rich den jüngeren ein Liber face- genstande des Witzes und Spottee
Harum schrieb. Auf deutschem wird. „Diese Komik ergreift nun
Boden erwuchs der Dia loau* mira- schonungslos alle Kreise und Ver-
cuhrum des Caesarius von Heister- hältnisee des Lebens, nichts ist ihr
hach, eines Kölners im Cistercienser- heilig, unantastbar. Im Königssaale
Kloster Heisterbach unweit Bonn, wie in der Bauernhütte ist sie zu
der eine ausserordentliche Fülle Hause, auch die Klostermauer und
namentlich geistlicher Geschichten, selbst die Kirchenthüre schliessen sie
Wunder, Visionen zusammenschrieb, nicht aus, besonders gern aber reibt
Siehe über die genannte Gruppe sie sich an faulen ehelichen und ge-
lVattenbach, Geschichtsquellen, Ad- schlechtlichen Verhältnissen im all-
schnitt V, § 24. | gemeinen : die Ehemänner scheinen
Anderer Art sind die seit | nur da zu sein, um von ihren
dem 13. Jahrhundert auftretenden Weibern und deren Liebhabern.
deutschen Sovel len\ sie sind vor- nicht selten Pfiffen, betrogen zu
läufig, im Anschluss an die episch- werden, und die Töchter wetteifern
höfische Dichtung, in Reimpaaren mit einer Lüsternheit und Koketterie,
geschrieben , ihr Stoff entweder die gern die Maske der Naivität ver-
erfunden oder dem in den un- mummt, galanten Rittern oder fah-
teren Volksschichten längst vor- renden Schülern, jungen Geistlichen,
handenen gangbaren Erzählungsstoff wo nicht gar einem verstellten
entnommen, wobei man im ganzen Thoren, von dem Verschwiegenheit
leicht, im einzelnen oft schwer, zu hoffen, ihre Gunst zu erweisen,
solche Geschichten unterscheiden Roheit und Frivolität sind die Ex-
kann, die von Anfang an deutschem treme, in die diese Komik gern ver-
Boden entstammen, und solche, die , läuft, und wenn die ritterliche Dich-
aus der Fremde kommen; eine reiche tung mit dem Weibe einen läcber-
Strömung von Erzählungsstoff wälzt liehen Götzendienst getrieben, so
sich im Mittelalter aus Indien, na- erfreut man sich jetzt daran, zu
mentlich den buddhistischen Län- hören, wie ein roher Mann seine
(lern, über Arabien und Persien in widerspenstige Gattin und Schwieger
den Occident, so zwar, dass er auf mit sehr hanagreif liehen Argumenten
seinen Wanderungen und Etappen zum Gehorsam bekehrt". Lambel,
mit Leichtigkeit der Denk- una Er- ; Erzählungen und Schwänke, 1872.
zählungsweise desjenigen Volkes sich Einleitung VIII. Eine besondere
anschmiegt, das ihm bei sich das Rolle spielt hier der Kampf, den der
Bürgerrecht schenkt. Standen die niedere Klerus und die unteren
obengenannten Novellen den eigent- Stände gegen die herrechende Geist-
liehen Geschichtswerken entgegen, | lichkeit und den Adel begannen,
so stellen sich die deutschen No- Durch den Druck ihrer Oberhirten
vellen in Gegensatz zu den höfischen sahen sie sich gezwungen, mit List
Epopöien; hatten diese vom Hörer und Betrug ihr Leben zu fristen,
eine willige Hingebung, liebevolle und gegenüber der Macht, der tiber-
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Novelle.
787
legencn Freiheit und Gelehrsamkeit
ihrer Gegner und Unterdrücker
nahmen sie unter der Maske der
Einfalt und Naivität zur LLst und
zum angeborenen Mutterwitze, zum
Narrenturn ihre Zuflucht, wobei mit
Vorliebe eine grobe Derbheit hervor-
gekehrt wurde.
Ks lässt Hieb dem Gesagten gc-
miiss erwarten, das« die Dichter, die
hier in Betracht kommen, nieht dem
adeligen Stand angehören werden:
es sind vielmehr Bürgerliche, Hand-
werker, fahrende Sänger und Spiel-
leute. Von vielen der erhaltenen
.Novellen kennt man den Dichter
überhaupt nicht.
Folgende Gruppen lassen sich
unterscheiden:
1 . Seh irr nke*a m m l >< ngen , deren
Heid ein Mitglied de* niedrigen
Klent* isl, welcher sieh durch seine
derben Spässe an dem vornehmen
und hochmütigen Gebahren seiner
Oberen rächt; dahin gehören der
ITaJ/e Ami* von St-ricker, der Pfqffh
com Kolmberg von Philipp Frank-
furter zu Wien.
2. Au* dem Orient herrührende
Xorel1en*ammlnngen. welehe teils
durch mündlichen Verkehr der Kreuz-
fahrer, der Araber und Mongolen,
teils dun h jüdische und arabische
Schriften nach Europa kamen. Auf
Grund dieser entstanden zunächst
lateinische Übersetzungen, aus denen
die Stotf'c dann in die Volkssprachen
übergingen. Die Hauptquelle ist die
indische Sammlung ß'anfschatantra,
die Benfei/ Ubersetzt und kommen-
tiert hat, Leipzig 1859. Die be-
rühmtesten lateinischen Sammlungen
sind die Diseiplina eferieali* des
Petrus Alfons!, das Buch mm den
*iehen wei*cn M*i*(ern , die Gvsta
Romanorum (siehe überall die be-
sonderen Artikel ), und die obgenann*
ten Liber face darum des Gervasius
und J>ialo<jus miraeuhrum des Cä-
sarius von Helsterbach.
3. Aus solchen lateinischen
Büchern, zumeist aber aus den seit
der Mitte des 12. Jahrhunderts an
den französischen Höfen beliebten
J'ahliaiuc schöpften nun deutsehe
Dichter die Vorbilder zahlreicher,
oft leichtsinniger und schlüpfriger
Erzählungen, die ihrer Entstehung
nach meist ins 13. und den Anfang
des 14. Jahrhunderts gehören. Schon
früh wurden grössere Sammlungen
solcher gereimter Novellen angelegt;
gedruckt sind u. a. der Kolaczaer
Kodex altdeutscher Gedichte, von
Mailath und Köffinger, Pesth, 1807;
Bd. 1 —3 von Lassbergs Liedersaal,
1820—1825; Von der Hägens Ge-
samtaben teuer 1K50, und Latnbel,
Erzählungen und Schwänke 1872.
Indem wir auf diese Sammlungen
selbst verweisen, stellen wir hier
blos die Titel einiger Erzählungen
zusammen, da sich schon daraus der
Charakter dieser Stücke einiger-
ma8scn erraten lässt: Wiener Meer-
fahrt, das Hüslein, der Fischer und
der Pfaft'e, die alte Mutter und
Kaiser Friederich, Kittertreue, die
Konigin von Frankreich und der
ungetreue Marschall, die Heidin, der
Kozze, der Wcinschwelg, der Wein-
schlund, derSchülerzu Paris, Frauen-
turnei, der Weltheilige, Aristoteles
und Fillis, Alten Weibes List, die
halbe Birn, der müneh der ein kint
truor, der entlaufene Hasenbraten,
ron den ledigen teilten, der Ritter
unterm Zuber, die Fischreusen, da:
maere ron dem *pertcaere, das Gäns-
lein, das Sehneekind, die Beichte,
die Meierin mit der Geiss, das
Schretel und der Wasserbär; zu den
merkwürdigsten gehört } frier Jfefm-
l>rechty gegen 1250 von Wem her dem
Gartenaere gedichtet.
Erst dem Ende des 1 4. und dem
15. Jahrhundert gehören an: Der
Ritter von Staufenberg, Schwanke
de-« Hans Folz, Barbiere rs zu Nürn-
berg um 1480, von dem man auch
Fastnachtspiele hat, Metzen Hoch-
zeit, Pyramu8 und Thisbe. der König
im Bade von ltan* RotenbltU, der
ebenfalls zugleich Fastnachtspiele
47
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Novelle.
verfasste, der Brennenberger. das
Meerwunder, Virgilius im Korbe.
Der letzte Ausläufer dieser Dichtun-
gen ist Hans Sachs mit seinen Schwän-
ken , mit ihm geht dieser Litteratur-
zweig auf deutschem Boden aus.
4. Novelle» oder Schminke in
Prosa nehmen ihren Hauptausgangs-
punkt aus Italien, wo sich unter der
Herrschaft der Renaissance und na-
mentlich hervorgerufen und unter-
stützt vom Charakter der italienischen
Gesellschaft die Prosa-Novelle rasch
zu einer höchst beliebten Litteratur-
gattung erhebt. Die Stoffe sind zum
Teil die alten, zu denen Erfindung
und Erfahrung immer wieder Neues
hinzuthut. Ihre Wirksamkeit beruht
einesteils auf den Spott und Witz,
in welchem sich die gesteigerte In-
dividualität dieser Periode mit Vor-
liebe Luft macht. „Es sind meist
keine eigentlichen Geschichten, son-
dern Antworten, die unter gewissen
Umständen gegeben werden, horrible
Naivitäten, womit sich Halbnarren,
Hofnarren, Schalke, liederliche Wei-
ber ausreden; das Komisch«' liegt
dann in dem schreienden Gegensatz
dieser wahren oder scheinbaren
Naivität zu den Verhältnissen der
Welt und zur gewöhnlichen Mo-
ralität; die Dinge stehen auf dem
Kopf. Alle Mittel der Darstellung
werden zu Hilfe genommen, auch
z. B. schon die Nachahmung be-
stimmter obcritalienischer Dialekte.
Oft tritt an die Stelle des Witzes
die bare, freche Insolenz, der plumpe
Betrug, die Blasphemie und die Un-
Häterei." Burckhardt, Renaissance,
Abschnitt II. Die andere Wirkung
stützt sich auf die schöne Form, der-
gestalt, dass Boccaccio mit seinen
Novellen sich den Namen eines Be-
gründers der italienischen schönen
Prosa zu erwerben vermochte; es
hängt das damit zusammen, dass auch
auf diesem Gebiete klassische Mu-
ster vorlagen, namentlich sogenannte
Apophthcgmata des Plutarch u. A.
Die älteste Novellensammlungder Ita-
liener sind die Cento norellc a ntiche.&xv
nochzu Ende des 13. Jahrhundertsent-
standen sind, die einflussreichste der
Dckamerone uud das lateinisch ver-
fasste Buch von den ftcruhmten
Frauen, de claris mulieribu* des»
Boccaccio. Auf deutschem Boden
hat es diese Gattung nie zu einer
klassisch -schönen Form gebracht,
schon darum nicht, weil die deutsche
Prosa des 16. Jahrhunderts eigent-
liche sehönc Formen kaum kannte;
ihr standen Kraft, Wahrheit und Na-
tur höher als Schönheit. Es wardah«r
hier mehr der witzige Inhalt, der
sich in der Novelle geltend machte,
mit Ausnahme lateinisch geschrie-
bener Sammlungen, unter denen die-
jenige des F.rasmus «las meist«* An-
sehen geuoss. Im einzelnen lassen
sieh noch verschiedene Gruppen
unterscheiden: Übersetzungen und
Bearbeitungen älterer Sammlungen,
w ie der (iesta Romano™ in und der
sieben weisen Meister, dann Über-
setzungen der italienischen Novellen,
des Dekamerone, zueist Ulm 1472;
und nachher oft wiederholt, de«
Buches von den berühmten Frauen,
zuerst Augsburg 1471 von Hei mich
S(f inhöirt l ; sodann, für Gelehrte und
Studenten bestimmt, die Facetten
(siehe den besondern Artikel», welche
wieder als ( 1 cschwtth verdeutscht
wurden, und endlich eine Anzahl
volkstümlich deutscher, meist sehr
beliebter Sehwanksarnmlungen, die
von allen den genannten Gruppen
und (Quellen abhängig, gewöhnlich ein
besonderes Lesepublikuin im Auge
hatten: An der Spitze steht das
Novellenbuch des Johannes l\iuli.
Schint/if 'und Frust, d. h. Seherz und
Ernst; der Verfasser, dessen ur-
sprünglicher Name Paul Pfeders-
heitner lautet, war ursprünglich
Jude, liess sich taufen, trat in d< n
Barfüsserordcn , der ihn 1518 zum
Lesem«'ister im FranziskanerkloMer
zuSchlettstadt, 1518zuThan machte,
wo er um 1530 starb. Seine Samm-
lung, zuerst 1522 zu Strassburg ge-
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Oblate.
730
druckt, enthält etwa 700 Schwanke;
Ausgabe von Osterley, Bd. 85 der
Bibliothek des lit. Vereins in Stutt-
gart. Von Jöty H'irkram aus Kol-
mar im Elsass stammt das Rolhrarfcn-
biirhlein. Ein neuws, vorunerhörtes
Büchlein, darin vil guoter schwenk
und historien begriffen werden, so
man in schiffen und auf den roll-
wegen ( Markt wagen, Omnibus), dess-
gleiehen in scherheuscren und bad-
stuben, zuo langweiligen Zeiten er-
zellen mag, die schweren inelaneo-
lischen gemüter damit/.ur ermüntern,
vor aller menigklich, jungen und alten,
sunder allen nustoss zuo lesen und zuo
hören, allen kauHeuten, sodieinessen
hin und wieder brauchen, zur einer
kurzweil an tag bracht und zuosamen
gelesen durchJörg W'iekrauunen,statt-
schreiberzuo Burckhaim. Anno 1555.
Neu herausgegeben und mit Erläute-
rungen versehen von Heinrich Kurz,
Leipzig l*6s. — Dief utrtcnrjexrf /schaff
dc&Jaroh Frt 9,Sta< 1 tseh reiber z.Maurs-
münster in Elsass: Ein new hüpsches
und schiinptlichs Büchlein, genannt
die Gartcngescllschaft, darin vil frö-
liehs gesprächs, sehimpfreden, spei-
werk und sonst kurzweilig bossen
von historien und fabulen gefunden
werden, wie sie zuo seifen die selben
in den schönen gelten, hei den külen
brunnen, auf den grünen wisen, bei
der edlen musik, auch andern ehr-
lichen Gesellschaften, (die schweren
verdrossnen gemüter wieder zuo re-
eitieren und aufzuoheben) frölich
und freundlich geredt und auf diu
bau werden gebracht. Erste Aus-
gabe 1550. — Wtq-h'ürtzrr des
Martin Mnntanux von Strassburg,
ein sehr schön lustig und aussder-
massen kurzweilig Büchlein, darin
vil schöne lustiger und kurzweiliger
historien, in gärten, zechen und dein
Feld sehr lustig zu lesen. — Michael
Linde/irr, Kafzipori , darin newe
inugken, seltzutne grillen, unerhörte
tauben, visierliche zotten verfasst
und begriffen sein, durch einen guoteu
• companen, allen guoten schluekern
zuo gefallen, zusammen getragen
155N. — Sachtbiichlcin , zu nacht
nach dem allen oder auf wegen und
Strassen zu lesen, von Valentin
Schumann, schriftpresser, der gehurt
von Leiptzig 155«.». U't iitiunnutt
, von Hans H'i/hc/m Kirchhof, erste
Ausgabe Frankfurt a M. 1563; neue
Ausgabe von < Jsterley in Bd 95
bis 911 der Bibliothek de* litt. Vereines
in Stuttgart. Vgl. die Litt. Gesch.
von Waekernagel und Goedeekc.
o.
Oblate oder Hostie, lat. oJda/a, i ehen, die das Abendmahl nicht ge-
ithlia, obfarfia. ob/cta% hi>stia,fnrmafa, nossen , im Refektorium vor «lein
mit uns ccclcitiatticHtn, panis benedie- Essen gereicht, auch etwa d«1 Toten
fns, saneta species heisst die aus auf die Brost gelegt und mit in den
Weizenteig gebackene Waffel, die Sarg gegeben. Seit dein 15. Jahr-
seit dem II. Jahrhundert an der hundert f kennt man Oblaten,
Stelle des üblichen runden Brotes Schweiz. Of/tc/rn, auch J/ii/>cn und
als Leib Christi bei der Messe gc- Ifipe/t genannt, als Name eines sprö-
iiossenwird. Die erstere Benennung den braunen Gebäckes, «bis aus
wendet man auf die ungeweihtc, die einer papierdünnen runden Scheibe
zweite auf die geweihte Waffel an. von 2- :t Zoll Durchmesser besteht,
Sie wird mittels des Ilosficnciscns auf dem Arabesken oder Familicn-
geprägt und trägt anfänglich ein wappen abgedrückt sind. Von den
Kreuz oder ein Monogramm Christi, zum Erstellen solcher Gebäcke not-
VOm 13. Jahrhundert an ein Kruzifix wendigen Ofdatcnciscn sind einige
mit Kreuzestitel. Gesegnete (nicht Exemplareabgebildet im Anzeiger für
geweihte) Oblaten wurden den Mön Kunde d. d. Vorzeit. ls7T. S. 'J5H.
47*
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740
Ochsenzunge. — Ofen.
Ochsenzunge hiess ein circa ans griech.-lat. eaminu* - Feuer-
0,4.*» in langer Dolch, der von der statte, Zimmerherd; daher mhd.
Bürgerschaft bis zu Ende des Mittel- * 1 i« ■ kernen Ate = heizbares Zimmer,
alter« viel getragen wurde. wie mhd. sfnbe, nhd. Stube, aus ital.
Octaviaiuis hcis>t der Held eines stuft' — Einrichtung zw warmem
nach französischer Quelle bearbci Baden, Badstube, Ofen, entstanden
teten Volksbuches, das dem karo- ist; die Etymologie des Wortes
(logischen Sagen kreise angehört Die \ Ofen ist unsicher. Die beiden For-
ernte 1535 erschienene Ausgabe führt inen der Heizeinrichtitng teilen sich
den Titel: Eine schöne und kurz- nun so in Europa, das« der Süden
wellige Histori von dem Keyser
Octaviano, seinem weih und zweien
Bttnen, wie die in das eilend ver-
schickt und wunderbar lieh in Frank-
reich bei dein frumm« n König
Dagobert widerumb zusammen kom-
wnd Westen mit England, Holland
und Ostfriesland «lern Kamin, die
slavfech.cn und germanischen Länder
dem Ofen huldigen. Im Baurisse
des Klosters St. Gallen ans dem
9. Jahrhundert, siehe den Artikel
men sind. Neulich aus frantz. sprach Klotteranlafieu , sind drei verschie-
iu teutsch verdolmetscht dene Heizsysteme angedeutet, das
Odin, siehe Wvotan. I römische Hypokaustum unter dem
Ofen. Er entsteht aus dem ur- [ Direktorium, im Wohnsaal der Novi-
alten steinernen Herde, welcher der zen und im Krankensaal, sodann die
heilige Mittelpunkt des Hauses war, einfache Herdeinrichtung, loeus fori.
die alte. Opfemtättc , der Altar des in der Mitte des Speisesaales der
Hauses. Manches von der ursprüng-
lichen Heiligkeit des Herdes ist da-
her spater auf den Ofen überge-
gangen; Herd und Ofen gehören der
Holle; die junge Ehefrau und eine
neue Magd wird beim Betreten des
Fremdenwohnung, und zahlreiche
< »fen von länglich runder Form in
den Ecken der Stuben. Die höfischen
Dichter erwähnen sowohl des Ofens
als des Kamins, dessen mittelhoch-
deutscher Name finrrttme, Feuer-
Hauses zuerst dreimal um den Herd rahme ist. Das Material für die
geführt. In der Xeujahrsuaeht i Ofen des Mittelalters scheinen thou-
guekeu die Jungfrauen in den Ofen gebrannte und glasierte Kacheln ge-
und gewahren darin das Bild des wesen zu sein; während die ältesten
zukünftigen Bräutigams; daher der bekannten eisernen Öfen schwerlich
Kinderspruch: „Lieber Ofen, ich über das Jahr 1400 hinaufgehen,
bete dich an, du brauchst Holz und findet man schon auf den Darstel-
ich ein' Mann"! In Sagen und hingen vom Ende des 13. Jahrhun-
Märchen wird, z. B. bei den ver derts den Kachelufem\ die ältesten
schiedcncnsngcuanntcnMordnächtcu , erhaltenen Kacheln werden dem
(Zürich, Eu/ern und an anderen 14. Jahrhundert zugewiesen und ent-
Orten) dem Ofen gebeichtet halten in kräftigem Kelief figürliche
Die ursprüngliche FormderFeuer- Darstellungen, Minueszcnen, Tierge-
stättc war der einfache, auf Stein- stalten, Jiigdbilder u. dgl.; ganze
platten erhöhte Herd; das Wort Ofen sind z. B. erhalten auf der
Herd selbst bedeutet sowohl den Veste zu Salzburg mit gotisch stili-
Boden (obgleich es mit Erde nicht sierten, fast freistehenden ßlumen.
verwandt ist) als die Feuerstätte, vom Jahre 141K), und auf Schloss
Aus der ältesten Form entstanden Tirol bei Meran.
nun, als sich der Kochherd von der 1 Zahlreicher sind die aus der
Heizeinrichtitng trennte, einerseits Renaissance erhalteneu Kachelöfen,
der Kamin, anderseits der Ofen; die namentlich in der Schweiz im
Kamin, mhd. der kamt», kemin, • 16. und 17. Jahrhundert eine hohe
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741
ßlüteperiode gehabt haben. Ihrer
Anlagenach bestehen sie aus einem
unteren, breiter vortretenden, auf
Füssen ruhenden Teile, über welchem
ein schmalerer turinähnlicher Ober-
bau aufragt, der nicht selten durch
zinnenartige Bekrönung ausdrück-
lich al» Turm charakterisiert ist.
Der breite Unterbau, der die Feue-
rung aufzunehmen hat, steht mit der
Wand in Verbindung, da das An-
heizen von Aussen her stattfindet.
Die enge Ecke zwischen Wand und
Ofen wird fast immer zur Anlage
eines erhöhten Sitzes benutzt, zu
welchem man über zwei breite
Stufen gelangt. Nicht bloss die
Kacheln des ganzen < »fengebäudes
wurden nun mit plastischem Schmuck
oder farbiger Zier bedeckt sondern
auch die Wandflächen des Zimmers
in der Nähe des Ofens erhielten
ihre Bekleidung mit gemalten
Kacheln, und selbst ein Teil
des Fussbodens wurde mit glasierten
Fliesen belegt. Ks lassen sich in
der Geschichte der Schweizer Kachel-
öfen drei Stadien unterscheiden, die
aber nicht durchaus nacheinander,
sondern teilweise nebeneinander
herrschen, in der ersten Epoche
erscheint der Ofen rein als archi-
tektonisches Werk behandelt und mit
plastischen Gliederungen ausge-
stattet; seine Gesamtform ist meist
rund, doch kommen auch einfach
viereckige vor. Er ist in der Regel
einfarbig, da die Kacheln fast durch-
gängig nur die grüne Bleiglasur
Beigen. In der zweite» Epoche wird
der Ofen zum plastischen Kunstwerk -,
wahrend Gesamtform und einfarbige
Glasur meist unverändert bleiben,
erhalten die Kacheln in stark vor-
tretendem Relief allerlei figürlichen
Schmuck. Die dritte Entwicklunqs-
stufe giebt den Ofen in die Hände
der Malerei; das plastische Element
in Gliederungen und Verzierungen
wird zurückgedrängt, während die
reiche Farbenpracht zunimmt. Die
grüne Bleiglasur verschwindet; die
Kacheln, die jetzt grösser werden,
erhalten einen milchweißen Email-
grund, auf weichem die Darstellungen
farbig gemalt erscheinen. Ein schönes
Blau bildet die Grundlage der Zeich-
nung; daneben kommt gelb, grün,
violett und schwarz zur Anwendung.
Die Öfen dieser Periode beginnen
mit ziemlich reicher polychromer
Entfaltung, werden dann im weite-
ren Verlaufe des 17. Jahrhunderts
zunächst etwas matter im Farben
auftrag und sehliessen im 18. Jahr-
hundert mit mildem Blau auf weissem
Grunde, der sentimentalen Wehmut
des Jahrhunderts angemessen. Die
figürlichen Darstellungen, mit latei-
nischen und deutsehen Sprüchen
und Versen verschen, gehören der
biblischen und antiken Geschichte,
der vaterländischen Geschichte, der
Mythologie, Symbolik und Allegorie.
Der Hauptsitz dieser Ofentechnik
war Winter/hur, die angesehenste»
Hafnerfamilie daselbst diejenige der
1*1 au. Die Bilder entstammen meist
den Kupferstichen, Radierungen und
Holzschnitten der Zeitgenossen.
Uber alte Ofen in der
Schweiz, namentlich im Kauton
Zürich. 2. Aufl. Zürich 1M0Ö.
Öffnungen, siehe Weistümer.
Ohrgehänge, < >hrringe, mhd. or-
rinya, lat. inaures, arraueanes, jtar-
ceti, pendente*, waren besonders bei
den Orientalen seit alters in Ge-
brauch und auch bei den Griechen
und Römern sehr beliebt. Auch
die alten Gallier und Germanen
beiderlei Geschlechts trugen sie als
grosse Goldringe. In der Karolinger-
zeit trugen sie die Frauen als kurze,
perlenbesetzte Gehänge, im 11. Jahr-
hundert vornehme Männer und
Frauen, während sie zu Ende des 12.
wieder ausser Mode kamen und
mehr nur noch von Frauen niederen
Standes getragen wurden. Sie kom-
men aber aut Denkmälern fast nie
zum Vorschein und werden auch
später von den Dichtern nicht näher
beschrieben, so dass wir über ihre
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742
Ohrstern. — Oper.
Formen wenig wissen. Was sich
an Überresten aus den altern Zeiten
her erhalten, ist wohl byzantinischen
Ursprungs. Die deutsche Gold-
sehmiedekunst (Augsburg, Nürn-
berg) wird im 13. Jahrb. als vor-
züglich erwähnt; doch ist auch von
ihr, was die Verfertigung von Ohr-
gehä ngen anbelangt, nichts bekannt.
Olirstern oder Gehörrose nannte
man die rofcttcnartigcn , durch-
löcherten Plättehen der Sturmhaube
(Helm), welche speziell die Ohren zu
E chutzen, dem Schall aber möglichst
ungehinderten Zutritt zu gestatten
den Zweck hatten.
Oktaven oder Stanzen, ital.
ottarr Wiste, nianza, dieses entstanden
aus mittellat. xtantia = Aufenthalt.
Wohnung. Zimmer, von xtare —
stehen; xtanza also ein Reimt/e&rWe,
ein Zimmer, wie denn auch in
mittelhochdeutschen Dichtungen eine
dichterisch in Gedanken und Form
abgeschlossene Hede unter dem
Hilde eines zimherx — Gebäudes.
Hauses, dargestellt wird W'rirjaml.
DieseStroj.be wurde durch die erste
schlesische Diehtersehule bei uns
eingeführt, und war anfänglich in
der Kegel aus Alexandrinern zu-
sammengesetzt, z. H. in der metrischen
l'bersetzung von Tassos befreitem
Jerusalem durch Dietrich von dem
Werder, Frankfurt W2t"». Später
hat namentlich Wicland die Oktave
in die schöne deutsche Littera-
tur, aber mit Abänderungen, ein-
gebürgert.
Ol. Für die ewigen Lampen,
die schon um das Jahr IHM) vor jedem
Altar brannten, sollte ausschliesslich
Olivenvöl verwendet werden. Das
Zeremoniale spricht den Wunsch
aus, es sollten am Tabernakel 3— .">,
am Hochaltar 3, an den Nebenaltären
eine Lampe brennen und zwar Tag
und Nacht. Sämtliche sollten
nicht mit Butter, sondern mit Oliven-
öl gespeist werden. Der Ölbehälter
dieser Lampen besteht aus gefärb
tem (ihis. Ausser diesem einfach
gesegneten Tiiennöl , oleum heuedic-
(uni, wurde zu kirchliehen Zwecken
verwendet das Krankmöl, oleum in-
firmomm^ das Salböl (Chrysam)
oleum ej'ftn i. tat um. ehrixmalr oleum,
ehrixmale xanefum und das h'ate-
elmmenenöl. tieilbt , oleum raterhu-
menorum , oleum xanetum. Sie alle
wurden am Gründonnerstag vom
Bischof geweiht.
Ölberge, d. h. Christi Leiden
darstellende, oft lebensgrosse Krup-
pen in Stein, von Gethsemane an
bis zur Kreuzigung, Grablegung und
Auferstehung, werden seit dem 15».
Jahrhundert gewöhnlieh in Neben
raumen oder ausserhalb derKirehcn
angebracht. Sie gehören zu den
Stationen.
Oper. Dieselbe hat Namen und
Ursprung aus Italien, wo sich am
Ende des Jahrhunderts im Gegen-
sätze zur ausschliesslichen Pflege
des Kontrapunktes, die damals
herrschte, eine besondere Teilnahme
an individueller Behandlung der
Melodie und des Textes kundgab,
zum Teil in der Absicht, damit die
verloren gegangene Musik der alten
Griechen zu erneuern. Es galt zu
dem Hude einen melodisch heraiis-
gebildeten und dem Texte ent-
>prechenden Sologesang zu erwecken.
Als erstes derartiges Stück gilt die
im Jahre 1 f»07 zu Florenz aufge-
führte Dafne des Ottario /{inureini,
mit Musik von l'ari. Im Jahr 1600
wurde unter Schaustellung eines
ausserordentlichen Prunkes »lie von
denselben Meistern herrührende
Oper Kuridice zur Vermählungsfeier
Heinrich IV. mit Maria von Mediei
aufgeführt. I >ns erste grosse Talent,
das an dieser neuen umsikalisch-
dramatischen Gattung arbeitete, war
Claudio Monteren/e. erste Hälft«* des
17. Jahrhunderts, durch welchen das
Interesse für die Oper erst ein all-
gemeines wurde; seitdem wurden in
allen grösseren Städten Italiens
( »pernaurtnhrungen veranstaltet.
Als erste (hutxehe Oper gilt die
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Opfer.
743
von Opitz nach dem genannten
italienischen Vorbild bearbeite te
Daphne; ein gewisser //. Schutz,
der »ich in Italien ausgebildet hatte,
setzte sie in Musik. Die Aufführung
geschah 1627 zu Torgau bei Ge-
legenheit der Vermahlung einer
sächsischen Prinzessin. Seitdem blieb
die Oper in Deutschland vorläufig in
gänzlicher Abhängigkeit von Italien:
ie Stoffe waren biblische, mytho-
logische, allegorische, mit Vorliebe
der Schitferwelt entnommene, die
hauptsächlichen Veranlassungen
Feste an Höfen und andern Orten,
die vorzüglichsten Dichter Darid
Schirmvr, Andr. Grifphius, Sigmund
von Birken und J. Schwiegcr. Gegen
das Ende des 17. Jahrhunderts, als
die Oper in einzelnen Städten, na-
mentlich in Mamburg , festere Sitze
gewann und damit ein allgemeines
Unterhaltungsmittel der höhern
Stände wurde, erweiterte sieh die
Oper nach Form und Inhalt. Neben
den älteren Stoffen, die auch in
den Nebenarten der Oper, den Bal-
letten, Maskeraden, Serenaten, Pasto-
rellen, Oratorien, Kantaten zur Dar-
stellung gelangten,wurden historische
Stoffe beliebt, daneben solche, die
der Wirklichkeit und der Gegen
wart entnommen waren. Die Aus-
stattung wurde immer prächtiger.
Musik, Malerei, Architektur, Tanz-
kunst und Mechanik unterstützten
sich gegenseitig. Worauf es die
I >iehter abgesehen hatten , war die
Entfaltung von Verwandlungen,
Wolkenfahrten , Illuminationen u.
dgl. Unter den zahlreichen Dichtem
dieser späteren Periode werden her-
vorgehoben: Christian Richter, JI-.
rostet und ./. ( '. von König. Vom
Jahr 1H7H, dem Eröffnungsjahr der
Hamburger Oper, bis I72H, wurden
Iiier gegen 300 Opern gegeben, der
Komponist, Keifser konijwmicrte 107
Stücke. Gegen die Mitte des 18.
Jahrhunderts erlosch diese Oper,
teils weil der tiefere Krnst der Zeit
ihrer überdrüssig wurde, teils in-
!
folge von öffentlicher Kritik, der
sie namentlich Gottsched unterzog.
Vgl. den Art. Musik.
Opfer. Das deutsche Wort Opfer
leitet sich von dem lat. ojjerre ab;
ahd. opfaron, opj'uron, opfar\ mhd.
optieren, upher; altn. <>Jfr; «las Wort
ist erst durch das Christentum ein-
geführt worden, während die Sache,
die sie bezeichnet, eine heidnische
ist. Der älteste, bei allen Germanen
gebräuchliche Ausdruck der Gottver-
ehrung durch < >pfer war got. und
augels. htotnn, altn. hlota, ahd.
tzan. Schon dieser Ausdruck
ehrt, dass die .Opfer vorzüglich
blutige waren, was sich übrigens
für Jägervölker von der Art der
Germanen von selbst verstand.
Die sichersten Angaben über die
Opferungen und die damit verbun-
denen Festgelage geben uns die un-
erschöpflichen Sagen des Nordens.
Daneben sind es die Berichte der
Römer, die uns manches erzählen;
und die Verbote der Kirche, die
namentlich gegen heidnische Tisch-
gelage und Festtänze gerichtet sind,
beweisen uns vollends, dass die
nordischen Gebräuche auch in
Deutschland zu finden waren.
Unter den blutigen Opfern stan-
den die Menschenopfer obenan. Sie
waren bei den Germanen so ge-
bräuchlich, wie bei allen andern
Völkern des Altertums und galten
dem Wodan und Zio, im Norden dem
Thor. „Ihrem Wesen und Ur-
sprünge nach sind sie sühnend. Ein
grosses Unheil, ein schweres Ver-
brechen kann nur durch mensch-
liches Blut beschworen und getilgt
werden." Nicht nur wurden nach
errungenen Siegen die gefangenen
Feinde zum W ohlgefallen der Götter
an den Bäumen aufgehängt und
die gesainte Beute an Pferden und
Geräten vernichtet, wie es z. B.
durch die Cimbern und Teutonen
nach dem grossen Siege an der
Rhoue geschah; sondern auch seine
eigenen Leute opferte man, wenn
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744
Opfer.
man die Götter erzürnt glaubte.
Eigentümlich war »1er schwedische
Brauch, bei eintretender Hungers-
not den König zu opfern, nicht nur
weil er das köstlichste Opfer war,
das man den Göttern darbringen
konnte, sondern auch weil er als
Oberpriester des ganzen Landes
durch Vernachlässigung des Opfer-
dienstes die Götter erzürnt und so-
mit die Not verschuldet haben
musste. So fiel König Domaldin,
nachdem ein Ochsenonfer im ersten
and ein Menschenopfer im zweiten
Herbste die Hungersnot nicht ge-
brochen hatten; sjo fiel auch König
Olaf Tretelja, wie die Ynglintja tagu
erzählt: „da entstand ein grosses
Misjahr und Hunger; «las gaben sie
ihrem Könige schuld, sowie die
Schweden gewohnt sind, ihrem
Könige sowohl das gute als das
Misjahr schuld zu geben. König
Olaf war ein geringerer Opferer;
das gefiel den Schweden übel, und
sie meinten, daher komme das Mis-
jahr. Da zogen die Schweden ein
Heer zusammen, machten einen An-
griff auf König Olaf und umringten
sein Haus, verbrannten ihn darin,
und schenkten ihn dein Odin und
opferten ihn für sich um ein gutes
Jahr.-
Ganz besonders aber stand das
Menschenopfer im Dienste der
Rechtspflege. Die Todesstrafe war
eine Sühne, die den Göttern nicht
verweigert werden durfte. Der
Verbrecher wurde vor dem Tempel
am Opferstein gebrochen, oder in
den Opfersumpf versenkt und mit
Reisig zugedeckt. Aber auch zur
Erhaltung und Verlängerung des
eigenen Xcbens opfert König Ön
neun seiner Söhne und erhalt von
den Göttern jedesmal gnädig eine
weitere Frist; wie er aber den
zehnten Sohn auch noch opfern will,
da widersetzen sich die Schweden
und der König starb. Von Kinder-
Opfern sind übrigens in den alten
Nolkssagcn auch noch weitere Spu-
ren vorhanden. Sie sollen haupt-
sächlich zur Abwehr ansteckender
K rankheiten angewendet worden sein
und zwar durch Einmauern in
Grundwälle, wobei man denselben
Speisen und Spielsachen mitgab.
Dieser Umstand spricht deutlich
dafür, dass an ein Fortleben nach
dem Tode und zwar unter gleichen
Bedürfnissen und Bedingungen ge
glaubt wurde, wie auch den Göttern
das Bedürfnis nach Speise und
Trank zugedacht war. Daher wur-
den auch bei den häufigen
Tirroyfcrn nur reiue Geschöpfe
gewählt, deren Fleisch für den
Menschen geniessbar. d. h. zu essen
erlaubt war; eine Ausnahme macheu
Hunde und Habicht*1, die durch
ihre bekannten Dienstleistungen
gleichen Rang haben, wie die be-
vorzugtesten Tiere. Zu diesen zäh-
len in erster Linie die I^>rtic, die
geradezu als heilige Tiere verehrt
wurden. (Siehe den Art. Heilige
| Tiere.) Ihr Fleisch wurde von den
I heidnischen Germanen mit Vorliebe
fjepessen, und die Bewohner Islands
»ehielten sich bei der gesetzlichen
Einführung des Christentums aus-
j drücklich den unbehinderten Genuss
des Pferdefleisches vor, während
er anderorts von den Glaubensboten
aufs strengste untersagt wurde.
Wie schwer es aber hielt, das Ver-
bot durchzuführen und wie mancher
Rückfall die äussere Not veran-
lasste, das beweisen die wiederhol-
ten kirchlichen Erlasse. Die jün-
gere Olafs-Sage berichtet, dass bei
einem Misswachse die bereits zum
Christentum übergetretenen Bauern
von Throntheim um Wintersanfang
grosse und stark besuchte Gast-
mähler hielten. „Da waren grosse
Trinkgelage. Dem .Könige Olaf
wurde gesagt, dass da alle Minne
dem Thor geweiht werde und dem
Odin, der Freyja und den Ahsen,
alles nach altheidnischer Sitte. Da-
zu wurde auch weiter erzahlt, dass
da Vieh und Pferde geschlachtet
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Opfer.
745
und die Altäre mit dem Blute be-
strichen wurden und dasB der Opfer-
dienst ganz offenbar abgehalten und
dabei die Formel gesprochen werde,
dass dies für die Besserung des
Jahrganges [Cd ärbSiar) geschehen
solle. Daxu wurde beigefügt, dass
es .allen Leuten klar seheine, dass
die Götter darüber zornig seien,
dass die Ilalogaländer sich zum
Christentum gewandt hätten." Und
so muss der (christliche) König
Hak* in seinem Volke zu lieb an
dem Opferfeste zu Gladir aus dem
dem Odin geweihten Becher trin-
ken (freilich macht er darüber vor-
erst das Kreuzeszeichen, statt das-
jenige des Hammers) und entgeht
dem Tode nur, da er wenigstens
zum Schein über den Pferdeneisch-
kessel den Mund öffnet, als geniesse
er Fleisch, Fett und Brühe. Die
Pferdeopfer sollen sieh in Schweden
bis in die zweite Hälfte des 11. Jahr-
hunderts erhalten haben.
Riiidri'upfer waren nicht minder
allgemein, der Stier war dem Freyr
oder Fro geheiligt, ja er führt in
der Edda geradezu, den Namen der
Gottheit selbst. Übrigem opferte
man ihn auch nicht selten dem
Wodan, als dem Gott der Ernte,
des Aeherbaues und der Viehzucht.
Eber opfer waren ebenfalls sehr
häufig, wie Werketujjfer, Frijfrimj
( Frischling), was die Überlieferungen
fast mit Gewissheit annehmen las-
sen. Noch im 13. .Jahrhundert be-
nennt eine bischöHiehe Urkunde in
Passau die zu entrichtenden jungen
Schweine mit xi/rurittrhhu/, xitfri-
.tf/tinff, srittt r, seitfrutchiiifi , was
ohne Zweifel ein junges Schwein
bedeutet, das nach heidnischem Ge-
brauche sich zum Gesotten werden
eignen würde, also ein Opferschwein.
Im Norden wurde der Sühneber,
sunarqoltr^ ein feierliches Opfer, das
dem Freyr au Julabenden gebracht
wurde. „Am Abend erfolgten Ge-
lübde; der Sühneber wurde vor
gefühlt, die Leute legten auf ihn
ihre Hände und legten da ihre Ge-
lübde ab beim Bragabecher." —
„König Heidreker Hess einen Eber
füttern, der war so gross wie der
stärkste Ochs und so schön, dass
edes Haar aus Gold zu sein schien.
>er König legte seine Hand dem
Eber auf den Kopf und die andere
auf die Borsten und legte da das
Gelübde ab, dass niemals jemand
so Schweres verwirken solle, dass
er nicht rechtes Urteil seiner Wei-
sen erlangen sollte, und die soll-
ten des Eners pflegen; oder auch
sollte er solche Rätsel vorbringen,
dass sie der König nicht zu raten
vermöchte.'4 Dieses yüldenborstigen
Ebers ist auch in Deutschland oft
und in späten Zeiten noch erwähnt,
so in einem Lautenbacher Weistum
, vom Jahre 15N9, wo es heisst, dass
zu einem auf Dreikönigstag (also in
der Julzeif) gehalteneu Gerichte
„die Hübner ein reines, schon bei
, der Milk vergelztes i noch saugend
! verschnittenes) Goldferch acht hal-
ben Schillingen wert liefern sollten."
j Der Preis ist ein unverhältnismassig
hoher, was darauf schliessen läset,
dass das Tier bei diesem Anlasse
eine besondere Bedeutung hatte,
wie heute noch das Ei zu Ostern
und die (Jans am Martinstage. Das
Ferkel wurde nämlich rund durch
die Bänke geführt und ohne Zwei-
1 fei hernach geschlachtet und ver-
speist, was offenbar auf einen heid-
nischen Opferbrauch zurückzuführen
ist. Auch die oben angeführten
Sühneber des Freyr fanden sich in
England noch lange Zeit, und heute
nocli wird in Ostergotland am Jul-
al>ende ein mit einer Schweinshaut
überzogener Block (julhuckm) auf
den Tisch gesetzt, auf den die
Hausgenossen einander ihren Tieu-
sch wur ablegen. Auch das mit
Lorbeer und Rosmarin, Citrone
oder Pomeranze geschmückte
Schweinshaupt unserer Tafeln, so-
wie die zu Oxford feierlich und
unter Gesang umhergetragene
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746
Opfer.
Eberhaut und dergleichen Gebräuche
mehr sind Erinnerungen an die
Eberopfer unserer heidnischen Vor-
väter.
W'idderopfer werden als gerin-
gere Opfer seltener erwähnt, was
jedoch nicht beweist, dasa sie auch
selten dargebracht worden wären,
in Norwegen bestaud die gesetzliche
Verordnung: „Kommt ein Unfreier
zu Land oder eigenem Haushalt,
so soll er sein Freiheitsbier {frrfsidl)
bereiten, jeder Mann neun Eimer
Hier und einen Widder schlachten;
ein echtgeborener soll das Haupt
abschneiden und sein gesetzlicher
Herr die Halslösung von seinem
Haupte nehmen."
Ebenso kamen Iiurknpfer vor,
so bei den heidnischen Langobar-
den, die sie wie Gregor der
Grosse meldete — dem Teufel dar-
brachten. Der Hock war dem
Donnar heilig, die Geisa der llolda.
Doch wurden sie auch dem Wodan
dargebracht. Kleinere Tiere, wie
Hunde und (icffwjtl, scheinen wenig
und fast nur als Opfer für die
Erntegottheiten dargebracht worden
zu sein.
Die uiihfirfif/rn Opfer waren
ebenfalls dankende und bestanden
in (legenständen, die von den
Mensehen als lx»bensbedürfnisse
sehr geschätzt waren. Dem Gottc
Thor opferte man im Tempel zu
llunthorp täglich vier Laibe ///•<>/,
da mau die Götter überhaupt
menschlicher Speise bedürftig hielt.
Auch die Göttin Herchta erhielt,
wie Rochholz nachgewiesen, ihre
Opferbrote, und die vielen hestku-
rhrn und Frsfhmtr , die man noch
heute in ganz Deutschland bei ver-
schiedenen Festanlassen backt und
unter den verschiedensten Gebräu-
chen verzehrt, beweisen genügsam,
dass derlei Dinge früher für die
Götter und ihre geheiligten Tiere
bestimmt waren. Auch Bier brachte
man denselben dar, wahrscheinlich
in der Art, das» ein Teil davon
feierlich für die Gotter ausgegossen,
das übrige aber in einem Gelage
ebenfalls in ihrem Dienste getrun-
ken wurde, wie solches in den
schaumburgischen Erntefeierlichkei-
ten sich vielleicht am deutlichsten er-
halten hat. Ebenso lassen die vie-
len abergläubischen Verwendungen
der Gründonnerstags- und Chartrei-
tagsfeicr darauf schlicssen, daas die
Kirr auch eine Götterspeise waren;
daneben sind es Milch und Honig,
namentlich für die Hausgeister,
Wichtelmännchen und für den Bo-
ten der Holda, für das Marienkäfer-
ehen, auch (itßld und Silber, Klei-
dunatttürke und Warnen.
Die unblutigen Opfer durfte der
Opfernde selbst darbringen (in der
Regel (hat das der Hausvater); die
blutigen hingegen wurden von den
Priestern behandelt und zwar in den
meisten Fällen bei Anlass grosser
Festlichkeiten, im Beisein der ge-
samten Bewohnerschaft eines Gaues,
als«) der Teinpclgeineinde. Dem da-
mit verbundenen Opfermahle stand
der Opferhäuptling vor, ein echtge-
borener, der ohne Zweifel vom Volke
selbst der Ehre des Vorsitzes ge-
würdigt worden. Aus Meister Adam 's
Beschreibung des grossen Opferfestes
zu öpsala la<st sich schlieascn, da*s
EU den Opfern in der Hegel nur
; männliche Tiere verwendet wurden.
1 Auch scheint die Farbe den Wert
eines Opfertiercs nicht unwesentlich
bestimmt zu haben. Wrisse Pferde
waren geschützter, als rote und
schwarze; ebenso die Schafe; das
Opferhuhn durfte keine andern als
weisse Federn halten, und noch in
spaten Rechtsdenkmälern ist nach
Grimm die Unverletzlichkeit schlieft-
weisser Ferkel zugesichert. Den
unterirdischen Gottheiten dagegen
opferte man vorzugsweise schien rzr
/Iiere, namentlich schwarze Schaf-
und Ziegenix »cke. Die Opfertiere
wurden also wahrscheinlich zu die-
sem Zwecke jung schon ausgewählt,
gezogen und gemästet und dürften
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Opfer. 747
schwerlich je zu menschlichem Ge- das Zeichen des Hammers machte,
brauch gedient haben; wenigstens Diese Becher trank man sich über
stellen alte Kechtsdenkmale diese die Feuer weg gegenseitig zu, was
Bedingungen an Pohlen und Kinder, man minni (Gedachtiiis, Erinnerung)
die zu feierlichem Landerwerb oder nannte. So nahm das Fest den
zum Totpflügi'U der Marksteinfrevler \ Charakter eines heiteren Mahles an
verwendet werden wollen. und wurde daher im Norden auch
Forderten die Götter ein Meli- Opfermahl, hlotveizla, oder geradezu
schenopfer und waren deren meh- Opferfreude, hlotfagnadr, genannt,
rere bereit, so hatten sie das be- Diese Feste waren entweder reli-
trerl'i'iide durch das Los näher zu fftosc, die alljährlich zu bestimmten
bezeichnen. Das geschah durch dir Zeiten in der ganzen germanischen
Kunen oder nach einer Formel, die Welt gefeiert wurden, oder sie
der angelsächsischen Andreas legende waren durch besondere Veranlas
entnommen war, natürlich unter sungen hervorgerufen, durch den
Anrührimg und Beschwörung der Amtsantritt eines h'önias, der zugleich
betreffenden Götter. Die Opfer oberster Priester war, bei Gericht*-
wurden sodann geschmückt, durch oder Dinyversammlnngen , vor und
den Volkshaufen geführt und ge- i nach <1er Schlacht, bei Hungersnot
schlachtet. Das Blut wurde in dem und Seuchen u. s. w. Die drei (reli-
0pfcrkc88cl aufgefangen und mit giösen) Hauptfeste aber waren:
dem Blutzweig darauf der Altar, 1. Das Herbatopfer , haustblöt,
die Tempelwand, auch etwa der das Opfer um ein gutes Jahr oder
Baum , die Lebensmittel und das nach einer Missernte „um ein besse-
Volk besprengt. Pell und Haupt j res Jahr". Ks war also ein Krnte-
wurdeu vom Opfer getrennt und an* fest, ein Dankopfer, im zweiten Falle
einem Baume aufgehangen, worauf! auch ein Sühnopfer, mit dem man
der Tanz und Pestgesang begann, sich im Anfang des Jahres idas
In grossen Kesseln wurde das Jahr beginnt bei den nordischen
Fleisch gesotten, weswegen die Teil- Bauern heute noch mit dem Winter)
nehmer am Opferfeste $upnavfar der Gunst der Götter versichern
(Sudgenossen) hiessen; daneben wollte. Dieses Opfers wegen Iiicss
wurden die Opferkuchen gebacken im Norden der Oktober (formannor,
und das Bier gebraut, welche Arbeiten nach der Ausweidung der gesehlach-
wahrschcinlich den weisen Frauen teten Tiere, bei den Schweden hlot-
< »hingen. Die edleren Teile dos ge- mänad, slatjtmanad ; die Angelsach-
kochten Tieres, Herz, Leber, Lunge, , seil hiessen den November hfötm/mad,
wurden vermutlich den Göttern dar- die Friesen heissen ihn noch heute
gebracht, der Uest aber samt derBrühe stach tnwänne; die Niederländer nann-
voni Volke verzehrt, nachdem alles ten den Dezember slachfmaent, was
von dem Könige oder Opferfürsten darauf hinweist, dass dieses Fest
von seinem Hochsitze aus geweiht nicht an allen Orten zu gleicher Zeit,
worden war. So ging das Opferfest sondern im Norden früher, als im
in ein allgemeines Opfermahl über, Süden begonnen wurde, was mit
bei dem auch das Natioualgeträuk, ! dem gleichzeitigen Vorrücken des
das Bier, nicht fehlen durfte. Man Winters zusammenhängen mag.
trank Odins Vollbecher um Sieg und Übrigens scheint das Fest wenig-
Machtfür den eigenen König, Niördrs stens einen halben Monat gedauert
und Freyrs Horn um ein gutes Jahr zu haben, weswegen man für das-
iind Frieden, auch Bragi's, Freyrs selbe den Winter abwarten niusste,
und Thors Becher wurden getrunken, der den wilden Kämpfen der Horden
über welch letzteren jeder trinkende von selbst ein Knde machte.
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748
Opfer.
2. Das MitirinterJ'est, das grosse zciteu, und so bind in Deutschland
hanpfhnf, wurde zu Anfang des Mo- die Kirchmessen (Kirmseji i entstan-
nats Tfiorri (14. Januar) gefeiert den, Volksfeste, jedes religiösen
und dauerte drei Tage. Ks ist iden Charakters bar. Aus dem Julfeate
tisch mit dem deutschen .lulfeste, wurde unsere Weihnachtsfreudo, aus
/"V. jolareizla , jn/irf>t><>, jolaha/lii, «lern (loib/ot Maria Lichtmess: ua-
'ftSfwfrjpMya, (las später zehntägige mentlieh das letztere hat sieh in
Dauer hatte. Die Bewohner Got- | den Fastnachtsgebräuchen noch un
und Finnlands erbaten sich von 1 verkennbar fortgepflanzt,
ihrem Thorri Schnee und gute Ks erübrigt noch, der prirnf*n
Schlittenbahn, während das Fest im Öpferfeste mit einem kurzen Worte
allgemeinen der neugeborenen Sonne zu gedenken. Sie begleiteten den
galt und dem Frever der Sühneber Menschen durch alle Lebenslagen,
dargebracht wurde. J WO er der Hilfe der Gütter sieh
.'V Das Opferfest des Summen 'in- benötigt fand, und konnten an
zu<fx wurde einen Monat naeh dem ! geheiligten Statten, in Frivattein-
T&orrobtöt . zu Anfang de« Monats peln, auch im eigenen Hause dar
fftft, also im Februar, abgehalten» ] gebracht werden. Kinzig die feier-
und wahrte eine Woche. Ks war liehe Handlung, wonach der Vater
Wohl vorzugsweise ein Opfer um oder dessen Vertreter das neug^bo-
Sieg für die herannahenden Heer- reue Kind mit Wasser begoas und
fahrten und hiess deshalb auch ; ihm damit die Lebensberechti^unj;
jfiff/h/of. Daneben galt es der He- zusprach, scheint ohne Opfer voll
grüssung des Sommers und war ein zogen worden zu sein. Dagvgeu
Bittopfer um reichen Krtrag des opferte die Wöchnerin von ihrer
Feldes. Sämtliche Feste fielen als«» [ ersten Mahlzeit, Nornengrütze , den
auf den Winter. Daneben sind als Sclücksalsgötf innen. HeiKinMfftuuui
speziell deutsehe Opferfeste noch einer Khe sodann wurde ein feier-
genannt die Ottara, das Mnifesf liebes Mahl aligehalten und Thors,
und das Fest HerSummertonnenwende. Odins und Freyrs Minne getrunken.
Hekannt ist, wie leidenschaftlich
der Deutsehe an diesen althergebrach-
ten Gebrauchen festhielt und wie
die christlichen ßlaubensbotetl die
Fest«: nicht verbieten konnten, ohne
Zur Weihung der Bräute diente
Thors Hammer. Das Totenoyfer
bestand nach Mannhardt iu einer
Kuh und einem Ochsen, die in einem
feierlichen Lcichcninahl vorzehrt
ihre Sache preiszugeben. Aus Nach- ! wurden. Auch Rosmarin und Zi
richten von Gregor dem Grossen trotten scheinen dem Totengotte
u. a. in. geht vielmehr deutlich her
vor, dass man sich damit begnügte,
den heidnischen Festen auf die
schonendste Weise einen christlichen
Charakter zu geben, und es halt
daher sehr leicht, namentlich mit
Zuhilfenahme der vielen, auf unsere
Zeit fast unverändert herübergekom-
menen Festgebräuche den Zusam-
menhang nachzuweisen zwischen den
Festen der Väter utid den unserigen.
Aus dem Oktoberfeste sind nach
zahlreichen nordischen Nachrichten
die Kirchspielfeste geworden unter
dein Namen der Hier- und Trink-
dargebracht worden zu sein. Beim
Krbschaftsantritt durfte das Erl-
sclutftsmahl. nicht fehlen, das (tc
dächtnis des Verstorbenen. Geopfert
wurde auch bei der Besitznahme
von Land, bei der Ackerbestellung.
bei der Freilassung eines Sklaven,
beim Zweikampfe und bei W >/..--
»Offungen, wo sie die Gottheit für
ihre geneigte Kundgebung belohnen
sollten. Das Opfer diente oft selbst
zur Weissagung, indem sieh aus
seinem Blute oder aus »1er Beschaffen-
heit der Kingeweide die Zukunft
sollte erschlicssen lassen. Andern
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Ordalien. - Ortsnamen.
749
fall» legte man der Gottheit bei der
Opferung selbst die Frage vor und
über Hess es ihr, die Antwort auf
beliebige Weise zu geben (durch
den Tod des Tieres, durch Vogcl-
pchrei u. s. w\), oder man entsehied
Uber dem ( )j»t'er selbst durch das Los.
Nach J.ftuMHiaiiH, in Ei seh und
Gruber, Art. (lo/fcr/emjict.
Ordalien, siehe Gottesurteile.
Orden, siehe Afönckstresen, Ritter-
orden.
Orendel heisst eine hy/antiniseh-
nalastinisehe Dichtung des 12. Jahr-
hunderts, deren Verfasser, wahr-
seheinlieh ein fahrender Spielmann,
unbekannt ist. Sie verbindet mit der
eigentlichen Orendeleage die Sage
nun it iKfen/tfifctt h'ocfc l 'hritti. Das
Gedieht beginnt mit Erzählung der
seltsamen Sehieksale des grauen
Rockes Christi: Maria hat ihn ge-
sponnen, die hl. Helene gewirkt.
( 'hristus hat darin die heiligen
vierzig Tag«' gefastet; nach seinem
Tode verlangt ein alter Jude von
Merodes den Kock zum Lohne
L>:<jnhrigen Dienstes. Der Jude
wäscht ihn am Brunnen und breitet
ihn an der Sonne, aber des Heilandes
rosenfarbnes Blut bleibt daran. Da
befahl Herodes den Rock fortzu-
schaffen, in einem steinernen Sarg
wird er ins Meer versenkt: doch
eine Sirene I »rieht den Sarg auf, der
Kock schwimmt ans Ufer, wo ihn
ein armer Waller als Gabe Gottes
auf hebt; das rosenfarbne Blut, das
dem Waschen widersteht, verriit
ihm das Geheimnis; und Bich un-
würdig wähnend den heiligen Kock
zu tragen, wirft er ihn wieder in
die Flut. Ein Wal kommt, ver-
schlingt ihn und trägt ihn mehrere
Jahre im Magen, bis er «lern Helden
des Gedichtes zu teil wird.
Orendel ist der Sohn des Königs
Eigel zu Trier an der Mosel. Als
er zu seinen Jahren gekommen, soll
er um eine ferne überm Meer
wohnend«' Jungfrau werben, tireide
mit Namen, der das heilige Grab
und viel Heidenschaft dient. Mit
freiwillig ihm folgenden Gefährten
führt er Mosel- und Kheinabwärts
auf einer Flotte ins Meer: in der
Nähe des gelobten Landes aber ver-
senkt ein Sturm alle Schilfe, Orendel
allein wirf! «un kt ans Land getrieben.
Hier tritt er in die Dienste eines
Fischers und fangt hei seinein ersten
Fang unter anderen jenen Wal, in
dessen Magen der Kock gefunden
wird. Orendel kauft diesen um
dreissig Goldpfennige, welche ihm
Maria durch den Engel Gabriel ge-
sendet hat, zieht in dem Kock zum
heiliget) Grabe, besteht für die schöne
Breide viele und ungeheure Kämpfe
gegen die Heidenschaft und vermählt
sieh mit Breide, doch so, dass nach
Geheiss eines Engels immer ein
Schwert zwischen ihnen liegt. Sein
Name ist der graue Rock. Nach
vielen seltsamen Thaten und Wun-
dern entsetzt er seinen Vater zu
Trier von der Belagerung eines
heidnischen Heeres, tauft die Heiden,
die sich ihm unterworfen haben und
liisst den grauen Rock auf den Be-
fehl eines Engels hin zu Trier
zurück. Noch befreit er das in die
Gewalt der Heiden gefallene heilige
Grab, in dessen Dienste er mit seiner
Gattin lebt, bis die Engel ihre
Seelen hinführen.
Orgel, siehe musikalische In-
strumente.
Ort ist schon bei den höfischen
Dichtern der vierte Teil von Mass,
Gewicht und Münze, später beson-
ders der vierte Teil eines Guldens:
ein Ortsgulden — 14 Kreuzer, ein
Ortsthaler — ' , Thlr. Der gewöhn-
lichen Vermutung, Ort in dieser Be-
deutung sei aus quart entstanden,
Widerspricht / exer im inhd. Wörter-
buch, indem er bemerkt, dass diese
Bedeutung von Ort vielmehr von
den viereckigen, durch ein Kreuz
in vier Orte geteilte Münzen aus-
gegangen und erst dann auf Mass
und Gewicht übertragen worden sei.
Ortsnamen. Unzweifelhaft ge-
750
Ortsnamen.
hören die Orte- wie die Personen-
namen unter die Altertümer; sie
jedoch in ihrer geschichtlichen Ent-
wicklung darzustellen, ist bis jetzt
kaum möglich ; für einzelne Gegen-
den ist es geschehen, namentlich
für Hessen in dem Werke von
W. Arnold, Ansiedelungen und
Wanderungen deutscher Stamme,
zumeist nach hessischen Ortenamen,
Marburg 1875. Wir beschränken uns
hier auf eine Übersicht desjenigen
Materials.dasdergelehrtestedeutsche
Namenforscher, Ernst Eörstemann,
in seinem Buche, die deutschen Orfa-
na nun, Nordhausen, 1 863, zusammen-
gestellt hat. wobei wir seltene und
bloss landschaftlich vorkommende
Namen und Namengruppen über-
fchen und im einzelnen neuere
'orschungen und Ansichten zu Kate
ziehen. Auf Material zu praktischen
Ortsetymologien ist es hier natürlich
nicht abgesehen; dazu gehört in
jedem einzelnen Falle die Kenntnis
der ältesten Wertform und sehr oft
die Kenntnis v«m der Besonderheit
des Lokals, an dem der Name haftet;
datier auch die Ortenarnenforsehung
ihrem Wesen nach lokaler Grund-
lage bedarf.
Ortsnamen sind Namen örtlicher
Individuen, dieselben mögen bloss
der Natur angehören oder erst durch
den Anbau der Menschen zu Indi-
viduen geworden sein. Ursprüng-
lich sind es Gemeinnamen, deren
Übergang zu Eigennamen sprachlich
besonders durch Aufgeben des Go-
Bchlechtesund Abwerfen des Artikels
geschieht. Forstemann unterscheidet:
A. Natürliche OrtUvhkeitcn.
I. .YfM.fr* Element.
Das Grundwort Wasser ist nur
selten als Ortsname verwandt, häu-
figer See, ahd. inte, bewegtes Wasser
in Fluss, See und Meer; ahd. aha.
got. ahva, verwandt mit lat. aqua,
oft zu ach oder an geschwächt;
eine Bildung dieses aha ist antra,
otea, aica, dessen ursprüngliche Be-
deutung Fluss mehr und mehr der
Bedeutung eines be wäss« -rten W icae n -
grundes weicht, nhd. Aue; zum selben
Wortstamm rechnet man drittens
auch den Flussnamen ajffa, der nach
Arnold dem aha an Zeit voraus-
geht; er ist besonders in Hessen und
Westfalen verbreitet. H:iufig er-
scheint der Name Seifen, Siefen oder
Siepen als Gcbirgsbaeh; seltener
siua ahd. giozo unu mhd. vlu'z und
vluz1 diese letztere zu ahd. ßiessen ;
der gemeinste Name des fliessenden
Wassers aber ist Back; älter als
dieses, aber in Deutschland selten,
ist alh und a1j\ schwedisch elf. Den
Begriff dci ■ Quelle auszudrücken
dienen die Namen ahd. sprinc und
prunno; die Mündung wird bezeich-
net durch ahd. mnnd. Stromschnellen
und Wirbel durch ahd. hlouf\ nhd.
Lauf, eine Krümmung durch ahd.
hiuffo und bor/o, nhd. Beuge und
Bogen; fih<\. fartundfurl sind Kamen
für Flussübergänge, beide vonfara*.
fahren, abgeleitet. IJfemamen geben
ahd. urfar, mhd. nover (Ufer' und
'ahd. sf'ad - Gestade, d. h. Stelle,
wo die Schifte nach der Fahrt stehen
bleiben, landen, ahd. stadtin. IVr
verbreitetste Inselname ist ahd.
trarid, nhd. werth und Wörth,
Kaiserswerth und Donauwörth.
II. Trockenes Element.
Das gemeinste Wort für Bodener-
höhung ist Berfj, welches in alten
Namen oft mit dem etymologisch
verwandten Burg wechselt; ver-
wandt sind ferner ahd. und mhd.
houc und sein Deminutiv Hü'jrl.
das aber erst Luther in die Schrift-
sprache einführte; bloss eine von
diesem Hügel veränderte Form ma^r
das Wort Hubel sein, ahd. huhtt;
viel verbreitet ist in Süddeutschland
huhif, Büchel, eine Verkleinerungs-
form des ebenfalls vorkommenden
buc. Weit verbreitet, als Appellativ
aber längst versehollen, ist der
Hügelname ahd. hleo, mhd. le9 das
I sich lautlich gern mit lehen -
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< h tsnamen.
751
gut vermengt. Mehr in Nieder-
deutsehland zu Hause sind die zu
werfen gehörigen Bildungen Wurp,
Wurp, Warf, Wurf, Werf und
Werfen, es sind aufgeworfene Bo-
denerhebungen, auch Gcrichtsstät-
ten, ja Geriehtsversammlungen da-
mit geineint. Von den beiden Bcrg-
namen Haupt uud A'ojtJ iat jenes
in ällerm, dieser in jüngerm Ge-
brauch. Dem Begriff des Abhang*
dienen ahd. hlita, mhd. Ute, später
auch leit, Ieih\ leiten, leute, leuten
und dgl., dann ahd hang, ha/da und
rein, nhd. oft Rain geschrieben.
Alt und verbreitet ist als Name
einer Wasserscheide ahd seeit.
Scheid, Scheide, Scheidt. Deu Fel-
sen und Klippen dienen die Namen
ahd. stein, selten feit, neuern Da-
tums Klippe, dann sah* und stouf
wie in Hohenstaufen. Dem Be-
griffe des Thaies dient in erster
Linie dieses Wort ahd. tal selber,
das seit dem 8. Jahrhundert ziem-
lich verbreitet ist; sodann grund
und fall. Überaus reich vertreten
sind in den Ortsnamen, der Ansied-
hing der Deutschen in den Wal-
dern gemäss, die Ausdrücke von
Wald und Busch. Ausser dem
Worte Wald, ahd. wald, hat man
holz, ritu, besonders in allen Gau-
namen auf - wide vertreten, marea,
forsf, hnr*f, oder hörst, hard, hae,
nhd. Hag, welches anfänglich den
Wald, erst später das schützende
Buschwerk, Kinhegung bedeutet ha-
ben soll; ahd. Itagan, nhd. hagen
ist eine vielgebrauchte Ableitung
davon; zu derselben Begriffsgruppc
zählt ahd. linse, Busch, Schachen,
/.oh, mhd. der und das loch. Als
( h-tsnauic in ähnlichem Sinne wer-
den auch einzelne l'Hanzennameu
verwendet: die allgemeinen Bannt
und das ältere tar, dann Eiche,
Buche, Birke, Tanne, Fichte. Aifel-
ha um, ahd. apholfra und dgl. Dem
freien Felde gehört als das häu-
figste, schon im 5. Jahrhundert
überlieferte Wort Feld an, dann
Heide, ahd. heida -, wang, das bloss
im Süden, und gest, geest. das bloss
im Norden Deutschlands zu Hause
ist; ahd. ebanot, Ebenet; Boden;
auch Gau, ahd. gawi, scheint in
seiner ältesten Bedeutung dahin zu
gehören. Dem Begriff der M'iese
gehören ausser dem genannten
Worte selber an: ahd. weida,
Weide; angar, Anger. Zu den
Sumpfnamen, deren Fülle wie beim
Wald auf eine ältere Bodenkultur-
stufe hinweist, gehören ahd. brvoeh,
nhd. Bruch, mos, nhd. Moos, womit
sich ahd. mour, nhd. Moor, aber
bloss hinsichtlich des Tones, berührt,
während mar mit dem letztern wirk-
lich verwandt ist; ahd. fenni. mhd.
reit; phuof, unser Pfuhl; tacha, nhd.
Lache. Andere Namen bezeichnen
mehr die horizontale Form eines
Landstriches, das Hineinspringen
des Waldes ins Feld oder des Fel-
des in den Wald, des Berges in die
Ebene oder umgekehrt; dahin ge-
hören ahd. das ort = Ecke, Winkel,
Spitze; dann ahd. ekka, Ecke, win-
ktl, Zipfel, (Sehren — keilförmiges
Ackerstück ; auch Horn , Sterz,
Schwanz, Zagef, Zunge werden der-
art verwendet
B. Ausdrücke, welche ein Wirken
der Menschenhand bezeichnen.
Zum (traben, wozu man das Eb-
nen des Bodens zu irgend einem
Zwecke rechnen kann, gehören die
Namen Weg, seitdem h. Jahrhundert
bezeugt, ahd. steic, welches sich seit
alter Zeit in Steig, Stieg und Steg
spaltet. Wasserwege sind (SraJten,
niederdeutsch Gracht, ahd. sil =
Kanal; wahrend das niederdeutsche
Deich die Eidaufschüttung bezeich-
net, ist das hochdeutsche Teich eine
mit Wasser gefüllte Erdaushohluug;
Niederland und Friesland besitzen
mehrere landschaftliche Namen für
ähnliche Begriffe. Auf das Schlagen
oder Niederbrennen des Waldes und
das Ausgraben der Wurzeln, nieder
deutseh roden, hochdeutsch reute»,
752
Ortsnamen.
bezieht sich niederdeutsch rode und
iuide, oberdeutsch riufi , auch shtf,
shte. Strand und meint, brand und
hm usf.
Durch ackern und pflanzen er-
geben sich zuerst die Namen bracha,
Breite, mhd. der esch - Ortsflur.
Saatfeld; zum Kinhcgen und Um-
zäunen gehören namentlich mhd.
eride — Zaun, Gehege; ahd. mttra,
Mauer; hora; ahd. sire'nja, bairi?ch
Schwaig -- Viehhof; ahd. '/<//7o,dessen
iiiteste Bedeutung ebenfalls Umzäu-
nung ist. Der höheren und zu-
saw mengesetzteren Thätigkeit des
Menschen, wodurch er sich und
seinem Eigentum zuerst ein Obdach
schafft, gehören an ein als Ap|>cllativ
früh verschwundenes ahd. Idr, das
die Bedeutung Stätte, Niederlassung
im allgemeinen gehabt haben mag;
ahd. hus, bis zum .Jahr 1100 in nahe-
zu 1000 Ortsnamen nachgewiesen,
ahd. bür gufalffWM, bauen, d.i. wohnen
mit den besonderen Formen bura.
buri. burin , huren, heuern u. dgl..
sal und sa/ida, mhd. sal und selde
Wohnung; halla und teil, über
welch letzteres Wort gestritten wird,
ob es von lat. rilht abgeleitet oder
ein selbständiger mit eilin bloss ver-
wandter deutscher Name sei; ahd.
zimbar wird später in Ortsnamen
Zimmern; sfal in der Bedeutung von
Stelle, Stätte. Unter den ( )rtsnamen,
die von gottesdienstlichen, meist mit
lateinischen Namen benannten Ge-
bäuden hergenommen sind, wie
Kirche, Kapelle, sei hier das ahd.
netapnr = Bitthaus, erwähnt. Herren-
häuser haben die Namen bürg aus
ältester Zeit, bitrtfstal zuerst im 8.,
und seh los*, kaum vor dem 14. Jahr-
hundert nachgewiesen. I >as ahd.
tum ist im 11. Jahrhundert zuerst
erwähnt, früher dagegen uarta =
Ort zum Ausschauen. Zum Teil
sehr alt sind die Ausdrücke für die
Scheune, chasfo und scura, nhd.
Scheuer.
Namen für Häusergruppen , ge-
meinsam bewohnte aneinanderge-
rückte Wohnstätten sind ahd. heim.
got. Int i ms, von griechischen Schrift-
stellern schon im 1. Jahrhundert
n. Chr. erwähnt und ausserordentlich
verbreitet; seine erste Bedeutung
war einfau h «bis Haus, wohin man
gehört. Ahd. »tat, das vor dem S.
.Jahrhundert sich nicht findet, hat
die allgemeine Bedeutung von Stätte
und ist so wenig als Fhcken häutig
für Namen verwandt; aus dem 7. Jahr-
hundert stammen die ersten Zeug-
nisse für Dorf, ahd. darf; tcilari.
Weiler ist mittellat. rilht rr, welches
eine Adjektivbildung zu rilht ist;
nur verwandt dagegen mit lat. riet*
ist ahd wich, altsächsisch trik, das
z. B. in Brauuschweig steckt.
Das Ziel des Grabens, Pflanzen*,
Kinhegens und Bauens ist endlich
der liesitz; dahin zählen Namen wie
httolnt. Hufe und Hube, Ableitungen
von sitze» i saza , stiss, sitz, sedal ■.
eiffttn, arbi, Krbe; ahd. pittnt, jetzt
ftaint. poinf, peunf, Imnd, das durch
einen Zaun von der gemeinen Mark
losgebundene, die Hofstatt.
Das Bedürfnis nach weiterer
Schöpfung von Ortsnamen hat dem
Geiste der deutschen Sprache gemäss
hierwie in deiiPersonennamen zu zahl-
losen zusa nimenrfesetzfcn Orfsnmnm
geführt , wobei in erster Linie die
Grundwörter selber zugleich als Be-
stimmungswörter verwendet wurden :
Wasserburg, Bachheim, Laufdorf,
\\Vrdhcim,IIaldewaneh,Spitzbergen.
Staufeneck, Hagoiiried, Brühlhof,
Bruchbach. Wegefurt, Wallburg,
Brachfeld. Zaunhof, Hofkirchen,
Schweiglehen, Zimmerberg, Burgfeld,
Wartsfein, Heimbronn, Sedelhof;
bei ä(K) Grundwörtern ergäbe diese
Art der Ortsnamengebung eine Zahl
von 25000 möglichen Bildungen.
Dazu kommen aber noch sehr viele
Bildungen durch Bestimmungswörter
anderer Art. wie Zahlen ( Kinsiedeln,
Zweibrüeken. Fünf kirchen), Förthen
I Weissenburg, Schwarzwald), durch
Attribute der Grösse (Michilinstat,
Luzilunburch I, der Höhe (Tiefenbach ,
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Ortsnamen.
753
l'fhova, JSiderhusun), der Mitte
I Mittiiibrunnen, Zwischenberg), der
Breite, Lunge, Weite u. dgl., der
Trockenheit und Nässe, Hein heil und
'frühe der Gewässer, der Warme
und Kulte, des-///-, JVrw-, und Jung-
seins, der Himmelsgegenden ; sodann
die Nachbarechaft bestimmter Flüsse,
wonaeh Gaue, < Mlichkeiten und
Völker benannt werden; seltener
sind Mineralien, reichhaltiger ver-
tretendas /7fa»2e»m<*/',W'aldbäuiue,
Hasel und Dorn, Getreide, Gras, die ;
Tierwelt, Haustiere sowohl als wilde
Tiere, Vögel.
Unendlich häufig sind es endlich
Personennamen , welche den Orts-
Srunduamcn näher bestimmen helfen;
a nun die deutschen Personen-
namen meist selber Komposita sind,
so ergiebt sich als Regel eine mehr-
fache Komposition, wobei der zweite
Teil des Personen namens, der somit
die Mitte des ganzen dreiteiligen
Wortes bildet, am meisten der laut-
lichen Verwitterung ausgesetzt ist.
Weniger zahlreich sind diejenigen
Ausdrücke, welche eine bestimmte
Menschenklasse, einen Stand oder
ein Gewerbe benennen, wie König,
Herzog, Graf, Fron, Bischof, Abt
u. dgl. ; Meister, Meier ; Bezöge des
Hirtenstandes, der KneehtsehaJ't, des
Handwerks , des Volkes [volk, Hut
und diel), Volks- und Stummnamen,
wie Frankfurt, Düringfeld, Paicr-
brunnen; Gott in Göttweig, Herr,]
Himmel; abstrakter Natur sind
Hunger, Namen für Krieg und Sieg,
Hilfe und Freiheit, die Attribute des
heitiff und selig und das Kreuz.
r/ju diesen Ortsnamen, denen stets
ein Appellativ des Ortes zu Grunde
liegt, tritt endlich die Bildung eines
blossen Personennamens mit der
Endung ingen, welche die Herkunft,
die Abstammung, die Angehörigkeit
zu der genannten Person aussagt;
ingen ist aber der Dativ der Mehr-
zahl von der Einzahl ing: ein Nach- |
komm«; oder ein bloss Angehöriger
eines Filo, Tacho, Gruono, Vhnabi
hiess ein Filing, Taching, Gruoning,
Berillexleon der deutnohen Altertümer.
{'hnabing ; eine Mehrzahl derselben,
Söhne oder Angehörige die Filinge,
Tackinge , Grtwninge , Chnabinge ;
der Ort, wo sie wohnten, ze den
Filinqen, 'Lachingen, Gruoningen und
Chnahingen, woraus endlieh die weit
verbreiteten Ortsnamen auf ingen
entstanden sind. Überlumpt sind,
wenigstens im Mittelalter, die meisten
Ortsnamen Dative, weil bei dem
Abgang einer flexivischenOrtsnamcn-
bildung im Deutschen nicht anders
auszukommen war.
Was nun das allmähliche Hervor-
treten der einzelnen Ortsnamen be-
trifft, so hat Arnold in dem oben
genannten Buche eine eingehende
Untersuchung der hessischen Orts-
namen geliefert, auf welche er um
so mehr Gewicht le^t, als Hessen
das einzige oder weitaus sicherste
Gebiet für diese Untersuchung sei;
denn nur hier haben innerhalb der
beglaubigten Geschichte stets deut-
sche Stämme gewohnt. Wir teilen
hier die Resultate dieser Forschungen
in derjenigen Form wörtlich mit,
wie sie derselbe Gelehrte in seinem
Buche Deutsehe Frzeit, Gotha 1*79,
niedergelegt hat. Er schreibt da-
selbst Seite 211 ff.: „Die, Orte zer-
fallen ihrem Alter nach in drei
Klassen, die sich teils durch die geo-
graphische Lage, teils durch das
relative Alter ihrer Namen bestim-
men lassen, und zwar im allgemeinen
um so sicherer, als die dadurch ge-
wonnenen Zeiträume zugleich genau
den in der Geschichte allgemein an-
genommenen Perioden entsprechen.
Die erst«' Klasse begreift die Namen
der Urzeit bis zur Bildung des
fränkischen Reichs oder den frän-
kischen Wanderungen im fünften
Jahrhundert. Eis sind entweder ein-
fache, oft sehr schwer zu enträtselnde
Namen, oder Komposita mit den
später in der Sprache ausgestorbenen,
daher jetzt ebenfalls nicht mehr ver-
ständlichen Worten aßt (Wasser),
lar (Ort, Stätte), loh tWald), mar
(Quelle, Sumpf), und tar (Baum,
Strauch). Sie sind meist den ein-
48
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754
Ortnit. — Osterfeuer.
fachsten .sinnlichen Wahrnehmungen
entlehnt und führen auf die örtliche
Lage, die Bodenbeschatfenheit, die
Pflanzen, Bäume oder Tiere zurück,
welche sich zufällig am Ort der
Niederlassung zuerst fanden. Alle
hierher gehörigen Orte liegen in
offenen Thälern oder fruchtbaren
Ebenen, während die Berge, wenn
es sich nicht etwa um alte Be-
festigungen handelt, erst später an-
gebaut werden. Denn natürlich
nahm man zuerst den besten Boden
in Anspruch und stieg erst, als die
Bevölkerung dichter wurde, in die
kleinen Seitenthäler und die höher
gelegenen, minder ergiebigen Ge-
genden hinauf. Die zweite Klasse
begreift die Namen der nteroeinqi-
sehen Fpoche bis zur Einführung des
Christentums in Hessen und Thürin-
gen, also die Zeit vom fünften bis
zum achten Jahrhundert. Sie lassen
sich zuerst mit Sicherheit auf den
oberfrankischen Wanderungen, be-
sonders in den überrheinisehcn Ge-
bieten, verfolgen und bezeichnen
deutlich den inzwischen erfolgten
l Ibergang zur festen Ansiedelung
und vollen Sesshaftigkeit des Volks.
Es sind meist Zusammensetzungen
mit den jüngeren Lokalbczeich Illin-
gen -au, -lach, *bergy -bom, -fehl,
•scheid, -statt, die an die Stelle der
älteren Grundworte treten, oder mit
Worten, die von Anfang an mensch-
liche Wohnsitze bezeichnen, wie
•hären, -darf, -heim, -hausen, -trüf und
anderen, oder schliesslich, und zwar
immer häufiger, mit Personennamen^
welche auf die Erbauer oder Eigen*
tümer der Orte gehen und die vor
allem die festere Verknüpfung der
Ansiedler mit dem in Besitz genom-
menen Land andeuten. Die drifte
Klasse endlich begreift die Namen,
welche der christlichen Zeit bis zum
Aufkommen der Städte oder dem
neunten bis dreizehnten Jahrhuudert
angehören, womit die Geschichte
des ältern Anbaues schliefst, da seit
dem Aufkommen der Städte die
Bevölkerung dichter zusammen-
rückte Qua von den früheren Or-
ten, namentlich gerade den später
gegründeten, viele wieder eingingen.
Die Zeit des Interregnums bildet
etwa die Grenze, wo die Rodungen
in der bisherigen Weise aufhörten.
Es sind vorzugsweise die Namen
auf -haqen, -rode, -sess, -hury, -feix,
•stein, deirchen, -Cappel, -münster und
-zeit, welche dahin zählen; daneben
blieben natürlich auch die Grund-
Worte der vorigen Periode in Ge-
brauch, und die jüngeren, die der
dritten und letzten angehören, kom-
men nur neu hinzu.'* Vgl. Ab-
schnitt X bei Förstemann.
Die Litteratur über die Ortsna-
men ist 80 reich und nach den
Landschaften verteilt, dass eine Zu-
sammenstellung der engern Samm-
lungen hier kaum wird erwartet
werden. Dagegen seien noch er-
wähnt die grösseren Werke von
Pütt, die Personen- und Familien-
namen unter Berücksichtigung der
Ortsnamen , zweite Ausgabe. Leip-
zig 1859: Försfemann, altdeutsches
Namenbuch ; Oberdeutsches Fliirna-
menbuch, von Dr. Bück, Stuttgart,
18M0.
Ortnit, siehe Heldensage.
Ostereier. Ihr Ursprung ist
unzweifelhaft heidnisch, worauf auch
die gewöhnlichen Farben derselben,
rot und gelb, die Sonnenfarben,
deuten. Sie sind die Sinnbilder
des neu beginnenden Naturlebens.
Auch der Hahn, der sie legt, wahr-
scheinlich als Sinnbild der Frucht-
barkeit, gehörte der Frühlings^öt-
tin; er war den alten Deutschen
heilig, sie assen ihn nicht. Wufti-e,
Aberglauben, § 82.
Osterfeuer, siehe Feuer.
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Palimpsc8tc. — Panisbrief.
755
P.
Piilimpseste heissen beschrie-
bene Blätter, die man durch Ver-
nichtung der ersten Schrift noch
einmal zum Schreiben brauchbar
gemacht und benutzt hat. Sie wa-
ren im Altertum sehr häufig, wo
man von Papyrus die altere Schrift
abwusch oder abkratzte, daher der
schon bei den Griechen vorkom-
mende Name [itßXiov Tiukifiynaiov,
wiederabgekratztes Buch. Auch
Pergament wurde schon im Alter-
tum ahnlich verwendet; aber erst
im Mittelalter wurde die Tilgung
älterer Pergamentschrift als eine
besondere Kunstfertigkeit geübt und
in bedeutendem Umfange betrieben ;
es sind verschiedene Rezepte und
Anweisungen dazu erhalten. In den
letzten Zeiten des untergehenden
Römerreiches und den zunächst fol-
genden Jahrhunderten wurde im
Abendlande sehr viel reskribiert;
die meisten aber und fast allein
wertvollen lateinischen Palimpscstc
stammen aus dem 7. bis N. Jahr-
hundert. Watlenhach, Schriftwesen
des Mittelalters. Abschn. III.
Palissaden, d. h. Pfahlbäume
( von palis, Pfahl) wurden schon
von den Kelten und Germanen als
Befestigungswerke benutzt, bald
allein, bald in Verbindung mit Grä-
ben und Erd- oder Steinwällen.
Vorgeschobene geschlossene Palis-
saden, sogenannte Palissadenzwin-
ger, scheinen seit dem 9. Jahrhun-
dert in Gebrauch zu sein.
Pallium. Siehe den Art. geist-
liches Ornat,
Palme, lat. palma. Schon im
römischen Altertum ist die Palme
Sinnbild des Sieges, der Palmzweig
des Siegers Ehrenlohn. Schon die
Katakomben zeigen Christi Bild mit
demselben geschmückt. Erst später
wurde der Palmzweig auch Attribut
der Engel und aller Märtyrer mit
Bezug auf Psalm 92, 13.
Palmenordeu, siehe Fruchtbrin-
gende Gesellschaft.
Palmsonntag:, dominica palma-
rnm, wurde in der orientalischen
Kirche schon im 4. Jahrhundert ge-
feiert; in der occidentalischen ist
Beda Venerabiiis, 8. Jahrhundert,
der erste, von dem sich eine Pre-
digt auf diesen Tag erhaltne hat.
Schon früh wurde den zur Taufe
vorbereiteten Katechumenen auf
ihre Meldung und Bitte um Zulas-
sung zum Sakrament an diesem
Tage das ihnen bis dahin vorent-
haltene Glaubensbekenntnis, Symbo'
/um Jidei, mitgeteilt. An demsel-
ben Tage findet die Palmenweihe
und die Palmenprozcssion statt; die
palmsfuden, so an dem pal m tag ge-
segnet, sind nit allein kreffiq für
tüfelsche gesnenst, sunder 'och alle
ungeteilter, domler, hagel, platzreffen
ze rertrihen, so die anrfezündt und
der roiteh dem iretter entgegen
schlacht. Kessler, Sabbata, l! 105.
Von Alters her war man bemüht,
die Prozession möglichst genau der
in den Evangelien berichteten nach-
zuahmen. In den Klöstern und
Kirchen des Mittelalters benützte
man oft einen lebendigen Esel, der
nichtig geschmückt entweder eine
'alme mit der konsekrierteu Hostie
oder ein Evangelienbuch trug, oder
man begnügte sich mit einem auf
kleinen Rädern laufenden hölzernen
Palmesel und einer darauf gesetz-
ten Puppe, die den Herrn darstellen
sollte.
Panisbrief heisst die Urkunde,
in welcher der Kaiser oder Landes-
herr einem Kloster oder Stift be-
fiehlt, eine gewisse Person fortan
zu ernähren. Solche Pfründen gab
es im Mittelalter in ganz Europa;
48*
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75G
sie leiteten sich von dem alten
Rechte weltlicher Herrschaften auf
Unterhalt in geistlichen Stiftern
während ihrer Reisen her. In
Deutschland verzichtete der Kaiser
erst 17iȆ auf das Recht, Panisbriefe
zu erteilen.
Panzer, panzir, banzier, nach
Diez von panfejc = Bauch, Wanst,
abstammend, nennt man die Aus-
rüstung des Kriegers. Ob damit
anfänglich bloss die Brust- oder die
Bauchbedeckung bezeichnet worden,
lässt sich aus den verschiedenen An-
gaben nicht genau nachweisen.
<S. Harnisch.)
Panzerbrecher wurde ein Dolch
genannt von circa 40 cm Länge;
Panzersteeher ein einschneidiger,
spitzer Sto&sdegen.
Papier. Der Ursprung dieses
Schreibstoffes ist dunkel. Die Be-
reitung von Papier aus Baumwolle
soll bei Chinesen aus uralter Zeit
üblich und bei der Eroberung von
Samarkand um 704 den Arabern
bekannt geworden sein, welche in
Damaskus die Fabrikation lebhaft
betrieben; durch die Araber kam
die Kunst zu den Griechen, welche
im 10. Jahrhundert auf Papier ge-
schrieben und im 13. den Gebrauch
des Pergamentes überholt haben
sollen. Den Namen bekam der
neue Schreibstoff vom altern Nil-
papier, charta und papyriut, auch
rharta humhycina. Ursprünglich
Boll die rohe Baumwolle zur Pa- j
pierbereitung verwendet worden sein,
Lumpenpapier wird zuerst im 12.
Jahrhundert erwähnt; da in den
Lumpen sicher auch oft, ja oft vor-
herrschend tinnene Lumpen waren,
so veränderte sich damit von sel-
ber das Material des Papiers; doch
ist möglich, dass schon die alten
Ägypter auch Linnenpapier berei-
teten. Von den Arabern lernten
die Spanier und Italiener die Pa-
pierfaorikatiou. Von Venedig und
Mailand wurde anfangs Süddeutsch-
land, von Frankreich und Burgund
das westliche und nördliche Deutsch-
land mit Papier versorgt. Die er-
sten deutschen Fabriken befanden
sich zwischen Köln und Mainz, am
1320 bei Mainz. In Nürnberg,
welches mit Venedig in lebhaftem
Handelsverkehr stand, errichtete
Ulman Stromer 1390 eine Papier-
mühle mit Benutzung von Wasser-
kraft, wozu er sich italienische Ar-
beiter verschaffte. In Ravensburg
wurde 1407 ein Papirhüs erbaut,
aus welchem das Papier mit dem
Ochsenkopf (derselbe wird als Zei-
chen des heiligen Lukas, des Pa-
trons der Malergilden, erklärt) her-
vorging, so man aar gern in den
kanzleicn nutzt. Während man je-
doch feinere Papiere noch lange
aus Italien bezog, hatte die grosse
Ravensburger Handelsgesellschaft
umgekehrt im 15. Jahrhundert ihre
Häuser in Valencia, Alicante und
Zaragoza. Eine Basler Fabrik lies*
1470 zur Vervollkommnung der Pa-
pierbereitung spanische Arbeiter aas
Galicien kommen. Von den Ara-
bern wurde auch das Wort raz-
mah = Bündel, mit dem Papier
übernommen, span. re*ma, itaL
risma, franz. ramc, engl, rcat*,
deutsch rie*, riesz = 20 Buch zu
25 Bogen.
Das älteste sichere Beispiel einer
Urkunde auf Baum wollenpapier ist
eine Urkunde des Königs Roger
von Sicilien vom Jahr 1102, das
älteste bekannte kaiserlieheSchreibeii
auf diesem Stoffe ist von Friedrich II.
1228 aus Barletta an ein Nont
kloster in Steiermark gerichtet
noch in Wien vorhanden; doch ver-
bot derselbe Kaiser 1231 die Au-
wendung des Papiers zu Urkunden,
weil es zu vergänglich sei. Italienische
Notare mussten noch in späterer
Zeit bei ihrem Amtsantritte ver-
sprechen, kein Panier zu Urkunden
zu verwenden; doch gebrauchte man
es zu Protokoll-, Konzeptbüehem,
Registern u.dgl. Wattenhach, Schrift^
wesen im Mittelalter.
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Parzival.
757
Parzival ist der Held des
n
höfischen Ritterepos von Wolfrain
von Esc h e u hu c h , das nach ihm selber
Parzival hcisst und zwischen 1200
bis 1207 eitstanden ist. Die Handlung
des Parzival gehört der (Jralsage
an; doch haben schon die französi-
schen Quellen des deutschen Ge-
dichtes Züge der Artussage damit
verflochten. Der Gehalt des Parzi-
val-Gcdiehtes ist ein wesentlich
ethischer; „Parzival ist das Symbol
des Menschen, der Gott sucht, aber
iu Irrtum und auf Abwege gerät,
von Gott sieh entfernt, der an Gott
in dem Glauben irre wird und zur
Verzweiflung gelangt. Aber vor der
Verzweiflung findet er Genesung,
die Reue erwacht, er besiegt den
eigenen Trotz und Hochmut, er
wird demütig, uud nun erst ist er
vollkommen würdig, das geistliche
Königtum zu erlangen. Er hatte
es gefunden, ohne es zu suchen, in
der Hcrzcnseinfalt und Reinheit der
Jugend, aber eben in dieser Ein-
falt den Besitz des höchsten Gutes
verscherzt. Das reine Gemüt der
Jugend befähigt ihn zum höchsten
Besitze; daher vermag Gawein, der
diese Herzensreinheit nicht hat, wenn
er auch in weltlichem Sinne als ein
Ideal des Rittertums bezeichnet wer-
den kann, den Gral nicht zu er-
ringen, die Gralburg nicht aufzu-
finden. Aber erst wenn der Mensch
durch das Feuer des Leids, durch
innere Trübsal, durch die Nacht des
Zweifels hindurchgegangen ist, ge-
langt er nach Besiegung des Zweifels
in den dauernden Besitz. Sündig
wie er ist, muss er in Hochmut, in
Verzweiflung an Gott und au sich
selbst fallen; aber gereinigt geht
er aus diesen Kämpfen hervorzum er-
sehnten Königtum." Bartseh, Einleit.
Die Aufgabe, einen ethischen Inhalt
von so umfassendem Gehalt in die
Form romantisch-höfischer Ritter-
aventüren zu giessen, war sehr
schwierig, und schon Wolframs Zeit-
genossen haben daher die dunkle
Weisheitgetadelt, ja verhöhnt. Nach-
dem über die Bedeutung der Gral-
sage schon im Art. ttral gesprochen
worden, gilt es hier nur eine kurze
Skizze der Handlung des deutschen
Gedichtes zu geben:
Parziral, mhd. Parzirtil, altfranz.
i'erceral, hretonisch Peredttr (die
Schreibung Parsival beruht auf einer
von G< irres aus dem Persischen auf-
gestellten falschen Deutung des
Namens), ist der Sohn da-
mitrr/s aus dem königlichen Ge
schlechte von Anjou und der aus
dem Königsstamme der Gralshüter
entsprossenen Jlcrzrloide. Nach des
Vaters frühem Tode wird er von
der besorgten Mutter, fern von der
Welt, in der Einöde Soltane erzogen,
damit ihn nicht, wie bei seinem
Vater geschehen, ein früher Tod im
Kampf erreiche. Da lauscht er
nun in kindlicher Unschuld dem
Gesang der Vögel. Als er zum
Jüngling herangewachsen, ziehen
drei gewappnete Ritter durch den
Wald, die der Jüngling, in Er-
innerung an ein Wort der Mutter.
„Gott sei lichter als »1er klare Tag,4'
jeden für Gott hält; er erfährt aber
von ihnen, sie seien Ritter, und
Artus sei es, der Ritterschaft ver-
leihe. Sofort erwacht das unwider-
stehliche Verlangen in ihm, vom
König Artus Ritterschaft zu er-
langen. Zwar lässt ihm die Mutter
statt einer Rüstung eines Thoren
Gewand anlegen, aus Sacktuch und
Kälberfell genäht, und so, als ein
tumper. zieht er hinaus in die Welt,
die Mutter fällt vor Gram tot zur
Erde. Parzival aber gelangt nach
Nantes an den Hof des Königs Artus,
wo er durch seinen Aufzug solches
Aufsehen erregt, dass eine Fürstin,
die noch niemals gelacht, durch ihn
zum ersten Auflachen bewogen wird.
Auch seine rauhe und ungefüge
Tapferkeit erregt Aufsehen. Die
erste That, die er nun ausführt, ist
der Kampf für die von übermütigen
Freiern bedrängte Konduiramur
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758
Parzival.
dieselbe wird seine Gemahlin, «loch
lassen ihn Heimatsehnsucht nnd
Wandertrieb nicht lauge bei ihr
ruhen; er zieht aus, nach «einer
Mutter zu sehen. Anf dieser Fahrt
gelangt er nun, ohne es zu ahnen,
auf die Grahhunj Miin.stihrri.tf/tf;
blendende Pracht und Herrlichkeit
empfangt ihn im Burgsaale. Ein
Knappe bringt eine blutende Lanze
herein,bei deren Anblick alle jammern,
Jungfrauen tragen Leuchter, silberne
Messer und dergleichen, endlich dir
Königin Renansc den Gnil, der alles
Wünschbare, auch Speise undTrank
in Fülle gibt. Der Wirt schenkt
seinem Gaste ein Schwert; da aber
Parzival, eingedenk der Lehre eines
alten Kitters, dass er nicht allzuviel
fragen möge, auch hier «Iii* Frage
nach der Bedeutung dieser Dinge
unterlässt, findet er am nächsten
Morgen das Schloss öde und ver*
lassen und sein Pferd gesattelt auf
dem Ib»fe stehen. Bald triflt er
nun auf Artus, der mit seiner Ritter-
schaft den roten Kitter sucht, um
ihn in seineTafelrundc aufzunehmen.
Da sich Parzival im Kampf mit
Artus' Rittern als der stärkste be-
währt, erklären ihn bald alle als
der Tafeh unde würdig; man nimmt
ihn auf, aber mitten im Feste er-
scheint vom (irale kommend die
Zauberin Vmtdrif, verHucht Parzival,
weil er die Frage nicht gethan habe,
und erklärt die Tafelrunde durch
seine Genossenschaft für entehrt.
Darauf scheidet Parzival aus der
Tafelrunde, deren er sich unwürdig
dünkt, und zieht, an ( Jott verzweifelnd,
von dannen, den Gral zu suchen.
Über vier .Jahre irrt er nun,
fern von Gott und der Heimat,
trotzig und verzagt, zweifelnd um-
her; das Gedicht verliert ihn ganz
aus den Augen, um in langer Aus-
führung die Herrlichkeit des welt-
lichen Rittertums, deren Held Ciairrin
ist, zu schildern. Nach vier Jahren
endlich, an einem Karfreitag, dessen
Heiligkeit er durch Waffentrageu
verunchrt hat, weist ein Ritter im
grauen Gewände Parzival zu in ersten-
mal wieder auf das höhere Ziel seines
Lebens hin. indem er ihn an die
Treue Gottes mahnt. Ein Einsiedler,
es ist sein eigener Oheim 7 rerriz* ttf.
belehrt ihn über die Geheimnisse
des Grals; sein Bruder Anfortas,
der Gralkönig, habe einst auch das
Fcldgeschrei Amur vor sich herge-
tragen, darum habe er im Streit
unterliegen müssen, sei mit jenem
vergifteten Speer verwundet worden
und daher siech, obgleich der An-
blick des Orals sein Leben friste:
Heilung werde er erst erlangen,
wenn ein Kitter auf die Oralburg
komme und freiwillig nach dem
Leiden des Königs und nach dem
Gral fragen werde; diesem werde
■ dann Anfortas das Gralkönigtum
übergeben; er selber aber, Parzival,
sei dafür bestimmt. Nachdem er
nun noch zahlreiche Thaten voll-
führt, und infolge davon in die
; Tafelrunde des Artus aufgenommen
| worden, wird ihm durch dieselbe
' Gralsbotin, die ihn einst verflucht
hatte, seine Bestimmung zum Köui^
des Grals angekündigt; er zieht auf
i die Burg, thut die Frage, erlöst seinen
Oheim von seinen Schmerzen, nimmt
von dem Königtum Besitz und findet
' zuletzt seine Gattin mit seinen beiden
Söhnen Kurt /<•/.«.* und fstkrriimjritt
I wieder; dieser soll ihm im Gral-
königtum, jener in den weltlichen
Reichen seines Vaters nachfolgen. —
Als Grundgedanken fasste Wolfram
den Gegensatz zwischen dem Stre-
ben nach weltlicher iniischer Lust
(Oawein) und dem Hingen nach dem
geistigen himmlischen Besitze (Parzi-
val). Die Geheimnisse der Gralburg
und die verhängnisvolle Frage bilden
den Mittelpunkt, um welchen der
ganze Stoff sich schürzt. Parzival
ist das Symbol des. Menschen, der
Gott sucht, aber in Irrtum und auf
Abwege gerät, von Gott sich ent-
fernt, der an Gott und dem Glauben
irre wird und zur Verzweiflung ge-
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Passional. — Patronat.
750
langt. Aber von der Verzweiflung
findet er Genesung, die Reue cr-
waeht, er besiegt den eigenen Trotz
und Hochmut, er wird demütig, und
nun erst ist er vollkommen würdig,
das geistliche Königtum zu erlangen.
Kr hatte es gefunden, ohne es zu
suchen, in der Herzenseinfalt und
Reinheit der Jugend, aber eben in
dieser Einfalt den Besitz des höch-
sten Glückes verscherzt. Das reine
Gemüt der Jugend befähigt ihn zum
höchsten Besitze; daher vermag
Gaweiu, der diese Herzensreinheit
nicht hat, wenn er auch in welt-
lichem Sinne als ein Ideal des Ritter-
tums bezeichnet »erden kann, den
(iral nicht zu erringen, die Gral-
burg nicht aufzufinden. Aber erst
wenn der Mensch durch das Feuer
des Leides, durch innere Trübsal,
durch »He Nacht des Zweifels hin-
durchgegangen ist, gelangt er nach
Besiegung desZweifels in den dauern-
den Besitz. Sündig wie er ist, muss
er in Hochmut, in Verzweiflung an
Gott und sich selbst, fallen; aber
gereinigt geht er aus diesen Kämpfen
hervor zum ersehnten Königtum.
Nicht im lauten Treiben der »Veit
findet Parzival den verlorenen Glau-
ben wieder, sondern in der Einsam-
keit bei dem Einsiedler Trcvrezcnt,
in weichein er seinen Oheim erkennt.
Dieser belehrt ihn, dass Hochmut
und Zweifel den Gral niemals er-
ringen können. Trevrezent erzählt
ihm, er selbst habe, wiewohl dem
Königsgeschlecht des Grals ange-
hörend, der Würde eines Pflegers
entsagt und büsse als Einsiedler;
sein Bruder Anfortas, der Gralkönig,
habe einst im Kampfe das Fcldge-
schei „Amur" ertönen lassen, welt-
liche Liebe aber ziemen dem Gral-
königc nicht, daher sei er verwundet
worden und schleppe ein langes
Leben dahin, er könne nicht sterben,
da er aus dem Anblick des Grals
immer neues Leben schöpfe; aus
einer Inschrift am Gral wisse man
aber, es werde ein Ritter kommen,
der die Frage nach dem Grunde der
Trauer auf der Gralburg thue,
diesem werde Anfortas das König-
tum übergeben. Trauernd und doch
voll Trost scheidet Parzival von
ihm: schwere Proben muss er be-
stehen, ehe er das Ziel erreicht. Er
muss mit seinem besten Freunde
Gaweiu kämpfen, ohne ihn zu
kennen; denn zwischen beiden be-
steht ein innerer Gegensatz, der
zum Austrag kommen muss. Der
letzte, schwerste Kampf ist der mit
seinem Halbbruder Feirefiz, also
mit dem ihm am nächsten stehen-
den Menschen. Aber auch hier ist
der Kampf motiviert und notwendig,
weil Feirefiz noch Heide ist. Der
nach Gott ringende Mensch darf
auch das Teuerste auf Knien nicht
schonen. Mit diesem Kampfe, den
er für Gaweiu besteht, ist seine
Reinigung äusserlich wie innerlich
vollzogen, und er darf in die Gral-
burg zurückkehren, wo er die ver-
säumte Frage thut. das Königtum
gewinnt uml sein Weib und seine
beiden Kinder wiederfindet." Nach
Bartsch in der Einleitung zur Parzi-
val-Ausgabe. Vgl. Birch-llirxch-
feld, die Sage vom Gral. Leipzig 1H77.
Passional, siehe Legenden.
Passionsspiele, siehe Drama.
Pastourelle, Pastoreil, heisst
in der provencalischen Lyrik eine
Dichtart, welche den Dichter in
Berührung mit Schäferinnen und
Schäfern zeigt und es namentlich
liebt, Stücke von Volksliedern in
der Art eines Refrains anzuhäugen.
Im 17. Jahrhundert tragen den-
selben Namen nach italienischem
Muster abgefasste Schäferspiele. Mit
Ausnahme einiger lyrischer Teile,
wieder „musikalischen Vorbereitung"
zu Anfang und der „musikalischen
Application" zu Ende sind sie in
Alexandrinern abgefasst Es gab
auch Pastorellen in Prosa mit ein-
gelegten Gesangsstücken und ganz
gesungene Pastorellen.
Pat ronat über Kirchen. Schon
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760
Pegnitzsehüfer. — Pelz.
im römischen Reich« waren den Er-
bauern einer Kirche gewisse Rechte
gesichert, Ehrenrechte, Erwähnung
de« Namens im Kirchengehete, Em-
pfang mit Weihrauch heim Eintritt,
besonders aber Eiurluss auf die An-
stellung des Geistlichen. Auf germa-
nischem Bodeil bildete sich dieses
Verhältnis dadurch weiter aus, dass
überhaupt eine Kirche mit ihren
Rechten, Gütern, Einkünften und
ihrem Personal als ein Besitz galt.
Karl tler Grosse räumte daher ohne
weiteres ein, dass der freie Mann,
der eine Kirche baue, das Recht
habe dieselbe zu vergeben und zu
verkaufen, sobald nur die Erhaltung
des Gebäudes und des Kultus darin
gesichert bleibe. Auch an ein Kloster
oder an einen bischofllichen Sitz
konnte eine Kirche inkorporiert
werden, was wie bei andern Schen-
kungen vonGi undbesitzuntersymbo-
lischcn Formen geschah, gewohnlich
durch Entwicklung der Schenkungs-
urkunde in das Altartuch oder
mittelst des Glockenseils. Dein Be-
sitzer der Kirche stand in erster
Linie das Recht zu, den Geistlichen
anzustellen, eine Befugnis, die früh
mit der bischöflichen Gewalt in
Konflikt geriet und oft Streitigkeiten
veranlasste; eine Auskunft war u.
a. die, dass man den Patronen bloss
die Präsentation geeigneter Subjekte
zusprach, dem Bischof aber die
eigentliche Erteilung des Amtes
zugleich mit der Ordination. Das
Recht des Patrons ging aber noch
weiter, der Patron machte Anspruch
auf das Einkommen der Kirche,
manchmal verlangte er sogar von
den auf dem Altar geopferten (iahen
die Haltte. Obgleich die Synoden
sich gegen dieses Prinzip wehrten,
blieb für den Patron das Recht
auf denjenigen Teil des Kirclienein-
kommens bestehen, der nach der
Bestreitung des geistlichen Dienstes
übrig blieb. Infolge der stärkern
Betonung des Kirchenrechtes im
1 1. und 12. Jahrhundert wurde parallel
mit den Streitigkeiten um die In-
vestitur der Bischöfe den Stiftern
das Eigentumsrecht abgesprochen
und dafür das Recht der Kirche in
den Voi dergruiH 1 ges teil t ; dem G rund -
herrn blieb nur einerseits «las Recht
des Schutzes und der Aufsicht über
das Kirchengut, anderseitsdiePrascn-
tation zu dein erledigten Amte.
PegriiitzschHTcr, siehe Blumen
orden.
Pelz. Aus den Fellen einheimi-
scher Tiere verfertigten sich schon
die Germanen ihre notdürftige Be-
kleidung. Es wird aber auch ge-
meldet, dass sie ihre Pelze auf üer
äussern, rauhen Seite mit köstlichen
Pelzstücken geziert, die sie ihren
nördlichen Nachbarvölkern abgehan-
delt. Bekannt ist, wie zu Karl des
Grossen Zeit sich die Hofleute in
der Beschaffung köstlicher Pelz-
mäntel überboten, und zwar werden
als solche Marder- und Hermelinfelle
genannt. Scandinavisehe und rus-
sische Pelze gehörten bald zu Ehren-
geschenken, „deren Duft" — wie
| Adam von Bremen im 11. Jahrhun-
dert klagt — „unserer Welt das töd-
liche Gift der Hoffart und Eitelkeit
eingeflösst hat. Und schätzen jene
nordischen Völker die Felle nicht
höher denn Mist, und damit ist uns
wohl das Urteil gesprochen, da eben
wir mit jeglichen Mitteln, rechten
«»der unrechten, nach einem kost-
baren Marderkleid wie nach der
höchsten Seligkeit trachten.'* Wohl
j vom Anfang des 12. Jahrhunderts
an unterschied man die zarten Balge
der Zieselmaus als Buntwerk, das
i Fell der grauen Eichkätzchen als
Grauwerk und eine Mischung beider
als Buntgrau. Geschätzt waren
Zobel, Biber und Hermelin. Die
Pelzmäntel wurden von beiden Ge-
schlechtern getragen, ungefähr in
Knielänge, von Männern mit, von
Frauen auch ohne Armstück, aber
mit Kapuze, von Kriegern auch
über der Brünne. Das Gesagte hat
jedoch nur auf die höheren Staude
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Pentagramm. — Perlmutter.
761
Bezug; den niederen sowie dem
Bürgerstande war das Tragen von
Pelzen bis zu Ende des Mittelalters
crän/.lich untersagt, während der
Ritterstand, dem von Reichswegen
ebenfalls Vorsehriften gemacht wur-
den, in diesem Luxus sieh nicht ein-
schränken liess. Der Pelz wird
immer weiter, schliesst sich vorn
und erhält namentlich beiden Frauen
solche Länge, dass zum Tragen der
Schleppe eine dienende Hand nötig
wird. Im 15. Jahrhundert wird
der Pelz wieder enger und ver-
sehwindet auch beim weiblichen
Geschlecht« so, dass ausser dem
Schulterkragen uur noch eine köst-
liche Pel/garuitur des Obcrkleides
Platz greift. Auch bei den Männern
wird er in der zweiten Hälfte des
genannten „Jahrhunderts zu einem
einfachen Überrock, während er im
16. Jahrhundert sich wieder ver-
längert und erweitert
Wehn, Kostümkundc; vergl.
Weinhold, deutsche Frauen, Ab-
schnitt IX.
Pentagramm, siehe Drudenfuss.
Pergament soll seinen Nnmen
folgender Begebenheit verdanken:
Als König Eumenes II. in Pergamus
eine Bibliothek anlegte und so als
Nebenbuhler der Ptolemäer in Ale-
xandrien auftrat, verboten diese aus
Eifersucht die Ausfuhr des Papyrus
und zwangen dadurch die Gelehrten
von Pergamus, sich wieder dem
altasiatischen Schreibstoff, den Tier-
häuten, zuzuwenden; da sich infolge
davon die Zubc reitung der letzteren
sehr verbesserte, wurden sie seitdem
als charta Penjamena bezeichnet.
Seitdem blieb das Pergament neben
dem Papyrus ein beliebter Schreib-
stoff. Im Mittelalter unterschied
man das italienisch - spanische und
das deutsch-französische Pergament;
bei jenem sind die beiden Seiten
verschieden, bei diesem meist gleich
bearbeitet. Das feinste Pergament
gaben die Häute ungeborener Läm-
mer; es ist sehr dunn, weiss und
glatt, konnte aber nur zu ganz klei-
nen Handschriften dienen; es heisst
schon im Mittelalter Jungfern perga-
ment; das gewöhnliche Pergament
war von der Haut des Hammels,
der Ziege und des Kalbes. Das
Pergament war ein Handelsartikel,
wurde aber in abgelegenen Gegen
den, Klöstern u. dgl., oft recht löche-
rig und roh, zum eigenen Bedarf
zubereitet. Nach und nach entstand
ein Gewerbe der Pcrgamentinacher,
mhd. pergamenter, Itermenter , per-
munzer, pinneler, htutchf eller ; sie
verkauften ihre Ware nach Stücken,
Häuten und Quuternen.
Schon in alter Zeit färbte man
das Pergament purpurn, zuerst wohl
nur für den Umschlag der Köllen
oder für das am oben» Runde der
Rolle ungebruchte Titelblättehen.
Im 3. Juhrhundert über war schon
die Mode herrschend, ganze Werke
uuf purpurnem Pergumeiit mit Gold
und Silber zu schreiben; Hieronymus
und Chrysostomus eiferten dugegen;
die merkwürdigste und vielleicht
älteste dieser Handschriften ist der
Codex argen tett* der gotischen Bibel-
übersetzung zu Upsala. Von Italien
kam diese Kunst zu den Angel-
sachsen; auch Karl der Grosse hatte
eine Vorliebe dafür; meist waren*
es Bibt'lhandschriftcn . denen diese
Ehre zu Teil wurde. Nach dem
9. Jahrhundert schrieb man bloss
noch einzelne Blätter auf diese Art
Wattenbach, Schriftwesen im
Mittelalter.
Perlen werden als besonders
kostbarer Schmuck neben Edelstei-
nen wohl schon früh im Mittelalter
erwähnt, dagegen als Halsbänder,
Hut-, Hauben-, Kragen-. Ärmel- und
Hamlschuhbcsatz der Damen erst
eigentlich im 16. Jahrhundert. An
den Höfen hielt man zur Anfertigung
solcher Arbeiten eigene „Perlen-
hefter".
Perlmutter. Die Perlmutier
war schon den Meistern des früheren
Mittelalters bekannt und namentlich
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762
Perrüeken.
ZU eingelegten Arbeiten un<l 'fablet- , Sie kostete bis KHM) Thaler und war
Perrüeken waren schon in Rom j wer sie nicht so köstlich aus Mcn-
lich: sie verschwinden jedoch — sen, der begnügte sieh mit einer
wenigstens im Abendlande - vom j kleineren, die auch nötigenfalls aus
Schauplätze, bis sie im 15. Jahr- [gesottenen Pferde- oder Ziegen-
hundert am burgundischen Hofe auf- 1 haaren hergestellt sein durfte. Bot
tauchen. Das Bestreben, lange Haare der Nachahmungssucht der Nach-
zu tragen und diese durch Wickel, barvölker fehlte es nicht, dass in
Brennen und Kinölen zierlich zu kurzer Zeit der französische Ge-
kräuseln, liess diejenigen, denen die schmaek auch hierin ringsum An-
Natur den starken Haarwuchs ver- klang fand.
sagt hatte, auf den Gedanken kom-j Als Amtstracht erscheint die
inen, das Fehlende künstlich zu er- Perrücke besonders bei den Advo-
setzen. So nahmen sie zu dem kateu; doch suchten sich auch zu
„falschen Haare" Ihre Zuflucht. Her wiederholten malen und nicht ganz
Name „Perrücke44, franz. prmn/u*. ohne Frfolg Geistliche das Recht
engl, periwig, findet sich zuerst bei des Tragens einer „bescheidenen
Brantöme um 1570. Am beliebte- Pernicke44 auszuwirken, wie sehr auch
sten waren die hhmden Perrücken, eben ihre Synoden die neue Mode
wie denn überhaupt die blonden als lächerlich und sündhaft erklärten
Flechten für die schönsten galten; und mit scharfen Erlassen gegen
eine Ansicht, die von den französi- dieselbe ankämpften. Auch Schrift
sehen Frauen ausgegangen sein i steller leisteten das Menschenmög
soll und für lange Zeit im ganzen liehe, aber nicht mit mehr Krfolg.
Abeudlande unangefochten blieb. So schreibt Michael Freund in seinem
Die Haare wurden daher nötigen „AhtmnihTtnßt^ um 1682: „Heu
falls gefärbt und gebeizt. Aber tiges Tages regieret auch ein b«-
auch die Männer suchten sich auf sonderet Haar-Teuffel bey d»*u
ähnliche Weise zu schmücken. Nach Mann- und Weihspersonen, sie führen
einem Briefe des italienischen Dich damit einen sonderlichen Pracht,
ters Marino trugen um Mi 15 in hissen dieselben weiss, gelb, bleich,
Paris auch die Männer „auf dem n»th, braun färben, mit besonderen
Kopfe einen falschen, aus Haare , Zangen krausen, auftYeihen und
nachgemachten Kopp* und bald war ! puffen. Wie viel tausend und aber
auch der schönste natürliche Haar- ' Iteiehsthaler werden vor J'ttnu/rr,,
wuchs nicht mehr gut genug; die I bezahlet? die mancher gar wohl
Perrücke war zur Modesache und entrathen könnte, weil er sonst Haar
so für die Leute von Stand zum I genug autf seinem Koptfe hat. Wie
Bedürfnis geworden, dass um die j viel hundert Dukaten verstieben
Mitte der fünfziger Jahre das Fak- mit dem HaarpouderV Die stinkende
totuin seiner Zeit, Ludwig XIV.. Perrücke bestreuet mancher mit
sondern auch gleichzeitig 4M Hof- da*s er eines Müllen Sohn nicht
perrüekeninacher ernannte und für ungleich siehet; oder man doch zum
Paris und die Vorstädte eine eigene > wenigsten vermeinen sollte, dass er
Körperschaft von 2(H) JWrui/uirr.'t den Konff im Meelsacke gehabt
ernannte, von welcher die durch des hätte. Vor andern hat der Alaino-
Königs heib- jH-rrw/ttier Binette um > dische Haar-Teuffel sein Spiel mit
tfiTl erfundene .J» nette Ojrand /«- den Alamodischen Locken, so man
folioj" getreulich nachgeahmt wurde, über die Stirn und Gesicht herunter-
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Personen- und Familiennamen.
<63
hangen lasset, wiedieloekete Wassor-
hund, mit sonderbaren Haarhauben,
so von frembden Haar gernaehet,
und anft' das Haupt, als wenns na-
türlich Haar, gesetzet werden, lassen
ihnen güldene Feilspäne darein
streuen, auch wohl gar Gold darein
flechten"; u. s. w.
Nach Weixx, Kostümkunde.
Personen- und Faiiiilieiiiiauieii.
I. Personennamen.
Hei den Germanen geschah die.
Saniemjettiinq der Kinder, altnordisch
nafnfexti — NamenfestigUHg, in feier-
licher Weise nach der Geburt: nach-
dem das Kind durch den Vater vom
Hoden aufgehoben, gebadet und mit
Wasser begossen war, wurde ihm
vom Vater, oft aber auch vom Gross-
vater oder vom mütterlichen Oheim
der Name zugeteilt und dabei ein
Geschenk übergeben. Der Name
wurde aber hauptsächlich mit Rück-
sicht darauf gewählt, dass derselbe die
verwandtschaftlichen Heziehungen
angeben sollte, und zwar auf ver-
schiedene Art. Entweder geschah
die Abwandlung der Namen durch
Ablaut oder Luutstcigcrung: Ad<i
und Iota, Adalhilt und Codalhilt,
(Hier durch den Stabreim: Sigelint,
Siaeinuitt, Sigefrit; Dietirart, Diet-
mar, Dielerieh; Wolf hört ', Wolf
braut; Liudger, JJudgart ; Hilde-
ttrant, floduhroiif; (1 initiier, (ierudt,
Gutelker, wobei meist der ganze
erste Teil der Komposition bewahrt
worden ist; auch der zweite Teil
der Wortzusammensetzung wurde
zur Andeutung der Verwandtschaft
gebraucht, z. H. in St. Gallischen
Urkunden die Hrüder Erinnert und
Amol perl; Tintulf, Mero/f und lJix-
adf; Hilpert Und Ixauihert; gern
wurde dem neugeborenen Kinde
auch der Name des Grossvaters oder
des Oheims gegeben. Auch das |
kam vor, da«s man dem Kinde einen
Namen aus den Namen von Vater
und Mutter zurechtmachte.
Abgesehen von den genannten
/erwandtsehaft liehen Rücksichten
waren die Deutschen gewohnt, Sinn
und Bedeutung auf den Namen zu
legen; es sollte ein«' heilsam weis-
sagende Kraft, die im Namen lag,
dein Träger zugute kommen. Ein-
fache Namen sind wenige auf uns
gekommen; es gehören dazu Emxt,
ahd. Eruuxt, der zum Kampfe ent-
schlossene, Karl. Liupoxta, Tragan/a,
Wahxanta (die Tragende und Wach-
sende), Perahta — Hertha, Ida, Ära,
Sira/thi , Vrixtinna. Weit häufiger
sind die zusammengesetzten Namen,
in denen die einfachen Namens-
8tämme in allen möglichen Kombi-
nationen sich verbinden. Ihre Fülle
und Mannigfaltigkeit setzt in Kr-
Btaunen, und zwar* ist es namentlich
zweierlei, was sich in ihnen zumeist
wiederspicgclt : Die Heziehungen des
Menschen zur Gottheit und die
häutigste und ruhmvollste Heschäf-
tigung, der Kampf.
Das deutsche Wort Hott Huden
wir in den Namen GoÜeih, woraus
G off lieb entstanden ist, er bedeutet
aber ursprünglich gottgeboren; ferner
in Godefria, GodaJtcalc (Gottes-
knecht), Godurin (Gottesfreund),
(i utahart, Goderam (Gottes Rabe).
Während dann freilich die Namen
der hohen Götter und Göttinnen
selbst, wie Wim/an, Donar, Ziu,
Ero, Erigg in Xamenzusammcn-
setzuugen. wohl aus religiöser Sehen,
nur ausnahmsweise verwandt werden,
sind dagegen die untergeordneten
Götterwesen sehr häutig, so nament-
lich die Axen oder Anten, in A Ux-
heim, Anxberf, Anxfred und in angel-
sächsischer Form Oxlor, Oxtrold.
Au die Äfften oder Elfen erinnern
AUirrirh, Albuin (Albwin = Elfen-
freund), Alfred = Elfenrat, Alpger,
Albxind. Im Gegensätze zu ihnen
stehen die Iii exen. Hünen und Thur-
sen, deren Geschlecht in Ilunittatd,
Huuipreht (franz. Uvdtert, ital. Um-
fterto), Hunfrid, Humltotd, Thurix-
mund niedergelegt ist. Heilige Tiere,
die in der Namengebung viel ver-
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764
Personen- und Familiennamen.
wandt wurden, wind Wolf und Rahe,
ahd. ram. Wolf lej^t "sich in der
Form uff oder off fast an jeden
andern Stamm, und es linden sieh
z B. Adulf\ Arnulf Gero/f Gundolf,
Hildulf. Meinolf Rudolf Reginoff
Thitufotf ififfo/f; Fnrstrmann Eählt
Ihrer etwa 870; auch an erster Stellt'
des Namens erscheint das Wort,
wie in Wolfrat, Woffger, Wolfart.
Wie der Wolf, so ist aueh der Rabe
WuotanA\s dem obersten Schlachten-
Lenker heilig: sein Name liegt in
Jlifliram, Guntram, Stgiram» Wolf-
hraban, Waldram, Bertram, Ram-
Itert. Wich ram, Aid ram, Enge! ram.
Die Tiernamen haben aueh eine
allgemeinere Beziehung zum Mut,
zur Kampfeslust der Germanen; in
diesem Sinne erhielt u. a. der Knabe
den Namen Ehenein oder Wolf tritt,
Eber- oder Wolfsfreund. Auf den
Büren weisen Namen wie Bt rnhart,
Bernteart. Brrno/d, Ileringar, Isan-
pero, auf den AarArnotfuml Arnold,
auf den Eber Eherhart, Eltertrart,
Ehersteind. Lint = Sehlange, und
Sieana = Schwan dienen zu weib-
licher Namengebung: Ger/int, Burg-
lint, Rih/inl, Stranahild, Straiuthurg,
Str anagart.
Noch wirksamer für die Namen-
gebung der Männer wie der Frauen
sind Namen des Krieges, des Ruhmes,
der Ehre; die hierher gehörenden
Worte sind namentlich gund, hild,
hadti, teijf. Von gund kommt z. B.
Guntram, Gunthelm, Gundhert,
Gttnthari = Günther, Gttnfoff Gun-
dohert, ( itindemar ; Hildegunde, Adel-
gunde, Kunigunde, Fredegunde. Noch
zahlreicher sind die Zusammen-
setzungen mit hild: Hifdehrand,
Nif derieh . Hildehert, Hildefons,
Hildebald, Hildoff, weibliche Namen
HUdehurg , Hildegard , Hiltrud,
Mt t eh lifd , B ru nhif.de , G i 'im h ilde,
(Mathilde. Das Wort hadu begegnet
in lladtthrant, J/adttmar, Hadolt,
Rudolf J fad u triff ; im letzteren Namen
erscheint hadu mit dem Kriegswort
mg verbunden, das sich u. a. auch
in Hl g hold, Wiff/jert, Wirft man,
Wielef Hlmloteig = Ruhineskampf,
Hartteig und He neig vorfindet. An
den Streit schliesst sieh der Siegt
daher Siffteart, Sigfrid, Sigmund,
Sigihald, Sig/tert, Sigharf, Sigimar,
I Sigihelm, Sigilind. Auch die U'ajfen
der Helden klingen aus den Namen
| wieder, zunächst das Eisen: I*in-
grim. Isenhart, Isenlnjld. Als haupt-
sächliche Trutzwafte erscheint die
kurze Lanze, ger oder her, welches
in Ganhaid, Gerhard, Gerotd, (Itr-
laeh, Gerwin, Gerltert, in Sofk-rr,
Berengar, Edgar, Wolfger, Anxiaar
= altsächsisch Osgar, die Wehr der
Ansen, vorkommt; ebenso findet
ä'whgisal — Peitsche, grima — Helm,
lind heim selbst in Namen wie Gixel-
hreeht und Giselher; Isengrim um!
Eohrngrim ; Jfe/nwld und Helmger ;
Wilhelm (Willensschutz) und Anjt-
ftetm ( Asenschutz), JHethelm = Volks-
schutz. In Eekehart, Eglnrt, Egi-
nolf steekt eg oder «'»7//* = Schwert.
Unter den kriegerischen Eigen-
schaften ist vor allem Kraft und
Stärk«*, ellan und magan hervorzu-
heben, daher Ell an hart und EJUn-
trud; Meginral oder Meinrad und
Meinfiart, Meinhold. Meainhold und
Meginhreht. Der Begriff der Kuhn
heit liegt in den mit nattd und Imld
gebildeten Namen: Sa ndulf (kühner
Wolf ), Siginand (siegeskühn); BaJd-
trin, Bai de rieh, ThetAmld — der mit
tapferem Volk, lAutbold oder Eru-
jtotd, Willibald, Sigihald und Hrri-
hald. Unser heutiges Wort Kuhn
rindet man in Kuvno uud Kuonrat
= Kühn im Rat. Hart bezeichnet
strengen Mut und ausharrende Kraft,
davon Hartum/t, Harfmuot , Hart-
hert, Sithart = stark im Zorn, Ger-
hart, Gehhart, Bernhart = der mit
Barenkraft, Eiterhart, Wolf hart.
Burehart, Riehhart, Regin- oder
Reinhart, Meqin- oder Meinhart,
Golhart, Erhart, Eckehart. Mit
mar = berühmt, kommen vor Adal-
mar, Dancmar , Waldemar, l'olk-
mar, Rudmar. Zahllos sind die
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Personen- und Familiennamen.
765
Namen, die mit pcraht oder preht
= glänzend gebildet sind: Albreh t
aus Adalperaht, der durch Adel
glänzende, Hildebreht, woraus später
Jlildebrant, Haduberaht Megin-
fterahf. Herrschaft und Gewalt sind
ausgedrückt in rieh: Richbert, Rieh-
irin, Richbatd, Friderich, Heinrich,
Theoderich , Jlilderich , Rieht int,
Richdrut. Kollektivbcgriffe, aus
denen sich Personennamen bilden,
sind Heer, flhd. hari, heri: Hermann,
Heribert, Guntaehar- Günther, Chfo-
thachar- Lothar- Luthar , Giselher,
Sipeher. Merilint, Heriswind, rote in
Folcwin, Folerat; ahd. diot, mhd.
diel in Dietrich, Diethild, Dietpert,
Diefhelm, Thietmar, Diether, Diet-
linde, Theoderada, und mhd. Hut,
nhd. Leut, in Luitpold, l.iutprand,
Luit per u. a. Ahnlicher Natur sind
Namen, in denen laut und marc
stecken, wie iMndfrid und Marc-
warf. Geburt und Stellung, Dienst-
verhältnisse und Stand bezeichnen
Begriffe wie schalk = Knecht, diu
oder deo, der oder die Dienende, in
Engildeo, L*mindeo,Adaldeo; sodann
deipin (Degenhart), erl und karl in
Krlebald und Karlman\ kuni =
Geschlecht, in Kunigunde ; fara von
derselben Bedeutung in liurgundo-
fara, Adal in zahlreichen Namen.
Wieder eine andere Gruppe schliesst
den Begriff des Schützenden, Ber-
genden in sich; dahin gehören die
mit berga, birg, bürg, zusammenge-
setzten Namen; sie werden meist
für Personen weiblichen Geschlech-
tes, wie Hilthurg, Frideburc, Gun-
disberga, verwendet, während um-
gekehrt ahd. munt = Schutz, Vor-
mundschaft, seiner Bedeutung ge-
mäss fast ausschliesslich zur Bildung
von Männernamen gebraucht wira:
Sigmund, Faramund , Ratmund.
Auch das Wort fride bedeutete ur-
sprünglich Schutz und Sicherheit
und ward wie wart und walt einst
gerne zu Namen verwendet: Fride-
heim. Marewarf , Walthari , Walt-
frid, Oswald; das letzten? Wort
walt wird dann zu oald — Rodoald,
H'uffoald — und zuletzt zu old,
Reinold, Gerold, Arnold, Bernold.
Zwei Stämme haben die Bedeutung
von Rat: das ältere ragin oder reqin
in Reginwald, Reginfiald , Regins-
wind, und das Wort rat selber, das
z. B. bei den Namen Ratmund und
Radegunde vertreten ist.
Aus solchen und vielen andern
Wortbildungen — es ist hier bloss
eine Auswahl zur Besprechung ge-
langt — setzte sich der alte Schatz
der deutschen Personennamen zu-
sammen und blieb im Ganzen bis
gegen das Ende des Mittelalters zu
Recht bestehen, wobei Stammes-
und Familienüberlieferiingeu oft von
Einflu88 waren; so kommen Fried-
rich, Rudolf und Albert vorwiegend
in Schwaben, Luitpold und Diet-
E)ld bei den Bayern, Heinrich,
udwig und Kuonrat bei den Rhein-
franken vor. Im karlingischen Ge-
schlecht waren Karl, Ludwig und
I^othar zu Hause, bei den Hohen-
staufen Friedrich, bei den Zährin-
gern Egino, bei den Habsburgern
Albrecht, Rudolf, Leopold und Fried-
rich, bei den Wittelsbachcrn Otto.
Heiligennamen kamen für geistliche
Personen seit dem 7. und 8. Jahr-
hundert, aber nur vereinzelt vor;
die höfische Romantik bevorzugte
eine Zeitlang, doch mit nicht we-
sentlichem Erfolg, Namen des hö-
fischen Epos, wie Parzival, Tristan.
Zu derselben Zeit nahm die Zahl
der kirchlichen Namen zu, nament-
lich Johannes, Petrus, Paulus, Ja-
cobus, Philippus, Michael, Christoph,
Martin, Georg, Judith, FJisabeth,
Maria, die zum Teil besonders da
sich verbreiteten, wo der Heilige
besonderer Verehrung genoss. Die
Häufung mehrerer Vornamen kommt
seit dem 14. Jahrhundert auf.
Seit der Reformation wurden in
protestantischen Ländern biblische
Namen und im Gegensatze dazu in-
folge der Gegenreformation in ka-
tholischen Gegenden die Heiligen-
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766
Personen- und Familiennamen.
namen sehr geläufig, so dass seit-
dem von den alten deutschen Na-
men nur ein kleiner Bruchteil
übrig blieb, solche, welche ebenfalls
heilige Patrone aufzuweisen hatten,
und solche, wfelehe besonders unter
dein Landvolk als stets wieder-
kehrende Rufnamen festwurzelten,
wie Karl, Fritz, Heinz, Kunz.
II. Familiennamen.
Familiennamen treten um die
Mitte des 11. .Jahrhundert- zuerst
beim Adel auf und beziehen sich
auf Güter oder Schlosser, die der
Familie angehören. Doch w echseln
sie noch in den folgenden Genera-
tionen, sind auch etwa bei Brüdern
nach deren verschiedenem Besitz
verschieden. Eigentliche, stehende
Geschlechtsnamen findet man zuerst
in Venedig, wo schon H0(.* «"ine Fa-
milie Ha rti einen*, dann 836 Tarda-
nini*, 887 Caiidianujt vorkommt,
wie man vermutet, nach einem von
Konstantinopel her eingeführten
Brauche; von Venedig verbreitete
sich die Sitte in andern italienischen
Städten, in Mailand seit 882, in
Verona seit 905, Florenz 973, und
trat im 12. Jahrhundert bei uns auf,
in Köln z. B. seit 1106, in Zürich
seit 1145, in Basel seit 1168. Über-
all findet man die Geschlechtsna-
men zuerst in den grösseren Städ-
ten und zwar bei den vornehmem
Bürgern, Ministerialen und Patri-
ziern. Was an Rang über und was
unter diesem Stande ist, der hohe
Adel und die Geistlichkeit, der
Handwerker und hörige Bauer, hält
vorläufig noch an dem alten Brauch
der einfachen Namengebung fest;
erst infolge grösserer bürgerlicher
und staatlicher Freiheit nehmen die
letztern mit der Zeit auch Ge-
schlechternamcn an, wie denn unter
den freien Landleuten von Uli
schon im 13. Jahrhundert solche zu
Tage treten.
In bezug auf die "Bedeutung der
Famif iennatnen lassen sich etwa
folgende Gruppen unterscheiden:
a) JWxonennamcn ah (ie-
schlechhnamen sind dadurch entetau -
, den, dass sich ein Geschlecht als
• Nachkommen eines angesehenen Ah-
nen benannt hat, wobei Anfangs
der vollständige Ausdruck lautete
wie z. B. Heinrich, Sohn des Ar
nold. Es ist aber auffallend, dass
die überwiegende Mehrzahl dieser
Namen nicht im Genitiv sondern im
Nominativ auftritt, z. B. schon im
8. Jahrhundert ein Sigfrid ßlit**
Siijmundu*, im 11. Jahrhundert
bquo Folcaldns, eine Erscheinung,
die man aus einer gewissen Erstar-
rung der Sprache erklärt. Im bo-
sondern wandte man zur Bezeich-
nung der patronymischen Abstam-
mung folgende Mittel an:
Die l erklrineru nys- oder K osf -
fbrm des J'erttonennamenx ; dieselbe
wirkt natürlich in erster Linie in
den Personennamen als solchen,
wie denn in einer Urkunde des
10. Jahrhunderts die Notiz steht:
l odafrieum ob le^arem wcarerttnt
Uexonem, den Ulrich nannte man
in kosender Weise Utz. Die An-
wendung der Koseform aber auf
den Familiennamen oder die in-
folge der Geschlechts -Anwendung
erfolgte Verkleinerung und Ver-
stümmelung des vollen Personenna-
mens lässt sich grösstenteils daraus
erklären, dass die innere Bedeutung
des Namens im Familiennamen früh
' verschwand und der Name hier bloss
noch als Zeichen der Geschlechte-
1 Zusammengehörigkeit diente. Die
älteste Art des Kosenamens ent-
steht dadurch, dass die eine Hälfte
des Namens, meist die zweite, weg-
fällt und der Rest ein abschliessen-
des o erhält: Burchart liurex,,
Dankmar Dniico, Fndrieh FrüL>,
Uarihatd Garo, Heribert Jfero, Ot-
mar ( >tto, Hevfinart Meyino. Eigent-
liche Verkleinerungssilben, die so-
dann mit Abstossung des u au diese
Namen treten, sind i; N/71, Kuni .-
iko% ihi izo : Süfifo>f äSirfi/u und N#-
ffüto. Die Diminutivendung Uco
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Personen- und Familiennamen.
767
liegt der niederdeutschen Familien-
nameneuduug zu (»runde, deren be-
sondere Formen später auf ke, k,
ch, ken, chrn ausgehen; an die En-
dung i/o schliessen sieh die ober-
deutschen Formen mit el, /, le. Ii,
/in, len, lein -, ausgiebiger aber als
Beide war die Endung izo, welche
teils für sich, teils mit den andern
beiden Endungen und ihren Ausläu-
fern vermischt, einen überaus rei-
chen Namenschatz hervorgerufen hat.
b) Hans- und Hofnamen. Wie
sich der Adel nach seiner Burg be-
nannte, so der angesehene Bürger
nach seinem städtischen Wohnsitze,
vom Neumarkt, de foro = vom
Markte, zer Linden, am Tor, im
Tum. In den genannten Beispielen
ist es die Lage des Hauses, welche
den Namen hervorruft; ein anderes-
mal wird der Name der Häuser das
Bestimmende ; daher Frankfurter
Namen zum Kranich, zum Römer,
zum Paradies, zum Schnabel, zum
Rebstock, zum Weiterhahn, zum Klo-
befauch. Da nun alle möglichen
( legenstände, namentlich aber Tiere,
Pflanzen und Ortschaften, ihren
Namen an Häuser abzugeben pfleg-
ten, so konnten auch solch«' Ge-
schlechtsnamen den mannigfaltigsten
Inhalt erhalten: Biber , Fink,
Schaßi, Luchs, Jlaas, Kreits, See-
rage/, Hirsch, Gembs, Kinkelin
( Kaninchen ) , Läm mit , Orchsti.
Seh iran. Auf dem Lande konnte
in ähnlicher Weise der Hof namen-
gebend sein; in beiden Fällen aber
sehwindet meist die volle Ortsbe-
zcichnuug, der Haus- und Hofname
büsst seine Präposition ein und
wird unter Umständen durch eine
Bildung auf er ersetzt: Stalder,
Sluder, (i ruber, Brunner, Zell weger,
Sttndercgger, 1 lühler, Wegscheidel',
A\ ussba u mer, Und er.
c) Samen aus Amt und Würden
entsprungen. Das Mittelalter hat
den grossen Reichtum seiner meist
zur Erblichkeit gebrachten Amter
wenigstens in Geschlechtsnamen
der spätem Zeit hinterlassen; Ge-
sehlechtsnamen sind z. B. die Na-
men der obern HofUmtcr, Schenk,
Truchsess, Marschalk, Kämmerer;
sodann Schultheis» oder Schulze,
Vogt, Ammann, Meier, Keller, Zol-
ler, Zollner, Zehnter, Münzer, He-
rold, Venner, WaUtel, Heimlicher
(Mitglied des Geheimen Rates),
Fortner, Küster, Glöckner, Messner,
Sigrisf, Stocker und Sulzer (Gefäng-
niswärter), Meister, I Pfänder, Fech-
ter, Falkner, Holzwart, Markwart,
J lag mann.
d) Namen aus Geschäft, Gewerbe
und Handwerk entstanden bieten in
ihrer Mannigfaltigkeit ein höchst
anschauliches Bild der mittelalter-
lichen Gewerb Verhältnisse; neben
den noch bestehenden Handwerken,
wie Müller, Schneider, Schmied,
Kessler, erinnern andere w'ivSchwerf-
j'eqer, Schafter, Hölzer, Armbruster,
Hamister an später ausgestorbene
Arbeitsleistungen.
e) Namen von der Heimat, wo-
bei bald der Volksstamm, Schwab,
Bayer, Sachs, bald der Heimatort
den Namen bestimmt; im letztem
Falle tritt entweder die Präposition
an, von Speier, von MecheL oder
der Ortsname steht nackt: Hagen-
bach, Kehlstadt, Werth, oder die
Endung er tritt hinzu; SchaJJ'hauser,
Ha mbu rger, A ppen zeller.
f) Persönliche I 'ms fände anderer
Art treten hinzu, namentlich Adjek-
tive, sei's dass diese allein stehen,
wie Weiss, Schwarz, Rot, All, Jung,
Gross, Klein, Reich, wobei die äl-
tere Form den Artikel hat, der
Jung, der Rot; sei's dass diese
Wrö*rter sich mit andern Namen zu-
sammensetzen: Kleinmichel, Klein-
paul, Junghans, Kleinknecht, Gross-
knecht.
g) l Iternamen humoristischer
////•, welche neckischer Laune, dem
Witz, dem Spott und Hohn ihr Da-
sein verdanken. Zu unterscheiden
sind zwei Schichten dieser Namen,
eine ältere vorzugsweise den» 12.
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768
Peterspfennig.
und 13. Jahrhundert, und eine jun-
gen*, dein 14. und 15. Jahrhundert
angehörende Schicht. Der altern
Schicht gehören an Samen von
Körpergliedern, mit dem Humen,
Barftioz, Buntchart ', Harderust ;
substantivische Namen, die eine
charakteristische Thätigkeit bezeich-
nen: Fraz, Stetere (Schläfer), Sehe-
eher (Räuber), Schad, M anesse (Men-
schenfresser), Boneze, (Bohnenesser);
dann Adjektivnamen wie Overstolz,
Ungestome, Unverzagt, Kleingedank,
Wolgemul, Freidank, Friie; Tierna-
men, sofern sie nicht von Hausna-
men stammen, waren beim Land-
adel beliebt, wie Bär, Wolf, Fuchs,
Geier, Unke. Überaus reich sind
die Satznamen ausgestattet, die als
Nebcnnamen schon früher in Italien
und Frankreich nachgewiesen wer-
den, in Deutschland freilich bloss beim
niedem Adel nicht vordem 12. Jahr-
hundert vorkommen; ihre Blütezeit
ist das 14. und 15. Jahrhundert.
In der Jüngern Schicht spiegelt
sich erst recht das wildlaufeude
Treiben der letzten mittelalterlichen
Periode ab, wo die Bande der hö-
fischen, kirchlichen, staatlichen Zucht
gesprengt und der Willkür,, der
Laune, «lern Mutwillen, dem Über-
mut, der Zuchtlosigkeit jeder Art
die Welt offen stand. Entstanden
sind die Namen dieser Zeit im Lager
der Landsknechte, auf den Kaub-
und Verwüstungszügen der Fürsten
und Städte, im Gelage der Herberge,
der Zunftstube, der „Bauernkilbr4'.
Eine verständige Veranlassung zu
sehr vielen dieser Namen ist gar
nicht abzusehen, war auch nie vor-
handen; sie verdanken offenbar]
meist ihr Dasein einem plötzlichen
Einfall, um dann, wenn das Schicksal I
es wollte, am Opfer des Einfalls
hangen zu bleiben. Man kann unter-
scheiden Kriegsnamen, wie Tselin,
Stähelin, Eisen hut, namentlich reich
in Satznamen repräsentiert; Durch-
denkopf, Schlagt ntteeit, Eilinvelt,
Findenfund, Füllsack, Fürdenschild,
Schlaqinhaufen, Fürdenspitz, Greif,
drauf, Hateinhoden , J Ichdens t reit-
; f^eichen würfet, Raumensaltel. Hau ms-
glas, Seh Ottenheim, Suchentrirt,
Zerre nmantel. — Handwerksnamen
humoristischer Art, If enningspeck,
Swinpcck, Grillensmid , Oa reisen,
Gerbeisen; Namen von Zeiten wir
Oster tag, Sonntag; Namen von Speisern
und Gerichten: Schwei nejteisch, Kalh-
Jleisch, Wurst, Seh unken, A/ttcegg,
Sauerwein, Kindelbier ; von Münzen:
Schilling, Halbling, drosch, Heller ;
von Pflanzen, besonders Blumen:
Wolgemul, Luzeiy, Wegetritt, Gr-üu-
| lauh, Hölderlin, Ronenhl uest, Waeh-
holder, Hagebutte ; Namen, die einer
Redetutart' ihr Dasein verdanken:
Helfgott, Gothelf, Gotseigeert, Gütz
zom, Hallo, Kärlich, Hotop (Hut
auf!) Über die lateinischen Namen
des Humanismus siehe daselbst.
Die Litteratur über diesen (Gegen-
stand ist zum grossen Teil lokaler
Natur; das Hauptwerk über die alt
deutschen Namen ist Förstern* nn.
Altdeutsches Namenbuch. Bd. I.
Personennamen. Nordhausen, l?<5fi.
Andere Arbeiten sind O. AlteU Die
deutschen Personennamen , Berlin.
1853; L. Steuh, Die oberdeutschen
Familiennamen, München, 1ST0:
Ii (mar, Deutsches Nameubüchleiu :
Stark, Kosenamen der Germanen.
Wien, 1868; Heiutze, Die deutschen
Familiennamen, Halle, 1882; Wrin-
ho/d. Die deutschen Frauen im
Mittelalter, Wien, 1882, 2. Aud.
Abschn. I. Für die Familiennamen
ist von uns namentlich benutzt
Becker, Die deutschen Geschlechts-
namen, ihre Entstehung und Bil-
dung, Programm der Gewerbeschule
zu Basel. 1864.
Peterspfennig hiess eine ur-
sprünglich freiwillige Abgabe, die
in England seit dem 8. Jahrhundert
für den Papst, jedoch mit häufigen
Unterbrechungen, erhoben wurde.
Nach dem Vorgange Englands
wurde diese Abgabe auch in andern
Ländern üblich, nämlich in I>äne-
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r
Pfaff. - Pfahlbauten. 769
mark, Polen, dem Ordensland > ähnlichen Untersuchungen in zahl-
Preussen, Schwedeu und Norwegen, reichen andern Seen der Schweiz
In Frankreich und Spanien gelang namentlich dem Dr. Ferdinand
es nicht, die Steuer einzuführen. Keller in Zürich, gest. 1891 ; seitdem
Mit der Zeit war die freiwillige 1 sind ähnliche Ansiedelungen im
Abgabe an manchen Orten in j Mecklenburgischen , in Pommern,
eine notwendige Steuer überge- Posen, Mähren , in den bayrischen
gangen. ' und österreichischen Alpenseen und
Pfaff. Das Wort kommt von in den Seen Oberitaliens gefunden
lat. papa = Vater, womit bei den | worden. Ähnliche Niederlassungen
Kirchenvätern ein höherer Geist- 1 beschreibt auch Herodot: „Diejenigen
licher, ein Bischof benannt wurde; Päonier, welche auf dem See Pra-
es ist schon ins Gotische aufge- sias in Makedonien auf Pfahlbauten
nommen und erhält später im And. leben, rammen bei der ersten An-
die Form pfaffb, mhd. phaJTe, pfajfe läge auf Kosten der Gemeinde
mit der Bedeutung des Weitgeist- Prahle in den Grund und befestigen
liehen überhaupt. Aus der gnechi- die darüber gelegten Dielen aneiu-
schen Form jenes lat. papa , aus ander. Eine einzige schmale Brücke
papas, welches in derKirchensprache ! führt vom Ufer her auf das Gerüst,
ein Name des höchsten Priesters Auf demselben hat ein jeglicher
war, entstand ahd. und mhd. hähes, eine Hütte zur Wohnung, in der
habest, nhd. Papst. Pfaffen werden eine Fallthüre durch die Dielen ab-
im Mittelalter den Laien und den wärts in den See führt. Damit die
Mönchen entgegengesetzt ; leien unde Kinder nicht ins Wasser fallen,
pfaffen ist soviel als jedermann, werden sie am Fusse mit einem
Die geistlichen Geschäfte der Pfaffen Stricke angebunden. Ihre Pferde
sind namentlich Eheeinsetzungen, i und anderes Vieh füttern sie mit
Seelenmessen, Begräbnisse und Fischen, woran sie einen solchen
Beichte. Wenn zwar an unzähligen Überrluss haben, dass sie einen
Orten von sündhaftem Thun der Korb, den sie an einem Stricke
Pfaffen erzählt wird, so wird doch durch die Fallthüre in den See
oft eingeschärft, dass ihr heiliges herablassen, nach kurzer Zeit voll
Amt von ihrem persönlichen Lebens- von Fischen heraufziehen." Andere
wandet zu unterscheiden sei und Schriftsteller erwähnen solcher An-
uuter letzterem nicht ernstlich leide. Siedlungen am schwarzen Meer, in
Erst um die Zeit der Reformation Syrien, und ebenso findet inau sie
verlor das Wort seine ursprüngliche noch heute bei wilden Völkern, z. B.
würdevolle Bedeutung, doch bemerkt in Neuguinea, auf den Sundainseln,
schon Aventin etwas früher, der in Hinterindien, am Euphrat, in
Name Pfaff sei ein „unehrliches und Inner-Afrika, bei Iudianerstämmen
Schmachwort". Siehe die Wörter- Südamerikas.
bücher von Müller -Zarncke und In den Pfahlbauten der Schweiz
Schindler. wurde je nach der Beschaffenheit
Pfahlbauten heissen die auf des Seegrundes der Unterbau ver-
Pfählen in Seen und Sümpfen er- schieden hergestellt. In kleinen
bauten menschlichen Niederlas- Gewässern mit thonigem Boden
einigen, auf die mau zuerst im schichtete man Knittel und Reisig
Winter von 1853 auf 1854 im abwechselnd mit Lehm und Kies
Zürichersee aufmerksam wurde; mau aufeinander; meistens aber trieb
verdankt die erste wissenschaftliche man eine Anzahl zugespitzter Pfähle
Untersuchung derselben uud den aus jüngern Baumstämmen so tief
dadurch herbeigeführten Anstoss zu in deu Grund, dass sie tragfähig
Reaüextcon der deutschen Altertümer. 49
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770
Pfahlbauten
wurden, und legte auf die Köpfe
den Wohnboden. Wo dieses Mittel
nicht ausreichte, wurden die Pfähle
mit schweren Steinen umstellt oder
in wagrecht liegenden Schwellen
von Eichenholz befestigt, die einen
Kost bilden mussten. Die Hütten
waren einstöckig, und enthielten
Kaum für eine Familie und den
Viehstand. Für Wände uud Dächer
wurd» Stammholz, Rinde, Reisig,
Schilf oder Stroh verwendet. Die
Verbindung mit dem trockenen
Lande bildete einen Steg, der sich
leicht zurückziehen Hess. In jeder
Hütte stand ein Feuerherd; zur
Aufbewahrung von Lebensmitteln
dienten Töpfe von schwach ge-
branntem 'J hon. Geräte zur Jagd
und Fischerei, zum Schlachten der
Tiere, zur Bearbeitung von Holz
und Stein, Knochen und Horn oder
Fellen und Geweben, sowie zur Be-
reitung der Speisen waren reichlich
vorhanden . A ugenscheinlich ernähr-
ten sich die Pfau lbaube wohner nicht
bloss durch Jagd und Fischerei, son-
dern in immer steigendem Masse
durch Viehzucht und Ackerbau.
Ihre Bedürfnisse verstanden sie fast
ohne Ausnahme selbst zu befriedigen ;
doch erwarben sie auch Einiges
durch Tauschhandel, wie Metalle,
Bernstein und Glas. In Schlamm
und auf dem Grunde der Seen sind
Reste von Haustieren, von Rindvieh,
Hunden, Schweinen uud Ziegen, von
Gewild, von Weizen, Gerste und
Hirse, ja von Brod und Brei, von
Nüssen, Beeren und Obst gefunden
worden; daneben Strohgeflechte und
Gewebe, Schnüre und Fäden von
Flachs. An Geflossen kommen Koch-
töpfe, Teller, Becher und Krüge,
an Werkzeugen Beile, Hämmer.
Meissel, Koniquetscher, Lanzen und
andere Waffen aus Stein, Nadeln
und Pfeilspitzen aus Knochen vor,
welche uur mit Hilfe von steinernen
Geräten hergestellt werden konnten ;
denn die meisten schweizerischen
Pfahlbauten kennen noch kein Metall.
I
Doch scheint immerhin die Bronze
schon früher verwendet worden zu
sein, ohne dass es bis jetzt gelungen
wäre, die Frage nach der Herkunft
dieses Materials für diese Kultur-
stätten zu lösen. Die jüngsten Pfahl
bauten sind ohne Zweifel diejenigen,
in denen das Eisen zur Verwertung
elangt; immerhin ist es nicht mög-
ich, diese Fundstätten ausschliess-
lich nach dem Stein-, Bronze- und
Eisenmaterial zu sondern , da die
genannten Stoffe fast nirgends in
ganzer Reinheit, sondern gemischt
vorliegen.
Über die Ornamentik auf den
Fundgegenständen der Pfahlbauten
drückt sich Bahn, schweizerische
Kunstgeschichte, S. 26 ff., folgeuder-
massen aus: An den ältesten
Fundgegenständen aus der soge-
nannten Steinzeit beschränkt sich
die Zierat auf ein einfaches,
beinahe zufälliges Linienspiel. Die
derbe, mehr an den Kampf uud
die Mühsale der Jagd gewöhnte Hand
übt sich in losen und unsicheren
Strichen, die kaum durch ihre paral-
lele Lage einigen Zusammenhang
verraten, oder es sind auch ein-
fache Dupfen, welche regellos die
Fläche bedecken. Zuletzt kommt
dann noch die Kreislinie hinzu, und
aus diesen drei Elementen ent-
wickelt sich nun die ganze Orna-
mentik der Pfahlbauer. Die Linien
werden zum Zickzack, sie verbinden
sich zum aufrechten oder über Eick
gestellten Quadrate, der Kreis wird
mit konzentrischen Ringen gefüllt
oder durch Seinesgleichen gekreuzt.
Sodann erwacht das Streben nach
rhythmischem Wechsel, nach der
Gliederung verschiedener .Motive in
regelmässiger Wiederkehr. Der Zick-
zack wird durch Vertikallinien unter-
brochen, die einzeln vorherrschend
diagonal komponierten Zierbänder
an Gefässen und Spangen werden
durch horizontale Zwischenteile ge-
trennt, die Kreise, leer uud gefoult,
treten in ein bestimmtes Wechsel-
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Pfahlbürger.
771
Verhältnis unter sich, oder sie wer-
den mit anderen Kombinationen
versetzt Die Horizontallini«1 wird
gebrochen, zieht sich rechtwinkelig
oder mit Krümmungen ein und
setzt sich auf diese Weise fort; sie
wird dem Ornamente ähnlich, wel-
ches die Alten nach jenem vielfach
sich schlangelnden Flusse Klein-
asiens als Mäander bezeichneten.
Neben diesen mannigfaltigen und
entsprechenden Äusserungen einer
kindlich schaltenden Phantasie
macht sich schon früh der Einfluss
anderer Fertigkeiten auf die Orna-
mentik geltend. Zahlreiche Kombi-
nationen z. B. weisen unzweideutig
auf den Ursprung aus der Teppich-
wirkerei, dem Flccht- und Nestel-
werke zurück. Doch sind diese
Ornamente ohne Rücksicht auf ihre
Herkunft und ihre struktursymboli-
sche Bedeutung auf alle möglichen
Stoffe und Formen angewendet, ein
Beweis, dass ein Verständnis der
Formensprache fehlte, und dass es
nur darauf ankam, die Phantasie
durch ein anmutiges Spiel der Linien
zu beschäftigen. Erst zuletzt er-
weitert sich das Formenwesen der-
art, dass die umgebende Natur, ins-
besondere die Pflanzenwelt zur Nach-
ahmung auffordert. Am reichsten
entfaltet sich diese Ornamentik an
den Fundgegenständen des soge-
nannten Eisenalters, so namentlich
an den bei Marin am Neuenburger-
see gefundenen Schwertern. Hier
sind auch mehrfache Tonfiguren,
Vögel, Einhörner u. dgl. zum Vor-
schein gekommen, dann auch eigen-
tümliche zangenfortnige Ornamente,
wie sie unter allen bisherigen Fun-
den neu, dagegen wohl mehrfach
auf ostgotischen und alemannischen
Denkmälern nachgewiesen worden
sind. Es ist indessen wahrschein-
licher, dass diese Schwerter schon
nicht mehr als Produkte einheimi-
scher Kunstindustrie, sondern als
importierte Werke gallischer Her-
kunft, etwa aus den Werkstätten
der Provinz Belgien zu betrachten
sind.
Das Ende der Pfahlbautenkultur
ist nicht minder rätselhaft wie ihr
Anfang. Wahrscheinlich fand ein
allmähliches und friedliches Ver-
lassen statt, nachdem die Verhält-
nisse ein Wohnen auf dem trocke-
nen Lande wünschenswerter ge-
macht hatten.
Gänzlich im Dunkeln liegt die
ethnographische Kenntnis des Pfahl-
bauten-\ olkes. Man weiss weder,
wie weit die sogenannten Stein-,
Bronze- und Eisenstationen ausein-
auderliegen , noch welchem Volk
überhaupt diese Ansiedelungen an-
fehören: darf man für die jüngsten
erselben auf Kelten schlieasen, so
ist doch höchst auffallend, dass kein
einziger römischer Schriftsteller ihrer
erwähnt, zumal da in Oberitalien
selber solche Niederlassungen nach-
gewiesen worden sind. Die Haupt-
quelle für diese Erscheinungen sind
die zahlreichen, in den Mitteilungen
der Züricher antiquarischen Gesell-
schafterschienenen Berichte Dr. Fer-
dinand Kellers; die Hauptsammlung
von Gegenständen ebenfalls diejenige
derselben Gesellschaft in Zürich.
Vgl. die Zusammenstellung in Baer
und Hellwald, Der vorgeschicht-
liche Mensch, Leipzig. 1874. S. 210
bis 260.
Pfahl btlrgrer, mhd. pfälburgaere,
sind ausser der Stadt auf dem Lande
lebende Herren. Ritter, Prälaten
oder gemeine Freie, welche das
Bürgerrecht einer Stadt erhalten
haben; sie mussten der letzteren
durch Beihilfe in ihren Fehden,
durch Beherbergung ihrer reisenden
Boten u. dergl. beistehen, genossen
aber dafür den Schutz der Stadt,
den Gerichtsstand in derselben, den
freien Absatz ihrer Erzeugnisse und
andere Vorteile. Erst im 15. Jahr-
hundert gelang es den durch das
Pfahlbürgertum geschädigten Lan-
desherrn/unter Mithilfe der Reichs-
49*
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772
Pfalzgraf. — Pfarrer.
gesetze diese Einrichtung zu unter-
drücken.
Pfalzgraf, mm« palatii, Graf
des königlichen Palastes oder der
königlichen Pfalz, ist schon unter
den Merovingern dem Könige bei
der Ausübung seiner höheren Ge-
richtsbarkeit zugeordnet. Unter
Karl und seinen Nachfolgern hatte
er die obere Leitung alles dessen,
was mit der königlichen Gerichts-
barkeit zusammenhing; Sachen ge-
ringerer Personen machte er für
sich ab, während Angelegenheiten an-
gesehener Männer dem Könige vor-
behalten blieben. Wahrscheinlich
lag ihm auch die Vollstreckung der
Gerichtsurteile des königlichen Ge-
richtshofes ob. Nach dem Aus-
sterben der Karolinger scheint dieses
altere Amt aufgehört zu haben; da-
gegen werden seit Otto I. neuer-
dings Pfalzgrafen, com lies palatini,
in anderer Stellung genannt, deren
Bedeutung sehr im Dunkeln liegt.
Mau findet sie in Bayern, Sachsen,
Lothringen und Schwaben, wo sie
überall zu den Grafen gerechnet
werden, auch eine bestimmte Herr-
schaft inne haben; andere Pfalz-
grafen als diese vier genannten, die
den alten Stammesherzogtümern ent-
sprechen, hat es nie gegeben. Ob
es sich bei ihrer Einsetzung darum
handelte, den Herzogen ein gewisses
Gegengewicht zu geben und durch sie
die eigentlich königlichen Interessen
wahrnehmen zu lassen, ist nicht aus-
gemacht. In Bayern scheint die
Würde der Pfalzgrafen an die Pfalz
in Regensburg geknüpft, in Lo-
thringen gab die Bedeutung Aachens
dem Amte eine besondere Bedeu-
tung, welche diesem später den
ersten Platz unter den Pfalzgrafen
verschaffte; doch trat die Beziehung
zur alten Kaiserpfalz später so in
den Hintergrund, dass sein späterer
Name Pfalzgraf vom Rheine wurde; I
er galt" als efer erste unter den j
fränkischen Fürsten. Nach dem
Sachsenspiegel war es als ein Recht .
der Fürsten anerkannt, dass sie bei
dem Pfalzgrafen bei Rhein, als des
Kaisers oberstem stellvertretenden
Richter, Klage gegen den Kaiser
führen konnten. Für den Fall sei
uer Abwesenheit von Deutschland
konnte der König das Richteramt
über die Fürsten demselben Pfalz-
Grafen übertragen, der auch den
"orsitz im Fürstengericlit, das Erz-
truchsessenamt, das Reichsvikariat
und die Kurwürde besass. Wie
andere Fürstentümer, so wurden
auch die mit der Pfalzgrafensehaft
verbundenen Herrschaften mit der
Zeit erblich und der Wertmesser
für das Ansehen und die Bedeutung
ihrer Träger. Der letzte Rest des
Pfalzgrafenamtes scheint in den von
Karl IV. ernannten Hofpfalzgrafeu,
comite« sacri palatii, zu liegen,
welche namentlich Doktoren, La-
centiaten, gekrönte Poeten, kaiser-
liche Notarien kreieren, unehe-
liche Kinder legitimieren und da*
Recht der Volljährigkeit erteilen
konnten.
Pfarrer. Das Wort ist eine Ab-
leitung von „die Pfarre, Pfarrei",
welches seinerseits von kircb.-lat
parochia = Sprengel eines Bischofs
kommt; der griechische Stamm nn-
ootxia bedeutet ursprünglich das
Wohnen an einem Ort als Fremder,
später Bischofssprengel, gleichsam
Bei- oder Umwohnung eines Bi-
schofs. Die Entstehung des Pfarr-
amtes liegt in der Errichtung christ-
licher Gemeinden auf dem Lande,
über welche von dem in der Stadt
wirkenden Bischof städtische Pres-
byter gesetzt wurden. Der Name
dieser Kleriker war pre*bytery z. T.
mit dem Zusätze parochuinu* oder
parochiaJt*; als Vorsteher einer Ge-
meinde, plebs, heisst er plebauu*.
mhd. liutpriester , welcher Name
zwar meist nur den Archipresbytern
zukommt, deren Kirchen das Tauf-
recht besitzen; andere Namen sind
reefor (eecUtiae), pasfor, curafu*.
d. h. mit einem Benefizium versehen.
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Pfeifergericht. — Pferd.
773
persona eccfesiae. Zu den älteren
Parochialkirchen oder Taufkirchen
traten im Mittelalter Privatkirchen
auf den Gütern der Grundherrn,
oratoria, capellae, in welchen bloss
Messe gelesen, aber nicht getauft
wurde; doch erhoben sich viele der-
selben mit der Zeit zu wirklichen
Pfarrkirchen.
Pfeifergericht, s. König der
Spielleute.
Pfennig, s. Münzen.
Pferd. Unter allen Haustieren
stand schon im Altertum, besonders
aber durch das ganze Mittelalter
dem Deutschen keines so nahe wie
das Pferd. Ross und Reiter waren
so unzertrennlich wie Seele und Leib.
Daher die Unmasse von Sprichwör-
tern und Redensarten, die sich aufs
Pferd beziehen, und die grosse Zahl
der Namen für dieselbe. Jähns
nennt deren dreiundsechzia und sieht
dabei ab von der Fülle der lokalen
und historischen Varianten. Die ge-
bräuchlichsten Bennennungen sind:
ahd. hros, ros, equus, cahallus, jumen-
tum, marah; nord. mar, mert, angs.
innere, me-re, equa; oder auch pherit,
poledrus, vifi» equus, parafrid, para-
fredus, veredarius-, mhd. ros, ors,
Merck, marc, pfaerit, phaerit, pfaert,
merhe, meriene, equa; die Sprache
ist nicht konsequent in diesen Be-
zeichnungen. Im Volksepos über-
wiegt der Ausdruck marc im Sinne
von Streitross, das sonst in der
Regel ors oder kastelan genannt
wird im Gegensatz zum cläpper,
Klepper, ein Nebenpferd. Das
Wort Gaul, gül, bezeichnet ursprüng-
lich den Eber, das Ungeheuer, auch
den Hahn und ging erst im 15. Jahr-
hundert auf das Pferd über und
zwar auf das männliche Zuchtpferd,
während caballus einen verschnitte-
nen Hengst bezeichnen soll, einen
Walach , tcallach. Zelter oder
Passgänger heisst ein Pferd mit
sanfter Gangart , ein Frauen -
pferd. Das runztt ist ein Klepper
von geringerer Qualität, der höch-
stens von Dienern oder Knappen
zum Reiten benutzt wird. Der Ren-
ner heist ravit; ein kraftloses, stol-
perndes, hinkendes Pferd heisst
Kracke oder gurre. Die jumente
oder Stute ist ein weniggeschätztes
Lasttier, das nur von Leuten ge-
ringen Standes geritten, meist aber
für den Karren verwendet wird.
Die soumaere, soumari, soumare, so-
ma reponiere, soumar, burdo, trug auf
den schlechten Saumpfaden die soum-
schrin, leitschrin, worein die Effekten
verpackt waren, in welche Arbeit
sich auch der Maulesel, mv.l, lat.
mulus, ahd. muf , mulus, mülin,
mula, teilte, der höchstens von Prie-
stern und Frauen zum Reiten be-
nutzt wurde. Hangt, hanke be-
deutet ursprünglich Füllen, erst
gegen Ende des Mittelalters legt der
Sprachgebrauch dem Worte hengst,
hengest die Bedeutung von Vollross
zu, welches bis dahin mit madum,
aithms, maiden, benannt wurde, auch
mit meienpfert, münehpfert.
Keineswegs gleichgültig ist die
Farbe des Pferdes. Obenan steht
der Schimmel, blancros, bleich ros.
Durch das ganze Mittelalter werden
die Dichter nicht müde, die icün/wc-
lichen gerar (Farbe) der Pferde
dieser Art zu schildern. Der Schimmel
ist schon in der Mythologie das Attri-
but der guten Götter, in der Sage
ist er oft eine rettende Erschei-
nung, und so bleibt er auch im
täglichen Dienst als Streit- und
Jagdross das Königspferd. Der
Hoppe ist das Attribut des Bösen.
Falbe Pferde waren wenig geschätzt.
Die vier Hauptfarben: Schimmel,
Rappe, Fuchs und Brauner wurden
gern mit den vier Elementen und
den vier Temperamenten zusammen-
gehalten. Der Schimmel repräsen-
tierte das weiche Element des Was-
sers und das Phlegma, der Rappe
als Melancholiker die Erde, der
Fuchs als Choleriker das Feuer und
der Braune musste ein Sanguiniker
sein und die Eigenschaften der
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774
Pferd.
leicht beweglichen Luft besitzen.
Doch sind die Angaben hierüber
oft verschieden.
Die Herkunft des Pferdes ist
nicht nachzuweisen; dass aber die
germanischen Völker schon sehr
früh sich das Tier dienstbar ge-
macht haben, ist unzweifelhaft.
Herodot berichtet, in den Ländern
jenseits der Ister würden Pferde
gehalten, die sich durch ihre 14 Zoll
langen Mälinen auszeichnen, aber
brauchbarer zum Ziehen als zum
R»'iten seien. Dieser Beschreibung
entspricht nicht sehlecht das langhaa-
rige und schwere germanische Pferd,
wie es das frühere Mittelalter aufweist,
wahrscheinlich als eine Eigenart
der deutschen Lande, denn die antike
Welt kennt nur das leichte Pferd
von orientalischem Typus. Tacitus
und Cäsar sind nicht sehr erbaut
von diesem deutschen Pferde. Der
kräftige Bau desselben , die breite
Brust, der volle Hirschhals ent-
sprechen nicht nur der rauheren
Weide des Nordens, sondern auch
dem anstrengenderen Dienst.
Das wilde Pferd scheint in Ger-
manien nicht vorgekommen zu sein,
wohl aber das verwilderte in grossen
Scharen. Übrigens scheint der
Pferdekultus wenigstens in bezug
auf das weisse Pferd eine sorgfäl-
tige reine Zucht schon früh be-
dingt zu haben. Die heiligen Hengste
der Tempelhaine hatten eine gewisse
Anzahl Stuten, die sich nur mit ihnen
paarten, und so erhielt sich durch
den Kultus der auserlesenste Stamm
der Pferde unverraischt. In den älte-
sten Zeiten hielt sich die Herde wohl
fastdas ganze Jahrauf der Waldweide
auf; doch gehört schon bei den Ale-
mannen zu den vollständigen Wirt-
schaftsgebäuden auch ein „annentum
equorum". Eine vollständige Heerde
(stodhross, equaritia) zählte zwölf Stu-
ten und einen Hengst. Diese stand
unter einem Rossekneeht oder man-
schalle, mariscalcus. Die Kastration
war wenigstens denQuaden nicht im-
bekannt. Besonders sorgfältig wurden
Schweif und Mähne der Pferde ge-
pflegt; nach denselben erhielten
diese meist ihren Namen. Nach
angelsächsischem Rechte musste der-
jenige, der sich am Haarschmuck
eines Pferdes vergriff, dasselbe so
lange ans Futter nehmen, bis der
Schaden ausgewachsen war, und er
hatte dem Geschadigten unterdessen
ein anderes Pferd als Pfand zu
leihen und zur freien Benutzung zu
überlassen. Verlor ein Pferd den
Schweif völlig, so ward es dienst-
untauglich erklärt. Berühmt waren
die friesischen Pferde durch Aus-
dauer und Kraft, die burgundigehen
durch Schönheit und Gewandtheit
ganz besonders aber die thüringi-
schen, die sich eines hohen Rufes
erfreuten. Vegetius empfiehlt sie
sogar den Römern, um deren Kriegs-
pferdezucht wieder aufzufrischen, und
Theodorich d. Gr., dem der Thü-
ringer König Hermanfrid edle Pferde
gesandt, gedenkt mit grosser Auer-
kennung ihrer Trefflichkeit, preist
ihre schöne, silberne Farbe, ihre
edle Gestalt, den feinen, hirschähu-
licheu Hals, die bei ihrer Grösse
und mächtigem Bau auffallend**
Schnelligkeit, ihren leichten Schritt
und ihre Ausdauer. Noch im Mittel-
alter genossen die thüringischen
Pferde den gleichen Ruf.
Auf diese Weise wurde die
Pferdezucht ohne Zweifel bald zu
einer nicht unergiebigen Quelle des
Wohlstandes unserer Altvordern.
Schon sehr früh fand ein ausgedehn-
ter Pferdehandel mit deu römischen
Provinzen statt; später war na-
mentlich nach England der Absatz
stark. Noch Hugo Capet sandte
dem britischen Bürsten Atheistan.
um dessen Schwester er warb, aU
vorzügliehstesGeschenk germanische
Hengste , und der gleiche britische
König erwähnt in seinem Testamente
als besonders wertvoll mehrere säch-
sische Rosse mit Namen. Abgesehen
davon, wurde von deu alten Ger-
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Pferd
manen die Stutenmilch nicht ungern soll silberweiss sein. Im westgoti-
getrunken sowie auch zur Butter- scheu Gesetze werden neben Sklaven
Bereitung verwendet, und der Gen ms dreissig Rosse und Rinder als die
des Pferdeßeisches war ein ganz all- wesentlichen Teile des Mundschatzes
gemeiner. Dieser wurde erst durch erwähnt, und auch bei Ostgoten
die christlichen Glaubensboten ver- und Franken fuhren edle Freier dem
drängt, da das Schlachten und Ver- Brautvater erlesene geschmückte
speisen des Pferdes bei den Ger- Pferde zu. Dichterische Übertrei-
manen mit dem Wodansdienste eng bung ist es ohne Zweifel, wenn die
zusammenhing. Mähnen dieser Tiere oft bis auf
Über die damaligen Pferdepreise die Hufe herniederreichen,
sind nur spärliche Angaben vornan- Das Besteigen des Pferdes gehört
den; die wenigen, die man kennt, zur Mündigkeitserklärung, ist ein
zeigen an, dass das Pferd zahl- Zeichen des Besitzes der Vollkraft,
reich vorhanden und darum leicht Das Pferd fehlt darum bei der
erhältlich war. Nach alteng- Schwertleite nicht, ja diese Schwert-
lischcn Gesetzen schätzte man leite fand nach einer alten Sage
ein Fohlen unter einem Jahr auf zumeist „am grossen Pferdetag*'
24 Schillinge, im zweiten Jahre statt, am St. Stefanstag, wie denn fiber-
wurde es 48, im dritten 60 Schil- haupt St. Stefan der grösste Pferde-
linge wert und für dienstfähig an- heilige ist. Ihm kommt der heilige
erkannt. Acker- und Karrengaul Georg am nächsten. Das Reiten
behielten diesen Wert bei, während hat also eine feierliche symbolische
Schlacht- und Saumrosse bis auf das Bedeutung. Schun im Altertum
Doppelte steigen konnten. Nach wurde der neugewählte König aufs
der lex saliea betrug der Preis Pferd gesetzt, damit er sich allem
eines solchen Pferdes 40 Soiidi; Volke als würdig und gewählt
ein Stier galt 35 Soiidi. Dieser zeigen konnte. In diesem Sinne
Vergleich lehrt, das.s die Pferde bestieg auch Chlodwig, als er die
nicht bedeutend teurer waren als ihm vom Kaiser Anastasius über-
die Rinder. sandten. Insignien, Diadem und
Von den Tiergefechten, die im Purpur, angelegt hatte, sein Pferd
Altertum beliebt waren, finden wir — und zeigte sich dem Volke, das ihm
wiederum bezeichnend geuug — auf jubelnd den Titel „Consul et
deutschem Boden die Hengsthatz, Augustus^ entgegenrief. Für Edle
hestafing, hestavig. | war das Zufussegehen für höchst
Wie kräftig im Kriegsdienste die unanständig angesehen, es galt ge-
deutsche Reiterei schon im Altertum | radezu für eine Schmach. Vom
mitgewirkt hat, ist im Artikel Kriegs- König Harald, Kaimts d. Gr. Sohn,
we*en dargethan worden. Das Pferd erzählt der Chronist, er sei von
war auch das älteste und ursprünq- seinem Vater so abgeartet und so
lichste Lehensgui. Bei den Tench- , unbekümmert um edle Sitten ge-
terern wurde das Streitross daher; wesen, dass er gegen seine könig-
nicht auf den ältesten Sohn vererbt, liehe Würde lieber zu Fuss
wie das beim übrigen Nachlass der gegangen als geritten sei und
Fall war, sondern auf den kühnsten daher auch den Namen „Harald
und besten Krieger unter den Hin- Harefoef, iHaseufuss) empfangen
terbliebenen. Sogar beim Brautkauf .habe.
spielt das Ross die erste Rolle. Der Die Gewandtheit im Reiten
germanische Bräutigam brachte als wurde massgebend für die Tüchtig -
Heiratsgabe ein gezäumtes Ross und keit und Brauchbarkeit eines Manne*,
die nötigen Waffen. Dieses Ross Daran erinnert z. B. der Reehtsge-
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Pferd.
brauch des Rittersprunges (Hier des Wie das Pferd im Leben vom
Vorritts. .Sc hon nach alemannischen Reiter unzertrennlich war, so blieb
Gesetzen weist sieh der Herzog in es auch im Sterben. Es klingt
der Weise über feine Befähigung ohne Zweifel an den Gebrauch
zum Felddienste aus, dass er ohne der häufigen Pferdeopfer an, trenn
Hilfe sein Rosa zu besteigen weiss; im deutschen Altertum dem abge-
die volle persönliche Zurechnungs- schiedenen Reiter das Pferd eben-
fahigkeit wird auch noch durch das falls beigegef)en trurde. bekanntlich
ganze Mittelalter auf gleiche Weise verbrannten dieDeutschenihreToten.
bewiesen. In schriftlichen Vertragen Dass dabei das Leibross des Ver-
ist bemerkt, daas der Geber oder storbenen mitverbrannt wurde, be-
Verpfiinder verfügt habe „dieweil kündet Tarif us Anmerkung:
er reiten und gehen konnte", oder rundam igni equus adjicitur." I)as
„dieweil er noch so jung und gesund Pferd war ohne Zweifel auch ein
war, dass er in seinem kurris von Opfer, das dem Totengotte dar-
der Erde auf ein hengstmassig Pferd gebracht wurde, und sollte dem
sitzen und sich in dieser Stellung Kitter gleich mitgegeben werden,
dem Landvogt erzeigen mag." Hatte damit es ihm im Jenseits unter
z. B. der adelige Besitzer eines keinen Umstünden an dem nof-
Mannslchens keine männlichen Er- wendigsten Freunde fehle. Schon
ben, so durfte er sein Gut ohne in vorchristlicher Zeit ging man
weitere Erlaubnis des Landesherm jedoch von der Verbrennung der
veräussern, sobald er seine un- Leichen zur Bestattung über,
zweifelhafte „Dispositionsfahigkeit" Hervorragende Männer wurden
dadurch bewies, dass er — voll- nun auf ihrem Lieblingarosse
kommen kriegerisch gerüstet, ohne sitzend in's Grab gesenkt, wäh-
Hilfe, namentlich ohne die Steig- rend die übrigen Rosse des Ver-
bügcl zu berühren, „in das gereite storbenen auf dem Grabhügel ge-
sprang". DieVerordnung desSachsen- opfert wurden.
Spiegels ist milder; sie verlangt nur, Das kriegerische Reitertum tritt
dass der Vererbende noch vermöge, besonders durch die Franken in ein
mit Schwert und Schild auf ein helleres Licht, Hand in Hand mit
Ross zu kommen, „von einem Stein der Ausgestaltung des Lehen Weyens,
oder Stock, einer Daumellen hoch, Jeder Vasall empfängt sein Lehen
also doch, dass man ihm Ross und und ist zur berittenen Heerfolge ver-
Stegreif halt." Man sieht aus dem pflichtet. Aber auch der „Gemein-
Zusammenhang dieser Gebräuche, freie" tritt, wenn er eigenen Grund-
weich hohe Wichtigkeit auch im besitz hat, als Reiter auf. Oer
Rechtsleben daa Pferd hatte, und Edelmann besitzt das Rittergut, der
daher ist es ganz begreiflich, wenn freie Bauer den Sattelhof, das Reif-
die altgermanische Justiz der rechten lehn. Reiterlehn, Klepperlehn, den
Rand und dem linken Fuss einen \ Flepperbesitz oder die Reithufe. Der
höheren Wert beilegte, als der linken Unterschied zwischen dem adeligen
Hand und dem rechten Fuss. Denn | Ritter und dem berittenen Freien
wie die rechte Hand das Schwert trat erst im 10. Jahrhundert schroffer
führt, so ist es der linke Fuss, der hervor, da der erstere in bezug auf
„intanfet," d. h. beim Aufsitzen in die Ausrüstung mit Trutz- und
den Steigbügel tritt. Der Frevel an Schutzwaften immer weiter ging und
diesem wird daher mit einem höheren grosse Summen auf das Gereite ver-
,, Wehrgeld" bezahlt, als der an den wendete, während der Bauer, dem
entsprechenden anderen Glied- diese Mittel nicht zur Verfügung
massen. standen, dadurch vom achweren
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Pferd.
777
Ritterdienst ausgeschlossen, ja buch-
stäblich vom Pferde verdrängt wurde.
Es wurde auch bald Gewohnheits-
recht, dass Lehen, von denen die
berittene Heerfolge verlangt war,
nur noch an solche vergeben wurde,
deren Väter den gleichen Dienst
schon geleistet hatten. So bildete
sich besonders seit Konrad II. ein
Stand der Äfilites. Vgl. den Art.
Adel und Heerwesen.
Was die Pferdezucht betrifft,
so hat Pipin noch dem Pferdeman-
gel hauptsächlich durch Requisition
abgeholfen, sodass ihm z. B. die
Sachsen und Thüringer einen jähr-
lichen Tribut von 300 Pferden
entrichten mussten; schon Karl
Martell benutzte die Pferde, die
er den ins Frankenland eingefalle-
nen Arabern abgenommen hatte,
zur Hebung der inländischen Zucht
und legte so den Grund zu den
trefflichen Limousiner Schlägen.
Sichere Nachrichten liegen aus der
Zeit Karls d. G. vor. Auf dem
Königshof zu Asnapium wurden 51
Stuten, jumenta majora , nebst fünf
dreijährigen, sieben 'zweijährigen und
sieben einjährigen Stuten gehalten,
sodann zwölf zweijährige und acht
jährige Hengstfohlen, poledri; und
endlich die Beschäler, emissarii.
Auf einem andern Königshofe waren
vorhanden: 79 alte Stuten, 24 drei-
jährige, 12 zweijährige und dreizehn
jährige Stutenfullen, ferner sechs
zweijährige und zwölfjährige Hengst-
fohlen, sowie fünf Beschäler. Es
sind dies die ältesten Nachrichten
über deutsche Gestüte. Karl gab
den Rossen Königsfrieden ,.pacem
haheant per hannum regit" und ver-
bot die Ausfuhr von Hengsten.
Eins der ausgezeichnetsten Gestüte
des nachfolgenden Jahrhunderts
scheint dasjenige des Herzogs
Ludolf von Schwaben gewesen zu
sein, der um 940 jenen berühmten
Stutengarten besass, welcher der
Stadt Stuttgart den Namen gege-
ben hat.
Die Folgezeit betrachtete es zu-
nächst als ihre Aufgabe, ein schweres
Pferd zu ziehen, da dasselbe nicht
nur eine grosse Last zu tragen fähig
sein musste, sondern auch selbst als
Waffe diente, indem es mit der
Wucht seines Körpergewichtes die
feindlichen Reihen mitunter zu spren-
gen hatte. Das Gewicht des Reiters
aber soll mit demjenigen der Aus-
rüstung von Ross und Reiter im 12.
Jahrhundert 340, im 16. Jahrhundert
ungefähr 440 Pfund betragen haben.
Die Stutereien im eigenen Lande
mehrten sieh beträchtlich, und um
den Kriegern den Besitz dieser
schweren Pferde zu sichern, ver-
boten Verordnungen des 14. Jahr-
hunderts den Besitz eines Ritter-
pferdes jedem Nicht- Wappengenos-
sen. Die Zucht dieser Pferde scheint
hauptsächlich in Niederdeutschland
und Dänemark geblüht zu haben,
wurde dann aber durch die Hohen-
staufen auch nach Süddeutsch-
land verpflanzt, so besonders durch
Friedrich II., der auch auf sizilia-
nischen Gebieten grosse Stutereien
unterhielt.
Doch hatte die deutsche Pferde-
zucht zu ihrer Hebung auch schon
fremdet edles Blut verwendet, so
namentlich spanisches, spanjol, rävit,
von Spanje, Aaste/an, welch letzterer
Ausdruck so viel heisst, als Schlacht-
ross aus Kastilien, ja er ist gerade-
zu der Inbegriff des Vollkommenen.
Die Römerzüge führten das italieni-
sche Blut ein und die Kreuzzüge
das morgenländische. Die arabischen
Rosse, mit dem orientalischen Origi-
nalwort ,Jaris" benannt, waren zwar
leicht an Körpergewicht, aber nichts-
destoweniger schon sehr geschätzt.
Später wurden auch türkische Pferde
eingeführt. Diese morgenländischen
Pferde wurden aber mehr als Parade-
pferde verwendet und konnten na-
mentlich im Felddienste dem deut-
schen schweren Rosse den Rang
nicht streitig machen.
Der l*ferdediebstah! war ein alt-
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Pferd.
germanischer Brauch. Wie der mit der Entwickelung der Adels-
Araber heute noch keine Sünde da- reiterei ging auch diejenige der
rin erblickt, dem Nachbar ein Pferd Konttabler in den Städten. Auch
wegzunehmen, wenn er im Fort- die reichen Kaufherren der Städte
eilen diesem zurufen kann: „Ich zogen den Kriegsdienst zu Pferde
nehme dir dein Pferd!" so scheint vor. Die geringeren Zünfte thaten
das deutsche Sprichwort: „Mit Ver- Dienst zu Fuss. Da ihnen aber
luub kann man dem Bauer das nach und nach dieser Dienst auch
Pferd aus dem Stalle stehlen,4* ziem- zu beschwerlich werden wollte und
lieh dasselbe anzud«'iilen. In der sie sich der reise nur sehr un^erne
That gehörte der Pferdediebstahl anschlössen, ,,icurdent sie rettend?
mit dem Holz- und Jagdfrevel in uf wegeren", Mau setzte nämlich
die gleiche Kategorie des Diebstahls, ihrer vier bis sechs auf einen Wuxst-
in diejenige nämlich, die ein ge- wagen und fuhr sie als gespanx-
wisses Privileg und die volle Sym- glevener. icagenreuter , tritrstrenter
pathie des \ olkes für sich nat. dem Heere nach, freilich mussten
Zwar verwies das altdeutsche Recht sie sich die beissendsten Spottreden
den Pferdedieb an den Galgen, aber gefallen lassen. Vielerorts ^Deutsch-
es scheint, dass die augedrohte Strafe land kannte man den sogenannten
wenig fruchtete. „umgehendeu Rossedieust", d. h. die
Bei der vermehrten Aufmerk- vermögenden Bürger hielteu ab
samkeit, die man dem Pferd im wechselnd gej?eu Kost und Ent-
Mittelalter zuwendete, wurden auch Schädigung ein gerüstetes Pferd,
die Preise bedeutend höher. Zu um auf Ratsgebot „mit der Stadt
Anfang des 10. Jahrhunderts wurde Gefahr'* eine Reise zu thun.
ein Streitross mit 30 Joch Landes Dass das Schlachtr jss ein Hengst
und einer Hofstelle bezahlt. In sein musste, war ganz selbstverständ-
Westfalen galt 100 Jahre später ein lieh; Walache oder gar Stuten zu
gutes Pfera dreissig Schillinge, wo- reiten, galt für den Edeln als
für man wol Hunderte von Scheffel schimpflich. Über die lurniere siehe
Korn kaufen konnte; und derselbe den bes. Art.
Preis erscheint auch noch im 12. Erstaunen darf man auch, mit
Jahrhundert, zu einer Zeit, in der welchem Aufwand an Pferden die
dreissig Schillinge so viel wie 1000 grossen weltliehen und kirchliche*
Viertel Weizen galten. 1385 blieb Feste des Mittelalters verbunden
dem Ritter Simon von Haune im waren. Ein Festbericht vom Konzii
Gefecht ein schwarzer Hengst, wel- in Konstanz (1414) sagt u. a. : „Des
eher auf 150 Gulden angeschlagen ersten ritt der Graf Hugo Planani
wurde ; einen anderen Hengst , der von Rymelu, des Ba|>sts Marschalk,
unter ihm erstochen ward, schätzte in einem roten, sameten Rock, und
man auf 130 Gulden. gingen ihm nach zwölf weisse Pferd
Im Kriege galt im 11. und gesattelt, mit rotem Tuch verdeck*.
12. Jahrhundert der schwergerüstete darnach des Bapstes Kreuz, darnach
Reiter soviel wie 12 Fussstreiter, die Singer des Babstes, darnach
Er ritt auf der „reise", leicht ge- ritten auch die Advocaten und Au-
harnischt, einen palefrei; seine ditores in ihrem Habit. Nach den
schwere Rüstung war einem beson- Auditores kamen die Abt und die
deren Klepper aufgebürdet, während Bischöff und die ErzbischöfF, die zu
der Kästet 'an, das eigentliche Streit- reiten hatten, der waren au der
ross, ledig folgte, damit es frisch Zahl hundertundsechsuudzwanzig.
sei, wenn es bei beginnendem alle mit verdeckten Rossen, und hatt
Kampf bestiegen würde. Parallel ihr jeglicher einen Ehrbarn, der ihm
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Pferd. 779
das Pferd bei dem Zaum führte, das letzt Pfardt ein Saw." Die
Nachdem führte mau einen schönen gleichen Preise erscheinen auch
hohen Hut, der war weit, dass er anderorts, so in Wien und Augs«
wol an einer engen Strass von einem bürg. 1470 erscheint ein Preis von
Haus zu dem anderen reichet, und 45 Gulden in bar. Eine bayerische
der war rot und geel geteilet, nach j Landesordnun? von 1616 verbietet
der Lance und darauf ein guldener diese Feste, da sie in der Fasten-
Engel. Darnach gewappnet Leut zeit schier wöchentlich angestellet
und alle Stadt und Zünften Kerzen, werden.
und all Posaunen, die posauneten Das Gereite oder Reitzeug be-
aber nicht. Darnach ritten die steht aus Zaum, Sattel und Sporn.
Kardinal, je zween und zween, derer 1 Zum Zaum gehört die Halfter, ahd.
warens zweiundzwanzig. Darnach halftra, mhd. halfeter, der Konf-
drei Patriarchen, darnach unser riemen mit Halsgurt, ferner das
heiliger Vater, der Bupst, und ritt Gebiss. Im weiteren Sinne zerfallt
un verdeckt, dass ihn allermännlich er in das Hauptgestell, Mundstück
sahen, und sass mit der Krone und und die Zügel. Das Gebiss, bridel,
mit seinem ganzen Habit auf ein prittil, bredel, bestand ursprünglich
weisses Pferd , das war mit Rotem aus Hanf, dann aus Holz und end-
verdecket. Und ging unser Herr, lieh aus Metall. Die letzteren unter-
der König, zu Fuss dar uud neiget scheidet man in Trenser- und
sich auf seine Knie fmd nahm das Staugengebisse; Trense ist die
Boss zu einer Seiten mit der Hand ältere Form. Der Saftet, ahd. satul,
beim Zaum, und nahm es zu der mhd. sätet, hersessel, besteht aus dem
andern Seiten auch bei dem Zaum Holzgestell, den Sattelbäumen,welehe
der Markgraf von Brandenburg und durch Stege oder Schaufeln mitein-
hinter dem König ging Herzog ander verbunden sind, und den
Ludwig von Bayern und hub des Polstern. Unten hangen die Stei^-
Rosses Deckeu auf zu einer Seiteu, bügel, stegenhaft , stegreif. Die
und zu der andern Seiten ein Sporen, sporin, sporn, sitzen am
geforsteter Graf, und zogen also Fusse des Reiters und dienen
ab dem Hof, und ward dem nicht nur zum Antreiben des Pferdes,
Bürgermeister Heinrichen von Ulm sondern haben auch eine symbolische
das Koss, darauf der Bapst geritten Bedeutung, diejenige der Kitterschaft
war." und Wehrfähigkeit. Der Reiter trug
Im Ganzen wird die Zahl der noch im 10. Jahrhundert nur einen
Fremden, die sich zu diesem Konzil Sporen und zwar am Unken Fuss
in Konstanz eingefunden haben, auf und ohne Rad. Die alten Deutschen
100,000, die Zahl ihrer Pferde auf kannten den Sattel noch nicht; sie
30,000 angegeben. sassen auf dem nackten Pferd. Zur
Neben den Turnieren waren auch Zeit der Römerkrie^e noch hielten
Wettrennen schon im Mittelalter sie denselben für ein Zeichen von
beliebt. Dieselben waren mit den Weichlichkeit und glaubten, er ver-
Lenz-, hauptsächlich aber mit den rate Mangel an Geschick iu der
Jakobifesten verbunden. Die Preise Behandlung des Pferdes. Später
waren nach heutigen Begriffen etwas bediente man sich des übergeworfenen
niedrig. So feierte München sein Tierfells als Sattel und hiess dasselbe
erstes „Rennend" 1488 unter Albrecht hast. Iu Ermanglung eines solchen
dem Frommen. „Das vordrist phardt mag auch der Baumbast Verwendung
gewann ein scharlachthuch, das gefunden haben, wie auch der Zaum
ander darnach ein Sperber mit seiner ursprüuglich aus demselben Stoffe
Zugehöruug, das dntt ein Armbrust, bestand; noch im Mittelalter tritt
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780
Pferd.
dergleichen Zaumzeug auf. Von Kreuzfahrer von den Orientalen
Parzivals Klepper heisst es: „sin herübergekommen sein soll.
zuum, der was pästin." Den ersten j Was die Rüstung des Streitroases
Reitsattel erwähnt der heilige Hie- anbelangt, so bestand diese im
ronymus um 340 n. Chr., ohne ihn 1 1 . Jahrhundert aus „Schindeln und
jedoch näher zu beschreiben. Üb- Rauten": Im 1 3. Jahrhundert traten
lieh war noch bis spät ins Mittel- leichtere geflochtene „Kettenpanzer*1,
alter ein kleiner Sexsei, der ver- | parsen, barschen, wahrscheinlich per-
mittelst Riemen auf dem Pferde sischen Ursprunges auf, und die
festgemacht wurde. Jedenfalls hatte Rüstung umgab bald das ganze Tier
der Sattel des germanischen Alter- mit Ausnahme der Beine und Weich-
tums noch keine Steigbügel. Da- teile. Den Kopf des Streithen<rstes
gegen finden sich bei den Gräber- bedeckte die Kossstirn. chanfrirn,
Funden aus der Merowingerzeit schon ein larvenartiger Stirnschutz, der
trefflich gearbeitete Trenser mit auch — aber selten — zum völligen
eingekettetem Gelenk und eisernen Kopfpanzer ausgebildet wurde. L>ie
Rosetten. Augen waren durch Drahtgitter ge-
Schon im 9. Jahrhundert finden schützt. Oben ragten meist zwei
sich die ersten Spuren von der Be- kleine Röhren empor zur Aufnahme
panzern na des Pferdes, wenn auch von Federbüschen, an deren Stelle
nach der berühmten Tapete von auch das qiigerel, houbestiudedj ein
Bayern dieselbe noch lange nicht metallenesWappenbild treten konnte
allgemein in Aufnahme kam. Die Über die Nase ging eine etwas
Gräberfunde zeigen neben Sättel- längere Schneppe, und unten am
schnallen, eisernen Gebissen, ciser- Maul öffnete sich ein Ausschnitt,
nen, verzinnten Steigbügeln und um die gehörige Festigung des Ge-
starken Hufbeschlägen Teile eines bisses und der Stange anzubringen.
Pferde -Schuppenpanzers. Ein in Die mehrfach gegliederte Halt-
Stuttgart befindliches Psalterium rüsfung war aus verschiebbaren
aus dem 10. Jahrhundert zeigt etwas Metallstreifen zusammengesetzt un«l
schlanke Pferde , gezäumt mit ein- ' mit eisernen Stäbchen an das
facher Trense. Die Sättel entbeh- 1 Kopfstück befestigt. — Den läng-
ren noch der bald nachher üblichen lieh gewölbten Brustharnisch hielten
hohen Lehnen. Bis zur ersten Hälfte ( Haken am Sattel fest. Er war in
des 14. Jahrhunderts erscheint auch der Mitte häufig mit einer metalle-
auf allen Darstellungen, namentlich nen Halbkugel geschmückt, an der
auf den Reitersiegeln, immer nur sich die Gewalt etwaiger Lanzen
ein Zügel oder bridel : von da an stösse brach. Das Htnterfeilstnci
erscheinen sie zu zweien. Auch das war ebenfalls mit Haken am Sattel
Gebiss verschärft sich namentlich befestigt. Es war sehr breit und
im Turnierdienste sehr. Zu den hoch gewölbt und bedeckte die ganz»
stärksten dieser Instrumente gehört Kuppe. Alles das wurde mit star
das Wolfsgebiss, orginoe, lupafa, zu ken Riemen und Schnallen fest zu-
den eigentümlichsten, aber häufigen sammengehalten. Zu Ende de*
der Zaum mit Maulkorb, der sich 13. Jahrhunderts wurde es überdies
bis zum Ende des 16. Jahrhunderts üblich, das Pferd zu „verdecken**,
vielfach findet. Der Zaum, nament- rerlankenieren, also über die Rüsturu:
lieh der Hauptzügel erscheint mit I noch eine Oberlegedecke, das, »Dach**,
glänzendem Beschlag. kleit des orses, ate qröpüre oder co*
In der zweiten Hälfte des 13. Jahr- rerture zu breiten, die oft bis auf den
hundert» kommt auch das Schelfen- Huf des Pferdes herniederTeichte
zeug am Zaume vor, das durch Diese Decken waren Schausruckr
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Phönix.
781
und enthielten oft das gestickte
Wappen des Ritters. Beim Kampf
wurden sie aufgeschlagen. Der
Sattel bestand aus Buchenholz und
war stark mit Eisen beschlagen,
natürlich nach innen und aussen
gepolstert und reich verziert Die
honen Vorder- und Hinterpauschen
(satelboge) gewährten einen über-
aus sicheren und bequemen Sitz.
Die Turniersättel wurden zudem
vome bis zu den Steigbügeln hinab
schildartig verlängert zum Schutze
der Beine des Ritters, und sahen
darum einer kleinen Festung nicht
unähnlich. Sie waren nicht sel-
ten zinnoberroth angestrichen.
Zum Reisen benutzte man leich-
tere Sättel, die eine freie Bewegung
gestatteten.
Die Quersättel für Frauen kamen
im 12. Jahrhundert auf. Zwar fan-
den sie nicht so rasch Eingang und
man findet auf bildlichen Darstel-
lungen noch lange fort Frauen,
die schrittlings ritten. Übrigens
ritten Mann und Frau auch nicht
selten auf Pferde. Die Frau
hielt sich in diesem Fall am Gürtel
des Mannes fest.
In bezug auf das Verkehrswesen
ist endlich noch zu bemerken,
dass bis auf unsere Zeit das Pferd
der einzige Vermittler war. Daher
genoss es auch im jus prov. elem.
schon das Recht, überall das be-
nötigte Futter zu beanspruchen.
„Ain fremde man snidet wol sinem
mueden ff ariden ain Juoter, daz gen
ainem pfeni wert tst, ob er irent,
daz es im erliegen welle .... Er
tat auch sin pfärde treten mit den
sonderen fuezen in das korn und lat
ez ezzen, und er soll des fuoters nit
von dannen fueren." Em altmodi-
sches Recht erklärt sogar, dass der
Reiter, der sein Pfera abgesattelt
und Herberge genommen hat, den
Schutz geniessen soll, als sei er auf
seinem eigenen Boden, während doch
der Fremde sonst als vooelfrei an-
gesehen wurde. Nach San-Marte.
Waffenkunde und Jahns, Ross und
Reiter im Leben und Sprache, Glau-
ben und Geschichte der Deutschen.
Leipzig 1872.
Phönix ist eine aus dem Alter-
tum stammende mythische Vorstel-
lung, die im Mittelalter sehr beliebt
war. Die Sage stammt zunächst
aus Ägypten, und zwar erzählt He-
rodot, dass der Phönix nur selten,
alle fünfhundert Jahre, wie die
Heliopoliteu sagen, von Arabien
nach Ägypten komme , und zwar
alsdann, wenn sein Vater gestorben
sei, den er in Myrrhen gehüllt nach
dem Sonnentempel bringe und dort
bestatte. Der Phönix habe ein gol-
denes und rotes Gefieder und sei
an Gestalt und Grösse am meisten
dem Adler ähnlich. Erst seit Ovid
ist von diesem Vogel bei Griechen
und Römern mehr und häufigdie Rede
und seine Geschichte und Beschrei-
bung wird weiter ausgeschmückt.
Plinius erzählt, dass der Vogel ein
Nest bereite, es mit Wohlgerüchen
erfülle und sterbe; aus seinem Mark
und Knochen entstehe zuerst ein
Wurm, daraus ein Junges, welches
den Vater bestatte. Endlich bil-
dete das Altertum die Phönix-Sage
dahin um, dass der Vogel sich ver-
brenne und aus der Asche der neue
Vogel entstehe, und verwendete ihn
daher als Sinnbild einerseits der
Unsterblichkeit und ewigen Dauer,
anderseits der steten Erneuerung
und Verjüngung. Die Vorstellung
vom Phönix fand sodann Eingang
in den jüdischen und in den christ-
lichen Vorstellungskreis; im letztern
tritt er als Symbol in den Dienst
der Auferstehung und der über-
natürlichen Erzeugung Christi; als
ein Bild Christi erscheint er auch im
Physiologus. Inder christlichen Kunst
erscheint der Phönix zuerst, analog
einer ältern Verwendung, auf Mün-
zen christlich -römischer Kaiser.
Eigentümlich christlich ist dagegen
die Verbindung des Phönix mit
dem Palmbaum, dem man dieselbe
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wunderbare Eigenschaft zusehrieb, zu achten, da von dem planetari-
wiederholt abzusterben und aus rischen Götterkreis auch die Tage
sich selbst wieder aufzulebeu ; beide der Woche ihre Namen erhielten,
symbolische Gegenstände tragen zu- ursprünglich in astrologischem Sinn,
gleich im Griechischen denselben dass jeder Tag unter der Herrschaft
Samen ifoivi£, soviel als Palme des betreffenden Planeten und so-
und Phönix. Später wurde eiue mit auch des Gottes stehe, nach
Zusammenstellung des Phönix mit dem er benannt wird. Die Kirchen-
dem Pelikan beliebt, der seine Brust lehrer wiedersetzten sich deshalb
mit dem Schnabel aufritzt, um die diesen Benennungen strenge, in-
unter ihm im Neste sitzenden Jun- dem si<- die Dämonen der Planeten
gen mit seinem Blut zu ernähren, für gefallene Engel, oder, wie bei
Viper, Mythologie der christl. Kunst, Origenes geschieht, für höher»
[, 446 — 471. Geisterwesen erklärten, welche zu
Physiologus heisst eine im Mit- Gott beten und den Herrn loben,
telalter lateinisch und deutsch, in Da jedoch die Kirche die letztere
Prosa und in Versen mehrfach be- Ansicht für ketzerisch erklärte,
arbeitete Deutung mythischer Tiere ging man allmählich auf die in:
auf Christus und den Teufel. Vgl. Mittelalter allgemein verbreitete An
den Art. Tierkunde. schauung über, dass Sonne, Mond
Pickelhering, auch Pickelhäring und Sterne von Engeln bewegt
"eschrieben, eigentlich ein in Pökel werden, ähnlich wie die Menschen
Hegender oder gelegener Hering, ist im Schutze von Engeln stehen,
als Name des Lustigmachers in der Was die Darstellung der Planeten
Komödie durch die englischen Schau- in der christlichen Kunst betrifft.
Spieler im ersten Viertel des 17. Jahr so scheint der altchristlichen Kunst
hunderts bei uns eingeführt, aus eng- die Vorstellung der Planetengötter
lisch pickl eherring von der oben fremd geblieben zu sein. Erst seit
angegebenen Bedeutung. Das Wort dem 9. Jahrhundert kommen in
dürfte den magern Narren gegen- astronomischen Bildwerken Bilder
über Hanswurst dem Feisten be- der Planetengötter mit ihren der
zeichnen. antiken Kunst entnommenen Attri-
Plstolen will man als „Schlüssel- buten vor; im Zusammenhang kirch-
büchsen" von einer Spanne Länge licher Ideen sind sie noch nicht zur
bereits um 1364 in Italien gekannt Darstellung gelangt. Häuficer trifft
haben, die zu Ende des 15. Jahr- man seit dem 15. Jahrhundert die
hunderts in Pistoja durch Anbrin- Planeteugötter, teils in Nachahmung
gung eines Luntenschlosses bedeu- des klassischen Altertums, teils in
tende Verbesserungen erfahren ha- astrologischem Interesse, indem man
ben sollen. Die genannte Stadt das menschliche Leben unter dem
will der später namentlich bei der Einflüsse der Planeten stehend
Reiterei beliebten Waffe den Na- wahnte; namentlich ist das der Fall
men gegeben haben. Im Museum in den sog. Planeten folgen, d. h.
zu Sigmaringen wird eine sieben- einzelnen Blättern, auf welchen die
läufige Pistole gezeigt, die dem Eigenschaften, Häuser, Umlaufs-
16. Jahrhundert angehören soll. Zeilen und Wirkungen auf die unter
Im 17. Jahrhundert machte man ihnen geborenen Kinder angegeben
Mörserpistolen mit sehr weitem und die sowohl handschriftlich ah* in
Lauf. Holzschnitt und Kupferstich illu-
Planeten. Man war im ehrist- striert werden; von da werden seit
liehen Altertum um so mehr veran- dem Ende des 15. Jahrhunderts die
lasst, auf die Namen der Planeten Planeten-Figuren in die mit kolo-
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Plaphart. — Plastik. 783
Herten Holzschnittfiguren versehe- gäbe ist die Darstellung der lebenden
neu gedruckten Kalender aufgenom- Natur, in erster Linie des Menschen,
rnen; und zwar stehend, nackt, mit etwa noch des Tieres: die Wieder-
einem Stern auf der Scham. Piper gäbe der Landschaft, der Bäume,
in der Mythologie der christl. Kunst, Blumen etc. ist ihm untersagt, er
II, 199 — 276. kann sie höchstens andeutend be-
Plaphart, Plapharter, Plappert, handeln,
hcisst ein ehemaliger ursprünglich jn der klassischen Kunst hat man
ausländischer Dickpfennig oder dic Schönheit des menschlichen
Grosch von nicht völlig 3 Kreuzern; Körpers zuerst wiederzugeben sich
es werden genannt alte Plappharter bemüht, die griechische Kunst leistete
oder beheimische Grosch, gute PI., in Darstellungdes nackten Menschen-
Kreuzpl., Kreuzerpl.; der gestempft das Vorzüglichste.
Beheimisch in der Gemeine (96 Stück T^. , , ,. « ... , .. ,
aus 8»'s Lot 2 gl. fein Silber) zu „. ^e dureh die Schönheit geadelte
9%, dn! schwarz; dann Maylander ^ichkeit, wie sie das Altertum
Scnlangen-Pl-, Grossen-Pl., knch- Ä"der l^L^Ltn dh!e
Kappen-PL Der Name schiint aus "^JSSulSSSS^ nTSf^
^ Ki0;rti, antota\n warddashochsteZielderDarstellung.
weh he. Euerseits l ahd 3 Von dcr körperlichen Form bedurfte
furo, A i. bleichfarben stammen ma" nur noch des täuschenden
franz. blafard = bleich entstellt,
Schimmers, damit trat die Malerei
soll; die Münze wäre also, wie der , .,
WnL» i? u„ 1,1 >hre eigentliche Bestimmung und
<nbeÄa1nt die Rolle der 1>la*tik «^ie/ aus-
Plastik. Die Bildhauerkunst f jj* ; ,.Je «chtlicher aber die
(Plastik, Skulptur) stellt, wie die ^unst selbst verfiel, um so weniger
Architektur, ihre Werke körperlich, w*ren . auclJ d,eK Künstler der
d. h. in dm Raumdimensionen dar. gierigen Aufgabe, einen nackten
Sind ihre Arbeiten so ausgeführt, Körper gut und schon wiederzugeben,
dass sie rund der Natur nachgebildet £ wachsen. Zudem waren die meisten
erscheinen und von vorn, von den ^ ?lldw,cr K° v wfi" Pf"
o «i. • ] ty-t V. ' u brauch bestimmt. Man bekleidete
leiten, wie von der Rückseite be- j {* n p "
schaut werden können, so werden 1 es * e 1^UI*rn-
dieselben Rundfiguren oder Statuen Das Wenige, das noch geleistet
genannt; ist dagegen das Wrerk so wurde, zehrte von antiken Keminis-
angelegt, dass es gleich wie ein zenzen und wiederholte in immer
Bild nur von einer Seite betrachtet roherer geistloserer WTeise die
werden soll, dass der Hintergrund, wenigen neuen Typen und Dar-
von dem sich die einzelnen Figuren Stellungskreise, welche das Christen-
abheben, eine mehr oder minder tum hervorgerufen hatte,
ebene Fläche bildet, so bezeichnet Selbst die rein ornamentale
man solche Arbeiten als Reliefs; Skulptur ist anfangs noch äusserst
je nachdem die Figuren mehr oder schwach und getraut sich kaum,
weniger aus dem Hintergrund her- einige schüchterne Linien zu ver-
vortreten, spricht man von Hoch- suchen; die Plastik sinkt zur Klein-
oder Basreliefs. kunst herunter und bleibt es bis ins
Das Gebiet, welches der Bild- 12. Jahrhundert,
hauer* beherrscht, ist ein Verhältnis- Romanische Epoche: Unter den
mtfssig eng begrenztes. Seine Auf- Werken des 10. und 11. Jahrhunderts
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784
Plastik.
