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Full text of "Hölle, Weg, Erde. Stück in drei Teilen"

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DER DR AMATISCHE WILLE 
ZWEITER BAND 




HOLLE WEG ERDE 


STÜCK IN DREI TEILEN 


VON 

GEORG KAISER 


Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 


i 


9 


i 


9 




Den Bühnen und Vereinen gegenüber als Manuskript 
gedruckt. Alle Rechte Vorbehalten, besonders das der 
Übersetzung. Das Aufführungsrecht ist von Gustav Kiepen- 
heuer-Verlag zu erwerben. 

Copyright by Gustav Kiepenheuer Verlag Potsdam 


Printed in v, .: many 



EUCH: 

DANTE ANSELM 

UND 

MICHAEL LAURENT 


415573 




PERSONEN 


SPAZIERER 

LILI 

EDITH 

JUWELIER 

ANWALT 

HAFTHAUSLEUTNANT 

STRAFHAUSDIREKTOR 

HOTELIER 

HERR MIT ZYLINDER 
HERR MIT GLACÜS 
JUNGER HERR 
DAME MIT HÜNDCHEN 
DAME IN SEIDE 
KASSIERER 
LAUFBURSCHE 
LADENMÄDCHEN 
KELLNER 

ENTWICHNER STRÄFLING 
FREUDENMÄDCHEN 


HAFTSOLDATEN STRAFMEISTER HÄFT- 
LINGE STRÄFLINGE 




holle 




Grand-Hotel: goldroter Rundsalon. Telephon surrt. 

EDITH rasch von rechts — noch mit Hut — hört 
Lili? Gedehnt Der Bote soll abgeben. Wieder 
hörend Der Bote soll kommen. Rechts hinein — 
sie kommt ohne Hut zurück — sucht Geld aus Leder- 
tasche. Anklopfen links. EDITH Ja. Spazier'er tritt 
ein: Verwachsenheitin faltigem Kragenmantel. Kno- 
tig umschnürte Pappdeckel unterm Arm EDITH 
will ihm Geld geben Legen Sie auf den Sessel. 
SPAZIERER lächelt Ich bin — der Künstler. 
EDITH sieht ihn an. SPAZIERER verlegen Mich 
interessierte der Käufer. EDITH lacht laut V er- 
zeihung — ich lache — : aber das ist irgendwie 
komisch, dass ich Ihnen Botenlohn geben will 

— und Sie sind der Künstler. SPAZIERER mit 
schräger Verbeugung Spazierer. EDITH kühl Das 
Blatt bringe ich in den Koffer. Nicht mit Kar- 
tons. SPAZIERER am Tisch — die Schnüren um- 
ständlich öffnend — das Gesicht tief darüber. EDITH 
aufmerksam Ich habe im Kunstverein bezahlt 
und Quittung erhalten. SPAZIERER erregt und 
unsicher Die Sachen, die ich ausgestellt habe 

— weil Sie nach den „Orchideen” gegriffen 
haben ! — Er legt das Rlatt heraus — mit diesen 
Arbeiten wollte ich zurückhalten — und das 



einzige Stück geht zuerst weg. Sich au f richtend. 
— gegen Edith Ich habe alles gebracht, was ich 
habe — weil Sie nach den „Orchideen“ ge- 
griffen haben! EDITH War mein Blatt „Or- 
chideen“ ? SPAZIERER mit Anstrengung — kurz 
Ich will die ganze Mappe verkaufen ! EDITH 
Mir? SPAZIERER Für tausend Mark. EDITH 
Ich muss Sie enttäuschen — : ich reise als Ge- 
sellschafterin oder Freundin. SPAZIERER Sie 
kauften und bezahlten dies Blatt. EDITH Ich 
verauslagte den Betrag. SPAZIERER sieht vor 

sich Wollen Sie meine Sachen der Dame 

empfehlen? EDITH amüsiert Das kann ich 
eigenmächtig. SPAZIERER lebhaft Die Mappe 
dalassen? EDITH Das können Sie tun. SPA- 
ZIERER Mit zwei drei Worten lassen Sie durch- 
blicken: mir liegt am Verkauf. EDITH Zum 
festen Preis von — SPAZIERERTausend Mark ! 
EDITH Eine runde Summe, die man sich leicht 
merkt. SPAZIERER steht noch — in der Bimst- 
tasche wühlend — hastig Die tausend Mark — 
ja! Ab. Edith öffnet ein Fenster — sieht hinaus 
und beginnt mit übertriebener Entrüstung zu gesti- 
kulieren. Dann setzt sie sich aufs Fensterbrett — 
nach der Tür blickend. Lili kommt — bleibt an der 
Tür. LILI mit kläglichem Ton Freundschaft ge- 
kündigt? EDITH So. Das also erlaubt man sich, 



wenn man jemanden zur Reise einlädt und die 
Spesen deckt. LILI Ich wollte doch pünktlich 
sein. EDITH Man kann, wenn man will. LILI 
schüttelt heftig den Kopf Manchmal kann man 
nicht. Bestimmt nicht. EDITH Man kann — 
LILI Wenn man die himmlischsten Perlen 
kaufen muss, kann man eben nicht! Sie läuft 
zu Edith — umarmt und küsst sie. EDITH Für Bob? 
LILI schüttelt den Kopf und fasst an die Ohrläpp- 
chen Für die zwei armen kahlen Zipfel! EDITH 
Ohrringe? LILI Häkchen mit grauweissen 
Tropfen — beinahe farblos — ein Hauch von 
Perlmut manchmal. EDITH Darf man nicht 
sehn? LILI Noch beim Juwelier. Er schickt 
sie. Ich wollte noch eine Veränderung. EDITH 
Einfälle hast du! LILI Was wird Bob sagen, 
wenn ich damit auftauche? EDITH Er merkt 
gar nichts. LILI Du unterschätzt Bob. EDITH 
Höchstens bei der Rechnung. LILI Nein, 
Edith, soviel habe ich mir selbst eingesteckt. 
Wenn ich reise, muss ich mir die Welt kaufen 
können. Sonst hat es keinen Reiz für mich. 
EDITH Ich habe auch etwas gekauft — auf 
deine Rechnung. LILI Ich soll Strafe zahlen, 
weil ich dich warten liess. Ist es so fürchterlich? 
EDITH Eine Zeichnung. LILI Was war im 
Kunstverein ausgestellt? Sie nimmt das Blatt . 

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EDITH Lokale Grössen. LTLI Das Blatt ist 
kapriziös. A la Beardsley. EDITH Tch habe 
schliesslich was genommen. Der Direktor 
strengte sich mächtig an. Er vermutete mein 
besonderes Interesse, weil ich nicht aus dem 
Saal wich. LILI Preis? EDITH Komplett mit 
Mappe: Tausenddreissig Mark. LILI Edith! 
EDITH Dreissig angezahlt — der Rest — Sie 
lacht — umhalst Lili Schwindel ! — Deine Per- 
len sollst du doch haben — Lilikind! Telephon 
surrt LILI hört Wer? — Ja, ich bin oben. Zu 
Edith Der Juwelier rückt an. Form Spiegel — 
Frisur glättend Perlen wirken natürlich nur 
abends. EDITH die dichten Fenstervorhänge 
schliessend — alle Lampen hellend Beleuchtungs- 
probe! LILI Warum die Mappe bei dir? EDITH 
Der Mensch war entzückend. Diese holde Ein- 
falt: ich nehme aus Verlegenheit ein Blatt — 
er muss das aus dem Kunstverein sofort er- 
fahren haben — Ankauf Ereignis! — nach 
fünf Minuten schleppt er mir sein Oeuvre ins 
Hotel. Mit dringendem Wunsch des Ankaufs. 
LILI Wer schafft die Sachen wieder weg? Wir 
reisen nachmittag. EDITH Der holt sie sich 
vom Portier. Anklopfen. LILI Avanti. Juwelier 
— starke Figur — kommt. JUWELIER Störe ich? 
LILI Bitte. Haben Sie schon die — JUWELIER 



holt das Kästchen heraus Das war ja nur eine 
Kleinigkeit. Ich persönlich — wenn ich das 
sagen darf — hätte mich für die längere Fas- 
sung entschieden. Besonders für die ovale Ge- 
sichtsform von gnädiger Frau — die ausge- 
sprochen oval ist. Aber das bleibt Geschmack. 
Geschmack ist nicht übertragbar — und soll 
nicht übertragbar sein. LILI betrachtend Aber 
— nein. Das ist ein Missverständnis. Was ha- 
ben Sie denn — ? JUWELIER Sind gnädige 
Frau unzufrieden? LILI Das wirkt ja entsetz- 
lich gedrückt. Das ist zu kurz geraten. JUWE- 
LIER Gnädige Frau bestimmten — LILI 
Edith, sieh du: wie steif — wie langweilig. 
Leblos wird mein Gesicht. Wie Sphinx. Öde. 
EDITH Die Perlen müssen schwingen. LILI 
Fortwährend in Bewegung ! Zu Juwelier So kann 
ich sie nicht tragen. Um keinen Preis der Welt 
gehe ich damit herum. Wie sonntags Dienst- 
mädchen. Nein, Sie müssen sie nochmal mit- 
nehmen. JUWELIER Gnädige Frau entsinnen 
sich, dass ich selbst Bedenken mir zu äussern 
erlaubte — LILI Wir wollen genau das Mass 
festsetzen. JUWELIER am Tisch Das wird das 
beste sein. ■ Anklopfen. Edith öffnet — Spazierer 
tritt ein. LILI am Tisch Bleistift? JUWELIER 
sucht in de r Tasche. LILI Edith hast du Bleistift? 



EDITH In meinerTasche. LILI So gib. EDITH 
Ja — wo die Tasche ist? SPAZIERER Kann 
ich mit Bleistift — ? LILI auf sehend Wer sind 
Sie? EDITH Der Maler, von dem ich — SPA- 
ZIERER Spazierer. LILI nimmt Danke. Zeich- 
nend Ich vergrössere — EDITH Lili — du 
zeichnest ja auf dem Mappendeckel! LILI 
Katastrophe! JUWELIER Benutzen gnädige 
Frau mein Notizbuch. EDITH gibt Mappe Spa- 
zierer Meine Freundin hat die Blätter gern an- 
gesehn. Es sind einige fabelhafte Stücke dar- 
unter, die uns besonders gefallen haben. Wir 
haben ja die Freude eins zu besitzen. SPAZIE- 
RER Danke. Danke. LILI Zwischen Perle 
und Ohr — JUWELIER Proportion der Perle 
übertragen auf den Platinstab. SPAZIERER 
Ein Interesse der Dame — für den Ankauf — 
besteht nicht? EDITH Nein. LILI auf stehend 
Ich hole mir auf dem Weg zur Bahn nachmit- 
tag ab. JUWELIER Eine Arbeit von einer 
halben Stunde, gnädige Frau. SPAZIERER 
Nannten Sie den Preis von tausend Mark ? 
EDITH Es kommt wirklich nicht in Frage. 
LILI mit Portefeuille Ich möchte — was war 
der Preis? JUWELIER Zweitausend vierhun- 
dert. Bitte, gnädige Frau, nach Ablieferung. 
Bevor gnädige Frau nicht vollkommen zufrie- 


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dengestellt, kassiere ich nicht. LILI Wie Sie 
das halten wollen. JUWELIER Gnädige Frau 
sollen nichts auszusetzen haben. Ab. EDITH 
Lili — der Herr lieh dir seinen Bleistift. LILI 
Den hat der Juwelier eingesteckt. EDITH Sie 
erreichen ihn noch. SPAZIERER rauh Ich - — 

— will nicht meine Zeichnungen verkaufen 

um für mich zu verdienen die 

Zeichnungen sind nur Vorwand — — ich 

machte denVersuch weil tausend Mark 

flüssig werden müssen — ■ — ! Lili und. Edith 
sehn sich an. SPAZIERER Ich gehe mit einem 
Telegramm eines Freundes — eines Bekann- 
ten herum — er braucht tausend Mark, die 

ihn retten — sonst ist er am Abend tot. r- 

Ich weiss nicht, wie er sich gerade an mich 
wendet — - — ich stehe ihm nicht besonders 
nahe — ich verlor ihn seit langem aus dem 

Auge warum er mich anruft : 

aber ich bin angerufen — und kann ein Le- 
ben retten! ! Lili und Edith winken einander. 
SPAZIERER Ich trabe seit dem Morgen in den 
Strassen ich muss Hilfe auffinden! — 

— ich laufe in den Kunstverein ich habe 

ausgestellt — vielleicht ist verkauft — und da 
ist ein Stück verkauft ! — * — Ich lasse mir den 
Käufer saigeh — ich will ihm vorlegen, was 

2 Kaiser I 7 



ich habe er kauft vielleicht mehr 

für die tausend Mark, die ich brauchen muss! 
LILI Das ist ja recht traurig, was Sie erzählen 
— aber ich kenne Ihren Freund gar nicht. 
SPAZIERER Mir ist er fast fremd! LILI So 
nehmen Sie das Missgeschick eines andern 
nicht zu tragisch. SPAZIERER Die Depesche 
besteht — in Knüllung und Knitterung! — 
Das Schicksal eines Menschen ist auf meinen 
Rücken geladen ich kann es nicht ab- 
wälzen An Lili. und jetzt tragen 

auch Sie Verantwortung, weil Sie es wissen! ! 
LILI Das ist lustig. SPAZIERER Grauenhaft, 
wenn man sich Verantwortung entzieht! LILI 
kurz Ich kaufe Ihre Blätter nicht. SPAZIERER 
Kaufen Sie nicht die Perlen! ! LILI ab- 

lehnend Bitte. SPAZIERER Zweitau send vier- 
hundert für Perlen, die Sie zum Spiel in die 

Ohren knüpfen und tausend nicht für 

einen Menschen, der leben kann? ! ! LILI 
Mich geht das nichts an. SPAZIERER Dass 
dieser Mensch, der sich jetzt in Todesangst 
krümmt — LILI Ich kenne den Menschen 
nicht! EDITH Wozu braucht er denn soviel 
Geld dringend? SPAZIERER Um zu leben — 
wie Sie — wie ich — wie andre ! ! LILI Ich 
verschenke nicht tausend Mark an mir völlig 

1 8 



Unbekannten. SPAZIERER Kaufen Sie eine 
Perle nicht die ein Menschenleben be- 

zahlt! ! LILI Ich habe zwei Ohren — SPA- 
ZIERER Sie hören und wissen! ! LILI 

— und brauche zwei Perlenhänger. Edith, 
öffne die F enster. EDITH zieht die Vorhänge auf. 
SPAZIERER umklammert die Stirn — starrt nach 
Lili — ra jjt sich — rasch ab. EDITH das Licht 
abstellend Aus der Spuk ! LILI Komm mit — 
jetzt will ich mir Löchelchen in die Ohrläpp- 
chen stechen lassen. 