AI-
die
Ho
und
mit
aus.
Fig. 113. Elfenbeinrelief des Tutilo.
steht die Elfern-
beinarbeit in erster
Reihe. Sie ist fast
ausschliesslich wie
alle Kunst dieser
Zeit, für kirch-
liche Bedürfnisse
thätig. Sie
schmückt die klei
uen tragbaren
tare, stattet
Bücherdeckel ,
stienbüchsen
andere Geräte
Bildwerken
Die Darstellungen
bestehen meist in
kräftigem Relief,
das bisweilen mit
einer gewissen
Starrheit und
Schwerfälligkeit,
mitunter selbst rot
und ungeschickt
behandelt ist. Dies
zeigt unter andern
der angebliche Re-
liquienkasten
Heinrich I. in der
Schlosskirche zn
Quedlinburg, Vor-
gänge aus dem
Leben Christi dar-
stellend.
Einen merkwür-
digen Gegensatz
hierzu bietet ein
Diptychon in der
Sammlung des Hotei
Cluny in Paris, au*
der Zeit Otto I-
der sich mit der
griechischen Prin-
zessin Theophane
verlobt hatte; was
zur Verbreitung
des byzantinischen
Stiles, der sich
mentlich
steifen
w ändern
wähnten
UA-
in
den
Prunkge-
des er-
Dipt*
Google
Plastik.
785
c/ions zeigt, ein besonderer An- flüchtig aufgefasst, namentlich Köpfe,
la8s war. Wie sehr sich dieser Stil Hände und Füsse ungebürlich gross
ausbreitete, beweist eine grosse Zahl und ungeschickt gezeichnet,
ähnlicher Arbeiten, darunter zwei Mit der Elfenbeinschnitzerei ging
Belief tafeln in der Bibliothek zu i die Arbeit in kostbaren Metallen
St. Gallen, die man Tutilo zuschreibt. Hand in Hand. Namentlich wurden
Fig. 1 1 3 (Kunst hißt Bilderbogen), die Altartische mit Antependien von
Durch den Byzantinismus erhielt getriebenen Metallplatten bekleidet,
die in Roheit versunkene Technik an welchen Reliefs, Schmelzmalerei
doch wieder eine strengere Richtung. I und kostbare Edelsteine sich in
r-
Fig. 114. Antependium von Basel.
Aber, wenn sie sich auch eine bessere j prunkvoller Wirkung? verbanden,
und geschicktere Behandlung an- So wird uns über die Ausstattung
eignet, so nimmt sie doch nicht ohne { der Abteikirche Petershausen vom
weiteres die seelenlose Starrheit des i Jahr 983 berichtet, dass am Altar
byzantinischen Stiles an. Vielmehr mit Silbernlatten bekleidete Säulen
strebt sie überall nach neuem Aus- einen reien mit Metall verkleideten
druck, nach dramatischer Lebendig- ; Baldachin trugen und das Antepen-
keit. Dadurch jedoch werden die i dium mit gediegenem Gold und Edel-
äussern formalen Gesetze aufs neue steinen besetzt gewesen sei. Auch
vernachlässigt, die Verhältnisse des von St. Gallen, von Mainz und
menschlichen Körpers unrichtig und vielen andern Orten wissen die
Reallexlcon der deuUchen Altertümer. 50
786
Plastik.
Geschichtschreiber von kostbaren
Gefässen, welche grösstenteils in
Gestalt von Dracnen, Greifen,
Kranichen und Löwen gebildet
waren, von goldenen Kruzifixen und
reichen Antependien zu erzählen.
Das umfangreichste und bedeu
tendste Denkmal dieser Art ist die
Altartafel aus dem Münster zu Basel,
welche sich gegenwärtig im Hotel
Ctunv zu Paris befindet, und ganz
aus Goldblech getrieben ist. Fig. 1 14
Altartafel zu Basel (Kunstbist. Bil-
derbogen).
Neben diesen Prachtarbeiten
beginnt auch seit Beginn des
11. Jahrhunderts der Erzguss eine
um so grössere Bedeutung zu er-
langen, ab er den Obergang zu um-
fassenderer monumentaler Anwen-
dung der Plastik bildet. Die her-
vorragendsten Arbeiten knüpfen sich
an die Persönlichkeit des Bischofs
Bermcard ron Hildesheim (f 1023),
eines gelehrten, in Kunst und Wissen
gleich erfahrenen Mannes. Seine
erste Arbeit ist die grosse eherne
Thür des Doms zu Hildesheim,
welche in 16 viereckigen Feldern
auf der einen Seite die Momente
der Schöpfungsgeschichte, auf der
andern Vorgänge aus dem Leben
Christi giebt. Der Stil ist noch
ungemein primitiv und die Behand-
lung der Gestalten von seltsamem
Ungeschick. Noch eine Reihe an-
derer Arbeiten erzeugte der Erzguss
im 11. Jahrhundert, alle aber ver-
raten, namentlich im Figürlichen,
eine harte Strenge des Stiles. Zu
hoher Anmut und Freiheit entfaltet
sich dagegen gleichzeitig das Deeo-
rative, wie in den beiden Kron-
leuchtern im Dom zu Hildesheim,
namentlich aber in dem prachtvollen
siebenarmigen Leuchter der Stifts-
kirche in Essen.
Weniges lässt sich von der
Stein- und Holzskulptur des 10. und
11. Jahrhunderts sagen; grössere
Bedeutung sollte sie erst im folgenden
Jahrhundert mit der reichen Aus-
bildung der Architektur erlangen.
Unter den selbständigen Werken
stehen zwei Reliefplatten im Münster
zu Basel mit streng antikisierenden
Gestalten obenan.
Das /2. Jahrhundert. Wie schon
angedeutet, wurde die Plastik im
Laufe des 12. Jahrhunderts über-
wiegend vou der Architektur in
Anspruch genommen und dadurch,
da sie sich nun nicht mehr so frei
bewegen konnte, wie in den kleinem
dekorativen Werken, einer andere
Bestimmung, einer neuen Entwick-
lung entgegengeführt. Noch einmii
wird die Antike zum Ausgangspunkt
genommen, aber der bedeutend er-
weiterte Kreis des Daseins, den der
Glanz des ritterlichen Lebens, du
Aufblühen der Städte, die weiten
Fahrten in den Orient, uamentikk
die Kreuzzüge eröffnet hatten, er-
füllte die alten Formen mit en*m
jugendlichen, freien uudedlenLd* •
Das Zusammenwirken nrit der
Architektur, die sich von unwr
standener Nachahmung der AnoJ
nun befreit und im romin:
Baustil ihre eigene Form ^efun
hatte, trieb die Plastik zu einer
baulichen Organismus parallel
fenden Umgestaltung,
sollte erst das 18. Jahrh
reifen Früchte dieses Umseh
ernten, die Plastik musste im 12.
hundert vorerst lemen,Bieb
Raumverhältnissen
und in gleichmässiger Kompn
architektonischen Gesetzen «eb
fügen.
Wie schwer ihr oft wtwj
die Schätze dunkler Symbolik,
der sie sich beladen hatte, mit <Jw
klaren Rhythmus eines Bauwerke
in Einklang zu bringen,
manche Portale , Chorsch
Lettner und Fac&den. Nicht
stehen deshalb die Werke
12. Jahrhunderts tiefer als die
des vorangegangenen, ja oft
Plastik in äusserst e Roheil
Barbari zurück, und selbe! der
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Plastik.
787
lose Byzantinismus erobert sich noch | fortschreitende Entwicklung lässt
einmal gewissen Einfluss. | sich in den sächsischen Kirchen
An der Spitze der Leistungen nachweisen; zumeist bestehen die-
steht auch im 12. Jahrhundert Deutsch- selben aus Stuck, wie diejenigen an
land. Dem Anfange desselben ge- den Chorschranken von St. Michael
hört zunächst das Relief der Exter- in Hildesheim. Bemerkenswert ist
Fig. 115. Taufbecken in der Bartholomäuskirche in Lüttich.
steine bei Horn in Westfalen an, eine
§ rossartig angelegte Romposition
er Kreuzabnahme enthaltend. Das
"Werk ist in eine Felswand, wahr-
scheinlich 1115 eingehauen worden.
Eine ganze Reihe Reliefkomposi-
tionen und in ihnen eine konsequent
der freie künstlerische Humor, der
sich in den Werken Bahn bricht,
wie z. B. an den Reliefs am Chor
zu Königslutter, wo die Momente
einer frönlichen Hasenjagd darge-
stellt sind.
In Süddeutschland sind es vorab
50*
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788
Plastik.
die bayerischen Lande, welche sich i haften Gestalten Christi und der
an einer reichen Übung der Plastik Heiligen fröhliche Jaedsienen in
beteiligen. Hier mischen sich die erfreulicher Frische una Lebendig
balbverschollenen Gestalten der alten keit abgebildet sind,
nordischen Sagen mit den christ- Eine besondere Gattung toü
liehen Anschauungen zu einer PI um- Denkmalen, die Grabsteine, ist im
tastik, die in unkünstlerischem Durch- j 12. Jahrhundert nur aufnahm*-
einander ihre wilden Aphorismen weise künstlerisch vertreten. M&ii
planlos über Portale und Facaden begnügte sich , die Gestalt de*
ninstammelt. Ein Prachtstück dieser . Verstorbenen mit eingeritzten Li
Art ist das Portal von St. Jacob in ; nien oder aus flachem Relief dar
Kegensburg. Der gleichen Richtung zustellen.
mm 1* s
SC
Fig. 116. Romanischer Kronleuchter aus Combarg.
huldigt die grosse Säule in der
Krypta des Domes zu Freising.
Vom Fusse bis zum Kapital ist das
Ganze ein Gewirr von menschlichen
Gestalten, Drachen und andern un-
geheuerlichen Zusammensetzungen
— eine wahre Martersäule für die
gelehrte Auslegung. Auch Schwaben
weist eine Menge derartiger Arbeiten
auf, in denen die Fülle symbolischer
Beziehungen die künstlerische Be-
deutung weit überragt Neben der
Kirche zu Alpirsbach ist es nament-
lich die Johanniskirche in Gemünd,
an der neben unglaublich puppen-
Neben der Steinskulptur i
jetzt auch der Erzqust eine wi
Stellung ein. En bedeutende*^
dieser Zeit ist das Taufbecken
St. Bartholemy zu Lüttich,
gegen 1112 durch iMmbert
von Dinant geschaffen
Fig. 115 (Kunsthiat, Bil
Hieher gehören ferner eine
Kirchengeräte und Thür» u.
lieh aber sind jene
Kronleuchter zu erwähnen,
mit den zwölf Thoren das himwiw
Jerusalem bedeuten sollten, *
der Abteikirche zu Combnrg. rV I
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Plastik.
789
(Kunsthist. Bilderbogen) und im
Münster zu Aachen. Der Erzguss
findet nun auch zuweilen bei Grab-
platten Anwendung, wie am Grab-
mal des Gegenkönigs Rudolf von
Schwaben im Dom zu Merseburg
in flachem Relief; die Augäpfel und
Gewandung waren ehemals reich mit
Edelsteinen geschmückt
Eines der grossartigsten Werke ist
der Schrein der heil, drei Könige
im Dom zu Köln. Fig. 117 (Kunst-
hist. Bilderbogen).
Frühgotitche Epoche 1200—1300.
Das 13. Jahrhundert führte den
Prozess, der im 12. begonnen, zu
Ende. Einen glänzenden Aufschwung
zeigt vorerst die Architektur. Das
Fig. 117. Dreikönigsschrein im Kolner Dom.
Holz- und Elfenbeinschnitzerei
ersteigen in dieser Epoche keine
neue Stufe, dagegen macht sich an
den Arbeiten der Goldschmiede ein
ueuer Geist in Auffassung und
Durchführung der Arbeiten bemerk-
bar, namentlich in prachtvollen Re-
liquienschreinen, die in architekto-
nischer Weise angelegt werden.
Der Hauptsitz dieser Arbeiten scheint
das Rheinland gewesen zu sein.
nördliche Frankreich stellt in dem
neuen gotischen Stile eine Schöpfung
hin, in welcher Kühnheit der Kon-
struktion und Scharfheit der Be-
rechnung sich mit glänzender Pracht
und dem edlen Ausdruck einer be-
feisterten Empfindung verschmelzen.
>ies vermochte sich aber nur durch
eine reichere Anwendung und höhere
Entwicklung der Plastik auszu-
sprechen. Daher sehen wir in den
790
Plastik.
Portaleu und Vorhallen, in den
Galerien der Faeadeu, den Bal-
dachinen der Strebepfeiler, den
Wanden der Chorschraukeu die
Architektur eifrig bemüht, der
Sch\ve8tcrkun8t eine freiere Stätte
zu bereiten. Architektur und Plastik
zeigen nun wieder eine Wechsel-
beziehung und ein lebendiges Zu-
sammenwirken, wie es seit der
griechischen Blütezeit nicht mehr
erblickt worden war.
Das vollständigste Bild von einem
Künstler des 13. Jahrhunderts ist
uus in den Skizzenbuche de&J'ilfard
von llonnecourt erhalten, welches
sich auf der Bibliothek zu Paris be-
findet. Besonders wichtig ist da*
Buch durch mehrere Tafeln, auf
denen er Anleitung zum Figuren-
zeichnen gibt. Er verfthrt dabei
nach einer unter seinen Zeitgenossen
allgemeinen üblichen Regel, indem
er durch Einzeichnen von geometri-
schen Figuren, namentlich von Drei-
ecken in die menschliche Gestalt,
die Sache dem architektonisch ge-
bildeten Künstler zu erleichtern sacht.
Dies stellt sich uns als ziemlich will-
kürliches Verfahren dar, aber es
gibt Aufschluss darüber, warum die
zahllosen Statuen jener Zeit so
sicher stehen, so fest in ihrem Schwer-
punkt ruhen. An diesem einzigen
Beispiel sehen wir, wie strebsam
die damaligen Künstler waren ; aber
das Leben, das sie umgab, war
auch dazu angethan, ein künstle-
risches Auge zu begeistern. Es war
überall anmutiger und geschmeidi-
ger geworden, die Sitten waren
milder, man legte Wert auf die
Schönheit des Äussern. Darnach
entwickelte sich die Tracht, welche
den barbarischen Prunk byzantini-
scher Hofgewänder abschüttelte und
dafür die Formen des Körpers klar
hervortreten und sich in edler Be-
wegung frei entfalten Hess.
Für die völlige Wirkung der
Plastik dieser Epoche wird aberauch
eine entsprechende Malerei not-
wendig. Bereits hatte die Archi-
tektur der romanischen Zeit von
der Polychromie umfassenden Ge-
brauch gemacht. Als dann die
Plastik anfing, sich an der Dekora-
tion des Innern zu beteiligen, mußten
auch ihre Werke, um sich harmo-
nisch dem Ganzen anzuschliessen,
kräftige Bemalung erhalten. Mit
diesem gesteigerten Ausdrucks-
mittel hatten die Künstler zugleich
einen nicht minder reich entwickel-
ten Ideengehalt auszudrücken. Was
die Scholastik in tiefsinniger Durch-
dringung der Hcilslehre als gross-
artig dogmatisches Gebäude hin-
gestellt, was die von der Kirche aus-
gegangene dramatische Kunst in
den Mysterien dem Volke in lebeu-
den Bildern vorgeführt hatte, das
wurde nun auch in den Portalen und
Vorhallen der Kathedralen
meiselt: sie geben in den grossen
symbolisch-historischen Bilderkrei-
sen die Summe des Glaubens und
I Wissens ihrer Zeit.
Endlich findet auch der Humor eine
Stätte, zunächst wie früher in man-
i cherlei originellen Gebilden an Kon-
solen und wohl auch an Kapitalen,
sodann aber vorzüglich an den
| Wasserspeiern , welche als phanta-
I stische Drachen , Tier- und Untier-
cestalten gebildet werden. Die
IPhantastik, die den Völkern des
Nordens im Blute steckt und in
jener Zeit sich unbefangen als grobe,
selbst unflätige Possenreisaerei so-
gar in die kirchlichen Mysterien ein-
, drängen durfte, suchte und fand in
j jenen abenteuerlichen Gestalten ihren
Ausdruck.
In Deutschland tritt uns die
! Plastik dieser Zeit nicht so gross-
artig und einheitlich geschlossen
! entgegen, wie namentlich in Frank-
reich, wo durch den schnellen
. Sieg des gotischen Systems das
I bunte Treiben der frühern lokalen
Schulen zum Schweigen gebracht
wurde. Als treuer Nachhall politi-
scher Verhältnisse erhebt sich in
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Plastik
791
Deutschland der hartnäckige Unab- 1 allen Portalen die erste Stelle ein.
hängigkeitssinn der einzelnen Schulen Fig. 118.
gerade jetzt zu grosser Kraft. Wie Derselben Richtung begegnen
in der Architektur bilden sich in wir in einem zweiten Werke der
der Plastik lokale Gruppen, welche Kirche zu Wechselhurq. dem plasti-
sich noch lange dem neuen franzö- sehen Schmucke des Hochaltars,
sischen Stile widersetzen. So über- Wie die romanische Architektur,
flutet noch in den ersten Dezennien so vermochte auch die reife Blüte
des 13. Jahrhunderts eine ebenso ihrer Skulptur vor dem übermächtig
formlose als wilde Phantastik die eindringenden gotischen Stile Frank-
Chornische an der Kirche zu Schön- reichs sich nicht zu halten. Die
grabern in Niederösterreich und die glühende Begeisterung, die innige
Fa^aden von St Stephan in Wien. Sehnsucht und die schwärmerische
Welche Anhänglichkeit man auch Hingebung musste sich in den ge-
immer in den verschiedensten Gegen- meisselten Gestalten aussprechen,
Fig. 118. Von der Kanzel zu Wechselburg.
den Deutschlands dem ältern Stile und so verloren denn auch die Figuren
widmete, beweisen unter anderm die I die stattliche Würde , das an die
bedeutenden Leistungen der fränki- 1 Antike erinnernde Gepräge von er-
schen Schule am Dom zu Bamberg. , habener Ruhe, sie werden schlank,
Welch seelenvoller Schönheit aber ( zart aufgeschossen und mit schwär-
auch die alte Auffassung fähig war, | merischer Neigung des Lockeu-
erkennen wir an den Arbeiten der hauptes dargestellt. Eine eigentüm-
snchsUchen Schule, namentlich an , liehe Bewegung zieht sich durch den
den Reliefs der Kanzel zu Wechsel- j ganzen Körper, als wollte derselbe
bürg. Noch glänzender entwickelt , den Schwingungen des Empfindens
sich derselbe Stil an den Skulpturen folgen. Die Gewandung fliesst
der golden Pforte zu Freiberg im | voll und faltenreich und nähert sich
Erzgebirge. In grossartiger Anlage, immer mehr der kleidsamen Zeit-
in Adel der Romantik, vor allem , tracht. Eine liebevolle Behandlung
aber in reichlicher Anwendung bild- erfährt namentlich das Gesicht:
nerischen Schmuckes nimmt sie unter es ist ja der Sitz der Gedanken,
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793
da« Spiegelbild der gemütlichen Er- vereinigen: der Bürgerstand. Auch
regungen des Innern. Ein Zug im Schosse der Kirche gewinnen
lächelnder Holdseligkeit erhellt fast 1 die bürgerlichen Mönchsorden über
ohne Ausnahme das jugendliche Ge- die aristokratischen Geuossenschaf-
sicht. Das energisch Mannhafte, ten der Benediktiner und Cister-
trotzig Kühne liegt diesem Stil cienser die Oberhand; an Stelle
ferne, und selbst seine männlichen der abgestorbenen, verknöcherten
Gestalten haben den Ausdruck Scholastik tritt die innerlich ge-
einer fast weiblichen Anmut. Den wordene subjektiv erregte Schwärme-
ersten Werken des neuen Stils be- 1 rei der Mystiker. Schon gegen
gegnen wir auf deutschem Boden I das Ende der vorigen Epoche sind
an der Liebfrauenkirche zu Trier, wir den lyrisch wiederkehrenden
allein es waltet hier noch eine Bewegungen des Körpers begegnet
Befangenheit, welche die Ele- ; und haben auf das konventionelle
meute des neuen Stils sichtlich als I Lächeln hingewiesen. Diese Züge
fremde, ungewohnte handhabt. In werden jetzt immer mehr verstärkt,
reifer Vollendung und Schönheit Die Gestalten ergreift ein seltsames
finden wir ihn alsdann an der 1 inneres Wehen, das sich in geschwun-
plastischen Ausstattung des Domes genen Stellungen Luft macht, in
zu Bamberg. Selbst zu Reiterstand- starkem Herausbiegen der einen und
bildem versteigt sich diese iugend- ebenso starkem Einziehen der andc-
kräftige Zeit, wie das* leoendige ren Körperhälfte, in übertriebenem
Reiterbild de* Königs Konrad Iii. Lächeln, wobei die Augen sogar
Figur 119 (Kunsthistorische Bilder- schief gestellt werden. Die Ge-
bogen) am Dom zu Bamberg wandmassen werden gehäuft und
beweist. Rasch verbreitet sich der durch übermässig viele Falten gc-
neue Stil über Sachsen und das brochen. Aber auch an Tiefsinn
südwestliehe Deutschland , wo wir und Fülle der Gedanken sind die
die herrlichsten Beispiele am stid- Werke desH. Jahrh. denen des IS.
liehen Portal und an der Haupt- j nicht ebenbürtig. Nur selten be-
fayade des Strassburger Münsters er- gegnen uns noch als Nachhall Jener
blii ken. Fig. 120 Statuen vom Sfrass- grossen Zeit die bedeutsamen Bilder-
burger Münster, (Kunsthistorische eyklen. Allein, wenn auch die
Bilderbogen). Plastik in wichtigen Punkten der
Noch entschiedener als die Stein- frühern untergeordnet erseheint , so
skulptur hielt die Goldschmiedekunst suchte sie dafür in anderer Hin-
an den prunkenden Formen der sieht einen Fortschritt durch ge-
romanischen Weise mit ihrer reichen naues Eingehen auf die Natur, durch
Ornamentik fest. Die Erzplastik schärfere Bezeichnung und vollere
aber tritt beinahe ganz zurück. Entwicklung der Formen; aber, da
Spätgotische Epoche, 1300— 1450. <*in Verständnis des gesamten körper-
Mit dein Beginn des 14. Jahrhun- liehen Organismus auch jetzt noch
derts ist der Höhepunkt des Mittel- mangelte, so blieb es bei einzelnen
alters überschritten. Lberall ge- Ansätzen. Zugleich war sie aus
raten die alten Institutionen ins den Händen der Mönche ganz
Schwanken. Das majestätische Ge- in diejenige bürgerlicher Meister
bäude der Hierarchie sieht sieh in übergegangen una hatte an dem
seinen Grundfesten erschüttert, aber zünftigen netriebe zwar <'ine solide
nicht minder ohnmächtig sinkt das technische Schule erhalten, aber
Kaisertum dahin. Ein neuer Stand auch eine unverkennbare geistige
beginnt aufzublühen, in dem die Schranke. So dürfen wir denn,
gesunden Elemente der Zeit sich trotz mancher gelungenen Einzelheit.
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794 Plastik.
den hereinbrechenden Verfall des das sie umgebende Leben häufiger
Mittelalters nicht in Abrede stellen, betrachteten und ihren Darstellungen
Fig. 120. Vom nördlichen Seitenportal der Haasfront des Strassburger Münster«
Ende des 13. Jahrhunderts.
wenn auch der aufkeimende Natur- I manche genrehafte, selbst humoristi-
nnn der Plastik manche Bereiche- sehe Züge beimischten. Das war
rung verschaffte und die Künstler aber auch das einzige Mittel, die
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Plastik.
795
nachgerade etwas verbrauchten Stufte Kompendium
etwas aufzufrischen.
Die Region der Teu-
fel (bei Schilderun-
gen desjiin^ten Ge-
richtes) gab schon
früher mannigfa-
chen Anlass zu kräf-
tig derbem Humor.
Jetzt weicht die
dämonische Un-
heimlichkeit völlig
burlesken Ausma-
lungen und das Nie-
drigkomische findet
reiche Verwendung.
Unbedingt die
erste unter den
plastischen Schulen
des 1 4. Jahrhunderts
ist die Nürnberg!«
sehe. Ihre erste be-
deutende Leistung
ist das Westportal
der Lorenzkirche
und mehrere Portale
von St. Sebald. Zu
den bedeutendsten
Werken der späte-
ren Zeit gehört :
der schone Brun neu
Figur 121 iKunst-
historische Bilder-
bogen).
Einer zweiten
bedeutenden Schule
begegnen wir in
Schwaben, zunächst
in den Portalen des
Doms von Augs-
burg und desjenigen
in Ulm, sodann an
der Heil. Kreuz-
kirche in Gmünd
bei den humoristi-
schen Wasserspei-
ern.
In den rheini-
schen Gegenden fin-
den wir zunächst
am Münster zu Freiberg tüchtige
plastische Arbeiten. Em ganzes
Fijf. 121. V
lirunnen in
der heil. Geschichte
ist in miuiaturarti-
ger Ausführung am
Westportale der
Kirche zu Thann
zusammengedrängt.
Einen hohen
Wert besitzen end-
lich die Statuen
Christi, seiner Mut-
ter und der Apostel
im Chor des Kölner
Domes; sie sind
namentlich auch
durch die treffliche
Polvchromie von
besonderem Inter-
esse.
Neben dieser rei-
chen Anwendung
der Steiuskulptur
stehen die in an-
derem Material aus-
geführten Werke
merklich zurück.
Die Holzskulptur
tritt nur ganz ver-
einzelt aut.
Wichtiger dage-
gen sind einige Ar-
beiten des hrzgus-
se8. Neben einer
Menge kleiner, meist
haudwerksmässiger
Arbeiten gewinnt
das Reiterstandbild
des heil. Georg auf
dem Hradschiu zu
Prag durch Leben-
digkeit erhöhte Be-
deutung.
Die Grobsteine
behalten in der er-
sten Zeit des 14.
Jahrhunderts noch
eine Weile das edle
Gepräge der frühe-
ren Zeit, die typische
Allgemeinheit der
Gesichtszüge , die
ernste Ruhe der Haltung, die verklärte
Lieblichkeit namentlich in weib-
om schöneu
Nürnberg.
Google
796
Plastik.
liehen Köpfen. Auch die Tracht
bleibt zuerst noch dieselbe ideale,
fast antikisierende Gewandung. In-
dessen fangen die Bildhauer doch
auch hier an, nach und nach die
Natur vor Augen zu nehmen. Zu-
erst versucht sich das Streben nach
individueller Charakteristik an männ-
lichen Köpfen, die durch kräftigere
Entwicklung der Formen, auch wohl
durch den Bart dem Bildner einen
Anhaltspunkt gewährten. Für die
weiblichen Köpfe hielt man dagegen
gern, auch bei sogenannten Porträt-
üsten, an dem idealen Typus fest,
der sich allmählich herausgebildet
hatte. Erst im weitern Verlauf der
Epoche, nachdem mehrfach die
Künstler begonnen hatten, den leer
Gewordenen Typus der Madonna
urch das untergeschobene Bild
irgend einer schönen und liebwerten
irdischen Jungfrau zu beleben, ge-
wann man auch für weibliche Por-
tratstatuen das Gepräge der be-
stimmten Persönlichkeit.
Ein Hindernis für die Entfaltung
der Plastik wird schon seit Mitte
des Jahrhunderts die veränderte
Tracht in den Reiterstatuen; denn
mit den kurzen Waffenröcken, den
zuerst au den Gelenken auftreten-
den Eisenschienen, die den ganzen
Körper in steife Fesseln schlagen,
ist jede Möglichkeit einer edlen Dar-
stellung ausgeschlossen. Die Ge-
stalten zeigen sich nun mit gespreiz-
ten Beinen und abstehenden Armen,
in derselben ungeschickten Schwer-
fälligkeit, wie sie eben das Leben
mit sich brachte. Fig. 122 Grabmal
des Landgrafen Ulrich (Kunsthisto-
rische Bilderbogen). Die schönste
Veranlassung, porträtwahre Charak-
teristik mittlen Anforderungen eines
würdevollen Stiles zu verbinden,
boten die bischöflichen Denkmäler,
da gerade diese Tracht die prächtig-
sten Motive für stilvolle Gewand-
behandlung bot.
Unter den Kleinkünsten erfreute
sich vornehmlich die Elfenbein-
schnitzerei reicher Pflege, nament-
lich zu kleinen tragbaren Altären
oder Schmuckkästchen, Gefässen
IL dergl.
Minder Günstiges lässt sich von
der anspruchsvollen Technik der
Goldschmiede sagen; denn, seitdem
auch in diesen Werken das gotische
Stilgesetz durchgedrungen war,
wurde jedes Gefass und Gerät seiner
natürlichen Form entkleidet und als
kleines Bauwerk maskiert, wodurch
die freie Plastik nur kümmerlichen
Raum für sich behielt.
Seuere Zeit: 1450—1550. Schon
seit Beginn des 15. Jahrhunderts
hatte sich im Norden, gleich wie in
andern Ländern, namentlich in
Italien, der Sinn für die Wirklich-
keit, der Sealismus geregt. Was
den völligen Durchbruch der neuen
Auffassung in der nordischen Plastik
erschwerte, war nicht der Mangel
an realistischem Sinne, sondern die
lange noch fortdauernde Herrschaft
der gotischen Architektur. Die neue
Plastik, lebenswahr und selbst
extrem realistisch, fand keinen Platz
mehr in dem System der Gotik, die
neuen Gestalten wollten freie Be-
wegung haben, wofür in den
engen Hohlkehlen, an den be-
schränkten Bogenfelderu der Portale,
zwischen den knappen Säuienstellun-
fen der Baldachine kein Raum war.
lIs nun trotzdem der Zug nach
realistischer Treue die Plastik mit
fortriss, musste ein Kompromiss mit
der Architektur geschlossen werden :
allein die Konzessionen, welche die
Gotik machen konnte, waren wohl
hinreichend, ihr eigenes Gesetz auf-
zulockern, aber nicht genügend, d*»n
gerechten Anforderungen der Plastik
nachzukommen. Darin liegt auch
der Grund, weshalb die nordische
Bildnerei nicht zu jenerharmonischen
Gesamtkunst sich entfalten konnte,
wie in Italien, von 1420—1520, wo
der Ein Auas der Antike zugleich
eine neue Architektur geschaffen
hatte, welche den beiden DÜdenden
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798
Plastik.
Künsten in ihrer fortgeschrittenen
Gestalt einen neuen Rahmen, eine
zusammenfassende Einheit gegeben
hatte. Aber auch die Ungunst der
äussern Zeitverhältnisse wirkte ein.
Die ehrsamen Bürger und tölpisehen
Bauern des 15. Jahrhunderts waren
kein Gegenstand, an denen sich ein
reines Schönheitsgefühl hätte nähren
und stärken können. Eine unschöne,
bunte, überladene Tracht steigerte
das spiessbürgerliche Gepräge
der Plastik ins Phantastisch - ver-
zwickte. Dafür konnte die aus-
drucksvolle Kraft der männlichen,
die holde Anmut der weiblichen
Köpfe allein nicht entschädi-
gen, denn die Plastik bedarf mehr
als des Kopfes; sie muss auf eine
harmonische Ausbildung des ganzen
Körpers bedacht sein.
Im Norden fehlt endlich
auch das Material, das dem Süden
zur Verfügung stand: der weisse
Marmor. Man ist auf den grob-
körnigen Sand oder Kalkstein an-
gewiesen, mehr aber noch und mit
bezeichnender Vorliebe auf das derbe
Eichen- und Lindenholz, aus dessen
Blöcken das kühn gehandhabte
Messer des Bildschnitzers eine Welt
von reichen Altarwerken u. dergl.
zu gestalten weiss.
Die Mehrzahl dieser Werke in
Stein und Holz erhält deshalb ihre
volle Bemalung und wetteifert an
Goldglanz und Farbenschimmer mit
den gemalten Tafeln, die sich mit
ihnen oft zu grossen Gesamtkompo-
sitionen verbinden. So strebt die
nordische Plastik ins Malerische
hinein.
Die Stoffe für ihre Werke nimmt
sie meistens aus dem Leben Christi,
namentlich aus der Passions-
geschichte In diesen Szenen kann
sie ihrem Hange nach leidenschaft-
licher Schilderung vollauf genügen,
und sie thut es mit unerschöpflicher
Erfindungskraft. Weder im Charakter
ihrer Gestalten, noch im Ausdruck
der Empfindungen sucht sie dabei
das Edle, Geläuterte, vielmehr sind
ihr die derbsten Charakterfiguren,
die heftigsten Motive, die rückhalt-
losesten Geberden die liebsten.
Man war der ewig gleichförmigen
Schönheit im Wurf der Falten, de*
stillen monotonen Lächelns der Ge-
sichter satt und wollte lieber
die Wirklichkeit in ihren eckigen
Gestalten, ihren vielfach gebrochenen
Gewändern, als jene leer und all-
gemein gewordene Schönheit Die?
musste auf eine ungleich grössere
Mannigfaltigkeit der Richtungen
führen, denn jeder Meister hatte,
namentlich für Madonnen- und an-
dere Frauenköpfe, nur sein eigenes
in der Wirklichkeit vorhandenes
Schönheitsideal, in welchem wir noch
ietzt oft den schmerzlich süssen
Reflex subjektiver Herzenserlebnisse
ahnen können.
a) Die Holzschnitzerei.
Am unmittelbarsten knüpft die
Holzschnitzerei in Technik und In-
halt an die mittelalterliche Tradition
an. Sie ist die Lieblingskunst ge-
worden. Früher spielte sie eine be-
scheidene Rolle. Wohl kommen
auch im 14. Jahrhundert oder im An-
fange des folgenden hie und da HoLz-
schnitzaltäre vor, aber erst seit der
Mittedea 1 5.nimmtdieHolzschnitzerei
in Deutschland einen solchen Auf-
schwung, dass ihre Werke die Ge-
I bilde in Erz und Stein überragen.
\ Die Hauptthätigkeit erstreckt sieh,
wie schon bemerkt, auf jene zahl-
i reichen Altäre, welche sien in vielen
Abteilungen neben und übereinander
I aufbauen, mit doppelten, ja oft vier-
und sechsfachen Flügeln versehen.
Der Hauptteil besteht in der Regel
aus einem tiefen Schrein, der ent-
weder mit einigen Statuen oder
Reliefszenen ausgefüllt ist. Dieselben
schildern die Vorgänge durchaus
malerisch, auf perspektivisch ent-
wickeltem Plan mit landschaftlichen
Hintergründen, und repräsentieren
die in Holz übersetzten, mit reicher
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Plastik.
799
Bcmalung belebten geistlichen Schau- j
spiele, die sog. Mysterien jener Zeit.
( Vergl. Artikel Altar |
Die Priorität in Aufnahme und
Ausbildung des neuen realistischen
Stils darf die schwäbische Schule in
Anspruch nehmen. Auffallend frisch
tritt diese Richtung bereits an zwei
Altären der Kirche zu Tiefenbrunn
hervor, gefertigt von Lucas Moser \
und Hans Schuhlein; um dieselbe
Zeit ist der Maler Friedrich Herlin
in Franken thätig. Der Hauptsitz
der schwäbischen Schule aber ist
einerseits Ulm, wo neben Schuhlein
die beiden Jorg Syalin, Vater und
Sohn, uns in den Chorstühlen im
Münster, im sog. in Stein ausge- •
führten Fischkasten (Marktbrunnen),
in den Chorstühlen zu Blaubeuern
und dem in üppiger Dekoration durch-
gerührten Schaildeekcl im Münster
grossartige Meisterwerke hinterlassen
haben. Beinahe keine Kirche
Schwabens entbehrt glanzvoller Bei-
spiele, ja selbst bis weit in die
Schweiz hinein erstreckt sich die
Thätigkeit der schwäbischen Schule,
wie aer von Jacob Rösch im Dom
zu Chur 1 499 ausgeführte Hochaltar
und zahlreiche Altiire in Graubünden
darthun.
Am Oberrhein zeigen die wenigen
noch vorhandenen Schnitzarbeiten
viel Verwandtschaft mit dem dort
durch Martin Schongauer in der
Malerei begründeten Stil.
Neben Ulm ist. Augsburg ein
Hauptsitz schwäbischer Kunst. Auch
in Österreich findet sich eine grosse
Zahl solcher Werke, von denen
manche, namentlich im Tirol, ihre
Entstehung demBildschnitzerJ/icÄfl^/
Pocher verdanken. Aber auch am
Khein, in Westfalen, in Pommern,
lassen sieh zahlreiche Beispiele auf-
führen.
Eine besondere Bedeutung haben
sodann die fränkischen Arbeiten, die
grösstenteils unter Leitung des auch
als Maler thatigen Michael Wohl-
gemufh ausgeführt wurden; aber erst
gegen Ausgang der Epoche tritt
Nürnberg durch den Bildschnitzer
Veit Stoss wirklich in den Vorder-
grund. Seine beste und grösste
Arbeit in Nürnberg ist der Kosen-
kranz in der Lorenzkirche. Dazu
Fig. 123 Verkündigung von Veit
Stoss (Kunsthist. Bilderbogen).
b) Steinskulptur.
Der Steinskulptur blieb in dieser
Epoche nur ein enges Feld. Die
Architektur verschmähte mehr und
mehr ihre Beihilfe. Die gotischen
Bauwerke werden entweder in
nüchterner Kahlheit aufgeführt oder
suchen und Huden ihren Schmuck
ausschliesslich in den geometrischen
Zierformen eines spielend ausgebil-
deten Maass werkes. Die Stein -
skulptur sieht sich deshalb ganz auf
kleinere Gegenstände, wie Kanzeln,
Brunnen, namentlich aber auf Grab-
steine aufwiesen. In allen diesen
Fällen ist es namentlich das
Hoch- oder Flachrelief, und so ist
klar, dass die Plastik unaufhaltsam
ins malerische Gebiet hinüberge-
drängt wurde. In einseitig scharfer
Nachbildung der Wirklichkeit aber
wetteifert die Steinplastik mit der
Holzskulptur.
Auch hier weist einesteils Schwaben
in den Portalen der Frauenkirche
zu Esslingen und am Ulmer Münster,
im Sakramentshäuschen daselbst
und manchen andern Werken Pracht-
stücke auf. Prunkvolle Kauzein be-
sitzen die Dome zu Freiburg, die
Münsterzu Strassburgund St. Stephan
in Wien. Eine Reihe tüchtiger Grab-
mäler in den Rheingegenden gibt
ein anschauliches Bild von der Ent-
wicklung dieser Art Monumente.
Von grossem Wert ist namentlich
der bald nach 1468 entstandene Grab-
stein des Königs Ludwig in der
Frauenkirche zu München.
Kein Ort in Deutschland ist jedoch
für Entwicklung auch der Stein-
skulptur so bedeutend, wie gerade
Nürnberg, welches in Adam Krajft
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800
Plastik.
einen der bedeutendsten Meister j das Sakramentshäuschen in St Lo-
her vorbrachte. Eines der kunst- j renz. Gleichzeitig arbeitete er tn
vollsten Erzeugnisse Kraflnts ist | mehreren Grabmälern, wie am
Fig. 1U3. Die Verkündigung von Veit Sto«9.
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Plastik.
801
Perzensdorferschen in der Frauen-
kirche etc.
Mit wie frischer, lebensvoller
Naivität der Meister auch das ge-
wöhnliche Dasein zu ergreifen wusste,
bewies er au dem anziehenden Re-
lief der Stadtwage , eines prächtigen
Genrebildes. Fig. 124 iKunsthist.
Bilderbogen).
Karmeliterkirche zu Boppard und
desjenigen des Erzbischofs Albrecht
im Dom zu Mainz.
c) Erzarbeit.
Auch in der Erzarbeit gebührt
Nürnberg weitaus der erste Rang,
denn neben Veit Stoss und Adam
Krafft erscheint als dritter grosser
Fig. 124. Relief vom Waghaus zu Nürnberg von Krafft.
Um dieselbe Zeit lebte ein eben-
falls sehr tüchtiger Meister in Wiirz-
burg: 1^1 man Künsenstch neide r.
Im Stephansdom zu Wien schuf
Meister yiclas Lerch und Michael
Dichter das stattlichste Grabmonu-
ment der ganzen Epoche für Kaiser
Friedrich III. Ganz in die Formen
der Renaissance kleiden sich die
Grabmäler des Johann Eitz in der
fteallexicon der deutseben Altertümer.
Meister: Peter Vischer in seinem
Hauptwerk, dem Sebaldusgrab
Fig. 125 (Lübke, Geschichte der
Renaissance) in der Kirche des
heil Sebaldus. Ungezwungen mischen
sich hier die Elemente der herein-
brechendenRenaissance mitgotischen
Motiven. Eine Menge Grabmaler
verdanken demselben Meister die
Entstehung. Der Ruf der Nürn-
51
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802
Plastik.
berger Giesshütte vorbreitete sich
weit herum. Sogar für den Dom
zu Schwerin wurde bei Vischer eine
Erztafel bestellt. Neben dem Sohne
Vischers leistete nach seinem Hin-
gang namentlich sein Schüler Pan-
wahrscheinlich zum grossen Teil
noch von Vischer selbst ausgeführt
wurde.
Das 17. und 18. Jahrhundert.
Waren bis jetzt die Einflüsse Italien -
auf die nordische Bildnerei nur
Kfifiitiiiiü-üfniiriiiiiniiiiein'
Fig.
Viachers Sebaldusgrab.
craz Labenieoff Bedeutendes. Die
glänzendste Leistung der Nürnberger
Schule steht in dem Denkmal Maxi-
milians in der Hofkirche zu Inns-
bruck, welches unter Leitung und
nach der Idee des Hofmalers OUg
Sesslschreiber von Augsburg in der
Nürnberger Giesshütte und zwar
leichter Art gewesen, so tritt nun
der Einfluss namentlich der durch
Michelangelo gegründeten römischen
Schule ausschliesslich hervor. Man zog
immer mehr italienische und nieder-
ländische Meister nach Deutsch-
land ; denu die religiösen Wirren, die
gewaltigen Bewegungen der Refor-
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Plastik.
803
mation zogen die ein-
heimischen Kräfte von
einem ruhigen künstle-
rischen Schaffen ab. Die
Aufgaben, welche diese
Zeit der Plastik stellt,
zeigen die zunehmende
Verweltlichung derKunst.
Rezeichnend in dieser
Richtung ist die ver-
änderte Gesinnung, in
welcher man jetzt die
Grabmonumente anord-
nete. Schon am Denkmal
Kaiser Maximilian» zu
Innsbruck hatte die kirch-
liche Auffassung kein
Wort mehr mitzureden,
die Reliefs erzählen nur
von kriegerischen und
politischen Thaten des
Gefeierten. Demselben
Geiste begegnen wir in
dem Denkmai des Kur-
fürsten Moritz im Dom
zu Freiberg.
Die Erzgiesserei fand
ein weites und dankba-
res Feld an den pracht-
vollen Brunnen, wie am
Augustsbrunnen zu Augs-
burg, daneben an einer
Menge Statuen und Stand-
bildern.
Für die Steinskulptur
boten die prunkvollen
Grabmäler ergiebiges
Feld. Die Dome zu
Köln, Mainz, Würzburg
sind besonders reich an
gediegenen Arbeiten, aus-
serdem gehören die //
Standbilder der württem-
bergischen Fürsten im
Chor der Stiftskirche zu
Stuttgart, zu den tüch-
tigsten, Fig. 126 Graf
Eberhard tn der Stifts-
kirche zu Stuttgart (Lübbe
Kunst- Geschtchte)y die
zahlreichen Gräber im
Chor der Stiftskirche zu
iiwlili
Fig. 126. Grabmal aus der Stiftskirche zu Stuttgart.
804
Platte. — Polterabend.
Tübingen zu den prunkvollsten
Werken. Ein Prachtstück plasti-
scher Dekoration endlich ist die
Facade des Heidelberger Schlosses.
Im 1 7 . Jahrh un dert ward e Deu tsch-
land durch die Verheerungen des
30jahrigen Krieges nicht allein von
allem künstlerischen Schäften abge-
halten, sondern auch für lange 25eit
in Erschöpfung und Mutlosigkeit ge-
tur sprechen die zahlreichen deko-
rativen Reliefs, welche er im könig-
lichen Schloss zu Berlin ausführte,
sowie die ergreifenden Köpfe g/erfte ti-
der Krieger über den Fenstern des
Zeughauses, Fig. 127 (Kunsthist.
Bilderbogen'; vor allem aber die
kolossale bronzene Reiterstatue des
grossen Kurfürsten auf der langen
Brücke. Etwas später war in \N leu
Fig. 127. Zwei Masken sterbender Krieger vom
Berliner Zeughaus von Schlutter.
stürzt. Eine neue Triebkraft bricht
in dem Staate zuerst wieder hervor,
der durch den Heldensinn der grossen
Fürsten der Zeit sich damals in
jugendlicher Frische erhob, in Bran-
denburg. Vorerst muss ihm aller-
dings Holland seine Baumeister und
Bildhauer leihen, unter denen An-
dreas Schlutter (1662—17141 einer
der grössten Künstler ist. Für seine
hohe Bedeutung im Fach der Skulp-
der durch edle Xaf urauffassung her-
vorragende Rafael Donner thäfig.
Nach Liibke: Grundriss der Kunst-
feschichte; Liibke: Geschichte der
lastik, vergl. auch; Alvin Schutz:
Kunst und Kunstgeschichte. A. H.
Platte, PlattenrUstunff. Siehe
den Art. Harnisch.
Polterabend, d. i. eine Vorfeier
der Hochzeit am Vorabend dersel-
ben, wird erst seit dem Ende des
Google
Pönitentialbüeher. — Postwesen. 805
Mittelalters erwähnt; in Leipzig pferd, welches man von der Haupt-
beisst sie die Rammelnacht. In Strasse ab für Reisen auf den Seiten-
manchen Gegenden heisst eine ähn- wegen benutzte, und traetonae, d. i.
liehe Vorfeier Kranzelabeud oder Urkunden, welche ihren Inhabern
Kranzelblndabend. das Anrecht auf freie Verköstigung
Pönitentialbüeher. Das Buss- und auf freien Unterhalt für die
wesen ist auf griechischer Grund- 1 ganze Dauer einer Reise gewährte,
läge zunächst in der britischen und vVenn aber auch gewisse, der Be-
irischen Kirche ausgebildet worden, forderung von königlichen Gesandten
daher auch hier die ersten Anwei- , dienende Leistungen, Halten von
-ungen zur Verwaltung desselben Pferden, Vorspanndienste, Beherber-
entetauden sind, lihri poenilentiales, j gang, vorhanden waren, so fehlte
poenitentialia. Irische Missionare, diesem Dienst jedenfalls der einheit-
wie Columban , verpflanzten dieses liehe Charakter und die einheitliche
Institut in die fränkische Kirche. Leitung.
Daneben wurde dasselbe lebhaft in Neue Ansätze zu einem offent-
der angelsächsischen Kirche gepflegt, liehen Postverkehr liegen in den
wo unter den Namen des Beda Ve- regelmässigen Boten , welche von
aerabilis, gest. 735, und des Egbert den neu entstehenden Korporationen
r-yn York, gest 767, verfasste Beicht- für ihre Bedürfnisse angestellt wur-
bücher im Gebrauehe waren. Auch den. Dies war in erster Linie bei
von hier aus wurde die Bussdisziplin den Kauf leuten der Fall, deren be-
im Frankenreich beeinflusst; bekannt eidete Boten den Verkehr zwischen
unter den fränkischen Bussbüchern den Kaufmannschaften der mitein-
ist besonder* dasjenige des Rhabanus, ander in regelmässigem Verkehr
Portiuncula- Ablass heisst der stehenden Stäate besorgten; Einzel-
AbUss, den Papst Honorius III. ' forschungen über dieses Städte-
1333 dem Franziskanerorden für Boten wesen mangeln bis jetzt; an-
alle diejenigen erteilte, welche am geführt wird u. a., dass Leipzig
t August in der Kirche zu Por- schon 1388 durch Briefboten zu Fuss
riuncula ihre Andacht verrichten und zu Ross mit Nürnberg, Augs-
würden. Bei dieser Kirche hatte bürg, Braunschweig, Magdeburg,
sieh nämlich Franz von Assisi mit Hamburg, Köln an der Spree, Dres-
den Ordensbrüdern niedergelassen, ; den, Prag und Wien in regelmässi-
und in dieser Kirche sei ihm der 1 ger Verbindung gestanden habe.
Herr erschienen und habe ihm er-
laubt sich zum Besten der Mensch-
heit eine Gnade zu erbitten, worauf
Natürlich besassen auch die Hanse-
städte ihre Botenzüge. Vortrefflich
organisiert war die Postanstalt der
Franz eben den Ablass sich erbeten, deutschen Ordensritter \ in Marien
Der Ablass wurde später nach ver- bürg leitete der oberste Pferdemar-
*chiedenen Seiten hin erweitert und j schall den Briefstall und beaufsich
ist noch in Übung. tigte die Briefjungen oder Postillione;
Zwar war die öffent- 1 welche mit ihren Pferden, Schweiken
Ii- be Staatspost des römischen Kaiser- oder Briefschweiken (SwoikenJ ge-
reiches, der cursus mtblicus, mit dem nannt, die einzelnen Poststrassen zu-
Reiche selber zu Grunde gegangen; rücklegten. Auf allen Ordenshäuseru
'loch hatten sich einzelne Spuren war der Komtur zugleich Post-
Javon bis in die Karolingische Zeit meister, und auf jedem Ordenshause
erhalten; sogar einige alte technische musste Aufgabe oder Ankunft und
Ausdrucke sind stehen geblieben: Abgang des Briefes, sowohl in einem
mamsio, Postherberge, veredus, Post- Buche als auf einem mitgegebenen
pferd, parareredus. d. h. das Privat- Stundenzettel angemerkt werden.
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806
Postwesen.
Nur ganz lokale Verbreitung scheint
die sogenannte Metzgerpost gehabt
zu haben, wonach z. B. in Esslingen
das Postreiten bei deu Metzgern der
Reihe nach umging; solche auf den
Vieheiukauf basierte Posten gab es
in Württemberg bis ins 17. Jahr-
hundert Früh erscheinen Boten der
f'nirersität von Paris, welche eine
eigene Botenanstalt bildeten; im Jahr
1296 wurde den Mitgliedern dersel-
ben für einen Krieg urkundlich
Sauvegarde erteilt. Die Organisa-
tion dieser Botenanstalt scheint eine
sehr umfassende gewesen zu sein.
Die erste staatliche Posteinrich-
tung stammt von Ludwig XI. von
Frankreich, die von ihm 1464 ge-
gründete königliche Post. Dieselbe
war ausschliesslich für den Dienst
des Königs und des Staates be-
stimmt. Auf den Hauptrouten des
Königreiches sollten von vier zu vier
Stunden taugliche Leute zur Haltung
von vier bis fünf Pferden aufgestellt
werden; an der Spitze der Anstalt
stand der Conseiller gratis Maitre
des Coureurs de France. Die könig-
lichen Kouriere waren verpflichtet,
die vom König abgesandten Kou-
riere zu begleiten und die Depeschen
und Berichte sofort weiter zu be-
fördern. Nach Ausweis und gegen
taxmässige Bezahlung konnten sich
auch die Boten und Kuriere des
Papstes und anderer mit Frankreich
befreundeter Höfe der Anstalt be-
dienen. Zum Gedächtnis an die
Errichtung der königlichen Post
Üess der König eine Münze nrägen,
deren Revers zwei galoppierende
Kuriere zeigt, deren vorderer ein
Brieffelleisen hinter sich hat. In
einem die Anstalt ergänzenden Patent
vom Jahre 1487 kommt zuerst der
Ausdruck postes vor. Schon 1480
erweiterte sich die Anstalt dahin,
dass Privatpersonen zu sechs Sol. für
die Station per Pferd befördert
werden konnten; auch Privatkorre-
spondenzen kamen bald zur Beför-
derung. Lange konkurrierte die
Universitätspost mit der königlichen,
und erst im Jahre 1719 sind beide
Anstalten verschmolzen worden.
Auf deutschem Boden waren mit
der Zeit Sladtljotenämter entstanden,
die auf ihren Routen ebenfalls Pferde-
wechsel unterhielten; ihrer bediente
sich auch gegen Vergütung der
kaiserliche Hot. Die erste landes-
herrliche Post entsteht im Branden-
burgischen, wo unter Kurfürst Al-
brecht ein Botengaug zwischen
Küstrin- Ansbach eingerichtet wurde.
Die zweimal im Monat abgesendeten
Boten brauchten für den 68 Meilen
langen Weg 24 Tage, für den Weg
von Ansbach nach Wolfenbüttel 15
Tage. Andere Obrigkeiten befolgten
bald das brandenburgische Beispiel.
Das erste in Leipzig errichtete
Postamt stammt vom Jahre 1611,
der erste Postmeister erhielt 120 Gul-
den Gehalt. In Österreich datieren
die ersten Nachrichten über ein regel-
mässiges Kurierwesen aus der Zeit
Kaiser Friedrich III. H440— 1493);
die Leistung des für Pferdewechsel
eingerichteten Dienstes stand unter
dem Oberjägermeister Hoger (1) von
Taszis ; diese Post ging durch Steier-
mark und Tirol, unter Maximilian
errichtete Francesco de Taszi* 1516
eine reitende Post von Brüssel nach
Wien.
Die Familie Taxis stammte von
den Torriani, Herren von Mailand;
der spätere Name des Geschlechtes
war de la Tour, deren einer sieh
im Gebiete von Bergamo niederliess
und daselbst von dem ihm gehören-
den Berge Tasso (Dachsberg) den
Namen def Tasso, später de TasstJt
annahm. Nachkommen von ihm wa-
ren jener Roger und Francesco.
Der letztere erhielt, wohl in Nach-
ahmung der französischen Einrich-
tung, von Kaiser Max Titel und
Würde eines Generalpostmeisters;
den vier Neffen desselben übertrug
Karl V. die Aufsicht des Boten -
Kurierwe8ens in seinen Landen,
und zwar dem Maphee für
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Prämonstratenser.
807
dem Simon fürs Mailändische, dem
David für Tirol, während sodann
BapiUta de Taxis, der den Mittel-
punkt seiner Thätigkeit nach den
Niederlanden verlegte, über alle
gesetzt wurde. Dadurch, dass Karl V.
den niederländischen Oberpostmeister
zugleich zum Oberpostmeister des
deutschen Reiches ernannte, war der
erste Schritt zu einer Zentralisation
der Posten gethan; zwar sträubten
sich die einzelnen Landesherren
lange und oft mit Erfolg gegen
dieses neue Reichsregal; auch kam
gegen Ende des 16. Jahrhunderts
die Thum- und Taxische Anstalt
selber in Verfall. Zur Wiederauf-
richtung derselben diente namentlich
der Umstand, dass Kaiser Matthias
den Grafen Lamoral in den Reiths-
freiherrn8tand erhob und für ihn
und seine Nachkommen mit der
Reichspost belehnte. Hartmann,
Entwickelungsgeschichte der Posten.
Leipzig 1868.
Prämonst ratenser heisst der von
Sorl>ert im 12. Jahrhundert gestif-
tete Orden von Chorherren, welcher
unter die reformierten Klosterstif-
tungen des 11. und 12. Jahrhunderts
gehört. Sorbert war ein Kanoniker
von vornehmer Abkunft, geboren in
Xanten, der in angesehener Stellung
am Hofe lebte, verwandt mit Hein-
rieh V. Plötzlich entschloss er sieh
(1115) der Welt zu entsagen; ein
Blitzstrahl, der ihn betäubte, be-
stärkte ihn in seinem Vorsatz, und
er nahm zu Siegburg das Mönchs-
kleid an, ohne doch eigentlich in
den Orden einzutreten. Vielmehr
ging er umher und predigte, wozu
er sich vom Papste Gelasius eine
formliche Vollmacht auswirkte; be-
sonders Hess er es sich angelegen
sein, die zahllosen Fehden, welche
damals Frankreich wie Deutschland
erfüllten, beizulegen und Frieden
zu stiften. Im folgenden Jahre Hess
er sich von seinem Freunde, dem
Bischof von Laon bewegen, dauernd
in dessen Sprengel sich niederzu-
lassen; in unwirtlicher, sumpfiger
Gegend gründete er 1121 das Kloster
Premonstre' (Praemanstratum) nach
der Regel des heiligen Augustinus
(siehe Kanoniker), die er durch
strengere Bestimmungen schärfte.
Die Erwerbung von Kappenberg in
Westfalen für den Orden führte
Norbert wieder häutiger nach
Deutschland; mit dem Erzbischof
Friedrich von Köln, der ihn zum
Priester geweiht hatte, war er nahe
befreundet. Bald gewann er auch
grossen Einfluss auf Kaiser Lothar,
der Norberts Wahl zum Erzbischof
der sehr verwilderten und verwahr-
losten Magdeburger Kirche bewirkte,
eine Stellung, zu der seine übertrie-
bene mönchische Askese ihn keines-
wegs geeignet machte. Er erfuhr
dort den hartnäckigsten Widerstand
und konnte zu keiner bedeutenden
Wirksamkeit gelangen. Erst nach
seinem Tode {l\34) breitete sich der
Prämonstratenser -Orden in diesen
Gegenden weiter aus und leistete
viel für den Anbau und die Germa-
nisierung der slavischen Lande.
Der Orden der Prämonstratenser
umfas8te 30 Provinzen oder Circa-
rien, denen jedesmal ein Circarier
vorstand. Daneben übte das Mutter-
kloster gewisse Rechte über die von
ihm abgeleiteten Stiftungen. Das
höchste Ansehen hatten die vier
ältesten Stiftungen Premontr6, St.
Martin, Floreff und Cuissy, die das
Recht der Visitation sämtlicher Klö-
ster besassen. Der Abt von Pr£-
montr£ hatte die Oberleitung des
Ordens. Eine gewisse unabhängige
Stellung nahm die sächsische Circarie
unter dem Propst von Magdeburg
und die spanische Circarie ein. Die
Tracht des Ordens ist weiss und
besteht in Tunica, Skapulier, Kappe
und Baret. Es giebt auch Fraueu-
klöster des Ordens. Vogel in Her-
zogs Real-Encyklopädie; Watten-
bach, Gescbichtsquellen, V, § 3;
Fr. Winter, Die Prämonstratenser
des 12. Jahrhunderts und ihre Be-
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808
Pranger. — Predigt.
deutung für das nordöstliche Deutach- göttliche Dinge bezeichnet, die sieh
land. Berlin, 1865. mündlich an eine grössere Menge
Pranger nannteman den Schand- richtet,
pfähl, die Staupsäule oder den Pfeiler, Daneben haben sich vereinzelte
an dem die Verbrecher zur öffent- Beispiele der in der älteren Kirche
liehen Beschämung ausgestellt wur- hochgeschätzten eigentlichen Reden
den. Statt derselben errichtete man erhalten, für deren Betrieb Gregor
auch an einer Strassenecke, am lieb- d. Gr. ein eigenes Gesetzbuch, den
sten beim Rathaus selbst, oder in Uber pa^tora/is, verfasst hatte. Der
der Kirche eigene Häuschen, Stäup- Name dieser Predigt im engeren
häuschen, Narrenhäuschen (siehe Sinne war sermo, tractatus, griech.
dort), wo die Verurteilten vermittelst homilia, homelia, omelia-, je nachdem
des Halseisens festgebunden und diese ihr Thema aus den Evange-
zur Schau ausgestellt wurden, oft lien, Episteln und Psalmen nahmen,
mit einer Rute in der Hand, deren für die man schon früh in den so-
Gebrauch jedem Vorübergehenden genannten Lectionarien eine be-
freistand, stimmte Wahl und Reihenfolge fest-
Predigt, deutsche. Eine eigent- gesetzt hatte, oder aus den Heiligen -
liche Predigt in der Form einer leben schöpften, unterschied man
Rede geistlichen Inhalts gab es im xermone* de tempore und sermons*
altdeutschen Zeiträume noch nicht; de mneth. Daneben schrieben so-
Bischöfe und Priester begnügten wohl die Benediktinerregel als Chro-
sich, dem Volke deutsch abgefasste degangs regula canoniea (siehe Ka-
kirchliche Formulare. Stücke des noniker) nach der gemeinsamen
damaligen KateehUmu« vorzutragen: Mahlzeit nredigtartige Ansprachen
es sind mehrere für diesen Zweck vor; der Name dafür ist colfati<).
verfasste katechetische Handbücher mhd. coll/izje. Von Bonifaz sind
auf unsgekommen, z.B. aus Weissen- nur 15 Sermones in lateinischer
bürg und St. Gallen, welche das Sprache erhalten, von denen jedoch
Vaterunser, das apostolische Glau- acht weiter nichts als Glaul>ens- und
bensbekenntnis, den Hymnus Zacha- Beichtreden sind; auch die übrigen
riä (Benedict^*) aus Ev. Luc. 1, sind sehr einfach und kurz und ent-
das Kantikum Mariä CMaanificatj, halten wenig mehr als erbauliche
das Athanasische GlaubensDekennt- Paraphrasen biblischer Stücke. Nun
nis, ein Beichtformular und die war aber das Recht der Predigt
Teufelsentsagung, bald mehr, bald auf die Bischöfe eingeschränkt wor-
weniger vollständig, enthalten, bald den und der niederen Geistlichkeit
ohne, bald mit eingestreuten kurzen nur gestattet, ältere lateinische Ho-
Erläuterungen. Wo solche Aus- inilien vorzulesen oder herzusagen
legungen des Glaubens und des Ge- Für die Bischöfe Hess Karl d. Gr.
betes zum Nutzen der Gemeinde 782 durch Paulus Diakonus ein
etwas breiter wurden, galt es schon Sammlung von lateinischen Predig
für eine Predigt. Noch die karo- ten, tractatu* atque sermone*, auf
lingischen Kapitularien verlangen alle Sonn- und Festtage fertigen
von den Pfarrern nichts als solche und stellte ihnen dieselbe mit einem
Glaubens- und Paternosterreden ; die empfehlenden Rundschreiben zum
Exhortatxo ad plebem Christianam Gehrauche zu; sie enthält 200 Pre-
(siche diesen Art.i ist ein Exempel digten der Kirchenväter; Rliubur. -
davon. Der lateinische Ausdruck Maurus und Haimo vou Halberstadt
ist praedicare, altdeutsch hrediga, veranstalteten bald nachher ähnliche
hreaiqon, bredigari, was ursprünglich Sammelwerke; aber erst 81 3 befahl
jegliche Mitteilung über Gott und Karl den Bischöfen, die Homilien
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Predigt.
809
von jetzt an in der Volkssprache
vorzutragen, eiue Verordnung, die
zwar mehrmals erneuert, doch bis
zum 10. Jahrhundert wenig Beach-
tung fand. Eine Ausnahme macht
eine in sächsischer Sprache erhaltene
Homilie Bedas.
Diejenige Predigtfonn, die viel-
mehr vorläufig der Bildung des
Volkes am meisten entsprach, war
diejenige der Dichtung ; eine Art
Predigt ist das alliterierende Gedicht
MuspUli (siehe diesen Art.), an Pre-
digten erinnern die epischen Lieder,
aus denen Otfrieds Evangelienhar-
monie besteht. Erst im 11. Jahr-
hundert finden sich die Anfänge
einer wirklich deutschen Predigt,
um von da an nie mehr zu ver-
schwinden. Schon Satiren Über-
setzung und Erklärung der Psalmen
sind zum Teil beim Grottesdienst in
der Klosterkirche vorgetragen wor-
den, wenn sie gleich in einem sehr
nüchternen, schulmässigen Stile ge-
halten sind; dagegen zeigt die so-
genannte Bamberger Beicht rede,
welche eine Schilderung des Him-
mels und der Hölle enthält, schon
eine poetisch gehobene Darstellungs-
art, und aus demselben 11. Jahr-
hundert, dem dieses genannte Stück
angehört, hat man auch die erste
Sammlung deutscher Predigten, die
sogenannten Amhraser Predigten
(Möllenhoff und Scherer, Denkmäler.
Nr. 86); sie sind dem Gedankenge-
halte nach aus Gregors d. Gr. Homi-
lieu entnommen; in gemässigt ein-
facher Haltung der Rede begleiten sie
die Texte von Schritt zu Schritt mit
erbaulicher Auslegung, wobei die
Methode durchgängig die seit den
Kirchenvätern übliche allegorische
ist. Die von jetzt an immer neu
entstehenden Predigtsammlungen
siud zunächst Handbücher für Prie-
ster, zum Teil geradezu Predigtfor-
mulare, und schwerlich in ihrer Ge-
samtheit wirklich gehaltene Pre-
digten. Von grosser Wirkung war
auf diesem Gebiete namentlich die
lateinische Predigtsammlung , Spe-
ml um eccletiae, des Bononm Au-
gustodunensis (von Autun), Anfang
des 12. Jahrhunderts, die vielfach
für deutsche Predigten Muster ge-
liefert hat. Vorläufig bleibt noch
die in den alten Sermonen zu Recht
bestehende Predigtweise in Kraft;
die Sermone* de sanctis pflegen aus
einer kurzen Erzählung mit ange-
hängter erbaulicher Ermahnung zu
bestehen; au der Spitze der Ser-
mone* de tempore steht in der Regel
die Perikope. zuerst lateinisch, dann
in deutscher Umschreibung: dieser
Text wird dann in der Weise der
Homilie, ohne dass zuerst ein ein-
heitliches Schema daraus abgeleitet
würde, Glied für Glied belehrend
und erbaulich ausgelegt und ange-
wendet; den Sehluss bildet eine
allgemein gehaltene Ermahnung und
ein kurzer Gebetruf um den Segen
Gottes. In der allegorischen Me-
thode ist nunmehr gegen früher die
Veränderung eingetreten, dass die
Thatsachen der evangelischen Ge-
schichte selbst nicht mehr symbo-
lisch gewendet werden; vielmehr
bleiben sie in ihrer ersten und
eigentlichen Bedeutung stehen, es
wird ihnen aber etwas anderes als
sie abspiegelndes Symbol an die Seite
gestellt; diese Sinnbilder aber sind
entweder natürliche Dinge oder Er-
eignisse und Personen des alten
Testamentes, welches als Typus und
Vorahnung des neuen Testamentes
aufgeführt zu werden pflegte. Mehr
als die dogmatische Seite liegt die-
sen Predigten die Bethätigung des
Glaubens durch Wandel und Werke
am Herzen, wobei die ethischen
Forderungen sehr den Geist alt-
testamentlicher Gesetzesstrenge tra-
gen. Sind die Predigten überhaupt
mit der Zeit ausführlicher geworden,
so gewöhnt man sich seit dem 12. Jahr-
hundert an die Einschaltung kurzer
Geschichten, Legenden, Anekdoten,
namentlich des vorchristlichen Alter-
tums.
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810
Predigt.
Einen neuen Aufschwung nimmt hohe Vorzüge rhetorischer
die Predigtweise in Deutschland ohne es zu wissen, er arbeitet mehr
dadurch, dass die namentlich gegen mit dem Gemüt und der Phantasie
die Ketzer gestifteten Bettelorden als mit dem Verstand, und es ist ihm
der Franziskaner und Dominikaner mehr um die sittliche Bethätigung
sich um eine im höheren Sinne des Glaubens als um den Glauben
volksgemässe Predigt weise be- selber zu thun; seine Wirkung war
mühen; man erkennt den Einfluss so gross, dass viele Chroniken der
der Orden sofort auch daran , dass Zeit seines Auftretens und seines
jetzt zum erstenmal Autorennamen Todes als eines grossen Ereignisses er-
auf diesem Zweig der Litteratur wähnen. Bertholds Predigtweise,die
auftreten , wie denn überhaupt erst doch auch nicht ohne vorbereitende
jetzt die Persönlichkeit des Red- Anfanger war, gaben den Anstoss
ners zum Durchbruche zu kommen zu mannigfachen ähnlichen Versuchen
beginnt. und Sammlungen, unter denen be-
Vorläufig sind es, im 13. Jahr- sonders diejenige hervorragt, die
hundert, die Franziskaner, von de- von Grieshaber „Deutsche Predigten
wen diese Wirkung ausgeht. Die des 13. Jahrhunderts. Stuttg. 1844i4
Vertreter dieses Ordens sind hier herausgegeben worden ist.
David von Augsburg und Berthuld , Im 14. Jahrhundert ist es der
von Regenshurg ; von jenem , der Frediaerorden, der, ohne dass dabei
1271 zu* Augsburg starb, sind zwar der Fortgang der älteren Richtung
keine deutschen Predigten, sondern der Minderbrüder aufhört, der Pre-
bloss deutsche geistliche Abhand- digtweise eine neue Bahn bricht,
hingen, Betrachtungen und Gebete Sie entwickelt sieh zunächst nicht
erhalten , welche überall eine erst auf der Kanzel, sondern auf dem
aus dem lateinischen Ausdruck
sich mühselig entwindende deutsche
Sprechart verraten. Desto selb-
Lehrstuhl des Lehrmeisters oder
Lektors im Ordenshause. Das Stu-
dium generale des Predigeroniens
ständiger ist Davids Schüler, Bert- zu Köln und das Studium sententia-
hold von Regensburg; seine Pre- rum zu Strassburg wurden die Hanpt-
digten sind 1824 unvollständig von sitze der mystischen Predigtweise.
Kling und seit 1862 vollständig von Dieselbe richtete sich zunächst an
Franz FjYiffer erschienen. Berthold die Bewohner der Predigerklöster
gehörte dem 1221 gegründeten Or- selbst und an diejenigen Klöster,
denshause der Franziskaner zu Re- die sieh seinem Einflüsse öffneten,
gensburg an und starb daselbst 1272. mentlich an Frauenklöster. Die haupt-
Von 1250 bis 1265 durchzog er als | sächlichen Vertreter dieser Rich-
Landprediger die deutschen Länder, tung sind zunächst die anonyme, bei
auch Ungarn und slavische Gebiete, , Wackernagel abgedruckte Predigt-
wo ihm ein Dolmetscher zur Seite
stand. Die Zahl seiner Zuhörer
stieg ius Unglaubliche, so dass er
auf freiem Felde, im Walde oder
von Mauertürmen herunter predigen
musste. Seine zahlreich auf uns ge-
kommenen Predigten sind ohne
Zweifel von gedächtnisstarken Jün-
gern aufgezeichnet worden. Seine
Manier ist durchaus von seiner Per-
son getragen, er will ans Gewissen
sanunlungjsodann Xikolaus vonSfrau-
burg. Lektor zu Köln und £ekard;
der letztere gebürtig aus Thüringen,
Prior des Predigerklosters zu Erfurt,
wirkte als Lehrer zu Paris, Strass-
burg, Köln; starb zu Köln 1327.
er war der Ketzerei angeklagt ge-'
wesen und eine päpstliche Bulle
bezeichnete zwei Jahre nach seinem
Tode achtundzwanzig seiner Lehr-
sätze teils als ketzerisch, teils als
des Einzelnen sprechen, er besitzt übelklingend und der Ketzerei ver-
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Priamel. — Priester.
811
dächtig. Eckard ist der spekulativ Priamel, aus mittellat praeam-
hervorragendste unter den deutschen bulum = Vorgang, Vorlaut, Vorrede,
Mystikern des 14. Jahrhunderts; als Sprichwort, zu ambulare = gehen,
Prediger aber wird er von Johannes wandeln, heisst ein einem Rätsel
Tauler übertroffen; dieser war vergleichbarer Reimspruch, dessen
Eckards Schüler, Lesemeister und einzelne Sätze als Vorspiel der den
Predieer zu Strasburg; mehr als Sehluss bildenden Lösung erschei-
vielgeleseuer Schriftsteller, denn als neu. Sie kommen schon im 13. Jahr-
Prediger, erlangte Heinrich Suse hundert, z. B bei Freidank, vor und
dat. Suso) Bedeutung, gest. 1365 siud im weiteren Verlauf der v««lks-
im Dominikanerkloster zu Ulm. tümliehen Litteratur sehr beliebt.
Gegen das Ende des 14. Jahr- Namentlich haben die Nürnberger
hunderts fand die Blüte der mysti- Hans Rosenblut und Hans Folz
sehen Predigt ihren Abschluss (vgl. ( 15. Jahrhundertl solche Sprüche,
den Artikel Mystiker); das 15. Jahr- zum teil mit unsauberem Inhalt
hundert zeigt in der Predigt einen verfertigt. Vgl. Ad. von Keller.
meist verdorbenen Geschmack, so- Alte gute Sehwänke. 2. Aufl. Heil-
wohl was die Ausführung der Pre- bronn. 1876.
digtteile, als was die Behandlung Priester als eigentlichen Stand
der Allegorie betrifft; namentlich kannten die Germanen nicht; für
wurde jetzt auch das maerlin, das sein Haus besorgte der Hausvater
früher nur spärlich zur Veranschau- die gottesdienstheheu Handlungen,
Heining der Lehre gedient hatte, im Opfer und Gebete selbst ; für die
Übcrmass und possenhaft verwendet; Gemeinde that es der Fürst, prin-
man legte jetzt sogar Predigtmaer- 1 ceps. Immerhin erwähnen römische
lein an. Der einzige bedeutende Schriftsteller m. a. Tacitus Germ. 7.
Prediger dieses Jahrhunderts ist 10. 11. 40. 43.) eines Priesters bei
Johannes Geiler von Kaisersberg, den Germanen, als beteiligt bei der
S?b. 1440 zu Schaffhausen lauf der Losung in öffentlichen Angelegen-
urchreise seiner Eltern), Priester heiten, als I*eiter der Strafe oder
und Lehrer, nicht Mönch, an den des Sühnopfers; man erklärt das
hohen Schulen zu Basel und Frei- entweder daraus, dass hier immer
bürg im Breisgau, zuletzt Prediger von Fürsten im priesterlichen Amte
am Münster zu Strassburg, gest. 1510; die Rede sei, oder dass es bestimmte
er zeigt schon den Einffuss des Hu- Familien gegeben habe , denen das
mani8mus, was sieh namentlich in Recht des Priestertums zustand,
der Abwerfung de« abergläubischen Ausser der Handhabung der Opfer-
Elements zeigt. Er pflegte über Gebete hatten sie namentlich den
ganze Werke zu predigen, wie über Willen der Götter vor allen wich-
des Albertus Magnus Buch de vir- tigen Handlungen zu erkundigen,
tutibus und über das Narrenschiff, was durch Beobachtung des Vogel-
Er selber schrieb nur lateinische flugs, der Begegnung verschiedener
Entwürfe und überliess die Aus- Tiere, des Wasserstrudels der Flüsse,
tuhrung dem Momente und die des Wieherns heiliger Schimmel,
Überlieferung der gehaltenen Pre- durch den Zweikampf eines Ge-
digt Freunden und Verehrern. Nach fangen« -n mit einem Krieger des
Jf . Wackernagel, Altdeutsche Pre- eigenen Volkes und endlicn durch
digten und öebete, Basel 1^76. die Weissagungen aus Los und
Marbach, Geschichte der deutschen Runen geschah. Alte deutsche Na-
Predigt vor Luther, und Cruel, Ge- meu für Priester sind got. gudja,
schichte der deutschen Predigt im noch im oberdeutschen Götti und
Mittelalter, Detmold, 1879. Gotte = Pate und Patin, erhalten;
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812
Priester Johannes. — Propheten.
ahd.eftrt/V= Gesetzbeobachter; haru-
gari und parutcari von harug und
paro = Tempel. Auch Priesterinnen
Kann es demnach nicht gegeben ha-
ben, und wenn alte Nachrichten
von germanischen Frauen berichten,
die als Deuterinnen und Verkünde-
rinnen des göttlichen Willens galten,
so beruht das immer nur auf der
besonderen persönlichen Hochach-
tung und Verehrung, die man ein-
zelnen Frauen zollte.
Priester Johannes galt dem
europäischen Abendlande als ein
geheimnisvoller grosser König, der
im Morgenlande über ein christliches
Volk herrschen sollte, und von dem
man ausgiebige Hilfe zur Eroberung
und Erhaltung des gelobten Landes
erhoffte. Die erste Nachricht über
den Priesterkönig oder Presbyter
Johannes bringt der Geschichts-
schreiber Otto von Freising, der Stief-
bruder Kaiser Konrad III. Otto be-
richtet, dass er 1145 aus dem Munde
eines syrischen Bischofes folgendes
habe erzählen hören: Vor wenigen
Jahren sei im fernen Osten jenseits
Armenien und Persien ein gewisser
Johannes, Priester und König zu-
gleich über ein nestorianisches Volk,
aufgetreten, habe erst die medische
Hauptstadt Egbatana erobert und
dann die samiardischen Bruderkö-
nige, die in Persien und Medien
herrschten, in dreitägiger Schlacht
besiegt und sei weiter nach
Westen gerückt, um der bedrängten
Kirche in Jerusalem beizustehen.
Aber der Tigris habe seinem Zuge
Halt geboten und ihn zur Umkehr
genötigt. — Das hier genannte Er-
eignis wird auf die im Jahr 1141
geschehene Schlacht bei Samarkaud
gedeutet in welcher der tungusisch-
mand8churische Volksstamm der
Chitanen unter ihren, Korchan oder
Gurchan (woraus allmählich der
Name Johannes entstanden sein
soll) genannten Fürsten den persi-
schen Sultan Sandschar mit seinen
Neffen besiegten. Andere denken
an den siegreichen Kampf des Jo-
hann Orbelian, des Grosswtirden-
trägers und siegreichen Feldherrn
des georgischen Königs David, mit
den Türken, um 1123. Jedenfalls
suchten später die abendländischen
Reisenden den Priesterkönig im
Osten des kaspischen Meeres und,
als sie ihn dort nicht fanden, denn
das Reich der Chitanen war 1215
zerstört worden, immer weiter im
Osten bis nach China. Die Ver-
wechslungen und Verschiebungen
des Priesters Johannes dauerten bis
ins 14. und 15. Jahrhundert, wo man
ihn schliesslich im christlichen König
von Habesch entdeckt zu haben
glaubte, an welchen noch im 16. Jahr-
hundert portugiesische Gesandte ab
gingen. Rüge, Geschichte des Zeit-
alters der Entdeckungen. Berlin
1881. S. 37—40.
Pritschennleister, hiess der-
jenige, der bei den Schlitzen festen
die Ordnung auf dem Schiessplatze
zu handhaben hatte; er bediente
sich zu dem Ende der Pritsche,
eines flachen, in mehrere dünne
Brettchen gespaltenen Werkzeuge*,
womit er die Unfolgsameu schlug
Er war zugleich Lustigmacher der
Gesellschaft und hatte auf die Fest-
lichkeiten Spruchgedichte anzuferti-
gen. Sie Destanden mit eigener
Tracht an mauchen Höfen bis in
den Anfang des 18. Jahrhunderts
P rohen lichte nennt man die
durch zwei Schweizer Weistümer
des 16. Jahrhunderts belegte Sitte
oder vielmehr das Recht eines Herrn
über die erste Nacht einer Ehe, die
sein Höriger mit einer Hörigen ein-
geht, jus primae noctis. Nach der
neuesten Untersuchung von Karl
Schmidt, jus primae noctis, Freiburg
im Br., 1881, ist dieses vermeintliche
Recht ein gelehrter Aberglaube, der
»ich seit dem 16. Jahrhundert ver-
breitet hat.
Propheten kommen in der mittel-
alterlichen Kunst entweder, wo es
sich um messianische Weissagungen
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PseudoisidoriBche Dekretalien.
813
handelt, vereinzelt mit anderen Per-
sonen des alten Testaments vor,
z. B. mit Jakob, Moses, David, oder
zusammen, namentlich die vier
grossen Propheten mit Aposteln,
vangelisten, Engeln oder den Si-
byllen. Ihre allgemeinen Attribute
sind eine Schriftrolle oder ein Spruch-
band mit dem Namen in der Hand,
Sandalen an den Füssen, aber kein
Nimbus. Die Darstellungsweise der
einzelnen Propheten ist Folgende :
Jesajas hält den Mandelblüten-
zweig oder das Christuskind, dessen
Kommen er weissagte, oder eine
Sage, weil er auf der Flucht von
einer Zeder verschlungen und in
dieser zersägt worden sein soll.
Jeremias trägt nach Jer. 1, 11
den Wächterstab, d. h. die Rute
des Zornes, oder nach 1, 12 einen
hoch schwebenden Kessel.
Hesekiel halt ein Thor mit Tür-
men auf der Hand, weil er sein
Volk mit dem Wiederaufbau, des
Tempels tröstete.
Daniel, ein Jüngling mit eng
anliegender Kleidung und phrygi-
scher Mütze, oder unbekleidet mit
ausgestreckten Armen in der Lö-
wengrube liegend.
Hosea betet mit ausgestreckten
Armen, neben ihm eine säugende
Mutter mit Knabe und Töchterlein,
nach 1, 3 ff.
Joel mit dem Löwen, der ihn zer-
rissen haben soll.
Arnos nach 7, 14 als Hirt mit
Hirtenstab, von Schafen umgeben,
neben ihm ein wilder Feigenbaum.
Obadja oder Obdias, Wasserkrug
und Brot neben sich.
Jonas schläft in der Kürbiskeule
(4, 6) oder wird vom Fisch ver-
schlungen und ausgeworfen, un-
zäbligemal dargestellt
Micha oder Michäus, nach 5, 1
mit der Linken zum Himmel , mit
der Rechten auf ein Kind weisend.
Sah um, der Prophet des Unter-
ganges von Ninive, jugendlich dar-
gestellt, wandelt über Bergspitzen
(nach 2, 1) oder hat dürres Holz-
werk neben sich, das vom Feuer
Gottes vernichtet wird.
Habakuk, als Knabe, wie ihn
der Erzengel Michael bei den Haaren
durch die Luft entführt, um dem
Daniel in der Löwengrube Brot und
Obst zu bringen.
Zephanja trägt eine Laterne, um
nach 1, 12 Jerusalem zu durch-
suchen.
Haggai hat nach 2, 9 einen Geld-
beutel in der Hand, aus dem Geld
herausfällt.
Sacharja oder Zacharias hat die
mit dem Tempelbau beschäftigten
Juden oder nach 4, 2 den sieben-
armigen Leuchter neben sich.
MaJeachi nach 3, 1 mit einem
Engel, oder mit drei Schafen, deren
eines blind, ein zweites lahm ist.
Müller und Moihes, Archäol. Wör-
terbuch.
Pseiidoisidorisehe Dekretalien.
Um das Jahr 850, also etwa um die
Zeit des Vertrages von Verdun,
entstand, wahrscheinlich in Mainz
oder in Reims, eine unter dem Namen
des heiligen Isidorus gehende ver-
fälschte Dekretaliensaminlung (siehe
den Art. Kanonisches Rechtsbuch),
zu dem Zwecke , anscheinend aus
den ältesten Quellen des Kirchen-
wesens alle die Befugnisse herzu-
leiten und als schon verliehen dar-
zustellen, nach deren Besitz die
Kirche trachtete, um Selbständigkeit
und eine ihrer hohen Aufgabe wür-
digere Stellung dem Staate gegen-
über zu erlangen. Die Form dieses
trügerisch erfundenen Machwerkes
sind Schreiben der römischen Bi-
schöfe aus den ersten Jahrhunderten
des Christentums ; die Hauptabsicht
der Sammlung aber ist, die Kirche
durch engeres Zusammenschliessen
derselben unter dem Primate Petri
unabhängiger vom Staate und seinen
hemmenden Einrichtungen zu machen
und sie dadurch aus uem Zustande
der Unsicherheit und Erniedrigung
zu retten, in welche sie ihre Unter -
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814
Puppen. — Puppenspiele.
Ordnung unter dem Staat und die I mit dem heidnischen Götterdienste
Leiden des Bürgerkrieges unter Lud- geschlossen hat. Der Hortus deU-
wig dem Frommen und seinen Söhnen darum der Herrad von Landsberg
gestürzt hatten. Neben dieser Haupt- enthalt ein Bild, das zwei junge
absieht scheint die Nebenabsicht ge- Leute darstellt, welche über einen
waltet zu haben, auf die Erhöhung Tisch hin zwei geharnischte Glieder-
einer gewissen Metropole im frän- 1 puppen mit Schnüren bewegen und
kischeu Reiche — Mains oder Reims — i miteinander fechten lassen. Nähere
zu einer erhabeneren Stellung hin- Nachrichten hat man über diese
zuwirken. Die Pseudoisidorische Spiele nicht
Sammlung bietet eine Art Gegen- Zu weiterer Ausbildung gelangten
stück zu dem Vertrage von Verdun ; die Puppenspiele in den Ländern
während dieser ohne jede Rücksicht romanischer Zunge, namentlich in
auf die Interessen der Kirche den Italien und Frankreich. In Italien
Metropolitanverband an mehreren scheinen sieh Spiele mit automati-
Stellen durchschnitt, die Besitzungen sehen Puppen von der Römerzeit
der Bistümer und Klöster willkürlich her erhalten zu haben; im 16. Jahr-
für die Kosten des Bürgerkrieges hundert waren sie allgemein be
in Anspruch nahm, Biscnöfe und liebt, und es gab stehende Puppen-
Äbte durch einseitige Verfügung der theater sowohl als wandernde Buden
weltlichen Gewalt von ihren Sitzen mit Marionetten, bura/fini. Entweder
verjagte, so erklärte die Dekretalien- wurden kleinere Puppen mit der
Sammlung die BesitzreehtederKirche Hand dirigiert und dazu rezitiert
für heilig und unantastbar, eximierte oder lebensgrosse Puppen wurden
die Geistlichen vom weltlichen Ge- durch Fäden, Drähte oder Federn
richte und Hess sie in letzter Instanz in Bewegung gesetzt. Aus Italien
nur von dem selbst unabsetzbaren sollen diese Spiele ihren Weg nach
Papste gerichtet werden. Erwähnt Frankreich gefunden haben, wo auch
wird die Sammlung zum erstenmal der Name Marionetten aufkam ; man
im Jahre 857 auf dem Reichstage deutet ihn als Diminutiv von Maria,
von Chiersy und bald darauf ihre wobei man erwähnt, dass auch zu
Gültigkeit von Papst Nicolaus I. aus- i religiösen Zwecken in den französi-
drücklich den französischen Bischöfen sehen Kirchen des Mittelalters ähn-
gegenüber behauptet. Im 15. Jahr- liehe bewegliche Puppen, namentlich
hundert erwachte die Ahnung des am Feste Mariä Himmelfahrt . An-
Betruges, im 16. Jahrhundert wurde Wendung fanden, als Ersatz für die
dieser durch protestantische Gelehrte früher von lebenden Personen ge-
zur Gewissheit gebracht. spielten Mysterien oder geistlichen
Puppen ; mit solchen spielten Spiele. In dem Sinne eines Volks-
wie einst die römischen, so die tneaters erscheint der Ausdruck
jungen Mädchen des Mittelalters; marionettes zuerst um 1600. Ihre
die toeken sind im 9. und 10. Jahr- stehenden Charaktere empfing diesr
hundert allgemein bekannt; auch der Puppenkomödie vom wirklichen
Puppenwiege geschieht Erwähnung. Volkstheater, namentlich um das
Puppenspiele, d. h. dramatische Jahr 1630 den französischen Hans-
Spiele mit künstlich hergestellten wurst. Der berühmteste franxo«-
Figuren, kennt man in Deutschland sehe Marionettenspieler war Jean
seit dem 12. Jahrhundert; der Name Brioche, seines Berufes Zahnbrecher
für die aus Holz, Lappen oder Wachs und Puppenspieler,
verfertigten Puppen ist tocke, auch Nach Deutschland brachten herum-
kofxjlt, teiehtel und taterman, daher ziehende fremde Marionettenspieler
man auf Zusammenhang dieser Spiele aus England. Frankreich, Holland.
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Purpur. — Rapier.
815
Italien und Spanien zur Zeit des j Sohn, Genoveva, Fräulein Antonie,
dreissigjährigen Krieges diese Volks- Marianna oder der weibliche Strassen-
belustigung: im Jahre 1675 findet räuber, Don Juan, Trajanus und
man sie in Frankfurt a/M, ; in Wien Domitianus, die Mordnacht in Äthio-
eteblierte sich 1667 ein vierzig Jahre nien, Fanny und Durmann; der
lang bestehendes italienisches Pup- Hanswurst, der dabei seine stehende
pentheater; auch in Hamburg sind Rolle hatte, hiess seit der Mitte des
solche Spiele seit derselben Zeit 18. Jahrhunderts Kasperle. Flöget*
nachgewiesen; sie stellten hier u. a. Geschichte des Grotesk-Komischen,
als Komödie Maria Stuart, Königin neu bearbeitet von Fr. W. Ebeling,
der Franzosen und Schotten, dar, , Leipzig 1862. — Grässe, Zur Ge-
wobei der Hanswurst sich als lusti- schichte des Puppenspiels und der
ger Franzmann zeigte; dänische i Automaten, 1856. — Deutsche Pup-
privilegierte Hofacteurs gaben eben- penkomödien , herausgegeben von
falls in Hamburg das geistliche Stück Karl Engel. Oldenburg, 1875.
„die öffentliche Enthauptung des Purpur. Die köstlichen Purpur-
Fräulein Dorothea", das ursprünglich kleider stammen aus dem entarteten
ein ludus gewesen war (siehe Drama) ; Rom und wurden in Deutschland
ein Haupteffekt darin war der, dass, kaum vor dem 13. Jahrhundert ein-
wenn die Dorothea enthauptet wor- geführt. Noch im 10. Jahrhundert
den war und die Zuschauer da Capo durften in Byzanz nur die Hofleute
schrieen, der Direktor der Puppe Purpur tragen, während er in Italien
den abgehauenen Kopf nochmals so verbreitet war, das Weiber und
aufsetzte und ihr dann denselben Mönche sich seiner bedienten. Seine
zum zweiten Mal abhauen Hess. Auch Farbe war übrigens nicht das heutige
Opern und Singspiele wurden durch Dunkelrot, sondern ein Violettrot.
automatische Puppen dargestellt. Noch um 1100 war bei uns der
Das Hauptstück der deutschen Besitz eines Purpurs an diplo-
Puppentheater war der Dr. Faust; matische Abmachungen geknüpft,
andere Stücke waren: Der Raub- sodass Alexius I. zufolge einer
ritter, Der schwarze Ritter, Medea, Übereinkunft den deutschen Hof
Alceste, Judith und Holofernes, mit gefärbten Zeugen zu versehen
Haman und Esther, Der verlorene hatte.
R.
Rabenschlacht, siehe Heldensage, dienst, bei der Errichtung von Schanz -
Rad und rädern, siehe Strafen, werken.
Ramme. Die Bockramme oder! Rapier. Rappier. Im achten
Hoye diente im Mittelalter — wie Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts kam
heute noch bei Brücken- und Wasser- unter diesem Namen zuerst in
hauten — zum Einrammen der Spanien, dann in Frankreich und
Pfähle. Sie bestand in der Regel den übrigen europäischen Staaten,
aus einer schweren Holzart und war ein Stossaegen auf. der im ausser-
an der Stirne mit einem Metall- kriegerischen Gebrauche das Schwert
beschlag versehen. Ihre häufigste verdrängte. Er war dem alther-
VerwendungfandsieimBelagerungs- kömmlichen Panzerstecher ziemlich
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Rasselkarren. — Rathaus.
ähnlich, die Klinge 0,75 in lang,
schmal, vierkantig. Der Griff war
hügellos oder hatte höchstens einen
dünnen Faustbügel, dagegen eine
gerade Querparierstange und über
derselben eine „Glocke" als Stich-
blatt. Dasselbe war auch zu einem
netz- oder siebartigen Korbe aus-
geziert.
Hassel karren wurden vielerorts,
mit Schnarren versehen, vom Grün-
donnerstag bis Ostern durch die
Strassen der Stadt geführt, um den
verstummten Glockenklang zu er-
setzen.
Rathaus. Die beiden Kardinal-
Gt bäude der mittelalterlichen Stadt
sind Rathaus und Kaufhaus. Das
Hat Ii ans. rathus, rathof, burqerhtts,
dinchhus, hus überhaupt, erscheint
in Deutschland zuerst im Zwölften
Jahrhundert. Die einzelnen Bestand-
teile desselben sind:
Die ratest übe, ratsdörnfze, aes-
tuarium, der Hauptsaal des Gebäu-
des, mit allerlei Prunk und Zierrat
ausgestattet, namentlich war oft
über dem Bürgermeistersitze das
jüngste Gericht aufgehängt, ausser-
dem die sogen. Rats-bpruchtafel
mit Reimen, aus denen sich eine
eigentümliche Form didaktischer
Poesie, die ratmanne reime ent-
wickelte, welche auch in die Reehts-
bücher Aufnahme fanden. Die wich-
tigsten Geräte der Ratsstube sind:
der Ratstisch, darüber eine kost-
bare, zuweilen seidene Decke, da-
rauf ein Kästchen mit Reliquien,
worauf die Staatseide geleistet wur-
den, wenn man sich für diesen
Zweck nicht mit einem hölzernen
Heiligenbilde begnügte. — Die Rats-
Dank, mit Kissen oder Polstern
belegte Sitze, auch der ratstuel ge-
nannt , darunter namentlich des
Bürgermeisters Sitz ausgezeichnet.
— Die Ratsstuben- Almer, armaria,
ein Aktenschrein. — Die Rats-
Truhe oder Trog , ein massives
eisenbeschlagenes Holzbehältnis, in
welchem die bedeutenderen ma-
gistratischen Geschäfts - Utensilien
untergebracht waren und wozu in
der Regel mehrere Ratsangehörige
die Schlüssel trugen; dazu zählte
das grosse Insiegel, falls dasselbe
nicht in einem gesonderten GefiLss.
der sogen. Siegel- Lade, aufbewahrt
wurde. In der Ratsstube fanden
die Neuwahlen der Ratsmannen, die
Plenarversammlungen des ganzen
Rates, d. h. der neuen samt der
alten Räte, wozu die Einzelnen in d» r
Regel besonders eingeladen wur-
den, dann die Wochen-Sessionen de*
regierenden Rates statt, dessen Ge-
schäfte sich auf die Rats-Gerichts-
barkeit, die Bürgerrechts -Ange-
legenheiten und auf das sogen.
Rats-Notariat bezogen, d. h. auf
die Verbriefung und Verbuchung
der an den Ratsstul verwiesenen
Privatrechtshandlungen. Ausserdem
war die Ratsstube die Fest- und
Belustigungrs8tätte des Rates, be-
ziehungsweise der Bürgerschaft, wo
Empfangsfeierlichkeiten, Huldigun-
gen, Rats -Mahlzeiten, Rats -Hoch-
zeiten , sogar Fastnachts - Mumme-
reien und Tänze abgehalten wurden.
An manchen Orten hatte der Rat
seine eigenen Stadtnarren mit einem
Spielgrafeu au der Spitze. Die
Ratsstube war fiir solche Fälle
mit dem erforderlichen Hausräte,
Flaschen, Kannen, Tellern u. dgL
ausgestattet und eigene Stuben-
knechte waren zur Bedienung der
Gäste aufgestellt. Die RatsLauhe
war ein geräumiger, balkon- oder
gallerie-artiger, nach dem Markte
oder der Strasse zu offener und mit
einer Brüstung versehener Ausbau
an einer oder mehreren Seiten des
Hauptgebäudes, worin die jährliebe
Ablesung der Bursprake vor dem
Volke und die Verkündigung der
neuen Ratsherren vollzogen wurde.
Die Tresekamer war bestimmt zur
Unterbringung des Staatsschatzes,
der aus mannigfaltigen Kunstge-
räten bestand.
Die Rammerei, camera, Avrfent-
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Rätsel und Rätsellieder. 817
•
haltsort der mit dem Kassen- und Deutsche Stadtrechts -Altertümer.
Rechnungswesen betrauten Kamme- Kap. 16.
rer der Stadt. Rätsel und RHtsellieder. Rätsel,
In deutschen Rathäusern jüngerer ahd. rdtissa, rdtisca, mhd. rätische,
Zeit rindet man häufig ausserdem : raetsche, raetersehe, rdUal, raetsel.
eine Wettstube für aie durch die mit vielen andern Nebenformen, sind
sogen. Wetteherren besorgte Baga- eine uralte Gattung der Volkspoesie,
teli-Gerichtsbarkeit, vornehmlich in namentlich in der altnordischen und
Übertretungsfällen der Handwerker der angelsächsischen Dichtung in
und Zünfte; reicher Fülle erhalten; das Dunkle
eine Bau- oder Bauamisstube; darin und das Finden und Binden
eine Ra (»dient r-Stube ; derselben zeigt sich ähnlich in den
die Rathaus-Kapelle, worin die mythologischen Anschauungen, in
Ratmannen vor Beginn der Sitz- alten Rechtsgebräuchen, in der Art
tingen einer Messe beizuwohnen des menschlichen Verkehrs der
pflegten; ältesten Zeiten. Schon sehr früh
die Ratsküchex wurden gewisse Rätselgruppen zu
den Rathaus-'lurm von mehre- Rätselliedern zusammengeorduet,
ren gewölbten Etagen, deren un- deren eine Hauptform die ist, dass
terst«' zuweilen das Archiv enthielt, der Wirt und der ankommende Gast
während die oberen verschiedene sich in Wechselrede prüfen; der
Glocken beherbergten , die Rats- letztere sollte durch sein eigenes
glocke zur Einläutung gewisser Wort von seinem Wesen zeugen;
Ratshandlungen , die nein- oder er wird zunächst um Namen, Her-
Bierg locke, auch Feier- oder Wach- kunft. Weg und darum befragt, wo
terglocke genannt. er die letzte Nacht geherbergt habe,
Die Rats- Kassenkamme r. Fragen, denen er seinerseits mit
Der Ratskeller zog sich ur- doppelsinnigen Erwiderungen und
sprünglich regelmässig unter dem Wortspielen ausbeugt, woraus sich
Rathaus selber hin, während man dann ein Wechsel von Frage und
ihn später unter Umständen in ein Antwort entspinnt. Auch um Völker,
anderes Gebäude verlegte. Er war Könige und Länder wird der Wan-
zunäehst zur Aufbewahrung der derer befragt, und nicht minder gilt
dem Rate gehörenden Weine und es im Wettspiel mit ihm den allge-
Biere bestimmt und hatte eine meinen Zusammenhang und tiefern
Trinkhalle für den Ausschank die- Grund der Dinge zu erfassen, die
ser Getränke: sogen. Rats-Keller- Quellen geistiger Erkenntnis abzu-
wirtschaften, an verschiedenen Or- spüren. So lässt schon die Edda
ten der Stadt, durften bloss das den Asenvater Odin wissbegierig
städtische Bier verzapfen. Aus dem ausfahren, die Weisheit der Riesen
Ratskeller wurden die sogen. Ehren- zu prüfen und über Ordnung, Ur-
weine, Tischtrünke unef Weinde- 1 Sprung, Untergang und Wieder-
putate verabreicht. In einzelnen geburt der Welt sich zu messen ;
Städten durften vornehme Thunicht- gegenseitig wird dabei das Haupt
fute ihre Strafen auf einer Rats- zur Wette gesetzt.
eller-Stube absitzen. Deutsche Volksrätsel finden sich
Das Rats-Gefangnis. zuerst in einem Büchlein von 1505
Die Rathaus-Buden, an Hau- gesammelt, welches von da an
delsleute vermietete Verkaufsstätten fleissig und unter verschiedenen
im Unterge8choss des Hauses. , Titeln, wie Raeterschbüch/ein, Reter-
Das Rathaus war in allen seinen buchlein , nachgedruckt und über-
Teilen befriedet. Nach Gengier, arbeitet wurde. Siehe Strassburger
Realleiicon der deutschen Altertümer. 52
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818
Ratzel und Ratsellieder.
K^nelhueh. neu herausgegeben von
A. F. Buttch, Strasburg, 1876. und
SifH rock i Das deutsche K<>t*el-Buch.
3. Aufl. Frankfurt a M. 1874.
Unter den deutschen Ruttel Uedem.
denen der altertümliche Rahmen der
Prüfung des ankommenden Gastes
eigen ist, ist das älteste das Trau-
fjevmnrl'itüpd \ das man in seiner er-
haltenen Form ins 12. Jahrhundert
setzt. Ein fahrender Mann, Meister
troufjewutif. d. h. Dragoman = Dol-
metscher, dem 72 Lande kund sind,
wird bewillkommnet und gefragt,
wo er die Nacht gelegen, womit er
bedeckt war, wie er Kleider und
Speise gewinne? „Mit dem Himmel
war ich bedeckt, mit Rosen um-
steckt, in eines stolzen Knappen
Weise bejage ich Kleiderund Speise" ;
worauf dann nach der wieder-
kehrenden Formel: Nun sage mir,
Meister Traugemund , zweiund-
siebenzig Lande die sind Dir kund,
die Rätsel und ihre Antworten
folgen. Dieselben beziehen sich zu-
nächst auf Eigenschaftswörter, be-
sonders der Farbe, und suchen den
Gegenstand, dem dieselben in voll-
stem Mass zukommen, z. B. Was
ist weisser als der Schnee, was ist
schneller als das Reh. was ist höher
als der Berg, was ist finsterer als
die Nacht? Antwort: Sonne, Wind,
Baum und Rabe.
Anderer Art, aber ebenfalls
Rätseldichtungen, sind die Hand-
werkst} rüsse, die zur Losung unter
denAngehörigendersell>en Genossen-
schaft dienten, Empfangagespräche
zwischen dem Wandergesellen und
dem Altgesellen der Zunft, die in
Zeiten, wo es noch keine Wander-
bücher gab.den Ausw eis des Fremden
vertraten. Dieser wird gefragt, wo
er herkäme? wie er sich nenne?
wo er gelernt? wo er seinen Gesellen-
namen bekommen und wer dabei
gewesen? Diese Grüsse, in gereimter
'rosa gehalten, reichen in ihren
Aufzeichnungen zwar nicht über
das 1*. Jahrhundert hinauf, zeigen
daher auch den verdorbenen Ge-
schmack des Volkes, ohne doch die
Spuren älteren Ursprunges gaur
vermissen zu lassen. Alter in der
Aufzeichnung und frischer in der
Haltung sina die Weidspi-v^ht. ..wo-
durch ein Jäger den andern geprüft
hat und wodurch sie sich zu be-
lustigen pflegen.4- Sie l>etrerTer.
grossenteils die genaue Kenntnis der
r'äbrteu und Zeichen des Waides,
sowie ihrer kunstmässigen Be-
nennungen; manche sind echte
Rätselaüfgaben, aber mit weid-
männischer Schlusswendung , die
eigentümlichsten aber beschäftigen
sich mit dem Hirsche. Vgl. den
Art. Jagd.
Am sorgfältigsten ausgebildet ist
die Übung des Rätsel -Grüsseus in
der Sinnschule s schon in der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts erscheint,
noch sparsam uud vereinzelt, das
Rätsel in der Lyrik, so zwar, das*
der Sänger die Antwort eines andern
Sängers verlangt. Dies geschah
namentlich, seitdem der von den
Höfen zum Bürgerstand übergesie
delte Gesaug in deu Geheimnissen
des Glaubens seinen höchsten uui
beliebtesten Gegenstand gefunden
hatte. Diese Rätsel sind nun frei-
lich nicht mehr kurz, sondern spitz-
findig ausgesonnen , weitläufig an-
geführt und künstlich gebaut. Der
Art ist der sog. Warthttr<jkrü?gy dann
Lieder, in denen Heffeitbopr» mit
Fravenloh und beide einander m»-
meutlich geistliche Rätsel zu erraten
geben. Oft wird dabei biKUicn
eines Werbens um einen Rosenkranz
gedacht, Rosen zum Kranze brechen,
bedeutet die Kunstwerbung, und aus
sieben edein Rosen, d. h. den freien
Künsten, soll das Kränzlein gemach:
sein. Daneben aber wird vom Aus-
hängen des Kranzes, vom Schwenken
an der Stange, vom Abgewinnen
uud Aufsetzen derselben auf eim
Weise gesungen, die nicht bezweif ein
lässt, das 8 dem bildlichen Auadrucke
die Anschauung eines wirklichen
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Rauchgefässe. — Rechtssyinbole.
819
Herkommeus, des Wettgesangs um Geiste des alt^n Rechts, beziehen
einen aushängenden Roseukrauz, zu sich gewöhnlieh auf Grund und
Grunde liege. Wirklich sind auch Boden oder auf persönliche Ver-
solehe volkstümliche Kranzlieder er- hältiüsse und zwar so, dass Sache
halten, deren Inhalt wiederum Volks- oder Person dabei selbst sinnlich
rätsei sind, siehe den Art. Kranz und leiblieh vergegenwärtigt werden
und Kranzlieder. Vhtands Schriften, müssen; doch ist bei maucnen Sym-
Bd. III, 181 ff. boleu der Bezug des Zeichens auf
Rauch gefüsse, thurihuhim, tura- die Sache verdunkelt Wenn das
buhim, thi/miaterium , waren schon Symbol aufbewahrt und gerichtlich
in der vorchristlichen Zeit als Opfer- vorgezeigt wird, steht ihm der Name
gefässe im Gebrauch. Der Weih- Wahrzeichen zu. Die folgende Auf-
rauch versinnbildlicht die zum Zeichnung ist den Rechtsaltertümern
Himmel aufsteigenden Gebete. Die Jakob Grimms entnommen.
Kirche unterscheidet schon früh, 1. Erde, fr ras; dieses wurde aus-
wenigstens vom 11. Jahrhundert an, geworfen sowohl von dem, der von
das grosse, meist zur Seite des seinem Grund und Boden schied,
Altars feststehende und das kleine, das Land räumte, wie von dem, der
tragbare Rauclnrefäss. Beide sind ein einzelnes Grundstück auf einen
metallen, von Silber, Kupfer, später andern zu eigen oder Pfand über-
auch von Messing oder Eisen, mit tragen wollte: leistete der Schuld-
oder ohne Vergoldung. Der Deckel ner keine Zanlung, so setzte der
ist durchbrochen, um dem Rauch Richter durch dieses Symbol den
den Durchgang zu gestatten. In Glaubiger in deu Besitz des Gutes;
ihrer Form weichen sie sehr von dasselbe wurde also durch Aus-
einander ab. Während das letztere schneiden und Darreichen der Gras-
durchweg die tiefe Beckengestalt erde aufgelassen, durch Annahme
beibehielt, wie verschieden aucn sein derselben in Empfang genommen.
Zierrat sein mochte , richtete sich Die besoudern deutschen Namen für
die Gestalt des ersteren nach dem die Graserde sind Erdscholle, Rasen ;
jeweiligen Geschmack des Künstlers in sächsischer und niederdeutscher
oder nach dem herrschenden Zeit- Sprache Torf. Bei einem Greils-
feschniack oder Baustil überhaupt, streit setzten die Kämpfenden ihre
>ie ursprüngliche Kugelforin machte Schwerter an das in einem Tuch vor
einem turmartigen Gebilde Platz, den Grafen gebrachte Raseustück
das oft in künstlerischer Arbeit die und schwuren; etwas Ähnliches
verschiedensten Ecktürmchen. Gie- scheint es zu bedeuten, wenn in
bei wändchen, Strebenfeiler, Spitz- alten Sagen und Liedern schwörende
türmchen, Fialen- unu Nischenwerk Helden das Schwert bis an den
in sich vereinigte und mit allerlei Griff in den Erdboden stecken,
ausgeschnitzten Figuren geziert war. 2. Halm -, siehe den besonderen
Aber auch verschiedene Tiere liehen Artikel.
dem Künstler ihre Formen zur Dar- 3. Ast. Wenn ein Baumgarten,
stelluug dieses Gefässes So soll Waldgruud oder Weinberg über-
Wtfligis, der Erzbischof der Dom- tragen wurde, so pflegte man einen
kirche zu Mainz, zwei silberne Rauch- Laubzweig, eine Kebe zu brechen,
gefässe geschenkt haben, die einen , in die Scholle zu stecken oder allein
Lranich in natürlicher Grösse dar- j darzureichen, wobei sieh die Art
Sestellt haben. Der Rauch stieg aus j der Zweige nach dem Grundstück
em geöffneten Schnabel der Vogel, richtete; aus Gärten nahm man sie
Rech tssyui hole , d. h. bildliche , von Apfelbäumen, in Gebüsch und
Vollbringung eines Geschäftes im Wald von Haseln und Birken.
52'
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820
Rechtssymbole.
4. Stab dient a) als Zeichen der
Guterabtretung und zwar meist für
grössere Landschaften ; b i als Zeichen
der Landflüchtigkeit, Erniedrigung
und Knechtschaft für den, der ihn
in der Hand trägt. Die sich auf
Gnade und Ungnade ergeben haben,
tragen tceU.se Stäbe in rländen. In
Holland gehen dienstlose Mägde mit
weissen Stäben; c) als Zeichen
höchster Gewalt; König, Fürsten
und Richter tragen ihn in der Hand,
ebenso die Boten und Herolde des
Könige und Richters: von Bittenden,
Gelobenden und Schwörenden wurde
dieser Stab angerührt; d) als Symbol
des Todesurteils; denn über dem
Haupt des Verurteilten wurde der
Stab gebrochen und ihm vor die
Füsse geworfen ; es drückt aus, dass
der Missethäter nichts weiter zu
hoffen hat und auf sein Leben ver-
zichtet.
5. Hand und Finger, siehe den
besondern Artikel.
6. Hisse. Es scheint allgemein
Sitte der Vorzeit gewesen zu sein,
dass der Sieger den Fuss auf d<n
zu Boden gestreckten Feind setzte,
zum Zeichen vollendeterBezwiugung ;
wenn liegendes Gut angesprochen
wurde, musste der rechte Fuss auf-
gesetzt werden.
7. Mund. Bei Belehnungen ist
der küssende Mund Symbol, was
auch mit der Formel „mit Hand und
Mund belehnen 4 gesagt sein will.
Den Kuss gab der Lehnsherr dem
Vasallen.
8. Ohr. Noch im 18. Jahrhun-
dert herrschte in mehreren Gegen-
den Deutschlands die Sitte, bei
wichtigen Anlässen, als der Leguug
eines Grundsteins, Setzung eines
Grenzsteins, Fiudung eines Schatzes
u. dgl. Knaben zuzuziehen und sie un-
versehens in die Ohrlappen zupfetzen
oder ihnen Ohrfeigen zu stecken, da-
mit sie sich des Vorgangs während
ihres ganzen Lebens erinnern sollten ;
dabei empfingen sie kleine Geschenke.
Namentlich in Bayern war diese
Sitte seit den ältesten Zeiten üblich,
wo aber nicht bloss Kinder, sondern
die erwachsenen eigentlichen Zeugen
selbst an den Ohreu gezupft^
werden pflegten.
9. Ba rt u nd Haar waren Zektea
und Tracht des Standes würdiger
Freier; Abschneiden des Hau:'
haares, bei Erwachsenen des Bar«,
war Goten, Franken und Laii*~
barden Symbol der Annahme an
Kimle-sstatt. Ein Freier konnte äch
durch Übergabe seines abgeschnitten
nen Haars in die Knechtschaft eii «S
andern begeben. Etwas
war es. wenn jemand sich <U>
abschnitt und sie dem, dessen
stand er anflehte, zum Zeichen an
gender und unverstellter Not um
sendete. Schwörende Männer rühr
Bart und Haar an, schwö:
Frauen legten die Finger der
Hand auf ihre Haarflechten.
10 und 11. Hut vndllt\*«< ]
siehe die besondern Artikel.
1 2 . Sek uh. Im altnordischen Keci
kam das Symbol des Schuhs
der Adoption und Legitimation
Der Vater soll ein Mahl
einen dreijährigen Ochsen sehla
dessen rechtem Fusse die Hast
lösen und daraus einen Scinh mae
diesen Schuh zieht er dann
an, nach ihm der adoptierte
legitimierte Sohn, hieraut die
und Freunde; man heisst das
einem in den Schuh steigen- X:
altdeutscher Sitte wurde dei
auch bei dem Verlöbnis gebra
der Bräutigam bringt ihn der
sobald diese ihn an den Fuss
hat, wird sie als seiner Gewalt
worfen betrachtet. Nachher
es üblich, der Braut neue Sc
darzubringen. Mächtigere K
sandten geringeren ihre Schuh«
welche diese zum Zeichen der Cr
werfung trageu konnten.
13. Gürtel, und zwar d«je
der die innerste Bekleidung.
Hemde, über den Hüften xui
hält. Die symbolische
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Rechtssymbole. 821
desselben ist eine vierfache : a) land- grossen Banner der Reichsfürsten
räumige, auf Gnade und Ungnade vom Königsstuhl herabgeworfen und
sich unterwerfende Männer mussten den Kriegsknechten preisgegeben,
den Gürtel, wie die Schuhe, ablegen: Bei Märkten steckte man zum Zeichen
bi bei der Haussuchung mussten die der Marktfreiheit Fahnen auf.
Eintretenden im Hemd und entgärtet 17. Pfeil. Im Norden wurde,
gehen: c) Frauen, die auf die Erb- wenn der Feind ins Land brach,
Schaft ihres verstorbenen Mannes ver- eiu Raub oder Mord geschah, schnell
achteten, warfen ihn entweder gleich ein Pfeil herumgescnickt und allem
bei der Beerdigung auf sein Grab Volk entboten, sich zu versammeln
oder lösten hernach vor Richter und und dem Thäter nachzueilen : dies
Zeugen den Gürtel: vermutlich ge- war der Heerpfeil, herör. DeuLango-
nügte es bald, ihn bloss darzureichen; barden war der Pfeil Symb>l der
d) mit dem Gürtel geschah auch Freilassung.
die feierliche Verfiusserung eines 13. Hammer, siehe den besondern
einzelnen Gutes. Artikel.
14. Rockschoss, mhd. yere, d. i. 19. Speer bedeutet in der älteren
der gefältelte Teil des Leibgewandes, und gesetzlichen Sprache Mann und
Das Abnehmen und Hinwerfen des- Mannesstamm, im Gegensatz zu
selben war wieder Symbol der Auf- Spindel oder Kunkel: dalier die Aus-
lassung eines Gutes. Durch Greifen drücke ipermdge, girm&get swert-
an den Rockschoss überliefert der vwae = Verwandtschaft von seiten
Forderer den Geforderten, derGläu- des Mannes, und spimlelmfyp, .wifl-
biger den Schuldner rechtlich. Auch mnae, kunk ehiuiqe = Verwandtschaft
bei einigen Eidschwüren wurde ver- von seiten des Weibes. Gleich Stab
mutlich die Hand auf den Geren und Fahne war der Speer für
gelegt. Könige ein Symbol der l'ber-
15. Mantel ist ein Zeichen des gäbe von Reich und Land. Er
Schutzes, besonders der von Fürsten diente aber auch wie Hut und Pfeil
getragene. Mantelkinder heissen zur Ansage des Krieges. In Skau-
die adoptierten Kinder , weil sie dinavien wurde neben dem Heer-
unter den Mantel genommen wurden, pfeil in vielen Gegenden auch ein
Zu Frankfurt, wenn eine Frau ihren angebrannter Stock herumgesandt,
Mantel auf des Mannes Grab fallen der Kriegsgefahr wegen das Volk
Hess und nicht mehr als ein Kleid zusammenzuberufen.
behielt, war sie nicht schuldig, für 20. Schwert; auf den Griff des
dessen Schulden einzustehn. Schwertes mit in die Erde gesteckter
16. Fuhne-, mit der Aufrichtung Spitze wurde bei Schwüren undGe-
der Fahne wie des Hutes wurde lübden die Hand gelegt, in ältester
das Volk aufgeboten und versam- Zeit wohl auch durch blosses Aus-
melt. In der Schweiz rief die in ziehen des Schwertes geschworen,
einen Brunnen getauchte Fahne alle Die Freischöffen bei der r ahne legten
Mannschaft zu den Waffen ; man ihre Finger aufs breite Schwert und
tauchte die Fahne ins Wasser und schwuren. Die sich ergaben, gingen
schwur nicht zurückzukehren , es entweder ohne Schwert oder fassten
wäre denn der Feind geschlagen das Schwert an der Spitze, ihrem
oder die Fahne au der Luft ge- Sieger den Griff reichend. Durch
trocknet. Mit der Fahne geschah das Schwert geschah auch Uber-
die Belehuung, wobei der Vasall gäbe von Land; es war Symbol der
dieselbe dem Herrn darbrachte und Gerichtsbarkeit, besonders der pein-
dieser sie ihm hernach wiederbot, liehen über Leben und Tod. Die
Nach der Belehnung wurden die Friesen trugen der Braut bei der
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822 Rechtssymbole.
Brautfnhrung ein Schwert vor. zum verbunden vor, dass an dem Kreuz
Zeichen , dass der Mann Gewalt ein Handschuh hängt, c I Der Kläger
über ihr Leben habe. Übersendung oder Gerichtsbote steckt ein Kreuz
und Annahme des Schwertes be- an das Haus oder auf die Sache
zeichnet die zu vollziehende Hin- des verklagten und verurteilten
rieh tun iL'. Es war endlich Sitte. Schuldners.
wenn ein Mann bei einer Frau 2x Spttn. Gerichtliche Über-
schlief, die er nicht berühren wollte, gäbe eines Hauses wurde symbolisch
dass er ein Schwert zwischen sich dadurch bewerkstelligt, dass der
und sie legte: nach der Sage geschah Fronbote einen Snan aus dem Thür-
dies z. B. zwischen Sigurd und Brun- pfosten hieb und dem neuen Besitzer
hild; in deutschen Dichtungen zwi- einhÄndigte. Der Gantknecht zeigt
sehen Tristan und Isolde, zwischen einen Span vor, auch aus dem
VVolfdietrich und der Heidentochter, Galgen schnitt man ihn zum Wahr-
Orendel und Frau Breide und in zeichen.
vielen andern Sagen. 26. Thun-. Der Besitz eines
21. Me.**er bezeichnete wiederum Hauses wurde angetreten, indem der
die Übergabe von liegenden Gütern. Erwerbende in nie Thüre einging.
Wenn die Freischötfen einen ge- seinen rechten Fuss auf die Thür-
richtet und im Wald aufgehängt schwelle setzte oder mit der rechten
hatten, steckten sie ein Messer in Hand Thürpfosten oder Tbürriu«r
den Baum. Ähnlich stecken im oder Thürnagel fasste oder auc&
Märchen zwei scheidende Freunde bloss die Thüre auf- und zu tfcai
ein Messer in den Baum: auf wessen Auch Eide wurden mit auf die Thür
Seite es rostet, des Leben ist vorbei, gelegter Hand abgelegt: ein Schlag
22. S f indet ist Symbol der Frau mit der Hand an die Kirchenthüre
und Hausfrau, vgl. Xr. 19. Der war bei den Ripuariern feierlicher
Ehemann durfte die ehebrecherische Einspruch gegen den in der Kirche
Hausfrau mit der Kunkel und vier abzulegenden Eid. Über die Thür-
Pfennigen aus dem Hause weisen schwelle durfte man nicht den Leich-
und war ihr weiter nichts schuldig, nam eines Missethäters schleifen,
wenn sie ihm auch noch so viel man musste sie durch ein unter ihr
Gut zugebracht hatte. gegrabenes Loch ziehen.
23. Schee re bedeutet Abschneiden 27. Schlüssel sind das Svmbol
der Haare, also Verlust der Freiheit, iungfräul icher Gewalt; bei der feier-
Zur beschimpfenden Strafe wurde liehen Einsegnung erscheint die
Schee re und Besen getragen, ein Braut mit Schlüsseln geschmückt.
Zeichen verwirkten Haarschnitts die am Gürtel hingen; sie müssen
und Rutenschlags; an Geringen bei der Scheidung dem Manne zu-
wurde nämlich die Strafe selber rückgestellt werden.
vollstreckt, Vornehme kamen mit j 28. Ring. Der Bräutigam pflegte
dem blossen Symbol davon. der Braut zum Zeichen des ge-
24. Kreitz. Hier sind folgende schlossenen Eheverlöbnisses einen
symbolische Anwendungen zu unter- Ring an den Finger zu stocken,
scheiden : a) Das Zeichen des Kreuzes doch war diese Sitte aus den ro-
war bei den Grenzen in rechtlichem manischen Ländern , wo sie Fort-
Gebrauch , dergestalt dass in die setzung des römischen Heirat sringes
(»renzbäume Kreuze eingehauen und war, nach Deutschland gekommen-
Nägel eingeschlagen wurden. blEin Nach den Gedichten des 13. Jahr-
Kreuz bedeutet >Iai ktgerechtigkeit hunderts empfingen die Liebhaber
und Weichbildsfrieden, gleich dem Rinere von ihren Damen.
Handschuh: oft kommen beide so 29. Münze. Bei den sali sc hon
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Rechtssymbole. 823
und ripuariBchen Franken galt fol- auch der Besitz jedes andern Grand -
f;ende eigentümliche Weise der Frei- stücke» angetreten. Weigert sich
assung: der Herr warf, schlug <»der der Richter einer vorzunehmenden
stiess von der Hand seines Knechtes Belehnung oder Entsetzung, ho kann
eine kleine Münze herunter, wodurch wer ein Recht hat , sie zu fordern,
dieser in den Stand der Freien über- mit einem solchen Stuhl die feier-
ging. Grimm vermutet , dass der liehe Handlung selbst begehen, muss
Knec ht die Münze gleichkam zum aber die schuldige Geldabgabe darauf
Kaufpreis gab, den der Herr, sie zu legen; statt des Stuhles kommt etwa
Boden schnellend, verschmähte. auch ein dreibeiniger Tisch vor.
.'tu. Sfein. Kleine Steine, ver- Auch das Sprichwort: einem den
mutlich Kiesel, sind ein Zeichen der Stuhl vor die Thür setzen, d. h. einen
Ubergabe. bisher zu Sitz berechtigten aus dem
31. Faden; ein Zwirn- oder Seiden- Hause weisen, scheint einer früher
faden reichte hin, symbolisch zu vorgenommenen symbolischen Hand-
binden, sogar bei der Zulieferung lung sein Dasein zu verdanken,
schädlicher Menschen, Vagabunden. 36. Wasser; ein Trunk Wassers
Auch gebannte Grundstücke wurden war Zeichen der Entsagung; sonst
durch einen darum gezogenen Seiden- ist auffallend, dass ausser dem
faden gehegt, wie auch die Rosen- Netzen der Fahne in Brunnenwasser
garten der Sage mit seidenen Fäden (siehe Nr. 16 1 ein sonst so einfaches,
umgeben sind. In den dänischen naheliegendes Symbol keine weitern
Volksliedern binden die Helden, um Zeugnisse seiner Anwendung auf
sieh festzumachen, rote Seidenfäden deutschem Boden hinterlassen hat.
um ihre Helme. 37. Wein, Bier oder Met wurde
32. Seil; mit dem Glockenseil von altersher in Deutschland zur
werden Kirchengüter übergeben. Bekräftigung feierlicher Verträge
Ein Seil um den Hals tragen sowohl und Bündnisse getrunken, ja unter
Bolche, die sich auf Tod und Leben vielen Teilnehmern und Zeugen
ergaben, als an gewissen Orten die förmliches Gelag und Mahl gehalten.
Freibauern zum Zeichen geringerer Namentlich war dieses Sitte bei
Knechtschaft oder Hörigkeit. Friedensschlüssen, Aussöhnungen,
33. Waffen. Ein Land mit dem Erbschaftsteilungen und Hochzeiten;
Wagen befahren ist Zeichen der doch ist dieser Brauch kaum aus
Besitznahme; Heinrich der Weif einer symbolischen Bedeutung des
Hess sich der Sage nach von Ludwig Weines oder dgl. herzuleiten, da
dem Frommen so viel Landes ver- kein Gesetz den Weintrunk zur Ein-
leihen, als er, solange der König zu gehung irgend eines Rechtsgeschäftes
Mittag schliefe, mit einem goldnen fordert. Im Mittelalter scheint die
Pflug umackern oder mit einem allgemein und weitverbreitete sym-
goldnen Wagen umziehen könnte, höfische Auwendung des Weintrunks
34. Pflug; auch mit ihm wird zur Feier eingegangener Käufe,
neuerworbenes Land befahren, mhd. Htkouf, mnkouf, von mhd. lit
Siehe Nr. 33. = Obst- und Gewürzwein, geistiges
35 Stuhl und Tisch. Als Rechts- Getränke überhaupt, aufgekommen
symbol hat der Tisch immer drei zu sein.
Beine; der geringste Gutsbesitz wird 38. Blut; nach Nachrichten aus
durch den Kaum bezeichnet, worauf der ältesten heidnischen Zeit und
ein dreibeiniger Stuhl steht; ein nach Sagen wurden feierliche Eide,
Stück, das keinen Stuhl fasst, ist Gelübde und Bündnisse mit Blut
des Grundeigentums unfähig. Durch bekräftiget. Dieses geschah bei Ein-
einen dreibeinigen Stuhl wird aber gehung der Brüderschaft, wo beide
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824 Regalien. - Reichsdörfer.
Freunde ihr Blut in eine Grube zu- aus dem Geleitsrecht. Spater ist
sammenrinnen Hessen, dass es sich durch Kinrluss der Fürsten manche?
mit der Erde vermische. was früher Gemeingut war. 2. B. die
39. Feuer -, Zünduug und Nährung Salzgewinnung, als Regal erklärt
desselben auf einem Grundstück war worden.
Zeichen rechtlicher Besitznahme und RegeubogeuschUsselehei, oaei:
Inhabuug; dem Rechtlosen wurde der Meinung des Landvolkes da an-
das Wasser gestopft und das Feuer zutreffen, wo der Regenbogen auf
erlöscht, und uoch bis auf die neuere die Erde stosse. sind Münzen ke>
Zeit galt in einigenGegendenDeutsch- tischen Ursprungs, mit einer schüssel
lands die Sitte, bei Gutsübergaben förmigen Gestalt imd sehr roh*r
das alte Feuer zu löschen uud ein Arbeit, ohne Schrift, aber mit ver
neues anzuzünden. Angezündete schiedenen Stempeln versehen: ddi?
Feuer geben in der Schweiz und in einem Vogelkopt oder einer drt;
Friesland in Kriegsnot und Landes- teiligen Figur, einem offenen Kiiu
aufruhr ein Zeichen zurVersammlung. mit verschiedenen ku#elformijr»ii
40. S^v>/i//'wcä<» werden &i» Stangen Gebilden. Man hat solch»* zum t^u
auf Wiesen und Felder gesteckt, in sehr grosser Anzahl im süd»cv
um sie zu hegen, daher herieirinch, liehen Deutschland gefunden, bes-m
od«*r den Weg zu sperren; sie be- ders zwischen Bodeusee, Inn und
zeichnen auch etwas feiles, z. B. ein Donau, zwischen Donau und Main,
gerichtlich zu verkaufendes Grund- sowie in Böhmen, Rheinbavern and
stück. Endlich bezeichnet die um- Rheinhessen. Als Periode ihrer
gedrehte, umgekehrte und ange- Prägung wird da* erste nud iw«nt«
brannte Schaube die Besitznahme, Jahrhundert vor Chr. angenommen,
was wahrscheinlich der symbolischen als keltische Völker noch in dirsen
Kraft des Feuers gilt. Grimm, Rechts- Gegenden wohnten, und das vol
altertümer, S. 109 — 207. ihnen im Lande gewonnen? G<^i
Regalien. Das Wort renalia in auf diese Weise ausmünzten: de«
der Bedeutung von dem Könige zu- man weiss, dass früher in den be-
stehenden Hoheitsrechten findet man mischen Flüssen und Bachen na»!
nicht vor dem 12. Jahrhundert: was in den norischen Alpen viel toW
damit zusammenhängt, dass im gewonnen wurde, biehe S*f**+*
früheren Mittelalter Einkünfte des Beiträge zur Geschichte des GeW-
Reiches und des Königs nicht ge- und Müuzwesens in Deutschland. »
trennt, sondern als ein und dasselbe den Forschungen zur deutsch*1»
gedacht wurden. So gehörten von Geschichte I, 244 ff.
alter Zeit Zölle und Weggelder, das Regenschirin. Erwähnt rai
Münzrecht, das Recht auf Gewinnung der Regenschinn zuerst im 11. Jahr
der Metalle dem Reiche, und erst hundert, wo er durch die Xoroi&ö'
als im Verlaufe des Mittelalters der nen in England eingeführt wwJ
MiueUtÄ,
nc*zetf u»
ahrhtrn^
Kaiser diese Rechte und Befugnisse Doch war er im
einzelnen Fürsten und Herren zu ja noch in der
Lehen übertrug, nahmen sie den allgemeiu. Im lti. J
Charakter von Hoheitsrechten an spannten namentlich Krauen wtm
und wurden als solche weiter aus- besseren Schutze des Kopte» üra
§ebildet. Es gehörten dazu Zölle. Mantelkapuzeu mit Fischbein
ibgaben von Innungen, Standgelder Draht über denselben aus.
von den Jahrmärkten, Münzreeht, Reichsapfel, siehe
Forst- und Jagdrecht. Fischerei, siqnien.
Fähr- und Mühlengerechtigkeit.Berg- Reiehsdürfcr, heis&en gr-mi**
werke. Judenschutzgelder. Einkünfte Dörfer, Flecken und freien Uaki>
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Reichskammergericht. — Reichsveraammlung, Reichstag. 825
meinden. die teils Überreste ehe-
maliger Reichsgüter, teils Güter ehe-
maliger Dynasten waren . welche
nicht wieder zu Lehen gegeben
worden waren. Sie standen nur
unter dem Kaiser und regierten
sich sonst selbst. Man hat ihrer an
120 nachgewiesen, die meist von
den Königen wieder verpfändet, ver-
kauft, zu Lehen gegeoen wurden
u. dgl. Zuletzt, als man sie 1803
mediatisierte, waren bloss noch fünf
übrig.
Keichskamnienreileht , siehe
Äff m merqerich te.
Iteichskleinodien, siehe Kra-
nit •
Keichsstiidte, siehe Stadtetresen.
Relehsversamniluiig, Reichs-
tag. Schon unter den Karolingeru
galt es als Pflicht der geistlichen
und weltlichen Würdenträger, sich
an den hohen Festen des Jahres.
Ostern. Pfingsten. Weihnachten und
Mariä Geburt, am Hoflager einzu-
finden, die kirchliche Feier mit ihm
zu begehen und dann in geistlichen
und andern Angelegenheiten mit
ihm thätig zu sein. Es ergingen
förmliche Einladungen dazu, so aas*
di«'se Versammlungen seit den fran-
kischen Kaisern den Charakter von
Hof- und Reichstagen annahmen.
Der Name ist curia, concilium, con*
Pen (ut 1 placitum. am häufigsten aber
CoftoquiuMi mhd. spräche, ähnlich
dem in England gebräuchlich ge-
wordenen Wort Parlament. Neben
diesen regelmässigen Hoftagen gab
es auch andere, zu denen der König
die Grossen des Reiches überhaupt
oder diejenigen einzelner Provinzen
berief. Es wurde mehr als Pflicht,
denn als »'in Recht betrachtet, die
Hof- und Reichstage zu besuchen.
Die Grossen kamen oft in zahlreicher
Begleitung, so dass mau gezwungen
war, sich unter freiem Himmel zu
lagern und zu tagen. Jeder hatte
dabe i zunächst für seinen Unterhalt
selbst zu sorgen, daher bei längerem
Aufenthalt bedeutende Kosten auf-
laufen konnten. Da der Zug auf
den Reichstag als Reichsdieust galt,
erschien es als ein Recht der Fürsten,
sich dafür von ihren Untergebenen
eine Beisteuer zahlen zu lassen. Die
Geschäfte des Reichstages konuten
sehr verschieden sein. Beratung
über kirchliche wie über weltliche,
äussere und innere Angelegenheiten,
Bestimmungen über das Recht.
Schenkungen, Verlobungen, Ver-
leihung der höhern Würden in
Staat und Kirche, Privilegien und
Gnadenbezeugungen. Im 15. Jahr-
hundert führte die hervorragende
Stellung der Kurfürsten dazu, dass
dieselben nach Vorlegung der kaiser-
lichen Pronosition zu einer abge-
sonderten Beratung und Besch luss-
nahme darüber zusammentraten, ein
Vorgang, dem zuerst die übrigen
Fürsten und Herreu, dann die Reichs-
städte folgten, so dass der Reichs-
tag nunmehr in drei Kollegien zer-
fiel, in dasjenige der Kurfürsten,
in den Reichsfürstenrat und in das
Kollegium der Reichsstädte, welch
letzere Wilhelm von Holland 1225
zuerst zum Reichstage zugelassen
hatte. Eine gemeinsame Versamm-
lung der drei Kollegien fand nur
bei besonderen Festlichkeiten statt.
Der Gang der Verhandlungen war
folgender: die kaiserlichen Präpo-
sitionen , welche an den Reichstag
gelangten, wurden gleichzeitig an
das Kurfürstenkollegium und au
den Fürstenrat zur Beratung abge-
Seben; stimmten die Beschlüsse
ieser beiden. Relation und Cor-
relation genannt, überein, so kam die
Sache an das Kollegium der Städte ;
sonst war sie schon verworfen.
Traten die Städte bei, so hiess der
Beschluss Reichstjutachten ; wenn er
vom Kaiser die Sanktion erhalten
hatte, hiess er Reichssehl uss. In
den Kollegien selbst entschied Stim-
menmehrheit. Die Reichsschlüsse
wurden erst am Schlüsse eines Reichs-
tages zusammen verkündet, und der
Name dafür war Reichsahschied .
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82ü
Reif rocke. — Reim.
Seit Friedrich III. nahm der Reich»- sodass sie nur am Halse den Leib
tag den Charakter eines Gesandten- berührten: im Winter wurden sie
kongresses an, indem die meisten um die Hüfte gegürtet. Ihre grösste
Fürsten nicht mehr in Person er- Bedeutung und Verbreitung hatten
schienen; der Kaiser Hess sich da- sie um 1730, während sie schon zur
bei durch einen aus dem Fürsten- Zeit Ludwigs XV. am Hofe aofge-
stande genommenen Prinzipalkom- geben und erst wieder durch Maria
missär vertreten. Das Präsidium Antmnette in Schwung kamen, dies-
auf dem Reichstage führte Mainz mal platt von vorn nach hinten, an
als Reichs-Erzkanzler. Im Fürsten- den Hüften aber breit. Sie ver-
rate präsidierten abwechselnd Üster- schwanden aber bald wieder, um
reich und Salzburg. Ursprünglich nach einer kurzen Pause der „c?iU
wurden die Stimmen nach Köpfen de Parur* Platz zu machen, die aber
geführt: später hafteten sie auf den ebenfalls nur kurze Zeit sieh halten
Ländern, und zwar war als Normal- konnte. Mit dem Becinne der
jähr für die Stimmgebung im zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts
Reichstage das Jahr 1582 ange- kam der Reifrock als ..Krinoline~
nommen. Die Grafen und Herren wieder auf, freilich auch diesmal
hatten nur Gesamtstimmen, d. h. nur auf kurze Dauer. Der „gute Ge-
Curiatstimmen, und zwar hatten schmaek" wird ihn aber ohne Zweifel
die Grafen anfänglich zwei Curien, wieder auf die Weltbühne ruf»-n.
die wetterauisrhe und die schwäbische Reim. Derselbe ist im 9. Jahr-
Grafenbank, später kam eine fränki- hundert aus der lateinischen Reim-
sche und eine westfälische Grafen- poesie der Kirche, wo er seit «lern
bank hinzu. Die Prälaten zerfielen 'S. Jahrhundert gefunden wird, in
bei ihren zwei Kuriatstimmen in die die deutsche Dichtung gedrungen,
rheinische und schwäbische Prälaten- aus der er schnell die ältere Allitte-
bank. Die Reichsstädte teilten sich ratiou verdrängte; namentlich war
seit 1174 in die rheinische und in es Otfrieds Einfluss, der hier wirk-
die schwäbische Städtebank. Waifz, sam war. Mit der Aufnahme des
Verfaas.-Geschiehte. — Wacker, der Reims in engster Beziehung stehr
Reichstag unter den Hohenstaufen ebenfalls aus der christlich- lateini-
Leipzig 1882. Waltet', Reehtsgesch. sehen Dichtung her die Aufnahme
KeifrUcke trugen die Spanierinnen der Strophe, die ihrerseits wieder
zuerst und zwar im 16. Jahrhundert; mit der Entwicklung des Gesänge
unter «lern Namen rertitgalle* oder in dieser Periode zusammenhing:
vertugadins, „Tugendwardeinen." Das Wort Beim. mhd. rim, bar
Von da aus fanden sie in Frank- ahd. als rim und hrim die Bedeu-
reich Eingang, welches sie in kurzer tung von Zahl, Vielheit» eine Be-
Zeit auch in den übrigen europä- deutung, welche erst im Mittelhoch-
isehen Staaten zur Modesache machte, deutschen in die des durch Gleich-
wie lächerlich und unbequem sie laut mit einem andern gebundenen
auch erscheinen mussten. Neben Versgliedes übergegangen ist. Alk
den eisernen Reifen, ,, Springer*', althochdeutschen Gedichte mit End-
kamen Drahtgeflechte und Feigen- reimen, die vor dem 11. Jahrhundert
körbe zur Verwendung und Hessen entstanden sind, bestehen aus Stro-
die Röcke in faltenloser Glocken- phen, die älteren derselben, in denen
form erscheinen. Vorn waren diese auch Otfricd seine Lieder schrieb,
bald offen, damit das Unterkleid aus vier Zeilen; daneben finden
durchscheine, bald geschlossen; bald sich in den ältesten Reimgedichten
sind sie langer, bald kürzer. Im dreizeilige Strophen; Strophen von
Sommer trug man sie ohne Gürtel, mehr als vier Versen finden sieb
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Reim.
827
vorläufig bloss in Gedichten gemisch- Blütezeit der höfischen Kunst hat
ter Strophenarten, den sog. Leichen, die Reinheit des Reimes zu einer
Im 11. Jahrhundert tritt eine all- fast fehlerlosen, bis heute nie mehr
seitige Verwilderung der Reim- und erreichten Vollendung gebracht;
Verskunst ein. teils infolge der in ■ namentlich zeichnet sich Hartmann
dieser Zeit eintretenden Verdiinnung von Aue in dieser Beziehung au*,
und Abschleifung der Endsilben, i Der Zerfall der hofischen Kunst
teils infolge davon, dass jetzt Ge- seit der Mitte des 13. Jahrhunderts
dichte aufkommen, die bioss zum galt auch der Kunst des Reimes;
Lesen bestimmt waren, denen daher derselbe wurde wieder unrein, so-
<las strengere musikalische Band wohl infolge mangelnder Kunstbil-
abging. Die zum Lesen bestimm- dung, als des Eindringens Limi-
ten Gedichte bedienten sich des aus schaftlicher Formen in die Schrift-
dern allitterierenden Langverse her- spräche; er wurde aber auch ge-
vorgegangenen Reimpaares, das an- künstelt und unnatürlich, und na-
fangs, zum Teil auch in Anlehnung mentlich kamen jetzt Strophenunge-
an lateinische Vorbilder, sehr un- ! tümc auf, welche das Mass des
geregelt war und daher den Namen Schönen weit überschritten. Dasalte
Meimprota erhalten hat. Künstlich ! Reimpaar, jetzt seiner zerknitterten
verschlungene Reimgebäude sind Verse wegen Knittelvers genannt,
zuerst in der Lyrik aufgekommen ; blieb nicht bloss für die erzählende
anfangs bestanden diese Strophen und die Spruchpoesie der tvpische
bloss aus zwei, drei oder mehr mit Vers, es wurde auch für die neu
einander verbundenen Reimpaaren, aufkommende dramatische Dichtung
aus den gewöhnliehen kurzen Verden die übliche poetische Form. Was
der erzählenden Gattung; später strophische Dichtung betrifft, so er-
verband man Langverse ebenfalls | hielten sich in den Singschulen der
paarweis, und zwar wenigstens ihrer Meistersänger wohl einige alte von
vier, zu einem strophischen Reim- den Meistersängern überkommene
gebiiude, deren merkwürdigstes die Töne; dazu aber wurden stets neue,
Strophe Kürenljerf/ers oder die Sihe- meist recht abenteuerliche Töne er-
lumgenHrophe ist. Alt ist auch die funden, oft höchst verwickelt und
Erweiterung der aus zwei kurzen Geschmacklos, manchmal über 100
Reimpaaren bestehenden Strophe Verse lang, denen auch das beibe-
durch Einschiebung einer reimlosen haltene Gesetz der Dreiteiligkeit nicht
Zeile zwischen das zweite Paar, nach mehr zur anschaulichen Gliederung
dem Schema a a b x b. Mit dem zu verhelfen vermochte. Daneben
Fortschritte der lyrischen Kunst herrschen im Volksliede ältere und
wächst dann schnell die Kunst, , einfachere Strophenformen, von vier,
Strophen zu bauen. Im ganzen fünf oder sechs Verszeilen, welche
waltet bei den mittelhochdeutschen von der einfachen Volksweise ge-
Strophen das Gesetz der Dreiteilig- tragen sind. Der seit Jahrhunderten
keit, siehe den Art. Lied; alles dies dauernden Reimverwilderung macht
bedingt durch den Charakter der endlich (hntz ein Ende; doen ist es
Musik dieses Zeitalters. In bezug weniger der Reim, als vielmehr die
auf die Reinheit der Reime gelingt Versmessung, welche die Grundlage
es anfangs bloss, den Reimklang von Opitzens Reform ist und welche
annähernd zu treffen, so dass dieser dann auch den Reim zwingt, sich
oft mehr einer Assonanz als einem in rhythmischer Beziehung strenge-
wirklichen Reime gleicht, in welchem ren Gesetzen zu unterwerfen. Die
Vokal und Schlüsskonsonauz sich auf dem Ton der Vokale und Kon-
zil decken bestimmt sind; erst die sonanten beruhende Vollkommenheit
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82*
Reimchroniken. — Reliquien.
des Reimes war innerhalb der hoch- dienten, Handel trieben. Schon zu
deutsehen Sprache kaum mehr her- 1 Karl des Grossen Zeit kamen sehr
zustellen, da die Aussprache der ; abenteuerliche Reliquien auf; wäli-
einzelnen Laute jetzt ungleich mehr rend der Kreuzzüge mehrten sie sieh
landschaftlichen Nüanzieningen un- noch mehr; es Kamen z. B. vom
terlag als dies in der Suraehe der j Leibe Christi ein Zahn, Haare, Stücke
höfischen Dichter der Fall gewesen vom Nabel zum Vorschein; Einwen-
war; daher pflegte die deutsche düngen frommer Männer, aueh
Poetik bis Schiller der lautlichen Gottesurteile, die zur Unterscheidung
Reinheit des Reimes mir ein mässi- echter und unechter Reliquien
ges Interesse zuzuwenden. Die Auf- geordnet wurden, fruchteten nichts,
nähme romanischer Vers- und Stro- Der Dom zu Halle a. S. besaas
phengattungen durch < >pitz und seine vor der Reformation 8 133 Partikeln.
Nachfolger konnte, was den Reim darunter in einem Sarge 1243. und
betrifft, keinerlei Schwierigkeiten 42 gange Körner, in mehr als 200
begegnen; die höfische Kunst hatte Behaltnissen, deren Vorzeigung jähr-
längst viel grössere überwunden. lieh am Sonntag nach Maria Geburt
Reimchroniken, siehe Geschieht- stattfand. Die Vorzeigung geschah
Schreibung. in einzelnen Abteilungen, entweder
Reliquieuder Heiligen als Gegen- vor einem Altare in der Kirche,
stände gläubiger Verehrung sind oder von Altauen oder Galerien,
zur Zeit der Christen Verfolgungen der sog. Heiligtumsstühlen, herab an
ersten Jahrhunderte aufgekommen, das im Freien versammelte Volk
anfangs unter teilweisem Wider- Auf Reliquien, mhd. heütvom oder
Spruch einzelner Kirchenlehrer; doch htilectuom, wurden im Mittelalter
sprachen sich gerade die angesehen- Eide geschworen,
sten Väter der Kirche, wie Chry- Von nachhaltiger Bedeutung
sostomus, Hieronymus. Ambrosius wurde die Reliquienverehrun*: für
und Augustinus, zu gunsteu der Re- die bildende Kunst und das Kunst-
liquienverehrun^ aus. Ohne Zweifel liandwerk, welche eine unzählige
ahmte man damit zum teil den Kultus Menge von Reliquienbebälteru u
nach, den die Heiden mit den Grä- Gold, Silber, Elfeubeiu, Edelsteinen,
bern ihrer Heroen zu treiben pflegten. Kristall, feinen Holzarten u. dgl
Wie diese auf solchen Gräbern Tem- schufen. Die älteste Stelle der &
pel bauten, so die Christen über den liquie war eine verschlossene Ver-
Gräbern der Apostel und Märtyrer: tiefung unter der Altarplatte. #*»/»■•'•
waren keine Gräber vorhanden, so ckrum, zur Aufnahme eines bleierner
erwarb man Reliquien, wobei na- Kästchens mit der Weihungsjurkund?
mentlich die römischen Katakomben und der Reliquie bestimmt; die*?
unerschöpflichen Vorrat boten. Die durften bei keinem Altare fehlen.
Wallfahrten nach dem gelobten da jeder Altar, im Anschlüsse ao
Lande brachten neueReliquienschätze die altchristliche Abendmahlsfeier
in Umlauf. Reliquien Christi und der über den Gräbern der Märtvrer,
Apostel und neu daran sich knüpfende das Grab eines Heiligen vorstellt.
\\ uuder. Es waren aber nicht bloss Im Verlaufe der Zeit
die Körper der Heiligen, einzelne zahlreiche besondere Formen voc
Teile derselben oder Teilchen, Par- Reliquienbehältern, die Otte, kireb-
tikeln, sondern auch Dinge, die mit liehe Kunst-Archäologie, § 38, au:
den Heiligen in Berührung gestanden folgende Klassen zurückfuhrt,
hatten. Schon Augustin Klagt, dass t. Reliquienbehälter in der Fora
müssige Mönche mit den Reliquien, eines viereckigen Kattens, S-^tr^
welche auch als Schutz- und Heilmittel Kästchen, Pulte, Bücher, Sc/iachtc!»
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Reliquien.
829
Behältnisse für einen oder für einige des Schädels der Heiligen im Kopfe
ganze Körper heissen Kasten, capsa, der Büste, darunter aas Brustbild
mhd. chafsa, kafs, Jeans, chefsa und Karls d. Gr. im Aachener Dom;
ähnlich; cista, Kiste, Lade, Schrein, Arme, die Röhrknochen des Heiligen-
Sarg. Nach Art antiker Sarge haben Armes enthaltend; auch diese i orm
sie einen dachartigen Oberteil , also kommt in Aachen für den Arm
die Form eines Hauses oder einer Karls d. Gr. vor; Finger; Küsse {
Kirche, selbst mit Seiten- oder \ einzelne grössere Gebeine, Rippen.
Querschiffen, analog dem jedesmali- Wirbelknochen u. dgl. , in Metall
gen Baustile. Der Kasten besteht gefasst: Bilder, Statuetten der Heili-
aus Holz , mit vergoldetem Metall- gen zur Aufnahme der Reliquien,
blech, Silber oder Kupfer überklei- 1 aus Metall getrieben oder hohl ge-
det, das mit getriebenen Reliefs aus 1 gössen, auch aus Holz geschnitzt,
der biblischen oder heiligen Ge- j 5. Behältnisse, welche durch ihre
schichte reich verziert erscheint; I Form auf die in denselben enthal-
derart ist der Kasten mit den Ge- tenen Reliquien oder auf die Le-
beinen Karls des Grossen im Münster , gende der Heiligen deuten. Derart
zu Aachen und der Kasten der heil, sind Kreuze oder Kruzifixe als Be-
drei Könige im Kölner Dom. Der hältnisse von Partikeln des wahren
Gebrauch, solche Särge auf Bahren Kreuzes, in unzähligen Formen und
in den Prozessionen herumzutragen, ; Grössen erhalten. Seitdem die Kai-
gab Veranlassung, solche Schreine serin Helena Partikeln des heil,
anzufertigen, welche, auf den Schul- Kreuzes genommen hatte, vermehrten
tern von Klerikerfiguren ruhend, sich diese dergestalt, dass schon 30
von diesen scheinbar getragen wer- Jahre nachher Cyrillus bezeugte,
den. Zur Aufnahme von Partikeln die ganze Welt sei mit Partikeln
dienten Kästchen oder Sargchen ähn- des Kreuzholzes erfüllt. Zu den
lieber Gestalt, deren noch' sehr viele Behältnissen , welche in Form der
vorhanden sind, zum Teil aus Elfen- Attribute oder Symbole der betreffen-
bein oder aus Holz, welches mit den Heiligen verfertigt sind, gehören
Elfenbeinplatten überzogen ist. An- ein silbervergoldeter züngelnder
dere Behälter haben die Form eines Drache, als Attribut der heil. Mar-
Setzvulles, wie sie auf Altären zum garethe, eine Kahne, mit Perlen
Auflegen des Messbuches gebräuch- durchstickt , für St. Moritz und St.
lieh waren. Gregor, eine thönerne Lampe der
2. Cylindrische Behältnisse hat- heil. Elisabeth, ein geflügelter Lowe
ten die besondere Gestalt einer des Evangelisten Markus, ein sil-
Büchse , eines Turmes oder eines berner Phönix auf dem Scheiterhau-
Tahernakels , Gefässe , die ebenfalls fen, als Symbol der Unsterblichkeit,
zur Aufbewahrung der Eucharistie mit 16 Partikeln der heil. Jungfrauen,
dienten. Das Tabernakel war ein ein Schiff der heil. Ursula, ein Schwert
aus einem Walde von Strebepfeilern als Marterwerkzeug vieler Heiligen,
komponiertes, vielfach durchbreche- eine silberne Wiege mit Heiligtum
nes Keliquiarium , in dessen Sockel von den unschuldigen Kindlein,
die Reliquie aufbewahrt wurde. 6. Reliquientafeln, tafatlae, seien
3. Tatchen, im Orient am Gürtel es mit Flachmalereien oder Reliefs ge-
getragen und durch Pilger und Kreuz- schmückte Tafelbilder oder grössere
f ahrer im Abendlande verbreitet i und kleinere Flügelschreine. Dahin
4. Behältnisse für bestimmte zählen auch die sog. Kusatäfelchen
Körperteile in Form der letzteren, oder Pacems, welche, seitdem der
meist aus vergoldetem Silber. Dahin eigentliche Friedenskuss nicht mehr
gehören Brustbilder zur Aufnahme üblich war, den Gläubigen, besonders
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830
Renaissanee-Stil-
den Geistlichen, vor der Kommunion einzuführen- Diese Renaissance ging
wahrend des Agnus Dei zum Küssen von einem sorgfältigen Studium der
dargereicht wurden und gewöhnlich antiken Überreste aus, welche das
Reliquien enthielten. Sie bestehen alte Rom hinterlassen hatte,
aus Elfenbein oder Marmor, sind vier- I. Jnfänae der Senator nee bei
eckig oder gewö Ibt. mit Reliefs aus Matern unct Bildhauern. Während
der heil. Geschichte. dies«« Umgestaltung sich im Süden
7. Monstranzen ; hier findet sich vollzog . brach der Norden nicht
das sichtbare Heiligtum in einem minder entschieden, wenn auch in
senkrecht gestellten Kristall-Cylin- anderer Weise mit den Traditionen
der, der von einem gotischen Kelch- des Mittelalters. Hier war es die
fusse getragen wird und oben mit Natur, aus der die Kunst sich
einem Tabernakel in den mannig- verjüngen sollte. Dieser Zug nach
faltigen Formen der gotischen Archi- grösserer Naturwahrheit, welche der
tektur gekrönt ist. Solche Gefässe traumhafte Idealismus des Mittel-
sind erst seit dem 14. Jahrhundert alters nicht gekannt hatte, zeigt sieb
in Gebrauch. zuerst in der Malerei. Hubert und
8. Allerlei Gefässe. Geräte und Jan van Kyck sind die ersten Bahn
Geschirre aus Stein, Glas und Metall, brecher einer neuen Epoche, aber
die sonst im kirchlichen und haus- bald verbreitet sich der Einfl uss der
liehen Gebrauche zur Aufnahme von ihnen gegründeten flandrisches
von Flüssigkeiten dienen, wie Scha- Schule über alle Gebiete Deutsch-
len, Berken, Glaser, Becher, Kel- lands. Dadurch entstand ein schar-
rt, Kannen, und die zum Zwecke fer Konstrast mit der herrschen-
der Reliquien-Aufbewahrung mit den Architektur, welche völlig in
Deckeln versehen wurden. Auch den Dienst eines handwerklichen
Blashömer sind zu diesem Gebrauche Schematismus geraten war, und
verwendet worden. ; in dem in der Routine ergrauten
9. Kleinodien der verschiedensten Handwerk eine Stütze fand, welch*
Art; mit ihnen wurden in den Re- den gotischen Stil bis ins IT. Jahr-
liqiüenschätzen der Dome oft Kurt- hundert hinein neben der von Italien
ota und Raritäten aufbewahrt, die einbrechenden Renaissance., auf-
nach Umständen auch als Reliquien- recht erhielt.
behälter, oder aber sonst als Schau- , Unter den Kunstwerken der
gegenstände oder als Erinnerung Übergangsepoche ist vielleicht keine*
an eine Pilgerfahrt dienten. Dazu welches den Übergang so vielseitig
gehören seit dem 9. Jahrhundert veranschaulicht, wie die Chronik von
ötrausseneier, Kokosnüsse, Smaragd- Hartmann Schedel (1493 1 mit ihren
Gefässe, Greifenklauen , d. h. meist von Michael Wolgemuth und J^et
mit Tierfüssen versehene Hörner, denmtfff entworfenen Holzschnitten
rorsündjlu fliehe Knochen , Walfisch- Während sich einerseits darin di«
rippen, Schildkrolenschafen, Meteor- mittelalterlieheAnschauung mit ihrer
steine, Alraunwurzeln. Gleichgültigkeit gegeu das ReaJe-
Renalssance-Stll. Schon um ihrem Hange zu phantastischer W ill-
das Jahr 1420 griffen die italienischen kür in vielen Städtebildern zeigt
Architekten, die den gotischen Stil iNinive, Damaskus, Babylon, Athen
nur äusserlich aufgenommen und sehen aus wie mittelalterliche Städte
selbst innerhalb seiner Tradition und Ninive genau so wie Korinth
sich bald dem Rundbogen wieder Damaskus wie Neapel, Perugia,
zugewendet hatten, mit ßewusstsein Verona, Siena, Mantua, Ferrara). so
zu den antiken Formen zurück, um bemerkt man doch in andern einen
eine „Wiedergeburt44 der Baukunst gewissen Sinn für Wirklichkeit, wi*
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Renaissance-Stii.
831
in den Bildern von Nürnberg, Würz- von Detail* dieser Art wahrhaft
bürg, Venedig, Florenz u. s. w., überströmen. Aldegrever, Altdorfer,
namentlich aber die Neigung, die Peucz, SchäutFelin, Hans Sebald Be-
dargestellten Gebäude in Kenais- ham sind die Vertreter dieser Epoche,
sanceformen zu kleiden. Gleichzeitig mit der Malerei
Mit dem Begiun des 16. Jahr- wendet sich auch die Plastik dem
hunderts tritt eine neue Generation neuen Stile zu, und gerade an einem
von Künstlern auf den Schauplatz, der grössten Meister läsat sich der
welche ihre Anregungen direkt aus Umschwung der Anschauungen
Italien holt und der Renaissance den deutlich nachweisen. Es ist Peter
Eingang in die deutsche Kunst bahnt. Vucher von Nürnberg mit seinem
Der Vorrang gebührt hier der Augs- Hauptwerk , dem Sebaldusgrab in
burger Schule, wo Hans Burgkmai r St. Sebald , welches so vollständig
einer der ersten ist , welcher die wie kein anderes die Verschmelzung
Kunst des Südens nach Norden zu des neuen Stils mit der Gotik zeigt,
verpflanzen sucht. Ihm schliesst Während die Erzarbeit durch diese*
sich die Familie Holbein an, vorerst Meisterwerk rasch und entschieden
mit Hans Holbein dem ältern, na- dem neuen Stile zugeführt wird,
mentlich aber mit Holbein dem verharrt die Steinskulptur und mehr
jüngern. der vollständig mit dem noch die volkstümliche Holzschnitze-
Mittelalter bricht und sich dem rei bis tief ins 16. Jahrhundert bei
neuen Stile mit Entschiedenheit zu- den Formen der Gotik. Die Haupt-
weudet, nicht nur in zahlreichen meister dieser Kunstzweige, Jorg
Gemälden seiner Hand, sondern Syrlin von Ulm, Veit Stoss und
auch in den bekannten Faeade- Adain Krafft bleiben unentwegt auf
maiereien, aber auch in Entwürfen den Bahnen des Mittelalters, wenn
zu Glasgemälden und Gegenständen sich auch in ihren Werken ein or-
des Kunstgewerbes. Ganz anders freuliches Ringen nach Naturwahr-
gestaltet sich das Verhältnis zur heit deutlich zeigt. <Jeringen Ver-
italienischen Renaissance bei dem such in Anwendung der Reuaissance-
Hauptvertreter der fränkischen formen macht Tilmau Riemenschnei-
Schule: Albrecht Durer. Erstrebt der von Würzburg. Am entschieden-
weniger als Holbein, sich die Formen- sten dringt der neue Stil an Grah-
welt der italienischen Renaissance mälern vor, die in zwei Formen auf-
zu eigen zu machen. Die Haupt- treten, entweder als Wandgrab, von
sache ist bei ihm getreue Nach- einer reichen und kräftigen Archi-
ahmung der Natur. Dass er aber, tektur eingerahmt, mit stehenden
wo es ihm darauf ankam, die an- Gestalten der Verstorbenen, oder
tiken Formen zu beherrschen wusste, als Freigrab, welches den Toten
erkennen wir aus seiner herrlichen auf prachtvoll geschmücktem Sarko-
Handzeichnung des Basler Museums phage liegend darstellt,
von 1509, welche die Madonna mit Die Chöre der Kirchen zu Wert-
dem Kinde, sitzend in einer pracht- heim, Pforzheim, Tübingen, Stutt-
vollen Halle mit korinthischen Säulen, gart, Freiberg bergen eine Menge
darstellt. derselben. Namentlich das pracht-
Inz wischen wird die Strömung volle Monument des Kurfürsten
der Renaissance mächtiger und Moritz von Sachsen in Freiberg ge-
die Lust am reizenden Spiel hört zu den bedeutendsten Leistungen
ihrer Formenwelt verbreitet sich I der Renaissance. Bereits ganz seib-
unter den deutschen Künstlern bald ständig tritt die Plastik an dem
so allgemein, dass die Gemälde, Kup- Grabmonument des Kaisers Max zu
ferstiche und Holzschnitte etwa seit Innsbruck auf.
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832
Renaissance-Styl.
2. Renaissance in der Architektur, urnfasst die frühesten Versuche, die
Während so in den bildenden Kün- neue Bauweise auf deutsehen Boden
sten die Renaissance bereits festen zu übertragen. Hierher gehören die
Fuss gefasst hatte, war das Mittel- Denkmäler, die zwischen 1520 und
alter in der Architektur zu Anfang des 1 550 entstanden sind. Der Charakter
16. Jahrhunderts noch keineswegs derselben fusst auf einer naiven An-
abgethan. Namentlich beim Kirchen- eignung der Frührenaissance Ober-
bau begnügte man sich noch lange italiens. namentlich Venedigs. Das
mit gotischen Konstruktionen und Dekorative waltet vor und zwar in
Formen, und selbst im 17. Jahrhun- dem leichten zierlichen Gepräge
dert lassen sich gotische Einzel- eines überwiegend vegetativen ur-
heiten, namentlich Portale nach- naments von ßlumenranken, durch-
weisen. webt mit Masken und anderem Figur-
Mit Macht beginnt etwa seit der liehen, dessen Ausführung indessen
Mitte des Jahrhunderts die Renais- den deutsehen Steinmetzen selten
sance sich aller Orte in Deutsch- recht gelingen will. Die selbe tan-
land auch in der Architektur aus- digen Glieder der Architektur, na-
zubreiten. Seit dem Augsburger mentlieh die Säulen mit ihrem Zu-
Religionsfrieden 1 1 555 ) begann das behör, werden ohne genaueres Ver-
Reieh sich »von den Religionskämpfen ständnis, unsicher und seh wankend
zu beruhigen, welche Ruhe erst gehandhabt. Daneben spielt da«
durch den Ausbruch des 30 jährigen Gotische in Gliederungen und Detail*.
Krieges ihr Ende finden sollte. In in Thür- und Fenstergewänden,
diesen 60 Jahren fast ununterbroche- Treppen und dergl. immer noch eine
neu Friedens, wo Handel und Ver- grosse Rolle.
kehr blühte, ein neues geistiges Die zweite Phase der Entwieke-
Leben sieh überall regte, entwickelte hing beginnt um die Mitte des
sich nun auch die deutsche Renais- Jahrhunderts. Man hat durch Lehr-
sance in ihrer ganzen Fülle. Hätte bücher die antiken Formen besser
Deutschland einen dominierenden kennen gelernt. Die schwankende
Königshof besessen, wie Frankreich, Unsicherheit tritt zurück, aber für
so würde der Gang seiner Renais- eine wahre Ausbildung der Arehi-
sance ebenso einfach und übersichtlich tektur fehlten bedeutende, tonan-
sein, wie dort. Während dort sich gebende, führende Meister. Ein
die einzelnen Epochen nach den Regie- jeder suchte in seiner Weise iu
rungszeiten der einzelnen Könige dem Chaos verschiedener Former)
gliedern, ist die Bewegung in Deutseh- sich zurechtzufinden. Neben den
fand eine viel mannigfaltigere und Elementen der klassischen Archi-
kompliziertere. tektur und den Reminiszenzen der
Die geistige Konfiguration des Gotik stellten sich _ zugleich die
deutschen Kulturlebens Desteht auch frühen Vorboten des beginnenden
jetzt aus einer Anzahl gesonderter ßarokstils ein. Dies alles beding!
provinzieller Gebiete, die fast bis , eine Mischung, welche nicht immer
zum Eigensinn ihre Originalität und glücklich ausfiel , gleichwohl aber
Selbständigkeit behaupten. doch in einigen Meisterschöpfungen.
Von einer stetig fortschreitenden wie in dem Otto Heinrichsbau in
historischen Entwicklung ist des- Heidelberg, sich bedeutsam ausgv-
halb bei der deutschen Renais- prägt hat.
sance wenig zu spüren, wenn sich | Diese Stilentwickelung geht dann
auch etwa drei verschiedene Stadien unmerklich in die dritte Stufe über,
in der Nüancierung dieses Stiles ; In ihr gewinnt alles einen derberen
unterscheiden. Die erste Epoche i Ausdruck, die Formen häufen sich
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833
Fig. 128. Vom Kanzleigebitude in Überlingen.
&«*l!exlcon der deutschen Altertümer. 53
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834
Renaissance-Stil.
nicht selten bis zur Überladung, ist. Dem unteren Teil des Schafte«,
Barokes und Willkürliches mischt der durch einen Ring begrenzt ist.
sich ein, besonder» die Ornamentik gibt man deshalb in der Kegel rei
verläset den feinen Grundzug der ches plastisches Ornament, aus wel
früheren Zeit und wendet sich wie- ehern dann wohl Löwenköpfe und
der einem Spiel mit geometrischen dergleichen aus der Mitte vorsprin-
Formen unu einer Nachahmung gen. Dergleichen Säuleu zeigt ein
fremdartiger Ornamente, namentlich Portal an der Kanzleistrasse zu
aus dem Bereiche der Schiniedear- Stuttgart, das Portal des Kanzle:
beit, zu. Mit dem Ausbruch des gebäudes in Uberlingen und da?
d reissigjährigen Krieges findet auch Portal des Schlosses zu Tübingen
<lie8e Entwickelung ihr Ende, und Die spätere Zeit wendet sich mi'
der französische Stil Louis XIV. Vorliebe den einfacheren Säulen
tritt in die Lücke ein. Ordnungen, namentlich der dorischci
a) Die Detailformen. Um nun und tosKanischen zu. Fig. 12S. J'o'-
im einzelnen den Charakter der tal vom Kanzlevjelxiude in llxrr
deutschen Renaissance zu schildern, lingen {Lübke, Geschichte drr K-
ist vorab mit der Behandlung der naUsance).
Details zu beginnen. Was zunächst In ganz anderer Weise als b.
den Säulenbau betrifft, so gibt es keine Portalen, (irabmälern , Brunter
grössere Anzahl von Varietäten als u. s. w. wird die Säule da behau
die deutsche Renaissance sie bietet; delt, wo sie eine ernsthaftere Firni
es wimmelt, namentlich iu Zeich- tion zu erfüllen hat , besonder
nungen und Holzschnitten, von einer bei Arkaden, wie sie namenrli t
fast unabsehbaren Mannigfaltigkeit in Schlosshöfen vorkommen, fr
der Formen, so voll von Willkür, dingt durch die niedrige Stod
dass es sich einer systematischen werkshöhe wird die Säule stamiroj
Analyse vollständig entzieht. Aber und gedrungen gebildet, mit fn ier
die meisten hielten alle diese oft Umgestaltung der antiken Verbiß
wunderlich angethanen Formen für nisse. Gerade dadurch aber p>
wirkliche Renaissance, und manches winnt sie oft den Charakter eins
drang in die monumentale Archi- eigentümlichen kraftvollen Sclx-c
tektur ein, so namentlich jene heit, so in trefflicher Weis*- in
prlanzenhafte Behandlung der Säule, Schlosshofe zu Stuttgart. NVt
welche dem Schaft in seinem un- derber ist die Behandlung der SaU
teren -Teile eine Ausbauchung gibt len im alten Münzhof in Münchs
und dieselbe mit gezacktem Blatt- Endlich sind noch jene Fälle zz
werk umkleidet, die Basis ebenso nennen, wo die Säule vereinzelt m
willkürlich aus knollig geschwellten Anwendung kommt, namentlich br.
Gliedern zusammensetzt und auch Brunnen, aber auch bei Mariensaa-
das Kapitäl in einer Mischung von len- u. s. w. Hier wird sie frei na<;
mittelalterlichen und unklar aufge- dem Schönheitsgefühl des Küß.-'
fassten antiken Motiven behandelt lers gestaltet, so an dein schock
iwie z. B. am Erker vom Schlots Brunnen in Nürnberg, einem Brti>
Hartenfels zu Torgau i. Neben die- neu zu Gmünd uud Rothenberg
sen unklar spielenden Formen er- Streng klassisch ist die Marien**!
scheinen indessen auch andere, iu München behandelt, originell di-
welche mit grösserer Sicherheit die Säule an der alten Kanzlei in Stirn
Elemente der Renaissance zur Er- gart, welche eine Wendeltre-Y-
scheinung bringen, wenn auch bei birgt.
ihnen ein starker Hang zu orna- l^ie Behandlung der Jitattr
mentaler Behandlung vorwiegend schliesst sich in (Ter Regel derj*-
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Renaissance-Stil.
835
nigen der entsprechenden Säulen- Otto Heinrichbaues in Heidelberg.
Stellungen an. Meistens kam-llirt Fig. 129. Sc/iloss zu Heidelberg
man sie, aber eben so oft werden (Kunsthistorisehe Bilderbogen),
sie mit einein Rahmen umgeben. Gegen Ausgang der Epoche wird
Die Flächen erhalten Ornamente es beliebt, die l'ilaster eutweder
von Blättern, in deren Raukenwerk ä la Rnstica mit Bossagen zu be-
sieh Figürliches mischt. Beispiele handeln, oder sie nach unten ver-
dieser Art zeigt die Faeade des jüngt als Hermen, häufig mit schup-
53*
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836
Renaissance-Stil.
Denartiger Behandlung aufzufassen, bau im allgemeinen durchmacht
Noch öfter bekleidet man den un- Portale mit geradem Sturz gehören
teren Teil des Sehaftes ähnlich wie I zu den Ausnahmen , Regel ist der
die Säulen mit spielendem, Metall- j Kundbogen, obwohl bisweilen, wie
beschlagen ähnelndem Ornament, am Rathaus in Mühlhausen, der
Das Barockste ist, wenn plötzlich in Spitzbogen oder wohl auch der
der Mitte des Schaftes sich ein Teil Flachbogen vorkommt. Anfang ohne
desselben vom (»runde zu lösen viel Zierat, umrahmt sich das Por-
beginnt und in starker Ausbauchung tal nach der Mitte des Jahrhunderts
vorspringt, um sich dann voluten- mit den antiken Säulenordnungen,
artig dem Schafte wieder auzuchlies- wie die Portale zu Überlingen, zu
sen. Beispiele derart zeigt die Stuttgart, zu Danzig, Rothenburg.
Kapelle in Liebeustein. Daneben Eine kräftige, oft reich geschmückte
macht die Spätzeit besonders unge- Konsole bezeichnet den Schlussstein
mein ausschweifenden Gebrauch von des Bogens, Ornamente vegetabi-
Hermen und Karyatiden, und zwar lischer und figürlicher Art schmücken
nicht bloss mit nach unten verjüng- die Zwickel und die Flächen der
tem Schaft, sondern auch mit aller- Archivolte. wie auch des Friese*,
lei phantastischen Verzierungen. Für die obere Bekrönung begnügt
Dagegen macht sich zuletzt eine man sich vorerst mit dem einfachen
Reaktion geltend, welche den Pi- Giebel, später wird derselbe oft
laster in strengerer Weise als struk- in barocker Weise durchbrochen,
tives Glied mit straffer, meist etwas oder es wird — besonders wo ein
verjüngter Bildung des Schaftes Fenstcraystem mit dem Portal ver-
aunasst. hunden werden soll — ein attika
Der selbständige Pfeilerbau fin- artiger Aufsatz mit Pilastern und
det sich hauptsächlich bei den Ar- Seitenvoluten und nicht selten mit
kaden der Höfe angewendet, wie reicher Bekrönung angebracht. Mit
in der Residenz in Freising, dem dieser Form des Portals kam man
Pellerhaus in Nürnberg und in der bei allen Gebäuden, kirchlichen un 1
Trausnitz bei Landshut. Fig. 130. profanen aus; als eine Ausnahm
Hof im lJellerhaus in yürnberg erscheint es, wenn dem Hauptpomi
(Lübke, Geschichte der Renaissance), ein kleineres für Fussgänger beise
Die Behandlung des Rogens, mag geben ist, vielleicht ein Einfluß
derselbe mit Säulen oder Pfeilern des französischen Schlossbaues. Du
verbunden sein, klingt noch in | Anordnung findet man an det
manchen Teilen ans Mittelalter an. Schlössern zu Stuttgart und Tübfo-
Zwar verdrängt der Rund- und Flach- gen, dem Piastenschloss zu Brief,
bogen allmählich den Spitzbogen, Die Behandlung der JFetut^
allein die Profilierungen sind noch hat manche Verwandtschaft mit dec
ganz im Sinne des Mittelalters Ab- j Portalbau, zei^t aber eine grösser^
fassungen und Auskehlungen. In- Mannigfaltigkeit in Vernuschoni:
dessen gewinnt auch hier die An- mittelalterlicher Formen mit deneti
tike mit ihren rechtwinkeligen des neuen Stils. Spitzbogen, FUuh
architravierten Formen das Über- bogen, Rundbogen und gerader Stur:
gewicht, sei es, dass man dieselben kommen gleicnmässi^ vor. Aucb
bloss durch Profil wirken läset oder hier sind zuerst die mittelalterlichen
dass man auch den Bogen völlig Profile beliebt, wie am Tucherhau?
mit Ornamenten bekleidet, wie auf in Nürnberg. Antikisierende Ein
der Plessenburg. fassung mit Architravprofilen zeärt
Der Portalbau nimmt an den das Piastenschloss zu Brie$*. JnVi-
Wandlungen Teil, welche der Bogen- stens sind die Fenster ungeteilt, >c
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Renaissance-Stil. 837
Fig. 130. Hof im Pellerhaus in Nürnberg.
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838
Renaissance-Stil.
dass die kleinen runden, in Blei ge-
fussteu Scheiben bloss durch hölzern»-
Rahmen gehalten werden. Bei
stattlicheren Anlagen wird das
Fenster durch einen mittleren Stein-
pfosten geteilt, der häufig einen
Doppelfenstern begegnet man auch
dreifachen mit erhöhtem Mittel-
feuster, ia bisweilen kommen grup-
piert«' Rundbogenfenster vor, WK
pierte ttunubogei
am Rathaus in Konstanz.
Besonders bezeichnend für
Iii III WlD '
il"' l'i 'i'llüll!
Flg. 131. Steinoroament vom ehemaligeu Lusthaus in Stuttgart.
Schmuck von Hermen und Karya-
tiden erhält, wie am Heidelberger
Schlossbau. Die Friese erhalten
reichen Ornamentschmuek. und über
dem Gesims wird entweder eine
fr«'ie plastische Bekrönnng oder ein
einfacher, wohl mit Masken ge-
schmückter Giebel angeordnet Auch
durchbrochene Giebel kommen in
der Spätzeit auf. Neben diesen
gesammte deutsche Renaissance i?1
<iie Bildung des Ornaments. As*"
gehend von der Ornamentik der ita-
lienischen Frührenaissance, welche
durch rhythmischen Schwung umi
klaren Fluss der Linien, sowie durch
anmutige Verteilung im Räume sk*
auszeichnet, wird diese grazi«»9c Or-
namentik gegen Mitte des Jahrhun-
derts immer mehr zurückgedrängt
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831)
und schliesslich ganz beseitigt. Aus sich eine maunigfache Anwendung
dem italienischen Barocco dringt von Voluten und ähnlichen ge-
vorerst schon früh das sog. Kar- schwungenen Linien, in welchen •
touchenwerk nach Deutschland: auf- wiederum der Hang zum Geometri-
ferollte, abgeschnittene, mit ihren sehen hervortritt. (Residenz in
Inden scharf herausgrbogene und | München),
frei vorspringende Bänder, die einer j bl Facadenentwicklunrj. Noch
biegsamen Masse nachgebildet sind scharfer prägt sich die deutsche
und ihre Entstehung wahrscheinlich Eigentümlichkeit aus in der Koinpo-
Augeublicksdekorationrn verdanken, sition der Faeaden. Während in
In Deutschland besonders verbindet Italien der Horizontalismus der »II-
sich nun dieses Ornament mit einer gemein herrschende war, geht in
Flächendekoration, die ihre Motive Deutschland der Fac,adenbau auf
aus der glänzend betriebenen die Form des mittelaltcrlichenBürger-
Schlosser- und Schiniedekunst her- hauses zurück. Hoch und schmal
leitet und aufs Genaueste den Stil aufragend kehrt das Haus in der
von Metallbesehlägen nachahmt, so- Regel seinen steilen, meistens abg«-
gar die Nieten und Nägel werden treppten Giebel der Strasse zu. Ila-
getreuliehst wiedergegeben. Das durch bleibt der Hochbau mit aus-
figürliche Element aoer macht sich gesprochener Vertikal teudenz das
namentlich in Köpfen und Masken Prinzip der deutschen Renaissance,
geltend. Fig. 131. Steinovnament In der Gliederung der Faeaden über-
rom ehemaligen Liuttfiau* in Stuft- wiegt anfangs noch das mittelalter-
fjart (Kunsthistorische Bilderbogen ). liehe Prinzip ruhiger Flächen, welche
Wie üppig diese Ornamentik auch durch zahlreiche, meist gotisch pro-
bei kleineren Prachtstücken vom filierte Fenster durchbrochen werden,
Holzschnitzer verwendet wurde, zeigt die zu zweien oder dreien gruppiert
die Säule von einem Altar aus Über- nur durch das Kaffgesimse mit einan-
lingen. der verbunden werden. Bald werden
Die Ornamentik ist die Stärke dieantikenOrdnungenzurGliederung
und Schwäche der deutscheu Re- der Facade verwendet, wenn auch
naissance. Einerseits spricht sich meist, wegen der Niedrigkeit der
in ihr eine Fülle von Phantasie, Stockwerke, in verkrüppelter Gestalt.
Originalität, eine gewisse Kraft und In der Regel begnügt mau sich mit
kecke Derbheit aus, andernteils aber Pilasterstellungen, wobei man in der
zeigt sie auch, wie tief der Hang zu Anwendung der einzelnen Systeme
geometrischen Formspielen und mitgrosser Willkür verfährt. Fig. 132.
Künsteleien im deutschen Geiste l'elurhaux in Samberg (Kunst-
steckt. Derselbe Zug hatte in der historische Bilderbogen),
gotischen Zeit zuletzt alles in Mass- Am wichtigsten für die Wirkung
werk aufgelöst, derselbe Sinn bringt der Facade ist die Behandlung des
die Architektur unter die Herrschaft Giebels. In freier Umbildung der
des Metallstiles. abgetreppten Form wird er mit Vo-
Doch verdrängt er das freiere luten, hornartigen Schweifen und
Ornament nicht ganz. Besonders andern phantastischen Formen uin-
in der Stuckdekoration und den tre- kleidet, wobei namentlich wieder die
malten Verzierungen behält das Nachahmung von Metallbeschlägen
Vegetative, gemischt mit Figürlichem eine grosse Rolle spielt. Die Giebel-
die Oberhand, aber auch hier wird wand wird in der Kegel mit Pilaster-
die zierliche Vortragsweise der ersten Stellungen gegliedert und durch
Zeit verlassen und die Formen grösser kräftige Gesimse in mehrere Ge-
und breiter gemacht. Dazu gesellt schösse geteilt. Auf die vorspringen -
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840
Renaissance-Stil.
den Ecken werden, in freier Umbil- man setzte sogar, allerdings nur ao*-
dung gotischer Fialen . Obelisken, nahmsweise. kleine Giebel auf. wenn
Kitf. 132. l'ellers Hau» in Nürnberg.
"<l< r : t n c • i i wohl Kup-ln ur- >t«'llt. <\:i> Hau.- mit «ler I. -:
I >ie Mannigfaltigkeit in Ausbildung der Strasse lag: die Regel va*1
8<»kher Hiebcl ist überaus gross, ja vielmehr, da.* Dach unmaski-frt
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Renaissance-Stil.
841
Fig. 133. Zeughaus in Danzig.
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842 Renaiasance-Stil.
zeigen um! es etwa durch buntfarbige sodann aus Verbindung des Backstein-
Ziegel zu dekorieren, wie am Rathaus rohbaus mit dem Quaderbau, w obei
zu Mühlhausen. die Flächeu aus im verputztem Back-
Den Hauptreiz erhalten die Facaden stein bestehen, die konstruktiven
durch die ebenfalls echt nordische Glieder aber in Haustein gebildet
Eigentümlichkeit des Erkers. Wenn werden. Die Heimat dieses Stils Ist
es irgend angeht, legt mau denselbeu in den Niederlanden, alleine* verbrei-
in die Mitte der Facade, doch kommt tete sich derselbe rasch nach Xord-
er auch häufig in unsymmetrischer deutschland, England und Dänemark.
Lage vor, wie am Hause zum Ritter Noch grössere Ausdehnung hat
in Heidelberg. Wo aber ein Ge- eine dritte Art architektonischer Be-
bäude eine frei heraustretende Ecke handlung, welche in hervorragender
bildet, da wird diese sicherlich zur Weise einen deutschen Charakter
Anlage des Erkers ausersehen, der tragt: die Verwendung der Holz-
nun entweder in rechtwinkliger konstruktionin Verbindung mit Stein.
Form überecks vorgelegt wird oder im Fachirerlxhau i siehe Artikel: Holz-
sich kreisförmig oder noch häufiger arehitektur» ge fluiden. Namentlich
polygen entwickelt Die Auskragung sind in den Städten wie Braunschweig,
wird stets durch mehr oder min- llildesheim, Goslar u. a. noch zahl-
der reiche antike Gesimse geglie- reiche Beispiele vorhanden. Fig. 133.
dert, welche unten auf einer Säule Zeughaus in Danzig (Lii}tkey Ge-
ruhen. schichte der (hufsehen Renaissance <.
In den norddeutschen Niederungen Endlich ist noch einer andern
war schon zu gotischer Zeit der Gattung von Facaden zu gedenken.
Backsteinhuu weit verbreitet; dort derpemn Ifen Facaden. Zu den ersten,
bleibt, wenn auch nicht mehr in der welche diese Sitte künstlerisch aus-
Ausdehnung wie im Mittelalter, in geprägt haben, gehört Hans Holbein,
der Zeit der Renaissance sein Haupt- En den meisten Fällen hatte die
sitz. Von einem Übergangsstil ist Facaden maierei die Aufgabe, die
bei diesen Bauten wenig zu ver- Unregelmässigkeiten des Aufbaus
spüren. Die sehulgemässe Verweu- zu verdecken, indem sie das Gerüst
düng -der antiken Formen hatte sich einer idealen Architektur über die
bereits weit verbreitet, als diese Ge- Fläche warf, und dasselbe nicht bloss
genden die Renaissance aufnahmen, mit ornamentalen Gebilden, sondern
Da dieselben aber vom Quaderbau auch mit figürlichen Kompositioneii
ausgegangen waren, verfiel man in ausfüllte. DerküustlerischeCharakter
steinarmen Gegenden auf Nachbil- dieser Darstellungen wurzelt in einer
dung derselben in Stuck, wenn man kräftigen Polvchromie. Dazu kom-
aich nicht zu dem Luxus verstieg, men allerlei perspektivische Tau-
Steine von fernherkommen zu lassen, schungen, gemalte Gallerien mit
Der heimischen Bauw eise blieb man neugierigen Zuschauem,weite Bogen-
einzig in Mecklenburg treu und er- hallen mit landschaftlichen Hinter-
richtete eine Anzahl prächtiger Ge- gründen etc., so dass diese Facaden
bände, bei welchen man die Flächen das Gepräge eines heitern Lebens
zwar mit Putz verkleidete, aber die erhalten. Fig. 134. Haus zum
Portale und Fenster mit ihren Ein- , weissen Adler in Stein am Rhein
fiassungen, die Gesimse und Friese ( Luhke, Geschichte der deufjtehen R*
und die übrigen ornamentalen Teile naissance). Leider ist wenig von diesen
in gebrannten Steinen ausführte. Das Werken auf uns gekommen. Eins
Hauptwerk dieser Architektur ist der der vollständigsten und reichsten
Fürstenhof in Wismar. Prachtstücke bietet das Haus zum
Zierliche Bauwerke entstanden Ritter in Schaffhausen.
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Renaissance-Stil.
843
c) Grundrusanlagen. DerSchloss- bei Gelegenheit der Riugelrennen
hau. Während der italienische Palast- nnd anderer Ergötzlichkeiten, die
bau der Renais-
sance sich von
aller mittelalter-
lichen Tradition
zu lösen sucht
und zu repel-
niAssigen klarL'e-
gliederten Anla-
durchdringt,
behalten die deut-
fchen und tran-
zasischen
Schlags bau tri i
auch fernerhin
<k« malerische
öeprtce mittel-
aMeher Uur-
W: eine un-
rcgelrnässige An-
bisweilen
i* runden Kck-
Brme, die selb-
?n Wen-
>pen mit
Stiegen-
?rn. Fig. 135.
Schlots in
ttaarf ( Lübbe,
*K»ici/e dtr
nep/Dieeinzel-
» Hügel des
'Wesses grup-
sich um
in der
unregel-
n fiof.
>i«weilen mit
taden umzo-
gen wurde
(blosser zu
und
nen i
hin
r biawe
leasenl
lebe te
rbindm
burgi.
teil-
der
idung der
Km Räume .
P aber auch
Schauplätze
die Herr-
aften dienten,
i
Haus zum weissen Adler in Stein.
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844
Renaissance-Stil.
man in den Schlosshöfen abzuhalten
Sflegte. Im Innern des Schlosses feil-
et der grosse Rittersaal, die Türnitz,
den Kernpunkt der Anlage. Die deut-
sche Vorliebe fürs Bankettieren Hess
diese grossen Säle, die gewöhnlich ei-
nen ganzen Flügel einnahmen, als den
wichtigsten Teil der Anlagen erschei-
Gegen Ausgang der Epoche streift
der Schlossbau manche seiner mittel-
alterlichen Eigenheiten ab. Die
runden Ecktürme fallen fort, und
man liebt es statt dessen jene hohen
Giebel anzubringen, welche der Stolz
der deutschen Architektur sind wie
am Schlossbau zu Aschaffenburg.
Fig 135. Stuttgart, altes Schloss.
neu. In der Nähe des Saales war die
Kapelle angeordnet, in der Regel in
gotischen Formen gehalten. Nament-
lich sind die Wendelstiegen der Stolz
der alten Werkmeister. Alan legt sie
in den Ecken des Schlosshofes in vor-
springendenTürmen an. Prachtstücke
sind die Treppen in den Schlössern
zu Mergentheim und zu Göppingen.
Neben dem Schlossbau steht in
zweiter Linie das bürgerliche Tl'oh*-
hau*. Der Grundriss ist schmal
und in die Tiefe gestreckt, ganz
nach Art des Mittelalters. Ein
H<>f verbindet in der Regel da*
Vorderhaus mit den Hintergebäu-
den. Hölzerne Gallerien vermitteln
die Verbindung, an deren Stell?
Goog
Renaissance-Stil.
845
bisweilen steinerne Arkaden treten j
(Pellerhaus in Nürnberg). Die
Treppen sind stets als steinerne i
Wenaelstiegen in den Ecken der !
Höfe angebracht und mit den Galle-
rien in Verbindung gesetzt. In den |
meisten Fällen bleiben diese deutschen
Hofanlagen eng und schmal.
Von den städtischen Gebäuden
stehen die Rathäuser in erster Linie.
Im Gegensatz zu den italienischen,
werden die Fa<;aden geschlossen I
behandelt und nur durch grosse j
Freitreppen ,. wie in Heilbronn, aus-'
gezeichnet. In solchen Fällen wird |
das Erdgesehoss gewöhnlich mit i
Bogenhallen auf Pfeilern angelegt
und als Waarenlager und zu ahn-
lichen Zwecken verwendet. Im
Hauptgeschoss zieht sich vor dem
Kats- und Gerichtssaal in der Hegel
ein grosser Vorplatz hin. Kir
Bureaus und Schreiberzwecke waren
DUZ wenige Räume erforderlich.
Deshalb wirkt das Innere durch die
paar grossen Räume, den Vorplatz
und den Hauptsaal, höchst bedeutend.
Die Treppe liegt in der Regel als
Wendelstiege in einem vorspringen-
den Turm. Erst später werden die
Treppen ins Innere gezogen und mit
geraden Läufen und Podesten an-
gelegt. Wo aber die Treppentürme
bleiben, erhalten sie eine meist
kuppelartige Bedachung, welche
den schlanken mittelalterlichen Hel-
men schnurstracks entgegengesetzt
sind und oft durch originell ge- j
8chwungenen Umriss eine malerisch
pikante Wirkung gewinnen.
d) Innendekoration. Die künst- 1
lerische Ausbildung des Innern be-
wegt sich bei allen Profanbauten
der Renaisssance in ziemlich über- j
einstimmender Richtung. Was zu-
nächst die Deckenbildung betrifft,
so ist die Anwendung von Gewölben
besonders im Erdgeschoss, den
Treppenräumen und den Korridoren
überwiegend und zwar beinahe immer
in gotischer Form. Die meisten j
Räume jedoch erhalten flache Decken,
zunächst einfache mittelalterliche
Balkendecken. Bald dringt indess
auch hier die antike Formbildung
ein und man giebt den Sälen und Zim-
mern geschnitzte Kassettendecken,
oft mit farbigen Intarsien geschmückt.
Damit verbindet sich eine nicht
minder reiche Täfelung der Wände.
Schliesslich kommt die Auschmük-
kung der Decken in die Hände der
Maler und Stukatoren. Den Über-
fang zu den Wänden mit ihrer
eppichbekleidung bildet dann eine
grosse Hohlkehle mit Stuckreliefs.
Oft prangen diese Decken in eross-
artiger Farbenpracht, oft aber bleiben
sie auch weiss und bezeichnen den
Übergang von der mittelalterlichen
Polycl jromie zu der nüchternen Ein-
farbigkeit des Barocco.
e) Verschiedene Bauwerke. Den
künstlerischen Trieb der Zeit ver-
gegenwärtigt vielleicht nichts so
deutlich, wie die Ausführung der
zahlreichen Brunnen auf öffentlichen
Plätzen. Dieselben scheiden sich
in Zieh- nnd Röhrenbrunnen. Der
erstere verlangt in der Regel ein
steinernes Gerüst zum Aufhängen
der Rolle, bei letzterem ergiesst sich
das Wasser in ein grosses Bassin.
Die Renaissance bildet dieselben in
der Regel so, das- sich in der Mitte
des Beckens eine Säule erhebt, auf
deren Kapitäl man eine Figur zu
stellen liebt. Fig. 136. Brunnen
in Gmünd (LÜbke, Geschichte der
deutschen Renaissance). Fast alle
alten Städte haben noch als schön-
sten Schmuck ihrer Strassen und
Plätze solche Brunnen bewahrt,
wie Basel, Gmünd, Rothenburg.
Rottweil, Nürnberg, Augsburg und
München. Von den städtischen
Bauten zu Schutz und Trutz ist
noch manches erhalten, obschon die
gewaltigen Wälle von unserer nivel-
lierenden Zeit mit Eifer beseitigt
werden, wie die unvergleichlich gross-
artigen Mauern von Nürnberg.
Noch wären schliesslich mehrere
Lehranstalten, namentlich Jesuiten-
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846
Renaissance-Stil.
Kollegien anzuführen, ferner verschie-
dene Spitäler, Kanzleien, Fleisch-
hallen, Zeughäuser und Gebäude
für höfische Festlichkeiten, unter
welchen das in unsertn Jahrhundert
zerstörte Lusthaus in Stuttgart ein
Unicum bildete: indessen tragen
alle diese Bauten im allgemeinen
Renaissance giebt uns die bei Merlan
aus der Vogelschau genominen« Dar-
stellungdes Schlossgartens zu Heidel-
berg. Das Ganze macht mit seinen
regelmässig abgeteilten Blumen-
beeten, eingefasst von kleinen ruod-
gestutzten Bäumeben, durchbogen
von Taxushecken und überwölbten
Fig. 136. Brunnen in Gmünd.
n
der Behandlungs weise die be-
reit1* geschilderten Züge in ziemlicher
Übereinstimmung an der Stirn.
f) Garienanlagen. MitdenSchlös-
sern und fürstliehen Lusthäusem.
aberauch mit reichen Bürgerhäusern,
standen fast immer Gartenanlagen
in Verbindung, allerdings heute fast
nirgends mehr erhalten. Den voll-
ständigsten Begritf eines Gartens der
Laubgängen, zwischen Springbnn
nen, Statuen und Gartenhäuschen. n>
seinen Grotten, Labyrinthen
andern zierlichen Spielereion d<
Kindruck einer streng mit Lioei
und Zirkel behandelten Anlage.
g) Der Kirchenbatt. Der Kirche:
bau wie^t in der deutschen Ro
sance nicht schwer. Bis tief
16. Jahrhundert bleibt derselbe
Digitized by Goolle
Renaissance-Stil.
847
Gotik treu. Erst in der 2. Hälfte
des 16. Jahrunderts dringen all-
mihlich die Formen des neuen Stils
ein, indessen wird dasgotischeRippen-
K-wÖlbe auch jetzt noch in den
Komplizierten Netz- und Stern Ver-
bindungen festgehalten. Auch die
Fenster werden übereinstimmend
Doch mit Masswerk behandelt. Selbst
der Grandriss folgt noeh der goti-
schen Überlieferung und schliefst
'ias Langhaus mit polygonem Chor.
[He Renaissauce mit ihren antiken
Formbildungen kommt hauptsäch-
lich den freien Stützen, den Em-
poren und den Portalen zu gute.
tiD vollkommenes System von
fr'genballen, mit allen Elementen
Architektur mit Säulenordnungen,
abgebrochenen Giebeln, Voluten und
allen Ausgeburten des Baroeco um-
rahmt wurde; Taberuakel, Sakra-
mentshäusehen u. s. w. sind bemüht,
ihr Möglichstes zur Ausschmückung
des Gotteshauses zu thun.
3. Renaissance in den Kunstge-
werben. Grosse Bedeutung gewinnt
der neue Stil der Renaissance na-
mentlich in dem weiten Gebiete des
Kunsthandwerks. Was zur Aus-
stattung der Wohnräume, was im
engern und weitern Sinne zum Kostüm
gehört, erfreute sich in Deutschland
einer um so lebendigeren Pflege,
als hier der Sinn für häusliches Be-
hagen vorzugsweise ausgebildet war.
et drei antiken Ordnungen um-
jeidet, umzieht das Innere der
nivereitatskirche zu Würzburg.
Jw alles Übrige trägt auch der
f-zvw'xiM dieselben Spuren von Stil-
ischung an sich. Der vollständige
ruch mit dem Mittelalter vollzieht
ch an der Michaelishofkirche in
"liehen und dem mit kolossalem
luongewölbe überbauten Bau der
rafaJtigkeitskirche zu Regensburg.
Die innere Ausstattung dieser
irchen setzte alle künstlerischen
rftfte in Bewegung. Kunstreiche
.ritter, prächtige Grabmäler,
geschnitzte Chorstühle und
Itlre, deren Hauptstück nun das
in Maler angefertigte Altarbild
urde, welches von einer in mehre-
n Stockwerken sich aufbauenden
Selbst die grossen Meister, wie
Dürer und Holbein T verschmähten
nicht, dem Kunstgewerbe Vorbilder
zu schaffen. Auen hier wirken die
mittelalterlichen Formen noch lange
nach, und erst seit der Mitte des
16. Jahrhunderts wendet man sich
dem neuen Stile zu, aber bis zum
Ende der Epoche mischt sich immer
noch manches Mittelalterliche da-
bei ein.
a) Holzarbeit. Die Solzarbeit
hat ihre glänzende Ausbildung in
erster Linie im Dienste der Kirche
gewonnen. Nicht bloss die zahl-
reichen Schnitzaltäre, sondern na-
mentlich auch die Chorstühle gaben
reiche Gelegenheit zur Entfaltung.
Die Formen der Renaissance er-
scheinen erst 1550, dann aber
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Renaissance-Stil.
849
schon mit barocken Elementen
gemischt, wie an dem Chorgestühl
der Klosterkirche zu Danzig und
Wettingen. Mit aller Energie wirft
sich dann diese Technik auf die
Ausstattung der Wohnräume. Zu-
nächst sind es die Wände und Decken
der Zimmer, welche in gediegenster
Weise mit Täfelwerk ausgestattet
werden, erstere mit einem System
von Pilastern oder Halbsäulen und
farbig eingelegtem Ornament, dazu
Fig. 137. Intarsia -Ornament (Kunst-
historische Bilderbogen) letztere
mit reichem Kassetten werk nach an-
tiker Art. Ein hübsches Beispiel
bietet ein Zimmer des alten Seiden-
hofs in Zürich; Fig. 13S, Zimmer
aus dem Seidenhof in Zürich {Lübbe,
Geschichte der deutschen ^Renais-
sance), zum höchsten Prunk aber
steigert sich die Behandlung im
goldenen Saale des Rathauses zu
Augsburg.
Neben diesen grossen Pracht-
stücken bringt die Kunsttischlerei
alle jene in ihr Gebiet fallenden
Gegenstände, welche zum MoUliar
der damaligen Bürgerhäuser und
Schlösser gehören, in mannigfaltig-
ster Weise nervor. Dazu verwendet
man dann nicht nur einheimische
Holzarten, sondern auch Ebenholz
und Elfenbein, Perlmutter, Schild-
patt, Lafislazuli u. s. w., was den
Werkeu .jener Zeit die reiche Farben-
pracht einer durchgebildeten Poly-
chromie verleiht. Am einfachsten
gestalten sich in der Regel die
grossen Schränke für Kleider, die
Truhen für Leinenzeug, die Büffets
und Kredenzen. Die Renaissance
führt dieselben als kleine Bauwerke
auf, die mit Pilaater und Säulen-
etellungen eingerahmt und selbst
mit Portalbildungen versehen werden.
Einen höhern Anlauf nimmt die
Kunsttischlerei, wo es gilt Pracht-
gegenstände zn schaffen, seien es
einzelne Bettladen oder aber nament-
lich sogenannnte A'u.tistschränke,
die, auf prachtvollen Tischen auf-
Reallexico.i <!er deutschen Altertümer.
gestellt, in ihren zahlreichen, teils
geheimnisvoll versteckten Fächern
und Schubladen zur Aufbewahrung
von allerlei Kostbarkeiten und Rari-
täten bestimmt, oft aber auch ledig-
lich zu Schreibtischen dienend, durch
den erdenklichsten Aufwand an
prachtvollem Material und sinn-
reicher Arbeit stets einen hohen
Wert gewinnen. Die Gesamtform
I dieser Schränke bildet einen Auf-
; satz in Gestalt kleiner palastartiger
I Prachtbauten , reich gegliedert, in
I mehreren Stockwerken durch reich-
; verzierte Säulen , Karyatiden und
, Atlanten in Hermenform auf ge-
schmückten Postameuten , dazwischen
Statuetten und Reliefs in reichem
Rahmen, das Ganze bekrönt von
durchbrochenen Ballustraden. Der
Mittelbau ist öfter eingezogen, stets
aber mit einem Prachtportal und
darüber mit einer offenen Loggia
auf Säulen ausgestattet.
b) Elfenbeinschnitzerei und Gold-
schmied ekwist. An diese kunstvollen
Tischlerarbeiten schliesst sich die
Elfenbeinschnitzerei und Gold-
schmiedekunst. Zunächst bedarf
die genussfrohe Zeit eines ausser-
ordentlichen Vorrats von Trinkge-
schirren aller Art. Holbein und
Dürer waren mit Anfertigung von
Zeichnungen zu prachtvollen Poka-
len beschäftigt. Allein die Neigung
zum Seltsamen und Phantastischen
verleitete andere Meister zu den
wunderlichsten Erfindungen. In
Gestalt von Brunnen und Drei-
füssen, von Burgen, Schiffen u. dgl.,
von Damen mit aufgebauschtem
Reifrock, wurden die Gefasse mit
Vorliebe dargestellt. Fig. 139. Trink-
qefässe (Kunstiii , toi Bilderbogen).
Unermesslich ist der Schmuck, mit
welchem man diese Geräte aus-
stattete. Das ganze Reich der
Mythologie und Allegorie wurde
in Kontribution gesetzt und dazu
noch üppiger Pflanzenschmuck ge-
fügt. Eins der glanzvollsten un-
ter allen erhaltenen Werken ist der
54
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b50
berühmte Tafelaufsatz von Wenzel
Jamnitzer, gegenwärtig im germa-
nischen Museum zu Nürnberg. Aber
die Thätigkeit des Goldschmieds
erstreckte sich noch weiter über
alle Gebiete des Schmuckes und
zwar nicht bloss der schmückenden
Geräte im engeren Sinne, vielmehr
die ganze Kleidung wurde Gegen-
stand prächtiger Ausstattung. Nicht
Bei alledem sind die verschie-
denen Richtungen der Metallarbei:
dieser Zeit noch nicht erschöpft.
Reiches Tafelgeschirr aus edlem
Metall, Platten, Schüsseln, Schalen.
Teller, Näpfe, Konfektträger und
Kühlgefasse variieren in den mannig-
faltigsten künstlerischen Form?»
und werden mit getriebenen oder
flach gravierten Ornamenten und
► .SetLfftsert
Fig. 139. Trinkgefaiwe.
allein Ringe, Ketten und Gürtel,
Spangen und Agraffen gaben An-
las» zu künstlerischer Behandlung,
sondern auch Röcke, Mantel und
Hüte wurden oft reich mit Zier-
raten bedeckt, zu deren Erfindung
selbst Holbein Kopf und Hand zu
bieten nicht verschmähte. Ferner
ist auch an den Waffen die künst-
lerische Ausstattungeine wahrhaft be-
wundernswerte. Daran schliesst sich
die nicht minder glanzvolle Arbeit
der Harnischmacher oder Plattner.
figürlichen Darstellungen bedeckt.
Auch die Löffel und Messer werden
beliebte Gegenstände für die erfin-
dungsreiche Thätigkeit des Gold-
schmiedes. Endlich sind noch die
Standuhren zu erwähnen, welche
namentlich in Augsburg und Nürn-
berg verfertigt wurden.
c) Schmiedearbeiten. Beschty-
denere Arbeiten lieferten die Eisen-
schmiede, aber Arbeiten, die durch
höchste technische Vollendung und
sinnreiche Erfindung sich nunWert
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Renaissance-Stil.
851
von Kunstwerken erhoben. Die (fem W. Jahrhundert (Kunsthist
Schlösser und Thürbeschläge Bowie Bilderbogen). Das Prinzip derselben
die Tlriirklopfer erfreuen sich der besteht darin, rundeStäbe in mannig-
reichsten Ausbildung und werden faltigen Verschlingungen und Duren-
in ihren Flächen häufig durch ein- 1 schneidungen so mit einander zu
Fig. 140. Eigengitter ans dem 16. Jahrhundert.
gegrabene und geätzte Ornamente, j verbinden, dass das Ganze einen
bisweilen selbst durch Vergoldung I festen Zusammenhalt bildet. Dieser
und Touchierarbeit geschmückt. Be- j wird nicht bloss dadurch hergestellt,
sonders aber glänzt die Erfindung j dass an den durchschneidenden
und Kunstfertigkeit der Meister in Stellen Bänder angebracht werden,
Herstellung der schmiedeeisernen sondern noch häufiger dadurch, dass
Gitter. Fig. 140. Eisengitter aus man das Stabeisen durcheinander-
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852
Renaissance-Stil.
steckt, indem mau an den Kreuz-
punkten ein sogenanntes geschwell-
tes Auge anschmiedet, eine wahre
Geduldsprobe für den ausführenden
Meister. Daneben erhalten die un-
tergeordneten Endungen oft freies
Blattwerk oder seltsame Fratzen,
Menschen- oder Tierköpfe. Neben
diesen Gittern aber schuf die
Schmiedekunst noch treßliches aller
Art : Leuchter, Wetterfahnen, Kreuze,
kleine Kästchen u. s. w.
d) Töpferarbeiten. Zu den wich-
tigsten Kunstgewerben der Zeit
gehört ferner die Töpferei, welche
nicht nur die gewöhnlichen Gefässe
des Haushaltes mit verschiedenfar-
biger Glasur und tausendfach va-
riierten Ornamenten schafft, sondern
auch die Fliessen zu. Fussböden,
namentlich aber zu Ofen lieferte.
Der Ofen besteht in der Regel aus
einem Unterbau, der auf meist plas-
tisch gestalteten Füssen ruht und
aus welchem eiu schmaler Oberbau
aufsteigt. Der ganze Aufbau wird
architektonisch durchgebildet, mit
kräftigem Fuss- und Deckgesimsen
versehen. Hermen und Karyatiden,
wohl auch Pflaster betonen die ver-
tikale Gliederung, und die einzelnen
Felder werden als Bogennischen
S bildet, welche man mit figürlichen
diefs schmückt Die meisten
Werke dieser Art sind mit einer
schönen grünen, andere mit einer
schwarzen Glasur überzogen. Be-
sonders vielseitig und lang an-
dauernd hat die Schweiz die Ofen-
fabrikation gepflegt Der Hauptsitz
war Winterthur, wo die Familien
Pfau und Erhart eiue Anzahl ge-
schickter Hafnermeister und Ofen-
maler lieferte. In der Regel wird
neben dem Ofen in der Ecke des
Zimmers ein bequemer Sitz mit
Rücken- und Armlehne ebenfalls
aas Kacheln aufgebaut. — Sehr bald
tritt an die Stelle des einfarbig
grünen Ofens mit seiner plastischen
Durchbildung der vielfarbige mit
malerischer Behandlung. Die Far-
ben werden dünn und leichtflüssig
aufgetragen. Diese Polychromit
behalten die Ofen bis in die zweite
Hälfte des siebenzehnten Jahrhun-
derts, dann werden sie matter und
matter, bis sie schliesslich ganz ins
Weisse erblassen.
e) GlcumuMlerei. Nicht in glei-
chem Umfang, aber doch in an-
sehnlichem Betriebe wird die Glas-
malerei gepflegt. Teils verwende4
man sie zur Herstellung von Trink-
gläsern und Bechern, teils zur Her-
stellung farbiger Fenster. Auch ua
war es namentlich die Schweiz,
welche diesen Kunstzweig bis in?
achtzehnte Jahrhundert hinein mit
grossem Eifer pflegte.
f) Textih Kunst. Schliesslich
ist noch ein Blick auf die textilfn
Künste zu werfen, die in dieser
Zeit im Wetteifer mit der gesamm-
ten künstlerischen Bewegung ihre
Meisterschöpfungen hervorbrachten
i Flandern war es vor allem, wo (£'
Teppicbstickerei aufblühte , die in
j der vollen Anwendung und reichen
Abstufung der Farben und im Her-
beiziehen des Goldes die mouumen
tale Malerei zu überbieten suchte.
Ausser diesen Teppichen, mit wel-
chen die Wände bedeckt zu werden
Sflegten, fertigte man namentlich
ie Kissen und Polster für Stuhl-
und Bänke. Auch das Bett wir-
oft prächtig mit Stickereien auser-
stattet. Vorzüglich aber wendet
man die Stickereien an Gewänden,
an. Hierher gehören endlich auch
die Arbeiten in gepresstem L#eder
welches seine Verwendung nament-
lich zu Büchereinbänden fand un-
denselben ein unvergleichlich stil-
volles Gepräge verleiht. So zeigt
sich das Kleinste wie das Grösste
von derselben künstlerischen StrCv
mung ergriffen.
4. Theoretiker und Architek'te,,.
Über die Studien und Stellung' der
damaligen Architekten liegen" nur
spärliche Notizen vor. Es waren
anfangs schlichte handwerklich»
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Renaissance-Stil.
853
Meister, die ihrer Lebensstellung
und ihrem Bildungsgänge nach sich
nirgends über die Schranken der
hergebrachten Anschauung erhoben,
im Gegensatze zu den italienischen
und französischen Architekten, voll
höherer Bildung und voll stolzen
Bewusstseins derselben. In der zwei-
ten Hälfte des sechszehnten Jahrhun-
derts fangen zwar allmählich die
Werke an, sich klassischer zu ge-
stalten; aber erst gegen Ausgang
der Epoche trifft man unter innen
solche, die auf Studien in Italien
deuten. Die damaligen deutschen
Meister scheinen nur ausnahmsweise
Studienreisen nach Italien unter-
nommen zu haben. Ihre Kenntnis
der antiken Architektur schöpften
sie zumeist aus den zahlreichen
theoretischen Schriften. Der ersten
einer, welcher solche herausgab, war
Albrecht Dürer. Die Resultate sei-
nes Nachdenkens uud die Erfah-
rungen seines gesamten Lebens beab-
sichtigte er in einem umfassenden
Werke niederzulegen, von welchem
nur ein Teil zur Ausführung ge-
langt ist, die Unterweisung der
Messung mit Zirkel und Richtscheit
und die Vier Bücher von mensch-
licher Proportion. Seine Unterwei-
sungen gieot er mit steter Rücksicht
auf Grössen und Zahlen Verhältnisse,
auf die Geometrie, und fusst einer-
seits auf den überall noch in Kraft
befindlichen Ueberlieferungen des
Mittelalters, anderseits sucht er sich
an Vitruv anzulehnen. Bezeichnend
ist seine Bemerkung, dass jeder
streben solle, etwas Weites und
Fremdes zu finden; denn wenn
auch der hochberühmte Vitruvius
uud andere gesucht und gute Dinge
gefunden hätten, so sei damit
nicht aufgehoben,dass nichts Anderes,
das gut sei, möge gefunden werden.
Diesen Hang zu willkürlicher Freiheit
der Erfindung erkennt man denn
auch in manchen seiner Komposi-
tionen; denn, obwohl er die Antike
im Auge hat, mischt er die einzelnen
Ornamente in ungebundensterWeise.
Eigentümlich geniuj sind die Entwürfe
zu drei Gedächtnissäulen, wobei es
sich bei einer um einen Sieg über
aufständische Bauern handelt und
die der Sonderbarkeit halber hier
beschrieben sei. Die sehr gut gezeich-
neten Gruppen gefesselten Viehes,
welche er auf die untersten Stufen
der Basis legt: „Kühe, Schafe,
Schweine und allerlei" kann man sich
noch gefallen lassen. Aber auf die
Ecken des Postaments rät er Körbe
mit Käse, Butter, Eier, Zwiebeln,
Kräutern oder was dir einfallt, zu
stellen. Auf diesen Unterbau setzt
er allen Ernstes einen Haferkasten
und stürtzt darüber einen Kessel,
auf welchen er einen Käse.napf stellt,
der mit einem starken Teller zuge-
deckt wird. Auf denselben setzt er
ein Butterfass, auf dieses wieder
einen Milchkrug. Dieser trägt eine
Korngarbe, in welche Schaufeln,
Hauen, Hacken, Mistgabeln, Dresch-
flegel u. dgl. eingebunden sind.
Darüber folgt ein Hühnerkorb und
auf diesem ein Schmalzhafen, auf
welchem ein trauernder Bauer sitzt,
dessen Rücken mit einem Schwert
durchstochen ist. Dies eine Beispiel
mag genügen, zu zeigen, wie sehr
Dürer zwar dem Naturalismus hul-
digte, aber auch zugleich, wie wenig
er im stände war, zu reinen archi-
tektonischen Prinzipien durchzu-
dringen. Bald nach Dürers Tode
erschien eine verständlichere Dar-
stellung der „Kunst der Messens4*
von Hieronymus Rodler, der von
den Dürerschen Büchern meint, sie
seien nur für die, so eines grossen
Verstandes, vielleicht dienlich. In
der That geht Rodler einfach prak-
tisch zu Werke und bringt eine
Reihe von Beispielen, an welchen er
die perspektivische Erscheinung und
Darstellung der Dinge nachweist.
Uberall bemerkt man in seinen
Zeichnungen eine steigende Lust
zur Anwendung von Renaissance-
formen, die aber gleichwohl von
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854
Renaissance-Stil.
einem wirklichen Verständnis weit
entfernt sind.
Nicht lange darauf gab in Nürn-
berg Walther Rivius seine umfang-
reichen Werke Heraus, 1547 die
„Neue Perspektive" und 1548 den
Deutschen Vitruv", den er nach der
1521 zu Como erschienenen Ausgabe
und dem Kommentar des Cesariano
bearbeitete-, auch die Illustrationen
sind meist nach Cesariano. Über-
haupt ist die Auffassung des Autors
durch die seiner italienischen Vor-
fänger beherrscht. Seine Schriften
ezeichnr n offenbar den Moment, wo
die italienische Behandlung der
Formen in Deutschland eindrang.
Von Sympathie für die Kunst des
Mittelalters ist wenig mehr zu spüren,
wenn er auch den Mailänder Dom
in Grund und Aufriss bringt. Die
architektonischen Details, die er ab-
bildet, sind korrekt nach dem
Muster der Italiener wiedergegeben,
und er ritt, die Ordnungen nicht zu
vermischen. Doch spukt auch bei
ihm die Neuerungssucht der Zeit in
mancherlei Vorschlägen zu „Veren-
derung der Bossen, so ein versten-
diger Baumeister weiter nach seinem
Gefallen in mancherlei Werk bringen
möge." Wenn schon hier viel
Barockes mit unterläuft, so bringt er
denn doch das barockste Zeus unter
den künstlichen Säulen von Bildwerk,
,,wie solche dieser Zeit bei den Wel-
schen in Brauch/' Was Rivius von
Anlage und Gesamtform antiker Ge-
bäude vorbringt,i8t begreiflicherweise
nachCcsarinound uimmtsich wunder-
lich genug au*. Sogicbter die Grund-
formen aer griechischen Tempel
ganz nach dein Schema mehrschiffiger
Kirchen. Wie ernsthaft man es aber
nahm, ersehen wir aus der Stelle,
wo er den Architekten nicht bloss
ermahnt, dass er „so er der Sym-
metrie behende und wohl erfanreu
sein solle, sich der geometrischen
Messung heftig üben müsse," sondern
auch nach Vitruv die Unterschiede
der Tempel nach verschiedenen Gott-
heiten, besonders männlichen und
weiblichen , einschärft. In seiner zwei-
ten Schrift, der neuen Perspektive,
kommt er überall auf die ,,wunder-
barliche Art, Ev^enschafft und Ge-
rechtigkeit des Kirkels" zurück und
giebt umständliche Anleitung, wie
alle möglichen Formen mit Zirkel-
schlägen zu konstruieren seien.
Im weitern Verlaufe des 16. Jahr-
hunderts steigert sich die Lust und
das Bedürfnis nach theoretischen
Schriften, namentlich erfreut sich
die Perspektive erneuter Behandlung,
wie von Erhard Schön, Hirschvogel.
Stoer,Jamnitzer,Lenker etc., daneben
auch die Anatomie, wie in der deut-
schen Übersetzung der Anatomie
Vesals von Johann Baumann.
In der spätem Zeit des Jahrhun-
derts nehmen die architektonisclieu
Lehrbücher überwiegend den Cha-
rakter eines ausschweifenden Barock-
stils au. Immer aber wissen die
Herausgeber sieh dabei viel mit der
Lehre Vitruvs zu beschäftigen, welche
sie noch iu ihren tollsten Phantasie-
Sebilden treu zu befolgen glaub- o
>erart ist die Architektura des „vi-
truvianischen Architekten Rutger
Kässmann,Bildhaweruiid Schreiner.*
I n ein vollständiges System wird aber
die tolle Willkür der Zeit durch da?
„Schweiffbüchlein*4 Gabriel Krämer*
gebracht. Das Werk ist ein Kom-
pendium barocker Detailformen:
trotz alledem ist aber doch Methode
in diesem Wahnsinn, da alle dien*
Ausgeburten der Phantastik streue
nach den verschiedenen Säulenord-
nungen durchgeführt sind, so das?
für jede derselben eine bestimmte
Art der Verschnörkelunc zum Gesets
erhoben wird. Massvoller ist eine
andere Sammlung, welche durch
Georgen Haasen, Hoftischler und
Bürgerin Wien, 1583 herausgegeben
wurde. Alle Zeitgenossen übertrifft
aber an Üppigkeit der Erfindung und
barockem Schwulst der Strassburger
Baumeister undMaler Wendel Dietter-
lein in seinem Werk: „Architektur«
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Renner. — Ring.
S55
and Austeilung der fünf Setdn."
Am ungebundensten bewegt sich
seinePhantasieindenPilasterhermen,
welche er jeder Säulenordnung bei-
giebt. Bei der toskanischen, die er
einem groben Bauern vergleicht,
zeigt derPilaster wirklich die Gestalt
eines solchen. Ein andermal ver-
wendet er einen feisten Koch als
Atlanten,aufdemKopfzweiSchüsseln,
am Gürtel zwei Bündel Schnepfen
und ein Küchenmesser, in der Iiand
einen Schöpflöffel. Praktische Nach-
folge haben diese Dinge glücklicher-
weise nur an Altären und Epitaphien
gefunden, der Profanbau hielt sich
im allgemeinen rein davon, während
die Kirche das tollste Zeug nicht
verschmähte.
Die durch solche Schriften
gebildeten Architekten gewannen
denn auch im Dienst der Fürsten
allgemach eine angesehenere Lebens-
stellung. Über einen derselben,
Heinrich Schickhart, sind nähere
Berichte auf uns gekommen, welche
das Leben und Studium eines dama-
ligen Architekten veranschaulichen
und welche in der öffentlichen Biblio-
thek zu Stuttgart aufbewahrt sind.
Wenn er auch zwei Studienreisen
nach Italien machte, so geht im
ganzen aus seinem LebensbUde doch
hervor, dassdie damaligenBaumeister
meist auf litterarische Quellen für
das Studium der antiken Kunst an-
gewiesen waren. Zugleich abergaben
sich die damaligen Architekten auch
alle Mühe, über die gleichzeitig auf-
geführten Bauten sich Kenntnis zu
verschaffen und kopierten einzelne
Teile derselben in eigenen Entwürfen
oft ganz genau. Nach Lübke, Ge-
schichte der deutschen Renaissance,
Allg. Teil. A. H.
Renner ist der Name eines aus-
gedehnten deutschen Lehrgedichtes
des Hugo von Trimberg aus dem
Würzburgischen, 1260—1301) Schul-
meister am Collegiatstift an der
Theurstadt vor Bamberg. Das über
24000 Verse starke Gedicht entbehrt
eines festen Planes und ist mehr eine
allgemeine Strafpredigt, aber lebhaft
geschrieben und durch eingestreute
Fabeln und Erzählungen belebt. Es
war neben dem Freidank das ge-
achtetste Lehrgedicht des Mittelalters
und wurde in einer Erneuerung schon
1549 gedruckt. Neue Ausg. Bam-
berg 1833. Renner heisst es, weil
es aurch alle Lande zu rennen sieh
vorgenommen hat.
KiclitstelgLaudrechts und Richt-
steig Lehnrechts sind die Namen
systematischer Werke über den
rrozess, aus dein Sachsenspiegel ge-
zogen, um dessen Anwendung zu er-
leichtern. Verfasser des Richtsteig
Landrechts ist Johann von Buch, der
auch die erste Glosse zum Landrecht
verfasst hat ( siehe Sachsenspiegel).
Namentlich dieser Richtsteig war sehr
verbreitet und wurde im 15. und 16.
Jahrhundert öfters mit dem sächsi-
schen Landrecht zusammen heraus-
gegeben, zuerst Basel 1474; die vor-
züglichste Ausgabe von Hontet/er,
Berlin 1857.
Ring. Armringe, Barnten, ahd.
und mhd. lx>uc, werden in den ältesten
Dichtungen sehr oft erwähnt und
sind eines der zahlreichsten Gräber-
fundstücke; sie dienen nicht bloss als
Schmuck, sondern sie vertreten zu-
gleich das gemünzte Geld (siehe den
Art Münzen); Baugenverteiler und
Baugenbrecher sind Ehrennamen des
Königs; in den Schatzkammern der
Könige lag das edle Metall in Ring-
form aufgehäuft. Die Stoffe waren
Erz und Gold, Eisen und Silber, auch
Glas. Die häufigsten Formen sind
die halb- oder ganzrunden geschlos-
senen oder halboffenen eigentlichen
Baugen und die spiralischen Draht-
ringe. In höfischer Zeit kamen die
Armringe der Männer ausser Mode
und blieben fortan bloss ein Schmuck
für das weibliche Geschlecht. Finger-
ringe finden sich oft; sie heissen
mhd. fingerlin. Sie zeigen in alter
Zeit die einfache Reiffonn oder die
spiralförmige, in merovingischer Zeit
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856
Rise. — Rittergesellschaften.
häufig die des römischen Siegelriugs ;
die Platte ist mit barbarischen Or-
namenten, Kreuzen, Inschriften und
Nachbildungen römischer Münzen ge-
schmückt. Durch edle Steine erhielten
die Hinge nach dem Glauben des
Mittelalters Wunderkraft. Der Stoff
war Gold, Silber, Kupfermischung,
Zinn und Glas, liahrinqe oder Hals-
baugen waren Nachbildungen römi-
scher und gallischer Sitte. Ohrringe
aus Bronce- oder Silberdraht werden
in den heidnischen Gräbern ebenfalls
viel gefunden, werden auch in der hö-
fischen Periode mit den Armspangen
häufig als beliebter Frauenschmuck
genannt. Sie bestehen zuweilen aus
mehreren ineinander geflochtenen
Drähten.
Als Zeichen der Verlobung stammt
der Ring aus den romanischen Län-
dern, wo er Fortsetzung des römi-
schen Heiratringes war. Einen Ring-
wechsel des Brautpaares kennt daher
das frühere Mittelalter nicht, sondern
nur der Bräutigam übergiebt einen
King der Braut. Er verbreitete sich
durch Hilfe der Kirche. Siehe Wein-
hold, deutsche Frauen.
Die Siegelringe wurden wohl
weniger an dem Finger getragen, als
unter den Amtsinsignien mitgeführt.
Die eigentlichen Font ißkal ringe, die
einen wesentlichen Bestandteil der
Weih- und Krönungsinsignien aus-
machten, wurden seitdem • 1 :mn-
dertvoi*schrifitsgemä88 am Ringfinger
der rechten Hand getragen, früher am
Zeigefinger. Der Ring ist auch hier
Ehering, das Zeichen der geistigen
Vermählung des Bischofs mit seiner
Diözese, des Königs mit seinem
Lande. Vom 13. Jahrhundert an
wurden namentlich die Bischofsringe
immer reicher mit Edelsteinen aus-
geschmückt, sodass deren obere
Fläche sich oft turmartig erhöhte und
dasTragen — namentlich im 15. und
16. Jahrhundert — schwierig wurde.
Ringe dieser Art wurden über dem
Handschuh an den Finger gesteckt.
Rise, siehe Kopfbedeckung.
Uitterg-esellschaften sind als
Mittel, den niedern Adel durch kor-
porative Verfassung den zahlreichen
andern Korporationen gegenüber zu
halten, im 1 4. Jahrhundertentstandei).
nachdem die französische Ritterschan
mit ähnlichen freien Eidgenossen-
schaften im 13. Jahrhundert voraus-
gegangen war. In der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts spielen sie eine
entscheidende Rolle in allen Kriegen
und Fehden. Die wichtigsten da-
runter sind seit 1332 die Wet(eraui*th<
Gesellschaft , die Gesellschaft vom
Stern 1371, in Sachsen, Thüringen
und dem Oberrhein; 1375 die Gesell-
schaft von der alten Minne in der-
selben Gegend, 1378 vom Horn in
Oberhessen, vorri Falken in Hessen
und Westfalen circa 1380, fortgesetzt
von dem 1S91 gestifteten Bennet*, -
bunde; die Gesellschaft mit der Sicht'
1391 ebenfalls in Hessen, dito di^
Buchner 1397 und die Gesellschaft
vom Luchs. In Franken entstand
1355 die Gesellschaft der Fürspd noer.
1379 die mit dem Greifen, in Thü-
ringen 1410 eine vom Hunhorn. Von
Schwaben und Bayern gingen Gesell-
schaften von ausgeprägt politischer
Tendenz und grossem Einfluss aus-
weiche die Grundlage der späten
reichsfreien Ritterschaft wurdm:
neben den Martintvogeln (1367» dK
Gesellschaft vom Schwert (1370 \ dk
von der Krone und die mit d« n
Wölfen (1372); die Gesellschaft von
St. Georg und St. Wilhelm (beidf
1379), und in demselben Jahre die
Gesellschaft vom Läicen, die sich bis
in die Niederlande, den Thüringer
Wald und in die Bayerischen Alpen er-
streckte u. Herren u. Städte aufnahm.
Als dieser Adelsbund sich mit den
Gesellschaften von St. Georg und
St. Wilhelm vereinigte und alle dn i
der grossen Einigung von Herren und
Städten von 1382 beitraten, schien
es, als sollten die Gesellschaften der
Ritter einen festen Platz in der Ord-
nung des Reiches erhalten. Doch
scheiterten die Versuche der Reich e-
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Rittergepellschaft cn.
857
einung, und die Ritterbtinde uahmeii
wieder einen mehr partikularen
Charakter an. Es traten auf 1392
die Gesellschaft vpn St. Georqenschild
und die schon 13GT aufgehobenen,
1394 — 1396 aber erneuten Schlegeler.
Wo, wie im Norden und Osten
Deutschlands, dieLandeshoheit schon
stärker entwickelt war, mussten die
Ritterbünde ihre politischen Absich-
ten teilweise hinter dem Seheiii eines
lediglich geselligen Vereines ver-
bergen, wie die Geckengesellschaft
in Kleve 1 1381 ), oder sie kamen von
Anfang au unter höfischen Einfluss,
wie die grosse Rittereinung vom
Drachen in Österreich, Steiermark
und Ungarn, an deren Spitze der
Herzog von Österreich und der König
von Ungarn standen. In den Donau-
landen erhoben sieh um 1408 die
Gesellschaften vom Hirsch und vom
Rüden, im Kulmer Land 1397 die
Gesellschaft von der Eidechse, in der
Mark die Stell meiser, in Tirol der
Elefantenbund. Die letzte derartige
Gesellschaft war die 1489 gegen den
Herzog von Bayern gestifteteBaycri-
scheGesellschaft vom Zoicen. Von den
iiltern Gesellschaften dauerte nur die
schwäbische Gesellschaft von St. Ge-
orqenschild als ein selbständiger po-
litischer Verein fort, absorbierte seit
1450 die Rechte der übrigen Gesell-
schaften, nahm überhaupt alle Ele-
mente des niedern Adels, welche sich
der Landsässigkeit zu erwehren ver-
mocht hatten, in sich auf und veran-
lasste schliesslich die korporative
Verfassung der Reichsritterschaft.
Die Grundlage dieser ritterlichen
Einungen ist einzig und allein der
durch einen Eidscnwur bekräftigte
freie Wille der Verbundenen. Ihrer
Organisation nach lehnen sie sich
teils an die Städtebünde, teils an die
geistlichen Ritterorden. Hauptzweck
war in der Regel Friede unter den
Genossen, Herstellung eines geord-
neten Rechts und gemeinschaftliche
Verteidigung der Interessen der
Glieder. Dazu kam häufig gegen-
seitige Unterstützung in Notfällen,
gesellige Gemeinschaft, religiöse Ver-
rüderung u. dgl. Äusserlich pflegte
zum Zeichen der innigen Verbindung
eine gemeinsame Kleidung oder doch
ein besonderesErkennungszeichen be-
stimmt zu werden, und zwar wurde
ein goldenes Zeichen für die Ritter
und ein silbernes für die Edelknechte
unterschieden. Ein oder mehrere
Mal im Jahre wurde die Versamm-
lung aller vollberechtigten Gesellen
(das Kapitel) abgehalten. Die Vor-
stände hicssen Ilauptleute, auch
Könige, Marschälle, Oberste, Ge-
korene über die Einung. In allen Be-
ziehungen trat die Gesellschaft als
Einheit auf, schloss Verträge, Bünd-
nisse und Vergleiche, erklärte Fehden,
fällte Schiedssprüche und verhandelte
mit Kaiser und Fürsten.
A usl äufer dieser politischen Ritter-
gesellschaften sind mannigfache ge-
seilige Vereine, namentlich die in aer
zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert»
mit dem Versuch der Neubelebung
der längst verschollenen Turniere
zahlreich emporwachsender Turnier-
gesellschaften, welche eine bestimmte
Anzahl von Ahnen für die Aufnahme
forderten, ein Gesellschaftszeichen
trugen und bei den Waffenspielen
fest zusammenhielten ; solche Gesell-
schaften sind diejenigen des Esels,
mit dem Drachen, des Fisches, des
Falken , der Krone, des Wolfes in
Schwaben; dexSvanqe, des Einhorns,
des Bären in Franken; des gelben
Hundes und des gekrönten Steinbocks
am Rhein. Später kommen auch
adelige Mässigkeitsvereine, Adels-
geselbchaften gegen das Fluchen und
Zutrinken u. a. vor.
Endlich gingen die Adelsinnungen
dadurch in fürstliche Ritterorden
über, dass die Fürsten, indem sie
sich selbst an die Spitze von Gesell-
schaften stellten, das gegen sie ent-
standene Institut zu ihrem Vorteil
wandten. Teils mit andern Fürsten
gemeinsam, teils ausschliesslich unter
ihrem Adel stifteten sie seit dem
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Ritterorden, geistliche.
14. Jahrhundert Gesellschaften mit
geselligen, religiösen und sozialen
Tendenzen, in welche man nur unter
gewissen Bedingungen der Geburt,
später auch des Verdienstes aufge-
nommen werden konnte. Das Er-
kennungszeichen wurde zum Ehren-
zeichen, die Aufnahme ging aus-
schliesslich oder doch vornehmlieh
auf den Landesherrn über. Solche
Gesellschaften sind z. B. die 1398
von clen Grafen von der Mark und
Kleve gestiftet«* Brüderschaft von
den Rosskämmen, die „freundliche
fröhliche Gesellschaft vom Rosen-
kränz'1, zu welcher der Erzbischof
von Köln und die Bischöfe von
Paderborn und Münster gehörten,
die Einhornsgesellschaft Balthasars
von Thüringen 1407, die Gesellschaft
mit dein Q reifen 1379, die österrei-
chische Gesellschaft mit dem Zopfe
1376; die Präge rbrüderschaft mit
dem Reife und Hammer 1382, die
freundliche Gesellschaft mit dem
Sit tieh in Bayern 1414, der thüringi-
sche Fleglerbund 1412. Näher den
modernen Orden stand schon die
Gesellschaft vom Lindwurm, welche
Kaiser Sigismund 1424 aufthat; mehr
noch die nach dem Vorbilde des 1431
von Herzog Philipp von Burgund ge-
stifteten qoldenenl liesses errichteten
Gesellschaften, wie die vom Kaiser
Albrecht 1431 gestiftete Gesellschaft
mit dem Adler, und die 1440 gegrün-
dete Brandenburgische Sefiu-anen-
qesellschaft unserer Lieben Frauen
Kettenträger, die um 1420 an märki-
echeEdelleute verliehene schlesische
Gesellschaft mit dem Rüekenhande,
die 1450 gestiftete österreichische
Gesellschaft vom Salamander. Nach
Gierke, Rechtageschichte der deut-
schen Genossenschaft. S. 46.
Ritterorden, geistliche, sind
während der Kreuzzüge im gelobten
Lande ursprünglich von französischen
Rittern ausgegangen und waren dazu
bestimmt, die Regel des weltlichen
Rittertums mit derjenigen desMönchs-
tums zu verbinden; anfangs ohne
Zweifel sehr persönlichenStirnmuii^en
einzelner Individuen ihr Leben ver-
dankend, haben sie sich, durch den
Geist der Zeit getragen und äu?
ihm entsprungen, mit der Zeit zc
einflussreichen Institutionen
Staates und der Kirche
bildet.
1. Tempelherrn, Templer, Fra fr**
milifiae fem pH, mi Ii feit sire equi**s
lemplarii, hiessen die sieben Kitter.
welche zuerst 1119, zwanzig Jahre
nach der Eroberung Jerusalems und
der Gründung aes Königreich*
Jerusalem, unter der Leitung von
Hugo von Rayen» und (iot/fHed r*»
Omer zusammentraten und in dir
Hand der Patriarchen von Jeru&aien.
die Gelübde der Keuschheit, der
Armut und des Gehorsams ablegten;
damit verbanden sie den Schwur.
Strassen zu schützen, Wallbrud-'r
zu den heiligen Stätten zu geleiten
und gegen Überfall zu verteidigen
und zur Beschirmung des pelobtei
Landes wider die Ungläubigen
ritterlich ihr Leben dran zu setzen.
Den Namen erhielten sie von deaa
ihnen vom König eingeräumten, an
die Morgenseite des salomonische»
Tempels anstossenden Palaste. An-
fänglich lebten sie in wirklicher
Dürftigkeit, ihren heiligen Pflichten
nachkommend; nach neun Jahr:
erst nahmen sie auf des Könk*
Vorschlag neue Mitglieder tn
Bernhard ik»h Clairveaux, derseUV.
der dem Cisterzienser-Orden so zc-
gethan war, nahm sich der Templer
warm an, schrieb auch eine ei-jet*
Sehriff für sie: de laud*> MUrfia*
ad Mi Ute* lern pH; worauf Pap»!
Honoriii8 auf der Kirchen Versamm-
lung zu Troyes 1129 den Ordea
bestätigte und den Brüdern al*
Ordenskleid einen weissen Mantel
bewilligte, dem später Engen III
ein einfaches rotes Kreuz auf dem
selben hinzufügte. Auch die Rege
des neuen Ordens ist ohne Zweifei
Abt Bernhards Werk; ihr liegt di-
Regel des heiligen Benedikt zu
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Ritterorden, geistliehe.
R59
Grunde. Jeder Bruder kommt Tag
und Nacht seinem Gelübde nach;
das zehnte Brot soll den Armen
übergeben werden; die Kleidung der
Brüder soll stets von Einer l?arbe
sein; die Diener tragen sie schwarz.
Haare und Bart übermässig wachsen
zu lassen ist nicht erlaubt, ebenso-
wenig die Kleider zu schmücken oder
am Keitzeugc Gold und Silber zu
tragen. Jeuer Templer darf bloss
drei Pferde halten und nur einen
Diener. Alle Bedürfnisse giebt der
Orden; dem Meister ist strenger
Gehorsam zu leisten, auch in Kleinig-
keiten; die Jagd mit Falken ist dem
Templer untersagt, nur Löwen zu
jagen ist seiner würdig. Verhei-
ratete Brüder sind gestattet, doch
dürfen sie das weisse Kleid nicht
tragen. Die Küsse eines Weibes,
selbst der Mutter, Tante oder Schwe-
ster, sind zu meiden, und dergleichen.
Von der Kirchenversammlung zu
Troyes reiste Huffo von Payens,
nachdem er in der Würde als GVoss-
meister bestätigt worden war, zur
Aufnahme seines Ordens an den
Höfen umher, warb überall neue
Mitglieder und nahm zu Händen
des Ordens reiche Güter und Lände-
reien als Geschenk entgegen; dies
geschah namentlich in England,
aber auch in Deutschland, den
Niederlanden, Spanien und Portu-
gal; mit 300 Rittern kehrte er ins
heilige Land zurück. Um das kriege-
rische Leben, das in der ersten
Regel nur wenig berücksichtigt war,
besser zu ordnen, wurden allmählich
genauere Ordens-Statuten aufgestellt,
ie zwischen 1227 bis 1266 gesam-
melt und in provenzalischer Sprache
abgefasst wurden.
Diesen Statuten gemäss bildeten
den Kern des Tempelordens die
Ritter, deren Aufnahme mit feier-
lichen Zeremonien verbunden war;
sie mussteu adeligen Standes sein.
Ihnen standen aus bürgerlichem
Stande die dienenden BrüderzurSeite
(fratres servientes), die wiederum
in die W affenbrüder (armigeri) und
die Handwerksbrüder (famuJi) zer-
fielen. Jene bildeten eigene Scharen
im Kriege und hatten gewisse Ehren-
rechte mit den Rittern gemeinsam ;
diese betrieben die Gewerbe und
hauswirtschaftlicheu Geschäfte des
Ordens; in der Folge schlössen sich
auch weltliche Personen dem Orden
als Affilierte an. Seitdem sich die
Templer von der Gerichtsbarkeit der
Patriarchen zu Jerusalem befreit
hatten, erhielten sie eigene, eben-
falls adelige Geistliche und Kaplaue,
welche unmittelbar unter dem Papste
standen. Oberhaupt des Ordens war
der GrossmeUter , mit fürstlichem
Rang; ihm zur Seite stand das
Generalkapitel oder, da dieses nur
selten zusammen kommen konnte,
der Konvent zu Jerusalem. Die
übrigen Ordensoberen waren dor
Grosskomtur oder Grossprior , der
Seneschall , der Marschall, der
dem Kriegswesen vorstand, der
Grosspräceptor oder Komtur des
Königreichs Jerusalem, der Drapier,
der über die Kleider verfügte, der
Turkopolier, Befehlshaber der leich-
ten Reiterei, und die Generalvisita-
toren. Eine ähnliche Ordnung be-
stand in den Provinzen.
Der Orden nahm nun gewaltig
zu; er erhielt von den Päpsten
ausserordentliche Freiheiten und Be-
günstigungen , wie Zehntenfreiheit
von seinen Gütern; Eroberungen
und Vermächtnisse vermehrten seinen
Reichtum; 150 Jahre nach seiner
Gründung zählte er gegen 20000
Ritter und besass 9000 Komtnreien
(inhd. kommentier, commendur aus
mittellat. eommendator, zu commen-
dare= befehlen), Balleien (aus mittel-
lat. balius, bajulus — Träger , Ge-
schäftsträger, Vorwand) und aus
Prioritäten, deren jährliche Einkünfte
gegen 54 Millionen Franken betrugen ;
die bekannten Provinzen des Ordens
sind im Morgenlande Jerusalem,
Tripolis, Antiochien und Cypern;
im Abcndlande Portugal, Castilien
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860
Ritterorden, geistliche.
und Leon, Aragonieu, Frankreich
imdAuvergne, Aquitanien undPoiton,
Provence, England, Deutschland,
Ober- und Mittelitalien, Apulien
und Sieilien. Anfangs war Jerusa-
lem der Hauptsitz, spater Cvpern,
zuletzt Frankreich. Hut erhob sich
im Beginne des 14. Jahrhunderts
ein abscheuliches Gericht über den
Orden, dem er bald gänzlich zum
Opfer fiel. Die Ursache n der Feind-
schaft gegen sie waren zum Teil
wirkliche Ausartungen, die Anklage,
dass sie in treulosem Einverständ-
nis mit den Saracenen gestanden
hätten und der schlimme Ausgang
der Kreuzzüge ihnen am meisten
zur Last falle; die Eifersucht der
Johanniter; die Abneigung der
Bischöfe und Weltgeistlichcn, von
deren Gericht der Orden gänzlich
emanzipiert worden war: am meisten
aber die von den Reichtümern des
Ordens gereizte Habsucht des Königs
Philipps IV. und die Schwäche des
Papstes Clemens V. Im Jahre 1306
erfolgte durch königlichen Befehl
die gleichzeitige Verhaftung aller in
Frankreich lebenden Tempelritter,
und Einziehung ihrer Güter. Die
Anklagenunkte waren vornehmlich
auf die Verleugnung Christi, die Ver-
ehrung des Götzenbildes Baffomet
und auf unnatürliche Wollust ge-
richtet; ausserdem sollten sie das
Kreuz bespeien, mit dem Teufel im
Bunde stehen, einen schwarzen Kater
anbeten und küssen, Kinder opfem
und dergleichen. An der Spitze
der königlichen Untersuehungskom-
mission stand der Dominikaner
Wilhelm. Die Untersuchung wurde
höchst grausam und willkürlich ge-
führt; viele standhafte Ritter er-
litten den Feuertod. Im Jahre 1312
erklärte der Papst den Orden für
aufgehoben, indem er die Personen
und die Güter des Ordens seiner
und der Kirche Verfügung vorbe-
hielt; die letztern sollten dem Johan-
niterorden zufallen. Trotzdem eig-
nete sich Philipp IV. ungeheure
Schätze zu; in andern Ländern
wurden die Güter der Krone zu teil,
oder dem Johanniterordeu , oder,
wie in Aragonieu und Portugal, ein-
heimischen Ritterorden- Vgl. jlarf-
mann, Geschichte des Ausgangs dt>
Tempelherrenordens, Stuttgart 1>4*
— l*rntz, Kulturgeschichte (Tor Kreuz-
züge. Berlin 1H83. S. 274 — 310.
2. Der Johanniterorden , auch
RhodUer und Maltheserritter ge-
nannt, Johannifac, Fratret Aotyi-
tat es St. Johannis, Müites kos^itaU*
St. Johannis Hierosolymitoni ', H--*-
pitatani. Die Stiftung dieses Or
dens knüpft sich an dasjenige der
zahlreichen, zu Jerusalem schou
vor den Kreuzzügen zur Aufnahme
der Pilger gestifteten Hospitäler-
weiches dem heiligen Johannes v<*
Alexandrien geweiht war. Den
Bewohnern dieses Gotteshauses,
welche sich der Regel des heilig
Benedikt unterworfen harten, sta&i
zur Zeit der Eroberung Jerusalem*
der Provence Gerhard als Pro-
kurator vor. Bald nach diesen
Ereignisse gaben sich die Hospitf
ler von St. Johann, ohne sich iurr
ursprünglichen Aufgabe, der Priest
von Armen und Krauken, zu en:
fremden, eine eigene Regel, dere i
Befolgung sie dem Patriarchen ge
lobten. Ein schwarzes mit einem
weissen Kreuze auf der Brust ge-
ziertes Gewand zeichnete die ßr>
der aus. Gleichzeitig mit der neu**
Regel (1113) erwaib sich der Orden
durch Papst Paschalis II. die IV-
freiung von dem an den Patriarchen
zu entrichtenden Zehuten und d*.*
Recht, sich seine Vorsteher selb-
ständig zu wählen. Der erste der
selben war Gerhard, dessen Nack
folger seit 1118 Raymund du Pg*.
unter dem erst durch eine Anzali
neuer Regeln der Orden eine fester-
Gestaltung gewann. Es wurde uän
lieh zu den Klostergelübden dk
Verpflichtung gefügt, gegen d>
Ungläubigen zu kämpfen; zu der:
Ende war die ganze Geseilschar
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Ritterorden, geistliche.
SGI
in die drei Klassen der Kitter,
Priester oder Kapellane (Gehör-
eamsbrüder) und dienenden Brüder
geteilt, von denen die erste für den
Krieg, die zweite für den geist-
lichen Dienst, die dritte für die
Pflege der Wallfahrer bestimmt
war. Die kriegerische Thätigkeit
des Ordens war es vornehmlich,
die ihm schnell die Gunst des
Papstes und der weltlichen Fürsten
verschafften; doch artete infolge
der ungeheuren Reichtümer auch
diese Gesellschaft schon früh aus.
Nach dem Verluste Jerusalems ver-
legte der Orden seinen Sitz zuerst
nach Ptolemais, dann nach Limisso
auf Cypern, von wo aus er sich
1309 aer Insel Rhodus bemäch-
tigte; nach langen Belagerungen
eroberten 1522 die Türken die
Insel Rhodus, worauf sich die Jo-
hanniter bald da bald dort aufhiel-
ten, in Candia, Sizilien, Rom. bis
Carl V. ihnen 1530 die Inseln Malta,
Gozzo und Comino mit Tripolis
unter der Bedingung zu Lehen gab,
dass sie die Türken und Seeräuber
bekämpften , Tripolis beschützten
u. a. Nachdem schon die Refor-
mation dem Orden grosse Verluste
gebracht, erlag er »1er Revolution
gänzlich.
Zur Zeit seiner Blüte bestand
der Orden aus sieben Nationen oder
Zungen, welche Abgeordnete zum
Kapitel schickten: 1 )Die Provence mit
dem Grosskomtur des Ordens, als Prä-
sidenten des Schatzes; 2) Auvergne
mit dem die Landtruppen befehli-
genden Ordcusmarsehall; 3| Frank-
reich mit dem Grosshospitalmeister;
4) Italien mit dem Admiral oder
General der Galeeren; 5) Arago-
nien, Navarra und Katalonien mit
dem Grosskonservator; 6) Deutsch-
land mit dem Grossbailli; 1) Kasti-
lien und Portugal mit dem Gross-
kanzler; 8) England mit dem Turko-
Polier, dem Kommandanten der
Wachen und der Reiterei. Jede
Zunge zerfiel wieder in Prioreien,
Balleien und Komtureien. Die höchste
Ordenswürde war die des Gross-
meisters des heiligen Hospitals zu
Jerusalem und Guardian der Armen
Jesu Christi: er wurde aus dem
Kapitel gewählt, das sich aus den
Abgeordneten jeder Zunge konsti-
tuierte. Die Aufnahme der von
vier Gliedern väterlicher- und müt-
terlicherseits adeligen Mitglieder
konnte mit dem 16. Jahre erfolgen,
mit dem 17. begann das Noviziat,
mit dem 18. wurden die Gelübde
abgelegt. Das Ordenswappen be-
stand in einem silbernen aenteckigen
Kreuze in rotem Felde, mit einer
von einem Rosenkranze umgebenen
Krone, unten mit einem kleinen
Maltheserkreuze und der Unter-
schrift Pro fide. Die Ritter trugen
im Frieden einen langen schwarzen
Mantel, auf demselben und auf der
Brust das weisse achteckige Kreuz;
im Kriege sollte die Ordenstracht
in einem weissen Waffenrocke mit
einem einfachen Kreuze auf der
Brust und auf dem Rücken be-
stehen. Neudecker in Herzogs
Keal-Encykl. — Prutz, Kulturge-
schichte der Kreuzzüge, 233 — 255.
3) Deutschorden Als bei An-
lass der Belagerung von Akkon
viele deutsche Pilgrime in dem
durch Seuchen und Hungersnot
heimgesuchten Lager hinstarben,
schlugen einige Bremer und Lü-
becker Bürger, die unter der Füh-
rung des Grafen Adolf von Holstein
ins gelobte Land gesegelt wareu,
vermittelst ihrer Schiffsegel Zelte
zur Pflege jener Pilger auf; mit
ihnen verbanden sich um 1190 Brü-
der des deutschen Hospitals zu Je-
rusalem. Anwesende Fürsten und
namentlich der junge Herzog Frie-
drich von Schwaben fassteu darauf
den Entschlus.% dieses Institut zu
einem Ritterorden nach dem Vor-
bilde der Johanniter und Templer
zu gestalten; die beiden Meister
dieser Orden entwarfen nun ge-
meinsam mit dem Patriarchen und
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862
Ritterorden, geistliche.
anderen hohen Geistlichen eine neue
Regel, so zwar, dass man die Ge-
setze für die ritterliche Thätigkeit
von dem Tempelorden, die Pflege
christlicher Mildthätigkeit aber von
den Johannitern entlehnte. Die
neue Gemeinschaft hiess „Orden
des deutschen Hauses unserer lie-
ben Frau zu Jerusalem4' und erhielt
1191 die Bestätigung des Papstes
Clemens III. Das Ordenskleid der
Ritter wurde ein weisses Gewand
mit einem schwarzen Kreuze; der
erste Hochmeister war Heinrich
Walpott von Bassenheim in den
Rheinlanden. Die Brüder zerfielen
in zwei Klassen, in Ritter und
Krankenpfleger; die Priester, die
den Gottesdienst zu besorgen hatten,
wurden erst später dem Orden als
eigentliche Mitglieder eingeordnet,
pie erste- bedeutende Schenkung
kam dem Orden durch Kaiser Hein-
rich VI. zu, ein Cistercienserkloster
zu Palermo, dessen Besitzer wegen
widerspenstigen Benehmens vertrie-
ben worden waren. Schnelleren
Aufschwung nahm aber der Orden
erst seit 1210, unter dem Hoch-
meister Hermann von Salza, der
seiner grossen Verdienste wegen
für sich und seine Amtsnachfolger
zur Reichsfürsten würde erhoben
wurde und die Erlaubnis erhielt,
auf seinem Schilde und in seiner
Ordensfahne den schwarzen Adler
zu führen.
Das folgenreichste Ereignis für
die Zukunft des Ordens war seine
Berufung nach Prcusseu. Der Bi-
schof Christian von Kulmerland und
der Herzog Konrad von Masovien,
ausser stände, sich der beständigen
Einfalle und Verheerungen der heid-
nischen Preussen zu erwehren, ka-
men nach Besprechung mit den
masovischen Grossen überein, dem
Hochmeister des Deutschordens, der
damals in Venedig residierte, eine
Schenkung des Kulmerlandes und
eines anderen Gebietes an der
Grenze Preussens anzubieten, wenn
er sich entschliesse, einen Teil seiner
Ordensritter berbeizusenden. Nach-
dem Kaiser Friedrich II. dem Hocb-
I meister Vollmacht erteilt , mit der
ganzen Macht seines Ordens in
Preussen einzudringen und zugleich
bewilligt hatte, dass der Orden so-
wohl das verheissene und das soa<-t
I noch an ihn zu verleihende, als da?
I sonst zu erwerbende Land frei, ohne
! Dienstlast und Steuerpflicht besetzen
sollte, schickte Hermann von Salz.-,
eine Schar Ordensbrüder unter An-
führung des Deutschmeisters Her-
mann Balk und des Marschall?
[ Dietrich von Bernheim nach lYeu>-
I sen ab. Das Land wurde eing*-
l nommen, Burgen und Städte
gründet , auch vereinigte sich drr
Orden mit den schon früher bestao
denen Orden der Dobrinrr Ktitf'
hriider und dem Itifterortien
Schicerthri'uler in Livt-and. Ih-
ersten Beamten waren ausser det
auf Lebensdauer gewählten Hoeb-
! meister der Grosskomtur . ckr
j Oberst-Spittler, der Oberst- Trap^r
'der Tressler oder Schatzmeister
die Residenz des Hochmeisters ulJ
seiner Würdenträger war Akkco.
wo auch das Generalkapitel geh*
ten wurde. Für die einzelnen Lac
der wurden Stellvertreter emanm
der Statthalter von Deutschland
hiess Deutschmeister, der von Liv
land Heermeister, der von Preus*?r
! Landmeister. Den einzelnen Be-
I zirken , deren es in Deutschland
1 elf gab, standen Komture vor, neb**
welchen es in Preussen Ordensvögte
cab. Seit 1309 war der Sitz
Hochmeisters in Marienburg. Da*
14. Jahrhundert war die Blüte»::
des Ordens; den ersten schweren
Stoss erlitt er, als in der Schlack:
bei Tannenberg 1410 die Blüte d--
Ordens von dem vereinigten pc4-
nisch- litauischen Heere Vernich trt
wurde; durch den Frieden toi.
Thorn, 1466, geriet das Orden&laD -
in polnische Lehensabhäugig-keir
das Kulmer Land, Elbing und Ma
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Ritterorden, weltliche. — Rittertum.
863
rienburg gingen ganz verloren. Der
Ordensstaat war in völliger Auf-
lösung begriffen, als auf den Rat
Luthers der Hochmeister Markgraf
Albrecht von Brandenburg die Sä-
kularisation des Ordensstaates und
die Einführung der Reformation
ins Werk setzte. Die in Deutsch-
land befindliehen Reste des Ordens
wählten einen neuen Hofmeister,
der seinen Sitz zu Mergentheim
nahm. Klüpfel in Herzogs Real-
Encyklopädie. — I oigt, Geschichte
des deutschen Ritterordens, 2 Bände.
Berlin 1857-59. Prutz, in dem
angeführten Werke, S. 255—264.
Ausser den genannten Ritter-
orden entstanden zu derselben Zeit
noch zahlreiche andere, die mehr
oder minder grosse Bedeutung ge-
wannen. Dazu gehören u. a. der
Orden von St. Jago, um 1170 in
Spanien zur Vertilgung der Mauren
und zur Beschützung der Jakobs-
fahrer gegründet; der Calatrava-
Orden, von der kastilischen Stadt
Calatrava benannt, um 1158
die Sarazenen gestiftet; der
von Alkantara, um 1156 gestiftet;
er besass die Regel der Cistercien-
ser und widmete sich namentlich
der Krankenpflege und dem Schutz
der Kirche und der Pilger.
Ritterorden, weltliche. Nach
dem Vorbilde der geistlichen Ritter-
orden entstanden seit dem Ende des
12. Jahrhunderts Rittergesellschaften
weltlicher Natur,Brüderschaften oder
Bünde, die je nach Ermessen geist-
liche oder weltliche Geschäfte ver-
banden. Von Anfang an vorzugs-
weise von Fürsten und dem höchsten
Adel gegründet, ging das Recht ihrer
Stiftung früh einseitig auf die Herr-
scher über, die sich dieser Stiftungen
für ihre dynastischen Zwecke De-
dienten. 2ai den frühesten Orden
dieser Art gehört der 1190 vom
Dänenkönig Kaimt IV. begründete
Elej'antenorden, und der 1219 eben-
falls in Dänemark vom König Wal-
demar II. gestiftete Orden mm Dane-
en
brog. In die rechte Blüte als einer
zum weltlichen Fürstenstaat gehö-
renden Institution kamen diese Orden
nicht vor dem 14. Jahrhundert, wo
ihr Zweck Verherrlichung des Hofes,
Auszeichnung und Heranziehung der
geeignetsten Persönlichkeiten inHof-,
Kriegs- und Staatsdienst wurde.
Diese Richtung ist vorhanden in dem
von Philipp von Burgund 1430 ge-
stifteten Orden vom goldenen Wesse,
im englischen Hosenbandorden (1454),
im französischen Orden des heiligen
Michael (1469» und vom heil. Geist
(1578); desgleichen in dem des heil.
Ludwig (1693).
Rittertum. Die Entstehung des
Ritterstandes liegt in der zunehmen-
den Bedeutung des Rossedienstes; in-
dem sich ausserhalb der durch das Ge-
burtsrecht bedingten Ständeunter-
schiede die Art des Kriegsdienstes
in den Vordergrund drängte, ergab
sich ein Band, das namentlich die
bis jetzt getrennten Stände des hohen
Adels und der Ministerialen unter
einer neuen Einheit vereinigte; der
lateinische Name ist mües, aus dem
deutschen Wort riter zweigt sich das
Wort ritler ab. Man findet auf
deutschem Boden diese Namen zuerst
in Lothringen, das sich in seiner Ent-
wicklung dem benachbarten Frank-
reich anschloss, in königlichen Ur-
kunden zuerst unter Lothar, 1125 bis
1137. Im Verlauf des 12. Jahrhun-
derts bildete sich die Ansicht immer
fester aus, wonach alle zum Ritter-
dienst berechtigten und verpflichteten
Personen als eine geschlossene Ge-
sellschaft, das Schildes ampt, ordo
militaris, equestris, vereinigt gedacht
wurden. Sie bildeten einen eigenen
Stand, dessen Erhaltung namentlich
auf der standesmässigen Erziehung
der Söhne beruhte. Freie eheliche
Geburt und Wahl der kriegerischen
Lebensart waren die Vorbedingungen,
um diesem Stande anzugehören; sonst
konnte jeder, er mochte Fürst oder
Dienstmann sein, Ritter werden;
dennoch bildete sich auch dieser
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864
Rittertum.
seiner Natur nach auf der Persön-
lichkeit der Einzelnen beruhende
Stand dem Geiste der Zeit gemäss
früh wieder in einen erblichen Stand,
den der Ritterbürtirfen aus, dem alle
diejenigen angehörten, deren Vater
undGrossvater Ritter gewesen waren ;
machten diese jungen Fürsten so-
fort 400 andre zu Rittern.
Die ritterliche Erziehung dauerte
in der Regel bis zum 21. Jahr. Bü
zum 7. Jahr blieb der Knabe bei der
Mutter; dann kam er an einen fremden
Hof oder zu einem fremden Rirt»-r.
dem Kaiser blieb dabei die Befugnis, um sich hier gemeinsam mit andern
um besonderer Verdienste willen Knaben in höfischer Sitte unterrichten
auch Knechte zu Rittern zu machen; und üben zu lassen: sein Name ist
doch war das gegen die allgemeine jetzt leint, juncherre, junchrrrrlh
Regel und ungern gesehen. Das Sein Dienst galt besonders der Damt-.
Symbol des Rittertums ist das Schild, an deren Hof er sich befand: er
daher der Name Schilden ampt, das musste sie bei Tisch l>edienen, ihr
soviel als Ritterdienst bedeutet. Aufträge und Befehle vollziehen, dVj
Ritter ist in der höfischen Periode Boten machen, sie auf Reisen, auf
der verbreitetste Name für den An- Spaziergängen und auf der Jagd b-
gehörigen des höfischen Standes, da gleiten, ihres Winkes gewärtig »»in
er allein alle besondern Abteilungen es war die Vorbereitung zum später,
und Arten desselben umfasst; so ritterlichen Frauendienst. Daneben
wurde er in mancherlei Kenntnissen
und Fertigkeiten von „weiser.
Männern" unterrichtet, ineist Gckt
liehen oder fahrenden Sängern: -i:»
standen sie denn wohl unter der Auf-
sicht eines besondern zuchfmeis'en
heisst es z. B. : der heiser, die künige,
derfürsten schar, grurenxfrien, dienst-
man, — teaz ice'rder ritlere hat der
plan etc.
Charakteristisches Zeichen der
Ritterwürde istdie*Kvv7/ei7<?t die Um-
gürtung mit dem Schwert, das Wort Auch körperliche Übungen u.
ritteruae kommt mittelhochdeutsch wurden getrieben : Laufen, Springen
nur vereinzelt vor; die Zeremonie i Reiten, Schwimmen, mit Bogen tu*
stammt aus der uralten Wehrhaft- Armbrust schiessen , Steinwerfen,
machun^ der Germanen (siehe den Sehwert,LanzeundSenUd handhaben
Art. Erziehung) und hatte sich ohne I Mit dem vierzehnten Jahre wur&
besonderes Aufsehen als Gewohnheit i das kint zum knappen, famulm*
und Recht der Freien bis jetzt er- 1 armiger, befördert; auch das W ir
halten. Die häufigsten Gelegenheiten knecht wird etwa gebraucht. Er er
zur sicertleite boten die hohen Kirchen- hielt jetzt ein Seliwert umgehän^
feste, namentlich das Pfingstfest, und trat in die Dienste des Kittel
Verkündigungeines Friedens, Reichs-
tage, Krönungsfeste, Vermählungen
und dergleichen, sodann benutzte
man mit Vorliebe den Moment vor
oder nach einer Schlacht oder son-
Jetzt hatte er für Reinhaltung dtt
Waffen, für die Pferde zu sorgen, der
Herrn zur Jagd, zum Turnier, in d«
Krieg zu begleiten, wobei er
Herrn Lanze trug und das Streitroft-
stigen kriegerischen Begebenheit, den 1 desselben am Zügel neben sich fuhrt'
Ausbruch eines Krieges. Zu den In der Schlacht blieben die Knappen
Vorrechten derRitterbürtigen gehörte in unmittelbarer Nähe der ritterliche
auch das Recht, die Würde andern Schlachtreihe. Seine Wehr bestac:
zu erteilen, und es kam vor, dass in einer leichten Blechhaube, einen
gerade dieses der erste Akt eines j Schild und einem Schwerte ; sUt-
Wehrhaftgemachten war; als Phi- eines Streitrosses hatte er
lipp, Sohn Philipps des Schönen, Klepper. Ehre und Anstand geb*<
an einem Pfingstfest seine drei dass sein Herr, meist der Lehnsherr
Söhne zu Rittern gemacht hatte, ihn zierlich kleidete, in der Regel i:
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Rittertum.
8o5
den Farben seines Wappens. Am letzte sei, den er sich müsse gefallen
Hof hatte der Knappe die persön liehe lassen; später war der Backenstreich
Bedienung des Herrn, in der Schlaf- die Zeremonie , welche den Edel •
kammer, bei Tische, in Küche und knaben zum Knappen machte. So-
Keller, im Stall, so zwar, dass an dann wurde ihm mit dem ritterlichen
grössern Höfen diese verschiedenen Gürtel das Schwert um den Leib
Obliegenheiten unter die Knappen gegürtet und darauf die goldenen
unter der Aufsicht der obern Hof- Sporen und die einzelnen Stücke der
beamten verteilt waren. Überhaupt Rüstung nach einander angethan,
aber war es in der Blüte des Ritter- endlich das Ritterpferd vorgeführt,
tums dem Herni daran gelegen, den auf dem er sich sofort in dem nun
Knappen nicht bloss körperlieh, son- folgenden Turnier in seiner Würde
dem geistig und sittlich zu einem bewähren konnte,
rechten vrunten , d. h. trefflichen Das einer belgischen Chronik ent-
Ritter zu machen; daher sich in Prosa nommene berühmte Zeremoniel bei
und Versen eine eigene Zucht- und der Ritterweihe des Königs Wilhelm
Anstandslehre für junge Knappen 12U7 hat sich als Fälschung heraus-
ausbildete, die namentlich in dem gestellt. Siehe Roth v. Schreckenstein
Gedicht „Winsbeke" erhalten ist. in den Forschungen z. d. G. XXII.
Mit dem 21. Lebensjahre war die 233 — 247.
Knappeuzeit abgelaufen und durfte Die mit der Schwertleite vollen-
die Schwertleite erfolgen; andere dete ritterliche Erziehung bildete
Xameu dafür sind daz strert nemen, nun die Grundlage des ritterlichen
steert leiten, daz swerl geben; diese Geistes, der ritterlichen Bildung,
zu erwerben war jeder verpflichtet, welche die eigentliche Blüte des
vom Kaiser bis zum adeligen Dienst- mittelalterlichen Geistes geworden
mann; doch mussten sie Christen ist. Der Kern dieses Rittertums
sein und es war gegen die Regel, ist seiner innern Natur nach ein
wenn Riehard Löwenherz und Fried- Ideal, ein Geist, eine Kraft, ein
rieh II. edelu Sarazenen den Ritter- Begriff, der sich im einzelnen Ritter
schlag erteilten. Ein einheitliches nie vollständig verwirklichen konnte,
Zeremoniel gab es anfangs nicht; der aber für die ganze Bildung des
auch bedingten Ort und Zeit wesent- Standes von ausserordentlichen Fol-
liche Änderung; ein Schlag war in gen war. Es wird nie gelingen, aus
ältesterZeitiedeufalls nicht ineHaupt- den vorhandenen Regeln des Ritter-
sache, sondern die Umgürtung mit tums das ganze Bild der Erschei-
dem Schwert. Das französische nung zu gewinnen; am ehesten ist
Ritual war ausgebildeter als das das aus den von des Dichters Auge
deutsche, und die spätere Zeit gefiel erschauten RittergeMalten möglich,
sieh um so mehr in Zeremonien, je namentlich aus den Artusgedichten,
mehr der thätige Geist des kriegeri- Tristan und Isolde, Iwein, Parzival.
sehen Rittertums gewichen war. Die vier Haupt rieht ungen der rittet''
Immer ginc ein Gottesdienst voraus, liehen Lebensführung sind aberpreis-
wobei der Knappe beichtete und das würdiger vollkommener II affen-
Abendmahl empfing. Nachdem er dienst, Ehre, höfische Zucht und
dann knieend die Ermahnungen an- Frauendienst, von welchen die beiden
gehört und das Gelübde mit einem erstem mehr aus der ältern Zeit
Eidschwur abgelegt, empfing er mit ( herübergenommen, aber höfisch aus-
der Flüche des Schwertes dreiSchläge gebildet, die beiden letztern neu sind,
über die Schulter oder den Rücken, Des Ritters Waffendienst achlivsst,
oder einen leisen Schlag an den Hals, was früher nicht der Fall war,
zum Zeichen, dass dies nunmehr der jeden andern Lebensberuf als des
Realkxlcon der deutschen Altertümer. 55
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866 Rittertum.
Ritters unwürdig: aus; er bestellt kraft welches sowohl die Drittperson.
nicht einmal sein eigenes Hofgut, sei sie höfischen Standes oder nicht,
aus dem er doch herausgewachsen ihm, dem Ritter, die ihm gebührend-:
ist : noch viel weniger darter Handel äussere und innere Achtung ent-
und Gewerbe treiben. Der Ritter gegenzubringen hat, als er selbst
ist geborner Kriegsmanu; auf den zu handeln, zu sprechen, zu em-
Wanendienst sind in erster Linie pfinden verpflichtet ist. Es gieb;
Wohnung, Kleidung, Unterhaltung, wohl auch Regeln der Ehre; doch Ls:
Spiel und Erziehung gebaut ; so eng diese nicht bloss äusserlich erkennbar,
ist der Dienst mit dem Wesen des denn auch sie ist eine Kraft, eine
Ritters verflochten, dass dieser kraft Idee, die im Gemüte wurzelt uai
seines Standes nicht bloss im ernsten von da aus das granze Lebeu duneh-
Waffendienst dem Feinde gegen- dringen muss. H eise, d. h. erfahrene,
über zu kämpfen hat, sondern dass ältere Männer, sind es, welche der
er als Ritter verpflichtet ist, immer Jugend, der tumpheit, zu sage:
uud überall freiwillig kriegerischen wissen, was tre sei; denn Ehre »iL
Kampf aufzusuchen und sich daran Erfahrung. Das Ideal der Ehr
zu bethätigen; daher ist der Waffen- konnte sich am allerwenigsten ii
kämpf nicht bloss eine tagliche einem Ritter verwirklichen.
Übung des Ritters auf seinem Hofe, Natur des Menschen trägt auch Un-
solidem er hat an fremden Höfen, ehre an sich. Besonders gefahritct
in fremden Ländern, in der Nähe war dieser Begriff für die Wert-
und in der Ferne seinem Beruf Schätzung des Ritters nach M*k-
nachzugehen, er tuocht fremediu gäbe seiuer geistigen intellcktuclH
lanf. Überdies hat sich der ritterliche Gaben und seines weltlichen Be
Waffendienst zu einer besondern sitzes; von dem letztem, dem Reit b
Kunst und Erscheinung ausgebildet, tum, war die Ehre des Ritters ue
die im ernsten Krie^rskampfe sowohl abhängig, ein Umstand, der es a'ikii
als im Ritterspiel, in der Form des dem besitzlosen Edeling ermöglicht»
ijost, buhurt und furnier ihren eige- in den Kreis der hohem höfisch«
nen, streng vorgeschriebenen Ge- Gesellschaft einzutreten; aber die
setzen folgt. Sielie die besonderu : selbe Verachtung des Reichtums ver-
Artikel. ! langte von dem , der ihn besä.-
Auch die Ehre ist gewiss etwas stets und überall so zu handeh
weit älteres als das Rittertum; sie als ob es für ihn gleichgültig ta
eignet ihrer Natur nach jedem höher wie viel und wie ort er zu gebes
gestellten Wesen, sie eignet Gott, habe; daraus fliesst die ritVrhV'
dem König, dem Herrn, dem Freien, Tugend der milte, der Freicebit
und die Deutschen zumal übteu von keit, welche eine grosse Schuld in
altersher die Ehre des Dienstmannes, spätem ökonomischen Ruin dr?
welche man Treue heisst; ja gerade Adels auf sich getragen hat, Wec
die Treue scheint sich ihm schon ger gefährlich mag der UmeU: :
sehr früh zu einem Lebensideal ge- gewesen sein, dass auch die inte Utk
staltet zu haben, welches wesentlich tuclle Wertschätzung ausser d»iu
zur Entwicklung des spätem Be- Begriff der Ehre lag: denn vte
griffes der ritterlichen Ehre beitrug. Lieblingsgebiet des Taleutes, d:
Doch ist diese mehr als Treue; sie Wissenschaft, lag gänzlich au^:
ist der sittliche Inbegriff alles dessen, der Sphäre des Rittertums, wek±^
was ihn der Gesellschaft gegenüber nicht einmal der Schreibekunst i>~
zum Ritter macht, sie ist jetzt ein dürftig war: nicht lesen und schre
spezifisch ritterlicher Begriff, der ben zu können, verstösst nicht geg> -
Abglanz des ritterlichen Amtes, 1 die Ehre des Ritters, aberNarrheitts.
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Rittertum.
867
Sünden gegen die Vernunft zu be- Ritterideal etwas weichliches und
gehen eben auch nicht, uud wenn weibliches, wie sich auch die Poesie
in der Blüte der höfischen Bildung mit Vorliebe der frischen, auf blühen-
die Ehre stark genug gewesen sein den Jugend zuwendet, wenn noch
wag, auch hier vermittelnd einen* das Rot und Weiss der Wangen
greifen, schliesslich hat sich doch zart erglüht. Selbst die Kleidung
aus dem höfischen Rittertum ein des Ritters ist nicht ohne weiblichen
Don Quixote entwickelt. Zug. Die höfische Sitte verlangt
Wesentlich neu und erst der zunächst ein bartloses Gesicht, von
Bildung des höfischen Lebens an- welchem bloss hohe fürstliche Pereo-
gehörend ist die höfische Zucht, die nen und würdige Alte Ausnahme
hörescheit, die cvurtouie, die mau machten. Dagegen gestattete man
zwar auch unter den Begriff der dem Haupthaar mehr Spielraum und
Ehre unterordnen dürfte. Es ist Hess es in sauften welligen Locken
das Gebahren des Ritters in der zu beiden Seiten des Gesichtes am
höfischen Gesellschaft. Gewiss hatte stets freigetragenen Halse herab-
sich schon lauge, namentlich am fallen, doch nicht so lang, dass es
königlichen Hofe, eine Regel des die Schultern erreichte. T)er lance
hofinässigen Benehmens herange- Rock des Ritters ging bis über ihe
bildet, aber zur lebendigen, den Knie, ja selbst bis auf die Füsse
ganzen Stand umfassenden Lebens- herab; er war rings geschlossen, am
tührung ist die höfische Zucht erst , Oberteile nach dem Wüchse ge-
setzt geworden? Auch sie ist ihrem schnitten und in ziemlicher Enge
Wesen nach innerlich, geistig, ideal ; an den Körper schliessend, während
aber die Gesellschaft bemüht sich, j er unten weit die Beine umwallte;
sie leiblich ins Leben einzuführen, auch war er mit einem meist kost-
Zucht ist das Gefühl für Wohlan- baren Gürtel gegürtet. Um die
ständigkeit, sie ist so notwendig, Schultern legte sich zur Vervoll-
dass sie sogar (iott selbst beigelegt stiindigung der ritterlichen Kleidung
wird. Leiblich aber ist sie edle Au- ein weiter wallender Mantel, der
standigkeit im Betragen , Geberde, auf der Brust durch eine Agraffe
Kleidung; sie bewahrt sich besonders gehalten wurde. Die Rüstung legte
beim J'!mj> fange, beim Ah*chied, in der der Ritter nur an, wenn er sie
GeselUchitft, namentlich in der auf- brauchte; in der Gesellschaft und
merksamen und feinen Bedienung sogar auf dem Kriegszug Abends
bei Tafel. Das sehickliche Wort in der Herberge trug er die gewöhn-
in schicklicher Form bei der Be- liehe Kleidung. Die Rüstung be-
gegnung und in der Unterhaltung | stand aus dem Kettenhemo und
zu finden und zu gebrauchen, ist ähnlichen aus Ringen geflochtenen
stets ein Beweis der Zucht. Das i Bekleidungen des Kopfes, der Hand
Lebenselement der zucht ist aber und der Beine. Über den Ringen
das Mass, die m uze, das gemessene lag lang und weit und flatternd
Handeln, die Rücksicht auf die Um- ' ein prachtvoller Waffenrock der in
stände, die Vermeidung des Zuviel, Farben leuchtete und mit den Zeichen
des Zuwenig, die Bändigung des und Bildern des ritterlichen Wappens
leidenschaftlichen Benehmens, und bedeckt war.
doch eine Beweglichkeit, welche
die Scheu und die Unbeholfenheit
überwindet. Die Forde rung höfischer
Die höfische Zucht, als eine
eigenartige, auf einen hohen Grad
von Gefühl für das Edle und Schöne
Zucht, die Unterordnung des Manues gebaute Lebensführung, die nicht
unter eine gebotene Gesellschafts- ! bloss in der Phantasie vorhanden
regel giebt dem mittelalterlichen war, obgleich sie hier die höchste
55*
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868 Rittertum.
Ausbildung erreicht haben mag, Werber zum Vater und nieht zur
steht nun im engsten Zusammen- Tochter hinwies. Die Liebe ent-
hang mit dem Frauend iensf, der das sprang in dem Busen des Weibe»
Eigentümlichste ist, was die höfische und der Mann nahm sie hin als
Bildung hervorgebracht ; im Dienste Anerkennung seiner Tüchtigkeit,
der Frau steht zugleich des Ritters die er fordern konnte und die ff
Waffe, Ehre und Zucht. Die Stellung mit ehelicher Zuneigung belohnte
des Weibes war bei den Germanen Hatte der Mann auch Achtuns vor
wie bei allen andern Völkern ur- der einzelnen Frau, dem Gesehleck f
sprünglich eine sehr niedrige. Das versagte er eine ihm ebenbürtig*
Weib musste sich mit dem toten Stellung. Die alten Heldensagen
Manne verbrennen lassen, der Mann der Germanen kennen wohl leiden
hatte das Recht, es zu verkaufen schaftliche, den Männern sogar über-
oder zu verschenken. Nur durch legene einzelne Heldinnen, aber
die Gnade des Vaters wurde ihm Lieder der Liebe sind es nie und
zu leben erlaubt, durch Geld wurde nimmer gewesen,
es von einem Fremden dem Vater Das ändert sich jetzt fast plöcz-
abgekauft; auf dem Weibe allein lieh, ohne dass man genau sagex
lag die Bestellung von Haus und könnte warum; wir erkennen blos?.
Feld. Diese ältesten harten Ver- dass eine Veränderung eingetret« r.
hältnisse waren nun freilich schon ist. zufolge welcher weibliche Sckö*
früh, lange bevor das Christentum heit an Stelle der männlichen Tüd
bei den Germanen herrschend wurde, tigkeit zur Quelle der Liebe p -
teils durch das Aufkommen eines macht ist. Eine Hauptursache dieser
milderen Rechtes oder wenigstens Erscheinung war gewiss die, das
einer milderen Gewohnheit, teils die soziale Ausbildung des Ritter-
dureh die Wirkungen religiöser An« I Standes als eines von der nichtritter-
schauungen veredelt. Doch blieb liehen Welt getrennten von seihet
das ganze Mittelalter hindurch der auch die weibliche Bevölkerung des
Grundsatz, dass die Frau kein eige- Standes in die Sphäre des abge
nes Recht besass; sie stand unter sonderten Standeslebens zog; div
der Vormundschaft und dem Schulze Ehre des Ritters zog die Khre bei-
des Mannes, und wenn sich auch nes Weibes nach sich. Im OrieQ:
im praktischen sowohl als im eitt- that sich für die Kreuzfahrer dü
liehen religiösen Leben Anschau- Bild eines verfeinerten, ausgebt!
ungen geltend machten, welche der deten, durch Poesie und Kunst p
Stellung der Frau sehr zugute kamen, schmückten Standeslebens auf. w<-
dergestalt, dass sie des Mannes Ge- rin das Weib eine wesentliche Roll-
nosfnn in Freud und Leid war, dem spielte; die Ausbildung des Markt-
Gesinde gegenüber die Herrin des kultus stellte für den gläubige
Hauses, so blieb doch ihr Stand ein Christen ein jungfräuliches Weih
gedrückter; denn der freie Germaue \ in die nächste Sähe Gottes urd
sah ja die Teilnahme an der Volks- gab den Jungfrauen und Fraovt
gemeinde und am öffentlichen Leben der Gegenwart ein erwünschte?
als seine erste und oberste Pflicht durch die Kirche geheiligtes Ideal
an, an welcher die Frau keinen Und ein Ideal ist das Weib der
Anteil nahm; war sie ja sogar auf höfischen Zeit in erster Linie, sogut
dem eigenen Hofe mit ihren Töchtern wie das ganze Rittertum; wer di-.'
und Dienerinnen in eiu besonderes höfische Dame kennen lernen will
Frauenyemaeh verwiesen. Liebes- mag die Dichter der Zeit darum
Verhältnisse konnten der Ehe nicht fragen. Aber dieses Ideal war doeb
vorausgehen , weil das Gesetz den auch Wirklichkeit , die höfisch-
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Rittertum.
869
Dame strebte darnach, ihr Vorbild
im Lebeu zu erreichen, die Erzie-
hung der Töchter hatte dasselbe
Ziel im Auge; das verfeinerte Ge-
fühl für das Anständige, Schick-
liche, Schöne wirkte in That und
Wahrheit, und auch der Frauen-
dienst der Männer wäre doch kaum
verständlich, wenn er nicht von
einer erhöhten äusseren und inneren
Bildung der Frauen getragen wäre.
Auch die erhaltenen bildlichen Dar-
stellungen in den Miniaturen lassen
trotz ihrer künstlerischen Unbehol-
fenheit auf die Weichheit, die Natür-
lichkeit, die Anmut der weiblichen
Bewegungen unleugbar schliessen.
Mit bewusster Absicht strebte die
ritterliche Welt nach der Schönheit
und Anmut des Ausseren. Die
Schönheitslehre war Stück für Stück
durchgedacht, und wäre viel davon
zu sagen, vom langen blonden Haar,
von der aus rot und weiss gemisch-
ten Gesichtsfarbe, dem roten und
wie eine Blüte durchscheinenden
Mund , dem kleinen und festge-
schlossenen; den weissen Zähnen,
den gebogenen Augenbrauen, der
geraden und langen , weder zu
stumpfen noch zu spitzigen Nase,
dem gerundeten Kinn mit einem
weissen Grübchen. Dass die Klei-
dung der Damen derjenigen der
Männer an wirklich edlem Ge-
schmacke nicht nachgab, versteht
sich in dieser Zeit von selbst.
Diesem Geschlechte also widmete
der Ritter seinen Dienst, den Minne-
oder Frauendiensf, und damit ist
freilich eine Seite des höfischen
Lebens erwähnt, wo eine befrie-
digende Deckung zwischen Idee
und Wirklichkeit kaum mehr mög-
lich ist. Ob der französische Ritter,
denn in Südfrankreich ist der
Frauendienst entstanden, durch das
plötzliche Erwachen seiner Frauen-
welt aus einem langen Schlummer
aus der Bahn des hergebrachten
sittlichen Lebens geworfen wurde,
ob bei ihm dieses sittliche Leben
etwa gar nicht bestanden, ob er
sich durch Bilder des Oriente ver-
zaubern Hess, kurz, er begann der
Frau einen Dienst zu widmen, ähu-
lich und nachgebildet dem Treu-
dienst, den der Vasall seinen Lehns-
herrn schuldig ist. Er wählte sich
eine Dame, es durfte auch für den
Ritter niedriger Herkunft eine hoch-
geborene sein, der er seinen Dienst
widmete, mochten sie und er ver-
heiratet sein oder nicht; nur die
eigene Frau war zur Dame des
Ritters untauglich. Nahm sie sei-
nen Dienst vorläufig an, so gewährte
sie ihm eine mehrjährige Prüfungs-
zeit; erst nachdem er diese bestan-
den, wurde er der Vasall seiner
Herzenskönigin und förmlich von
ihr belohnt und zwar, wenigstens
in Frankreich, mit den gleichen
symbolischen Zeichen staatlicher
Belehnuug: Knieen, Händefalten,
Kuss und Ring. Der Ritter trug
nun an Schild und Lanze die Far-
ben der Frau und ein von ihr er-
teiltes Wappenzeichen, Ring, Gürtel,
Haarband, Schleier oder Ärmel.
Die Frauen verlangten ausser all-
gemeinen Beweisen der Liebe diese
oder jene That des Gehorsams, oft
auf sehr launenhafte Art, manche
Ritter sind von ihrer Dame ge-
zwungen worden, einen Kreuzzug
mitzumachen. Uberhaupt aber sollte
der Waffendienst des Ritters der
Frau gewidmet sein. Es braucht
der besonderen Beweise nicht,, um
einesteils das Unsittliche, andern-
teils das Unmännliche eines solcheu
Dienstes nachzuweisen; aber es ist
eben so sicher, dass, obgleich manche
1 Ritter diesem Dienste huldigten,
| derselbe doch mehr in ihren Köpfen
I und ihrer Phantasie , namentlich
I aber in ihren Liedern vorhanden
I war, als auf ihren Burgen, und in
! Deutschland zumal ist es mehr der
| gesellschaftliehe und poetische Re-
flex, der aus der Provence herüber-
scheint, als die Sache selber. Wür-
diger eines tugendhaften Ritters —
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870
Rittertum.
und Tugend stand bei der Wür-
digung des Ritters stets obenan —
war der Zug der Zeit zu treuer
d reiner Liehe, die sich jedoch
im
auch in den Formen ritterlicher
Galanterie bewegt. Mit der kon-
ventionellen Frauenminne oder dem j
Frauendienste war im aufgeschlosse- I
neu Gemüte dieser Zeit natürlich
auch wahre Liebe erwacht, die den
Jüngling zur Jungfrau hinzieht.
Diese Minneträger sind nicht
mehr frouwe und herr, sondern
man und wip} und der beliebte
Streit, was edler und besser sei,
frouire oder wip, beruht wesentlich
auf der Frage nach höfisch kon-
ventioneller Minne oder nach der
tiefer gegründeten Ziehe. Die we-
nigen tiefempfundenen Lieder unter
der Unzahl der Minnelieder sind
Lieder der Liebe: die Liebe ist es
auch, die, immerhin an den ritter-
lichen Fraueukult erinnernd, das
Nibelungenlied und die Gudrun in
sich aufgenommen haben:
soltu immer herzen liehe zer werfte
werden frö,
daz kümt von Jroiren minne, du
wirst ein sehoene wipy
oh dir gut gefueget eins rechte
quoten ritters Up.
Darin klingt noch tief und voll
die ältere Auffassung vom Verhält-
nis des Mannes zum Weibe, und
ebenso in dem zweiten Grund der
Abweisung Kriemhildens (der erste I
ist, dass sie ihrer jungfräulichen
Schönheit nicht verlustig gehen
will), dass liehe mit leide ze jungest
Ionen kan. Denn während der
Name Minne in seinem ursprüng-
lichen Werte längst verdunkelt,
zum konventionell höfischen Liebes- j
ausdriii k geworden war, gab das
Wort tiehe eben durch seinen Ge- '
genpart, das feit, dem Begriffe
neues, unmittelbares Leben, das I
ausserhalb der höfischen Gesell-
schaft, in dem Schicksal des Her- ,
zens selber, seinen Grund hatte.
Zur ritterlichen Gesellschaft ge-
hört durchaus der Sanfter. Ks ist
kein Zweifel, das Mittelalter hätv
auch unter anderen Lebeiiid>e<üii-
gungen als denjenigen des Lehens-
wesens eine Lyrik und daher auch
einen Stand der Lvriker hervorge-
bracht; da nun af>er in der Font
der ritterlichen Gesellschaft sein«
Blüte aufging, so musste auch der
Sänger ein Glied des Rittertums
sein. Da wo Hartmann von A»
ein Bild seines ritterlichen Helden
des armen Heinrich, giebt and er-
zählt, wie herrlich es um ihn ge-
standen an ere, zuht, mitte, fugest
triuwe, jugent, da schliesst er MN
Bild mit den Worten: er saue ri7 «r<
von minneu. Der Gesang verlangte
aber Form und Gehalt, Wort uni
Wohllaut. Wie der Ritter mit Lanr*
und Schwert der Frau diente, wa»
doch auch hätte unterbleiben kön-
nen, so diente mit mehr Recht un«i
Billigkeit der Dichter seiner Herrn;
mit dem Liede. Auch ihm mnsst-:
sich nach der Sitte der Zeit cB'
Dame erkenntlich erweisen, ja »*
nahm ihn, wenigstens in trank
reich und Italien, förmlich in ihr»fj
Dienst. Noch mehr als Waftvt-
kunst stellte die Dichtkunst d«
Sänger, auch den Armen, den Höh';
und Fürsten gleich. Es konntet
natürlich nicht alle singen, dock
hat ieder Stand des Rittertums, bi-
zu den Kaisern hinauf, seine Säd-
ger gehabt, und wer von den Für
sten nicht selber singen konnte, üVr
wurde Gönner und Freund der
Sänger. Hat doch sogar die Sa*?
den kunstliebenden Hof des Lan»
grafen Hermann von Xhüring^c
zu Eisenach bleibend verklärt.
Der Ritterstand war also in s»**ir*r
Entstehung und höchsten Ausbildun.
mehr eine Würde, eine Ehrt», die an'
der Person ruht*1, von ihr erworb-
werden musste, mit ihr starb und w>s.
jedem Sohn neuerdings renomro-^
werden musste, als ein GeburtssTan-
mit gewissen staatlichen Rechtrti
denn auch die Rechte, welche «fc
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Rock. — Roman. 871
Kitlerwürde gab, waren bloss Ehren- die sog. Ritterorden und Ritter-
rechte der höfischen Gesellschaft, ges* U 'schaffen , siebe die besondern
Gemeinsamkeit des Kampfes, der ^Artikel. — San-JJarfe, die Gegen-
Tafel. der Kleidung, der Erziehung, sätze des heiligen Grales und von
and nicht der staatlichen Ober- und ritten orden. Halle, 1862. -
Unterordnung, des Gerichts- und Schultz, höfisches Leben. — Falke,
Ei^entumswesens. Für den hochge- die ritterliche Gesellschaft im Zeit-
sfeiJten Mann, den König, Herzog, alter des Frauenkultus. — Weinhold,
Fürsten, Grafen, blieb daher das die deutschen Frauen.
Kittertum ein Schmuck, eine Grund- Rock, siehe Tracht.
hg« der Geselligkeit, später eine Er- Roland ist der berühmteste
iniiemng au eine glänzende Ver- Paladin in Karls des Grossen Tafel-
suigenheit. wie denn Maximilian der runde. Geschichtlich ist von ihm
fetzte Ritter genannt wurde. Da- nichts bekannt als sein Name und
i&tn für die untern Schichten des Einhards Notiz im Leben Karls,
Mischen Standes, die Dienstmannen Kap. 9: es sei im Engpass der
und die Lehnsmannen, war die An- Pyrenäen nebst vielen anderen ge-
ftthürijjkeit zum Ritterstand nicht fallen JIrolandits britannici linutis
wm eine Brücke zur geselligen Ver- uräfectus, d. h.: Roland, der Befehls-
riüiguog mit den höchsten Lebens- naoer im britischen Grenzbezirk.
krtUen. sondern zugleich ein Mittel Nach Hugo Mever liegt der frän-
:u selbständiger rechtlicher Stellung, kischen Kolandssage ein Mythus
Nur diese Ritter niederen Adels sind von einem Gotte Hruodo oder Rodo
e*. welche sich zu einem Gehurts- zu Grunde, der ums .Jahr 700 etwa
thwle entwickeln, der sich auf Lehn- diese Form hatte: Der Sonnengott
Eiligkeit und Lehnfolgefähigkeit Hruodo, Berthas Sohn, ursprünglich
gründet; statt lehnfähig heisst es eins mit den Sonnengöttern kranit)
ÜB, vornehmer klingend, von ritters- und Ziu, ausgezeichnet durch sein
nttermaezec, ritterbürtig. Mit Seh wert uud sein Horn, wird vom
dieaem Hauutreehte der Lehnsfähig- Altfeiude der Götter, Gamalo, ver-
»fit verbanden sieh dann allmählich raten, von seinem Bluts oder
n.»ch andere Vorzüge, wie Wappen- Bundesbruder Aller, dem Schildgott,
fiiii^keit,Turnier-undStiftstUhigkeit, dessen Schwester er liebt, wider
Uottahigkcit, auch Steuerfreiheit und dessen Willen tödlich verwundet, und
Undtagsfähigkeit, die Fähigkeit, im endet so im Kampf wider die Un-
Lthngeiichte als Richter und Schofle holde im Dornenthai unter dem Welt-
jjufzutreten. Bei der Vorliebe des bäum. Die Sonne bleibt nach seinem
Mittelalters für zunftmässige Ver- Tode stille stehn, die Steine weinen
*;UiigUDgen konnte es sodann nicht um den Verstorbeneu, die Geliebte
khleu, dass nicht auch die Mitglieder folgt ihm in den Tod. Cber das
gl Ritterstandes zu ähnlichen Ver- Rolandslied siehe den Art. Karlssage.
Bindungen zusammentraten. Daliin Rolandslied, siehe Karlssage.
geboren als natürliche Genossen- Roman. Schon der Name dieser
Behalten einerseits die ritterlichen Dichtungsart erinnert an die franzö-
Wi» nbesitzer von Reichsgütern, die sische Quelle ; roman bedeutete im
Kfc Reichsdienstleute, Reichsritier- Altfranzösischen zuerst die Volks-
™aJ'i genannt, und anderseits die spräche gegenüber dem Latein, dann
Jitterbürticen Leute einer gewissen die in solcher Sprache geschriebene
Landschaft, Landesritterschaft ge- Dichtung, und sofort eingeschränkter
uaunt; sodann bildeten sich auch/mV j die in Prosa erzählte Gesehichts-
wterliche Genossenschaften mit eige- dichtung, besonders die in Prosa er-
Statuten und Ordnungen aus, zählte und erdichtete Liebes- oder
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872
Roman.
abenteuerliche Geschichte. Bei den
Franzosen entstanden schon im 12.
und 13. Jahrhundert prosaische Be-
arbeitungen der kurz vorher in poe-
tischer Form behandelten mittel-
alterlich-ritterlichen Sagenstoffe; in
Deutschland geschah dasselbe nach
dem Absterben der dichterischen
Produktivität im 14. Jahrhundert,
nur dass man hier vorläufig mit Vor-
liebe fremde Romane aus französi-
schen, italienischen und lateinischen
Quellen übersetzte ; immer noch sind
es adelige Kreise, für welche diese
Arbeiten bestimmt sind, und adelige
Damen nahmen mit Vorliebe Anteil
daran: auch wo bürgerliche Über-
setzer genannt werden, standen diese
im Dienste adeliger Gönner. Zu
diesen ältesten Romanen in deutscher
Sprache gehören Alexander der
Grosse, SaTomon u. Markolf, Flore und
Blanscheflur, Apollonius, die sieben
weissen Meister, Amicus und Amelius,
Athis und Prophilias, Hug Schapler
(eigentlich Hugo Capet), Fortunat
mit dem Wünschhütlein; manches
darunterberührt sich mit derNovellen-
dichtun^, siehedenbesondernArtikel.
Zwar nicht eigentlich Original, aber
doch ganz freie, von bewunderns-
würdiger Sprachgewalt zeugende
Arbeit ist Fischarts, zuerst 1575 ge-
druckte, dem ersten Buche von
Rabelais Gargantua entnommene
Geschichtsklitterung oder Gargantua.
Im 16. Jahrhundert wuchs diese Litte-
ratur ansehnlich: aus Frankreich
kamen Fierabras, die vier Haimons-
kinder, Kaiser Oktavian, die schöne
Magelone undRitter Galmy . Deutsche
Stoffe sind der Eulenspiegel, die
Schildbürger und Doktor Faust, alle
drei durch Konzentration gangbarer
Volksgeschichten auf einen Helden
oder auf einen Ort entstanden. Als
Erfinder von Romanen wird im
1*5. Jahrhundert bloss Jorg Wickram
aus Kolmar genannt, der in den
Jahren 1551 — 155« vier Romane
schrieb, Gabriotto und Reinhard, den
Goldfaden, den Knabenspiegel und
die guten und bösen Nachbarn ;
Muster sind die Volksromane, sein
Publikum die deutsche Jugend. Da-
neben hörte die Einfuhr französisch-
Übersetzungen nichts weniger als au£
namentlich wurde der weitläufige
Roman des „Helden Amadis ata
Frankreich" die Lieblingslektüre d« t
deutschen Adels, er wuchs von 15^
bis 1594 allmählich auf 24 Bände an
und erhielt sich lange die Gun>t
seines Publikums, auch nachdem viri
anderes Material auf den Markt
geführt war. DonOuixote. 1621
erstenmal ins Deutsche übertragen,
machte wenig Aufsehen; dagegen
trat der Schäferroman, noch mehr
aber der Helden- und Liebesromao
nach französischem Muster auf. so
zwar, dass sich unter der Hülle d*r
Schäfer- und Heldentums wirkliche
Erlebnisse, Personengeschichteu unc
politische Ereignisse der neuesten
Zeit, mit Erfundenem vermischt, zt
verbergen pflegten; aus dem Spa-
nischen erhielt man die Schelmen
romane, Lebensbeschreibungen wo
Landstreichern und Abenteurern ge-
ringer Herkunft. Mitten unter diesen
meist geschmacklosen Machwerke
begegnet man drei schönen altera
Volksbüchern , die der Kapuziner
Pater Martin von Kochern aus einen,
französischen Jesuiten schöpfte.
Griseldis, Genovefa und H Irland*.
Aus der Nibelungensage taucht er-'
jetzt als letzte Erinnerung das Buch
Vom gehörnten Siegfried auf. Doch
fehlt es auch nicht an Romanen,
die Deutsche zu Verfassern habeiv
und zwar legte man, dem Charakter
der Bildung des 17. Jahrhundert*
gemäss, die mehr ins Breite als in
die Tiefe» ging und deren Haupt-
quelle das Reisen war, in die Romain
ganze Lehrbücher des Wissenswerten
nieder, Geschichte, Länder- und
Völkerkunde, Altertümer, Litteratur-
geschichte,Religions und Sittenlehre.
Reisebeschreibungen, Astrologie un i
Aberglaube; man fügte auch poe-
tische Stücke, Dramen, Schäfer- und
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Romanische Baukunst.
873
Tanzspiele ein. Solche deutsche
Romanschriftsteller sind Dietrich
v. d. Werder, Philipv von Zesen.
A. G. Buchholz, der Herzog Anton
VI -rieh von Braunschtceig, Heinrich
Anselm von Ziegler mit der oft auf-
gelegten „asiatischen Banise" und
Lohenstein mit dem Arminius.
Selbständiger und bedeutender aber
sind die spanischen Mustern nach-
gebildeten Romane des Moscherosch
„Gesichte*4, und der Simplicissimus
des Christoffel von Grimmelshausen,
1625 — 1676. Ihr Nachfolger ist
Christian Weise: „die drei Ärgsten
Erznarren", „die drei klügsten Leute"
und „der politische Näscher". Die
bald nachher auftretenden Bobin-
sonaden und deren Nachahmungen,
die Aventüriers, ftihren schon auf
den englischen Einfluss, unter dem
in Gemeinschaft mit französischen
Mustern der moderne Roman er-
wachsen ist. Siehe die Literatur-
geschichten von Wackernagel, Kober-
stein und Scherer.
Romanische Baukunst. 1. All-
gemeines. Nachdem das karoiingi-
sche Reich zerfallen war, brach über
die nordischen Völker vorerst eine
traurige Zeit herein. Innere Partei-
ungen zerfleischten das Reich, die
räuberischen Scharen der Ungarn,
Wenden und Normannen verheerten
die Länder. Um die Wende
des Jahrtausends entstand ein
ungestümer Feuereifer, der sich in
frommen Werken, im Niederreissen
alter Kirchen und Wiederaufbau
neuer prachtvollerer, nicht genug-
thun konnte; denn die schlimmsten
innern und äussern Stürme hatten
sich mittlerweile ausgetobt, die staat-
lichen Verhaltnisse begannen sich
zu festigen und der germanische
Volksgeist hatte diejenige Stufe der
Entwicklung erreicht, dass er selbst
bestimmend auf die weitere Gestal-
tung der Kunst seinen Einfluss aus-
üben konnte. Bisher hatten für die
Kunst jene altchristlich - römischen
oder byzantinischen Formen den
allgemeinen Typus gegeben; jetzt
begann ein selbständiges freies
Umgestalten der alten Formen,
woraus schliesslich jener Stil her-
vorging, den man mit dein
Namen des romanischen bezeich-
net, nach dem Vorgange der
Sprachwissenschaft, welche die Idi-
ome, die sich gleichzeitig und unter
entsprechenden Verhältnissen aus
der alten Römersprache bildeten,
mit demselben Worte benennt. Die
ausschliessliche Trägerin der Bildung
war in dieser Epoche die Kirche, und
es ist nicht zu verwundern , wenn
der Charakter, den die Bauwerke
dieser Epoche tragen, ein hieratischer
ist. Vorab waren es die Mönche,
in deren Händen sich die Baukunst
befand. Sie entwarfen für ihre
Kirchen- und Klosteranlagcn die
Risse und leiteten den Bau. Feste
Schultraditiouen entsprangen daraus
und knüpften ihre Verbindungen von
Kloster zu Kloster. Gleichermassen
verbanden sich aber auch die welt-
lichen Handwerker, welche den
Mönchen bei Ausführung der Bauten
dienten, zu genossenschaftlichen Ver-
bindungen, aus denen in der Folge
ohne Zweifel die Bauhütten hervor-
gingen. Der Geist des Bürgertums
aber dringt erst gegen Ausgang der
romanischen Epoche selbständig in
diesen Stil ein.
2. Das romanische Bausystem.
a) Die Basilika. Die altchristliche
BasiÜka ist der Ausgangspunkt für
die mittelalterliche Architektur. Das
Langhaus erstreckt sich als breites
hohes Mittelschiff zwischen zwei
nur halb so hohen und breiten Sei-
tenschiffen. Figr. 141 und 142. Quer-
und JJingeschmtt romanischer Basi-
liken (Kunsthistorische Bilderbogen).
Am Ende desselben scheidet ge-
wöhnlich ein kräftig vorspringen-
des Querhaus von der Höne und
Breite des Langhauses das letz-
tere vom Chore, die Kreuzesgestalt
der Kirche klar ausprägend. Bis-
weilen tritt allerdings das Quer-
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874
Romanische Baukunst
schiß* nicht über die Seitenschiffe
vor, oft bleibt es sogar ganz weg.
Die wesentlichste Umgestaltung er-
fuhr vorerst der Chorraum. In der
altchristlichcn Basilika schloss sich
derselbe als eine halbrunde Nische
unmittelbar an das Querhaus an.
Die grössere Zahl der Geistlichkeit
verlangte nun
vorerst eine
Vergröße-
rung dieses
Raumes, wel-
che dadurch
bewerkstelligt
wurde, dass
mau dem Chor
noch ein der
sogenannten
J'irrunq, d. h.
der Durch-
schneidung
von Quer- und
Langhaus ent-
sprechendes
Quadrat vor-
legte. In glei-
cher Weise
verlängerte
das Langhaus
Fig. 141.
Langhaus und die Querhausflügel ab-
sehloss. Gegen das Schiff zu wurde
diese Schranke oft tribünenmässig
erhöht und diente als Uctorium
ihttner), von wo aus dem Volke
das Evangelium verlesen wurde.
Der ganze Chorraum aber war über
mehrere Stufen
erhöht und
barg unter
sich stets eine
Gruftkapelle,
mit Kreuzge-
wölben über-
deckt, die auf
kurzen, stäm-
migen Säulen
ruhten. Diese
Kapelle, die
Krypta, diente
als Begräbnis-
platz für ange-
sehene Perso-
nen und hatte
ihren eigenen
Altar. In der
räumlichen
Ausdehnung
des Chores
(Querschnitt einer romanischen
Basilika.
in n
' M
m
1 n L
ß C C C C ßj
Fig. 142. Länginschnitt einer romanischen Basilika.
man das Querhaus nach rechts und
links, wodurch der mittlere Teil des-
selben , die Vierung , ein nach
allen Seiten freiliegender , von
vier kräftigen Pfeilern und ebenso
vielen hohen Gurtbogen abgegrenz- j
ter Raum wurde, den man gewöhn- |
lieh zum Chor hinzuzog und mit
steinernen Schranken gegen das
entwickelte sich indessen im Laufe
der Zeit eine grosse Mannigfaltig-
keit. Teils liess man die Seiten-
schiffe jenseits des Querhauses,
ähnlich dem Mittelschiffe, mit Ab-
siden oder Couchen endigen,
teils Hess man dieselben um den
ganzen Chor herumlaufen , teils
wandte mau sich auch einfacheren
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Romanische Baukunst.
875
Anlagen zu und schloss sowohl genannte Paradies, stehen und der
Mittelschiff als Seitenschiff einfach im Atrium stehende Cantharus
g radlinig ab. Die reichste Anlage schrumpfte zum Weihwasserbecken
z^igt sich da, wo an das um den zusammen. Fig. 144. Dom zu Speier
Chor herumgeführte Seitenschiff (Kunsthistorische Bilderbogen),
sich in radialer Stellung halbrunde Manchmal forderte indessen das
Alrarnischcn anschliessen. Fig. 143. kirchliche Bedürfnis auch eine rei-
«>V. Maria am Kapitol zu Köln chere Ausbildung des westlichen
Kansthistorische Bilderbogen). Teiles. Namentlich in grossen Ab-
Auch hier richtete sich die Gestal- teicn ward die Anlage eines zweiten
tang des Grundplanes stets nach Chores, dem östlichen entsprechend,
'km Bedürfnis, nach der Zahl der beliebt, ja oft legte man demselben
Fig. 143. St. Maria am Kapitel zu Köln.
g ütlichen, der erforderlichen AI- ein zweites Querhaus vor. Fig. 145.
tär»' u. s. w. 67. Michael in Bildesheim (Kunst-
Während so die östliche Partie, historische Bilderbogen),
(man legte deu Chor stets nach In der Regel aber öfrnete sich
C»sten zu), eine Bereicherung er- am Westende aer Kirche das grosse
fuhr, vereinfachte man in gewisser Portal, von zwei mächtigen Tür-
Beriehung die westlichen Teile der men eingeschlossen , welche nun
^christlichen Basilika. Dort hatte nicht mehr freistehend aufgeführt,
ich der Narthex und das Atrium sondern mit dem übrigen Bauwerk
uisgedehnt, in welchem sich ge- verbunden werden.
ri*se Stufen der Laienwelt wäh- 1 Bei Nonnenklöstern wird äusser-
nd des Gottesdienstes hatten auf- dem meist über dem westlichen
*hen müVäL-n. Jetzt gewann die Teile des Mittelschiffes eine Em-
anze Gemeinde Zutritt zum Gottes- pore auf Säulen eingebaut, der so-
MBte und so Hess man höchstens genannte Sonnenchor.
Meh eine kleine Vorhalle, das so- Die Bedeckung der Riiume er-
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876
Romanische Baukunst.
folgte vorerst, mit Ausnahme der
Krypta, beinane ausschliesslich mit
Fig. 144. Dom zu 8peyer.
einer flachen Holzdecke, entspre-
chend derjenigen der altchristlicnen
Basiliken; allein die tragenden
Glieder erfahren doch schon vor
Einführung des Gewölbe-
baues eine durchgreifende
Veränderung, vor allem die
Stützen, welche die auf Ar-
kaden ruhende Oberwand
des Mittelschiffes tragen.
Statt der Säulen mischen
sich öfters Pfeiler ein, ent-
weder abwechselnd oder je
das dritte Säulenpaar ver-
drängend , oder geradezu
ausschliesslich, wodurch die
ursprüngliche Säulenba-
silika eine Pfeilerbasilika
wird. Die hohe Obermauer
des Mittelschiffes aber sucht
man zu beleben, indem man
mit Überschlagung einer
Säule oder eines Pfeilers
je zwei Arkadenbogen mit
einem grösseren Bogen rah-
menartig umspannt. Dar-
über offnen sich alsdann
die kleinen, mit stark ab-
geschrägter Leibung ver-
sehenen Fenster, welche
regelmässig im Halbkreis
geschlossen sind. Ähnliche
Fenster enthalten die Wände
der Seitenschiffe und die
Apsiden.
Die mit flacher Holz-
decke versehene Basilika
ward inzwischen bald durch
den Geicölbebau verdrängt,
der als ein Bedürfnis sich
feltend machte; denn die
äufigen Brände, die den
Dachstuhl ergriffen, zerstör-
ten nicht nur diesen, son-
dern auch, da die hölzernen
Decken herunterstürzten,
den ganzen Innenraum der
Kirchen. Vorerst griff man
zum 1 onnenpetcölbe und über-
wölbte nur die Seitenschiffe,
da bei dem höher liegen-
den Mittelschiff der Seiten-
nur schwer aufzuheben ge-
wäre. Auch mit der Kup-
druck
wesen
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Romanische Baukunst.
877
pel versuchte man auszukommen;
indessen war auch bei dieser Ge-
wölbeform die Schwierigkeit, dem
Seitensehube zu begegnen, nicht
wohl zu überwinden. Die bessere,
freiere, lebendigere Lösung ver-
suchte man erst
zuletzt, obschon
man bei unter-
geordneten Räu-
men, besonders
bei Krypten, die-
selbe schon längst
praktisch ange-
wendet hatte, das
Kreuzgetcölbe.
Dasselbe besteht
aus zwei sich
rechtwinkelig
durchschneiden-
den, halbkreisför-
migen Tonnen-
gewölben und be-
darf, da der Ver-
tikaldruck und
Seitenschub
durch die ent-
stehenden Diago-
nalrippcn wesent-
lich auf die vier
im Quadrat lie-
genden Eckpunk-
te geleitet wird,
nur an jenen Stel-
len einer ent-
gegenwirkenden
wuchtigen Mauer-
inasse. Fig. 146.
Roman isekes Ge-
wolbesystem
l Kunsthist. Bil-
derbogen). Zuerst
begann man auch
hier damit, die
Seitenschiffe zu überwölben, was
um so leichter war, da die Breite
derselben ungefähr dem Abstände
der Pfeiler entsprach, also quadra-
tische Felder sich ergaben. Der
durch die Wölbung erhaltene
festere Unterbau ermutigte aber zu-
gleich zur Anbringung von Empo-
ren über den Seitenschiffen, welche
sich gegen das Mittelschiff zu ar-
kadenartig öffneten und die kahle
Oberwand des Mittelschiffes in an-
genehmer Weise gliederten. Fig. 1 47.
Querschnitt des Ihmes zu Limburg
(Kunsthist. Bil-
derbogen). Man
behielt diese Ar-
kaden auch später
noch bei, als man
von den Emporen
wieder abkam ;
es bildeten sich
daraus die so-
genannten Trifo>
rien.
Das Kreuzge-
wölbe verlangte,
solange es aus dem
Rundbogen kon-
struiert wurde,
stets quadratische
Felder. Da nun
die Pfeiler in Ab-
ständen gleich der
Seitenschiffbreite
standen , welche
halb so gross als
die des Mittel-
schiffes war, so
musste bei Über-
wölbung des letz-
teren stets ein
Pfeiler überschla-
en werden. Da-
urch erhielt die
Basilika ein ganz
neues Gepräge,
indem es nun an-
gezeigt wurde,die-
jenigen Stützen,
welche die Gurt-
bogen des Mittel-
schiffes aufzunehmen bestimmt wa-
ren, stärker zu gliedern, als die
anderen. Man brachte Pfeilervor-
sprünge in Form von Halbsäulen
und dergleichen an und gab da-
durch dem ganzen eine höhere rhyth-
mische Gliederung, welche sich in
reicher Abwechselung von Pfeiler
S
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Fig. 140. Romanisches Gewrölbesy stein.
Fig. 147. Dom zu Limburg, Querschnitt.
Google
Romanische Baukunst.
879
und Säule in angenehmer
kundgab.
In der Detail-
Irildung ging man
naturgemäss
ganz von der An-
tike aus, wie die-
selbe von der
altchristlichen
Kunst rtherlifft'rr
werden war, ohne
ich indessen an
die strengen
Fetischen Ge-
tierselben
idwie zu hal-
Vorab er-
die &iuJe
tiue unifassende,
iere Umbil-
r. Der Stamm
Iben wird
:l» dem Be-
fais, bald derb
w en, bald
fchlank7, ohne
Schwellung , ja
in der Regel
auch ohne An-
*ug. einfach cy-
ris«-h. p-bil-
Die Baris,
HL 148, Saufen •
***u m if Eckhlatt
'Kunsthist. Bil •
»gen), hat
ich die
der atti-
L wenn auch
in der Ge-
itform dcsPro-
keineswega
in den Ver-
m. Als
;f«*risti-
iichen des
üschen Sti-
srerscheint
sogenannte
Matt % das
den untern
Weise
the sich
leeren
Fig. 148. Säulenbaais mit Eckblatt
Fig. 149. Kapital AUS dem
fareuzgäng zu Laach.
herabneigt und so die
n der Platte ausfüllt.
Dasselbe kommt
in mannigfacher
Gestalt, als Pflan-
zenblatt, als Tier-
gestalt, als klei-
ner Pflock, oft
aueh in ganz
phantastischen
Formen vor. wo-
bei besonders
«■ine Abwechse-
lung selbst bei
Säulen derselben
Arkadeu reihe
äusserst beliebt
ist. In späterer
Zeit überkleidete
man auch den
Saulenschuft mit
gefälligen linea-
ren Dekorations-
formen. Am wich-
tigsten ist die
j Ausbildung des
J Kapitals, Man
unterscheidet da-
bei zweierlei For-
men. Einmal ver-
suchte man es,
das überliefert«,'
korinthische Ka-
oitäl frei nachzu-
bilden, Fig. 149.
Kapital aus ift m
Krtuzgang zu
Laach] Kunsthist.
Bilderbogen l,
freilich meist roh
und unbehilflich,
audernteils schuf
die romanische
Baukunst eine
eigene Art *hs
Kapitals, welche
für diesen Stil ge-
radezu charakte-
ristisch wurde. das
sogenannte hu-
Wulst der Basis bische oder \VürfelkapitM* Fig. 15(>.
eg auf die quadratische Plin- ilvunsthistorisehe Bilderbogen.) In
880
Romanische Baukunst.
seinem obern Teile quadratisch, erhält
es an den vier Flächen nach unten
eine halbkreisförmige Begrenzung,
um von dort aus in die runde Form
des Säulenschaftes überzugehen. Die
Deckplatte besteht entweder aus
einer Plinthe oder einer
Abschrägung oder aus
einer Komposition von
antiken Gliedern. Die
Flächen des Würfel-
kapitäls erhalten oft
reichen plastischen
Schmuck und bergen
ganze historische Dar-
stellungen in sieh.
Neben diesem Wür-
felkapitäl gestaltet sich
das antike korinthi-
sche zum Kelchkapi-
tal aus, das wieder-
um in mancherlei Varianten sich
mit dem Würfelkapitäl verbindet
oder in Verbindung mit reichem
plastischem Schmuck äusserst zier-
Fig. 150. Würfelkapital
Unten schliefst er in der Kegel
durch eine attische Basis ab, die
sich oben oft in verkehrter Form
wiederholt. Im übrigen treten die
mannigfaltigsten Gesimsbildungen
auf; Hohlkehlen, Wulste und Platt-
chen sind in völliger
Freiheit zusammenge-
stellt. Oft sucht man
dem etwas schweren
Pfeiler dadurch eine
leichtere Form zu ge-
ben, dass man ihn an
den Ecken abfast oder
aber die Ecken recht-
winklig ausschneidet
und schlanke freiste-
hende Säulchen hinein-
stellt, welche sich am
Fuss und Kapital mit
den Gesimsen des
Pfeilers verbinden. Dieser reichern
Gestaltung des Pfeilers folgt dann
auch eine reichere des auf densel-
ben aufsitzenden Bogen*, den man
Fig. 151. Bogenfries von der Kirche zu 8chÖngrabem.
liehe Gestaltungen zeigt, in denen
sieh der phantastische Zug der Zeit
in Verschlingung von Tier- und
Menschengestalten nicht genug thun
kann.
Neben der Säule ist der Pfeiler
zu betrachten. Seine Grundform
ist viereckig, meist quadratisch.
an den Kanten häufig mit grossen
Wülsten versieht, und im Profil
nace dem Zentrum zu in treppen-
artigen Absätzen verjüngt.
Das Äussere der romanischen
Kirchen baut sich in ernsten ruhigen
Massen kräftig auf. Die Gesimse
erinnern im allgemeinen an antike
Googl
I
Romanische Baukunst.
881
Vorbilder. Für < li«> Teilung der
Wandflächen verwendet manschmale
pi lasterartige Streifeu, sogenannte
Lisenen, die gewöhnlieh oben in
scher Bauten und wird oft mit Kon-
solen reicher ausgebildet. Uber
ihm schliefst das Daehgesims an.
das vielfach von bandartigen Friesen
«•Mi
i ■ ■ i ■ ■ in
Fig. 152. St. Aposteln zu Köln,
einen Fries auslaufen, der aus kleinen | begleitet wird; namentlich sind dii
Rundbogen zusammengesetzt ist.
Fig. 151. Bogen fries von der Kirche
zu Sehöngrabern ( Kunsthistorische
sog. St ronisch i eh len < übereckgestcllte
Steine) und der Sch <ichbref(f -riex
(mehrere Reihen erhöhter und ver-
Bilderbogen I. Dieser Bogenfrie» ist tiefter Steine) sehr beliebt.
ein untrügliches Merkmal romani-
Beallexlcon der deutschen Altertümer.
Hei
reichern Anlagen
tritt an
56
882
Romanische Baukunst.
Stelle der schwach vortretenden
Lisenen, namentlich an den Chorab-
siden, eine Gliederung mit schlanken
Halbsäulen. Eine besondere Aus-
zeichnung erhalten die Absiden
in manenen Gegenden durch freie
auf kleinen Säulen ruhende Gale-
rien , welche sich unmittelbar
unter dem Dachgesimse als Lauf-
gänge ähnlich wie die Triforien im
Innern hinziehen. Fig. 151. St. Apo-
steln zu Köln ^Kunsthistorische Bil-
derbogen).
Auf die Gestaltung der west-
lichen Fa<;ade wirkt namentlich der
Turmbau ein. In frühester Zeit
sind die sich vor die Seitenschiffe
legenden zwei Türme in der Rejjel
rund, später werden sie viereckig,
der bessern Verbindung mit dem
übrigen Bauwerke wegen. Die Gliede-
rung der Türme ist äusserst ein-
fach und wird in der Regel durch
schwach vorspringende Lisenen und
Rundbogengesimse bewerkstelligt,
welche denTurm in mehrere Ge-
schosse teilen. Die obern Geschosse
erhalten Schallößhungen , parweise
und zu dreien gruppierte und durch
Säulchcn geteilte fensterartigeDurch-
brechungen der Mauer, die nach
oben grösser und zahlreicher werden.
Oft geht der Turm oben ins Acht-
eck über. Die Vermittlung vom
Viereck insAchteck geschieht mittelst
einfacher schräger Abdachungen.
Gedeckt wird der Turm in der
Regel durch einen einfachen, etwas
niedrigen und gedrückten Helm,
Den Mittelpunkt der Westfa^adc
bildet das Haupt portal, dessen Wände
auf beiden Seiten sich von innen
nach aussen erweitern und mehr-
fach rechtwinklig eingeschnittensind,
in welche Einschnitte gleichwie bei
den Heilern schlanke Säulchen ge-
stellt werden. Gedeckt ist aas
Portal stets durch eine reiche Archi-
voitc, deren Gliederung sich der-
jenigen der Seitenwiinde anschlichst,
und die oft von einem flachen Giebel
überdeckt wird. Die eigentliche
Eingangsöffhung wird meist horizon-
tal gedeckt und es bildet sich dn-
I durch eine halbkreisförmige FiäcbeT
das sog. Tympanon, auf dem häufig
Relieftlarstellungen aufgeführt wur-
den. Überhaupt entfaltet sich an
den Portalen die volle Pracht der
Ornamentation. Über dem Portale
, öffnet sich manchmal ein grosses
kreisförmiges Fenster, das durch
Gesimsstfibe gegliedert ist, die nach
dem Zentrum laufen und wegen
seiner radähnlichen Gestalt den Na-
j men Had/enster erhalten hat. Die
volle Ausbildung sollte dasselbe
. erst im gotischen Stil erhalten. Oben
schliesst die Westfacade entweder
I mit dem Giebel, der durch das
Dach des Mittelschiffes bedingt ist,
oder es legt sich ein hoehaufragjen-
der Querbau als Verbindung zwischen
die Türme. Neben der einfachen
Anlage der zwei Westtürme findet
man bei romanischen Kirchen auch
noch andere mannigfaltige An-
ordnungen von Türmen, welche deu
bedeutenderen Abtei- und Katbedral-
kirchen eine grossartige prachtvolle
Gruppierung verleihen. Besonders
erhebt sich oft über der Durch-
schneidung vom Lang- und Quer-
haus, auf der sog. Vierung, ein
mächtiger turmartiger, meist acht-
eckiger Körper aus der Masse des
Gebäudes, der bestimmt ist, in
seinem Innern die Kuppel aufzu-
nehmen, die man ob der Vierung
bei Aufnahme des Gewölbebaus aus-
zufahren pflegte. In Heinem Äussern
ist derselbe oft reich mit Arkaden
gegliedert und schliesst mit einem
polygonen Pvramidcndach ab. Zu
diesen kuppelartigen Türmen treten
dann oft zu beiden Seiten des Chores
oder am Ende der Xebenschiffe
schlanke Türme hinzu, ja manch-
mal wiederholt sich die Kuppel auf
einem zweiten Kreuzschiff und ver-
bindet sich auch hier mit zwei
Türmen, wodurch die ganze Anlage
einen ungemein stattlichen Eindruck
gewinnt. Auch in der Bedeckung,
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Romanische Baukunst. *
883
sei dieselbe massiv oder aus Holz
konstruiert, zeigt sich eine mannig-
fache Verschiedenheit in stumpfen
und schlanket Helmen, in Fäcner-
dächern u. s. w.
Mit all diesen Gliedern des Baues
verbindet sich nun eine reiche Orna-
mentik, welche teils dem vegetativen
Leben angehört, jedoch niemals be-
stimmten Naturformen naehgcbildet
ist. sondern nur in kraftigen Zügen
ein mehr stilistisches allgemeines
Gesetz zu erkennen giebt, teils ihre
Motive aus verschlungenen und ver-
knoteten Bändern, Mäandern, wellen-
förmigen, zickzackartigen, gebroche-
nen Linien, Schunpcn, Scnachbret-
mustern u. dergl. zusammensetzt,
teils endlich zu diesen Formen Tier*
und Menschenleiber, monströse Ge-
bilde aller Art, oft von symbo-
lischem Gehalt, oft lediglich Aus-
flüsse nordischer Phantastik, gesellt.
Mit der reichen Gliederung und
Dekoration hing aufs innigste der
Farbensehmuek zusammen. Derselbe
bestand nicht allein in Darstellung
heiliger Personen und Geschichten
an den breiten Wandflächen, sondern
auch aus einer Bemalung der Glieder
und Ornamente, derSäulen, Gesimse,
Gewölbrippen u. s. w. In dieser
polychromen Ausstattung beobachtet
die romanische Kunst ein bestimmtes
Gesetz rhythmischen Wechsels. Die
Hauptfarben sind rot und blau mit
hinzugefügter Vergoldung. An dem
einen Bündelpfeiler haben dann oft
die Säulenkapitäle blaue Ornamente
auf rotem Grunde, während am
gegenüberliegenden das Verhältnis
gerade umgCKehrt ist.
In den bezeichneten Grundzügen
beharrte der romanische Stil Dis
weit über die Mitte des 12. Jahr-
hunderts. Um diese Zeit aber machen
sich innerhalb tles romanischen
Formengebietes Erscheinungen be-
merklich, die in gewissem Grade
die Reinheit und Strenge des Stiles
verwischen und an die Stelle seiner
bei aller Mannigfaltigkeit im Einzel-
nen doch imposanten Ruhe ein un-
ruhiges Schwanken und selbst ein
zweckloses Spiel mit Gliederungen
und Konstruktions-Elementen setzen.
Grundanlage, Aufbau und Ein-
teilung der Räume bleiben zwar im
wesentlichen dieselben, allein es
macht sich das Bestreben nach
grösserer Leichtigkeit und Schlank-
heit geltend, und zu den auf den
höchsten Grad des Reichtums und
der Zierlichkeit entwickelten Formen
des alten Stils gesellt sich als fremd-
artig neues Element der Spitzbogen.
Man nennt diese Entwicklungs-
stufe, weil sie zwischen streng ro-
manischem„Stil und Gotik die Mitte
hält, den Uberyanggstil. In Frank-
reich kam derselbe nie zur Geltung.
In kurzer Frist hatte sich dort der
gotische Stil gebildet. Seine Blüte-
zeit fand der Übergangsstil in
Deutschland, das mit zähem Fest-
halten am Überlieferten sieh noch
lange gegen den von Frankreich ein-
brechenden ausgebildeten gotischen
Stil sträubte.
Das hervorstechendste Merkmal
des Übergangsstils ist, wie schon be-
tont, der Spitzbogen, der zuerst eine
vorwiegen«! dekorative Stellung im
Innern der Kirche einnimmt, bald
aber sich beimGewölbebau eindrängt,
da durch Anwendung desselben das
Überwölben nicht quadratischer
Felder mittelst Kreuzgewölben be-
deutend erleichtert wurde; denn beim
Spitzbogen konnte über gegebener
Sprengweite eine beliebige Scheitel-
höhe erlangt werden, während die-
selbe beim Rundbogen ein für alle
mal gegeben war und dem Übcl-
standc nur durch unnatürliches Er-
höhen der Kreisbogen über den
Mittelpunkt, durch sogenanntes
Stehen abgeholfen werden konnte.
Indessen behält der Spitzbogen im
Übergangsstil doch immer noch eine
sehr gebrückte Gestalt. Dagegen
kam es immer mehr in Gebrauch,
die Scheitel der Kreuzgewölbe in
die Höhe zu ziehen, so dass dieselben
56*
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884
Romanische Baukunst
bedeutend höher lagen, als die Seheitel
der zugehörigen Gurtbogen. Das
Streben nach zierlichen Verhältnissen
giebt »ich namentlich auch an
den Profilierungen zu erkennen.
An Stelle dereinfacheu Wulste treten
Hohlkehlen u. dgl. Wahrscheinlich
angeregt durch das Vorbild des
französischengotisclieii Stiles wurden
die Kanten des Gewölbes (an den
Diagonalen) mit rundprotilierten
Kreuzrippen ausgestattet, so dass
die grossen Flächen der Gewölbe
» ine viel schärfer markierte Eintei-
lung zeigen. Der Ausbildung des
Gewölbebaues entspricht die des
Pfeilers, der oft eine Menge von
Ecksäulchen und Halbsäulehen er-
hält. Überhaupt werden in ver-
schwenderischer Weise schlanke
Säulchen an Wänden und Mauer-
ecken, oder in den Arkaden der
Kreuzgänge, einzeln, paarweise oder
zu mehreren verbunden, was oft,
namentlich in Kreuzgängen, zu glän-
zender Entwicklung der Architektur
führt.
Bezweckten alle diese Neuerungen
eine lebendigere Gliederung der
Massen, so war es natürlich, dass
dasselbe Streben sieh auch am
Grundriss selbst durchsetzte. Die
halbrunde Chornische geriet mit
ihrer ruhigen Linie in Gegensatz
fegen die Richtung der neuen Bau-
unst und man brach deshalb die
Rundung in ein Polygon. Aber
auch die niedrige dunkle Gruftkirche
stimmte nicht mehr zu der nach
Licht und Freiheit strebenden Rich-
tung. Man lieas sie deshalb bei
neuern Bauten stets fort.
Der Umgestaltung des.. Innern
folgte bald auch die des Äussern.
Am erfolgreichsten erwies sich hier
die Ausbildung der Fenster. Aus-
gehend vou den Fenstergruppen,
Wie sie schon der romanische Stil
geschaffen, kam man bald dazu,
diese meist zu dreien angeordneten
Fenster in ein Fenster zusammeuzu-
und die frühere teilende
Wandfläche durch schlanke S:iul-
chen, die in der Mitte meist einen
Ring erhielten, zu ersetzen und den-
selben statt des Ruudbogens den
Spitzbogen zu geben. Noch freier
verfährt man da, wo zwei Fenster
zusammengeordnet werden, wo dann
die obere Fläche durch ein kleines
Dreiblatt oder Rundfenster durch-
brochen wird. Auch die frühem
Radfenster entwickelten sieh zu
brillanten Rosenfenstern.
Oft findet man auch selbst hal-
bierte Radfenster, Fenster in Fächer-
form und noch andere auffallende
Bildungen.
Die Portale behalten im wesent-
lichen die reiche Gestalt der roma-
nischen Epoche; indessen tritt auch
hier an Stelle des Rundbogens der
Spitzbogen oder der Dreiblatt- oder
Kleeblattbogen, wobei die Bogen-
linie gebrochen und aus drei Kreis-
teilen zusammengesetzt wird. Ja
sogar der maurische Hufeisenbogen
wird augewendet.
Dem entsprechend werden auch
die Gesimse, namentlich die so
charakteristischen Rundbogenfriese
umgestaltet, wobei sich die Rund-
bogen oft in. einander ver-
schlingen. Im Übrigen bleibt für
die Gliederung des Äussern das
Gesetz des romanischen Stiles. Nur
an den Türmen bemerkt man ein
j schlankeres Aufstreben, was sich
namentlich in den steilern Dach-
helmen kundgibt.
Das Streben nach kräftigerer
Wirkung durchdringt nun auch alle
Details. An Säulenbasen, Deck-
platten und Gesimsen wird durch
tiefe Auskehlung und Unterschnei-
dung, sowie durch scharfes Vor-
springen der vielfach gehäuften
Glieder eine schlagende Wirkung
erzielt. Das Ornament erreicht oft
den höchsten Grad von Schönheit
und Eleganz. An den Kapitalen
wird die sehlankere Kelchform über-
wiegend gebraucht und namentlich
mit knospenartigen, an langen
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Romanische Baukunst.
885
Stengeln sitzenden ßlätteni ausge-
stattet. Der Schaft der laugen
dünnen Säulen erhalt häufig in der
Mitte einen King. Oft bricht auch
die Säule in halber Höhe plötzlich
ab und bezeichnet die Stelle ihres
Aufhörens durch reichgezierte kon-
solenartige Glieder, wahrscheinlich
ein Mittel um Kaum zu gewinnen.
Gegen die Mitte des 13. Jahr-
hunderts musstc der Übergangsstil
dem von Frankreich einbrechenden
gotischen das Feld räumen.
b) Abweichende Kirchen- Anlagen
und andere Haufen. Zu den von
der Basilikaform abweichenden
Formell gehören vorerst die ein
fachen Dorf kirchen, die meistenteils
nur einschiffig sind und des Quer-
sehitfes entbehren. Daneben trifft
man auch z teeisch iffige Anlagen
mit zwei gleich hohen und breiten
Schiffen. Ausserdem giebt es eine
kleine Zahl kirchlicher Bauwerke,
welche auf die kreisrunde oder polg-
yo/i<r Form zurückgehen, deren Iunen-
raum entweder ungeteilt behandelt
und mit einer Kuppel bedeckt wurde
oder einen durch Säulen getrennten
niedrigem Umgang erhielt. Beliebt
war diese Form besonders für Tauf-
und Torenkapellen.
Eine sehr originelle Bauanlage
treffen wir in den Doppel-
kapellen, die man namentlich auf
Burgen findet. Hierbei sind zwei
Kapellen von derselben Grund-
form aufeinander angelegt und ver-
bunden durch eine in dem Gewölbe
der untern Kapelle gelassene weite
Öffnung, welche den oben weilenden
f stattete, an dem in der unteren
aoelle gehaltenen Gottesdienste
Teil zu nehmen.
Nicht so sehr im G rundplane,
aber dafür desto entschiedener im
Aufbau weichen die Hallenkirchen
von der herrschenden Basilikenform
ab, bei welchen die drei Schiffe
gleich hoch und oft auch beinahe
gleich breit gemacht wunden.
Die Kirchen waren meist mit
klösterlichen Stiftungen verbunden,
deren umfangreiche Gebäude sich
an dieselben anschlössen. Zur Ver-
bindung der einzelnen Gebäude
diente der Kreuzgaug. Au ihn
schlössen sich der Kapitelsaal und
das Refektorium, sowie die anderen
Räume an. Der ganze Bezirk wrurde
mit Mauern umzogen (siehe Artikel
Klosteranlagen i.
Die Profanarchitektur ist noch
vorwiegend einfach, und einzig macht
etwa die Schlossarchitektur Anspruch
auf künstlerische Gestaltung, so z. B.
die Wartburg. Die bürgerliche
Architektur aber ist nur sehr
ausnahmsweise in dieser Epocho
schon zumonumentalerkünstlerischer
Ausprägung gelangt. Einzelne ro-
manische Häuser haben sich in
Trier und Köln erhalten; einen sel-
tenen Reichtum frühmittelalterlicher
Architektur bewahrt Goslar.
3) Historischer Abriss. Die ar-
chitektonische Bewegung schreitet
während der romanischen Epoche
in den einzelnen Ländern so ver-
schiedenartig vor, dass es beinahe
unmöglich ist, eine feste geschicht-
liche Einteilung aufzustellen. Nur
so viel lässt sich im allgemeinen
vorausschicken, dass der Baustil
während des 11. Jahrhunderts durch-
weg eine gewisse Strenge und Ein-
fachheit atmet, dass er im Laufe
des 12. Jahrhunderts seine reichste
und edelste Blüte entfaltet und
gegen Ende dieses und im ersten
Viertel des 13. Jahrhunderts zum
! Teil ausartet, zum Teil sich mit
gewissen neuen Formen verbindet
und ein buntes Gemisch verschie-
denartiger Elemente darbietet.
Flachgedeckte Basiliken von
grosser Strenge und Einfachheit
der Behandlung finden sich nament-
lich in den sächsischen Gegenden.
Überaus altertümlich und streng
' erscheint die Kirche zu Gernerode
(gegründet 9(>1). Freier und edler
gestalten sich die antiken Reminis-
zenzen in der Schlosskirche in Qued-
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886
Romanische Baukunst.
linburg. Aus dem Anfange des
12. Jahrhunderts datieren die glän-
zenden Werke in Hilde>heim, wie
die Gerbardi-kirche ill46> und die
Michaeliskirche ibeg. 1033, erneuert
1180 ), mit ihrer doppelchörigen An-
lage. Chorumgang und reicher Turm-
anlage.
Einfachere Anlagen von strenger
Durchführung des Gewölbebaues
sind die Cistercienserkirchen zu
Loccum und Riddaghausen , beide
mit geradem Chorscliluss, bei letz-
terer aber mit Umgang und Ka-
pellenkranz.
Am Rhein i.st eine der mäch-
tigsten Säulenbasilikeu die 1030
gegründete Klosterkirche zu Lim-
burg; ferner der 1047 beendete
Dom zu Trier.
Andere Säulenbasilikeu haben
sich zu Uersfeld (1047), Hirschau
(10711, Schwarzbach, Konstanz,
Sehaffhausen erhalten. Als Bei-
spiele für Pfeilerbasiliken mögen die
Dome von Würzburg und Augs-
burg, mehrere Bauten in Regens-
lmrg, der Dom von Salzburg (1127),
der Dom von Gurk und Fünfkir-
chen angeführt sein.
Der (yctcÖtWmi/ trug in Deutsch-
land zuerst in den rheinischen Ge-
benden den Sieg über die flachce-
deekte Basilika davon. Hieher
gehört der doppelchörige Dom zu
Mainz (nach einem Brande 1081
begonnen), der Dom zu Speier (1030
gegründet), der Dom zu Worms
(1181 eingeweiht), die Abteikirche
zu Laach (1156 vollendet). Alle
diese Bauten zeigen auch bereits
die reiche Turmanlage mit Vier-
ungsturm und mehreren Treppen-
türmchen.
Eine originelle Anlage ist der
zierliche Zentralbau der Doppel-
kirche zu Schwarzrheindorf.
In wesentlich verschiedener, aber
ebenfalls in künstlerisch bedeutsa-
mer Weise entwickelt das alte Köln
seinen Kircheubau. Eines der
frühesten Denkmaler ist St. Maria
im Kapitol 1 1049 geweiht«. Der
Bau ist von origineller Disposition.
Sowohl der Chor, als auch die bei-
den Kreuzarme sind im Halbkreis
geschlossen, aber vollständig von
niedrigen Umgängen umzogen. Dies«'
zentralisierende Behandlung der
Chorpartie fand im Laufe des 12.
Jahrhunderts an St. Aposteln und
Gross St. Martin eine weitere Aus-
bildung: bei letzterer Kirche na-
mentlich in dem imposanten Vier-
ungsturm, auf dessen Ecken vier
schlanke Türmchen vortreten. Das
Gepräge des Übergangsstiles zeigt
St. Gereon (1212—1227).
In der weitern Umgegend Kölus
erscheint die Ruine der Äbteikirehe
zu Helsterbach besonders durch die
Chorbaute als orijnnelle Komposi-
tion im Stile des Übergangs. Der-
selben Zeit gehört das nicht minder
prächtige Münster in Bonn an.
Am Mittelrhein erscheint der
Übergangsstil an der mit rlaehge-
decktem Langhaus versehenen Pfarr-
kirche zu Gelnhausen (1235 einge-
weiht), vorzüglich aber am Dom zu
Limburg an der Lahn.
Ungleich strenger und schlichter
tritt der Gewölbebau in den west-
fälischen und sächsischen Gegenden
auf, so am Dom zu Soest. Die
Übergangsepoche ist durch den Dom
zu Münster vertreten. Namentlich
finden sich in Westfalen einige
Hallenkirchen, wie zu Herford, Pa-
derborn und Methler.
In den sächsischen Gegenden
tritt die Wölbung in Verbindung
mit dem alten strengen Basiliken-
stil des Landes zuerst bedeutsam
am Dom zu I> raun schweig (1171)
auf. Ihm folgte die Kirche zu Kö-
nigslutter. Den Übergangsstil be-
zeichnet der 1242 geweihte Dom zu
Naumburg. Den Gipfel erreicht
aber derselbe im Dom zu Bamberg.
Unter den gewölbten Bauten
des südlichen Deutschlands und der
deutschen Schweiz sind der Dom
zu Freising. die Stiftskirche zu Ell-
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Rosengarten. — Rosenkranz.
887
wangen und der Grossmünster in
Zürich hervorzuheben.
Früh und bedeutend tritt der
Gewölbebau im Elsas* auf. Im
strengen Stil des 11. Jahrhunderts
erscheint die Kirche zu Ottmars-
heim, eine wohlerhaltene Nachbil-
dung des karolingischeu Münsters
zu Aachen. Ans der Frühzeit des
12. Jahrhunderts stammt die Abtei-
kirche Murbach, die Kirehe zu Geb-
weiler, die östlichen Teile und das
mächtige Querschiff des Strassbur-
ger Münsters.
Überaus reich und glänzend hat
sich gerade die letzte Epoche des
Romanismus in den österreichischen
Ländern ausgeprägt. In Wien zählt
die Fa^ade der Stephauskirche, so-
wie der edle Schiffbau der Miehae-
liskirehe hierher. Dem Über^angs-
stil gehören die Cistercienserkirchen
zu Heiligenkreuz, Lilienfeld und
Zwetl an.
Bis tief naeh Ungarn und Sie-
benbürgen hinein finden wir diesen
prächtigen Stil verbreitet. Das
Hauptwerk ungariseher Architektur
ist die Kirche St. Jack.
Eine für sich durchaus geson-
derte Gruppe bilden die Bauwerke
der Nordostlande, welche meist in
Ziegelstein aufgeführt werden inuss-
ten und im Ausseren, da sie un-
verputzt blieben , eine malerische
Wirkung erzeugten. Namentlich
ergab sich für die Detailbilduug
manche Umgestaltung Die Basen
wurden vereinfacht und die Kapi-
tale aus der Würfelform in den
massigeren Backsteincharakter über-
setzt. Oft allerdings nahm man
für diese Details auch den Hau-
stein zu Hilfe. Unter den vorhan-
denen Denkmalen steht die Kloster-
kirche zu Jericho v in der Altmark,
eine flachgedeckt«' Säulenbasilika,
als eins der bedeutendsten Bei-
spiele da.
In gleicher Mannigfaltigkeit und
Pracht, wie in Deutschland, bildete
sich der romanisch*1 Baustil auch
in den übrigen Ländern, in Italien,
Frankreich, ' England, Skandinavien
und Spanien aus. Lühke, Grund-
riss der Kunstgeschichte. Otte, Ge-
schichte der deutschen Baukunst.
Kuqler, Geschichte der Baukunst.
Sc&naate, Geschichte der bildenden
Künste des Mittelalters.
Rosengarten, siehe Heldensage.
Rosenkranz, rosarium, Pater-
noster, heisst die durch eine Reihe
Perlen gezogene Schnur, deren man
sich in der römischen Kirche be-
dient, um eine bestimmte Anzahl
von Vaterunsern oder Avc-Maria's
zu beten. Die Sitte, das Vaterunser
mehrmals zu wiederholen, wird im
Einsiedler- und Mönchsleben schon
des 5. Jahrhunderts erwähnt; zu
dieser Zeit hat ein Abt Paulus in
der Wüste Pherme das Vaterunser
300 mal hintereinander gebetet, wo-
bei er sieh 300 gezählter Steinchen
bediente. Der eigentliche Rosen-
kranz wurde aber erst von den
Dominikanern gebraucht; es ist
möglich, dass die Kreuzzüge den
Gebrauch des Rosenkranzes des-
halb begünstigten, weil auch die
Brahmincn und Mohamedancr sich
desselben bedienten. Der Name
Rosenkranz ist ohne Zweifel der
aus Rosen hergestellten Krone nach-
gebildet; die mittelhochdeutschen
Wörterbücher kennen das Wort in
dieser Bedeutung noch nicht; nach
Weigand soll es im 15. Jahrhundert
aufgekommen sein. Volksmässig
wurde der Gebrauch des Rosen-
kranzes jedenfalls erst nach der
Reformation, als deutliches Unter-
scheidungszeichen den Protestanten
gegenüber. Unter den Rosenkranz-
anaachten sind die bekanntesten:
1) Der vollständige oder Domini-
kaner-Rosenkranz, besteht aus 15
Dekaden kleiner Marienperlen ,
welche durch 15 grössere Paternos-
ter-Perlen getrennt sind, zum Ab-
zählen von je zehn englischen Grüs-
sen zwischen zwei Vaterunsern.
2) Der gewöhnliche Rosenkranz
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hss Rosenkreuzer. — Kother.
umfa.sst fünf Dekaden Marienperlcii vor etwa 200 Jahren errichtet habe,
und fünf Paternosterperlen*, dreimal Derselbe, 1888 geboren, sei im
wiederholt bildet er den Marien- Orient gewesen, sei von den Ara-
psalter. 3) Der mittlere Rosenkranz bern in die Geheimnisse der Phy-
mit *13 Marien- und bieben Pater- sik und Mathematik eingeweiht wor-
nosterperleu . zur Andeutung der den und habe, nach Deutschland
63 Lebensjahre, welche die Legende zurückgekehrt, mit wenigen Freun-
der Jungfrau Maria beilegt. 4 t Der den einen geheimen Orden ge>tiftet,
kleine Rosenkranz hat zur Eriune- der hauptsächlich der unentgelt-
rung an die 33 Lebensjahre? Christi liehen Heilung der Kranken ge-
drei Dekaden Marienperlen und drei widmet worden sei; übrigens seien
Paternosterperlen. 5) Der englische die Brüder im Besitz der höchsteu
Rosenkranz, rotarium äuget icum, Wissenschaft und bei makellosem
hat ebensoviel Perlen wie der vorige; Lebenswandel frei von Krankheit
doch wird bei jeder Dekade der und Schmerz, jedoch wie andere
Marienperlen nur zu der ersten Ma- dem Tod unterworfen. Da es der
rienperle der englische Gruss ge- Ratschluss Gottes sei, dass jetzt
sprochen, zu den folgenden nur das um «1er Welt Glückseligkeit willen
Sanktus mit der kleinen Doxologie. die Brüderschaft vermehrt und aus-
61 Die Krone besteht aus SS Pater- gebreitet werde unter allen Stän-
nostern zum Gedächtnis der 33 Lc- den , Fürsten und Unterthanen,
bensjahre Christi und aus fünf Reichen und Armen, so wurde
Ave -Maria zur Feier der fünf Wun- durch diese Schriften zum öffent-
den desselben. liehen Beitritt eingeladen. Als Ver-
Die erste Rogenlraiizbrudergchaft fasser galt schon früh Jo h. V alentin
stiftete 1475 in der Dominikaner- Andrea, ein württembergischer
kirche zu Köln der Dominikaner Theolog lös6 — 1654, der damit die
Jakob Sprenger, derselbe, der sich Geheimnissucht und die Vorliebe
mit der Hexenverfolgung berühmt für mystische Thorheiten geis-
gemaeht hat und Mitverfasser des sein wollte. Es entwickelte sich
im Jahre 14.s9 erschienenen Hexen- bald eine Litteratur, die für und
hämmere gewesen ist. Sixtus IV.. wider den vermeintlichen Orden
der die Brüderschaft mit einem Ab- Partei nahm. Eine ums Jahr 1622
lass privilegierte, forderte zur Ver- im Haag entstandene und von da
breitung derselben unter Männern weiter verbreitete Gesellschaft von
und Frauen auf. Steift in Herzogs Alchvmisten nannte sich Rosen-
Real-Encykl. kreuzet* , ähnlich wie im 18. Jahr-
Rosenkreuzer sollten die Teil- hundert ein Zweig der Freimaurer
nehmer einer geheimen Gesellschaft sich mit demselben mvstisehen Xa-
sich genannt haben, von denen die inen zu decken beliebte. A'/ü/fef
in Kassel 1604 erschienene anonyme in Herzogs Real-Encykl.
Schrift: „Fama Frafernitatis des Hut her. König, neisst ein epi-
löblichen Ordens der Rosenkreuzer*', sches Gedicht eines unbekannten
die Schrift vom Jahre 1615: „Cb/i- Dichters, das, in den Rheinlanden
feggion oder Bekaudtnis der S»cietat entstanden, der Vorbereituugszeit
und Brüderschaft R. C. An die der höfischen Litteratur angehört
Gelehrten Furopae'' und die Schrift und zur byzantinisch-palästinischen,
vom Jahr 161 B: „Chvmischc Hoch- Dichtung gezahlt wirrt. König Ro-
zeit. Christian Rosenkreutz" Kunde ther herrscht zu Bari in Apulien
gaben. Es war darin von einer ge- und sendet, da er sich zu vermählen
lieimen Gesell.-ehaft berichtet, die beschlossen hat, zwölf Mannen nach
ein gewisser Christian Rosenkreuts Konstantinopel zu Kaiser Konstan-
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Rotwelsch. — Ruiandsbilder.
889
tin, Werbung anzustellen um des- Ruiandsbilder waren in der ältesten
sen Tochter; die Boten werden Zeit insgesamt aus Holz geschnitzt
aber ^ gefangen genommen und in und sind erst bei späterer Erneue-
den Kerker gesteckt; worauf Rother rung seit dem 15. Jalirhundert durch
selber unter fremdem Namen nach Stein ersetzt worden. Die Ausfüh-
Konstantinopel fährt und die Kö-
nigstochter entführt; Konstantin
aber lässt dieselbe durch einen
rung ist durchaus in kolossaler
(Crosse, die den Eindruck des Rie-
sigen und Gewaltigen, ja Schreck-
Spielmann, der sie auf sein Schiff haften hervorbringen soll. Die durch
lockt, dem Rother wieder entreissen
Darauf zieht Rother mit einem
grossen Heere vor Konstantinopel
und zwingt den Kaiser, ihm seine
Frau wieder herauszugeben. Erst
infolge späterer Erfindung ist diese
namenlose Frau zur Ahnmutter
Karls des Grossen gemacht worden.
schnittliche Grösse scheint 13—14
Fuss gewesen zu sein. Alle Ruiands-
bilder stellen einen aufrecht stehenden
bewaffneten Mann in ernster gebie-
tender Haltung dar, die meisten
einen noch jugendlichen, das Kinn
völlig bartfreijSchnurrbart nur selten,
das Haupthaar voll und lockig, die
Ausgabe mit Einleitung von Hein- Augen gross, der Blick starr. Das
ru
h
Rücke rt, König Rother. Leip- Haupt ist meist unbedeckt , selten
xig, 1872. von einer Königskrone oder einem
Rotwelsch, siehe Gauner. Helm geziert. Den Leib schützt
Rudolf, Graf, ist ein episches meist der ritterliche Harnisch des
Gedicht aus der Vorbereitungs- 15. Jahrhunderts, mit Arm- und
periode der höfischen Kunstepik, Beinschienen; ältere Bilder aber
ums Jahr 1170 entstanden, daseineu zeigen als ältern Typus die kaiser-
flandrischen Grafen Rudolf zu Je- I liehe Tunica. Die Hände sind mit
rusalem, Askalon und Konstantino- J Handschuhen bedeckt. Charakteri-
pel im Kriege mit Heiden und stisch ist das gerade und entblösste
Christen und im Liebesbunde mit Sehwert, welches der Ruland meist
einer heidnischen Königstochter in steifer Haltung in der rechten
Faust trägt. Der Schild scheint
erst später beigefügt worden zu sein.
Der Standort des Rulands ist meist
z vor dem Rathause;
hier steht er ohne Bedachung unter
freiem Himmel.
Da vor dem Ruland unter freiem
Himmel auf dem Markte Gericht
gehalten zu werden pflegte, scheint
seine erste Bedeutung diejenige einer
Gerichts-, inbesoudere einer Bhit-
Säule gewesen zu sein. Und zwar
scheint das Rulandsbild hervorge-
gangen zu sein aus der ältern Sitte,
an Gerichtsnlätzen einen Dingbaum
oder einen Pfahl mit einem daran
gehängten Schild oder Schwert zu
errichten. In enger Verbindung da-
zeigt. Ausgabe von Wilhelm Grimm,
Göttingei^ lh44.
Ruiandsbilder. Di«- älteste Er
wähnung der von Thüringen an über der Marktplat
ganz Norddeutsehland verbreiteten
Ruiandsbilder geschieht in einer
Bremer Urkunde vom Jahr 1 1 1 1 ; ein
häufigeres Vorkommen derselben
ist erst durch die Schriftsteller des
15. Jahrhunderts konstatiert. Sie
finden sich sämtlich in Ländern, von
welchen aus die germanische Herr-
schaft von den Zeiten Karls d. Gr,
an nach dem Norden sich ausbreitete
und unter den Ottonen sich befe-
stigte, wobei sich drei Kreise unter-
scheiden hissen : der eine an den
Küsten der Nordsee, mit Bremen
und Hamburg als Zentren, der an- ! mit steht die Bedeutung des Ruland
dere das Erzbistum Magdeburg, und i\\b Marktsäule (vgl. den Art. Markt).
der dritte die Mark Brandenburg, Insofern sodann jeder Ort, der zur
Uckermark und Neumark. Die Stadt oderzum Marktflecken erhoben
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800
Runen.
wurde, eine Immunität vom gemeinen
Landgerichte erhielt, wurde der Ru-
land auch ein Wahrzeichen der
städtischen Immunität oder eine
Mundats-Säufe. ähnlich andern Mun-
dats-Zeichen in der Form steinerner
Kreuze, worauf eine Hand abgebil-
det war, hervorgegangen aus altern
hölzernen Kreuzen mit angehängtem
kaiserlichem Handschuh. In den
Reichsstädten nahm endlich der
Ruland noch eine besondere Bedeu-
tung an, insofern er das Wahrzeichen
der Reichsfreiheit wurde.
Aus den genannten Bedeutungen
der Rulandssäule ergibt sich, dass
der Ruland ursprünglich ein Kaiser-
bild ist, das den Kaiser als Richter
darstellt, als denjenigen, von dem
allein die Gerichtsbarkeit, nament-
lich die über Hals und Hand, er-
worben werden konnte, der der
oberste Richter und die Quelle aller
Gerichtsbarkeit ist. Insofern es nun
wahrscheinlich ist, dass die Rulands-
bilder zuerst in der Zeit der Ottonen
entstanden sind, lässt es sich ver-
muten, dass sie ursprünglich den
roten König Otto oder Otto IL dar-
gestellt haben, auf den verschiedene
Thatsachen hinweisen.
Der Name Rulandssäule wird
von Zöpfl als eine auf dem roten
Lande, der roten Erde, d. h. auf
der Blutgerichtsstätte errichtete
Säule erklärt Als man diese älteste
Bedeutung nicht mehr verstanden
hätte, sei der Name auf den Paladin
Karls d. Gr. gedeutet worden; mit-
unter wurde der Säule auch das
Standbild Karls d. Gr. oder eines
mächtigen Landesherrn, wie Heinrich
der Löwe, untergeschoben; au einigen
Orten sank der Ruland bis zum
städtischen Schildhalter herunter.
Endlich sind auch auf die Rulands-
bilder mancherlei Gebräuche und
Sagen übertragen worden, welche
teils an den Schwert-Gott Ziu, teils
an den Fro, ja selbst an Wuotan er-
innern. Nacii Zoepjf, die Rulauds-
Säule, Leipzig 1881, auch Bd. 3 von
Zoepfls Altertümer des deutscheu
Reichs und Rechts.
Runen heissen die von den Ger-
manen angewendeten Schriftzeichen :
der Bedeutung des Wortes gemäss,
got. runa, ahd. ru/m = Geheimnis,
geheimer Ratschlag, wurde diese
Schrift nicht für zusammenhängende
schriftliche Aufzeichnung des ge-
wöhnlichen Lebens, sondern zur
Losung und Weissagung, zu Segens-
und Verwünschungsformelu ange-
wendet. Die Runenzeichen stammen
aus dem griechisch - phönikischen
Alphabet: wie und waun sie den
Germanen zukamen, ist nicht be-
kannt; wahrscheinlich geschah es
auf dem alten Handelswege von
Griechenland und dem Schwarzen
Meere her. Die Anwendung der
Runen zur Losung geschah dergestalt,
dass man Stäbchen aus den Zweigen
von fruchttragendem Hartholze, be-
sonders von der Buche (daher ahd.
buochstah, Buchstabe, in der Bedeu-
tung von Lautzeichen und das Wort
buoch = das Buch, aus die buoeke.
dXx^.jnwcha) schnitt, in jedes Stäbchen
eine Rune ritzte und aus den aufs
Geratewohl herausgegriffenenRunen-
stäbchen eine Deutung zu gewinnen
suchte; dabei vertraten die Runen
nicht sowohl einzelne Laute, als
Begriffe, mystische Zeichen, die erst
durch das 'gesungene Lied, worin
die Runen als Anlaute gewisser
Hauptworte allitterierend wieder-
kehrten, ihre Bedeutung erhielten.
Daher die Rune auch »tab hiess,
wie die allitterierenden BegriftV
wörter des stabreimenden ^ erses.
Der technische Ausdruck für das
Einschneiden oder Einritzen der
Runen war ahd. rizan, altsächs. und
angelsäe] is. icritan, in engl. wriie,
erhalten und nhd. Abriss, Keissbrett,
das Wort wurde durch das lat. <rn-
bere verdrängt, ahd. scriban, nhd.
schreiben. Erst mit der Zeit lernte
man die Runen als blosse Laut-
zeichen verwenden. Das erste
Runenalphabet enthielt ursprünglich
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KuodJieb. — Sachsenspiegel. 891
bloss 15 oder 16 Zeichen, später er- schritt für deutsch. Altert. Baud XIII,
hielt es eine Erweiterung bis zu 22, 1867 uud Pfeiffers Germania X, 1865.
bei den Angelsachsen sogar bis zu Ruodlieb heisst ein von einem
33 Zeichen. Der Gebrauch der unbekannten Klostergeistlichen,
deutschen Runen hörte mit der Ein- wahrscheinlich in Bayern." ums Jahr
führungder lateinischen Schrift durch 1050 in Hexametern verfasstes epi-
christliche Lehrer schnell auf; bei sches Gedicht, das zwar Anklänge
den Angelsachsen und den Skandi- an die überlieferte Sage hat, sonst
naviero erhielt sich die Runenschrift aber nach Art des Romans seinen
bis tief in die christliche Zeit. Aus Stoff frei erfindet. Das Gedicht ist
einer Vermischung des Ruuenalpha- nur Bruchstückweis'» erhalten. Es
betes mit dem griechischen schuf findet sich abgedruckt in Grimms
Ulfilas sein gotisches Alphabet, und Schmellcrs lat. Gedichten des
W. Grimm, über deutsche Runen. 10. und 11. Jahrhunderts. Göttingen
Göttingen 1821. W. Lilienhron und 1838; neue Ausgabe von Friedr.
MüllcnhofJ\ zur Runenlehre. Zwei Seiler, Halle 1SM2.
Abhandlungen. Halle 1852. Zacher* j Rüstung. Im weiteren Sinne
das gotische Alphabet Vulfilas und versteht man unter der Rüstung die
das Runenalphabet. Leipzig 1855. vollständige Bewaffnung eines Kxie-
Über die in der letzten Zeit gefun- gers, im engeren Sinne nur die
denen und erklärten Runen vgl. Schutzwaffen. Siehe die Art. Har-
namentlich Dietrich in Haupts Zeit- nisch und Helm.
s.
Säbel. Das Wort stammt aus I gruudsätze in grösseren Arbeiten zu-
dem Slavouischen (sabla), welches sammenzustellen , wobei sie nicht
eine einschneidige, gekrümmte Hieb- bloss das Bedürfnis der Schöffen im
waffe bedeutet. Der Säbel war als Auge hatten, sondern zugleich ver-
solcher schon den alten Persern und suchten, das gesamte Recht darzu-
Iberiern, sowie den Römern zu Tra- 1 stellen, Privatrecht, Strafrecht und
jans Zeit bekannt. In Deutschland Gerichtswesen, Staatsrecht und Recht
erscheint er schon im 4. Jahrhundert der Kirche, soweit es von praktischem
neben dem eigentlichen Schwert, Interesse sein konnte. Das wich-
kommt aber in eigentlichen Gebrauch tigste dieser Rechtsbücher ist der
erst im 17. Jahrhundert. in niederdeutscher Sprache verfasste
Sachsenspiegel ist der erste Ver- Sachse nspieqel. Derselbe ist von
stich, das gesamte deutsche Recht ! FÄke von Kepgotve verfasst, einem
wissenschaftlich darzustellen; die Manne aus ritterbürtigem Geschlecht,
alten Volksrechte waren in Vergessen- ! das sich nach dem zwischen Dessau
heit geraten; die Reichsgesetzgebung und Kothen liegenden Dorfe Rep-
war spärlich und beschäftige sich pichau nannte , er wird in den
meist bloss mit dem Strafrecht und Jahren 1209—1233 als Schöffe in der
der Aufrichtung von Landfrieden; | Grafschaft Billingshöhe in der Nähe
die übrigen Rechtsquellen waren des Harzes aufgeführt. Er schrieb
lokaler Art, Stadt-, Dorf-, Hof- und j sein Rechtsbuch wahrscheinlich
Dicnstrechte; erst im Aufaug des | zwischen 1226 und 1238 zuerst in
13. Jahrhunderts unternahmen es lateinischer Sprache und übersetzte
Privatleute, die allgemeinen Rechts- dasselbe erst auf Veranlassung des
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892 Sachsenspiegel.
Grafen Hoier von Falkenstcin ins des andern unterworfen sein soll.
Sächsische. Spiegel nannte er es Der Mensch, Gottes Bild, soll nur
nach der litterarischen Mode .seiner Gott angehören, und wer ihn einem
Zeit, da das Recht seines Volkes andern unterwerfen will, der handelt
gewissermaßen in einem Stiegel zur wider Gott. In Wahrheit hat die
Anschauung gebracht werden sollte. Knechtschaft ihren Ursprung in
Das Buch zerfallt in das Sächsische Zwang, Gefangenschaft und un-
Laitthecht und das Sächsische Lehn- j rechter Gewalt, und was zuerst
recht. Landrecht ist hier das Kecht, durch Unrecht seinen Anfang nahm,
wie es in den Landgerichten, welchen sucht man jetzt wegen der langen
die Freien unterworfen sind, gehand- Gewohnheit als Recht zu behaupten,
habt wird; nur dem Recht des freien Als Gott den Mensehen schuf, gab
Ritters und des freien Bauern ist er ihm Gewalt über Fische, Vogel
also das Buch gewidmet; die Städte und wilde Tiere, daher kann uie-
werden nur gelegentlich erwähnt mand seinen Leib an diesen Dingen
und das Hof- und Dienstrecht aus- ; verwirken, aber der König gibt den
drücklich ausgeschlossen. Geschrie- wilden Tieren an bestimmten Orten
bene Quellen sind im Landrecht durch seinen Bann Frieden. Die
sehr wenige benützt, vom römischen Welt wird durch zwei Gewalten
Recht fast keine Spuren. Einzelne regiert, die weltliche und die geist-
Bestimmungeu haben einen sehr liehe: von den zwei Schwertern,
altertümlichen Charakter, der dem welche Christus auf der Erde zu-
12. Jahrhundert oder noch früherer rückliess, um die Christenheit zu
Zeit angehört; so entspricht die beschirmen, gehört dem Papst das
Schilderung der ständischen Ver- geistliche und dem Kaiser das welt-
hältnisse wenig dem im 13. Jahr- liehe. Der Papst reitet zu gewissen
hundert schon allgemein herrschen- Zeiten auf einem Schimmel und der
den Lehnwesen: die fünf sächsischen Kaiser soll ihm den Steigbügel
Köuigsp falzen entsprechen wohl dem halten, damit sich der Sattel nicht
11. aber nicht dem 13. Jahrhundert, verschiebe. Das ist ein Zeichen da-
so dass es scheint, der Verfasser für, dass wenn sich ein Widerstand
habe sich bisweilen an altherkömm- gegen den Papst erhebt, und er ihn
liehe Traditionen gehalten, deren mit dem geistlichen Recht nicht zu
praktische Bedeutung längst ab- heben vermag, der Kaiser mit seinem
banden gekommen war. Ursprüng- weltlichen Recht ihm den Gehorsam
lieh war das Landrecht bloss in ein- erzwinge. Und ebenso soll auch die
zelne Artikel eingeteilt, erst von geistliche Gewalt der weltlichen
späteren Abschreibern stammt die helfen. Beide Gewalten sollen also
Gliederung in drei Bücher, wozu j in Eintracht neben einander be-
dann als viertes das Lehnrecht stehen, jede hat ihren eigenen Kreis
kommt. Die Zahl der Handschriften und keine ist der andern überge-
ist eine sehr grosse. ordnet Daher darf der Papst mit
Als dem sachsischen Landrecht seinen Geboten nicht das weltliche
eigentümliche Auflassungen hebt Recht umändern und kann den
Stohltr, I, S. 301, folgende heraus: Bann gegen den Kaiser nur aus-
„Vor Gott, welcher den Menschen sprechen, wenn er an dem rechten
nach seinem Bilde schuf, sind alle Glauben zweifelt, sein eheliches
Menschen gleich und in der Zeit, Weib verlä'sst oder Gotteshäuser
als die Sachsen das Land eroberten, zerstört. Der König ist der gemeine
gab es keine Knechte, sondern alle Richter überall und richtet auch
waren frei; überhaupt gibt es keinen über Leib und Leben der Fürsten;
Grund, warum einer der Gewalt aber er ist nicht Herr alles Rechts,
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Sage. — Salomon.
893
sondern selbst dem Gesetz unter-
worfen und verantwortlich: er muss
vor dem Pfalzgrafen zu Recht stehen
und kann seinen Leib verwirken,
nachdem ihm das Reich durch Ur-
teil aberkannt ist. Da er nicht
überall in seiuem Reich sein und
nicht jede.«* Urteil richten kann, so
setzt er Grafen und Schultheissen
ein, welche von ihm ihre Gewalt
haben."
Der Sachsenapiegel erlangte
schnell eine weitausgedehnte Ver-
breitung;, namentlich in den nörd-
lichen Gegenden Deutschlands; er
galt nicht bloss als Rechtsbuch, son-
dern bei den Gerichten sogar als
Gesetzbuch: wozu unter andern die
allmählich entstandene Ansicht bei-
trug, dass der Sachsenspiegel auf
einem Privileg Karls des Grossen
und auf andern Kaisergesetzen be-
ruhe. Auch bei andern Volks-
stämmen hat derSpiegel Verbreitung
gefunden und ist die Quelle einer
grossen Zahl von Rechtsbüchern ge-
worden, die mittelbar oder unmittel-
bar von ihm abstammen. Dazu ge-
hören der Deutschenspieqel und der
Schwabenspiegel für ganz Süddeutsch-
land; dann das Maqdeburgische
Weichbildrecht, das sich über ganz
Sachsen ausbreitete, der sogenannte
vermehrte Sachsenspiegel oder das
Rechtsbuch nach Di-stinkt tonen, das
in Thüringen entstand, der Richt-
steig lAtnd rechts, ein Märkisches
Lenrbuch des Prozesses, und
der Richtsteig Lehnrechts. Für
Breslau und Polen wurde der Sach-
senspiegel ins Lateinische, für Po-
leu auch ins Polnische übersetzt,
für das Herzogtum Breslau als
Landrecht publiziert, für Görlitz
und Hollana besonders bearbeitet.
Endlich entnahmen eine grosse An-
zahl Stadtrechte einzelne Sätze und
ganze grössere Partien dem Sach-
senspiegel, z. B. diejenigen von
Hamburg, Lübeck, Stade, Bremen,
Berlin, Gosslar; andere Städte und
Gerichte, wie Krakau und Braun -
schweig, Hessen den Sachsenspiegel
abschreiben, um ihn beim Reent-
sprechen zu Grunde zu legen; der
dritte Teil Deutschlands, hiesfl es
noch am Ende des Mittelalters auf
.einem deutschen Reichstage, lebe
nach dem Sachsenspiegel, ja es
bildete sich allmählich die Ansicht,
dass der Sachsenspiegel gemeines
Recht sei.
Der Sachsenspiegel regte auch
zuerst die Thätigkeit deutscher
Rechtslehrer zu wissenschaftlicher
Bearbeitung der Rechtsquellen auf,
offenbar in Nachahmung italieni-
scher Rechtslehrer, und zwar war
es vornehmlich der Gegensatz
deutscher und römischer Rechts-
grundsätze, der diese Arbeiten ver-
anlasste. Diese Schriften heissen
Glossen zum Sachsenspiegel, deren
älteste dem märkischen Ritter Jo-
hann von Ruch, in Urkunden 1321
bis 1355 genannt, angehörte; sein
Werk ist wie der Spiegel selber in
i niederdeutscher Sprache geschrie-
ben. Endlich hat man auch den
Text des Sachsenspiegels durch
Bilder zu erläutern versucht, die
I man in mehreren Handschriften
findet; diejenigen der Heidelberger
Handschrift, deren Originale dem
i 13. Jahrhundert anzugehören schei-
nen, sind in Auswahl herausgegeben
von Kopp, Bilder und Schriften
der Vorzeit, 1819; vollständig in:
I Teutache Denkmäler, herausgegeben
1 und erläutert von Batt, v. Rabo,
! Kitenbenz, Äfone und Weber, erste
Lieferung Heidelberg 1820. — Die
{ älteste gedruckte und datierte Aus-
i gäbe des Sachsenspiegels erschien
1474 zu Basel. Nach'S/oAfo, Ge-
schichte der deutschen Rechtsquellen,
Braunsen weig 1860. Die bedeu-
tendste Ausgabe des Sachsenspiegeb
ist die von Homeyer, 2. Ausgabe.
Berlin 1835.
Sage, siehe Heldensage.
Salisches Oesetz, siehe Leget
barbarorum.
Salomon und Marko] f heissen
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804
Salzfass. — Särge.
eine Reihe älterer deutscher Dich-
tungen. Die erste derselben , der |
höfischen Epik vorausgehend , von |
einem fahrenden Sanger strophisch
gedichtet, enthält ein Gewebe von
Entführtnigsgeschichten, die zwi-
schen Salomo, König von Jerusa-
lem , und den heidnischen Königen
Pharao und Princian um Salomons
Weib Salome bestanden werden ;
Salomons Bruder Morolf erscheint
dabei als listiger Diener, der jenem
die zweimal durch List geraubte
Gemahlin zweimal durch grössere
List wiedergewinnt. Ein jüngeres,
dem 14. Jahrhundert angehöriges
Gedicht, Salomon und Markolf, das
im 15. Jahrhundert überarbeitet
wurde, stellt dem weisesten Könige
den nässlichen und tölpelhaften
Bauern Markolf gegenüber, der zur
Verspottung der Weisheit allerlei
Narrenstreiche begeht. Derselbe
Stoff, der auch in lateinischer Be-
arbeitung vorliegt, wird schliess-
lich zu einem weit verbreiteten pro-
saischen Volksbuch verarbeitet, das
zuerst 1487 zu Nürnberg erschien
und den Titel führt: Frage und
Antwort Salomons und \farkolfi.
Siehe die deutschen Dichtungen von
Salomon und Markolf, herausge-
geben von Friedrich Vogt. I. Band.
Halle 1880.
Salzfass. Neben den thönernen
Salzfässern des Bürgerstandes findet
man auf den Tafeln der Vornehmen
für diesen Zweck Gold- und Silber-
gefsisse, die oft auf Rädchen laufen,
damit die Tischgenossen dieselben
sich leichter zuschieben können.
Vorhanden ist im Mu*ee de Cluny
ein zinnernes aus dem 13. Jahr-
hundert, auf dessen Deckel die
Verkündigung dargestellt ist. Das
bekannteste aber ist das goldene Salz-
fass Franz Lf gefertigt durch Ben-
venuto Cellini, gegenwärtig im Münz-
und Antikenkabinet in Wien zu
sehen. Es ist freilich mehr ein
Schaustück, «las seinem Zweck ent-
fremdet ist. Der Unterbau ist oval,
nach oben massig verjüngt, stellt
Felsgestein dar, von See- und Land-
tieren, Schlingpflanzen, Blumen und
Früchten umgeben. Auf diesem
ruht einerseits Neptun mit dem
Dreizack, der Gott des Meeres, der
das Salz spendet. Er neigt sich
etwas rückwärts, die Hand auf ein
kleines Schiffchen legend, das zur
Aufnahme des Salzes bestimmt ist.
Auf der entgegengesetzten Seite
sitzt Cybcle als die fruchtbare Erde,
die den Pfeffer erzeugt; dessen Be-
hältnis lehnt sich an einen zier-
lichen Tempel. Beide Figuren sind
nackt und wie alles übrige von
reinstem Golde.
Särge machten die Deutschen in
vorchristlicher Zeit einfach aus einem
Baumstamm, indem sie ihn durch-
sägten, die eine Hälfte aushöhlten
und die andere als Deckel benutzten.
Das waren die eigentlichen Baum-
sarge oder Tofenh/iume, wTelch letzte-
rer Ausdruck sich bis in unsere Zeit
erhalten hat. Die Särge waren zwar
noch selten; etwas häufiger wurden
sie mit der Einführung des Christen-
tums, und zwar waren es im 9. und
10. Jahrhundert Behälter von Holz
oder Stein, im ersteren Falle Kaste*
oder Tonnen. Die Truhen erhielten
auf dem Deckel etwa eine Sägeblatt -
artige Stab Verzierung, die — wie
man vermutet — eine Schlange dar-
stellen soll. Die Einführung des
Christentums setzte an deren Stelle
das Kreuz.
Die Steinsärge oder Sarkophage
waren schon im Altertum bekannt.
Der letztere Name bezeichnete an-
fangs den Sargstein, einen klein-
asiatischen Kalkstein, der die Ver-
wesung der Toten befördert haben
soll und den die Griechen und By-
zantiner darum mit Vorliebe zum
Auslegen der Särge benutzten.
Später verstand man daruuter ein-
fach einen steinernen Prunksarg.
Das Material war Sandstein, Mar-
mor, Porphyr, Granit, Basalt und
dergleichen. Auch in deutschen
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Sattel. — Schachspiel.
895
Gegenden waren diese Särge be-
kannt. So berichtet das Nibelungen-
lied über Siegfrieds Beerdigung:
„Smide hiez mangdhen, beicürken
einen sark,
ton edebn mermehteine vil michel
mute stark,
man hiez in raste binden mit ge-
spenge guot.u
Aach diese Steinsärge waren
ki-tenformig, und sie zuerst hatten
einen giebelfbrmigen Deckel. Die
Seitenflächen wurden bald archi-
tektonisch gegliedert und der Deckel
mit der in Stein gehauenen Porträt-
Kriegsspiel in Indien im 6. Jahr-
hundert erfunden, von da nach
Persien gekommen und hatte in
Arabien seine Ausbildung gefunden.
Von hier kam es nach dem Abend-
lande, wo es Peter Damani, der
Freund Gregor VII., als leiden-
schaftliches Spiel der Priester ver-
klagt, Mitte des 11. Jahrhunderts.
Seit dem^ 13. Jahrhundert findet
man die Spuren des Spiels in den
Dichtungen der höfischen Periode
weit verbreitet; sein mhd. Name
ist schdehzabel , dessen zahel das
lat. tabula = Tafel, Brett ist;
entstellte Formen sind srhafzahet,
Fig. 153. Schachspiel, aus Ingo] da
goldenein Spiel.
figur des Verstorbenen geziert.
Daneben sind namentlich einige
Brf uns gekommene altchristlicne
i&rge (Rom, Ravenna, Mailand,
fyalatot, mit biblischen Darstel-
lungen geschmückt, sehr sehens-
wert.
Sattel, siehe Pferd.
San Hinter nannte man einen im
späteren Mittelalter bei der Eber-
jagd gebrauchten Spiess mit messer-
tonniger Klinge und fast meter-
langem Schaft.
?»ax (scramasax). Ein einschnei-
diges Stutzschwert , semispatum.
•^he Schwert.
Schachspiel. Dasselbe war als
schdfzapel , sehaehftapel ; Schach
spielen heisst seh Ach zabel ziehen,
spilen, sich daran setzen; der
und das sehdeh bedeutet den
König im Schachspiel, das Brett
und das Spiel. Die ältesten erhal-
tenen Schachfiguren gehören dem
12. Jahrhundert an, schwere faust-
gro8se Stücke aus Elfenbein, Hirsch-
horn oder Holz. Die mittellatei-
nischen Namen der sehdehzabelfje-
steine sind rex, domina oder femtna
oder regina, eques, alßcus oder
senex, roehus, pedifes, die altfranzö-
sischen roy, roine oder fierge. cheva-
Her, datiphin, roeh, pcons, die
deutschen künec, künegtnne, ritter.
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896
Schamkapsel. — Schild.
hundert an von den Rittern als
Standesabzeichen getragen wurde
und zwar um den Leib gebunden
oder über die rechte Schulter nach
der linken Hüfte.
Scharwaeht nannte man im
die patroullierend»'
Name hat sich auf
alte, roch, venden oder vuozqengen.
Der Dominikaner Jakobus de Ces-
soles, 1260—300, hielt eine Reihe
Predigten über das Schachspiel,
worin er dasselbe symbolisch-alle-
gorisch auslegte; dieselben fanden
lateinisch und übertragen die wei- Kriegsdienst
teste Verbreitung; aueh ins Deutsche Wacht. Der
waren sie übersetzt. Ausserdem giebt die kleinen Wachttürmchen an den
es in deutscher Sprache vier zum Ecken der Wälle übertragen und
Teil von Cessole* abhängige alle- lebt heute noch mancherorts im
gorische Schachgedichte, deren be- Munde des Volkes fort indem ausser-
kanntestes von Konrad von Ammen- ordeutlichen Nachtwachedienst zur
Imsen , Leutpriester zu Stein am ; Beaufsichtigung und Unterstützung
Rhein, stammt. Dazu Fig. 153 aus I derXachtwächterbeierhöhterFeuers-
Jngoldx goldenem Spiel . Augsburg ■ gefahr, z. B. bei starkem Fölin in
1472. tf'einhold. deutsehe trauen, den Bergthälern der Alpen.
2. Auflage I, 1 16 ff.; Schmitz, häfi« Schaube, siehe Mantel und
sehes Leben, I, 415 ; Mawmann, Tracht.
Geschichte des mittelalterlichen ■ Schenk, siehe Hofamter.
Schachspieles, Quedlinburg 1839.' Schere. Die Schere kommt
A. r. d. Linde, Geschichte und annähernd in ihrer jetzigen Form
Litteratur des Schachspieles, Berlin schon auf Bildern des 10. Jahr-
1874. Ebenderselbe, Quellenstudien hunderts vor. am häufigsten hat sie
zur Geschichte des Sehachspieles, aber durch das ganze Mittelalter
Berlin 1881. die Form unserer Schafscheren.
Sc Ii am kapsei nannte man den- Schiffahrt, siehe Seewesen,
jenigen Teil der Plattenrüstung, der Schild. Unter den Schutzwaffen
die Geschlechtsteile des Mannes der Germanen ist die am allermeisten
fasste und schützte. Das Wort be- verbreitete und älteste unzweifel-
greift im weiteren Sinne auch das haft der Schild (ahd. *ki/f, ags.
vorgenähte Säckchen oder Lätz- scild, got. skildus, nord. skyla, angels.
eben in sich, das die knappe Hose scildan). Die Schilde der germa-
des 15. Jahrhunderts notig machte nischen Völker, wie sie in Be-
und das auch bei der weiten Plu- Schreibungen und Originaldenk-
derhose beibehalten war. mftlern erhalten sind, zerfallen schon
Sehandbilder waren die ge- in den ältesten Zeiten in zwei ganz
bräuchlichsten Begleiter der Schand- | von einander verschiedene Arten,
briefe, die ungeduldig gewordene in die wandartigen und mit grellen
Gläubiger ihren Schuldnern zustell- Farben bemalten Ge'stelle und die
ten oder an öffentlichen Plätzen an- bronzenen Rundschilde. Die erste-
schlugen. Sie erklärten den Dar- reu waren starke Holzrahmen, aus-
gestellten als ehrlos. Beliebt waren : gefüllt mit festem Flechtwerk, auf
Hängen, Rädern, Stäupen, Pranger- der Rückseite mit einer Handhabe
stehen, Esels- und Sauritt u. s. w., versehen und sonstiger Vorrichtung
überhaupt Darstellung derjenigen zur Befestigung am linken Vorder-
Strafmethoden, die gegen öffentliche arm. Diese Schilde waren von
Vergehen thatsächlich ausgeführt zu mächtigem Umfange und wahr-
weraen pflegten. j scheinlich mit Tierhäuten über-
Scliapel. siehe Kopfbedeckung. I zogen. Auf ihnen schiffte man so-
Schärpe. Sie ist ein breitge- 1 gar über Ströme. Die Bronre-
sticktes Band, das vom 13. Jahr- 1 schildc waren kleiner, meist rund
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Schild.
897
oder oval, nach aussen etwas aus-
gebaucht und geschmückt, mit einer
Spitze auf der Mitte ; auf der Innen-
seite ist wieder das nötige Riemen-
werk für Hand und Arm. Statt
der Spitze kommt nicht selten auch
eine Höhlung in der Mitte vor, die
nach aussen als Buckel hervortritt,
innen aber für die Hand Raum
lässt und mit der Handhabe über-
spannt ist. Ringsherum geht ein
starker Bronzereif. Dergleichen
Schilde finden sich vornehmlich bei
den nordischen Völkern, was in dem
Metallreichtum ihre» Landes seine
Erklärung findet. Aber auch von
dem trefflichen Schutz der Gestelle
weiss Casars Bericht über oüe
Schlacht gegen Ariovist zu melden.
Hier deckte sich die Masse mit 6
Fuss hohen, vier Fuss breiten Schilden
derart, dass die vordem Glieder
den Schild vor sich, die innere Masse
dagegen denselben über sich hielt,
daner die römischen Pfeilschützen
ihnen nichts anhaben konnten, bis
die kühnsten auf das Schilddach
sprangen und es durchbrachen. Da
solche Schilde ausserordentlich
schwer zu führen waren, kamen
allmählich kleinere in Gebrauch von
drei bis vier Fuss Höhe und l1/* — 2
Fuss Breite, die entweder aus Wur-
zeln geflochten und mit Leder über-
spannt, oder aus Brettern geschnitten
waren; am liebsten seneint man
das weiche und leichte Lindenholz
dafür verwendet zu haben, wes-
wegen der Schild auch geradezu
Linde genannt wird (Hildebrands-
lied). Die Schilde waren bemalt,
daher schiltaere, schilteraere, Schild-
raaler, Schildmacher. Wahrschein-
lich gab es bereits Stammesfarben;
wenigstens erwähnt Tacitus von dem
Stamme der Arier ausdrücklich,
dass er an seinen schwarzen Schilden
kenntlich gewesen sei. Die alt-
friesischen Gesetze sprechen von
braunen Schilden als den eigenen
und von roten sächsischen. Die
fränkischen Schilde beschreibt Apolli-
Reallexlcon der deutschen Aitwtömer.
narius im 5. Jahrhundert als in der
Mitte goldgelb, nach dem Rande
zu weiss bemalt. Im Norden galt der
rote Schild als Zeichen des Krieges,
der weisse als ein solches des Friedens.
Eiserne Schildbuckel hatten nur
die Schilde der Vornehmen. Die
grösste Zahl derselben hat sich in
den Gräbern des Rheinlandes ge-
funden. Die Buckel (umbo), auch
Nabel genannt, waren mit starken
eisernen Nägeln und Spangen an
den Schild befestigt. Der Schild-
beschlag reicher Edler und Fürsten
war vergoldet und oft mit Edel-
steinen besetzt. Diese hatten zu-
dem ihre Schildträger, da sie für
den Notfall mehrere Schilde mit
sich führten.
Im 11. und 12. Jahrhundert
herrscht der mandelförmige, nabel-
lose Hochschild vor, der an der
„Schildfessel" über den Schultern
hing und den der Krieger, wenn
er ihn nicht brauchte, auf dem
Rücken trug. Genabelte Rund-
schilde trifft man nur bei leichtge-
rüsteten Fusskämpfern. Während
des 12. Jahrhunderts nimmt bei
fast allen europäischen Völkern die
Grösse des Schildes allmählich ab.
In Frankreich geht man sogar zu
den kleinen Oval- und Kreisschilden
über, während in Spanien der
spitze Langschild seine höchste
Entwicklung erreicht. Der kleine
Dreispitz in Frankreich und der
ebenfalls dreieckige rheinische Schild
wurde an einem Hängebande an
dem Hals getragen, damit der Reiter
die linke Hana für den Zügel des
Pferdes oder für das zweihändige
Schwert frei habe, was bei der
verbesserten Maschenrüstung, die
sich bereits über den ganzen Körper
ausdehnte, wohl ohne zu grosse
Gefahr gewagt werden durfte.
In der Regel bildet eine Holz-
tafel den Kern des Schildes. Der
Überzug besteht beim gemeinen aus
leimge tränk terLeinwand, beischönen
Exemplaren aus Leder oder Perga-
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898
Schild.
ment ; auf ersteren wurde das Wappen-
bild gemalt, auf letzteren ausge-
schnitten, oder in kostbarem ausge-
schnitztem Pelzwerk aufgenagelt.
Aus Metall wurden die Schilde bei
der Verbesserung der übrigen Aua-
rüstung und trotz derselben immer
weniger gemacht, da sie nicht so
schwer sein durften. Die Dichter
berichten daher viel, dass Schilde
in Splittern den Kampfplatz deckten,
oder dass die Lanzen in denselben
stecken blieben, bis der Schild für
den Arm zu schwer geworden.
Die Armbrustschützen bedienten
sich in der Folgezeit mit Vorliebe
des Setzschildes, der Sturmwand,
eines grossen, gerundeten oder nach
der Mitte in eine senkrechte Kante
verlaufenen Gerätes, das unten in
einer geraden Linie abgeschnitten
und mit schwachen Spitzen versehen
war, die sich leicht in den Boden
stecken Hessen, so dass der Schild
auf demselben feststand. Der Schütze
trug den Schild auf dem Rücken
an Ort und Stelle und benutzte ihn
während des Kampfes als Schutz -
wall, indem er hinter demselben
seinen Bogen spannte, was wenig-
stens eine Minute Zeit und seine
ganze Aufmerksamkeit erforderte.
Der ritterliche Schild ffcuj des
14. Jahrhunderts ist ziemlich klein,
zumal in Frankreich. Im allge-
meinen ist er dreieckig, im obern
Rand bald geschweift, Dald gerad-
linig, auch verschieden in der Stärke
seiner Ausbiegung auf der Trutz-
seite. Schilde, welche von der drei-
eckigen Gestalt abweichen, werden
jetst Tartschen (tarqes) genannt,
welches Wort von den einen aus
dem arabischen tarcha oder dardy
hergeleitet wird, als wäre dasselbe
zu r Zeit der Kreuzzüge entstanden ;
Diez aber weist nach, dass Tartsche
deutschen Ursprungs ist und Schutz-
wehr heisst (angels. (arge, altn.
targa, ahd. zarga). Solche Tartschen
haben oben rechts häufig einen
Ausschnitt, um die eingelegte Lanze
durchzulassen. Innen waren sie
meist gepolstert und mit Schild-
fessel versehen. Parese, franz. pavoU,
pavart; ital. pavete, palvese, nennt
man die Tartsche des Fussvolkes
im Unterschied zur Renntartsche.
Erstere ist ein grosser Schild von
ovaler oder rechteckiger Gestalt,
insbesondere von Bogenschützen
gebraucht seit Ende des 13. Jahr-
Hunderts. Diese Schutzwaffe ist
meist 1 m hoch und 0,49—0,60 m
breit. In der Mitte hat sie eine
tiefe Rinne, welche nach aussen
als Rippe erscheint und dem Schild
nicht nur eine grossere Festigkeit
S'bt, sondern es auch ermöglicht,
n an einen in den Boden getrie-
benen Pfahl anzulehnen. Das In-
strument gleicht in der Art seines
Gebraucheader 8chwerenSetztartsche
(Setzschild).
Seit der Mitte des 15. Jahrhun-
derts hört der Schild auf, den
Rittern im Gefechte zu dienen und
erhält sich nur noch auf dem Tur-
nierplatze; denn seit die Platten-
rüstung fürden Feldgebrauch (so sehr
vervollkommnet durch Schulterstuck
und doppelten BrustDanzer) aufge-
kommen war, gewährte sie mehr
Schutz, als der leichte Schild, und war
dieser somit mehr hinderlich als för-
derlich. Als ausgezeichnetste Werk-
stätten zur Hcrstclltung dieser
Schutzwaffen galten die zu Wien,
Nürnberg, Genf, Paris und Rouen.
Der heutige Sprachgebrauch
weist mehrfaeh darauf hin, dass
der Schild auch seine symbolische
Bedeutung hatte. „Schildes-Amf
ist so viel als Ritterwürde, „Schil-
des-Amt haben4' heisst Ritter sein.
Schon bei den alten Germanen
machte nach Tacitus der Schild
den heranwachsenden Knaben wehr-
haft. Schild und Speer waren die
Begleiter des Mannes in die Volks -
und Gerichtsversammlungen. Die
Zahl der streitbaren Männer wurde
wie nach Rossen , Helmen und
Speeren, so auch nach Schilden
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Schildbürger. — Schmucksachen.
899
bestimmt. Der Schild war der
Hauptträger des fürstlichen oder
ritterlichen Wappens und gewann
in dem ganzen Kitterwesen, beson-
ders in der Heraldik, die weitgrei-
fendste Bedeutung. „Den Schild
verunehrt zu bähen" ist der schimpf-
lichste Vorwurf, der einen Mann
treffen kann. Das Gesetz bestraft
diesen Schimpf, wenn er ein un-
verdienter ist, mit den härtesten
Strafen. Die grossen Schilde dien-
ten nach beendetem Kampf zum
Heben und Tragen der kostba-
ren Beute sowohl als der Toten.
Der neue König (der gewählte
sowohl wie der erbliche), wurde
auf einem Schilde dreimal im
Kreise des versammelten Volkes
herumgetragen, dass Jedermann ihn
sehen könne. Die Ripuarier gaben
ihre Zustimmung zu aen Vorschlä-
gen Clodoveehs durch Zusammen-
schlagen ihrer Schilde zu erkennen
und übertrugen ihm die Herrschaft
bei seiner Königswahl durch Er-
hebung auf den Schild. Nach Jahns,
Geschichte des Kriegswesens und
San-Mar/e, Warenkunde.
Schildbürger heisst das be-
kannte, aus Stichelschwanken über
Städte und Städtchen zusammen-
gestellte Volksbuch eines unbekann-
ten Verfassers; die erste Ausgabe
führt den Titel: Die Schildbürger.
Wunderseltzame Abendtheurlicne ,
unerhörte, und bisher unbeschrie-
bene Geschichten und Thaten der
obgemelten Schildbürger in Misno-
potamia htnder Utopia gelegen.
Itzund also frisch zusammengetragen
und auss Utopischer und Rothwel-
scher in Deutsche Sprach gesetzt.
Durch M. Aleph, Beth, Gimel. Mis-
nopotamia 1598. Ein anderer Name
ist: Das TAifenfwch, gedruckt zu
Laienburg. Vgl. den Artikel Nar-
rentum.
Sehirmvoyt, siehe Vogt.
Schlaraffenland. Mhd. Slüder-
äffe, sluraffe, ist zusammengesetzt
aus slüder, Faulenzer, träges Ge-
schöpf, und äffe als Bezeichnung
für den Narren, siehe den Artikel
Narrentum Der Name Schlauraffe
ist im 15. Jahrhundert ein gewöhn-
liches Schimpfwort; Sebastian Brant
schildert im 108. Kapitel des Narren-
schiffes das Schluraffenschiff. Das
ohne Zweifel duren Brant beein-
flusste Gedicht Hans Sachsens
stammt aus dem Jahr 1530; seitdem
ist der Schwank noeh öfters in
Prosa und Versen behandelt wor-
den. Vgl. Zarncke, Brants Narren-
schiff. S. 455 ff.
Schleier, siehe Kopfbedeckung.
Schleuder. Die Schleuder ist
als Kriegshandwerkzeug schon aus
Davids Zeit bekannt und ohne
Zweifel von ältesten Zeiten her viel
gebraucht worden. Die Dichter
erzählen uns aber wenig von ihr,
da sie nur eine Waffe des gemeinen
Kriegsvolkes ist und als Handwaffe
an Bedeutung verliert, sobald die
Bepanzerung des Mannes fester
wird Die Schleuder bestand
aus einem Strick mit Riemen,
dessen Ende den zu werfenden
Stein in einer Schlinge fasste. War
der Riemen an einem Stabe be-
festigt, so entstand die Stabschlinge,
stapaslinga im Gegensatz zur slinga,
ftinda, fundibula. Die Schleuderer
Messen slingaere. Die Tragweite
erstreckte sich auf 300— 350 Schritte;
auf die Entfernung von 100—150
Schritte war die Wirkung eine mör-
derische, namentlich als in der
Folgezeit auch platzende Granaten
geworfen wurden.
Schmucksachen. Dass die Ver-
arbeitung des Metalls bei den Ger-
manen, denen sonst Handarbeit als
eines freien Mannes unwürdig vor-
kam, in hohem Ausehen stand, be-
zeugt der Umstand, dass manche
Halbgottheiten unter der Gestalt
von Schmieden gedacht wurden, so
Wieland und die Zwerge. Die erste
Ehre der Schmiedekunst betraf zwar
das Schwert und den Pflug, daneben
aber auch mannigfachen Schmuck,
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Schnabelschuhe. — Scholastik.
wie denn Wieland dem König Neit- Kranz benennt. Weinhold, deut-
hart Schwerter und Bauge, Brust- j sehe Frauen, 2. Aufl. II. S. 298 ff.
spangen und Ringe sehmieden muss. Vgl. Schultz, Höfisches Leben, Bd. I.
Die erste Stelle unter dem Ge- Abschnitt III.
sehmeide nehmen die Bauge ein. Sehnabelschuhe, siehe Fussbe-
dann die Finqer- und Armringe kleidung.
(siehe den Artikel Ring), Halsringe Scholastik, von scholasticus .
und anderer Halsschmuck, Stein- j d. h. Lehrer an einer Kloster- oder
ehen, Thonkügeleheu, Beinstück- Stiftsschule, bellst die ausgebildete
oben, Muschelschalscheiden, Zähne theologische Wissenschaft des Mit-
und GlasHussperlen, die auf Fäden telalters. Die karolingische Periode,
gereiht sind; auch Bernstein wird welcher eine innere notwendige
dazu verwandt. In Skandinavien Trennung und Unvereinbarkeit des
werden echte oder nachgemachte natürlichen Lebens und der Reli-
byzantinische, Medaillen und Gold- gion noch fremd war, begnügte
münzen mit Öhren am Halse getra- sieh in ihren theologischen Arbeiten
gen. Halbmondförmiges Geschmeide an der Reproduktion des von den
kommt aus Gold, Silber und Bronze Kirchenvätern her überlieferten
vor. Ketten sind in früherer Zeit theologischen Material». Erst im
selten, erst im späteren Mittelalter 1 1. Jahrhundert, als sich der innere
sind zierliche Halskettchen beliebt. Kern des Mittelalters zu seinen cha-
Der Anhang am Halsband erweitert rakteristisehen Formen entwickelte,
sich zum Brusfgesehmeide, das sehr wozu namentlich die gänzliche Treu-
mannigfache Formen aufweist, die . nung des natürlichen und des reli-
Gcwandnadeln oder Fibeln, Rüsche, giösen Lebens gehörte, entwickelte
Broschen, mhd. bratsche oder brelse, sich die bloss dem Mittelalter eigene
aus franz. broche, fürspan: es sind scholastische Arbeit; sie hängt ru-
entweder dem Dorn nachgebildete sammen mit den Klosterrefionna-
Nadeln mit Widerhaken, oder Sicher- tionen und den Neugründungen der
heit8nadeln mit Bügeln, diese letz- Cistereienser-, Cluniacenser- und
teren oft als rohes, phantastisches Bettelorden und mit der Ausbildung
Tierbild behandelt : seltener ist die der höfischen Bildung, insofern als
Schild- oder ovale Schalenform, die gänzliche Trennung der rittex-
Statt der Nadeln kommen auch liehen Bildung und Biiaungsbedürf-
Scheibenfibeln vor, die aus einer nisse von derjenigen der Kirche
runden metallenen Platte mit hin- diese letztere dem natürlichen Le-
ten befestigtem Dorn bestehen. In ben entfremden half und sie einem
der höfischen Zeit steckte das für- einseitigen Bücher- und Verstau-
span am Hemd oder am Rock * als desleben überantwortete, das jedoch
Scheibe oder Vierblatt oder Rosette, so wenig als sein Gegeupart, das
Raute und Schildform gebildet. Rittertum, romantischer Züge ent-
Andere Schmucksachen sind Ohr- behrte. Die Thatsachc, dass die
ringe. Zum Haarschrnuck gehört ganze europäische Welt, Bofero sie
der Kamm (siehe den bes. Artikel), sich überhaupt um höhere wisseu-
Haarnadeln aus Gold, Silber und schaftliche Bildung bemühte, der
Erz. Zur Festhaltung der Schei- Scholastik angehört und dass wirk-
telung und des Haaren, auf welche lieh originelle Meister in ihr auf-
die höfische Mode viel gab. wurde traten, lässt erkennen, dass sie eine
ein Stirnstreifen um die Haare ge- notwendige Frucht der europäischen
legt, mhd. undirbant, sc-regiblant, ! mittelalterlichen Entwicklung ge-
schcifelbanf, härbant, oft auch seha- wesen sein muss; sie war die letzte
pef, womit man sonst auch den Frueht; ihr namentlich galt der
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Schöpfung.
901
Kampf der humanistischen Denk-
art, mit der das Mittelalter aufhört
und eine neue Zeit heranbricht. Zu
unterscheiden ist übrigens von vorn-
herein die Scholastik im engeren
Sinne und die scholastische Methode
des Mittelalters, die sich nicht allein
auf Theologie und Philosophie, son-
dern auf das ganze Gebiet der
Wissenschaften erstreckte; in Hu-
manistenkreisen pflegte man die
Schuollerer von Pari* und die Ju-
risten von Bononi (Bologna) als
eine gemeine Erscheinung anzu-
sehen. Man unterscheidet drei
Perioden der Scholastik. In der
ersten Periode begnügten sich die
Theologen mit einer bloss dialek-
tischen Bearbeitung des augusti-
nisch-kirchlichen Lenrbegriffes. An-
selm von Canterbury, gest. 1109,
suchte vor allem doch den Glauben
von allen philosophischen Unter-
suchungen ungefährdet zu bewahren,
und als Roscellinus, Kanonikus zu
Compiegne, durch kühne Behaup-
tungen über die Trinitiitslehre den-
selben zu bedrohen schien, bekämpfte
ihn Anseimus und nötigte ihn zum
Widerrufe. Die mit diesem Streite
verwickelte philosophische Streit-
frage über die Bedeutung der Uni-
versalien gab den Parteinamen der
Realisten und Nominalsten ihren
Ursprung; der Nominalismus er-
klärte die allgemeinen Begriffe für
blosse Abstraktionen des Verstandes
aus den gegebenen Gegenständen;
der Realismus erklärte die allge-
meinen Begriffe für das Ursprüng-
liche im göttlichen und menschlichen
Geiste. Seit dem Anfange des 13.
Jahrhunderts wurde Paris der
Hauptsitz der scholastischen Theo-
logie; während näinlich bis dahin
in den Schulen nur das Trivium
und das Quadrivium gelehrt waren,
traten jetzt hier zuerst Lehrer für
die Philosophie und Theologie auf.
Nächst Paris erhielt Oxford für die
scholastische Theologie am meisten
Bedeutung. In Paris hatte zuerst
Abälard, gest. 1108, das meiste
Ansehen; gegen ihn traten Bern-
hard von Clairraux und Xorbert
auf, welche jede Abweichung von
der überlieferten Auf fassungs weise
missbilligten und Abälard eiue Ver-
urteilung durch den Papst zuzogen.
Seitdem fingen die Theologen an,
ihre dialektischen Erörterungen durch
Authentizitäten der heiligen Schrift
und der Väter zu sichern; dies
that namentlich der Jahrhunderte
hindurch gelesene Magister senten-
tiarum Petrus Lomfxtrdus.
Die zweite Periode der Scholastik
wird dadurch eingeleitet, dass man
auf den maurischen Schulen in
Spanien die Schriften des Aristoteles
kennen lernte. Aus dem Arabischen ,
bald darauf auch aus der griechi-
schen Ursprache wurden jene nun
für das Abendland ins Lateinische
übersetzt und namentlich von den
Dominikanern und Franziskanern
zur Erweisung der christlichen Wahr-
heiten benutzt. In diese Periode
gehören der Franziskaner Alexander
von Haies, Doctor irrefragabilis,
gest. 1245; der Dominikaner Albertus
Magnus, gest. 1280; und dessen
Schüler Thomas von Anuino, Doctor
angelicus, gest. 1274. Im Gegensatz
zu diesem hob der Franziskaner
Bonaventura, Doctor seraphicus, gest.
1274, die Mystik wieder hervor; dem-
selben Orden gehört der Doctor sub-
til is Johannes Duns Scotus an, gest.
1308, den die Franziskaner dem
Thomas gegenüberzustellen pflegten.
Die Polemik der beiden Orden und
ihrer theologischen Vertreter, der
Thomisten und Scotisten, füllt die
dritte Periode der Scholastik, die
sich nun in unfruchtbarer Polemik
über das Mass der Freiheit, der
Genugthuung Christi und über die
unbefleckte tmpfiingnis Mariä ge-
fielen. Als der Humanismus auf-
trat, war die Scholastik schon am
Untergehen.
Schöpfung der Welt. Die älteste
Kirche hatte den Sonntag nebeu der
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002
Schreibkunst und Schrift.
Feier der Auferstehung dem Ge-
dächtnis der Weltschöpfung geweiht;
der Schöpfung galten auch zwei,
Gregor d. Gr. zugeschriebene, für
die Sonntagsfeier bestimmte Hymnen,
Primo (Herum omnium und Lucis
creator optime. So wurde auch von
altersher die jahrliche Auferstehungs-
feier durch das Gedächtnis der
Weltschöpfung und durch die kirch-
liche Verlesung und Auslegung des
biblischen Schöpfungsbericntes ein-
geleitet. Dan.it hängt zusammen,
dass die alt*- Kirche die Mensch-
werdung Christi auf den Ü5. März
verlegte, den Tag des Frühlings-
anfanges nach dem Julianischen
Kalender; derselbe Tag, der auch
für den Jahrestag gehalten wurde,
an welchem die Welt angefangen
habe, nämlich das Licht geschaffen
worden sei. — Die bildliche Dar-
stellung des Schöpfungswerkes wird
unterstützt durch den Wortlaut der
Schrift, wonach Gott selber svricht
und Himmel und Erde seiner Hände
Werk heisst. Es wird aber zur
bildlichen Darstellung gebracht, so-
wohl der Schöpfer (und zwar ent-
weder als sprechend, bereitend oder
§ segnend, oder als bei sich zu Rate
ehend oder als ausruhend vom
chöpfungswerk ), als das Schöpf unqs-
icerk selber. Im Abendlande wurile,
nicht vor dem 9. Jahrhundert, zu-
erst die Erschaffung des Menschen
abgebildet, seit dem 10. Jahrhundert
die übrigen Schöpfungswerke, an-
fangs zum Zwecke der Aus-
schmückung der heiligen Schrift mit
Miniaturen, seit dem 12. Jahrhundert
zum Zwecke der Ausschmückung
von Kirchengebäuden und Gerät-
schaften durch Malerei und Bild-
hauerarbeit, wobei die sämtlichen
sechs Tagewerke entweder zu einem
Bilde vereinigt vor dem Schöpfer
oder jedes einzeln zur Darstellung
gelangt ist, das letztere namentlich
in den Mosaiken der Vorhalle von
St. Marco zu Venedig und in den
Skulpturen an der Kathedrale zu
Chartres. Ausserdem sind die ein-
zelnen Tagewerke vielfach zur Dar-
stellung gelangt. ^«per, Mythol. and
Symbolik der christlichen Kunst, I,
Th. 2, S. 172 ff. Ders. Evangel.
Kalender f. 1854. S. 15 ff.
Ungefähr zur gleichen Zeit mit
den Bildern der Weltschöpfung er-
scheint die erste poetische Darstel-
lung der Schöpfung unter den in
Keimprosa verfassten sog. Reden
des 11. Jahrhunderts, welche, reli-
giösen Inhalts und von altertüm-
licher Form, den weltlich höfischen
Dichtungen des 12. und 13. Jahr
huuderts vorangehen.
Schrei bkunst und Schrift. L
Zubereif unq des Stoßes. Über den
Stoff vergleiche man die Artikel
Pergament und Papier. Die erste
Thätigkeit des abendländischen
Schreibers bestand in der Instand-
setzung des nur sehr roh gearbeiteten
Pergamentes, damit es überall die
Tinte annehme; es wurde abgeschabt,
dann mit Bimsstein geglättet, Risse
und Löcher verklebt oder zusammen-
genäht. Dann wurde das Pergament
Ihmert, wozu man ihm zuerst mit
dem Zirkel eine Anzahl genau ab-
gemessener Stiche beibrachte. Das
in allgemeinstem Gebrauch des
Altertums stehende Schreibwerkzeug
war das Schreibrohr, calamus, es
wurde auch im Mittelalter ange-
wendet und war aus Italien zu be-
ziehen; doch kommt seit dem 5. Jahr-
hundert die Feder mehr und mehr
auf; scribmezer oder acriptrai heisst
das Federmesser; neben den echten
Federn kommen auch solehe von
Metall vor; auch Bleistifte werden
für die Schrift auf Tafefn erwähnt.
Die Tinte ist in den alten Hand-
schriften von vorzüglicherBesehaffeu-
heit; später, als man seit dem
13. Jahrhundert mehr schrieb, wird
sie schlechter; au Tintenrezepten,
wobei immer Galläpfel und Vitriol
die Hauptsache sind, mangelt es in
mittelalterlichen Quellen nicht; ge-
wöhnlich wird Wein dazu
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Schreibkunst und Schrift.
903
Das Tinten fast war häufig ein ein-
faches Horn, welches durch eine
Öffnung des Schreibpultes gesteckt
wurde; das Schreibzeug, scnripziuc,
war häufig dazu eingerichtet, auch
Rohre und Federn aufzunehmen.
Rote Farbe zur Hervorhebung der
Abschnitte war schon den alten
Ägyptern bekannt; im Mittelalter
war die Sitte allgemein verbreitet,
nicht nur die Abschnitte durch rote
Rubriken hervorzuheben , sondern
oft auch jedes irgend bedeutendere
Wort mit einem roten Strich zu be-
zeichnen; es giebt Handschriften,
wo die Daten rot geschrieben sind;
oft der Text neben dem schwarzen
Kommentar; vom 13. Jahrhundert
an sind rote und blaue Farbe regel-
mässig für die Anfangsbuchstaben
und sonstige Verzierungen in Ge-
brauch. Goldschrift war namentlich
im byzantinischen Reiche, aber auch
im Äbendlande beliebt; bald schrieb
man ganze Handschriften in Gold,
bald nur die ersten Seiten oder die
Überschriften, den übrigen Text
häufig in Silber. Gern erhöhte man
den Glanz des Goldes durch pur-
purnes Pergament.
II. Das Sehreiben. Der altger-
manische Ausdruck dafür ist jgot.
rreitan, ahd. rizan, angels. vritan,
englisch to wrile, in Reissbrett,
Reissblei, Riss erhalten; es wurde
verdrängt durch das lat. scribere,
ahd. scriban. Der Schreiber sitzt
auf der cathedra, dem schribsluol;
das Brett desselben heisst schrib-
bret. Vor sich hat der Schreiber
das exemplar. Um die Zeilen nicht
zu verfemen oder mit dem Suchen
die Zeit nicht zu verlieren, hatte der
Schreiber die carilla, den durluog ;
oft hält er vermittelst eines ge-
krümmten, von der linken Hand
gehaltenen Messers, das Pergament
fest. Sehr häufig sind in denUnter-
schriften der Schreiber Bemerkungen
über die grosse Mühsal ihrer Arbeit,
wobei der Vergleich mit dem Er-
reichen des Hafens am Ende der
I Arbeit namentlich beliebt ist. Oft
heisst es :
Scribere qui nescit, nullum putat
esse laborem,
Tres digiti scribunt totum corpusque
laborat.
Ein St Galler schreibt: Sicut
aegrotus desiderat sanitatem, ita de-
siaerat scriptor finem libri. Der
i Schwäche der Augen wurde seit
dem 14. Jahrhundert durch Brillen
nachgeholfen. Die Zeit einer Ab-
I schritt hing natürlich von der Ge-
übtheit des Schreibers und der Art
I der Schrift ab; Notkers Psalmen-
I Übersetzung wurde einmal in 14
j Tagen abgeschrieben ; ein prächtiges
I neues Testament von 278 Blättern
in gross Folio in sechs Monaten.
Die Kostbarkeit des Schreibmaterials
führte zu Abkürzungen, deren Über-
mass oft das Lesen sehr erschwert;
Johann von Tilbury versuchte im
12. Jahrhundert eine Zeichenschrift
zu erfinden, mittelst deren man im
stände sein sollte, alle Vorlesungen
nachzuschreiben und sich so alle
Weisheit anzueignen; er kam aber
nicht damit zu stände.
III. Schreiber. In der römischen
Periode pflegten professionelle Kalli-
graphen die Bücher zu schreiben,
im Mittelalter wurden die Mönche
die eigentlichen Bücherabschreiber,
welche mehr und mehr darin einen
wesentlichen Teil ihres Berufes
fanden. Schon Hieronymus em-
pfiehlt den Mönchen: scribantur
libri; aber erst Cassiodor führte
grundsätzlich in die Klöster die
innen bis dahin fremden gelehrten
Studien ein (siehe Geschientschrei-
bung); er gab zu dem Zwecke seinen
Mönchen eineSammluug vonSchriften
über Orthographie, die er 93 jährig
zu ihrem Gebrauch exzerpierte, zu-
gleich Buchbinder und Musterbände.
St. Benedikts Regel setzt die Exi-
stenz einer Bibliothek im Kloster
voraus, aus welcher jeder Mönch
Bücher zum Studium erhält. Eine
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904
Schreibkunst und Schrift.
eigentlich gelehrte Thätigkeit ent-
wickelt sich jedoch erst in den
Klöstern neubekehrter Länder, wo
auf den Mönchen die ganze Last
der vorhandenen Bildung ruhte, zu-
nächst in Irland und England, wo
massenhaft und sehr schön ge-
schrieben wird. Aber auch die
Schottenmönche teilten vielfach die
barbarische Verwilderung der Zeit,
und erst Karl der Grosse brachte
eine bleibende Besserung zu weg;
seit jener Zeit fehlte es in keinem
gut eingerichteten Kloster an einer
Schreibstube , Scriptorium ; immer
wenn ein Kloster einen neuen Auf-
schwung nimmt, erkennt man diesen
auch aus den Arbeiten seiner
Schreiber; das ist auch noch bei
den Clunia^ensern und den Kar-
thäusern der Fall; auch Nonnen
übten die Kunst, dagegen war sie
in einigen alten Beuediktinerklöstern
im IB. Jahrhundert so gut wie aus-
festorben, so in St. Gallen und Mur-
ach. Die Bettelorden verlegten
sich mehr auf Abschriften ihrer
eigenen Kompilationen und schola-
stischer Schriften als auf die Ver-
vielfältigung älterer Werke. Manche
vorher verfallenen Benediktiner-
klöster erlebten um die Mitte des
15. Jahrhunderts einen neuen Auf-
schwung der gelehrten Studien. Die
Brüder vom gemeinsamen Treben
machten aus dem Abschreiben ein
Gewerbe, unterschieden sich aber
von den Lohnschreibern durch ihre
genossenschaftliche Organisation und
durch ihre Bestrebungen für Unter-
richt, Gelehrsamkeit und Erbauung.
Eine weitere Schreiberklasse des
Mittelalters sind die Kanzleibeamten.
Aus Italien, wo sie sich aus der
alten Zeit erhalten hatten, verbreitete
sich der Stand der weltlichen Notare
nach dem 13. Jahrhundert auch in
andere Länder. Zwar harten die
M^rovinger noch weltliche Kanzlei-
beamte gehabt; aber unter den
Karolingern fielen Kapelle und
Kanzlei zusammen, und viele Jahr-
hunderte hindurch wurden seitdem
ausserhalb Italiens alle Urkunden
von Geist liehen geschrieben; ganz
besonders war auch alle Korrespon-
denz in geistlichen Händen, Jeder
Mann von einiger Bedeutung rousste
seinen clericM,pfaff' haben, der seine
Briefe las und schrieb; es war dies
für die Kleriker zugleich der Weg
zu Ansehen und Ehre; die Vorsteher
der königlichen Kanzlei (siehe den
Artikel Kapelle) wurden Bischöfe,
den übrigen fielen geringere Pfründen
zu. Die Anleitung zum Brief-
schreibeh bildete deshalb seit alter
Zeit einen wichtigen Teil des Unter-
richts, man nannte es dictare, einen
brief dihten.
Lohnschreiber gab es in Italien
ebenfalls seit alter Zeit, sie erhielten
sich hier durch das ganze Mittel-
alter und wurden später von den
Universitäten als Zugehörige unter
ihre Jurisdiktion und ihren Schutz
aufgenommen. ImfränkischenReiche
gab es ohne Zweifel viele Geistliehe,
welche als Lohnschreiber ihren
Lebensunterhalt fanden, doch werden
sie selten erwähnt. Auch schrieben
wohl Mönche für einen auswärtigen
Besteller um Lohn ab, während sie
natürlich für die eigene Bibliothek
umsonst schrieben. Rechtshand-
schriften wurden auf deutschem
Boden früh von Laien abgeschrieben ;
vom 13. Jahrhundert an werden
eigentliche gewerbsmässige Schreiber
aus dem Laienstande häufiger uud
übertreffen an Zahl die geistlichen;
sie heissen cathedrales oder stuol-
schriber. Auch Frauen kennt man,
die um Lohn abschreiben, und Schul-
meister; Graf Hugo von Montfort
(gest. 1423) liess seine Minnelieder
durch seinen Knappen niederschrei-
ben und mit \\ eisen versehe».
Bürgerliche Schreiber beschäftigten
sich vorzüglich mit Büchern in den
Volkssprachen; kirchliche und ge-
lehrte Bücher fielen noch immer
vorzugsweise der Geistlichkeit und
dem entstehenden Gelehrtenstand
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Schreibkunst und Schrift.
905
zu. Die erste gedruckte Schreibe- weiter ausgebildet. Es gehören da-
kunst verfa8ste der Nürnberger hin die la ngobardische , die west-
Anton Neudörfler, gotische und die merowingische Schrift.
IV. Entwicklung der Schrift. Die j 5. Die irische Schrift. Das Haupt-
Hauptgattungen der lateinischen land der Kalligraphie war vom 6.
Schrift sind: Jahrhundert an Irland; es bildeten
1. Kapitalschrift heisst die Ma- sich hier mehrere grossere und klei-
juskelschrift in den vollen schönen nere Schriftgattungen aus. Vorzug-
Formen des lateinischen Alphabetes, lieh liebten die Iren den reichsten
wo jeder Zug, sei er geradlinig oder Farbenschmuck und verzierten die
runa, wesentlich int. In ganzen Hand- Initialen und ganze Seiten mit der
Schriften erscheint die sonst der künstlichsten Verflechtung von
römischen Bildung angehörige Schrift Spiralen und schmalen farbigen
bis ins 6. Jahrhundert ; späterbehielt Bändern. Mindestens wurden die
man sie nur noch für Überschriften grossen Buchstaben mit Reihen roter
und für die ersten Seiten von Punkte umgeben, namentlich charak-
Prachthandschriften bei, vorzüglich teristisch aber sind die überall an-
in karolingischer Zeit. gebrachten Schlangen- und Vogel-
2. Unicalsehrift y ist aus der Ka- köpfe. Irisehe Mönche, die man in
pitalschrift hervorgegangen , deren Deutschland Schottenmönche heisst,
gerade geometrische Züge nach Be- verbreiteten ihre Schrift über den
quemliehkeit bei ihr durch runde ganzen Kontinent.
ersetzt sind; einzelne Buchstaben 6. Die angelsächsische Schrift
reichen schon über und unter die empfing Einflüsse teils von der iri-
Zeilen. Diese Schrift bestand Jahr- ; sehen, teils von der römischen und
hunderte lang völlig ausgebildet wirkte wie die irische ebenfalls auf
neben der Kapitalschrift. Man kann das fränkische Schriftwesen ein.
in den Handschriften diese Schrift 7. Die karolingische Minuskel.
mit zunehmender Entartung vom 4. Die Bemühungen rtarls des Grossen
bis ins 8. Jahrhundert verfolgen. um die Reorganisation der öffent-
3. Die altrömische Kursivschrift liehen Bildung richteten sich ausser
ist aus der Unicalsehrift hervorge- der verwilderten Orthographie und
gangen ; die Buchstaben hängen zu- Interpunktion auch aut die Pflege
sa m inen und werden ineinander ge- der Handschrift. Für Prachtstücke
zogen; einzelne Züge treten über kehrte man zur alten Unicalsehrift
und unter die Linie; diese Schrift zurück; für den gewöhnlichen Ge-
repräsentiert zugleich die Entstehung brauch wurde eine Minuskel ausge-
der Minuskel. Anfänglich für den bildet, die wesentlich eine Reform
Schulgebrauch und das bürgerliche der merowingischen Schrift dar-
Leben bestimmt , wird diese Schrift stellt ; ihr Ausgangspunkt ist Al-
vom 4. Jahrhundert an auch zu neu kuins berühmte Schule im Martins-
verfas8ten Handschriften ange- kloster zu Tours ; von hier wurde die
wendet. neue Sehreibart durch das ganze
4. Die Nationalschriften. Auf der Frankreich verbreitet. Die Karo-
gemeinschaftlichen Grundlage der ■ liugische Schrift ist rundlich , stark
römischen Kursive, verbunden mit mit kursiven Elementen und einzel-
Elementen der Unicalsehrift, haben neu Unicalbuchstaben gemischt;
sieh nun verschiedene National- j charakteristisch sind besonders die
Schriften entwickelt; anfangs dem keulenförmig nach oben verdickten
Charakter der Völkerwanderung , Langstriche. Neben der Arbeit für
gemäß ausserordentlich verwildert, den täglichen Gebrauch war die
wurden sie mit derZeit kalligraphisch Richtung dieser Zeit vorzüglich der
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906
Schuh. — Schulwesen.