1 9 



Hafthaus. Weisswandiger Viereckraum. Graustein- 
fussboden. Zwei quadratische Schwarzeisenschiebe- 
türen hinten , ‘Stu fen hinan. Mitten Schwarzeisen- 
blocktisch, Rotsignallampen bei Klappen in der Platte. 
Schmale Schwarzeisentüren rechts und links; hier 
Schwarzeisenbank: sitzend — grün, steif — drei 
Haftsoldaten. Hinter dem Blocktisch — starrend be- 
dienend — sitzt Hafthausleutnant. Stille. Rotsig- 
nallampe aufglänzt. Krachender Stoss im Rlock- 

tisch. 

HAFTHAUSLEUTNANT öffnet Klappe _ ent- 
nimmt Patrone, aus der er gerollten Rotzettel löst. 
Nach Lesung Haftsoldat. HAFTSOLDAT tritt 
zum Rlocktisch. HAFTHAUSLEUTNANT gibt ihm 
Rotzettel Das Hafthaus. HAFTSOLDAT links ab. 
HAFTHAUSLEUTNANT versenkt Patrone wieder 

— schliesst Klappe — drückt Hebel: kurzes Rauschen 
im Blocktisch. Rotsignallampe verlischt. Stille. Von 
rechts anderer Haftsoldat mit Häftling: bärtiger 
Mann — ruhig schreitend. HAFTSOLDAT Der 
Häftling. HAFTHAUSLEUTNANT sw Hä ftling 
Person nach dem Rotzettel? HÄFTLING sieht 
auf — umblickt — starrt in Raum — ruckt auf 

Ich bin nicht schuldig! HAFTHÄUS- 

LEUTNANT Die Frage gilt nur: die Person 
nach diesem Rotzettel? HÄFTLING Ich bin — 

— so nicht schuldig ! HAFTHAUSLEUTNANT 


20 



Die Frage dreimal : die Person nach diesem Rot- 
zettel Sie? HÄFTLING schreiend Niemand ist so 

schuldig : hier losgerissen von Menschen! 

HAFTSOLDAT fesselt flink Handwurzeln. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Person ist Häftling. HAFT- 
SOLDAT führt den überwältigten Häftling vor die 
Tür rechts hinten — schiebt sie beiseite — noch 
Schwarzeisengatter vor Raum in Graulicht: gefesselte 
Häftlinge — Männer — gegen das Gatter anbran- 
dend — rufend: Ich bin nicht schuldig! ! — Haft- 
soldat ö ffnet Gatter und stösst Häftling hinein. Gat- 
ter und Tür wieder geschlossen. Haftsoldat nach links 
vorne — steil sitzend. Stille. Geräusch im Blocktisch 

— Rotsignallampe auf flammt. HAFTHAUSLEUT- 
NANT öffnet Klappe — entnimmt Patrone — löst 
Rotzettel Haftsoldat. DRITTER HAFTSOLDAT 
tritt zum Blocktisch. HAFTHAUSLEUTNANT 
gibt ihm Rotzettel Das Hafthaus. HAFTSOLDAT 
links ab. HAFTHAUSLEUTNANT versenkt Pa- 
trone — schliesst Klappe — drückt Hebel — Rotsignal- 
lampe vergeht. Stille. Von rechts erster Haftsoldat 
mit Häftling: Frau mit Hut. HAFTSOLDAT Der 
Häftling. HAFTHAUSLEUTNANT zu Häftling 
Person nach diesem Rotzettel? HÄFTLING Äu- 
gen nach Wänden stossend — murrend Ich bin — 

— nicht schuldig! HAFTHAUSLEUTNANT 
Die Frage gilt nur: die Person nach diesem 

Rotzettel? HÄFTLING schärfer Ich bin 

nicht schuldig! HAFTHAUSLEUTNANT Die 



Frage das dritte Mal : sind Sie Person nach die- 
sem Rotzettel? HÄFTLING bricht in Knie — 
Hände um den Blocktisch klammernd So schuldig 

ist keiner : losgerissen von Menschen 

hier!! HAFTSOLDAT anlegt Fesseln. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Person ist Häftling. HAFT- 
SOLDAT bringt Häjtling an die Tür links hinten 

— rollt auf: Raum wie rechts mit Frauen mit glei- 
chen Gesten und Rufen: Ich bin nicht schuldig!! — 
Haftsoldat stösst Häftling hinter das Gatter — 
schliesst — wartet links vorne. Stille. Spazierer — 
noch Mappe bei sich — von links. SPAZIERER 
dicht vorm Blocktisch Es ist keine Zeit zu ver- 
lieren. Es wird Mord. HAFTHAUSLEUTNANT 
Machen Sie eine Anzeige? SPAZIERER Ich 
mache die Anzeige. Mord wird es. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Wer ist getötet? SPAZIE- 
RER Es ist keine Zeit zu verlieren. Der Täter 
gewinnt Zeit. HAFTHAUSLEUTNANT Der 
Namen des Täters? SPAZIERER Ich kenne 
nicht. Im Grand-Hotel. Goldroter Rundsalon. 
Eine Dame. Mit einer Freundin eine Dame. 
Reisend — und abgestiegen Grand-Hotel — 

— und Mord wird es. HAFTHAUSLEUTNANT 
Die Ursache? SPAZIERER Vorsatz. Mit Wis- 
sen und Willen. Mit Billigung der Freundin. 
Mit Warnung von meiner Seite. HAFTHAUS- 
LEUTNANT Wussten Sie um den Vorsatz? 



SPAZIERER Es ist keine Zeit zu verlieren. Die 
Dame reist abends. Zwischen jetzt und abends 
geschieht es, was geschieht. HAFTHAUSLEUT- 
NANT Was geschieht? SPAZIERER Mord. 
HAFTHAUSLEUTNANT Er ist nicht vollendet? 
SPAZIERER Der Vorsatz besteht. Die Tat rollt 

— muss rollen mit jeder Minute zu Mord. 
HAFTHAUSLEUTNANT Wer ist in Gelahr? 
SPAZIERER Ein Freund. Ein bekannter. Ein 
Jemand. Warum? HAFTHAUSLEUTNANT Er 
wird geschützt. SPAZIERER Er ist nicht in 
dieser Stadt. HAFTHAUSLEUTNANT Wer 
führt die Tat in der andern Stadt aus? SPA- 
ZIERER Die Dame! HAFTHAUSLEUTNANT 
Stiftet sie einen dritten an? SPAZIEltER Sie 
tötet hier — und tötet dort. Fs ist keine Zeit 
zu verlieren. HAFTHAUSLEUTNANT Keiner 
tötet, der nicht Hand anlegt oder anstiftet. 
SPAZIERER Es ist nicht möglich?? — Mord 
nicht möglich — über Dächer — über Städte 

— über Bahnhöfe — um den Erdball Mord 

nicht möglich von jedem Fleck der Welt 

aus?? Im Blocktisch Stösse — zwei Rotsignallam- 
pen hell. HAFTHAUSLEUTNANT bedient Block- 
tisch Haftsoldat — Haftsoldat. ZWEI HAFT- 
SOLDATEN an den Blocktisch. HAFTHAUS- 
LEUTNANT gibt jedem Rotzettel Das Haft- 



haus — das Hafthaus. DIE BEIDEN HAFT- 
SOLDATEN links ab.' SPAZIERER holt das Tele- 
gramm heraus Der Freund — der Bekannte — 
der Jemand telegraphiert. Lesen Sie. Herr 
Hafthausleutnant, lesen Sie! HAFTHAUS- 
LEUTNANT liest. SPAZIERER Ich kann nicht 
schicken. Ich bin mittellos. Ich lerne die Freun- 
din kennen — durch sie die Dame — ich bringe 
ihr zur Kenntnis, was geschieht, wenn nichts 
geschieht. Die Dame kauft sich vom Juwelier 
Perlen für mehr als das doppelte, was hier nö- 
tig wird — kann sich Perlen kaufen — kann 
tun, was nötig und tut es nicht! ! HAFT- 

HAUSLEUTNANT Wie konstruieren Sie den 
Verdacht auf Vorsatz von Mord? SPAZIERER 
Ich konstruiere nicht — ich erfahre! Ich höre 
mit Ohren — ich sehe mit Augen — ich weiss, 
dass zwischen jetzt und abends nichts verhin- 
dert wird, was verhindert werden kann!! 
HAFTHAUSLEUTNANT gibt ihm die Depesche 
wieder Die Dame ist nicht haftbar. SPAZIERER 
Weil es noch nicht vollendet ist? HAFTHAUS- 
LEUTNANT Weil der Vorsatz nicht besteht. 
Von rechts Hajtsoldat mit Häftling : Jüngling. 
HAFTSOLDAT Der Häftling. HAFTHAUS- 
LEUTNANT .zu Häftling Person nach diesem 
Rotzettel? HÄFTLING Blicke herum — wimmernd 



Ich bin — — nicht schuldig! HAFTHAUS- 
LEUTNANT Die Frage: die Person nach die- 
sem Rotzettel? HÄFTLING Ich bin nicht 

so schuldig ! HAFTHAUSLEUTNANT Dreimal : 
sind Person nach diesem Rotzettel Sie? HÄFT- 
LING auf Fussboden Niemand ist so schuldig 
— — : losgerissen von Menschen! HAFT- 
HAUSLEUTNANT Person ist Häftling. HAFT- 
SOLDAT fesselt — f ührt nach rechts hinten: Ge- 
sten und Geschrei der Männer hinter Gatter — Häft- 
ling hinein. — Haftsoldat nach links vorne. SPA- 
ZIERER Herr Hafthausleutnant — unterneh- 
men Sie, was von Wirkung sein kann — von 
unausdenkbaren Folgen. Mord ist nicht ge- 
schehen — Mord ist nicht Vorsatz : 

machen Sie den Kauf beim Juwelier unmög- 
lich. Erfinden Sie einen Vorwand, mit dem 
Sie die Dame aufhalten. Sie reist — sie ist 
Ihnen verdächtig. Sie wollen Feststellungen 
einholen. Und alles ergibt sich abends als Irr- 
tum! HAFTHAUSLEUTNANT versenkt. Patro- 
nen — schliesst Klappen. SPAZIERER Sie wird 
jetzt nicht zum Juwelier hingehen können! — 
Die Sinne werden ihr mächtig — ihr fällt ein: 
sie durfte nicht beim Juwelier kaufen — sie 
musste einem Jemand das Leben retten. Es 
wird einschiessen in sie glanzvoll — die Er- 

25 



kenntnis macht sie glühn — und aus ihren 
Händen ringt sich spendende Hilfe ohne Druck 
und Nötigung überschwenglich freiwil- 

lig!! HAFTHAUSLEUTNANT stumm. SPA- 
ZIERER Herr Hafthausieutnant — sie weiss 
und wartetaufden schärferen Anstoss. Sie weiss 
um ihr Wissen von der Gelahr um den Jemand. 
Das ruht nicht mehr in ihr — im aufgelocker- 
ten Gefühl von V erantwortung drängt sie nach 
eindeutigerer Anweisung — : Zwang zur Selig- 
keit von Hilfe an jedem, der Jemand irgend- 
wo ist!! HAFTHAUSLEUTNANT steif. SPA- 
ZIERER Herr Hafthausleutnant — den Rot- 
zettel für die Dame ! ! HAFTHAUSLEUTNANT 
unverändert. SPAZ1ERER Herr Hafthausieut- 
nant — den Rotzettel!! HAFTHAUSLEUT- 
NANT wie vorher. SPAZIERER Den Rotzettel!! 
Von links die beiden Haftsoldaten mit zwei Häft- 
lingen: Frau mit Kopftuch — Mann barhäuptig. 
HAFTHAUSLEUTNANT zu Häftlingen Perso- 
nen nach den Rotzetteln? HÄFTLING-MANN 
die Hände nach Häftling-Frau hebend Ich bin 
— — nicht schuldig! HÄFTLING-FRAU 
die Hände nach Häftling-Mann hebend ich bin 

nicht schuldig! HAFTHAUSLEUTNANT 

Die Frage: Personen nach diesen Rotzetteln? 
HÄFTLING-MANN Arme nach Häftling-Frau 

26 



streckend Ich bin — — so nicht schuldig! 
HÄFTLING-FRAU Arme nach Häftling-Mann 
streckend Ich hin — so nicht schuldig! HAFT- 
HAUSLEUTNANT Dreimal die Frage: Per- 
sonen nach diesen Rotzetteln? HÄETLING- 
MANN will zu Häftling-Frau ; von Haftsoldat 
gehemmt und gefesselt Ich bin so nicht schul- 
dig — — dass ich von dir losgerissen 
werde!! HÄFTLING-FRAU will zu Häftling- 
Mann ; von Haftsoldat gehemmt und gefesselt 
Ich hin so nicht schuldig — - — dass ich von 
dir losgerissen werde!! HAFTHAUSLEUT- 
NANT Personen sind Häftlinge. Haftsoldaten 
bringen Häftling-Mann und Häftling-Frau vor 
die besonderen Türen — öffnen. HÄFTLING- 
MANN Ich bin so nicht schuldig — — !! 
DIE MÄNNER hinter Gatter Niemand ist so 

schuldig HÄFTLING-FRAU Ich bin 

so nicht schuldig !! DIE FRAUEN hinter 

Gatter Losgerissen von Menschen!! HAFT- 
SOLDATEN stossen Häftlinge hinein — schlossen 
— kehren nach links vorne zurück. SPAZIERER 
taumelt links hinaus. 


27 



Anwaltstube. Raumdreieck spitz nach Glastür hin- 
ten. Aktenregale wandhoch rings. Darin Tür rechts. 
Grüntuchtisch mitten. Hinter Glastür: Kassentisch 
unter scharfer Lampe und Kassenschrank. AN- 
WALT Graurock , Rot haar steilauf Rotbart lang- 
eckig — am Grüntuchtisch: drückt Klingelknopf. 
Hinter Glastür: Kassierer und Herr mit Zylinder , 
Geld aufzählend » Von rechts Herr mit roten 

Glaces. 