Verfertigung von Prachtstücken zu-
gewandt; Purpurnes Pergament,
Gold, Silber, Kapitalschrift, nach
den besten alten Inschriften kopiert,
verschiedene Unicalformen , Orna-
mente und Bilder nach antiken und
byzantinischen Mustern ausgewählt,
vereinigte sich zur Herstellung
staunenswerter Kunstwerke.
8. Die ausgebildete Minuskel.
Die fränkische Schrift kam mit der
Zeit zur Alleinherrschaft. Ihr Ent-
wicklungsgang besteht darin, das«
sie bis zum 12. Jahrhundert zu immer
grösserer Regelmässigkeit fortschrei-
tet; jeder Buchstabe hat seine be-
stimmte Form und steht unabhängig
neben dem andern, die Striche sind
scharf und gerade, die Worte voll-
ständig getrennt. Gegen deu Aus-
gang des 1 2. Jahrhunderts beginnen
an den früher gerade abgeschnitte-
nen untern Enden der Buchstaben
starke Abschnittslinien bemerklich
zu werden; dann biegen sich die
Striche selbst unten nach vorn in die
Höhe und geben dadurch der ganzen
Schrift ein verändertes Aussehen;
man schreibt viel mehr und deshalb
viel rascher und nachlässiger. Um
Platz für ihre ungeheuer umfäng-
lichen Produkte zu schaffen, treiben
namentlich die Bcttelmönche den
Gebrauch der Abkürzungen auf die
Spitze. Im Verlaufe des 14. Jahr-
hunderts wird die Schrift immer
eckiger und es bildet sich die gitter-
artige Schrift aus, die man qotisch
oder Mönchisch riß nennt, tn den
Verzierungen herrscheu die im 13.
Jahrhundert aufkommenden ab-
wechselnd roten und blauen vor.
Dazu kommen die reichen Blattver-
zierungen, namentlich das Dornblatt-
muster, im 15. Jahrhundert ganze
Pflanzen, Blumen und Früchte, mit
Käfern und Schmetterlingen auf
Goldblattgrund. Die Humanisten
kehrten endlich zur reinen Minuskel
des 12. Jahrhunderts zurück. Nach
Wattenbach, das Schriftwesen im
Mittelalter, zweite Aufl., Leipzig 1875
und ebenderselbe, Anleitung zur
lateinischen Paläographie; zweite
Aufl. Leipzig 1872.
Schuh, siehe Beinbekleidung.
Schüler, fahrende, siehe fah-
rende Schüler.
Schult Ii ei ss. mittel la t. scultetus,
ahd. scultkeizo, mhd. scultheize, von
ahd. scult = za leistende Verpflich-
tung, zu leistende Verbindlichkeit,
und heizan = heissen, befehlen. Dieser
j schon im 8. Jahrhundert nicht seltene
! Name bezeichnet, nach Sohm fränki-
sche Reichs- und Gerichtsverfas-
sung, Weimar 1871, § 9 S. 213 ff;
den Centenar. Er wird in der
Regel vom Grafen, ausnahmsweise
vom König ernannt; er ist also ein
gräflicher, kein unmittelbar könig-
licher Beamter. Seine Amtsfunk-
tion ist die Exekution des durch
den Grafen als Richter ausgespro-
chenen Urteils, mag dies nun
ein peinliches btrafurteil oder ein
Civilerkenntnis sein; zugleich ist er
der Unterbeamte des Grafen für
die Eintreibung der auch auf öffent-
lich rechtlichem Titel ruhenden Ein-
künfte des Königs. Er hat ferner
die Führerschaft über die Büttel
der öffentlichen Polizei undExekutiv-
Scwalt. Seitdem an vielen Orten
ie gräfliche Gewalt an einzelne
Grundherrn übergeht, tritt der
Schultheiss dem Grundherrn gegen-
über in die Stellung, die er früher
zum Grafen hatte; ihm steht jetzt
die Erhebung der Zinsen und
Einkünfte aus den ßrundherrlichen,
meist geistlichen Gütern zu; sein
Amt nähert sich bald dem des
Vogtes, bald dem des Meiers; er
wird jetzt nicht mehr, wie wahr-
scheinlich früher immer der Fall
war, aus der Zahl der Freien ge-
nommen, sondern kann selber unfrei
sein. Aus den genannten Ursachen
ist seine Stellung in der grund-
herrlichen Verfassung überall ver-
schieden.
Schulwesen. Schule entsteht
überall da, wo sich gewisse Kennt-
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Schulwesen.
907
nisse und Fertigkeiten ausgebildet
haben, welche der Jugend zu über-
liefern allgemeines Bedürfnis ge-
worden ist und zu deren Überliefe-
rung es bestimmter Lehrer bedarf,
in erster Linie also da, wo die
Kunst des Lesens und Schreibens
bekannt und zum Bedürfuis ge-
worden ist. Die Schule erweitert
sodann den Umfang ihrer Lehrziele,
wenn sie die weitere Aufgabe erhalt,
ein gewisses Mass höherer Kennt-
nisse, fremde Sprachen, schriftstelle-
rische Erzeugnisse, überhaupt das,
was zu einer höheren litterarischen
Bildung gezählt wird, zu über-
liefern, und sie steigt noch höher,
wenn sie sich dafür einrichtet, zum
Lehrinstitut für solche zu werden,
deren Amt und Beruf selber auf der
Aneignung solcher höheren Bildung
beruht
Die Germanen hatten vor der
christlichen Zeit keine Schule ent-
wickelt; daher verstand es sich von
selbst, dass der christlichen Kirche,
welche neben ihrem Glauben auch
eine eigene fremde Sprache und ein
sehr ansehnliches Gebiet höhern
Wissens mitbrachte, vorläufig die
Stiftung und Leitung von Schulen
zufallen musste. Für den Elemen-
tarunterricht im Lesen und Schreiben
der lateinischen Sprache war die
notwendige Lehrmethode in der
lateinischen Grammatik längst ge-
geben; die Schulkenntnisse nöherer
Art kamen in derjenigen Form und
Ausdehnung ins Mittelalter, in wel-
cher die spätere römische Zeit nach
dem Vorgange des Boethius und
Cas8iodorus den Unterricht zu
fassen pflege, in derjenigen der
sieben freien Künste , des aus
Grammatik, Rhetorik, Dialektik und
Arithmetik bestehenden Quadririums
und des aus Musik, Geometrie
und Astronomie bestehenden Tri-
viums , alles in sehr enger und ein-
seitiger Weise an theologische Stoffe
angelehnt. Wie wenig jedoch
im Geiste der Kirche anfänglich
der Schulunterricht zu bedeuten
hatte, zeigt der Umstand, dass die
Benediktinerrcgel nichts auf Schul-
unterricht bezügliches enthält. Die
erste Veranlassung zur Einrichtung
eines solchen haben in den Klöstern
ohne Zweifel die pueri oblati ge-
geben, Knaben, die von ihren El-
tern früh zum geistlichen Dienst
bestimmt und deswegen dem Kloster
übergeben wurden. Am k< iniglich
fränkischen Hof bestand früh in
Nachahmung älterer römischer Sitte
für die Prinzen eine Hof schule;
sonst wuchs die Mehrzahl, selbst
der Grossen und Vornehmen, sowie
die gesamte übrige Bevölkerung,
ohne jeglichen Unterricht auf, ab-
gesehen etwa von der Gedächtnis-
eiuprägung lateinischer Gebetsfor-
meln und christlicher Zeremonien.
Karl der Grosse war es, dem zu-
erst das Bedürfnis einer höheren
und allgemeinen Bildung aufging;
italienische und angelsächsische Zu-
stände dienten ihm dabei zum Bei-
3iel und Sporn. Er erneuerte die
ochschule, an deren Unterricht
er selbst, seine Kinder und Hof-
leute teilnahmen, er befahl in einem
Kapitular von 789, es sollen mit
allen Bischofskirchen und Klöstern
Schulen verbunden werden, in denen
nicht bloss die Kinder der Leibeige-
nen (aus denen sich der Klerus ge-
wöhnlich ergänzte), sondern auch
die Kinder der Freien und Edeln
unterrichtet werden, und zwar
in Psalmen, Noten, Gesang, Kom-
Futus (Rechnen) und Grammatik,
n einem anderen Kapitular vom
Jahre 801 wird geradezu gefordert,
dass ein Jeder seinen Sohn zur Er-
lernung des Lesens in die Schule
schicke und ihn bis zur Vollendung
des Unterrichts dort verweilen lasse.
Theodulf von Orleans, einer der
Genossen Karls, legte seinen Geist-
lichen sogar ausdrücklich die Un-
entgeltlichkeit dieses Unterrichtes
ans Herz, damit sich auch der
Ärmste die im bürgerlichen Leben
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908
Schulwesen.
notwendigen Kenntnisse erwerben
könne (794). Schnell blühten nun
die Kloster- und Stiftsschulen em-
por. Jene zerfielen in die schola
inferior für die oblati, welche von
Anfang an dem Klosterleben ge-
weiht waren, und in die schola ex-
terior für Zöglinge weltlichen Stan-
des. Den Unterricht leitete ein
gewöhnlicher Mönch oder ein scho-
tasticus; in grösseren Klöstern wa-
ren für die einzelnen Disziplinen
Magist ri angestellt, die oft weither
aus* anderen Klöstern berufen wor-
den waren; Lehrlust und Lehrgabe
spielten natürlich hier schon eine
grosse Rolle. Frauenklöster besassen
ähnlich eingerichtete Schulen für
Mädchen, etwa auch für jüngere
Knaben. Noch mehr als die Kloster-
schulen dienten die in den Städten
gelegenen Dom-, Stifts- oder bischöf-
ichen Schulen den Söhnen welt-
iehen Standes. In Bezug auf den
Umfang des Unterricht« hatten die
niedrigen Schulen oder Klassen vor-
nehmlich das Lesen im Auge; Kir-
chengesang, Rechnen unu latei-
nische Grammatik bildeten die erste
Erweiterung des Elementarunter-
richtes; nur an den grossen Ge-
lehrtenschulen trat das Quadrivium
dazu. Der grammatische Unterricht
(nach Donat, Priscian, Beda, Al-
kuin u. a.) war wie überhaupt aller
Unterricht mühsam und auf Ein-
übung von Regeln, Wörtern und
Phrasen beschränkt; von alten Dich-
tern kamen besonders Virgil, dann
Ovid und Horaz, Lucian und Sta-
tius, seltener Terenz zur Behand-
lung; auf Versemachen wurde grosses
Gewicht gelegt. Die Kenntnis der
lateinischen Prosaiker war eine sehr
beschränkte. Livius, Cäsar, Cicero
waren selten, häufiger Seneca, Sal-
lust und Sueton. Die Kenntnis des
Griechischen war nur ganz spora-
disch vorhanden. Die scnulmässi^e
Behandlung des Deutschen war je-
denfalls selten und von der beson-
deren Denkweise eines Lehrers
abhängig; Notker Laljeo, der St.
Galler, bemerkt in einem Brief, er
habe, um seine Schüler in das Ver-
ständnis der Klassiker einzuführen,
etwas Ungewöhnliches gethan und
die lateinischen Schriftsteller in die
Muttersprache übersetzt und in die-
ser erläutert, denn in der heimischen
Sprache werde leicht gefasst, was
in einer fremden kaum oder nicht
ganz begriffen werden kann. Viel
Gewicht legte man auf Gesang und
Schönschreiben. Die Schulzucht
war streng und die Rute häufig
gehandhabt. Als Aufseher waren
circafores bestellt. Doch fehlte es
nicht an erlaubten Ergötzlichkeiteu:
Würfelspiel, Wettlauf, Ringen mit
gesalbten Händen, StockspieT, Stein-
wurf. In St. Gallen hatten die
Schüler bereits da&festum sanctorum
innocenfium, an welchem sie der
Zucht entbunden waren und jeden
bei ihnen eintretenden Fremden
festnehmen, als Schulabt auf das
Katheder führen und zu einer Los-
kaufung nötigen konnten. Die
Lehrmethode ist am ehesten aus
den Lehrbüchern Alkuins ersicht-
lich ; in seiner Grammatik tritt nach
angelsächsischem Muster besonders
der Dia top hervor; der Lernende
fragt und der Lehrende antwortet,
manchmal reden auch zwei Schüler
miteinander und mit dem Lehrer:
öfters werden die Rollen vertauscht
Die disputatio Pipnini cum Albino
Schofastico ist ein derartiges Hand-
büchlein für Denkübungen in dia-
logischer Form. Darin sind Defi-
nitionen von verschiedenen , dem
Menschen naheliegenden Objekten
und Begriffen gegeben, am liebsten
in Metaphern; z. B. was ist die
Zunge? Eine Geissei der Luft.
Was ist der Nebel? Die Nacht am
Tage, die Mühe der Augen. Was ist
der Tag? Die Anregung der Ar-
beit. Erinnern schon diese Fragen
und Antworten an das Rätsel, so lasst
ein zweiter Teil dieses Büchleins dem
Schüler wirkliche Rätsel aufgeben.
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Schulwesen.
909
Die Blüte de« karolingischen
Schulwesens dauerte etwa bis in
die Mitte des 11. Jahrhunderts, so
zwar, dass man innerhalb dieses
Zeitraumes zwei Höhepunkte, im
9. und am Ende des 10. Jahrhun-
derts, unterscheiden kann; nach
1050 führen zum Teil längst schon
vorbereitete innere und äussere Ur-
sachen einen schnellen Verfall die-
ses Schulwesens herbei. Dahin ge-
hören die Verweltlichung der grossen
Abteien und Domstifter, die Aus-
bildung des höfischen Standes und der
durch denselben bedingten höfisch-
weltlichen Bildung, das Auftreten
der strengen reformierten Mönchs-
orden, wie der Cluniacenser und
Cistercienser, deren kirchlich-aske-
tische Ziele wissenschaftliche Stu-
dien wenig oder gar nicht förderten.
Für den Adel und das .Rittertum
bildete sich eine höfisch-ritterliche
Erziehung aus , die auf adelige
Künste und Fertigkeiten, auf welt-
männisches Benehmen , auf die
Kenntnis der französischen Sprache
Bedacht nahm und nur ausnahms-
weise (Hartmann von Aue) eigent
liehen schulmassigen Studien sieh zu-
wandte. (Vgl. Rittertum und Erzie-
hung.) Was man an den Höfen an
Lehrern etwa bedurfte, besorgten
fremde Spielleute, fahrende Kleriker
und dergleichen als Privatlehrer.
Nur vereinzelt erhielten sich, durch
die Gunst einzelner Persönlichkeiten
getragen , grössere Kloster- und
Stiftsschulen unter angestellten
Lehrern.
Eine Erneuerung des Schulwe-
sens wird erst im 12. Jahrhundert
sichtbar, und zwar in zweierlei
Gestalt, in der Bildung elementarer
Stadtschulen und derjenigen der
Universitäten; über die letzteren
siehe den besonderen Artikel. Was
die Stadtschulen betrifft, so finden
sich solche zuerst in den frühen t-
wickelten italienischen Städten. Im
12. Jahrhundert entstanden dann in
den Städten nördlich von den Al-
pen, namentlich früh in den nord-
deutschen und niederländischen ,
deutsche oder Schreibschulen , die
teils die notwendige bürgerliche
Elementarbildung in der Landes-
sprache darboten, teils als Vorschule
für die lateinische Schule dienten.
Sie haben besonders anfangs manche
Kompetenzstreitickeiten mit den
geistlichen Obrigkeiten zu bestehen,
welche die Schule, für welche die
Kirche doch selten mehr etwas
that, für ihr Monopol ansahen; na-
mentlich suchte die Kirche zu ver-
hüteu, dass sich diese Schulen dem
Zuge der Zeit gemäss in lateinische
Schulen umwandelten. Die Unter-
richtsmethode unterschied sich nicht
von derjenigen in den kirchlichen
Schulen, gedieh auch nirgends zu
einem durchgreifenden allgemeinen
Schulsystem. Schulbücher, selbst
Papier für den Gebrauch der Kin-
der war zu teuer; daher bestand
der Unterricht zum grossen Teil
in Auswendiglernen und Aufsagen.
Noch spielte in der Disziplin die
Rute eine grosse Rolle. Daneben
erscheint in den lateinischen Schu-
len seit dem 16. Jahrhundert der
Asinusy ein in der Schulstube ste-
hender hölzerner Esel, den der straf-
fällig gewordene Schüler am Ende
der Lehrstunde besteigen musste.
Die Verfassung der städtischen
Schulen war zunft- und handwerks-
gemass. Der Rektor oder Schul;
meister wurde von der Obrigkeit
auf ein Jahr gemietet; die Hilfs-
lehrer, seine Gesellen, wählte er
selbst; Bildung und Lohn derselben
war gering Meist hatte nur der
Rektor festen Gehalt, der jedoch
jahrlich höchstens 40 Gulden be-
trug, wozu dann allerlei andere
Emolumenta, namentlich Geschenke,
kamen: Ostereier, Fastnachtkuchen,
Kirchweihgeschenke, Fastnachthüh-
ner, Gutjahr. In kleineren Ort-
schaften war der Pfarrer Schul-
herr, der dann für das Lehramt
gewöhnlich einen Gehilfen, den
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910
Schulwesen.
Kindermeister , annahm , welcher und scolares ad nuwpam oder ad
neben den Schul Verrichtungen, wie scutel tarn, d. h. solcne, denen ^das
der Pfarrer selbst, durch kirchliche Stift regelmässig die ganze Kost
Dienste seinen Lebensunterhalt auf- gab; übrigens benutzten die Chor-
brachte. Da feste und bleibende schäler ihre Singkunst, um sich
Anstellungen fehlten, bildete sich auch ausserhalb des Gottesdienstes
ein wandernder Lehrstand. Die Geld zu verdienen, z. B. bei den
älteren Gesellen, scholares vagantes, Fastnachten des Rates oder vor der
Bacchanten , nahmen dabei die Herberge einer durchreisenden fürst-
Dienste jüngerer Schüler in An- liehen Person. An manchen Orten
spruch, die ebenfalls, um der Wissen- reichte ihnen das Spital den Über-
schaft nachzugehen, die Heimat rest vom Gesindeesseu, daher jeder
verlassen hatten. Mit Betteln und von ihnen am Gürtel ein hölzernes
Stehlen mussten diese „Schützen" Gefäss befestigt hatte, das ihnen
ihre Bacchanten auf ihren Kreuz- den Namen Mäfeleinbuben eiutrug.
und Querzügen begleiten; viele gin- In allen Lateinschulen wurde der
gen bei diesem Üinherwandern zu Unterricht in lateinischer Sprache
Grunde. Solche fahrende Schüler erteilt, und die Schüler sollten auch
(vgl. den besonderen Artikel! bil- untereinander nur Latein sprechen,
deten nun das Hauptkontingent für Die tägliche Z ihl der Lehrstundeu
den Schuldienst; doch nahinen auch oder Lektionen war an den meisten
andere Männer, die des Lesens und Schulen vier, seltener drei oder fünf.
Schreibens kundig waren, die Schul- Vormittags begann derllnterrichtiur
Haltung auf sich; besassen sie wirk- Sommerszeit um 6 oder 7, sogar um
lieh Kenntnisse , so fanden sie 5 Uhr, im Winter eine Stunde später,
gleichzeitig andere Verwendung, Schulprüfungen kennt das Mittelaltar
z. B. als Schreiber im Dienste der nicht; diese sowohl als die Schul-
Stadt oder Ortschaft, und diese be- prämien kamen erst in der Refor-
lohnte unter Umständen treue und mationszeit auf. Auch von Schul-
ausdauernde Dienste mit dem Bür- ferien wusste man nichts; sogar an
gerrecht. Eine Schulpflicht für die den auf Wochentage fallenden
Kinder bestand in keinem Fall, kirchlichen Feiertagen fand z. B. in
um so weniger, als mancherorts der Nürnberg regelmässig Schulunter-
Schullohn ausschliesslich aus dem rieht statt. Dagegen hatte der
Schulgeld der Kinder bestand; eben- Lehrer fast überall das Recht, den
sowenig eine festgesetzte Schul- j Schülern einmal einen oder mehrere
dauer; doch mag die ursprüngliche : freie Wochentage ..durch lust und
Bedeutung des 6., oder 7. — 12. Le- spils willen irem Übe zu trost" zu
bensjahres auch hier meist mass- gewähren; manchmal Hess sich der
gebend gewesen sein. Auch städti- Lehrer dafür von den Schülern be-
sehe Madchenschulen hat es vor zahlen. Desto grösser war die Be-
der Reformation gegeben. deutung der Schulfeste; es waren
Sehr alt war das Institut der das namentlich das Crreqoriusfest
Chorschüler; zwar nahm die ganz? (siehe den besondern Artikel), die
Schule am Kirchengesange teil; für Schulkomödien und das Virgatum-
ausserordentliche Leistungen aber, ■ Gehen. In manchen Städten war
bei Trauungen , Beerdigungen und ; es nämlich von alter Zeit her ge-
dergleichen, genügte ein aus den ' bräuchlich, dass an einem Sommer-
ärmern Schülern gebildeter Chor, tage die ganze Schuljugend in den
in den Stiftsschulen teils Pannenses t Wald zog, um die nötigen Ruten
oder Brotschüler genannt, d.h. solche, I herbeizuschaffen ; dieses heisst der
die regelmässig bloss Brot erhielten, 1 Rutenzug oder das Virgatnm- Gehen
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Schürze. — Schützenfeste.
911
und war ein Fest der Freude; die;
Jugend führte dabei allerlei Spiele '
auf und liess sich von Eltern und i
Lehrern bewirten.
Was die Lehrlnicher betrifft, so
trat an die Stelle der alten Gramma-
tiker etwa seit 1240 das Doctrinale
puerorum des Alexander von Ville-
dieu (de villa DeiJ, eine Grammatik
in Versen und Reimen von übler
Beschaffenheit; ein Buch, von dem
im 15. Jahrhundert mehr als 50 Auf-
lagen erschienen sind; es zerfiel in
drei Teile: Etymologie, Syntax und
Pronunziation. Andere Lehrbücher
für den lateinischen Unterricht waren
die Gemma Gemmarum, das Catho-
licon (von dem Dominikaner des
14. Jahrhunderts Job. de Balbis),
der Modus latinitatis. Ein Schul-
buch dieser Zeit ist auch der Cisio-
Janus, ein aus 24 lateinischen
Versen bestehender Festkalender,
der vielleicht schon im 10. oder 11.
Jahrhundert entstanden ist. Ein viel
umfassendes Schulbuch war die
Margaritha philosophica des Kar-
thäusers Gregor Ketsch , Ende des
15. Jahrhunderts, die in 12 Büchern
grammalicae rudimenta (in Versen),
dialecticae principia, rhetoricae par-
tes, arithmeticae species , musicae
principia (mit Noten), geometriae
elementa, astronomia* theorematica,
naturalis philosoyhicae principia, al-
chimiae principia, einiges de anima
und deprincipiis philosophiae darbot.
Die Buchdruekerkunst warf sich
schnell anf die Verbreitung dieser
Bücher.
Zu einer rationellen Vervoll-
kommnung erhob sich endlich das
Schulwesen durch den Humanismus;
hier erst wurde es zugleich höhere
Erziehung. In Italien sind es na-
mentlich zwei vortreffliche Männer,
Vittorino da Feltre und Guarino
von Verona, welche diesen Zug des
Humanismus wirklieh schön ausge-
prägt haben. Auf deutschem Boden
bemächtigten sich zuerst und mit
grossem Erfolg die Brüder vom ge-
meinsamen Letten (siehe den beson-
deren Artikel ) oder die Hicronymianer
dieser Aufgabe; ihnen folgen andere
Humanisten kreise, namentlich in
den Rheinlanden, wo u.a. die Schlett-
stadter Schule eine Zeitlang zu
hoher Blüte gedieh. Die Wirksam-
I keit der Humauisten wurde jedoch
in Deutschland schnell durch die
Reformation gehemmt oder wenig-
stens in mehr kirchliche Bahnen
gezogen. Es ist bekannt, wie Luther
und Melanchlhon die Neubegründer
der deutschen Schule geworden
sind, jener mehr für die Volksschule,
dieser, auf dem Boden des Huma-
nismus weiter bauend, mehr für die
Gymnasien und den höheren Unter-
richt. Mit Benutzung von Kämmet,
Artikel Mittelalterliches Schulwesen
in Schmidt Encyklopädie des Er-
ziehungswesens, Bd. IV, S. 766 bis
816; Ebenderselbe: Geschichte des
deutschen Schulwesens im Über-
fang vom Mittelalter zur Neuzeit,
■eipzig 1882; Hunziker, Geschichte
der schweizerischen Volksschule,
Zürich 1881, Vorgeschichte, und
Kriegk, Deutsches Bürgertum, II.
Abschn. 4.
Schürze. Als Schutzmittel bei
der Arbeit ist die Schürze schon
aus dem frühereren Mittelalter be-
kannt ; als Kleidungsstück der Frauen
und Jungfrauen tritt sie um die *
Mitte des 16. Jahrhunderts auf.
Schüsseln verlangten ihrem
Zweck gemäss eine mehr oder
minder tiefe Schaleuform. AlsTisch-
gefässe waren sie schon in früherer
Zeit irden, als kirchliche Gefässe
metallen und zwar je nach Ver-
mögen und Zweck von Gold, Silber,
Zinn oder Kupfer, letztere dienten
entweder zur Aufnahme der Hostie
oder dann einfach als Waschbecken
für die Priester.
Schützenfeste, früher Schiessen,
Freischiessen, Geselle nschiessen ge-
nannt, sind gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts nachweisbar; sie hängen
teils mit der Aufnahme der Arm-
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912
Schützenfeste.
brüst, teils mit dem in den Städten I Mantel für die feierlichen Kirchen-
erwachenden Volksgeist und der gänge übrig; den Schützenkönig
Freude an gemeinsamer Festlust, zeichnete bald das Zepter mit dem
teils mit den ältern Turnieren zu- j silbernen Vogel, bald die Ehrenkette
sammen, von denen einzelne tech- mit dem Kleinod aus; die Schützen-
nische Ausdrücke , wie „rennen", ältesten trugen den Gildestock,
„stechen" in die Sprache der Ge- Die Aufnahme in die Zahl der brüder,
sellenschiessen tibergehen. Seitdem schiitzenbrüder , kumpane, gesellen,
13. Jahrhundert veranstalteten die gemein schiessgeseflen , war in der
wehrpflichtigenStadtbewohnerregel- Kegel durch ehrlich Geschlecht und
massige Übungen im Gebrauche der Herkommen, einen ungetrübten Leu-
Armbrust, die, vom Rate oft unter- mund und den Besitz des städtischen
stützt, eine regelrechte Gestaltung Bürgerrechtes bedingt und erfolgte
annahmen. Bald trat wie bei allen gegen Erlegung einer Einkaufs-
derartigen Verbindungen des Mittel- gebühr in die Lade. Das oberste
alters neben das militärisch-soziale Gebot in den Schätzen - Satzungen
ein religiöses Element. Ungefähr war gesittetes Betragen und ruhiges
seit der Mitte des 14. Jahrhunderts friedliches Verhalten gegenüber den
traten die Schützen- Brüderschaften Genossen sowohl als auf dem Schiess-
ais äusserlich abgeschlossene, orga- platze und im Gesellen- Zelte. Bei
nisch geordnete Körperschaften her- 1 dem Tode eines Gildenbruders oder
vor. Seit der Erfindung des Schiess- seiner Hausfrau hatten sämtliche
pulvers traten zu den ältern Stahl- Glieder der Brüderschaft dem
oder Rüsfungsschiifzen die jüngern Leichenbegängnisse beizuwohnen.
Büchsenschützen. Durch landesfürst- Eines Freiscniessens wird aus dem
liehe Gnadenbriefe empfingen sie ! Jahr 1387 zu Magdeburg, 1394 eines
mancherlei Freiheiten und gaben solchen zu Turnay in den Nieder-
sich eigene Willküren oder Statuten, landen erwähnt. Von da an sind
Der gewöhnliche Name war Sankt- sie auch in Süddeutschland ganz
Sebastians - Brüderschaft, Sankt- i gewöhnlich; um 1500 erreichen sie
Sebastians -Schützen. Jede Brüder- ihren Höhepunkt und zeigen vor
schaft hatte ihre eigene Kapelle dem 30jährigen Krieg Spuren des
oder wenigstens einen eigenen Altar. Verfalls. Die Schiessen waren ein
Die Gesellschaftsschiessen waren beliebtes Mittel, der Politik uachzu-
teils engere Schiessen nach dem helfen und ihr Nachdruck zu ver-
vogel oder schiebe, sog. schiesslagr, schaffen; gemeinsame Interessen
an denen höchstens um geringe wurden ausser dem Schiessstand be--
Gewinnsto, rortel, meist umb die sprachen. Reden gehalten; nach
hosen oder um ein zinnern kandet einem Krieg fanden sich die Feinde
geschossen wurde; teils das solenne am ehesten wieder auf dem Schützen-
Gesellen-Freischiessen. Ausserdem platz. Oft war die Zahl der einge-
Ehrenkönige als Jahres-Prasidenten ladenen Orte sehr gross, bia 200,
hatten die Brüderschaften ordent- und dem ein besonderer Preis aus-
liche Vorsteher, Beisitzerund Pfleger, gestellt, der am teitesten har tum
Jede Gesellschaft besass ihr eigenes schiessen kommen icas. Bei dem
Panner. Die Schützentracht bestand Ausschreiben ward bei der Armbrust
in älterer Zeit in Eisenkappe mit ! der Umfang des Bolzens, beim Rohr
Schulterkragen, Streitkolben oder die Schwere der Kugel voraus be-
Pike, Ledervorschutz und Schild, ' stimmt, ebenso die Entfernung dea
also einer vollständigen Kriegs- Schützenstandes von der Scheibe,
rüstung; später blieb ausser Wehr wobei die Länge des üblichen
und Waffe höchstens ein farbiger Masses in schwarzer Linie dem
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Schwaben spiegel. 9 i 3
Briefe aufgedruckt; dito die Anzahl sie die gleichen Schüsse gethan, mit
der abzugebenden Schüsse, die von einander stechen müssen. Jeder
12 bis etwa 40 variieren. In noch Schütze musste beim Beginn des
älterm Gebrauch als die Armbrust Festes einen Geldbetrag, den Dop-
steht der Handbogen mit Pfeil; dann pel, einlegen, dessen Betrag von
kommt seit 1400 die Armbrust; bald anfangs 2 Gulden bis auf 12 Keichs-
naehher tritt die Büchse auf, welche thaler stieg. Grosse und kleine
aber an Vornehmheit noch lange Fahnen gehörten zu allen Preisen
der Armbrust nachstand; in der des Hauptsehiessene. Der Preis
Schweiz namentlich wird die Büchse heisst Abenteuer; Hauptpreise sind
bevorzugt und hier 1472 das grosse ein Widder, ein Ochs, Pferd, in der
Freiseinessen zu Zürich nur für die , Schweiz ein „Muni", oft mit wert-
Büchse ausgeschrieben. Uralt war vollem Tuch bedeckt; Nebenpreise
als Ziel der Vogel auf der Stange; sind ein kleiner Becher, Silberschale,
ihn verdrängte jedoch im grössten Gürtel, Armbrüste, Schwert und
Teile Deutschlands die Schiessmauer namentlich Stoff zu einem paar
oder schwebende Scheibe. Die Ent- Hosen; bald kommen auch Gcld-
fernung des Zieles betrug für die preise auf. um löOOsind IUI Gulden
Armbrust 340, später 300 Fuss, für das Beste, dann abwärts bis auf 1
die Büchse durchschnittlich 6u0 bis Gulden. Die Geldbetrage werden
760 Fuss Die Zielstatt war nament- häufig in besondern restmünzen
lieh für die Annbrustschützen viel- und Medaillen gezahlt, deren es
fach geschmückt, als Holzbau mit grosse, kleine, vergoldete, häufig
Thtiren und Stockwerken, mit Tri- . drei- und viereckige gab, s. g. Klip-
umphbogen, einem Tempel mit pen. Der letzte Schütz, Oer auf
Kuppeltürinchen, mit Wappen und einen Gewinn Anspruch machen
Figuren verziert dargestellt; zuoberst konnte, erhielt unter vielen Gratu-
ein künstliches Uhrwerk, darauf lationen des Pritschmeisters ausser
eine bewegliche geschnitzte Figur, . der kleinsten Geldprämie eine Sau,
oft Fortuna auf einer Kuppel. Sehr mit einer Fahne, auf der dieses
wichtig waren bei jedem Feste die Thier abgebildet war. Neben dem
Pritschmeister, welche das Amt des Wettschiessen waren „offene Spiele''
Ausrufers, Stegreifdichters, Polizei- eingerichtet, Steinstossen, Springen,
beamten und Po-senreissers in sich Laufen, < las letztere für die Gesellen
vereinigten; sie wurden oft von der und für die „Frauen''; auch Rosse-
Fremde, namentlich aus Nürnberg rennen kamen vor, sogar Ringen
oderAugsburg, verschrieben. Siebner und Tanzen erhielten wohl Preise;
und Neuner heissen die obersten in Augsburg erhielt 150S auch der
Richter nach dem Schiessrecht, ' einen Preis, der dem Volk die
welchen auch die Prüfung der grosste Lüge erzählen konnte. Früh
Waffen obliegt. Es war das Be- spielte bei den Freischiessen der
str« ben, so viele Schützen als möglich Glückstopf oder Glückshafen, das
mit Preisen zu versehen; so erhielt Lotto, eine Rolle; es erscheint schon
der beste Sehuss jedes Kennens, der 14H7 auf dem Armbrustschiessen zu
„Zweckschuss" seinen Preis; dann München. Meist nach Gr, Freitag,
wer die meisten Schüsse zunächst Bilder aus der deutschen Vergangen-
am Nagel gethan; die Hauptge- heit, 11, 2, aus dem Jahrhundert
winne aber waren für diejenigen der Reformation, Abschnitt 10, die
Schützen , denen am Entie des WalTenfeste des Bürgers, und Geng-
Schiessens die meisten Zirkelschüsse (er, deutsche Städte-Altertümer, Ex-
zusammenaddiert wurden. Ritter- kurs IX.
schützen heissen die, welche, weil Schwabcnspiegel. Die Bedeu-
Reoüexlcon <3er deutschet! Altertümer. 53
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914
Schwanjungfrauen. — Schweisstuch Christi.
tung, welche der Sachsenspiegel
schnell in Norddeutschland gewann,
veranlasste auch süddeutsche Be-
arbeitungen dieses Rechtsbuches.
Deren erste ist der Deutsch enspiegel
oder der Spiegel deutscher Leute,
unvollendet und zum teil bloss eine
oberdeutsche Übersetzung des nieder-
deutschen Vorbildes; an einzelnen
Stellen sind andere Quellen benutzt,
römisches und kanonisches Recht,
die Lex Alemannorum, das Frei-
burger Stadtrecht, die Bibel, die
Kaiserchronik u. a.; es ist wahr-
scheinlich, dass er um die Mitte des
13. Jahrhunderts in Augsburg ent-
standen ist. Ausgabe von Picke r,
1859. Während dieser Deutschen-
spiegel bald vergessen wurde, er-
langte eine zweite oberdeutsche Be-
arbeitung des Sachsenspiegels, der
Schwabe nspiegel ', in allen Teilen Süd-
deutschlands eine weite Verbreitung
und grosses Ansehen in den Ge-
richten. Er zerfällt wie der Sachsen-
und der Deutschenspiegel in Land-
recht und Lehnrecht. Der Schwa-
benspiegel wird von dem Verfasser
selbst landrechthuoch genannt, in
den Handschriften Xana-und Lehn-
rechtbuch, Kaiser KarU Recht (für
das Landrecht), Kaiser Friedrichs
Recht (für das Lehnrecht), Kaiser-
recht, in den ältesten Ausgaben
Striegel kaiserlichen und qemeinen
Landrechts; der Name Schwalten-
Striegel stammt von Goldast, der
aas Buch zwar in der Ausgabe von
1600 Kaiserliches Land- und L.ehn-
recht nannte, am Rande aber Schwa-
benspiegef hinzufügte. Der Ver-
fasser des Schwabenspiegels kannte
den Sachsenspiegel selbst nicht; er
benutzte ihn vielmehr bloss in der-
jenigen Gestalt, welche er im Deut-
schenspiegel durch Bearbeitung und
Verbindung mit andern Quellen ge-
wonnen hatte; ausser den Quellen,
welche schon der Deutschcnsniegel
neu herangezogen hatte, sind hier
noch andere selbständig benutzt, die
Lex Bajurariorum (siehe Leget Bar-
barorum), die Kapitularien, Reichs -
Sesetze, das Augsourger Stadtrecht,
listorische Schriften, der Freidank,
Predigten. Die Tendenz des Ver-
fassers ist, das allgemeine deutsche
Recht darzustellen, das er aber
weniger im Gewohnheitsrecht eines
bestimmten Volkes, als vielmehr im
mosaischen Gebot, im römischen
Recht und dem Recht Karls des
Grossen, im Dekret und den Dekre-
talen findet. So ist denn seine Ar-
beit mehr eine gelehrte, aus Büchern
geschöpfte, welche der Rechtsbildung
der Zeit gemäss voll von Wider-
sprüchen und Missverständnissen
sein musste. Gegenüber der freieren
weltlichen Auffassung Eikes von Rep-
gowe ist der Verfasser des Schwaben-
spiegels mehr der päpstlichen Partei
zugewandt Wie der Sachsenspiegel,
zerfallt auch der Schwabenspiegel
nur in Artikel oder Kapitel, nient
in Bücher. Die Entstehung wird
zwischen 1273—1282 gesetzt. Der
Verfasser ist unbekannt; er lebte
in Schwaben oder Bayern, vielleicht
wie der Berarbeiter des Deutecben-
spiegels in Augsburg. Der Schwa-
benspiegel ist in verschiedenen Mund-
arten überliefert, überwiegend jedoch
in mittel- und oberdeutschen Idi-
omen, doch gibt es auch nieder-
deutsche Handschriften. Überhaupt
aber ist die Zahl der Handschriften
eine sehr grosse und ihr Text ein
überaus verschiedener; Homever
zählt .220 bekannte Handschriften
auf. Alteste datierte Ausgabe Strass-
burg 1440. Ausgaben des Land-
rechts von Lassfjerg, 1840; TT.
Wackernagel, 1840, Gengier, 1851.
Nach 6VoW>V,Geschichte derdeutsehen
Rechtsquellen. Bd. I.
Schwanjungfraueu, siehe Wal-
küren.
Schweisstuch Christi jralt als
eine der wertvollsten Reliquien; die
h. Veronika begleitete nach der
Legende Jesum zur Richtstätte und
reichte ihm, da sie ihn schwitzen
und bluten sah, ein dreimal
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915
sammengesetztes Tuch dar, in das
er, als er sich abtrocknete, aus
Dankbarkeit dreimal sein Bildnis
abdrückte. Mit einem dieser Ab-
drücke heilte Veronika den Kaiser
Tiberius von einer schweren Krank-
heit; später kam er in die Hände
eines Papstes und zuletzt durch
Konstantin den Grossen an die
Kirche des h. Petrus zu Horn; ein
zweiter Abdruck blieb in Jerusalem,
ein dritter kam nach Spanien. Auch
Turin und Besancon wollten dieselbe
Reliquie besitzen.
Sehwert. Wie aus der Römer-
zeit, so sind aus den merovingischen
Funden längere und kürzere, ein-
und zweischneidige Schwerter zu
Hieb und Stich zu unterscheiden,
die einen mit langer zweischneidiger
Klinge und kurzem Griff, die andern
mit kurzer einschneidiger Klinge und
langem Griff.
Das lange Schwert ist nach grie-
chischen und römischen Berichten
die Waffe der Völker des Westens
und Nordens. Es ist oft von der
ungefügigsten Länge und für den
Stoss zu wenig widerstandsfähig,
denn es biegt sieh. In den mero-
vingischen Gräbern trifft man die
spata selten, da sie als ein köstliches
Erbstück hoch geschätzt wurde. Sie
hatte eine Länge von 2,/4 bis 3 Vi
Fuss bei einer Breite von 2 bis 3
Zollen.
Das kurze Schwert fteramateutu»
oder semispata) ist einschneidig,
schmal, messerartig, bis 2 Fuss lang
und l1/* Zoll breit mit 4 Linien
breitem" Rücken, dem heutigen
Weidmesser oder Hirschfänger nicht
unähnlich. Das Langschwert wurde
an einem Gürtel an der linken Seite
getragen, das Halbschwert (Sax) an
der rechten, in der Regel mit Ketten
am Ringhemd befestigt.
Mit Beginn der eigentliehenRitter-
zeit verschwindet die Führung zwie-
facher Schwerter und an die Stelle
des Sachs tritt öfters nur ein Dolch
oder Messer. Gleichwohl erhielt
sich der Ausdruck sahs noch längere
Zeit bei den ältern Dichtern, bis er
sich bei den jüngem auf die Be-
deutung Messer beschränkt. Dichter
übertreiben die Struktur und Grösse
der Schwerter oft und lassen sie
auf die wunderlichste Art entstehen.
Glaublich aber ist, dass ein starker
Arm, verbunden mit einer aufs
höchste gesteigerten Kampf wut man-
chen „Schwabenstreich" ausgeführt,
der Erstaunen erregte und besungen
zu werden verdiente. Die Haupt-
tugenden des Schwertes sind Schärfe,
Härte und Stärke. Die Schneide
heisst ecke, egge ; die Blut rinne durch
die Mitte heisst valz; der Grift heisst
ahd. helza, ags, helt, hielt, altn. hialt,
mhd. heize, gehilze, helza. Er ist
bald länger, bald kürzer und oft
mit Gold, P erlen und Edelsteinen
geschmückt. Beim Beginn de» Griffes
verwandelt sich die Klinge in einen
festen, starken Stab, der in einem
Knopf von Eisen oder andern Me-
tallen sich schliesst, während der
Stab oft mit Leder oder Lein-
wand überzogen ist. Die scra-
maaajre haben statt des Knopfes
oft eine höchst einfache Befestigung
der Klinge an dem Griff, indem die
Angel einfach durch die Holzhülse
geschoben und umgenietet wird.
Parierstangen (zum Schutz der Hand)
finden sich weder am Knauf der
spata, noch des seramasajr, wohl aber
am Rittersehwert, und zwar stehen
senkrecht zum Griff und bilden
mit diesem ein Kreuz, oder sie sind
etwas gegen die Schneide gebogen,
oft auch s förmig. Die Scheide war
schon früher ein notwendiges Zu-
behör. Sie bestand aus Holz mit
Leinen- oderLederüberzug. Metallene
Scheiden waren durch das ganze
Mittelalter sehr selten. Die Schwert-
fessel (swertfczzcl) ist der um die
! Hüften geschlungene Gürtel, an
welchem das Schwert getragen wird,
das eigentliche cingulum militare,
dessen Umgürtung beim Ritterschlag
feierlich geschah. Es war von Leder,
58*
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Sehwertmag. — Seewesen.
doch mit lammet, Borten und Edel- Sehwertmag, .siehe Familie,
steinen oft reich verziert. Vieelserüt, Seclliaus, Seel-
Der J}usvh (bauch i scheint ein bau". Mhd. selqeraete, zu das pe-
hölzernes Schwert oder ein Stock raete, dem Kollektiv zu rat = Vor-
gewesen zu sein, dessen sich die sorge, Ausrüstung, Vorrat ist, was
Jugend bei den Fechtübuugen man zum Heil der Seele (seiner
l Steckenspiele i bediente. oder anderen einer geistlichen An-
Maunigfach ist die symbolische stalt für Seelenmessen und dcrglei-
Bedeutung des Schwertes. Es ist eben vermacht. Mhd. selnti*, ist
der unzertrennliche Begleiter der ein Haus oder eine Wohnung, die
Person und hat seinen eigenen Xa- jemand zum Heil der Seele für
men und seine eigene Geschichte; ärmere, unverehelichte Personen
als Familienerbstück geht es von weiblichen Geschlechtes gestiftet
Geschlecht zu Geschlecht. In nor- hat, die unter dem Namen sefnnn-
dischen Liedern ist es eine Schlange, nen , selswesfern, sei fr'* treu, selwiber
die zischend unter die Feinde fahrt, in Gemeinschaft darin lebend, für
Die Schwertsaqe ist in erster Bc- die Abgeschiedenen zu beten hatten,
deutung der Weihe* und Segens- , So heisst Seelb d das Bad, welches
Spruch, welcher bei Umgürtung des jemand zum Heil der Seele für
Schwertes über den jungen Ritler Arme gestiftet hat, entweder ein
ausgesprochen wird vom Priester einzelnes am Jahrestag seines Todes
oder Fürsten. In zweiter Bedeu- zu bestreitendes, oder eine f<»rt-
tung ist es der auf der Klingt? oder währende Anstalt,
am Grift' eingegrabene, oder in Seewesen. Die Entwickelung
Goldschrift angebrachte Segens- der Marine des Mittelalters sondert
spruch, wodurch man glaubte, dem sich in zwei grosse Hauptgruppen,
Schwert besonders mystische Kräfte in die den antiken Traditioneil fol-
zu verleihen, oder durch den der gende Mittelmeergruppe und in die
Führer desselben an seine Pflichten Ozeangruppe, der* die germanischen
f ernannt werden sollte. In dritter und romanisch -keltischen Völker
tedeutung ist die Schwertsage die angehören. Der Natur des stillern,
Beschwörungsformel, welche denBe- buchtenreichen Mittelmeeres gemäss
sprochenen gegen Verletzung durch bevorzugt die erste Gruppe die
das Schwert sicher stellen soll. Beim Ruderschijfahrt, die zweite der
Kreuz (das Griff und Parierstange Natur des Ozeans gemäss die Segel*
bildeten) wurde geschworen und schiJJ'ahrt mit Hochbordschiffen von
gebetet. Wolfdietrich legt das fester Fügung. Die Kreuzzüge be-
schwert zwischen sich und die zau- dienen sich des Ruders; das Zeit-
berische Heidentochter ins Bette, alter der Entdeckungen lässt das-
dass sie ihn nicht verführen kann: selbe dem Segel weichen.
wer pumpt und rvet niete, der selb Zur Mitfelmcergruppc zählen:
rer&vhnetdet sich. — Wer sich dem 1. die Byzantiner, deren Flotte
Sieger ergab, der ging entweder j vom 4. bis lt>. Jahrhundert die
ohne Schwert auf denselben zu oder' erste des Mittelmeeres war; ihre
er fasste es bei der Spitze und Kiegsschiffe hiessen Drumoner, eine
reichte demselben den Knauf. Bei kleinere Gattung Galeeren, yaUat,
den Goten scheint Adoption durch das heisst Haifisch (nach anderer
das Srhwert stattgefunden zu haben. Erklärung stammt der Name aus
Dasselbe war auch Symbol der Ge- einem arabischen Wort, das Bie-
richtsbarkeit, zumal der peinlichen nenkorb bedeutet, siehe Weigand).
Gewalt über Leben und Tod. 2. die Araber erscheinen seit
Nach San-Marfe, Waffenkunde, dem T.Jahrhundert im Mittelmeer;
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Seewesen.
911
ihr Einfluß ist in einigen aus dem derts; es ist das am Hintersteven
Arabischen stammenden Seewörtern durch starke Haken und Finger-
uoch erhalten: Admiral, von Amyr linge beweglich befestigte, meist
= Fürst; Kabel, von kahl, = An- aus drei Stücken zusammengesetzte
Jcertau: Arsenal, italienisch darsena Ruderholz. Eine Brustwehr, die
aus d<\r-azzan's = Haus der Be- den Bord umzog, deckte die Ru-
triebsamkeit; kalfatern von qafafa derer; ausserdem errichtete man
ss ein Schiff verkitten, und Kur- auf dem Schiff«- turmartige Schan-
veffe von tjhorah = Rabe. zen oder Kastelle.
3. die Ifaliener, namentlich TV-, 4. die Katalanen ; ihnen verdankt
itedia, Genua, Pisa und Amalfi. das Mittelalter das in Barcelona
Im Gegensatz zu den Byzantinern entstandene Libro del Consufado,
und den Genuesen scheinen die eine Sammlung der Seegewohnhei-
Venetianer keine Kriegsschiffe von ten, das erste gemeine Seerecht des
mehreren übereinander liegenden Mittelalters enthalten!; auch die
Ruderreihen gebaut zu haben; viel- Seeversicherung ist hier zuerst in
mehr entwickelt sich bei ihnen die Anwendung gekommen. Gegen
aus dem antiken langen Flaehschiffe, Ende des 15. Jahrhunderts nahm
dem Fünfzigruderer , abgeleitete die Bedeutung der katatonischen
Form der Galeere zu der Bedeu- Marine schnell ab.
tung und Gestalt, die ihr bis ins Bei den Ozean-Völkern unter-
1$. Jahrhundert geblieben ist. Eine scheidet, Jahns:
besonders grosse Form hiess Ga- ' 1. dieSüdgermanen bh auf Karl
Imzze. Die Cialeeren waren bedeckt den Grossen.
und auf dem Deck sassen die Ru \ Die ersten Nachrichten über die
derer, durch einen Mittelgang ge- , Schiffahrt deutscher Stamme be-
trennt; auf eine Bank kamen zwei, zb'hen sieh auf Binnenschiffahrt,
drei, sogar vier Ruder, zu welchem Roh ausgehöhlte Baumstämme, be-
Zw eck di«* Bänke schräg gegen den sonders eschene, vermochten 30
Bord standen. Später zog man es bis 40 Menschen zu tragen. Den-
vor, die Bänke gerade gegen den noch stellten sieh die Germanen
Bord zu stellen und zwei bis fünf den römischen Flotten entgegen
Bankgenossen an einem schweren, und wagten Raubzüge über das
meist 50 Fuss langen Ruder arbei- Meer hin, namentlich werden die
ten zu la-sen, so zwar, dass das Friesen als Seefahrer gerühmt. Die
innere, 13 Fuss lange Stück, da^ batavische Flotte bestand überwie-
st Blei ausgegossen war . im gend aus Schiffen mit ein oder
Gleichgewichte mit dem äusseren, zwei Ruderbänken, zahlreichen Käh-
37 Fuss langen stand. Die gewöhn- neu und buchten R-uinschifien. Man-
Sehe Galeere hatte auf jeder Seite nigfaelie buntfarbige Segel waren
25 — 26 Ruder, die Ruderer waren aufgezogen. Im 3. Jahrhundert be-
meist verurteilte Verbrecher. Für sassen die Goten auf dem Mittel-
die sogenannten lateinischen oder meer eine anselmliche Flotte. Spä-
dreiecki#<*n Segel waren ein bis ter traten Franken und Sachsen als
iweL, seltener drei Mäste vornan- Seefahrer in den Vordergrund. Die
i-n; der Hauptmast stand in der Hauptarten ihrer Kriegsfahrzeuge
Witte. Die Steuerung geschah bis sind die von den Römern Mvonaren
nun 13. Jahrhundert durch ein oder genannten Schiffe und die Kiele,
rwei grobe, vom Hinterteil des Die Mijoparen waren leichte Kriegs -
•chiffee n.us regierte Hader, das barken, die aus Weiden-Flechtwerk
mdeme Steuerruder erscheint nicht hergestellt und mit Leder überzogen
or dem Ende des 1J. Jahrhun« wurden. Die Briten sollen nach
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J18
Seewesen.
Plinius auf solchen Schiffen bis
nach Norwegen und Island gefahren
sein. Die Kiele waren grössere
Langschiffe, welche ein Segel führ-
ten; auf solchen fuhren Casar und
Claudius, später die ersten Sachsen
nach Britannien. Auch dem neuen
Frankreich mangelte es nicht an
Schiffen. Karl Martell suchte die
Friesen zu Schiffe auf, und Karl
der Grosse erliess wiederholte Be-
fehle, Schiffe zu bauen und zu be-
mannen, doch scheint es nicht zu
genügenden Anordnungen Über Be-
mannung und Führung der Schiffe
gekommen zu sein.
2. die Skandinavier. Nach Ta-
citns Germ. 44 waren die Suino-
nen, d. h. die Bewohner Skandina-
viens, mächtig durch ihre Flotten.
Ihre Schiffe waren auf beiden Sei-
ten spitz und dadurch geeignet,
beliebig mit der einen oder der
anderen den Strand anzulaufen.
Sie bedienten sich weder der Segel,
noch versahen sie das Schiff mit
festen Ruderbänken. Das Steuer
bestand aus zwei grossen beweg-
lichen Schaufelrudern. Ausgiebiger
werden die Nachrichten erst für
die Xormannenzei/ ; die grösste Art
der normannischen Kriegsschiffe
hiess Drachen, wahrscheinlich weil
am Vorderteil ein geschnitzter Dra-
chenkopf angebracht war, der
dazu diente, die Feinde zu schrecken
und deren Schutzgeister zu ver-
scheuchen. Ein besonders grosser
Drache wird erwähnt, der auf je-
der Seite 34 Ruder führte; andere
hiessen Schnecken, ursprünglich =
Schildkröte oder Schaltier, daneben
gab es viele Gattungen kleinerer
Fahrzeuge. Nach alten Bildern auf
Tapeten und Siegeln sind alle nor-
mannischen Schiffe vom und hinten
ganz ähnlich gebaut, grössere Hallen
im Deck, unter dem die Ställe und
Kammern lagen; gern entfalteten
die Seekönige an ihren Fahrzeugen
grosse Pracht: vergoldete und be-
malte Drachen- und Rosshäupter,
in christlicher Zeit Symbole. Die
Steuerung geschah durch ein an
der rechten Seite des Fahrzeuge»
angebrachtes Schaufelruder. Die
Schiffe hatten nur einen Mast und
ein grosses viereckiges Segel, das
Takelwerk war sehr einfach, an
der Mastspitze wehte eine Flagge;
die Segel waren oft, namentlich
mit Wappenfiguren, bemalt Übri-
gens haben die Seefahrten der Nor-
mannen die Nautik kaum wesent-
lich befördert; es scheint, dass sie
nicht einmal diejenige Stufe der
nautischen Kenntnisse erreichten,
welche die Sachsen schon im 5.
Jahrhundert erstiegen hatten.
3. Die Deutschen. I. Die vor-
hansische Zeit. Erst im 11. Jahr-
hundert, nachdem die Einfälle der
Normannen auf deutsches Gebiet
aufgehört hatten, begann sich der
maritime Geist der norddeutschen
Küstenstämme zu regen. Die Bremer
wagten sich als Kauffahrer und Frei-
beuter auf die Ostsee, die Kölner
fuhren nach England, die Friesen
drangen als See- und Küstenräuber
ins Alittclmeer; an der Ostsee ent-
wickelte sich eine icendische See-
macht deren Mittelpunkt Rügen
war; sie erlag schon im 12. Jahr-
hundert den Dänen. Die erste grosse
Seeunternehmung, an welcher sich
die Deutschen beteiligten, war der
dritte Kreuzzug; Bremer, Kölner,
Flandrer, Dänen und Friesen zogen
mit 94 Schiffen an die Küste des
gelobten Landes ; am fünften Kreuz-
zuge war die Beteiligung der deut-
schen Seemacht noch viel beträcht-
licher; 50000 Friesen nahmen daran
Anteil, für die allein die Gebiete
des Kölnischen Sprengeis 300 Meer-
schiffe ausrüsteten. Zu gleicher Zeit
zogen Niedersachsen von Lübeck
aus gegen die heidnischen Livländer,
setzten sich in Riga fest und be-
freiten Lübeck für immer von der
dänischen Oberhoheit (1234).
Die in dieser Zeit in deutschen
Schriften erwähnten Fahrzeuge Bind r
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Seewesen.
919
Der Kiel, im Beowulf ein allge-
meiner Ausdruck für Schiff über-
haupt; bei mittelhochdeutschen
Dichtern bedeutet Kiel soviel als
Langschiff.
Rocke, ahd. kocho, mhd. kocke,
altholld. kogghe, niederd. kogge, be-
zeichnet das' massiv gebaute, hoch-
bordige , vollbäuchigo Fahrzeug.
Seit dem Ausgang des 13. Jahr-
hunderts war die Kogge in den
nördlichen Gewässern das eigentliche
Schlachtschiff; vorn und hinten trug
sie kastellartige Erhöhungen, welche
gleich dem, einem kleinen bezinnten
Turme nachgebildeten .Mastkorbe,
mit der Elite der Mannschaft besetzt
wurden. In der Mitte standen die
Bleiden und treibenden Werke. In
Frankreich entspricht der Kogge
la coque und la nef. Beides waren
reine Segelschiffe ohne Ruder. Die
Nefs hatten ein bis drei Decke, ihr
Rumpf lud vom Kiel her weit aus
und stieg hoch auf.
Schnecke, sniggi, ist die nordische
kleinere Schwester der Galeere, auf
Segel und Ruder eingerichtet, lang
und schmal, offen und seit alter Zeit
in stetem Gebrauche.
Die Schute, niederl. schuit, ist
ein Segelschiff mit Verdeck als ein-
mastige Jacht getackelt, mit einer
Tragfähigkeit von 12 bis 15 Last,
für den kleinen Küstenverkehr an
der Nord- und Ostsee noch im Ge-
brauch. Der Name Schute, eins
mit „Schus8". deutet auf die Ge-
schwindigkeit hin.
DivGaleerc,mh(\.galie,gale*e,galine,
galeide, mittellat. galea, engl, galley,
altfranz. galee ist oben beschrieben
worden. Andere in niederdeutschen
Schriften vorkommende Namen sind
Börding, Busen, Einer und Esping
für Seefahrzeuge; Kunkel, Bolscip,
Prahm, (promptuarium), Tungetship,
Xankau, Envar, Kelze für Fluss-
fahrzeuge.
Von mhd. Dichtern werden ferner
eine Anzahl fremder, meist franzö-
sischer Schiffsnamen gebraucht:
Die Vsniere, Lastschiff zum
Kavallerietransport. Hier lag der
hui*, d. h. die Pforte zum Einschiffen
der Pferde, am Hinterteile des
Schiffes und zwar unter der Wasser-
linie, wurde daher nach vollendeter
Einschiffung wasserdicht verschlos-
sen. Gewöhnlich nahmen sie 25
Pferde mit voller Fourage auf.
Treimunde, Iragamunde, wahr-
scheinlich das franz. Dr&mon, aus
jenem ältern byzantinischen Schißs-
namen entstanden.
II. Die hansische Zeit. Schon
1254 bestätigte König Wilhelm von
Holland den rheinischen Bund, der
von mehr als 70 Städten von Basel
abwärts bis Koblenz geschlossen
worden war und eine Bedeutende
Schiffsstreitmacht auf dem Rheine
entwickelte. Dauerhafter als dieser
früh verfallene Bund war die
Hansa. Das Wort bedeutet im got.
und ahd. eine streitbare Schar, ags.
h6s gilt von einer Schar, einer ge-
schlossenen Vereinigung überhaupt;
als kaufmännische Vereinigung mit
bestimmten richterlichen Befugnissen
erscheint hans, hanse in süddeutschen
Handelsplätzen, in Regensburg seit
799. „Hansen" haben im ersten
Drittel des 12. Jahrhunderts ihr
hanshus in London. Aus dem ge-
meinsamen Rechte deutscher Han-
delsherren im Auslande nun und
aus dem Bündnisse deutscher Städte
in der Heimat erwuchs nach und
nach der Hansabund. Dem bevor-
rechteten „Stahlhofe" der Kölner
Kaufleute zu London schloes sich
Lübeck an; Lübecker und Ham-
burger Häuser gewannen Privilegien
zu Brügge; mit den wendischen See-
städten Rostock, Wismar, Stralsund
und Greifswald schloss sich Lübeck,
mit den Städten Niedersachsens
Hamburg zusammen. Zu Anfang
des 14. Jahrhunderts vereinigten
sich beide Gruppen, worauf bald die
westfälischen mit denen Prcussens
in Verein traten. Diesen Handels-
bündnisien zur Seite gingen die
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920
Segen ssprüe he.
grossen Landfriedensbündnisse von binden oder verschliessen, Waffen
vorwiegend militärischer Bedeutung, fest oder weich , Schwerter taub
ein System von Bünden, aus denen machen; Knoten schürzen, die Rinde
sieh um die Mitte des 14. Jahrhun- vom Baum lösen, Saat verderben,
derts der Organismus der grossen hösc Geister rufen und bannen,
Hansa darstellte. Die Sehiftsmann- Diebe binden. Nach heidnischem
schaft der Hansatlotte setzt sieh Brauehe wurden auf Toteohfigelll
fast ausschliesslich aus Bürgern zu- und (»rabern Lieder ausgesprochen,
sammen; die Schwerbewaffneten da- damit ein Toter Rede stehe oder
gegen waren meist Soldtruppen, I etwas herausgebe. Die älteste Form
Kitterbürtige mit Knappen und der Segen ist die erzählende, so
Knechten. Als Leichtbewaffnete zwar, das« immer etwas erzählt
w urden Leute des gemeinen Volkes wird, was mit dem zu besprechenden
angeworben. Die Führung lag in in einer gewissen gleichlaufenden
den Händen von Ratmannen. Neben Beziehung steht, ursprünglich dem
der geordneten Heeresmaeht geht Kreise des Mythus, später dem «1er
die Kaperei her, welche die Hansen heiligen Geschichte und Sage »uler
jedesmal dann begünstigten, wenn dem Gebiete der natürlichen Wirk-
sie selbst nicht mehr recht leistungs- lichkeit (Mond nimmt zu, Warze
fähig waren. Jedes KaufTartcischitf nimmt ab), oder der dichtenden
war selbstverständlich zu jener Zeit Phantasie entnommen; auf die Er-
wehrlich gerüstet. Nach Jahns, Zählung kann der Befehl kommen,
Geschichte des Kriegswesens, Seite der in spätem Segensformeln oft
1 — 1 2»i»> , wo Seite 12GG-12-S allein herrscht, indem einfach die
auch die Franzosen, Engländer, Krankheit, der Dieb. Dämon und
Portugiesen und Spanier behandelt dergl. angeredet und beschworen
sind. Vgl. .SV/// Harte, Warfenkunde, wird zu weichen. Ursprünglich ist
Teil I, Abschnitt 2, SeJiiJfiitcejiea und der Beschwörungsspruch in allitterie-
SckuftZ) höfisches Leben, H, Kap. V. render Form gehalten: seit dem
SegeussprUclie. Nach dem äl- Untergang dieser Reimart hat er
testen wie dem neuesten Volks- sieh in prosaischer Form erhalten
glauben soll in dem ausgesprochenen oder sich dem Nachfolger des Stab
Segen oder Fluch eine unmittelbare, reime», dein Reimpaar oJ« r Knittel-
magische Wirkung liegen, die sieh vers anbequemt. Die ältesten er-
aber nie auf allgemeine, sittliche halteuen Segen, welche zum Teil
Dinge, sondern auf die zeitlichen an indische Segenssprüche erinnern,
Vorteile des Menschen, auf Abwehr sind die beiden 8. g. Merseburger
von zeitlichen Übeln, Erlangung ir- Zaubersprüche auf den verrenkten
dweher Güter und Vollbringung des Fuss eines Pferdes und auf die
persönlichen Hasses bezieht. Die Fesseln eines Kriegsgefangenen; es
älteste Form des Besegnens (»der folgen dann der Wiener Hundsegeii.
Bespreehciis ist die Rune oder das Wurm-, Blut- und Reisesegen u. a.,
Lied; die>e können töten und vom abgedruckt bei Miillmhoff und
Tode wecken wie gegen den Tod Srherer, Denkmäler. Darnach soll
sichern; heilen und krankmachen, die Entstehung der meisten christ-
Wunden binden, Blut stillen, liehen Segen mit Wahrscheinlichkeit
Schmerzen mildern. Schlaf erregen, in die Zeit fallen, wo mit der zweiten
Feuer löschen. Meerstürme Bäuftigen, Hälfte des 11. Jahrhunderts die
Regen und Hagel schicken, Bande geistliche Dichtung in der Volk>-
snrengen, Fesseln zerreissen. Riegel spräche eiu» n neuen Aufschwung
abstossen. Berge öffnen u. sehliessen, nahm und dann bis gegen den Ab-
schätze aut'tluin. Kreissende ent- gang des 12. Jahrhunderts mit Eifer
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Seinporfreie. — Sibyllen. 921
penrJegt wurde. Oft sind in ohrist- j tionen forthallen Hess; er hiess auch
fiel geformten Segen die heidnischen jubila oder juhihttt». Softer Bai-
Grundlagen noch unverkennbar; an Indus (gest. 912) in St. Gallen war
Stelle W odans, Donars, der Frigg es, der diesen Tonreihen selb-
traten Christus, Petrus und Maria, ständige Worte unterlegte und zu-
S> bt die hiiufigp Formel : ..Christus gleich neue Tonreihen zu obendem-
Hnd Petrus gingen über Land44, den selben Gebrauch komponierte. An-
Wanderungen Wodans mit andern fänglieh immer noch als Teil des
Göttern eutnommen; in böhmischen Mes-gesanges vorgetragen, lösten
Besprechungen der Würmer heisst sie sieh mit der Zeit davon ab und
es: „Es war eine makellose Jung- braten selbständig auf. In den Mess-
frau Maria, die hatte drei eigene bücheru des Mittelalters mehrte sich
Schwestern: die eine spann, die die Zahl dvr Sequenzen bis auf 100;
ander»* wickelte auf, die dritte segnete später kamen die meisten wieder in
die Würmer44, oder: „die heilige Abgang: Sequenzen sind u.a. Veui
Lucia hatte drei Töchter: die erste sanete Spiritus, T.auJa Zion safvtt-
»l«ann, die zweite wickelte auf, die | torem, Stabat mafer und Dir* irae.
dritte weifte'4, es sind Frigg mit Man nimmt an, dnss die Sequenz
den drei Nornen. Einzelne Formeln von wesentlicher Wirkung aut den
wllten von den Ägyptern, von weltlich deutschen Gesang, nament-
•salomon, den Arabern stammen, bei lieh auf den Leich, gewesen sei.
einigen Formeln zum Festmachen Feril. Wolf) über die Lais, Sc<|uen-
vyird gesagt, sie seien vom König zen und deiche, Heidelberg, 1841,
Karl d. Gr. gebraucht. Wuttke hat Schubiyer, St Gallische Sängerschule;
u. a. Beispiele zusammengestellt lb5S. Sarfsr/i , die lateinischen Se-
<las Fieber, gegen Friesel, q Uenzen des Mittelalters in musikali-
S hlaflosigkeit, Schwinden, Gicht, scher und rhythmischer Beziehung,
Vrrenkung, gegen ein Fell auf den Rostock,
Augen, ecgen Blutungen, Zahn- Servietten brauchte man schon
'•(limerz, Würmer im Leibe, Kolik, in Rom in der spateren Kaiserzeit;
die Rose, Entzündungen, gfgen sie wurden durch das ganze Mittel-
Mundfäule, gegen Warzen, den alter, jedoch nur von Vornehmen,
Schlangenbi«s.geiren Wunden, Brand- benutzt. Bei Bürgersleuten kamen
wanden, gegen Versengungen über- sie zu Ende des IB. Jahrhunderts
haupt, wenn man von einem Hunde in Gebrauch.
angefallen ist, gegen Aufblähung Sibyllen. Bei den Alten waren
d' s Rindviehs, Feuersegen, um sich Sibyllen weissagende mit dem Apollo-
kugelfest zu machen, wenn man vor kultus im Zusammenhang stehende
Bericht geht, gegen Diebe, (h-imm, Frauen, von denen die sogenannten
Mythologie, Kap. 3*; die Sammlung sibyllinischen Bücher herrühren
von Segen, die als Anhang der sollen. Die Zahl dieser Sibvllen
ersten Ausgabe beigegeben war. wurde verschieden angegeben, bloss
ist in der zweiten Ausgabe wegge- eine oder drei, vier, zehn. Seit dem
blieben: HruUke9 Aberglauben, Ende des ersten Jahrhunderts ist
221— 242. 'unter den Kirchensehriftstellern
Seuiperfrele, mhd. 9entbarret auch von christlichen Sibvllen und
>n l« irre rrie sind solche, w iche sibyllinischen Büchern die Rede,
am sent (ans synwlns), d. h. Grafen- uivil zwar wieder in verschiedener
lynchte teilnehmen dürfen. Zahl; erhalten sind mehrere von
Sequenz hiess derjenige Teil de« jüdischen und christlichen Schrift-
Mc^rr^sanges, der die fetzte Silbe stellern verfaßte weissagende Bücher
des Halhlujah in langen Modula- unter dem alten Titel, welche von
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Sieben freie Künste. — Siegel.
den Kirchenvätern häufig eitiert j in Staffelei- und Miniaturbildem,
werden. Im Mittelalter kommen als in Werken der Skulptur; so
namentlich bei Franziskanern zwei enthalten die Chorstühle im Mtin-
neue Sibyllensagen auf; die erste ster zu Ulm neun Sibyllen. Sie
berichtet, Kaiser Augustus habe die 1 dienen als Trägerinnen des „Lichtes,
Pythia befragt, wer nach ihm herr- 1 welches im Finstern scheint." Da-
echen werde, worauf sie anfangs her ihnen etwa eine Laterne oder
keine Antwort, dann aber die Wei- ein Licht in die Hand gegeben
sung gegeben: er solle schweigend wird, als Träger evangelischer Vor-
von ihren Altären sich entfernen, Verkündigung in der Heidenwelt,
da ein hebräisches Kind , welches mit den Propheten und Kircheu-
über die unsterblichen Götter lehrern zusammen als Zeugen der
herrsche, ihr heisse von dem Sitz | Wahrheit aus dem Heidentum,
zu weichen und in den Orkus zu- Judentum und Christentum. Von
rückzukehren. Darauf habe Augu- den Sibyllen handelt auch ein zu-
stus auf dem Kapitol einen noch erst in Frankfurt 1531 erschienene»
stehenden Altar errichtet mit der Volksbuch: „Ztcölf Sibyllen Weis-
Inschrift; haec est am primogeniti sagunqen vil wunderbarer Zukunft
dei, dieses ist der Altar des erst- von Anfang bis End der Welt be-
geboruen Gottes. Die andere Sage sagende. Der Königinn von Saba>
erzählt, Augustus habe die tibur- König Salomeh gethane Prophe-
tinische Sibylle zu sich kommen [ ceien." Hier ist in Holzsehuitten.
lassen, um über einen Antrag des jede Sibylle einzeln dargestellt; ihre
Senats, der ihm göttliche Ehre er- Namen lauten hier: persische Si-
weisen wolle, sie zu befragen; sie bylle, Libica, Delphica, Chimeria,
aber habe geantwortet: „vom Hirn- Samia, Cumana, Hellespontia, Phri-
mel wird der König kommen, der gia, Europea , Tiburtina, Erithrea,
es in Ewigkeit sein wird." So- Agrippa und Nichaula, Königin von
gleich öffnete sich der Himmel und Saba „welche eine rechte Sibylla
er sah dort eine Jungfrau in herr- gewesen sei, eine Prophetin und
licher Schönheit, auf einem Altar Wahrsagerin der heimlichen Räthe
stehend, mit einem Knaben auf zukünftiger Dinge Gottes." ity«*,
dem Arm und hörte eine Stimme: Mythologie der christlichen Kunst,
haec ara ßlii dei est, dieses ist der I, 472 — 507.
Altar des Sohnes Gottes. Der Sieben freie K linste, siehe freie
Kaiser betete darauf an und that Künste.
dem Senat die Vision kund. Die- Siegel, aus lat. sigillumy mhd.
selbe ereignete sich in dem Gemach ; siqel, sieget, sigilU. insigele, war im
des Augustus, wo jetzt die Kirche Mittelalter, als die Unterschrift noch
St. Maria in Capitolio ist. fehlte , das gewöhnlichste Beglau-
Auf den Grund solcher sagen- bigungsmittel einer Urkunde; als
hafter Voraussetzungen sah sich die die Unterschrift allgemeiner wurde,
Kirche veranlasst, die Sibyllen neben trat das Siegel zurück; allgemein
den Propheten in den Kreis christ- wird sein Gebrauch etwa seit 909.
licher Kunstvorstellungen zu ziehen, Was das Material angeht, so ist
was aber nicht vor aem 12. Jahr- dasselbe entweder Metall; dann
hundert geschah. Und zwar stellte I heisst das Siegel , wie die Urkunde
man entweder die Sibylle vor, wie selbst btdla; das Metall ist Gold
sie dem Kaiser Augustus das Kom- oder Blei, und zwar ist das goldene
men des Sohnes Gottes offenbart, Siegel in der älteren Zeit nur bei
oder die Sibyllen überhaupt, sowohl den griechischen Kaisern, im Abend-
in Fresko- und Glasmalereien, als lande seit Otto III. in Gebrauch;
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Siegel.
923
es wird als ein Vorrecht der deut-
schen Kaiser für Fürstenbriefe, Er-
teilung von Herzogtümern und dergl., j
später für Erhebungen in den Grafen-
stand angesehen; zuletzt konnte
jeder, der aus der kaiserlichen Kanz-
lei eine Ausfertigung bekam, für
die Taxe ein goldenes Siegel be-
kommen. Meistens sind sie hohl
und bestehen nur aus Goldblech,
das mit Wachs ausgefüllt ist. Bleierne
Bullen sind das Hauptsiegel der
Geistlichkeit, der Pfipste seit den»
8. Jahrhundert, dergeistlichenFürsten
bis zum Bischof und dem reichs-
freieu Äbte bis etwa 1300; auch
die Konzilien von Konstanz und Basel
siegelten damit: Kaiser nur selten.
Das häufigste Material ist Wachs,
dem man anfangs alle möglichen
Farben gab, bis seit dem 12. Jahr-
hundert die natürliche Farbe für
gewöhnliche Zwecke die Oberhand j
erhielt. Rote Siegel kamen zuerst j
bei Kaisern und Bischöfen vor, dann |
siegelten seit dem 13. Jahrhundert ;
reiehsfreie Fürsten damit, und es
galt als ein kaiserliches Recht, das
Privileg des roten Siegels zu er-
teilen. Grüne Siegel sind seit dem
13. Jahrhundert gebräuchlich und
seit dem 15. allgemein; damit siegelte
besonders, wer nicht rot siegeln
durfte, niedere Stifte, niederer Adel,
viele Städte: schwarze Siegel kom-
men bei den geistlichen Ritterorden
vor. Den Gebrauch von Harz oder
Siegellack kennt man seit dem Ende
des 16. Jahrhunderts; aus derselben
Zeit den der Oblaten. Was die.Se-
festigvng der Siegel betrifft, so wur-
den sie anfangs auf die Urkunden
aufgedrückt, später hing man sie an
die Urkunden, und zwar mit Schnüren
oder Pergamentstreifen ; die Schnüre
sind bei den päpstlichen Urkunden
von ungefärbtem Hanf; seidene von
gelb und roter Farbe sind feier-
licher Art. Kaiserliche Urkunden
haben bis zum 15. Jahrhundert will-
kürliche Farben, seit Friedrich III.
schwarzgelbe oder gelbe Schnüre.
Die älteste Form der Siegel ist die
runde; später wird sie länglich oder
eiförmig; dreieckig waren die Siegel
der niedern Adeligen, das Bild des
Schildes. Jedes Siegel enthält ein
Bild, signum, das anfangs willkür-
lich angenommen war, erst seit dem
12. Jahrhundert von ganzen Familien
festgehalten wurde; immer war die
Bedeutung des Bildes durch eine
Umschrift erklärt. Im besonderen
kann man unterscheiden: Kaiser-
siegel. Die Karolinger haben einen
Kopf oder höchstens ein Brustbild
mit Umschrift; seit Arnulf kam der
Reichsapfel dazu ; die Ottouen haben
ein halbes Leibstück mit Diadem,
Schild und Lanze; seit Otto III.
Hessen sich die Kaiser als ganze
Figur abbilden, auf dem Throne
sitzend, mit Reichsapfel und Zepter;
dieses Siegel blieb als Majestäts-
siegel seitdem die Regel. Als
Kanzleisiegel diente der Reichsadler.
Fürsten und Grafen Hessen sich zu
Pferde mit Schild und Fahne ab-
bilden, wobei das Schild oft ein
signum trug, oder sie führten das
Schwert; das sind die sog. Reiter-
sieget; Fusssiegel sind selten, dann
aber stets geharnischt mit dem
Schild als signum. Der niedere
Adel trägt erst nach dem 14. Jahr-
hundert einen Helm in den Siegeln.
Die Städtesiegel zeigen das Bilu des
Schutzheiligen, ein Stadtthor, Rat-
haus, Stadtkirche und dergl. Über
die päpstlichen Bullen siehe (Jen
Artikel Bulle. Bischöfe und Abte
Hessen sich bis zum 11. Jahrhundert
in rundem Siegel mit halbem Leib-
stück, den Hirtenstab und ein Buch
in der Hand, mit einer den Namen
tragenden Überschrift, dann sitzend
auf einem Throne abbilden. Das
Kirchen- oder Konventssiegel tragt
den Schutzheiligen. An weltlichen
Urkunden hängen soviel Siegel, als
Personen bei den Rechtsgeschäften
beteiligt sind, daher man Urkunden
von 300 und mehr Siegeln hat;
Zeugen hängen erst seit dem 15.
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924 Skapulier. — Sonett.
Jahrhundert die Siegel mir an. Vgl. alle ir hemm mein,
Lt*f, Katechismus der Urkunden- der Winter ist fein !
lehre. Leipzig, 18*2. §§. 91-108. B
Skapulier nannte man ein mönehi- , . Sommer.
s<- lies Kleidungsstück, das einer Tuni- ^° Dm *en (^cr Sommer also fein,
ka ähnlieh sah, etwas kürzer als diese, 1 zu meinen Zeiten da wechst der wein;
vom geschlossen, statt der Ärmel all*-' ir herren mein,
mit weiten Armsehlitzen versehen. , t'er Sommer ist fein! u. s. w.
Das Skapulier wurde spater Vorzugs- !>...,, OA . , .
weise nur noch bei körpirUcher Arbeit D,e drei leteten Strophen heissen:
getragen und daher auf beiden Seiten \y : n t or
weit aufgeschlitzt. Seit dem 1 J.Jahr- lAls , « '. , . , .
hundert sind Vorder- u. Rüekenstrei- ü.h,'l)t'i;iSommi;r- ^ ?"* <Je»n haud,
fen durch ein Querband verbunden, w,r WölU;" ™,Y\cn 111 frembde land!
die Seiten aber für den Ann ganz frei. Tle ? hcnvn. nu;in' .
Sommer und Winter. Diejenige der Sommer lst
Naturerscheinung, welche wie* keine Sommer,
andere zur Mythenbildung beige- Also igt unser kri voIlbmcht(
tragen hat spielt noch während des gott gob (,uch alleJein gllt(? nacht:
fZT KÄ"! , ,a,d -mf Ir alle ir herren mein,
tluseh, bald mehr allegorisch, eine j,... Winter ist fein'
wesentlich.- Rolle in Sitte und Denk- 6 ,St *Un'
artdes Volkes. Am Sonntag Lätare, Winter,
zu Mitfasten , wurde namentlich am Ir herren, ir solt mich recht verstau,
Rhein ein Ringkampf zwisehenSom- der Sommer hat das best getan:
mer und Winter aufgeführt , wobei alle ir herren mein,
jener m Laubwerk, dieser in Stroh der Sommer ist fein!
und Moos gekleidet war: der Winter
unterlag und wurde seiner Hülle Man hat auch verschiedene, mehr
beraubt. Die dabei versammelte kunstmässige Bearbeitungen des
mit weissen Stäben versehene Jugend Themas, lateinische aus Karl d. Gr.
sang dabei: stab aus, stab aus! ^eit» altfranzösische, inittelhochdeut-
(staubaus!) stecht dem Winter die sehe, niederdeutsche, auch eine von
Augen aus! Schon früh entwickelte ,Ian8 Sachs; in einer St. Gallischen
sich dieser Aufzug zum aufgeführten Urkunde vom Jahr 858 sind Winter
Gespräch, in welchem in Liedform u,1*| Sommer die Namen zweier
beide Streitende die Gründe zur Brüder. Eine spätere Form dieses
Berechtigung ihres Das -ins im wohl- Wettstreites ist die, dass die Ge-
pordneten Jahreslaufe darthaten. wachse, welche sonst nur das be-
Der älteste erhaltene volksmassige zeichnende Beiwerk herleihen, selbst
Text aus dem Lude des l<>. Jahr- lln,l persönlich die Gegner sind: so
hunderfs beginnt: stehen in einem englischen Lied
Sommor Stechpalme und Epheu, in dem be-
U»ut \ * niw.iV 't, (■ i V i m kannten seit dem 16. Jahrhundert
Heut ist auch ein fröhlicher lag, verbreiteten deutschen Liede Buch*.
d^smandn.N.mnHu-gewiunenmag; hllHm Uü(i FM jWeide) , ein-
ti^uTSkl -f^genübe, ^Abschriften,
c Winter. Sonett, stammt aus Italien, wo
So bin ich dm- \\ inter, ich gib dirs die ältesten dieser Strophen ver-
.. . _ . , ,lit feent, mutlich um 120«» eitstanden sind;
o lieber Sommer, du bist mein knecht! es besteht aus zwei vier- und zwei
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\
Sonne und Mond. — Spiegel. 925
dreiseitigen Strophen; die vierzei- Mond finden sieh sowohl bei alt-
ligen haben denselben Reim, so testamentliehen Ereignissen, na-
zwar, dass die beiden innern Zeilen mentlich in der Schöpfung und bei
von den beiden äussern umrahmt 1 der Geschichte des Joseph, Josua
werden; die dreizeiligen Strophen und Jonas, als bei der Person
sind in der Kegel Terzinen. Nach- Christi in verschiedenen Epochen
dem Dante und Petrarca diese Form seines Lebens angebracht, bei der
zur höchsten Vollendung gebracht, Geburt, unzähligcmal bei der Kreil-
kam sie nach Frankreich, England, zigung, wobei Sonne und Mond,
Spanien und Portugal, und durch zum Zeichen der Verfinsterung, in
Weckherlin und Opitz nach Deutsch- der Kegel ihr Antlitz mit dem Ge-
land , wo man sie KU angedickt wand oder einem Tuch verhüllen,
hiess und als Vers den Alexandri- sodann bei der Kreuzabnahme, der
ner wühlte; besonders Paul Flein- Himmelfahrt und öfter zur Seite
ming hat schöne Sonette gedichtet, des verherrlichten Christus. Seit
Seit dem Untergang der schlesischen dem 13. Jahrhundert hört die per-
Dichterschulen hurte die Vorliebe söllliche Darstellung von Sonne
für das Sonett für einige Zeit wie- ! und Mond auf und sie erscheinen
der auf, bis Bürger und die Ko- statt dessen in der Hand von Engeln
inantiker sie neu belebten. Welli, oder Genien, oder bloss als Gesicht,
beschichte des Sonettes in der oder in mathematischer Figur als
deutschen Dichtung. Leipzig 1884. Scheibe und Sichel. Seit Anfang
Sonne und Mond als Kunsleor- des 16. Jahrhunderts wurde die
Stellung. Das klassische Altertum Vorstellung von Sonne und Mond
stellte Sonne und Mond mit dem neben dem Gekreuzigten fast allge-
Wagcn auf der Himmelsbahn sich mein aufgegeben, während dagegen
bewegend, vor, jener von vier, diese im Gebiete der profanen Kunst
von zwei Pferden gezogen, Helios die Personifikation beider Himmels-
emporsteigend, Selene sieh senkend, körper mit voller mythologischer
Wo der Wagen fehlt, ist der S<>n- Ausstattung neuerdings dem Alter-
nengOtt am Strahlenkranz und an tum entnommen wird, l'iiirr, My-
der Peitsche, der Fackel oder einer thologie der christlichen Kunst Ii,
Kugel in der Hand, die Monds- S. 116-199.
göttin an der Sichel über dem Speer, siehe Lanze.
Haupt und an dem kreisförmig über Spiegel, aus lat. sjjeculum, von
demselben ausgespannten Gewand Glas kannte das Altertum nicht,
kenntlich; auch nur als Brustbilder, wohl aber solche aus blank polier-
oder als Köpfe, oder endlich bloss tem Metall % Bronze, Stahl oder
nach der mathematischen Figur als Silber. Das Glas, in seiner Verwen-
Scheibe nnd Sichel findet man sie. düng zu Fensterscheiben schon
Manchmal ist das Haupt des Son- längst bekannt, kam in dieser Ei-
nengottes mit Strahlen umgeben, genschaft nicht vor dem 12. oder
sowie sich die Sonne auch als Ge- 13. Jahrhundert zur Anwendung
sieht mit neun Strahlen in einem und zwar in kleinen, ineist runden,
Kund abgebildet findet. Die christ- zierlich gefassten Handspiegeln, die
liehe Kunst hat die beiden Gestirne namentlich von Frauen um den
sowohl in mathematischer Figur, als Hals oder am Gürtel getragen
in den erwähnten drei Graden der wurden. An der Stelle des Queck-
Personifikation abgebildet: bloss an- silberbcleges findet .-ich ein Auf-
gedeutet durch das Gesicht, oder als guss von Blei, Zinn oder Harz,
halbe Figur oder in ganzer Gestalt. Das Quecksilberamalgam kam zu
Die Figuren von Sonne und Ende des \V. Jahrhunderts auf, und
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926
Spiele.
dadurch erhielt der Glasepiegel erst
seine Vorzüge, durch welche er
den Metallspiegel verdräugte. Doch
hielt er sich, was seine Ausdehnung
anbelangte, noch immer in sehr
beseheiaenem Masse, denn Glasta-
feln von mehr als zwei Fuss Seite
zu machen, war noch eine Unmög-
lichkeit. An der Umrahmung aber
wurde nichts gespart, in Schnitzerei,
Parqueterie, Metallarbeit, Bema-
lung, Vergoldung und Einfügung
von köstlichen Steinen.
Der Spiegel ist das Symbol der
Selbstprüfung, des Gewissens, daher
die Sittenprediger ihre Werke gern
nach demselben benannten: Sach-
senspiegel, Schwabenspiegel, Laien-
spiegel, Heilsspiegel, Spiegel deut-
scher Leute, Klagspiegel, Spiegel
der Rhetorik, Ritterspiegel, Sveeulum
humanae salvalionis, Speculum mo-
rum, Speculum puerorum, Speculum
universale. In der Renaissance wird
der Spiegel das Emblem der Wahr-
heit. Vgl. Wackemaqel, kl. Schrif-
ten, Bd. 1. Über die Spiegel im
Mittelalter.
Spiele sind nicht minder als
Wohnung, Nahrung, Kleidung,
Recht , Erziehung , Kampfweise
u. s. w. ein natürlicher und mit
der Entwickelung der Menschen
und Völker wechselnder Ausdruck
des niederen und höheren Lebens,
und es wäre von hohem Interesse,
die Entwickelung eines Volkes im
Lichte seiner Spiele nachzuweisen.
Da die Nachrichten über diesen
Stoff nur spärlich s«'in können, muss
man sich hier mit wenigen Notizen
und Andeutungen begnügen. Vor
allem ist im Auge zu behalten, dass
der Natur der Sache nach Spiele
der Jugend und der Erwachsenen,
der Männer und der Frauen zu
unterscheiden sind; erst wenn rieh
gewisse Stände aus der Allgemein-
heit der Bevölkerung ausscheiden,
kann man von besonderen Spielen
solcher engeren Kreise sprechen,
wie von Spielen der Ritter, der
Städter, der Landsknechte, der Stu-
denten, der Schulkinder, der Bauern.
Zu unterscheiden sind dann Spiele
im Freien, welche dem Wechsel
der Jahreszeit angehören, nament-
lich Frühlingsspiele, die grössere
Kreise von Teilnehmern umfassen,
und Spiele des Hauses, deren Teil-
nehmer bis zur Zahl zwei sinken
kann; jene beschäftigen mehr den
Körper, diese den verstand. Nur
im weiteren Sinne, obgleich sie mit
Recht denselben Namen Spiel tra-
gen, gehören zu den Spielen dieje-
nigen Spielbeschäftigungen, deren
Übung sich mit der Zeit zu einem
eigentlichen Berufe ausgebildet hat,
wozu die Musik, das Schauspiel
und die niederen Spiele der Seil-
tänzer und dergleichen zählen; daher
der im Mittelalter so viel verbreitete
Stand der Spielleute, vgl. fahren-
des Volk.
Aus altgermanischer Zeit er-
wähnt Tacitus Germania 24 des
Schtcerttanzes: Nackte, Junge Män-
ner, sagt er, führen dieses Spiel
aus, indem sie tanzend zwischen
Schwerter und drohende Speere
dringen. Sicher ist, dass auch an-
derer Tanz den Germanen nicht
fremd war; ihm kam auch eine
wesentliche Rolle bei ihren Gottes-
diensten zu. Spiele der Männer
waren das Steinstossen , Speer-
schiessen, Wettlaufen; die Erinne-
rung an sie ist im Wettkampfe
zwischen Brunhild und Gunther er-
halten. Auch das Kegeln (siehe
diesen Artikel) scheint sehr alt zu
sein. Ausserdem erwähnt Tacitus
an dem genannten Orte das If'ür-
felspiel; der Germane betrieb das-
selbe bei völliger Nüchternheit als
ein ernsthaftes Geschäft mit solcher
Leidenschaftlichkeit bei Gewinn und
Verlust, dass er, wenn sonst alles
verloren sei, Freiheit und Person
auf den letzten Wurf setzte.
Als mit der Völkerwanderung
die altgcrmanische Sitte allmählich
in die des Mittelalters überging.
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Spiele.
927
teilten sich die Spiele in diejenigen
des Landvolkes und diejenigen der
höfischen Kreise; das Landvolk
hielt mehr an den offenen Spielen
fest und an denjenigen, welche der
Wandel der Jahreszeit mit sich
brachte: Steinstossen, Springen, Ke-
geln, Reigentanzen; den grossen
und kleinen Höfen fielen die, in
ihrer Art umgewandelten Kampf-
ziele zu, die sich mit der Zeit zu
den eigentlichen Ritterspielen, Tjost,
Buhurt, Turnier entwickelten ; auch
die Falkenjagd erhält den Namen
vtdertpil. Die Ausbildung, zum Teil
auch die Na-
mengebung
dieser Spiele
zeigen franzö-
sischen Ein-
Hasa, was na-
mentlich auch
vom höfischen
Tanze (siehe
diesen Artikel)
gilt Auch die
erst jetzt auf-
tretende K las-
se der Spiel-
lente ist un-
deutschen Ur-
sprungs. Un-
ter den offe-
nen Spielen
namentlich der weiblichen Jugend
bürgerlicher Kreise erscheint im
Mittelalter zuerst und dann sehr
oft das Ballspiel (siehe den bes.
Artikel); aus dem 4. Jahrhundert
stammt die erste Nachricht vom
Brettspiel, welches seit dem 11.
•Jahrhundert mit dem Schachspiel
das beliebteste Verstandsspiel hö-
fischer Kreise war. Daneben ging,
niedriger Spielleidenschaft am mei-
sten genügend, das alte Würfel-
*piel, das freilich von geistlichen
und weltlichen Obrigkeiten viel
verfolgt wurde; Otto der Grosse
verbot es den Geistliehen, Frie-
drich II. seinen Beamten. Dazu
Fig. 154 aus Ingolds goldenem
Spiel. Augsburg 1472. Vgl. die
Bilder zu Brettspiel und Schach-
spiel.
Der Charakter des Spieles in
der der höfischen Zeit nachfolgen-
den Periode wird bestimmt einer-
j seits durch die auch im Spiele
wirksame Assoziation , andernteils
I durch die wilde, ausgelassene und
I raffinierte Art, wie man das Spiel
betreibt. Während die ländlichen
Spiele ohne Zweifel die ältere Art
beibehielten, trat namentlich in den
städtischen Spielen das Spielen um
\ Geld in den Vordergrund, wie man
aus zahlrei-
chen dagegen
gerichteten
Rats Verord-
nungen er-
kennt; es wur-
de um Geld
gekegelt ; in
Frankfurt a.
M. bestand
von 1390 bis
1493eineWür-
fel-Spielbank ,
die von der
Stadtbehörde
selber betrie-
ben wurde,wie
denn über-
haupt das 15.
Fig. 154.
Jahrhundert als die Blütezeit leiden
schaftlichen Glücksspieles gilt; der
Prediger Capistranus, der öffent-
lich die Spieler ermahnte, ihm Kar-
ten- und Spielbretter zum Verbren-
nen zu übergeben, soll allein in
, Nürnberg 3640 Spielbretter, über
' 40000 Würfel und „Kartenspiele
' ohne Zahl" vernichtet haben;
ar-
tenspiele bilden jetzt einen bedeu-
tenden Handelsartikel. Förmliche
Spielstuben wurden eingerichtet,
deren Besitzer Schulderer hiessen;
auch an Falschspielern fehlte es
nicht. Diesem niederen Spielzuge
fehört auch das Lotterie-Spiel an;
assclbe kam in Italien auf, wo es
daraus entstand, dass Kaufleute,
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928 Spielkarten. — Spinnräder.
um schnell und mit Vorteil zu ver- Offizier, Hauptmann abstammend)
kaufen, jedermann gegen ein klei- untersagte, und zehn Jahre spater
ncs Stück Geld eine ihrer Nummern verbietet auch der Prevot von Pa-
ziehen Uessen, auf denen ihre Waa- rifl den Handwerkern das Würfel-,
reu verzeichnet waren. In Deutsch- Ball-, Kugel- und Kegel- irtid end-
land hiess man das Spiel den lieh auch da« Kartenspiel. Erlaubt
(ifüvkshaj'tn oder Gfürkstujtf; in bleibt es nur an Feiertagen. Au-
Italien wurde es Lotto tLoosi und fanglich hielt man sich wohl au
seit 1522 Loteria genannt. An- die ursprünglichen orientalischen
fänglich waren es immer Waren, Figuren und Benennungen, bis in
welche auf diese Art ausgespielt Paris zur Erheiterung des geistes-
wurden; später wurden Geldpreise kranken Königs Karl VI. ein be-
daraus. In Deutschland war der solideres Kartenspiel gemalt wurde,
Glückshafen >eit etwa 1470 an den worauf bis gegen die Mitte des 15.
Schützenfesten gebräuchlich, wo Jahrhunderts in Frankreich , Spa-
auch die uralten Volksspiele. Stein- nien, Italien und Deutschland die
stosseu, Springen und Wettrennen Kunst des „Briefmalens" sich eigene
gegen Preise geübt wurden. Sonst Wege gebrochen hatte und dadurch
wurde dieses Spiel lange bloss für das Spiel nicht bloss in allen seinen
mUdthätige Zwecke gestattet und Beziehungen erweitert, sondern auch
ausgeübt. Siehe Schultz, höfisches zum beliebtesten Gesellschaftsspiele
Leben I, Abschnitt VI; U'einhold, wurde, das alle obrigkeitlichen Kr-
deutsehc Frauen. 2. Aufl. I, lo7 ff. las>e nicht mehr zu entfernen ver-
Krictk, Bürgerleben I, Abschnitt 19: mochten.
die öffentlichen Vergnügungen und Nach ihren Farben und Figuren
Lustbarkeiten, und die besondereuAr- teilen sich die Spielkarten in drei
tikel Brettspiel, Kegeln, Kinderspiele, Gruppen. 1. Die französische mit
Schach-, 'lanz- und Würfelspiel. den Farben coettr (englisch hear()y
Spielkarten kennt man bei uns trifte (englisch ctuh), carreau (eng-
seit dem 14. Jahrhundert, wo sie lisch diu mond), pi<pte\ englisch .tj>ak)\
zuerst in einer handschriftlichen 2. die italienischen und spanischen
Chronik des Nikolaus von Cavel- mit den vier Farbennamen cupi
luzzo erwähnt werden, mit der Be- (Becher, coeur), denai'i, (Münzen,
merkung, dass sie 1879 in Viterbo triJfe)Jhasto)iHi^U*QkeMtiibe,carreov\
eingeführt w orden und zw ar aus spadi (Degen, pitpie); 3. die deutschen
dem Lande der Sarazenen. Sie und die nordischen, deren vier Farben
stammen wahrscheinlich* aus China Rot oder Herz, drün oder Blätter
und Indien, wie das Schachspiel, (Spaten , Schippen», Eicheln oder
ja sie scheinen aus diesem hervor- Kreuz und Schellen sind. Vergl.
gegangen zu sein durch Übertra- A'ricrjk, Deutsches Bürgertum, I.
gung der Figuren auf einzelne Blät- 432 und £ifclberqer in den Mittei-
ter oder 1 äfelchen. Die Araber hingen der k. k. Zentralkommission,
kannten das Spiel schon im 12. | Wien. 1860, v, 93— 102, 140—147.
Jahrhundert, und von dorther brach- Spielleute, siehe fahrendes Volk,
teu es die Kreuzfahrer ins Abend- Spinnräder kennt man seit 1 530,
land, zunächst nach Italien, wo es in welchem Jahre sie durch den
längere Zeit nicht recht aufkommen Bildschnitzer Johann Jürges in
w ollte. Aber schon 1387 erliess • Watenbüttel erfunden wurden. Ge-
Johann von Kastilien eine Verord- spönnen wurde zwar schon im Alter-
nung, worin er die Würfel, das tum, jedoch vermittelst der Spindel,
Schach und die Karten inaupts, die erst zu der oben genannten Zeit
von dem arabischen naib1 d. h. , durch die Spule ersetzt wurde.
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Spitzen — Sprichwörter. 929
Spitzen als Seiden-, Baumwollen- tung. Der Überwundene gab dem
oder Leinengewirke waren im frü- Sieger nebst seinem rechten Hand-
heren Mittelalter sehr selten. Die schuh auch den rechten Sporn, mr
Kunst des Spitzenklöppelns wurde Versicherung, dass er die verspro-
um 1536 von Venedig aus nach der chenen Bedingungen erfüllen wolle.
Schweiz und nach Deutschland ver- Pontus Heuter erzählt, dass noch
pflanzt, und damit fand auch das im Jahr 1382 in 4er Oberkircbe zu
Produkt bald eine allgemeine Ver- Cortrycht 500 Paar goldene Sporen
breitung. 'gelegen hätten, die man 1302 den
Sporen. Ein ritterliches not- 1 Franzosen bei Groningen abge-
wendiges und allgemeines Rüststück nommen. Knappen trugen höchstens
scheinen die Sporen (althd. sporo, silberne Sporen; die goldenen zeich-
*/*oro»; angels. spora, spura; nord. neten den Ritter aus. Sie wurden
tpori; franz. Operon; engl, spur) erst ihm bei Erteilung der Ritterwürde
im 12. Jahrhundert geworden zu , von einem andern Ritter oder von
sein, obschon sie sich in Liedern, einer Dame umgebunden, zuerst der
Bildern und Wappen viel weiter linke, dann der rechte. Die Dame
hinauf nachweisen lassen und solche erteilte ihm dabei die Ermahnung,
aus den ältesten fränkischen und dass die Sporen ihm nicht bloss dazu
burenndischen Gräbern Deutsch- dienen sollten, das Pferd anzutreiben,
lanofe und der Schweiz ausgegraben | sondern sie sollen ihn hauptsächlich
werden. Der Ritter trug einen Sporn ! erinnern, dass Tapferkeit und Ehre
und zwar am linken Fusse, wohl der einzige Sporn zu edlen Thaten
um dem Ross den Druck nach rechts für ihn sein sollen. San-Marte,
zur bewaffneten Hand des Gegners Waffenkunde.
m treuen. Die Bilder zum Rolands- Sprichwörter, mhd. ein alt-
liea zeigen doppeltgespornte Ritter, , sprachen wort, aldez wort, alter ■
viele Reitersiegel einfachgespornte sprnch, Sprichwort, altez Sprichwort,
und die mehrfach genannten Tep- ; und dergleichen, sind uralte Form
piche von Bayenx lassen die Mehr- der Volksweisheit, ursprünglich in
zahl der Ritter ohne Sporen auf- alliterierender Gestalt, die sich in
treten. Wo aber solche vorkommen, vielen Fällen erhalten hat, später in
da sind es einfache, wenig aus dem , Prosa oder mit Endreim; schon früh
Bügel hervorragende Stacheln von gesammelt, bilden sie unter anderem
nicht sehr starkem Eisen. Diese einen wesentlichen Bestandteil von
Stachelsporen dauern fort bis ins Freidanks Bescheidenheit; kleinere
15t Jahrhundert, wenn auch mehr Sammlungen stammen aus dem 15.,
ausnahmsweise, denn die Räder- 1 umfassendere aus dem 16. Jahr-
sporeu hatten sie aus dem allge- hundert. Die bedeutendsten unter
meinen Gebrauch verdrängt. Diese , den sehr zahlreichen Sammlungen
^den mit zierlichen Borten über sind: Johannes Agricola von Eis-
sen Eisenschuh geschnallt oder ge- leben, 1492 — 1566, zuerst nieder-
bunden und waren, zumal wenn das deutsch 1528, dann 1529 hochdeutsch
I*ferd in einen Eisenpanzer gehüllt unter dem Titel: Dreyhundert Ge-
war, von beträchtlicher Länge (bis meyner Sprichwörter, später auf 750
ein Fuss). Zur Zeit der Platten- vermehrt, mit Auslegungen „die
rüsrung wurde der Sporn unter den meistens sehr neben dem Sinne her-
Fussschienen getragen und ragte | gehen." — Sebastian Franck von
aus einer Spalte hervor. Donauwörth, etwa 1500— 1565, geist-
in der Blütezeit des Rittertums voller in der Auslegung der Sprieh-
hatten die Sporen wie der Hand- Wörter und reichhaltiger ;seineSprich-
sH-huh auch ihre symbolische Bedeu- Wörter erschienen zuerst 1541.
Reallexicon der deutlichen Altertümer. 59
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930 Spruch. — Stadtbefestigung.
r;ö</*&tf, Grundrias 103. Zingerle, seinen Nachahmungen (vergl. den
die deutschen Sprichwörter im Artikel Xarrentum), bis endlich bei
Mittelalter. Wien, 18K4. Hans Sachs alles Spruch hebst.
Spruch. In der höfischen Lyrik was weder gesunkenes Lied noch
benennt man mit diesen Namen seit gespieltes Drama ist, mag es nun
Simrock im Gegensatz zu Lied und im Desonderen der Erzählung, der
Leich die einzeln stehende, meist Allegorie, dem Lobspruch, dem
grössere , aus langen Versen be- Schwank , dem Gespräch , dem
stehende, manchmal dem Gesetz der Traum etc. angehören In dieselbe
Dreiteiligkeit nicht unterworfene Kategorie gehören endlich die zahl-
Strophe, die mehr gesagt als ge- lose Menge von Einzelsprüchen,
sungen wurde; wenigstens wird bei welche in diesen Jahrhunderten der
ihr nirgends musikalischer Begleitung Lehrhaftigkeit überall angebracht
erwähnt; der Spruch, der sich erst wurden, an Häusern, Brücken, auf
allmählich vom gesungenen Liede Schwertern, Truhen, auf Wappen,
löst, dient besonders politischem, Glas- und andereuGemälden,Gläsern,
gnomischem und satirischem Inhalt Humpen, Krügen, Salzgetassen.
und nimmt daher um so mehr zu, Ofen etc. Vergl. Wichmann . die
als die hochgespannte, religiöse und Poesie der Sinnsprüche und Devisen,
dem Frauendienst gewidmete Em Düsseldorf, 1S82.
pfindung abnimmt. Die bedeutend- Stab. Abtstab . Bischofsstab,
sten Sprüche stammen von Walther Krummstab, sind Abzeichen kirch-
von der Vogelweide. licher Ämter. Aber auch unterge-
In anderer Bedeutung erscheint ordnete Kirchendiener trugen ihn,
Spruch als Name eines gesprochenen so der Vorsänger den Kantorstab
Gedichtes belehrenden I nhaltes, unter und der Kirchendiener den bdton
Umständcu eines Gedichtes in Reim- de hedeau. Auch die weltliche
(jaaren überhaupt. Solche Dichtungen Herrschaft bediente sich neben dem
ösen sich langsam seitdem 12. Jahr- Zepter des Stabes,
hundert von den epischen Dichtungen Stadtbefestigung. Über die äl-
ab; im 13. Jahrhundert am Ab- testen Stadtbefestigungen in Deutsch -
sehluss der Blütezeit der höfischen laud sind nur wenige Notizen er-
Dichtung stehen die drei berühmten halten; einzelne Daten sind: für
Spruchgedichte Freidanks Beschei- Mainz 712 und 730; Reaensburg
denheit, der Welsche Gast des Tho- 734 ; Köln 716, die Brücke 789;
masin von Zirklar und der Renner Worms 897; 985 wird eine feste
des Hugo von Trimberg. Von dieser Burg im Innern der Stadt erwähnt;
Zeit nimmt mit der Abnahme der Frankfurt a. M. stammt aus der
erzählenden Dichtungen diese gc- Zeit Ludwigs des Frommen ; Strass-
reimte Spruchweisheit bis ans Ende bürg wird anfangs des 8. Jahrhun-
des Mittelalters stetig zu; der Witts- derts zum ersten Mal erweitert, zum
beke und die Winsbekiny Lehren und zweitenmal im 13. Jahrhundert;
Ermahnungen eines adeligen Vaters Augsburg hat zur Zeit der Ungarn-
und einer adeligen Mutter an Sohn Schlacht 955 eine Ringmauer; Türme
und Tochter enthaltend, gehören erhält es erst nach der Schlacht;
noch der guten Zeit an. Es treten St. Gallen wird 953 befestigt und
dann Tierfabeln, kleine weltliche soll 13 Türme bekommen haben;
und geistliche, märchenhafte und Hildesheitn wird 933 mit Mauern
allegorische Erzählungen in diesen und Türmen versehen; über die von
Kreis; nach einer Pause erscheint den sächsischen Kaisern befestigten
am Ende des 15. Jahrhundert Sc- Orte, siehe den Artikel Burg. Bau-
bastiau Brauts yarrenschiff, mit liehe Überreste sind vor dem
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Stadtbefestigung.
931
11. Jahrhundert keine erhalten; es gung, die in Frankeu llainqraben
scheint, das« den meisten Städten hiess. Dieselbe bestand aus breiten
eine massig dicke und hohe, in Stein , Gräben, starken Zäunen und Erd-
erbaute Ringmauer, hinter einem aufwürfcn, die mit Hecken bepflanzt
breiten , momöglich Wassergraben waren. Flügelthore, weit genug, um
genügte. Die Bewachung und Ver- j einen Erntewagen durchzulassen, "
teidigung war so unter die verschie- J öffneten sich meist nur „zwei Wegen
denen Klassen der Bewohner ver- gegenüber. Die Hauptverteidigung
teilt, dass den Einzelnen bestimmte , des Dorfes lag im Kirchhofe mit
Strecken oder gewisse Türme zuge- der Kirche, siehe Friedhof. Ähn-
wiesen waren. Im 11. Jahrhundert liehe Verhältnisse traten bei einem
war die Bedeutung der Städte als Teile der deutschen Städte ein, es
feste Plätze eine wesentlich erhöh- sind die sogenannten Lfarfstadte,
tere; sie dienten als Sammelplätze die für ihre Befestigungen lange
der Heere, auch der Kirchen- und Zeit durch auf Holz und Erde an-
Reichsversammlungen; die Belage- gewiesen blieben; auch wo die
rungen, von denen berichtet wird, eigentliche Stadt mit Mauern eiuge-
Würzburg 1077 und 1086, Augsburg schlössen war, blieben die Vorstädte
1091 und 1087, Rcgeusburg 1086, meist auf die alte Befestigung mit
Marburg 1105, Köln 1116, waren Grabeu und Pfählen angewiesen,
meist vergeblich. Auch aus dem Die Elemente der Stadtbefestigungen
12. Jahrhundert sind die Überreste aber waren jetzt die meist neu an-
städtischer Befestigungsbauten noch \ gelegten Mauern in einer Höhe von
spärlich; ihre Elemente sind Grabeu, 30— 50 und einer Dicke von 5 — 7
Kingmauern, Türme und Vorhöfe. ( Fuss. Der Wehrgang lag anfangs
Der Aufschwung, den im 12. und 13. oben, später oft in halber Höhe;
Jahrhundert der Burgenbau infolge in der Mauer waren für die Arm-
der Kreuzzüge nahm, tarn bald auch I brüst 3 Fuss breite mit Laden Ver-
den deutschen Städten zu gute; er | schliessbare Fenster oder kreuz-
ging Hand in Hand mit dem sich förmige Seharten, für den Bogen
entwickelnden Bürgertum und den vertikale und für die Feuerwaffen
Zünften und die letzteren dienten runde Scharten angebracht. In all-
zugleich als militärische Gliede- gemeinem Gebrauche ist auch eine
rungen, sowohl zur Besetzung, als aussen herumgehende, auf Trag-
zur Unterhaltung und Erneuerung steinen ruhende Gallerie mit durch-
bestimmter Teile der Umwallung. i brochenem Fussboden, von wo aus
Da baute und schmückte denn jede man siedendes Wasser, brennendes
Zunft nach ihrem Sinne, was man- Pech u. dgl. herabgiessen konnte. —
ehe seltsame Anlage ergab; auch Die Türme waren 40-70 Fuss
ihre Namen bekamen gewisse Teile
des Mauergürtels von ihren Innungen,
wie Bäckerthor, Schueiderbrücke.
Besondere Aufmerksamkeit ver-
wandte man auf die Thorburg, das
hoch; sie springen bis zum Beginne
des 14. Jahrhunderts in Deutschland
selten Über den Mauerzug
vor;
später ruhen sie zuweilen als Halb-
türme erkerartig auf der Mauer;
Propugnaculum , das übrigens nicht erst im 15. Jahrhundert werden sie
bloss verteidigen, sondern auch die zur Seitenbestreiehung des Zwingers
Macht und das Ansehen der Stadt über die Mauer hinausgerückt. Die
repräsentieren sollte. Form der deutsehen Türme ist meist
Infolge des seit dem 13. Jahr- viereckig, nach hinten zumeist offen;
hundert zunehmenden Fehdeweseus in Frankreich die Form geschlossener
versah man in vielen Gegenden Cylinder. Bei der Armierung nahm
sogar die Dörfer mit einer Befesti- man die Spitzdücher ab und stellte
59*
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932 Stadtbefestigung.
auf den Plattformen Wagarmbrüste, j die Stadt angesiedelt, seis dass in
später Büchsen auf. — Die Thore, die fertige Stadt eine Burg gebaut
welche stets mit der Brücke über worden war. In Deutschland ist
den Graben und dem jenseits liegen- der erste Fall namentlich in den
den Brückenköpfe zusammenge- preussischcn Städten mit den Ordens-
höri^e Befestigungen bildeten, er- bürgen eingetreten; doch kommt
scheinen als seinständige Werke dieselbe Erscheinung auch in altern
innerhalb der Umfassung, daher Städten vor, in Münster, Bamberg,
manchmal geradezu Burgen genannt. Leipzig, Würzburg, Nürnberg, Lanci*-
Bei einer und derselben Stadt kann hut, Eichstädt, Kempten, Halle,
ihre Anordnung sehr mannigfaltig Meissen. Lag die Burg höber ab
sein. Die Thoröffnungen sind, offen- die Stadt, so verband man Burg
bar um den schweren Lanzenreitern und Stadt durch eine Mauer , die
bei Ausfällen den nötigen Raum zu den Berg herablief und an die Stadt-
bieten, auffallend hoch und breit, mauer anschloss.
weshalb sie spater wiederholt einge- Durch das Auftreten der Feuer-
baut werden mussten. Vor dem Thor Schlünde war das im 14. Jahrhundert
war eine Barbigan angebracht, ein herrschende Fortifikations-Systein in
Aussenwerk, das die Ausfallpforte Unordnung gekommen, und die Ver-
deckte und der Besatzung gestattete, suche es herzustellen, gehen von
sich vor der Ringmauer geschützt der Mitte des 15. bis ins 17. Jahr-
zu sammeln; sie war von Holz oder hundert. Das Problem der Kriegs-
Krde hergestellt, seltener aus Stein, baumeister ist nunmehr: Möglich-
und mit Zugbrücke, breitem Graben keit rasanter Geschützwirkung bei
und äussern Pallisaden versehen. — Aufrechthaltung voller Sicherheit
Die Gräben waren anfangs sehr gegen Leitersteigung. Infolge da-
schmal und seicht; zu Ende des 14. von kam man von der Sitte, das Ge-
Jahrhunderts und zu Anfang des schütz auf den Türmen aufzustellen,
15. wird in vielen Städten ein zweiter ab, schüttete den Wehrgang der
Groben angelegt. Mit dem jenseiti- Mauer mit Erde an und schuf so
gen Grabenrande waren die Thore einen Wallgang hinter der Mauer,
durch Brücken verbunden, die nach von dem aus das Geschütz feuern
aussen so stark wie möglich, nach konnte; daher der Name Schütte,
der Stadt zu ganz schutzlos herge- franz. rempart, von remparer— parer
stellt wurden. Das Stüek der Brücke « nouveau. Da jedoch der Sturz
unmittelbar vor dem Thore war der gebrochenen Mauer in diesem
stets eine bewegliche Zugbrücke. Falle unbedingt den der Erdmasse
Meist liefen die Brücken schräg auf nach sich zog, wendete man lieber
das Thor zu: ihr Material war ge- eine äussere Schüttung an und schuf
wohnlich Holz; Brücken mit steiner- einen äussern Xiederwall ', den man
nein Unterbau waren wieder mit mit den bestehenden Mauern und
Türmen besetzt. Jenseits des Gra- Türmen verbinden konnte und der
bens lagen die Barhigancn, welche die Beibehaltung des älteren Systeme«
seit dem 15. Jahrhundert gewöhn- gestattete. Ausserhalb der Tbore
lieh Bolt irrrke oder Basteien genannt baute man statt der alten Barbi-
werden; weiter hinaus Zäune (Palis- gane grössere Bollwerke, die das
fadenreihen) und Schütten (Eni- Geschütz aufnahmen und wiederum
wälle), welche eine Art gedeckten mit Gräben versehen wurden. Eine
Weges bildeten. bedeutende Rolle spielten nunmehr
Allgemein in Europa war die auch breite und tiefe Gräben; um
Verbindung von Burg und. Stadt, diese selbst zu verteidigen, errichtete
seis dass sich an und um die Burg man an den Ecken der Umwallung
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. Stadtbefestigung.
933
im Graben selbst austretende Streich-
wehren.
Die genannten neuereu Bauten,
bei deuen der Erdwall eine grosse
Rolle spielt, wurden bloss als Er-
qänzungsbauten der mittelalterlichen
Wehreinrichtungen hergestellt An-
derer Natur sind die fundamentalen
Neubauten, bei welchen der Mauer-
bau zu kühner Ausgestaltung und
grandiosen Dimensionen gelangt.
Die Absicht dabei ist, die Mauer
der gesteigerten Artillerie Wirkung
halber zu verstärken und in den
untern Geschossen der Werke Hohl-
räume zu gewinnen, die dem dort
aufgestellten Geschütz einen rasanten
Schuss sicherten. Die Verstärkung
der Mauer geschah durch ausser-
ordentliche Stärken, Hohlräume
wurden gewölbt; ältere MaueröfFnun-
gen wurden nach verschiedenen
Methoden zu Geschützscharten um-
gewandelt. Die Türme wurden
niedriger und mit grösserem Durch-
messer angelegt, auch mehr nach
Aussen vorgeschoben und die Zahl
der Scharten vermehrt. Die Batterie
hinter den Zinnen wurde geblendet
und dann unmittelbar au den Rand
der Turmplattform vorgerückt. Na
mentlich die Anlage und Einrichtung
der Basteien waren ein Gegenstand
unablässiger Versuche für alle euro-
f>äischen Völker; im allgemeinen
latten um das Jahr 1500 afie Neue-
rungen im Befestigungswesen noch
vorwiegend lokalen Charakter und
eigentliche Militär-Ingenieure gab es
noch nicht.
Eine allgemein anerkannte Be-
festigungskunst entwickelte sich zu-
erst auf dem Boden der italienischen
lienaissance ; hier entstand die bald
überall angenommene Altitaliensche
Befesligungsireise oder die bastion ierte
Befestigung, die man angemessener
Jfurtißtcation mit Bastionen oder
Polygonalbefestigungen heissen sollte.
Nach Jahns, Geschichte des Kriegs-
wesens.
Diesen kriegsgeschichtlichen An-
deutungen seien hier einige rechts-
feschicntliche beigefügt, die wir
em Werke Genglers , deutsche
Städte- Altertümer, Erlangen 1882,
Abschn. I, II und III entnehmen.
1) Mauern. Ihre Herstellungs-
Arbeit teilte sich zwischen versten-
digen werklüten und den Bewohnern
der Stadt. Die Dienste der letz-
teren heissen die Mauer-Baulast;
sie beruht auf sämtlichen Ein-
wohnern der Stadt, welche den
Dienst entweder persönlich oder
durch Drittpersonen ausüben; oft
erhalten sie dafür von den Stadt-
herren Befreiung von Steuern und
anderen Diensten. Den Geldauf-
wand für die Errichtung und In-
standhaltung der Stadtmauer suchte
man in der Regel durch die allge-
meinen städtischen oder durch be-
stimmte landesherrliche, der Stadt
überwiesene Einkünfte zu decken;
bisweilen aber schuf man einen
eignen Befestiqungs-Baufond, dessen
Einnahmsquellen* die Mauersteuer,
der Mauerzoll, das heisst ein Zu-
schlagszoll zu dem ordentlichen Weg -
gelde, die Mauer-Accise oder das
Mauer-Ungeld, die Mauer- Vermächt-
nisse, d. h. in jedem Testament
auszusetzende Zwangsbeiträge, das
Mauer-Drittel von allen bei Todes-
fällen sich ergebenden erblosen
Gütern, die Mauer-Geldbusse, bei
gewissen an öffentlichen Orten ver-
übten gewalttätigen Handlungen.
Eine ähnliche Frevelstrafe, z. B. bei
Friedbrüchen und Geheimbündnis-
sen, erscheint häufig mit der Lei-
stung von zehn- bis füufzigtausend
Mauersteinen zum Stadtbaue, wäh-
rend andere Vergehen durch Lei-
stung einer gewissen Anzahl von
Pfählen oder Fuder Steine gebüsst
werden. Wenn Wohnhäuser oder
anderer Grundbesitz unmittelbar an
den Mauerbau anstiessen, also spe-
ziell durch denselben geschützt wa-
ren, wurde zuweilen der Eigentümer
zu einem Bruchteil des Baukosten-
Betrages verpflichtet.
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934 Stadtbefestigung.
Die Stadtmauer galt für unver- der Regel wurden dann entweder
letzlich oder heilig, und zwar der die Bürgermeister oder einzelne
Anschauung des Mittelalters gemäss Ratsglieder bevollmächtigt, jeden
um der in den städtischen Kirchen Abend die Thorschltiasel in Em-
aufbewahrten Reliquien oder um pfang zu nehmen,
der Schutzpatrone willen. Als be- Für die Thorhut bestanden die
sonders mauer- schädigende Hand- Amter des Thorwartes und der
Langen werden in den Stadtrechten Thorwächter. Der Thorwart sass
aufgeführt die Mauer -Zerstörung, in der Thorstube und war allein
die Mauer- Verletzung, die Mauer- befugt, den Einlass begehrenden
Verbauung, die Mauer -Überstei- das Thor oder die kleinere im Thor-
gung und die Mauer- Begehung, tiügcl angebrachte Durchgangsthüre
Zuweilen wurde solchen Klöstern, zu öffnen; nach einzelnen Stadt-
welche die Mauer berührten, ge- rechten hatte der Thorwart auch
stattet, kleine Durchgangspforten die satzungsgemässen Thorgelder
oder bloss Fenster durch den Mauer- einzuheben, die Einfuhr fremder
körper anzulegen. Gewerbsprodukte zu kontrollieren,
Für die Mauer bestand eine das Thorgef&ngnis, wo ein solches
eigene Mauerwaehe , für welche bestand, zu überwachen und die
ein eigener Wächtergang , ur- im Thorgelasse aufbewahrten Ge-
sprünghch regelmässig innerhalb schütze und WafFenvorräte zu beauf-
der Mauer, zwischen dieser und den sichtigen. Unter seinem Befehle
anstosseudcn Häusern, ausnahms- standen die Thorwächter, welchen
weise auch ausserhalb der Mauer die Wache unter dem Thorbogen,
zwischen ihr und dem Stadt- die Spähe auf der Thorzinne und
graben zu ebener Erde herum an- die sogen. Gitterwart oblag,
gelegt war, an dessen Statt später 3) die Thürme scheiden sich in
ein sogen, oberer Umgang in der Wart- und Wehrtürme aus.
Höhe (Ter Schiessscharten angelegt Der Wart -Turm, wart turn,
wurde, eine, auch Letze genannte warte, wart befand sich stets ausser-
hölzerne und gedeckte GaUerie. halb der Stadt, doch im Umkreise
Um den Mauergürtel ging der ihrer Markung, in der Regel auf
Stadt-Graben, der auf der Gegen- einem erhöhten Punkte, der oft
seite der Mauer durch den Stadt- wartberg heisst. Es waren meist
Wall begrenzt war. massive Steinbaue von schlanker.
2) Stadt-Thore, mhd. tore, por- oft viereckiger Gestalt und ansehn-
ten, ttatporten, portel, portel, tüerL licher Höhe. Den Dienst darauf
Sie sondern sich in Walt- oder versah ein Turmwärter, in Kriegs-
Grabenthore und in Mauer- Thore. zeiten ein bewährter angesehener
In der lange verfolgbaren Vierzahl i Mann , der mit den städtischen
lassen sie den uraltertümlichen Ein- Mauer- und Turmwächtern durch
flu 88 der vier Himmelsgegenden j verabredete Merkzeichen eine fort-
erkennen, währende Verständigung unterhielt.
Die Thorqewalt oder die Ver- Die Wehrtürme sind fünferlei
fugung über aie Stadtthore, nament- Art: 1) Mauer-Türme, Bestandteile
lieh die Rechte der Thorbesetzung der Mauer selbst, entweder ureprüng-
und Schlüsselverwahtutng, gebührte lieh freistehende kleine Burgen, die
ursprünglich allein dem Staatherrn ; man nachher bei Anlegung der
doch trat im Verlaufe der Zeit das Stadt in den Mauerring einbezog,
Bestreben der Bürger hervor, die oder mit dem Mauerbau zusammen
volle Verfügungsgewalt über ihre erbaut , ihrer Bauart nach meist
Stadtthore an sich zu bringen; in mittelhoch, schmal, mit einem ko-
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Städte
935
nischen oder spitzen Ziegeldache in Feuer-, Eis- und Wassersnot,
überdeckt. Stets sind zahlreiche bei Aufstand, bei Verbrechen dann,
Mauertürme Zierde und Stolz der wenn es galt, die schnelle Verfol-
deutschen Städte gewesen. 2) Wall- gung und Ergreifen des Schuldigen
oder Graftentürme sprangen basteiai- ins Werk zu setzen, bei Beginn
tig an den Ecken oder Umbiegun- des Malefiz Verfahrens,
gen des Walles auf Damm- Ausläufern Eingekerkert in den Türmen
derselben vor; von ihrer kurzen wurden schedliche Leute von der
bauchigen Rundform heissen sie Haftnahme bis zur Gerichtsverhand-
rondelc. 3) Thor-Türme erhoben lung, sodann zur Einkerkerung
sich ein- oder zweistöckig über den Verurteilte , wobei es manchmal
Hauptthoren in den mannigfaltigsten Spezialkerker für Verbrecher ver-
Formen. 4) Zwinger , a. h. zum schiedener Art, für die beiden Ge-
speziellen Schutze einzelner Mauer- schlechter , für patrizische Ver-
teile bestimmte, meist eylinderför- brecher und für Verbrecher aus
mige, nicht bedeutend hohe, aber bestimmten Zünften gab. Ebenso
sehr weite Steintürme, zur Unter- wurden in einem Turme diejenigen
bringung schweren Geschützes und verwahrt, welche die Strafe des
beträchtlicher Besatzungen. 5) Berq- Henkers zu erwarten hatten, sowie
friede , ursprünglich transportable auch Folterungen darin vorgenom-
Holztürme zur Belagerung, sodann men wurden.
Türme ähnlicher Art, aber zur Ab- Turmnamen sind benannt ent-
wehr des Feindes an die Mauer weder nach der Bauform: lang,
gestellt; noch später feststehende hoch, rund, Mehlsack; oder nach
Türme, häufig noch aus Holz, ent- der Farbe des Daches oder Ge-
weder bloss zur Bergung der Ein- mäuers: grün, rot, blau, weiss, oder
wohner und ihrer wertvolleren Fahr- nach den Handwerkern, die in ihrer
habe während einer Belagerung Nähe angesessen waren. Viele
bestimmt, dann im Innern der Türme aber sind nach Tieren und
Stadt, oder als Schutztürme vor Bäumen genannt: Adler, Bär, Dach,
der Stadt erstellt. Hatzel, Papagei, Birke, Tanne
In Friedenszeiten sassen auf i u. dgl.
denjenigen Türmen, die man als \ Städte. Das got. Wort der
Wacht türme benützte, hiieter oder stath* bedeutet bloss Stätte, Stelle,
wachter; unbentitzte Türme über- Raum, Gegend; die Bedeutung der
liess man wohl zeitweise an Klöster Stadt wird im Gotischen durch baurgs
oder Privatpersonen zu Besitz und ausgedrückt; erst im Althd. beginnt
Nutzung, sei's als Wohnungen, sei's sich für das Wort die stat die Be-
als Kornspeicher u. dgl. deutung Ortschaft zu entwickeln, bis
Einer unter den Wachttürmen im Mhd. stat neben der alten Be-
5 alt als Beobachtung»- und Melde- deutung diejenige einer über andere
Wm, wo dessen Funktionen nicht im Range gestellten Ortschaft hat.
etwa dem Kirchturm übertragen Vgl. Genglery Deutsche Stadtrechts-
waren. Vom Melde-Turm aus wurde Altertümer, Exkurs I: Die quellen-
der Bürgerschaft durch bestimmte mässigen Bezeichnungen der deut-
Zeichen, Flaggen-Aushängung und sehen Städte im Mittelalter.
Glockenschlag gewisse Zeichen ge- Ursprünglich kennen die Deutschen
geben. Die zu diesem Zwecke keine Scheidung der verschiedenen
dienende Glocke hiess Sturm-, Bau- Wohnsitze; was in den eroberten
oder Eidglocke; auch Mordglocke Provinzen von römischen und galli-
kommt vor. Die Glocke wurde sehen Städten dem fränkischen Ge-
angeschlagen in Krieg8geschäften, biete einverleibt wurde, wurde nicht
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936
Städte.
anders als die heimischen Dörfer
behandelt; doch erlangten manche
stärker bevölkerten Ortschaften im-
merhin eine erhöhte Wichtigkeit als
Bischofssitz, Mittelpunkt eines Graues,
Wohnung eines Grafen, als fester
Platz, wo Gewerbe und Handel Zu-
flucht fanden, als Sitze von Klöstern,
Pfalzen der Könige und Fürsten,
als Orte, deren günstige Verhältnisse
einen lebhafteren Verkehr beför-
derten. Es ist bekannt, dass
Heinrich I. Klöster und andere
grössere Wohnnlätze mit Mauern
und Gräben umziehen und mit regel-
mässiger Besatzung versehen Hess
(vgl. den Artikel Burg). Jeder be-
festigte Ort, aber auch jede grössere
zusammenhängende Ortschaft hiess
Burg. Entscheidend für die Ent-
stehung einer Stadt war aber nicht
die Ummauerung, die man auch bei
Burgen und Klöstern findet, auch
nicht das Vorhandensein einer selb-
ständigen Gemeindeverwaltung ; son-
dern die Verleihung des Marktrechtes
erhob eine Niederlassung zur Stadt
und bot für die Folgezeit die Grund-
lage, auf der sich städtisches Wesen
im Sinn des Mittelalters ausbildete.
Anlass aber zu gesteigertem Markt-
verkehr bot besonders der Besuch
von Kirchen: hier kaufte man ein,
was fremde Händler oder die Hand-
werker des Ortes darbrachten, und
bot dagegen den Ertrag der eigenen
Wirtschaft. Mit dem Marktrechte
war für die Besucher des Marktes
sowohl als für die gesamte städtische
Einwohnerschaft ein besonderer
königlicher Frieden verbunden (vgl.
den Artikel Friede), auf dessen Ver-
letzung die Strafe des Königsbannes
stand; er bezog sich zunächst auf
die, welche den Markt besuchton,
sowohl auf diesem selbst als auf
dem Hin- und Rückwege. Zeichen
des Köiügsfriedens war das auf dem
Marktplatze errichtete Kreuz. Mer-
catus und forum sind anfänglich
gleichbedeutend mit onpidum und
civitas. Für die Marktherrn lag in
der Verleihung des Marktes das
Privileg zur Erhebung von Zoll- oder
Marktgeldern, für die städtische Ge-
meinde aber war vielfach schon mit
der Verleihung des Marktes die
Immunität verbunden, d. h. die Los-
lösung von der gräflichen und die
Aufstellung einer eigenen Gerichts-
barkeit über alle Sachen, die sich
auf Verletzung derselben bezogen,
über alle Personen, die an dem
Orte wohnten. Die Verleihung des
Marktrechtes ging ursprünglich nur
vom Könige aus. Von ihm erhielten
es, stets nur für einen bestimmten
Ort, die Bischöfe, zunächst für ihre
Hauptstädte, dann wohl auch für
einzelne andere Niederlassungen ;
ebenso erlangten es einzelne Grafen
und Klöster für ihre Sitze. Oft
wurde bei der Verleihung des Markt-
rechts auf das Vorbild anderer
Märkte Rücksicht genommen, im
Süden auf Regensburg , Augsburg,
Konstanz, Basel und* Zürich; in
Franken auf Würzburg und Bam-
berg ; am Rhein auf Wurms, Mainz
und Köln -, weiter im Westen auf
Trier und Cambrai; im nördlichen
Deutschland auf Dortmund, Goslar
und Magdeburg. So bildete sich
eine gewisse gleichmässige Ordnung,
ein Recht der Kaufleute und des
Marktes. Die bewilligten Märkte
sind entweder Jahrmärkte, die ohne
Zweifel mit dem Feste des Kirchen-
heiligen zusammenfielen, oder auch
Wochenmarkte; die Zeitdauer des
Jahrmarktes wechselt von zwei bis
zu acht Tagen, am häufigsten sind
es drei ; auch mehrere Märkte werden
in einem Jahr gestattet. Während
anfänglich bloss der König Markt-
recht verlieh, errichteten später, an-
fangs wenigstens mit Genehmigung
des Königs, geistliche und weltliche
Grosse ihrerseits Märkte. Die Er-
richtung eines Marktes und der da-
durch oedingte Aufschwung von
Handel und Verkehr gaben Anlass,
den Bewohnern der Stadt
speciell den Kaufleuten noch
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Städte.
93 7
cherlei andere Vergünstigungen zu-
kommen zu lassen: Verhängung
strenger Strafen wegen Gebrauch
von Waffen innerhalb der Stadt,
Bestimmungen über Marktdiebstahl,
Vergünstigung betreffs Erwerbung
von Grundeigentum behufs städti-
scher Wohnstätten, Erlaubnis, An-
gehörige anderer Herrschaften bei
sich autzunehmen,Freiheit von Zöllen,
die Freiheit, kein Vogtgericht ausser-
halb der Stadt zu besuchen. Vgl.
den Art Markt.
Was die Beamten der Stadt in
der ersten Zeit betrifft, so sind die-
selben durchaus aus den älteren
Reichsbeamten hervorgegangen ; die
LTäfliche oder Gau -Gerichtsbarkeit
hat ein Burggraf (vgl. den besondern
Artikel) oder ein bischöflicher mit
gräflicher Gewalt ausgerüsteter Vogt.
Der Burggraf scheint ursprünglich
nichts anders als ein auf die Stadt
beschränkter Graf gewesen zu sein ;
wo der Bischof mit der Zeit die
gräflichen Rechte an seine Kirche
brachte, tritt dafür ein, mit gräf-
lichen Rechten ausgestatteter, vom
Bischof ernannter Vogt ein, der
aber wie die echten Grafen, den
vornehmsten Geschlechtern des
Landes entnommen und bischöflicher
Lehnsmann ist. Unter dem Burg-
grafen oder Vogt steht der Ver-
treter des alten Centenars, der
Üchultheiss (siehe diesen Artikel);
er ist der Exekutor des Grafen, und
verwaltet zugleich die Erhebung der
Zinsen und Einkünfte aus den
bischöflichen Gütern; auch er ist,
wie meist der Vogt, aus den Mini-
sterialen desBischofs hervorgegangen
und oft hat sich mit seinem Amt
dasjenige des Meters verbunden.
Bischöfliche Beamtungen unterge-
ordneter Art sind der Zöllner und
der Münzmeister. Der Burggraf
oder Vogt stand auch wie von alters-
her an der Spitze des Heerbanns;
die Einwohner und die derUmgegend
□tussten nach alter Weise zum
Unterhalt der Mauern und Türme
mithelfen, Wacht- und Wartdienste
thun; viele Städter wurden durch
fortgesetzte kriegerische Lebensart
wirkliche Rittersleute; überhaupt
wurde so der Grund zu der später
so bedeutenden Kriegsmacht der
Städte gelegt.
Die Einwohnerschaft bestand aus
Freien, halbfreien Zinsleuten und
Knechten. Jene, die Freien, bildeten
ihrer ausschliesslichen Schöffenbar-
keit wegen einen engem Kreis, die
cives oder bürge nses-, sie beschäftigten
sich mit Handel und höhern Ge-
werben und waren meist auch auf
dem Lande begütert; die milites
bildeten die höchste Klasse der-
selben ; auch freie Handwerker trifft
man in den Städten. Eine zweite
Einwohnerklasse waren die Welt-
und Ordensgeistlichkeit und die
bischöflichen Ministerialen, in deren
Händen das Regiment ruhte und
welche allmählich den freien ritter-
mässigen Geschlechtern gleich
wurden; die halbfreien Zinsleute des
Stiftes und die hörigen Knechte des
Stiftes sowohl wie anderer in der
Stadt befindlichen geistlichen An-
stalten trieben Handwerke, Acker-,
Gartenbau u. dgl. ; sie standen unter
Hofrecht und waren den gewöhn-
lichen Lasten dieser Stände unter-
worfen. Wie aber der ältere freie
und der jüngere unfreie Adel mit
der Zeit zum Ritterstande, und die
freien, halbfreien und unfreien Be-
wohner des Landes mit der Zeit
zum einheitlichen Bauernstand zu-
sammen wuchsen, so wurden die
verschiedenen Einwohnerklassen der
Städte mit der Zeit Bürger, und die
frühern Unterschiede vermischten
sich.
Die Beiziehung der städtischen
Einwohnerschaft zum Regiment
knüpft sich an die Beisitzer des
Vogtgerichts, die Schöffen, welche
allmählich zu einem städtischen
Ratskollegium wurden, oft so, dass
ebendieselben Männer unter Vorsitz
des Vogtes zu Gericht sassen, unter
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938
Städte.
Vorsitz des Bürgermeisters, den sie
mit der Zeit sich erworben hatten,
als städtisches Ratskollegium fun-
gierten. Zur Wahrung der gemein-
schaftlichen Interessen entstanden
nun in den Städten engere Verbin-
dungen, welche es mit der Zeit da-
hin brachten, neben den Schöffen
noch andere Männer in den Rat zu
wählen, die bald Ratmannen, bald
Konsuln u. s. w. hiessen. In andern
Städten zog die Gesellschaft der
Münzer oder Hausgenossen unter
dem Münzmeister die Besetzung des
Rates an sich. Trotz der Verbote
der Kaiser bildeten sich nach den
Gewerben Fraternitäten, die ihre
Meister selbst wählten; doch blieb
zwischen ihnen und den alten rats-
fähigen Geschlechtern ein scharfer
Unterschied.
Den Umfang der Stadt betreffend
unterscheidet man Innenstadt und
Aussenstädtc. Die Innenstadt zer-
fiel in verschiedene Arten von Be-
zirken.
a) Die verbreitetste Einteilung
ist diejenige in Viertel, Quartale.
Quartier, deren jedes anfänglich
seiner örtlichen Beschaffenheit nach
aus einer der vier, den Himmels-
gegenden gemäss angelegten Haupt -
Strassen nebst den darin einmünden-
den Nebenstrassen bestand. Der
Charakter dieser Viertel war über-
wiegend ein militärischer; jedes
Viertel hatte demgemäss sein eigenes
Banner, seine eigenen Führer,
houptman, bannerherr, bevelkabere,
seinen eigenen Lernten platz oder
Sammelort; bei Kriegszügen im
Ausland fand in der Beteiligungs-
pflicht der Viertel ein Wechsel statt.
Später standen unter den Viertels-
meistern oder Quartierherrn eine
gewisse Zahl Hauptleute. In man-
chen Städten verlor die Viertel-Ein-
teilung mit der Zeit ihren militäri-
schen Charakter und die Viertel
blieben nur noch bestehen als
Steuer-, Wach und Feuerschutz-
und als Gewerbe- Distrikte.
b) Eine Einteilung in Wachten
oder Wachen, vigiliae, findet man
in Regensburg, wo der militärische
Charakter dieser Gliederung mit der
Zeit völlig verschwand.
c) Die Einteilung in Bauer-
schaf len. Anfänglich war die Bauer-
schaft eine selbstthätige Körper-
schaft innerhalb der Staatgemeinde
und nahm erst in zweiter Linie,
da auch ihr Wohn- und Feldrmum
im gesamtstäd tischen Grundrauine
eine gesonderte Örtlichkeit darstellte,
zugleich den Charakter eines Be-
zirkes an. Solche Bauerschaften
finden sich u. a. in Braunschweig
und Hildesheim, während die Bauer-
schaften in Köln dörflich oder fron-
höfisch organisierte Genossenschaften
blieben, die niemals., eigentliche
Stadt-Bezirke wurden. Ähnliche Be-
deutung wie dieBauerschaften haben
die Leisehaften in Münster und
Osnabrück, die Kluchten oder Nack-
barschaffen in Coesfeld und die
Höferschaften in Soest.
d) In Grafschaften zerfiel die
Stadt Aachen.
e) In Pfarrsprengel oder Kirch-
spiele zerfiel Köln, deren jeder seine
eigene Behörde , Gemeinde - Recht,
Bürgerrecht, Ding- und Versamm-
lungs-Gebäudc und seine eigene
Schatz- und Urkunden-Lade besass.
Die Aussenstädte schieden sich
[ in Sehen- und Vorstädte aus:
a) Die Nebenstadt entstand in
der unmittelbaren Nähe und meist
( unter den Kultur - Einflüssen einer
bereits vorhandenen Stadt, bald als
j selbständige Anlage, bald bloss als
Ausdehnung der Innenstadt. Der
i Name war meist nova civitas, nüwe
stat. Anfänglich zeigten die Neben-
städte schon im Äussern eine völlige
Abschliessuug von der alten Stadt,
| die man , auch nachdem beide im
Verlaufe der Zeit eine gemeinsame
Mauer erhalten hatten, an den da-
zwischen durchströmenden Bächen
und an einem s. g. Zingel- oder Ziel-
thor erkannte. Auch im Innern hatte
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Städte.
939
die Nebenstadt vollkommene Selb-
ständigkeit und eigene Rats-, Rechts-
and Gerichtsverfassung. Mit der
Zeit sieht man beide Städte zu einem
einheitlichen Gemeinwesen ver-
schmelzen, was entweder auf dem
Wege des Vertrags oder auf dem-
jenigen des Privilegs geschah, Vor-
gänge, die zu den bedeutsamsten
Ereignissen in der politischen Ent-
wicklungsgeschichte der Städte
zahlten.
Die Vorstädte lagen regelmässig
in der Richtung auf die innen-
rtidtischen Hauptthore zu und be-
fanden bald nur aus einer einzigen
t'asse , bald aus einem Geflechte
von Strassen, wobei es übrigens an
einer schützenden Umwehrung meist
nicht fehlte. Ihre Entstehung ver-
dankten die Vorstädte dem Dasein
eines angesehenen Stiftes oder
Klosters, einer neuen Flussbriicke,
der Kultivierung öder Plätze oder,
wie es bei den s. g. RaU -Vorstädten
der Fall ist, einer Finanzoperation
der Stadtverwaltung; am öftesten
aber wandeln sich benachbarte
Dorfer allmählich in Vorstädte um.
Die Einwohner der Vorstädte standen
nun Teil in abhängigem Verhältnis
von städtischen Geschlechtern oder
Stiftern, auf deren Besitz sie sich
angesiedelt hatten. In bezug auf
ihre Berufsthätigkeit waren es Feld-
bau und Gärtnerei treibende Leute,
auch grasburqer genannt, oder
Krämer- und Kleinhandwerker. Auch
die Verfassung der Vorstädte beruhte
ursprünglich auf selbständigerGrund-
lage; doch pflegte man auch sie mit
der Zeit mit den Prinzipalstädten
zu vereinigen.
Die städtischen Strassen können
in fünffacher Weise eingeteilt werden:
1) in Haupt- oder Sebenstrassen.
Eine kauptstrasse oder haupfgasse
verlief gradlinig von einem nach
dem entgegengesetzten anderen
Thore oder sie Gerührte oder führte
zu den wichtigsten Gebäuden und
Platzen.
2) Natur- und Kunststrassen; die
letztern entweder bloss chaussiert,
d. h. mit Holzbohlen, Kleingestein
und Kies belegt oder mit zugehauenen
Steinen gepflastert. Die Anlage der
letztem begann in den wohlhaben-
deren Städten mit dem 13. Jahr-
hundert, und es wurde zu diesem
Behufe vom Rat ein estricher oder
estn'chermeister gedungen; noch im
16. Jahrhundert gehörten in kleinern
Residenzorten gepflasterte Strassen
zu den Seltenheiten.
3) Fahrwege und Fusspfade; das
Breitenmass war meist genau be-
stimmt.
4) Innen- und aussenstädtische
Strassen. Zu den letztern gehörten
die Reichs- und Landes- Heerstrassen,
auch kaiserliche, königliche, des
Reichs offene Strasse, freie Strasse,
Landstrasse genannt.
5) Öffentliche Strassen und Privat-
wege.
* Zur Herstellung und Unterhal-
tung der städtischen Strassen dienten
zunächst die Weggelder, Wagen-,
Karren- und Räder-Zölle, Deicnsel-
§ fennige u. dergl., von denen es je-
och zahlreiche Befreiungen gab,
namentlich für die innenstädtiseneu
Bürger und für die ritterliehen und
geistlichen Personen. Ausserdem
war dem Bürger oft geboten, den
Weg vor seinem Hause selbst zu
bessern. Zur Aufsicht über das
Strassenbauwesen bediente sich der
Rat eigener wegemeistere , wenn
nicht diese Funktion dem Baumeister
übertragen war; an zahlreichen poli-
zeilichen Verordnungen über die
Offenhaltung der Strassen u. dergl.
mangelte es nicht. Wegen politi-
scher Vergehen geschah es im Mittel-
alter, dass einer Stadt die vier
Hauptstrassen mittelst Aufstellens
s. g. Meineidsäulen dauernd verun-
ziert wurden.
Die Strassennamen sind herge-
nommen von einer Xachbarstadt,
von ehemaligen Feldmarken und
Fluren, von Gewässern und Dämmen,
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940
Städte.
Mauern, Thoren, Türmen, Plätzen, i Gewalt freiere Hand, ihr Verhältnis
Gebäuden, von Amtshäusern, Hau- 1 zum Reich in einem ihr zusagenden
dels-Niederlageu und grösseren Ge Sinne zu ordnen. Der Kreis der Frei-
werbestätten, von Hausmarken, von städte warabernichtoffiziell bestimmt
der örtlichen Lage der Strassen im und abgeschlossen; unzweifelhaft
Stad träume, von der besondern Form als solche galten bloss die sieben
der Strassen-Aulage, von den darin alten Bbchofsstädte Köln, Mainz,
überwiegend wohnhaften Ständen,! Worms, Speier, Sfrassburg, Botel
von edeln Geschlechtern oder bürger- und Regentburg ; bei Trier stiesa
liehen Familien, namentlich aber der Gebrauch des Titels auf Wi-
vou Gewerben und nationalen Ele- j derspruch, noch mehr bei Braun-
inenteu. | schweig und Freiburg i/Br. Jene
Man unterscheidet Städte des sieben alten Bischofastädte aber
Reichs und Städte der Fürsten ; jene führen bis in die zweite Hälfte des
werden unmittelbar durch königliche 15. Jahrhunderts den von der kai-
Bcamten verwaltet, in diesen übt serlichen Kanzlei anerkaunten Na-
der Landesherr die öffentliche Ge- men Freistadt und definieren diesen
walt aus. Zu den Städten des stets dahin: 1. gegenüber dem Bi-
Reichs oder Königsstädten, civitates schof, weil sie ihm als Landstadt
regiae, imperiales, werden aber un- nicht gehören; 2. gegenüber dem
unterschieden gezählt, sowohl die König, weü sie von der Reichs-
Pfalzsfädte als die Städte der geist- Steuer und dem Reichsdienste der
liehen Fürsten, die letzteren darum, Reichsstädte frei seien und nur ver-
weil der Burggraf oder Vogt hier pflichtet zum Dienst über Berg (zur
mit dem Blutbann vom König be- Kaiserkrönung) und zum Krieg
lehnt wird und so den Charakter wider die Ungläubigen. Die übrigen
eines königlichen Beamten erhält, bischöflichen Städte, also die grosse
Seit Karls IV. (1346—1378) Zeit be- Mehrzahl, wurden nicht Freistadte,
reitet sich aber eine Änderung vor, sondern sie wurden entweder zu
deren Resultat die Ausscheiduug bisehöflichen Landstädten oder, vom
von Freistädten aus den Reichs- König wieder an das Reich gezogen,
Städten ist. Freistädte sind seitdem zu Reichsstädten, z. B. Augsburg
diejenigen Städte, welche der landes- und Konstanz. Auch die Abteistädte
herrlichen Vogtei entwachsen, den- wurden teils der Landeshoheit der
noch aber nicht in das enge Pflicht- Äbte unterworfen, teils, wie Zürich,
Verhältnis zum Reich zurückgetreten wieder an das Reich gezogen; auch
sind, in welchen die Pfalz-, nunmehr einige ursprünglich der Landeshoheit
Reichsstädte standen. Schwören sie von Fürsten unterworfene Städte,
zwar ihren alten Herrn den Eid wie Lübeck und Hamburg, sind im
bloss noch proforma, nicht als Hui- Laufe der Zeit dem Reiche wieder
digungs- und Treueid der Unter- gewonnen worden. So ergibt sieh
thanen gegen den Fürsten, sondern nun für die Mitte des 15. Jahr-
ais Bundeseid des Gleichstehenden hunderts der Unterschied von Frei-
geben deu Feind, BO schwören sie städten, Reichsstädten und Land-
denselben ebensowenig dem König städten, zugleich aber bahnt sich
als ihrem Herrn; dem Landesherrn jetzt eine Vermischung der Frei-
gegenüber erklären sie unter dem und Reichsstädte an. Die Freistädte
Reich zu stehen, dem König gegen- nämlich, die auch auf deu Reichs -
über berufen sie sich darauf, dass tagen erschienen, wo sie mit den
er sich selbst seines Rechts über sie Reichsstädten die Städtebank teil-
entäussert habe; dadurch erhielten teu, näherten sich mehr und mehr
WC beim Erwerb der öffentlichen den Reichsstädten, nahmen etwa
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Städte.
941
auch diesen Titel an, wahrend um-
gekehrt Reichsstädte sieh des Titels
rreigtÄdte bedienten; schliesslich
nannten sich die Freistädte freie
Reichsstädte.
Durch Handel und Reichtum
hob sich die Macht der Städte mehr
und mehr; unfreie Leute vom Lande,
welche in den Städten Zuflucht und
Beschäftigung fanden, und nach
Jahr und Tag von der Leibeigen-
schaft frei wurden, vermehrten die
Bevölkerung: noch mehr die Aus-
htrqer oder Pfahlbürger, d. h.
Heini, Kitter, Prälaten, Klöster
und gemeine Freie, die auf dem
Lande wohnhaft, doch in das Bür-
gerrecht der Stadt traten; sie ver-
pflichteten sich, der Stadt durch
Beihilfe in ihren Fehden, durch
Beherbergung ihrer Boten u. dgl.
beizustehen, und waren dafür des
Schutzes der Stadt, des Gerichts-
standes in derselben , des freien
Absatzes ihrer Erzeugnisse teil haf-
fig. Schliesslich gingen einzelne
mächtigere Städte zur Erwerbung
eigentheherUnterthanengebieteüber,
deren Mittel meist die V erpfändung
wicher Gebiete von Seiten geldbe-
dürftiger Dynasten war; den meisten
Erfolg hatten in dieser Richtung
die schweizerischen Reichsstädte
Bern und Zürich. Sq erwarben sich
die Städte mit der Zeit auch die
verschiedenen Hoheitsrechte , wie
das Zoll- und Münzrecht, endlich
auch die Gerichtsbarkeit, die Vogtei
und das Schultheiasenamt, sei es
unmittelbar, sei es aus der Uand
eines anderen, an welchen dieselben
bereits verfiussert oder verpfändet
«orden waren; wo das geschah,
*nirde die Gerichtsbarkeit durch
einen städtischen Vogt oder Sehul-
theissen ausgeübt. Von grossem Ein-
misse wurden die seit dem 18.
Jahrhundert auftretenden Stmlte-
f'ündnis*e; dasjenige, aus welchem
"•eit 1241 der Hansabund hervorge-
gangen, umfasste an 80 Städte;
über 60 Städte am Rhein traten
dem Bunde bei, der 1254 einen
grossen Landfrieden errichtete. Von
bleibender Bedeutung für die Aus-
bildung der Staatsgewalt war bloss
die Eidgenossenschaft der schweize-
rischen Städte, welche ausser den
Städten ländliche Territorien oder
sogenannte Länder umfasste.
Mit der zunehmenden Bedeutung
der Städte entwickelte sich die
Verfassung. An der Spitze standen
meist zwei erwählte Bürgermeister,
deren einer ursprünglich dem Rat
als Gericht, der andere dem Rat
als der Obrigkeit vorstand, und der
Rat selber, welcher aus den Schöffen
und den Ratmannen bestand, wo
beide zusammen vorkamen. Um
die Macht des Rates zu massigen,
wurde oft seit dem 12. Jahrhundert
dem kleinen oder engeren Rat ein
grosser Rat obgeordnet, an anderen
Orten wurden die Schöffen gänzlich
aus dem Rate verdrängt und die
obrigkeitlichen Funktionen den Rat-
mannen allein übertragen, so zwar,.
da8s manchmal in wichtigen Fällen
der Rat des vorigen, in noch wich-
tigeren auch derjenige des vorvo-
rigen Jahres zugezogen wurde. Die
Bedingungen der Wählbarkeit, die
Amtsdauer und die Art der Er-
neuerung sind überall verschieden.
Seit dem 12. Jahrhundert erwarben
sich, oft durch blutige Kämpfe, die
Handwerker Anteil am Regiment,
wodurch oft eine ganz neue Ver-
fassung nötig wurde. In Köln er-
langten 1370 die Handwerker zu-
nächst nur, dass neben dem engen
Rat von 50 aus den Geschlechtern
ein weiterer Rat von 50 aus den
Handwerkern angeordnet wurde;
erst 1396 wurde die ganze Bürger-
schaft in 22 Zünfte unter den Na-
men Amter und Haffeln eingeteilt,
wovon fünf edle Geschlechter ent-
hielten; das Schöffengericht wurde
vom engeren Rate getrennt und
statt beider Räte ein neuer von 49
Mitgliedern eingesetzt, deren 36 von
den Haffeln, die übrigen 13 von
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942
Stadtrechte.
den 36 gewählt wurden; für beson-
ders wichtige Verhandlungen war
bestimmt, dass die Sache vorher
den 22 Ämtern uud Haffeln kund-
gethan und aus jeder zwei Mitglie-
der abgeordnet wurden , welche
gemeinschaftlich mit dem Rate be-
rieten; anders war der Ausgang
der Zunftwirreu in anderen Städten,
vgl. den Artikel Zunftwesen.
Um ein richtiges Bild und Mass
von der Bcdeutuiig der Städte für
die drei letzten Jahrhunderte des
Mittelalters zu erhalten, gälte es,
den Einfluss der Städte auf die
verschiedensten Zweige des Kultur-
lebens und umgekehrt allseitig ins
Auge zu fassen; sind in der karo-
lingischen Zeit die Stifter uud
Klöster neben den königlichen Pfal-
zen die Zentren der Bildung, und
werden diese seit dem 11. Jahrhun-
dert von den zahlreichen Höfen der
Edeln darin abgelöst, so sind es
ietzt die Städte, auf welche nicht
bloss die Hauptaufgaben jener äl-
teren Kulturperioaen übergehen,
sondern auf welchen, immerhin ne-
ben anderen Instituten, die sich
doch meist wieder an die Städte
anschliessen, die neuen Aufgaben
des Kulturlebens liegen: Grosshan-
del und Kleinhandel, Binnen- und
Aussi nhandel, Schiffahrt und Kriegs-
kunst, Justiz- und Verwaltungswesen,
Münz- und Bankwesen, Judentum,
Bauwesen, öffentliche Gesundheits-
pflege, Armen- und Kranken wesen,
Genossenschaftswesen aller Art,
Brüderschaften, Klöster, namentlich
der Bettelorden, Handwerk- und
Marktwcsen , was zur Belebung
der Geselligkeit gehörte, Spiele,
Schützenwesen und Schützenfeste,
Fechtschulen, Hochzeiten, Tisch-
ordnungen, städtische Tracht- und
Kleiderordnungen, Zunftfeste und
Zunftgelage , Meisterschulen und
Meistersänger, Mysterien und Fast-
uachtspiele , öffentliche Unzucht,
Schulwesen, Universitäten, Biblio-
thek wesen, Geschichtschreibung, das
Kunsthandwerk nach seineu ver-
schiedenen Seiten, Architektur, Ma-
lerei, Holzschnitt, Buchdruekerkuust,
alles dies und noch viel Anderes
hat sich erst entwickeln können,
als der bürgerliche Geist in unab-
lässigem Ringen nach innerer und
1 äusserer Freiheit und Selbständig-
keit in Staat, Gesellschaft, Kunst,
Bildung, Gewerbe den Boden dazu
bestellte. In den Städten ist auch
zuerst der Gedanke der Nationalität
und das Gefühl der Vaterlandsliebe
I mächtig geworden, und sie haben
deshalb für die nationale Monarchie
am Anfang der neuen Zeit überall
eine Hauptbasis gebildet. W aiiz.
Verf. Gesch. VII, Abschnitt 12;
Arnold, Verfassungsgeschiehte der
deutschen Freistädte , Hamburg,
1854. 2 Teile. Heusler, Ursprung
der deutschen Stadteverfassung.
! Weimar, 1872. Walter, Rechtsge-
schichte, S. 230 bis 246. GUrlce.
Rechtsgeschichte der deutschen Ge-
nossenschaft, Berlin, 1^68. Gettg-
\ ter, deutsche Stadtrechts- Altertümer,
| Erlangen, 1882. Das ältere Haupt-
werk, das für die Kulturgeschichte
viel Ausbeute gibt, ist Hülttnann,
I Städtewesen des Mittelalters , 4
I Teile, Bonn, 1826; aus neuerer Zeit
in dieser Beziehung besonders be-
deutend Kriegk; Deutsches Bürger-
tum im Mittefalter, 2 Bände, Frank-
furt a. M., 1868 und 1871. Vgl. den
Artikel Stadtbefestigung.
Stadtrechte. Die individuelle
Eutwickelung der Städte brachte
es mit sich, dass, im Gegensatz zu
den, grössere Territorien umfassen-
den allgemeinen Rechten, jede Stadt
ihr besonderes Recht heranbildete ;
die Aufzeichnungen derselben sind
nach den verschiedenen Stufen der
städtischen Selbständigkeit verschie-
dene. Sie beginnen mit Privilegien,
deren älteste die dem Herrn der
Stadt erteilten Immunitätsprivile^ieu
sind, durch welche der bischöfliche
Ort von der Grafschaft eximiert
und die gräfliche Gewalt auf den
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Stadtschreiber. — Stände.
943
Vogt übertragen wird; seit dem
Anfange des 12. Jahrhunderts kom-
men Privilegien zum Besten der
Städte und ihrer Einwohner hinzu,
welche sich meist bloss auf einzelne
Rechtsbestiramungen beziehen, wie
Markt- und Zoll Verhältnisse, Hörig-
keit, Erbrecht u. a. Weitaus die
meisten dieser Urkunden sind Be-
statigungsurk unden. Nur städtische
Neugründungen erhalten, was ältere
Orte durch eine Reihe Urkunden
bekommen hatten, durch ein ein-
maliges Privilegium. Anderer Natur
sind solche Aufzeichnungen, welche
infolge von Streitigkeiten zwischen
der Bürgerschaft und dem Herrn
der Stadt oder zwischen den ein-
zelnen Klassen der Einwohner als
endgültige Anerkennung der städti-
schen Rechte, oft unter kaiserlicher
Vermittelung entstanden, sie heissen
Handfesten. Da neu gegründete
Städte von ihrem Landesherrn das
Recht einer anderen Stadt erhielten,
kam es vor, dass eine solche Mutter-
stadt erst durch Abforderung ihres
Rechtes von Seiten einer Tochter-
stadt zur Aufzeichnung ihres Rech-
tes veranlasst wurde. Von der
Stadt selbst ausgegangene Rechts-
bestimmungen heissen Küren, Buer-
kören, WiUkören. Einungen, Skraa
(in sächsischen Gegenden), Recht;
solche Rechtsbestimmungeu. meist
Solizeilicher Natur, pflegte man mit
en Handfesten und Privilegien in
dem sogen. Stadtbuche zu vereinigen,
das auch Ordeelbuch , rotes und
schwarzes Buch heisst. Dazu kamen
oft Urteile des Stadtgerichtes, die
zugleich einen allgemein gültigen
Rechtssatz enthielten. Um solchen
meist sehr verschiedenen Rechts-
stoff einheitlich zu verarbeiten, wur-
den seit der Mitte des 13. Jahr-
huuderts in manchen nord- und
süddeutschen Städten Kommissionen
niedergesetzt, die nun das gesamte
öffentliche und Privatrecht zu einem
Stadtrechte zusammenstellten; das
geschah z. B. in Augsburg unter
Gestattung König Rudolfs im Jahre
1276, in Strasburg 1322. Neben
den eigentlichen Stadtrechten gab es
in manchen norddeutschen Städten,
wie Bremen, Hamburg, Lübeck,
Wismar, Stendal, sogen. Bauer-
sprachen, welche diejenigen polizei-
lichen Vorschriften enthielten, nach
denen sich jeder Bürger zu richten
hatte und die jährlich zur Nach-
achtung verkündet wurden. Seit
den Zeiten der Zunft im ruhen wur-
den sogen. Friedensbücher verfasst.
Stobfje, deutsche Rechtsquellen I,
50.
Stadtschreiber, Syndici, kamen
seit dem Eude des 14. Jahrhunderts
. dadurch auf, dass die Städte eigent-
I liehe Rechtskonsulenten in i hren
, Dienst nahmen, welche auch zugleich
Beisitzer des Stadtgerichtes waren.
Sic brachten das römische Recht
nicht bloss in die Urteilssprüche
hinein , sondern vermittelten auch
seine Aufnahme in das Stadtrecht,
dessen Redaktion hauptsächlich ihnen
überlassen war. Manchmal geschah
es, dass Männer, die bisher auf
Universitäten doziert hatten, zu dem
Amte des Syndikus berufen wurden;
namentlich gab sich Nürnberg Mühe,
berühmte Männer als Rechtsbeistand
zu erhalten.
Stahl, lat azarum, stalum, ver-
wendeten und kannten schon die
Alten uuter den Namen „chalyb-
disches Erz". Die Bereitung des-
selben war jedoch der deutschen
Werkstätte, obwohl sie ihn kannte,
zu umständlich. Noch im 12. Jahr-
hundert bezog sie ihn zum grössten
Teil aus Indien.
Stünde, LundstUnde. Neben
den grossen Gerichtsversammlungen,
den lanttädingen oder lanttagen, die
sich bis ins 13. Jahrhundert erhielten
und regelmässig auch von den Landes-
herrn oenutzt wurden , um mit den
Landsassen über Landesangelegen-
heiten zu verhandeln, finden sich in
den grössern Territorien, den Herzog-
tümern und Fürstentümern, in wel-
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944
Stauchen. — Stein-, Erz- und Eisenalter.
chen Bischöfe, Grafen und andere
Landesherra sassen, in Nachbildung
der Reichstage Hof tage, durch den
Herrn berufene Versammlungen der
(Brossen des Landes, auf welche der
Name Landtag von jenen allmählich
aussterbenden Gerichtsversamm-
lungen überging. Die hauptsäch-
lichsten Verhandlungsgegenstände
waren, ausser den vor dieselben
gehörigeu, Lehnrechtsachen, An-
ordnungen und Einrichtungen, die
zi im Vollzüge der Reichsschlüsse
notwendig waren, Aufbringung der
Mannschaften und Kosten der Reichs-
kriege, sowie überhaupt die Kosten
der Landesregierung. Denn da der
Ertrag der herrschaftlichen Güter
und der Regalien nicht mehr wie
früher zurBestreitungdes Regimentes
ausreichte, galt es allerlei, anfangs
ausserordentliche Beihilfen , später
regelmässig wiederkehrende Steuern
zu bewilligen, deren Grösse oder Art
der Herbeischaffung Gegenstand der
Verhandlung wurde. Seit dem 14.
Jahrhundert fingen die Landstände
(der Name erscheint im Mhd noch
nicht und mag wohl erst später aus
dem franz. etat* übersetzt worden
sein; der alte Name ist lantherren)
an, sich über ihre Rechte und Frei-
heiten von den Landesherrn urkund-
liche Zusicherungen erteilen zu lassen ;
schlössen auch unter einander zur
Wahrung ihrer Rechte und Frei-
heiten Bündnisse. Gewöhnlich teilten
sie sich in drei Kurien: Prälaten,
Ritterschaft und Städte: in Tirol
und Württemberg kamen noch Abge-
ordnete des Bauernstandes nach
Ämtern hinzu. Jeder Stand beriet
und bc8chlos8 für sich, und es
brauchte erst gegenseitiger Verhand-
lungen, um zu einem gemeinsamen
Schlüsse zu gelangen. Seit dem 17.
Jahrhundert behaupteten sie sich
nur in wenigen Territorien in voller
Bedeutung.
Stauchen trugen die Frauen des
15. Jahrhunderts bei ihren häus-
lichen Arbeiten über den üblichen
kostbaren Kleidern. Sie bedeckten
besonders die Arme als eine Art
Übe rärmel.
Der Name bezeichnet auch den
Brechkragen oder St
den Achselstücken der
rüstung.
Stäup oder Stauf, lat. staupn*,
stopus, »toupus. Der Stäup ist ein
Tnnkgefass, das im früheren
Mittelalter neben dem Becher, dem
Kelch, der Justa, Füll, Ker
oder Kar und den Hörnern viel ge-
braucht wurde. Daneben führten
namentlich Reisende die L*d*rfta$cke
(UdrfUukaJ mit sich. Streitbare
Männer bereiteten sich (im Norden I
nach heidnischem Brauch wohl auch
noch eine Trinkschale aus dem
Xchädelknochen eines erschlagenen
Feindes.
StaupsKule, Schandpfahl, Pran-
ger, hiess die Säule, an der gemeine
Verbrecher ausgestellt und gestäupt,
d. h. mit Ruten gegeisselt wurden.
Stecher zur leichteren Lösung
des Schneppers im Schloss der
Feuerwaffen kennt man seit 1543.
Sie wurden in München erfunden.
Stein-, Erz- und KNen alter.
Um die Mitte der dreissiger Jahre
kam in Deutsehland und noch mehr
in Dänemark, hier namentlich durch
C. J. Tkonum, den Direktor des
Museums für nordische Altertümer
in Kopenhagen, die Ansicht auf,
dass sich die germanischen Alter-
tümer vorchristlicher Zeit in drei
grosse strenggeschiedene Gruppen
abteilen Hessen, deren bestimmende
Merkmale in dem verschiedenen
Material der Waffen und Werkzeuge
aus Stein, Erz und Eisen zu erkennen
seien ; diesen drei Kulturperioden
sollten wenigstens für das Nord-
uud Ostseegebiet ein dreimaliger
Wechsel derWaldvegetation (Tanne,
Eiche und Buche} und drei ver-
schiedene Völker mit ebenso vielen
Haustieren entsprechen. Man ist
seitdem zu der Überzeugung gelangt,
dass dieses Dreiperiodenaystem nur
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Stein-, Erz- und Eisenalter.
945
mit grosser Vorsicht anzunehmen
sei: mit der Entwicklung von Einzel«
Völkern steht es nur insoweit im Zu-
sammenhang, als Gerate aus Knochen
und Stein eben eine durchgehende
Grundlage des gesamten vorge-
schichtlichen Kulturstandes sind und
ebenso überall der Übergang von
Stein zum Eisen durch die Mittel-
stute der Bronze geht; es können
also sehr verschiedene Völker sich
gleichzeitig desselben Materials und
umgekehrt Abteilungen desselben
Volkes je nach besondern Umständen
sieh gleichzeitig eines verschiedenen
Materials für ihre Waffen und Ge-
räte bedient haben; um die Objekte,
welche Zeugen dieser ältesten Zeit
sind, in ihrem Zusammenhang zu
beurteilen, genügt es nicht allein
auf den Stoff zu sehen; auch der
Fundort, die Form, begleitende
Überreste der Pflanzen und Tierwelt
müssen mit herbeigezogen werden.
Dennoch ist es von Wert, im Material
ein bequemes, leicht erkennbares
Unterscneidungsmittel zu besitzen.
I. Steinzeit. Am allerwenigsten
lässt sieh über jene Menschen etwas
Geschichtliches vermuten , deren
Steingeräte den Zeitaltern des Mam-
mut und des Renntieres angehören;
menschliche Geräte der Mammut zeit
hat mati namentlich im Thale der
Somme (Pikardie) und in Höhlen
Frankreichs, Belgiens und Steier-
marks entdeckt; reicher sind die
Überreste der Renntierzeit vertreten
und zwar ebenfalls in Süd-Frank-
reich, Belgien und ausserdem in
Schwaben, der Schweiz, Bayern,
Westfalen und Mähren; der benutzte
Stein ist meist der Feuerstein oder
Flint; vermittelst seiner wurden so-
gar Tierbilder in Schieferplatten,
auf Renntierknochen, auf Geweih-
stüeke eingeritzt; doch findet man
auch andere Steine benutzt, Gneis,
Diorit, Serpentin, Nephrit, harte
Rollkiesel u. .a. Die Gegenstände
bestehen aus roh zugeschlagenen
Steinen, ohne jeden Versuch eines
Reallexfoon der deutschen Altertümer.
Schliffs, oder aus eben so roh be-
arbeiteten Horn- und Knochen-
stücken. Doch erkennt man bereits
Steinäxte, Steinmesser, steinerne
Lanzenspitzen und Pfeilspitzen.
Eine jüngere Steinzeit, deren ge-
schichtlicher Zusammenhang aber
meist ebenfalls sehr dunkel ist,
charakterisiert sich durch geglättete
oder geschliffene Steingeräte»
In diese Periode gehören: a)
der sogenannte Kjökkenmoddinqer,
d. h. Küchenmoder aus Dänemark.
Es sind das terrassenförmige* Bänke
an der Meeresküste von 30 bis 500 m
Litnge, 6 m Breite und 1 bis 2 m
Höhe. Sie bestehen unter einer
Decke von Rasen und Rollstein aus
Muschelschalen, Gräten, Knochen,
Asche, Kohlen und Geräten von
Kieselstein, Horn und Knochen.
Ausser in Dänemark findet man
ähnlichen Abhub an der Rhone-
mündung, am Golf von Genua, an
den Küsten Südamerikas. — b) Torf-
moore in Dänemark, Schweden, im
Thal der Somme. - c) die I fahl-
bauten, siehe den besonderen Artikel.
— d) Steinhaufen. Dahin gehören
die sogenannten Bohnen oder Stein-
tisehe, auch Kromleh oder Mensir
genannt, grosse aufgerichtete Steine,
die zum Teil in Kreise zusammen-
gestellt sind und auf denen ein
riesiger Stein gleich einer Tisch-
platte ruht. Hir Ursprung liegt
gänzlich im Dunkeln; dass es keine
Druidenaltäre sind, ist erwiesen;
wo man Steingeräte darin findet,
gehören dieselben den polierten
feinen an. Man findet sie über
den ganzen Westen und Südwesten
von Frankreich, und bis an die Ost-
see, in Dänemark, Schonen und
Westgotland, südlich bis Thüringen
und Schlesien, auch die britischen
Inseln sind reieh daran. Sie sehei-
nen in Zusammenhang zu stehen
mit den dänisch-schwedischen Gang-
gräbern oder Riesenkammern, in
welchen die Toten sitzend oder
liegend beigesetzt wurden.
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Stein-, Erz- und Eisenalter.
Die Waffen der zweiten Stein- sind die Pfahlbauten, die sogenannten
periode sind die Axt, welche mehr Taramaren, d. h. ausgetrocknete
Keilform hat und zum Spalten dient; künstliche Wasserbecken in den
das Beil, an der Schneide minder Provinzen Parma. Moden i und
breit und nur an einer Seite schräg j Reggio.
angeschliffen, da es zum Bebauen Die Elastizität der Bronze war
dient; Do/che und Messer, Pfeif- damals auf einen Grad gelangt, der
spitzen , Meissel. Die Befestigung seitdem nicht mehr erreicht worden
der Steinklingen am Grifft? geschah ist. Überall dauert der Gebrauch
teils durch Festbinden mit Sehne der Steiuwaften wahrend der Broiize-
oder Bast, teils durch Einkleben zeit fort und ragt noch tief in die
mit Erdpech und ähnliehen Stoffen, Eisenzeit hinein; Gewohnheit, er-
teil« durch Einklemmeu. erbte Fertigkeit, das Beispiel der
II. Bronzezeit. Das erste Metall, Vorfahren, Mythus und Aberglaube
das die Menschen in ihren Gebrauch waren dabei wirksam. Bei Hartings
zogen, war unstreitig das gediegen fochten im 11. Jahrhundert Dänen
vorkommende Gold. In zweiter und Sachsen ausser mit eisernen
Linie steht das ebenfalls gediegen Waffen mit solchen von Stein, noch
vorkommende Kupfer, das sich später die heidnischen Preussen
durch Schlagen mit Steinen in jede gegen die deutscheu Ordensritter,
gewünschte Porm bringen Hess; es Auch erkennt man den Einfluss
gab Völker, z. B. in Mesopotamien metallener Geräte deutlich an der
und am Nil, welche vom Gebrauche kunstvolleren Herstellung der metal
der Steinwaffen zu den Kupferwaffen lenen Vorbilder,
übergingen ; häutiger ist aber die j Die eherne Streitaxt kommt als
Anwendung der durch Schmelzung Celt . als Paalstab und als eipent
gewonnenen, aus 90 Teilen Kupfer liehe Axt vor. Die Celle dienten
und 10 Teilen Zinn bestehenden sowohl zum Nahkampf als zum
Bronze. Die Anwendung dieses Wurf; sie haben die Form eines
Metalls hatte in verschiedenen Ge- i Keils, sind aber nach dem Rücken
genden ohne Zweifel sehr verschie- hin gerundet und zur Aufnahme
aene Dauer. Wahrscheinlich kam eines Schaftes ausgehöhlt ; die etwas
die Kenntnis der Bronze sowohl breiter werdende Schneide ist scharf
durch eingewanderte, erobernde zugeschliffen. Viele sind mit einer
Stämme, als durch Handelsverbin- j Öse versehen, durch die man einen
düngen nach Europa; die Form der Riemen knüpfte, mit welchem man
Verzierungen, die Kürze der Schwert- die Klinge dem Stiele sicher ver-
griffe mancher Bronzegegenstände band. Die Klingen der PaaUt.^he
lassen vermuten, da^s u. a. phöni- zeigen die Gestalt des Meisseis, der
zische Händler ihre Waare nach nach der Schneide zu breiter wird;
Europa brachten. Doch mangelte rückwärts befinden sich zwei Schaft-
es hier nicht, wie die zahlreich vor- läppen zur Befestigung an den Holz-
gefundenen Gussformen beweisen, stab, mit dem sie durch eineSehnürung
an eigenen Bronzewerkstättcu. Am verbunden sind. Unter dem Namen
reichsten trat diese Industrie in den fratnea ist das die älteste National-
nördlichen Gebieten auf, welche ihr waffe der Germanen. Die eigent-
Zinn und zum Teil ihr Kupfer leicht liehen Streitäxte zerfallen in solche
von den Scilly - Inseln und der be mit einfachem Schaftloch, in solche,
nachbarten Küste von Cornwall be- welche mit Schaftröhren versehen
kommen konnten, in Dänemark, sind und in Doppeläxte; die be-
Schweden, Norddeutschland ; andere rühmtestc Form der einfachen Axt
Fundstätten minderen Reichtums ist die dorfranrisca, die zweischneidig
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Stelzsehuhe. — Sternbilder.
947
und kurzstielig sich sowohl zum Ge-
brauche in der Faust als zum Wurfe
eignete. Streitkolben und Stachel-
knöpfe von Bronze haben auf einer
gegossenen, über einen Holzschaft
geschobenen Hohlwalzc mehrere
Keinen von Stacheln. Die Lanzen-
spitzen der Bronzezeit haben ge-
wöhnlich die Form eines Weiden-
blartes mit starkem Mittelrücken und
sind zur Befestigung mit Schaftröhre
oder mit Angeln versehen. Bronzene
Pfeilspitzen sind selten, der Flint-
stein genügte hier vollständig; die
Erzmesser sind im Gegensatz zu
den steinernen Messern einschneidig.
Als eine ganz neue Waffe erscheint
ietzt das Schwert, dessen ursprüng-
liche Form wahrscheinlich die ein-
schneidige ist, wahrscheinlich die-
selbe Waffe, die bei den Germanen
scramasajc hiess. Später entwickelt
sich die schlanke zweischneidige
Form des eigentlichen Schwertes;
seine Klinge nat die Gestalt eines
Schilf blattes , nimmt also nach der
Mitte an Breite zu und läuft spitz
aus; der Griff ist nie länger als
2,5 Zoll und in der Regel mit Spiral-
und Zickzackverzierungen ge-
schmückt. Kaum vom Schwert zu
trennen ist der zweischneidige
Dolch. Seltener als die Angriffs-
waffen sind Schutzwaffen aus Bronze:
Helm, Schild und Panzer. Auch
Schalen von Bronzeblech sind zahl-
reieh und weitverbreitet gefunden wor-
den, dann Hängeurnen mit glocken-
förmigem oder plattem Deckel.
Erst das Metall gab sodann Ver-
anlassung, die Kunst, welche Waffen
herstellt, zugleich zu Gegenständen
für die Frauenarbeit und nament-
lich für Schmucksachen zu verarbeiten.
Überall erscheinen Nähnadeln, Arm-
und Fingerringe, Knöpfe, Haar-
nadeln und Kämme; um vieles reich-
haltiger ist der Bronzeschmuck der
nordischen Länder; hier erscheinen
Diademe, Kopf-, Hals-, Arm- und
Fingerringe, Agraffen, Fibeln, Ge-
wandnadeln.
III. Eisenzeit. Auch der Anfang
des Eisern bleibt in Dunkelheit ge-
hüllt Dass die alten Germanen die
Anwendung dieses Metalles gekannt,
davon zeugt die Bedeutung und
Ehre, welche die Schmiedekunst und
die Schmiede bei ihnen hatten; es
ist die einzige Handarbeit, die von
Anfang an eines freien Mannes
würdig erachtet wurde; auf die frühe
Stahlbcreitung deutet die Sage vom
Schmied Wieland, der sein Schwert
zerfeilte, die Eisenfeilspähne mit dem
Mehlbrei seinen Gänsen zu fressen
gab, den Gänsekot ausglühte und
von dem zurückbleibenden Eisen-
staube das schärfere Schwert schmie-
dete; in den tierischen Exkrementen
ist, wie auch andern Völkern früh
bekannt wurde, Stählung wirkender
Kohlenstoff enthalten. Mit der Er-
findung des Eisens wird das Schwert
die Hauptwaffe. Nordische Alter-
tumsforscher wollen zwei, einzelne
sogar drei Perioden des Eisenzeit-
alters unterschieden haben. Jahns ,
Geschichte des Kriegswesens, S. 1
bis 14. — Baer und Hellwald, der
vorgeschichtliche Mensch, Leipzig
1874.
Stelzschuhe wurden namentlich
von Leuten kleiner Statur im 15.
und 16. Jahrhundert viel getragen
und zwar bis zu zwei Fuss Höhe.
Sie erhielten sieh bei den Vornehmen
weniger lang, weil der Bürgerstand
sich uirer bald bediente, und fielen
dann auch um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts zum zweitenmal aus aller
Gunst durch die Courlisane, die sie
über alles Mass aufbauschten.
Sternbilder. Die Aneignung der
griechischen Sternnamen wurde von
den alten Kirchenlehrern als etwas
heidnisches bekämpft; höchstens,
doch auch nicht unwidersprochen,
werden die Sternbildernamen des
Buches Hiob nach der Scpfuaainta:
Pleyaden, Arcturus und Orion und
aus der Vulgata die Hyaden zuge-
lassen. Am meisten Beachtung
fanden die Sternbilder des Tier-
60*
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948
Steuerwesen.
kreise* , welche doch von einigen tumliche Stembenennungen kennt
Kirchenlehrern ebenfalls für ein man, wie Jakobsstrasse für die Milch-
Werk der Dämonen erklärt wurden. Strasse, Jakobsstab für die drei
Sonst ging sowohl die mythologische | Sterne im Gürtel des Orion. In
als die natürliche Erklärung der neuerer Zeit haben u. a. Wilhelm
Tierkreiszeichen auf das Mittelalter Schichard, Professor der Mathematik
über. Während die Kunstvorstellung und der orientalischen Sprache zu
der Sternbilder in »1er altchristlichen Tübingen 16J3 und Garsaörjter um
Kunst sich nicht sicher nachweisen 1656 den Versuch gemacht, aie hcid-
lässt, findet sie sich häufig seit dem nischen Namen durch christliche zu
9. Jahrhundert in Malereien und ersetzen, tiyer, Mythologie der
Skulpturen, sowohl lediglich als i christlichen Kunst. II. 276 — 310.
astronomisches oder Kalender- i Steuerwesen. Die alten Ger-
Bild, als im Zusammenhang christ- ' manen wussten von Steuern nichts ;
lieber Gedanken. Deu Tierkreis- dagegen war Sitte, dass sie ihren
zeichen der Kalenderbilder sieht Fürsten Geschenke darbrachten als
man häufig eine menschliche Figur Zeichen der Ehrfurcht und des
beigesetzt, was auf eine alte astro- Dankes. Solche Geschenke dauerten
logische Lehre des Altertums und in mehrfacher Anwendung noch
alter Kirchenlehrer zurückgeht, wo- lange fort; entweder machte man
nach den zwölf Zeichen des Tier- sie dem König aus persönlichen
kreises eine Wirksamkeit auf den Gründen, zur Unterstützung einer
Leib des Menschen zusteht, und Bitte, zur Erlangung eines Amtes,
zwar auf die einzelnen Leibesglieder bei Gelegenheit einer in der könig-
verteilt, so dass z. B. dem Widder liehen Familie gefeierten Hochzeit;
der Kopf, dem Stier der Rachen, oder es waren jährliche, fest be-
den Zwillingen die Schultern, dem stimmte oder frei gewählte Gaben,
Krebs die Brust eigen sind. Aus die man anfangs an die Märzver-
dieser menschlichen Figur ist der i Sammlungen brachte, später bei
Aderfassina tut abgeleitet. Im Zu- anderen Terminen, an Weihnacht
sammenhang christlicher Gedanken oder Neujahr; namentlich wurden
findet man Skulpturen der Stern- geistlichen Stiftern solche Geschenke,
bilder im Innern der Kirchen und in Rossen und Waffen bestehend,
an Portalen, als Bild des Himmels als Leistung auferlegt. Geschenken
und der ganzen Welt, oder als Bild letzterer Art ähnlich sind die Tribute,
des Jahres und seiner zwölf Monate, welche ein unterworfener Y'olksstamm
Auch als Häuser der Matteten, deren oder Fürst dem Herrn zu bezahlen
Lehre chaldäischen Ursprungs ist, hatte. Diese Leistung hiess steora,
sind die Tierkreisbilder in der Regel Steuer oder ttuofa und bestand eben-
in den s. g. Planetentolgcn abge- falls aus Naturalien: Rindern,
bildet. Pferden. Lämmern, Hühnern, Eiern,
Schon früh hat es nicht an Ver- Honig, Gewändern, Holz, teilweise
suchen gefehlt, die heidnischen auch in Geld; ob aber zu dieser
Sternbilder durch christliche zu er- Steuer alle, z. B. die Thüringer,
setzen, am häufigsten so. dass man Sachsen , Alemannen verpflichtet
mit Beibehaltung der Figuren nur waren, ist nicht deutlich. Bei einer
die Bedeutung änderte, in dem man Landesuot wurden auf die Stifte,
die Namen einen christlichen Sinn Klöster, Grafen und königlichen
unterlegte und sie auf Geschichten Vasallen ein Tribut ausgeschrieben,
des Alten oder Neuen Testamentes kraft dessen sie von ledern ihrer
bezog. Beda soll dies zuerst gethan Haupt- und Xcbcnhöfe ein Be-
haben. Auch einige deutsch-volks- stimmtes zu zahlen hatten; Juden
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Steuerwesen.
949
mussten dann einen Zehnten, Han-
delsleute ein Elftel entrichten; sonst
aber bestand noch in der Zeit der
Karolinger «1er altgermanische
Grundsatz, dass der Freie weder
von seinem Lande noch von seiner
Person eine Abgabe zu entrichten
habe. Die Einkünfte des Königs,
welche eins waren mit denjenigen
des Reiches, bestanden im Ertrage
der königlichen Güter, der Friedens-
gelder und Bannbussen, aus den
Häufigen Konfiskationen, der Ein-
ziehung erbloser Güter, dem Tribut
fremder Völker, der Kriegsbeute;
dazu kamen Zölle, Weg-, Brüeken-
umi Fahrgelder auf den öffentlichen
Wegen und Flüssen, der Ertrag des
Münzwesens und zahlreiche Natural-
leistungen des Volkes für besondere
öffentliche Zwecke. Dahin zahlten
o>r Unterhalt der öffentlichen Wege,
Schleusen und Brücken, der Aufent-
halt, den man königlichen Gesandten
zu leisten hatte, Leihung von Pferden
und Fuhren derselben, zahlreiche
Naturalleistungen, die das Kriegs-
wesen mit sich brachte.
Ausserordentliche Beiträge, Bei-
hilfen für verschiedene besondere
Anlässe waren es, aus denen sich
allmählich der Begriff der öffent-
lichen Steuer entwickelte. Solcher
iVatur waren die Zahlungen ab-
hängiger Leute an ihren Herrn
wegen nicht geleisteten Kriegs-
dienstes, die lieersteuer, ahd. he-
risfiura, mhd. herstiure, siehe den
Artikel Heerwesen. Ahnlicher Art
sind in Bischofsstädten Zahlungen
au den Herrn als Beihilfen zur
Heer- und Hof-Fahrt. Andere Bei-
hilfen sind zwar dem Namen nach
freiwillig, werden auf Bitten gege-
ben, daner die Namen petitio, pre-
airia, betfa, bete, bede, aber die
Bitte wurde oft strenge Forderung
und durchaus regelmässig. Ab-
hängige Leute verschiedenen Stan-
des unterliegen diesen Forderungen,
in den geistlichen Stiftern regel-
mässig von seiten der Vögte ; Freie
unterlagen solchen Forderungen in
der Regel nicht. Auch die Könige
brachten es vorderhand nur zu
ausserordentlichen Beihilfen; als
dazu verpflichtet galten vor allem
die von alters her zu solcheu
Leistungen verpflichteten geistlichen
Stifter; neu kamen jetzt die Städte
hinzu und zwar musste ein solcher
Beitrag, dem ohne Zweifel andere
zur Bestreitung gemeinsamer Be-
dürfnisse zur Seite gingen, von den
Angehörigen der Stadt aufgebracht
werden. Eine eigentümliche Abgabe
ist das in den Städten aufgekom-
mene unweit, eine Abgabe von Ein-
fuhr und Verkauf der Lebensmittel,
eine Zehr- und Verbrauchssteuer;
die Bürger nannten sie, weil es
dafür keinen Rechtsgrund gab, wm-
(jdt, d. h. was man nicht schuldig
ist, indebitum; später wurde das
Wort entstellt zu umhgclt* noch in
der Schweiz als Ohmgelt erhalten.
Es wurde anfangs, doch ohne Er-
folg, von Reichs wegen verboten.
Seit dem 14. Jahrhundert ahmten
Landesherrn in ihren Territorien
diese Steuer nach.
In den Städten nun und in den
landesherrlichen Territorien ent-
wickelten sich die eigentlichen re-
gelmässigen Steuern. Wie die Um-
lage verteilt wurde, war verschieden;
an einigen Orten nach dem Ein-
kommen, an anderen nach dem
Kapitalvermögen, in den Städten
nach den Häusern und dem beweg-
lichen Vermögen; auch ein Grund-
zins von jeder überlassen- Bau-
stelle kam häufig vor. Daneben
blieb, wie früher dem König, so
jetzt dem Landesherrn vorbehalten,
zu ausserordentlichen Bedürfnissen
ein notbete zu verlangen, bei drän-
gender Kriegsnot, zur Auslösung
aus der feindlichen Gefangenschaft,
zur Tilgung von Schulden, zum
Besuche der Reichstage und des
Hof lagers, zu einem Römerzug, zur
Ausstattung einer Tochter, zu den
Festlichkeiten des Ritterschlages
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950
Strafen
der Söhne. Seit dem 15. Jahrhun- rat, Übergang zum Feind, Feigheit
dert war die Einführung neuer oder oder Flucht, mit dem Tode be-
die Erhebung bestehender Steuern i straft, alle übrigen durch J'ermö-
an den Beirat oder die Bewilligung genshussen gesühnt. Neben der Straf-
der Landstände gebunden; dieses gewalt der Gemeinde stand das
geschah dann auf gewisse Jahre | Fehderechf der Familie, dessen kräf-
oder auf unbestimmte Zeit unter tigster Ausdruck die Blutrache war.
den Namen Schätzung, Geschoss, Von den Vermögensbussen fiel ein
Kontribution, und es wurden ent- Teil, Komposition oder Busse ee-
weder die steuerpflichtigen Personen nannt, an den Verletzten zur Ge-
oder Güter unmittelbar nach ihrem nugthuung für das erlittene Un-
Vermöcen oder Ertrage besteuert, recht, der andere Teil, der Fredum
oder die ganze Summe nach be- oder Wette hiess. an das Gemein-
stimmten Quoten auf die Prälaten, wesen zur Sühne des verletzten
Kitterschaft, Städte und gemeine . Friedens; später trat noch der Bann
Landschaft verlegt. als Sühne des verletzten Königs-
Nachdem mit der Zeit die ur- friedens dazu. Besass der zu Büs-
spriinglichen Reichseinküufte fast I sende kein Vermögen, so büsste er
ganz aufgehört hatten, kamen im durch körperliche Züchtigung oder
15. Jahrhundert für vorübergehende musste dem anderen seinen Leib
ausserordentliche Bedürfnisse Reichs- für die Schuld verpfänden oder sich
steuern auf. Die eine Form der- ihm in Knechtschaft ergeben oder
selben war die Ausschreibung eines endlich, wenn nicht Verwandte und
gemeinen Pfennigs auf alle Ein- ' Freunde für ihn eintraten, mit dem
wohner des Reichs, nach dem Ver- ] Leben herhalten. Sklaven oder leib-
hältnis ihres Vermögens, die andere eigene Knechte lagen durchaus in
ein den Reiehsständeu auferlegter der Gewalt des Herrn.
Anschlag, der dem Kontingent je- Mit der Zeit nahm das Straf-
des Standes entsprach; seit 1535 recht eine andere Richtung an. Für
geschah der Anschlag so, dass die die römische Bevölkerung der ger-
zu Worms 1521 für den beabsich- manischen Reiche blieb das rö-
tigten Römerzug entworfene Mann- mische Strafrecht in Anwendung;
sthaftsmatrikel zu Grunde gelegt das Christentum, das den Grand
wurde, wornach der Fussknecht zu der Strafe auf den Begriff der Ge-
vier, der Reisige zu zehn Gulden rechtigkeit und dessen Zusammen-
monat/ich angeschlagen war; das hang mit der sittlichen Weltordnung
Geldkontingent für eine monatliche zurüekführte und zum Teil das
Lösung hiess Romermonat. Die mosaische Recht anerkannte, dann
einzige stehende Reichssteuer war die höhere Vorstellung von den
die von den Reichsständen seit 1548 Pflichten des königlichen Amtes,
zum Unterhalte des Reichskammer- endlich das Bedürfnis, die allge-
gerichtes übernommene. Die Römer- meine Ordnung und Sicherheit durch
monate und die letztgenannte Steuer Strafen zu stärken, alles dies rief
wurde in den einzelnen Territorien ein auf harte Lebens- und Leibes-
auf die Unterthanen verlegt. Waitz, strafen gebautes Strafrecht hervor.
Verfassungs^eschichte und Walter, Dasselbe bildete sich vorherrschend
Rechtsgeschichte. lokal und zum Teil willkürlich aus,
Strafen. In altgermanischer Zeit und erst seit dem 15. Jahrhundert
ging die Ausübung der Strafgewalt wurden in Deutschland, beeinflusst
vom obersten Gericht, der Gauver- von der italienischen Jurisprudenz,
Sammlung aus; doch wurden nur zusammenhängende Systeme ver-
tue schweren Verbrechen, wie Ver- sucht.
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' Strafen.
951
Was die besonderen Strafen be-
trifft, so sind zu unterscheiden:
A . 1 'erm vgeu »straf ?n .
1. Komposition oder Wergel 'd,
Vgl. den Art. Wergeid.
2. Das Fredum oder die Wette
war das Strafgeld, das zur Sühne
des verletzten t riedens ursprünglich
an das Volk, später an den König
entrichtet wurde. Komposition und
Fredum gehören zusammen, so zwar,
dass in jener der Begriff der per-
sönlichen Genugthuung, in diesem
der Begriff* von Strafe vorherrscht.
Die Grösse des Fredum betrug
gewöhnlich ein Drittel der Kom-
position.
3. Der Bann ist die Busse,
welche wegen des Ungehorsams
gegen ein königliches Baungebot
zu entrichten war; sie betrug re-
gelmässig 60 Solidi. Wer die Bann-
usse nicht zahlen konnte, erhielt
tJO Hiebe.
4. Konfiskation des Vermögens
war ursprünglich immer mit der
Friedlosigkeit verbunden , später
kam sie in der Verbindung mit der
Verbannung oder der Todesstrafe
oder auch selbständig vor.
B. Lehens- und Leihesstrafen.
I. Die Todesstrafe. Tacitus
Germ, erwähnt zweier bei den
Germanen angewendeter Todesstra-
fen, des Aufhängens und des Ver-
8eukens in Moor und Sumpf; es
ist kein Zweifel, dass noch andere
Todesstrafen daneben bestanden
haben, welche aber, wie dies auch
später vorkam , nach jeweiliger
liechtsanschauung und der beson-
deren Sitte eines Volksstammes
verschieden waren. Fand auch eine
gewisse Beziehung statt zwischen
der Natur des Verbrechens und
der Art der zu wählenden Todes-
strafe, so war doch der Sitte und
Willkür in diesen Zeiten hier ein
grosser Spielraum gelassen.
1. Enthaupten scheint die ge-
wöhnlichste Todesstrafe gewesen zu
sein; die Enthauptung geschah mit
Barte und Schlegel: der Verurteilte
legte seinen Hals auf einen Block,
die Barte (Beil) wurde darüber ge-
halten und mit dem Schlegel ein
Schlag gethan. Die Anwendung des
Schwertes scheint edler und krie-
§erischer. Alte Sitte scheint es,
ass das gefallene Haupt in die
Höhe gehoben und gezeigt oder
auf einem Sneer umhergetragen
wurde. Alle übrigen Strafen schei-
nen mehr ab qualifizierte gegolten
zu haben, die bei solchen Ver-
brechen zur Anwendung kamen,
wo neben der unrechten Gewalt
auch eine böse und niedrige Ge-
sinnung vorhanden war.
2. Die weitverbreitetste, am
meisten übliche von diesen scheint
da* Hängen gewesen zu sein, nach
alten Formeln: in der Luft reiten,
die Luft über sich zusammenschla-
gen lassen, den Ast bauen, den
dürren Baum reiten. Uralt ist und
in alten deutschen Mundarten ver-
breitet das Wort ahd. ga/go, Gal-
gen; ausser dem Galgen benutzte
man bestimmte lautlose Bäume
oder, wenn diese ausstarben, ein-
gerammelte Stämme und Pfähle.
Statt der hänfenen Seile drehte
das einfache Altertum Zweige von
frischem, zähem Eichen- oder Wei-
denholz, mhd. rCr, vif (Holz) und
wide. Uralte Sitte scheint Verhül-
lung des Antlitzes, oft mit einem
schwarzen Tuch. Das Gesicht des
Verbrechers wurde nach Norden
gerichtet. Die Strafe wurde meist
in der Art vollzogen, dass der Tod
sogleich beim Aufknüpfen selbst
erfolgte. In der Schaustellung des
Missethäters lag ein erschwerendes
Moment dieser Strafe, daher der
Galgen an offener Heerstrasse oder
bei einem Scheidewege aufgestellt
wurde; höher hängen war noch
eine besondere Erschwerung. Eine
altertümliche Erschwerung der Gal-
genstrafe war es auch, dass Wölfe
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952
Straten.
oder Hunde neben dem Verurteil- j lieh das heimliche Wegthun, das
ten aufgehängt wurden. Hängen Entziehen eines ehrlichen Begräb-
war die eigentliche Diebstablsstrafe. nisses in Betracht kam.
Frauen sollten nicht gehängt wer- 7. Ertrunken war vorzüglich Strafe
den, sondern statt dessen dem Ver- der Frauen und Zauberinnen. Das
brennen, Ertränken und Steinigen Schwimmen der Ertränkten zu ver-
unterliegen. Sonst gilt Hangen hindern, band man ihnen Steine,
nächst der Hinrichtung im Verhält- Mühlsteine um den Hals; erschwert
nis zu den anderen üblichen Todes- wurde die Strafe dadurch, dass man
strafen als minder harte Strafe. die Missethäterin in einem Sack mit
5. Söder» oder Radebrechen, aufs I Hund, Ratze und Schlange zusam-
Rad legen, kommt ebenfalls sehr men ertränkte,
früh vor. Die Strafe bestand darin, ' Die übrigen Todesstrafen sind
dass die Glieder des Missethäters j seltener erwähnt und nieht allge-
mit einem Rade zerstossen, der Ver- mein angewendet worden :
urteilte mit zerbrochenen Gliedern ' 8. Ausdärmen galt für Baum-
aufs Rad geflochten und so auf schäler und Pflugräuber,
einem Pfahl oder Galgen ausgestellt 9. Fleischsehneiden aus der Brust
wurde. Grimm vermutet, dass das ist Strafe des bösen Schuldners
Zerstosseu der Glieder mit dem 10. Tierteilen, mhd. zerliden;
„ueun- oder zebnspeichigen Rade" oft geschah das so, dass einzelne
erst später entstanden und man Glieder des Missethäters an den
statt dessen früher mit einem Wagen Schweif eines wilden Rosses gebun-
über den Missethäter gefahren sei. den und zerschleift oder dass Arme
4. Das Verbrennen ist eine schon und Füsse an mehrere Pferde be-
bei den heidnischen Sachsen und festigt und diese nach verschiede-
Franken bezeugte Todesart. nament- neu Seiten hin getrieben wurden,
lieh für Zauberer und Giftmischer, Oft wird diese Strafe in den Ge-
später für Ketzer. Besonders nahe dichten des karolingischen Sagen-
lag es, die Mordbrenner selbst dieser kreises verhängt.
Todesart zu weihen: auch beim 11. Zertreten von Pferden wird
Ehebruch war diese Strafe üblich, in nordischen Sagen erwähut und ist
5. Steinigen wird in nordischen dem Zerstossen der Glieder durch
und fränkischen Quellen erwähnt. Wagen zu vergleichen; siehe oben
Der Missethäter wurde an einen 3. Kadern.
Stamm oder Pfahl gebunden und 12. Sieden, in siedendem Wasser
mit Steinen nach ihm geworfen. töten, scheint an Ketzern vollstreckt
6. Lebendigbegraben erwähnt Ta- worden zu sein.
citus Germ. 12. Später galt als 13. In ein sleuerhses, leckes Schij?
Regel, wenn Männer gehängt und setzen, kommt bloss in Liedern und
gerädert werden sollten , solle man ' Sagen vor.
Weiber „der weiblichen Ehre willen" 14. Tieren vorwerfen erscheint
lebendig begraben. Mit dieser Strafe auf deutschem Boden ebenfalls bloss
wurde noch später oftmals das in der Sage.
Treiben eines Pfahles durch den II. Lethesstrafen. Auch die An-
Leib, besonders * bei Kindesmörde- , wendung dieser oder jener Leibes-
rinnen , verbunden. Das Versenken strafe stand oft in der Willkür des
in Moor und Pfützen, das Lebendig- Richters, wobei neben der Gerech-
begraben und selbst daa Ertränken rigkeit auch Rücksichten auf die
scheinen alle fast nur verschiedene Person, deren Stand, Gefährlichkeit
Formen einer und derselben Straf- u. a. leiteten. Manche dieser Strafen
art gewesen zu sein, wobei vorzüg- konnten, gleichsam als Schär-
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Strafen.
953
fungen, mit der Todesstrafo ver-
bunden werden.
1. Verstümmelnde Strafen, wo-
durch der Missethäter eines Gliedes
oder Sinneswerkzeuges beraubt
wurde. Dahin gehören:
a) Hand- und Fussabhauen, wo-
bei rechte Hand und Unker Fuss
mehr galten als die andern; jene
führt das Schwert und schwingt den
Speer, mit diesem tritt der Mann
in den Steigbügel. Iu Waldweis-
tümern kommt oft Abhauen des
Daumens vor.
b) Blenden, sei es bloss eines, sei
es beider Augen.
c) Abschneiden der Xase, eines
oder beider Ohren oder wohl von
Nase und Ohren zugleich. Besonders
Sklaven mögen mit dieser Strafe
belegt worden sein, weil dadurch
ihrer Arbeitsfähigkeit weniger ge-
schadet wurde.
d) Entmannung. Geisseihiebe
und Entmannung waren bei den
salisehen Franken die beiden Strafen
für Unfreie; wer bei den Friesen
Heiligtümer entweiht hatte, sollte
vor der Hinrichtung entmannt
werden.
Weniger allgemeine und häufige
Strafen derart scheinen gewesen zu
sein: Ausschneiden der Zunge, be-
sonders für Verleumder und Ver-
räter, Abschneiden der Oberlippe
mit der Nase, Ausbrechen der Vorder-
zähnedem gegenüber, der den andern
beisst; Abscnneiden oder Abhauen
einzelner Finger.
2. Geisslunq oder Stäupung, Aus-
hauen des Malefikanten , der dabei
an einen Pfahl gebunden oder auf
eine Bank hingestreckt wurde, mit
Ruten, Riemen oder Stricken auf
blossem Rücken. Dadurch, dass
diese Strafe nach erfolgtem Rechts-
spruch, unter Aufsicht des Gerichts,
öffentlich geschah, unterschied sie
sich von aer blossen Züchtigung,
wie sie dem Herrn gegen seine
Hörigen und selbst gegen die in
seiner Mannschaft stehenden Fa-
milienglieder erlaubt war. Die Zahl
der Hiebe wird in alten Volks-
rcchten von 40 bis 300 gestellt.
Namentlich Unfreie mussten ihre
Missethat mit ihrer Haut büssen;
Freie wurden nur dann dieser
Strafe unterworfen, wenn sie nicht
im staude waren die Busse zu
bezahlen; erst mit der Zeit wur-
den unbedingt gewisse Missethaten
mit körperlicher Züchtigung bedroht.
Die körperliche Züchtigung zog,
wenn ein Freier sie erlitt, den Ver-
lust der Freiheit keineswegs nach
sich; dagegen scheint, gleichsam als
ein Bestandteil der Strafe selbst, das
Abscheeren der Haare damit ver-
bunden gewesen zu sein.
3. Schinden, Abziehen der Haut
mit den Haaren, eine Strafe, die
für sehr schimpflich galt; ausser-
dem war im Altertum noch ein be-
sonderes Riemenschneiden aus der
Haut als Strafe bekannt.
4. Brandmarken war nicht bloss
Strafe wegen des Schmerzes und
Schimpfes, sondern diente auch da-
zu, den einmal Verurteilten und
noch anderweitig Bestraften wieder
zu erkennen; es geschah meist durch
Einbrennen eines Schlüssels in Wange
oder Stirn.
5. Werjemanden miteinemMesser
gestochen hatte, dem sollte dasselbe
Messer vor Gericht durch die Hand
qeschlaaen werden.
6. Ünvorsätzliche Mörder wurden
im Mittelalter kirchlich angehalten,
mit schweren Ketten oder Ringen
um den Leib oder die Arme be-
lastet, Wallfahrten zu thun In
leichteren Fällen musste der Mörder
wenigstens an hohen Festen ent-
kleidet und nackt bis zum Gürtel
vor der Prozession ziehen , in jeder
Hand eine gebundene Rute, und
sich selbst schlagen, dass es blutete,
und die Bande tragen, bis sie ab-
fielen.
III. Freiheilsstrafen. \. Sklaverei.
Wer in alter Zeit einen Friedens-
brueh mit Geld zu sühnen unver-
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954
Strafen
mögend war, wurde Sklave oder wohnen, musste, wenn er ihnen auf
Höriger seines Schuldners: ja nach dem \\ eg begegnete, ausweichen,
einigen Gesetzen war es ihm sogar Mittelalterliche Formeln dafür sind
gestattet, Frau und Kinder in die einen erlös und rechtlos sagen, kün-
Hörigkeit zu geben, um für ihn die Jen, bannen, verbannen, rerfestm,
Schuld mit abzuverdienen. Nach verweisen , verschalten , verfemen.
andern Gesetzen konnte ein Misse- verzelen, aechten, einen
thäter überhaupt dem Verletzten menniglichen erlauben. Waldgang
oder Nächstbeteiligtcn in beständige hiess in ältester Zeit der härteste
Knechtschaft hingegeben werden. Grad der Verbannung, der Ver-
Dem Gi ad nach scheint die Hin- bannte Waldmann, Waldganger, auch
gäbe in Sklaverei der Todesstrafe varaus- Wolf und Räuber, * weil der
am nächsten gestanden zu haben. Verbannte gleich dem Raubtier ein
In deutschen von der Kirche beein- Bewohner des Waldes ist und gh ich
flussten Volksrechten wird auch dem Wolf ungestraft erlegt werden
Sonntagscnthciligung und Ehebruch darf. Verwiesene räumten barfuss.
mit dieser Strafe belegt. entgürtet, und einen Stab tragend
2. Verbannung. Wahrend die das Land; ihn sollte niemand be-
Flucht aus dem Lande früher eine herbergen und speisen. Die Aus-
notwendige Folge des Friedensver- Schliessung aus der Gemeinschaft
lustes war, um dadurch der ver- ging zunächst nur das engere Ver-
hängten Strafe der Tötung oder der nältnis an, die Mark, den Gau.
Hinrichtung zu entgehen, wurde die später auch die Stadt; es gab aber
Verbannung später zu einer besondern auch Verhältnisse, wo der Verbrecher
Freiheitsstrafe. Sie erscheint aber des Friedens im ganzen Volk ver-
in den Rechtsquellen mehr eine von I lustig wurde. Die Kirche setzte
dem König oaer Herzog als hoch- spater oft an Stelle des weltlichen
stem Richter in den ihm geeignet Bannes die Wallfahrt an heilige
scheinenden Fällen willkürlich, oft Örter, wobei der Verbrecher Bande
an Stelle anderer Strafarten aufer- und Kette trug. Frauen unterlagen
legte Strafe gewesen zu sein. Doch deshalb der Verbannung nicht, weil
kommt die Verbannung auch in sie nicht in der Gemeinschaft der
andern Verhältnissen vor. Wenn freien Männer standen. Landesver-
die Markgenossen oder Gaubewohner wiesene durften, wenn sie sich bei
einen Verbrecher aus ihrer Gemein- feierlichem Einzug des Fürsten an
schaft 8chliessen wollten, zerstörten dessen Wagen oder Pferd hielten,
sie ihm sein Haus: das Dach wurde sicher zurückkehren,
abgetragen, das Thor verufahlt, der 3. Gefängnisstrafe , zeitweilige
Brunnen mit Erde zugedeckt, der und lebenslängliche,' wird zuweilen
Ofen eingeschlagen. Häufig wurden erwähnt; sie kam aus den römischen
im Mittelalter die Wohnungen von eroberten Ländern, und wenn Karl
Kapitalverbrechern zerstört, abge- der Grosse befahl, dass jeder Graf
sehen von der sonst über sie ver- in seiner Grafschaft für ein ge-
hängten Strafe. In die Burg ver- höriges Gefängnis sorgen sollte,
urteilter Ritter wurde ein Kreuz ge- so fehlte es doch noch spater
rissen , d. h. die Mauer von vier oft an Aufbewahrungsorten für Ver-
Seiten her durchbrochen. Der von urteilte.
der Genossenschaft freier Männer IV. Ehrenstrafen. Diese sind in
Ausgeschlossene durfte fortan keinen der früheren Zeit mindestens selten
Umgang mit ihnen haben, den Ver- gewesen und scheinen erst mit der
sainnilungen , Gerichten und im bestimmteren Ausbildung eines Stan-
Heidentum den Opfern nicht bei- des, der auf bevorzugte Ehre An-
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Strafen.
055
Spruch machte, ausgebildet und üb- trugen Sättel. Unfreie ein Fßugrad.
hcher geworden zu sein. Frauen trugen Steine um den Jlals.
1. Widerruf und Abbitte. Wer 5. Eselritt. Eine Frau, die ihren
den anderen gescholten, ihm ein Mann geschlagen hatte , musste
Verbrechen vorgeworfen hatte, ohne rückwärts auf einem Esel reiten
es bewähren zu können, musste und dessen Schwanz haltend durch
sich öffentlich auf den Mund sehla- den ganzen Ort ziehen. Ahnliche
gen und sagen: Mund, da du das Ehrenstrafen sind, hinterrücks auf
Wort redetest, lögest du ! einen weissen Gaul, oder auf einen
2. Schimpfliche Tracht, wie das schwarzen Widder gesetzt zu werden.
Abschneiden des Haares, das Kür- 6. Dachabdeckung ist ebenfalls
zen des langen Gewandes, beides eine Strafe für den Ehemann, der
besonders bei Frauen, die ihre Un- sich von seiner eigenen Frau hat
schuld nicht beweisen konnten. raufen, schlagen und sehelten lassen.
8. l'ntersagung der Waffen und 7. Mit Jr'ech bestreichen und in
des ritterlichen Gerätes. Ein ehrloser Federn wälzen.
Ritter sollte Stiefel ohne Sporn 8. Pranger i der Verbrecher wird
tragen, ein Pferd ohne Hufeisen, an einen auf dem Gerichtsplatz
ohne Sattel und mit bastenem Zaum oder sonst öffentlich stehenden
reiten; das hiess mhd. einen von Ffahl, Block- oder Stein gebunden,
Schildes ambet scheiden und recht- angeschlossen oder eingespannt und
los sagen. Edelleuten, die sieh ver- den Blicken des Volkes ausgestellt;
gangen hatten, wurde das Tisch- dieser Schandpfahl heisst in N'ieder-
tuch zerschnitten und das Brot ver- deutschland hake, in Schwaben die
kehrt gelegt. Schraiat, in Bayern die Freche, in
4. Symbolische Frozession. Die Norddeutsehland die Fiedel , in
Missethäter mussten in demütigen- Schwaben die Geit/e. Härtere Strafe
dem Anzug, ein Zeichen der ver- ist der Schandkorh, der für Garten-
wirkten Strafe auf ihrem Hals oder \ diebe, zänkische Weiber und Ehe-
Rücken tragend, vor ihrem Herrn brecher gebraucht wurde, und das
erscheinen und eine vorgeschriebene Aufhängen im Kefich.
Strecke, gewöhnlieh bis zur Grenze t 9. Vnehrliches Begräbnis. Tote
des Gaues durchwandern, gleich- Ubelthäter und Verbreeher wurden
sam damit ihre Entehrung jeder- auf den Kreuzweg begraben und
mann im Lande bekannt würde, nicht über die Schwelle, deren Hei-
Edle und Freie trugen ein blosses ligkeit nicht entweiht werden durfte,
Schicert, Unfreie den Strang um aus dein Haus getragen, sondern
ihren Hals, zum Symbol, dass sie durch ein Loch unter der Schwelle
verdient hätten, enthauptet oder hergeschleift: so der beim Einbruch
gehangen zu werden. Missethäter ersclilagene Nachtdieb und der
trugen auch Hüten oder Besen in Ketzer, namentlich aber derSelbßt-
der Hand, zum Zeichen des ver- mörder.
wirkten Staupenschlags, wie dem Nach Wilda , Strafrecht der
ergriffenen, vor Gerieht geschlepp- Germanen, Halle 1842; J. Grimm,
ten Dieb Schere und Besen auf Rechtsaltertümer, 680 — 744; Wal-
dau Rücken gebunden wurde. Edle ter, Rechtsgeschichte. Vgl. Drewer,
Verbrecher trugen Hunde , wohl antiquarische Anmerkungen über
um anzudeuten, dass sie wert wä- < einige in dem mittleren Zeitalter
reu, gleich einem Hund erschlagen in Teutschland und dem Norden
und aufgehängt, an der Seite eines üblich gewesene Lebens-, Leibes-
Hundes aufgehängt zu werden. | und Ehrenstrafen, Lübeck 1792, und
Blosse Freie oder Dienstmannen Kriegk, Deutsches Bürgertum, I.
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956
Strafverfahren.
Abschn. XI, Kriminaljustiz und
Abachn. XII, Die Kriminalstrafen ;
Schutz, höfisches Leben, II, 149
bis 157.
Strafverfahren. In diesem Ar-
tikel sollen als Ergänzung namentlich
des Artikels Gerichtswesen einige Ge-
richtsaltcrtümer besprochen werden,
wobei besonders (trimm* Rechts-
attertiimer Buch VI, Kap. V und
VI und Walter* Rechtsgesehiehte
als Quelle lionen.
1. Ladung. Schon früh im Mittel-
alter wurde das gebotene Gericht
be/äutet und beschreit. Die (Hocke
rief alle Freien und die Urteiler
insbesondere zu ihrem Rechte, wie
die Kirchenglocke zum Gottesdienst,
die Sturmglocke gegen Feind, Mör-
der und Feuer aufrief. Der Gegner
dagegen wurde in der ältesten Zeit
ohne Einmischung des Richters ge-
rufen; der Kläger selbst forderte
seinen Schuldner, in Beisein von
Zeugen, vor Gericht; der Ausdruck
dafür ist ahd. manou, nhd. mahnen.
Zu dem Ende verfügte sich der
Kläger, von Zeugen begleitet, zu
der Wohnung des Schuldners, for-
derte ihn nochmals auf seine Verbind-
lichkeit zu erfüllen und bestimmte
dem Weigeroden ein Gericht. Wurde
die Ladung, was später aufkam,
von dem Richter oder dessen Boten
vorgenommen, so hiess sie Bann-,
dieser geschah mündlich, oder spä-
ter auch schriftlich, durch den Ge-
richtsboten, der unter Umständen
die Ladung an die Thüre stecken
oder hängen durfte. Gewaltsam
konnte in der Re^el kein Freier
vor Gericht gebracht werden, am
wenigsten nach der ersten Ladung;
solcher Ladungen aber waren in
den alten Volksrechten drei bis
sieben vorgeschrieben. Bei den
höheren Ständen mussten bis ins
15. Jahrhundert zur Ladung Eben-
bürtige gebraucht werden. Über
die gesetzlich gestatteten Entschul-
digungsgründe siehe den Artikel
ShafHu not.
2. Hegung des Gerichtes. Die
feierliche Aufstellung des Gerichtes
hiess grrihte htnen. eigentlich mit
einem Hat/ abscliliessen. Es scheint,
dass beim Sitze des Richters ein
Schild aufgehängt wurde, vielleicht
an einem in die Erde gesteckten
Speer; die gewöhnlichen Gerichte
wurden aber seit dem Mittelalter
bloss durch Spannung der Bank
und mit dem Stab gehegt; am
Schlüsse des Gerichtes pflegten die
Brinke gestürzt ('zusammengeworfen)
zu werden. Erstes Geschäft des
Richters ist, Stille zu gebieten. Ge-
richtsfrieden zu bannen, ban und-
frid qebieten. Bis wieweit der Um-
stand* (die Umstehenden) dem geheg-
ten Gericht nahen durfte, bestimmte
entweder Seil und Schranken, oder
besondere Verfügung. Fremde muss-
ten sich in noch weiterer Feme
halten; Überschreitung der gesetzten
Schranke wurde hart gebüsst.
3. Streit. Der Prozess wurde
als ein Kampf gedacht; der Kläger
greift an. der Beklagte wehrt sich:
die Ladung ist eiue Kriegsankün-
digung, die Gemeinde schaut zu
und urteilt, wer unterlegen sei;
Zeugen und Mitschwörende helfen
auf beiden Seiten; zuweilen löst
sich das ganze Verfahren in das
Gottesurteil eines leiblichen Zwei-
kampfes auf. Klage und Antwort
und das übrige Verhalten vor Ge-
richt war an genau abgemessene
Ausdrücke gebunden. Der Gang
der Verhandlung war ängstlich ab-
gemessen und die Ausdrücke für
das Einzelne so ^enau vorgezeich-
net, dass die kleinste Abweichung
Nachteil und Gefahr mit sich führte.
Klage ist ursprünglich das Ge-
schrei, mit dem man seinen An-
kläger beschuldigt, dass es mög-
lichst alle hören, und die Hilfe des
Richters anruft. Wirklich war es
im Mittelalter Sitte, dass derjenige,
der den Verbrecher auf der That
ertappte oder selbst vergewaltigt
worden war, das Geschrei, mhd.
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Strafverfahren.
957
uiid das Gericht gab Urlaub, den
Toten zu begraben; doch wurde
an einigen Orten das blutige Ge-
wand oder die rechte Hand zurück-
behalten, manchmal aber statt der
letzteren eine wächserne Hand zu-
das gerüefte, den truof oder tcuoft,
erhob; diesem Warfenruf, wozu
nach Umständen das Lärmhoru
geblasen und die Sturmglocke ge-
läutet wurde, war jeder Erwach-
sene bei Strafe zu folgen verbun-
den. Hatte man den Verbrecher j gelassen. Blieb der Verklagte im
eingefangen, so zog man zum Rieh- 1 dritten Te rmine aus, so wurde er
ter, der alsbald das Gericht ver- in die Mordacht erklärt,
sammelte. Der Leichnam , die Uber die Beweismittel Eid mit
gestohlene Sache oder andere Wahr- Eideshelfern , Gottesurteile, Zwei-
zeichen der That mussten vor Ge- ( kämpf, später Tortur siehe die be-
rieht gebracht werden , was der .sondern Artikel.
blick&nae tekin oder seh üb hiess; 4. Verurteilung. Urteil war die
später musste wenigstens die abge- Antwort der Schöffen auf die ihnen
löste Hand als Leibzeicheu vorge- vom Richter gestellte Trage Ab-
legt werden, bfc* zuletzt die ße- stimmende Urteiler pflegten wohl
sientigung der Schöffen und das mit einer Formel zu scliliessen; z. B.:
ProtoKoll der Sektion aufkam. Auch kunne anders ieman iht gesaqen, der
vor dem versammelten Gericht spreche sunder mitten zorn. Gewöhu-
wurde die Klage mit Gerufte er- lieh galt Stimmenmehrheit. Folge
hoben, welches auch bei Klage heisst, wenn dem Urteilenden die
auf übernächtige That eintrat. In übrigen Schöffen oder auch die um-
diesem Fall konnte nach uraltem stehenden freien Männer beipflichten:
Brauch der Beklagte, umringt von „ein unerfolgtes Urteil ist kein Ur-
verwandten und Freunden , vor j teil". Ein gefundenes Urteil an-
Gerieht treten, doch war im Mittel- fechten, hiess schelten oder strafen,
alter die Zahl derselben auf dreissig was ursprünglich durch ein Gottes-
höchsteus mit einem Schwerte be- urteil geschehen konnte. Später
waffnete eingeschränkt. Besonder* war die gewöhnliche Wirkung des
ausgebildet war die Klage wegen Scheltens, dass der Streit vor andere
Totschlag und Wunden. Auch Urteiler gebracht wurde, entweder
hier musste der Tote mitgebracht unter Vorsitz desselben Richters
werden; ja nach einigen Hechten oder bei einem hohem Gericht,
wurde, wenn ein Gericht nicht Einem Verbreeher schwere Strafe
gleich zu haben war, die Leiche
in einem Fass mit Kalk unter Sie-
gel aufbewahrt und damit geklagt.
Vor dem versammelten Gericht er-
hoben der Kläger, seine Verwandten
und Freunde mit gezogenen Schwer-
tern das dreimalige Geschrei, sie
rerschrieen den Mörder, indem sie
jedesmal den Toten etwas näher
Wachten. Nachdem ein Urteil
ihnen die Schwerter einzuthun ge-
boten und der Schultheis mit den
Schöffen den Mord besehen hatten, waisen, deine lehen dem
rief der Schultheiss den Verklagten von dem sie rühren , dein
dreimal mit Namen auf, und wenn
zuerkennen, hiess ihn verzollten, ahd.
firzellan oder firtuoman, Jirtuun,
finnizan; die Schöffen hoben dabei
ihre Finger auf. Eine Verurteilungs-
formel der Verbannung und Verfeh-
mung lautet z. B. :
„des urteilen und ächten wir
dich und nehmen dich von uns aus
allen rechten und setzen dich in
alles unrecht, und wir teilen deine
wirtin zu einer wissenhaften witewen
und deine kinder zu ehehaften
herrenr
erb und
derselbe nicht anwesend war, wurde
ein Termin über 14 Nächte gesetzt,
eigen deinen kindern, dein leib und
fleisch den tieren in den Wäldern,
den vögeln in den lüften, den fischen
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958
Strickerei. — Strümpfe.
in den wogen : wir erlauben dich ! «einen Umgang, bei der Austeilung
auch männiglieh allen Strassen, und : des Abendmahls Dumte er es zu
wo ein ieglich man frid und geleit ! allerletzt nehmen. Nur in Notfällen,
hat, soltu keins haben und weisen I wenn der Scharfrichter mangelte
dich in die vier Strassen der weit." oder nicht allein fertig werden
Oder: konnte, trat die Verbindlichkeit der
„der Scharfrichter soll ihn führen
auf freien platz, da am meisten volk
Gemeinde hervor, Hilfe zu leisten,
und sie musste alsdann förmlich von
ist, und mit dem schwert seinen ihrem Richter aufgefordert werden,
leib in zwei stück schlagen, dass An einigen Orten (z. B. in Reut-
der leib das grösste und der köpf lingen ) wurde dem untersten Schöffen,
das kleinste teil bleibe; [ist einer an andern fz. B. in fränkischen
zum Strick verurteilt:] soll ihn Gegenden) dem jüngsten Ehemanne
führen bei einen grünen bäum, da die Hinrichtung aufgetragen. Eigen-
soll er ihn anknüpfen mit seinem tümlich war der Gebrauch, mehrere
besten hals, dass der wind ander Verurteilte an einander selbst die
und über ihn zusammenschlägt; Strafe vollstrecken" zu lassen,
auch soll ihn der tag und die sonne Strickerei. Erfunden winde sie
anscheinen drei tage, alsdann soll um 1550, wahrscheinlich in Spanien,
er abgelöst und begraben werden." und befasste sich anfanglich mit
Über einen zum Tod Verurteilten der Anfertigung männlicher Bein-
wurde der Stab gebrochen. kleider. der „Trikot", die bis dahin
5. Hinrichtung. Strafen zu voll- : aus mehreren Stücken zusammen-
strecken scheint ursprünglich nicht
das Amt bestimmter Leute gewesen
zu sein: wie die Gemeinde selbst
genäht waren. Namentlich die sei-
denen Trikots waren sehr geschätzt.
Heinrich VIII. von England Ii« ss
das Urteil fand, musste sie auch an 1 sich 1547 das erste Paar aus
dessen Vollziehung Hand legen oder 1 Spanien kommen. Heinrich II. von
sie etwa dem Klager und seinem | Frankreich erschien 1559 ebenfalls
Anhang überlassen. Immerhin be- in Trikots. William Lee erfand
sorgte schon sehr früh meistenteils 1 1589 den Strumpfstrickstuhl zu
der Gerichtsbote die Hinrichtung. Cambridge; da aber die Haudstricker
Scherge und Fronbote waren ange- dessen Konkurrenz fürchteten und
sehene Leute. Alte Namen der- der König ihnen beistimmte, floh
selben sind. *ra /•/>/, tdzinari, iciziscalh, der Erfinder nach Paris und liess
jüngere: Henker % Sachrichter, ] sich dann in Kouen nieder.
Scharfrichter, Stocker, Meister, I M rumple waren anfangs von
Anas} man». Weil aber zu Schergen I Leder oder Wollenzeug genant und
und Gerichtsdienern unfreie Leute mit den Hosen verbunden, i Strumpf -
genommen werden konnten, also die • hosen.) Um 1550 kam die Strickerei
Hinrichtung in knechtische Hände auf und zwar die Strumpfstrickemi
zu fallen pflegte; weil es dem natür- 1 durch Elisabeth von England. Die
liehen Gefühl widerstrebte, dass sich Strümpfe wurden fortan getrennt
ein Mensch dazu hergab und gleich- von den Hosen getragen und aus
sam sein Geschäft daraus machte, Wolle, Baumwolle oder Seide her-
andere urns Leben zu bringen, so gestellt. Der Strumpf war faltenlos
trennte sich mit der Zeit das Amt an den Unterschenkel gepasst „wie
des Henkers von dem des Gerichts- das Fell einer Trommel", und bald
boten und jenes sank in Verachtung, wurde er mit verzierten Zwickeln
Jede Strafe, die der Henker vollzog, i und köstlichen Strumpfbändern der-
verunehrte; jede Berührung von art ausgestattet, dass die Sitten-
seiner Hand beschimpfte. Man mied richter ihm den Krieg erklärten.
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Stuhl — Synoden.
959
Besonders beliobt waren die
weissen Strümpfe aus Filet de
Florrnce. Die Strümpfe zahlten
auch zu den Krönungsinsignien.
Siehe dort.
Stahl. Wie andere jetzt not-
wendige Zimmergeräte kommt der
Stuhl im früheren Mittelalter noch
selten vor, eigentlich nur als Pracht-
und Thronstuhl für hohe Würden-
träger etwa auch als Ehrensitz für
den Hausvater und für Fremde.
Die Familie setzte sich auf Schemel,
Bänke, Truhen oder Hütschen,
Klappstühle und Sessel. Am Schlüsse
des 11. Jahrhunderts findet man,
zwar immer noch nur bei Vornehmen,
Schemel mit Rückenlehnen, also
Holtmühle im täglichen Gebrauch.
Im 13. Jahrhundert wird die Sitz-
platte sechs- bis achteckig und das
'ierät hat entsprechend die gleiche
Zahl von Stützen oder Beinen. Für
den Richterstuhl dagegen besteht
aus der gleichen Zeit die Vorschrift,
da;»8 er vierbeinig sein soll, und
ebenfalls im 13. Jahrhundert fertigte
man auch schon Stühle aus dünnen
Eisenstäbeu, bereitete den Sitz aus
Riemen oder Gurten und legte
Kissen auf dieselben. Überaus
kostbar waren schon die byzantini-
schen und römischen Prachtstühle,
und sie blieben es durch das ganze
Mittelalter. Die Rücklehnen waren
besonders hoch und mit köstlichen
>H:hnitzereien geziert, ihre Säulen
sowohl wie die Füsse mehr oder
minder geschmackvoll geschweift
und gedrechselt. War das Holz-
werk weniger kostbar, so überdeckte
man es von oben bis unten mit
einecn gestickten oder gewirkten
Überzug. Der Prachtstuhl stand
nie frei, sondern meist vor der
Mitte einer Wand.
Sutane, lat. sutana, nennt man
das ausserdienstliche Kleid der
katholischen Geistlichkeit. Es ist
bei Kardinälen hochrot, bei Bischöfen
und Hausprälaten des Papstes violett,
beim Papste selbst weisswollen,
bei der ganzen übrigen Priester-
schaft schwarz.
Synoden. Versammlungen der
Bi-chöfe kommen schon in den
ersten Jahrhunderten der Kirche
vor; anfangs auf engere durch
Nationalität und Sprache verbundene
Kreise beschränkt, umfassen sie seit
Konstantin d. Gr. das ganze römi-
sche Reich, die gauze Christenheit.
Bis in die Mitte des 9. Jahrhunderts
wurden solche ökumenische Synoden
nur im griechischen Sprachgebiet,
und zwar in Kleinasien oder Kon-
stantinopel gehalten; es sind das
die Synoden 1. von Nicäa 325,
2. von Kontantinopel 881, 3. von
Ephesus 431, 4. von Chalcedon 451,
5. von Koustantinopel 553, 6. von
Konstantinopel 680, 7. von Nicäa
787, 8. von Konstantinopel 869.
Daneben gibt es zahlreiche Pro-
vinzial- und Metropolitansynoden.
Für diejenigen Synoden, die im
fränkischen Reiche abgehalten
wurden, nahmen die Könige von
jeher die Befugnis in Anspruch,
dazu ihre Zustimmung zu erteilen
oder geradezu Zeit und Ort der
Synode zu bestimmen; hatte der
König selbst die Bischöfe zur Ver-
sammlung eingeladen, so pflegte er
j wohl auch persönlich sich dazu ein-
zußnden und die weltlichen Grossen
! mit zu berufen , wobei dann die
Geistlichen bald für sich allein, bald
mit den weltlichen Grossen zusammen
berieten; Regel war, dass diese
Synoden mit den Reichs Versamm-
lungen zum Teil zusammenfielen,
I daher die Reichssynoden geradezu
! als Reichstage betrachtet wurden;
so blieb es bis ins 11. Jahrhundert.
Seit der Ausbildung des Primates
I und der asketisch-kirchlichen Reform
der Welt- und Klostergeistliehkeit
I verloren die deutschen Synoden
I ihren weltlich-staatlichen Charakter,
und päpstliche Legaten lenkten
jetzt den Gang und Geist der Ver-
sammlungen ; nacheinander traten
nun auf Befehl des Papstes meist
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960
Tabernakel. — Tagelieder.
in seiner eigenen Pfarrkirehe, dem kouzilien schliessen sich an die
Lateran , grosse abendländische beiden Lyoner Synoden 1245 und
Synoden auf, die erste im Jahr 1123 1274 und' das Konzil von Yienuc
zur Genehmigung des Wormser- 1311, das den Tempelorden aufhob.
Konkordates, die zweite 1139, die Gegenüber diesen päpstlichen Sy-
d ritte 1170, die vierte und zugleich noden, die mehr approbierende Ver-
die glänzendste im Jahr 1215, von Sammlungen für päpstliche Be-
Innocenz III. veranstaltet, an der Schlüsse waren, folgen die reßsrma-
412 Bischöfe, 800 Äbte und Prioren torischen Konzilien des 15. Jahrhun-
uebst Abgeordneten der morgen- derts, welche die Kirche an Haupt
ländischen Patriarchalkirchen und und Gliedern zu reformieren beab-
zahlreiche Gesandte von Fürsten sichtigten. Dahin gehören die
und Herren teilnahmen; hier wurde Konzile von Pisa 1409, Konstanz
das Dogma von der Wandlung ! 1414— 1418, Basel 1431 — 1443,
sanktioniert, die Ohrenbeiehte ge- Ferrara und Florenz 1438— 1439.
setzlich festgestellt und Verord- Der .Restitution des Papsttums
nungen über Inquisition und Ketzer- diente endlich 15 15— 1563 das Konzil
gerichte erlassen. Diesen Lateran- von Trient.
T.
Tabernakel. Anfangs wurde die ist 90 Fuss hoch. 3) Türme, di< au
Eucharistie über dem Altare am j einer Seite mit der Wand verbunden
Baldachin desselben aufgehängt; sind. Otte, airchl. Archäol. §. 45.
nachdem der Altarbaldachin weg- \ Tajrelieder, mhd taneliet ', laqe-
gefalleu war. führte das Bedürfnis wise, sind eine beliebte Gattung 3er
der Aufbewahrung des Ciboritims höfischen Lyrik sowohl in der fran-
zur Errichtung besonderer stehender zösischen als in der deutschen Litte-
Gefässe , deren Namen Tabernakel ratur Sie bestehen aus einem an
(d. h. Häuschen), Sakramenlshdus- ' den Anbruch des Morgens, den Auf-
chen, Jferrgoftshä tischen, Gotteshütt- gangdes Morgensternes anknüpfen-
chen, Fromcalme ist. Es sind drei den Gespräch zwischen dem Ge-
verschiedene Arten desselben be- , liebten und der Geliebten, worin
kannt: 1) Wandschränke in Brust- die wehmütige Empfindung des
höhe über der Erde, gewöhnlich mit nötig gewordenen Scheidens zum
einer eisernen Gitterthürgeschlossen. lyrischen Ausdrucke kommt. Die
2) Freistehende Tabernakel in Form Situation ist ursprünglich ohneZweifel
eines Turmes, monumentale Mon- die allgemein über Europa verbrei-
stranzen in grossem Massstabe, seit tete Sitte des loerschen tnligen, der
dem 14. Jahrhundert und namentlich von seite der Geliebten gestatteten
infolge der Einführung des Fron- Probenächtc der Enthaltsamkeit,
leichuamsfestes in Gebrauch. Auf wobei ausser Kuss und Umarmung
einem hohen Sockel ruht der rings nichts weiter gestartet war, der-
von durchsichtigem Gitterwerke um- selben Sitte, die heute noch unter
schlössen e Schrein, über welchem den Namen zu Kitt gehen, kilten,
sich ein; erotische, oft bis zum Ge- j Gassei qehn, gassein, fenstem, hran-
wölb reichende Pyramide erhebt; fein, schnurren u. a. in verschiede-
das Tabernakel im Münster zu Ulm nen Gegenden zu Recht besteht.
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Tagesbezeichnung.
961
Die nachweisbaren Lieder dieses bekannteste derselben ist das Lied
Inhaltes beginnen aber erst mit dem von Philipp Nicolai, „Wie schön
Eintritte der Lyrik in dieLitteratnr; leuchtet der Morgenstern"; dasselbe
sie heissen bei den Provencalen war namentlich als "Hoehzeitslied
alhas, von alba, Morgenstern, bei verbreitet. Weinhold, Deutsche
den Franzosen aubes. Die deutschen Frauen, zweite Aufl. 1, 261 ff. Bartsch,
Tatrelieder stellen entweder die ein- im Album des litt. Vereins zu Nürn-
fachere Szene dar, wenn die Frau , berg, 1865. S. 1—75.
erwacht, den Liebenden weckt und Tagesbeieichiiung*« Die Tages-
beide scheiden , oder die Szene ge- bezeichnung im Mittelalter ist eine
staltet sieh durch die Einführung | fünffach verschiedene; die älteste ist:
des Wichten belebter, indem dieser 1. Die altrömische Datierung
von der Zinne des Burgturmes bei nach Kaienden, (Anfang des Monats),
dein ersten Scheine der Morgenröte Iden (Mitte des Monats) und Nonen
ein warnendes Lied anstimmt. Auch (9. Tag vor den Iden , diesen und
dieser Ziig dürfte auf der wirklichen , den Tag der Iden mitgerechnet);
Sitte beninen, dass der Nachtwächter, i nur der sprachliche Ausdruck die-
wie es bis in neuerer Zeit geschah, ser Datierung ist etwas anders ge-
ausser dem gewöhnlichen Stunden- worden.
rufe regelmässig noch einen Abend- 2. Die heutige Tagesbezeichnung,
und einen Morgenruf singt. Wolf- 1 vom 1. bis 28., 29., 30. oder 31.
ram von Eschenbach hat den Wäeh- ! 3. Die consuetudo Bononiensu,
ter zuerst in das Tagelied einge- , seit dem 11. Jahrhundert vorkom-
führt. Wieder eine Variation ist es, j mend; darnach heisst der erste Teil
wenn statt des Wächters ein Freund des Monats mensis intrans und wird
des Ritters die Wache versieht; nie vorwärts gezählt, der zweite Teil
aber hat man in den zahlreich vor-
handenen Tageliederu, welche zum
des Monats bis zum Schlüsse men-
*is stans, astans, exiens und wird
Teil den besten Minnesängern, Wal- rücklaufend gezählt. In Deutschland
ther v. d. V. und Wolfram ange- findet sich diese Rechnung selten
hören, erlebte Liebesereignisse zu und erst seit der Mitte des 13. Jahr-
erkennen, sondern stets bloss Lieder hunderts.
der Liebe, welche dem Geschniaeke 4. Die Taaesbezeichnung nach
der Zeit zufolge mit Vorliebe .Festen und Jleiligentagen, sei es, dass
diese Form annahmen; daher ist | die Datierung direkt dem Feste oder
es auch nicht allzuhoch zu ver- Heiligentage selbst entnommen, sei
wundern, wenn berichtet wird, ein ] es, dass sie durch Bezeichnung der
Abt von St. Gallen habe Tagelieder
gesungen. Mit dem Aussterben der
höfischen Lyrik erscheint das Tage-
lied in der Form des Volksliedes,
wie denn z. B. das bekannte Lied:
„Es stehen drei Steine am Himmel,
die geben der Lieb ihren Schein"
ursprünglich ein Tagelied ist. Im
1(5. Jahrhundert wurden Tagelieder
auf fliegende Blätter gedruckt, wel-
che auf dem Titel in grobem Holz-
schnitte den Wächter mit dem Horn
auf der Zinne zeigen. Auch geist-
liche Umdichtungen dieser Lied-
Gattungen waren früh beliebt; die
Reallex'con der deutschen Altertümer.
Wochentage vor oder nach einem
solchen Tage beschafft wurde.
Die mittelalterlichen Wochenfags-
bezeiclinungen (über ihre Bedeutung
und Entstehung siehe den besonde-
ren Artikel) sind:
Sonntag: feria dominica, feria
prima, dies So/i*, ttur Dci, Frontag,
Sunnetac.
Montag.- feria secunda, dies Lu-
nae, Montac.
Dienstag: feria tertia, dies Mor-
tis, Eritag\ Frchtag, Zistag, Zins-
tag u. s. w., Aftermontag.
Mittwoch .-feria f/uarta, dies Mer-
61
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962 Tageseinteilung.
curii, Wudenstaq. media septimana, St. Amte* i21), St. Vincentiu* lerita
Mittwochen. l22), St Timotheus (24), St. Pauli
Donnerstag: feria qninta. dies mnrersio [16), S/. Polycarpus i26'.
J^riJ», Donnerstag, Phinstag. Der Cisio Janus w ird 'mehrfach als
Freitag: feria sexta, die* Veneris, Unterrichtsgegenstand erwähnt und
Pro Venustag, Fridaeh. wurde öfters in deutsche Verse über-
&j>i nahend : dies Satumi, Sambes- tragen: da lautet z. B. der A/>rit:
tag, Sv nn abend. Aprill und Bbchof Ambrosius
Bei der Festbezeich nung sind foi- Faren doher und sprechen alsus.
geude stehende Ausdrücke erwäh- Die Ohren weUenTirDurtium bringen,
nenswert: So wil Valerianus das Alleluja singen.
Festnm, deutsch fest, hohgezite, Sprechen Jörg und Marx zur Hand.
duit, wird jeder grossere Feiertag Wüs*te das Petermeylant
genannt. Siehe l*iclel, das heilige Namenbu» h
Viqifia, ncrrigilium, iU'Utxvh abend, von Konrad von Danngrotzheim mit
vorattend, bannfasten ; dies pro festo, einer Untersuchung über den Cisio
profestum, deutsch rot fest, rorßr. Janus. Strassburg 1878. Der ganze
rorhochtid, derfoddere tagh bedeutet Artikel nach Grotefend, Handbuch
den Tag ror einem Feste. Vigilia der historischen Chronologie. Han
rigifiae, praerigilia, rorfirtibend nover 1872. §. 11 — 17.
kömmt regelmässig bei Weihnachten, Tageseinteilung. Der Tag des
Pfingsten und Allerheiligen, einzeln deutschen Mittelalters währte, ge-
bei andern grössern Festen vor. Die genüber dem von Mitternacht zu
rrastino, sequenti die, proximo die, Mitternacht gezählten römischen
am toteren dage, morgens, m^rnenfz Tage , von Sonnenuntergang zu
heisst immer am unmittelbar folgen- Sonnenuntergang. In der verschie
den Tage nach dem Feste. Oetara, denen Eiuteüun^sweise wirkten rö-
der achte Tag ist insofern der achte mische, germanische und spezifisch
Tag nach einem Feste, als stets An- christliche Elemente zusammen,
fangs- und Endtermine mitgezählt Römischen Ursprungs sind die
werden. populären Bezeichnungen media
Eine seit dem 14. Jahrhundert
viel verbreitete Art der Datierung
nach Festen und Heiligentagen ge-
schieht mit Hilfe des Cisio janus,
d. h. aus den Anfangssilben der
grössern Festtage und willkürlichen
nox, Mitternacht; galhcinium, der
erste Hahnenschrei, diluculum, Mor-
gendämmerung, primo mane, früh
morgens, mane. morgens, ad meri-
diem , am Vormittag , meridie* .
Mittag, de meridie, am Nachmittag,
Einschiebseln zusammengestöppelter solis occasus , Sonnenuntergang .
Memorierverse. Der Vers des Ja- respera , Abend , crepuseuhm ,
nuar lautet: Abenddämmerung. tummUms aeceu-
Cisiu Janus Em sibi rindicat Oc sis, die Zeit des Lichtanzündens,
Feli Mar An atnctdna, der erste Schlaf, intern -
Prisca Fab Ag J'incen Ti Pav Po pesta nox, ad median* noefem, vor
nobile /umen. Mitternacht
Das will heissen: Der Januar Dem christlichen Got
macht Anspruch auf das edle Licht gehört die Einteilung in rigiliac
der Beschneidung Christi, circum- und horae canonicae.
cisio, I i), auf Fpiphania (»>), Oktava Vigiliae sind infolge der zu
Domini, d. h. Weihnachtsoktave (1), gottesdienstlichen Zwecken dienen-
St. Felix (14), St. Marcellus (16), den klösterlichen Nachtwachen ent-
St. Anton eremita (17), St. Prisca standen; man teilte, der miht'iri-
18), St. Fabianus et Sebastianus (20), sehen VigiUeneinteilung der Römer
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Tannengesellschaft. — Tannhäuser.
963
aualog, die Xacht iu vier gleiche
Teile, die von 6-9, 9-12, 12—3
und 3—6 währten.
Iforae canonicae sind für das
Mittelalter die eigentliche Einteilung
des lichten Tages; sie beginnen
ungefähr um drei Uhr morgens
und reichen bis sechs oder sieben
Uhr abends. Sie bilden die Fix-
punkte für die meist alle drei Stun-
den vorzunehmenden Stundengebete
(Tagzeiten) der Geistlichen und
werden in allen Klöstern durch
Geläute verkündigt, welches sich
je nach der Jahreszeit verfrühte
oder verspätete.
1. Matutina (hora), Mette, Früh- |
mette, begann iu Klöstern in der
Regel um drei Uhr morgens, wäh-
rend die Weltgeistlichkeit den An-
fang noch weiter in den Tag hinein ■
verzog, ja endlich die ganze Mette
am Tage vorher voraus nahm.
Streng genommen währte die hora
matutina von der Mitternacht bis
zur Prima.
2. Prima, zur preim zit, umb
prim zit, von fünf, resp. sechs Uhr
morgens bis zur Tertia.
3. Tertia, zu Terzen zit, von
acht, resp. neun Uhr morgens bis
zur Sexta. Zu dieser Stunde begann
der Tag des öffentlichen Lebens.
4. Sexta, um sexte zit, zu sexten
zit, von elf, resp. zwölf Uhr mittags
bis zur Nona.
5. Nona, zu nonen zit, von zwei
oder drei Uhr nachmittags bis zur
Vesper.
6. Vespera, hora vesperarum,
oder vesperorum, hora vespertina,
zu vesper zit, von vier, resp. fünf
Uhr bis zur zweiten Vesper.
7. Completorium, hora eompleta,
um eomplete zit, Complet, selten
zweite Vesper genannt, gleich nach
Sonnenuntergang. Zu dieser Zeit
findet das Ave- Maria- flauten statt,
am Abend gleich nach Sonnenun-
tergang, welches auch den Namen
„die letzten Glocken" trägt.
Endlich kennt das Mittelalter
auch eine Einteilung in Stunden,
von 1—24 fortlaufend und von
Abends sechs Uhr unserer Zeit-
rechnung ab gezählt. An den
Kirchtürmen und an sonstigen
hervorragenden Orten angebrachte
Sonnenunren regulierten die Zäh-
lung. Der Übergang von der ganzen
zur jetzigen halben Uhr vollzog
eich im Laufe des 15. Jahrhunderts,
spätestens des ersten Viertels des
16. Jahrhundert*. Nach Orotefend,
§ 18, siehe den vorstehenden Ar-
tikel.
I an nengesellsehaft, / .
zu Strassburg, ist eine der zu Opitz
Zeit nach italienischem Muster ge-
stifteten Akademien; ihr Stifter ist
Esaias Römpler von Löwenhalt,
das Jahr 1633; sie sollte deut-
sche Gesinnung fördern, der Mutter-
sprache ihre Reinheit wiedergeben
und die Rechtschreibung feststellen.
Sie hat nur wenige Mitglieder ge-
zählt und scheint sich nicht über
den nächsten Bereich des Stiftungs-
ortes ausgebreitet zu haben.
Taniihäaser. Der historische
Tannhäuser ist ein deutscher Minne-
sänger, der vermutlich zu dem bayc-
riscli - österreichischen Geschlecnte
der freien Herren von Tannhusen
gehörte und neben Nithart der
este Repräsentant der höfischen
Dorfpoesie (siehe diesen Artikel)
ist/ Er kam weit in der Welt
herum, machte eine Kreuzfahrt und
andere grosse Reisen , lebte gern
fröhlich und lustig, liebte schöne
Weiber, guten Wem und schmack-
hafte Bissen, um deren willen er
vor Verpfändung seiner Habe nicht
zurückschreckt. Die von ihm er-
haltenen Gedichte sind meist Tanz-
lieder. Ausser diesem historischen
Tanuhäuser des 13. Jahrhunderts
kennt die Sage noch einen, ohue
dass es bis jetzt gelungen wäre,
den Zusammenhang beider deutlich
zu erkennen. Ein Volkslied erzählt
von ihm: Tannhäuser im Venus-
berg sehnt sich von dannen und
61*
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964
Tanz.
wird vergebens von Frau Venu 8
zurückzuhalten gesucht; als er die
Jungfrau Maria anruft, läset das
Weib ihn scheiden. Er geht zum
Papst Urban, von ihm Vergebung
seiner Sünden zu erlangen; der
Papst aber weist auf den dürren
Stab, den er in der Hand halt und
spricht: so wenig der grünen werde,
so wenig wertie Tannhäuser Ver-
gebung seiner Sünden erwerben.
Traurig geht Tannhäuser wieder
in den 'Berg. Da fängt am dritten
Tag an der Stab zu grünen. Der
l'apst schickt in alle Lande aus,
wo Tannhäuser hingekommen? Der
aber war wieder im Berge und
hatte sein Lieb erkoren. Deshalb
muss der vierte Papst Urban ewig
verloren sein. Im einzelnen weichen
die besonderen Formen des Tann-
häuserliedes von einander ab. Frau
Venus im Venusberg ist niemand
andere» als Freya (siehe diesen
Artikel I; was für andere Bezüge
aber in dem Liede stecken, ist
vorläufig Sache der Vermutung.
Abhandlungen über den Tannhäu-
ser von Graste, 184« und 1861,
und von Zander, 1858. Herriq,
Archiv, Bd. 6h; S. 43-51.
Tanz war, je weiter zurück in
das Altertum man ihn verfolgt,
eine um so wichtigere geselligere
Freude , eines der verDrei tetsten
Spiele des Leibes. Er wird ur-
sprünglich von dem Gesänge, dem
Lied getragen und trat bei jeder
festlichen Handlung, auch bei der
religiösen, als notwendiger Teil des
Ganzen auf. Tacitus erwähnt Ger-
mania 24 des Schwert tanze.*, ausge-
führt von nackten Jünglingen, die
tanzend zwischen Schwerter und
drohende Speere springen; Aus-
läufer desselben sind bis in die
neuere Zeit in Städten und auf dem
Lande in LbLiig geblieben. Uralt
ist ferner die Bedeutung des Tan-
zes bei der Hochzeit, wo ihm eine
Fülle symbolischer Beziehungen
eignet, sodann Tänze um die hei-
ligen Feuer, wie Osterfeuer, Sonn-
wendfeuer , vielleicht auch die
überall verbreiteten Kirch weih tinze
und die zahlreichen Tänze, welche
das Kinderspiel erhalten hat. Auch
Zauberkraft wird dem Tanze, »ei
es ein wirklicher Tanz, sei es bloss
ein Herumgehen um den Gegen-
stand, wie bei allen indogermani-
schen Völkern, so auch bei uns,
zugeschrieben; man spinnt dadurch
ge wissermassen einen Gegenstand
in den eigenen Machtbereich hi-
nein; so geht man dreimal um die
Kirche, um den Heerd, um ein
brennendes Hau-, um das Feld, um
Bäume, um verdächtige Menschen.
Der alte Name für den Tanz
ist gotisch laikan, ahd. und mhd.
der leich ; l eichen = hüpfen. A lo-
dere Ausdrücke für tanzen waren
ahd. salzCn, aus dem gleichbedeu-
tenden lat. saltare, plinsjan aus
dem Slawischen, spilon = spielen,
und tumbjan; auch ahd. dtn*nn
und danson scheint das Fähren
und Hin- und Herziehen der Paare
bezeichnet zu haben,- denn aus
dem Stamme dieser Verben ist das
romanische datuse gebildet, welches
die Deutschen seit dem Ende des
12. Jahrhunderts von den Franzosen
zurücknahmen.
In der höfischen Periode unter-
schied man als die beiden Haupt-
arten des Tanzes den Tanz im
engern Sinne, der getreten wurde,
und den Reihen, der gesprungen
wurde, danser und caroler. Th%r
bloss getretene oder gegangene Tanz
war vorzugsweise in höfischen Kreiden
zu Hause; es wurde eine Reihe ge-
bildet, jeder Mann nahm eine Frau
oder auch zwei bei der Hand, und
unter dem Saitenspiele des voraus-
schreitenden Spielmanns und unter
Gesang hielten die Tänzer mit
schleifenden leisen Schritten ihre
Umgänge. Oder die Gesellschaft
schloss einen Kreis, und mit sanfter
Bewegung gingen sie singend in der
Kunde herum, indem der Inhalt des
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Tanz.
965
Gesanges durch Mienenspiel und Geigen, Pfeifen, Flöten, Zithern,
einfache Bewegungen äusserlich Trommeln oder Tamburin begleitet,
dargestellt wurde. Auch den Bauern Das Tanzlied wurde gewöhnlich von
waren diese ruhigeren Tänze nicht einem Vorsänger oder einer Vor-
unbekaunt, sie wurden aber wesent- Sängerin vorgetragen und die Menge
lieh zur Winterszeit in den Stuben stimmte nur in den Refrain ein oder
getanzt; besondere Namen dafür sang die einzelnen Verse nach,
sind die Stadelweise, der Ridewanz, Der Inhalt der Tanzlieder war ein
der Firggandray, der Mürmum, der sehr verschiedener: Liebeslieder,
Trypotey. Instrumentalmusik und politische und Rügelieder, Scherz-
Gesang war sowohl dein Tanz als lieder, am häufigsten natürlich das
dem Reigen eigen; ein Vorsänger 1 Liebeslied; doch sind auch historische
oder eine Vorsängerin leitete ihn ; Tanzlieder reichlich vertreten , und
die Frauen gingen rechts von den man darf annehmen, dass die alten
Männern una wurden entweder bei Heldenlieder in ältester Zeit zu den
der Hand oder am Ärmel geführt; Tänzen gesungen wurden; das nahe
herumgetanzt ward nach links. Verhältnis des Tanzes zum erzäh-
Die Reigen waren gesprungene lentlen Gedicht hat sich im romani-
Tänze und namentlich von alter sehen Namen des Tanzliedes, hallata,
Zeit her beim Laudvolkc in Ge- erhalten. In bezug auf die Form
brauch. Sie wurden seit dem i gehört der Leich (siehe diesen Art)
14. Jahrhundert immer wilder. Be- mit seinen wechselnden Rhythmen
sondere Reigennamen sind der mehr dem springenden Reigen, das
krumme Reier, der Jfopnaldei, der strophische Lied dem tretenden
Heierleis, Firlei, Firlefei und Firle- Tanze. Oft verband sich mit dem
Janz; manche dieser Namen scheinen Tanze das Ballspiel
dem Slawischen, Flämischen oder Der Tanz kommt zwar zu jeder
Französischen anzugehören, andere Zeit vor, doch ist er vorzugsweise
erklären sich durch mundartliche Aus- Spiel des Frühlings, wo das Volk
drücke und aus der kecken Sprach- ganze Taee vertanzte. Sonst wählte
bildungslust des aussehenden Mittel- man am liebsten, dem stets wieder-
alters. Reihen werden wohl auch holteu Kirchenverbote zum Trotz,
die Frontanze gewesen sein, die ur- Sonn- und Feiertage. Zum Schmucke
sprünglich den Zweck gehabt zu der Weiber, wenn es zum Tanze
haben scheinen, die Grundherrschaft g"j£, gehörte vor allem der Kranz
zu unterhalten, und später als eine auf dem Haupte, der zuweilen auch
symbolische Anerkennung der Herr- der Preis war, um den bei dem
schaft dienten; man findet sie in Ringeltanz von den Gesellen ge-
Thüringcn und in der Rheinpfalz, rangen wurde. Siehe den Artikel
In Langenberg im Geraischen Kranz. Auch ein kleiner Spiegel
tnussten z. B. jedes Jahr am dritten war beliebt; er wurde in der Hand
Pfingstfeiertage die Bauern von getragen oder hing an einer seidenen,
mehr als acht Dörfern paarweise um den Hals gewundenen Schnur;
zusammenkommen, um unter einer Männer kamen wohl mit dem Schwert
Linde in Gegenwart ihrer Herr- bewaffnet zum Tanze,
schaft einen Tanz aufzuführen; Das Volk tanzte am liebsten
von der Herrschaft erhielten unter freiem Himmel, und es gab
sie Bier und Kuchen; man nannte daher an vielen Orten zum Tanzen
diese Tänze auch Pfingstl- oder bestimmte, besondere Räume im
Diensttänze. Freien, Tanzbühel, Tanzplan oder
Aller Tanz wurde entweder Tanzrain; dahin führende Weg««
durch Gesang oder durch Musik, heisseu Tanzwege und Tanzgasseu.
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066
Taschentücher. — Taufgelöbnisse.
Hier nun wurde um eine Linde
herum getanzt, <*lcr man • rrirhtete
für die Kirchwc ih oder andere Feste
einen bedeckten, mit Maien ge-
schmückten Tanzboden . der Tanz-
hau*, Tanzhütte «»der Tanzlaulje hiess.
Die höfische Gesellschaft tanzte im
geschlossenen Raum, im Saal oder
ralas. unter Umständen aber auch
vor der Burg. In den Städten gab
es wohl eigene Tanzhäuser, in den
Dörfern Sni*lhtiu*er , welche eben-
falls zum Tanzen dienten. In man-
chen Städten benutzten die Patrizier
die Ratsstube zum Tanzen, oder ein
anderes öffentliches Gebäude, be-
sonders aber die Zunftstuben. Nicht
blos*s die Kirche eiferte gegen das
Tanzen: dasselbe stamme vom Teufel
ab und der erste Tanz sei der Tanz
der Juden um das goldene Kalb
frewesen: sondern auch die welt-
ichen Obrigkeiten erlicssen Verbote
gegen Ta j i zü be rsch rei tu n gen .
Eine eigentümliche Sitte war am
Rhein das Mai- Lehen. Dasselbe
bestand darin, dass am Ostermontag
oder am Vorabend des 1. Mai unter
die versammelten Burschen eines
Ortes die Jungfrauen desselben ver-
steigert wurden, von welchen letzteren
dann eine jede das Jahr hindurch
nur mit ihrem Ersteigerer taneen
durfte Das erlöste Geld wurde
für die Tanzmusik und für die Be-
wirtung der Maifrauen, d. h. eben
der ersteigerten Mädchen verwendet.
In St. Goar aber geschah die Ver-
steigerung auf dem Rathause und
der Erlös floss in die Stadtkasse.
Auch ein Hahnentanz wird als
ein „fremdländischer*' und „heid-
irischer" Tanz erwähnt: er bestand
darin, dass die Paare um eine Stange
tanzten, auf dessen Spitze ein Hahn
befestigt war, und dass dabei der
Täuzer springend das Ende eines
an der Stange quer angebrachten
Armes zu berühren suchte, auf dem
ein gefülltes Glas stand. Gelang
es ihm. dieses dadurch zum Umfallen
zu bringen, so hatte er einen der
ausgesetzten Preise gewonnen.
Weinhold. deutsche Frauen, 2. Auf-
lage. I. 3s* -391: II, 157 — 182.
krietjk, deutsches Bürgertum. I,
415—423: vgl. Schröder, die höfische
Dorfpoesie, in Gosches Jahrb. f. Lit.
Gesch. I, Berlin 1S65. Voss, der
Tanz und seine Geschichte. Berlin
1670.
Taschentücher kennt man bei
um« seit der zweiten Hälfte des
16. Jahrhunderts, wo sie von Italien
her in Gebrauch kamen. Sie waren
nicht mit Unrecht als ein Luxus-
artikel verschrien: denn nicht nur
waren sie aus feinster Leinwand
oder aus Kammertuch gefertigt,
sondern auch mit Stickereien, kost-
baren Spitzen und feinen Quasten
geziert, sogar mit Gold, Silber und
Perlen verbrämt. Schon im 16. Jahr-
hundert feuchteten Damen ihre
Taschentücher mit wohlriechenden
Wässern an und meinten damit
nicht nur ihre Nachbarschaft zu er-
freuen, sondern auch zugleich den
Teint zu konservieren.
Tassen von Ton und Metall siinl
aus der Bronzezeit noch erhalten.
Als Tischgefässe zum täglichen Ge-
brauch sind die spätestens in?
13. Jahrhundert zurückzuführen und
zwar sind sie meist aus Metall ge-
macht, mit zwei Henkeln und einer
Untertasse versehen.
Tnucher-und Schwimmapparatc
des Mittelalters findet man in mehre-
ren Bilderhandschriften des 15. Jahr-
hunderts zahlreich dargestellt, ohne
dass nähere Nachricht über die
praktische Verwendung derselben
vorhanden wäre. Abbildungen im
Anzeiger f. Kunde des d. Altert.
1871. Sp. 257.
Taufgelöbnisse, d. h. kirchliche,
dem Glaubensbekenntnisse voran-
gehende Formeln, welche die Ab-
schwörung des Glaubens an heid-
nische Götter und Götzendienst
enthalten, sind in der deutschen
Sprache mehrere enthalten : dasjenige
in sächsischer Sprache ist nament-
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Taufsteine. — Teppiche.
967
lieh deshalb merkwürdig, weil darin
die Namen der obersten germani-
schen Gottheiten angeführt sind,
Donar, Wodan und Saxnot, d. i. Ziu.
Mit Kommentar sind sie u. a. ab-
gedruckt bei Mxdlenhoff und Svherer,
Denkmäler, Nro. 51, 52 und 53.
Taufsteine. Wahrend man in
den ersten christlichen J ahrhunderten
in jedem beliebigen Wasser taufte,
kamen seit Konstantin eigene Tauf-
hauser, Baptitterien , in Gebrauch,
die in der Nähe der bischöflichen
Kirchen errichtet waren; denn in
älterer Zeit hatten bloss die Bischöfe
das Recht, die Taufe zu vollziehen.
Den Mittelpunkt der Baptisterien
bildete das Taufbassin, in welches
der Täufling untergetaucht wurde;
larüber erhob Bich das Gebäude in
Form der Rotunde, siehe den Art.
Kapelle. Das Bassin war rund
oder achteckig und reich ausge-
stattet. Mit der Einführung uer
Kindertaufe musste man die Taufe
auch andern als bischöflichen Kirchen
gestatten, was bis zum 13. Jahrhun-
dert durchgeführt war; aus dem
nämlichen Grunde verlegte man den
Tatifraum in die Kirche selbst und
zwar an die nördliche Seite der
Vorhalle; endlich kamen, da statt
des ältern Üntertaucheus das Über-
eprengen mit Wasser Gebrauch
wurde, statt des Taufbassins seit
dem 9. Jahrhundert die Tanfsteine
auf, denen man mit Vorliebe in Er-
innerung an die Form des Bassins
ebenfalls runde oder achteckige
Form gab. Ihrer besonderen Ge-
stalt nach unterscheidet man mehr
frogartige oder mehr pokal- oder
kesselartige, auf einem Schaft oder
Stengel ruhende Steine. Wo das
Steinmaterial fehlte, wendete man
die sogenannten Taufgrapm an,
iL h. aus Metall gegossene Tauf-
s-teine, die auf Füssen standen,
welche gewöhnlich menschliche oder
Tierfiguren darstellten. Schliesslich
wurde der Taufstein zum blossen
Taufständer für die flache Tauf-
schüssel ; zur letzteren gehörte noch
ein besonderes Giessgefass, ein
Kännchen, aus dem das Wasser
über den Täufling ausgegossen
wurde. L. Brockhau* in Herzogs
ßeal-Encykl. 2. Aufl. Art, Bap-
titterium. Vgl. Olle, kirchl. Archäol.
§ 49.
Teller von Ton, Metall und
Holz kommen auch bei den deutschen
Völkern schon in ältester Zeit vor;
doch wurden darin bloss die Speisen
aufgetragen, worauf jeder Tischge-
nosse sein Stück auf eine Brod-
schnitte gelebt erhielt und mit dem
Messerzerklemertc. Erst im 12. Jahr-
hundert setzte man den Gästen
noch besondere Teller vor und zwar
anfanglich je einen für zwei Tisch-
genossen. Die Teller der Armen
waren von Holz, seltener von Ton,
diejenigen der Wohlhabenden von
Zinn und die der Reichen von
Silber. Die Teller dieser Zeit waren
etwas kleiner, im übrigen aber von
gleicher Form, wie die unsrigen, die
einen mehr flach, die andern vertieft.
Teppiche verwendete man im
Mittelalter schon recht häutig zur
Belegung der Fussböden und Gänge
in Kirchen und Wohnhäusern, sowie
auch als Vorhänge für Wände,
Thür- und Fensteröffnungen. Von
^anz besonders kostbaren Teppichen
ist schon in der alten orientalischen
Geschichte die Rede. So sollen die
Araber bei Eroberung des Perser-
reiches in Khosru's Palast einen
Teppich vorgefunden haben, der
sechzig Ellen im Geviert gemessen,
aus Seide gewirkt und mit Gold,
Silber und farbigen Edelsteinen
geziert war, die einen in Blüten und
Früchten prangenden Obstgarten
darstellten. Omar verteilte den
Teppich unter seine Freunde, deren
Zahl nicht angegeben wird; doch
soll ein Stück von Ali mit 20,000
Silberstücken bezahlt worden sein.
Die Teppiche des früheren Mittel-
alters stammen meist aus dem Orient.
Vom 11. Jahrhundert an weben die
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968 Terzine. — Teufel.
Laienbrüder der Klöster Teppiche Form nicht an, so dass sie erst am
in Leinwand und die Nonnen ahmen Ende des 18. Jahrhunderts bekannter
die vorliegenden orientalischen wurde.
Muster nach. Die Bodenteppiche Teuerdank heisst ein allegori-
werdennurmitgeometrischenFiguren j sehet, höchst unbehilfliches Reim-
oder mit Ornamenten geziert, aller- werk Kaiser Maximilians, worin des
höchstens mit Bildern ausdenniedern Kaisers Jngendschicksale unter dein
Tierklassen, „mit bösem Gewürm44 ; allgemeinen Bilde einer Brautfahrt
die Vorhangteppiche aber, sowie die des Teuerdank (Maximilian) nach
zum Decken der Möbel verwendeten Ehrenreich (Maria von Burgund),
werden namentlich vom 13. Jahrhun- König ÄM/iwi/WctaiKarlsdesKühneiij
dert an zu eigentlichen Luxusgegcn- Tochter erzählt werden. Auf dieser
ständen. Die kirchlichen erhalten Fahrt kommt der Held au drei Eng-
kirchliche Bilder, diejenigen für den passe, an deren jeden ihn ein Feind
Privatgebrauch zum Teil weltliche, erwartet : Füncittig, d. i. Unbeson-
Berühmt ist die äusserst wertvolle nenheit der Jugend, l'nfalo, d. s.
„Tapete von Bayeux", die für die Unglücksfalle, und Seidc/hard} d. s.
Kostümkunde ihrer Zeit wichtige die politischen Feinde. Schliesslich
Aufschlüsse gibt. Auf einer Lein- besiegt Teuerdank seine Gegner
wandfläehe von 63 m Länge und und sie werden als Verbrecher ge-
9,46 m Höhe schildert sie in 72 richtet. Das Werk, dessen Redak-
Szenen mit 530 Figuren die Er- tion dem Kaplan des Kaisers. Mel-
oberung von England durch Wil- chior l*finzing, übertragen war.
heim dem Eroberer. Die Stickerei wurde mit verschwenderischer Pracht
ist im Plattstich ausgeführt und mit und vielen Bildern in vierzig Exem-
vielen Inschriften versehen. Die plaren auf Pergament, zugleich aber
Arbeit stammt wahrscheinlich aus auf Papier gedruckt und erhielt
der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts späte1* noch viele Auflagen. Der
und wird von den einen der Ge- Titel der ersten Ausgabe lautet:
mahlin Wilhelms, der Königin Ma- „Die geuerlicheiten und »»ins teils
thilde , von andern der Tochter der geschichten des löblichen streit-
Heinrichs I. von England zuge- baren und hochberühmten Heids
schrieben. und Ritters Tewrdanuckhs. Gedr.
Sehr sehenswerth sind auch die Nürnberg durch den Eltern Hann-
Zeltteppiche Karls des Kühnen, die sen Schönsperger Burger zu Auss-
er bei Granson verlor. Sie stellten purg, 1517.
die Kriegsthaten Julius Casars dar Teufel. Es ist bloss die nüttel-
und sind ohne Zweifel eine nieder- alterliche, verkörperte Gestalt des
ländische Arbeit, wie denn über- Teufels, der Teufel des Volksglau -
haupt die Niederländer sich im bens, der unter die deutschen Alter-
späteren Mittelalter auch in der tümer gehört, und nicht der ältere
Teppiehstickerei besonders hervor- Teufel der biblischen und kirch-
getnan haben. liehen Lehre. Nur das sei in bezug
Terzine, die d reizeilige Strophe, auf den letztern hier bemerkt, dass
in der Dante seine göttliche Komödie der ältere Teil des alten Testamentes
dichtete und deren äussere Zeilen I den Teufel noch nicht kennt; erst
mit einander reimen, während die im Exil, nimmt man an, hätten die
Mittelzeile den Reim für die folgende Judeu von der Zoroastrischen Reli-
Terzine anschlägt, wurde durch gion der Perser, welche zwischen
Paul Meliiutiui 1572 zuerst, aber nur Ormuzd und Ahriman, dem guten
ganz vereinzelt, ins Deutsche einge- und bö*en Geist, unterschieden, den
fuhrt; die Opitzianer nahmen diese Versucher kennengelernt, der dann
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Teufel.
969
mehr und mehr in ihr Volksbewusst-
sein überging, aber noch lange nicht
als körperlich gedacht wurde. So
tritt er im Neuen Testament auf.
Später trug namentlich die Be-
rilhrung mit einigen Sekten, den
Gnostikern und Manichäern, zur dog-
matischen Ausbildung des Teufels-
Dogmas bei und es bildete sich aus
si'hr verschiedenen Elementen im
Gegensatz zur Welt der Engel eine
Welt böser Geister aus, die zum
Teil als von Gott abgefallene Engel
betrachtet wurden und deren Ober-
haupt der Teufel ist. Die herrschende
Vorstellung von dem Teufel wurde
wesentlich dadurch erweitert, das 8
die absterbenden heidnischen Götter
zwar für besiegt und ohnmächtig,
aber nicht ganz für machtlos erklärt,
sondern in das Gebiet der teuflischen
Mächte verwiesen wurden, und zwar
gesehah dies in erster Linie mit
denjenigen heidnischen Gottheiten,
welche von Natur übelthätig und
finster waren, wie die deutschen
Götter Loki und Hei; dann aber
auch mit den übrigen, sonst als gut
gedachten Gottheiten, sofern nicht
die fortschaffende Phantasie ihre
Züge andern guten Gestalten des
Christentums, wie Maria und den '
1 leiligen zuwies. So sagt denn
Grimm , der Teufel sei jüdisch,
christlich , heidnisch , abgöttisch,
elbisch, riesenhaft, gespenstig, alles
zusammen.
Der Same Teufel, ahd. fiural,
mhd. tievel, Huf et, ist nichts als das
griech. diaSoko*; es ist ein inter-
nationaler Ausdruck fast aller euro-
päischen Völker; zahlreiche Euphe-
mismen des Namens sind hochdeutsch
Deichet, Deisl u. dgl. ; satan wird
mhd. selten angewandt. Den übrigen
Benennungen liegt entweder der
Charakter, die Gestalt, oder der Auf
enthallde&Teufels zu Grunde. Seinem
Charakter oder innern Prinzip nach
heisst der Teufel, im Gegensatz zum
gütigen, freundlichen und milden
krtte, der Bö*e, Feindliche, der f V
lutld. Andere Ausdrücke sind der
Leidige, der Altfeind, der Alte,
mhd. rdlant, nhd. Volland, Junker
Volland , Partizip zu ags. vaelan =
verführen, schrecken. Seiner äussern
Gestalt nach heisst der Teufel der
hinkende, Hinkebein, der schwarze,
Graumann, Graumännlein ; in allen
übrigen Gliedern sonst wie ein
Mensch geformt, verrät ihn Bocks-
ohr, Horn, Schwanz oder Pferde-
fuss. Der Bock ist das heilige Tier
Donars-, daher er oft in Schwüren
und Verwünschungen erscheint : dass
dich der bock sehend! Alle Hexen
dachten sich ihren Meister als schwar-
zen Bock, wie er in der Hexenver-
saimnlung erschien; der Teufel ist
es auch, der die Ziegen oder die
Gemsen erschaffen hat. Nächst
dem Bock ist der Eber ein Teufels-
tier, er war ursprünglich dem Fro
heilig und gab in Waihalla der
Helden Speise her; daher er und
die Sau Teufelstiere sind. Oft er-
scheint der Teufel als Wolf, welches
wohl der Wolf Wodans ist; wenn
er dagegen als schwarzer Hund mit
Feueraugen erscheint, so deutet das
wieder auf den Gewittergott. Gern
nimmt der Teufel die Gestalt von
Wodans Tier, des Haben, an. Alt
und verbreitet war die Erschein ung
des Teufels als Schlange, Wurm und
Drache, eine Vorstellung, die sich
teils an die Schlange im Paradiese,
an Apokalypse 20, 2 und an den
Leviathan, teils an den einheimischen
Volksglauben von feuerspeiendeiij
giftigen Würmern, schatznütenden
Drachen und wunderbaren Schlangen
anschliesst. Auch zwei Geräten,
dem Hammer und dem Riegel wird
der Teufel verglichen ; von welchen
der Hammer Donar, der Riegel Loki
zusteht ; ia man schrieb den Sturm-
wind una die Windsbraut geradezu
später den Riesen oder Teufeln zu.
Von seinem Aufenthalt in der
Hölle, aus welcher er die heidnische
Göttin Hei (siehe diesen Artikel)
verdrängt hat, heisst der Teufel
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07Ö
Teufel.
helleicarle, hellehirte, heflen-irt. Ur- die Wolken bringt, so werden Helden
sprünglich der Aufenthalt der Todes- aus ferner Gegend von dem Teufel
gottin Hei, und dadurch Wohnung plötzlieh durch die Lüfte zur Heim ar
der Toten, zwar traurig und freuden- getragen ; das ist der Fall bei Heiii-
leer, aber frei von jeder Strafe und rieh dem Löwen, Klinsor, Ofter-
Qual seiner Bewohner, wurde die dingen, Faust. Die meisten Eigen-
Hölle der Name des Ortes der Ver- 1 Schäften des Teufels aber sind von
dämmten, ein mit Flammen und Donar übernommen; er haust im
Pech erfüllter Pfuhl; die alten Gewitter und Wirbelwind ; er hinter-
Sachsen nannten diesen Ort noch lässt, wenn er durch ein heilige«
lange, weil ihnen das einheimische Wort oder ein heiliges Zeichen über-
hellia noch zu heidnisch vorkam, wiesen wird, immer einen Schwefel-
mit dem biblischen Namen infern gestank, der auf den Blitz deutet,
oder verkürzt fern. Grimm ver- Die Donnerkeile heissen auchTcufels-
mutet,daßsdie/VeMö//<>denGrierhcu finger; in Flüchen ist Donner und
von den Slawen zugebracht worden Teufel oft dasselbe. Donnerkind
sei; denn in slawischen Sprachen ist sowiel wie Teufelskind; sehwie-
bedeutet dasselbe Wort Pech und rige Schmiede- und Schlosserarbeiten
Hölle. Ein eigentümlich mittelalter- werden dem Teufel zugeschrieben,
lieber Name für die Hölle ist Ab&w- Die grossen feurigen Augen, »ein
kniff, auch griech.-lat. ahunsus — Ab- Erscheinen als schwarzer Hund, die
grund, Hölle und niederdeutsch der rote Farbe seiner Kieiduug, die rote
X-röo, Krug — geringe Schenke; die Hahnenfeder auf dem Hut sind dem
Hölle ist also hier als Wirtshaus Gewittergott entnommen,
und der Teufel als Wirt gedacht. Aus dem deutschen Heideurume
Alle heidnischen Götter ver- stammen auch die Teufefinnen, Ge-
wandelten sich den neuen Christen stalten, die dem Judentume durch-
geht bloss in Götzen, sondern in aus fremd sind. Schon Ulfilas
Teufel. „Wer den alten Göttern übertrug das griechische daimoni>,a
anhing, ihnen heimlich opferte, hiess durch ein weibliches Wort; die um-
Teufehd teuer; die alten Taufgelöb- hultho, d. i. unholde Frau; diese
nisse fragten einfach: Widersagst vertritt unter den Neubekehrten,
du dem Teufel; Antwort: Ich wider- was sich ihre Voreltern unter Holda
sage dem Teufel und der Teufels- gedacht hatten. Holda ist es auch
Verehrung und allen Werken und wahrscheinlich, die unter dem Na-
Worten des Teufels, dem Donar men „des Teufels Grossmutter*4
und dem Wodan und dem Saxnot bekannt ist.
und allen den Unholden, die ihre ' Einzelne Opfer, die, weil sie mit
Genossen sind."' Aus Wiiotan, dem Gebräuchen und Festen zusamxnen-
wilden Jäger, wurde ein jagender hingen, noch lange Zeit hindurch,
Teufel, der hellejager. der auch als zuletzt als unverstandene sehuld-
Jäger in grünem Kock mit Hahnen- lose Sitte fortgeführt wurden, wur-
feder auf dem Hut erscheint. Gleich den dem Teufel zugeschrieben, «o
Wuotan und Donar fahrt der Teufel Lämmer und Boeklein , meist
bald auf schwarzem Rosse, bald in seinen rze, die in Norwegen dem
stattlichem Wagen. Wie Wuotan Wassergeist zugeschrieben wurden ;
als Gott und Erfinder des Spiels, bei Schatzhebungen kehrt dieser
namentlich des WTürfels galt, so schwarze, genau ein Jahr und einen
wird jetzt das Würfelspiel auf den Tag alte Geissboek immer wieder.
Teufel bezogen, er würfelt mit Auch selncarze Hühner kommen
Menschen, die ihre Seele aufsetzen, vor, an denen aber keine weisse
Wie Wuotan seinen Schützling durch Feder sein darf; das Opfer eines
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Teufel.
971
Lichtes hat sich bis jetzt in der
Redensart erhalten: „dem Teufel
*m Licht anstecken".
Vieles hat der Teufel von den
Dämonen und Geistern der deut-
schen Naturreligion aufgenommen;
CT heisst daher der Wicht, Böse-
rieht, Helletcich t\ gleich Elben hat
er die Gabe zu erseheinen, zu ver-
schwinden und sieh zu verwandeln,
nur dass die mehr neckische Scha-
denfreude dieser Geister dem Teu-
fel immer als bitterer Ernst ange-
rechnet wird. Teufelbesessen ist
der, dem es die Elbe angethan
haben; er gleieht der , Wohnung, in
welcher sich Poltergeister festge-
setzt haben. Gutmütigen Haus-
geistern gleich trägt der Teufel
Beinen Freunden und Günstlingen
<>ld oder Getreide zu. Ganz dc-
«'•ndere ist aber der Teufel an die
Stelle der alten Riesen getreten;
beide, Kiesen und Teufel, verfolgt
der Donnergott mit seinem Ham-
mer: wie cler Riese von Thors
Miölnir, so wird der Teufel im
Märchen von des Schmiedes Ham-
mer getroffen. Riesig erscheint na-
mentlich der Teufel da, wo ihm
das Volk ungeheuere Bauten und
Steinten rfe beilegt; der dumme Ten-
ftl gilt wie der dumme Biese. Die
Erbauung christlicher Kirchen ist
ihm vernasst, er sucht sie zu zer-
trümmern, sein Plan wird aber je-
desmal von einer höheren Gewalt
'•der durch überlegene List der
Menschen, z. B. einen künstlieh
gewirkten Hahnenschrei oder durch
etwu Heiliges vereitelt. Gleich
den Riesen zeigt er sich selbst oft
als erfahrenen Baumeister, welcher
• ine Burg, Brücke oder Kirche
aufzuführen übernimmt und sich
zum Lohn die Seele dessen ausbe-
dingt, der den neuen Bau zuerst
betritt: daher man wohlbedächtig
zuerst einen Hahn oder eine Gemse
über die neue Brücke laufen lässt;
!>eim Kirchenbau ist es ein Wolf.
Teufelssteine heissen entweder die.
welche er zum Bau tragend aus
der Luft fallen Hess oder die er,
sein begonnenes Werk zerstörend,
auf die Berge trägt oder die er
nach der Kirche geworfen hat.
Teufel »mauern erklärt das Volk so:
der Teufel habe damit die Grenze
seines Reiches abschliessen wollen.
Hervorragende Felsklippen heissen
Tntfels kanzeln , da soll der böse
Feind dem versammelten Volk ge-
predigt haben ; es sind vielleicht
alte Kultusplätze.
Zweifelhaft ist der Ursprung der
Sage von verf ragsmässigen Bnnd-
I nissen mit dem Teufel, wodurch
für die von dem Teufel erlangten
irdischen Glücksgüter, besonders
aber für die Zauberkraft, die eigene
Seele verkauft wird. Das iiiteste
Beispiel dieser Sage stammt aus
dem 4. Jahrhundert, wo aber noch
keiner 1'erschreihung gedacht wird;
tlas früheste Beispiel eines Bünd-
nisses mittelst Verschreibung an
den Teufel bietet die Geschichte
des Theophilus. Dieser, ein überaus
frommer Mann, lebte zu Adana in
Cilicien als Ökonomus oder Vize-
dominus der Kirche zur Zeit der
Persereinmlle in das Reich. Nach
des Bischofs Tode wurde er zum
Bisehof erwählt, lehnte aber die
Wahl aus Demut ab. Der statt
seiner nun gewählte neue Bischof
entsetzt, durch Verleumdung ge-
blendet, den Vizedominus seines
Amtes, worauf dieser, bitter ge-
kränkt, sich an einen als gewaltigen
Zauberer bekannten Juden wendet,
durch dessen Beistand er wieder
zu seinem Amte zu kommen hofft.
Der Zauberer führt den Theophilus
am nächsten Tage in den Zirkus
und mahnt ihn, vor keiner Erschei-
nung zu erschrecken und sich mit
dem Zeichen des Kreuzes zu be-
schützen. Dort treffen sie eine
Menge Weiber mit brennenden
Fackeln umherziehend, Loblieder
singend; in ihrer Mitte thront Sa-
tanas, der die Huldigungen seiner go-
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972
Teufel.
treuen Unterthanen entgegennimmt
Auch Theophilus fällt auf die Knie
und küsst des Teufels Füsse; da
Satauas »ich jedoch nicht erinnert,
den Theophilus je gebchen zu haben,
verwundert er sich über die Drei-
stigkeit des Eindringlings. Auf die
barsche Frage, was er wolle, er-
widert Theophilus: deinen Befehlen
gehorchen. Da erhebt sich Satanas
ein wenig, streichelt dem Theophi-
lus den Bart, küsst und begrüsst
ihn freundlich als seinen lieben
Unterthan; Theophilus aber entsagt
hierauf Jesus und der Maria und
überreicht dem Teufel die von ihm
selbst geschriebene und mit Wachs
versiegelte Urkunde. Am folgenden
Tage wird Theophilus vom Bischof
aut die ehrenvollste Weise in sein
Amt wieder eingesetzt und führt
fortan als des Teufels Lehnsmann
ein übermütiges Leben. So geht es
eine Zeitlang; später aber wird
Theophilus von Reue ergriffen; 40
Tag«; und Nächte lang fleht er
Maria in ihrer Kirche um Beistand
an; sie lässt sich erweichen, be-
wegt auch ihren Sohn dem Sünder
zu verzeihen, schafft die Urkunde
wieder herbei und legt sie ihm,
während er in der Kirche einge-
schlafen war, auf die Brust. Er-
wachend , findet er die Schrift,
bekennt öffentlich seine Sünde,
verbrennt die Schrift und stirbt
drei Tage darauf eines seligen To-
des. Die spätere Zeit versetzte ihn
unter die Heiligen. — Die Unter-
schrift mit Blut kommt zuerst im
13. Jahrhundert vor.
Über den Teufel in den Ile.ren-
prozessen siehe diesen besonderen
Artikel.
Was die Literatur des Teuf eh
betrifft, so ist dieselbe in der karo-
lingischen Periode bei dem keu-
scheren, dem Altertum nicht wenig
zugekehrten Sinn noch kaum in
besonderen Werken vertreten; der
Erzbischof Agobard von Lyon, aus
der karolingisehen Schule hervor-
gegangen, gestorben £41, trat noch
gegen den Glauben an die Wetter-
macherei durch den Teufel auf.
Auch die höfische Bildung bevor-
zugt den Teufel noch in keiner
Weise, so oft auch sein Name als
böses Prinzip in den Schriften die-
ser Periode angetroffen wird. Erst
die kirchlich - asketische Bildung,
die seit dem 11. Jahrhundert auf-
trat und namentlich in den neueren
Orden ihren Halt hatte, war es.
welche das Interesse am Teufel
wachhielt und belebte. Daher die
zahlreichen Teufelsgeschichten in
den Legenden, in den Wunder-
erzählungen des Cistercieusermöuchs
Caesar ins von Helsterbach, 13. Jahr-
hundert, des gleichzeitigen Augusti-
ner-Mönches Alherirus, das Buch
des wenig späteren Cistereieuser-
Abtes Richalnus, „Buch der Offen-
barungen über die Nachstellungen
und Tücken des Teufels", sodann
die Teilnahme der neuen Orden,
desonders der Dominikaner, an deu
Ketzerverfolgungen, wo immer auch
der Teufel ins Spiel gezogen wurd^.
an der Aufhebung des Templeror-
dens, an den Hexen-Prozessen. Eine
eigentümliche und im späteren Mit-
telalter mehrfach bearbeitete Schrift
ist der Satanspruzessy proeessus &»-
tanae, eine Art Prozeaslehrbuch.
,.ein nützlicher Gerichteshandel vor
Gott dem allmechtigen unserm
Herren, durch die gloriwirdisrsten
Jungkfrawen Mariam, fürsprecherin
des menschlichen geschlecht*, am
einen, uud verraaledevten Satha-
uam, anwalt der hellischen schale k
heit, am andern Teil geübet'1; die
Schrift wird meist einem gewissen
Bartolus, 14. Jahrhundert, zuge-
schrieben, sie scheint aber im 13.
Jahrhundert von einem Juristen
erfunden worden zu sein.
Der Teufel kam endlich als ko-
mische Person auf die Bühne, und
im 15. und 16. Jahrhundert gehört«'
er in Spanien , Frankreich und
Deutschland zu den Würzen der
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Teufel.
973
geistliehen Spiele. Hier war er
recht wie der Teufel des Volks-
glaubens ausgestattet, machte gro-
teske Sprünge und Tänze und ver-
gnügte die Zuschauer namentlich
auch durch sein Schmerz- und
Angstgeheul. In einem zu Zürich
aufgerührten Spiele wurde der Teu-
fel sogar klisticrt, worauf er ein
Mausenest von sich gab. Seine
Rolle im Spiel Ist eine doppelte,
als Bestrafer des Lasters und als
Vater aller Sünde. In der ersten
Rolle ist er ernst, man liebte es,
ihm der Reihe nach alle möglichen
Stände zuzuführen und bildete so
eine Art Teufelstanz dem Toten-
tanz nach. Am weitläufigsten ist
dieser Gedanke in dem Gedichte
..des fiufeh segi" behandelt, her-
ausgegeben unter dem Namen „des
Teufels Netz" von Barack, Stutt-
gart 1863, ausserdem in mehreren
Spielen. Als Vater der Sünde ist
der Teufel zugleich Vater der Thor-
heit und nähert sich dadurch dem
Narren. Unter den Spielen, worin
der Teufel eine Rolle spielt, findet
man auch iene oben erwähnte Sage
von Theophilus wieder; ein anderes
ist das Spiel von Frau Jutta, dessen
Inhalt die Sage von der Päpstin
Johanna ist. Ein Mädchen aus
England ist mit einem Geistliehen,
ihrem Geliebten, in Mannskleidern
nach Paria gegangen, wird daselbst
Doktor, in Rom Kardinal und zu-
letzt Papst; als solcher aber wird
sie mit Sehimpf entlarvt und von
den Teufeln in der Hölle empfan-
gen, jedoch durch die Fürbitte
Maria's und des heiligen Nikolaus
dennoch befreit. Auch in der Posse
spielt der Teufel als komische Fi-
gur seine Rolle. Siehe Weinkold
in Gosehus Jahrbuch für Lit.-Geseh.
Bd. I, Seite 17 ff.
Bildlich kommt der Teufel früh-
zeitig bei der Darstellung des
Sündenfalle* in der christlichen
Kunst vor unter dem biblischen
Bilde einer Schlange mit oder ohne
Menschenhaupt ; später kommen als
Sinnbilder der Drache hinzu, mit
welchem Michael kämpft, und der
Löwe, den Heilige unter die Füsse
treten. Vereinzelt erscheint er im
9. Jahrhundert bei der Versuchung
Christi als böser Engel in nackter
Menschengestalt, geflügelt und von
grüner Farbe; seit dem 11. Jahr-
hundert erseheint er teils in mensch-
licher, teils in tierischer Gestalt,
aber immer htfsslieh, mit haarigein
Körper, Schwanz, gespalteneu Hufen,
Hörnern, Fledermausflügeln u. dgl.
Magiern oder Feinden Gottes sitzt
er als ein schwarzer Galgenvogel
auf der Schulter; den Besessenen
fahren die Teufel aus dem Munde.
In der Hölle thront Satan, umgeben
von seinen Vasallen, in allen mög-
lichen scheusslichen Gestalten. Seit
1500 überlicssen sich die Maler über-
haupt bei Darstellung der Hölle
und ihrer Bewohner den ausschwei-
fendsten Phantasien. (Hie, kirch-
liche Archäologie, £ 15?. Wessel y,
die Gestalten des Todes und des
Teufels in der darstellenden Kunst.
Leipzig 1H76.
Im 15. Jahrhundert schien die
Bedeutung des Teufels abzunehmen;
der Humanismus kannte ihn nicht
mehr, die mönchische Anschauung
war in Verachtung geraten, und
die plastisch-dramatische Darstellung
seiner Gestalt sprach deutlich dafür,
dass man ihn zu fürchten verlernte.
Da regte Luther den Teufelsglauben
von neuem auf. Von Natur und
Familie war er einem stark sinnlich-
altertümlichen Teufelsglauben ge-
neigt und trug denselben vielfach
in seine Reden und Schriften über.
Nun war schon früher der Teufel
satirisch-didaktisch als Allegorie des
Bösen verwendet worden, unter
anderm war 1489 ein lateinischer
Klagebrief über das Elend der
Pfarrer erschienen, worin die armen
Landgeistlichen von neun Teufeln,
darunter der Bisehof, gequält dar-
gestellt wurden. Diese Epistel Hess
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974 Tiara. — Tierbilder.
Luther 1540 mit eiuer Vorrede be- deutung sind zuerst aus der antiken
gleitet wieder abdrucken, und nun Welt in die christlichen Bildwerke
entwickelte sich eine ganze Teufels- hinübergenommen und hier zum tei.
ütteratur, die 150 Jahre anhielt und christlich umgedeutet worden: dal*
worin die verschiedenen Lasterhaften kommt in Betracht der Unterschied
als ebenso viele Teufelsbesessene zwischen reinen und unreinen Tieren
gegeisselt wurden, ähnlich wie man als Symbole des Lichtes und der
sonst das Laster als Narrheit dar- Finsternis; Raubtiere sind Repru
zustellen pflegte. Diese Teufels- sentauten christenfeindlicher Mächt» ,
traktate, in Prosa, in Versen, auch wehrlose Tiere bezeichnen die be-
in dramatischer Form, bringen nun drängte Christenschar; Jagdazenei.
d»*r Reihe nach einen Hofteufel, bedeuten die Bekehrung der Sünder.
Hosen-, Fluch-, Ehe-, Sauf-, Jagd-, die gejagten Tiere die einzelnen
Junker-, Geiz- und Wucher-, Faul-, Sünden, die Jagdhunde die Bus?
Iloftarts-, Zauber-, Sehnaps-, Haus-, prediger, die aufgestellten Netze *U u
Bau-, Gesind-, Tanz-, Spiel-, Pesti- Glauben und die Gottesverehrun^
lenz und viele andere Teufel. Ihrer Anfangs herrsehte in diesen christ
24 sind in dem grossen Folianten liehen Tierbildern noch ein bann
abgedruckt, der 156U, 1575 und loser Ton, der namentlich Lamme:
1587 unter dem Titel Iheatrum und Schafe bevorzugt ; seit aber di'
Diaboforum zu Frankfurt a. M. er- Apokalypse bekannter gewoni't
schien. war, traten die ungeheuerliebe:.
Erst das Auf klärungszeitalter Tiere der OÖeubarung in den Bilder
hat den Teufel, der bei Protestanten kreis ein, um den Sieg der chriii
und Katholiken seit der Reformation liehen Kirche über den Satan ru
auch in die Katechismen , Gebete versinnlichen : der Erzengel Michas
und Gesangbücher Einlass gefunden besiegt den Drachen, Ritter Geon:
hatte, in die Dogmatik verwiesen, den Lindwurm; phantastische Ge-
Orimm, Mythologie, Kap. 33; Wuttke, stalten aller Art trateu auf, Meu-
VolksabiTglauben. noskojf, Ge- sehen mit Tierköpfen, Tiere mif
schichte des Teufels, zwei Bände. Menschenköpfen, barocke an ägyp
Leipzig 186'J. Freitag, Bilder aus tisehe Gottheiten erinuerude Min-
der deutschen Vergangenheit. Aus gestalten, darunter der Tetrauaorph.
dem Jahrhundert der Reformation, welcher die vier Evangelisten dar-
Abschnitt 11: Der deutsche Teufel stellt uud ein aus Mensch, Ocl^
im 16. Jahrhundert. Adler und Löwe gebildetes vierte;
Tiara heisst die krouenartige biges und vierköpfiges Ungeheuer
Kopfbedeckung des Papstes. Au- ist. Die Plastiker des 11. Jahrhun-
fiinglich warsieglatt, ohne Kronrand, derts brachten diese symbolischem
dann gestreift mit einem Stirnreif Tiere, zu deren Gebrauch und h»
versehen, hoch, kegelförmig. Boni- wähl auch der Phi/siuhgu* mitwirkte
facius VIII. (1294 — 1303) gab dem in die kirchliche Ornamentik; w
Stirnreif die Gestalt eines Krön- nächst ^ab mau kirchlichen GerÄM:
reifes und setzte einen zweiten über in Messing und Email, den Mes>
denselben, ungefähr in die Mitte kanuen, Salbflasehen, Weihrauch
des Kegels. Urban V. (1362 — 1370) büchsen, die Form von (»reifen
fügte den dritten hinzu, und so ent- Sträussen, Kranichen, Delphinen
stand die sogenannte dreifache während das Ciborium die alt*
Krone. Sie trägt auf der spitze Form der Taube beibehielt; die
den Reichsapfel und das Kreuz, zu Weihwasserkessel erhielteu zw»»;
beiden Seiten je ein Band. sich begegnende Drachen zuo.
Tierbilder in symbolischer Be- Henkel, ähnliche Gestalten bekaniec
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Tierfabel.
075
die Leuchter für ihr Untergestell.
Dann kamen die gleichen Figuren
in die monumentale Dekoration des
Kirchenbaus; anfangs auf die Aus-
schmückung der Säulenkapitäle des
Innern beschränkt, verbreiteten sie
sich im 12. Jahrhundert auch über
alle Facadeuteile der romanischen
Kirche, und zwar in der ernsten
Absicht, damit das Böse nnd seine
unseligen Folgen so abschreckend
als möglich abzubilden; auch sind
die Darstellungen anfangs noch
streng und der kirchlichen Tradi-
tion getreu gehalten; im 13. und
14. Jahi hundert, als weltliche Bau-
meister und Steinmetzen auftraten,
Hess man dagegen der persönlichen
Laune und Satire die Zügel schiessen,
und brachte die freiesten, mutwillig-
sten Schöpfungen auf. Es gibt
auch Tierdarstellungen, welche
direkt dem deutscheu Tierepos ent-
nommen sind. Abgesehen von der
häufigen Abbildung des Wolfes und
Fuchses, findet man an den Pfeiler-
friesen der Krypta des Basler
Münsters den ganzen Inhalt von
Isengrims Not (Tiersage Nr. 5).
namentlich die Krankheit und Hei-
lung des Königs Löwe abgebildet;
ähnliches auf einem Teppich zu
Lübeck, der einst als Altardecke
diente. Ott*, Irirehl. Archäologie,
S. 875 ff. — Wackernaget^kl.ücliriften,
II, 309 ff. R Kolloff, die sagen-
hafte und symbolische Tiergeschichte
des Mittelalters, in Raumers hist.
Taschenbuch. Vierte Folge, Jahrg. 8,
S. 179-269.
Tierfabel. Die Tierfabel, welche
im Kleide einer scheinbar der Tier-
welt entnommenen Szene eine für
die Menschen weit berechnete Lehre,
eiue Erfahrung oder Warnung ent-
hält, stammt aus dem Orient; bei
den Indiern ist sie vertreten durch
die Pantschatantra und die aus
dieser Sammlung hervorgegangenen
Bearbeitungen aifapadeta unof Bid-
pai. bei den Griechen durch Äsop
und bei den Römern namentlich
durch Hiaedrus. Das Mittelalter
überkam die Fabeln des Altertums
vornehmlich aus einer prosaischen
Fabelsammluug eines gewissen Ro-
main*, der auf Asop beruht; es
gibt aber daueben noch einige
andere, teils in Prosa, teils in Versen
verfasste Fabelsammlungen des
Mittelalters. Mit ihnen mischten
sich orientalische Tierfabeln, die
man aus den Novellenbüchern kennen
lernte, aus der Disciplina clericalis,
den desta Romanorum, den sieben
weisen Meistern (vgl. den Artikel
Novellen). Die deutsche Litteratur
zeigt für diese Dichtnngsart erst
Geschmack, nachdem gegen die
Mitte des 13. Jahrhunderts die
Blüte der höfischen Dichtung
vorbei war und die frei schaffende
Phantasie die Leitung der Poesie
an den Verstand abgegeben hatte.
Der älteste Fabeldichter ist der
Stricker; ihm folgt mit einer Edel-
stein genannten, um 1330 gedichte-
ten Sammlung von 100 Fabeln der
Berner Predigermönch Ulrich Boner,
es ist das erste in deutscher Spruche
gedruckte Buch; Bamberg 1461;
dann Heinrich von Mikjlin, der seine
Fabeln in lyrischer Strophenform
dichtete, während die übrigen Fabel-
dichter das gewohnte Reimpaar an-
wendeten; auch in den Renner des
Hugo von Trimberg sind vielfach
Fabeln eingeschoben. Der ahd.
Name für diese lehrhaften, ohne
Zweifel von den Tierepen beein-
flussten Tierfabeln, denen meist die
Lehre gesondert beigefugt ist, ist
bitoel, zu ahd. und mhd. das spei
= Rede, Erzählung, Sage, woraus
erst nhd. Beispiel wurde. Erst im
15. Jahrhundert kehrte man zu der
ursprünglichen Form der Fabel zu-
rück, zur Prosa, und zwar über-
setzte der Ulmer Arzt Heinrich
Steinhowel sowohl die Fabeln des
Äsop als den indischen Bidpai, den
letztem unter dem Titel Buch der
Beispiele der alten Weisen, und zwar
aus einer lateinischen Bearbeitung,
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976
Tierkunde.
welche im IS. Jahrhundert Johann Sinne Geist des Mittelalters „M,.—,
von Capua unter dem Titel direc- die den Grundlagen des natür-
torium numanae vitae verfasst hatte, liehen Lebens abgewendete, dem
seinen Wundem
zugewandte, phantastisch-romaui-
tisi he Weltanschauung, so hat diese
für die Gegenstände der Natur über-
haupt wie insbesondere für die Tier-
welt nur sehr wenig Verständnis,
und soweit sie sich der Tierwelt
nicht ganz entschlägt, zieht sie die-
selbe mit Vorliebe in den Diener
ihrer metaphysisch-symbolischen
Ideen von Himmel und Hölle, Christus
und Maria, Tugenden und Laster
u. dgl., dergestalt, dass die Zoologie
des Mittelalters wenig anders als
ein Stück Theologie scheint. Vor-
gearbeit hatte aber in dieser Be-
trachtungsweise schon die alte Welt.
SteinhöweFs Äsop erschien vor 1480, Christentum und
das Buch der Beispiele 1483. Beide
Bücher bewiesen durch die zahl-
reichen Neudrucke, die sie durch
mehr als ein Jahrhundert hindurch
erlebten, wie sehr jetzt die Zeit der
Fabel geneigt war. Durch die Vor-
liebe und Empfehlung Luther s, der
selber äsopische Fabeln übersetzte
und veröffentlichte, gewann die
Gattung noch mehr Einfluss, so dass
nun im 16. Jahrhundert die Zahl
der gereimten und ungereimten,
kurzen und ausführlichen Fabel-
sammlungen sehr gross wird. So
schrieb Sel>astian Hrant Fabeln in
Prosa, Han* Sachs als Meisterge-
sänge und in Spruchfonn. Weit
verbreitet waren die Fabeln des
Kraxmus Allem*, gest. 1558, der
auch geistliche Lieder dichtete; ihr
welche, die exaktere Beobachtungs-
Methode des Aristoteles vc
ihre Kenntnis und Teilnahme an
der Tierwelt vielfach mit wildem
Name ist „das Buch von der Tugend Aberglauben verquickte; Zeugnisse
und Weisheit"; ebenso der „Esojms, davon sind Plinius und Alisn.
ganz neu gemacht und in Reimen deren Nachrichten zum Teil in
irerfasst mit sampt hundert neuer Encyklopädie des Isidor überge-
Fabeln" von Burkhard f Waldi*\ J gangen and. Das Hauptwerk aber
noch
Ha tt mann
" ~ — • ■ — ......... f^nu^y u oiuu, i/no iiauuinvin -
andere Sammlungen haben der Tierkunde des früheren Mittel-
ann Schober, Nathan Ch i/, i aiter8 \9t der Fhysioloffns, dessen
Hu/drich
ausserordentliche Verbreitung
tr<his, Daniel Jtoirzmann
Wotnemut veranstaltet. Mit dem daraus erhellt, dass man ihn, pro-
Aufleben des Opitzischen Ge- saisch oder metrisch, in griechischer,
schmackes verschwindet die Fabel lateinischer, syrischer, armenischer,
für längere Zeit fast ganz aus dem arabischer, äthiopischer, althoch
Gesichtakreise der deutschen Litte- deutscher, angelsächsischer, alteng-
ratur, und erst im 18. Jahrhundert lischer, irländischer, provencalischer
erhielt sie durch den Vorgang La und altfranzösischer Sprache erhalten
Fontaine*' und durch das Gewicht, findet. Dieses Lehrbüchlein der
das die Zürcher Kritiker Bodmer mittelalterlichen Welt scheint in den
und Breitinger auf diese Gattung ersten Jahrhunderten der christlichen
Zeitrechnung von Lehrern onenta-
lisch-alexanarinischer Christenge-
meinden verfasst worden zu
legten, erneuerte Teilnahme.
Tierkunde des Miftefatfer*. Dass
dem natürlichen Auge des Mittel-
alters Tierbeobachtung nicht fremd Die Tiere, welche darin zurBeschrei-
war, beweist die Verbreitung und bung kamen, waren die hihlisehen,
liebevolle Bearbeitung der Tiersage; den narurhistorischen Gehalt boten
doch wurzelt diese mehr in den die heidnischen Tierfabeln und Tier-
volksmiissig-natürlichen Anlagen des geschichten, Zweck des Buches war
mit der Natur zusammenlebenden schliesslich symbolische Anwendung
Menschen; was man im engern der Tierwelt auf die christliche Lehre.
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Tierkunde.
977
Erst mit der Zeit erhielt die Samm-
lang eine kanonisch fixierte Gestalt,
an welcher dann nur noch, durch
Ort und Zeit veranlasst, Äusserlich- 1
keiten geändert wurden. Anfangs
war die Kirche dem Physiologus
nicht günstig, seit Gregor d. Tir.
galt er aber als anerkanntes Lehr-
buch der christlichen Zoologie; seine
Bedeutung erlischt erst im 14. Jahr-
hundert. Viele Handschriften des
Physiologus oder Besliarius, wie er
auch heisst, waren illustriert. Die
hauptsächlichsten Tiere des Physio-
logus sind der Ixuce , der Panther
otier Pardel, ein Tier, das nie seines-
gleichen auf der Welt hatte, —
sanftmütig und wundersam, das Fell
rot, blau, gelb, grün, schwarz und
grau gefleckt, aus seinem Munde
strömt ein Geruch, lieblicher als
ein ganzes Blumenbeet oder Speze- 1
reigewölbe, so dass die Tiere von
allen Seiten seiner Färte folgen; er1
ist das Sinnbild Christi Der Elefant
ist das grösste Tier der Welt, hat
viel Verstand und wenig Geschlechts-
trieb. Er schläft stehend, an einen
Baum gelehnt ; Jäger, die ihn fangen :
wollen, suchen die Stellen und Bäume
auszukundschaften, wo er schläft, |
nachher sägen sie den Baum bis
auf ein dünne* Ende durch, und
wenn der Elefant sich daran lehnt,
so fällt er mit dem Baume um und
schreit erbärmlich. Das Horn des
Einhorn* (der Stosszahn des Nar-
wal galt dafür) bewahrt den Be-
sitzer vor Vergiftung; Probierlöffel-
ehen daraus dienen, mit silbernen
Kettchen angelötet, namentlich an
Salzfässern und Trinkbechern, um
bei Tafel vor heimtückischen An-
schlägen zu sichern. Das Einhorn
selbst ist Symbol der unbefleckten
Empfängnis. Seine Gestalt dachte
man sich anfangs als ein Ziegen-
lamm, später als Rhinozeros oder
Schimmel. Das Antholops oder Ap-
tolops, Aptolos, Antula ist ein wildes
Hcbnellfüssiges Thier mit zwei langen
Hornern, scharf wie eine Messer-
Reallexiron der deutschen Altertümer.
klinge und zackig wie eine Säge,
so dass es damit che dicksten Bäume
zerschneiden oder umsägen kann;
diese Horner .sind die beiden Testa-
mente. Der Waldesel oder Wildesel.
bei weichem Nebukadnezar wohnte,
lebt in Afrika und schreit nur, wenn
er nichts mehr zu fressen hat. .Jedes
Jahr am 25. März brüllt er zwölf
Mal in der Nacht und ebenso oft
am Tage; daraus erkennt man, dass
die Nächte ebenso lang sind als die
Tage. Der Wolf ist stark an den
Füssen, aber schwach in den Rippen
und so geartet, dass er den Kopf
nicht nach hinten hinwendeu kann ;
wenn er hinter sich sehen will, muss
er sich deshalb mit dem ganzen
Leibe umdrehen. Die Wölfin wirft
im Monat Mai Junge, und nur, wenn
es donnert. Von den zahlreichen
Kniffen des Fuchses steht im Physio-
logus bloss die Geschichte, wie er
sich scheinbar tot mit dem Rücken
auf die Erde legt, in der Absicht,
unbesonnene Vogel als. Aas anzu-
locken und sie nachher zu töten.
Es folgen dann der Bock-, der Biber,
der Igel, das Wiesel, der Hudriut
oder ldrisj eigentlich das Ichneu-
mon, der Adler-, wenn er altert, so
erlahmt die Kraft seiner Flügel und
trübt sich die Hellsichtigkeit seiner
Augen; dann fliegt er zur Sonne
auf, wärmt sich an ihren Strahlen,
senkt sich nieder und taucht drei-
mal in einen Brunnen, woraus er
völligyerjüngt hervorgeht ; der Geier -,
der nahe; uer Straus*; der Sforch ;
der Falk' (Reiher); der Kranich-, der
Ibis -t der Hahn; der Kalander, nach
der deutsch-mittelalterlichen An-
schauung der Lewark, die grosse
Haubenlerche; er ist ein ganz weiss
und ein äusserst kluger Vogel, dessen
zu- oder abgewandter Blick über
Leben und Tod entscheidet. Er hat
nämlich die Art, wenn man ihn zu
einem siechen Menschen bringt,
so deutet er an, ob der Mensch
sterben oder genesen soll. Ver-
schmäht er des Kranken Antlitz
62
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978
Tierkunde
und wendet seine Augen von ihm
ab, so stirbt der Kranke; kehrt er
sich aber zu dem Kranken hin und
legt seinen Schnabel auf dessen
Aiund, so genest der Kranke, denn
der Vogel nimmt sein Siechthum
Gestirne. Thomas hat ausser dem
Aristoteles die ganze dieser Zeit zu-
gängliche zoologische Litteratur be
nutzt; ausser den Alten, wie Theo-
phrast und Plinius, die Kirchen-
väter, den Isidor, verschiedene
an sich, fliegt damit hoch in die mittelalterliche Schriftsteller, anch
Luft hinauf und verbrennt es an
den Sonnenstrahlen. Der Kalander,
auch dalmnder, CalandriuSj Cara-
drius genannt, ist ein Sinnbild Christi.
Die kule; das Rehhuhn ; die Drachen
und deren Abart, die Serra ; die
Sch/a/uje; die Otter; die Viper.
In der höfischen Dichtung findet
man den Einfluss des Physiologus
den Physiologus und ähnliche selte-
nere Lehrbücher, nnd wenn er natür-
lich weder von der moralisierenden
Methode noch vom Wunderglauben
frei ist, so bezeichnet seine Anschau-
ung zufolge ihrer grösseren Otyek-
tivität doch einen wesentlichen Fort-
schritt. Sein Lehrer ist Alhrrt^
Afagnus, gest 1280; dessen Werk
namentlich in demjenigen Abschnitt über die Tiere ist aber später als
von Freidank* Bescheidenheit, der dasjenige des Thomas geschrieben.
von tieren überschrieben ist. um 1250; es enthält ausser den 19
Eine Erneuerung seiner Tier- 1 Büchern des Aristoteles noch sieben
künde erlebte das Mittelalter erst weitere, in welchen von der Natur
dadurch, dass im 13. Jahrhundert der tierischen Körper, von dm
durch Vermittlung der Araber die Vollkommenheitsgranen, den
zoologischen Schriften des Aristoteles füssigen Tieren, Vögeln, W
im Abendlande bekannt und ins tieren, Schlangen und den klein**
Lateinische übersetzt wurden; die blutlosen Tieren gehandelt \rini:
beiden Ubersetzer sind Michael j Albert hat das Werk seines YV-
Scofus, wie erzahlt wird, durch gängers und Schülers fleissig ni
Kaiser Friedrich IL, den Verfasser Rate gezogen, zeichnet sich aber
des Buches über die Falkenjagd, ihm gegenüber durch eine planvolle
dazu aufgefordert, und Wilhelm von systematische Durcharbeitung der
Moerbeke. Unter Benutzung des Ari- Aristotelischen Naturphilosophie au>-
stoteles stellten sieb darauf drei Der dritte Dominikaner ist der be
Dominikaner in der Mitte des kannte Yincentius Belkwcr**'-
13. Jahrhunderts die Aufgabe, das dessen Speculum quadruptei isn-br
gesamte zoologische Wissen der ; Geschichtschreibnng» auch einen
Zeit in umfassender Form zur Dar- specuJum naturale enthält. Er hax
Stellung zubringen; und zwar schrieb noch mehr Schriftsteller als sen*
Thomas von Cantimpre (1201 bis beiden Vorgänger ausfrezotren. aurfu
1263)
471
wie Albert, den Thomas stark be-
nutzt; sonst ist ihm Albert
Sicherheit und Konsequenz der
sichten überleben. f>er
m 20 Büchern de na tu vi*
rerum; Buch 1 beginnt mit der
menschlichen Anatomie, 2 handelt
von der Seele, 3 von den monströsen
Menschen des Orients, 4 — 9 von den kaner- Orden nimmt an diesen
Tieren. 10 — 12 von den Bäumen logischen Arbeiten durch ein
und Kräutern, 13 — 20 von den des Bartholomaus AhqUchs de
Quellen, Edelsteinen, vielen Metallen, prietatihus rerum Anteil, das
sieben Gegenden und humores der'
Luft, dem Himmelsgewölbe und den
sieben Planeten, dem Donner und
ähnlichen Erscheinungen, den vier
Elementen und der Bewegung der
reru m
Jahrhundert
neu
ins Ii,
wurde.
Mit den genannten Werken
vorläufig ein Stillstand iu drr
logischen Forschung ein: doch
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Tiersage.
979
wurden von Bedeutung zwei im Zoologie, München 1872; JE Kolloff.
1 4. Jahrhundert entstandene Bear- die sagenhafte symbolische Tier-
Megenbery , herausgegeben von Tierpflege an den deutschen Höfen,
Franz Pfeiffer, Stuttgart 1861, und in Raumers Taschenb. I. 1830 und
eine verifizierte niederländische, der VI, 1835. — Piper, die Herrschaft
„Xatnren hloeme11 von Jakol) von des Menschen über die Tiere.
Maerlant. Konrad von Megenberg Evangel. Kalender 1860. IS. 28 — 38.
war ebenfalls Dominikaner, um 1309 Tiersage. Kein anderes Volk
in Bayern geboren, starb 1374 als hat eine so ausgebildete Tiersage
Domherr zu Regensburg: sein Buch j entwickelt, wie das deutsche, und
der Natur war »ehr verbreitet und in ihm besonders der Stamm der
wurde bloss vor 1500 sechsmal ge- Franken; ja im Mittelalter tritt
druckt. Jakob von Maerlant starb das Tierepos in einer reichen Fülle
1300 als Stadtschreiber in West- i von Dichtungen fast in Konkurrenz
flandern. zum Heldenepos. Während nun
Die Anfange der neuern, auf die Jakob Grimm in seinem Werke
Beobachtung der Natur selbst ge- i Reinhart Fuchs, Berlin 1834, diese
gründeten Natur und Tierkunde Dichtung als ein urwüchsiges Pro-
sucht man in Italien; schon an dukt des germanischen Lebens und
Dante bewundert man die reiche Gemütes anschaute, haben in neuerer
Fülle von Naturbetrachtung: Tier- Zeit andere Forscher das Tierepos
gärten waren in Italien früh Sitte aus der äsopischen Fabel vom
feworden ; schon Kaiser Friedrich II. kranken Löwen herleiten wollen,
atte sich einen angelegt, im 15. Jahr- 1 der auf den Rat eines Fuchses
hundert gehörten sie zum regel- 1 durch einen frischen Wolfsbalg ge-
mässigen Luxus der Fürsten und heilt wird; diese Fabel, sagen sie,
Städte. Doch war das Hauptinteresse sei aus Indien nach Griechenland,
des Humanismus sowohl als der un- von da nach Italien und von da
mittelbar folgenden Zeiten immer spätestens im achten Jahrhundert
nur in bescheidenem Masse der nach Deutschland gekommen. Um
Tierwelt zugewendet. Die Samm- 940 sei sie einem kleinen von einem
hingen naturwissenschaftlicher Ge- 1 Mönche in Toni verfassten lateini-
genstände blieben noch lange Rari- ] sehen Epos eingefügt worden, wel-
täten - Kabinete; im Mittelalter1 ches parabolisch in der Form einer
freilich waren sie den Reliquien- Tiergeschichte die Flucht eines
Sammlungen in den Kirehen ange- Mönches aus seinem Kloster er-
hängt worden. Manches trugen die zählte; worauf später die Fabel
durch viel andere erweitert und zu
wahren Epen aufgeschwellt worden
Entdeckung des neuen Weltteils und
Reisen nach andern Ländern zur
Erforschung der Naturbeobachtung sei. Keller in f^leckeiseus Jahr-
bei, und der freiere Forsehungsgei^t, büchem, Suppl. Bd. IV. — MüJlen-
der überhaupt seit dem 15. Jahr- hoff'xw Haupts Zeitschr. f. d.A.X VIII.
hundert erwacht war, brachte es
mit sich, dass auch die Tierkunde
S. 1 - 9. " Dieser
vieles entgegen,
Ansicht steht
die deutschen
namentlich durch ein klassisches i Namen der Tierhelden, das ur-
Werk der Reformationszeif wesent- sprüngliche Königtum des Bären,
liehe Erneuerung erfuhr, durch die auffallend starke Neigung des
Konrad Getaner* ftixtoria animalium germanischen Stammes zur Mitem-
155'. J. V. Caru*. Geschichte der pfindung und Befrachtung des Tier-
62*
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980 Tiersage.
lebcns, die sich, abgesehen vom der Fuchs. Der Wolf heisst Isen-
eigentlichen Tierepos, auch in zahl- gritn = Eisenhelm (altnordisch qrima
reichen Volksliedern, Tiermärchen, == Maske, Helm), der Fuchs tieujin-
Kinderliedern u. dgl. abspiegelt, hart, Reinkart, d. h. Ratstark , der
Auf dieser Ansicht fusst gegen- eich und andern immer Rat weiss;
wärtige Zusammenstellung, die sich beide» sind auch menschliche Nameu
auf die Abhandlung W. Wackernagels Ursprünglich ist der Wolf, obschon
stützt: Von der Tiersage und den er immer durch den Fuchs zu
Dichtungen aus der Tiersage. Klei- Schaden kommt, doch als der hehlen
nere Schriften, II, 234—326. haftere gedacht und nimmt die be
Der Mensch der Vorzeit sah in vorzugtere Stellung ein, während
den Tieren ein halb Übermensch- , der Fuchs erst neben und nach ihm
liches Wesen und einen Stand näher steht. Über Wolf und Fuchs stand
den Göttern selbst; das zeigt das ! als König einst der Bär, Brun ; statt
hohe Lebensalter, das man einzelnen seiner ist erst später aus der äsoni-
Tieren znschrieb, dann die Rätsel- sehen Fabel der Löwe eingcfünrt
haftigkeit ihres Todes, sobald sie worden. Seinen Eigenschaften nach
von selbst ungewaltsam sterben, der ist der Wolf alt, grau, greis, alter
Aufenthalt der Vögel hoch in freier Gevatter. Oheim, stark, ungeschlacht
Luft, die Art der Sprache, die dem dick, plump, beschränkt, gierig, gt
Menschen nur unter besondern Um- frässig, unersättlich, frech, schamlos,
ständen verständlich wird, derGlaube, stolz, neidisch, grausam, wütig,
dass eine übernatürliche Kraft Men- Räuber, Mörder, ungetreu, alter ver
sehen in Ticrgestalt verzaubere, und stockter Bösewicht, Teufel, Habnni.
die Annahme einer Seelenwanderung, angeführt, besiegt; der Fuchs da-
die auch dem Germanen nicht fremd gegen rot, frisch, jung, junger Ge-
war, sodann die Angehörigkeit ein- vatter, Neffe, schlank, glatt, sch warb,
zeluer Tiere an einzelne Gottheiten, fein, schlau, durchtrieben, listig,
ihre Bedeutung für Weissagung, die ränkevoll , Schleicher. Schmeichler,
Anwendung von Namen edier Tiere, Schalk, Betrüger, Dieb, böse, bos-
wie des Adlers, Raben, Wolfs, Bären, haft, treulos, gottlos, teuflisch, lecker,
als Menschennamen (siehe den Art. geil, Taugenichts, Ehebrecher, ver
Personennamen). schlagen, vorsichtig, erfahren, be-
Wie nun das Götterepos und das redt, Ratgeber, Meister und Sieger
Heldenepos die Götter und Helden Die übrigen Tiere haben für di*
in epische Handlung bringt, so das Sage nur untergeordnete Bedeu-
Tierepos seine Tiere. Und zwar tung.
sind es bloss die Tiere des Waldes, Die Mut irr der Handlung ent-
die sich der Herrschaft uud Ver- sprechen dem niedrig tierischen
traulichkeit des Menschen entziehen, Charakter der Helden und streifen
nicht die zahmen Haustiere: diese daher ans Komisehe; namentlich der
gehören als Begleiter des Menschen Fuchs ist ein arges Tier, da er
um Meuschenepos. Zum Ticrhelden nicht einmal das heilige Band der
aber wurde die Tiergattimg dadurch, (Jevatterschaft, ja der näheren Sipp-
dass man die letztere als Einzel- schaft (er ist einmal lseugrims
wesen anschaute, das, wie der Neffe) scheut. „Die Tiersage schliefst
Mensch seinen persönlichen Eigen- in sich den Gegensatz eines Starken,
namen trägt uud iu seinen Hand- dem seine Thorheit alles Handeln
lungen lokalisiert, an einen heimat- iu Leiden verkehrt, und eines
liehen Wohnort gebunden ist. Schwachen, der durch Klugheit alle*
Träger oder Helden der 'Hersage Leiden in ein Handeln wendet zum
sind in erster Linie der Wolf und eigenen Vorteil und zum Schaden
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Tiersage.
981
und bis zum Untergang des ihn be-
drohenden Starken."
Die Heimai der
sage ist Franken,
die Niederlande ,
Frankreich und
Deutschland, und <
das» gerade dieser
deutschen Tier-
im besonderen
das nördliche
das westliche
is ist möglich,
Stamm seine
besondere in der merovingischen
Zeit noch sehr rauhe Eigenart in
den Eigenschaften des Wolfes und
Fuchses wieder erkannte. Auch
zeichnete sich Pallien schon im
frühesten Mittelalter durch seine
Vorliebe für die Tierfahel aus,
deren Eintiusa auf die Tier/tage
schon die Verdrängung des Bären
durch den Löwen zeigt. Wiiklich
gehören auch die ältesten von frän-
kischen Schriftstellern aufgeschrie-
benen Tiergedichte mehr der Fabel
als der Sage an. Die bedeutenderen
Dichtungen der eigentlichen Tier-
sage sind folgende:
1. Die Meiosis, aus dem 10.
oder 11. Jahrhundert, lateinisch in
Versen abgefasst; das Gedicht er-
zählt die Flucht eines Kalbes von
seiner Herde; es gerät in die Ge-
walt des Wolfes und wird von die-
sem in seine Burg geschleppt. Diese
wird hierauf im Auftrage des Königs
Löwe und unter Anführung des
Fuchse« durch die übrigen Tier«'
belagert und erstiegen und der
Wolf getötet. Ausgabe von E. Voigt,
Ecb., das älteste Tierepos des Mittel-
alters. Strassburg, 1875. Vgl. Eben-
ders. Kleinere lateinische Denkmäler
der Tiersage aus dem 12. bis 14.
Jahrhundert. Strassburg 1878.
2. Isengrimus, lateinisches Ge-
dicht des 11. oder 12. Jahrhunderts.
Eis erzählt zuerst die Heilung des
kranken Löwen durch Umlegen
des Felles, das auf Reinharts Rat
gezogen worden ist,
Ereignis aus früherer
Wolfes, das der
verschiedene Tiere
nämlich, darunter Renardus, machen
eine Pilgerfahrt; da sie in einer
dem Wolfe ab*
und sodann ein
Lebenszeit des
Fuchs erzählt:
Waldherberge rasten, schleicht Isen-
grimus in räuberischer, mörderischer
Absicht herzu, wird aber durch
listige Vorkehrungen des Fuchses
abgeschreckt.
3. Reinardus, lateinisches Ge-
dicht des 12. Jahrhunderts, viel
umfangreicher als die bisher ge-
nannten Gedichte, über 6000 Zei-
len stark; zugleich das erste Gedicht
der Tiersag«', dessen Dichter „3t-
rardn/t", ein im übrigen unbekannter
Mann, sich genannt hat. Das Ge-
dicht hat den Inhalt des Isengrimus
zum Teil wörtlich in sich aufge-
nommen und zahlreiche andere Tier-
abenteuer dazu verbunden ; im gan-
zen sind es dieser zwölf.
Mit Ausnahme des Isengrimus
sind schon diese Dichtungen stark
mit Satire durchzogen, und zwar
ist diese teils persönlich, bezieht
sich auf ganz bestimmte Zeitge-
nossen und Verhältnisse, auf be-
kannte und genannte Bischöfe und
Abte, teils bezieht sie sich auf den
in dieser Periode ausgebrochenen
Kampf zwischen Kaisertum und
Papsttum, so zwar, dass die Ver-
fasser, obwohl selber Geistliche,
alle auf Seite des Reiches gegen
die Kirche stehen, und obwohl sel-
ber Mönche, doch mit besonderer
Vorliebe das Mönchsrum persiflie-
ren , namentlich das reformierte
Mönchstum der Oistercienser, deren
Hauptvertreter Bernhard von Clair-
vaux seinen Namen Bernardus dem
Widder und dem Esel hat verleihen
müssen.
4. Mama* de Renart, umfasst
30362 Verse und zerfällt in 27 zum
Teil sehr selbständige Stücke oder
Branehes (Zweige am Baum der
Sage); die Dichtung ist nur sehr
allmählich durch die Arbeit mehre-
rer entstanden und reicht von der
zweiten Hälfte des 12. bis ins 14.
Jahrhundert; von manchen Stücken
werden die Dichter genannt. Der
Iuhalt ist teils dem Renardus, teils
anderen schriftlichen und münd-
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932
Tiersage.
liehen Quellen entnommen. — Die »las vorzüglichste Werk unter alleu
reichere Ausführung zeigt die Ein- Tierepen und gehört überhaupt zu
Wirkungen der höfischen Epik, zu den besten dichterischen Erzeug-
den Haupttieren ist ein zahlreiches nissen des Mittelalters. Es enthält
Nebeupersonal gekommen, deren Na- die Anklage des Fuchses, die Vor-
men meist französisch ist; der Löwe ladung desselben durch den Bären,
heisst hier zuerst Sohle-, die Satire den Kater und den Dachs, seine
ist dürftiger und matter geworden,- Lossprechung gegen «las Gelübde
ihr Hauptträger, bisher der Wolf, eiuer Pilgerfahrt und seine Cbel-
ist jetzt der Fuchs, und ihre Spitze | thaten gegen den Hasen und den
nicht mehr gegen die Kirche, sou- Widder, also das, wa* den Inhalt
dorn gegen das Hofleben gerichtet, des ersten Büches im Reinecke bil-
Nur oeiläufig mögen noch zwei det; ein Abschluss mangelt. Eine
andere französische Tiergedichte lateinische Bearbeitung dieses Jiei-
des 13. und 14. Jahrhunderts er- naert in Distichen von einem ge-
wähnt werden, die ganz in das Ge- wissen Bafdirinujt, R&ynardtt* emm
biet der satirischen Allegorie fallen: pet, wurde noch im 13. Jahrhundert
Le couronnemens Renart ist eine verfasst und im 16. zu Utrecht ge-
Satire gegen die Bettelmönche und druckt. Um 1300 erhielt der Sei-
Renart le nouvel eine solche gegen naert von einem unbekannten Flae-
die Ritterorden. nüng eine Fortsetzung, gleichfalls
5. Isengrimes n6t von Heinrich auf Grundlage französischer Dich-
dem Glichezare,GHchesaere, Gliche- hingen; diese wiederholt in stören
naere, d. i. dem Heuchler, Gleiss- der Weise den alteren Reinaert
ner, einem Elsässer. Seine Haupt- die Versammlung der Tiere, die
quelle ist ein französisches Tierepos, Klage derselben über den Fuchs,
aa-* nicht mehr erhalten ist, sich seit» Erscheinen bei Hofe, seine
aber in den französischen Namen lügenhafte Erzählung von den
und anderen Verhältnissen überall Schätzen, alles nur breiter, gelehr-
kundgibt. Man kann zwölf Aben- ter, mit äsopischen Fabeln durch-
teuer oder Branchen unterschei- streut und sehr stark ins satirisch-
den; auch hier richtet sich die didaktische, ja ins allegorische
Satire vornehmlich gegen den gezogen.
Hof. Von der ursprünglichen Ge- Der flämische Reinaert iu seiner
stalt sind nur Bruchstücke , das ganzen Ausdehnung wurde nun die
Ganze in einer Überarbeitung des Quelle zahlreicher Überarbeitungen.
13. Jahrhunderts erhalten, die den In holländischer Prosa erschien eine
Namen Reinhart Fuchs trägt — {solche 1479 und 1495, aus deren
Andere Dichtungen dieser Art hat Verkürzung ein jetzt noch in Hol-
die Littevatur des deutschen Mittel- land vielgelesenes Volksbuch, Sei'
alters nicht hervorgebracht; statt naert de »w, hervorging; ebendie-
der Tiersage pflegte man auf deut- selbe erschien in englischer (143H
schein Boden vielmehr die Tier- : und in französischer Übertragung
fabel, die immerhin auch vereinzelte 1566, die letztere als Regnier lf
Züge der Sage in sich aufnahm. renard. Neben der Auflösung in
6. Reinaert, ein flämisches Ge- holländischer Prosa gab es .aber
dicht von Willem, aus der zweiten vom alten Reinaert auch eine l'ber-
Hälfte des 13. Jahrhunderts, meist Setzung in holländische Verse, von
nach französischen Quellen bear- deren Druck leider bloss sieben
beitet. Zwar in überlieferter Weise Blätter vorhanden sind; das Ge-
satiriseli gemeint, ist das Gedicht dicht erscheint hier zuerst in Ka
doch rein episch gehalten. Es ist pitel eingeteilt, deren jedes mit
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Tjost. — Tisch.
983
•einer vorausgeschickten prosaischen
Inhaltsangabe und einer lehrhaften
Nutzanwendung in Prosa versehen
ist. Der Verfasser und Bearbeiter
hies Hinrek van Alkmer.
7. Reinke de vos, in niederdeut-
scher Sprache zuerst 1498 zu Lü-
beck erschienen, wahrscheinlich zum
Teil hervorgerufen durch die ein
Jahr vorher ebendaselbst erschie-
nene niederdeutsche Ausgabe von
Sebastian Braut's Narretutchi/f. Die-
ser Reinke de vos ist bloss eine
niederdeutsche Übersetzung des
holländischen Gedichtes von Hein-
rich van Alkmar. Die Ausgaben
dieses Volksbuches zerfallen in zwei
Klassen; deren erste bietet den
Text mit der ursprünglichen Ge-
stalt der Glosse, wohin u. a. die
Ausgaben von Lübben, Oldenburg
1867, Hoffmann von Fallersleben,
Breslau 1845 und 185 '2, und Schrö-
der, Leipzig 1872 (die beiden letz-
teren ohne die Glossen) gehören,-
die zweite Klasse beginnt mit dem
Roatocker Druck von 1539, wo die
frühere Glosse durch eine weit-
läufige neue vom protestantischen
Standpunkte ersetzt ist. Die ausser-
ordentliche Seltenheit der ersten
Ausgabe rührt daher, dass katho-
lische und protestantische Geist-
liche das Buch eifrig verfolgten;
mau setzte es sogar auf den Index.
Übertragen wurde endlich das Buch
im Verlaufe des 16. und 17. Jahr-
hunderts ins Hochdeutsche, Fran-
zösische, Dänische, Schwedische,
Isländische, Englische, Holländische,
Lateinische; diese letztere Über-
tragung unter dem Titel Spectdum
vitae aulicae siebenmal gedruckt.
Die Bearbeitung Goethe's erschien
1794. Holzschnitte besass schon die
holländische Ausarbeitung des Hein-
rich von Alkmar, wie fortan die
späteren Ausgaben. Eigentümlich
ist dabei die heraldisch-verzogene
Manier, in der die Tiere, für diesen
Zweck nicht unpassend, gehalten
sind.
Tjost, mhd. die und der tjoste,
tjust, ioste, schütte u. dergl.,' aus
inittelfranz. jouste, von lat. juxta,
ist der ritterliche Zweikampf mit
dem Speere, gegenüber dem Bu-
hurt oder Reihenkampf. Der Speer
ist beim Tjost abgestumpft und
statt der Spitze mit einer flachen,
etwas gezackten Platte, dem kroen-
Un, verschen. Ritter wie Ross wa-
ren gepanzert, sprengten im Galopp
an und stürmten dann mit ver-
hängten Zügeln auf einander los.
Jeder versuchte mit der eingelegten
Lanze den Gegner zu treffen, mit
dem Schilde den Stoss zu parieren.
Das Aufeinanderprallen der Kämpfer
heisst ahd. puneiz. Traf der Speer
den Gegner richtig, so wurde der-
selbe entweder aus dem Sattel ge-
hoben, oder die Lanze zersplitterte
an dem richtig parierenden Schilde,
so dass die Stücke, tvunzune, um-
herflogen. Schultz, höfisches Leben,
II, Seite 107. Vergl. Buhurt und
Inrnier.
Tip, Tippe, spitzes Ende der
Mautelkapuze, das durch Einlagen
von Fischbein oder Pappe nach
vom gebogen wird und hornartig
über aie Stirn hervorragt. Die
Tippe, Tip-Heuke, Tip-Hoike, war
besonders in Niedersachsen im 16.
und zu Anfang des 17. Jahrhun-
derts beliebt.
Tisch. Der Name TÜch ist aus
griech.-lat. discus = Wurf-, Ess-
scheibe, Teller entlehnt, eine Be-
deutung, die das Wort in nordger-
manischen Mundarten lange beibe-
hielt; der echtdeutsche Name des
Gerätes ist got. biuds, ahd. piot, biet,
ursprünglich Opfertisch, von bieten
= darlegen. Die Germanen und
Skandinavier hatten sehr massive
Speisetißche auf vier starken Pfosten,
oder auf einem sägebockartigen, ge-
kreuzten Gestell, wie solche durch
das ganze Mittelalter vorherrschen.
Die grossen viereckigen Tische wur-
den bei der Mahlzeit gewöhnlich mit
einem Tischtuch bedeckt. Daneben
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984
Titurel. — Tortur.
hatte man kleine runde, auch halb-
runde und ovale Tische. In das
Reich der Märchen wird es zu rech-
nen sein, wenn Roderich von Toledo
meldet, dass die Araber im Schatz
der Westgoten bei der Eroberung
Spaniens einen grossen Tisch von
Smaragd oder Glasfluss vorgefunden,
der überdies mit drei Reihen Ferien
besetzt war und auf 365 goldnen
Füssen stand, sodass dessen Wert
'»00 000 Goldstücke betrug. Auch
Karl der Grosse soll drei silberne
und einen goldenen Tisch hinter-
lassen haben, deren einer auf der
Flatte den eingegrabenen Stadtplan
von Konstantinopel, ein zweiter die
Ansicht von Rom und ein dritter
die Himmelskarte zeigte. Den golde-
nen Tisch schenkte, er der Peters-
kirche in Rom mit einigen Prunk-
eefassen. Karl selbst muss solche
Kostbarkeiten von aussen ebenfalls
gesehenksweise erhalten haben, so
besonders von Byzanz, denn die
deutsche Kunst lag noch zu sehr in
ihren Anfängen , als dass sie solche
Meisterwerke aufzuweisen im stände
war. Den vorerwähnten goldenen
Tisch hält man vielleicht nicht mit
Unrecht für eine südfranzösische
Arbeit eines Meisters aus der Schule
des heiligen Eligius. Von Otto III.
wird tadelnd erwähnt, dass er —
entgegen der deutschen Art — aHein
an einer kleinen, halbrunden Tafel
speiste. Im 13. Jahrhundert er-
hielten die hölzernen Tische Zargen ,
eine erhöhte Einrahmung, wohl auch
schon Schublade, sehrägstehende
Beine, die behufs Erzielung einer
grösseren Solidität und zur Bequem-
lichkeit mit Fussstaugen versehen
wurden. Die Tische wurden übrigens
oft von Steinplatten gemacht und
auf Stein gestützt.
In der früheren Renaissancezcit
stellte man die gedrechselten und mit
grossen Knäufen versehenen Beine
wieder meist lotrecht und verband
sie in ihrer unteren Hälfte durch
einen Kreuzsteg.
Titurel heisst ein, bloss in zwei
Bruchstücken erhaltenes, unvollendet
gebliebenes Jugendwerk Wolframs
von Eschenbach. Dasselbe ist stark
lvrisch gehalten und in einer eigens
dazu gedichteten, der Gudrunstroph»-
nachgedichteten Strophe erhalten.
Das Gedicht gehört wie der Parzi-
val der Gralsage an und bildet eine
Art Vorgeschichte des grösseren
Werkes. In den beiden Bruch-
stücken sind die schönsten Partien
herausgegriffen und behandelt, und
zwar sind im ersten Bruchstücke
die keimende Liebe Schionatulandrrf,
nach dem eigentlich das ganze Ge-
dicht genannt sein sollte, zu Signne,
dann der Tod Gahmurcts, des Er-
ziehers von Schionatulander, und des
letztern Klage um ihn behandelt, im
zweiten Bruchstücke die Abenteuer,
welche die Wiedererlangung eines
kostbaren, verloren gegangenen
Brackenseiles bezwecken. Diese
Bruckstücke, die in den letzten
Jahr. 'ii des 12. Jahrhunderts ge-
dichtet sein mögen, hat 50 Jahre
nachher^ (brecht von Scharfenberg, ein
bayerischer Ritter, zu einem grossen
und langweiligen Epos ausgearbeitet,
das der jüngere Titurel heisst. Das-
selbe war im Mittelalter fast be-
rühmter als der Parzival, ist aber
ein abgeschmackt gelehrtes Mach-
werk, mit einer starken Hinneigung
zum römisch-kirchlichen Parteistand-
nunkt. Siehe Bartsch in der Ein-
leitung zu Wolfram's Parzival und
Titurel, Leipzig 1870.
Tortur. Dieselbe stammt aus
dem römischen Rechte, wo sie an-
fangs nur gegen Sklaven, wenn sich
der Herr für seine Unschuld auf
ihr Zeugnis berief, später auch gegen
Freie und zwar zuerst beim Maje-
stätsverbrechen, allmählich aber auch
bei andern schweren Vergehen au-
gewendet wurde. In den alten deut-
schen Volksrechten kommt die Tor-
tur bloss gegen Sklaven vor, ver-
schwindet dann aber wieder; und
das eigentliche Mittelalter kennt als
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Tortur.
98*
Mitteides Beweis Verfahrens bloss den
Iteinigungseid , die Fideshelfer und
das Gottem Heil. Erst im 15. Jahr-
hundert trat, in Deutsehland eine
wesentliche Änderung im Verfahren
und Beweissystem ein. Die Gerichte
fingen an, zum Teil auf kaiserliche
Privilegien gestützt und nach dem
Vorgange der geistlichen Gerichte,
Alles vom Geständnisse der Ange-
schuldigten abhängig zu machen,
welches man nun auf alle Weist*
herbeizuführen sucht. Als Mittel
hierzu wurde, wieder nach dem Vor-
gänge der geistlichen Gerichte und
der italienischen Praxis und Doktrin,
zur Folter gegriffen, welche nun
nach und nach durch Laudesgesetze
und im 16. Jahrhundert durch die
Reicbsgesetzgebung bestätigt wurde;
auch das Wort holter stammt aus
Italien, wo im mittellateinischen
joledrus, pölelrus, von griech. polos
= Füllen, ein Marterwerkzeug be-
zeichnet, das ein Gestell mit vier
Füssen nach der Art eines ljerd-
<hens darstellt. Erfordernisse zur
Anwendung der Folter waren: dass
weder durch Geständnis noch durch
Beweis die Wahrheit bereits ent-
deckt worden sei oder in der Folge
entdeckt werden könne; dass die
Beschuldigung in einem schweren
Verbrechen bestehe; dass das Cor-
w* delicti von demjenigen Ver-
brechen, über welches die Folter er-
kannt werden sollte, berichtiget sei ;
dass wider den zu Folternden wich-
tige Anzeigen vorhanden seien, die
einen starken Verdacht gründeten
und dass der Verbrecher die Folter
auszuhalten fahip und nicht gegen
dieselbe privilegiert sei; privilegiert
waren aber hohe Adels- und Ge-
richtspersonen, fürstliche Räte und
Soldaten. Die Folter wurde auf
verschiedene Grade erkannt, die
aber nicht überall gleich waren;
meist nahm man ihrer drei an. Der
Der erste oder geringste Grad war
da« Schnuren, wobei dem Angeklag-
ten die Hände an den Gelenken bis
auf die Knochen mit Seilen stark
zusammengeschnürt und auf den
Kücken gebunden wurden ; an andern
Orten bestand der erste Grad in
den Daumenschrauben oder Daumen-
stöcken, wobei dem Inquisiten die
Daumen beider Hände zusammen -
Sepresst wurden; noch an andern
»rten gehörten die Span ischen Stie feln
oder Beinsch rauhen zum ersten Grade,
wodurch die Waden und Schienbeine
des Inquisiten gequetscht wurden.
Der zweite Grad bestand, nach dem
sächsischen Rechte, darin, dass der
Angeklagte auf die Leiter gezogen,
ihm die Spanischen Stiefel ange-
legt, hierauf sein«' Glieder auf der
Leiter ausgedehnt und auseinander-
gezogen wurden, welcher Grad nun
noch dadurch vermehrt ward . dass
man das Seil einige Male anzog,
oder dem unten losgebundenen In-
quisiten einige Gewichte von Stein
oder Eisen an die Füsse gehängt
wurden, und dann an das Seil ge-
schlagen oder ihm an die spanischen
Stiefel geklopft wurde; oder man
bewarf den Angeklagten mit Schwefel-
faden. An andern Orten bestand
der zweite Grad allein darin, dass
der Angeklagte mit auf den Rücken
gebundenen Händen aufgezogen und
eine Zeitlang hängen gelassen wurde.
Wenn endlich der dritte Grad der
Folter erkannt wurde, so ward, nach
sächsischem Rechte, der auf der
Leiter aufgespannte Leib des An-
geklagten noch weiter gepeinigt, in-
dem man Federkiele in zerlassenen
Schwefel eintauchte und angezündet
dem auf der Leiter liegenden In-
3uisiten auf den Leib warf, oder
avon gemachte Pflaster anzündete
und auf den Leib klebte, oder einen
Knaul von einem eine halbe Elle
langem Holze, mit Hanf umwunden,
in zerlassenes Pech eintauchte, mit
I Hanf wieder umwickelte, wiederum
eintauchte, bis der Knaul die Grösse
j einer Faust erhielt, den man her-
I nach anzündete und dem Tnquisiten
auf den blossen Leib warf, jedoch
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986
Totenkleid. — Totentanz.
auf keine edlen Teile; oder wenn
man ihm spitz gemachte Kienhölzer
unterdie Nägel schlug und anzündete.
An einigen Orten bestand der dritte
Grad allein darin, dass mit dem Auf-
ziehen des Inauisiten das Schlagen
an die Seile oder das Anhängen von
Gewichten verbunden ward. In
manchen deutsehen Landen waren
neben den oben angeführten drei
Graden auch noch andere Arten und
Werkzeuge zur Folter eingeführt,
als das Bamhergische Instrument,
der spanische Bock oder das Mehlen-
burgische Instrument , die Spanische
Kappe, der Dinische Mantel, die
Englische Jungfrau, der gespickte
Haie, die Feuertortur, der Schicitz-
kasten, das Fiedeln mit dem Riemen
u. s. w. Zahlreich waren die Vor-
schriften über Dauer, Art, Exekution,
Wiederholung der Folter, und ihre
hässlichste und schrecklichste An-
wendung fand sie in den Hexenpro-
zessen, siehe den besondern Art.
Nachdem schon im 16. Jahrhundert
einige Stimmen sich gegen die Folter
erhoben hatten, fiel sie endlich im
18. der Aufklärung zum verdienten
Opfer; namentlich Thomasius, Bec-
caria, Voltaire, Sonnenfels uud Ju-
stus Moser hatten sich gegen sie
ausgesprochen. Friedrich d. Gr.
schaffte sie zuerst ab, 1 740 und .175 4 ;
dann folgte Dänemark 1770, Oster-
reich 178 t und 87, Frankreich 1781).
Toten k leid, Totenhemd. Nach
heidnischem Brauch wurden im
früheren Mittelalter die Leichen
möglichst prunkvoll beerdigt, Krieger
in ihrem Waffensf hmucke. Würden-
träge in ihrem Amtsornat. Die christ-
liche Kirche eiferte dagegen und
verhiess Verkürzung der Busszeit
im Fegefeuer, wenn Verstorbene sich
im ßusskleid beerdigen lassen. So
wurde aus dem langen Bnsskleid
das übliche Sterbekleid , meist von
weisser Leinwand gemacht und mit
schwarzem Besatz versehen.
In der Renaissaucezeit kam es
für kurze Dauer in Abnahme, er- j
hob sich aber im 17. Jahrhundert
zu noch allgemeinerem Gebrauch.
Toteuleuchter, Kirchhofs! ater-
neu, Armseelenlichter, Lichthäos-
chen, Lichtsäulen waren schon früh
im Gebrauch. Heidnischer Volks
?;laube war es, vermittelst
ieuchters die bösen Geister v
Grabe der Seinigen fernzuhalten.
So erhielt anfänglich jedes Grab
sein besonderes Limpcheu, wenig-
stens dasjenige eines Heiligen oder
eines Hochgestellten überhaupt. Aus
dieser Sitte entsprang die weitere,
ent weder auf dem Gottesacker selbst
auf einer mehr oder minder hohen
Säule oder dann in einem erker-
, artigen Lichthäuschen an der an
Blassenden Kirchenmauer ein ewiges
Licht zu unterhalten, wovon die
] erste sichere Meldung auf das ^.Jahr-
hundert zurückweist. In Deutsch-
I land sind einige Totenlichter aus
I dem 13.— 16. Jährhundert erhalten,
z. B. in Schulpforta, Regensburg.
Klosterneuburg, das letztere (vom
Jahre 1381) 9 m hoch und mit Re-
liefs aus der Passions^eschichte ge-
schmückt. An der Säule ist oft auch
eine essenartige Vertiefung, ein
kleiner Herd, in welchem als Arin-
seeleulicht Weihholz (Weideu- und
Wachholderzweige, am Palmsonntag
geweiht) verbrannt wurde. Ob dieses
an manchen Orten das eigentliche
und einzige Totenlicht war, oder ob
daneben eine ewige Lampe brannte,
kann genau nicht ermittelt werden.
In Frankreich haben einige Toteu-
leuchter aussen herum eine Wendel-
treppe, über die man zum Toteu-
licht emporsteigen konnte ; in
Deutschland sind keine solche er-
halten geblieben.
Totentanz. Uuter die humo-
ristisch-allegorischen Lieblingsfigu-
ren des ausgehenden Mittelalters
ziihlt nächst dem Narren und dem
Teufel namentlich der Tod. Schon
früh war die Personifizierung des
Todes nichts ungewöhnliches: man
stellte ihn, einem biblischen Bilde
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Totentanz.
987
folgend, dar als Ackermann, der den
Garten des Lebens jätet und die
Blumen bricht, der über das Schlacht-
feld schreitet und es mit Blut düngt,
mit Schwertern furcht und mit Lei-
chen ansät; oder als König, der
durch die Lande fahrend seine Heer-
scharen, die Sterbenden, sammelt,
der seinen Feinden, deu Menschen,
Krieg ankündigt, gewappnet auszieht
und sie gefangen nimmt, der sie in
sein gastliches llaus oder als Richter
vor seinen Gerichtsstuhl ladet;
Krankheiten sind seine Boten, Zwei-
kämpfe und Schlachten seine Pro-
zesse. Seit dem 14. Jahrhundert
nimmt man die Bilder des Todes
mit Vorliebe aus dem niedem All-
tagsleben, nennt den Kampf ein
Beichtehören, ein Ablass und Segen-
Erteilen, den Tod ein Feierabend
machen, oder mau setzte den Tod
ans Schachbrett, wo er den Figuren
desselben, als Päpsten, Kaisern, Kö-
nigen, Schach oder Matt bietet, oder
man dachte sich, der Tod gebe den
Menschen ein Gastmahl, einen Trunk,
mit Musik und Tanz, überhaupt einen
Tanz, zu welchem der Tod den Men-
schen aufspiele. Dieser musizierende
und mit den Menschen davon tan-
zende Tod wurde nun im Beginn
des 14. Jahrhunderts zum Gegen-
stand dramatischer Dichtung und
Schaustellung gemacht, so zwar, dass
der Tod eine Reihe von Menschen
verschiedener Art und Stände musi-
zierend und tanzend entführte, wo-
bei sich der Dialog auf kurze Worte
und Gegenworte beschränkte; ohne
Zweifel sind solche Spiele von Geist-
lichen aufgeführt worden; aus Paris
ist eine derartige Aufführung aus
dem Jahre 1424 bekannt. In Frank-
reichbegann man auch an demselben
Ort , wo man die Totentänze zu spielen
pflegte, auf die Mauer des Kirchhofs
die Bilder des Tanzes zu malen.
Dasselbe geschah in Deutschland,
und zwar ist das älteste Beispiel ein
Gemälde in der Marienkirche zu
Lübeck; es weist, gleich dem alten
Spiele, bloss 24 Personen auf, und
zwar Papst, Kaiser, Kaiserin, Kar-
dinal, König, Bischof, Herzog, Abt,
Ritter, Karthäuser, Bürgermeister,
Domherr, Edelmann, Arzt, Wuche-
rer, Kapellan, Amtmann, Küster,
Kaufmann, Klausner, Bauer. Jüng-
ling, Jungfrau und Kind. Diese
tanzen in lauger Reihe, je eine To-
desgestalt und eine menschliehe
nebeneinander, also einen Reigen;
.der Tod ist hier nirgends ein gänz-
lich entfleischtes Gerippe, wnchea
er im 16. Jahrhundert wird, sondern
nur eine eingefallene zusammenge-
schrumpfte Leiche, ein vielfältig um
den Leib sich schlingendes una ihn
grossen teils verdeckendes Grabtuch
tragend; der letzte Tod des Lübecker
Totentanzes führt, in Erinnerung an
jenen Ackermann, deu Schnitter Tod,
eine Sense. Der Lübecker Toten-
tanz war lange ein Ruhm der Stadt
und erweckte vielerlei Nachahmung.
Die ältesten oberdeutschen Toten-
tänze sind in Biicherhandschriften
oder in Holzschnitten erhalten; sie
unterscheiden sich von der nieder-
deutschen Gruppe durch eine etwas
andere Auswahl der Personen, dann
dadurch, dass eine kurze, einem Pre-
diger in den Mund gelegte gereimte
Vermahnung voraus uud nach geht,
und dass endlich die Bilder den zu-
sammenhängenden Reigen in einzelne
lanzaruppen auflösen. Sowohl von
der Lübecker als von der soeben
genannten Holzschnitt - Auffassung
abhängig ist der lotentanz im Basler
Klingenthal , einem Frauenkloster
des Dominikaner-Ordens; er nimmt
die Personen der beiden genannten
Grunpen zusammen und vermehrt
sie durch einige neue bis zu 39; der
Tanz ist ebenfalls in lauter einzelne
Paare aufgelöst.
In den genannten Gemälden wa-
ren die Bilder den Worten unter-
geordnet, diese das ältere, jene das
spätere daraus abgeleitete Element;
seit mau das Spiel des eigentlichen
Totentanzes nicht mehr aufführte,
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088
änderte sich das Verhältnis, und die Fig. 1 55 (Kunsthist. Bilderbogen t. Di-
Bilder wurden zur Hauptsache, die beigegebenen Verse verfasste zuerst
Worte traten zurück; die Bilder auf Französisch Corroret, dann,
wanderten ietzt von Ort zu Ort, wäh-
rren i
rend die Verse sich änderten oder
übersetzend, auf Lateinisch Groroi* '
Aftnilius. Dass Holbein auch den
ganz verschwanden. Muster für alle Grossba^ler Totentanz gemalt habe,
spätem Totentänze blieb der K/in- war eine grundlose Sage. Ji'acker-
genthaler von Basel, der zuerst in nagel, kl. Schriften, 1,802 — 875. Vir!
einem Totentanz des Basler Predi- , J. C. Wessel y. die Gestalten des To
gerkl osters nachgeahmt, künstlerisch [ des und des Teufels in der darstel-
aber von ihm übertroffen wurde. ' lenden Kunst. Leipzig 1876.
Erst dieser,, Tod
von Basel" wur-
de das aufge-
suchte Wahr-
zeichen der
Stadt und ein
Sprichwort des
Volkes und das
nähere Vorbild
aller folgenden
Darstellungen,
so in den Pre-
digerklosterv zu
Strassburg und
zu Bern , die
letztere von 37-
kolaus Manuel,
welcher Maler,
Dichter, Staats-
mann zugleich
war und seine
geniale Laune
in den Linien
und Versen sei-
nes Totentanzes
gleich originell
spielen zu las-
sen verstand.
Tod auch Veranlassung
Tracht. Über
die Kleidung»-
artder al tenGer-
manen und ihrer
wandten sind
wir durch die
Römer gen&o
unterrichtet
Tacitu* be-
schreibt sie io
17. Kap. der
Germania fol-
genderen assec :
Tai nAestnifhi
ist bei Allen ein
Überwurf, be-
stehend aus ei-
nem viereckigen
Tuchstüek. da?
mit einer Span-
ge oder in deren
Ermangelung
mit einem Dorn
Fig. 155. Aua Holbeins Totentanz.
zusammeng« -
heftet wird.
Ohne andere Be
So ist der Basier | deckung liegen sie ganze Tage lan?
am Herdfeuer. Die Wohlhabenden
unterseheiden sich durch den Stoff
* geworden
zu den Holzschnitten Holbeins, die
als Imagines mortis seit 1530 er- des Unterkleides, das nicht bauschig,
schienen. Hier sind nun eine be- ! wie bei den Sarmaten und Partnern,
liebige Zahl von Personen zu einer sondern anliegend ist und die ein-
Grupne vereinigt und als geschlos
sene Bilder komponiert, auth ist der
Tanz aufgegeben und der Tod
zelnen Gliedmaassen hervortreten
lässt. Auch Tierfalle tragen sie.
wobei die Anwohner des Khe ins und
schreitet und greift sonst wie auf i der Donau keinen besonderen Unter-
die jedesmal angemessene Weise in schied machen ; dagegen sind die
das Treiben der Menschen hinein. ! im Innern des Landes wählerischer.
Erst hier ist auch der Tod als voll- j da ihnen kein Handel sonstigen
kommenes Gerippe aufgefasst. Dazu 1 Putz briugt. Sie ziehen gewisse
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Tracht.
989
Tierarten vor und durchsetzen ihre
Felle mit Lappen aus andersfarbigen
Bälgen, welche sie vom entlegneren
Ozean und dem uns unbekannten
Meere her erhalten. Das Kleid der
Frauen ist ganz gleich, wie das der
Männer, nur hüllen sie sieh öfter in
leinene, mit Purpur verbrämte Ge-
wänder. Der obere Teil des Kleides
wird nicht zu Ärmeln verlängert,
sondern Ober- und Unterarm sind
ganz frei und ebeuso ist die Brust
vom Halse an zum Teil bloss.
Spärlich fliessen die Quellen der
folgenden Jahrhunderte bis auf Karl
d. G. Thatsache ist, dass die an die
römischen Provinzen angrenzenden
Volksstämme schon früh sich in
Sitten und Gebräuchen, so auch in
ihrem äusseren Auftreten, in der
Kleidung beeinflussen Hessen. Es
geschah das aber nicht mit einem-
mal und nicht an allen Orten zu
f leicher Zeit und in gleicher Weise,
icher ist, dass die altgerma-
nische Einfachheit nach und nach
dem römischen Prunke wich , über
die Art und Weise des Weichens
der einen und des Fortsehreitens der
anderen sind keine bestimmten An-
haltspunkt, vorhanden. Wenn ein-
zelne Nachrichten von einem Prunke
reden, der den römischen übertrifft,
so sind das entweder Sagen oder
haben zum mindesten nur auf die
höchstgcstellten Personen, auf Kö-
nige und Bischöfe Bezug; während
man mit Sicherheit annenmen darf,
dass das gemeine Volk noch Jahr-
hunderte lang den Sitten der Väter
in bezug auf Kleidung treu blieb,
was ihre Lebensweise überhaupt
schon mehr oder weniger bedingte.
Der früheste Berichterstatter
über die Kleidung der Franken Ist
Sidonius Apollinaris, der um die
Mitte des fünften Jahrhunderts
schrieb : „Wallend und blond ist das
Haar der Franken, blau ihr Auge;
ihre grossen und starken Glieder
umsehliesst ein enganliegendes Kleid ;
sichtbar (nackt) ist das Knie, um
den Leib tragen sie einen Gurt; mit
ihren Streitäxten hauen sie weit;
den Schild zu handhaben ist ihnen
Spiel, dem Wurfspeer kommt selbst
ihr Angriff zuvor; schon in der
Kindheit ist Krieg ihre Freude; über-
mannt kennen sie keine Furcht, ihr
Mut dauert über das Leben hinaus."
Dass aber auch in der Mero-
vingerzeit der Aufwand bei fürst-
lichen Personen schon gross gewesen
sein muss, geht aus verschiedenen
Nachrichten nervor. Nach dem Tode
des jüngsten Sohnes Chilperichs liess
Fredegunde, die Mutter, aus Betrüb-
nis sämtliche Kleider, „die seidenen
und die von anderen Stoffen", sowie
die Schmucksachen verbrennen und
brauchte zum Fortschaffen derselben
vier Karren. Das Gold und Silber
liess sie schmelzen und that es bei
Seite, „damit nichts in seiner alten
Gestalt verbliebe, was ihr die Trauer
zurückriefe".
Besser unterrichtet sind wir über
die Tracht der Karu/inffer. Durch
das ausgesprochene, lebenskräftige
Deutschtum Karl des Grossen wird
der Luxus von dem Hofe und da-
mit aus den oberen Ständen wieder
verdräiigt und kommt die frän-
kische Tracht zu ihrer Entfaltung.
Karl selbst bediente sich derselben.
Über sein Auftreten sagt Einhard,
sein Biograph: „Der Kaiser Karl
kleidete sich nach vaterländischem ,
fränkischem Brauch. Auf dem Leib
trug er ein linnenes Hemd und
ebenfalls linnene Unterhosen, da-
rüber ein mit seidenen Streifen
verbrämtes Wams und Beinkleider;
sodann bedeckte er die Beine mit
Binden und die Füsse mit Schuhen.
Nur im Winter bediente er sich
zum Schutz der Schultern und der
Brust noch eines eigenen, aus See-
hundsfell und Zobelpelz verfertigten
Bockes; auch trug er einen meer-
grünen Mantel und beständig das
Schwert an der Seite, dessen Hand-
griff und Gehenk aus Gold oder
Silber gearbeitet waren. Mitunter
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990
Tracht.
i'edoch, so namentlich bei Festlich-
keiten oder wenn die Gesandtschaf-
ten fremder Völker vor ihm er-
schienen, führte er auch ein noch
reicher mit Gold und Edelsteinen
verziertes Schwert. Ausländische
Tracht aber wies er zurück, mochte
sie auch noch so prunkend sein,
und Hess sich solche niemals an-
legen, nur ausgenommen zweimal
in Rom, wo er einmal auf Wunsch
des Papstes Hadrian und ein an-
dermal auf die Bitte von dessen
Nachfolger Leo die lange Tunika,
die Chtamt/x und römische Schuhe
anzog. Einzig bei festlichen Vor-
kommnissen erschien er in gold-
durehwirktem Kleide und Schuhen
mit Edelsteinen besetzt, den Mantel
durch eine goldene Hakenspange
zusammengehalten und auf dem
Haupte ein Diadem von Gold mit
Edelsteinen geschmückt. An an-
deren gewöhnlichen Tagen indes
unterschied sieh seine Kleidung nur
wenig von der gemeinen Volks-
tracht'4. Aus einer Mitteilung in
den „Lorscher Jahrbüchern*4, be-
treffend die Begräbnisfeierlichkeit
desselben Kaisers, ist ersichtlich,
dass er „heimlich auch unausgesetzt
ein härenes Gewand auf blossem
Leibe getragen hat44. Die Kleider
wurden von den Frauen selber
verfertigt, sogar am Hofe des Kai-
sern, in den sogen. Frauenhäusem.
Die Kaiserin uud ihre Töchter „be-
schäftigten sich mit Spindel, Spinn-
rocken uud Wollenarbeit , damit
letztere nicht in Trägheit verfielen
und sich an Müssiggang gewöhn-
ten44. Zwar konnte es nicht fehlen,
dass bei dem lebhaften Verkehr
mit den auswärtigen Höfen, sowie
angesichts der vielen kostbaren
Geschenke, die Karl von Byzanz
und sogar von Persien her erhielt,
manch köstliches Stück in den Hof-
schatz kam, das namentlich den
Frauen in die Augen stach und sie
wenigstens veranlasste, selbige nach-
zuahmen. Und in der Thar ver-
wandte man am Hofe grosse Sorg-
falt auf Handarbeiten aus dem
Stickereifach. Wie gründlich ab- r
der Kaiser seinen Hofleuten dir-
j Gier nach köstlichen Pelzwerke!:
verleidete, erzählt die bekann'?
Anekdote von dem zu Wasser ge-
wordenen Jagd vergnügen. tTber-
haupt war Karl ein ausgesprochener
Feind der fremden Trachten, was
schon aus seiuen Kleidewrdnttnqe*
erhellt. Siehe den besonderen Artikel.
Auf die Zeit Ludwig des Deut-
schen hat bezug, was der „Mönch
von St. Gallen44 von
Tracht berichtet , wenn er
„Die Tracht der alten Franken
stand in Schuhen, aussen mit GoW
geschmückt, nebst drei Ellen langer
Schnüren, scharlachnen Binden um
die Beine und darunter aus linnenen
ebenso gefärbten Hosen, aber mÜ
kunstreicher Arbeit geschmückt.
Über diese und die Binden er-
strecken sich in kreurweiser Win-
dung, innen und aussen, vorn und
hinten, jene langen Schnürbänder.
Dann ein Hemd von Glanzleine-
wand, und darüber ein Schwertge-
henk. Dieses Sehwert wurde zu-
nächst durch die Scheide, dann
durch irgend eine Art Leder und
drittens von weisser und mit hellem
Wachse gestärkter Leinwand so
umgeben, dass es mit seinen in
der Mitte blinkenden Kreuzchen
zum Verderben der Heiden fest er-
halten ward. Das letzte Stück ihres
Anzuges war ein blaues oder graues
Gewand, viereckig und doppelt,
dergestalt, dass es über beide Schul-
tern gehängt, vorn und hinten die
Füsse berührte, seitwärts jedoch
kaum bis zum Knie reicht«». Dazu
führten sie in der rechten einen
Stab mit gleichmassigen Knoten
von einem geraden Baumstamme,
schön, stark und schreckbar zu-
gleich, mit einem Handgriff von
Gold oder Silber, den schöne, er-
habene Arbeit schmückte".
Wie sehr nun von alten Sehrift-
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Tracht.
991
stellern diese Tracht als die alt-
fränkische angeführt wird, so ist
doch nicht zu verkennen, dass sie
eigentlich die alt römische ist, was
namentlich die erhaltenen Miniatur-
hilder aus dieser frankischen Zeit
bestätigen. Die Männer erscheinen
auf denselben in einer bis zum i
Knie reichenden , enganliegenden
Tunikaxmi langen, knappen Ärmeln.
Die Beinkleider sind ebenfalls eng,
der Unterschenkel umbunden. Ver-
kürzt sich die Fnterschenkelhinde
zur Kniebinde, so tritt noch eine
besondere Fussbekleidung dazu, die
Socken oder Stiefel. Hochgestellte
erscheinen auch etwa in einem vier- j
eckigen Schultermantel, dessen En-
den vorn und hinten tiefer hangen,
als zu beiden Seiten. Die Frauen
tragen mehr oder minder reichver-
zierte, lange Unterkleider, einen
vermittelst der üblichen Spange '
gehefteten Mantel und kurz zuge-
spitzte farbige Schuhe. Als ein j
König, der der fremden Tracht
sehr zugethan war, wird Kart der
Kahle genannt, der nach den Jahr-
büchern aus dem Kloster Fulda
itMGi griechischen Prunk aus Ita-
lien herüberbrachte, einen langen, fal-
tenreichen, dalmatinischen Talar trug
mit darüber geschlungenem Gürtel,
der bis auf die Fusse hing, den
Kopf in Seide gehüllt und mit dem
Diadem gekrönt. Dasselbe bekräf-
tigen die Jahrbücher von St. Ber- 1
tin, die Karl auf der Synode zu
Pontion am 21. Juni 876 „mit einem
golddurchwirkten Gewände nach
fränkischem Schnitte4' erscheinen
lassen, wahrend er am Schlüsse
derselben, am 16. Juli, ein grie-
chisches Gewand und die Krone
trägt. Die den Römern entlehnte
Tracht entsprach aber in der Haupt-
sache den Anforderungen der Fran-
ken , und erhielt sich deshalb
ziemlich unverändert zwei volle
Jahrhunderte hindurch, ia in ihrem
Grundcharakter bis in den Anfang
des 14. Jahrhundert«. Die Abän-
derungen erstrecken sich besonders
auf die verschiedenartige Beklei-
dung der Beine. Mit der allmäh-
lichen Verbreitung der männlichen
Beinkleider wurden die Schenkel-
binden verdrängt, wogegen Stiefel
oder Socke von Filz und Leder
häufiger wurden und selbst der
Kopf zu seinem Schutze hier und
da (z. B. in Sachsen schon im 10.
Jahrhundert) den leichten Strohhut
erhielt. Vom 12. Jahrhundert an
wurde auch das Untergewand noch
mehr verlängert und der Schulter-
mantel erhielt zuweilen eine Kapuze.
Die Vornehmen trugen Kleider nach
demselben Schnitt, jedoch mit rei-
chen Randverzierungen und in ver-
schiedener Färbung; der einfache
Bundschuh wurde zum höher ge-
schnittenen HalhstiefeL Die Frauen
erscheinen im II. Jahrhundert auch
etwa in einer oberen Tunika mit
weitgeöffueten Halbärmeln und ge-
wöhnlich in rot oder blau gefärbten
Schuhen. Die Könige trugen sich
nach Art Karls des Kahlen; doch
wird bei Widukind in der Schil-
derung der Krönungsfeierlichkeit
vom Jahre 936 (Otto I.) ausdrück-
lich erwähnt, dass der König ,,mit
dem enganliegenden fränkischen
Gewände bekleidet war" im Ge-
gensatz zu der langwallenden, üppi-
S'en griechischen Kleidung. Dieser
'ränkischen Gemessenheit in der
Tracht entsprach auch das allge-
meinüblich kurzgeschnittene Haupt-
haar, während man am griechischen
Hof Haar und Bart lang trug und
in farbige seidene Tücher hüllte.
Im 11., vielleicht schon im 10.
Jahrhundert, entsteht in den höheren
Ständen der Brauch, auf dem Leibe
zunächst ein leinenes Hemd zu
tragen , welches aus naheliegenden
Gründen bald allgemein angenom-
men wurde. Wer sich dessen ent-
hielt und das schon aus dem 8.
Jahrhundert bekannte grobhärene
Büsserhemd trug , meinte damit
den Himmel zu verdienen. Allge-
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992 Tracht.
meiner wurde auch tu dieser Zeit Nhüve, Bagdad, Alexandrien, Adra
schon die Kopfbedeckuiig (siehe mant. Assagauk, Alamansura. Pel
dort). Aus einer Klage Thietmars , piuntc, Meuriente, Ecidemonia, Ag;*-
von Merseburg ist zu sehliessen, thyrsienthe, Tabronit, Mohrenland
dass sieh schon zu Ende des 1 1. Jahr- Zazamank u. s. w. Als Stoffe werde:,
hunderts Frauen gelüsten Hessen, sonst noch genannt: der Baldachin
„die einzelnen Teile des Körpers Blialt oder Plialt, Cyclat. Palma!
auf unanständige Weise zu ent- ' IMawin,Triblat,Pfellel,Tvra«,Tvnii!
blossen, allen Liebhabern offen zu Taft, Marroch, Sindel, bei welcher
zeigen, was an ihnen feil sei, und Gelegenheit mit Weitschweifigkeit
also, obwohl als ein Greuel vor auch die Heimat und Zubereitung*
Gott und eine Schande vor der ( art des betreffenden Stoffes ante
Welt, ohne irgend welche Scham ceben wird, wobei oft die wunder
allem Volke zur Schau einhegst!- neusten Mären erzählt werden. Am
Sehen". Aus den Miniaturbildern höchsten gesehätzt war der lyellef
ieser Zeit ist nicht zu ersehen, dann der Baldachin von Kaibeek
wie Thietmars Worte zu verstehen (Bagdad) und der Samml, der m
sind. Es darf aber angenommen Ende des 12. Jahrhunderts unier
werden, dass nicht völlige Nackt- den Vornehmen schon stark ver
heit der Frauen den Ankläger so breitet war. Häufig kam auch d^r
schamrot gemacht hat , sondem Siglat oder Cyglaf in Gebrauch, d t
vielmehr die knappe Gewandung, man oft wie (len Baldachin besticku
welche die Körpertormen zu deut- und mit Goldfäden durchwirkt'-
lieh hervortreten Hess. j Selbstverständlich war man auch b*
Mit dem Aufschwung, den der müht, diese Stoffe nachzuahmen, d. Ii
Handel — zum grossen Teil durch I im eigenen Lande zu verfertigen,
die Kreuzzüge veranlasst — im 12. ' so wird bereits in dieser Zeit der
Jahrhundest nahm, brachen sich Zürcher Seide und des Regensburp* -
auch die verschiedenen ausltindUchen Zendals erwähnt. So wurde auci
Trachten immer mehr Bahn. Zur die einheimische Weberei, die Leit
Metropole dieses Handels warVenedig wand- und Wolltuchweberei, namei t
geworden, auf dessen Markte Byzanz, lieh vom Niederrheine aus verarbeite
Indien, Ägypten, Nordafrika und und verbessert. Neben der scb.a
Spanien mit ihren Erzeugnissen ver- aus Karls des Grossen Zeiten r*-
treten waren, und zwar bestanden kannten „Friese" kamen jetzt dun -h
diese vornehmlich in Schmucksachen, Verwendung englischer, uugarisrlier
Kleiderstoffen und fertigen Kleidern, und spanisener \Volle auch feiner^'
Bei den Beziehungen , welche auch Tücher auf, Scharlach, Saja, Ras.'h.
die deutschen Städte mit Venedig Fritschal, Bogram, Barragan. Ivodeu
pflegten und besonders der deutsche und Kamelot. Der Bogram wuruV
Hof, konnte es nicht fehlen, dass aus Ziegenhaaren gewoben, der
die alte fränkische Tracht bei den Kamelot aus Kamelhaaren. Auch
höheren Ständen bald völlig, beim die Benennungen Z\cillieh, Belker
aufstrebenden Bürgerstande nach und Schetter kamen in dieser Zeit
und nach verdrängt wurde. Seidene schon auf. Mit der Weberei kamen
und köstliche baumwollene Tücher auch die Färberei, Wirkerei und
verdrängten die einheimischen, und Stickerei mehr iu Aufnahme. WM
es konnte der Wettstreit zwischen überhaupt ein Gewerbe da^ ändert
den Ständen und Geschlechtern sich unterstützte und anregte,
nach Belieben entfalten. Viel er- Selbstverständlich ist, dass nicht
wähnt wird bei den Dichtern des iede Hausfrau sich getraute, dies-
12. und 13. Jahrhunderts Seide aus köstlichen Stoffe selim in Arbit
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Tracht.
993
zu nehmen , um so mehr, da auch oder minder weit ausgeschnitten und
der Schnitt der Kleider immer kom- offen getragen oder mit Kiemen ge-
plizierter wurde. So entstand im bunden, sogar vereinzelt auch ge-
12. Jahrhundert ein neues Hand- schnäbelt, welche Manier Graf Fulko
werk und damit eine neue Zunft, von Anjou oder Angers um 1089
die der Snidcr, in Frankreich Talierer seiner übelgebauten Füsse wegen
fenannt, die anfänglich die Tuch- aufgebracht haben soll. Am deut-
rämer auch in sich begriffen. Im lichsten zeigte sich der fremde Ein-
13. Jahrhundert hebst man sie fluss im Hoc oder Rock. Bei den
„Mentler, Gewand- und Flickschnei- dienenden Ständen herrschte als
der" und erst später werden sie in Untergewand zwar immer noch die
„Manns- und Frauenschneider" aus- kurze Ärmeltunika vor, bei den Be-
geschieden, amten aber und bei Personen von
Was nun die Art der Kleidungs- Rang oder Stand verlängerte diese
stücke und ihre Zahl betrifft, so sich derart, das» sie oft aufgeschürzt
bleibt dieses trotz der veränderten werden musste. Das Stutzertum
Verhältnisse so ziemlich gleich, — schlitzte sie auch vom Gürtel ab-
Hemd, obere Tunika, Beinkleidung wärts ganz auf und zackte den untern
und Mantel machen in der Haupt- Hand zu schmalen Lappen aus.
sache auch jetzt noch die männliche Auch trug man mitunter über diesem
Tracht aus. Das Hemd, hemede, ein zweites , ärmelloses Unterge-
nider-tcAt, nider-kteit, ist von Lein-, wand, das ungegürtet herabhiug,
wand gemacht, kurzärmelig, nach ! vom 13- Jahrhundert an als Schav-
Art der Tunika vorn geschlossen, perun, Warkus, Kappe, beständig
Die Hose, ealiga, hatte vielfach doch j zum vollen Anzug gehörte und jetzt
die Gestalt der Trikots, indem sie ' eine Kapuze oder Ärmel oder auch
als Langstrümpfe die Beine bis in | beides zugleich erhielt und zwar
die Mitte der Oberschenkel beklei- die Ärmel als weite Halb- oder
dete und dort an die Broche, femo-
ralia, (unserer Schwimmhose ähn-
lich) anscbloss oder auch als ein
Hängeärmel. Das untere Gewand
hiess Sukkenie und wurde in seinem
oberen Teile sehr verengt. Es war
Stück mit derselben den Leib bis das Hauskleid, während die „Kappe"
zur Hüfte bedeckte. Bei den Armen auf Reisen und zur Jagd darüoer
tritt eine einfache Pumphose auf, | angezogen wurde. Vornehme trugen
die am obern Rande durch einen auf der .Jagd auch ein besonderes
eingenähten Riemen zusammenge- „Pirsgeiranl", einen kurzen Umhang
zogen wird. Auch die ganzen Trikots von Pelzwerk. Der Mantel (siehe
wurden mittelst Schnüren an den Hüf- dort) hatte seine ursprüngliche Form,
tengeheftet, d. h. meist mitdem Ober- ' diejenige eines halbkreisförmigen,
kleide zusammengenestelt, wozu diese menr oder minder weiten Umhangs,
sowohl wie der Hüftengürtel ent- noch immer bewahrt, wurde nun
sprechend durchlöchert waren. Diese aber nicht mehr ausschliesslich nach
Trikots wurden aus Seide oder römischer Sitte auf der linken Schul-
Wolle gewebt, vorherrschend ein- ter getragen, sondern als Rücken-
färbig, besonders rot, dann oft auch mantel auf beiden Schultern zu-
gestreift oder jeder Beinling in gleich. Die Kopfbedeckung kommt
eigener Farbe Die Schuhe. Halb- noch selten vor, wo sie aber auf-
stiefeln, wurden nach wie vor aus tritt, da ist es die Rundkappe, die
Zeug, Filz oder Leder gefertigt und spitzige Pelzmütze und der breit-
erhalten immer noch verschiedene krempige Strohhut. (Siehe Kopf-
Farben; doch herrscht bereits die bedeckung.)
schwarze vor. Sie wurden mehr Die weibliche Kleidung entsprach
Kealleiieon der deutschen Altertümer. 63
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99-4
Tracht.
der eben besprochenen. Zunächst
ist es auch im 12. Jahrhundert nur
noch ein Kleid, der Rock, der auf
blossem Leibe getragen wird. Er
bleibt auch längere Zeit noch das
einzige Kleidungsstück der Bedien-
steten und der Armen. Vermög-
liche tragen bald das Hauptkleidungs-
stück über demselben und seit der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
auch schon das dritte. Der Stoff
des Hemdes ist Leinwand oder
Seide; wo es ein einziges Kleidungs-
stück bleibt — ein grober Wollen- |
stoff. Der Hock bedeckte den Ober-
körper sehr knapp, erweiterte sieh
aber an den Hüften zu einem langen
Schleppkleide, dem die weiten Hänge-
ärmel entsprachen. Die Geistlich-
keit nahm Anstoss an dieser Tracht
und untersagte hie auf einem Konzil
um 11S5 auts nachdrücklichste. Sie
erhielt sich jedoch bis in den An-
fang des 13. Jahrhunderts, wo die
(in ihrem oberen Teile) weitere ärmel-
lose Sugqenie oder Stick euie aufkam,
die auch vou den Männern bald
allgemein getragen wurde. Erwähnt
werden bei den Dichtern noch der
kurze Boll, wahrscheinlieh ein Über-
wurf, der Surkot, ein dem Skajmlier
ähnlicher Überhang, vorn und hinten
herabhängend, an den Seiten offen,
oben mit einem Kopfloch versehen
— und ferner der Strunz oder das '
Strunze/ in, vermutlich eine Suckenie
mit Schleppe. Mantel, Fuss- und
Kopfbekleidung, wenigstens erstere
zwei, unterschieden sich nicht von
denjenigen der Männer, wogegen
die kostbaren fremden Geschmeide
von den Frauen im allgemeinen
mehr geliebt werden, als von den
Männern, wie wenig auch die Männer,
natürlich die Fürsten vorab, den
glänzenden Erzeugnissen der Gold-
schmiedekunst abhold waren. Im
Inlande zeichneten sich auf diesem
Gebiete die Augsburger und Nürn-
berger Goldschmiedewerkstätten aus.
Haar und Bart wurden immer noch
kurz geschnitten; der volle Bart
kennzeichnet den Juden, dem über-
dies ein zuckerhutförmiger Hut mit
kurzem, herabhängenden Rand vor-
geschrieben war, welche Bestim-
mungen von späteren Kirchen Ver-
sammlungen dahin erweitert wurden,
dass der Hut hornartig gekrümmt
und das Unterkleid auf der Brust
oder dann der Mantel mit einem
orangefarbenen Rad bezeichnet
werden müsse. Ebenso mussten sich
die jüdischen Weiber und Kinder
auffällige Kennzeichnung gefallen
lassen.
Wohl auch gegen Ende des 12.
Jahrhunderts mögen besondere Ah-
zeirhen für Beamte aufgekommen
sein, sei es nun dass diese in einem
eigenartig gestaltetcnK leid ungsstüek
selbst oder in einer Verzierung des-
selben bestanden.
Auch des Stabe* wird als eine?
solchen Abzeichens erwähnt. Es
müssen aber diese Abzeichen über-
haupt anfänglich nur bei besonders
hohenFestlicnkeiten getragen worden
sein, wenigstens erscheint auf einem
Bilde in der Manesseschen Lieder-
handschrift, die zwischen 1280 und
1 328 gesammelt worden, der Böhmen-
könig Wenzel II. in seinem volles
Ornate, während seine sämtlichen
Begleiter ohne besondere Kenn-
zeichen dargestellt sind. Auch ist
mit Gewissheit anzunehmen, dass
in gleicher Weise die Auszeichnung
der Kur- oder Wahlfürsten kaum
vor dem Ende des 13. Jahrhunderts
aufkam. Diese bestand in einem
langen, roten Mantel, besetzt und
gefüttert mit Hermelin und einem
Kragen von demselben Stoffe, und
in einer roten Rundkappe mit Her-
melinbesatz, bei den vier weltlicheu
Fürsten von Summet, bei den geist-
lichen von Tuch.
Zu eben der Zeit, als der 7/V
seine Beamten äusserlich kennzeich-
nete, nahm auch die bürgeriieh*
Amtskleidung in den städtischen
Gemeinwesen ihren Anfang. Die
höchste Gewalt war die richterliche.
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Tracht.
1)95
und für ihre Trager' findet man zu- um so kräftiger herein. Adels- und
erst — und zwar schon in den Bürgerstand suchten sich zu über-
Rechtsbüchern des 13. Jahrhun- bieten „und was beide in äussern
derts — bestimmte Vorschriften Genüssen nicht selber ersannen oder
über ihr Erscheinen bei deren Aus- vermochten, ersann und vollführte
Übung. Der Richter musste auf die Geistlichkeit. Wie heftig auch
i inem vierbeinigen Stuhle sitzen der Einspruch wurde, den emzelne
. als ein grisgrimmender Lowe, den gesinnungstüchtige Männer, Pradi-
rechten Fuss über den linken ge- ( kanten und Moralisten, und selbst
Mhlagen", bekleidet mit einem Behörden dagegen erhoben, und wie
Mantel, den sollen sie „tippen den 1 wirksam auch dies teilweise war,
*?hulderen h ebben , sunder wapenen im ganzen blieb man sich getreu,
toten sie si?i". Und „swar man ja fühlte sieh darum um so ent-
bnget in bi koninges banne, dar ue schiedener geneigt, im Eigenwillen
*al noch scepenen (Schöffen) noch < zu beharren und eben nur sich,
nehtere kappen hebben an noch hü- \ dann oft bis zum Mutwillen, in un-
kken noch huren noch handschuheu. gebundenster Art zu genügen."
Zudem trägt der Richter einen Zwischen 1330 und 1340 kam
weissen (entrindeten) Stab. Schul- die neue Tracht iu Aufnahme , zu-
iheissen und Landgrafen sitzen auch, erst bei der Jugend, dann bei den
^owie die übrigen Schoppen oder Erwachsenen männlichen Ge-
SchörTen auf der Schönnen -Bank, schlechts, zuletzt bei den Frauen.
Sie tragen Stab und Afantel und Der Verfasser der Limburger Chro-
uberdies einen gelben Krempenhut, nik (1349) sagt hierüber: „Die alten
dessen Spitze noruartig rückwärts Leut, mit Namen die Manne, trugen
gebogen erscheint. Untergeordnete ! weite und lange Kleider, die.hatten
Beamte trugen die Farben der nicht Knäufe, allein an den Ärmeln
otldt, vielleicht auch die Wahr- hatten sie drei oder vier Knäufe,
zeieheu derselben in Form von Die Ärmel waren beschcidentlieh
Wappenschi Idcheu, wie auch jede j weit, und die Röcke oberhalb der
Zunft — mancherorts auch einzelne , Brüste gerunzet und eingefranzt,
( '» .schlechter — ihr eigenes Wahr- vorne geschlitzet bis an den Gürtel,
ziehen führte. Die jungen Mannsleute trugen kurze
■Schon in der zweiten Hälfte des Kleider, abgeschnitten, auf den
13. Jahrhunderts hatte Deutschland , Lenden .gerunzet und gefalten, mit
'lie Führerschaft unter den euro- engen Ärmeln, die Kogeln gross,
j' tLjchen Landen an Frankreich Darnach zur Hand trugen sie Köcke
abtreten müssen, das auch in bezug mit vierundzwanzig oder dreissig
auf die Tracht eine völlige Umge- Girnen , und lange Heuken , die
«taltung hervorrief, hindern es mit waren gekneuft , vorne nieder bis
den altrömischen Überlieferungen auf die Füss, und Stumpf- Schuh,
völlig brach und dadurch für das Etliche aber trugen Kogeln, die
Kostüm eine durchaus selbständige, hatten vonie einen Lappen , die
höchst wechselvolle Fortgestaltung reichten herab bis an die Knie, die
anbahnte. Deutschland widerstand , Lappen verschnitten und verzuselt.
dem französischen Einflüsse bis gegen Es hat diese Tracht gar manches
He Mitte des 14. Jahrhunderts und Jahr gewährt."
ierGrundeharakterderBekleidungs- „Die Herren und Ritter, wenn
wt blieb bis dahin dem bisherigen sie hoffahrten, hatten lange Kappen
gleich. Dann aber brach mit an ihren Ärmeln bis auf die Erde
inemmale der ganze Widerstand, herabhängend , gefüttert mit Bunt
und die Flut des Neuen brach nun oder kleinem Spelt i grauem Pelz-
63*
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996 Tracht.
werk), als wie es den Herrn und Rücken hin. Dahingegen vergingen
Rittern gebührt/'1 nun die weiten und kurzen Leaersen.
„Frauen und Weibspersonen die hatten oberhalb gut Leder und
waren gekleidet, wann sie gingen waren (uuterwärts) verhauen. Da
zu Hof oder Tanz, mit Perkkleideru, I ging auch an, dass die Männer sieb
darunter Röcke mit engen Ärmeln, vorne, hinten und neben zunestelt'n
und das oberste Kleid hiess Sorkcte; und gingen also hart gespannt,
es war zu beiden Seiten, beneben und Die jungen Männer trugen gemein ig
unten aufgeschlitzt und gefüttert, lieh geknäufte Kugeln, als wie di •
im Winter mit Bunt, im Sommer Frauen. Diese Kogeln währten
mit Zindel, darnach es auch jedem dreissig Jahr und vergingen «larnaob
Weibe ziemlich war. — Es trugen j wieder."
die Frauen, so Bürgerinnen waren, Wie es bei Nachäffereien zu ge
in den Städten gar ziembliche schehen pflegt, waren es besonders
Heuken, die nannte man Veelen und die auffälligsten Absonderlichkeiten
war daran des kleinen Gespens | der französischen Mode, die eifrig
(Gespenstes) von Distelschit kraus nachgeahmt und überboten werden
gefallen und eng gefalten, bei dem \ wollten, so die überaus weiten Hänge-
einen mit einem Saum bei nahe ärmel der Röcke, die Schwänze der
einer Spanne breit, und kostet einer Kapuzen, die Schnäbel der Sehnte
neun oder zehn Gulden." | und die Auszattelung der Ränder
Zum Jahre 1350 schreibt Während die Franzosen z. B. di-
derselbe Chronist: — — ,,und engen Röcke vollständig zugeknöpft
machten die Leute neue Kleidung, trugen , schlitzten die Deutsehen
Nun waren die Röcke unten ohne dieselben zuerst an den Seiten noch
Girncn, und sie waren auch nit ge- etwas auf und versahen dies«
kürzet, sondern lang und dergestalt Schlitzen wieder mit Knöpfen in
enge, dass ein Mann nicht wohl dichtester Reihe. Den kurzen Rock
darin schreiten mochte, und gingen nannte mau schlechthin „Scheelr
eine Spanne unter die Knie; da und entlehnte diesen Ausdrnek
fingen auch die Schnabelschuhe an." wahrscheinlich dem Englischem
„Die Frauen trugen neue Haupt- (jade, jackel), den längeren nannt-
ii nst am, so dass man die Brüste mau Ii ams, icamniesin, iratnhetouy
beinahe halb sähe. Wiederum auch gambesou, mit welchem Ausdruck
machten die Männer Röcke kurz anfänglich das ritterliche Unter
eine Spanne unter die Gürtel; auch gewand bezeichnet wurde. Der
trugen sie Heukeu, die waren alle Hüftgürtel behielt seine ursprün^-
rund und ganz, die hiesse man liene' Stelle bei uns noch lange Zeit
Glocken, die waren weit, lang und bei, indem nur vereinzelte Stutz r
auch kurz." ihn tiefer hinunterrückten, wie
Und schon 1362 weiss der die französische Mode vorschrieb
Chronist eine weitere Neuerung zu Als Beinkleid war die enganliegend*
berichten: „In diesen Tagen ver- Hose jetzt am verbreitetsteu , doch
gingen die grossen weiten Ploder- , waren auch die alten Einzelbeinling*
hosen und Stiefeln; diese hatten noch üblich. Was aber der Ver
oben rot Leder und waren verhauen
(aufgeschlitzt) und gingen die langen
Ledersen an. Die waren eng, mit
fasser der Limburger Chromk unter
der „Ploderhosc" versteht, ist nicht
ersichtlich. Die spitzen Schnabel
langen Schnäbeln, hatten Krappen, der Schuhe waren oft eine Elle lan^:
• •inen bei dem anderen, von der und die gleiche unsinnige Ühertrei
grossen Zehe an, bis oben aus, und buug bemächtigte sich der Kuoeh
hinten aufgenestelt bis halb auf den (Gugeln, Kogeln, Gogeln, lat eumltu.
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Tracht. 997
Kappe», der üblichenKopfbedeckung, j reich verziert und im Laufe der Zeit
die mit Lappen- und Zaddelwerk unförmig verbreitert. Als Kopfbe-
uuförmig behängen und mit mehr deckung benutzten auch die Frauen
als ellenlangen Schwänzen versehen den Gugel. Daneben kommt als
wurden, tür die Mantel behielt eine deutsche Kopftracht die Haube
man die zwei bisher üblichen vor, die Kopf und Schultern bedeckt
Formen der „Heuke" und „Glocke", und an ihrem äussern Rande, der
den linken Schultermantel, der auf das Gesicht umschließt, einen wei-
der rechten geheftet wird, und den chen Besatz von Krausen trügt, wes-
zweiteiligen Schurz, der oben ein wegen sie auch „Hullen" oder„Kru-
Knopfloch besitzt, vom und hinten seier" genannt werden. Die jungen
weit herabhängt und zu den Seiten Mädchen tragen noch den Stirnreif
offen ist. oder Schapel Dei orTenem oder lang-
Gleichzeitig mit der neuen Tracht geflochtenem Haar. Der Schleier
kam bei den Männern auch das lange wurde immer häufiger.
Haar und der Barl wieder in Auf- Als Mantel beliebte den Frauen
nähme, wie Haqeciu* schon um 1329 immer noch der bis dahin übliche
sagt: .,Nun auch begann die Ritter- Rückenmantel, der auf der Brust
scuaft ihre Bärte lang wachsen zu befestigt wurde ; seltenertrugen sie
lassen , da man sich vordem glatt die „Heuke." Im übrigen ist zu
trug; auch trugen einige Knebel- bemerken, dass das, was hier auf-
bärte, gleich Hunden und Katzen kommt, dort schon fallt, und was
nach heidnischer Art. Andere aber, von einer Stadt gesagt werden darf,
ihre Mannheit verleugnend, nahmen auf eine andere nicht Bezug hat,
weibischen Gebrauch an, trugen wenigstens nicht in demselben Grade;
langherabhängendes Haar, kämmten denn — wie ein österreichischer Chro-
und bleichten es nass an der Sonne, nist sagt: „Jeder kleidete sich nach
Etliche, die vor allen andern berufen Gefallen, einige trugen Röcke von
und schön erscheinen wollten, brann- zweierlei Tuch, bei andern war der
ten und kräuselten ihr Haar, und linke Ärmel beträchtlich weiter als
je zierlicher einer dies konnte, je der rechte, ja bei manchen sogar
schöner er sich zu sein bedünkte." noch weiter als der ganze Rock
Die Frauen gaben zuerst das lang war. Andere hatten beide
ärmellose Unterkleid auf oder wan- Ärmel von derartig gleicher Weite,
delten es zum Harket um, indem sie und wiederum andere verzierten den
es zur rechten und zur linken von linken auf mancherlei verschiedene
unten herauf stark aufschlitzten. ( Weise, teils mit Bändern von allerlei
Darauf Hess man es wieder unge- Farben, teils mit silbernen Körnlein
teilt, verengte es aber und versah an seidenen Sehnüren. Einige trugen
♦^8 mit Ganzärmeln. Bald aber über- auf der Brust ein Tuchstück von
boten sie ihre Männer im Wetteifer, verschiedener Farbe, mit silbernen
nach französischer Art sich zu kleiden.
Das Kleid wurde in seinem obern
Teile eng, dafür aber tief ausge-
schnitten, sodass Hals und Schultern, andere wickelten sich die Brust ganz
oft auch ein grosser Teil der Brust mit seidenen Ringen ein. Einige
und seidenen Buchstaben geziert.
Noch andere trugen Bildnisse auf
der linken Seite der Brust, und aber
l ntblösst erschienen. Um so ver- ' Hessen sich die Kleider so eng ma-
schwenderischer war man mit dem chen, dass sie solche nur mit Hilfe
faltigen untern Teile desselben, der anderer oder vermitteist Auflösung
— wenn auch nicht in demselben einer Menge kleiner Knöpflein, wo-
Afasse wie in Frankreich — in einer mit die Ärmel bis auf die Schultern,
Schleppe endigte. Der Gürtel wurde auf Brust* und Bauch ganz besetzt
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99 3
Tracht.
waren, wirklich an- und ausziehen wollte, schlug man sie auf. — Diu
konnten*' etc. Hundskogcln fahrten Rittor im 1
Auch der mehrmals genannte Knechte, Bürger und auch reisige
Limburger Chronist verliert die Ge- Leute. — Item auch trugen du
duld, die jeweiligen Änderungen in Männer Ärmel und Wämser ohn-
der Tracht mit der Ausführlichkeit Schoppen und andere Kleidung, di
zu behandeln, wie er es anfangs hatten Stauchen bis nah aal
gethan. So sagt er vom Jahre 1370 die Erde, uud wer von ihnen die
kurz: „Neue Kleidung ging an in ' allerlängste trug, das war ein
dem Jahre, das waren die langen Mann."
Tapperte, die trugen sowohl Männer „Böhmische Kugeln trugen dk
als Frauen, und trugen die Männer Frauen, die gingen da an in diesen
die Hauken kurz, weit, auf beiden Landen. Dicso Kugel stürzte eine
Seiten geknäuft; und währte nicht Frau auf ihr Haupt und standen
springt dann zehn Jahre uud be- als wie man die Heiligen in der
merkt (1380): ,. Wer heuer ein guter Kirche malet mit den Diademen."
Schneider war, der taugt jetzt Der ,,Tapj>ert", auch Trappert
nicht eine Fliege, also hat sich der oder Trapphart genannt, war ein
Schnitt verwandelt in diesen Landen Üb erzieh rock von raäs«iger Weite
in so kurzer Zeit." anfangs bis auf die Fü<se reichen!
„In demselben Jahr" — erzählt vorn vom Gürtel abwärts aufg*
er weiter — gingen die Männer schlitzt, mit beliebigen Ärmeln ver-
um! die Frauen, edle und unedle, sehen. Bald wurde er verkürzt uni
Knaben und Jungfrauen mit Tap- reichte so nur noch bis zum Knie.
perTen, und hatten die in der Mitte Gegürtet wurde er mit dem „Duch-
fe^urtet, und die Gürtel hiess man sing" {Dapsiug, D.isiug, Teusink-M.
)ucksinff; die Männer trugen sie der nach einer alten, nun ueu
kurz und lang, wie sie wollten, und erstandenen Sitte mit Schellen uu \
machten daran grosse, lan^e und Glöckchen geziert war.
weite Stauchen , einesteils nis auf Diese wurden zuerst, wie es heute
die Erde. Diesen Schnitt haben sie noch üblich ist, mit dem Pferd^-
„Da auch fing es an, dass man man sie aber auf Gürtel, Ärmel,
nicht mehr die Haarlocken und Zöpfe Kugel und sogar auf die SehmV
trug, sondern die Herren, Ritter uud '■ übertrug . da liessen sich die Be-
Knechte trugen gekürztes Haar oder hörden dagegen auf. So gebot 1343
Krüllen, über den Ohren abgeschnit- der Rat zu Nürnberg: „Kein Mann
ten, gleich wie die Co nrersb rüder, noch Frau soll keinerlei Glocken.
Da dies die gemeinen Leute sahen, Schellen , noch irgend von Silber
thaten sie es ihnen nach." I gemacht hangende Dinge an einer
„Es führten die Ritter, Knechte, Kette noch an einem Gürtel tragen."
Bürger und die reisigen Leute über- 1 Und nach der Göttinger Chronik
haupt, lange Schecken, Schecken- | erschienen auf den grossen Feston.
rocke, geschlitzet hiuten und beue- die Herzog Otto um 1370 und 1376
beu, mit sehr grossen und weiten veranstaltete, viele Ritter, Weiber
Ärmeln, die Piexchen (Wülste) an und Jungfrauen geziert mit herrli-
den Ärmeln betrugen eine halbe chen Purpurgewändern und klingen-
Elle oder mehr. Das hing den Leu- den, silbernen und goldenen Gürteln
ten über die Hände und wo man und Borten, mit langen Röcken und
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Tracht.
Kleidern, die gingen alle schurr I und vorne, dass man Brüste und
schurr und kling kling.'* Rücken fast entblösst sah. Auch
Wie der Tappcrt selbst sich er- waren diese Rocke geflügelt und auf
weiterte, so wurde das Unterkleid i den Seiten ausgefuttert. Etliche,
nach französischem Muster immer damit sie schmal blieben, schnürten
kürzer und enger, sodass die Rate , sich so enge ein, dass man sie um-
allen Ernstes zur Wahrung des spannen mochte. Die adeligen Frauen
Schicklichkeitsgefühls dagegen auf- 1 hatten geschwänzte Röcke (Schlep-
treten mussten, so der zu Konstanz pen), vier oder fünf Ellen lang, so-
im Jahre 1390: „Wer in einem dass sie Knaben nachtrugen. Die
blossen Wamms zum Tanz oder auf : Frauen und Mädchen hatten an
die Strasse geht, soll es fein ehr- Röcken dopple dicke Säume, hand-
bahrlich machen und die Scham breit; die reichen Weiber silberne
hinten und vorne decken, dass man Knäufen oder breite silberne Schaleu,
die nicht sehen möge." von oben bis unten auf die Schuh.
Die Frauen hinwieder Wetteifer- Die Mägde trugen Haarbänder von
ten darin, ihre „Leibchen" auf Brust Silber, vergoldete Spangen und han-
und Rücken recht weit auszuschnei- gende Flammen (Schleier) zum Ge-
deu und diese entblössten Teile recht schmück auf den Häuptern ; die
voll erscheinen zu lassen durch An- Weiber auch lange Mäntel mit Fal-
wendung eines breiten, engen Gür- ten, unten weit, mit zwiefachem
tels, dnr die Taille möglichst lang Saum handbreit, oben mit dickem, ge-
und dünn erscheinen Hess. Der stärktem Kragen, anderthalb Schuh
Schellengürtel hing nur lose an den lang: hiessen Kragenmäntel. Auch
Hüften. Als Kopfbedeckung kam hatten die Männer Wämmser von
zu der bisherigen noch neu hinzu Barchent , mitten waren doppelte
das aus Gold- und Silberfäden ge- Kragen mit Taig zusammengeklei-
flochtene, mit kleinen Metallanhäng- stert, und kurze Röcke mit zwei
sein, Perlen und Steinen reich ge- Falten, kaum wurde der Hinterste
zierte Haarnetz, ebenfalls ein deut- bedeckt."
sches Produkt, das den damals in Noch weiter ging das 15. Jahr-
Frankreich allgemein verbreiteten hundert. Namentlich die Jugend war
„Atour" nicht recht aufkommen Hess, bemüht, die gegebenen Formen der
Wie allgemein aber zu Ende des bisherigen Tracht durch neue Zu-
Jahrhunderts die neue Tracht schon thaten noch auffälliger zu machen,
war, d. h. wie sie auch die kleinen weswegen denn auch Verordnung
und kleinsten Städte schon völlig über Verordnung erschien, dem
für sich eingenommen hatte, beweist „Lappen- und Zaddelwerk", der
eine Nachricht aus Kreuzburg: „Die „geteilten Kleidung", der „Schellen-
reichen Leute hatten Teusinke um, tracht" und den „Schnabelschuhen"
war ein silberner Gürtel, da hingen den Krieg zu erklären. Doch herrschte
Glöcklein an ; wenn eines ging, — sagte ein alter Chronist — „anno
schellte es um ihn her. Das Manns- 1400 und bis man schrieb 1430 ein
volk hatte Kappen mit wollenen so grosser Überfluss an prächtigem
Troddeln, ellenlang und setzten sie Gewand und Kleidung der Fürsten,
über die Stirn. Ihre Schuhe waren der Grafen , Herrn , Ritter und
vorn spitzig, fast ellenlang. Ja Knechte, auch der Weibspersonen,
einige machten an die Spitzen Schel- \ als vor niemals gehört worden; auch
len. Auch hatten die Männer Hosen I trug man da silberne Fassungen
ohne Gesäss, banden solche an die oder Bänder mit Glocken von zehn,
Hemden. Die reichen Jungfrauen zwölf, fünfzehn und zuweilen von
hatten Röcke ausgeschnitten hinten zwanzig Marken (etwa zehn Pfund I.
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1000
Tracht.
Etliche auch trogen rheinische Ket- gebundenen Flechten, die mit Ro-
ten von vier oder sechs Marken, setten- und Edelstein gezierten Gold
samt kostbarlichen Halsbändern, streifen, künstlichen Kränzen, gl-
grossen silbernen Hüftgürteln und stickten Bändern, mit Blumen ue'
mancherlei Art von Spangenwerk." Federn geschmückt wurden. Wer
Zur Auszaddelung eignete sich das Geld für einen ersten Schmuck
der Tappert am besten; er erhielt erlegen konnte, der iiess »iehs nicht
daher in dieser Zeit die weiteste gereuen, unglaubliche Summen n
Verbreitung. Ausgezaddelt wurden opfern ; wer keinen echten bezahlet)
zuerst die weiten Ärmel, dann aber konnte, begnügte sich mit einrn
der ganze Rand und endlich der unechten, wTie er ihn bei öffenrlito
HalskrHgen und selbst die Schulter- zu Recht bestehenden Handwerk-
stücke. Bald war der ganze Rock innungen haben konnte. Seine Blät-
ausgezaddelt , das* er weder zu aber erreichte das Stutzertum in d< r
schützen, noch zu decken vermochte, zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert-
Die einzelnen Zaddeln waren von und zwar am hurqundischen 11
ungleicher Grösse und Form, und wo es sich in beiden Geschlechter-
oft mit weiteren Zaddeln derart über- jedweder Fessel entwand und d;e
legt und übernäht, dass das ganze tolle Laune dem Anstand, der Scta.
wirklich ein „Zaddelwerku genannt heit und Zweckmässigkeit überorl-
werden durfte. Mit der Mitte des nete. Monstrelet schreibt zum Jahr-
15. Jahrhunderts kam dann neben 1467 in sehr bezeichnender Wei*-
dem Tappert auch die Schauhe auf. In dieser Zeit machten die Mänct:
indem jener auf der Vorderseite g< - die Kleidung so kurz, das« man <ü*
öffnet allmählich in diese umgestaltet genaue Form ihrer cuh und
wurde. Die sogenannte Teilung der toire* sehen konnte, ganz so, w<!
Kleider hatte immer noch zumeist bei den bekleideten Affen. Auch ia
auf die Beinkleider Bezug. Da der Deutschland trug man statt <ie:
Tappert als mehr oder minder langes langen Tapperte nun die vorn offene
Obergewand den Rock oder das Schauhe oder den kurzen, engw
Wams bedeckte, schenkte man letz- Scheckenrock, dazu eine Hose, derta
terem weniger Aufmerksamkeit. Knappheit sich bis zur Schamlos?"
Doch gab es auch etwa einzelne keit gesteigert hatte und die eit«
Stutzer, die den Rock in zwei Far- Schamkapsel erforderlich machte
ben, zwei Hälften, geteilt trugen, ' Auch wurde die Jacke weit ausp^
Von der Kleidung der Frauen schnitten, der Ausschnitt mit k«,s;-
ist wenig neues zu melden. Wüh- liehen Borden verziert und mit einexo
rend einige Frauen der höchsten Brustlatz unterlegt, w;ie ihn &r
Stände sich durch ihr schlichtes, Frauen trugen. Die Ärmel war
würdevolles Auftreten auszeichneten den verkürzt, aufgeschlitzt und &
und darum den Künstlern ihrer Zeit Schlitze unterpufft. Hie und da fau-
als Vorbilder zu Darstellungen der den auch schon die französisch«
Maria und andern Heiligenbildern ; hochaufqepohterten Schultern ihre
dienten, bemühten sich die übrigen, Anwendung. Der Mantel
im Wettstreit mit den Männern den begreiflicherweise lappenartig ver-
sieg davon zu tragen, indem sie das kümmern oder zu einem Mose«
Zaudel- und Schellen werk nachahm- Schaustücke sich verengen, das -
ten, Brust und Rücken womöglich mit einer weiten Halsöffnung ver-
noch schamloser entblössten und das sehen — nur etwa den Rücken ^
Schniirleibchen, „Gefängnis", noch , deckte und vorne auf der Brust durch
enger machten. Die freien Haar- eine thunlichst lange Schnur zu<*w
locken wichen mehr wieder den auf- mengehalten wurde, damit ja ^ '
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Tracht.
1001
Auge des Beobachters nichts vor- I
enthalten bleibe, was derselbe sehen
wollte und sehen sollte. Auch das
Rückenstück wurde zuweilen ausge-
schnitten wie die Brust und daun
in gleicher Weise mit einem Unter-
latz versehen. An kostbaren Be- !
ratzen und Stickereien fehlte es eben-
falls nicht; letztere stellten nicht
selten einen Sinnspruch oder ein
Sinnbild dar und fehlten sogar auf
den Beinlingen der Hose nicht. Diese
w ar eigentlich auf das Bein gespannt,
mit Nesteln gebunden. Oft zerfiel
sie der Länge nach in zwei Stücke,
indem der Unterschenkel seine
eigene Bekleidung hatte, die am
Knie an die obere Hose angenestelt
wurde. Auch trug man überhaupt
zwei Hosen übereinander, die untere
lang, die obere von anderer Färbung
nur bis zum Knie. Die Brust war
auch etwa geschlossen und dann
weiberbusenartig hoch gepolstert.
Hinsichtlich der „Gehalwirung"
oder Teilung [mipartt) ging man nun
so weit, dass nicht nur die Hose,
sondern überhaupt das ganze Kleid
in zwei Hälften zerfiel, nach Farbe,
Form und Stoff, was sogar auf die
Kopfbedeckung und Fussbekleidung
Bezug hat, sodass der Mann von der
einen Seite etwa ganz rot, von der
andern ganz blau, von vom und
hinten aber halb blau und halb rot
erschien. So kleidete 1459 der Pfalz-
graf am Khein 1300 Mann in blau
and weiss, und die Frankfurter Chro-
nik erzählt von einem Bernhard von
Rohrbach, einem reichen Stutzer da-
selbst, dass er um 1464 sich ein
..geteilt Kleitu machen Hess, „rot
und wys zu eyn Farbe uff der lin-
ken Sitten und mitten uß der Gosen
ah das Rothe und wys zusammen
genegt: ytel Knop und mit Gattein
rot und tcusy und oben uff iklichem
Knop eyn silbern Spant f gesiegt, als
Pertin, und also auch Rock, Koller
und Kogel.11 Doch beliebte auch
die Mehrteilung; so waren um 1473
die Krieger der Stadt Augsburg
dreifarbig gekleidet, weiss und rotr
durch grün geteilt. Die Teilung
nach .der Form erstreckte sich auf
die Ärmel und Beinlinge.
Die Schnal)elschuhe erhielten sich
trotz der heftigsten Angriffe, die sie
von allen Seiteu erlitten und trotz
der augenfälligen Unzweckmässig-
keit bis zum Jahre 1490, wo man
ins andere Extrem überging, näm-
lich zum breiten, „entenschnabel-
förmigen'4 Schul». Kopfbedeckungen
waren vorab der Huf in den ver-
schiedensten Gestaltungen, daneben
die Mützen, Sendelbinden und Gu-
geln. Das Haupthaar trug man ge-
gen Sehluss des Jahrhunderts lang;
wer von Natur dieses Schmuckes
entbehrte, der trug falsche Haare
(siehe Perrücke); der Bart wurde
mit wenigen Ausnahmen immer noch
geschoren. Ausgenommen in der
Teilung der Kleider, machten die
Frauen auch in der burgundischen
Tracht getreulich mit. Die Schleppe
wird bis 4 Ellen laug, und muss von
dienender Hand getragen werden.
Dadurch wird auch das Unterkleid
sichtbar, weswegen es unterwärts
reich besetzt wird. Der Halsaus-
schnitt bleibt weit, ja er vertieft
sich noch und nimmt das kostbare,
feine aber durchsichtige Vorsteck-
iueh auf, das die Gestalt eines Kra-
gens oder eines Brustlatzes hat, da-
rin die sonst völlig freien Brüste vom
Leibchen unterstützt, ruhten. So
schreibt der Erfurter Chronist zum
Jahre 14£0: „Mädchen und Frauen
trugen köstliche Brusttücher, auch
vorn mit breiten Säumen gestickt,
mit Seide, mit Perlen oder Flitter,
und ihre Hemden hatten Säcke, da-
hinein sie die Brüste steckten, das
alles zuvor nicht gewesen war."
Gegen Ende des Jahrhunderts teilte
man auch nach französischer Manier
das Leibchen von dem Rock und
gab nun dem ersteren noch freiere
Gestaltung. Besondere Aufmeik-
samkeit schenkten sie auch jetzt der
Kopfbedeckung. Neben den vielen
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1002
Tracht.
einheimischen Formen tritt besondere Frauen. Letztere behielten dau
die französische ,,henninlt auf, meist ben uur noch die enganschlie^sen 1
kegelförmig geflochten und mit einem Haarhauhe.
breiten, flügelartigen Behänge ver- Was den Stoff der Kleider an
sehen. Sie ist vereinzelt si-hon in belangt und die Ausstattung ml
der ersten Hälfte des Jahrhunderts Schmucksachen und Stickereien. *
zu treffen, kann sich aber auch jetzt blieb es auch hierin beim alten, d. h.
noch nicht nachhaltig einbürgern, jedermann wendete hiefür auf, hol-
wie überhaupt die Gefallsucht in der seine Mittel erlaubten, weswegen
Tracht am Schluss der 15. Jahr- denn auch die geistlichen und wvh
hunderts jene Höhe erreicht hatte, liehen Behörden in zahllosen Er
die sie keinen ruhigen Halt mehr lassen gegen die überhand nehmende
gewinnen liess. Prachtliebe auftraten und bis ins
Die erste Hälfte des 10. Jahr- kleinste bestimmten, wie sieh di»?
hunderte brachte, was die Tracht- verschiedenen Geschlechter w*l
anbelangt , wenig neues. Man be- Stände zu tragen hätten. Der Er-
^nügte sieh im allgemeinen, das alte folg blieb aus. Auch die Press*
in etwas veränderter Form, bald benutzte bald nach Erfindung de:
verbessert und bald verschlechtert, Buchdruckerkunst die günstige Gr
bald vereinfacht und bald erweitert, legenheit, Flugschriften in die Wel:
immer wieder zu probieren. Na- hinauszuschieben, die das verblendete
mentlich was die Kleidung der Volk belehren sollten. So schrie •
Frauen betrifft, trat nach und nach der Magister Westphal: „Wem;
eine Wendung zum Zweck mäßigeren man sich in der weiten Welt urr-
und Anständigem insofern ein, als siehet und Achtung darauf gibt. s<>
die Schleppt* sich verkürzte und man- wird man finden, das fast alle V»»l-
cherorts ganz wegfiel und das Leib- ker, Länder uud Xationes ihre ei-
ehen sich nach oben wieder mehr geue besondere gewisse Tracht, Art
schloss oder bei eiuem weiten Hals- und Form der Kleidung haben
ausschnitt der „Goller" Schultern Allein wir Deutschen haben nicht«
und Brust deckte. Für die männ- gewisses, sondern mengen dies jetrr
liehe Kleidung waren die Lands- erzählte und noch viel mehr alle?
knechte tonangebend, deren locke- durcheinander, tragen Welsch. Fran
res Wesen selbstverständlich keine zösisch, Husernisch, und ja nah»1
durchgreifende Wendung zum Guten allerdingen Türkisch dazu. Wer
versprach. Vielmehr gestaltete sich wollte oder könnte wohl erzählen
namentlich die Hose schamloser, als die mancherlei wunderlichen un i
je, sodass schon zu Maximilians Zeit seltsamen Muster und Art der Klei-
die Hofleute ernstliche Klagen gegen dung, die bei Manns- und Weibs-
die Kriegsgeaellen und ihr Auftreten pereonen oder Volk in dreissig Jah-
zu führen sieh bemüssigt fanden; der ren her, auf- und wieder abgekoai-
Kaiscr aber, der sie nicht entbehren j men ist, von Ketten. Sehauben,
konnte, antwortete ausweichend, Mänteln, Pelzen, Körsen, Röcken
dass man ihnen für ihr kümmer- u. s. w.V Jetzt hat man den Sehwei-
lich und unselig Leben doch ein zerschnitt, bald den Kreuzschnitt
wenig Freud und Er^ötzlichkeit den Pfauenschwanz in die Hosen
gönnen solle." Die wichtigste Neue- geschnitten, und eine solche sehänd-
rung dieser Zeit ging mit der Kopf- liehe, gräuliche und abscheuliehe
h -deekung vor, indem das Barett Tracht daraus worden, dass ein
die bisher bestehenden in kurzer fromm Herz dafür, erschrickt und
Zeit aus dem Felde schlug , und seinen grossen Unwillen daran sieht,
zwar bei Männern sowohl als bei Denn kein Dieb am Galgen so
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Tracht.