ANWALT Die Sache? HERR Eilt. Der Schuld- 
ner brennt mir aus. ANWALT Schuldbeitrei- 
bung? HERR Bis zur Pfändung. Bis zur Aus- 
plünderung. Der letzte Knopf muss her. AN- 
WALT Belege? HERR holt Papiere heraus 
Blättchen für Blättchen in Sammlung. AN- 
WALT durchblättert Vorschuss achthundert? 
HERR schon Geld in Händen Bar. ANWALT 
Ich übernehme. Er schreibt einen Zettel — gibt 
ihn dem Herrn Durch die Glastür die Kasse. 
HERR hinten hinein. Früher hatte sich dort Herr 
mit Zylinder nach links entfernt. ANWALT drückt 
Klingelknopf. V on rechts Dame mit Hündchen. 
ANWALT Die Sache? DAME Ich möchte 
mich nicht erregen. Es regt mich auf, sooft 
ich erzähle. Lesen Sie. ANWALT liest Vor- 
schuss dreihundert? DAME Mit holla und 


28 


hopsassa. ANWALT Ich übernehme. Er 
schreibt Zettel — gibt hin Durch Glastür die 
Rasse. DAME schon Geld in Händen Das ist 
vorgesehen. Hinten hinein. Herr mit roten Glaces 
entjernt sich dort nach links. ANWALT drückt 
Klingelknopf. SPAZIERER von rechts. ANWALT 
Die Sache? SPAZIERER Die eindeutigste von 
der Welt. Ein Mensch ist tot — und ein and- 
rer schaukelt Perlenhänger in den Ohren. 
ANWALT Die Belege? SPAZIERER holt das 
l'elegramm aus dem Mantel Erdrückend. AN- 
WALT liesst Sie liehen diese telegraphisch ver- 
langten tausend aus und klagen Rückzahlung 
ein? SPAZIERER Nein. Alles ist weniger 
kompliziert. Die tausend sind nicht gezahlt. 
ANWALT Bestand beim Absender ein Recht 
auf die Summe? SPAZIERER Das Recht des 
Absenders steht hier nicht in Frage. AN- 
WALT Beleidigte Sie der Absender bei Ver- 
weigerung der Zahlung? SPAZIERER Was für 
Fragen erfinden Sie? — Ich sagte: die ein- 
deutigste Sache. Ein Mensch ist tot — und ein 
andrer schaukelt Perlenhänger in den Ohren ! 
ANWALT Ich verlasse nicht den Boden der 
Tatsachen. SPAZIERER Es ist Tatsache : ein 
Mensch stirbt — und ein andrer kauft Perlen ! 
ANWALT Wer ist dieser andre? SPAZIERER 


2 9 



Eine Dame. ANWALT Ihre Beziehungen zu 
dem Telegraphierenden? SPAZIERER Die 
Beziehung stellte ich her, indem ich der Dame 
hinreichend erklärte: ein Mensch wird tot 
sein, wenn sie Perlen kauft. ANWALT Sie 
erheben Klage? SPAZIERER Auf Mord. AN- 
WALT Was ist Mord? SPAZIERER Der 
Mensch ist tot! Perlen hängen in Ohren 
der Dame! ANWALT Der Antrag ist nicht 
begründet. SPAZIERER Der Antrag ist nicht 
begründet?? ANWALT Die Klage fällt hin. 
Er drückt auf den Klingelknopf. Von rechts junger 
Herr. ANWALT Die Sache? JÜNGER HERR 
Erbschaft. ANWALT Belege? JÜNGER HERR 
Papiere gehend Der ganze Klimbim. ANWALT 
liest. JUNGER HERR Miserabel durchgepaukt 
vom bisherigen Anwalt. Freudige Miterben 
prellen mich feixend um ein Fünftel mit ge- 
rissenem Gegenanwalt. ANWALT Vorschuss 
neunhundert? JUNGER HERR schon Geld in 
Händen Extra neunhundert bei vollem Erfolg. 
ANWALT Ich übernehme. Er schreibt — gibt 
Zettel. JÜNGER HERR Endlich wird scharf 
geschossen — ihr Lieben. ANWALT Die 
Kasse durch Glastür. JUNGER HERR hinten 
hinein. Früher hatte sich dort Dame mit Hündchen 
nach links entfernt. ANWALT will Klingelknopf 

3o 



drücken . SPA ZIEHER hält seine Hand fest Herr 
Anwalt — unter den Gesetzen — in Ih ren 
Büchern aller Gesetze — in Ihrer Bibliothek 
von Gesetzbüchern muss das Gesetz sein. 
Mein Gesetz! ANWALT Es exisliert keins. 
SPAZIERER Nein — nein, nicht in Ihren Ge- 
setzbüchern. Die sind nicht vollendet, wie nie 
Bücher. Herr Anwalt — entdecken Sie das 
wichtige: dies Versäumnis. Dies vernichtende 
Versäumnis! ANWALT Ich bin Automat, der 
die vorhandenen Gesetze anwendet. SPAZIE- 
RER Recht muss doch stündlich neu erfunden 
werden. Man kann Fahrpläne aufstellen für 
Eisenbahn Strassenbahn Dampfschiffe — 
aber nicht für Menschen! ANWALT Für mich 
ist es kein Fall. SPAZIERER Bis heute. Für 
Sie — für alle kein Fall. Weil ihn noch keiner 
sah. Aber heute stiess sich einer daran. Zum 
erstenmal machte er sich offenbar und wurde 
der Fall aller Fälle. Ein neues Gegenüber von 
Kläger und Beklagtem ist geschaffen. Niemand 
kann mehr leben, der nicht die Entscheidung 
erlebte. Und die Entscheidung fällt, wie sie 
nur fallen muss: Verurteilung des Täters, der 
Täter ist. Täter mit jedem Vorwurf — mit je- 
der Busse. Die Verdammung liefert Millionen 
Schuldige aus. Schuldlos bleibt keiner — und 

3 1 



unter diesem Prozess brechen alle Prozesse zu- 
sammen. Die unendliche Säuberung wird ge- 
leistet. Es wird jüngster Tag mit einem Ge- 
richt, das alle belädt ! Herr Anwalt — 

aus Starrheit in Fluss Ihr Verwenden für 
Recht! ! ANWALT Ich will übernehmen. 
SPAZIERER Stürzen Gründe und Gründe 
herauf? ANWALT Eine Finte wird brauch- 
bar. SPAZIERER Jede gilt! ANWALT Wol- 
len Sie sich erinnern, dass die Dame an Sie 
äusserte, was Sie für eine Zusage nehmen 
konnten? SPAZIERER Ich entsinne mich! 
Ich verstand so. Sonst hätte ich mich nicht aus 
dem Hotelzimmer entfernt! ANWALT Das 
ist, wo ich ansetze. SPAZIERER Dies oder 
jenes. Die Klage muss durchdringen — muss 
hochgestellt werden — sichtbar allen Neu- 
gierigen, die sich entzünden im Für und Wi- 
der — und nur das Für im donnernden Spruch 
die Erlösung trompetet. Fanfare über alle — 
weisse Tube an Himmel und Weltenbälle!! 
ANWALT Der Ausgang ist zweifelhaft — 
SPAZIERER Kein Zweifel am letzten Ausgang ! 
ANWALT Das Verfahren langwierig — SPA- 
ZIERER Der jüngste Tag rückt beschleunigt 
heran ! ANWALT Die Kosten in Schätzung — 
SPAZIERER Von Menschheit an Menschheit 


3a 



verglichen! ANWALT Ein Vorschuss von 
tausend auf meine Hand. SPAZIERER Mit 
Vorschuss von tausend — ? ? ANWALT Mit 
Vorschuss von tausend übernehme ich. SPA- 
ZIERER Ich bin mittellos ANWALT 

drückt auf Klingelknopf. Von rechts Dame in Seide. 
ANWALT Die Sache? DAME Divorcons. 
ANWALT Die Belege? DAME gibt Papiere Die 
Liebenswürdigkeit des Ehegatten beobachtet. 
Apres moi le deluge — nämlich die Scheidung. 
Er soll sie haben. ANWALT durchblättert Vor- 
schuss sechshundert? DAME Er zahlt doch 
alles. Geld in Händen. ANWALT Ich übernehme. 
DAME Selbstverständlich. ANWALT schreibt 
— gibt Zettel Durch Glastür die Kasse. SPA- 
ZIERER wankend nach rechts — ab. 


3 Kaiser 


33 



Stra Menkrümmung mit Juwelierladen. Glutmittag- 

weiss. 

SPAZIERER ans Schaufenster gedrückt Da liegt 

es ! Das ist ausgebreitet das wird 

breit und dicht geschichtet reihhin reih- 

her fliessen Linien Licht spritzt 

Mensch schmilzt! An Widerstand ist nicht zu 
denken. Wer vorübergeht — wird gedungen. 
Daher rührt es sich auf. Wer hier vorüber- 
geht — ist geliefert. Es ist mit dieser Auslage 
alles veranstaltet. Mensch schmilzt — und tut 
Mord! Ich will mich mit dieser Feststel- 

lung zufrieden geben und werde nicht den 
Kampf gegen den Globus vom Zaun brechen. 
Das kann niemand von mir verlangen. Mensch 
schmilzt — und tut Mord. Ich kann den Ju- 
welierladen weder schliessen — noch seine 
Bestände aufkaufen. Es liegt nicht in meinem 
Bereich die Strasse zu reinigen. Der Juwelier- 
laden wird sich weiter auftun — und Men- 
schen schmelzen am Schaufenster — und tun 
Mord. Es sind die täglichen Vorgänge in dieser 
Strassenkrümmung. Ich werde die Strasse, die 
krumm läuft, auch nicht richten. Das ist alles 
ein Ding runder Unmöglichkeit! Er zieht sich 

34 



zurück. Der Juwelier wird in seinem Laden 
nicht mit sich reden lassen — ihm sind die 
Fähigkeiten für eine Aufnahme meiner Dar- 
legungen gelähmt. Der Versuch wäre zum 
Scheitern verurteilt. Ich kann mir die Mühe 
sparen. — ‘ — Ich kann diese Strasse verlas- 
sen auf dem Bordstein tänzelnd Fuss 

vor Fuss nach Fuss vor 

Fuss nach Er tut es dreht sich 

um wiederzukehren ! ! An das Schaufenster stür- 
mend — die Hände aufs Glas spreitend Ein Mensch 
ist tot — und Linien fliessen — Licht spritzt — 
und Menschen schmelzen — und morden 

Menschen ! ! Untat reizt sich hier — 

hinter dieser gläsernen Haut wühlt Verfüh- 
rung — speit dreist sich die Anstiftung ! ! Den 
Rücken auf die Scheibe pressend und den Mantel- 
kragen vorbreitend Zertrümmernder Stoss der 

Sonne auf mich Fluss von Glut, die frisst, 

nach mir: verdorrt muss ich ewig die 

gläserne Wand verstellen!! Er lässt die Arme 
sinken und horcht strassauf Passant? Um diese 
Stunde? ln Mittaghitze? An Häusern auf blickend 
Jalousien vor die Fenster gesenkt. Schattiges 
Zimmer froh. Um Tisch häusliche Versamm- 
lung. Frei Blick in Blick. Menschen schuld- 
los! — — — — Kein Passant. Bleibt in 



euren Schattenzimmern. Tretet nicht aus der 

Tür geht nicht in die Strasse 

streicht nicht hier vorüber : ich konnte 

euch noch nicht schützen!! — — Wartet 

noch ihr hattet es ja nie so eilig ! 

wartet doch : ich muss noch Vorkeh- 
rungen treffen die allen dienen ! 

weil sonst Menschen schmelzen — — und 
morden Menschen ! ! — — Ich habe einmal 
eine Dame schuldig werden sehen, weil die 

Ursache nicht beseitigt war : jetzt bin 

ich dem Dinge auf die Spur geraten jetzt 

mache ich reinen Tisch ! ! Ergehtin den Juwelier- 
laden. Schreien im Laden. SPAZIERER taumelt 
auf die Strasse — trabt weg. JUWELIER aus dem 
Laden — sich stützend — Taschentuch auf den 
Hals drückend Ich — bin — im — Laden — 
überfallen ! ! 


36 



WEG 




Landstrasse mit Brücke. Spazierer kommt — erreicht 
Mitte der Brücke. Fon rechts laufend Entivichner 
Sträfling — keuchend — zerrt Spazierer am Mantel. 
Fon links Freudenmädchen — Tuch vor Gesicht — 
will sich über Brückengeländer abstürzen. 

SPAZIERER Angriffe gleich von zwei Seiten. 
ZuEntwichnem Sträfling Krall dich nicht in mei- 
nen brüchigen Mantelkragen — den behältst 
du in Fäusten, nicht mich. Ich stehe dir Rede 
ohne Widerstand. Die Abwehr vorn ist drin- 
gender — Feind und Freund eins, da muss 
man Unterscheidung schaffen. Er reisst Freuden- 
mädchen herab. FREUDENMÄDCHEN schreiend 
Ins Wasser ich! SPAZIERER Deine Welle ist 
unter die Brücke verglitten. Du betrügst die 
Gelegenheit, die sich nicht wiederholt. FREU- 
DENMÄDCHEN Ich — ins Wasser — SPAZIE- 
RER Auf festem Brückenboden du. Jetzt Augen 
entströmend Wasser, das einfloss lebenlang. 
Flügeln Lungen frei — bebt Herz hoch — 
bricht Blauhimmel herab. FREUDENMÄD- 
CHEN wimmert. SPAZIERER Sitze da — du und 
ich umbiegen Schicksal. Zu Entwichnem Sträf- 
ling Warum du hinter mir her? Ging mir was 
mit, das ich dir schuldig blieb ? ENTWICHNER 

39 


STRÄFLING atemstossend Kamerad — SPAZIE- 
RER Wer? ENTWICHNER STRÄFLING Ka- 
merad im Strafhaus — SPAZIERER Mich 
kennst du? ENTWICHNER STRÄFLING Du 
bist heute entlassen — von dei* Luke sah ich 

dein Marschieren in gerader Landstrasse 

SPAZIERER Schickt man dich mir nach? ENT- 
WICHNER STRÄFLING Ich brach aus — 

mauerüber — sprungtief SPAZIERER 

Brüstest du dich vor mir mit deinem Meister- 
streich? ENTWICHNER STRÄFLING Mein 
Kittel — meine Haarschur verrät mich — : 
lass mir deinen Mantel und Hut! SPAZIERER 
Freudenmädchen Tuch vom Gesicht streifend Hast 
du ein Gesicht? FREUDENMÄDCHEN murrend 
Was wollen Sie von mir? SPAZIERER Neu- 
gierig bin ich. ENTWICHNER STRÄFLING 
Kamerad — gib mir Hut — gib mir Mantel 
— ich muss laufen ! SPAZIERER Wohin willst 
du laufen? ENTWICHNER STRÄFLING Lau- 
fen — laufen ! SPAZIERER Bis dich Schwäche 
überwältigt — bis du tot zusammenPällst? 
ENTWICHNER STRÄFLING Hut Man- 

tel! SPAZIERER Sage mir dein Ziel, das Hut 
und Mantel wert ist. ENTWICHNER STRÄF- 
LING Wie du frei bist! SPAZIERER Ich habe 
meine Zeit verbüsst. ENTWICHNER STRÄF- 

4o 



LING Noch Jahre bin ich ein geschlossen. 
SPAZIERER Wo? ENTWICHNER STRÄFLING 
ImStrafhäus! SPAZIERER Kann man dich ein- 
schliessen ? ENTWICHNER STRÄFLING Der 
Kreislauf im Hof! SPAZIERER Ist ein Kreis 
nicht unendlich? ENTWICHNER STRÄFLING 
Dreihundert Schritt eine Runde — dreissig auf 
und ab die Zelle ! SPAZIERER Wenn du zählst, 
bist du gefangen auch in der Sahara. ENT- 
WICHNER STRÄFLING Die Blechschüssel mit 
ihrem Brei ! SPAZIERER Hast du nicht zu essen 
und zu trinken — und es wird keine Leistung 
von dir verlangt, die dich vernichtet? ENT- 
WICHNER STRÄFLING Kamerad — SPAZIE- 
RER Ich will dir Hut und Mantel geben, wenn 
sie dir zur Freiheit verhelfen. Zu Freudenmäd- 
chen Warum springst du aus der Freiheit ins 
Wasser? FREUDENMÄDCHEN Mich fragen 
Sie nicht ! SPAZIERER Schliesslich mache ich 
mir Vorwürfe wegen meines kräftigen Ein- 
griffs in deine Pläne. Hast du dein Kind er- 
würgt ? FREUDENMÄDCHEN EinKind — ich ? ! 
SPAZIERER Du bist jung — auch schön. 
FREUDENMÄDCHEN Eine Dirne — ein Kind ? ! 