1003
hässlich hin und hör bommelt. zer-
ludert u. zerlumpt ist ab die jetzi-
gen Hosen der Eisenfresser und
Machthansen, pfui der Schande!4'
Um 1553 wurde nämlich durch
Landsknechte eine völlige Umge-
staltung der Hose hervorgerufen;
es entstand die vielgenannte und
vielgehasste „zerluderte, zucht- und
ehrverwegene pludrige Teufelshose",
die sogenannte Pluderhose. Man
fertigte sie aus einer Ueberfülle
von sehr dünnem Stoff, gewöhnlich
aus Seidengewebe, und fasste diesen
durch mehrere bandartige Streifen
von Sammet oder Tuch, sodass das
ganze weit und schlotterig von den
Hüften hcrabhing. Die Nürnberger
Chronik nennt das Lager des Kur-
fürsten Moritz (Magdeburg) als den
Ort, wo diese Hose erfunden wor-
den sein soll; während in dem Ge-
dichte: „Ein new Klaglied eines al-
ten Deutschen Kriegsknechts wider
die greuliche vnd vnerherte Klei-
dung der Pluderhosenu das „Braun-
sch teeiger landf" genannt ist als
der Ort, wo erfunden worden sei
„eine grosse sünd vnd sehand". Je-
denfalls ist sie eine deutsche Erfin-
dung, denn Andreas Musculus sagt
um 1555: „Wer Lust hätte von
Wunders wegen solche unflathige,
bubische und unzuchtige Pluderteu-
fel zu sehen, der such sie nit unter
dem Papsttum, sondern gehe in die
Städte und Länder, die jetzund lu-
therisch und evangelisch genennet
werden, da wird er sie häufig zu
sehen kriegen, bis auf den höchsten
Greuel und Ekel, dass ihm auch
das Herz darüher wehe thuen und
dafür als für dem greulichsten Meer-
wunder sich entsetzen und er-
schrocken wird." Die Landsknechte
müssen ihre Freude an solchen An-
griffen gegen ihr liebstes Kind ge-
habt haben, denn sie verlängerten
die Hose, die anfänglich nur bis
zum Knie reichte, bald bis auf die
Knöchel herab und brauchten ge-
wöhnlich 20—40 Ellen für eine Hose,
während in einzelnen Fällen 100
— 130 Ellen verwendet wurden. Die
: gleiche Verschwendung wendeten
sie auf die Ärmel ihrer Jacke an,
und als dann in den sechsiger Jah-
ren ein hoher, fast kegelförmiger
Filz- oder Pelzhut als Köpfte-
; deckung hinzukam, der selber wie-
der von Federbüschen oder Bändern
flatterte, da war »las Kostüm aller-
! dim*s bis zu einem gewissen Ab-
schluss gediehen, aber für einen
Krieger im Felde viel weniger ge-
schickt, als für einen Hauswurst
auf dem Jahrmarkt. Doch erhielt
die Hose auch unter der Zivilbevöl-
kerung in kurzer Zeit grossen An-
hang, wie sehr aueh die Sittenrichter
gegen sie auftraten. Kurfürst Jo-
achim II. von Brandenburg Hess
mehrere Lumpenhösler aufgreifen,
in einem Käfig drei Tage hindurch
öffentlich ausstellen, Musikanten da-
vor aufspielen. Auch Hess er eini-
gen Edelleuten das „zottige Hosen-
eeplurap" auf offener Strasse heim-
lich loslösen, so dass sie allem Volke
zum Gespötte wurden. Das alles
half nicht, die Hose erhielt sich bei
den Landsknechten sowohl, als im
Volke überhaupt, bis zum Erlöschen
des freien Sölunertums, bis in das
letzte Jahrzehnt des 16., in der
Schweiz bis in da* 17. Jahrhundert.
Die „ehrbar gesinnten" Bürgers-
leute und der Adel jedoch befreun-
deten sich wenigstens mit der langen
Pluderhose nie, trugen aber eine
kurze, die weniger bauschig war
und zwischen dieser und der engen
Schlitzhose die Mitte hielt. Doch
wendeten auch sie verhältnissmässig
zur Ausstattung des Latzes oder der
Schamkapsel zu viel auf an allerlei
Schleifenwerk. Neben dieser Hose
oder vielmehr in Verbindung mit
derselben trug man auch jetzt noch
die enge Kniehose, sowie die älte
Strumpfhose mit und ohne Zwickel,
die lange Hose dagegen nur noch
in den höchsten Ständen. Daneben
kamen auch die seidenen gestrickten
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1004
Tracht.
Hosen auf, wenn auch nicht allge-
mein, da sie noch zu teuer Ovaren.
Noch seltener waren die spanischen
und spanisch - französischen Ober-
schenkelhosen und die glatten oder
mit Bandstreifen dicht überzogenen,
straff ausgepolsterten Rundwülsten,
häufiger wieder die von den Hüften
bis zum Knie reichenden ausgepol-
sterten Pumphosen und die unten
offene Kniehose. Mit diesen ver-
söhnten sich die Sittenrichter all-
mählich; wenn sie auch die spa-
nischen „Herpauken" und die
Schlumperhosen anfangs nicht ganz
billigen konnten, so waren sie doch
annehmbarer als die „Pluderhosen".
Zwar schreibt Johann Strauss: Die
Plumphosen zieren wohl, weun sie
ohne Latz gemacht werden und
nicht gar so weit. Jetzt aber müs-
sen sie mit Haar ausgefüllet sein,
dass einer darin pauset wie ein
Malzsack. Man muss drei Kälber-
häute (das Haar» zu einem Paar
haben. L'nd da sonst nichts ausge-
zogenes darin ist, so muss doch
d'Stotzer, wie sie es nennen, ausge-
zogen sein und unter die Augen
sehen. Pfui der Schand! Man
machet Diebsäck (Taschen) drein,
dass man wie die Spitzbuben, aller-
lei Gattung bald hinraffen mag."
Die Jacke, die man zu den Plu-
derhosen trug, war eng, reichte vom
Hals bis zu den Hüften, hatte da
einen Vorstoss und war wattiert
und gesteppt. Die unentbehrliche
Schlitze wurde mit Streifen besetzt
oder mit allerlei Knopfwerk. Die
Ärmel hatten dieselben Verzierun-
gen, waren aber weit. Johann
Strauss schreibt darüber: „Was für
Üppigkeit mit Wams und Pufrjackeu
getrieben wird, das siehet man. Der
Leib am Wams, ob er wohl fein
und glatt angemacht wird, so muss
er doch mit Seiden durch uud durch
umstöppt sein; vorne seltsame
Kneuffel dran, von Stein, Korallen,
Glas oder Horn. Oben einen Kra-
gen darauf, der weit hinausstarret,
Ärmel daran, die einer, wegen «2a
Grösse und Weite, kaum an dm
Armen tragen kann. Die müss-u
vorn auch eingefaltet sein, das* sj
Kröss gewinnen. Die träfet
an den Armen, wie die Gart*:;
kuecht ihre Camisseckel an ä-zz
Armen tragen." Mit dem Fall <i-r
Pluderhosen wurden wenigstet-
auch die Ärmel der Jacken eii.
facher, im übrigen war aber gera«.
das Wams den fremden Einritt-**
am meisten unterworfen. Man ver
sah dasselbe mit Schuf tertrüUt'
polsterte es unter der Taille zu <k&
Spfäebauch aus und nahm setgar »h s
französischen Gänsebauch an, so
dass 1586 Andreas Osiander d*-"
Jüngere, Diakon zu Urach. suL
darüber also vernehmeu liess: „J*V
gar herrlicher Schmuck abe-r sei*
die hasslichen langen ausgefüllt.
Gcnssbiiuchy die oben gleich unf-
dem Hals anfangen uud herab '.
weiter unter die Gürtel hanqen, tn-
ein Erker an ein Haus hanget,
er schier umziehen mochte.'*
Der Halskragen oder die
war bis in die Mitte dieses Jalr
hunderts mit dem Hemde verbünd» i<
als ein leicht gekrauster Streif« =
Weisszeug. Von da ab wurde er
selbständig behandelt und verbr»i
tetc sich immer mehr, bis die „über
sieh ragenden oder auf die Sehulrer
herabhängenden Mühlstein- K ragt n
daraus entstanden. Der mehrgt
nannte Johann Strauss sagt betref-
fen« 1 der Kröscn: Obwohl das HeB^i
von Materie nit gar so köstlich L>:
und bisweilen von grober Leinwand?,
so muss doch oben darauf kommen
eüi Krauss oder Gekröes von gar
köstlichem Gezeug, und dasselbe
über alle Massen weit und hoch,
dass kaum die Ohren herausragen
und der Kopf herausgucket , wi<*
aus einem Sacke. Das muss ge-
stärket Bein, dass es starret mj.i
steif stehet. Solche Krausen sw<\
etwa gedoppelt und hinten zugi-
macht ( u. s. w ). Welsche mnl
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Trac ht
1005
spanische Kragen, mit viel abhän-
genden Schnürlein, tragen ihrer
eins Teils auch. Die alte Tracht,
wie man etwa die alten Fürsten
t on Sachsen mit ihren Hemdpn und
Kragen um den Hals malet, taug
nit mehr. Vorne zu den Armein
müssen auch Kröss herausgehen,
wie das höllische Feuer zu allen
Fenstern herausschlägt.*'
Iber die Oberkfettler sagt der-
selbe: „Ein Leibrock mit einem
selbstangeschlossenen Schurz oder
eine Harzkappe stehet ehrbaren
Leuten wohl. Die Handwerksleut
haben ihr Schurzfei/, Fürhänge und
Koller, ist ehrbar und stehet wohl.
Oberkleider sind jetzt, Gottlob, das
meiste Teil leidlich und löblich;
feine Bürgerröck zu Winter und
Sommer; sonderlich die feinen, langen
und ehrbaren Kap]>en oder Mantel
ohne und mit Ärmel, die kleiden
und zieren wohl alte und junge
Leute." Aber bald darauf sagt er:
..Die ehrbaren Leibröcke und Harz-
kappen gehen ab und kommen auf
die ruffiacken, die sind gar auf die
Kürze aogericht, dass der Stossdegen
hinten vor kann ragen, und vorne
müssen sie offen sein, dass man die
Kneuffel am Wamms und anderes
mehr sehen mag. Die Heffte draun
müssen gar gross und ungeschälten
sein. Die Schlingen wie die Ge-
achirrinken so gross; die Haken
wie die Schnäbel an Löffelgänsen."
Unter der Harzkappe ist eine
verkürzte Schaube verstanden, die
wie der kloine spanische Schulter-
mantel jetzt viel getragen wurde.
Beide wurden mit einem breiten,
hochstehenden Schulterkragen ver-
gehen oder mit Pelzwerk reich ver-
brämt, und es herrschte zwischen
ihnen kaum ein merklicher Unter-
schied, ausser dass die Harzkappe
üi Anlehnung an die Schaube meist
weite Armlöcher oder auch weite
geschlitzte Halb- oder Ganzärmel
erhielt. Wurde sie bis zu den Hüften
gekürzt, so hiess sie Pujfiacke. —
Die ursprüngliche lange Schaube
dauerte fort beim Alter, bei dem
Gelehrtenstande und als Abzeichen
der höheren Beamten.
Als Kopfbedeckung erhielt sich
das Barett bis in die achtziger
Jahre neben dem spanischen Hute,
welcher es dann verdrängte. Es
war unterdessen einfacher gewor-
den, meist ungeschützt, ein Haches,
deckeiförmiges Käpplein. Di«' Schuhe
erhielten endlieh wieder eine Form,
die dem Fusse angepasst war,
mussten dagegen immer noch aus
verschiedenen Stoffen hergestellt,
geschlitzt und unterpufft sein , , auf
dass das Wasser bald wieder her-
auskommen kann," meint schalkhaft
Johann Strauss. Dabei bediente
man sich, wie bisher, eines Unter-
schuhes, der aber jetzt die Gestalt
der Pantoffeln erhält. Auch durch
diese fühlt sieh Strauss beleidigt:
„Auch muss man nicht allein im
Winter (welches etliehermassen eine
Entschuldigung hätte), sondern auch
mitten im Sommer auf Pantoffeln
daherschlürfen und junge Kerl schlei-
fen dieselben an den Füssen her-
nach, und klopfen damit wie die
alte sechzigjahrige oder siebzigjäh-
rige Weiber." Und : „Was soll man
sagen von den ungeheuer grossen
Hcntzsken, die etliche auch im
Sommer tragen, so. weit, dass. einer
ein ziemlich Paar gerade Ärmel
daraus könnte machen lassen." Diese
Hentzsken waren weniger Finger-
handschuhe, als grosse stulpenartige
Fäustlinge von derbem Zeug oder
feinem Leder.
Die Haartracht war weniger
bestimmt, als in früheren Perioden.
Im ganzen trug man sich kurzge-
schoren und bartlos, doch stricheu
einzelne das Haar vorn „über sich
und machten gepuffte Kolben, da-
raus man siebet, wie eiu rauher
Igel" oder „wann eine Sau zornig
ist, dass ihr die Borsten über sich
stehen." Neben glattrasierten Ge-
sichtern findet man auch wallende
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1006
Tracht.
Vollbarte, zugespitzte Kinn- und ist etwa das KUeid oben kaum Sa< i
blosse Lippenbärte. ; lein wand. Springer darunter, d-t-
Die weibliche Kleidung sehlug in sie wie eine Glocke einen Zirk-
das Gegenteil um. An die Stelle geben und weit um sich s|>an>:
der beliebten Nacktheit des früheren Die feinen Leibjäckchen tun Sr.
Jahrhunderts trat jetzt in rascher weg, nehmen Schäublein. iI&rzküf-£-
Aufeinanderfolge eine Versteifung, lein, und dieselben kurz genugr. da--
Verhüllung von Brust und Hals man den Pracht unten sehen nutj
wurde zur unerlüsslichen Anstands- Vor Zeiten trug das Frauenzimm'
forderung. Die Halskrause fehlte fein lange Sehauben. jetzt sind <:e
nicht. Die Ärmel wurden eng und verhauen bis auf die Gürtel . wk
blieben ungeschlitzt. Dafür erhielten der Landsknecht Käppiein. Wv
die Schulterstücke eine wulstige, für Unkosten auch an die Mantrl
breitausladende Erhöhung. Während gewendet worden, das sieht xsx&u
die Sittenrichter noch vor kurzem vor Augen. Man kann so teure Gr-
äber die „unflctige, schautbarliche" wandt nicht bekommen, man braue) "
Nacktheit sich ausiiessen, richteten es dar/u, und welche Frau do
sie ihre Pfeile nun gegen eine über- teuersten hat, dass ist die bei*»*,
triebene „Vermummelung", die aus Die Jungfrauen desgleichen. Au:
der Eitelkeit entsprungen, recht diese und dergleichen Stücke is?
ehrbar zu scheinen und den Teint nun jetzt aller Dichten und Traeb-
zu schonen. Die Schleppe war wep- ten gerichtet, und was sie verdien« l
gefallen , der obere Kock hing m ergattern und erobern , bisweüVo
massiger Weite vielfach gefaltet auch dass es wohl besser döcht, dal
herab, sodass er auch den Fuss wenden sie an die leidige Hoffart
völlig deckte. Auch das Leibchen Und geht manche Dienstmagd der
war durchaus geschlossen. Dat. eben mausen her, dass sie es wohl ein»r
tru^ man auch nach spanisch-fran- reichen Bürgerstochter zuvortut,
züsischer Mode geöffnete Röcke, und Darnach wenn sie zur Ehe greifen
zwar hiess man sie enge , wenn sie sollen, da ist weder Bett. Kiscen
nur von der Taille abwärts, ireife, j noch Pfuhl, Decke noch Strecke."
wenn sie ganz herauf geöffnet waren. Es war also lediglich der allzugross>
Natürlich waren die Unterkleider Aufwand, der nun getadelt werde:»
in diesem Falle um so köstlicher, konnte und was der äusserst ge-
Das < >bcrkleid wurde durch Unter- strenge Sittenrichter hier hervorhebt,
fütterung mit derbem Stoff, Filz Die Rügen betreffs der Schlitzro
oder mit metallenen Reifen (Springer) und durchsichtigen Ärmel geh« a
mehr oder minder starr ausgespannt, nur nebenher und können wohl nur
Es geschah das beim geschlossenen, für die erste Zeit, jedenfalls nieb:
wie beim offenen. Lassen wir wieder allgemeine Geltung haben,
den eifrigen Johann Strauss reden: Der offene Oberrock rief der
„Die Krösen tragen sie (die Frauen) Schürze, die aus Weisszeug, scliwar
mit den Mannspersonen gemein, zer Seide oder leichtem Taffet ge-
Die Ärmel müssen unter den Uch- macht und mit Stickereien und tu*
6en und unten am Ann durchsichtig deren Besatz geziert wurde. Am h
sein, dass man die weisse Haut Gürtel mit zierlichen Taschektn.
sehen mag. Die Brustlätze auf das Bestecken (Scheiden) und Schlüsse7. >
schönste gezieret, mit Pulsterlein behängen, Fächer, Trarfsyuyel, l'hrt*
fein gefüttert, dass sie pausen, als und Handschuhe trug man nach
sie reif zum Handeln sein. Die spamseh-französischem vorbilde, und
Schweife unten an Kleidern müssen das Taschentuch wurde zu einem
von Sammet und Seiden sein, und eigentlichen Prunkstück. Besondere
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Tracht.
1007
Unterröcke, wie sie in Frankreich
bereits üblich geworden, scheinen
noch selten zu sein und die Frauen-
hose wird in deutschen Trachtbüchern
noch um das Jahr 1600 als eine Be-
sonderheit der italienischen Frauen
erwähnt. Hinsichtlich der Fuss-
bekleidung ist wenig Neues zu be-
richten. Die Frauen schlössen sich
hierin den Männern an, trugen also
den geschlitzten farbigen Schuh und
den Pantoffel oder die Trippe.
Der Mantel gestaltete sich bei
den Frauen frei. Er war bald kür-
zer, bald länger, bald mit einem
leichten Umhange versehen, bald
köstlich pelzverbrämt. Hochstehende
Kragen wurden bei ungünstiger
Witterung auch etwa aufgeschlagen
und bedeckten so den Hals und
Kopf zugleich. Als Kopfbedeckung
kommen neben Barett und Haar-
haube auch gold- und silbergezierte
Müizen und Schleier oder Stürzen
wieder mehr in Aufnahme. Das
Haar wurde nach wie vor am
Nacken hochgebunden; Bräute und
Brautjungfern trugen es frei oder
legten es in Flechten um den Kopf.
Nach den sechziger Jahren Hess
man es in zwei Zöpfen über den
Rücken herunterhängen, was zu
dem Luxus der falschen, blonden
Zöpfe führte. Von 1585 an trug
man die grosseu Halskrägeu, ver-
zichtete um ihretwillen auf die
Zöpfe und band das Haar hochauf-
Htrebend mit mancherlei Schmuck
ausgestattet nach französischer Fri-
sur. Da diese nicht selten mit
Draht unterstützt war, verglich sie 1
Oslander in nicht sehr galanter
Weise mit „Sauhägen , da man die
Ruten über die Tremel zeucht.4-'
Für die Tracht des 17. Jahr-
hunderts blieb Frankreich mass-
gebend oder wurde es mehr als je.
Schon zu Anfang desselben erhielt
die kurze, rundwulstig gespannte,
langstreifig geschlitzte Oberscneukel-
ho&<- am Pariser Hofe den Vorzug
und gelangte bald zu weitester Ver-
breitung. Das Wamms erhielt lange
i Schösse, die. den Unterleib bedeck-
ten, die Taille rückte höher oder
verschwand ganz und wurde bloss
durch ein farbiges Schleifenwerk
angedeutet. Die Ärmel erweiterten
sich. Den Fuss kleidete ein hoher
Reiterstiefel, der bald in seinem
obern Teile sich beträchtlich er-
weiterte. Der niedere Schuh war
mit Maschenwerk geziert und steckte
in einem schützenden Überschuh.
Der Mantel wurde beträchtlich er-
weitert, oft zu einem förmlichen
Knöpfrock umgestaltet, die Ärmel
gekürzt oder zur Hälfte umgeschla-
gen, der Rand oft mit Pek Desetzt,
der Kragen vielgestaltig. Der Hut
wurde breitkrämpig und über-
schwänglich geziert, das Haar frei
und wallend.
Die verschiedeneu deutschen
Landesteile verhielten sich zu diesem
französischen Einflüsse ungleich. Die
einen erlagen ihm bald, die andern
erst in der zweiten Hälfte des Jahr-
hunderts. Leicht zugänglich waren
für dieselbe z. ß. die Höfe in Düssel-
dorf, derjenige der Pfalz, von Bayern,
Braunsen weig und Hannover, am
schwersten derjenige zu Wien und
unter den Städten Hauiburg, Lübeck,
Bremen, Ulm, Nürnberg, Augsburg,
Frankfurt a. M. und Strassburg.
Am gierigsten griff das Stutzertum
darnach, und dieses verbreitete seine
Losung „a la mode" oder „alfa-
mode1' (gegenüber stand ,,all väte-
rlich"! seit den Zwanzigerjahren mit
sichtlichem Erfolg. Zahlreich und
heftig waren die Angriffe der Geg-
ner. Namentlich von den Kanzeln
wurde das Wort Gottes in unzwei-
deutigem Sinne ausgelegt; aber um-
sonst. Da war es wieder die Presse,
die das Wort festhalten und dem
Auge aufnötigen mueste, wenn das
Ohr nicht hören wollte. Kaplan
Johann Elliuger schrieb im Jahre
1629 den „Altmodischen Klcyder
Teuffei1'1 und zierte den Titel mit
acht allmodisch gekleideten Figuren.
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1008
Tracht.
Dem Wort kam auch die dar- wer sieh seines eigenen Har-
stellende Kunst zur Hilfe. Um 1628 schämt, der ist nicht werth, das? t
erschienen die ersten „fliegenden einen deutschen Kopf hat" (u. s. "»
Blätter", welche zum Teil in mass- ,,Bist du ein Deutscher ? warti
losen Übertreibungen die hoffartigen denn musst du ein Welsch Hü
Neuerungen bildlich zum Gespötte tragen? Warumb muss das Hu
machten und sie mit Spottgedichten also lang über die Schultern her*
begleiteten. Ein solches ist betitelt : hangen? warumb willst u es nicht ka-
„Monsieurisch Atta mode vnd Da- beschneiden auf deutsche Weis^
mische Bisa rrie". Ein anderes führte Und vom Bart: . Da deine V. :
unterwärts die Aufschrift: „ Wie sich fahren es für die grösste Zierde z<
ein deutscher Monsieur in Kteydern halten haben, so sie einen reol'
halten soll, er soll haben: Immagina- schaffenen Bart hatten, so wol]-'
Hon — haar, Patient — barth, ihr den welschen unbeständige?
Respmsion — huth. Indifferent — Narren nach alle Monat, alle Woeh :
hutschnur, Legation — jeder — — füre Bärte beropfeu und bescheerrc
— Stultisissmus — gang vnd ge- bestummcln, bestutzen , ja alle Ta>
berdenu u. 8. w. im ganzen zwanzig und Morgen mit Eisen und Feu--
verschiedene Stücke. peinigen, foltern und martern, zieh
Die Zerrüttung Deutschlands in und zerren lassen? jetzt wie t-
politischer Beziehung und der wech- Schnecken — Bärtel . bald wie e:
selvollc, alles verheerende Krieg hat- Jungfrauen — Bärtel. ein Teller -
ten namentlich die Jugend aus Band Bärtel, ein Spitz — Bärtel, ein M*:-
und Band gebracht und besonders kiifer — Bärtel" (u. s. w.i „Nu
die erwachsene männliche Jugend, ist eure meiste Sorge, sobald ifcr
die nichts Grösseres kannte, als die morgens aufgestanden , wie ihr d r
französische Grossthuerei in allen Bart rüsten und zuschneiden mögei
Stückeu nachzuahmen. Das erklärt damit ihr vor jungen Narren ui."
denn auch das Auftreten eines Hans Lappen könnt durchwischen. O iL-
Michael Moscherosch (1600—1669), Weibcr-Mäuler! Ihr Unhärigen. h
der wie kein anderer Schriftsteller den Löffeljabren geht ihr zu npfita
seiner Zeit, berufen war, die Ent- zu trillcu, zu ropfen, bis die Gauch?
artung seines Volkes zu geissein, haar herauswollen; und wann ihr
Er schrieb als Philander von Sitte, durch Gunst der Natur dieselbü:
wähl 164(5 eine satirische Schrift: endlich erlangt habt, so wisst ihr
„Wunderliche und wahrhafte Ge- ihnen nicht Marter genug, bis ihr
sichte'" und bald darauf seinen sie wieder vertreibet! Ihr Barr
»Alamode Kehraus", worin es unter Schinder! Ihr Bart-Schneider! Ih:
anderm heisst: ,, Diese langen Haare, Bart-Stutzer: Ihr Bart - Zwacker'
also herunterhangend, sind rechte Ihr Bart- Folterer! Ihr Bart-Wipp-
Diebeshaare, und von den Welschen, rer!" u. s. w. Und vom Hut snr
welche umb einer Missethat oder er: „Wie viele Gattungen von Hüte;
Diebsstücks willen irgend ein Ohr habt ihr in wenigen Jahren nioh'
abgeschnitten, erdacht worden , da- nachgetragen? Jetzt ein Hut wir1
mit sie mit den Haaren es also be- ein Ankerhafen, dann wie ein Zuck»r
decken möchten. Und ihr wollt hut, wie ein Cardinalshut, daun wk
solchen lasterhaften Leuten in ihrer ein Schlapphut. da ein Stilp Ehlen
Untugend nachäffen? ja oft eurer breit, da ein Stilp Fingers breit; danc
eignen deutschen Haare euch schä- von Geissenhaar, dann von Kameel*
men? Wollt hingegen lieber eines j haar , dann von Biberhaar , von
Diebs oder Galgenvogels Haar euch Affenhaar, von Narrenhaar; dam;
auf den Kopf setzen lassen? Aber ein Hut als ein Schwarzwälder Käv-.
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Tracht.
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dann wie ein Holländer Käss, dann
wie ein Münster Kass." 11 'am* und
Hose: „Und möchte mancher mei-
nen, er sehe einen Kramladen auf-
fcthan oder in einen Paternoster-
,aden, so mit mancherlei Farben
von Nesteln, Bändeln, Zweifel-
.stricken, Schlüpfen und anderen, so
sie Juroren ( Liebespfänder I nennen,
sind sie an Haut, an Hosen und
Wams, an Leib und Seel behenket,
beschicket, beknöpfet und beladen."
So behandelt er auch die andern
Teile der Tracht.
Besonderer Beliebtheit erfreuten
sich die französischen Stulpstiefel von
ausserordentlicher Weite, unten mit
breitem Snornleder und mit schwe-
ren , rasselnden Ledersporen , sowie
die weitstulpigen , langbef ranzten
Handschuhe und die ledernen Uber-
ziehtdimser, kurzschossig, mit Armein
oder wenigstens mit Armlöchern
versehen.
Aber auch die Frauen hatten
ihre Sittenrichter. Georg Friedrich
Messerschmid sagt in einer gedruck-
ten Predigt (Strassburg 1615) über
sie: „So lasset uns doch nicht von
der Narrheit abweichen, ehe wir zu-
vor die Eitelkeiten der Weiber in
den ausserlichen Aktionen, Thun.
Vorhaben und Lassen entdecken una
offenbarem: als wie sie sich so sehr
dclectiren und belustigen, hübsch
zu sagen, sich mit mancherlei Far-
ben anzustreichen und schön zu ma-
chen. Sie erkühlcn das Antlitz mit
fersigblühend Wasser, bestreichen
und zärteln das Fleisch mitLimonen-
saft, mit Escismilch. Sie erhalten
sich mit Rosenwasser, Wein und
Alaun. Sic gebrauchen sich der Tra-
gant -Täfelein von Quittenkernen,
des gebranden Weins, des unge-
löschten Kalks, ihnen ein recht voll-
kommen Bleiweiss-Sälblein zu prä-
pariren. — Siehe, da werden ge-
sehen ausstaflfirte Spiegel-, Rosen-
uud Spicanardiwasser , Bisam , Zü-
beth, Rauchwerke, schmäkend Pul-
ver von Aloes, Cipern, Stabwurz,
Renlltxioon der deutlichen Altertümer.
Schmalkügelein, Bisamkopf, Muskat-
nüssen — — — da sieht man Sträl
(Kämme), Spiegel, Ohrenlöffel, Haar-
eisen, Haarschären, Rumpfzwänglein
und Pfriemen. Da stehen Schäch-
telein, Büchslein, irdene Geschirrlein,
gläserne Fläschlein, Schisselein,
Schärblein, Häfelein, Eyerschaalen,
Muscheln, gespickt und ausgefüllt
von allerhand Pflästerlein und Sälb-
lein. — — — Da tritt die Magd
herbei, die Haarbögen zu rüsten,
ihnen die Rosen und Nestel zu bin-
den, die Haarscheidel zu machen,
die Haar recht zu ordnen und zer-
teilen, sie cinzuschmiren,dic Achseln
zu ziehen und einzuhalten, um ihnen
davornen und dahinten zu helfen,
die Pantoffeln und Stelzenschuhe
beizutragen, die Falten zu erheben,
den Schweiff (die Schleppe) zu er-
lupfen." —
„Da tritt dann Frau Venus herein
mit wohlaufgeputztem Kopfe, mit
aufgelegten Büschen, mit auf der
Seite aufgebundenen Hörnen, mit
gelben, braunen, blauen, grünen,
! schwarzen, weissen Haarflechten,
mit güldnen Binden und Floren, mit
Masken, mit Larven, mit Feder-
| büschen, mit einem Huth, darauf
\ Stiefriten, Mcdaglien, oder vergüldten
Müntzen; mit neugebachen, fantasti-
j sehen Bossen : mit Armbanden um
den Arm , mit diamantnen Ringen
an den Fingern, mit Ketten um den
Halss und Gehenkten an durch-
löcherten Ohren; mit Nägelsblumen
(Nelken) wohl offtermalen in der
rechten, mit Rosen in der linken
Hand. Auf solche Manier, nun
herausgeputzt, da kommt sie eben
recht für, wie eine Falsche und an-
gestrichene Isabella. — Weiteres zur
grösseren Zärtlichkeit trägt sie seidne
oder von Gold gestückte Handschuh;
zu Winterszeit ein Schlaffer von
Zobel, den Sommer durch einen
Windfahnen oder Mückenschleicher.
Was wollen wir nun aber von ihrer
Halszierde erzählen? wie viel ich
deren gesehen, welche Kragen tra-
64
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1010
Tracht.
gen , die vielmehr für Karrenräder j
zu haltend seynd? Und ich weiss
nicht, wie sie sieh dafür zeichnen
(bekreuzen) können. Und obsehon
die Sache mehrers nicht werth ist,
thut es doch Not, Thüren und Pfo-
sten zu erweitern, sonst können sie
nicht hinein. Auch sieht man zwar,
dass sie monatlichen solcher Kragen
formen, verändern und changiren,
welche Veränderungen dann offter-
malen mehr kosten, als wohl bis-
weilen ein ganz newes Kleide. Und
ich weiss eine Persohn, die hat für
einen dicken Kragen fünfzig Kronen
spendirt; ist zwar für einmal genug.
N un fragt sich, ob dieses nicht Wir-
kungen der Narrheit sein, welche
solchen Leuthen es dermassen so I
süss einredet, dass sie sich dürfen
bereden, sie stehen desto besser, je
mehr sie mit dergleichen parfümirten
Bossen aufgezogen kommen."
Zu diesen Thorheiten wurden
den Frauen gerechnet das knöpf-
roekartig gestaltete Uherkleid mit
langen Schössen und kurzen oder
langen geschlitzten Ärmeln, die vorn
mit Litzen und Knöpfen dicht be-
setzt waren, dann der grosse Sch lapih
hut, wie sie ihn den Männern nach-
trugen, der gefältete , breitherab-
fallende Kragen und die Shüphand-
schuhe, sowie die Hosen, die ,,die
hohen Madonnen unter den Röcken
trugen."
Auch die haushälterische Kurfür-
stin Magdalena Sibylla von Sachsen ,
beklagt sich brieflich schwer über
die Leipziger Frauen (ihrem Gatten
Johann Georg II. gegenüber) und
Dr. Höpner in dort gelangt 1641 an
den Senat wegen eines Schneiders,
der französische Pracht und Hoftart
von „theuren Halssgen und allerlei
Hauptgeschmuck und ander«« neue
Moden zu Stärkung der verbotenen
und verpönten KleiderhorVarth zu
feilem Kauf auslasse, also dass von
Frauen und Jungfrauen ein grosser
Concursvs, gleichsam eine \\ allfart,
zu ihm angestellt werde. Da Gott
dadurch erzürnt, der Obrigkeit (V-
bot übertreten und der Stadt ein
grosses Unglück zugezogen werde.
... so sollte die Obrigkeit ihres hohen
Amtes handhaben und gegen die
Förderer und Fortpflanzer aer ver-
maledeiten Kleiderhoffardt mit exem-
plarischen Strafen verfahren.'*
Auch in Versen wurde die neut:
Mode viel gegeissclt. Friedrich Lonau
(1804- 1659) sehreibt in seinen Epi
grammen :
„Diener tragen insgemein ihrer Her-
ren Liverei:
Soll's denn sein, dass Frankreich Herr.
Deutschland aber Dieuer sei !
Freies Deutschland, schäm dich doch
dieser schnöden Kriecherei !-
Und ein anderer deutscher Sa
tiriker, Joachim Rachel (IG IS — 89
schreibt:
„Ein jeglich zweites Wort, muss
jetzt französisch seyn;
Französisch Mund und Hart, fran-
zösisch alle Sitten,
Französisch Rock und Wams, fran-
zösisch zugeschnitten.
Was immer zu Paris die edlf
Schneiderzunft
Hat neulich aufgebracht , auch
wider die Vernunft,
Das macht ein Deutscher nach.
Sollt ein Franzos es wagen.
Die Sporen auf dem Hut. Schuh
au der Hand zu tragen.
Die Stiefel auf dem Kopf, ja
Schellen vor dem Hauch,
Anstatt des Nestelwerks: der
Deutsche thät es auch.
Bei einem sammtnen Rock die
groben Leinwandhosen?
Wer hat es sonst erdacht, als
Narren und Franzosen?
Wenn selber Heraklit den Piuu-
der sollte sehen:
Er liess (mit Gunst gesagt) vor
Lachen Einen gehen."
In der zweiten Hälfte des Jahr-
hunderts geht es in gleicher Weii*e
fort. Bei den Mannern ist es be-
sonders die schlitzförmige „l'nfer-
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1011
rodabte", die im Verein mit der
Perrücke am meisten angefochten
wild. Wolf gang Ouw, Pastor zu
Flensburg, üess sich um 1663 fol-
gendennassen über dieselben ver-
nehmen: „Was sind die unerhörte
weite Männerhosen , die für einem
Jahr erstlich auffgebracht, anders
Iii abgekürtzte Weiber -Rock, es
pebea 20—30 und mehr Ellen darein,
daraus man vor diesem zwei und
m<hr Kleider hat machen können.
0 der grossen Üppigkeit ! Von diesen
Hosen möchte man fast eben das-
jenige schreiben, was vor Jahren
von den Zucht- und Ehrverwegenen
pludrichten Hosen Teuffei ist auff-
gezeichnet worden. Pfuy, wie hat
dieser Teuffei, in so geschwinder
Eil. so viel Länder und Städte ein-
genommen.
Die Weiber standen hinter ihren
Mannern in keiner Weise zurück.
Sie Hessen sich allmonatlich eine
Modepuppe von Paris kommen, um
ja keine Thorheit länger als nötig
war zu versäumen; sie schickten
auch ihre Schneider dorthin, dass
diese sich dort über alles vergewis-
sern, was die Tracht beschlagen
konnte.
Der obengenannte Wolfqanq Ouw
schrieb weiter (1663): „Wollte je-
mand die Kleiderpracht der Weiber
anatomiren, würae man genug zu
thun kriegen. Kürtzlich und wahr-
haftig kann man davon also urteilen.
1. Wird gesündiget superßuitate, dass
man an Gewand, Kammertuch, Bän-
der etc. mehr gebraucht, als die
N'othdurft erfordert. 2. Wird ge-
sündigt tumptuositate, da man allerlei
theure Sachen auff den Leib leget,
in Gold und Silber - Stück , Seiden,
Kämmet, Atlas und andern theuer-
bahren Wahren sich kleidet. 3. Wird
gesündigt nwitate, dass keine Tracht
K> neu, bunt, krauss, wunderlich,
liamodisch, man närret, äffet und
Üamodiret immer nach, bald gehet
nan Frantzösisch , bald Englisch,
>ald Niederländisch, bald Polnisch,
ja sollten die Türken kommen, man
wurde wol auff Türkisch gekleidet
gehen. 4. Wird gesündiget levitate
und seit rili täte, da mau sich mit
leichtsinniger Kleidung behanget,
die Glieder, so Gott und die Natur
zudecken heisset, schändlich ent-
blösset, und sonst auff ander Weise
seine Leichtsinnigkeit an den Tag
giebet, oder andere mit Kleider dazu
anreitzete! —
Wenn Ouw sich hier darüber be-
klagt, dass nicht nur die französische
Mode nachgeahmt werde, sondern
auch die aller andern Länder und
Völker Europa's, so ist es wohl mehr
der Unmut, der dieses schreibt, als
die Wahrheitsliebe; denn wenn auch
Frankreich selbst das eine und an-
dere in ähnlicher Form dem Aus-
land entlehnt, d. h. von diesem irgend
eine Anregung empfangen haben
mochte, so zeigte sich jetzt der fran-
zösische Erfinaungsgeist auf diesem
Gebiete so unerschöpf lieh , dass er
auch dem putzsüchtigsten Stutzer-
tum ein vollständiges Genüge leisten
konnte.
Neben der übermässigen Verwen-
dung des Haarpuders, der Schminke
und der Schön pflästerchen waren es
jetzt die Schleppen, die Brustlätze
und „Fonfangen", die am meisten
Anstoss erregten. Die letztere war
ein Kopfputz und rührte von der
schönen Fontange her. Ihre Ent-
stehungsgeschichte zeigt so recht die
überreif Krankhafte Modesucht des
französischen Hofes. Auf einer Jagd-
partie trug nämlich die Maitresse
einen kleinen, mit Federn geschmück-
ten Hut. Ein heftiger \\ ind nötigte
sie, den Hut zu entfernen und ihr
Haar, damit es nicht allzusehr in
Unordnung gerate, mit Bändern auf-
binden zu lassen. Wie nun der
König die Enden und Schleifen der-
selben im Winde flattern sah, ward
er so entzückt, dass er die Trägerin
bat, so zu verbleiben. Natürlich
wursten die übrigen Hofdamen nichts
eiligeres zu thun, als schleunigst den
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1012
Tracht.
zufälligen Putz ihrer Konkurrentin
nachzuahmen, und so konnte es nicht
fehlen, dass der Modewelt das neue
Glück in kurzer Zeit zugetrageu
wurde.
Im Jahre 1689 erschien gegen
die Fontange ein Schriftchen, das
an Derbheit der Sprache nichts zu
wünschen übrig Hess. Es war be-
titelt: „Der gedoppelte Blasbalg der
üppigen Wollust, nemlich die er-
hnfiete Fontange und die blosse Brust,
mit welchem das al amodische und
die Eitelkeit liebende Frauenzimmer
in ihrem eigenem und vieler unvor-
sichtigen Manns- Personen sich darin
veraasenden Herzen ein Feuer der
verhothenen Liebes- Brunst ange-
zündet, so hernach t n et n er hellleuch-
f enden grossen Flamme einer bitteren
l'nlust ausschlägt, Jedermsinniglieh,
absonderlich dem Tugend und Ehr-
barkeit liebenden Frauenzimmer zu
guter Warnung und kluger Vor-
sichtigkeit vorgestellet und zum Druck
befördert durch Ernestum Gottlieb,
burtig zu Veron.u Eine zweite er-
schien ein Jahr später zu Frankfurt :
„Die verabqötterte Fontanqe im Gna-
dt nschoss des Königs von Frankreich
verblichen , jetzund aber auf den
Häuptern (les Frauenzimmers in
Teutschland wieder lebendig worden,
von F. L. von Hohen- 1 [ff er" . Der
ausgesprochene Eifer und der nicht
zu verkennende gute Wille blieben
auch hier ohne Erfolg; die Fontange
erhielt sich bis um 1720, denn sie
war französisch, und ein im Jahr
1689 zu Geyersbcrgk erschienenes
Schriftchen sagt mit Recht: „Es
ist ja leider! mehr als zu sehr be-
kannt, dass, so lange der Franzosen-
Teuffei unter uns 1 eutschen regieret,
wir uns am Leben . Sitten und Ge-
bräuchen also verändert, dass wir
mit gutem Recht, wo wir nicht gar
naturalisirte Franzosen seyn und
heissen wollen, den Namen eines
neuen, sonderlichen und in Franzosen
verwandeltes Volk bekommen kön-
nen. Sonaten w urden die Franzosen
bei den Teutschen nicht astimirei.
heute zu Tage können wir nicht
ohne sie leben und muss alles fran-
zösisch sein. Französische Sprach«-,
französische Kleider, französische
Speisen, französischer Hausrat, fran-
zösisch Tanzen, französische Musik,
französische Krankheiten, und ich
befahre, es werde auch ein franzrj-
sischer Tod darauf erfolgen, weil ja
die hiedurch verübten Sünden nicht*
amiers prognostizieren Die
meisten deutschen Höfe sind fran-
zösich eingerichtet, und wer heut-
zutage an denselben versorgt sein
will, muss französisch können unl
besonders in Paris , welches gleich-
sam eine Universität aller Leicht-
fertigkeit ist, gewesen seyn, wo nicht,
darf er sich keine Rechnung am
Hofe machen. Indessen mochte die?
noch hingehen .... Allein dies i-'
auch bis auf Privatpersonen, unl
bis zu dem Pöbel gekommen , und
man darf sich nur in den Städten
umsehen, so wird man rinden: alles
ist französich."
„Will ein Junggesell heute zu
Tage bev einem Frauenzimmer at-
tresse hauen, so muss er mit fran-
zösischen Hütigen, Westen, galanten
Strümpfen u. 8. w. angestochen kom-
men. Wenn dieses ist, mag er erleich
sonst eine krumme Habichts-Nase.
Kalbes- A up']]. Buckel (oder wie es
andere, die dergleichen Personen
ajf'ectionirt sind, hohe Schulter nen-
nen). Raffzähne, krumme Beine uud
dergleichen halten, so fragt man nichts
darnach: genug, dass er sich nach
langem 1 .ernen a la mode frans stellen
kann. Man halt ihn für einen recht
geschickten Kerl, ob er gleich nicht
für einer Fledermaus erudition im
Kopff.und anstatt desGehirns Hecker-
ling hat. Es ist und bleibt ein Mvn-
sieur, bevoraus wenn er etwas weniges
parliren kann.44
Unter sothauen Umständen hielt
es schwer, ja es war ganz unmög-
lich, durch eine äussere Macht dem
Unwesen Einhalt zu thun. Selbst
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Tracht.
1013
die hochobrigkeitiichen Erlasse dieser
Zeit treten weniger mehr gegen die
Tracht selber auf, als gegen die Ver-
mischung der Stände. Diese sollen
auseinandergehalten werden , also,
da*s man sie erkenne in ihrem äusseren
Auftreten. Das war es, was der Hof
und der Adel wollte, was aber die
andern Stände eben hassten. Die
Standesunterschicde waren dicHaupt-
triebfedern dieser Konkurrenz auf
Leben und Tod, indem die einen sie
mit aller Mühe wiederherstellen, die
Andern verwischen wollten.
In diesem Sinne erlässt Georg L
von Sachsen schon um 1612 eine
Verordnung, die jedem Stand bis
ins kleinlichste vorschreibt, was er
tragen darf und was nicht, wie viel
Zeug zu diesem Kleidungsstücke
verwendet werden dürfe und wie
viel zu jenem und wie jedes Zeug
zu schneiden, zu zieren und zu
tragen sei. Da erhalten ihre Vor-
schriften: „Die vom Adel und das
adeliche Frauenzimmer: Professores
vud Doctores auff den Universitäten.
Deren Weiber; der Doctoren Töch-
ter; Hoffdiener so nit graduiret, Item
Secrctarien ; Magistri; der Hoffdiener
und Secretarien Weiber (und „ihre
Töchter" ): Pfarrern, Weiber vnd
Kinder; Studiosi; Schlösser, Amt-
vögte, Verwalter, Bürgermeister vnd
Ratsverwandten (Manns- vnd Weibs-
personen); deren Söhne; deren Wei-
bern,Jungfrawen; vonllandelsleuten,
Kramern vnd vermögenden Bürgern,
so nicht von ihrem Handwerge, son-
dern von jhren Gütern, Reuthen
oder anderm bürgerlichem Gewerb
sich allein ernehren; deren Söhne,
Weiber vnd Töchter, Gemeine Bür-
ger, Hand wergsleute vnd Gesellen;
Gemeinen Bürger vnd Handwerger
Weiber vnd Töchter; Handwerger
in Vorstädten; Vorstädter, so eigene
Häuser haben, auch die Pfalbürger;
Dienstboten, Knechten und Mägtfen;
der Bawerssmann beneben Weib vnd
Kindern . . . ."
Im is. Jahrhundert — um auch
dieses der Vollständigkeit willen noch
kurz zu berühren — blieb Frankreich
trotz seines sittlichen Zerfalles immer
noch massgebend. Noch unter der
Regierung Ludwig XIV. trat für die
männliche Kleidung der Charakter
der Faltenlosigkeit ein. Der R»ck
wurde bald etwas enger getragen,
bald weiter uud £anz geöffnet, nach
dem Tode Ludwigs ganz oder halb
zugeknöpft. Die Stutzer Hessen ihn
von der Taille abwärts mit derben
Stoff oder mit Fischbein glocken-
förmig aussteifen, was bis zum Aus-
gang der Vierzigerjahn1 beliebte.
T)er Kragen blieb weg, die Ärmel
erhielten einen breiten Überschlag.
Der Besatz blieb ein reicher. Die
Wette verlängerte sich wieder bis
zum Knie. Die Ofjerschenkef hose ver-
engte sich wieder und die Strumpf-
hose bestand meist aus weisser Seide.
Als Fussbekleidunff griff man zum
Schuh mit Seidenlaschen und Spann-
schnalle. Die Perrucken wurden be-
deutend einfacher.
Die Damenwelt verzichtete auf
den übermässig aufgetürmten Kopf-
putz, da 1714 der König an zwei
Engländerinnen den „niederen" so
reizend gef unden,dass er sich äusserte :
„ Wenndoch die französischen Damen
nur so verständig wären, ihre lächer-
liche Coiffurc gegen jene zu ver-
tauschen". Uud eben durch dieselben
kam auch der kleine Reif rock wie-
der zu Ehren, der bald einen Um-
fang von sieben und mehr Fuss er-
reichte. Um aber die Schleppe doch
nicht zu entehren, befestigte man
rücklings zwischen den Schultern
oder ander Taille eine entsprechende
Stoffmasse. Der Oberleib steckte
in einem engen Leibchen, der Hals-
ausschnitt wurde tiefer. Begreiflich
erhielt jedes Stück einzeln wieder
seine besondere Durchbildung.
Deutschland fahr fort, das neueste
nachzuahmen. Unberührt blieb da-
von höchstens noch etwa die Land-
bevölkerung, die einesteils die Mittel
nicht hatte, solchen „Staat" anzu-
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1014
Tracht.
schaffen, andernteils die Zeit nicht,
ihn zu tragen und zu pflegen. Auch
war bei dem Abhängigkeitsverhält-
nis, das zwischen Stadt und Land
zu gunsten der ersteren vielorts noch
herrschte, bei dem letzteren dieAb-
seheu vor der städtischen" Mode
schon allein vermögend, sie in Miss-
kredit zu bringen. So ging der Mode-
Teufel" seinen Gang trotz der
immerwährenden Angriffe, die er
auch jetzt zu erdulden hatte, nament-
lich von seiten der Frommen, die an
der Hand der Bibel haarscharf nach-
wiesen, dass diese Mode vor Gott
ein Greuel sei. So die Schrift: Jn-
versus Dekaloaus Münch. Das ist:
Die verkehrte Welt Oder zehn Haupt-
Zaster der heutigen Welt. Wider die
H. Zehn Geltote Gottes, Sehr anmutig
und lustig zu leiten. Xebsf einen an-
genehmen Valet der Welt, Vorbe-
stellet von Einem Weltkündigen Lieb-
haber der Wahrheit, Gahmens B. F. H.
Gedruckt im Jahr Christi 1712."
u. a. m.
Mehr und mehr wich auch in den
östlichen Staaten aller Widerstand;
selbst Wien erschloss sich nach dem
Ableben Karl VI. der jeweiligen
Mode immer mehr, und in aerzweiten
Hälfte des Jahrhunderts war kaum
ein deutscher Hof zu finden, der nicht
nach französischem Muster einge-
richtet gewesen wäre. Selbst das
Zubehör an Jagden, Festen, Opern
u.s.w. wollte Keiner mehr entbehren.
Voran Sachsen unter August I. und II.
und dem Günstling des letzteren,
dem Grafen von Brühl, der einen
eigenen Öofstaat unterhielt mit zahl-
losen Hausbeamten, |z. B. dreissig
Köchen), für die er die Kleidungs-
stücke bis hVs Kleinste aus Paris
bezog. Die Sachsen galten daher
mit Recht als „die I ranzosen in
Deutschland".
Die Prachtliebe des ersten nreus-
sisehen Königs, Friedrich 1., ist
bekannt. Anders verhält sich Frie-
drich Wilhelm , der bei seinem |
Regierungsantritt (17 13) 88 Kammer- 1
herren und zahlreiche andere Be-
dienstete entliess und dadurch un-
zweideutig zu erkennen gab, wessen
man sich bei ihm zu verseben
habe. Er selbst trug eineu braunen
Rock (Habit) mit englischen Auf-
schlägen und eine rote, mit Silber
bordierte Weste, von 1719 an eine
schmucklose Uniform. Die Wolken-
perrücke vertauschte er zuerst mit
dem einfachen ^Muffer" oder „Mir-
leton", entfernte aber auch diesen
bald und flocht die eigenen Haare
in einen Zopf, was er auch auf
sein Heer ubertrug. Sein granzer
Hof, Gemahlin und Kinder inbe-
griffen , folgten seinem Beispiel.
Auch in weiteren Kreisen blieb
sein Vorgehen nicht ohne Eiuflus.-.
da er klug genug war, nicht durch
Erlasse, die doch nicht aufzuführen
waren, sich selber, sondern die Hof-
fart selbst durch ihre Darstellung zu
blamieren. So führte er der franz.v
sischen Gesandtschaft , die aus
dreissig Personen bestand und deren
Einfluss bei Hofe er brechen wollte,
bei einer Revue ganz unerwartet
die Profosen der Regimenter in
französischer Tracht vor mit mög-
lichster Übertreibung — in riesigen
Hüten, mit Federn bedeckt, in
Röcken mit tibergrossen Aufsehlä-
gen und mit gewaltigen Haarbeu-
teln. Das that gute Wirkung, um
somehr, da der König bald darauf
auch allen als „infam" Erklärten
den Haarzopf abschneiden und die
Perrücke aufsetzen Hess. So wählte
er auch für seine lustigen Rsite
immer dasjenige aus, was er lächer-
lich machen wollte. Auf diese Weise
brachte er bei den Männern eine
soldatische Kleidung, den knappen,
abgeschrägten, blauen Frack und
den dreieckigen Hut zu ziemlicher
Verbreitung. Die grosse Perriicke
blieb nirr noch bei Ministern, Rä-
ten, Doktoren und Geistlichen und
wurde im übrigen durch den „Muf-
fer" ersetzt Wer sich mit dem
Zopfe nicht befreunden konnte,
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Trauerkleider. — Tristan.
1015
kräuselte die Haare über den Ohren
zu kleinen Rundwülsten auf. Vor-
steckärmel und Schürzen wurden
gebraucht, ...Jabot*' und Manschetten
von den Hemden getrennt behan-
delt, überhaupt ging von Preussen
ein neuer Geist der Ernüchterung
und Sparsamkeit aus. Weniger
glücklich war der König mit seinen
Reform planen bei den brauen. Diese,
anfänglich schüchtern nachgebend,
entschädigten sich für die be- j
schränkte Stofffülle durch die Aus- ,
stattung mit köstlichen Spitzen, und ;
als Friedrich Wilhelm starb und
Friedrich IL den Thron bestieg,
verfielen sie wieder vollständig dem
Hang nach der französischen Mode ;
wie auch die Männer, trotz dem
militärischen Gepräge, das ihr Auf-
treten behielt, für den französischen
Einfluss wieder zugänglicher waren,
um8omehr, da der neue König,
wenn auch nicht ein Freund der
französischen Tracht, so doch ein
Verehrer der französischen Bildung
war und die französischen Gelehrten
an seinem Hofe stets gern gesehen
und gelitten waren. Zudem war
Friedrich viel zu sehr mit seinen
weitgehenden Plänen beschäftigt,
als da&s er den kleinlichen Streit
um den „Frack der Friedrich-Wil-
helms-Männer" hätte aufnehmen
und weiterführen mögen. In seinem
Alter sprach er sich wohl hie und
da scharf gegen den modischen
Kleideraufwand aus; es geschah
das aber mehr nur in einer An-
wendung seiner eigensinnigen Herr-
scherlauue und blieb darum auch
ohne Erfolg. Frankreich hatte mit
i-einer Mode zu Ende des Jahrhun-
derts die Welt eiobert und es be-
hielt sie, bis es ihr mit dem Schwerte
in der Hand auch die „Freiheit"
bringen wollte. Der Ausgang des
Kampfes ist bekannt: Das alte Eu-
ropa wurde in seinen Grundfesten
erschüttert. Die alten Staatsformen
fielen mit ihren beengenden Vor-
schriften und Verordnungen und
mit diesen fiel auch der Gegen-
stand, den sie bekämpft, die fran-
zösische Tracht. Nacn Weiss, Ko-
stümkunde. Köhler, die Entwicklung
der Trachten in Deutschland, Nürn-
berg 1878. Vgl. Jakob von Falke,
;hicnte
Stuttgart 1880.
Kostümgeschi
der Kulturvölker,
Trauerkleider. Die Trauer-
farbe der Alten war Violett. Witt-
wen verhüllten um 1350 den Kopf
nach Nonnenart, trugen dunkles
Kleid, weisses Skapulier mit ge-
stickten oder gemalten schwarzen
Thränen und einen Strick als Gür-
tel. Um 1500 kam die schwarze
Tracht auf, welche die standige
blieb und nur noch in ihren Zu-
thaten — Binden, Mützen, Gürteln
und Schleier — variierte, die bald
weiss, bald schwarz getragen wur-
den.
TrinkhÖrner waren neben der
hohlen Hand wohl bei allen Völ-
kern die ersten Trinkgefasse. Auch
die Germanen liebten sie und boten
sie bei ihren Festen fleissig herum.
In einer Leipziger Sammlung fin-
det sich ein thönernes Trinkhorn
aus der Bronzezeit.
Tristan heisst das höfische
Kunstepos, das Gottfried von Sfrass-
burg hinterlassen hat. Die Sage ist
wie diejenige des Artus eine britan-
nische, scheint aber im Gegensätze
zu dieser, welche einen historischen
Hintergrund hat, mehr mythischer
Natur zu sein; wie dieselbe, ohne
Zweifel durch normannisch eng-
lische Sänger, in die nordfranzö-
sische Litteratur geriet, ist nicht
ausgemittelt ; ebensowenig sind die
französischen Gedichte erhalten,
aus denen Gottfried seiner eignen
Aussage zufolge seine Geschichte
entnahm. Eine Verbindung der
Tristansage mit der Artus- und
Gralsage ist nur sehr ttusserlich
hergestellt worden. Auch das un-
terscheidet die Tristansage von der
Artus- und Gralsage, dass jene von
vornherein eine Liebessage ist, ähn-
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1016 Tristan.
lieh den Sagen von Pyramus und leite, bei welcher Gottfried Yeran-
Thisbe, Hero und Leander, Romeo lassung nimmt, in einer berühmt
uud Julie. Von der Beliebtheit, gewordenen klassischen Stelle sein
welcher sich die Tristansage im Urteil über die bedeutendsten deut
Mittelalter erfreute, geben nament- sehen höfischen Dichter auszuspre-
lich verschiedene bildliche Darstel- chen. Nachdem Marke seinem Nerfvn
hingen Zeugnis, so Freskodarstellun- versprochen, dass er seinetwegen
gen auf dem Schlosse Runkelstein unverehelicht bleiben wolle, kehrt
bei Bozen, ferner mehrere Teppiche, dieser in seine Heimat zurück,
ein geschnitztes Elfenbeinkästchen rächt seinen Vater, übergibt aber
u. a. sein wiedergewonnenes Land seinen;
Das Gedicht Gottfrieds beginnt geliebten Rual und kehrt zu seinem
mit der Geschichte der Eltern des Oheim Marke zurück. Hier ist
Helden, Ritralin und Blanscheßur, soeben Moroff von Irland erschie-
welch letztere die Schwester des neu, um für seinen Schwäher den
Königs Marke von Kurnewal ist; seit mehreren Jahren auferlegten
der Vater ist, von einem Feinde Zins und dreissig edle Jünglinge
besiegt, kurz vor, die Mutter bei zu heischen; Tristan bewegt seinen
der Geburt des Söhnleins gestorben, Oheim den Zins zu weigern und
das nun von dem getreuen Mar- besteht den in diesem Falle ausbe-
schall des Vaters, Rual, als desseu duugenen Zweikampf mit Morolt:
eigenes Kind zu sich genommen zwar besiegt, ersenlägt er dieseu
und auferzogen wird. Norwegische im zweiten Waffengange, nachdem
Kaufleute entführen den 14jährigen er freilich irn ersten Waffvngange
Knabeu, an dessen Gestalt und i durch Morolts vergiftetes Schwert
Begabung sie Gefallen gefunden, eine Wunde erhalten , die ua«*b
mit sich, setzen ihn indes, durch Morolts eigener Aussage bloss durch
einen schrecklichen Sturm zur Er- dessen Schwester I*ot geheilt wer-
kenntnis ihrer Raubthat gekommen, den kann. Da infolge de» Aus-
wieder ans Land. Von zwei Pil- gangs dieses Kampfes Irland für
gern begleitet, trifft er zufällig auf Tristan verschlossen ist, sieht er
die Jäger seines ihm unbekannten sich genötigt, als Spielmann ver-
Oheims Marke, deren Lob er sieh kleidet jenes Land zu betreten, wo
durch seine meisterliehen Jäger- es ihm wirklieh durch seine List
künste gewinnt; auch der König gelingt, bei der Königin Einlas*
selbst fühlt sieh so zu dem Jüng- und von ihr Heilung seiner Wunde
ling hingezogen, dass er ihn zu zu erlangen; als Entgelt dafür hat
seinem Jägermeister ernennt , ja er die Tochter der Königin, die
ihm, nachdem jener sich auch im junge Uot, in Saitenspiel und Spra-
höchsten Grade der Sprache und chen zu unterweisen. Naehdetn er
des Saitenspioles kundig erwiesen, zu Marke zurückgekehrt, sieht sieh
geradezu seine Freundschaft an- dieser auf den Rat von Neidern
trägt. Vier Jahre schon hält sich \ Tristans und auf dessen eigenen
Tristan an Markes Hof auf, als Rat hin veranlasst, an eine Ver-
sein Pflegevater Rual nach müh- ' eheliehuug zu denken und zwar,
seligen Wanderungen, die er um ■ wieder auf Tristans Rat hin. mit
Tristans willen unternommen hat, der jungen Isot. Natürlich kann
den Ersehnten findet und vor Kö- kein anderer als Tristan selber der
nig Marke das Rätsel seiner Ge- Brautwerber sein, und es gelingt
burt löst, worauf sieh dieser bereit ihm nach vielen Abenteuern, wo
erklärt, Erbvater seines Neffen sein runter auch ein Drachenkampf er-
zu wollen. Er folgt Tristans Schwert- seheint, die Einwilligung zu erhalten.
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Trojanischer Krieg.
1017
Zur Heimfahrt gibt die alte Kö-
nigin ihrer Tochter ihre Niftel
Brangaene und zugleich einen
Minnefrank mit, welche;i Bran
gaene, nachdem sich Jsot und Mark e
in Liebe vereint hätten, diesen statt
Weines schenken möge. Während
die Reisenden einmal Ruhe halten,
und das Volk sich zur Erlustigung
an das Land begeben hat, besucht
Tristan die Königin und begehrt
während des Zwiegespräches zu
trinken; da reicht ihm eine der
anwesenden Jungfrauen unwissent-
lich jenes Gefäss; Tristan bietet
es zuerst der Herrin, dann trinkt
er .selber und sofort erwacht in
beider Herzen glühende Liebe, und
es nützt nichts mehr, dass die er-
schrockene Brangaene das Glas
ins Meer wirft. Nun folgen ver-
schiedene Abenteuer, welche alle
darauf hinauslaufen, den mit Isot
vermählten König Marke wegen
der Treue seiner Gattin zu täu-
schen, wobei ausser dem Könige
selbst bald dessen Truchsess, bald
ein Zwerg der Betrogene ist. End-
lich überzeugt sich dennoch der
König der Untreue seines Neffen
und seiner Gattin, doch sind ihm
beide zu lieb, um sie zu töten, er
verbannt sie. In der Wildnis hal-
ten sie sich in einer herrlichen
Minnegrotte auf, wo siederjagende
König neuerdings findet und, durch
eine List von neuem getauscht,
beiden vergibt. Wiederum aber
überrascht Marke das Paar, worauf
Tristan flieht und in der Fremde
eine Liebschaft mit einer anderen
Isot, Isot Weisshand , anknüpft.
Die Dichtung bricht mit der Er-
zählung ab, wie Tristan dieser
neuen Geliebten schöne Lieder ge-
dichtet und gesungen habe.
Das unvollendet hinterlassene
Gedicht hat zwei Fortsetzer gefun-
den: VI rieh von Türheim schrieb
um 1240 seine etwas schwächere
und notdürftige Weiterführung; er
wurde wesentlich und mit Glück
übertroffen von Heinrich von Frei-
berrj, um 1300. Ausgabe des Tristan
mit sämtlichen Fortsetzungen von
Fr. H. v. d. Hagen, 2 Bände, Bres-
lau 1823. Neueste Ausgabe von
Gottfrieds Tristan, v. Reinnold Bech-
stein, 2 Bände, Leipzig, 1869. Von
1 ebendemselben der Tristan des Hein-
rich von Fretfwg, Leipzig.
Trojanischer Krieg gehört zwar
unter diejenigen Stoffe des höfischen
Epos, welche der antiken Sagenwelt
entnommen sind, erfreute sich aber
durchaus nicht der Beliebtheit wie
•die Sagen von Aeneas und Alexan-
der; einesteils fehlte es an geuügen-
' den Quellen, denn Homer wurde in
dieser Periode auf deutschem Boden
nicht gelesen ; andererseits an einem
Helden, der wie Aeneas und Alexan-
I der zum Typus des Rittertums um-
gebildet werden konnte. Die latei-
nischen Quellen der mittelalterlichen
Trojaner-Gedichte sind Dares und
Dietys. Von diesen gilt Dares
. Phrygius als Verfasser einer Iiistori a
1 deexcidio TViz/Vi^ehierkurzgefaseten,
; flüchtig und ' in schlechtem Latein
' geschriebenen Erzählung von der
zweimaligen Zerstörung Trojas, durch
Herkules und durch die Griechen,
I mit kurzer Berührung der Argo-
nautenfahrt, angeblich von Cornelius
Nepos ins Lateinische übersetzt: der
■ Verfasser, nimmt man an, habe etwa
| im 6. Jahrhundert n. Chr. gelebt.
Ergänzt wurde Dares aus den Ephe-
meris hell! Trojani eines gewissen
Dictys, unter dem sich ein späterer
Grammatiker verbirgt. Aus diesen
Quellen hat der nordfranzösische
Dichter Benoit de Saint -More im
1 2. Jahrhundert ein grosses Gedicht
von etwa 30 000 Versen verfasst,
destritetion de Troyes , roman de
Troyes, welches seinerseits Quelle
feworden ist für ein deutsches Epos
es Herhort von Fritzlar, lief von
Troye; dieses Gedicht ist im Auf-
trage des kunstliebenden Landgrafen
Hermann von Thüringen geschrieben,
der das französische Original von
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1018
Truhe. — Turnier.
dem Landgrafen von Lohrinden er-
halten hatte; es füllt also in den
Anfang des 13. Jahrhunderts. Un-
gleich vollkommener in Darstellung
und Ausdruck als dieses Gedicht
ist der Trojaner Krieg des Konrad
von Ji'ürzhurfj, dessen Hauptquelle
derselbe französische Dichter war;
Konrad starb über dem unvollendet
gebliebenen Werke, das dann ein
Unbekannter vollendete. Berühmter
als die genannten Bearbeitungen der
Trojanersage wurde endlich der la-
teinische Prosaromau des Guido de
Colu m na, Richter in Messina: Iii-
storia desfi^uctionis Trojae, 1287 voll-
endet, ebenfalls unter Benutzung des
französischen Gedichtes ausgear-
beitet. Der Roman wurde fast in alle
Sprachen Europas übersetzt und in
einer Masse von gedruckten Aus-
gaben verbreitet; man hat Über-
setzungen ins Italienische, Fran-
zösische, Spanische, Englische, Deut-
sche, Niedersächsische, Holländische,
Böhmische, Dänische. Aus ihm ent-
lehnte auch Boccaccio den Stoff zu
seinem Filostrato, welcher die Haupt-
2uelle zu Shakespeares Troilus und
'ressida wurde. Die verbreitetste
deutsche Übersetzung stammt von
Haus Yair oder lians Mair von
Nördlingen, aus d. J. 1392 und ist
oft gedruckt worden. Endlich hat
ein unbekannter Dichter, der sich
betrügerisch Wolfram von Eschen-
bach nennt, im 14. Jahrhundert die-
selbe Sage in etwa 30 000 Versen
behandelt. U. Dünger, Die Sage
vom trojanischen Kriege in den
Bearbeitungen des Mittelalters. Leip-
zig 1860.
Truhe nannte man einen recht-
eckigen Kasten mit flachem oder
gewölbtem Deckel. Die Vorderseite
warnach Vermögen mit Schnitzereien
und Malereien geziert. Die Truhe
diente zur Versorgung der Klei-
der und kostbarer Hausgeräte, zu
Hause sowohl, wie namentlich beim
Trans port.
Tunicella, eine etwas kürzere
Tunika, die im früheren Mittelalter
von der griechischen Geistlichkeit
unter der lJalmatika getragen wurde.
Zu Anfang des 9. Jahrhunderts,
scheint sie auch im Abendlande auf
zutreten und zwar als Unterkleid
aller Geistlichen. Der Diakonus
trug die Tunicella und die I )almatik .
zugleich, der Subdiakonus ersten
allein. Die Tunicella war bis ins
1 1 . Jahrhundert weiss, mit violettem
Saumstreifen besetzt, dann mit Gold
verbrämt und etwa mit kleines
Schellen behangen. Siehe aueh den
Art. Krön u nqsi nsifl n ieu .
Tunika, das erst ärmellose, s^it
Angustus Zeit mit Ärmeln versehene
leinene oder wollene Unterkleid, da?
auf blossem Leibe unter dem Mantel
getragen wurde.
Turnier. Die Turniere and
neben der höfischen Dichtung dtr
eigenartigste Ausdruck des mittel-
alterlichen Rittertums. Sie entsteh' -
ohne Zweifel aus älteren Heiter-
spielen, von denen der Geschicht-
schreiber Xifhard, Vier Bächer
Geschichten III, 6 folgendes an-
schauliche Bild gibt: ,,Zur Leibes-
übung stellteu sie — es ist von den
beiden Söhnen Ludwig des Frommen.
Luwie dem Deutschen und Karl
dem Kahlen, die Rede — auch oft
Kampfspiele an. Dann kamen sie
auf einem besonders auserlesenen
Platze zusammen und während rings
umher das Volk sich scharte, stürzt* l
sich zuerst von beiten Seiten gleich
starke Scharen von Sachsen, Wasken.
Austrasicrn und Brittonen wie zum
Kampfe in schnellem Laufe auf-
einander; darauf wendeten die einen
ihre Rosse und suchten mit den
Schilden sich deckend vor dem An-
griff der Gegner durch die Flucht
sich zu retten, während diese die
Fliehenden verfolgten; zuletzt stür-
men beide Könige, umgeben von
der ganzen jungen Mannschaft, in
gestrecktem Lauf, die Lanaen
schwingend, gegen einander, und
bald von dieser, bald von jener
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Turnier.
1019
Seite zur Flucht sich wendend, ahmt
man den wechselnden Kampf der
Schlacht nach. Und es war ein
Schauspiel bewundernswert wegen
des Glanzes und der Ordnung, die
herrschten: denn auch nicht einer
von dieser so grossen Menge und
von diesen verschiedenen Völkern
wagte, wie es selbst unter Wenigen
und unter Bekannten zu geschehen
pflegt, einem andern eine Wunde
zu schlagen oder einen Schimpf
anzuthun."
Diese Reitspiele erhielten mit der
Aufnahme des Kitterw esens in Frank-
reich ihre ritterliche Ausbildung, und
zwar wird in den Zeitbüchern der
Franzose Gudefroi de Prieuilhf,
11. Jahrhundert, als derjenige ge-
nannt der das Turnier, turn ea m en tu m ,
von lateinisch tornare = drehen,
kehren, wenden, französisch tour-
»oyrr, provencalisch torneiar, mhd.
furnieren, erfunden habe; es ist
nicht unwahrscheinlich, dass die Er-
findung des französischen Ritters
darin bestand, dass er das bestehende
knnstmässige Reitspiel mit dem
ritterlichen Waffenkampfe verband,
eine Veränderung, welcne einerseits
das blosse Neckspiel dem ernsten
Kampfe, anderseits den ebenfalls
uralten blossen Lanzen* und Schwert-
Kampf dein schönen künstlerischen
Spiele näherte; es war gleichsam
eine Verbindung des Tanzes mit
dem Kampfe.
In Deutschland wird zuerst im
Jahr 1 127 ein torneamentum erwähnt,
das Kaiser Lothar bei Würzburg
abhielt. Seitdem ist es in Deutsch-
land wie in Frankreich völlig hei-
misch, wie u. a. die wiederholten
Verbote der Päpste beweisen; doch
erfolgt die eigentliche Ausbildung
dieses Ritterspieles auf deutschem
Boden erst in der zweiten Hälfte
des 12. Jahrhunderts; auf dem Kreuz-
zuge unter Konrad II. und Lud-
wig VII. wurden die Deutschen noch
wegen ihrer Ungeschicklichkeit im
Reiten von den Franzosen verhöhnt.
Man muss nun durchaus unter-
scheiden zwischen den Turnieren
der eigentlichen höfischen Zeit, im
12. und 13. Jahrhundert, und zwi-
schen den späteren Turnieren des
14. bis 16. Jahrhunderts. WTas die
erste ren oder die echten Turniere
betrifft, so unterscheiden sich die-
selben von den in dieser Zeit sehr
geläufigen ritterlichen Kampf- und
Keitspielen, dem tjost und dem
huhurt, dadurch, dass diese jeden
Augenblick zur Übung, zur Kurzweil,
auf den Wunsch irgend einer Per-
son angestellt werden können,
während das Turnier stets vorher
angetagt ist. Das Turnier fand
nicht überall in gleicher Weise statt,
die Franzosen z. B. galten als hitziger
als die Deutschen, mauche Stämme
hatten grössere Vorliebe für da«
Spiel, andere geringere Freude
daran. In Beziehung auf den Zweck
des Turniers unterscheidet man:
a) turnet durch lernen, mittellat.
tirocinium; diese Spiele, durch wel-
che Knappen in aie Turnierkunst
eingeführt werden sollten, fanden
unter Aufsicht älterer Ritter statt.
Aber bloss die drei letzten Jahre
der Knappenzeit, in welchen der
Knappe kneht hiess. berechtigten
zur Teilnahme an diesen Turnieren;
es war die Zeit, wo er, aber nur
geduldet, schon das ritterliche
Schwert führte und das ritterliche
Ross ritt; doch trug er jenes noch
nicht gegürtet, sondern musste es
an den Sattel hängen. Ein solches
Knechtturnier fand auch am Tage
vor der Schwertleite statt, zur Prüfung
der Kandidaten des Rittertums.
b) turnet umbe quot. In jedem
Turniere gehörte die Rüstung und
das Ross des Gefangenen von Rechts
wegen dem Sieger, und der Ge-
fangene musste sich für eine von
diesem geforderte Summe auslösen.
Doch galt es für anständig, den
Gefangenen freizugeben. Aber nicht
alle Turnierer beobachteten diesen
A nstand, namentlich diejenigen nicht,
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1020
Turnier.
die erbelos im Lande herum aben- sondern ein Turnier, das wirkliche
teuerten , gewandt im Turnieren Feinde nach gegenseitiger Verab-
waren und sich lediglieh durch Tur- redung mit seharfen Waffen &b-
niere erhielten. Um solchen Leuten hielten.
ihre Freude zu lassen, stiftete man b) der turnei ze schimpfe ist ein
geradezu furniere umbe ff not, Tur- Turnier mit stumpfen Waffen, dessen
niere. wo das Beutemachen die Hauptgewicht auf den durch da>
Hauptsache war; wer hier keiu Löse- künstliche Reiten ausgebildeten
geld hatte, musste ze den Jude nfa rn. '■ Speerkampf fällt; es kommt hier
Am Rhein fanden solche Turniere vor allem darauf an, möglichst viele
das ganze Jahr statt. I Gegner aus dem Sattel zu heben
c) der turnei durch die vrou- und sie zur Sicherheit, flauet zu
wen; darunter versteht man sowohl , bringen; der Besiegte verlor da-
den auf jedem ordnungsmässigen durch seine Freiheit und es stand
Turnier stattfindenden Danwnshch, völlig in dem Belieben des Sieger-,
an welchem namentlich die vrou wen ob und wann er ihn freilassen, ob
ritter teilzunehmen hatten, als über- und für welche Summe er ihm sein
haupt solche Turniere, welche zu Kampf-Zeug zurückgeben wollte. Im
Ehren und zur Belustigung der I Gegensatze zu diesem Turnier steht
Frauen angestellt wurden. Frauen c) der turnei ze schimpfe mif
nahmen überhaupt den lebhaftesten Pride; hier setzte man von vom
Anteil an solchen Belustigungen; herein eine Lösesummc fest, die der
ja es wird erzahlt , wie sie sogar Besiegte an den Sieger zu zahlen
Männerrüstung angelegt und zum hatte und die im Durchschnittswert
Sehimpfe (zur Kurzweil) furniert der zu Felde gebrachten Turnier-
hätten. Diese Turnierart artete leicht rüstungen bestand. Unter Umstän-
in ein Galanteriespiel aus. den war diese Turnierweise gefähr
d) der turnei durch tre ist das lieber als die vorhergehende: dort
edelste Turnier; hier konnten bloss ; konnte ein edelmütiger Sieger seinen
erprobte Ritter mit Erfolg kämpfen. Gefangenen unter Umständen frei-
Gefangene wurden sofort freige- geben: hier verstand es sich unter
geben. Wurden zwar bei diesem allen Umständen, dass das vorher
Turniere, was bei den drei antlern ausgemachte Lösegeld bezahlt wer
Arten vermutlich nicht stattfand, den musste.
Preise ausgesetzt, so blieb der Haupt- d) Der turnei ze schimpfe wt
lohn für den Sieger doch immer der, Pride mit hippern ist das einzige
der geschickteste Turnierer genannt Ritter-Turnier, in welchem es den
zu werden. In den höfischen Ge- Knappen gestattet war in den Kampf
schichten geschieht es oft, dass bei 1 einzugreifen; da sie indes keino
einem solchen Turnier eine Dame ritterlichen Waffen tragen durften,
sich und ihr Land dein Sieger als mussten sie sich mit einem ein-
Preis anbietet. fachen Knüttel behelfen; auch konn-
Naeh den Bedingungen , unter ten sie nicht zu Rosse sitzen. mus£-
denen das Turnier stattfand, kann ten vielmehr ihrem Herrn zu Fasse
man unterscheiden: nachgehen. Ihre Aufgabe war den
ai der turnei ze ernste. Darunter abgestochenen Ritter so langte mit
war nicht etwa ein Turnierkampf Prügeln zu traktieren, bis er Sicher-
verstanden, der, friedlich begonnen, heit gelobte. Diese wenig höfische
durch den Zorn der unterliegenden I Kampfweisc wurde besonders im
Partei in einen wirkliehen Kampf Turnier umftc gnot geduldet : ipi
ausartete, wobei man die stumpfen turnei durch t're schl^s«* man «<*
Waffen mit seharfen vertauschte, , gewöhnlich aus.
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Turnier. 1021
Die im Turnier geübte Keif- und trifft, den Stössen der übrigen zu
Kampfkunst erhellt am deutlichsten entweichen. Dieser Stich ist daher
aus einer Stelle im Parzival, 812, schwieriger als die vorhergehenden,
0—16: aber verhältnismässig selten und
t-" ,„„ /„,.,„•„ hAu muss deshalb als eine Art Extra-
bunfsttehe mac turnteren Mn: T -
die smt mit miner haut getdn. 4 ^ ^ . .
™f **' zempune%Z: Einzelattaque mit eingelegter Lanze
Ar dritte tst zen muoten: ^ h Seitc her ^. R
» rekter tjost den jjuoten ^ Einzelnen ist hier, durch ge-
M* hurtechchen han aeriten, 8chickte8 Reiten sich dem Hurt äes
«*<l <fe« zor rofy« »i** r,rm»/^. Ge8amtkampfes zu ontziehen und
Diese Stelle wird erklärt: es gebe richtig zu beurteilen, ob es im ein-
fünf Reittouren im Turnier, in denen zelnen Falle rötlich sei, gerade oder
auf den Gegner gestochen werden schräg den Gegner anzurennen,
kann, Turnierspeerkampf: zu ihnen wann in beiden Fällen in die Kar-
kommt dann der Turnierschwert- riere zu fallen sei und ob es gut
kämpf, das zäumen. sei, gleich anfangs ze trviers zu
Der Tnrnierspeerkampf besteht reiten oder erst, nachdem man Hchon
also aus folgenden Touren oder im puneiz die Karriere genommen
Stichen: hat, plötzlich in die Richtung ze
1 . Der Stich zem puneiz ist eine treviers zu fallen , was besonders
Attaque sämtlicher Scharen von grosse Gewandtheit erforderte. Jede
vorne auf den Feind mit eingeleg- Tjoste, die als kunstgemäss „ge-
ter Lanze und hurt, d. h. mit dem- messen" gelten soll, muss richtig
jenigen stossenden Anreiten , das geritten und richtig gestochen wer-
auch dem buhiirt zu Grunde liegt, den. Die beiden tjostiure, d. i. die
Die Kunst für den einzelnen besteht tjostierenden, reiten geradlinig auf-
darin, zu richtiger Zeit, sobald der einander; ist die Tjoste zu Ende,
Führer der Scharen den Befehl so „Jceren?' sie oder sie „tuont den
„zem puneiz**! d. h. zum Wechsel teanc", d. h. sie reiten zum ersten
des Galopp- und Karriereritts gibt, Standorte zurück , lassen sich ueue
diesen auszuführen, damit er nicht Speere geben und beginnen den
hinter den anderen zurückbleibt. ! gradlinigen Ritt wieder , so dass
2. Der Stich ze treviers ist eine man also vom ersten, zweiten, fünf-
Attaque sämtlicher Scharen von der \ ten Tjost snricht. Die Tjost be-
rechten Seite auf den Feind mit ein- ginnt im Galopp und geht nachher
gelegter Lanze und Hurt. Die Kunst in die Karriere über , wobei die
für den einzelnen besteht darin, Kunst darin besteht, zur rechten
sobald der Führer das Kommaudo Zeit den Wechsel des Tempos ein-
treviers" gibt, zugleich aus dem treten zu lassen. Dabei treten zwei
Galopp in die Karriere und aus der, Fälle ein: entweder reiten die bei-
^eraden in die schräge Richtung zu den tjostiure, während sie die Speere
fallen, damit er nicht zurückbleibt ; verstechen, aneinander vorüber, oder
sie ist also viel schwieriger als im sie treffen mit den Rossen Brust
Stiche ze puneiz. j an Brust zusammen; der Name die-
3. Der Stich zen muoten ist das ses Zusammenrennens mit den Rossen
Stechen eines einzelnen gegen eine ist hurten , der oder die hurt. Ehe
ganze Schar, wobei es für diesen die tjostiure zum Stiche aneinander
darauf ankommt, während er den ritten, galt es die tjost zi/n, d. h.
einen aufs Ziel genommenen Gegner Schild uud Speer kunstgerecht zu
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1022
Turnier.
halten, den Schild mit der linken
Hand so, das» er den ganzen Ober-
körper vom Hals bis zu den Knien,
von vorne und von der linken Seite
bedekt; daz sper ander den arm
sinken, daz »per lif die brüst Urnen.
Zielpunkte des Speerstosses sind die
vier Saget oder der Hals des Geg-
ners; die vier Nägel befanden sich
auf demjenigen Teile des Schildes,
welcher während des Kampfes die
Hand deckte; es sind ohne Zweifel
dieselben Nägel, welche innen die
Handriemen festhielten und um den
Schildbuckel herum lagen. Besiegt
ist der Gegner, wenn er durch den
St 083 auf die vier Nägel oder auf
den Hals abgestochen oder wenn
beim Hurt das Ross mit samt dem
Reiter zu Boden gesunken ist; un-
entschieden ist der Kampf und hat
also aufs neue zu beginnen, wenn
die aus dürrem Holze gefertigten
Speere zersplittert sind oder wenn
beim hurten das Ross zwar den
Stoss ausgehalten hat, die Riemen
dagegen, welche den Sattel halten,
durch den Hurt gelöst sind und der
Sattel mit samt dem Reiter vom
Rosse herabgerutscht ist.
5. Der Stick zer volge ist ein
Stich , der naeh den eigentlichen
Turnieren stattfindet und bloss von
den gewandtesten Reitern gestochen
wird; es ist noch mehr als der dritte
Stich der sogenannte Damenstich:
er wird bloss auf ausdrückliche
Provokation und Zustimmung des
Provozierten hin gestochen und ist
im übrigen auch ein tjost.
Die stehende Formel für den
Schluss eines getroffenen Stiches
war, dass der Abgestochene fragte:
wer hat mich überwunden? worauf
der Sieger antwortete: ich bin N,
und der Besiegte: min Sicherheit si
din. Wurde aber dem Gegner bloss
Helm- oder Schildriemen locker ge-
macht oder die Riemen des Rosses
zerstochen, so war er nicht besiegt,
musste aber vom Turnierplatz, um
sich mit Helm, Schild und Ross
aufs neue zu versehen. Beim End
urteil kam dann freilich mit iu Be
tracht, wie oft dieses letztere ein-
getreten war.
Neben dem Turnierspeerkanipt
besteht ein TurnierschwertXam^
Er heisst das zoumen und besteht
darin, dass der Ritter das Ro??
seines Gegners am Zügel nimmt,
mit ihm umwendet und es nach der
Seite seiner Turniergenossen hin
vom Turnieq)latz zu ziehen sucht.
Da dieses jedoch meist nicht so glatt
von statten ging, musste die Ge-
wandtheit des Reiters durch den
Kampf unterstützt werden, wozj
man eben den Schwertkampf be-
nutzte. Eben in dieser Turnier
tour griffen nun in sehr unhöfiseher
Weise jene kinf>er ein, deren oben
gedacht ist. Kipper ist eine turoier-
unfähige Person, welche sich während
des Kampfes der Beute der Ritte:
mächtigt, in erster Linie Knappen;
ihre Waffe ist ein Prügel, mit drn
sie das Ross des Gegners ihi>~
Herrn namentlich beim zoumen trak-
tieren. Wer gezäumt war, galtuatür
lieh als besiegt
Was die J eranstaltung und Jbtt
richtung eines Turniers sonst betrirlr
so hatte der, der ein Turnier ab
halten wollte, zunächst den, gegen
den er zu kämpfen beabsichtigte,
davon in Kenntnis zu setzen,
turnet anbieten. Nahm es dieser an.
so einigte man sich über die Be
dingungen, unter denen der Turnei
abgehalten werden sollte, ob zeerv*!*
oder ze schimpfe, mit rride oder«"*'
vride, wie der Turnei stdn oder pfiff
soll, d. h. wie hoch die Auslösung*-
summe anzusetzen sei, ob Kipper
zuzulassen seien oder nicht. Dann
wurde Zeit und Ort für den Turn»'
festgestellt, was die Zeit betruft
immer im Sommer und zwar mei>t
am Montag. Turnierort ist ein grosser
freier Platz, in der Regel in der
Nähe einer grösseren Stadt. Beide
Teile sorgten jetzt für die Am-
kündung des Turniers, den turn*
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Turnier.
1023
schrien, was durch Knappen an be-
stimmte Personen oder an jeden
turnierffchigen Mann geschah, der
angetroffen wurde. Mindestens drei
Wochen dauert es von da bis zum
bestimmten Termin. Der Turnier-
platz ist von Sehrauken, hAmit, um-
schlossen worden, hinter denen sich
das gestüele für die Damen, alten
Herrn und die Mitglieder des Turnier-
gerichts erhebt. Die zum Turnier
Erschienenen wurden gemustert und
geprüft, ob sie turnierfähig, d. h.
herabreichte und oben Löcher für
das Auge hatte; der Brust: die
plate; der Knie: das schinnelier,
alles dies von innen besonders be-
polstert. Wie der Ritter ist das
Rosa in eine eiserne Decke gehüllt.
Schutzwaßen sind: der Turnierhelm,
iih Gegensatz zu dem in der Schlacht
zu dieser Zeit nochmeistgebrauchteu
isenhuot, mit der zimier, dem Helm-
schmuck versehen; und der Tnrnier-
tekild in Form eines abgerundeten
Dreiecks, mit dem bunt bemalten
Kitter seien und zur Zeit in keinem ] Wappenbilde. Die Angriffs warten,
unfreien Verhältnisse stünden. Jeder
Turnierteilnehmer kam allein oder
mit seinen Gesellen, welche ent-
weder Dienstmannen oder Ritter
waren, die sich ihm freiwillig an-
Sesehlossen hatten und dann wie
ie Dienstmannen während des Tur-
niers das Wappen ihres erkorenen
Dienstherren trugen. Wer ganz auf
eigene Faust kam, hieasmuotwiltaere,
wozu die lantvaraere gehörten, die
das Turnier des Erwerbs wegen auf-
suchten. Ferner wurde konstatiert,
ob jeder im vorgeschriebenen Tur-
Speer und Seh wert , beide abge-
stumpft, jener womöglich bemalt.
Vergleiche die besonderen Artikel.
Der eigentliche Turnierkampf
zerfällt in die resperie, den turnei
im engem Sinn, nnd den Damen-
sfoJts. und zwar so, dass vesperie
und Damenstoss, die beim klassi-
schen Turnei Regel sind, beim
turnei umhe guot gewöhnlich fehlen.
Die vesperet ist ein Turnei am Vor-
abend des Festes, an dem sich vor-
wiegend jüngere Ritter und Knechte
beteiligen; für das Urteil des
nieraufzuge gekommen sei, nämlich Turniergerichts kommt dieses Spiel
georset, mit einem ort — Streitross. nicht in Betracht. Der eigentliche
versehen, das stets männlich una Turnei beginnt mit Anhörung einer
meist ein Hengst war, und gezimiert, Messe; dann ordnen sich die Kitter,
der turnei wirf gefeilt, so zwar, dass
völlige Harmonie der einzelnen Streit-
gruppen vorhanden sein muss, jede
Abteilung, teil oder parte genannt,
hat ihren Hauptführer, zerfällt aber
d. h. mit der zimierde, dem Helm-
schmuck und dem Wappen auf dem
Schilde versehen. Sodann müssen
die WaJ/en spiegelblank aussehen,
ganz neue Riemen haben und bei
allen gleich sein. Dazu gehören: wieder in schäm oder rotten mit
Das harnas oder har nasch, Ring- , Einzelführem. Am Damenstoss be-
panzer, welcher wieder aus der He- 1 teiligen sich nur ausgewählte Ritter;
deckung des Kopfes besteht, die doch heisst es erst, wenn er ge-
rat/«?, koufe, kupfe, die entweder den ' stoehen ist, mi hef der turnei ende.
ganzen Ropf umschliesst und bloss Auf den Turnei folgt der f'rteils-
Löcher für die Augen lässt oder Spruch und die Preiszuerkennung
das Gesicht ganz frei gibt; aus der
Bedeckung des Oberkörpers: hals-
perc, und aus derjenigen der Beine
und Fiisse: isrrhosen oder iserkolzen.
Dazu kommt zum Schutze des Halses :
tlas collier des Kopfes: die barbier,
Das Turnierqericht setzte sich zu-
sammen aus den ältesten und er-
fahrensten Rittern, die nicht selber
furnierten und aus ihren für diesen
Dienst bestimmten, erprobten und
wappenkundigen Knappen , knal>en
eine gewölbte Platte, die von der ron dem wApen, denen alle Kost
Stimleiste des Helmes bis zum Kinn barkeiten, Wappen und Zimierden,
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die auf dem Turnierplätze liefen j 1530 Georg Rüxuer aus Bayern unter
geblieben sind, als ihr rechtmässiges dem Titel: „Anfang, Ursprung und
Eigentum zufallen. Sieger kann im herkommen desThurniers in tcutscher
furnei durch ere nur einer sein, der Nation". Der Verfasser führte darin
den pris ze beiden siien hat, d. h. die Anfange der Turniere auf di^
wer den turnicrmässigen Speer- und Zeiten Heinrich I. zurück und brachte
Sehwertkampf am gewandtesten ge- sie mit dem glücklichen Kampfe
kämpft und am elegantesten dabei gegen die Ungarn in Verbindung,
geritten hat. Die Preise waren ge- wobei er sich auf ein älteres Büch-
ring. Nach F. Siedner, Das deutsche lein stützte, das 1 508 über dieselbe
Turnier im 12. und 13. Jahrhundert. Materie zu Augsburg erschienen war.
Berlin 1881. Vgl. Schultz, höfisches Es ist unglaublich, mit welcher
Leben, II, Kap. 2. Frechheit Rüxner einesteils die ein-
Gegen die Mitte des 13. Jalir- zelnen Turniere datiert und auf-
hundcrs verfielen die Turniere rasch gezählt , anderseits die Unzahl von
und gestalteten sich zu solennen, aber Namen adeliger Teilnehmer erfunden
gehaltlosen Privat Vergnügungen des und zusammengestellt hat. Die ersten
höhern Adels. Eine aus den Quellen | bessern Schriftsteller, die sich durch
Seschöpfte Darstellung der Turniere Rüxner betrügen liessen, waren
es 14. bis 16. Jahrhunderts scheint ' Sebastian Frank in der Chronik,
zu mangeln. Was man in ältcrn und Hans Sachs in einem Spruch:
Werken darüber findet, beruht zum Historia vom Ursprung und Ad-
grössten Teil auf einer der ärgsten kunft des Thunders 1541. Siehe
Ueschick/sfälscAungen, die mau kennt, darüber Waitz, Heinrich I. 2. Ausg.
auf Rüjcners Turnierbuch. Dieses S. 252 ff.
veröffentlichte zu Frankfurt im Jahr
u.
Vebersetzuiigen nehmen bei der nähme macheu bloss kirchliche
mannigfachen Wechselwirkung, wel- Schriften, deren Mitteilung an einen
che das alte und mittlere Zeitalter weiteren Kreis der Volksgenossen
und die verschiedenen Einzcllittera- wünschbar war. Zwar die Bibel
turen des Mittelalters auf einander ist im altdeutschen Zeitraum nie
haben, eine wesentliche Stelle in der vollständig ins Deutsche übersetzt
Litteratur des Mittelalters ein. Hier worden (siehe den Art liihei-
kann es sich, zumal eine gesonderte Übersetzungen ), zum Teil ohne Zwei-
Behandlung dieses Litteraturzweiges fei deshalb, weil die ersten Mis-
mangelt, nur um eine kurze Uber- sionare in Deutschland Irländer,
sieht derselben handeln. Da im also Fremde, waren; dagegen hat
Mittelalter alle gelehrte Bildung und man zahlreiche Übersetzungen litur-
Schriftstellerei von der Kirche aus- gischer Katechismusstücke , der
geht, welche sich ununterbrochen Glaubensbekenntnisse, des Unser-
uer lateinischen Sprache bedient, so vaters, von Beichtformeln; etwas
zeigt sich vorläufig kaum ein Be- weiter reicht der Versuch Tatians
dürfnis, die Werke der antik- Evaiigelienharmonie zu übersetzen,
christlich-römischen Litteratur ins es ist dies wie die Interlinearvorsion
Deutsche zu übersetzen. Eine Aus- der Ambrosianischen Hymnen und
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Übersetzungen.
1025
die Übersetzung zweier Schriften
des Isidor von Sevilla ein Zeugnis
von der durch Karl d. Gr. ge-
weckten Teilnahme für die deutsche
Muttersprache; dieses Interesse ver-
schwindet aber bald wieder, und die
kommentierten Übersetzungen des
Hiob und der Psalmen wie ver-
schiedener Werke der römischen
Profanlitteratur, des Boethius, des
Martianus Capeila und des Aristo-
teles durch Sotker Laheit aus
St. Gallen, die ums Jahr 1000 ent-
standen sind, fanden Jahrhunderte
lang keine Nachfolge.
Mit dem Begriffe einer Über-
setzuiurslitteratur berührt sich eng
die Thätigkeit der Dichter des
hofischen Kunstepos, welche dem
Zuge der Zeit und namentlich des
Rittertums gemäss die französischen
Epen von Karl d. Grossen, Aneas,
Alexander, Artus, dem Gral, Tristan
u. dgl. aus dem Französischen ins
Deutsche übersetzten ; wenn sie aber
auch im Beginn ihres Gedichtes
regelmässig ihre französische Quelle
benannten und die Verantwortung
der Thatsachen auf jene abschoben,
so galten und wirkten diese Dich-
tungen doch als Originalschriften;
ihr Name ist getihte, buoch, sage,
maere, dventiure und nie translahon
oder dergleichen; man wollte nicht
das franzosische Vorbild in seiner
Eigenart deutsch übertragen be-
sitzen, sondern man wollte denselben
Stoff und dieselbe Form, wie ihn
die französischen Ritter besassen,
auch in Deutschland zu eigen haben,
und deshalb übertrug man denn
auch freier, als es der eigentliche
Übersetzer zu thun gewohnt ist;
auch lateinische Quellen, die man
etwa für Legcuden benutzte, unter-
lagen dergleichen Bearbcitungsweisc.
Die Bearbeitung französischer
Schriftwerke in deutscher Form hört
seit der höfischen Zeit nicht mehr
auf und nähert sich mehr und mehr
der eigentlichen Übersetzung. Meist
sind es auch vorläufig die höhern
Reallexicon der deutschen Altertümer.
adeligen Stände, für welche solche
Arbeiten unternommen werden. Das
13. und 14. Jahrhundert überträgt
zahlreiche fabliaiur (siehe den Art
Sovellen), dann kommt der Roman
(siehe diesen) an die $eihe, bis
schliesslich gegen Ende des 16. und
in den folgenden Jahrhunderten
Französisch die Umgangs- und Lese-
sprache aller derjenigen Bevölke-
rungskreise Deutschlands wird, wel-
che Anspruch auf Vornehmheit
machen.
Eine andere Gruppe von Uber-
setzungen, die sich aber zum Teil
mit der französischen Gruppe be-
rührt, bilden jene prosaischen
Schriften, die zum Teil schon wäh-
rend der höfischen Periode, noch
mehr aber in den letzten Jahrhun-
derten desMittelalters internationales,
gemeinsames Eigentum der europäi-
schen Völker werden; sie stammen
teils aus dem Orient und gelangen
, anfänglich meist durch Vermittelung
der lateinischen Sprache in die
Volkslitteraturen; es ergänzt sich
aber diese Volkslitteratur immer
wieder durch neu auftauchende
Werke, von denen jedes, wie ein
ins Wasser geworfener Stein, einen
engern oder weitern Ring in das
Gcoiet benachbarter Litteraturen
zieht. Solche Weltbücher sind der
Physiologus (siehe den Art. Tier-
kunde), die sieben weisen Mehter,
die Gesta Romanorum, die Legenda
aurea, die Mehrzahl der Volksbücher,
Sebastian Brants Sarrenschiff, Rei-
ft eke Fuchs, Eulenspiegel u. a. Auch
diesen Übersetzungen liegt aber
nicht die Absicht zu Grunae, einen
fremden Schriftsteller in seiner
Eigenart durch das Mittel der Volks-
sprache näher zu bringen, sondern
es ist immer das stoffliche Bildungs-
interesse, das sich dieser Weit-
bücher bemächtigt. ..
Die eigentliche Üf>ersefzung von
Profanschriftstellern hat erst der
Humanismus auf die Bahn gebracht,
eine Lebensrichtung, der zuerst die
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Uhren.
Bedeutung des Individuums, auch Praktiker, und in der gänzlichen
des schriftstellernden, zum Bewusst- Übergehung der Lyriker; grieebi-
sein gekommen war. Doch wusste sehe Schriftsteller, für die man
man vorläufig zwischen wirklichen überhaupt nur noch geringes Ver-
Schriftstellern des Altertums und ständnis besass, wurden oft dnrea
zwischen lateinischen Skribenten Vermittelung lateinischer Versionen
der Neuzeit noch wenig Unterschied j verdeutscht. Im 16. Jahrhundert
zu machen, und bei der Mehrzahl kamen zu den schon genannten
der Leser, namentlich der ungebil- J Autoren , die meist öfters erneut
deten, für welche diese Arbeiten | wurden, folgende neue hinzu: Hemer
berechnet waren, überwog noch Odyssee 1537; Utas 16lo; T'erp>'
lange das stoffliche Interesse. Der Bucolica 1567\ Otitis Ate tumorpho^ „
neuerfundene Buchdruck bemäch- / 5 71 — Flavius Josephus 1531; un d
ticte sich schnell dieses Zweiges der ( von da an in zahlreichen Ausgaben
Litteratur. Einer der ersten Über- \ Justin 1531; Herodian 1531; TAi-
setzer war Xiclas ron Wyle, aus I eydides 1533; Herodot 1535 ; Orusiaj
Bremgarten, Schulmeister in Zürich, 1539; Xenophon 1540; Demo*the*t<
dann Katschreiber zu Nürnberg und 1543; Kuchdes 1562; Polybiu* 1574
Esslingen, zuletzt Kanzler des Grafen Sueto und Tacitus 1535 ;
von Württemberg. Er übersetzte historia naturalis 1543; Diodor 1554
eine Reihe kleinerer Schriften des i l'itruvius 1548; Frontin 1532".
iJoggius,Aneas!Silrius. Felix Hemmer- Von griechischen Dramatikern er-
Uhu. a., die zum Teil anfangs be- 1 schien iii deutscher Verdolmetschun*
sonders gedruckt und dann 1478, zuerst Furimdes Iphigenia in AmUi
ihrer achtzehn an der Zahl, unter. 1565; Medea 1598; Alcettis ißn4
dein Titel Translationen zusammen- Heculsa 1615; Sophocles Aiajr 16»*
gestellt wurden. Andere vorrefor- j und Aristovhanes Xubes 1613.
matorische Übersetzungen, bei denen j Goedectes Gruudriss I, § 1 14
die beigesetzte Jahrzanl das Datum , und 148; J. F. Degen, Litteratur
des ersten datierten Druckes be- der deutschen Übersetzungen d«r
zeichnet sind: Der trojanische Krieg Römer, Altenburg 1794—99, 3 Bd. .
des Guido Columna 1474 (siehe und Litteratur der deutschen Über
Trojanischer Krieg); Boethius .De Setzungen der Griechen, 1797— S*.
consolati(/ne philosophiae 1473; Asov 2 Bände.
(vor 1480); Terenz i486; Cicero de 1'hrcii, mhd. üre, 6re, aus lat
oßteiis 1488; Hyginus 1481; Aristo- hora , bedeutet zuerst die Stunde.
feles Prohlemata 1492; Linus 1505; orglocke, die Stundenglocke, horx*,-
Oiesar 1507 ; PUiutus 1511; Lukian gium. Das frühere Mittelalter be-
1512; Seneca 1507; Plinius lobsagung nutzte ausschliesslich die schon dein
vom heiligen Feyser Trajano 1515; ! Altertum bekannten Sonnen-, Sand-
Sallust 1513; Vergils Aeneis durch .und Wasseruhren, von denen die
Dr. Thomas Murner, 1515; Isoer ates erste Art zuweilen an den Kirchen
1517; J lutarch 1519. , angebracht war. Wann die durch
Nach der Reformation mehren . ein Gewicht in Bewegung gesetzten
sich zwar die Übersetzungen, doch ' mechanischen Uhren aufgekommen
macht sich das Vorwiegen des stoff- sind , ist nicht mit Gewissheit be-
liehen Interesses noch lange geltend, 1 kannt; man hat die Erfindung der-
teils darin , dass man die alten I selben bald dem Priester PaeinYu-
Klassiker in meist sehr ungenügender aus Verona im 9. Jahrhundert, bald
Form überträgt (Vergil und Homer dem Papst Silvester IL, Gerbert,
in Knittelversen), teils in der Vor- 1 gest. 1003, zugeschrieben. Erwähnt
liebe für die Geschichtschreiber, die werden sie zuerst in um das Jahr
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Umzüge. — Unehrliche Leute.
1027
1120 zusammengetragenen Statuten
des Cistercienzer- Ordens, wo dem
Sakristan aufgegeben wird, die Uhr
so zu regeln, dass sie schlügt und
ihn vor dem Frühgottesdienst weckt.
Das Zifferblatt war bis ins 16. Jahr-
hundert in 24 Stunden geteilt, wel-
ches die ganze oder die grosse Uhr
hiess. Die erste Räderturmuhr be-
kam Augsburg 1364, Breslau 1368,
Strassburg 1370, Nürnberg 1462.
Künstliche astronomische Uhren er-
hielten das Münster zu Strassburg
1352—54, die Marienkirche in Lü-
beck 1405; jenes Strassburger Werk
wurde durch ein neues, von Isaack
Habrecht aus Schaff hausen in den
Jahren 1547—1574 verfertigtes und
aufgestelltes Werk ersetzt, das für
ein Wunder der Mechanik galt, aber
im Jahr 1789 zu gehen aufhörte.
Um die Mitte des 16. Jahrhunderts
waren Raderuhrwerke mit Schlag-
werk und Wecker als Stubenuhreu,
ebenso Taschenuhren schon vielfach
im Gebrauch. Als der Erfinder der
letztem wird der Nürnberger Peter
Hele bezeichnet, als das Jahr der
Erfindung 1510.
rnizlijjre der germanischen
Götter werden in verschiedener
Weise erwähnt. Am feierlichsten
war der Umzug mit dem Bilde oder
dem Symbol der Gottheit, wobei
man sich diese selbst von ihrem
Heiligtume aus unter den Menschen
ihren Umzug haltend dachte. Der
Wagen mit dem Bilde wurde über-
all festlich empfangen, Opfer und
Weihgeschenke ihm dargebracht
und Festfriede gehalten. Tacitus
Germania 40. Namentlich zur Er-
bittung eines fruchtbaren Jahres
wurden solche Umzüge im Frühlinge
abgehalten. Anderer Art sind die
Nachrichten von Umzügen mit einem
Schiffs tragen, d. i. einem mit Rädern
versehenen grossen Schiffe. Ein
solcher wurde 1133 in einem Walde
unweit Aachen gezimmert und durch
die Mitglieder der Weberzunft, die
sieh vorspannten, weit im Lande
herumgezogen, unter grossem Zulauf
und Geleite des Volks. Die An-
kunft des Schiffes war in den
Städten voraus gesagt, wer die
Erlaubnis erbat, das Schiff berühren
zu dürfen, musste die Kleinode von
seinem Halse den Webern geben
oder sich durch eine andere Gabe
lösen.
Die deutsche Mythologie ist auch
an solchen Umzügen reich, welche
die Götter ohne Vermittelung der
Priester halten; dahin gehört der
Umzug Wodans mit dem wütigen
Heere und der Umzug der Götter-
mutter Freia. Rassmann in Ersch
und Gruber. Artikel Götterbilder;
Grimm, Mythol., S. 237 ff.
Die christliche Kirche ersetzte
diese Umzüge zum Teil durch Grenz-
umgänge, Bittfahrten zu Wallfahrts-
kirchen, die ebenfalls meist im Vor-
sommer stattfinden und ein frucht-
bares Jahr vom Himmel erbitten
sollen. Solche Prozessionen fanden
und finden immer noch in katholi-
schen Gegenden regelmässig in der
Kreuzirocne, in den Tagen vor und
nach dem Himmelfahrtsfest statt;
einzelne an andern Terminen, oft
mit Aufwand grosser Pracht und
Schaustellung; in Schwaben nennt
man diese Umzüge Esch- oder Flur-
gänge; die ganze Gemeinde umzieht,
den Geistlichen an der Spitze, die
Markung; an vier Stellen macht
man Halt, um das Evangelium zu
lesen und den Wettersegen entgegen-
zunehmen, und Häuser, Menscneu
und Tiere werden mit Weihwasser
besprengt. Berühmt ist namentlich
der sog. Blutritt im ehemaligen
Kloster Weingarten.
Unehrliche Leute» Bürgerliche
Ehr- und Rechtlosigkeit lastete im
Mittelalter nicht bloss auf denjenigen,
die sich gewisser Verbrechen schuldig
femacht hatten, sondern auf allen
enen, welche keine Waffen trageu
durften, wie der Knechte, Juden,
Türken und Heiden, und nicht min-
der auf gewissen Gewerben und
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] 028 Unehrliche Leute.
Dienstverhältnissen, deren Ausübung | meinschaft absondern könnten. Spi
sich nach der Auffassung der Zeit mit tere Reichsgesetze erklärten die
der vollen Ehrenhaftigkeit eines Pfeifer und Trommler für ehrlich
freien Mannes nicht vertrug. Über und warfen bloss noch die, „so siel
die letztern hat Otto Beneke in auf Singen und Reiinensprech' i.
einem Büchlein gehandelt, das den legen" als fahrende Leut«' in d&-
Titel führt: Von unehrlichen Leuten, gleiche unehrliche Recht zu des
Hamburg 1863. Daraus mögen hier Schalksnarren. Als im dreissic
einige Nachrichten zusammengestellt jährigen Krieg fahrende Spielleutr
werden. in die stehenden Verbände der ai
Als unehrlich galten Hirtoi, gesehenen Trompeter und Ptnüte*-
Schäfer und Mütter. Söhne von Schleper eingetreten waren, erwirk
Müllern waren zu Karls, d. Gr. Zeit ten eine Anzahl angesehener kaber
von allen geistlichen Amtern und licher und fürstlicher Hof- und Felo
Würden ausgeschlossen. Mancher- trompeterund Heeipauker ein kaiser
orts war den Müllern die Lieferung liebes Privileg, wonach der Kriegs
aller benötigten Galgenleitern auf- und Hofdienst den Türmern uuc
Gebunden, und erst im 16. Jahr- blasenden Komödianten strenge ver-
ändert wurden durch Reichspolizei- schlössen bleiben sollte. Auch d:
Ordnungen die Müller mit den Hirten in den Städten fest angesiedelte:
und Schäfern vollständig ehrlich J^eifer, welche ebenfalls zu Ver
erklärt, doch brauchte es noch man- bVüdcrungen zusammeneetretr:
eher kaiserlichen Erklärung, bis sie waren, die Kunstpfeifer, Stadtpfeifer
Zulassung zu allen ehrlichen Zünften oder Katsmusikanten, wollten nicht*
und Gilden erhielten. von den fahrenden Spielleuten wisser
Spielleute gehörten schon ihrer Bader und Barbiere sind schon
wandernden Lebensart halber keiner ' früh der Unehrlichkeit anheim gv-
bestimmten Genossenschaft an ; dass fallen , offenbar darum , weil 5k
sie zudem Gut fiir Ehre nahmen, Bäder mit der Zeit ab Herberge
und sich selbst für Geld zu eigen der Leichtfertigkeit angeseheu wur
gaben, machte sie unehrlich. Und den. Als Kaiser Wenzel durch ein-
zwar war hier mit der Ehrlosigkeit heroische Bademagd aus der G^
eine Art Rechtlosigkeit verbunden, fangenschart errettet wurde, b»-
welche sich auf die Unfähigkeit lohnte er MCKi diesen Dienst durcl
bezog, zu gerichtlichen und anderen ein Privileg, wonach das Handwerk
Ehrenämtern gewählt zu werden; der Bader künftig überall mak« Ii -
war ein Spielmanu unverdient ge- j ehrlich und rein angesehen werdec
kränkt worden, so bestand seine , sollte ; zugleich verordnete er des
ganze Genugthuung darin, dass man Badem ein Zunftwappeu, nainlicfc
mm den Schatten seines im Sonnen- im güldenen Schild eine kuotenwei-
schein gegen die Wand gestellten Be- verschlungene Aderlassbinde.in dervc
leidigers Preisgab; diesem Schatten- Mitte ein grüner Papagei prang'
bilde durfte er dann einen Schlag Doch hatte das Privileg wenisrWir
an den Hals geben. Eine Reichs- kung, und die vornehmeren Zunft»
polizei- Ordnung des 16. Jahrhunderts versagten noch lange den Sohn* i
verfügte, dass alle Schalksnarren, von Badern die Aufnahme. Di«
Pfeifer, Spielleute, Landfahrer, Ursache der Unehrlichkeit, iu wri
Sänger und Reimensprecher eine eher die Barbierer standen, nuu:
besondere, leicht erkennbare Klei- ihre Mitwirkung an der Inquirierunj
dung tragen sollten, damit die ehr- und Torquierung von grefangenet
liehen Leute sich desto leichter vor Missethätem gewesen sein.
Schaden hüten und von ihrer Ge- Leineiteber kamen wie die Mülle:
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Unehrliche Leute.
1029
deshalb in den Verruf unehrlicher
Leute , weil ihr Gewerbe eine viel-
fache und bequeme Verführung zum
Betrüge darbieten sollte ; entweder sei
das Garn oder der Kleister gefälscht
oder das Längen- und Breitenmass
unrichtig. Waren an einigen Orten
die Müller verpflichtet, die Leiter
zum Galgen zu liefern, so war den
Leinewebern auferlegt, den Galgen
selber zu machen. Verschiedene alte
Leineweberlieder bestätigen die An-
sicht, die man von diesem Gewerbe
hegte ; in einem solchenLiede heisst es :
Der Leineweber schlachtet alle
Jahr zwei Schwein,
Das eine ist gestohlen, das andre
ist nicht sein.
Übrigens war die Unehrlichkeit
der genannten Gewerbe nicht all-
gemein, und es gab Landschaften,
Städte, Zeiten, wo Müller, Barbierer
und Leineweber sich eines durchaus
ehrlichen Namens erfreuten; die
vornehmste Zunft in St. Gallen war
z. B. diejenige der Leinwandweber,
weil auf ihnen der Reichtum und
Ruhm der Stadt beruhte. An einigen
Orten waren auch diejenigen Gerb fr
verrufen , die Hundshäute verarbei-
teten, au andern Tuchmacher, die
Kaufwolle verarbeiteten, hie und
da auch Schornsteinfeger und Essen-
kehrer.
Von Staats- und ( lemeindedienern,
welche in teilweiser Unehrlichkeit
standen, wurden durch das Reichs-
gesetz von 1731 der Unehrlichkeit
los- und freigesprochen die Gassen-
kehrer, Bachfeg er, Holz- und Feld-
hüter, Leute/ die offenbar durch
ihren zum Teil schmutzigen und
niederen Beruf zu der öffentlichen
Unehre gekommen waren. Ihnen
schliefen sich an die Zöllner, die
Totengräber , die Türmer, und zwar
diese oft um deswillen, weil man
die Beaufsichtigung der als Haft-
lokale dienenden Türme den Scharf-
richtern übertrug, welche den Dienst
durch einen Knecht versehen Hessen,
daun die Bettelvogte. Von den
Xachtwächtern gehörten nur die-
jenigen zur Klasse der unehrlichen
Leute, welche zugleich zum Diebs-
fangeu gebraucht wurden : die richti-
gen Nachtwächter, welche mit Lanze,
Horn und Leuchte vigi Herten, galten
als ehrlich.
Gerichts- und Polizeidiener
waren in ältester Zeit durchaus ehr-
lich ; erst als man die Schergen für
Straf- und Blutgerichtc von den
gewöhidichen Fronboten in Zivil-
sachen trennte und für jene häufig
Unfreie nahm, kam der Dienst in
den Geruch der Unehrlichkeit, der
ihm bis ins 18. Jahrhundert an man-
chen Orten blieb. Unehrlicher aber
als alle genannten Stände war der
Stand des Scharfrichters und Henkers.
Auch dieser zwar war nach der
ältesten Sitte ein ehrlicher Mann,
oft der jüngste Richter selbst oder
der jüngste Ehemann in der Ge-
meinde. Das Amt büsste zwar
schon dadurch an bürgerlicher Ehren-
haftigkeit ein, dass es sich zu einem
Berufe entwickelte, der nur von un-
freien Leuten übernommen werden
mochte, dass sich mit der Einfüh-
rung des römischen Rechts die
verhasste Exekution der Tortur da-
mit verband und endlich, dass der
Scharfrichter zugleich Abdecker oder
Schinder wurde. Um nun die ver-
achteten Scharfrichter gegen die
Folgen einer volkstümlichen Vogel-
freiheit zu schützen, wurden sie
durch kaiserliche oder landesherr-
liche Privilegien geschirmt, daher
ihr Name Freimann und Freiknecht.
Mit der Zeit wurde das verachtete
Scharfrichteramt fast erblich, wie
es der Unehrlichkeit des Geschlechtes
gemäss kaum anders sein konnte,
zugleich aber war es ein recht ein-
trägliches Amt geworden. Wie bei
den Fechtmeistern gab es Scharf-
richterfamilien, deren Angehörige
über eine ganze Provinz verbreitet
waren; sie hiessen Schelmensippen.
Erst im Reichspolizeigesetz von 1731
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1030
Unehrliche Leute.
wurde bestimmt, dass zwar die Un-
ehrlichkeit bei den Nachkommen
des Sehinders in erster und zweiter
Generation stehen bleiben soll, die
ferneren Generationen aber zu allen
und jeden ehrlichen Handwerken
und Erwerbsarten zugelassen werden
sollen. Durchgreifeuder lautete da*
kaiserliche Patent von 1772, wo-
nach die Kinder der Wasenmeister,
welche die verwerfliche Arbeit ihres
Vaters noch nicht getrieben haben,
noch treiben wollen, von den Hand-
werkeu nicht auszuschliessen , son-
dern ehrlich zu achten seien.
Es war Sitte, dass in der Scharf -
richterfainilie der älteste Sohn des
Vaters Meistertitel und Lehen erbte,
wahrend die jungem, falls sie nicht
einen eigenen Dienst erhielten,
Henkersknechte und Abdeckerleute
wurden, zu denen sich etwa unehr-
liche Leute andern Standes, ja Räu-
ber und Mörder gesellten. Innerhalb
einer solchen vom Verkehr mit der
übrigen Welt ausgegossenen ver-
achteten und gefürchteten Familie,
bestand aber eine gewisse Strenge
und Gesetzmässigkeit. Seine Frau
fand der Meister in der Familie
einer auderen Scharf richterei , die
jüngeren Söhne bliebeu meist ledig.
l>ie Scharfrichtersöhne hatten ihre
L»'hr- und Wanderjahre durchzu-
machen, wobei sie ihren besonderen
Handwerksgruss besassen. Da jede
Berührung eines Ehrlichen mit dein
Henker besehimpfend wirkte, war
derselbe zu einer eigenen, leicht er-
kenntlichen Kleidung verbunden, er
sass in der Kirche auf einem ent-
legenen, gesonderten Platz und ge-
noss das Abendmahl allein und zu-
letzt. Eine verunglückte Exekution
wurde wohl augenblicklich durch
die Volksjustiz geahndet, indem man
den Scharfrichter marterte, steinigte,
zerriss; daher mau ihm später, als
das freie Geleit nichts mehr fruch-
tete, eine starke Militärmacht bei-
gab. Es war auch Sitte und Vor-
schrift, dass nach vollzogener Exe-
kution der Scharfrichter vom Sehatfui
herab den anwesenden Richter an-
redete und fragte, ob er recht ge-
riehtet? Nachdem dieser geantw*r
tet: „Du hast gerichtet, wie Urtri
und Recht gegeben und wie der arr>-
Sünder es verschuldet hat*\ entg'-*:
nete jeuer schliesslich: ,.Davor - l*nk
ich Gott und meinem Meister, der
mir diese Kunst gelerncL'* Dir
Diensteinnabmen des Scharfrichter-
bestanden ausser der Wohnung in
den nach bestimmten Taxen gert
gelten einzelnen Verrichtungen. Ge-
ringere Strafen, wie StaupensehU^
und Bra ml marken , besorgte dei
Meisterknecht; in grossen Städton
fielen diesem auch die Exekution« *t
mit Galgen und Rad auheim, wofür
er den Spezialtitel Henker erhielt
und der Scharfrichter selber hand-
habte bloss das Schwert. Oft funk
tionierte er zugleich, im Geiieii__
natürlich, als Tier- und Menschei
arzt, wobei er vielfach in den Ruf
zauberkundiger Mittel geriet. Be-
rühmt war namentlich der Scharf-
richter zu Parsau, der 16t I deu
Soldaten des Erzherzog Matthit-
einen Talisman gegen Hieb, Sehu>-
und Stich verkaufte; da* Geheim
mittel kam so in Schwung, dass e?
den Namen Passauer- Kunst er
langte, welche noch die Nachkom
inen des Erfinders ausbeuteten- An-
dere Scharfrichter verstanden sich
auf Freikugeln, aufs Festmachen,
auf sympathetische Mittel u. dpi.
Ausser der Person des Scnart-
richters und seiner Gesellen nahmen
die bei seinen Verrichtungen ge-
brauchten Gerate Anteil au dem
Rufe der Unehrlichkeit. Dazu ge-
hört das AbJeckermesser, womit siel;
der Träger gegen diejenigen wehrte
welche, entgegen dem ihm erteilten
Privilege, in betreff der Bestattung
alles verlebten Viehes, etwa einen
Huud, eine Katze oder dgl. aut
eigene Faust töteten oder begruben
In das Haus eines solchen Rechts-
verletzers und zwar in den Thür
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Universitäten.
1031
pfosten desselben stiess er dann sein
allbekanntes Abdeckermesser; der
an ihm haftenden Unehrlichkeit we-
gen wagte niemand es herauszu-
nehmen und war kein anderes Hilfs-
mittel , als den Wasenmeister zu
beschicken und ihm die Gebühr zu
zahlen. Gefürchtet und gemieden
war das Richtschwert es ist ein
massig langes , breites , schweres
Klingeneisen, mit beiden Händen
zu schwingen, und steckt gewöhnlich
in "chwarzlederner Scheide, meist mit
einer Inschrift auf der Klinge, z. B. :
Wenn ich das Schwert thu aufheben,
wünsch ich dem armen Sünder
das ewige Leben.
Eine Ehrlichsprechung geschah
nicht bloss in bezug auf ganze Stände
und Gewerbe von seite des Kaisers j
und Reichstage <, sondern es sind
auch einzelne unehrliche Leute, die
sieh verdient gemacht hatten, vom
Kaiser ehrlich gesprochen worden.
I ni \ersi taten. I.Gründung. Die
Ausbildung der Universitäten, einer
gesamteuropäischen Erscheinung,
geschieht im 12. Jahrhundert, pa-
rallel mit der Ausbildung des Ritter-
tums und des neuen Cistcrcienser
Monchstums. Der Trieb des intel-
lektuellen Lebens, die neue Wissen-
schaft der rationalen oder dialekti-
schen Theologie, die Scholastik,
welche die heilige Lehre mit den
Kräften des natürlichen Denkens
innerlich zu bewältigen und sich
anzueignen suchte, zeitigte das In- •
stitut der Universitäten. Wie Ritter-
tum und asketisches Mönehstum geht
<1ie Universität von Frankreich aus.
Ptrii ist das Muster der deutschen
tuiveraitäten.
Die Pariser Universität ist aus
alten kirchlichen Schulen hervor-
gangen, der Domschule und den
Klosterschulen zu St. Generiere und
Virtor. Der Ruf der grossen
Lehrer, die hier im 12. Jahrhundert
wirkten, zog aus allen Ländern eine
zahlreiche Schülerschaft nach Paris.
Der Kanzler oder Scholastikus des
Domkapitels, dem die Pflicht oblag,
fiir den Unterricht an der Dom-
schule zu sorgen, sah als weitere
Amtspflicht die Anstellung oder
Lizentierung und Überwachung aller
Lehrer der T)iözese an. Daraus her-
vorgegangenen Missbräuchen ent-
? ;egenzutreten, entstanden die An-
änge der Korporationen der Lehrer-
schaft. Innocenz III. regelte 1213
zuerst das Verhältnis zwischen dem
Kanzler uud der unire raitag mapi*
strorum et scolarium. Allmählich
erhielten die lockern Interessenver-
bände bestimmtere Form, und man
unterschied in der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts vier Nationen
der Artisten: Franzosen, Norman-
nen, Pikarden und Engländer ( später
Deutsehe), jede unter einem procu-
rator oder prorisor. die Gesamtheit
unter einem rertor. In Sachen der
Lehre und der Disziplin (facultas)
berieten alle Magister aller Nationen
als Gesamtheit. Daneben bestan-
den als autonome Körperschaften
von etwas späterer Bildung die drei
Faeu! taten der Theologen , Dek fett-
sten und Mediziner unter einem
Vorsteher, Dekan genannt. In
äusseren Angelegenheiten der Ge-
samtheit wurde von der Kongrega-
tion dieser sieben autonomen Körper-
schaften Beschluss gefasst, als Haupt
der Gesamtheit galt der rertor.
Im 15. Jahrhundert führte das
Institut der Kollegien die Univer-
sität zu einer inneren Umbildung.
Die Kollegien wurden seit dem 13.
Jahrhundert als Stiftungen für arme
Scholaren gegründet mit besouderm
Wohnhaus. Allmählich zog sich der
Unterricht aus den öffentlichen Lek-
torien in diese Kollegien zurück und
wenigstens die Artistenfakultät löste
sich in eine Anzahl Internatsschulen
auf.,
Alter als die Pariser, aber für
die spätem deutschen Stiftungen
von w eniger Einfluss waren die ita-
lienischen Universitäten. Die medi-
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Universitäten.
zinische Schule zu Salerno bestand worden waren. — 3. Heidelberg
schon im 11. Jahrhundert; seit der 1385.— 4. Köln 1386, wo das thev-
Mitte des 12. Jahrhunderts blühte logische Studium schon blühte and
die Bechtsschule zu Bologna auf, es sich bloss darum handelte, die in
aus der im 13. Jahrhundert, durch verschiedenen Klöstern und Stiften
eine Auswanderung, die zu laduu vorhandenen Kurse ziisammenru
entstand. In Bologna zerfallen fassen, mit dem Recht der Erteilung"
die Studierenden in citramontani akademischer Grade. — 5. J^rfurt
und ultramontani , die aus ihrer 1389, eine stadtische Stiftung. —
Mitte je einen Rektor wählen. Die Als Nachzügler der ersten EjK»che
Studierenden sind nicht Knaben, sind zu nennen 6. Leipzig 1409, ge-
wie in den Pariser Artistenschulen, gründet in unmittelbarer Folge a&-
sondern geistliche und weltliche Her- von , dass zu Prag die böhmische
ren. die durch ihre soziale Stellung Nation von den drei anderen NV
zur Bildung selbständiger Korpora- tionen (Bajern, Sachsen, Polen ! den
ttonen befähigt scheinen. Was die Vorrang in den Stimmen erhielt,
Lehre betraf, so lag hier alles in und 7. Bostock 1419.
der Hand des Doktorkollegiums. Erst Die Gründungen der r«rW/-n
im 13. Jahrhundert kam zu der alte- Fpoche scheinen infolge eines ausser-
ren Rechtsschule eine uiiirersifas phi- ordentlich starken Andranges zu den
losophorum et medicorum , oder zu- Studien stattgefunden zu haben, in-
sammen artislaruni hinzu; die theo- folge des Humanismus, des Auf-
logische Schule wurde 1362 errichtet, kommens der römischen Rechtsge-
Nachdem nach dem Bilde von lehrten als eines besonderen Standes.
Paris und Bologna in Frankreich, steigenden Wohllebens, wirtschart -
England, Italien und Spanien wäh- liehen Aufschwunges,
rend des 18. und 14. Jahrhunderts 1. Grcifsicald, 1456. 2. Jrreilmrg.
ähnliche Schulen entstanden waren, 1 1460 eröffnet. 3. Basel, 1460. 4. fm-
folgte zuletzt Deutschland. Hier golstadt,Wr>. 5. 2W«\1473. 6. Mainz.
scheiden sich für das Mittelalter 1476. 7. Tübingen, 1477. — Als Nach-
zwei Gründungsperioden: die erste zügler &.inttenberq,lbQ2. 9. Frank-
fällt in die zweite Hälfte des 14., fürt a. O., 1506.
die andere in die zweite Hälfte des ' Die Universitäten sind in erster
15. Jahrhunderts. Linie kirchliche Schulanstalten, den
Die erste Epoche folgt der Pe- ältern kirchlichen Schulanstalten in
riode des wirtschaftlichen Auf- Disziplin und Einrichtungen ähnlieh.
Schwungs zwischen 1150 und 1300; j Ihr Zusammenhang mit der Kirche
zahlreiche neue Kanonikatc waren erweist sich 1. darin, dass überall
gestiftet, Stadtschulen errichtet, die die päpstliche Mitwirkung bei der
Dom- und Stiftsschulen vermochten Gründung einer Universität eingeholt
mit den auswärtigen Universitäten wird, wodurch man sich nicht alieb
nicht mehr zu konkurrieren. des notwendigen und vollkommenen
1. lJrag} 1347; gemäss der Stif- Einverständnisses des Hauptes der
tiingsurkunde werden den Gliedern Christenheit versicherte, sondern tx*-
der Universität alle Privilegien, Im- sonders die Ermächtigung zu lehren
munitäten undFreiheiten zugesichert, und Grade zu erteilen erhielt; die
deren die Glieder der Pariser und 1 Verwaltung dieser Befugnis wurde
Bologneser Universität sich erfreuen, regelmässig von einem ortsanwesen-
— 2. Wien, 1365 gestiftet, doch erst den Vertreter der Kirche, der Kanzler
1 384 recht ausgeführt, zum Teil durch hiess, überwacht, meist der Bischof
Pariser Lehrer, die wegen des kirch- I oder sonst der vornehmste Geistliche
liehen Schismas aus Paris vertrieben am Ort der Universität. 2. In der
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Universitäten
1033
Ausstattung der Lehrer mit Einkorn- eine komplizierte, indirekte Wahl
men aus Kanonikaten und Pfarreien, den Rektor. Dieser ist Vertreter
Die weltliche Obrigkeit stellte sich der Universität nach aussen und
anfänglich nicht anders zur Univer- führt das Siegel, handhabt die der
sität, als zu jeder andern kirchlichen Korporation vom Landesherrn ge-
Stiftung, im 15. Jahrhundert dehnten gebene Gerichtsbarkeit. Jedem Rek-
sieb jedoch die landesherrlichen Be- tor ist ein Rat, consilium univerri-
fugnisse sehr aus. tatis, beigegeben, zu dem jede Xa-
II. Organisation. Wahrend in tion zwei Mitglieder abordnet. Zu
Paris in unregelmässigem Wachstum diesen Ämtern konnten anfanglich
und nach verschiedenem Bildungs- sowohl Graduierte als Nichtgra-
prinzip vier selbständige Körper- duierte wählen und gewählt werden ;
Schäften , vier Nationen und drei doch wurde schon früh die Stimm-
Fakultäten entstanden und äusser- fahigkeit auf die Graduierten cin-
lich zu einer universitas verbunden geschränkt ; die passive Wahlfähig-
worden waren, gingen die deutschen keit blieb dagegen allgemein, besou-
Neugründungen umgekehrt von der ders der Rektor war oft ein Nicht-
Eiuheit der Anstalt aus und glie- graduierter. Die Einteilung in Xa-
derten nun dieselbe in Anlehnung tionen hatte aber auf den deutschen
an das schematisierte Pariser Vor- Universitäten von Anfang wenig
bild auf doppelte Weise in Nationen Einfluss; die Dekane der Fakultäten
und Fakultäten, einer doppelten nahmen von selbst neben den Räten
Funktion der Lehre und der politi- der Nationen die Stelle von Bera-
schen Verwaltung entsprechend; als tem des Rektors ein und die jün-
Lehranstalt heisst die Universität gern Universitäten begnügten sich
studium generale und teilt sich in überhaupt mit der Einteilung in Fa-
vier Fakultäten, als Korporation kultäten.
heisst sie universitas studii 1J ragen sis. Was die Lehranstalt und die Fa-
llen nensis u. s.w., so dass jedes Glied kultäten betrifft, so gibt es auf einer
der Universität in beiden vorkommt, mittelalterlichen Hochschule weder
_J)ie Saiionen bilden eine rein eine bestimmte Zahl fester, besol-
äusserliche Einteilung der Gesamt- deter Lehrstühle für die verschie-
heit für die Zwecke der Verwaltung denen Disziplinen , noch einen be-
nach der geographischen Lage des rufsmässigen Professorenstand, noch
Heimatortes der Mitglieder. Aus I Studenten im heutigen Sinne. Lehren
. dem Universitätsorte als Mittelpunkt und lernen geht ineinander; man
wird die ganze Christenheit in vier fängt den Kursus lernend an , geht
Quartiere eingeteilt, jedes nach dem allmählich zum Lehren weiter und
Namen einer am stärksten vertre- schliesst ihn bloss lehrend. Jede
tenen Landschaft benannt. Jede Fakultät ist mit Beziehung auf die
Nation wählt einen Vorsteher, Pro- Lehre selbständig. Der Scolaris
curator, der die Mitglieder in die schliesst sich als Lehrling einem be-
Listen der Nation, Matrieula ^ ein- stimmten nuigister an, tritt meist in
trägt, die Versammlungen beruft, seinen Haushalt ein, der klösterlicher
die Kasse verwaltet. Iii die vier Natur ist. Nachdem er in etwa zwei
Nationen gegliedert, übt die Ge- Jahren die Anfangsgründe der Lehre
zamtheiUcongregatio unirersi tatis, die er\eriit, wird er der versammelten
gesetzgebende Gewalt, beschliesst, Meisterschaft vorgestellt, von ihr
nach Nationen stimmend, Statuten geprüft und zum ha real 'aureus, Ge-
oder Disziplinargesetze, zu deren seilen, ernannt. Dieser lernt weiter,
Haltung alle Glieder durch Eid sich wird jedoch durch einen Eid ver-
verpflichten . wählt zum Teil durch 1 pflichtet, unter Aufsicht des Meisters
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1034
Universitäten.
seinerseits die Elemente der Kunst
zu lehren. Nach etwa zwei Jahren
wieder geprüft und von der kirch-
lichen Behörde mit der licentia aus-
gestattet, wird er durch öffentlichen
Akt von seinem Meister zum Meister
gemacht. Durch den Meistereid ist
er verpflichtet, wenigstens noch zwei
Jahre in der Stadt zu bleiben, um
als Meister zu lehren, die Meister-
schaft aufrecht zu erhalten. Er
nimmt jetzt selbständig Lehrlinge
an, die er zu Gesellen und Meistern
heranzieht. Dieser vollständige Kurs
der freien Künste heisst facultas
artium\ verlasst der Magister nach
zweijähriger Ausübung der Kunst
die Stadt nicht, so mag er die höheren
Künste auf dieselbe Weise lernen:
Medizin, Jurisprudenz, Theologie,
und zu diesem Zwecke kann er in
eine Stiftung, colleaium, eintreten,
wo er Wohnung und einiges Ein-
kommen erhält; überdies erhalt er
von seinen Lehrlingen das Lehrgeld,
uastus, tu i nerval. Man bleibt dann
Meister in der Artistenzunft und ist
Lehrling oder Geselle in einer der
andern Zünfte; erst wenn man Mei-
ster in einer der höhern Fakultäten,
do lor, wird, scheidet man aus der
untern aus. Erhält man endlich eine
Kanonikatspfründe, so mag man
lebenslang als Lehrer an der Uni-
versität bleiben. Die wenigsten ma-
chen aber diesen vollständigen Stu-
diengang durch ; die Zahl der Schüler
in den obem Fakultäten war immer
gering.
Ihren Unterhalt vermochten sieh
bloss die Lehrer der Artistenfakultät
durch den Schullohu zu erwerben;
Doktoren der höhern Fakultäten ge-
wann man dadurch, dass man eine
bestimmte Anzahl von Kanonikaten
mit der Universität verband, eines-
teils mit einem Kanonikat die Pflicht
der Vorlesungen vereinigte oder an-
derseits ein Kanonikat von allen oder
einigen geistlichen Pflichten dispen-
sierte. Erst allmählich erlangte die
Landesobrigkeit Einfluss auf die Be-
setzung der Lehrstellen durch Grün-
dung besonderer Professuren; seit
dem 15. Jahrhundert besetzte die
Obrigkeit die Lehrerstellen der oben.
Fakultäten von sich aus. Die An-
zahl der Lehrer der Artistenfakultät
hing von der Frequenz der Anstalt
ab und erst im 16. Jahrhundert waren
auch hier überall eine bestimmte An-
zahl von Stellen festgesetzt
Die Artistenfakultät war die Vor-
bereitungsanstalt für die obern Fa-
kultäten, die philosophischen Pro-
fessoren waren Studenten in den
andern Fakultäten. An Rang und
' Recht standen die Artisten an der
letzten Stelle. Vorhandene ältere
Stadtschulen wurden oft in die Uni-
versität einverleibt. Der unterste
Kurs der Artisten hiess manchmal
paedagofftunt ; das Alter der Sehüler
ging oft nicht über 12 Jahre hinaus.
Schulen, die sich die Vorbereitung
zur Universität zur Aufgabe mach-
ten, gab es im Mittelalter nicht; erst
seit dem 16. Jahrhundert beginnen
die Gymnasien. Grössere Stadt-
sehulen lehrten unter Umstanden
1 den gleichen Stoff wie die
schulen, wenigstens in ihrem
Kurs, dem sogen. Trivium.
Inder aussei n Lel>ensordnitHff sii
tlie Universitätsglieder ursprünglich
den Angehörigen der Kirche nach-
gebildet. Die Gesamtheit der Mit-
glieder der Wiener Universität heisst
clerus unirersitafis, die Uuiversitats-
feste sind kirchlicher Natur. Die
Artistenfakultät feierte besonder»
den Tag der hl. Katharina. Auch
die Kleidung war die geistliche:
lauger Rock von einfarbig dunklem
Zeuge, für die Scholaren mit Kapuze
und Gürtel, für den Magister mit
Barett. Studeutenkrawalle richteten
sich u. a. gegen das Tragen des
Gürtels. Die Dozenten standen unter
dem Cölibat ; von der weltliehen
Obrigkeit der Schule wartl bloss der
Rektor zum Cölibat verpflichtet.
Mediziner brachen wohl zuerst diese
alte Sitte, dann Juristen und Ar-
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Universitäten.
1 035
tisten. am Schluss des 15. Jahrhun-
derts war ein verheirateter Magister
keine Seltenheit mehr.
Im Hause des Kollegiums, in
welchem auch die Räume für die
Vorlesungen und Universitätsakte
und Wohnungen für Scholaren sich
befanden, wohnten die Magister klö-
sterlich zusammen. Jeder hatte seine
Stube, die Mahlzeiten waren gemein-
sam. Jeder Magister hat einen Scho-
laren als Bedienten,/rt/»«/i/Ä, serrifor.
Heizbar sind die Gemächer der Scho-
laren regelmässig nicht. Die Mahl-
zeit pflegte überaus einfach zu sein,
im grossen Kollegium in Leipzig gab
es 13 mal im Jahr ein Extragericht
nebst Wein und Früchten. Daher
freute man sich so sehr auf die Fest-
sehmäuse.
Ihre Unterkunft fanden die Stu-
denten entweder mietsweise in den
Kollegien, wo sonst die Magister
wohnten, oder in besondern Stif-
tungshäusern; auch Privatunterneh-
mutigen einzelner Magister werden
erwärmt. Ein solcher Konvikt hiess
hursa, von dem wöchentlichen Bei-
trag (bur§a — Börse), den die ein-
zelnen Mitglieder, eombursafes,
bursaleg, domicelli, socii , leisteten.
Der Magister, der Unternehmer oder
Vorsteher war, hiess conrentor, Ver-
miether, auch rector bursae, regen*
bursam, daher die Burse auch re-
(fentia. Ausserhalb der Kollegien
oder der approbierten Bursen zu
wohnen, war überall verboten ; Aus-
nahmen kamen bei vornehmen Per-
sonen, armen Leuten in dienender
Stellung und Ortsangehörigen vor.
Die Zahl der Bursenbewohner war
oft eine beschränkte, 8, 10 oder 12
Mitglieder. Die Mitglieder der Burse
bildeten die Lehrlingschaft des
Meisters, sie hörten seine Vorlesun-
gen, nahmen an den Disputations-
Übungen Anteil , die regelmässig
nach dem Abendessen , oft auch
nach dem Mittagessen stattfanden.
Daneben hielten sie die öffentlichen
Vorlesungen in den Lektorien der
Kollegienhäuser. Die Rcpetitions-
kurse in den Bursen hicssen resnmp-
tiones und waren £egeu Ende des
15. Jahrhunderts meist obligatorisch.
Der Rektor kontrollierte den Besuch
der Vorlesungen und die Akte der
Fakultät, war auch verpflichtet, die
Studenten ad latinisandutn anzu-
halten und Übertretungen durch
theutonisare, deutsch reden, zu stra-
fen. Heimlich aufgestellte Auf-
f)asscr, lujn, aus der Mitte der Scho-
aren notierten die Fehlbaren. Ging
der Magister öffentlich aus , zur
Kirche, zu den Fakultätsakten, spa-
zieren oder ins Bad, so begleitete
ihn die Lehrlingschaft. Die einzel-
nen Kammern der Bursenmitglieder,
unheizbar, hiessen camerae, cellae,
commoda, die heizbare Speise- und
Schulst übe stuba com in u n itatis.aestua-
rium. Habsucht keilte oft in eine
einzige Kammer bis 12 Scholaren.
Der Tisch wurde aus den Bei-
trägen der Bursenmitglieder be-
stritten, Koch war entweder der
famulus oder die Bursalen selber in
bestimmter Abwechslung.
Das mittlere Alter der Scholaren
beim Anfang ihrer Studien war das
15. oder 16. Lebensjahr, doch kom-
men auch jüngere Scholaren vor.
Mittel des Unterrichts waren
Vorlesungen und Disputationen nach
Inhalt undMethode der Scholastik,die
letztern namentlich mit der Kunst
einer absichtlich unredlichen Sophi-
stik ausgebildet und oft so heftig
und erbittert geführt, dass z. B. an
der Sarbonne in Paris der Platz
des Opponenten von dem des Re-
spondenten durch eine Bretterwand
geschieden war, damit die Dispu-
tierenden sich nicht in die Haare
fahren könnten.
Infolge der Reformation änderte
sich der Charakter der Universi-
täten in mancher Beziehung, im
ganzen aber hat sich kaum ein
mittelalterliches Institut so zäh gegen
die Formen neuer Bildung und neuer
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1036
Unzucht.
Lebensanschauungen erwiesen, wie
die hohen Schulen.
An Stelle der kirchlichen Obrig-
keit trat in den protestantischen
Ländern der Landesherr oder die
Landesobrigkeit; Bestätigung gab
der Kaiser, die Auflösung aer ßursen
und Kollegieu machte selbständige
Vorbereitungsanstalten notwendig,
Gymnasien u. dgl., wodurch der
bisherigen Artistenfakultät der Char
rakter einer Vorbereitungsschule ge-
nommen und sie zur selbständigen
philosophischen Fakultät heranwuchs.
JSTeustiftungen sind Marburg 1527,
Königsberg 1544, Dillingen 1554,
Jena 1558, Helmstadt 1575, Altorf
1578, Würzburg 1582, Grätz 1585,
Paderborn 1592 , Giessen 1607,
Rinteln 1621, Strassburg 1621, Salz-
burg 1G23, Münster 1631, Osnabrück
1632, Duisburg 1655, Kiel 1665,
Innsbruck 1672, Halle 1694, Bres-
lau 1702, Fulda 1734, Göttingen
1734, Erlangen 1743, Stuttgart 1775,
Landshut 1K02. Dem Geiste der
nachreformatorischen Bildung ge-
mäss machte der lebendige, geistige
Aufschwung der Reformationszeit
einem ängstlichen, breiten und geist-
losen Schematismus Platz, dem
namentlich die Reinheit der Lehre
und die Abweisung neuer Lehren
am Herzen lag. Die Vorlesungen
wurden nur in lateinischer Sprache
gehalten, bis Christian Thomasius
der Erste wurde, der deutsche Vor-
lesungen einrichtete. Die Teilnahme
der Studierenden an der Leitung
der Universitäten hörte auf, die per-
sönliche Leitung der Studierenden
durch die Lehrer trat ebenfalls zu-
rück, so dass es möglich war, dass
sich namentlich seit dem 30 jahrigen
Krieg ein rohes Studentenwesen aus-
bildete, dessen hässlichster Auswuchs
der Pennalismus war , eine rohe
burschikose Vergcwaltung der ältern
Studenten oder Schönsten, d. h. der-
jenigen, welche die andern Schoren,
gegen die angehenden Mitschüler.
Damals kamen die studentischen
ien XeoristijJ'u/peculae, Füchte,
#*, Blinde, Vitult, Mutterk&lber,
Namen
Caeci,
Säuglinge, Innocentes , Unschuldige,
Imperfecti , Galli domestici, Haus-
hähne, Duminasfri, Rappsehnabel.,
Bacchanten auf. Diese Jüngern muß-
ten nun den Altern die niedrigsten
Dienste leisten und sich gleichsam
zur Wehrhaftmachung nach Ablauf
eines Jahres der Depositum oder
Enttölpelung unterziehen , einer
lächerlichen, zum Teil schmerzlichen
Zeremonie mit einer Menge sym-
bolischer Handlungen. Zu derselben
Zeit kam unter den Studenten das
Üuell auf, ebenso die Land^manu-
sch äffen oder l'erbindunqea , die
Stuaentenlieder und eine Litterstur
kleiner Büchlein, worin sich ein
lustiger, oft auch schmutziger Hui -
jeder Art geltend machte. Die gei-
stige Erneuerung der deutschen
Universitäten beginnt mit wenigen
Ausnahmen erst im 18. Jahrhundert
Paulsen, die Gründung der deut-
schen Universitäten im Mittelalter,
in Sybels historischer Zeitschrift 1881.
Vgl. Zu rucke, zur Geschichte der
deutschen Universitäten; I%u/nci\
Vorgeschichte des Rationalismus ;
A'. v. Raumer, Geschichte der Pä-
dagogik. Bd. 4.
I nzneht. Eheliche Keuschheit
galt dem Römer als ein Hauptmerk-
mal germanischer Sitte. „Die Ehe,
sagt Tarifus Germ. 18 und 19, wird
bei den Germanen streng gehalten,
und wohl in keinem Stücke haben
die Germanen mehr Anspruch auf
Hochachtung; denn von allen Har-
barenvölkem sind sie fast die ein-
zigen, welche sich mit einem Weibe
begnügen. Sehr wenige machen
davon eine Ausnahme und zwar
nicht von Sinnlichkeit geleitet, son-
dern weil sie ihres Ansehens wegen
mit mehreren Anträgen angegangen
werden. Die Frauen fuhren ihr
Leben in den Schranken keuscher
Sittlichkeit , frei von den Ver-
lockungen üppiger Schauspiele, un-
berührt von dem Sinnentaumel sitten-
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Unzucht.
1037
loser Gelage. Von geheimen Liebes- , Kinder der Kebsen erbten bloss von
briefeu weiss weder Mann noch der Mutter und gehörten nicht zur
Frau; Ehebruch kommt bei dem so Sippe des Vaters, waren also, wo
zahlreichen Volke sehr selten vor, der Vater Fürst war , von der
und die Strafe, welche der ßestim- Thronfolge ausgeschlossen, wenn
mung des Gatten überlassen bleibt, nicht besondere Umstände und per-
folgt ihm auf dem Fusse nach. Für söuliche Vorzüge ihren Stand ver-
vcrlorcne Keuschheit gibt es keine deckten. Oft erhielten uneheliche
Gnade; weder Schönheit noch Ju- Fürstensöhne hohe geistliche Stellen,
gfnd noch Reichtum werden ihr je Öffentliche Weiber sind dagegen
einen Gatten zuführen. Denn cla den Deutschen erst durch die uu-
ist niemand , der über das Laster tergehende römische Welt zugekom-
scherzte , niemand, der verführen men; doch zeigt schon die Fülle
und verführtwerden den Lauf der der ihnen angehörenden Namen,
Welt nennte. Gewiss steht es mit wie diese Menschenklasse auch in
einem Staate, wo nur Jungfrauen Deutschland um sich griff; mittei-
sich vermählen, und wo die Gattin hochdeutsche Namen sind z. B. ge-
mit ihrer Hoffnung und ihrem Ge- meine f rotten fröutre/in oder ttijj;
lübde ihr Leben für immer he- 1 armiu valschiu boesiu ttip. varende
stimmt, besser als mit dem unsern. frouicen,veilfrovtren; irrii<,strachiu,
Einen Gatten erhält das Weib, wie 'üheliu ttijj, wandelbare vroutten, mi-
nt nur einen Körper und nur ein ttip, üppige frvmren , teil diu irip,
Leben empfing, und kein Gedanke, gihterin , hübsche rinne , knaberin,
kein Gelüst soll diese Schranken lennelin. Zwar für die Blütezeit
übertreten, sie soll in ihrem Garten des Rittertums wird man annehmen
nicht den Mann, sondern die Ehe müssen, dass der ideale Zug der
lieben." Schon Tacitus erwähnt an Zeit, die hohe Stellung, die natnent-
dieser Stelle der, politischer Rück- lieh die deutschen Ritter dem Weibe
sichten we^en, vorkommenden Viel- einräumten, die zerstörende Macht
veiberei; dieselbe, ohne Zweifel aus der gemeinen Buhlerei beschränkt
frühem rohen Zuständen überkom- i habe; der Geist der höfischen Dich-
men, war im Geschlechte der Mero- tungen Walthers. Hartmanns, Wolf-
vinger gewöhnlich; bei den Nord- rams legt dafür Zeugnis ab. Ander-
Sjermanen dauerte sie noch lange seits lag es in der Natur der romanti-
Ort und war z. B. in Schweden schenFrauenverheiTlicuung,dassdie-
im 11. Jahrhundert allgemein ver- selbe geradezu einem natürlich der-
breitet. Auch Konkubinat war den beren Verhältnis der geschlecht-
Oermanen nicht fremd; die Kebse, liehen Verbindungen zu rufen geeig-
mhd. kebese, kebeswib, friundinne, net war; dann war der Ritter, seiner
gelle , zuoteip , btsläfe, bislaeferinne, Lebensart zufolge, die ihn hauptsäch-
Mfirip, sUffrouxte, war dem Manne lieh körperlich entwickeln Hess, durch
nicht vermählt, lebte aber in dauern- Jagd, Spiel, Kampf, Reisen, mit
der Verbindung mit ihm. Ursprüng- einer Leibeskraft ausgestattet, die
lieh scheinen es unfreie Weiber ge- j gewiss gern über die Schranken
wesen zu sein , die in diesen Stand des Gesetzes hinauslaufe, und end-
eintraten; doch war da* Verhältnis lieh war die kosmopolitische Welt-
während des ganzen Mittelalters bildung des Ritters und seine Ab-
von den Vornehmen gepflegt, ohne hängigkeit von der Denk- und Han-
dass die öffentliche Meinung beson- delsweise des französischen Ritter-
deres Ärgernis daran nahm; so hat- tums einer gesellschaftlichen Prü-
ten Karl d. Gr. und Ludwig der derie nicht zugethan, wie man zum
Fromme ihre Beischläferinnen. Die Teil wieder aus den Dichtungen
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Urbarbücher.
der genannten besten höfischen
Dichter erkennen kann. Als dann
aber bald nach dem ersten Viertel
des 18. Jahrhunderts der ideale
Sinn der ritterlichen Gesellschaft
schnell erblasste und eine allge-
meine Autlösung der gesellschaft-
lichen Pflichten und Rücksichten
eintrat, da verwilderte namentlich
auch das Verhältnis des Mannes
zum Weibe in auffallendem Grade.
Zeugnis davon gibt schon Gottfried
von Strassburg, ebenso Nithart von
Riuwental und die andern höfischen
Dorfdichter, noch mehr aber die
zahlreichen Novellen und Erzäh-
lungen, unter denen nach dieser
Seite hin namentlich Von der Ha-
gens Gesamtabeuteuer sich aus-
zeichnen. Dabei ist jedoch zu be-
rücksichtigen, dass die Ansieht des
Mittelalters von Sitte und Sittlich-
keit überhaupt eine laxere war und
die öffentliche Meinung vieles ohne
weiteres gestattete, was spater als
strafwürdig oder schlecht galt; der
Verkehr mit feilen Weibern brachte
den Männern des ausgehenden
Mittelalters keinen Makel. So liest
man denn, dass den französischen
Kreuzheeren ganze Sehaaren von
Dirnen folgten, im Jahre llbO z. B.
1500 miteinander. Am französischen
und englischen Hofe gab es einen
besondern Marschall zur Beaufsich-
tigung jener Personen. Auch in
Deutschland zogen den Söldner-
truppen und Landsknechten ganze
Schaaren gemeiner Weiber nach,
die einem eigenen Amtmann unter-
worfen waren und demselben eine
wöchentliche Abgabe zahlten. In
Magdeburg setzte 1279 ein Bürger
bei einem von ihm veranstalteten
Turnier ein Mädchen als Sieges-
preis aus: der Kaufmann von Gos-
lar, der es gewann, stattete es aus
und brachte es zu einem tugend-
haften Wandel zurück. Am Konzil
zu Konstanz wurden 1 500 Freuden-
mädchen gezählt. Solche waren es
auch, die dem einziehenden Herr-
scher auf Veranstaltung der Obrig-
keiten Kränze und Blumen zu üb« r-
reichen pflegten. Von den kleinen
und grossen Höfen verbreitete ach
diese Unzucht in die Kreise der
städtischen Bevölkerungen , wo die
Frauenhäuser , siehe den besondera
Artikel, zu den notwendigen städti-
schen Anstalten und Stiftungen
zählten. Um das Bild dieser Hett
des sozialen Lebens zu vervollst»'.-
digen. ist noch des Verhaltens ti r-i
Geistlichkeit zu erwähnen. Klurtu
über Unzucht des geistlichen Sud
des beginnen schon in den ersteD
Jahrhunderten des Mittelalters und
bilden bis zur Reformation eine un-
unterbrochene Kette, deren Zeug-
nisse und Urkunden unzählbar sind:
sie liegen vor in Ratsprotokollen
Zeitbüchern, Verordnungen und na-
mentlich auch in den Pastnachtspie-
len, Fazetien und Novellen des 14
und 15. Jahrhunderts, deren Inhalt
zum allergrössten Teile die Verfüh-
rung einer Frau durch einen lieder-
lichen Pfaffen ist „Man duldete die
Sünde der Hurerei, als eine nicht m
beseitigende menschliche Schwäche,
um dercnwillen der Betreffende sich,
vermittelst der kirchlichen Gnadeu-
inittel, lediglich mit Gott und sei-
nem Gewissen abzufinden habe."
Auf diesem Gebiete hat jder Gei>t
des Humanismus keine Änderung
vielleicht eher eine Verschlimmern!!?
hervorgebracht; denn nie war die
Unzucht auf einen hohem Grad ge-
stiegen, als am Ende des 15. und
am Anfang des 16. Jahrhundert*,
und es bedurfte der gründlichste»
Massregeln von Seite der protesta»
tischen übrigkeiten, um hier ei'*
nur langsam wirkende Umkehr zu er-
reichen. Weinhold, deutsche Franc«,
II., Abschnitt 7 und 8. 8ck*l&
höfisches Leben, I., Kap. 7; Kritik.
deutsches Bürgertum, II, Abschnitt
12 bis 15. Burckhardt, Renaissan« <?.
Abschnitt V.
rrbarbttcher, von mhd. urisry
urhor = zinstragendes Grundstück.
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Uhrfeh«l»v — Vaganten.
1039
Zinsent, Zins von einem solchen,
welches zum mhd. Verb erbern =
ertragen gehört, sind Verzeichnisse
der Besitzungen, Lehen, grundherr-
lichen Abgaben und Pflichten. Sie
kommen Dei geistlichen Stiftern
wie bei weltlichen Herrschaften seit
dem 12. Jahrhundert vor; bekannt
ist z. B. das von Pfeiffer heraus-
gegebene habsburgtsch- österreichi-
sche Urbarbuch , welches die habs-
burgischen Besitzungen im Elsass,
in Schwaben und der Schweiz 1304
-1311 enthalt.
I rfehde, mhd. urvehe und ur-
rthede, ist ein eidlich gelobter Ver-
zicht auf Rache für erlittene Feind-
schaft; eine Urfehde wurde von
Gerichtswesen der freigesprochenen
Angeklagten zu dem Zwecke aufge-
bunden, damit er an seinem Anklä-
ger keine Rache übe. Als die Tor-
tur aufkam, mussten häufig un-
schuldig befundene Torquierte dem
Gerichte selbst eine Urfehde schwö-
ren, dass sie sich wegen der Marter
nicht rächen wollten. Endlich nann-
te man Urfehde auch den Eid, wel-
chen ein aus einem Gerichtsbezirke
Verbannter dahin schwören musste,
dass er während der Dauer der
Verbannung ohne Erlaubnis des
Rates weder zurückkehren , noch
sich wegen dieser Strafe und der
überstandenen Gefangenschaft rä-
chen wolle.
Ursulinerinnen heisst eine zu
Ehren der hl. Ursula 1537 durch
die hl. Angela Merici (1470—1540)
in Brescia gestiftete Frauen-Schwe-
sterschaft zum Zwecke des Jugend-
unterrichtes und der Krankenpflege.
Zur Verbreitung des Ordens trug na-
mentlich der Kardinal Borromeo bei.
V.
Vaganten, clerici vayantes, ragt, in Berührung; in Frankreich zogen
Mnd Geistliche, die eines ständigen ganze Scharen von Scholaren durch
Kirchen amtes als Quelle ihres Le- die Lande, auch deutsche Genossen
bensuuterhaltes eutbehren und des- mit sich führend, und da die Zeit
halb unstät herumziehen. Schon dem Gesänge überaus günstig und
im 4. und 5. Jahrhundert werden diese Leute als Kleriker des Latei-
Kirchengesetze gegen das unordent- nischen kundig waren, entstand
liehe Treiben solcher Kleriker er- unter ihnen in Nachahmung der
lassen, ineist ohne nachhaltigen Er- ritterlich - höfischen Sänger eine
folg. Besonders zahlreiche Klagen höchst charakteristische , originelle
werden im karolingischen Zeitalter lateinische Vaganten-Lyrik, nament-
laut, und Karl d. Gr. erneuerte in i lieh Liebes-, Wein- und Spiellieder,
mehreren Kapitularien die altkirch- Sprüche satirisch - persönlicher Art
liehen Verbote der ordinatio vaga. \ u. dgl. Die bedeutendste Samm-
Ein kirchlicher Schriftsteller des hing derselben sind die sog. Carmi-
12. Jahrhunderts erklärt die Va- j na burana , siehe den bes. Artikel;
ganten , weil sie weder rechte Kle- der begabteste Dichter dieser Volks-
riker, noch Laien seien, für eine k lasse war H'alther der Erzpoet%
Art Hippocentauren und für eine Are hivoeta . der mehrere Jahre in
Synagoge Satans. In eben dem- der Umgebung des Erzbischofs
>elben Jahrhundert gerieten nun Reinhold von Köln, des Kanzlers
diese Vaganten mit den Spielleuten Barbarossas, lebte; er ist der Dich-
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1040
Vallombrosa. — Vasall.
ter von Mihi est prooositum 'in ta- \
herna muri. Seine Dichtungen hat
J. Grimm veröffentlicht unter dem
Titel: Gedichte des Mittelalters auf
Friedrich I. Berlin 1854. Später
vereinigten sich die Vaganten mit
den fahrenden Schülern.
Vallombrosa, Orden von, ist
eine der zahlreichen Ordens-Neu-
gnindungen des 11. Jahrhunderts.
Der Gründer, Johannes Gualfterf,
Herr von l'istoja, soll der Ordens-
legende zufolge von seinem Vater
zur Verfolgung eines Mörders von
einem seiner v et wandten ausgesen-
det worden sein; an einem Char-
freitage findet er den Mörder in
einem Hohlwege, verzeiht ihm aber,
da ihn jener bei der Liebe des ge-
kreuzigten Jesu um Gnade bittet.
Dafür nickt ihm das in der näch-
sten Kirche befindliche Kruzifix,
vor dem er betete, dankend zu, und
Gualbert fasst den Entschluss, sich
der Kirche und dem Dienst Gottes
zu weihen. Er wird zunächst
Mönch eines schon bestehenden
Klosters, dann 1039 Einsiedler in
Yallis umbrosa in den Appenninen
unweit Florenz, wo er nun andere
Genossen um sich sammelt, welche
die strengste Erfüllung der Regel
Benedikts geloben, namentlich in
betreff der Klausur, des Stillschwei-
gens und der andächtigen Betrach-
tung des Lebens und Sterbens
Jesu. Gualbert starb 1093. Das Or-
denskleid war grau, daher man die
Ordenslcute auch graue Mönche
nannte; seit 1500 nahmen sie je-
doch braune Ordenstracht an. Der
Orden war nie besonders verbreitet.
Vasall, mittelalt. vassus und va-
satlus, ein wahrscheinlich aas dem
Keltischen zu den Franken gewan-
dertes Wort, das anfangs den un-
freien Diener bedeutete , bezeichnet
ursprünglich denjenigen, der in den
Schutz, in das Mundium eines an-
dern aufgenommen ist; der Eintritt
in ein solches Sehutzverhältnis trägt
den Namen Kommendation. Schon
in der merovingischen Zeit hatte
dieselbe besonders gegenüber dem
König einen sehr weiten Umfang,
indem ganze Klassen der Bevölkerung
einen Anspruch auf den Königsschutz
hatten, namentlich Witwen und Wai-
sen. Auch ausdrücklich wird er hau
fig erteilt : Geistlichen bloss für ihre
Person oder zugleich für ihre Kirche.
Kaufleuten, Juden, Frauen. Kom
mendation tritt auch regelmässig bei
den jungen Männern ein, die an den
Hof den Königs gebracht werden,
um sich hier zum Dienste vorzube-
reiten oder in ein bestimmtes Hof-
amt einzutreten. Doch beschränkt-
sieh dieses Verhältnis nicht auf den
König; auch Grafen, Bischöfe, geist
liehe Stifter konnten einen ähnlichen
Schutz erteilen. Alle nun. die sich
kommandiert haben, mag es ein
niederer Landbesitzer einem Stif:
oder einem anderen Herrn gegen
über, ein vornehmer Weltlicher aVn.
König gegenüber sein, tragen den
Namen rassus oder vasatius, seit
der Karolinger Zeit auch gasind**,
homo, derjenige aber, der den Schtm
gibt, heisst dominus oder senior.
Mit der Zeit unterschied man
von den Schutzverhältnissen über
haupt als eine besondere Art der
selben die VasaUilät, und zwar er-
folgte die Kommendation. welch»
die VasallitÄt begründete, durch
einen bestimmten, svmbolischen Akt.
in der Weise, dass'der Vasall seine
Hände zusammengefaltet in die de*
Schutzherrn legte; nach der Hand-
reichung erfolgte regelmässig ein
besonderes Treurersprechen.
In der karolingischen Periode
zeigt sich noch eine grosse Ver
schiedenheit in den Verhältnis^
der Vasallen. Zwar dem Stand»
nach sind es regelmässig Freie: da-
gegen ist der Unterschied zwischen
den Vasallen des Königs und den-
jenigen anderer Herren ein grosser.
Manche Vasallen leben als Aufsehe
über die Dienerschaft oder über di?
Ökonomie im Hause des Herrn.
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Vitae patrum. — Vitalienbrüder.
1041
andere haben Land vom Herrn em-
pfangen, oft hat der Vasall wieder
andere Vasallen unter sich. König-
liche Vasallen werden für staatliche
Angelegenheiten in Anspruch ge-
nommen, als Köni^sboten, Heer-
fuhrer, Beamte. Die grosse Zahl
der königlichen Vasallen und die
noch grössere derjenigen, die zu
geistlichen Stiftern und zu weltlichen
Grossen im Verhältnis der VasaUität
stehen, hängt zum grossen Teil da-
mit zusammen, dass sich der Grund-
satz feststellte, alle die, welche
Beneßcium empfingen, hätten sich
dem Verleiher zu kommendieren,
sich in die VasaUität zu begeben.
Freilich war das nicht bei jeder
I^andverleihung der Fall, z. B. da
nicht, wo der Schenker sein Gut
zum Niessbrauch wieder erhielt, und
überhaupt nicht in bäuerlichen Ver-
hältnissen; durch Empfang von Be-
nefizien verschiedener Herren konnte
einer Vasall mehrerer Herren wer-
ben. Das Verhältnis der VasaUität
war von beiden Seiten lösbar und
erlosch jedenfalls mit dem Tode,
konnte aber natürlich von den Söh-
nen erneuert werden. Die Verpflich-
tungen der VasaUität waren gegen-
seitige, und der Herr war dem Va-
sallen Schutz zu leisten verpflichtet;
unterliess er es, so konnte inn dieser
verlassen. Auch eine gewisse Ge-
richtsbarkeit steht dem Herrn über
seine Vasallen zu, und namentlich
konnten die Sachen der Vasallen
vor das königliche Gericht gebracht
werden. Eine besondere Anwendung
wurde diesem Verhältnis schon vor
Karl d. Gr. dadurch gegeben, dass
man, um die im Frankenreich auf-
gekommenen mächtigen territorialen
Gewalten wieder zu unterwerfen,
die Inhaber derselben zur vasalli ti-
schen Huldigung anhielt. Ebenso
mussten unter Karl d. Gr. und sei-
nen Nachfolgern fremde Fürsten,
die sich dem fränkischen Könige
unterwarfen, die Huldigung leisten,
was ausdrücklich bei sarazenischen,
Reallexlcon der deutschen Altertümer.
britischen, slawischen und dänischen
erwähnt wird.
Seine spätere engere Bedeutung
I erhielt nun die VasaUität erst, seit-
dem die vasallitisehe Huldigung mit
1 der Ausbildung des Lehenwesens
ein wesentliches und charakteristi-
sches Erfordernis des Lehenempfangs
wurde. Lehnsmann und Vasall wird
jetzt gleichbedeutend, Lehn- oder
FeudaTrecht ist zugleich Recht der
VasaUität, und da der Hauptzweck
der Belehnung die Verpflichtung zu
kriegerischen Leistungen ist, so
nimmt der Begriff Vasall nunmehr
auch diese Richtung. Daher kom-
men jetzt auch vasallus, vir, homo.
mifes nebeneinander und in gleicher
Anwendung vor. Vgl. den Art.
L^hnswesen. Nach Waitz, Verfas-
sungsgeschichte.
Vitae patrum, auch Hhtoria
eremitica genannt, ist eine von Ru-
finus im 4. Jahrhundert verfasste
Sammlung von Lebensgeschichten
ägyptischer Mönche, geschrieben „in
Erinnerung an des Rufinus Reise
nach Ägypten und das viele Wun-
derbare, das ihm Gott dort zum
Heile seiner Seele zeigte, und zwar
auf den öfters ausgesprochenen
Wunsch der Mönche des Olberges."
Das Buch sollte für das Mönchs-
leben Propaganda machen; es wirkte
stark auf die Phantasie des mittel-
alterlichen Lebens, war weit ver-
breitet und wurde bis ins 17. Jahr-
hundert öfters gedruckt und in ver-
schiedene neuere Sprachen übersetzt.
Eine mittelhochdeutsche Bearbei-
tung, der veter kuoch, ist im Artikel
Legende erwähnt.
Vitalienbrttder heissen See-
räuberbanden, welche vom letzten
Viertel des 14. Jahrhunderts an
fünf Jahrzehnte hindurch die nor-
dischen Meere und Küsten beun-
ruhigten. Hervorgegangen aus dem
älteren Seeräubertum dieser Gegen-
den, nahmen die Vitalienbrüder da-
durch ihren Anfang, dass nach der
Besiegung und Gefangennahme des
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1042
Vogt.
Königs Albrecht von Schweden vertritt und in bezug auf sie alle
durch die Königin Margarete von diejenigen Befugnisse übt, welche
Dänemark die Verwandten des kraft der Immunität den königlichen
Schwedenkölligs, nämlich die Her- Beamten entzogen sein sollten. Ihm
zöge von Mecklenburg im Verein la^ zugleich die Pflicht ob. das
mit den Städten Rostock und VVis- Stift zu schützen, seinem geistlichen
mar, Freibeuter gegen die drei nor- Vorsteher den Beistand zu leisten,
dischen Reiche aufriefen, die na- ' dessen derselbe bedürftig wäre ; doch
mentlich auch den Auftrag hatten, ist der Xame Schirmrogt, der sich
das dem Köuige treu gebliebene auf diese letztere Funktion bezieht,
Stockholm mit \ iktualien, überhaupt im Mittelhochdeutschen noch un-
mit Zufuhr zu versorgen; daher der bekannt. Karl d. Gr. hatte die
Name Vitatieubriider, den sie sich Funktionen des Vogtes gesetzlich
selber beilegten, um unter diesem geregelt und namentlich festgestellt,
ehrenhaften Namen ihr übriges un- dass ein Stift oder Kloster in jeder
ehrenhaftes Gewerbe zu verdecken. Grafschaft einen Vogt haben solle.
Auch Liekendeler, d. h. Gleichteiler, wo es Güter besass, und dass nicht
Gleichbeuter hiessen sie, weil sie der Graf oder Centenar, sondern
den gemachten Kaub oder den da- stets ein in der Grafschaft he-
raus gelosten Gewinn stets zu glei- güterter Mann zum Vogte genommen
eben Teilen unter die Genosseu werden solle. In der karoliiigischeu
einer Rotte .oder Horde zu verteilen Zeit wurde derselbe noch unter
pflegten. Über die Disziplin oder Mitwirkung des Königs und seiner
innere Verfassung dieser Raubge- Beamten eingesetzt, später gilt e>
nossenschaften ist wenig bekannt, als Recht des Bischofs oder Abteis
Nachdem sie einige glückliche Er- den Vogt selber zu wählen. Grün-
folge gegen die Schweden und Da- der neuer Klöster oder Kirchen
neu gehabt uud 1394 die Insel pflegten sich und meist auch ihrer
Gotland erobert, ratften sich end- Nachkommenschaft die Vogtei ver-
lieh der deutsche Orden, die Königin zubehalten. Obgleich sich der Pape-r
von Dänemark, Hamburg und Lü- ausdrücklich dagegen erklärte, wm le
beck gemeinsam gegen sie auf. Ein die Vogtei nicht bloss in dein zu-
Teil der Vitalienbrüder kehrte nach letzt gekannten Falle meist wie
der Heimat zurück, die grössere andere Amter des Mittelalters erh-
Zahl fand bei den friesischen Häupt- lieh, es kam vor, dass der ei^t-nf
lingen Unterkunft, von wo aus sie liehe Vogt Stellvertreter setzte, die
neuerdings viel Unheil anrichteten, an seiner Statt die Befugnisse übten.
Die Hamburger schlugen sie end- Vizeröqte, l'nterrögte, zweite
lieh 1402 entscheidend bei Helgo- drifte Vögte, ein Verhältnis, das die
land und brachten die Anführer Stiftungen gern zu verhindern such-
Klaus Störtebeker und Wigman vom ten. Grössere Stifter hatten mit
Leben zum Tode. Im Jahre 1439 Rücksicht auf die Lage der Güter
brannten die Vitalienbrüder Bergen regelmässig mehrere Vogte, maneh-
nieder; doch verschwindet seituem mal auch für einzelne Distrikte,
ihr Name. J. Voigt in Räumern Orte und Güter einen besonderen
historischem Taschenbuch. 1841. Vogt; doch wird im Laufe der Zeit
Vogt, mhd. roget, rot/t, roit, aus immer allgemeiner einer als der
mittellat. vocatm für adrocatu* , ist eigentliche und wahre Vofljt be-
in erster Linie der Name desjenigen zeichnet Unter den Karolingern
Beamten, der die einem Stifte mit war ausdrücklich bestimmt worden,
der Immunität gegebenen Rechte dass der Graf, den ja der Voet
handhabt, die Angehörigen des Stifts wesentlich zu vertreten hatte, nicht
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und sie schliesslich als eine Art
Herrschaft über die ihr Unterworfe-
nen ausübte, die dann wie Unter-
Vogt. 1043
selber Vogt sein könne; das änderte der Graf als Richter empfing. Auch
sich später so, dass fast regelmässig dieses Verhältnis führte oft den Miss-
eiii hönerer Beamter, der Graf oder brauch mit sich, dass sich der Vogt
der Herzog, in den Besitz der Vogtei ; als den Inhaber der Gerichtsbarkeit
über die zu seinem Amtsbezirk ge- betrachtete, dieselbe auf die Mit-
liörigen Stifter oder die hier bc- 1 glieder des Stiftes selber ausdehnte
legenen Güter anderer Stifter ge-
langte, ein Verhältnis, das jenen
weltlichen Gewalten die ihnen durch
•lie Immunität früher entrissenen i thanen eidlich verpflichtet wurden;
Güter und Rechte nur in anderer ' es kam vor, dass der Vogt einen
Form und meist bleibend wieder Abt sogar ernannte und investierte,
zubrachte. Namentlich die Klöster Übergriffe, denen die Stifter mit
-ind der Mehrzahl nach der Macht ( allen ihnen zu Gebote stehenden
ihrer Vögte mit der Zeit unterlegen. Mitteln zu wehren suchten; durch
Xar bei solchen Klöstern, die uu- königliehe Privilegien, Reehtsent-
mittelbar unter des Königs Schutz Scheidungen, Verträge wurden die
standen, blieb wohl dem König und Rechte der Vögte festgesetzt, bei
dein Reiche die Vogtei vorbehalten, neuen Verleihungen bestimmte Vor-
der er liess sie sich förmlich über- behalte gemacht, bei Neugründungen
tragen, um dann in der einen oder von vorne herein die Vogtei an Le-
andern Weise wieder über sie zu schränkende Bedingungen geknünft ;
verfügen, War aber der Vogt auch auch versuchte man es, die Erb-
vom Vorsteher des Stiftes selbst I lichkeit, ja auch die Lebenslanglich-
^rewalilt , eingesetzt wurde er von keit des Amtes zu durchbrechen,
'lern König, der ihm das Recht des oder man gab die Vogtei in die
königlichen Bannes zu erteilen hatte. 1 Hände von Minhtenalen, die sich
Mit der Zeit wurde die Vogtei alt immer in grösserer Abhängigkeit
I.thea hetraehtef, wodurch der Ein- vom Stifte befand«'n, oder überhaupt
fluss und die Gewalt, die der Vogt von solchen, welche wirkliche Be-
über das Kloster hatte, noch stärker amte waren und blieben, Meier oder
wurde. Sonst erhielten die Vögte Schultheisse, welche in diesem Fallt'
bloss bestimmte Güter zu Lehen, die dann auch Vogte hiessen. In man-
als Belohnung oder Besoldung für eben Fällen gelaug es, durch Ab-
ihr Amt angesehen wurden, Güter, lösung, Verzicht oder Schenkung des
die m auch mal einen ausserordent-
lichen Umfang erreichten.
Die Funktionen und Rechte des
Inhabers die Vogtei ganz zu besei-
tigen; der Cistereienser-Orden nahm
für seine Neugründungen das Recht
Vogtes wurden oft durch Verein- der Vogteifremeit in Anspruch,
barung oder urkundliche Festsetzung Ausser den geistlichen Stiftern
bestimmt. Nach diesen sollte er zu- kommen Vögte auch in andern, welt-
lichst der Vertreter des Stifts und liehen Verhältnissen vor. So gibt
seines Vorstehers sein; er voll- es könUjIiche Vögte, die es meist nur
zog Rechtsgeschäfte, Erwerbungen, mit der Vertretung des Königs in
Tausche u. dgl., führte die Rechts- einzelnen Rechtsfällen zu thun haben,
sachen. Innerhalb der Immunität Späterer Entstehung sind die Reichs -
ist der Vogt Richter über die ab- röqte als Vorsteher von Reichsro<i-
hängigen Leute des Stifts oder die, {fett», d.h. solcher Territorien, die
welche später der Gerichtsbarkeit bei der Auflösung des Reiches in
desselben unterworfen worden sind. Territorien geistliener oder weltlicher
Bussen und andere Gerichtsgefälle Herren dem Reiche übrig geblieben
erhält er in dem Umfange, wie sie waren, sei es, dass freie Keichsgüter
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1044
Volksbücher.
oder freie Grundeigentümer sich er- 1 ein liebliches Lesen u.dgl., was darauf
halten hatten, was besonders am deutet, dass es eben nicht die Kunst-
Rhein, in Schwaben, Franken, im form der Novelle oder des Romans
Rednitzgau, in Südthüringen der Fall war, was man darin suchte und fand
war; Reichsvoqf hiess der Vorsteher sondern der unterhaltende Inhalt
einer städtischen, Landvogt einer Derselbe entstammt den allerver-
läudlicheu Reichsvogtei ; aoch er- schiedensten Gebieten, dem Orient
hielten sich auch diese Vogteien nicht (sieben weise Meisterl, dem Mvthus
lange, teilten vielmehr das Schicksal (Genofeval, den höfischen Sagen
aller übrigen Landesteile Deutsch- kreisen der Franzosen (Karolrngi-
lands, einzelnen Territorien einver- scher Kreis, Artus, Tristan), dem
leibt zu werden. Wieder andere deutschen Sagenkreis (Hömener
sind Beamte weltlicher Fürstentümer Siegfried), dem Volkswitz (Eulen-
und landesherrlicher Territorien; es sniegel), wobei aber alles der naiv« n
sind Stellvertreter des Landesherm, Weise der Zeit gemäss in die An
die davon den Namen Landrogt tra- schauung, Lebens-, Denk- und Em
gen, und handhaben wie ehemals der pfindungsweise der Gegenwart ge^
Graf die hohe Gerichtsbarkeit. End- stellt ist, so zwar, dass sich oft unter
lieh haben auch die S/Vn/te regelmässig der meist unscheinbaren Hülle der
ihren Vogt gehabt; es ist Ursprung- 1 Begebenheit grosse Lebensweisheit,
lieh niemand anders als ein oder der tiefe Einsicht in das Wesen der
Vogt des Bischofs , auf dessen Ge- menschlichen Seele verbirgt : auch
biet die Stadt liegt und in dessen 1 die Erzählungsart erinnert an dk
Händen die gräfliche oder hohe Ge- I Plastik der Holzschnitte jener Zeh
richtsbarkeit liegt, dem Schultheiss Übrigens lässt sich der Begriff der
oder dem Nachfolger des Gentenars Volksbücher weiter oder enger fassen
gegenüber , dem die Ausübung der im engern Sinne gehören nur er-
niedernGerichtsbarkeitobliegt. Doch zählende Bücher dazu, im weitem
gibt es Städte, z. B. Köln, wo jener Sinne allerlei andere für das Volk
aen Namen Burggraf und dieser den bestimmte Schriften, Volkslieder
Namen Vogt trägt. Seitdem sich Sammlungen, Rätsel, Sprichwörter,
die Städte auf eigene Füsse stellten Traumbücher, kurz alles, was in
und die Gerichtsbarkeit von sich aus Buchform auf den Jahrmärkten au?-
an die Hand nahmen, blieb Vogt geboten wurde. Die Veranlasser
der Name für den Vorsteher des dieser Bücher mögen in den meisten
Rates, wenn dieser als hohes Ge- Fällen unternehmungslustige Bucb-
richt zusammentrat; später nannte drucker gewesen sein, manchmal
man ihn in den sog. Reichsstädten neunt sien Bearbeiter oder Über-
den Reichsrogt. TT 'aitz, Verf. Gesch. setzer, von dessen nähern Umstanden
VII, Abschn. 12, und Walter, Rechts- jedoch in der Regel nichts Nähere«
geschiente. bekannt ist. Die erste Sammlmu.
VolksbUcher heisst man, wie es einer Anzahl Volksbücher erschien
scheint, erst seit der Zeit der Roman- unter dem Namen Buch der JA*^
tiker, Novellen und Romane, welche zu Frankfurt 15T8 und 1587. Di*>
seit den letzten Jahrhunderten des einzelnen Bücher wurden, mit Hob
Mittelalters die beliebteste Lektüre, schnitten versehen, auf den Markte
anfangs mehr der adeligen, später der verkauft, zum Teil mit der L^nter-
volksmässigen Bevölkerung waren schrift „gedruckt in diesem .Jahr ,
und seit der Erfindung des Buch- verloren aber mit der Zeit viel an
drucks als Bücher weit verbreitet ihrem ursprünglichen Ausdruck. Die
wurden; sie nennen sich selber meist Romantiker wiesen zuerst auf diesen
eine Historie oder ein Buch oder von der gebildeten Welt ganzlich
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Volksbücher. 1045
verkannten und geringgeschätzten 6. Barbarossa .- ,,Ein wahrhafftige
Teil der alten Litteratur hin; na- History von dem Kayser Friedrich,
mentlich hat Tieek sich durch seine der erst seines Namens, mit einem
Neubearbeitungen und Görret durch langen roten Bart, den die Walsen
sein Werk : „Die teutschen Volks- nennten Barbarossa," Landshut und
bücher. Nähere Würdigung der Augsburg 1519. Das Büchlein be-
tonen Historien-, Wetter- und Arz- richtet, wie Barbarossa mit König
neybüchlein . welche teils innerer Philipp von Frankreich und Richard
Wert, teils Zufall, Jahrhunderte hin- von England Jerusalem erobert, wo-
durch bis auf unsere Zeit erhalten bei ein Herzog Eckhart von Bayern
hat," Heidelberg 1807, grosses Ver- zu Hilfe kommt, der seinen Bund-
dienst erworben. Die Volksbücher schuh als Banner aufsteckt; bei einem
nach den besten alten Texten neu Bade wird Barbarossa durch Verrat
bearbeitet zu haben , ist das Ver- des Papstes vom Sultan gefangen,
dienst Simrocks: Deutsrhe Volks- nach einem Jahr aber wieder ent-
bücher nach den echtesten Ausgaben lassen, worauf er nach Rom zieht,
hergestellt. Berlin und Frankfurt um sich an dem Pap^t zu rächen.
1839 ff. Das folgende Verzeichnis Es erfolgt aber Versöhnung und
beruht grösstenteds auf Goedeke's Tod des Kaisers.
Grundriss, § 105 und 173. 7. Der Jf ajf t um Kalenberg, eine
1 . Herze*! Ernst, gegen Ende des gereimte Schwänkcsammlung, die
15. Jahrhunderts aus dem ältern Ge- ein sonst unbekannter Philipp jrrank-
dicht prosaisch aufgelöst. Siehe hier furter gegen Ende des 14. Jahr-
wiebeiden meisten andern Nummern nunderte zu Wien gedichtet haben
den besonderen Artikel. soll, die aber erst seit dem Ende des
2. Wigalou, aus dem ältern Ge- 15. Jahrhundert nachzuweisen ist.
dichte des Wirnt von Grafenberg Erster Druck Frankfurt 1550.
1472 in Prosa aufgelöst und 141)3 8. Peter Leu, Fortsetzung des Ka-
in Augsburg zum ersten Mal ge- lenbergers, verfasst von Achilles Ja-
•Iruckt. \$on Wtdmann von Schwäbiseh-Hall,
3. Tristan, aus dem überarbeiteten zuerst Blockträger daselbst, später
Gedichte des Eilhart von Oberge, Pfaffe ; erster Druck Frankfurt ohne
des Vorgängers von Gottfried von Datum; Nürnberg 1560.
Strassburg, in Prosa aufgelöst: von 9. Eulenspiegel, Strassburg 1519.
der leut iceyen, die xolichar gereim- 10. Die sieheu weisen Meister,
ter bin her nit genadJtabent, hab ich erster datierter Druck Augsburg
ongenanter dise hystori in die form 1473.
nep rächt. Augsburg.. 149H. 11. S<thmon und Marcelf, Nürn-
4. Wilhelm von Österreich ; es ist , berg 1487, ging auch als lateinisches
dieses eine nur einmal (Augsburg Volksbuch um unter dem Titel: Cot-
14 6 1 gedruckte Prosaauflösung eines lationes quas dicuntur fecisse mutuo
Gedientes, dessen Verfasser Johann rex Solomon sapientissimus et Mar-
der Schreiber von Würzburg durch colphus facie deformis et turpissimus,
Nachahmung älterer Gediente das tarnen, uf fertur, eluquentissimus.
österreichische Fürstenhaus zu ver-^ 12. Gnseldis, „Diss ist ain epistel
herrlichen gedachte. ' Francisci Petrarch, von grosser stäti-
5. Die heiligen drei Koniqe, ur- ( keit ainer frowen Griselgehaissen,"
sprünglich von Johannes von Hildes- , Augsburg 1471.
heim, starb 1375, für Köln lateinisch 13. Appollonius , nach dem La-
bearbeitet, 135>9 deutsch übersetzt teinischen des Gottfried von Viterbo
und um 1480 zu Strassburg er- ( „ron laiin zu ttutsch gemachet'1,
schienen. Augsburg 1471.
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1046
Volkskrankheiten.
14. Flore und Tilansrhefur, nach
dem aus dem Französischen ge-
schöpften Romane Filicopo des Boc-
caccio, Metz 1499.
15. Lother und Malter , Stras-
burg 1514.
16. Fortunatm, Augsburg 1509.
17. Melusine, 1456 von Thüring
von Ringoltingen aua dem Franzö-
sischen ubersetzt und zu Strasburg
um 1474 zum ersten Mal gedruckt.
18. Der Ritter von Tum, nach
französischer Quelle durch Marquard
von Stein übersetzt, Basel 1493.
19. Pont u# und Sidunia, aus einem
französischen Roman durch Eleonore
von Österreich übersetzt, Augsburg
1498.
20. Hug Sr/mpter, die sagenhafte
Geschichte des Hugo Capet, von der
Herzogin Elisabeth von Lothringen
aus dem Französischen verdeutscht,
Strasburg 1500.
21. Ii erpin , ebenfalls aus dem
Französischen. Strasburg 1514.
22. Mayelone, von VeitWarbeck
aus dem Französischen ins Deutsche
übersetzt. Augsburg 1535.
23. Ficraitras, eine Riesenge-
schichte aus dem Karolingischeu Sa-
genkreise, nach französischer Quelle,
Siemern 1533.
24. Die vier Haimonslinder, 1
Siemem 1535.
25. Okfarionu*, von Wilhelm
Salzmann aus dem Französischen
bearbeitet, Strassburg 1">35.
26. Ritter (tatmf ebenfalls aus
dem Französischen, Strassburg 1539.
27. Der Finken riffer , eine Zu-
sammenstellung von Lügenmärchen,
Strassburg um 1560.
28. Claus Xarr, Geschichten des
sächsischen Hofnarren ebendessel- \
ben Namens, der von 1486 bis 1532
lebte, Eisleben 1572.
29. Jlang dauert, ein zweiter
Eulenspiegel, beschrieben durch Bar-
tholomäus Krüger, Stadtschreiber zu
Trebbin in der Mark, daher das Buch
auch der märkische Eulenspiegel
heisit. Berlin 1591.
30. Faust, Frankfurt 1587.
31. Schildbürger, 1589, auch /. '-
tenhueh genannt.
32. Der ewige Jude, Danxigl6<>2
33. Oqier, aus dem Dänische
durch Egenberger von Wertheim
übersetzt, Frankfurt 1571.
34. Genofeva.
35. Hirtanda. Die beiden letzter:
Nummern sind erst im 17. Jahrburi
dert durch den Kapuziner Pat r
Martin von Cochem in Verbindung
mit Griseldis und andern Legend t.
und Geschichten als ,, Auserlesenes
History-Buch" dem Werke ein«:?
französischen Jesuiten nacherzählt
worden, haben aber bald den Ran^:
der beliebtesten Volksbücher er
würben.
Volkskrankheiten. I. tkf
schirarze Tod, gemeiniglich in der.
zeitgenössischen Chroniken ,.da«
grosse Sterben'4 genannt , ist jei>
furchtbare Pestseuche, die 1348 in
Europa auftrat, bald eine allgemein
Verbreitung erlangte und zahlW
Opfer hinwegraffte. Sie bestand in
einem hitzigen Fieber, begleitet von
Blutauswurf; bald erschienen Brand
beulen und schwarze Flecken anf
der Haut (daher der Name: schwarze:
Tod», die Lymphdrüsen schwollen
an, Bubouen brachen in den Achsen
und Weichen hervor: in drei Tap"^
war der von der schrecklich«'
Krankheit Befalleue eine Leicb»
Zuerst wird ihr Auftreten an der
Südküste Europas gemeldet im Jahn
1348, von wo aus sie im Osten durefc
Oberitalien Eingang fand in Käm-
then, Steiermark und Asterreich, itn
Westen durch das Rhonethal in der
Schweiz und Burgund. Von Oster-
reich griff sie iu westlicher Richtung
hinüber nach Bayern, wo um M.-
ehaeli 1348 ihr neftigeg Auftreten
in Mühldorf, einer salzburgischei;
Enklave im Bayerischen, gemeide'
wird; von hier ist ihr Vorschreiten
ein allmähliches. Regensbur^ wird
erst 1350 erreicht In der Scbw^
wird fast allgemein 1349 als da*
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Volkskrankheiten.
1047
Pestjahr angegeben. Deutschland
sah sich also zugleich durch einen
Angriff' von Westen her bedroht,
und in der That erscheint das un-
heimliche Gespenst der durch Bur-
gund vorgerückten Krankheit in der
oberrheinischen Tiefebene früher als
an den Ufern des Bodensees, die
durch das vorgelagerte Hochgebirge
vor der Ansteckung geschützt waren.
Strassburg wird im Juni 1349 er-
reicht, im August und den folgen-
den Monaten die mittelrheiniscnen
Städte, Frankfurt schon im August,
Köln nicht vor Mitte September.
Im gleichen Jahre noch erscheint
die Seuche in Preussen, mit Beginn
des Jahres 1350 in Jütland, Schles-
wig und Holstein, so dass der ganze
nordwestliche Teil Deutsehlands zwi-
schen Elbe und Rhein gleichzeitig
von Süden, Westen und Norden be-
droht wird; übereinstimmend wird
für das ganze Gebiet für das
Jahr 1350 der Ausbruch der Pest
gemeldet. Die landläufige Annah-
me ist, dass bis 1350 der schwarze
Tod eine pandemische Verbreitung
in ganz Europa, mit Ausnahme von
Russland erlangt habe. Im wesent-
lichen sind es jedoch die grossen
Handels- und Verkehrsstrassen, die
zugleich Heerstra><sen des schwarzen
Todes wurden; abgelegene, vom
Verkehr wenig berührte Orte mögen
verschont geblieben s«-in. Aber auch
an grossen und ausgedehnten Ge-
bieten ist der erste Ansturm glück-
lich vorübergegangen, wo durch
hemmende Gebirgszüge mit weuig
frequentierten Passen dem direk-
ten Kontagium eine Grenze ge-
steckt war. So Ostfranken, und
weiter ostwärts in gleicher Weise
Böhmen, wo die Pest erst 1359 und
zwar massig und sporadisch auftrat ;
das kräftige Aufblühen dieses letz-
teren Gebietes in den ersten Jahren
von Karls IV. Regiment wäre sonst
schwerlieh zu erklären, wenn die
besteu Kräfte des Landes durch den
schwarzen Tod vernichtet worden
wären. Ähnlich verhält es sich mit
Schlesien; in Breslau zeigt sich die
Pest erst 1372 nach einer glaub-
würdigen Notiz, und mit Polen, wo
eine energisch durchgeführte Qua-
rantäne denselben Schutz gewährte,
wie für Ostfrauken die natürliche
Grenze von Odenwald, Spessart,
Rhön und Thüringerwald, und für
Böhmen die dieses Land umgeben-
den Gebirgszüge.
Eigentümlich und interessant in
bezug auf die Ergründuug der Ur-
sachen einer so furchtbaren Heim-
suchung ist die erste wissenschaft-
liche Grundlage, die derselben ge-
geben wurde. In der Mitte des
14. Jahrhunderts fand nämlich eine
Reihe von Erderschütterungen statt,
deren Mittelpunkt Villach war, wo
am 25. Januar 1348 ein Erdbeben
nicht unerhebliche Zerstörungen ver-
ursachte; in unmittelbaren chrono-
logischen Zusammenhang damit
wird nun der Ausbruch der Pest ge-
setzt, indem man glaubte, der „irdi-
sche Dunst" habe sich einen gewalt-
samen Ausweg verschafft, die Luft
vergiftet und verpestet, und infolge
dieser Luftvergiftung sei die Pest
entstanden. Darin sehen wir die
erste wissenschaftliche Begründung
des direkten Zusammenhanges des
schwarzen Todes mit gleichzeitigen
Vorgängen im Naturleben. Dass
übrigens noch allerlei sonderbare
Dinge mit dem Erscheinen der
Krankheit in Zusammenhang ge-
bracht wurdeu, ist selbstverständ-
lich bei dem krassen Aberglaubeu,
der die Geister im Mittelalter be-
fangen hielt. Zum Zorn Gottes üb»*r
die Verschlechterung der Mensch-
heit kamen astralische Einflüsse,
seltsame Konjunkturen der Planeten
Mars, Jupiter und Saturn; je spä-
ter die Chronisten, desto mehr be-
richten sie von Erdbeben, Über-
schwemmungen, Regenfluten, ge-
mischt mit Schlaugen und Kröten,
Heuschreckenschwärmen , giftigen
Nebeln, unheimlichen Himmelszei-
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1048
Volkskrankheiten.
chcn, Kometen, Feuerkugeln, woran tiefe Dunkel, das über dem schwanen
eich natürlich allerlei abergläubi- Tod in pathologischer Beziehung
sehe Geschichten knüpfen. Heckers lag, lichten. „Die heutige medizini-
Ansicht ist gleichsam der Schluss- sehe Wissenschaft konstatiert eine
stein dieser Theorie „der kosmische gewisse Gleichartigkeit in dem
Ursprung des schwarzen Todes be- Wesen der sogenannten Infekfion*-
ruhe in einem unerhörten Aufruhr Krankheiten. Die Krankheit seihst
der Elemente über und unter der wird bei dem Individuum durch
Erde, wie er in gleicher Ausdehnung Aufnahme eigentümlicher giftiger
nie wiedergekehrt sein soll". Auch Substanzen in dem Organismus ver-
Haeser ist der Ansicht, „der schwarze ursacht. Diese Substanzen sind »1
Tod ist eingeleitet und vorbereitet ihrem Ursprünge und in ihrer che-
dureh die heftigsten Erschütterungen mischen Zusammensetzung noch
der Erde und des sie umgebenden nicht völlig ergründet. Abertausend
Luftkreises". , fache Erfahrungen weisen immer
Wir werden wohl diese Ansich- wieder auf die mit allgemeinen
ten, bei denen der verpestet«- Wind . sozialen Missständen gegebenen Zer-
von 1348 eine bedeutende Rolle spielt, | setzungsherde organischer Stoffe als
als auf unsinnigen Erfindungen der die gemeinschaftliche Quelle «te
Spateren beruhend, in die gehörigen , Krankheitsgiftes." - Hirsch weist nun
Schranken zurückweisen müssen.' die Entstehung der Krankheit aussei -
„Die grosse Zahl der zeitgenössi- halb Europas nach, alle Zeitgenosse:!
sehen Schriftsteller wissen bis 1348 stimmen darin überein. dass der
so gut wie nichts von aussergewöhn- schwarze Tod sich über den west-
liehen Vorgängen im Naturleben. ; liehen Teil Asiens und über Euro;*
Erst mit dem Herannahen der furcht- und Afrika verbreitet habe: ••<»
baren Krankheit tauchen allerhand i werden wir wohl Hirsch unbedingt
wüste Gerüchte auf: „unter entsetz- beistimmen können, dass wir in
liehen Stürmen seien Kröten, Schlan- einigen nordwestlichen Gebiet« »
gen, Eidechsen, Skorpionen in gif- i Hiudostans, und speziell in den am
tigern Regen auf die Erde gefallen, südlichen Abhänge des Himalavii
darauf hätte Blitz und Hagel unzäh- gelegenen Provinzen die eigentlich
lige Menschen getötet und schliess- Heimat der unter dem Namen de*
lieh Feuer und Qualm vom Himmel schwarzen Todes bekannt gewor-
sehlagend den Rest alles Lebens denen Pestepidemien zu suchen
vernichtet." Aber alles soll nach ( haben. Auch über das Wesen der
dem Avignoner Brief vom 27. April | Krankheit sind wir jetzt im Klaren:
1348 vor sich gegangen sein ctrea es ist eine durch Lungenaffektk'D
ifmli am majorem in orientalihu* par- . wesentlich modifizierte orientalische
tihus in quadam prorineia; auch die Beulenpest, deren spezifische Eigeu*
anderen Quellen lassen diese Vor- , tümlichkeit eben dieLungenaffekricn
gänge in angemessener Entfernung ist; eine Krankheitsform, die Dtcfc
passieren „um zinziber nascitur"; da- Hirsch vollkommen übereinstimmt
gegen die späteren Kompilatoren mit der indischen Pest
ziehen sie heran und machen schliess- Dass die Seuche in den rasebau/
lieh die Heimat zum Schauplatz, blühenden mittelalterlichen Städten,
und alles erfährt natürlich die seit- wo auf verhältnismässig gering^
samsten Deutungen und schreck- j Flächenraum grosse Älenscnen-
lichsten Prophezeiungen und Kom- i massen eingepfercht gewesen sein
binationen. Erst die neueren ; müssen, sich üppig entwickeln and
ätiologischen Forschungen lassen t grosse Verheerungen anrichten
uns Rückschlüsse thun und das konnte, ist natürlich. Mit diesen
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Volkskrankheiten.
1049
Missständen vereinigte sich ein hef-
tiges Widerstreben gegen vernünftige
Massregeln der Hygieine, abscheu-
liche Missbräuche in der Handhabung
des Leichen wesens ; die Toten wurden
begraben in Kirchen, oder doch
innerhalb der Stadtmauern, so dass
dadurch neue Ansteckungsherde ent-
standen. Schmutz, Elend, Unsitt-
lichkeit waren die mächtigsten
Bundesgenossen des schwarzen
Todes, wozu noch an manchen Orten
anormale Wittcrungsverhältnisse und
deren Konsequenzen mögen hinzu-
gekommen sein. Daraus erklärt
t*ich die Intensität und die anhaltende
Dauer der Seuchenperiode. Hirsch
hält es „für unzweifelhaft, dass,
wenn auch nicht alle, so doch viele
der in den folgenden Jahren bis
1380 beobachteten Pestepidemien
unter den Erscheinungen des
schwarzen Todes verlaufen sind.
Mit Ausgang 1351 scheint eine
Pause in der Sterblichkeit für
Deutschland eingetreten zu sein,
1356 wird das Wiedererscheinen
des schwarzen Todes gemeldet, der
1357 bis an die Grenzen der Mark
Brandenburg und südlich bis Bayern
und Baden vordrang, 1358 das
ganze südwestliche Deutschland über-
zogen hatte, und zwar nach Closner
und Königshofen in der Richtung
nach Nora und Süd seinen Zug
nehmend. 1359 und 1360 wird die
ganze Nord- und Ostseeküste von
neuem entvölkert, gleichzeitig Öster-
reich zum zweitenmale heimgesucht,
am Ende dieses Jahrzehnts auch
Böhmen, Schlesien und Polen.
Ende der sechziger und Anfang der
siebziger Jahre fällt das dritte Auf-
treten der Pest; und Chalin de
Vinario, Arzt in Avignon, stellt die
Fortdauer der Seuchenperiode in
Aussieht. Bis zum Ausgang des
Jahrhunderts vergeht fast kein Jahr,
wo nicht ein „grosses Sterben" ge-
meldet wird, auch noch im Anfang
des 15. Jahrhunderts. Ein genauer
Abßchluss lässt sich erklärlich nicht
datieren, wir werden jedoch gut
thun, bei Untersuchung der Folgen
nicht über das 14. Jahrhundert
hinauszugehen. Jedenfalls nahm
die Sterblichkeit , wo auch die
Krankheit noch auftrat, in jedem
Jahr immer mehr und mehr ab.
Nach den gleichzeitigen Berichten
ist kein Zweifel zu hegen, dass ein
beispielloses Entsetzen die Gemüter
ergriff und Leidenschaften entfesselt
wurden, die sich roh und gewaltsam
äusserten; unverkennbar steigerten
.«ich t ppigkeit, Luxus und Ver-
schwendung, zügellose Begierden
nach Genuss in den letzten vielleicht
noch vergönnten Augenblicken.
Charakteristisch sind daher die seit
Mitte des 14. Jahrhunderts (1356)
in Deutschland häufigen Verord-
nungen gegen Kleiderluxus, an-
stössige Trachten und Schwelgerei.
Eine direkte Beeinflussung der Ge-
staltung politischer Verhältnisse
durch den schwarzen Tod tritt in
geringem Masse zu Tage. Die
rarteikämpfe wurden gelähmt, die
durch die Seuche selbst oder die
Angst vor ihr hervorgerufene all-
gemeine Verwirrung und Bestürzung
musste einen momentanen, lähmen-
den Druck ausüben auf die öffent-
liche Thätigkeit. Bestimmter er-
kenntlich sind die Einwirkungen der
Seuchen periode auf die wirtschaft-
lichen Verhältnisse. Was zuvörderst
den Menschenverlust betrifft, so sind
die Zahlenangaben des Mittelalters
von sehr zweifelhaftem Werte. Die
überlieferten Verlustziffern für Lü-
beck schwanken z. B. zwischen
9000 und 80 000 Umgekommenen.
Völlig wertlos sind die allgemeinen
Berechnungen der Zeitgenossen,
wie Chalin de Vinario, die Verluste
der ersten Epidemie auf 60 °/0, Guy
de Chauliac auf 75 % der Bevölke-
rung angibt. Vorzugsweise hatten,
wie natürlich, die untersten Volks-
schichten zu leiden; so war z. B.
1350 in Westfalen kein Hirt und
kein Schnitter zur Erntezeit zu
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1050
Volkskraukheiten.
finden ; Ähnliche Berichte sind in sind deswegen, weil sie explodierend
grosser Zahl zu finden. Eine un- ausgebrochen sind, zügellos und rvt.
ausbleiblichc wirtschaftliche Folge geworden. Beide Bewegungen, die
war eine Steigerung der Arbeit«- Judenverfolgung von Süafrankreich
lohne, die aber wieder reduziert gleichzeitig mit der Pest, die Geiasrl-
wurde durch eine beJeutende Wert- fahrt im Osten Deutschlands, als
Verminderung der Scheidemünze, Präventivmassregel der Pest und
hervorgerufen durch eine allgemeine zur Besänftigung des göttlichen
Verschlechterung der Prägung. Ein Zornes, unmittelbar vor Ausbruch
solcher Zustand musste natürlich des schwarzen Todes ausgebend,
dem Kleinhandel ganz empfindlieh eilen in ihrer rapiden Verbreitung
schaden, aber selbst Münzverord- über Deutsehland der Pest voraus
nungen, wie -diejenigen der Erz- An einzelnen Orten fallen sie zeit
bisehöfe von Trier und Köln, sowie lieh zusammen, wie Pest und Geisse,
die Bemühungen Karls IV. ver- fahrt in Strasburg, in Flandern
mochten dem drückenden Übel nicht zuweilen tritt an einem Orte die
abzuhelfen. Dagegen wusste sieh Pest auf, ihr folgte die Judenver-
der deutsehe Grosshandel zu folgmnj, hervorgerufen dureh die
sichern durch Hinübernahme des unsinnige Mär von der Brunnen
den Kursschwankungen weniger Vergiftung durch die Juden, oder
unterliegenden rlorentinisehen Gold- , der Fanatismus der Geissler schürt-
guldens. Im allgemeinen aber be- ! den Judenhass wie in Frankfurt aM .
merken wir, nachdem der allgemeine Köln, Breslau; im allgemeinen ahe:
Ausgleich der Bevölkerungsverhalt- werden die Juden vorher die Opfer
nisse der wirtschaftlichen und ge- der blinden Verfolgungswut. Die
schäftlichen Stockung wieder Ab- Geisseifahrten erreichen schon ihr
hilfe verschafft hatte, in den Städten Ende, bevor auch nur die Halft'-
besonders einen raschen und er- deutschen Gebietes vom schwarzen
freulichen Aufschwung und Fort- Tod überzogen ist; Juden Verfolgung
schritt. Zudem fallt in diese Zeit und Geisseifahrt treten auch da auf.
auch die Stiftung der ersten deut- wo die Krankheit bei ihrem ersten
sehen Universitäten, Prag 1348, Verwüstungszug durch Deutschland
Wien 13*55, Heidelberg 13s6t Köln vorbeizog.
13S9, Erfurt 1392. „Die zweite Noch zu erwähnen haben wir.
Hälfte des 14. Jahrhunderts ist die dass sich auch die Kirche die all-
Zeit, in der der deutsche Handel gemeine Todesangst zu Nutze n
den Weltmarkt zu erobern beginnt, machen wusste, wovon eine Unzahl
In immer steigendem Masse erblüht von Testamenten und Immunitäten
Handel und Industrie, und selbst beredtes Zeugnis ablegen: niemals
Künste und Wissensehaft gelangen war der klingende Erfolg grosser
wieder zu neuen Ehren." Am all- als 13"»0, als Clemens VI. einen
gemeinen Charakter des 14. Jahr- Jubiläumsablass ausschrieb und ein«
Kunderts ..dieser wilden gährenden ungeheure Menschenmenge in Rom
Zeit voll gewaltiger Impulse und zusammenströmte. Ferner wuchs
roher Leidenschaften" hat der der Grundbesitz und das Vermögt'
schwarze Tod nichts geändert. Die der Kirchen und Klöster an, was
Anarchie in den Jahren 134s — 50 sich offenbarte in der eminenten
hat gewiss die Pest verschuldet, und Bauthätigkeit nach dem Ausbruch
gewiss stehen Geisseifahrt und Juden- der Pest.
Verfolgung mit ihr im Kausalzu- Fassen wir die Geschiebte des
sammenhang. Aber beide beruhen 14. Jahrhunderts zusammen: „Für
auch im Charakter der Zeit und die politische Geschichte ist der
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Volkskrankheiten. 1051
schwarze Tod fast bedeutungslos erhoben sich acht- und zehnjährige
geblieben. Der enorme Menschen Propheten und führten dem jungen
verlust hat auch den mächtigen Strphanus ganze Heere der von
Aufschwung von Handel und In- der Bewegung fortgerissenen Kin-
dtistrie, die glänzende Entwicklung derwelt zu, deren Fanatismus nichts
der deutschen Städte nicht aufhalten zu bändigen im stände war. So
können, und was sich von der angeb- waren bald 30 000 bewaffnete und
liehen Verwilderung des Mensehen- unbewaffnete Kinder beisammen,
g< schlechtes unter den Schrecken die unter der Führung des heiligen
und Freveln der Pestzeit zu erkennen Stephan u 8 zur Eroberung Jerusa-
riht, bewegt sieh völlig in dem Leina auszogen; keine Beschwerde
Charakter der Zeit, nna tritt iu der Pilgerreise vermochte ihre hei-
älinlicher Webe schon vor dem lige Begeisterung und Andacht zu
Ausbrueh des schwarzen Todes zu ersticken. In Marseille wurden die
Tage. Nirgends tritt, wenn wir jungen Pilger auf sieben Schiffen
allenfalls von der Entstehung der eingeschifft von denen jedoch zwei
Sanitätspolizei absehen, in der Ent- mit den darauf befindlichen Kin-
wickelung der Verhältnisse ein Im- dern untergingen; die anderen fünf
puls zu Tage, der nicht schon vor- lieferten ihre Insassen schmählich
Wr wirksam gewesen wäre, und den Sarazenen als Sklaven in die
kein neuer Gesichtspunkt macht sich Hände. Nicht so übel erging es
iu der Gestaltung der Dinge be- den jungen Kreuzfahrern in Deutsch-
merkbar." land, wo sich die Bewegung ebenso
Nach /)/•. Ruhrrf JTonifjer, Der mächtig zeigte und unter ähnlichen
hwarze Tod in Deutschland. Ein Umständen verlief. Hier zogen zwei
Beitrag zur Geschichte des 14. Heereshaufen, die an Zahl den
Jahrhunderts. Berlin 18H2. französischen Zug wohl noch über-
II. Kin »Irrfahrten. Heeker be- stiegen, dem Meere zu, das, wie
zeichnet sie in Verbindung mit der auch sie zuversichtlich glaubten.