Ein Tier einen Menschen im Schoss? ! 

SPAZIERER Mensch ist Mensch — Tier ist 
Tier. FREUDENMÄDCHEN Menschen sind 



Tiere, die das tun! Aufrecht Hunderte tun das 
hundertmal — bis die Dirne Mensch wird — 
und von der Brücke springt, um Mensch zu 
sein!! SPAZIERER Das wäre ein Grund. 
FREUDENMÄDCHEN Sie glauben mir nicht? 

• Sie zweifeln mit Recht — : ich habe den 

letzten mit meinen Fingern erwürgt! Nicht ein 
Kind — einen grossen Menschen! Darum 
springe ich von der Brücke. SPAZIERER Dir 
tutsich das Tor des Straf hauses auf. FREUDEN- 
MÄDCHEN Ich will nicht ins Strafhaus! SPA- 
ZIERER Der Kamerad zeigt dir den Weg. 
ENTWICHNER STRÄFLING Soll ich umkeh- 
ren? SPAZIERER Wenn ihr dieFreiheitsucht? 
Sie hat nur ein Tor: ins Straf haus. Man gibt 
euch zu essen — zu trinken — und fordert 
keine Leistung von euch, die euch vernichtet! 
ENTWICHNER STRÄFLING Lass mir Mantel 

und SPAZIERER Deine Bitte ist schon 

Verzicht. FREUDENMÄDCHEN Ins Wasser — 

ich SPAZIERER Deine Welle schickst 

du unter die Brücke. Zu Entwichnem Sträfling 
Laufe im Hof — und zähle die Schritte nicht: 
du bist frei. Abschreite die Zelle — und zähle 
nicht: du bist frei. Ermiss die Mauer nicht 
mehr — beklopfe die Stahltür nicht mehr: du 
bist frei. Wo dringt Gefahr an dich, da du ein- 



geschlossen bist? — Zu beiden Menschen sind 
bemüht um Menschen : euch hungert nicht — 
euch quält nicht Fron um Lohn. Rein Anspruch 
drängt sich an euch, der euch überwältigt. Wi£ 
Menschen einander Befreiung gewähren kön- 
nen, gelingt es im Strafhaus. — Wir strafen 
im Strafhaus die andern! Zu Freudenmädchen 
Deine Bache wird zu Gerechtigkeit im Straf- 
haus — die andern lassen dich darin wohnen 
und speisen. ZuEntwichnemSträfling Dein Kittel 
ist Kleid, das die andern um deinen Leib hül- 
len, solange sie ihn nicht verletzen. Ich könnte 
dich mit Hut und Mantel nur der Gewalttat 
ausliefern. Du würdest in der ersten Nacht — 
Nach Freudenmädchen weisend — diese überwäl- 
tigen — und wärest gestern ihr Opfer gewor- 
den, wie es dir morgen geschehen kann! 

ENTWICHNER STRÄFLING Du kommst nicht 
mit uns? SPAZIERER Bin ich neuer Untat 
schuldig? ENTWICHNER STRÄFLING Du 
musst dir Anlass schaffen. SPAZIERER Mit 
dir geht das Mädchen. Mit mir werden die an- 
dern kommen. Ihr beide erschüttert das Straf- 
haus ich brause durch die Stadt! FREU- 

DENMÄDCHEN Wer sind Sie? SPAZIERER 
Dein Opfer der letzten Nacht ! ENTWICHNER 
STRÄFLING Bist du — ? SPAZIERER Dein 



Kamerad ! Entwichner Sträfling und Freudenmäd- 
chen nach rechts von der Brücke . Spazierer nach 
links über die Brücke. 


44 



Die Strassenkrümmung. Juwelier in Rohi'sessel mit 
Kissen und Wolldecke. Laujbursche kommt aus dem 

Laden. 

LAUFBURSCHE Die Postzettel müssen unter- 
schrieben werden. JUWELIER Warum? 
LAUFBURSCHE Sonst erhalte ich die Post- 
pakete nicht. JUWELIER Welche Postpakete? 
LAUFBURSCHE Die Postpakete, die bei der 
Post liegen. JUWELIER Liegen welche bei 
der Post? LAUFBURSCHE Die Postzettel sind 
gebracht und so werden Postpakete eingetrof- 
fen sein. JUWELIER Nein, ich unterschreibe 
nicht. LAUFBURSCHE Sollen die Postpakete 
zurückgehn? JUWELIER Das ist Sache der 
Post. LAUFBURSCHE in den Laden ab. LADEN- 
MÄDCHEN kommt aus dem Lade n Ich kann die be- 
stellte Nadel nicht abliefern, weil Gold für die 
Fassung fehlt. JUWELIER Vielleicht ist Gold 
in den Postpaketen. LADENMÄDCHEN Der 
Laufbursche holt sie nicht ab. JUWELIER 
Nein, er bekommt sie nicht heraus ohne meine 
Unterschrift auf den Postzetteln. LADEN- 
MÄDCHEN Der Herr fragte schon gestern nach 
der Nadel und will heute zum letztenmal nach- 
fragen. JUWELIER Sie können ihm antwor- 

45 



ten, dass nicht genügend Gold vorrätig ist. 
LADENMÄDCHEN Der Herr wird auf die An- 
fertigung verzichten. JUWELIER Das ist 
Sache des Herrn. LADENMÄDCHEN in den La- 
den ab. Spazierei - kommt in der Strasse. SPAZIERER 
vor Juwelier Sie sitzen im Lehnstuhl mit Rissen 
und bei heissem Mittag unter Wolldecke. 
Wirkte die Verwundung, die ich Ihnen stach, 
schliesslich lähmend ? JUWELIER sieht Spdzierer 
an Sind Sie wieder frei ? SPAZIERER Aus dem 
Strafhaus bin ich heute entlassen. JUWELIER 
Kommen Sie gleich zu mir? SPAZIERER Ich 
unterbrach mein Marschieren noch nicht. 
JUWELIER Ich sitze hier, weil ich nicht im 
Laden sein will. Die Verletzung liess eine 
dünne Narbe. Ich lege nicht die Fingerspitze in 
die Rinne ein. SPAZIERER Das Schaufenster 
ist fast leer. Die Linien weisen Lücken auf. — 
Licht fliesst nicht mehr. — Verscheuchte der 
Vorfall die Kundschaft? JUWELIER Ich ver- 
lor den Überblick. Meine Aufmerksamkeitzer- 
streute sich. Sie sammelt sich manchmal — 
und verwirrt sich heftiger. Das taucht auf — 
und verschwindet. Es ist immer dasselbe. 
Mit rascher Frage Wollten Sie im Laden plün- 
dern? SPAZIERER Die Taschen mir füllen und 
mit vollen Fäusten herauslaufen. JUWELIER 


46 



Es war am hellen Tage. SPAZIERER Rein 
Stück konnte ich mir zustecken — Sie standen 
mitten im Laden. JUWELIER Sie konnten 
sich mit einem Vorwand entfernen . SPA ZIERER 
Ich entdeckte den silbernen Briefdolch und 
stiess nach Ihnen. JUWELIER Mit dem Brief- 
dolch hätten Sie mich Riesen nie zu Fall ge- 
bracht. SPAZIERER Das war mein Irrtum — 
und ich musste ihn büssen. JUWELIER sieht 
vor sich — halblaut Man muss den Täter ausfin- 
dig machen. SPAZIERER W urde ich unschul- 
dig ins Strafhaus geschickt? Man fing mich 
keine hundert Schritt vom Laden hier in der 
Strasse ab und Sie schrien hinter mir her: der 
Täter! JUWELIER Nein — man muss ihn 
noch ausfindig machen. SPAZIERER Habe 
ich die Tat abgeleugnet? JUWELIER Jetzt 
kommen Sie aus dem Strafhaus zuerst zu mir, 
um es mir zu gestehn. SPAZIERER Wissen Sie 
das nicht schon? JUWELIER Das taucht auf — 
und verschwindet — — - SPAZIERER Es ist 
ganz offenbar. JUWELIER Bin ich — — ? 
SPAZIERER Du bist der Täter! JUWELIER 

— Es stimmt: weil ich den Angriff 

erwartete — an welchem Tage hätte ich ihn 
nicht erwartet? Die Vollstreckung des Urteils, 
das ich mir selbst gesprochen hatte? Kein Rieh- 

47 



ter erbarmte sich meiner und bezifferte meine 
Schuld, wie ich sie löschte. SPAZIERER Kann- 
test du deine Schuld? JUWELIER Ich sitze in 
diesem Rohrsessel in der Strassensonne — die 
Häuser verbrennen in einen schwebenden Ne- 
bel — die Stadt löscht aus — ich höre eine 

Stimme über Steinhalden kommen die 

deine Stimme ist! Wer bist du? 

SPAZIERER Ein Sträfling, der ausging. JU- 
WELIER Was hast du erlitten! SPAZIERER 
Nichts. Mich hungerte nicht — mich dürstete 
nicht. Man gab mir zu essen — zu trinken. 
Man fühlte sich verantwortlich mich zu trän- 
ken — zu speisen. Dies Ungeheure ereignete 
sich! JUWELIER halbhoch im Rohrsessel Sind 
wir der Erfüllung so nahe? SPAZIERER Wenn 
sich Täter und Untat vermischen? JUWELIER 
Ich werde es dem Laufburschen und dem 
Ladenmädchen sagen. Ich will den Laden 
schliessen. Es lässt sich mit zwei Worten mit- 
teilen. Darum wird es Verkündigung, weil es 
so leicht zu sagen ist. Der Laufbursche soll es 
in der Post herumreden. Das Mädchen wird den 
Herrn, der die Nadel bestellt hat, unterrichten. 
Mir war es von der ersten Minute an klar, als 
ich den Stich empfing. Wir töten uns alle selbst. 
Wir legen Hand an uns, weil es keine Richter 

48 



gab. Denn das Gesetz war noch nicht erfun- 
den, das die Gesetze überflüssig macht. Es ist 
von äusserster Wichtigkeit, dass ich die Schlies- 
sung des Ladens veranlasse! SPAZIERER 
Schliessen Sie Ihren Laden, da Sie Juwelier 
sind? JUWELIER Der Juwelier bin ich nicht, 
der einen Laden aufmacht. Wo jeder zuläuft, 
den die Auslage reizt. Die Auslage reizt, dass 
jeder zuläuft. Ich habe die Kontrolle verloren, 
was ich mache — und was die andern mit mir 
machen. Es ist ein Fehler in der Kalkulation. 
Man treibt dem Bankerott zu — bis ein Stich 
in den Hals die Bilanz rettet! — Ich bin Ju- 
welier. Mit feinen Fingern biege ich Gold und 
Silber und Platin und setze Steine — Perlen 
ein. Man soll mich speisen und trän- 
ken! Es muss mit dem Laufburschen 

verabredet werden, wer die Verantwortung 
trägt! Er sammelt Kissen und Decke. SPAZIERER 
Sie können dem Laufburschen und Mädchen 
noch nichts mitteilen. JUWELIER Es sind 
zwei Worte — und die herabgelassenen Roll- 
läden erübrigen Diskussionen. SPAZIERER 
Sie werden es nicht vollenden. JUWELIER 
Ich bin zur Schliessung meines Ladens ent- 
schlossen um Juwelier zu sein! SPA- 

ZIERER Sie werden es sein, wenn die Stadt 

4 Kaiser Aq 



verlischt. JUWELIER Die Nadel für den 

Herrn das Gold schickt man in einem 

Postpaket — — ich muss einen Postzettel 

unterschreiben der Laufbursche rennt 

Wege das Mädchen kassiert : wir 

drei betrügen den Herrn, der die Nadel be- 
stellt ! Er klatscht in die Hände. Laufbursche 
kommt aus dem Laden. JUWELIER Wo die Post- 
zettel? Ich unterschreibe. Ich will die Post- 
pakete vernichten. Irgendwie ist Schwindel 
daran. Ich werde ihm auf die Spur kommen. 