Tanzwut als die Psychopathien des vor ihnen zurücktreten würde, so
Mittelalters. Die g'rossartigstc Er- dass sie trockeuen Fusses das hei-
ßt heinung dieser Kmderfahrten, die lige Land erreichten. Der eine
ihren Ursprung im religiösen Enthu- Haufe, unter der Führung eines
siasmus und in der Gemütserregung gewissen Nikolaus von unbekannter
der Zeit haben, ist der Kinder- Herkunft, wandte sich über den
kreuzzug vom Jahre 1212. Die Mont Cenis und erreichte im Au-
Idee der Wiedereroberung des hei- gast in der Zahl von noch "000
ligen Landes, das schon wieder in Teilnehmern Genna. Die Genueser
die Hände der Sarazenen gefallen öffneten ihnen jedoch erst nach
war, ergriff die Gemüter mit er- einigen Unterhandinngen die Thore
neuter Heftigkeit, und bei der da- am 24. August; aber schon waren
maligen Stimmung konnten über- viele der Kreuzfahrt müde, sie such-
spannte Ausbrüche derselben nicht ten und fanden gastliche Aufnahme
ausbleiben. Den ersten Anstoss gab und blieben iu Genua zurück. Die
ein Hirtenknabe Etieune, aus dem anderen, genötigt nach einigen Ta-
Dorfe Cloies bei Vendöme: er hielt gen die Stadt zu verlassen, zer-
sich für einen Abgesandten des streuten sich nach verschiedenen
Herrn, der ihm erschienen sei, von Richtungen. Viele versuchten, sich
ihm Brot genommen und einen nach Deutschland durchzusehlagen,
Brief an den König gegeben habe, die wenigen, denen es gelang, wur-
1 >ie Hirtenknaben der Umgegend den dort mit Hohn und Spott ein-
strömten ihm in Scharen zu, taglich pfangen. Ein Teil blieb jedoch sei-
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1052
Volkskrankheiten.
nein Vorhaben treu, durchzog in eine neue Volkskrankheit in Deutsch-
verschiedenen Haufen Italien; eine land, die Tanzwut. Schon 1374 ka
Anzahl Knaben wallfahrtete nach men in Aachen Männer und Frauen
Rom und musste dort dem Papste an, die in Kirchen und Strassen
das Gelübde ablegen, wenn sie ner- dem Volk ein seltsam Schauspiel
angewachsen seien, einen Kreuzzug darboten. Stundenlang tanzten aie
abzulegen. Von dem anderen Kin- in geschlossenen Kreisen in wilder,
derheer haben wir keine Kunde, bacchantischer Raserei, bis sie vor
auch den Namen des Führers kennen Erschöpfung niederfielen. Dann
wir nicht. Es nahm seinen Weg klagten sie über Beklemmungen,
über den St. Gotthard, wurde aber bis man ihnen den Unterleib mit
in der Lombardei mit eisiger Kälte i Tüchern zuschnürte, oder mit Faust-
aufgenommen; viele kamen um, schlagen und Fusstritten von ihrem
die Stärksten uud Gläubigsten Leiden half, worauf nach einiger
gelangten nach Brindisium, wo sie Zeit ein neuer Anfall sie in den
Sarazenen als willkommene Beute früheren entsetzlichen Zustand zu-
in die Hände fielen. , rück versetzte. WTahrend des Tanzes
Ein Zeichen der Erregung in i hatten sie Erscheinungen, einige
der Kinderwelt dieser Zeit ist eine sahen den Himmel offen mit den
zweite Kinderfahrt, die sich aber Heiland und der Maria. Die An-
auf die Stadt Erfurt allein be- j falle begannen mit fallsüchtig^
schränkte. Am 15. Juli 1237 ver- ! Zuckungen; die von diesen Beba:-
liessen gegen 1000 Kinder tanzend teten fielen bewusstlos und sehnst •
und springend die Stadt und wan- bend, Schaum vor dem Mund, zo
derten über den Steigerwald nach Boden, dann sprangen sie auf und
Arnstadt. Am folgenden Tage wur- begannen ihren Tanz unter dru
den sie von ihren Eltern, die in- schrecklichsten Verzerrungen. Die
zwischen den Vorgang erfahren
hatten, wieder abgeholt; viele sollen
Krankheit verbreitete sich bald von
Aachen aus über die Niederlande.
noch lange nachher krank gewesen wo die heran wachsende Schar der
und namentlich an Zittern der Glie- Johannistäuzer allmählich Beson-
der gelitten haben. Der ganze Vor- nis erregte und man anfing, z°
fall ist in seinen Ursachen dunkel; Beschwörungen und Bittgebeten
noch dunkler eine Kinderfahrt vom seine Zuflucht zu nehmen, um zu
Jahre 1458, deren Motive offenbar verhüten, dass die Krankheit auch
religiöser Natur waren. Sie galt die höheren Stände ergriff'. Einm
der Verehrung des Erzengels Mi- Monat später als in Aachen war
chael. Mehr als 100 Kinder aus die Tanzsucht auch in Köln, wo
Hall in Schwaben wanderteu wider j 500 Menschen von ihr befallen
Willen ihrer Eltern nach der da- wurden, und in Metz, wo die Zahl
mala weltberühmten , jetzt zum sogar auf 1100 anstieg. Landleut*.
Staatsgefangnis gewordenen Abtei Handwerker, Dienstboten, Knaben
St. Michel in der Normandie, wo und Mädchen, verheiratete und un-
sie auch wirklich angekommen sein verheiratete Frauen schlössen sich
sollen. Der Magistat, der die Fahrt j dem unheimlichen Reigen an, der
nicht hindern konnte, gab ihnen bald zur Brutstatte wilder Begier
wenigstens einen Führer und einen den und Leidenschaften wurde. Er?*
Esel zum Tragen des Gepäcks mit. nach vier Monaten gelang es, die-
Weitere Nachrichten fehlen. ses dämonischen Treibens in den
III. Die Tanzwut. 1. St. Jo- rheinischen Städten Herr zu werden.
hannstanz. Bald nach dem Wüten ohne jedoch seine gänzliche Ver-
des schwarzen Todes verbreitete sich nichtung zu erreichen. Die Beoe-
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Volkskrankheiten.
1053
huug Johannes des Täufers zur
Tanzwut ist folgende: Seit den äl-
testen Zeiten feiert«* man den Jo-
hannistag mit allerlei sonderbaren,
wilden, heidnischen Gebräuchen.
Die Deutsehen verlegten den uralten
heidnischen Gebrauch der Notfeuer
auf diesen Tag, wobei ein wilder,
bacchantischer Tanz aufgeführt
wurde, eine Erscheinung, die sich
auch bei anderen Völkern zeigte.
Es liegt nun die Vermutung nahe,
dass die ausgelassene Feier von
1374 den Anstoss zum Johannis-
tanz gab, da die Tänzer immer
den Namen des heiligen Johannes
im Munde führten.
2. Der St. Veitstanz. Im Jahre
1418 erschien in Strassburg der
gleiche Wahnsinn wie in den rhei-
nischen und belgischen Städten;
hier nahm sich üer Magistrat der
Kranken an und Hess sie in ein-
zelnen Haufen nach den Kapellen
des heiligen Veit nach Zabern und
Rotestein geleiten, wo ihnen durch
Messen und anaere heilige Ge-
bräuche, einen feierlichen Umzug
um den Altar und kleine Opfer
von ihrem Almosen Heilung erneht
werden, sollte; viele genasen wirk-
lich. Über St. Veit, einen der 14
„Nothelfer", geht folgende Legende:
er habe, ehe er sich unter das
Schwert gebeugt, zu Gott gebetet,
er möge alle, die seinen Abend
fasten und seinen Tag feiern, vor
dem Tanz bewahren, und darauf
eine Stimme vernommen: „Sankt
Vite, du bist erhöret". So wurde
St. Veit der Schutzheilige der Tanz-
süchtigen. Diese Tanzsueht ist übri-
gens keine neue Erscheinung. Wir
werden nicht umhin können, jene
Kinderfahrt von 1237 in Erfurt als
eine Form der Tanzwut zu erklären.
Ein ähnlicher Vorfall hatte sich
ereignet in Utrecht am 17. Juni
1278, wo 200 Tänzer auf der Mo-
selbrücke nicht aufhören wollten
zu tanzen, als bis ein Priester den
Leib Christi zu einem Kranken
vorübertrüge: allein die Brücke
brach vorher und alle ertranken.
1201 wurde von 18 Landleuten auf
dem Friedhof der Klosterkirche
Kolbig bei Bernbnrg durch Lärmen
und Tanzen der Gottesdienst in
der Christnacht gestört, worauf der
Priester Ruprecht den Fluch über
sie habe ergehen lassen, ein Jahr
lang zu schreien und zu tanzen. Dies
sei wirklich in Erfüllung gegangen,
bis sie durch das Gebet zweier
frommer Bischöfe erlöst worden
seien. Ein Zeichen mittelalterlicher
Roheit ist auch ein auf diesen
Fluch wohl zurückgehendes, jetzt
längst untergegangenes Sprichwort:
„dass dich Sanct Veitstantz an-
komme1'''. Eine Ursache für diesen
Tanz wurde gefunden in der un-
kräftigen Taufe unzüchtiger Priester.
Dass für den Klerus hieraus grosse
Gefahr entsprang, ist leicht zu er-
klären, und derselbe suchte sich
gegen den allgemeinen Unwillen
durch Beschwörungen zu helfen,
die aber ebensowenig nützten, wie
die Gebete am Altare St. Veits.
Denn von der Heftigkeit der Tanz-
sucht geben uns Beschreibungen
aus dem 16. Jahrhundert lautes
Zeugnis, wo sie eigentlich schon im
Abnehmen begriffen war. Die mil-
dere Form war häutiger, seltener die
heftige. Damals sollen sich viele an
Ecken und Wänden die Köpfe zer-
schmettert oder sich in Flüsse ge-
stürzt haben, wo sie den gesuchten
Tod fanden. Sie konnten nicht an-
ders gebändigt werden, als dass man
die Rasenden mit Tischen und Stühlen
umstellte und sie so zu hohen Sprün-
gen zwang, dass sie bald in äusser-
ster Erschöpfung zu Boden stürzten.
Selbst hochschwangere Frauen sah
man ohne Schaden der Leibesfrucht
an dem tollen Tanze teilnehmen.
Dass lebhafte Musik die Erregung
steigerte, liegt im Wesen der Krank-
heit. Magistrate mieteten daher oft
Musikanten, um die Anfälle rascher
vorbeizuführen. Es mussten auch
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1054
Volkskrankheiten.
Verbote erlassen werden gegen das
Tragen der roten Färbt', welche die
Wut und Raserei der Kranken
hervorrief. Allmählich' wich die
Krankheit nun doch zurück, wenig-
stens kamen Wanderungen von Staut
zu Stadt nicht mehr vor. Manche
wurden auch nur alljährlich betallen.
Den ganzen Juni vor dem Johannis-
fest fühlten sie Unruhe und Uube-
haglichkeit, Schmerzen trieben sie
unstät umher. Sehnlich erwarteten
sie den Vorabend, um vor dem
Altar des hl. Johannes oder des hl.
Veit zu tanzen. Zwei Kapellen des
letztern waren besonders besucht,
die eine in Bienen bei Breisaeh, die
andere in Wasenweiler. Wenn sie
mit einem dreistündigen Tanze den
Forderungen der Natur genüge ge-
than hatten, blieben sie das ganze
Jahr unangefochten. Im Anfang des
17. Jahrhunderts war die Tanzwut
seltener. 1(523 berichtet man noch
von Frauen in Drefelhausen bei
Weissenstein im Ulmer Gebiet, die
alljährlich zu den Kapellen des hl.
Veit hinwanderten, um ihre Tanz-
anfalle abzuwarten und dann Tag
und Nacht bis zur Erschöpfung zu
tanzen. Allmählich verschwindet sie
ganz bei der zunehmenden Aufklä-
rung der Geister. Gleichseitig und
in sehr naher Beziehung zum Veits-
tanz trat in Italien der Jlaranfmnus
auf, der in Italien im 17. Jahrhun-
dert seine höchste Höhe erreichte,
als der Veitstanz schon erloschen war.
IV. Der englische Schweix» ist
jene heftige Krankheit, die nach der
Schlacht bei Bogworth im siegreichen
Heere Heinrich VII. ausbrach, in
den ersten Tagen des August 14hG.
,,Es war ein überaus hitziges Fieber,
das nach kurzem Froste die Kräfte
wie mit einem Schlage vernichtete,
und während schmerzhafter Magen-
riruck, Kopf weli und schlafsüchtige
Betäubung hinzutraten, den Körper
in übelriechenden Schweiss auflöste.
Dies alles geschah innerhalb weniger
Stunden und niemals blieb die Ent-
scheidung iiber Tag und Nacht in
Unerträglich war den Kranken \\t
innere Hitze, doch brachte ihneu
jede Abkühlung den Tod." Kaum
war der König in London angelaitf.
da brach bald nachher am zl.Scp»
[ tember auch hier die Krankheit in
und wütete furchtbar bis Ende uk-
tober. Dann verschwand sie wie«! :
bis sie im Sommer 1507, aber obn
bedeutende Sterblichkeit und vxs
von kurzer Dauer, in London wieder
auftrat. Bei ihrem dritteu Auftrete:,
in London im Juli 151S fordert.- sie
zahllose Onfer, verbreitete sich aui .
während des ganzen AVinters in da
meisten englischen Städten. In <K"J
letzten Tagen des Mai 152t« trat ^
in der Hauptstadt mit derselben He:
tigkeit auf wie lölfS, die Menscht
Verluste lassen sich bei ihrer rascltf>
und allgemeinen Verbreitung nkfc"
beziffern. Gegen den 25. Juli «r
schien sie zum ersten Mal in H»
bürg und erregte eine allgemeuj'
Bestürzung. Ein Schiffer, N*an):<-
Hermann Evers, soll aus Eariad
zurückgekehrt sein, mit jungen
ten, von denen 12 in zwei Tagen J«f
Seh weisssucht erlagen.
In der Nacht nach der Ankuii::
starben in Hamburg 4 Personen,
dann täglich 40—60, während
JHägigcn Dauer der Krankheit, h
Lübeck starb am 3o. Juli eine Frau
daran, dann folgte eine reisscu^'
Zunahme der Todesfälle. In *
gleiche Zeit fallt ihr Ausbruch ■
Rostock, Boitzenburg, Zwickau; i°
letzterem Orte wurden am U.Aqg*"
19 Todte beerdigt, in der Nacht er
krankten schon 100 Mensehen. 0
gen Ende August und Anfanc l*Jj
I tember tritt die Schweisssuclit ;i&:
inStettin (31. August i, Danzigil ^P
I tember), in der ISlark Branden!»"1*
| Schlesien, Augsburg (6. SeptenuVr
Köln ( 7. September), Frankfurt » >'
I Marburg, Göttingen, Eimbeck, Lüne
bürg u. s. f. In Strassburg war »i
schon am 24. August In Preu*s«>
I starben etwa 30 000 Menschen dahin,
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Volkslied. 1055
in Augsburg iji « Tagen 800. In geführt, weil die Furcht vor der
Strasburg waren 3000 krank, aber neuen Krankheit die Ketzer ergriffen
nur wenige starben. Der einzige hätte.
Kranke in Marburg genas. Autfal- Was die Arzte dieser Zeit betrifft,
lend ist, dass die Niederlande , wo so verordneten die unwissenden und
der Verkehr mit England ungleich erwerbslustigen, da, wo der gesunde
bedeutender war,, erst vier Wochen Sinn des Volkes uicht dagegen auf-
sjiiiter ergriffen wurden , auch hier kommen konnte, in einer Fülle von
wie in Deutschland ist die Zeit ihres Flugschriften das unsinnige 24stün-
Verweilens eine beispiellos kurze, dige Schwitzen, wodurch die Krauken
Ihr Auftreten fällt in Dänemark in gleichsam tot geschmort wurden;
die letzten Tage des September, von und eine Unmasse von Pillen, Lat-
da wanderte sie auch iu die skan- wergen, Tinkturen, Aderlässe, Ab-
dinavische Halbinsel hinüber. Am führungen, herzstärkende Arzneien
spätesten tritt sie in der Schweiz gaben dem Volk alle möglichen und
auf. in Basel im Spatherbst, nachher unmöglichen Geheimmittel , wobei
von hier aus in Solothurn und Bern, sie natürlich gute Geschäfte mach-
Während die Verluste in Basel be- 1 ten. Gegen diesen Unsinn erhob
deutend waren, starben in Bern von sich aber doch eine gesunde ener-
Erkrankten nur drei. DieErschüt- fische Reaktion, die dem englischen
terung der Gemüter war über alle Verfahren bald die verdiente An-
Beschreibung heftig, sie wurde noch erkennung verschaffte und der
♦ rhoht durch haarsträubende Erzäh- Krankheit Einhalt that.
luiigen von den Qualen der Kranken. I Am 15. April 1557 erschien der
Hierzu kam der unglückselige alte Erbfeind des englischen Volks
Wahn, wer von der Krankheit er- wieder, und zwar zum letzten Mal,
griffen, entrinnen wolle, müsse 24 in Shrewsbury, verbreitete sich als-
*tunden unablässig schwitzen, wäh- bald über ganz England bis an die
•end gerade in England allgemein schottische Grenze, und rarfte, keinen
der Rat half: massige Erwärmung, Stand verschonend, eine sehr bedeu-
keine Nahrung, nur mildes Getränk, teude Menschenmenge hinweg,
keine starken Arzneien, ruhig 24 Stun Deutschland wurde verschont,
den ausharren bis zur Entscheidung, i und es liegt nahe, die Eigentümlich-
Viele beherrschte auch die Einbil- keit der englischen Atmosphäre und
düng, vom englischen Sch weiss be- der Bodenbeschaffenheit als Grund
fallen zu sein, so dass sie unter einem aufzufassen. Seitdem ist die Krauk-
oerg von Betten, auf den sich noch heit nicht wieder erschienen. — Nach
einige Gesunde oft legten, ihren Tod HeckerAxe grossen Volkskrankheiten
fanden. Nicht zu vergessen ist, dass i des Mittelalters, herausgegeben von
in dieser Zeit der Glaubenskämpfe i Hirsch. Berlin 1865. Vgl. Haeser,
der Seuche eine besondere Beden- Lehrbuch der Geschichte der Me-
tung zugeschrieben wurde. Die Volks- dizin. Uber den Aussatz siehe den
Krankheit wurde als Geissei Gottes besondern Artikel,
hingestellt, und die päpstliche Partei Volkslied. Der Name Volkslied
bemühte sich auf alle Weise, sie stammt erst aus dem 18. Jahrhun-
atn-zuschreieii als offenbare Abmah- dert und kam auf, seitdem Herder
nung vom Luthertum , wobei man den Unterschied von Kunst- und
sieh natürlich auch der Unwahrheiten Volksdichtung als den für das Wesen
"|< ht scheute. So wurde behauptet, der Poesie eingreifendsten zu betonen
die Zusammenkunft der Reforma- , begann. Den Romantikern, nament-
toren in Marburg am 2. Oktober lieh Achim von Arnim und Klemens
hätte deshalb zu keiner Einigung Brentano, den Verfassern von „Des
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1056 Volkslied.
Knaben Wunderhorn" und den bald Volksdichtungen oder künstlich*
darnach auftretenden Begründern Nachahmungen derselben. Di^
der deutschen Literaturgeschichte Art sind der Heliand und die Er<t
verdankt man die Untersuchung über gelienha-rmonie Off rieth, der Lekt
die Entstehung und Entwickelung des auf den heiligen Petrus, das Li-
Volksliedes; so reich nunmehr die von der Samariterin, die ebenfal!
Sammlungen von Volksliedern ge- in Leichform gedichteten Legende
worden sind, so fehlt immer noch vom heiligen Georg und vom hr:
eine eingehendere Monographie über ligen Gallus. Was zwar dein Volk?
dieses Litteraturgebiet; die herrlichen gesang jetzt wesentlichen Abbrc
Abhandlungen I'htands über das tliat, warder Umstand. dass ?;<
Volkslied, die den dritten Band seiner jetzt das ganze Gebiet der wü^r
Schriften bilden , sind leider Frag- schaftlichen und damit der feuvr---
ment geblieben. Geisteskultur überhaupt von ihn
In seiner Entstehung knüpft das j absonderte und in die , vorlaut
Volkslied an die älteste Dichtung lateinische Prosa überging. Do«l
überhaupt an, wonach alle Dichtung hörte der Volksgesang nicht au?
Volksdichtung und alle Volksdich- nur wurde er selten durch -h-
tung Gesang ist. Lieder mythischen Schrift überliefert. Historische Volk?
Inhalts wurden vom begleitenden lieder geschichtlicher Natur, die gt
Volke bei religiösen Fest- und Um- sungen worden sind , werden u. t
zügen gesungen. Vor dem Beginn j erwähnt auf Erzbischof Hatto JH
der Schlacht sangen nach Tacitus auf die Schlacht bei Heresburg^l-
Germania 4 die Germanen von Her- auf Bischof Ulrich von Augsbur-
kules, d. h. von Donar. Neben Lie- auf Herzog Boleslav den Pol*
dem mythischen hatte man Lieder 1109. Reicher noch waren die LH«*:
geschichtlichen Inhalts , wobei man welche der Heldensage angehört« %
ohne Zweifel sehr früh wieder sagen- ihr Dasein ist durch die im i:
hafte Lieder und solche unterschei- Jahrhundert aus ihnen entstandene
den konnte, welche eine That der Epopöien der deutschen Heidend
Gegenwart feierten. Lieder, welche i bezeugt , denen verloren gegangen
die Thaten und Kriege der alten ! gesungene Volkslieder in rekb?'
Könige besangen, Hess Karl d. Gr. Anzahl vorausgegangen sein mü>*-':
aufzeichnen und lernen und Ludwig Zu ihnen gesellten sich die Lecen
der Fromme verbannte sie wieder und kirchliche Sage, und übernan:
aus Vortrag und Unterricht. Leider der vielfache Erzählungsstoff. ^r
ist von allen Liedern mythischen seit dem Beginne der Kreuxzür
Inhalts nichts, von Liedern der durch den vermehrten Verkehr n-
Sage bloss das Hildebrandslied er« j dem Auslande in die mittelalterlu
halten; eine schöne Probe des ge- Welt eingeströmt war.
schichtlichen Volksliedes aus dem Die bänger dieser Volk-'lH''
9. Jahrhundert bietet der Lcich sind im ganzen die Fahrenden, ^
auf König Ludwig III. und die ger von Fach und Crewerbe; *
Normannenschlacht von 881. Die I sind von alters her die eigentlich
christliche Bildung änderte wenig j Pfleger der Kunst des Vol*^n
an diesen ältesten Verhältnissen des Hanges, sie bewahren in ihrem ^
Volksliedes, abgesehen davon, dass däentnis und in ihrem Vortrag
an Stelle heidnisch-mythischer Lie- stofflichen Inhalt des Volkslie-
der christliche und an Stelle des sie bilden die Technik des Dichte-
Stabreimes der Endreim trat; im des Singens und Sagens weit*'
übrigen sind die Dichtungen der Ohne zunftmässige Abgeschlo**'1
christlich-kirchlichen Periode wieder heit, besitzen und erben sie fort d»«
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Volkslied
1057
Lehre und Übung des Gesanges,
des Vortrags , der dichterischen
Technik.
Im 12. Jahrhundert trat nun die
höfische Kunstdichtung neben die
Dichtung des Volkes und drängt
diese letztere dadurch um so weiter
von ihr weg in Roheit und Ge-
ringschätzung, als jetzt die besseren
UDO aufstrebenderen Talente der
Volksdichtung für kurze Zeit ins
Lager der höfischen Dichtung über-
traten, wo allein Ehre und Verdienst
zu erholen war. Das dauert aber
bloss bis gegen das Ende des 13.
Jahrhunderts, wo mit dem Unter-
gang der höfischen Bildung der
volksmässige Gesang, sj>ezicU das,
was man jetzt Volkslied heisst, in
reichster Fülle zu tage tritt. Die
Limburger Chronik erzählt zum
Jahre 1370 „dass am Rhein ein aus-
sätziger Mönch die besten Lieder
und Reigen in der Welt machte,
von Gedicht und Melodien , dass
ihm Niemand uf Rheinstrom oder
sonstwo gleichen mochte. Und was
er sang, das sangen die Leute alle
gern, und alle Meister pfiffen, und
andere Spielleute führten den Ge-
sang und das Gedicht". Über das
Alter der einzelnen Volkslieder ist
selten etwas Gewisses zu sagen;
ihre Aufzeichnung beginnt mit dem
14. und wird erst häufiger im 15.
Jahrhundert, wo dann der Buch-
druck zuerst in fliegenden Blättern,
später in Liedersammlungen sich
mit Vorliebe dieses Stoffes bemäch-
tiget Gewiss ist, dass die unge-
bundene, dem individuellen Gemüts-
leben so viel Freiheit gönnende
Denkart dieser Zeiten dem Volks-
liede stets neue Nahrung und neuen
Stoff zuführt ; ältere Lieder lassen
sich zum Teil an ihrer episch -dra-
matischen Darstellung als solche
erkennen, erst später, namentlich
im 16. Jahrhundert, tritt die reinere
lyrische Behandlung au Stelle der
epischen.
Alte Namen für den Begriff des
Volksliedes als eines gangbaren
Liedes der Menge in der Landes-
sprache sind, dem gelehrten lateini-
schen versus und carmen gegenüber,
carmen barbarum, Carmen vulgare,
seculare, triviale, rustieum, publicum,
gentile; bürengesang , ein lief, ein
neuic tief, ein hübsch nein lied, ein
Reiterliedlein, ein Berg reihen, Gras-
liedlin , Strassen lied , ( ? assen qedich t,
Gassenhauer, gute Gesellenliedlein,
Reuter liedlein. Die hier folgende
Gliederung des Volksliedes nach
seinem Inhalte folgt der Einleitung
zum altdeutschen Liederbuch von
Franz 31. Böhme, Leipzig 1877.
1. Balladen und Romanzen , die
lyrische Fortsetzung des alten Epos;
inr Stoff ist dem Mythus und der
alten Sage entnommen, oft auch
dann, wenn Namen von Personen
und Orten scheinbar der Handlung
eine spätere Zeit zuweisen ; was
diese zum Teil uralten Zeugen der
Volkspoesie erhalten hat, ist meist
der allgemein menschliche, die Zeit-
ereignisse überdauernde Gehalt. Lei-
der ist die Zahl dieser Lieder gegen-
über der skandinavischen und schot-
tischen Litteratur bei uns nur eine
kleine. Von eigentlichen Helden-
liedern sind bloss das Hildebrands-
lied (das jüngere), das Ermenrich-
lied und der Jäger aus (Jriechen-
land, der Wolf- Dietrichsage ange-
hörend, erhalten. Mythischen Ur-
sprungs sind Lieder vom Wasser-
mann, von Nixen, Geistern und Ge-
spenstern, vom Tannhäuser; auch
einzelne Liebesballaden , wie die
Schwimmersage, gehen auf mythi-
schen Urspruug zurück.
2. Tag- oder Wnchterlieder; ur-
sprünglich der höfischen Lyrik un*
gehörend (siehe den Art. Tagelied),
hat sich diese Gattung im'Volks-
liede später in reicher Fülle ( r-
halten.
3. Lieheslieder im engem Sinne.
Sie werden schon im 8. Jahrhundert
erwähnt, da Bonifacius Reigen der
Laien und Gesänge der Mädchen
G7
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1058
Volkslied
in den Kirchen verbietet und ein
Kapitidar Karls d. Gr. von 789 be-
stimmt , dass die Nonnen keine
mnileodes, d. h. Freundes-, Gesellen-
lieder, von wine — Freund, sehreiben
oder ausschicken sollen. Leider ist
von solchen Liebesliedeni des alt-
hochdeutschen Zeitraumes nichts er-
halten; Lieder ähnlicher Art müssen
es aber gewesen sein, an welche
anknüpfend das höfische Minnelied
sich entfaltete; dasselbe trägt als j
Zeugnis seines volksmässigen Ur-
sprungs namentlich den Umstand,
dass es regelmässig an die Wand-
lang der Jahreszeit anknüpft, so \
zwar, dass die glückliche Zeit des ]
Frühlings den Anbruch der Liebe,
die Zeit des Herbstes und Winters
die Trennung von der Geliebten,
der Liebe Leid in sich trägt. Die-
sen Zug trägt auch da.s spätere
Volkslied noch an sich.
4. Abschieds- und Wanderlieder
gehören zu den rührendsten und
ergreifendsten Volksliedern, die man
hat; sie stehen im Zusammenhang
mit der allgemeinen Wanderlust des
15. und 16. Jahrhunderts, und mit
der damit verknüpften Beschwer-
lichkeit des Reisens, der Unsicher-
heit des Besitzes, der Unstätigkeit
des Lebens. Solehe Lieder sind
,, Innsbruck ich muss dich hissen",
,,Aeh Gott, wie weh thut scheiden4',
„Ich stund an einem Morgen heim-
lich an einem Ort".
5. Rätsel-, Welt- Wunsch- und
Ttügenlieder gehören ihrem Inhalte
nach zu den ältesten Dichtungen,
die in engem Zusammenhang so-
wohl mit dein Mythus und der reli-
giösen Denkweise als mit den älte-
sten Zuständen des gesellschaftlichen
Lebens stehen (vgl. den Art. Ratsei
und Rätsel Lieder). Das älteste
Ratscllied, zugleich eines der ältesten
erhaltenen Volkslieder, ist das aus
dem 1 H.Jahrhundert erhaltene Trage-
mundealied. Zu den Wettgespräehen, I
in welchen sich in urgerumnischer
Z 'it zwei Männer zur Prüfung ihres '
Wissens herausforderten und wobei
sie auf ihre Antwort Sagen von der
Welt und den Göttern mitteilen,
gehören auch die Wettstreitlieder
zwischen Sommer und Winter (siehe
den bes. Art. ) und das diesen nach-
femachte zwischen Buchsbaum und
elbinger. Siehe Unland, Abhami
hing III: Wert- und Wunschliedcr
6. Tanz- und Kranzlieder wur-
den beim Reigen von den Tanzen-
den selbst gesungen , wobei iBe
Tanzenden sich bei den Händen jre-
fasst hielten und langsam umher-
traten; erst auf diesen ersten Teil
folgte als zweiter und aus dcrselbeo
Melodie geformt der S achtanz oder
Springtanz. Die Kranzlieder ge-
hören inhaltlieh zu den RäteelnV
dern; vgl. die Art. Tanz uud Kran:
7. Trink- und Zechlieder pbt
es erat seit dem 16. Jahrhundert;
die höfische Zeit und die unrnittel
bar folgenden Jahrhunderte brach-
ten an Trinkliedern bloss lateinisch
Vaganten- und MönchsUeder herr T.
Desto üppiger treiben sie im 16
Jahrhundert, wo zahllose Festlieh
keiten, Schmause und Zechgelacr
zur Ausübung solcher Poesie An-
lass boten. Ihr wesentlichster Inhah
ist Ermunterung zürn heitern Lebens-
genüsse, Lob des Weines und Z*
Spruch zum Trinken; eine bw
dere Art der Trinklieder sind die
Martinslieder.
8. Historische Lieder. In ihrer
Entstehung wiederholt sich die Ed*
stehungsart des geschichtlichen Ltf-
des von ältester Zeit her, nur dt**
die besondern historischen IMis
gungeu, welche das Volkslied de-
13. ois 16. Jahrhundert* zeitkt« a
ihren besoudem Charakter erhkltn
durch den im 13. Jahrh. rx»ginn^
den Kampf der untern Stande trepr.
den Adel. Kaum beginnt '
Kampf der Städte . Eidgenoss» i>
schatten, Thal- und Landschafttii
gegen ihre bisherigen Herrn ,
Kampf, der recht eigentlich dr*n
Geiste der Zeit Richtung gibt, w*\
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Volkslied.
1059
ein neues Heldenalter herbeiführt,
so erscheinen auch die Lieder Schlag
aufSehlag. Wo überall auf deutschem
Boden das Volk seine Fesseln bricht,
zuerst in der Eidgenossenschaft,
dann im Niederland, bei den Ditmar-
schen, später allerorts in Deutsch-
land, da folgen den Schlachten, Er-
oberungen der Städte und Burgen
ihre Lieder; den wirklichen Ereig-
nissen ihr bleibendes Bild. Dieses
ist keine Schlachtbeschreibung, son-
dern ein von gesteigerter Einbil-
dnngskraft erschautes Einzelbild,
dem meist, wie beim alten Epos, die
direkte Rede, das Zwiegespräch
charakteristisch ist Die Sammlung
v. Lilienkrons, welche die histori-
schen Lieder vom 13. bis 16. Jahr-
hundert umfasst, enthält 623 Num-
mern, worunter freilich manche bloss
gesprochene Dichtungen , sog.
Syrüche, inbegriffen sind. Die im
strengern Sinne historischen Lieder
wollen immer zugleich politisch
wirken, der Partei dienen, wobei
freilich das Lied in der Kegel bloss
den Sieg zu begleiten pflegt. Mehr
unmittelbar dichterischen Eindruck
als die historisch-politischen Lieder
machen diejenigen Volkslieder, in
denen eine zwar historische, aber
ins Gebiet der Romantik streifende
Tfiat sich zum Liede gestaltet hat,
wie das vom Lindenschmied, vom
Kppele von Gailingen. Wiederum
seheint sich in andern Liedern ein
aus früher, vielleicht aus sehr früher
Zeit hergekommener historischer
oder mythischer Zug bloss einem
historischen oder für historisch ge-
glaubten Namen angepasst zu haben,
wie z. B. jetzt das alte Hildebrands-
lied als eine romantische Ritter-
ballade zum Vorsehein kommt.
9« La ndsk nechts- uud Reiterlieder
des 15. und 16. Jahrhunderts sind
die Soldatenlieder der Vorzeit; sie
berühren sich teils mit dem histori-
schen Lied, teils mit dem Liebeslied.
10. Jiujerlieder und Jayerroma nzcn
' rseheinen seit dem Ende des 16. Jahr-
I hunderts und waren seit der Zeit
I bis ins 18. Jahrhundert beliebt; sie
sind zum Teil nach französischem
Vorbilde gesungen worden.
11. Lieder auf verschiedene
Stünde sind weder alt, noch waren
sie je allgemeiner verbreitet, abge-
sehen von den schon genannten
Typen, worin sich u. a. der Geist
der Städter, Bauern, Landsknechte
u. dgl. andern Ständen gegenüber
ausspricht. Dagegen sind Hand-
werks- und Zunftlieder, worin die
Thätigkeit des Handwerks beschrie-
ben ist, kaum vor dem 16. Jahr-
hundert und nur sporadisch dage-
wesen. Die gereimten Zunftlieüer
waren nach ihrem Inhalte sog.
Ruhm-, Ehr- und Lohlieder der
Handwerker, meist auf eine und
dieselbe Schablone zugeschnitten,
an Poesie arm und nüchtern. Erst
im 17. und noch mehr im 18. Jahr-
hundert sind von Volkspädagogcn
und Aufklärern eine grössere An-
zahl Berufsgesäugegedientet worden,
an denen namentlich das Mildheimcr
Liederbuch, 1799, reich war.
12. Scherz-, Spott- und Schand-
licder bilden eine besondere Gattung
von Volksliedern; unter denen be-
sonders die auf Bauern und Pfaffen
zahlreich sind, auch auf einzelne
Handwerker, wie die Schneider und
Leineweber. Dahin gehören Stoss-
seufzer geplagter Eheleute, Spott-
lieder auf menschliehe Gebrechen,
Missheiraten, z. B. des kleinen
Mannes mit dem grossen Weibe.
13. Kinderreime, siehe den Art.
Kinderspiele.
14. Geistliche Volkslieder, siehe
den Art. Kirchenlied. Über den
Übergang des Volksliedes ins Ge~
scll schaffst icd, siehe den besondern
| Artikel. Sammlungen von Volks-
liedern sind viele vorhanden; es
seien hier erwähnt ausser dem
Wunderhorn (neue Ausgabe von
Birlinger und Crecelius, Wiesbaden
1874), L'hland, alte hoch- und nieder-
deutsche Volkslieder, Stuttgart
67 *
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1060
1844 — 46, kürzlich unverändert neu I 1851 und 1872; Erl\ deutsche:
aufgelegt; dazu gehören in Band 3 Liederhort, Berlin 185»; ; rvn Udv*
von llumuli Schriften die Abhand- \cron, die historischen Volkslit^kr
lungen, von denen bloss folgende der Deutschen voin 13. bis 16. Jah:
vier bearbeitet und erschienen sind: hundert, Leipzig 1865—69. 4 Bd>
Sommer und Winter; Fabellieder; Goedeke und Tttfmann, Liederbu-b
Wett- und Wunschlieder; Liebes- aus dem 16. Jahrhundert, Leipzir
lieder; und die Anmerkungen in 1867; Böhme, altdeutsches Liedrr
Band 4 der Schriften; Simrock', die buch, Leipzig 1877, besonders fcr
deutschen Volksbücher, Frankfurt j die Melodien bearbeitet.
w.
Wagen erscheinen als vierrädrige
Wagenkarren schon in der Mero-
wingerzeit, da die Könige sich ihrer
als eines uralten Vorrechtes be-
dienten; diese Königskarren waren
mit euicm Gespann von Ochsen be-
nannt, die nach Bauernart ein
Kindcrhirte leitete. So blieb es
noch sehr lange, und es ist bekannt,
wie Kaiser Friedrich III. vermittelst
eines Oehsenwagens seine Länder
bereiste. Unmittelbar auf den
Achsen ruhte ein zwei- oder vier-
rädriger Karren mit viereckigem
Wagenkasten, die Pferde bald zwei
neben-, bald zwei hintereinander
angespannt. Zum Antreiben be-
diente man sich der Geissei oder
eines Stabes mit eisernem Stachel.
Ein gewisser Aufwand in der äussern
Ausschmückung des Wagens trat
erst im 13. Jahrhundert hauptsäch-
lich in Frankreich zu Tage, wo
Ludwig der Schöne den Damen
vom Hofe den Gebrauch von Wagen
als Auszeichnung gestattete. Der
Aufwand bestand jetzt in Verzierung
der Aussen wände des Wagenkastens
durch Schnitzwerk und Malerei,
Überspannung des Kastens durch
Tücher vermittelst Reifen, Aus-
stattung der Sitze durch Polster;
im übrigen zogen bis über das
Mittelalter hinaus auch Damen das
Reiten oder die Irmjsänfte dem
holprigen Wagen vor. In Frank
reich führte man im 1 6. Jahrhundert
eine Verbesserung der Wagen «Ii
durch ein, dass man den Kasten L'
ein Riemengehänge befestigte oi^
Thüre und Tritt des Wagens sei!
wärts anbrachte, infolge davon
auch die Sitze der Breite nach m
ordnete. Die langsame Verbessert^
des Personenfulmverks namenuVfc
in Deutschland hing zum Teil <i*
mit zusammen, dass die Lande*
Herren den Gebrauch von Wapt
als nur ihnen zuständig oder
Weibern zu gestatten erachtet« n
noch im 16. Jahrhundert wuniei
die Kutschwagen — der Name
in dieser Zeit ' aus dem Ungarische
nach Deutschland gekommen — jj
verschiedenen Staaten verboten uti'i
allen denen, die am Hofe etwa* ^
schaffen hätten, eingeschärft, *:'
möchten zu Rosse erscheinen, la
England wurden Kutschen an Stell*
der ältern Karren erst um 1-'»*
von Deutscldand aus eingefuhr
Doch blieb der Gebrauch *J
Kutschen sogar in Frankreich 1
vereinzelt, und es soll zu Paris itf
1540 z« täglicher Benutzung bl**
zwei Kutschen gegeben haben, e""'
für einen adeligen Herrn, der irin«
Beleibtheit wegen nicht reiten könnt«
und die andere für die Bervtsi"
von Yalentinois. Heinrich IV. °»'
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Wagenburg. — Wahrzeichen.
1061
sass für sich und die Königin nur
ciiien Wagen, und in Spanien ge-
stattete Philipp II. die Benutzung
der Kutschen nur denen, die mit
vier eigenen Pferden fahren konnten;
wer dies nicht vermochte, hatte auf
Maultieren zu nuten. Dagegen gab
es schon etwas früher reich ausge-
stattete Luxuswagen; bei der Kaiser-
krönung Maximilians II., um 1502,
erschien der Kurfürst von Köln mit
H, bei der Huldigung in Warschau
15i»4 der Markgraf von Brandenburg
mit 3»; Kutschen. Um 1599 erschien
der Marschall Francois de Bassom-
jiicrre zuerst in einer Rutsche mit
Glasfenstern, die er aus Italien mit-
gebracht. Der Kutscher sass bis
dahin regelmassig auf dem Pferde.
In dieser Zeit kamen auch die ge-
schmückten Luxus -Schlitten auf.
Seit dem Regierungsantritte Lud-
wigs XIV. stiec in Paris die Menge
der Wagen schnell und um 1651
wurde schon zur Errichtung von
Mieflcutschm gesehritten , welche
nach ihrem Standort, dem Hotel
St. Fiacre, den Namen Filtere er-
hielten. In Deutsehland war es der
verschiedene Geschmack der Höfe,
der den Gebrauch der Wagen be-
günstigte (»der zurückhielt; als in |
der Schweiz 1IJ71 der französische,
Gesandte seinen Einzug in Baden
in einer Kutsche hielt, fiel dieses
ungewöhnliche Schauspiel auf.
TraffSliihlcutivY lJorte-ch<iixcx fanden
im 17. Jahrhundert ausser wie seit-
her zum Gebrauch für Kranke,
wenig Anklang. In Dresden be-
steht bis heute die ums Jahr 170">
zum Besten des Armenwesens ge- j
stiftete Sänftenträgeranstalt. Ff Vif*, !
Kostüm- Kunde.
Waerenbunsr. Für nomadisie-
rende Völker, welche auf dieser
Stufe ihrer Entwickeluug die Feld-
befestigung noch nicht kenneu,
bietet die Wageriburg den natur-
tremässesten Ersatz. Auch die alten
Deutschen bedienten sich derselben
regelmässig und rnanöverierten da-
mit oft mit Geschick. Die Wagen-
burg erhalt sich bei einzelnen
Völkerschaften durch viele Jahr-
hunderte und gelangt in den Hussiten-
kriegen nochmals zu einer gewissen
Berühmtheit. Städte und befestigte
Lacer machten sie anderorts bald
entbehrlich. (Siehe den Artikel
Kriegswesen.)
Wahrzeichen, mhd. warzeickent
zu mhd. die tear = Achtsamkeit,
also Zeichen zur Achtsamkeit, schon
im Mhd. gern mit Wortzeichen zu-
sammengestellt. Man versteht dar-
unter gewisse Denkmale und Ku-
riosa, die in oder an Kirchen und
«Indern öffentlichen Orten einer be-
stimmten Stadt angebracht sind.
Sie bestehen entweder in Baudenk-
zeichen, und sind dann teils Schluss-
steine, namentlich an Brücken, teils
zu tage gelegte G rundstücksbezeich-
nungen, Bauamulette, z. B. die Huf-
eisen , Fusssohlen, Kreuze, Köpfe,
teils aber nur Bauhütten- oder Stein-
metzzeichen, teils Schlüssel alter
Bausagen, oder sie sind aus eigent-
lichen Landesgerichtszeichen ent-
standen, oder endlich aus den miss-
verstandenen ältesten, ursprüng-
lichen Städtewappen hervorgegan-
gen. Diese Wahrzeichen spielten
in der Geschichte der Gewerbs-
verbände eine grosse Rolle, indem
die zuwandernden Gesellen oder
Knechte sich dem Altgesellen gegen-
über durch die Kenntnis der Wahr-
zeichen über den Aufenthalt in
andern Städten ausweisen mussten.
Es war daher Erfordernis, dass jeder
Handwerksgeselle oder Knecht, so-
bald er in einer Stadt in Arbeit
kam oder auch nur das Geschenk
erhielt, sich »las Wahrzeichen der
Stadt besah und sich die dazu ge-
hörigen Gedenkverse einprägte, da-
mit er im gegebenen Falle das
Examen bestehen konnte. Die
Kenntnis der Wahrzeichen vertrat
daher gleichsam das spätere Wan-
derin ich. W. Schäfer, Deutsche
Städtewahrzeifhen. Leipzig 1M58.
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1062
Waisenhäuser. — Waltharilied.
Waisenhäuser, von ahd. weist,
mhd. weise = beraubt, cnthlösst,
das Wort Waisenhaus zuerst 1618
nachgewiesen. Waisenhäuser finden
sich mehr bei den germanischen,
Findeihäuser bei den romanischen
Völkern. Das erste in der Ge-
schichte bekannte Waisenhaus ist
die von Kaiser Trafen geinachte
Stiftung für 5000 Waisenkinder;
im Jahr 330 n. Chr. wurde in Kon-
stantinopel «'in Waisenhaus ge-
gründet; das älteste französische soll
das durch den Bischof von Angers
654 gestiftete sein. In Deutsch-
land Kommt im 0. Jahrhundert im
Kloster Weissenburg eine solche An-
stalt vor, bürgerliche Waisenhäuser
scheint es dagegen hier nicht vor
dem 14. Jahrhundert gegeben zu
haben ; sie blieben auch von da bis
ins 17. Jahrhundert noch selten, da
man die Sorge für Waisen meistens
den bestehenden Armenanstalten
und Krankenhäusern überliess. In
einzelnen Fällen gewährte auch die
Obrigkeit einen Beitrag, um einem
elternlosen Kinde zu helfen, oder
man setzte ein wöchentliches Almosen
dafür aus und gab etwa ein Waisen-
kind zur Verpflegung auf das Land.
Ein Findrlhaus wird im 7. Jahr-
hundert in Trier erwähnt; zu Flo-
renz 13 Iß und zu Paris 1362, in
Deutschland im 14. Jahrhundert zu
Freiburg der fanden l indlin /ins, und
1386 zu Ulm; 1473 zu Esslingen.
WalkUren, Walkyrien, altnord.
ralfo/rja, ahd. tralar?iuriäy zusammen-
gesetzt aus altnordiseh der valr =
Gesam theit der Todes«v//j/, d. h. der
für Walhalla erwählten und daher
in der Schlacht gefangenen Krieger,
Gesamtheit der vom Schlachtentod
betroffenen, dann der Kampfplatz,
das Schlachtfeld selbst; und aus
einer den Sinn von „Wählende,
Auswählende*, Empfangnehmerin44
tragenden Ableitung des Verbs
huren oder kiesen, das Ganze also
ein aus zwei sinnverwandten Wur-
zeln bestehendes Wort. Di«' Wal-
küren haben ausser dein Amte dei
Totenwahl dasjenige der Schenk
mädchen Odhins und der Einberief;
sie dienen in Walhall, bringen da>
Trinken und verwahre« das Tmh
zeug und die Metschalen. In beider
lei Hinsicht sind sie Vervielffclti
gungen der Freia, erscheinen tbd
auch als Vollstreckerinnen des Wil-
lens Odhins. WTie die Nomen wir
ken sie auf das Geschick, aber mehr
in bezug auf die Schlacht, wie sie
denn auch Walmädchen, Schild
und Helmmädchen heisseu. Eise
der Walküren heist Mist — Neb* L
Wolke; auf Wolkenrossen schweben
sie über dem Schlachtfelde und Tau
träuft von den Mähnen ihrer Bosse
in tiefe Thäler. Wenn sie Luft
und Wasser reiten , legen die Wal
küren Seh wanenhemden an oder vi r
wandeln sich in Schwäne, wol*
das Anfügen des Schwaneugefieder-
durch den Schwanring vermittelt
wird. Wie es irdische Norn»i
gibt, und die Gabe der Weissagung
und des Zaubers auch sterbliebet
Frauen übertragen^ werden kann,
so können auch Königstöchter rc
den Stand der Walküren treten
wenn sie kriegerisches < le werbe er
greifen und ewige Jungfrauschart
geloben. Sie heissen dann Wunsch
mädchen, Adoptivtöchter OdtoV
Solche Walküren sind die drei
Meerweiber, die im Nibelungenlied
bei der Überfahrt der Burgunder
über die Donau erscheinen; in der
Gudrun erscheint ein weissagender
Engel in der Gestalt eines schwim-
menden wilden Vogels, ursprünglich
ohne Zweifel eines Schwanes; audt
Brunhild ist ursprünglich eine
küre. Der Zahl der Walküren wir'
verschieden angegeben, zwölf, sieb*,u
oder neun. Simroek , Mythologie-
Waltharilied ist ein in lateim
sehen Hexametern von dem Sankt
galler Mönch Ekkehart I. in der
ersten Hälfte des 10. Jahrhundert«
verfasstes Gedicht, dessen Inhal'
kurz folgender ist. Den mächtigen
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Waltharilied.
1 063
Hunnenkönig Etzel ergreift wieder
einmal die Kriegslust. Die Franken
will er diesmal mit seinen Horden
heimsuchen. Zu Worms herrscht
über das Frankenland König Gibich.
Eben ist ihm ein Sohn Gunther ge-
boren. Da kommt Nachricht, Etzel
stehe mit einem ungeheuren Heere
an den Grenzen des Landes. Un-
sinn wlire es. Widerstand zu leisten,
Bündnis und Geiseln sind hier besser
angebracht als Feindschaft und
Kampf, so denken Gibich und seine
Räte. Noch ist Gunther zu klein
um als Geisel seinem Vaterlande
Ruhe und Frieden zu erkaufen;
deshalb wird des Königs Vetter
Hagen zu Etzel gesandt. Weiter
wälzt sieh die Heereswoge der
Hunnen gegen das Land der Bur-
gunder, welches König Herrieh re-
fiert. Ihm wächst als Tochter auf
ie reizende Hildegund. Sie gibt
der Vater als Geisel hin. Noch
einen Herrscher will der Hunnen-
fürst heimsuchen , nämlich König
Alpher von Aquitanien. Der Hof
von Burgund und der von Aqui-
tanien stehen in freundschaftlicher
Beziehung, welche durch die Ver-
mählung von Alphers Sohn Walthari
und der schönen Hildegund, die noch
Kinder, doch schon für einander
bestimmt sind, in Zukunft noch
enger werden soll. Wie seine
beiden Vorgänger, der Franken- und
der Burgunderkönig, hält es auch
Alpher von Aquitanien für besser,
statt mit dein Schwert durch Löse-
geld und Geisel sich den gefähr-
lichen Feind vom Halse zu schaffen;
er überliefert seinen Sohn Val/liari
dem Hunnenfürsten , der nun mit
Hagen, Hildegund und Wsilthari
heimwärts zieht an die blaue Donau.
Die Kinder werden an dem hunni-
schen Hof gut gehalten. Wohl
unterrichtet in den Werken des
Krieges und des Friedens wachsen
die beiden Knaben auf, während
Hildegund unter die Obhut der Ge-
mahlin Etzels, der Königin Ospirin
tritt und vermöge ihrer Tüchtigkeit
und ihrer Tilgenden es bis zur Auf-
seherin des Hofschatzes bringt.
In Worms ist nach dem Ab-
leben Gibichs Gunther auf den Tron
gekommen. Er bricht das Bünd-
nis mit den Hunnen und verweigert
den üblichen Zins zu zahlen. Das
hört Hagen und verschwindet bei
Nacht und Nebel. Walthari dient
vorläufig seinem Herrn als treff-
lieher Feldherr; doch hegt auch er
Fluchtgedanken , und wie er nach
einem siegreichen Feldzuge ruhm-
gekrönt zurückkehrt, verabredet
er mit Hildegund die Flucht; die-
selbe soll unmittelbar nach dem
Siegesgelage stattfinden. Hildegund
als Hüterin der Schatzkammer wird
] die Beschaffung der Ausrüstung an-
vertraut, bei der zwei Schreine mit
Spangen und Gold, sowie Angel-
haken nicht fehlen dürfen.
Der verhängnisvolle Abend
kommt heran. Bald hat des Wei-
nes Kraft die Hunnenhelden, Etzcln
an der Spitze, besiegt und in tiefen
Schlaf versenkt. Jetzt ist die Ge-
legenheit zur Flucht da und bald
trägt das gewaltige S.'hlachtross
„Löwe" seinen Herrn und Hilde-
gund samt den entwendeten Schätzen
hinaus dem Westen zu, zum grossen
Verdrussedes endlich aufwachenden
Königs. Walthari und Hildegund fris-
ten ihr Leben mit dem Fleische der
gefangenen Vö^el und der geangelten
Fische. Nach vierzig Tagen setzen sie
bei Worms über den Rhein. Als Be-
lohnung bietet Walthari dem Fuhr-
mann die letztgefangenen Fische
dar und reitet weiter. Doch jetzt
naht das Verhängnis. Der Fähr
mann bringt die geschenkten Fische
dem Koch des Königs, sie kommen
auf Gunthers Tisch und aufmerksam
gemacht durch die Fremdartigkeit
der Speise forscht er nach deren
Gel>er. in welchem denn auch Hagen
aus des hergerufenen Fergen Er-
zählung seinen Jugcndgespielen
Walthari mit Hildegund erkennt.
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1064
Waltharilied.
Da erfasst Habsucht das Herz des
Frankel ifürsteu, es lechzt nach den
Goldschreinen, die VValthari mit sich
führt und in denen nach des Kö-
nigs Meinung das Geld sei, das sein
Vater als Zins nach Ungarn ge-
liefert. Trotz Hagens Abraten reitet
der habgierige König mit zwölf
auserlesenen Recken , darunter
Hagen, aus zur Verfolgung des
Aquitaniers, der unterdessen land-
einwärts reitend in den Wasichen-
wald gelangt und Abends beim
Wasgenstein nach vierzigtägigem
Reiten eine wohlverdiente Nacht-
ruhe gemessen will, während seine
scharfäugige Gefährtin Hildegund
die Wache hält. Walthari fährt
aus dem süssen Schlummer auf;
er erkennt in den Gegnern die
Franken, nistet sich zum Gefecht,
tröstet die entsetzte Hildegund und
rieht Gott um einen günstigen Aus-
gang des Kampfes an. Nochmals
will Hagen den König bestimmen
von einem Angriff auf Walthari
abzusehen. Sein Bitten nützt nichts.
Vielmehr sendet Gunther den Ca-
melo von Metz Walthari entgegen
mit dem Auftrag vom Aquitanier
die Schreine Goldes, das Ross und
die Maid zu verlangen. Camelo
thut nach seines Herrn Befehl, wird
aber von Walthari zurückgeschickt
mit dem Bescheid, dass er dem Kö-
nig hundert Spangen als Weggeld
geoen wolle. Wieder erhebt der
erfahrene Hagen seine warnende
Stimme, wird aber vom König mit
höhnenden Worten der Feigheit ge-
ziehen, so dass der also Geschmähte
schweigt und von Ferne dem be-
vorstehenden Kampfe zuzuschauen
gedenkt. Sein früheres Verlangen
zu wiederholen wird Camelo noch-
mals von Gunther angeschickt. Er
geht und nachdem Walthari ver-
gebens zweihundert Spangen ihm
angeboten, entspinnt sich der Zwei-
kampf, welcher mit dem Tode
Camclos ein blutiges Ende nimmt
Dem Camelo folgen die übrigen
Helden, deren jeder in der ihn.
eigentümlichen Waffe und Gefecht
art den Helden vergebens angreift.
VValthari erwehrt sich sämtlich«:
Gegner und tötet sie. Nur Gm-
(her und Haqen bleiben übri^
Kalt bleibt Hagen bei den in
brünstigen Bitten seines Herrn, auch
teilzunehmen am Kampfe, einpe
denk der frühern bittern Worte
Königs, die ihn und seine Ahnen
der Feigheit beschuldigt. Erst ti
Gunther auf den Knien vor Om
liegt und er sieht, dass die Ehi>
der Franken auf dem Spiele steht,
entschliesst sich Hagen endlich im
Zweikampf seinem Freund ent-
gegenzutreten. Doch will er Wal
ther in das freie Feld ziehen las*t
und dort den Waffentanz beginnen
Um ihn sieher zu machen und 10
seinen Abzug zu veranlassen, ziehet
sich die beiden Franken zurück
Gegen Morgen erhebt er sich au-
dem Schlummer, schaut nach drt
gefangenen Rossen und nimmt ab
Kriegsbeute den Besiegten Panier.
Spangen, Schwert und vVehrgehM
ab. Dann rüsten sich er oe°
Hildegunde zur Weiterreise, &
mit der Beute beladenen Rosse treibt
er vor sich her, als plötzlich vun
einer Anhöhe Gunther und Hsp-n
herabsprengen zum blutigen
scheidungskampf. Durch eiue!i
furchtbaren Sehlag mit dem Schwer:
trennt Walthari dem König Gunther
das eine Bein vom Rumpfe; ihm der
Todesstreich zu geben gelingt nicht,
da Hagen dem Hiebe sich entgegen
wirft, so dass an seinem eisenharten
Helme Waltharis Schwert wie Gl*
zersplittert Walthari will «■
Schwertknauf verächtlich mg**
fen, da gibt er seiner Rechten ein?
Blosse und mit wohlgezieltem Schlaf
haut sie ihm Hagen ab. Nocl» &
Walthari nicht verloren, mit sein«
Linken erfasst er das krumm«:
Hunnenschwert und schlägt dem
Hagen ins Gesicht, dass ein Aup*
und sechs Backenzähne der
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Waltharilied.
1005
Kämpe lassen muss. Jetzt hat das eines Abtes verzichtete zu gunsten
Ringen ein Ende. Versöhnt setzen Purehards, des Sohnes des Grafen
sich die beiden Helden auf den Ulrich von Buchhorn. Vom ganzen
Wiesengrund. Hildegund kommt Kloster tief betrauert starb er den
herbei, verbindet die klaffenden 14. .Januar 973. Das Gedicht ist
Wunden und kredenzt den Lechzen- eine Jugendarbeit, denn als Kloster-
den den Labetrunk. Mit Schurz schüler verfasste es Ekkehart im
und Neckereien über die gegen- Auftrage seines Lehrers Geraldus.
seitigen Verstümmelungen wird der Die Entstehung des Gedichtes fallt
Weiu gewürzt, dann geht jeder in die Zeit von 920—940. Die uns
seiner Wege.
vorliegenden Verse sind allerdings
Mit Freuden wird Walthari in nicht die ursprünglichen , welche
Aquitanien empfangen und an der Ekkehart der L verfasste. Sie sind
Seite seiner treuen Hildegund be- vielmehr durch die bessernde Hand
herrscht er nach seines Vaters Tod des Geraldus gegangen und haben
noch dreissig Jahre lang das Volk
von Aquitanien zu dessen Segen und
Ruhm.
Der Verfasser des Walthariliedcs
ist der St. Gallische Mönch Jükke-
hart, der durch den Heiuamen der I.
unterschieden wird von seinen beiden
Neffen Ekkehart dem IL und III.
und Ekkehart dem IV., von denen
der erstere es war, der wegen sei-
ner funkelnden Augen und seiner
später nochmals in Ekkehart «lein IV.,
dem oben erwähnten gewandten La-
teiner, einen sorgfältigen Korrektor
gefunden. Wie hoch schon die
Zeitgenossen Ekkeharts das Gedicht
zu schätzen wussten, zeigt der Um-
stand, dass es mit einer Widmung
versehen von Gerald dein Bischof
Erchenbald von Strassburgzugesandt
wurde und durch Ekkehart des IV.
Vermittelunfr auch an dem Hof« des
herrlichen Gestalt von der Herzogin ' Erzbischofs Aribo von Mainz sich
Hadwig zum Lateinlehrer ausge
wählt wurde und 990 als Dompropst
zu Mainz starb, während von Ekke-
hart dem III. man nur weiss, dass
er seinen Netten Ekkehart den II.
auch einmal auf den Hohentwiel
begleitete und es in St. Gallen bis
zur Würde des Dekans gebracht,
Ekkehart der IV. (c. 980 bis c. 1060)
aber besonders bekannt ist als Ver-
fasser verschiedener lateinischer Ge-
dichte und als Fortsetzer der von
Ratpert bis zum Jahre 883 geführten
Casus Sanofi dalli , die er selber
mit dem Jahre 975 abschliesst.
Ansehen zu verschaffen wusste.
Unserem lateinischen Walthari-
liede diente offenbar als Vorlage
ein althochdeutsches Heldenlied, das
die Waltharisage behandelte, uns
aber leider verToren gegangen ist
Nach Wackernagel enthält die
Waltharisage wahrscheinlich eine
Beimischung aus der Göttersage,
oder wurzelt vielleicht ganz in letz-
terer: in dem Entscheidungskampfe
wird Walthari einhändig, wie Tyr
und Hagen einäugig wie Hödhr
blind ist ; Hildegund aber vereinigt
in sich die Namen zweier Valkyrien
Aus der Gegend von Gossau oder Hildr und Gunnr.
Herisau, nach anderen von Jonswil Die Waltharisage lie^t uns in
war Ekkehart L nach St. Gallen in drei Gestalten vor (Müllenhoff, Zeit-
die Klostermauern eingezogen. Er schrift für deutsches Altertum XII.,
brachte es zu hohen Würden, indem 273) :
er die Stelle eines Dekans beklei- 1. in einer alemannischen , 2. in
dete und nach Abt Cralohs Tod einer fränkischen , und 3. in einer
958 interimistisch selbst als Amts- polnischen.
Verweser die Geschäfte des Klosters Die alemannische (testalt der
leitete, dann aber auf die Würde i Sage tritt uns in dem Waithanus
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1066
Wappen.
manufortU des Ekkehnrt entgegen,
ferner in den Anspielungen auf die
Waltharisage in dem Nibelungen-
lied und im Biterolf und endlich
noch in dein angelsächsischen Ge-
dicht l'ahlere, das aus dem 9. Jahr-
hundert stammend die älteste uns
erhaltene Aufzeichnung der Sage ist
und uns in zwei Fragmenten wenige
einzelne Züge der Sage erzählt.
In der fränkischen Fassung liegt
uns die \Valtharisage in der Thi-
drckssarja vor, wo der Held als
Yaltart af Vaskasteiniy dessen Vater
nicht genannt wird, und als Schwe-
stersohn Ermenrichs erscheint. Ihr
schliesst sich auch das Fragment
eines österreichischen Gedichtes über
Walthari aus der besten Zeit des
mittelhochdeutschen Epos an. Auf
die Seite der Hunnen stellt sich der
Pole Boquphalu* (f 1253), der in
seinem Clironiean Poloniae die Wal-
tharisage erzählt.
Über die Litteratur des Walthari-
liedes vgl. die Walthariusausgabe
von Scheffel und Holder p. 174.
Wappen, das gleiche Wort mit
Waffen, mhd. icafen, wozu ttdpen
als niederdeutsche Bildung gehört;
und zwar beide Formen inifen und
icupen in beiderlei Bedeutung ver-
wandt. Der Ursprung der Wappen
liegt ohne Zweifel in dem Umstände,
dass die gallischen und germanischen
Völker in der Urzeit buntbemalte
Schilde trugen und die Helme mit
Tierfiguren ausschmückten; Tacitus
Germ. 6. Diese Gewohnheit musste
dazu führen, die Helmfigur und na-
mentlich den bemalten Schild als
Unterscheidungszeichen der Person
zu benutzen. Die ältesten siehern
Zeugnisse für das Vorhandensein
wirklicher Wappen sind den Siegeln
der Könige und des hohen Adels
aus dem 11. und 12. Jahrhundert
zu entnehmen. Sie zeigen den In-
haber entweder im Ornate, mit der
Krone auf dem Haupte, auf dem
Throne sitzend, oder, bei dem hohen
Adel und zuweilen auch bei den
Königen, in voller Rüstung mit
Banner und Schild auf dem Pferde
einhersprengend. Die Wappenbilder
finden sich nun hier entweder auf
Schild, Helm und Bauner der Reiter
gestalt, oder für sich selbständig
auf kleinen Siegeln, die als s. g
Gegensiegel auf der Rückseite der
grossen Wachssiegel abgedrückt
wurden und im Verlaufe, nachdem
sie lange Zeit neben den grossen
Siegeln vorgekommen, diese letztere
völlig verdrängen. Das älteste be-
kannte Wappensiegel hängt an einer
Urkunde des Grafen Robert I. von
Flandern vom Jahr 1072 und zeigt
auf dem Schilde bereits den flan-
drischen Löwen. Zahlreicher wer
den die Wappenbilder erst seit der
Mitte des 12. Jahrhunderts, ja di»
meisten Geschlechter des nohen
deutschen Adels können ihre^Vap
Senbilder nicht vor der ersten Hälft
es IB. Jahrhunderts nachweisen
Sogar die Reichswappen fixieren fiel)
nicht in früherer Zeit. Die fran
zösischen Lilien, früher auch anders
wo häufig vorkommendes Sym^'l
des vom König gewährten Frieden>.
die englischen drei Leoparden, der
aufgerichtete schottische Löwe i»
doppelter Lilienreihe erscheinen al*
feststehende Reichswappen erst ü»
der zweiten Hälfte des 12. Ja«'
hunderts. Der deutsehe Reichsadler
zeigt sieh als ständiges Wappen ertf
auf den Siegeln Rudolfs von Hab>
bürg, der Doppeladler erst unter
Sigismund. Die vielen Sagen über
den alteren Ursprung einzelner
Wappen sind slso sämtlich Fabeln
und ein Wappensiegel des 10. Jahr
hundert ist immer unecht.
Die Entstehung des Wapi*ui
ist also offenbar von der Entstehom:
und Ausbildung des Rittertmev
abhängig. Die Erhebung eines be-
sonderen Ritterstandes verlang
ein äusseres Zeichen derRitterw'ürde
die verhüllende Eisenrüstung ei"
sonderes Kennzeichen des einzelne"
Ritters; die Standes und Krieger
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Wappen.
1067
ehre verlieh diesen Zeichen hohen
Wort und bestimmte die Erben, an
dem einmal angenommenen Zeichen
festzuhalten, und die aufblühende
Kunst beeilte sieh, den willkomme-
nen Gegenstand in würdiger Weise
darzustellen. Die Ausbildung der
Wappenkunde als einer Berufs-
wissenschaft durch die Herolde
\ siehe diesen Art.) kam erst nach
•ler höfischen Zeit auf; von den
Herolden aber stammen die im 14.
Jahrhundert systematisch entwickel-
ten und schriftlich aufgezeichneten
Kegeln der Wappenkunst, Herold*-
htnst oder Heraldik her. Der fran-
zösische Ausdruck Vart du blason
wird von dem deutsehen Urnen ab-
geleitet, dem Hornrufe, womit der
Ritter an den Turnierschranken den
Herold zu rufen hatte. Das ge-
brauchte Horn soll dann auf dem
Helm als Zeichen der geschehenen
Zulassung befestigt worden sein.
Bestandteil de* Wappens bildet
Bild und Farbe des bemalten Sehil-
de* und der den Hehn zierende
Srhmuek; von Schild und Helm
wurden dann die Wappenfiguren
auf den Wappenrock, das Panier,
die Pferdedecke übertragen, so zwar,
dass auch hier meist die Schildform,
oft mit Beifügung des Helmes, bei-
behalten ist und das ganze als Nach-
bildung der zur Turoierschau aus-
gestellten oder der vom Ritter selber
zu Pferde getragenen Waftenstüeke
sich darstellt. Meist sind die alten
Wappenabbildungen , wie in der
Manessischen H andschrift der Minne-
sänger, von der Art. dass man ohne
irgend welche Veränderung den
Ritter selbst nur hinter dem Schild
in den Helm eingefügt sich zu
denken braucht, um das volle Profil-
bild des Ritters zu haben, wie er,
am linken Arme den Schild tragend,
in kunstgerechter Stellung zu Pferde
sitzt Die Siegel des 13. und 14.
Jahrhunderts, welche Wappen ent
lialten, haben ursprünglich häufig
selbst Schilderform . daneben wird
die runde Form, die den Schild bloss
1 als inneres Siegelbild zeigt, immer
i gewöhnlicher. Dabei findet sich an-
fangs Schild und Helm selten ver-
, einigt, entweder bloss Schild oder,
namentlich in kleinen Handsieg<*ln,
| der Helm mit der Helmzicr. Erst
spätere Zeit verbindet regel-
mässig Schild und Helm. Im \ er-
lauf der Zeit wurden die Wappen
I auf Siegeln und anderen Darstel-
lungen immer reicher ausgeschmückt,
Symbole der Amtswürde oder Adels-
stufe des Inhabers, wie Kronen,
Mützen, Hüte, Stabe, auch Helm-
decken kommen dazu; femer im
16. und 17. Jahrhundert besondere
Schildhalter, Devisen als Kriegsruf
des Geschlechtes, endlich s. g.
! Ii 'appenzelte oder Wappenmäntel,
die von den Rittermänteln herge-
| nommen sind.
Nur die Wajtpen der Städte,
' Kirehen und Klöster lassen sich
nicht direkt von der Ritterrüstung
ableiten, obgleich sie ebensowenig
aus den älteren Siegeln dieser Kor-
poral ionen abgeleitet werden können.
Wahrscheinlich verdanken sie ihren
Ursprung den Panieren, unter denen
die Angehörigen der Stadt, des Bi-
schofs oder Abtes zu Felde zogen;
die Schildesform ist also hier blosse
Nachahmung ; die Wappenfarbe
kann nur von der Farbe des Pa-
niers oder der Kleidung der dem-
selben zu Fuss folgenden Krieger
herrühren. Alte Wappenrollen ent-
halten Städte - und Stifts wappen
wirklich in Form von Fahnen.
Herrsehafts- und Uindertrapnen
sind durchwegs dem (»eschlecnts-
wappen des Herrn entnommen: erst
wo etwa die Herrschaft wechselte
und das ältere Wappen für das Land
blieb, wurde die Hcrleitung ver-
dunkelt; denn gewöhnlich nahm
nicht das Land «las Wappen des
neuen Herrn, sondern der neue Herr
das Wappen der neu erworbenen
Herrschaft an.
Ursprünglich scheint man die
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Wappen.
Bilder zum Teil aus Pelzwerk aus-
geschnitten und auf den Schild be-
festigt zu haben; daher die schwarze
Farbe noch im 13. .Jahrhundert ge-
wöhnlich mit zohel bezeichnet wird;
weiss ist hermin. Die üblichen Far-
ben sind Silber und Gold , dann
Hei^t, Schwarz, Rot, Blau, Grün;
gewöhnlich ist das Feld Metall und
das Wappenbild gefärbt, oder um-
gekehrt.
Uber den Grund, welcher ein
Geschlecht, eine Stadt oder Korpo-
ration veranlasste, dieses oder jenes
Wappeiibild anzunehmen, ist selten
etwas Zuverlässiges anzugeben mög-
lich. Am erkennbarsten liegt er
vor bei den s. g. redenden Wappen,
bei denen Bild und Name entspre-
chen sollen, oft zwar nach voll-
standig erfundener Etymologie, so
wenn Helfenstein einen Elefant,
Schaffhausen ein Schaf (einen Wid-
der) im Wappen tragt; doch sind
diese Bilder oft erst spater adoptiert.
Nicht selten ist das Wappenschild
oder die Farbe zum Andenken an
irgend eine tapfere Waffenthat ver-
liehen oder angenommen worden.
Unter den Tierfiguren erscheinen
weitaus am häutigsten die Löwen
und Adler, Symbole der Kraft und
des Mutes, die schon im 12. Jahr-
hundert vorkommen ; ursprünglich
zu den vornehmsten Wappenbildern
des hohen Adels gehörig, finden sie
sich infolge von Verleihung oder als
Zeichen der Abhängigkeit schon
früh auch in Wappen des niederen
Adels, der Ministerialen und Städte,
oft so, dass das abgeleitete Wappen
durch eine Veränderung seiner Farbe
oder Figur oder durch einen Zusatz
zu der letzteren von seiner Quelle
unterschiedeu wurde; so finden sich
die Löwen der schwäbischen Her-
zöge nicht selten in den Schilden
des schwäbischen Adels, die Löwen
der Grafen von Kiburg in den
Wappen der Städte Winterthur,
Diessenhofen und Andelfingen. An-
dere alte Wappenzeichen sind der
Leojiard, die Bärentatze , die wild'
Meerkatze, der Wolf, der El>cr, der
Hirsch, der Steinl/ock, der Widder,
der Greif der Windhund, der Straa".
der l'apaqei, Fische, das Schiff. Aach
Zeichen Jen in der Familie erMich^
Amtes oder Dienstes können «Ii-
Wappen sein; so führen maiich-
Truchsessen-GeschlechtereinenKes
sei oder eine Schüssel, manche Sehen
ken einen Becher im Schilde; hau
figer indes deutet nur das Helmkleino i
auf ein solches Verhältnis hin, wot*i
j das sonstige Familienwapi>en uupr
stört bleibt ; die geistlichen Herren
I die Kurfürsten und Fürsten habtx
Hüte und Mützen in bestimmt' r
Form, und von ihnen abgeleitet mit-
! unter auch ihre Vasallen; daneben
kommen dieselben Stück«' als Sjin-
' bole der Freiheit , zuweilen wohl
auch ganz ohne Bedeutung häufe
vor, als Helmzier oder auch Mo*
als Unterlage einer solchen. Krot**
finden sich als 8. g. Rangkromn
nicht bloss in den Wappen des hohen
Adels, sie kommen schon um 13M
in den Siegeln des niederen Add-
vor. Auch auf die Beschaffenhei'
der Helme selbst wurde bis gep'Q
die Mitte des 15. Jahrhunderts ken:
besonderes Gewicht gelegt; der
wohnliche Helm in Wappen uu-i
Siegeln war der einfache geschlos
sene; seit Ende des 15. Jahrnundert-
galten dagegen geschlossene oder
s. g. Stcrhhehne für Zeichen eine?
nicht adeligen, offene oder s. g
Tnrnierhelme als Zeichen eines tur
nierfähigen adeligen Geschlechte.
Die Bedeutung des eeJiten Hin-
pens besteht darin, dass es Zeichen
eines ritte runtssigen , turnierfahip"
und seit Ausbildung des niedere
Adels adeligen Gcachlechtsist. \Nap"
pengenoss, wajfenf/enoz , zu SchiM
und Helm geboren und ritterbürtig
sind gleichbedeutende Ausdruck-
Erteilung eines Wappenbriefes fiM
mit der Erhebung in den Adels-
stand zusammen. „Seit Ende *J
14. Jahrhunderts dehute sich jedoch
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der Gebrauch der Wappen, nament-
lich bei den Bürgern der Städte,
viel weiter aus. Je mehr die wirk-
lich rittermässigen Geschlechter der
Bürgerschaft mit den andern zu
einer Genossenschaft zusammen-
schmolzen und Mühe hatten, ihren
Stand gegenüber der nicht in Städten
niedergelassenen Ritterschaft zu be»
haupten, desto mehr näherten sich
ihnen die bürgerlichen Geschlechter,
insofern diese wenigstens kein un-
ritterliches Gewerbe trieben; und
die Unterscheidung wurde um so
geringer, als ja ursprünglich diese
Stanilesverschiedenheit nur auf der
Lebensart beruht und die Unter-
lage persönlicher schöppenbarer Frei-
heit gerade in den Städten auch
ausser dem Adel ungesehwächt sieh
erhalten hatte. Dazu halfen die
Privilegien mit, die den Bürgern
einzelner Städte allgemeine Lehens-
fähigkeit erteilten. Das Wappen
konnte hier um so weniger mehr
als ein Zeichen des Adels gelten,
als es überhaupt die Beziehung auf
Kitterschaft und Kriegswesen immer
mehr verlor und die praktische Be-
deutung auf das Siegelbild sieh
konzentrierte. In der Schweiz dehnte
sich der Gebrauch der Wappen so-
gar auf die Bauern und auf einzelne
Dörfer aus. Doch unterschied die
strenge Heraldik fortwährend zwi-
schen adeligen %md nicht adeligen
Wappen, und gab nur den erstem
die Kraft des eigentlichen Wappens."
Seit der vollendeten Ausbildung
des Wappeninstitutes im 14. Jahr-
hundert gilt das eigentliche Wappen
als notwendig und unveränderlich.
Wappen Verleihungen kommen erst
im 14. Jahrhundert vor; bei bürger-
liehen Familien wurde, früher wie
später, das Wappen willkürlich von
dem hierzu Berechtigten angenom-
men. Das Wappen vererbt sich
nach den Grundsätzen der Familicu-
erbfolge auf die ebenbürtigen Nach-
kommen; es gilt als ein wichtiges
nutzbares Recht, dessen Verletzung
durch Verhöhnung, Missbrauch oder
unbefugte Anmassung Anrufung des
richterlichen Schutzes und Strafe
rechtfertigen kann; es kann sogar
als Teil des Vermögens veräussert
werden, wie z. B. der Freiherr Leut-
hold von Regensburg 1370 sein Helm-
kleinod, den Brakenkopf, aus Geld-
not den Burggrafen von Nürnberg
verkauft«'. Viel grösser aber ist
die sonstige Bedeutung des Wap-
pens. Ritterehre und Familienstolz
vereinen sich, den Ruhm des alt-
hergebrachten Wappens zu wahren
una zu erhöhen. Veredlung des
Wappens durch kaiserliche Ver-
leihung ist höchste Belohnung be-
wiesener Tapferkeit; während dem
j Verbrecher der Wappenschild vom
Herold umgestürzt und durch den
Kot geschleift wird, deckt edel ge-
bliebene Toten noch im Grabe der
Stein mit dem Wappenbild; stirbt
aber der letzte des Geschlechtes, so
wird über dem Grabe, da auch
Schild und Helm ihn nicht über-
leben soll, das Ehrensymbol feier-
lich zerschlagen. Meist nach Fried-
rich v. Wjfas. Über Ursprung und
Bedeutung der Wappen, im sechsten
Baude der .Mitteilungen der Zürcher
Antiquarischen Gesellschaft. Schultz,
höfisches Leben, II, Abschnitt 1.
Vgl. Mager, 0. v., Herald. Abc-
Buch, 18.f>7, und O. Hefner, Hand-
buch der theoretischen und prak-
tischen Heraldik, 1863.
Wartburgkrieg. Die Wartburg
war unter der Herrschaft des Land-
grafen Hermann von Thüringen
der Sammelplatz der grossen Dichter.
Da konnte wohl manchmal die Eifer-
sucht und der Wetteifer der Sänger
ein poetisches Turnier veranlassen,
in welchen sie ihre Kräfte massen.
In einen solchen Wettgesang, der
im Jahre 120»> oder 1207 auf der
Wartburg stattgefunden haben soll,
werden wir durch das Gedicht „Der
Wartburgkrieg" eingeführt. Die
berühmtesten Sänger der damaligen
Zeit sind daran beteiligt: Walther
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1070
Wartburgkrieg.
von der T'ogelweide, W olfram von
Kfchenbach uud Reimar der Alte,
ferner der tugendhafte Sehreiher.
Biterolf und Heinrieh von Ofter-
dingen, von welch letzterem wir
sonst so gut wie nichts wissen.
Im ersten Teile des Gedichtes,
im Streitgedieht, kämpfen die Sünder
über den Vorzug von Fürsten. Hein-
rich von Ofterdingen macht sich
anheischig seinen Herrn den Herzog
Leopold VII. von Österreich zu
preisen, gegenüber Wolfram von
Eschenbacn und dem tugendhaften
Schreiber, welche den Landgrafen
Hermann von Thüringen über den
Österreicher steilen und gegenüber
Biterolf, der die Stimme erhebt zur
Verherrlichung seines Herrn, des
Grafen von Henneberg. Walther
von der Vogelweide zeigt sich an-
fangs ungehalten auf Österreich und
gibt dem König von Frankreich
vor allen andern Fürsten den Preis;
später bereut er es, sich von Öster-
reich losgesagt zu haben und ver-
gleicht Leopold mit der Sonne.
Heinrich von Ofterdingen gibt
dies stillschweigend zu, ist durch
eine unschöne List Walthers besiegt
worden und soll nun durch den
Henker Stempfei aus Eisenach hin-
gerichtet werden. Zu seiner Hilfe
ruft er den Zauberer Klingtor aus
Ungarn, dieser erscheint und mit
seinem Auftreten hebt der zweite
Teil des Gedichtes an, den Simrock
das RaUehpiel überschrieben hat.
Klingsor giebt nämlich dem Wolf-
ram vou Eschenbach acht Rätsel
auf, welche dieser mit Leichtigkeit
löst. So hat der einfache Glaube
des Minnesängers gesiegt über die
schwarze Büchergelehrsamkeit des
ungarischen Zauberers. Dieser will
Rache nehmen, für seine Niederlage
und zugleich erfahren, mit welcher
überirdischen Macht Wolfram im
Bund«' stehe, dass er die schwieri-
gen Rätsel so schnell gelöst. Er
beschwört zu diesem Zwecke den
Teufel Nasion, der bei Nacht Wolf-
ram heimsucht und ihn über de*
Lauf der Gestirne fragt. „Dcrjeuip
der die Gestirne gemacht hat, regelt
und kennt ihren Lauf, mich beküm
mert das nicht4', ist die Antwort
Wolframs, der zugleich durch <la*
Zeichen des Kreuzes den Teufel
zum Fliehen zwingt.
An diesen zweiten Hauptteil da
Wartburgkrieges, der mit dem ersten
allerdings in einem ziemlich lo^ n.
aber doch in einem Zusammenhan-'
steht, sind nun noch verschiedem
Dichtungen gereiht, die mir dm
Wartburgkrieg so gut wie nicht«
zu schaffen haben.
Wer der Verfasser des Wart
burgkrieges gewesen, ist nicht sicher
anzugeben. Ohne Zweifel aber
Stammt er nicht von einem einzig
Dichter. Die Pariser Handschrift
der Minnelieder bezeichnet als «Ion
Dichter Wolfram von Eschcnbaci
während die Jenaische Liederbanl
schrift den ersten Teil dem HeiiJ
reich von Ofterdingen , den Rät«:
kämpf aber Wolfram von Eschl-
bach in den Mund legt. Auch <^
Entstehung der einzelnen Teile tallt
in verschiedene Zeiten.
Von jeher betrachtete man de*
Wartburgkrieg als einen Versuch-
dem geistlichen Drama ein weit
liches entgegenzusetzen. Der Dicht' 7
I schloss sich bei diesem Untcrtai»^ 11
! an das Streitgedicht an und ver
knüpfte mit diesem einen RÄtseJ
kämpf, wie ihn seine Zeit liebt«-.
Streitgedichte mit unter SttgJn
verteilten Rollen fand er bei d«-n
Franzosen vor unter dem Nanut
jeu parti. Vor dem Wartburgkrieg
waren sie in Deutschland nicht vcl**
tümlich, das einzige ausgenommen
• las den Streit zwischen SflBJ»*
und Winter behandelt und als älteste
Quelle solcher poctUchcrWettkiunpH
betrachtet werden kann. ^Hel
kämpfe dagegen kommen sch<>nin<h'r
deutschen Mythologie vor. l^iü r,
halte und der Form nach erhebt m*
der Wartburgkrieg nicht über dtö
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Wechsler.
1071
Charakter < les Streitgedichtes, und der
erste Versuch rein deutscher Dra-
matik m uss somit als misslungeu
bezeichnet werden, wie das ganze
Gedicht überhaupt im grossen und
ganzen poetisch wertlos genannt
werden darf. Wohlthuend ist der
Hauch der Ehrfurcht und der Be-
wunderung, welcher das ganze Ge-
dicht durchweht, für den grössten
deutschen Dichter des Mittelalters,
für Wolfram von Eschenbach. Der
Wartburgkrieg, herausgeg., geordnet,
übersetzt und erläutert von A\ Sita-
roek. Stuttg. 1858.
Wechsler. Die ausserordentliche
Verwirrung der Münz Verhältnisse
im Mittelalter, die Ausbeutung
des Münzregals von seite der
Territorialherrschaftcn , überhaupt
die allgemeine Verschlechterung der
Münzen, alles dies verlangte mit
Notwendigkeit die Ausbildung des
Inatitutes der Wechsler. Unter die-
sen kann man einheimische deutsche
und fremde Wechsler unterscheiden.
Zu den einheimisch deutschen Wechs-
lern gehören in erster Linie die
Dienstmännischen oder patrizischen
(^schlechter in einigen Städten,
welche eine eigene Zunft, die Haus-
nrnossen, unter dem Münzmeister
bildeten; diese besassen ausser dem
eigentlichen Münzrecht als Lehen
das ausschliessliche Vorrecht, in den
Städten Geld wechseln zu dürfen;
sie hatten dem zufolge den Namen
ramysores , caml/iatorcs, Wechsler.
Das Privileg hing damit zusammen,
dass die Münzer als die Münzschauer
das Recht und die Pflicht hatten,
die probehaltige Münzt; zu versie-
geln, die nicht probehaltige zu zer-
schneiden, überall nach der Echtheit
der Münzen zu sehen und alle be-
trächtlichen Zahlungen zu kontro-
lieren. In Litauen und Polen,
Krakau und Breslau besorgten da-
gegen lediglich angesehene Kaufleutc
den Geldwechsel der grossen Be-
träge einheimischer Geldarten, die
aua diesen Gebieten seit dem 12. Jahr-
hundert in Baarsendungen als Ab-
gaben an den päpstlichen Hof gingen.
Vielleicht aus den Hausgenossen
hervorgegangen findet man drittens
seit dem 13. Jahrhundert eine Zahl
von Seljenicechslern, die, unter der
Aufsicht der Hausgenossen steheud
oder unabhängig neben ihnen gegen
Kaution und Abgaben von den
städtischen Obrigkeiten Erlaubnis
zum Wechseln erhalten. Sie be-
treiben fast lediglich den Hand-
wechsel, Geldtransport und das Hiu-
leihen von Darlehen gegen Pfänder,
nehmen auch Depositen an und be-
sorgen Wechsel auf Bestellung, in-
des nicht nach entfernten Zahlungs-
orten. Sie finden sich besonders in
norddeutschen Städten , Lübeck,
Hamburg, Breslau, in Preussen und
Polen. Viele derselben besassen
erbliehe Wechselbänke, die sie nach
Belieben vor dem Rate übertrugen
und die meist nahe dem Rathause
und der späteren Börse stehen.
Fremde Wechsler aus Italien uud
Südfrankreich waren namentlich in
Süddeutschland ansässig. Schon seit
dem 8. Jahrhundert hatten die italie-
nischen Haupthandelsplätzc Amalfi,
Ankona, Venedig, dann französische
Handelsorte Niederlassungen im
Orient zur Ausbreitung des Handels
errichtet, und die Blüte dieser Nie-
derlassungen hatte die ihnen beson-
ders nützlichen Kreuzzüge über
dauert. Daraus entstand nun der
weitverzweigte Geld- und Waren-
handel der italienischen Kaufleute
und Wechsler (Bankhäuser) über
Frankreich, die Niederlande und
England. Die Kommanditeu der
grossen italienischen Bankhäuser
folgten den Kaufleuten in die
Fremde, um ihnen bei Regulierung
des von ihnen im Eigenhandel
übernommenen Geldes erwünschte
Dienste zu leisten. In derselben
Weise verschafften sie sich auch
als Kaufleute wie als Wechsler
Eingang in Süddcutsehland. Man
findet sie hier im 13. Jahrhundert
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1072
Weihnacht.
in Worms, im 14. Jahrhundert in
Siegburg bei Bonn, Bingen, Solo-
thurn, in Nürnberg seit dem 15. Jahr-
hundert. Sie tragen den Namen
Lombarden, Lamjnirter. Lummerte,
Walen, Kairertsrhen (siehe den be-
sondern Artikel). Vereinzelt zeigen
sie sieh auch in Norddeutsehland,
z. B. in Lübeck und Breslau. Eine
dritte Gruppe von Wechslern bilden
die Juden, welche von einzelnen
Landesherren das Privileg des Wech-
selrechtea erhalten.
Von den Geschäften der italie-
nischen Wechselhäuser betreiben
die Wechsler in Deutschland vor-
nehmlich nur drei, den Bandtrechsel,
das Darlehn und den Wechsel-
betrieb, doch betreiben die Deutschen
und Juden w- chsler den Wechsel-
betrieb innerhalb kleinerer Entfer-
nungen innerhalb Deutsehland; über
Deutschland hinaus, namentlich nach
Frankreich und Italien, pflegen ihn
die italienischen Wechsler. Eine
grosse Zahl der Wechsler Hess sich
ohne Zweifel neben ihrem kauf-
männischen Gewerbe an dein Ge-
winne des Handwechsels genügen,
während andere die stete Bereit-
haltung von Darlehen meist in
kleiner Summe und auf kurze Zeit
daran knüpften. Neben solehen
privaten Darlehnsbankeu wurden
mit der Zeit durch kaiserliches oder
landesherrliches Privileg von den
städtischen Obrigkeiten städtische
Wechselbänkc und l^eihhäuser an-
gelegt.
Da jedoch diese Institute, soweit
sie nicht von Juden betrieben wur-
den, gegen das allgemeine kirch-
liche Wucherverbot des Mittelalters
waren und doch nicht entbehrt wer-
den konnten, richtete die Kirche
eigene Darlehnsbanken für die geld-
suchenden Bedürftigen ein, die sie
benje der miltikeit, montes pietafis
nannte, und wo dem kanonischen
Glaubenssätze'" getreu gar keine
Zinsen von dem Darlehnsnehmer
gefordert werden sollten; geistliche
Mittel sollteu zur Herbeiscbaffanj
des nötigen Kapitals angewandt
werden: Vermächtnisse, Schenkun-
gen frommer reicher Leute, Beför-
derung zu akademischen und ande-
ren Würden, zum Adel, für dK
welehe angemessene Einlagen in di-
montes thaten; unehelich Geboren-
werden der Rechte der ehelich Ge
borenen teilhaft, und wer der Ver
waltung der montes unentgeltlich
Gehilfendienste widmete, dem ver
sprach man deu Lohn des Himmel*.
Da jedoch die frommen Spenden
bald versiegten, sah sieh die Kirch»
gezwungen, zur Deckung der Gr
Schäftsunkosten und der Verlusv
einen geringen Betrag von jährlich
10— 15% zu fordern; den Begüter
ten aber, falls sie ihre Gelder ein
längere bestimmte Zeit den wo« h ■
zinslos überliessen, versprach mar
die Summen nach Ablauf der Zeit
vervielfacht zurückzubezahlen . uno
so kam es erst in Italien, dann ancL
in Deutschland in Gebrauch, da»
ein Vater nach der Geburt einer
Tochter die Mitgift der letzteren
sogleich in die Kasse der monUs
zahlte, um nach deren achtzehntem
Lebensjahre den zehnfachen Betra
dein Verlobten des Mädchens eii:
zuhändigen; heiratete das Mädchen
früher, so ging das Kapital an die
jüngere Schwester über, und fiel,
wo eine solche nicht existierte, der
Kasse der montes anheim.
Die weiteren Funktionen der
italienischen Wechsler übernehmen
in Deutschland die Genossenschaften
der Kauflcute und die statt tixcAr
Behörden, namentlich ».las gross».
Da Hehns- und Dcpositcnqescfcf?.
die Akkomenda und den Werks* i-
umlauf. Nach JSenmunn, Geschichte
des Wvuchers in Deutschland, Halle
1865.
Weihnacht. Hier sollen in Aus
führung des Artikels kirchlütte Fest*
die näheren Bezüge zusammen-
gestellt werden, in welchen die
kirchliche Weihnachtsfeier zum heid-
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Weihnacht.
1073
nisch - germanischen Volksglauben
steht. Das Weihnachtsfest ent-
stammt einem Naturfeste, das bei
.sehr vielen Völkern einheimisch
war, der Feier der Wintersonnen-
wende, dem nahenden Wieder-
erwachen der Natur; so feierten die
Hindu das Wiedererwachen des in
tiefen Schlaf versunkenen Gottes
Wischnu; in Griechenland zeigte
man am 20. Dezember im Tempel
zu Delphi das Grab des Dionysos
und trauerte um ihn mit wilden
<jJeberden, bis man ihn sich bald
darauf wieder wachend vorstellte
und seine Neugeburt pries. Ebenso
feierten die Römer an den sieben
Tagen vom 17. bis 24. Dezember
das Fest des Saturnus, zündeten in
seinem Tempel als Abbild des neu
geschenkten Sonnenlichtes viele Lich-
ter au, ergaben sich ausgelassener
Festfreude, beschenkten einander
und "Irr deichen, später fügten die
Kaiser dem Saturnalienfeste noch
den 25. Dezember als allgemeinen
Festtag hinzu, zur Feier der zwar
von den Schatten des Winters be-
kämpften, aber dennoch unbesiegten
Sonne; an eben demselben Tage
wurde das Geburtsfest des unbe-
siegten Sonnengottes Mithra be-
gangen und der Gott dargestellt,
wie er in einer Felsengrotte, dem
Abbild des nächtlichen Himmels,
geboren wurde. Feste ähnlicher
Bedeutung wurden auch an anderen
Jahreszeiten gefeiert, wobei der ver-
schiedene Neujahrsanfang oft be-
stimmend einwirkte.
So begingen von den germani-
schen Völkern die Skandinavier in
den älteren Zeiten ihr mit dem
12. Januar als ihrem Neujahrsanfang
beginnendes dreitägiges Fest der
Mit wintern acht oder das Julfest als
Abschluss der Mitte Oktober be-
ginnenden „Winternacht". Ähnlich
war es bei den Angelsachsen, wo
das Julfest Muttemacht hiess. Schon
im 6. Jahrhundert erzählt der grie-
chische Sophist und Geschicht-
Re»11eSicon der deuUchen Altertümer.
Schreiber Prokop, er habe gehört,
dass die nördlichsten Bewohner von
Schweden und Norwegen am 35. Tage
der langen Winternacht Boten auf
die Gipfel ihrer höchsten Berge
schickten, um die wiederkehrende
Sonne zu erspähen; wenn sie er-
blickt werde, so erhebe sich uner-
meßlicher Jubel, alles feiere „das
Fest der frohen Botschaft". Aus
Furcht, die Sonne möchte einmal
ganz ausbleiben, schlachteten sie
unaufhörlich den Göttern und höhern
Mächten der Luft, des Himmels,
der Erde Opfer, zumal dem vor-
nehmsten von Allen, dem Kriegs-
gott, dem als edelste Gabe ein
Kriegsgefangener Mann an einem
Galgen erhängt oder in die Dornen
geworfen wurde. Nach dem Glau-
ben der Germanen schlief im Win-
ter Wodan mit seinen Geister-
scharen verzaubert im Berge, die
bösen Geister trieben ihr Wesen;
Kiesen, Weihnachtsbuben oder Weih-
nachtswichte genannt, sollten von
den Bergen herabkommen und mit
langen Haken aus den Vorratskam-
mern der Bauern Dörrfleisch stehlen
oder die Menschen in ihre finstern
Höhlen rauben. In Dänemark bildet
man diese Gestalten nach und ein
Knecht mit geschwärztem Gesicht,
eine in einen langen Schwanz en-
digende Pferdedecke über den Kör-
per geworfen und einen mit bren-
nenden Lichtern bedeckten Stock
im Munde, kriecht in die Häuser
und sammelt Äpfel und Nüsse ein,
und stösst Drohungen aus, falls er
nichts bekomme. Schon gegen das
Ende der langen Winternacht war
man mit Hoffnung der nahenden
Sonnenwende erfüllt; au den drei
Donnerstagen vor Weihnachten, den
drei Rauhnächten oder Klöpfleins-
nächten, ziehen in Süddeutschland
Knaben vor die Häuser ihrer Be-
kannten und werfen mit Erbsen au
die Fenster. Nun kommt die Zeit,
wo Wodan mit der Schar der ge-
fallenen Helden als wilde Jagd
6H
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1074
Wein.
durch» Land zieht. Lärmt das
Wuetersheer recht, so darf man
ein fruchtbares Jahr erhoffen Auch
milde Göttinnen sind im Zuge, Frau
Gode, Fria oder Holda. 1 tildliche
Darstellungen Wodans aus der
Adventszeit sind noch der Schimmel -
reiter und Knecht Ruprecht, beides
ursprünglich Beinamen Wodans
selbst, ahd. hrtwdperaht = ruhm-
glänzend, und in den Geschenken,
die er den Kindern bringt, an die
Segnungen fies Gottes erinnernd;
auch manche Weihnachtsgebäcke
aus Lebkuchenteig sollten ursprüng-
lich rohe Abbildungen des Gottes
sein. Das dreitägige Julfest selber
leitete in Skandinavien ein feier-
liches Opfer um Fruchtbarkeit und
Frieden ein; Herolde verkündigten
einen dreiwöchentlichen Julfricden;
auf den Höfen fand gastliche Be-
wirtung statt. Auf den Feldern und
Bergen lohten Feuer, man pflanzte
Tannenbäume vor die Häuser, die
man mit Bändern und Lichtern be-
hing. Als Sinnbild des neuen Lich-
tes brannte in der Halle des Hauses
ein mächtiger Baumklotz auf dem
Herde, auf dem Tische zündete
man dreinstige Kienspäne als Jul-
lichter an. Zwei Leute, als Wodan
und Friga gekleidet, traten auf und
Jünglinge tanzten um sie einen
Schwerttanz; auch Sommer und
Winter stritten miteinander. Als
uralte Festgerichte galten Hafer-
grütze mit Heringen, die aus dem
Kückenstück eines frischgcschlach-
teten Sehweines gekochte Julsuppc,
ein Kbcrbraten. Unzählig waren die
Gebräuche, vermittelst welcher man
in der Julnacht das zukünftige Ge-
schick zu erschauen vermeinte. An
das eigentliche Julfest schlössen
sich als eine heilige Zeit die Zirulf-
nächte, die jetzt genau die Zeit vom
Wcihnachtstag bis zum 6. Januar,
dem Dreikönigstag, füllen. Auch hier
ruhte alle Arbeit, Die zwölf Nächte
galten als ein Abbild des kommen-
den Jahres; wie in jedem der zwölf
Tage das Wetter war, so erwartet
man es an jedem entsprechenden
Monate. Mannhardt, Weihnacht*
blüten in Sitte und Sage, Berür,
1 »64 ; Vgl. Rcinsherrj - Du rinqfj'ria.
das festliche Jahr, und H'utth.
Volksaberglaube.
Wein. Die ursprünglichen Ge-
tränke der germanischen Völker
sind Met und Bier (siehe die bt
sonderen Artikel), und nur bei ei-
nigen Völkerschaften Obstwein <»d<;
fit; im bayerischen Sprach^ bi- '
heisst lithm eine Schenke, liftfei*
der Wirt und litlouf, der Gelöbnis
trunk beim Abschlüsse eines Hau
dels. Doch erwähnt schon Tacitu?
Germania 23, dass die ßewohiur
der römischen Grenzgebiete v«*-
den Römern Wein erhandelten; der
römischen Ursprung bezeugen aucL
die der römischen Sprache eut
nommeneu Wörter, ahd. irin. SM
rinum, ahd. winzuriJ, Winzer, au>
vinitor, ahd. icimlenwn, mundartlich
wimmeln, wimmen, aus vimletnum
Presse, Torkol und Kelter
nressa, torcti/ar, calctirare;
Trotte ist deutscher Abstammung
Früh wurden die Rebberge an oö
Mosel deutsches Eigentum, seit den>
6. Jahrhundert wurde Wein l*1
Andernach im Speiergau und am
unteren Neckar gebaut. Karl oft
Grosse wendete «lern Weinbau sein«1
Aufmerksamkeit zu, später war na-
mentlich Ulm ein eigentlicher Wein
markt. WTie der verfeinerte <>
schmack der höfischen Gesellschaft
tlen Wein bevorzugte, erkennt man
u. a. daraus, dass m den Gedicht««
des 11. und 12. Jahrhunderts IM
und Wein noch regelmassig ak
gleich angesehene Getränke nebeu
einander erwähnt werden, während
die höfischen Dichter des 13. Jahr
hunderte den Met fast gar nicht
mehr kennen. Doch scheint (h'r
einheimische Wein, mhd. der /<"■''
irin, mit Ausnahme derjenigen 6*"
genden, wo den Reben von den
Römern her überlieferte sorgsamere
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Woin.
1075
Pflöge zu Hilfe kam, nicht in be-
sonderem Ansehen gestanden zu
haben, er palt als sauer, und die
Härte der Trauben soll im Mittel-
alter dazu genötigt haben, die Kel-
terbäume aus den längsten und
dicksten Stammen des Waldes zu
machen. Als gute einheimische
Weine waren vorzüglich Rheinwein,
EUasser, Botzener geschätzt ; sonst
tranken die Vornehmen mit Vor-
liebe ausländische Weine, von denen
man eine reiche Namen liste kennt.
Zu den verbreitetsten gehören der
Malranier, ein griechischer Wein
von Napoli di Malvasia in der
Morea , vielleicht überhaupt von
(Griechenland; wie andere südliche
Weine bezog man ihn meist von
Venedig. Ein anderer südlicher
Wein ist der Rnmanij, Romonij,
Kommenji, Roniinere, Kuinmenie
u. dgl. genannt, aus Napoli di Ro-
mana bezogen, wenn der Name
recht hat Diesen Weinen an Preis
gleich stand der Muscateller oder
Mustadelle; unter welschem Wein
oder ninum latinum ist wahrschein-
lich italienischer zu verstehen; der
rinum Ra/tiole, Ririglio, Reinfal
oder Reinfan stammt aus Istrien
und wächst zu Prosecco bei Triest,
Berühmt war auch der eippenrin,
Uyperwein von der Insel Cypern.
Fast noch lieber als die natür-
lichen Weinsorten trank das Mittel-
alter solche Weine, die durch Ein-
kochen rersüsst oder, wie unser
Maiwein, durch Beimischung von
geteürzhaften Kräutern und anderen
/uthaten verstärkt werden. Schon
in der merovingischen Zeit würzte
man gelegentlich den Wein, doch
kam diese Sitte erst im 11. Jahr-
hundert in allgemeineren Gebrauch,
und zwar kennt man als ältere
Arten dieses Getränkes den moraz.
Ist mwratum, d. h. Wein über
Maulbeeren abgezogen, Glühwein
und eine Mischung von Wein und
Honig; zur eigentlichen Sitte, den
Wein zu würzen, wurde es aber
i erst in den Zeiten der Kreuzzüge,
und zwar ohne Zweifel in Nach-
j ahmung der Franzosen; die belieb-
testen Sorten gewürzter Weine sind
jetzt :
Das pigmenti fr- piment; insofern
pigmentum eigentlich ein stark- und
wohlriechendes Gewürz, Spezerei
bezeichnet, war mgnient anfänglich
nichts anderes als ein mit Gewürzen
versetzter Wein; doch wird auch
einer Zuthat von Honig für diesen
Wein Erwähnung getlian, wodurch
derselbe die gleiche Bedeutung er-
hält wie
der claret, franz. claret, lat.
claratum, clarelum ; es ist ein guter
Rotwein, der so lange mit Gewürzen
und Honig gemischt und gerüttelt
wurde, bis er klar geworden war.
Eine wohl besonders auf arznei-
liche Wirkung berechnete Art des
Clarets war der nach Hippokrates,
dem sprichwörtlich berühmtesten
j Arzte, genannte J/ippokras. Eine
andere Art Claret hiess man ihrer
roten Farbe wegen sinopel, von lat.
cinnabaris, deutsch Zinnober.
Der am häufigsten vorkommende
Name für den angemachten Wein
ist aber lütertranc, ein dem Wort
] claret nachgebildeter Name: doch
I scheint zwischen ihnen ein Unter-
, schied bestanden zu haben, insofern
man den lütertranc vorzüglich aus
weissem Wein und vermittelst schar-
fer und wohlriechender, frischge-
wachsener oder gedörrter Kräuter
bereitete.
Das Mittelalter kennt übrigens
auch schon gefälschte Weine, und
seit dem 14. Jahrhundert gibt es
obrigkeitliche Verordnungen , in
denen jede Änderung am Wein
verboten wurde; es steht darin
manchmal, es dürfe niemand den
Wein anders machen, als Gott der
Herr ihn habe wachsen lassen.
Doch sah mau sich gezwungen,
die künstliche Bearbeitung von um-
geschlagenem Wein zu gestatten;
die dafiir erlaubten Stoffe waren
08*
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1076
Wein.
anfangs Erde und Milch: seit dem
16. Jahrhundert kam das Schwefeln
auf. Am Ende des Mittelalters
kamen von Reichs wegen Weinver-
ordnungen zu Stande, und 1487 ar-
beitete ein zu Rotenburg an der
Tauber gehaltener Reichs-Deputa-
tions-Tag nach dem Gutachten der
Ärzte eine Weinordnung aus, welche
nachher vom Reichstage angenom-
men und publiziert und später noch
oft wiederholt und verschärft wurde.
Überaus zahlreich sind die städti-
schen Verordnungen über den Wein-
verkehr, Weiuhandel u. dgl. Da
unseres Wissens eine Zusammen-
stellung derselben bis jetzt nicht
vorliegt, mag hier einiges aus den
Verhältnissen mitgeteilt werden, wie
sie Kriegh für Frankfurt berichtet,
wobei vorläufig zu vermuten ist,
dass die Einrichtungen anderer
Städte im ganzen ähnliche gewesen
sein werden.
In Frankfurt a. M. war der
Weinhandel innerhalb der Stadt
gesetzlich an die obrigkeitlich be-
stellten Weinstecher gebunden, die
eine eigene Zunft bildeten. Sie
hatten nicht bloss Käufer und Ver-
käufer gegen Übervorteilung sicher
zu stellen, sondern auch die bei
jedem Weinverkauf vorgeschriebene
städtische Abgabe zu erheben, das
sog. Stichgeld, wovon sie als Mak-
lergebühr zwei Dritteile behielten,
den dritten Teil aber an die Stadt-
kasse abzuliefern hatten. Die Wein-
stecher waren in vier Gruppen
eingeteilt, deren jede das Geschäft
gemeinschaftlich trieb. Beim Frank-
furter Weinhandel ist zwischen dem
in und dem ausser der Messe zu
unterscheiden. Auch Fremde durf-
ten ausserhalb der Messe Weinhan-
del treiben, jedoch mit der Einschrän-
kung, dass sie zwar an Bürger jede be-
liebige Quantität, an Fremde aber nur
grössere vorgeschriebene Lasten ver-
kaufen durften. Von ausgeführtem
Wein musste jedermann einen Aus-
fuhrzoll, die Steinfuhr, bezahlen, ein
Name, der daher rührt, dass ur-
sprünglich jeder, der ein Fass Weil:
aus Frankfurt fuhr, der Stadt ein
Fuder Steine für ihre Bauten batt>
zuführen müssen. Von Seiten der
Bürger und Einwohner durfte der
Verkauf von Weinen nur nach der
Frankfurter Eiche geschehen,Freimk
durften Fässer einer andern Eich«
benutzen. Kein Wein, der nicht
eigenes Gewächs eines Bürgers war
durfte nicht anders als öffentlich
verkauft, d. h. er mus-ste zum Ver-
kauf auf den Markt gebracht werden.
Während der Messezeit war auch
den fremden Wein- und Bierhämilero
gestattet, im kleinen auszuschenken,
doch mussten sie so gut wie die Bür
ger von dem ausgeschenkten W»-in
und Bier die zweifache Abgabe d»*
Siederlagegeldes und des ingeldt*
entrichten; von dem selbst ge-
trunkenen Wein aber zahlten Fremde
wie Bürger den Glitte- Pfennig, der
in der vierten Mass bestand.
Ausserhalb der Me^sczeit wir
das Weinschenken von altersher nur
einem Bürger gestattet. Esscbenktei
aber nicht bloss berufsmässige Wein
wirte Wein aus, sondern alle Bürger,
die Weinbau trieben, verzapften ihr
selbstgewounenes Erzeugnis; in an-
dern Städten war das Ausschenken
bestimmter Weinsorten dem Ra'1'
vorbehalten; dagegen übte der Kai
von Frankfurt au? seinen Dörfern
das ausschliessliche Recht des Wein
Verkaufes im kleinen aus, er besä*
dort, wie es hiess, den Bann***«
ein Recht, das er etwa für ein Fast
oder bloss für die Kirchweihe an
eine Dorfgemeinde oder an eine«
Wirt abtrat. Das Ausschenken de;
eigenen Weines war notwendig, weil
der gewöhnliche Landwein als Han-
delsartikel weder gut noch dauenni
genug war. Doch musste der Bor
ger zuerst die Erlaubnis zum Au?
schank von den Rechenmeistern ein-
geholt haben; diese gaben ihm dann
ein Zeichen, das er an die Visie*rr
abgab, die ihrerseits die nötigen Vor
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Wein
1077
bereitungen für Reinheit des Weines
und für Erlegung der Abgaben
trafen. Stets war die Erlaubnis zum
Weinschenken auf vier Wochen be-
schränkt. Wer jene erhalten hatte,
lie.ss seinen Wein und dessen Preis
in den Strassen ausrufen und steckte
über seine Hausthüre ein Abzeichen
auf, das im Gegensatz zu den Wirts-
hausschilden in einem grünen Busch,
Zweig oder Strohbündcl bestand;
solche temporäre Schenken hiessen
Busch- oderStraussmrtschaßen. Das
Anstechen jedes zum Verzapfen be-
stimmten Fasses geschah durch die
Visieret' oder Vngelder. Weinknechte
hiessen diejenigen, welche den Wein
ausriefen und in der Wohnung des
Ausschenkers das Abzapfen und
Auftragen des Weines besorgten;
auch sie standen im Dienste, der
Obrigkeit und bildeten eine eigene
Zunft: kein Wirt durfte mehr als
zwei Weinknechte im Dienst nehmen,
den einen als Weinzapf er, den an-
dern als Weinrufer oder Weinsager.
In der Regel durften die Weinwirte
nur zwei Sorten oder zwei Zapfen
zugleich schenken, nur ausnahms-
weise drei oder gar vier. Beide
Zapfen mussten verschiedenen Preis
haben, den der Rat festsetzte, oft
zum Verdruss der Wirte. Vor der
Hausthüre pflegte' des Wirtes Wein-
knecht den Wein zum Versuchen
darzureichen. Zahlreiche Verord-
nungen und Verbote zeugen von
dem oft bunten und wilden Treiben
in der Wrrtsstube.
Ausser den eigentlichen Wein-
und Bierhäusern, den für bestimmte
Kreise bestehenden Trinkstuben und
den temporären Wirtshäusern der
weinausschenkenden Bürger gab es
Gasthäuser für Fremde oder Her-
heraen. Die Trinkstuben waren Wein-
stuben für geschlossene Korpora-
tionen oder Vereine und sehr ver-
breitet; es gab solche für die Rats-
mitglieder, die Zünfte und andere
sog. Stuhengeselhchaften. Die eigent-
lichen Wirtshäuser, d. i. die bleiben-
den Wein- und Bierschenken, wur-
den vorzugsweise von solchen Leuten
besucht, welche wie die nichtzünftigen
Handwerker, die Haudwerksknechte
und Dienstboten , keiue Trinkstube
hatten. Schon früh war eine be-
stimmte Stunde des Weggehens fest-
gesetzt und in allen deutschen Städten
die Einrichtung getroffen, dass die-
selbe durch das Läuten einer ( Hocke,
Weingfocke, letzte Glocke oder lange
Glocke angekündigt wurde; in der
bessern Jahreshälfte „läutete man
die letzten" um U, in der schlimmen
um 8 Uhr; der Wechsel trat an
Maria Verkündigung (25. März) und
an Gallustag (16. Okt.) ein.
Selten kam man im Mittelalter
zu einem gemeinschaftlichen Ge-
schäfte zusammen, ohne dabei Wein
zu trinken; und da selbst städtische
und Ratsgeschäft«* nicht ohne Wein
abgehandelt wurden, so war es für
die städtischen Obrigkeiten geboten,
einen Ratskeller zu haben: lag die
Stadt im Wein lande, so pflegte der
Wein, welchen die Stadt von ihren
eigenen Reben oder als Zins, Ab-
gabe u. dgl. erhielt, hier abgelagert
zu werden ; mancherorts war es auch
der Spital, in dessen Keller der
städtische Wein lae. Bei festlichen
Gelagen, Bürgermeisterwahlen, beim
Besuch hoher Fürsten oder Gesandt-
schaften wurde mit städtischem Weine
aufgewartet, was man Weinschen-
kinen hiess.
Zwar bezieht sich der Begriff des
Trinkens zugleich auf die übrigen
Getränke, doch mag hier einiges
Allgemeine über diese bekannte Na-
tional-LeidenschaftderDeutschen zu-
sammengestellt werden. Mythologie
und Geschichte erzählen schon aus
ältester Zeit vom Trinken der Ger-
manen; in Walhall tranken Odin
und die Einherier Met und Bier aus
den Hirnschädeln der überwundenen
Feinde; als Schenkmädchen dienten
die Walküren. Aus dem Tranke
eines göttlichen Met erlangt man
1 nach der Edda Weisheit und Dicht-
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1078
Wein.
kunst. So waren die Gcruiaiteu aueb
grosse Freunde von Gelagen; ge-
meinschaftliche Opfer und Feste, bei
denen zu Ehren der Götter gewaltige
mit Silber beschlagene Auerochsen-
hörner geleert wurden, waren häufig.
Ein gallischer Bisehof des 6. Jahrhun-
derts, Venantius Fortunatus, der
Bolchen Gesellschaften beigewohnt
hatte, berichtet: „Sänger sangen
Lieder und spielten die Harfe dazu. |
Umher sassen Zuhörer bei ahornen
Hechern und tranken wie Rasende
Gesundheiten um die Wette. Wer
nicht mitmachte, wart! für einen
Thoren gehalten. Man musste sich
glücklich preisen, nach dem Trinken
noch zu leben." Bündnisse auf Leben
und Tod, Verträge und öffentliche
I ! i Hungen wurden beim Trünke
abgeschlossen, der Trunk gehörte
unter die gottesdienstlichen Hand-
lungen; in den Tempeln wurden die
Gott geweihten Becher durch die
Opfernamme gehoben, und der erste
zu Wodans, fler andere zu Thors
und Freyas Verehrung geleert, der
dritte galt dem Gedächtnis berühmter
Helden, der vierte, Minnebecher, dem
Andenken geschiedener Freunde.
Auch auf den Gräbern feierten sie
Gastgelage und stellten den Ver-
storbenen Speise und Trank hin.
Kein Wunder, wenn der ernste Römer
an mehreren Stellen seines Büchleins
(Tacitus Germania 22 und 23) der
Trunkleiden8chaft der Germaueu
Erwähnung thut und seither eine fast
fortlaufende Kette ähnlicher Nach-
richten zu Gebote steht; namentlich
spielt dabei das Wett- und Zutrinken I
eine grosse Rolle; dasselbe wird schon 1
erwannt von Priscus bei der Be-
schreibung eines Attilaschen Gast-
gebotes, wobei auch Deutsehe an-
wesend waren. Sobald die römischen
Gesandten das Gemach betreten
hatten, brachte ihnen ein1 Schenk
einen Becher zum Trinken dar. Hier-
auf eröffnete der Länderbezwinger
das Gelage mit einer Gesundheit,
die er den vornehmsten seiner Tisch-
genossen ausbrachte und die diese
stehend erwiderten; später forderte
er seine Gäste zu einem allgemeine
Trinhfcfccht auf. Ähnlieh kling?
die bekanntere Schilderung des Atti
laschen „Weinturniers44, die Ekkc
hart im Walthariliede niedergeht
hat. Wiederholt erliessen fränkischr
Synoden Erlasse gegen Trunksucht
der Geistlichkeit. Zwar Karl d. Gr.
hielt auch hier Mass; er war kein
Freund von Gastereien und suchte
durch mancherlei Verordnungen de tu
Laster seines Volkes entgegen zu
wirkeu; dagegen hat sieb Ludwig
der Deutsche im Vertrage von Ve-r-
dün ausdrücklich die jenseits de»
Rheins gelegenen Bistümer Speier.
Worms und Mainz deshalb ausbe
düngen, weil sie starken Weinbau
hatten. Auch die Bedeutung, welche
das Schenkenamt an den Höfen de*
Mittelalters besass, spricht für die
Bedeutung des Weiugenusses. We
höfische Zucht zügelte für einige Zeit
die wilde Leidenschaft, wofür es iu
den Aussprüchen der Dichter mancht
Belege gibt; desto schlimmer wurde
es in den folgenden Jahrhunderten,
zuletzt besonders im 15. und 16.
welche die Blütezeit der deutschen
Säuferei sind. Die Zeugnisse dafür
sind unzählbar, alle Stände, vor»}'
aber der Adel, dann die Bürger
Studenten, Landsknechte, die Geist
liehen brachten dem Trunk-Gottf
ihren Zoll. Die Chroniken, z. B. die
Zimmersche, Satiren, wie das N*r
renschiff (Kap. 16), Fastnachtspiele,
die Schriften des Hans Sachs, na
mentlich auch die Selbstbiographie
des Ritters Harn mn Sehweiniei^
sind voll Material zur Geschieht'1
der Säuferei; ein grosser Trinker
zu sein, war eine Ehre, und der g«
nannte Schweinichen erzählt einmsi
,,Habe auf diesem Ritt im R*'*cJ
grosse Kundschaft bekommen und
mir mit meinem Saufen einen gm*«11
Namen gemacht." Unter den s*n
risch-moralischen Schriften des 1<»-
Jahrhunderts,diedenNamen„Teutel''
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Wein.
1079
tragen, fehlt natürlich auch der „Sauf-
teufel" i
Erfreulicher als diese bis ins
18. Jahrhundert dauernde Erschei-
nung ist das Aufkommen der Wein-
pjexie. Der höfischen Lyrik ist
noch jedes Wein- und Trink-
motiv fremd; die erste Weinpoe-
sie. ein Spruchgedicht in Keim-
paaren, genannt der Weiuschirehf,
stammt schon aus der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts und schildert
höchst ergötzlich einen Allein-
Zecher, der in regelmässigem Fort-
schritt — dö fuwb er üf unde tranc
— sein«* Kanne mit Wein leert,
denselben preist, forttrinkt und fort-
trinkt, bis er am Schluss des Ge-
dichtes — erst eigentlich anhebt zu
trinken. Erst im 14. Jahrhuudert
tritt mit dem Volkslied auch das
Trink- und Gesellschaftslied auf,
das sehr heitere Blüten getrieben
hat, und wenn der Spruch: „wer
nicht liebt Wein, Weib und Gesang4*
u. s. w. auch nicht von Luther her-
rühren sollte, so bezeichnet er doch
den Inhalt des Volksliedes seiner
Zeit, das neben der Liebe und «lern
Gesang namentlich den Wein be-
singt: „Der liebste Buhlen, den ich
hau, der leit beim Wirt im Keller,
er hat ein hölzin Röcklein an und
hebst der Muskateller.4' Es sind
ineist Schlemmerlieder, die ein Hans
Ohnesorge in die Welt hinaussingt,
• ■der mutwillige Gesellschaftslieder,
wozu auch die Martinslieder gehö-
ren; vgl. Unlands Volkslieder, Nr.
205 ff.; Hoffmann r. F., Gesellschafts-
lieder, Nr. 174—265. Ergötzlich sind
auch die aus Mariengrüssen paro-
dierten Weint/ nisse und Weinsetjen
des Nürnberger Wappenmalers Hans
Rosenblüt, genannt der Sehnepperer.
An den Trunk knüpft sieh end-
lieh auch das Trinkgefäss und das
Fass, in weiterer Linie Tisrh, Stuhl
und Schenktisch. Das älteste Trink-
geschirr ist das Horn, unter Um-
ständen mit Silber eingefasst und
bis zum 12. Jahrhundert in Gebrauch :
in Aachen wird noch das Horn
Karls d. Gr. und in Braunschweig
dasjenige Heinrichs des Löwen auf-
bewahrt. Aus uralter Zeit wird von
Schädeln erschlagener Feinde be-
richtet, aus denen die Germanen
getrunken hätten; bei den Lango-
barden hiess dieses Gefäss sehala.
Spater traten zum Teil nach römi-
schem Muster rohgeformte (»efässe
aus Metall, Bronze, Silber oder Gold
auf, deren Grundformen der Kelch
und der Becher sind. Siehe den
Art. O efässe. Auch hölzerne Becher
waren im Brauch, aus Ahorn-, Fich-
ten- und Nussbaumholz; aber der
Vornehme bediente sich wenigstens
bei Festlichkeifen der metallenen,
zum Teil mit Edelsteinen geschmück-
ten Pokale, auf welche man seit dem
10. und 11. Jahrhuudert viel Geld
und Arbeit verwendete. Im 12. und
13. Jahrhundert werden Köpfe und
Schafen als übliche Trinkgefasse ge-
nannt, jener ein dem Kelch ver-
wandtes halbkugelförmiges, auf
einem Fuss stehendes, dieses ein
flachgewölbtes Trinkgefäss ohne
Fuss. Uninässige Zecher tranken
aus Kannen. Mit der Zeit vermehrte
sich die Grösse der Köpfe und Hum-
pen, ähnlich wie man eine Ehre da-
rein zu setzen anfing, ungeheure
Fässer im Keller zu haben. Kur-
fürst Johann Kasimir von der Pfalz
Hess 1501 ein Fass von 132 Fudern
zimmern; 1664 Hess Karl Ludwig
ein grösseres von 201 Fudern auf-
stellen, bis endlich Karl Theodor
das jetzige Fass zu Heidelberg von
250 Fudern bauen liess; es wurde
1752 am Martinstage zuerst, später
noch drei Mal gefüllt; seit 1769 steht
es leer; noch grösser waren die Kö-
nigsteiner Fässer, deren grösstes
1725 erbaut wurde, 34 Fuss lang
und 24 Fuss hoch war und 601)
Eimer mehr als das Heidelberger
Fass fasste. — Wackernaffel , Mete
Bier Win Lvtertrane in den kl.
Schriften I; K'riet/k, Bürgertum, I,
Abschnitt 16; Schultz, höfisches Le-
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1 080
Weisende Tiere. — Weistürner.
bell, I, Abschnitt 4 ; Deutscher Trunk.
Kulturhistorische Skizzen. Leipzig,
1863; B. Schutze, Geschichte des
Weins und der Trinkgelage, Berlin
1867; Sorf/hoff] der vormalige Wein-
bau in Noradeutschland, Münster
1877; Hahn, Kulturpflanzen und
Haustiere.
Weisende Tiere nennt die Mytho-
logie solche Tiere, welche auf gött-
lichen Katschiusa dem Menschen,
der zu irgend einem Vorhaben den
Weg nicht kennt, die Richtung da-
hin weisen, sei es, dass es gilt eine
Niederlassung zu gründen, Städte,
Burgen, Kirchen zu bauen, einen
Toten, besonders einen Heiligen oder
einen Verdammten zu bestatten.
Schon die Hebräer, Griechen und
Römer kennen die weisenden Tiere;
in der deutschen Sage sind es na-
mentlich Rabe und Wolf, die Lieb-
linge Wodans, dann der Bär, der
Hirsch und die Hündin, etwa so,
daas der Hirsch Jägern, der Stier
Hirten und der Wolf Helden de»
Weg weist. Auch in der Legende
des hl. Gallus geleiten zwei noch
ungezähmte Pferde den Wagen mit
dein Sarge des Heiligen; der hl.
Lucius von Chor spannt zwei wilde
Waldbüffel in einen Karren und
fahrt mit ihnen nach der Heimat.
(trimm, Mythologie 1093.
Weiaskunig beisst eine von Kai-
ser Maximilian entworfene und hand-
schriftlich Unterlassene allegorische
Geschichte in Prosa, die 1775 mit
Holzschnitten zu Wien in Folio
herauskam. Der „weise Kunig" ist
des Kaisers Vater.
WeistUmer hiessen die mittel-
alterlichen Aufzeichnungen der Hof-
und Dorfrechte. Vereinzelt finden
sie sich schon seit dem 8. Jahrhun-
dert, in grösserer Zahl seit dem
13. Jahrhundert, bis sie mit dem
14. Jahrhundert in fast unüberseh-
barer Masse in den meisten Gegen-
den Deutschlands zum Vorschein
kommen. Da es grössere Land-
schaften umfassende Rechtsnormen
im Bauerurecht gar nicht gab un i
jeder einzelne Hof sein durch H« r
Kommen oder Übereinkunft de,
Herrn mit den Unterthanen enr
wickel tes eigenes Recht hesass, s-
hatten die Bauern auch Int r>-
daran, die geltenden RechtssäL.-
immer von neuem in Erinneruiti.
zu bringen, damit dem Herrn di
Möglichkeit benommen würde, seii-
Reeht wirklich weiter auszudehnen
Es war daher Sitte, dass an be
stimmten Tagen, wo die ganze Ge-
meinde sich versammelte und der Herr
oder sein Vertreter zugegen war. be
sonders in den ungebotenen Gerichte!
( siehe (Seriehtewesen), die wichtigster.
Rechtssätze ausgesprochen wurden
welche sich so von Geschlecht zo
Geschlecht weiter forterbten. Spater
verzeichnete man die Rechtssäti»
und las sie in den Gerichten vor
Das Recht verlesen oder ans der
Erinnerung mitteilen, hieas nun das
Recht weisen, eröffnen, und die dar-
über aufgesetzte Ürkunde If Vi*/»*.
Öffnung, mhd. tcisfwnn, offemutt»v,
in Bayern ehaftrecht, in Osterreich
pantauling. I^ie Form des Weisen*
war verschieden: bald werden die
Schotten, die Gerichts] >crsonen oder
alle Männer, welche am besten da?
Herkommen kennen, nur im alige
meinen aufgefordert, alles was si»
vom Recht wissen, auszusagen ; bal
thut der Richter, Beamte oder Herr
einzelne Fragen und die Gemeinde
glieder geben darauf ihre Antworten .
ist ihnen dabei etwas nicht voll
ständig bewusat, so versprechen sie
zu antworten, soweit es aie Sinn und
Witz lehre, oder sie erkläreu, dat*
sie keine Entscheidung wüssteu.
weil ihnen ein solcher Fall noch
nicht vorgekommen 8ei, oder sie
bitten sich zur Antwort einen spa-
tem Termin aua. Mit der Zeit ta>\z
mau zur schriftlichen Aufzeichnung
der Weistümer Notare oder sonstig»'
Schreiber zu, welche dieselben in
der Form von Fragen uud Ant-
worten oder in derjenigen vou ein-
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Welseher Gast. - Wergeid.
1081
zelneu Rechtssätzen redigierten ; man
sehrieb sie auf einzelne Blätter oder
Pergamentstreifen oder trug sie in
Bücher und Register ein. Aueh
die spät niedergeschriebenen Weis-
tümer enthalten meist sehr alte
Rechtssätze, welche schon seit Jahr-
hunderten gegolten hatten, und man
wusste, dass man althergebrachte»
Reeht mitteile; die Schöffen, heisst
es, weisen das Recht, wie sie es von
den Vorfahren und ihren Mitbrii-
dern erlernt und gehört haben, und
halten es für Pflicht ihrer Nach-
kommen, es unangetastet spätem
Generationen zu überliefern. Man
schrieb die alten Weistümer wört-
lich von neuem wieder ab, selbst
dann, wenn die veränderten Verhält-
nisse eine Änderung erforderten und
fügte bloss einzelne neue Sätze hinzu.
Der Inhalt der Weistümer ist
sehr mannigfaltig, je nachdem die
Bauern frei oder unfrei sind u. s. w.
Einige Weistümer sind blosse Dorf-
ordnungen, andere Hofrechte. Ks
gibt Mark- und Forstweistümer,
welche sich nicht auf eine einzelne
Gemeinde, sondern auf die Rechte
mehrerer Dörfer au der gemeinen
Mark, auf Markfrevel u. a. beziehen;
ferner Bergrechte für Weinbau trei-
bende Dörfer, Grenzweistümer,Zeid-
lerrechte, Wrasserrechte, Deich- und
Mühlenrechtc , Fischerei weistümer,
Fährweistümer, Flurordnungen, Kir-
chenrechte. Den Hauptinhalt bildet
die Stellung der Gemeinde zum
Landes-, Gerichts-, Vogtei- und
Grundherren; die Zahl und Be-
schaffenheit der einzelnen Güter wird
aufgezeichnet, die Abgaben, Zinsen
und Frohnden aufgezahlt, die Ver-
pflichtungen des Herrn genannt, die
Grundsätze mitgeteilt über die V«-r-
erblichkeit und Übertragbarkeit der
GHIter, Strafen für niedere Frevel u.a.
Nach S/of)be, Rechtsauellen, I, 585 ff.
Die bedeutendste Sammlung von
Weistümern wurde seit 1840 von
Jacob Grimm veranstaltet und nach
seinem Tode fortgesetzt.
Welscher Gast, d. h. der Fremde
aus Welschland, heisst ein mittel-
hochdeutsches Lehrgedicht, das der
aus Friaul gebürtige llivmaxin von
Zcrclaere ums Jahr 1215 in 14742
Zeilen dichtete. Das erste von zehn
Büchern enthält allerlei Regeln für
das gesellige Leben; Buch 2 — 8
trägt das eigentliche System vor,
wobei alle Tugenden aus der staetr,
d. i. der Beharrlichkeit, abgeleitet
werden und die Unveränderlichkeit
im Leben der Tiere und der Pflan-
zen und in den Bewegungen der
Planeten der sündhaften Veränder-
lichkeit des menschlichen Geistes
entgegengesetzt wird. Buch han-
delt vom Richteramt, dem weltliehen
und geistlichen Gericht, Buch 10
über Freigebigkeit und Geiz. Aus-
gabe von Kihkert, Quedlinburg 1852.
Wenreld, ahd. trerigelt, zu ahd.
ver = Mann, also eigentlich Mann-
geld, war im altgermanischen Recht
die bestimmte, gegen Totschlag an
die Blutsfreunde zu entrichtende
Busse; dieselbe wurde als Befriedi-
gung und Sühne für ein Verbrechen
gegeben, und bezeichnet*1 den Wert,
wozu jeder nach seinem Stande in
dem Gemeinwesen geschätzt und
versichert war; ursprünglich ent-
sprach das Wergeid dem Wert der
Hufe. Die Forderung de« Wergei-
des ging von den Blutsfreunden des
Erschlagenen aus, die jenes auch
unter sich verteilten, und ebenso
waren die Blutsfreunde des Thäters
genötigt, zudem geforderten Wergeid
beizutragen oder es unter Umstän-
den ganz zu zahlen. Wilda unter-
scheidet, Strafrecht der Germanen,
! S. 871, folgende verschiedene Stufen
| in der Entwickelungsgcschichtc des
Wergeides. 1) Eis bildete sich und
bestand neben dem ältesten auf
Friedlosiykcit gegründeten Straf-
recht und war weder Gegenstand
der Gesetzgebung, noch der Rechts-
pflege. 2) Es wurde eine Rechte-
! Institution , die dazu diente , die
Familien, ohne notwendige Rück-
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1 082
Werwolf. — Wiclaud.
siebt auf den Thäter, lediglieh um
ihrer selbst willen zu versöhnen.
3) Ks wurde der Familie zur Pflicht
gemacht, zum Wergeid beizusteuern,
damit der Schuldige selbst sich von
weiteren Folgen seiner That be-
freien könnt', ohne dass jener vorige
Gesichtspunkt ganz erlosch. 4) Die
Gesetze beschrankten diese Pflicht
der Familien, bis sie dahin kamen,
jede notwendige Beteiligung auf-
zuheben und den Grundsatz auf-
zustellen, es solle der Thäter allein
für seine Schuld büssen, mit Aus-
schluss jeder subsidiären Haftung.
Das Wergeid uahm nun ganz die
Natur einer Strafe an; es war, nebst
dem beim Totschlage zu zahlenden
Friedensgelde, rein an die Stelle
der den Schuldigen treft'eudeu Fried-
losigkeit getreten. 5) bis war dieses
auch nicht etwa nur in Beziehung
auf den Totschlag der Fall, sondern
eine Menge anderer Missethaten
sollten nach den gesetzlichen Be-
stimmungen mit dem Wergeide,
uud zwar bald des" Verletzten, bald
des Schuldigen gebüsst werden, ohne
dass sich dafür, wenn man das
eine oder andere gewählt hat, eine
feste Regel auffinden lasst. Indem
man dann dieses Wergeid auch ver-
vielfachte und teilte, war es zu
einem allgemeinen Busssatz ge-
worden.
Werwolf, mhd. weneolf von
ahd. kw = Mann, also Mannwolf,
ist nach einer bei slawischen, roma-
nischen, keltischen und germanischen
Volkern herrschenden Anschauung
ein in einen Wolf verwandelter
Mensch; die Annahme der Wolfs-
gestalt hängt von dem Überwerfen
eines Wolfgürtels oder Wolf hemds
ab; wer dieses anlegt, erfährt Um-
wandlung und darf erst am zehnten
Tag in menschliche Gestalt zurück-
kehren; nach andern Sagen muss
er drei, sieben oder neun Tage in
dem Wolfsleib beharren; mit dem
Aussehen nimmt er zugleich Wild- !
heit und Heulen des Wolfes an |
und zerfleischt wälderdurchstreifcn»!
alles, was ihm in den Weg kommt
In den Hexenprozessen spielte dieser
Aberglaube eine grosse Rolle, un-1
zwar war hier die gewöhnliche An-
nahme, die Verwandlung werdr
durch einen um den I^eib gebundwn
Kiemen bewirkt; der <ȟrtel ta
nur drei Finger breit, und aus d<r
Haut eines Menschen geschnitten.
Von natürliche:) Wölfen soll «■
Werwolf an seinem abgestumpften
Schweif zu erkennen seiu. ( rrimat.
Mythologie 1048; vgl. l^eubturh^r,
Uber die Werwölfe und Tierver
Wandlungen im Mittelalter. Berlin
1850.
Wessobrnnnenrebet heisst einr
aus dem 8. oder 9. Jahrhundert
stammende kurze deutsehe Dichtung
in alliterierenden Versen, die au*
mehreren ursprünglich nicht zu-
sammengehörenden Stücken kompi
liert ist. Der erste aus vier Lau£
versen bestehende Teil ist der Ein-
gang eines heidnischen, ursprüng heb
altsächsischen Gedichtes von der
Weltschöpfung; die vier weitem
Verse; enthalten eine christlich«
Schilderung von der Weltschöpfunjr.
und der Schluss besteht aus einem
christlichen Gebet. Den Namen
hat das Fragment davon, dass
in dem bayerischen Kloster Wesso-
brunn aufgefunden worden ist
Wetterkahit auf dem Glocken
türme kommt schon im 10. Jahr
hundert zu St. Gallen vor; er er-
innert an die Wachsamkeit in Beo-
bachtung der kanonischen Stunden,
da man vor der Erfindung der Uhreu
den Anfang des Frühgottesdienstes
nach dem Hahnenschrei richtete.
Statt des Hahnes kommen auch
Kirchenpatrone vor.
Wieland ahd. WioUtnt, angel
sächs. Velandy altnord. Völundr heis"*
der Held eines aus mythischer An-
schauung hervorgegangenen Sagen-
kreises, dessen Hauptinnalt folgender
ist: Riese Wada, der Sohn dcsWü-
k iniis und der Meerfrau Wacbilde,
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Wigalois.
gibt seinen Sohn Wieland erst bei i
Mime, dann bei Zwergen in die
Lehre, die ihn zum kunstreichsten
Sehmied machen. Darauf wohnt
er mit seinen Brüdern Eigil und
Slagfidr eine Zeitlang in Ufdalir,
wo sie drei Sehwanjungfrauen finden
und mit ihnen zusammenleben, bis
diese nach sieben Jahren als Wal-
küren davon Hiegen. Dann kommt
Wieland zu König Nidung und be-
siegt im Wettkampfe den Sehmied
Amilias mit dem Sehwerte Mimung.
Nidung lässt ihn lähmen, aber Wie-
land rächt sich, indem er des
Königs beide Söhne tötet und seine
Tochter entehrt; ihr gemeinsamer
Sohn ist der Held Wittich. Dann
entflieht er in einem Federkleid. —
Die Sage vom Sehmied Wieland
war im Mittelalter weit verbreitet,
wie u. a. viele mit Wieland zu-
sammengesetzte Ortsnamen bezeu-
gen. Dagegen ist leider kein deut-
sches Gedicht dieses Inhaltes erhalten
geblieben; bloss ein dem 14. Jahr-
hundert angehöriges Gedicht Fried-
rich von Schwaben erzählt Abenteuer
des Helden, die eigentlich diejenigen
Wielands sind; unter dem Namen
Wieland, heisst es hier, habe Fried-
rich seine Geliebte Angelburg, ein
halb geisterhaftes Wesen, gesucht
und sei ihm Hoffnung gemacht
worden, an einem bestimmten Ort
seinen Wunsch zu erreichen. Als
er dort augelangt ist, sieht er drei
Tauben zu einer Quelle fliegen, die
sich darin baden wollen. Indem sie
die Erde berühren, werden sie zu
Jungfrauen, deren eine Angelburg
ist. Sie werfen ihre Gewänder ab
und springen ins Wasser. Wieland,
durch Hilfe einer Wurzel unsicht-
bar, nimmt ihnen die Kleider weg.
Darüber erheben die Mädchen
grosses Geschrei, aber Wieland,
sichtbar hervortretend, erklärt sich
nur dann zur Zurückgabe der
Kleider bereit, wenn eine davon
ihn zum Manne nehmen wolle. Sie
entsehliessen sich endlich und über-
I lassen ihm die Wahl, worauf er die
geliebte Angelburg wählt, die mit
Freuden den Friedrich von Schwaben
in ihm erblickt. Reicher fliessen
die Quellen der Wielandssage in
der altnordischen Litte rat ur; diu
Wülundarquida, ein Heldenlied der
alten Edda (siehe unter dem Artikel
Edda «las zweiundzwanzigste Lied
der Heldensage), dem übrigen» nach
Simrock wahrscheinlich ein deut-
sches Lied zu Grunde liegt, erzählt
von Wieland. Noch deutlicher
liegt der deutsche Ursprung in der
l'ilkina- oder Viltina-Saye vor, einem
nordischen l'rosaroman, der um das
Jahr 1300 aus Mitteilungen sächsi-
scher und westfälischer Männer zu-
sammengestellt worden ist. Auch
die Franzosen kannten die Sage
von Wieland oder Holland, wie er
bei ihnen heisst; ein französischer
Roman dieses Stoffes, Partenopeus
und Melior, wurde wahrscheinlich
von Konrad von Würzburg unter
dem Namen Partinopier und Meliur
ins Deutsche übertragen.
Wigalois heisst ein der Artus
sage augehöriges höfisches Epos dc.^
Dichters Wirnt von (rraeenberg,
der dasselbe, ein Nachahmer Hart
manns von Aue, im ersten Viertel
des 13. Jahrhunderts nach einem
französischen Gedichte des Henau/
die JJeaujcn bearbeitete. Ein unbe-
kannter Ritter, der an Artus Hofe
erscheint, fordert die Genossen der
Tafelrunde auf, ihm einen Wunder-
gürtel abzugewinnen; nachdem alle
unterlegen sind, führt er des Königs
Neffen Gawein gefangen mit sich
fort, um ihn mit seiner Nichte
Ftorie zu vermählen. Als Gawein,
nachdem er einen Sohn gezeugt, an
Artus Hof zurückgekehrt ist, kann
er da, weil er den Wundergürtel
nicht mitgenommen, das Land
Flories nicht wiederfinden. Mit
dem Gürtel nun zieht sein Sohn
Wigalois auf Abenteuer aus, kommt
an Artus Hof, wird zum Ritter ge-
schlagen und schliesst mit seinem
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1084
Wilhelm von Orleans. - Willehalm.
Vater, ohne von ihm gekannt zu I
werden, Freundschaft. Im Dienste
Königs Artus besiegt er darauf den
Feind der Larie von Korutin, Roaz
von Glojfs, kämpft mit Kiesen und
Drachen und wird von einem in I
Feuer umgehenden Geiste, den er
erlöst, über seine Herkunft unter-
richtet, worauf er sieh mit Larie
vermählt und König ihres Landes
wird. Ihr Sohn heisst Ii fori (iatva-
nide$ , dessen Aventiurc zwar in
welscher Sprache aufgezeichnet, aber
für des deutschen Dichters Kunst
zu schwer sind. Vielfache Betrach-
tungen erhöhen dm Wert der sonst
dürftigen Erzählung.
Wilhelm von Orleans oder
Dourlens ist ein 1241 gedichtetes
höfisches Epos des Rudolf von Ems,
das mit Wilhelm dem Eroberer be-
ginnt und mit Gottfried von Bouillon
aufhört; Wilhelm erscheint darin
als ein Fürst von Brabant (Bouillon),
der in Turnier und Krieg die
Königstochter und das Königtum in
England gewinnt.
nillielmiter heissen die Mönche
eines reformierten Benediktiner-
ordens, von dessen Stiftung wenig
bekannt ist. Der Gründer, ein hei-
liger Wilhelm, soll sieh nach einem
ausschweifenden Leben bekehrt und
auf den Rat des Papstes Eugen III.
als Einsiedler in eine Wüste von
Toscana zurückgezogen haben.
Aber erst im Gebiete von Siena
fand er das öde steinige Thal, das
er suchte und wo er sich 1155 zu
einem entsagungsvollen Leben nieder-
liess. Der Ort Stabulum Rhodi*,
später Malavalle genannt, wurde
der Ausgangspunkt von Eremiten-
Kongregationen, die sieh nach dem
heil. Wilhelm benannten und sich
durch Italien, Deutschland, die
Niederlande und Frankreich ver-
breiteten. Der Orden war nie be-
deutend. Nach anderer Auffassung
sollen Wilhelmiter-Möuche der Name
der durch Abt Wilhelm von Hirsau
reformierten Benediktiner - Kongre-
gation sein. Stalin, Württemberg
Gesch. II, 685.
Willehalm heisst das letzt«- der
drei höfischen Epen Wolfram* von
E&chcnhach. Es gehört dem Ivar' -
lingiseben Sagenkreise an und geh'
wie die übrigen Epen Wolframs
auf ein französisches Buch
das der Dichter durch
Gönner, den Landgrafen IL rma
von Thüringen, erhalten hart»'.
Willehalm, Graf von Oranire in
Südfrankreich (es ist eigentlich d»T
heil. Wilhelm,Graf Wilhelm von Arjui
tanien, der 793 gegen die Sarazenen
focht, und obgleich besiegt, das
Vordringen der Feinde hemmte),
der Vasall Ludwig des Frommer,
war in die Gefangenschaft de» Hei-
denkönigs Terrainer id. i. /*" rm*
(Voutre mer, der König von Jen-
seits des Meeres) geraten,
von der zu ihm in Liebe entl
ten und von ihm in der Gefangen-
schaft zum Christentum bekehrten
Tochter des Königs Arabel , der
Gemahlin des Königs Tybalt, be
freit worden und mit ihr zurückge-
kehrt. Zur Rache für diese That
fallen nun der Vater und der Ge-
mahl Arabels oder, wie diese seit
der Taufe heisst, Gyburcs, in Wille-
halms Land ein; mit der Beschrei-
bung der ersten Schlacht auf dem
Felde von Alischanz beginnt das
Gedicht; Willehalm wird geschlagen
und cntschliesst sich deshalb, sich
an den Hof nach Orleans zu be-
geben, um bei Loys (Ludwig- der
• romme), der seine Schwester zur
Ehe hat, Hilfe zu suchen. Mit dem
Hilfsheer, in dem sich namentlich
auch der furchtbar starke Knapp«»
Rennewart befindet, trifft er vor «fem
von den Heiden belagerten Orange
ein. Die Entscheidungsschlacht wird
hauptsächlich durch Rennewarts
Tapferkeit, der sich übrigens als
der einzige, als kleines Kind schon
entführte Bruder der Gyburc her-
ausstellt, zu gunsten der Christen
gewendet; doch wird nach der
I
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Willkomm. — Winde und Weltgegenden.
1085
Schlacht Kennewart vermiest, wor-
auf Willehalm gegen das Ver-
sprechen, ihm die Auslieferung sei-
nes Helden zu bewirken, 25 ge-
fangene heidnische Fürsten freilässt.
Damit schliesst das Gedicht, dessen
Weiterführung wahrscheinlich durch
des Dichters Tod verhindert wurde.
Wie Wolframs Titurel, so hat auch
sein Willehalm, den die Zeitgenossen
sehr hoch schätzten, von jüngem
Dichtern Ergänzungen erfahren, und
zwar wurden sowohl die Vorge-
schiehte als der scheinbar fehlende
Sehluss hinzugedichtet. Die Er-
gänzung des Schlusses unternahm
i '/rieh von Türkei m aus der Gegend
von Augsburg um 1242. Das Ge-
dieht ist noch ungedruckt; Wille-
balm und Gyburc gehen darin
sehliesslich ins Kloster. Die Er-
gänzung der Vorgeschichte rührt
von II rieh von dem 'Für/in, einem
kärntnischen Dichter, her, der im
Dienste König Ottokars von Böhmen
0253 — 78) arbeitete. Auch dieses
Gedicht ist bis jetzt ungedruekt.
Willkomm messen die grossen
Pokale oder kannenartigen Humpen,
die auf der Wrillkommstube der
Zünfte zum Empfang der Gäste ge-
leert wurden. Sie hatten mit An-
lehnung an das Gewerbe der be-
treffenden Zunft verschiedene For-
men, die eines Schiffes, eines Hutes,
eines Stiefels , einer Tonne oder
Kanone etc.
Winde und Weitgegenden in
der Kunst. Das Altertum gab den
Winden volle Persönlichkeit und
erwies ihnen göttliche Verehrung;
in Bildwerken erscheinen sie unge-
riiteelt oder mit Flügeln versehen,
teils in ganzer Figur, teils nur mit
halbem Leibe sichtbar; gern blasen
sie auf einer Muscheltrompete, wo-
bei sie, um den ausgehenden Wind-
stoss einen Rückhalt zn geben, die
Hand an das Hinterhaupt legen;
selten und spät ist die Vorstellung
der Winde als Köpfe , aus deren
Munde Strahlen hervortreten. Die
christliche Kunst stützte sich bei
der Verwendung der Winde auf den
Vorgang der heiligen Schrift, nament-
lich bei der Fahrt Christi auf dem
galiläischen Meer, wo er den Wind
und das Meer bedrohte, aber auch
bei anderm Unwetter, z. B. als Jonas
ins Meer geworfen wurde. Zu einer
höhern Auffassung erhebt sich die
Darstellung der Winde , wenn bei
den letzten Dingen die vier Winde
erscheinen, Offcnb. 7, 1, gleichwie
bei der Weltschöpfung die vier
Weltgegenden vorgestellt worden
sind; aus diesen wehen nach der
Anschauung des alten Testamentes
die vier Winde. Das christliehe
Mittelalter hat die Winde meist
bloss durch einen Kopf dargestellt,
von dessen Munde ein Hauch aus-
geht, selten durch Tierköpfe. Als
Naturerscheinung kommen die vier
Winde zur Darstellung in deutschen
Kalendern seit dem letzten Viertel
des 15. Jahrhunderts, so zwar, dass
an die Erklärung ihrer Eigenschaften
und ihres Einflusses auf den Körper
sich die Ermahnung knüpft: ,,und
also wenn die Winde kommen, so
mag sieh ein jeder darnach halten ;"
der dazu gehörende Holzschnitt
stellt die Winde als blasende Köpfe
dar, in einem Kreise angebracht.
Die Winde dienen auch zur Ver-
anschaulichuug der Weitgehenden,
sowohl im alten Testament als im
klassischen Altertum. Doch hat das
letztere die vier. Winde durch Hin-
zufügung der Zwischen winde auf
eine Windrose von acht oder von
zwölf Winden erweitert. Auf das
Mittelalter ging die 12 strahlige
W indrose über, mit folgenden Namen :
(Siehe folgende Seit*.)
Es sind dieselben Winde, für
welche Karl d. Gr. nach dem Leben
Einhards deutsche Namen aufstellte:
und zwar nannte er den Suhsolamts;
o*trvniieiu/, den eurus osüsundroni,
den euroanxter mndostroni , den
auster xundroni , den ausfmaj'ri-
mndteesfroni, den afriens irest-
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1086
Winsbecke und Winsbeckin. — Witwe.
xundroni , den zephyrn-x irexfrtmi,
den eurux trestnordruni , den circiux
nordicestroni , den xeptemtrio nord-
rorri, den aguilo nordox/roni, den
rulturnujt oxtnordroni. Andere ein-
fache Windnamen im Altdeutschen
sind nach Grimm Grammatik III.
390 altn. byr; pixa für den scharfen
Nordwind, noch schweizerisch als
luxe erhalten. Die Weltgegenden
wurden übrigens im Mittelalter nicht
bloss durch die Winde , sondern
auch unmittelbar persönlich darge-
stellt in halber Figur, verschieden-
alters. Ausgabe von Haupt, Leipzig.
1845.
Witwe, got. ridttro . altsächs.
iridua, ahd. trituted, mhd.
teifire, kommt von dem gleichbe
deutenden lat. ridua, d. h. die (dV>
Gatten) beraubte. Nach altdeut-
schem Recht musste die kinderlos*
Witwe alsbald nach dem Tode de?
Mannes und nachdem sie in dfn
Besitz des ihr rechtlich Zukommen
den gesetzt war, das Gut ihn*
Mannes verlassen, das seine nAcli
sten Verwandten in Besitz
( 'ireiux
x. Thraxeirtx
Sepfentrio
x. Aparrtia*
m
A<ptilo
Cortts x. Argeste*
Vulfurnna x. tarda*
Zephyritx x. Famniusf W)
Afrieux x. Lihx
COjStdj*o/<mu**.A/)c/iof*<
Euntx
lÄlmnotus
x. Auxtrortfrinix
Ämter
x. Nofux
l\uroauxter
farbig bekleidet. Piper, Mythologie
der christl. Kunst II. S. 433 474.
Winsbeckc und Winsbeckin (der
und die) heissen zwei, der guten
höfischen Zeit angehörende Lehr-
gedichte in strophischer Form, worin
ein Vater dem Sohne und eine
Mutter der Tochter Unterweisungen
in allen Tugenden des adeligen
Lebens geben. Ob der Name „der
Winsbeckc'4 auf den Dichter oder
auf den Charakter des Gedichtes
gehen soll, ist nicht ausgemacht;
einige Handschriften haben die
Namen dex ra/er und der muoter
lere. Beide Gedichte gehören zu
den ausgezeichnetsten des Mittel-
bloss wenn sie sich nach vorzog*
gangener Unfruchtbarkeit beim Tod*
des Mannes für schwanger erklärte,
durfte sie bis zur Entscheidung d»r
Richtigkeit ihrer Angabe im ITauk
bleiben. Waren aber Kinder vor
I banden , so blieb die Witwe bei
diesen, führte das Hauswesen fort
und stand dabei unter der Mund
schaft des nächsten Schwertmagen
ihrer Kinder; im andern Falle kam
sie unter den Schutz ihrer nächste*
angebornen Verwandten zurück. In
der ältesten, vorhistorischen Zeit
folgte die Witwe dem Garten in
den Tod; so Brynhild dem Sigurd
in der nordischen Sage; es bt ei*
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Wochentage.
1087
uralter auch bei den Indern, Thra- 1
kern, (kriechen und Slawen bekann-
ter Brauch, dem die Auffassung der
Frau als eines Eigentumes des Man-
nes zu Grunde liegt , das gleich
Pferd und Knechten mit ihm ster-
ben muss. Auf diese Periode folgte
diejenige, in der zwar die Witwe
fortlebte, sich aber nicht wieder
vermählen durfte; Tacitus bezeugt
sie Germania 19. Die nach der Vol-
kerwanderung aufgestellten Volks-
rechte gestatten hinwiederum dir
Wiederverheiratung der Writwe;
doch erhielt sich, von der Kirche
unterstützt, noch lange eine gewisse
Abneigung gegen eine Wicderver-
hciratutiß der Frau; das zeigt z B.
der in einigen Städten für Witwen-
trauungen bestimmte, sonst vermie-
dene Mittwoch; und es ist nicht un-
wahrscheinlich , dass die Katzen-
muxik von dem Höllenlärm bei der-
artigen Verlobungen oder Braut-
läufcn ihren Ursprung genommen
hat. Um zu rascher Wiederver-
heiratune Schranken zu setzen, ge-
bot die Kirche wenigstens ein Jahr
trauernder Enthaltsamkeit, was aber
selten inne gehalten wurde. Wein-
hotd, deutsche Frauen. Abschnitt V 1 1 .
Wochentage. Dass die Woche,
d. i. der Zeitabschnitt von Mond-
viertel zu Mondviertel, den alten
Germanen schon vor der Einführung
des Christentums bekannt war, zeigt
schon der deutsche Name dafür, got.
vikö, ahd. teehha, mhd. iroche und
tcw'he, welches Wort mit weichen
und Wechsel, auch mit lat. ricis —
Wechsel verwandt ist und soviel
aLs Zeitwechsel (Mondwechsel) be-
deutet. Doch scheint bei Benennung
der Wochentage, ebenfalls schon
vor Einführung des Christentums,
römischer Einfluss, vielleicht über
Gallien her, gewaltet zu haben. Von
den ursprünglich wahrscheinlich
ägyptischen und um den Schluss
des 2. Jahrhunderts bei den Römern
völlig eingebürgerten astrologischen
Namen der sieben Wochentage wur-
| den die für Sonntag und Montag
beibehalten, die übrigen aber durch
die Namen der entsprechenden ger-
manischen Gottheiten bezeichnet.
Dem römischen Mars entsprach der
deutsche Ziu oder Fr, daher ahd.
Ziestac, d. i. Zitcestac, oberdeutsch
Zistig , bayerisch Er tag , Erchtag,
Eritag. Merkur wurde mit Wodan
übertragen, daher durch alle nieder-
deutschen und nordischen Sprachen
bis heute der Tag Gtuiestag, du-
denslag, nieder). Woensdach, angels.
Vödenes dag, engl. H'ednes dag, alt-
nordisch udhinsd^tgo , schwedisch
und dänisch Onsdag heisst, dessen
altdeutscher Name Wodanes tag ge-
lautet haben wird, während in Öber-
deutschland sich früh ein abstraktes,
die mittawecha, später «ler mitheoche,
mit ergänzend hinzugedachtem Tag
zeigte, bis jetzt nicht vor dem 10.
Jahrhundert nachgewiesen. JHts
Joris wurde überall zum Tag des
Donar, ahd. Toniris tac, mhd.doners-,
donres-, dunrestac, engl, thursdag,
altnord. thursdag r, schwedisch und
dänisch torsdag. Dies Veneris würde
zum Tag «ler Fria, nordisch Fr tag,
der Gemahlin Wodans, und nicht,
wie man früher annahm, der Göttin
der Liebe und Fruchtbarkeit; denn
nach ihr, der altnord. Freuja , ahd.
Froutrti benannt, würde aer Tag
nicht fria tac sondern froutcuntac
heissen müssen. Beim letzten Wochen-
tage gehen die germanischen Spra-
chen wieder auseinander; den dies
Saturni bewahrte das Niederlän-
dische, Angelsächsische, Englische
und Westfälische \Üalcrsdag), wäh-
rend sich im Norden ein langardagr,
d. i. Badetag, festsetzte, und in
Oberdeutschland die Namen Samstag
oder Sonnabend; das letztere Wort
heisst ahd. der sunnün aband, mhd.
der sannen tdtent und „läset die
Sonne an dem Vorabend des ihr
geweihten Tages, des Sonntages,
als zur Ruhe gehend erscheinen,
um dann an diesem, dem ersten der
Woche, gleichsam mit ihrem Laufe
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1088
Winten.
neu zu beginnen". Der Samstag
hingegen, ahd. sanütaztac und sa-
miztac, mhd. samtez-, samcz-, samztac
n6D6n »amen-, *ami*-, aanuttac, franz.
namedi, ist dem lat sahlniti dies ent-
sprungen. Gemäss ihren altheid-
niBcben Patronen haben die Wochen-
tage, nur etwas umgebildet durch
christliche, besouders römisch- katho-
lische Einrichtungen, vielfach ihre
alten Beziehungen erhalten. Allge-
mein gilt der Sonntag als glück-
licher Tag und wird daher beson-
ders zu Trauungen gewählt; Sonn-
tagskinder sind Glückskinder und
können , wie der Sonne nichts un-
verborgen ist, vieles andern Men-
schen verborgene sehen und erken-
nen. Der Montag übernimmt eben-
so die Bedeutung des Mondes, der
mit der Nacht, der Veränderlichkeit,
der Dunkelheit verwandt ist; er ist
also meist ein Unglückstag ; am
Montag darf man nichts unterneh-
men, was dauernd sein soll, nicht
Wäsche waschen , in keine neue
Wohnung ziehen , nicht Hochzeit
machen, die Ernte beginnen , einen
Dienst oder eine Reise antreten u.
dgl. Insofern aber der Mond, bei
fast allen Völkern, als Förderer der
Fruchtbarkeit gilt, besonders als
zunehmender, ist der Montag gün-
stig für alles, was wachsen soll, also
zum pflanzen. Der Dienstag, einst
dem Hott des Krieges, des Schwertes
und des Gerichtes geheiligt, ist
wichtig für Gerichts- und Vertrags-
sacheu, daher er auch früher dingstac,
d. h. Gerichtstag, genannt wurde;
deshalb wird er auch für Trauungen
und zum Antreten eines Dienstes gün-
stig geachtet. Der Mittwoch, dem
Gott des Sturmes -und Ungewitters
gehörend, ist ein Unglückstag; am
Abend fahren die Hexen aus, nichts
was von Dauer sein soll, darf an-
gefangen werden; getraut werden
an diesem Tage nur gefallene
Mädchen und Witwen. Vor allen
andern Tagen unheilvoll ist der
Donnerstag; manche Arbeit ist
untersagt, weil der Tag ein bei«i-
nischer Festtag war: kein H«rk
darf gehauen, kein Mist ausgeführt,
abends nicht gesponnen werden:
man muss sorgfaltig allen Zaubvr
schütz beobachten, denn die Heien
halten Umzug. Sofern Donar aud
Gott der rechtlichen Ordnung Ut
und durch seinen Hammer Geac-u
und Vertrag festigt, ist der Do:*
uerstag früher, zum Teil auch jetzt
noch, Gerichtstag. Der Frritag i-T
der verhängnisvollste Wochentag
je nachdem aber die heidnisch*
oder die christliche Überlieferant:
überwiegt, gilt er als der glück
lichste oder, aber seltener, als der
unglücklichste Tag. Er eignet siel,
vor allem zu Hochzeiten; Freitag*
kinder, am Sonntag getauft, rgeltei:
den Sonntagskindern gleich. Ihr
Sonnabend gehörte wahrscheinlici
dem Fro; an diesem Tag soll d«
Sonne scheinen, wenn auch nur
zu Mittag drei Minuten lang; denn
die Mutter Gottes will ihr Henni
trocknen. Am Abend darf nicht
gesponueu werden; denn wsu* man
da spinnt wird in der Nacht wieder
verdorben oder weggenommen
Grimm, Mythologie 111: Zacher in
Ersch und Gruber, Artikel Uernia-
nien, Seite 373; Wuitke, Volks
aberglaube, 66—72. KitcKhultz.
die deutschen Wochentage, in
deutscher Glaubt; und Brauch.
Berlin 1867, II., 1—64.
Wodan, (ahd. Wmotam, ags. I©.
detif altnord. Odhinn). oberster Gott
der germanischen Völker. Die hV
mer glaubten in Wodan ihren Mer-
kur wieder zu erkeunen. Im Frau
zösischen ist der Mittwoch dem
Merkur geweiht Mcrcredi, im Ei
lischen aber dem Wodan U'edn
day. niederl. Wocnsdag, westfälisch
Cltulensdag. Der Name hängt zu
summen mit dem ahd. Verb watam.
praet. icuot, unser „waten", dessen
ursprüngliche Bedeutung „durch-
dringen" war, und so bezeichnet
denn der Name Wodan, wie der
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Wodan.
10SO
Gott bei den Alteachsen hiess, das
alldurchdringende Wesen, die all-
durchdringende schaffende und bil-
dende Kraft. Von wa tan ist aber
auch unser „Wut" abgeleitet und
so tritt uns denn zuerst Wodan
entgegen als Vertreter des alles-
durchdringenden Elementes , der
Luft, die aufgeregt, oder bildlich
gesprochen, in Wut versetzt, zum
Sturme wird. Als Stvrmgott reitet
Wodan auf milchweissem Pferde,
in einen weiten blauen fleckigen
Mantel gehüllt und mit einem breit-
krämpigen Hute bedeckt entweder
allein, oder an der Spitze der wil-
den Jagd und des wütenden Heeres
durch die Lüfte. Der Glaube an
die wilde Jagd, die wie da.s wütende
Heer aus den als Lufthauch dem
Leichnam entfliehenden Seelen der
Verstorbenen besteht, gehört dem
Norden Deutschlands an. während
die Vorstellung des watenden Heeres
in Süddeutschland volkstümlich ist.
Der Wödc iage, heisst es in Pom-
mern, Mecklenburg und Holstein,
der Wöejüger in Hannover, der
Wöinjäger ziehe um in Oldenburg,
wenn der Sturm durch den Wald
tost. Der weite Mantel hat dem
Gott in einem Teile Westfalens,
im Harz und im Thüringcrwald
den Namen „Hackelbärend" oder
„Haeke/berff", d. h. „Mantelträger",
verschafft, während er wieder in
anderen Gegenden Norddeuteeh-
lands wegen seines weissen Rosses
„Schimmelreiter44 genannt • wird.
Eine Eule, Tutursel mit Namen,
fliegt dem Zuge voran, Raben und
Hunde mit Lichtern folgen ihm.
Nur wenn man sich platt auf den
Boden wirft mit dem Angesicht,
kann man sich vor dem Mitge-
rissenwerden hüten. Schaut man
zum Fenster hinaus beim Heran-
nahen der wilden Jagd, so erhält
man einen betäubenden Schlag,
oder wird blind, oder wahnsinnig.
Wo Wodan sein Ross weidet, da
windet es fortwährend. Auf be-
Reallexlcon der deutschen Altertümer.
stimmten Wegen rast die wilde
Jagd dahin, besonders gern durch
Häuser und Scheunen, in denen
zwei oder drei Thüren hintereinan-
der liegen. Bei solchen Durelizügen
kommt es oft vor, dass der Wilde
Jäger einen seiner Hunde, welche
seine Kinder oder Seelen von Böse-
wichtern sind, im Hause zurück-
lässt und übers Jahr wieder abholt.
Der Feuerherd ist die Wohnstätte
des Hundes, Asche seine Nahrung.
So jagt Wodan mit seinen Hunden,
denen sich oft noch eine aus Toten
gebildete Schar anschliesst, ent-
weder einem Eber, oder einem
Pferde oder einem geisterhaften
Weibe nach, das er endlich nach
sieben Jahren einholt und vor sich
hin quer aufs Ross legt. In Mittel-
deutschland aber und Tirol verfolgt
die wilde Jagd die sog. Moosweib-
chen, Lohjungfern, Holzfräulein,
welche die Personifikationen des
Laubwerkes sind und dem Land-
mann bei seiner Arbeit helfend
zur Seite stehen. Wer aufgefordert
in den Jagdruf des Wode und seiner
Genossen einstimmt, dem schenkt
er eine Pferdekeule, die sich in
Gold verwandelt, wer aber höhnt
auf den wilden "Jäger, dem heftet
er auf den Rücken oder an das
Haus einen nach Schwefel stinken-
den Pferdeschenkel, der nicht mehr
zu' entfernen ist.
Das wütend* Heer ist dasselbe
wie die wilde Jagd, nur ist es eben
keine Jagd, d. h. keine Verfolgung
irgend eines Wildes. Die verschie-
denen Namen Wuotes Heer, Mün-
tes, Wuotunge8 Heer, Guenis Heer
gehen auf di* Form Wuotanes
Heer zurück, während wieder in
anderen Gegenden die unheimliche
Erscheinung unter den Bezeich-
nungen: ..das Nacht volk4', „Nacht-
gejäge44 oder „die wilde Fahre44
bekannt ist. Als ein Zug von Gei-
stern in menschlicher Gestalt, manch-
mal in einer grossen schwarzen
Kutsche sitzend, braust das wütende
69
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1090
Wodan.
Heer daher unter bezauberndem
Gesang und wunderbar schöner
Musikbegleitung. Wehe dem, der
dem Warnungsruf des voraussehrei-
tenden Mannes nicht gehorcht und
sich nicht platt auf die Erde wirft.
Entweder muss er mit rasen oder
wird geblendet oder seines Hauptes
beraubt. Im Herneroberland, Grau-
bünden und Wallis erscheint das
wütende Heer als Nachtvolk, To-
tenvolk oder Totenschar, welches
mit dem Tode an der Spitze die
Leichname derer herumträgt, die
bald sterben müssen und so das
Eintreten eines Todesfalles verkün-
den. Klopft das Nacht volk an eine
Thüre , so muss mitziehen oder
sterben, wer ihm antwortet.
Diese Sagen beruhen alle auf Na-
turvorgangen. Vor dem Sturmwind
wirft man sieh auf den Boden, um
nicht mitgerissen zu werden. Wie
die wilde Jagd, so zieht auch der
Wind besonders heftig durch hinter-
einanderliegende Thüren und Fen-
ster. Durch den Kamin heult der
Wind und wirbelt die Asche des
Herdes auf, auf der Feuerstatte
winselt und heult aber der Sage
nach auch Wodans Hund und frisst
Asche. Wodans Mantel ist der
Himmel, sein Hut die Wolke. Der
Sturmwind scheucht die Wolken
vor sich her, der wilde Jäger das
Ro8s, den Eber oder die Geister-
jungfrau. Der Luftzug weht das
Laub von den Bäumen, wie Wo-
dans Heer die Waldgenien mit sich
reisst. Der Blitz ist es, der als
schweflige Pferdekeule den Spötter
trifft. Die wilde Jagd, wie das
wütende Herr werden begleitet von
Blitz, Donner und Regen. Die
schwarze Gewitterwolke ist die
Geisterkutsche , der Donner ihr
Rollen. Mehrfach kehrt die Sage
wieder, dass Geister des wütenden
Heeres eine Kuh schlachteten und
verzehrten, die sie dann aus der
abgezogenen Haut wieder erneuten
und ins Leben zurückriefen. Es
iu
in
Altenbuns:
Schleswig
ist die Wolke als Kuh gedacht
von der die Windgeister <üe Scek-
zehren, indem sie den Regen der-
selben auf die Erde giessen. Nw
ein kleines Wölkchen, die Haut,
bleibt übrig, und aus dieser ersteh:
und wächst die Kuh, wie sie war
zu neuem Leben. — Im Laufe der
Zeit trat an die Stelle des Wod*L
als Anführer des wilden Heeres
ein Held der deutschen Vorzeit,
in der Lausitz und
Dietrich von Bern ,
Herzog Abel, der
ermorden Hess. Doch nicht nur
Deutschland kennt die wilde Jafri
und das wütende Heer. In FranV
reich spukt sie unter dem Namtro
Chatte Merode, t -heute de Gm*.
Chatte Maehahee, Chatte ein diaM*,
('hasse ff alerte, Chasse gatfrrr. Chat**
l 'tria tief. Ihre Anführer sind. wv
teils ihre Namen andeuten, Merode
und Kaiu, dann in der Gegeud vor
Tours Hugo Kapet, an anderes
Orten St. Hubert und St. Eu&ra
chius. Selbst der König derTaf^
runde, Artus, wurde zum wilder
Jäger gemacht. In England wini
die wilde Jagd nach deren An
führer, König Herla, Hcrlathi*-
genannt.
Aus der wilden Jagd oder dec
wütenden Heere entwickeln sid
allmählich andere Sagen. So wuni
Wodan, der an der Spitze seiner
Genossen das alles in Bewegung
setzende Sturmlied singt, zum kunst
fertigen Sj>iefmann, wie er uns ai«
Rattenfänger von Hameln in d»r
populärsten Weise entgegentritt
Einen viel edleren Charakter ha?
Wodan in der Gestalt des alle.«
bezaubernden Säugers Horant. d«r
namentlich in der Gudrun bei dei
Eutführung der irischen Königs
tochter Hilde eine grosse Kolle
spielt.
Nahm der heidnischen Auffas-
sung zufolge die wilde Jagd all«
Seelen mit, so beschrankte da*
Christentum die Aufnahme da
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Wodan.
1091
durch, dass sie bloss aus den Gei- 1
stern von Leuten bestehend ge- 1
dacht wurde , die Sonntags und
Werktags gejagt, das Landvolk
durch Fronknechte zur Treibhatz
getrieben und in ihrer wilden Lust
selbst der Saaten und des Schwcis-
ses der Bauern nicht geschont hät-
ten. Darum trügen sie zur Strafe
die Köpfe unter dem Arm und
ritten auf Kossen ohne Kopf.
Als die deutsche Mythologie
einen immer kriegerischeren Cha-
rakter annahm, so ging dieser auch
auf die wilde Jagd über, welche
aus im Kampfe gefallenen Helden
nunmehr zusammengesetzt war und
durch ihr £rscheinen den Ausbruch
eines Krieges verkündete. L'armee
furie-use heisst in Frankreich der
Spuk. Im Odenwald ist der
durch Scheffels Claudeamu* so
populär gewordene Rottensteiner
der Anführer dieser wilden Scha-
ren, welche, so oft feindliche Völ-
ker es wagen den Rhein zu über-
schreiten , ausbrechen aus dem
Schnellertsberge und ihnen entge-
gentreten und erst wieder in den
Berg zurückziehen, wenn die frem-
den Soldaten über den FIuss zu-
rückgegangen sind. In Oberhessen
ist an die Stelle Wodans sogar cm
Held der neuern Zeit Karl V. ge-
treten, der auch beim Herannahen
einen Krieg'* mit seinem Gefolge
seine Bergheimat verlässt.
Aus den Wolken quillt der Segen,
strömt der Regen. Auch Wodan
mit seinem wilden Heere wird so
zum liege ngott, zum Befruchter der
Sttafc», welchem von den from-
men Landleuten Opfer dargebracht
werden. Dieser heidnische Gebrauch
herrschte noch im vorigen Jahr-
hundert in Mecklenburg, wo bei
der Roggenernte am Ende eines
jeden Feldes ein Streif Getreide
iinabgernäht blieb, mit dem Garben
zusammengeflochten und mit Hier
besprengt wurde. Mit entblössten
Hauptern baten dann die Bauern
j Wöda um eine gute Ernte für's
I nächste Jahr. Ein ähnliches Opfer
war noch im Anfang dieses Jahr-
hunderts in Lippe-Schaumburg üb-
lich, und noch heute heisst in, Hessen
die letzte Garbe „Waulroggen". In
Bayern wurde Wodan als Erotegott
unter dem Namen Oanswald, Uans-
wald, Aswald oder Oswald verehrt.
War Wodan einmal Sturm-, Wolken-
und Regengott, wurde das Gelingen
oder Missli ngen der Ernte als von
ihm abhängig betrachtet, so lag es
nahe ihn überhaupt zum Gott des
Himmels und der Luftregionen zu
machen. Er ist als solcher ein-
äugig; denn die Sonne ist sein Auge,
das Sternbild des grossen Bären
sein Wagen, auf welchem er die
Toten in das Seelenreich führt. Da
sich Wodan jetzt zu einem Himmels-
gott, zu einem milden und segen-
spendenden Wesen erhoben hatte,
so wurden seine früheren zerstören-
den Wirkungen als Sturmgott einem
Eber, dem sogenannten „ Windcber44
zugeschrieben, mit welchem Wodan
kämpft. Der Gott besiegt das Un-
tier, stirbt dann aber selbst; der
milde segnende Gott, welcher die
goldne Frucht des Ackers spendet,
erschien als ein sommerlicher, mit
seinem Tode oder Verschwinden
machte er dem frostigen Winter
Platz. Im Wolkenberge, in der
Wolkeuburg, welche dann geschlos-
sen ist und nicht befruchtenden
Regen, sondern nur eisigen Schnee
zur Erde sendet, träumt er mit
seinem ganzen Heere dem Frühling
entgegen. Wie als wilder Jäger,
so ging als Schlafender Wodan in
die Gestalten von Lieblingshelden
des deutschen Volkes über. Kaiser
Karl der Gross«' schläft im Desen-
berge bei Warburg, in der Burg
Herstaila an der Weser, in der
Karleburg bei Lohr im Spessart, im
Trautberg und Donnersberg in der
Pfalz. Otto der Grosse sitzt ver-
zaubert im Kyffhäuser. Später trat
an Stelle Ottos Friedrich Barba-
6l>*
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1002
Wodan.
rossa, der schlafen muss, so lange
die Raben um die Burg herumfliegen.
In Schottland träumt König Artus
mit seiner Tafelrunde in den Hügeln
von Alderley Edge. Nach einer
andern Sag«' irrt Wodan sieben
Jahre, welche die sieben Winter-
monate bedeuten, als ein Verbann-
ter herum, fem von seiner Gattin,
um die der blasse, winterlicheWodan
wirbt. Nach Ablauf der sieben
Jahre respektive sieben Monate aber
kommt er zurück, vertreibt seinen
Nebenbuhler und erweckt an der
Seite seiner Gemahlin alles wieder
zu neuem Leben. Wieder in einer
andern Fassung heisst es, der Him-
melsgott jage sieben Jahre seinem
Weibe nach, der Wolkengöttin,
welche verzaubert ihm untreu ge-
worden. Es ist dies die geisterhafte
Jungfrau, welche schon oben als
von der wilden Jagd verfolgt er-
wähnt wurde.
Vom 21. Dezember der Winter-
sonnenwende an werden die Tage
wieder länger, und dies betrachtete
man als eine Vorbedeutung für die
Wiederkehr des Frühlings und Som-
mers. Die auf das Wintersolstiz
folgenden «zwölf Nächte", in Eng-
land unter dem Namen licet/ Sights
wohl bekannt, gelten in bezug auf
das Wetter vorbedeutend für das
folgende Jahr. Die Geister der
Verstorbenen steigen in dieser Zeit
zur Erde nieder und wandeln unter
den Sterblichen. Die wütende Jagd
durehtost das Land. Mit den Ver-
storbenen mischen sich auch die
Götter unter die Menschen und ver-
langen Verehrung. Heilige Feuer
lohen auf den Bergen zur Ehre
Wodans. In den Dörfern aber
wurden die Kultusgebräuehc drama-
tisch dargestellt. Noch jetzt reprä-
sentiert in Braunschweig, Schlesien,
Schwaben und auch in England der
sogenannte „Schimmelreitcr" oder
das WiMnirnhorxc , Hotitnfhorse den
auf weissem Ro«s daher brausenden
Wodan. In seiner Gesellschaft sind
oft ein Schmied, der den
beschlägt, ein Bär, welchen ein \l
Erbsenstroh gehüllter Bursche spirk
au dessen Stelle in Usedom &z
Klapperbock, in Schweden der JrJ'-
bock, in Obersteiennark die Hahr
gais tritt. Oft auch folgt de»
Schimmelreiter Hans Ruprecht od-^r
Knecht Ruprecht, welcher sich
jetzt noch nicht nur auf dem Lan i
sondern auch in den St&dtcn er
halten hat und mit seinen Gab*:
die braven Kinder beglückt, mit
seiner Kufe die unartigen bestraft.
Selbst Gebäcke wurden um die*
Zeit in Pferdeform gemacht. Nock
einmal tritt der Winter in seio»
Rechte, dann aber ergreift der sep-i
spendende Sommergott wieder dau-
ernd die Herrschaft über die in
frischen Schmucke prangende Eni-
Im Mai schlägt Wodan in rntichri
dender Schlacht den kalten Hern
des Winters aus dem Felde. It
England zieht dann Robin Hood hl;
seinen fröhlichen Jagdgesellen ein
Wieder spielt bei deu Frühlingsfe>r
lichkeiten, wie sie in den zwölf erstem
Maientagen in Deutschland, Englat i
und bis nach Frankreich hinein vor
der frohen Bevölkerung gefeien
werden, der Schimmelreiter en>
grosse Rolle. Ihm zur Seite steh
aber die ebenso wichtige IVrsonlkl
keit der Maikönigin oder des Mai-
königs in England, des Maigraf' c
in Niedcrdeutschland. des Pfingst
butz in Schwaben, des Wasscrvo^ i*
in Bayern, welche alle mit Gnk
und Blumen geschmückt den Ein
zug der warmen Jahreszeit veran
schaulichen sollen.
Wie das sanfte Wehen des Win
des die Luft reinigt und Krank
heitsstofte verscheucht, so tritt auclr
Wodan als Heitgott auf, der, wie
der zweite Merseburger Zauber
spruch zeigt, z. B. die Fussverreukmu:
von Balders Fohlen heilt, naehden
vergebens die heilkundigen Weiber
Sinthgunt und Sünna, Fria und
Volla das Tier besprochen.
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Wodan.
1093
Dem doppelten Charakter des
Gottes gemäss, empfing Wodan auch
zweierlei Opfer. Als segenspendendem
Erntegott wurden ihm Feldfrüchte
dargebracht Der wilde Herr des
Sturmes und der Schlachten aber
lechzte nach Blut, und so fielen
Pferde und selbst Menschen unter
tiein Messer oder durch den Strick
des opfernden Priesters; denn na-
mentlich die Seelen der Gehängten
sind dem Gotte lieb.
Wenn er nicht im wilden Sturm-
wind einherfährt, so weilt Wodan mit
seinem Gefolge iu seinem Palaste hin-
terden Wolken. Zu diesem goldlcueli-
tenden Mause führt ein Weg, der mit
edlen Steinen gepflastert ist. Auch für
Liebe ist das Herz des Himmels-
gottes nicht unempfänglich, die
Sage weiss von einer Verlobung
Wodans mit der reizenden Köhlers-
tochter LUt Ebenso weiss der ge-
waltige Gott die selbstvertrauende
Macht und Klugheit der Menschen
zu achten und zu würdigen.
Der Gott, welcher den Menschen
den Sieg verlieh , wurde bald auch
der Geber alles Glückes und aller
höheren Güter, er wurde Geber des
Wunsches und gar der Wunsch
selber; denn mit diesem Worte be-
zeichneten noch die Dichter des
Mittelalters ein gewaltiges, schöpfe-
risches Wesen«
Wie bei den (»riechen und Rö-
mern waren auch bei den Germanen
die Herrscher darauf versessen, von
Göttern abzustammen. Bei der eng-
lischen Kötügsfamilie reicht der
Stammbaum bis aufW odan hinauf und
mit Ililfenahme weiblicher Zwischen-
glieder bis Königin Viktoria herab.
Bei den Nordgermanen finden
wir den Namen Wodan in Od/rinn
(oft mit verdeutschter Schreibung
Odin geschrieben) verwandelt. Seine
Bedeutung ist dieselbe geblieben.
Auch Odhinn ist Sturmgott, als
solcher sogar früher als Adler
abgebildet, daher der Name Arn-
hhfdhi (adlerhäuptigi), welcher an
der Spitze der wilden Jagd in
Dänemark oder des wütenden Heeres
in Schweden und Norwegen sein
Wesen treibt, Atgardhreidh, d. h.
Fahrt nach Asgardh, mit welchem
Namen Odhinns Wohnsitz bezeichnet
wird, nennt man die Erscheinung.
Geister von Trunkenbolden, Schlä-
gern, Neidern und Betrügern, die
für den Himmel nicht reif, für die
Hölle zu gut sind, bilden das Ge-
folge des Gottes und treiben es
Sinz gleich wie ihre Brüder in
eutscnland. Auch Odhinn wohnt
im Wolkenberg, ist einäugig, weil
die Sonne sein Auge bildet, stellt
durch seinen weiten Mantel das
Himmelszelt, durch seinen breit
randigen Hut die Wolken dar und
reitet auf weissem Koss, »las Slcip-
nir heisst und acht Füsse besitzt.
Ähnliche Gebräuche wie in Deutsch-
land herrschen auch in Skandinavien
an der Wintersonnenwende und im
Frühlingsanfang.
Ganz anders allerdings gestaltet
sich das Bild Odhinns, wenn wir
die Edda zu Rate ziehen, welche
sich einen Götterhimmel geschatten,
wie die Griechen ihn besassen. Da
ist Odhinn der König und väter-
liche Regierer der Welt und des
Götterstaates. Er wird daher All-
vater genannt. Als solcher thront
er in der Götterburg Asgardhr,
welche in ihrem Mauerring viele
herrliche Paläste umschliesst. Der
prächtigste von diesen ist Glads
heim (Welt der Freude), wo ge-
räumig die goldschimmenide Vall-
höll (Walhalla, d. h. die vor
vorzügliche Halle) sich erhebt. In
dieser Halle freuen sich dieEinherier,
die im Kampfe gefallenen Helden,
ihres Lebens, essen das Fleisch des
Ebers Sährimnir, das ihnen der Koch
Andhrimnir in dem Kessel Eldhrim-
nir zubereitet, laben sich an der
nie versiegenden Milch der Ziege
Heidrhun, während die holden Val-
kyrien ihnen aus goldenen Hörnern
köstlichen Met kredenzen. Odhinn
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. 1094
Wodan.
selbst sitzt auf goldenem Throne,
umgeben von den beiden Wölfen
Gcri (der Heisshtingrige) nnd Freki
(der Gefrässige), umflogen von den
Haben Hugin (Gedanke) und Munin
( Erinnerung). Zu den Einheriem
gehören bloss die im Kampfe ge-
fallenen Könige, Herzoge, Adelige
und reichen Herren. Sie werden
ausgewählt auf blutiger Wahlstatt
von den Valkvricn und ein festlicher
Empfang wird ihnen bereitet in
Walhalla. Einst wird Odhinn die
Einherier gebrauchen: in der Götter-
dämmerung, wenn es gilt gegen die
dämonischen Mächte, welche den
Untergang der Welt herbeiführen,
den Entscneidungskampf zu schlagen.
Odhinn ist Kriegsgott. Ja er säet
sogar Zwietracht, wenn Frieden im
Lande ist. Entbrennt die Schlacht,
so kämpft er selbst unsichtbar mit.
Von ihm allein hängt der Sieg ab.
Im Vertrauen auf die Hilfe Allvaters
verrichteten die Nordmänner Wun-
der der Tapferkeit und sahen lachen-
den Mundes dem Tod ins Angesicht.
Bis zum Fanatismus begeistert stürz-
ten sie sich wohl panzcrlos, als
Berserkir, in die Scharen der Feinde
und bissen um sich wie Wölfe.
Odhinns Dienst war blutig, Men-
schenopfer fielen an seinen Altären.
Wie in Deutschland wurden auch
in Skandinavien die zum Opfertode
bestimmten vorzugsweise gehängt.
Doch nicht nur auf dem Fest-
lande ist Odhinn Herr. Auch die
Seefahrer flehen ihn um günstigen
Fahrwind an und vertrauen auf
seine Hilfe in des Sturmes Nöten.
Recht bezeichnend ist es für die
Germanen, denen ja schon Taeitus
Liebe zum Trünke vorwirft, dass
sie ihren obersten Gott gleichsam
auch als obersten Bierbrauer an-
sahen. Im engsten Zusammenhang
damit steht aber auch, dass Odhinn
Dichtergott ist, welcher den Sängern
den Trank der Begeisterung ein-
flösst. Er selbst ist der beste der
Dichter, und ihm werden sogar eine
Reihe von Sinnsprüchen in dea
Mund gelegt, die unter dem Nam**
Havamal, d. h. Sprüche des Hohen
gesammelt sind. Ebenso gross vi
sein dichterisches Talent ist seil
Geschick Rtitxel aufzulösen, selb-t
den Riesen Vafthrudnir besiegt sein»
Weisheit im Rätselkampfe. Odhinr
ist allwissend, denn er hat aus deiri
Weisheit spendenden Brunnen dt^
Riesen Mimir getrunken, wofür -t
aber dem Riesen zur Belohnung d*
eine Auge lassen musste. Mit de-
Gottes Allwissenheit hängt aoofc
seine Allmacht zusammen. Er ist
Erfinder der Runen, der Schöpf- r
und Ordner im Reiche der Natur
und alles höheren Lebens. Mi'
seinen Brüdern Vili (der Wollend»
und Ve (der Heilige) hat er au*
dein Chaos Himmel und Erde er-
hoben und die organische und «II
liehe Weltordnung geschaffen. Aa-
Bäumen hat er die Menschen ^
bildet und ihnen die Seele eintx
haucht. Fort und fort erhält «
als König dem Götterstaate fj
stehend, seine Weltordnung aufrecht
Er ist Vorbild der Gesetzgeber m*i
wacht über die Heüighaltung dt*
Eides. Auch Kinder werden Odhw
zugeschrieben. Mit Frigg hat <"
den lichten Haider erzeugt, mit d*
Erdgöttin Jördh den starken DonDft
gott Thorr, mit Rindr den Vali,
der Riesin Gridhr den schweigend.3
Vidharr; auch die Kampfgötter Tyr
und Hödhr, der Dichtergott Bra^
der Götterwächter Heimdallr
Hermodhr, der Götterbote, nannte
den Allvater Odhinn ihren Erzeugt
Als die Heiligen der christliche
Kirche den heidnischen Göttern d<*
Kriec erklärten und sie allmahli«'1
aus dem Felde schlugen, da nahm«3
doch einige der Sieger Züge vi«
den Unterdrückten an. 1 >er Erzcnp»
Michael, dieser „Fahnenträger j
himmlischen Heerscharen'1, trat *n
Wodans Stelle. Auf denselben
Plätzen, wo Wodans Tempel p-
standen, erhoben sich Kapellen d«
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Würfelspiel — Zahlen.
1095
Erzengels Michael; in Schweden
lodern Michaelsfeuer ZU derselben
Zeit, in der sonst dem Odhinn auf
diese Weise das Volk seine Ver-
ehrung bezeugte. Wodan als
Hackelbärend ging auf in dem
Heiligen Martin, der bekanntlich
als Ritter dem in Gestalt eines
Bettlers ihn anflehenden Heiland
ein Stück seines Mantels gegeben,
Was früher dem Wodan gegolten,
geschieht jetzt dem heil. Martin zu
Ehren. Er wird als Schimmelreiter
dargestellt; ihn günstig zu stimmen
feiert man an Martini in der Mark
Erntefeste und zündet Freudenfeuer
an. In Süddeutschland zeigt sich
St. Martin zur Weihnachtszeit in
der Rolle des Knecht Ruprecht als
Pelzmärtel. Endlich hat auch St.
Sikolaus, der kinderfreundliche
Bischof von Mira, dessen Festtag
(6. Dezember) in die Zeit der Winter-
sonnenwende fiel, seinen Namen dem
Wodan borgen müssen. Auf einem
Schimmel, oder als Knecht ver-
mummt zieht er in der Nacht vom
5. auf den 6. Dezember in den
Dörfern herum und legt den Kin-
dern Apfel, Birnen und Nüsse in
die Schuhe, in welch' letztere von
den Kleinen Heu gestopft wird am
Vorabend, damit der Schimmel des
freundlichen Gebers auch etwas zu
fressen habe. So lebt auch heute
noch mehr oder weniger deutlich
das Andenken an Wodan im deut-
schen Volke fort.
Nach Mannhardt, Die Götter der
deutsehen und nordischen Völker.
WUrfelspiel wird schon von
Tacitus Germania 24 als eine Leiden-
schaft der Deutschen geschildert,
das sie sogar im nüchternen Zu-
stande treiben. Haben sie alles ver-
spielt, so setzen sie auf den letzten
Wurf Leib und Freiheit. Das Spiel
blieb das ganze Mittelalter hindurch
bei Männern und Frauen beliebt,
auch bei Mönchen und Nonnen, und
keines der zahlreichen geistlichen
und weltlichen Verbote hatte nach-
haltige Wirkung; Otto der Grosse
bedrohte z. B. die Geistlichen, die
vom Würfelspiel nicht abliessen, mit
der Absetzung. Um das Spiel un-
schädlicher zu machen, erfand der
Bisehof Wibold von Cambray (972)
ein besonders kunstreiches und auf
geistliche Verhaltnisse umgedeutetes
Würfelspiel. Die Würfel waren aus
Elfenbein oder Knochen, die Num-
mern hiessen Esse, Tus, Drie,
Kwater, Zinke und Ses. Ein be-
sonderes Würfelbrett gehörte zum
Spiel. Später waren namentlich die
Landsknechte für ihre Leidenschaft
zum Würfelspiel berüchtigt.
z.
Zahlen. Der Gebrauch gewisser schauungen, nicht minder der Volks-
Zahlen ist, abgesehen von dem I abcrglaube, die Magie, die volks-
natürlichen Zah len wert derselben, massige Anschauung überhaupt; so
in symbolischer Bedeutung bei den beruht das Nachtwächterlied „Hört
meisten, wo nicht bei allen Völkern ihr Herrn und lasst euch sagen,
im Schwange; besondere Ausbildung Unsre Glock hat zehn gesehlagen",
hat die Zahlensymbolik u. a. bei den Simrock Volkslieder Nr.:i7i), auf der
Hebräern, den Griechen und Römern Anwendung folgender heiliger Zah-
( Pythagoras), und im Mittelalter er- len: Zwölf Gebote, Eilf Apostel,
langt: die christliche Symbolik des Ein Gott, Zwei Wege des Menschen,
Mittelalters ist reich an solchen An- Dreieinigkeit, Vierfaches Ackerfeld:
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1096
Zahlen.
und tla.s Lied O J^ector Leeforum
oder die katholische Vesper (Sim-
rock Xr. 3351, welches anfangt:
„Guter Freund, ich frage dich. Sag
mir, wa« ist Eines?4' und worin in
jeder Strophe eine weitere heiÜge
Zahl zugesetzt wird, lautet in der
Schlussstrophe:
Guter Freund, ich frage dich,
Guter Fn und, was fragst du mich?
Sag mir, was sind zwölfe?
Zwölf sind Apostel,
Eilf tausend Jungfrauen,
Zehn Gebote Gottes,
Neun ("höre der Engel,
Acht Seligkeiten,
Sieben Sakramente,
S«-chs Krüg mit rotem Wein
Hat der Herr geschenket ein
Zu Kana in Galiläa.
Fünf Wunden Christi,
Vier Evangelisten.
Drei Patriarehen,
Zwei Tafeln Moria,
Eins und Eins ist Gott «1er Herr,
Per da lebt
Und da schwebt
Im Himmel und auf Erden.
Aehnlich legte nach Vadian
(deutsche Schriften III. 509, 26) ein
ftfaj/'und pftirrer ZUO Tal bi Itineffa,
(ias Kartenspiel, das er am Neujahrs-
tag 1533 auf die Kanzel gebracht
hatte, seinen Zuhörern also aus:
der küna der Itedüte Gof den ob-
eisten; der ofterbitob unser fromren,
der underbuob die l'J boten ; die nüne
dir nun frombden fünd; die aehfe
die acht »(iiikeifen ; die sibne die si-
ben fofxiiud: die seelise die jteeJis
wereh der barmherzikait ; die vier
dte vier evautff listen ; die drii die
hahjen drifalfikait ; die ztvai die
zwei tajlen * Moisi.
Eine Zusammenstellung kirch-
lich -symbolischer Zahlen ist uns un-
bekannt; vgl. indes J.ei/rer in Her-
zogs Keal-Encyklopüdie, Art. Zahlen
bei den Hebräern; dagegen hat ./.
(tri nun in den Rcchtsaltcrtiimem,
Kap. 5, Zahlenverhältnisse aus dem
Gebiete des deutschen Rechtet
sammelt, von welchen hier ante
Beiziehung des Grimm'schen to.
des Schmeller'schen Wörterbuch*
Einiges angemerkt werden soll. Natt:
Grimms Beobachtung zerfallen b
symbolischen Gebrauche des Recl
tes schon die einzelnen Zahlen a
zwei ungleiche Theile, dergestalt
dass einer geraden Basis eine
gerade Zugabe, einer ungerade
eine gerade bei^ 'fügt zu wenH
pflegt; im ganzen werden daK'
meist ungerade Zahlen gebrauch!
und gefordert, namentlich drei f -
ben und neun.
1) Dreizahl . Drei bezeichnet da
abgeschlossene, vollendete, vollste
dige; wenn bei den heidnische
Deutschen das feierliche Werfm
der Lose stattfand, um eine gött
liehe Entscheidung zn erlangen, v
wurden drei von den hingeschün.
ten Losstäben herausgenommen odvT
das Losen ward an drei verseht"
denen Tagen wiederholt; in \olkv
liedern finden rieh drei Rosen, dm
Reiter zu Pferd, drei Haslein, «Jn
Wolken am Himmel, drei Gans itr>
Haberstroh, drei Bursehe, die über
den Rhein ziehen und vieles andm
Ihrer ethnogonisehen Sage zuWc
stammten die drei Stamme, in «ei-
che das Gesamtvolk der Genniw*
zerfiel, die lugävoneu, Hcrmü'net
und Istävonen, von den drei Söhne*
dea Mannus. Die Zahl der Stand*
ist drei: Adel, Freie und Kncchto
Am Gerichtsplatz stehen drei Eichen
dreimal wird etwas bekannt gemacht
wird aufgefordert, angekündigt, p
warnt, geantwortet, ein Zeichen p
geben ; drei ist die Zahl der ehhatn1'
Nöte: von drei Strafen wird ha»^
dem Verbrecher die Wahl W
eine auszulesen; einen Gast bei"*11
man drei Tage.
2) Tierzahl ist meist bloß* «1ü/
den Einfiuss der vier Himmelsge^cn
den, auf die Laudeseinteiluug, Weg'
und Gerichtsplätze bezogen; häiibf
war eine Landeintciluug in v»pr
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Zahlen.
Stücke, mit vier Ecken, Wänden I
nnd Wegen; auf dem quadrimum, I
der Wegscheide, wurden verschie-
dene Rechtefeierlichkeiten vorge-
nommen; ein Mann wohnt binnen
seinen vier Pfählen; über dem
Haupte des* zum Tode Verurteilten
wertlen vier gebrochene Stabe nach
den vier Seiten hin geworfen. Vier
Pfennige sind eine häufige Abgabe.
Vierer oder l'ienneuter sind eine
dörfliche und in Städten eine zünf-
tige Behörde, die man manchmal
Führer geschrieben findet
3) Fünf zahl findet im alten Recht
selten Verwendung; dagegen grün-
det Otfried die Einteilung seiner
Evangelienharmonie in fünf Bücher
auf die fünf Sinne; vielleicht an die
Zahl der Sinne oder der Finger
denkend verlangt Gottfried von
Strassburg fünf Dinge von der
Minne: Keinheit, Keuschheit, Milde,
Demut, Geduld. Ein bayeriseher
Spottausdruck Bauemfünfer hat
nach Schindler vielleicht Bezug auf
die altern Schranncngerichte, bei
welchen wenigstens „fünf erber
mau'* oder „fünf bider man" als
geHchworne Rechtsprecher Bassen,
die auf dem Lande ans Bauern ge-
nommen wurden.
4l Sechjtzahl ist sehr selten.
b) Siehenzahl ist Zahl der Schöf-
fen, der Zeugen (daher besiebnen,
übersiebnen). Vor Gericht erseheint
jeder Freie, der an Grund und Bo-
den sieben Schuh hinter sich und
vor sich besitzt; den Sarg nennen
die Dichter das Haus von sieben
Füssen. Am Gerichtsplatz stehen
svhen Eichen, daher der Ortsname.
Häufig sind sieben Strassen, z. B.
in Heunegau sieben Heerstrassen des
Königs, vier mit rotem, drei mit
schwarzem Steine gepflastert; in
Frieslaud, das noch im 10. Jahr-
hundert in sieben Landschaften zer-
fiel, vier Wasser- und drei Land-
strassen; sieben Pfennige, vier dem
himmlischen, drei dem irdischen Kö-
nige, sind eine Abgabe; sieben Hcer-
1097
| Schilde zählt der Sachsensniegel. Es
I giebt sieben Frieden, für Haus, Weg,
Ding, Kirche, Wagen, Pflug und
Teich. Sieben Jahre und sieben
Tage sind häufig fristbestimmend,
z. B. für die Grenzbegehung; ein
»ibenaere ist einer von sieben auf-
gestellten Sachverstandigen bei Be-
sichtigung von Bau-, Flur- und Grenz-
sachen; der Sichnergang ist die jähr-
liche Besichtigung sämtlicher Mar-
ken einer Flur durch die Siebner.
Der Sieben /, der siebente, ist der
siebente Tag nach Beisetzung einer
verstorbenen Person, an welchem
ehemals der zweite Gottesdienst für
sie gehalten zu werden pflegte.
(}) Ach/zahl ist wiederum im
Recht ungebräuchlich; acht Tage
sind ein alter Ausdruck für die
Woche, indem man von der neuen
Woche den ersten Ta^ mitzählt.
7) Xcunzaht; ncunKinder können,
der Annahme des friesischen Ge-
setzes nach, erzeugt werden; sonst
gibt es neun Urteiler, neun Pflug-
scharen beim (iuttegurteil (.siehe die-
sen Art. Nr. 3>; die eine leibeigne
Frau haben, sollen neun Sehritte
von der Geriehtshütte stehen blei-
ben; neun Jahre, neun Tage, neun
Nächte.
8) Zehnzahl seheint im Recht
überall aus 9 + 1 zu erklären; der
Zehnte bedeutet die Entrichtung des
Stückes, das auf das neunte tolgt;
ebenso sind Fristen, zehn Nächte,
zehn Jahre Verbannung zu er-
klären.
9) F.ilf zwölf und dreizehn be-
deuten oft gleichviel, 11 die Ver
minderung, 13 die Vermehrung der
12 um eins; bei 11 Schoflen ist der
Richter der zwölfte, bei 12 Schorlen
der dreizehnte: oft erscheint ein
Herr mit eilf oder zwölf Dienst-
mannen; im letztem Fall ist er
selbst mitgezählt. Elfer sind auch
eine städtische Behörde.
10) Vierzehn ist die Verdopplung
von sieben. Fünfzehn der Zusatz
von einem zu vierzehn, achtzehn.
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Ziihlen.
1098
—
Verdoppelung von neun, bezeichnet
z. B. aie Jahre der Mündigkeit
11) Unter den Zwanzigern ist 21,
24 und 27 in Gebrauch/ 21 und 27
Verdreifachung von 7 und 9 ; 24 Ver-
doppelung von 12. Ein Hausgenoese
darf 21 Jahr abwesend sein, ohne
sein Recht einzubüßen.
12) Dreissig Jahre bestimmen
den Ablauf der Verjährung, eine
aus römischem Recht hergeleitete
Frist.
die wisen jehent und ist ottch war,
daz kein unmdze nie geteerte dri-
zee oder:
kein unfuoc weret drizec jdr.
Der Dreissigste ist der dreißigste
Tag nach der Beerdigung eines Ver-
storbenen, an welchem ehemals der
letzte Seelengottesdienst für den-
selben gehalten zu werden pflegte,
jetzt überhaupt der letzte Seelen-
gottesdienst
13) Vierzig Tage oder Nächte
ist eine alte r ristbestimm ung, die
besonders beim Heerbann galt, doch
auch in den (iedichten des Mittel-
alters vorkommt.
14 ) Zwriundsie?>enzig Eideshelfer,
d. h. 8 x 9 oder 6 X 12 kommen
in den alten Volksrechten vor; sonst
trifft man Strafe um 72 Pfennige;
72 Dienstleute, 72 linder, 72 Spra-
chen.
15) Zugahe- Zahlen. Entspringen
schon einzelne Zahlen für denRechts-
gebrauch aus blosser Zugabe, näm-
lich vier ans 3+1, acht aus 7 + 1,
zehn aus 9 + 1, dreizehn aus 12 + 1,
fünfzehn aus 14 + 1, dreissig aus
27 + 3, vierzig aus 39 + 1 ; seltener
aus Verminderung, wie sechs aus
7 — 1, eilf aus 12—1, sechsund-
zwanzig aus 27 - 1 , so offenbart
sieh dieses Prinzip in erweitertem
Masse vorzüglich bei Fristbestiin-
mungen. Der Verstrich einer Frist
ist nämlich erst dann für voll zu
achten, wenn in die ausser ihr lie-
gende Zeit eingetreten wird, wes-
halb noch ein Stück dieser neuen
Zeit mit dazu geschlagen zu werden
pflegt. Die ältere Zählung ist die,
das» einer gewissen Zahl vou Näch-
ten, z. B. 7 oder 14, ein Tag zuge-
geben wird, was sich bis in sehr
späte Zeit erhält; spätere Zahlung
nennt bloss Tage und nimmt den
Zugab -Tag gleich in die ganze Zahl
mit auf; also statt 7 + 1:8; statt
14 + 1: 15 Tage. Längere Fristen
wurden aus Linzeinen zusammen
gesetzt, wobei sich die Zugaben
nach den Einzelfristen richteten; so
bestand eine sechswöchentliche Fri*t
aus 45 Tagen, d. h. drei vierzehn-
nächtige Fristen (42 Tage) mit je
einem Zugab-Tag: 42 + 3 = 45.
Die Fristen und Formeln, die das
alte Recht kennt sind folgende:
a) dreinächtige und siebennäcb-
tige ohne Zugab-Tag nach den Älte-
sten Gesetzen;
b) einen dag und rierzeh n nackt.
c) vierwöchentliche oder monat-
liche werden meist durch 30 Tag?
ausgedrückt: vier trocken und zrei
tage;
d) sechswöchentliche Frist Ut
sehr verbreitet und beruht auf drei
maliger Wiederholung der vierzehn
tägigen Frist mit drei Zugaben : dm
tag und sechs Wochen , sechs Wochen
und dri tag, drei vierzehn tage v»i
noch drei tage -,
e) die vorige Frist verdreifathr
= 135 Tage: dreimal sechs vxke*
und neun tage;
f) Jahresfrist hat die Formel
jdr und tag, und ist namentlich Be-
stimmung für verjährenden Besitz
und für die Dauer des Aufenthaltes.
Diese Frist galt nun aber nicht so
viel als ein Jahr und ein voller Ta#:
dazu, sondern sie wurde seit Jahr
huuderten bei den (Berichten nach
der sechs wöchentlichen Frist (oben
d) gerechnet und war soviel als
ein Jahr sechs Wochen und dm
Tage;
g) zehn Jahr und ein Tag kommt
in bayerischen Urkunden oft vor und
wird im alemannischen Landredrt
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Zattclwerk — Zauber.
1099
wieder gedeutet als zehen jar, sech*
wochen und drie tage ;
h) achtzehn JaHr und ein Tag;
i) dreissig Jahr und ein Jahr,
eine uralte Bestimmung, die schon
im 7. Jahrhundert bezeugt ist; später
wird daraus dreissig Jahr und ein
Tag, oder einunddreissig Jahre und
fin Tag;
k ) fünfzig Jahr und ein Tag be-
stimmt den Begriff eines Hagestolzen ;
1) hundert Jahr und ein Tag ist
Formel für ewige Verbannung.
Zattelwerk. Dieses entstand
durch das übliche Ausschneiden der
Ränder namentlich an der männ-
lichen Kleidung, wie solches vom
13. — 15. Jahrhundert in Deutsch-
land üblich war. Siehe Tracht und
Kleiderordn unq.
Zauber. Zauber, ahd. zaupar,
mhd. das und der zouher, ist die
schädliche und unbefugte Ausübung
übernatürlicher Kräfte und wurde
erst den gesunkenen verachteten
Gottern zugeschrieben; nächst diesen
den Mittelwesen zwischen ihnen und
den Menschen, den Riesen, Elben
und Zwergen, zuletzt unter Umstän-
den den Menschen. Gegenüber dem
Wunder, der heilsamen und mit
rechten Dingen zugehenden Wirkung
übernatürlicnerKrftftc, geht der Zau-
ber mit unrechten Dingen zu. „Un-
mittelbar aus den heiligsten, das ge-
samte Wissen des Heidentums in
sieh begreifenden Geschäften, Gottes-
dienst und Dichtkunst, muss zugleich
aller Zauberei Ursprung abgeleitet
werden; Opfern und Singen tritt
über in die Vorstellung von Zaubern ,
Priester und Dichter, Vertraute der
Götter und göttlicher Eingebung
teilhaft, grenzen an Weissager und
Zauberer.'4 Schon die heidnischen
Deutschen kannten neben dem Göt ter-
kultus die Zauberei; aber erst seit
das Christentum alle Begriffe und
Bräuche der Heiden für T'rug und
sündhaftesIMendwerkerklärte.nossen
die beiden Gebiete zusammen. „Bald
erzeugten sich Überlieferungen von
unmittelbarem Zusammenhang des
bösen Feindes mit dem Wesen der
Zauberei; die unerhörteste grausame
Verwirrung zwischen Phantasie und
Wirklichkeit ist daraus hervorge-
gangen. Dergestalt verflossen ver-
übte und eingebildete Zauberkünste
ineinander, dass sie weder in der
Bestrafung noch selbst in der Be-
gehung geschieden werden konnten."
Zauberei wurde von Männern wie
von Frauen betrieben; doch schrieb
das früheste Altertum dieselbe schon
vorzugsweise Frauen zu. Ihnen war
»las Auslesen und Kochen kräftiger
Heilmittel angewiesen ; Salbe fertigen,
Linnen weben, Wunden biuden war
ihr Geschäft, ebenso Buchstaben
schreiben und lesen. Erfahrung
und behagliche Müsse verliehen den
Weibern Befähigung zu heimlicher
Zauberei. Dazu kam ihr wärmeres
und empfanglicheres Einbildungs-
vermögen; namentlich alte Wewer,
die der Liebe und Arbeit abgestorben
waren, verlegten wohl ihr Sinnen
und Trachten vorzugsweise auf ge-
heime Künste. Das ist der Ursprung
der weisen Frauen, aus denen später
die Hexen sich entwickeln, siehe den
besondern Artikel. Von besonderen
Arten desZauberus sowohl der Hexen
als anderer Zauberer werden erwähnt
Ilagelmachen und Saatverderhen, wo-
bei sich jene manchmal einer Wanne
oder eines Kruges bedienen; gewöhn-
liche Schimpfwörter gegen Hexen
waren Wettermacherin, Wetterhexe,
Wetterkatze, Donnerkatze, Nebel-
hexe, Strahlhexe, Blitzhexe, Wolken-
giisse; manchmal geht dabei die Ab-
sicht des Zaubers weniger darauf
aus, die Frucht zu verwüsten, als
vielmehr sich ihrer zu bemächtigen.
Unter den Geräten, vermittelst wel-
cher gezaubert wird, spielen das Sieh
und Wachsbilder eine Rolle; dem
letztern thut man unter Aussprechung
geheimer Worte etwas an, um auf
abwesende Menschen einzuwirken,
es wird in die Luft gehängt oder
ins Wasser getaucht, am Feuer ge-
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1100
Zehnte.
biiht oder mit Nadeln durchstochen
unter der Thürachwelle vergraben;
ein solches Wachsbild heisst ein
Atzman; roher war der Gebrauch,
die Erde oder Raten auszuschneiden,
auf welchen der Fuss eines Menschen
gestanden hat, den man verderben
will- Ein anderer Zauber liegt in
dem Vermögen, Tierff estalt anzu-
nehmen, was namentlich beim Wer"
irolfe (siehe den besoudern Artikel»
der Fall ist; seltener als in einen
Wolf| kommt die Verwandlung in
einen Bären, in eine Katze, eine
(iansyav. Wenn die abgelegte Klei-
dung weggenommen wird, ist keine
Wiederherstellung der verlassenen
(testalt möglich ausser unter der
Bedingung, dass ein unschuldiges
Mädchen sieben Jahre lang stumm
und schwTeigend ein Hemd fertig
spinne und nahe, das über den Ver-
zauberten geworfen werde; ein sol-
ehes Hemd, im Mittelalter St. <ie-
oruenhemde geheissen, löst nicht nur
den Zauber, es macht auch fest und
siegreich. Zauber ist auch möglich
ohne alle Berührung durch blossen
Mick, was mhd. entgehen heisst; das
triefende neidische, üble Antje der
eintretenden Hexe, geschweige ihr
Haueh und ( »mss, kann plötzlich ver-
letzen. Grimm, Mythologie, Kap. 34;
vgl. Wuttte, Volksaberglaube.
Zehnte, ahd. zehando, mhd. ze-
hende, zende; Plural die Zehnten, hat
seine Entstehung in den Vorschriften
des Alten Testaments, wonach jeder
Israelit den zehnten Teil seiner Feld-
und Baumfrüchte und das zehnte
Stück des Kind- und Kleinviehs an
die Leviten zu ihrem Unterhalte
abgaben, die dann wieder den Zehn-
ten davon an die Priester ablieferten,
Bestimmungen, die später dahin er-
weitert wurden, dass ein zweiter
Zehnt von Ackerprodukten, Ül und
Most und die Erstlinge des Rind-
und Kleinviehs, zu einer Mahlzeit
beim Zentralheiligtum verwandt wer-
den sollten. Auf diese Satzungen
berufen sich im 4. und 5. Jahrhundert
die Kirchenväter, wenn sie die Glan
bigen zur Entrichtung der Zehnt«
ermahnen; doch galt die Leistm;
aufangs nur als ein Werk der LUV
und erst im 6. Jahrhundert drohv
eine fränkische Synode mit dec
Banne, wenn ferner die Christen d«t
Priestern den ihnen von Gott anp
wiesenen Zehnten verweigern wtr
den. Neben diesem tort&tidn
Zehnten gab es aber auch tw>r-
welt liehen, aus den römischen (V
setzen herrührenden; diese kannt»s
nämlich ein Zehntverh<nis für Ji-
Bebauer der Staatsdomäne, des
pubfieus, welcher durch Eroberun.
in allen Provinzen als Eigentum d^
römischen Volkes, später der Kaiser
erworben war; wer Stücke darau»
zur Bebauung übernahm, bezahlt-
als Anerkennung des unvollkommm* i
Eigentums, über das der Staat unM
Umständen anderweitig verfüg«:
konnte, die zehnte darbe. Ein ahn
liebes Verhältnis eines unvollkomnK
neu Besitzes bestand bei dem l»
mischen Kolonaf seit Konstantin i
Gr., wobei persönlich freie, jed«>d
an die Scholle gebundene Bcbaur
von Landgütern das Eigentum d*
Grundherrn gegen Abgabe des Zehn
ten bebauten. Dieses letztere \cr-
h<nis blieb vielfach auch auf dt*
schem Boden namentlich für die* nad)
römischem Recht lebende Kirche ■
Geltung, so zwar dass die Kirrk
von den auf ihren Gütern lebend« '
Kolonen den alten, an den Inhal*'
der Domäne zu entrichtenden, dal**
aus weltlichen Zehnten als Ren*''
bezog. Zur Einführung des kird-
liehen Zehntens, für dessen
führung das Volk lange keine ÜBJ*
hatte, so oft und viel die Kirche da-
zu ermahnte, machten besonders &
Fürsten in der Weise den Anfang
dass sie den auf ihren eigenen Krön-
gittern liegenden grnndherrlitk'*
Zehnten an manchen Orteu der Kirr"''
überwiesen; ein Vorbild, das nQU
die übrigen Grundbesitzer za
liehen Schritten bestimmte: für
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Zeitungen. — Zigeuner.
1101
Saehsenland bestimmte Karl d. Gr.
die Zehntpflicht als alleemein für alle
besitzenden Stände. Mit der Zeit ver-
schwand der Unterschied beider Zehn-
ten, und die Kirche machte für alle
Zehnten nur noch den Gesichts-
punkt ihres auf göttlicher Anordnung
beruhenden Rechtes geltend. Für
die Verwendung des bischöflichen
Zehntens galt als Kegel eine Ver-
wendung nach vier Portionen, deren
eine dem Bischof, die andere den
Klerikern, die dritte den Armen
und die vierte der Kirchenbaukasse
zukam ; der Zehnten der Pfarr-
kirchen sollte zu gleichen Teilen
dem Priester, den Armen und der
Kirchenfabrik ( Kirchenbaukasse ) zu-
fallen, erst später wurde ein vierter
Teil auch dem Bischof verrechnet.
Dadurch, dass die Könige und an-
dere weltliche und geistliche Grund-
besitzer das von innen der Kirche
verlieheue zehntbare Gut vielfach
an Laien zu liehen gaben, kam viel
zehntbares Gut in weltliche Hände;
auch Patrone zogen oft die Zehnten
zurück, die ursprünglich den auf
ihrem Grunde erbauten Kirchen ge-
hörten. Seit dem 11. Jahrhundert
verbot zwar die Kirche dieses Vor-
gehen und sprach zuletzt den Grund-
satz aus, dass schon der Besitz
eines Zehnten in den Händen eines
Laien eine Sünde und ein Verstoss
gegen die göttlichen Gesetze sei;
es ist klar, dass die Kirche nicht
überall durchdrang. Richter , Kir-
chenrecht ; Rettberg , Kirchenge-
schichte.
Zeitungen heissen anfanglich
gedruckte Berichte, die über ein-
zelne das allgemeine Interesse in
Anspruch nehmende Thatsachen von
unternehmenden Buchdruckern seit
dein Beginn des 16. Jahrhunderts
veranstaltet wurden, sei's in Prosa,
sei's in Versen; ähnliche Blätter
tragen die Namen „Anzeigen, Be-
richte, Historien, Relationen", mit
Vorliebe aber „wahrhaftige neue
Zeitungen". Die erste gedruckte
Zeitung soll aus dem Jahr 1505
stammen; sie enthält Berichte aus
Brasilien. Im Jahr 1566 wuchs mit
der Türkengefahr die Zahl der Zei-
tungen und es entstanden zum ersten
Male numerierte Blätter, von 1 bis
8, welche Strassburger und Basler
Buchdrucker herausgaben und viel
nachgedruckt wurden. Von 1591
an brachte ein Jakobus Frankus,
d. i. Konrad Lautersbach, bei P.
Brachfeld in Frankfurt einen halb-
jährig erscheinenden Bericht Rela-
tiones /tijttoricae, welcher in monat-
lichen Übersichten «las Neueste mit-
teil te; als „Frankfurter Mcss-Rela-
tionen" wurde dieses Unternehmen
bis 1792 fortgesetzt. Das Auftauchen
wöchentlicher Zeitungen fallt in das
17. Jahrhundert, und zwar gab der
Frankfurter Buchhändler Egenolf
Emme! das erste Beispiel dazu 1606,
ein Blatt, aus dem mit der Zeit das
Frankfurter Journal hervorgegangen
ist. Einen grössern Aufschwung
nahm das Zeitungswesen erst im
18. Jahrhundert. Prutz, Geschichte
des deutschen Journalismus , und
Weiler^ Die ersten deutschen Zei-
tungen, litterarischer Verein in Stutt-
gart, 1872, Bd. 111.
Zepter. Das Zepter der by-
zantinischen Kaiser war ein oben
gekrümmter Stab von 60—70 im
Länge, dasjenige der Karolinger
und ihrer Nachfolger ein goldener
Stab mit einem Adler, Kreuz, einer
Kugel oder Lilie. Das ursprüng-
liche Reichszepter ging früh ver-
loren, wahrscheinlich um 1270; das
älteste der drei vorhandenen stammt
— wie man vermutet — aus dem
13. Jahrhundert. Siehe den Artikel
Krönungsinsignien.
Zijreuiier sind, wie die Sprach-
forschung erwiesen hat, ein alter,
aus seinen Ursitzcn ausgewanderter
Stamm Indien*; der Name Sintc,
den sie sich selbst beilegen, daher
ital. zinquno und zintjaro, deutsch
Zigeuner, scheint auf Anwohner des
Indus (oder Sind) hinzuweisen. Wie;
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1102
Zimmerausstattung.
sie nach Europa gekommen sind,
ist bis jetzt unausgemacht, wahr-
scheinlich geschah es infolge eines
Mongolensturmes im 13. Jahrhun-
dert unter den Nachfolgern Dschin-
gischans, und zwar nördlich dem
Schwarzen Meer entlang in die Wa-
lachei. Von hier wanderten einzelne
Randen seit 1415 nach Nord- und
Westeuropa; auf deutschem Boden
findet man sie zuerst 1417, zur Zeit
des Konstanzer Konzils , in den
Hansestädten an der Nord- und Ost-
see; mau nannte sie Tätern, d. h.
Tartaren, Heiden, Zigeuner, Böhmen ;
sie selber hiessen sich Secaner oder
Roma. Ohne Kinder zählte die
Bande etwa 300 Köpfe, an ihrer
Spitze standen ein „Herzog" und
ein „Graf14. Sie wiesen Sehutzbriefe
des Kaisers Sigismund vor, die er
ihnen angeblich zu Konstanz oder
Lindau ausgestellt haben sollte und
laut welchen sie aus Klcin-Ägypten
kommen und ursprünglich gute
Christen gewesen sein sollten, bis
ihre Väter abtrünnig geworden und
sich zum Heidentum gewandt; dar-
auf hätten ihnen ihre Bischöfe als
Busse auferlegt, sieben Jahre laug
die Welt zu durchirren und von
den Almosen der Christenheit Ihr
lieben zu fristen. Da man die kai-
serlichen Privilegien für echt an-
sah, fanden die Abenteurer in Lüne-
burg, Hamburg, Lübeck, Wismar,
Rostock, Stralsund und Greifswald
zuvorkommende Aufnahme. Doch
konnten sie ihren Charakter nicht
lange verleugnen und wurden aus
Norddeutschland verjagt, worauf sie
sich 1418 nach der Scnweiz wandten,
von wo sich wieder kleiuere Ban-
den nach Südfrankreich, Süddcutsch-
land und Italien abzweigten; aus
«lern letztern Lande brachten sie
angeblich Schutzbriefe des Papstes
Martin V. mit, worin es hiess, ihre
Ahnen hätten einst in Ägypten die
Maria und den Joseph, der mit dem
Jesuskindchen bei ihuen Gastfreund-
schaft erfleht, von sich gestossen:
dafür müssten uun sie, die Nach-
kommen, Jahrhunderte lang ohne
Rast und Unterlans im Elend um-
herwanderu; an andern Orten, wie
in Paris, wo sie 1427 erschienen,
tischten sie wieder andere Märchen
auf; mit dem Jahre 1433 scheint
diese erste Horde vollständig ver-
schollen oder aufgerieben oder in
die Heimat zurückgekehrt zu sein.
Die eigentlichen grosseren Einwaii
derungen der Zigeuner in West-
Europa und ihre Zerstreuung über
den ganzen Kontinent datieren
höchstens vom Jahre 143S. Ander
Spitze der jetzt nach tausenden
zahlenden Banden stand ein „Könige
Zindl genannt. Lange scheinen sie
nun in Deutschland nerum^ezogen,
sich auch hie und da angesiedelt zo
haben, bis 1500 auf «lern Augsburger
Reichstage das erste Verbannungs-
edikt gegen die „Spioue des Tfir
kischen Sultans" publiziert wurde,
dem nun viele andere folgten; ahn
liebes geschah in Frankreich, da-
die Zigeuner wirklich ausrottete,
während sie in Deutschland. SparuVu
und England sesshaft blieben. /V/.
die Zigeuner in Europa und Asien,
2 Bände, Halle 1844 — 45; LiefnrK
die Zigeuner, Leipzig 1S63; Hoyt
die Einwanderung der Zigeuner ■
Europa. Gotha 1870.
Zimmerausstattung-. Diese war
bei den Germanen selbstvn-ständ-
lieh noch äusseret, einfach. Von
einer häuslichen Einrichtung nach
unseren Begriffen weiss ein nomadi
sierendes Volk nichts, und wenn
auch die Germanen schon in ihren
asiatischen Wohnsitzen den Acker
bau kennen gelernt und wohl ancl»
ausgeübt haben, was (trimm au-
dem ihn betreffenden Wortschatz»
nachgewiesen hat, s«» brachte decb
der grosse Zug nach dem Nord-
westen diese Völkerschaften o«»tgv
drungen wieder aus der stilleren
Lebensweise heraus und lies« sie
bei den römischen Berichterstattern
den Kelten gegenüber als ein nn-
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Zimmeraus» tat tung.
1103
stäte» Nomadenvolk erscheinen, da»
die festen Wohnsitze verschmähte.
Zum kleineren Teile aus Verach-
tung, zum grösseren aus Bequem-
lichkeit oder Faulheit nimmt »ich
der Manu der Wirtschaft nicht im
mindesten an, er pflegt nur die
Waffe. Haus und beld besorgt die
Frau, was eine sehr primitive Ein-
richtung des enteren und eine
mangelhafte Bestellung des letzteren
notwendig zur Folge nat.
Das Häuschen war leicht aus
Holz gebaut und sass entweder
*chon auf einem Wagen oder Hess
sich auch beim Weiterzuge leicht
ranz oder zerlegt auf denselben
neben. Gelegentlich benutzte man
auch vorhandene Höhlen und baute
sich diese in der Folgezeit als den
sogenannten ///«r, welche Benennung
von dem Dünger herrühren soll,
mit dem diese zum »Schutze gegen
die Winterkälte bedeckt wurden.
Mit d en festen Wohnsitzen kamen
dauu auch die festen Wohnstätten
in Gebrauch. Dass diese anfäng-
lich nur aus Holz gebaut waren,
lasst sich schon aus dem Umstand
schliessen, dass dieses Material über-
all vorhanden und leicht zu ver-
arbeiten war. Dieser Annahme ent-
sprechen auch die ältesten Aus-
drückefür dieThätigkeit des Bauens:
Ahd. zimbarjan , zimbar6u , got.
timriau, alt- und angelsächsisch
timhrjan, altnordisch Ümbra, Inner-
halb der vier Pfähle bestand das
Hans aus einem einzigen Raum. In
den beiden Kurzseiten waren die
Thüröffnungen, die nicht nur als
Eiu- und Ausgang dienten, sondern
auch zugleich unsere Fenster ver-
treten mussten. Die eine Thür
fehlte auch mitunter, und diese Seite
(wahrscheinlich die nördliche) bekam
statt derselben eine Erhöhung. Ein-
zig zwei Stützbalken bildeten im
Norden die rohe Gliederung des
Raumes. Sie standen in der Mitte
desselben. Zwischen ihnen, gegen
die Sonne gekehrt, erhob sich der
Sitz des Hausherrn. Nach beiden
Seiten hin verliefen die Bänke und
zwischen diesen brannte das grosse
Herdfeuer. Die Erhöhung an der
einen Kurzseite trug im Norden den
Frauensitz, in Westfalen den Herd.
Kleinere Verschlage, die meist an
einer Langseite angebracht waren,
bildeten die Schlafstätten und Vor-
ratskammern. Gedeckt war der
Kaum unmittelbar durch das
Dach, durch dessen Lücken der
Rauch seinen Ausgang suchte.
Mitunter waren freilich zu die-
sem Zwecke auch viereckige
Lücken bereitet, durch die neben-
bei auch der Tag seinen Eingang
finden sollte.
Das Vieh fand mancherorts sei-
nen Schutz unter dem gleichen
Dache; auf grösseren Höfen aber
war es in einem getrennt gebauten
Stalle untergebracht. In Upland
z. B. gehörten sieben Gebäude zu
einem vollständigen Hofe, das Wohn-
haus (sturaj, die Küche, die Scheune,
die Kornkammer, das Vorratshaus,
das Schlafhaus und d«-r Viehstall.
Ein dichter Zaun oder Lebhag um-
gürtete sie gemeinsam. In andern
Höfen bildete wenigstens das Frauen-
haus einen abgesonderten Teil,der mit
einem eigenen Zaune umgeben war.
Von eigentlichen Hausgeräten, noch
viel weniger von etwaigem Zimmer
sehmuck ist nicht» bekannt; es ist
auch sehr unwahrscheinlich, da»s
in dieser Hinsicht viel Aufwand ge-
macht wurde. Ein beim Bau ab-
fallender Block oder ein in der
Nähe liegender Stein war doch ein
solider Sitz; wurde er mit einem
Bären- oder Wolfspelz überdeckt,
so mochte er auch als bequem und
schön erscheinen; die Bank war
aus einem behauenen Stück Holz
leicht und billig herzustellen, des
Tisches bedurfte man entweder gar
nicht, oder man bereitete sich den-
selben wieder aus einem massiven
Blocke; das Stroh- oder Mooslager
ward auf dem Boden bereitet und
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1104
Zimmerausstattung.
den Wandschmuck bildete die Waffe
des Hausherrn.
So blieb es in den unteren Schich-
ten der Bevölkerung noch weit bis
in das Mittelalter herauf, auch als
durch das Beispiel der Römer an-
geregt, die Wohnsitze der Adeligen
aus festem Mauerwerke aufgeführt
wurden und in der Folgezeit Klöster
und Kirchen der deutsehen Bau-
kunst Gelegenheit zu ihrer Ent-
faltung gaben. Wenn auch die
bürgerlichen Wohnstatten nach und
nach etwas bequemer und zu Karl
d. Gr. Zeit schon vielfach aus Stein
aufgeführt wurden, so bestanden
sie doch vorzugsweise immer noch
aus nur einem Raum, der für die
häusliche Arbeit, für die geselligen
Zusammenkünfte, als Ess- und
Trinkstube und zugleich als Schlaf-
zimmer diente und zwar für beide
Geschlechter, für die Frauen und
für die Mägde, für die Herren und
ihre Knechte, wie es im Norden
vielfach bis in unsere Zeit geblieben
ist. Wenn die Nacht anbrach, be-
legte man den Boden des Saales
mit Stroh und jeder legte sich an
jener Stelle unter den Tisch, wo er
vordem seinen Platz zum Sitzen
hatte. An den Wänden waren auch
etwa verschliessbare Sehlafräume
(lokhrilur) angebracht, die jedoch
für die Gäste oder für besonders
vornehme Hausgenossen reserviert
blieben. Um Üngehörigkeiten zu
vermeiden, brannten die ganze Nacht
hindurch eine entsprechende An-
zahl Lichter. In höfischen Kreisen
sind die Schlafstätten nach Ge-
schlechtern getrennt. Der Herr
schläft bei seinen Knechten , die
Frau mitten unter ihren Weibern
und Mädchen. Auch die eigent-
lichen Zimiturgeräte kommen hier
in Aufnahme und dringen nach und
nach — in gleichem Masse, wie die
Kultur überhaupt fortschreitet —
auch zu den unteren Schichten der
Bevölkerung durch. Dieses Fort-
schreiten ist freilich ein sehr all-
mähliches und nirgends deutle
nachweisbar.
Zum Sitzen bediente man sich -
hier in Abweichung von der r«i?n
sehen Gewohnheit der sophaaW
liehen Gestelle — im besten Fa*
des Srssels , der die Gestalt
k leinen Klappstuhles hat, wie er s
den Hütten der Bergbewohner fomii
noch gefunden wird. Doch firniß
dieser in der Regel nur als Ehrec-
sitz seine Anwendung; die Famii>
sitzt bei Tische, zur Arbeit uue
Unterhaltung auf langen Biüik hl
die aus Holz gezimmert und an de
Wänden befestigt, selten bewes1.»^
Bind. Gepolsterte und mit Teppiche
belegte Lehnstühle kommen nur t
den Häusern der Vornehmsten,
auch da nur sehr vereinzelt 1*
Die Tische sind auch an die Watt
geklappt oder aus schweren, vir:
eckigen Tafeln bereitet, die aa2
einem ineist gekreuzten Gest»'!!*
ruhen. Doch kommen auch sch>i
Kuudtisohe vor, die ohne Zweiir
mehr zur Zierde in der Mitte d^
Zimmers aufgestellt wurden. »*
rend die eigentlichen Arbeite- w>
Esstische in einer Ecke angebraoh
waren. Kostbarkeiten, wohl au'£
Kleider und kleinere Geräte, W">r
den in koffe rar t igen Truhen ann*
wahrt. Unter dem Deckel e«^
solchen sollte nach der Enählois
(ircifnrs rou Tours die widerspenstig
RigiuUke, Chilpericki Tochter, du
Gehorsam gegen ihre Mutter lern«"
die ihr, aufgebracht über ihr »
massendes Wesen, über ihre m
verdienten Schmähungen und rat-
schlage, die Truhe öffiiet,
Schmucksachen ihres Vaters heraus-
zunehmen erlaubt, dann aber den
scharfkantigen Deckel so sehr a"1
den Nacken drückt, dass ihr *
Augen aus dem Kopfe quellen un'
nur die herbeieilende Magd sie J*
dem Tode errettet. Diese En»**-
lung lässt es als unzweifelhaft *'r"
scheinen, dass unter derartig?11
Truhen nicht ein Schmuckkaaten
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1105
zu verstehen sei, sondern eine grosse
Lade, wie sie die Landbevölkerung
heute noch zur Aufbewahrung seiner
Fruchtvorräte benutzt. In einem
solchen einfachen Holzbehältnis fan-
den sich in der Gruft des heil.
Gallus das härene Gewand und die
Geissei vor. Ihr Verschluss war
ein Band, dem dae Wachssiegel
aufgedrückt wurde. Was über die
Betten dieser Zeit gesagt wird, er-
geht sich in Mutmassuugen. Es
wird angenommen, ilass dieselben
nach Art der spatrömischen aus
einem vierbeinigen Gestell, teilweise
mit, teilweise ohne Kopf- und Fuss-
lehne bestanden haben, auf das die
nötigen Unterpolster und Decken
zu liegen kamen. Tücher und Tep-
piche kommen häufig vor und dienen
nicht nur zum Belegen der Möbel,
sondern auch zum Verkleiden der
Wände und Verhängen der Thür-
und Fensteröffnungen. Vielleicht
auch wurden an grossen Häusern
die Söller damit überspannt, zur
Zeit, da man auf denselben zu
speisen pflegte. Als Wandschmuck
kommen metallene Spiegel vor,
vom 9. Jahrhundert an auch etwa
Malereien, meist durch italienische
Künstler ausgeführt. Die Pracht-
geräte Karls, von denen einige
Schriftsteller so gerne und so viel
erzählen, sind meist byzantinische
Ehrengeschenke und können darum
hier nicht in Betracht kommen.
Bis um die Mitte des 12. Jahr-
hunderts vermochte das deutsche
Handwerk in Zimmermöbeln nicht
viel neues zu schaffen. Die spär-
lichen vorhandenen Abbildungen
zeigen durchweg noch dieselbe rohe
Profilierung und dieselbe Schwer-
fälligkeit. Neben den Klappstühlen
erscheint als gewöhnlicher Sitz
ein dem römischen Di van nach-
geahmter Kasten, mit oder ohne
Lehne, öfters auch sattel- oder
schlitteiiartig gestaltet, mit mon-
strösen Tiernguren geziert oder ver-
unstaltet. Zum Besteigen desselben
Reallexicon der deutschen Altertümer.
wurde die Fussbank vorgesetzt.
Neben dieser erscheint ein drei-
beiniger Fusssrheine/. Die Tische
sind halbrunde oder länglich vier-
eckige Platten, auf unmittelbar da-
mit verbundenen Füssen oder auf
einem sägeboc kartigen Gestell. 1 )oeh
zeigen die Abbildungen aus dieser
Zeit auch schon Schreibtische im
Gebrauch, die einen Fuss und eine
schrägstehende Tafel haben, auf der
das Dintenfass in Gestalt eine«
kurzen Horns befestigt ist. Der
Fuss ist derb profiliert, die Tafel
zum Stellen eingerichtet. Diesem
entsprechend waren die Lese puffe,
teilweise festgemacht , wohl mehr
aber versetzbar. (Bezüglich der
Betten verweisen wir auf den Ar-
tikel Latfersfattcn.)
Besondere Beachtung verdienen
die Beheiziingseinrichtunffcn. Das
I älteste und natürlichste war das
j offene Feuer. Je mehr aber das
I Zimmer seinen Zweck des Schutzes
; gegen die Unbilden der Witterung
! erfüllen sollte und je schöner man
| es zu seiner eigenen Behaglichkeit
ausstattete, um so mehr wurde das
offene Feuer verdrängt. Es ent-
standen in kurzer Aufeinanderfolge
verschiedene Ersatzmittel. Auch
in den Wohnräumlichkeifen, wie in
der Kirche (diese Vergünstigung
kam in der Regel nur der Geist-
lichkeit zu gute) wärmte man sich
! die Hände an sogenannten Catefae-
| forien , an kleinen Gefässchen , die
die Form eines hohlen, durch-
brochenen Apfels hatten und mit
einem metallenen Einsatz zur Auf-
nahme glühender Kohlen oder eines
erhitzten Eisens versehen waren.
Eine grössere Art derselben hatte
die Gestalt eines Tisches oder eines
niedrigen , vierrädrigen Wagens.
In Tischgestalt ist das Gerät mehr-
fach abgebildet, z. B. in den Mi-
niaturgemäldcn zu dem „Jfurtns
deticiarumu der Äbtissin J/errad
\ von Landspcrg, die aus der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts stam-
70
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1106
Zimmerausstattung.
men. Die vier Füsse des Tisches
sind unterhalb verziert. Auf dem-
selben steht das Kohlenbecken, das
die Form einer vierekigen, rostartig
durchbrochenen Schüssel hat. Frühe-
stens aus dem Anfange des 13. Jahr-
hunderts stammt das Gerät in sei-
ner zweiten Form. Es ist aus Bronze
oder aus Eisen gemacht und be-
steht aus einem umfangreichen, vier-
eckigen Behältnis für die Feuerung,
dessen Boden rostartig, dessen
Wände aber zur Erzielung eines
möglichst starken Luftzuges ein ge-
flochtenes Stab- und Kankenwerk
bilden. Das aus einer Platte be-
stehende Untergestell ist mit vier
kleineu Speiehcnrädern und einer
Deichsel als Handhabe versehen.
Für grössere Räumlichkeiten reich-
ten zwar diese „Feuersorgen" nicht
aus; da bedurfte man doch wieder
des lebhaften Holzfeuers, das aber
aus der Mitte des Zimmers nach
einer Wand verlegt und aus leicht
begreiflichen Gründen in die Mauer
geborgen wurde. So entstand das
Kaminfeuer. Metalleue Feuerböcke
trugen die starken Holzkloben.
Sie bestanden aus zwei völlig gleich-
gestalteten Gestellen, deren jedes
eine senkrechtstehende Vorstange
mit einem unterwärts rechtwinklig
daran festgemachten Stabe zeigte.
Sie waren für sich beweglich, konn-
ten also je nach Bedürfnis weiter
auseinander oder näher zusammen-
gerückt werden. An den Vor-
staugen waren Ringe und Häk-
chen angebracht, an die Feuer-
gattein t Kohlenzangen und andere
nebengeordnete Gerätschaften an-
gehängt werden konnten.
Spiegel und I hren gehören auch
jetzt noch, selbst in den Zimmern
der Vornehmen, zu den ungewöhn-
lichen Dingen.
Deutlicher und entschiedener
werden die Fortschritte im 13. Jahr-
hundert, wo sich als Frucht der
Kreuzzüge und Anzeichen eines
geistigen Erwachens überhaupt in
der Ausstattung des Zimmers der
orientalische Einrluss immer metr
kund gibt, namentlich in der Be-
schaffenheit der Huhe-beUe-n und
»Sessel, sowie ganz besonders ia
derjenigen der Thron*/ühl* unc
Ohrensessel. Neben den bisherign
Formen treten nämlich ganz beioa
ders hohe, um&ngreiehe StuJk/e xli:
runder oder vieleckiger Sitzplan
auf, mit entsprechender Kücktu
und Seitenlehne. Diese steigt senk
recht auf und umschliesst oft dr
ganzen Sitz, mit eiuziger Kreilassua«;
der nötigen Sitzotfnung. Am hau
figsten sind die sechseckigen Sitzt.
die in der Regel auf drei, seltener
auf fünf Seiten mit einer Lehr*
versehen sind. Im letzteren Falir
sind die beiden Lehnenstücke, die de- :
Sitzotfnung zunächst stehen, etwa;
niedriger gebaut. Überhaupt pflegt«-
man die Lehne nach Art eines eio
oder mehrreihigen zierlichen Gitter
werkes zu behandeln und ihre senk
rechten Zwischenpfosten mit
geschnitzten Knauf zu
Der Anzahl der Ecken und Pfostro
entsprach auch die Anzahl dtr
Stützen oderFüase, so dass der sech?
eckige Stuhl deren ebenfalls sech*
erhielt; der runde dagegen stützte
sich auf drei oder vier. Auch der
Raum zwischen diesen Füssen war
namentlich bei der Sechszahl, mrt
ähnlichem Ranken- und Gitterwerk
ausgefüllt, und gleichsam als Stut*-
des Ganzen wurden unter die Füssr
Tiergestalten gesetzt, vornehmlich
Löwen, meist in kauernder Stellung
Teppiche, Fussbänklein und Scbenio
fehlten natürlich auch hier
alumbe an allen sitzen
mit senften plumiten
manec gesitz da wart gefriiy
druf man tiure kultern breit.
Auf die Veränderungen, die in
dieser Zeit mit den Tischen vorge-
nommen worden, lässt sieh w eniger
schliessen, da die grösseren derselben
auf den Abbildungen stets bis
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Zimmerausstattung.
Fussboden herunter mit einem
Teppich behangen erscheinen. Es
lässt sich daher nicht einmal genau
feststellen, ob sie überhaupt noch
durch Vereinigung einer Platte mit
selbständigen stützen hcrgestelltoder
ob man sie von vornherein mit den
nötigen Füssen versah. Grosse
Speisetische wurden ohne Zweifel
stabil aus Stein verfertigt Auch
wueüe es, entgegen dem bisherigen
deutschen Gebrauch, nunmehr üb-
lich, grössere Tischgenossenschaften
nicht mehr an einer grossen, son-
dern an mehreren kleinen Tischen
zu bewirten, die aus Holz und
Metall gearbeitet, namentlich an den
Füssen mehr oder minder künstlich
verziert, bereits als wirkliche Zimmer-
gerätc angesehen werden können.
Die Lese- und Schreibpulte behielten
ihre Form bei. Letztere trugen das
Dintenhorn oft in einem Kästchen,
das zugleich zur Aufnahme der
Federn und des Messers diente.
Auf dem Pulte lag die Wachstafel,
in die nach römischer Weise mit
einem metallenen Griffel die gewöhn-
lichen Notizen eingeritzt wurden.
Die Teppiche dieser Zeit sind
schon recht kostbar. Wenn die
einheimischen Gewirke die orienta-
lischen Muster auch bei weitem
nicht erreichen, so zeigt sich in
dieser Kunst doch ein entschiedener
Fortschritt, und so konnte es nicht
fehlen, dass nicht nur die Möbel,
sondern auch die Fussböden und
Wände immer reichlicher mit den
Erzeugnissen derselben behangen
wurden, wie folgende Stellen aus
Parzival und Tristan bekunden:
Manec. rücke lachen
in dem palas wart gehangen,
alda wart niht gegangen
wan üf tepichen wol geworcht.
und:
des herzogen palas
was alumb und umbe gar
behangen mit sperlachen cldr
diu meisterliche wärn gebritenf
wol geworht und underspriten
mit siden und mit golde.
Wer aber keine Fusstepnich«;
aufzubringen vermochte, behalt Bich
mit geflochtenen Strohmatten oder
mit einer Streu von Binsen oder bei
festlichen Anlässen mit grünen
Reisern, Blättern und Blumen.
manic gelbe bluomen tol-de*
rasen rot und grüenes gras
üf den estrich gestreuet was.
(Tristan.)
Schon im 13., mehr aber noch
im 14. Jahrhundert, gründete sich
der deutsche Handwerkerstand und
konsolidierte sich in seineu zahl-
reichen Zünften oder Innungen.
Damit war die Losung zu einer
freien En twickelungder gewerblichen
Künste gegeben, die bis auf die be-
sagte Zeit in der Hand der Geist-
lichkeit lag, in den Klöstern ihren
Sitz hatte und fast ausschliesslich
der Kirche diente. Die altrömischen
plumpen Formen fielen und an ihre
Stelle traten, auch was das Geräte
selber anbetrifft, die schlanken, ger-
manischen Säulen- und Ranken -
formen. Mit der Kräftigung dieser
Zünfte begann erst das eigentliche
Städteleben und gründete sich der
habliche Bürgerstand, der die ein-
heimische Kunst weit mehr zu for-
dern fähig und willig war, als es
der ausgeartete Adel konnte, und
der alle Schichten der Bevölkerung
weit mehr zur Nachahmung seines
Beispieles reizte. Die einteiligen
Wohnhäuser genügten nicht mehr.
Sie wurden erweitert und in mehrere
Räume eingeteilt, deren jeder seinen
bestimmten Zweck hatte. So ent-
standen die gesonderten Wohn-,
Gesellschafts-, Arbeite- und Schlaf-
gemächer. Ja, man ging noch
weiter und erstellte in einem von
diesem ganz gesonderten Teil des
Hauses noch besondere Fremden-
zimmer. Diese besonders, aber auch
die Familienzimmer, wurden nun
auch nach bestimmten Grundsätzen
70*
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1108
Zimmerausstattimg.
ausgestattet, je nach den Mitteln,
die man dafür zur Verfügung hatte.
Die Wände wurden mit einem
glatten oder geschnitzten Holzgetäfel
versehen, mit Teppichen oder mit
ledernen Tapeten verkleidet, die
womöglich bebildert wurden. Die
Sonne wurde durch Vorhänge fem
gehalten oder auch schon durch
Fensterläden, die der Grösse und
Breite nach geteilt, oft aber auch
ungeteilt waren. Die Möbel waren
dem entsprechend gearbeitet. Vor-
nehmlich die Sessel waren geeignet,
das Versuchsfeld der jungen Kunst
zu werden. Seiten- und Rücken-
lehnen gestaltete man vorerst noch
zumeist geradlinig, seltener gebogen,
und gnb ihnen durchgängiger, als
es bia dahin der Fall war, die Form
von mehrfach gegliederten Pfeilern
oder Säulen mit darauf ruhenden
Karniesen und dazwischen geord-
netem, erhobenem oder durch-
brochenem„Masswerku, gemeiniglich
aus dem sogenannten „Dreiblatt"
und „Vicrblatt" bestehend. Der
Ti*ch hingegen verlangte seines
Zweckes wegen mehr die Beibehal-
tung der gegebenen Formen, höch-
stens das Fussgestell erlaubte eine
freie Behandlung. Die Truhe blieb j
das gebräuchlichste Repositorium,
doch Kam der Schrank oder Kasten i
bereits stark in Aufnahme, der dann
in seinen verschiedenen Grössen
und Gestalten bald das kostbarste |
Hausgeräte wurde. Noch war er !
grossentcils sehr einfach gestaltet,
ein unmittelbar auf dem Boden oder !
auf kurzen Füssen stehender Bretter-
verschlag mit mehreren nebenein-
anderliegenden und übereinauder-
steheuden Abteilungen , deren jede
ihr eigenes Thürchen hatte. Ausser
dem Beschläge ist kaum eine Ver- 1
zierung vorhanden. Zunächst folgt
dann das oben aufgelegte „Mass-
werk4', der gesimsartige Kranz.
Die Wände werden hierauf mit Per-
gament verkleidet und bunt bemalt.
Die Tttron- und J£hrenscsselhatten
teils noch immer die Gestalt der
viereckigen Kasten, mit geradauf-
steigenden Eckpfeilern, teils die-
1'enigen der sägebockähnlich sich
kreuzenden krummen Füsse
Lehnen. Der Unterbau derselben
wurde erhöht, um auch den Fuss-
kissen und Fussbänkchen eine freien
Gestaltung und grössere Ausdehnung
zu gestatten. Darüber breitete sieh
der Thronhimmel aus, der zuweilen
mit Seiten vorhängen versehen wxr
An einem solchen Sessel arbeiteten
verschiedene Handwerke. Die erste
Arbeit fiel dem Holzarbeiter zu, der
ein feiner Schnitzler sein musste;
daun wurde das Geräte bemalt,
vergoldet, mit Elfenbein und anderen
Stoffen ausgelegt, auch mit goMen*Ti
oder silbervergoldeten Zierater.
mit farbigen Emaillen und stellen
weise selbst mit Steinen und Perleu
bedeckt. Eiserne oder bronzen"
Geräte formte und zierte man wo
möglich noch hünstücher. Lehnen.
Fussgestelle und Sitae wurden nach
wie vor gerne mit Tierköpfen oder
ganzen Tierfiguren geziert, nament-
lich mit Löwen, Tigern, Hunden etc
als Sinnbilder der Kraft und Wach-
samkeit Die Teppiche waren vot
purpurfarbiger Seide oder tob
Samnift mit Gold bestickt
Im bürgerlichen Hause blieb <i«r
kleine lehuenlose Klappstuhl imntfr
noch in seiner Geltung, wenn aoeb
selbst er eine freiere, leichtere Be-
handlung erfuhr und gelegentlich
seinen Tierkopf darstellen dorne
Die grossen sebwerbewegharer
Bankkasten dagegen, die sieh licc-
den Zimmerwänden hinzogen, kar
mehr und mehr ausser Göhra»*
oder wurden durch leichtere Gerät-
derselben Art ersetzt, die BÜ
Füssen versehen, auf der vorder*1
Langfläche gefeldert. mit gerader
Lehne, hoher Rückwand, oft mit
überhängender Bedachung und mit
Sehnitz- und Schnörkel werk ausge-
stattet wurden. Die Vcrsetzhimlr
waren bald kastenartig gesehl«»as»en
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Zimmerausstattung.
1109
bald nur von Füssen unterstützt,
mit Seiten- oder Rücklchnen, auch
mit beiden zugleich versehen, offen
oder geschlossen, nach Sitzplätzen
abgeteilt oder auch nicht. So ist
um 1365 erwähnt „eine Bank aus
Eichenholz zum Bewegen, von
zwanzig Fuss Länge nebst Rücken-
lehne, um vor den grossen Speise-
tisch des Königs aufgestellt zu
werden". Kleinere Bänke dieser
Art gestaltete man bald rund, bald
dreieckig (mit drei Füssen). Sol-
che fehlten in keinem auch nur
massig begüterten Hausstände. Die
grosse kastenartige Bank wurde
auch mitunter zur eigentlichen
DoppeWank von beträch tlicherBreite.
Jede Schmalseite trug eine senk-
recht aufsteigende Wand , deren
Mitten durch eine in Scharnieren
vor- und rückwärts bewegliche ge-
rade Lehne verbunden waren, so
dass mehrere Personen bequem
Rücken gegen Rücken sitzen konn-
ten. Solche Bänke stellte man
etwa vor das Kamin und legte sich
f;ar darauf schlafen, in welchem
""alle zum Schutze gegen die direkte
Wärmestrahlung ein zeltartiger Tep-
pich vorgehäugt wurde. Daneben
wurden die Truhen auch als Sitze
verwendet
Tische verfertigte man aus Me-
tall, aus Stein und Holz. Oft wa-
ren die Füsse aus diesem , die
Platte aus eintun anderen Stoffe.
G rosse Tafeln behielten meist das
gekreuzte Fussgcstell. Das TUch-
tach fehlte nie, doch war es nicht
durchweg weiss, sondern oft farbig
und gemustert.
Unter den Kleingeräten waren
namentlich die zierlichen Kästchen
zur Aufnahme von Schmucksachen,
Messern, Nähzeug u. dgl. bei den
Frauen beliebt. Die grösseren be-
standen zuweilen aus zwei oder
mehreren neben- und übereinander
geordneten Schubladen, nebst zwei
verschliessbaren Flügelthürchen.
Waren sie gar kostbar aus edlen
Metallen und Gesteinen gefertigt,
so steckte man sie auch in eigens
bereitete Futterale aus Leder, die
durch Pressung, Malerei und Be-
schläge selber wieder reich ausge-
stattet wurden. Die iSfneqcl dagegen
waren fast durchweg blosse Hand-
sniegel von geringem Umfange,
aber von zierlichster Beschaffenheit
und reichster Ausstattung. Sie be-
standen aus poliertem Metall, Gold,
Silber, Stahl, Zinn, auch aus ge-
| schliffenem Kristall, selten aus Glas.
I Die Amalgamisierung desselben,
j wodurch der Glasspiegel alle an-
! deren aus dem Felde schlug, wurde
erst im 15. Jahrhundert erfunden.
| Erwähnt werden z. B. um 13 IM
„Ein Spiegel von Silber", um 1372
„ein Spiegel von Kristall, welchen
ein Weib in Gestalt einer Sirene
von vergoldetem Silber hält", um
1380 „ein Spiegel von Gold mit
vier Rubinen, vier Saphiren und
vierunddreissig Perlen besetzt'S
„zwei hohe Spiegel mit zwei Füs-
sen von Elfenbein, der eine grösser
als der andere", „zwei Spiegel von
Stahl , der grössere von Kupfer
eingefasst und rückwärts damit be-
deckt, der andere auf einem Holz-
gestell stehend" und „ein kleiner
Spiegel von Silber, längs den Rän-
dern und rücklings emailliert, getra-
gen von zwei Kindern in Mäntelchen
und langen Kappen, diese mit Blüm-
chen in Email bedeckt, stehend auf
einem Plättrhen mit einer Maske
nebst zwei Füssen, darunter eine
gesimsartige Platte mit emaillierter
Darstellung einer Hirschjagd". Auch
treten gegen Ende dieses Zeitrau-
mes neben den längst bekannten
Sand- und Waxserufiren grössere
Wanduhren mit einer Art Rüder-
werk auf, freilich noch sehr selten
und einfach, nur mit einem Zeiger
versehen. Denkt man sich noch
die mit kostbaren Teppichen ver-
hängten Zimmerwände und die eben-
falls aus kunstreich gestickten Tü-
chern gefertigten, in Holz gerahmten
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1110
Zi mmerausst att ung.
Flügehcändc zum Verstellen der
Thür- und Fensteröffnungen hinzu,
so kann man sich einen ungefähren
Begriff von einem Zimmer des 14.
Jahrhunderts machen. Freilich er-
laubte sich der schlichte Bürger-
stand einen solchen Luxus noch
nicht. Die schweren Bankkästen,
einige bewegbare Truhen, ein oder
mehrere Langtische und die erfor-
derliche Anzahl von Betten machte
hier ohne Zweifel das gesamte Mo-
biliar aus. In den Hütten der
Armen machten die Truhen sogar
den Tisch entbehrlich, waren alles
in allem, höchstens noch etwa von
besonderen Schlafstellen begleitet.
Im 15. Jahrhundert brach sich
der burgundische Einfluss Bahn,
der in dem kräftigen deutschen
Handwerkerstande einen fähigen
Träger fand. Die Goldschmiede-
kunst und ihre Zweige, die Email-
lierung und Steinschneiderei, das
Handwerk der Schmiede, Schlosser,
Kupferschmiede, Bronzegiesser und
Zinnarbeiter wetteiferte mit dem
der Elfenbeinschnitzler, der eigent-
lichen Bildschnitzer, Schreiner,
Töpfer u. s. w. Den grössten,
d. n. den für die Ausstattung der
Wohnräume praktisch verwendbar-
sten Schritt, thaten wohl die Gla-
ser, die nun neben allerlei nütz-
lichen Dingen die Glaxfenster
herstellten, aus Kundscheiben zusam-
mengesetzt, wie sie sich bis in
unser Jahrhundert erhalten haben.
Weun auch die unvermeidliche
Bleifassung, verbunden mit der
meist noch geringen Qualität des
Glases, ein Produkt entstehen Hess,
das der Vollkommenheit noch fern
stand, so war doch dieses schon
von grosser Bedeutung, ein nicht
gering zu schätzender Fortschritt
gegenüber den früheren Fenster-
verschlüssen aus Horn oder geöl-
tem Papier. Diese gelangten über-
haupt nie zu allgemeiner Verbrei-
tung.
In bezug auf die Teppichicirkerei
genossen die
stätten eines
allem durch
Wirkerei mit
flandrischen
hohen Rufe« , vw
die „ hochschäfrLT
senkrechter Ken.
durch die „hautelisge". Der Auf-
wand an solchen Teppichen übn
stieg zuweilen jedes erdenklkk
Mass. So wird erzählt: „Als mar
bei Gelegenheit der Verrnähhiit:
Karl VIII. (um U91) das Schk*
Ambaue ausstattete, verwandte mit
dazu an seidenen und golddarcb-
wirkten Wandteppichen nicht ve-
niger als mehrere tausend Ell»*
Allein um den Hof damit zu be-
decken, bedurfte man viertausev
Haken, und zu einem einzigen G»-
mach dreihundertsiebenunavierris:
Ellen von dem stärksten Seide*
stoff, darauf in fortlauf enden Bild« ti
die Geschichte Mosis zu sehen war
Die anderen Teppiche enthielte
Szenen aus der Mythologie, »l-
der älteren und der neueren Ge-
schichte. Auf ihnen erblickte
unter anderem die siegreichen Tta
ten des Herkules, die Geschieh*
der Sibyllen, die Eroberung wm
Troja, die Zerstörung Jerusalem-
einzelnes aus dem Romau von <iri
Rose und die Schlacht von For
migni, in welcher um 1450 Karl VII
die Engländer schlug". Zur I>
deck ung der Zimmergerate ud-
zum Uberziehen der Polster wählt
man fortwährend mit Vorliebe «>
gewöhnlich bestickten, einfarbige
oder buutbemusterten Stoffe.
Auch in bezug auf die Verfer
tigung von Uhren ward ein wich
tiger Schritt vorwärts gethan. Er-
ging von Frankreich aus. Um dar
Jahr 1480 erfand dort ein gewiss* r
Carorage oder Carvragitts die Spi
ralsprungfeder und verwandte de
ren Triebkraft zur Herstellung vor:
kleineren Wanduhren, die kum
Zeit hernach (1500) Peter Helc ic
Nürnberg derart vervollkommnet«',
dass er als der eigentliche Erfin
der der Taschenuhren
werden darf.
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ZimmcrauHatattung.
1111
In bezug auf die Gestaltungs-
weise des Geräts im allgemeinen
hielt man sich an die germani-
schen" Grundformen, so dass da-
rüber, namentlich aus der ersten
Hälfte des Jahrhunderts, weniger
zu berichten ist. Die verzierende
Ausstattung freilich wurde immer
mannigfaltiger, ja in dem Streben,
durch immer neue Erfindungen zu
glänzen, verlor sie gegen Ende des
Jahrhunderts den feineren Sinn für
künstlerischen Zusammenhang, sie
führte zur Überladung und zur
Willkür und in ihrem Umschlag
zur nüchternen Leere, so dass sie
sich endlieh teils in launenhafter Ver-
mischung von starren oder doch
nur maasig ornamental belebten
Flächen mit einer zumeist übertrie-
benen Fülle von bunt zusammen -
geordnetem Zierwerk, teils in aus-
schliesslicher Verwendung des letz-
teren verlor.
Neben den bisher üblichen
verschiedengestalteten Lehnsesseln
tritt der ähnlieh aussehende Dreh-
sexsel auf, der wie der Rollstuhl
hauptsächlich von Kranken mag
gebraucht worden sein. An Schrän-
ken und Truhen suchte man nun
vorzüglich die gesteigerte Fülle
baulicher Verzieruugsformen zur
Geltung zu bringen, auch kommen
an denselben neben kostbarem
Schnitzwerk oft Goldverzierungen,
sowie Holz- und Metall« n lagen
vor. Die Truhen stellte man gern
auf Tierköpfe; die Schränke erhiel-
ten grössere Flächen, damit die
Verzierungen reichlicher angebracht
werden konnten. DieThüren wur-
den kleiner, deren Umrahmungen
aber verbreitert, sowie die wage-
rechten Leisten zwischen den Fä-
chern. Neben den grösseren Stand-
oder Wandschränken bediente man
sich auch kleinerer, die an die
Wand gehängt werden konnten
und eben ihrer Kleinheit wegen
um so köstlicher geziert wurden.
Unter den vielen Arten des
Tisches begegnet man am häufigsten
dem kleinen, einfüssigen. mit run-
der, ovaler und viereekigerPlatte, und
dem scharnierbeweglichen Klapp-
tische. Beide kommen mehrfach
im Zimmer vor und zwar ihrer
Kostbarkeit wegen mehr als Zier-
tisch. Die Platte ist Marmor oder
Serpentin, zum mindesten eine sel-
tene Holzart, mosaikartig ausge-
legt, bemalt, auch wohl am Rande
zierlich eingefasst. Die Füsse sind
Metallarbeit, aus Holzsehnitzwerk
oder aus einzeln gearbeiteten Or-
namentstücken zusammengesetzt.
Auch die Füsse der mehrfüssigen
Tische sind die hauptsächlichsten
Träger der Verzierungen. Auch die
Schenk- oder Kredenztische fanden
ziemlich«' Verbreitung; die Schau-
gestelle oder ,,d ressoi rsu und die
Anrichtetafeln oder Jtußets'1 stellte
man mit der Zunahme der Prunk-
gesrhirre (Glas- und Thonwaren,
Gold- und Silbergeschirre, Brunnen
f Giessfasser], Dreifüsse und Schiffe)
viel häufiger und umfangreicher
her, als es früher geschah und er-
mangelte selbstverständlich auch
nicht, sie selber mit allem erdenk-
lichen Zierat zu schmücken. Als
Zimmerschmuck wären endlich noch
die grossen Tafelbilder, auf Holz
gemalt und zierlich eingefasst, sowie
die gläsernen Wandspiegel zu nen-
nen.
Wenn auch das bürgerliche
Wohnhaus all diese Pracht noch
nicht auf einmal nachzuahmen ver-
mochte , so wuchsen doch auch
dort die Bedürfnisse stetig. Die
Bankkästen blieben noch, die Tru-
hen ebenso, doch werden daneben
mehr oder minder reichverzierte
Tische, Stühle, Bänke, Schränke,
Lesepult«? u. s. w. fast allgemein
angetroffen, und auch die nicht
einmal reich Begüterten erlaubten
sich zu Ende des Jahrhunderts den
Luxus der Hängeteppiche und des
Holztafelwerkes.
Für das 16. Jahrhundert wird
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1112
Zimmcrausstattung.
Italien tonangebend. Dort hatte sich
zuerst wieder das Bedürfnis der
Auffrischung des Geschmackes an
dem Vorbild der Alten kund ge-
than. In eingehender Verwendung
der altklassischcn Formen zuförderst
im baulichen Betriebe, war man zu-
gleich bemüht, auch die antike Vcr-
zieruugsweise wieder aufleben zu
lassen, was der Geratebildung mit
zu statten kam. Anfänglich ahmte
man die Muster getreu nach, lernte
das Ebenmass der Teile wieder
schätzen und die Fülle der Zieraten
damit in Einklang bringeu, was
aueh für die neuen Verhältnisse
nicht über Gebühr schwer sein
durfte. Behandelten doch die Vor-
bilder in wechselvollster Durchbil-
dung und Anordnung die blossen
Phantasie-Ornamente, die mannig-
faltigsten Gegenstände aus dem
Tier- und Pnanzcnleben und aus
der altrömischen Yerkehrswelt, dem
kultlicheu, kriegerischen und all-
täglichen Leben , was alles nicht
nur die Sinne bildete, sondern auch
die Phantasie zu eigenen Kombi-
nationen anregen musste.
Die „Renai*aanctM ging zunächst
auf Spanien, dann auf Frankreich
und erst durch dieses auf die Nieder-
lande und auf Deutsehland über;
jedes dieser Länder hat sie in seiner
eigenen Art empfangen und aufge-
griffen , keinem aber hat sie noch
vollends so ein bestimmtes Gepräge
aufgedrückt, wie dem letztgenannten,
das sein Jtaus und seine Stadt in
einer Weise herausbildete, dass der
objektive tieferblickende Fremde
mit seiuetn Beifalle nicht zurück-
halten konnte. So sagt der feinge-
bildete Italiener, Äneas Svlvius,
Papst Pius II. (1458 1464»', dass
er die grösseren niederländischen,
deutschen und schweizerischenStädte
ihrer besonderen Sauberkeit, Ord-
nung und Wohlhabenheit wegen,
lediglich abgesehen von Kunst-
sehmuck, den grösseren italienischen
und französischen Städteu weit vor-
ziehe und viele, wie vor allein Gen
Brügge, Breslau, Pra^r » Lübeck.
Aachen, Trier, Kölo, Ulm, Wkn
Strassburg, Salzburg, Basel, Züri. «
u. a. als Musterbilder, ja einzeln
wie Augsburg und Nürnberg, p
radezu als Ideale einer vollkomn^
I nen Stadt bezeichnet werden müsset
I Und ähnlich sprach sich in diT
zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert
Michel de Montaigne aus , der ait
i drücklich hervorhebt, dass in dt m
j deutschen und schweizerische
Städten die Strassen und öffentlich» :.
Plätze, die Wohnungen samt ihr-ir
Hausrat, ihren Tafeln und Tafcl
gesehirren, weit schöner und sau-
berer seien, als in Frankreich.
In der Behandlung der edtln 1/-
falle und Steine waren unter den den:
sehen Meistern die Augsburger luvi
Nürnberger am berühmt« -sten, do»-h
genossen auch die Ulmer, Kölner.
Frankfurter (a. Bf.), Prager, Wieue.
und Dresdener eines guten Rufe*
Die JClfenbeinsch nitzerei hatte Ix
sonders in Augsburg ihren Nitz.
Die Arbeit in Holz hatte selten im
15. Jahrhundert in rein technisch, r
wie in künstlerischer Hinsicht eint
Stufe erreicht, die eine bedeutend«*
Weiterentwickelung kaum mehr zu
Hess; aber das immer steigeudi
Bedürfnis für derartige Arbeiten für
weltliche, und bis zum Ablauf der
dreissiger Jahre auch noch fi:r
kirchliche Zwecke, Hess doch man-
cherlei Neuerungen und V erbest*
rungen unvermerkt entstehen. Ein"
solche war die von Italien aar
Frankreich und dann auch auf
Deutschland übergehende Li«h
haberei für geschnitzt* Zimmer
decken. In der ersten Hälfte de?
Jahrhunderts begnügt man sich uoeb
mit einem sich kreuzenden, einfach
gegliederten Balkenwerk mit Ver
zierungen in Flachschnitzerei; in
der zweiten Hälfte aber entwickelt
sich die Decke durchgängig zu
einem sehr verschiedenen, oft äusserst
künstlichen Kassetten werk,
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Zimmeraus* tat tung.
1113
füllt mit erhabenen Schnitzereien
und Gemälden im Wechsel , oder
auch in ihrem Verlaufe lediglich
mit Malereien. Doch blieb der Ge-
schmack für gute Schnitzarbeit
immer vorhanden, ja man begnügte
sich nicht mehr damit, bloss die
Flachen, deren Einfassungen und
Bekrönungeu damit zu zieren, son-
dern fügte noch völlig rund ge-
arbeitete Einzelteile bei, Figuren von
Menschen und Tieren, zuweilen in
Gruppen, Köpfe, Tierfüsse, Säulen,
Pfeiler, Stützen u. dgl. Neben den
einheimischen Holzarten , Eichen-
und Nussbaumholz, gelangen nun
auch fremde zur Verwendung, so
besonders das aus Ostindien be-
zogene Ebenholz, das anfangs seines
hohen Preises wegen nur zu kleinen
Geräten verwendet werden konnte,
von den siebziger Jahren an aber,
infolge eingetretener Preisermässi-
gung, bei aen vornehmen Familien
geradezu vorherrschend wurde. Be-
liebt waren namentlich die Möbel
mit Elfenbein- und Silbereinlagen.
Die Sehreiner setzten sich zu diesem
Zwecke mit den Künstlern von Fach
in Verbindung und waren nicht
selten selber tüchtige Schnitzer und
Baumeister.
Nicht minder rührig waren die
Metallarbeiter, Schmiede, Schlosser,
Kupferschmiede, Bronze- und Zinn
giesscr. Auch sie wussten zu leisten,
was das Handwerk überhaupt je
zu leisten vermochte. Namentlich
die Arbeiten der damaligen Schlosse-
rei verdienen heute noch unsere Be-
wunderung. Es sind nicht nur kunst-
reich gearbeitete Schlösser und Be-
schläge, sondern auch einige l'hr-
irerke, die als Turmuhren mit einem
Schlagwerk und mancherlei kunst-
reichen und ergötzlichen Zuthaten
versehen sind, daneben auch astro-
nomische Instrumente und ver-
schiedenartige Figuren, die durch
einen künstlichen Mechanismus ihre
Thätigkeiten ausführen. Die GUuh
fabrikation und Verarbeitung dieses
immer wichtiger werdenden Stoffes
ruhte besonders noch in der Hand
der Venezianer. Alle köstlicheren
Stücke kamen von dort her. Im
eigenen Lande machte man ausser
den Fensterscheiben und kleinen
Spiegeln nur die kleinen Ge-
fässe für den Hausbedarf, aller-
höchstens etwa Deckelgläser (Hum-
pen ) mit eingebrannten Pinsel-
zeichnungen. Auch die Töpferkunst
und Steingutfabrikation blühte in
Italien zumeist und ging von da
nach Frankreich über. Als Werk-
stätten letzterer Art waren in Deutsch-
land und in den Niederlanden be-
sondere Delft und Köln bekannt.
Köln that sich auch in der Teppich -
Wirkerei und Verarbeitung des ge-
pressten Leders hervor.
Der neuen Geschmacksrichtung
folgte auch in Deutschland, wie
anaerorts, anfänglich weniger der
Hof und der Adel überhaupt, als
das vornehme Bürgertum, so in
Augsburg die Fugger und Welser.
Der Gelehrte Beatus Rhenanus be-
schreibt in einem Briefe vom Jahr
1581 das Haus des Anton Fugger
folgendermassen : „Welch eiuel 'rächt
ist nicht in Anton Fuggers Haus.
Es ist an den meisten Orten ge-
wölbt, und mit marmornen Säulen
unterstützt. Was soll ich von den
weitläufigen und zierlichen Zim-
mern, den Stuben, Sälen und dein
Kabinette des Herrn selbst sagen,
welches sowohl wegen seines ver-
goldeten Gebälkes, als der übrigen
Zieraten, und der nicht cemeinen
Zierlichkeit seines Bettes das aller-
schönste ist? Es stösst daran eine
dem heiligen Sebastian geweihte
Kapelle, mit Stühlen, die aus dem
kostbarsten Holze sehr künstlich
gemacht sind. Alles aber zieren
vortreffliche Malereien von aussen
und innen. Raymund Fuggers Haus
ist ebenfalls köstlieh und hat auf
allen Seiten die angenehmste Aus-
sicht in Gärten. Was erzeuget Ita-
lien für Pflanzen, die nicht darin
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1114
Zimmerausstattung.
anzutreffen wären , was findet man
darin für Lusthänser, Blumenbeete,
Baume, Springbrunnen, die mit Erz-
hildern der Götter geziert sind?
Was fiir ein prächtiges Bad ist in
diesem Teile dos Hausos. Mir ge-
fiolon dio königlich französischen
Gärten zu Blois und Tours nicht
so gut. Nachdem wir ins Haus
hinaufgegangen, beobachteten wir
sehr breite Stuben, weitläuftige Säle
und Zimmor, dio mit Kaminen,
aber auf sehr zierliche Weise, zu-
sammengefügt waren. Alle Thoren
gehen aufeinander bis in die Mitte
des Hauses, so dass man immer von
einem Zimmer ins andere kommt.
Hier sahen wir die trefflichsten Ge-
mälde. Jedoch noch mehr rührten
uns. nachdem wir ins obere Stock-
werk gekommen, so viele und grosse
Denkmale des Altertums, dass ich
glaube, man wird in Italien selbst
nicht mehrere bei einem Manne
finden. In einem Zimmer die eher-
nen und gegossenen Bilder und die
Münzen, im anderen die steinernen,
einige von kolossaler Grösse. Man
erzählte uns, diese Denkmale des
Altertums seien fast aus allen
Teilen der Welt, vornehmlich aus
Griechenland und Sizilien, mit grossen
Kosten zusammengebracht. Ray-
mund ist selbst kein ungelehrter
Mann, von edler Seele."
Einfacher (das reiche Basel aus-
genommen) wohnte man in der
Schweiz. Aloysius v. Orelli schreibt
zwischen 1 550 und 1 575 aus Zürich,
dass überall Reinlichkeit die grösste
Zierde sei. daneben aber Einfach-
heit herrsche. Teppiche habe er nur
in zwei Häusern vorgefunden. Der
vornehmste Schmuck der Zimmer
sei das nussbaumene Getäfel mit
gotischem Sehnitzwerk. Die Fuss-
böden der Wohnzimmer seien von
Holz, die der anderen von Backstein
gemacht, deren viele ohne Zierat,
andere mit einer Blume oder einer
sonstigen Zeichnung geziert seien. Die
Zimmerdecke dagegen sei vielfach
köstlich geschnitzt und bemalt, hin
und wieder mit massivem Gipswerk
(Stuck) in Waffen und Harnischen,
auch etwa mit Gold geziert. Da-
neben seien lateinische Denksprücbe
hingemalt. Zur Erwärmung der Zim-
mer bediene man sich grosser Ofen.
Die Trinkgefasse seien von Zinn,
oft der einzige Schmuck der dunkln
Stube, dahertägTichblankgescbeu.>rt
„Die Gerätschaften" — schreibt er
weiter — „sind auf Dauer gemacht
wenig zahlreich, viel weniger pracb-
tier, aber oft in gutem Geschmack.
Für den täglichen Gebrauch sind
in den Wohnzimmern , längs der
Wand und um einen grossen Tisch
herum, lange Bänke für die Haas-
haltung hingestellt, wovon die oberste,
für den Herrn und die Frau des
Hauses bestimmt, mit Tuch ausge-
schlagen ist. Kömmt Gesellschaft
so werden in den reichen Häusern
hölzerne Stühle hingestellt, deren
I Sitz mit Saramet beschlagen nnd
: mit seidenen, auch, doch selten, mit
silbernen und goldenen Fransen
! geziert sind. Weniger Reiche be-
gnügen sich mit Stühlen, mit jre
farbtem Tuch oder Leder ausge-
schlagen, oder mit Polstern darauf,
von den Frauen und Töchtern im
Haus gestickt; mit dergleichen, und
etwa auch mit gestickten Teppichen,
werden bei festlichen Anlässen die
Tische bedeckt Lehnstähle halt
dies rüstige Volk nur für Kranke
oder Greise tauglich." Er redet
dann von der Menge silberner und
vergoldeter Trinkgefasse. Pokale
Schüsseln u. dgl.. die man in reichen
Häusern finde und mit denen hei
festlichen Anlässen die Tafel gedeckt
und geschmückt werde, auch von
der in Sammet gebundenen, mit
Silber und Gold gezierten Hau.*bibel
und fährt dann fort: ..So einfach
und haushälterisch die Speisen im
täglichen Leben sind, so einfach ist
auch das Tischgeräte. Die Ldflel
sind durchgängig von Holz
Horn,
-
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Zimmerausstattung.
1115
die des Hausvaters und der Haus-
mutter, mit ein wenig Silber ver-
ziert. Von gleichem Gehalt sind
auch die Teller der Gemeinen, die
der Reichen von Zinn, wenigstens
des Hausherrn und der Hausfrau
ihre. Die Schüsseln sind von ver-
zinntem Kupfer, Zinn oder gebräun-
ter Erde; so auch die Trinkgefässe.
Glas hat man nicht zum täg-
lichen Gebrauche, deshalb sind
die Flaschen von hartgebranntem
Thon, die Becher hölzern oder von
Zinn."
Zu bedenken ist bei der Beur-
teilung? dieser beiden wertvollen
Nachrichten, dass Rhenanus den
Haushalt des Bürgerfürsten, Orelli
aber absichtlich den der einfachen
Bürgersleute beschreibt, und dass
sie sich darum zur Kombinierung
eines Gesamtbildes gegenseitig er-
gänzen. Der eigentliche Bürger-
stand wird auch in Deutschland
mehr nach der zweiten Schilderung
gewohnt und gelebt haben. Wie
viel übrigens zu einem mittleren
Hausstand schon nötig war, be-
schreibt Hans Sachs in dem um
1544 erschienenen Gedichte „Der
ganze Haussrat bey drey hundert
Stücken, so ungefehrlich in ein jedes
Hauss gehört" folgendermassen :
„Erstlich in die stuben gedenk,
Musst haben Tisch, Stul, Sessel und
Benk,
Bankpolster, Küss und ein Faulbett,
Giesskalter und ein Kandelbrett,
Handtzwehel, Tischtuch, Schüssel-
ring,
Pfannholz, Löfl, Teller, Küpferling.
Krausen, Aengster und einBicrglass,
Kuttrolff, Trachter und ein Salzfass,
Ein Külkessel, Kandel und Flaschen,
Ein Bürsten, Gläser mit zu waschen,
Leuchter. Butzscher und Kerzen viel,
Schach, Karten, Würfel, ein Bret
spiel,
Ein reisende Uhr, Schirm und Spiegel,
Ein Schreibzeug, Tinten, Papir und
Sigel,
Die Bibel und andere Bücher mehr
Zu Kurtzweil und sittlicher Lehr.
Damach in die Kuchen verfug
Kessel, Pfannen, Häfen und Krug,
Drifus8, Bratsniess gross und klein,
Ein Rost und Bräter muss da seyn,
Ein Wurtzbuchs und ein Essigfass,
Mörser, Stempffel, auch über aas
Ein Laugenfass, Laugenhäfen, zwo
Stützen,
Zu Fewersnot ein messen Sprützen,
Ein Fischbret und ein Ribeisen,
Schüsselkorb, Sturtze, Spiknadeln
preisen,
Ein Hakbrett, Hakmesser darzu,
Salzfass, Bratpfann, Senflsehüssel
zwu,
Ein Fülltrichter, ein Durchschlag eng,
Feimlöffl und Kochlöffl die meng.
Ein Spülstandt, Panzerfleck darbey,
Schüssel und Teller mancherlev.
Pietz klein und gross ich dir nit leug,
Schwebel, Zunder und Fewerzeug,
Ein Fewerzangen, ein Ofenkruken,
Das Fewerpöklin zuhin schmuken,
Ein Tegel, Blassbalg, Ofenrohr,
Ein Ofengabel musst haben vor
Kyn, Spän und Holz zum Fewer
frisch,
Ein Besen, Strohwisch ,und Fleder-
wisch,
Auch musst du haben im Vorrat
In der S]>eisskammer früh und spat
Ein Auf hebschüssel, ein Zerlegteller.
Nun musst auch haben in demKeller
Wein und Bier, je mehr je besser,
Ein Schrotleiterund ein Dambmesser,
Ein Fassbörer muss auch da seyn,
Ein Rören und ein Kunnerlein,
Ein Stendtlein und auch etlich Kandel,
Weinschlaueh und was gehört zu dem
Handel.
Wilt nun in die Schlaf kammer gehn,
i Ein Spanubett muss darinnen stehn
Mit Strohsack und ein Federbett,
Polster, Küss und ein Deckbett,
Deck, Pruntzscherb, Hamglass und
Betttuch
Und auch ein Truhen oder zwu,
I Darein man wol beschliessen thu
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Ziuunerausstattung.
1116
Gelt, Silbergeschirr und Pocaln,
Kleinat, Sehe wem, Porten undSchalu.
Auch mus8t du haben ein Gewand-
halter.
Auch wie man zu dem Gwand muss
brauchen
Ein G wandbürsten und ein Gwaud-
besen.
Auch musst sunst haben in gemein
Vil Hausratt iu dem Hause deiu,
Damit man täglich flück und besser
Ein Segen, Reben- und Scheitmesser,
Hammer, Negel, Maissl und Zangen,
Hobel, Handbeihl, einLaiter hangen,
Schaufel, Hawen, Axt nutzt man gern,
Ein Rechen, Sehlegel und Latern.
Auch Werkzeug mancherlei Vorrath
Zum Handel selb in dein Werkstatt.
Auch musst du für dein Maid und
Frawen
Nach einem Spinnrädlein umb-
schawen,
Rocken, Spindel und Hespa gut,
Scher, Nadel, Ein und Fingerhut,
Ein schwarzen und ein weissen Zwirn,
Markkorb, Tragkorb, Fischsack, kern
ihm,
Auch muss sie haben zu dem Waschen
Laugen, Seiffen, Holz und Aschen,
Multer, Waschböek und Züberleiu,
Gelten und Scheffel, gross und klein,
Schöpfer, Waschtisch, Wasehpleul
und Stangen,
Daran mau die Wesch auf thut hangen.
Wenn man dann ins Bad will gan,
Hin Krug mit Laugen muss man hau,
Badmantel, Badhut und Haubtuch,
Beck, Pursten, Kamp, Schwammen
und pruch.
Geht dann dieFraw mit einem Kindel,
So tracht umb vierundzweinzig
Windel,
Ein Fürhang und ein Rumpelkess,
Weck, Käss und Obst zu dem Ge-
fräss,
Ein Kindlbett, dem Kindt ein Wiegen,
Musst hüben Milch, Mal und k
pfanneu,
Ein Kindmaidt und ein Lüdelein.
Kannst du solches alles nit er-
schwingen,
Musst in versetzten Thon da singen.
So hab ich dir gelt ausgesundert
Des Hausrathsstück bis iii drey-
hundert,
Wiewol noch viel gehört zu den
Dingen.
Traust du dir den zuwegen bringen
Und darzu Weib und Kind ernähren.
So magst du greiften wol zu ehren,
Daruinb bedenk dich wol, es liegt
an dir.**
Die Möbel nahmen au Uuifang
zu. Als Sitze blieben die I^ekn-
scsscl, S fühle, Schemel, Ranire und
sophaartiqc (wes/elle in Gebrauch.
Die Rücklehnen der Sessel wurden
hie und da etwas rückwärts, die
Armlehnen etwas einwärts geneigt
Doch blieben im Durchschnitt die
gerade Linie und der rechte Winkel
herrschend. Die KlappstüJifo kamen
bedeutend in Abgang, wie auch die
feststehenden hohen Geatühle, alles
musste möglichst leicht und be weglich
sein. Statt der aufgelegten Kissen
brachte man jetzt festgenagelte Kü-
ster an. Die Lehuen waren ent-
weder auch gepolstert oder aus Stab-
werk mit reicher Verzierung aufge-
baut, in der zweiten Hälfte des
Jahrhunderts wie die Sitze selber
oft ein künstliches aber derbes Hokr-
gefleckt. Metallene Stühle wurden
selten. Die gleiche Wandlung maeb-
ten auch die verschiedenen Arten
der Bänke durch, bis sie, die Bank
kästen zuerst, gegen Ende des Jahr-
hunderts aus den Wohnzimmern
von Stil ganz verschwanden und
höchstens noch etwa in deu Vor-
zimmern und Tanzsälen geduldet
waren. Die Wandlungen der 7X#eÄr
dieser Zeit sind bedeutend und be-
schränken sich hauptsächlich auf
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Zimmerausstattung.
1117
die Verzierungen des Fussgestelles.
Neu traten grosse halbrunde, drei-
fünsige Tische hinzu, die beliebig
als Ziertische an die Wand gestellt
oder je zu zweien auch als Speise-
tisch Denutzt werden konnten. Die
reichlichste Durchbildung erfuhren
die Schreibtische, durch die Erfindung
der Buchdruckerkunst veranlasst.
Doch bereitete man auch jetzt schon
besondere Büchergestelle, die wie che
Büßet* und Schautische sich zu köst-
lichen Schaustücken herausbildeten.
Die Truhen und Schränke kommen
auch jetzt noch nebeneinander vor,
doch werden die letzteren häufiger
und dienen erstere fast ausschliess-
lich nur noch zum Versorgen der
Leibwäsche u. dgl.; überhaupt ver-
sehen sie den Dienst unserer Kommo-
den, während Kleider und Schmuck-
sachen an die Schränke übergehen.
Die „Toilette" dagegen bildete nur
in Ausnahmefällen ein zierlicher
Koffer; in der Regel war sie ein
einfaches Tuch oder ein aus dem-
selben bereitetes Säckchen, das alles
das in »ich barg, was zur Nachtzeit und
beim Morgenauputz erforderlich war.
Die Ausartung blieb auch dies-
mal nicht aus. Von den dreissiger
Jahren des 77. Jahrhunderts an hatte
die Willkür, der „Barockstil" über
die Renaissance den Sieg davonge-
tragen. Auch er ^ing von Italien
aus und nahm seinen Weg über
Frankreich zu uns. Freilich ver-
mochte er auf deutscher Erde weniger
leicht Fuss zu fassen, auf der über-
haupt der furchtbare Bruderkrieg
alles künstlerische Leben für einige
Zeit darniederhielt. Deutschland
verfiel in dieser Hinsicht mehr als
in jeder andern sklavisch dem Arme
Frankreichs. Die Tafeigernte, 'lYink-
und (Hessgefässe erlitten freilich
neben einer Vervollständigung einer-
seits in gewisser Beziehung eine Ver-
minderung. Die Brunnen und Drei-
füsse gingen in den zwanziger, die
Schiffe und schiffsformigen Becken
in den dreissiger Jahren ab. Auch
als Trinkgefässe bleiben in der Haupt-
sache nur noch bestehen die Humpen,
Kelche, Becher und Schalen. Die
Zimmermöbel verlieren wieder an
Umfang, da es immer mehr beliebte,
sie nicht für einen bestimmten Stand-
ort fest, sondern möglichst leicht be-
wegbar herzustellen. Als Verzie-
| rungen dauern die Schnitzereien fort,
| doch beliebter sind die Einlagen und
aufgesetzten Verzierungen von far-
bigem Gestein, Glas, Schildpatt und
besonders von Metall, Silber oder
vergoldeter Bronze. Für die Sitze
erhielt sich bis stark auf die Mitte
des Jahrhunderts die gerade Linie
und der rechte Winkel noch fast
durchweg, worauf sie aber durch
die geschwungene verdrängt wurde,
die anfänglich auf die Armlehne,
dann auf die Rücklehne und in den
siebziger Jahren auf die Füsse über-
tragen wurde, worauf sie auch für
die Sitzplatte durchweg gefordert
wurde. Die Polsterungen nahmen
an Umfang noch immer zu. Sie
dehnten sich nicht nur über den Sitz,
sondern bald auch über dir Rück-
und Armlehnen aus. Zum Uberziehen
der Polster verwendete man statt
des bisher üblichen Leders und Samts
mit Vorliebe bestickte Seidenstoffe.
Die IHsche machten die gleiche
Wandlung durch. Auch sie erhiel-
ten namentlich gezierte und ge-
schwungene Füsse. Die eigentlichen
Gebrauchsschränke behielten ihre
Form läuger, während die Kumt-
schränke eine kleinkünstlerische
Prachtarchitektur von oft wunder-
licher Durchbildung erfuhren. In der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts er-
scheint dann auch ein schrankarti^er
Behälter mit ein oder zwei Schieb-
kasten von durchgehender Länge als
Vorläufer der Kommode, welche die
Truhe zu verdrängen bestimmt war.
und gegeu Ende des Jahrhunderts
kam ein Toiletten - Geräte auf, be-
stehend in einem tischartigen Schrank
mit schmalem Ausziehkästchen und
daraufruhendem Spiegel.
*
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1118
Ziu. - Zoll.
Das 18. Jahrhundert endlich
brachte wieder seine besonderen
Verhältnisse. Namentlich seit dem
zauberhaften Aufblühen derjieuen
russischen Hauptstadt wurden auch
in deutschen Städten die Neubauten
zu Palästen, damit aber auch zu ka-
sernenartigen Mietshäusern, die dem
Familienleben nach altem Brauche,
überhaupt dem „deutschen Hause"
den Todesstoss gaben. Natürlich
wirkten noch viele andere Umstände
mit. Was speziell die Ausstattung
der Zimmer anbelangt, so zeigte sich
bald, dass mehr und mehr das Hand-
werk von der Kunst sich trennte
und dadurch in Misskredit kam. Die
Maschinen halfen treulich, den Wert
einer Arbeit mehr nach der Quan-
tität zu bemessen, als nach der Quali-
tät, und die bald allseitig eröffnete
Konkurrenz brachte endlich die Zu-
stände unserer Zeit.
Nach Weinhold, die deutschen
Frauen, und Weiss, Kostümkunde.
Ztu, got. 7V?/x . angelsächB. ZY«,
ahd. Ziu und Zio, altnord. rJ)/r, war
der Gott des lichten Himmelsge-
wölbes, der Vater Himmel; er ent-
spricht dem Laut und Begriff nach
dem griechischen Zeus und dem
römischen Jupiter. Nach ihm ist
der dritte Wochentag, ahd. Zhcestac,
Dienstag, oberdeutsch Ziestig ge-
nannt. Sonst weiss man wenig von
ihm. Er gilt als der Gott , den
Tacitus Germania 39 den National-
gott der Semnonen nennt, welche
sich für die ältesten und edelsten
der Sueven ausgeben. „Zu einer be-
stimmten Zeit des Jahres schicken
alle stammverwandten Völkerschaf-
ten ihre Vertreter her in einen durch
die Weihe der Vorfahren und das
mit Ehrfurcht erfüllende Wesen der
Vorzeit geheiligten Wald, und mit
einem für den Staat gebrauchten
Menschenopfer beginnt die schaurige
Feier nach barbarischer Sitte. Noch
in anderer Weise zeigt sich die
religiöse Elirfurcht, mit der dieser
Hain verehrt wird: Niemand betritt
ihn anders, als gefesselt,
Unterwürfigkeit unter die Gewah
der Gottheit zu bekunden. Fall:
etwa einer zu Boden, so darf er
weder aufstehen, noch sich aufrit-b-
ten lassen; auf dem Boden mos* er
sich hinaus wälzen. Alle diese reh
erlösen Gebräuche weisen dahin, dass
hier die Wiege des Volkes sei, da*
hier der alles beherrschende Oed
wohne, dem alles andere untertl
und dienstbar sei.44 Noch in Gl«
des 9. und 10. Jahrhunderts werdet)
die Schwaben Ziu wart, Männer de-
Ziu genannt; Augsburg nies« nacb
dem Kulte des Gottes Ztesburc* Burj
des Ziu. Da der Himmel die Strahlt d
des Lichtes wie des Blitzes aussen
det, die man mythisch mit Schwert
und Pfeil verglich, so warde Ziu «
einem Schwert- und Kriegsgotte.
daher er auch in seinem Wochen
tage den Mars vertritt. Als Kriegs-
gott führte er den Beinamen -drAr-w.
angelsächs. Earh, Ear, ahd. Errk
/r. d. i. Strahl, Pfeil, got. hairu =
Schwert; daher der Dienstag iL
Bayern auch Erstag, Irtag heisst
Von ihm hatte die »Stadt AW*&rry
an der Diemel, jetzt Stadt bergen,
den Namen. Für einen besonderen
Namen des Ziu hält man tlen süchsi
sehen Namen Sahsnot, d. i. der des
Schwertes geniessende, waltende,
der nur aus der sächsischen Ab
schwörungsformel bekanntist. Afam*~
hardt, Götterwelt, S. 262 ff.
Zoll, ahd. und mhd. der zol, ent-
lehnt aus dem gleichbedeutenden
griechisch - mittellateinischen teh*-
nium wie Maut, mhd. mute, ahd.
und mittellat. müta, got motu, zu
lat. mutare = verändern, wechseln,
ist eine den Deutschen ursprünglich
fremde, aus dem römischen Reiche
in das merovingisch-fränkische her-
übergenommene Abgabe , die ur-
sprünglich keinen anderen Zweck
hat als Geld aufzubringen. Die
Zölle sind urerjrünglich weder Aus-
fuhr- noch Einfuhrzölle, sondern
Transitzölle, insofern sie überall ge-
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Zoll.
1119
zahlt werden, wo eine Ware eine
bestimmte Zollstätte passiert; diese
letzteren aber sind überall angelegt,
wo ein lebhafterer Verkehr statt-
findet, nicht bloss an den Häfen
oder an den Grenzen, sondern auch
an allen bedeutenden Städten. Be-
stimmte Zolllinien gab es nicht, so
wenig als es einen Zoll für den Ort
gab, wohin die Ware bestimmt war;
vielmehr musste diese einfach, so
oft sie einer Zollstätte begegnete,
die festgesetzte Abgabe zahlen. Diese
scheint ungefähr nach dem Wert
und dann nach ganzen Wagen- oder
Schiffsladungen berechnet zu sein.
Die Zahlung geschah regelmässig
nicht in Geld, sondern in den Waren
selbst. Regelmässig war mit jedem
Markt eine Zollerhebung verbunden,
welche erlassen wurde, um einen
neuen Markt zu begünstigen, oder
demjenigen zufiel, dem der Markt
gehörte; bestimmten Personen oder
geistlichen Stiftern wurde unter Um-
ständen Zollfreiheit für alle oder
einzelne Gegenstände verliehen. Ab-
gaben ähnlicher Art wurden für die
Erlaubnis erhoben, gewisse Strassen
zu Lande oder zu Wasser zu pas-
sieren, Strassengelder, Brückengel-
der, Thorgelder, Marktgelder, Last-
tiergelder, Wagengelder, nach den
Rädern oder der Deichsel berech-
net u. a.
Diese Zustände blieben im ganzen
und grossen wahrend des Mittel-
alters herrschend: eine Abgabe auf
den Märkten und überhaupt bei
allem Handel, ein Schiffsgeld in den
Hafen und an den Flüssen, und eine
Zahlung, die hauptsächlich an den
Brücken und anderen Übergangen,
dann aber auch in Städten vorkam.
Unter mancherlei Vorwand wurden
die Leistungen, namentlich der letz-
teren Art, nicht bloss im Namen
dts Staats, sondern auch, häufig
inissbräuchlich, von den Anwohnern
der Strassen und Flüsse und den
Erbauern der Brücke erhoben. Oft
wurde über alle diese Abgaben zu
gunsten anderer verfügt, sei es, dass
der König Zollfreiheiten erteilte,
bald allgemein, bald für bestimmte
Routen oder Gebiete, für eine be-
stimmte Anzahl von Waren und eiue
bestimmte Anzahl von Schiffen, Bei
es, dass die Erträgnisse selbst oder
gewisse Quoten an andere, nament-
lich an geistliche Stiller verliehen
wurden, welche dann regelmässig
selbst die Erhebung und ihre eigenen
Zöllner hatten. So kamen Zölle und
ähnliche Abgaben in die Hände von
Privaten , was wiederum allerlei
Missbräuche zur Folge hatte. Feste
Grundsätze über die Hohe der Ab-
gaben gab es nicht.
Mehr und mehr war der Zoll aus
den Händen des Reiches in den Be-
sitz der Landesherren und Gemein-
den übergegangen und dadurch die
ehemals so ergiebige Einnahmequelle
des Reiches versiegt; auch die Ober-
aufsicht über das Zollwesen war seit
Friedrich II. und seinen Nachfol-
gern an das Kurfürstenkollegium
gekommen, welches sich jene regel-
mässig in den Wahlkapitulationen
vom Kaiser bekräftigen liess. Das
Bestreben, den landesherrlichen Zoll-
besitz .gegen den Widerspruch der
Unterthauen und die Zolleinnahmeu
durch Befriedigung der Landstrassen
zu sichern, machte seit dem 14.
Jahrhundert das Zollwesen zum Ge-
genstand öffentlicher Verträge oder
Aolleinigungen zwischen den Lan-
desherren, die neben den Landfrie-
den hergingen oder in denselben ein-
geschlossen waren. Beim städtischen
Zollwesen ist zwischen Markt- und
Durchfuhrzöllen zu unterscheiden;
jene kamen früher als diese in den
Besitz der Städte und waren un-
trennbar mit dem Marktrechte ver-
bunden (vgl. den Art. Städte); so
zwar, dass beides ursprünglich dem
Herrn des Marktes gehörte, von
dem die Gemeinde es erst gemäss
ihrer örtlich bedingten Verhaltnisse
durch Verpfändung, Kauf oder Be-
leihung au sich brachte, worauf es
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1120
Zunft- und Gildewesen.
erst zu einem unabhängig verwal-
teten städtischen Zollwesen umge-
staltet werden konnte; dieses ge-
schah seit dem Ende des 12. Jahr-
hunderts. Verleihungen von Weg-
und Brückengeldern an Städte und
Gemeinden werden ebenfalls häufig,
und seit dem 14. Jahrhundert be-
gannen Zollerwerbungen durch ein-
zelne Bürger. In jeder Stadt ge-
staltete sich übrigens das Zollrecht
anders, stand aber den landesherr-
lichen Zollrechten gleichwertig zur
Seite. Von besonderer Wichtigkeit
für die Städte sind die Zollljefrei-
ii liefen , die sich jene mit Plan und
Überlegung an allen denjenigen Zoll-
stätten zu erwerben suchten, welche
auf den für die Stadt wichtigen
Handelslinien lagen. Darin liegen die
Anfange einer städtischen Handels-
politik, die sich namentlich seit dem
Ende des 12. Jahrhunderts in Gegen-
seitigkeitsverträgen manifestierte.
Diejenigen zwischen Hamburg und
Lübeck bilden den Ausgangspunkt
für die Handelspolitik der Hansa.
Auch die Landesherren richteten seit
dem 13. Jahrhundert ähnliche Ver-
träge mit den Städten auf; Nürn-
berg z. B. erwarb sich auf solche
Weise Zollfreiheit in mehr als 70
Städten. Damit aber dennoch das
alte Zollrecht gewahrt bleibe, wurde
die Zollfreiheit immer nur als eine
freiwillig gegebene Vergünstigung
aufgefasst, um welch«* formell der
Begünstigte jährlich von neuem
nachsuchen musste; es geschah das
durch gesetzlich bestimmte symbo-
lische Geschenke, die sich seit dem
15. Jahrhundert zu bunten Förm-
lichkeiten , in Frankfurt a. M. z. B.
zum Pfeittergericht ausgestalteten.
Die Geschenke bestanden aus dem
Zeichen der ursprünglich königlichen
Landesobri^keit, den Handschuhen,
entweder einem Paar oder nur dem
rechten, und zwar ohne Daumen.
Darau schloss sich das weisse Stab-
Irin, das Svmbol der anerkannten
Gerichtsbarkeit der Zoll- und Markt-
herren; als Symbol für die ursprüng-
lich in Waren bezahlten Abgaben
galt der Pfeffer, das Lieblingsge-
würz des Mittelalters. Ein anderes
symbolisches Überbleibsel des Na-
turalzolles war der Hut , wozu an
manchen Zollstätten noch Hutschnürt
kamen; Überbleibsel des alten Na*
turalzolles von Holzwaren war der
toeisse hölzerne Becher, der vielleicht
auch für den Weinzoll vorkam; der
Waffenhandel bewahrte sein An-
denken in der Übergabe eines
Schwertes oder Degens; Gürtler-
oder Sattlerwaren wurden durch
einen ledernen Gürtel, der Eisen-
haudel durch ein eisernes Gefiiss oder
ein Pack Sahnadeln repräsentiert
Derjenige Beamte, dem die Auf-
sicht über den Zoll oblag, hiess der
Zöllner, neben welchem seit den»
13. Jahrhundert ein ZolUckreifier
erscheint; mit dem Amte des Zöll-
ners war immer eine strafrechtlich»1
Gewalt gegen die Übertreter der
Zollgesetze verbunden. J. Falke,
Geschichte des deutschen Zo 11 wesen*.
Leipzig 1869; Waitz, Verfassungs-
Geschichte.
Zunft- und Gildewesen, ine
Entwickelung des genossenschaft-
lichen Triebes bewegte sich ur-
sprünglich in den natürlich erwach-
senen Gemeinschaften des Ge-
schlechts, der Nachbarschaft, der
Mark, des Hauses und des Volkes;
über ihnen erhoben sich mit der
Auflösung namentlich des Ge-
schlechtverbandes die Herrschaib-
I und Dienstverbäude. Die letale
I Stufe der Genossenschaften bilden
endlich die freien oder gewillkürt, u
I Genossenschaften, welche bloss der
gegenseitige Eidschwur, die feier-
liche Willenserklärung ins I>asoin
rief. Ihr ältester Name ist Gilde,
und die Zeit ihrer Entstehung die-
jenige der beginnenden Auflösung
j der alten genossenschaftlichen, l»e-
sonders der geschlechtsgenoascu-
8chaftlichcn Verbände ; die erste
Nachricht solcher auf ger
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Zunft- und Gildewesen.
1121
manischer Grundlage beruhenden
Einungen findet man in eiuein Ka-
pitular vom Jahre 779. Sie er-
streckte sich auf alle Seiten des
Lebens , auf den ganzen Menschen,
hatte also zugleich religiöse, gesel- 1
Hge, sittliche, privatrcchtlichc und i
politische Ziele; Teilnahme an einer
Gilde schloss von jeder andern der-
artigen Genossenschaft aus, und
wenn auch häufig ein bestimmtes ]
Bedürfnis Anlass zur Vereinsbildung
gab und demgemäss der Verein I
vorzugsweise nach einer bestimmten
Seite fortgebildet wurde, so waren
die Genossen doch auch immer zu-
gleich für alle andern menschlichen
Gemeinschaftszwecke vereint. Als
religiöse Genossenschaft , als eine
Gemeinschaft des Kultus, wie dies
wahrscheinlich auch die Wortbe-
deutung ihres Namens anzeigt, hatte
die Gilde einen Heiligen als Schutz-
patron, der ihr meist den Namen
gab, und einen besondern Altar;
Stiftung von Wohlthätigkeitsinstitu-
ten, ewigen Messen u. dgl. waren
Vereiuszweck, ebenso Sorge für das
Begräbnis und das Seelenheil ver-
storbener Genossen. Regelmässige
Zusammenkünfte, teils in Erinne-
rung heidnischer Opfer- und Toten-
mahle, teils als christliche Liebes-
mahle , wahrten einen religiösen
Charakter und lagen zugleich dem
geselligen Charakter der Gilden zu
Grunde, die man daher auch eonvivia
nannte. Aber auch sonst hatte die
Gilde, die man auch Brüderschaft,
confraternitas hiess , für den er- \
krankten, verarmten oder notleiden-
den Bruder zu sorgen, wozu regel- ,
massige Beitrage der Mitglieder in
Anspruch genommen wurden. Im
öffentlichen Recht traten sie als
Körperschaften zur Abwefir" des
Unrechtes auf und nahmen als solche
den Charakter von Schutzgilden an, j
welche durch gemeinsame Selbst-
hilfe den vom Staate nicht mehr
gewährten Rechtsschutz zu errei-
chen suchten; sie sollten das Eigen- !
Remllexicon der deutschen Altertümer.
tum, die Person, das Leben und
die Freiheit jedes Genossen schützen,
ihm durch Zeugnis und Eideshilfe
vor Gericht beistehen. Ihre Orga-
nisation ging von der Versammlung
aller Vollgenosseu aus, die teils zu
regelmässigen Zeiten, teils auf be-
sondere Berufung stattfand. Es be-
stand ein besonderer Gildffriede
und ein Gilderecht. Ein eidliches
Gelöbnis oder eine anderweitige
Erklärung band die Genossen zu-
sammen.
Während nun aber in England
das Gildewesen von seiner Ent-
stehung an in einen organischen
Zusammenhang mit dem Staate ge-
bracht wurde, traten im fränkischen
und anfangs auch im deutschen
Reich Staat und Kirche der freien
Einung auf das Entschiedenste ent-
gegen und sowohl königliche Ver-
ordnungen als kirchliche Gesetze
und Konzilienbeschlüsse suchten '
sie zu unterdrücken, aber ohne Er-
folg.
Früh trat eine Spaltuug des
Gildewesens in gewisse Hauptzweige
ein, zuerst eine Scheidung aer geist-
lichen und weltlichen Bruderschaften,
ohne dass diese beiden Zwecke im-
mer geschieden gewesen wären. Die
geistlichen Bruderschaften verbrei-
teten sich im 8}>ätern Mittelalter so.
dass in einer grösseru Stadt oft bis
zu hundert vorhanden waren, doch
sind sie schon weit früher nachge-
wiesen. Auch sie übten neben reli-
giösen Zwecken solche der Gesellig-
keit und des Rechtes, hatten ein
Gildehaus, das zugleich als Ver-
sammlungsort, Festsaal und Trink-
stube diente. Eine besondere Art
derselben sind die Kalandsgilden.
Vgl. den Artikel Bruderschaften.
Uie weltlichen Gilden, bei denen
die religiöse Bedeutung mehr zu-
rücktrat, bilden vor allem die poli-
tische Seite ihrer Vereinigung, die
Friedens- und Rechtsgenossenschaft
aus, sie wurden Schutzgilden, von
denen sich hauptsächlich aus eng-
71
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1122
Zunft- und Gildewesen.
lischen, dänischen, französischen und
niederländischen Städten Nachrich-
ten erhalten haben. Auch in Deutsch-
land haben ohne Zweifel schon vor
Entstehung der Stadt Verfassung ähn-
liche Gilden bestanden; aber uur von
der Richerzeche in Köln vermag
man mit Bestimmtheit zu sagen,
dass sie eine sehr alte Schutzgilde
unter den Mitgliedern der altfreien
Markgemeinde Kölns gewesen ist;
dieselbe wurde später zum Aus-
Sngsjmnkt der ältesten Stadtver-
jsung Deutschlands.
Denn erst in den Städten, für
welche die Entwickelung eines rei-
chen und selbständigen genossen-
schaftlichen Lebens geradezu cha-
rakteristisch ist, vollzog sich die
Entwickelung der freien Einungen
zu bleibenden und staatlich höchst
wirksamen Instituten. Zwar die ur-
sprünglichen, aus der vorstädtischen
Periode herrührenden Lakai- oder
Spezial-Getneinden, die sich in eini-
gen ältern und grössern Städten er-
hielten, waren nicht gerade wichtig;
doch hatten sie hier immerhin recht-
liche , kriegerische , religiöse und
wirtschaftliche Bedeutung; in kirch-
licher Beziehung waren sie Pfarreien.
Besonders ausgebildet findet man
sie als Bur(fgenossenschaften in Köln,
wo sie ein eigenes genossenschaft-
liches Recht besassen. Wichtiger als
diese lokalen sind die auf freier
Vereinigung beruhenden bürger-
lichen Genossenschaften, in erster
Linie die Köperschaften desGesehlech-
lerstandes. Es waren dies die pa-
trizischeu sogenannten Altbürger-
ffUde.tiy die teils aus den alten Schutz-
gilden oder Brüderschaften aller
Vollbürger, teils aus neuen im Ge-
gensatz zu den Körperschaften der
aufstrebenden niederen Stände ge-
schlossenen Vereinigungen hervor-
gingen; sie hiessen höchste Gilde,
Aechc der Reichen oder Genannten,
Stuhen ff esell schaffen, Artushöfe, Jun-
kerkompagnien, KonstaJTeln (aus am-
s/almlus, Oberstallmeister, franz.
connestahle], Gewerhschaften, in Ita-
lien und Frankreich Hallen oder
Lauben. Sie waren Rechtsschutz-
vereine und übten eine gewisse Ge-
richtsbarkeit über ihre Mitglieder
aus, hatten ihren Schatzpatron, ihre
Kapelle, pflegten auf ihrer Triuk-
stube der Geselligkeit, übten gegen-
seitige Unterstützung und besa»sen
bewegliches und unbewegliches Kor-
porationsvermögen. Als Hauptbe-
stimmung der Genoasenschaft aber
erschien mehr und mehr die Erhal-
tung und Ausübung eines der Ge-
samtheit der Genossen zustehenden
politischen Vorrechtes bezüglich des
Stadtregimentes. Dieses Vorrecht
war aber verschieden: ursprünglich
oft die ausschliessende oder nur mit
gleichstehenden
geteilte Gesamtregierung euthj
äusserte es sich seit der Ratsver-
fassung in der alleinigeu Ratsbe-
setzung oder doch in eiuem Vorrecht
bei dieser. Die Kölner Rieherzeck*
hatte das ausschliessliche Recht an-
dern Vereinen das Zunft- oder Bru-
derschaftsrecht, das Recht der Eigen-
tumsfähigkeit u. s. w. zu verleihen;
sie übte die höchste Handels- und
Verkehrspolizei, hatte die Oberauf-
sicht über den gesamten kaufmän-
nischen und gewerblichen Verkehr
und ernannte für jede Zunft einen
Obermeister, der neben dem Zunft-
meister einen Anteil von den Straf-
und Eintrittsgeldern bezog. Mitglied
der Genossenschaft konnte man nur
durch die erklärte Absicht zum Ein-
tritt und die Aufnahme seitens der
Genossen werden, welche neben Un-
bescholtenheit uud ehelicher Gebort
stets Reichtum und Ansehen for-
derten, die den neuen Genossen in
stand setzten, „müssig", d. h. ohne
niedere gewerbliche Thätigkeit ro
leben; überdies erhob man ein sehr
hohes Eintrittsgeld und gelangte zu-
letzt zu einer vollkommenen Schlies-
sung der Gesellschaft Den durch
sie verschärften Zunftbewegungen
erlagen sie entweder völlig oder sie
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Zunft- und Gildewesen.
1123
wurden ihrer Vorrechte beraubt
und den übrigen Zünften gleich-
gestellt.
Die kaufnuinuischen Gilden sind
im 11. und 12. Jahrhundert dadurch
entstanden, dass die aus Kaufleuten
bestehenden Bürgerverbrüderungen
das gemeinsame Handelsinteresse
unter die Vereinsangelegenheiten
aufnahmen; im 13. Jahrhundert er-
fuhren diese Gewerbsgilden oder
Handelsinnungen eine reiche äussere
und innere Entwickelung. Zunächst
sind solche in der Heimat und solche
im Auslande zu unterscheiden.
Die Gilden der Kaufleute in der
Heimat waren eines der hauptsäch-
lichsten Glieder der städtischen Ver-
fassung. Sie standen in der Mitte
zwischen den alten Schutzgilden der
Volksbürger und den Handwerker-
zünften. und teilten mit diesen die
f ewerbliche Richtung und manche
Irinnerung einer einst unvollkom-
menen Freiheit, während sie mit
jenen eine freiere Stellung, ausge-
dehntere Autonomie und vielfache
politische Vorrechte gemeinsam hat-
ten. In den Bürgerschaften älterer
Herkunft nehmen sie in der Regel
die zweite, in den jüngeren Städten
die erste Stelle ein, weil hier die
ganze erbgesessene Bürgerschaft aus
Kaufleuten zu bestehen pflegte; doch
entwickelte sich auch vielfach aus
den reich gewordenen Kaufmanns-
feschlechtern ein Patrizierstand, der
landel und Gewerbe verschmähte
und dessen patrizische Gilden sich
dann über die eigentlichen Handels-
gilden, die Genossenschaften der
aktiven Kaufleute, stellten. Die
Handelsinnungen besassen ebenfalls
ein selbständiges Korporationsrecht,
Strafgewalt, Kasse, Siegel, ebenso
gemeinsame religiöse und gesellige
Zwecke und die Verpflichtung zu
gegenseitiger Unterstützung; doch
überwog bei ihnen das Handelsin-
terese«'; und da sowohl der Geist
ihrer Statuten als ihnen erteilte
Handels- Privilegien und Freiheiten
mit der Zeit ein besonderes Handels-
recht schufen, so ging daraus für
sie als Genossen zugleich ein Han-
delsmonopel hervor, ein ausschliess-
liches Recht auf den Handel eines
Landes, einer Gattung oder einer
Ware. Ähnlich beschaffen waren
die Genossenschaften der deutschen
Kaufleute im Auslande ; aus vorüber-
gehenden oder wandernden Genos-
senschaften waren an ausländischen
Handelsemporien dauernde Gilden
oder Hansen geworden, die bleibende
Versammlungshäuser und Lager-
stätten besassen und Handelsprivi-
legien und Freiheiten erwarben. Ihre
weitergehende Entwickelung beginnt
damit, dass sich die sämtlichen deut-
schen Einzelhansen einer Stadt zu
einer einzigen Genossenschaft ver-
binden; zwar bestanden die beson-
deren Körperschaften mit eigenen
Vorstehern, Rechten und Vermögen
fort, doch bildete den Fremden ge-
genüber die Gesamtheit ein abge-
schlossenes kaufmännisches Gemein-
wesen. Von hier aus dehnte sich
die Einung über die Gilden anderer
Städte desselben Landes aus, um
schliesslich die gesamte deutsche
Kaufmannswelt in den nordischen
Fremdländern zu ergreifen, während
gleichzeitig die norddeutschen Städte
sich ebenfalls verbanden, bis endlich
aus dem Zusammenwachsen der
Kaufmannsvereine und Städtebünde
die grosse deutsche Ilansa hervor-
S'ng; die Hauptmittelpunkte dieser
euossenschaft waren London, Wis-
by, Nowgorod und Brügge.
Die zuletzt entstandenen städti-
schen Genossenschaften sind die-
jenigen der Handwerker oder die
Zünfte. Sie waren ihrem Grund-
wesen nach Kinungen oder Gilden
der durch die Gemeinschaft des Be-
rufs einander nahe stehenden Ge-
werbtreibenden, sowohl der Künst-
ler und der eigentlichen Handwerker,
als der nicht den Kaufleuten zuge-
rechneten Krämer und Händler, der
Fischer und anderer Personen des
71*
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1 1 24
Zunft- und Gildeweseu.
Xährstandes. Als eine auf freige-
wollter Vereinigung beruhende Ver-
bindung nannte sie sieh Brüderschaft,
fratermtas, Cfjnfratemitas, Genossen-
schaft oder Gesellschaft, consortium,
societas, sodalitium, conrivium, eine
geschworene Einung, unio, conju ratio,
oder Innung ', Gilde, Zeche (mhd.
zeche = Ordnung, Reihenfolge, Wur-
zel noch nicht sieher erkannt),
Gaffel (angelsächsisch gefol, engl.
garet, mittelat. gahuhtm, zu geben,
also eigentlich ein Verein zu gleicher
Abgabe) oder Zunft, mhd. die zunft,
aha*, zumft = Versammlung, zum
Verb ziemen, also ursprünglich wohl
soviel als Ziemlichkeit, Passlichkeit
zu einander. Der Zweck dieser Ge-
sellschaften war ursprünglich auf die
Gemeinschaft überhaupt gerichtet,
und neben der Fürsorge für das
gleichartige Gewerbe verfolgte sie
politische und kriegerische, gesellige
und religiöse, sittliche und rechts-
genossenschaftliche Zwecke. In der
Kegel lag diesen freien Vereinen
der Betrieb eines gewissen Hand-
werkes oder Gewerbes ob und stand
ihnen als Gesamtrecht zu, so zwar,
dass dieses Gesamtrecht ein öffent-
liches Amt war und hiess, auch die
Genossenschaft selbst darnach ein
Amt, officium, hantwerk, gewerk,
opus genannt wurde. Der aus dem
Amtsbegriff folgende Zunftzwang
bestand ursprünglich nur darin, dass
den Zünften das Recht erteilt wurde,
jeden, welcher das betreffende Hand-
werksamt erlangte oder ausübte,
zum Eintritt in die Genossenschaft
zu zwingen; denn nur so konnte
nach der Meinung der Zünfte die
Ehre des Handwerkes und das ge-
meine Beste gewahrt werden. Das
Gewerbemonopol der Zunft im Ver-
hältnis zu den Unzünftigen be-
schrankte sich deshalb im 14. und
noch wesentlich im 15. Jahrhundert
auf den Ausschluss der nicht der
Zunftkontrolle unterliegenden Ar-
tikel von Verkehr und Handel.
Fremde mussten sich nur, wenn sie
ihre Waren in die Stadt brachten,
der genossenschaftlichen Arbeits-
polizei unterwerfen und konnten
sonst namentlich auf den regelmässi-
gen Märkten ihre Arbeit absetzen.
Erst allmählich traten grössere Be-
schränkungen der 8. g. Gäste hin-
sichtlich der Zeit, des Ortes und der
Art des Verkaufes ein, die sich aber
erst spät zu völliger Ausschliessung
der Konkurrenz fremder Städte und
zu ungebührlicher Ausdehnung des
Bannmeilenrechts oder des Verbotes
des Handwerksbetriebes auf dein
umliegenden Lande steigerten. Auch
im Verhältnis zu den übrigen städ-
tischen Körperschaften. Kaufleuten
und Krämern einerseits, verwandten
! Zünften andererseits, über welches
schon im 14. Jahrhundert viel ge-
stritten und verordnet wurde, wal-
tete doch mehr der Gedanke, die
öffentliche Stellung der Zunft zu
schützen, als durch Beschneidung
der Konkurrenz den Gewinn der
einzelnen zu erhöhen. So war aorL
in den Zeiten der aufsteigenden Ent-
wickelung die Erteilung des vollen
Gewerbeberufes durch die Aufnahme
in die Zunft weit weniger eine Frage
des Nutzens als der AI acht, des An-
sehens und der Ehre der Genossen-
schaft; vor allem wurde daher ma-
kelloser Ruf verlangt, wozu nach
mittelalterlicher Anschauung auch
eheliche Geburt erforderlich war.
In der zw eiten Hälfte des 14. Jahr-
hundert kam in vieleu Zünften da«
Erfordernis eines bestimmten eig-
nen Vermögens hinzu, und endlich
verlangte man, dass der Neueintre-
tende das Handwerk verstehe. Die
Forderung einer bestimmten Lehr-
und Dienstzeit jedoch, eine s. c.
Probe- oder Mutzeit, und dgl. wurdf
ursprünglich nicht verlangt, dagegen
seit dem Ende des 14. Jahrhundert»
eine förmliche Prüfuug durch An-
fertigung des Meisterstückes üb-
lich. Vermochte Jemand diese
Erfordernisse durch ein Zengni*
seinerZunft oderStadt I
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Zunft- und Gildewesen.
1125
so wurde ihm die Aufnahme nicht
versagt; Schliessung der Zunft, seit
dem 16. Jahrhundert ihr vornehm-
stes Privileg, galt ursprünglich als
gefurchte tes Verbot; so weiss auch
die frühere Zeit nichts von s. g.
Bonhasen oder Pfuschern. Der Ent-
richtung von Gebühren an die Zunft-
kasse von seite des Eintretenden,
von Wachs zu Kerzen, Küstzeug zur
Zunftwehr, Wein oder Bier zum
Trünke, auch wohl einer ganzen
Mahlzeit, was man den Kauf der
Zunft nannte, lag ursprünglich der
Gedanke eines Einkaufs an das
Zunft vermögen zu Grunde. Das Ge-
no8senrecht war unübertragbar, un-
veräusserlich, unteilbar und unver-
erblich , nur dass Söhnen von Ge-
nossen und denen, welche die Tochter
oder Witwe eines solchen ehelichten,
Erleichterungen und Begünstigungen
bei der Aufnahme zu Teil wurden.
Auch in dieser Beziehung beginnen
die Auswüchse des Familiensinnes
erst im 15. Jahrhundert.
Die Zunft war zugleich eine Ge-
meinde für sich und ein Teil und
Organ der Stadtgemeinde. In letzter
Hinsicht war sie nicht bloss Trägerin
eines ihr von der Stadt anvertrauten
Amtes, sondern zugleich ein städti-
scher Wahlkörner, dessen Vorstände
in den städtischen Kollegien die ge-
samte Bürgerschaft vertreten halfen,
sie war von Wichtigkeit für die
Steuerverfassung der Stadt, bildete
eine eigene Abteilung im Bürger-
heer, die unter dem Zunftbanner
focht und im Frieden Waffen in Be-
reitschaft hielt. Im Übrigen suchte
man möglichst die Harmonie zwischen
Selbstverwaltung und Aufsie htsreeht,
zwischen genossenschaftlicher Frei-
heit und staatlicher Einheit herzu-
stellen. Für die Entstehung einer
Zunft musste zur freigewollten Eini-
gung der Genossen die Genehmigung
des Rates hinzutreten, ebenso zur
Vereinigung bisher getrennter Amter
zu einem. In ältern Zeiten unvoll-
kommener Freiheit wurden den
j Zünften patrizisehe oder dienst-
; männische Vorsteher gegeben ; später,
j als sie ihre Vorsteher selbst wählten,
t unterlag wenigstens die Ernennung
oder Bestätigung der Meister oder
Älterleute dem Hat, bis zuletzt die
Zunft in der Wahl ihrer Vorstände
ganz selbständig wurde. Ähnlich
verhielt es sich mit dem freien Ver-
sammlungsrecht der Zünfte. In den
innern genossenschaftlichen Ange-
legenheiten war zur Zeit der Zunft-
freiheit die Selbstverwaltung wenig
oder nicht beschrankt. In politischer
und militärischer Hinsicht war die
Zunft für ihre Genossen das ver-
kleinerte Abbild der Stadt, doch
| kam es vor, dass mit der Zeit durch
Eintritt von Nichthandwerkern, Tei-
lung des Gewerbes u. dgl. neue (je-
wertdiche Innungen entstanden, die
sich mit den iiolitisch-mifitnrischen
Zünften nicht mehr völlig deckten.
In reliniöser Hinsicht hatte die Zunft
einen heiligen als Schutzpatron, ver-
folgte kirchliche und wohlthätige
Zweeke, versammelte ihre Mitglieder
zu Gebet und Andacht, unterhielt
oft einen eigenen Altar oder doch
eigene Kerzen in der Kirche und
I Hess für die verstorbenen Brüder
Seelenmessen singen; doch geschah
es auch hier, dass aus der gesonderten
Verwaltung des Kirchen Vermögens
der Zunft und durch Hinzuziehung
der Frauen und anderer Mitglieder
sich zuletzt aus einer Zunft eine
[ selbständige geistliche Bruderschaft
[ ablöste. \ on grossem Eiufluss wurde
das gesell irje Leben der Zünfte, in
dem sich eine Reihe positiver Sitten-
gebräuche ausbildete, die ebenso-
wohl das tägliche Leben auf den
Zunftstuben und Herbergen als die
I einzelnen feierlichen Akte vor der
| Genossenschaft mit sinnigen Formen
umkleideten; zu formalen und zwin-
genden Zeremonien arteten diese
jedoch erst später aus. Als sittliche
Verbindung machte die Zunft ihren
Genossen eine gegenseitige werk-
tätige Liebe zur Pflicht, die sich
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1126
Zunft- und Gildewesen.
in <lcr Unterstützung kranker oder mit die Kosten der Produktion gleich
verarmter Genossen und in der Ver- seien, wurde der Arbeitslohn von
anstaltung eines ehrenvollen Be- der Zunft reguliert und sowohl Be-
gräbnisses kund gab, und übte ein«' tragalsArt derArheitaentschadigung
Sittenpolizei über ihre Mitglieder für Lehrlinge und Gesellen genau
aus, namentlich über die Gesellen bestimmt, überhaupt auch das ganz»
und Lehrlinge. Die Hauptpflicht Verhältnis zwischen Meister und
der Zunft als Wirfschaf fafenossen- Gehilfen von der Genossenschaft ftir
schaß war die Sicherung der Güte Alle gleich geordnet Bezüglich det
und* Brauchbarkeit des Arbeitpro- Absätze» war, um die Genossen gleich
dukts, herbeigeführt besonders durch zu machen, verordnet, das» kein un-
die genossenschaftliche Kontrole anständiges oder unredliches Mittel,
der Arbeit; auf Verzögerung der keine unschickliche Reklame n. d^L
Arbeit, auf Anfertigung und Ver- stattfinden solle. Der Verkauf mit-
kauf schlechter Ware waren Strafen tels Hausierens war in der Regel
gesetzt und eine regelmässige Vi- ganz verboten. Oft sollte jeder nur
sitation der Werkstätten und der einen Laden oder eine Verkaufsstatn-
Arbeit durch die Zunftvorsteher, die halten, Kunden oder Käufer durfte
sog. Schau, eingeführt; auch Maxi- man sich nicht gegenseitig abwendig
malpreise wurden von den Zünften machen. So^ar aas Vermögen der
aufgestellt. Die Zunft verpachtete Zunft diente nicht bloss zu allgemeinen
ihre Mitglieder zur Arbeit in Per- Zunftzwecken, sondern gleichmas>ic
ton ; in deren Dienst sollte das Ka- durfte auch jeder die Zunfthäu^ r
pital stehen; überhaupt aber wurde besonders bei Familienfesten zu sei-
unbedingte Gleichheit aller Genossen nein geselligen Vergnügen benutzen,
angestrebt , daher kam die Aus- In besag auf das Hecht der Zunft yab
Schliessung der freien Konkurrenz ee einen besondern Zunft -»i>^*.
unter den Genossen und die äusserste dessen Handhabung, Wahrung und
Beschränkung des Einzelnen bei Herstellung bei ihr war, und ein
Produktion und Absatz zu gunsten Zunftgericnf, vor welches alle Strei-
der Gesamtheit, Beschränkungen, tigkeiten unter Genossen gebracht
die zwar der Entfaltung des Einzel- werden mussten, ehe man an dfn
neu hinderlich waren, aber den Stand ordentliehen Richter ging,
der Gewerbtreibenden hob und an- Die Organisation der Zünfte stellte
fangs nicht als hemmende Fesseln an die Spitze die Versammlung der
fefühlt wurden. Diese Beschritt- Meister; dieselben waren auf regel-
ungen bezogen sich in erster Linie massigen oder gebotenen Dingenden
auf die Beschaffung des Rohstoffes, echten und geboteueu Dingen der
so zwar, dass entweder alles Material freien Gemeinde nachgebildet. <>r
nur gemeinschaftlich angeschafft gan der Gesamtheit waren die ge-
werden durfte oder dem Linzeinen wählten oder erlosten, nach Zahl
verboten war, Rohstoffe bestimmter und Amtsdauer verschiedenen Meister
Art über ein gewisses Quantum hin- oder Älterleute, die vereidigte und
aus oder nur für sich selbstzu kaufen, verantwortliehe Obrigkeit der Zunft.
i>lme die Gelegenheit zum Kauf den Schutzgenossen der Zunft, die nur
Brüdern anzuzeigen. Möglichste passiv an dem Frieden und Recht
Gleichheit wurde ferner angestrebt der Körperschaft teilnahmen, waren
bezüglich des Vmfanges der Pro- einesteils die Frauen und Kinder
duktion, worauf namentlich die Fixic- der Amtabrüder, andern teil* die
rung der Zahl der Lehrlinge und Ge- Lehr/ingc und Gesellen. Dieselben
seilen eines Meisters hinzielt; auch waren anfänglich überall Mitglieder
die Arbeitszeit war oft fixiert. Da- des Hauswesens ihres Meisters und
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Zunft- und Gildewesen. 1127
der Zunftgeriehtsbarkeit unter- seilen in einen gewissen Gegensatz
worfen. Schon die Lehrjuntjen be- zu den Meistern traten, da traten
durften einer förmlichen Aufnahme sie auch zu eigenen Gesellschaften
ins Amt, wobei Unbescholtenheit, zusammen, nannten sich auch seit-
freie, eheliche und deutsche Geburt dem erst mit dem Namen „Gesellen",
und die Entrichtung gewisser Ein- stellten eigne Rollen und Statuten
trittsgebühren in Geld, Wachs, Wein auf, wühlten eigene Vorstände (Alf-
oder Hier gefordert wurden. Durch gesellen) und Beamte und verwal-
Absolvierung der vorgeschriebenen teten unter Aufsicht eines ihnen
Lehrzeit erlangte der Lehrling das meist gegebenen Meisters (Gese/Ien-
Recht, in die Klasse der Gesellen rater) ihre Angelegenheiten selbst;
aufgenommen zu werden. Die Ge- schon früh führten sie plaumässige
«eilen standen zu ihrem Meister wie Koalitionen und Arbeitseinstellungen
zu der Zunft ursprünglich rechtlich herbei.
in demselben Verhältnis wie die Lehr- Wie überhaupt in den Genossen*
linge; auch der Geselle, „Knecht" Schäften des Mittelalters der Trieb
oder ,, Knappe", gehörte zum Haus- herrschte, sich mit gleichartigen Ver-
wesen dea Meisters, dessen Haus er einen zu grösseren Gesamtheiten zu
nicht einmal auf eine Nacht ver- verbinden , so war auch die Ge-
lassen durfte; zunächst war auch er nossenschaft der Handwerker be-
der Hausgewalt des Meisters, in strebt, Innuntjsvereine über den eill-
böherer Instanz aber der Zunft uu- zelnen Zünften zu gründen, und so-
terworfen. Hatten sie aber die vor- wohl in einzelnen Städten standen
geschriebene Dienstzeit ausgehaltcn teils vorübergehend teils dauernd
oder statt dessen auf der Wander- die verschiedenen Zünfte in mehr
schaff, die zwar erst im 16. Jahr- oder minder organisiertem Verbände,
hundert rechtliches Erfordernis als auch förmliche Kr ei seereine aller
wurde, schon vorher aber üblich war, Zünfte einer Gegend oder eines Lau-
unter Wahrung des Zusammenhangs des vorkamen. Zu einer allgemei-
rnit der Zunft die nötigen Fähigkeiten neren engen Verbindung der Zünfte
erworben, so hatten sie einen lieehts- j trug sodann die Gewohnheit und
ansprurh auf die Aufnahme als Mei- später die Vorschrift des Wandern*
ster. Sie waren also in der Blütezeit bei; es wurde dadurch geradezu
des Zunftwesens nichts als werdende die Vorstellung einer Gesamtge-
Mcister und es gab keinen beson- nossenschaft aller Handwerker des
deren Stand der Gesellen, keinen Reiches geweckt, durchweiche sich
unselbständigen Arbeiterstand, son- ein gemeiner deutscher Handwerks-
dern nur eine Lehr- und Dienstzeit gebrauch und ein gemeines dent-
ale Vorschule und Vorstufe für ei- sches Handwerkerrecht ausbildete;
gene Ausübung des Amtes. Des- die eigentlichen Träger dieser Ge-
nalb war auch von einer besondem , meinsamkeit sind aber weit weniger
körperschaftlichen Verbindung der I als die Meister, die Gesellen, deren
Gesellen ursprünglich nicht die Gesellenzünfte mehr als die Meister
Rede, nur dass zu frommen Zwecken zünfte in einen regen Gesamtver-
geistliche Brüderschaften unter ihnen kehr traten und ein gemeines Ge-
vorkainen. Sobald indes, was seit sellenrecht und gleichartige An-
dern Beginn des 15. Jahrhunderts schaumig und Sitte hervorbrachten,
geschah, durch die Erschwerungen Im Gewerbe der Steinmetzen traten
des Meisterwerdens, die Verlänge- sogar vor der Gesamtgeiiossenschaft
ruug von Lehr- und Wanderzeit die lokalen Bruderschaften in den
und das Vorkommen von Gesellen, Hintergrund. Anfänglich zuuächst
die nie Meister wurden, die Ge- in den einzelnen Städten und Ge-
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Zwerge.
geuden vereint, wirkte in ihnen früh Die Organisation der Zunft wurde
die Idee von einem durch das ganze oligarchisch gestaltet. Die politi-
deutsche Reich vertretenen Bruder- sehe Bedeutung hörte seit dem Nie-
bund. Durch traditionell fortge- der^ang der Reformationsbeweeung
pflanztes und von der Sage auf die ineist ganz auf. Brutale Hand-
Heiligen zurückgeführtes Gewohn- hingen gegen Pfuscher und Stör»*r,
heitsrecht entstand allmählich eine Grenzirrungeu und (iewerb&srreitig-
bestimmte Verfassung dieser Ver- keiten mit auderen Zünften und
bindung, vgl. den Art. Bauhütten, j Professionen, ausführlichst«* Arbeits-
Seit dem 16. Jahrhundert zeigen regulierung, Fixierung der Arbeiter-
in im Zunftwesen die Keime des zahl, Beschränkung der Material-
Verfalls. Statt der freien Einung besehaffung, der Werkzeuge, des
der Berufsgenossen wurde das zum Absatzes u. dgl. waren anderTajres-
Privileg und womöglich zum Mono- Ordnung. An die Stelle der religiöa-
pol gestaltete Recht auf eine be- sittlichen Genossenpfliehten trat ein
stimmte Art des Gewerbebetriebes verschnörkeltes Zeremoniell . r«»he
Grundlage und Zweck der Zunft; Gelage, gegen den Neuling geübte
mehr und mehr ging der sittliche Spässe. von Seiten des Staate»
Inhalt der Zunft verloren und die suchte man jetzt die Zünfte dem
alten Genossentugenden schlugen in obrigkeitlichen System einzuordnen
die entsprechenden Fehler um. Als \ und sie zu blossen Polizeianstalten
begehrenswertestes Prinzip erstrebte zu machen. Entstehung und Auf-
jetzt die Zunft die Geschlossenheit, hebung der Zunft wurde unbedingt
so dass oft das Handwerk als das , in den Staatswillen verlegt; die
erbliche Besitztum einer Anzahl von Obrigkeit erlangte einen bestimmen-
Familien erschien; in vielen Statuten den Einfluss auf die Zusammen-
wurde für den Fremden die Heirat setzung der Zunft, indem sie Kl-
einer Meisterwitwe oder Meister- sondere Freimeister für die Zonft
tochter zur unerlässlichen Bedingung ernannte; das L«hrlingswesen wurde
der Aufnahme gemacht und ver- , obrigkeitlich reguliert und eine Mens*
heirateten Männern der Eintritt ver- Verordnungen «Hassen über Dinge,
sagt. Die Vorbedingungen des Ein- welche früher bloss Sache der Zunft
tritts für den Lehrling wurden er- gewesen waren; doch gaben sich
schwert, die Gebühren erhöht, die diese obrigkeitliehen Erlasse oft
Gesellen durch Verlängerung der Mühe, eingerissenen Schäden und
Wanderzeit und durch besondere Missständen im Zunftwesen abru-
das Meisterstück betreffende Ver- ■ helfen. Nach Gierke. Rechtsp*-
ordnungen schikaniert. Eine immer j schichte der deutschen Genossen-
mehr vermehrte Anzahl von Be- j schaft. Berlin 1868. Vgl. Matci*.
schäftigungeu wurde für unehrlich Das deutsche Gewerbewesen. P«>ts-
crklärt, Leinweber, Barbiere, Müller, dam 1866.
Zöllner, Stadtknechte, G<richtsdie- / w ertre und Riestu. Die Zwerge
ner, Turm-, Holz- und Feldhüter, gehören zu der Klasse der /JV»
Totengräber, Nachtwächter, Bettel- oder Wichte , mit welchen Nauen
vögte, Gassenkehrer, Bachfeger, man Wesen bezeichnet, denen etwa»
Schäfer, Musikanten I siehe den Ar Übermenschliches, was sie den <iot-
tikel unehrliche Leute). Wegen der tern nähert, beigemischt ist, welche
Schuld der Frau schloss man den 1 die Kraft besitzen, dem Menschen
Ehemann, wegen derjenigen der zu schaden und zu helfen, sich aber
Eltern die Kinder aus. Mehr und ! zugleich wieder vor diesem scheuen,
mehr wurden die Gesellen der Ge- weil sie ihm leiblich nicht gewach-
nossenschaft der Meister entfremdet, sen sind , indem sie entweder weit
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Zwerge.
1129
unter menschlichem Wachstum oder sichtsfarbe und grobe Tracht hinzu,
ungestaltet erscheinen, und welchen Auch ihre Küsse sind ungestaltet,
das Vermögen eigen ist, sich un- oft denen der Ente gleichend, wes-
sichtbar zu machen. Solche Elben halb sie dieselben stets sorgfältig
kommen schon in der indischen den Menschen verbergen und sehr
Mythologie vor unter den Namen ungehalten werden, wenn Neu-
Maruts, Ribhus, JRudras. Marut ist gierige durch Asche, welche sie den
aber abgeleitet von der Wurzel mri. Zwergen auf den Weg streuen, die
sterben, und so sehen wir. dass Form der Füsse erforschen wollen,
ursprünglich die Elben als die Seelen Die Zwerge bilden unter sich ein
von Verstorbenen angesehen wur- Volk, dem ein Ziem/körnig vorsteht,
den. In der germanischen Mytho- Manche unter diesen Herrschern
logie ist diese Anschauung allerdings haben eine Berühmtheit erlangt,
sehr verwischt, sie erscheinen hier Es sei hier nur an Alkerich er-
vielmehr als Halbgötter, welche Vor- innert, der in der französischen
fjänge in der Natur bildlich darsfcl- Dichtung als Oheron erscheint,
en sollen. In der Edda werden die dann an Sehilhung und Xihelumj,
Elben eingeteilt in Gifoaffär (Licht- welche im Nibelungenliede eine
elben) und Sieartalfar oder Dorl a/- Rolle spielen. Ferner sind zu
far (Schwarz- oder Dunkelelben i. erwähnen Sin nein von Palakers und
Zu den Dunkelelben werden nun Laiirin, ersterer aus- dem Wartburg-
auch die Zwerge gerechnet, deren krieg, letzterer als Herr des Rosen-
Namen im Gotischen dvairps, ags. gartens im Tirolergebirge bekannt.
dreortj, ahd. tuere, mhd. teere lautet Die Zwerge wohnen in Schluchten
und nach Grimm von dem Grieehi- und Höhleu des Gebirgs, das sie
sehen &eovQf6g, d. h. übernatürliche trotz Abgründen und Abhängen
Dinge verrichtend, herstammt. Diese mit wunderbarer Behendigkeit und
Annahme bestätigen nicht nur die Sicherheit durchstreifen. Im Innern
Gesetze der Lautverschiebung, son- der Berge dienen prächtige Ge-
dern auch der Volksglaube, der sich mächer oft den Zwergfürsten zur
die Zwerge, gleich den Kyklopen. Wohnung, wohin auch Menschen
gern als kunstfertige Schmiede denkt, und Helden oft gelockt, festgehalten
welche in Bergeshöhen ihr Wesen und dann , reich begabt entlassen
treiben. Entstanden sind die Zwerge werden. Überhaupt brauchen die
als Maden in dem Leichnam des Zwerge die Menschen. So holen
Ries« 'ii Ymir, später wurde ihnen sie Frauen und Hebammen, um
Verstand zu teil, so dass sie nur der kreissenden Zwerginnen beizustehen,
Gestalt nach dem Menschen nach- dann wenden sie sich an verständige
stehen, indem sie schon mit dem Männer, wenn es sich um Teilung
dritten Jahre ausgewachsen und eines Schatzes handelt, und endlich
mit dem siebenten (»reise sind. Die erbitten sie von den Menschen
Vorstellungen über die Grösse der Räumlichkeiten, um ihre Hochzeiten
Zwerge schwanken noch. Bald sol- darin abhalten zu können. Mit dem,
len sie das Wachstum eines vier- was die Unterwelt bietet, mit Segen,
jährigen Kindes erreichen, bald nur und Glück spendenden Kleinodien
Daumengross sein, unter welchen werden die Menschen jeweilen be-
Umstänoen sie dann Däumling ge- lohnt für ihre Dienste und Zuvor-
uannt werden, bald, wie der klein- kommenheit. Den Zwergen sind
ste in einem dänischen Liede, nicht auch Heilkräfte bekannt, welche
grösser als eine Ameise sein. Zu Pflanzen und Steinen innewohnen,
dieser Kleinheit kommt in der Regel Trotz ihrer geistigen Überlegenheit
noch ein Höcker, eine dunkle Ge- haben die Zwerge vor dem Menschen
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1130
Zwerge.
doch eine gewisse Scheu. Besonders
zuwider ist ihnen als heidnischen
Wesen und rohen Natursöhnen die
Ausbreitung des Christentums und
der Kultur, namentlich wenn letztere !
in ihr Bereich kommt, Felder bestellt
und die Berge mit Schachten durch-
wühlt werden. Daraus entspringt nun
aber auch ein feindliches Verhältnis
zwischen Zwergen und Menschen.
Diese achten jene nicht und so
schaden die Zwerge den Menschen
und necken sie. Die Berührung
oder der Anhauch von Zwergen
kann bei Menschen und Tieren
Krankheit und Tod verursachen.
Ihr Schlag lähmt Körper und Geist.
Das Volk schreibt den Elben auch
die Astlöcher im Holze zu; wer
durch ein solches, oder durch da«
Loch, welches der Pfeil eines Zwergs
in die Haut eines Tieres geschossen,
schaut, der sieht sonst verborgene
Dingo. Allen Zwergen steht das
Vermögen zu, sich unsichtbar zu
machen, teils vermittelst ihrer Kopf-
bedeckung, den sogenannten Nebel- 1
oder Tarnkappen, teils mit Hilfe
ihrer Röcke oder Mäntel. Wer eines
dieser Kleidungsstücke an sich zu I
reissen versteht , gewinnt nicht nur
die Macht sich unsichtbar zu machen,
sondern auch grössere Körperstärke
und die Herrschaft über das Volk
und das Eigentum der Zwerge. Von
ihrer Fähigkeit, dieGestaltzu bergen,
machen die neckischen Wichte oft
Gebrauch, um die Menschen zu be-
trügen und zu täuschen. Ihrem |
Einfluss wird auch eine Krankheit
zugeschrieben , welche eine Ver-
fügung der Kopfhaare zur Folge
hat; Alpzopf, Drutenzopf, Wichtel- 1
oder Weichselzopf wird diese Er-
scheinung genannt. Das englische
Verbum „ro effu heisst geradezu ]
„das Haar verfilzen". Alle Zwerge
und Elben sind diebisch und ent-
führen nicht nur leblose Dinge, son-
dern auch Menschen , namentlich
Jungfrauen und Kinder, an deren
Stelle sie dann die sogenannten I
Wechselbälge , hässlicbe kretinen-
artige Geschöpfe in die Wiege legen.
Verhindern kann man den Kinder-
austausch, wenn man einen Schlüssel,
oder eines von des Vaters Kleidern,
oder Stahl oder Nähnadeln in die
Wiege legt, den Wechselbalg^ sich
vom Halse schaffen aber , indem
man durch etwas Sonderbares, z. B.
durch Wasserkocheu in Eierschalen,
ihn in Verwunderung versetzt. Zweck
der Jungfrauen- und der Kinder-
entführung ist den Zwergen durch
Kreuzung mit dem Menschen ihr
eigenes Geschlecht auf eine höhere
Stufe der Entwickelung zu bringen.
Ein unwiderstehlicher Hang zur
Musik und Tanz wohnt den Elben
Ume. In Mondscheiiinaehten frob-
nen sie auf Wiesen ihrer Lust.
Wehe dem, der sich durch die süssen
Töne zur Neugierde verlocken lässt.
um ihn ists geschehen. Auch die
Gabe der Weissagung wird den
Zwergen zugeschrienen, oft erschei-
nen sie als kluge Ratgeber. Die
Zwerginneu spinnen und weben feine
Stoffe, die Männchen aber schmie-
den kunstvolle Geräte. Gegen klei
nen Lohn kann man robes Eisen,
das man vor die Höhlen der Zwerge
legt, am andern Morgen geschmie-
det und verarbeitet wieder abholeu.
Unter den Elben spielen nun
einige eine besonders Dedeutende
Rolle, so der Pilwitz. dessen Name
in zahlreichen Variationen häufig
in mhd Gedichten auftritt. Er
ist ein böser Dämon, der Haare
verfilzt und verwirrt und dem
Landmaun namentlich dadurch zur
grossen Plage wird, dass er. eiue
Sichel an den Fuss gebunden, durch
das reifende Korn geht. Von dem
Teil des Getreidefeldes, welchen fr
mit seiner Sichel durchschneidet,
fliegen alle Körner in seine Scheune,
oder in diejenige des Bauern, dem
er gerade als Hausgeist dient. Oft
reitet er auch auf einem \V+ k
durch die Getreidefelder. Detn
Pilwitz zur Seite steht der Sem'.
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Zwerge. 1131
der in Wäldern herumspukt und Bermann, dem Herrn der Nixen,
sich im Laufe der Zeit aus der ermordet, ein Blutstrahl, welcher
ernsteren, grösseren Gestalt des aus der Tiefe des Gewässers em-
Waldteufels zu dem kleinen, necki- porspritzt, zeigt deutlich au, wie
sehen Schreitet entwickelte. Er das unglückliche Mädchen ihre
hat in seinem Wesen viel Ahnlich- Versäumnis gebüsst. Überhaupt
keit mit den Satyrn und Faunen sind die Wassergeister viel blut-
der griechischen und römischen dürstiger als ihre Vettern in Ge- ■
Mythologie. Der Wald wird noch birg und Wald. Ein unschuldiges
von anderen kleinen Geschöpfen Kind wurde in alter Zeit dem Ni-
bewohnt, den sogen, wilden Leuten, chus geopfert, und noch herrscht
Waldleuten, Holzleuten, welche dem der Glaube, dass der Wasserneck
Mensehen immer hilfreich zur Seite Ertrunkene als Opfer in das nasse
stehen und deren grösster Schreck Grab gezogen habe,
der wilde Jäger und Kümmelbrot Dem Menschen am nächsten
ist stehen die Hausgeister, die Kobolde
In Zusammenhang mit den Wald- oder Heinzelmännchen. Sie sind
geistern stehen die Wassergeister, stets männlichen Geschlechts. Aus
welche allerdings oft nicht als kleine Buchsbaumholz wurden kleine Mäun-
Geschöpfe aufgefasst werden, son- chen geschnitzt und im Zimmer
dem vielmehr als ungeheure Geister, aufgestellt. Was früher heiliger
ein Schrecken des Meeres, wie die Ernst war, indem man in diesen
Nicores im Beowidf. Die weib- Holzfiguren gütige Laren verehrte,
liehen Wesen heisst man Staun, wurde später zum Scherz. In Ge-
die männlichen Sixe, welche Na- stalt, Aussehen und Tracht kommen
men sich auf das ahd. nickus, ags. sie den Zwergen gleich. Ihr Kopf-
nicor} zurückführen lassen. Die haar und Bart ist rot, auch sie
männlichen Wassergeister werden tragen die spitze rote Kapuze. Sich
gewöhnlich schon ältlich und lang- unsichtbar zu machen liegt eben-
bärtig vorgestellt. Viel bekannter falls in ihrer Macht. Mittelst ge-
sind die weiblichen Geschöpfe, die feiter Schuhe oder Stiefel ist es
Nixen, welche so oft von Dichtern ihnen leicht die weitesten Wege
verherrlicht werden und deren Zau- mit der grössten Geschwindigkeit
bergesang manches Menschenkind zurückzulegen. Ihre Wohnstätte
hinabgelockt hat in die Wasser- ist meistens Stall oder Scheune,
tiefe, wo prächtige Korallenpalaste Hier und in der Küche ist der Be-
die reizenden Jungfrauen aufneh- reich ihres stillen, unsichtbaren
inen. ' Schaffens und Wirkens. Glück und
Neben der Bezeichnung Nixe Segen ist in dem Hause, in welchem
kommt auch der Name Mummet, ein kleiner Hausgeist sein Wesen
Mühmchen, Wassermuhme vdr, de- treibt. Fleissige Dienstboten unter-
nen unter anderem der düstere stützt er, faule aber haben von
Mummelsee im mittleren Schwarz- seinen Neckereien viel zu leiden,
wald seinen Namen verdankt. Wie Treu hält er bei seine 21 Hausherrn
die Oper „Undine" von Lortzing, aus, ja er vermehrt sogar dessen
oder aas Märchen „Melusine" zeigt, Gut auf Kosten der Nachbarn. Er
verlassen die Nixen oft ihre nasse ist mit sehr geringem Lohn zufric-
Heimat und mischen sich unter die den. Essen und Trinken muss ihm
Menschenkinder. Doch zu einer täglich hingestellt werden. Dann
bestimmten Zeit müssen sie wieder fordert er noch, wenns hoch kommt,
zurückkehren in ihr Wasserreich, einen Hut, eine "Tote Kappe, einen
AVer sich verspätet, wird vom Was- bunten Rock mit klingenden Schel-
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1132
Zwerge.
len. Manchmal nehmen es aber die
kleinen Wichte übel, wenn man sie
mit Kleidern beschenkt, und ziehen
von dem Hause weg, aus welchem
dann zugleich auch aller Wohlstand,
die Eintracht, kurz dasGlück schwin-
det. Diese Kobolde sind überhaupt
sehr empfindlich. Werden sie im
geringsten vernachlässigt, so rächeu
sie sich an den Hausgenossen im
besten Fall durch Wegzug, oder sie
lassen ihnen und dem Vieh als
Polter-, Plage- und Quälgeister Tag
und Nacht, bei Arbeit und Schlaf
keine Ruhe. Es kann den Böse-
wichten sogar in den Sinn kom-
men, einem einfach das Haus über
dem Kopfe anzuzünden.
Treffend wird der Charakter
der soeben kurz beschriebenen Gei-
ster durch Grimm in folgenden
Worten zusammeugefasst : „Durch
das ganze Wesen der Elbe, Nixe
und Kobolde geht ein leiser
Grundzug von Unbefriedigung und
Trostlosigkeit: Sie wissen ihre
herrlichen Gaben nicht recht gel-
tend zu machen und bedürfen im-
mer der Anlehnung an die Men-
schen. Nicht nur streben sie, ihr
Geschlecht durch Heirat mit Men
sehen zu erfrischen, sie haben auch
zu ihren Angelegenheiten des Rates
und des Beistands der Menschen
von nöten. Obgleich geheimer Heil-
kräfte der Steine und Kräuter in
höherem Grade als die Menschen
kundig, rufen sie dennoch zu ihren
Kranken und kreissenden Frauen
menschliche Hilfe, leihen von den
Menschen Back- und Braugeräte,
feiern selbst ihre Hochzeiten und
Feste in Sälen der Menschen. Da-
her auch ihr Zweifel, ob sie der
Erlösung teilhaftig werden können,
und der unv«'rhaltne Schmerz, wenn
verneinende Antwort erfolgt."
Den stärksten Gegensatz zu den
Zwergen bilden die Riesen. Sind
die Zwerge an Verstand dem Men-
schen überlegen , stehen sie ihm
aber nach in Bezug auf den Körper,
so wohnt gerade bei den Riesen in
einem kräftigen Leibe ein beschränk-
ter Geist. Im Norden heissen die
Riesen Jöfunn, plur. Jotnar, das
Simrock von dem Got. „essen*4
ableitet, so dass dadurch der Riese
als der Gefrassige bezeichnet würde,
während der andere vorkommende
Name Thürs mit unterm Durst zu-
sammenhängt und so dem Rieaen-
geschlechte auch die Liebe zum
Trunk zugeschrieben wird. Jeden-
falls ist sicher, das* in dem Wesen
der Rieseu das sinnliche weit über
dem geistigen steht, der Körper
weit über der Seele. In der Schö-
pfungsgeschichte sind die Riesen
die ersten lebenden Wesen. Der
Urriese Ymir ist aus dem Nieder-
schlag der urweltlichen Gewässer,
aus Reif und Tau entstanden und aus
seines Leibes ungeheurer Ma.-<>e
wurde hernach Erde, Wasser, Berg
und Wald erzeugt. Die Riesen wer-
den für dumm und eiutaltig gehal-
ten ; in der deutschen MvthoJo-
*ie wenigstens wird ihnen Treu-
erzigkeit zugeschrieben , während
sie in andern Gegenden Europas in
dem Rufe wilder Mens* heu nvsüer
stehen. Doch nicht alle Riesen
trifft der Vorwurf der Dummheit.
Lange streitet im Rätselkarapfe
Wodan mit dem weisen Vaftkrudnir
und erst durch einen Trunk aus
Mimirs Quelle kann Wodan All-
wissenheit erlangen. Zum Zorne
gereizt , werden die Riesen , wir*
es bei geistig nicht hoch begabt»- u
Wesen in der Regel der Fall fc*,
furchtbar ungestüm und sind dann
ebenso tückisch und plump im Angriff,
als sie gutmütig und plump in der
Ruhe waren. Felsblöcke werden gc-
§eu die Feinde geschleudert, ganze
iäume aus dem Boden gerissen und
so heftig gestampft, dass das Bein
bis zum Knie in die Erde einsinkt.
Zu den Göttern stehen die Riesen
bald freundlich, bald feindlich. Zwi-
schen der Wohnung der Riesen,
Jötunheimr, und dem Gottersitx
f
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1133
Asaheimr finden häufige gegenseitige Wasserriesen gehört z. B. der aus
Besuche statt. Manche Götter sind dem angelsächsischen Epos Beowulf
mit Riesentöchtern, die sich oft bekannte und berüchtigte Grendel,
durch bezaubernde Schönheit aus- Spuren von Waldriesen finden sich
zeichnen, durch die Ehe verbunden, in zahlreichen Sagen. Kyklonen-
Wollen aber, wie es auch geschieht, mauern kennt nicht nur Grriecnen-
die Riesen, gleich himmelstürmendcn land , sondern auch Deutschland.
Titanen, die Götter stürzen und die Den Riesen werden auch hier Bauten
Weltherrschaft an sieh reissen und der Vorzeit zugeschrieben. In Rie-
entspinnt sich ein Kampf, so ist ihr scnheryen , Rtcsenhürfetn, Hünen-
furcntbarster Feind Thor, welcher betten dachte sich das Volk die
mit seinem Hammer schon manches Leichname der Kolosse ruhend, oder
Rebellen Haupt zerschmettert. Die i aber es sind diese oft sehr bedeuten-
Rolle Thors als gewaltiger Riesen- den Erhöhungen durch Riesen her-
überwinder wurde in der christlichen getragen worden. In Norddcutsch-
Sagengeschichte dem heil. Olaf an- land ist die Sage weitverbreitet,
vertraut. Was das Verhältnis zu dass ein Riese eiue Brücke über
den Menschen betrifft, so ist es bei- eine Meerenge bauen wollte, zu die-
nahe rührend zu sehen, wie den sem Zwecke Steine oder Sand her-
Riesen die Erdbewohner zwar an beitrug, dann etwas von seiner Last
Körper als nichtige Käfer oder im fallen liess, wodurch denn ein Berg,
Staube wühlendes Gewürm erschei- eiue Sandbank oder gar eine kleine
ncn, wie sie aber doch fühlen, dass Insel entstand. Die grössten Steine
der geistig Starke trotz seiner phy- und Felsblöcke dachte die Volks-
sischen Schwäche die Fleischkolosse phantasie an den bestimmten Ort
immer mehr verdrängt und dass sie gesetzt, weil sie einst deu Riesen
selbst so vor dem Vorsehreiten der j im Schuh drückten, wie uns Sand-
Kultur einem sichern Untergange körner oder kleine Kiesel. Mit der
entgegengehen, wie die Urwälder Grösse steht auch die Unempfind-
und die wilden Tiere, welche in lichkeit der Riesen gegen Ver-
diesen hausten. Wie die Riesen letzungen im Verhältnis. Ein Blatt
ihre Abhängigkeit von den Menschen sei auf ihn herabgefallen, meint der
fühlen, das zeigt die weitverbreitete j aus dem Schlafe erwachende Hüne
Sage von dem pflügenden Land- Skrymir, als Thor mit seinem Ham-
manne mit seinen Zugtieren, den mer ihm einen wuchtigen Streich aufs
ein Riesenmädchen in der Schürze Haupt versetzt. Auch ihr Hunger
dem Vater als artig Spielzeug zu- und Durst ist gross. Der Gargan -
trägt, von ihm aber strenge ange- tua des Rabelais steht mit jedem
halten wird die zappelnden Dinger Fuss auf einem hohen Berg und
wieder an Ort und Stelle zu bringen. I trinkt, sich niederbeugend, den da-
Die Riesen wohnen auf Felsen zwischenfliessenden Strom aus. Stark
und Bergen; ihre ganze Natur hängt sind die Riesen auch im Stein-
mit dem Steinreich zusammen, sie ' schleudern , stets findet man die
sind entweder belebte Steinmassen ganze Hand des Werfers auf dem
oder versteinerte, früher lebendige harten Blocke abgedrückt, ebenso
Geschöpfe. Auch ihre Schutz- und lassen sie im Stein Fusspuren zurück
Angriffs waffen, Schild und Ketde, und ihre ganze Gestalt ist einge-
sina aus Stein. Wie bei den Zwergen prägt in Felswänden, an die sie
kann man aber auch bei den Riesen sich gelehnt.
neben Bergriesen noch Wald- und Der Glaube an Riesen ist
Wasserriesen unterscheiden, je nach [ schneller geschwunden als der an
ihrem Aufenthaltsort. Zu den die Zwerge. In der mhd. Dichtung
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1 1 34 Zwerge.
wertlen sie besonders von höfischen Kuneran, im Wolfdieterich Hutzt
Dichtern, welche ihre Stoffe aus und Welle. Man findet denn auch
dem Romanischen entlehnten, nur von Opfern, welche Riesen, wie
mit allgemeinen Zügen geschildert, freundliehen Elben und Hausgeistern
Lebendiger und drastischer treten gebrac ht worden wären, kaum eine
sie in der Heldensage auf, so im bpur.
König Rotber Aspirian, Grimme Nach: Grimm und Simrocl;,
und Widolt, im Hürnen Siegfried Mythologie.
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Sachregister.
ABC-Schützen lfiÖ.
Abenteuer L
Aberglaube 1.
Abschneiden von Nase
und Ohr 253.
Abt 2.
Acht &
Achteahl 1097.
Ackerbau iL
Ackerfriede 2^4.
Adalbert
Adel tt.
Adetaradia 37jl
Adelheid 378.
Aderlassmann 948.
Adler 388, 977.
Adrian 378.
Affe 1UL
Afra 378.
Agatha 3I&
Aegidius 378.
Agnes 378.
Agnus Del 12,
Ahasver 166.
Ahnmutter 225.
Akademie LL
Akoluth 503.
Akrostichon HL
Alah 3iLL
Alamode LL
Albanus 37>L
Albe 2£ä.
Alben 322.
Albertus Magnus 379.
Albi, Albati 245,
Albigenser 486.
Aleheinfe LL
Alexander, Sanct, 37'.».
Alexandersage liL
Alexandriner liL
8t. Alexius 16j Slfi,
Alkantara-OrcTen 863.
Allegorie 16, 74,
Aller Heiligen lfifL
Aller Seelen IM.
Allltterierender Vers
17, 15JL
Allöd 1Ü.
Almagest 212.
AI man ach IS*
Almosen 3JL
Aloisius 3IÄ.
Alpharts Tod 3M.
Alphorn lillL
Altar 1A.
Altarbckleidung 2L
Alte Leute 21*
Alter des Lebens 21,
Am ad is um Frank reich
22.
Amalberga 379.
Ambo 22.
Ambrosianlscher Lob-
gesang _:>■
Ambrosius 370.
Amiculum 267.
Amtskleidung 994.
Anastasius 379.
A neiden 28.
Angang 22.
Anna 311L
Annalen 24j 280.
Anuaten 2 1.
Anniversarien «1.
Annolied iL
Annulus piscatorius 8JL
Anredeformen 132.
Ansgarius 379.
Autnolope 977.
Antichrist 2fc
Antipendium 25, 19.
Antiphon 2JL
Antonterherren 25.
Antonius der Einsiedler
37JL
Antonius von Padua 379.
Antrnstio 21L
Antwerc 57.
Apollinaris 37'.).
Apollonia 379.
Apollonias von Tyrus
21L
Apostel 27.
Apostelbrttder, Apo-
stelorden, Apostoli-
ker 30.
Apostellöffel 30.
Aposteltage 196.
Apotheke 30j 35i
Apsis 30.
Aquamanilia 3L
Arbogast 379.
Archipoeta [LL
Architekten 85Q,
Archivwesen iL
Aren 446.
Arkebusierer ^L 323.
Armbrust 32, 62.
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1136
Sachregister.
arme Cölestiner Ere-
miten 212.
Armen p 11 ege -VI.
Armer Heinrich 391.
Artillerie
Artushöfe 487^ 1122.
Art ossäre litt.
Ärzte
Aschermittwoch äfL
Asch 3iL
asinus 909.
Ast 82L
Astrologie Ü1L
Asyl iL
Athanasius 37 ft,
Athis und Prophilias
Attribute der Heiligen
BIS.
Augustiner 11,
Augustiner - Regel 474.
Aufgebot 3Ji2.
Auskauf 857.
Aussatz 4J^
Aussenstädte 935.
Aussenwcrk 5JL
Autobiographie 288.
Ave Maria 4jL
Aventiure, Avcnturiers
L
Axt 12,
B.
Babacane 96.
Baccalaureus 1033.
Bacchanten 169.
Backsteinbau 33^ 322,
840.
Bader und Barbiere
1026.
Badewesen 4i
Bahrrecht 337.
Haider :LL
Ball Um
Ballade iü.
Ballet 45,
Ball werfen 4JL
Bänke und Stände 6_38_
Bann 40^ 33^ 9_5_L
Bar 4JL
B:ir 38_8_,
Barbara 46j 379.
Barbarossa 468, 1015.
Barbigan 9J12.
Barden 4JL
Barett 525,
BarfUsser 47, 21&
Barlaam und .Josaphat
Barmherzige Brüder
4JL
Barmherzige Schwe-
stern 4JL
Barockstil 4JL
Baron 4ü,
Bart 51i am
Basillaner
Basilika 51^ 873.
Batzen sHET
Bauernhöfe 24Q.
Bauerschaft 9_äfi.
Baugen 66s, 855.
BauliUtteiTa2.
BUume, heilige SUL
Beati STL
Beatus, St. 379.
Becher
Beehtclitag 1£9.
Befestigungen der al-
ten Germanen
Begharden, Beginen
Mi
Behaimisch 54.
Beheizungseinrichtun-
gen 1105.
Beichtbticher hL
Beichte öl.
Beichtiger 377.
Beichtstühle ü
Beil i2,
Beilager 393,
Beinhaut 237.
Beinkleider 55.
Bekenner 377.
Belagern»? 57_j 537,
543.
Benedikt von Nursia
am
Benediktiner • Orden
60.
Benediktionen 62.
Benefizialwesen 570«
7. 5HL
Beowulf ülL
Berehta 6ti.
Bergfrid 59, 9JL
Bergreihen 07,
Bernhard von Clairvaux
380.
Bernhardiner 67.
Beruhardiner von der
Observanz (II.
Bernhardinus von Siena
3m
Bermvard 3SQ.
Bertha 22Ö,
, Berührung K4l .
i Bescheidenheit 222.
Bett 562.
Bettelorden 67, 2&L
Bettclwesen 1>8.
Beunde 68.
Bianchi 265.
Bibelübersetzungen
6S,
Biblia pauperum HL
Bibliotheken HL
Biene 39X
Bier 72.
Bifang- und Bifansr-
recht 73.
Bilder, religiöse HL
Birgitta 330,
Birgittenorden 7-">.
Bisehof 76.
Bischofsstab 267.
Bispel 7JL
Biterolf und Dietleib
Bittgänge 77,
Blaphart 28.
Blasius 380.
Blau 17&
Blcidc 59_.
Bleistift 902,
Blitz a2A
Blond HL
Blume der Tugend
7JL
Blumenorden 7JL
IU u mens p räche 7^.
ßlumcnstäck 62jL
Blut 823.
Blutbann iß.
Blutrache HL
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-
Sachregister.
1137
Bock 387.
Böcke 7JL
Bockopfer 74t;.
Bogren SIL
Bogenschützengesell-
schaften 8£L
Böhmische Brüder 7SL
Böller 33.
Bonifacius H80.
Boten 8Ü5,
Botendienst VL
Brache 5.
Brakteaten &L
Brandmarken *)f>3.
Branntwein &JL
Bratsche s2.
Braun 113.
Braut 214.
Brautfrau 143.
Brautkauf 141, 214,
Brautkranz 142, 892.
Braut lanf S27142.
Brettspiel
BreTe 83.
Brevier SIL
Briccius 380.
Briefmaler
Bronzezeit 946,
Brot &L
Bruch 55.
Brücken SJk 932.
Brüekenbrfider und
BrUckeuknpellen SIL
Bruder Rausch &1*
Brüder des freien
Geistes &L
Brüder der strengen Ob-
servanz 212.
Brüder vom gemein-
samen Leben S8.
Brüdersebaften 87,
1121.
Brünne SS, 363.
Branncu~sk 843.
Brunnen ~äls Gefaase
Bruno 330,
Biiehdruckerkunst SLL
Bücher U2.
Büchse 36.
Buden 33JL
Büffet 1111.
Buhllied IKL
Buhurt 9JL
bullarium -m.
Bulle
Bulle, goldene 3ÜL
Buudhaube 524.
Bundschuh 94j 243.
Bnoseui 173.
Burg 94, 241, 930, 936.
BUrgerl&lL
bürgerliche Feste 200.
Burgfrieden 11.
Burggraf Ü1L
Burgkapellen 47w.
Burgstall 95,
Burkhard, hl. 380.
Burs, Burse 9^ 1035.
Bursfelder, Kongrega-
tion 62.
BuHstajre öl«
Byzantinischer Bau-
stil 97.
C.
CUcilia Iis.
Calatravaorden 863.
Calvarieuberg-e 99,
Campus Madius 9JL
Campus Martius ■>•».
Canon i.^sae fi2i.
Capitularia 101.
Carmina burana 101.
Carolina 1Ü2,
Ca^sianus 3so.
Cassius 38JL
Castor 3SÜ.
Cato, deutscher, 102,
Celte 944.
centena 440.
Centenar 303,
Central bauten 102.
Chiromantie 101.
Chokolade 104.
Chor 104. 874.
Chorrock 26JL
Chorschüler Uli}.
Chorstühle 105.
Christkind 22iL
Christophorns 105.
Christusbilder lfiL
Rea'leitoon der deutichen Altertümer.
Chroniken 233.
Chronostichou 107.
Ciborium 107, UL
Cingulum 2SET
Cisiojanus 962.
Cisterclenser - Orden
109, 508.
Cifhära 112,
Clara 380.
Clara-Orden 213.
Ciaret 1075.
Clareta I0JL
(Klarissen 21 1.
Clavichord 691.
Cluniacenser- Kongre-
gation 112, 61^ 507.
Codex canonum 475.
Cölestiner-Orden LLL
Cmibat Iii,
collazie ISO.
Collegia Musiea 114.
13.
Columban 380.
comnoaitio 183.
Confessores 377.
Coustantin d. Gr. 380.
Corbinianus 380.
Corpus juris canonici
4±L
Cosmas und Damianus
am
Credo 233.
Crispinns und Crispiuia-
nus H80.
Crota 313.
Cunibert 38L.
Cyglat 9.33,
Cymbeln
Cvthara teutonica 69H.
D.
Dachabdeckung 955.
Dachreiter LLL
Daktylische Verse 115.
Dalmatica 233,
Damast 115.
Dame 1 1 5.
Decretum Gratiani I7(j.
Dei irratia 115, 517.
Denar BlfL
72
113S
Sachregister.
Deutsch 115.
Deutsche Gesellschaf-
ten 11").
Deutsche Reiter IliL
deutsche Schulen 909.
Deutschgesinnte Ge-
nossenschaft LLiL
Deutschherren 5J_L
Deutschorden 861 ,
Diakon 50JL
Dichter HfL
Dielung 213.
Dienstadel L
Dienste der Kolonen
248.
Dienste in der gotischen
Baukunst 309.
Dienstmann 656.
Dicnstinanneu - Rechte
118.
Diesirae dies lila 11AL
Dietrich Ton Bern 1 LiL
Dietrichs Drachen-
kampfe 398.
Dietrichs Flucht
Ding, echtes und un-
echtes, 277, 441.
Dingfriede 234.
Dionysius, heil., 380.
Diptychen Lüh
Directorium humanae
Tltae 12!L
Disciplina clcricalis
121L
Dismas 38Q.
Disputatiouen 1035.
Doctor 1034.
Dolch 120.
Dolmen 945.
Domenieus 3&L
Domherrn 474.
Dominikaner - Orden
120, hüL
Domkapitel 507.
Douar 122, 322.
Donatus 381.
Doppelhaken 361.
Dorfpoesie, hüll sehe,
Dorfstädte 9&L
Dorothea 3_8_L
Doxologien 124.
Drache 124. 3m
Dragoner 12Ü.
Drama 1 - •">.
Dreifeldersystem 4.
Dreikönigsfest 1Ü1L
Dreipass 193.
Dreissig 1098.
Dreissigste 586.
Dreiteiliger Strophen -
bau o'JO.
Dreizahl 1096.
dritter Orden 21L
Drude 1BL
Drudeufuss CLL
Du, Duzen ltt2.
Dudclsack Tüä,
dult 198.
Dukaten 134^ ßlfl.
Durchschlüpfende Tiere
643.
dürrer Baum 468.
Dusek, Duseke,Dlsak,
Disecken 1114,
E.
Ebenhöhe 5JL
Ebenholz 1112.
Eber SSL
Eberopfer 745.
Ecbasis 98JL
Ecken Ausfahrt 397.
Eckhart, der getreue
Edda IM*
Edeling 6_
Edelknabe 14AL
Egerte &.
rliaftiii not U1L
Ehe U1L
Ehescheidung 145.
Ehre &m
Ehrenstrafen 954.
Ehrschatz 14ö.
Eiche 375.
Eid, Eideshelfer,
Treueid 14i
Einhom 977.
einigung iL
Eisen, heisses 336.
Eisenalter 944.
Elben, Elfen 148* 322,
1128.
Elbschwanenorden
L4JL
Elefant 977.
Elemente, Tier, 141».
112.
Elend und Elenden-
Herberge 149.
Klfenbelnarbeitenl~><»,
783, 849, 1112.
ElisäbetnaSL
Kllbogen-Geschütze 36_.
Elster 389.
Email L±L
Eromeran 381.
EneyklopHdieu 151,
2si
Engel 1Ö3, 19JL
englische Komödianten
129.
englischer Seh weiss 1 05 4 .
Enkomium Moriae Ti 4,
Enthauptung 951.
Entmannung 953.
Epiphanias 19JL
Epistelseite IM.
Kpistolae obseuroru in
virorum 1~>4.
Epistolare 165.
Epochen 44fi
Epos 1>">5.
Erasmus, heil. 381.
Erbämter 415.
Erbrecht liV
Erde hliL
Erek lik
Erker 96, 8£L
Erlöserorden Hl
Ermenrlch 159.
Ernst Herzog 1 »V.».
erste Messe 413.
Erstgeburtarecht 172.
Ertränken 9:» 2.
Erzürnter 415.
Erzblschof 1Ü1L
erzen 133.
Erzguss 1G0, 786^ 78i>,
801.
Erziehung- 161j 21vl
Brniotar Iis.
ErzjK)et 3_L
d by Google
Sachregister.
1139
Erzpriester 479.
Esche 3IIL
Esch iL
Eselsrücken 317.
Eselsrest 104.
Eselsritt 955.
Etzel UlL
Etzels Hofhaltung 3m
Eustachius 381.
Eulenspiegel KU.
EYangeliarlum 105.
EYaugellenharmonien
16».
Evangelienseite 105.
Erangelisten 10ö.
Ewald, heil. 381.
Ewiger Jude 100.
Exhortatio ad plebem
christlanam 167.
Exorcist 5Q:t.
Extersteine 787.
Exuperautius 381.
Fabel B2JL
Fabian :<M.
Faeetiae lüiL
Faden 823.
Fagott 20k
Fahne 168j £2L
Fahnlehen 522.
fahrende Leute 686.
Fahrende Schüler 1S9.
910.
Fahrendes Yolk U1L
Falken 3JL
Falkenbeize HL
Fall 112.
Fallgatter lü
Falithor L
Familie 122.
Familiennamen 9± 763.
Farben Ü2JL
Farbenspraehe UJL
Fasching 177.
Fasten 1Z&
Fastentueh 177.
Fastnacht, Fasnacht
■ NM
I 77.
Fastnachtspiele 12L
äiL
Faust, Dr. lliL
Faustrecht 1*3.
Fechtkunst 18ö.
Feder 9.QSL
Federfechter 185.
Federflug ü±2.
Feen UüL
Fegfeuer IM.
Fehderecht 1S3.
Feiertage liLL
Feldgeschrci 533.
Feldnonnen 5_L
Felicitas aaL
Felix und Regula
Femgericht IM,
Fenster 193, 811^ 882.
Festbezeichnuug 961.
Feste, christliche IM,
Feste, weltliehe 19s,
III*
feudum 577.
Feuer 201. S24.
Feuerprobe :n6.
FeuerwalTen 202, 59,
Feuerwerksbuch 8JL
Fibeln 2M.
Fideikommiss IL
Fidel l.'l
Fides 8_8_L
Findelhaus 1062.
Flnkenritter 20L
Fischblase IM.
Flagellanten 2fi2.
Fliegende Mütter 2iLL
Fliesenfuasboden 24JL
Flohgediehte 2üL
Flores temporum 285.
Florentius 3JLL
Florian SÄL
Flore und Mansche-
flur 205.
Flöte 1DJL
Flüsse 20JL
Folter 410, 984.
Formelsammlungen u.
FormelbUcher 2ÜI.
Fortunat 208.
fragner 356.
Framea 20».
Francisca 42.
Franziskauerorden
209, 5J1L
i Francisco v. Assisi 88 1 .
Fraticelleu 212L
Fraueu 213, 133*
1 Fraueudienst 217, 418^
868.
Fraueuhaus 222, 103;*.
Frauenzi oiiner 228»
Fred um 9_5_L
Freia, Fria, Frigg 2ft4.
tifL
Freidauk 222,
i Freie Kttuste
Freier Stand 22s, \h
Freiheitsstrafen Ö5JL
Freiherr 231, kl
Freihof 21L
Freimaurerei 2ÜL
Freischiesseu 9_1L
freie Reichstädte 911.
Freist&dte 9_4iL
Friede 233, 1*3.
FriedhöIeiM.
Fried kreuz 637.
Friedlosigkeit 2 ■ .
Fridolin 38_L
Frö, Freyr 231.
Fron-
Frondienst 240.
Fronfasten Ufi.
FronhoTe 239.
Fronleichnamsfest
24JL
Fronwage 357.
Froschmüuseler 243.
frouwe und wip B2SL
Fruchtbringende Ge-
sellschaft
Frühling8naehtgleiche
Fuchs 57, 9Ö0.
Fünfzahl 109L
i^Urst 2KL
FUrstenschulen
Fussbekleidung 2±h*
Fussboden illL
Füsse 820.
Fusswaschung 241k
G.
Gabel 2M.
Galanterie 2ML
72*
Digitized by Google
1140
Galeere 917^ 919.
Galten foöj B8&
Gallus 381,
Gamblson 368.
Ganerbschaft IL
Gangolf Ml*
harten 250, 846.
Gassenhauer 268,
Gast , Gastfreund-
sehaft i'-'i 2.
Gaathandel S5L
Gau 254, 33i*.
Gauch ÜB.
Gaunertum 255.
Gebende 22iL
Gebhard SSL
Gebück 53,
Geekeiigesellschaften
na.
Gefängnisstrafe 954,
Gefässe
Ge Hisse, häusliche 25s.
GefUsse , kirchliche
mL
Gefolge wesen 2<i 1 .
Geige ß9_S.
Geigenklavier Tül.
Geisel 2li2.
Geissler 262.
Geisslung 953.
Geistliches Ornat 2«5.
Geistliche Spiele 126.
Gekrönten , die vier
3ÜL
Gelb ITH.
Geld 26$)j ßfijj
G elejrenhe i t sdlc htere i
209.
Gelehrtentracht 2fi2.
Gcleitswesen 358.
Gemahl 3_9_iL
Gemalte Facaden 842.
Gemeine Mark 5.
Genovera 270, 382.
Genre-Malerei 62 1 .
Geographie 271.
Georg, heil. 273, 382.
Ger 5JLL
Gerade 274, IM,
Gereon 382,
Oerichtsdiener 1029.
< Jerichtshauä 688.
Gcrichtsladung 954.
Gerichtswesen 214*
Germanen 278.
Gertrud 382.
Gervasius und Prota-
sius 382.
Geschenke 948.
Geschichtsehreibung
218,
Geschlecht 122,
Geschleekterstaat 288.
Geschrei 956.
Geschütznamen 711.
Gesellen
Gesellenschiessen 911
Gesellschaftslieder
2S8.
Gesta, Geste, Chanson
de Geste 28».
Gesta Romanorum 2ML
Gestirne 326.
Gestrickte Hosen 5JL
Getreidearten ß.
Gewandhaus 487.
Gewann
geweihter Bissen 33 L
Gewitter 32fi,
Gewölbebau 305j Slfi.
Gewölberippen 309.
Gezogene Läufe 362.
Giebel 839.
Giessgefässc 2JüL
Gildewesen LL21L
Gläf 5JLL
Glasfabrikation 1113.
Glasfenster 1110.
Glasmalerei 290, 8. Vi.
Glaubensbekenntnis
Glocke 2iWL
Gloekcnuamen 712.
Glockenrad, Glocken-
spiel 2US*
Glorie IM,
Glosse 2im,
GlUckskafeu, Glttcks-
topf 21ÜL
GlUcksrad 3ÜÜ,
Goar, St. 382.
Godehard 382.
Goldene Bulle Ml*
Goldenes Vliess «02.
Goldschmie dearbeiten
789, 849.
Goliarden 169.
Gotischer Baustil 302.
Götter der Germanen
322.
Götterda,iumerung32t;.
Göttertempel und
Götterbilder 330.
Gottesfreunde 333.
Gottesfriede 333, IM*
GottesurteilelSL
Gottfried v. Kappen-
berg 382.
Gott Vater 322,
Grabhügel 582.
Grabkapellen 479.
Grabmaler 338.
Grabstätten 580.
Grabstein 237, IßfL
Graf 331L
Gral 3JIL
Grandmontaner*
Mönchsorden 344.
Gras 819.
Gregor d. Gr. 382.
0 regor vom Steine 34 4.
Gregorianer Bs.
Gregorianische Kalen-
derreform 470.
Gregorianischer Choral
677.
Gregor! us fest
Grenadiere 34«.
griechisches Feuer 202.
Griselda 347.
i'Grisette 175.
Groblanus 34s.
Groschen 34 s, 673.
Grosshändler 352»
Grün HS.
i Gudrun 34S. ^
Gudula
Gugel 525^ 526^ ftöfi.
Guidonische Hand 682-
Gulden 613,
Gürtel 62a
Haar 352, 2HL
Hackbrett 699.
d bv Goo
1141
Häfeleinbuben 910.
Haga 553.
HagelhüchMO ilfL
Hagestolz 85ja 382.
Hahn 388.
Halm auf dem Glocken-
turme ttftft.
Halmonskinder 3r>3.
Haingraben 331»
Hakenbüchsen 8tt&
360.
Hallenkirchen 316, 885.
Hülm K>ll.
Halsberge 3>">4.
hämit 5JL
Hammer 354.
Hammerteilung 4.
Hand
Handarbeiten 3 .">:>.
Handberge 3M*
Handel 3äfL
HHndewaschen 3,">9.
Handfeste Mi
Handfeuerwaffen 3Ö9.
Handrohr 3ßX
Handschuhe 30^ 266,
36JL
Hand- und Fussabhauen
953.
Handwerker 1123.
Hängen 95_L
Hansa 9)9.
Hansen 1123,
Hansgrafen 35JL
Hanswurst 3#2»
hantgemäl 36JL
Harfe 699.
Harnisch 303.
Hasel 3IfL
Hatschier 369.
Haubitze 309, 3JL
Haufnitz 36.
Hauptbüchsen 3JL
Haupt- und Staatsaktio-
nen 131L
Haus im hohen Adel
IL
Hausgeister 1131.
Hausmarke 3<>9.
Hausmeler 370.
Haus- und Hofstatt L
Hedwig 382,
Heerbann 371.
Heerfriede '234.
Heergeräte Lüh.
Heerschild 373.
Heersteuer 374.
Heerwesen 370.
Heilige Bäume 37JL
Heilige Tiere 3*6.
Heiligenbilder Hl
Heiligenschein 733.
Hei Ilgen verehrung
Heiligsprechung 377.
Hcimfriedc 23A.
Heimgarten 25-L
heimliches (iericht lßü.
heimstiur 141.
Heinrich II. 382.
Heinrich, armer 39 1 .
Heinzelmännchen U&L
i Heiraten und Hoch-
zeiten 3JLL
Hei 31LL
Helbling 31LL
! Heldenbuch 394.
! Heldensage 397>.
Hi lena 38JL
Heiland 39IL
Hellebarte 11IL
'Heller 40^ tili
Helm fiflC
jHelmbrtinne 404.
Helmzierde 404.
Hemd 9JH, 993.
Henker 1029.
Herbstopfer 7 17.
Herd 740.
herisliz 312,
Herold ULL
Herr 407». 13IL
Herrenhaus 239.
Herzog 4Uö.
Hexenhammer 409.
Hexen und Hexenpro-
zesse 407.
Hieronymianer 8Ü.
Hieronymiden 410.
Hieronymus 382.
Hildebrandslied 411.
Hildegard 382.
I Himmel , Erde und
Elemente ii-.
Hinrichtung 958.
Hippokras 1075.
Hirlanda 104H.
Hirten 102*
Hirtenstab 267.
historia tripartita 279.
Historienbibeln 413.
Historienmalerei 618-
Hoboe 704.
höchgezit 20iL
Hochzeit 142, 3ÄL
'Hochzeiten, geistliche
Hochzeitsgeschenke 393.
Hochzeitslader 3Ü3.
Hof 247.
Hofümter 413.
Hofburgen 95.
Hofdienst 9j ÜäL
Hofhaltung 2J1L
Höfische Dichtung 41
Hofkapellan 480.
Hofnarren 4lM .
Hofrecht 21L
Hofrichter 4Ü.
höker 35_1L
Hölle 394j 971.
Holmgang 335.
Holunder 376.
Holzarbeit 845.
Holzarchitektur 422.
Holzschneidekunst
Holzschnitzerei 789^ 79s.
Holztafeldruck 9_L
horae canonicae 963.
Htfrlgkeit 434, 241L
Horn 434.
Hörnerner Siegfried
434.
Hortulus deliciarum
43iL
Hosen 55.
Hospitäler 511.
Hospitaliter des hl. An-
tonius 2JL
Hospitaliter oder Ho-
spitalbriider 43i
Hube 3.
Hubertus 'd^L
Hufe 3,
Hugdietrich 3ä9_
xJ by Google
1142
Sachregister.
! Interlinearversion 29JL
Investitur 457, TL
Hügelgräber 580.
Humanismus 485. 2ßü
H um Hi utenorden 4JL1L j Joachim 383.
Hunde tragen 955. Joch Ochsen 643.
Hundenamen 711.
Hunderte 254.
Hundertschaft 410.
HUnengrabfH U neu h e 1 1
441, 5S0.
Hungertuch 177.
Höpen, Hipen 73fl.
Hürde 5^
Hürden 9JL
Husar 441 .
Hut 441, 524.
Hyacmlhus
Hymnen 4Ü
I (J).
Jagd 44:;.
Jäxjerschreie 445,
Jahresanfang 445.
Jahresbezeichnung-
44fL
Johanneshymne 683.
Johannesminne oder
Johannessegen 457.
Johannes Chrysostomus
383.
Johannes der Täufer
388,
I Johannisfeuer 2ffl 1 .
Johannistag 1 '.''■».
Johanniter 861L
St. Johannstanz LÜ52.
Joseph
irische Schrift 90k
Irmin 458.
Isengrimes not ä&L
1 Isengrimus 9hl ,
iserkolzen Sfifl,
itis 211.
Jubeljahr 45s.
Juchart 4^
Juden 459, 175.
Julfest 198.
Jalireselnteiluug 411. j Jungbrunnen 2-J4.
Jahreszeiten 447.
Jahrmarkt 639.
Jahrzeit 586.
Jahrzeitbuch 44s.
JakobsbrUder 44s.
Jungfrauen, 11000 283,
Junker ifla.
Junkerhöfe 487.
Junkerkonipagnien
1122.
Jambisches
44JL
Ida von Toggenburg
271 .
Idhunn 111L
Jesuitenorden 44«J.
Jesuitenstil 48.
Ignatius 383.
ihrzen 132.
Illuminatcn 233.
I nulluni tUt 462, 8*
Impostor i bus de t ri bus
402.
Vers m ass Iwein 465.
Kaedmon lüli.
Käferkultus 3ALL
Kaffee 4£L
Kaiserchronik 467.
Kaisersage 467.
Kalande, KalaudsbrU-
der 468.
Kalander 9TL
Kalender 4ft9.
Index librorum prohi- Kamaldulenser 4-71.
hi forum 452, 453. Kamin 740
Indiktion 4537 Kamm 412.
Inkunabeln 454. Kammerbüchsen 30^3^0.
Innungsvereine H2L j Kämmerer 414
Instrumentalmusik £9_L Kammergericht, kai-
Inquisition 455. I serliches 412.
Kampf urteil 335.
Kannen 47:t, 25*.
Kanone 203.
Kanoniker 474.
Kanonische Stunden >4.
9Ü3.
Kanonisches Rechts*
buch 475.
Kanzel 477.
Kanzler 477,
Kanzleibeatnte '.«"4.
Kanzone 693.
Kapelle , königliche
K apelle, Kaplan 47s.
Kapitalsclirift 905.
Kapitularen 474.
Kapuziner 4ML
Kardinalshut 268.
Karl d. Gr. 38JL 46JL
Karlspfund 67 s.
Karlssage 4si .
Karmeliter ls-j.
Karolingische Schrift
905.
Kassenbüchsen 38.
Kartaunen äfi.
Kartäuser -Orden 4^:1.
Kasperletheater 4M.
KastenTOgt 4s4.
Katalanisches Weltge-
mälde 273.
Katechismusstücke 808.
Kat barer 4H4.
Katharina 383.
Katzen f>9.
Kauffahrt 358.
Kaufhaus 4sti.
Kauflierrn 357.
Kaufmännische Gilden
1123.
Kawertscheo 4s;.
Kebse LLL 1037.
Kegel 4SI.
Kegelspiel Iss,
Keil 533.
Kelch 4SS, 258.
Keller ^SL
Kelnhof, Kelhof 41» K
Kemenate 491,
Kerbholz 4i»l.
d by Google
Sachregister.
1143
Keiner 28JL
Kerzen und Lichter
Kesselfang 338.
Kessler 402.
Ketzer 492, 485.
Keole IMT
Kiel 918, 919.
Kilian 383.
Kinderfahrten 1051.
Kinderreitne 4Ä4,
Kinderschrei 642
Kinderspiele 4 93.
Kindlein wiegen JJiL
Kint SM.
Kapellen 885.
Kirchenbau 848.
Kirchenlied 495.
Kirchhof 2üfi,
Kirchturme 499.
Kirchweih 195.
Klabatermännchen 148.
Klaffe 500, 9_5JL
Klavichöra 699.
Klavicymbalum 700.
Klavicyterum 700.
Klaviorganum 700.
K 1 e i d erord n un ge n 6 00.
Kleiderstoffe 9_9_SL
Kleidung 23Ü.
Kleinhandel 356, 618.
Klerus 503.
Klopfan 504.
Klosteranlaireii 504.
Klostcrgeistlichkeit,
Farben derselben 175.
Kiosterschulen 163.
Knallbüchsen 3so.
Knappe 864.
Knecht 512»
Knittelrerse 514.
Kobold 1131, 14s,
Köcher 514.
Kocke 919.
Kolben 514.
Kollegiatstifter 5ikL
Kölner Gewicht 672.
Kolonen 2JÄ.
Komödie 128.
Kompasskarten 273.
Kono 214.
Konfiskation 951.
Kongregation von St.
Maurus 62,
König der Spiellcute
514.
König Ortnit 39JL
Köuigshof 240.
Königsfriede 235.,
Köuigsgericht 412.
Königtum und Kaiser-
tum 51&.
Konkordanzen 523.
Konkordate 523.
Konrad, hl. 3s3.
Koustatfeln JLl^L
Konzilien i» .">',+.
Kopf 524.
Kopfbedeckungen 524.
Kopftuch 525.
Koppelwirtschaft 4^
Kopulation 392.
Korb 52fL
Kosegarteu 25_L
Kramnandel 356.
Kranz, Kranzsingen
521.
Krebs 57.
Kredenzbecher 2JKL
Kreuz 528. 822.
Kreuzer 531L
Kreuzes Erfindung 197.
Kreuzes Erhöhung 197.
Kreuzfahrer 53o.
Kreuzgewölbe 30.").
Kreuzurteil 337.
Krie 533,
Kriegswesen 533, 370.
Kromleh 245."
Krone 54 s.
Kronleuchter 588.
Krönung 517, 520.
Krönungsinsignien
549,
Krummhorn 784.
Kruzifix 553.
Küchenmeister 414.
Küchenmoder 945.
Kuckuck 38JL
Kugel des Glucks 300,
Kugeln, gegossene 60.
Kümmernis 3H3.
Kunigunde 888.
Kunkelmagen 178.
Kuustdichtung -418.
Kunstepos 4JJL
Kunstepos, höfisches
15JL
Kunstgewerbe 847.
Kunstlied 6J}0.
Kupfersteehkunst 554.
Kttrass 560.
Kurtisan 560.
Kurzweilige Räte 718.
Kuss 561.
Kutschwagen 1060.
Kyrie eleison 49JL
L.
Lagerstätten 5_£2.
Lagerwesen 5JJI.
Laienbuch 899.
Lambertus 3s3.
Lampe 564.
Land- und Grenzwehren
54,
Land bedecken , um-
reiten 642,
Land umgehen und um-
pflügen 642.
Lim der und Städte
5114.
Landesherr 247.
Landesritterschaft 871.
Landfahrer 356.
Landfrieden 564 , 184.
Landgericht 277.
Landgrafen 565.
Landkarten 565.
Landschaftsmalerei üliL
624.
Landsgemeinden 56 7.
Landsknechte 567, 375.
Landstände 043.
Landwehren 570.
Lanze 570.
Lanzelet , Lanzelot
5JLL
Lauben 32Jj 639.
Lauf 642.
Laufgräben 61L
Laurentius 3h 3.
Lau rin 39JL
Laute 691, 70 1,
Lebendig b<
d by Google
1144
Sachregister.
Lebensalter 2_L
Leberreime 572.
Lectionarium
Legenda aurea 512.
Legende ~>7 2.
Leges barbarorum 57:1.
Lehnswesen »76.
Lehrlinge 112(i.
Leibeigenschaft 512.
Leibcastrafen 952.
Leibzucht, Leibgedinge
146.
Leich 513.
Leichenbestattiing
Leineweber 1028.
Lels 58«, 264, 498.
Lektoren 50JL
Lendner ♦'»sc,.
Leodegar 888.
Leonhard 383.
Leopold IV. afiiL
Lersen 5s 7.
Lesedrama 130.
Letze 587, 570.
Leoninische Verse 5so.
Lettner 477.
Leuchter 587.
Liber vagatorum 251,
Liborius 38JL
Libri feudorum 5S9.
Libro del Consulato
917.
Lichter 432,
Lichtschere
Liebe 218.
Lied 5ML
Linde 375.
lit 1024.
Liten 59Ü.
liturgische Farben
114,
Löffel aÄL
Lohengrin 591.
Lohnschreiber 904.
Loki 6flL
Longinus 383,
Los 571, 4, 143. 386.
Luther und Maller
Lotto 299.
Lucia 3£3.
Lucius 888.
Luctdarlus
Ludger 3*JL
Lud us Mg, i2<;.
Ludwigslied, Ludwigs-
ieich 5&L
Lügenmärchen 5M.
Luntensch loss 598,361.
lustige Rate 7is.
lütertrank 1075.
Luxbrüder 18JL
Lyra UtfL
Lyrik äiKL
Lyrik, höfische 417.
M.
Maccaronische Poesie
51>L
Mudrisral 594, 090.
Magdalena 383.
Magdalcnerinneu 5 94.
Matrelone 594.
Magister 594, 1033.
MatrnllicarSTL
Magnus
Magschaft 158, 112.
Mahlzeiten 5<)4.
Malfeld 597, 99,
M ai fest, Mälfah r t, M n i -
ritt ML
Mai-Lehen üfifi.
Majordomus :*7tt.
Mäkler 358.
Mal herrische («losse
Malerei 598.
Malleus maleficarum 409.
Malvasier 1075.
Mandorla f2&
Mange 5JL •
Manipel 26T>.
Manneskraft 648.
Mannschaft
Mantel 62ttj 267, 82L
Marcellus 384.
Marga 5JL
Margaretha 384.
Maria 228.
Marienbilder 628.
Mariendichtung 630.
Marienfeste 19ä,
Marienkultus !ÜL
Mark, gemeine 5.
Ma r kgenossensc ha f t
0J14.
Markgraf 030.
Markt, Marktplatz
037, 356, 671.
Marktbeamte 357.
Marktfrieden 889.
Marktrecht 938.
Marschalk (»40, i_LL
Martin von Tours 384.
Märtyrinnen, die vier
grossen 384.
Märtyrer 19(L
Marten 322.
Martinsgans, Martins-
lied Ü41L
Martyrologien 279, 572.
Marxbrüder 185
Märzfeld Ü4_L
Masse 041.
Maternus 384.
Mauerbrecher 88.
Mauern 933.
Mauritius 384.
Medardus 384.
Mehrstimmigkeit 679.
Meier
Meierhof 2_LL
Meineid 146,
Meise 389.
Meister, sieben weisse
04iL
Meister 117.
Meistergesang »44.
685.
Meisterstück 1124.
Melusine 040.
Menschenopfer 743.
Mensuralmusik 6ü2.
Merseburger Zauber-
lieder Ulli.
Messe Gregors 382.
Messgewand 266.
Messen 047.
Messer 047, S22.
Met Ü4L
Metzen 38.
.Milte 838.
I MinderbrUder647,^K».
d by Google
Sachregister.
1145
Miniaturmalerei Kl 7.
BUnlml fratres (ü<L
Ministerialität OÖO, %
Minne M
Minnedienst ^ fifiiL
Minnesänger 0~>s. fisä.
S70.
Miuoriten 050, 210.
Miss! dominiei üüL
Misteria 126.
Mitgift i_2_l
Mitrn (top. 2«6, -V26.
Monatnnnien BML
Mönchssehrift 90fi
Münchs» esen 001 .
Mond ä^iL
Monochord ßjn_, m±
Monogramm 1Ü.
Monogramm Christi
oo_L
Monstranz <>«u.
Montes piotatis 1072.
Möraz 1075
Morgen (Ackermassi 4.
Morgengabe 144,
Mörser 3JL
.Mörtel Mä,
Mtihlen 005.
Müller 102s.
Mummenschanz 007.
Mund 820.
Mündigkeit 22.
Mundiuni liü. UiL
Münz«'
MUniwesei or>7.
Musik 071.
Musikinst mmenteoos.
Muskete 707.
Muspilli 707.
Mütze 7077l2_L
Mystik TüL
700,
N.
Nachtigall 3hh.
Nachtwächter
1029.
Nähen 3JÜL
Namen 710.
Namen der Humanisten
13A
Namen der Ministerialen
Namen von Sachen
IliL
Namengebung lfil .
Nationales Volksepos
im
Narren 712.
Narreuhüuschen 710,
Xarrenschirt' 714.
Naseiischirme 7_LiL
Nebenstädte »38.
Nekrologien 7 1«).
Nestel 7_2iL
Netz 720.
Netzhaube ä2n,
Neu^creut ä*
Neujahrskarten 430.
Neujahrsnacht 109-
Neulateiner 43S.
Seumen 720. <i77.
Nibelungen-Klage 729.
Nibelungenlied 720.
Nicolaus, hl. 3H4.
Nimbus lüiL
Nixen 733. OHL
Norbert SftL
Nomen 7:u.
Notburga 3H4.
Noten «35, fiso
Notfeuer 2JLL
Notgestalden 2iüL
Nothelfer 384.
Novelle 735.
O.
Oberhof 24L
Oblate 739
Oblati 907.
Obstwein 1<>74.
Ochse ii zu u !rp 7 40.
odal
Odin 740.
Ofen 741L
öffentliche Weiber 1037.
Öffnungen 711, loso.
Ohr 820.
Oh raren iinge 741.
Ohrstern 712. I Passauer Kunst 1030.
Oktaven 712. 105.
Oktavianus 7 40.
Öl LLL
Ol berge 712.
Oper lü 693.
Opfer 7_LL
Oratorium <>'.»:{.
Ordulien 71». ::34.
Orden 710.
< taten von St. Jago
Ordines flo4.
Orendel Iül
Organistrum 679, 703.
Onrel 740. 691, 704.
< >rgelgesehütze 36_.
Ornament B3&
Ornat, geistlicher 2JÜL
ort älL
Ortnit 751.
Ortsnamen 710.
Ostereier 751. 199.
Osterfeier ÜLL
Ost er teuer 754. 2< > 1 .
Osterspiele 12ft
( >stiarien 503.
Oswald Ii>_L
Othmar
Ottilia 3iLL
Otto hl. üäi.
P.
Paalstab UÜL
Palas lifL.
Palhnpseste 7 55.
Palissaden 755.
Palme 755.
Palmenorden 755, 245.
Palmsonntag 755.
Pallium 75."t< i>r»7
Pancratiu« :ts;>.
Panisbrlef 755.
Pantaleon 888.
Panther 077.
Panzer 7 50.
Pauzerbrecher 7 5K.
Papier 750.
Parentel 158.
Parzival 750. 3JJ1
Digitized by Google
1146
Sachregister.
Passional 759.
Passionsspiele 759
126.
Paternoster 887.
Pastourelle, Pastorell
Patriziat UL
Patrizier &1L
Patroclus, hl. 385.
Patronat Uber Kirchen
im.
Pavese 898.
pax Dei 333.
Petrinal 359.
Pegnltzschafer lüü.
Pelz 7m
Pelagius 385.
Pentagramm 7 Gl, IflL
Pergament 761.
Perlen Ifil*
Perlmutter 7(>1.
Perrllcken Ui2*
Personen- und Fami-
liennamen 763.
Peterspfennig 7(>s.
Pfaff 7(>ft.
Prahlbauten 769.
Pfahlbürger 717.
Pfalz 240.
Pfalzgraf 717.
Pfarrer 772.
Pfeifergericht 773.
Pfeil 82L
Pfeiler 308^ 8m
Pfellel 992.
Pfennig 773, £12,
Pferd 775305,
Pferdenamen 711.
Pferdeopfer 744.
längsten 195, 199,
Pflug 823.
Pflugschar, glühende
BSJL
Phönix I&L
Physiologns 782, Slfi,
Pickelhering 1ÄÜ.
pigment 1075.
Pflaster 834.
Pistolen IM*
Planeten
Planetenfolgen 782,
Plaphart 782.
Plastik 7 83.
Platte, Platten rllstnng
804, 387.
Plüvlale 267.
Poetenkrönung 43X
Polizeidiener 102t».
Polterabend soi,
Ptfnitentialbtichersü^
Portal 882, 884.
Portalbau 836.
Porte-chaises 1061.
Portativ 705.
Portluncula-Ablass
805.
Positiv 705,
Postwesen 805.
PrUmonstratenser M)7.
Pranger 808, 638, 955.
iiredella 19.
»rediger-Orden 120,
Predigt 8ÜS.
Predigtstuhl 477.
Priamel 811,
Priester 811.
Priester Johannes 812.
princctos 246.
Pritscnenmeister 812.
Probenachte &12*
Prozession, symbolische
Prozessionen 77.
Propheten S12.
Pseudoisidorische De-
kretalien 813.
Pumphose 993.
Puppen 814.
Puppenspiele 814.
Purpur 815.
pyxis 107.
Quartanen 3JL
Quintern 702.
Quirinus 385.
Rabe 383.
Rabenschlacht 815,
ii9, aas*
Racketten 7 05.
Rad, rädern 815, 952.
Radkarten 272.
Radegundis 385.
Radschloss 361.
Rakete 203
Ramme M5.
Rapier 8i:>.
Rasselkarren 816.
Rathans 816, 321,845.
Rationale 26JL
Rätsel und Bitsei-
lieder 817, 908.
Rauchge fasse s\m.
Rauschpfeife 705.
Rebec, Kibible 703.
Rechtssymbole 819.
Reclusi 6_L
Regal 705.
Regalien 824.
Regenbogenschüssel-
chen 821.
Regenschirm 824.
l Regina, hl. 385.
regulierte Chorherrn
114.
Reichsadel 10.
Reichsapfel S24. 551.
Reichsdörfer 824.
Reichskammergericht
Reichskleinodien S25,
52L
Reichsrichterschaft 10,
Reichsstädte 836, 940.
Reichsversammlunir.
Reichstag S25.
Reifröeke
Reigen 965.
Reim 824L
Reimehronlken 82s.
Reinardus 981.
Reinaert 982,
Reinhold 385.
Reinke de vos 983.
Reiterei 37_r, 585.
Reitzeug 779.
Remigius 385.
Reliquien H2s.
Renaissance-Stil SSO.
Renner 85">.
d by Google
Sachregister.
1147
Repetiergeschütz 3iL
Residenz 518.
retabulum 19.
Richtachwert 1031.
Richtstätte 63s,
Richtsteig hhh,
Rind 387.
Ring 266, 822, 900.
RinggeToT269, 668.
Ringpanzer 3*i3.
Ringwall .riM.
Riesen 112&
Ritomell 693.
Kittergesellschaften
SÖ8.
Ritterorden, geistliche
&&&
Ritterorden, weltliche
Ritterorden 857.
Ritterstand 8_.
Rittertum SflSi
Rochus
Rock SG9, 993.
Rockschoss 821.
Roland Ü1L
Roman 871.
Roman de Renart 981.
Romanische Baukunst
Rosen- Fenster 3 1 2.
Rosengarten sst.
Rosengärten 398.
Rosenkranz 887.
Rosenkranzbilder 62iL
Rosenkreuzer 888,232.
Rossdienst 10,
Rot 173, flüi
Rota fiUL
Rötha 702.
Rother 888,
Kot welsch ss9. »jyr.
Rudolf, GräTssiL
Ruffian 222.
Rulandsbilder 889.
Runen 8JHL
Ruodlieb 891.
Rupertus 38JL
Rüstung 89^ ML
Rutemrag 9J0.
Kütten 5JL
Rybeben IDA
S.
Säbel vrL
Sachsenspiegel SftL
Sackpfeife 705.
Sage
Salbung 517, 520.
Salhof m
Salisches Gesetz SM.
Salländereien 242.
Salomon und Markolf
Salvatorbilder 101
Salzfass 894, 258.
Samlung, samnung 5_4_.
Sammt 99.2.
Sancti 3IL
sarge MLL
Sarkophag S91.
Sarwürkcr 36Ü.
Sattel 8m
Sattelhof UL
Saufänger S9ö.
Säule 8I&.
Säulenbau &S2.
Sax
Schachspiel Bftfii
Schäfer 1028.
Schall £12.
Schalmei IDJL
Schamkapsel S9<>.
Schandbilder S9JL
Schandbrief 896.
Schandkorb Ms.
Schandpfahl 63S.
Schapel 896j 219, 52:».
Scharfmetzen 36.
Scharfrichter 1029.
Schärpe SM.
Scharwacht SM.
Schaube 896, looo.
Schecke 9_9.fi.
Schein 612.
Schere 89^
Scheitholz~ID3.
Schenk MH^ 414.
Schiesspulver 203.
Schiff als Gefass 2afi.
Schiffahrt SM.
Schiffnamen 711.
Schild SM.
Schildburg 53JL
SchildbUrger S9S,
Schilling fiitf.
SchimpflicheTracht955.
Schinden 953.
Schirmvogt s9iL
Schläfer, sieben 385.
Schlangen 36, 3S9.
Schlaraffenland s99.
Schleier 899, 525.
Schleuder 899.
Schleuderkasten 5JL
Schlossarchitektur 885.
Schlossbau 842.
Schlüssel 822.
Schmiedearbeiten 850.
Schmucksachen 899-
220.
Schnabelschuhe 900,
218.
Schnapphahnschloss
ML
Schnecke 918, 91AL
Schneider 99A
Schnelle Handluug 613.
Schöne 216.
scholares vagantes 910.
Scholastik 90JL
Scholastica 385.
Schönheit 218, ÖfiS.
Schb'pfung der Welt
901.
Schreiber 903,
Schreibknnst 9Ü2.
Schreibschulen 909.
Schrift SlfijL
Schwabenspiegel 9JJL
Schwanjungfrauen 1M2.
Schwänke 737.
Schwarz IIS.
Schwegel 706.
Schweisstuch Christi
911*
Schweizerisches Kriegs-
wesen 540.
Schwert 915, 82L
Schwertmag 9H>.
Schwerttanz 926.
Schulen 137,
Schüler, arme SIL
Schiller, fahrende ülWL
1148
Sachregist» r.
Schultcrflügel 36L
Schultheiss 906j 277,
Schulwesen 900.
Schupiss iL
Schürze 911.
Schüsseln »11, 258.
Schuh 90g"TOi 820 •
Schute ftlfi.
Schätzen feste im.
scramasax 915.
Sebald 385.
Sebastian 385.
Scbastians-Brüdersehaft
912,
Seelbad 43,
Seelgerlit , Seelh aus,
Seelbad 916.
Seeversicherung 917.
Seewesen 916.
SegenssprUche 920.
Seide 922.
Seidh 4QL
Seil 823,
Sekretäre 431.
Selige SIL
Semperfrei 92 1 .
Sendboten 659.
Senescbalk 413.
Sequenz 921 .
Servatius 385.
Servietten 921, 596.
Sessel 1104.
Severinus 385.
Sibyllen 921.
Sieben freie Künste
MMl
Sieben weiseMeister 643.
Siebenzahl 109JL
Siegel 922.
Sigenot 397.
Sigismund, heil 385.
Singen und sagen 117.
Sippe 158, 112.
Sitzraum 642,
Sixtus II. 385.
Skapulier 924.
Sklaverei 953.
Skulptur Z88.
Söldner 374
Solidus fifiL
Solmisation fi8_L
Sommer und Winter
924.
Sommersonnen wende
Sonne und Mond 925.
Sounenteiliing 4*
Sonnenwenden 198.
Sonett 924.
Sonntag Hü
Span 822,
Specht 38JL
Speer 925, 570, 821.
Sperber 389.
Spezerei B5JL
Spiegel
Spiele 924.
Spielkarten 92s.
Spielleute 928, 170,
514, 1028.
Spiess 571.
Spilmägen 173.
Spindel 822.
Spindelmägen 173.
Spinett IÜ3.
Spinnen 355.
Spinnräder 92S, 3j>5_.
Spiritualen 212,
Spitäler 33.
Spitzen 921L
Spitzwälle 53,
Sporen 929.
Sprichwörter 929,
Spruch 930.
Staatskalender, römi-
scher 213.
Stab 930, 820, 994.
Stadtbefestigung 93Ü.
Stadtbuch 943.
Stlidte 93:i.
Städtischer Holzbau
424.
Stadtrechte 942.
Stadtschreiber 913.
Stahl 943.
Stand-Armbrust 5JL
Standart 169.
Stünde, Landst&ude
943. /
Stände 228.
Stände und Bänke.
Stanislaus 385.
Stanzen
Stärke der Hühner 643.
Stauchen 944.
Stauf 258.
Stäup 944.
St au ps Hule 944.
Stäupung 953.
Stecher 944.
Stecherschloss 3Ü2.
stehende Heere 375.
Stein der Weisen LL
Stein-, Erz- und Eisen-
alter 911.
Steingräber 5ÜQ,
Steinigen 952.
Steinmetzen 1121«
Steinmetzzeicheu 53.
Steinringe 53.
Steinskulptur 786^ 79y.
Stelzschuhe 947.
Stephanus 385.
Sternbilder 947.
Sterndreherlied 131.
Steuerwesen 94K.
Sticken 355,
Stiefel 248.
Stiftaherrn 414.
Still-Leben S24,
Stock 618.
Stola 266.
Storch 389.
Strafen 950.
Strafverfahren 956.
Strassen 321, 939.
Strassennamen 939.
Strebebogen 313.
Strebepfeiler 813.
Streitgedichte 126.,
Strickerei 95s.
strikte Observanz 233.
Strohwische 824,
Strlünpfe 95S.
Stubengesellschaften
1122,
Stuhl 959, £23.
Stundeneinteiluug 963.
Sühngeld 183,
Sukkcnie 993.
Sumpfburgen 5JL
Surkot 9M.
Sutane 959.
Swanz 934.
Swertleite 864.
d by Google
Sachregister.
1149
swertmägen 173.
Sylvester 199j 335«
Symphonie 693.
Syndikus 94JL
Synoden HäiL
T.
Tabernakel WL
Tabulatur 645.
Tafelmalerei 600.
Tasrelieder iüiiL
Tagesbezeiehnuiig'lMH .
Tageseinteilung W>2.
Tagewerk 4.
Talparii 5_iL
Tannengcsellselinft
!>03.
Tannhiiuser tMÜ
Tanz ÜMfL
Tanzwut 1052.
Tappcrt Siüü.
Tarant VL
Tarrasbüchsen 36,
Tartsche fciÜL
Taschentücher ÜiÜL
Tassen OttT). 2JÜL
Tauche r-Sch w i in m -
apparatc
Taufgelöbnisse iüüL
Taut'kap«llen 47m.
Tau Tst eine '.Mm.
Teilung der Kleider
Teller JIGTj 25A
Tempel 330.
Tempelherrn s.")S.
Teppiche WJ7_j 1107.
Tertiarier 211.
Terzine
Testament 159.
Teuc nlauk 1MSS.
Teufel äfÜL
Textilkunst Sä2.
Tcyuhof 4jifL
Thaler <>74.
Thebaisehe Legion 384.
Tnecla 3js(L
Theobald ML
Theodor 'ML
Thomas Aquinas Sflfi.
Thomas Cantuar. 386.
Thor 7_UL
Thorc UM.
Thorburg £6,
Thüre ÜÄL
Tiara UT^ 266, 52k
Tierbifiler i)7_L
Tiere 23.
Tiere, hellte 3ML
Tierfabel
Tierkunde «HL
Tieropfer 744.
Hersage ÜÜL
Tierstüek «;-J4.
Timotheus 3afL
Tinte iiOJL
Tintinabulum Hifi.
Tjost liSL
Tip
Tisch !>S3, LÜH ff.
Tischräte IJA
Tischzueht äiüL
Titurel 1>VL
tivas 3_2jL
Toccata 692.
Tod, schwarzer 1046.
Todesstrafe 951.
Töpferarbeiten 852.
Tortur 9S4.
Totenbäume 582.
Totfall lü
Toteiifelder 23JL
Totenklage 500.
Totcnkleid »sc>.
Totenleuchter *)8<>.
Totentanz i>8(t.
Tracht 9h*.
Tracht der Geistlichkeit
26A
Tragödie 128.
Trag-Stuhl lotil-
Traktat TOT.
Trauerk leider 101*.
Treimunde 919.
Treueid 1 45.
treuga Dei 333.
TrÜorien 31 1.
Trikots Ü9JL
Trinitatis L9JL
Trinken 1077.
Triiikhönicr 1015.
Trippen 248.
Tristan 1015, 1045.
Trobock 51l
Trojanischer Kriey
HM7.
Trommel IÜL
'Trompete 7or>.
Troubadours 685.
Truchsess 414.
Truhe 1018.
Truimnscheit 703.
Tuchhaus 4fVL
Tumba 3m
Tümmler 3fL
Tunicella 1018.
Tunika 1018.
Turm 95, 306^ 31^ 882,
931, 9J4^
Turmuamen TJJ^ M35,
Turnier 1018.
Turniergesellschaften
855.
Tympanon 316, SS2,
Tympanum 706.
Typus 14.
U.
Übergangsstil tüü
{ ibcrsctzumrcn 1 024.
Ihren 1020 , 1104.
1109 ff
Ulrich, hl. aM.
Umzüge 1027.
Uneheliche Kinder 144.
Unehrliches Begräbnis
Unehrliche Leute
1027 , U2S.
Unfreiheit hl
Ungelt aia,
Universitäten 1031,
437.
Unterrock-Hose 5JL
Uozialschrift 20_5_
Unzucht 1036.
Urban L 386,
Irbarhllchcr 1038.
Urfehde lOttfl.
Ursula 386.
Irsulinerinnen 1039.
Ussiere
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1150
Sachregister.
V.
Vaganten 103», 169.
Valentinus 38JL
Yallombrosa 1040.
Vasall 1040.
Vasallität fi.
Vehmgericht 18JL
St. Veitstanz lflaS.
Verbannung '■'."> l.
Verbrechen 23ä.
Verbrennen 952.
Verklärung Christi L9JL
Verlobung 141, 392.
Verlobungsnng 14 1 .
Vcronica 3_8JL
veter buoch 573.
Verurteilung 957.
Victor &ÜL
Videl 6ü8,
Vierpass l'J4.
Vierteilen 9_5jL
Viertelsbüchsen 3JL
Vierung h74.
Vierzahi IflflfL
Vierzig IO'.ks,
Vigilia 9&L
Viola 032.
Virgatum-Gehen 910.
Virginal 7Ü3,
Vigilius, hl. 3SJL
Visierung 26_L
Vita 572, 27S,
Vita cononica 474.
Vitae pat nun 1041.
YitalienbrUder 1041.
Vitus 386.
Vliess, goldenes 3D2.
Vogt 1042.
Vögel, heilige 388.
Vokabularien 299.
Volksbücher 1044.
Volksepos 418.
Yolkskrankhelteu
104«.
Volkslied 1055, C89.
Volksrechte 573.
Vorkauf 357.
Vorstädte im
W.
Waehholdcr 3Ifi.
Waffcnnamen 710.
Waffen - Untersagung
Wage S5L
Wagen 1000, S23.
Wagenburg 1001, 535,
533,
Wägen der Hexen 3J1&
Wahrzeichen 1001.
Waisenhäuser lölü
Waldgeister 1131.
WalkUren 10G2.
Walpurgis 38JL
Walpurgistag 19JL
Walserfeld 468.
Waltharilied i0<i-2.
Wams 996.
Wandelaltar liL
Wanderschaft der Ge-
sellen U2L
Wandgräber
Waneu 32jL
Wappen 1006.
Wartburgkrieg 100t».
Wasser S2JL
Wasserburgen 5JL
Wassergeister LULL
Wasserorgel 706.
Wasserprobe 33JL
Wasserreichen 597.
Wasserspeier 311»
Weben dhh*
Wechsler 1071.
Weggeld 39JL
Wenrhaftmachuug 1£1L
Weib
Weidsprüche 445.
Weihnacht 1072, 195,
199.
Weihrauchgefä88 260.
Wein 1074, 823.
Weingefasse 107;*.
Weinglocke 1077-
Weinhandel 1076.
Weinpoesie 1079.
Weinschenken 1076.
Weisende Tiere lQsQ.
Weise Weiber 402.
Weiss 113.
Weisse Dame 67, 22h*
Weisskuuig loso.
Wcistttmer 1080. .
Welscher Gast 10M.
Wenzel, hl. 33A
Wergeid 1QM.
Werwolf 10S2.
Wessobrunnergebet
10*2.
Wetterhahn lQsJ.
Wettrennen 779.
Wichte
Widder 57.
Widderopfer 746.
Widerlage 14 1.
Widerruf 955.
Wieland HÜÜ.
Wigalois 10s3. um:.
wilde Jagd 1USSL
Wiigefortis 383.
Wilhelm von Öster-
reich 104."' .
Wilhelm von Orlenn*
10S4.
Wilhelmiter 10s4.
Willehad
Willehahn 10S4.
Willibald 386_
Willibrod 3SÜ.
Willkomm 10*5.
Willkommbecher 260.
Wimperge 314.
Wind 326.
Winde äß6,
Winde und Weltgegeii»
den lONfr.
Winsbeeke und Wins-
beekin lOsrt.
Wirken 356.
Wirtshäuser 1077.
Witwe 10M>.
Wochenmarkt 639.
Wochentage 10S7, 961.
Wodan 1088, 323. 467.
Wohnhaus 321^ 844.
Wolf 388^
Wolfdietrich 82S.
Wolfgang Sag.
Wolken und Nebel
Wurf oder SchoM ML
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1151
WUrfelspiel KM»'».
Wurfzabel S2.
Weitendes Heer iOSö,
Z.
ZaboUpiel 32»
Zaddelwerk
Zahlen I0i>r>.
Zargen 5TU.
Zattelwerk 10W».
Zauber 1QW).
Zechen 8JL
Zehnte llOiL
Zehnzahl ,1097.
Zeige 4,
Zeitrechnung 4 4 ♦ '> .
Zeitungen 1101.
Zepter 1101,
zerschnittene Hosen
56.
Zerstörung der Woh-
nung 954.
Zigeuner 1101.
Zi rinne raus statt unir
1102, 845, 849.
Zimmerdecken, ge-
schnitzte 1112.
Zimmergeräte 1 KM.
Zingel 9JL
Zinken "06.
Ziu 1118.
Zoll Iiis.
Zucht 867.
Zuchtmeister
Zugabe-Zahlen 1098.
Zunft- und (iildewesen
Zweikampf ä&L
Zweiundsiebenzig 1098.
Z» erire 1128, LÜL
Zwillich Ö9jL
Zwinger iAiL
Zwölften LäiL
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