Das soll sich zeigen! Laufbursche in den Laden 

* 

ab. Ladenmädchen kommt aus dem Laden. JU- 
WELIER Schreiben Sie dem Herrn eine Ent- 
schuldigung, dass wir seine Nadel nicht liefern 
können. Es haben sich Umstände ergeben, die 
von umwälzender Bedeutung sind. Ich erkläre 
mich solidarisch mit dem Angreifer, der mir 
damals den Stich in den Hals versetzte. Schrei- 
ben Sie zwei Worte — oder lassen Sie es bei 
der einfachen Ablehnung des geschätzten Auf- 
trags! Laufbursche kommt aus dem Laden. JU- 
WELIER zu Spazierer Ihre Zeit ist köstlich. 
Wie denken Sie sich die Konsequenzen? SPA- 
ZIERER Kommt, wenn die Stadt verlischt. 
JUWELIER Wir drei? SPAZIERER Jeder ist 
jeder. JUWELIER Benachrichtigen Sie mich 

So 



telephonisch? SPAZIERER Rufen Sie an Grand- 
Hotel. JUWELIER Das ist nicht zu vergessen. 
Zu Laufburschen Zur Post. Zu Ladenmädchen 
Kasse addieren. — Ich lasse die Rolläden her- 
unter. Laufbursche trägt Rohrsessel in den Laden. 
Spazierer die Strasse hinab. 



Die Anwaltstube. Anwalt vor leerem Tisch. Hinter 
Glastür Kassierer untätig 

ANWALT steht auf — öffnet Glastür Akten Spa- 
zierer. KASSIERER kommt — entnimmt Akten- 
bj.indel aus Regal rechts — legt auf den Tisch nieder. 
ANWALT fern vom Tisch bleibend. KASSIERER 
zögert Ich möchte die Kündigung aussprechen. 
ANWALT Warum wollen Sie gehn? KASSIE- 
RER Ich kassiere nicht mehr. ANWALT Hono- 
riere ich Sie nicht weiter? KASSIERER Ich sitze 
von Morgen bis Abend hinter dem leeren Zahl- 
tisch. ANWALT Wir werden wieder zu tun 
bekommen. KASSIERER Die Kundschaft hat 
sich zu andenn Anwalt verlaufen. ANWALT 
Weil ich den Prozess verloren habe? KASSIE- 
RER Welchen? ANWALT Spazierer. KAS- 
SIERER Niemand macht Ihnen deshalb einen 
V orwurf. ANWALT Das wundert mich. KAS- 
SIERER Der Prozess ist vergessen. ANWALT 
N ein. KASSIERER achselzuckend Ich wiederhole 
m eine Kündigung. ANWALT Ich kann Sie 
nicht vor der Erledigung des Prozesses ent- 
lassen. KASSIERER Was habe ich damit zu 
tun? ANWALT Ich honoriere Sie bei mir dop- 
pelt. Er setzt sich an den Tisch. KASSIERER hin 

52 


ter die Glastür ab. Anwalt schlägt die Akten auf — 
stützt Kopf in Hände. Spazierer von links. AN- 
WALT blicktauf — vom Stuhl hoch Strafzeit er- 
füllt? SPAZIERER Heute. ANWALT schlägt 
die Hand vor den Kopf Ich hätte rechnen kön- 
nen. SPAZIERER Wollten Sie mich abholen? 
ANWALT Mich besser vorbereiten. SPAZIE- 
RER Worauf? ANWALT Wir melden Revision 
an. SPAZIERER SindUnklarheiten? ANWALT 
Handgreifliche Verstösse gegen alles. SPA- 
ZIERER Wie entdeckten Sie die? ANWALT 
Warum kommen Sie zu mir? SPAZIERER Der 
Juwelier gab neue Erklärungen. ANWALT 
Der Juwelier weiss nichts. SPAZIERER Wer 
mehr als der Betroffene? ANWALT Das soll 
uns nicht Wieder verwirren! — Sind Sie er- 
müdet? SPAZIERER Wovon? ANWALT Im 
Straf haus. SPAZIERER Nicht. ANWALT zur 
Glastür Ihren Stuhl. SPAZIERER Kann er ent- 
behrt werden? Ihr Kassierer rechnet die strö- 
menden Vorschüsse. ANWALT zu Kassierer, 
der Stuhl bringt Halten Sie sich bereit. Es ist 
möglich, dass wir die Nacht durch arbeiten. 
KASSIERER sieht zu Spazierer. ANWALT Es ist 
sogar höchstwahrscheinlich. Also richten Sie 
sich ein. KASSIERER staunend Ich halte mich 
bereit. Ab. ANWALT sich setzend Meine An- 

53 



waltpraxis ruht vollständig. Sie schlief ein. Ich 
wies die Klienten ab. Ich konnte mich ihren 
Angelegenheiten nicht widmen. Ich hörte sie 
zerstreut an. Endlich blieb ich allein mit den 
Akten hier. SPAZIERER sitzt Meine Akten. 
ANWALT Ich beschäftige mich ausschliesslich 
mit ihnen. Ich lese sie wieder und wieder. Ich 
kenne sie auswendig. Die Verhandlung verlief 
masslos eindeutig. Darum steckt sie voller Wi- 
dersprüche. Wollen Sie mir antworten? SPA- 
ZIERER Jede Befragung an mich. ANWALT 
Es wurde Zufall, dass ich zu Ihrem Verteidiger 
bestellt wurde, nachdem Sie mich früher um 
Unterstützung angingen in einer Sache, die mir 
halb entfiel, weil Sie den Vorschuss nicht zahl- 
ten. SPAZIERER Ich bezichtigte die Dame im 
goldroten Rundsalon des Grand-Hotel des Mor- 
des. ANWALT In Zusammenhang unternah- 
men Sie den Anschlag auf den Juwelier. SPA- 
ZIERER In auflösender Verwirrung. ANWALT 
H ier hätte meine V erteidigung einsetzen sollen . 
Sie ahndeten Unrecht, gegen das kein Recht 
sprach — nach Ihrer Mutmassung. Warum 
verschwiegen Sie mir das bei unsrer Unter- 
haltung im Hafthaus? SPAZIERER Es blieb 
unwesentlich. ANWALT Es hätte Sie in Glo- 
riole erheben können. SPAZIERER Alle ver- 



drängen ln stärkere Verfinsterung, wo einer 
den andern tötet! ANWALT Erkannten Sie 
sich selbst schuldig? SPAZIERER Gleich als 
ich damals aus dem Juwelierladen lief, kam 
mir Verdacht: dass der Mörder schuldig — 
und das Opfer unschuldig sein kann. ANWALT 
schlägt die Akten zusammen — anstarrt Spazier er 
Hat der Juwelier Ihnen Zugeständnisse ge- 
macht? SPAZIERER Er hat sich schuldig be- 
kannt. ANWALT Wie kommt der Juwelier 
dazu, das bestehende Recht in so ungeheurer 
Weise zu erschüttern? SPAZIERER Ich be- 
stärkte ihn kräftig noch. ANWALT So fegen 
Sie mir das Mittel vonder Hand, um die Wahr- 
heit an den Tag zu bringen. SPAZIERER Wenn 
Sie mich zu entlasten Vorhaben, wird es mit 
dem Bekenntnis des Juweliers möglich. AN- 
WALT Nicht Mörder — nicht Opfer sind an 
der Tat im Juwelierladen beteiligt — es sind 
Dritte im Spiel. SPAZIERER Die suchen Sie? 
ANWALT Mit finderischer Entlarvung. Es 
waren Helfershelfer am Werk. Komplott in 
beulenden Kulissen. Schräg neben Schein- 
werferbelichtung. Hartes Dunkel mauert sie 
ein. Unfassbar in schwarz vorerst. Helfershel- 
fer — das Wort zündet. In gleicher Belichtung 
glimmt Sichtbarkeit. Helfershelfer. Dritte! 

55 



SPAZIERER Verfolgen Sie eine gewundene 
oder gerade Spur? ANWALT Vom Zentrum 
sprühn Signale nach allen Richtungen. Die 
Tat, wo Täter und Opfer schuldlos verkoppelt 
sind, ist geschehn. Ich gehe davon aus und 
spreite Kreise um Kreise. Keiner zu weit, dass 
er nicht seinen Umkreis ründet. Wir werden 
zu tun bekommen! SPAZIERER Beginnen Sie 
nicht einen Prozess, der bis an Ihr Lebensende 
dauern könnte? ANWALT So lange das Leben 
dauert. Man stirbt nicht vor möglichen Errun- 
genschaften weg. Hier liegt der Erfolg durch- 
ausim Bereich. SPAZIERER Ihr erster Schritt? 
ANWALT Man soll Sie entschädigen. SPAZIE- 
RER Wofür? ANWALT Sie haben unschuldig 
gelitten. SPAZIERER ImStrafhaus? ANWALT 
Mit marternder Züchtigung. SPAZIERER Mich 
hungerte nicht — mich dürstete nicht. Man 
verlangte von mir keine Leistung, die mich 

vernichtete. ANWALT gebannt gegen ihn — 

Helfershelfer — die sind es. Die Ent- 
deckung steht bevor. Hinter Glaswand auf- 
findbar. Nicht dichter die Scheidung. SPA- 
ZIERER Siehst du noch undeutlich? ANWALT 
Die Wand ist Glas — und Glas ist ein Spiegel. 
Im Widerbild stockend wer vor- 

tritt! SPAZIERER Vortritt nicht jeder? AN- 

56 



WALT sich schüttelnd — lebhaft Der Prozess 
muss wieder aufgenommen werden. Es muss 
ein besonderer Gerichtshof gebildet werden. 
Vielleicht muss ein neuer Justizpalast aufge- 
führt werden. Das sind Fragen von nicht unter- 
geordnetem Anspruch. Die Säle werden Scha- 
ren von Beklagten fassen müssen. Es wird auf 
offenen Plätzen zu verhandeln sein. Wer baut 
Hallen von solchen Dimensionen? KASSIERER 
hatte sich hinter Glastür Mantel übergeworfen — 
vorkommend Ich halte mich bereit. ANWALT 
Vor welchen Bichtertisch begeben wir uns? 
Die Sache muss dringlich abgeurteilt werden. 
Die Entscheidung kann von grundlegender 
Bedeutung sein. Jch werde in Fachzeitschriften 
berichten. Es wird der Fall der Fälle. Er ge- 
biert Literatur. Meinungen platzen auf Schmä- 
hungen. Die Auseinandersetzung wird öffent- 
liche Angelegenheit. Vor welchen Richtertisch 
begeben wir uns? SPAZIERER Wartet hier, 
bis ich euch rufe. ANWALT Der Aufschub 
verdirbt Dringlichkeit. SPAZIERER Es zählt 
nicht mehr nach Minuten. ANWALT Stunden 
sind zwischen hin und her. SPAZIERER Es 
bleibt nicht Zeit, wie sonst Zeit war. ANWALT 
Bedienen Sie sich für Benachrichtigung wenig- 
stens Telephons. SPAZIERER Wie alles später 

5 7 



eilt! ANWALT zu Kassierer Stehn Sie am Tele- 
phon, KASSIERER hinter die Glastür ab. AN- 
WALT Ich schnüre die Akten. SPAZIERER 
Verwerft, was belädt! Links ab. 


58 



Das Hafthaus. Hinten Schiebetüren und Gatter 
offen: Räume leer. Haftsoldaten lose links sitzend. 
Hafthausleutnant schräg blickend am Blocktisch , au f 
dem alle Rotsignallampen hell. 

ERSTEH HAFTSOLDAT Die Ablösung tritt 
nicht an. ZWEITER HAFTSOLDAT Ist Zeit? 
DRITTER HAFTSOLDAT Längst verstrichen. 
VIERTER HAFTSOLDAT Wir tun Dienst für 
die andern vier, die nicht kommen. DRITTER 
HAFTSOLDAT Die vier werden hier sitzen, 
wie wir. ZWEITER HAFTSOLDAT Den Halb- 
tag. ERSTER HAFTSOLDAT Wie Häftlinge. 
ZWEITER HAFTSOLDAT Ist das ein Grund 
wegzubleiben? DRITTER HAFTSOLDAT Weil 
Haftsoldaten nicht aus dem Hafthaus nach 
Häftlingen geschickt werden? VIERT ER HAFT- 
SOLDAT Sollen wir ihnen Halbtag dienen? 
ERSTER HAFTSOLDAT Sind wir die Häft- 
linge? ZWEITER HAFTSOLDAT steht auf Es 
ist zwecklos zu warten. DRITTER HAFT- 
SOLDAT steht auf Die vier wollen nicht 
antreten. VIERTER HAFTSOLDAT steht auf 
Wir lassen uns von den vier nicht überrum- 
peln. ERSTER HAFTSOLDAT steht auf Wir 
wissen, dass ihr Halbtag beginnt. ZWEITER 

5 9 



HAFTSOLDAT Wenn wir auch immer sitzend 
ermüden. DRITTER HAFTSOLDAT Die vier 
sollen uns ablösen. VIERTER HAFTSOLDAT 
Wir holen sie aus den Stuben. ERSTER HAFT- 
SOLDAT Wir führen sie ins Hafthaus. ZWEI- 
TER HAFTSOLDAT Wie Häftlinge. Die vier 
Haftsoldaten links ab. Im Blocktisch Stösse — Haft- 
hausleutnant unbeweglich. Von links Spazierer. SPA- 
ZIERER Mit wichtigem Auftrag des Anwalts 
bei Ihnen. Der Prozess wird wiederaufgenom- 
men. Verhaftungen stehn bevor. Ich kann 
enthüllende Anzeige erstatten. HAFTHAUS- 
LEUTNANT Blick hin zu ihm Aus dem Straf- 
haus? SPAZIERER Gebüsst. HAFTHAUS- 
LEUTNANT Ohne Widerspruch? SPAZIERER 
Die bestimmte Zeit. HAFTHAUSLEUTNANT 
Wenn Ihr Prozess — ? SPAZIERER Er breitet 
sich aus! HAFTHAUSLEUTNANT Sie kann- 
ten sich unschuldig? SPAZIERER Nein. — 
Seit heute. HAFTHAUSLEUTNANT Das klärte 
sich überstürzt auf? SPAZIERER Weil sich 
Schuldige angeben. HAFTHAUSLEUTNANT 
Nicht einer — nicht zwei. Viele? SPAZIERER 
Wer ist nicht schuldig? HAFTHAUSLEUT- 
NANT Wie kommen Sie zu so umfassender 
Anzeige? SPAZIERER Der Juwelier bezich- 
tigt sich. Der Anwalt lehnt ihn ab. Er rät 

60 



auf Helfershelfer. Man muss seine Ansicht tei- 
len, wenn man ihn hört. HAFTHAUSLEUT- 
NANT Sie fassen Ihre Angaben zu allgemein — 
SPA2ÜIERER Die Dinge reifen erst. Noch form- 
loser Kern, aber er festigtsich. Der Juwelier — 
der Anwalt sind am Werk. Es wird zu Auf- 
sehen erregenden Feststellungen führen. Wer 
ist noch sicher vor dem Hafthaus! HAFT- 
HAUSLEUTNANT hoch Warum schrien Sie 
nicht ? SPAZIERER Wann ? HA FTH AUSLEUT- 
NANT Als der Haftsoldat Sie einbrachte. SPA- 
ZIERER Damals. Ich war mir nicht durch- 
sichtig. Ich hatte die Hand gegen einen Men- 
schen aufgehoben. HAFTHAUSLEUTNANT 
eifrig Sehen Sie die Signallampen. Alle bren- 
nen und melden an. Ich nehme die Patronen 
nicht heraus und öffne die Rotzettel nicht. Es 
ist über mich gekommen — ich könnte mir 
keine Rechenschaft geben, wie es begann. 
Meine Bedienung des Block tisch s schlief lang- 
sam ein. Das Hafthaus wurde leer. Sie erlebten 
ja das Gedränge, das herrschte. Wie mit den 
Männern — so bei den Frauen. Jetzt stehn 
Tür und Gatter offen — und die Haftsoldaten 
haben sich heute nicht mehr abgelöst. Sie er- 
kennen die vollkommene Stillegung des Haft- 
hausbetriebs. SPAZIERER Die peinlichen Fol- 

61 



gen für Sie? HAFTHAUSLEUTNANT Mich 
kann kein Vorwurf treffen. Die Erklärung 
wird hinreichen, dass einer hier nicht schrie 
und ohne Fessel vor dem Haftsoldaten ging. 
Dafür steht das Zeugnis der Haftsoldaten und 
der Häftlinge, die mit keinem Schrei antwor- 
teten. Das war für alle ein nachhallendes Er- 
lebnis, dessen Eindrücke sich nicht verwischt 
haben. Man wird mich also nicht zur Verant- 
wortung wegen späterer Nachlässigkeit ziehen 
können. Ich bin des Ausgangs dieser persön- 
lichen Angelegenheit sicher. Übrigens wird 
mein Eifer nicht zweifelhaft, wenn ich aus 
freien Stücken mit den Häftlingen, die Sie 
verdächtigen, das Hafthaus fülle. Haben Sie 
Namen von Personen? SPAZrERER Reiner 
ist so schuldig — : losgerissen von Menschen. 
HAFTHAUSLEUTNANT Sagen Sie das jetzt? 
SPAZIERER Weil jeder schuldig ist! HAFT- 
HAUSLEUTNANT Sprengt es die Wände des 
Hafthauses? SPAZIERER Aus Grenzen der 
Stadt! HAFTHAUSLEUTNANT Wie festhalte 
ich die Häftlinge? SPAZIERER Mitten unter 

ihnen. HAFTHAUSLEUTNANT Bin ich ?? 

SPAZIERER Losgerissen von Menschen wie 
alle — wie alle so schuldig! HAFTHAUS- 
LEUTNANT Schelten Sie uns, weil Sie im 

62 



Strafhaus darbten? SPAZIERER Mich hun- 
gerte nicht — mich dürstete nicht. Man fühlte 
sich verantwortlich mich zu speisen — zu 

tränken. HAFTHAUSLEUTNANT Der 

Juwelier ist regsam? Der Anwalt von neuem 
beschäftigt? SPAZIERER Schon der Lauf- 
bursche und das Ladenmädchen und der 
Kassierer. HAFTHAUSLEUTNANT Ich werde 
meine Leute instruieren. Die Aufgaben werden 
ohne Schwierigkeit durchzuführen sein. Es 
kommt hier auf die Initiative des einzelnen 
Mannes an. SPAZIERER Schickst du sie ohne 
Rotzettel aus? HAFTHAUSLEUTNANT Sucht 

nicht jeder ?? SPAZIERER Wie du und 

jeder schon gefunden ist! Fon links die acht 
Haßsoldaten. HAFTHAUSLEUTNANT Haft- 
soldaten vom Halbtag und Haftsoldaten vom 
Halbtag — ihr tretet an, sonst hätte ich euch 
alarmieren müssen. Es gilt die besondere Fahn- 
dung. Ihr müsst mit äusserster Vorsicht zu- 
fassen. Ich kann euch keine Rotzettel geben. 
Das alles wird .sich heraussteilen, wenn ihr 
unterwegs seid. Wichtig wird, dass ihr aus- 
schwärmt. Weit und eng ist da überfliessend. 
Einlieferung in das Strafbaus hier wird un- 
möglich. Die beiden Räume hinter Tür und 
Gatter sammeln nicht. Zu Spazieren Wo führen 

63 



wir hin? SPAZIERER Im Aufbruch das Ziel. 
HAFTHAUSLEUTNANT Der Zustrom der 
Häftlinge wird Strassen bewegen. Vereini- 
gung drängt nach Marktmitte. SPAZIERER 
Ich überblicke aus Fenster des Grand-Hotel. 
HAFTHAUSLEUTNANT So ist Richtung und 
Wiederbegegnung verabredet. Noch : legt die 
Waffe und Fessel aus den Taschen. SPAZIE- 
RER Machen Sie die Haftsoldaten wehrlos? 
HAFTHAUSLEUTNANT Sie können hier nicht 
anders überwältigen. Die Haftsoldaten schütten 
Waffe und Fessel von sich. SPAZIERER Sind Sie 
des Erfolges so sicher? HAFTHAUSLEUTNANT 
Zum erstenmal kein Irrtum, dass jeder den 
echten Häftling stellt. SPAZIERER Kommt 
auf den Abend. Jb. HAFTHAUSLEUTNANT 
stülpt Mütze auf. 


64 



Der goldrote Rundsalon . 

HOTELIER öffnend Noch der goldrote Rund- 
salon, dann hätte ich alle Zimmer gezeigt. 
Lili und Edith in Reisekleidern in Tür. LILI Edith ! 
EDITH Erinnerst du dich? LILI Wie gestern. 
Als wären wir nicht abgereist und kommen 
aus der Stadt ins Hotel zurück. Zu Hotelier Wir 
wohnen hier. Ans Fenster. HOTELIER Werden 
die Koffer besorgt? EDITH Wir reisen ohne 
Gepäck. HOTELIER Bitte? EDITH Lili — 
wir haben doch weder Koffer noch Taschen. 
LILI Was ist denn? Nein — wir sind so ge- 
reist, wie wir sind. Ich bezahle voraus. Hotelier 
Geldschein gebend Rechnen Sie es ab. Edith 
— weisst du noch, wie du Licht machtest - 
die Beleuchtungsprobe? HOTELIER Kann 
ich den Damen für die Nacht aushelfen? LILI 
Danke. EDITH Willst du noch einkaufen? 
Die Läden schliessen. HOTELIER Sind ge- 
schlossen. LILI Wir brauchen nichts. HO- 
TELIER will gehen. LILI Wenn nach mir ge- 
fragt wird, ich bin oben. HOTELIER ab. EDITH 
Wartest du auf Besuch? LILI Auf niemand. 
Sie legt Mantel und Hut ab. EDITH Du musst 

65 


5 Kaisei 



an Bob telegraphieren. LILI Ja, das müssen 
wir. Das lässt sich auf der Post tun. EDITH 
Er wird sich ungeheuer aufregen. LILI Ja, 
Bob regt sich auf. EDITH Über die Abreise 
ohne Wort. LILI Edith, leg nicht ab. Jetzt 
musst du zwei Wege gehn. Erkundige dich bei 
dem Juwelier in der Strassenkriimmung, wo 
ich meine Perlenhänger kaufte, ob ersieh wie- 
der erholt hat. Dann im Kunstverein nach der 
Adresse Spazierers. Irgendeine Auskunft über 
ihn wird man dir dort geben können. EDITH 
Unsere Beise wird mir immer rätselhafter. 
LILI Du hast mich damals begleitet — ich 
konnte dich doch heute nicht zurücklassen. 
EDITH Um den Juwelier nach seinem Befin- 
den zu fragen? LILI Inmeine‘m Namen. 

EDITH Willst du Bob noch mehr Spazierers 
hinhängen? Ihm wird grün. LILI Ich habe 
das Blatt heute morgen verbrannt. EDITH 
Willst du das dem Künstler schonungslos mit- 
teilen? LILI Geh, Edith. EDITH Juwelier — 
LILI In der Strassenkrümmung. EDITH Spa- 
zierer — LILI Kunstverein. EDITH ab. LILI 
nimmt aus dem Mantel Zeitungsausriss, den sie glät- 
tet und auf den Tisch legt. Telephon surrt. LILI 
rasch hin Wer? — Er soll kommen. Sie steht am 
Tisch. Kellner öffnet — Spazierer kommt. LILI 

66 



Haben Sie mich vom Bahnhof ins Hotel ge- 
sehn? SPAZIERER Sind Sie heute angekom- 
men? LILI Jetzt. SPAZIERER Ich will keine 
Zeichnungen für Tausend verkaufen. LILI 
Weil es für mich zu spät ist. SPAZIERER Ma- 
chen Sie sich nachträglich Vorwürfe? LILI 
Sie sollen es aufklären. SPAZIERER Suchen 
Sie mich? LILI Ich schickte meine Begleitet- 
em in den Kunstverein. SPAZIERER Bis zum 
Morgen hatte ich eine feste Adresse. LILI 
Wie lebten Sie? SPAZIERER Geborgen. LILI 
Wo? SPAZIERER Im Strafhaus. LILI Setzen 
Sie sich bitte. Im Sessel Das ist Zufall. Ihre 
Zeichnung reizte meinen Mann zum Wider- 
spruch. Die Perlenhänger lobte er. Der kleine 
Streit ging täglich hin und her. Meist zuletzt 
stellte er sich hinter mich und schaukelte 
meine Perlenhänger. Das nannte er: Friede 
läuten. Dabei löste sich eine Perle aus der Fas- 
sung. Ich schickte an den Juwelier hier. Der 
Juwelier lehnte die Reparatur ab. Zur Füllung 
des Kastens hatte er gilbe Zeitung verwendet. 
Ein Ausriss war Bericht von Ihrem Prozess. 
Ich las heute morgen und reiste. SPAZIERER 
im Sessel Während ich vom Straf haus über die 
Brücke marschierte. LILI Weshalb fragen 
Sie gleich nach mir im Grand-Hotel? SPA- 



ZIERER Der Weg wäre nicht vollendet gewe- 
sen. LI LI Sie zieht den Zeitungsausriss zu 

sich Bin ich verantwortlich? — Ja, es wühlt 
mich auf. Mit wachsender Erregung. Stachel, 
der unaufhaltsam langsam vordringt. Furcht 
vor dem endlichen Ergebnis hemmt die Er- 
forschung. Ich hätte tun können, was getan 
werden konnte. Ich bezahlte mit der Summe — 
und höher — Ohrhänger. Sie drangen in den 
Juwelierladen und stachen nach dem Juwelier, 
der mir verkaufte. Habe ich Sie angestiftet? 
SPAZ1ERER Anlass kann jedes werden. LILI 
Ich habe erst diesen Tag mich zu besinnen. 
Mein Kopf brennt. Plötzlich ist Blut wach. Der 
Mensch tritt aus seinen Ufern. Überflutend 
wird man selbst Überfluteter. Warum riefen 
Sie nicht mein Zeugnis an, das Sie entlastete? 
SPAZIERER Es war noch nicht wirksam. LILI 
Nicht, die Zeit Ihrer Strafe abzukürzen? SPA- 
ZIERER Wer hätte den Rest getragen? LILI 
Das wird nicht gefordert. SPAZIERER Nein 

— wo es keinen Zwang zu Hilfe einander gibt. 
LILI heftig Das sind keine Erklärungen. Das 
sind Ausflüchte. Das soll verwirren. Das ist 
Ihre Rache. Sie wollen es mir ins Gesicht sagen 

— rot vor Ihnen zu werden. Es ist masslos 
frech sein Martyrium zu wissen. SPAZIERER 

68 



Ich habe nicht geduldet. LILI ironisch Das 
Strafhaus ein Parkpavillon mit Rosenparterre ! 
SPAZIERER Mich hungerte nicht — mich dür- 
stete nicht. Man gab mir zu essen — zu trinken. 
Man verlangte von mir keineLeistung, die mich 
vernichtete. Man fühlte sich verantwortlich, 
einen Menschen zu speisen — zu tränken. LILI 

vom Sessel — — Bezichtige ich mich 

heute abend noch? SPAZIERER Wollten Sie 
töten? LILI Ich weiss nicht, wie ich verstrickt 
bin. Vorwurf ist laut — Reinigung hell. Ich 
habe nichts damit zu schaffen — ich bin von 
Hagelschauern der Beklagungen betroffen. Ich 
bin unschuldig — ich will schuldig sein. Ich 
kenne den Juwelier nicht — ich habe mich 
am Juwelier vergriffen. Ich verleugne den Ju- 
welier — ich will vor dem Juwelier mich be- 
kennen! SPAZIERER Der Juwelier wird Sie 
abweisen, wie er die Reparatur verweigerte. 
LILI Taub vor meinem Geständnis? SPAZIE- 
RER Er nennt Ihnen den Täter. LILI Sie? 

SPAZIERER Der Juwelier. LILI Das 

ist ein wüster Schwindel. Das reisst die unend- 
liche Wolke über die Wahrheit herab. So wird 
kein Recht. Scham erstickt zur Verdunklung. 
Er will andere retten, weil einer unschuldig 
litt. Das ruft zur Lüge auf. Maskiert der Be- 

6 9 



trug! — Offen das Hafthaus vor mir! SPA- 
ZIERER Verlassen das Hafthaus vom Haff- 
hausleutnant. LILI Wo Schuldige frei gehn? 
SPAZ1ERER Er fahndet weit. LILI Nach — — ? 
SPAZ1ERER Nach dem Hafthausleutnant. LILI 

Rollt der Aufruhr über mich ? Ich 

stürze entgegen. Klar redet der Anwalt, der 
verteidigt. Der Anwalt verteidigt meine Schuld 
vor eurem Freispruch. SPAZ1ERER Der An- 
walt führt grossen Prozess. LILI Auftritt der 
Anwalt ? SPAZIERER Gegen den An- 
walt. LILI Wo sind Unschuldige? 

SPAZIERER Wo Schuldige sind. LILI 

Wo sind Schuldige? SPAZIERER Wo 

Unschuldige sind. LILI Langsam 

Der Anlass gilt nicht. Die Lawine üherstülpt 
ihn. Ein Telegramm — Perlenhänger : kaum 
stösst es mit Kinderfingerspitze. SPAZIERER 
Nichts ist vorbereitet, wo nicht ein Mittagwind- 
hauch Gebirge abträgt. LILI Ist viel vorbe- 
reitet? SPAZIERER Sind Sie nicht ins Grand- 
Hotel eingezogen? Edith kommt. EDI I H Lili — 
ans Fenster! Mit Lili hin. SPAZIERER steht auf 
Ich muss den Juwelier und den Anwalt he- * 
nachrichtigen. Er will telephonieren. Hotelier 
kommt. HOTELIER zu Spazierer Man erkundigt 
sich unten nach Ihnen. SPAZIERER Wer? 


7 ° 



HOTELIER Der Juwelier und der Anwalt. 
SPAZIERER Finden sie mich schon? HOTE- 
LIER Der llafthausleutnant dirigiert den Zu- 
zug unter das Fenster. SPAZIERER Sind mehr 
hinter ihm? HOTELIER Die Hafthaussoldaten 
halten sich beiden Händen. SPAZIERER Macht 
es Aufsehen? HOTELIER Strassen fluten aus 
in Marktmitte. SPAZIERER Hört das: unend- 
liche Stille donnert. Das ist tobender Aufbruch 
geräuschlos! HOTELIER Selbstverständlich 
entlasse ich das Personal. Ich treffe die An- 
ordnungen persönlich. Ich bin ein rüstiger 
Fussgänger. Jb. Tür offen. EDITH froh Wir 
haben weder Koffer noch Taschen. LILI Hut 
und Mantel nehmend — zu Spazierer Wir sind 
fertig. SPAZIERER Fürden Aufang. LILI Zur 
ersten Tat? SPAZIERER Dem Täter für alle 
Zeiten das Handwerk legenj Die drei zur Tür. 




ERDE 




Die Landstrasse mit Brücke. Graumorgens. Spa- 
zieren mit Lili und Edith von links. 

SPAZIERER in Brückenmitte aufhaltend Wir sind 
voraus. LILIÜnermüdet. EDITHFrischeNacht 
stählt. SPAZIERER Mondlos jetzt in Dämme- 
rung verlischt die Führung. Ich will zurück 
und den andern bis an die Brücke zeigen. LILI 
Kreuzen Landstrassen vor uns? SPAZIERER 
Hinter der Brücke nein. LILI Wir wollen wei- 
ter. EDITH Rast macht schwach. SPAZIERER 
Nicht eilig. Wir müssen zusammen ankommen. 
Lili und Edith über die Brücke. Spazieren kommt mit 
Juwelier und Laufbursche und Ladenmädchen. JU- 
WELIER auf Stock sich stützend Sind die Damen 
voran? SPAZIERER Im wehenden Grau zwei 
Schleier. JUWELIER Tüchtige Schreiter. Wer 
hätte das gedacht. SPAZIERER Weiter danach. 
JUWELIER Wir holen sie noch ein. SPAZIE- 
RER Dann bleibt dicht. Juwelier mit Lau f bursche 
und Ladenmädchen über die Brücke. Spazierer nach 
links zw'ück. Spazierer kommt mit Anwalt und 
Kassierer. ANWALT Es klingt unglaublich. 
Der Juwelier, der etwas lahmt, vor mir. SPA- 
ZIERER Fuss ist willig, wer drängt. KASSIE- 
RER spähend Mit Laulb ursche und Ladenmäd- 

7 5 


chen. ANWALT Wir hielten die Spitze. KAS- 
SIERER Wir vergrösserten Abstand. ANWALT 
Ich hörte ihn nicht an uns vorübergehn. KAS- 
SIERER In Nachtstille. SPAZIERER In Marsch 
sind vor und hinten ergossen. ANWALT Aus- 
geschritten. SPAZIERER Zu engem Anschluss. 
Anwalt und Kassierer über die Brücke. Spazierer 
kehrt um. Spazierer mit Hafthausleutnant. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Bin ich von meinen Leuten 
abgekommen? Wer marschiert vorn? SPAZIE- 
RER Der Anwalt mit dem Kassierer. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Wo blieben die Haftsolda- 
ten? SPAZIERER Noch nicht heran. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Ich müsste halten. SPAZIE- 
RER Wozu? HAFTHAUSLEUTNANT Es 
könnten Weisungen nötig werden. SPAZIERER 
Für welchen Fall? HAFTHAUSLEUTNANT 
Sie tragen keine Bedenken? SPAZIERER Der 
Täter entläuft nicht. HAFTHAUSLEUTNANT 
Ohne Ausweg? SPAZIERER Zwischen vor und 
hinten gebunden. HAFTHAUSLEUTNANT 
Vorwärts. Über die Brücke. Spazierer kehrt um 
und kommt gleich mit Hotelier wieder. HOT ELIER 
Ich bin ein rüstiger Fussgänger. Über die Brücke. 
SPAZIERER bleibt auf der Brücke. Nach links win- 
kend Hier — - über die Brücke, wer kommt. 
Die Haftsoldaten auf die Brücke. Vor sind an- 



dere — nach euer Marsch'. Haftsoldaten über die 
Brücke. — Mit noch heftigerer Geste. Uber die 
Brücke hier — bogenauf. Oben bin ich, der 
zeigt. Bogenab nach andern, die hemmen vor 
euch — : zu Sammlung, die vor und hinten 
verschränkt! — Marschiert! Zug — nicht en- 
dend — überschreitend die Brückenwölbung. SPA- 
ZIERE®. immer schwingend und laut Marschiert! 



Am Straf haus. Gebäudewand. Lukenreihen. Tor- 
vierecke. Zwielichtend. Tor halb sich öffnend: Straf- 
hausdirektor und Straf meister treten heraus. 

STRAFHAUSDIREKTOR aufwärts blickend Es 
müsste schon Tag werden. STRAFMEISTER 
Nach der Uhr ist Sonnenaufgangzeit. STRAF- 
HAUSDIREKTOR Die Uhr täuscht, sonst lässt 
sich das Phänomen nicht erklären. STRAF- 
MEISTER Der Himmel ist leer von Dunkel 
und von Licht. STRAFHAUSDIREKTOR Die 
Helligkeit wird sich ereignen doppelt, wie Luft 
— lange geräuschlos — donnert im Wind- 
hauch. Uhr schlägt. STRAFMEISTER VonStunde 
zu Stunde läutet die Uhr gleichmässig. STRAF- 
HAUSDIREKTOR — Ich will von 

meinem Posten zurück treten. Der Entschluss 
hat sich mir von Woche zu Woche stärker ge- 
festigt. Ich weiss nicht: liegt es an mir — * stehe 

ich mir selbst im Wege Übrigens seid 

ihr auch nicht ohne Eindruck geblieben. 
STRAFMEISTER Die Häftlinge bewachen uns 
Strafmeister . STRAFHAUSDIREKTOR Derüm- 
schwung hat sich vollzogen. Sie haben den 
Strafhausdirektor und auch die Strafmeister 

7 8 



überflüssig gemacht. Man greift es mit Hän- 
den. Ich schäme mich seit langem eine Anord- 
nung zu treffen, die V ergünstigungen gewährt. 
Er reicht niemals an das heran, was sie sich 
selbst verschaffen, wie sie sich willig den Regeln 
d es Stra f h a u ses un terord n en . STR A FM EI ST ER 
Wir versperren die Türen nicht mehr mit 
Riegeln. STRAFHAUSDIREKTOR Das will 
ich auch nicht befehlen — und doch würde 
es mir hei einer Revision den Hals brechen. 
Darum nehme ich meinen Abschied. Ich kann 
das eine so wenig wie das andre verantworten. 
STRAFMEISTER Wir würden alle unseres 
Amtes enthoben. STRAFHAUSDTREKTOR 

Es fing an, als der entwichne Sträfling 

zurückkam und das Mädchen mit sich führte. 
Das Mädchen sagte mir sein Vergehen und 
büsst nach der Aburteilung hier. Der ent- 
wichne Sträfling gestand mir Schuld, die noch 
verdeckt war, und verbüsst hier. Es bestand 
bei beiden kein Anlass sich zu bezichtigen. 
Ich hätte am liebsten geschwiegen, aber auch 
mir tat sich der Mund eigenkräftig auf. STRAF- 
MEISTER Es brach die Epoche der freiwilli- 
gen Geständnisse aller an. STRAFHAUSDI- 
REKTOR Ich wurde ein beredsamer Ankläger. 
Dabei hatte ich immer das Nebenempfinden, 


79 



dass die Täter anklagen. Heute überwiegt dies 
vollständig : wir beherbergen nur Unschuldige. 
STRAFMEISTER Es ist unsere Überzeugung. 
STRAFHAUSDIREKTOR Seht ihr es auch? Es 
ist zu augenfällig, als dass es vertuscht werden 
könnte. Die Beobachtungen drängen sich auf. 
Das Lächeln auf des entwich nen Sträflings Ge- 
sicht — und des Mädchens Stillseligkeit ! — 
ist auf die andern übergeglitten. Der Bund- 
marsch im Hof wird wie ein Reigenkreis aus- 
geschritten. Wortlos herrscht volle Verständi- 
gung. STRAFMEISTER Wir bewachen im 
Hof nicht mehr. STRAFHAUSDIREKTOR Seid 
ihr nicht an die Wand gedrückt mit euren 
Flinten von den Widerstandslosen? Ich über- 
wältige nur mit Mühe die Begierde den ent- 
wichnen Straf ling oder das Mädchen zu fragen . 
Die einfache Frage würde Abgründe aufreis- 
sen, die nicht zu überbrücken wären. Ich hoffe 
immer noch hinter das Geheimnis zu kommen . 
Die Gelegenheit wird sich geben. Wenn ein 
Geschehnis aufrührt, gilt das zweite als nahe 
zukünftig. Zweitei • Strafmeister öffnet Tor ganz: 
Durchblick in Stra f hausho fenge leer. ERSTER 
STRAFMEISTER Warum sperrst du noch den 
andern Flügel auf? ZWEITER STRAFMEISTER 
Sie gehn nicht in den Hof. ERSTER STRAF- 

8o 



MEISTER Willst du sie mit dem offnen Tor 
herunterbringen? ZWEITER STRAFMEISTER 
Mehr Licht fällt ein. ERSTER STRAFMEI- 
STER Die Uhr hat doch angeschlagen. ZWEI- 
TER STRAFMEISTER Danach kann man nicht 
leben. STRAFHAUSDIREKTOR Wir sollen uns 
gedulden. Wenn sie vor ihrer Stunde der freien 
Bewegung zögern, ist Anlass vorhanden, den 
wir von hier unten aus nicht ei'kennen. Sie 
haben von den Luken weitern Überblick. Uns 
setzt ja hier der stockende Tagesanbruch in 
Erstaunen. Es ist möglich, dass sie oben schon 
die Ursache wissen. ERSTER STRAFMEISTER 
an der Gebäudewand hochblickend Es sind Köpfe 
in allen Luken ZWEITER STRAFMEISTER 
Es scheint, als sind die Gitter hinter die Ge- 
sichterzurückgesunken. ERSTER STRAFMEI- 
STER ln Graulicht wird, was nicht ist. STRAF- 
HAUSDIREKTOR Quellen nicht Blumen über 
breite Fensterbrüstungen! Dritter Strafmeister 
kommt DRITTER STRAFMEISTER Oben sind 
sichtbar, die kommen. STRAFHAUSDIREK- 
TOR Zum Strafhaus? DRITTER STRAFMEI- 
STER Im Anzug auf gerader Landstrasse, die 
herführt. Zwei andre Straf meister kommen VIER- 
TER STRAFMEISTER Sind sie schon vorm 
Strafhaus? FÜNFTER STRAFMEISTER Ma- 
ts Kaiser 8 1 



nah — mal fern sieht es sich an. DRITTER 
STRAFMEISTER ln Bewegung rollt es voraus. 
ERSTER STRAFMEISTER in den Hof sehend Ist 
hier die Spitze vor der Ankunft hinter das Ziel 
gelangt? In den Hof sind die Sträflinge — die 
Sträfling-Männer von links — die Sträfling-Frauen 
von rechts — eingetreten : sie verharren in geräusch- 
loser Reglosigkeit STRAFHAUSDIREKTOR Ich 
werde meinen Abschied nehmen müssen. Es 
lässt sich keine Bestimmung aufrecht erhalten. 
Die Straf hausordnungvollzieh t sich nach neuen 
Gesetzen, die ich nicht mit meinem Namen 
decken darf. Vor weiteren Ereignissen erkläre 
ich meinen Rücktritt. Spazierer kommt STRAF- 
HAUSDIREKTOR Keine Aufschlüsse an mich. 
Ich bin vor wenigen Minuten aus der Stelle 
des Strafhausdirektors geschieden. Die Straf- 
meister sind Zeugen. SPAZIERER Sind Sie von 
aller Schuldlosigkeit im Strafhaus überzeugt? 
STRAFHAUSDIREKTOR Meine persönliche 
Ansicht — vermischen Sie das nicht — 
bestätigt: ja. SPAZIERER Veranlasst Sie 
das? STRAFHAUSDIREKTOR Ich gerade in 
Widerspruch mit meiner Verpflichtung. 
SPAZIERER Kennen Sie mich? STRAFHAUS- 
DIREKTOR Gestern entlassen. Heute mit 
neuem Geständnis hier? SPAZIERER Unend- 

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lieh gestern entlassen — unendlich heute zu- 
rück. Mit Helfershelfern in Scharen. STRAF- 
HAUSDIREKTOR axisblickend Aus Grau die Ko- 
lonne? SPAZIERER Einer Nacht Wanderung 
aller Nächte staut sich hier. STRAFH AUS- 
DIREKTOR zu den Strafmeistern Hie Uhr 
täuscht. Ich sagte es. Zu Spazierer Ohne Urteil 
ins Strafhaus? SPAZIERER Aller Strafe ist 
verbüsst. STRAFHAUSDIREKTOR Im Straf- 
haus? SPAZIERER Von diesen, die im Hof. 
STRAFHAUSDIREKTOR Tritt einer für den 
andern ein? SPAZIERER Weil einer der andre 
wird! STRAFHAUSDIREKTOR ausblickend 
Warum kommen die nicht näher? SPAZIERER 
Sie sind schon zu weit. STRAFHAUSDIREK- 
TOR Einer Stadt Bevölkerung im Ausmass der 
Ansammlung. SPAZIERER Einer und jeder — 
und keine Versammlung mit vielen! STRAF- 
HAUSDIREKTOR in den Hof blickend Werden 
Sie die zur T eilnahme an derDemonstration auf- 
rufen ? SPAZIERER Ich bin nicht Stimme und 
nicht Figur. STRAFHAUSDIREKTOR Wie 
sehen und hören die? SPAZIERER Aus freiem 
Ermessen der unermessliche Zwang. STRAF- 
HAUSDIREKTOR Es konnte nicht ohne Vor- 
bereitung sich vollziehn. Meines Wissens — 
SPAZIERER Bemerken Sie nichts? STRAF- 


6 * 


83 



HAUSDIREKTOR Hier muss ich die Wahrheit 
gestehn: das Strafhaus erblühte. SPAZIERER 
Es ist Ihr Verdienst. STRAFHAUSDIREKTOR 
Zu solcher Wirkung. SPAZIERER Man gab 
zu essen — zu trinken. Man forderte keine 
Leistung, die vernichtete. Man fühlte sich ver- 
antwortlich : Menschen zu speisen — zu trän- 
ken. STRAFHAUSDIREKTOR starrt ihn an 
SPAZIERER im Tor Euch hungerte nicht — 
euch dürstete nicht ! Keine Leistung von euch, 
die euch vernichtete ! Für euch verantwortlich : 
euch zu speisen — zu tränken! DIE STRÄF- 
LINGE unbetveg lieh Wir sind schuldig! SPA- 
ZIERER Ihr seid schuldig! STIMME DER 
ANDERN MENGE fern Wir sind schuldig SPA- 
ZIERER Schuldig ihr! STRAFHAUSDIREK- 
TOR Wo ist ein Unschuldiger? SPAZIERER 
in den Hof Wo sind Unschuldige? DIE STRÄF- 
LINGE Wir sind unschuldig! SPAZIERER 
Ihr seid unschuldig! STIMME DER ANDERN 
MENGE yera Wirsind unschuldig! SPAZIERER 
dahin Unschuldig ihr ! STRAFHAUSDIREKTOR 
Geständnis und Reinigung von gleicher Zunge? 
SPAZIERER Das doppelte ist das einfache: 
Zwischen den Schalen steht der klare Zeiger 
befestigt. DIE STRÄFLINGE Wir sind schul- 
dig! STIMME DER ANDERN MENGE fern Wir 

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sind unschuldig ! STRAFHAUSDIREKTOR zum 
Hof Geständnis hier. Nach fern Reinigung 
dort. DIE STRÄFLINGE Wir sind unschuldig! 
STIMME DER ANDERN MENGE fern Wir 
sind schuldig ! SPAZIERER nach fern Geständ- 
nis dort. Zum Hof Reinigung hier. STRAF- 
HAUSDIREKTOR Wir wollendie eineÜberein- 
stimmung erzielen? SPAZIERER Dringen sie 
nicht durch dich — durch mich zueinander 
hin ? Die Sträflinge sind aus dem Hof aufgebrochen . 
Pausenlos Ruf: Wir sind schuldig! — Gegenruf: 
Wir sind unschuldig! — Die Sträflinge: Wir sind 
unschuldig! — Gegenruf: Wir sind schuldig! — 
Die Sträflinge vorüber STRAFHAUSDIREKTOR 
Wird man Sie entbehren können ? SPAZIERER 
Ich bin nur Anlass, durch den Erschütterung 
rollt. STRAFHAUSDIREKTOR ausblickend Die 
grosse Kolonne scheint schwankend in der 
Richtung. SPAZIERER Weil Zwielicht ver- 
birgt. STRAFHAUSDIREKTOR Kennen Sie 
die Landschaft? SPAZIERER Bis Helle ist! Hb 
STRAFHAUSDIREKTOR Ich werde mich an- 
schliessen. Es ist nicht reine Neugierde. Das 
leere Strafhaus macht den Aufwand eines 
Strafhausdirektors nicht weiter notwendig. 
Schützen Sie das Inventar, das so gut wie keins 
ist. Das wertvollste ist abhanden gekommen : 


85 



die Sträflinge. Ab ERSTER STRAFMEISTER 
das Tor schliessend Sollen wir den Schlüssel hin- 
terlassen? ZWEITER STRAFMEISTER Wol- 
len wir weggehn? DRITTER STRAFMEISTER 
Wir sind die letzten. Die Strafmeister ab. 


86 



Steinige Ebene. Noch Graulicht. Gestalten hin — her- 
streifend. Lili und Edith deutlich 

EDITH Wir sind von der Landstrasse abge- 
kommen. LILI Ins steinige Feld übergetreten. 
EDITH Yor blinder Dämmerung. LILI Ohne 
Grenzen Terrain um uns. Spazierer hinzu SPA- 
ZI ERER Wir sind angekommen. EDITH Lili 
— er ist bei uns! LILI Wo stehn wir? SPA- 
ZIERER Yor neuer Entdeckung. LILI Die ist 
uns versprochen. SPAZIERER Im Nacht- 
marsch errungen! Weiter. Lili und Edith weiter. 
Anwalt und Straf hausdirektor deutlich. ANWALT 
Der Zug ist in voller Auflösung begriffen. 
STRAFHAUSDIREKTOR Wer gab das Signal 
zu dieser Schwenkung? ANWALT Ich hörte 
nichts. STRAFHAUSDIREKTOR Mit wem 
sprecheich? ANWALT Anwalt. STRAFHAUS- 
DIREKTOR Strafhausdirektor. ANWALT 
Prächtig. Ich brauche Ihre Bekundungen. Sie 
wissen , dass der Prozess revidier t wird ? STR A F- 
HA USDIREKTOR Welcher? ANWALT Damit 
fragen Sie mich fast zu viel. Das Verfahren 
richtet sich gegen — Spazierer hinzu SPAZIERER 
Schärfen Sie Ihre Beobachtung. ANWALT Da 
sind Sie! STRAFHAUSDIREKTOR Man sieht 


8? 


schlecht. SPAZIERER Gewühl ist alles. AN- 
WALT Offenbart sich der Täter? SPAZIERER 
Unschuldige streifen mitschuldigen. STRAF- 
HAUSDIREIiTOR Denken Sie an meine Sträf- 
linge? ANWALT ln den helleren Kitteln sind 
Ihre Leute? SPAZIERER Noch unterscheiden 
grobe Farben. ANWALT Verheissen Sie uns 
nicht zu viel? SPAZIERER Euer Anspruch 
wird von euch befriedigt! Weiter. Anwalt und 
Straf hausdirektor weiter. Juwelier — am Stocke — 
deutlich. Spazierer hinzu SPAZIERER Am Stock 
der Juwelier. JUWELIER Unzweifelhaft. Wer- 
den Sie mich jetzt ausrufen? SPAZIERER Dich 
und jeden? JUWELIER Ich nehme die volle 
Schuld auf mich. SPAZIERER Wie jeder im 
Feld. JUWELIER Wer bezichtigt sich noch? 
SPAZIERER Wer aufbrach und ankam. JU- 
WELIER Sind alle verstrickt? SPAZIERER 
Alle sind los in allen! Weiter. Juwelier weiter. 
Hajthausleuüiant und Hotelier deutlich. HOTE- 
LIER Ich bin ein rüstiger Fussgänger, doch 
hier halte ich ein — ohne wirkliche Ermüdung. 
HAFTHAUSLEUTNANT Sind Sie Bergsteiger? 
HOTELIER Hotelier. HAFTHAUSLEUTNANT 
Sonst könnten Sie mir Auskunft geben über 
die Gesteinsart. auf der wir stehn. HOTELIER 
Es scheint noch nicht urbares Land. Kiesel — 



scharrt man — dringt man in Humus. HAFT- 
HAUSLEUTNANT Tatsächlich — es gibtleicht 
nach. Das prüfe ich. HOTELIER Sind Sie 
Landwirt? HAFTH AUSLEUTNANT Hafthaus- 
leutnant. Spazierer hinzu SPAZIERER Grabt ihr 
den Täter aus? HOTELIER Der Hafthausleut- 
nant untersucht den Boden. SPAZIERER Er 
gibt her, was ihr ihm gebt. HAFTHAUSLEUT- 
NANT Mehr. SPAZIERER So bringt euch nicht 
in Versuchung mit Überfluss, der euch über- 
flutet! Weiter. Juwelier deutlich JUWELIER 
Schätze im Erdreich? Ich bin Juwelier. Ich 
unterschrieb die Postzettel und das Geld kam 
mit der Post. Ich fertigte Pretiosen an und 
legte sie im Laden aus. Dabei wusste ich nicht 
einmal für wen. Selbstverständlich entfaltete 
ich meine Fähigkeiten nicht. Denn ich bin mit 
Leib und Seele Juwelier. Ich hätte mich ent- 
wickeln können, wenn nur das Gold nicht 
mit der Post geschickt wäre. Man arbeitet auf 
Lager, das ist eine lähmende Beschäftigung. 
HOTELIER Würde es Sie erstaunen, wenn ich 
Ihnen verriete, dass ich zweihundert Betten 
im Grand-Hotel stehen habe? Betten — Bet- 
ten — Betten für alle Welt! ANWALT deutlich 
Was wollen Sie damit sagen? Ich bin Anwalt. 
Haben Sie verdächtigen Personen Unterkunft 

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gewährt? HAFTHAUSLEUTNANT sich auf rich- 
tend Darauf kann ich Ihnen antworten. Ich bin 
Hafthausleutnant. Der Hotelier bestätigt nur 
die Worte des Juweliers. ANWALT So spre- 
chen Sie doch. Lili und Edith deutlich EDITH 
Lili — sie sprechen vom Grand-Hotel. AN- 
WALT Können die Damen Auskunft geben? 
LILI Wir wohnten zweimal im Grand-Hotel. 
EDITH Im goldroten Rundsalon. HOTELIER 
Das letzte Mal reisten die Damen ohne Gepäck. 
ANWALT Dasisteine belastende Feststellung. 
HAFTHAUSLEUTNANT Obwohl ich über 
meine Haftsoldaten nicht mehr verfüge — 
ANWALT Wir werden sie alarmieren. STRAF- 
HAUSDIREIiTOR deutlich Erklären Sie mir die 
Bewegung im Feld? Erster Lichtstrahl auf Him- 
mel LILI Der Tag! JUWELIER Silberbarren 
ergossen! ANWALT Weisse Fackel! HAFT- 
HAUSLEUTNANT Im wachsen! STRAFHAUS- 
DIREKTOR Entzündung! EDITH Lili! AN- 
WALT Unverborgen macht jetzt das Licht den 
Täter! In Ebene die zerstreute Menge in Wendung 
zur Helle. Spazierer neben Anwalt dringend SPA- 
ZIERER Du findest den Täter nicht! ANWALT 
Aus Dunkel stiebt er. SPAZIERER Zerstoben 
in Licht ! Neuer Lichtstrahl verbreiternd ENT- 
WICHNER STRÄFLING Wo ist der Führer? 



JUWELIER mit Stock nach Spazierer weisend Der 
marschierte vor uns. SPAZIERER Wie Tropfen 
im Strom rinnt! FREUDENMÄDCHEN vorkom- 
mend Wo ist derFührer? ANWALT zu Spazierer 
Sie werden sich nicht verleugnen. Voller Ruf 
über die Ebene: Wo ist der Führer?! SPAZIERER 
schallend Euer Ruf löscht mich aus! ENTWICH- 
NER STRÄFLING Wir suchen ins Licht! Rufen 
über die Ebene : Wir suchen ins Licht! ! SPAZIERER 
Licht schiesst über euch heran! Neuer Licht- 
strahl. Rufen über die Ebene : Wann wird Licht 
voll?! SPAZIERER Wie Schuld und Unschuld 
bei einem sind! Rufen über die Ebene: Wer ist 
schuldig — unschuldig?! SPAZIERER Der Täter 

verging! : die Schöpfung baut ihr! Rufen 

über die Ebene: Werden wir mächtig?! SPAZIERER 
In Allmacht treibt ihr! Rufen über die Ebene: 
Bauen wir hier?! SPAZIERER Wo Erde ist! — 
Baut die Schöpfung. Ihr seid bestätigt — klug 
zwischen Wust und W erk ! Baut die Schöpfung, 
die ihr seid — im Aufbruch zu euch, wer ihr 
seid ! — Baut die Schöpfung, die durch euch 
blutet — eurer Finger Befehl führt steiles Ge- 
bäudeinHöhe, weil ihr euch befehlt! — Baut 
die Schöpfung, die euch will — wie ihr sie 
wollt ! — Baut die Schöpfung — die baut, wer 
sich in ihr schafft! — Ihr seid neu von Abend 


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bis Morgen tausende Mal — baut eure neue 
Schöpfung die euch vergisst — wie ihr ver- 
geht. Keiner ist einer — eure Begierde zielt 
neben euch: da ist der andre, der grösser 
ist, wie er von dir nimmt. Er ist schuldig 
dir — wie der dritte ihm schuldig — und 
dem dritten schuldig die vielen. Aus aller 
Schuld an alle tilgt ihr alle Schuld : wer misst 
nach, - — wer mehr gab — und feilscht um 
den Wert"?! Er ist in der Menge verschwunden. 
RUF Wo ist der Führer?! SPAZIERER Stimme 
fern ln voller Mitte ! RUF dort Wo ist der Füh- 
rer? ! SPAZIERER Stimme fern in andrer Richtung 
Hier wie dort! RUF dort Wo ist der Führer?! 
SPAZIERER Stimme fern in andrer Richtung Wo 
keiner ruft! RUFE überall Wo ist der Führer?! 
SPAZIERER Stimme in allen Richtungen In Schöp- 
fung in euch, die ihr baut! RUFE in ganzer 
Ebene Bauen wir steil?! SPAZIERER Stimme 
gross lm Spiegel weisser Türme donnert die 
Sonne! RUFE Bauen wir herrlich?! SPAZIE- 
RER Stimme g?-oss Herrlichkeit rinnt um die 
Firste gebuckelter Dächer! RUFE Bauen wir 
weit?! SPAZIERER Stimme gross Weit reicht 
eure Schöpfung! RUFE Wo werden Grenzen?! 
SPAZIERER Stimme gross Wo Erde sich ründet! 
RUFE Was sichert Gewissheit?! SPAZIERER 



Stimme gross Wie ich in allen vergehe — seid 
ihr schon Teil von mir — undniitgeteilt! RUFE 
nach Pause Die Erde klingt ! ! SPA ZI ERER Stimme 

mächtig — verebbend Euer Blut braust 

denn ihr seid die Erde ! ! Sonne ist volles Gestirn : 
auf die Ebene ist überweisses Licht ergossen , in dem 
die Menge wie in einem verschmelzenden Nebel steht. 


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Druck von Mänicke und Jahn in Rudolstadt